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German Pages 372 [382] Year 2007
PARADEIGMATA 27
PARADEIGMATA Die Reihe Paradeigmata präsentiert historisch-systematisch fundierte Abhandlungen, Studien und Werke, die belegen, daß sich aus der strengen geschichtsbewußten Anknüpfung an die philosophische Tradition innovative Modelle philosophischer Erkenntnisse gewinnen lassen. Jede der in dieser Reihe veröffentlichten Arbeiten zeichnet sich dadurch aus, in in haltlicher oder methodischer Hinsicht Modi philosophischen Denkens neu zu fassen, an neuen Thematiken zu erproben oder neu zu begründen.
Frank Kuhne, PD Dr. phil., Jg. 1956, lehrt Philosophie am Philosophischen Seminar der Leibniz Universität Hannover. Forschungsgebiete: Transzendentalphilosophie, Theorie des Selbstbewußtseins, Praktische Philosophie, Geschichtsphilosophie.
FR ANK KUHNE
Selbstbewußtsein und Erfahrung bei Kant und Fichte Über Möglichkeiten und Grenzen der Transzendentalphilosophie
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-1831-5
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INHALT
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. KANT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Transzendentales und empirisches Ich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. 2. 3. 4.
Affektion und Ding an sich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstaffektion und transzendentaler Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Subjekt der Erkenntnis und innere Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Empirische Einheit des Bewußtseins« und Einheit des empirischen Bewußtseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Subjekt und Objekt der Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 36 48
B. Verstand, Vernunft, Urteilskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Die Restriktion des Verstandes auf »mögliche Erfahrung« . . . . . . . . . . . . . . . . Die kosmologischen Ideen der Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das transzendentale Ideal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vernünftiger Verstand und reflektierende Urteilskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transzendentale und praktische Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbständigkeit und Unselbständigkeit der Moral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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83 95 105 114 134 147
C. Die Irreflexivität der Transzendentalphilosophie Kants . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 II. FICHTE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 A. Die Reflexivität der Transzendentalphilosophie Fichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 B. Unmittelbares und vermitteltes Bewußtsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 1. Die Unmittelbarkeit des unmittelbaren Bewußtseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 2. Intellektuelle Anschauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 C. Die Einheit der Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 1. 2. 3. 4. 5.
Theoretische Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Praktische Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Anstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Struktur des Begehrungsvermögens und der Begriff der Natur . . . . . . . . Apriorisches und Aposteriorisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
232 246 265 272 294
VI
inhalt
III. JENSEITS VON KANT UND FICHTE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 A. Zur spekulativen Aufhebung der Transzendentalphilosophie . . . . . . . . . . . . . 309 B. Die Aufhebung der Transzendentalphilosophie in Gesellschaftstheorie . . . . . 316 1. Noch einmal: Kant, Fichte und das Problem der Erkenntnis des Besonderen 316 2. Die Historizität der transzendentalen Einheit der Apperzeption . . . . . . . . . . 324 3. Konsequenzen für eine Theorie des Selbstbewußtseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
Meinem Vater Dem Andenken meiner Mutter
EINLEITUNG
Darinn sind alle einig, daß Philosophie eine Wissenschaft sey. Der Streit ist nur über ihren Gegenstand. [J. G. Fichte, ZVL 19]
Philosophie hat historische Voraussetzungen, die sie vorfindet und die ihre Entstehung bedingen. Sie ist zum einen bedingt durch ihre eigene Tradition, auf die sie sich sei es affirmativ, sei es negativ bezieht. Sie ist zum zweiten bedingt durch die Realgeschichte, durch die realen historischen und mithin gesellschaftlichen Voraussetzungen. Augustinus hat zwölfhundert Jahre vor Descartes beinahe wörtlich dessen methodischen Zweifel vorweggenommen und die Selbstgewißheit des denkenden Ich formuliert,1 und doch wäre er niemals auf die Idee gekommen, das ego cogito zu dem ›archimedischen Punkt‹2 zu erklären, in dem alle wahren Urteile gründen. Daß Augustinus die Selbstgewißheit des denkenden Ich aus dem Dasein des Absoluten ableitet,3 während Descartes umgekehrt das Dasein des Absoluten aus seinem dem Ich immanenten Begriff zu beweisen sucht,4 bezeichnet mit den unterschiedlichen historischen Kontexten, in denen beide argumentieren, auch die damit verbundenen Schranken der Erkenntnis. Für Augustinus ist die Welt als durch Gott geschaffene intelligibel strukturiert, und die empirischen Subjekte vermögen diese ontologische Struktur kontemplativ zu erfassen. Für Descartes ist die Erkennbarkeit der Welt nicht ontologisch-metaphysisch garantiert, sondern muß erkenntnistheoretisch durch den Rekurs auf das Subjekt möglicher Erkenntnis allererst begründet werden. Für jenen ist die Subjektivität der empirischen Subjekte als solche noch kein Thema, für diesen ist sie zentral. Der skizzierte Sachverhalt einer teilweisen Übereinstimmung zweier Philosophen über die Jahrhunderte hinweg ist philosophiehistorisch unbestreitbar, und auch die philosophie- und realgeschichtlichen Bedingungen, die es Descartes im UnVgl. Augustinus (419), 42f. Vgl. Descartes (1647), 17. 3 »Und auch in uns selber finden wir ein Abbild Gottes, das ist jener höchsten Dreieinigkeit [...]. Denn wir sind, wissen, daß wir sind, und lieben dies unser Sein und Wissen. In diesen drei Stücken [...] verwirrt uns kein falscher Schein der Wahrheit. Denn wir erfassen sie nicht wie die Außendinge mit irgendeinem leiblichen Sinne [...]. Mögen sie sagen: Wie, wenn du dich täuschst? Wenn ich mich täusche, bin ich ja. Denn wer nicht ist, kann sich auch nicht täuschen; also bin ich, wenn ich mich täusche.« Augustinus (419), 42f. 4 »Denn wenngleich die Idee der Substanz in mir ist, eben darum weil ich selbst eine Substanz bin, so wäre es doch nicht die Idee der unendlichen Substanz, da ich endlich bin, wenn sie nicht von irgendeiner Substanz herrührte, die in Wahrheit unendlich ist.« Descartes (1647), 37. 1 2
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terschied zu Augustinus ermöglichten, das denkende Ich zum unbezweifelbaren Fundament allen Wissens zu erklären, wird kaum jemand in Abrede stellen. Ohne den Zerfall des Universalienrealismus und die nominalistische Wendung auf das denkende Subjekt einerseits, ohne die Auflösung der festgefügten mittelalterlichen Ordnung und die allmähliche Herausbildung bürgerlicher Verhältnisse andererseits, ist der vermeintlich radikale Neubeginn Descartes’ in der Philosophie nicht denkbar. Daß die Philosophie historische Voraussetzungen hat, ist trivial, nicht trivial ist dagegen die Frage, wie sie sich zu diesen Voraussetzungen verhält. Insbesondere im Hinblick auf ihre eigene Tradition sind zwei Möglichkeiten denkbar. Entweder Philosophie begreift die tradierten Theoreme als abgelegte Gestalten philosophischen Bewußtseins, die nur noch Gegenstand eines anachronistischen Philosophierens und einer Geschichtsschreibung sind, die selbst nicht philosophisch ist, oder sie begreift sie als bleibende Grundlage, ohne deren Aneignung philosophische Reflexion sich selbst nicht begreifen kann. Kant hat den Umstand, daß in der Geschichte der Philosophie faktisch eine Pluralität verschiedener und konkurrierender philosophischer Systeme und Entwürfe anzutreffen ist und das Eine, von allen Philosophen anerkannte philosophische System nicht existiert, als Indiz dafür genommen, daß die Philosophie noch nicht »den sicheren Gang einer Wissenschaft«5 gehe. Ihr zu diesem sicheren Gang zu verhelfen, ist das Ziel der Kritik der reinen Vernunft, die keine »Kritik der Bücher und Systeme«6 ist, also auch keine immanente Kritik tradierter Philosophie intendiert, sondern eine Untersuchung des Vernunftvermögens durch die Vernunft selbst. Kants Transzendentalphilosophie versteht sich als ahistorisch. Auch wenn leicht zu zeigen ist, inwiefern sie durch die Tradition vermittelt ist, so macht sie diese Vermittlung doch nicht zu ihrem eigenen Thema. Ihr Verhältnis zur philosophischen Tradition und zur Geschichte überhaupt ist das der abstrakten Negation. Dasselbe gilt für Fichtes erste Wissenschaftslehre, die darauf abzielt, Kants kritische Philosophie zu Einem System zu vervollständigen.7 Wenn Fichte in seiner Transzendentalphilosophie Geschichte thematisiert, dann ist es die ahistorische, transzendentale »Geschichte des menschlichen Geistes«.8 Die kritische Philosophie Kants und die frühe Wissenschaftslehre Fichtes zählen längst selbst zum Bestand der Geschichte der Philosophie. Die Philosophiegeschichtsschreibung rubriziert sie gewöhnlich unter dem Titel der »Philosophie der Subjektivität« oder »Bewußtseinsphilosophie«, wobei sie in der Regel Kant näher als den unmittelbaren Vorläufer, Fichte als den Begründer des sogenannten Deutschen IdealisKrV B VII. KrV A XII. 7 »Fichtes erste Wissenschaftslehre« meint hier und im folgenden die Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre von 1794/5. 8 GWL 365 [222]. Über Fichtes frühe Einstellung zur Geschichte berichtet Friedrich Schlegel am 30. September 1796 in seinem Brief an Christian Gottfried Körner: »Das erstemahl, da ich ein Gespräch mit ihm hatte, sagte er mir: er wolle lieber Erbsen zählen, als Geschichte studieren.« Schlegel, Briefe 333. 5 6
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mus9 bezeichnet. Nach dem heute gängigen Schema, wonach sich der Fortschritt in der Philosophie als mehrfacher »Paradigmenwechsel« von der Ontologie über die Subjekt- bzw. Bewußtseinsphilosophie zur Sprachphilosophie vollzogen habe,10 sind Kant und Fichte Vertreter eines abgelegten, überwundenen Paradigmas.11 Die Beschäftigung mit ihnen wäre so allenfalls noch von historischem Interesse. Aber abgesehen davon, daß der vor einigen Jahrzehnten erneut ausgerufene »Tod des Subjekts«12 schon seit längerem wieder in Frage gestellt wird13 und die sprachanalytische Überwindung sogenannter bewußtseinsphilosophischer Zirkel sich der Kritik ausgesetzt sieht, eben diese Zirkel in neuer Terminologie zu reproduzieren,14 ist die Totsagung Kants und Fichtes und darüber hinaus der gesamten philosophischen Tradition alles andere als ein neues Phänomen, sondern integraler Bestandteil der Geschichte der Philosophie.15 So formuliert schon Fichtes Schüler Herbart 1824 in seiner Psychologie als Wissenschaft: »Wer die idealistischen und naturphilosophischen Lehren, von denen hier die Rede ist, noch nicht kennt, der muß Anstalt machen, sie wenigstens aus einigen Proben kennen zu lernen. Auf FICHTE’s Wissenschaftslehre, und die darauf gebaute Sittenlehre, als auf die eigentlichen Hauptwerke dieser Art, sollte ich ihn hinweisen, wenn von gründlichem historischen Studium die Rede wäre; allein, wer es wagt, diese Schriften ernstlich zu studiren, der wird viel Zeit daran verlieren, und er Der Terminus »Deutscher Idealismus« hat sich zwar eingebürgert, ist aber »nichts weniger als selbstverständlich«. Darauf hat Jaeschke (2000) nachdrücklich aufmerksam gemacht. »Der ›Deutsche Idealismus‹ entsteht keineswegs in den 1790er Jahren, in der Denkbewegung von Kant über Reinhold zu Fichte und Hölderlin, und weiter zu Schelling und Hegel. Vielmehr erfolgt die Genese des ›Deutschen Idealismus‹ erst nach seinem Zusammenbruch. Und seine Erfinder sind zwei Neukantianer – einer aus der Marburger und der andere aus der Südwestdeutschen Schule.« (219) Die Karriere des Begriffs beginnt 1866 mit Friedrich Albert Langes wirkungsmächtiger Geschichte des Materialismus. Wilhelm Windelband präzisiert Langes diffusen und von »trübe[n] Assoziationen« begleiteten Idealismusbegriff (›idealistische Vaterlandsschwärmerei‹, ›idealistische[] Tendenzen des Turnunterrichts‹) in seiner Geschichte der neueren Philosophie 1880 zum philosophiehistorischen Epochenbegriff (223ff.). 10 Vgl. Tugendhat (1976), 25; Tugendhat/ Wolf (1983), 7ff; Habermas (1988), 20. Der Begriff des Paradigmas bzw. Paradigmenwechsels entstammt der historisch orientierten Wissenschaftstheorie, vgl. Kuhn (1976). 11 Habermas (1988; 34) zufolge »wird man feststellen dürfen, daß das Fichtesche Ausgangsproblem durch einen Wechsel des Paradigmas gegenstandslos wird«. 12 Vgl. dazu die Beiträge in Nagl-Docekal/Vetter (1987). 13 Vgl. Frank (1991 a; 159). 14 Vgl. Henrich (1989 a). 15 Auch die Klage über die Unverständlichkeit der Transzendentalphilosophie ist so alt wie diese selbst. So befindet etwa Friedrich Carl Forberg: »Man hat bey der Kantischen Philosophie über Dunkelheit geklagt: bey der Fichtischen wird man über Finsterniß klagen müssen. In andern Philosophiien konnte immer die Einbildungskraft dem Verstande nicht nachkommen; hier scheint es, als ob der Verstand nicht allemahl der Einbildungskraft nachkommen könne: es werden uns Begriffe zugemuthet, die wir nur mit der Einbildungskraft anfassen, mit dem Verstand aber gar nicht denken sollen.« (1796; 77). 9
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darf nur auf geringen Gewinn rechnen. Kürzer gelangt man in der Hauptsache zum Ziele durch SCHELLING’s Schrift über das Ich, vom Jahre 1795. Hier zeigt sich der falsche Enthusiasmus, welcher seitdem der Philosophie so viel Schaden zufügte, schon mit aller seiner Verkehrtheit, aber noch in jugendlicher Liebenswürdigkeit [...].«16 Gut einhundert Jahre später verleiht Reichenbach seiner Überzeugung von der Entbehrlichkeit der unter Metaphysik-Verdacht gestellten naturphilosophischen Tradition pathetisch Ausdruck: »Die Philosophie der Naturerkenntnis will keines von den Systemen sein, die aus dem Kopfe eines einsamen Denkers entspringen und wie steinerne Monumente vor dem betrachtenden Blick der Generationen stehen – sondern sie will Wissenschaft sein wie die andern Wissenschaften auch, ein Schatz von gemeinsam erarbeiteten Sätzen, deren Anerkennung unabhängig vom Rahmen eines Systems von jedem verlangt werden kann, der überhaupt in diesen Dingen mitdenken will.«17 Und Schlick zieht scheinbar aus einer historischen Erfahrung nur die logische Konsequenz, wenn er feststellt: »Alle Versuche, dem Chaos der Systeme ein Ende zu machen und das Schicksal der Philosophie zu wenden, können, so scheint eine Erfahrung von mehr als zwei Jahrtausenden zu lehren, nicht mehr ernst genommen werden.«18 Einigkeit besteht unter Philosophen darüber, daß keine Einigkeit besteht – und das bereits im Hinblick auf den Begriff der Philosophie. Reinholds Wort gilt noch immer: »Eine Definition der Philosophie ausfindig zu machen, die auf einem Reichstage der itzt lebenden Philosophen von Profession durch Mehrheit der Stimmen bestätiget werden sollte, dürfte wohl eines der schwersten Probleme seyn, an welche sich ein philosophischer Schriftsteller wagen könnte.«19 Angesichts dieser Sachlage könnte es fast plausibel erscheinen, wenn Rorty dafür plädiert, die Philosophie solle sich von ihrem systematischen Anspruch und dem Anspruch auf Wahrheit verabschieden zugunsten eines hermeneutischen Bemühens um die Kultur einer Zeit im jeweiligen Kontext: »[T]he point of edifying philosophy is to keep the conversation going rather than to find objective truth.«20 Freilich: Diese Auffassung von Philosophie verpflichtet zu nichts – schon gar nicht dazu, sie zu übernehmen.21 Die vorliegende Arbeit sieht in den Philosophien Kants und Fichtes keine Repräsentanten eines abgelegten Paradigmas; sie sind ihr nicht von philosophiehistorischem, sondern von systematischem Interesse. Die dualistische Entgegensetzung von Herbart (1824), 254. Reichenbach (1928), 15. Das harmlose Pendant des »einsamen Denkers«, dessen Systeme ganze Generationen einschüchtern, ist Prof. Pnin, der einsame Gelehrte des Orchideenfachs, dessen weithin unbeachtete geisteswissenschaftliche Forschung »aus ihm einen glücklichen, fußnotentrunkenen Wahnsinnigen gemacht [hat], der die Milben in einem langweiligen, einen Fuß dicken Band aufstört, um darin einen Hinweis auf einen noch dickeren aufzuspüren«. Nabokov (1957), 176. 18 Schlick (1930), 33. 19 Reinhold (1790), 3. 20 Rorty (1980), 377. 21 Vgl. Hartmann (1984), 33. 16 17
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systematischer und historisch orientierter Philosophie respektive Philosophiegeschichte ist selbst ein Resultat der Geschichte der Philosophie, das einen angemessenen Begriff von Philosophie ebenso verhindert wie es einen angemessenen Zugang zu den Gegenständen der Philosophie verstellt. Wenn Kant die Pluralität philosophischer Systeme und Lehren als Indiz dafür nimmt, daß die Philosophie noch nicht den sicheren Gang einer Wissenschaft gehe, dann mißt er die Philosophie an den Einzelwissenschaften par excellence seiner Zeit, an Mathematik und mathematischer Naturwissenschaft. Die historische Bedingtheit dieses Maßstabs ist unschwer zu sehen. Kant wird sie aber ebensowenig zum philosophischen Problem, wie ihm die Vermittlung der eigenen Position durch Empirismus und Rationalismus zum erkenntnistheoretischen Problem wird. Thematisch sind ihm tradierte Philosopheme nur insofern, als sie unter Voraussetzung der Resultate der Transzendentalphilosophie zum Gegenstand der Kritik werden – daß sie selber notwendige Voraussetzungen der Begründung der Transzendentalphilosophie sind, wird nicht eigens systematisch erörtert, sondern allenfalls anekdotisch angemerkt.22 Indem Kant die Philosophie zunächst an dem ihr äußerlichen Maßstab von Mathematik und mathematischer Naturwissenschaft mißt und es dann unternimmt, sie mit rein philosophischen Mitteln zur Wissenschaft zu bilden, täuscht er sich sowohl über die Philosophie wie über die Einzelwissenschaften. Mathematik und Naturwissenschaft, wie avanciert auch immer, taugen nicht als Modell für den Wissenschaftscharakter der Philosophie. Dies zeigt ein Blick auf die Bedingungen, die dem Fortschreiten der Naturwissenschaft einerseits, der Philosophie andererseits zugrunde liegen. Der Fortschritt in den Naturwissenschaften hat den Charakter der Akkumulation von Wissen, dessen Bedingung die Instrumentalisierbarkeit bereits gewonnenen Wissens als Mittel zur Gewinnung neuen Wissens ist.23 Das gewonnene Wissen der einzelnen Naturwissenschaft existiert in Gestalt eines nach Prinzipien organisierten Systems des Wissens getrennt von den empirischen Subjekten. Diese können als Wissenschaftler die gesicherten Resultate ihrer Disziplin als ein Mittel, als ein Werkzeug zu weiterer Forschung benutzen, ohne daß sie sich deren historische Genese und die dieser ursprünglich zugrunde liegenden theoretischen Probleme noch einmal vergegenwärtigen müssen,24 und sie können dabei auf standardisierte Verfahren und Apparaturen zurückgreifen, ohne über das Wissen der darin eingegangenen Prinzipien verfügen zu müssen. Dieses instrumentelle Verhältnis zur eigenen Tradition er»Ich gestehe frei: die Erinnerung des David Hume war eben dasjenige, was mir vor vielen Jahren zuerst den dogmatischen Schlummer unterbrach, und meinen Untersuchungen im Felde der spekulativen Philosophie eine ganz andre Richtung gab.« Prol. A 13. 23 Vgl. Bulthaup (1973), 59ff. u. 77ff. 24 So ist etwa jedem Chemiker die adäquate Erklärung des Verbrennungsvorgangs, wie sie heute in jedem Lehrbuch der Chemie steht, eine selbstverständliche Voraussetzung seines Tuns. Unternimmt er es dennoch, der Geschichte der Erklärung dieses Phänomens und der Rolle der Phlogiston-Theorie in dieser Geschichte nachzugehen, treibt er nicht mehr Chemie, sondern betätigt sich als Historiker seiner Disziplin. 22
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zeugt den Schein einer unmittelbaren Beziehung auf den Gegenstand auch dort, wo dieser kein Gegenstand möglicher Wahrnehmung ist. Was nur durch Elektronenmikroskop oder Radioteleskop zum Gegenstand wird, scheint durch diese Instrumente unmittelbar gegeben. Dabei bleibt außer Betracht, daß in diesen Instrumenten das Wissen ganzer Forschergenerationen inkorporiert ist. Mithin ist der Gegenstand nicht unmittelbar gegeben, sondern durch die Tradition vermittelt. Die Instrumentalisierbarkeit gewonnenen Wissens als Mittel zur Gewinnung neuer Erkenntnisse ist die conditio sine qua non naturwissenschaftlichen Fortschritts. Der von ihr erzeugte Schein eines unmittelbaren Gegebenseins der Gegenstände steht diesem Fortschritt nicht im Wege; er ist auch kein Thema der Naturwissenschaft, sondern ihrer philosophischen Reflexion. Der Fortschritt in der Philosophie unterliegt anderen Bedingungen. Er hat nicht den Charakter der Akkumulation von Wissen, da deren Bedingung, die Instrumentalisierbarkeit gewonnenen Wissens als Werkzeug der Forschung entfällt. Die Tradition der Philosophie ist nicht geronnen in standardisierten Verfahren und Apparaturen. Ein instrumentelles Verhältnis zu ihr ist deshalb nicht möglich. Philosophie kann sich nicht rein affirmativ auf ihre Tradition beziehen, sondern nur in bewußter Kritik, sei es, daß sie die tradierten Theoreme angesichts von Kritik erneut rechtfertigt, modifiziert oder insgesamt verwirft. Die Gegenstände der Philosophie sind begrifflich vermittelt, und die Begriffe enthalten selbst dort, wo sie in der »Eiswüste der Abstraktion« angesiedelt scheinen, gesellschaftliche Erfahrung. Das Beispiel Descartes’ ist hier schlagend. Im Unterschied zu den Naturwissenschaften bezieht sich die philosophische Reflexion vermittels ihrer Gegenstände auf ihre eigene Tradition und auf die reale Geschichte. Adorno verweist auf diesen Sachverhalt, wenn er Spuren der von Kant ausgeblendeten Geschichte der Subjektivität noch in dessen rein systematischen Bestimmungen des transzendentalen Apparates erblickt. Tradition ist »der Erkenntnis selbst immanent [...] als das vermittelnde Moment ihrer Gegenstände. [...] Unter den Leistungen der Kantischen Deduktion rangiert obenan, daß er noch in der reinen Form der Erkenntnis, der Einheit des Ich denke, auf der Stufe der Reproduktion in der Einbildungskraft, Erinnerung, die Spur des Geschichtlichen gewahrte.«25 Hinweise wie dieser, von Adorno en passant gegeben, mögen über den objektiven Gehalt der Kantischen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe mehr besagen als manche groß angelegte Interpretation, sie werden heute schon deshalb kaum wahrgenommen, weil sie keiner Methode entspringen und deshalb auch nicht als Gegenstand methodologischer Reflexionen taugen. Wenn Adorno zu Recht darauf besteht, daß die philosophische Reflexion an der eigenen Tradition und der in ihr sedimentierten gesellschaftlichen Erfahrung ihre Substanz hat, so erscheint dieser sachliche, nämlich für die Sache der Philosophie konstitutive Zusammenhang von systematischem Philosophieren und Geschichte heute meist nur noch als methodologisches Problem, dem, ob ein Theorem der Bewußtseinsphilosophie mit den Mitteln der analytischen Sprachphilosophie ohne Verlust »rekonstruiert« werden könne.26 25 26
Adorno (1966), 63f. »Besondere Bedeutung kommt [...] der Fragestellung [zu], ob die traditionellen Bestim-
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Ist das kritische Verhältnis zur eigenen Tradition spätestens seit Aristoteles’ Kritik an der Ideenlehre Platons das movens philosophischen Fortschritts, so war Philosophie dennoch die längste Zeit gegenüber diesem movens blind. Erst Hegel hat gesehen, daß die Geschichte der Philosophie nicht ein Vorrat mehr oder minder geistreicher Lehren ist, die zum Gegenstand historischer Forschung gemacht werden können, sondern die Entfaltung des Denkens in der Zeit darstellt. »Diese Taten des Denkens scheinen zunächst, als geschichtlich, eine Sache der Vergangenheit zu sein und jenseits unserer Wirklichkeit zu liegen. In der Tat aber, was wir sind, sind wir zugleich geschichtlich, oder genauer: wie in dem, was in [...] der Geschichte des Denkens [sich findet,] das Vergangene nur die eine Seite ist, so ist in dem, was wir sind, das gemeinschaftliche Unvergängliche unzertrennt mit dem, daß wir geschichtlich sind, verknüpft.«27 Kann die Philosophie sich selbst nur begreifen, wenn sie sich ihrer Tradition versichert, ist aber das Verhältnis zur Tradition durch die Interpretation der Gegenwart mitbestimmt, dann scheint der Relativismus in der Philosophie nur unter Anerkennung der Voraussetzungen des spekulativen Idealismus Hegels vermeidbar, und die philosophische Reflexion hätte die Wahl zwischen der Affirmation des absoluten Idealismus und verschiedenen Varianten des Skeptizismus. Gegen diese Alternative richtet sich die Generalthese dieser Arbeit. Sie lautet: Philosophie, die bei sich selbst bleibt, vermag nicht ›ihre Zeit in Gedanken zu erfassen‹.28 Sie kann weder ihre Gegenstände noch sich selbst adäquat begreifen. Dies ist an Kants kritischer Philosophie und Fichtes früher Wissenschaftslehre auf dem Wege der immanenten Kritik zu zeigen. Immanente Kritik überprüft die einer Theorie zugrunde liegenden Voraussetzungen, Urteile und Schlußfolgerungen; sie mißt die Theorie an ihrem eigenen Anspruch. Indem die vorliegende Arbeit derart verfährt, setzt sie sich von Rezeptionsweisen ab, die Kants Philosophie (mit Einschränkungen der Fichtes) ebenfalls ein systematisches Interesse entgegenbringen, sie aber an einem äußerlichen Maßstab messen. In diesem Zusammenhang ist vor allem die Kant-Rezeption von Autoren zu nennen, die der sprachanalytischen Tradition verbunden sind. So ist etwa Bennett zuzustimmen, wenn er feststellt: »Like all great pioneering works in philosophy, the ›Critique‹ is full of mistakes and confusions. It is a misunderstanding to think that a supreme philosopher cannot have erred badly and often: the ›Critique‹ still has much to teach us, but it is wrong on nearly every page.«29 Wenn Bennett aber Kants Unterscheidungen von a priori und a posteriori, von analytischen und synthetischen Urteilen vor dem
mungen von Subjektivität und Moralität ohne semantischen und epistemologischen Verlust rekonstruiert werden können. Allein unter diesen methodischen Bedingungen werden sich traditionelle Reflexionsmodelle in systematische Positionen der Gegenwartsphilosophie verlängern lassen.« Sturma (1997), 29. 27 VLGdPh I, 21; vgl. DS 9ff. 28 Vgl. Hegel, Rphil. 26. 29 Bennett (1966), VIII. Vaihinger (II 1892) nennt die Kritik der reinen Vernunft »das genialste und zugleich das widerspruchvollste Werk der ganzen Geschichte der Philosophie [...]« (VI).
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Hintergrund Quines, Strawsons und Wittgensteins diskutiert30 und den Kontext, in dem sie bei Kant allein ihre strenge Bedeutung haben: dem der Transzendentalphilosophie als einer Theorie von den Prinzipien der Erkenntnis, nicht wirklich berücksichtigt, dann beschränkt sich sein Interesse darauf, in Kant das mit der analytischen Philosophie Vereinbare von dem mit ihr Unvereinbaren zu trennen. Eine solche Rezeption vermag den Blick für Inkonsistenzen der Kantischen Argumentation im Detail durchaus zu schärfen, muß aber seine Theorie als Ganze verfehlen. Letzteres gilt a fortiori für eine Lektüre, die davon ausgeht, daß die Transzendentalphilosophie in der ihr von Kant zugedachten Gestalt als Prinzipientheorie ohnehin obsolet sei und deshalb nur noch insofern von aktuellem Interesse sein könne, als sie in Methodologie transformierbar sei. Was sich wie eine Reprise des neukantianischen Programms anhört, ist in neuerer Zeit wiederum sprachanalytisch inspiriert. Kant wird so zum Erfinder der Idee einer transzendentalen Argumentation, oder von »transcendental arguments«.31 Die vorliegende Arbeit setzt sich ferner ab von Ansätzen, welche die Transzendentalphilosophie mit Positionen der sprachanalytischen Philosophie vermitteln respektive jene durch Positionen dieser »verlängern« wollen.32 Diese Ansätze gehen zwar zu Recht davon aus, »daß der Sinn der Philosophie nicht durch eine creatio ex nihilo, sondern in der Auseinandersetzung mit ihren Gedankenbewegungen über die Zeit hinweg entsteht und allein vor diesem sachlichen Hintergrund verstanden und eingelöst werden kann«.33 Doch mit ihrer Unterscheidung von »traditionelle[n] Reflexionsmodellen« und »systematische[n] Positionen der Gegenwartsphilosophie« setzen sie nicht nur den fragwürdigen Dualismus von Historischem und Systematischem voraus, sie identifizieren ihn auch vorschnell mit der nicht minder fragwürdigen Entgegensetzung von traditionellem und avanciertem Erkenntnisstand der Philosophie, um daraus das eigene Programm einer »systematischen Rehabilitierung«34 der Tradition abzuleiten. Es ist kein Zufall, daß jene Autoren, die meinen, insbesondere Kant mit Blick auf die sprachanalytische Philosophie rehabilitieren oder rekonstruieren zu
Vgl. Bennett (1966), 4ff; 41ff. So betont Aschenberg (1984; 57), »daß die Idee der transzendentalen Argumentation sich als ein methodologisches Konzept verstehen läßt, welches vom spezifischen Inhalt wie vom konstitutionstheoretischen Idealismus der Kantischen Philosophie abgelöst werden kann [...]«. Wie dominierend die Auffassung ist, wonach Erkenntnistheorie nur noch als Methodologie ernst zu nehmen sei, zeigt Pascher (1997; 56), der die »weitgehend[e] Einigkeit« darüber zum Maßstab der Beurteilung der Transzendentalphilosophie macht: »In der Geschichte des Kantianismus stellt die Relativierung des Geltungsanspruchs apriorischer Prinzipien einen bedeutsamen historischen Fortschritt gegenüber Kant dar. Dies deshalb, weil in der Gegenwart weitgehend Einigkeit über die Relativität von philosophischen Begründungsansprüchen besteht, so daß eine methodologische Version von Transzendentalphilosophie diejenige Form eines an Kant orientierten Philosophierens ist, wie sie in der Gegenwart noch vertreten wird.« 32 Vgl. etwa Becker (1984); Mohr (1991); Sturma (1985; 1997). 33 Sturma (1997), 41. 34 Sturma (1997), 41. 30 31
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müssen, die spekulative Kant-Interpretation der klassischen deutschen Philosophie, eben darum, weil sie eingestandenermaßen spekulativ ist, für problematisch halten.35 Schließlich setzt sich die Arbeit auch von der Art und Weise ab, in der Dieter Henrich und einige seiner Schüler das Thema Selbstbewußtsein und klassische deutsche Philosophie behandeln. Zwar stimmt sie mit Henrich darin überein, »daß sich die Problemlage Subjektivität auch nach allen Wandlungen der Theorieform nicht verflüchtigt hat, daß sie vielmehr auch unter dem Druck der Kritik, der von seiten buchstäblich aller neuer Methoden gegen sie ausging, nicht zu zersetzen war. [...] Jeder Theorieversuch, der nicht von einem inzwischen überständigen Innovationsdrang gezeichnet sein soll, steht vielmehr auch wieder vor der Aufgabe, sich in die Problemlage Subjektivität hineinzuarbeiten.«36 Doch die erneute Befassung mit der Problemlage Subjektivität und Selbstbewußtsein erfolgte im Umkreis der sogenannten Heidelberger Schule bislang auf zwei getrennten Wegen, dem der Erforschung der »Konstellationen von Gedanken und Personen«,37 die es ermöglicht haben, daß sich die idealistische Philosophie ausbilden konnte, und dem der systematischen Untersuchung der Struktur des Selbstbewußtseins. Sie hat einerseits zu motivgeschichtlichen Untersuchungen im Hinblick auf die Entstehung der klassischen deutschen Philosophie geführt,38 andererseits hat sie, angestoßen von zwei einflußreichen Aufsätzen Henrichs,39 in Auseinandersetzung mit Vertretern der sprachanalytischen Tradition versucht, das Phänomen Selbstbewußtsein theoretisch zu erklären, ohne in die Zirkel und Regresse der Tradition zu geraten.40 Daß sowohl der eine wie der andere Weg »Der sich aus den Prämissen der Erkenntniskritik [Kants] ergebende eher gemäßigte und vorbehaltliche Charakter der Theorie des Selbstbewußtseins hat jedoch die Nachfolger Kants von Reinhold zu Fichte bis Henrich in hohem Maße unbefriedigt gelassen. Es ist aber sehr zu bezweifeln, daß die im Rahmen der Erkenntniskritik zur Darstellung gekommenen Grenzen für die Theorie des Selbstbewußtseins spekulativ überschritten werden können, ohne den ›sicheren Gang einer Wissenschaft‹ aufzugeben.« Sturma (1986), 127. 36 Henrich (1989), 114. 37 Henrich (1991), 11. 38 Vgl. Henrich (1989; 1991; 2004); Kondylis (1979); Frank (1997). 39 Henrich (1966; 1970). 40 Vgl. Henrich (1989 a); Frank (1986; 1991 a). Die Versuche, das Phänomen Selbstbewußtsein zu erklären, bedienen sich der schon von Henrich in Anschlag gebrachten Methode, es »ex negativo vom Reflexionsmodell her« zu beschreiben (Henrich 1970, 284). Daraus, daß Selbstbewußtsein nicht, wie von der Tradition bis Kant angenommen, als Selbstreflexion gedacht werden könne, folgt demnach, daß es nicht als Relation von etwas zu etwas und auch nicht als propositionale Enthüllung von etwas als etwas verstanden werden könne; infolgedessen habe es keinen Sinn anzunehmen, in ihm werde etwas identifiziert; schließlich könne es auch nicht als Ergebnis intentionalen Handelns oder als Gegenstand eines begrifflichen Wissens betrachtet werden (vgl. Frank 1991, 163). Damit überhaupt Reflexion und Selbstreflexion möglich sei, müsse ein präreflexives Vertrautsein des Bewußtseins mit sich schon vorliegen (Henrich 1970, 267; Frank 1991, 70). Vgl. ferner Pothast (1971), dem zufolge Bewußtsein zu denken ist »als gänzlich ›objektiver‹ Prozeß in dem Sinn, daß kein Moment eines wissenden Selbstbezugs daran auftritt« (76). 35
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der Untersuchung zu neuen Einsichten geführt hat, ist nicht zu bestreiten; problematisch ist dies Vorgehen dennoch, weil es das historische Moment der Philosophie vom systematischen trennt und auf die Motivgeschichte reduziert. Der Aufbau der Arbeit ist durch das ihr zugrunde liegende Verfahren der immanenten Kritik bestimmt. Die beiden ersten Teile überprüfen die Argumentationen Kants und Fichtes am Leitfaden ihrer tragenden Begriffe auf ihre Stimmigkeit. Der dritte Teil skizziert zunächst die spekulative Überwindung der Transzendentalphilosophie durch Schelling und Hegel, um dann aus dem Ungenügen sowohl der Transzendentalphilosophie wie auch ihrer spekulativen Alternative die Generalthese dieser Arbeit zu begründen, wonach Philosophie, die bei sich selbst bleibt, weder ihre Gegenstände noch sich selbst begreifen kann. Näher ergibt sich folgende inhaltliche Gliederung: Der Kant-Teil thematisiert in Abschnitt A das Verhältnis von transzendentalem und empirischem Ich unter den Gesichtspunkten der Sinnlichkeit des Ich, seiner Funktion als Subjekt der Erkenntnis und der Einheit seines Bewußtseins. Er weist nach, daß Kants Argumentation unter allen drei Gesichtspunkten von Inkonsistenzen und Widersprüchen durchzogen ist. Diese gründen nicht zuletzt darin, daß Kant kritiklos Theoreme der zeitgenössischen Erkenntnistheorie übernimmt, die, obwohl mit der Transzendentalphilosophie unvereinbar, gleichwohl deren Grundlage bilden sollen. So übernimmt Kant ungeprüft das empiristische Lehrstück von den qua Affektion gegebenen Sinnesdaten (erstes Kapitel). Dieses Theorem hält der Kritik nicht Stand und wird von Kant gegen Ende der transzendentalen Analytik, in den Antizipationen der Wahrnehmung, auch als haltlos erwiesen (zweites Kapitel). Kant weist hier nach, daß die Rede von einem durch Affektion Gegebenen und die Frage nach seinem Woher transzendentalphilosophisch keinen Sinn ergibt. Doch bleibt diese, dem Stand der Argumentation nach erreichte Einsicht unausgesprochen und folgenlos. Kant spricht auch weiterhin von gegebenen Sinnesdaten. Auch die Bestimmung des Ich als Subjekt der Erkenntnis krankt an dem vorausgesetzten und durch die transzendentale Ästhetik nicht wesentlich modifizierten Datensensualismus des Bewußtseins, auf dessen Grundlage die Möglichkeit objektiver Erkenntnis ein Rätsel bleiben muß. Kants Versuch, diese nominalistische Voraussetzung seiner Erkenntniskritik durch die nominalistische Theorie der kategorialen Synthesis der produktiven Einbildungskraft zu überwinden, führt in neue Ungereimtheiten (Kapitel drei bis fünf ). Zum einen soll die Gegenständlichkeit des Gegenstandes der Erkenntnis kategorial konstituiert sein, mit der Konsequenz, daß Subjekt und Gegenstand der Erkenntnis keine Selbständigkeit gegenüber ihrer Vermittlung im Prozeß der Erkenntnis haben; zum anderen soll die unmittelbare, kategorial nicht konstituierte Erfahrung des empirischen Subjekts selbst eine notwendige Bedingung von Erkenntnis sein, was die Selbständigkeit des Subjekts voraussetzt. Indem Kant die Einheit des empirischen Bewußtseins mit der transzendentalen Einheit identifiziert, reduziert er die Träger des empirischen Bewußtseins auf Funktionsorgane dieser Einheit.
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Abschnitt B zeigt, daß auch Kants Bestimmung des Verhältnisses von Vernunft und Verstand inkonsistent ist. Die Restriktion des Verstandes auf »mögliche Erfahrung« schränkt den Verstand durch einen Totalitätsbegriff ein, in Kantischer Terminologie also durch eine Idee der Vernunft (erstes Kapitel). Der Totalitätsbegriff der Gegenstände möglicher Erfahrung ist für die transzendentale Analytik zwar konstitutiv, wird aber als Begriff der transzendentalen Reflexion nicht auf die durch ihn mögliche Erkenntnis untersucht. Möglichkeitsbedingungen transzendentaler Erkenntnis sind für Kant kein Thema. Dort, wo Kant Totalitätsbegriffe explizit auf ihre Erkenntnisleistung untersucht, in der Dialektik, geht es nicht um die Möglichkeit transzendentaler Erkenntnis, sondern um die Kritik überzogener Erkenntnisansprüche der vorkantischen Metaphysik. Dabei erweckt Kant den Anschein, als seien die Gehalte dieser Metaphysik durch die Transzendentalphilosophie nicht nur kritisierbar, sondern als Gegenstand der Kritik selbst noch transzendental-idealistisch konstruierbar (Kapitel zwei und drei). – Kants Herleitung der Vernunftideen und seine Charakterisierung des Verstandes und der Vernunft als quasi arbeitsteilig agierender Vermögen verstellt eher die Einsicht in den Zusammenhang von Verstand und Vernunft, als daß sie ihn erhellt. Entgegen seiner Darstellung sind die distributive Einheit des Erfahrungsgebrauchs des Verstandes, die in der Analytik, und die Reihe der vernunftbestimmten »empirischen Verstandeshandlungen«, die in der Dialektik thematisch ist, sachlich nicht unterschieden. Kant hat in der Kritik der reinen Vernunft die Einsicht in das Verhältnis von Verstand und Vernunft dadurch zusätzlich erschwert, daß er Vernunftideen allein als Totalitätsbegriffe thematisiert. Dagegen hat er in der Kritik der Urteilskraft mit dem Begriff des Naturzwecks nicht zufällig eine Idee eingeführt, die partikulare Gegenstände bezeichnet. Die Möglichkeit der Erkenntnis des Besonderen als eines solchen ist ein zentrales Thema der dritten Kritik und ein Problem, von dessen Lösung das Gelingen der Transzendentalphilosophie insgesamt abhängt. Mit der reflektierenden Urteilskraft scheint ein Verhältnis von Subjekt und Objekt der Erkenntnis möglich, welches das Subjekt nicht auf ein bloßes Funktionsorgan der transzendentalen Einheit der Apperzeption und die Natur auf eine an sich unbestimmte Mannigfaltigkeit reduziert. Doch Kants Argumentation ist nicht schlüssig: Einerseits sollen die Begriffe und Gesetze der reflektierenden Urteilskraft auf die Bestätigung durch die Natur angewiesen sein, was die Ansichbestimmtheit der Natur voraussetzt, andererseits kann transzendentalphilosophisch eine solche Bestimmtheit der Natur nicht gerechtfertigt werden (viertes Kapitel). – Das fünfte Kapitel zeigt, daß die Darstellung der sogenannten dritten Antinomie und ihre Auflösung durch eine Reihe von Widersprüchen und Ungereimtheiten gekennzeichnet ist, so daß Kants Behauptung, die transzendentale Freiheit sei die Voraussetzung der praktischen Freiheit, nicht begründet ist. Auch die reklamierte Selbständigkeit der Moral gegenüber der Religion ist nicht haltbar (sechstes Kapitel). Kants Beteuerungen entgegen ist die verpflichtende Kraft des moralischen Gesetzes abhängig von der Möglichkeit des höchsten Guts, damit aber von dem Glauben an das Dasein Gottes. Statt wie intendiert durch die Lehre vom höchsten Gut und dem Postulat vom Dasein Gottes den Dualismus
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von theoretischer und praktischer Philosophie mit den Mitteln der praktischen Philosophie zu überwinden, reproduziert Kant diesen Dualismus in der Postulatenlehre. Dagegen stellt er in der Kritik der Urteilskraft heraus, daß die Forderung der reinen praktischen Vernunft nach der Denkbarkeit eines Überganges von der noumenalen Freiheit zur sinnlichen Natur durch die reine praktische Vernunft selbst nicht zu erfüllen ist. Abschnitt C zeigt, daß und inwiefern die Kritik der reinen Vernunft auf unbegründeten Voraussetzungen beruht. Kant setzt die existierenden Wissenschaften, die heterogenen Erkenntnisstämme Verstand und Sinnlichkeit, den Datensensualismus »unseres« Bewußtseins und die Differenz von Form und Inhalt der Erkenntnis voraus, ohne zu thematisieren, daß die Bestimmung dieser Voraussetzungen zu solchen der transzendentalen Reflexion ihre Bestimmbarkeit voraussetzt, und daß die Reflexion, welche sie zu ihren Voraussetzungen bestimmt, ebenfalls vorausgesetzt ist, aber nicht als bestimmbare Voraussetzung, sondern als sich selbst bestimmende. Der Abschnitt leitet damit über zu Fichte. Der Teil über Fichte charakterisiert zunächst dessen Wissenschaftslehre als reflexive Transzendentalphilosophie (Abschnitt A). Als »Wissenschaft von der Wissenschaft« geht sie nicht auf die Bedingungen der Möglichkeit existierender Erkenntnis, sondern auf die notwendigen Handlungen des menschlichen Geistes, die jeder möglichen Wissenschaft und darüber hinaus der ganzen Erfahrung zugrunde liegen. Dabei liegt Fichtes »Hinausgehen« über Kant ein gesteigertes Bewußtsein der Probleme zugrunde, vor die die Transzendentalphilosophie gestellt ist. Diese muß Fichte zufolge die Prinzipien der theoretischen und praktischen Vernunft in ihrem Wesen und Sein selber thematisieren, ohne dabei in den von Kant als unvermeidlich bezeichneten Zirkel zu geraten. Abschnitt B zeigt im ersten Kapitel die Schwierigkeiten Fichtes, in der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre das absolute Ich als Systemgrund zu bestimmen. So will Fichte das Wesen und Sein des absoluten Ich als Tathandlung, das heißt als reines, unterschiedsloses Sichsetzen und als präreflexive Einheit charakterisieren, vermag dies aber nur in einer Terminologie, die Reflexivität und Unterscheidung anzeigt. Er verstellt damit den Zugang zu seiner Einsicht, wonach Selbstbewußtsein nur unter Ansetzung des Ich als einer präreflexiven Einheit zu erklären ist. Das absolute Ich dennoch als präreflexive Einheit begriffen, führt auf das Problem, wie das, was reiner Grund ohne Folge ist, dennoch als Grund allen Bewußtseins soll fungieren können. Dieses Problem ist das der Vermittlung von unmittelbarem und reflektiertem Bewußtsein. Es bleibt in der Grundlage ungelöst und wird zu einem zentralen Thema der revidierten Darstellung der Wissenschaftslehre (zweites Kapitel). In den verschiedenen Fassungen der Wissenschaftslehre nova methodo versucht Fichte das Prinzip allen Wissens als ein dem wirklichen Bewußtsein immanentes und wißbares Prinzip aufzuweisen, indem er den Leser dazu auffordert, sich selbst: Ich, zu denken. Dabei tendiert die Wissenschaftslehre zu einer scientia intuitiva, für die das intellektuelle Anschauen von Ich-Tätigkeiten den Vorrang hat vor der diskursiven Argumentation, und das Ver-
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hältnis von diskursivem »Begreifen« und intellektuellem Anschauen wird selbst zum Problem. Abschnitt C zeigt zunächst, daß Fichte die zentralen Vermögen der Einbildungskraft und des Strebens in analoger und fragwürdiger Weise einführt, indem er jeweils aus dem Unvermögen, Entgegengesetzte vereinigen zu können, auf ein Vermögen schließt, welches dies bewerkstelligen soll (erstes und zweites Kapitel). Er erörtert sodann (drittes Kapitel) den Begriff des Anstoßes, der mehr sein soll als eine bloße Reflexionsbestimmung und weniger als ein ontologisch-metaphysisches Prinzip. Er bezeichnet innerhalb des Systems des Wissens die aus dem Systemgrund, der Ichheit, nicht ableitbare Voraussetzung des Systems, die Faktizität des endlichen Bewußtseins und mit dieser die der Welt. – Das vierte Kapitel verfolgt, wie Fichte die sinnliche Seite des Menschen transzendentalphilosophisch bestimmt und damit den Charakter der Praktischen Philosophie gegenüber Kant grundlegend verändert. Sie ist nicht nur integraler Teil der Transzendentalphilosophie, sie geht auch weit über den ihr von Kant zugewiesenen Bereich der Moral und des Rechts hinaus. In sie fällt auch der Begriff der Natur, denn diese kann allein als Bedingung der Möglichkeit freien, zuletzt sittlichen Handeln thematisiert werden. Ihr Ansichsein ist nicht ontologisch-metaphysisch, sondern transzendental bestimmt und geht in der Funktion, das freie Handeln-Können des endlichen Vernunftwesens zu erklären, vollständig auf. – Das fünfte Kapitel zeigt, daß Fichte den Kantischen Dualismus von Apriorischem und Aposteriorischem einerseits negiert, andererseits aber doch ein echtes Aposteriori zugestehen muß, da die spezifische Bestimmtheit spezifischer Gegenstände nicht aus notwendigen Handlungsweisen des Ich abgeleitet werden kann. Fichte ist, ähnlich wie Kant in der Kritik der Urteilskraft, bewußt, daß die Möglichkeit der Erkenntnis des Besonderen als eines solchen ein Problem ist, das die Transzendentalphilosophie mit der Forderung, Erfahrung müsse »dazu kommen«, nicht schon gelöst hat. Vielmehr muß sie zeigen, wie auf der Grundlage ihrer eigenen Bestimmungen Erfahrung prinzipiell »dazu kommen« kann, so daß Erkenntnis von etwas entspringt. Die Möglichkeit besonderer Erkenntnis kann aber, Fichte entgegen, im Rahmen einer bewußtseinsimmanent verfahrenden Transzendentalphilosophie nicht dargetan werden. Der abschließende Teil Jenseits von Kant und Fichte zeigt zunächst, inwiefern der spekulative Idealismus Schellings und Hegels als Antwort auf die Fichteschen Schwierigkeiten erscheinen konnte, und inwiefern er im Hinblick auf die Erkenntnis des Besonderen respektive dessen Bestimmtheit in ähnlicher Weise defizient ist wie Fichtes Wissenschaftslehre (Abschnitt A). Diese Defizienz ist nicht zufällig, denn sie ist die des Systems selbst, und sie läßt im Rückblick die von Fichte betriebene Fortbildung der kritischen Philosophie Kants zum »vollständigen Idealismus« und die von allen idealistischen Nachfolgern Kants für unabdingbar gehaltene Systemgestalt der Philosophie als problematisch erscheinen. Abschnitt B zeigt, daß – rückblickend – die Art, in der die spekulativen Idealisten über Kant hinausgegangen sind, nicht alternativlos ist. In einem erneuten Rekurs auf Kant wird die transzendentale Einheit der Apperzeption als Einheit der Wissenschaften bestimmt (erstes Kapitel). Sie wird damit als abhängig
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von der historischen und gesellschaftlichen Praxis der Wissenschaften interpretiert, ohne aber dadurch ihre Geltung in Genesis aufzulösen. Die Kantische Bestimmung der Einheit der Apperzeption als objektive Erkenntnisurteile ermöglichende Instanz wird durch die Reflexion auf die gesellschaftliche Praxis der Einzelwissenschaften pragmatisch begründet (zweites Kapitel). – Schließlich zeigt das dritte Kapitel die Konsequenzen auf, die aus dieser Kant-Interpretation für eine philosophische Theorie des Selbstbewußtseins und damit auch für Fichtes Wissenschaftslehre folgen. Als funktionale Einheit des in den Einzelwissenschaften akkumulierten Wissens taugt die transzendentale Einheit der Apperzeption nicht zum ersten Prinzip eines philosophischen Systems. Das spricht gegen das Programm der Fichteschen Wissenschaftslehre. Andererseits enthält die Wissenschaftslehre aber eine Einsicht, hinter die keine philosophische Theorie des Selbstbewußtseins zurückfallen darf: Selbstbewußtsein und Subjektivität sind nicht aus anderem, sondern nur aus ihrer Geschichte zu begreifen. Fichtes transzendentale Geschichte des Selbstbewußtseins verweist entgegen ihrer Intention auf die reale Geschichte und auf die Geschichte der Philosophie. Theorien des Selbstbewußtseins, welche die Erklärung von Selbstbewußtsein auf die konsistente Beschreibung seiner formalen Struktur reduzieren wollen, täuschen sich über ihren Gegenstand, der eminent historisch ist, und damit über sich selbst. Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Hannover im Sommersemester 2006 als Habilitationsschrift angenommen. Für den Druck wurde sie leicht überarbeitet. Einige ihrer Thesen sind in verkürzter Form in Aufsätze oder Vorträge eingegangen. Nicht möglich gewesen wäre die Arbeit ohne die Vorlesungen, Seminare und Kolloquien der Professoren Günther Mensching und Peter Bulthaup (†). Ihnen verdanke ich neben vielen Einsichten auch eine, die den Kern dieser Untersuchung berührt: daß die Alternative von historisch und systematisch verfahrender Philosophie falsch ist; in der Philosophie ist das Historische ein unabdingbares Moment des Systematischen. Den Professoren Johann Kreuzer (Oldenburg) und Claus-Artur Scheier (Braunschweig) danke ich für kritische Hinweise, dem Freund und Kollegen Hans-Georg Bensch für die vielen Diskussionen und Streitgespräche, die durch das gemeinsame Interesse an der Sache der Philosophie motiviert waren. Andrea danke ich für ihre liebevolle Unterstützung.
Hannover, im Januar 2007
Frank Kuhne
I. KANT
Es klingt arrogant [...], zu behaupten: ›daß vor dem Entstehen der kritischen Philosophie es noch gar keine gegeben habe‹. – Um nun über diese scheinbare Anmaßung absprechen zu können, kommt es auf die Frage an: ob es wohl mehr als eine Philosophie geben könne? Verschiedene Arten zu philosophieren [...], ein System zu gründen, hat es nicht allein gegeben, sondern es mußte viele Versuche dieser Art, deren jeder auch um die gegenwärtige sein Verdienst hat, geben; aber, da es doch, objektiv betrachtet, nur Eine menschliche Vernunft geben kann: so kann es auch nicht viel Philosophien geben, d. i. es ist nur Ein wahres System derselben aus Prinzipien möglich, so mannigfaltig und oft widerstreitend man auch über einen und denselben Satz philosophiert haben mag. [I. Kant, RL A VI.]
A. Transzendentales und empirisches Ich 1. Affektion und Ding an sich Nach Kant ist der menschliche Verstand zwar spontan, aber nicht produktiv. Er vermag die Gegenstände möglicher Erfahrung weder ihrem Dasein noch ihrer spezifischen Bestimmtheit nach hervorzubringen, sondern ist darauf angewiesen, daß ihm in der Sinnlichkeit etwas empirisch gegeben ist. Jede gegenständliche Erkenntnis enthalte notwendig etwas empirisch Gegebenes, welches zwar nur in den apriorischen Formen der Anschauung Raum und Zeit gegeben sein könne, aber nicht in diesen Formen und in den kategorialen Formen des Verstandes aufgehe. Doch Kants Rede vom empirisch Gegebenen ist dunkel. So schon zu Beginn der transzendentalen Ästhetik. Auf welche Art und durch welche Mittel sich auch immer eine Erkenntnis auf Gegenstände beziehen mag, es ist doch diejenige, wodurch sie sich auf dieselbe unmittelbar bezieht, und worauf alles Denken als Mittel abzweckt, die Anschauung. Diese findet aber nur statt, sofern uns der Gegenstand gegeben wird; dieses aber ist wiederum, uns Menschen wenigstens, nur dadurch möglich, daß er das Gemüt auf gewisse Weise affiziere. Die Fähigkeit (Rezeptivität), Vorstellungen durch die Art, wie wir von Gegenständen affiziert werden, zu bekommen, heißt Sinnlichkeit. Vermittelst der Sinnlichkeit also werden uns Gegenstände gegeben, und sie allein liefert uns Anschauungen; durch den Verstand aber werden sie gedacht, und von ihm entspringen Begriffe.1 Kants Ausdrucksweise ist hier trotz oder vielmehr gerade wegen ihres scheinbar handfesten Realismus – von der Sinnlichkeit und dem Verstand bei uns Menschen ist die Rede – völlig unklar. Die Passage besagt wörtlich, daß dem Menschen als erkennendem Subjekt etwas empirisch gegeben sein muß, sie läßt aber im Unklaren, was gegeben wird, wer gibt und sogar wem gegeben wird, denn welcher spezifisch transzendentalphilosophische Sinn sich mit dem Ausdruck uns Menschen verbindet, ist offen. Kant unterscheidet hier in transzendentalphilosophischer Reflexion Anschauung und Begriff als die beiden Elemente, aus denen jede Erkenntnis zusammengesetzt sei.2
KrV B 33. Diese Reflexion darf also nicht mit der Introspektion der empirischen Psychologie verwechselt werden. [N]icht von dem Entstehen der Erfahrung ist die Rede, sondern von dem, was in ihr liegt. Prol. A 87 (§21). Zum Absondern oder Unterscheiden dessen, was in jeder Erkenntnis vereinigt ist, vgl. auch KrV B 1f.; B 35; B 74ff.; B 87. 1 2
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I. KANT
Durch Anschauung sei Erkenntnis insofern unmittelbar auf den Gegenstand bezogen, als dieser Bezug nicht begrifflich vermittelt, durch die Tätigkeit des Verstandes aktiv hergestellt sei, sondern von der rezeptiven Sinnlichkeit passiv hingenommen werde. Daß die menschliche Anschauung sinnliche Anschauung ist, sinnliche Anschauung aber auf Affektion beruht, ist für Kant ein unbestreitbares Faktum. So heißt es in der Einleitung (B): Daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfange, daran ist gar kein Zweifel; denn wodurch sollte das Erkenntnisvermögen sonst zur Ausübung erweckt werden, geschähe es nicht durch Gegenstände, die unsere Sinne rühren und teils von selbst Vorstellungen bewirken, teils unsere Verstandestätigkeit in Bewegung bringen, diese zu vergleichen, sie zu verknüpfen oder zu trennen, und so den rohen Stoff sinnlicher Eindrücke zu einer Erkenntnis der Gegenstände zu verarbeiten, die Erfahrung heißt? Der Zeit nach geht also keine Erkenntnis in uns vor der Erfahrung vorher, und mit dieser fängt alle an.3 Kant spricht hier von den Sinnen, der Erfahrung und der Erkenntnis in der Manier der psychologischen Erkenntnistheorie Lockes, nicht aber wie ein Transzendentalphilosoph. Psychologische Erkenntnistheorie (empirische Psychologie) und Transzendentalphilosophie sind aber nach Kant scharf zu unterscheiden. Jener geht es um das Entstehen der Erfahrung in der Zeit, dieser um das, was in ihr [der Erfahrung] liegt.4 Die spezifisch transzendentalphilosophische Perspektive im Hinblick auf Sinne, Erfahrung und Erkenntnis thematisiert Kant sofort im Anschluß: Wenn aber gleich alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anhebt, so entspringt sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung. Denn es könnte wohl sein, daß selbst unsere Erfahrungserkenntnis ein Zusammengesetztes aus dem sei, was wir durch Eindrücke empfangen, und dem, was unser eigenes Erkenntnisvermögen (durch sinnliche Eindrücke bloß veranlaßt) aus sich selbst hergibt [...].5 Kant setzt die transzendentalphilosophische Sicht von der der empirischen Psychologie ab, ohne dabei aber das vermeintliche Faktum des Empfangens von Eindrücken respektive der auf Affektion beruhenden Rezeptivität unserer Sinnlichkeit als transzendentalphilosophisch irrelevant zu kennzeichnen. Vielmehr deutet er schon hier, in der Einleitung, an, was die spätere Darstellung bestätigt: daß die Affektion der Sinne durch Gegenstände unbezweifelte Voraussetzung und bleibende Grundlage der transzendentalphilosophischen Betrachtung unserer Sinnlichkeit ist.6 Alle Anschauungen, als sinnlich, beruhen auf Affektionen, die Begriffe also auf Funktionen. [...] Begriffe gründen sich also auf der Spontaneität des Denkens, wie sinnliche Anschauungen auf der Rezeptivität der Eindrücke.7 Zwar gehört die Sinnlichkeit, bloß verstanKrV B 1. Prol. A 87 (§21). 5 KrV B 1f. 6 Vgl. etwa KrV B 309. Das spricht gegen die Ansicht Zochers (1959; 30), Kant trage mit der Rede vom Ding an sich, von der Affektion und den Sinneseindrücken dem ›vorkritischen Standpunkt‹ des erst einzuführenden Lesers Rechnung [...], indem er zunächst mit den der Tradition entnommenen und dem Leser bekannten Begriffen arbeite. 7 KrV B 93. 3 4
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den als empirisch faßbare Rezeptivität der Sinne, nicht zur Transzendentalphilosophie, sofern sie aber Vorstellungen a priori enthalten sollte, welche die Bedingung ausmachen, unter der uns Gegenstände gegeben werden, so würde sie zur Transzendental-Philosophie gehören.8 Die Rezeptivität der Sinnlichkeit ist dogmatisch gesetzt.9 Kritiklos übernimmt Kant die empiristische Behauptung, wonach unsere Sinne rohe Eindrücke empfangen dadurch, daß sie von Gegenständen affiziert werden.10 Der Dualismus von spontanem Verstand und rezeptiver Sinnlichkeit und die Heterogenität dieser beiden Stämme KrV B 29f. So sieht es auch Fichte: Der Dogm[atiker]. sagt: das Object wird gegeben, oder wenn er den CRITIZISMUS mit dem DOGMATISMUS verbinden will, so sagt er, der Stoff wird gegeben, aber dieß erklärt nichts, es ist ein bloßes leeres Wort anstatt des Begriffs. WLnmK 362. 10 Vgl. Locke (1690), II 1, 3: Wenn unsere Sinne mit bestimmten sinnlich wahrnehmbaren Objekten in Berührung treten, so führen sie dem Geist eine Reihe verschiedener Wahrnehmungen von Dingen zu, die der mannigfach verschiedenen Art entsprechen, wie jene Objekte auf die Sinne wirken [wherein those Objects do affect them]. Auf diese Weise kommen wir zu den Ideen, die wir von gelb, weiß, heiß, kalt, weich, hart, bitter, süß haben, und zu allen denen, die wir sinnlich wahrnehmbare Qualitäten nennen. Wenn ich sage, die Sinne führen sie dem Geist zu, so meine ich damit, sie führen von den Gegenständen der Außenwelt her dem Geist dasjenige zu [they from external Objects convey into the mind], was in demselben jene Wahrnehmungen hervorruft. Diese wichtige Quelle der meisten unserer Ideen, die ganz und gar von unseren Sinnen abhängen und durch sie dem Verstand zugeleitet werden, nenne ich Sensation. – Herder (1799) sieht Kant durch Humes lässige[] Art zu philosophiren verführt. Hume habe geglaubt, die menschliche Erkenntnis bestehe aus Eindrücken und Ideen. Die kritische Philosophie geht hierin Hume’n nach, zu einem Ziel, wohin er nicht wollte. Durch eine leichthingeworfene Behauptung, ›daß es zwei Stämme menschlicher Erkenntniß [...] gebe, deren gemeinschaftliche Wurzel unbekannt sei‹, wird ein Zwiespalt der menschlichen Natur errichtet, in welchem nicht nur beide Stämme Wurzellos als Trauergestalten dastehn, sondern auch der Weg ins Land andrer Zertheilungen, Widersprüche und Doppelgestalten ohn’ Ende und Ziel gebahnt war. (314). – Wenn Heidegger (1929) Kant unter Hinweis auf Passagen der transzendentalen Ästhetik bescheinigt, dieser habe zum erstenmal den ontologischen, nicht-sensualistischen Begriff der Sinnlichkeit gewonnen, ist das vom terminus ad quem der Heideggerschen Auslegung zwar erklärbar, als Kant-Interpretation aber sachlich falsch. Heidegger möchte in die noch weiter bestehende Frag-würdigkeit der in ›Sein und Zeit‹ angesetzten Seinsfrage einführen (XV); die Idee der Fundamentalontologie [soll] sich in einer Auslegung der ›Kritik der reinen Vernunft‹ als einer Grundlegung der Metaphysik bewähren und darstellen. (1). Dies führt dazu, daß er die Sinne aus der Endlichkeit des menschlichen Daseins erklärt, während Kant sie als anthropologische Voraussetzung seiner transzendentalphilosophischen Überlegung nimmt. Weil menschliche Anschauung als endliche hinnimmt, die Möglichkeit eines hinnehmenden ›Bekommens‹ aber Affektion verlangt, deshalb sind tatsächlich Werkzeuge der Affektion, die ›Sinne‹, notwendig. Die menschliche Anschauung ist nicht deshalb ›sinnlich‹, weil ihre Affektion durch ›Sinnes‹-Werkzeuge geschieht, sondern umgekehrt: weil unser Dasein ein endliches ist – inmitten des schon Seienden existierend, an dieses ausgeliefert – deshalb muß es notwendig das schon Seiende hinnehmen, d. h. dem Seienden die Möglichkeit bieten, sich zu melden. Für die mögliche Durchgabe der Meldung sind Werkzeuge notwendig. (26). Heidegger gesteht zu, daß diese Argumentation nicht die Kants ist (20f.). 8 9
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der Erkenntnis für uns Menschen11 rührt daher, daß Raum und Zeit transzendentale Bedingungen der derart vorausgesetzten Sinnlichkeit sind. Indem Kant die so bestimmte Rezeptivität der Sinnlichkeit voraussetzt, leistet er dem Mißverständnis Vorschub, empirisch gegebene Empfindungsdaten bildeten das Material der kategorialen Synthesis des Verstandes. Kant wäre dann keinen wesentlichen Schritt über den Empirismus hinaus, denn der Verstand, der empirisch gegebene Empfindungsvorstellungen verbindet, ist kein reiner Verstand, seine Synthesis keine transzendentale Synthesis a priori, die dem empirisch Gegebenen vorgängig ist und zugrunde liegt, sondern empirische Synthesis, welche das Gegebene im nachhinein verbindet.12 Wäre aber alle Synthesis empirisch, wären synthetische Urteile a priori unmöglich.13 Das dogmatisch gesetzte, weil transzendentalphilosophisch nicht gerechtfertigte und daher der Transzendentalphilosophie fremde Element in Kants Begriff der Sinnlichkeit14 führt zu einer Reihe von Ungereimtheiten. Irritieren muß zunächst, daß Kant den Gegenstand, der uns affiziert, mit dem Gegenstand, der uns durch die Affektion gegeben wird, gleichsetzt. Anschauung finde nur statt, sofern uns der Gegenstand gegeben werde; dieses aber sei nur dadurch möglich, daß er [!] das Gemüt affiziere. Affektion ist Kant zufolge die Einwirkung eines Gegenstandes auf unsere Sinnlichkeit, Resultat dieser Einwirkung sei die empirische Anschauung des Gegenstandes. Die Gleichheit von affizierendem und angeschautem Gegenstand ließe sich nur durch eine naive Abbildtheorie behaupten, der Kant natürlich nicht anhängt. Vielmehr ist der Gegenstand, der uns affiziert, Kants exDie gemeinschaftliche Wurzel, aus der die beiden Stämme der menschlichen Erkenntnis vielleicht entspringen, sind uns Menschen unbekannt. Soviel ist nach Kant sicher (KrV B 29). 12 Vgl. Locke (1690), II, 1, 4: Die andere Quelle, aus der die Erfahrung den Verstand mit Ideen speist, ist die Wahrnehmung der Operationen des eigenen Geistes in uns, der sich mit den ihm zugeführten Ideen beschäftigt. – Es ist [...] durchaus schwer, das Gebäude der Kantischen Transzendentalphilosophie an seiner Basis nicht als eine Spätform des Empirismus, wie er in Durcharbeitung bei Locke zuerst begegnet, anzusehen. Kambartel (1968), 100; vgl. auch Beck (1974), 27f. 13 So bei Rousseau (1762), der im Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars unter empiristischen Voraussetzungen Erkenntnis als Verschränkung von aktivem Urteilen und passivem Empfinden bestimmt. Wahrnehmen heißt empfinden, vergleichen heißt urteilen. Urteilen und Empfinden sind nicht einerlei. Durch die Empfindung bieten sich mir die Gegenstände abgesondert, einzeln dar, so wie sie in der Natur sind; durch Vergleichen bewege ich sie, versetze ich sie sozusagen, ich stelle sie einen neben den andern, um über ihre Unterschiede oder über ihre Gleichheit und überhaupt über alle ihre Verhältnisse zueinander eine Aussage zu machen. (341). Es ist doch allezeit wahr, daß sie [die Kraft meines Geistes, welche die Empfindungen vergleicht], in mir und nicht in den Dingen ist, daß ich allein sie hervorbringe, obgleich ich sie nur anläßlich des Eindruckes hervorbringe [quoique je ne la produise qu’a l’occasion de l’impression], welchen die Gegenstände auf mich machen [que font sur moi les objets]. (343). 14 Höffe (2003) sieht zwar, daß das Theorem der zwei Erkenntnisstämme weder metaphysischen noch transzendentalen Charakter hat [...], hält dies aber für unproblematisch. Dieses 11
A. Transzendentales und empirisches Ich
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pliziter Theorie zufolge das Ding an sich, welches als unbekannte Ursache der Anschauung kein möglicher Gegenstand anschauungsgebundener Erkenntnis sein kann. Läßt sich die Identifizierung von affizierendem Gegenstand und angeschautem Gegenstand als mißglückte Formulierung eines erkenntnistheoretischen Sachverhaltes abtun, den Kant anderswo besser dargestellt hat,15 so muß aber weiter irritieren, daß Kant davon spricht, vermittels der Sinnlichkeit würden uns Gegenstände gegeben. Auch diese, in der Kritik wiederholt gebrauchte Formulierung, ist mit Kants expliziter Theorie unvereinbar. Nach dieser Theorie sind keine Gegenstände gegeben, sondern Empfindungsdaten, und die Gegenständlichkeit des Gegebenen ist Resultat der kategorialen Synthesis der produktiven Einbildungskraft. Objekt [...] ist das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt ist.16 Lassen sich Kants unklare Formulierungen über das Gegebensein des Gegenstandes möglicher Erfahrung durch den Rekurs auf seine explizite Theorie insofern aufhellen, als deutlich wird, daß dem erkennenden Subjekt nicht der Gegenstand als solcher empirisch gegeben wird, sondern Empfindungsdaten, das Gegenständliche des Gegenstandes aber durch die Tätigkeit des Verstandes hervorgebracht wird, so ist damit die eingangs zitierte Passage noch keineswegs verständlich. Ungeklärt bleibt nämlich, was unter demjenigen Gegenstand zu verstehen ist, der uns affiziert, und ungeklärt bleibt infolgedessen auch der Ausdruck Affektion. Kant nennt den uns affizierenden Gegenstand Ding an sich, wobei er in der Regel die Pluralform verwendet. Dies wörtlich genommen, wären es die Dinge an sich, die durch Affektion unseres Gemüts Vorstellungen (Anschauungen, Erscheinungen, Empfindungen) bewirkten und das bewußtseinsunabhängige Dasein des Vorgestellten verbürgten. Dabei läßt die Nominaldefinition der Dinge an sich als unbekannte Ursachen der Erscheinungen17 offen, um was für Gegenstände es sich bei ihnen handelt – und ob es sich bei ihnen überhaupt um Gegenstände irgendeiner Art handelt.18 Auf die Frage, was genau unter den Dingen an sich und der durch sie bewirkten Affektion unseres Gemüts zu verstehen ist, erteilt Kant in der Kritik der reinen Vernunft und anderen Schriften vieldeutige und viel gedeutete Antworten.19 Theorem sei trotzdem für die transzendentale Ästhetik und Logik wesentlich (81). Mit ihm sei ein anthropologische[s] Faktum (86) angesprochen. 15 Vgl. etwa KrV B 74: Unsere Erkenntnis entspringt aus zwei Grundquellen des Gemüts, deren die erste ist, die Vorstellungen zu empfangen (die Rezeptivität der Eindrücke), die zweite das Vermögen, durch diese Vorstellungen einen Gegenstand zu erkennen (Spontaneität der Begriffe); durch die erstere wird uns ein Gegenstand gegeben, durch die zweite wird dieser im Verhältnis auf jene Vorstellung (als bloße Bestimmung des Gemüts) gedacht. 16 KrV B 137. 17 KrV B 344. 18 Kant redet doch von einem Dinge an sich? Was ist ihm denn dieses Ding? Fichte, ZE 236 [482]. 19 Vgl. Cohen (1918; 518 f.): Kant hat den Ausdruck [Ding an sich] nicht erfunden, sondern nur geduldet und aufgenommen: um ihn zu berichtigen. [...] Das Gerede, Kant habe die Erkenntnis zwar auf die der Erscheinungen eingeschränkt, dennoch aber das unerkennbare Ding an sich
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I. KANT
Einerseits erweckt Kant den Eindruck, Dinge an sich seien ontologisch von den Erscheinungen unterschiedene, unserem Vorstellungsvermögen transzendente Gegenstände. So formuliert er: [E]s folgt auch natürlicherweise aus dem Begriffe einer Erscheinung überhaupt: daß ihr etwas entsprechen [!] müsse, was an sich nicht Erscheinung ist, weil Erscheinung nichts für sich selbst, und außer unserer Vorstellungsart sein kann, mithin, wo nicht ein beständiger Zirkel herauskommen soll, das Wort Erscheinung schon eine Beziehung [!] auf etwas anzeigt, dessen unmittelbare Vorstellung zwar sinnlich ist, was aber an sich selbst, auch ohne diese Beschaffenheit unserer Sinnlichkeit [...], Etwas, d. i. ein von der Sinnlichkeit unabhängiger Gegenstand sein muß.20 Andererseits erweckt Kant den Eindruck, die Dinge an sich seien empirische Gegenstände, die uns empirisch affizieren. [E]s sind uns Dinge als außer uns befindliche Gegenstände unserer Sinne gegeben, allein von dem, was sie an sich selbst sein mögen, wissen wir nichts, sondern kennen nur ihre Erscheinungen, d. i. Vorstellungen, die sie in uns wirken, indem sie unsere Sinne affizieren.21 So könne beispielsweise der Zinnober die Empfindung des Roten in mir erregen.22 stehen gelassen, dieses oberflächliche Gerede wird doch nach mehr als hundert Jahren endlich einmal verstummen müssen. Kant habe das Ding an sich zutreffend bezeichnet, indem er ›allen Umfang und Zusammenhang unserer möglichen Wahrnehmungen‹ demselben zuschrieb. Das Ding an sich sei der Inbegriff der wissenschaftlichen Erkenntnisse. – Vgl. Kroner (I 1921 ff.; 103): [D]ie ›Affektion‹ ist ein völlig dunkles Wort, das nur die Stelle eines fehlenden Begriffs vertritt. [...] Die Dinge an sich sind absolut unerkennbar, ihr Affizieren besagt nichts anderes als das Gegebensein der Empfindung, deren Unkonstruierbarkeit und Aposteriorität. – Vgl. Maier (1930), 54f. und ebd. FN 4: [I]m Gegebenen ragt gewissermaßen ein transzendentes, in dem eigentlich das ›Ding an sich‹ steckt, in unsere Bewußtseinssphäre herein. [...]/ Der berüchtigte Ausdruck ›Affektion‹ soll jedenfalls auch nur die Grenzbeziehung zwischen Ding an sich und menschlichem Anschauen und Denken zum Ausdruck bringen. – Vgl. Martin (1969), 215: Die Dinge an sich, das hören wir immer wieder, sind die Ursachen der Erscheinungen, sie liegen den Erscheinungen zugrunde, sie affizieren unsere Sinnlichkeit. Von diesen Begriffen ist vielleicht der schwierigste der Begriff des Affizierens, und es ist bisher nicht gelungen, die in diesem für Kant so fundamentalen Begriff liegenden Schwiegkeiten aufzulösen. – Zur Kritik am Ding an sich vom Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft bis zum Neukantianismus vgl. Vaihinger (II 1892), bes. 35-55. 20 KrV A 251f. In KrV A 358 spricht Kant von dem Etwas, welches den äußeren Erscheinungen zum Grunde liegt, was unseren Sinn so affiziert, daß er die Vorstellungen von Raum, Materie, Gestalt usw. bekommt [...]. In GMS B 106 heißt es: Sobald dieser Unterschied (allenfalls bloß durch die bemerkte Verschiedenheit zwischen den Vorstellungen, die uns anders woher gegeben werden, und dabei wir leidend sind, von denen, die wir lediglich aus uns selbst hervorbringen, und dabei wir unsere Tätigkeit beweisen) einmal gemacht ist, so folgt von selbst, daß man hinter [!] den Erscheinungen doch noch etwas anderes, was nicht Erscheinung ist, nämlich die Dinge an sich, einräumen und annehmen müsse, ob wir gleich uns von selbst bescheiden, daß, da sie uns niemals bekannt werden können, sondern immer nur, wie sie uns affizieren, wir ihnen nicht näher treten, und, was sie an sich sind, niemals wissen können. 21 Prol. A 62f. 22 Prol. A 64. Daß es sich bei der Affektion des Subjekts um eine empirische Affektion durch empirische Gegenstände handelt, wird auch durch Passagen aus der transzendentalen Ästhetik
A. Transzendentales und empirisches Ich
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Die Auffassung der das Gemüt affizierenden Dinge an sich als bewußtseinstranszendente Entitäten ist mit Kants genuinen erkenntnistheoretischen Einsichten unvereinbar. Darauf hat als erster Jacobi hingewiesen.23 Kant beziehe die Kategorie Kausalität auf das Verhältnis von Ding an sich und Erscheinung, während ihr objektiver Gebrauch seiner Theorie zufolge doch auf Erscheinungen eingeschränkt sei. Ich frage: wie ist es möglich, die Voraussetzung von Gegenständen, welche Eindrücke auf unsere Sinne machen, und auf diese Weise Vorstellungen erregen, mit einem Lehrbegriffe zu vereinigen, der alle Gründe, worauf diese Voraussetzung sich stützt, zu nichte machen will?24 Nicht minder unverträglich mit Kants erkenntnistheoretischen Ein-
gestützt: Die Farben sind nicht Beschaffenheiten der Körper, deren Anschauung sie anhängen, sondern [...] nur Modifikationen des Sinnes des Gesichts, welches vom Lichte auf gewisse Weise affiziert wird. KrV A 28. Farben, Geschmack usw. [...] [sind] bloß als Veränderungen unseres Subjekts, die sogar bei verschiedenen Menschen verschieden sein können [...], zu betrachten. KrV B 45. 23 Jacobi begreift die Dinge an sich als den realistischen Rest, der Kants transzendentalen Idealismus davor bewahrt, die Welt der Gegenstände möglicher Erfahrung ganz in die Setzungen eines absoluten transzendentalen Subjekts und damit in eine reine Vorstellungswelt aufzulösen – allerdings um den Preis der Widersprüchlichkeit dieses Idealismus. Um diese zu vermeiden, müsse der transzendentale Idealist den Muth haben, den kräftigsten Idealismus, der je gelehrt worden ist, zu behaupten. Jacobi (1787 a), 310. – Nach Gesang (1998) hat vor Jacobi schon Hermann Andreas Pistorius quasi alle bedeutenden Argumente gegen die Kantische Affektionstheorie entwickelt (97). Das Anliegen Gesangs, dem zu Unrecht vergessenen Pistorius historische Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muß hier nicht interessieren. Zu kritisieren ist allerdings, daß Gesang Pistorius’ Kant-Kritik unter systematischen Gesichtspunkten (107) der Jacobis überlegen sieht, weil Pistorius im Unterschied zu Jacobi nicht die Festsetzung eines eindeutigen ›Geistes‹ der kantischen Philosophie (108) intendierte, sondern Kant selbst eine doppeldeutige Theorie und nicht einen eindeutig bestimmbaren ›Lehrbegriff‹ unterstellte (106). Daß die Kritik einer Theorie es nicht bei der Aufdeckung von Doppeldeutigkeiten beläßt, sondern ungeachtet dieser den dahinter sich verbergenden eindeutigen Geist der Theorie freizulegen versucht, ist ein Einwand, der allein aus einer rein historischen Sichtweise erfolgen kann, welche die zu kritisierende Theorie als Theorie nicht ernst nimmt. 24 Jacobi (1787 a; 307). Die Kritik Jacobis am Ding an sich wird zum Standardeinwand der Kant-Kritiker, welche sie zugleich differenzierter fassen. So bemerkt Maimon (1790; 415): Das Gegebene in der Vorstellung kann bei Herrn Kant nicht dasjenige darin heissen, was eine Ursache ausser der Vorstellungskraft hat; denn nicht zu gedenken, daß man das Ding an sich (noumenon) ausser der Vorstellungskraft nicht als Ursache erkennen kann, indem hier das Schema der Zeit fehlt; so kann man es auch nicht einmal assertorisch denken, weil die Vorstellungskraft selbst, so gut als das Objekt ausser derselben, Ursache der Vorstellung seyn kann. – Gottlob Ernst Schulze (Aenesidemus) sieht einen leicht ausfindig zu machenden Widerspruch zwischen den Prämissen und Resultaten Kantischer Vernunftkritik. Nach der transscendentalen Dedukzion der reinen Verstandesbegriffe [...] sollen nämlich die Kategorien Ursache und Wirklichkeit nur auf empirische Anschauungen, nur auf etwas, so in der Zeit gewahrgenommen worden ist, angewendet werden dürfen [...]. Der Gegenstand außer unsern Vorstellungen, (das Ding an sich) der nach der Vernunftkritik durch Einfluß auf unsere Sinnlichkeit die Materialien der Anschauungen geliefert
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I. KANT
sichten scheint aber die Auffassung der Dinge an sich als empirischer Gegenstände, die uns empirisch affizieren. Sind doch empirische Gegenstände nach Kant Erscheinungen, welche als Resultate von Affektion selber keine uns affizierenden Gegenstände sein können. Die sich aus Kants unterschiedlichen Charakterisierungen von Dingen an sich und Affektion ergebenden Interpretationen scheinen in dieses Trilemma zu führen: 1) Entweder versteht man unter denselben [den affizierenden Gegenständen] die Dinge an sich; dann gerathen wir auf den von Jacobi, Aenesidem u. a. schon aufgedeckten Widerspruch, dass wir die Kategorien Substantialität und Causalität, welche doch nur innerhalb der Erfahrung Sinn und Bedeutung haben sollen, ausserhalb derselben anwenden. [...]/ 2) Oder wir verstehen unter den afficirenden Gegenständen die Gegenstände im Raume; da nun diese nach Kant aber doch nur Erscheinungen sind, also unsere Vorstellungen, so gerathen wir auf den Widerspruch, dass dieselben Erscheinungen, die wir erst auf Grund der Affection haben, uns eben jene Affection verschaffen sollen. [...]/ 3) Oder wir nehmen eine doppelte Affection an, eine transscendente durch die Dinge an sich und eine empirische durch die Gegenstände im Raume, so gerathen wir auf den Widerspruch, dass eine Vorstellung des transscendentalen Ich nachher für das empirische Ich ein Ding an sich sein soll, dessen Affection nun im Ich ausser und hinter jener transscendentalen Vorstellung des Gegenstandes noch eine empirische ebendesselben Gegenstandes hervorrufen soll.25 haben soll, ist nun aber nicht selbst wieder eine Anschauung oder sinnliche Vorstellung, sondern er soll etwas von denselben realiter Verschiedenes und Unabhängiges seyn; also darf auf ihn nach den eigenen Resultaten der Vernunftkritik weder der Begriff Ursache, noch auch der Begriff Wirklichkeit, angewendet werden; und ist die transscendentale Dedukzion der Kategorien, welche die Vernunftkritik geliefert hat, richtig, so ist auch einer der vorzüglichsten Grundsätze der Vernunftkritik, daß nämlich alle Erkenntniß mit der Wirksamkeit obiektiver Gegenstände auf unser Gemüth anfange, unrichtig und falsch. (1792), 263f. 25 Vaihinger (II 1892), 53. Nach Vaihinger und im Gegensatz zu ihm meinte Adickes (1929; 58 f.), in der doppelten Affektion die Lösung aller Ungereimtheiten gefunden zu haben: Die Dinge an sich stehen in rein innerlichen, logisch-teleologischen Beziehungen. Dieser Beziehungen wird mein Ich an sich inne durch außerzeitliche Affektion seitens der andern Dinge an sich, und es stellt diese Beziehungen dann auf Grund eines innern Zwanges vermittelst seiner apriorischen synthetischen Funktionen für sein empirisches Ich in Form von zeitlich-räumlichen Ordnungen dar als dynamische, kontinuierliche Materie (Kraftkomplexe) von solchen und solchen Kräften, Eigenschaften und Gruppierungen in den verschiedenen Teilen des Raumes, darunter auch mein eigener Körper, alles frei von den sekundären Sinnesqualitäten. Damit ist das geschaffen, was der naturwissenschaftliche Realismus voraussetzt. Nun beginnt in dieser vom Ich an sich geschaffenen, vom empirischen Ich vorgefundenen Welt von ›Erscheinungen an sich‹ das Spiel der Bewegungen. Die letzteren wirken als Reize auf die Sinnesorgane meines empirischen Ich ein; dieses antwortet auf die Affektion mit Empfindungen, die dann durch die Kategorien als Einheitsfunktionen zu den tönenden, leuchtenden, tastbaren usw. Wahrnehmungsgegenständen vereinigt werden. Vgl. ders. (1924; 11f.). Adickes (1924) begreift seine Interpretation als eine rein historische[] Behandlung der Kantprobleme (2), die die verschiedenen Stellen über die Dinge an sich in psychologisch einwandfreier Weise erklären möchte (3). Dafür, daß die Dinge an sich Kant
A. Transzendentales und empirisches Ich
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Nun scheinen aber Passagen, in denen Kant Dinge an sich und empirische Gegenstände gleichsetzt, anzudeuten, daß mit Dingen an sich und Erscheinungen nicht zwei ontologisch unterschiedene Gegenstandsbereiche, eine metaphysische Hinterwelt und eine Welt der Erscheinungen, gemeint sind, sondern daß der Unterschied beider in der unterschiedlichen Betrachtungsweise ein und derselben Gegenstände möglicher Erfahrung gründet.26 In der Tat stellt Kant in der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft anscheinend unmißverständlich klar, der Unterschied von Dingen an sich und Erscheinungen gehe auf [d]ie Unterscheidung der Dinge als Gegenstände der Erfahrung, von eben denselben, als Dingen an sich selbst [...] zurück. Die Kritik nehme das Objekt in zweierlei Bedeutung [...], nämlich als Erscheinung, oder als Ding an sich selbst.27 Ist der Unterschied von Dingen an sich und Erschei-
zufolge eine transzendente Macht seien, weiß Adickes jenes eigenartige, stark realistisch gefärbte Erleben Kants (15) anzuführen. [E]s wird etwas in die Wahrnehmung hineingedeutet, aber ganz unbewußter Weise. Dies Hineinlegen ist etwas durchaus Ursprüngliches, Vor-Logisches und darum auch Irrationales, was von der Persönlichkeit als Ganzem und ihrer Eigenart abhängt [...] (15 FN). Prauss (1974; 194) kritisiert zu Recht, Adickes historische Interpretation führe sich selbst ad absurdum, denn konsequent betrieben, müßte sie sich auf die Paraphrase oder das Wiederholen Kantischer Formulierungen beschränken. 26 What I have said [...] suggests that things in themselves and appearances are two separate types of object, one type existing independently of human cognition and the other not. This is indeed the traditional interpretation of Kant, but it is not the view now dominant among Kant scholars. The prevailing view, sometimes called the ›one-world‹ or ›double-aspect‹ view, holds instead that there is one set of objects and two ways of considering them. Appearances are objects as we know them; things in themselves are these same objects as they are independent of our knowledge. Van Cleve (1999), 7f. – Vertreter der sogenannten Zwei-Perspektiven-Theorie wie Prauss (1974) und Allison (1978; 1983) möchten Kant von dem Verdacht, mit dem Ding an sich einen ontologisch-metaphysischen Gegenstand in die Transzendentalphilosophie hineingebracht zu haben, freisprechen und seine Theorie so gegenüber analytisch orientierten Kritikern in eine bessere Position bringen (Kant’s transcendental idealism. An interpretation and defense: Allison 1983). Dabei scheint eine ontologisch-metaphysische Interpretation des Dings an sich offenbar nur vorstellbar als der transzendente Unsinn (Prauss 1974) einer metaphysischen Welt hinter den Erscheinungen, nicht aber im Sinne einer negativen Metaphysik, wie sie etwa Haag (1983) als eine von zwei einander entgegengesetzten Tendenzen in der Kritik der reinen Vernunft findet. Der Tendenz einer rein negativen Bestimmung der essentiae rerum stehe bei Kant unvermittelt gegenüber die Tendenz, Substanzbegriffe durch Funktionsbegriffe zu ersetzen (68). 27 KrV B XXVII; vgl. auch B XVIII f. Anm. sowie OP: Jede Vorstellung als Erscheinung wird als von dem was der Gegenstand an sich ist unterschieden gedacht (das Sensibile einem Intelligibelen) das letztere aber = X ist nicht ein besonderes ausser meiner Vorstellung existirendes Object sondern lediglich die Idee der Abstraction vom Sinnlichen welche als nothwendig anerkannt wird. (23). Die Unterscheidung des so genannten Gegenstandes an sich im Gegensatz mit dem in der Erscheinung (phaenomenon adversus noumenon) bedeutet nicht ein wirkliches Ding was dem Sinnengegenstande gegenüber steht sondern als = X nur das Prinzip daß es nichts Empirisches sey was den Bestimmungsgrund der Möglichkeit der Erfahrung enthält. (24).
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I. KANT
nungen auf die unterschiedliche Betrachtungsweise derselben empirischen Gegenstände zurückzuführen, dann entfällt mit dem transzendenten Ding an sich auch das Problem der transzendenten Affektion und es bleibt allein die empirische Affektion durch empirische Gegenstände.28 Das Trilemma reduziert sich auf die einzige Frage, inwiefern empirische Gegenstände, die doch Erscheinungen sind und als solche Resultat von Affektion, zugleich Ursache von Affektion sein können. Doch dieses Problem, so die Vertreter der sogenannten Zwei-Perspektiven-Theorie, sei in Wahrheit keines, resultiere es doch aus der Konfundierung von zwei scharf zu unterscheidenden Perspektiven, aus denen die empirische Affektion betrachtet werden könne: der empirischen und der transzendentalphilosophischen. Für die empirische Betrachtung der empirischen Affektion des Gemüts durch empirische Gegenstände, wie sie sich in der Kritik der reinen Vernunft an verschiedenen Stellen finde, sei die transzendentale Bestimmung dieser Gegenstände als Erscheinungen und damit die Differenz von Erscheinung und Ding an sich sowenig von Bedeutung wie für die Einzelwissenschaften, die sich mit dieser Affektion befassen, etwa Psychologie, Physiologie, Neurologie oder Physik.29 Es sei nämlich die transzendentalphilosophische Betrachtung,
Prauss (1974) ist der Ansicht, alle im Zusammenhang mit den Dingen an sich und der Affektion seit Erscheinen der Kritik diskutierten Probleme lösten sich von selbst, wenn zwischen dem transzendent-metaphysischen Unsinn und dem transzendental-philosophischen Sinn des Ausdrucks Dinge an sich unterschieden werde. Begreife man Dinge an sich als metaphysische Entitäten, sei das Problem der Affektion unlösbar. Aber: Da mit den ›Dingen an sich‹ im transzendental-philosophischen Sinne lediglich ›Dinge – an sich selbst betrachtet‹ gemeint sind, ist mit der ›Affektion durch Dinge an sich‹ in diesem Sinne auch nichts anderes als eine Affektion durch eben diese empirischen Dinge gemeint, die transzendental-philosophische Reflexion auch ›an sich selbst‹ betrachten muß. (197). Kant sei allerdings stellenweise dem Unsinn selber erlegen (203). Insbesondere aber habe er nicht hinreichend zwischen empirischen Aussagen über die Affektion durch empirische Dinge und der transzendentalphilosophischen Erklärung dieser Affektion unterschieden und so verschiedene Stufen der Betrachtung verwirrt (175ff.; 200ff.). – Röttges (1981; 31 Anm. 1) widerspricht: Die das ganze kritische und metaphysische System tragende Unterscheidung von Ding an sich und Erscheinung könne nur in ihrer primitiven Form die systemstabilisierende Funktion [erfüllen], die sie nun einmal hat. – Prauss sieht in der Transzendentalphilosophie Kants in erster Linie eine nichtempirische Wissenschaft vom Empirischen in der Erfahrung, das auf Affektion beruhe. Die Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori, mithin nach der Möglichkeit von Metaphysik als Wissenschaft, sei dem gegenüber zweitrangig. Kant stelle sie nicht zufällig erst in der zweiten Auflage der Kritik (66f. Anm.). Prauss verkürzt die Transzendentalphilosophie auf eine Theorie der Erfahrung bzw. des Deutens von empirischer Anschauung (63 ff.) und verkennt, daß Kant schon in der ersten Auflage die Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori als die zentrale herausstellt: [W]eil die Hauptfrage immer bleibt, was und wie viel kann Verstand und Vernunft, frei von aller Erfahrung, erkennen [...]? KrV A XVII. 29 Allison (1983), 249: Kant not only can but does speak about the mind as affected by empirical objects. [...] [Allison verweist auf KrV A 28; B 208; B 260 sowie Prol. §13] Kant can perfectly well characterize human sensibility in this way because, on the empirical level, the human mind 28
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die diese Differenz allererst konstituiere. Die transzendentalphilosophische Betrachtung thematisiere die empirische Affektion des Gemüts durch einen empirischen Gegenstand überhaupt als notwendige materiale Bedingung menschlicher Erfahrung, so wie die apriorischen Anschauungsformen Raum und Zeit als deren formale Bedingungen. Weil und insofern transzendentale Reflexion die empirische Affektion durch einen empirischen Gegenstand als materiale Bedingung menschlicher Erfahrung überhaupt den apriorischen Anschauungsformen als den formalen Bedingungen entgegensetze, könne sie diesen empirischen Gegenstand überhaupt nicht unter diese formalen Bedingungen stellen; sie könne ihn nicht als Erscheinung, sondern müsse ihn in einem rein methodologischen Sinne als Ding an sich respektive transzendentales Objekt betrachten.30 Diese Interpretation stellt die Art, in der Kant von der empirischen Affektion handelt, auf den Kopf. Kant thematisiert sie als ein unbezweifelbares Faktum, das als Voraussetzung und bleibende Grundlage der transzendentalen Theorie der Erfahrung keiner Begründung bedarf. Die Interpreten Kants dagegen begreifen die Affektion durch empirische Gegenstände als eine materiale und gleichwohl transzendentale Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung. Was Kant als unbezweifelbares Faktum aus dem Empirismus Lockescher Provenienz in die Transzendentalphilosophie zitiert, wird den Interpreten zu einer durch transzendentale Reflexion erschlossenen Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis.31 Irritieren muß ferner, daß der affizierende empirische Gegenstand als empirischer Gegenstand überhaupt mit dem transzenis itself considered as part of nature, just as the objects that affect it are considered as things in themselves. 30 Allison (1983), 250: Let us recall that the Kantian theory of sensibility not only requires that something be ›given to‹ or ›affect‹ the mind; it also maintains that this something becomes part of the content of human knowledge (the ›matter‹ of empirical intuition) only as the result of being subjected to the a priori forms of human sensibility (space and time). It certainly follows from this that this something which affects the mind (thereby functioning as the cause or ground of its representations) cannot be taken under its empirical description (as a spatiotemporal entity). To do so would involve assigning to that object, considered apart from its relation to human sensibility, percisely those features which, according to the theory, it only possesses in virtue of this relation. [...]/ If [...] it is a necessary (material) condition of human experience that something affect the mind, it is a necessary condition of a transcendental account of such experience that this something be viewed as a ›something in general = X‹, that is, as the transcendental object. [...] [T]here is in this entire account of affection no reference to any entities other than those which are describable in spatiotemporal terms. The point is only that insofar as such entities are to function in a transcendental context as material conditions of human cognition, they cannot, without contradiction, be taken under their empirical description. This means that, in a purely methodological sense, they must be considered as they are in themselves, or, equivalently [...], as ›the transcendental object‹. 31 Prauss radikalisiert diese Interpretation insofern, als er geradezu die Aufgabe der Transzendentalphilosophie darin sieht, die empirische Affektion, die von empirischen Wissenschaften nicht wirklich erklärt werden könne, zu erklären (1974; 210; 216f.).
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dentalen Objekt und dieses mit dem Ding an sich identifiziert wird.32 Dies ist mit Kants eigenen Aussagen unvereinbar, auch wenn es diese zugegebenermaßen an Klarheit und Deutlichkeit fehlen lassen. Zunächst: Die Frage, ob es sich bei Dingen an sich und Erscheinungen um zwei ontologisch unterschiedene Gegenstandsbereiche oder um zwei unterschiedliche Betrachtungsweisen desselben Gegenstandsbereichs handelt, greift zu kurz, denn bei Kant findet sich beides, ohne daß es sich wechselseitig ausschließt. Kant betrachtet dieselben Gegenstände in unterschiedlicher Weise als Erscheinungen und als Dinge an sich selbst, und er unterscheidet Erscheinungen als Gegenstände möglicher Erkenntnis von den unerkennbaren Dingen an sich. Dem liegt kein Widerspruch zugrunde, sondern eine leicht zu durchschauende Äquivokation des Ausdrucks Ding an sich. Mit dem Ausdruck Ding an sich kann sowohl ein empirischer Gegenstand wie auch die nichtempirische Ursache der Erscheinungen gemeint sein. Die Äquivokation ist deshalb leicht zu durchschauen, weil im jeweiligen Kontext deutlich wird, daß sie aus zwei unterschiedlichen, aber sich nicht widersprechenden, sondern einander ergänzenden Argumentationen entspringt. Einmal geht es darum, transzendentalphilosophisch die Einstellung des natürlichen Bewußtseins gegenüber den äußeren Gegenständen zu charakterisieren. Das natürliche Bewußtsein zeichnet sich im Unterschied zum philosophierenden Bewußtsein dadurch aus, daß ihm die Realität der äußeren Welt nicht zum Problem wird. Sein Realismus ist ihm selbstverständlich und daher auch nicht als solcher bewußt. Von einem Dinge an sich weiß das gemeine Bewusstseyn nichts, gerade darum weil es das gemeine Bewusstseyn ist, welches doch hoffentlich nicht über sich selbst hinausspringt.33 Soll dieser selbstverständliche Realismus des natürlichen Bewußtseins transzendentalphilosophisch charakterisiert werden, dann muß gesagt werden, daß diesem Bewußtsein die äußeren Gegenstände als Dinge an sich selbst gelten, als unabhängig von ihm existierende Gegenstände. Denn das natürliche Bewußtsein ist sich nicht bewußt, daß die äußeren Gegenstände nur in den subjektiven apriorischen Anschauungsformen Raum und Zeit für es sind. Transzendentalphilosophisch wird also derselbe empirische Gegenstand als Ding an sich selbst und als Erscheinung betrachtet, wenn er einmal so charakterisiert wird, wie er für das natürliche Bewußtsein ist und dann, wie er für die transzendentale Reflexion ist. Ein empirischer Gegenstand, z. B. eine Rose, gilt dem empirischen Verstande für ein Ding an sich selbst, während er dem transzendentalen Begriffe nach nur Erscheinung ist.34 Dieses Vorgehen der Kant-Interpreten hat sein Vorbild an Kants Rede von der transzendentalen Einheit der Apperzeption als dem empirischen Bewußtsein überhaupt (KrV B 217). Beide Male wird das Mißverständnis nahegelegt, transzendentale Bestimmungen resultierten aus der Abstraktion von dem empirischen Gehalt empirischer Bestimmungen und seien empirische Bestimmungen überhaupt. 33 Fichte, ZE 265 [514]. 34 KrV B 45. Der Begriff der Erscheinungen im Raume (KrV B 45) ist ein Resultat der transzendentalen Reflexion, er resultiert nicht aus der Introspektion des Bewußtseins. Als transzendentale[r] Begriff (KrV B 45) darf er nicht mit dem psychologischen Begriff der Erscheinung 32
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Zum anderen aber geht es darum, durch die Unterscheidung der Gegenstände möglicher Erfahrung als Erscheinungen vom Ding an sich als deren intelligibler Ursache die a priori bestimmte und durch transzendentale Reflexion ins Bewußtsein zu hebende allgemeine Form der Gesetzmäßigkeit der Totalität der Gegenstände möglicher Erfahrung zu unterscheiden von deren uns notwendig unbekanntem Existenzgrund. Kategorien und Anschauungsformen sind Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis – nicht der zureichende Grund der Gegenstände der Erkenntnis. Das transzendentale Subjekt ist nicht der Existenzgrund der Gegenstände. Die Ursache respektive der Grund dafür, daß uns überhaupt etwas empirisch gegeben ist, ist der transzendentalen Subjektivität transzendent. Das sinnliche Anschauungsvermögen ist eigentlich nur eine Rezeptivität, auf gewisse Weise mit Vorstellungen affiziert zu werden, deren Verhältnis zueinander eine reine Anschauung des Raumes und der Zeit ist [...], und welche, sofern sie in diesem Verhältnisse (dem Raume und der Zeit) nach Gesetzen der Einheit der Erfahrung verknüpft und bestimmbar sind, Gegenstände heißen. Die nichtsinnliche Ursache dieser Vorstellungen ist uns gänzlich unbekannt, und diese können wir daher nicht als Objekt anschauen; denn dergleichen Gegenstand würde weder im Raume, noch der Zeit (als bloßen Bedingungen der sinnlichen Vorstellung) vorgestellt werden müssen, ohne welche Bedingungen wir uns gar keine Anschauung denken können. Indessen können wir die bloß intelligible Ursache der Erscheinungen überhaupt, das transzendentale Objekt nennen, bloß, damit wir etwas haben, was der Sinnlichkeit als einer Rezeptivität korrespondiert. Diesem transzenverwechselt werden, wie er sowohl im Empirismus Lockes als auch im Rationalismus Descartes’ zu finden ist. Kant unterscheidet, wenn auch nicht durchgehend und in der erforderlichen Strenge, Erscheinungen als Gegenstände möglicher Erfahrung von Erscheinungen als Vorstellungen, die ein einzelnes Subjekt in seinem Bewußtsein antrifft. Jene bezeichnet er auch als Substanzen, diese als Modifikationen des Gemüts (Akzidenzien) (vgl. KrV A 34; A 99; A 129). Mithin unterscheidet Kant unter dem Titel Erscheinungen bzw. Phaenomena nicht, wie Prauss (1971) meint, zwei Klassen von Gegenständen: Erscheinungen im Sinne von uns unmittelbar gegebenen Empfindungen und empirischen Anschauungen, die als subjektive Gegenstände durch die Anwendung schematisierter Kategorien zu Phänomenen im Sinne von objektiven Gegenständen erdeutet werden. Zur Kritik an Prauss vgl. Baum (1986), 34ff. – Besagt der transzendentale Begriff der Erscheinung äußerer Gegenstände, daß die Welt der Gegenstände eine Welt der Vorstellungen ist, so widerspricht dies nicht dem Realismus des natürlichen Bewußtseins, welches davon überzeugt ist, daß die Gegenstände der Erfahrung unabhängig von uns sind. Der transzendentale Idealismus, so Kant ausführlich in der Kritik des vierten Paralogismus (A), ist zugleich ein empirischer Realismus, denn er gesteht der Materie, als Erscheinung, eine Wirklichkeit zu, die nicht geschlossen werden darf, sondern unmittelbar wahrgenommen wird. (KrV A 371) Dem transzendentalen Idealismus entgegengesetzt ist ein transzendentaler Realism, der Zeit und Raum als etwas an sich (unabhängig von unserer Sinnlichkeit) Gegebenes ansieht und die Gegenstände im Raume als Dinge an sich, die unabhängig von uns existieren. Dieser transzendentale Realismus ist zugleich ein empirischer Idealismus, indem er unsere sinnlichen Vorstellungen zur Erfassung der an sich im Raume existierenden Gegenstände für unzureichend erklärt. (KrV A 369ff.).
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dentalen Objekt können wir allen Umfang und Zusammenhang unserer möglichen Wahrnehmungen zuschreiben, und sagen: daß es vor aller Erfahrung an sich selbst gegeben sei.35 Kant führt den Terminus Ding an sich ein, um durch die Unterscheidung des Dinges an sich von der Erscheinung das empirisch Gegebene vom a priori Konstituierten in jeder Erkenntnis unterscheiden zu können. Die seit Jacobi wiederholte Kritik, Kant schließe unkorrekterweise und im Widerspruch zur eigenen Theorie von einem faktisch zu konstatierenden Passivitätsgefühl auf das Ding an sich als dessen Ursache, kann sich zwar auf Kants Rede von der Affektion des Gemüts durch Dinge an sich berufen, sie trifft aber nicht wirklich Kants Argumentation.36 Kant ist sich durchaus bewußt, daß von Empfindungsvorstellungen nicht auf deren Ursache außerhalb des Bewußtseins geschlossen werden kann.37 Das Motiv für die Einführung der Dinge an KrV B 522f. Fichte leugnet in seiner Verteidigung des Geistes der Kantischen Philosophie gegen Kantianer, die den Meister wörtlich nehmen, bisweilen sogar, daß Kant in der Tat von uns affizierenden Dingen spricht. Diese Absurdität irgend einem Menschen, der seiner Vernunft noch mächtig ist, zuzutrauen, ist mir wenigstens unmöglich; wie sollte ich sie Kanten zutrauen? So lange demnach Kant nicht ausdrücklich mit denselben Worten erklärt [...]: die Empfindung sey in der Philosophie aus einem an sich außer uns vorhandenen transscendentalen Gegenstande zu erklären, so lange werde ich nicht glauben, was jene Ausleger uns von Kant berichten. ZE 239 [486]. 37 KrV A 368: Ich kann also äußere Dinge eigentlich nicht wahrnehmen, sondern nur aus meiner inneren Wahrnehmung auf ihr Dasein schließen, indem ich diese als die Wirkung ansehe, wozu etwas Äußeres die nächste Ursache ist. Nun ist aber der Schluß von einer gegebenen Wirkung auf eine bestimmte Ursache jederzeit unsicher; weil die Wirkung aus mehr als einer Ursache entsprungen sein kann. – Vgl. aber Jacobi (1787 a; 308f.): [U]nd wie kämen wir in der Kantischen Philosophie zu einem solchen Dinge? Etwa dadurch, daß wir uns bey den Vorstellungen, die wir Erscheinungen nennen, passiv fühlen? Aber sich passiv fühlen oder leiden, ist nur die Hälfte eines Zustandes, der allein nach dieser Hälfte nicht denkbar ist. Auch würde hier ausdrücklich gefordert, daß er allein nach dieser Hälfte nicht denkbar sey. Also empfänden wir Ursache und Wirkung im transscendentalen Verstande, und könnten, vermöge dieser Empfindungen, auf Dinge außer uns und ihre nothwendigen Beziehungen auf einander im transscendentalen Verstande schließen. Da aber der ganze transscendentale Idealismus hiemit zu Grunde gienge, und alle Anwendung und Absicht verlöre, so muß sein Bekenner schlechterdings jene Voraussetzung fahren lassen, und es nicht einmal wahrscheinlich finden wollen, daß Dinge, die im transscendentalen Verstande außer uns wären, vorhanden sind, und Beziehungen auf uns haben, die wir auf irgend eine Weise wahrzunehmen im Stande seyn könnten. – Schopenhauer (1819; 516) sieht in der Weise der Einführung des Dinges an sich durch Kant das Hauptgebrechen seiner Philosophie. Kant gründet die Voraussetzung des Dinges an sich, wiewohl unter mancherlei Wendungen verdeckt, auf einen Schluß nach dem Kausalitätsgesetz, daß nämlich die empirische Anschauung, richtiger die Empfindung in unsern Sinnesorganen, von der sie ausgeht, eine äußere Ursache haben müsse. Nun aber ist, nach seiner eigenen und richtigen Entdeckung, das Gesetz der Kausalität uns a priori bekannt, folglich eine Funktion unsers Intellekts, also subjektiven Ursprungs; ferner ist die Sinnesempfindung selbst, auf welche wir hier das Kausalitätsgesetz anwenden, unleugbar subjektiv; und endlich sogar der Raum, in welchen wir mittelst dieser Anwendung die Ursache der Empfindung als Objekt 35 36
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sich und damit für die Unterscheidung von Dingen an sich und Erscheinungen liegt in der Kopernikanischen Wende beschlossen: Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten; aber alle Versuche über sie a priori etwas durch Begriffe auszumachen, wodurch unsere Erkenntnis erweitert würde, gingen unter dieser Voraussetzung zunichte. Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserem Erkenntnis richten [...].38 Metaphysik ist nach Kant Vernunfterkenntnis aus bloßen Begriffen39 und identisch mit der Philosophie selbst.40 Kennzeichen der vorkantischen Metaphysik und somit der gesamten vorkantischen Philosophie mit Ausnahme des Skeptizismus Humescher Prägung sei ihr Dogmatismus.41 Ungeprüft setze sie voraus, rein begriffliches Denken versetzen, ist eine a priori gegebene, folglich subjektive Form unsers Intellekts. Mithin bleibt die ganze empirische Anschauung durchweg auf subjektivem Grund und Boden, als ein bloßer Vorgang in uns, und nichts von ihr gänzlich Verschiedenes, von ihr Unabhängiges, läßt sich als ein Ding an sich hineinbringen, oder als notwendige Voraussetzung dartun. Wirklich ist und bleibt die empirische Anschauung unsere bloße Vorstellung: es ist die Welt als Vorstellung. – Maimon (1790) deutet bereits die transzendentalphilosophische Auflösung des Dings an sich an, die dann systematisch zuerst von Fichte ausgeführt wird: Man muß sich aber durch den Ausdruck: außer uns, nicht irre machen lassen, als wäre dieses etwas mit uns im Raum=Verhältniß, weil Raum selbst nur eine Form in uns ist, sondern dieses außer uns, bedeutet nur etwas, in dessen Vorstellung wir uns keiner Spontanaität bewußt sind, d.h. ein (in Ansehung unseres Bewußtseyns) bloßes Leiden aber keine Thätigkeit in uns./ Das Wort: gegeben, welches Hr. K. [i.e. Kant] von der Materie der Anschauung sehr oft gebraucht, bedeutet bei ihm (wie auch bei mir) nicht etwas in uns, das eine Ursache außer uns hat; denn dieses kann nicht unmittelbar wahrgenommen, sondern bloß geschlossen werden. Nun ist aber der Schluß von einer gegebenen Wirkung auf eine bestimmte Ursache stets unsicher, weil die Wirkung aus mehr als einerlei Ursache entspringen kann; dennoch bleibt es in Beziehung der Wahrnehmung auf ihre Ursachen jederzeit zweifelhaft, ob diese innerlich oder äußerlich sey, sondern es bedeutet bloß eine Vorstellung, deren Entstehungsart in uns, uns unbekannt ist. (203). Ausführlich zu Maimon Engstler (1990). 38 KrV B XVI. 39 KrV B 878. Im Unterschied zur Mathematik, welche ebenfalls reine Vernunfterkenntnis ist, konstruiert Philosophie ihre Begriffe nicht: KrV B 741ff. 40 Die Rede von Kant als einem ›Zerstörer‹ der Metaphysik auf dem Gebiet der theoretischen Philosophie ist [...] nichts anderes als eine dem Zeitgeist des 19. Jahrhunderts geschuldete Projektion, die gleichwohl, wie andere wissenschaftspolitische Erfindungen auch, Karriere gemacht hat. Lutz-Bachmann (2002), 423f. 41 Kant kann deshalb mit Grund behaupten, ›daß vor dem Entstehen der kritischen Philosophie es noch gar keine gegeben habe‹. MdS AB VI. Seit Lockes und Leibnizens Versuchen, oder vielmehr seit dem Entstehen der Metaphysik, so weit die Geschichte derselben reicht, hat sich keine Begebenheit zugetragen, die in Ansehung des Schicksals dieser Wissenschaft hätte entscheidender werden können, als der Angriff, den David Hume auf dieselbe machte. Er brachte kein Licht in diese Art von Erkenntnis, aber er schlug doch einen Funken, bei welchem man wohl ein Licht hätte anzünden können, wenn er einen empfänglichen Zunder getroffen hätte, dessen Glimmen sorgfältig wäre unterhalten und vergrößert worden. Prol. A 7. Vgl. Prol. A 8ff.
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könne apriorische Erkenntnis von Gegenständen erlangen, welche, als Dinge an sich, doch unabhängig vom Denken sein sollen. Diese dogmatische Setzung ihres Erkenntnisanspruchs hindere sie am sicheren Gang einer Wissenschaft. Solle metaphysische, also apriorische Erkenntnis von Gegenständen möglich sein, dürfe sie nicht die Form analytischer, sondern müsse die Form synthetischer Urteile a priori haben. Terminus ad quem der Kritik der reinen Vernunft sei die Beantwortung der Frage, welche sich der waghälsige Metaphysiker42 niemals vorgelegt habe: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?43 Die Antwort der Kritik laute: Sie sind nur dann möglich, wenn die Gegenstände nicht Dinge an sich sind, sondern Erscheinungen. Erscheinungen sind Gegenstände, die uns ihrem Dasein nach in den subjektiven Anschauungsformen Raum und Zeit empirisch gegeben sind, deren Gegenständlichkeit aber in der durch die kategoriale Synthesis der transzendentalen produktiven Einbildungskraft gestifteten Regularität des in Raum und Zeit Gegebenen gründet. Kant bestimmt das Ding an sich als intelligible Ursache der Erscheinungen, um durch die Unterscheidung von Ding an sich und Erscheinungen die Erscheinungen als dem Dasein nach empirisch gegebene, der Gegenständlichkeit nach aber durch kategoriale Synthesis konstituierte Gegenstände bestimmen zu können. Dies hat Konsequenzen für die dabei beteiligten Vermögen der Erkenntnis. Der Verstand, der im Verein mit der transzendentalen Einbildungskraft nicht die Gegenstände, sondern nur deren Gegenständlichkeit hervorbringt, das heißt die allgemeine Form der Gesetzmäßigkeit der Totalität der Erscheinungen konstituiert, ist darauf angewiesen, daß ihm etwas in der Sinnlichkeit gegeben ist. Die Sinnlichkeit kann aufgrund der Subjektivität ihrer apriorischen Formen Raum und Zeit nur Erscheinungen, nicht Dinge an sich enthalten. In dem Abschnitt Phaenomena und Noumena versucht Kant, die Funktion, die dem Ding an sich in der transzendentalen Bestimmung der beiden Erkenntnisvermögen Verstand und Sinnlichkeit zukommt, genauer zu fassen und den begrifflichen Status, der ihm eignet, zu bestimmen. Er bestimmt hier das Ding an sich als Noumenon im negativen Verstande. Wenn wir unter Noumenon ein Ding verstehen, so fern es nicht Objekt unserer sinnlichen Anschauung ist, indem wir von unserer Anschauungsart desselben abstrahieren; so ist dieses ein Noumenon im negativen Verstande. Verstehen wir aber darunter ein Objekt einer nichtsinnlichen Anschauung, so nehmen wir eine besondere Anschauungsart an, nämlich die intellektuelle, die aber nicht die unsrige ist, von welcher wir auch die Möglichkeit nicht einsehen können, und das wäre das Noumenon in positiver Bedeutung./ Die Lehre von der Sinnlichkeit ist nun zugleich PF A 164. KrV B 19. Herr Kant wirft die Frage auf: wie sind synthetische Sätze a priori möglich? Die Bedeutung dieser Frage ist diese: daß analytische Sätze a priori möglich sind, ist wohl begreiflich, weil sie nämlich auf dem Satz des Widerspruchs beruhen, der auf keinen bestimmten, sondern auf einen Gegenstand überhaupt sich bezieht, folglich müssen sie auch vor der Vorstellung des bestimmten Gegenstandes im Verstande anzutreffen seyn; die synthetische Sätze hingegen beziehen sich auf einen bestimmten Gegenstand, wie können sie also der Vorstellung vom Gegenstande selbst vorausgehen, d.h. a priori seyn? Maimon (1790), 172. 42 43
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die Lehre von den Noumenen im negativen Verstande, d. i. von Dingen, die der Verstand sich ohne diese Beziehung auf unsere Anschauungsart, mithin nicht bloß als Erscheinungen, sondern als Dinge an sich selbst denken muß, von denen er aber in dieser Absonderung zugleich begreift, daß er von seinen Kategorien in dieser Art sie zu erwägen, keinen Gebrauch machen könne, weil diese nur in Beziehung auf die Einheit der Anschauungen in Raum und Zeit Bedeutung haben [...].44 Und weiter: Der Begriff eines Noumenon, d. i. eines Dinges, welches [...] als ein Ding an sich selbst, (lediglich durch einen reinen Verstand) gedacht werden soll, ist gar nicht widersprechend; denn man kann von der Sinnlichkeit doch nicht behaupten, daß sie die einzige mögliche Art der Anschauung sei. Ferner ist dieser Begriff notwendig, um die sinnliche Anschauung nicht bis über die Dinge an sich selbst auszudehnen, und also, um die objektive Gültigkeit der sinnlichen Erkenntnis einzuschränken, (denn das übrige, worauf jene nicht reicht, heißen eben darum Noumena, damit man dadurch anzeige, jene Erkenntnisse können ihr Gebiet nicht über alles, was der Verstand denkt, erstrecken). [...] Der Begriff eines Noumenon ist also bloß ein Grenzbegriff, um die Anmaßung der Sinnlichkeit einzuschränken, und also nur von negativem Gebrauche.45 Der Versuch, die Funktion und den begrifflichen Status des Dinges an sich in der transzendentalen Argumentation genauer zu fassen, fügt den schon bekannten Widersprüchen und Ungereimtheiten neue hinzu. So identifiziert Kant offenbar zwei ganz verschiedene Gründe, die zur Annahme eines nichtsinnlichen Gegenstandes nötigen, und damit auch zwei verschiedene Begriffe vom nichtsinnlichen Gegenstand.46 Der erste Grund ergibt sich aus der transzendentalen Ästhetik. Diese ist Kant zufolge zugleich die Lehre von den Noumenen im negativen Verstande, denn sie beweist, daß unsere menschliche Anschauung sinnliche Anschauung ist, welche allein auf Erscheinungen geht. Im Begriff der Erscheinung ist aber der Begriff dessen implizit mitzudenken, wovon sie Erscheinung ist. Das der Erscheinung zugrunde Liegende denkt der reine Verstand als ein negatives Noumenon, das heißt als ein Ding, das nicht Objekt unserer sinnlichen Anschauung, also nicht Erscheinung ist. Der zweite Grund ergibt sich aus der transzendentalen Analytik. Diese hat gezeigt, daß der reine Verstand mit seinen Begriffen über das in unserer und darüber hinaus in jeder Art von Sinnlichkeit Gegebene hinaus reicht. Der Verstand ist nur als erkennender, nicht aber als denkender auf die Sinnlichkeit restringiert. Sein reines Denken geht auf Objekte überhaupt respektive auf Dinge überhaupt. Diese reinen Verstandesgegenstände sind auch Noumena im negativen Verstande, denn der Verstand denkt sie, ohne noch auf die besondere Art (der Sinnlichkeit) zu sehen, in der sie gegeben werden mögen.47 Weil der reine Verstand widerspruchsfrei nichtsinnliche Gegenstände oder Dinge überhaupt denken kann, reicht er über die Sinnlichkeit hinaus
44 45 46 47
KrV B 307f. KrV B 310f. Hossenfelder (1978), 49. KrV B 309.
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und ist die Sinnlichkeit gegenüber dem Verstand restringiert. Aber diese Restriktion der Sinnlichkeit durch den Verstand besagt gar nichts über die Art unserer Sinnlichkeit und über die Art ihrer Gegenstände.48 Aus dem Umstand, daß der reine Verstand Dinge überhaupt denken kann, die in keiner Sinnlichkeit gegeben sind, folgt nicht, daß unsere Sinnlichkeit allein Erscheinungen enthält. Kants Identifizierung des in der Ästhetik eingeführten Dinges an sich mit dem durch den reinen Verstand widerspruchsfrei zu denkenden Ding überhaupt hat weitere Widersprüche zur Folge. Zum einen erliegt Kant dem Fehlschluß, die Einschränkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit sei in Wahrheit eine Einschränkung des Verstandes durch sich selbst. Wäre nämlich der Verstand auf die Sinnlichkeit restringiert nur insofern und weil die Sinnlichkeit ihrerseits durch das Ding an sich, das heißt durch einen Begriff des Verstandes restringiert wäre; würde also der Überschwang des Verstandes nur insofern durch die Sinnlichkeit eingeschränkt, als deren Anmaßung49 durch den Verstand eingeschränkt würde, dann würde der Verstand sich selbst die Grenzen seines Gebrauchs50 bestimmen. Der Verstand, der sich selbst die Grenzen seines Gebrauchs bestimmte, wäre der Unterscheidung von Verstand und Sinnlichkeit als Erkenntnisstämmen vorgeordnet und mit der Lehre von der Heterogenität dieser Erkenntnisstämme unvereinbar. Zum zweiten aber führt die Identifizierung von Ding an sich und Ding überhaupt auf die Frage, inwiefern der Verstand durch reine Kategorien auch nur denken können soll, was laut Ästhetik und Analytik dem erkennenden Subjekt prinzipiell entzogen ist. Kant zufolge sind die schematisierten Kategorien auf Erscheinungen bezogen, nicht auf Dinge an sich; die unschematisierten, reinen Kategorien sind aber mit den logischen Funktionen zu denken identisch. Durch sie können zwar Dinge überhaupt widerspruchsfrei gedacht werden und sind daher logisch möglich, aber über die reale Möglichkeit des Dinges an sich als des den Erscheinungen zugrunde Liegenden ist damit nichts auszumachen.51 Ist aber durch den transzendentalen Gebrauch der (reinen) Kategorien das Ding an sich nicht zu denken, dann sind über das Ding an sich entweder überhaupt keine wahren Urteile möglich und es wäre überhaupt kein Gegenstand der Transzendentalphilosophie,52 oder aber die Urteile über das Ding an sich fallen nicht in den Verstand als eines der untersuchten Erkenntnisvermögen, sonVgl. Hossenfelder (1978), 48. KrV B 311. 50 KrV B 297; vgl. B 312. 51 Vgl. dazu Kants Ausführungen über das analytische Merkmal der Möglichkeit, die Widerspruchsfreiheit, und das Merkmal der Möglichkeit synthetischer Erkenntnisse, die Erfahrung (KrV B 630). 52 Vgl. Van Cleve (1999), 138: An upholder of Kant’s system must [...] either admit that the pure categories do apply to things in themselves, or else maintain that things in themselves are never the subject matters of any true judgments. But the sentence I just italicized expresses a negative and universal judgment; if the sentence is true, the corresponding pure categories must have application to things in themselves. 48 49
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dern in die transzendentale Reflexion, welche diese Untersuchung anstellt, sich selbst aber nicht thematisch wird. Kant hat diese Konsequenz nicht gezogen. Er hat die Bestimmung des Dinges an sich nicht auf die Metaebene transzendentaler Erkenntnis verlagert. Sein Versuch, die Restriktion des Verstandes durch die Sinnlichkeit und der Sinnlichkeit durch das Ding an sich als Selbstrestriktion des Verstandes zu fassen, gerät daher widersprüchlich. Der Verstand müsse aufgrund der Lehre von der Sinnlichkeit zwar Dinge an sich denken, er begreife aber zugleich, daß er dabei von seinen Kategorien keinen Gebrauch machen könne.53 Der Verstand denke mit dem Ding an sich einen Gegenstand an sich selbst, aber nur als transzendentales Objekt, das die Ursache der Erscheinung [...] ist, und weder als Größe, noch als Realität, noch als Substanz usw. gedacht werden kann [...],54 oder kürzer: der Verstand denke mit dem Ding an sich etwas, das die Ursache der Erscheinung sei, das aber nicht als Ursache gedacht werden könne.55 Daß mit dem Ding an sich etwas gedacht wird, was gar nicht gedacht werden kann, ist eine Pointe der Lehre von den Noumenen im negativen Verstande, die Kant selbst nicht sieht, die aber seine idealistisch inspirierten Nachfolger, wenngleich unter anderen Voraussetzungen, unterschreiben werden. Dem Begriffe einer Vorstellung überhaupt, so Reinhold, widerspricht die Vorstellung eines Gegenstandes in seiner eigenthümlichen von der Form der Vorstellung unabhängigen Form, oder des sogenannten Dinges an sich; d.h. kein Ding an sich ist vorstellbar.56
Vgl. KrV B 307f. bzw. hier weiter oben. KrV B 344. 55 Am Rande sei bemerkt, daß Kant neben diesen neuen Widersprüchen, die aus der Identifizierung von Ding an sich und Ding überhaupt folgen, im Abschnitt Phaenomena und Noumena, also im Kontext der Thematisierung des Dinges an sich als Noumenon im negativen Verstande, die bereits bekannte Konfusion zwischen dem Ding an sich als der kausalen Quelle empirischer Sinnesaffektion und dem Ding an sich als der intelligiblen Ursache der Erscheinungen reproduziert. Wenn ich alles Denken (durch Kategorien) aus einer empirischen Erkenntnis wegnehme, so bleibt gar keine Erkenntnis irgendeines Gegenstandes übrig; denn durch bloße Anschauung wird gar nichts gedacht, und, daß diese Affektion der Sinnlichkeit [!] in mir ist, macht gar keine Beziehung von dergleichen Vorstellung auf irgend ein Objekt aus. (KrV B 309) Ist das Ding an sich die intelligible Ursache der Erscheinungen, kann es nicht die Affektion des sensorischen Apparates empirischer Subjekte bewirken, die als gegenständliche Wesen selbst Erscheinungen sind. 56 Reinhold (1789), 244. Kuno Fischer zieht in seiner Logik und Metaphysik oder Wissenschaftslehre ganz im Sinne der idealistischen Nachfolger Kants die Konsequenz: Das Ding an sich ist die Grenze des menschlichen Bewußtseins, aber die gewußte Grenze oder der Grenzbegriff. Das ist ein unkritischer Begriff, denn es wird darin etwas vorgestellt, von dem behauptet wird, daß es auf keine Weise vorgestellt werden könne. Dieser augenfällige Widerspruch hebt sich von selbst auf. Fischer (1852), 36. 53 54
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2. Selbstaffektion und transzendentaler Gegenstand Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis ist die Empfänglichkeit des erkennenden Subjekts für gegebene Empfindungsdaten. Aufgrund seiner Sinnlichkeit ist das Subjekt fähig, gegebene Empfindungsdaten rezeptiv in das Bewußtsein aufzunehmen. Die Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit, sofern wir von demselben affiziert werden, ist Empfindung. [...]/ In der Erscheinung nenne ich das, was der Empfindung korrespondiert, die Materie derselben, dasjenige aber, welches macht, daß das Mannigfaltige der Erscheinung in gewissen Verhältnissen geordnet werden kann, nenne ich die Form der Erscheinung. Da das, worinnen sich die Empfindungen allein ordnen, und in gewisse Form gestellt werden können, nicht selbst wiederum Empfindung sein kann, so ist uns zwar die Materie aller Erscheinung nur a posteriori gegeben, die Form derselben aber muß zu ihnen insgesamt im Gemüte a priori bereitliegen [...].57 Gegeben sind die Empfindungsdaten empirischen Subjekten, und Sinnlichkeit bezeichnet deren Rezeptivität. Gegeben sind die Daten aber in Zeit und Raum. Diese sind die apriorischen Formen der Anschauung respektive der Sinnlichkeit. Die Zeit ist also lediglich eine subjektive Bedingung unserer (menschlichen) Anschauung, (welche jederzeit sinnlich ist, d. i. sofern wir von Gegenständen affiziert werden,) und an sich, außer dem Subjekte, nichts. [...]/ Unsere Behauptungen lehren demnach empirische Realität der Zeit, d. i. objektive Gültigkeit in Ansehung aller Gegenstände, die jemals unseren Sinnen gegeben werden mögen [...] [und] transzendentale Idealität der Zeit, nach welcher sie, wenn man von den subjektiven Bedingungen der sinnlichen Anschauung abstrahiert, gar nichts ist, und den Gegenständen an sich selbst [...] weder subsistierend noch inhärierend beigezählt werden kann.58 Die Sinnlichkeit ist demnach doppelt bestimmt. Sie ist einmal die in Gestalt der Sinne des einzelnen Subjekts empirisch faßbare Rezeptivität und als solche dessen Vermögen, für gegebene Empfindungsdaten empfänglich zu sein. Kant setzt damit das empirische Subjekt und dessen Einheit voraus.59 Sie besteht zum zweiten aus den apriorischen Formen der Zeit und des Raums, innerhalb deren gegebene Daten allein einer Ordnung unterliegen können. Die doppelte Bestimmung der Sinnlichkeit zieht die doppelte Bestimmung der Erscheinung nach sich. Sie ist einmal die Empfindungsvorstellung, die das empirische Subjekt in seinem Bewußtsein antrifft, eine Modifikation des Gemüts; sie ist sodann a priori kategorial konstituiert und so Gegenstand möglicher Erfahrung. Statt die Einheit des empirischen Bewußtseins, die er zu Beginn der transzendentalen Ästhetik voraussetzt, zu begründen, ohne sie einfach in der transzendentalen KrV B 34. KrV B 51ff. Zur empirischen Realität und transzendentalen Idealität des Raumes vgl. KrV B 44. Raum und Zeit sind Bedingungen a priori der Subjektivität, die Kategorien Bedingungen a priori der Objektivität der Erscheinungen. Strohmeyer (1980), 45. 59 Die Sinne sind an den Leib gebunden, mit ihnen ist deshalb das leiblich individuierte Subjekt und folglich eine Vielheit von Subjekten vorausgesetzt. 57 58
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Einheit der Apperzeption aufgehen zu lassen, hat Kant beide in der Deduktion B, in der er die in der transzendentalen Ästhetik angedeutete Lehre von der Selbstaffektion weiter ausführt, konfundiert. Hier ist nun der Ort, das Paradoxe, was jedermann bei der Exposition der Form des inneren Sinnes (§6) auffallen mußte, verständlich zu machen: nämlich wie dieser auch sogar uns selbst, nur wie wir uns erscheinen, nicht wie wir an uns selbst sind, dem Bewußtsein darstelle, weil wir nämlich uns nur anschauen wie wir innerlich affiziert werden, welches widersprechend zu sein scheint, indem wir uns gegen uns selbst als leidend verhalten müßten.60 Das innerliche Affizieren, von dem Kant hier spricht, ist kein Affiziertwerden der Sinne durch Gegenstände, woraus Empfindungen resultieren,61 sondern ist ein Bestimmtwerden des inneren Sinnes durch die kategoriale Synthesis der produktiven Einbildungskraft. Das, was den inneren Sinn bestimmt, ist der Verstand und dessen ursprüngliches Vermögen das Mannigfaltige der Anschauung zu verbinden, d. i. unter eine Apperzeption (als worauf selbst seine Möglichkeit beruht) zu bringen. [...] Er also übt, unter der Benennung einer transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft, diejenige Handlung aufs passive Subjekt, dessen Vermögen er ist, aus, wovon wir mit Recht sagen, daß der innere Sinn dadurch affiziert werde.62 Die transzendentale Synthesis von Verstand und produktiver Einbildungskraft synthetisiert nicht das in den apriorischen Formen der Anschauung Raum und Zeit empirisch gegebene Mannigfaltige, sondern synthetisiert den inneren Sinn selbst. Innerer Sinn meint hier die Zeit. Die transzendentale kategoriale Synthesis des inneren Sinnes ist die Bestimmung der Zeit durch die Kategorie. Die Lehre von der Selbstaffektion läßt die doppelte Bestimmung der Zeit als apriorische Form der sinnlichen Anschauung und als formale Anschauung deutlicher als in der transzendentalen Ästhetik hervortreten. Sie läßt auch erst die systematische Pointe dieser doppelten Bestimmung erkennen. Der Ästhetik zufolge ist die Zeit sowohl reine Form der Sinnlichkeit als auch reine Anschauung.63 Als reine Form der Sinnlichkeit ist sie bestimmt, insofern sie die Bedingung der Möglichkeit ist, empirisch gegebene Empfindungsdaten rezeptiv in das Bewußtsein aufnehmen zu können. Als reine Anschauung dagegen ist die Zeit an sich selbst bestimmt, insofern sie nämlich nicht Begriff ist. Die Zeit ist kein diskursiver, oder, wie man ihn nennt, allgemeiner Begriff, sondern eine reine Form der sinnlichen Anschauung. Verschiedene Zeiten sind nur Teile eben derselben Zeit. Die Vorstellung, die nur durch einen einzigen Gegenstand gegeben werden kann, ist aber Anschauung. Auch würde sich der Satz, daß verschiedene Zeiten nicht zugleich sein können, aus einem allgemeinen Begriff nicht herleiten lassen. Der Satz ist synthetisch, und kann aus Begriffen allein nicht entspringen. Er ist also in der Anschauung und Vorstellung der Zeit unmittelbar enthalten.64 Als An-
60 61 62 63
64
KrV B 152f. Vgl. KrV B 33. Zur Problematik des Affiziertwerdens durch Gegenstände siehe oben. KrV B 153f. KrV B 34f. KrV B 47.
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schauung enthält die Zeit verschiedene Zeiten in sich, nicht wie der allgemeine Begriff verschiedene Individua unter sich.65 In der Deduktion B differenziert Kant weiter: Raum und Zeit sind nicht bloß als Formen der sinnlichen Anschauung, sondern als Anschauungen selbst (die ein Mannigfaltiges enthalten) also mit der Bestimmung der Einheit dieses Mannigfaltigen in ihnen a priori vorgestellt (siehe transz. Ästhet.). Also ist selbst schon Einheit der Synthesis des Mannigfaltigen, außer oder in uns, mithin auch eine Verbindung, der alles, was im Raume oder der Zeit bestimmt vorgestellt werden soll, gemäß sein muß, a priori als Bedingung der Synthesis aller Apprehension schon mit (nicht in) diesen Anschauungen zugleich gegeben.66 Die Anmerkung dazu präzisiert, daß die Form der Anschauung bloß Mannigfaltiges, die formale Anschauung aber Einheit der Vorstellung gibt. Diese Einheit hatte ich in der Ästhetik bloß zur Sinnlichkeit gezählt, um nur zu bemerken, daß sie vor allem Begriffe vorgehe, ob sie zwar eine Synthesis, die nicht den Sinnen angehört, durch welche aber alle Begriffe von Raum und Zeit zuerst möglich werden, voraussetzt.67 Die Zeit ist als Anschauung, die ein reines Mannigfaltiges enthält, eine synthetische Einheit. Dies kann sie nur sein durch die kategoriale Synthesis der produktiven Einbildungskraft, denn alle Verbindung [...] [ist] eine Verstandeshandlung [...].68 Der Verstand versinnlicht sich via produktiver Einbildungskraft, indem er das reine Mannigfaltige der Zeit bestimmt, aber – und dies ist die Pointe der doppelten Zeitbestimmung – die Zeit als reine Form der Sinnlichkeit wird dadurch nicht zum Begriff. Die Unabhängigkeit der Zeit bzw. der reinen Sinnlichkeit gegenüber dem Verstand als eigener Stamm der menschlichen Erkenntnis bleibt gewahrt,69 denn durch die Zeit als Form der Anschauung ist ein reines Mannigfaltiges gegeben, daß die Voraussetzung der Synthesis ist.70 Insofern durch die Zeit ein reines Mannigfaltiges gegeben ist, ist sie die Bedingung der Möglichkeit der transzendentalen Synthesis von Verstand und produktiver Einbildungskraft. Insofern die Zeit aber durch die transzendentale Synthesis zur Einheit bestimmt ist, ist sie die Formbestimmtheit, der die empirisch gegebenen Empfindungsdaten a priori unterliegen.71 Weil jede empirisch gegebene Vorstellung a priori Vgl. Kants Erläuterung der Differenz von Begriff und Anschauung am Beispiel des Raums: KrV B 40; vgl. B 136 Anm. 66 KrV B 160f. 67 Ebd.; vgl. B 136 Anm. 68 KrV B 130. 69 Diese Pointe hat Jacobi nicht verstanden und einen Widerspruch in der doppelten Bestimmung der Zeit sehen wollen (Jacobi 1801; 77 ff. ). Hegel verteidigt in Glauben und Wissen Kant gegen Jacobi – allerdings nicht um dieser Pointe willen. Das Vortreffliche der Ausführungen Kants sieht er darin, daß der Verstand als transcendentale Synthesis der Einbildungskraft selbst die Einheit des Raums und der Zeit ist, und diese selbst erst möglich macht [...]. GuW 364. 70 Die Zeit als ›Form der Anschauung‹ ist [...] die ursprüngliche Gegebenheitsweise des Mannigfaltigen, die aus den Kategorien nicht ableitbar ist, aber in den Bestimmungen der Zeit als des Anschauungsgegenstandes immer mitvorgestellt wird. K. Düsing (1980), 9. 71 Vgl. KrV A 99: Jede Anschauung enthält ein Mannigfaltiges in sich, welches doch nicht als ein solches vorgestellt werden würde, wenn das Gemüt nicht die Zeit, in der Folge der Eindrücke 65
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der Zeitform unterliegt, die Zeit als Form des Nacheinander empirisch gegebener Vorstellungen aber Resultat der kategorialen Synthesis der Zeit durch Verstand und produktive Einbildungskraft ist, liege diese Synthesis der Zeit a priori jeder bestimmten Anschauung, Wahrnehmung und Erfahrung zugrunde. Folglich steht alle Synthesis, wodurch selbst Wahrnehmung möglich wird, unter den Kategorien, und, da Erfahrung Erkenntnis durch verknüpfte Wahrnehmungen ist, so sind die Kategorien Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung, und gelten also a priori auch von allen Gegenständen der Erfahrung.72 Ist die Zeit als apriorische Formbestimmtheit Resultat der transzendentalen Synthesis von Verstand und produktiver Einbildungskraft, als reine Mannigfaltigkeit aber Bedingung der Möglichkeit dieser Synthesis, dann scheint es zwei verschiedene Arten von Zeit zu geben, nämlich eine Zeit, die Voraussetzung und eine, die Resultat der transzendentalen Synthesis ist. Unter dem Worte Zeit könnt ihr also hier nur eine Zeit vor aller Zeit verstehen [...].73 Jacobis Schluß entspricht zwar nicht dem Geist der Kantischen Theorie, wird aber von deren Wortlaut nahegelegt.74 Wahrnehmung und Erfahrung seien bedingt durch die Regularität der Welt der Erscheinungen. Diese Regularität sei konstituiert durch die Handlung der transzendentalen Synthesis, welche das Zeitmannigfaltige den Kategorien gemäß bestimme, oder die Kategorien schematisiere. Die Analytik stellt heraus, wovon in der Ästhetik noch abstrahiert ist, daß die Sukzession als apriorische Formbestimmtheit des Nacheinander empirisch gegebener Empfindungsdaten Resultat der Synthesis ist.75 So besteht das Schema der Kategorie Kausalität in der Sukzession des Mannigfaltigen, insofern sie einer Regel unterworfen ist.76 Eine Sukzession des Mannigfaltigen, die keiner Regel unterworfen ist, ist keine. Sukzession als Form des Nacheinander gegebener Empfindungsdaten ist Resultat der Bestimmung der Zeit durch die Kategorie Kausalität, denn Bewegung, als Handlung des Subjekts, (nicht als Bestimmung eines Objekts), folglich die Synthesis des Mannigfaltigen im Raume, wenn wir von diesem abstrahieren und bloß auf die aufeinander unterschiede: denn als in einem Augenblick enthalten, kann jede Vorstellung niemals etwas anderes, als absolute Einheit sein. 72 KrV B 161; B 154. 73 Jacobi (1801), 137. 74 Schon Hegel hat in seiner bissigen Verteidigung Kants gegen Jacobi darauf verwiesen. Jacobi’s Instinct gegen das vernünftige Erkennen hat sich gerade an den Punct der Kantischen Philosophie geheftet, wo sie speculativ ist, und die an sich nicht klare, sondern durch die vom reflectirenden Denken sich angeeignete, dadurch für die philosophische Vernunft unbrauchbar gewordene Terminologie einer vergangenen Bildung gehinderte, und sich von der speculativen Seite ins Product verlierende Darstellung Kants benutzt, um mit desto leichterer Mühe sie zu galimathisiren, und durch und für die unspeculative Reflexion zum Unsinn zu machen [...]. GuW 363f. 75 Vgl. KrV B 182, wo Kant formuliert, daß die Zahl als Schema der Kategorie Quantität die Einheit der Synthesis des Mannigfaltigen einer gleichartigen Anschauung überhaupt [sei], dadurch, daß ich die Zeit selbst in der Apprehension der Anschauung erzeuge. 76 KrV B 183.
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Handlung achthaben, dadurch wir den inneren Sinn seiner Form gemäß bestimmen, bringt sogar den Begriff der Sukzession zuerst hervor.77 Die Synthesis der Zeit als Erzeugung der Zeitreihe ist abhängig von der Kategorie Kausalität, welche die Zeitordnung bestimmt. Die Bestimmung der Zeitordnung wiederum ist nicht möglich ohne das, was a priori dieser Ordnung unterliegt, das die Zeit Erfüllende, der Zeitinhalt.78 Der Zeitinhalt ist die sensatio realitas phaenomenon,79 die Empfindung. Die Synthesis der Zeit wäre als Synthesis eines reinen Mannigfaltigen Erzeugung der leeren Zeitreihe, in der nichts nacheinander folgt. Erhält man denn z.B. durch Zusammensetzung mehrerer mathematischer Puncte eine Linie? Gar nicht. So wenn die Zeitreihe zusammengesezt wird entsteht auch durch die Zusammensetzung ihrer Momente, die selbst keine Dauer haben keine Zeitdauer. Sonach müste der einzelne Moment eine Dauer haben [...].80 Das, was in der Zeitreihe nacheinander folgt, ist der transzendentalen Ästhetik zufolge das Mannigfaltige empirisch gegebener Empfindungsdaten. Demnach wäre das die Zeit Erfüllende bloß empirisch. Die Synthesis des Zeitinhalts und, weil davon nicht zu trennen, die der Zeitordnung, wären post factum. Die der Kategorie Qualität und die den dynamischen Kategorien entsprechenden Schemata und Grundsätze wären nicht konstitutiv für mögliche Erfahrung, sondern abhängig von dem, was dem empirischen Subjekt aktuell durch seine Sinne gegeben ist. Die Empfindung wäre an die aktuelle Wahrnehmung des empirischen Subjekts gebunden und das subjektive Erlebnis des Empfindens könnte von dem Inhalt des Empfundenen ebensowenig unterschieden werden wie die subjektive Folge der Apprehension von der objektiven Folge der Erscheinungen [...].81 Begriffe und Urteile über Gegenstände der Wahrnehmung könnten keine objektive Geltung beanspruchen. Der Ansicht, jedes Subjekt lebe in seiner eigenen Welt, nämlich in der Welt seiner Bewußtseinszustände, wäre argumentativ nicht beizukommen. Kants transzendentaler Begriff der Erscheinung respektive Vorstellung wäre ungeachtet der transzendentalen Ästhetik von dem psychologischen Begriff der Vorstellung nicht wesentlich unterschieden. Die Ästhetik behauptet zwar, daß der Empfindung auf seiten des Subjekts eine Materie auf seiten der Erscheinung korrespondiert. Da diese aber a posteriori gegeben ist, taugt sie nicht als Unterscheidungsgrund zwischen Empfindung als Zustand des Subjekts und Empfindungsgegebenheit als deren objektivem Korrelat. So bezeichnet Kant im selben Absatz einmal das Korrelat der Empfindung, die a posteriori gegebene Materie der Erscheinung, dann die Empfindung selbst als dasjenige, was in den apriorischen Formen der Anschauung gegeben ist und in diesen allein einer Ordnung unterliegen kann.82 Der Transzendentalphilosophie droht somit der Rückfall in den Empirismus und subjektiven Idealismus. 77 78 79 80 81 82
KrV B 154f. Vgl. KrV B 184f. KrV B 186. Fichte, Mph 210. KrV B 238. Vgl. KrV B 34.
A. Transzendentales und empirisches Ich
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Transzendentalphilosophisch muß unterschieden werden zwischen Erscheinung respektive Vorstellung als möglicher Gegenstand der äußeren Wahrnehmung und Erscheinung respektive Vorstellung als Modifikation des Gemüts, denn an der Möglichkeit dieser Unterscheidung hängt die des transzendentalen, nicht-psychologischen Begriffs der Erscheinung. Soll es möglich sein, Erscheinungen als Gegenstände äußerer Wahrnehmung zu unterscheiden von Erscheinungen als bloßen Modifikationen des Gemüts, muß es eine transzendentale Bedingung geben, die ein Gegenstand erfüllen muß, damit er in der Sinnlichkeit gegeben sein kann. Diese Bedingung betrifft also nicht das Dasein (Wirklichkeit, Existenz) des Gegenstandes, sondern diejenige Eigenschaft, die für sein Gegenstandsein konstitutiv ist.83 Eine solche transzendentale Bedingung kann es nur geben, wenn die Materie als Korrelat der Empfindung nicht von der aktuellen Wahrnehmung des empirischen Subjektes abhängig ist; sie darf nicht a posteriori und damit zufällig, sondern muß a priori und damit notwendig allgemein sein. Kant trennt deshalb die Sinnlichkeit als apriorische Bedingung jeder Erkenntnis von der in Gestalt der Sinne der Subjekte empirisch faßbaren Rezeptivität. Die Materie der Erscheinung, die Kant in den Antizipationen der Wahrnehmung das Reale der Empfindung84 nennt, ist als Korrelat der Empfindung selbst allgemein bestimmt, und als allgemein bestimmte Materie das Korrelat einer Empfindung überhaupt. Da [...] an den Erscheinungen etwas ist, was niemals a priori erkannt wird, und welches daher auch den eigentlichen Unterschied des Empirischen von dem Erkenntnis a priori ausmacht, nämlich die Empfindung (als Materie der Wahrnehmung), so folgt, daß diese es eigentlich sei, was gar nicht antizipiert werden kann. [...] Gesetzt aber, es finde sich doch etwas, was sich an jeder Empfindung, als Empfindung überhaupt, (ohne daß eine besondere gegeben sein mag,) a priori erkennen läßt; so würde dieses im ausnehmenden Verstande Antizipation genannt zu werden verdienen, weil es befremdlich scheint, der Erfahrung in demjenigen vorzugreifen, was gerade die Materie derselben angeht, die man nur aus ihr schöpfen kann. Und so verhält es sich hier wirklich. [...] Was nun in der empirischen Anschauung der Empfindung korrespondiert, ist Realität (realitas phaenomenon); [...] Nun ist aber jede Empfindung einer Verringerung fähig, so daß sie abnehmen, und so allmählich verschwinden kann. Daher ist zwischen Realität in der Erscheinung und Negation ein kontinuierlicher Zusammenhang vieler möglichen Zwischenempfindungen, deren Unterschied voneinander immer kleiner ist, als der Unterschied zwischen der gegebenen und dem Zero, oder der gänzlichen Negation. Das ist: das Reale in der Erscheinung hat jederzeit eine Größe, welche aber nicht in der Apprehension angetroffen wird, indem diese vermittelst der bloßen Empfindung in einem Augenblicke und nicht durch sukzessive Synthesis vieler Empfindungen geschieht, und also nicht von den Teilen zum Ganzen geht; es hat also zwar eine Größe, aber keine extensive.85 Bedingung der Möglichkeit 83 84 85
Vgl. Heidegger (1962), 164ff. KrV B 207. KrV B 208ff.
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I. KANT
einer jeden empirisch bestimmten räumlichen Anschauung ist, daß das räumlich Angeschaute überhaupt eine extensive Größe hat; Bedingung der Möglichkeit einer jeden Wahrnehmung ist, daß das Wahrgenommene überhaupt eine intensive Größe hat.86 Jeder empirischen Anschauung und Wahrnehmung liegt die transzendentale Synthesis der reinen produktiven Einbildungskraft gemäß den Kategorien der Quantität und Qualität zugrunde. Alle Erscheinungen überhaupt sind demnach kontinuierliche Größen, sowohl ihrer Anschauung nach, als extensive, oder der bloßen Wahrnehmung (Empfindung und mithin Realität) nach, als intensive Größen.87 Ist das Reale in der Erscheinung intensive Größe, ist es mathematisch bestimmbar und meßbar. Die Gegenständlichkeit von Erscheinungen, dasjenige an ihnen, was sie allererst zu Gegenständen der äußeren Wahrnehmung macht, ist seiner allgemeinen Form nach transzendental konstituiert. Erst durch die Abstraktion von der aktuellen Empfindung als dem eigentlich Empirischen in der Erscheinung kann die Erscheinung als empirischer Gegenstand von der Erscheinung als bloßer Modifikation des Gemüts unterschieden werden. Damit gilt für den Gegenstand überhaupt = X, dem formellen Korrelat der transzendentalen Einheit der Apperzeption, daß er extensive und intensive Größe ist. Kant entschärft den Dualismus von apriorischen Anschauungsformen und empirisch gegebenem Mannigfaltigen, indem er die Indifferenz des Ich im Ich denke als Einheit formell-allgemeiner, transzendentaler Bestimmungen und empirischer Bestimmungen nach der Seite der formellen Allgemeinheit auflöst. Indem er dem Korrelat der Empfindung in der Erscheinung eine Größe zuschreibt, gewinnt Kant den transzendentalen Begriff der Empfindung, der von dem aktuellen Ereignis des Empfindens unabhängig und damit auch von psychologischen Konnotationen frei ist. Zwischen jeder Empfindung von etwas und dem Nicht-Empfinden gibt es eine unendliche Skala von Abstufungen, die selbst nicht Gegenstand unmittelbarer Wahrnehmung sein kann, weil den Sinnen empirischer Subjekte eine Reizschwelle zukommt,88 unterhalb welcher zwar die objektive Ursache des Reizes, nicht aber die Empfindung als deren subjektive Auswirkung anzutreffen ist. Das berührt den Begriff der Sinnlichkeit und den der Erscheinung respektive des empirischen Gegenstandes. Es berührt den Begriff der Sinnlichkeit, insofern diese entgegen der transzendentalen Ästhetik nicht mit Rezeptivität gleichzusetzen ist.89 KrV B 202: Alle Anschauungen sind extensive Größen. KrV B 207: In allen Erscheinungen hat das Reale, was ein Gegenstand der Empfindung ist, intensive Größe, d. i. einen Grad. 87 KrV B 212. Gegen Kants nicht immer deutliche Ausdrucksweise – vgl. etwa die unterschiedliche Formulierung des Grundsatzes der Antizipationen der Wahrnehmung in der A- und B-Auflage – hebt Delekat zu Recht hervor: Es ist wichtig zu bemerken, daß Kant in der Formulierung des Grundsatzes nicht vom Grad der Empfindung, sondern vom Grad des Realen, was Gegenstand der Empfindung ist, redet. Es handelt sich also nicht darum, unter welchen Umständen und bei welchem Stärkegrad unterbewußte Sinneseindrücke (Leibniz: perceptions petites) bewußt werden. (1963), 127. Zum Begriff der intensiven Größe vgl. auch Böhme (1986). 88 Vgl. KrV B 214. 89 Vgl. Maier (1930), 57: In der Empfindungsfunktion vollzieht sich also eine kategoriale Syn86
A. Transzendentales und empirisches Ich
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Galt bislang, daß dasjenige an der Erscheinung, was eigentlich und bloß empirisch ist, nämlich die Empfindung angeht,90 empirisch, das heißt qua Affektion des Gemüts gegeben ist, so kann davon aufgrund der Unabhängigkeit des Realen in der Erscheinung von dem sensorischen Apparat des empirischen Subjekts keine Rede mehr sein. Durch die Trennung des Realen in der Erscheinung von der Reizschwelle der Sinne wird die Affektion des Gemüts und mit dieser das in sich widersprüchliche Theorem eines kausalen Bezugs von Dingen an sich auf das Gemüt obsolet. Die Rede von empirisch, qua Affektion gegebenen Sinnesdaten macht transzendentalphilosophisch keinen Sinn und ist dessen in den Antizipationen der Wahrnehmung überführt.91 Transzendentalphilosophie fragt nicht nach der Herkunft des Gegebenen, sondern nach den Bedingungen a priori, unter denen etwas für das Ich ist. Die Frage: [W]oher denn der Stoff, der in diese [apriorischen] Formen aufgenommen wird?,92 ist sinnlos, denn sie könnte nur unter Abstraktion von den subjektiven Formen, ohne die nichts für das Ich gegeben ist, also nur unter Abstraktion vom Ich selbst beantwortet werden.93 Kant thesis. Das bedeutet, daß die Empfindung keineswegs für Kant – trotz der Darlegungen der transzendentalen Ästhetik und anderer gelegentlicher Äußerungen in diesem Sinn – ein rein passives Affiziertwerden bedeutet. Vielmehr liegen auch in ihr apriorische Momente. Wir nehmen in der empirischen Anschauung nicht einfach fertig bereitliegende qualitativ-intensive Inhalte in unseren apriorischen Anschauungsformen auf, sondern wir formen bereits im eigentlichen Empfinden, im Aneignen der apprehensiven Momente [...]. – Auch Heidegger (1962) betont zu Recht Kants neuartige Einsicht in das transzendentale Wesen der Empfindung [...] (170). Damit [mit den Antizipationen der Wahrnehmung] gewinnt [!] Kant eine andersgeartete Grundstellung in der Frage nach der Empfindung und ihrer Funktion in der Erscheinung der Dinge. Empfindung ist nicht ein Ding, dafür Ursachen gesucht werden, sondern ein Gegebenes, dessen Gegebenheit aus den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung verständlich zu machen ist. (169). – Dagegen nimmt Jacobs (1967; 84) Kants Bestimmung der Sinnlichkeit den transzendentalphilosophischen Gehalt: In der theoretischen Philosophie Kants steht das Gegebene dem Ich unvermittelt gegenüber. Die Empfindung wird angeschaut, sagt Kant; wie es aber überhaupt zu einer Empfindung kommt, erklärt er durch Affektion der Sinnlichkeit. Diese Erklärung hilft aber nicht weiter; denn Affektion als Kausalität zu verstehen verbietet sich, weil Kausalität nur von Erscheinungen, nicht aber vom Verhältnis Noumenon-Phänomenon ausgesagt werden kann. 90 KrV B 217. 91 Baumanns (1981; 73) verfehlt diese Pointe der Schematismus-Lehre, die er nicht interpretiert, sondern paraphrasiert: Die Schematismuslehre will die Frage der Anwendbarkeit logischer Bestimmungen auf die heterogenen sinnlichen Daten beantworten, das ursprünglichere Problem hingegen betrifft die Möglichkeit von Daten überhaupt. 92 Fichte, EE 202 [443]. 93 Nach einer Realität zu fragen, die bleiben soll, nachdem von aller Vernunft abstrahirt worden, ist widersprechend; denn der Fragende selbst hat doch wohl Vernunft, fragt, getrieben durch einen Vernunftgrund, und will eine vernünftige Antwort; er hat mithin von der Vernunft nicht abstrahiret. Wir können aus dem Umkreise unserer Vernunft nicht herausgehen; gegen die Sache selbst ist gesorgt, die Philosophie will nur das erreichen, daß wir mit darum wissen, und nicht wähnen sollen, herausgegangen zu seyn, wenn wir doch, wie sich versteht, noch immer darinn befangen sind. Fichte, NR 348 [40].
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erweist damit den zu Beginn seiner Argumentation vorausgesetzten und durch die transzendentale Ästhetik nicht wesentlich modifizierten Datensensualismus des Bewußtseins als haltlos. Das Reale der Erscheinung ist seiner allgemeinen Form nach transzendental konstituiert, es bedeutet nichts als die Synthesis in einem empirischen Bewußtsein überhaupt.94 Das empirische Bewußtsein überhaupt ist kein empirisches Bewußtsein, sondern das dieses ermöglichende transzendentale Bewußtsein der Einheit der Handlung der Synthesis eines gegebenen Mannigfaltigen. Dieses transzendentale Bewußtsein ist rein intellektuell bestimmt und deshalb für einen durch empirische Affektion gegebenen Stoff gänzlich unempfänglich. Fichte hat diese Einsicht, die der Sache nach im Schematismus-Abschnitt und in den Antizipationen der Wahrnehmung erreicht, von Kant aber nicht explizit als solche dargestellt ist, gegen Kant ausgesprochen. Der Dogm[atiker]. sagt: das Object wird gegeben, oder wenn er den CRITIZISMUS mit dem DOGMATISMUS verbinden will, so sagt er, der Stoff wird gegeben, aber dieß erklärt nichts, es ist ein bloßes leeres Wort anstatt des Begriffs.95 [G]egebensein des Stoffs für das ganze Ich ist Unsinn. Dem Ich kann nichts gegeben werden, es hat kein Glied, an welches das Gegebene angeknüpft werden könnte.96 Daß Kant auch weiterhin von Sinnesdaten und einem Stoff der Anschauung spricht,97 zeigt, daß er nicht die Konsequenz aus dem erreichten Stand der Argumentation zieht und den Datensensualismus ausdrücklich verabschiedet. So hält sich der transzendentale Idealismus scheinbar in der Mitte zwischen den Extremen eines Sinnesdaten-Idealismus à la Locke und eines Produktions-Idealismus à la Fichte,98 ohne daß er als die Vermittlung dieser Extreme begründet wäre. KrV B 217. WLnmK 362. 96 WLnmK 389; vgl. VPS 255f. Anm. [444f. Anm.]: Die Kantische Kritik hebt an mit dem Ich, als bloßem Subject; daher die Vorstellung von der Apriorität leerer Begriffe, die die Kantianer so lächerlich gemißdeutet haben. Nun bezieht ein Subject sich immer auf ein Object, und hängt, in der dunkeln Vorstellung wenigstens, unzertrennlich an ihm: also nimmt man vorläufig [!], mit guter Bewilligung Kants, das auf dem Gesichtspunkte des gemeinen Menschenverstandes liegende Object außer dem Ich mit in die Kritik hinein. Erst in der Mitte, in der Lehre vom Schematismus der Einbildungskraft, wird das Ich selbst auch zum Objecte. Aber wohin nun mit dem Dinge an sich, mit dem man sich einmal beladen hat? Hierauf gründet sich alles Mißverständniß der Kantischen Schriften, welche man außerdem geradezu gar nicht verstanden haben würde. Daher die Klage des vortrefflichen Jacobi, dessen Rüge über unrichtige Behandlung des kritischen Idealismus wenig beachtet worden, daß Er ohne Voraussetzung von Dingen an sich nicht in die Kritik hinein kommen, und mit dieser Voraussetzung nicht in derselben bleiben könne. Allerdings liegt die Stelle, wo man mit gutem Fug dieser Geräthschaft los werden kann, in der Mitte der Kritik. Die Wissenschaftslehre läßt gar nicht ein, wenn man nicht diese Bürde schon vor der Thüre abgelegt hat; darum wird sie wenig mißverstanden, gewöhnlich aber gar nicht verstanden werden. 97 Vgl. KrV B 355: Alle unsere Erkenntnis hebt von den Sinnen an, geht von da zum Verstande und endigt bei der Vernunft, über welche nichts Höheres in uns angetroffen wird, den Stoff der Anschauung zu bearbeiten und unter die höchste Einheit des Denkens zu bringen. 98 So sieht es in der Regel auch die Kant-Literatur. So meint Blasche (1988), 101: Da alles 94 95
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Der Stoff der Anschauung oder Empfindung, von dem die Rede ist, ist wesentlich negativ bestimmt. Als das aller empirischen Anschauung oder Empfindung zugrunde Liegende ist er selbst weder Anschauung noch Empfindung, mithin ist er auch nicht empirisch gegeben.99 Sein Begriff ist der eines gegebenen Mannigfaltigen, das unabhängig von der kategorialen Synthesis als an sich unbestimmt zu denken ist, weil und insofern jedwede Bestimmtheit in dieser Synthesis gründet. Dieses Mannigfaltige ist von dem Mannigfaltigen der Zeit, das als reines Mannigfaltiges ebenfalls an sich unbestimmt ist, nicht zu unterscheiden. Aus der Synthesis eines an sich unbestimmten, in sich nicht unterschiedenen Mannigfaltigen folgt aber nichts außer dieser Synthesis selbst. Das durch diese Konstituierte ist deshalb nur tautologisch zu bestimmen: [D]as Reale, was den Empfindungen überhaupt korrespondiert, im Gegensatz mit der Negation = 0, stellt nur etwas vor, dessen Begriff an sich ein Sein enthält, und bedeutet nichts als die Synthesis in einem empirischen Bewußtsein überhaupt.100 empirisch-empfindungsmäßig Gegebene sowieso in Raum und Zeit gegeben ist, und alles räumlich Gegebene auch in der Zeit gegeben ist, also im inneren Sinn, muß sich das Denken lediglich auf die reine Zeitmannigfaltigkeit des inneren Sinnes beziehen, um einen Bezug zum empirischempfindungsmäßig Gegebenen und damit zur Wirklichkeit herzustellen. – Metz (1991) kontrastiert die Selbstaffektion als Affektion von innen der empirischen als Affektion von außen (60). Das Kantisch gedachte transzendentale Bewußtsein sei deshalb als zugleich offenes und geschlossenes Bewußtsein zu charakterisieren. Mit den Begriffen ›Geschlossenheit‹ und ›Offenheit‹ läßt sich Kants höhere Synthesis von Rationalismus und Empirismus sehr schön verdeutlichen. In der Leibnizischen Philosophie z. B. ist das Bewußtsein ein geschlossenes System, denn sogar alle ›Monades n’ont point de fenêtres‹ (Monadologie, §7). Im Empirismus aber ist das Bewußtsein für die äußeren impressions geöffnet. Das Bewußtsein in der Kantischen Konzeption ist jedoch geschlossen und offen zugleich. (62 Anm.). Der Einheitspunkt der Synthesis von Geschlossenheit und Offenheit, Apriorischem und Aposteriorischem, Spontaneität und Rezeptivität, sei das transzendentale Subjekt selbst (62f.). 99 Maiers (1930) Darstellung der Kantischen Position ist wohlmeinend, verschweigt aber im Unterschied zu rein affirmativen Interpretationen nicht deren Inkonsistenz, wenn sie das empirisch Gegebene aporetisch faßt als die empirisch gegebene, an sich unbekannte Materie (57) oder als ein unfaßbares irrationales Etwas (63). Die Apprehensionsform der Qualität ist – im Sinn Kants – der subjektive und formale Grund, durch Sinneseindrücke qualitative Vorstellungen zu erhalten. Sie ist gewissermaßen die logisch erste Formungsfunktion, mit der wir an das Gegebene herangehen, oder umgekehrt, das letzte apriorische Element in der gegenständlichen Erkenntnis, auf das wir bei der logischen Analyse stoßen. Es ist darum begreiflich, daß Kant gerade die qualitativen Momente in den Erscheinungen mit ihrer Materie gleichsetzt, um so mehr als wir keine Möglichkeit haben, das transzendente Element unserer gegenständlichen Erfahrung als solches zu isolieren und irgendwie, anschaulich oder begrifflich, zu beschreiben. Aber die Materie der Erfahrung ist doch im Grunde für Kant nicht identisch mit dem Quale, sie ist nur zunächst im Quale gegeben. Als eigentlich empirisch gegebener Kern der Erscheinungen bleibt nur ein unfaßbares irrationales Etwas übrig, das wir in seinem eigentlichen Charakter nicht begreifen können, eben weil es uns nur in unseren subjektiven Anschauungsund Denkformen zugänglich ist. 100 KrV B 217.
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Der transzendentale Begriff der Empfindung verändert entscheidend den der Erscheinung oder des empirischen Gegenstandes. Kant unterscheidet bekanntlich zwischen Realität (Sachheit) und Dasein. Jene gehöre zum Wesen einer Sache, dieses dagegen nicht. Sein ist offenbar kein reales Prädikat [...].101 Aus dem Begriff eines Dinges ist deshalb nicht das Dasein dieses Dinges zu beweisen. Die Existenz eines Dings kann nicht begrifflich, sondern nur auf dem Wege der Wahrnehmung eruiert werden. In dem bloßen Begriffe eines Dinges kann gar kein Charakter seines Daseins angetroffen werden. [...] [D]as Dasein [hat] nur mit der Frage [zu tun]: ob ein solches Ding uns gegeben sei, so, daß die Wahrnehmung desselben vor dem Begriffe allenfalls vorhergehen könne. Denn, daß der Begriff vor der Wahrnehmung vorhergeht, bedeutet dessen bloße Möglichkeit; die Wahrnehmung aber, die den Stoff zum Begriff hergibt, ist der einzige Charakter der Wirklichkeit.102 Doch die unter dem Titel der Kategorie Qualität erfolgte Trennung des Realen in der Erscheinung von der Reizschwelle der Sinne hat Konsequenzen für die Modalitätskategorie Dasein. Liegt zwischen jeder Empfindung von etwas und dem Nicht-Empfinden eine unendliche Skala von Abstufungen, die selbst nicht Gegenstand unmittelbarer Wahrnehmung sein kann, weil den Sinnen empirischer Subjekte eine Reizschwelle zukommt, unterhalb welcher zwar die objektive Ursache des Reizes, nicht aber die Empfindung als deren subjektive Auswirkung anzutreffen ist, dann kann sinnliche Wahrnehmung nicht der einzige Charakter der Wirklichkeit von etwas sein. Kant hat dies gesehen und durch die Unterscheidung von unmittelbarer und vermittelter Wahrnehmung Abhilfe schaffen wollen. Man kann aber auch vor der Wahrnehmung des Dinges, und also komparative a priori das Dasein desselben erkennen, wenn es nur mit einigen Wahrnehmungen, nach den Grundsätzen der empirischen Verknüpfung derselben (den Analogien), zusammenhängt. Denn alsdann hängt doch das Dasein des Dinges mit unseren Wahrnehmungen in einer möglicher Erfahrung zusammen, und wir können nach dem Leitfaden jener Analogien, von unserer wirklichen Wahrnehmung zu dem Dinge in der Reihe möglicher Wahrnehmungen gelangen. So erkennen wir das Dasein einer alle Körper durchdringenden magnetischen Materie aus der Wahrnehmung des gezogenen Eisenfeiligs, obzwar eine unmittelbare Wahrnehmung dieses Stoffs uns nach der Beschaffenheit unserer Organe unmöglich ist. Denn überhaupt würden wir, nach Gesetzen der Sinnlichkeit und dem Kontext unserer Wahrnehmungen, in einer Erfahrung auch auf die unmittelbare empirische Anschauung derselben stoßen, wenn unsere Sinne feiner wären, deren Grobheit die Form möglicher Erfahrung überhaupt nichts angeht. Wo also Wahrnehmung und deren Anhang nach empirischen Gesetzen hinreicht, dahin reicht auch unsere Erkenntnis vom Dasein der Dinge. Fangen wir nicht von Erfahrung an, oder gehen wir nicht nach Gesetzen des empirischen Zusammenhanges der Erscheinungen fort, so machen wir uns vergeblich Staat, das Dasein irgendeines Dinges erraten oder erforschen zu wollen.103 101 102 103
KrV B 626. KrV B 272f. KrV B 273f.
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Das Dasein des Magnetismus kann nach Kant erkannt werden, obwohl dieser kein Ding ist, das unmittelbar wahrgenommen werden kann. Unmittelbar wahrgenommen werden können nur die Wirkungen, nicht aber der Magnetismus als deren Ursache. Bedeutet der Begriff der Ursache eine besondere Art der Synthesis der Wahrnehmungen, da auf etwas A was ganz verschiedenes B nach einer Regel gesetzt wird [...],104 auf eine Wahrnehmung A eine Wahrnehmung B nach einer allgemeinen Regel folgt, dann kann der Magnetismus nicht unter den Begriff der Ursache fallen, es sei denn, die Restriktion des Grundsatzes der Kausalität auf Gegenstände möglicher Wahrnehmung würde fallengelassen. Dann könnte zwar auch etwas Ursache sein, was selbst kein Gegenstand der Wahrnehmung ist, der Begriff dieses Etwas wäre dann aber in Kants Terminologie eine Idee, und zwar eine Idee, der ein Gegenstand außer uns korrespondiert, wenn auch kein Gegenstand der sinnlichen Wahrnehmung.105 Dieser Gegenstand wäre nicht einfach vorzeigbar, sondern er wäre erschlossen als Existenz- und Bestimmungsgrund der wahrnehmbaren Wirkungen. Doch Kant zieht diese Konsequenz, die seine Bestimmung, Begriffe des Verstandes hätten im Unterschied zu solchen der Vernunft ein Korrelat in der sinnlichen Anschauung,106 nahelegt, nicht. Statt dessen verweist er auf unsere Sinne, deren Grobheit die Form möglicher Erfahrung überhaupt nichts angeht. Das Argument ist irreführend, denn es suggeriert, weniger grobe Sinne ließen jeden Gegenstand möglicher Erkenntnis unmittelbar wahrnehmen. Ist sinnliche Wahrnehmung an Sinnesorgane gebunden, dann ist sie von deren Reizschwelle abhängig. Die Rede von der Reizschwelle, diese sei so niedrig oder hoch wie immer, impliziert bereits die Selbständigkeit der Wirkung eines Gegenstandes gegenüber der subjektiven Wahrnehmung dieser Wirkung. Das Argument ist aber auch unter Absehung von dem darin enthaltenen Hinweis auf die Grobheit unserer Sinne
KrV B 122. Kant zufolge kommt den Ideen in der Wissenschaft nur regulative Geltung zu. Im Unterschied zu den Urteilen des Verstandes, die sie zur Einheit organisieren, korrespondiere ihnen kein Gegenstand in der Anschauung, also überhaupt kein Gegenstand. Dagegen zeigt die Entwicklung der Naturwissenschaften, daß zunächst nur regulative Ideen für die Entwicklung der Wissenschaft konstitutiv werden können. So wurden die Begriffe Element und Atom zunächst auf die chaotische Mannigfaltigkeit der Beziehungen der Gegenstandsklassen (in der Chemie = der reinen Substanzen) projiziert und die Eigenschaften der Elemente: Ordnungszahl, Atomgewicht, Wertigkeit etc. so bestimmt, daß die Mannigfaltigkeit der Beziehungen der Gegenstandsklassen zur systematischen Einheit zu organisieren war. Über die Organisierung des schon objektivierten empirischen Materials hinaus erlaubten diese Projektionen die systematische Erforschung bis dahin nicht erschlossener Gegenstandsbereiche [...], die, wie z.B. die Konstitutionsanalyse und die Synthese isomerer Verbindungen in der organischen Chemie, ohne den Atombegriff nicht vorstellbar sind [...]. Bulthaup (1973), 73 f. Vgl. ferner Ruschig (1997; 298 ff.), der ebenfalls am Modell der Geschichte und Funktion des Atombegriffs in der Chemie und im Hinblick auf Hegels Polemik gegen die zeitgenössische Atomtheorie darlegt, wie regulative Vernunftoder Ordnungsbegriffe zu konstitutiven Vernunftbegriffen werden können. 106 Vgl. etwa KrV B 383. 104 105
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problematisch, denn es besagt dann, die Form möglicher Erfahrung habe mit den Sinnen überhaupt nichts zu tun. Dies stünde im Widerspruch zu Kants eigener Theorie, nach welcher die apriorische Form angewiesen ist auf ein empirisch, und das heißt qua Affektion gegebenes Material. Die reinen Verstandesbegriffe sind nur insofern durch die Sinnlichkeit restringiert, insofern diese nicht nur apriorische Form, sondern Form eines empirisch Gegebenen ist. Entweder bedeutet nun die Rede vom empirischen Kategoriengebrauch die Einschränkung der Anwendung der Kategorien auf Gegenstände möglicher Wahrnehmung, dann ist der Magnetismus kein Gegenstand solcher Anwendung, oder aber ihre Anwendung geht darüber hinaus, dann ist der Magnetismus zwar Gegenstand ihrer Anwendung, aber kein Gegenstand, der empirisch in der Sinnlichkeit gegeben ist. Sein Dasein würde dann nicht passiv durch die rezeptive Sinnlichkeit vernommen, sondern wäre aktiv durch Denken erschlossen.
3. Subjekt der Erkenntnis und innere Erfahrung Die transzendentale Einheit der Apperzeption, das Ich denke, das nach Kant alle meine Vorstellungen begleiten können muß,107 bezeichnet die formale Allgemeinheit des Denkens. Denken können aber nur einzelne, empirisch daseiende Subjekte, nicht der abstrakte, für sich leere Begriff des Selbstbewußtseins. Nur empirische Subjekte finden in ihrem Bewußtsein Vorstellungen vor. Doch wenn empirische Subjekte notwendige und allgemeine Urteile fällen, sind sie Funktionen der transzendentalen Einheit der Apperzeption. Sie unterscheiden sich im Hinblick auf dieselben Gegenstände weder durch die Erkenntnis, die notwendig für alle Subjekte gilt, noch durch die notwendige Einheit ihres Bewußtseins, das Ich denke. Als Erkennende sind die empirischen Subjekte vor der transzendentalen Einheit der Apperzeption austauschbar. Vom Resultat gelungener Erkenntnis betrachtet ist die Bestimmung des empirischen Subjekts als Funktionsorgan der transzendentalen Einheit der Apperzeption und, damit einhergehend, die Identifizierung der Einheit des empirischen Bewußtseins mit der transzendentalen Einheit der Apperzeption kein Problem. Niemand kann den allgemein und notwendig geltenden Sätzen der Wissenschaften seine Anerkennung versagen, ohne sich selbst als Mensch ohne Sinn und Verstand zu erweisen und sich damit aus der Gemeinschaft Welt tragender, Sinn konstituierender Menschen auszuschließen.108 Das Ich im Ich denke ist demnach der Indifferenzpunkt von logisch bestimmter Allgemeinheit und empirisch gegebener Einzelheit, und der Versuch, die Indifferenz nach einer der beiden Seiten aufzulösen, kann jeweils durch eine apagogische Beweisführung zurückgewiesen werden. Die Auflösung der Indifferenz nach der Seite der Allgemeinheit würde das Ich auf den Aktus der Spontanei107 108
KrV B 131f. Luhmann (1971), 233.
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tät109 reduzieren, auf das für sich leere Ich denke, das als leere Einheit nichts denkt.110 Die Auflösung nach der Seite der empirisch gegebenen Einzelheit bedeutete einen Rückfall in den Empirismus. Die Möglichkeit von objektiven Erfahrungsurteilen, denen jedes empirische Subjekt zustimmen muß, könnte nicht begründet werden. Auch bliebe das nicht zu leugnende Faktum des Selbstbewußtseins empirischer Subjekte ein theoretisches Rätsel. So charakterisiert, ist die Einheit von logischen und empirischen Bedingungen der Erkenntnis im erkennenden Subjekt zumindest plausibel. Nähere Betrachtung zeigt aber, daß ihre Begründung durch Kant auf Widersprüche führt. Kant will gegen den Empirismus die Möglichkeit von allgemein und notwendig geltenden Erfahrungsurteilen begründen. Dazu will er zeigen, daß subjektive Bedingungen des Denkens, die Kategorien, objektive Gültigkeit haben, d.i. Bedingungen der Möglichkeit aller Erkenntnis der Gegenstände abgeben.111 Nur in bezug auf dieses Beweisprogramm insbesondere der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe sind das empirische Bewußtsein und seine Einheit für Kant von theoretischem Interesse. Insofern das empirische Bewußtsein in seiner Erkenntnisfunktion aufgeht, sei seine Einheit mit der transzendentalen Einheit der Apperzeption identisch, insofern es nicht auf die Funktion der Erkenntnis restringiert sei, sei seine Einheit selbst bloß empirisch. Kant unterscheidet in bezug auf das nicht auf die Funktion der Erkenntnis restringierte empirische Bewußtsein nicht zwischen der Einheit des empirischen Bewußtsein und der empirischen Einheit des Bewußtseins. Er identifiziert stillschweigend beides und meint, auf die positive Bestimmung der Einheit des empirischen Bewußtseins unabhängig von seiner Erkenntnisfunktion weitgehend verzichten zu können. Die Einheit des empirischen Bewußtseins als solchen ist daher wesentlich negativ bestimmt – als gegenüber der transzendentalen Einheit der Apperzeption defizient. Jene Einheit ist objektiv und notwendig, diese subjektiv und zufällig. Die transzendentale Einheit der Apperzeption ist diejenige, durch welche alles in einer Anschauung gegebene Mannigfaltige in einen Begriff vom Objekt vereinigt wird. Sie heißt darum objektiv, und muß von der subjektiven Einheit des Bewußtseins unterschieden werden, die eine Bestimmung des inneren Sinnes ist, dadurch jenes Mannigfaltige der Anschauung zu einer solchen Verbindung empirisch gegeben wird. Ob ich mir des Mannigfaltigen als zugleich, oder nacheinander, empirisch bewußt sein könne, kommt auf Umstände, oder empirische Bedingungen, an. Daher die empirische Einheit des Bewußtseins, durch Assoziation der Vorstellungen, selbst eine Erscheinung betrifft, und ganz zufällig ist. Dagegen steht die reine Form der Anschauung in der Zeit, bloß als Anschauung überhaupt, die ein gegebenes Mannigfaltiges enthält, unter der ursprünglichen Einheit des Bewußtseins, lediglich durch die notKrV B 132. Allein ohne irgendeine empirische Vorstellung, die den Stoff zum Denken abgibt, würde der Aktus, Ich denke, doch nicht stattfinden [...]. KrV B 423 Anm. 111 KrV B 122. 109 110
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wendige Beziehung des Mannigfaltigen der Anschauung zum Einen: Ich denke; also durch die reine Synthesis des Verstandes, welche a priori der empirischen zum Grunde liegt. Jene Einheit ist allein objektiv gültig; die empirische Einheit der Apperzeption, die wir hier nicht erwägen, [...] hat nur subjektive Gültigkeit. [...] [D]ie Einheit des Bewußtseins, in dem, was empirisch ist, ist in Ansehung dessen, was gegeben ist, nicht notwendig und allgemein geltend.112 Kant hat die transzendentale Einheit der Apperzeption als die reine [...] oder auch die ursprüngliche Apperzeption bestimmt, als reines Selbstbewußtsein.113 Das reine Selbstbewußtsein ist das Ich denke, das alle meine Vorstellungen begleiten können muß oder das transzendentale[..] Subjekt der Gedanken [...].114 Die Vorstellung Ich denke ist als reines Selbstbewußtsein ein Aktus der Spontaneität.115 Von dem Ich denke als actus der Spontaneität unterscheidet Kant das Ich denke, das dieser actus hervorbringt.116 Die Bedeutung der Vorstellung Ich denke ist demnach eine doppelte. Als reines Selbstbewußtsein ist das Ich denke der spontane actus, der die Bedingung dafür ist, daß empirische Subjekte sich reflexiv auf ihre Vorstellungen beziehen können. Ohne diesen actus ist die Vorstellung, daß ich etwas, nämlich eine bestimmte Vorstellung denke bzw. in meinem Bewußtsein antreffe, nicht möglich.117 Der spontane actus Ich denke liegt jedem Ich denke, das bestimmte Vorstellungen begleitet, a priori zugrunde. Er ist deshalb von diesem Ich denke zu unterscheiden. Das reine Selbstbewußtsein bestimmt Kant als logisch einfaches Subjekt.118 Logisch einfach ist es, weil es eines ist. Das unterscheidet es von den Vorstellungen, die es prinzipiell begleiten können muß, welche stets eine Mannigfaltigkeit von Teilvorstellungen enthalten.119 Die logische Einfachheit des reinen Selbstbewußtseins bezeichnet die Einheit des Denkens in allem Gedachten: Daß das Ich der Apperzeption, folglich in jedem Denken, ein Singular sei, der nicht in eine Vielheit der Subjekte aufgelöst werden kann [...].120 Die logische Einfachheit des Ich denke allein kann in bezug auf gegebene Vorstellungen die Einheit des Selbstbewußtseins des vorstellenden Subjekts aber nicht gewährleisten. Sie würde im Gegenteil zu einer Vielheit gegeneinander isolierter einzelner Ich denke-Akte führen, das heißt zu einem vielKrV B 139f. (§18). KrV B 132. 114 KrV B 404. 115 KrV B 132. 116 KrV B 132. 117 Vgl. Henrich (1989), 131f. 118 KrV B 407. 119 Kants Verwendung des Ausdrucks Vorstellung ist mehrdeutig. Das empirisch gegebene Sinnesdatum wird von Kant als Vorstellung bezeichnet. Es ist eine einzelne der in der Anschauung gegebenen Vorstellungen. Kant bezeichnet aber auch die Anschauung, die ein Mannigfaltiges von Teilvorstellungen enthält, als Vorstellung. Vgl. Mohr (1989), 183; K. Cramer (1990), 183. 120 KrV B 407. 112 113
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farbigen Selbst.121 Kant zufolge muß sich das Bewußtsein der Einheit des Ich in der Vielheit seiner Vorstellungen dadurch geltend machen, daß es diese Vorstellungen nicht nur als logisch einfaches Ich begleitet, sondern auch untereinander verbindet. Bezeichnet man, anders als Kant, das Begleiten gegebener Vorstellungen als Synthesis, so ist, mit Kant, die Einheit des Selbstbewußtseins empirischer Subjekte abhängig von einer doppelten Synthesis: Der Synthesis des Subjekts des Denkens mit dem gegebenen Mannigfaltigen und der (kategorialen) Synthesis innerhalb dieses Mannigfaltigen. Die Einheit des Selbstbewußtseins empirischer Subjekte ist nur möglich als Einheit der Handlung der Synthesis eines vor und unabhängig von dieser in den Formen der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen. Sie ist nicht als rein analytische Einheit möglich, vielmehr setzt die analytische Einheit die synthetische Einheit, die durchgängige Identität122 voraus. Also nur dadurch, daß ich ein Mannigfaltiges gegebener Vorstellungen in einem Bewußtsein verbinden kann, ist es möglich, daß ich mir die Identität des Bewußtseins in diesen Vorstellungen selbst vorstelle, d. i. die analytische Einheit der Apperzeption ist nur unter der Voraussetzung irgendeiner synthetischen möglich.123 Die analytische Einheit der Apperzeption ist nach Kant die allgemeine Form der analytischen Einheit von gemeinsamen, das heißt durch Umfang und Inhalt bestimmten, also diskursiven Begriffen. Von ›analytischer Einheit‹ spricht Kant immer dann, wenn er die Identität einer Teilvorstellung in verschiedenen Vorstellungen im Blick hat. So ist etwa die Vorstellung ›rot‹ dieselbe in allen verschiedenen Vorstellungen von roten Dingen, und die Vorstellung ›ich denke‹ ist dieselbe in allen verschiedenen Vorstellungen ›ich denke etwas‹. [...] Das Verhältnis der Vorstellung ›ich denke‹ zu den verschiedenen empirischen Bewußtseinszuständen, in denen sie enthalten ist – den Vorstellungen ›ich denke etwas‹ –, stellt gleichsam das Urbild dar für alle Verhältnisse von Begriffen zu den unter sie fallenden Vorstellungen.124 Indem Kant die Einheit des Selbstbewußtseins empirischer Subjekte von der doppelten Synthesis abhängig macht, bindet er sie daran, daß diese Subjekte solche diskursiver Erkenntnis sind und damit Funktionsorgane der transzendentalen Einheit der Apperzeption. Wobei von einem Selbst im strengen Sinne gar nicht die Rede sein könnte. Das Bewußtsein Ich denke als eines von jeweils einzelnen Vorstellungen wäre kein Bewußtsein, denn das Bewußtsein, sich in einem bestimmten Vorstellungszustand zu befinden, setzt das Bewußtsein voraus, sich auch in einem anderen befinden zu können. [E]in Wesen, das immer nur eine Empfindung von ein und derselben Qualität hat, [wäre] ebensowenig ein bewußtes wie eins, das gar nicht empfindet. Pothast (1971; 88) verweist auf Hobbes, wonach immer dasselbe wahrnehmen und nichts wahrnehmen auf eines hinauskomme: Sentire semper idem, et non sentire, ad idem recidunt. (1655; 321). Nach K. Cramer (1986; 53 FN 15) ist es Hobbes’ Überzeugung, daß es den Begriff der ›Vorstellung‹ definiert, etwas zu sein, das sich von anderen Entitäten gleichen Typs unterscheiden lassen können muß. Vgl. ders. (1985; 348). 122 KrV B 135. 123 KrV B 133. 124 Stuhlmann-Laeisz (1976), 83; vgl. Reich (1948), 32-39. 121
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Von der transzendentalen Einheit der Apperzeption als der objektiven Einheit ist die subjektive Einheit des Bewußtseins wesentlich durch ihre Defizienz unterschieden. Gleichwohl findet sich auch eine positive Charakterisierung der subjektiven Einheit. Die transzendentale Einheit der Apperzeption sei die Einheit der Handlung der Synthesis, welche das in einer Anschauung gegebene Mannigfaltige in einen Begriff vom Objekt vereinige. Die subjektive Einheit des Bewußtseins dagegen sei eine Bestimmung des inneren Sinnes, dadurch jenes Mannigfaltige der Anschauung zu einer solchen Verbindung empirisch gegeben wird.125 Daß die subjektive Einheit eine Bestimmung des inneren Sinns ist, versteht sich nicht von selbst, und Kants Verwendung des Terminus innerer Sinn läßt dessen Bedeutung schillern. Kant definiert den inneren Sinn zunächst in Abgrenzung vom äußeren. Vermittelst des äußeren Sinnes, (einer Eigenschaft unseres Gemüts), stellen wir uns Gegenstände als außer uns, und diese insgesamt im Raume vor. Darinnen ist ihre Gestalt, Größe und Verhältnis gegeneinander bestimmt, oder bestimmbar. Der innere Sinn, vermittelst dessen das Gemüt sich selbst, oder seinen inneren Zustand anschaut, gibt zwar keine Anschauung von der Seele selbst, als einem Objekt; allein es ist doch eine bestimmte Form, unter der die Anschauung ihres inneren Zustandes allein möglich ist, so daß alles, was zu den inneren Bestimmungen gehört, in Verhältnissen der Zeit vorgestellt wird.126 Während der äußere Sinn und seine apriorische Form, der Raum, eine notwendige Bedingung dafür ist, daß empirische Subjekte Vorstellungen von Gegenständen der Erfahrung haben können, ist der innere Sinn und seine apriorische Form, die Zeit, eine notwendige Bedingung dafür, daß empirische Subjekte überhaupt Vorstellungen haben können. Der innere Sinn ist demnach ein Inbegriff, darin alle unsere Vorstellungen enthalten sind, [...] und die Form desselben a priori, die Zeit.127 Weil alle Vorstellungen dem inneren Sinn angehören, von dem die apriorische Form der Zeit nicht zu trennen ist, ist alles Vorstellen durch diese Form restringiert. In bezug auf die menschliche Erkenntnisfähigkeit sei durch die Zeit, die selbst kein diskursiver Begriff sei, deren Diskursivität begründet.128 Die apriorische Form des inneren Sinnes schränke als eine notwendige Bedingung der Erkenntnis diese auf das ein, was in dieser Form gegeben sei. In bezug auf das Gemüt, das heißt das denkende und empfindende Subjekt des Bewußtseins,129 sei dagegen der innere Sinn das, vermittelst KrV B 139. KrV B 37. 127 KrV B 194. 128 KrV B 47. 129 Für das Gemüt, das sich selbst anschaut, verwendet Kant auch die Ausdrücke Subjekt (KrV B 68), Wir (B 153), Ich (B 155 ). Der Terminus Gemüt ist in der Kritik der reinen Vernunft nicht ausdrücklich definiert. Vgl. aber Anthr. BA 58 (§22): [D]as Gemüt, welches als bloßes Vermögen zu empfinden und zu denken vorgestellt ist [...]; vgl. Söm. A 83 Anm.: Unter Gemüt versteht man nur das die gegebenen Vorstellungen zusammensetzende und die Einheit der empirischen Apperzeption bewirkende Vermögen (animus) [...]. Demnach wäre das Subjekt der Selbstanschauung das denkende und empfindende Subjekt des Bewußtseins, nicht aber das transzenden125 126
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dessen das Gemüt sich selbst, oder seinen inneren Zustand anschaut.130 Die Formulierung legt es nahe, in dem inneren Sinn ein Vermögen des Gemüts zu sehen, das seiner inneren Selbstanschauung.131 Er wäre demnach identisch mit dem, was Kant innere Wahrnehmung oder innere Erfahrung nennt. Tatsächlich verwendet Kant die Ausdrücke teils synonym, teils unterscheidet er implizit zwischen innerem Sinn und innerer Wahrnehmung.132 In der Formulierung Kants sind beide Bedeutungen ununterschieden enthalten. Der innere Sinn ist eine notwendige Bedingung dafür, daß das Gemüt seinen inneren Zustand wahrnehmen kann, denn als Inbegriff aller Vorstellungen ist er die Bedingung, daß das Gemüt überhaupt Zustände haben kann. So ist der innere Sinn die Bedingung der Möglichkeit innerer Wahrnehmung. Diese Bedeutung konfundiert Kant mit der anderen, wonach der innere Sinn das Vermögen der inneren Wahrnehmung selbst ist – eben das, vermittelst dessen das Gemüt sich selbst, oder seinen inneren Zustand anschaut. Diese Unterscheidung vorausgesetzt, bleibt aufgrund der Ausführungen Kants dennoch unklar, was das Gemüt vermittelst des inneren Sinnes anschaut, was genau der Gegenstand des inneren Sinnes ist.133 Denn nach Kant schaut das Gemüt erstens sich selbst und zweitens seinen inneren Zustand an. Die Anschauung des eigenen inneren Zustands ist als reflexive Beziehung des Subjekts des Bewußtseins auf die in seinem Bewußtsein anzutreffenden Vorstellungen oder Bewußtseinsinhalte zu interpretieren. Der innere Sinn ist das empirische Bewußtsein, also die Sphäre, in der das Subjekt überhaupt Vorstellungen antreffen134 kann, oder der Bereich der Introspektion. Das Subjekt, das seine Aufmerksamkeit auf die Inhalte seines Bewußtseins lenkt, nimmt damit seinen inneren Zustand wahr respektive erfährt ihn. Seine innere Wahrnehmung oder innere Erfahrung tale Subjekt. Doch wird die Interpretation der Lehre von der Selbstaffektion in der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe (B) ergeben, daß aufgrund dieser Lehre kein Subjekt der Selbstanschauung zu bestimmen ist. – Fichte verwirft den Ausdruck Gemüt für seine Philosophie, benutzt ihn aber gleichwohl. Im Ausdrucke: Gemüth liegt immer ein bloß leidendes Verhalten; es wirkt das Gemüth nicht auf das, was in uns vorgeht in wiefern wir Objecte betrachten. Dieser Ausdruk ist also in einer Philosophie gar nicht zu brauchen, in welcher alles für das Ich, u durch ein Handeln deßelben auf sich selbst. Mph 195. Vgl. aber Fichte GWL 374 [233]: Der Verstand ist ein ruhendes unthätiges Vermögen des Gemüths [...]. Ferner SL 33 [13]: Es wird behauptet, daß im Gemüthe des Menschen sich eine Zunöthigung äussere, einiges ganz unabhängig von äussern Zwecken, zu thun [...]. 130 KrV B 37. 131 So die Interpretation von Mohr (1989), 58ff. 132 Teils erweckt Kant den Eindruck, er gebrauche den Ausdruck innerer Sinn in der zu seiner Zeit üblichen Bedeutung (KrV A 107), teils setzt er seinen Gebrauch von dem gewöhnlichen ab (KrV B 153). 133 Mohr (1989; 67) unterscheidet anhand der unterschiedlichen Formulierungen Kants neun Versionen. 134 Vgl. die Formulierung Kants, wonach alles Mannigfaltige der Anschauung eine notwendige Beziehung auf das: Ich denke, in demselben Subjekt, darin dieses Mannigfaltige angetroffen wird, hat (KrV B 132).
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trifft dabei, wie Kant in der Kritik der reinen Vernunft und in der Anthropologie betont, nicht auf Gegenstände in der Bedeutung von Gegenständen möglicher Erfahrung und auch nicht auf einen Gegenstand namens Selbst. Denn es ist mit jenen inneren Erfahrungen nicht so bewandt, wie mit den äußeren, von Gegenständen im Raum, worin die Gegenstände nebeneinander und als bleibend festgehalten erscheinen. Der innere Sinn sieht die Verhältnisse seiner Bestimmungen nur in der Zeit, mithin im Fließen; wo keine Dauerhaftigkeit der Betrachtung, die doch zur Erfahrung notwendig ist, statt findet.135 Innere Erfahrung136 ist das Bewußtsein des Subjekts von dem Zustand seines Bewußtseins. Dieses Bewußtsein ist aufgrund des privilegierten Zugangs des Subjekts zu seinem Bewußtsein infallibel.137 Weil es keiner Kriterien bedarf, um einen Zustand seines Bewußtseins sich zuzuschreiben, ist ein Irrtum ausgeschlossen. Das Bewußtsein vom Zustand seines Bewußtseins ist für das Subjekt ebenso unmittelbar gewiß, wie es sich seiner Existenz gewiß ist.138 Innere Erfahrung ist aber keine Erfahrung von Gegenständen, die sich in Urteilen artikuliert, denen jedermann zustimmen muß. Insofern innere Erfahrung keine Erkenntnis ist, Kant ansonsten aber Erfahrung, als von bloßer (äußerer) Wahrnehmung unterschieden, mit empirischer Erkenntnis identifi-
Anthr. BA 15; dem entspricht KrV A 107: Das Bewußtsein seiner selbst, nach den Bestimmungen unseres Zustandes, bei der inneren Wahrnehmung ist bloß empirisch, jederzeit wandelbar, es kann kein stehendes oder bleibendes Selbst in diesem Flusse innerer Erscheinungen geben, und wird gewöhnlich der innere Sinn genannt, oder die empirische Apperzeption. Strawson (1966; 93f.) bemerkt dazu richtig: The problem [wie ein identisches Bewußtsein über die Zeit hinweg sich seiner verschiedenen Zustände als seiner bewußt sein kann] would not be solved if the ›determinations‹ of our inner state were not ›always changing‹, if some, say, were constant or relatively so; they would still be states of ourselves. The point is that to refer simply to the fact of empirical self-awareness (awareness of one’s inner states as such) is not to solve the problem but to state it. 136 Der Begriff ist nach Kobusch (2005; 69 f.) eine Neuprägung des 13. Jahrhunderts, die möglicherweise auf Petrus Johannis Olivi zurückgeht. Zumindest ist es Olivi, der ihm erstmals den Status eines ersten, den selbstevidenten Sätzen gleichrangigen Prinzips einräumt. 137 Vgl. Descartes (1647), die Zweite Meditation. 138 Unmittelbar ist diese Gewißheit insofern, als sie nicht aus einem Schluß resultiert, wie bereits Descartes betont. Wenn wir aber bemerken, daß wir denkende Dinge sind, so ist das ein gewisser Grundbegriff, der aus keinem Syllogismus geschlossen wird; und auch, wenn jemand sagt: ›Ich denke, also bin ich, oder existiere ich‹, so leitet er nicht die Existenz aus dem Denken durch einen Syllogismus ab, sondern erkennt etwas ›durch sich selbst Bekanntes‹ durch einen einfachen Einblick des Geistes (mentis intuitus) an, wie sich daraus ergibt, daß, wenn er sie durch einen Syllogismus ableiten sollte, man vorher den Obersatz erkannt haben müßte: ›Alles, was denkt, ist oder existiert‹, während man vielmehr umgekehrt diesen erst daraus gewinnt, daß man bei sich erfährt, es sei unmöglich, zu denken ohne zu existieren. Denn es ist die Natur unseres Geistes, daß er die allgemeinen Sätze nur aus der Erkenntnis des Besonderen bildet. (1647; 127f.). Gleichwohl ist die explizite Selbstgewißheit, das explizite Bewußtsein vom Zustand meines Bewußtseins Resultat der Wendung des Bewußtsein auf sich selbst und insofern durch Reflexion vermittelt. 135
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ziert,139 fällt er hier hinter bereits erreichte Unterscheidungen zurück. Die Konfundierung von Erfahrung in der Bedeutung von Erkenntnis mit Erfahrung in der Bedeutung von innerer Wahrnehmung ist nicht einem unkritischen Anknüpfen an vorgefundene Termini geschuldet. Vielmehr setzt Kant explizit die Selbsterkenntnis der Erkenntnis äußerer Gegenstände parallel. So wie zum Erkenntnisse eines von mir verschiedenen Objekts, außer dem Denken eines Objekts überhaupt [...], ich doch noch einer Anschauung bedarf [...], so bedarf ich auch zum Erkenntnisse meiner selbst [...] außer dem, daß ich mich denke, noch einer Anschauung des Mannigfaltigen in mir [...].140 Weil aber die Vorstellungen äußerer Sinne den eigentlichen Stoff ausmachen, womit wir unser Gemüt besetzen [...],141 und im inneren Sinn für sich betrachtet nichts Beharrliches angetroffen werde, sei innere Erfahrung abhängig von äußerer Erfahrung. In der Deduktion B behauptet Kant, daß wir die Bestimmung der Zeitlänge, oder auch der Zeitstellen für alle inneren Wahrnehmungen, immer von dem hernehmen müssen, was uns äußere Dinge Veränderliches darstellen, folglich die Bestimmungen des inneren Sinnes gerade auf dieselbe Art [!] als Erscheinungen in der Zeit ordnen müssen, wie wir die der äußeren Sinne im Raume ordnen, mithin, wenn wir von den letzteren einräumen, daß wir dadurch Objekte nur sofern erkennen, als wir äußerlich affiziert werden, wir auch vom inneren Sinne zugestehen müssen, daß wir dadurch uns selbst nur so anschauen, wie wir innerlich von uns selbst affiziert werden, d.i. was die innere Anschauung betrifft, unser eigenes Subjekt nur als Erscheinung, nicht aber nach dem, was es an sich selbst ist, erkennen.142 Der Widerlegung des Idealismus zufolge ist die äußere Erfahrung konstitutiv für das empirische Selbstbewußtsein. Lehrsatz/ Das bloße, aber empirisch bestimmte, Bewußtsein meines eigenen Daseins be[D]ie Kategorien [...] dienen nur zur Möglichkeit empirischer Erkenntnis. Diese aber heißt Erfahrung. KrV B 147. 140 KrV B 158. 141 KrV B 67. Der Plural äußere Sinne zeigt an, daß die fünf Sinne insgesamt dem äußeren Sinn angehören (vgl. K. Düsing 1980, 21). Daß der eigentliche Stoff, der den Inhalt des empirischen Bewußtseins ausmacht, den äußeren Sinnen entstammt (KrV B 67) bzw. daß wir doch den ganzen Stoff zu Erkenntnissen selbst für unseren inneren Sinn [...] von den Dinge[n] außer uns haben, wie Kant in der zweiten Vorrede (B XXXIX) mißverständlich formuliert, ist eine Behauptung, die durch ein metaphysisches Argument zu erhärten wäre: Wenn auch nicht für jede einzelne Vorstellung des äußeren Sinnes behauptet werden kann, daß sie wirklich sei und nicht eine Erdichtung der Einbildungskraft, so gilt doch, daß die Vorstellungen des äußeren Sinnes insgesamt keine Erdichtungen sein können, denn zu solchen wäre nur eine absolute, von allem gegebenen Material unabhängige Einbildungskraft fähig. Das Subjekt einer solchen Einbildungskraft wäre selbst absolut, in sich subsistierend. Dann aber beruhte der äußere Sinn selbst auf Einbildung und das Anschauungsvermögen wäre vernichtet (B 277). Descartes argumentiert in der ersten seiner Meditationen ähnlich: Das Subjekt des Zweifels bedarf zum Träumen eines Materials, aus dem sich seine Traumgebilde zusammensetzen lassen, denn es produziert seine geträumten Vorstellungen nicht aus Nichts. Würde es seine Vorstellungen aus Nichts produzieren, entfiele der Anlaß des Zweifels. (1647), 12ff. 142 KrV B 156. 139
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weist das Dasein der Gegenstände im Raum außer mir./ Beweis/ Ich bin mir meines Daseins als in der Zeit bestimmt bewußt. Alle Zeitbestimmung setzt etwas Beharrliches in der Wahrnehmung voraus. Dieses Beharrliche aber kann nicht eine Anschauung in mir sein. Denn alle Bestimmungsgründe meines Daseins, die in mir angetroffen werden können, sind Vorstellungen, und bedürfen als solche, selbst ein von ihnen unterschiedenes Beharrliches, worauf in Beziehung der Wechsel derselben, mithin mein Dasein in der Zeit, darin sie wechseln, bestimmt werden können. Also ist die Wahrnehmung dieses Beharrlichen nur durch ein Ding außer mir und nicht durch die bloße Vorstellung eines Dinges außer mir möglich. Folglich ist die Bestimmung meines Daseins in der Zeit nur durch die Existenz wirklicher Dinge, die ich außer mir wahrnehme, möglich.143 Diese Widerlegung des Idealismus ist ungereimt. Das Beharrliche in der Wahrnehmung gründet Kants eigener Theorie zufolge in der transzendentalen Synthesis eines gegebenen Mannigfaltigen gemäß der Kategorie Substanz.144 Die Einheit desjenigen Bewußtseins, welchem dieses Beharrliche korrespondiert, ist also die ursprüngliche synthetische Einheit der Apperzeption. Das empirische Subjekt, dessen Bewußtsein unter der ursprünglichen synthetischen Einheit der Apperzeption steht, ist damit auf die Funktion der Erkenntnis reduziert. Der Bereich der Erkenntnis ist aber nicht der Bereich der Introspektion, sondern der der Gegenstände möglicher Erfahrung. Die intentionalen Korrelate des unter der ursprünglichen synthetischen Einheit der Apperzeption stehenden Bewußtseins sind ausschließlich die von der aktuellen (äußeren) Wahrnehmung des empirischen Subjekts unabhängigen Gegenstände möglicher Erfahrung, nicht aber die Empfindungszustände, die an seine aktuelle (innere) Wahrnehmung gebunden sind. Dem auf die Funktion der Erkenntnis beschränkten empirischen Subjekt ist innere Erfahrung unmöglich. Paradoxerweise wird innere Erfahrung, das nicht zu bezweifelnde Faktum des unmittelbaren Bewußtseins meiner Empfindungen, durch die Bedingungen, die nach Kant für sie gelten, unmöglich, denn diese Bedingungen sind Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis.145 Indem Kant das Subjekt der inneren Erfahrung aufhebt in das erkenKrV B 275f., in der von Kant in der zweiten Vorrede (B XXXIX) veränderten Fassung. Vgl. KrV B 183; B 225. 145 Vgl. R. P. Wolff (1963), 163f. In a curious way, Kant has actually proved too much by his argument. Every representation [...] is bound up in necessary connection with other representations, and this seems to be the only sort of connection possible. In short, Kant appears to have eliminated altogehter the category of subjective association, just as Hume had attempted to eliminate the category of necessary (objective) connection. Der Sachverhalt ist ähnlich dem in Descartes’ Meditationen. Descartes setzt die Möglichkeit des Irrtums als Faktum voraus und sucht nach dem unbezweifelbaren Fundament alles objektiven Vorstellens. Mit dem Nachweis des nicht täuschenden Gottes als Existenzgrund der res cogitans und ihrer sachhaltigen Vorstellungen verkehrt sich in der vierten Meditation das Problem, und Descartes fragt nach der Möglichkeit des Irrtums. – Zu Kant vgl. Prauss (1971), 99: Wenn nach Kant eine empirische Erkenntnis wie ›Dies ist ein Stein‹ sich nur als Bestimmung dieses objektiven Steins durch Deutung von subjektiven Erscheinungen verstehen läßt, – worin besteht dann jene nichtdeutende ›Bestimmung‹, in 143 144
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nende Subjekt, verliert der Bereich der inneren Erfahrung seine Selbständigkeit gegenüber dem Bereich der Erkenntnis.146 Man muß sich daher allerdings wundern, wie die Vernunft=Kritik [...] noch [...] eine bloß subjectiv gültige Folge und Beziehung der Wahrnehmungen und Vorstellungen auf einander im menschlichen Bewußtseyn als wirklich vorhanden zulassen konnte. Es muß hierbey dem Verfasser dieser Kritik [...] entgangen seyn, daß aus dem Lehrsatze seines Systems, nach welchem der Verstand alles im Bewußtseyn Vorkommende durch eine objectiv gültige Verbindung unter die Einheit der Apperception gebracht haben muß, nothwendig auch dieses folge, daß jede Reihe von Vorstellungen, deren wir uns bewußt werden, immer eine objectiv gültige Erkenntniß seyn müsse.147
der sich auch diese Erscheinungen selber ›bestimmen‹ ließen? – Ferner Becker (1984), 180: Kant [...] scheint gar nicht zeigen zu können, wie das Bewußtsein sinnlicher Vorstellungen als solcher möglich ist [...]. Der Nachweis, daß ein solches Bewußtsein möglich ist, ist aber für seine Erkenntnistheorie notwendig, da er sozusagen eine Hypothek bildet, mit der sie von vornherein belastet ist. – Mohr (1989), 133f.: Allerdings bereitet die [...] These Kants, daß eine kategoriale Synthesis von Vorstellungen notwendige Bedingung möglichen Selbstbewußtseins ist, sachliche Schwierigkeiten. [...] Es ist unplausibel, daß Bewußtsein von etwas nur als Bewußtsein von Objektivem möglich sein soll. [...] Diese Schwierigkeiten führen mitten in die höchst komplexe und vermutlich kaum völlig befriedigend aufzulösende Problematik der Kantischen Bestimmung der transzendentalen Apperzeption als objektiver Einheit des Bewußtseins. 146 Vgl. Heintel (1985), 140: Jede inhaltliche Bestimmtheit meiner selbst setzt Erfahrungsgegebenheiten voraus, die als solche selbst wieder transzendental konstituiert sind. Nun geht aber die transzendentale Gegenstandskonstitution bei Kant über die Anschauungs- und Verstandesformen nur bis zu einer Erscheinungswelt ohne eigentliche Innerlichkeit, die daher als solche weder ontologisch differenziert werden kann [...] noch es gestattet, daß ›Ich‹ sich (mich) selbst als daseiend in der Erscheinungswelt von allem anderen Daseienden grundsätzlich absetzen kann. – Vgl. dagegen Sturma (1985). Sturma referiert Kant richtig, wonach Selbstbewußtsein abhängig ist von der Beziehung auf ein in der Anschauung gegebenes Mannigfaltiges, und diese Beziehung sich in einer das Selbstbewußtsein und seine Vorstellungen konstituierenden Synthesis vollzieht, die als eine kategoriale unter dem Grundsatz der transzendentalen Einheit der Apperzeption steht. (54) Für Kant ist die Identität des Selbstbewußtseins unbezüglich der selbstreferentiellen kategorialen [!] Synthesis gar nicht vorstellbar. (70) Weil die Kategorien Kant zufolge keinen anderen Gebrauch haben als ihre Anwendung auf Gegenstände der Erfahrung (KrV B §22), wäre demnach Selbstbewußtsein gebunden an mentale Zustände, deren intentionale Korrelate Gegenstände möglicher Erfahrung sind. Sturma ist auch zuzustimmen, wenn er meint, [d]ie Behauptung, alle meine Vorstellungen hingen von der Anschauung äußerer Gegenstände ab, ist schon mit den allgemeinen deskriptiv identifizierbaren Charakteristika von Bewußtseinszuständen nicht vereinbar. (54) Selbstbewußtsein könne auch in bezug auf bloße Empfindungszustände vorliegen. Nur bleibt unklar, wie Sturma dies mit der Kantischen Bestimmung in Einklang bringen will, wonach die Einheit und Identität des empirischen Selbstbewußtseins die transzendentale Einheit des Selbstbewußtseins ist. – Ferner Beck (1974). 147 Schulze (1801), 358f.
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4. Empirische Einheit des Bewußtseins und Einheit des empirischen Bewußtseins Um das Subjekt der inneren Erfahrung davor zu bewahren, im Zuge der transzendentalen Deduktion vollständig in das erkennende Subjekt aufgelöst zu werden, hätte Kant von der empirischen Einheit des Bewußtseins die Einheit des empirischen Bewußtseins unterscheiden und dieser die Seite der Unabhängigkeit gegen die transzendentale Einheit der Apperzeption zusprechen müssen. Nur dann hätte er auch das Verhältnis von transzendentalem und empirischem Selbstbewußtsein aufklären können. Das empirische Bewußtsein ist der innere Sinn, der Bereich der inneren Erfahrung, in dem das empirisch gegebene Mannigfaltige angetroffen wird.148 Die empirische Einheit des Bewußtseins ist nach Kant zufällig, weil auf Gesetzen der Assoziation beruhend, und höchstens für die empirische Psychologie, nicht aber für die Transzendentalphilosophie von Belang.149 Das empirische Gegebensein des Mannigfaltigen ist Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis. Das auf ein Funktionsorgan der transzendentalen Einheit der Apperzeption reduzierte empirische Subjekt trifft aber in seinem Bewußtsein keine mannigfaltigen Vorstellungen an, die das Material seiner möglichen Erkenntnis sind, vielmehr hat es schon immer erkannt. Das Subjekt, das in seinem Bewußtsein Vorstellungen antrifft, kann nicht das transzendentale sein, sondern nur das empirische; nur dieses ist aufgrund seiner sinnlichen Vermögen empfänglich für empirisch gegebene Empfindungsdaten, nicht aber die rein intellektuell bestimmte transzendentale Einheit der Apperzeption.150 Dem Ich, so Fichte, kann nichts gegeben werden, es hat kein Glied, an welches das Gegebene angeknüpft werden könnte.151 Die Vorstellungen haben als empirisch gegebene keine notwendige BezieKrV B 132. Vgl. KrV B 139f. (§18). Kant hat in der empirischen Psychologie keine Wissenschaft gesehen. Noch weiter aber, als selbst Chymie, muß empirische Seelenlehre jederzeit von dem Range einer eigentlich so zu nennenden Naturwissenschaft entfernt bleiben, erstlich weil Mathematik auf die Phänomene des inneren Sinnes und ihre Gesetze nicht anwendbar ist [...]. Aber auch nicht einmal als systematische Zergliederungskunst, oder Experimentallehre, kann sie der Chymie jemals nahe kommen, weil sich in ihr das Mannigfaltige der inneren Beobachtung nur durch bloße Gedankenteilung von einander absondern, nicht aber abgesondert aufbehalten und beliebig wiederum verknüpfen, noch weniger aber ein anderes denkendes Subjekt sich unseren Versuchen der Absicht angemessen von uns unterwerfen läßt, und selbst die Beobachtung an sich schon den Zustand des beobachteten Gegenstandes alteriert und verstellt. MAdN 15f. 150 Dennoch wird häufig dem transzendentalen Ich unterstellt, es sei empfänglich für das empirisch gegebene Mannigfaltige. Vgl. W. Cramer (1973; 17): Aber dasjenige, dem da zeitliche Erscheinungen gegeben sind, das transzendentale Subjekt, kann nicht Erscheinung sein [...]. Vgl. Metz (1991; 68), der nicht nur von den dem transzendentalen Bewußtsein gegebenen mannigfaltigen Vorstellungen [...] spricht, sondern auch davon, daß das transzendentale Bewußtsein durch die Tätigkeit des Ich denke sich seine Vorstellungen als die seinen zurechnen kann. 151 WLnmK 389. Die Einsicht selbst ist nicht neu: Was man in der Seele also Geist nennt (ich nenne Geist das, womit die Seele überlegt und Annahmen macht), ist nicht von den Gegenstän148 149
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hung auf die transzendentale Einheit der Apperzeption, sondern allein auf dasjenige empirische Ich, dem sie gegeben sind. Erst im Resultat der Synthesis haben sie eine notwendige Beziehung auf die transzendentale Einheit der Apperzeption, nicht aber auf das empirische Ich als solches, sondern auf dieses nur, insofern es selbst unter der transzendentalen Einheit der Apperzeption steht, das heißt auf die Funktion der Erkenntnis reduziert ist. Wenn demnach die transzendentale Einheit der Apperzeption nicht unmittelbar die Einheit des empirischen Bewußtseins sein kann, muß es eine von ihr unterschiedene Einheit des empirischen Bewußtseins geben, denn ohne diese gehörte das empirische Bewußtsein, das heißt die Mannigfaltigkeit der empirisch gegebenen Vorstellungen, keinem identischen Subjekt an. Es gäbe gar kein Subjekt, das in seinem Bewußtsein Vorstellungen antreffen könnte. Es drohte der empiristische Widersinn, wonach die Subjekte nichts sind als ein Bündel oder ein Zusammen verschiedener Perzeptionen, die einander mit unbegreiflicher Schnelligkeit folgen und beständig in Fluß und Bewegung sind;152 das empirische Bewußtsein wäre an sich zerstreut und das Selbst ein vielfarbiges, wie Kant, damit Hume paraphrasierend, meint.153 So könnte von einem Selbst genaugenommen nicht die Rede sein, denn die verschiedenen Vorstellungen wären ohne Beziehung auf die Identität des Subjekts.154 Ohne die von der transzendentalen Einheit der Apperzeption unterschiedene Einheit des empirischen Bewußtseins wären auch die Sinnlichkeit und die ihr zugehörige produktive Einbildungskraft subjektlos. Die Sinnlichkeit, insofern sie als Empfänglichkeit des Subjekts für empirisch gegebene Empfindungsdaten bestimmt ist, kann nicht dem transzendentalen, sondern nur dem empirischen Subjekt zugeschrieben werden. Die Unabhängigkeit der Sinnlichkeit von den Sinnen des empirischen Subjekts machte sie zu einer formalen Bestimmung des transzendentalen Ich überhaupt, welches damit ein absolutes Ich wäre, dem nichts empirisch gegeben wird, sondern das durch seine eigene Tätigkeit den Stoff hervorbringt.155
den in der Wirklichkeit, bevor er denkt. Darum ist es auch nicht anzunehmen, daß er mit dem Körper vermischt sei. Denn auf diese Weise erhielte er eine Qualität und würde kalt oder warm, oder er müßte ein Werkzeug haben wie das Sinnesorgan. Dies trifft aber nicht zu. [...] Das Sinnesorgan existiert nämlich nicht ohne Körper, der Geist aber ist abgetrennt. Aristoteles, Von der Seele, Drittes Buch, 428 b 30ff. 152 Hume I (1740), 327 (are nothing but a bundle or collection of different perceptions, which succeed each other with an inconceivable rapidity, and are in a perpetual flux and movement. Engl. 252). 153 KrV B 133f. 154 KrV B 133. Ohne identisches Subjekt der Vorstellungen wird der Begriff der Vorstellung oder des Sinnesdatums selbst sinnlos, wie Heintel (I, 1984, 204) in bezug auf Hume anmerkt: Denn mit dem Fallen des Ich sind die Impressionen ohne jede Bezugsmöglichkeit und somit keine ›Impressionen‹ mehr, sondern einfache, letzte (qualitative) Seinselemente, die von selber alles, was sie nicht unmittelbar sind, durch ›Zusammensetzung‹ (Assoziation) aufbauen sollen. 155 Diese Konsequenz hat Fichte gezogen. Bei Kant ist sie erst angedeutet. Kant hat einerseits
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Die Identität des Subjekts, das in seinem Bewußtsein eine Mannigfaltigkeit empirisch gegebener Vorstellungen antreffen kann, ist die des denkenden und empfindenden Ich, das in bezug auf diese Vorstellungen sich seiner selbst und der Vorstellungen als seiner bewußt sein kann. Das Bewußtsein dieser Identität ist das empirische Selbstbewußtsein. In diesem erkennt sich das Subjekt weder als res cogitans noch weiß es sich als Individuum, das unter anderen Individuen in Raum und Zeit existiert; es weiß sich als Eines, aber nicht als einzelnes. Aus der Selbstgewißheit des Subjekts, so Kant im Abschnitt über die Paralogismen, ist nicht auf die Art seiner Existenz zu schließen. Es ist also die Identität des Bewußtseins Meiner selbst in verschiedenen Zeiten nur eine formale Bedingung meiner Gedanken und ihres Zusammenhanges, beweist aber gar nicht die numerische Identität meines Subjekts, in welchem, ohnerachtet der logischen Identität des Ich, doch ein solcher Wechsel vorgegangen sein kann, der es nicht erlaubt, die Identität desselben beizubehalten.156 Der Satz der Identität meiner selbst bei allem Mannigfaltigen, dessen ich mir bewußt bin, ist ein ebensowohl in den Begriffen selbst liegender, mithin analytischer Satz; aber diese Identität des Subjekts, deren ich mir in allen seinen Vorstellungen bewußt werden kann, betrifft nicht die Anschauung desselben, dadurch es als Objekt gegeben ist, kann also auch nicht die Identität der Person bedeuten, wodurch das Bewußtsein der Identität seiner eigenen Substanz, als denkenden Wesens, in allem Wechsel der Zustände verstanden wird, wozu, um sie zu beweisen, es mit der bloßen Analysis des Satzes, ich denke, nicht ausgerichtet sein, sondern verschiedene synthetische Urteile, welche sich auf die gegebene Anschauung gründen, würden erfordert werden.157 Die Selbstgewißheit des Subjekts könne als formale Bedingung der objektiven Bestimmung eines Seienden nur um den Preis eines Paralogismus zur objektiven Bestimmtheit eines Seienden gemacht werden.158 Die numerische Identität des Ich im Ich denke, eine transzendentale Bestimmung, dürfe daher nicht mit der empirischen Bestimmung der Identität meines Selbst als Person verwechselt werden. Ein äußerer Beobachter meiner in Raum und Zeit individuierten Person verbinde die Identität, die logisch notwendig mit meinem Bewußtsein verbunden ist, nicht notwendig mit der äußeren Anschauung meiner Person. Kant unterliegt hier selbst einem Fehlschluß. Er identifiziert nämlich das Ich in der transzendentalen Einheit der Apperzeption mit dem Ich des cartesianischen Existenzurteils, eine Bestimmung der transzendentalen Reflexion mit einer der Introspektion. Zwar lassen sich weder aus diesem noch aus jenem ontologische Schlußfolgerungen an der an die Sinne des empirischen Subjekts gebundenen Rezeptivität festgehalten, ohne aber die Einheit dieses Subjekts im Unterschied zur transzendentalen Einheit der Apperzeption zu bestimmen. Er hat andererseits die Sinnlichkeit von der Rezeptivität der Sinne getrennt und als formale Bestimmung unter dem Titel Antizipationen der Wahrnehmung eingeführt. Vgl. in dieser Arbeit das Kapitel Selbstaffektion und transzendentaler Gegenstand. 156 KrV A 363. 157 KrV B 408f. 158 Vgl. KrV A 362ff.
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im Hinblick auf das Ich ziehen, das heißt aber nicht, daß beide dasselbe wären. Das Bewußtsein Ich in der transzendentalen Einheit der Apperzeption schließt nach Kant das seiner nackten Existenz analytisch ein. Dagegen weiß, wie Descartes gezeigt hat, das seiner selbst gewisse Ich mehr als nur seine nackte Existenz. Es weiß sich als Einheit sinnlicher und intellektueller Vermögen.159 Descartes hält ausdrücklich fest, daß das Ich denke, das ein explizites Bewußtsein seiner selbst durch die Abwendung von seinen sinnlichen Vorstellungen erlangt, mit den Formen der Sinnlichkeit behaftet bleibt. Wahrnehmung und Einbildung sind mit der rein intellekuell bestimmten Selbstgewißheit gleichursprünglich, denn wenngleich etwa [...] nichts von dem, was sich der Einbildung darstellt, wahr ist, so besteht doch diese Kraft der Einbildung wirklich und macht einen Teil meines Bewußtseins aus.160 Kant setzt in der transzendentalen Ästhetik und Analytik das empirische Subjekt, das Individuum, und also eine Vielheit von empirischen Subjekten voraus, ohne dabei explizit zwischen empirischem Bewußtsein und empirischem Subjekt zu unterscheiden. Die transzendentale Einheit der Apperzeption fungiert in der Analytik als Einheit des auf die Funktion der Erkenntnis reduzierten empirischen Bewußtseins und damit als Einheit der empirischen, auf die Funktion der Erkenntnis reduzierten Subjekte. Laut der Ästhetik wird uns Menschen161 der Gegenstand dadurch gegeben, daß er das Gemüt, das denkende und empfindende Subjekt, affiziere.162 Auch in der Deduktion B setzt Kant das empirische Subjekt voraus: Das Mannigfaltige der Vorstellungen kann in einer Anschauung gegeben werden, die bloß sinnlich [...] ist, und die Form dieser Anschauung kann a priori in unserem Vorstellungsvermögen liegen, ohne doch etwas anderes, als die Art zu sein, wie das Subjekt affiziert wird.163 Der Ausdruck das Subjekt für sich genommen läßt offen, inwiefern mit Subjekt nicht nur die reflexive Einheit des empirischen Bewußtseins, sondern die des in Raum und Zeit individuierten empirischen Subjekts gemeint ist, das als solches eine Vielheit von Subjekten einschließt. Indem Kant aber auch den Plural ›unser Vorstellungsvermögen‹ verwendet, ist daran kein Zweifel möglich. In der Deduktion A erschließt Kant einerDer Ausdruck Einheit sinnlicher und intellektueller Vermögen stammt von Büchsel (1977), der darunter aber nicht nur die selbstbewußte Einheit des empirischen Bewußtseins (9), sondern auch die des Individuums versteht. (104) Das verwundert, weil Büchsel selbst betont, daß das cartesianische Existenzurteil nicht anzeige, auf welche Art und Weise das Subjekt existiert [...] (103) – also auch nicht, daß es als Individuum existiert. 160 Descartes (1647; 22) Diese richtige erkenntnistheoretische Bestimmung des Ich durch Descartes ist zu unterscheiden von ihrer unhaltbaren metaphysischen Interpretation als substantia cogitans. Im übrigen gilt: Das Ich als Einheit des intellektuell und sinnlich bestimmten Bewußtseins ist kein transzendentales, denn das hat selbst keine Vorstellungen, deren objektiven Gehalt es bezweifeln könnte. Vgl. Kuhne (2001 a). 161 KrV B 33. 162 Zur Gleichsetzung des Gemüts mit dem denkenden und empfindenden Subjekt vgl. in dieser Arbeit das Kapitel Subjekt der Erkenntnis und innere Erfahrung. 163 KrV B 129 (kursiv v. m.). 159
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seits apagogisch über die Synthesis der Apprehension in der Anschauung, die Synthesis der Reproduktion in der Einbildung und die Synthesis der Rekognition im Begriffe die transzendentale Einheit der Apperzeption als Bedingung der Möglichkeit der Einheit des empirischen Bewußtseins,164 andererseits setzt er die transzendentale Einheit der Apperzeption mit der Einheit des empirischen Bewußtseins und diese mit der des empirischen Subjekts gleich: Wir sind uns a priori der durchgängigen Identität unserer selbst in Ansehung aller Vorstellungen, die zu unserem Erkenntnis jemals gehören können, bewußt, als einer notwendigen Bedingung der Möglichkeit aller Vorstellungen, (weil diese in mir doch nur dadurch etwas vorstellen, daß sie mit allem anderen zu einem Bewußtsein gehören, mithin darin wenigstens müssen verknüpft werden können).165 Der Wechsel vom Personalpronomen der ersten Person Plural zu dem der ersten Person Singular drückt die Identität von transzendentaler Einheit der Apperzeption und Einheit des auf die Funktion der Erkenntnis reduzierten empirischen Bewußtseins aus. Um diese Identität darstellen zu können, muß Kant nicht nur zwischen der transzendentalen Einheit der Apperzeption als der logischen Einheit und dem empirischen Bewußtsein als dem an sich zerstreuten Mannigfaltigen unterscheiden, sondern zumindest implizit auch zwischen dem empirischen Bewußtsein und dem empirischen Subjekt, dem Individuum, das immer als eines unter vielen zu denken ist. Denn allein aufgrund der Bestimmungen der transzendentalen Einheit der Apperzeption und des empirischen Bewußtseins läßt sich der Plural wir nicht rechtfertigen. Es könnte nicht gesagt werden, daß alles verschiedene empirische Bewußtsein in einem einigen Selbstbewußtsein verbunden sein müsse [...],166 sondern nur, daß die verschiedenen Zustände desselben empirischen Bewußtseins immer in einem einigen Selbstbewußtsein verbunden sein müßten. Nur unter der Voraussetzung der Existenz einer Vielheit empirischer Subjekte ist die kollektive Einheit des Bewußtseins nicht nur die notwendige Einheit des Mannigfaltigen gegebener Vorstellungen, sondern zugleich die notwendige Einheit des Bewußtseins einer Vielheit von Subjekten. Kant muß eine Vielheit empirischer Subjekte als Träger empirischen Bewußtseins voraussetzen, deduzieren kann er sie nicht. Weil er aber empirisches Bewußtsein nur als erkennendes thematisiert, bleibt auch das empirische Subjekt auf die Funktion, Träger von Erkenntnis zu sein, reduziert. Die einzige Bestimmtheit, die ihm zukommt, ist die, ein empirisches Subjekt unter vielen in der Einen empirischen Realität zu sein. Hätte Kant zwischen der transzendentalen Einheit der Apperzeption und der Einheit des empirischen Bewußtseins unterschieden, hätte er das Individuum als Träger der Einbildungskraft bestimmen können. Daß Kant nicht zwischen der empirischen Einheit des Bewußtseins und der Einheit des empirischen Bewußtseins, sofern diese nicht identisch mit der transzendentalen Einheit 164 165 166
KrV A 99-A 110. KrV A 116 (kursiv v. m.). KrV A 117 Anm.
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der Apperzeption ist, unterschieden hat, ist aus dem historischen Kontext seiner Überlegungen verständlich. Kant will gegen den Empirismus die Möglichkeit von allgemeinen und notwendigen Erfahrungsurteilen begründen und zugleich gegen den Rationalismus das empirisch Gegebene als notwendiges, aber a priori nicht deduzierbares Element von Erkenntnis nachweisen. Mit beiden teilt er die These von dem Datensensualismus des Bewußtseins. Weder Descartes noch Hume bestreiten, daß das sich introspizierende Ich in seinem Bewußtsein eine Mannigfaltigkeit von Vorstellungen antrifft. Unter dieser Voraussetzung des datensensualistischen Bewußtseins ist die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von objektiven Erfahrungsurteilen für Kant nicht zu trennen von der nach den Bedingungen der Möglichkeit der Einheit des Bewußtseins der Subjekte, die in sich ein solches Mannigfaltiges antreffen. Entweder sind beide Fragen zu beantworten oder keine. Kant stimmt mit Descartes und Hume auch darin überein, daß auf dem Wege der Introspektion, das heißt im Bereich der inneren Erfahrung, kein intentionales Korrelat des Selbstbewußtseins aufweisbar ist, nur zieht er daraus andere Konsequenzen. Descartes schließt von der Selbstgewißheit des denkenden Ich, daß es ist, darauf, was es ist. Der Umstand, daß dem denkenden Ich in der inneren Erfahrung nichts entspricht und der objektive Gehalt aller in der inneren Erfahrung anzutreffenden Vorstellungen zweifelhaft ist, steht der Selbsterkenntnis des Ich nicht im Wege. Zwar bleibt der Gehalt seiner Vorstellungen für seine Selbsterkenntnis irrelevant; es darf sich nicht durch diese Vorstellungen als seine Prädikate bestimmen und bleibt insofern unbestimmt. Für Descartes ist aber die prädikative Unbestimmtheit des seiner Existenz gewissen Ich Ausweis seiner Substantialität. Ich bin [...] ein wahres und wahrhaft existierendes Ding, aber was für ein Ding? Nun, ich sagte es bereits – ein denkendes.167 Descartes errichtet seine Argumentation insofern auf dem einzigen Satze: Ich denke,168 als er zwar von der inneren Erfahrung ausgeht, die Selbsterkenntnis des Ich aber nicht auf die innere Erfahrung gründet. Hume argumentiert entgegengesetzt. Gerade weil in der inneren Erfahrung kein Korrelat des Selbstbewußtseins aufweisbar ist, ist das Selbst theoretisch nicht zu erklären. Zwar ist das faktische Vorliegen von Selbstbewußtsein nicht zu bezweifeln, Bewußtsein aber ist nichts als die innerlich vergegenwärtigte Vorstellung oder Perzeption [...]169 und keine Erkenntnis eines substantiellen Selbst.170 Hume sieht sich genötigt, von seinem Descartes (1647), 20. Vgl. Schmidt (1965), 105: Die Frage nach dem Ich [...] hat sich unter der Hand verwandelt. Aus dem ›wer oder was bin ich?‹ wurde ein ›was bin ich?‹. ›Was‹ ist das Fragewort für die Kategorie der Substanz, nach der Kategorienlehre des Aristoteles. Die Frage ›was bin ich?‹ heißt mit Nennung des verborgenen Fragehintergrunds: ›was für eine Substanz bin ich?‹ Und die Antwort lautet nun freilich: ›Ich bin eine denkende Substanz.‹ [...] Die ganze Errungenschaft des neuen Erkenntnisschritts besteht in der stillschweigend vollzogenen Zuweisung der Substanzkategorie an das Ich [...]. 168 KrV B 400. 169 Hume (I, 1740), 363. 170 Vgl. Hume (I, 1740), 304: Da jede Vorstellung [idea] aus einem früheren Eindruck [impression] herstammt, so müßten wir, wenn wir eine Vorstellung von der Substanz unseres Geistes [substance of our minds] haben sollten, auch einen Eindruck von derselben haben; und dies ist 167
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Privileg als Skeptiker Gebrauch zu machen und einzuräumen, daß eine Schwierigkeit besteht und daß ihre Lösung für meinen Verstand eine zu harte Aufgabe ist.171 Kant erkennt, daß der Einheit des Bewußtseins, so sie notwendige Einheit ist, jederzeit eine transzendentale Bedingung zum Grunde172 liegen muß. Das was notwendig als numerisch identisch vorgestellt werden soll, kann nicht als ein solches durch empirische Data gedacht werden. Es muß eine Bedingung sein, die vor aller Erfahrung vorhergeht, und diese selbst möglich macht [...].173 Die transzendentale Einheit der Apperzeption ist als Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung nicht durch Introspektion in der inneren Erfahrung aufweisbar. Dies rechtfertigt aber nicht ihre Bestimmung als Substanz. Die prädikative Unbestimmtheit des Ich ist nicht Ausweis seiner Substantialität, sondern seines Status als transzendentaler Bestimmung. Das Ich ist nicht Substanz, sondern transzendentales Subjekt, das als Bedingung der Möglichkeit aller Prädikationen selbst prädikativ unbestimmt bleiben muß. Das Subjekt der Kategorien kann also dadurch, daß es diese denkt, nicht von sich selbst als einem Objekte der Kategorien einen Begriff bekommen; denn, um diese zu denken, muß es sein reines Selbstbewußtsein, welches doch hat erklärt werden sollen, zum Grunde legen.174 Transzendentale Bestimmungen sind Resultate der transzendentalen Reflexion.175 Diese bestimmt nicht das Wesen (das Was; quidditas) des Gegenstandes der Erkenntnis, sondern die Konstituentien, die der Erkenntnis des Gegenstandes a priori zugrunde liegen. Ihre Resultate haben unabhängig von der Funktion, die sie für die Erklärung der Einheit des empirischen Bewußtseins und für die Erklärung von allgemeinen und notwendigen Erfahrungsurteilen haben, keine Bedeutung. Das transzendentale Ich kann deshalb in seinem Wesen und Sein nicht bestimmt werden. Der Versuch, Wesen und Sein des Ich theoretisch zu bestimmen, verkennt den kritischen Sinn der transzendentalen Bestimmungen und erliegt dem natürlichen Schein, die Einheit in der Synthesis der Gedanken für eine Wahrgenommene Einheit im Subjekte dieser Ge-
schwer denkbar, wenn nicht undenkbar. Denn wie kann ein Eindruck eine Substanz nachbilden, außer dadurch, daß er ihr ähnlich ist? Und wie kann ein Eindruck einer Substanz ähnlich sein [represent a substance], da er doch eben dieser philosophischen Lehre zufolge keine Substanz ist und keine der eigentümlichen Eigenschaften oder charakteristischen Merkmale der Substanz besitzt? 171 Hume (I, 1740), 364f. 172 KrV A 106. 173 KrV A 107; vgl. B 134; vgl. auch Prol. 170 (§ 21), wo Kant die Leser erinnert, daß hier nicht von dem Entstehen der Erfahrung die Rede sei, sondern von dem, was in ihr liegt. 174 KrV B 422; vgl. B 404. 175 Von dieser nimmt Ryle (1949) keine Notiz, wenn er behauptet: The myth of consciousness is a piece of para-optics. (159). Daß Ryle Locke, Hume und Kant ungeachtet des Unterschieds zwischen Empirismus und Transzendentalphilosophie in eine Reihe stellt, ist gewagt; daß er allen drei great epistemologists unterstellt, they thought that they were discussing parts of the occult life-story of persons acquiring knowledge, (318) muß insbesondere im Hinblick auf Kant als ignorant bezeichnet werden.
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danken zu halten.176 Nach Kant ist das Bewußtsein meiner selbst in der Einheit der Apperzeption das Bewußtsein der Einheit der Handlung der Synthesis, die a priori jeder Objekterkenntnis zugrunde liegt. Es ist kein Wissen, in welchem sich das Ich als Ich weiß, noch gar eine Erkenntnis meines wahren Selbst. [I]n der synthetischen ursprünglichen Einheit der Apperzeption, [bin ich mir meiner selbst] bewußt, nicht wie ich mir erscheine, noch wie ich an mir selbst bin, sondern nur daß ich bin.177 Bestimmungen der transzendentalen Reflexion sind als Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis in ihrer Geltung unabhängig von ihrem faktischen Gewußtwerden. Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können178 – es muß aber nicht jede Vorstellung explizit begleiten. In bezug auf die transzendentale Einheit der Apperzeption betont Kant deren Status als transzendentale Bedingung, die nicht explizit gewußt werden muß: Alle Vorstellungen haben eine notwendige Beziehung auf ein mögliches empirisches Bewußtsein: denn hätten sie diese nicht, und wäre es gänzlich unmöglich, sich ihrer bewußt zu werden; so würde das soviel sagen, sie existierten gar nicht. Alles empirische Bewußtsein hat aber eine notwendige Beziehung auf ein transzendentales (vor aller besondern Erfahrung vorhergehendes) Bewußtsein, nämlich das Bewußtsein meiner selbst, als die ursprüngliche Apperzeption. [...] Es ist aber nicht aus der Acht zu lassen, daß die bloße Vorstellung Ich in Beziehung auf alle anderen (deren kollektive Einheit sie möglich macht) das transzendentale Bewußtsein sei. Diese Vorstellung mag nun klar (empirisches Bewußtsein) oder dunkel sein, daran liegt hier nichts, ja nicht einmal an der Wirklichkeit desselben; sondern die Möglichkeit der logischen Form alles Erkenntnisses beruht notwendig auf dem Verhältnis zu dieser Apperzeption als einem Vermögen.179 Die Vorstellung Ich ist als Bedingung der Möglichkeit der kollektiven Einheit der in einem empirischen Bewußtsein gegebenen Vorstellungen das transzendentale Bewußtsein. Das transzendentale Bewußtsein bezeichnet Kant auch als Bewußtsein überhaupt,180 empirisches Bewußtsein überhaupt181 oder als mögliches empirisches Bewußtsein.182 Ein empirisches Bewußtsein überhaupt ist kein empirisches
KrV A 402. Oder mit Strawson (1966), 37: The unity of experience is confused with the experience of unity. 177 KrV B 157. 178 KrV B 131f. Descartes ist dieser Kantschen Bestimmung in einem Brief an Mersenne nahe gekommen, ohne aber das Ich als Bedingung der Möglichkeit von empirischem Selbstbewußtsein zu fassen: Da sie [die Seele] nur ein denkendes Etwas ist, ist es unmöglich, daß wir jemals an irgendeine Sache denken können, ohne daß wir nicht gleichzeitig die Idee unserer Seele haben als eines Etwas, das fähig ist, an alles zu denken, was wir denken. Briefe (1949), 247. Für Descartes ist [...] das Selbstbewußtsein nie – auch an der zitierten Stelle nicht – virtuell. Schmidt (1965; 99 FN). 179 KrV A 117 Anm. 180 KrV B 143; Prol. A 82 (§20). 181 KrV B 217. 182 KrV A 117 Anm. 176
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Bewußtsein und ein mögliches empirisches Bewußtsein ist kein wirkliches empirisches Bewußtsein. Das transzendentale Bewußtsein ist kein wirkliches Selbstbewußtsein, sondern Bedingung der Möglichkeit wirklichen Selbstbewußtseins. Wirkliches Selbstbewußtsein ist demnach Kant zufolge dasjenige empirische Bewußtsein, dessen Vorstellungen unter der Bedingung der notwendigen Einheit der Apperzeption stehen. Die kollektive Einheit des Bewußtseins ist die notwendige Einheit der Vorstellungen des empirischen Bewußtseins und, eine Vielheit empirischer Subjekte als existierend vorausgesetzt,183 die notwendige Einheit des Bewußtseins einer Vielheit von empirischen Subjekten. Wenn nach Kant, wie gesagt, die bloße Vorstellung Ich in Beziehung auf alle anderen (deren kollektive Einheit sie möglich macht) das transzendentale Bewußtsein [...] ist, und wenn Kant hinzufügt: Diese Vorstellung mag nun klar (empirisches Bewußtsein) oder dunkel sein, daran liegt hier nichts, ja nicht einmal an der Wirklichkeit desselben [...] – dann hat er damit das Verhältnis von transzendentaler Einheit der Apperzeption und empirischem Selbstbewußtsein nicht hinreichend deutlich bestimmt. Kant macht zwar deutlich, daß die transzendentale Bedingung der Einheit des empirischen Bewußtseins in ihrer Geltung unabhängig davon ist, ob sie als solche selbst gewußt wird. Er erweckt aber zugleich den Eindruck, daß sie von dem empirischen Bewußtsein gewußt werden kann. Das ist aber nur insofern richtig, als transzendentale Bestimmungen nur von vernunftbegabten Subjekten gewußt werden können, die Vernunft aber, nach allem, was bekannt ist, an empirische Subjekte und deren Bewußtsein gebunden ist. Mit dieser trivialen Einsicht ist das Verhältnis von transzendentaler Einheit der Apperzeption und empirischem Selbstbewußtsein nicht aufgeklärt. Das Bewußtsein dieses Verhältnisses kann nämlich weder in das transzendentale Bewußtsein fallen, da dieses sich selbst nicht thematisch ist, noch in das empirische Bewußtsein, das sich als solches nicht transparent ist auf die Bedingungen seiner Möglichkeit,184 es sei denn, sein Träger entschließt sich, Erkenntnistheorie zu treiben.185 Das Bewußtsein des Verhältnisses von transzendentaler Einheit der ApKant setzt in der Kritik der reinen Vernunft eine Vielheit empirischer Subjekte als existierend voraus und erhebt nirgendwo den Anspruch, diese etwa zu deduzieren, wie später Fichte in seiner Grundlage des Naturrechts (1796). 184 Vgl. Lütterfelds (1977), 77ff. 185 Vgl. KrV B 297, wo Kant einen Vorteil der transzendentalen Nachforschung nennt, der auch dem schwierigsten und unlustigsten Lehrlinge [...] begreiflich, und zugleich angelegen gemacht werden kann, nämlich dieser: daß der bloß mit seinem empirischen Gebrauche beschäftigte Verstand, der über die Quellen seiner eigenen Erkenntnis nicht nachsinnt, zwar sehr gut fortkommen, eines aber gar nicht leisten könne, nämlich, sich selbst die Grenzen seines Gebrauchs zu bestimmen, und zu wissen, was innerhalb oder außerhalb seiner ganzen Sphäre liegen mag; denn dazu werden eben die tiefen Untersuchungen erfordert, die wir angestellt haben. – Fichte leitet das empirische Bewußtsein, nämlich den Leser respektive Hörer seiner neuen Wissenschaftslehren, dazu an, sich auf einen höhern Standpunkt der Speculation zu versetzen, indem er ihn zunächst auffordert, einen Gegenstand zu denken, dann auf das Denken aufzumerken usf.; vgl. VnD 274 [525]. 183
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perzeption und empirischem Selbstbewußtsein fällt in eine dritte Instanz, in die transzendentale Reflexion, die auf die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis geht. Mit der transzendentalen Reflexion hat Kant implizit das Subjekt der transzendentalphilosophischen Untersuchung bezeichnet und vom Objekt, dem erkennenden Ich, unterschieden. Doch bleibt ihm diese Unterscheidung selbst eher eine dunkle Vorstellung. Die Konturen des Subjekts der Untersuchung im Unterschied zum untersuchten Objekt verschwinden im doppelten Genitiv Kritik der reinen Vernunft, der eine Selbstuntersuchung und Selbsterkenntnis der reinen Vernunft186 anzeigt, ohne daß diese sich aber selbst thematisch würde.187 Obwohl Kant eigens betont, daß die Geltung der transzendentalen Einheit der Apperzeption für das empirische Selbstbewußtsein unabhängig davon ist, ob das Subjekt dieses Selbstbewußtseins ein explizites Bewußtsein dieser Einheit hat, hat er keineswegs durchgehend deutlich zwischen transzendentalen Bestimmungen, die kein Korrelat in der inneren Erfahrung haben können, und solchen, die qua Introspektion zugänglich sind, unterschieden, sondern beide auch konfundiert.188 Diese Konfundierung trägt dazu bei, daß innerhalb der Kantischen Argumentation das Problem, inwiefern die Einheit des empirischen Bewußtseins die Seite der Unabhängigkeit gegenüber der transzendentalen Einheit der Apperzeption haben muß, ohne deshalb zufällig zu sein, gar nicht in den Blick gerät. Ich sehe nicht, wie man so viel Schwierigkeiten darin finden könne, daß der innere Sinn von uns selbst affiziert werde. Jeder Aktus der Aufmerksamkeit kann uns ein Beispiel davon geben. Der Verstand bestimmt darin jederzeit den inneren Sinn der Verbindung, die er denkt, gemäß, zur inneren Anschauung, die dem Mannigfaltigen in der Synthesis des Verstandes korrespondiert. Wie sehr das Gemüt gemeiniglich hierdurch affiziert werde, wird ein jeder in sich wahrnehmen können.189 Die Affektion des inneren Sinnes durch den Verstand ist eine transzendentale Handlung der Einbildungskraft190 und also eine Bestimmung der transzendentalen Reflexion. Die transzendentale Reflexion bestimmt Konstituentien der Anschauung, Wahrnehmung und Erkenntnis; diese
Vgl. KrV A XI. Vgl. Konhardt (1979; 30-48), dessen affirmative Darstellung der Kantischen Verwendung des Terminus Vernunft naturgemäß nicht die Frage berührt, wie denn die Selbstuntersuchung der Vernunft auf der Grundlage von Kants eigener Erkenntnistheorie möglich sein soll. Indem Konhardt von Kant als dem Subjekt der Untersuchung spricht (z. B. 35; 37), zugleich aber auch von einer kritische[n] Selbstbeschränkung der Vernunft (47), reproduziert er die Ungereimtheiten der Kantischen Darstellung, ohne sie aufzuklären. 188 Vgl. dazu in dieser Arbeit auch das Kapitel Subjekt der Erkenntnis und innere Erfahrung. – Im Gegensatz zu Kant unterscheidet Fichte seit seiner ersten Wissenschaftslehre (1794/5) den Standpunkt des gemeinen Bewußtseins von dem höhern Standpunkt der Speculation, dem der Transzendentalphilosophie (VnD 274 [525]), wobei der Fichtesche Standpunkt auch unterschieden wird von dem Kants. 189 KrV B 156f. Anm. 190 KrV B 154. 186 187
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Konstituentien können selbst nicht angeschaut, wahrgenommen oder Gegenstand empirischer Erkenntnis sein. Mithin wird niemand die transzendentale Handlung der Einbildungskraft in sich wahrnehmen können.191 Der actus der Aufmerksamkeit dagegen ist der willkürliche Akt des empirischen Subjekts, sich seiner Vorstellungen bewußt zu werden [...].192 Der Fähigkeit, auf bestimmte Vorstellungen aufzumerken, von anderen dagegen zu abstrahieren, sind sich empirische Subjekte bewußt. Das Aufmerken auf etwas oder das Absehen von etwas sind selbst empirische Fakta, die als solche beschrieben werden können. Dem Alltagsbewußtsein ist die Erfahrung193 vertraut, daß es, statt mit seiner Aufmerksamkeit bei der Sache zu sein, bei sich selbst ist. Die Beschreibung solcher Zustände der Aufmerksamkeit ist aber kein genuiner Gegenstand der Transzendentalphilosophie, weshalb Kant besser ausschließlich in der Anthropologie von ihnen gehandelt hätte. Der Konfundierung von Bestimmungen der transzendentalen Reflexion mit solchen der Introspektion leistet die von Kant insbesondere in der Deduktion A gebrauchte vermögenspsychologische Terminologie Vorschub. Sie ist geeignet, die Deduktion als eine Deskription der transzendentalen Wirksamkeit dieser Vermögen mißzuverstehen.194 Unter den Vermögen sind solche, die transzendentale und aprio-
Paton (I 1936) ist zwar zuzustimmen, daß [t]he whole doctrine of inner sense is full of difficulties [...] (400). Seine Interpretation des Verhältnisses von transzendentaler Synthesis und innerem Sinn ist aber unhaltbar. Paton (II 1936) verharmlost Kants Bemerkung, wonach wir jederzeit den synthetischen Einfluß des Verstandes auf den inneren Sinn in uns wahrnehmen, als ein overstatement: It nevertheless serves to bring out sharply how far Kant was from regarding the transcendental synthesis as necessarily unconscious. (393). – Auch Kaulbach (1973; 114) affirmiert Kants Konfundierung transzendentaler Bestimmungen mit solchen der Introspektion: Das Schema ist Zeitbestimmung: Es ist die Melodie, nach welcher sich das spontan agierende, punktuelle ›Ich denke‹ selbst zur inneren Erfahrung bringt. – Vgl. dagegen Zocher (1959), 45f.: Das ›Ziehen‹ der Linie als figürliche Synthesis soll eine ›Modifikation des inneren Sinnes‹ bedeuten. Dadurch wird dieses Ziehen offenbar zu einer empirisch-psychischen Erscheinung! In die psychologistische Auffassung aller sinnlichen Gegenstände als ›Modifikationen des inneren Sinnes‹ werden also auch die sinnlichen Momente der Konstitution hineingezogen, und damit erscheint diese Konstitution selbst als Modifikation des inneren Sinnes! – Vgl. ferner Mörchen (1970), 52: Affektion des inneren Sinnes durch den Verstand kann nicht heißen, daß durch diese Affektion des inneren Sinnes die transzendentale Synthesis als etwas Psychisches, als ein faktisches Vorkommnis in der Seele anschaulich würde; sie ist nicht etwas, was im inneren Sinn unter anderem gegeben würde und Gegenstand der Psychologie werden könnte. Vielmehr ist sie als figürliche Synthesis die transzendentale Bedingung dafür, daß überhaupt Psychisches der psychologischen Beobachtung zugänglich werden kann. Sie ist die Bedingung von eigentlicher Gebbarheit von Mannigfaltigem im inneren Sinn überhaupt. 192 Anthr. BA 10. 193 Nicht in dem Kantischen Sinn, in dem sie synonym mit Erkenntnis ist. 194 Strawson (1966) begreift die transzendentale Deduktion both as an argument about the implications of the concept of experience in general, and also as a description of the transcendental workings of the subjective faculties, whereby experience is produced (88; vgl. auch 31 f.). 191
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rische Bestimmungen des erkennenden Subjekts sind, wie die produktive Einbildungskraft, und solche, die empirische Bestimmungen sind, wie die reproduktive Einbildungskraft.195 Damit nicht genug, bezeichnen ein und dieselben transzendentalen Bestimmungen in beiden Varianten der Deduktion mal Vermögen, mal je schon aktualisierte Handlungen. Entsprechend soll die Identität des empirischen Selbstbewußtseins einmal auf dem Bewußtsein der Handlung der Synthesis beruhen, dann auf dem Bewußtsein der Fähigkeit zu dieser Handlung.196 So heißt es in der A-Deduktion: [D]as Gemüt konnte sich unmöglich die Identität seiner selbst in der Mannigfaltigkeit seiner Vorstellungen und zwar a priori denken, wenn es nicht die Identität seiner Handlung vor Augen hätte, welche alle Synthesis der Apprehension (die empirisch ist) einer transzendentalen Einheit unterwirft, und ihren Zusammenhang nach Regeln a priori zuerst möglich macht.197 Der Akzent liegt hier auf dem Bewußtsein der Einheit der Handlung der Synthesis. In der B-Deduktion verschiebt Kant in demselben Satz den Akzent von dem Bewußtsein der Handlung auf das Bewußtsein der Möglichkeit zu dieser Handlung: Der Gedanke: diese in der Anschauung gegeKants Lehre von der Synthesis beruhe auf der Unterscheidung der Vermögen. Ihre Sätze belong to the imaginary subject of transcendental psychology [...] (97). Strawson will sie deshalb kurzerhand ersetzen by establishing a direct analytical connexion between the unity of consciousness and the unified objectivity of the world of our experience (96). – Die Kritik an Kants psychologistischer Terminologie ist nicht neu. Hegel (VLGdPh 337) zufolge bleibt Kant innerhalb der psychologischen Ansicht und empirischen Manier eingeschlossen. Kant, so Hegel schon in Glauben und Wissen, stelle die produktive Einbildungskraft fast in der gewöhnlichen Form psychologischer aber apriorischer Vermögen [...] dar (GuW 330). 195 Der Status der reproduktiven Einbildungskraft ist unklar. Sowohl nach der A- wie auch nach der B-Deduktion der reinen Verstandesbegriffe beruht die Synthesis der reproduktiven Einbildungskraft auf den empirischen Gesetzen der Assoziation (KrV A 100ff.; B 152). Während sie aber nach der B-Fassung daher zur Erklärung der Möglichkeit der Erkenntnis a priori nichts beiträgt, und um deswillen nicht in die Transzendentalphilosophie, sondern in die Psychologie gehört, gehört zufolge der A-Fassung die reproduktive Synthesis der Einbildungskraft zu den transzendentalen Handlungen des Gemüts und in Rücksicht auf dieselbe, wollen wir dieses Vermögen auch das transzendentale Vermögen der Einbildungskraft nennen. (A 102). Vgl. den Korrekturvorschlag Riehls, der in A 102 reproduktive Synthesis durch produktive Synthesis ersetzen will, und dazu den Kommentar Heideggers (Heidegger 1973, 182 FN). Riehls Korrektur, so Heidegger richtig, deckt sich zwar mit der von Kant sonst getroffenen Unterscheidung zwischen der transzendentalen produktiven und der empirischen reproduktiven Einbildungskraft, würde aber den von Kant intendierten Sinn der Passage zerstören. – Vgl. auch KrV A 94f. Dort bestimmt Kant Sinn, Einbildungskraft und Apperzeption als die drei ursprünglichen Vermögen der Seele, die die Bedingungen der Möglichkeit aller Erfahrung enthalten [...]. Und weiter: Alle diese Vermögen haben, außer dem empirischen Gebrauche, noch einen transz., der lediglich auf die Form geht, und a priori möglich ist. 196 Angesichts dieser Konfusion fragt Strawson (1966; 95) zu Recht: We may begin to wonder precisely in what way a reference to the combining or synthesizing activities of the understanding is supposed to elucidate the conditions under which self-consciousness is possible [...]. 197 KrV A 108.
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benen Vorstellungen gehören mir insgesamt zu, heißt demnach soviel, als ich vereinige sie in einem Selbstbewußtsein, oder kann sie wenigstens darin vereinigen [...].198 Zum einen identifiziert Kant das transzendentale Bewußtsein der Einheit der Handlung der Synthesis respektive das Bewußtsein der Fähigkeit zu dieser Handlung mit der selbstbewußten Einheit des wirklichen, empirischen Bewußtseins;199 zum anderen macht er nicht deutlich, inwiefern die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption ein Vermögen ist, das mit jedem expliziten Ich denke-Fall aktualisiert wird, oder aber die reine Aktualität des actus purus hat und somit schon immer aktualisiert ist.200 Gerade in Passagen, welche die synthetische Einheit zur Voraussetzung der analytischen
KrV B 134. Henrich (1976; 64) sieht darin einen Vorteil der Kantschen Darstellung: Der Philosoph, der über die Möglichkeit des einigen Selbstbewußtseins nachdenkt, kommt dazu, Bedingungen für die Synthesis des Mannigfaltigen zu unterstellen oder zu erschließen. Er darf und braucht dem Subjekt als solchen in seinem Bewußtsein von sich ein Wissen von diesen Bedingungen nicht zuzusprechen. Kant gründet aber das Grundargument seiner transzendentalen Deduktion nicht auf eine unabweisbare Erklärung des Selbstbewußtseins durch die philosophische Theorie, sondern auf die Unabtrennbarkeit eines Wissen von den Prinzipien der Synthesis vom Wirklichen und ursprünglichen Selbstbewußtsein als solchem. [...] So muß sich Kant auch äußern, denn sobald feststeht, daß Einheitsbedingungen der Synthesis die Einheit des Subjekts nur erklären sollen, so folgt auch schon, daß es unmöglich ist, anders als auf empirischem Wege festzustellen, welches diese Bedingungen wirklich sind. Henrich (1988; 42) meint: Der, der Erfahrungen macht, muß sich [...] der Kategorien als solcher Begriffe a priori in seiner Erkenntnis ausdrücklich bedienen. – Vgl. dazu Metz (1991; 75 FN), dessen Henrich-Kritik nicht trifft, wenn er diesem vorhält, er verkürze die Kantische Transzendentalphilosophie erheblich, wenn er die ursprünglich-konstituierende Synthesis des Verstandes auf die expliziten Ich-denke-Fälle reduziert [...]. Zwar formuliert Henrich, derjenige, der Erfahrungen mache, müsse sich der Kategorien ausdrücklich bedienen, er fügt aber eine Seite später hinzu: Kategoriengebrauch liege nur dann vor, wenn auch ein (wie immer implizites und also nicht analysiertes) Wissen von den Kategorien als von Begriffen a priori ihn leitet [...]. Das Bewußtsein, das sich der Kategorien ausdrücklich, wenn auch möglicherweise nur implizit bedient, sei das Alltagsbewußtsein. Dem entspricht, daß Kategorien wie Substanz und Kausalität wirklich zum allgemeinen Erkenntnisbesitz gehören und kompetent in jeder Form der Weltbeziehung der Erfahrung ins Spiel gebracht werden müssen [...]. (1988, 43) Daß ausgerechnet die Kantische Kategorie der Substanz zum allgemeinen Erkenntnisbesitz gehören soll, verwundert, kann doch noch nicht einmal gesagt werden, daß sie zum allgemeinen Erkenntnisbesitz der Erkenntnistheoretiker gehört. (Zur Kategorie der Substanz vgl. Büchsel 1977.) Richtig ist Metz’ Kritik, Henrichs erklärtes Unternehmen, Kants Argumente von seinem Konstitutionsidealismus loszuwinden, (Henrich 1976; 111) treffe das Herzstück der theoretischen Transzendentalphilosophie (Metz ebd.). 200 Henrich (1988; 42ff.) interpretiert die synthetische Einheit der Apperzeption als Vermögen, das mit jedem wie immer auch impliziten Ich denke-Fall aktualisiert wird. Er stützt sich dabei insbesondere auf A 108. – Vgl. Fleischer (1984; 105): Das Nachsinnen über die Quelle der Erfahrung ist demnach von der Wirksamkeit dieser Quelle zur Ermöglichung der Erfahrung sehr wohl zu unterscheiden; diese findet auch ohne jenes statt. – Ferner Baumanns (1979; 45): Die Aktualisierung des ›Ich denke‹ ist je schon erfolgt, wenn es zu Vorstellungen kommt. Zulässig 198 199
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erklären, bezeichnet Kant die synthetische Einheit als ein Vermögen.201 Dies muß insofern irritieren, als in diesen Passagen die analytische Einheit des Bewußtseins als Reflexionsbestimmung der synthetischen, die damit als je schon aktualisiert unterstellt ist, erwiesen wird. Fast scheint es, Kant wolle den Konsequenzen entgehen, die die eindeutige Bestimmung der synthetischen Einheit der Apperzeption entweder als Vermögen oder als reine Aktualität nach sich zöge. Als bloßes Vermögen, das mit jedem expliziten Ich denke-Fall aktualisiert wird, könnte sie der Natur nicht die Form ihrer allgemeinen Gesetzmäßigkeit vorschreiben, denn diese Form gilt unbedingt; sie kann ihrer Geltung nach nicht abhängig sein von dem zufälligen Vorliegen expliziter Ich denke-Fälle.202 Als reine Aktualität dagegen wäre die synthetische Einheit der Apperzeption die Einheit der Handlung der Synthesis des in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen, welcher Einheit das gegebene Mannigfaltige a priori unterstünde – wir mögen uns ihrer bewußt werden oder nicht [...].203 Sie wäre analog der Wirklichkeit des intellectus archetypus in der empirischen Realität.204 Auch so könnte sie der Natur nicht die Form ihrer allgemeinen Gesetzmäßigkeit im Sinne der kopernikanischen Wende205 vorschreiben, denn diese Gesetzmäßigkeit hätte ontologische Dignität. wäre statt der Rede von einer Ad-libitum-Aktualisierbarkeit des ›Ich-denke‹ lediglich die Unterscheidung zwischen Selbstbewußtsein und reflexiver Selbstvergewisserung, welche letztere wissensimmanent-nebenthematisch, wissensimmanent-hauptthematisch und wissenstheoretisch erfolgen kann. 201 Vgl. KrV B 133f. Anm.; A 117f. Anm. 202 Ein reines Ich und die Verrichtungen desselben vor allem Bewußtseyn haben keine Realität, weil sie nicht im gemeinen Bewußtseyn vorkommen, heißt dasselbe sagen, was ein ungebildeter Wilde sagen würde, wenn er spräche: eure Kausalität und eure Wechselwirkung haben keine Realität, denn man kann sie nicht essen. Fichte, NR 337 [26]. 203 KrV B 130. 204 Dem kommt Metz (1991, 80) nahe: Die alte aristotelische Grundwahrheit, daß die Wirklichkeit früher als die Möglichkeit ist, wird also durch Kants Transzendentalphilosophie nicht außer Kraft gesetzt, sondern in erneuerter Form bekräftigt. Synthetische Urteile a priori sind uns möglich, weil die von der transzendentalen Subjektivität vollzogenen Synthesis-Handlungen immer schon wirklich, ja sogar [...] als figürliche immer schon verwirklicht sind. – Es versteht sich von selbst, daß der Begriff des intellectus archetypus nach Kant nur eine regulative Idee ist: Ich werde mir also nach der Analogie der Realitäten in der Welt [...] ein Wesen denken, das alles [...] in der höchsten Vollkommenheit besitzt, und, indem diese Idee bloß auf meiner Vernunft beruht, dieses Wesen als selbständige Vernunft, was durch Ideen der größten Harmonie und Einheit, Ursache vom Weltganzen ist, denken können, so daß ich alle, die Idee einschränkenden, Bedingungen weglasse, lediglich um, unter dem Schutze eines solchen Urgrundes, systematische Einheit des Mannigfaltigen im Weltganzen, und, vermittelst derselben, den größtmöglichen empirischen Vernunftgebrauch möglich zu machen, indem ich alle Bedingungen so ansehe, als ob sie Anordnungen einer höchsten Vernunft wären, von der die unsrige ein schwaches Nachbild ist. KrV B 706; vgl. B 723. Der intellectus archetypus ist in der Kritik der reinen Vernunft eine regulative Idee der Vernunft, in der Kritik der Urteilskraft entspricht ihm der ursprüngliche oder intuitive Verstand als regulative Idee der reflektierenden Urteilskraft. 205 Vgl. KrV B XIII ff.
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5. Subjekt und Objekt der Erkenntnis Kants Argumentation gerät nicht zufällig in die falsche Alternative der Bestimmung der synthetischen Einheit der Apperzeption entweder als Vermögen oder als reine Aktualität. Diese Alternative resultiert vielmehr ganz konsequent aus dem Versuch, die nominalistische Voraussetzung der Transzendentalphilosophie, den Datensensualismus unseres Bewußtseins, durch die nominalistische Theorie der kategorialen Synthesis der produktiven Einbildungskraft aufzuheben. Kant muß den Datensensualismus des Bewußtseins aufheben, denn auf seiner Grundlage allein läßt sich über Erkenntnis nicht mehr sagen, als Empirismus und Rationalismus darüber gesagt haben. Nun scheint es selbstverständlich, daß diese Aufhebung nur mittels einer nominalistischen Theorie erfolgen kann.206 Niemand käme auf die Idee zu vermuten, Kant könne die Widersprüche und Ungereimtheiten seiner gleichfalls auf dem Boden des Nominalismus stehenden empiristischen und rationalistischen Vorgänger durch die Restitution des Universalienrealismus207 aus der Welt schaffen wollen.208 Schließlich ist die kopernikanische Wende mit einer affirmativen Metaphysik, die den Allgemeinbegriffen eine Wirklichkeit ante rem, in re und post rem zuschreibt, unvereinbar. Wohl deshalb ist den Interpreten, soweit zu sehen, entweder nicht aufgefallen, daß sich Kant mitunter einer ontologisch-metaphysischen Ausdrucksweise bedient, oder aber sie haben sie stillschweigend für eine bloße façon de parler genommen.209 Ohnehin scheint es nach dem linguistic turn, in der Epoche des Kants Transzendentalphilosophie ist nicht, wie Blasche (1988; 110) meint, ein Drittes neben Begriffsrealismus und Nominalismus, sondern der Versuch, unter Voraussetzung und Anerkennung des Nominalismus die Möglichkeit von allgemeinen und notwendigen Erfahrungsurteilen zu begründen. 207 Mit den Ausdrücken der Nominalismus bzw. der Universalienrealismus wird nicht behauptet, es gäbe zwei einander entgegengesetzte jeweils einheitliche philosophische Positionen, die unter diesen Titeln firmierten. Wer aber allgemeine Kennzeichnungen von in sich durchaus unterschiedlichen philosophischen Richtungen generell verwirft, läuft Gefahr, die Geschichte der Philosophie unphilosophisch auf das Konstatieren dessen, was war, herunterzubringen. Die Gegnerschaft mancher Philosophiehistoriker gegenüber dem Begriff Nominalismus ist systematisch nicht gerechtfertigt und selber eine Konsequenz nominalistischen Denkens. Mensching (1992), 320f. Anm. 208 Nicht wenige Freunde der mittelalterlichen Philosophie sind gewohnt, das Problem des Allgemeinen vom Problem der Universalien aus zu betrachten. Unter diesem Gesichtspunkt schränken sich die Probleme der Einheit auf die Probleme der Einheit einer Gattung ein. Nun hat sich das Universalienproblem nicht nur dadurch erschöpft, daß dieses Problem in einer endlosen Diskussion immer wieder hin und her gewandt wurde. Es kam hinzu, daß die auf die Mechanik sich stützende neue Naturwissenschaft für den Begriff der Gattung keine Verwendung mehr hatte. [...] Das Allgemeine, um das es in der Mathematik, in der Physik und damit auch in der Kritik der reinen Vernunft geht, ist das Allgemeine der Zahl und das Allgemeine der Relation. Martin (1950), 135. 209 Eine Ausnahme bildet Büchsel (1977). 206
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nachmetaphysischen Denkens,210 naheliegend, den Kantischen Nominalismus sprachphilosophisch zu überbieten, statt ihn auf seine versteckten metaphysischen Gehalte hin zu untersuchen. Die These vom Datensensualismus des Bewußtseins findet sich schon in der transzendentalen Ästhetik.211 Indem Kant dort das Erkennbare seinem Dasein nach als empirisch Gegebenes faßt, bindet er alle Erkenntnis an die Rezeptivität des empirischen Subjekts. Indem er nachweist, daß die Empfindungsdaten zwar notwendig in den apriorischen Formen der Anschauung Zeit und Raum gegeben sind, durch ihr Gegebensein in diesen Formen aber nicht als identische Gegenstände bestimmt sind, erhebt er die vom Sensualismus und Empirismus behauptete Strukturlosigkeit und Partikularität des Dinglichen (Locke) bzw. der sinnlichen Dingvorstellung (Hume) in den Rang einer systematischen Bestimmung.212 Das Gegebene ist als Gegebenes nicht an sich identisch, sondern bloßes Material der Synthesis. Dennoch benutzt Kant, insbesondere in der Deduktion A, Formulierungen, die, wörtlich genommen, eine metaphysische Ansichbestimmtheit der Erscheinungen auszudrücken scheinen. Kant: Es ist zwar ein bloß empirisches Gesetz, nach welchem Vorstellungen, die sich oft gefolgt oder begleitet haben, miteinander endlich vergesellschaften, und dadurch in eine Verknüpfung setzen, nach welcher, auch ohne die Gegenwart des Gegenstandes, eine dieser Vorstellungen einen Übergang des Gemüts zu der anderen, nach einer beständigen Regel, hervorbringt. Dieses Gesetz der Reproduktion setzt aber voraus: daß die Erscheinungen selbst wirklich einer solchen Regel unterworfen seien [...]. Würde der Zinnober bald rot, bald schwarz, bald leicht, bald schwer sein, ein Mensch bald in diese, bald in jene tierische Gestalt verändert werden [...], so könnte meine empirische Einbildungskraft nicht einmal Gelegenheit bekommen, bei der Vorstellung der roten Farbe den schweren Zinnober in die Gedanken zu bekommen, oder würde ein gewisses Wort bald diesem, bald jenem Dinge beigelegt, oder auch eben dasselbe Ding bald so bald anders benannt, ohne daß hierin eine gewisse Regel, der die Erscheinungen schon von selbst unterworfen sind, herrschte, so könnte keine empirische Synthesis der Reproduktion stattfinden.213 Durch die Reproduktion an sich unbestimmter Erscheinungen in der Einbildungskraft kann Kant zufolge noch nicht einmal die Möglichkeit von Wahrnehmung erklärt werden, geschweige denn die von allgemeiner und notwendiger Erkenntnis. Beides setzt vielmehr die Reproduzibilität der Erscheinungen notwendig voraus[...].214 Die Erscheinungen müssen objektiv reproduzibel, oder sie müssen objektiv affin sein. Statt von der Reproduzibilität der Erscheinungen215 spricht Kant auch von der Affinität des Mannigfaltigen,216 und 210 211 212 213 214 215 216
Habermas (1988). Vgl. KrV B 33ff. und in dieser Arbeit weiter oben. Vgl. Körsgen (1984), 36. KrV A 100f. KrV A 102. KrV A 102. KrV A 113.
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schließlich von dem Gegenstand[..] der Vorstellungen.217 Diese Ausdrücke, die, für sich genommen, jeweils die metaphysische Ansichbestimmtheit der Erscheinungen anzuzeigen scheinen, erweist Kant jeweils als transzendentale Bestimmungen des erkennenden Subjekts (genitivus obiectivus). Der objektive Grund der Reproduzibilität der Erscheinungen ist kein metaphysischer, sondern die transzendentale Einheit der Apperzeption respektive die kategoriale Synthesis der produktiven Einbildungskraft. Diesen objektiven Grund aller Assoziation der Erscheinungen nenne ich die Affinität derselben. Diesen können wir aber nirgends anders, als in dem Grundsatze von der Einheit der Apperzeption, in Ansehung aller Erkenntnisse, die mir angehören sollen, antreffen. Nach diesem müssen durchaus alle Erscheinungen, so [...] apprehendiert werden, daß sie zur Einheit der Apperzeption zusammenstimmen, welches, ohne synthetische Einheit in ihrer Verknüpfung, die mithin auch objektiv notwendig ist, unmöglich sein würde./ Die objektive Einheit alles (empirischen) Bewußtseins in einem Bewußtsein (der ursprünglichen Apperzeption) ist also die notwendige Bedingung sogar aller möglichen Wahrnehmung, und die Affinität aller Erscheinungen [...] ist eine notwendige Folge einer Synthesis in der Einbildungskraft, die a priori auf Regeln gegründet ist.218 Aber nicht nur in der Deduktion A, auch in der B-Variante finden sich Formulierungen, die, für sich genommen, ontologisch-metaphysisch anmuten: Die analytische Einheit des Bewußtseins hängt allen gemeinsamen Begriffen, als solchen, an, z.B. wenn ich mir rot überhaupt denke, so stelle ich mir dadurch eine Beschaffenheit vor, die (als Merkmal) irgendworan angetroffen, oder mit anderen Vorstellungen verbunden sein kann; also nur vermöge einer vorausgedachten möglichen synthetischen Einheit kann ich mir die analytische vorstellen. Eine Vorstellung, die als verschiedenen gemein gedacht werden soll, wird als zu solchen gehörig angesehen, die außer ihr noch etwas Verschiedenes an sich haben, folglich muß sie in synthetischer Einheit mit anderen (wenngleich nur möglichen Vorstellungen) vorher gedacht werden, ehe ich die analytische Einheit des Bewußtseins, welche sie zum conceptus communis macht, an ihr denken kann.219 Nach Kant ist die analytische Einheit der Apperzeption die allgemeine Form der analytischen Einheit von gemeinsamen, das heißt durch Umfang und Inhalt bestimmten, also diskursiven Begriffen.220 So wie das Ich denke als identische Teilvorstellung in allen denkbaren verschiedenen Vorstellungen enthalten ist, so ist, mit Kants Beispiel, die Vorstellung rot als identische Teilvorstellung in einer Vielheit ansonsten verschiedener Vorstellungen enthalten. Kants Formulierung, die Vorstellung rot werde als Merkmal irgendworan angetroffen, könnte das Mißverständnis provozieren, es seien verschiedene, jeweils mit sich identischen Einzeldinge gemeint, an denen das Merkmal rot angetroffen werde.221 Dies ist aber, sobald ich meine Begriffe von KrV A 104. KrV A 122f. 219 KrV B 133f. Anm. 220 Kant kritisiert die Auffassung, es gebe Individualbegriffe. Für ihn ist jeder Begriff ein conceptus communis. Vgl. Stuhlmann-Laeisz (1976), 77ff.; ferner Reich (1948), 34ff. 221 Ohne über die ontologischen Implikationen nachzudenken, spricht Stuhlmann-Laeisz 217 218
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einem Gegenstande bis zur transzendentalen Bedeutung steigere [...],222 ausgeschlossen, und die unmittelbar darauffolgende Formulierung: oder mit anderen Vorstellungen verbunden sein kann ist nicht die alternative Formulierung desselben Sachverhalts, sondern die Korrektur der ersten, irreführenden Formulierung. Begriffe sind nach Kant Einheiten von Merkmalen und unter Abstraktion von diesen leer. Merkmale sind Akzidenzien, die durch Prädikate bezeichnet werden. Ein an sich bestimmtes Subjekt der Prädikation kann es nach Kant gar nicht geben.223 Man hat schon längst angemerkt, daß uns an allen Substanzen das eigentliche Subjekt, nämlich das, was übrig bleibt, nachdem alle Akzidenzen (als Prädikate) abgesondert worden, mithin das Substantiale selbst, unbekannt sei. [...] Die reine Vernunft fodert, daß wir zu jedem Prädikate eines Dinges sein ihm zugehöriges Subjekt, zu diesem aber, welches notwendiger Weise wiederum nur Prädikat ist, fernerhin sein Subjekt und so forthin ins Unendliche (oder so weit wir reichen) suchen sollen. Aber hieraus folgt, daß wir nichts, wozu wir gelangen können, vor ein letztes Subjekt halten sollen, und daß das Substantial selbst niemals von unserm noch so tief eindringenden Verstande, selbst wenn ihm die ganze Natur aufgedeckt wäre, gedacht werden könne; weil die spezifische Natur unseres Verstandes darin besteht, alles diskursiv, d. i. durch Begriffe, mithin auch durch lauter Prädikate zu denken, wozu also das absolute Subjekt jederzeit fehlen muß. Daher sind alle reale Eigenschaften, dadurch wir Körper erkennen, lauter Akzidenzen [...].224 Substanzbegriffe sind Kant zufolge mit der Diskursivität unseres Verstandes unvereinbar.225 Der Verstand, formal als Vermögen zu urteilen226 bestimmt, ist tran(1976; 83) wie selbstverständlich davon, die Vorstellung ›rot‹ [sei] dieselbe in allen verschiedenen Vorstellungen von roten Dingen [...]. 222 KrV B 235f. 223 Das Ansich der Dinge ist menschlicher Erkenntnis prinzipiell unzugänglich. Das schließt Substanzbegriffe der auf Aristoteles zurückgehenden begriffsrealistischen Tradition ebenso wie solche der – Kant vor Augen stehenden – neuzeitlichen nominalistischen rationalen Metaphysik aus. Vgl. dazu auch Heimsoeth (1956), 69-79. 224 Prol. A 134f. (§46). Vgl. die bei Heimsoeth (1956; 194ff.) aus Vorlesungen bzw. Vorlesungsnachschriften angeführten Zitate. Das Substantiale ist das Ding an sich selbst und unbekannt. (194); Wir denken uns die Substanzen durch die Akzidenzien, und nicht durch das Substantiale; denn das Substantiale ist anschauend. Das Substantiale ist anschauend meint: es ist nur intellektueller Anschauung direkt zugänglich. Diese aber ist nach Kant beim Menschen ein Unding. Ja, ich getraue mir zu behaupten, daß kein erschaffenes Wesen intellektuale Dinge erkennen könne, als nur das Wesen, welches die Ursache von den Dingen ist [...] (195). 225 Eine Ansicht, die von der Sekundärliteratur nahezu einhellig übernommen wird. Vgl. etwa Körsgen (1984), 19: Innerhalb seiner [Kants] transzendentaltheoretischen Konzeption läßt sich ja durchaus sagen, daß seine Funktionsbestimmung der Kategorie überhaupt und der Substanzkategorie im besonderen auf der Einsicht beruht, daß dasjenige, was die Kategorien konstituieren, ohne deren Konstitutionsleistung von sich selbst her nicht gebbar ist, was für die Substanzkategorie kurz und bündig bedeutet: Die Bestimmung der Substanzkategorie als Funktion der Konstitution von Objektivität basiert auf der Einsicht, daß es Substanzen nicht gibt. 226 KrV B 94.
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szendentalphilosophisch nichts weiter [...] als das Vermögen, a priori zu verbinden, und das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen unter Einheit der Apperzeption zu bringen [...].227 Die Bestimmtheit des Subjektbegriffs im Urteil, der nach Kant das Objekt der Erkenntnis bezeichnet,228 ist allein Resultat der Synthesis des Verstandes, der das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen unter die Einheit der Apperzeption bringt. Über den allgemeinen Begriff des Objekts kann mit Kant deshalb nicht mehr gesagt werden, als daß er im Resultat der Synthesis die Einheit der Apperzeption enthält. Aufgrund dieses Objektbegriffs kann dem Objekt nicht die Seite der Unabhängigkeit gegenüber der Synthesis zugesprochen werden. Eine Ansichbestimmtheit des Objekts der Erkenntnis ist mit ihm ausgeschlossen. Ohne ein Ansich des Objekts der Erkenntnis ist dieses aber selbst nicht mehr Bedingung der Erkenntnis, sondern bloßes Konstitutum des erkennenden Subjekts. Dem scheint Kant zu widersprechen: [W]as verstehe ich also unter der Frage: wie das Mannigfaltige in der Erscheinung selbst (die doch nichts an sich selbst ist) verbunden sein möge? Hier wird das, was in der sukzessiven Apprehension liegt, als Vorstellung, die Erscheinung aber, die mir gegeben ist, ohnerachtet sie nichts weiter als ein Inbegriff dieser Vorstellungen ist, als der Gegenstand derselben betrachtet, mit welchem mein Begriff, den ich aus den Vorstellungen der Apprehension ziehe, zusammenstimmen soll. Man sieht bald, daß [...] Erscheinung, im Gegenverhältnis mit den Vorstellungen der Apprehension, nur dadurch als das davon unterschiedene Objekt derselben könne vorgestellt werden, wenn sie unter einer Regel steht, welche sie von jeder anderen Apprehension unterscheidet, und eine Art der Verbindung des Mannigfaltigen notwendig macht. Dasjenige an der Erscheinung, was die Bedingung dieser notwendiger Regel der Apprehension enthält, ist das Objekt.229 Obwohl die Erscheinung nichts an sich selbst ist, sei an ihr etwas, das es ermögliche, die sukzessive Wahrnehmungsfolge des empirischen Subjekts von der objektiven Bestimmtheit des Wahrgenommenen zu unterscheiden. Was diese Unterscheidung ermögliche, sei das Objekt, dieses aber sei bloßes Resultat der kategorialen Synthesis. Objekt meint hier nicht Gegenstand möglicher Erfahrung, wie Kant unmittelbar vor der zitierten Passage durch das Beispiel des Hauses suggeriert, sondern kategorial bestimmte Einheit des gegebenen Wahrnehmungsmannigfaltigen. Diese Einheit ist nur formal von der transzendentalen Einheit der Apperzeption unterschieden – als ihr Resultat. Es ist aber klar, daß, da wir es nur mit dem Mannigfaltigen unserer Vorstellungen zu tun haben, und jenes X, was ihnen korrespondiert (der Gegenstand), weil er etwas von allen unsern Vorstellungen Unterschiedenes sein soll, für uns nichts ist, die Einheit, welche der Gegenstand notwendig macht, nichts
KrV B 135. Was ist object? Das, dessen Vorstellung ein Inbegriff mehrer dazu gehoriger Pradicate ist. [...]/ In jedem Urtheile ist Subject und Prädicat. Das Subject des Urtheils, so fern es verschiedene mogliche Pradikate enthalten kann, ist das object. [...]/ Das Bestimbare in einem Urtheile, das logische Subject, ist zugleich das reale object. R 6350. 229 KrV B 236. 227
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anderes sein könne, als die formale Einheit des Bewußtseins in der Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellungen. Alsdann sagen wir: wir erkennen den Gegenstand, wenn wir in dem Mannigfaltigen der Anschauung synthetische Einheit bewirkt haben.230 Der Gegenstand, der selbst Bedingung der Einheit des Wahrnehmungsmannigfaltigen ist, ist die transzendentale Einheit der Apperzeption. Damit gründet die Erkenntnis allein in der transzendentalen Subjektivität. Der Verzicht auf die ontologisch-metaphysische Bestimmtheit des Gegenstandes der Erkenntnis zieht keinen subjektiven Idealismus oder Skeptizismus nach sich, weil nach Kant die Gegenständlichkeit des Gegenstandes der Erkenntnis durch die kategoriale Synthesis der transzendentalen produktiven Einbildungskraft systematisch konstituiert ist. Indem Kant die Einheit des empirischen Bewußtseins mit der transzendentalen Einheit der Apperzeption identifiziert, von der wiederum der allgemeine Begriff des Gegenstandes der Erkenntnis nur formell unterschieden ist, reduziert er die empirischen Subjekte auf die Funktion der Erkenntnistätigkeit und die Bestimmtheit der Gegenstände der Erkenntnis auf die Funktion ihrer Erkennbarkeit. Kants Überwindung insbesondere des Humeschen Skeptizismus scheint unmittelbar in den objektiven Idealismus zu führen, dem die Ansichbestimmtheit des Gegenstandes als bloße Voraussetzung seiner Bestimmbarkeit gilt,231 mit der Konsequenz, daß Subjekt und Gegenstand der Erkenntnis keine Selbständigkeit gegenüber ihrer Vermittlung im Prozeß der Erkenntnis haben.232 Zwar scheint es, als widerspreche dieses allen Bemerkungen, die man jederzeit über den Gang unseres Verstandesgebrauchs gemacht hat, nach welchen wir nur allererst durch die wahrgenommenen und verglichenen übereinstimmenden Folgen vieler Begebenheiten auf vorhergehende Erscheinungen, eine Regel zu entdecken, geleitet worden, der gemäß gewisse Begebenheiten auf gewisse Erschei-
KrV A 105. Vgl. Hegel, Sein, 110f.: Die Bestimmung ist die affirmative Bestimmtheit, als das Ansichseyn, dem das Etwas in seinem Daseyn gegen seine Verwicklung mit Anderem, wovon es bestimmt würde, gemäß bleibt, sich in seiner Gleichheit mit sich erhält, sie in seinem Seyn-fürAnderes geltend macht. Es erfüllt seine Bestimmung, insofern die weitere Bestimmtheit, welche zunächst durch sein Verhalten zu Anderem mannigfaltig erwächst, seinem Ansichseyn gemäß, seine Fülle wird. 232 Jacobi hat diese Seite der Transzendentalphilosophie verspottet: Ohnmächtig muß jede Philosophie a priori seyn, wenn sie nicht lehrt, ursprünglich zu bestimmen, eine begränzte Welt aus dem unbestimmten Chaos durch einen sich selbst gebärenden, vom Verstande bewegten Mechanismus, hervorgehen zu lassen; die nicht, Alles und Eines umfassend, eine Schöpfung werden hieße aus Nichts. Seyd ihr wirklich diese Schöpfer, kritische Baumeister des Universums? Woher nehmt ihr die Resistenzen, um eure Maschine in Gang zu bringen, als aus dem Traume der reinen Mannichfaltigkeit, aus einer unsinnlichen Hypostasirung der Sinnlichkeit? Ihr schwebet in einem Limbus der reinen Einbildungskraft, welche euch, trotz ihres unsystematischen Charakters, das Geheimnis offenbart, Himmel und Erde, mit allem, was darin und darüber ist, systematisch aus den Fingern zu saugen: nur schade, daß ihr aus übergroßer Begierde die Finger selbst wegsaugt! Jacobi (1801), 172f. 230 231
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nungen jederzeit folgen, und dadurch zuerst veranlaßt worden, uns den Begriff von Ursache zu machen. Auf solchen Fuß würde dieser Begriff bloß empirisch sein, und die Regel, die er verschafft, daß alles, was geschieht, eine Ursache habe, würde ebenso zufällig sein, als die Erfahrung selbst: seine Allgemeinheit und Notwendigkeit wären alsdann nur angedichtet, und hätten keine wahre allgemeine Gültigkeit, weil sie nicht a priori, sondern nur auf Induktion gegründet wären. Es geht aber hiemit so, wie mit anderen reinen Vorstellungen a priori (z. B. Raum und Zeit) die wir darum allein aus der Erfahrung als klare Begriffe herausziehen können, weil wir sie in die Erfahrung gelegt hatten, und diese daher durch jene allererst zustande brachten.233 Die Frage ist, wie unter dieser Bedingung, wenn schon nicht unterschiedene konsistente Klassen von Gegenständen möglicher Erfahrung, etwa die von Häusern, Hunden und Schiffen, die Kant in seinen Beispielen aber immer wieder anführt,234 so doch wenigstens besondere Naturgesetze, die sich auf unterschiedene Gegenstandsbereiche beziehen, möglich sind.235 Kants bekannte Antwort ist unbefriedigend: Besondere Gesetze, weil sie empirisch bestimmte Erscheinungen betreffen, können davon [von den Kategorien] nicht vollständig abgeleitet werden, ob sie gleich alle insgesamt unter jenen stehen. Es muß Erfahrung dazu kommen, um die letzteren [die besonderen Gesetze] überhaupt kennen zu lernen.236 Richtig ist, daß die transzendentale Einheit der Apperzeption nicht von der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe über den Schematismus der reinen Verstandesbegriffe und die Grundsätze des reinen Verstandes hin zu besonderen Naturgesetzen spezifiziert werden kann; richtig ist ferner, daß die Kenntnis besonderer Naturgesetze ohne Erfahrung nicht denkbar ist. Hingegen ist unklar, was Kant hier unter Erfahrung und dem Kennenlernen von Naturgesetzen versteht. Zunächst: Kants Bemerkung darf nicht so interpretiert werden, daß besondere Naturgesetze durch (eine wie auch immer geartete) Erfahrung ›kennengelernt‹ würden. Sie wären so, wie Kant selbst betont, nur von komparativer Allgemeinheit. Erscheinungen geben gar wohl Fälle an die Hand, aus denen eine Regel möglich ist, nach der etwas gewöhnlichermaßen geschieht, aber niemals, daß der Erfolg notwendig sei: daher der Synthesis der Ursache und Wirkung auch eine Dignität anhängt, die man gar nicht empirisch ausdrücken kann, nämlich, daß die Wirkung nicht bloß zu der Ursache hinzukomme, sondern durch dieselbe gesetzt sei, und aus ihr erfolge. Die strenge Allgemeinheit der Regel ist auch gar keine Eigenschaft empirischer Regeln, die durch Induktion keine andere als komparative Allgemeinheit, d. i. ausgebreitete KrV B 240f. Vgl. etwa KrV B 180 (Der Begriff von einem Hunde); B 235 (Die Apprehension des Mannigfaltigen in der Erscheinung eines Hauses, das vor mir steht [...]; B 237 (Ich sehe z.B. ein Schiff den Strom hinabtreiben.). 235 K. Düsing (1983; 225) stellt sich diese Frage nicht, wenn er den Objektbegriff Kants interpretiert: Objekt bedeutet hierbei nicht etwas anschaulich einfach Vorgegebenes, sondern Gesetz oder gesetzmäßige Einheit im Anschauungsmannigfaltigen, z.B. ein Naturgesetz. 236 KrV B 165. 233
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Brauchbarkeit bekommen können.237 Aus diesem Grund kann es auch empirische Gesetze238 und empirische Erkenntnisurteile im strengen Sinne nicht geben, denn entweder sind es empirische Bestimmungen, dann ist ihre Geltung auf die Zahl der untersuchten Fälle eingeschränkt, oder sie gelten notwendig und allgemein, dann sind sie nicht empirisch. Erfahrung kann hier nicht synonym mit Erkenntnis sein, als welche sie je schon unter der transzendentalen Einheit der Apperzeption steht. Der Sache nach kann Kant hier nur die wirkliche Erfahrung des empirischen Subjekts meinen.239 Kant führt die unmittelbare, also kategorial nicht konstituierte, Erfahrung an, um dem Zug zur absoluten Vermittlung von Subjekt und Gegenstand der Erkenntnis, der seinem Konstitutionsidealismus anhaftet, zu begegnen. Dabei fällt er aber von einem Extrem in das andere. Einmal soll Gegenständlichkeit kategorial konstituiert sein, mit der Konsequenz, daß Subjekt und Gegenstand der Erkenntnis keine Selbständigkeit gegenüber ihrer Vermittlung im Prozeß der Erkenntnis haben; dann stellt Kant die kategoriale Synthesis dem Mannigfaltigen der Erfahrung gegenüber und erweckt damit den Eindruck, die Kategorien stünden im menschlichen Geiste vor der Erfahrung, etwa als leere Fächer da, und warteten, bis die letztere etwas in sie hinein stellte.240 Kants Rekurs auf unmittelbare Erfahrung ist mit seinen eigenen Ausführungen unvereinbar. Denn aufgrund dieser Ausführungen ist kein empirisches Subjekt möglich, das diese unmittelbare Erfahrung hat, noch sind Gegenstände möglich, die unmittelbar erfahrbar wären. Kant läßt zwischen dem empirischen Bewußtsein, das unter der transzendentalen Einheit der Apperzeption steht und infolgedessen erkennendes Bewußtsein ist, und dem bloß empirischen Bewußtsein, das nicht unter der transzendentalen Einheit der Apperzeption steht und infolgedessen an sich zerstreut ist, kein Drittes gelten.241 Die vollständige Disjunktion zwischen notwendiger, systematischer Einheit des
KrV B 124; vgl. B 3 und A 24. KrV A 127f.: Zwar können empirische Gesetze, als solche, ihren Ursprung keineswegs vom reinen Verstande herleiten [...]. Aber alle empirischen Gesetze sind nur besondere Bestimmungen der reinen Gesetze des Verstandes, unter welchen und nach deren Norm jene allererst möglich sind [...]. 239 Die Bedeutung des Terminus Erfahrung muß jeweils aus dem Kontext erschlossen werden. Erfahrung, die sich in allgemeingültigen Urteilen artikuliert, ist nach Kant empirische Erkenntnis. Voraussetzung solcher Erkenntnis ist Erfahrung in der Bedeutung von sinnlicher Wahrnehmung: Daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfange, daran ist gar kein Zweifel [...]. KrV B 1. 240 Fichte, NR 315f. [4f.]. Fichte bezieht sich auf Kantianer, die Kant falsch interpretieren. Immerhin können sie sich bei ihrer falschen Interpretation auf den Wortlaut so mancher Passage in der Kritik der reinen Vernunft stützen, weshalb es Fichte auf den Geist, nicht auf das Wort der Kritik ankommt. 241 Als Funktionsorgane der transzendentalen Einheit der Apperzeption können die empirischen Subjekte sowenig irren wie das transzendentale Subjekt. Die Diskussion, inwiefern die Kantische Transzendentalphilosophie die Falschheit eines Urteils zu denken erlaube oder nicht, inwiefern die transzendentale Logik als ›Logik der Wahrheit‹ eine Logik der Wahrheitsdifferenz 237 238
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empirischen Bewußtseins einerseits und bloßer Mannigfaltigkeit empirisch gegebener Vorstellungen andererseits findet seinen positiven Ausdruck in der Gleichsetzung von Erfahrung und Erkenntnis. Damit sind Wahrnehmungsurteile, wie Kant sie in den Prolegomena skizziert, unmöglich.242 Es ist nur eine Erfahrung, in welcher alle Wahrnehmungen als im durchgängigen und gesetzmäßigen Zusammenhange vorgestellt werden [...]. Wenn man von verschiedenen Erfahrungen spricht, so sind es nur so viel Wahrnehmungen, sofern solche zu einer und derselben allgemeinen Erfahrung gehören. Die durchgängige und synthetische Einheit der Wahrnehmungen macht nämlich gerade die Form der Erfahrung aus, und sie ist nichts anderes, als die synthetische Einheit der Erscheinungen nach Begriffen.243 Indem Kant die Einheit des empirischen Bewußtseins mit der transzendentalen Einheit der Apperzeption identifiziert, nimmt er den Trägern dieses Bewußtseins, den in Raum und Zeit individuierten empirischen Subjekten, jede Selbständigkeit gegenüber dem Prozeß der Erkenntnis. Weil ihnen transzendentalphilosophisch keine andere Bestimmtheit bleibt als die, numerisch verschiedene Subjekte in der Einen empirischen Realität zu sein, können ihnen keine Qualitäten zugesprochen werden, aufgrund derer sie selbst notwendige Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis sind. Dies ist zu kritisieren, denn es ist unverträglich mit Kants Begriff der kopernikanischen Wende. Ist der Gegenstand der Er-
(Prauss 1973 a; 84) ist oder nicht, kann nicht anhand von einzelnen Passagen der transzendentalen Analytik entschieden werden, sondern muß berücksichtigen, daß dem empirischen Bewußtsein, damit auch dem empirischen Subjekt keine Selbständigkeit gegenüber der transzendentalen Einheit der Apperzeption bleibt. Ist das der Fall, dann kann nicht das empirische Subjekt bzw. dessen empirische Synthesis ins Feld geführt werden, um zu zeigen, daß die Transzendentalphilosophie Bedingung der Möglichkeit sowohl der empirischen Wahrheit wie des empirischen Irrtums sei. Die Interpreten, die so argumentieren, reproduzieren nur das unhaltbare Kantische Verfahren, einmal diese, einmal jene Seite des Dualismus von apriorischer, das heißt unbedingter Form, und empirischem, das heißt zufälligem Inhalt jeder Erkenntnis stark zu machen. Sie übersehen, daß der Kantische Konstitutionsidealismus keinen Ort kennt, an dem ein empirisches Subjekt kein an sich zerstreutes Bewußtsein und dennoch keine Erkenntnis hat. – Vgl. Prauss (1973 a; 83 f.), der in der transzendentalen Logik eine der Wahrheitsdifferenz sieht; Stuhlmann-Laeisz (1976; 49 ff.) widerspricht ihm; Viertel (1985; 67) meint, die Falschheit eines Urteils sei nach Kants Ausführungen nicht zu denken; Metz (1991; 73 u. pass.) widerspricht, indem er mit Kant die Distinktion von empirischer und transzendentaler Wahrheit, empirischer und transzendentaler Synthesis ins Feld führt. So auch Fleischer (1984; 103 ff.); vgl. ferner Becker (1984; 46 ff.), der sich Prauss (1973 a) anschließt, und Schönrich (1981; 41), der Stuhlmann-Laeisz (1976) kritisiert. 242 Kant, Prol. A 77ff. (§§18ff.). Vgl. aber Becker (1984; 233f.), der meint, Kant habe in der zweiten Auflage der Kritik an die Stelle der Unterscheidung subjektiver Wahrnehmungs- und objektiver Erfahrungsurteile die von subjektiver und objektiver Einheit des Bewußtseins gesetzt, wobei jene Einheit der empirischen Ebene, diese aber der transzendentalen Ebene in der Untersuchung empirischer Erkenntnis angehöre. Wie auf der empirischen Ebene etwas möglich sein soll, was die Untersuchung auf der transzendentalen Ebene ausgeschlossen hat, verrät Becker nicht. 243 KrV A 110.
A. Transzendentales und empirisches Ich
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kenntnis bloßes Konstitutum der kategorialen Synthesis und das erkennende empirische Subjekt Funktionsorgan der transzendentalen Einheit der Apperzeption, dann gibt es keine Vernunft, die mit ihren Prinzipien, nach denen allein übereinkommende Erscheinungen für Gesetze gelten können, in einer Hand, und mit dem Experiment, das sie nach jenen ausdachte, in der anderen, an die Natur gehen [muß], zwar um von ihr belehrt zu werden, aber nicht in der Qualität eines Schülers, der sich alles vorsagen läßt, was der Lehrer will, sondern eines bestallten Richters, der die Zeugen nötigt, auf die Fragen zu antworten, die er ihnen vorlegt.244 Die Befragung der Natur macht nur für den Sinn, der die Antwort noch nicht kennt. Als Funktionsorgan der transzendentalen Einheit der Apperzeption ist das empirische Subjekt immer schon im Besitz der Antwort. Es ist erkennendes Subjekt, für das die Differenz von Möglichkeit und Wirklichkeit der Erkenntnis nicht existiert. Nach der transzendentalen Analytik ist das empirische Subjekt auf die Funktion der Erkenntnis reduziert. Eine Befragung der Natur vermittels Vernunftbegriffen und Experiment, wie sie Kants Begriff von der Kopernikanischen Wende impliziert, ist damit ausgeschlossen. Gleichwohl ist solche Befragung der Natur explizite Aufgabe der Vernunftideen in ihrem regulativen Gebrauch. Damit ist das Verhältnis von Verstand und Vernunft zu thematisieren.
KrV B XIII. Schon Bacon greift auf Ausdrücke aus der Rechtsprechung zurück, wenn er die experimentelle Naturforschung beschreibt: [I]ch [lege] auf die unmittelbare und eigentliche Wahrnehmung der Sinne nicht viel Gewicht, sondern ich halte die Sache so, daß der Sinn nur über das Experiment, das Experiment aber über die Sache das Urteil spricht. (1620; 49). 244
B. Verstand, Vernunft, und Urteilskraft Kant bestimmt beide: Verstand und Vernunft, als Vermögen, ein gegebenes Mannigfaltiges zur Einheit zu synthetisieren. Das Material der Synthesis ist dabei verschiedener Herkunft. Das Material der Synthesis des Verstandes stammt unmittelbar aus der sinnlichen Anschauung, das der Synthesis der Vernunft besteht in den einzelnen Erkenntnisurteilen des Verstandes. Der Verstand synthetisiere das in der Anschauung Gegebene zur Einheit der Apperzeption, die Vernunft synthetisiere die Erkenntnisurteile des Verstandes unter Ideen, das heißt unter Begriffe, denen prinzipiell kein Gegenstand in der Anschauung korrespondieren könne. Die Verstandessynthesis sei eingeschränkt auf die Sinnlichkeit, der Gebrauch der Kategorien, so schärft Kant ein, sei hier immanenter Art. Die Vernunftbegriffe seien ins Unbedingte erweiterte Kategorien, ihr objektiver Gebrauch sei deshalb transzendenter Art. [D]ie reine Vernunft überläßt alles dem Verstande, der sich zunächst auf die Gegenstände der Anschauung oder vielmehr deren Synthesis in der Einbildungskraft bezieht. Jene behält sich allein die absolute Totalität im Gebrauche der Verstandesbegriffe vor, und sucht die synthetische Einheit, welche in der Kategorie gedacht wird, bis zum Schlechthinunbedingten hinauszuführen. Man kann daher diese die Vernunfteinheit der Erscheinungen, so wie jene, welche die Kategorie ausdrückt, Verstandeseinheit nennen. So bezieht sich demnach die Vernunft nur auf den Verstandesgebrauch, [...] um ihm die Richtung auf eine gewisse Einheit vorzuschreiben, [...] die darauf hinausgeht, alle Verstandeshandlungen, in Ansehung eines jeden Gegenstandes, in ein absolutes Ganzes zusammenzufassen. Daher ist der objektive Gebrauch der reinen Vernunftbegriffe jederzeit transzendent, indessen daß der von den reinen Verstandesbegriffen [...] jederzeit immanent sein muß, indem er sich bloß auf mögliche Erfahrung einschränkt.1 Die Unterscheidung von Verstandes- und Vernunfteinheit als zwei verschiedene Einheiten der Erscheinungen könnte irritieren, da doch die Vernunft auf Erkenntnisurteile und nicht auf Erscheinungen geht. Sie ist aber zunächst plausibel. Kant führt die transzendentale Bestimmung des Verhältnisses von Verstand und Vernunft parallel zur logischen. In logischer Hinsicht verbindet der Verstand als das Vermögen zu urteilen Begriffe zu einem Urteil, die Vernunft als das Vermögen zu schließen verbindet Urteile zu einem Schluß.2 Weil ihr Schließen die Urteile des Verstandes voraussetzt, ist es ein mittelbares Urteilen. In transzendentaler Hinsicht setzt die Vernunft die Erkenntnisurteile des Verstandes voraus. So ist sie vermittels dieser auch auf Erscheinungen bezogen. Weil sie aber nicht direkt auf Erscheinungen bezogen ist, ist die von ihr gestiftete Einheit von ganz anderer Art [...]3 als die des Verstandes.
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KrV B 382f. KrV B 94; B 386. KrV B 359.
B. Verstand, Vernunft, Urteilskraft
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1. Die Restriktion des Verstandes auf mögliche Erfahrung Da die Vernunft eigentlich gar keinen Begriff erzeuge, sondern allenfalls nur den Verstandesbegriff, von den unvermeidlichen Einschränkungen einer möglichen Erfahrung, frei mache [...],4 ist die Abgrenzung des Verstandes von der Vernunft nur dann möglich, wenn zuvor die Einschränkung des Verstandes auf mögliche Erfahrung als unvermeidlich begründet ist. Diese Einschränkung bedeutet, daß der Verstand mit seinen Begriffen, den Kategorien, notwendig auf das reine Zeitmannigfaltige und damit auf das in den Formen der Anschauung empirisch gegebene Mannigfaltige bezogen ist. Für Kant fällt der Nachweis der Restriktion der Kategorien auf mögliche Erfahrung mit dem Nachweis der objektiven Geltung der Kategorien zusammen – wie nämlich subjektive Bedingungen des Denkens [...] Bedingungen der Möglichkeit aller Erkenntnis der Gegenstände abgeben [...].5 In der metaphysischen Deduktion leitet Kant die Kategorien aus der Untersuchung der Urteilsformen her und stellt ihre völlige Zusammentreffung mit den allgemeinen logischen Funktionen des Denkens [...]6 fest. In der transzendentalen Deduktion (B) begründet er zunächst die Notwendigkeit ihrer Beziehung auf etwas von ihnen Unterschiedenes,7 in der Lehre von der Selbstaffektion dann die Bestimmung der Zeit durch die Kategorien vermittels der transzendentalen produktiven Einbildungskraft. Die objektive Geltung der Kategorien sei darin begründet, daß sie apriorische Formbestimmtheiten der Zeit, damit aber zugleich solche des in der Zeit als Form der Anschauung empirisch gegebenen Mannigfaltigen seien. Die in der Selbstaffektionslehre nur allgemein bestimmte Vermittlung der Kategorien als logischer Bedingungen der Erkenntnis mit der Zeit als apriorischer Anschauungsform konstruiert Kant im Schematismus der reinen Verstandesbegriffe en détail für die einzelnen Kategorien. Die Kategorien würden versinnlicht, indem die transzendentale produktive Einbildungskraft die Zeit den Kategorien gemäß synthetisiere. [D]as Schema eines reinen Verstandesbegriffs [...] ist nur die reine Synthesis, gemäß einer Regel der Einheit nach Begriffen überhaupt, die die Kategorie ausdrückt, und ist ein transzendentales Produkt der Einbildungskraft, welches die Bestimmung des inneren Sinns überhaupt, nach Bedingungen ihrer Form, (der Zeit,) in Ansehung aller Vorstellungen, betrifft, sofern diese der Einheit der Apperzeption gemäß a priori in einem Begriff zusammenhängen sollten.8 Die Schemata seien kategoriale Zeitbestimmungen9 und als solche die apriorischen Formen, unter denen Erfahrungsgegenstände für uns überhaupt möglich seien.
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KrV B 435. KrV B 122. KrV B 159. Vgl. KrV B 137ff. KrV B 181. Vgl. KrV B 184.
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Der transzendentale Schematismus begründet die objektive Gültigkeit der Kategorien, er ist ihre Realdefinition.10 Er vermittelt aber nicht nur die Kategorien mit der apriorischen Zeitform, sondern auch mit den in dieser Form gegebenen Erscheinungen. Mit der Schematisierung der Kategorien sei ineins der Nachweis ihrer möglichen Anwendung auf gegebene Erscheinungen geführt. Kant macht sich hier implizit den Umstand zunutze, daß die Bestimmung der Zeit als reine Anschauung, die ein reines Mannigfaltiges enthält, und als Form der Anschauung, in der Erscheinungen empirisch gegeben sind, an sich selbst, das heißt unabhängig von ihrer funktionalen Bestimmtheit innerhalb des Erkenntnis konstituierenden transzendentalen Apparats, nicht zu unterscheiden sind. Die heterogenen Konstituentien der Erfahrung, die Kategorien und das empirisch Gegebene, die Sinnesdaten, würden im Schematismus homogenisiert. Nun ist eine transzendentale Zeitbestimmung mit der Kategorie [...] sofern gleichartig, als sie allgemein ist und auf einer Regel a priori beruht. Sie ist aber andererseits mit der Erscheinung sofern gleichartig, als die Zeit in jeder empirischen Vorstellung des Mannigfaltigen enthalten ist. Daher wird eine Anwendung der Kategorie auf Erscheinungen möglich sein, vermittelst der transzendentalen Zeitbestimmung, welche, als das Schema der Verstandesbegriffe, die Subsumtion der letzteren unter die erste vermittelt.11 Kant bezeichnet das empirisch Gegebene sowohl als Erscheinung als auch als Gegenstand.12 Nun sind aber seiner Transzendentalphilosophie zufolge im strengen Sinne keine Gegenstände gegeben, sondern nur Erscheinungen, deren Gegenständlichkeit durch Kategorien, Schemata und Grundsätze konstituiert ist.13 Es werden also nicht Gegenstände subsumiert, sondern Erscheinungen, und die Subsumtion von Erscheinungen vermittels der schematisierten Kategorien soll die kategoriale Bestimmung dieser Erscheinungen, die Konstituierung ihrer Gegenständlichkeit sein. Was Kant ineins setzt, ist nicht ineins zu setzen. Der Nachweis der objektiven Geltung der Kategorien durch deren Schematisierung ist nicht zugleich der Nachweis, daß gegebene Erscheinungen als Gegenstände möglicher Erfahrung unter die Kategorien subsumierbar sein müssen bzw.14 darunter a priori subsumiert sind. Der Vgl. KrV A 241. KrV B 177 f. Das erkenntnistheoretische Problem des Verhältnisses von Kategorien und empirisch Gegebenem ist das der Vermittlung von prinzipiell Ungleichartigem und kann nicht einfach mit dem Verhältnis von Begriff und empirischem Korrelat [i]n allen anderen Wissenschaften (KrV B 177) verglichen werden. Indem Kant dies tut, behandelt er die Transzendentalphilosophie wie eine Einzelwissenschaft unter anderen. But this reduces to nonsense everything else Kant says about his problem over category-application. [...] The problem is not ›There is a specially large gap between the categories and detailed concepts of their instances‹ but rather ›There is a special kind of gap between the categories and intuitions of their instances‹. Bennett (1966), 149. 12 Vgl. KrV B 33; B 264. 13 Vgl. Fichte, ZE 241 [488]: Was ist also der Gegenstand? Das durch den Verstand der Erscheinung Hinzugethane, ein bloßer Gedanke. 14 Die alternative Formulierung ist sachlich begründet: siehe unten. 10
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Begriff vom Hunde ist nicht, wie Kant meint, das empirisch erfüllte reine Schema. Die gegebene Erscheinung ist nicht deshalb als die eines [gewissen] vierfüßigen Tieres [...],15 sprich eines Hundes, identifizierbar, weil ihr die reine Synthesis der Zeit gemäß der Kategorie Substanz zugrunde liegt, welche ermöglicht, dieses vierfüßige Tier als etwas beharrlich Reales in der Zeit vorzustellen.16 Die kategoriale Synthesis der Zeit und die Subsumtion eines empirisch Gegebenen unter die Kategorien sind nicht zwei Seiten desselben – des Schematismus. Im Leitfaden der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe unterscheidet Kant zwischen der formallogischen Subsumtion: Analytisch werden verschiedene Vorstellungen unter einen Begriff gebracht [...], und der transzendentallogischen Bestimmung, die reine Synthesis der Vorstellungen auf Begriffe zu bringen [...].17 In einem Brief an Tieftrunk betont Kant, daß die logische Subsumtion eines Begriffs unter einen höheren die Homogenität beider Begriffe einschließt. Der Schematismus soll transzendentallogisch die Subsumtion gegebener Erscheinungen unter die Kategorien sicherstellen. Die transscendentale [...] Subsumtion eines empirischen Begriffs unter einem reinen Verstandesbegriffe [...] sei zwar nicht unmittelbar möglich, aber doch durch einen Mittelbegriff, das Schema.18 Die Subsumierbarkeit gegebener Erscheinungen unter schematisierte Kategorien unterstellt, daß die schematisierten Kategorien nicht mehr länger Funktionen der Einheit der Handlung der Synthesis sind, sondern Allgemeinbegriffe. Nur unter Allgemeinbegriffe, nicht aber unter Funktionsbegriffe kann subsumiert werden. Das Problem, das er [Kant] durch seinen Schematismus lösen will – wie lassen sich sinnliche Anschauungen unter reine Verstandesbegriffe subsumieren? – besteht in dieser Form überhaupt nicht. Die reinen Verstandesbegriffe oder Kategorien sind keine Allgemeinbegriffe im logischen Sinn, sie sind Funktionen des synthetischen Denkens, deren ›Anwendung‹ auf Erscheinungen sicher nicht als Subsumtion der anschaulichen Vorstellungen unter diskursive Begriffe zu denken ist.19 Der Begriff vom Hunde verhält sich zu dem aller vierfüßigen Tiere wie der logische Artbegriff zum Gattungsbegriff. Eine gegebene Erscheinung bzw. ein empirischer Begriff dagegen hat in der schematisierten Kategorie ebensowenig seinen Gattungsbegriff wie die schematisierte Kategorie in der unschematisierten ihren Gattungsbegriff hat.20 Eine Kategorie ist nur dann schematisierbar, wenn ihr Schema Allgemeinbegriff besonderer Konstruktionen ist.21 Die dynamischen Kategorien sind nicht schematisierbar, denn die ihnen korrespondierenden Gegenstände KrV B 180f.; vgl. Kroner (I 1921ff.), 88. Das Schema der Substanz ist die Beharrlichkeit des Realen in der Zeit, d. i. die Vorstellung desselben, als eines Substratum der empirischen Zeitbestimmung überhaupt, welches also bleibt, indem alles andere wechselt. KrV B 183. 17 KrV B 104. 18 Briefe 224 (11. Dezember 1797). 19 Maier (1930), 47. 20 Vgl. Kroner (I 1921ff.), 88. 21 Büchsel (1977), 65. 15 16
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möglicher Erfahrung sind ihrem Dasein nach unabhängig von der kategorialen Synthesis und deshalb nicht konstruierbar. Die Konstruierbarkeit des Begriffs vom Hunde schlösse die Konstruierbarkeit der spezifischen Differenz, die ihn aus dem der Klasse der vierfüßigen Tiere hervorhebt, voraus, welche ihrerseits in gleicher Weise aus der Klasse aller Tiere, diese aus der aller Lebewesen konstruktiv hergeleitet werden müßte, was auf die Konstruktion der verschiedenen Gattungs- und Artbegriffe aus der leeren Klasse der Gegenstände möglicher Erfahrung hinausliefe. Wäre diese möglich, wären die so abgeleiteten Gattungen und Arten ebenso notwendig wie die mathematischen Gegenstände, weil ebenso unzerstörbar. Als Allgemeinbegriffe können die Kategorien nur fungieren, insofern sie Bedingungen der Konstruktion besonderer Gegenstände sind. Dies trifft auf die mathematischen, nicht aber auf die dynamischen Kategorien zu. Denn nur der Begriff von Größen läßt sich konstruieren, d. i. a priori in der Anschauung darlegen [...].22 Nur der Begriff von Größen läßt sich konstruieren – daß aber solche Konstruktion notwendig in der reinen Anschauung geschieht und davon die Synthetizität mathematischer Urteile abhängt, ist zu Recht schon zu Kants Zeiten auf Kritik gestoßen.23 Konstitutiv für die Lehre von den Schematen und den synthetischen Urteilen a priori als Synthesen des reinen Zeitmannigfaltigen ist die Bestimmung der Einbildungskraft. Einbildungskraft ist das Vermögen, einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorzustellen. Da nun alle unsere Anschauung sinnlich ist, so gehört die Einbildungskraft, der subjektiven Bedingung wegen, unter der sie allein den Verstandesbegriffen eine korrespondierende Anschauung geben kann, zur Sinnlichkeit; sofern aber doch ihre Synthesis eine Ausübung der Spontaneität ist, welche bestimmend, und nicht, wie der Sinn, bloß bestimmbar ist, mithin a priori den Sinn seiner Form nach der Einheit der Apperzeption gemäß bestimmen kann, so ist die Einbildungskraft sofern ein Vermögen, die Sinnlichkeit a priori zu bestimmen, und ihre Synthesis der Anschauungen, den Kategorien gemäß, muß die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft sein, welches eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit und die erste Anwendung desselben (zugleich der Grund aller übrigen) auf
KrV B 742. Vgl. Schulze (1801), 240f.: Nun ist es freylich wahr, daß der Inhalt der Lehrsätze in der Geometrie nimmermehr durch die bloße Analysis des Subjects dieser Sätze gefunden werden kann, und in dem Begriffe eines Triangels wird nicht auch schon dieses gedacht, daß zwey Seiten zusammen größer sind, als die dritte. Es muß mithin in der Geometrie bey dem Beweise der Lehrsätze derselben ein anderes Verfahren nöthig seyn, als wie bey dem Beweise eines analytischen Urteils durch bloße Zergliederung der Merkmahle seines Subjects Statt findet. Allein aus dieser ganz richtigen Bemerkung über den Unterschied der Beweise der Lehrsätze in der Geometrie von den Beweisen aus bloßer Zergliederung eines Begriffes, folgt doch noch nicht sogleich, daß die Einsicht der Gewißheit jener Sätze einzig und allein in der Anschauung gegeben sey, die dem geometrischen Begriffe untergelegt wird. – Zudem lassen sich Räume konstruieren, die dem dreidimensionalen Anschauungsvermögen unzugänglich sind. 22 23
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Gegenstände der uns möglichen Anschauung ist.24 Kant unterscheidet in der B-Deduktion die Synthesis in der Kategorie als intellektuelle Synthesis des Verstandes von der Synthesis des reinen Zeitmannigfaltigen als figürliche Synthesis der transzendentalen produktiven Einbildungskraft.25 Obwohl Kant von zwei Synthesen spricht, die beide transzendental sind,26 scheint es, daß die Unterschiedenen nicht als verschiedene Synthesen, die in verschiedenen Vermögen gründen, sondern als nur analytisch unterschiedene Bestimmungsstücke der Einen Synthesis begriffen werden müssen. Es ist eine und dieselbe Spontaneität, welche dort, unter dem Namen der Einbildungskraft, hier des Verstandes, Verbindung in das Mannigfaltige der Anschauung hineinbringt.27 In der Kategorie der Größe ist dieselbe synthetische Einheit28 gedacht, die auch in Raum und Zeit als reinen Anschauungen gedacht wird. Von intellektueller Synthesis spricht Kant, wenn er thematisiert, daß der Verstand es ist, der durch die Kategorie dem Mannigfaltigen einer gegebenen Anschauung überhaupt29 Einheit vorschreibt. Dabei ist von der Zeit als der spezifischen Form der Anschauung abstrahiert, insbesondere ist davon abgesehen, wie das Mannigfaltige zu einer empirischen Anschauung gegeben werde [...].30 Von figürlicher Synthesis spricht Kant, wenn er die spezifische Zeitform der Anschauung und die doppelte Bestimmung der Zeit: als formale Anschauung und als Form der Anschauung des empirisch Gegebenen thematisiert. Es scheint demnach, als hätte Kant die in der A-Deduktion noch dominierende Lehre von den verschiedenen Vermögen des Gemüts in der B-Fassung überwunden. Doch davon kann keine Rede sein. Zwar tritt in der B-Fassung die Lehre von den Vermögen des Gemüts im Vergleich zur A-Deduktion in den Hintergrund, sie ist aber noch wirksam. Weil die produktive Einbildungskraft Verstand und Sinnlichkeit vermitteln soll, ohne daß dadurch beide Stämme der Erkenntnis ihre Selbständigkeit gegeneinander verlieren, behält sie selbst den Charakter eines Vermögens. Weder ist sie ganz in den Verstand integriert noch ist sie ein gegenüber Verstand und Sinnlichkeit selbständiges Vermögen geblieben.31 Kant hat sie sowohl in den Verstand inte-
KrV B 151f. Allein die figürliche Synthesis, wenn sie bloß auf die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption, d. i. diese transzendentale Einheit geht, welche in den Kategorien gedacht wird, muß, zum Unterschiede von der bloß intellektuellen Verbindung, die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft heißen. KrV B 151. 26 Vgl. KrV B 151. 27 KrV B 162 Anm. Vgl. KrV B 153f.: Er also [der Verstand] übt, unter der Benennung einer transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft, diejenige Handlung aufs passive Subjekt, dessen Vermögen er ist, aus, wovon wir mit Recht sagen, daß der innere Sinn dadurch affiziert werde. 28 KrV B 162. 29 KrV B 145. 30 KrV B 144. 31 Vgl. Mörchen (1970), 50ff. Nach Heinrichs (1986; 80) stellen die vermögenstheoretischen Erörterungen [...] [gewissermaßen] ein Alibi für die eigentliche handlungs- und reflexionstheoretische Herleitung der Kategorien dar. 24 25
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griert wie auch der Sinnlichkeit zugeschlagen. Ihre Spontaneität sei die des Verstandes und ihre Synthesis Moment der Verstandessynthesis. Doch schränke die in den Verstand integrierte Einbildungskraft diesen auf die Sinnlichkeit ein, weil sie selbst auf unsere sinnliche Anschauung eingeschränkt sei und insofern zur Sinnlichkeit zähle. Die Produktivität der Einbildungskraft ist nicht absolut und daher auch nicht die Produktivität des Absoluten.32 Zwar erzeugt die Einbildungskraft die Zeit, genauer: die Zeitreihe, durch die kategoriale Synthesis des reinen Mannigfaltigen, aber sie erzeugt nicht dieses Mannigfaltige selbst, und schon gar nicht erzeugt sie aus sich die Korrelate der dynamischen Kategorien. Weil die Einbildungskraft an unsere sinnliche Anschauung gebunden ist, sind es auch die von ihr ermöglichten synthetischen Urteile a priori. Die synthetischen Grundsätze des reinen Verstandes sind auf die Formen der Anschauung und das in ihnen empirisch Gegebene eingeschränkt, und die mathematischen Konstruktionen sind durch unser auf drei Dimensionen begrenztes Anschauungsvermögen restringiert. Auch die Schematisierung der mathematischen Kategorie Quantität (Größe) ist als Synthesis des Zeitmannigfaltigen nicht haltbar. Das reine Schema der Größe [...] als eines Begriffs des Verstandes, ist die Zahl, welche eine Vorstellung ist, die die sukzessive Addition von Einem zu Einem (gleichartigen) zusammenbefaßt. Also ist die Zahl nichts anderes, als die Einheit der Synthesis des Mannigfaltigen einer gleichartigen Anschauung überhaupt, dadurch, daß ich die Zeit selbst in der Apprehension der Anschauung erzeuge.33 Die Zeit werde durch die kategoriale Synthesis des reinen Mannigfaltigen erzeugt.34 Transzendentales Produkt35 dieser Synthesis der transzendentalen produktiven Einbildungskraft sei das Schema der Kategorie Quantität, die Zahl. Weil Kant die Einbildungskraft einerseits zu einer Funktion des Verstandes herabsetzt, andererseits aber ihre Synthesis an das unabhängig von ihr gegebene Zeitmannigfaltige bindet, fungiert die Zeit im Schematismus-Kapitel wie schon in der Deduktion B sowohl als Bedingung der Möglichkeit der transzendentalen Handlung der produktiven Einbildungskraft wie auch als deren Produkt.36 Sie fungiert als Voraussetzung und als Resultat der transzendentalen kategorialen Synthesis der produktiven Einbildungskraft. Da die transzendentale Handlung der Synthesis des Zeitmannigfaltigen Bedingung der Möglichkeit jeder Handlung in der Zeit ist, erfolgt sie selbst
Hegel interpretiert in Glauben und Wissen Kants transzendentale produktive Einbildungskraft als Erscheinungsform des Absoluten, der sich in sich unterscheidenden Vernunft: Diese Einbildungskraft als die ursprüngliche zweyseitige Identität, die nach einer Seite Subject überhaupt wird, nach der andern aber Object und ursprünglich beydes ist, ist nichts anders als die Vernunft selbst [...]; nur Vernunft als erscheinend in der Sphäre des empirischen Bewußtseyns. GuW 329. 33 KrV B 182. 34 Vgl. KrV B 184. 35 KrV B 181. 36 Vgl. in dieser Arbeit das Kapitel Selbstaffektion und transzendentaler Gegenstand. 32
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unmöglich in der Zeit.37 Das Verhältnis ihrer Bestimmungsstücke kann kein zeitliches, sondern nur ein logisches sein. Die Rede von Voraussetzung und Resultat zielt auf die logische Unabhängigkeit bzw. Abhängigkeit der Bestimmungsstücke der Synthesis. Das Zeitmannigfaltige sei Voraussetzung der Synthesis, weil es als Bedingung ihrer Möglichkeit unabhängig von ihr gegeben sei. Die transzendentale kategoriale Synthesis der Einbildungskraft falle ohne dieses reine Mannigfaltige als Material auf die bloß intellektuelle Verstandessynthesis zurück. Nur wenn zwischen der Voraussetzung der Synthesis und ihrem Resultat unterschieden werden kann, ist der Prozeß der Synthesis nicht tautologisch, und die Vermittlung von Kategorie und Zeit die von Unterschiedenen. Nun ist aber nicht zu sehen, wie die figürliche Synthesis eines an sich unbestimmten Zeitmannigfaltigen unterschieden sein soll von der intellektuellen Synthesis eines gegebenen Mannigfaltigen überhaupt in der Kategorie Quantität. Nicht zufällig spricht Kant sowohl im Hinblick auf die bloße Kategorie Größe wie auch im Hinblick auf ihr Schema von der Synthesis des Gleichartigen in einer Anschauung überhaupt.38 Nichttautologisch ist die Synthesis des Zeitmannigfaltigen nur unter der Bedingung, daß die Zeit nicht nur formale Anschauung, sondern auch Form der Anschauung des empirisch Gegebenen ist. Nur dann verbietet sich der Schluß, den Hegel zieht: In Wahrheit ist die Zeit reine Quantität.39 Doch die Bestimmung der Zeit als Form des empirisch Gegebenen ist so, wie sie Kant entwickelt: als Restriktion der Sinnlichkeit durch das Ding an sich, nicht haltbar. Das Ding an sich ist ein Noumenon, ein Verstandesbegriff. Die Einschränkung des Verstandes auf eine Sinnlichkeit, die ihrerseits durch einen Verstandesbegriff eingeschränkt ist, wäre die Einschränkung des Verstandes durch sich selbst.40 Das Schema der Kategorie Quantität ist nicht Resultat der Synthesis des Zeitmannigfaltigen. Das Schema der Kategorie Größe ist eine mathematische Größe. Zahl ist der Allgemeinbegriff aller besonderen mathematischen Größen, denn diese sind
Die Handlung der transzendentalen Synthesis ist in sich antinomisch. Die Einheit der Handlung ist die logische Einheit des actus Ich denke. Die Handlung synthetisiert dasjenige, was nicht Einheit, sondern Vielheit ist: das gegebene Mannigfaltige der Zeit. Also ist die Handlung der Synthesis Einheit von Einheit und Nicht-Einheit. Diese Handlung ist kein Vorgang in der Zeit. Als Bedingung jeder Zeitbestimmung ist sie selbst nicht zeitbestimmt. Als transzendentale apriorische Handlung geschieht sie im Nu, oder, mit Fichte zu sprechen, mit einem Schlage (WLnmK 340). Fichte spricht von ursprünglichen Handlungen der Ichheit, die, als aller Erfahrung zugrunde liegend, selbst nicht in der Erfahrung vorkommen. Also eine solche Würklichkeit wie die der Erfahrung haben diese Handlungen nicht, auch kann man nicht sagen, diese Handlungen geschähen in der Zeit, weil die Erscheinungen Realität in der Zeit haben. [...] Wenn jemand das reine Ich als philosophischen Begriff darum tadelt, weil es nicht in der Erfahrung vorkommt, so weiß er nicht[,] was er will. WLnmK 340. 38 Vgl. KrV B 162; B 182. 39 Sein 230. 40 Vgl. in dieser Arbeit den Abschnitt Die Irreflexivität der Transzendentalphilosophie Kants. 37
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immer durch Zahlen zu bezeichnen. Alle bestimmten mathematischen Größen sind konstruierte. Das Schema Zahl ist Bedingung solcher Konstruktion. [...] Das Schema ist selbst Produkt der Einbildungskraft, insofern Mathematik als ein Ganzes ein Erdachtes ist, es ist Bedingung der Konstruktion durch produktive Einbildungskraft, insofern es Bedingung der mathematischen Urteile ist.41 Das Schema der Kategorie Größe läßt sich ebensowenig wie die Schemata der anderen Kategorien deduzieren. Der Schematismus soll eine Verbindung zwischen dem logischen Unternehmen der Subsumtion des Besonderen unter das Allgemeine und dem Verfahren der beschreibenden und darstellenden Konstruktion [...]42 herstellen. Er soll die Kategorien in Allgemeinbegriffe transformieren, unter die gegebene Erscheinungen als Gegenstände möglicher Erfahrung subsumiert bzw. subsumierbar sind. Auf solche Weise sind synthetische Urteile a priori möglich, wenn wir die formalen Bedingungen der Anschauung a priori, die Synthesis der Einbildungskraft, und die notwendige Einheit derselben in einer transzendentalen Apperzeption, auf ein mögliches Erfahrungserkenntnis überhaupt beziehen, und sagen: die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung, und haben darum objektive Gültigkeit in einem synthetischen Urteile a priori.43 Die transzendentale Einheit der Apperzeption ist als ursprünglich synthetische Einheit eines gegebenen Mannigfaltigen die zirkuläre Einheit von den apriorischen Voraussetzungen gegenständlicher Erkenntnis, dem Resultat, der gegenständlichen Erkenntnis selbst, und der Realisierung der Voraussetzungen durch die apriorische Synthesis der Zeit. Dabei ist die Realisierung der Voraussetzungen als statische Abbildung des Prozesses der Synthesis gefaßt. Kant bestimmt die transzendentale Einheit der Apperzeption als zirkuläre Einheit von Voraussetzung und Resultat aber nur im Hinblick auf die allgemeine Form der Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen, oder die Form einer Natur überhaupt.44 Demnach sind alle Erscheinungen als Gegenstände möglicher Erfahrung durchgängig durch die Kategorien Kausalität und Wechselwirkung bestimmt. Doch die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung sind zwar zugleich auch Bedingungen, aber nicht die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung. Kant unterscheidet die allgemeine Form der Gesetzmäßigkeit der Totalität der Erscheinungen von der allgemeinen Form dessen, was unter dieser Gesetzmäßigkeit steht.45 [A]lle Erscheinungen der Natur [stehen,] ihrer
Büchsel (1977), 64f. Kaulbach (1973), 114. 43 KrV B 197. 44 KrV B 165. 45 Darin, daß Kant in der Kritik sowohl in B 197 wie auch in der Formulierung A 111 auf den bestimmten Artikel verzichtet, drückt sich die Unterscheidung aus. Ob Kant damit bewußt jene Unterscheidung ausdrücken wollte, ist für die systematische Interpretation sekundär, darf allerdings bezweifelt werden, denn in der Schrift über die wirklichen Fortschritte der Metaphysik ist der bestimmte Artikel vorhanden: Gibt es also ein synthetisches Erkenntnis a priori, so ist 41 42
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Verbindung nach, unter den Kategorien [...], von welchen die Natur (bloß als Natur überhaupt betrachtet), als dem ursprünglichen Grunde ihrer notwendigen Gesetzmäßigkeit (als natura formaliter spectata), abhängt. Auf mehrere Gesetze aber, als die, auf denen eine Natur überhaupt, als Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen in Raum und Zeit, beruht, reicht auch das reine Verstandesvermögen nicht zu, durch bloße Kategorien den Erscheinungen a priori Gesetze vorzuschreiben. Besondere Gesetze, weil sie empirisch bestimmte Erscheinungen betreffen, können davon nicht vollständig abgeleitet werden, ob sie gleich alle insgesamt unter jenen stehen. Es muß Erfahrung dazu kommen, um die letzteren überhaupt kennen zu lernen.46 Das ist aber soviel, als, daß ich mir einer notwendigen Synthesis derselben a priori bewußt bin, welche die ursprüngliche synthetische Einheit der Apperzeption heißt, unter der alle mir gegebenen Vorstellungen stehen, aber unter die sie auch durch eine Synthesis gebracht werden müssen.47 Die Erfahrung, die ›dazu kommen muß‹, ist eine Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis, die gleichermaßen transzendental wie auch material ist. Transzendental ist sie, weil sie eine a priori notwendige Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis ist, material, weil sie eine ihrem spezifischen Inhalt nach undeduzible Bedingung der Erkenntnis ist. Alle gegebenen Erscheinungen stehen a priori unter der transzendentalen Einheit der Apperzeption und müssen auch durch eine Synthesis unter sie gebracht werden. Sie stehen a priori darunter nach der Seite der Form ihrer allgemeinen Gesetzmäßigkeit, und sie müssen auch darunter gebracht werden nach der Seite der besonderen Naturgesetze. Die Geltung der Analogien der Erfahrung, der Grundsätze, welche die Regularität gegebener Erscheinungen a priori gemäß den dynamischen Kategorien bestimmen, ist deshalb nach Kant sowohl regulativ wie auch konstitutiv. In der Analytik spricht er ihnen im Unterschied zu den mathematischen Grundsätzen nur regulative Geltung zu, weil die ihnen korrespondierenden Gegenstände ihrem Dasein nach empirisch gegeben sind.48 Im Anhang zur transzendentalen Dialektik spricht er ihnen aber auch konstitutive Geltung zu, indem sie die Begriffe, ohne welche keine Erfahrung stattfindet, a priori möglich machen.49 Demnach gelten die Analogien der Erfahrung als Grundsätze von den Gegenständen (der Erscheinungen) [...] bloß regulativ [...],50 kein andrer Ausweg, als es muß Bedingungen a priori der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt enthalten. Alsdann aber enthält sie auch die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung überhaupt, denn nur durch Erfahrung können sie für uns erkennbare Gegenstände sein. PF A 49. – Fleischer (1984; 106) paraphrasiert Kants Formulierung aus der Kritik, gebraucht aber den bestimmten Artikel: Die Kategorien und die ihnen entsprechenden Grundsätze des reinen Verstandes werden als Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und damit als die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung bewiesen. 46 KrV B 165. 47 KrV B 135f. 48 KrV B 221ff.; B 296. 49 KrV B 692. 50 KrV B 222f.
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sind aber konstitutiv bestimmend für eine uns mögliche Erfahrung überhaupt. Regulativ sind sie hinsichtlich des besonderen Gesetzes, welchem empirisch gegebene Erscheinungen unterliegen, konstitutiv aber hinsichtlich der Form der allgemeinen Gesetzmäßigkeit der Totalität der Erscheinungen als Gegenständen möglicher Erfahrung.51 Kant muß zwischen regulativer und konstitutiver Geltung der Analogien der Erfahrung unterscheiden. Denn wären die Analogien der Erfahrung ausschließlich konstitutiv bestimmend, wäre die Totalität der Erscheinungen, nicht etwa die Menge von Vorstellungen des Gemüts,52 durchgängig durch die Kategorien Kausalität und Wechselwirkung bestimmt. Dann könnte das einzelne Subjekt einen partikularen Sachverhalt nur vermittels der Erkenntnis des universell determinierten Zusammenhangs der Erscheinungen erkennen, durch welchen Zusammenhang das einzelne Subjekt als empirisches selbst determiniert wäre. Die detaillierte Erkenntnis der kollektiven Einheit des Erfahrungsganzen wäre die Voraussetzung der distributiven Einheit des Erfahrungsgebrauchs des Verstandes53 in der einzelnen Erkenntnis des einzelnen Gegenstandes.54 Da die Totalität der Erscheinungswelt kein Gegenstand unseres diskursiven Verstandes ist, weil sie nicht in der sinnlichen Anschauung empirisch ge-
Insofern ist aus dem jeweiligen Kontext durchaus verständlich zu machen, was Kant jeweils mit konstitutiv und regulativ meint. Ferner muß, wie noch zu zeigen ist, die Unterscheidung von konstitutiv und regulativ in der Dialektik auf die in der Analytik bezogen werden. Vgl. dagegen Bennett (1974; 270): Kant twice uses ›regulative‹ and ›constitutive‹ in the Analytic with meanings which I do not understand. Nor do I follow his attempt to relate those meanings to the ones which now [in der Dialektik] concern us. I shall now ignore the Analytic’s uses of ›regulative‹ und ›constitutive‹. – Guyer (1987; 188ff.) läßt die Passage aus dem Anhang unerörtert, die aus der Analytik sei aufgrund von Kants dort gegebenem Beispiel konfus. Kant sei sich auch nach Veröffentlichung der Kritik über the organization of his ›System of Principles‹ noch nicht im klaren gewesen. 52 KrV A 114. Vorstellungen des Gemüts sind solche eines empirischen Subjekts. 53 Die Termini kollektive Einheit eines Erfahrungsganzen und distributive Einheit des Erfahrungsgebrauchs des Verstandes führt Kant erst im Abschnitt über das transzendentale Ideal ein (KrV B 610). Der Begriff der kollektiven Einheit des Erfahrungsganzen ist der Inbegriff aller Realität, der Begriff der distributiven Einheit des Erfahrungsgebrauchs des Verstandes ist die Bestimmung des ein partikulares Problem bearbeitenden Verstandes, des Verstandes, dessen Einheit immer nur ›distributive‹ Einheit fortschreitenden und nie abschließbaren Erfahrens [...] ist. Heimsoeth (1968), 457. 54 Die einzelne Erkenntnis ist Erkenntnis der allgemeinen Form oder Gesetzmäßigkeit eines empirischen Sachverhalts. Dagegen ist die einzelne Erkenntnis des einzelnen Gegenstandes nicht die Erkenntnis der allgemeinen Form eines bestimmten empirischen Sachverhalts, sondern des je vorliegenden Sachverhalts selbst. Erkenntnis geht aber, wie schon Aristoteles hervorhebt, nicht auf Einzeldinge, sondern auf die allgemeine Form oder Gesetzmäßigkeit einer Klasse von Einzeldingen. [D]ie Wissenschaft aber geht auf das Allgemeine [...], denn man kann nicht schließen, daß dieses Dreieck die zwei Rechten gleiche Winkelsumme hat, wenn nicht jedes Dreieck diese Winkelsumme hat, noch daß dieser Mensch ein Lebewesen ist, wenn nicht der allgemeine Satz gilt, daß jeder Mensch ein Lebewesen ist. Metaphysik 1086 b 33ff. 51
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geben sein kann, wäre Erkenntnis unmöglich. Dennoch ist Kants Unterscheidung nicht haltbar, denn sie führt dazu, daß jedes Erkenntnisurteil gespalten ist in eine apriorische transzendentale Form und einen aposteriorischen Inhalt. Der Inhalt der allgemeinen und notwendigen Form wäre von nur komparativer Allgemeinheit. Auch so wäre Erkenntnis im strengen Sinne nicht möglich, oder Erkenntnis im strengen Sinne wäre möglich nur als Erkenntnis überhaupt, jede bestimmte Erkenntnis stünde aber unter dem Vorbehalt ihrer immer nur komparativen Bestätigung durch wirkliche Erfahrung. Durch die bloß regulative Geltung der Analogien der Erfahrung für bestimmte Erkenntnis droht der transzendentale Idealismus in jenen Empirismus zurückzufallen, den Kant nicht zuletzt aufgrund der Analogien der Erfahrung widerlegt glaubt. Gegen Hume haben wir in der transzendentalen Logik gesehen: daß, ob wir zwar niemals unmittelbar über den Inhalt des Begriffs, der uns gegeben ist, hinausgehen können, wir doch völlig a priori, aber in Beziehung auf ein drittes, nämlich mögliche Erfahrung, also doch a priori, das Gesetz der Verknüpfung mit anderen Dingen erkennen können. Wenn also vorher fest gewesenes Wachs schmilzt, so kann ich a priori erkennen, daß etwas vorausgegangen sein müsse, (z.B. Sonnenwärme,) worauf dieses nach einem beständigen Gesetze gefolgt ist, ob ich zwar, ohne Erfahrung, aus der Wirkung weder die Ursache noch aus der Ursache, die Wirkung, a priori und ohne Belehrung der Erfahrung bestimmt erkennen könnte. Er [Hume] schloß also fälschlich aus der Zufälligkeit unserer Bestimmung nach dem Gesetze, auf die Zufälligkeit des Gesetzes selbst, und das Herausgehen aus dem Begriffe eines Dinges auf mögliche Erfahrung (welches a priori geschieht und die objektive Realität desselben ausmacht,) verwechselte er mit der Synthesis der Gegenstände wirklicher Erfahrung, welche freilich jederzeit empirisch ist.55 Gelten die Analogien der Erfahrung als Grundsätze von den Gegenständen regulativ, ist nicht zu sehen, wie Kant zwischen der Genesis von bestimmter Erkenntnis, unserer Bestimmung nach dem Gesetze, und der Geltung des Gesetzes unterscheiden will. Denn da das Gesetz konstitutiv bestimmend nur für das Abstraktum mögliche Erfahrung überhaupt ist, ist seine Geltung im Hinblick auf jede bestimmte Erfahrung in die Genesis dieser bestimmten Erfahrung aufgelöst.56 So ist nicht mehr zu verstehen, wie etwa mit dem Begriff des Körpers, also mit allen Körpern, jederzeit, also notwendig, das Prädikat der Schwere syntheKrV B 794. Die Kant-Apologetik sieht darin kein Problem. Liedtke (1964; 139) resümiert: Dementsprechend muß auch bei der Frage nach der Gültigkeit der von Kant angeführten Beispiele von Erfahrungsurteilen [...] die ›Zufälligkeit unserer Bestimmung nach dem Gesetz‹ beachtet werden. Notwendig sind diese Urteile nur hinsichtlich ihrer apriorischen Bestandteile. Metz (1991; 133 f.) meint: Die objektive, durchgängige Gültigkeit des Begriffs der Kausalität z. B. ist a priori erkennbar. Jede bestimmte Kausalverbindung jedoch stellt die Kausalität überhaupt ebensowenig dar, wie ein bestimmter Zusammenhang kausal bestimmter Vorgänge die universelle Wechselwirkung der Natur. Vielmehr ist das empirisch gefundene Einzelgesetz von dem apriorischen Grundgesetz eigens unterschieden; dieses ist für jenes nicht konstitutiv, sondern lediglich für seine Auffindung regulativ [...], obwohl es die Natur insgesamt allererst zur Natur konstituiert [...]. 55 56
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tisch verknüpft ist,57 welches soviel sagen will, als, diese beiden Vorstellungen sind im Objekt, d. i. ohne Unterschied des Zustandes des Subjekts, verbunden, und nicht bloß in der Wahrnehmung (so oft sie auch wiederholt sein mag) beisammen..58 Der Unterscheidung von konstitutiver und regulativer Geltung der Analogien der Erfahrung liegt die Unterscheidung von kollektiver Einheit des Erfahrungsganzen und partikularen Gegenständen bzw. Gegenstandsbereichen zugrunde, die, soll sie nicht gegenstandslos sein, selbst nur auf der Grundlage des Begriffs der kollektiven Einheit des Erfahrungsganzen möglich ist.59 Der Verstand, der auf der Grundlage des positiven Begriffs der kollektiven Einheit des Erfahrungsganzen zwischen dieser und partikularen Gegenständen unterschiede, wäre nach Kant nicht diskursiv, wie der menschliche, sondern anschauend. Das Bewußtsein des Unterschieds zwischen kollektiver Einheit des Erfahrungsganzen und partikularen Gegenständen fiele in ihn, weil und insofern er die Unterschiedenen selbst aus sich gesetzt, nämlich in der Anschauung seiner selbst hervorgebracht hätte. Die Theorie, die diesen Verstand theoretisch rechtfertigte, wäre eine affirmative Metaphysik. Dagegen zeigt die Transzendentalphilosophie, daß ein solcher Verstand uns Menschen nicht eigen ist.60 Die Unterscheidung von kollektiver Einheit des Erfahrungsganzen und partikularen Gegenständen und die auf ihr beruhende von konstitutiver und regulativer Geltung der Analogien der Erfahrung fällt in der Analytik in die transzendentale Reflexion. Als Begriff der transzendentalen Reflexion bestimmt der Begriff der kollektiven Einheit des Erfahrungsganzen ebenso wie etwa der des Gegenstandes überhaupt oder des Dinges an sich nur den Bereich, innerhalb dessen Erkenntnis möglich ist, ohne selbst aber eine Erkenntnis dieser Art zu beinhalten. Die Restriktion des Verstandes auf mögliche Erfahrung restringiert den Verstand durch den Totalitätsbegriff der kollektiven Einheit des Erfahrungsganzen, der in der Analytik als transzendentale Reflexionsbestimmung ganz in seiner Funktion der Begründung von Erfahrungserkenntnis aufgeht und unabhängig davon nicht thematisch ist. Der Begriff der kollektiven Einheit des Erfahrungsganzen ist als Begriff der Welt der Gegenstände möglicher Erfahrung gemäß Kantischer Terminologie eine kosmo-
KrV B 12. KrV B 142. 59 Mithin ist zu fragen, ob die Trennung von Idee und Dasein im Hinblick auf die Idee der kollektiven Einheit des Erfahrungsganzen nicht aus erkenntnistheoretischen Gründen aufzuheben ist. Vgl. in dieser Arbeit das Kapitel Das transzendentale Ideal. 60 KrV B 135: Ein Verstand, in welchem durch das Selbstbewußtsein zugleich alles Mannigfaltige gegeben würde, würde anschauen; der unsere kann nur denken und muß in den Sinnen die Anschauung suchen. KrV B 138f.: Derjenige Verstand, durch dessen Selbstbewußtsein zugleich das Mannigfaltige der Anschauung gegeben würde, ein Verstand, durch dessen Vorstellung zugleich die Objekte dieser Vorstellung existierten, würde einen besonderen Aktus der Synthesis der Mannigfaltigen zu der Einheit des Bewußtseins nicht bedürfen, deren der menschliche Verstand, der bloß denkt, nicht anschaut, bedarf. 57 58
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logische Idee.61 Im Unterschied zur Analytik, in der Totalitätsbegriffe nicht auf eine durch sie mögliche Erkenntnis untersucht werden, sondern nur der Begründung der Restriktion möglicher Erkenntnis auf Erfahrung dienen, untersucht die Dialektik Totalitätsbegriffe explizit im Hinblick auf ihre Erkenntnisleistung. Es könnte demnach scheinen, der Übergang von der Analytik in die Dialektik sei insofern immanent notwendig, als in der Dialektik eine Bestimmung der transzendentalen Reflexion im Hinblick auf eine durch sie mögliche Erkenntnis selbst Gegenstand der Untersuchung werde und damit die transzendentale Reflexion sich selbst zum Thema. Doch diese Interpretation deckt sich offensichtlich nicht mit Kants Intention und Darstellung.62 Kant zufolge soll die Dialektik die überzogenen Erkenntnisansprüche der vorkantischen Metaphysik auf der Grundlage der Resultate der transzendentalen Ästhetik und Analytik kritisieren, nicht aber einen Mangel der Darstellung der Analytik beheben. Mehr noch: Kant erweckt in der transzendentalen Dialektik den Anschein, durch den transzendentalen Idealismus seien nicht nur die Erkenntnisansprüche der vorkantischen Metaphysik zu kritisieren, sondern auch die Gehalte der drei Bereiche der metaphysica specialis und damit der Gegenstand dieser Kritik selbst noch vollständig herzuleiten. Das denkende Subjekt ist der Gegenstand der Psychologie, der Inbegriff aller Erscheinungen (die Welt) der Gegenstand der Kosmologie, und das Ding, welches die oberste Bedingung der Möglichkeit von allem, was gedacht werden kann, enthält, (das Wesen aller Wesen) der Gegenstand der Theologie. Also gibt die reine Vernunft die Idee zu einer transzendentalen Seelenlehre (psychologia rationalis), zu einer transzendentalen Weltwissenschaft (cosmologia rationalis), endlich auch zu einer transzendentalen Gotteserkenntnis (Theologia transzendentalis) an die Hand. [...]/ Was unter diesen drei Titeln aller transzendentalen Ideen für modi der reinen Vernunftbegriffe stehen, wird in dem folgenden Hauptstücke vollständig dargelegt werden. Sie laufen am Faden der Kategorien fort.63 Diese Konzeption Kants ist nicht haltbar, wie im folgenden zu zeigen ist. Der Zusammenhang von Analytik und Dialektik muß deshalb anders bestimmt werden.
2. Die kosmologischen Ideen der Vernunft Die Kategorien seien eingeschränkt auf mögliche Erfahrung. Indem die Vernunft sie von dieser Einschränkung befreie, verwandele sie die Kategorien in Ideen; indem die Überschreitung der Grenzen des Empirischen, doch aber in Verknüpfung mit demselben [...]64 geschehe, in kosmologische Ideen. Kant bestimmt die Erweiterung der Vgl. KrV B 434; B 447f. Dies ganz unabhängig von philologischen oder motivgeschichtlichen Erwägungen darüber, inwiefern die Dialektik durch das vorkritische Denken Kants geprägt ist, wie sie etwa von Kemp Smith (1923), Guyer (1987), Sala (1990) und Schmucker (1990) angestellt werden. 63 KrV B 391f. 64 KrV B 435f. 61 62
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Kategorie zur kosmologischen Idee als ein sukzessives Übergehen von der Synthesis der in einer wirklichen Erfahrung gegebenen Erscheinungen zur schlechthin vollendeten Synthesis aller ihrer Bedingungen. Tauglich dazu seien nur diejenigen Kategorien, in denen die Synthesis eine Reihe der einander untergeordneten Bedingungen zu einem Bedingten ausmache, das heißt regressiv sei.65 Ich will die Synthesis einer Reihe auf der Seite der Bedingungen, also von derjenigen an, welche die nächste zur gegebenen Erscheinung ist, und so zu den entfernteren Bedingungen, die regressive, diejenige aber, die auf der Seite des Bedingten, von der nächsten Folge zu den entfernteren fortgeht, die progressive Synthesis nennen. Die erstere geht in antecedentia, die zweite in consequentia. Die kosmologischen Ideen also beschäftigen sich mit der Totalität der regressiven Synthesis, und gehen in antecedentia, nicht in consequentia. Wenn dieses letztere geschieht, so ist es ein willkürliches und nicht notwendiges Problem der reinen Vernunft, weil wir zur vollständigen Begreiflichkeit dessen, was in der Erscheinung gegeben ist, wohl der Gründe, nicht aber der Folgen bedürfen.66 Der Schluß auf die Totalität, der den kosmologischen Ideen zugrunde liegt, muß nach Kant von dem Schluß, der dem transzendentalen Ideal zugrunde liegt, unterschieden werden. Die kosmologischen Ideen seien auf die Form des hypothetischen Vernunftschlusses und auf die Kategorie Kausalität als eines der drei möglichen Verhältnisse von Bedingung und Bedingtem zurückzuführen, das transzendentale Ideal dagegen sei auf die Form des disjunktiven Vernunftschlusses und auf die Kategorie Wechselwirkung als eines der drei möglichen Verhältnisse von Bedingung und Bedingtem zurückzuführen.67 Die Erweiterung der Kategorien zu kosmologischen Ideen bestehe in dem sukzessiven Übergehen der Synthesis von dem empirisch Bedingten zur Totalität seiner Bedingungen, nicht, wie beim transzendentalen Ideal, in dem Sprung68 zu einem Ganzen der Dinge überhaupt. [D]ie Idee der absoluten Totalität [betrifft] nichts anderes, als die Exposition der Erscheinungen [...], mithin nicht den reinen Verstandesbegriff von einem Ganzen der Dinge überhaupt. Es werden hier also Erscheinungen als gegeben betrachtet, und die Vernunft fordert die absolute Vollständigkeit der Bedingungen ihrer Möglichkeit, sofern diese eine Reihe ausmachen, mithin eine schlechthin (d. i. in aller Absicht) vollständige Synthesis, wodurch die Erscheinung nach Verstandesgesetzen exponiert werden könne.69 Die Erweiterung der regressiven Synthesis zur absoluten Vollständigkeit der Bedingungen sei die Forderung der Vernunft, genauer: der menschlichen Vernunft,70 zu einem gegebenen Bedingten das Unbedingte zu suchen. Da außerhalb der absoluten Totalität der Reihe der Bedingungen keine Bedingungen existierten, sei in ihr das Un-
65 66 67 68 69 70
Vgl. KrV B 436. KrV B 438. Vgl. KrV B 379f. Vgl. KrV B 591. KrV B 443; vgl. KrV B 593-B 596. Vgl. KrV B 502.
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bedingte notwendig enthalten. Dieses sei zu denken entweder als bloß in der ganzen Reihe bestehend, in der also alle Glieder ohne Ausnahme bedingt und nur das Ganze derselben schlechthin unbedingt wäre [...], oder aber als ein Teil der Reihe, dem die übrigen Glieder derselben untergeordnet sind, der selbst aber unter keiner anderen Bedingung steht. In dem ersteren Falle ist die Reihe a parte priori ohne Grenzen (ohne Anfang), d. i. unendlich, und gleichwohl ganz gegeben, der Regressus in ihr aber ist niemals vollendet, und kann nur potentialiter unendlich genannt werden. Im zweiten Falle gibt es ein Erstes der Reihe, welches in Ansehung der verflossenen Zeit der Weltanfang, in Ansehung des Raums die Weltgrenze, in Ansehung der Teile, eines in seinen Grenzen gegeben Ganzen, das Einfache, in Ansehung der Ursachen die absolute Selbsttätigkeit (Freiheit), in Ansehung des Daseins veränderlicher Dinge die absolute Naturnotwendigkeit heißt.71 Die Erweiterung der regressiven Synthesis über die Grenzen der Erfahrung hinaus führe zu einem Widerstreit von Verstand und Vernunft, der aufgrund der zwei kontradiktorisch entgegengesetzten Formen des Unbedingten die Gestalt eines Widerstreits der reinen Vernunft mit sich selbst annehme.72 Sie führe zu einem Widerstreit von Verstand und Vernunft, denn sie sei eine Forderung der Vernunft, die durch die Synthesis des Verstandes erfüllt werden solle. Sie wird sich nicht auf die Verstandeseinheit in Erfahrungsbegriffen, sondern auf die Vernunfteinheit in bloßen Ideen beziehen, deren Bedingungen, da sie erstlich, als Synthesis nach Regeln, dem Verstande, und doch zugleich, als absolute Einheit derselben, der Vernunft kongruieren soll, wenn sie der Vernunfteinheit adäquat ist, für den Verstand zu groß, und, wenn sie dem Verstande angemessen, für die Vernunft zu klein sein wird.73 Dieser Widerstreit des Verstandes mit der Vernunft führe aufgrund der zwei entgegengesetzten Formen, in denen das Unbedingte gedacht werden könne, zu einem Widerstreit der reinen Vernunft mit sich selbst. Dabei liege der Thesis das Unbedingte als erstes Glied der Reihe, der Antithesis als das Ganze der Reihe zugrunde. Die Antinomien74 sind Streitfragen über den vermeintlichen Gegenstand der kosmologischen Ideen: die Welt. Ihre kritische Entscheidung durch Kant möchte nachweisen, daß die Welt für das menschliche Erkenntnisvermögen kein vernünftiger GeKrV B 445f. Dies hat Sallis (1983; 103-109) besonders herausgestellt, ohne zu sehen, daß diese Argumentation nur auf der Grundlage des transzendentalen Idealismus erfolgen kann, die Antinomien der reinen Vernunft im strengen Sinne aber nur auf der Grundlage eines transzendentalen Realismus entstehen können. Siehe dazu in diesem Abschnitt weiter unten. 73 KrV B 450. 74 Kant spricht von der Antinomie der reinen Vernunft (vgl. KrV B 398). Die Redensart von den vier ›Antinomien‹ hat sich nun einmal eingebürgert. In Raymund Schmidts Ausgabe ist sie in den Seitentiteln sogar autorisiert. Bei Kant gibt es die Antinomie nur im Singular [...]. Antinomie ist wie Autonomie zu lesen. Es ist ebenso sinnlos, von ›Antinomie‹ einen Plural zu bilden, wie von ›Autonomie‹. Aber es ist wohl unmöglich, den Kantischen Sprachgebrauch wieder einzubürgern. Henrich (1960), 153 Anm. 71 72
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genstand ist. Wenn ich demnach von einer kosmologischen Idee zum voraus einsehen könnte, daß, auf welche Seite des Unbedingten der regressiven Synthesis der Erscheinungen sie sich auch schlüge, so würde sie doch für einen jeden Verstandesbegriff entweder zu groß oder zu klein sein; so würde ich begreifen, daß, da jene doch es nur mit einem Gegenstande der Erfahrung zu tun hat, welche einem möglichen Verstandesbegriffe angemessen sein soll, sie ganz leer und ohne Bedeutung sein müsse, weil ihr der Gegenstand nicht anpaßt, ich mag ihn derselben bequemen, wie ich will.75 Behaupte die Antithesis etwa, alles Geschehen in der Welt unterliege der Naturkausalität, so führe die regressive Synthesis des Verstandes auf keine erste Ursache. Die Idee einer Welt, in der alles der Naturkausalität unterliegt, sei demnach für diese Synthesis zu groß. Behaupte die Thesis, es gebe neben Naturkausalität auch Kausalität aus Freiheit, mithin von selbst gewirkte Begebenheiten, so führe die regressive Synthesis zwar auf eine erste Ursache, aber der Verstand frage sofort nach dem Warum dieser Ursache. Die Idee einer Welt, in der es auch Kausalität aus Freiheit gebe, sei demnach für die Verstandessynthesis zu klein.76 Die Weltideen sind Kant zufolge jedem empirischen Verstandesbegriff und damit dem menschlichen Erkenntnisvermögen prinzipiell inadäquat, denn die Welt ist kein Gegenstand möglicher Erfahrung. Für uns könne es keinen den Ideen korrespondierenden Gegenstand geben. Da also selbst die Auflösung dieser Aufgaben niemals in der Erfahrung vorkommen kann, so könnt ihr nicht sagen, daß es ungewiß sei, was hierüber dem Gegenstande beizulegen sei. Denn euer Gegenstand ist bloß in eurem Gehirne, und kann außer demselben gar nicht gegeben werden; daher ihr nur dafür zu sorgen habt, mit euch selbst einig zu werden, und die Amphibolie zu verhüten, die eure Idee zu einer vermeintlichen Vorstellung eines empirisch Gegebenen, und also auch nach Erfahrungsgesetzen zu erkennenden Objekts macht.77 Der Befund, den kosmologischen Ideen als Totalitätsbegriffen könnten in der Wahrnehmung keine Gegenstände korrespondieren, ist trivial. Nicht trivial ist, daß Gegenstände der Erkenntnis nur solche sind, die ihrem Dasein nach empirisch gegeben sind. Daß es sich so verhält, meint Kant in der Analytik begründet zu haben. Die Analytik hat Kant zufolge zweifelsfrei dargetan, daß allein Gegenstände möglicher Erfahrung solche möglicher Erkenntnis sind. Dieses Resultat der Analytik dient der Antinomienlehre der Dialektik als Richtmaß. Wir haben in allen diesen Fällen gesagt, daß die Weltidee für den empirischen Regressus, mithin jeden möglichen Verstandesbegriff, entweder zu groß, oder auch für denselben zu klein sei. Warum haben wir uns nicht umgekehrt ausgedrückt, und gesagt: daß im ersteren Falle der empirische Begriff für die Idee jederzeit zu klein, im zweiten aber zu groß sei, und mithin gleichsam die Schuld auf dem empirischen Regressus hafte; anstatt, daß wir die kosmologische Idee anklagten, daß sie im Zuviel oder Zuwenig von ihrem Zwecke, nämlich der möglichen Erfahrung, 75 76 77
KrV B 514. Vgl. KrV B 516. KrV B 512.
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abwiche? Der Grund war dieser. Mögliche Erfahrung ist das, was unseren Begriffen allein Realität geben kann; ohne das ist aller Begriff nur Idee, ohne Wahrheit und Beziehung auf einen Gegenstand. Daher war der mögliche empirische Begriff das Richtmaß, wonach die Idee beurteilt werden mußte, ob sie bloße Idee und Gedankending sei, oder in der Welt ihren Gegenstand antreffe. Denn man sagt nur von demjenigen, daß es verhältnisweise auf etwas anderes zu groß oder zu klein sei, was nur um dieses letzteren willen angenommen wird, und darnach eingerichtet sein muß.78 Kants Lehre von den kosmologischen Ideen und ihrem Widerstreit suggeriert, die Gehalte der vorkantischen Kosmologie seien durch den transzendentalen Idealismus nicht nur kritisierbar, sondern als Gegenstand dieser Kritik selbst noch transzendentalidealistisch konstruierbar. Wenn Kant die kosmologischen Ideen aus der Form des hypothetischen Vernunftschlusses mit Bezug auf die Kategorie Kausalität, im Unterschied dazu aber das transzendentale Ideal aus der Form des disjunktiven Vernunftschlusses mit Bezug auf die Kategorie Wechselwirkung herleitet, wenn er die Erweiterung der Kategorie zur kosmologischen Idee als sukzessives Übergehen von der Erscheinung zur Totalität ihrer Bedingungen bestimmt, die Erweiterung der Kategorie zum transzendentalen Ideal aber als einen Sprung zu den Dingen überhaupt, dann setzt er damit den transzendentalen Idealismus voraus.79 Nur unter der Voraussetzung des transzendentalen Idealismus, also der Resultate der transzendentalen Ästhetik und Analytik, kann sinnvoll von einer Erweiterung der Kategorie über die Erfahrung hinaus gesprochen und die Unterscheidung von Erscheinung und Ding an sich für die Unterscheidung von kosmologischer Idee und transzendentalem Ideal in Anspruch genommen werden.80
KrV B 517. So auch W. Cramer (1967), 116: Die [...] Deduktion der Ideen der reinen Vernunft stellt nichts anderes dar als den Nachweis, daß das System der Vernunftideen sich vollständig aus der das Denken Kants grundlegend bestimmenden Begrifflichkeit ergibt und aus ihm die Thematik der vorkantischen Metaphysik entspringt. Es kann kein Zweifel daran sein, daß das ohne Konstruktion und Pressung nicht abgehen konnte. 80 Bereits Adickes (1889; 356) betont: Das ›schlechthin Unbedingte in einer Reihe gegebener Bedingungen‹ dessen Idee nach Kant das Verfahren in hypothetischen Vernunftschlüssen nach sich zieht, kann nie die Welt, könnte höchstens Gott sein. Kant schafft sich Rat durch eine der grössten Inkonsequenzen, die er begehen konnte. Er behauptet nämlich, dass die Idee der absoluten Totalität nur die Erscheinungen betrifft, nicht die Dinge an sich. Aber die ganze Dialektik und speciell die Antinomien beruhen doch nur darauf, dass man den Unterschied zwischen Erscheinungen und Dingen an sich nicht macht, sondern blosse Erscheinungen für Dinge an sich hält, und die Lösung der Antinomien besteht nur in dem Hinweis auf diesen Unterschied. In der Darstellung des Antinomienproblems (S. 454ff. [i. e. B 454ff.]), wo Kant doch seine Beweise vom Standpunkt des populären Bewußtseins aus aufstellen sollte, bringt er häufig fälschlicherweise schon seinen transcendentalen Idealismus mit jener, die Lösung bringen sollenden, Unterscheidung hinein und beschränkt die Antinomien auf die Erscheinungswelt, wodurch sie aber ganz ihren Antinomiencharakter verlieren, der nur bei Verwechselung der Erscheinungswelt mit der Welt der Dinge an sich aufrecht erhalten werden kann [...]. In diesem Sinne auch Kemp Smith (1923), 482 f. 78 79
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Läßt Kant insofern keinen Zweifel daran, daß der Gehalt der vorkantischen Kosmologie und damit der Gegenstand transzendentalphilosophischer Kritik selbst noch auf transzendental-idealistischer Grundlage zu konstruieren ist, so behauptet er im Widerspruch dazu, die kosmologischen Antinomien könnten nur auf der Grundlage der transzendental-realistischen Einstellung der gemeinen Vernunft81 entspringen, welche die Erscheinungen und die Welt insgesamt als Dinge an sich begreife.82 Kant betont dies verschiedentlich, mit besonderem Nachdruck aber in dieser Anmerkung [...] von Wichtigkeit. Die Antinomie der reinen Vernunft werde dadurch gehoben, daß gezeigt wird, sie sei bloß dialektisch und ein Widerstreit eines Scheins, der daher entspringt, daß man die Idee der absoluten Totalität, welche nur als eine Bedingung der Dinge an sich selbst gilt, auf Erscheinungen angewandt hat, die nur in der Vorstellung, und, wenn sie eine Reihe ausmachen, im sukzessiven Regressus, sonst aber gar nicht existieren. Man kann aber auch umgekehrt aus dieser Antinomie einen wahren, [...] kritischen und doktrinalen Nutzen ziehen: nämlich die transzendentale Idealität der Erscheinungen dadurch indirekt zu beweisen, wenn jemand etwa an dem direkten Beweise in der transzendentalen Ästhetik nicht genug hätte. Der Beweis würde in diesem Dilemma bestehen. Wenn die Welt ein an sich existierendes Ganzes ist: so ist sie entweder endlich, oder unendlich. Nun ist das erstere sowohl als das zweite falsch (laut der oben angeführten Beweise der Antithesis, einer-, und der Thesis andererseits). Also ist es auch falsch, daß die Welt (der Inbegriff der Erscheinungen) ein an sich existierendes Ganzes sei. Woraus denn folgt, daß Erscheinungen überhaupt außer unseren Vorstellungen nichts sind, welches wir eben durch die transzendentale Idealität derselben sagen wollten./ Diese Anmerkung ist von Wichtigkeit. Man sieht daraus, daß die obigen Beweise der vierfachen Antinomie nicht Blendwerke, sondern gründlich waren, unter der Voraussetzung nämlich, daß Erscheinungen oder eine Sinnenwelt, die sie insgesamt in sich begreift, Dinge an sich selbst wären.83
KrV B 528. Der Ausdruck steht für die transzendentalphilosophisch unreflektierte, daher unkritische Einstellung der menschlichen Vernunft. Zu dem Begriffspaar transzendentaler Idealismus, transzendentaler Realismus vgl. KrV B 518f. Der Lehrbegriff des transzendentalen Idealism besagt, daß alles, was im Raume oder der Zeit angeschaut wird, mithin alle Gegenstände einer uns möglichen Erfahrung, nichts als Erscheinungen, d. i. bloße Vorstellungen sind, die [...] keine an sich gegründete Existenz haben. Der Realist in transzendentaler Bedeutung aber macht aus diesen Modifikationen unserer Sinnlichkeit an sich subsistierende Dinge, und daher bloße Vorstellungen zu Sachen an sich selbst. 82 Schmucker (1990) weist auf diesen grundlegenden Widerspruch nachdrücklich hin und verfolgt en détail die sich daraus ergebenden Inkonsistenzen in Kants Argumentation. Dabei wirft er Heimsoeth (1967) zu Recht eine ausgesprochen harmonisierende[] Grundtendenz (7) vor, denn Heimsoeth sieht tatsächlich kein Problem darin, daß Kant [...] die Antinomien auf dem Boden des transzendentalen Idealismus ansiedelt und sie damit, weil sie von der Voraussetzung des Lösungsprinzips ausgehen, von vornherein aufhebt bzw. gar nicht entspringen lassen kann. (214) Vgl. dazu Heimsoeth (1967), 216. 83 KrV B 534f. 81
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Hätte Kant die Antinomien der reinen Vernunft dem Gehalt dieser Passage entsprechend darstellen wollen, hätte er die Beweise und Anmerkungen zu den Thesen und Antithesen auf der Basis der transzendental-realistischen Einstellung der gemeinen Vernunft führen müssen. Dies hat er aber nicht getan, sondern weitgehend auf transzendental-idealistischer Grundlage argumentiert. So rekurriert er beispielsweise in den beiden Anmerkungen zur ersten Antinomie auf seine eigene Raum-Zeitlehre und greift bei der Widerlegung der Antithesis auf das ebenfalls transzendentalidealistische Argument zurück, wonach die Totalität der regressiven Synthesis empirisch nicht zu bewältigen ist.84 So gebraucht er den Ausdruck Erscheinung sowohl im kritizistischen Sinne wie auch als Synonym für Naturdinge und Naturvorgänge.85 Auf der Grundlage des transzendentalen Idealismus ist der Gehalt der vorkantischen Kosmologie nicht zu entwickeln, sondern allenfalls dessen transzendentalphilosophisches Korrelat.86 Kants Argument, die kosmologischen Ideen seien für den Verstandesbegriff entweder zu groß oder zu klein und daher ganz leer und ohne Bedeutung,87 faßt die Antinomie der Vernunft als Widerspruch zwischen dem gegenständliche Erkenntnis ermöglichenden Verstandesbegriff und der prinzipiell gegenstandslosen Idee. Weil die Ideen als Weltbegriffe gegenstandslos seien, verwickelten sie die Vernunft, so lange sie ihnen anhängt, in eine unvermeidliche Antinomie.88 Kant erweckt hier den Anschein, als führe er die dem bestimmten Inhalt nach unterschiedenen Antinomien auf ihren gemeinsamen Grund zurück, indem er sie zunächst auf den formalen Begriff der regressiven Synthesis der Totalität der Bedingungen eines gegebenen Bedingten reduziert und dann unter Anführung der Resultate der Analytik darauf verweist, daß diese Synthesis empirisch nicht zu bewältigen ist. Der Wider-
Vgl. die als Fußnote vom Haupttext abgesetzte Anmerkung zum Beweis der Antithesis (KrV B 457) und die nicht abgesetzte Anmerkung (KrV B 459ff.), in welcher vom Raum als Form der äußeren Anschauung die Rede ist, was auch Heimsoeth hervorhebt (1967; 224ff.). Ferner KrV B 454; Schmucker (1990), 114f. 85 Vgl. etwa KrV B 459. 86 So W. Cramer (1967): Im Weltbegriff der Ontologie des deutschen Rationalismus [...] ist von der Welt die Rede, welche existiert und in welcher Innerweltliches existiert, dessen Existenz nicht ein Dasein im Sinne der Kategorie Kants ist. Die Existenz dieser Welt hat an sich mit Subjektivität und Erscheinungen nichts zu schaffen, sie existiert an sich. (117) Das Wort ›der ontologische Weltbegriff‹ meint [...] einmal den Weltbegriff der vorkantischen Wolffschen Ontologie oder der Baumgartenschen Metaphysik, befaßt aber auch in sich das natürliche Bewußtsein, dem selbstverständlich Zeitliches wirklich ist und nicht Erscheinung. [...] Somit wird in Kants Lehre von den kosmologischen Antinomien auch nicht die metaphysica specialis abgehandelt. Nur das eine kann man sagen: der transzendentale Weltbegriff Kants ist das einzig mögliche Korrelat, das der Weltbegriff der Ontologie innerhalb des transzendentalen Idealismus haben kann. Er ist das Widerspiel des ontologischen Weltbegriffs, aber keineswegs er selbst. (118). 87 KrV B 514. 88 KrV B 514. 84
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spruch zwischen Verstandesbegriff und Vernunftidee ist aber explizit nicht die Antinomie der reinen Vernunft, die unter den Voraussetzungen der vorkantischen, unkritischen Kosmologie und auf der Grundlage der gemeinen Vernunft entspringt. Dieses Sinnleere des ›zu groß oder zu klein für den Erfahrungs- oder Verstandesbegriff‹ ist nun der neue Sinn der Antinomie als Widerspruch zwischen dem objektiv gültigen Verstandesbegriff und dem, objektiv gesehen, sinnleeren Totalitätsbegriff der Vernunft. [...] Es liegt auf der Hand, daß die ganze Schlüssigkeit der Kantischen Begründung einzig und allein abhängt von der hier vollzogenen Transponierung der kosmologischen Problematik [...] auf die Erfahrungswelt als Welt der Erscheinungen im kritizistischen Sinn [...]. Denn wenn ich von dem ursprünglichen Sinn der Antinomien und der auf sie angewandten skeptischen Methode [...] ausgehe, d.h. wenn ich die Antinomie als von der Voraussetzung des transzendentalen Realismus aus konzipiert denke, dann bedeutet sie nichts anderes als die widersprüchlichen Bestimmungen der Totalitätsbegriffe einer als an sich seiend vorausgesetzten Erfahrungswelt: Die [...] Unbegreiflichkeit liegt dann einfach in der Widersprüchlichkeit der sich aus den Vernunftschlüssen ergebenden Bestimmungen der Ideen, keinesfalls aber darin, daß diese [...] Totalitätsbegriffe der Erfahrungswelt nicht mit Erfahrungsbegriffen [...] zur Deckung gebracht werden können.89 Es ist auch kein Bewußtsein denkbar, das in dieser Antinomie befangen wäre. Das vorkritische Bewußtsein kann in dieser Antinomie nicht befangen sein, weil es ihre Voraussetzungen nicht teilt; das transzendentalphilosophisch aufgeklärte Bewußtsein teilt zwar die Voraussetzungen, aus denen die Antinomie konstruiert ist, kann aber eben deshalb unmöglich selbst in sie geraten. Als Bewußtsein, welches weiß, daß Erkenntnis einzig von Gegenständen möglicher Erfahrung möglich ist, kann es nicht erfahrungstranszendente Gegenstände erkennen wollen. Es gibt kein Bewußtsein, das in dieser Antinomie befangen wäre, wohl aber gibt es eine Instanz, in die sie fällt, weil sie sie selbst konstruiert hat. Dies ist die transzendentalphilosophische Reflexion. Kant sieht dies nicht, sondern identifiziert die auf transzendental-realistischer Grundlage allein mögliche Antinomie mit der auf transzendental-idealistischer Grundlage konstruierten. Die Auflösung der so gefaßten Antinomie besteht in dem Nachweis, daß die Welt kein an sich existierendes Ganzes ist. Dies versteht sich freilich von selbst, wenn der Lehrbegriff des Idealism vorausgesetzt wird. Ist die Begründung der Einschränkung der Verstandesbegriffe auf ihren empirischen Gebrauch, das heißt auf die Synthesis der in den Formen der Anschauung empirisch gegebenen Daten, stichhaltig, dann liegt das Argument gegen die Möglichkeit von gegenständlicher Erkenntnis durch Vernunftideen auf der Hand. Die ganze Antinomie der reinen Vernunft beruht auf dem dialektischen Argumente: Wenn das Bedingte gegeben ist, so ist auch die ganze Reihe aller Bedingungen desselben gegeben: nun sind uns Gegenstände der Sinne als bedingt gegeben, folglich usw. Durch diesen Vernunftschluß, dessen Obersatz so natürlich und einleuchtend scheint, werden nun, 89
Schmucker (1990), 251.
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nach Verschiedenheit der Bedingungen (in der Synthesis der Erscheinungen), sofern sie eine Reihe ausmachen, ebensoviel kosmologische Ideen eingeführt, welche die absolute Totalität dieser Reihen postulieren und eben dadurch die Vernunft unvermeidlich in Widerstreit mit sich selbst versetzen.90 Der kosmologische Vernunftschluß sei ein sophisma figurae dictionis, denn sein Obersatz nehme das Bedingte in transzendentaler Bedeutung einer reinen Kategorie, der Untersatz aber in empirischer Bedeutung eines auf bloße Erscheinungen angewandten Verstandesbegriffs [...].91 In bezug auf die reine Kategorie sei mit dem Bedingten auch die vollständige Reihe der Bedingungen, mithin auch das Unbedingte zugleich gegeben, nämlich vorausgesetzt. In bezug auf die auf mögliche Erfahrung restringierte Kategorie könne mit dem Bedingten nicht zugleich die vollständige Reihe der Bedingungen gegeben sein, denn gegeben bedeute hier: in der sinnlichen Anschauung gegeben.92 Kants Kritik des kosmologischen Vernunftschlusses setzt die Lehre vom Schematismus und von den Grundsätzen des reinen Verstandes voraus. Nur unter der Bedingung, daß die dort gegebene Begründung der Restriktion der Kategorien auf die Sinnlichkeit stichhaltig ist, kann der Gebrauch des Ausdrucks gegeben im Oberund Untersatz des Schlusses als äquivok kritisiert werden. Diese Begründung ist aber, wie gezeigt, unhaltbar. Kategorien sind nicht qua Synthesis des Zeitmannigfaltigen schematisiert und derart Allgemeinbegriffe, unter die Erscheinungen zu subsumieren sind.93 Ist die Kategorie Kausalität demnach nicht schematisierbar, also keine Zeitbestimmung, ist der ihr entsprechende Grundsatz keiner der Zeitfolge.94 Ohne Beziehung auf die Zeit bleibt von dem synthetischen Grundsatz des reinen Verstandes allein der Satz: alles, was geschieht, hat seine Ursache [...].95 Fungiert dieser Satz als Obersatz in einem Vernunftschluß, dessen Untersatz an wirkliche Erfahrung gebunden ist, so folgt auch hier die Konklusion per sophisma figurae dictionis.96 Ohne Beziehung auf die Zeit sind die synthetischen Grundsätze des reinen Verstandes ihrem Ursprunge nach nicht von den Prinzipien der Vernunft zu unterscheiden. Kant versteht unter Erkenntnis aus Prinzipien solche, da ich das Besondere im allgemeinen durch Begriffe erkenne. Jeder Vernunftschluß sei eine Form der Ableitung einer Erkenntnis aus einem Prinzip, denn der Obersatz gibt jederzeit einen Begriff, der da macht, daß alles, was unter der Bedingung desselben subsumiert wird, aus ihm nach einem Prinzip erkannt wird. Da nun jede allgemeine Erkenntnis zum Obersatze in einem Vernunftschlusse dienen kann, und der Verstand dergleichen allgemeine Sätze a priori darbietet, so können diese denn auch, in Ansehung ihres mög-
90 91 92 93 94 95 96
KrV B 525. KrV B 527. Vgl. KrV B 526f. Vgl. in dieser Arbeit das Kapitel Die Restriktion des Verstandes auf ›mögliche Erfahrung‹. Vgl. KrV B 232. KrV B 761; vgl. B 765. Vgl. Büchsel (1977), 56.
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lichen Gebrauchs, Prinzipien genannt werden./ Betrachten wir aber diese Grundsätze des reinen Verstandes an sich selbst ihrem Ursprunge nach, so sind sie nichts weniger als Erkenntnisse aus Begriffen. Denn sie würden auch nicht einmal a priori möglich sein, wenn wir nicht die reine Anschauung [...] oder Bedingungen einer möglichen Erfahrung überhaupt herbeizögen. Daß alles, was geschieht, eine Ursache habe, kann gar nicht aus dem Begriffe dessen, was überhaupt geschieht, geschlossen werden; vielmehr zeigt der Grundsatz, wie man allererst von dem, was geschieht, einen bestimmten Erfahrungsbegriff bekommen könne./ Synthetische Erkenntnisse aus Begriffen kann der Verstand also gar nicht verschaffen [...].97 Daß alles, was geschieht, eine Ursache habe, ist weder aus dem Begriffe dessen, was überhaupt geschieht zu schließen, noch ist es durch die kategoriale Synthesis des Zeitmannigfaltigen transzendental zu begründen; weder ist es eine analytische noch eine synthetische Bestimmung, vielmehr ist es eine metaphysische Spekulation, die unmittelbar keine allgemeine und notwendige Geltung hat, die aber konstitutiv ist für Erkenntnis. Kant nennt solche Bestimmungen Sentenzen der metaphysischen Weisheit,98 die einer transzendentalen Deduktion bedürften. Nach Kant unterliegen wir mit unserer gemeinen Vernunft einer natürlichen Täuschung: Denn durch dieselbe setzen wir (im Obersatze) die Bedingungen und ihre Reihe, gleichsam unbesehen, voraus, wenn etwas als bedingt gegeben ist, weil dieses nichts anderes, als die logische Forderung ist, vollständige Prämissen zu einem gegebenen Schlußsatze anzunehmen, und da ist in der Verknüpfung des Bedingten mit seiner Bedingung keine Zeitordnung anzutreffen; sie werden an sich, als zugleich gegeben, vorausgesetzt.99 Doch das Fehlen der Zeitordnung im Obersatz ist konstitutiv für Prinzipien der Erkenntnis. Nicht nur kosmologische Prinzipien, die auf die Erkenntnis der Welt gehen, sondern auch solche in den Einzelwissenschaften, die auf partikulare Gegenstandsbereiche und Gegenstände gehen, enthalten keine Zeitordnung. Denn weder ist ein empirisches Subjekt allein noch sind alle empirischen Subjekte gemeinsam in der Lage, alle möglichen empirischen Realisationen eines Gesetzes zu überprüfen. Prinzipien bezeichnen die allgemeine Form von Ereignissen in der Zeit. In ihnen ist das, was in der Zeit geschieht, auf ein logisches Verhältnis von Begriffen gebracht. Ohne solche Prinzipien, die als universale Urteile nicht besondere empirische Sachverhalte, sondern die allgemeine Form von empirischen Sachverhalten bezeichnen, wäre Wissenschaft als ein diachron und synchron arbeitsteilig organisierter Prozeß der kollektiven Aneignung der Natur nicht möglich.100 KrV B 357. KdU B XXX. 99 KrV B 528. 100 Vgl. Bulthaup (1975), 131f.: Zu urteilen soll [nach Kant] dem kontingenten Subjekt möglich sein; seine Fähigkeit, Wahres zu erschließen aber soll begrenzt werden auf den Bereich, in dem seine Schlüsse empirisch bestätigungsfähige Urteile zum Resultat haben. Eine solche Begrenzung trifft die universalen Urteile. Die Wahrheit partikularer Urteile ist empirisch entscheidbar, und eine Menge von partikularen Urteilen läßt sich auf die Aussagenlogik abbilden, die ih97 98
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3. Das transzendentale Ideal Kant unterscheidet das Ideal von der Idee. Grundlage dieser Unterscheidung ist der Lehrbegriff des Idealism, insbesondere die Unterscheidung von Erscheinung und Ding an sich. Das Ideal sei die Idee, nicht bloß in concreto, sondern in individuo, d. i. als ein einzelnes, durch die Idee allein bestimmbares, oder gar bestimmtes Ding [...].101 Qua Ideal werde ein durch eine Idee vollständig, das heißt durchgängig bestimmbares oder bestimmtes einzelnes Ding gedacht; qua transzendentales Ideal werde ein durchgängig bestimmtes Ding gedacht, das in sich alle positiven Bestimmtheiten von Dingen überhaupt enthalte, gleichviel ob sie Gegenstände der Erfahrung seien oder nicht. Im Unterschied zur kosmologischen Idee, die sich ebenfalls auf Eines, die eine raumzeitliche Welt, beziehe, liege dem Ideal nicht die sukzessive Überschreitung des Empirischen zugrunde, sondern der Sprung außer dem Zusammenhange der Sinnlichkeit [...]102 zu den Dingen überhaupt. Der Schluß auf die Totalität, der das transzendentale Ideal hervorbringe, verhalte sich zu dem disjunktiven Vernunftschluß der formalen Logik analogisch.103 So wie die Vernunft in diesem den besonderen Begriff dadurch bestimme, daß sie vermittels des Untersatzes die durch den Obersatz bezeichnete vollständig gegliederte Sphäre eines allgemeinen Begriffs einschränke, so denke sie in jenem die durchgängige Bestimmung eines jeden Dings als Einschränkung der Totalität aller möglichen Prädikate. Die Vernunft fordere in ihm, daß ein Ding, um real, nicht nur logisch, möglich zu sein, durchgängig bestimmt sein müsse. Ein jedes Ding aber, seiner Möglichkeit nach, steht noch unter dem Grundsatze der durchgängigen Bestimmung, nach welchem ihm von allen möglichen Prädikaten der Dinge, sofern sie mit ihren Gegenteilen verglichen werden, eines zukommen muß. Dieses beruht nicht bloß auf dem Satze des Widerspruchs; denn es betrachtet, außer dem Verhältnis zweier einander widerstreitenden Prädikate, jedes Ding noch im Verhältnis auf die gesamte Möglichkeit, als rerseits nur für endliche Systeme brauchbar ist, in denen ein universales Urteil als Konjunktion von partikularen Urteilen sich darstellen läßt. Übersteigt die Zahl der partikularen Urteile in einer solchen Konjunktion die von einem kontingenten Subjekt empirisch überprüfbaren Tatsachen, dann ist dieses Subjekt, will es wahre Aussagen über die Gegenstände eines von ihm nicht vollständig zu überschauenden Gegenstandsbereichs machen, auf die Geltung universaler Urteile angewiesen. Damit wird der logische Unterschied zwischen Regressus in indefinitum und Regressus in infinitum hinfällig, denn wenn der erstere nicht zu leisten ist, hängt die Geltung der Urteile von der spekulativen Bewältigung des letzteren ab. Das gilt a fortiori, wenn die Urteile nicht nur für ein Subjekt, sondern für alle Subjekte gelten sollen. [...] Durch die universalen Urteile wird es möglich, die partikularen systematisch durch Schlüsse zueinander in Beziehung zu setzen. Sie erst begründen mit der Konsistenz der Erfahrung aller Subjekte die der einzelnen Subjekte. In der Terminologie Kants: Die Funktionen des Verstandes sind nur aus der Vernunft zu begründen [...]. 101 KrV B 596. 102 KrV B 591. 103 KrV B 605.
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den Inbegriff aller Prädikate der Dinge überhaupt, und, indem es solche als Bedingung a priori voraussetzt, so stellt es ein jedes Ding so vor, wie es von dem Anteil, den es an jener gesamten Möglichkeit hat, seine eigene Möglichkeit ableite. Das Prinzipium der durchgängigen Bestimmung betrifft also den Inhalt, und nicht bloß die logische Form. Es ist der Grundsatz der Synthesis aller Prädikate, die den vollständigen Begriff von einem Dinge machen sollen, [...] und enthält eine transzendentale Voraussetzung, nämlich die der Materie zu aller Möglichkeit, welche a priori die Data zur besonderen Möglichkeit jedes Dinges enthalten soll.104 Das Prinzip der durchgängigen Bestimmung jedes Dings vergleicht jedes Ding idealiter mit der Totalität aller möglichen Prädikate, um es vollständig zu bestimmen. Realiter ist dieser universelle Vergleich nicht durchzuführen, denn der diskursive menschliche Verstand, der Totalität nicht mächtig, kann die spezifische Bestimmtheit spezifischer Gegenstände nur vermittels wirklicher Erfahrung erkennen. Er ist in seiner erkennenden Tätigkeit immer auf empirisch Gegebenes verwiesen. Das Prinzip der durchgängigen Bestimmung hat für ihn deshalb nur eine regulative Funktion. Die durchgängige Bestimmung ist folglich ein Begriff, den wir niemals in concreto seiner Totalität nach darstellen können, und gründet sich also auf einer Idee, welche lediglich in der Vernunft ihren Sitz hat, die dem Verstande die Regel seines vollständigen Gebrauchs vorschreibt.105 Die Idee der Totalität aller möglichen Prädikate läutert Kant zur Idee der Totalität aller Realitäten oder Sachheiten, indem er Begriffe, die aus anderen abgeleitet sind oder auf der Grundlage des in der Analytik Entwickelten nebeneinander nicht stehen können,106 aus ihr entfernt. Transzendentalphilosophisch bedeutet Realität Sachheit (quidditas), Negation aber bloßen Mangel. Insofern die Negation die Realität voraussetzt, ist sie ihr gegenüber das Abgeleitete und aus der Idee der Totalität aller möglichen Prädikate zu entfernen.107 Ebenfalls zu entfernen sind Prädikate, die, statt Bedingungen der Möglichkeit für Dinge überhaupt zu sein, nur solche für Erscheinungen sind, wie die Formen der Anschauung.108 Schließlich sind Prädikate zu entfernen, die einen realen Gegensatz bezeichnen, worin das Negative nicht nur privativer Art ist, sondern [...] in der Weise ›Negativer Größen‹, von qualitativer Art und Eigenmächtigkeit109 auftritt. Durch die Entfernung unzulässiger Prädikate transformiert Kant die Idee der Totalität möglicher Prädikate in die der Totalität aller RealiKrV B 599ff. KrV B 601. 106 KrV B 601f. 107 Vgl. KrV B 602f. 108 Vgl. Heimsoeth (1969), 434ff. 109 Heimsoeth (1969), 436. Vgl. M. Wolff (1981; 74f.): Bereits der vorkritische Kant, erst recht aber der Autor der Kritik der reinen Vernunft, hat darauf hingewiesen, daß nicht notwendig ›Schranken der Realität‹, sondern auch Privationen (die kein Mangel, sondern eine mögliche Folge realer Bestimmungen sind), ›wahrhaftige‹ Negationen ausmachen können: Die Tatsache, daß ein Körper nicht bewegt wird, beruht zwar in einigen Fällen auf einem bloßen Mangel an Kräften oder Bewegungsursachen, in allen anderen Fällen aber beruht sie darauf, daß Negativität 104 105
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täten. Wenn also der durchgängigen Bestimmung in unserer Vernunft ein transzendentales Substratum zum Grunde gelegt wird, welches gleichsam den ganzen Vorrat des Stoffes, daher alle möglichen Prädikate der Dinge genommen werden können, enthält, so ist dieses Substratum nichts anderes, als die Idee von einem All der Realität (omnitudo realitatis). Alle wahren Verneinungen sind alsdann nichts als Schranken, welches sie nicht genannt werden könnten, wenn nicht das Unbeschränkte (das All) zum Grunde läge.110 Die Idee der Totalität aller Realitäten wird ihrerseits als ein durchgängig bestimmtes einzelnes Ding gedacht, als transzendentales Ideal. Es ist aber auch durch diesen Allbesitz der Realität der Begriff eines Dinges an sich selbst, als durchgängig bestimmt, vorgestellt, und der Begriff eines entis realissimi ist der Begriff eines einzelnen Wesens, weil von allen möglichen entgegengesetzten Prädikaten eines, nämlich das, was zum Sein schlechthin gehört, in seiner Bestimmung angetroffen wird. Also ist es ein transzendentales Ideal, welches der durchgängigen Bestimmung, die notwendig bei allem, was existiert, angetroffen wird, zum Grunde liegt, und die oberste und vollständige materiale Bedingung seiner Möglichkeit ausmacht [...].111 Dabei ist, wie Kant präzisiert, die Bestimmung der Dinge nicht als Einschränkung des Urwesens zu denken, was dessen Teilung bedeutete, sondern als Einschränkung seiner vollständigen Folge [...], zu welcher denn auch unsere ganze Sinnlichkeit, samt aller Realität in der Erscheinung, gehören würde, die zu der Idee des höchstens Wesens, als ein Ingredienz, nicht gehören kann.112 Das transzendentale Ideal sei das einzige eigentliche Ideal, dessen die menschliche von Kräften im Spiel ist. Wahrhafte (›metaphysische‹) Verneinungen beruhen also mindestens in einigen Fällen nicht auf den sogenannten Schranken der Realität, sondern darauf, daß das Ding, von dem etwas verneint wird, Bestimmungen hat, die im Verhältnis realer Entgegensetzung stehen. Kant hat auf diese Weise begonnen, die metaphysische Alternative zwischen ›Realität‹ und ›Schranken der Realität‹ als unzulänglich zu erweisen. Später, in der Kritik der reinen Vernunft, hat Kant allerdings den Standpunkt bezogen, daß diese metaphysische Alternative nur für den Gegenstandsbereich der Erscheinungen, nicht aber für den Gegenstandsbereich der ›Dinge an sich‹ ungültig sei. Den ›Dingen an sich‹ kommen nämlich nach Meinung des ›kritischen‹ Kant keine Privationen, also auch keine negativen Bestimmungen zu. Wohl aber kommt ihnen entweder Realität im Sinne der ›transzendentalen Bejahung‹, oder Verneinung im Sinne einer ›transzendentalen Verneinung‹ (eines ›transzendentalen Nichtseins‹) zu. 110 KrV B 603f. 111 KrV B 604. 112 KrV B 607. Vgl. dazu als Beispiel der transzendentalphilosophisch unaufgeklärten Tradition Spinoza, Ethik I, prop. XIII: Eine unbedingt unendliche Substanz ist unteilbar. Im Brief an J. Hudde (16. April 1666) schreibt Spinoza über das notwendig existierende Wesen unter anderem: Es muß einfach sein, nicht aus Teilen zusammengesetzt. Denn diese Teile, die es zusammensetzen, müßten der Natur und der Erkenntnis nach früher sein als das, was aus ihnen zusammengesetzt ist. Das kann aber bei etwas, das seiner Natur nach ewig ist, nicht der Fall sein. [...] Es muß unteilbar sein. Wäre es nämlich teilbar, so könnte es in Teile entweder von derselben oder von verschiedener Natur geteilt werden; in diesem Falle aber würde es zerstört und könnte so nicht existieren, was der Definition entgegen ist. Im ersteren Fall hingegen würde jeder beliebige
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Vernunft fähig ist; weil nur in diesem einzigen Falle ein an sich allgemeiner Begriff von einem Dinge durch sich selbst durchgängig bestimmt, und als die Vorstellung von einem Individuum erkannt wird.113 Kant zufolge ist jeder Begriff an sich allgemein, aber die Allgemeinheit des diskursiven Begriffs schließt gerade die durchgängige Bestimmung eines einzelnen Dings durch ihn aus. Denn aus der Sphäre des Begriffs, der eine Gattung bezeichnet, ist ebensowenig, wie aus dem Raume, den Materie einnehmen kann, zu ersehen, wie weit die Teilung derselben gehen könne. Daher jede Gattung verschiedene Arten, diese aber verschiedene Unterarten erfordert, und, da keine der letzteren stattfindet, die nicht immer wiederum eine Sphäre (Umfang als conceptus communis) hätte, so verlangt die Vernunft in ihrer ganzen Erweiterung, daß keine Art als die unterste an sich selbst angesehen werde, weil, da sie doch immer ein Begriff ist, der nur das, was verschiedenen Dingen gemein ist, in sich enthält, dieser nicht durchgängig bestimmt, mithin auch nicht zunächst auf ein Individuum bezogen sein könne, folglich jederzeit andere Begriffe, d. i. Unterarten, unter sich enthalten müsse.114 Um ein einzelnes Ding durchgängig zu bestimmen, müßte der Begriff selbst durchgängig bestimmt sein. Nun beruht die Allgemeinheit des diskursiven Begriffs darauf, daß der Begriff als Teilvorstellung das identische Merkmal einer Vielheit ansonsten verschiedener Vorstellungen bezeichnet.115 Der Begriff hat deshalb notwendig die Seite der Unbestimmtheit. Der Begriff des Hundes besagt nichts über eine beTeil eine an sich notwendige Existenz einschließen, und auf diese Weise könnte das eine ohne das andere existieren und folglich begriffen werden und demgemäß könnte man jene Natur als eine endliche verstehen, was nach dem Vorausgegangenen der Definition zuwiderläuft. Briefwechsel 157f. 113 KrV B 604. 114 KrV B 683f. 115 Vgl. KrV B 133f.; ferner KrV B 40: Nun muß man zwar einen jeden Begriff als eine Vorstellung denken, die in einer unendlichen Menge von verschiedenen möglichen Vorstellungen (als ihr gemeinschaftliches Merkmal) enthalten ist, mithin diese unter sich enthält; aber kein Begriff, als ein solcher, kann so gedacht werden, als ob er eine unendliche Menge von Vorstellungen in sich enthielte. Vgl. dazu Baum (1991; 69): ›Die Synthesis eines Mannigfaltigen ... ist ... dasjenige, was eigentlich die Elemente zu Erkenntnissen sammelt, und zu einem gewissen Inhalt vereinigt‹ (A 77/ B 103). Bei Vorstellungen, die den Inhalt eines Begriffes ausmachen, würde eine unendliche Vielheit von Elementen zur Folge haben, daß die den Inhalt erzeugende Synthese nie vollendet werden könnte. Das aber würde bedeuten, daß man nicht angeben könnte, was durch einen solchen unabschließbaren Begriff gedacht wird. Ein derartig unbestimmter und unbestimmbarer Begriff würde nicht als Begriff, d.h. als ›eben dasselbe Bewußtsein, als in vielen Vorstellungen ... enthalten‹ (B 136 Fn) fungieren können, denn man könnte nicht wissen, was dieses eine und selbe Bewußtsein ist. Und da ein Begriff ein gemeinsames Merkmal inhaltlich verschiedener Vorstellungen und Gegenstände sein können muß, so muß er sich trotz des evtl. großen Reichtums seines Inhalts auch von dem unterscheiden lassen, wodurch die Vorstellungen sich von ihrem gemeinsamen Teil unterscheiden. Ein grundsätzlich unbestimmbarer Begriff könnte aber auch nicht als Unterscheidungsmerkmal von Vorstellungen und Gegenständen von anderen dienen, die nicht unter ihn subsumierbar sein sollen. Das aber ist die Funktion eines jeden Begriffes als solchen hinsichtlich seines Inhalts.
B. Verstand, Vernunft, Urteilskraft
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stimmte Hunderasse oder Mischlingsart; der Begriff des Schäferhundes besagt nichts über Gewicht und Größe eines bestimmten einzelnen Tiers. Weil und insofern die Allgemeinheit des Begriffs auf der Abstraktion von den Merkmalen beruht, in denen die Dinge, die unter dem Begriff enthalten sind, nicht übereinstimmen, ist der diskursive Begriff durch Umfang und Inhalt bestimmt, was seine durchgängige Bestimmung ausschließt. Der allgemeine Begriff einer Realität überhaupt kann a priori nicht eingeteilt werden, weil man ohne Erfahrung keine bestimmten Arten von Realität kennt, die unter jener Gattung enthalten wären.116 Der Begriff des transzendentalen Ideals ist deshalb kein diskursiver, durch Umfang und Inhalt bestimmter Begriff, sondern Inbegriff. Er bezeichnet nicht die extensive, sondern die intensive Totalität aller Realitäten. [D]ie Vorstellung des Inbegriffs aller Realität [ist] nicht bloß ein Begriff, der alle Prädikate ihrem transzendentalen Inhalte nach unter sich, sondern der sie in sich begreift [...].117 Nach Kant ist der Inbegriff aller Realität als regulative Idee nicht kritikabel. Indem die Vernunft eine solche Idee voraussetze, leite sie den Verstand dazu an, das je Bedingte aufsteigend in größere Zusammenhänge zu stellen, setze aber keineswegs die Existenz eines der Idee entsprechenden Dings voraus, aus dem alle Dinge absteigend abzuleiten seien. Zu kritisieren sei vielmehr, daß dieses Ideal ob es zwar eine bloße Vorstellung ist, zuerst realisiert, d. i. zum Objekt gemacht, darauf hypostasiert, endlich, durch einen natürlichen Fortschritt der Vernunft zur Vollendung der Einheit, sogar personifiziert [...]118 werde. Durch die Realisierung werde das Ideal als existierend vorgestellt; durch die Hypostasierung werde es als besonderes Wesen, Individuum, vorgestellt; durch die Personifizierung werde es als persönlicher Gott vorgestellt. Daher frage ich: wie kommt die Vernunft dazu, alle Möglichkeit der Dinge als abgeleitet von einer einzigen, die zum Grunde liegt, nämlich der der höchsten Realität, anzusehen, und diese sodann, als in einem besonderen Urwesen enthalten vorauszusetzen?119 Die Antwort biete sich aus den Verhandlungen der transzendentalen Analytik von selbst dar.120 Der Analytik zufolge gründet die Einheit der Natur in ihrer Gesetzmäßigkeit, diese ihrer allgemeinen Form nach in der kategorialen Synthesis der transzendentalen Einheit der Apperzeption.121 Natur überhaupt ist kein Ding an sich, sonKrV B 605. KrV B 605. 118 KrV B 611 Anm. 119 KrV B 609. 120 KrV B 609. 121 Daß die Natur sich nach unserem subjektiven Grunde der Apperzeption richten, ja gar davon in Ansehung ihrer Gesetzmäßigkeit abhängen solle, lautet wohl sehr widersinnig und befremdlich. Bedenkt man aber, daß diese Natur an sich nichts als ein Inbegriff von Erscheinungen, mithin kein Ding an sich, sondern bloß eine Menge von Vorstellungen des Gemüts sei, so wird man sich nicht wundern, sie bloß in dem Radikalvermögen aller unserer Erkenntnis, nämlich in der transzendentalen Apperzeption, in derjenigen Einheit zu sehen, um derentwillen allein sie 116 117
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dern Inbegriff der Erscheinungen122 unter allgemeinen Gesetzen. Etwas ist für uns nur dann Gegenstand möglicher Erfahrung, wenn es seinem Dasein nach empirisch gegeben ist in den Formen der Anschauung und als solcherart Gegebenes kategorial bestimmt ist. Als Gegenstand möglicher Erfahrung hat es intensive Größe und ist mit allen anderen Gegenständen durch die Kategorien Kausalität und Wechselwirkung durchgängig verknüpft, seine spezifische Bestimmtheit aber ist nur durch die wirkliche Erfahrung des empirischen Subjekts zu erkennen. Die transzendentalphilosophisch unaufgeklärte Vernunft kennt nicht den Unterschied von Erscheinung und Ding an sich. Sie verkennt deshalb, daß der erkennende diskursive Verstand auf empirisch Gegebenes angewiesen ist und damit auch der Vernunft Grenzen gesetzt sind. Sie verwandelt den Gegenstand, der nur im Denken, in der Idee123 existiert, in einen, der außerhalb der Idee objektive Realität hat, und ontologisiert den Inbegriff aller Realität zur absoluten Substanz. Sie verwandelt die distributive Einheit des Erfahrungsgebrauchs des Verstandes in die kollektive Einheit eines Erfahrungsganzen.124 Zwar führt diese dialektische Verwandlung Kant zufolge in affirmative Metaphysik, ist aber doch viel zu leicht zu durchschauen, um dieser auch nur als ein scheinbares Fundament dienen zu können. Ungeachtet dieser dringenden Bedürfnis der Vernunft, etwas vorauszusetzen, was dem Verstande zu der durchgängigen Bestimmung seiner Begriffe vollständig zum Grunde liegen könne, so bemerkt sie doch das Idealische und bloß Gedichtete einer solchen Voraussetzung viel zu leicht, als daß sie dadurch allein überredet werden sollte, ein bloßes Selbstgeschöpf ihres Denkens sofort für ein wirkliches Wesen anzunehmen, wenn sie nicht wodurch anders gedrungen würde, irgendwo ihren Ruhestand, in dem Regressus vom Bedingten, das gegeben ist, zum Unbedingten, zu suchen [...]. Dieses ist nun der natürliche Gang, den jede menschliche Vernunft, selbst die gemeinste, nimmt, obgleich nicht eine jede in demselben aushält.125 Die dialektische Verwandlung der distributiven Einheit des Erfahrungsgebrauchs des Verstandes in die kollektive Einheit eines Erfahrungsganzen verwechselt aufgrund einer natürlichen Illusion,126 aber ohne auch nur scheinbar zwingenden Grund, einen Vernunftbegriff mit einer wirklich existierenden Sache. Das unterscheidet sie von dem transzendentalen Schein, dem die Vernunft im kosmo-
Objekt aller möglichen Erfahrung, d. i. Natur heißen kann [...]. KrV A 114; vgl. B 163 ff. Natur überhaupt (natura formaliter spectata) hängt von der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption als dem ursprünglichen Grunde ihrer notwendigen Gesetzmäßigkeit [...] ab. KrV B 165. 122 KrV A 114; vgl. B 163 ff. 123 Vgl. KrV B 698. Kant benutzt auch die Formulierung: [D]er bloß in der Vernunft befindliche Gegenstand ihres Ideals [...]. KrV B 606. 124 KrV B 610. 125 KrV B 611f. 126 KrV B 610.
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logischen Vernunftschluß erliegt, welcher nur durch den transzendentalen Idealismus aufgedeckt werden kann. Die leicht aufklärbare Verwechslung von Begriff und Sache darf nach Kant nun ihrerseits nicht verwechselt werden mit dem ontologischen Gottesbeweis, dessen Falschheit nicht so einfach zu durchschauen ist, weil er in Gestalt des von ihm nicht zu trennenden kosmologischen Beweises scheinbar einen Grund enthält. Kants transzendental-idealistisches Korrelat des kosmologischen Beweises findet sich unter dem Titel des vierten Widerstreits der transzendentalen Ideen.127 Die Erweiterung der Modalitätskategorien Möglichkeit, Dasein (Wirklichkeit), Notwendigkeit führe auf die kosmologische Idee der absolute[n] Vollständigkeit der Abhängigkeit des Daseins des Veränderlichen in der Erscheinung.128 In dieser Idee werde die vollständige regressive Synthesis der Bedingungen des zufällig daseienden Bedingten gedacht. Die Kategorien der Modalität führen nach Kant insofern auf eine Reihe, als das Zufällige im Dasein jederzeit als unbedingt angesehen werden muß, und nach der Regel des Verstandes auf eine Bedingung weist, darunter es notwendig ist, diese auf eine höhere Bedingung zu weisen, bis die Vernunft nur in der Totalität diese Reihe die unbedingte Notwendigkeit antrifft.129 Da in der absoluten Totalität der Reihe des Bedingten das Unbedingte enthalten sein müsse, entweder als in der ganzen Reihe bestehend oder aber als unbedingtes Glied dieser Reihe, ergebe sich die Antinomie, daß einzig die Totalität der Reihe des bedingten zufälligen Daseienden unbedingte Notwendigkeit habe oder aber ein erstes, unbedingtes und daher notwendig existierendes Glied dieser Reihe. Thesis/ Zu der Welt gehört etwas, das, entweder als ihr Teil, oder ihre Ursache, ein schlechthin notwendiges Wesen ist. [...] Antithesis/ Es existiert überall kein schlechthin notwendiges Wesen, weder in der Welt, noch außer der Welt, als ihre Ursache.130 Kant löst die Antinomie, indem er zeigt, daß Thesis und Antithesis in verschiedener Hinsicht zugleich wahr sein können. Außerhalb der Reihe des bedingten zufälligen Daseienden sei ein unbedingtes, notwendig existierendes Wesen denkbar, ohne der Zufälligkeit alles Daseienden innerhalb der Reihe zu widersprechen.131 Die kosmologische Idee von der vollständigen Synthesis des zufällig Daseienden Die Anmerkung zur Thesis der vierten Antinomie (KrV B 484) identifiziert den Beweis für die Thesis mit dem tradierten kosmologischen Beweis. Vgl. auch KrV B 594. Das transzendentale Ideal (hier als transzendente Idee bezeichnet) für sich betrachtet liefert keine Rechtfertigung für seine außermentale Existenz. Gleichwohl dringt uns, unter allen kosmologischen Ideen, diejenige, so die vierte Antinomie veranlaßte, diesen Schritt zu wagen. Denn das in sich selbst ganz und gar nicht gegründete, sondern stets bedingte, Dasein der Erscheinungen fordert uns auf: uns nach etwas von allen Erscheinungen unterschiedenem, mithin einem intelligiblen Gegenstande umzusehen, bei welchem diese Zufälligkeit aufhöre. 128 KrV B 443. 129 KrV B 442. 130 KrV B 480f. 131 KrV B 588. Diese Auflösung ist analog der der dritten Antinomie. Zur Kritik der Auflösung der dritten Antinomie vgl. in dieser Arbeit das Kapitel Transzendentale und praktische Freiheit. 127
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führt analog dem kosmologischen Gottesbeweis, der vom effectus auf die prima causa schließt, auf den Begriff eines notwendig existierenden Wesens und damit auf den Gegenstand der Theologie. Doch der Begriff irgendeines notwendigen Wesens132 ist nicht umstandslos mit dem Gottes gleichzusetzen, könnte doch das notwendig existierende Wesen in anderer Hinsicht als der der Existenz eingeschränkt sein, Gott dagegen nicht. So wie der Mangel des kosmologischen Gottesbeweises den ontologischen Gottesbeweis provoziert, so provoziert der Mangel des kosmologischen Begriffs des Absoluten dessen Bestimmung unabhängig von der Erscheinungswelt.133 Das Absolute muß als dasjenige gedacht werden, was alle Realität enthält: als omnitudo realitatis. Der Begriff des Alls der Realität ist keine kosmologische Idee, sondern ein transzendentales Ideal. Henrich hat zu Recht betont, daß nach Kant der leicht als falsch zu durchschauende sogenannte Gottesbeweis aus dem transzendentalen Ideal nicht verwechselt werden dürfe mit dem ontologischen Gottesbeweis. Denn zum ontologischen Beweis gehört wesentlich die Prämisse, daß der Begriff des Daseins im Gottesbegriff gedacht werden muß. Von ihr geht aber der Scheinbeweis vom Dasein des Ideals der Vernunft gar nicht aus. Er will Gottes Dasein nicht aus seinem Wesensbegriff, sondern aus der Funktion des Gottesbegriffs im Ganzen der Erkenntnis ableiten. [...] Aber es besteht kein Grund, den Unterschied zwischen Idee und Wirklichkeit auch dort aufzugeben, wo die Idee nur eine Funktion bei der Bestimmung des Wirklichen ist und wo in ihr der Gedanke des Daseins gar nicht mitgedacht werden muß.134 Indessen läßt sich der Ort angeben, an dem sozusagen hinter dem Rücken Kants der Unterschied von Idee und Dasein für seine eigene Argumentation zum Problem wird. Die Restriktion des Verstandes auf Gegenstände möglicher Erfahrung restringiert den Verstand durch einen Totalitätsbegriff, durch eine Idee. Im Unterschied zu denjenigen Ideen, die unter
KrV B 614; Sallis (1983), 129. Vgl. KrV B 635f.: Es ist also eigentlich nur der ontologische Beweis aus lauter Begriffen, der in dem sogenannten kosmologischen alle Beweiskraft enthält, und die angebliche Erfahrung ist ganz müßig, vielleicht, um uns nur auf den Begriff der absoluten Notwendigkeit zu führen, nicht aber um diese an irgendeinem bestimmten Dinge darzutun. Denn sobald wir dieses zur Absicht haben, müssen wir sofort alle Erfahrung verlassen, und unter reinen Begriffen suchen, welcher von ihnen wohl die Bedingungen der Möglichkeit eines absolut notwendigen Wesens enthalte. – Der kosmologische Gottesbeweis leitet das der Sache nach Erste, das Absolute, aus dem der Sache nach Abgeleiteten, dem Kontingenten, ab. Diejenigen, die den Beweis führen, halten, mit Spinoza zu sprechen, nicht die rechte Ordnung des Philosophierens ein. Denn die göttliche Natur, die sie vor allem anderen hätten betrachten müssen, weil sie sowohl der Erkenntnis wie der Natur nach das erste ist, hielten sie für das letzte im Gang der Erkenntnis, und die Dinge, die man Gegenstände der Sinne nennt, für das erste, das allem vorangeht. Ethik II, prop. X, coroll., schol. 134 Henrich (1960), 142. Daß Kant den ontologischen Gottesbeweis einerseits kritisiert, ihn aber andererseits implizit führt, versucht Streichert (2003; 130-148) in bezug auf alle drei Kritiken nachzuweisen. 132 133
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Voraussetzung der Resultate von Ästhetik und Analytik in der Dialektik kritisch auf den regulativen Gebrauch in der gegenständlichen Erkenntnis eingeschränkt werden, ist diese Idee nicht regulativ, sondern konstitutiv – und zwar für die Analytik selbst. Sie ist eine Bestimmung der transzendentalen Reflexion, die Kant als solche aber nicht zum Thema wird. Die Frage, ob der Idee der Totalität der Gegenstände möglicher Erfahrung respektive der kollektiven Einheit des Erfahrungsganzen Dasein zukommt oder nicht, blendet Kant aus. Die Bedeutung dieser Idee geht ganz in der Funktion der Bestimmung des Bereichs möglicher gegenständlicher Erkenntnis auf. Stellt man die Frage dennoch, zeigt sich, daß der Idee der kollektiven Einheit des Erfahrungsganzen notwendig ideelle Realität zugesprochen werden muß, wenn die distributive Einheit des Erfahrungsgebrauchs des Verstandes möglich sein soll. Dabei meint der Ausdruck ideelle Realität Dasein, aber nicht im Kantischen Sinne, in welchem sein Charakter die Wahrnehmung ist, sondern im Sinne eines nicht empirisch aufweisbaren, aber notwendig zu denkenden Daseins. Die transzendentalphilosophische Unterscheidung zwischen der kollektiven Einheit des Erfahrungsganzen und der distributiven Einheit des Erfahrungsgebrauchs des Verstandes ist nur dann begründet, wenn die Trennung von Idee und Dasein im Vernunftbegriff der kollektiven Einheit des Erfahrungsganzen aufgehoben ist. Zwar ist die Welt als ganze, mit Kant, kein Gegenstand möglicher Erkenntnis, aber die objektive Realität des Weltganzen ist selbst eine notwendige Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis. Transzendentalphilosophisch muß die objektive, wenngleich nicht die durchgängige Identität des Weltganzen notwendig gedacht werden, denn ohne diese bliebe die Unterscheidbarkeit von Gegenstandsbereichen der Wissenschaften mysteriös.135 Bedingung der Möglichkeit der Abgrenzung von Gegenstandsbereichen ist eine ontologische Ordnung des Weltganzen, die zwar nicht positiv bestimmt werden kann, wohl aber als Bedingung der Möglichkeit der Identifizierung partikularer Gegenstandsbereiche notwendig zu denken ist. Der Beweis ist apagogisch: Träfe auf die Idee der kollektiven Einheit des Erfahrungsganzen zu, was nach Kant für alle Weltideen gilt, und ihr Gegenstand wäre bloß in eurem Gehirne, und kann außer demselben gar nicht gegeben werden [...],136 bliebe unerklärbar, wie die distributive Einheit des Erfahrungsgebrauchs des Verstandes, also die wissenschaftliche Bearbeitung eines partikularen Problems, überhaupt möglich sein soll; ist nämlich die Abgrenzung verschiedener Gegenstandsbereiche verschiedener Wissenschaften nicht erklärbar, muß die mit der distributiven Einheit des Erfahrungsgebrauchs der Verstandes verbundene Auswahl eines bestimmten Aspekts des Erfahrungsganzen als willkürlich erscheinen. Wissenschaft wäre unmöglich.
Die durchgängige Identität des Weltganzen bedeutete ein in sich determiniertes System der Natur, unter dessen Voraussetzung naturwissenschaftliche Erkenntnis unmöglich wäre. Vgl. dazu in dieser Arbeit das Kapitel Die Historizität der transzendentalen Einheit der Apperzeption. 136 KrV B 512. 135
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4. Vernünftiger Verstand und reflektierende Urteilskraft Kants Herleitung der kosmologischen Ideen und des transzendentalen Ideals verstellt eher die Einsicht in den Zusammenhang von Verstand und Vernunft, als daß sie ihn durchsichtig macht. Dieser Zusammenhang muß geradezu gegen Kants Darstellung herausgearbeitet werden. Dabei treten in der Kantischen Argumentation Widersprüche zutage. Der Satz der Analytik, alle mir gegebenen Vorstellungen stehen [...] a priori unter der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption, unter die sie [aber] auch durch eine Synthesis gebracht werden müssen,137 enthält eine doppelte Bestimmung der Einheit des Verstandes. Implizit ist in ihm unterschieden zwischen der Einheit des reinen Verstandes als transzendentale Einheit der Apperzeption, die das Gesamt der apriorischen Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis bezeichnet und vermöge der transzendentalen produktiven Einbildungskraft von der Synthesis des Zeitmannigfaltigen nicht zu trennen ist,138 einerseits, und der distributiven Einheit des Erfahrungsgebrauchs des Verstandes, welcher das empirisch gegebene Mannigfaltige zur Einheit zu bringen sucht, andererseits. Der Satz thematisiert das Verhältnis von Verstand und empirisch gegebenem Mannigfaltigen. Dieses Verhältnis fällt in der Analytik weder in die ursprünglich synthetische Einheit der Apperzeption noch in die distributive Einheit des Erfahrungsgebrauchs des Verstandes, sondern in die transzendentale Reflexion. In der Dialektik dagegen ist es Gegenstand eines der untersuchten Erkenntnisvermögen, nämlich der Vernunft, welche in ihrem empirischen und regulativen Gebrauch139 die Reihen der empirischen Handlungen des Verstandes auf die durchgängige Einheit des Verstandes mit sich ausrichtet. Die Vernunft als solche verfügt allerdings über keinen kritischen Begriff ihrer selbst. Ihr Begriff fällt nicht in sie als untersuchtes Erkenntnisvermögen, sondern in die transzendentale Reflexion als untersuchende Instanz. Entsprechend ist die Bestimmung, wonach das Verhältnis von Verstand und empirisch Gegebenem in die Vernunft fällt, eine Bestimmung der Vernunft durch die transzendentale Reflexion, keine Selbstbestimmung der Vernunft als solcher. Indem die transzendentale Reflexion in der Dialektik das Verhältnis von Verstand und empirisch Gegebenem als Verhältnis für die Vernunft thematisiert, thematisiert sie die transzendentale Reflexionsbestimmung der kollektiven Einheit des Erfahrungsganzen als regulative Idee für das erkennende Subjekt. So bezieht sich demnach die Vernunft nur auf den Verstandesgebrauch, und zwar nicht sofern dieser den Grund möglicher Erfahrung enthält, (denn die absolute Totalität der Bedingungen ist kein in einer Erfahrung brauchbarer Begriff, weil keine Erfahrung un-
KrV B 135f. Die Einheit der Apperzeption in Beziehung auf die Synthesis der Einbildungskraft ist der Verstand, und eben dieselbe Einheit, beziehungsweise auf die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft, der reine Verstand. KrV A 119. 139 Vgl. KrV B 713f.; B 716. 137 138
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bedingt ist,) sondern um ihm die Richtung auf eine gewisse Einheit vorzuschreiben, von der der Verstand keinen Begriff hat, und die darauf hinausgeht, alle Verstandeshandlungen, in Ansehung eines jeden Gegenstandes, in ein absolutes Ganzes zusammenzufassen.140 Hat der Verstand in der Reihe seiner empirischen Handlungen keinen Begriff von der gewissen Einheit, auf die diese Handlungen ausgerichtet sind, zerfällt er aber ohne die Ausrichtung auf diese Einheit qua Vernunft in eine Mannigfaltigkeit unzusammenhängender Einzelhandlungen, dann ist die Vernunfteinheit für den empirischen Verstandesgebrauch konstitutiv. Das Geschäft der Vernunft besteht darin, die Einheit aller möglichen empirischen Verstandeshandlungen systematisch zu machen [...],141 das heißt den Verstandesgebrauch mit sich selbst durchgehends einstimmig [...].142 Der Verstand ist in der distributiven Einheit seines fortschreitenden Erfahrungsgebrauchs notwendig vernunftgeleitet und insofern selbst vernünftig. Die Vernunfteinheit ist eine Reflexionsbestimmung der distributiven Einheit des Erfahrungsgebrauchs des Verstandes, die als Reflexionsbestimmung aber für die distributive Einheit des Verstandesgebrauchs konstitutiv ist: Nur als Vernunft kann der Verstand empirisch handeln, denn nur als Vernunft ist er darauf angelegt, mit sich selbst durchgehends einstimmig zu werden. Ohne die Vernunft würde ich ein so vielfarbiges verschiedenes Selbst haben, als ich Vorstellungen habe, deren ich mir bewußt bin.143 Kants unglückliche Ausdrucksweise verbirgt diesen Sachverhalt, indem sie suggeriert, Verstand und Vernunft seien Vermögen, die ihre Geschäfte quasi arbeitsteilig betrieben: Die Vernunft hat also eigentlich nur den Verstand und dessen zweckmäßige Anstellung zum Gegenstande, und, wie dieser das Mannigfaltige im Objekt durch Begriffe vereinigt, so vereinigt jene ihrerseits das Mannigfaltige der Begriffe durch Ideen, indem sie eine gewisse kollektive Einheit zum Ziele der Verstandeshandlungen setzt, welche sonst nur mit der distributiven Einheit beschäftigt sind.144 Entgegen Kant sind die distributive Einheit des Erfahrungsgebrauchs des Verstandes, die in der Analytik, und die Reihe der vernunftbestimmten empirischen Verstandeshandlungen, die in der Dialektik thematisch ist, sachlich nicht unterschieden.145 Dieser Befund der Interpretation der Dialektik wird durch die Interpretation der Analytik gestützt. Kant zeigt dort contre cœur, daß die regulativen Grundsätze der empirischen Verknüpfung146 der Wahrnehmungen, die Analogien der Erfahrung, KrV B 383. KrV B 692. 142 KrV B 380. 143 KrV B 134. 144 KrV B 672. 145 Vgl. Rang (1990; 36 FN 17), der zu Recht Baums (1986) Interpretation der Zweiten Analogie der Erfahrung als Anweisung zur Anstellung von Experimenten (197) mit der Kantischen Unterscheidung von Verstand und Vernunft unvereinbar erklärt, sie aber in sachlicher Hinsicht immerhin interessant findet. 146 KrV B 273. 140 141
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von den regulativen Ideen der Vernunft nicht zu unterscheiden sind. Die Einheit des empirischen Selbstbewußtseins sei in der durchgängigen147 Verknüpfung der Erscheinungen durch die dynamischen Kategorien als notwendige, das heißt objektive, begründet.148 Die durchgängige Verknüpfung der Totalität der Erscheinungen nach Kausalität und Wechselwirkung sei die Bedingung der Möglichkeit dafür, daß das kontingente empirische Subjekt sich in der Einen Welt zuverlässig orientieren und notwendige und allgemeine Erfahrungsurteile fällen könne.149 Nehmet nun an: in einer Mannigfaltigkeit von Substanzen als Erscheinungen wäre jede derselben völlig isoliert, d. i. keine wirkte in die andere, und empfinge von dieser wechselseitig Einflüsse, so sage ich: daß das Zugleichsein derselben kein Gegenstand einer möglichen Wahrnehmung sein würde, und daß das Dasein der einen, durch keinen Weg der empirischen Synthesis, auf das Dasein der anderen führen könnte. [...]/ Es muß also noch außer dem bloßen Dasein etwas sein, wodurch A dem B seine Stelle in der Zeit bestimmt, und umgekehrt auch wiederum B dem A, weil nur unter dieser Bedingung gedachte Substanzen, als zugleich existierend, empirisch vorgestellt werden können. Nun bestimmt nur dasjenige dem anderen seine Stelle in der Zeit, was die Ursache von ihm oder seinen Bestimmungen ist. Also muß jede Substanz [...] die Kausalität gewisser Bestimmungen in der anderen, und zugleich die Wirkungen von der Kausalität der anderen in sich enthalten, d. i. sie müssen in dynamischer Gemeinschaft (unmittelbar oder mittelbar) stehen, wenn das Zugleichsein in irgendeiner möglichen Erfahrung erkannt werden soll. Nun ist aber alles dasjenige in Ansehung der Gegenstände der Erfahrung notwendig, ohne welches die Erfahrung von diesen Gegenständen selbst unmöglich sein würde. Also ist es allen Substanzen in der Erscheinung, sofern sie zugleich sind, notwendig, in durchgängiger Gemeinschaft der Wechselwirkung untereinander zu stehen.150 Der Verstandesgebrauch kann nicht auf die Gegenstände wirklicher Erfahrung restringiert sein, denn dann wäre die Einheit des empirischen Bewußtseins zufällig und Wissenschaft unmöglich. Seine Restriktion auf mögliche Erfahrung schränkt ihn aber durch einen Totalitätsbegriff ein. Dem Begriff der Gegenstände möglicher Erfahrung kann prinzipiell kein kongruierender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden [...].151 Die Totalität der Gegenstände möglicher Erfahrung ist selbst kein Gegenstand – weder wirklicher noch möglicher – Erfahrung. Als Inbegriff der Welt der Erscheinungen, als Weltbegriff wäre er in Kants Terminologie als kosmologische Idee zu bezeichnen.152 Der Totalitätsbegriff der Gegenstände möglicher Vgl. KrV B 135. Vgl. KrV B 259f. 149 Kant unterscheidet nicht explizit zwischen beidem. 150 KrV B 258ff. 151 KrV B 383. 152 Vgl. KrV B 434; B 449. Dies hat Kaulbach (1981; 125 f.) gesehen, ohne daß ihm darüber aber Kants Unterscheidung von Verstandes- und Vernunfteinheit zum Problem geworden wäre; vielmehr beläßt er es bei einem einerseits-andererseits. Die ›Einheit des Weltganzen‹ ist [...] die Gleichzeitigkeit der in einer Gegenwart wahrgenommenen Erscheinungen. Diese wird als 147 148
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Erfahrung respektive der kollektiven Einheit des Erfahrungsganzen bestimmt in der Analytik als transzendentale Reflexionsbestimmung den Bereich, innerhalb dessen allein gegenständliche Erkenntnis möglich ist, ohne selbst eine Erkenntnis dieser Art zu sein. In der Dialektik dagegen ist er als Vernunftbegriff thematisch und hat dort nach Kant für den erkennenden Verstand immerhin eine regulative Funktion. Die Interpretation der Bestimmtheit des Verhältnisses von Verstand und Vernunft führt zu einem zwiespältigen Ergebnis. Gegen Kant sind die Ideen der Vernunft dem Verstande nicht nur insofern unentbehrlich, als sie die Begriffe des Verstandes ordnen,153 vielmehr ist der Verstand nur durch sie zu gegenständlicher Erkenntnis fähig. Mit Kant muß allerdings zugegeben werden: die transzendentalen Ideen sind niemals von konstitutivem Gebrauche, so, daß dadurch Begriffe gewisser Gegenstände gegeben würden [...],154 denn niemand wird behaupten wollen, daß Physik nur treiben könne, wer zuvor das Dasein Gottes bewiesen oder das Weltganze erkannt habe.155 Demnach sind die Vernunftideen für den Verstandesgebrauch konstitutiv und auch nicht konstitutiv. Sie sind konstitutiv, insofern sie den Verstand auf eine Einheit ausrichten; sie sind nicht konstitutiv, insofern diese Einheit bloß gedacht ist und niemals ein gegenständliches Korrelat haben kann. Kant hat in der Kritik der reinen Vernunft die Einsicht in das Verhältnis von Verstand und Vernunft verstellt, weil er die Vernunftideen allein als Totalitätsbegriffe thematisiert, denen in der sinnlichen Anschauung kein Gegenstand korrespondiert. Dagegen hat er in der Kritik der Urteilskraft mit dem Begriff des Naturzwecks eine Idee eingeführt, der in der sinnlichen Anschauung ein Gegenstand korrespondiert. Kant unterscheidet in der Kritik der Urteilskraft die Vernunftidee als Prinzip für den Verstand von der Vernunftidee als Prin-
Wechselwirkung der Gegenstände möglicher und wirklicher Erfahrung auf eine objektive Sprache gebracht. An dieser Stelle freilich wird deutlich, daß der Bereich möglicher Erfahrung und die ihr zugrunde liegende Verfassung, zu der auch der Grundsatz der Wechselwirkung gehört, über sich hinausweist: denn wenn hier von Welt und Weltganzem die Rede ist, dann wird ein Gedanke vergegenwärtigt, der nicht mehr in der Form eines gegenständlichen, objektiven Zusammenhanges innerhalb möglicher Erfahrung begreifbar ist. [...] An dieser Stelle ist zu sagen, daß die von Kant als ›regulativ‹ gekennzeichneten Grundsätze der Analogien der Erfahrung besonders im Bereich der Wechselwirkung nicht durch eine scharfe Grenze von den ›Ideen‹ getrennt sind, deren Thema das umfassende Ganze, das Totale, Un-bedingte ist. Im Grundsatz der Wechselwirkung befindet sich das Denken einerseits im Bereich möglicher Erfahrung, andererseits weitet dieser Grundsatz schon den Horizont auf das Thema des Ganzen, der Welt aus. 153 KrV B 671f. 154 KrV B 672. 155 Auch in umgekehrter Richtung verbietet sich die Vermengung von Naturwissenschaftlichem und Theologischem: Wenn man also für die Naturwissenschaft und in ihren Kontext den Begriff von Gott hereinbringt, um sich die Zweckmäßigkeit in der Natur erklärlich zu machen, und hernach diese Zweckmäßigkeit wiederum braucht, um zu beweisen, daß ein Gott sei: so ist in keiner von beiden Wissenschaften innerer Bestand; und ein täuschendes Diallele bringt jede in Unsicherheit, dadurch, daß sie ihre Grenzen in einander laufen lassen. KdU B 305.
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zip für die Urteilskraft. Als Prinzip für den Verstand reguliere sie dessen empirischen Gebrauch, als Prinzip für die reflektierende teleologische Urteilskraft ermögliche sie die Beurteilung einer besonderen Klasse von Erfahrungsgegenständen, der Organismen, die nicht allein nach mechanischer Kausalität erklärt werden können. Die Vernunftidee eines absolut notwendigen Wesens sei zwar unentbehrlich für den Gebrauch unserer Erkenntnisvermögen, nach der eigentümlichen Beschaffenheit derselben, gelte aber nicht vom Objekte und hiemit für jedes erkennende Wesen.156 Sie dürfe deshalb nicht als objektives Prädikat der Sache selbst verstanden werden. Mit dem Begriffe eines Naturzwecks verhält es sich zwar eben so, was die Ursache der Möglichkeit eines solchen Prädikats betrifft, die nur in der Idee liegen kann; aber die ihr gemäße Folge (das Produkt selbst) ist doch in der Natur gegeben, und der Begriff einer Kausalität der letzteren, als eines nach Zwecken handelnden Wesens, scheint die Idee eines Naturzwecks zu einem konstitutiven Prinzip desselben zu machen: und darin hat sie etwas von allen andern Ideen Unterscheidendes./ Dieses Unterscheidende besteht aber darin: daß gedachte Idee nicht ein Vernunftprinzip für den Verstand, sondern für die Urteilskraft, mithin lediglich die Anwendung eines Verstandes überhaupt auf mögliche Gegenstände der Erfahrung ist; und zwar da, wo das Urteil nicht bestimmend, sondern bloß reflektierend sein kann, mithin der Gegenstand zwar in der Erfahrung gegeben, aber darüber der Idee gemäß gar nicht einmal bestimmt (geschweige völlig angemessen) geurteilt, sondern nur über ihn reflektiert werden kann.157 Nicht zufällig führt Kant in der Kritik der Urteilskraft mit dem Naturzweck eine Idee ein, die partikulare Gegenstände bezeichnet. Die Möglichkeit der Erkenntnis des Besonderen als eines solchen, und zwar nicht nur insofern es ein Organismus ist,158 ist das zentrale Thema der Einleitungen und des teleologischen Teils der Kritik der Urteilskraft. Zwar nennt Kant auch in der Kritik der reinen Vernunft Beispiele für den regulativen Vernunftgebrauch in den Einzelwissenschaften und somit Vernunftideen, die partikulare Gegenstände bezeichnen,159 aber die Erkenntnis von partikularen Gegenständen als solchen ist hier noch nicht das eigentliche Thema.160 In dem regulatiKdU B 341. KdU B 345. 158 Vgl. Heimsoeth (1970), 99: Weil die Kritik der Urteilskraft in ihrem zweiten Hauptteil von den Organismen handelt [...], so hat man das in den Abschnitten IV-VI der Einleitung entwickelte Transzendentalprinzip des Fortgangs von Besonderen Gesetzen zu Allgemeinen (Allgemeineren), von ›Arten‹ zu ›Gattungen‹ der Kausalität immer sogleich oder gar nur auf Arten und Gattungen im biologischen Sinne [...] bezogen und da, wo Kant von ›Formen‹ spricht, sogleich an Formen des Lebendigen (Morphologie) gedacht. Nach unserer Meinung dagegen hat dieses Prinzip Kantischer Naturphilosophie, Wissenschaftslehre und Weltbegegnung des suchenden Menschen in Wahrheit universale, also zunächst einmal physikalische Bedeutung: die jeweils besonderen Bewegungskräfte und -gesetze von Materiellem überhaupt betreffend [...]. 159 Vgl. etwa KrV B 673f. 160 Es kann keine Rede davon sein, daß im Anhang zur transzendentalen Dialektik die reflek156 157
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ven Gebrauch der drei transzendentalen Vernunftideen, von denen der Anhang zur transzendentalen Dialektik der ersten Kritik handelt, ist das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft vorgebildet, aber die regulative Bedeutung der die Erfahrung leitenden Ideen hat hier noch nicht den Charakter eines selbständigen Prinzips.161 Die Urteilskraft, allgemein das Vermögen, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken,162 ist in der Kritik der reinen Vernunft nur als bestimmende, nicht als reflektierende thematisch. Die bestimmende Urteilskraft subsumiert das Besondere unter ein gegebenes Allgemeines. Kant zufolge subsumiert die transzendental bestimmende Urteilskraft das empirisch Gegebene unter die Grundsätze des reinen Verstandes. Dabei ist sie selbst nur Funktion des reinen Verstandes ohne eigenes Prinzip. Die reflektierende Urteilskraft dagegen sucht zu dem gegebenen Besonderen das Allgemeine. Sie verfügt über ein eigenes Prinzip. Die Möglichkeit der Erkenntnis des Besonderen als eines solchen ist ein Problem, von dessen Lösung das Gelingen der Transzendentalphilosophie entscheidend abhängt. Denn es läßt sich wohl denken: daß, ungeachtet aller der Gleichförmigkeit der Naturdinge nach den allgemeinen Gesetzen, ohne welche die Form eines Erfahrungserkenntnisses überhaupt gar nicht Statt finden würde, die spezifische Verschiedenheit der empirischen Gesetze der Natur, samt ihren Wirkungen, dennoch so groß sein könnte, daß es für unseren Verstand unmöglich wäre, in ihr eine faßliche Ordnung zu entdecken, ihre Produkte in Gattungen und Arten einzuteilen, um die Prinzipien der Erklärung und des Verständnisses des einen auch zur Erklärung und Begreifung des andern zu gebrauchen, und aus einem für uns so verworrenen (eigentlich nur unendlich mannigfaltigen, unserer Fassungskraft nicht angemessenen) Stoffe eine zusammenhängende Erfahrung zu machen.163 Die Grundsätze des reinen Verstandes sind konstitutiv bestimmend nur für die Form einer Erfahrung überhaupt. Sie bestimmen nur die allgemeine kategoriale Form, der besondere Naturgesetze genügen müssen, besagen aber nichts über deren Inhalt. Die inhaltliche Bestimmtheit besonderer Naturgesetze ist aus den Grundsätzen des reinen Verstandes nicht abzuleiten, wirkliche Erfahrung muß dazu kommen.164 Wirkliche Erfahrung ist die des empirischen Subjekts. Dessen Fassungskraft wäre durch die unendliche Mannigfaltigkeit des ihm empirisch Gegebenen überfordert, verfügte es mit der reflektierenden Urteilstierende Urteilskraft in der ihr spezifischen Struktur, auf das Besondere als solches zu gehen, thematisiert wäre. Sie ist in ihrer Möglichkeit noch nicht einmal als Problem gesehen. Bartuschat (1972), 52. Vgl. dagegen Liedtke (1964), der die drei transzendentalen Vernunftideen mit dem Prinzip der Urteilskraft identifiziert (109ff.) und meint, Kant wolle in der transzendentalen Dialektik die Frage beantworten, wie die Erkenntnis des Besonderen möglich sei (122). 161 Vgl. K. Düsing (1968), 38. 162 KdU B XXV. 163 KdU B XXXVIf. 164 Vgl. KrV B 165. Herbart (1825; 226) fragt in bezug auf die erste Kritik zu Recht: [W]oher nun die bestimmten Gestalten bestimmter Dinge? [...] Diese Frage ist nach der Kantischen Ansicht schlechterdings unbeantwortlich.
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kraft nicht über ein Vermögen, welches das Mannigfaltige a priori als zweckmäßig organisiert für das Erkenntnisvermögen denkt. Mit dem Prinzip der transzendentalen Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen schreibt die reflektierende Urteilskraft ihrer Reflexion über die Natur das Gesetz der Spezifikation der Natur in Ansehung ihrer empirischen Gesetze vor. Sie bestimmt nicht autonom die Natur selbst, sondern heautonom ihre Reflexion über die Natur.165 Daß die empirisch gegebenen Naturdinge kraft ihrer kategorialen Bestimmtheit gleichförmig sind, aber dennoch nicht der Fassungskraft des empirischen Subjekts angemessen, versteht sich nicht von selbst. Verständlich wird es aus dem Umstand, daß Kant zufolge die dynamischen Grundsätze des reinen Verstandes ihrem Ursprunge nach166 synthetische Urteile a priori, in bezug auf die empirisch gegebenen Naturdinge aber diskursive Allgemeinbegriffe sind, deren Einheit analytisch ist, das heißt das identische Merkmal ansonsten verschiedener Vorstellungen. Kant hat den entscheidenden Hinweis in der ersten Einleitung der Kritik der Urteilskraft in einer Anmerkung versteckt. Die Möglichkeit einer Erfahrung überhaupt ist die Möglichkeit empirischer Erkenntnisse als synthetischer Urteile. Sie kann also nicht analytisch aus bloßen verglichenen Wahrnehmungen gezogen werden [...], denn die Verbindung zweier verschiedenen Wahrnehmungen in dem Begriffe eines Objekts [...] ist eine Synthesis, welche nicht anders als nach Prinzipien der synthetischen Einheit der Erscheinungen, d.i. nach Grundsätzen, wodurch sie unter die Kategorien gebracht werden, ein empirisches Erkenntnis, d.i. Erfahrung möglich macht. Diese empirische Erkenntnisse nun machen nach dem, was sie notwendiger weise gemein haben (nämlich jene transzendentale Gesetze der Natur), eine analytische Einheit aller Erfahrung aber nicht diejenige synthetische Einheit der Erfahrung als eines Systems aus, welche die empirische Gesetze auch nach dem was sie Verschiedenes haben (und wo die Mannigfaltigkeit derselben ins Unendliche gehen kann) unter einem Prinzip verbindet.167 Die durchgängige Verknüpfung der Totalität der Erscheinungen durch die Kategorien Kausalität und Wechselwirkung konstituiert die synthetische Einheit der Erscheinungswelt. Synthetisch sei diese Einheit ihrem Ursprung nach, denn sie gründe in der kategorialen Synthesis des Zeitmannigfaltigen; analytisch sei diese Einheit aber in Ansehung der empirischen Erkenntnisse, denn sie sei deren allgemeine apriorische Bestimmtheit: dasjenige Merkmal, das allen ansonsten verschiedenen empirischen Erkenntnissen gemeinsam ist, weil sie anders keine Erkenntnisse wären. Die doppelte Bestimmung der Grundsätze des reinen Verstandes als dem Ursprung nach synthetische, in bezug auf die empirischen Erkenntnisse aber analytische Einheiten oder diskursive Begriffe, stammt aus der Kritik der reinen Vernunft. Kant thematisiert sie dort eher beiläufig in verschiedenen Kontexten. In der Dialektik ist von ihr die Rede bei der Bestimmung der Grundsätze des reinen Verstandes als Prinzipien 165 166 167
Vgl. KdU B XXXVII. KrV B 357. KdU 16f. Anm. (Erste Einleitung).
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der Erkenntnis und ihrer Unterscheidung von den Vernunftschlüssen;168 im Anhang der transzendentalen Dialektik ist sie Thema im Zusammenhang mit der Regulativität der dynamischen Grundsätze,169 in der Methodenlehre schließlich ist sie thematisch bei der Unterscheidung von diskursiver philosophischer und intuitiver mathematischer Erkenntnis.170 Die verstreuten Bemerkungen zusammengenommen ergeben, daß Kant die Unterscheidung der dynamischen Grundsätze des reinen Verstandes als dem Ursprung nach synthetische Einheiten, dem empirischen Gebrauche nach aber diskursive Allgemeinbegriffe parallel führt mit der Unterscheidung der konstitutiv bestimmenden Geltung dieser Grundsätze für die Erkenntnis von Natur überhaupt und ihrer nur regulativen Geltung für die Erkenntnis bestimmter Naturgegenstände. Das Argument ist in der ersten Kritik dasselbe wie in der Kritik der Urteilskraft: Weil die Gegenstände der Natur anders als die der Mathematik ihrem Dasein nach empirisch gegeben und ihrer Bestimmtheit nach nicht a priori in der reinen Anschauung konstruierbar sind, sind die dynamischen Grundsätze in bezug auf diese Gegenstände diskursive Begriffe von regulativer Geltung.171 Philosophische und mathematische Erkenntnis seien durch ihre Form, nicht durch ihre Materie unterschieden. Philosophische Erkenntnis sei diskursive Erkenntnis aus Begriffen, mathematische dagegen intuitive Erkenntnis durch die Konstruktion der Begriffe. Die philosophische Erkenntnis betrachtet also das Besondere nur im Allgemeinen, die mathematische das Allgemeine im Besonderen, ja gar im Einzelnen [...].172 Kant nennt hier die Erkenntnis durch Erfahrung philosophische Erkenntnis und setzt sie der mathematischen entgegen. Der Unterschied beider Erkenntnisarten, der diskursiven und der intuitiven, fällt in die transzendentale Reflexion, deren Erkenntnisart und die Art ihrer Begriffe bleibt unerörtert. Soviel aber ist deutlich: Da die Begriffe der transzendentalen Reflexion weder auf empirisch gegebene Korrelate angewiesen sind noch in der reinen Anschauung konstruiert werden, kann ihre Erkenntnis weder diskursiv noch intuitiv im Kantischen Sinne sein. Kant nennt zwar das tertium comparationis von diskursiver und intuitiver Erkenntnis: bei beiden handelt es sich um Vernunfterkenntnis,173 er fragt aber nicht, wie die Erkenntnis der Vernunft durch sich selbst, also die transzendentale Reflexion bestimmt ist. Bey Kant heißt die Philosophie eine Vernunfterk[enntniß]. aus Begriffen, dieß kann aber bey ihm selbst nicht so sein, denn nach ihm ist jeder Begriff ohne Anschauung leer; auch spricht er von transcendentaler Einbildungskraft, diese läßt sich nur anschauen.174 Vgl. KrV B 357f.; vgl. in dieser Arbeit die Kapitel Die kosmologischen Ideen der Vernunft und Das transzendentale Ideal. 169 Vgl. KrV B 692. 170 Vgl. KrV B 741ff. 171 Vgl. KrV B 221f. sowie B 740-B 766 (Die Disziplin der reinen Vernunft im dogmatischen Gebrauche). 172 KrV B 742. 173 Vgl. KrV B 741. 174 Fichte, WLnmK 349. 168
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Die Totalität der Erscheinungswelt steht nach der Seite der allgemeinen Form ihrer Gesetzmäßigkeit unter den Grundsätzen des reinen Verstandes und also unter der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption. Diese ist als Bestimmung der Totalität nicht zu verwechseln mit der synthetische[n] Einheit der Erfahrung als eines Systems, worunter die systematische Einheit der besonderen Naturgesetze zu verstehen ist. Zwar sind alle besonderen Naturgesetze nur Spezifikationen dieser Einheit,175 können aber nicht aus ihr deduziert werden. Daß es empirische Gesetze gibt, die unter der durch die Grundsätze des reinen Verstandes konstituierten formalen synthetischen Einheit der Natur überhaupt stehen und somit als synthetische Einheit der Erfahrung deren materiales Korrelat bilden, ist für den reinen Verstand zufällig.176 Die Urteilskraft muß eine solche Einheit der Erfahrung notwendig voraussetzen, da sonst kein durchgängiger Zusammenhang empirischer Erkenntnisse zu einem Ganzen der Erfahrung Statt finden würde [...].177 Das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur ist ein transzendentales Prinzip allein der reflektierenden Urteilskraft, nicht des Verstandes. Die in ihm vorausgesetzte Einheit in dem Mannigfaltigen der Natur läßt sich nicht aus der transzendentalen Einheit der Apperzeption als ihrem Grund deduzieren, vielmehr besteht ihre transzendentale Deduktion in dem apagogischen Beweis, wonach ohne ein solches Prinzip, das heißt allein durch die Grundsätze des reinen Verstandes, keine Erfahrung, keine empirische Erkenntnis Statt finden würde. Ist nach Kant ohne die reflektierende Urteilskraft empirische Erkenntnis nicht möglich, so kann aufgrund der Kantischen Ausführungen doch nicht gesagt werden, daß mit ihr empirische Erkenntnis möglich ist. Zumindest kann es dann nicht gesagt werden, wenn unter empirischer Erkenntnis solche von notwendiger und allgemeiner Geltung verstanden wird. Gegen deren Möglichkeit spricht nach Kant die nur subjektive und regulative Geltung des Prinzips der reflektierenden Urteilskraft.178 Kants Argumentation führt die Intention der Kritik der reinen Vernunft ad absurdum. Wollte diese die Bedingungen der Möglichkeit von empirischen und doch notwendig und allgemein geltenden Urteilen dartun, so sind solche Urteile aufgrund der Kritik der Urteilskraft unmöglich. Weil die besonderen Gesetze der Natur nicht aus der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption zu deduzieren seien, seien sie für den Verstand zufällig. Mithin könnten nach Kant besondere Gesetze nur dann objektive Aber alle empirischen Gesetze sind nur besondere Bestimmungen der reinen Gesetze des Verstandes, unter welchen und nach deren Norm jene allererst möglich sind, und die Erscheinungen eine gesetzliche Form annehmen, sowie auch alle Erscheinungen, unerachtet der Verschiedenheit ihrer empirischen Form, dennoch jederzeit den Bedingungen der reinen Form der Sinnlichkeit gemäß sein müssen. KrV A 127f. 176 KdU B XXXIII. 177 KdU B XXXIII. 178 Vgl. Liedtke (1964), 138: Der transzendentale Charakter dieses Prinzips besagt: Erfahrung, die immer eine besondere ist, ist ohne dieses Prinzip nicht möglich. [...] Die bloß regulative Geltung dieses Prinzips besagt: es kann niemals zu objektiv-gültigen Erkenntnissen führen. 175
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Geltung beanspruchen, wenn sie aus der transzendentalen Einheit der Apperzeption zu deduzieren wären. Träfe Kants Argument zu, wäre die Transzendentalphilosophie ein gegenüber dem Empirismus sinnloses Unternehmen, denn durch sie würde wie in diesem die Geltung eines Gesetzes auf die Anzahl seiner empirischen Bestätigungen eingeschränkt. Die synthetischen Urteile a priori des reinen Verstandes wären ohne Bedeutung.179 Sind, mit Kant, die apriorischen Grundsätze des reinen Verstandes ohne empirische Begriffe und empirische Naturgesetze leer, dann sind, entgegen Kant, empirische Begriffe und Naturgesetze a priori konstitutiv für die Geltung der Grundsätze. Diese Frage der Geltung der Grundsätze des Verstandes und der besonderen Naturgesetze ist zu unterscheiden von der, wie die besonderen Gesetze erkannt werden. Kant unterscheidet nicht, sondern konfundiert wie bereits in den Passagen über die Regulativität der Analogien der Erfahrung in der ersten Kritik180 die Frage der Genesis mit der der Geltung von Erkenntnis. Daraus, daß das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft ein Leitfaden für [...] eine anzustellende Erfahrung und Nachforschung [...]181 ist, schließt er auf die Geltung der durch es entdeckten Gesetze. Das ist falsch. Zwar kommt den Schlüssen der reflektierenden Urteilskraft unmittelbar keine objektive Geltung zu, da durch sie, analog dem hypothetischen Gebrauch der Vernunftschlüsse, die allgemeine Regel zu einem gegebenen Besonderen nur problematisch, nur versuchsweise angenommen wird.182 Das heißt aber nicht, daß sich Schlüsse der reflektierenden Urteilskraft prinzipiell nicht in solche der transzendental bestimmenden Urteilskraft transformieren könnten. Könnten sie es nicht, wäre Erfahrungserkenntnis prinzipiell unmöglich. Deren Bedingungen der Möglichkeit will Kant aber aufweisen. Kant hat gesehen, daß die Kluft zwischen der reflektierenden und der transzendental bestimmenden Urteilskraft unter der Voraussetzung der Heterogenität Es kann deshalb nicht mit K. Düsing (1968; 42) Kant-affirmativ gesagt werden: Ist also Erkenntnis von Natur überhaupt möglich, so kann ich weiter fragen, ob es auch besondere Naturerkenntnis geben könne. Worin sollte die Erkenntnis von Natur überhaupt bestehen, ohne die Erfüllung dieser allgemeinen Form durch spezifische Gesetze? 180 Vgl. in dieser Arbeit das Kapitel Die Restriktion des Verstandes auf ›mögliche Erfahrung‹. 181 KdU B XXXVI. 182 Vgl. KrV B 674: Im hypothetischen Vernunftgebrauch wird das Allgemeine nur problematisch angenommen, und ist eine bloße Idee, das Besondere ist gewiß, aber die Allgemeinheit der Regel zu dieser Folge ist noch ein Problem. Auch wenn erst die dritte Kritik die Erkenntnis des Besonderen als eines solchen thematisiert, ist Liedtke (1964) zuzustimmen: Der hypothetische Gebrauch der Vernunftschlüsse entspricht dem Verfahren der Schlüsse der reflektierenden Urteilskraft, wie sich aus der Reflexion 3200 [...] ergibt. ›Schlüsse der Urtheilskraft gehen vom besonderen zum .. allgemeinen .. Es sind nichts als Arten, aus besonderen Begriffen zu allgemeinen zu kommen, also der Reflektierenden (nicht der bestimmenden) Urtheilskraft ... Sind die Schlüsse der Urtheilskraft unmittelbare Schlüsse? Nein, es liegt ihnen ein Prinzip der Urtheilskraft zum Grunde: daß nämlich vieles nicht ohne Gemeinschaftlichen Grund in einem Zusammenstimmen werde ...‹. (131 f.) Der von Kant in der Kritik der reinen Vernunft erörterte hypothetische Vernunftgebrauch weist deutlich voraus auf die Tätigkeit der reflektierenden Urteilskraft, der Kants dritte Kritik gilt. K. Düsing (1968; 43). 179
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der Erkenntnisstämme Verstand und Sinnlichkeit nicht prinzipiell zu schließen ist. Für allgemeine Begriffe ist das Besondere zufällig, es muß in der sinnlichen Anschauung gegeben werden. Der Dualismus von Verstand und Sinnlichkeit schließt ein der reflektierenden und bestimmenden Urteilskraft zugrunde liegendes gemeinsames Prinzip aus. Das bedeutet aber keineswegs, daß die reflektierende Urteilskraft in ihrem Resultat sich nicht in die bestimmende Urteilskraft verwandeln könnte, sondern nur, daß eine solche Verwandlung erkenntnistheoretisch nicht garantiert ist. Eine solche Verwandlung muß aber möglich sein, wenn gelten soll, daß alle mir gegebenen Vorstellungen [...] a priori unter der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption stehen, unter die sie [aber] auch durch eine Synthesis gebracht werden müssen.183 Nach Kant ermöglicht die reflektierende Urteilskraft durch ihr transzendentales Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur empirische Begriffe und Gesetze, indem sie unterstellt, daß es in ihr eine für uns faßliche Unterordnung von Gattungen und Arten gebe; daß jene sich einander wiederum einem gemeinschaftlichen Prinzip nähern, damit ein Übergang von einer zu der anderen, und dadurch zu einer höheren Gattung möglich sei; daß, da für die spezifische Verschiedenheit der Naturwirkungen eben so viel verschiedene Arten der Kausalität annehmen zu müssen unserem Verstande anfänglich unvermeidlich scheint, sie dennoch unter einer geringen Zahl von Prinzipien stehen mögen, mit deren Aufsuchung wir uns zu beschäftigen haben, u. s. w.184 Das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft ermöglicht die Anwendung der Logik auf die Natur [...].185 Dabei schließt die Heautonomie des Prinzips zwar aus, daß die durch es bestimmte Reflexion über die Natur deren ontologisch-metaphysische Bestimmtheit erkennt, nicht aber, daß sie an der Natur selber überhaupt etwas trifft. Eine objektive ontologische Erkenntnis der Naturdinge durch die reflektierende Urteilskraft ist unmöglich, denn die Naturdinge, die ihr gegeben sind, sind Erscheinungen, also Vorstellungen,186 und was für diese gilt, gilt nicht für deren metaphysischen Grund, das Ding an sich. Dennoch sei die Reflexion der Urteilskraft kein bloß subjektives Tun. Die Unterordnung von empirischen Begriffen und Gesetzen KrV B 135f. KdU B XXXVf.; vgl. die analogen Überlegungen in KrV B 670ff. 185 KdU 24 Anm. (Erste Einleitung). 186 Vgl. KrV B 591: Die Sinnenwelt enthält nichts als Erscheinungen, diese aber sind bloße Vorstellungen, die immer wiederum sinnlich bedingt sind, und, da wir hier niemals Dinge an sich selbst zu unseren Gegenständen haben, so ist nicht zu verwundern, daß wir niemals berechtigt sind, von einem Gliede der empirischen Reihen, welches es auch sei, einen Sprung außer dem Zusammenhange der Sinnlichkeit zu tun, gleich als wenn es Dinge an sich selbst wären, die außer ihrem transzendentalen Grunde existierten, und die man verlassen könnte, um die Ursache ihres Daseins außer ihnen zu suchen. – Das Prinzip der transzendentalen Zweckmäßigkeit der Natur ist zufolge der ersten Einleitung der Kritik der Urteilskraft ein Prinzip der Reflexion über gegebene Gegenstände der Natur bzw. Naturdinge (24), gegebene Vorstellungen (24), gegebene[] empirische[] Anschauungen (25). Die zweite Einleitung spricht von gegebenen Wahrnehmungen (B XXXIV). 183 184
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unter jeweils allgemeinere Begriffe und Gesetze sei nämlich gerade deshalb hypothetisch, weil sie auf die Bestätigung durch die Natur angewiesen sei.187 Die reflektierende Urteilskraft transzendiert sich selbst auf ihre Voraussetzungen nur in der Weise des als ob. Ihre Voraussetzungen hat sie an dem Besonderen und für unseren Verstand Zufälligen. Dieses Zufällige stellt sie durch das Prinzip der Zweckmäßigkeit als gesetzmäßig und notwendig vor. Denn Zweckmäßigkeit ist eine Gesetzmäßigkeit des Zufälligen als eines solchen.188 Durch dieses Prinzip unterstellt die Urteilskraft jedem empirischen Gesetz, es sei ableitbar aus einem noch zu entdeckenden allgemeineren Gesetz, und stellt die Natur insgesamt als noch zu entdekkende systematische Einheit mannigfaltiger Naturgesetze vor.189 D.i. die Natur wird durch diesen Begriff [der Zweckmäßigkeit] so vorgestellt, als ob ein Verstand den Grund der Einheit des Mannigfaltigen ihrer empirischen Gesetze enthalte.190 Die reflektierende Urteilskraft stellt die Natur als systematische Einheit besonderer Gesetze vor, und die Einheit als gründend in einem nicht-menschlichen oder göttlichen Verstand. Die Idee eines solchen Verstandes hat nur regulative Geltung, denn es ist nur die reflektierende Urteilskraft, der diese Idee zum Prinzip dient, zum Reflektieren, nicht zum Bestimmen;191 gleichwohl ist sie subjektiv notwendig, denn die Urteilskraft vermag den Grund der Einheit der besonderen Gesetze nur nach dem Vorbild unseres Verstandes zu denken, welcher Grund der Einheit der allgemeinen (transzendentalen) Naturgesetze ist.192 Demnach kann das Prinzip der reflektierenden UrteilsWenn man also sagt: die Natur spezifiziert ihre allgemeinen Gesetze nach dem Prinzip der Zweckmäßigkeit für unser Erkenntnisvermögen [...]: so schreibt man dadurch weder der Natur ein Gesetz vor, noch lernt man eines von ihr durch Beobachtung (ob zwar jenes Prinzip durch diese bestätigt werden kann). KdU B XXXVII. Passagen wie diese lassen Mertens (1975) zu Recht von einem Neuansatz des Naturbegriffs in der dritten Kritik sprechen. Die Natur werde hier als Gegebenheit, die sich dem Entwurf des Subjekts entzieht, philosophisch einzuholen versucht [...]. Aus diesem Neuansatz erhelle rückwirkend, daß die Unterscheidung von Erscheinung und Ding an sich in der ersten Kritik letztlich metaphysisch-ontologischer Provenienz ist [...] (33 Anm.). Das sinnlich Gegebene wird in seiner Heterogenität zum Denken ernst genommen und nicht schon als von der Allgemeinheit der Verstandesregeln bestimmt gedacht. (76). 188 KdU 30 (Erste Einleitung); vgl. KdU B 344. Das Prinzip der Zweckmäßigkeit bezieht sich in erster Linie auf empirische Gesetze, auf empirische Begriffe nur, insofern diese Voraussetzung solcher Gesetze sind. Das hat Baum (1990; 160ff.) besonders herausgestellt. 189 Modell für die systematische Einheit der Natur in ihren besonderen Gesetzen ist für Kant Newtons Mechanik, in der die besonderen Gesetze Galileis und Keplers durch das allgemeine Gesetz wechselseitiger Massenanziehung in einen systematischen Zusammenhang gebracht sind. Was Newton Philosophia naturalis nennt ist nicht ein Aggregat empirischer Erkentnis (Warnehmungen) sondern ein Prinzip möglicher Erfahrung welche selbst nur als Eine d. i. als im System nach Principien emergiren kan. OP 138. 190 KdU B XXVIII. 191 KdU B XXVIIf. 192 Vgl. KrV B 725: Denn es ist immer nur eine Idee, die gar nicht direkt auf ein von der Welt 187
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kraft kein anderes sein, als: daß, da allgemeine Naturgesetze ihren Grund in unserem Verstande haben, der sie der Natur (ob zwar nur nach dem allgemeinen Begriffe von ihr als Natur) vorschreibt, die besondern empirischen Gesetze in Ansehung dessen, was in ihnen durch jene unbestimmt gelassen ist, nach einer solchen Einheit betrachtet werden müssen, als ob gleichfalls ein Verstand (wenn gleich nicht der unsrige) sie zum Behuf unserer Erkenntnisvermögen, um ein System der Erfahrung nach besonderen Naturgesetzen möglich zu machen, gegeben hätte.193 Das transzendentale Prinzip der reflektierenden Urteilskraft ist subjektiv, weil es die Natur als zweckmäßig nur für unser Erkenntnisvermögen, nicht etwa für sich selbst, vorstellt,194 und es ist formal, weil es für alle besonderen Naturdinge und -gesetze als solche gilt und nicht für eine bestimmte Klasse von Naturdingen oder -gesetzen. Aufgrund seiner Subjektivität und Formalität läßt das Prinzip den Begriff der Natur, wie er in der Kritik der reinen Vernunft als Totalität der Erscheinungen unter besonderen mechanischen195 Gesetzen, die alle die Form der transzendentalen allgemeinen Naturgesetze erfüllen, entwickelt ist, unberührt. Dagegen würde durch ein Prinzip der objektiven materialen Zweckmäßigkeit von Naturdingen ein ganz anderer Begriff der Natur, eine ganz andere Ordnung der Dinge [...],196 eingeführt. Durch ein solches Prinzip würden Naturdinge als zweckmäßig nicht nur für unser Erkenntnisvermögen, sondern für sich selbst vorgestellt, als Naturzwecke. Ihre Zweckmäßigkeit würde nicht als eine ihnen äußere, sondern innere gedacht. Ein solches Prinzip bedarf einer besonderen Voraussetzung. Es ist weder aus dem allgemeinen transzendentalen formalen Prinzip der reflektierenden Urteilskraft, noch aus dem allgemeinen Begriff der Natur, noch unmittelbar aus wirklicher Erfahrung herzuleiten. Durch das transzenunterschiedenes Wesen, sondern auf das regulative Prinzip der systematischen Einheit der Welt, aber nur vermittelst eines Schema derselben, nämlich einer obersten Intelligenz, die nach weisen Absichten Urheber derselben sei, bezogen wird. [...]/ Auf solche Weise aber können wir doch [...] einen einigen weisen und allgewaltigen Welturheber annehmen? Ohne allen Zweifel; und nicht allein dies, sondern wir müssen einen solchen voraussetzen. Aber alsdann erweitern wir doch unsere Erkenntnis über das Feld möglicher Erfahrung? Keineswegs. Denn wir haben nur ein Etwas vorausgesetzt, wovon wir gar keinen Begriff haben, was es an sich selbst sei (einen bloß transzendentalen Gegenstand) [...]. 193 KdU B XXVII. 194 Es ist insofern identisch mit dem Prinzip der ästhetischen Urteilskraft: In einer Kritik der Urteilskraft ist der Teil, welcher die ästhetische Urteilskraft enthält, ihr wesentlich angehörig, weil diese allein ein Prinzip enthält, welches die Urteilskraft völlig a priori ihrer Reflexion über die Natur zum Grunde legt, nämlich das einer formalen Zweckmäßigkeit der Natur nach ihren besonderen (empirischen) Gesetzen für unser Erkenntnisvermögen, ohne welche sich der Verstand in sie nicht finden könnte. KdU B Lf.; vgl. B 267. Freilich erschöpft sich die ästhetische Urteilskraft nicht darin, die Natur als zweckmäßig für unser Erkenntnisvermögen vorzustellen. 195 Mechanisch ist jede Erzeugung, die von Zweckbegriffen unabhängig ist. Mechanische Gesetze sind solche, die unter dem Grundsatz der Erzeugung. Alles, was geschieht (anhebt zu sein) setzt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt stehen (KrV A 189). 196 KdU B 297.
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dentale formale Prinzip ist es nur vorbereitet,197 veranlaßt aber ist es durch Beobachtung, das heißt durch methodisch angestellte Erfahrung.198 Ohne das Faktum der Existenz von organisierten Naturdingen (Organismen), die durch mechanische Gesetze allein nicht erklärt werden können, hätte die reflektierende Urteilskraft keine Veranlassung, teleologisch zu werden, das heißt den Begriff des Zwecks zur Beurteilung der inneren Zweckmäßigkeit von Naturdingen anzuwenden.199 Gleichwohl ist das Prinzip der inneren Zweckmäßigkeit nicht von diesen Naturdingen empirisch abgezogen, sondern ist als Idee der reflektierenden Urteilskraft a priori.200 Nur insofern und weil es a priori ist, wird durch es in Organismen alles als notwendig zweckmäßig gedacht.201 Organismen sind reflexiv bestimmt. Ein Naturzweck ist ein organisiertes und sich selbst organisierendes Wesen [...].202 Ein organisiertes Produkt der Natur ist das, in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist.203 Reflexivität kann nicht beobachtet, sondern nur gedacht werden, sie muß aber notwendig gedacht werden, um solche Naturdinge erklären zu können, an denen die Abhängigkeit der Teile vom Ganzen zu beobachten ist. Denn wenn man z. B. den Bau eines Vogels, die Höhlung in seinen Knochen, die Lage seiner Flügel zur Bewegung, und des Schwanzes zum Steuern u. s. w. anführt: so sagt man, daß dieses alles nach dem bloßen nexus effectivus in der Natur, ohne noch eine besondere Art der Kausalität, nämlich die der Zwecke (nexus finalis), zu Hülfe zu nehmen, im höchsten Grade zufällig sei: d. i. daß sich die Natur, als bloßer Mechanism betrachtet, auf tausendfache Art habe anders bilden können, ohne gerade auf die Einheit nach einem solchen Prinzip zu stoßen [...].204 Die teleologische Beurteilung von Naturdingen als Naturzwecken erfolgt nach einer entfernten Analogie mit unserer Kausalität nach Zwecken überhaupt, hat aber, genau zu reden [...], nichts Analogisches mit irgendeiner Kausalität, die wir kennen.205 Zwar ist den organisierten Wesen oder Naturprodukten mit den Kunstprodukten, die aus der zweckbestimmten Verausgabung menschlicher Arbeitskraft
KdU B LI. Vgl. KdU B 296. 199 KdU B LI; vgl. KdU 31 (Erste Einleitung). Vgl. auch KrV B 716, wo diese Argumentation vorgebildet ist. Die Physiologie der Ärzte erweitere ihre sehr eingeschränkte empirische Erkenntnis von den Zwecken des Gliederbaues eines organischen Körpers durch einen Grundsatz, welchen bloß reine Vernunft eingab, so weit, daß man darin ganz dreist und zugleich mit aller Verständigen Einstimmung annimmt, es habe alles an dem Tiere seinen Nutzen und gute Absicht. 200 Die Urteilskraft nimmt aus sich selbst (KdU B VIII) das teleologische Prinzip der Beurteilung von Organismen. 201 KdU B 295f. 202 KdU B 292. 203 KdU B 295f. 204 KdU B 268f. 205 KdU B 293ff. 197 198
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resultieren, gemeinsam, daß ein jeder Teil, so, wie er nur durch alle übrige da ist, auch als um der andern und des Ganzen willen existierend, d. i. als Werkzeug (Organ) gedacht [...]206 wird. So ist in einer Uhr jeder Teil zweckmäßig für alle anderen Teile und damit für den Gesamtzusammenhang. Aber im Unterschied zum Kunstprodukt Uhr, dessen Organisationsprinzip, die Idee der Uhr, ihm äußerlich ist und in den Intellekt des Uhrmachers fällt, muß das Naturprodukt als sich selbst organisierendes Wesen vorgestellt werden, in welchem jedes Organ jedes andere hervorbringt, und dessen Organisationsprinzip, die Idee des Ganzen, ihm immanent ist. Ein organisiertes Wesen ist also nicht bloß Maschine: denn die hat lediglich bewegende Kraft; sondern sie besitzt in sich bildende Kraft, und zwar eine solche, die sie den Materien mitteilt, welche sie nicht haben (sie organisiert) [...]./ Man sagt von der Natur und ihrem Vermögen in organisierten Produkten bei weitem zu wenig, wenn man dieses ein Analogon der Kunst nennt; denn da denkt man sich den Künstler (ein vernünftiges Wesen) außer ihr.207 Die einzige Kausalität nach Zweckbegriffen, die wir kennen, ist die unserem absichtlichen Tun zugrunde liegende. Nun dürfen wir die Natur aber weder als ein intelligentes, absichtsvoll handelndes Wesen denken, noch dürfen wir uns erkühnen, ein anderes verständiges Wesen über sie, als Werkmeister, setzen zu wollen [...].208 Das erste wäre unvereinbar mit dem mechanischen Begriff der Natur, das zweite würde die Grenzen uns möglicher Erkenntnis überschreiten. Wir können ein empirisch gegebenes organisiertes Naturding nur in entfernter Analogie zu menschlichem Handeln beurteilen; indem wir es als Naturzweck vorstellen, stellen wir es so vor, als ob seine Organisiertheit oder innere Form der Möglichkeit nach in einer Idee gründe, und als ob deren beobachtbare Wirklichkeit Folge der absichtsvollen Realisierung dieser Idee durch ein verständiges Wesen sei.209 Eine Idee soll der Möglichkeit des Naturprodukts zum Grunde liegen.210 Die Notwendigkeit, reale Ganzheiten durch die reflektierende Urteilskraft teleologisch vorzustellen, ist nach Kant in der Diskursivität unseres Verstandes begründet. KdU B 291. KdU B 292f. Diese Passagen richten sich direkt gegen Descartes, der den Organismus als eine Art von Maschine (1647; 72 f.) betrachtet. Descartes zufolge ist es der aus diesen und jenen Rädern zusammengesetzten Uhr ebenso natürlich, die Stunden anzuzeigen, als es dem aus diesem oder jenem Samen aufgewachsenen Baum natürlich ist, diese Früchte zu tragen (1644; 246). Der Körper eines lebenden Menschen unterscheide sich derart von dem eines toten Menschen, als es eine Uhr oder ein anderer Automat tut, (das heißt, eine andere Maschine, die sich aus sich selbst bewegt), die, wenn sie aufgezogen ist, in sich das körperliche Prinzip der Bewegung hat, für die sie eingerichtet ist, mit allem dem, was für ihre Tätigkeit erforderlich ist, und die gleiche Uhr oder einer andere Maschine, wenn sie zerbrochen ist, oder das Prinzip ihrer Bewegung zu wirken aufhört. (1649; 9ff.). 208 KdU B 308. 209 Vgl. z.B. KdU B 308f. 210 KdU B 297. 206 207
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Unser Verstand nämlich hat die Eigenschaft, daß er in seinem Erkenntnisse, z. B. der Ursache eines Produkts, vom Analytisch-Allgemeinen (von Begriffen) zum Besondern (der gegebenen empirischen Anschauung) gehen muß; wobei er also in Ansehung der Mannigfaltigkeit des letztern nichts bestimmt, sondern diese Bestimmung für die Urteilskraft von der Subsumtion der empirischen Anschauung (wenn der Gegenstand ein Naturprodukt ist) unter dem Begriff erwarten muß.211 Der menschliche Verstand subsistiert nicht in sich, wie es dem göttlichen intellectus archetypus unterstellt werden darf. Er ist zwar spontan, aber nicht produktiv. Seine Möglichkeit beruht auf der transzendentalen Einheit der Apperzeption, welche ihrerseits als Einheit der Handlung der Synthesis davon abhängt, daß ihr in den Formen der Anschauung ein zu synthetisierendes Mannigfaltiges empirisch gegeben ist.212 Konstitutiv für den empirischen Verstandesgebrauch sind die dynamischen Grundsätze des reinen Verstandes, die aber, wie bereits gezeigt, in bezug auf empirische Erkenntnis als diskursive Begriffe, das heißt nach Kant: als analytische Einheiten fungieren. Als solche bezeichnen sie die allgemeine Bestimmtheit einer empirischen Erkenntnis: dasjenige Merkmal, das allen verschiedenen Erkenntnissen gemeinsam ist, weil und insofern sie Erkenntnisse sind. Der empirische Verstandesgebrauch betrachtet a priori jedes Naturding als Wirkung einer Ursache, welche besondere Ursache aber dem besonderen Naturding zugrunde liegt, kann er nicht a priori, sondern nur a posteriori, durch Rekurs auf wirkliche Erfahrung eruieren. Für den Verstand ist deshalb der Begriff der bestimmten Ursache logisch zufällig. Die allgemeinen Begriffe unseres diskursiven Verstandes sind als analytische Einheiten Teilvorstellungen, die das identische Merkmal ansonsten verschiedener VorKdU B 348f. Die hier erwähnte Urteilskraft subsumiert, mithin ist sie bestimmend, nicht reflektierend. Baum (1993; 24): Die bestimmende Urteilskraft [...] ist [...] das Vermögen zu entscheiden, ob ein gegebenes Mannigfaltiges der Wahrnehmung, trotz der möglicherweise sehr großen Verschiedenheit von anderem Mannigfaltigem, dennoch ein gleichartiger Fall eines identischen Begriffes ist oder nicht, d.h. ob es für diese Subsumtion zweckmäßig ist oder nicht. Da es nicht die transzendental bestimmende Urteilskraft sein kann, welche die unschematisierten Kategorien auf das Zeitmannigfaltige bezieht, müßte es eine empirisch bestimmende Urteilskraft sein. Eine solche, von Kant nicht erwähnt, möchte Liedtke (1964) einführen (4 f.). Dabei sieht er, daß diese ihrerseits die reflektierende Urteilskraft zu ihrer Voraussetzung haben und in ihrer Geltung durch die Regulativität des Prinzips der reflektierenden Urteilskraft eingeschränkt sein müßte, denn: Die empirisch bestimmende Urteilskraft kann sich bei der Subsumtion des a posteriori gegebenen Mannigfaltigen auf die objektiv gültigen Kategorien und die aus ihnen a priori erschlossenen Praedikabilien stützen. Doch die Kategorien [...] können [...] nichts darüber aussagen, ob und wie sich das besondere, nämlich das a posteriori gegebene Mannigfaltige im Einzelfalle werde subsumieren lassen. (137). Verhält es sich so, dann ist die Einführung dieses neuen Vermögens überflüssig. Das empirisch gegebene Mannigfaltige unter Begriffe und besondere Gesetze zu bringen ist die Funktion der reflektierenden Urteilskraft, dabei steht a priori fest, daß diese Begriffe und Gesetze in der transzendentalen Einheit der Apperzeption zusammenstimmen müssen. 212 Vgl. KrV B 137. 211
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stellungen bezeichnen, welche Vorstellungen zwar ihrerseits Begriffe von geringerer Allgemeinheit sein können, zuletzt aber auf das in der empirischen Anschauung gegebene Besondere der Natur bezogen sein müssen. Weil Begriffe als Teilvorstellungen, die in ansonsten verschiedenen Vorstellungen enthalten sind, zugleich Merkmale sind, welche jene Vorstellungen unter sich enthalten, nennt Kant sie auch allgemein-gedachte Gründe, unter die das, was unter den Begriffen enthalten ist, als Folge dieser Begriffe subsumiert ist.213 Als allgemein-gedachte Gründe oder analytische Erkenntnisgründe214 geben sie das Gemeinsame der unter ihnen enthaltenen Vorstellungen zu erkennen. Der empirische Verstandesgebrauch muß nach Kant von den Teilen, als allgemein-gedachten Gründen, zu verschiedenen darunter zu subsumierenden möglichen Formen, als Folgen, fortgehen [...].215 Die möglichen Formen sind in der empirischen Anschauung gegebene Naturdinge. Die Subsumtion eines gegebenen Naturdings unter den Begriff macht den Begriff zum Merkmal oder allgemeinen Erkenntnisgrund des Naturdings, bestimmt dieses aber nicht vollständig. Denn als allgemeiner Erkenntnisgrund ist er Allgemeinvorstellung, die als solche zugleich Teilvorstellung, nicht aber Vorstellung eines Ganzen ist.216 Was für den einzelnen Begriff als Merkmal des Naturdings gilt, gilt auch für den Zusammenhang der Begriffe, unter die das Naturding subsumiert ist. Der Zusammenhang der Begriffe stellt das Naturding als ein Ganzes vor, das aus dem Zusammenhang der Teile resultiert, welcher Zusammenhang, da er sich dem Rekurs auf wirkliche Erfahrung verdankt, für den Verstand selbst als zufällig erscheint. Für den diskursiven Verstand ist die Möglichkeit eines Ganzen abhängig von den Teilen. Nach der Beschaffenheit unseres Verstandes ist [...] ein reales Ganze der Natur nur als Wirkung der konkurrierenden bewegenden Kräfte der Teile anzusehen.217 Nun können wir uns aber auch einen Verstand denken, der, weil er nicht wie der unsrige diskursiv, sondern intuitiv ist, vom Synthetisch-Allgemeinen (der Anschauung eines Ganzen, als eines solchen) zum Besondern geht, d. i. vom Ganzen zu den Teilen; der also und dessen Vorstellung des Ganzen die Zufälligkeit der Verbindung der Teile nicht in sich enthält, um eine bestimmte Form des Ganzen möglich zu machen, die
Vgl. KdU B 349. Vgl. Logik A 147f. (§7 des ersten Abschnitts). 215 KdU B 349. 216 Der Begriff als conceptus communis [ist] erst vollständig charakterisiert [...], wenn ich sage, daß er Allgemeinvorstellung und zugleich ›Teilvorstellung‹ – nicht als Allgemeinvorstellung ›Vorstellung eines Ganzen‹ ist. D.h. alle Begriffe als conceptus communes sind ›Merkmale‹, genauer gesprochen Teilvorstellungen, die als solche analytische ›Erkenntnisgründe‹ sind. Reich (1948), 37. Die Diskursivität des Begriffs impliziert somit, daß sich die Begriffspaare Allgemeines und Besonderes, Ganzes und Teil invers zueinander verhalten. Dies im Unterschied zu Hegels Begriff, dessen Allgemeinheit nicht analytische abstrakte, sondern konkrete Allgemeinheit ist. Vgl. Baum (1993), 28. 217 KdU B 349. 213 214
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unser Verstand bedarf [...].218 Während der diskursive Verstand ein Ganzes nur als Aggregat, als empirisch bedingten und insofern zufälligen Zusammenhang seiner Teile vorstellen kann, würde der intuitive Verstand mit der durch ihn gesetzten Anschauung des Ganzen auch dessen Teile und deren durch das Ganze notwendigen Zusammenhang anschauen. Für den intuitiven Verstand wäre das angeschaute Ganze Grund der Möglichkeit der Verknüpfung der Teile [...].219 Der diskursive Verstand kann nicht anschauen. Infolgedessen kann er auch kein angeschautes Ganzes als den Grund der Möglichkeit der Verknüpfung der Teile betrachten, wenn er sich nach Maßgabe des intuitiven Verstandes die Teile als abhängend vom Ganzen, und nicht umgekehrt das Ganze als abhängend von den Teilen vorstellt. Vielmehr muß er teleologisch denken, daß die Vorstellung eines Ganzen den Grund der Möglichkeit der Form desselben und der dazu gehörigen Verknüpfung der Teile enthalte.220 Teleologisch ist dieses Denken, weil es ein Ganzes als ein Produkt vorstellt, dessen Vorstellung Ursache seiner Möglichkeit ist, das Produkt aber einer Ursache, deren Bestimmungsgrund bloß die Vorstellung ihrer Wirkung ist, ein Zweck heißt.221 In entfernter Analogie zu menschlichem Handeln stellt es ein Naturding hinsichtlich des Zusammenwirkens seiner Teile, das heißt hinsichtlich seiner Form, so vor, als ob es seiner Möglichkeit nach in einer Idee gründe. Diese teleologische Beurteilung von Naturgegenständen hebt nicht etwa die diskursive Natur unseres Verstandes auf, sondern folgt aus ihr. In ihr drückt sich die Defizienz unseres diskursiven Verstandes im Vergleich zu einem denkbaren intuitiven aus. Gerade weil unser diskursiver Verstand Ganzheiten nur als Aggregate vorstellen kann, ist er angesichts von Naturdingen, an denen sich die Abhängigkeit der Teile vom Ganzen beobachten läßt, auf den Zweckbegriff verwiesen, denn nur dieser ermöglicht uns die Vorstellung eines Naturdings als System.222 Mit der Idee der inneren Zweckmäßigkeit oder des Naturzwecks wird ein übersinnliches Prinzip223 für die Naturforschung transzendental gerechtfertigt. Übersinnlich ist dieses Prinzip nicht nur in dem allgemeinen Sinne, in dem es jede Idee KdU B 349. KdU B 349. 220 KdU B 349f. 221 KdU B 350; vgl. B 381: Denn, die vorgestellte Wirkung, deren Vorstellung zugleich der Bestimmungsgrund der verständigen wirkenden Ursache zu ihrer Hervorbringung ist, heißt Zweck. 222 Vgl. den VI. Abschnitt der ersten Einleitung der KdU: Von der Zweckmäßigkeit der Naturformen als so viel besonderer Systeme. – Weil die Anwendung des Zweckbegriffs auf die Natur in der Defizienz unseres nur diskursiven Verstandes begründet ist, kann Gott nicht als Werkmeister (KdU B 308), der die Welt nach Zweckbegriffen hervorbringt, gedacht werden. Kant kritisiert die physikotheologische Vorstellung eines solchen Gottes nicht deshalb, weil die Natur und Naturdinge keine Artefakte sind, sondern weil das Herstellen von Artefakten ein von Begriffen gesteuertes und also spezifisch menschliches Tun ist, das im Widerspruch zu dem Konzept der schöpferischen Anschauung eines denkbaren Welturhebers steht. Baum (1993), 23. 223 Vgl. KdU B 304. 218 219
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als apriorischer Begriff, als Noumenon, ist, sondern in dem bestimmten Sinne, daß mit ihm ein teleologisches Prinzip der Einheit vorgestellt wird, welches unser diskursiver Verstand nicht der Materie selbst zuschreiben kann. Diskursiv, also nach mechanischer Kausalität, ist die Materie als sich selbst organisierende nicht zu denken. Die Eigenschaft des Hylozoism224 ist mit dem mechanischen Gesetz der Trägheit unvereinbar.225 Der Anlaß, ein übersinnliches, teleologisches Prinzip zu bilden, ist das Faktum der Existenz von Organismen, die durch mechanische Kausalität nicht zu erklären sind. Kant zufolge muß aber die teleologische Betrachtung über die Organismen hinaus ausgedehnt werden auf das Naturganze. Diese Ausweitung wird zunächst veranlaßt durch die Betrachtung der Organismen selbst. Denn diese sind nicht nur innerlich organisiert, sondern in ihrer Selbsterhaltung auf notwendige Bedingungen außer ihnen verwiesen. Organismen sind abhängig von anderen Organismen und von unbelebter Materie. Die innere Zweckmäßigkeit eines Naturdings ist offenbar abhängig davon, daß Naturdinge außer ihm für sie äußerlich zweckmäßig sind. Ob diese Naturdinge ihrerseits als Naturzwecke vorgestellt werden müssen, hängt aber nicht von ihrer äußeren Zweckmäßigkeit für anderes, sondern allein von ihrer eigenen inneren Struktur ab. Es ist also nur die Materie, sofern sie organisiert ist, welche den Begriff
KdU B 293; vgl. B 372: [D]ie Autokratie der Materie in Erzeugungen, welche von unserem Verstande nur als Zwecke begriffen werden können, ist ein Wort ohne Bedeutung. 225 Vgl. MAdN A 119f.: Alle Veränderung hat eine äußere Ursache. [...] Dieses mechanische Gesetz muß allein das Gesetz der Trägheit (lex inertiae) genannt werden [...]. Die Trägheit der Materie ist und bedeutet nichts anders, als ihre Leblosigkeit, als Materie an sich selbst. Der Begriff der Selbstorganisation und der des Lebens werden von Kant nicht identisch gesetzt. Nur unter Einschränkungen kann die Selbstorganisation in Naturprodukten ein Analogon des Lebens genannt werden (KdU B 293). Leben ist das Vermögen eines Wesens, nach Gesetzen des Begehrungsvermögens zu handeln. Das Begehrungsvermögen ist das Vermögen desselben, durch seine Vorstellungen Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstände dieser Vorstellungen zu sein. (KpV A 17 Anm.) Leben heißt das Vermögen einer Substanz, sich aus einem inneren Prinzip zum Handeln, einer endlichen Substanz, sich zur Veränderung, und einer materiellen Substanz, sich zur Bewegung oder Ruhe, als Veränderung ihres Zustandes, zu bestimmen. Nun kennen wir kein anderes inneres Prinzip einer Substanz, ihren Zustand zu verändern, als das Begehren, und überhaupt keine andere innere Tätigkeit, als Denken, mit dem, was davon abhängt, Gefühl der Lust oder Unlust und Begierde oder Willen. Diese Bestimmungsgründe aber und Handlungen gehören gar nicht zu den Vorstellungen äußerer Sinne und also auch nicht zu den Bestimmungen der Materie als Materie. Also ist alle Materie als solche leblos. Das sagt der Satz der Trägheit, und nichts mehr. Wenn wir die Ursache irgend einer Veränderung der Materie im Leben suchen, so werden wir es auch so fort in einer anderen, von der Materie verschiedenen, obzwar mit ihr verbundenen Substanz zu suchen haben. Denn in der Naturkenntnis ist es nötig, zuvor die Gesetze der Materie als einer solchen zu kennen und sie von dem Beitritte aller anderen wirkenden Ursachen zu läutern, ehe man sie damit verknüpft, um wohl zu unterscheiden, was, und wie jede derselben für sich allein wirke. (MAdN A 120 f.) Demnach leben Tiere, Pflanzen aber nicht, beide aber sind sich selbst organisierende Wesen. 224
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von ihr als einem Naturzwecke notwendig bei sich führt [...]. Aber dieser Begriff führt nun notwendig auf die Idee der gesamten Natur als eines Systems nach der Regel der Zwecke; welcher Idee nun aller Mechanism der Natur nach Prinzipien der Vernunft (wenigstens um daran die Naturerscheinung zu versuchen) untergeordnet werden muß.226 Die reflektierende Urteilskraft bildet neben der Idee des Naturzwecks ein weiteres übersinnliches Prinzip, die Idee des Naturganzen als eines Systems der Zwecke. Analog dem Prinzip der Beurteilung der inneren Zweckmäßigkeit in einem Organismus, welches besagt, daß in diesem nichts umsonst oder zwecklos ist, besagt dieses Prinzip: Alles in der Welt ist irgend wozu gut; nichts ist in ihr umsonst.227 Kant äußert sich über die Berechtigung, gar die Notwendigkeit228 der Ausweitung der teleologischen Vorstellung über die Klasse der organisierten Wesen hinaus auf alles in der Welt nicht eindeutig. Einerseits gilt: [M]an ist durch das Beispiel, das die Natur an ihren organischen Produkten gibt, berechtigt, ja berufen, von ihr und ihren Gesetzen nichts, als was im Ganzen zweckmäßig ist, zu erwarten.229 Andererseits gilt aber auch: [J]ene Maxime der Urteilskraft [ist] zwar nützlich, aber nicht unentbehrlich, weil uns die Natur im Ganzen als organisiert [...] nicht gegeben ist.230 Im Unterschied zum Organismus ist die Natur im Ganzen oder die Welt kein Gegenstand methodisch angestellter Erfahrung. Das Produkt der Weltidee ist nicht wie das der Idee des Naturzwecks in der Natur gegeben.231 Die Welt, die für uns als Ganze nicht existiert,232 ist kein Ding, an dem die Abhängigkeit der Teile von dem vorgängigen Ganzen beobachtet werden kann. Der vermeintliche Widerspruch, wonach Kant die teleologische Betrachtung des Weltganzen als berechtigt und notwendig, zugleich aber als nicht unentbehrlich bezeichnet, ist mit Kant zunächst aufzulösen. Notwendig und doch nicht unentbehrlich ist die teleologische Weltbetrachtung nämlich in verschiedener Hinsicht. Im Hinblick auf die Naturforschung ist sie zwar nicht notwendig, aber nützlich, weil sich durch sie noch manche Gesetze [...] dürften auffinden lassen, die uns [...] sonst verborgen bleiben würden.233 Im Hinblick auf unsere Idee des Weltganzen selbst ist sie insofern notwendig, als die für unseren Verstand zufällige Form der Organismen den vornehmsten Beweis für die ZufälligKdU B 300. KdU B 300f. Das unkritische Gegenstück zu Kants kritischem Prinzip der reflektierenden teleologischen Urteilskraft ist die dogmatische Natur- und Geschichtsteleologie des 18. Jahrhunderts, wie sie in Wezels Belphegor persifliert ist: Siehst du, Brüderchen? Tröstete ihn Medardus mit gutherzigem Ton – die Vorsicht lebt noch. Unglück ist immer zu etwas gut: wenn du gleich in Millionen Stücken zerhauen und auf dem Roste geröstet wirst, das kann immer zu etwas gut seyn: DU weißt es nur nicht. Wezel (1776), 68f. 228 Vgl. KdU B 300. 229 KdU B 301. 230 KdU B 334. 231 KdU B 345. S. o. 232 Vgl. KrV B 533. 233 KdU B 334. 226 227
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keit des Weltganzen ausmachen. Aufgrund der Beschaffenheit unserer Erkenntnisvermögen können wir uns aber von der Möglichkeit einer solchen zufälligen Welt schlechterdings keinen Begriff machen [...], als so, daß wir uns eine absichtlich-wirkende oberste Ursache derselben denken.234 Kant argumentiert hier zirkulär, denn die Zufälligkeit der Form der Organismen für unseren Verstand ist nur dann ein Beweis für die Zufälligkeit der Welt, wenn die Welt von uns notwendig als ein Ganzes vorzustellen ist, in dem nichts umsonst ist, das heißt als System. Kant setzt also das zu Beweisende voraus. In der Vorrede der Kritik der Urteilskraft deutet er allerdings an, daß die teleologische Weltbetrachtung zuletzt durch ein moralisches Interesse der praktischen Vernunft motiviert ist. Die teleologische Beurteilung von organisierten Naturdingen als Naturzwecken stellt diese Naturdinge nämlich in entfernter Analogie zu menschlichem Handeln so vor, als ob sie Resultate eines absichtlichen Technizism der Natur235 wären. Die Idee eines solchen Technizism der Natur eröffnet zugleich Aussichten, die für die praktische Vernunft vorteilhaft sind.236 Denn auf der Grundlage allein des Mechanism der Natur könnte nicht erklärt werden, was faktisch nicht bestreitbar ist: die Möglichkeit der Realisierung von Zwecken durch Handeln in der Sinnenwelt. Vollends unbegreiflich wäre aber, wie ein moralisch bestimmter Wille in der Sinnenwelt sich realisieren können sollte.237
5. Transzendentale und praktische Freiheit Nach Kant ist es das moralische Gesetz, dessen wir uns unmittelbar bewußt werden (so bald wir uns Maximen des Willens entwerfen), welches sich uns zuerst darbietet, und, indem die Vernunft jenes als einen durch keine sinnliche Bedingungen zu überwiegenden, ja davon gänzlich unabhängigen Bestimmungsgrund darstellt, gerade auf den Begriff der Freiheit führt.238 [D]ie Freiheit [ist] allerdings die ratio essendi des moralischen Gesetzes, das moralische Gesetz aber die ratio cognoscendi der Freiheit [...]. Denn, wäre nicht das moralische Gesetz in unserer Vernunft eher deutlich gedacht, so würden wir uns niemals berechtigt halten, so etwas, als Freiheit ist (ob diese gleich sich nicht widerspricht), anzunehmen. Wäre aber keine Freiheit, so würde das moralische Gesetz in uns gar nicht anzutreffen sein.239 Das moralische Gesetz ist der Erkenntnisgrund der Freiheit des menschlichen Willens, die Freiheit des menschli-
KdU B 336. Vgl. KdU §78. 236 KdU B IX. 237 Vgl. dazu weiter in dieser Arbeit das Kapitel Selbständigkeit und Unselbständigkeit der Moral. 238 KpV A 53. 239 KpV A 5 Anm. 234 235
B. Verstand, Vernunft, Urteilskraft
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chen Willens ist der Seinsgrund des moralischen Gesetzes. Das unmittelbare Bewußtsein des moralischen Gesetzes führt uns auf den positiven Begriff der Freiheit des menschlichen Willens, auf seine Autonomie.240 Sittlichkeit, mithin praktische Vernunft entdeckt uns den Begriff der Freiheit; sie dringt uns diesen auf und nötigt uns derart zu dem Wagstücke, Freiheit in die Wissenschaft einzuführen.241 Ohne diese Nötigung, Freiheit zu thematisieren, könnte die dritte Antinomie der reinen Vernunft pragmatisch zugunsten sowohl der Thesis wie auch der Antithesis entschieden werden. Zugunsten der Antithesis, denn die Vernunft verwickelt sich, wenn sie zum Unbedingten in der Reihe der Ursachen aufsteigen will [...],242 sowohl unter der Bedingung der Thesis, wonach neben der Naturkausalität auch Kausalität durch Freiheit zur Erklärung der Erscheinungen notwendig anzunehmen ist, wie auch unter der der Antithesis, wonach es keine Freiheit gibt, sondern alles in der Welt nach Gesetzen der Natur geschieht,243 in Unbegreiflichkeiten [...], indessen daß doch der [...] Mechanism wenigstens Brauchbarkeit in Erklärung der Erscheinungen hat [...].244 Zugunsten der Thesis, denn wenn es zum Tun und Handeln käme, so würde [...] er [der Mensch] seine Prinzipien bloß nach dem praktischen Interesse wählen.245 Kant behauptet den Vorrang der praktischen vor der theoretischen Vernunft, wenn er formuliert: Daß dieses die wahre Unterordnung unserer Begriffe sei, und Sittlichkeit uns zuerst den Begriff der Freiheit entdecke, mithin praktische Vernunft zuerst der spekulativen das unauflöslichste Problem mit diesem Begriffe aufstelle, um sie durch denselben in die größte Verlegenheit zu setzen [...].246 Die spekulative Vernunft, die hier in Verlegenheit gesetzt wird, ist die transzendentalphilosophisch unaufgeklärte theoretische Vernunft. Ihre Selbstkritik führt Kant zufolge zu dem Resultat, daß die Möglichkeit von Freiheit notwendig anzunehmen ist. Näheres Hinsehen zeigt aber, daß diese Selbstkritik, wie sie in den Abschnitten über die sogenannte dritte Antinomie und deren Auflösung entwickelt wird, von Inkonsistenzen und Aporien durchsetzt ist. Der dritte Widerstreit der reinen Vernunft mit sich selbst resultiert aus der Erweiterung der in der Kategorie Kausalität gedachten regressiven Synthesis der Bedingungen einer Erscheinung über die Grenzen der Erfahrung hinaus zur kosmologischen Idee der absolute[n] Vollständigkeit der Entstehung einer Erscheinung.247 Diese Erweiterung gründe in der Forderung der menschlichen Vernunft, zu einem gegebenen Bedingten das Unbedingte zu suchen. Da außerhalb der absoluten Totalität [W]as kann denn wohl die Freiheit des Willens sonst sein, als Autonomie, d. i. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein ? GMS BA 98. 241 KpV A 53f. 242 KpV A 53. 243 Vgl. KrV B 472f. 244 KpV A 53f. 245 KrV B 503. 246 KpV A 53. 247 KrV B 443. 240
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der Reihe der Bedingungen keine Bedingungen existierten, sei in ihr das Unbedingte notwendig enthalten, und zwar entweder in Gestalt der Totalität der Reihe selbst oder als ein Teil der Reihe, als erste unbedingte Ursache, der alle übrigen Glieder der Reihe, als bedingte Ursachen, untergeordnet seien.248 Aus den entgegengesetzten Formen, in denen das Unbedingte gedacht werden könne, entspringe der Widerstreit der reinen Vernunft mit sich selbst. Im ersten Fall sei die Reihe ohne Anfang, weil ohne erste, unbedingte Ursache, alle Ursachen unterlägen der Naturkausalität; im zweiten Fall habe die Reihe einen Anfang, es gebe eine unbedingte Ursache, mithin neben der Naturkausalität auch Kausalität durch Freiheit. Entsprechend laute die Thesis des Widerstreits: Die Kausalität nach Gesetzen der Natur ist nicht die einzige, aus welcher die Erscheinungen der Welt insgesamt abgeleitet werden können. Es ist noch eine Kausalität durch Freiheit zur Erklärung derselben notwendig.249 Die Antithesis laute: Es ist keine Freiheit, sondern alles in der Welt geschieht lediglich nach Gesetzen der Natur.250 Die Beweisführung für Thesis und Antithesis ist apagogisch. Sie geht von der Annahme des kontradiktorischen Gegenteils des zu Beweisenden aus und führt es auf einen Widerspruch. Der Beweis der Thesis geht von der Annahme aus, es gebe einzig Naturkausalität. Dann käme es zu einem unendlichen Regreß in der Synthesis der einander bedingenden Ursachen, das heißt die Vollständigkeit der Reihe dieser Ursachen wäre unmöglich. Nun besteht aber eben darin das Gesetz der Natur: daß ohne hinreichend a priori bestimmte Ursache nichts geschehe. Also widerspricht der Satz, als wenn alle Kausalität nur nach Naturgesetzen möglich sei, sich selbst in seiner unbeschränkten Allgemeinheit [...].251 Der Beweis der Antithesis geht von der Annahme aus, es gebe auch Kausalität durch Freiheit. Diese besondere Art von Kausalität wäre die einer unbedingten Ursache, spontan einen Zustand, mithin auch eine Reihe von Folgen desselben, schlechthin anzufangen; [...] so daß nichts vorhergeht, wodurch diese geschehende Handlung nach beständigen Gesetzen bestimmt sei.252 Die Idee einer solchen transzendentalen Freiheit stünde im Widerspruch zu dem Kausalgesetze, welches die Einheit der Erfahrung ermöglicht. Als Freiheit von den Gesetzen der Natur bedeutete sie auch Befreiung vom Leitfaden aller Regeln [...],253 das heißt Gesetzlosigkeit. Auf der Grundlage der Gesetzlosigkeit der Erscheinungswelt wäre die Einheit der Erfahrung und somit Wissenschaft unmöglich. Gegen die Darstellung der dritten Antinomie muß zunächst eingewandt werden, was bereits gegen die Antinomienlehre insgesamt vorgebracht wurde.254 Kant behauptet einerseits, der Widerstreit beruhe auf einer natürliche[n] Täuschung der gemei248 249 250 251 252 253 254
Vgl. KrV B 445f. KrV B 472. KrV B 473. KrV B 474. KrV B 473. KrV B 475. Vgl. in dieser Arbeit das Kapitel Die kosmologischen Ideen der Vernunft.
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nen Vernunft [...],255 welche den Unterschied zwischen Ding an sich und Erscheinung nicht kenne. Grundlage der Antinomie ist demnach die transzendental-realistische Einstellung, welche die gemeine Vernunft mit der vorkantischen Philosophie teilt. Andererseits konstruiert Kant aber den dritten Widerstreit unverkennbar mit den Mitteln des transzendentalen Idealismus. So ist in der Thesis von den Erscheinungen der Welt die Rede, im Beweis zur Thesis von eine[r] Reihe von Erscheinungen und von dem Gesetz der Natur: daß ohne hinreichend a priori bestimmte Ursache nichts geschehe. Dieses Gesetz verspricht laut dem Beweis der Antithesis dem Verstand durchgängige gesetzmäßige Einheit der Erfahrung. Das Gesetz, das im Hinblick auf die Erscheinungen der Welt Einheit der Erfahrung verspricht, ist der Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetze der Kausalität, die zweite Analogie der Erfahrung. Diese besagt: [N]ur dadurch, daß wir die Folge der Erscheinungen, mithin alle Veränderung dem Gesetze der Kausalität unterwerfen, [ist] selbst Erfahrung [...] möglich.256 Die Darstellung der dritten Antinomie suggeriert, die Gehalte vorkantischer Kosmologie könnten auf transzendental-idealistischer Grundlage konstruiert werden.257 Die dritte Antinomie entstehe dadurch, daß die regressive Synthesis des Verstandes entweder auf die Idee einer Welt gehe, in der auch Kausalität durch Freiheit bestehe (Thesis), oder aber auf die Idee einer Welt, in der alles der Naturkausalität unterliege (Antithesis). Jene Idee sei für die Synthesis zu klein, denn sie führe zwar auf eine erste Ursache, aber der Verstand frage sofort nach deren Warum, diese Weltidee sei für die Synthesis zu groß, denn sie führe auf keine erste Ursache und verliere sich im unendlichen Regreß. Der dritte Widerstreit gründet demnach darin, daß der Verstand zu erkennen trachtet, was er gemäß der transzendentalen Analytik prinzipiell nicht erkennen kann: die Welt, und er wird zunächst dadurch gehoben, daß an diesen Sachverhalt erinnert wird. Weil aber dieser Sachverhalt nicht nur dem dritten, sondern KrV B 528; vgl. B 534 f.; B 556. KrV B 234. 257 Auch die Mehrzahl der Interpreten sieht darin, soweit zu sehen ist, kein Problem. So meint Heimsoeth (1967) zwar zu Recht, daß Kant im dritten Widerstreit unter Kausalität nach Gesetzen der Natur jene Gesetzmäßigkeit versteht, die er im System der Grundsätze als Zweite der Analogien der Erfahrung transzendental begründet (237), und daß der Ausdruck Erscheinungen im transzendental-idealistischen Sinne zu verstehen ist. In der Erscheinungswelt handelt es sich, bei jener Weise der Kausalerklärung, immer und jedesmal um ein zeitliches Erfolgen. [...] Wir können auf diesem Wege also grundsätzlich nie auf einen ersten Anfang kommen. [...] Zugleich liegt es in dem Begriff von ›Natur‹, wie er vom Grundsatz der Kausalität her sich konstituiert, daß nichts in der Realität geschehe, ohne ›hinreichend‹, also doch eben vollständig determinierte Ursächlichkeit. (238 f.) Schließlich interpretiert Heimsoeth richtig, wenn er sagt: In der Wortverbindung: ›hinreichend a priori bestimmte Ursache‹ muß a priori in dem vor Kant gebräuchlichen Sinne genommen werden: a parte ante in der Herleitung. Die Apriorität des Kausalgesetzes steht für Kant natürlich grundsätzlich dahinter. (239 Anm. 72). Aber Heimsoeth macht sich nirgends zum Problem, ob denn Gehalte vorkritischen Bewußtseins transzendental– idealistisch konstruiert werden können. 255 256
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dem gesamten Widerstreit der Vernunftideen zugrunde liegt, spricht Kant bei der Hebung des Widerstreits von der Antinomie im Singular. So wird demnach die Antinomie der reinen Vernunft bei ihren kosmologischen Ideen gehoben, dadurch, daß gezeigt wird, sie sei bloß dialektisch und ein Widerstreit eines Scheins, der daher entspringt, daß man die Idee der absoluten Totalität, welche nur als eine Bedingung der Dinge an sich selbst gilt, auf Erscheinungen angewandt hat, die nur in der Vorstellung, und, wenn sie eine Reihe ausmachen, im sukzessiven Regressus, sonst aber gar nicht existieren.258 Der transzendentalphilosophisch aufgeklärten, kritischen Vernunft sei bewußt, daß das menschliche Erkenntnisvermögen nicht auf Dinge an sich, sondern auf empirisch Gegebenes, auf Erscheinungen gehe, deren Inbegriff, die Welt, nur eine Idee sei. [D]ie Welt ist [...] kein unbedingtes Ganzes, existiert also auch nicht als ein solches [...].259 Existiert die Welt der Erscheinungen nicht an sich, so entbehrt der Streit darüber, ob es eine Erzeugung und Hervorbringung aus Freiheit gebe, oder ob alles an der Kette der Naturordnung hänge,260 in der Tat jeder Grundlage.261 Allerdings ist dann aber an Kant die Frage zu richten, wie ein Widerstreit, der gemäß dem Lehrbegriff des Idealism gegenstandslos ist, auf der Grundlage dieses Lehrbegriffs konstruierbar sein soll. Der transzendentale Idealism als der Schlüssel zu Auflösung der kosmologischen Dialektik262 kann nicht zugleich die Grundlage ihrer Konstruktion sein. Ist die Welt gemäß der Einsicht des transzendentalen Idealismus kein vernünftiger Gegenstand des menschlichen Erkenntnisvermögens, kann sie mit Mitteln des transzendentalen Idealismus auch nicht dem dialektischen Scheine nach dazu gemacht werden. Der Widerstreit der Vernunft mit sich selbst kann nur auf transzendental-realistischer Grundlage entstehen. Wird er dagegen transzendental-idealistisch konstruiert, so ist kein Bewußtsein denkbar, das in ihm befangen wäre. KrV B 534. KrV B 533. 260 KrV B 509. 261 Schmucker (1990; 149): Denn eine Welt der Erscheinungen existiert nicht objektiv und unabhängig von unserer Subjektivität, sondern nur in unserer Vorstellung, sie geht als solche auch in ihren kausalen Abhängigkeiten grundsätzlich in indefinitum, d.h. sie ist immer begrenzt durch den aktuellen Vollzug der regressiven Synthesis der aufsteigenden Reihe, aber immer ins Unbegrenzte offen für weitere Synthesis. Außerdem widerspricht der Begriff einer unbedingten Spontaneität oder freien Kausalität als Prinzip der Weltreihe dem Begriff einer phänomenalen Welt. Wie sollte man sich die erste Verursachung einer Erscheinungsreihe, die nur in unserer Vorstellung existiert und nur in der Synthesis der phänomenalen kausalen Abhängigkeiten besteht, durch eine freie, spontane Ursache denken können? Eine freiwirkende erste Ursache der Weltreihe könnte überhaupt nur gedacht werden als causa noumenon, als Wirklichkeit an sich, die also einer grundsätzlich anderen Seinsdimension angehört, als es die Welt der Erscheinungen ist, nämlich der Seinsdimension der Wirklichkeit an sich. Als solche aber könnte sie sich nie unmittelbar ursächlich auf die Erscheinungswelt beziehen, sondern nur auf die transzendentalen Substrate der Erscheinungen, die ihrerseits der Ordnung der Wirklichkeit an sich zugehören. 262 KrV B 518. 258 259
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Sieht man davon ab, daß Kants Konfundierung transzendental-realistischer und -idealistischer Bestimmungen seine Antinomienlehre unhaltbar macht, und verfolgt die weitere Argumentation, so ergeben sich weitere Ungereimtheiten. Zunächst muß irritieren, daß Kant es nicht bei dem Nachweis beläßt, wonach die Welt als Ganze nicht existiert und es in der Reihe der Erscheinungen keinen den kosmologischen Ideen entsprechenden Gegenstand geben kann. Denn unterstellt, dies trifft zu, so folgt daraus doch, daß in allen Antinomien beide jeweils kontradiktorisch entgegengesetzten Urteile falsch sind. Wenn man die zwei Sätze: die Welt ist der Größe nach unendlich, die Welt ist ihrer Größe nach endlich, als einander kontradiktorisch entgegengesetzte ansieht, so nimmt man an, daß die Welt (die ganze Reihe der Erscheinungen) ein Ding an sich selbst sei. Denn sie bleibt, ich mag den unendlichen oder endlichen Regressus in der Reihe ihrer Erscheinungen aufheben. Nehme ich aber diese Voraussetzung, oder diesen transzendentalen Schein weg, und leugne, daß sie ein Ding an sich selbst sei, so verwandelt sich der kontradiktorische Widerstreit beider Behauptungen in einen bloß dialektischen, und weil die Welt gar nicht an sich (unabhängig von der regressiven Reihe meiner Vorstellungen) existiert, so existiert sie weder als ein an sich unendliches, noch als ein an sich endliches Ganzes. [...]/ Was hier von der ersten kosmologischen Idee [...] gesagt worden, gilt auch von allen übrigen.263 Mit dieser Einsicht, so wäre zu vermuten, sei die Antinomienlehre abgeschlossen. Es bliebe allenfalls übrig, diese allgemeine kritische Auflösung an den einzelnen Antinomien zu konkretisieren. In bezug auf den Widerstreit von Naturkausalität und Kausalität durch Freiheit ließe sich demnach nur sagen, daß er sinnlos ist. Das menschliche Erkenntnisvermögen vermag aufgrund seiner Beschränktheit auf das in der Anschauung empirisch Gegebene die kosmologische Streitfrage, ob Naturkausalität und Kausalität durch Freiheit vereinbar sind oder nicht, prinzipiell nicht zu entscheiden.264 Doch Kant argumentiert anders. Der Unterschied der mathematischen und dynamischen Kategorien sei bedeutsam für die Weise der Auflösung der entsprechenden Antinomien. Werde er berücksichtigt, eröffne sich eine ganz neue Aussicht in Ansehung des Streithandels, darin die Vernunft verflochten ist.265 In der mathematischen und dynamischen Synthesis seien die Reihen der Bedingungen zwar insofern gleichartig, als man lediglich auf die Erstreckung derselben sieht: ob sie der Idee anKrV B 532f. Demnach wäre die Theorie eines universellen Naturmechanismus à la d’Holbach von vornherein gegenstandslos. Sätze wie die folgenden zeigten nur, daß d’Holbach buchstäblich nicht wußte, wovon er sprach. Keine Wirkung entsteht in uns selbst oder in der Natur durch Zufall, ein Wort, das, wie schon bewiesen, gar keinen Sinn hat. Alles, was in uns vorgeht, und alles, was durch uns geschieht, ist, ebenso wie alles, was sich in der Natur ereignet oder was wir ihr zuschreiben, durch notwendige Ursachen bedingt, die auf Grund notwendiger Gesetze wirken und die notwendige Wirkungen hervorrufen, aus denen wiederum andere hervorgehen./ Die Fatalität ist die in der Natur festgesetzte ewige, unwandelbare, notwendige Ordnung oder die unvermeidliche Verbindung der Ursachen mit den von ihnen hervorgerufenen Wirkungen. (1770), 182. 265 KrV B 557. 263 264
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gemessen sind, oder ob diese für jene zu groß, oder zu klein seien. Allein der Verstandesbegriff, der diesen Ideen zum Grunde liegt, enthält entweder lediglich eine Synthesis des Gleichartigen, (welches bei jeder Größe, in der Zusammensetzung sowohl als Teilung derselben, vorausgesetzt wird,) oder auch des Ungleichartigen, welches in der dynamischen Synthesis, der Kausalverbindung sowohl, als der des Notwendigen mit dem Zufälligen, wenigstens zugelassen werden kann.266 Die dynamische Reihe sinnlicher Bedingungen erlaube im Unterschied zur mathematischen Reihe eine ungleichartige Bedingung zu denken, die nicht ein Teil der Reihe ist, sondern, als bloß intelligibel, außer der Reihe liegt.267 Indem das Unbedingte als außerhalb der Reihe der sinnlichen Bedingungen gedacht werde, werde es als mit der Reihe jederzeit bedingter sinnlicher Bedingungen verträglich gedacht. So werde der Forderung der Vernunft nach dem Unbedingten ein Genüge getan, ohne daß der empirisch bedingten Synthesis des Verstandes dadurch ein Eintrag geschehe.268 Daraus folge, daß die Vernunftsätze, in der auf solche Weise berichtigten Bedeutung, alle beide wahr sein können; welches bei den kosmologischen Ideen, die bloß mathematischunbedingte Einheit betreffen, niemals stattfinden kann, weil bei ihnen keine Bedingung der Reihe der Erscheinungen angetroffen wird, als die auch selbst Erscheinung ist und als solche mit ein Glied der Reihe ausmacht.269 Thesis und Antithesis der mathematischen Antinomien seien beide notwendig falsch, Thesis und Antithesis der dynamischen Antinomien könnten aber beide wahr sein. Für jene bleibe es beim Weder-Noch, für diese dagegen gelte nun ein Sowohl-als-Auch.270 KrV B 558; vgl. Prol. A 150 (§53): Die mathematische Verknüpfung nämlich setzt notwendig Gleichartigkeit des Verknüpften (im Begriffe der Größe) voraus, die dynamische erfordert dieses keinesweges. 267 KrV B 558. 268 Strawson (1966; 212) kritisiert zu Recht: Kant explicitly claims on behalf of this suggestion that it represents the only possible means of resolving the conflicts presented in the dynamical antinomies. The claim seems, on the face of it, preposterous, the suggested solution both redundant and irrelevant. The argument for the thesis in each of the two antinomies rests squarely [...] on the false presupposition that the relevant series of ›conditioned‹ items exists as a whole, and a solution on critical lines follows immediately from the falsity of this presupposition. 269 KrV B 560. 270 Die Formulierung, für die mathematischen Antinomien bleibe es bei dem Weder-Noch, für die dynamischen Antinomien dagegen gelte nun ein Sowohl-als-Auch, schließt aus, daß Kant das Weder-Noch von Anfang an nur auf die mathematischen Antinomien bezogen hat. Kants Formulierung in B 559: Dadurch nun, daß die dynamischen Ideen eine Bedingung der Erscheinungen außer der Reihe derselben [...] zulassen, geschieht etwas, was von dem Erfolg der Antinomie gänzlich unterschieden ist, bezieht sich auf die mathematischen und die dynamischen Antinomien. Heimsoeth wendet sich zu Recht gegen die in den Ausgaben von Hartenstein, Adickes, Erdmann sowie in der Akademieausgabe zu findende Korrektur: Erfolg der mathematischen Antinomien. Heimsoeth: Die neue ›Auflösung‹ im Sinne des Sowohl-Alsauch ergibt sich erst durch die ›Berichtigung‹ der in den dynamischen Antinomien verwandten Begriffe [...]. (1967; 333 Anm. 214) Freilich sieht Heimsoeth nicht, daß die Berichtigung nicht haltbar ist. 266
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Das Argument, die dynamische Reihe sinnlicher Bedingungen erlaube, eine ungleichartige Bedingung zu denken, die nicht ein Teil der Reihe sei, sondern, als bloß intelligibel, außer der Reihe liege, ist unhaltbar. Kant schließt aus dem Umstand, daß die Kategorie Kausalität ungleichartige Erscheinungen synthetisieren kann, darauf, daß sie eine intelligible Ursache der Reihe sinnlicher Bedingungen zu denken erlaube. Dieser Schluß beruht auf einer μετα´ βασιζ ει’ ζ α’´ λλο γε´ νοζ, denn die Ungleichartigkeit zwischen Erscheinungen ist von ganz anderer Art als die von Noumena und Phaenomena. Die Ungleichartigkeit zwischen Erscheinungen ist eine zwischen Gegenständen möglicher Erfahrung, die Ungleichartigkeit von Noumena und Phaenomena ist eine zwischen Gegenständen, die dem Bereich der Gegenstände möglicher Erfahrung angehören und solchen, die als bloß gedachte diesem Bereich nicht angehören. Jene Ungleichartigkeit gehört dem Bereich an, innerhalb dessen Kategorien allein objektive Geltung haben, diese aber ist selbst ein Noumenon im negativen Verstande, das diesen Bereich abgrenzt von der intelligiblen Sphäre, in der Kategorien keine objektive Gültigkeit haben. Die Auflösung der dritten Antinomie erfolgt in drei Schritten.271 Kant entwirft zuerst den Schattenriß der Auflösung unseres transzendentalen Problems.272 Dieser Schattenriß ist durch die berichtigte Bedeutung der dynamischen Antinomien vorgezeichnet, worauf Kant ausdrücklich hinweist.273 Gemäß dieser neuen Bedeutung der dynamischen Antinomien ist es erlaubt, eine außerhalb der Reihe sinnlicher Ursachen liegende intelligible Ursache dieser Reihe zu denken. Unter dieser Voraussetzung, so Kant, widersprechen sich Naturkausalität und Kausalität durch Freiheit im Hinblick auf ein und dasselbe Ereignis in der Sinnenwelt nicht, denn beide Arten der Kausalität sind dann nur Hinsichten, nach denen dieses Ereignis betrachtet werden kann. Kant bringt aber für die Auflösung des dritten Widerstreits nicht nur die neue Bedeutung der dynamischen Antinomien in Anschlag, sondern er identifiziert anscheinend die intelligible Ursache der Reihe sinnlicher Ursachen mit dem intelligiblen
Vgl. die Passage B 560-B 586, die eingeteilt ist in erstens: Auflösung der kosmologischen Ideen von der Totalität der Ableitung der Weltbegebenheiten aus ihren Ursachen (B 560), zweitens: Möglichkeit der Kausalität durch Freiheit in Vereinigung mit dem allgemeinen Gesetze der Naturnotwendigkeit (B 566) und drittens Erläuterung der kosmologischen Idee einer Freiheit in Verbindung mit der allgemeinen Naturnotwendigkeit (B 570). 272 KrV B 570. 273 Wenn Erscheinungen Dinge an sich selbst wären, mithin Raum und Zeit Formen des Daseins der Dinge an sich selbst: so würden die Bedingungen mit dem Bedingten jederzeit als Glieder zu einer und derselben Reihe gehören, und daraus auch in gegenwärtigem Falle die Antinomie entspringen, die allen transzendentalen Ideen gemein ist, daß diese Reihe unvermeidlich für den Verstand zu groß, oder zu klein ausfallen müßte. Die dynamischen Vernunftbegriffe aber [...] haben dieses besondere: daß, da sie es nicht mit einem Gegenstande, als Größe betrachtet, sondern nur mit seinem Dasein zu tun haben, man auch von der Größe der Reihe der Bedingungen abstrahieren kann, und es bei ihnen bloß auf das dynamische Verhältnis der Bedingung zum Bedingten ankommt [...]. KrV B 563f. 271
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Grund der Erscheinungen, dem Ding an sich. Wenn dagegen Erscheinungen für nichts mehr gelten, als sie in der Tat sind, nämlich nicht für Dinge an sich, sondern bloße Vorstellungen, die nach empirischen Gesetzen zusammenhängen, so müssen sie selbst noch Gründe haben, die nicht Erscheinungen sind. Eine solche intelligible Ursache aber wird in Ansehung ihrer Kausalität nicht durch Erscheinungen bestimmt, obzwar ihre Wirkungen erscheinen, und so durch andere Erscheinungen bestimmt werden können.274 Erscheinungen haben nicht nur nicht-sinnliche, intelligible Gründe, sondern diese intelligiblen Gründe sind zugleich intelligible Ursachen, die also samt ihrer Kausalität außer der Reihe [sind]; dagegen ihre Wirkungen in der Reihe der empirischen Bedingungen angetroffen werden. Die Wirkung kann also in Ansehung ihrer intelligiblen Ursache als frei, und doch zugleich in Ansehung der Erscheinungen als Erfolg aus denselben nach der Notwendigkeit der Natur, angesehen werden.275 Kant identifiziert hier die außerhalb der Reihe sinnlicher Bedingungen liegende intelligible Ursache dieser Reihe mit dem intelligiblen Grund der Erscheinungen, dem Ding an sich. Demnach thematisiert Kant hier das kosmologische, nicht das innerweltliche Freiheitsproblem,276 und er löst es, indem er, wie bereits Erdmann KrV B 565. KrV B 565. 276 Nach Kant gibt es einen Zusammenhang zwischen dem kosmologischen Problem der Freiheit und der innerweltlichen Freiheit der menschlichen Willkür. Der Beweis der Thesis, wonach neben der Naturkausalität Kausalität durch Freiheit notwendig anzunehmen sei, zeige diese Notwendigkeit eines ersten Anfangs einer Reihe von Erscheinungen aus Freiheit, zwar nur eigentlich insofern [...], als zur Begreiflichkeit eines Ursprungs der Welt erforderlich ist, indessen daß man alle nachfolgenden Zustände für eine Abfolge nach bloßen Naturgesetzen nehmen kann. Weil aber dadurch doch einmal das Vermögen, eine Reihe in der Zeit ganz von selbst anzufangen, bewiesen (obzwar nicht eingesehen) ist, so ist es uns nunmehr auch erlaubt, mitten im Laufe der Welt verschiedene Reihen, der Kausalität nach, von selbst anfangen zu lassen, und den Substanzen derselben ein Vermögen beizulegen, aus Freiheit zu handeln. (KrV B 476-478). Die transzendentale Idee der Freiheit entspringt Kant zufolge dem kosmologischen Nachdenken über das komparativ Erste, welchem immer ein anderes Erstes vorhergeht, was zu der Spekulation führt, es müsse, um die Reihe der Ursachen und Wirkungen zu begründen, ein absolut Erstes der Zeit und der Kausalität nach geben. Ist durch diese Spekulation auf den Ursprung[] der Welt (B 477) die transzendentale Idee der Freiheit in der Bedeutung eines Vermögens, eine Reihe in der Zeit von selbst anzufangen, eingeführt, so ist es auch erlaubt, Freiheit innerweltlich zu thematisieren als das Vermögen, mitten im Laufe der Welt (B 478) verschiedene Kausalreihen zu beginnen. Dabei sei allerdings zu unterscheiden, daß die transzendentale Idee der Freiheit in kosmologischer Hinsicht das Erste der Zeit und der Kausalität nach bedeute, im Hinblick auf das innerweltliche Geschehen dagegen nur das Erste der Kausalität nach bedeute. Die Trennung des der Zeit und Kausalität nach Ersten von dem allein der Kausalität nach Ersten ist konstitutiv für die Unterscheidung von kosmologischer und innerweltlicher Freiheit, da das Erste der Zeit und Kausalität nach aufgrund der Eindimensionalität der Zeit nur eines sein kann. Die Welt(reihe) kann nur einen Ursprung haben, während in der Welt unendlich viele Kausalreihen anfangen können. Dasjenige, was den Naturmechanismus in Gang setzt und dasjenige, was ihn jederzeit durchbrechen kann, ist nicht dasselbe. – Kants Ausführungen zum Zusammenhang 274 275
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konstatiert, die Freiheit als die nichtsinnliche aber gesetzmässige Causalität der Dinge an sich277 bestimmt. Kant versteht unter Freiheit, im kosmologischen Verstande, das Vermögen, einen Zustand von selbst anzufangen, deren Kausalität also nicht nach dem Naturgesetze wiederum unter einer anderen Ursache steht, welche sie der Zeit nach bestimmte.278 Wird den Dingen an sich Freiheit im kosmologischen Verstande zugesprochen, scheint damit der seit Jacobi gegen Kant erhobene Einwand, dessen Rede von dem Ding an sich als der unbekannten Ursache der Erscheinungen appliziere unzulässigerweise die Kategorie Kausalität, deren Gebrauch auf Erscheinungen restringiert sei, auf das Verhältnis des Noumenons Ding an sich zu Erscheinungen, entkräftet. Denn es handelte sich bei der den Dingen an sich zukommenden Kausalität um Kausalität durch Freiheit, nicht aber um die in der Erscheinungswelt herrschende Naturkausalität. Dennoch ist die These, den Dingen an sich käme Freiheit im kosmologischen Verstande zu, unhaltbar, denn sie verbindet die kosmologische Freiheit mit der Theorie der Affektion, die ihrerseits unhaltbar ist.279 Soll nämlich den Dingen an sich Kausalität eignen, wofür immerhin zahlreiche Passagen der Kritik der reinen Vernunft sprechen, so ist diese Kausalität innerhalb des Kantischen Kontextes nur als Einwirken der Dinge an sich auf die Sinnlichkeit des Subjekts, das heißt als Affektion zu verstehen. Die Behauptung, den Dingen an sich eigne Freiheit im kosmologischen Verstande, begreift die Affektion des Subjekts als Manifestation von transzendentaler Freiheit [...].280 In den beiden folgenden Abschnitten ist nicht mehr von Erscheinungen überhaupt und ihrem intelligiblen Grund die Rede, sondern von dem Menschen, der als Subjekt[] der Sinnenwelt281 Erscheinung ist, als vernunftbegabtes Sinnenwesen aber ein
zwischen kosmologischer und innerweltlicher Freiheit sind nebulös. Dieser Zusammenhang sei ein ›erlaubter‹ – also, so ist zu ergänzen, kein notwendiger. Ist er nicht notwendig, dann kann das Thema der innerweltlichen Freiheit der menschlichen Willkür offenbar auch unabhängig von der kosmologischen Frage erörtert werden. Davon abgesehen macht Kants Argument keinen Sinn, weil es in der Anmerkung zum Beweis der Thesis des dritten Widerstreits steht, welcher durch den der Antithesis aufgehoben wird. 277 Erdmann (1878; 69). Viele Kant-Interpreten sind ihm darin gefolgt. Im übrigen ist der Wortlaut der Passage so eindeutig, daß Schmuckers Kritik, wer sich strikt an den Wortlaut halte, sitze offensichtlich einer Fehldeutung auf, nicht überzeugt. So wie der Satz formuliert ist, könnte man Kant die Auffassung unterstellen, daß alle Erscheinungen nicht nur Gründe haben, die nicht Erscheinung sind (transzendentale Objekte), sondern diese auch eo ipso intelligible Ursachen darstellen, [...] so daß bei allen Erscheinungen ›die Wirkung ... in Ansehung ihrer intelligibelen Ursache als frei, und doch zugleich in Ansehung der Erscheinungen als Erfolg aus denselben nach der Notwendigkeit der Natur angesehen werde‹. (1990; 301f.) 278 KrV B 561. 279 Vgl. in dieser Arbeit die Kapitel Affektion und Ding an sich und Selbstaffektion und transzendentaler Gegenstand. 280 Ertl (1998), 88. 281 KrV B 567.
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Vermögen hat, welches ihn zum intelligiblen Grund, das heißt zum Subjekt seiner Handlungen macht. Der Mensch ist eine von den Erscheinungen der Sinnenwelt, und insofern auch eine der Naturursachen, deren Kausalität unter empirischen Gesetzen stehen muß. Als eine solche muß er demnach auch einen empirischen Charakter haben, so wie alle anderen Naturdinge. Wir bemerken denselben durch Kräfte und Vermögen, die es in seinen Wirkungen äußert. Bei der leblosen, oder bloß tierischbelebten Natur, finden wir keinen Grund, irgendein Vermögen uns anders als bloß sinnlich bedingt zu denken. Allein der Mensch, der die ganze Natur sonst lediglich nur durch Sinne kennt, erkennt sich selbst auch durch bloße Apperzeption, und zwar in Handlungen und inneren Bestimmungen, die er gar nicht zum Eindrucke der Sinne zählen kann, und ist sich selbst freilich einesteils Phänomen, anderenteils aber, nämlich in Ansehung gewisser Vermögen, ein bloß intelligibler Gegenstand, weil die Handlung desselben gar nicht zur Rezeptivität der Sinnlichkeit gezählt werden kann.282 Der Umstand, daß Kant zunächst Freiheit im kosmologischen Verstande als denkmöglich dartut, indem er die Dinge an sich als intelligible Ursachen aller Erscheinungen bestimmt und erst hernach auf die innerweltliche Freiheit und auf die besondere Erscheinung Mensch rekurriert, legt den Schluß nahe, Kant habe nach dem Schema der Subalternation von der universellen auf die partikuläre Aussage geschlossen: Wenn alle Dinge an sich frei sind, und der Mensch auch als Ding an sich angesehen werden kann, dann ist auch der Mensch frei.283 Doch dieser Schluß ist so unhaltbar wie das Theorem der Affektion des Subjekts durch das Ding an sich. Wenn wir nämlich die Frage nach der Freiheit einer im landläufigen Sinn typischen intentionalen Handlung erwägen, beispielsweise das Aufstehen einer Person von einem Stuhl, so geht es uns dabei gerade nicht um die Veränderung, die ein solches Ereignis im sensorischen Apparat eines Betrachters bewirkt, sondern um das Ereignis selbst.284 Kant befindet, es sei überaus merkwürdig, daß auf die transzendentale Idee der Freiheit im kosmologischen Sinne sich der praktische Begriff derselben gründe.285 Merkwürdig ist dies, gegen Kant, zunächst deshalb, weil der transzendentale Begriff der Freiheit, so wie er in den Abschnitten über die dritte Antinomie und deren Auflösung entwickelt wird, von Inkonsistenzen und Aporien durchsetzt ist.286 Merkwürdig ist es sodann, weil es dem Vorrang der praktischen Vernunft zu widerstreiten scheint. Würde die Aufhebung der transzendentalen Freiheit zugleich alle praktische KrV B 574f. Vgl. Ertl (1998), 28. 284 Ertl (1998), 98. 285 KrV B 561; vgl. aber KrV B 831, wo Kant erklärt: Die Frage wegen der transzendentalen Freiheit betrifft bloß das spekulative Wissen, welche wir als ganz gleichgültig beiseite setzen können, wenn es um das Praktische zu tun ist [...]. 286 Diese lassen sich kaum auf den einen Nenner bringen, wonach Kants Freiheitsidee Befreiendes und Resignierendes gleicherweise offenbart, wie Schweppenhäuser (1972; 18) im Anschluß an Adorno feststellt. 282 283
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Freiheit vertilgen,287 dann wäre der Begriff der transzendentalen Freiheit dem der praktischen systematisch vorausgesetzt. Diese Merkwürdigkeit versucht Kant in der Kritik der praktischen Vernunft zu klären. Indem die zweite Kritik die Wirklichkeit der reinen praktischen Vernunft und ihrer Begriffe beweise, stehe auch die transzendentale Freiheit nunmehro fest.288 Kant zufolge hat die erste Kritik im Medium der spekulativen, theoretischen Vernunft gezeigt, daß die Möglichkeit von Freiheit notwendig anzunehmen ist. Aufgabe der zweiten Kritik sei es, die Realität der Freiheit durch ein apodiktisches Gesetz der praktischen Vernunft zu beweisen und damit den Schlußstein von dem ganzen Gebäude eines Systems der reinen, selbst der spekulativen, Vernunft289 zu setzen. Die Realität der Freiheit werde erkannt durch das Bewußtsein des moralischen Gesetzes, welches ein unmittelbares Bewußtsein oder ein Faktum der Vernunft290 sei. Der Ausdruck Faktum der Vernunft ist äquivok. Er bezeichnet zum einen die Art, wie das Bewußtsein des moralischen Gesetzes für ein empirisches Subjekt ist: Es findet dieses Bewußtsein faktisch in sich vor, sobald es Maximen entwirft.291 Er bezeichnet zum anderen, daß man dieses Bewußtsein nicht aus vorhergehenden Datis der Vernunft, z. B. dem Bewußtsein der Freiheit [...], herausvernünfteln292 oder ableiten kann. In der ersten Bedeutung beschreibt er eine Erfahrung, von der Kant behauptet, daß sie jedermann geläufig ist. Die drastischen Beispiele sollen diese Erfahrung illustrieren.293 In der zweiten Bedeutung beschreibt er keine Erfahrung, sondern ist gewissermaßen eine transzendentalphilosophische Reflexionsbestimmung294 des moralischen Bewußtseins, die besagt, daß die Geltung des moralischen Gesetzes nicht bewiesen, das Gesetz nicht deduziert werden kann.295 [D]as moralische Gesetz [ist] gleichsam als ein Faktum KrV B 562. KpV A 4. 289 KpV A 4. 290 KpV A 56. 291 KpV A 53. 292 KpV A 56. Schon der Terminus ›Faktum‹ läßt durchblicken, daß Kant seine Bemühungen um eine Deduktion der Sittlichkeit aus der Selbstgewißheit des Denkens und dessen evidenten Prinzipien für gescheitert erklärt. Forschner (1974), 250. 293 Vgl. etwa KpV A 54. 294 Gewissermaßen, denn zufolge der ersten Kritik gehört die Moralphilosophie nicht zur Transzendentalphilosophie (KrV B 508). Diese Trennung hebt Kant aber tendenziell auf, and though he never explicitly included moral philosophy in transcendental philosophy, we [...] see the full apparatus of the transcendental philosophy in discussions included in the Critique of Practical Reason (Beck 1960; 9 f. FN 21). Zu Kants Bestimmung des Verhältnisses von Transzendentalphilosophie und Moralphilosophie in den Einleitungen der ersten Kritik vgl. jetzt K. Cramer (2001). 295 Vgl. Kuhne (2001); vgl. in dieser Arbeit den Fichte-Teil. Fichte bestreitet nicht, daß das Bewußtsein des moralischen Gesetzes nicht aus irgendwelchen Datis der Vernunft abzuleiten ist, wohl aber, daß seine Charakterisierung als Faktum der Vernunft das letzte Wort sein muß. Die Sittenlehre (§§2f.) beansprucht, die Genese des Faktums aus der Tätigkeit der Selbstbestimmung 287 288
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der reinen Vernunft, dessen wir uns a priori bewußt sind und welches apodiktisch gewiß ist, gegeben, gesetzt, daß man auch in der Erfahrung kein Beispiel, da es genau befolgt wäre, auftreiben konnte. Also kann die objektive Realität des moralischen Gesetzes durch keine Deduktion, durch alle Anstrengung der theoretischen, spekulativen oder empirisch unterstützten Vernunft, bewiesen [...] werden, und steht dennoch für sich selbst fest.296 Das moralische Gesetz sei weder einer Deduktion fähig noch bedürftig, denn wir seien uns seiner unmittelbar bewußt.297 Dagegen diene es selbst zum Prinzip des Ich darzustellen. [D]urch eine solche Deduction [werden] auch noch mancherlei andere Vortheile erreicht. Abgerechnet, daß man nichts ganz und recht versteht, als dasjenige, was man aus seinen Gründen hervorgehen sieht, und daß sonach nur durch eine solche Ableitung die vollkommenste Einsicht in die Moralität unsers Wesens hervorgebracht wird; wird auch durch die Begreiflichkeit, die der sogenannte categorische Imperativ dadurch erhält, der Anschein einer verborgnen Eigenschaft, (qualitas occulta) den er bisher, freilich ohne positive Veranlassung des Urhebers der Vernunft-Kritik, trug, am besten entfernt, und die dunkle Region für allerhand Schwärmereien, die sich dadurch darbot (z.B. eines durch die Gottheit lebhaft angeregten Sittengesetzes, u. dergl.) am sichersten vernichtet. SL 62 [50]. 296 KpV A 81f. Adorno (1966; 240) hält nur die erste Bedeutung fest. Kants These von der Gegebenheit des Sittengesetzes unabhängig vom philosophischen Bewußtsein sei heteronom und autoritär, hat aber ihr Wahrheitsmoment daran, daß sie den puren Vernunftcharakter des Sittengesetzes einschränkt. Würde die Eine Vernunft streng genommen, so könnte sie keine andere sein als die unverkürzte, philosophische. Adornos These ist nicht plausibel. Ebensogut könnte gesagt werden, der pure logische Charakter des Satzes vom zu vermeidenden Widerspruch werde dadurch eingeschränkt, daß sich im Alltag auch Menschen, die nicht Logiker von Profession sind, daran halten. – Nach Bittner (1983) spricht gegen die erste Bedeutung, daß das Vernünftige nicht von der Art sein [kann], daß es sich uns aufdringt. Wir müssen es als unser eigen begreifen, uns in ihm wiedererkennen können. (142) Diese These ist problematisch. Indem sie negiert, daß die Einsicht in die Wahrheit einer Erkenntnis, die sich subjektiv, auf seiten des Subjekts, als Evidenz äußert, sich objektiv, von seiten des Gegenstandes der Erkenntnis, als Offenbarung seiner Bestimmtheit äußert, macht sie die Bestimmtheit des Gegenstandes zum Resultat rein subjektiver Konstruktion. 297 Daß Kant die Nicht-Deduzierbarkeit des moralischen Gesetzes in einem Abschnitt feststellt, der Von der Deduktion der Grundsätze der reinen praktischen Vernunft überschrieben ist, mag ebenso wie manche andere Unklarheit im Aufbau der zweiten Kritik darauf zurückzuführen sein, daß Kant nahezu alle seine wichtigsten Partien in großer Eile niedergeschrieben hat (Henrich 1975; 108 FN 30). Andererseits deutet die Überschrift auf Kants Versuche einer solchen Deduktion in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten zurück. Dazu Henrich (1960; 1975). – Fleischer (1963) führt die Begründung [!] des Gesetzes als Faktum der reinen Vernunft (400) auf einen im Vergleich zur Grundlegung veränderten Blick auf das Wesen des Menschen zurück. In der Grundlegung erscheint der Mensch als Zweiheit von reiner und sinnlich affizierter Vernunft, und der Anspruch, den die letztere gegen das Sittengesetz glaubt erheben zu können, ist gewichtig genug, um durch die Begründung des kategorischen Imperativs zurückgewiesen werden zu müssen. In der Kritik der praktischen Vernunft erscheint der Mensch als Zweiheit von reiner Vernunft und Tier, und die Vernunft hat sich zwar um die Bedürftigkeit des Sinnenwesens zu kümmern, aber sie ist stark genug, um nicht durch die Ansprüche der Sinnlichkeit in einen Streit mit sich selbst geraten zu können. (402f.).
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der Deduktion298 der Freiheit. Kant rekurriert auf die in der Vorrede bereits getroffene Unterscheidung zwischen dem moralischen Gesetz als Erkenntnisgrund der Freiheit und der Freiheit als dem Seinsgrund des moralischen Gesetzes, um sie jetzt auf die transzendentale Idee der Freiheit zu beziehen und den Schlußstein des Gebäudes der reinen Vernunft zu markieren. Das moralische Gesetz ist in der Tat ein Gesetz der Kausalität durch Freiheit, und also der Möglichkeit einer übersinnlichen Natur [...] und [...] bestimmt also das, was spekulative Philosophie unbestimmt lassen mußte, nämlich das Gesetz für eine Kausalität, deren Begriff in der letzteren nur negativ war, und verschafft diesem also zuerst objektive Realität.299 Indem das moralische Gesetz den in der ersten Kritik bloß negativ bestimmten Begriff der Freiheit als Unabhängigkeit von empirischen Bestimmungsgründen positiv als Autonomie bestimme, beweise es seine Realität; indem es zum Prinzip der Deduktion der objektiven Realität des Begriffs der Freiheit diene, diene umgekehrt der Begriff der Freiheit ihr als Kreditiv.300 Moralisches Gesetz und Freiheit verweisen nach Kant wechselweise aufeinander, sind aber nicht zirkulär bestimmt, denn beide haben die Seite der Unabhängigkeit. Das moralische Gesetz sei als Vernunftfaktum unmittelbar bewußt; die Idee der Freiheit anzunehmen sei, wie die erste Kritik zeige, ein ›Bedürfnis‹301 der theoretischen spekulativen Vernunft.
6. Selbständigkeit und Unselbständigkeit der Moral Kant zufolge bedarf die Moral zum Behuf ihrer selbst [...] keinesweges der Religion [...], führt aber unumgänglich zur Religion, wodurch sie sich zur Idee eines machthabenden moralischen Gesetzgebers außer dem Menschen erweitert, in dessen Willen dasjenige Endzweck (der Weltschöpfung) ist, was zugleich der Endzweck des Menschen sein kann und soll.302 Diese Charakterisierung des Verhältnisses von Moral und Religion zu Beginn der Religionsschrift rekapituliert ein Resultat der Dialektik der Kritik der praktischen Vernunft. Danach führt das moralische Gesetz durch den Begriff des höchsten Guts, als das Objekt und den Endzweck der reinen praktischen Vernunft, zur Religion, d. i. zur Erkenntnis aller Pflichten als göttlicher Gebote [...].303 Führt das moralische Gesetz durch den Begriff des höchsten Guts unumgänglich zur Religion, dann ist zu fragen, inwiefern überhaupt von einer Selbständigkeit der Moral gegenüber der Religion die Rede sein kann, und die Antwort auf diese Frage erheischt eine Untersuchung des Zusammenhangs von moralischem Gesetz und höchstem Gut.304 KpV A 82. KpV A 82. 300 KpV A 83. 301 KpV A 83. 302 RGV BA IIIf. u. BA IXf. – Der erste Teil dieses Kapitels ist die überarbeitete Fassung von Kuhne (2005). 303 KpV A 233. 304 Silber (1964; 386) betont zu Recht, daß die Analyse, Ableitung und Entwicklung des Begriffs 298 299
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Das moralische Gesetz wird in der Analytik der Kritik der praktischen Vernunft aufgewiesen als unbedingte Bedingung aller moralisch möglichen Maximen und Zwecksetzungen, die selbst keine bestimmten Maximen oder Zwecksetzungen vorschreibt, sondern nur die Form der allgemeinen Gesetzmäßigkeit, die diese erfüllen müssen. Das Bewußtsein des moralischen Gesetzes ist ein Faktum der Vernunft, vermittels dessen wir uns unserer Freiheit (Autonomie) bewußt sind. Das höchste Gut ist thematisch in der Dialektik der Kritik der praktischen Vernunft. Kant führt den Begriff ein, indem er eine Parallele zwischen praktischem und theoretischem Vernunftgebrauch herstellt und zugleich die Unbedingtheit des höchsten Guts von der des moralischen Gesetzes unterscheidet: Die reine Vernunft hat jederzeit ihre Dialektik, man mag sie in ihrem spekulativen oder praktischen Gebrauche betrachten; denn sie verlangt die absolute Totalität der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten [...]./ [D]er Vernunft in ihrem praktischen Gebrauche geht es um nichts besser [als in ihrem theoretischen Gebrauche]. Sie sucht, als reine praktische Vernunft, zu dem praktisch-Bedingten (was auf Neigungen und Naturbedürfnis beruht) ebenfalls das Unbedingte, und zwar nicht als Bestimmungsgrund des Willens, sondern, wenn dieser auch (im moralischen Gesetze) gegeben worden, die unbedingte Totalität des Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft, unter dem Namen des höchsten Guts.305 Das Unbedingte als Bestimmungsgrund des Willens, das moralische Gesetz, sei in der Analytik gegeben worden. Das Unbedingte als Totalität des Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft zu suchen sei Aufgabe der reinen praktischen Vernunft, die dadurch dialektisch werde. Kant führt im folgenden nicht aus, worin die Dialektik der reinen praktischen Vernunft näher besteht, sondern behauptet, wieder in Parallele zur ersten Kritik, eine Antinomie der reinen praktischen Vernunft in der Bestimmung des höchsten Guts. Der Begriff des höchsten Guts enthalte die Bestimmungen der Sittlichkeit (Tugend) und Glückseligkeit, welche als moralische und nicht-moralische Begriffe des Guten nicht analytisch, sondern nur synthetisch, und, weil sie ein praktisches Gut beträfen, nur als Ursache und Wirkung verknüpft sein könnten. Demnach müsse entweder die Begierde nach Glückseligkeit die Bewegursache zu Maximen der Tugend, oder die Maxime der Tugend muß die wirkende Ursache der Glückseligkeit sein.306 Entgegen Kants Behauptung liegt hier keine Antinomie vor, denn einmal ist von der Begierde nach Glückseligkeit als Ursache, dann aber von der Glückseligkeit als Wirkung die Rede. Mithin wird hier nicht dasselbe Element des höchsten Guts als Ursache und Wirkung gesetzt.
des höchsten Guts das zentrale Problem der Kritik der praktischen Vernunft ausmacht. Es überrascht deshalb, daß Bittner (1983) offenbar meint, ganz ohne Rekurs auf das höchste Gut und die Dialektik der reinen praktischen Vernunft über Moralität und Autonomie bei Kant aufklären zu können. 305 KpV A 192ff. 306 KpV A 204.
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Wenn Kant den Begriff des höchsten Guts einführt, indem er eine Parallelität von praktischem und theoretischem Vernunftgebrauch behauptet; wenn er nach dem Vorbild der theoretischen Vernunft von einer Dialektik spricht, ohne diese näher zu bestimmen, und von einer Antinomie, die aber keine ist, dann erweckt er den Verdacht, die Lehre vom höchsten Gut und mit ihr die ganze Dialektik sei nicht sachlich begründet, sondern durch das Interesse am symmetrischen Aufbau von erster und zweiter Kritik motiviert.307 Die Parallele dennoch ernst genommen, müßte die Dialektik der reinen praktischen Vernunft einen Schein thematisieren und kritisch auflösen. Ein solcher Schein und seine Kritik widerspräche aber Kants Feststellung aus der Vorrede, wonach reine praktische Vernunft ihre und ihrer Begriffe Realität durch die Tat [...]308 beweise, weswegen nicht sie, wohl aber die praktische Vernunft als ganze kritisiert werden müsse.309 Nun führt Kant neben dem formalen Verweis auf die vermeintlich parallele Struktur beider Arten des Vernunftgebrauchs noch ein ganz anderes Argument für die Thematisierung des höchsten Guts an. Danach kann Tugend nicht das ganze Gut oder die Totalität des Gegenstandes des vernünftig bestimmten Willens endlicher Wesen sein, vielmehr wird auch Glückseligkeit dazu erfodert, und zwar nicht bloß in den parteiischen Augen der Person, die sich selbst zum Zwecke macht, sondern selbst im Urteile einer unparteiischen Vernunft, die jene [Person] überhaupt in der Welt als Zweck an sich betrachtet.310 In den unparteiischen Augen der reinen praktischen Vernunft wäre es unvernünftig, wenn das der Glückseligkeit bedürftige, aufgrund seiner moralischen Bestimmung des Willens auch würdige, endliche Wesen der Glückseligkeit nicht teilhaftig werden könnte. Zwar hat die Analytik gezeigt, daß die Moral nicht auf materialen praktischen Grundsätzen des bedürftigen Wesens gründen kann, doch wäre es nach der Dialektik unvernünftig, sie auf die vollständige Negation der bedürftigen Seite des endlichen Wesens zu gründen.311 Mit dem Begriff der Totalität
Schon Schopenhauer (1819; 509) attestiert Kants Geist eine ganz individuelle Eigenthümlichkeit, nämlich ein sonderbares Wohlgefallen an der Symmetrie, welche die bunte Vielheit liebt, um sie zu ordnen und die Ordnung in Unterordnungen zu wiederholen, und so immerfort [...]. Ja er treibt dies bisweilen bis zur Spielerei, wobei er, jener Neigung zu Liebe, so weit geht, der Wahrheit offenbare Gewalt anzuthun [...]. Nach Sala (2004; 238f.) ist die Anwendung der Kantischen Idee vom Unbedingten auf den Begriff des höchsten Gutes und die daraus sich ergebende Dialektik in Form einer Antinomie ein künstliches Netz, das um des Parallelismus zur ersten Kritik willen über ein reales Problem ausgelegt wurde. Das reale Problem ist kein anderes als die Frage nach dem Endzweck jener unbedingten Forderung, unter der der Mensch als moralisches Wesen steht. 308 KpV A 3. 309 Das hindert Kant nicht zu behaupten, daß reine praktische Vernunft sich in Widersprüche mit sich selbst verstricke, welche zur Kritik ihres eigenen Vermögens nötigen. KpV A 196. 310 KpV A 198f. 311 Dies übersieht Dorschel (1992; 75), wenn er meint: Das Glück, das angeblich zur Moralität hinzutreten, ihr gegenüber etwas Neues bedeuten sollte, ist also die Moralität noch einmal. 307
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des Gegenstandes der reinen praktischen Vernunft kehrt deshalb unter dem Titel der Glückseligkeit wieder in die Moral zurück, was die Analytik aus ihr entfernt hatte: die Materie des Willens, das Objekt des Wollens. Das notwendige Objekt des moralisch bestimmten Willens des endlichen Wesens sei die Bewirkung oder Beförderung312 des höchsten Guts in der Welt.313 Der reine Wille sei dadurch nicht heteronom, denn in der synthetischen Verbindung von Sittlichkeit und Glückseligkeit sei jene Grund, diese aber Folge. Glückseligkeit ist der Zustand eines vernünftigen Wesens in der Welt, dem es, im Ganzen seiner Existenz, alles nach Wunsch und Willen geht, und beruhet also auf der Übereinstimmung der Natur zu seinem ganzen Zwecke, imgleichen zum wesentlichen Bestimmungsgrunde seines Willens.314 Der ganze Zweck des vernünftigen Wesen ist das höchste Gut. Das höchste Gut zu befördern sei Pflicht – es müsse also doch möglich sein [...].315 Soll das höchste Gut durch Handeln bewirkt werden können, dürfen die Natur als der Inbegriff der empirischen Bedingungen seiner Realisierbarkeit und das moralische Gesetz als Bestimmungsgrund des Willens des handelnden Subjekts nicht völlig heterogen sein. [A]us bloßer unparteiischer Vernunft316 wird daher der moralische Gottesbeweis geführt und das Dasein einer von der Natur unterschiedenen Ursache der gesamten Natur, welche den Grund [...] der genauen Übereinstimmung der Glückseligkeit mit der Sittlichkeit, enthalte, postuliert.317 Der moralisch bestimmte Wille des endlichen Wesens könne zwar nicht unmittelbar Ursache der Übereinstimmung von Sittlichkeit und Glückseligkeit sein, wohl aber könne er es mittelbar, nämlich vermittels Gottes als des intelligiblen Grundes, in dem moralisch bestimmter Wille und Natur aufeinander bezogen seien.318 Gott sei moralisch notwendig319 zu denken als Urheber der unter Naturkausalität stehenden empirischen Realität, der als handelndes Wesen selbst eine Kausalität habe, die der der moralischen Gesinnung des endlichen Wesens gemäß sei.320 Kant zufolge trifft die Lehre vom höchsten Gut und dem Dasein Gottes als seiner notwendigen Bedingung den vernünftigen Kern der christlichen Morallehre. Deren Begriff des Reiches Gottes sei vereinbar mit dem des höchsten Guts der reinen praktischen Vernunft. Überhaupt sei die christliche Lehre insoweit vernünftig, als ihr Prinzip die Autonomie der reinen praktischen Vernunft für sich selbst sei und sie die Triebfeder zur Befolgung der moralischen Gesetze nicht in den gewünschten Folgen[] derselben, sondern in der Vor-
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KpV A 196. KpV A 226. KpV A 224. KpV A 225. KpV A 224. KpV A 225. Vgl. KpV A 206f. KpV A 226. Vgl. KpV A 225f.
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stellung der Pflicht allein setzt.321 Religion, sofern sie vernünftig sei, sei die Erkenntnis aller Pflichten als göttlicher Gebote, aber nicht als Verordnungen[] eines fremden Willens, sondern als wesentlicher Gesetze eines jeden freien Willens für sich selbst [...],322 weswegen die Autonomie gewahrt bleibe. Die Hereinnahme der Glückseligkeit in die Moral mache diese deshalb nicht zu einer Lehre, wie wir uns glücklich machen, sondern wie wir der Glückseligkeit würdig werden sollen.323 Das Postulat vom Dasein Gottes sei, wie alle Postulate der reinen praktischen Vernunft, ein theoretischer Satz, der einem a priori unbedingt geltenden praktischen Gesetze unzertrennlich anhänge, als theoretischer Satz aber nicht erweislich sei.324 Theoretisch sei das Postulat, weil es auf ein Sein und nicht wie praktische Sätze auf ein Sollen gehe. Nicht erweislich sei es, weil dieses Sein nicht in der Anschauung gegeben sei. Allein das Bedürfnis der reinen praktischen Vernunft, das geforderte höchste Gut als möglich denken zu können, lasse auf das Dasein Gottes als Bedingung seiner Möglichkeit schließen. Weil der theoretische Satz vom Dasein Gottes in einem Bedürfnis der reinen praktischen Vernunft gründe, werde durch ihn nicht erkannt, daß und was Gott an ihm selbst sei, sondern an seine objektive Realität lediglich geglaubt.325 Das höchste Gut zu befördern sei Pflicht, an das Dasein Gottes zu glauben sei nicht Pflicht, aber moralisch notwendig.326 Es ist Pflicht, das höchste Gut nach unserem größten Vermögen wirklichzumachen; daher muß es doch auch möglich sein; mithin ist es für jedes vernünftige Wesen in der Welt auch unvermeidlich, dasjenige vorauszusetzen, was zu dessen objektiver Möglichkeit notwendig ist. Die Voraussetzung ist so notwendig, als das moralische Gesetz, in Beziehung auf welches sie auch nur gültig ist.327 Ist das Postulat vom Dasein Gottes ein theoretischer Satz, der in einem Bedürfnis der reinen praktischen Vernunft gründet, welches seinerseits auf der Pflicht, das höchste Gut zu befördern, gründet, welche ihrerseits im moralischen Gesetz gründet,328 dann bedarf die Moral zum Behuf ihrer selbst nur dann nicht der Religion, wenn die verpflichtende Kraft des moralischen Gesetzes unabhängig ist von der Möglichkeit KpV A 232. KpV A 233. 323 KpV A 234. Daß damit etwas für die sinnliche Seite des endlichen Vernunftwesens gewonnen ist, kann nicht gesagt werden. Ist nämlich die Unsterblichkeit der Seele eine notwendige Bedingung der Möglichkeit der Bewirkung des höchsten Guts (KpV A 220), so stellt sich die Frage, wie eine Seele nach dem Tod ihres empirischen Trägers noch zu solcher Bewirkung qua Handeln fähig sein soll. Auf einen anderen Widersinn hat Schweitzer (1899; 181) hingewiesen: Indem Kant die Annahme unserer unendlichen Existenz [...] nur in Hinsicht der Möglichkeit der Heiligkeit des Vernunftwesens als Forderung aufstellt, wird die moralische Beurteilung unseres irdischen Daseins irrelevant. 324 Vgl. KpV A 220. Zur Postulatenlehre vgl. auch Wimmer (1990), 81ff. 325 Vgl. KpV A 227. 326 Vgl. KpV A 226. 327 KpV A 259 Anm. 328 Vgl. KpV A 256f. 321 322
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des höchsten Guts. Daß dem so sei, wird Kant nicht müde zu behaupten. Tatsächlich aber ist diese Behauptung unvereinbar mit seiner Argumentation in der Dialektik. Ist es nämlich Pflicht, das höchste Gut zu befördern, dann muß dieser Endzweck moralischen Handelns auch möglich sein, und das heißt Kant zufolge: Seinen notwendigen Bedingungen muß moralisch notwendig objektive Realität zugesprochen werden. Ohne den Glauben an das Dasein Gottes entfiele für das endliche Vernunftwesen die Möglichkeit des höchsten Guts. Sein moralisches Handeln wäre zwecklos, damit aber auch sinnlos. Weil es gleichgültig wäre, ob moralisch oder nicht moralisch gehandelt würde, hätte das Gesetz keine verpflichtende Kraft.329 Es wäre nicht mehr als kategorischer Imperativ, sondern nur noch als theoretisches Gesetz zu denken, dem reine Intelligenzen, sollten sie existieren, notwendig unterlägen. In diesem Sinne ist Kants, vor dem Hintergrund seiner sonstigen Argumentation allerdings irritierende, Bemerkung von der wechselseitigen Abhängigkeit von moralischem Gesetz und höchstem Gut zu lesen: Da nun die Beförderung des höchsten Guts [...] ein a priori notwendiges Objekt unseres Willens ist, und mit dem moralischen Gesetze unzertrennlich zusammenhängt, so muß die Unmöglichkeit des ersteren auch die Falschheit des zweiten beweisen. Ist also das höchste Gut nach praktischen Regeln unmöglich, so muß auch das moralische Gesetz, welches gebietet, dasselbe zu befördern, phantastisch und auf leere eingebildete Zwecke gestellt, mithin an sich falsch sein.330 Kant will diese Bemerkung freilich gerade nicht in dem Sinne verstanden wissen, daß mit der Unmöglichkeit des höchsten Guts die verpflichtende Kraft des moralischen Gesetzes entfiele. Er hält vielmehr um den Preis des Widerspruchs an der Unabhängigkeit der verpflichtenden Kraft des moralischen Gesetzes von der Möglichkeit des Endzwecks moralischen Handeln fest. Die Vernunft bedürfe des höchsten Guts und sie müsse eine oberste Intelligenz als dessen notwendige Bedingung annehmen, aber nicht, um davon das verbindende Ansehen der moralischen Gesetze [...] abzuleiten (denn sie würden keinen moralischen Wert haben, wenn ihr Bewegungsgrund von etwas anderem, als von dem Gesetz allein, das für sich apodiktisch gewiß ist, abgeleitet würde); sondern nur [!], um dem Begriffe vom höchsten Gut objektive Realität zu geben, d.i. zu verhindern, daß es zusamt der ganzen Sittlichkeit [!] nicht bloß für ein bloßes Ideal gehalten werde, wenn dasjenige nirgend existierte, dessen Idee die Moralität unzertrennlich [!] begleitet.331 Beck hat aus den Ungereimtheiten der Dialektik den Schluß gezogen, daß es eine Pflicht, das höchste Gut zu befördern, nicht geben könne. Der Begriff des höchsten Guts sei in Wahrheit not a practical concept at all, but a dialectical Ideal of reason. [...] It is important for the architectonic purpose of reason in uniting under one Idea the two legislations of reason, the theoretical and the practical, in a practical-dogmatic metaphysics wholly distinct from the metaphysics of morals.332 Beck scheint sich 329 330 331 332
So zu Recht Sala (2004), 262. KpV A 205. DO A 316. Beck (1960), 245. Wood (1970; 95ff.) verfehlt Becks Argument, welches die Unvereinbarkeit
B. Verstand, Vernunft, Urteilskraft
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damit vieler Schwierigkeiten, die dem Verständnis der Dialektik und ihres Verhältnisses zur Analytik entgegenstehen, entledigen zu können, ohne der Moral Eintrag zu tun. For suppose I do all in my power [...] to promote the highest good, what am I to do? Simply act out of respect for the law, which I already knew.333 Beck übersieht aber, daß auch der moralisch bestimmte Wille etwas wollen muß, wenn er wirklicher Wille sein, und nicht als reiner Wille, also reine praktische Vernunft,334 bloßes Vermögen der Moralität bleiben soll. Kant hat in der Analytik betont, daß alles Wollen auch einen Gegenstand, mithin eine Materie haben müsse [...]335 und durch die Typik der reinen praktischen Vernunft die Anwendung des moralischen Gesetzes in concreto336 zu begründen versucht. Doch die Typik liefert mit der Universalisierbarkeit einer Maxime nur ein negatives Kriterium für ihre Kompatibilität mit dem moralischen Gesetz, und sie setzt dafür Maximen des Handelns voraus, die der Heteronomie entnommen sind. Der Versuch, dem Gesetze einer reinen praktischen Vernunft [...] Gebrauch in der Anwendung [zu] verschaffen [...],337 verstrickt das Gesetz und den Begriff des sittlich Guten in die Heteronomie.338 Insofern trägt die Lehre vom höchder Analytik mit der Lehre vom höchsten Gut herausstellt, wenn er diesem vorwirft, er konfundiere den unbedingten Zweck, das höchste Gut, mit den gewöhnlichen Zwecken, die zugleich Pflicht sind, und im übrigen Kant-affirmativ die Parallelität der Dialektik von erster und zweiter Kritik betont. – Becks Kommentar hat insbesondere im englischen Sprachraum eine umfangreiche Debatte ausgelöst. Dazu Albrecht (1978). Vgl. ferner Sala (2004), der wie Albrecht und im Unterschied zu Beck darauf verzichtet, die eine Position Kants zu konstruieren (12). Gibt man zu, daß unter der einen Position nicht die der Person Kants gemeint sein muß, sondern auch die Einheit der Theorie gemeint sein kann, so hat Beck in diesem Sinne eine solche Konstruktion immerhin versucht. 333 Beck (1960), 244. 334 Kant identifiziert beide; vgl. KpV A 96. 335 KpV A 60. 336 KpV A 122. 337 KpV A 123. 338 Vgl. aber Henrich (1982 a), 22 f. Nach Henrich hat man den kategorischen Imperativ bisher stets für ein Auswahlprinzip unter schon gegebenen Maximen gehalten. Das sei falsch. Das Verhältnis des Gewollten zum guten Willen in Kants Ethik ist vergleichbar mit dem von Gegenstand und Verstand in seiner Theorie der Erkenntnis. In beiden ist der Inhalt eines Wissens (vom Gegebenen oder vom Guten) abzuleiten aus einer Funktion (der synthetischen Einheit des Bewußtseins oder der Allgemeinheit der Vernunft). In beiden ist dieser Inhalt aber nicht unabhängig von jeder Beziehung auf Gegebenheit, sondern nur eine bestimmte Weise, sie aufzufassen. Auch das Gute, das der gute Wille will, gewinnt seinen Sinn jeweils nur aus einer Verallgemeinerung der Materie des empirisch bedingten Willens. [...] Für [Kant] kann ›Gut‹ [...] nur den einer bestimmten Form zugehörigen Inhalt meinen, der nicht aus der Form allein, sondern dadurch gewonnen wird, daß man einen vorgegebenen Inhalt dieser Form entsprechend faßt. Sittliche Maximen sind deshalb weder sanktionierte natürliche noch solche, die sich auf einen von aller Natur verschiedenen Gegenstand richten. Sie sind Einschränkungen des natürlichen Strebens und damit zugleich Erweiterungen dessen, auf das es geht. Henrich ist zwar darin zuzustimmen, daß der kategorische Imperativ kein bloßes Auswahlprinzip ist. Die Analogie zur Theorie der Erkenntnis
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sten Gut als dem a priori notwendigen Objekt des reinen Willens einem Mangel der Analytik Rechnung. Die Gründe dafür, daß sie nicht befriedigend ausfällt, liegen in der dualistisch angelegten kritischen Philosophie. Die Lehre vom höchsten Gut und dem Dasein Gottes als seiner notwendigen Bedingung ist der Versuch, den vorausgesetzten Dualismus von praktischer und theoretischer Philosophie, Freiheits- und Naturbegriff, innerhalb der praktischen Philosophie zu überwinden. Der moralisch bestimmte Wille werde durch das Postulat der reinen praktischen Vernunft vom Dasein Gottes mit den empirischen Bedingungen seiner Realisierbarkeit, welche der Naturkausalität unterliegen, vermittelt. Statt den Dualismus zu überwinden, wird er in der Definition des Postulats reproduziert und damit in die reine praktische Vernunft eingeschleppt. Das Postulat sei ein theoretischer Satz, der aber in praktischer Absicht formuliert werde, weshalb er nur in praktischer, nicht in theoretischer Hinsicht relevant sei. Der Versuch Kants, die Konsequenzen für das Verhältnis von theoretischer und praktischer Philosophie aufzuzeigen, kulminiert in der Entscheidung der Frage: Wie eine Erweiterung der reinen Vernunft, in praktischer Absicht, ohne damit ihr Erkenntnis, als spekulativ, zugleich zu erweitern, zu denken möglich sei?339 Unsere Erkenntnis werde durch reine praktische Vernunft zwar erweitert, aber nicht in theoretischer, sondern nur in praktischer Absicht.340 Der Idee Gottes werde vermittelst ihrer Beziehung aufs Praktische [] objektive Realität341 verschafft. Die theoretische Erkenntnis der reinen Vernunft erhalte so allerdings einen Zuwachs,342 aber nicht an theoretischer Erkenntnis. Vielmehr erkenne sie, daß dem theoretisch bloß denkbaren Begriff Gottes in praktischer Hinsicht objektive Realität korrespondiere, weil reine praktische Vernunft dieser zur Möglichkeit ihres notwendigen Objekts, des höchsten Guts, bedürfe. Kant ist nicht aufgefallen, daß die reine theoretische Vernunft, die diese Erkenntnis hat, nicht die Vernunft im theoretischen Gebrauch sein kann, welche auf ein Sein geht, sondern die Reflexion ist, die er in der ersten Kritik transzendental nennt. Die transzendentale Reflexion hat es nicht mit den Gegenständen der Erkenntnis zu tun, sondern mit den Bedingungen, unter denen wir zu Begriffen von Gegenständen gelangen können, sie führt deshalb nicht zu gegenständlicher Erkenntnis, sondern zu einer Erkenntnis über die Art unserer Erkenntnis.343 Das Verhältnis von theoretischem und praktischem Vernunftgebrauch fällt unter der Voraussetzung ihrer dualistischen Entgegensetzung weder in
muß allerdings befremden, denn dort gelingt die Vermittlung von unbedingter, apriorischer Form und empirisch Gegebenem gerade nicht, so daß es entweder bei der leeren Form bleibt oder die Transzendentalphilosophie in den Empirismus abgleitet. Vgl. in dieser Arbeit das Kapitel Selbstaffektion und transzendentaler Gegenstand. 339 KpV A 241. 340 KpV A 240. 341 KpV A 238; vgl. A 242f. 342 KpV A 242. 343 Vgl. die Definition der transzendentalen Reflexion in KrV B 316.
B. Verstand, Vernunft, Urteilskraft
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den theoretischen noch in den praktischen Vernunftgebrauch, sondern in ein Drittes, die transzendentale Reflexion. Ohne darin eine Kritik am Dialektik-Teil der Kritik der praktischen Vernunft zu sehen, hat Kant in der Einleitung der Kritik der Urteilskraft herausgestellt, daß die Forderung der reinen praktischen Vernunft nach der Denkbarkeit eines Überganges von der noumenalen Freiheit zur sinnlichen Natur durch die reine praktische Vernunft selbst nicht zu erfüllen sei. Die Überwindung der unübersehbare[n] Kluft344 zwischen Freiheit und Natur sei nur durch ein drittes Vermögen, das der reflektierenden Urteilskraft, und durch ein drittes Prinzip, das der Zweckmäßigkeit der Natur für unsere Erkenntnis, zu denken, und dies auch nur in der Weise des als ob. Der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen ermögliche die teleologische Vorstellung des Naturganzen. Die teleologische Vorstellung des Naturganzen als eines Systems der Zwecke, als in sich zweckmäßig organisierte Totalität, ist nicht möglich ohne die Bestimmung eines obersten, unbedingten Zwecks als Prinzip der Einheit des Systems. Solange die teleologische Betrachtung aber nur der Form der Naturzwecke und nicht ihrer Existenz gilt, ist kein unbedingter Zweck auszumachen. Denn was der Form nach Zweck ist, wie die Organismen, kann der Existenz nach Mittel sein für anderes. Zwar führt die Betrachtung der Form der Naturzwecke über die einzelnen Naturzwecke hinaus auf die Relationen zwischen diesen Naturzwecken einerseits und zwischen Naturzwecken und unbelebter Materie andererseits. Aber die Betrachtung dieser Relationen gilt nur der äußeren Zweckmäßigkeit von Naturdingen für die Form anderer Naturdinge und abstrahiert von der Frage: [W]ozu ein Ding da ist.345 Die teleologische Betrachtung der Form eines Naturdings setzt dessen Existenz als empirisch erfahrbare voraus. Die Existenz selbst ist deshalb nicht Gegenstand dieser Betrachtung. Erst die teleologische Betrachtung der Existenz von Naturzwecken eröffnet aber die Möglichkeit, den Begriff eines letzten Zwecks der Natur oder den eines Endzwecks einzuführen. In diesem Falle also kann man entweder sagen: der Zweck der Existenz eines solchen Naturwesens ist in ihm selbst, d.i. es ist nicht bloß Zweck, sondern auch Endzweck; oder dieser ist außer ihm in anderen Naturwesen, d. i. es existiert zweckmäßig nicht als Endzweck, sondern notwendig zugleich als Mittel.346 Die Betrachtung des Zwecks der Existenz von Naturdingen führt in einen unendlichen Regreß von einander bedingenden Zwecken und zu der Einsicht, daß ein unbedingter, kategorischer Zweck ganz außerhalb der physisch-teleologischen Weltbetrachtung liegt347 und allein in
KdU B XIX. KdU B 381. 346 KdU B 381f. Kant unterscheidet bereits in §67 die Beurteilung eines Dings seiner innern Form halber, als Naturzweck, und seiner Existenz halber, als Zweck der Natur. Diese Unterscheidung, die oft übersehen wird, ist, wie K. Düsing (1968; 123) zu Recht betont, fundamental, wird aber von Kant selbst nicht strikt beachtet. 347 KdU B 300; vgl. B 419. 344 345
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die moralisch-teleologische fallen kann. Ist der Zweck aller bedingten Zwecke der naturteleologischen Betrachtung entzogen, kann es sich bei ihm nicht um einen Naturzweck handeln. Als unbedingter Zweck muß er dem Zusammenhang der bedingten Naturzwecke transzendent sein. Wäre er aber dem Zusammenhang der bedingten Naturzwecke transzendent, könnte er nicht Prinzip der Einheit dieses Zusammenhangs sein. Der unbedingte Zweck aller Naturzwecke kann weder nur immanenter Bestandteil des Zusammenhangs der bedingten Naturzwecke sein, denn dann wäre er selbst bloßer Naturzweck, noch kann er ganz außerhalb dieses Zusammenhangs liegen, denn dann wäre er für diesen Zusammenhang irrelevant. Der Antinomie, wonach der unbedingte Zweck dem Zusammenhang der bedingten Naturzwecke sowohl immanent wie auch transzendent sein muß, entgeht Kant, indem er zwischen dem letzten Zweck der Natur und dem Endzweck unterscheidet. Der letzte Zweck der Natur ist immanenter Bestandteil des Zusammenhangs der Naturzwecke, der Endzweck ist diesem Zusammenhang transzendent.348 Beide Bestimmungen können nur im Menschen angetroffen werden, der als einziger unter allen Naturzwecken sich einen Begriff von Zwecken machen [...] kann,349 und beide Bestimmungen sind nicht unabhängig voneinander. Nur wenn der Mensch als Endzweck begriffen wird, kann er mit Grund auch als letzter Zweck der Natur betrachtet werden. Endzweck ist der Mensch aber allein als Subjekt der Moralität. Allein [v]on dem Menschen [...] als einem moralischen Wesen, kann nicht weiter gefragt werden: wozu (quem in finem) er existiere. Sein Dasein hat den höchsten Zweck selbst in sich, dem, so viel er vermag, er die ganze Natur unterwerfen kann, wenigstens welchem zuwider er sich keinem Einflusse der Natur unterworfen halten darf.350 Der Versuch, unabhängig von dem moralischen Dasein des Menschen als Endzweck etwas am Menschen als letzten Zweck der Natur zu betrachten, führt nach Kant notwendig auf die Idee der Glückseligkeit und ist unhaltbar. Glückseligkeit ist die Idee eines Zustandes, der dem Menschen als bedürftigem Wesen adäquat ist. Diese Idee mag immer sein eigener letzter Naturzweck sein,351 taugt aber nicht als letzter Zweck der Natur, denn Erfahrung zeigt, daß die Natur im ganzen den Menschen nicht zu ihrem Liebling erkoren hat. Nicht nur ist er wie alle anderen Naturdinge den Unbilden und Katastrophen der Natur ausgesetzt, hinzu kommt, daß das Widersinnische der Naturanlagen in ihm ihn noch in selbstersonnene Plagen und [...] in solche Not versetzt und er selbst, so viel an ihm ist, an der Zerstörung seiner eigenen Gattung arbeite, daß, selbst bei der wohltätigsten Natur außer uns, der Zweck derselben, wenn er auf die Glückseligkeit unserer Spezies gestellt wäre, in einem System derselben auf Erden nicht erreicht werden würde [...].352 Nur unter der Bedingung, daß der Mensch
348 349 350 351 352
Vgl. KdU B 381ff. Vgl. KdU B 383. KdU B 398. KdU B 389; vgl. B 399 Anm. KdU B 389f.
B. Verstand, Vernunft, Urteilskraft
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seinem moralischen Dasein nach als Endzweck beurteilt wird, kann an ihm auch das bestimmt werden, was ihn zum letzten Zweck der Natur macht. Denn als letzter Zweck der Natur muß das angesehen werden, was den Menschen zu diesem moralischen Dasein allererst ›vorbereitet‹. Als das einzige Wesen auf Erden, welches Verstand, mithin ein Vermögen hat, sich selbst willkürlich Zwecke zu setzen, ist er [der Mensch] zwar betitelter Herr der Natur, und, wenn man diese als ein teleologisches System ansieht, seiner Bestimmung nach der letzte Zweck der Natur; aber immer nur bedingt, nämlich daß er es verstehe und den Willen habe, dieser und ihm selbst eine solche Zweckbeziehung zu geben, die unabhängig von der Natur sich selbst genug, mithin Endzweck, sein könne, der aber in der Natur gar nicht gesucht werden muß./ Um aber auszufinden, worein wir am Menschen wenigstens jenen letzten Zweck der Natur zu setzen haben, müssen wir dasjenige, was die Natur zu leisten vermag, um ihn zu dem vorzubereiten, was er selbst tun muß, um Endzweck zu sein, heraussuchen, und es von allen den Zwecken absondern, deren Möglichkeit auf Dingen beruht, die man allein von der Natur erwarten darf.353 Ist der Mensch nur insofern als Endzweck zu betrachten, als er Subjekt der Moralität ist, und darf als letzter Zweck der Natur nur dasjenige an ihm betrachtet werden, was ihn dazu ›vorbereitet‹, Endzweck sein zu können, dann kann der letzte Zweck der Natur nur darin liegen, alle natürlichen Anlagen des Menschen, das heißt der Gattung, zu entwickeln. Auch in diesem Kontext kann die Glückseligkeit nicht als letzter Zweck der Natur angesehen werden. Während sie, wie eben gezeigt, unabhängig vom moralischen Dasein des Menschen nicht als letzter Zweck der Natur betrachtet werden kann, weil die Natur aller Erfahrung nach den Menschen nicht bevorzugt, so kann sie auch unter der Bedingung des moralischen Daseins als Endzweck nicht als letzter Zweck der Natur angesehen werden, weil der Mensch, der sie zu seinem ganzen Zwecke macht [...], damit die Heteronomie seiner freien Willkür affirmiert und sich unfähig macht, seiner eigenen Existenz einen Endzweck zu setzen und dazu zusammen zu stimmen.354 Entfällt die Glückseligkeit als allgemeiner Titel aller materialen, empirisch bedingten Zwecksetzungen, bleibt allein die formale Bestimmung der Fähigkeit der Zwecksetzung überhaupt als letzter Zweck der Natur, der auf den der Natur transzendenten Endzweck ›vorbereitet‹. Es bleibt also von allen seinen Zwekken in der Natur nur die formale, subjektive Bedingung, nämlich der Tauglichkeit: sich selbst überhaupt Zwecke zu setzen, und (unabhängig von der Natur in seiner Zweckbestimmung) die Natur den Maximen seiner freien Zwecke überhaupt angemessen, als Mittel, zu gebrauchen, übrig, was die Natur, in Absicht auf den Endzweck, der außer ihr liegt, ausrichten, und welches also als ihr letzter Zweck angesehen werden kann. Die Hervorbringung der Tauglichkeit eines vernünftigen Wesens zu belie-
353 354
KdU B 390f. KdU B 391.
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bigen Zwecken überhaupt (folglich in seiner Freiheit) ist die Kultur. Also kann nur die Kultur der letzte Zweck sein, den man der Natur in Ansehung der Menschengattung beizulegen Ursache hat [...].355 Die Kultur ist der – historische – Prozeß der Befreiung des Menschen von der Befangenheit in Naturzwängen. Sie kann nach Kant aber nur so beurteilt werden, wenn sie als Vorbereitung auf den Endzweck begriffen wird. Nur in bezug auf diesen der Natur transzendenten, moralischen Zweck ist Kultur mehr als die durch technischpraktische Vernunft vermittelte Selbsterhaltung der Gattung.356 Letztere unterscheidet den Menschen nur unwesentlich vom Tier. Denn im Werte über die bloße Tierheit erhebt ihn das gar nicht, daß er Vernunft hat, wenn sie ihm nur zum Behuf desjenigen dienen soll, was bei Tieren der Instinkt verrichtet; sie wäre alsdenn nur eine besondere Manier, deren sich die Natur bedient hätte, um den Menschen zu demselben Zwecke, dazu sie Tiere bestimmt hat, auszurüsten, ohne ihn zu einem höheren Zwecke zu bestimmen.357 Zwar manifestiert sich in Kultur die Distanz des Menschen zur Natur und insofern Freiheit, aber diese Freiheit ist negativ bestimmt, Freiheit von unmittelbarem Naturzwang, und nicht positiv: Autonomie. Die Freiheit von unmittelbarem Naturzwang, die freie Willkür ist eine Naturanlage des Menschen, die ihn nicht über die Natur stellt. Deshalb kann die Geschichte zwar als Prozeß der Kultivierung, nicht aber als Prozeß der Moralisierung des Menschen gefaßt werden. Der Endzweck selbst bleibt außerhalb der Natur und damit auch außerhalb der Geschichte.
KdU B 391. Der Endzweck ist kein Zweck, welchen zu bewirken und der Idee desselben gemäß hervorzubringen die Natur hinreichend wäre, weil er unbedingt ist. Denn es ist nichts in der Natur (als einem Sinnenwesen), wozu der in ihr selbst befindliche Bestimmungsgrund nicht immer wiederum bedingt wäre; und dieses gilt nicht bloß von der Natur außer uns (der materiellen), sondern auch in uns (der denkenden): wohl zu verstehen, daß ich in mir nur das betrachte was Natur ist. Ein Ding aber, was notwendig, seiner objektiven Beschaffenheit wegen, als Endzweck einer verständigen Ursache existieren soll, muß von der Art sein, daß es in der Ordnung der Zwecke von keiner anderweitigen Bedingung, als bloß seiner Idee, abhängig ist. KdU B 397f. Die Unterscheidung zwischen der materiellen Natur außer uns und der denkenden in uns erinnert an die von res cogitans und res extensa und an [d]ie berüchtigte Frage, wegen der Gemeinschaft des Denkenden und Ausgedehnten (KrV A 392). Außer uns und ins uns ist nicht räumlich zu verstehen, sondern als Unterscheidung des Intelligiblen und Empirischen. Die Natur außer uns ist die körperliche Welt, der wir aufgrund unserer Leiblichkeit selbst angehören, die Natur in uns meint unsere geistigen Anlagen, sofern sie dazu dienen, die Art- und Selbsterhaltung vermittels technisch-praktischer Vernunft zu regeln. Die Unterscheidung zwischen der Natur außer uns und in uns ist ihrem Inhalt nach anthropologisch. Die anthropologische Nachforschung ist aber ihrerseits nicht nur teleologisch, sondern moralisch-teleologisch ausgerichtet. Die ursprünglichen Anlagen der Natur des Menschen, die Konstituentien seines Wesens, sind Anlagen zum Guten oder Anlagen für einen Zweck: für die Tierheit, für die Menschheit und für die Persönlichkeit. Vgl. dazu RGV B 15ff. 357 KpV A 108. 355 356
B. Verstand, Vernunft, Urteilskraft
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Aber nur unter der Bedingung, daß der Mensch als Endzweck, als Subjekt der Moralität betrachtet wird, ist die Natur, die zugleich die Welt des Menschen ist,358 als teleologisches System anzusehen. Ohne den Menschen wäre die Kette der einander untergeordneten Zwecke nicht vollständig gegründet; und nur im Menschen, aber auch in diesem nur als Subjekte der Moralität, ist die unbedingte Gesetzgebung in Ansehung der Zwecke anzutreffen, welche ihn also allein fähig macht, ein Endzweck zu sein, dem die ganze Natur teleologisch untergeordnet ist.359 Die Beurteilung der Natur als System der Zwecke durch die moralisch-teleologisch reflektierende Urteilskraft läßt die Welt für den Menschen erst als sinnvoll erscheinen. Denn [...] bestände die Welt aus lauter leblosen, oder zwar zum Teil aus lebenden aber vernunftlosen Wesen, so würde das Dasein einer solchen Welt gar keinen Wert haben, weil in ihr kein Wesen existierte, das von einem Werte den mindestens Begriff hat. Wären dagegen auch vernünftige Wesen, deren Vernunft aber den Wert des Daseins der Dinge nur im Verhältnisse der Natur zu ihnen (ihrem Wohlbefinden) zu setzen, nicht aber sich einen solchen ursprünglich (in der Freiheit) selbst zu verschaffen im Stande wäre, so wären zwar (relative) Zwecke in der Welt, aber kein (absoluter) Endzweck, weil das Dasein solcher vernünftigen Wesen doch immer zwecklos sein würde.360 Kants Lehre vom letzten Zweck und Endzweck enthält, weitergedacht, im Kern eine Geschichtsphilosophie, nach welcher die Welt, wie sie faktisch ist, nicht schon vernünftig ist, unter Rekurs auf den in ihr niemals vollständig zu realisierenden vernünftigen Endzweck aber für die endlichen Vernunftwesen sinnvoll erscheint. Daß der einzelne Mensch dann, wenn er sich als Mittel der Realisierung des Endzwecks begreift, mit der Welt einverstanden sein kann, müßte aber den einzelnen selbst dann ›befremden‹, wenn dieser Endzweck tatsächlich historisch durch die Menschheit realisiert werden könnte, denn: Befremdend bleibt es immer hiebei: daß die ältern Generationen nur scheinen um der späteren willen ihr mühseliges Geschäft zu treiben, um nämlich diesen eine Stufe zu bereiten, von der diese das Bauwerk [...] höher bringen könnten; und daß doch nur die spätesten das Glück haben sollen, in dem Gebäude zu wohnen [...].361 Ist dagegen der Endzweck in der Geschichte prinzipiell nicht zu realisieren, kann das endliche Vernunftwesen diesem Endzweck selbst nur unter Voraussetzung der Geltung des Postulats von der Unsterblichkeit der Seele einen Sinn zuschreiben.362 K. Düsing (1968), 216. KdU B 399. 360 KdU B 421ff. 361 AG A 391. 362 So rekurriert Fichte implizit auf das Postulat von der Unsterblichkeit der Seele, wenn er das unendliche Fortschreiten der Menschheit feiert: Das Gefühl unserer Würde und unserer Kraft steigt, wenn wir uns sagen, was jeder unter uns sich sagen kann: mein Daseyn ist nicht vergebens und zwecklos; ich bin ein nothwendiges Glied der großen Kette, die von Entwickelung des ersten Menschen zum vollen Bewußtseyn seiner Existenz bis in die Ewigkeit hinausgeht. [...]/ Das, was man Tod nennt, kann mein Werk nicht abbrechen; denn mein Werk soll vollendet werden, und es kann in keiner Zeit vollendet werden, mithin ist meinem Daseyn keine Zeit bestimmt, – und 358 359
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ich bin ewig. BdG 49f. [322] – Kittsteiner (1995; 210) weist im Kontext seiner Untersuchung der Entstehung des modernen Gewissens zu Recht darauf hin, daß der Gedanke des Fortschreitens der Menschheit den des Opfers für den Progreß einschließt: Die Gewissenskonzeption der älteren Kasuistik war ausgespannt zwischen Gott und Welt. Dabei war die Welt statisch gedacht – es galt mit ihr zurechtzukommen, so wie sie ist, und gleichwohl das Seelenheil zu bewahren. Jetzt wird die Welt veränderlich gedacht: in einer gewaltigen moralischen Anstrengung soll sie auf den Weg des Besseren gebracht werden. Diese Anstrengung erfordert Opfer: Abweichungen von Legalität und Moralität dürfen nicht mehr zugelassen werden.
C. Die Irreflexivität der Transzendentalphilosophie Kants Kant setzt in der Kritik der reinen Vernunft die Wirklichkeit von reiner Mathematik und Naturwissenschaft, und weil das Wirkliche auch möglich sein muß, deren Möglichkeit voraus.1 Er setzt voraus, daß Erkenntnis möglich ist, um die Bedingungen ihrer Möglichkeit aufzuweisen. Die objektive Geltung der aufgewiesenen Bedingungen soll darin begründet sein, daß sie Erkenntnis (hier synonym mit Erfahrung) ermöglichen. [D]ie objektive Gültigkeit der Kategorien, als Begriffe a priori, [wird] darauf beruhen, daß durch sie allein Erfahrung (der Form des Denkens nach) möglich sei. Denn alsdann beziehen sie sich notwendigerweise und a priori auf Gegenstände der Erfahrung, weil nur vermittelst ihrer überhaupt irgendein Gegenstand der Erfahrung gedacht werden kann.2 Die Möglichkeit von Erkenntnis ist Kant zufolge mit ihrer Wirklichkeit bewiesen. Ihren Grund hat sie zuletzt in den Grundsätzen des reinen Verstandes; diese haben ihren Grund darin, daß sie Erkenntnis ermöglichen. Damit ist der Grund des Grundes das zu Begründende, und Kants Argumentation scheint sich in einem schlechten Zirkel zu bewegen. Der Beweis dreht sich im Kreise: die allgemeinsten Naturgesetze, so wird geschlossen, haben Geltung, weil sonst die besonderen [...] keine Geltung hätten, – hier wird das Besondere als Grund des Allgemeinen angeführt; aber das Allgemeine soll andererseits den Grund für das Besondere abgeben, die Grundsätze sollen die Erfahrung begründen [...]. Die Deduktion stützt sich auf die Tatsache der Erfahrung, die vielmehr ihrerseits durch die Deduktion gestützt sein will. Die Kritik blickt auf die Naturwissenschaft, aber die Naturwissenschaft soll durch die Kritik erst als möglich dargetan werden. Wird vorausgesetzt, daß die Naturwissenschaft wirklich, d. h. ihre Erkenntnis wahr ist, so muß sie freilich auch möglich sein, und alle Sätze, die Bedingungen ihrer Möglichkeit sind, dürfen in Kraft treten. Woher aber die Gewißheit, daß Naturwissenschaft wahre Erkenntnis ist?3 Der Vorwurf des Zirkels ist alt und bis heute nicht verstummt.4 Die Zirkularität der transzendentalen Begründung der Grundsätze ist gleichermaßen kritisiert und affirmiert worden.5 Kant selbst scheint sie einzugestehen, wenn er sagt, das synthetiWie ist reine Mathematik möglich?/ Wie ist reine Naturwissenschaft möglich?/ Von diesen Wissenschaften, da sie wirklich gegeben sind, läßt sich nun wohl geziemend fragen: wie sie möglich sind; denn daß sie möglich sein müssen, wird durch ihre Wirklichkeit bewiesen. KrV B 20. 2 KrV B 126. 3 Kroner (I 1921ff.), 74. 4 Der Vorwurf, die Kritik der reinen Vernunft bewege sich in einem vitiösen Zirkel, wurde bereits 1785 von Ulrich erhoben (vgl. Vaihinger [I 1881], 440). In jüngerer Zeit hat ihn Hösle (1987; 17ff.) erneut vorgebracht. 5 Vgl. Nietzsche (1886; 24f.): Wie sind synthetische Urteile a priori möglich? fragte sich Kant, – und was antwortete er eigentlich? Vermöge eines Vermögens [...]. Aber ist denn das – eine Antwort? Eine Erklärung? Oder nicht vielmehr nur eine Wiederholung der Frage? Wie macht doch das Opium schlafen? Vermöge eines Vermögens, nämlich der virtus dormitiva [...]. – Dagegen Heidegger (1962; 187): Die Grundsätze werden bewiesen im Rückgang auf das, dessen Hervor1
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sche Urteil a priori, der Grundsatz des reinen Verstandes, heißt aber Grundsatz und nicht Lehrsatz, ob er gleich bewiesen werden muß, darum, weil er die besondere Eigenschaft hat, daß er seinen Beweisgrund, nämlich Erfahrung, selbst zuerst möglich macht [...].6 Der Zirkel ist durch Verweis auf den hypothetischen Charakter des Beweisgangs nicht zu rechtfertigen. Er bleibt problematisch, auch wenn der Beweisgang nicht intendiert, Zweifel an der Wirklichkeit und damit an der Möglichkeit der Wissenschaft niederzuschlagen.7 Problematisch ist der Zirkel freilich nicht für die vorausgesetzten Einzelwissenschaften, deren Erkenntnisse keiner erkenntnistheoretischen Rechtfertigung bedürfen, sondern für Kants Transzendentalphilosophie. Setzt diese die Wirklichkeit von Erkenntnis in Gestalt der mathematischen Naturwissenschaft voraus, um aus ihr auf die Bedingungen der Möglichkeit dieser wirklichen Erkenntnis zu schließen, dann können die erschlossenen Bedingungen nur von komparativer Allgemeinheit sein. Die von Kant beanspruchte apodiktische Gewißheit8 transzendentaler Bestimmungen wäre unmöglich. Das Verfahren der erkenntnistheoretischen Reflexion beschränkte sich auf die formelle Bestätigung dessen, was ihm vorausgesetzt ist. Gegen diese Kritik ist zunächst einzuwenden, daß die Voraussetzung von Mathematik und mathematischer Naturwissenschaft keine Voraussetzung ist, auf die sich Kants Argumentation wirklich stützt. Die erkenntnistheoretische Reflexion geht nicht auf existierende Wissenschaften, sondern auf Voraussetzungen ganz anderer Art. Vorausgesetzt wird zum einen, daß Erkenntnis nicht unmittelbar und aus sich als notwendig und allgemein zu erkennen und von bloßer Wahrnehmung zu unterscheiden ist; vorausgesetzt werden zum zweiten die beiden heterogenen Erkenntnisstämme Verstand und Sinnlichkeit, in deren Zusammenspiel Erkenntnis gründe; vorausgesetzt wird zum dritten die datensensualistische Auffassung von unserem Bewußtsein. Ist die Wirklichkeit von Erkenntnis in Gestalt der mathematischen Naturwissenschaft kein Beweismittel in der Argumentation Kants, dann ist der darauf sich stützende Zirkel-Vorwurf hinfällig. Baum zufolge kann aber auch deshalb nicht von einem Zirkel in der Beweisführung für die Grundsätze des reinen Verstandes gesprochen werden, weil Kant in der transzendentalen Deduktion die Möglichkeit von Erfahrung unabhängig von den Grundsätzen beweise, bevor er sie im Beweisgang der Grundsätze als Beweisgrund voraussetze. [E]xperience is not possible because we actually have experiences, but rather because it can be shown that the possibility of experience is necessary for reasons which are quite independent of the function of this presupposition in the proof of the causal law.9 Kant beweise in der Deduktion, daß es um der Ein-
gang sie ermöglichen, weil diese Sätze nichts anderes ans Licht heben sollen als diesen Kreisgang selbst; denn dieser macht das Wesen der Erfahrung aus. 6 KrV B 765. 7 Vgl. Kroner (I 1921ff.), 74. 8 Vgl. KrV A XV; vgl. MAdN A XVI Anm. 9 Baum (1979), 13; vgl. ders. (1986), 188ff.; (1993), 18ff.
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heit des Selbstbewußtseins willen notwendigerweise möglich ist, etwas sinnlich Gegebenes als Objekt zu erkennen, welches in der Erfahrung geschieht. Er könne deshalb hernach im Beweis der Grundsätze von der Möglichkeit der Erfahrung als einem a priori feststehenden Sachverhalt ausgehen [...].10 Doch diese Argumentation ist ebenfalls problematisch. Sie muß nämlich Kantische Voraussetzungen übernehmen, die nicht zu rechtfertigen sind. Baum vermag den Vorwurf des schlechten Zirkels nur zu widerlegen, indem er Voraussetzungen akzeptiert, die sich als dogmatische Setzungen erweisen. Zu diesen Voraussetzungen gehört die These von den beiden heterogenen Erkenntnisstämmen Verstand und Sinnlichkeit, aus deren Zusammenspiel jede Erkenntnis resultiere. Die zunächst plausible und mit der traditionellen Bestimmung des animal rationale kompatible Unterscheidung der beiden Stämme der Erkenntnis vermag Kant nicht zu begründen, und der Versuch ihrer gegenseitigen Abgrenzung durch den Rekurs auf das Ding an sich führt auf vielfache Widersprüche. Kant führt das Ding an sich in der Ästhetik in empiristischer Manier als kausale Quelle der Affektion des sensorischen Apparates von uns Menschen ein, verleiht ihm aber hernach eine explizit transzendentalphilosophische Bedeutung als intelligible Ursache der Erscheinungen. Dem Ding an sich in der Bedeutung der kausalen Quelle von Affektion korrespondiert mit der empirisch faßbaren Sinnlichkeit das empirische Subjekt; dem Ding an sich in der Bedeutung der Raum und Zeit transzendenten intelligiblen Ursache der Erscheinungen korrespondiert das transzendentale Subjekt. Der Versuch Kants, im Abschnitt Phaenomena und Noumena Funktion und begrifflichen Status des Dinges an sich zu bestimmen, fügt den Äquivokationen im Begriff des Dinges an sich und den mit diesem Begriff verbundenen Widersprüchen neue hinzu. Der Verstand, da selbst nicht anschauend, ist in seiner Erkenntnistätigkeit auf und durch die Sinnlichkeit restringiert. Die Sinnlichkeit besteht in den apriorischen Formen der Anschauung, die aber weder als reine Formen, als Raum ohne Räumliches, Zeit ohne Zeitliches, noch als reine Anschauungen, die ein reines Mannigfaltiges enthalten, einen Bestimmungsgrund für die Restriktion des Verstandes mit sich führen. Restringiert wird der Verstand demnach auf und durch das in diesen Formen empirisch Gegebene. Der Verstand ist in seiner Erkenntnistätigkeit eingeschränkt auf die Erscheinungen. Deren intelligible Ursache ist das Ding an sich. Dieses ist ein negatives Noumenon, mithin ein Begriff des Verstandes, aber weder Kategorie, weil nicht auf sinnliche Anschauung bezogen, noch durch Kategorien bestimmbar, weil selbst nicht in der sinnlichen Anschauung gegeben. Der Verstand denkt mit dem Ding an sich ein Ding überhaupt, unter Abstraktion von der Sinnlichkeit, in der allein es gegeben sein könnte. Das Noumenon im negativen Verstande ist Kant zufolge ein notwendiger Begriff, um die sinnliche Anschauung nicht über die Erscheinung auf das Ding an sich auszuweiten, ein Grenzbegriff. Kant identifiziert das Ding an sich, die intelligible Ursache der Erscheinungen, mit dem leeren Ding überhaupt. Aus dem Umstand, daß der Verstand im Denken nichtsinnlicher 10
Baum (1993), 20.
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Dinge überhaupt weiter reicht als die Sinnlichkeit, die Sinnlichkeit insofern also gegenüber dem Verstand restringiert ist, schließt Kant unmittelbar auf die spezifische Bestimmtheit unserer Sinnlichkeit und ihre spezifische Restriktion auf Erscheinungen. Diesem Fehlschluß zufolge müßte der reine Verstand sich selbst die Grenzen seines Gebrauchs11 bestimmen, was dem Dualismus von Verstand und Sinnlichkeit widerspräche, und er müßte diese Selbstbegrenzung vermittels des transzendentalen Gebrauchs der (reinen) Kategorien zustande bringen, welcher Gebrauch mit den logischen Funktionen zu urteilen identisch ist und daher über die reale Möglichkeit einer intelligiblen Ursache der Erscheinungen keine Auskunft geben kann. Der Versuch, das Ding an sich als negatives Noumenon, als reinen Verstandesgegenstand zu fassen und seinen Begriff als notwendigen Grenzbegriff zu rechtfertigen, gerät widersprüchlich und führt gegen die eigene Intention zu dem Nachweis, daß das Ding an sich durch den Verstand, also durch eines der untersuchten Erkenntnisvermögen selbst, nicht nur nicht zu erkennen, sondern noch nicht einmal zu denken ist.12 Mit dem Argument, [d]er Begriff eines [...] Dinges, welches gar nicht als Gegenstand der Sinne, sondern als ein Ding an sich selbst (lediglich durch einen reinen Verstand) gedacht werden soll, ist gar nicht widersprechend [...],13 gesteht Kant ein, daß das Ding an sich nicht Resultat transzendentaler Argumentation ist, sondern in seinen verschiedenen Bedeutungen dogmatisch gesetzt ist. Denn die Begründung des Dinges an sich als intelligible Ursache der Erscheinungen hält den Widerspruch von diesem Begriff nicht ab, sondern weist im Gegenteil diesen Begriff als notwendig widersprüchlich nach, wie Fichte gesehen hat: Das Ding an sich ist etwas für das Ich, und folglich im Ich, das doch nicht im Ich seyn soll: also etwas widersprechendes, das aber dennoch als Gegenstand einer nothwendigen Idee allem unsern Philosophiren zum Grunde gelegt werden muß, und von jeher, nur ohne daß man sich desselben und des in ihm liegenden Widerspruchs deutlich bewußt war, allem Philosophiren, und allen Handlungen des endlichen Geistes zu Grunde gelegen hat. Auf dieses Verhältniß des Dinges an sich zum Ich gründet sich der ganze Mechanismus des menschlichen, und aller endlichen Geister. Dieses verändern wollen, heißt alles Bewußtseyn, und mit ihm alles Daseyn aufheben.14 Erscheinungen subsistieren weder in sich noch gründen sie ihrem Dasein nach in den Handlungen des transzendentalen Subjekts. Als transzendentale Reflexionsbestimmung fungierte der Begriff des Dinges an sich als formelle Anzeige des nicht-subjektiven Ursprungs des Daseins der Erscheinungen. Formell wäre diese Anzeige insofern, als sie nur das Daß des Gegebenseins der Erscheinungen bezeichnete, ohne das Wie ihres Gegebenwerdens, etwa KrV B 297. Vgl. in dieser Arbeit das Kapitel Affektion und Ding an sich. – Die Kritik der reinen Vernunft hat insofern dem Vorwurf des Dogmatismus nichts entgegenzusetzen. Der unkritische oder dogmatische Begriff des Dinges an sich [...] ist die Rückkehr zum Dogmatismus und also die Aufhebung der kritischen Philosophie. Fischer (1852), 37. 13 KrV B 310. 14 GWL 414 [283]. 11 12
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durch Affektion, darzutun und ohne eine positive Erkenntnis des Existenzgrundes zu enthalten. Kann der Begriff des Dinges an sich nur als transzendentale Reflexionsbestimmung gefaßt werden, dann muß von ihm gelten, was nach Kant für alle Bestimmungen dieser Art gilt: Sie enthalten keine gegenständliche Erkenntnis, sondern bezeichnen den Bereich, innerhalb dessen Erkenntnis allein möglich ist respektive die Bedingungen, die jeder gegenständlichen Erkenntnis a priori zugrunde liegen. Das Ding an sich hat demnach denselben begrifflichen Status wie der transzendentale Gegenstand = X, von dem insbesondere in der Deduktion A die Rede ist,15 und Kant bezeichnet beide auch als transzendentale Objekte.16 Unterschieden sind beide Begriffe durch ihre Funktion. Das Ding an sich ist bestimmt als die intelligible Ursache der Erscheinungen, der Gegenstand überhaupt als das formelle Korrelat der transzendentalen Einheit der Apperzeption. Unter Voraussetzung des Dualismus von Denken und Erscheinung bezeichnen der Begriff des transzendentalen Subjekts auf der einen Seite und der des transzendentalen Objekts Gegenstand überhaupt auf der anderen die beiden Extreme der Erkenntnis als der Einheit der Handlung der Synthesis eines gegebenen Mannigfaltigen. Kant hat beide, transzendentales Subjekt und transzendentales Objekt, in ähnlicher Weise bestimmt. Jenes ist die einfache und für sich selbst an Inhalt gänzlich leere Vorstellung: Ich; von der man nicht einmal sagen kann, daß sie ein Begriff sei, sondern ein bloßes Bewußtsein, das alle Begriffe begleitet. Durch dieses Ich, oder Er, oder Es (das Ding), welches denkt, wird nun nichts weiter, als ein transzendentales Subjekt der Gedanken vorgestellt = x, welches nur durch die Gedanken, die seine Prädikate sind, erkannt wird, und wovon wir, abgesondert, niemals den mindesten Begriff haben können.17 Für das transzendentale Objekt gilt: Alle unsere Vorstellungen werden in der Tat durch den Verstand auf irgendein Objekt bezogen, und, da Erscheinungen nichts als Vorstellungen sind, so bezieht sie der Verstand auf ein Etwas, als den Gegenstand der sinnlichen Anschauung: aber dieses Etwas ist insofern nur das transzendentale Objekt. Dieses bedeutet aber ein Etwas = x, wovon wir gar nichts wissen [...] können, sondern, welcher nur als ein Correlatum der Einheit der Apperzeption zur Einheit des Mannigfaltigen in der sinnlichen Anschauung dienen kann, vermittelst deren der Verstand dasselbe in den Begriff eines Gegenstandes vereinigt. Dieses transzendentale Objekt läßt sich gar nicht von den sinnlichen Datis absondern, weil alsdann nichts übrig bleibt, wodurch es gedacht würde. Es ist also kein Gegenstand der Erkenntnis an sich selbst, sondern nur die Vorstellung der Erscheinungen, unter dem Begriffe eines Gegenstandes überhaupt, der durch das Mannigfaltige derselben bestimmbar ist.18 Für sich betrachtet sind das Ich denke als transzendentales Subjekt und der Gegenstand überhaupt als transzenden-
15 16 17 18
Vgl. KrV A 104ff.; A 109. Vgl. KrV B 344; A 250f. KrV B 404. KrV A 250f.
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tales Objekt beide leer oder = X. Als transzendentalen Bestimmungen kommt ihnen unabhängig von der Funktion, die sie für die Erklärung empirischer und doch notwendiger und allgemeiner Erkenntnis haben, keine Bedeutung zu.19 Durch ihre Funktion im Erkenntnisprozeß sind sie aber nur formell unterschieden. Das transzendentale Subjekt bezeichnet die apriorische Einheit der Handlung der Synthesis des empirisch gegebenen Mannigfaltigen, das transzendentale Objekt bezeichnet, daß das Mannigfaltige a priori der Einheit der Handlung gemäß synthetisiert ist. Der Dualismus von Gedachtem und empirisch Gegebenem in jeder Erkenntnis ist näher betrachtet der von apriorischer kategorialer Form und empirischem Inhalt. Wenn [...] alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anhebt, so entspringt sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung.20 Um gegen den Empirismus die Objektivität des Erfahrungsurteils begründen zu können, muß Kant Form und Inhalt der Erkenntnis nicht nur unterscheiden, sondern auch vermitteln. Weil der Inhalt Kant zufolge aber empirisch gegeben ist, bestätigt die Vermittlung von Form und Inhalt nur den Dualismus beider. Die kategoriale Form, das unbedingte Allgemeine, und das empirisch Gegebene, das Kontingente, erweisen sich auf jeder Stufe ihrer Vermittlung innerhalb des in der Kritik der reinen Vernunft entwickelten transzendentalen Konstitutionssystems (Kategorien, Schemata, Grundsätze) als inkompatibel. Die bleibende Diskrepanz von Form und Inhalt nötigt Kant, die wirkliche Erfahrung des empirischen Subjekts zur transzendentalen Bestimmung zu erklären. Die Erfahrung, die dazu kommen21 muß, ist eine gleichermaßen transzendentale, weil a priori notwendige, und materiale, weil ihrem spezifischen Inhalt nach undeduzible Bedingung der Erkenntnis. Damit steht der Einheit des Selbstbewußtseins als Einheit der Handlung der Synthesis eines gegebenen Mannigfaltigen dieses Mannigfaltige gegenüber, und die synthetische Einheit des Selbstbewußtseins ist auf die rein analytische zurückgeworfen. In dem Maße, in dem Kant das empirische Gegebensein des Materials der Synthesis und seine Unabhängigkeit von der Einheit der Handlung der Synthesis stark macht, reduziert er das Selbstbewußtsein auf das diesem Material entgegenstehende, für sich leere Ich denke.22 Das Problem der fehlenden Vermittlung von kategorialer Form und empirischem Inhalt der Erkenntnis, oder von allgemeiner Form der Gesetzmäßigkeit der Erscheinungswelt und besonderen Gesetzen, ist durch die bloße Forderung, daß Erfahrung dazu kommen müsse, weder gelöst noch auch nur entschärft. Vielmehr muß gezeigt werden, daß und inwiefern diese Forderung auf dem Boden der Transzendentalphilosophie als prinzipiell erfüllbar gedacht werden kann. Die Erfahrung, die gefordert ist, ist die unmittelbare Erfahrung, die das empirische Subjekt macht, wenn es dem ge-
Vgl. KrV B 506: Man kann zwar auf die Frage, was ein transzendentaler Gegenstand für eine Beschaffenheit habe, keine Antwort geben, nämlich was er sei, aber wohl, daß die Frage selbst nichts sei, darum, weil kein Gegenstand derselben gegeben worden. 20 KrV B 1; vgl. Prol. §18. 21 KrV B 165. 22 Vgl. Kulenkampff (1970), 75f. FN; Kroner (I 1921ff.), 86. 19
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gebenen Mannigfaltigen der Natur fragend23 gegenübertritt. Unmittelbar ist diese Erfahrung insofern, als sie nicht a priori kategorial bestimmt ist. Ihr Subjekt ist nicht Funktionsorgan der transzendentalen Einheit der Apperzeption. Ein solches Verhältnis von empirischem Subjekt und Natur ist von der Kritik der reinen Vernunft einerseits ausdrücklich gefordert, gilt doch: [A]lle mir gegebenen Vorstellungen stehen [...] a priori unter der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption, unter die sie [aber] auch durch eine Synthesis gebracht werden müssen..24 Andererseits ist ein solches Verhältnis von empirischem Subjekt und Natur aber auf dem Boden der Transzendentalphilosophie gar nicht möglich, denn nach der Kritik der reinen Vernunft gründen beide: die Einheit des empirischen Bewußtseins ebenso wie die Einheit des empirischen Gegenstandes, in der kategorialen Synthesis eines an sich unbestimmten Mannigfaltigen der Wahrnehmung. Für sich genommen sind beide jeweils ein an sich zerstreutes Mannigfaltiges. Es ist deshalb kein empirisches Subjekt denkbar, das wirkliche, unmittelbare Erfahrung hätte, und es ist kein empirisch gegebener Gegenstand denkbar, der unmittelbar erfahrbar wäre. Weder ist ein empirisches Subjekt möglich, dessen Bestimmtheit selbst Bedingung der Erkenntnis wäre, noch ist ein Gegenstand möglich, dessen Bestimmtheit selbst Bedingung der Erkenntnis wäre, denn die ontologische, von der kategorialen Synthesis unabhängige Bestimmtheit beider ist auf die bloße Existenz reduziert. Dessen ungeachtet setzt Kant dort, wo er das Problem der Vermittlung von allgemeiner Form der Gesetzmäßigkeit der Totalität der Erscheinungen und spezifisch bestimmten besonderen Gesetzen zu lösen vorgibt, in der Kritik der Urteilskraft, die Selbständigkeit des empirischen Subjekts gegenüber der transzendentalen Einheit der Apperzeption und die Potentialität seiner Begriffe gegenüber einem empirisch gegebenen Mannigfaltigen der Natur einfach voraus. Kant bestimmt die reflektierende Urteilskraft als dasjenige Vermögen des empirischen Subjekts, vermittels dessen dieses dem Mannigfaltigen der Natur fragend gegenübertreten kann. Die ihre Reflexion durch das Prinzip der Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen bestimmende Urteilskraft ermögliche empirische Begriffe und Gesetze, indem sie in dem Mannigfaltigen der Natur eine ihr faßliche Ordnung präsumiere. Kant führt damit ein Verhältnis von Subjekt und Natur ein, das mit der transzendentalen Analytik der ersten Kritik unvereinbar ist. Die Crux des Kantischen Dualismus ist die jeder strikt dualistischen Theorie. Sie muß die beiden Seiten, Form und Inhalt, als je für sich bestimmbar unterstellen. Da die Bestimmung des Inhalts der Erkenntnis aber notwendig der logischen Form genügen muß und eine Erkenntnis darstellt, gerät die dualistische Theorie entweder in einen Widerspruch zu sich selbst oder sie siedelt die Erkenntnis von Form und Inhalt jeder Erkenntnis in einer Metatheorie an, was sofort die Frage aufwirft, worin diese Metatheorie gründet. Entweder fällt ihre Begründung in eine dritte Theorie, deren 23 24
Vgl. KrV B XIII. KrV B 135f.
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Begründung in eine vierte usf., oder aber die Begründung der transzendentalen Erkenntnis ist reflexiv. Kant hat die Erkenntnis der Form und des Inhalts jeder Erkenntnis als transzendentale Erkenntnis von der Erkenntnis selbst geschieden.25 Den drohenden unendlichen Regreß ihrer Begründung in je anderen Metatheorien wehrt er ab, indem er dogmatisch auf dem kritischen Sinn der transzendentalen Bestimmungen besteht, wonach diese Bedeutung allein in der Funktion der Begründung von Erfahrungserkenntnis haben und darüber hinaus selbst nicht begründbar sind. Die Möglichkeit transzendentaler Erkenntnis bleibt so unerörtert.26 Kant begnügt sich mit ihrer Nominaldefinition. Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, insofern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt.27 Hätte Kant die Möglichkeit transzendentaler Erkenntnis begründen wollen, hätte diese Begründung, um den unendDieser Unterscheidung zwischen zwei Arten von Erkenntnis schließt sich Schüßler (1979; 106) insofern an, als sie den (transzendental-)philosophischen Beweis gegenüber dem wissenschaftlichen Beweisverfahren als einen Beweis sui generis bestimmt (106). Auch Fleischer (1984; 105) teilt diese Unterscheidung: Das Erkennen der transzendentalen Wahrheit, der Gesetzgebung des reinen Verstandes für die Gegenstände der Erfahrung, ist ein eigener Vollzug. Es ist Wissenschaft, und zwar Wissenschaft a priori. Es ist Philosophie, philosophische Selbsterkenntnis der Vernunft. – Dagegen spricht Krings (1979; 5) der transzendentalen Erkenntnis ab, Erkenntnis zu sein. Das transzendentale Verfahren [...] ist das Verfahren, das sich mit jenem Prius einer Handlung in weitem Sinn, hier des Erkennens, beschäftigt, das nicht wie reale Bedingungen erkannt werden kann, sondern das gedacht werden muß. 26 Sturma (1985; 120) rechtfertigt die Irreflexivität der Transzendentalphilosophie Kants ausdrücklich Die Lehre von der transzendentalen Einheit des Selbstbewußtseins setzt sich aus transzendentalen Bestimmungen zusammen, die sich sämtlich der Analyse der Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung verdanken. Weil ihr theoretischer Ort die Explikation von Konstitutionsverhältnissen im Erfahrungsprozeß ist, hat von ihnen zu gelten, daß sie erklärungsfunktional und demnach weder für sich thematisierbar noch auf sich selbst beziehbar sind. – Metz (1991; 185 FN 114) konstatiert, daß Kant selbst nur eine Definition von transzendentaler Erkenntnis, nicht aber eine ausdrückliche Untersuchung, wie und warum transzendentale Erkenntnis vollzogen werden kann, liefere. – Puntel (1983) kritisiert unter Rückgriff auf Hegel, Kants Position fehle es an Selbstthemativität (215). Es mutet sonderbar an, mit welcher Selbstverständlichkeit Kant und seine Interpreten bestimmte Unterscheidungen einführen, ohne daß sie auch nur die Frage stellen, unter welchen Bedingungen (Präsuppositionen) eine solche Einführung überhaupt möglich ist. Dazu gehören u.a. die Unterscheidungen zwischen Ding an sich und Erscheinung, Phaenomena und Noumena, Erkennen und Denken, intellectus archetypus und intellectus ectypus. (217). 27 KrV B 25; vgl. A 11 f; vgl. B 80 f.: Und hier mache ich eine Anmerkung, die ihren Einfluß auf alle nachfolgenden Betrachtungen erstreckt, und die man wohl vor Augen haben muß, nämlich: daß nicht eine jede Erkenntnis a priori, sondern nur die, dadurch wir erkennen, daß und wie gewisse Vorstellungen (Anschauungen oder Begriffe) lediglich a priori angewandt werden, oder möglich sind, transzendental (d. i. die Möglichkeit der Erkenntnis oder der Gebrauch derselben a priori) heißen müsse. [...] Der Unterschied des Transzendentalen und Empirischen gehört also nur zur Kritik der Erkenntnisse, und betrifft nicht die Beziehung derselben auf ihren Gegenstand. 25
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lichen Regreß der Begründung in je anderen Metatheorien zu vermeiden, die Gestalt einer reflexiven Begründung der Transzendentalphilosophie haben müssen. Daß sich bei Kant eine reflexive Begründung transzendentaler Erkenntnis nicht findet, ist kaum strittig;28 inwiefern eine solche auf dem Boden der Kantischen Erkenntnistheorie auch gar nicht möglich ist, ist hingegen umstritten.29 Unmöglich ist die reflexive Begründung transzendentaler Erkenntnis solange, wie die transzendentale Reflexion von ihr fremden Voraussetzungen ausgeht. In der Tat ist die Kantische Transzendentalphilosophie irreflexiv, weil sie ihre Voraussetzungen unbegründet läßt. Diese Voraussetzungen sind verschiedener Art. Vorausgesetzt sind zum einen Wirklichkeit und Geltung von Mathematik und reiner Naturwissenschaft, die beiden heEine Ausnahme bildet etwa Bubner (1974; 23): Transzendental dürfen Kant zufolge nur Erkenntnisse heißen, in denen die Erkenntnis in bezug auf ihre spezifischen Möglichkeiten Thema ist. Wenn dies gilt, so thematisiert die transzendental genannte Erkenntnis mit den allgemeinen Erkenntnisbedingungen auch die Voraussetzungen ihres eigenen Entstehens und Arbeitens. Für das transzendentale Argument ist die Selbstbezüglichkeit kennzeichnend. Vgl. Bubner (1984; 72): Die Reflexion auf das vorhandene Wissen zum Zwecke seiner Legitimation bewegt sich innerhalb des Rahmens, auf den sie die Aufmerksamkeit lenkt. Die Selbstbezüglichkeit transzendentaler Argumente besteht darin, daß ihr Reden über Alternativlosigkeit sich innerhalb desselben sinnvollen Sprechens vollzieht, mit dem wir uns auch über die Welt verständigen. – Baumgartner (1984; 81) kritisiert zu Recht: Bubner suggeriert, daß die Strategie der Selbstbezüglichkeit deswegen durchgängig die transzendentale Argumentation Kants bestimmt, weil wir nur über empirisches Wissen verfügen. Da diese Unterstellung aber für Kant nicht zutrifft, kann die Frage der Selbstbezüglichkeit im Hinblick auf ihn nicht in dieser Weise exponiert werden. [...] Selbstbezüglichkeit im Sinne Kants [...] findet sich lediglich darin, daß der für die Rechtfertigung der Kategorien schlechthin erforderliche Aktus einer ursprünglichen Einheitsstiftung im Ich denke gefunden wird, und daß die philosophische Rede über das grundlegende Ich denke eben dieses Ich denke voraussetzt, daß die Ermittlung der Funktionen zu begreifen, zu urteilen, zu schließen eben diese Funktionen realisiert. 29 Nach Aschenberg (1982; 263) ist der Einwand der Irreflexivität der Kantischen Transzendentalphilosophie unabweisbar und führe nahezu zwangsläufig zu Zweifeln auch an ihrer Fähigkeit, wenigstens die Möglichkeit von mathematischer und empirischer und die Unmöglichkeit von transzendent-metaphysischer Erkenntnis zu begründen. Der Einwand laufe somit auf die These hinaus, daß eine Theorie, welche die Möglichkeit andrer Erkenntnistypen soll begründen können, zuallererst die Möglichkeit des Erkenntnistyps sichern muß, den sie selbst exemplifiziert. – Nach Heinrichs (1986; 63) fällt Kants Transzendentalphilosophie einer monströsen Selbstvernichtung anheim, weil sie Erkenntnis nur als anschauungsbezogene gelten lasse, selbst aber nicht anschauungsbezogen sei. Dieser transzendentale Traktat paßt jedoch – eine Ungeheuerlichkeit! – nicht mehr in seine eigene Erkenntnistheorie, wenn und weil sie nicht die reflexive Erkenntnis und damit auch sich selbst als solche gelten läßt. – Nach Hösle (1987; 18) fehlt bei Kant eine – noch so hypothetische – Begründung der eigenen metatheoretischen Sätze [...], und es ist auch nicht zu sehen, wie Kant derartige Sätze irreflexiv begründen könnte, ohne in den infiniten Regreß zu verfallen. – Metz (1991) zufolge sehen diese Interpreten den Wald vor lauter Bäumen nicht (174). Transzendentale Reflexion sei auf dem Boden der Kantischen Erkenntnislehre sehr wohl möglich, denn auch ihr eigene ein indirekter Gegenstandsbezug (176). 28
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terogenen Erkenntnisstämme Verstand und Sinnlichkeit, die datensensualistische Auffassung unseres Bewußtseins sowie der Unterschied von Form und Inhalt der Erkenntnis. Diese Voraussetzungen sind als Voraussetzungen der transzendentalphilosophischen Untersuchung Voraussetzungen der untersuchenden Instanz – der transzendentalen Reflexion. Diese ist aber selbst auch eine Voraussetzung der Untersuchung. Die Voraussetzungen der Transzendentalphilosophie sind also zweifacher Art. Vorausgesetzt ist einmal die transzendentale Reflexion, und vorausgesetzt sind zum zweiten die Voraussetzungen dieser Voraussetzung. Nun setzt Kant zwar die existierenden Wissenschaften, die Erkenntnisstämme, den Datensensualimus und die Differenz von Form und Inhalt der Erkenntnis der transzendentalen Reflexion voraus, die Bestimmung dieser Voraussetzungen zu solchen der transzendentalen Reflexion setzt aber deren Bestimmbarkeit voraus, und sie setzt die Reflexion, welche sie zu ihren Voraussetzungen bestimmt, voraus. Sie setzt diese Reflexion aber nicht als bestimmbare, sondern als bestimmende voraus, die in sich selbst gründet. Kant hat weder die eine noch die andere Voraussetzung der transzendentalen Reflexion thematisiert. Er hat weder die Bestimmbarkeit der Voraussetzungen der transzendentalen Reflexion zu Voraussetzungen dieser Reflexion bestimmt, noch hat er die transzendentale Reflexion als sich selbst setzende bestimmt, die, indem sie sich selbst setzt, auch ihre Beziehung auf ihre Voraussetzungen setzt.30 Die transzendentale Reflexion geht auf die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis, nicht aber auf die Bedingungen der Möglichkeit von transzendentaler Erkenntnis, und schon gar nicht reflektiert sie auf ihre eigene Möglichkeit. Sie wird sich als untersuchende Instanz nicht selbst thematisch. Dort, wo Kant die transzendentale Reflexion thematisiert, im Anhang: Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe, thematisiert er sie gerade nicht als das Subjekt der transzendentalphilosophischen Untersuchung und nicht als sich selbst und ihre Voraussetzungen bestimmende Reflexion. Die Überlegung (reflexio) hat es nicht mit den Gegenständen selbst zu tun, um geradezu von ihnen Begriffe zu bekommen, sondern ist der Zustand des Gemüts, in welchem wir uns zuerst dazu anschicken, um die subjektiven Bedingungen ausfindig zu machen, unter denen wir zu Begriffen gelangen können. Sie ist das Bewußtsein des Verhältnisses gegebener Vorstellungen zu unseren verschiedenen Erkenntnisquellen, durch welches allein ihr Verhältnis untereinander richtig bestimmt werden kann. Die erste Frage vor aller weiteren Behandlung unserer Vorstellung ist die: in welchem Erkenntnisvermögen gehören sie zusammen? Ist es der Verstand, oder sind es die Sinne, vor denen sie verknüpft, oder verglichen werden? [...] Die Handlung, dadurch ich die Vergleichung der Vorstellungen überhaupt mit der Erkenntniskraft zusammenhalte, darin sie angestellt wird, und wodurch ich unterscheide, ob sie als zum reinen Verstande oder zur sinnlichen Anschauung gehörend untereinander verglichen werden, nenne ich die transzendentale Überlegung.31 Die transzendentale Reflexion hat es Vgl. Hegels Ausführungen über die setzende, äußere und bestimmende Reflexion in: Wesen 249ff. 31 KrV B 316. 30
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nicht mit den Gegenständen zu tun, sie führt deshalb nicht zu gegenständlicher Erkenntnis, sondern zu einer Erkenntnis über die Art unserer Erkenntnis. Im Unterschied zur überlieferten logischen Reflexion, der Vergleichung gegebener Vorstellungen vermittels der Reflexionsbegriffe der Einerleiheit und Verschiedenheit, der Einstimmung und des Widerstreits, des Inneren und des Äußeren, des Bestimmbaren und der Bestimmung (Materie und Form), dient die transzendentale Reflexion nicht der Bildung von gegenstandsbezogenen, objektiven Begriffen und Urteilen, sondern der Klärung der Voraussetzungen, unter denen diese möglich ist.32 Während die logische Reflexion eine bloße Komparation ist, eine formelle Vergleichung gegebener Vorstellungen ungeachtet dessen, ob sie zum reinen Verstand oder zur Sinnlichkeit gehören, enthält die transzendentale Reflexion das Verhältnis gegebener Vorstellungen zu Verstand und Sinnlichkeit und damit den Grund der Möglichkeit der objektiven Komparation der Vorstellungen untereinander [...].33 Der ermöglichende Grund objektiver Komparation gegebener Vorstellungen besteht in der Verknüpfung oder Einheit von Verstand und Sinnlichkeit, welche als voneinander unabhängige Erkenntnisquellen ihre je eigenen Unterschiede bei sich führen,34 die nicht aufeinander rückführbar sind. Leibniz und Locke haben Kant zufolge die Selbständigkeit der beiden Erkenntnisquellen ignoriert. Leibniz habe in der sinnlichen Anschauung, Locke im Verstand keine eigene Quelle von Erkenntnis gesehen. Infolgedessen habe jener die Erscheinungen intellektuiert, dieser die Verstandesbegriffe sensifiziert.35 Indem die transzendentale Reflexion den transzendentalen Ort gegebener Vorstellungen, ihre Stelle entweder im reinen Verstand oder in der Sinnlichkeit, bestimmt, errichtet sie eine transzendentale Topik.36 Sie stellt damit sicher, daß der Gebrauch der Reflexionsbegriffe zu gegenständlicher Erkenntnis auf solche Vorstellungen eingeschränkt wird, die gleichermaßen den Bedingungen des reinen Verstandes und denen der Sinnlichkeit unterliegen. Sie verhindert damit, daß der Gebrauch dieser
Kants Ausdrucksweise scheint im Amphibolie-Abschnitt geradezu darauf angelegt zu sein, das Verständnis des Gedankengangs zu erschweren. So spricht Kant zunächst davon, daß die transzendentale Reflexion es nicht mit den Gegenständen zu tun habe, um dann zu formulieren, es komme bei der transzendentalen Reflexion im Unterschied zur logischen Reflexion darauf an, ob die Dinge selbst einerlei oder verschieden, einstimmig oder im Widerstreit sind usw. [...] (B 318). Dazu bemerkt Schnädelbach richtig: [T]ranszendentale Reflexion geht in dem Sinne auf die Gegenstände selbst, daß sie primär die Bedingungen des Objektbezugs von Begriffen angibt [...]. (1977; 92). 33 KrV B 318f. 34 KrV B 326; vgl. B 338: Der Begriff von einem Kubikfuße Raum, ich mag mir diesen denken, wo und wie oft ich wolle, ist an sich völlig einerlei. Allein zwei Kubikfüße sind im Raume dennoch bloß durch ihre Örter unterschieden (numero diversa); diese sind Bedingungen der Anschauung, worin das Objekt dieses Begriffs gegeben wird, die nicht zum Begriffe, aber doch zur ganzen Sinnlichkeit gehören. 35 KrV B 327. 36 Vgl. KrV B 324. 32
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Begriffe durch die Verwechslung des empirischen Verstandesgebrauchs mit dem transzendentalen37 oder der Erscheinung mit dem reinen Verstandesobjekt amphibolisch wird und zu synthetischen Erkenntnissen a priori führt, welche die kritische Vernunft nicht anerkennen kann [...].38 Als topologisches Verfahren hat die transzendentale Reflexion das Resultat der transzendentalen Ästhetik und Analytik zu ihrer Voraussetzung. Ist ihr der Grund der Möglichkeit der objektiven Komparation der Vorstellungen untereinander, die Einheit der beiden Erkenntnisstämme, aus der Analytik vorgegeben, dann ist es nicht verwunderlich, daß sie bestätigt, was wir hauptsächlich eingeschärft haben: daß, obgleich Erscheinungen nicht als Dinge an sich selbst unter den Objekten des reinen Verstandes mit begriffen sind, sie doch die einzigen sind, an denen unsere Erkenntnis objektive Realität haben kann, nämlich, wo den Begriffen Anschauung entspricht.39 Bestätigte die transzendentale Reflexion aber nur die Resultate von Ästhetik und Analytik, die ihre Voraussetzung und Grundlage bilden, und kritisierte Leibniz und Locke, die diese Voraussetzungen nicht teilen, so wäre sie entbehrlich. Sie fügte der Transzendentalphilosophie nichts hinzu, und ihre Kritik der Tradition bliebe dieser äußerlich. Wenn Kants Ausführungen zur transzendentalen Reflexion im AmphibolieAbschnitt dennoch nicht entbehrlich sind, dann deshalb, weil sie geeignet sind, über ihr eigentliches Thema hinaus das Verfahren der transzendentalen Kritik insgesamt zu erhellen. Kants Definition der transzendentalen Reflexion, diese sei der Zustand des Gemüts, in welchem wir uns zuerst dazu anschickten, um die subjektiven Bedingungen ausfindig zu machen, unter denen wir zu Begriffen gelangen könnten, deckt sich nämlich mit der Aufgabe der Kritik der reinen Vernunft als Untersuchung des Erkenntnisvermögens. Legt man Kants klassische Definition von transzendental zugrunde, und folgt man der Bestimmung von reflexio, die zu Beginn des Amphibolie-Kapitels gegeben wird, so spricht nichts dagegen, Kants eigenes Verfahren kritischen Philosophierens als transzendentale Reflexion zu bezeichnen, auch wenn es im Amphibolie-Kapitel selbst weit unterbestimmt bleibt.40 Die Kritik, Kants Ausführungen über die transzendentale Amphibolie ließen die transzendentale Reflexion als das der Erkenntniskritik zugrundeliegende Verfahren unterbestimmt, ist richtig, greift aber, indem sie die transzendentale Reflexion als Verfahren oder als das Organon transzendentaler Kritik überhaupt41 auffaßt, zu kurz. Sie wirft nämlich die Frage auf, wer Subjekt dieses Verfahrens ist, wie dieses Subjekt selbst und somit transzendentale Erkenntnis möglich ist. Sie bestätigt damit einen Mangel, der der Kantischen Darstellung selbst anhaftet. Denn ist das Erkennen das Werkzeug, sich des absoluten Wesens zu bemächtigen, so fällt sogleich auf, daß die Anwendung eines Werkzeugs auf eine Sache, sie vielmehr nicht läßt, wie sie für 37 38 39 40 41
KrV B 316. KrV B 326. KrV B 334f. Schnädelbach (1977), 94. Schnädelbach (1977), 93.
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sich ist, sondern eine Formirung und Veränderung mit ihr vornimmt. [...] Wir gebrauchen [...] ein Mittel, welches unmittelbar das Gegentheil seines Zwecks hervorbringt; oder das Widersinnige ist vielmehr, daß wir uns überhaupt eines Mittels bedienen.42 Die Kritik Hegels an der ausgeführten Gestalt der Kantischen Erkenntnistheorie nimmt diese beim Wort. Die Kritik der reinen Vernunft ist laut Kant eine Untersuchung der Vernunft durch sich selbst.43 Soll dieser Anspruch eingelöst werden, kann die Untersuchung nur immanent erfolgen, nicht aber durch die Anwendung eines Verfahrens oder Mittels auf die Vernunft. Ein Standpunkt außerhalb der Vernunft, von dem aus solche Anwendung erfolgen könnte, läßt sich vernünftigerweise nicht bestimmen. Wir können aus dem Umkreise unserer Vernunft nicht herausgehen; gegen die Sache selbst ist gesorgt [...].44 Mithin ist die transzendentale Reflexion die Vernunft selbst in der Bestimmtheit des Subjekts der Untersuchung. Mit der transzendentalen Reflexion hat Kant implizit das Subjekt der Untersuchung bezeichnet und vom erkennenden Ich als dem Objekt dieser Untersuchung unterschieden. Doch diese Unterscheidung, und damit auch das Verhältnis der Unterschiedenen, wird Kant nirgends zum Problem. Es kann Kant zufolge auch gar nicht sinnvoll zum Problem gemacht werden, weil die Unterschiedenen in ihrem Wesen und Sein unbestimmt bleiben müssen. Die transzendentale Reflexion reflektiert auf die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung, also von empirischer und doch notwendiger und allgemeiner Erkenntnis, nicht aber auf die Bedingungen der Möglichkeit von transzendentaler Erkenntnis. Sie wird sich selbst nicht thematisch, und sie könnte in einer anderen Theorie nur um den Preis des unendlichen Regressus thematisch werden. Ebenso bleiben nach Kant Wesen und Sein des erkennenden Ich unbestimmt, denn jeder Versuch der Bestimmung des Ich in der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption setzte dieses immer schon voraus, geriete also zirkulär. Die transzendentale Einheit der Apperzeption könne über den Aufweis ihres Vollzugs hinaus nicht bestimmt werden. Der naheliegende Gedanke, daß die Unterscheidung von transzendentaler Reflexion und transzendentaler Einheit der Apperzeption eine der Sache äußerliche ist, weil die transzendentale Einheit der Apperzeption als Subjekt aller Theorie45 auch Subjekt der Transzendentalphilosophie sein muß und infolgedessen die transzendentalphilosophische Untersuchung eine Selbstuntersuchung und Selbstbestimmung dieses Subjekts, ist kein Kantischer. Nach Kant fällt das Verhältnis der Erkenntnisvermögen zueinander in die transzendentale Reflexion, die Möglichkeit der transzendentalen Reflexion und ihr Verhältnis zu den Erkenntnisvermögen aber bleibt unerHegel, PhG 53. Die reine Vernunft ist in der Tat mit nichts als sich selbst beschäftigt, und kann auch kein anderes Geschäft haben [...], heißt es in KrV B 708 in bezug auf die transzendentale Dialektik. 44 Fichte, NR 348 [40]. 45 Da nach Kant die synthetische Einheit der Apperzeption der höchste Punkt [ist], an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr, die Transzendental-Philosophie heften muß [...] KrV B 134. 42 43
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I. KANT
örtert. So bleibt das Subjekt der Untersuchung unseres Erkenntnisvermögens von der Untersuchung ausgenommen und die Transzendentalphilosophie irreflexiv. Der Titel Kritik der reinen Vernunft, der nach Kant als genitivus subiectivus und obiectivus verstanden werden muß, verspricht Reflexivität, dieses Versprechen wird durch die Argumentation aber nicht eingelöst.
II. FICHTE
... giebt’s keine Philosophie aus Einem Stücke, so giebt’s überhaupt keine Philosophie, sondern etwa andächtige Betrachtungen auf alle Tage im Jahre. [J. G. Fichte, WL 1804-II 284 (237).]
A. Die Reflexivität der Transzendentalphilosophie Fichtes Der Anspruch der Transzendentalphilosophie Kants auf apodiktische Gewißheit ist mit ihrem Verfahren der transzendentalen Reflexion auf gegebene Voraussetzungen unvereinbar. Betätigt sich die transzendentale Reflexion an ihr vorgegebenen Voraussetzungen, können ihre Resultate nur von komparativer Allgemeinheit sein. Kategorien, Schemata und Grundsätze sind auf diese Weise nicht als konstitutiv für die Erkenntnis und die Gegenstände der Erkenntnis aufweisbar. Wird die Möglichkeit der transzendentalen Reflexion nicht selbst zu einem Gegenstand dieser Reflexion, zählt sie selbst zu den gegebenen Voraussetzungen der Vernunftkritik. Soll darüber hinaus Kants Rede von der Einheit der Vernunft gegründet sein, so muß nicht nur dieser Grund, sondern auch seine Wißbarkeit der Transzendentalphilosophie zu entnehmen sein. Kants Äußerungen zur Einheit der Vernunft und der Notwendigkeit der systematischen Entfaltung ihrer Bestimmungen haben proklamatorischen oder programmatischen Charakter.1 Der Einlösung dieses Programms auf dem Boden der kritischen Philosophie setzt bereits die Kritik der reinen Vernunft mit der Lehre von den beiden Erkenntnisstämmen unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen. Die Erkenntnis, wonach jede Erkenntnis aus dem Zusammenspiel von Verstand und Sinnlichkeit resultiert, resultiert selbst nicht aus dem Zusammenspiel von Verstand und Sinnlichkeit. Die idealistischen Nachfolger Kants erkennen diesen Mangel der kritischen Philosophie, besonders der Kritik der reinen Vernunft, sofort. Die Begründung, das Setzen der Voraussetzungen, rückt deshalb nicht zufällig ins Zentrum ihrer theoretiIn der Kritik der reinen Vernunft (B 868) heißt es: Die Gesetzgebung der menschlichen Vernunft (Philosophie) hat nun zwei Gegenstände, Natur und Freiheit, und enthält also sowohl das Naturgesetz, als auch das Sittengesetz, anfangs in zwei besonderen, zuletzt aber in einem einzigen philosophischen System. – In der Kritik der praktischen Vernunft (A 162) sagt Kant: Demjenigen, der sich von den in der Analytik vorkommenden Sätzen hat überzeugen können, werden solche Vergleichungen [zwischen der Analytik der KrV u. der KpV] Vergnügen machen; denn sie veranlassen mit Recht die Erwartung, es vielleicht dereinst bis zur Einsicht der Einheit des ganzen reinen Vernunftvermögens (des theoretischen sowohl als praktischen) bringen, und alles aus einem Prinzip ableiten zu können; welches das unvermeidliche Bedürfnis der menschlichen Vernunft ist, die nur in einer vollständig systematischen Einheit ihrer Erkenntnisse völlige Zufriedenheit findet. – In der Kritik der Urteilskraft (B XXV) schließlich faßt Kant die drei Kritiken unter dem Titel Kritik der reinen Vernunft zusammen und bemerkt, deren Geschäft bestehe darin, vor der Unternehmung jenes Systems [alles] zum Behuf der Möglichkeit desselben, auszumachen [...]. 1
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II. FICHTE
schen Anstrengung. Es ist eine Konsequenz ihrer Kritik an Kant, wonach dieser mit dem Ich denke zwar die absolute Bedingung allen Bewußtseins gefunden, es aber unterlassen habe, alle weiteren Bedingungen aus dieser abzuleiten. Kant habe nur ein Aggregat äußerlich aufeinander bezogener Vernunftbestimmungen geliefert, statt diese Bestimmungen systematisch aus dem einen Prinzip Ich denke abzuleiten.2 Ihre Generalkritik bringt Reinhold schon früh auf die prägende Formel von den fehlenden Prämissen der Kantischen Philosophie, wobei er dem bei Kant zu konstatierenden Mangel eine historische Berechtigung konzediert. Daß die eigentlichen Prämissen einer Wissenschaft erst nach der Wissenschaft selbst gefunden werden, ist nichts neues, sondern eine nothwendige Folge des analytischen Ganges, der den Fortschritten des menschlichen Geistes durch die Natur desselben vorgeschrieben ist.3 Um den Anspruch der Kantischen Transzendentalphilosophie auf apodiktische Gewißheit einlösen zu können, muß demnach über sie hinausgegangen werden. Kant hat überhaupt die richtige Philosophie; aber nur in ihren Resultaten, nicht nach ihren Gründen. Dieser einzige Denker wird mir immer wunderbarer; ich glaube, er hat einen Genius, der ihm die Wahrheit offenbart, ohne ihm die Gründe derselben zu zeigen!,4 so Fichte. Die Philosophie ist noch nicht am Ende, so Schelling, Kant hat die Resultate gegeben: die Prämissen fehlen noch. Und wer kann Resultate verstehen ohne Prämissen?5 Nach Reinhold (1790; 315 f.) bleibt Kant die Rechtfertigung der Kategorien schuldig: Um aber die [...] Categorien als bloße in der Handlungsweise des Verstandes bestimmte Modifikationen der objektiven Einheit zu entdecken, ist die bloße, (auch an sich richtige und vollständige) Aufstellung der Formen der Urtheile, welche in der Kritik der Vernunft vorgenommen ist, [...] nicht hinreichend. Es muß dabey die Vollständigkeit dieser Formen selbst erwiesen; es muß gezeigt werden, daß nur die angegebenen vier Momente (der Quantität, Qualität, Relation, Modalität) und nicht mehr und nicht weniger; und in jedem derselben nur drey Formen der Urtheile nicht mehr und nicht weniger möglich sind. Dieß ist [...] in der Kritik der Vernunft nicht geschehen; und da von dem Beweise dieser Vollständigkeit die Erweislichkeit des wirklich gerechten Anspruchs der Kr. d. r. V., das ganze Feld der Verstandes ausgemessen und die Stammbegriffe dieses Vermögens erschöpft zu haben, abhängt: so dürfte wohl schon in dieser Rücksicht allein der Theorie des V. V. [Vorstellungsvermögens] von der Kr. d. r. V. noch etwas mehr als die bloße weitere Erörterung der Kantischen Begriffe übrig gelassen worden seyn. – Fichte zufolge leitet Kant die Kategorien nicht aus der Ichheit ab, erweist sie nicht als deren nothwendige[] HandelnsWeisen, sondern er faßt diese Gesetze etwa so, wie sie schon unmittelbar auf die Objecte angewendet werden, also auf ihrer tiefsten Stufe (man nennt sie auf dieser Stufe Kategorieen) irgend woher auf, und behauptet nun; durch diese würden die Objecte bestimmt und geordnet. EE 201 [442]. – Hegel befindet in der Phänomenologie des Geistes: Die Vielheit der Kategorien aber auf irgendeine Weise wieder als einen Fund, zum Beyspiel aus den Urtheilen, aufnehmen, und sich dieselben so gefallen lassen, ist in der That als eine Schmach der Wissenschaft anzusehen; wo sollte noch der Verstand eine Nothwendigkeit aufzuzeigen vermögen, wenn er diß an ihm selbst, der reinen Nothwendigkeit, nicht vermag. (135). 3 Reinhold (1789), 67. 4 Im Dezember 1793 an Heinrich Stephani (Briefe a 28). 5 Im Januar 1795 an Hegel (Frank/ Kurz 1975, 119). 2
A. Die Reflexivität der Transzendentalphilosophie Fichtes
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Wieder ist es Reinhold, der den Weg zeigt, auf dem zunächst versucht wird, die fehlenden Prämissen Kants zu bestimmen. Ihre Bestimmung fällt einer Philosophie zu, die hinter die von Kant aufgestellten Prinzipien der Erkenntnis zurückgeht auf die Erkenntnis der Prinzipien der Erkenntnis6 und einen ersten, durch sich selbst bestimmten Grundsatz aufstellt, in dem die Kantischen Entgegensetzungen von theoretischer und praktischer Philosophie, Verstand und Sinnlichkeit, Apriorischem und Aposteriorischem aufgehoben sind.7 Diese Philosophie, die durch die systematische Bestimmung ihres eigenen Begriffs das Fundament für die Philosophie als Wissenschaft legt, ist Elementarphilosophie8 oder Philosophie der Philosophie.9 Dabei wird schon bei Reinhold deutlich, daß die Bestimmung der Prämissen der Kantischen Philosophie diese nicht nur um ihre Gründe ergänzt, sondern ihre zentralen Begriffe und also diese Philosophie selbst entscheidend verändert.10 Die Elementarphilosophie ist daher von der Kritik der r.V. wesentlich verschieden, und die Philosophie, von der sie als wissenschaftliches Fundament einen Theil ausmacht, und welche in ihren übrigen Theilen auf sie gegründet ist, kann so wenig kritische – als empirische, rationalistische oder skeptische Philosophie heißen; sie ist Philosophie ohne Beynamen.11 Schrader (1978), XI*. Zu Reinholds Interpretation der Kantischen Philosophie und seiner Begründung der Philosophie als Wissenschaft vgl. Teichner (1976), 188ff.; Bondeli (1995), 35-153. 7 Die Wissenschaft vom Vorstellungsvermögen dient aller theoretischen und praktischen Philosophie zum Fundamente [...]. Reinhold (1791), 71f. Die Elementarphilosophie ist die wissenschaftliche Quelle der Principien für alle Theile der abgeleiteten Philosophie; ihr Resultat sind die Grundsätze der theoretischen und praktischen, und zwar der reinen Philosophie unmittelbar; der empirischen durch die reine. (ebd. 117 f.). Ihr oberster Grundsatz ist der erste Grundsatz nicht der Metaphysik, nicht der Logik, sondern der Philosophie [...]. Alles als ausgemacht angenommene muß dann [...] mittelbar oder unmittelbar, durch jenen ersten Satz bestimmt werden. Reinhold (1790), 358f. 8 Reinholds Elementarphilosophie ist unvollendet geblieben. Weder Der Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens von 1789 noch die Neue Darstellung der Hauptmomente der Elementarphilosophie von 1790 enthalten eine abgeschlossene systematische Darstellung. Vgl. Henrich (1989), 121ff.; 140. 9 Reinhold (1790), 55. 10 Bondeli (1995), 72: Bei Reinhold wird erstmals das Problem ersichtlich, daß die Kantischen Begriffe von Objekt‹ und Ding an sich‹ infolge der Integration der praktischen Vernunft in die theoretische eine andere Struktur annehmen und daß die Dualismen von apriorischer und aposteriorischer Erkenntnis sowie von analytischem und synthetischem Urteil aufgegeben werden müssen, sobald das Einheitssystem konsistent gedacht wird. – Zur unterschiedlichen Bestimmung der Philosophie als eines Systems bei Kant und Reinhold vgl. Schrader (1978). 11 Reinhold (1791), 132. Besteht nach Kant das Geschäft der Kritik der reinen Vernunft darin, das Verfahren der Metaphysik umzuändern und an ihr nach dem Vorbild der Geometer und Naturforscher eine gänzliche Revolution vorzunehmen (KrV B XXII), so ist dieses Geschäft nach Reinhold (1794; 415ff.) durch die Kritik nicht abgeschlossen. So unübertreflich nun Herr Kant dieses Geschäft behandelt, und so vollkommen er dasselbe in Rücksicht auf die Gründung und Einleitung der nunmehr ganz unvermeidlichen Revolution vollendet hat; so wenig kann es 6
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II. FICHTE
Fichte teilt Reinholds Forderung, die Philosophie insgesamt auf einen ersten Grundsatz zu gründen,12 und ist wie dieser der Ansicht, daß Kant selbst mit der transzendentalen Einheit der Apperzeption diesen obersten Grundsatz zwar nicht bestimmt aufgestellt, aber doch auf ihn gedeutet13 habe. Fichte erkennt aber Reinholds Interpretation des Kantischen Grundsatzes als Satz der Bewußtseins14 nicht als das Erste Prinzip aller Philosophie an, weil er auf empirische[r] Selbstbeobachtung15 gründe, und er hält dessen Theorie des Vorstellungsvermögens für ungeeignet, bey demjenigen, was davon der Natur der Sache gemäß in der Kritik der reinen Vernunft geleistet werden konnte, bewenden bleiben, wenn die Metaphysik dadurch wirklich auf den sichern Gang der Wissenschaft gebracht werden soll. Denn ungeachtet diese Propädeutik der Metaphysik an den durch sie entdeckten und erschöpften Formen der sinnlichen Vorstellungen, der Begriffe und der Ideen ursprünglich letzte Elemente aufgestellt hat, die in so ferne allgemein gelten, als sie in der Natur jedes menschlichen Gemüthes vorhanden und geschäftig sind; so hat sie doch keineswegs noch die eigentliche Wissenschaft dieser Elemente, oder welches eben so viel heißt, das System der Elementarphilosophie geliefert, noch keineswegs die Entwicklung und Darstellung jener Formen in solchen Lehr- und Folgesätzen unternommen, die aus allgemeingeltenden und nur in so ferne streng wissenschaftlichen, Grundsätzen erwiesen; und in wie ferne sie ein systematisches Ganzes ausmachen sollen, einem einzigen ersten und allgemeingeltenden Grundsatze untergeordnet wären. In wie ferne erst durch die Kritik der Vernunft die Entdeckung solcher allgemeingeltenden Principien möglich werden konnte, in so ferne konnte dieses Werk noch keineswegs von solchen Principien ausgehen. 12 Schon im Vorfeld der Wissenschaftslehre ist allerdings heftig umstritten, ob eine Philosophie aus einem ersten Grundsatz überhaupt möglich sei. Vgl. Henrich (1991), 245ff. u. pass. 13 GWL 262 [99]. Vgl. Reinhold (1790), 305f.: Ich fand [...] daß in der Erörterung jenes Grundsatzes von der Identität des Selbstbewußtseyns in Rücksicht auf alle möglichen Vorstellungen als zu Einem Subjekte gehörig, die Rede sey, die sich durchaus nicht denken lasse, wenn nicht gewisse Formen der Verknüpfung der Vorstellungen in der Handlungsweise der verknüpfenden Spontaneität bestimmt wären. In dieser Rücksicht fand ich auch den Grundsatz der synthetischen Einheit der Apperception über aller Einwendung erhaben; aber auch nicht bloß auf das Mannigfaltige der Anschauungen, sondern aller Vorstellungen überhaupt anwendbar, die im Bewußtseyn vorkommen können. – Zum Verhältnis der transzendentalen Einheit der Apperzeption Kants zu Reinholds Satz des Bewußtseins vgl. G. Baum (1974; 93): Die reine Apperzeption Kants unterscheidet sich [...] in nichts von Reinholds Theorie des Bewußtseins überhaupt‹ [...]. – Differenzierter dazu Bondeli (1995). 14 Der oberste Grundsatz ist nach Reinhold der Satz des Bewußtseyns: Im Bewußtseyn wird die Vorstellung durch das Subjekt vom Subjekt und Objekt unterschieden und auf beyde bezogen. (1790; 167). Vgl. Reinhold (1791): Ich habe den Satz des Bewußtseyns einen durch sich selbst bestimmten Satz genannt. Ich verstehe unter einem solchen Satze denjenigen, dessen Sinn sich durch keinen höhern Satz bestimmen läßt. (82) Der S. d. B. ist durchgängig durch sich selbst bestimmt, und unterscheidet sich dadurch von allen andern möglichen Sätzen. Durchgängig sage ich, weil in ihm schlechterdings kein angebliches Merkmal vorkömmt, das nicht bloß allein durch ihn bestimmt werden könnte und müßte. (83). 15 Rez. 46 [8]. Fichtes erster Systementwurf, die wenige Monate vor der in Jena vorgetragenen Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre verfaßten Eignen Meditationen über ElementarPhilosophie, sind durch die Reinhold-Kritik von Gottlob Ernst (Aenesidemus) Schulze stark
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die Bestimmungen der praktischen Vernunft in das Eine System der Transzendentalphilosophie zu integrieren. Um Kants Philosophie zu vollenden, muß nach Fichte nicht nur über Kant, sondern auch über Reinhold hinausgegangen werden. Fichtes Hinausgehen über Kant drückt sich bereits in der Bestimmung des Gegenstandes der Wissenschaftslehre aus. Das Objekt der Wissenschaftslehre ist [...] das System des menschlichen Wissens.16 Die Wissenschaftslehre will nicht wie die Kritik der reinen Vernunft den Bereich bestimmen, in dem objektive Erkenntnis möglich ist, sondern die notwendigen Handlungen des menschlichen Geistes, das System des menschlichen Wissens, durch transzendentale Reflexion ins Bewußtsein heben, das heißt in einem wissenschaftlichen System darstellen.17 Kants transzendentaler Idealismus beantwortet die Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori, indem er die Grundsätze des reinen Verstandes als die allgemeinen Formen der Gesetzmäßigkeit der Erscheinungswelt begründet, welche allgemeinen Formen aber für sich leer sind und nur unter der Bedingung, daß etwas empirisch gegeben ist, zu besonderen Gesetzen besonderer Gegenstandsbereiche und Gegenstände zu spezifizieren sind. Der Dualismus von Form und Inhalt der Erkenntnis ist bei Kant unüberwindbar, denn er gründet in der für seine Erkenntnistheorie konstitutiven Lehre von den beiden heterogenen Stämmen der Erkenntnis Verstand und Sinnlichkeit. Der Inhalt der apriorischen Formen ist ursprünglich ein in den Formen der Anschauung empirisch gegebenes Mannigfaltiges, ein gegebener Stoff. Form und Inhalt sind deshalb durch das transzendentale Konstitutionsgefüge nicht zu vermitteln und bleiben zwei heterogene Stücke. Für die Wissenschaftslehre sind dagegen Form und Stoff [...] nicht besondere Stücke: die gesammte Formheit ist der Stoff, und erst in der Analyse bekommen wir einzelne Formen.18 Der Stoff, von dem hier die Rede ist, besteht in dem System der nothwendigen HandelnsWeisen [...]19 des menschlichen Geistes. Dieser Stoff ist identisch mit dem Gegenstand der Wissenschaftslehre. Er ist nicht empirisch, sondern a priori gegeben. Er besteht unabhängig von der in der Wissenschaftslehre angestellten Reflexion auf ihn.20 beeinflußt. Fichte 1793 in einem Briefentwurf: Aenesidemus, den ich unter die merkwürdigen Produkte unsers Jahrzehends zähle, hat mich von dem überzeugt, was ich vorher wohl schon ahndete daß selbst nach Kants, u. Reinholds Arbeiten die Philosophie noch nicht im Zustande einer Wißenschaft ist [,] hat mein eignes System in seinen Grundfesten erschüttert, u. hat mich, da sich’s unter freiem Himmel nicht gut wohnt, genöthigt von neuem aufzubauen. (Briefe a 18). Zu Fichtes Einschätzung der Philosophie Kants und Reinholds und der Kritik des Aenesidemus (und Maimons) vgl. die Vorrede zur ersten Ausgabe Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre; ferner Fichtes Rezension der Reinhold-Kritik von Gottlob Ernst (Aenesidemus) Schulze. – Zur Bedeutung des Aenesidemus für Fichtes Entwicklung der Wissenschaftslehre vgl. Claesges (1974); Stolzenberg (1986). 16 Begriff 140 [70]. 17 Die Wissenschaftslehre ist nicht das Systèm, sondern die Darstellung des Systèms welches die Reflexion herausgebracht hat. ZVL 38. 18 EE 202 [443]. 19 EE 201 [442]. 20 Fichte kann sich auch hier auf Reinholds Vorarbeit stützen. Reinhold (1791; 70) zufolge un-
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II. FICHTE
Fichtes Hinausgehen über Kant zeigt sich weiter darin, daß er explizit zwischen dem Gegenstand der in der Wissenschaftslehre angestellten Untersuchung, dem untersuchten Ich, und dem Subjekt, das diese Untersuchung anstellt, dem untersuchenden Ich, unterscheidet. Der Unterschied zwischen dem Ich, das als Wissenschaftslehrer respektive Philosoph das Subjekt der Untersuchung ist, und dem Ich, das Gegenstand dieser Untersuchung ist, drückt sich zunächst darin aus, daß jenes reflektierend verfährt, während dieses nicht nur reflektierend sein kann. Der Gegenstand der Wissenschaftslehre ist das Handeln des Ich überhaupt, das Medium, in dem dieses Handeln in der Wissenschaftslehre zu Bewußtsein gebracht wird, ist die Reflexion des Wissenschaftslehrers, die nach Fichte eine Art des Vorstellens ist. Im Vorstellen verhält sich das Ich zu seinem Gegenstand theoretisch. Ist das Ich selbst Gegenstand seiner Untersuchung, dann ist es als untersuchendes Subjekt vorstellendes Ich, als untersuchtes Objekt aber muß es etwas mehr seyn, sofern ihm die Fähigkeit der praktischen Selbstbestimmung nicht von vornherein abgesprochen und auf die Erklärung seines Selbstbewußtseins verzichtet werden soll. Die Reflexion, welche in der ganzen Wissenschaftslehre, in so ferne sie Wissenschaft ist, herrscht, ist ein Vorstellen; daraus aber folgt gar nicht, daß alles, worüber reflektirt wird, auch nur ein Vorstellen seyn werde. In der Wissenschaftslehre wird das Ich vorgestellt; es folgt aber nicht, daß es bloß als vorstellend, bloß als Intelligenz, vorgestellt werde: es können sich noch wohl andre Bestimmungen darin auffinden lassen. Das Ich, als philosophirendes Subjekt, ist unstreitig nur vorstellend; das Ich als Objekt des Philosophirens könnte wohl noch etwas mehr seyn. Das Vorstellen ist die höchste und absolut-erste Handlung des Philosophen, als solchen; die absolut-erste Handlung des menschlichen Geistes könnte wohl eine andre seyn.21 Diese in der Begriffsschrift zunächst hypothetisch eingeführte Unterscheidung zwischen der Bestimmtheit des Ich als Objekt der Wissenschaftslehre und seiner Bestimmtheit als Subjekt der in ihr angestellten Untersuchung richtet sich nicht nur gegen Reinholds These vom Begriff der Vorstellung als dem systematisch ersten Begriff der Philosophie,22 sondern auch gegen Kant. Wäre terscheidet sich die zu begründende Elementarphilosophie von der Kritik der reinen Vernunft dadurch, daß diese die Wissenschaft der a priori bestimmten Merkmale eigentlicher Objekte; jene aber Wissenschaft der a priori bestimmten Merkmale bloßer Vorstellungen wäre; daß die eine das Objekt der Erfahrung, das a posteriori Erkennbare, in wieferne es durch die a priori bestimmten Formen der sinnlichen Vorstellung und der Begriffe vorstellt wird, die andere diese Formen selbst als das ursprünglich a priori Erkennbare zum Objekte hat [...]. 21 Begriff 149 [80]. 22 Nach Reinhold ist der systematisch erste Begriff der Philosophie überhaupt, der theoretischen wie der praktischen, der Begriff der Vorstellung. Dieser ist als Thatsache des Bewußtseins unabhängig von aller Philosophie gegeben und kann daher philosophisch durch bloße Reflexion über die Thatsache des Bewußtseins erfaßt werden (1791; 77f.). Das Verhältnis des Gegenstandes der Philosophie zu dem Medium seiner Darstellung birgt scheinbar kein besonderes Problem. Dem widerspricht Fichte mit dem Argument, daß das Ich, wenn es als vorstellend vorgestellt wird, als bestimmt durch das Nicht-Ich vorgestellt wird, mithin ohne Freiheit. Fichte im Dezember 1793 an Heinrich Stephani: Von dem neuen Standpunkte, den ich mir verschafft habe, kom-
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das Ich nur reflektierend, könnten weder das Bewußtsein und Sein der transzendentalen Einheit der Apperzeption noch das Bewußtsein des kategorischen Imperativs und das Sein der Freiheit erklärt werden – die Philosophie verharrte auf dem bei Kant erreichten Stand.23 Kant gründet die theoretische und praktische Philosophie auf Prinzipien, von denen er behauptet, daß sie im Bewußtsein existieren und daß ihre Existenz unmittelbar gewiß ist. Kant vermag aber das Bewußtsein und das Sein dieser Prinzipien nicht zu erklären. Er vermag – mit Fichtes Ausdruck – die Art dieses Bewußtseins und Seins nicht zu bestimmen. Für die theoretische Philosophie Kants gilt: Das Bewußtsein meiner selbst in der synthetischen Einheit der Apperzeption ist der höchste Punkt, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr, die Transzendental-Philosophie heften muß [...].24 Das reine Selbstbewußtsein Ich denke25 ist bestimmt als logisch einfaches Subjekt,26 dessen durchgängige Identität27 nur in der Handlung der Synthesis eines vor und unabhängig von dieser in den Formen der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen möglich ist. Das reine Selbstbewußtsein ist kein Wissen, in welchem das Ich sich als Ich weiß, sondern das Bewußtsein der Einheit der Handlung der Synthesis, die a priori jeder Objekterkenntnis men Einem die neuern Streitigkeiten über die Freiheit sehr komisch vor, erscheint es Einem drollig, wenn Reinhold die Vorstellung zum Generischen desjenigen machen will, was in der menschlichen Seele vorgeht. Wer das thut, kann nichts von Freiheit, vom praktischen Imperativ wissen, wenn er consequent ist; er muß empirischer Fatalist werden! (Briefe a 28). Fichtes Überlegungen zu dem ersten Prinzip der Philosophie sind ursprünglich durch Probleme der praktischen Philosophie motiviert. Vgl. dazu Schrader (1972), 15ff. 23 Dem Urteil Gloys (1998; 202): Weder vor noch nach Fichte hat die Reflexion auf das Selbstbewußtsein jemals das Niveau erreicht, das sie bei Fichte innehat, ist nur bedingt zuzustimmen. Im Hinblick auf Selbstbewußtseinstheorien, welche Theorien des Ich sind, trifft es zu, im Hinblick auf nicht-egologische Selbstbewußtseinstheorien wie Hegels Wissenschaft der Logik ist es problematisch (vgl. Hegel, Sein 33f.). Problematisch ist auch Gloys Feststellung, nach Fichte, schon bei Hegel, sinkt der Theoriestand wieder ab, da Hegel kritiklos an das Kantische Reflexionsmodell anschließt (202). Vgl. dagegen K. Cramer (1974; 596): Nach Hegel liegt der kantischen Theorie von der Unvermeidlichkeit des Zirkels und der dadurch entstehenden Unbequemlichkeit eine unzureichende und in Wahrheit haltlose Bestimmung der Struktur von Selbstbeziehung zugrunde. Eben deshalb muß die kantische Theorie den Zirkel in der Erklärung von Selbstbewußtsein als eine zwar systematisch noch aufklärbare, aber eben unvermeidliche Unbequemlichkeit, als etwas Fehlerhaftes nach den Standards deduktiver Begründung interpretieren. Der Zirkel bleibt in dieser Interpretation ein vitioser, aus dessen unvermeidlichem Auftritt folgt, daß theoretische Einsicht in die Struktur der Apperzeption unmöglich ist./ Nach Hegel ist diese Folgerung nicht nur falsch, sondern selbst noch Folge der Beirrung der Theorie durch ein unhaltbares Modell vom Subjekt des Wissens, dem ein ebenso unhaltbares Modell von der Objektivität des Gewußten entspricht. Vgl. ders. (1979). 24 KrV B 134 Anm. 25 KrV B 132. 26 KrV B 407. 27 KrV B 135.
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II. FICHTE
eines empirischen Subjekts zugrunde liegt. Das Ich im Ich denke kann als transzendentales Subjekt des Denkens und somit aller Theorie nicht selbst Gegenstand einer Theorie sein, weil sonst das zu Erkennende immer schon vorausgesetzt würde. Kant hat diesen Zirkel eine Unbequemlichkeit genannt, die nicht aufzuheben sei.28 Auch die Existenz des Subjekts des Denkens, die logisch gesichert ist, weil Nichtseiendes nicht zu denken vermag, bleibe notwendig unbestimmt. [I]n der synthetischen ursprünglichen Einheit der Apperzeption [bin ich mir meiner selbst] bewußt, nicht wie ich mir erscheine, noch wie ich an mir selbst bin, sondern nur daß ich bin.29 Dennoch hat Kant das Bewußtsein und Sein des reinen Selbstbewußtseins charakterisiert. Das Ich denke, ist [...] ein empirischer Satz, und enthält den Satz, Ich existiere, in sich. [...] Er drückt eine unbestimmte empirische Anschauung, d. i. Wahrnehmung, aus, [...] geht aber vor der Erfahrung vorher, die das Objekt der Wahrnehmung durch die Kategorie in Ansehung der Zeit bestimmen soll, und die Existenz ist hier noch keine Kategorie [...]. Eine unbestimmte Wahrnehmung bedeutet hier nur etwas Reales, das gegeben worden, und zwar nur zum Denken überhaupt, also nicht als Erscheinung, auch nicht als Sache an sich selbst, (Noumenon) sondern als etwas, was in der Tat existiert, und in dem Satze, ich denke, als ein solches bezeichnet wird.30 Kant verwendet hier sämtliche Begriffe explizit entgegen ihrer sonstigen Bestimmung in der Kritik der reinen Vernunft. Realität und Existenz (Dasein) sind ihrer terminologischen Bestimmung nach Kategorien der Qualität bzw. Modalität, sie bezeichnen hier Vorkategoriales; innere Wahrnehmung bezeichnet sonst die Bestimmung meines Daseins in der Zeit,31 sie bezeichnet hier eine Anschauung und Wahrnehmung unabhängig von Zeitbestimmungen. Die Anführung einer unbestimmten empirischen Anschauung vor aller Erfahrung zur Charakterisierung des reinen Selbstbewußtseins indiziert eine massive Verlegenheit.32 Kant, der nur Begriff und sinnliche Anschauung für Erkenntnis gelten läßt und die Möglichkeit intellektueller Anschauung verwirft, hat sie hier gleichwohl beschrieben. Freilich nicht in der Bedeutung, in der er sie verworfen hat,33 vielmehr in der, in welcher sie Fichte einführt. In der Kantischen Terminologie geht alle AnKrV B 404. KrV B 157; vgl. B 158 Anm.; B 420. 30 KrV B 422ff. Anm. 31 KrV A 107; B 277. 32 Vgl. Arndt (1994; 59): Die unbestimmte Wahrnehmung ist empirisch in dem Sinne, daß sie auf eine Erfahrung verweist, die aller Erfahrung vorhergeht. [...] [D]ie von Kant diagnostizierte Unbestimmtheit der empirischen Anschauung als Selbstbewußtsein [drückt] eine massive Verlegenheit aus. Der höchste Punkt‹ der theoretischen Philosophie erscheint als Voraussetzung, die sich aus der Konstruktion der Erkenntnisvermögen ergibt, und damit als Synthesis post factum, die durch die Reflexion auf ein gegebenes Erkenntnisgeschehen nahegelegt wird, um die im Urteilen vollzogene Identifizierung zu sichern. Dann aber wäre sie selbst ein Mittel und als solches ein Vermitteltes, das nicht eine ursprüngliche Einheit repräsentieren könnte. Indem dieses Mittel als ursprüngliches Vermögen ausgegeben wird, wird in der Reflexion auf den Erkenntnisprozeß die Reflexivität selbst ausgeblendet. 33 Vgl. etwa KrV B 68; B 72; B 159; ferner VT 377f. 28 29
A. Die Reflexivität der Transzendentalphilosophie Fichtes
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schauung auf ein Seyn, (ein Gesetztseyn, ein Beharren;) intellectuelle Anschauung wäre sonach das unmittelbare Bewusstsein eines nicht sinnlichen Seyns; das unmittelbare Bewusstseyn des Dinges an sich [...]. Die intellectuelle Anschauung, von welcher die WissenschaftsLehre redet, geht gar nicht auf ein Seyn, sondern auf ein Handeln, und sie ist bei Kant gar nicht bezeichnet, (außer, wenn man will, durch den Ausdruck reine Apperception).34 Für die praktische Philosophie Kants gilt: Die Realität, die Wirklichkeit der Freiheit des Willens offenbaret sich durchs moralische Gesetz.35 Das moralische Gesetz kann nicht aus anderem abgeleitet werden. Wir werden uns seiner unmittelbar bewußt,36 sobald wir uns Maximen des Willens entwerfen. Die Realität der Freiheit wird bezeugt durchs moralische Gesetz, dessen objektive Realität ist nicht deduzierbar, sondern unmittelbar und apodiktisch gewiß. Auch ist das moralische Gesetz gleichsam als ein Faktum der reinen Vernunft, dessen wir uns a priori bewußt sind und welches apodiktisch gewiß ist, gegeben, gesetzt, daß man auch in der Erfahrung kein Beispiel, da es genau befolgt wäre, auftreiben konnte. Also kann die objektive Realität des moralischen Gesetzes durch keine Deduktion, durch alle Anstrengung der theoretischen, spekulativen oder empirisch unterstützten Vernunft, bewiesen, und also, wenn man auch auf die apodiktische Gewißheit Verzicht tun wollte, durch Erfahrung bestätigt und so a posteriori bewiesen werden, und steht dennoch für sich selbst fest.37 Freiheit im emphatischen Sinne: Autonomie, ist kein Gegenstand möglicher Wahrnehmung, mithin ist von ihr keine gegenständliche Erkenntnis möglich. Und doch muß von ihr ein Bewußtsein, ein Wissen möglich sein, wenn das Prinzip der Moralität und damit moralisches Handeln selbst einsichtig und erklärbar ZE 224 f. [472]. Fichtes Ausführungen zur intellektuellen Anschauung in der Zweiten Einleitung in die Wissenschaftslehre (224 ff. [471 ff.]) können als eine Interpretation von Kants Anmerkung (KrV B 422ff.) gelesen werden. Dazu Horstmann (1993; 425): Nimmt man diese Kantischen Ansätze zu einer Phänomenologie des Ich-Bewußtseins so ernst, wie einige der idealistischen Nachfolger Kants es getan haben, dann ist leicht zu sehen, daß ein Programm der Ausgestaltung dieses Ansatzes unmittelbar auf Fragestellungen wie z. B. die von Fichte führt, dessen Konzept des Ich als Tathandlung geradezu als sehr direkte Aufnahme der in der B-Auflage zu findenden Kantischen Hinweise aufzufassen ist. – Nach Klemme (1996; 386) ist diese Deutung nicht zu verteidigen. Kant zufolge könne nämlich der actus des Denkens, der zur unbestimmten Selbstwahrnehmung führe, nur dann stattfinden, wenn dem denkenden Subjekt ein Stoff zum Denken gegeben worden sei. Bereits damit ergibt sich aber eine unüberbrückbare Kluft zur Fichteschen Konzeption der Tathandlung. Klemme übersieht, daß es kein unmittelbares, isolirtes Bewusstseyn der intellectuellen Anschauung giebt [...]. Nach Fichte kömmt diese Anschauung nie allein, als ein vollständiger Act des Bewusstseyns, vor; wie denn auch die sinnliche Anschauung nicht allein vorkommt, noch das Bewusstseyn vollendet, sondern beide müssen begriffen werden. Nicht aber allein dies, sondern die intellectuelle Anschauung ist auch stets mit einer sinnlichen verknüpft. ZE 217f. [463f.]. 35 KpV A 4f. 36 KpV A 53. 37 KpV A 81f. 34
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sein soll und wenn Kant den Anspruch seiner Moralphilosophie einlösen will. Kant beansprucht nicht, eine neue Ethik zu erfinden, vielmehr will er die im moralischen Bewußtsein gelegene unbedingte Forderung begrifflich aufklären.38 Dies gelingt ihm insofern, als er unter Ausschluß aller materialen Prinzipien das Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft als Prinzip der vernünftigen Bestimmung des Willens aufweisen kann. Problematisch ist aber, daß er das Bewußtsein dieses Grundgesetzes als ein Faktum der Vernunft charakterisiert, welches sich uns aufdrängt. Diese Charakterisierung scheint eine Verlegenheit anzuzeigen, ähnlich der, die in der Bestimmung des reinen Selbstbewußtseins Ich denke als unbestimmte Wahrnehmung sich ausdrückt.39 Ein Faktum ist etwas, das empirisch vorhanden ist und als Vorhandenes vorgefunden wird. Die reine praktische Vernunft ist das Vermögen, ohne Beimischung irgend eines empirischen Bestimmungsgrundes, für sich allein [...]40 den Willen zu bestimmen. Der Ausdruck Faktum der Vernunft scheint daher ein hölzernes Eisen zu sein. [D]en Inhalt der Erkenntnis, die wir von einer reinen praktischen Vernunft, und durch dieselbe, haben [...],41 als ein Faktum zu bezeichnen, scheint unvereinbar mit dem Begriff der reinen praktischen Vernunft. Ist das Bewußtsein des moralischen Gesetzes gegeben, so provoziert dies die Frage: durch wen oder was? Die Antwort, die reine praktische Vernunft selbst gebe dieses Bewußtsein, und gebe sich im Geben dieses Bewußtseins zu erkennen, erscheint als eine bloße Behauptung, auf die Kant unmöglich seine Moralphilosophie gründen könne, und die zu Polemik einlädt.42 Fichte teilt diese nicht. Vielmehr sieht er in Kants KpV A 15 Anm.: Wer wollte aber auch einen neuen Grundsatz aller Sittlichkeit einführen, und diese gleichsam zuerst erfinden? gleich als ob vor ihm die Welt, in dem was Pflicht sei, unwissend, oder in durchgängigem Irrtume gewesen wäre. Wer aber weiß, was dem Mathematiker eine Formel bedeutet, die das, was zu tun sei, um eine Aufgabe zu befolgen, ganz genau bestimmt und nicht verfehlen läßt, wird eine Formel, welche dieses in Ansehung aller Pflicht überhaupt tut, nicht für etwas Unbedeutendes und Entbehrliches halten. 39 Die Ähnlichkeit der Probleme, die Kant in der Bestimmung des Bewußtseins und Seins der Prinzipien der theoretischen und praktischen Philosophie hat, hebt auch Frank (1991), 427 ff. hervor. 40 KpV A 163. 41 KpV A 162. 42 Vgl. Schopenhauers bissigen Vorwurf, Kant leiste dem Irrationalismus Vorschub: Mehr und mehr also erscheint in der Kantischen Schule die praktische Vernunft mit ihrem kategorischen Imperativ als eine hyperphysische Thatsache, als ein Delphischer Tempel im menschlichen Gemüth, aus dessen finsterem Heiligthum Orakelsprüche zwar leider nicht was geschehen wird, aber doch was geschehn soll, untrüglich verkündigen. [...] [N]achdem ein Mal zugestanden war, daß es in Hinsicht auf das Praktische eine ex tripode diktirende Vernunft gebe, so lag der Schritt sehr nahe, ihrer Schwester, ja, eigentlich sogar Konsubstanzialin, der theoretischen Vernunft, den selben Vorzug einzuräumen, und sie für eben so reichsunmittelbar wie jene zu erklären, wovon der Vortheil so unermeßlich wie augenfällig war. Nun ströhmten alle Philosophaster und Phantasten, den Atheistendenunzianten F. H. Jacobi an der Spitze, nach diesem ihnen unerwartet aufgegangenen Pförtlein hin, um ihre Sächelchen zu Markte zu bringen, oder um von den alten Erb38
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Charakterisierung des moralischen Bewußtseins das stillschweigende Eingeständnis, daß Kant selbst die intellektuelle Anschauung in Anspruch nimmt. Freilich wiederum nicht in der Bedeutung, in der er sie verworfen hat, sondern in der, in welcher sie Fichte aufgreift. Doch lässt auch im Kantischen Systeme sich ganz genau die Stelle nachweisen, an der von ihr gesprochen werden sollte. Des kategorischen Imperativs ist man nach Kant sich doch wohl bewusst? Was ist denn dies nun für ein Bewusstseyn? Diese Frage vergaß Kant sich vorzulegen, weil er nirgends die Grundlage aller Philosophie behandelte, sondern in der Kritik der r. Vft nur die theoretische, in der der kategorische Imperativ nicht vorkommen konnte; in der Krit. d. prakt. Vft nur die praktische, in der es bloß um den Innhalt zu thun war, und die Frage nach der Art des Bewusstseyns nicht entstehen konnte. – Dieses Bewusstseyn ist ohne Zweifel ein unmittelbares, aber kein sinnliches; also gerade das, was ich intellectuelle Anschauung nenne [...].43 Das Bewußtsein des moralischen Gesetzes ist ein unmittelbares Bewußtsein, weil nicht aus anderem ableitbar. Ein unmittelbares Bewußtsein ist in Kantischer Terminologie eine Anschauung;44 da es aber das Bewußtsein der reinen Selbsttätigkeit der reinen praktischen Vernunft ist, ist diese Anschauung nicht sinnliche Anschauung, welche Kant allein gelten läßt, und auch nicht die intellektuelle Anschauung eines Dinges, welche Kant verwirft, sondern die intellektuelle Anschauung der reinen Tästücken, welche Kants Lehre zu zermalmen drohte, wenigstens das Liebste zu retten. (1840), 146f. 43 ZE 225 [472]; vgl. GWL 396 Anm. [260 f. Anm.]: Kants kategorischer Imperativ. Wird es irgendwo klar, daß Kant seinem kritischen Verfahren, nur stillschweigend, gerade die Praemissen zu Grunde legte, welche die Wissenschaftslehre aufstellt, so ist es hier. [...] Kants mehreste Nachfolger scheinen das, was sie über den kategorischen Imperativ sagen, diesem großen Manne bloß nachzusagen, und über den Grund der Befugniß eines absoluten Postulats noch nicht auf ’s reine gekommen zu seyn. – Nur weil, und inwiefern das Ich selbst absolut ist, hat es das Recht absolut zu postuliren; und dieses Recht erstrekt sich denn auch nicht weiter, als auf ein Postulat dieses seines absoluten Seyns [...]. – Eine Philosophie, die an allen Enden, wo sie nicht weiter fortkommen kann, sich auf eine Thatsache des Bewußtseyns beruft, ist um weniges gründlicher, als die verrufne Popular-Philosophie. – Vgl. WLnmK 347 f.: Kant leugnet die INTELLECTUELLE ANSCHAUUNG, aber er bestimmt den Begriff der Anschauung so, daß sie nur sinnlich sein kann, und d sagt er[:] diese sinnliche Anschauung kann nicht INTELLECTUELL sein. Wenn einer behauptet[,] er schaue das Ich an als ein Ding, wie Platner, oder wenn einer eine unmittelbare Offenbarung in sich anzuschauen glaubt [wie Jacobi], gegen den hat Kant recht. In der sinnlichen Anschauung wird etwas fixirtes, ruhendes, gewöhnlich im Raume angeschaut, aber in unserer intellectuellen Anschauung wurde nur ein Handeln angeschaut. Kant hatte sie, nur reflectirte er nicht darauf; Kants ganze Philosophie ist ein Resultat dieser Anschauung, denn er behauptet[,] daß die nothwenigen Vorstellungen Prod[ucte] des Handelns des Vernunftwesens seien, und nicht des Leidens. Dieß konnte er doch nur durch Anschauung haben. Bey Kant findet Selbstbewustsein statt; Bewustsein des Anschauens in der Zeit; wie kommt er dazu? Doch nur durch eine Anschauung, und diese ist doch wohl eine INTELLECTUELLE. – Vgl. WLnmH 31. 44 Vgl. KrV B 33 u. pass.
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tigkeit, des reinen Handelns, welche das Ich wesentlich ist. [D]ie Intelligenz schaut sich selbst an, bloß als Intelligenz oder als reine Intelligenz, und in dieser SelbstAnschauung eben besteht ihr Wesen. Diese Anschauung wird [...] intellectuelle Anschauung genannt.45 Fichte zufolge bezeichnet Kant mit dem Bewußtsein des kategorischen Imperativs das unmittelbare Bewußtsein, das heißt aber die intellektuelle Anschauung der Tätigkeit der freien Selbstbestimmung des Ich. Kant handelt von der Art dieses Bewußtseins aber nur im Vorbeigehen. Er verweist auf sie, aber er weist sie nicht auf als das, was sie ist: intellektuelle Anschauung. Kant interessiert die Unmittelbarkeit des moralischen Bewußtseins nicht als solche, sondern nur im Hinblick auf den Inhalt dieses Bewußtseins, die unbedingte Forderung. Er thematisiert das unmittelbare Bewußtsein nicht im Hinblick auf eine Theorie des Bewußtseins, sondern der Moral.46 Doch ohne es zu intendieren, ist Kant bis zu der Bewußtseinsart vorgedrungen, die allein als Grundlage aller Philosophie47 taugt. Nur durch dieses Medium des SittenGesetzes erblicke ich mich, und erblicke ich mich dadurch, so erblicke ich mich nothwendig, als selbstthätig; [...]./ Die intellectuelle Anschauung ist der einzige feste Standpunkt für alle Philosophie. Von ihm aus lässt sich alles, was im Bewusstseyn vorkommt, erklären; aber auch nur von ihm aus. Ohne SelbstBewusstseyn ist überhaupt kein Bewusstseyn; das SelbstBewusstseyn ist aber nur möglich auf die angezeigte Weise: ich bin nur thätig.48 Ist die intellektuelle Anschauung des moralischen Gesetzes der Standpunkt, von dem aus allein sich alles, was im Bewusstseyn vorkommt, erklären läßt, dann ist sie der Erklärungsgrund allen Bewußtseins, und insofern alle Realität nur im Ich und für das Ich ist, Erklärungsgrund der Welt.49 Daß Fichte in dieser Passage aus der Zweiten Einleitung in die Wissenschaftslehre der intellektuellen Anschauung des moralischen Gesetzes offenbar den Rang des ersten und absoluten Prinzips der Wissenschaftslehre zuerkennt, ist vor dem Hintergrund seiner Kant-Kritik plausibel, im Hinblick auf seine erste Wissenschaftslehre, die Grundlage, wirft sie dagegen eine Reihe von Fragen auf. VnD 277f. [530]. Freiheit und unbedingtes praktisches Gesetz weisen also wechselsweise auf einander zurück. Ich frage hier nun nicht: ob sie auch in der Tat verschieden sein, und nicht vielmehr ein unbedingtes Gesetz bloß das Selbstbewußtsein einer reinen praktischen Vernunft, diese aber ganz einerlei mit dem positiven Begriffe der Freiheit sei; sondern wovon unsere Erkenntnis des unbedingt-Praktischen anhebe, ob von der Freiheit, oder dem praktischen Gesetze. KpV A 53. 47 Siehe das Fichte-Zitat im vorhergehenden Absatz. 48 ZE 219 [466]. 49 Zu den unterschiedlichen Konsequenzen, die die Transzendentalphilosophen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert daraus ziehen, vgl. Brelage (1965): Wenn H. Cohen Fichtes Fortbildung der Transzendentalphilosophie deshalb verwirft, weil dieser letzten Endes alle Probleme auf das der Selbstkonstitution des Ich zurückgeführt habe, so finden wir bei Husserl gerade diesen Gedanken wieder, daß die Konstitution des Ich für sich selbst alle Konstitutionsprobleme umfasse. (121). 45 46
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Die Bestimmung der intellektuellen Anschauung des moralischen Gesetzes zum absoluten Prinzip der Philosophie ist insofern verständlich, als diese das unmittelbare Bewußtsein der reinen Selbsttätigkeit des Ich ist und Fichte zufolge nur durch dieses Bewußtsein erklärt werden kann, was Kant (und alle Philosophie vor und nach ihm) nicht erklären kann: das Selbstbewußtsein. Die intellektuelle Anschauung allein taugt als Fundament für die Philosophie, denn sie allein ermöglicht es, den Zirkel respektive den infiniten Regreß in der Begründung der Prinzipien der theoretischen und praktischen Philosophie zu vermeiden. Der Zirkel entsteht nach Kant, wenn das Subjekt aller Theorie, das Ich des reinen Selbstbewußtseins, selbst zum Gegenstand der Theorie gemacht wird, da diese Theorie notwendig das voraussetzt, was sie bestimmen will. Fichte zeigt, daß der von Kant aufgezeigte Zirkel zum unendlichen Regreß wird, wenn ein existierendes Ich sich reflektierend als identisches Subjekt-Objekt zu erfassen sucht. [J]edes Object kommt zum Bewusstseyn lediglich unter der Bedingung, daß ich auch meiner selbst des bewusstseyenden Subjects, mir bewusst sey. [...] Aber in diesem SelbstBewusstseyn meiner [...] bin ich mir selbst Object, und es gilt von dem Subjecte zu diesem Objecte abermals, was von dem vorigen galt; es wird Object und bedarf eines neuen Subjects, und so fort ins Unendliche. In jedem Bewusstseyn also wurde Subject und Object von einander geschieden und jedes als ein besonderes betrachtet; dies war der Grund, warum uns das Bewusstseyn unbegreiflich ausfiel./ Nun aber ist doch Bewusstseyn; mithin muß jene Behauptung falsch seyn. Sie ist falsch, heißt: ihr Gegentheil gilt; sonach folgender Satz gilt: es giebt ein Bewusstseyn, in welchem das Subjective und das Objective gar nicht zu trennen, sondern absolut Eins, und eben dasselbe sind. Ein solches Bewusstseyn sonach wäre es, dessen wir bedürften, um das Bewusstseyn überhaupt zu erklären.50 VnD 275 [526 f.]. Die entsprechende Passage in der Halleschen Kollegnachschrift lautet: Man hat bisher so gefolgert: Entgegen gesezter Dinge oder äußerer Objekte können wir uns nicht bewußt seyn ohne uns selbst bewußt zu seyn d.h. uns selbst Objekt zu seyn. Durch den Akt unsers Bewußtseyns, dessen wir uns dadurch bewußt werden können, daß wir uns wieder als Objekt denken, und dadurch Bewußtseyn von unserm Bewußtseyn erlangen. Dieses Bewußtseyns von uns. [unserem] Bewußtseyn werden wir aber wieder nur dadurch bewußt, daß wir dasselbe abermahls zum Objekt machen, u. dadurch Bewußtseyn von dem Bewußtseyn unseres Bewußtseyns erhalten, und so ins Unendliche fort – Dadurch aber wurde dieses unser Bewußtseyn nicht erklärt, oder es giebt dem zu Folge gar kein Bewußtseyn, indem man es als Zustand des Gemüths oder als Objekt annimmt, u. daher immer ein Subjekt voraussetzt, dieses aber niemahls findet. Diese SOPHISTEREI lag bisher allen Systemen – selbst dem Kantischen – zum Grunde./ Dieser Einwurf aber ist nur dadurch zu heben, daß man etwas findet, bey dem das Bewußtseyn Objekt und Subjekt zugleich wäre, daß man also ein UNMITTELBARES BEWUSSTSEYN aufstellte. WLnmH 30. – Herbart (1824; 242 f.) ergänzt den von Fichte angeführten unendlichen Regreß auf der Seite des Subjektes durch einen analogen auf der des Objektes: Zuvörderst: Wer, oder Was ist das Object des Selbstbewußtseyns? Die Antwort muß in dem Satze liegen: das Ich stellt Sich vor. Dieses Sich ist das Ich selbst. Man substituire den Begriff des Ich, so verwandelt sich der erste Satz in folgenden: das Ich stellt vor das Sich vorstellende. Für den Ausdruck Sich wiederhole man dieselbe Substitution, so kommt heraus: das Ich stellt vor das, was vor50
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Für die Reflexion und Selbstreflexion des Ich ist die Trennung von Subjekt und Objekt konstitutiv, denn die Reflexion ist an das Gesez der Bestimmung desjenigen, worüber reflektirt wird, gebunden [...].51 Aufgrund dieser Trennung aber ist nicht zu begreifen, was als Faktum unbezweifelbar ist: Bewußtsein und Selbstbewußtsein. Fichte schließt daraus: Entweder Subjekt und Objekt sind prinzipiell unterschieden, wie bei Kant, dann sind Bewußtsein und Sein des Selbstbewußtseins nicht zu erklären, oder es gibt auch ein absolut identisches Subjekt-Objekt, dann können sie erklärt werden, allerdings nicht allein durch Reflexion. Absolut identisch seien Subjekt und Objekt in der Ichheit, in der Tätigkeit des reinen Sich-selbst-Setzens des Ich. Fichte bezeichnet diese Tätigkeit als Thathandlung oder intellectuelle Anschauung52 und beansprucht mit ihr erklären zu können, was Kant nicht erklären konnte: das Bewußtsein und Sein des reinen Selbstbewußtseins.53 Ich ist nothwendig Identität des Subjekts, und Objekts: Subjekt-Objekt: und dies ist es schlechthin, ohne weitere Vermittellung.54 Vor dem Hintergrund seiner Kant-Kritik ist die Bestimmung der intellektuellen Anschauung des moralischen Gesetzes zum absoluten Prinzip der Philosophie zunächst plausibel. Es scheint, als habe Fichte mit ihr zweifelsfrei die Art des Bewußtseins namhaft gemacht, durch welche allein Selbstbewußtsein erklärt werden kann. Im Hinblick auf die Wissenschaftslehre und bei genauerer Betrachtung der Fichteschen Ausführungen ergeben sich aber Fragen. Zunächst diese: Das absolute Prinzip der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre ist das absolute Ich, die Ichheit, und sowohl die Grundlage wie auch die Wissenschaftslehre nova methodo, in deren Kontext Fichtes Bemerkung von dem einzig festen Standpunkt gehört, lassen keinen Zweifel daran, daß das Bewußtsein des moralischen Gesetzes selbst zu demjenigen gehört, was im Bewußtsein vorkommt und erklärt werden muß. Die Tathandlung, die der erste Grundsatz der Grundlage ausdrückt, ist als der ermöglichende Grund allen
stellt das Sich vorstellende. Hier kehrt der Ausdruck Sich von neuem zurück; es bedarf der nämlichen Substitution. Dieselbe ergiebt den Satz: das Ich stellt vor das, was vorstellt das Vorstellende des Sich-Vorstellens. Erneuert man die Frage: was dieses Sich bedeute? Wer denn am Ende eigentlich der Vorgestellte sey? so kann wiederum keine andere Antwort erfolgen, als durch die Auflösung des Sich in sein Ich, und des Ich in das Sich vorstellen. Dieser Cirkel wird ins Unendliche fort durchlaufen werden, ohne Angabe des eigentlichen Objects in der Vorstellung Ich. 51 GWL 407 [275]; ebd. 403 [269]: Bewußtseyn [ist] nur durch Reflexion, und Reflexion nur durch Bestimmung möglich [...]. 52 Vgl. §1 der GWL und ZE 213-221 [458-468]. 53 Über das absolute Ich, das er nicht aus Fichtes erster Wissenschaftslehre, sondern aus einer Rezension derselben kannte, hat sich Kant in einem Brief an Johann Heinrich Tieftrunk geäußert: Das bloße Selbstbewußtsein u. zwar nur der Gedankenform nach, ohne Stoff, folglich ohne daß die Reflexion darüber etwas vor sich hat, worauf es angewandt werden könne u. selbst über die Logik hinausgeht, macht einen wunderlichen Eindruck auf den Leser. (Brief an J. H. Tieftrunk vom 5. April 1798, Briefe 241). 54 GWL 261 Anm.[ 98 Anm.].
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empirischen Bewußtseins selbst keine empirische Bestimmung des Bewußtseins.55 Dagegen ist die intellektuelle Anschauung des moralischen Gesetzes die einzige in ihrer Art, welche ursprünglich, und wirklich, ohne Freiheit der philosophischen Abstraction, in jedem Menschen vorkommt.56 Demnach ist dieses Bewußtsein also nicht absolutes Prinzip, sondern Prinzipiatum. Nun kann Fichte nicht dasselbe unmittelbare Bewußtsein zugleich und in derselben Hinsicht als Prinzip und Prinzipiatum bestimmen.57 Dem Problem wird die Schärfe genommen, wenn berücksichtigt wird, daß die Darstellung des Systems des Geistes in der Grundlage nicht in einer, sondern in zwei Reihen verläuft. Zu unterscheiden ist zwischen der Reihe des philosophischen Räsonnements58 über das Ich und der Reihe der Handlungen des Ich, das Gegenstand solchen Räsonnements ist. In der WissenschaftsLehre giebt es zwei sehr verschiedene Reihen des geistigen Handelns: die des Ich, welches der Philosoph beobachtet, und die der Beobachtungen des Philosophen. In den entgegengesetzten Philosophiien [...] giebt es nur eine Reihe des Denkens: die der Gedanken des Philosophen; da sein Stoff selbst nicht als denkend eingeführt wird. Es liegt ein HauptGrund des Misverständnisses, und vieler nicht passenden Einwürfe gegen die WissenschaftsLehre darinn, daß man diese zwei Reihen entweder gar nicht unterschied, oder was in die eine gehörte, mit dem, was in die andere gehörte, verwechselte.59 Fichte spricht von einem Kreisgang der Darstellung. Ieder, der mit uns die gegenwärtige Untersuchung anstellt, ist selbst ein Ich, das aber die Handlungen, welche hier deducirt werden, längst vorgenommen, mithin schon längst ein Nicht-Ich gesezt hat [...]. Er hat das ganze Geschäft der Vernunft schon mit Nothwendigkeit vollendet, und bestimmt sich jezt, mit Freiheit, die Rechnung gleichsam noch einmal durchzugehen, dem Gange, den er selbst einmal beschrieb, an einem anderen Ich, das er willkührlich sezt, auf den Punkt stellt, von welchem er selbst einst ausging, und an welchem er das Experiment macht, zuzusehen. Das zu untersuchende Ich wird einst selbst auf dem Punkte ankommen, auf welchem jezt der Zuschauer steht; dort werden beide sich vereinigen, und durch diese Vereinigung wird der aufgegebne Kreisgang geschlossen seyn.60 In der Schrift Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre sieht Fichte in dem KreisVgl. GWL 255 [91]. SL 60 [47]. 57 Auch wenn ihm dies wiederholt unterstellt wurde, worauf Immanuel Hermann Fichte (1845/46; X) in seiner Vorrede zum ersten Band der von ihm herausgegebenen Sämmtlichen Werke hinweist. Die Gleichsetzung von Prinzip und Prinzipiatum ist auch die, wohl nicht immer bewußte, Grundlage des Spotts über Fichte als absolutes Ich. So äußert sich Goethe im April 1795 in einem Brief an C. G. Voigt zu den studentischen Übergriffen, die Fichte aufgrund seiner Haltung zu studentischen geheimen Verbindungen auf sich zog: Sie haben also das absolute Ich in großer Verlegenheit gesehen und freilich ist es von den Nicht-Ichs, die man doch gesetzt hat, sehr unhöflich durch die Scheiben zu fliegen. (Briefe 195). 58 ZE 212 [457]; vgl. dazu in dieser Arbeit das Kapitel Theoretische Vernunft. 59 ZE 210 [454f.]. 60 GWL 420 [290f.]. 55 56
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lauf der Darstellung, die sich an ihrem Endpunkt mit ihrem Ausgangspunkt zusammenschließt und den Forscher gerade bey dem Punkte verläßt, von welchem sie mit ihm ausging [...], einen positiven Beweiß für die Vollständigkeit des Systems der Wissenschaftslehre.61 Die Wissenschaftslehre hat also absolute Totalität. In ihr führt Eins zu Allem, und Alles zu Einem. [...] Vollendung ist demnach ihr auszeichnender Charakter.62 Passagen wie diese rechtfertigen es, die Begriffsschrift nicht nur als Programmschrift63 der Fichteschen, sondern der klassischen deutschen Philosophie insgesamt zu lesen.64 Dies ist allerdings nur deshalb möglich, weil in ihnen das spezifische Programm Fichtes und damit auch die spezifischen Probleme seiner Verwirklichung noch gar nicht im Blick sind. Im Vergleich mit den späteren Systemen Schellings und Hegels erscheint der Anspruch Fichtes bescheiden. Das absolute Prinzip der Wissenschaftslehre, die Ichheit, ist nicht das Absolute. Fichte betont bereits im ersten Paragraphen der Grundlage, daß die Ichheit kein dem empirischen Bewußtsein transzendentes unbedingtes Seiendes ist, das absolute Ich nicht mit der absoluten Substanz verwechselt werden dürfe. Ein Überschreiten‹ des Ich hin auf das Absolute wäre unvernünftig, denn das Absolute, den Grund der eigenen Existenz zu denken, bedeutet denkend vor die eigene Existenz zurückzugehen, mithin denkend von sich selbst als Denkendem zu abstrahieren – was widersprechend ist. Ich bemerke noch, daß man, wenn man das Ich bin überschreitet, nothwendig auf den Spinozismus kommen muß! Spinoza trennt das reine, und das empirische Bewußtseyn. Das erstere sezt er in Gott, der seiner sich nie bewußt wird, da das reine Bewußtseyn nie zum Bewußtseyn gelangt; das lezte in die besondern Modificationen der Gottheit. So aufgestellt ist sein System völlig consequent, und unwiderlegbar [...], aber es ist grundlos; denn was berechtigte ihn denn über das im empirischen Bewußtseyn gegebne reine Bewußtseyn hinaus zu gehen?65 Transzendentalphilosophisch ist kein Rechtsgrund auszumachen, der das Überschreiten des Bewußtseins erlaubte. Es versteht sich demnach von selbst, Begriff 131 [59]. Begriff 131 Anm. [59 Anm.]. 63 Lauth (1971), 267. 64 Vgl. Hegels Skizze der allgemeinen Struktur der Wissenschaft der Logik: Das Wesentliche für die Wissenschaft ist nicht so sehr, daß ein rein Unmittelbares der Anfang sey, sondern daß das Ganze derselben ein Kreislauf in sich selbst ist, worin das Erste auch das Letzte, und das Letzte auch das Erste wird./ Daher ergibt sich auf der andern Seite als eben so nothwendig, dasjenige, in welches die Bewegung als in seinen Grund zurückgeht, als Resultat zu betrachten. Nach dieser Rücksicht ist das Erste eben so sehr der Grund, und das Letzte ein Abgeleitetes; indem von dem Ersten ausgegangen und durch richtige Folgerungen auf das Letzte, als auf den Grund, gekommen wird, ist dieser Resultat. Der Fortgang ferner von dem, was den Anfang macht, ist nur als eine weitere Bestimmung desselben zu betrachten, so daß das Anfangende allem Folgenden zu Grunde liegen bleibt, und nicht daraus verschwindet. (Sein 57f.). 65 GWL 263 f. [100 f.]. Gleichwohl stand Fichte unter dem Verdacht des Spinozismus. So schreibt Hölderlin am 26. Januar 1795 an Hegel: Anfangs hatt’ ich ihn ser im Verdacht des Dogmatismus; er scheint, wenn ich mutmaßen darf auch wirklich auf dem Scheidewege gestanden zu seyn, oder noch zu stehn – er möchte über das Factum des Bewußtseins in der Theorie hinaus, das 61 62
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daß das höchste Prinzip dieser Philosophie, Fichte nennt es hier höchst unpräzise das reine Bewußtseyn, im empirischen Bewußtseyn existiert und ihm nicht transzendent ist. Der Kreisgang der Darstellung ist zwar, mit Hegel zu sprechen, ein Rückgang in den Grund, aber dieser Grund und damit der Kreisgang selbst sind nicht ontologisch-metaphysisch gefaßt, sondern erkenntnistheoretisch. Das System gründet nicht in Gott, sondern im Ich, damit aber, nach Fichte, im endlichen Bewußtsein. Der Rückgang in den Grund ist nicht das Fürsichwerden des Absoluten, sondern das Fürsichwerden des absoluten Ich im empirischen Bewußtsein. Andererseits stellt sich sofort die Frage, inwiefern das Verhältnis von Ichheit und empirischem Bewußtsein anders als das einer transzendentalen Bedingung zu dem Bedingten zu bestimmen ist. Das Verhältnis von transzendentaler Bedingung und Bedingtem ist das einer durch transzendentale Reflexion rekursiv erschlossenen Bedingung zu dem, woraus es erschlossen ist. Dieses Verhältnis fällt, wie die Kantische Transzendentalphilosophie zeigt, nicht in das untersuchte Ich, sondern in die transzendentale Reflexion. Diese weist die Bedingungen der Möglichkeit von gegenständlicher Erkenntnis auf, läßt aber ihre eigene Erkenntnis und ihre eigene Möglichkeit unthematisiert. Ein Kreisgang der Darstellung findet nicht statt. Fichte zufolge kann aber nur die Darstellung der Art, wie sich die erschlossenen Bedingungen des Bewußtseins im Bewußtsein selbst manifestieren, diese als dem Bewußtsein immanente Bestimmungen rechtfertigen. Bezogen auf die systematisch erste Bestimmung der Wissenschaftslehre, die Tathandlung, bedeutet dies: Die Bezeichnung der Tathandlung als Ichheit beansprucht, mit ihr das Prinzip des empirischen Bewußtseins und Personseins aufgewiesen zu haben. Dieser Anspruch muß durch den Gang der Darstellung der Wissenschaftslehre gerechtfertigt werden. Gerechtfertigt ist er dann, wenn der Inhalt des Prinzips im Selbstbewußtsein von Personen aufgewiesen ist.66
zeigen ser viele seiner Äußerungen, und das ist eben so gewis, und noch auffallender transcendent, als wenn die bisherigen Metaphysiker über das Daseyn der Welt hinaus wollten – sein absolutes Ich (= Spinozas Substanz) enthält alle Realität; es ist alles, u. außer ihm ist nichts; es giebt also für dieses abs. Ich kein Object, denn sonst wäre nicht alle Realität in ihm; ein Bewußtsein ohne Object ist aber nicht denkbar, und wenn ich selbst dieses Object bin, so bin ich als solches notwendig beschränkt, sollte es auch nur in der Zeit seyn, also nicht absolut; also ist in dem absoluten Ich kein Bewußtsein denkbar, als absolutes Ich hab ich kein Bewußtsein, und insofern ich kein Bewußtsein habe, insofern bin ich (für mich) nichts, also das absolute Ich ist (für mich) Nichts. (Briefe 155). – Wenn Hölderlin Anfang 1795, vor Kenntnis des dritten, des praktischen Teils der Wissenschaftslehre, das absolute Ich aus deren erstem Paragraphen als transzendente Entität begreift, steht er nicht allein. Der Vorwurf des Transcendentismus wird unter anderen auch von Friedrich Immanuel Niethammer, Carl Christian Erhard Schmid und Friedrich Schlegel erhoben. Dazu Frank (1997), 648ff.; 743f.; 866 u. pass. – Waibel (2000; 53) vermutet aufgrund ihrer Untersuchung der Jenaer Gesprächskonstellationen, daß Fichte Hölderlins Kritik kannte und daß dessen Überlegungen den Fortgang der Grundlage in Paragraph 5 beeinflußt haben könnten. 66 Vgl. Klotz (2002), 9f.
B. Unmittelbares und vermitteltes Bewußtsein 1. Die Unmittelbarkeit des unmittelbaren Bewußtseins In der im vorhergehenden Abschnitt zitierten Passage aus dem Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre1 resultiert der Begriff der intellektuellen Anschauung aus einer apagogischen Argumentation, die das unmittelbare Bewußtsein absoluter Identität durch die Widerlegung der Annahme des kontradiktorisch Entgegengesetzten beweist. Der kontradiktorische Gegensatz ist konstruiert; das Bewußtsein des Gegensatzes von absolut identischem Bewußtsein und prinzipiell in Subjekt und Objekt getrenntem Bewußtsein fällt in eine dritte Instanz, die subjektive äußere Reflexion. Fichte hat mit ihr das Subjekt der transzendentalen Untersuchung, den »Philosophen« oder »Wissenschaftslehrer« bezeichnet, dessen Konturen Kant durch die Kritik der reinen Vernunft als genitivus obiectivus und subiectivus allein nicht hinreichend deutlich machen kann. Indem Fichte zwischen dem unmittelbaren Bewußtsein der Existenz der Ichheit, das kein wirkliches Bewußtsein ist, und dem wirklichen Bewußtsein der Existenz der Ichheit in der äußeren Reflexion unterscheidet, hat er zudem eine falsche Bestimmung Kants korrigiert. Kant hat das »cogito ergo sum« Descartes’ als analytisch abgetan. Der Satz »Ich existiere« sei nicht aus dem Satz »Ich denke« erschlossen, sondern in ihm enthalten, mit ihm identisch.2 Kant vergißt hier, daß seiner eigenen Einsicht nach der actus »Ich denke« für sich leer ist, also kein wirkliches Bewußtsein, auch nicht das seiner Existenz vorstellt. Daß das »Ich denke« keine Unterschiede, auch nicht die von Denken und Sein, enthält, ist eine Einsicht, die in das Subjekt der transzendentalen Untersuchung fällt. Das Subjekt der transzendentalen Untersuchung ist dadurch als daseiendes bestimmt und derart als Voraussetzung der Untersuchung selbst gerechtfertigt. Das negativ erschlossene unmittelbare Bewußtsein hat den Status einer transzendentalen Bedingung. Es ist dem Bewußtsein immanent in der Weise, in der das Kantische »Ich denke« ihm immanent ist. Auch für die Bestimmung des ersten Grundsatzes in der Grundlage ist der Unterschied von untersuchendem Ich und untersuchtem Ich vorausgesetzt. »Wir haben den absolutersten, schlechthin unbedingten Grundsaz alles menschlichen Wissen aufzusuchen.«3 Die Grundlage beginnt als subjektive Reflexion auf den Grund des Satzes der Identität A = A. Diesen Satz erkennt jeder, ob philosophisch gebildet oder nicht, »für völlig gewiß und ausgemacht«4 an. Indem ein Ich den Satz A = A als »schlechthin, d. i. ohne allen weitern Grund, gewiß« behauptet, schreibt es »sich das Vermögen zu, etwas schlechthin zu setzen«.5 Das schlechthin Gewisse, weil schlechthin Gesetzte, ist aber in dem Satz A = A nur die Notwendigkeit des Zusammenhangs der 1 2 3 4 5
Vgl. VnD 275 [526f.]. Vgl. KrV B 422 Anm. GWL 255 [91]. GWL 256 [93]. GWL 256 [93].
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Relata, nicht die notwendige Existenz des Relatums A, dessen Sichselbstgleichheit ausgesagt wird. Die Notwendigkeit betrifft nur die logische Form, nicht den sachlichen Gehalt des Satzes. Ein Satz respektive Urteil,6 dem eine bloß logische Notwendigkeit eignet, taugt nicht als fundamentum inconcussum der Philosophie. Als Fundament taugt nur ein Urteil, in dem logische Form und sachlicher Gehalt untrennbar zusammenfallen und das infolgedessen eine Wahrheit ausdrückt, die diesseits des Unterschiedes von logischer Form und sachlichem Gehalt ist: das tautologische Existenzurteil »Seiendes ist«.7 Erkenntnistheoretisch setzt sich das in dieser Form gefaßte tautologische Existenzurteil dem Einwurf aus, daß in ihm von dem Prinzip abstrahiert ist, von dem nicht zu abstrahieren ist, ohne es bereits vorauszusetzen: das denkende Ich.8 Erkenntnistheoretisch ist die aller gegenständlichen Wahrheit vorausliegende Wahrheit nur als die unmittelbare Gewißheit des denkenden Subjekts zu fassen, das denkend nicht von seiner Existenz abstrahieren kann. Das tautologische Existenzurteil lautet demnach »Ich = Ich; Ich bin Ich«.9 In ihm fallen die logische Notwendigkeit, welche die Gleichsetzung beider A ausdrückt, und der sachliche Gehalt unmittelbar zusammen, weil das Ich, das im Urteil gleichgesetzt wird, und das Ich, das gleichsetzt, identisch sind; das Ich als urteilendes Subjekt ist identisch mit dem Ich als Subjekt im Urteil. Fichte reformuliert damit die Einsicht, die für jeden Idealismus konstitutiv ist. Es ist die Einsicht Descartes’. Die Identität von urteilendem Ich und Ich als Subjekt im Urteil fällt als Resultat 6
Fichte zufolge wird durch Sätze geurteilt. Die Formen der Urteile »leitet« Fichte aus den ursprünglichen Handlungen des Ich, dem Setzen, Entgegensetzen und Gleichsetzen »ab«. »Offenbar kehrt sich in Fichtes Logik die Leitfadenfunktion [Kants] um. Urteilsformen folgen den Handlungen des Ich und lassen sich aus diesen ableiten.« Janke (1994), 52. 7 In der Formulierung des Parmenides (5 fr. 6): »Nur das Seiende gibt es. Denn es ist möglich, daß es wirklich vorhanden ist; das Nichtseiende aber ist unmöglich; das heiße ich dich bedenken.« Aristoteles greift diese Formulierung auf, wenn er das Prinzip wahrer Aussagen bestimmt: »Zu sagen nämlich, das Seiende sei nicht oder das Nicht-Seiende sei, ist falsch, dagegen zu sagen, das Seiende sei und das Nicht-Seiende sei nicht, ist wahr.« Metaphysik 1011 b. 8 GWL 260 [97]: »Man kann gar nichts denken, ohne sein Ich, als sich seiner selbst bewußt, mit hinzu zu denken; man kann von seinem Selbstbewußtseyn nie abstrahiren [...].« Vgl. GWL 383 [244]: »Alles, von welchem ich abstrahiren, was ich wegdenken kann [wenn auch nicht auf einmal, doch wenigstens so, daß ich von dem, was ich jezt übrig lasse, hinterher abstrahire, und dann dasjenige übrig lasse, von dem ich jezt abstrahire] ist nicht mein Ich, und ich setze es meinem Ich blos dadurch entgegen, daß ich es betrachte als ein solches, das ich wegdenken kann. Je mehreres ein bestimmtes Individuum sich wegdenken kann, desto mehr nähert sein empirisches Selbstbewußtseyn sich dem reinen [...].« – Zum »Abstrahieren« respektive »Wegdenken« des Empirischen vgl. Schulz (1962), 349ff. – Wenn Hegel die Wissenschaft der Logik mit dem tautologischen Existenzurteil »Seiendes ist«, dessen logisches Subjekt: »Seyn, reines Seyn, – ohne alle weitere Bestimmung« ist, beginnen läßt, ist der für wirkliches Bewußtsein und Selbstbewußtsein konstitutive Unterschied von Denken und Gedachtem, von Subjekt und Objekt, negiert (Hegel, Sein 68). 9 GWL 257 [94].
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II. FICHTE
der Reflexion des urteilenden Ich in das Bewußtsein des urteilenden Ich. Dieses findet sich als unbezweifelbaren Inhalt allen Bewußtseins vor; es findet seine eigene Identität vor als Tatsache des Bewußtseins. Seine Reflexion geht von einer Tatsache des Bewußtseins aus, dem Satz A = A, und sie endet bei einer Tatsache des Bewußtseins, dem Satz Ich = Ich. Sie verfehlt so das Wesen des Ich, die schon von Kant bezeichnete Spontaneität. Fichte geht deshalb noch einmal von dem Satz der Identität aus, setzt aber diesmal den Akzent nicht darauf, daß dieser empirisch im Bewußtsein vorgefunden, sondern daß durch ihn »geurtheilt«10 werde. Urteilen ist ein Handeln des menschlichen Geistes. Der durch sich selbst gesetzte Grund dieses Handelns, das Ich, muß als »der reine Charakter der Thätigkeit an sich: abgesehen von den besondern empirischen Bedingungen derselben«11 gefaßt werden. Mithin darf der Satz Ich = Ich respektive Ich bin Ich nicht als Ausdruck einer Tatsache des Bewußtseins, sondern muß als Ausdruck einer »Thathandlung« interpretiert werden.12 »Das Ich sezt sich selbst, und es ist, vermöge dieses bloßen Setzens durch sich selbst; und umgekehrt: Das Ich ist, und es sezt sein Seyn, vermöge seines bloßen Seyns. – Es ist zugleich das Handelnde, und das Produkt der Handlung; das Thätige, und das, was durch die Thätigkeit hervorgebracht wird; Handlung, und That sind Eins und eben dasselbe; und daher ist das: Ich bin, Ausdruk einer Thathandlung.«13 Die Tathandlung ist unterschiedslose, präreflexive Einheit. Ihre nähere Charakterisierung durch Fichte verdunkelt diesen Sachverhalt eher als daß sie ihn erhellt.14 Das liegt zunächst daran, daß Fichte Bestimmungen, welche die Tathandlung als Wesen und Sein des absoluten Ich thematisieren, vermengt mit solchen, die ihre Funktion im Hinblick auf die Reflexion und das Urteilen des wirklichen Ich thematisieren. Fichte behauptet hier, das Ich »finde« seine eigene Identität und die seiner Vorstellungen im Medium der Reflexion nur deshalb »vor«, weil es sie selbst ohne Reflexion gesetzt habe. »In dem Satze A = A ist das erste A dasjenige, welches im Ich [...] gesezt wird. In diesem Geschäfte verhält sich das Ich als absolutes Subjekt; und man nennt daher das erste A. das Subjekt. Durch das zweite A wird dasjenige be10
GWL 258 [95]. GWL 258f. [96]. 12 »Faktisch nennt man auch eine Thatsache, und da hier vom Bewußtseyn die Rede ist, wäre diese Thatsache eine Thatsache des Bewußtseyns [...]. Nun hat die WL. von dem ersten Augenblicke ihrer Entstehung an, erklärt, daß das πρϖτον ψευ´ δοζ aller bisherigen Systeme sey, von Thatsachen auszugehen, und in diese das absolute zu setzen: sie lege zu Grunde, hat sie bezeugt, eine Thathandlung, zu deutsch, was ich in diesen Vorträgen mit dem griechischen Worte, dergleichen oft williger recht verstanden werden, als die deutschen, Genesis benannt habe.« WL 1804-II 203 [194]. 13 GWL 259 [96]. 14 Schon Heimsoeth (1923; 106) kritisiert Fichtes unpräzise Ausdrucksweise: »Jene Tathandlung der Ichheit oder des absoluten Ich wird gern auch das ›unmittelbare Bewußtsein‹ von Fichte genannt, obgleich es eigentlich in seiner Identitätsverschmolzenheit gar kein ›Bewußtsein‹ ist, sondern allem wirklichen Bewußtsein vorausliegt [...].« 11
B. Unmittelbares und vermitteltes Bewußtsein
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zeichnet, welches das sich selbst zum Objecte der Reflexion machende Ich, als in sich gesezt, vorfindet, weil es dasselbe erst in sich gesezt hat. Das urtheilende Ich prädicirt etwas, nicht eigentlich von A, sondern von sich selbst, daß es nemlich in sich ein A vorfinde: und daher heißt das zweite A das Prädikat. – So bezeichnet im Satze A = B. A das, was jetzt gesezt wird; B dasjenige, was als gesezt, schon angetroffen wird. – Ist drükt den Uebergang des Ich vom Setzen zur Reflexion über das gesezte aus.«15 Ohne das Setzen seiner selbst und eines identischen Gehalts des Bewußtseins kein identisches Subjekt im Urteil, das zum Gegenstand der Reflexion gemacht und dem Prädikate zugeschrieben werden können. Ohne Reflexion auf das im Bewußtsein gesetzte aber überhaupt kein Bewußtsein von etwas. Indem Fichte von der Tathandlung als dem Wesen und Sein des absoluten Ich unvermittelt übergeht zur Tathandlung als einem Konstituens des reflektierenden und urteilenden Ich, behauptet er ebenso unvermittelt die Einheit von Setzen und Reflexion im Ich. Ob aber präreflexive Tathandlung und Reflexion überhaupt zu vermitteln sind, ist hier, zu Beginn der Wissenschaftslehre, völlig offen. Aber auch dort, wo Fichte die Tathandlung nicht in Beziehung setzt zur Reflexion des wirklichen Ich, vermag er sie nicht angemessen zu charakterisieren. Fichte will die Tathandlung als präreflexive Einheit kennzeichnen, bedient sich dazu aber einer reflexiven Terminologie.16 Die Tathandlung ist nicht Synthesis, sondern Thesis; nicht reine Tätigkeit der Synthesis eines gegebenen reinen Mannigfaltigen, sondern reine Tätigkeit, die aus nichts kommt und auf nichts geht – auch nicht auf sich selbst. Dem widerspricht aber der Gebrauch des Reflexivums in dem Ausdruck »Sich-selbstsetzendes-Ich« und die Rede vom Fürsichsein des Ich. »Ist das Ich nur insofern es sich sezt, so ist es auch nur für das setzende, und sezt nur für das seyende. – Das Ich ist für das Ich – sezt es aber sich selbst, schlechthin, so wie es ist, so sezt es sich nothwendig, und ist nothwendig für das Ich. Ich bin nur für Mich; aber für Mich bin ich nothwendig [...].«17 Noch die Korrektur dieser irreführenden Formulierung vom fürsichseienden Ich in einer Passage des praktischen Teils der Wissenschaftslehre kommt nicht ohne das Reflexivität anzeigende »sich« aus. »Das absolute Ich ist schlechthin sich selbst gleich: alles in ihm ist Ein und ebendasselbe Ich, und gehört, (wenn es erlaubt ist, sich so uneigentlich auszudrücken), zu Einem und eben demselben Ich; es ist da nichts zu unterscheiden, kein mannigfaltiges, das Ich ist Alles, und ist Nichts, weil es für sich nichts ist, kein setzendes und kein geseztes in sich selbst unterscheiden kann.«18 Ebenso unangemessen ist die Rede von der Ichheit als Bezeichnung für »das GWL 259 Anm. [96 Anm.]. Vgl. aber Klotz (1995). Klotz spricht in bezug auf den ersten Paragraphen der Grundlage von einem »Explikationsdefizit bezüglich des dort bereits in Anspruch genommenen Bewußtseins eines Subjekts von sich [...]« und begreift die von Fichte im fünften Paragraphen eingeführte »als«-Formel (»Das Ich setzt sich als sich setzend«) als »Folge eines Positionswandels Fichtes [...], in welchem der Ort und die Grundverfassung des Ichbewußtseins neu bestimmt werden [...]« (29). 17 GWL 260 [97f.]. 18 GWL 399 [264]. 15
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II. FICHTE
Zurückgehen der Thätigkeit in sich selbst [...]«,19 in welcher wieder entgegen der eigentlichen Intention ein Unterschied, der zwischen der Tätigkeit und ihrem In-sichZurückkehren, und Reflexivität in Anschlag gebracht sind. Fichte charakterisiert die Tathandlung, die nicht Tathandlung des Ich ist, sondern dessen »Seyn (Wesen)«,20 der eigenen Intention entgegen als Selbstbewußtsein: »Was für sich selbst nicht ist, ist kein Ich.«21 Das Ich, das für sich selbst ist, ist dies aber nicht ohne alle Vermittlung, sondern nur vermittels des Unterschieds zu dem, was es nicht ist. Wirkliches Bewußtsein und Selbstbewußtsein ist nur durch Reflexion, Reflexion ist nur durch Bestimmung, Bestimmung nur durch Entgegensetzung möglich.22 Es gilt das »REFLEXIONS=Gesez aller unserer Erkenntniß – nemlich; Nichts wird erkannt, was es sey, ohne uns das mit zu denken, was es nicht sey. [...]/ Und eben diese Art uns:[erer] Erkenntnis, nemlich etwas vermittelst des Gegensatzes erkennen heißt etwas BESTIMMEN.«23 Indem Fichte die Tathandlung als Fürsichsein charakterisiert, verstellt er den Zugang zu seiner »ursprünglichen Einsicht«,24 wonach Selbstbewußtsein nicht durch und als Reflexion zu erklären ist, sondern nur unter Ansetzung des Ich als einer unmittelbaren Einheit. Wenn Fichte die Ichheit als in sich ununterschiedene Einheit, als absolute Identität beschreibt, suggeriert seine Formulierung gerade das, was nicht gesagt sein soll: die Einheit ursprünglich Unterschiedener. »Ich ist nothwendig Identität des Subjekts, und Objekts: Subjekt-Objekt: und dies ist es schlechthin, ohne weitere Vermittellung.«25 Die Ungereimtheiten setzen sich in Fichtes Ausführungen zum zweiten und dritten Grundsatz fort. Der zweite Grundsatz wird aufgewiesen durch Reflexion auf den Grund des Satzes »-A nicht = A«, der wie der Satz der Identität von jedem anerkannt werde. Dieser »Saz des Gegensetzens«26 lasse sich aus dem Satz der Identität nicht ableiten, weil die Form des Gegensetzens in der des Setzens nicht enthalten, sondern dieser vielmehr selbst entgegengesetzt sei. »Es wird demnach ohne alle Bedingung, und schlechthin entgegengesezt. -A ist als solches, gesezt, schlechthin, weil es gesezt ist./ Demnach kommt unter den Handlungen des Ich, so gewiß der Saz -A nicht = A, unter den Thatsachen des empirischen Bewustseyns vorkommt, ein Entgegensetzen vor; und dieses Entgegensetzen ist seiner bloßen Form nach eine schlechthin mögliche, unter gar keiner Bedingung stehende, und durch keinen höhern Grund begrünVnD 278 [530]. Nicht minder mißverständlich formuliert Fichte im Naturrecht, wenn er die in sich zurückgehende Tätigkeit mit der Ichheit, diese aber mit Subjektivität gleichsetzt. »In sich selbst zurückgehende Thätigkeit überhaupt (Ichheit, Subjektivität) ist Charakter des Vernunftwesens.« NR 329 [17]. 20 GWL 259 [97]. 21 GWL 260 [97]. 22 Vgl. GWL 403 [269]. 23 WLnmH 41. 24 Henrich (1966). 25 GWL 261 Anm. [98 Anm.] in der zweiten Auflage der GWL (1802). 26 GWL 267 [105]. 19
B. Unmittelbares und vermitteltes Bewußtsein
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dete Handlung.«27 Fichte spricht von einem »Uebergang« vom Setzen zum Entgegensetzen, der durch »die Identität des Ich« bedingt sei. »([...] Aber selbst die Möglichkeit des Gegensetzens an sich sezt die Identität des Bewustseyns voraus; und der Gang des in dieser Funktion handelnden Ich ist eigentlich folgender: A (das schlechthin gesetzte) = A, (dem, worüber reflektirt wird). Diesem A als Objekte der Reflexion, wird durch eine absolute Handlung entgegensezt -A, und von diesem wird geurtheilt, daß es auch dem schlechthin gesezten A entgegengesezt sey, weil das erstere dem leztern gleich ist; welche Gleichheit sich (§.1.) auf die Identität des setzenden, und des reflektirenden Ich gründet. – Ferner wird vorausgesezt, daß das in beiden Handlungen handelnde, und über beide urtheilende Ich das gleiche sey. Könnte dieses selbst in beiden Handlungen sich entgegengesezt seyn, so würde -A seyn = A. Mithin ist auch der Uebergang vom Setzen zum Entgegensetzen nur durch die Identität des Ich möglich).«28 Fichte behauptet hier die Identität des Ich in seinen verschiedenen Leistungen. Es ist dasselbe Ich, das setzt und reflektiert, setzt und entgegensetzt, und das über sein Setzen und Entgegensetzen urteilt. Das scheint zunächst unmittelbar plausibel: Wäre das Ich nicht jeweils dasselbe, könnte von diesen Leistungen nicht als den seinen die Rede sein. Bei näherem Hinsehen erweist sich dies aber als problematisch. Die Identität des Ich, das setzt, und insbesondere sich selbst setzt, ist nämlich anders bestimmt als die des Ich, das reflektiert. Die Identität des reflektierenden Ich ist die »des vorstellenden, und des als vorstellend vorgestellten Ich«..29 Diese Identität ist, wie die Präposition »als« anzeigt, durch einen Unterschied vermittelt, den zwischen dem vorstellenden und vorgestellten Ich, und sie ist selbst vorgestellt. Das vorstellende Ich kann seine Identität nur fassen, indem es sich zugleich in vorstellendes und vorgestelltes, in Subjekt-Ich und Objekt-Ich unterscheidet. Die Identität des Ich ist so immer relational bestimmt, und sie ist nicht wirklich »erklärbar«, denn ihre Erklärung im Medium der Vorstellung (Reflexion) setzt sie entweder voraus und begeht eine petitio principii, oder das vorstellende Ich versucht sich seine Identität vorstellend zu erklären und gerät in den unendlichen Regreß der Selbstvorstellung durch Unterscheidung in vorstellendes und vorgestelltes Ich. Dagegen ist die Identität des setzenden Ich die des sich selbst setzenden Ich qua Tathandlung. Sie ist unmittelbare, differenzlose, »relationslose«,30 absolute Identität. Diese Identität ist nicht für sich, sondern für die philosophische Reflexion, die sie als notwendige Bedingung der Erklärung wirklichen Selbstbewußtseins postuliert.31 Ihre Geltung ist wie die aller sukzessiv eingeführten Bestimmungen abhängig von der des Systems insgesamt, »dessen Richtigkeit an sich freilich noch immer bis zur Vollendung der Wissenschaft problematisch ist [...]«.32 GWL 265 [102]. GWL 265 [102f.]. 29 GWL 265 [102]. 30 Lauth (1981), 507. 31 Durch die Reflexion wird »erkannt, daß man jene Thathandlung, als Grundlage alles Bewustseyns, nothwendig denken müsse«. GWL 255 [92]. 32 GWL 264 [102]. 27 28
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II. FICHTE
Indem Fichte von der Identität des setzenden und reflektierenden Ich spricht, charakterisiert er das Ich als Einheit von Sich-selbst-Setzen (Selbstproduktion) und Reflexion, ohne daß aber deutlich würde, worin diese Einheit gründet. Ihre Einheit hätte ihre Vermittlung zur Voraussetzung. Die relationslose Identität des sich selbst setzenden Ich ist aber mit dem Gedanken der Vermittlung unvereinbar. Der »Uebergang vom Setzen zum Entgegensetzen« kann deshalb kein dem absoluten Ich immanenter Übergang sein, er erfolgt vielmehr allein in der äußeren Reflexion auf den Grund des Satzes -A nicht = A. Das Entgegensetzen ist der Form nach unbedingt, der Materie nach aber bedingt durch das Setzen. Fichte formuliert irreführend: »Das Entgegensetzen ist nur möglich unter Bedingung der Einheit des Bewustseyns des setzenden, und des entgegensetzenden. Hinge das Bewustseyn der ersten Handlung nicht mit dem Bewustseyn der zweiten zusammen; so wäre das zweite Setzen kein Gegensetzen, sondern ein Setzen schlechthin. Erst durch Beziehung auf ein Setzen wird es ein Gegensetzen.«33 Erst die Beziehung auf ein Setzen ermöglicht ein Gegensetzen, aber das Bewußtsein beider Handlungen ist diesen äußerlich. Es ist das Bewußtsein des reflektierenden Wissenschaftslehrers, dessen vorstellendes Ich »den als gültig vorausgesezten Reflexionsgesetzen«34 unterliegt. Der dritte Grundsatz ist der Form nach bedingt, dem Gehalt nach unbedingt: »[D]ie Aufgabe für die Handlung, die durch ihn aufgestellt wird, ist bestimmt durch die vorhergehenden zwei Sätze gegeben, nicht aber die Lösung derselben. Die leztere geschieht unbedingt, und schlechthin durch einen Machtspruch der Vernunft.«35 Die Aufgabe ist insofern durch die ersten beiden Grundsätze in bestimmter Weise gestellt, als aus diesen eine widersprüchliche Struktur des Setzenden und entgegensetzenden Ich resultiert, welche »die Identität des Bewußtseyns, das einige absolute Fundament unsers Wissens«,36 aufhebt. Fichte gibt eine »Deduktion«37 dieser widersprüchlichen Struktur in fünf Schritten: Ist, erstens, das Nicht-Ich gesetzt, so ist das Ich nicht gesetzt. Das Nicht-Ich kann aber, zweitens, nur gesetzt werden, insofern im Ich ein Ich gesetzt ist. Diese aus dem zweiten Grundsatz entwickelten Schlußfolgen sind, drittens, einander entgegensetzt und heben den zweiten Grundsatz auf. Aber diese Aufhebung des zweiten Grundsatzes setzt, viertens, Entgegensetzung, mithin den zweiten Grundsatz voraus. Dieser hebt sich nur auf, wenn er gültig ist, und also hebt sein Aufheben sich auf und der Grundsatz hebt sich nicht auf. Er »hebt sich auf; und er hebt sich auch nicht auf«.38 Das berührt unmittelbar den ersten Grundsatz. Es gilt fünftens: Auch dieser hebt sich auf und hebt sich auch nicht auf, denn sofern er gilt, »ist alles gesezt, was im Ich gesezt ist«,39 was in Folge des in sich widersprüchlichen zweiten 33 34 35 36 37 38 39
GWL 266 [103]. GWL 269 [107]; vgl. ebd. 255 [92]. GWL 268 [105f.]. GWL 269 [107]. GWL 268f. [106f.]. GWL 269 [106]. GWL 269 [107]; vgl. ebd. 261 [99].
B. Unmittelbares und vermitteltes Bewußtsein
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Grundsatzes sowohl affirmiert wie negiert wird: Das Nicht-Ich ist im Ich gesetzt und auch nicht gesetzt. Fichtes Deduktion der widersprüchlichen Struktur der beiden ersten Grundsätze benutzt die schon genannte Zweideutigkeit im Begriff des absoluten Ich. Ist das absolute Ich Tathandlung, dann ist es der actus purus der reinen Selbstaffirmation, reiner Grund ohne Folge, und mit dem Gedanken, etwas sei »in« ihm gesetzt, unverträglich. Würde das absolute Ich selbst etwas in sich setzen, widerspräche das seiner relationslosen Identität, würde etwas von außen in ihm gesetzt, widerspräche das darüber hinaus seiner Absolutheit. Damit Fichte davon sprechen kann, das Nicht-Ich sei »im Ich gesezt«,40 darf er das Ich des ersten Grundsatzes wiederum nicht als präreflexive Tathandlung, sondern muß es als Selbstbewußtsein unterstellen, für das der Unterschied zu dem, was es nicht ist, konstitutiv ist. Der Widerspruch, der infolge des zweiten Grundsatzes entsteht, ist ebensowenig wie der Übergang vom Setzen zum Entgegensetzen dem absoluten Ich immanent, sondern entspringt wie dieser der subjektiven, äußeren Reflexion. Die Reflexion auf den im empirischen Bewußtsein vorgefundenen Satz des Gegensetzens erweist den Unterschied, die Negation in dem Ausdruck »Nicht-Ich«, als konstitutiv für die Reflexion, für das reflektierende Ich selbst. Sie macht damit lediglich explizit, was ihm a priori zukommt, erklärt aber nicht, wie in die rein affirmativ gefaßte Tathandlung ein Unterschied kommt. Die Negation ist bereits Implikat der Reflexion auf den Satz der Identität A = A, denn dieser Satz wird von dem reflektierenden Ich in seinem Bewußtsein »vorgefunden«, das heißt als ein Gehalt seines Bewußtseins vorgestellt, welches Vorstellen bedingt ist durch den Unterschied von Vorstellendem und Vorgestelltem. Demnach ist das Ich, in dem der Unterschied »gesezt« ist, das reflektierende Ich selbst, dessen Identität notwendig relational bestimmt ist und den Unterschied impliziert. Das reflektierende Ich vermag seine Identität nur durch den Unterschied von Reflektierendem und Reflektiertem, von Subjekt-Ich und Objekt-Ich zu fassen, denn es unterliegt den Gesetzen der Reflexion, also auch dem Satz der Identität A = A. Das präjudiziert aber die Auflösung der aus dem zweiten Grundsatz entwickelten widersprüchlichen Struktur. Die Lösung des Widerspruchs von Ich und Nicht-Ich im zweiten Grundsatz und die des daraus folgenden von Ich=Ich und Ich=Nicht-Ich im ersten Grundsatz kann nur vermittels einer Distinktion geschehen, denn das reflektierende Ich vermag als Subjekt endlichen Vorstellens den Widerspruch nicht als notwendig zu affirmieren. Terminus ad quem der Reflexion auf den Widerspruch ist die Einführung eines »X«, welches die beiden ersten Grundsätze verträglich macht mit der Identität des Bewußtseins. Dieses »X« ist der Begriff der Teilbarkeit oder Quantitätsfähigkeit überhaupt, und es soll selbst Produkt einer ursprünglichen Handlung des Ich sein. Der kontradiktorische Gegensatz von Ich und Nicht-Ich wird durch die Einführung des Begriffs der Teilbarkeit zum limitativen Gegensatz geschlichtet. »Ich sowohl als Nicht-Ich wird theilbar gesezt.«41 Der »Machtspruch der Vernunft« befreit das Ich vom Widerspruch, indem 40 41
GWL 268 [106]. GWL 270 [109].
202
II. FICHTE
er es durch die Unterscheidung nach »Hinsichten, Rücksichten und Insoferns«42 als teilbar und unteilbar bestimmt. Teilbar sei das Ich, insofern es dem teilbaren Nicht-Ich entgegengesetzt sei, unteilbar sei das Ich als absolute, sich selbst setzende Voraussetzung der Entgegen- und Teilbarsetzung von Ich und Nicht-Ich. »Das Ich soll sich selbst gleich, und dennoch sich selbst entgegengesezt seyn. Aber es ist sich gleich in Absicht des Bewußtseyns, das Bewußtseyn ist einig: aber in diesem Bewußtseyn ist gesezt das absolute Ich, als untheilbar; das Ich hingegen, welchem das Nicht-Ich entgegengesezt wird, als theilbar. Mithin ist das Ich, in sofern ihm ein Nicht-Ich entgegensezt wird, selbst entgegengesezt dem absoluten Ich.«43 Die wechselseitig teilbar gesetzten Ich und Nicht-Ich seien derart als »Etwas« bestimmt. Das absolute Ich dagegen »ist nicht etwas; (es hat kein Prädikat, und kann keins haben), es ist schlechthin, was es ist, und dies läßt sich nicht weiter erklären«.44 Das absolute Ich läßt sich nicht »erklären«, denn es ist dem Reflexionsgesetz der Bestimmung durch Entgegensetzen enthoben. »So wie wir sagen ›erklären‹ sind wir schon auf dem Felde der Endlichkeit; denn alles Erklären, d. i. kein Umfassen auf einmal, sondern ein Fortsteigen von einem zum andern, ist etwas endliches, und das Begrenzen, oder Bestimmen ist eben die Brücke, auf welcher übergegangen wird, und die das Ich in sich selbst hat.«45 Das reflektierende Ich kann nur vermittels Entgegensetzung erklären respektive erkennen. Das schlechthin Unbedingte, das alle Entgegensetzung ermöglicht und selbst keinem entgegengesetzt ist, kann es nicht erkennen; erkennen kann es nur, daß es dieses Unbedingte, »jene Thathandlung, als Grundlage alles Bewustseyns, nothwendig denken müsse«.46 Erst vermittelt durch den Begriff der Teilbarkeit sei »im Bewußtseyn alle Realität«,47 die des Ich wie des Nicht-Ich. »Bewußtseyn« meint hier das absolute Ich, das Fichte als unendliche Sphäre auffaßt, in der alle Entgegensetzung, daher alle Bestimmung stattfindet. Fichte bringt damit in den Begriff des absoluten Ich eine neue Doppeldeutigkeit. Das absolute Ich ist einmal das sich selbst setzende Ich oder die Tathandlung des Sich-Setzens. In dieser Bedeutung ist das absolute Ich als unteilbar dem teilbaren Ich entgegengesetzt. Das absolute Ich ist sodann Bewußtsein und als solches die Sphäre, die das teilbare Ich und Nicht-Ich umfaßt. Dabei soll das absolute Ich in der Bedeutung des Bewußtseins ein Produkt des absoluten Ich in der Bedeutung der Tathandlung sein. Das Bewußtsein sei ein »Produkt der ersten ursprünglichen Handlung des Ich, des Setzens des Ich durch sich selbst«.48 Dies ist unvereinbar mit dem Begriff der Tathandlung, in der »das Handelnde, und das Produkt der Handlung [...] Eins und eben dasselbe«49 sind. Fichte behauptet weiter, das absolute Ich setze sich selbst 42 43 44 45 46 47 48 49
Vgl. Hegel, Wesen 269. GWL 271f. [110]. GWL 271 [109]. GWL 412f. [281]. GWL 255 [92]. GWL 271 [109]. GWL 269 [107]. GWL 259 [96]. Claesges spricht davon, »daß zwei Momente des absoluten Ich auseinander-
B. Unmittelbares und vermitteltes Bewußtsein
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teilbar und sich als teilbarem ein teilbares Nicht-Ich entgegen. »Ich und Nicht-Ich, so wie sie durch den Begriff der gegenseitigen Einschränkbarkeit gleich- und entgegengesezt werden, sind selbst beide etwas (Accidenzen) im Ich, als theilbarer Substanz; gesezt durch das Ich, als absolutes unbeschränkbares Subjekt, dem nichts gleich ist, und nichts entgegengesezt ist.«50 Der dritte Grundsatz lautet: »Ich setze im Ich dem theilbaren Ich ein theilbares Nicht-Ich entgegen.«51 Mit ihm sei die »Masse deßen, was unbedingt, und schlechthin gewiß ist [...] erschöpft [...]«.52 Seine bloße Form, die Form der Vereinigung Entgegengesetzter durch den Begriff der Teilbarkeit, sei der logische Satz des Grundes: »A zum Theil = -A und umgekehrt«.53 Der dritte Grundsatz soll nicht ein Resultat der subjektiven, äußeren Reflexion sein, welche durch die Einführung des Begriffs der Teilbarkeit den Widerspruch im Ich schlichtet, vielmehr soll er die Selbst-Limitation des absoluten Ich durch seine Selbst-Herabsetzung in den niederen Begriff des teilbaren Ich ausdrücken.54 Das grammatische Subjekt des Grundsatzes soll das absolute Ich, nicht das der äußeren Reflexion bezeichnen. »Das Ich sowohl als das Nicht-Ich, sind, beide durch das Ich, und im Ich, gesezt, als durcheinander gegenseitig beschränkbar [...].«55 Dies ist offensichtlich falsch. Der Begriff der Teilbarkeit fungiert als der Beziehungsgrund, der es ermöglicht, die einander entgegengesetzten Ich und Nicht-Ich gleichzusetzen. Die Nötigung, Entgegengesetzte durch die Reflexion auf ein gemeinsames Merkmal als deren Beziehungsgrund gleichzusetzen, existiert nur für das endliche, vorstellende Ich, nicht für das Ich qua Tathandlung. treten: das sich selbst Setzende und das, worin gesetzt ist: das Bewußtsein (als Sphäre möglichen Seins-für)«. (1974), 169; vgl. ebd. §§13ff. Vom Resultat der Grundlage ergebe sich: Das erste Moment sei »die Idee, daß das Ich die Sphäre des Bewußtseins als eines wirklichen Daseins voll ausfülle, oder [...] unendliche Kausalität habe./ Das zweite Moment [...] ist nicht Idee, sondern wirkliches Dasein. Es ist, da ein wirkliches Dasein nicht durch eine Idee gesetzt sein kann, mit dem ersten Grundsatz einfach angesetzt und der gesamten Wissenschaftslehre gleichsam untergeschoben.« (171). Diese Interpretation setzt mit den »zwei Momenten« bereits voraus, was dem Ich qua Tathandlung widerstreitet: Differenz. 50 GWL 279 [119]. 51 GWL 272 [110]. 52 GWL 271f. [110]. 53 GWL 272 [111]. 54 Vgl. GWL 279 [119]. 55 GWL 285 [125]. In diesem Sinne Janke (1970; 102): »Das Ich schränkt das teilbare Ich und Nicht-Ich ein. Dieser Spruch ist ein Machtspruch der Vernunft. Die Vernunft bleibt ihrer selbst mächtig, indem sie sich in kritischer Besonnenheit ganz auf den Boden der Endlichkeit stellt und entscheidet, die Synthesis von Sein und Nichts brauche die Teilbarkeit der Schranke. Und der Machtspruch schließt das Verbot ein, zu einer unbeschränkten Identität von Sichsetzen (Identität) und Entgegensetzen (Nicht-Identität) sei der Geist nicht ermächtigt.« – Metz (1991; 241): »Die scheinbare Selbst-Aufhebung der Vernunft ist ihre Unterscheidung in ihr selbst, kraft deren sie alle Realität in sich setzt.« – Philonenko (1981; 98) liest Fichtes Satz im Unterschied zur Mehrheit der Interpreten richtig, wenn er das Ich an der Subjektstelle des Satzes dem Philosophen und nicht dem Ich qua Tathandlung zuordnet. Freilich fehlt er, wenn er diese Interpretation als
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II. FICHTE
Sicher ist Fichte wie anderen »Entdeckern« auf philosophischem Gebiete zuzugestehen, daß die vorgefundene Terminologie nicht immer geeignet ist, das Neue adäquat auszudrücken. Gleichwohl ist zu fragen, inwiefern ›Ungeschicklichkeiten‹ wie die Charakterisierung eines Präreflexiven durch reflexive Ausdrücke oder die mißverständliche Charakterisierung des Differenzlosen absoluten Ich als Einheit Differenter nicht einen Grund in der Sache selbst haben, das heißt einem prinzipiellen Ungenügen der Transzendentalphilosophie geschuldet sind, die Hegel unter dem Titel »Verstandesdenken« und »Reflexionsphilosophie« kritisiert und für die es gerade kennzeichnend sein soll, daß sie die absolute Einheit nur äußerlich fassen kann. »So wie der Ausdruck der Einheit des Subjects und Objects, des Endlichen und Unendlichen, des Seyns und Denkens u. s. f. das ungeschickte hat, daß Object und Subject u. s. f. das bedeuten, was sie ausser ihrer Einheit sind, in der Einheit also nicht als das gemeynt sind, was ihr Ausdruck sagt [...].«56 Die Vermutung, daß Fichtes unangemessene Charakterisierungen einen Grund in der Sache selbst haben, wird weiter unten57 durch die Untersuchung des Schlußteils des fünften Paragraphen im praktischen Teil der Wissenschaftslehre bestätigt.58 Der Schwierigkeit zu Beginn der Wissenschaftslehre, das absolute Ich als nicht-reflexive, differenzlose Einheit zu fassen, korrespondiert dort die, das absolute Ich als ursprünglich in sich differenzierte, reflexive Einheit zu bestimmen. Fichte-Verteidigung und nicht als Fichte-Kritik versteht, und er scheint kein Problem darin zu sehen, daß von »außen« etwas im absoluten Ich gesetzt werden soll. »›Ich setze im Ich dem theilbaren Ich ein theilbares Nicht-Ich entgegen‹. Da Fichte diesen Satz in Sperrdruck setzt, kann man sicher sein, daß er in der knappsten und genausten Form ausgedrückt ist. Wie sollte man diese Formel dann anders erklären, als indem man liest: ›Ich als Philosoph sage: Ich setze im absoluten Ich dem theilbaren Ich ein theilbares Nicht-Ich entgegen‹? Ich jedenfalls kann diese Formel nicht anders verstehen. So sehe ich nicht ein, wie man sinnvoll und mit Vorteil lesen könnte: ›Ich, als absolutes Ich, setze im absoluten Ich dem theilbaren Ich ein theilbares Nicht-Ich entgegen‹. Wenn dies wirklich der Gedanke Fichtes gewesen wäre, so hätte er geschrieben: ›Das Ich setzt in sich das theilbare Ich und das theilbare Nicht-Ich‹. Tatsache bleibt, daß er dies nicht schrieb. Hier stoßen wir auf den schwachen Punkt der meisten Kommentatoren: sie vernachlässigen die philosophische Reihe. Dabei belastet man sich nicht nur mit unlösbaren Schwierigkeiten, sondern [...] man verpaßt die große Originalität Fichtes [seine Unterscheidung von untersuchendem und untersuchtem Ich] in bezug auf Kant.« – Wagner (1959) erörtert Fichtes »übrigens nur zum Zwecke des Weiterkommens als solchen ergriffene[n] Ausweg [...]«, (123) den kontradiktorischen Gegensatz von Ich und Nicht-Ich durch die Einführung des Begriffs der Teilbarkeit zum limitativen zu schlichten, vor dem Hintergrund der allgemeinen spekulativen Frage: »Wie kann das Absolute sein Gegenglied zum Zweck seiner eigenen Bestimmtheit und Bestimmbarkeit außer und gegen sich, als Unendliches aber es in und bei sich haben?« (122). 56 Hegel, PhG 31; vgl. ders., DS 40: »[D]ie absolute Identität ist zwar Princip der Spekulation, aber es bleibt, wie sein Ausdruk: Ich = Ich, nur die Regel, deren unendliche Erfüllung postulirt, aber im System nicht konstruirt wird.« 57 Vgl. in dieser Arbeit das Kapitel »Praktische Vernunft«. 58 Vgl. GWL 404ff. [270ff.].
B. Unmittelbares und vermitteltes Bewußtsein
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2. Intellektuelle Anschauung Das Problem der Vermittlung von Tathandlung und Reflexion bleibt in der Grundlage ungelöst. Es liegt nahe, dieses Problem als das der Vermittlung von Unmittelbarkeit und Reflexion zu beschreiben, doch wäre es so nur unzureichend gefaßt. Nicht Unmittelbarkeit schlechthin soll mit Reflexion schlechthin vermittelt werden, sondern die Ichheit, das Ich, das qua Thathandlung unmittelbare Subjekt-Objekt-Einheit sein soll und unmittelbares Bewußtsein, soll mit der Reflexion, mit dem endlichen Vorstellen vermittelt werden. Wird das in der ersten Wissenschaftslehre ungelöste Problem als das der Vermittlung von Unmittelbarkeit und Reflexion sans phrase gefaßt, wird es zum bloßen Modell eines allgemeineren, grundlegenderen, kategorialen Problems herabgesetzt. Der logische Ort dieses kategorialen Problems und seiner Erörterung läge außerhalb der Wissenschaftslehre, wäre ihr systematisch vorausgesetzt. Für Hegel ist dieser Ort die Wissenschaft der Logik.59 Von ihr aus betrachtet erscheint das Prinzip der Transzendentalphilosophie, die Ichheit, selbst noch als prinzipiiert. Für Fichte kann das in der Wissenschaftslehre zu lösende Problem nicht Modell einer allgemeineren Struktur sein, weil das Prinzip, dessen Vermittlung mit der Reflexion thematisch ist, das Prinzip schlechthin allen Wissens ist. Das Ich soll als Prinzip allen Wissens und wirklichen Bewußtseins selbst unmittelbares Bewußtsein sein und dem wirklichen Bewußtsein, dem vorstellenden respektive reflektierenden Ich, immanent. Das Problem der Vermittlung von Tathandlung und Reflexion ist mithin das der Wißbarkeit des so charakterisierten Prinzips.60 In den verschiedenen Fassungen der Wissenschaftslehre nova methodo sowie im Naturrecht (1796) und in der Sittenlehre (1798) unternimmt Fichte den Versuch, das Prinzip Ichheit als dem wirklichen Bewußtsein immanent aufzuweisen.61 Diese Dar-
Weshalb Hegel in der Wissenschaft der Logik im Kapitel über »Das Fürsichseyn« das »reine Ich« oder den »Geist« oder die »abstracte Freyheit« als die »concreteren Formen« (160) dort entwickelter kategorialer Bestimmungen anführt. Sein, 160; vgl. ebd. 147. 60 Vgl. dazu Klotz (2002), dessen »Generalthese« lautet, »daß Fichte sich der Aufgabe, das Prinzip der Wissenschaftslehre ›im Bewußtsein‹ aufzuweisen, in dieser Darstellung [der Wissenschaftslehre nova methodo] tatsächlich gestellt hat. Die Absicht, als bewußtseinsinternes Element aufzuweisen, was in den erklärenden und rekonstruktiven Schritten der Wissenschaftslehre als ›Prinzip‹ fungiert, beherrscht große Teile dieser Darstellung.« (12). 61 Fichte hat die Darstellung der Wissenschaftslehre von 1794/5 selbst als »äusserst unvollendet[...]« (GWL 416 [285]) eingeschätzt und später die ersten Hauptstücke des Naturrechts und der Sittenlehre für das Studium der Transzendentalphilosophie insgesamt ausdrücklich empfohlen. So schreibt er am 21. März 1797 an Reinhold: »Über meine bisherige Darstellung [die Grundlage] urtheilen Sie viel zu gütig; oder der Inhalt hat Sie die Mängel der Darstellung übersehen lassen. Ich halte sie für äußerst unvollkommen. Es sprühen Geistesfunken daraus; das weiß ich wohl: aber es ist nicht Eine Flamme. Ich habe sie diesen Winter für mein Auditorium, das zahlreich ist, und in welchem ich von Zeit zu Zeit gute Köpfe bemerkt habe, von denen ich viel hoffe, ganz umgearbeitet; so als ob ich sie nie bearbeitet hätte, und von der alten nichts 59
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II. FICHTE
stellungen setzen nicht damit ein, daß Grundsätze ›aufgesucht‹ werden, sondern beginnen mit einer »Aufforderung«62 an den Leser. »Das Prinzip des Idealisten kommt im Bewustsein vor, darum heißt auch seine Philosophie immanent. Er findet aber sein Prinzip nicht von selbst in dem Bewustsein sondern zu folge seines freien Handelns; wenn man den Gang des gewöhnlichen Bewustseins fortgeht: so liegt darinn kein Begriff vom Ich, keine in sich zurückgehende Thätigkeit; aber man kann sein Ich denken, wenn man vom Philos[ophen]. dazu aufgefordert ist, man findet es dann, durch ein freies Handeln, aber nicht als etwas Gegebenes.«63 Der Leser wird aufgefordert, zunächst einen beliebigen äußeren Gegenstand, dann sich selbst: Ich, zu denken und jeweils darauf zu achten, was er macht.64 Kommt der Leser der Aufforderung nach und vollzieht den geforderten Denkakt, so ist er sich im Denken von etwas seines Denkens als einer freien Tätigkeit (respektive seines Denkens im Denken von etwas respektive seiner als des Denkenden im Denken von etwas65) »unmittelbar bewusst«.66 »Du hättest statt dieses Bestimmten auch etwas anderes denken können, z.B. deinen Tisch, deine Wände deine Fenster, und du denkst auch wohl diese Gegenstände wirkwüßte. Ich lasse diese Bearbeitung in unserem Phil. Journal abdrucken (versteht sich wieder von neuen aus den Heften bearbeitet). Wie oft werde ich sie noch bearbeiten!« Briefe b 57 f. – Am 4. Juli 1797 schreibt er an Reinhold: »Ich wünschte, daß Sie weniger Werth in meine Bearbeitung der W. L. setzten und weniger Zeit auf das Studium derselben verwendeten. Was an der Hauptsache ist, weiß ich wohl; aber hat man sich dieser bemächtigt, so hilft man sich durch sich selbst weit besser, als durch diese sehr unreife Darstellung. Wie weit klärer sehe ich jetzt in dieser Wissenschaft! Mein Naturrecht ist ohne Zweifel besser.« Briefe b 69. – Am 31. Januar 1801 schreibt Fichte an Friedrich Johannsen: »Meine gedruckte Wißenschaftslehre trägt zu viele Spuren des Zeitraums, in dem sie geschrieben, und der Manier zu philosophiren, der sie der Zeit nach folgte. Sie wird dadurch undeutlicher, als eine Darstellung des transcendentalen Idealismus zu seyn bedarf. Weit mehr sind zu empfehlen die ersten Hauptstücke meines Naturrechts und meiner Sittenlehre (besonders die letztere), meine Aufsätze im philosophischen Journal, sowie die Schellingischen, und überhaupt alle Schriften Schellings, – ferner die Bestimmung des Menschen.« Briefe c 9. – Angesichts dessen, daß Fichte die Darstellung der Wissenschaftslehre permanent überarbeitet, ist es verfehlt, wenn Hohler (1982; 100) aus dem Umstand, daß in der Grundlage von 1794/5 von der intellektuellen Anschauung noch nicht die Rede ist, die Zweite Einleitung von 1797 aber davon spricht, die Wissenschaftslehre gehe von der intellektuellen Anschauung der absoluten Selbsttätigkeit des Ich aus, schließt, »that the Grundlage is not yet a Wissenschaftslehre, but only an introduction to it«. 62 Statt von Aufforderung spricht Fichte auch von »Postulat« (WLnmK 345) oder »Aufgabe« (SL 37 [18]). 63 WLnmK 335. 64 Fichte fordert manchmal zuerst dazu auf, das Ich zu denken, und hernach einen Gegenstand wie »die Wand«, manchmal umgekehrt dazu, zuerst »die Wand«, dann Ich zu denken. Vgl. VnD 271ff. [521ff. ]; WLnmK 345 ff.; SL 37 [18]. 65 Vgl. VnD pass.; SL 37 [18f.]. 66 VnD 271 [522]; vgl. SL 37 [18]: »Du nimmst ohne Zweifel zu diesem Denken ein Denkendes an, dieses Denkende bist du selbst; du bist unmittelbar deines Denkens in diesem Denken dir bewußt.«
B. Unmittelbares und vermitteltes Bewußtsein
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lich, wenn ich dich dazu auffodere. Du thust es zufolge einer Auffoderung, zufolge eines Begriffs von dem zu denkenden; der, deiner Annahme nach, auch ein anderer hätte seyn können, sage ich: Du bemerkst sonach Thätigkeit und Freiheit in diesem deinen Denken, in diesem Uebergehen vom Denken des Ich zum Denken des Tisches, der Wände, u.s.f. Dein Denken ist dir ein Handeln. Befürchte nicht, daß du mir durch dieses Geständniß etwas zugestehst, das dich hinterher reuen möchte. Ich rede nur von der Thätigkeit, der du in diesem Zustande unmittelbar bewusst wirst, und in wiefern du ihrer bewusst wirst.«67 Der Leser muß weiter zugeben, daß er sich auch des Unterschieds zwischen dem Denken eines beliebigen Gegenstandes und dem Denken seiner selbst: Ich, unmittelbar bewußt ist. Im Denken etwa der Wand weiß sich der Denkende vom Gedachten unterschieden, im Denken seiner selbst weiß er, daß Denkendes und Gedachtes ein und dasselbe sein sollen. »Indem du deinen Tisch oder deine Wand dachtest, warest du, da du ja [...] der Thätigkeit in deinem Denken dir bewusst bist, in diesem Denken dir selbst das Denkende: aber das Gedachte war dir nicht Du selbst, sondern etwas von dir zu unterscheidendes. Kurz, in allen Begriffen dieser Art soll, wie du es in deinem Bewusstseyn wohl finden wirst, das Denkende und das Gedachte zweierlei seyn. Indem du aber dich denkst, bist du dir nicht nur das Denkende, sondern zugleich auch das Gedachte; Denkendes und Gedachtes sollen dann Eins seyn; dein Handeln im Denken soll auf dich selbst, das Denkende, zurückgehen.«68 Der »Begriff des Ich« («das Denken des Ich«, der »Gedanke des Ich«69) bestehe demnach »in dem auf sich Handeln des Ich selbst; und umgekehrt, ein solches Handeln auf sich selbst giebt ein Denken des Ich, und schlechthin kein anderes Denken«.70 Fichte formuliert, der den Begriff des Ich Denkende sei sich unmittelbar bewußt, daß Denkendes und Gedachtes eines, das heißt identisch sein sollen.71 Dies könnte ein Hinweis darauf sein, daß durch den bloßen Vollzug des geforderten Denkaktes, wie er bislang beschrieben ist, die Identität von Denkendem und Gedachtem für den Denkenden gerade nicht dargetan ist. Ist der Akt als Denken (Vorstellen, Reflektieren) an den Unterschied von Denkendem und Gedachtem, von Subjekt und Objekt gebunden, dann kann der Denkende sich nicht uno actu als Subjekt des Denkens auf sich als Subjekt beziehen. Folglich kann er sich in ein und demselben Akt nicht der Identität von Denkendem und Gedachtem versichern. Die für das Denken von etwas konstitutive Differenz von Subjekt und Objekt ist auch in dem besonderen Fall des Denkens meiner selbst nicht aufgehoben – sie soll aber respektive sie muß aufgehoben
VnD 271 [521f.]. VnD 272 [522]. 69 Die Ausdrücke sind nach Fichte austauschbar. Vgl. VnD 272 u. 280 [522 u. 533]; SL 37 [19]. 70 VnD 272 [522f.]. 71 Analog in der Sittenlehre: »Jetzt denke dich. So gewiß du dies thust, setzest du das Denkende und das Gedachte in diesem Denken nicht, wie vorher, entgegen; es soll beides nicht zweierlei, – sondern eins und ebendasselbe seyn, wie du dir unmittelbar bewußt bist.« (37 [18]). 67 68
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II. FICHTE
sein, weil die Erklärung des Selbstbewußtseins sonst entweder in den unendlichen Regreß oder in den Zirkel geriete. Entweder das Subjekt der Selbstbeziehung wäre als Subjekt dieser Selbstbeziehung nur mittels eines »höheren Denkens«,72 einer zweiten Reflexion zu fassen, für deren Subjekt wiederum gälte, daß es als Subjekt dieser zweiten Reflexion nicht unmittelbar, sondern nur mittels einer dritten Reflexion zu fassen wäre und so fort, oder das Subjekt der Selbstbeziehung wäre als seiner selbst bewußtes je schon vorauszusetzen. In beiden Fällen wäre die These Fichtes, das Ich entstehe durch das Zurückgehen des Denkens auf sich selbst, von der »Sophisterei«73 der Vorgänger nicht unterschieden. Die Interpretation des Ausdrucks »sollen« als Hinweis auf einen Mangel des bisher beschriebenen Vollzugs der Aufforderung ist zwar sachlich richtig, sie trifft aber nicht Fichtes Intention. Der Einwand, den Fichte sich selbst als mögliche »Bedenklichkeit des Lesers« macht, ist nur rhetorischer Art: »In einem kleinen Winkel deiner Seele liegt dagegen die Einwendung, – entweder: ich soll denken, aber ehe ich denken kann, muß ich seyn; oder die: ich soll mich denken, in mich zurückgehen; aber was gedacht werden soll, auf welches zurückgegangen werden soll, muß seyn, ehe es gedacht oder darauf zurückgegangen wird. In beiden Fällen postulirst du ein von dem Denken und Gedachtseyn deiner selbst unabhängiges, und demselben vorauszusetzendes, Daseyn deiner selbst; im ersten Falle als des Denkenden, im zweiten als des ZuDenkenden.«74 Fichte begegnet dem Einwand mit der Unterscheidung zwischen undeutlichem und deutlichem Bewußtsein. Der Einwand sei falsch, insofern und weil er das Dasein des Ich als eine Voraussetzung begreife, die unabhängig sei von dem In-sich-Zurückgehen, dem Sich-selbst-Setzen des Ich. Das Dasein des Ich sei nicht unabhängig von der in sich zurückgehenden Tätigkeit des Ich, sondern bestehe in dieser Tätigkeit selbst. In einem ganz anderen Sinn müsse allerdings das Dasein des Ich als Voraussetzung seines In-sich-Zurückgehens zugegeben werden. Die Differenz von vorausgesetztem Dasein des Ich und In-sich-zurückgehender Tätigkeit des Ich sei als die von undeutlichem und deutlichem Bewußtsein des Ich von sich selbst zu verstehen. »Du weißt doch hoffentlich von diesem vorauszusetzenden Daseyn nur insofern, inwiefern du es denkst; und dieses Daseyn des Ich ist sonach auch nichts mehr, als ein Gesetztseyn deiner selbst durch dich selbst. In dem Factum das du uns aufgezeigt hast, liegt sonach, wenn wir es scharf genug ansehen, nichts mehr, als dies: du musst deinem gegenwärtigen zum deutlichen Bewusstseyn erhobenen SelbstSetzen ein anderes solches Setzen, als ohne deutliches Bewusstseyn geschehen, voraus denken, worauf das gegenwärtige sich beziehe und dadurch bedingt sey. Bis wir dir das fruchtbare Gesetz, nach welchem es so ist, aufzeigen, begnüge dich mit der Einsicht, daß das angeführte Factum weiter nichts aussagt, als das Angegebene, damit du durch dasselbe nicht irre gemacht werdest.«75 Richtig gesehen habe der fiktive Leser durch den Einwand auf ein »Factum« 72 73 74 75
VnD 275 [526]. WLnmH 30. VnD 273 [524]. VnD 274 [525].
B. Unmittelbares und vermitteltes Bewußtsein
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aufmerksam gemacht. Dem aus dem Vollzug des geforderten Denkaktes hervorgehenden deutlichen Bewußtsein des Ich von seinem In-sich-Zurückgehen sei ein undeutliches Bewußtsein von dem In-sich-Zurückgehen voraus zu denken. Diese Differenz von undeutlichem und deutlichem Bewußtsein des Ich von seinem Selbstsetzen besteht aber nur für ein wirkliches Ich, das den »Begriff Ich« denkt. Das »Factum«, das der fiktive Leser anführt, ist seiner Perspektive geschuldet, die die eines daseienden Ich, eines existierenden Selbstbewußtseins ist. Läge nicht schon Selbstbewußtsein vor, fehlte der Aufforderung der Adressat. Der Leser, an den die Aufforderung, sich selbst zu denken ergeht, kann sein Ich nicht als aus diesem Akt hervorgehend begreifen, vielmehr ist es für ihn schon immer da – »als Factum«, wie Fichte in der Zweiten Einleitung in die Wissenschaftslehre formuliert. »Das Ich geht zurück in sich selbst, wird behauptet. Ist es denn also nicht schon vor diesem Zurückgehen und unabhängig von demselben da für sich; muß es nicht für sich schon da seyn, um sich zum Ziele eines Handelns machen zu können; und, wenn es so ist, setzt denn nicht eure Philosophie schon voraus, was sie erklären sollte?/ Ich antworte: keineswegs. Erst durch diesen Act und lediglich durch ihn, durch ein Handeln auf ein Handeln selbst, welchem bestimmten Handeln kein Handeln überhaupt vorhergeht, wird das Ich ursprünglich für sich selbst. Nur für den Philosophen ist es vorher da, als Factum, weil dieser die ganze Erfahrung schon gemacht hat. Er muß sich so ausdrücken, wie er sich ausdrückt, um nur verstanden zu werden; und er kann sich so ausdrücken, weil er alle die dazu erfoderlichen Begriffe schon längst aufgefasst hat.«76 Fichtes Argumentation vermag die Kritik, die Erklärung des Ich als in-sichzurückgehende Tätigkeit sei zirkulär, nicht zu entkräften. Denn nicht der Zirkel wird durch sie widerlegt, sondern nur die These wird zurückgewiesen, wonach das Dasein des Ich unabhängig von dem In-sich-Zurückgehen des Ich sei. Diese These ist nach Fichte »absurd«, weil sie das Ich, dessen Wesen und Sein unmittelbares Bewußtsein und reine Tätigkeit ist, zu einem unabhängig vom Bewußtsein bestehenden Ding macht.77 Die Unterscheidung zwischen undeutlichem und deutlichem Bewußtsein des Ich von sich bestätigt aber im Gegenteil den Zirkel, in den das Ich gerät, wenn es sich reflektierend zu erfassen sucht. Qua Selbstreflexion vermag das Ich nur explizit zu machen, was implizit schon immer vorliegt: Selbstbewußtsein. Fichtes zweite Unterscheidung, die zwischen dem Ich, das durch den Akt des Sich-selbst-Setzens ursprünglich für sich selbst wird, und dem Ich, das als Faktum für den Philosophen schon »vorher« da ist, vermag den Einwand ebensowenig zu entkräften, denn sie gibt den Zirkel explizit zu. Die Einschränkung, der Zirkel bestehe nur »für den Philosophen«, nicht aber für das »ursprünglich« für sich werdende Ich, ist so lange eine bloße Behauptung, wie nicht geklärt ist, inwiefern es überhaupt eine andere Perspektive als die des reflektierenden Philosophen geben kann. Daß Fichte das ursprüngliche Selbstbewußtsein als ein präreflexives, in sich ununterschiedenes Selbst-Setzen verstanden 76 77
ZE 213 [458f.]. Vgl. VnD 277 [529].
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II. FICHTE
wissen will, berührt die zirkuläre »Erklärung« des Selbstbewußtseins nicht, solange sie zu dieser nur die abstrakte Antithese ist, wonach es ein solches ursprüngliches, unmittelbares Selbstbewußtsein gebe.78 Aufklärung darüber, wie eine andere Perspektive als die des reflektierenden Philosophen möglich ist, wie also mit Grund unterschieden werden kann zwischen dem Insich-Zurückgehen, wie es einerseits für den untersuchenden Philosophen selbst und andererseits für das untersuchte Ich ist, verspricht der zweite Abschnitt des Versuchs. In ihm geht es nämlich darum, den Leser begreifen zu lassen, was er bislang unbegriffen zugeben mußte.79 Der die Wand und dann sich selbst denkende Leser mußte nämlich zugeben, daß er ein »unmittelbares« Bewußtsein von seinem Denken der Wand respektive von seinem Denken seiner selbst besaß. Er mußte dies zugeben, ohne wirklich verstanden zu haben, was er damit zugab.80 Um es verstehen zu können, muß der Iber (1999; 50) spricht zu Recht davon, daß Fichte dem Zirkel-Einwand mit einer »Behauptung« entgegnet, der, daß das vorausgesetzte Dasein des Ich nichts anderes als ein Gesetztsein seiner selbst durch sich selbst sei, und dieses ein vorreflexives, unmittelbares Bewußtsein. Ibers Charakterisierung dieses von Fichte behaupteten Bewußtseins bedient sich aber, wie Fichte selbst, einer reflexiven Terminologie, die den behaupteten Sachverhalt entstellt. »Das Ich ist nicht als Tätiges da, das dann handelnd auf sich zurückgeht. Zwischen der Tätigkeit und ihrem In-sichZurückgehen ist der Unterschied immer schon aufgehoben.« Der Unterschied, der »immer schon aufgehoben« ist, ist der sich auf sich beziehende Unterschied, der ist, indem er sich aufhebt, und sich aufhebt, indem er ist. »Diese sich auf sich beziehende Negativität ist also das Negiren ihrer selbst. Sie ist somit überhaupt so sehr aufgehobene Negativität als sie Negativität ist. Oder sie ist selbst das Negative und die einfache Gleichheit mit sich oder Unmittelbarkeit. Sie besteht also darin sie selbst und nicht sie selbst und zwar in Einer Einheit zu seyn.« (Hegel, Wesen 250). Das Selbst-Setzen des Ich ist aber als Akt reiner Selbstaffirmation gerade nicht dieser Unterschied. Fichtes systematisch erster Begriff: die Ichheit, soll rein affirmative Einheit allen Bewußtseins sein. 79 Daß jemand etwas zugeben muß, ohne begriffen zu haben, was und warum er es zugeben muß, muß seltsam erscheinen. Es mag damit zu rechtfertigen sein, daß die erste Aufforderung an den Leser eine Aufforderung an das Alltagsbewußtsein ist, welches sich noch nicht zum philosophischen oder ›speculativen Standpunkt‹ erhoben hat, wie Fichte sagen würde. 80 Die Sekundärliteratur verhält sich zu Fichtes Rede vom »unmittelbaren Bewußtsein des Denkens« in den verschiedenen Darstellungen der Wissenschaftslehre nova methodo, dem Naturrecht und der Sittenlehre höchst unterschiedlich. So meint Siep (1992; 82): »Die Bedeutung der ›Ursprünglichkeit‹ bzw. ›Unmittelbarkeit‹ des Bewußtseins am Anfang des Naturrechts wie später der Sittenlehre ist [...] nicht leicht zu verstehen. Diese Unmittelbarkeit könnte einen ›verifikationistischen‹ Sinn haben: Es ginge dann um eine Selbstgegebenheit des Bewußtseins unabhängig von aller philosophischen ›Konstruktion‹ – davon ist jedenfalls am Anfang der ›Sittenlehre‹ die Rede.« – Stolzenberg (1988; 196), der die Fichtesche Formulierung anhand des ersten Paragraphen der Sittenlehre erörtert, sieht keine Schwierigkeiten: »Der [...] Hinweis, daß man ohne Zweifel zu diesem Denken eines äußeren Gegenstandes ein Denkendes annehme und dieses Denkende man selbst sei, kann die behauptete Unbezweifelbarkeit dieser Annahme darauf gründen, daß er nur eine analytische Implikation jenes postulierten Denkens eines äußeren Gegenstandes namhaft macht. Denn liegt ein Bewußtsein davon vor, auf einen von diesem Bewußtsein unterschie78
B. Unmittelbares und vermitteltes Bewußtsein
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Leser den bislang bezogenen, dem Alltagsbewußtsein kompatiblen »Standpunkt« verlassen und sich auf einen »höhern Standpunkt der Speculation«81 versetzen. Fichte richtet deshalb an ihn die folgende, zweite Aufforderung: »Denke dich, und bemerke, wie du das machst; war meine erste Foderung. Bemerken musstest du, um mich zu verstehen; (denn ich redete von etwas, das nur in dir selbst seyn konnte;) und um in deiner eigenen Erfahrung als wahr zu befinden, was ich dir sagte. Diese Aufmerksamkeit auf uns selbst in jenem Acte war das uns beiden gemeinschaftliche Subjective. Dein Verfahren im Denken deiner selbst, welches bei mir auch kein anderes war, war es, worauf du merktest; es war der Gegenstand unsrer Untersuchung, das uns beiden gemeinschaftliche Objective./ Jetzt aber sage ich dir: bemerke dein Bemerken deines SelbstSetzens; bemerke, was du in der so eben geführten Untersuchung selbst thatest, und wie du es machtest, um dich selbst zu bemerken. Mache das, was bisher das Subjective war, selbst zum Objecte einer neuen Untersuchung, die wir gegenwärtig anheben.«82 Diese Aufforderung ist keineswegs eindeutig. Indem Fichte von dem Sich-selbstDenken (Sich-selbst-Setzen) als dem Objektiven und dem Bemerken dieses Sichselbst-Denkens als dem Subjektiven spricht, bedient er sich der Sprache der Reflexion und betont einen Unterschied, der gerade nicht vorhanden sein soll. Es ist nach Fichte ja gerade die Pointe der ersten Aufforderung, daß sie nicht zu zwei verschiedenen Akten, dem Sich-selbst-Denken und dem Aufmerken darauf, auffordert, sondern zu einem.83 Der Vollzug der ersten Aufforderung ist ein Akt, an dem allerdings zwei Aspekte zu unterscheiden sind: der reflexive Bezug des Ich auf sich, das sich selbst denkt, indem es sich in Subjekt-Ich und Objekt-Ich unterscheidet, einerseits, und das unmittelbare Bewußtsein davon, andererseits. Das »Subjective«, das in der zweiten Aufforderung »zum Objecte« der Untersuchung gemacht wird, ist nicht das SubjektIch als Reflektierendes, sondern das unmittelbare Bewußtsein, das als konstitutives Moment jeder Reflexion kenntlich gemacht werden soll. Es ist nun entscheidend zu sehen, daß Fichte von der Formulierung der zweiten Aufforderung keineswegs direkt zur Beschreibung dessen übergeht, was der Leser, der diese Aufforderung erfüllt, zweifelsohne zugeben müsse. Vielmehr unterbricht Fichte das Verfahren der »Anmuthungen« an den Leser, sich selbst zu denken und dabei zu beobachten, was er tut, durch einen Einschub, in welchem er den terminus denen Gegenstand als einen solchen bezogen zu sein, dann muß, um diesen Gegenstand überhaupt als einen unterschiedenen im Bewußtsein haben zu können, in eben dieser Beziehung auch eine bewußte Beziehung auf das Bewußtsein selbst vorliegen. Fichtes Erklärung: ›du bist unmittelbar deines Denkens in diesem Denken dir bewußt.‹ [..] ist dann auch nur als der Ausdruck dieser Implikation zu lesen.« 81 VnD 274 [525]. 82 VnD 274 [525]. 83 Allerdings ist Fichte hier nicht eindeutig, sondern unterscheidet auch das Sich-selbstDenken und das Aufmerken darauf als zwei verschiedene Akte. Vgl. VnD 280 [533]. Vgl. Breazeale (1998), 597.
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II. FICHTE
ad quem der Darstellung: das unmittelbare Bewußtsein respektive die intellektuelle Anschauung, rein diskursiv entwickelt. Dabei wird das Argument, das dieser Einschub enthält, von Fichte ausdrücklich als ein nur hilfsweise eingeführtes charakterisiert. »Der Punkt, um welchen es mir hier zu thun ist, ist nicht so leicht getroffen: wird er aber verfehlt, so wird alles verfehlt, denn auf ihm beruht meine ganze Lehre. Der Leser erlaube mir daher, daß ich ihn durch einen Eingang leite, und ihn so nahe als möglich vor dasjenige hinstelle, was er zu beobachten hat.«84 Der Punkt, um den es geht, ist das unmittelbare Bewußtsein. Seine Notwendigkeit weist Fichte in dem als »Eingang«, als bloße Hinführung bezeichneten Abschnitt durch eine apagogische Beweisführung nach. »[J]edes Object kommt zum Bewusstseyn lediglich unter der Bedingung, daß ich auch meiner selbst des bewusstseyenden Subjects, mir bewusst sey. [...] Aber in diesem SelbstBewusstseyn meiner [...] bin ich mir selbst Object, und es gilt von dem Subjecte zu diesem Objecte abermals, was von dem vorigen galt; es wird Object und bedarf eines neuen Subjects, und so fort ins Unendliche. In jedem Bewusstseyn also wurde Subject und Object von einander geschieden und jedes als ein besonderes betrachtet; dies war der Grund, warum uns das Bewusstseyn unbegreiflich ausfiel./ Nun aber ist doch Bewusstseyn; mithin muß jene Behauptung falsch seyn. Sie ist falsch, heißt: ihr Gegentheil gilt; sonach folgender Satz gilt: es giebt ein Bewusstseyn, in welchem das Subjective und das Objective gar nicht zu trennen, sondern absolut Eins, und eben dasselbe sind.«85 Fichte kehrt von dem Exkurs »unbefangen« zur eigentlichen Untersuchung zurück, indem er zwei Behauptungen aufstellt. Zum einen behauptet er, das durch den widerlegenden Beweis als notwendig erschlossene, in Subjekt und Objekt ungetrennte Bewußtsein sei dasjenige Bewußtsein, »dessen wir bedürften, um das Bewusstseyn überhaupt zu erklären«.86 Daß wir eines solchen Bewußtseins bedürfen, schließt ein, daß wir dieses Bewußtsein noch nicht gefunden haben. Der widerlegende Beweis der Notwendigkeit dieses Bewußtseins kann Fichte zufolge den Aufweis dieses Bewußtseins auf dem Wege des Vollzugs von geforderten Denkakten nicht ersetzen. »Gefunden« wird dieses Bewußtsein, so Fichtes zweite Behauptung, allein durch die Erfüllung der zweiten Aufforderung. Der Leser, der der zweiten Aufforderung folgt und seine Aufmerksamkeit auf sein Bemerken seines Selbstsetzens richtet, müsse zugeben, daß er sich aller von ihm bislang geforderten und vollzogenen Denkakte unmittelbar bewußt war. »Wie kamst du nun zu diesem Bewusstseyn deines Denkens? Du wirst mir antworten: ich wusste es unmittelbar. Das Bewusstseyn meines Denkens ist meinem Denken nicht etwa ein zufälliges, erst hinterher dazu gesetztes, und damit verknüpftes, sondern es ist von ihm unabtrennlich. – So wirst du antworten, und musst du antworten; denn du vermagst dir dein Denken ohne ein Bewusstseyn desselben gar nicht zu denken./ Zuförderst also hätten wir ein solches Bewusstseyn gefunden, [...] 84 85 86
VnD 274 [526]. VnD 275 [526f.]. VnD 275 [527].
B. Unmittelbares und vermitteltes Bewußtsein
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in welchem das Subjective und Objective unmittelbar vereinigt ist. Das Bewusstseyn unsers eignen Denkens ist dieses Bewusstseyn.«87 »Unmittelbar« besage hier, daß das Bewußtsein des Denkens nicht als Subjektives auf das Denken als Objektives sich beziehe und also durch die Subjekt-Objekt-Differenz vermittelt sei, sondern ein Bewußtsein vom Denken sei, das mit dem Denken differenzlos, unvermittelt »verknüpft« sei. Das Bewußtsein, das von unserem Denken nicht zu trennen ist, weil es kein Bewußtsein vom Denken als etwas Unterschiedenem ist, sondern ein unmittelbares Bewußtsein »des«88 Denkens, ist das ursprüngliche Selbstbewußtsein, das allem intentionalen Bewußtsein immanente, es bedingende nichtintentionale Bewußtsein des Ich »von« sich. »Unmittelbar«, so Fichte in der Neuen Bearbeitung, »bedeutet: kein besondrer Akt [...].«89 Als unmittelbares Bewußtsein ist das ursprüngliche Selbstbewußtsein Anschauung,90 und als unmittelbares Bewußtsein der Spontaneität des Ich intellektuelle Anschauung. »Also – die Intelligenz schaut sich selbst an, bloß als Intelligenz oder als reine Intelligenz, und in dieser Selbstanschauung eben besteht ihr Wesen. Diese Anschauung wird sonach mit Recht [...] intellectuelle Anschauung genannt.«91 Fichtes Aussage, »wir« hätten »ein solches Bewusstseyn gefunden, [...] in welchem das Subjective und Objective unmittelbar vereinigt ist«, ist erklärungsbedürftig. Fichte behauptet, auf dem Wege der Erfüllung der zweiten Aufforderung habe der Leser eben jenes unmittelbare Bewußtsein »gefunden«, welches zuvor durch negative Beweisführung als notwendig zur Erklärung des Selbstbewußtseins erschlossen wurde – ein Bewußtsein, in dem Subjektives und Objektives untrennbar sind. Diese Behauptung ist explizit falsch. Fichte konfundiert hier zwei zu unterscheidende Bedeutungen von »unmittelbar« oder »unmittelbarem Bewußtsein«.92 Im Kontext des widerlegenVnD 276 [527]. Die Anführung soll anzeigen, daß der Genitiv hier nicht sprachlicher Ausdruck einer Vermittlung von Unterschiedenem sein soll. 89 NBdWL 342. 90 Vgl. VnD 276 [528]. 91 VnD 277f. [530]. Fichte: »Die Anschauung, von welcher hier die Rede ist, ist ein sich Setzen als setzend, (irgend ein Objectives, welches auch ich selbst, als bloßes Object, seyn kann,) keineswegs aber etwa ein bloßes Setzen.« VnD 276 [528]. Dazu Iber (1999; 53 Anm.) richtig: »Diese Formel des Ichbegriffs ist nicht identisch mit der von Henrich so genannten zweiten Formel des Fichteschen Ichbegriffs: ›Das Ich setzt sich schlechthin als sich setzend‹ (vgl. Henrich 1966, 202 ff.). Denn als Formel für das unmittelbare Selbstbewußtsein als Bedingung allen Bewußtseins von etwas anderem fehlt ihr das für die zweite Formel spezifische zweite ›sich‹ und geht daher nicht über die Ich-Formel des Sich-schlechthin-Setzens der GWL von 1794/95 hinaus – allenfalls darin, daß sie nun als Bedingung allen Bewußtseins formuliert wird: Setzen von etwas setzt ein Sich-Setzen voraus.« 92 Dies übersieht Janke (1993; 29 f.), der den widerlegenden Beweis des unmittelbaren Bewußtseins als ›zulässige‹ Ergänzung des Verfahrens des Aufweises dieses Bewußtseins qua Vollzug geforderter Denkakte interpretiert, ohne zu fragen, inwiefern das phänomenal Aufgewiesene und das durch widerlegende Beweisführung Erschlossene identisch sein können. »Natürlich kann ein Erstes Prinzip niemals direkt schlüssig bewiesen, d. h. aus höheren Vordersätzen mit Not87 88
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den Beweises meint »unmittelbar« die Bestimmtheit des Prinzips, das allem wirklichen Bewußtsein zugrunde liegt. Dieses Prinzip, die Ichheit, ist nicht bloßes Subjekt allen Vorstellens, sondern unmittelbare Einheit von Subjekt und Objekt.93 Im Kontext der Erfüllung der Aufforderung, sich selbst zu denken und dabei zu beobachten, meint »unmittelbar«, wie Fichte ausdrücklich feststellt: »kein besondrer Akt«. »Unmittelbar« ist hier keine Bestimmtheit des allem Bewußtsein zugrundeliegenden Prinzips, sondern charakterisiert das Bewußtsein, das der zum Denken Aufgeforderte von seinem Denken hat, wenn er darauf unter Anleitung aufmerkt. So weiß derjenige, der sich selbst denkt, »unmittelbar«, daß in diesem Denken Subjekt und Objekt eines sein sollen; er muß dies nicht in einem gesonderten »Akt« und nachträglich erschließen. In der ersten Bedeutung ist »unmittelbar« ein Strukturmerkmal des ursprünglichen Selbstbewußtseins, das als Resultat widerlegender Beweisführung Anspruch auf Objektivität erhebt. In der zweiten Bedeutung ist »unmittelbar« ein Prädikat, das der Denkende aus seiner Perspektive dem Bewußtsein seines Denkens zuschreibt94 und ohne Anspruch auf Objektivität. Der Konfundierung zweier unterschiedener Bedeutungen von »unmittelbarem Bewußtsein« folgt im Versuch die Konfundierung zweier unterschiedener Bedeutungen des Ausdrucks »In-sich-zurückgehende-Tätigkeit«. Wie schon in der Grundlage faßt Fichte sowohl die reflexive Beziehung des Ich auf sich wie auch das präreflexive unmittelbare Bewußtsein als in sich zurückgehende Tätigkeit und setzt damit zwei »Akte« identisch, die er andernorts unterschieden hat. »[D]u bist deines Denkens unmittelbar dir bewusst; wie stellst du dies dir vor? Offenbar nicht anders, als so: deine innere Thätigkeit, die auf etwas außer ihr (auf das Object des Denkens,) geht, geht zugleich in sich selbst, und auf sich selbst. Aber durch in sich zurückgehende Thätigkeit entsteht uns, nach obigem, das Ich. Du warst sonach in deinem Denken deiner selbst dir bewusst, und dieses SelbstBewusstseyn eben war jenes unmittelbare Bewusstseyn deines Denkens; sey es, daß ein Object, oder daß du selbst gedacht wurdest.«95 Die Behaup-
wendigkeit entnommen werden. Wohl aber läßt es sich [...] von jedem finden, der seine Aufmerksamkeit und Attentionskraft gehörig lenken läßt. So erst hält sich die Erste Philosophie streng an das, was phänomenal ausweisbar ist, an einen Gehalt, der im Bewußtsein liegt, nämlich das zur Anschauung zu bringende Selbstbewußtsein. Und auch ein indirekter Beweisgang ist zulässig [!], der die Wahrheit des gefundenen Aufweises apagogisch durch die bewiesene Falschheit des Gegenteils erhärtet. Daher geht die neue Darstellung in der schrittweisen Aufweisung einer intellektuellen Anschauung [...] so vor, daß sie, zur Selbsttätigkeit auffordernd, zum adäquaten Standpunkt der Spekulation hinleitet und dessen Einheitsgrund freilegt, und zwar durch Negation der entgegengesetzten Position in indirektem Beweisgange.« 93 In diesem Sinne heißt es in der WLnmK 346: »Das Ich ist gar nicht Subject, sondern Subject=Object; sollte es bloß Subject sein, so fällt man in die Unbegreiflichkeit des Bewustseins, soll es bloß Object sein, so wird man getrieben, ein Subject auser ihm zu suchen, das man nie finden wird.« 94 Vgl. Klotz (2002), 61. 95 VnD 276 [527f.].
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tung, der Leser stelle sich das unmittelbare Bewußtsein seines Denkens im Denken von etwas als eine in sich zurückgehende Tätigkeit vor und damit als identisch mit der Tätigkeit, durch die uns das Ich »entsteht«, ist unverständlich. Mit dem ›Entstehen‹ des Ich ist hier offenbar nicht dessen ursprüngliches Fürsichwerden gemeint, sondern der bewußte, reflexive Bezug des Ich auf sich.96 Dieser soll identisch sein mit dem unmittelbaren Bewußtsein. Wieder setzt Fichte den Akt des Sich-selbst-Denkens mit deutlichem Bewußtsein gleich mit dem Akt, durch den das Ich Fichtes Behauptung zufolge ursprünglich für sich wird. Die Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre ist hier ausführlicher als der Versuch. Fichte identifiziert hier ausdrücklich den reflexiven Akt, der in dem Vollzug der Aufforderung, sich selbst zu denken, besteht, mit dem präreflexiven Akt, durch den das Ich ursprünglich für sich wird. »In diesem [!] Acte nun, der für den Philosophen, als solchen, willkürlich ist und in der Zeit, für das Ich aber [...] nothwendig und ursprünglich – in diesem Acte sage ich, sieht der Philosoph sich selbst zu, er schaut sein Handeln unmittelbar an, er weiß, was er thut, weil er – es thut.«97 Der Akt des »In-sich-Zurückgehens« des aufgeforderten wirklichen Ich (des »Lesers«, des »Philosophen«) sei identisch mit dem Akt des ursprünglichen Sich-selbst-Setzens des Ich. Dies ist eine bloße Behauptung, solange die Unterscheidung der zwei Seiten des vorgeblich identischen Aktes, derjenigen, wonach der Akt für den Philosophen in der Zeit und willkürlich, und derjenigen, wonach er für das Ich selbst ursprünglich und notwendig sei, wiederum nur durch den Philosophen selbst getroffen sein kann. Gravierender aber ist, daß die Ineinssetzung der reflexiven, denkenden Beziehung des Ich auf sich mit dem präreflexiven Sich-selbst-Setzen Fichteschen Bestimmungen widerspricht. Nach Fichte ist das ursprüngliche, unmittelbare Bewußtsein kein wirkliches Bewußtsein, sondern der Grund allen wirklichen Bewußtseins. Ist dies aber so, dann kann dieses Bewußtsein nicht durch die Erfüllung der Aufforderung aufgewiesen werden. Das bisher eingeschlagene Verfahren erscheint als der untaugliche Versuch, das, was als Prinzip allen Bewußtseins kein Phänomen des Bewußtseins sein kann, phänomenal auszuweisen. Fichte versucht offenbar, diesem Einwand selbst Rechnung zu tragen, denn er betont in verschiedenen Varianten der Darstellung nova methodo, daß das unmittelbare Bewußtsein, weil selbst keine Tatsache des wirklichen Bewußtseins, nicht unmittelbar in diesem angetroffen, sondern »geschlossen« werde als Bedingung der Möglichkeit allen wirklichen Bewußtseins. Dabei meint die Rede vom Erschließen nicht, wie zunächst zu vermuten wäre, den in Gestalt eines Exkurses im Versuch vorgeführten apagogischen Beweis der Notwendigkeit des unmittelbaren Bewußtseins, sondern den Schritt, den der Leser vollzieht, wenn er der zweiten Aufforderung nachkommt.98 Die Fichtes Wort »nach obigem« deutet zurück auf das Bewußtsein, das sich mit der Erfüllung der Forderung, sich selbst zu denken, einstellt. 97 ZE 215 [461]. 98 Auch in anderen Kontexten betont Fichte, daß das unmittelbare Bewußtsein »geschlossen« werde, um deutlich zu machen, daß es sich bei diesem nicht um eine Tatsache des Bewußtseins handelt. Vgl. SL 21 [1]: »Wie ein objectives jemals zu einem subjectiven, ein Seyn für sich zu 96
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II. FICHTE
These, wonach das unmittelbare Bewußtsein »geschlossen« werde, führt nicht zur Verabschiedung des Verfahrens des Aufweises dieses Bewußtseins durch die Erfüllung von Aufforderungen, vielmehr scheint Fichte beide Vorgehensweisen für miteinander vereinbar zu halten. So beschreibt er denselben Schritt in verschiedenen Varianten der Wissenschaftslehre nova methodo einmal als phänomenalen Ausweis qua Erfüllung der Aufforderung, dann als ein Schließen. So heißt es im Versuch: »Indem du dachtest, wie wir von dir foderten, jetzt Gegenstände, die außer dir seyn sollten, jetzt dich selbst, wusstest du ohne Zweifel, daß, und was, und wie du dachtest; denn wir vermochten uns darüber mit einander zu unterreden, wie wir im obigen gethan haben./ Wie kamst du nun zu diesem Bewusstseyn deines Denkens? Du wirst mir antworten: ich wusste es unmittelbar.«99 In der Neuen Bearbeitung heißt es dagegen: »Indem der Voraussetzung nach wir[,] der Autor, u. der Leser[,] im obigen über unser Denken des Ich, u. Nicht=Ich, und über die Weise desselben uns mit einander unterredeten, waren wir ohne Zweifel desselben uns bewußt, und zwar sehr deutlich u. lebhaft, schauten in dasselbe hinein, u. betrachteten es von allen Seiten./ Nicht aber wurden
einem vorgestellten werden möge – daß ich an diesem bekanntern Ende die Aufgabe aller Philosophie fasse – [...] wird nie jemand erklären, welcher nicht einen Punkt findet, in welchem das objective, und subjective überhaupt nicht geschieden, sondern ganz Eins sind. Einen solchen Punkt nun stellt unser System auf, und geht von demselben aus. Die Ichheit, die Intelligenz, die Vernunft, – oder wie man es nennen wolle, ist dieser Punkt./ Diese absolute Identität des Subjekts, und Objekts im Ich läßt sich nur schließen, nicht etwa unmittelbar als Thatsache des wirklichen Bewußtseyns nachweisen. Wie ein wirkliches Bewußtseyn entsteht, sey es auch das Bewußtseyn unsrer selbst, erfolgt die Trennung.« – Vgl. ZE 218 [465]: »Der Schluß, durch welchen der Philosoph auf diese Behauptung der intellectuellen Anschauung kömmt, ist folgender: Ich setze mir vor, das oder das Bestimmte zu denken, und der begehrte Gedanke erfolgt, setze mir vor, das oder das Bestimmte zu thun, und die Vorstellung, daß es geschehe, erfolgt. Dies ist Thatsache des Bewusstseyns. Betrachte ich dies nach den Gesetzen des bloß sinnlichen Bewusstseyns, so liegt in demselben nichts mehr, als das eben angegebene, eine Folge gewisser Vorstellungen; nur dieser Folge in der ZeitReihe wäre ich mir bewusst, und nur sie könnte ich behaupten. Ich dürfte bloß sagen: ich weiß daß auf die Vorstellung jenes bestimmten Gedankens, mit dem Merkmale, daß er daseyn solle, die Vorstellung desselben Gedankens, mit dem Merkmale, daß er wirklich dasey, daß auf die Vorstellung jener bestimmten Erscheinung, als einer, die daseyn sollte, die Vorstellung derselben Erscheinung, als einer, die wirklich war, in der Zeit unmittelbar folgte; aber ich könnte nicht den davon ganz verschiedenen Satz aussagen: In der ersten Vorstellung liegt der RealGrund der zweiten; dadurch, daß ich die erste dachte, ward mir die zweite. Ich bliebe bloß leidend, der ruhende Schauplatz, auf welchem Vorstellungen durch Vorstellungen abgelöst würden, nicht aber das thätige Princip, welches sie hervorbrächte. Nun aber nehme ich das letzte an, und ich kann diese Annahme nicht aufgeben, ohne mich selbst aufzugeben; wie komme ich dazu? In den angeführten sinnlichen Ingredienzien liegt dazu kein Grund, mithin ist es ein besonderes, und zwar ein unmittelbares Bewusstseyn, also Anschauung, und zwar nicht sinnliche Anschauung, die auf ein materielles Bestehen gienge, sondern Anschauung der bloßen Thätigkeit, die nicht stehendes ist, sondern ein fortgehendes, kein Seyn, sondern ein Leben.« 99 VnD 276 [527].
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wir in diesem Zustande dieses unsres Bewußtseyns uns wiederum bewußt denn dieses war damals selbst eben unser Bewußtseyn. Jezt erst so eben, haben wir auf die Nothwendigkeit eines solchen Bewußtseyns daraus geschlossen, weil wir ja ohne dies über unser Denken nicht hätten reflektiren können: u. mancherlei darüber aufstellen, u. bemerken./ Jezt attendiren wir darauf, daß wir oben reflectirt haben, was wir dort nicht wiederum reflectirten, sondern absolut thaten./ u. eben in dieser Reflexion u. durch sie entsteht uns das Bewußtseyn jenes ersten Bewußtseyns unsers Denkens. Es ist geschehen, was uns angemuthet wurde: überhaupt noch abgesehen von der Art.«100 Beide Texte thematisieren das »Bewußtsein des Denkens« im Denken von etwas als die Bedingung der Möglichkeit, sich über dieses Denken »mit einander [...] unterreden« respektive darüber »reflektiren« zu können. Beide Texte beantworten aber die Frage, wie wir von diesem Bewußtsein wissen, unterschiedlich. Laut dem Versuch weiß der Denkende davon »unmittelbar«, laut der Neuen Bearbeitung »erschliessen« wir es als Bedingung der Möglichkeit des Denkens von etwas.101 Prima vista scheint die These vom Erschließen des Bewußtseins des Denkens mit der von seiner unmittelbaren Präsenz im Vollzug des Denkens von etwas unvereinbar. Das, was erschlossen wird, ist durch diesen Schluß vermittelt und insofern nicht unmittelbar. Zudem scheint das Schließen als diskursiver Vorgang unvereinbar mit dem unmittelbaren Bewußtsein des Denkens als intellektueller Anschauung. Näheres Hinsehen zeigt aber, daß die These vom Erschließen gerade kein neues, spezifisch diskursives Element in die Darstellung bringen, sondern nur ausdrücken soll, daß das Bewußtsein des Denkens keine Tatsache des Bewußtseins ist, die durch das Ich einfach passiv vorgefunden wird, sondern allein im Zuge der Erfüllung von Aufforderungen durch die eigene freie Tätigkeit des Aufgeforderten aufgewiesen werden kann.102 Die Rede vom Erschließen bezeichnet hier kein vom Verfahren der Erfüllung von Aufforderungen unterschiedenes Vorgehen, sondern kennzeichnet das im Zuge der ersten Aufforderung schon behauptete unmittelbare Bewußtsein des Denkens im Denken von etwas als Bedingung der Möglichkeit allen Denkens, oder als das vom Denken NBdWL 339; vgl. ebd. 338: »Das unmittelbare Selbstbewußtseyn ist das ewig unveränderlich subjective: u. wird als solches, u. isolirt, nie Object eines Bewußtseyns. Ist es auch bei uns nicht geworden./ Was sonach thun wir? Wir erschliessen es, als Bestandtheil u. Bedingung eines andern Bewußtseyns, u. stellen es nun, in seiner Abstraktion hin.« 101 Klotz (2002; 59) konfrontiert beide Passagen, um zu belegen, daß Fichte im Versuch und in der Neuen Bearbeitung den Sachverhalt, daß alles Denken von etwas durch ein vorreflexives Bewußtsein bedingt ist, übereinstimmend charakterisiert. Dabei läßt er aber die Formulierung: »ich wusste es unmittelbar«, durch die sich der Versuch von der Neuen Bearbeitung unterscheidet, unerwähnt. 102 Vgl. Breazeale (1998; 598): »Ordinary ›facts of consciousness‹ are simply ›discovered‹ as such by the I, without any awareness on its part of its own essential contribution to the constitution of such facts as facts. Whenever one deliberately and attentively ›thinks oneself‹ in the manner here required, however, something that is, by definition, unusual occurs within consciousness and can therefore be discovered therein.« 100
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nicht zu trennende, mit ihm notwendig verbundene Bewußtsein. »Das Bewusstseyn meines Denkens«, so der Versuch, ist von meinem Denken »unabtrennlich. – So [...] musst du antworten; denn du vermagst dir dein Denken ohne ein Bewusstseyn desselben gar nicht zu denken.«103 »Ein Denken, als wirkliches Bewußtseyn des gedachten, ist nicht zu denken, ohne Bewußtseyn des Denkens [...]«, so die Neue Bearbeitung.104 Das Resultat des sogenannten Schlusses kann daher ebensowenig Anspruch auf objektive Gültigkeit erheben wie die im Kontext der ersten Aufforderung vorgebrachte Behauptung. Fichtes These, das Bewußtsein des Denkens von etwas werde erschlossen, läßt erwarten, daß dieses Bewußtsein in einer Weise aufgewiesen wird, die von der Perspektive desjenigen, der die Aufforderung vollzieht, unabhängig ist und deshalb Objektivität beanspruchen kann. Um dies zu leisten, müßte durch das Schließen hinter das wirkliche Bewußtsein zurückgegangen werden. Ein solches Schließen findet aber nicht statt. Vielmehr wird das, dessen Existenz schon im Zuge der ersten Aufforderung in Anspruch genommen ist, jetzt als Konstituens des Denkens von etwas behauptet. Fichtes Rede vom Erschließen des Bewußtseins des Denkens trägt nur verbal dem Umstand Rechnung, daß das als Konstituens des Denkens behauptete unmittelbare Bewußtsein selbst kein »vollständiger Act des Bewusstseyns«,105 kein eigenständiger Bewußtseinszustand sein kann. Das Fazit, mit dem Fichte im Versuch den Abschnitt, der die zweite Aufforderung an den Leser thematisiert, beschließt, muß deshalb irritieren. Der Leser müsse zugeben, daß er sich seiner Denkakte unmittelbar bewußt sei und daß dieses unmittelbare Bewußtsein des Denkens kein Denken, auch kein Denken des Denkens sei, sondern die intellektuelle Anschauung der Spontaneität seines Denkens im Denken von etwas. Der Aufforderung folgend, ›finde‹ der Leser die intellektuelle Anschauung, das alles wirkliche Bewußtsein bedingende ursprüngliche Selbstbewußtseins »vor«. Der Leser könne deshalb »unsern ersten Satz«106 nicht leugnen, er müsse zugeben: »Alles Bewusstseyn ist bedingt durch das unmittelbare Bewussteyn unsrer selbst«,107 und indem er dies zugeben müsse, finde er sich »unausbleiblich auf den Standpunkt des transscendentalen Idealismus gesetzt [...]«.108 Es könnte scheinen, Fichte sei der Ansicht, das Rätsel des Ursprungs des Selbstbewußtseins, das seine Vorgänger nicht lösen konnten, bereits gelöst zu haben. Dies ist aber nicht der Fall. Entgegen seiner Behauptung, niemand könne das unmittelbare Bewußtsein, die intellektuelle Anschauung seines Denkens im Denken von etwas leugnen, gesteht Fichte in der Zweiten Einleitung ausdrücklich zu, daß die intellektuelle Anschauung bislang nicht gegen den Verdacht der Täuschung gefeit sei. Der Phi-
103 104 105 106 107 108
VnD 276 [527]. NBdWL 340. ZE 217 [463]. VnD 277 [529]. Der »erste Satz« ist die Überschrift des ersten Kapitels des Versuchs: VnD 271 [521]. VnD 277 [529f.].
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losoph finde die »intellectuelle Anschauung als Factum des Bewusstseyns; (für ihn ist es Thatsache; für das ursprüngliche Ich ThatHandlung) [...]«, aber eine »hievon ganz unterschiedene Aufgabe ist es, diese intellectuelle Anschauung, die hier als Factum vorausgesetzt wird, ihrer Möglichkeit nach zu erklären, und sie durch diese Erklärung aus dem Systeme der gesammten Vernunft, gegen den Verdacht der Trüglichkeit, und Täuschung zu vertheidigen, den sie durch ihren Widerstreit gegen die ebenfalls in der Vernunft gegründete dogmatische Denkart auf sich zieht; den Glauben an ihre Realität, von welchem der transscendentale Idealismus nach unserm eigenen ausdrücklichen Geständnisse allerdings ausgeht, durch etwas noch höheres zu bewähren, und das Interesse selbst, auf welches er sich gründet, in der Vernunft nachzuweisen.«109 Die »dogmatische Denkart« ist die des Realismus in seinen verschiedenen Spielarten. Realismus und transzendentaler Idealismus sind insofern beide ›in der Vernunft gegründet‹, als sie zwei verschiedene Weisen sind, die in der menschlichen Vernunft liegende Aufgabe zu lösen und »die Erfahrung aus ihrem Grunde zu erklären«.110 Realismus und transzendentaler Idealismus gehen dabei von verschiedenen Voraussetzungen aus. Die Voraussetzung des Realismus ist ein Sein, damit »aber etwas auser allem Bewustsein bloß zu denkendes«,111 von dem er behauptet, es bewirke Vorstellungen. Er ist deshalb »transcendent, überfliegend, aus dem Bewustsein herausgehend«.112 Dogmatisch ist er, weil er an den Dingen an sich als dem Grund aller Erfahrung festhält, obwohl er damit nicht erklären kann, was er erklären will: Erfahrung.113 Die Voraussetzung des transzendentalen Idealismus ist kein Sein, sondern ein Tun, die in sich zurückgehende Tätigkeit des Ich. Der transzendentale Idealismus ist nicht transzendent, sondern immanent, »er bleibt innerhalb des Bewustseins, zeigt aber, wie ein Herausgehen möglich ist oder, wie wir zu der Annahme kommen, daß den Vorstellungen Dinge auser uns entsprechen«.114 Der Nachweis der Bewußtseinsimmanenz des Prinzips allen wirklichen Bewußtseins schließt nach Fichte die transzendentalphilosophische Rechtfertigung der realistischen Einstellung des natürlichen Bewußtseins in seinem Selbst- und Weltbezug notwendig ein. »Der Realismus, der sich uns allen, und selbst dem entschiedensten Idealisten aufdringt, wenn es zum Handeln kömmt, d.h. die Annahme, daß Gegenstände ganz unabhängig von uns außer uns existiren, liegt im Idealismus selbst, und wird in ihm erklärt, und abgeleitet.«115 Der transzendentale Idealismus ist nicht dogmatisch, denn er rechtfertigt ZE 218f. [465f.]; vgl. EE 204f. [445f.]. EE 206 [447]; vgl. EE 187 [425]: »Nun hat die Philosophie den Grund aller Erfahrung anzugeben; ihr Object liegt sonach nothwendig außer aller Erfahrung. Dieser Satz gilt für alle Philosophie [...].« 111 WLnmK 334. 112 WLnmK 335. 113 »Des Dogmatikers Voraussetzung ist ein bloßes Denken; eine Voraussetzung, die nicht zu rechtfertigen sein wird, weil sie ja nicht erklärt, was erklärt werden soll.« WLnmK 334. 114 WLnmK 335. 115 ZE 210 Anm. [455 Anm.]. 109 110
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sein zunächst vorausgesetztes Prinzip, die in sich zurückgehende Tätigkeit des Ich, indem er aus ihm die Erfahrung erklärt. Wenn Fichte erläutert, warum er einerseits meint, niemand könne die intellektuelle Anschauung leugnen, andererseits aber einräumt, die intellektuelle Anschauung sei noch nicht gegen den Verdacht der Täuschung gefeit, dann enthält diese Erläuterung mehr als den Hinweis, daß das, was zu Beginn einer philosophischen Darstellung als Prinzip eingeführt wird, zunächst und unabhängig von der Darstellung dessen, wovon es Prinzip ist, nur den Charakter einer Voraussetzung hat.116 Die Pointe besteht vielmehr darin, daß Fichte hier ganz bewußt einen Gedanken Jacobis für die neue Darstellung seines transzendentalen Idealismus aufgreift, der von Jacobi aber gegen den transzendentalen Idealismus gerichtet ist. Indem Fichtes Darstellung von dem »Glauben« an die Realität der intellektuellen Anschauung ausgeht, geht sie von einer Gewißheit aus, die nicht auf Vernunftgründen beruht, die aber Voraussetzung jeder diskursiven Begründung sein soll. Fichte rekurriert mit dem Glauben auf ein Fürwahrhalten, welches Jacobi kritisch gegen die von ihm so genannte »speculative Philosophie« setzt, deren begreifende Vernunft nur gelten lasse, was sie selbst gesetzmäßig hervorbringe, konstruiere. Die Kritik Jacobis trifft zunächst Spinoza, dann den transzendentalen Idealismus.117 »Unleugbar ist es Geist der speculativen Philosophie [...], die dem natürlichen Menschen gleiche Gewißheit dieser zwey Sätze: Ich bin, und es sind Dinge außer mir, ungleich zu machen. Sie mußte suchen den Einen dieser Sätze dem andern zu unterwerfen; jenen aus diesem oder diesen aus jenem – zulezt vollständig – herzuleiten [...].«118 Die vollständige Herleitung des Satzes »Es sind Dinge außer mir« aus dem Satz »Ich bin« zeichnet Jacobi zufolge den spekulativen Idealismus, die Fichtesche Transzendentalphilosophie aus. Diese sei durch die Elimination des Kantischen Dinges an sich konsequenter transzendentaler Idealismus und die einzige Weise, auf die eine »reine, das ist, durchaus immanente Philosophie«119 möglich sei. Aber gerade seine Konsequenz mache diesen transzendentalen Idealismus zu einem »Nihilismus«.120 Indem er die dem natürlichen Menschen eigentümliche unmittelbare Gewißheit von der Realität seiner Freiheit in sei»Jede PHILOSOPHIE sezt etwas voraus, erweißt etwas nicht, und erklärt und erweißt aus diesem alles andre, auch der Idealismus [...].« WLnmK 335. 117 Vgl. Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn (1785 ff.); David Hume über den Glauben, oder Idealismus und Realismus. Ein Gespräch (1787). – Horstmann (1991; 68) charakterisiert die Bedeutung, welche die an Kant orientierten Idealisten der Kant-Kritik Jacobis beimaßen, treffend: »Was ihm die ihm zuteil werdende Aufmerksamkeit hauptsächlich einbrachte, war der Umstand, daß er in eindringlicher Weise gerade solche Punkte zur kritischen Diskussion stellte, die auch aus Gründen, die den von Jacobi angeführten wenig verwandt waren, als neuralgische Stellen der Kantischen Philosophie [...] angesehen werden konnten. [...] Jacobi irritierte, ohne selbst zu überzeugen.« 118 Jacobi an Fichte im März 1799. Das von Jacobi 1799 publizierte Sendschreiben wird hier und im folgenden nach der Fichte-Gesamtausgabe zitiert: Fichte, Briefe b 226. 119 Jacobi an Fichte im März 1799; Briefe b 233. 120 Jacobi an Fichte im März 1799; Briefe b 245. 116
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nem Handeln und von der Realität einer von ihm unabhängigen Welt aus den Setzungen einer absoluten Subjektivität zu erklären suche, vernichte er »in Gedanken« das vorphilosophische Selbst- und Weltbewußtsein des Menschen, das doch erst Philosophie und Wissenschaft ermögliche.121 Dieses Bewußtsein sei diskursiv nur um den Preis seiner Vernichtung, also gar nicht zu begreifen, sondern könne nur als »Glaube« gefaßt werden. »Ich erfahre, daß ich bin, und daß etwas außer mit ist, in demselben untheilbaren Augenblick; und in diesem Augenblicke leidet meine Seele vom Gegenstande nicht mehr, als sie von sich selbst leidet. Keine Vorstellung, kein Schluß vermittelt diese zwiefache Offenbarung. Nichts tritt in der Seele zwischen die Wahrnehmung des Wirklichen außer ihr und des Wirklichen in ihr.«122 Der Glaube ist nach Jacobi dem Wissen entgegengesetzt. Thematisch sei er in »meiner Unphilosophie, die ihr Wesen hat im Nicht=Wißen; wie Ihre Philosophie [die Fichtes], allein im Wißen«.123 Aus der Perspektive der »Unphilosophie« des Glaubens drückt sich in der Prätention der Wissenschaftslehre, als »Wißenschaft des Wißens«124 auch noch den Grund alles Wissens »begreifen« zu wollen, eine falsche Auffassung der menschlichen Vernunft aus. Fichte verkürze die Vernunft auf das Vermögen diskursiven Erkennens, während sie doch im emphatischen Sinne der freie Geist sei, der als ermöglichender Grund alles Wissens und aller Wahrheit kein Gegenstand der Philosophie im strengen Sinne sein könne. »Er, der Geist, muß also draußen bleiben vor den Thoren seiner Wißenschaft; wo sie ist, darf Er Selbst nicht seyn.«125 Nach Fichte beruht Jacobis Kritik auf einer Konfundierung des eigentlich philosophischen, das heißt spekulativen Standpunktes, mit dem Standpunkt des natürlichen Bewußtseins, das heißt des »Lebens«. Auf dem Standpunkt des Lebens gilt, daß ich der Existenz der Dinge außer mir unmittelbar gewiß bin. Diese Gewißheit beruht nicht auf Vernunftgründen, weshalb Jacobi sie zu Recht als einen »Glauben« bezeichnet. Auf dem Standpunkt der Spekulation hingegen wird die Erfahrung des natürli»Wir begreifen eine Sache nur in sofern wir sie construiren, in Gedanken vor uns entstehen, werden laßen können. In sofern wir sie nicht construiren [...] können, begreifen wir sie nicht. [...]/ Wenn daher ein Wesen ein von uns vollständig begriffener Gegenstand werden soll, so müßen wir es objectiv – als für sich bestehend – in Gedanken aufheben, vernichten, um es durchaus subjectiv, unser eigenes Geschöpf – ein bloßes Schema – werden zu laßen. [...]/ Der Menschliche Geist also, da sein philosophischer Verstand schlechterdings nicht über sein eigenes Hervorbringen hinausreicht, muß, um in das Reich der Wesen einzudringen, um es mit dem Gedanken zu erobern, Welt=Schöpfer, und – sein eigener Schöpfer werden. [...] Aber auch sein eigener Schöpfer kann er nur unter der angegebenen allgemeinen Bedingung seyn: er muß sich dem Wesen nach vernichten, um allein im Begriffe zu entstehen, sich zu haben: in dem Begriffe eines reinen absoluten Ausgehen und Eingehen, ursprünglich – aus Nichts, zu Nichts, für Nichts, in Nichts.« Jacobi an Fichte im März 1799; Briefe b 233f. 122 Jacobi (1787), 175. 123 Jacobi an Fichte im März 1799; Briefe b 226. 124 Jacobi an Fichte im März 1799; Briefe b 231. Jacobi bezieht sich damit auf Fichtes Charakterisierung der Wissenschaftslehre als der »Wissenschaft von der Wissenschaft überhaupt«. Vgl. Begriff 117 [43]. 125 Jacobi an Fichte im März 1799; Briefe b 258. 121
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chen Bewußtseins auf ihren Grund zurückgeführt, »erklärt«. Sie wird dadurch nicht philosophisch vernichtet, denn der transzendentale Idealismus ist keine besondere, vom Realismus des natürlichen Bewußtseins unterschiedene »Denkart«, sondern »nur Speculation«;126 er stellt die Erfahrung des natürlichen Bewußtseins nicht in Frage, sondern rechtfertigt sie, indem er ihr Zustandekommen aus dem Ich erklärt. »[D]as ist das Wesen der transcendentalen Philosophie, daß sie nicht will Denkart im Leben werden, sondern zusieht einem Ich, welches im Leben sein Denksystem zu Stande bringt, sie schafft selbst nichts.«127 »Etwas als Ding an sich, d.i. unabhängig von mir, dem empirischen, vorhandenes, muß ich mir auf dem Gesichtspunkte des Lebens, wo ich nur das Empirische bin, denken; und weiß eben darum nichts von meiner Thätigkeit in diesem Denken, weil sie nicht frei ist. Nur auf dem philosophischen Gesichtspunkte kann ich auf diese Thätigkeit in meinem Denken schließen. Daher mochte es kommen, daß der hellste Denker unsers Zeitalters [Jacobi] [...] den so richtig gefassten transscendentalen Idealismus nicht annahm, ja durch die bloße Darstellung ihn zu vernichten glaubte, weil er sich diesen Unterschied der zwei Gesichtspunkte nicht klar dachte, und voraussetzte, die ideali[sti]sche Denkart werde im Leben angemuthet; eine Anmuthung, die allerdings nur dargestellt werden darf, um vernichtet zu seyn.«128 Wenn Jacobi meint, die »Speculation« blamiere sich vor dem »Leben«, dann täuscht er sich über den Charakter der Transzendentalphilosophie und infolgedessen über das Verhältnis dieser Philosophie zum »Leben«. Ist die Philosophie nämlich keine »Denkart«, die mit dem natürlichen Bewußtsein um die wahre Sicht auf die Welt konkurriert, dann schließen sich Jacobis Realismus des Glaubens und Fichtes Transzendentalphilosophie nicht aus, vielmehr erscheint »die gänzliche Aussöhnung der Philosophie mit dem gesunden Menschenverstande«129 als das ureigene Anliegen der Wissenschaftslehre. Fichte greift Jacobis gegen die Wissenschaftslehre gerichteten Gedanken von dem Glauben als einer vorphilosophischen, unmittelbaren Gewißheit auf, um Kritik an der Wissenschaftslehre zu begegnen. Jene Kritiker, die sich für unfähig erklären, das reine Ich zu denken, beschuldigen sich Fichte zufolge damit des Unvermögens, aus Freiheit sich »Der Idealismus kann nie Denkart seyn, sondern er ist nur Speculation.« ZE 211 Anm. [455 Anm.]. Fichte spricht allerdings inkonsequent auch vom transzendentalen Idealismus als derjenigen »Denkart, wo die Speculation und das SittenGesetz sich innigst vereinigen« (ZE 219 [467]) bzw. davon, die Philosophie sei »nicht eine Sammlung von Sätzen, die so gelernt werden, sondern sie ist eine gewiße Ansicht der Dinge, eine besondere Denkart, die man in sich hervorbringen muß«. WLnmK 330. 127 WLnmK 522; vgl. Fichtes Brief an Reinhold vom 22. April 1799 (Briefe b 331); vgl. EE 207f. [449]; vgl. GuG 348 [178]: »Die Philosophie kann nur Facta erklären, keinesweges selbst welche hervorbringen. [...] So wenig es dem Philosophen einfallen wird, die Menschen zu bereden, daß sie doch hinführo die Objecte ordentlich als Materie im Raume [...] denken möchten; so wenig lasse er sich einfallen, sie dazu bereden zu wollen, daß sie doch an eine göttliche Welt-Regierung glauben. Beides geschieht wohl ohne sein Zuthun.« 128 ZE 236 Anm. [482f. Anm.]. 129 Fichte an Jacobi am 30. August 1795; Briefe a 392. 126
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selbst: Ich, zu denken und darauf zu achten, was sie tun. »Wenn dieses Vermögen der Freiheit nicht schon da ist, und geübt ist, kann die WissenschaftsLehre nichts mit dem Menschen anfangen.«130 Wer fordere, »[j]ede Ueberzeugung müsse sich durch Begriffe mittheilen, und [...] sogar erzwingen lassen«,131 und wer durch Begriffe demonstriert haben möchte, daß es das Vermögen der intellektuellen Anschauung auch wirklich gebe, verstehe sich selbst nicht.132 »Der HauptGrund aller Irrungen dieser Gegner mag wohl der seyn, daß sie sich nicht recht deutlich gemacht, was beweisen heiße, und daher nicht bedacht, daß aller Demonstration etwas schlechthin Undemonstrirbares zu Grunde liege. Auch darüber hätten sie sich bei Jacobi belehren können, welcher diesen Punkt [...] völlig ins Reine gebracht. [...]/ Sie scheinen nicht bedacht zu haben, was es heiße: einem etwas beweisen. Man weist ihm dann nach, daß ein gewisses Fürwahrhalten in einem gewissen andern, das er von sich bekennt, nach den Gesetzen des Denkens, die er uns gleichfalls zugesteht, schon enthalten sey; und daß er das erstere nothwendig auch annehme, da er das zweite anzunehmen versichere. Alle Mittheilung der Ueberzeugung durch Beweis setzt sonach voraus, daß beide Theile wenigstens über etwas einig seyen. Wie könnte die WissenschaftsLehre sich dem Dogmatiker mittheilen; da sie mit ihm, was das Materiale der Erkenntniß anbelangt, schlechthin in keinem Punkte einig ist; sonach das gemeinschaftliche fehlt, von welchem sie miteinander ausgehen könnten?/ Endlich scheinen sie auch nicht bedacht zu haben, daß, sogar wo es einen solchen gemeinschaftlichen Punkt giebt, keiner in die Seele des Andern hineindenken kann, ohne selbst der Andre zu seyn; daß er auf die Selbsthätigkeit des Andern rechnen muß, und ihm nicht die bestimmten Gedanken, sondern nur die Anleitung geben kann, diese bestimmten Gedanken selbst zu denken.«133 Dieser Rückgriff auf Jacobi leuchtet nicht ein. Während es im Kontext der »Unphilosophie« Jacobis durchaus folgerichtig ist zu sagen, wer nicht an den freien Geist
ZE 259 [506]. ZE 258 [506]. 132 »Jeder muß es unmittelbar in sich selbst finden, oder er wird es nie kennen lernen. Die Foderung, man solle es ihm durch Räsonnement nachweisen, ist noch um vieles wunderbarer, als die Foderung eines Blindgebornen seyn würde, daß man ihm, ohne daß er zu sehen brauche, erklären müsse, was die Farben seyen.« ZE 217 [463]. 133 ZE 260f. [508f.]; vgl. WLnmK 327: »Da nun die WißenschaftsLehre beweisen will die Gesetze, nach denen das endliche Vernunftwesen bei Hervorbringung seiner Erkenntniße verfährt: so muß sie dieß an irgend etwas anknüpfen, und da sie unser Wißen begründen will, an etwas, das Jedermann zugiebt. Giebt es so etwas nicht, so ist systematische Philosophie unmöglich.« – Auch Schelling greift im System des transscendentalen Idealismus auf Jacobis vorphilosophisches, unmittelbares Fürwahrhalten zurück, um es wie Fichte in den Dienst der Transzendentalphilosophie zu stellen. »[D]ie beiden Sätze: Ich bin, und: Es sind Dinge außer mir, die im gemeinen Bewußtseyn zusammenfließen [...]« (344), und die ihnen korrespondierenden Überzeugungen des gemeinen Bewußtseins von einer unabhängig von uns bestehenden Welt von Dingen und von der Möglichkeit, in dieser »durch Freiheit« Vorstellungen realisieren zu können, werden nicht widerlegt, sondern erklärt. (346). 130 131
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glaube, »den müßen wir losgeben«,134 hat eine solche Argumentation in der Transzendentalphilosophie keinen Ort. Es versteht sich hier von selbst, daß der Beginn der Argumentation erst durch die gesamte Darstellung gerechtfertigt werden kann. Richtig betont Fichte deshalb in der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, der erste Grundsatz habe zunächst nur regulative Gültigkeit135 und ihre einzelnen Bestimmungen blieben »bis zur Vollendung« des Systems problematisch.136 Es ist deshalb nicht einzusehen, weshalb die Wissenschaftslehre sich nur demjenigen soll »mittheilen« können, der mit ihr nicht nur die formalen Bedingungen jeder Argumentation, die Prinzipien der Logik, anerkennt, sondern auch hinsichtlich des »Materiale[n] der Erkenntniß« den terminus a quo der Darstellung von Beginn an affirmiert. Auch derjenige, der statt von dem Glauben an die Selbständigkeit des Ich von dem an die Selbständigkeit des Dinges an sich ausgeht, kann doch nach Fichtes eigenen Worten widerlegt werden; es kann ihm nämlich demonstriert werden: »[D]er Dogmatismus ist gänzlich unfähig, zu erklären, was er zu erklären hat, und dies entscheidet über seine Untauglichkeit«.137 Der Streit zwischen dem Idealisten und Dogmatiker, ob die Selbständigkeit des Ich der Selbständigkeit des Dinges aufgeopfert oder umgekehrt verfahren werden müsse, ist zwar ein Streit darüber, ob das Ich oder das Ding »zum ersten gemacht« werde, aber dieser Streit läßt sich entgegen dem Eindruck, den Fichte hervorruft, nur vom durchgeführten System, nur vom Resultat idealistischen respektive dogmatischen Philosophierens entscheiden. Wenn Fichte dennoch vehement die Auffassung vorträgt: »Was für eine Philosophie man wähle, hängt [...] davon ab, was man für ein Mensch ist, denn ein philosophisches System ist nicht ein todter Hausrath, den man ablegen oder annehmen könnte, wie es uns beliebte, sondern es ist beseelt durch die Seele des Menschen, der es hat«;138 wenn Fichte darauf besteht, die Wissenschaftslehre könne sich nur demjenigen mitteilen, der mit ihr von dem Glauben an die Selbständigkeit und Selbsttätigkeit des Ich ausgehe, so liegt das Motiv dafür darin, daß es in solchen Passagen gar nicht allein um die Anerkennung der intellektuellen Anschauung der Selbsttätigkeit des Ich als Ausgangspunkt der Wissenschaftslehre nova methodo geht, sondern um ihre Anerkennung als des diskursive Erkenntnis überhaupt ermöglichenden Grundes.
Jacobi an Fichte im März 1799; Briefe b 261. Vgl. GWL 282 [122]. 136 GWL 264 [102]; vgl. ebd. 368 [226]: »Das vorausgesezte läßt sich nur durch das gefundne, und das gefundne läßt sich nur durch das vorausgesezte erklären.« 137 EE 195 [435]; vgl. ZE 261 [510]: »Der Mechanismus kann sich selbst nicht fassen, eben darum, weil er Mechanismus ist. Sich selbst fassen, kann nur das freie Bewusstseyn. Hier fände sich sonach ein Mittel, sie [die Dogmatiker] auf der Stelle zu überführen. Aber gerade daran stößt es sich, daß diese Beobachtung völlig außerhalb ihres Gesichtskreises liegt, und daß es ihnen an der Beweglichkeit, und Fertigkeit des Geistes mangelt, im Denken eines Objects nicht nur dieses Object, sondern auch ihr Denken desselben, zugleich mit zu denken.« 138 EE 195 [434]. 134 135
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Nicht nur der Ausgangspunkt, sondern die gesamte Darstellung soll auf ihr beruhen und die durchgängige Bewußtseinsimmanenz sichern.139 In der Tat äußert sich Fichte auch in diesem Sinne. Die »ganze Beweiskraft« der Wissenschaftslehre, heißt es in der Neuen Bearbeitung, »gründet sich auf diese innere Anschauung (nicht aber auf Entwiklung von Begriffen [...]«.140 Es sei »durchaus falsch«, Philosophie mit Kant als »Vfterkenntniß aus Begriffen«141 zu bestimmen. »Der Begriff ist überall nicht Urbild, nicht Sache selbst, sondern nur Nachbild. Die Anschauung ist Urbild. Der Begriff [...] muß vor der Anschauung erst Rechenschaft geben.«142 Fichte charakterisiert die Wissenschaftslehre mit solchen Formulierungen als scientia intuitiva, für welche die diskursive Argumentation gegenüber dem intellektuellen, inneren Anschauen von Tätigkeiten des Ich zweitrangig ist.143 Begriffe beziehen sich danach auf »angeschaute« Tätigkeiten des Ich und die verschiedenen Schritte in der Darstellung berufen sich »auf die mit der Präsenz eigener Vollzüge gegebene Evidenz«.144 Es ist bereits deutlich geworden, daß dieses Programm nicht durchführbar ist. Es scheitert bereits an der Ichheit, welche als ermöglichender Grund allen wirklichen Bewußtseins in keinem wirklichen Bewußtsein qua Vollzug präsent sein kann. Darüber hinaus ist nicht zu sehen, wie ein System der Philosophie durch Anschauung von Ich-Tätigkeiten möglich sein soll. Denn selbst unterstellt, diese Anschauung sei möglich, so käme durch eine Reihe von Akten der Anschauung von Ich-Tätigkeiten doch nicht mehr als eben diese Reihe zustande, nicht aber zugleich der notwendige Zusammenhang der verschiedenen Akte, die diese Reihe ausmachen. In dem Maße also, in dem Fichte in den verschiedenen Fassungen der Wissenschaftslehre nova methodo das Gewicht von der diskursiven Argumentation auf die Anschauung von Ich-Tätigkeiten verschiebt, gefährdet er sein ureigenes Projekt: die Transzendentalphilosophie als System.145
»[D]ie Einsicht in dieses System gründet sich darauf, daß man alle Handlungen[,] die hier betrachtet werden, innerlich nachmacht [...].« WLnmK 339. 140 NBdWL 334. 141 Vgl. KrV B 741. 142 NBdWL 338. 143 »Die WißenschaftsLehre ist nicht etwa selbst Erzeugerin einer Erkenntniß, sie ist bloß Beobachtung des menschlichen Geistes im ursprünglichen Erzeugen aller Erkenntniß [...].« WLnmK 480. 144 Klotz (2002), 46. 145 »[D]ie ›Anschauung‹ kann ja nicht mehr als eine Kookkurrenz von Akten darbieten, die als solche noch keine Bedingungs- oder Ermöglichungsbeziehung einsehen läßt.« Klotz (2002), 48. Klotz sieht im Unterschied zum Gros der Interpreten klar: Weder taugt die Anschauung als »zureichende Quelle« der Begriffe der Wissenschaftslehre, noch kann sie als Bedingung der Möglichkeit allen Bewußtseins im wirklichen Bewußtsein qua Vollzug des Denkens präsent sein. Dennoch sei sie zu rechtfertigen. Sie bringe nämlich einen »wesentlichen und legitimen Aspekt der Wissenschaftslehre nova methodo zum Ausdruck [...]: Der Ichbegriff wird im Ausgang von einem reflektierten Bewußtsein spontanen Selbstbezugs eingeführt, das sich auf eine als ›Anschauung‹ zu beschreibende, unmittelbare Bewußtheit des eigenen Denkens gründet.« (52). 139
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Fichtes Äußerungen zum Verhältnis von intellektueller Anschauung und diskursiver Erkenntnis sind allerdings keineswegs eindeutig. Passagen, die der Anschauung die »ganze Beweiskraft« zusprechen, stehen solche entgegen, die die Notwendigkeit des »Begreifens« betonen. So in der Zweiten Einleitung. Zwar könne das dem Leser respektive dem Philosophen »angemuthete Anschauen seiner selbst« im Denken von etwas nicht aus Begriffen entwickelt werden, jeder müsse es in sich finden. Mit dem Finden der Anschauung sei es aber nicht getan, sie müsse auch begrifflich bestimmt werden. »Nun aber kömmt diese Anschauung nie allein, als ein vollständiger Act des Bewusstseyns, vor; wie denn auch die sinnliche Anschauung nicht allein vorkommt, noch das Bewusstseyn vollendet, sondern beide müssen begriffen werden. Nicht aber allein dies, sondern die intellectuelle Anschauung ist auch stets mit einer sinnlichen verknüpft. [...] Nur der Begriffe [...] werde ich mir bewusst, nicht aber der beiden ihnen zum Grunde liegenden Anschauungen.«146 »Im gemeinen Bewusstseyn kommen nur Begriffe vor, keinesweges Anschauungen als solche.«147 Der Philosoph weiß vom unmittelbaren Bewußtsein nur, indem er es als eine besondere Art des Bewußtseins begreift. Begreifen aber heißt Bestimmen durch Entgegensetzen. »Was Handeln sey, lässt sich nur anschauen, nicht aus Begriffen entwickeln, und durch Begriffe mittheilen; aber das in dieser Anschauung Liegende wird begriffen durch den Gegensatz des bloßen Seyns. Handeln ist kein Seyn; und Seyn ist kein Handeln.«148 In Anbetracht des bislang Gesagten erscheint das Fazit, mit dem Fichte im Versuch den Abschnitt, der die zweite Aufforderung an den Leser enthält, beschließt, in einem neuen Licht. Der Leser, der der zweiten Aufforderung nachkomme, so heißt es dort, könne die intellektuelle Anschauung der Spontaneität seines Denkens im Denken von etwas nicht leugnen. Er müsse zugeben, daß alles Bewußtsein bedingt sei durch das unmittelbare Bewußtsein unserer selbst. Der Leser finde sich damit »unausbleiblich« auf den Standpunkt des transzendentalen Idealismus »gesetzt«.149 Diese Passagen und mit ihnen der gesamte zweite Abschnitt des Versuchs müssen noch zu dem Teil der Wissenschaftslehre nova methodo gezählt werden, der den Leser in die »Philosophische Stimmung«150 versetzen soll. »[E]s ist hier nur um eine Exposition der bloßen Thatsache des Bewußtseyns, keinesweges aber darum zu thun, wie es sich in der Wahrheit, d. i. von dem höchsten Standpunkte der Speculation aus, verhalten möge«.151 Die philosophische Darstellung im strengen Sinne erfordert einen Wechsel der Art der Darstellung. Fichte hat diesen Wechsel in der Sittenlehre scharf herausgestellt. Von der
ZE 217 [463f.]. VnD 280 [533]. 148 ZE 215 [461]. 149 Siehe oben. 150 »Wer den ersten Satz versteht, der wird in die Philosophische Stimmung versetzt.« WLnmK 345. 151 SL 38 [19]. 146 147
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»Exposition der bloßen Thatsache des Bewußtseyns« ist überzugehen zur »genetischen Beschreibung«152 des Bewußtseins, von der »factischen Erkenntniß« ist überzugehen zur »genetischen« Erkenntnis, von der faktischen Evidenz zur »genetischen Evidenz«.153 Die Exposition der Tatsache des Bewußtseins macht auf dem Wege der Aufforderung nur explizit, wovon das natürliche Bewußtsein, sofern ihm nur seine Freiheit »über alles theuer geworden«,154 ohnehin überzeugt ist, woran es »glaubt«. Sie kann für sich keine Wahrheit beanspruchen. Die genetische Beschreibung beansprucht, die Gründe für diesen Glauben darzulegen, nämlich aus dem absoluten Prinzip, der Ichheit, zu deduzieren.155 Im Versuch wird der eigentlich philosophische Standpunkt erst im dritten Abschnitt bezogen.156 Der Leser, so Fichte dort, findet sich im Vorstellen der Wand oder im Vorstellen seiner selbst als tätig und frei vor. Tätigkeit sei »Agilität, innere Bewegung; der Geist reisst sich selbst über absolut entgegengesetzte hinweg; [...] Aber diese Agilität lässt sich nicht anders anschauen, und wird nicht anders angeschaut, denn als ein Losreissen der thätigen Kraft von einer Ruhe; und so hast du sie in der That angeschaut, wenn du nur wirklich vollzogen, was wir von dir verlangten.«157 Fichte weist hier darauf hin, daß der Aufweis des unmittelbaren Bewußtseins der Spontaneität des Ich, seiner Tätigkeit oder Agilität, bedingt ist durch das »Abändern« der Bestimmtheit des Denkens, das »Uebergehen«158 vom Denken der Wand zum Denken des Ich. Das Übergehen von einer Bestimmtheit des Denkens zu einer anderen, das »Abändern« von Bestimmtheiten bezeichnet Fichte metaphorisch als ein ›Losreissen von jener Ruhe‹. Der Aufweis des unmittelbaren Bewußtseins der Selbsttätigkeit des Ich ist bedingt durch die abstrahierende Reflexion, welche zunächst auf die Wand als einen beliebigen äußeren Gegenstand geht, dann unter Abstraktion von diesem auf das Ich selbst. Die Reflexion unterliegt aber dem Gesetz der Bestimmung durch Gegensatz, mithin ist der Aufweis des unmittelbaren Bewußtseins der Spontaneität meines Denkens in allem Denken von etwas abhängig vom Reflexionsgesetz. Gerade diese Abhängigkeit von der Reflexion macht aber den Aufweis des präreflexiven, unmittelbaren Bewußtseins fragwürdig oder zur unbegründeten Bestätigung dessen, was in der EinSL 47 [31]. Vgl. SL 33ff. [13ff.], die »Vorerinnerung« zu der »Deduction des Princips der Sittlichkeit«. Der Ausdruck »genetische Evidenz« findet sich erst im zweiten Vortrag der Wissenschaftslehre von 1804 (43ff. [110ff.]), von der Sache selbst ist aber schon vorher die Rede. 154 ZE 259 [507]. 155 Vgl. SL 33f. [14]. 156 Wobei Fichte die zentrale Bedeutung dieses Abschnittes geradezu leugnet: »Noch ist ein Umstand in der Beobachtung der von uns gefoderten Thätigkeit zu bemerken. Nehme man diese Bemerkung indeß nur für eine beiläufige. Unmittelbar wird auf sie nicht fortgebaut; erst tiefer unten wird sich zeigen, welche Folgen sie habe. Nur können wir uns die Gelegenheit, die wir hier haben, sie zu machen, nicht entgehen lassen.« VnD 278 [531]. 157 VnD 279 [531]. 158 Vgl. VnD 271 [521f.]. 152 153
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stellung des natürlichen Bewußtseins ohnehin geglaubt wird. Vor diesem Hintergrund muß es irritieren, wenn Fichte den Mangel der bisherigen Darstellung ausgerechnet durch die ›Anwendung‹ des Reflexionsgesetzes auf das sich selbst setzende Ich beheben will. Im Versuch leitet Fichte zur Anwendung des Reflexionsgesetzes auf das sich selbst setzende Ich über, indem er dessen allgemeine Gültigkeit zitiert: »[M]an findet sich thätig, nur inwiefern man dieser Thätigkeit eine Ruhe (ein Anhalten und Fixirtseyn der innern Kraft) entgegensetzt. (Der Satz [...] ist auch umgekehrt wahr: man wird sich einer Ruhe nicht bewusst, ohne eine Thätigkeit zu setzen. Thätigkeit ist nichts ohne Ruhe und umgekehrt. Ja, der Satz ist allgemein wahr, und wird im folgenden in dieser seiner allgemeinen Gültigkeit aufgestellt werden: Alle Bestimmung, was es nur sey, das bestimmt werde, geschieht durch Gegensatz. Hier sehen wir nur auf den vorliegenden einzelnen Fall.)«159 In der sogenannten Halleschen Nachschrift der Wissenschaftslehre nova methodo ist Fichte insofern deutlicher, als er von der ›Anwendung‹ des Bestimmens durch Entgegensetzen auf das sich selbst setzende Ich spricht: »Wie kommt der Begrif des Ich zu Stande?/ Wir sind blos vermögend, durch das Losreißen aus der Ruhe und Übergang in den entgegengesezten Zustand, ein Bewußtseyn von unserer Thätigkeit, eine Anschauung zu erlangen. Nur durch den entgegengesezten Zustand wird es uns klar, was ein Handeln sey (das wir eigentlich nicht DEFINIREN können) durch das FIXIRT seyn, durch die Ruhe können wir ACTIVITÄT denken, und so auch umgekehrt, nur durch ACTIVITÄT können wir uns Ruhe denken./ Dies nun auf das setzen sein[er] selbst, oder das in sich HANDELN des ICHs angewandt, so gelangen wir dadurch zu dem innern Anschauen der Ruhe desselben und zugleich auch seiner ACTIVITÄT – als GEHANDELT und als HANDELND – beydes fällt in Eins zusammen.«160 Das sich selbst setzende Ich ist als unmittelbares Bewußtsein Grund der Reflexion und somit der Reflexion und ihrem Gesetz selbst prinzipiell entzogen.161 Die Anwendung des Reflexionsgesetzes auf das sich selbst setzende Ich muß daher von vornherein als verfehlt erscheinen. Dem Reflexionsgesetz zufolge wird etwas positiv als etwas bestimmt, indem es »als begrenzter Theil einer grösseren Sphäre und als allem möglichen ausser ihm in derselben Sphäre liegenden in einer gewissen Rüksicht entgegengesezt gedacht wird«.162 Das sich selbst setzende Ich kann aufgrund seiner Absolutheit nicht als begrenzter Teil einer größeren Sphäre und als allem anderen in dieser entgegengesetzt gedacht werden. Es ist, so Fichte in der Grundlage, »nicht etwas; (es hat kein Prädikat, und kann keins haben) [...]«.163 Fichtes Rede von der allgemeinen VnD 279 [531f.]. WLnmH 31. 161 »Das Ich sezt sich schlechthin, daß es sich im unmittelbaren Bewustsein als Subjectobject setze, ist unmittelbar, es kann keine Vernunft darüber hinausgehen, über die anderen Bestimmungen, die im Bewustsein vorkommen, laßen sich Gründe angeben, von dieser aber nicht, das unmittelbare Bewustsein ist selbst der erste Grund, der alles andre begründen soll [...].« WLnmK 347. 162 NBdWL 355. 163 GWL 271 [109]. 159 160
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Gültigkeit des Reflexionsgesetzes im Versuch suggeriert, dieses Gesetz sei auch für das absolute Ich gültig; seine Rede von der Anwendung des Reflexionsgesetzes auf das Ich in der Halleschen Nachschrift scheint unvereinbar mit allem bisher über das absolute Ich und das Reflexionsgesetz Gesagten. Freilich zeigt sich bei näherem Hinsehen, daß Fichte unter der Hand die Bedeutung des Reflexionsgesetzes verändert,164 um die Differenz zwischen dem In-sich-Zurückgehen, wie es bislang einerseits für den Philosophen als Faktum und andererseits für das ursprüngliche Ich selbst als reine Agilität behauptet ist, als durch das Ich selbst hervorgebrachte, ihm immanente Differenz zu erweisen. In dieser Argumentation werden »Ruhe« und »Tätigkeit« respektive »Handeln«165 unter der Hand aus einander kontradiktorisch ausschließenden inhaltlichen Bestimmtheiten, Prädikaten des Ichbegriffs, zu nur formal unterschiedenen Auffassungsweisen ein und derselben Tätigkeit des Ich. »Die Differenz zwischen der Bestimmung der Tätigkeit, sofern sie als ›Handeln‹ und sofern sie nicht als ›Handeln‹ bestimmt ist, ist offenbar eine formale Differenz. Das bedeutet, daß die inhaltliche Bestimmung ›Tätigkeit‹ dann, wenn sie als ›Nichthandeln‹ gedacht wird, nicht negiert wird. Negiert wird nur der formale Status, als solche oder in der Form der Bestimmtheit gesetzt zu sein. Die Tätigkeit als das, was sie ist, als solche oder in der Form der Bestimmtheit zu denken, hieße dann, sie als Realität denken.«166 Die Tätigkeit des Ich in ihrer Ruhe oder Bestimmtheit aufgefaßt nennt Fichte den »Begriff des Ich«. Der Begriff des Ich resultiert aus dem Akt, durch den die erste Aufforderung erfüllt wird. Der Leser, der den Begriff des Ich denkt, vollzieht in diesem Akt jene in sich zurückgehende Tätigkeit, die das Ich wesentlich ist, aber er vollzieht sie nicht mit deutlichem Bewußtsein. Er findet sein Wesen, die in sich zurückgehende Tätigkeit, als Bestimmtheit seines Bewußtseins, in der Form eines Faktums vor, das heißt er ist sich dieser Tätigkeit nicht als Tätigkeit bewußt, er hat kein deutliches Bewußtsein von ihr. »[W]ie ich dir sagte: denke dich; und du das letztere Wort verstan-
Vgl. Stolzenberg (1986), besonders das zweite Kapitel. »Die Analyse der Anwendung des Reflexionsgesetzes zeigte, daß das durch das Reflexionsgesetz angegebene Modell der Logik der Bestimmung der Darstellung zwar zugrundeliegt, daß seine Anwendung aber zu einer Transformation seiner Bedeutung führt. Diese Transformation ist im Text nicht hinreichend deutlich gemacht. Diese Transformation ist aus den Bedeutungsmodifikationen, die im Zuge der Anwendung der Logik des Bestimmens auf die Rekonstruktion des Begriffs des Ich aufzuweisen waren, ersichtlich. Sie ist als Transformation der im Reflexionsgesetz formulierten Logik der prädikativen Bestimmung zur Logik das absoluten Bestimmens zu beschreiben.« (208). 165 Tätigkeit und Handeln werden von Fichte im Versuch nicht unterschieden. Vgl. VnD 280 [532]: »Du wusstest sonach, was das heiße: Ich. Aber du brauchtest nicht zu wissen, und wusstest meiner Voraussetzung nach nicht, daß dieser Gedanke durch ein Zurückgehen der Thätigkeit in sich selbst zu Stande komme, sondern solltest dies erst lernen. Nun aber ist das Ich [...] nichts anders, als ein in sich selbst zurückgehendes Handeln; und ein in sich selbst zurückgehendes Handeln ist das Ich. Wie konntest du denn also das letztere kennen, ohne die Thätigkeit zu kennen, durch die es zu Stande kommt?« 166 Stolzenberg (1986), 195. 164
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II. FICHTE
dest, vollzogst du im Acte des Verstehens selbst die in sich zurückgehende Thätigkeit, durch welche der Gedanke des Ich zu Stande kommt, nur ohne es zu wissen, weil du darauf nicht besonders aufmerksam warest; und daher kam dir das, was du in deinem Bewusstseyn vorfandest.«167 Der Leser, der der zweiten Aufforderung nachkommt, vollzieht denselben Akt mit »Aufmerksamkeit« und deutlichem Bewußtsein. »Merke auf, wie du das machst, sagte ich dir ferner; und nun vollzogst du dieselbe Thätigkeit, die du schon vollzogen hattest, nur mit Aufmerksamkeit und Bewusstseyn.«168 Der Vollzug des zweiten Aktes besteht in dem Sich-Losreißen der Tätigkeit des Ich von der Ruhe und dem Entgegensetzen beider. »Welche besondere Bestimmtheit deines Denkens war es nun, die als Ruhe, derjenigen Thätigkeit, durch die du dich selbst dachtest, unmittelbar vorher gieng; oder genauer ausgedrückt, die damit unmittelbar vereiniget war, so daß du das eine nicht ohne das andere wahrnehmen konntest?«169 Im Denken des Ich wird sein Wesen, die in sich zurückgehende Tätigkeit »unmittelbar«, faktisch vorgefunden, als bloße Bestimmtheit des Bewußtseins, ohne das Bewußtsein der Genesis dieser Bestimmtheit, darum ohne deutliches Bewußtsein, ohne es zu begreifen. Erst durch das Losreißen von dem »Begriff des Ich« respektive von der Auffassung der in sich zurückgehenden Tätigkeit in der Form der Ruhe und dadurch, daß dieser die Auffassung der Tätigkeit als Tätigkeit entgegensetzt wird, wird die Tätigkeit als Tätigkeit begriffen. »In dieser RUHE nur wird uns das SETZEN der Activität zu einem GESETZTEN – zu einem PRODUKT, zu einem Begrif, d.h. wenn man dieselbe Thätigkeit zuerst als ein Nichthandeln, also FIXIRT, in Ruhe sich denkt, sie dennoch [danach]170 als ruhend erblickt und anschaut, indem wir sie sonst nicht als HANDELND, thätig anschauen könnten, so entsteht daraus ein PRODUKT oder der Begrif des ICH, der sich blos denken aber nicht anschauen läßt, denn nur Thätigkeit als Handelnden [als handelnd]171 ist Anschauung, diese aber ist nicht möglich ohne sich zugleich das Entgegengesezte – dieselbe zuvor als RUHEND zu denken, – d. h. ohne einen Begrif. Beyde sind also immer zugleich miteinander verbunden – Begrif und Anschauung, sie fallen in Eins zusammen.«172 Die Termini Ruhe respektive Begriff sind äquivok. Sie bezeichnen einmal den Zustand des Ich respektive des Bewußtseins, der Voraussetzung der begrifflichen Erfassung der Tätigkeit des Anschauens ist, und dann den Zustand des Bewußtseins, der VnD 280 [533]. VnD 280 [533]. 169 VnD 279 [532]. 170 Jacob (1937; 358) schlägt in seiner Ausgabe der Wissenschaftslehre nova methodo für »dennoch« »danach« vor, die Herausgeber der Gesamtausgabe »demnach«. Stolzenberg (1986; 192 FN) präferiert zu Recht den Vorschlag Jacobs, weil dieser die Differenz beider Bestimmtheiten am besten ausdrücke. 171 Jacob (1937; 358) schlägt für den Ausdruck »Thätigkeit als Handelnden« den Ausdruck »Tätigkeit als handelnd« vor. Wieder ist Stolzenberg (1986; 192 FN) zuzustimmen, daß dieser Vorschlag Jacobs dem Sinn dieser Stelle angemessen ist. 172 WLnmH 31f.; weniger differenziert in: WLnmK 348f. 167 168
B. Unmittelbares und vermitteltes Bewußtsein
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durch die deutliche, klare, begriffliche Erfassung der Tätigkeit gekennzeichnet ist. »Dieselbe Tätigkeit« des sich selbst Setzens des Ich wird »zuerst« in der Form der Ruhe, als faktisch vorgefundene Bestimmtheit des Bewußtseins gedacht, und »danach«, vermittelt durch das Sich-Losreißen von der Ruhe und das Entgegensetzen von Ruhe und Tätigkeit, als Tätigkeit begriffen. Ruhe respektive Begriff bezeichnen sowohl die Voraussetzung wie das Resultat des Prozesses der Bewußtwerdung der in sich zurückgehenden Tätigkeit des Ich. Der »Begriff des Ich« meint einmal den Gedanken Ich, den jeder »unmittelbar« versteht. In diesem Sinne ist auch vom Ich-Begriff die Rede, wenn Fichte formuliert, im gemeinen Bewußtsein kämen nur Begriffe vor, aber nicht Anschauungen als solche.173 Begriff des Ich meint sodann das Resultat einer explizit philosophischen, dem Alltagsbewußtsein fremden Reflexion. So ist er, könnte man sagen, Begriff des Ich-Begriffs, nämlich das Bewußtsein des Ich als in sich unterschiedener Einheit von Begriff und Anschauung. Die Anwendung des modifizierten Reflexionsgesetzes auf das Ich erweist dieses nach Fichte als ursprünglich in sich differenzierte Einheit von Begriff und Anschauung. »Man nennt die innere Thätigkeit in ihrer Ruhe aufgefasst, durchgängig den Begriff. Es war sonach der Begriff des Ich, der mit der Anschauung desselben nothwendig vereinigt war, und ohne welchen das Bewusstseyn des Ich unmöglich geblieben wäre; denn der Begriff erst vollendet und umfasst das Bewusstseyn./ Der Begriff ist überall nichts anders, als die Thätigkeit des Anschauens selbst, nur nicht als Agilität, sondern als Ruhe und Bestimmtheit aufgefasst; und so verhält es sich auch mit dem Begriffe des Ich. Die in sich zurückgehende Thätigkeit als feststehend und beharrend aufgefasst, wodurch sonach beides, Ich, als Thätiges, und Ich, als Object meiner Thätigkeit, zusammen fallen, ist der Begriff es Ich.«174 Wie die von Fichte behauptete in sich differenzierte Einheit des Ich mit der in sich nicht differenzierten Einheit des absoluten Ich verträglich sein soll, bleibt ungeklärt. Letztere ist nach Fichte notwendig anzusetzen, um in der Erklärung des Selbstbewußtseins nicht in die Zirkel und Regresse der Tradition zu geraten. Gerade die Anwendung des Reflexionsgesetzes auf das Ich führt aber in analoge Schwierigkeiten, wenn sie Begriff und Anschauung als sich wechselseitig bedingende Momente des Ich unterscheidet. Der Begriff setzt die Tätigkeit der Anschauung voraus, aus der er resultiert, und er negiert diese, indem er sie zum Gegenteil ihrer selbst, zur Ruhe macht. Damit wird die behauptete Einheit von Anschauung und Begriff unverständlich.175
173 174 175
Vgl. VnD 280 [533]. VnD 280 [533]. Vgl. Henrich (1966), 211f.; Frank (1987), 115f.; Iber (1999), 60f.
C. Die Einheit der Vernunft 1. Theoretische Vernunft Zufolge der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre müssen sich aus der ersten synthetischen Handlung, der Grundsynthesis von Ich und Nicht-Ich, alle weiteren Bestimmungen entwickeln lassen.1 Dies setzt voraus, daß in der Grundsynthesis weitere Synthesen, die zugleich in und mit ihr vorgenommen worden,2 liegen und durch die Reflexion des Philosophen ins Bewußtsein gehoben werden können. Weil aber Synthesis Antithesis impliziert, bedeutet die Voraussetzung weiterer Synthesen auch die weiterer Antithesen. Diese hat die Reflexion zunächst analytisch jeweils ›aufzusuchen, um von ihnen auf die jeweiligen Synthesen zu schließen. Ziel der Reflexion ist es, diejenigen Bestimmungen ›aufzufinden, die es ermöglichen, den Hauptsatz des theoretischen Teils der Wissenschaftslehre widerspruchsfrei zu denken.3 Dieser Satz, der in der Grundsynthesis enthalten ist, lautet: [D]as Ich sezt sich selbst, als beschränkt durch das Nicht-Ich.4 Die Analyse dieses Satzes erweist ihn als widersprüchlich, denn er enthält zwei einander ausschließende Sätze: Das Nicht-Ich bestimmt (thätig) das Ich (welches insofern leidend ist), und: Das Ich bestimmt sich selbst, (durch absolute Thätigkeit.).5 Das Ich ist zufolge des ersten Paragraphen als Realität schlechthin6 gesetzt, welche Realität zufolge des dritten Paragraphen als quantifizierbar gesetzt ist. Das Nicht-Ich ist als Totalität der Negation gesetzt. Beide, Ich und Nicht-Ich, die Totalität der Realität und die der Negation werden synthetisiert durch den Begriff der Teilbarkeit. Demnach bestimmt sich das Ich zum Theil, und es wird bestimmt zum Theil.7 Diese von der Reflexion des Philosophen ›gefundene, nicht etwa durch ›Künstelei erdichtete8 Synthesis bedeutet, daß das Selbstbestimmen des
Vgl. GWL 283 [123]. GWL 275 [114]. 3 Vgl. GWL 362 [219]. 4 GWL 285 [126]. 5 GWL 287 [127]. 6 Das absolute Ich ist Ur-Realität (GWL 294 [136]) respektive absolute Tätigkeit respektive reines Sich-selbst-Setzen. Aller Realität Quelle ist das Ich. Erst durch und mit dem Ich ist der Begriff der Realität gegeben. Aber das Ich ist, weil es sich setzt, und setzt sich, weil es ist. Demnach sind sich setzen, und Seyn Eins und ebendasselbe. Aber der Begrif des sichsetzens, und der Thätigkeit überhaupt sind wieder Eins und ebendasselbe. Also – alle Realität ist thätig; und alles thätige ist Realität. GWL 293 [134]. 7 GWL 288 [129]. 8 Gefunden, nämlich erschlossen, wird hier etwas, das nicht unabhängig von der Reflexion auf den zu lösenden Widerspruch ist, aber auch nicht bloß ausgedacht. Die Synthese, die gefunden wird, bezeichnet Fichte später als eine Denkmöglichkeit. Die philosophische Reflexion resultiert solange in Denkmöglichkeiten, wie sie mit immer neuen, in dem theoretischen Hauptsatz liegenden Widersprüchen konfrontiert ist. In dem Augenblick, in dem alle Widersprüche geho1 2
C. Die Einheit der Vernunft
233
Ich nur möglich ist, insofern und weil das Ich auch bestimmt wird durch das NichtIch, und umgekehrt das Bestimmtwerden des Ich durch das Nicht-Ich nur möglich ist, insofern und weil das Ich sich selbst bestimmt. Demnach sezt das Ich Negation in sich, in sofern es Realität in das Nicht-Ich sezt, und Realität in sich, in sofern es Negation in das Nicht-Ich sezt; es sezt sich demnach sich bestimmend, insofern es bestimmt wird; und bestimmt werdend, insofern es sich bestimmt [...].9 Fichte nennt diese Synthesis Wechselbestimmung und setzt sie dem, was bei Kant Relation heißt, gleich. Gemäß der Wechselbestimmung setzt das Ich in dem Maße Negation in sich, in dem es Realität in das Nicht-Ich setzt und umgekehrt in dem Maße Realität in sich, in dem es Negation in das Nicht-Ich setzt. Damit ist das Verfahren bezeichnet, das dem ersten Teil der theoretischen Wissenschaftslehre zugrunde liegt. Die subjektive Reflexion legt analysierend die in den jeweiligen synthetischen Sätzen liegenden Widersprüche frei und sucht nach Synthesen, in denen sie aufgehoben sind. Das Verfahren kommt in dem Moment an sein Ende, in dem die Reflexion alle in dem Hauptsatz der theoretischen Wissenschaftslehre liegenden Widersprüche gehoben und somit erklärt hat, wie wirkliches Bewußtsein und Selbstbewußtsein möglich sind.10 Dem Anspruch nach ist das Verfahren systematische Kategorien-Deduktion11 und zugleich systematische Entwicklung verschiedener, aufgrund des Hauptsatzes möglicher Idealismus- und Realismus-Varianten,12 denen jeweils ein Moment von Wahrheit zukommt, die aber absolut gesetzt der Kritik verfallen.13 Der dogmatische Realist führt die Einschränkung des Ich auf das Ding an sich als bewußtseinstranszendente Ursache zurück, abstrahiert dabei aber davon, daß dieses Ding nur gedacht werden kann, mithin dem Bewußtsein immanent ist. Der dogmatische Idealist führt die Einschränkung des Ich auf das Ich selbst zurück, ohne damit begründen zu können, wie es möglich ist, daß das Ich etwas vorstellt, was es nicht selbst ist. [G]eht die Erklärung der Vorstellung, d. i. die gesammte spekulative Philosophie davon aus, daß das Nicht-Ich als Ursache der Vorstellung, sie als sein Effekt gesezt wird; so ist dasselbe Real-Grund von Allen; es ist schlechthin, weil es ist und ben sind, trifft sie nach Fichte auf ein Faktum, das heißt auf etwas, das von ihr zwar ins Bewußtsein gehoben wird, das aber unabhängig von ihr ursprünglich in unserem Geist existiert. Siehe weiter unten. 9 GWL 289 [130]. 10 Vgl. GWL 361 [218f.]. 11 Dazu ausführlich Metz (1991). 12 Dazu ausführlich Schüßler (1972). 13 So fördert die Analyse der Wechselbestimmung neue Widersprüche zutage, deren Lösung durch die Spezifizierung der Wechselbestimmung zur Wirksamkeit (Kausalität) und Substantialität aber den im Hauptsatz enthaltenen Widerspruch nicht hebt und weitere Wechselbestimmungen erzwingt. Die Wirksamkeit erklärt zwar, wie das Ich durch das Nicht-Ich bestimmt oder eingeschränkt sein kann, aber sie erklärt nicht, wie es ein Bewußtsein von dieser Einschränkung haben kann. Die Substantialität erklärt zwar, wie das Ich sich selbst bestimmen oder Einschränken kann, aber sie erklärt nicht, wie es diese Einschränkung auf etwas im Nicht-Ich als ihre Ursache beziehen kann. (vgl. GWL 302ff. [146ff.]).
234
II. FICHTE
was es ist; [...] das Ich selbst ist bloß ein Accidens desselben, und gar nicht Substanz; und wir bekommen den materialen Spinozism, der ein dogmatischer Realismus ist; ein System, das den Mangel der höchsten möglichen Abstraktion, der vom Nicht-Ich, voraussezt, und, da es nicht den lezten Grund aufstellt, völlig ungegründet ist. – Geht im Gegentheil die Erklärung der Vorstellung davon aus, daß das Ich die Substanz derselben, sie aber sein Accidens sey, so ist das Nicht-Ich gar nicht Real-, sondern bloß Ideal-Grund derselben: es hat demnach gar keine Realität außer der Vorstellung, es ist nicht Substanz, nichts für sich bestehendes, schlechthin geseztes, sondern ein blosses Accidens des Ich. In diesem Systeme liesse sich für die Einschränkung der Realität im Ich, (für die Affektion, wodurch eine Vorstellung entsteht), gar kein Grund angeben. [...] Ein solches System wäre ein dogmatischer Idealismus, welcher allerdings die höchste Abstraktion vorgenommen hat, und daher vollkommen begründet ist. Dagegen aber ist er unvollständig, weil er nicht alles erklärt, was erklärt werden soll.14 Die dogmatische Erklärung des empirischen Bewußtseins oszilliert zwischen den Extremen der Verdinglichung des Ich durch einen Realismus, der das Bewußtsein auf ein transzendentes Sein zurückführt, und der Idealisierung der Welt durch einen Idealismus, der alles Sein in die Immanenz des Bewußtseins auflöst. Der Realist kann für die Einschränkung des Ich zwar einen Grund anführen, aber nur um den Preis des Widerspruchs. Er muß dogmatisch auf der Bewußtseinstranszendenz des von ihm gleichwohl vorgestellten Nicht-Ich insistieren. Der Idealist vermeidet diesen Widerspruch, indem er dogmatisch darauf besteht, alle Realität des Nicht-Ich sei eine lediglich aus dem Ich übertragne.15 Er vermag aber nicht zu erklären, warum es überhaupt etwas gibt, worauf übertragen werden kann. Gefordert ist demnach eine Theorie, welche die Mängel beider Erklärungen vermeidet und ihre Vorzüge bewahrt. Dies scheint der kritische Idealismus zu leisten, denn er weist nach: Die ideale Tätigkeit des Ich im Vorstellen des Nicht-Ich ist notwendig auch ein Leiden, ein Affiziertwerden des Ich durch die reale Tätigkeit des Nicht-Ich, und die reale Tätigkeit des Nicht-Ich, das Leiden des Ich, ist notwendig auch ideale Tätigkeit des Ich. Er geht in seiner Erklärung der Vorstellung weder von einer absoluten Thätigkeit des Ich, noch des NichtIch, sondern von einem Bestimmtseyn aus, das zugleich ein Bestimmen ist, weil im Bewußtseyn unmittelbar nichts anders enthalten ist, noch enthalten seyn kann.16 Der kritische Idealismus überwindet die dogmatischen, einseitigen Erklärungen, indem er eine Wechselbestimmung von Ich und Nicht-Ich postuliert. Die Frage aber, worin diese Wechselbestimmung gründet, kann er nicht beantworten; ihre Beantwortung fällt nicht in den theoretischen, sondern in den praktischen Teil der Wissenschaftslehre.17
14 15 16 17
GWL 310 [155]. GWL 324 [172]. GWL 328 [178]. GWL 328 [178].
C. Die Einheit der Vernunft
235
Ebenfalls unbeantwortet bleibt die Frage nach dem Gesetz, das der Entgegensetzung von Ich und Nicht-Ich im theoretischen Bewußtsein zugrunde liegt. Dieses Gesetz ist das des mittelbaren Setzens. Das Ich (hier als absolut thätig betrachtet) kann auf das Nicht-Ich bloß dadurch Realität übertragen, als es dieselbe in sich nicht sezt; und umgekehrt in sich nur dadurch Realität übertragen, daß es dieselbe in das NichtIch nicht sezt.18 Die Mittelbarkeit des Setzens begründet das Entgegengesetztsein des Ich und Nicht-Ich und dadurch alle Realität des Ich und Nicht-Ich. Als wesentlich Entgegengesetzte sind Ich und Nicht-Ich als Subjekt und Objekt bestimmt. Das Gesetz des mittelbaren Setzens ist das des theoretischen Bewustseyns: kein Subjekt, kein Objekt, kein Objekt, kein Subjekt.19 Der dieses Gesetz formuliert, ist ein quantitativer, kein qualitativer Idealist. Während dieser die an sich gesetzte Thätigkeit des sich selbst Setzens des Ich schlechthin und ohne allen weiteren Grund aufhob, hebt jener gar keine Thätigkeit im Ich auf. Die Tätigkeit des Ich ist ihm zufolge durch das Gesetz des mittelbaren Setzens bestimmt und daher selbst keine absolute, sondern mittelbare Tätigkeit. Das Ich setzt das Ich vermittels des Nicht-Setzens des Nicht-Ich und vice versa. Das Gesetztsein des einen ist limitiert durch das Nicht-Gesetztsein des anderen. Der quantitative Idealist erklärt die Einschränkung des Ich nach dem in seiner Natur liegenden Gesetze20 des mittelbaren Setzens; er erklärt die Einschränkung des Ich aus der Natur des Ich selbst, welches sich aufgrund seiner Endlichkeit nur im Gegensatz zum Nicht-Ich setzen könne. Sein Grundsatz: Das Ich ist endlich, schlechthin weil es endlich ist21 ist aber unhaltbar, weil er auf dem in sich widersprüchlichen Begriff der absolute[n] Endlichkeit22 basiert. Der quantitative Realist erkennt mit dem quantitativen Idealisten an, daß das Setzen der Realität in das Nicht-Ich für das Ich erst nach dem Gesetze des Grundes geschehe; aber er behauptet das reale Vorhandenseyn einer Einschränkung des Ich, ohne alles eigne Zuthun des Ich selbst [...].23 Der quantitative Realist geht von der Eingeschränktheit des Ich als einem Faktum aus, das nicht weiter zu erklären ist. Er bescheidet hierüber sich seiner Unwissenheit.24 Weder ist es mit dem quantitativen Idealismus aus der Natur des Ich selbst zu erklären, noch ist es mit dem qualitativen Realismus auf das Ding an sich zurückzuführen. Der quantitative Realist vermeidet den Widerspruch des quantitativen Idealisten, dem zufolge das Ich sich schlechthin als endlich setzt, und er vermeidet den Widerspruch des qualitativen Realisten, dem zufolge ein unabhängig vom Ich existierendes und gleichwohl nur zu denkendes Ding an sich (Nicht-Ich) die Einschränkung des Ich bewirkt. Gleichwohl teilt der quantita-
18 19 20 21 22 23 24
GWL 332 [183]. GWL 332 [183]. GWL 334 [185]. GWL 333 [184]. GWL 334 [185]. GWL 334 [185]. GWL 334 [185].
236
II. FICHTE
tive Realist den Fehler des qualitativen Realismus: Er kann nicht erklären, wie eine an sich vorhandene, reale Bestimmung zu einer für das setzende Ich vorhandenen, idealen Bestimmung wird. Ein weit abstrakterer Realismus25 als der eben genannte wird von Fichte zuletzt erwogen. Dieser verweist nicht auf das faktische Vorhandensein einer vom Ich nicht gesetzten Bestimmung im Ich, sondern behauptet lediglich, es sei ein Anstoß für das Ich vorhanden, welcher das Ich zwar nicht selbst begrenze, diesem aber die Aufgabe stelle, sich selbst zu begrenzen. Das Ich müßte, um der Aufgabe zu genügen, dem zu begrenzenden Subjektiven etwas Objektives entgegensetzen. Statt auf das faktische Bestimmtsein des Ich durch anderes beruft sich dieser Realismus auf die bloße Bestimmbarkeit des Ich.26 Den möglichen Einwand, die Aufgabe der Bestimmung sei selbst eine Bestimmung, das heißt dieser Realismus sei gar nicht unterschieden von dem vorher genannten, weist Fichte zurück, indem er die Bestimmbarkeit des Ich als ein Gefühl bezeichnet und damit unvermittelt eine Bestimmung aus dem praktischen Teil der Grundlage anführt.27 Der abstrakte Realismus hat den Fehler alles Realismus, daß e[r] das Ich bloß als ein Nicht-Ich betrachtet, und daher den Uebergang vom Nicht-Ich zum Ich, der erklärt werden sollte, nicht erklärt.28 Auch in ihrer abstrakten Variante vermag die realistische Erklärung des empirischen Bewußtseins den dem Ich gegebenen, ihm heterogenen Anstoß mit der Tätigkeit des Sich-Setzens des Ich nicht zu vermitteln; der Übergang von der heteronom bedingten Endlichkeit des Ich zu seiner unbedingten Selbsttätigkeit ist ihr nicht möglich. Der Idealismus kennt diese Schwierigkeit nicht, denn er hebt den Uebergang überhaupt auf. Das Endliche, Begrenzte läßt er aus der unendlichen, unbegrenzten Tätigkeit des Ich hervorgehen und wird derart durch den offenbaren Widerspruch, daß er nemlich schlechthin ein endliches sezt, vernichtet.29 GWL 355 [210]. GWL 355 [211]. 27 GWL 355 [211]. Das Gefühl ist keine Bestimmung des theoretischen Ich, welches sich setzt als bestimmt durch das Nicht-Ich, sondern des praktischen Ich, welches sich setzt als bestimmend das Nicht-Ich (vgl. GWL 355 [211]). Daß Fichte im theoretischen Teil der Wissenschaftslehre nicht ohne eine praktische Bestimmung auskommt, ist ein Indiz dafür, daß die Einteilung der Wissenschaftslehre sachlich unangemessen ist. [P]raktisches Vermögen und Intelligenz ist unzertrennlich. Eins läßt ohne das andre sich nicht denken. Die Identität beider ist sonach der Charakter des Ich. WlnmK 366. Fichte zieht für die Darstellung nova methodo die Konsequenz. In der neuen Wissenschaftslehre findet aber die bisher gewönliche Abtheilung d. [Philosophie] in THEORETISCHE u. PRAKTISCHE nicht statt. Sondern er [der Verfass.] trägt [Philosophie] überhaupt vor – THEORET. u. PRAKTISCHE vereinigt, fängt nach einem weit natürlichern Gange vom praktischen an, od: zieht da wo es zur Deutlichkeit was beiträgt, das PRAKTISCHE ins THEORETISCHE herüber um aus jenem dieses zu erklären. – Eine Freiheit, die der Verfasser sich damals, als er seine WISS=LEHRE in Druck gab – sich noch nicht herauszunehmen getraute. WLnmH 17. 28 GWL 355 [211]. 29 GWL 336 [187]. 25 26
C. Die Einheit der Vernunft
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Soll der Fehler eines jeglichen Realismus vermieden werden, darf der Anstoß auf das Ich nicht ohne Zutun des Ich geschehen. Soll der Widerspruch des Idealismus vermieden werden, darf die Selbstbestimmung des Ich nicht ohne den Anstoß erfolgen. Das empirische Bewußtsein kann offenbar nur auf der Grundlage der Synthese von abstraktem Realismus und Idealismus erklärt werden. Es gilt daher: Der (durch das setzende Ich nicht gesezte) Anstoß geschieht auf das Ich, insofern es thätig ist, und er ist demnach nur insofern ein Anstoß als es thätig ist, seine Möglichkeit wird durch die Thätigkeit des Ich bedingt; keine Thätigkeit des Ich, kein Anstoß. Hinwiederum wäre die Thätigkeit des Bestimmens des Ich durch sich selbst, bedingt durch den Anstoß; kein Anstoß, keine Selbstbestimmung. – Ferner, keine Selbstbestimmung, kein objektives, u. s. w.30 Ohne Anstoß keine Selbstbestimmung des Ich, denn die Selbstbestimmung ist eine Begrenzung des Ich durch sich selbst, die aber aus seiner unendlichen Tätigkeit des Sich-Setzens allein nicht erklärt werden kann, sondern auch auf den Anstoß zurückgeführt werden muß. Ohne unendliche Tätigkeit des Ich kein Anstoß, denn dieser ist nur dann einer für das Ich, wenn dieses durch den Anstoß nicht schlechthin beschränkt wird, sondern über seine Beschränkung durch den Anstoß hinausgeht. Das Ich muß über diese Linie hinaus setzen. Es soll sich beschränken, d. i. es soll insofern sich setzen, als sich nicht setzend; es soll in diesen Umfang die unbestimmte, unbegrenzte, unendliche Grenze setzen [...].31 Das Ich setzt sich jenseits der Beschränkung durch den Anstoß als sich nicht setzend, es schreibt das durch den Anstoß verminderte Quantum Tätigkeit einem Nicht-Ich zu, oder es setzt sich auf Veranlassung32 eines Anstoßes ein Nicht-Ich entgegen. Nun gilt aber: Das Ich ist nur das, als was es sich sezt. Das Ich ist unendlich nur, insofern es sich als unendlich setzt; es setzt sich unendlich, heißt aber: [E]s bestimmt sich durch das Prädikat der Unendlichkeit: also es begrenzt sich selbst [...].33 Das Ich, das sich das Prädikat der Unendlichkeit, der unendlichen Tätigkeit zuschreibt, unterscheidet sich darin von der unendlichen Tätigkeit und ist insofern nicht unendlich, sondern endlich. Die unendliche Tätigkeit soll aber seine sein. Folglich muß das Ich diese Tätigkeit nicht nur von sich unterscheiden, sondern in eben derselben ungetheilten [...] Handlung in sich aufnehmen. Nimmt es sie aber in sich auf, so ist die Handlung dadurch bestimmt, begrenzt und also nicht unendlich. Nun soll sie aber unendlich sein, und also muß sie außer dem Ich gesetzt werden. Dieser Wechsel des Ich in und mit sich selbst, da es sich endlich, und unendlich zugleich sezt – ein Wechsel, der gleichsam in einem GWL 356 [212]. GWL 358 [214]. 32 Im Unterschied zum Ich der transzendentalen Einheit der Apperzeption Kants, welche als Einheit der Handlung der Synthesis auf ein unabhängig von ihr in den Formen der Anschauung gegebenes Material verwiesen ist, ist das Ich der Wissenschaftslehre von keinem gegebenen Material abhängig. Im Ich ist nur, was es selbst in sich setzt. Dennoch subsistiert es nicht als absolutes metaphysisches Subjekt in sich, vielmehr geschieht seine Bewußtseinsinhalte produzierende Tätigkeit auf Veranlassung (GR 143 [331]) eines ihm fremden Anstoßes. 33 GWL 358 [214]. 30 31
238
II. FICHTE
Widerstreite mit sich selbst besteht, und dadurch sich selbst reproducirt, indem das Ich unvereinbares vereinigen will, jezt das unendliche in die Form des endlichen aufzunehmen versucht, jezt, zurückgetrieben, es wieder ausser derselben sezt, und in dem nemlichen Momente abermals es in die Form der Endlichkeit aufzunehmen versucht – ist das Vermögen der Einbildungskraft.34 Das Ich kann sich selbst nur bestimmen, indem es sich zugleich als unendlich und endlich setzt. Die Erklärung des empirischen Bewußtseins erfordert demnach die Synthesis von Unendlichem und Endlichem: Beides soll Eins, und eben dasselbe seyn; das heißt kurz: keine Unendlichkeit, keine Begrenzung; keine Begrenzung, keine Unendlichkeit.35 Diese Synthesis ist die des schlechthin Entgegengesetzten. Endliches ist sich nicht schlechthin entgegengesetzt, denn es ist sich gleich im Begriff der Bestimmbarkeit; auch Unendliches, insofern es mehrere unendliche geben kann, ist sich nicht schlechthin entgegengesetzt, denn es stimmt im Merkmal der Unbestimmbarkeit überein.36 Unendliches und Endliches dagegen haben gar nichts gemeinschaftliches, ihre Synthesis scheint daher nicht möglich, und infolgedessen scheint auch die Erklärung des empirischen Bewußtseins nicht oder nur um den Preis der Affirmation der widersprüchlichen Bestimmtheit des Ich als eines zugleich Unendlichen und Endlichen möglich. Fichte vermeidet diese Konsequenz. Unendliches und Endliches haben nur im Sinne eines Beziehungsgrundes gar nichts gemeinschaftliches; das beiden gemeinschaftliche ist kein diskursives Merkmal, sondern die durch das Ich in der Funktion der produktiven Einbildungskraft gesetzte Grenze.37 Die Einbildungskraft vermag zu vereinigen, was diskursiv nicht zu vereinigen ist. Die Tätigkeit des Ich als Einbildungskraft ist nach dem Vorbild der ersten drei Grundsätze der Wissenschaftslehre thetisch, antithetisch und synthetisch strukturiert. Thetisch setzt die Einbildungskraft aus Anlaß des Anstoßes die Grenze zwischen dem endlichen Ich und dem unendlichen Nicht-Ich, antithetisch setzt sie die in der Grenze Zusammentreffenden einander entgegen, synthetisch vereinigt sie die Entgegengesetzten in der Grenze.38 In ihrem thetischen Setzen ist die Einbildungskraft produktiv, in ihrem antithetischen und synthetischen Setzen reproduktiv. Dabei ist, anders als bei Kant, die reproduktiv verfahrende Einbildungskraft nicht psychologisch konnotiert, beruht also nicht auf empirischen Gesetzen der Assoziation, sondern ist ein Moment der transzendentalen, die Möglichkeit von Bewußtsein überhaupt begründenden Einbildungskraft. Ihre Setzungen sind für das Bewußtsein logisch notwendig.39 Im
GWL 359 [215]. GWL 358 [214]. 36 GWL 358 [214]. 37 Vgl. GWL 357 [213]. 38 Vgl. GWL 359 [215]. 39 So auch K. Düsing (1993), 64. Allerdings ist der Status der reproduktiven Einbildungskraft bei Kant nicht eindeutig. Vgl. in dieser Arbeit das Kapitel ›Empirische Einheit des Bewußtseins und Einheit des empirischen Bewußtseins. 34 35
C. Die Einheit der Vernunft
239
Unterschied zum thetischen Sich-Setzen des absoluten Ich ist das thetische Setzen der Einbildungskraft nicht qualitativ, sondern quantitativ bestimmt. So wie dort zuföderst das Ich, der Qualität nach als absolute Realität, schlechthin gesezt wurde; so wird hier [...] das Ich [..] schlechthin gesezt, als bestimmte Quantität.40 Im Unterschied zur qualitativen Thesis des absoluten Ich, in welcher das Handelnde, und das Produkt der Handlung [...] Eins und eben dasselbe41 sind, sind in der quantitativen Thesis der Einbildungskraft Handelndes und Produkt der Handlung nicht unmittelbar identisch. Beide werden von der antithetisch verfahrenden Einbildungskraft einander entgegengesetzt. Insofern das Ich, und dieses Produkt seiner Thätigkeit entgegengesezt werden, werden die Zusammentreffenden [Ich und Nicht-Ich] selbst entgegengesezt, und es ist in der Grenze keins von beiden gesezt; (Antithesis der Einbildungskraft).42 Blieben die Zusammentreffenden entgegengesetzt, wäre die Identität und Einheit des Bewußtseins unerklärlich. Diese erfordert eine Synthesis der Entgegengesetzten. Die Synthesis der Einbildungskraft schreibt die produktive Tätigkeit des Ich dem Ich zu und faßt die Entgegengesetzten Ich und Nicht-Ich in der Grenze zusammen. Die reproduktiv verfahrende Einbildungskraft bewahrt dem Ich die im thetischen Setzen beanspruchte Identität, indem sie, zwischen den Entgegengesetzten schwebend, den statischen Gegensatz von Ich und Nicht-Ich durch Ausdehnung ihrer Grenze zu einem Zeitmoment auflöst in den Prozeß ihrer Vermittlung in der Zeit. Sie hält ein jedes der Entgegengesetzten so lange fest, bis es dasjenige, wodurch dasselbe verdrängt wird, damit verglichen hat,43 und bildet derart ein Solange, eine Dauer. Die Einbildungskraft ist ein Vermögen, das zwischen Bestimmung, und Nicht-Bestimmung, zwischen Endlichem, und Unendlichem in der Mitte schwebt; [...] Ienes Schweben eben bezeichnet die Einbildungskraft durch ihr Produkt; sie bringt dasselbe gleichsam während ihres Schwebens, und durch ihr Schweben hervor./ (Dieses Schweben der Einbildungskraft zwischen unvereinbaren, dieser Widerstreit derselben mit sich selbst ist es, welcher [...] den Zustand des Ich in demselben zu einem Zeit-Momente ausdehnt: (Für die bloße reine Vernunft ist alles zugleich; nur für die Einbildungskraft giebt es eine Zeit.)44 Das Ich vermag durch das wunderbarste seiner Vermögen45 zu vereinigen, was durch das Denkvermögen46 nicht zu vereinigen ist. Für das Denkvermögen sind Endliches und Unendliches schlechthin entgegengesetzt, das eine ist die Negation des anderen, die gedachte Grenze beider ist die Negation des einen wie des anderen. Die Entgegengesetzten sind als bloß Gedachte ohne Realität. Mithin ist gar Nichts
40 41 42 43 44 45 46
GWL 350f. [205]. GWL 259 [96]. GWL 359 [215]. GWL 350 [204]. GWL 360 [216f.]. GWL 350 [204]. GWL 368 [226].
240
II. FICHTE
vorhanden, und es kann Nichts vorhanden seyn; unser Bewußtseyn wird nicht gefüllt, und es ist in ihm absolut Nichts vorhanden.47 Realität erhalten die Entgegengesetzten erst durch die Synthesis der Einbildungskraft, die durch ihr Schweben zwischen den Entgegengesetzten die Grenze zu einem Zeitmoment ausdehnt, in welchem sie zugleich bestehen. Die Ausdehnung der Grenze durch die Bildung von Zeit ermöglicht mit der Koexistenz der Entgegengesetzten im Bewußtsein zugleich das Bewußtsein selbst als eine fortlaufende Zeitreihe.48 Indem die Grenze eine Dauer hat, ist sie nicht mehr leere Punktualität, sondern erfüllter Zeitmoment. Dieser ermöglicht erst die Zeitreihe, denn aus der Aneinanderreihung ausdehnungsloser, leerer Punkte entsteht keine zeitliche Ausdehnung.49 Fichte illustriert die Synthesis der Einbildungskraft am Beispiel von Licht und Finsternis. Angenommen, im selben Raum folgt auf einen Zeitmoment A, in dem Licht ist, unmittelbar ein Zeitmoment B, in dem Finsternis ist, dann ist die Grenze Z zwischen beiden Momenten entweder als ausdehnungsloser Punkt zu denken, in welchem weder Licht noch Finsternis ist, oder als ausgedehnter Punkt, in welchem sowohl Licht als auch Finsternis ist. Man könnte sagen, ich dehne in der leztern Folgerungsart Z., das nur Grenze seyn sollte, durch die Einbildungskraft selbst zu einem Momente aus; und so ist es allerdings. [...] Ich kann demnach Z. durch die bloße Einbildungskraft ausdehnen; und muß es, wenn ich mir die unmittelbare Begrenzung der Momente A und B denken will – und es ist hier zugleich ein Experiment mit dem wunderbaren Vermögen der produktiven Einbildungskraft in uns angestellt worden [...].50 Zwischen den Entgegengesetzten schwebend, dehnt die Einbildungskraft den dimensionslosen Punkt, der ihre scharfe Grenze bildet, aus zu einem Zeitmoment. Der Punkt ist damit nicht länger leerer Zeitpunkt, sondern erfüllter Zeitmoment, dessen Inhalt als kontinuierlicher Übergang vom Licht zur Finsternis zu denken ist.51
GWL 366 [224]. GWL 350 [205]. 49 Fichte sieht in seiner Ableitung des Zeitinhalts aus dem Schweben der Einbildungskraft einen Fortschritt auch gegenüber Kant. In der gewöhnlichen kritischen Φphie ist eine Lücke, denn man zeigt da nur wie die Zeit MOMENTE aneinander gereyhet werden, u. glaubt dadurch müßte nun eine Zeitdauer entstehen, dieß ist aber falsch, es muß zuerst gezeigt werden, daß jeder MOMENT eine Dauer habe wenn eine Zeit Dauer erklärt werden soll. Man [...] reyhe [..] so viel MOMENTE aneinander als man wolle, wenn keines derselben eine Dauer hat, so wird auch keine Zeit Dauer entstehen. Es muß demnach gezeigt werden, daß ein einziger MOMENT eine Dauer habe, eine Zeit erfülle. Woher kömmt diese Dauer, eines jeden einzelnen MOMENTS? Aus dem Schweben der Einbildungskraft zwischen entgegen gesezten [...]. Es ist ein mannigfaltiges durch die Einbildungskraft aufzufaßen, hier tritt ein Schweben über dem Entgegengesezten ein, u. mit diesem Schweben entsteht die Zeitdauer, welche in jedem MOMENT ist, ja selbst der MOMENT entsteht eben durch die Zeitdauer desselben erst hier [...]. WLnmH 220; vgl. ebd. 221 f.; vgl. Mph 210f.; 235; SL 94 [90f.]; 98 [96]. 50 GWL 353 [208]. 51 Vgl. Hanewald (2001), 118f.; Eidam (1997), 200ff. 47 48
C. Die Einheit der Vernunft
241
Das Beispiel ist ungeeignet, die Zeitbildung der Einbildungskraft zu illustrieren, denn in ihm ist mit Licht und Finsternis bereits vorausgesetzt, was doch erst aufgrund der Zeitbildung möglich sein soll: ein bestimmter Zeitinhalt. Für die zeitbildende Tätigkeit der Einbildungskraft, die selbst nicht in der Zeit erfolgt, kann es kein durch die Zeit bedingtes Beispiel geben. Der gewisse[] Gehalt,52 der dem Bewußtsein durch das Schweben der Einbildungskraft entsteht, kann aufgrund der rein formell bestimmten Entgegengesetzten: dem Unendlichen und Endlichen, Unbestimmten und Bestimmten, selbst nur formell bestimmt sein als deren unendliche, unbestimmte Grenze, oder als Mitte zwischen den Extremen. Fichtes Einführung der Einbildungskraft scheint einem theoretischen Handstreich53 gleichzukommen, in dem aus dem Unvermögen, die Entgegengesetzten durch diskursives Denken vereinigen zu können, auf deren Vereinigung durch ein nicht-diskursives Vermögen geschlossen wird. Der dem Ich immanente Widerspruch zwischen dem Unendlichen und Endlichen wird, Fichtes Redeweise entgegen, durch die Einführung der Einbildungskraft nicht gelöst, sondern allenfalls geschlichtet, indem er in ihr gleichsam institutionalisiert54 wird. Das Vermögen der Synthesis hat die Aufgabe die entgegengesezten zu vereinigen, als Eins zu denken, (denn die Forderung ergeht zunächst, gerade wie vorher immer, an das Denkvermögen.) Dies vermag sie nun nicht; dennoch aber ist die Aufgabe da; und es entsteht daher ein Streit zwischen GWL 367 [225]. Vgl. Arndt (1994; 91): [D]as Unvermögen, die geforderte Vermittlung innerhalb der Prinzipienkonstellation der Wissenschaftslehre leisten zu können, wird kurzerhand zu einem besonderen Vermögen erklärt, das neben die Vernunftprinzipien tritt. – Die Mehrzahl der Fichte-Interpreten referiert Fichtes Einführung der Einbildungskraft kritiklos. Das Ich kann sich nur im Zugleich von Sich-endlich- und Sich-unendlich-Setzen halten dank des Vermögens der Einbildungskraft. Sie ermöglicht ein Zugleich von Endlichkeit und Unendlichkeit. (Schäfer 1967, 116). – Der Form nach muß die neue, abschließende Synthesis lauten: Kein Anstoß, keine Selbstbestimmung – keine Selbstbestimmung, kein Anstoß. Der Sache nach muß die Tätigkeit des Ich so fortkonstruiert werden, daß sie sich zur Setzung des Anstoßes in sich selbst eignet. Dies heißt nichts anderes, als ein neues Vermögen des Ich abzuleiten. (Baumanns 1972, 116). – Die Lehre von der ursprünglich produzierenden Einbildungskraft gehört zu den genialen Einsichten Fichtes in der Philosophie. Er stieß auf ihr Wirken, als er die Unmöglichkeit erkannte, Ich und Nicht-Ich rein implikationslogisch in Einer Setzung (in der Form von Grund- und notwendiger Weiterbestimmung) zu denken. (Lauth 1984, 21). – Bei Fichte bezeichnet sie [die Synthesis von Unendlichkeit und Endlichkeit] [...] die theoretische Vernunft auf der Grenze zum Nicht-Ich, in der sich das Ich nur bewahrt, weil es sich zur produktiven Einbildungskraft, die aus absoluten Gegensätzen, nämlich Endlichkeit und Unendlichkeit, eine Einheit zusammenknüpft, a priori konkretisiert. (Metz 1991, 318). 54 Claesges (1974), 91. Mit der Einbildungskraft ist auch dasjenige Vermögen eingeführt, ohne dessen wohlthätige Täuschung eines Beziehungsgrundes der Entgegengesetzten die bislang angestellte Untersuchung nicht möglich gewesen wäre (GWL 366 [224]). Die Einbildungskraft täuscht eine letzte Auflösbarkeit der Widersprüche vor, bis sie selber als das Vermögen hervortritt, den Widerspruch auszuhalten. Boeder (1980), 556. 52 53
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dem Unvermögen, und der Forderung. In diesem Streite verweilt der Geist, schwebt zwischen beiden; schwebt zwischen der Forderung, und der Unmöglichkeit, sie zu erfüllen, und in diesem Zustande, aber nur in diesem, hält er beide zugleich fest, oder [...] macht sie zu solchen, die zugleich aufgefaßt, und festgehalten werden können – giebt dadurch, daß er sie berührt, und wieder von ihnen zurükgetrieben wird, und wieder berührt, ihnen im Verhältniß auf sich einen gewissen Gehalt, und eine gewisse Ausdehnung [...].55 Die Art, in der Fichte die Tätigkeit der Einbildungskraft einführt – als Bedingung der Möglichkeit der Einheit des Bewußtseins – ist der Transzendentalphilosophie Kants verpflichtet und bildet zugleich eine entscheidende Voraussetzung für deren intendierte Vervollkommnung. Fichte schnürt nicht etwa den Sack voll Vermögen56 der empirischen Psychologie des 18. Jahrhunderts wieder auf, sondern führt mit der Tätigkeit der Einbildungskraft die Voraussetzung ein, unter der die Vermögen des Subjekts auf dem Wege einer pragmatischen Geschichte des menschlichen Geistes57 aus Einem Prinzip abzuleiten und die Kantische Teilung der kritischen Philosophie in die drei Kritiken mit ihren je unterschiedlichen Prinzipien zu überwinden ist. Ein theoretischer Handstreich ist die Einführung der Einbildungskraft nur insofern, als durch sie der Widerspruch des Ich als eines zugleich Endlichen und Unendlichen nicht unmittelbar und immanent, sondern nur vermittels eines Dritten und durch die Reflexion des Philosophen geschlichtet wird. Es ist die subjektive, äußere Reflexion, die auf die Einbildungskraft als absolute Handlung, ohne allen Bestimmungsgrund, und ohne alle Bedingung ausser ihr selbst58 schließt, um den die Einheit des Bewußtseins bedrohenden Hiatus59 zwischen den Entgegengesetzten abzuwehren. Eine unmittelbare und immanente Vermittlung der schlechthin Entgegengesetzten ist schon aufgrund der ersten drei Grundsätze der Wissenschaftslehre ausgeschlossen, hat doch der Machtspruch der Vernunft, durch den der Begriff der Teilbarkeit als Beziehungsgrund von Ich und Nicht-Ich eingeführt wird, die Vernunft, das heißt hier: das erklärende, diskursive Denken, als ein endliches erwiesen, als eines, das der Totalität nicht mächtig ist. Erklären ist kein Umfassen auf einmal, sondern ein Fortsteigen von einem zum andern, ist etwas endliches [...].60 GWL 367 [225]. Hegel, Skep. 237. 57 GWL 365 [222]. 58 GWL 320 [167f.]. 59 GWL 320 [168]. 60 GWL 413 [281]; vgl. in dieser Arbeit das Kapitel Die Unmittelbarkeit des unmittelbaren Bewußtseins. Vgl. aber Kroner (I 1921 ff.; 480): Wenn es wahr ist, daß die Einbildungskraft sogar das Ich erst zum Ich macht, – läßt sich dann das absolute Ich von ihr frei, über sie erhaben denken? Gehört sie nicht schon zu dem absoluten Sichsetzen als unentbehrliche Urtätigkeit dazu, ja ist sie es nicht gerade, die sich absolut setzt, da in ihr das Ich seine Totalität, seine Einheit – sich selbst zuhöchst und zuletzt erfaßt. In dem Gedanken der sich selbst erschaffenden schöpferischen Einbildungskraft wäre somit [...] die Spitze der Fichteschen W. L. erreicht: sie wäre die absolute Tathandlung, von der das System ausgeht [...]. 55 56
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Allein die Tätigkeit der Einbildungskraft macht es Fichte zufolge möglich, den Hauptsatz der theoretischen Wissenschaftslehre: Das Ich setzt sich als bestimmt durch das Nicht-Ich, widerspruchsfrei zu denken. Der an die Spitze der gesammten theoretischen Wissenschaftslehre gestellte Saz [...] ist vollkommen erschöpft, und alle Widersprüche, die in demselben lagen, gehoben. Das Ich kann sich nicht anders setzen, als, daß es durch das Nicht-Ich bestimmt sey. (Kein Objekt, kein Subjekt.) Insofern sezt es sich als bestimmt. Zugleich sezt es sich auch als bestimmend; weil das begrenzende im Nicht-Ich sein eignes Produkt ist, (kein Subjekt, kein Objekt).61 Die Selbstbestimmung des Ich oder das Ich als Subjekt ist nicht möglich ohne die Produktion eines Nicht-Ich durch das Ich. Das Nicht-Ich ist Produkt des Ich aber nur unter der Voraussetzung, daß auf die Tätigkeit des Ich ein Anstoß geschieht. Der Anstoß ist hier also vom Nicht-Ich unterschieden. Er ist durch die philosophische Reflexion behauptet als Bedingung der Möglichkeit der Produktion des Nicht-Ich durch das Ich. Mithin ist diese Produktion nur möglich unter einer ihr äußerlichen Bedingung, und Fichtes Bemerkung, wonach das Nicht-Ich gar nichts absolutes, und ausser dem Ich geseztes62 sei, gilt nur unter dieser Einschränkung.63 Die Tätigkeit der Einbildungskraft ist ein Fund der transzendentalen Reflexion, die es unternimmt, alle in dem theoretischen Hauptsatz liegenden Gegensätze, die das Ich als widersprüchlich bestimmt erscheinen lassen, zu heben. In der Abfolge der Synthesen der verschiedenen aufbrechenden Gegensätze, welche Synthesen als Resultate der transzendentalen Reflexion künstlich hervorgebrachte Fakta sind, Denkmöglichkeiten,64 trifft die Reflexion mit der Tätigkeit der Einbildungskraft auf ein Faktum, das zwar nach den Regeln der Reflexion65 ins Bewußtsein gehoben ist, das aber unabhängig von ihr existiert als ein ursprünglich in unserm Geiste vorkommendes Faktum.66 Die Tätigkeit der Einbildungskraft ist als Fund der transzendentalen Reflexion des Philosophen dem Gegenstand dieser Reflexion, dem zu untersuchenden Ich, in-
GWL 362 [218]. GWL 361 [218]. 63 Vgl. Soller (1997; 181): Wenn das Nicht-Ich ›selbst ein Produkt des sich selbst bestimmenden Ich, und gar nichts absolutes, und ausser dem Ich geseztes ist, bereitet sich dann nicht doch das Ich selbst den Anstoß? Nein! Fichte ist m. E. in seinen Formulierungen nur etwas ungenau, da er nicht klar kenntlich macht, auf welcher logischen Ebene er sich jeweils bewegt. Der Anstoß liege auf der Ebene des absoluten Ich, das im Ich gesetzte Nicht-Ich dagegen auf der Ebene des 2. und 3. Grundsatzes. 64 Künstlich hervorgebracht heißt: gedacht als Bedingung der Möglichkeit, die Gegensätze zu vereinigen, nicht aber ausgedacht. Allenthalben wo wir einen [...] Widerspruch zu lösen haben [...], ist nicht die Meinung, daß wir durch unsere Kunst ein Drittes, das die Gegensätze vereinigt, ausdenken und hineintragen wollen; sondern – daß es eigentlich gar kein Widerspruch sei: das vereinigende Glied sei in der That ursprünglich in der Anschauungsform schon gegeben, und wir wollen es nur darin anerkennen. (TL 183). 65 GWL 363 [219]. 66 GWL 362 [219]. 61 62
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sofern äußerlich, als sie nur für diese Reflexion, nicht aber für das untersuchte Ich selbst ist. Sie ist erschlossen als der ermöglichende Grund des empirischen Bewußtseins oder wirklichen Ichs. Als solcher ist das Faktum der Einbildungskraft nicht unmittelbar für das Ich, dessen ermöglichender Grund es ist, wohl aber muß es Folgen haben in diesem Ich. Soll es ein Faktum im Bewußtseyn eines Ich seyn, so muß zuförderst das Ich dasselbe als in seinem Bewußtseyn vorhanden, setzen.67 Das Faktum der Einbildungskraft bedeutet als Fund der transzendentalen Reflexion das Ende dieser Reflexion; zugleich aber ist es der Beginn einer neuen Reflexion. Fichte spricht von zwei verschiedenen Reihen68 der Reflexion, die im Hinblick auf ihren Gegenstand und ihre Richtung unterschieden sind. Gegenstand der transzendentalen Reflexion waren Denkmöglichkeiten, nämlich Bedingungen der Möglichkeit, den Hauptsatz widerspruchsfrei zu denken; diesen Möglichkeiten korrespondierte im Ich selbst nichts.69 Gegenstand der jetzt einsetzenden Reflexion sind Fakta, nämlich Bestimmungen des Ich, die nicht durch die Reflexion hervorgebracht, sondern nur ins Bewußtsein gehoben werden.70 Die Richtungen der bislang angestellten transzendentalen Reflexion und der jetzt einsetzenden Reflexion sind einander entgegengesetzt. Die transzendentale Reflexion geht aus von dem Hauptsatz der theoretischen Wissenschaftslehre und endet bei dem Faktum der Einbildungskraft als dem ermöglichenden Grund, diesen denken zu können. Die neue Reflexion geht aus von dem Faktum der Einbildungskraft und resultiert in dem Hauptsatz als einem Faktum. Als ursprünglich in unserm Geiste vorkommendes Faktum ist die Tätigkeit der Einbildungskraft nicht, wie bei Kant, tertium comparationis der vorausgesetzten Vermögen Verstand und Sinnlichkeit, sondern ermöglichender Grund aller Arten des Vorstellens, mithin des Anschauens, Empfindens, Wahrnehmens, Reflektierens, Denkens respektive der entsprechenden Vermögen; auf ihr beruht der ganze Mechanismus des menschlichen Geistes.71 Das Ich, das in der Funktion der Einbildungskraft GWL 364 [221]. Vgl. in dieser Arbeit den Abschnitt Die Reflexivität der Transzendentalphilosophie Fichtes. 69 Fichte rekurriert in diesem Zusammenhang auf den traditionellen Wahrheitsbegriff der adaequatio rei et intellectus. Der Hauptsatz der theoretischen Wissenschaftslehre soll [...] wahr seyn, d. i. es soll ihm in unserm Geiste etwas korrespondiren; und er soll nur auf die eine aufgestellte Art wahr seyn können, mithin muß unserm Gedanken von dieser Art etwas in unserm Geiste ursprünglich, unabhängig von unsrer Reflexion vorhandnes, entsprechen [...]. (GWL 363 [220]) Die transzendentale Reflexion, die die Tätigkeit der Einbildungskraft als Bedingung der Möglichkeit des empirischen Bewußtseins erschließt, transzendiert dabei das empirische Bewußtsein, ohne das Ich zu transzendieren. Was die Reflexion findet, findet sie notwendig im Ich. Beanspruchte die Reflexion, reflektierend die Sphäre des Ich zu überschreiten hin auf ein unabhängig vom Ich Existierendes, fiele sie nach Fichte in eine der Spielarten des Dogmatismus zurück, die sie im Durchgehen der im Hauptsatz liegenden Gegensätze aufgehoben hat. 70 Vgl. GWL 364 [222]. 71 GWL 368 [226]. Die Deduktion der verschiedenen Arten des Vorstellens respektive der verschiedenen Vermögen erfolgt in dem Abschnitt Deduktion der Vorstellung der Grundlage und im Grundriß des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre. In jenem deduziert Fichte Anschauung, 67 68
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zwischen Unvereinbarem schwebt, befindet sich im Zustand des Anschauens.72 Das Anschauen ist ein Produzieren, kein Reflektieren, das anschauende Ich ist sich deshalb seiner Tätigkeit als einer solchen nicht bewußt; sie ist nicht für es, sondern nur für die philosophische Reflexion.73 Dem empirischen Ich, das nicht diese Reflexion anstellt, bleibt das Setzen des Nicht-Ich durch die produktive Einbildungskraft notwendig verborgen, die Realität erscheint ihm daher als unabhängig von ihm vorgefundene. Weit davon entfernt, den handfesten Realismus des Alltagsverstandes zu widerlegen, wird dieser im Gegenteil transzendental gerechtfertigt, indem erklärt wird, warum dieser die Dinge als von ihm unabhängig vorhandene auffassen muß. Die Lehre, daß alle Realität – es versteht sich für uns, wie es denn in einem System der TranscendentalPhilosophie nicht anders verstanden werden soll – bloß durch die Einbildungskraft hervorgebracht werde,74 klärt den Realismus des Alltagsverstandes über sich selbst auf. Demjenigen, dessen wir uns [in der gemeinen Reflexion] als eines Produktes der Einbildungskraft bewußt sind, schreiben wir nicht Realität zu; wohl aber dem, was wir im Verstande, dem wir gar kein Vermögen der Produktion, sondern blos des Aufbehaltens zuschreiben, als enthalten antreffen. – Es wird sich zeigen, daß man in der Reflexion, vermöge der Gesetze derselben, nur bis auf den Verstand zurückgehen könne, und in diesem denn allerdings etwas der Reflexion gegebnes, als einen Stoff der Vorstellung, antreffe; der Art aber, wie dasselbe in den Verstand gekommen, sich nicht bewußt werde. Daher unsre feste Ueberzeugung von der Realität der Dinge ausser uns, und ohne alles unser Zuthun, weil wir uns des Vermögens ihrer Produktion nicht bewußt werden. Würden wir in der gemeinen Reflexion uns bewußt, wie wir in der philosophischen uns dessen allerdings bewußt werden können, daß sie erst durch die Einbildungskraft in den Verstand kommen, so würden wir wieder alles für Täuschung erklären wollen, und würden durch das leztere eben so Unrecht haben, als durch das erstere [].75 Der theoretische Teil der Grundlage setzt voraus, daß es einen Unterschied im Ich gibt und zeigt dann, daß dieser Unterschied notwendig einer für das Ich ist. Fichte zeigt im Abschnitt Deduktion der Vorstellung, daß, vorausgesetzt, ein Anstoß auf das Ich geschieht, dieser Anstoß nur dann für das Ich ist, wenn es ihn setzt, das heißt hier: vorstellt (empfindet, anschaut, denkt).76 Das vorstellende, theoretische Ich setzt zwar nicht das ihm Heterogene, wohl aber die Bestimmtheiten des Heterogenen, der Welt. [D]ie Art und Weise des Vorstellens überhaupt ist allerdings durch das Ich, daß aber überhaupt das Ich vorstellend sey, ist nicht durch das Ich, sondern durch etwas ausser dem Ich bestimmt, wie wir gesehen haben. Wir konnten nemlich die Urteilskraft und Vernunft, in diesem Empfindung, Anschauung, Vorstellung und Ding, Substantialität und Kausalität sowie Raum und Zeit. 72 GWL 367 [225]. 73 Vgl. GWL 371 [230]. 74 GWL 368 [227]. 75 GWL 374f. [234]. 76 GWL 369 [227f.]; vgl. ebd. 354ff. [210ff.]. Dazu ausführlich Metz (1991).
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Vorstellung überhaupt auf keine Art möglich denken, als durch die Voraussetzung, daß auf die ins unbestimmte und unendliche hinausgehende Thätigkeit des Ich ein Anstoß geschehe.77 Der Anstoß ist derart bloßes Noumenon und die Autonomie des theoretischen Ich ist gewahrt. Der Grund für den Anstoß freilich liegt nicht im Ich und kann im theoretischen Teil nicht aufgewiesen werden. Das Nicht-Ich ist selbst ein Produkt des sich selbst bestimmenden Ich, und gar nichts absolutes, und ausser dem Ich geseztes. [...] Bloß die Frage, wie, und wodurch der für Erklärung der Vorstellung anzunehmende Anstoß auf das Ich geschehe, ist hier nicht zu beantworten; denn sie liegt ausserhalb der Grenze des theoretischen Theils der Wissenschaftslehre.78 Unter der Voraussetzung eines auf das Ich geschehenden Anstoßes konnte gezeigt werden, daß alle Realität vom Ich gesetzt ist. Wie aber ein Anstoß auf das Ich überhaupt möglich ist, ist bislang offen und muß im praktischen Teil der Wissenschaftslehre geklärt werden, so Fichte.
2. Praktische Vernunft Der praktische Teil geht aus von dem Satz: [D]as Ich sezt sich als bestimmend das Nicht-Ich.79 Dieser ist wie der Hauptsatz des theoretischen Teils in der Grundsynthesis von Ich und Nicht-Ich enthalten, und er enthält seinerseits einen Widerspruch, der gehoben werden muß, wenn Bewußtsein und Selbstbewußtsein möglich sein sollen. Dieser Widerspruch beruht auf dem Gegensatz von absolutem Ich und theoretischem Ich. Das absolute Ich ist zufolge des ersten Grundsatzes allein durch sich selbst, das heißt unabhängig von anderem; das theoretische Ich oder das Ich als Intelligenz ist zufolge des theoretischen Teils der Wissenschaftslehre zwar in seiner Art des Vorstellens durch sich selbst bestimmt, daß es aber überhaupt vorstellend ist, gründet nicht in ihm selbst, sondern ist abhängig von einem Anstoß, der auf seine Tätigkeit durch ein Nicht-Ich geschieht. Demnach sind absolutes Ich und intelligentes Ich einander entgegengesetzt. Ihr Gegensatz widerspricht der absoluten Identität des Ich.80 Er ist die Haupt-Antithese,81 und die um der Erklärung des Selbstbewußtseins willen erforderliche Synthese der in ihr Entgegengesetzten wird dazu nötigen, ein praktisches Vermögen des Ich anzunehmen,82 so Fichte im Vorgriff auf die noch zu entwickelnde Argumentation. Der Widerspruch von absolutem und intelligentem Ich kann nur dadurch gehoben werden, daß die Abhängigkeit des intelligenten Ich von einem Nicht-Ich durch das ab-
77 78 79 80 81 82
GWL 386f. [248]. GWL 361f. [218]. GWL 385 [246]. GWL 387 [249]. GWL 386 [247]. GWL 386 [247].
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solute Ich aufgehoben wird, indem das absolute Ich auf das Nicht-Ich Kausalität ausübt. Auf diese Art würde das vorzustellende Nicht Ich unmittelbar, das vorstellende Ich aber mittelbar [...] durch das absolute Ich bestimmt; das Ich würde lediglich von sich selbst abhängig d. i. es würde durchgängig durch sich selbst bestimmt.83 Fichte spricht in diesem Zusammenhang von der Forderung nach Kausalität des absoluten Ich auf das Nicht-Ich und formuliert: Das absolute Ich soll [...] seyn Ursache des Nicht-Ich an und für sich [...].84 Forderung respektive Sollen gründeten sich auf die absolute Wesenheit des Ich.85 Dies ist unpräzise und leistet dem Mißverständnis Vorschub, Subjekt der Forderung sei das Ich als praktische Vernunft.86 Wäre dem so, hätte Fichte die praktische Vernunft unvermittelt eingeführt, statt, wie intendiert, ihre Notwendigkeit durch und für die theoretische Vernunft befriedigend87 zu beweisen. Die Forderung nach Kausalität ist keine Forderung der praktischen, sondern der theoretischen Vernunft, genauer: der philosophischen Reflexion; erhoben wird sie um der Einheit des Systems willen und im Namen des absoluten Ich als des postulierten Systemgrundes. Das absolute Ich fungiert hier als regulatives Prinzip der Einheit des Systems. [D]aß überhaupt ein System seyn solle – diese Forderung gründet sich auf die absolute Thesis.88 Die Einheit des Systems erfordert die Einheit von absolutem und intelligentem Ich, diese erfordert die Kausalität des absoluten Ich auf das Nicht-Ich: Das absolute Ich soll Ursache des Nicht-Ich an und für sich sein, das heißt dessen Existenz- und Bestimmungsgrund. Wäre das absolute Ich aber Existenz- und Bestimmungsgrund des Nicht-Ich, so wäre das Nicht-Ich gar nichts vom Ich Unterschiedenes.89 Die philosophische Reflexion ist demnach vor das folgende Problem gestellt: Einerseits muß der Widerspruch des absoluten und intelligenten Ich gelöst werden, was nur möglich ist, wenn das absolute Ich auf das Nicht-Ich Kausalität ausübt, andererseits darf das Nicht-Ich durch die Kausalität des absoluten Ich nicht aufgehoben werden, denn zufolge des zweiten Grundsatzes ist es das Ich selbst, welches das Nicht-Ich setzt, und dieses Entgegengeseztseyn kann demnach nicht aufgehoben werden, wenn nicht
GWL 387f. [249f.]. GWL 389 [251]. 85 GWL 391 [254]. 86 So vermengt Hegel in seiner Darstellung des Fichte’schen Systems Forderung und Sollen, wie sie von der philosophischen Reflexion im Namen der im ersten Grundsatz postulierten absoluten Identität des Ich erhoben werden, mit der Bedeutung, die diese Ausdrücke haben als Bestimmungen des praktischen Ich. Dem Ich kann es nicht durch bewußtloses Produciren gelingen, sich als Ich = Ich zu setzen [...]; die Foderung ist also noch vorhanden, daß Ich sich als Identität, als Subjekt = Objekt, d. i. [!] praktisch producire; [...]/ Ich = Ich wird praktisch [!] postulirt, und dieß so vorgestellt, daß Ich sich auf diese Art als Ich zum Objekt werde, indem es mit dem NichtIch ins Kausalitätsverhältniß trete, wodurch NichtIch verschwände, und das Objekt ein absolut vom Ich bestimmtes also = Ich wäre. DS 45. 87 GWL 399 [264]. 88 GWL 276 [115]. 89 Vgl. GWL 391 [254]. 83 84
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etwas aufgehoben werden soll, das das Ich gesezt hat, und also das Ich aufhören soll Ich zu seyn, welches der Identität des Ich widerspricht.90 Die Forderung nach Kausalität enthält den Widerspruch, daß ihr zufolge aufgehoben werden soll, was nicht aufzuheben ist: der Gegensatz von Ich und Nicht-Ich. Dieser Widerspruch verweist zurück auf das Gefüge der ersten drei Grundsätze der Wissenschaftslehre. Fichte zitiert es, um den Widerspruch als den zwischen zwei verschiedenen Handlungen des Ich kenntlich zu machen. Insofern das Ich absolut ist, ist es unendlich, und unbeschränkt. [...]/ Insofern das Ich sich ein Nicht-Ich entgegensezt, sezt es nothwendig Schranken (§.3.) und sich selbst in diese Schranken. Es vertheilt die Totalität des gesezten Seyns überhaupt an das Ich, und an das Nicht-Ich; und sezt demnach insofern sich nothwendig als endlich.91 Würde das Ich sich in derselben Rücksicht schlechthin als unendlich und unbeschränkt und als endlich und beschränkt setzen, wäre es selbst der reine Widerspruch. Demnach müssen beide Handlungen des Ich nach Rücksichten unterschieden werden können. In einem andern Sinne müßte das Ich gesezt seyn als unendlich, in einem andern als endlich.92 Insofern das Ich schlechthin sich selbst setzt, ist seine Tätigkeit reine, durch nichts beschränkte, unendliche Tätigkeit. Insofern das Ich aber Schranken setzt und sich selbst in diese, geht seine Tätigkeit auf ein entgegenzusetzendes Nicht-Ich, sie ist nicht reine, sondern objektive Tätigkeit, die sich einen Gegenstand sezt.93 Sollen reine und objektive Tätigkeit, die nicht-intentionale Tätigkeit des Sich-Setzens (reine Selbstproduktion des Ich) und die intentionale Tätigkeit des Setzens von etwas (einen Gegenstand vorstellen), ein und dieselbe Tätigkeit sein, bloß nach Rücksichten unterschieden, dann muß ihre Einheit in dem geforderten Kausalitätsverhältnis liegen. Die Handlung des Selbst-Setzens müßte sich zu der des Setzens von etwas verhalten wie die Ursache zum Bewirkten. Das Sich-Setzen müßte Grund des Nicht-Ich-Setzens sein, oder die reine, unendliche Tätigkeit müßte der endlichen, objektiven Tätigkeit des Vorstellens immanent sein.94 Nun hat im allgemeinen ein solches Verhältniß nicht aufgezeigt werden können, vielmehr ist es völlig widersprechend gefunden worden; denn dann müste das Ich durch das Setzen seiner Selbst zugleich das Nicht-Ich setzen, mithin sich nicht setzen, welches sich selbst aufhebt.95 Ist ein solches Verhältniß von Sich-Setzen und Nicht-Ich-Setzen gefordert, obwohl es bislang als völlig widersprechend erscheinen muß, dann ist entweder die Forderung unsinnig, oder aber der Anschein des Widersprechenden ist der bislang GWL 391 [254]. GWL 392 [254]. 92 GWL 392 [255]. 93 GWL 393 [256]. 94 Vgl. Fichtes Bemerkung (GWL 392 [255]), wonach Spinoza aufgrund seines Dogmatismus das Unendliche ausser uns [..] versetzen mußte. Fichtes Anstrengung zielt darauf, es in uns, das heißt als dem endlichen, vorstellenden Ich immanent aufzuweisen. Vgl. in dieser Arbeit das Kapitel Intellektuelle Anschauung. 95 GWL 394 [257]. 90 91
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noch unzureichenden Bestimmung der Glieder des Verhältnisses geschuldet und verschwindet mit deren Weiterbestimmung. Das letztere ist Fichte zufolge der Fall. Mit dem Verhältnis von Sich-Setzen und Nicht-Ich-Setzen ist das der beiden ersten Grundsätze angesprochen. Gefordert ist die immanente Vermittlung von erstem und zweitem Grundsatz. Erst die gelungene Vermittlung wird den wahren Sinn beider Sätze und damit zugleich die wahre Bedeutung der Wissenschaftslehre erweisen.96 Diese Vermittlung ist möglich, weil der zweite Grundsatz nur in einer Hinsicht unbedingt ist wie der erste, in einer anderen Hinsicht aber bedingt. Unbedingt ist er hinsichtlich seiner Form oder dessen, daß entgegengesetzt wird, bedingt ist er hinsichtlich seines Gehalts oder dessen, was entgegengesetzt wird. Seiner Form nach ist das Entgegensetzen unbedingt, das Ich setzt sich schlechthin, und ohne allen Grund etwas entgegen, das Produkt des Entgegensetzens ist dagegen bedingt, es muß nothwendig ein Nicht-Ich seyn.97 Das Ich setzt sich schlechthin ein Nicht-Ich entgegen und begrenzt sich dadurch. In dieser Handlung ist das Ich von nichts Äußerem abhängig, sie gründet allein in seiner Spontaneität. Es setzt demnach seine Grenze, wohin es will.98 Eine solche absolute Selbstbegrenzung des Ich widerspricht aber seinem Wesen als unendlicher Tätigkeit. Setzt das Ich ein Nicht-Ich, einen Gegenstand, so setzt es dadurch eine seiner Tätigkeit entgegengesetzte, von ihr unabhängige Tätigkeit.99 Diese Tätigkeit muß als eine ausser ihm, im Gegenstand liegende vorgestellt werden, wenn anders der Gegenstand Gegenstand,100 das heißt das die absolute Tätigkeit des Ich Hemmende sein soll und das Ich sich unmöglich selbst hemmen kann, und ihr muß eine Tätigkeit des Ich entgegengesetzt sein, die von ihr gehemmt wird. Die Tätigkeit des Ich, die der hemmenden Tätigkeit des Gegenstandes entgegengesetzt ist, kann nicht die des absoluten Sich-Setzens sein, wie sie im ersten Grundsatz thematisch ist, denn als reines Setzen ist diese reine Selbstaffirmation des Ich, in der kein Unterschied liegt; sie kann auch nicht die objektive Tätigkeit sein, denn die objektive Tätigkeit soll durch sie erst ermöglicht werden.101 Die gesuchte Tätigkeit soll Ursache der objektiven Tätigkeit sein. Sie darf allein im Ich gründen und muß insofern reine Tätigkeit sein. Zugleich muß sie der Tätigkeit des Gegenstandes entgegengesetzt sein, ohne durch diese aufgehoben zu werden. Für sich betrachtet sind die reine Tätigkeit des Ich und die Tätigkeit des Gegenstandes voneinander unabhängig. [E]s findet zwischen ihnen gar keine Beziehung Statt.102 Und doch muß die Beziehung der für sich betrachtet Beziehungslosen die objektive Tätigkeit des Ich und damit die Gegenständlichkeit des Gegenstandes ermöglichen, wenn Bewußtsein und Selbstbe-
GWL 390 [252] u. 409 [277]. GWL 394 [257]; vgl. ebd. 265 [102]. 98 Vgl. GWL 394 [258]. 99 Realität ist Tätigkeit: vgl. GWL 293 [134]. 100 GWL 394 [258]. 101 Vgl. GWL 395 [259]. 102 GWL 395 [259]. 96 97
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wußtsein möglich sein sollen. Soll [...] ein Objekt gesezt werden, so müssen sie [die reine Tätigkeit und die Tätigkeit des Gegenstandes] doch durch das ein Objekt setzende Ich auf einander bezogen werden. Von dieser Beziehung hängt gleichfalls das Setzen eines Objekts überhaupt ab; insofern ein Objekt gesezt wird, werden sie bezogen, und inwiefern sie nicht bezogen werden, wird kein Objekt gesezt.103 Die philosophische Argumentation, die selbst unstreitig nur vorstellend104 istund also eine theoretische Anstrengung des Ich darstellt, ist hier an einem Punkt angelangt, an dem sie entweder ihre eigene Haltlosigkeit einbekennen oder aber mit theoretischen Mitteln die Sphäre des Theoretischen transzendieren muß. Theoretisch ist die Vermittlung von reiner Tätigkeit des Ich, reinem Gleichsetzen, und der dieser absolut entgegengesetzten Tätigkeit des Nicht-Ich, absolutem Entgegensetzen, unmöglich, denn es läßt sich kein tertium comparationis als Beziehungsgrund denken, in dem sie gleich wären. Ohne Beziehungsgrund aber keine Beziehung.105 Wo ist bei diesem Geschäft der Beziehungsgrund?106 Er kann aufgrund des ersten Grundsatzes nur im Ich selbst liegen, aber nicht im Ich als Intelligenz, sondern im Ich als praktische Vernunft. Das Ich, das durch die philosophische Reflexion und mithin theoretisch als Beziehungsgrund vorgestellt wird, kann selbst nicht bloß theoretisch, sondern muß auch praktisch sein. Das Ich setzt das Nicht-Ich und mithin auch die Beziehung von Ich und Nicht-Ich schlechthin und ohne allen Grund. Es setzt die für sich betrachtet absolut Entgegengesetzten absolut gleich. Da sie aber, so gewiß ein Objekt gesezt werden soll, nicht gleich sind, so läßt sich nur sagen, ihre Gleichheit werde schlechthin gefordert: sie sollen schlechthin gleich seyn.107 Die absolute Gleichsetzung von reiner Tätigkeit und Tätigkeit des Nicht-Ich hat darum die Form einer absoluten Forderung, und das absolute Ich, gerade um seines absoluten Seyns Willen, ist es, welches sie fordert.108 Fichte identifiziert diese Forderung mit Kants kategorischem Imperativ109 GWL 395 [259f.]. Begriff 149 [80]. 105 Es gilt nämlich: Iedes Entgegengesezte ist seinem Entgegengesezten in Einem Merkmale = X gleich; und: jedes Gleiche ist seinem Gleichen in Einem Merkmale = X entgegengesezt. Ein solches Merkmal = X heißt der Grund, im ersten Fall der Beziehungs- im zweiten der Unterscheidungs-Grund: denn Entgegengesezte gleich setzen, oder vergleichen, nennt man beziehen; gleichgesezte entgegensetzen heißt, sie unterscheiden. GWL 272 [111]. 106 GWL 396 [261]. 107 GWL 396 [260]. 108 GWL 396 [260]. 109 Vgl. GWL 396 Anm. [260 Anm.]. Vgl. auch Rez. 65 [22f.]. Das Ich [...] als Intelligenz [] ist nur in Beziehung auf ein Intelligibles, und existirt insofern abhängig. Nun soll dieses dadurch sich selbst entgegengesetzte Ich nicht Zwey, sondern nur Ein Ich ausmachen; und das ist gefoderter Maaßen unmöglich, denn abhängig und unabhängig stehn im Widerspruche. Weil aber das Ich seinen Charakter der absoluten Selbständigkeit nicht aufgeben kann; so entsteht ein Streben, das Intelligible von sich selbst abhängig zu machen, um dadurch das, dasselbe vorstellende Ich, mit dem sich selbst setzenden Ich zur Einheit zu bringen. Und dies ist die Bedeutung des Ausdrucks: die Vernunft ist praktisch. Im reinen Ich ist die Vernunft nicht praktisch; auch nicht im 103 104
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und beansprucht mit ihrer Deduktion theoretisch bewiesen zu haben, daß das Ich (die Vernunft) praktisch sein müsse, um theoretisch sein zu können. Iene Forderung, daß alles mit dem Ich übereinstimmen, alle Realität durch das Ich schlechthin gesezt seyn solle, ist die Forderung dessen, was man praktische Vernunft nennt [...]. Ein solches praktisches Vermögen der Vernunft war bisher postulirt, aber nicht erwiesen worden. Die Anforderung, welche von Zeit zu Zeit an die Philosophen erging, zu erweisen, daß die Vernunft praktisch sey, war demnach sehr gerecht. – Ein solcher Beweiß nun muß für die theoretische Vernunft selbst befriedigend geführt [...] werden. Dies ist auf keine andere Art möglich, als so, daß gezeigt werde, die Vernunft könne selbst nicht theoretisch seyn, wenn sie nicht praktisch sey.110 Das Ich muß praktisch sein, um theoretisch sein zu können. Die Tätigkeit des theoretischen Ich ist objektive Tätigkeit. In der objektiven Tätigkeit ist das Ich begrenzt. Da es sich nicht selbst begrenzen kann, ist die objektive Tätigkeit bedingt durch eine Tätigkeit des Nicht-Ich. Die Tätigkeit des Nicht-Ich kann nur gedacht werden, wenn sie einer Tätigkeit des Ich entgegengesetzt und wenn beide Tätigkeiten in einem Dritten gleichgesetzt sind. Dieses Dritte ist logisch gefordert, denn was unterschieden werden soll, muß auf ein drittes bezogen werden [...],111 der Sache nach aber ausgeschlossen, denn den Beziehungsgrund von Sich-Setzen (erster Grundsatz) und Entgegensetzen (zweiter Grundsatz) denken hieße, das Sich-Setzen, den unbedingten Grund aller Entgegen- und Gleichsetzung, in ein Begründetes verkehren. Die Gleichsetzung von reiner Tätigkeit und Tätigkeit des Nicht-Ich kann deshalb keine theoretische Leistung des Ich sein, kein Bestimmen, sondern bloß eine praktische, ein Streben. Das Nicht-Ich kann mit dem absoluten Ich nicht übereinstimmen, insofern es auch nur der Form nach ein Nicht-Ich seyn soll; mithin ist jene auf dasselbe bezogne Thätigkeit des Ich gar kein Bestimmen (zur wirklichen Gleichheit) sondern es ist bloß eine Tendenz, ein Streben zur Bestimmung, das dennoch völlig rechtskräftig ist, denn es ist durch das absolute Setzen des Ich gesezt.112 Allein im Streben des Ich sind beide Tätigkeiten aufeinander bezogen – aber nur in der Weise der unbedingt geforderten, der Sache nach niemals erreichbaren absoluten Gleichheit beider. Daß überhaupt die reine Thätigkeit in Beziehung auf ein Objekt gesezt wird, davon liegt der Grund nicht in der reinen Thätigkeit an sich [sondern im Anstoß]; daß aber, wenn sie so gesezt wird, sie als ein Streben gesezt wird, davon liegt in ihr der Grund.113 Die reine Tätigkeit des Ich ist in Beziehung auf ein mögliches Objekt ein unendliches Streben,114 das Ich, insofern es strebt, ist reine praktische Vernunft oder reiner Ich als Intelligenz; sie ist es nur, insofern sie beides zu vereinigen strebt. Daß diese Grundsätze Kants Darstellung selbst zum Grunde liegen müssen, unerachtet er sie nirgends bestimmt aufgestellt hat, [...] ist hier der Ort nicht, zu zeigen. 110 GWL 399 [263f.]. 111 GWL 408 [276]. 112 GWL 397 [261]. 113 GWL 399 [263]. 114 Vgl. GWL 397 [263].
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Wille.115 Dieses unendliche Streben ist in’s unendliche hinaus die Bedingung der Möglichkeit alles Objekts: kein Streben, kein Objekt.116 Die reine Tätigkeit des Ich ist damit als Ursache der objektiven Tätigkeit aufgewiesen. Ein Objekt kann nur gesetzt (vorgestellt) werden, wenn die Tätigkeit des Objekts einer Tätigkeit des Ich entgegengesetzt ist, welche in sich gründet und allem Objekte schlechthin vorausgesetzt ist: die reine Tätigkeit des Ich. Die reine Tätigkeit, die ursprünglich oder gemäß dem ersten Grundsatz auf kein Objekt bezogen ist, muß durch eine gleichfalls absolute Handlung des Ich117 auf die Tätigkeit des Objekts bezogen, mit ihr verglichen werden. Diese Handlung ist ihrer Form nach – daß sie geschieht – unbedingt, sie geschieht mit absoluter Spontaneität, aber ihrem Gehalt nach – daß sie ein Beziehen ist und die Gleichheit des möglichen Objekts fordert – bedingt durch die reine Tätigkeit des Ich. Der Widerspruch zwischen dem absoluten, unendlichen Ich und dem intelligenten, endlichen Ich, scheint mit der Einführung des Strebens aber nicht wirklich gehoben, sondern nur in eine andere Gestalt transponiert. Indem die reine, unendliche Tätigkeit in Beziehung auf ein mögliches Objekt ein Streben ist, ist sie als Streben sowohl reine unendliche Tätigkeit wie auch objektive, endliche Tätigkeit ein und desselben Ich, welche Annahme abermals sich selbst widerspricht.118 Auch dieser Widerspruch ist Fichte zufolge durch die Unterscheidung nach Hinsichten zu lösen. Objektiv und Objekt bedeutet nämlich in bezug auf die unendliche Tätigkeit des Ich etwas anderes als in bezug auf die endliche. Dort meint sie ein eingebildetes, hier ein wirkliches Objekt. Die endliche objektive Tätigkeit ist im Setzen der bestimmten Grenze des Objekts abhängig von einer der unendlichen Tätigkeit des Ich entgegengesetzten Tätigkeit des Nicht-Ich. Gerade weil das Setzen der bestimmten Grenze des Objekts nicht in ihr selbst, sondern außer ihr liegt, ist das derart durch sie bestimmte Objekt wirklich und nicht eingebildet. Anders: Das Ich ist in seiner Erkenntnistätigkeit,119 in der es die wirkliche Welt vorstellt, abhängig von etwas außer ihm, dem Nicht-Ich. Strebend dagegen bezieht es sich nicht auf die wirkliche Welt, sondern auf ein Ideal, welches allein in ihm selbst und nicht auch im Nicht-Ich gründet. Es entwirft die Welt, wie sie sein soll. Endlich ist es dabei insofern, als es jeweils ein bestimmtes Ideal als Objekt entwirft, unendlich insofern, als sich dieses Ideal ins unendliche hinaus erhöhen120 läßt. Dieser dem Streben immanente Widerspruch läßt sich nicht aufheben, denn er ist für das wirkliche Selbstbewußtsein konstitutiv. Die im Wesen Schon für Kant ist die objektive Realität eines reinen Willens einerlei mit der einer reinen praktischen Vernunft (KpV A 96). Dazu mit Bezug auf die GMS Paton (1962; 87). 116 GWL 397 [261f.]. 117 GWL 398 [263]. 118 GWL 402 [267]. 119 Fichte bezeichnet diese Tätigkeit des Ich auch als eine in der Weltanschauung. Diese Tätigkeit kann es nicht als eine solche setzen, da sie nicht in das Anschauende zurückgehen, sondern etwas außer ihm Liegendes, ihm Entgegengesetztes, eine Welt, zum Objekte haben soll. Vgl. NR 330 [18]. 120 GWL 403 [269]. 115
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des Ich gründende Forderung nach vollkommener Übereinstimmung von Ich und Nicht-Ich ist die dem wirklichen Bewußtsein immanente, von ihm niemals vollständig zu realisierende Aufgabe. Wir sollen [...] den Widerspruch lösen; ob wir seine Lösung gleich nicht als möglich denken können, und voraussehen, daß wir sie in keinem Momente unsers in alle Ewigkeiten hinaus verlängerten Daseyns werden als möglich denken können. Aber eben dies ist das Gepräge unserer Bestimmung für die Ewigkeit.121 Fichte zufolge ist das Streben damit apagogisch bewiesen. Vorausgesetzt wurde, daß es Selbstbewußtsein gibt; bewiesen ist, daß man die Identität des Ich aufgeben müsse, wenn man die Forderung einer absoluten Kausalität nicht annehmen wolle.122 Näher betrachtet besteht die Argumentation in dem Versuch der philosophischen Reflexion, die reine Tätigkeit des Sich-Setzens und die objektive Tätigkeit durch die Einführung der Tätigkeit des Strebens als Bedingungen wirklichen Selbstbewußtseins zu bestimmen. Doch in dem zentralen Punkt: dem durch theoretische Vernunft geführten Beweis der Wirklichkeit der praktischen Vernunft, überzeugt die Argumentation nicht. Die Forderung, mit der sie beginnt, ist die nach der Vermittlung von reiner und objektiver Tätigkeit des Ich. Diese Forderung erhebt die philosophische Reflexion im Namen der im ersten Grundsatz festgesetzten absoluten Identität des Ich. Diese Forderung der theoretischen Vernunft, so endet die Argumentation, ist durch die theoretische Vernunft selbst nicht erfüllbar, vielmehr ist ihre Erfüllung eine unendliche Aufgabe der praktischen Vernunft. Fichtes Argumentation in der Einführung des Strebens ist der in der Einführung der Einbildungskraft im theoretischen Teil der Wissenschaftslehre analog. Wurde dort aus dem Unvermögen, Unendliches und Endliches diskursiv vereinigen zu können, auf deren Vereinigung durch ein nichtdiskursives Vermögen, die Einbildungskraft, geschlossen, so wird hier aus dem Unvermögen der theoretischen Vernunft, den Gegensatz von reiner und objektiver Tätigkeit vermitteln zu können, auf deren Vermittlung durch die nicht theoretische, sondern praktische Vernunft geschlossen. Die Einführung des Strebens hat wie zuvor die der Einbildungskraft den Charakter eines theoretischen Handstreichs. Plausibilität gewinnt sie allein vor dem Hintergrund des Fichteschen Programms, die richtigen Resultate Kants auf ihre von Kant selbst nicht explizierten Prämissen zurückzuführen und so allererst zu begründen.123 Eine solche von Kant nicht aus- und aufgewiesene Prämisse sei das absolute Sein des Ich. In ihm gründe der kategorische Imperativ, den Kant aber nicht aus ihm herleite und deshalb nur als Faktum der Vernunft124 behaupten könne. Wird es irgendwo klar, daß Kant seinem kritischen Verfahren, nur stillschweigend, gerade die Praemissen zu Grunde legte, welche die Wissenschaftslehre aufstellt, so ist es hier. Wie hätte er jemals auf einen kategorischen Imperativ, als absolutes Postulat der Uebereinstimmung mit dem reinen Ich kommen können, ohne
121 122 123 124
GWL 403f. [270]. GWL 404 [271]. Vgl. in dieser Arbeit den Abschnitt Die Reflexivität der Transzendentalphilosophie Fichtes. KpV A 56.
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aus der Voraussetzung eines absoluten Seyns des Ich, durch welches alles gesezt wäre, und, inwiefern es nicht ist, wenigstens seyn sollte.125 Abgesehen davon, daß der kategorische Imperativ, zumindest in seinen Kantischen Formulierungen, keineswegs die Übereinstimmung mit dem reinen Ich fordert, und weiter davon abgesehen, daß der absoluten Forderung nach absoluter Kausalität des Ich auf das Nicht-Ich kein spezifisch moralischer Gehalt zu entnehmen ist, welcher etwa bedingt, daß diese Forderung dem einzelnen als moralische Nötigung fühlbar wird, bleibt Fichte eine Begründung des Strebens schuldig.126 Nun sieht Fichte selbst den apagogischen Beweis des Strebens mit Mängeln behaftet, die einen zweiten, und zwar direkt, und genetisch127 geführten Beweis erfordern. Das Streben, das von der philosophischen Reflexion in indirekter, widerlegender Beweisführung als Bedingung der Möglichkeit des Selbstbewußtseins eingeführt ist, hat nur faktische Evidenz: ohne es kein identisches Ich, also auch kein wirkliches Selbstbewußtsein. Wie aber das Ich, das seinem Wesen nach absolutes Sich-Setzen ist, aus sich herausgehen kann und wie ein Anstoß auf es überhaupt möglich ist, ist bislang ungeklärt. Zudem ist die Erklärung des Strebens bislang zirkulär. Streben ist als Hinausgehen über ein als vorhanden unterstelltes Objekt Streben nach einer bestimmten Kausalität. Soll aber ein Objekt für das Ich vorhanden sein, muß dieses schon als strebend unterstellt werden. Dieser Zirkel in der Bestimmung des Strebens nach bestimmter Kausalität läßt sich nur dann aufheben, wenn im Ich ein Streben nach Kausalität überhaupt aufgezeigt werden kann, ein Herausgehen des Ich aus sich selbst, welches im Ich gründet und mit der Möglichkeit eines Objekts auch die des Hinausgehens über dieses Objekt, das heißt die Möglichkeit eines Strebens nach bestimmter Kausalität begründet.128 Könnte genetisch gezeigt werden, wie im Ich notwendig die Forderung nach einer absoluten Kausalität überhaupt entsteht, dann wäre damit ineins gezeigt, wie ein äußerer Einfluß auf das Ich überhaupt möglich ist und es wäre der wahre[] Vereinigungspunkt zwischen dem absoluten, praktischen, und intelligenten Ich129 gefunden. Das absolute Ich ist in sich ununterschieden. Es ist deshalb kein wirkliches Selbstbewußtsein. Das absolute Ich ist schlechthin sich selbst gleich: alles in ihm ist Ein und ebendasselbe Ich, und gehört [...] zu Einem und eben demselben Ich; es ist da nichts zu unterscheiden, kein mannigfaltiges, das Ich ist Alles, und ist Nichts, weil es GWL 396 Anm. [260 Anm.]. Insofern der absoluten Forderung nach absoluter Kausalität des Ich auf das Nicht-Ich kein spezifisch moralischer Gehalt zu entnehmen ist, kann der Fichtesche Vorwurf an Kant, dieser habe über dem Inhalt des Bewußtseins des kategorischen Imperativs dessen Form, die Unmittelbarkeit dieses Bewußtseins, vernachlässigt, in bezug auf die hier in Rede stehende Passage an Fichte in umgekehrter Form zurückgegeben werden. Vgl. in dieser Arbeit den Abschnitt Die Reflexivität der Transzendentalphilosophie Fichtes. 127 GWL 404 [271]. 128 Vgl. GWL 404f. [271]. 129 GWL 405 [271]. 125 126
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für sich nichts ist, kein setzendes und kein geseztes in sich selbst unterscheiden kann.130 Wenn das wirkliche Selbstbewußtsein seine raison d’être in der Beziehung auf das hat, was es nicht ist, ein Heterogenes, wenn andererseits das Ich seinem Wesen nach reines Setzen ist, dann ist zu fragen, wie dieses Heterogene in das Ich kommen und wie es für das Ich sein kann. Die hermetische Verschlossenheit des Ich als Tätigkeit des Sich-Setzens scheint eine Vermittlung von Ich und Heterogenem auszuschließen. Damit nämlich etwas Fremdes in das Ich kommen kann, müßte das Ich selbst die Möglichkeit dazu eröffnen; es müßte sich, unbeschadet seines absoluten Setzens durch sich selbst, für ein anderes Setzen gleichsam offen erhalten. Demnach müßte schon ursprünglich im Ich selbst eine Verschiedenheit seyn, wenn jemals eine darein kommen sollte.131 Fichte betont selbst, daß diese Überlegung anscheinend einen Widerspruch enthält, indem sie dasselbe absolute Ich als absolut identisch und zugleich als in sich verschieden auffaßt, stellt aber in Aussicht, dieser Widerspruch werde zu seiner Zeit sich von selbst lösen.132 Das Ich ist seinem Wesen nach Tätigkeit. Soll etwas Heterogenes in ihm anzutreffen sein, so kann dieses nicht Nicht-Tätigkeit, sondern muß auch Tätigkeit des Ich und diesem insofern gleichartig133 sein. Fremd kann dem Ich mithin nur die Richtung der Tätigkeit sein. Die Tätigkeit des Ich, die in ihm selbst gründet, geht in sich selbst zurück oder hat centripetale Richtung, die dieser Tätigkeit entgegengesetzte geht demzufolge nach aussen in die Unendlichkeit oder hat centrifugale Richtung.134 Die Charakterisierung der Tätigkeit des absoluten Ich als zentripetal erfolgt in bezug auf den terminus ad quem der Argumentation, das heißt unter der Voraussetzung, daß noch eine von ihr unterschiedene, ihr entgegengesetzte Tätigkeit zentrifugaler Richtung aufgewiesen wird, denn streng genommen kann von nur einer Richtung gar nicht gesprochen werden. Der Begriff der Richtung ist ein bloßer Wechselbegriff; eine Richtung ist gar keine, und ist schlechthin undenkbar.135 Die Unterscheidung zweier entgegengesetzter Tätigkeiten des Ich ist aber nur dann möglich, wenn das Ich ursprünglich nicht nur Tathandlung, sondern auch Reflexion ist. Das Ich soll sich nicht nur selbst setzen für irgend eine Intelligenz ausser ihm [die philosophische Reflexion]; sondern es soll sich für sich selbst setzen; es soll sich setzen, als durch sich selbst gesezt. Es soll demnach, so gewiß es ein Ich ist, das Princip des Lebens, und des Bewußtseyns lediglich in sich selbst haben. Demnach muß das Ich, so gewiß es ein Ich ist, unbedingt, und ohne allen Grund das Princip in sich haben über sich selbst zu re-
GWL 399 [264]. Ein Ich ohne Entgegengesetztes wäre die undenkbare Idee der Gottheit (GWL 392 [254]), denn es gilt: Ist A. Totalität, und wird als solche gesezt, so wird B. ausgeschlossen. GR 185 [382]. 131 GWL 405 [272]. 132 GWL 405 [272]. 133 GWL 405 [272]. 134 GWL 405f. [272f.]. 135 GWL 406 [273]. 130
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flektiren.136 Im Ich sind nur dann zwei verschiedene Tätigkeiten zu unterscheiden, wenn das Ich auch Reflexion ist. Das absolute Ich ist bestimmt als Totalität der Realität, oder als Ur-Realität.137 Soll es für sich selbst diese Realität sein, muß es auf sich reflektieren. Als Reflektiertes ist es notwendig ein Etwas, ein Quantum, als Totalität der Realität notwendig ein unendliches Quantum. Da Realität wesentlich Tätigkeit ist, ist damit eine centrifugal in die Unendlichkeit hinausgehende Tätigkeit gesetzt. Als Subjekt der Selbstreflexion ist das Ich unterschieden in Reflektierendes und Reflektiertes. Diesen Unterschied bezeichnet das als in der Formel sich setzen, als durch sich selbst gesezt. Die Tätigkeit des Ich, das über sich selbst reflektiert, sich auf sich bezieht, wäre demnach als zentripetal von der des reflektierten Ich als zentrifugal unterschieden. Dieser Unterschied ist aber nur behauptet, nicht begründet. Er entspringt allein der Charakterisierung des absoluten Ich als Reflexion. Diese Charakterisierung und mithin die Unterscheidung beider Richtungen ist ein formelles Tun der philosophischen Reflexion, beide Richtungen sind bloß insofern unterschieden, inwiefern über sie, als unterschiedne, reflektirt wird.138 Sollen beide Richtungen nicht nur formell in der philosophischen Reflexion unterschieden werden, sondern ihr Unterschied im Ich selbst begründet sein, müssen beide auf ein Drittes bezogen werden können. Dieses Dritte ist der Anstoß. Er bezeichnet den Punkt, an dem die Tätigkeit, die ins Unendliche hinausgehen soll, gehemmt und in sich selbst zurückgetrieben, reflektirt139 wird. Indem beide zunächst nur in der Reflexion unterschiedenen Tätigkeiten auf den Anstoß bezogen werden, läßt sich ihr Unterschied bestimmen. Die zentrifugale Tätigkeit des reflektierten Ich soll die Unendlichkeit ausfüllen – so die Forderung des reflektierenden absoluten Ich. Tatsächlich aber füllt sie die Unendlichkeit nicht aus, sondern wird durch den Anstoß auf sich selbst zurückgetrieben, ist damit zentripetal. Die ursprüngliche Forderung140 aber bleibt bestehen, und sie ermöglicht die Unterscheidung beider Richtungen, weil nun in der Reflexion angetroffen wird eine jener Forderung gemäße centrifugale, und eine ihr widerstreitende (die zweite, durch den Anstoß reflektirte) centripetale Richtung.141 Fichte zufolge ist damit das ursprüngliche Streben nach Kausalität überhaupt genetisch aus dem Wesen des Ich deduziert. Das ursprüngliche Streben nach einer Kausalität überhaupt im Ich ist genetisch abgeleitet aus dem Gesetze des Ich, über sich selbst zu reflektiren, und zu fordern, daß es in dieser Reflexion als alle Realität erfunden werde; [...] Iene nothwendige Reflexion des Ich auf sich selbst ist der Grund alles Herausgehens aus
GWL 406f. [273f.]. Vgl. den Beginn des Kapitels Theoretische Vernunft. 138 GWL 407 [274]. 139 GWL 408 [275]. Fichte gebraucht den Terminus ›Reflektieren äquivok. Er meint zum einen eine Tätigkeit des Ich: das Ich ist das Reflektierende, zum anderen die Wirkung des Anstoßes. Vgl. Claesges (1974), 107. 140 GWL 408 [275]. 141 GWL 408 [276]. 136 137
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sich selbst, und die Forderung, daß es die Unendlichkeit ausfülle, der Grund des Strebens nach Kausalität überhaupt; und beide sind lediglich in dem absoluten Seyn des Ich begründet.142 Das Ich muß ursprünglich Reflexion sein. Als Reflexion setzt es sich nicht für etwas anderes, sondern für sich selbst. Es unterscheidet sich in Reflektierendes und Reflektiertes und ermöglicht, indem es nicht mehr hermetisch verschlossen ist, sondern aus sich herausgeht, daß auch etwas in ihm seyn könne, was nicht durch dasselbe selbst gesezt sey.143 Die ursprüngliche Reflexion des Ich ist demnach Bedingung der Möglichkeit eines Anstoßes, dessen Wirklichkeit freilich undeduzierbar bleibt. Fichte zufolge ist jetzt der wahre Vereinigungspunkt zwischen dem absoluten, praktischen und intelligenten Ich gefunden. Das Ich fordert, daß es alle Realität in sich fasse, und die Unendlichkeit erfülle. Dieser Forderung liegt nothwendig zum Grunde die Idee des schlechthin gesezten, unendlichen Ich; und dieses ist das absolute Ich, von welchem wir geredet haben.144 Erst jetzt erschließe sich der Sinn des ersten Grundsatzes. Das absolute Ich, das er thematisiere, sei kein wirkliches Ich, denn dieses sei immer durch etwas ihm Äußeres bedingt und bestimmt, sondern Idee.145 Diese Idee liege der praktischen Forderung zugrunde. Das Ich muß – und das liegt gleichfalls in seinem Begriffe – über sich reflektiren, ob es wirklich alle Realität in sich fasse. Es legt dieser Reflexion jene Idee zum Grunde, geht demnach mit derselben in die UnendGWL 408 [276]. GWL 409 [276]. 144 GWL 409 [277]. 145 Vgl. Janke (1970; 204): Das Ende der ersten Grundlegung nimmt den Anfang erschließend auf. Der Anfang war das schrittweise Auffinden dreier Grundsätze. Der Satz der absoluten Reflexion versammelt alle drei ursprünglich in sich. Sein Gesetz schreibt vor: Das ganze Wesen des Ich sei das Ich, das sich schlechthin setzt als sich setzend. Das sind die drei Grundsätze in Einheit. [...] Das Urgesetz der absoluten Reflexion umfaßt somit das ganze Wesen der endlichen Vernunft, und aus ihm läßt sich die gespannte Auseinandersetzung zwischen absoluter, theoretischer und praktischer Vernunft erschöpfend und aus einem Punkte ableiten. – Nach Baumanns (1972; 40 f.) unterläuft Janke nichts weniger als eine Verwechslung von Grund und Begründetem. Denn am Ende der ›Grundlage wird nicht deren Anfang erschlossen, sondern die Erschließung des Wesens der endlichen Vernunft, wie sie mit den drei Grundsätzen des Anfangs angefangen wurde, mit der Ableitung des moralisch-praktischen ›Sollens und ›Strebens zu Ende gebracht. [...] Das Ende der ›Grundlage bringt nicht das ›Urgesetz der endlichen Vernunft erstmalig zum Vorschein; es ergänzt vielmehr die Grundsätze um den Satz des Sollens und Strebens, der die Vollendung der Nachkonstruktion des wirklichen Selbstbewußtseins wenigstens der Richtung nach anzeigt: das Ich ist wesentlich ein solches, das zu sich ›Ich soll Ich sein sagt. – Vgl. dagegen Scheier (1973), 148f.: Damit ist der erste Grundsatz als die Voraussetzung oder Unmittelbarkeit der Methode, mit der das Wissen den Anfang macht, aufgehoben. An seine Stelle ist der wahre Anfang, die ursprüngliche Einheit des Wissens und seines Gegenstandes getreten – und dieser Ursprung kann sich in seiner Wahrheit nur als der absolut vermittelte erfassen, weil er selbst nichts anderes als die absolute Vermittlung, die Bewegung der Sache als solcher ist. Diese ist nicht im Grundsatz, sondern wird dort nur behauptet und tritt daher als sie selbst nur im Aufheben dieser 142 143
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lichkeit hinaus, und insofern ist es praktisch.146 Dieser Reflexion liege außer der Idee des absoluten Ich nichts zum Grunde, mithin sei sie keine wirkliche Reflexion, keine Reflexion, die durch den Anstoß bedingt ist, keine theoretische Reflexion. Durch diese bloß praktische Reflexion entstehe die Reihe dessen, was seyn soll, [...] die Reihe des Idealen.147 Dagegen entstehe die Reihe des Wirklichen, wenn das Ich seine Reflexion, sein Herausgehen aus sich, als durch ihm Äußeres beschränkt erkenne und mithin theoretisch sei. Fichte zufolge ist das Ich, das sich setzt, als durch sich gesetzt, also das ursprünglich auf sein Sich-Setzen reflektierende Ich der Einheitsgrund von absolutem Ich, welches als Idee Gegenstand dieser Reflexion ist, praktischem Ich, welches das Streben nach Realisierung dieser Idee ist, und theoretischem Ich, welches Reflexion auf die fremdartige, durch den Anstoß bedingte Richtung ist. Und so ist denn das ganze Wesen endlicher vernünftiger Naturen umfaßt, und erschöpft.148 Fichte zufolge ist mit der notwendigen Reflexion des Ich auf sich selbst der Grund alles Herausgehens des Ich aus sich aufgewiesen und der wahre Vereinigungspunkt von absolutem, praktischem und theoretischem Ich gefunden. Der Satz: Das Ich soll sich setzen, als durch sich selbst gesetzt, könnte demnach als Satz der absoluten Reflexion bezeichnet werden, der die wahre Einheit des Systems des Wissens ausdrückt. Dieser Satz erweist sich bei näherem Hinsehen aber als doppelt problematisch. Zum einen erweckt Fichte mit ihm den Anschein, der Übergang von der philosophischen Reflexion über das Ich als Objekt der Untersuchung zu der dem untersuchten Ich immanenten Reflexion sei vollzogen.149 Tatsächlich aber wird die Darstellung dem nicht Behauptung, in der Reflexion dieses Vorausgesetztseins in seinen Grund, der eben diese Reflexion ist, hervor. – Nach Gloy (1982; 31) artikuliert Fichte mit der Formel Das Ich soll sich [...] für sich selbst setzen; es soll sich setzen, als durch sich selbst gesetzt erstmals den Satz der absoluten Reflexion, der, obwohl aus dem methodischen Gang dieser Wissenschaftslehre resultierend, ihren eigentlichen Deduktionsgrund bildet. Wenngleich noch in Termini der praktischen Philosophie gefaßt, antizipiere der Satz auch sprachlich Hegels Theorem der absoluten Idee, die weiß, was sie setzt, und setzt, was sie weiß. Fichtes Satz hebe auf ein Zweifaches ab: zum einen auf das Produkt einer Selbstproduktion, zum anderen auf dessen Inhalt, der als Wissen von der Selbstproduktion bestimmt wird. Denn das explikative ›als fungiert auch hier [wie bei Hegel] als Exponent eines begrifflichen Wissens, des Fürsichseins des an sich seienden Produktionsprozesses. 146 GWL 409 [277]. 147 GWL 409 [277]. 148 GWL 410 [278]. 149 Darin folgt ihm kritiklos Janke (1970; 193): Im Anfange waltet nicht einfach die Freiheitstat des Sich-Setzens, sondern die Reflexion oder das ›Als: das Sich-Setzen, das sich setzt als SichSetzen. Heißt diese Selbstbesinnung des ›absoluten Subjekts absolute Reflexion, dann tritt am Ende die Reflexion als Anfangsgrund und Gesetz allen Bewußtseins heraus. Und indem die absolute Reflexion sich Bahn bricht, hört die äußere Reflexion des philosophierenden Subjekts in Bezug auf ein davon unterschiedenes transzendentales Ich-Subjekt auf. Janke betont zwar zu Recht, das Fürsichsein dürfe nicht leichtfertig zur Tathandlung hinzugesetzt werden, begründet aber selbst nicht, inwiefern das Ich ursprünglich nicht nur Tathandlung, sondern immer schon
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gerecht. Zum zweiten erweckt Fichte den Anschein, die Vermittlung des absoluten, in sich ununterschiedenen Ich mit dem wirklichem, in sich unterschiedenen Ich sei vollzogen. Auch dem wird die Darstellung nicht gerecht. Zum ersten: Der Wortlaut des Satzes der absoluten Reflexion scheint eindeutig: Das Ich soll sich nicht nur selbst setzen für irgend eine Intelligenz ausser ihm; sondern es soll sich für sich selbst setzen; es soll sich setzen, als durch sich selbst gesezt.150 Das Ich, das sich nicht nur selbst setzt, sondern sich selbst setzt als durch sich selbst gesetzt, ist für sich seiende Einheit, nicht, wie das Ich qua Tathandlung zu Beginn der Wissenschaftslehre, Einheit, die nur für die philosophische Reflexion ist. Fichte hätte demnach das von der philosophischen Reflexion im ersten Grundsatz als Grund der Einheit des Systems des Wissens postulierte absolute Ich begründet, indem er es als die notwendige Idee eines notwendig auf sich selbst reflektierenden und in dieser Reflexion praktischen Ich nachgewiesen hätte. Das absolute Ich, im ersten Paragraphen ein Postulat der philosophischen, das heißt theoretischen Reflexion, wäre im fünften Paragraphen als eine notwendige Idee des notwendig praktischen, strebenden Ich dargetan. Mit den Worten der Zweiten Einleitung könnte gesagt werden, das Ich sei in der ersten Gestalt nur für den Philosophen, und dadurch, daß man es fasst, erhebt man sich zur Philosophie. Das Ich, als Idee, ist für das Ich selbst, welches der Philosoph betrachtet, vorhanden; und er stellt es nicht auf, als seine eigne, sondern als Idee des natürlichen, jedoch vollkommen ausgebildeten Menschen [...]. Das letztere liegt sonach in einer ganz andern Reihe des Denkens, als das erstere.151 Fichte hätte demnach den Kreislauf der Darstellung, wie in der Programmschrift gefordert, vollendet.152 Diese, durch den Wortlaut des Satzes der absoluten Reflexion nahegelegte Interpretation ist aber nicht zu halten. In der Tat nämlich ist die philosophische Reflexion nicht dispensiert, vielmehr ist sie es, welche die Einheit von absolutem, praktischem und theoretischem Ich konstruiert. Indem sie die beiden zunächst nur in der Reflexion als zentrifugal und zentripetal unterschiedenen Richtungen auf ein Drittes, den Anstoß bezieht, begründet sie die Verschiedenheit beider Richtungen als im untersuchten Ich vorhandene. Die philosophische Reflexion absolute Reflexion sei. Zudem ist zu fragen, inwiefern Fichte damit nicht genau dem Zirkel der Reflexionstheorie des Selbstbewußtseins erlegen wäre, den er durch das Theorem des Ich als Tathandlung (respektive intellektuelle Anschauung) vermeiden will. – Vgl. die scharfe Kritik von Wildt (1982; 214f. FN 31): Jankes Zustimmung zu der These Henrichs, wonach Fichtes Selbstbewußtseinstheorie als Gegenentwurf zu den traditionellen Reflexionstheorien des Selbstbewußtseins anzusehen sei, habe nur zur Folge, daß er statt vom Ich als ›Reflexion im ganzen Buch vom Ich als ›absoluter Reflexion redet – als ob der Zirkel der Reflexion dadurch überwunden wäre, daß sie als ›absolut qualifiziert wird. – Vor Janke hat bereits Schäfer (1967; 170) behauptet: Mit der Reflexion ist der Einheitsgrund zwischen dem absoluten, praktischen und intelligenten Ich gefunden; diese Einheit ist im Wesensgrund des Ich selber gefunden worden. Der Wesensquell dieser Vereinigung, die Reflexion, ist die Ichheit des Ich selbst. 150 GWL 406 [274]. 151 ZE 266 [515]. 152 Begriff 131 [59].
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vollzieht damit den Übergang von der Verschiedenheit beider Richtungen als einer Denkmöglichkeit,153 die nur durch und in der Reflexion ist, zu der Verschiedenheit beider Richtungen als etwas, was im untersuchten Ich ist. Das derart Erschlossene existiert unabhängig von der philosophischen Reflexion im untersuchten Ich, es ist aber damit nicht auch für dieses untersuchte Ich. Fichtes Ausführungen über den wahren Vereinigungspunkt des absoluten, praktischen und theoretischen Ich sind mißverständlich, weil in ihnen der Unterschied der beiden Reihen der Darstellung nicht berücksichtigt ist.154 Fichte unterscheidet nicht zwischen Bestimmungen, die nur in und für die philosophische Reflexion sind und solchen, die im untersuchten Ich selbst existieren; er unterscheidet infolgedessen auch nicht zwischen dem, was für die philosophische Reflexion im untersuchten Ich ist und dem, was für dieses Ich selbst in ihm ist. Der erste Unterschied ist der der beiden Reihen der Darstellung, der zweite ist der für die zweite Reihe konstitutive.155 Während Fichte überwiegend den falschen Eindruck erweckt, der Unterschied der zentripetalen und zentrifugalen Richtungen sei nicht nur im Ich, sondern auch für das Ich, ist ihm nur nebenbei eine Formulierung unterlaufen, die den wahren Sachverhalt anzeigt. Ist kein praktisches Vermögen im Ich, so ist keine Intelligenz möglich; [...] Hinwiederum, ist das Ich nicht Intelligenz, so ist kein Bewußtseyn seines praktischen Vermögens, und überhaupt kein Selbstbewußtseyn möglich, weil erst durch die fremdartige durch den Anstoß entstandne Richtung die Unterscheidung verschiedner Richtungen möglich wird [...]. (Davon nemlich wird hier noch abstrahirt, daß das praktische Vermögen, um zum Bewußtseyn zu gelangen, erst durch die Intelligenz hindurch gehen, die Form der Vorstellung erst annehmen muß.)156 Wird davon abstrahiert, daß das praktische Vermögen die Form der Vorstellung annehmen muß, um für sich zu sein, dann wird davon abgesehen, wie der wahre Vereinigungspunkt nicht nur für die philosophische Reflexion im untersuchten Ich ist, sondern für das Ich selbst erscheint. Von den Bedingungen der Möglichkeit des Bewußtwerdens des praktischen Vermögens handeln die abschließenden Paragraphen der Grundlage (§§ 6-11). Zum zweiten: Fichte gibt zu, die Intention, durch genetische Beweisführung eine ursprüngliche Verschiedenheit im absoluten Ich nachweisen zu wollen, enthalte anscheinend einen Widerspruch, doch werde dieser zu seiner Zeit sich von selbst lösen.157 In der Tat scheint es ein in sich widersprüchliches Unterfangen zu sein, dem als in sich ununterschieden bestimmten absoluten Ich eine in ihm gründende Verschiedenheit zusprechen zu wollen. Die These, es könne eine von der Tätigkeit des Sich-Setzens des absoluten Ich verschiedene Tätigkeit des Ich mit entgegengesetzter
GWL 363 [219f.]. Vgl. GWL 364 [221]. 155 Vgl. Claesges (1974; 107), der zu Recht betont, daß Fichte hier hinter die von ihm erreichten Einsichten in die Methodik der Darstellung zurückfällt. 156 GWL 410 [278]. 157 GWL 405 [272]. 153 154
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Richtung aufgewiesen werden, ist mit der Bestimmung des absoluten Ich als differenzloser Einheit unvereinbar. Das Ich qua Tathandlung ist laut dem ersten Paragraphen der Grundlage reine Selbstproduktion, das heißt Produktion von nichts Unterschiedenem, weshalb der von Fichte immer wieder gebrauchte Ausdruck der in sich zurückgehenden Tätigkeit unangemessen ist. Der Ausdruck suggeriert Reflexivität (und damit bereits implizit eine Richtung: Beziehung auf sich im Unterschied zu der auf anderes), etwas, eine Tätigkeit, bezieht sich auf sich selbst, und einen Unterschied zwischen der Tätigkeit und ihrem In-sich-Zurückgehen.158 Das Ich ist als Tathandlung reiner Grund ohne Folge und als solcher keiner Richtung fähig. Weder bezieht es sich auf etwas anderes, noch bezieht es sich auf sich selbst. Als reine Selbstaffirmation ist es frei von allem Unterschied. Es kann deshalb auch nicht im nachhinein als Indifferenz von Einheit und Unterschiedenheit gefaßt werden, als welche es durch die Negation ihres Negativen: der Differenz, bestimmte und mithin negative Einheit wäre.159 Indem Fichte das präreflexive, differenzlose absolute Ich durch Ausdrücke charakterisiert, die es als reflexiv und in sich unterschieden erscheinen lassen, wird der Begriff des absoluten Ich äquivok. Vermittels dieser Äquivokation entsteht der Anschein, der Übergang vom Ich qua Tathandlung, welches nicht für sich, sondern nur für den Philosophen ist, zum Ich qua absolute Reflexion, welches in sich unterschieden ist, mache nur explizit, was implizite schon im ersten Grundsatz enthalten sei. Der Schlußteil des fünften Paragraphen bestätigt die oben geäußerte Vermutung, Fichtes unangemessene Charakterisierungen des absoluten Ich im ersten Paragraphen hätten einen Grund in der Sache selbst, sie seien einem prinzipiellen Ungenügen seiner Transzendentalphilosophie geschuldet.160 Der Schwierigkeit zu Beginn der Wissenschaftslehre, das absolute Ich als nicht-reflexive, differenzlose Einheit zu fassen, korrespondiert hier die, das absolute Ich als ursprünglich in sich differenzierte, reflexive Einheit zu bestimmen.161 Die von Fichte herangezogenen Beispiele des Körpers und mathematischen Punktes stützen die Argumentation nicht, sondern offenbaren ihre Unhaltbarkeit. Das Ich sezt sich selbst schlechthin, und insofern ist seine ThäVgl. in dieser Arbeit das Kapitel Die Unmittelbarkeit des unmittelbaren Bewußtseins. Dies ist die Lösung, die Claesges (1974; 104) vorschlägt. Das Wesen des absoluten Ich läßt sich über das in §1 der Grundlage Gesagte, was aber nicht zureicht, hinaus gar nicht anders als schon im Hinblick auf den Anstoß bestimmen: Es muß als Indifferenz derjenigen Bestimmungen gesetzt werden (›sich setzen), die ›nach dem Anstoß als differente, unterschiedene bestimmt sind. Dabei ist Indifferenz eine zur Erklärung einer Differenz als deren Negation postulierte Einheit. 160 Vgl. in dieser Arbeit das Kapitel Die Unmittelbarkeit des unmittelbaren Bewußtseins. 161 Janke (1970; 19) sieht in seiner affirmativen Fichte-Darstellung diese Schwierigkeiten nicht: Der Anfang der ›Grundlage von 1794/95 ist die Einsetzung der intellektuellen Anschauung als dem Instrument einer äußeren Reflexion über die Ichheit. Das Ende der ›Grundlage ist die Absetzung der äußeren und Ersetzung durch eine innere Reflexion. Der 3. Teil verabschiedet die äußere und verkündet die unbedingte Forderung einer absoluten Reflexion. (Vgl. 191ff.) Auch Class/ Soller (2004; 407) sehen hier keine Schwierigkeiten. 158
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tigkeit in sich selbst zurükgehend. [...] Liegt im Wesen des Ich nichts weiter, als lediglich diese konstitutive Thätigkeit, so ist es, was für uns jeder Körper ist. Wir schreiben dem Körper auch zu eine innere, durch sein bloßes Seyn gesezte Kraft; (nach dem Satze A = A.) aber, wenn wir nur transcendental philosophiren, und nicht etwa transcendent, nehmen wir an, daß durch uns gesezt werde, daß sie durch das bloße Seyn des Körpers (für uns) gesezt sey; nicht aber, daß durch und für den Körper selbst gesezt werde, daß sie gesezt sey: und darum ist der Körper für uns leblos, und seelenlos, und kein Ich. Das Ich soll sich nicht nur selbst setzen für irgend eine Intelligenz ausser ihm; sondern es soll sich für sich selbst setzen; es soll sich setzen, als durch sich selbst gesezt. Es soll demnach, so gewiß es ein Ich ist, das Princip des Lebens, und des Bewußtseyns lediglich in sich selbst haben.162 An dieser Argumentation muß zunächst irritieren, daß Fichte das Beispiel des Körpers heranzieht, um zu verdeutlichen, daß das absolute Ich, solange es nicht für sich ist, sondern nur für die philosophische Reflexion, trotz seiner in sich zurückgehenden Tätigkeit leblos und seelenlos, eben kein Ich sei. Indem Fichte das absolute Ich dem Kraft ausübenden Körper gleichsetzt, spricht er ihm jeden Bewußtseinscharakter ab. Das absolute Ich ist aber nicht etwa kein Bewußtsein, sondern unmittelbares Bewußtsein.163 Fichtes Schwierigkeiten, das absolute Ich adäquat zu fassen, werden vollends an dem von ihm ebenfalls eingeführten Beispiel des mathematischen Punktes deutlich. Das Ich sezt sich selbst schlechthin, und insofern ist seine Thätigkeit in sich selbst zurükgehend. Die Richtung derselben ist, – wenn es erlaubt ist, etwas noch nicht abgeleitetes vorauszusetzen, bloß um uns verständlich machen zu können, und wenn es ferner erlaubt ist ein Wort aus der Naturlehre zu entlehnen, das gerade von dem gegenwärtigen transcendentalen Punkte aus erst in dieselbe kommt, wie sich zu seiner Zeit zeigen wird – die Richtung derselben, sage ich, ist lediglich centripetal. (Ein Punkt bestimmt keine Linie; es müssen für die Möglichkeit einer solchen immer ihrer zwei gegeben seyn, wenn auch der zweite in der Unendlichkeit läge, und die bloße Direktion bezeichnete. Eben so, und gerade aus dem gleichen Grunde giebt es keine Richtung, wenn es ihrer nicht zwei, und zwar zwei entgegensezte giebt. Der Begriff der Richtung ist ein blosser Wechselbegriff; eine Richtung ist gar keine, und ist schlechthin undenkbar. Mithin können wir der absoluten Thätigkeit des Ich eine RichGWL 406 [273f.]. Die WissenschaftsLehre geht [...] aus [] von einer intellectuellen Anschauung, der der absoluten Selbstthätigkeit des Ich, intellektuelle Anschauung aber ist ein unmittelbares Bewußtsein. ZE 224f. [471f.]. In der Grundlage fehlt der Terminus intellektuelle Anschauung, nicht aber, was er bezeichnet. Im übrigen hat Fichte das Verständnis der Grundlage erschwert, indem er die absolute Selbsttätigkeit des Ich, die Tathandlung, nicht immer scharf von dem unterscheidet, was in der Tradition theoretisches oder reines Selbstbewußtsein genannt wird (vgl. Metz 1991, 226). – Fichte bringt auch in der Sittenlehre und in verschiedenen Varianten der Wissenschaftslehre nova methodo den Körper, die Stahlfeder als Bilder für das Ich als bloße in sich selbst zurückgehende Tätigkeit oder für die Selbstbestimmung als ›bloßen Akt des Wollens (vgl. SL 44 [27]). 162 163
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tung, und eine centripetale Richtung nur unter der stillschweigenden Voraussetzung zuschreiben, daß wir auch eine andere centrifugale Richtung dieser Thätigkeit entdecken werden. Nach der äussersten Strenge genommen ist in der gegenwärtigen Vorstellungsart das Bild des Ich ein mathematischer, sich selbst durch sich selbst konstituirender Punkt, in welchem keine Richtung, und überhaupt nichts zu unterscheiden ist; der ganz ist, wo er ist, und dessen Inhalt und Grenze (Gehalt, und Form) Eins, und eben dasselbe ist.)164 Indem Fichte das absolute Ich hier als strukturgleich mit dem mathematischen Punkt bestimmt, diesen aber als sich selbst durch sich selbst konstituirend[], offenbart er ungewollt den Grund der Schwierigkeiten und Äquivokationen in der Bestimmung des absoluten Ich. Der Punkt ist hier als reflexive Einheit, als Fürsichsein gefaßt. Obwohl er kein Selbstbewußtsein ist, schreibt Fichte ihm eine dem Selbstbewußtsein analoge Struktur zu. Fichte übersieht aber die Negativität dieser Struktur. Die Selbstkonstitution des Punktes ist, genauer besehen, seine Selbstbestimmung. Der Punkt bestimmt sich selbst, das heißt autosemantisch, aber er bestimmt sich selbst nicht rein affirmativ (Punkt ist Punkt), sondern negativ. Die Definition des Punktes ist eine negative autosemantische Definition: Ein Punkt ist, was keine Teile hat,165 oder: Punkt ist nicht nicht-Punkt. Der Punkt ist durch die Negation seines Negativen bestimmt. Seine Definition hat die Form des sich auf sich beziehenden Unterschieds, die Form der Negation der Negation. Der Punkt ist derart nicht nur als reflexive, sondern als negative Einheit bestimmt. Fichte entgeht die Negativität des Punktes.166 Er sieht nicht, daß der Punkt, in dem nichts zu unterscheiden ist, doch nur ist im Unterschied zu dem, was er nicht ist. Mithin ist für den in sich nicht unterschiedenen Punkt der Unterschied konstitutiv und der Punkt ist der reine Widerspruch.167 Fichte kaschiert das systematische Problem, in das sein Versuch, die absolute Einheit rein affirmativ und präreflexiv bestimmen zu wollen, führt, indem er der Passage den Charakter eines der eigentlichen Argumentation äußerlichen Kommentars gibt: [W]enn es erlaubt ist, etwas noch nicht abgeleitetes vorauszusetzen, bloß um sich verständlich zu machen – dann könne die in sich zurückgehende Tätigkeit der Ichheit als centripetal bezeichnet werden, obwohl die zentripetale Richtung nur im Unterschied zu der ihr entgegengesetzen zentrifugalen gedacht werden könne. Diese zentrifugale Richtung müsse ›stillschweigend mitgedacht werden, wenn der absoluten Tätigkeit des Ich eine zentripetale zugeschrieben werde. GWL 406 [273]. Euklid I, Def. 1. 166 Richli (1994) versucht im Hinblick auf die Wissenschaftslehre von 1804 nachzuweisen, daß Fichte die Betrachtung des Negativen an ihm selbst kennt, den Gedanken einer Konstitution der Realität jedoch ausschließt (425f.). 167 Für Hegel treibt der dem Punkt immanente Widerspruch den Punkt über sich hinaus: zur Linie, Fläche und zum Raum. Die Bewegung des Punktes ist ein Beispiel für die dialektische Methode, und wer diese aufgefaßt hat, der hat die Seele von der ganzen Philosophie aufgefaßt (VLLuM 18-21). Vgl. auch Hegel, Sein 114ff. 164 165
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Fichte erweckt den Anschein, die unangemessene Charakterisierung der präreflexiven, differenzlosen und alles wirkliche Bewußtsein und Selbstbewußtsein bedingenden Ichheit als reflexive, in sich unterschiedene Einheit und Selbstbewußtsein sei lediglich einer ›uneigentlichen168 Ausdrucksweise geschuldet. Den durch diese Ausdrucksweise bewirkten Äquivokationen kommt aber im weiteren eine entscheidende Funktion zu. Indem Fichte dem Ausdruck in sich zurückgehende Tätigkeit mal die Bedeutung reiner Selbstproduktion, mal die der Selbstreflexion zuschreibt und den zentralen Terminus Setzen sowohl in der Bedeutung von Produzieren, Erzeugen, wie in der von Vorstellen, Reflektieren verwendet, erschleicht er den Übergang von der Reflexion des Wissenschaftslehrers auf die Ichheit und die Subjekt-ObjektRelation zur absoluten, der Ichheit immanenten Selbstreflexion. Die Ichheit ist als Tathandlung reine Selbstproduktion. Sie muß ursprünglich aber auch absolute Selbstreflexion sein. Demnach muß das Ich [...] ohne allen Grund das Princip in sich haben über sich selbst zu reflektiren [...].169 Die Ichheit sei Selbstreflexion durch die Wiederholung des Setzens, durch ein sich setzen, als durch sich selbst gesezt.170 Der Ausdruck Wiederholung des Setzens ist irreführend.171 Das reine Setzen des Ich als Tathandlung kann nicht als Reflexion und Selbstbewußtsein, sondern muß als vorbewußte Produktion interpretiert werden, während das vorgeblich ›wiederholte Setzen ausdrücklich Reflexion ist. Fichte widerspricht sich direkt, indem er selbst von zwei Arten des Setzens – also zwei verschiedenen Arten des Setzens – spricht, und zugleich von der Wiederholung des Setzens, also ein und derselben Art des Setzens. Beide Arten des Setzens sind die Bedingung einer Einwirkung des Nicht-Ich; ohne die erstere würde keine Thätigkeit des Ich vorhanden seyn, welche eingeschränkt werden könnte; ohne die zweite würde diese Thätigkeit nicht für das Ich eingeschränkt seyn; [...] So steht das Ich, als Ich, ursprünglich in Wechselwirkung mit sich selbst; und dadurch erst wird ein Einfluß von aussen in dasselbe möglich.172 Von einer Wiederholung des Setzens kann sinnvoll nur in bezug auf das reflektierende Ich und die Akte seiner Reflexion gesprochen werden. Diese bleiben aber der im ersten Paragraphen der Wissenschaftslehre postulierten Tathandlung äußerlich. Die Vermittlung von Tathandlung und Reflexion bleibt Fichte auch im fünften Paragraphen der Grundlage schuldig. Die Einheit beider ist eine bloße Behauptung.173 Vgl. GWL 399 [264]. GWL 406f. [274]. 170 GWL 409 [276]. 171 Vgl. Zöller (1998), 53. 172 GWL 409 [276]. 173 Gloy (1990; 63) sieht zu Recht ein Begründungsdefizit der behaupteten Einheit von Selbstproduktion (Tätigkeit) und Selbstbewußtsein (Wissen); denn die These von der Unabtrennbarkeit beider im Selbstbewußtsein stellt ja zunächst eine bloße Behauptung dar, die durch nichts erwiesen ist. Zum Beweis genügt es nicht, auf den signifikanten Status des Selbstbewußtseins nur zu verweisen, in dem eine solche Einheit faktisch realisiert ist. – Janke (1993; 36 Anm.) weist diese Kritik zurück. Das Begründungsdefizit werde nur drückend, wo die intellektuelle Anschauung nicht gehörig in Anschlag gebracht worden ist. Diese Fichte-Verteidigung ist freilich eine bloße Behauptung. 168 169
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3. Der Anstoß Durch den Aufweis des wahren Vereinigungspunktes zwischen dem absoluten, praktischen und theoretischen Ich liegt der ganze Mechanismus des menschlichen, und aller endlichen Geister174 offen zutage, so daß sich jetzt alle Einwürfe gegen die Wissenschaftslehre [...] mit Grund abweisen und auf ein noch unzulängliches Auffassen der soeben aufgestellten Idee175 zurückführen lassen. Das Ich kann nicht theoretisch sein, wenn es nicht praktisch ist, das heißt strebt, und es kann nicht Streben, wenn es das Erstrebte nicht vorstellt, das heißt theoretisch ist. Der Zirkel, wonach Streben als Hinausgehen über ein Objekt dieses Objekt als vorhanden unterstellt und umgekehrt das Objekt nur für das Ich vorhanden sein kann, wenn es als strebend schon unterstellt ist, ist durch den Nachweis eines ursprünglichen Hinausgehens des Ich aus sich selbst gelöst – so Fichte. Das Ich, das qua Reflexion auf die Tathandlung ursprünglich aus sich hinausgeht, eröffnet die Möglichkeit einer Einwirkung auf es von außen. Absolutes SichSetzen und die Reflexion darauf sind beides Bedingungen der Möglichkeit einer Einwirkung des Nicht-Ich. [O]hne die erstere würde keine Thätigkeit des Ich vorhanden seyn, welche eingeschränkt werden könnte; ohne die zweite würde diese Thätigkeit nicht für das Ich eingeschränkt seyn; das Ich würde sich nicht setzen können, als eingeschränkt. So steht das Ich, als Ich, ursprünglich in Wechselwirkung mit sich selbst; und dadurch erst wird ein Einfluß von aussen in dasselbe möglich.176 Diese Wechselwirkung des Ich mit sich selbst ist Bedingung der Möglichkeit eines Anstoßes auf das Ich und damit Bedingung der Möglichkeit einer ursprüngliche[n] Wechselwirkung zwischen dem Ich, und irgend einem Etwas ausser demselben, von welchem sich weiter nichts sagen läßt, als daß es dem Ich völlig entgegengesezt seyn muß.177 Während im theoretischen Teil der Wissenschaftslehre vorausgesetzt wurde, daß ein Anstoß auf das Ich erfolgt, ohne daß gezeigt werden konnte, wie er erfolgen kann, ist jetzt das Wie des Anstoßes dargetan, sein Daß aber bleibt ein undeduzibles Faktum. Daß dies geschehe, als Faktum, läßt aus dem Ich sich schlechterdings nicht ableiten [...]; aber es läßt allerdings sich darthun, daß es geschehen müsse, wenn ein wirkliches Bewußtseyn möglich seyn soll.178 Nur was im Ich ist, ist für das Ich. Aber was im Ich ist, ist nicht allein durch das Ich im Ich. Das ursprünglich auf sein Sich-Setzen reflektierende Ich ermöglicht den Anstoß von außen, ohne dessen Faktizität es nicht wäre. Nach der so eben vorgenommenen Erörterung ist das Princip des Lebens und Bewußtseyns, der Grund seiner Möglichkeit, – allerdings im Ich enthalten, aber dadurch entsteht noch kein wirkliches Leben [...]. Soll ein solches wirkliches Leben möglich seyn, so bedarf es dazu noch eines besondern Anstoßes auf das Ich durch ein
174 175 176 177 178
GWL 414 [283]. GWL 414 [283]. GWL 409 [276]. GWL 411 [279]. GWL 408 [275]; vgl. ebd. 400 [265].
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Nicht-Ich.179 Der Begriff des Anstoßes ist notwendig widersprüchlich, weil er die durch die philosophische Reflexion als notwendig begründete Voraussetzung des Daseins des Subjekts dieser Reflexion bezeichnet, welche als begründete Voraussetzung gedachte Voraussetzung ist und also im Ich, als begründete Voraussetzung dagegen ein Etwas außer dem Ich bezeichnen soll, von welchem sich weiter nichts sagen läßt, als daß es dem Ich völlig entgegengesezt seyn muß.180 Die Einsicht in die notwendig widersprüchliche Bestimmung des Anstoßes als eines vom Ich zugleich abhängigen und unabhängigen Etwas fällt mit der in die notwendige Zirkularität der Erklärung des endlichen Geistes zusammen. Dies, daß der endliche Geist nothwendig etwas absolutes außer sich setzen muß (ein Ding an sich) und dennoch von der andern Seite anerkennen muß, daß dasselbe nur für ihn da sey (ein nothwendiges Noumen sey) ist derjenige Zirkel, den er in das Unendliche erweitern, aus welchem er aber nie herausgehen kann.181 Der Zirkel besagt, daß der Anstoß mehr ist als eine bloße Reflexionsbestimmung der theoretischen Vernunft, und er dementiert zugleich, daß dieses mehr ontologisch-metaphysische Bedeutung hat. Weil die Begründung der Notwendigkeit eines Anstoßes auf das Ich das Ich als Grundlage allen Begründens nicht transzendiert, hat das Begründete denselben ontologischen Rang wie das Begründende. Die philosophische Reflexion kann den Anstoß nicht als ontologisch-metaphysisches Prinzip fassen, denn als transzendentale Reflexion vermag sie die Immanenz des Bewußtseins nur um den Preis des Rückfalls in einen dogmatischen Transzendentismus, also gar nicht, zu überschreiten;182 sie kann den Anstoß nur in seiner Widersprüchlichkeit als denknotwendig einsehen, als etwas widersprechendes, das aber dennoch als Gegenstand einer nothwendigen Idee allem unsern Philosophiren zum Grunde gelegt werden muß, und von jeher [...] allem Philosophiren, und allen Handlungen des endlichen Geistes zu Grunde gelegen hat.183 Der naheliegenden Kritik, der Zirkel löse die Schwierigkeit in der Bestimmung des Anstoßes nicht, sondern erkläre die Einsicht in diese Schwierigkeit kurzerhand zu ihrer Lösung, kann Fichte entgegnen, daß die im Zirkel ausgedrückte doppelte Ansicht des Anstoßes als nothGWL 410f. [279]. GWL 411 [279]. 181 GWL 412 [281]. 182 Wie weit erstreckt sich denn nach Kant die Anwendbarkeit aller Kategorieen [...]? Nur über das Gebiet der Erscheinungen; so nach nur über das, was schon für uns, und in uns selbst ist. Und auf welche Weise könnte man denn zur Annahme eines vom Ich verschiedenen Etwas, als Grundes des empirischen Innhalts der Erkenntniß, kommen? Ich denke, nur durch einen Schluß vom Begründeten auf den Grund; also durch Anwendung des Begriffes der Causalität. So findet Kant selbst die Sache [...] und verwirft schon darum die Annahme an sich außer uns befindlicher Dinge. Jene Ausleger aber lassen ihn die GrundBehauptung seines Systems über die Gültigkeit der Kategorieen überhaupt, für diesesmal vegessen, und ihn durch einen beherzten Schluß aus der Welt der Erscheinungen heraus, bei dem an sich außer uns befindlichen Dinge anlangen. ZE 235f. [482]. 183 GWL 414 [283]. 179 180
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wendiges Noumen und Ding an sich in der doppelten Natur des Ich als theoretischem und praktischem begründet sei. Nur inwiefern etwas bezogen wird auf das praktische Vermögen des Ich, hat es unabhängige Realität; inwiefern es auf das theoretische bezogen wird, ist es aufgefaßt in das Ich, [...] unterworfen seinen Vorstellungsgesetzen. Aber ferner, wie kann es doch bezogen werden auf das praktische Vermögen, außer durch das theoretische, und wie kann es doch ein Gegenstand des theoretischen Vermögens werden, außer vermittelst des praktischen?184 In der Formulierung der notwendigen Zirkularität des sich selbst erklärenden endlichen Geistes spricht sich die Wissenschaftslehre als kritischer Idealismus aus, der auch als ein Ideal-Realismus oder Real-Idealismus bezeichnet werden kann.185 Realistisch ist sie insofern, als sie das Bewußtsein aus einem unabhängig von allem Bewußtsein Vorhandenen erklärt, idealistisch ist sie insofern, als ihr bewußt ist, daß sie in dieser ihr einzig möglichen Erklärung allein ihren eigenen Gesetzen unterliegt. Alles ist seiner Idealität nach abhängig vom Ich, in Ansehung der Realität aber ist das Ich selbst abhängig; aber es ist nichts real für das Ich ohne auch ideal zu seyn; mithin ist in ihm Ideal- und Realgrund Eins und ebendaßelbe [...].186 Das letzte, von allem Dogmatismus freie Wort der Wissenschaftslehre zu dem Grund allen Bewußtseins lautet: [D]er lezte Grund alles Bewußtseyns ist eine Wechselwirkung des Ich mit sich selbst vermittelst eines von verschiednen Seiten zu betrachtenden Nicht-Ich.187 Den Zirkel kann der endliche Geist nur um den Preis der Verleugnung der Vernunft und seiner Vernichtung verlassen wollen.188 Seine Auflösung zugunsten eines bloßen Idealismus ebenso wie die zugunsten eines bloßen Realismus würde Fichte zufolge in jene dogmatischen Erklärungen des empirischen Bewußtseins zurückführen, deren Unhaltbarkeit die Wissenschaftslehre nachgewiesen hat. Dies ist die negative BedeuGWL 413 [282]. Vgl. GWL 412 [281]. 186 GWL 412 [280]. 187 GWL 413 [282]. 188 Es entbehrt nicht der Ironie, wenn Schelling (1802) den Zirkel, in dem nach Fichte aller Dogmatismus negiert ist, umgekehrt als Ausdruck eines Fichteschen Dogmatismus begreift, nämlich der Prätension, wie Kant in der Sphäre der Endlichkeit zu verharren, statt zu der ungetrübten Quelle aller Philosophie, der absoluten Erkenntnißart, zurückzukehren (104). Der Widerspruch, welcher in Ansehung der Idee des Dings an sich darin liegen soll, daß es etwas für das Ich und folglich im Ich und doch zugleich nicht in ihm, sondern außer ihm seyn soll, liegt ganz allein in der letzten Prätension, welche nicht sowohl das Absolute außer dem Ich, als das Ich außer dem Absoluten halten soll. Suche das An=sich nicht außer dir oder dich außer ihm, so wird es auch unmittelbar aufhören bloß für dich zu seyn: jenes Ich, für welches das An=sich dadurch, daß es in ihm ist, nicht unabhängig von ihm, aufhört ein An=sich zu seyn und ein bloßes Noumen wird, ist selbst schon das beschränkteste, mit einem absoluten Gegensatz gesetzte, schlechthin subjektive Ich [...]. In diesem Sinne, wie es hier genommen ist, kann das An=sich gar nicht im Ich seyn, so wenig es in dem Sinn der wahren Philosophie außer ihm seyn soll. (100f.). Vgl. in dieser Arbeit den Abschnitt Zur spekulativen Aufhebung der Transzendentalphilosophie. 184 185
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tung des Zirkels. Positive Bedeutung hat er insofern, als sich in ihm die Endlichkeit der menschlichen Vernunft manifestiert. Die philosophische Reflexion muß etwas außer dem Ich annehmen, denn sie vermag die faktisch gegebene Begrenzung des wirklichen Ich nicht aus der Ichheit selbst abzuleiten, und zugleich ist ihr bewußt, daß dieses Etwas außer dem Ich nicht als Ansichsein zu fassen ist, weil es nur die erkenntnistheoretische Funktion hat, das undeduzible Element in der Erklärung des Selbst- und Weltbewußtseins zu bezeichnen, nicht aber den Grund der Existenz des Ich affirmativ zu bestimmen.189 Das, was sich nicht deduzieren läßt, weil es die Voraussetzung aller Deduktion bildet, ist aber die Wirklichkeit des Selbstbewußtseins. So bezeichnet der Anstoß innerhalb des Systems des Wissens die aus dem Systemgrund, der Ichheit, nicht ableitbare Voraussetzung des Systems, die Faktizität des endlichen Bewußtseins und mit dieser die der Welt. Er stellt somit in Wahrheit den reduzierten Rest aller welthaften Faktizität190 dar. Er bezeichnet mithin auch, daß die Selbstbegrenzung191 des absoluten Ich nicht die Selbstbegrenzung des Absoluten ist, welches bewußt die Welt aus sich setzt. Die Selbstbegrenzung des Absoluten wäre nur in einer Schöpfungstheorie darstellbar. Diese hätte zu begründen, wie aus dem Absoluten als dem Inbegriff der Realität die Zersetzung dieses Inbegriffs in eine extensionale Totalität, die existierende Welt, einerseits, und die Reflexion auf den Prozeß der Genesis dieser Welt, andererseits, notwendig folgt. Sie hätte zu zeigen, inwiefern durch die reine Tätigkeit des Sich-Setzens der Gottheit unmittelbar auch ihre objektive Tätigkeit gesetzt ist.192 Dagegen ist die Begrenzung des absoluten Ich nicht ohne die Annahme eines dem Ich Fremden zu erklären. Ihre Darstellung ist deshalb auch nicht Schöpfungstheorie, sondern eine pragmatische Geschichte des menschlichen Geistes.193 Nicht die Selbsterkenntnis des Absoluten, sondern die Erklärung des menschlichen respektive des endlichen Geistes überhaupt ist das Thema der Wissenschaftslehre.
Mit der Reduktion der Bedeutung des Dings an sich auf seine erkenntnistheoretische Funktion in der Erklärung des Bewußtseins ist Fichte zufolge dem Skeptizismus der Boden entzogen. Aller Scepticismus gründet sich lediglich auf das Suchen der Harmonie der Vorstellungen mit dem Dinge an sich, u. auf den Zweifel daran. In dieser Rücksicht ist der transc[endentale]. Idealismus entschieden dogmatisch. (Mph 213) Fichte wiederholt damit, freilich unter transzendentalphilosophischen Voraussetzungen, ein Argument Berkeleys: Dies [...] ist der gerade Weg zum Skeptizismus; denn solange man der Meinung war, daß reale Dinge außerhalb des Geistes existieren, und daß ihrer Erkenntnis nur insoweit Realität zukomme, als sie realen Dingen konform sei, mußte folgen, daß es uns nicht gewiß sein könne, daß wir irgendeine reale Erkenntnis überhaupt besitzen. Denn wie kann erkannt werden, daß die Dinge, welche perzipiert werden, jenen anderen konform sind, welche nicht perzipiert werden oder außerhalb des Geistes existieren? (1710), 73. 190 Schulz (1962), 344. 191 GWL 356 [212]. 192 Vgl. GWL 398 Anm. [263 Anm.]. 193 GWL 365 [222]. 189
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Der praktische Teil der Grundlage macht vollends deutlich, daß die drei ersten Grundsätze von einer philosophischen Reflexion aufgestellt werden, die das Bewußtsein endlicher Vernunftwesen erklären will und keinen Anspruch erhebt auf die Darstellung Gottes [...], wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist.194 Wir sagten: das Bewustseyn endlicher Naturen läßt sich nicht erklären, wenn man nicht eine unabhängig von denselben vorhandne Kraft annimmt. – Für Wen läßt es sich nicht erklären? und für Wen soll es erklärbar werden? Wer überhaupt ist es denn, der es erklärt? Die endlichen Naturen selbst.195 Ähnlich wie Kant, der einen intuitiven göttlichen Verstand als Negation unseres diskursiven menschlichen Verstandes einführt, um die Eigentümlichkeit des menschlichen Verstandes schärfer hervortreten zu lassen,196 bemüht Fichte das Bewußtsein der Gottheit, um im Kontrast dazu die Eigentümlichkeit der Vernunft endlicher Naturen, das heißt der endlichen Vernunft, herauszustellen. ([...] Für die Gottheit, d. i. für ein Bewustseyn, in welchem durch das bloße Geseztseyn des Ich alles gesezt wäre (nur ist für uns der Begriff eines solchen Bewustseyns undenkbar) würde unsre Wissenschaftslehre keinen Gehalt haben, weil in einem solchen Bewustseyn gar kein anderes Setzen vorkäme, als das des Ich; aber formale Richtigkeit würde sie auch für Gott haben, weil die Form derselben die Form der reinen Vernunft selbst ist.)197 Bezeichnend ist, wie Fichte in diesem Zusammenhang den zweiten Grundsatz der Wissenschaftslehre charakterisiert: Im zweiten Grundsatze ist nur einiges absolut; einiges aber sezt ein Faktum voraus, das sich a priori gar nicht aufzeigen läßt, sondern lediglich in eines Ieden eigner Erfahrung./ Ausser dem Setzen des Ich durch sich selbst soll es noch ein Setzen geben. Dies ist a priori eine bloße Hypothese; daß es ein solches Setzen gebe, läßt sich durch nichts darthun, als durch ein Faktum des Bewußtseyns, und jeder muß es sich selbst durch dieses Faktum darthun; keiner kann es dem andern durch Vernunftgründe beweisen.198 Daß es neben dem Sich-Setzen noch ein Entgegensetzen gibt, ist insofern a priori eine bloße Hypothese, als es nicht aus dem Sich-Setzen selbst folgt. Zwar gilt: Es ist das Ich selbst, das im Ich dem Ich ein Nicht-Ich entgegensetzt, das Nicht-Ich setzt sich nicht etwa selbst dem Ich im Ich entgegen. Deshalb ist die Form der Handlung des Entgegensetzens eine schlechthin mögliche, unter gar keiner Bedingung stehende [...] Handlung.199 Aber sie ist nicht, mit Hegels Ausdruck, selbst ein Moment des Sich-Setzens. Das Sich-Setzen ist nicht an ihm selbst Entgegensetzen, oder die Form des Gegensetzens [ist] in der Form des
Hegel, Sein 34. Dennoch ist das absolute Ich immer wieder und schon zu Lebzeiten Fichtes mit dem Absoluten selbst identifiziert worden. Vgl. Gloy (1984), 290ff. 195 GWL 412 [281]. Die Endlichkeit ver[nünftiger]. Wesen besteht darin, daß sie erklären müßen. WLnmK 383. 196 Vgl. KdU B 349. 197 GWL 390f. [253]. 198 GWL 390 [252]. 199 GWL 265 [102]. 194
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Setzens so wenig enthalten [...], daß sie ihr vielmehr selbst entgegengesezt ist.200 Daß es noch eine andere Form des Setzens als die des Sich-Setzens gibt, kann jeder nur durch seine eigene Erfahrung sich darthun,201 es ist a priori ungewiß; daß es aber, wenn es sie gibt, die des Entgegensetzens sein muß, ist a priori gewiß. Daraus ergeben sich Fichte zufolge Konsequenzen für die gesamte Wissenschaftslehre. [S]ie stellt lediglich solche Sätze auf, die a priori gewiß sind; Realität aber erhält sie erst in der Erfahrung.202 Die Erfahrung, die Fichte hier anführt, ist zwar nicht unmittelbar die des natürlichen Bewußtseins, wohl aber eine, die das natürliche Bewußtsein bei der flüchtigsten Selbstbeobachtung203 macht. Jeder, der seine Aufmerksamkeit auf sich selbst lenkt, macht die Erfahrung, daß er sich seiner selbst und des Daseins der Dinge bewußt ist, sich selbst und von ihm Unterschiedenes vorstellt, in der Sprache der Wissenschaftslehre: sich selbst (Ich) setzt und sich etwas entgegensetzt. Wer diese Erfahrung nicht zugäbe, mit dem könnte die WißenschaftsLehre nichts anfangen,204 denn entweder leugnete er wider besseres Wissen oder er wäre anders beschaffen als andere Menschen.205 Fichte führt diese Erfahrung hier, in der Grundlage, nur en passant und im letzten, dem praktischen Teil an. In der Darstellung nova methodo bildet sie den Ausgangspunkt. In beiden Fällen aber geht es darum, daß die Wissenschaftslehre an irgend etwas anknüpfen muß, das Jedermann zugiebt,206 wenn sie die notwendigen Handlungsweisen des menschlichen Geistes ins Bewußtsein heben will. Einen Gehalt (Inhalt) hat die Wissenschaftslehre nur für endliche Vernunftwesen, das heißt für solche, deren Selbstbewußtsein durch die Erfahrung einer unabhängig von ihrem Zutun vorhandenen Welt bedingt ist. Nur endliche Vernunftwesen bedürfen einer Erklärung ihres Selbst- und Weltbewußtseins, denn nur sie haben ein Bewußtsein der Kontingenz alles Wirklichen, welches die Frage nach seinem Grund allererst motiviert. Man sucht nur den Grund von zufälligen Dingen.207 Für die Gottheit hätte die Wissenschaftslehre zwar formale Richtigkeit insofern, als ihre Deduktionen den vorauszusetzenden Gesetzen der Logik entsprechen, aber keinen Gehalt oder keine objektive Gültigkeit, weil das unendliche Vernunftwesen keine Erfahrung hat, die es sich erklären können müßte.208 Und so ist denn die Wissenschaftslehre a priori möglich, ob sie gleich auf Objekte gehen soll. Das Objekt ist nicht a priori, sondern es wird ihr erst in der Erfahrung gegeben; die objektive Gültigkeit liefert jedem sein eignes Bewustseyn des Objekts, welches Bewustseyn sich a priori nur postuliren, GWL 265 [102]. GWL 390 [252f.]. 202 GWL 390 [253]. 203 EE 186 [422]. 204 WLnmK 327. 205 EE 186 [423]. 206 WLnmK 327. 207 WLnmK 331. 208 Kein Gott philosophiert oder begehrt weise zu werden, sondern ist es [...]. Platon, Symposion 204 a. 200 201
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nicht aber deduciren läßt.209 Das Gegebensein des Objekts in der Erfahrung darf nicht im Sinne des Kantischen Dualismus von apriorischen Bedingungen der Erkenntnis und empirisch Gegebenem gelesen werden, denn dieser Dualismus ist in der Wissenschaftslehre überwunden. Kant zufolge ist diejenige Vorstellung (Begriff, Anschauung) a priori, die nicht auf der Affektion der Sinne beruht, wogegen diejenige Vorstellung, die darauf beruht, a posteriori ist. Kants Entgegensetzung des Apriorischen und Aposteriorischen gründet in der Entgegensetzung des spontanen Verstandes und der rezeptiven Sinnlichkeit als heterogener Stämme unserer gegenständlichen Erkenntnis. Dabei ist die Rezeptivität der Sinnlichkeit das Vermögen des Subjekts, durch gegenständliche Affektion seiner Sinne Empfindungen zu erleiden. Kant übernimmt mit dieser Bestimmung der Sinnlichkeit zunächst unkritisch ein Lehrstück des Empirismus, um dann Raum und Zeit als deren apriorische Formen und spezifisch transzendentalphilosophische Bestimmungen zu fassen.210 Weil Raum und Zeit Formen der derart vorausgesetzten Sinnlichkeit sind, hebt deren Apriorität die Heterogenität von Verstand und Sinnlichkeit nicht auf. Kants Dualismus scheitert daran, daß er die apriorischen Formen, die doch allein zur transzendentalen Subjektivität rechnen, mit dem empirisch Gegebenen, welches auf der Empfindung des empirischen Subjekts beruht und mithin dessen empirisch faßbares Sensorium voraussetzt, innerhalb des transzendentalen Konstitutionssystems vermitteln muß, aber nicht vermitteln kann.211 Insofern Kant zufolge das Apriori und das Aposteriori den verschiedenen Ursprung von Vorstellungen bezeichnen, ist ihr Gegensatz nicht aufhebbar. Dasjenige, was a priori ist, kann unmöglich zugleich auch a posteriori sein. Die Aufhebung des Gegensatzes von Apriorischem und Aposteriorischem hätte die Aufhebung des Gegensatzes von Verstandesspontaneität und rezeptiver Sinnlichkeit zur Voraussetzung, mithin deren Rückführung auf eine gemeinschaftliche[..] Wurzel. Eine solche ist uns aber nach Kant unbekannt[..].212 Für Fichte ist sie dagegen kein Geheimnis. Sie besteht in der Ichheit, aus der nicht nur die Verstandesbegriffe, sondern auch die Formen der Sinnlichkeit Raum und Zeit sowie Empfindung und Gefühl abzuleiten sind.213 Das Ich ist seinem Wesen nach Tätigkeit, und in ihm ist nichts, was es nicht GWL 390 [253]. Vgl. etwa KrV B 60: Raum und Zeit sind die reinen Formen derselben [unserer Sinnlichkeit], Empfindung überhaupt die Materie. Jene können wir allein a priori, d. i. vor aller wirklichen Wahrnehmung erkennen, und sie heißt darum reine Anschauung; diese aber ist das in unserem Erkenntnis, was da macht, daß sie Erkenntnis a posteriori, d. i. empirische Anschauung heißt. Jene hängen unserer Sinnlichkeit schlechthin notwendig an, welcher Art auch unsere Empfindungen sein mögen; diese können sehr verschieden sein. 211 Vgl. in dieser Arbeit das Kapitel Die Irreflexivität der Transzendentalphilosophie Kants. 212 KrV B 29. 213 Kant erweist die Idealität der Objekte aus der vorausgesezten Idealität der Zeit, und des Raumes: wir werden [im Grundriß des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre] umgekehrt die Idealität der Zeit und des Raums aus der erwiesenen Idealität der Objecte erweisen. Er bedarf idealer Objekte, um Zeit und Raum zu füllen; wir bedürfen der Zeit und des Raums, um die idea209 210
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II. FICHTE
selbst setzt. Sein Leiden kann deshalb nicht als Nicht-Tätigkeit, als passives Empfangen von Eindrücken infolge gegenständlichen Einwirkens auf die Sinne bestimmt werden, sondern nur als Zustand des Ich, der als Einheit von Hemmung und Wiederherstellung seiner eigenen Tätigkeit des Strebens verfaßt ist.214 Diesen Zustand nennt Fichte Gefühl. Die Aeusserung des Nicht-könnens im Ich heißt ein Gefühl. [...] [I]ch fühle, bin leidend, und nicht thätig; es ist ein Zwang vorhanden.215 Das Gefühl ist als ein Zustand des Ich ein Bewußtseinsphänomen, eine Vorstellung und somit lediglich subjektiv.216
4. Die Struktur des Begehrungsvermögens und der Begriff der Natur Fichte entwickelt seine Lehre vom Gefühl (und Trieb) in den Schlußparagraphen der Grundlage als systematische Abfolge der Bedingungen des Fürsichwerdens des praktischen Vermögens, also des Strebens.217 Er will zeigen, daß das System unsrer Vorstellungen, von unserm Triebe, und unserm Willen abhänge.218 Das System der Vorlen Objekte stellen zu können. Daher geht unser Idealismus [...] um einige Schritte weiter, als der seinige. GWL 335 Anm. [186 Anm.]. – Weil und insofern Fichte die Formen der Anschauung aus der Einen Vernunft ableitet und nicht wie Kant als in der empirisch faßbaren Sinnlichkeit von uns Menschen enthalten sieht, gelten diese Formen auch nicht nur für uns, sondern für alle endlichen Vernunftwesen. Kant will die Form der Anschauung nur so für Menschen gelten lassen [...], die die W L aber für alle vernünftige Wesen gelten läßt. Dieses kommt daher, weil er die Form der Anschauung nicht deduciren konnte. Mph 360. Vgl. Pippin (1989), 52ff. 214 Vgl. GWL 401 [266]. 215 GWL 419 [289]. Schon Berkeley (1710; 40) unterscheidet in diesem Sinne zwischen freien und notwendigen Vorstellungen und erklärt die notwendigen Vorstellungen nicht aus dem Einwirken äußerer Dinge, sondern aus der Tätigkeit des Geistes – freilich des ewigen Geistes Gottes: Aber was für eine Macht ich auch immer über meine eigenen Gedanken haben mag, so finde ich doch, daß die Ideen, die ich gegenwärtig durch die Sinne wahrnehme, nicht in einer gleichen Abhängigkeit von meinem Willen stehen. Wenn ich bei vollem Tageslicht meine Augen öffne, so steht es nicht in meiner Macht, ob ich sehen werde oder nicht, noch auch, welche einzelnen Objekte sich meinem Blick darstellen werden, und so sind gleicherweise auch beim Gehör und den anderen Sinnen die ihnen eingeprägten Ideen nicht Geschöpfe meines Willens. Es gibt also einen anderen Willen oder Geist, der sie hervorbringt. 216 GWL 419 [289]. 217 Vgl. Heimsoeth (1923); ausführlich Jacobs (1967); Baumanns (1972) gibt eine Skizze, Schrader (1972) rekurriert auf die Gefühlslehre im Zusammenhang seiner Erörterung des Begriffs des Lebens bei Fichte; Claesges (1974) stellt vor allem auf die Methodik der Darstellung ab; Soller (1984) diskutiert die Trieblehre der Grundlage unter Einbeziehung der bereits an der Darstellung nova methodo orientierten späteren Jenaer Schriften, wobei er die Unterschiede als bloße Akzentverschiebungen begreift (4). Gegen letzteres allgemein Cesa (1990; 479). Lohmann (2004) verfolgt Fichtes Lehre vom Gefühl von ersten Ansätzen in den Jugendschriften bis zur Wissenschaftslehre von 1801. 218 GWL 424 [295].
C. Die Einheit der Vernunft
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stellungen ist das Bewußtsein als systematische Einheit der das Vorstellen (Anschauen, Wahrnehmen, Denken) ermöglichenden Handlungen des Ich. Es ist als solches abhängig vom praktischen Vermögen. Der Gedanke ist nicht neu, schon der erste Abschnitt des praktischen Teils der Wissenschaftslehre hatte dargetan, daß ohne ein Streben, überhaupt kein Objekt möglich sey.219 Neu ist die systematische Darstellung der immanenten Verfaßtheit des praktischen Vermögens selbst, die Entwicklung des Systems der Triebe,220 mit der Fichte Einheit, und Zusammenhang in den ganzen Menschen221 bringen möchte. Der ganze Mensch ist mehr als das erkennende Subjekt, das als solches transzendentalphilosophisch auf ein Funktionsorgan der transzendentalen Einheit der Apperzeption reduziert werden kann und von Kant auch reduziert wird.222 Der ganze Mensch ist auch Sinnenwesen, fühlendes und empfindendes Ich. Indem Fichte die sinnliche Seite des Menschen unter dem Titel der Praktischen Philosophie transzendentalphilosophisch bestimmt, verändert er gegenüber Kant den Charakter der Praktischen Philosophie grundlegend. Sie ist jetzt nicht nur, anders als bei diesem,223 integraler Bestandteil der Transzendentalphilosophie, sie geht auch weit über den ihr von Kant zugewiesenen Bereich der Moral und des Rechts hinaus.224 Als transzendentalphilosophische Bestimmung nicht nur des oberen, sondern auch des unteren Begehrungsvermögens, stellt sie die Genese wirklichen Selbstund Weltbewußtseins in ihren ›Grundbegriffen225 dar, nämlich als Genese seiner Vermögen. Fichte zufolge darf die Philosophie weder eine Pluralität von Vermögen bloß coordinirt226 aufstellen noch sich Definitionen von Vermögen durch andere Wissenschaften vorgeben lassen. Das richtet sich gegen Kant, dessen kritische Philosophie in drei Kritiken mit je eigenen Prinzipien zerfällt und dessen praktische Philosophie zugegebenermaßen Bestimmungen des unteren Begehrungsvermögens aus der Psychologie entlehnt.227 Insbesondere im Hinblick auf das untere Begehrungsvermögen hinterläßt Kant ein ganz wüstes Feld, wo noch garnicht vorgearbeitet ist und in das Ordnung gebracht [...]228 werden muß. Nach Fichte ist Philosophie systematische Geschichte des menschl. Geistes in seinen allgemeinen Handlungsweisen.229 Als solche muß sie alle Vermögen aus einem einheitlichen Prinzip systematisch entwickeln. GWL 399 [262]. GWL 449 [327]. 221 GWL 424 [295]. 222 Vgl. dazu in dieser Arbeit den Abschnitt Transzendentales und empirisches Ich. 223 Vgl. KrV B 508. 224 Das hat Siemek wiederholt herausgestellt (1979; 1981; 1984). 225 WLnmH 262: In die Grundlage gehören nur die Grundbegriffe, nicht alles was im Bewußtseyn vorkömmt, u. so haben wir es auch gethan. Es muß sich aber alles was im Bewußtseyn ist, durch Analyse der in der Grundlage enthaltenen Grundbegriffe, finden laßen. 226 Vgl. Fichtes Brief an Reinhold vom 28. April 1795 (Briefe a 314). 227 KpV A 16 Anm. 228 P. Ph. 233. 229 GuB 334. 219 220
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II. FICHTE
In praktischer Hinsicht obliegt ihr damit nichts Geringeres als die Darstellung der logischen Struktur des Begehrungsvermögens, denn: Es giebt immer nur etwas logisches; aber nie etwas empirisch-ästhetisches. Kant geht über diese Dinge weg; wie der Hahn über die Kohlen.230 Die Gefühlslehre hebt an mit formellen Bestimmungen des praktischen, strebenden Ich. Im Begriff des Strebens liegt der des Gegenstrebens, denn das Streben ist bestimmt als verhinderte Kausalität.231 Als Ursache, die nicht Ursache ist, ist das Strebende ein bestimmtes Quantum Tätigkeit oder Kraft, welche durch ein gleich großes Quantum entgegenstrebender Kraft begrenzt ist. Die entgegengesetzten strebenden Kräfte sind derart im Gleichgewicht, und keine von beiden Kräften hat Kausalität.232 Diese Bestimmungen der philosophischen Reflexion sind dem Ich äußerlich. Sie müssen demnach erwiesen werden als im Ich selbst gründende und für das Ich seiende, und da nichts für das Ich ist, was es nicht selbst in sich setzt, muß gezeigt werden, was im Ich, und durch das Ich gesezt werde, indem233 sie gesetzt werden. Zeigen, was im Ich durch das Ich gesetzt werde, heißt aber noch nicht zeigen, was im Ich, durch das Ich und für das Ich gesetzt werde. Wie schon für den Abschnitt Deduktion der Vorstellung muß auch für die Gefühls- und Trieblehre der Unterschied der beiden Reihen der Darstellung berücksichtigt werden. Es ist zu unterscheiden zwischen Bestimmungen, die nur in und für die philosophische Reflexion sind und solchen, die im untersuchten Ich selbst gründen; und infolgedessen ist auch zu unterscheiden zwischen dem, was für die philosophische Reflexion im untersuchten Ich ist und dem, was für das Ich selbst in ihm ist. Daß demnach etwas durch das Ich im Ich sein kann, ohne für das Ich zu sein, verweist darauf, daß es notwendige, das wirkliche Selbstbewußtsein konstituierende Handlungen des Ich gibt, die aber nicht für das wirkliche Ich, sondern nur für die philosophische Reflexion sind. Das Streben ist durch Gegenstreben verhinderte Kausalität. Soll diese als solche bestimmt werden, so kann sie nur als nicht auf das Gegenstrebende, sondern nur als P. Ph. 184f. Daß durch diese Logifizierung des Begehrungsvermögens zuletzt die Emotionen ihren Weg in die moralische Entscheidung finden und sich auf das beste mit der praktischen Vernunft [verbinden], weil sie nicht mehr ausschließlich auf das Empirische bezogen sind, sondern sich in ein Produkt der Selbstbestätigung des Ich verwandelt haben [...], ist die These von López-Domínguez (1997), welche die Notwendigkeit, das Gefühl in die Genese der Rationalität einzubeziehen [...], in einer bestimmten religiösen Haltung Fichtes begründet sieht (214f.). Die Haltung eines Philosophen wird kaum die Notwendigkeit seiner Argumentation begründen können. Daß sich aber Emotionen und moralisch-praktische Vernunft auf das beste miteinander verbinden, ist ein Urteil, das allzu schnell über die Konsequenzen hinwegsieht, die diese Verbindung für den einzelnen, der allein zu Emotionen fähig ist, hat, indem sie ihn zum Werkzeug, und Vehikul des Sittengesetzes (SL 210 [231]) macht. Die gänzliche Vernichtung des Individuum, und Verschmelzung desselben in die absolut reine Vernunftform oder in Gott, ist allerdings letztes Ziel der endlichen Vernunft; nur ist sie in keiner Zeit möglich. SL 142 [151]. 231 Vgl. GWL 404 [270]. 232 Vgl. GWL 417 [287]. 233 GWL 418 [288]. 230
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in sich zurückgehende, sich selbst produzierende gefaßt werden. Ein sich selbst producirendes Streben aber, das festgesezt, bestimmt, etwas gewisses ist, nennt man einen Trieb.234 Bestimmt und gewiß ist der Trieb so nur für die philosophische Reflexion, nicht für das Ich selbst. Daß der Trieb nur für die philosophische Reflexion im Ich gründet, bedeutet, daß die philosophische Reflexion das Ich bislang nicht anders auffaßt als einen elastischen Körper. Auch der elastische Körper ist bestimmt und gewiß, das heißt begrenzt, und zwar für einen Beobachter außer ihm, nicht für sich selbst. Die Bestimmtheit des Ich ist analog der einer elastischen Kugel, die durch einen anderen Körper eingedrückt ist.235 Auch dieser schreibt der Beobachter den Trieb zu, nämlich ein unmittelbares Streben zur Kausalität auf sich selbst, die aber wegen des widerstrebenden Körpers keine Kausalität hat. Aber das Ich, eben darum, weil es ein Ich ist, hat auch eine Kausalität auf sich selbst; die, sich zu setzen, oder die Reflexionsfähigkeit.236 Das Ich strebt die Unendlichkeit auszufüllen; zugleich hat es das Gesez, und die Tendenz über sich selbst zu reflektiren. Es kann nicht über sich reflektiren, ohne begrenzt zu seyn, und zwar, in Rüksicht des Triebes, ohne durch eine Beziehung auf den Trieb begrenzt zu seyn.237 Das Ich, das Fichte hier anführt, ist das absolute Ich, dessen Tätigkeit er schon weiter oben nicht mehr als Sich-Setzen oder In-sichZurückgehen, sondern als ein uneigentliches Streben bezeichnet hat.238 Indem er dem absoluten Ich zugleich die Tendenz zur Selbstreflexion zuschreibt, faßt er es als Indifferenzpunkt zweier Tätigkeiten, welche durch den Anstoß auf das Ich aus ihrer Indifferenz heraustreten als reale und ideale Tätigkeit. Das ursprüngliche Streben des Ich ist als Trieb, als lediglich im Ich selbst begründeter Trieb betrachtet, ideal, und real zugleich. Die Richtung geht auf das Ich selbst, es strebt durch eigne Kraft; und auf etwas ausser dem Ich: aber es ist da nichts zu unterscheiden. Durch die Begrenzung, vermöge welcher nur die Richtung nach aussen aufgehoben wird, nicht aber die nach innen, wird jene ursprüngliche Kraft gleichsam getheilt: und die übrigbleibende in das Ich selbst zurükgehende ist die ideale.239 Claesges sieht in dieser Bemerkung zu Recht eine Bestätigung seiner These, daß das absolute Ich als Indifferenz von idealer und realer Tätigkeit aufzufassen sei.240 Allerdings ist Fichtes Darstellung und Claesges’ Interpretation mit der Bestimmung des absoluten Ich im ersten Teil der WissenGWL 418 [287]. Vgl. GWL 422 [292]. 236 GWL 423 [293]. 237 GWL 419 [288]. 238 Das absolute Ich ist schlechthin sich selbst gleich: alles in ihm ist Ein und ebendasselbe Ich [...]; es ist da nichts zu unterscheiden [...]. – Es strebt, (welches [...] nur uneigentlich in Rüksicht auf eine künftige Beziehung [nämlich auf den Anstoß] gesagt wird) kraft seines Wesens sich in diesem Zustande zu behaupten. GWL 399f. [264 f.]. 239 GWL 423 [294]. 240 Claesges (1974), 113. Claesges weist richtig darauf hin, daß Fichte zu Unrecht das ursprüngliche Streben als Trieb bezeichne, da unter dem Streben hier die unendliche, von keinem Anstoß begrenzte Tätigkeit des Ich gemeint sei, wohingegen der Begriff des Triebes die Begrenzung enthalte. 234 235
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schaftslehre nicht vereinbar. Ist das Ich als Tathandlung frei von allem Unterschied, kann es nicht im nachhinein als in sich unterschieden gefaßt werden. Als rein positive Einheit kann das Ich nicht Indifferenz Unterschiedener sein, als welche es vielmehr durch die Negation ihres Negativen, der Differenz, bestimmte Einheit wäre.241 Fichtes Darstellung ist auch mit dem Verweis auf das Resultat des ersten Teils der praktischen Wissenschaftslehre, in dem das Ich als Einheit von der Richtung nach unterschiedenen Tätigkeiten bestimmt ist, nicht zu rechtfertigen, denn gegen die diesem Resultat zugrunde liegende Argumentation erheben sich dieselben Einwände. Wenn das Wesen des absoluten Ich, wie Claesges meint, sich gar nicht anders als schon im Hinblick auf den Anstoß bestimmen242 läßt, dann muß dies Konsequenzen für die Darstellung des absoluten Ich im ersten Paragraphen der Wissenschaftslehre haben. Der Trieb, der die Begrenztheit des Ich zunächst nur für die philosophische Reflexion anzeigt, muß auch für das Ich selbst sein, wenn dieses nicht mit der elastischen Kugel verwechselt werden soll. Das Ich muß seine Begrenztheit selbst setzen (vorstellen). Im Unterschied zur Kugel eignet ihm die Tendenz oder die Fähigkeit zur Reflexion auf sich selbst. Das Ich hat zufolge des ersten Teils der praktischen Wissenschaftslehre das Princip des Lebens, und des Bewußtseyns lediglich in sich selbst [...], oder es hat das Princip in sich [...], über sich selbst zu reflektiren.243 Reflexion ist nur möglich auf Begrenztes. Das Ich kann nicht über sich reflektiren, ohne begrenzt zu seyn [...].244 Die Bedingung der Begrenztheit des Ich ist aber mit dem Trieb gegeben, infolgedessen folgt aus dem Triebe [...] nothwendig die Handlung der Reflexion des Ich auf sich selbst.245 Der Trieb bestimmt das Ich, genauer: dessen ideale Tätigkeit, zur Reflexion auf sich selbst, durch welche Reflexion das Ich sich als begrenzt setzt für sich selbst. Das Ich ist damit nicht mehr nur durch und für die philosophische Reflexion als begrenzt gesetzt, sondern durch und für sich selbst. Aber diese Reflexion ist ihm nicht bewußt, weil es seines Handelns unmittelbar sich nie bewußt wird.246 Die Handlung der Selbstreflexion des Ich ist nur für den Philosophen. Die Reflexion tritt nicht als bewußte Tätigkeit zu dem unbewußten Trieb hinzu, sondern sie ist selbst vorbewußtes Element des Triebs. Das Ich ist damit für sich selbst begrenzt, aber das Für sich zeigt nur die Reflexivität des Lebendigen an, nicht die des Selbstbewußtseins. Das Ich ist zwar als Ich[] da, aber nur für einen möglichen Beobachter,247 nicht für sich selbst. Für diesen Beobachter ist es ist als lebendiges unterschieden vom leblosen Körper.248 Damit ist die Grenze
241 242 243 244 245 246 247 248
Vgl. in dieser Arbeit die Kapitel Theoretische Vernunft und Praktische Vernunft. Claesges (1974), 104. GWL 406f. [274]. GWL 419 [288]. GWL 423 [293]. GWL 424 [295]. GWL 424 [295]. GWL 424 [295].
C. Die Einheit der Vernunft
277
vom Toten zum Lebendigen, aber noch nicht die vom Lebendigen zur Intelligenz überschritten. Das Ich weiß sich nicht als begrenzt, sondern es fühlt sich nun begrenzt [...],249 und daß es sich fühlt, ist ebenso nur für den Beobachter, nicht für es.250 Das Gefühl ist die Äußerung eines Nicht-Könnens, nicht etwa die eines Nicht-Wollens im Ich. Das Ich ist für sich nur begrenzt, weil und insofern es nicht begrenzt sein will. Das Nicht-Können impliziert ein Weiterstreben. Was nichts weiter will, bedarf, umfaßt, das ist – es versteht sich, für sich selbst – nicht eingeschränkt.251 Das Weiterstreben, ohne welches das Gefühl des Nicht-Könnens, des Zwangs, nicht wäre, äußert sich im Ich als eine innere treibende Kraft, welche aber, da gar kein Bewußtseyn des Ich, mithin auch keine Beziehung darauf möglich ist, bloß gefühlt wird.252 Das Bewußtsein des Weiterstrebens kann nicht in das Ich selbst fallen, da es bislang nur als lebendiges, nicht als Intelligenz bestimmt ist, es fällt in die philosophische Reflexion. Im Ich selbst äußert sich sein Weiterwollen als Gefühl der Kraft. Fichte hat damit das Prinzip allen wirklichen Lebens abgeleitet. Kraftgefühl ist das Princip alles Lebens.253 Als Prinzip allen wirklichen Lebens muß es von dem im fünften Paragraphen aufgestellten Princip des Lebens, und des Bewußtseyns254 unterschieden werden. Dieses ist nur der Grund der Möglichkeit des Lebens, durch es allein entsteht noch kein wirkliches Leben;255 jenes dagegen liegt allem wirklichen Leben zugrunde. Das Prinzip des Lebens (und Bewußtseins) ist dem wirklichen Leben entgegengesetzt, das Kraftgefühl nicht.256 Das Ich fühlt die innere Kraft als etwas, was es aus sich, über seine Begrenztheit hinaus treibt. Der Trieb muß wirken, denn die gänzliche Vernichtung der Tätigkeit des Ich würde seinem Charakter widerstreiten.257 Weil er auf die reale Tätigkeit des Ich nicht wirken kann, wirkt er auf die ideale. Er bestimmt die ideale Tätigkeit nicht nur, wie gezeigt, zur Selbstreflexion des Ich, sondern auch zur Produktion eines Objekts. Es geht demnach die ideale Thätigkeit hinaus, und sezt etwas, als Objekt des Triebes; als dasjenige, was der Trieb hervorbringen würde, wenn er Kausalität hätte.258 Die Produktion des Objekts durch das Ich ist ebenso wie dessen Selbstreflexion eine vorbewußte, und zwar theoretische Handlung des Ich, die in einer gleichfalls vorbewußten, aber praktischen, dem Trieb, gründet. Weil sie vorbewußt ist, entsteht durch sie weder ein Gefühl noch eine Anschauung des Objekts des Triebs, sondern es wird GWL 426 [297]. Erst im Selbstgefühl (GWL 432ff. [305ff.]) ist das Ich auch für sich als fühlendes vorhanden, wobei es Fichte hier aber an Klarheit fehlen läßt. 251 GWL 419 [289]. 252 GWL 424 [295]. 253 GWL 425 [296]. 254 GWL 406 [274]. 255 GWL 410f. [279]. 256 Vgl. Schrader (1972), 53-65. 257 Vgl. GWL 426 [298]. 258 GWL 425 [296]. 249 250
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hier dadurch nur erklärt, wie das Ich sich fühlen könne, als getrieben nach irgend etwas unbekannten.259 Daß das Sich-Begrenzt-Setzen des Ich einhergeht mit der Produktion eines Objekts, ist so nur für die philosophische Reflexion, nicht für das Ich. Sie muß aber auch für das Ich sein, denn die bloße Begrenztheit des Ich käme einer gänzlichen Vernichtung seiner Tätigkeit gleich, die seinem Wesen widerspräche.260 Das Ich muß deshalb seine Tätigkeit, und zwar für sich,261 wiederherstellen. Es tut dies durch absolute Spontaneität [...], ohne allen besondern Antrieb.262 Die Handlung, durch die es seine Tätigkeit spontan wiederherstellt, ist eine der idealen Tätigkeit, sie geht daher notwendig auf ein Objekt, und weil sie lediglich vom Ich selbst abhängt, liegt ihr Objekt im Ich selbst. Im Ich ist bislang aber nur das Gefühl gesetzt, demnach geht sie auf das Gefühl. Sie geht auf das Gefühl, d.h. zuförderst, auf das in der vorhergegangenen Reflexion, die das Gefühl ausmachte, reflektirende. – Thätigkeit geht auf Thätigkeit; das in jener Reflexion reflektirende, oder, das fühlende wird demnach gesezt als Ich; die Ichheit des in der gegenwärtigen Funktion reflektirenden, das als solches gar nicht zum Bewußtseyn kommt, wird darauf übertragen.263 Das Lebendige, Fühlende, wird nur insofern als Ich bestimmt (gesetzt, vorgestellt), wie es bloß durch den Trieb, [...] demnach durch sich selbst zum Fühlen bestimmt ist, d.i. lediglich inwiefern es sich selbst, und seine eigne Kraft in sich selbst fühlt.264 Aus der absolut spontanen Reflexion des Ich auf das Gefühl folgt das Bewußtsein des Ich. Die Grenze zwischen bloßem Leben, und zwischen Intelligenz ist damit durch einen Sprung, nicht durch einen Uebergang265 überwunden. Das Ich ist jetzt gesetzt als Fühlendes und Gefühltes. Das Fühlende ist als Reflektierendes tätig und das Gefühlte als Objekt der Reflexion leidend; als sich getrieben fühlend ist das Fühlende dagegen leidend und das Gefühlte, der Trieb, tätig. Das Fühlende ist demnach gesetzt als zugleich tätig und leidend, und ebenso ist das Gefühlte gesetzt als in der gleichen Beziehung tätig und leidend. Dieser Widerspruch wird entschärft, indem unterschieden wird, was für das in der gegenwärtigen Funktion reflektierende Ich ist und was allein für die philosophische Reflexion ist. Das fühlende ist thätig in Beziehung auf das gefühlte; und in dieser Rüksicht ist es nur thätig.266 Daß es zur Reflexion getrieben, durch den Trieb zur Reflexion bestimmt wird und insofern leidend ist, fällt nicht in das reflektierende Ich, sondern ist nur für den Beobachter. Für sich ist das Ich leidend in anderer Hinsicht, nämlich insofern es durch den Trieb nach außen bestimmt wird, durch ideale Tätigkeit (Reflexion) ein Objekt zu produzieren. Daß es in dieser Produktion zugleich tätig ist, ist wiederum 259 260 261 262 263 264 265 266
GWL 425 [296f.]. Vgl. GWL 426 [298]. GWL 426 [298]. GWL 427 [298]. GWL 427 [299]. GWL 427f. [299]. GWL 427 [298]. GWL 428 [300].
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nicht für es, sondern nur für den Beobachter. Derselbe Widerspruch besteht hinsichtlich des Gefühlten, und er wird auf dieselbe Weise geschlichtet. Auch das Gefühlte ist tätig und leidend zugleich. Es ist thätig durch den Trieb auf das reflektirende zur Reflexion.267 Aber das Getriebensein des Reflektierenden zur Reflexion ist nicht für es selbst, sondern nur für den Beobachter. Leidend ist das Gefühlte als Objekt der Reflexion, aber auch dies ist nicht für es, sondern für den Beobachter. Für es selbst ist das Ich leidend gesetzt in einer andern Beziehung; nemlich inwiefern es begrenzt ist, und insofern ist das begrenzende ein Nicht-Ich.268 Demnach gilt: Für sich ist das Ich in Beziehung auf das Nicht-Ich immer leidend.269 Weil es seiner Tätigkeit der Reflexion nicht bewußt ist,270 fühlt es sich begrenzt durch ein Nicht-Ich. Für die philosophische Reflexion ist das Nicht-Ich Produkt der Tätigkeit des Ich; ihr ist bewußt: Das Ich fühlt seine eigene Tätigkeit, es fühlt nur sich selbst. Daher scheint die Realität des Dinges gefühlt zu werden, da doch nur das Ich gefühlt wird.271 Fichte zufolge liegt hier der Grund aller Realität. Lediglich durch die Beziehung des Gefühls auf das Ich [...] wird Realität für das Ich möglich, sowohl die des Ich, als die des Nicht-Ich.272 Weil Realität sich ursprünglich im Gefühl bekundet und nicht etwa theoretisch erschlossen ist, wird an sie geglaubt. Etwas, das lediglich durch die Beziehung eines Gefühls möglich wird, ohne daß das Ich seiner Anschauung desselben sich bewußt wird, noch bewußt werden kann, und das daher gefühlt zu seyn scheint, wird geglaubt./ An Realität überhaupt, sowohl die des Ich, als des Nicht-Ich findet lediglich ein Glaube statt.273 Fichte zeigt im folgenden, daß das Ich sich aufgrund seiner eigenen Tätigkeit getrieben fühlt, über das als begrenzend Gefühlte ins Unbestimmte hinauszugehen. Es fühlt in sich ein Sehnen; es fühlt sich bedürftig.274 Durch das Sehnen wird das Ich in sich selbst – ausser sich getrieben; lediglich durch dasselbe offenbart sich in ihm selbst eine Aussenwelt.275 Der Gang der Deduktion geht weiter von innen nach außen.276 Fichte zeigt, wie das Ich das ursprüngliche Subjektive, die Gefühle respektive Empfindungen, in ein Objektives verwandelt, indem es eine Bestimmung seiner selbst auf etwas außer sich, ein Ding, ›überträgt,277 und wie es zu GWL 428 [300]. GWL 429 [300]. 269 GWL 429 [301]. 270 Inwiefern das Ich reflektirt, reflektirt es nicht über dieses Reflektiren selbst; es kann nicht zugleich auf das Objekt handeln, und auf dieses sein Handeln handeln; es wird demnach der aufgezeigten Thätigkeit sich nicht bewußt, sondern vergißt sich selbst gänzlich, und verliert sich im Objekte derselben. GR 171 [364]. 271 GWL 429 [301]. 272 GWL 429 [301]. Gefühl od. Empfindung ist der erste Grund alles des, was im menschl. Geiste ist. Aph. 89. 273 GWL 429 [301]. 274 GWL 431 [303]. 275 GWL 431 [303]. 276 Heimsoeth (1923), 118. 277 GWL 440 [314]. 267 268
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II. FICHTE
dem Bewußtsein einer in sich strukturierten Welt von Gegenständen kommt, die durch Empfindungseigenschaften bestimmt sind. Die Deduktion resultiert in das ganze wirkliche Bewußtsein als das der Übereinstimmung respektive Nicht-Übereinstimmung zwischen dem Streben nach Selbstbestimmung und dem tatsächlichen Zustand des strebenden Ich. Das Gefühl der Zufriedenheit [...], der Ausfüllung, völligen Vollendung [...]278 stellt sich ein, wenn das wirkliche Ich seiner Idee, sich selbst schlechthin zu setzen,279 für einen Augenblick entspricht, das Gefühl des Mißfallens, der Unzufriedenheit, der Entzweiung des Subjekts mit sich selbst [...]280 entsteht aus der Diskrepanz zwischen Idee und wirklichem Zustand des Ich. Dabei impliziert das Bewußtsein der Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung von Streben nach Autonomie und dem tatsächlichen Zustand des strebenden Ich neben dem Gesichtspunkt der moralischen Zufriedenheit beziehungsweise des moralischen Mißfallens auch den nicht-moralischen Gesichtspunkt gelungener respektive mißlungener Wirksamkeit in der Sinnenwelt.281 Fichte hat die Stellung und Funktion, die der praktischen Philosophie als Gefühlsund Trieblehre in der Grundlage zukommt, in einer Anmerkung über die Methode deutlich zu machen versucht. Im theoretischen Theile der Wissenschaftslehre ist es uns lediglich um das Erkennen zu thun, hier um das Erkannte. Dort fragen wir: wie wird etwas gesezt, angeschaut, gedacht, u.s.f. hier: was wird gesezt? Wenn daher die Wissenschaftslehre doch eine Metaphysik, als vermeinte Wissenschaft der Dinge an sich haben sollte, und eine solche von ihr gefordert würde, so müßte sie an ihren praktischen Theil verweisen. Dieser allein redet, wie sich immer näher ergeben wird, von einer ursprünglichen Realität; und wenn die Wissenschaftslehre gefragt werden sollte: Wie sind denn nun die Dinge an sich beschaffen? so könnte sie nicht anders antworten als: So, wie wir sie machen sollen.282 Das, was erkannt wird, sind keine Dinge an sich, sondern Gesetze respektive Funktionen des Gemüts, die wirkliches Selbst- und Weltbewußtsein konstituieren. Die Welt der Gegenstände, die das natürliche Bewußtsein fertig vorfindet, erweist die Philosophie als eine durch notwendige vorbewußte Handlungen des Ich verfaßte Welt des Bewußtseins. [A]lles was wir [...] hier aufzeigen [...], finden wir in uns selbst, tragen es aus uns selbst heraus, weil in uns etwas sich findet, das nur durch etwas ausser uns sich vollständig erklären läßt. Wir wissen, daß wir es [...] nach den Gesetzen unsers Geistes denken, daß wir demnach nie aus uns herauskommen, nie von der Existenz eines Objekts ohne Subjekt reden können.283
GWL 450 [328]. Vgl. GWL 409 [277]. 280 GWL 451 [328]. 281 Vgl. Siep (1992), 28f. 282 GWL 416 [285f.]. 283 GWL 416 [286]. Lauth (1960; 146) überschwenglich: [B]eachten wir [...], daß mit der endgültigen Auflösung des Rätsels der Empfindung durch Fichte philosophie- und menschheitsgeschichtlich etwas ganz Ungeheuerliches geschehen ist: Seit Anaxagoras konnte die Wirklichkeit 278 279
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Die Position des Dogmatismus, der behauptet, Bestimmungsgrund des Ich sei zuletzt ein Nicht-Ich, und die skeptische Dreinrede Maimons, der aus dem Umstand, daß der Transzendentalphilosophie zufolge alle Realität durch die produktive Einbildungskraft hervorgebracht ist, folgert, daß es sich bei dieser Realität um Täuschung handele,284 sind durch den praktischen Teil der Wissenschaftslehre insofern widerlegt, als dieser nachweist, wie die Setzung des Nicht-Ich aus notwendigen Handlungen des Ich selbst resultiert. Fichtes Anmerkung ist aber nicht nur die im Vergleich zu Kant veränderte Bedeutung der Praktischen Philosophie zu entnehmen, sondern auch seine Schwierigkeit, diese adäquat zu formulieren. Wenn Fichte davon spricht, die Dinge an sich seien so beschaffen, wie wir sie machen sollen, benutzt er einen moralphilosophischen Ternur als Dualität, als Geist und Materie gedacht werden. Mit der WL wird die Phänomenalität absolut. Die gesamte Wirklichkeit ist ein durch und durch geistiges Ereignis. Von dieser Stufe der Erkenntnis aus kann kein Materialismus jemals wieder als wissenschaftlich haltbare Position auferstehen. Wir werden es in alle Ewigkeit mit nichts anderem zu tun haben, als mit unüberschreitbaren Bewußtseinsphänomenen [...]. Es dringt sich endlich auch dem letzten menschlichen Bewußtsein auf, daß die Menschheit kein Stück Natur ist, sondern daß die Natur durch das geistbestimmte Handeln der Menschen für sie ebendas ist, was sie ist. 284 Vgl. GWL 368f. [227]: Daß alle Realität für uns [...] bloß durch die Einbildungskraft hervorgebracht werde, nennt einer der grösten Denker unsers Zeitalters, der, so viel ich einsehe, das gleiche lehrt, [...] eine Täuschung durch die Einbildungskraft. Aber [...] jede Täuschung muß sich vermeiden lassen. Wenn denn nun aber erwiesen wird [...], daß auf jene Handlung der Einbildungskraft die Möglichkeit unsers Bewußtseyns, unsers Lebens, unsers Seyns für uns, d. h. unsers Seyns, als Ich, sich gründet, so kann dieselbe nicht wegfallen, wenn wir nicht vom Ich abstrahiren sollen, welches sich widerspricht [...]; mithin täuscht sie nicht, sondern sie giebt Wahrheit, und die einzige mögliche Wahrheit. Annehmen, daß sie täusche, heißt einen Skeptizismus begründen, der das eigene Seyn bezweifeln lehrt. – Maimon wirft der kantischen Phil [osophie]. vor sie habe keine Realität, denn fragt er, wie kommt man dazu, die Begriffe a priori auf Objecte anzuwenden; in der Mathem[atik]. sagt er läßt sich die Realität unserer Begriffe einsehen, denn wir construiren selbst sezt er hinzu. Daß nun die Gesetze des Geistes darauf paßen läßt sich leicht einsehen. So wie es aber in der Mathematik ist so ist es in der ganzen Weltanschauung, der Unterschied ist nur, daß man sich beim Construiren der Welt seines Construirens nicht bewust ist, denn es ist ein nothw[endiges]. u. nicht mit Freiheit. Daher kommts daß wir die Objecte als etwas ohne unser Zuthun vorhandnes ansehen, als etwas auser uns. (Mph 212) – Zeit u Raum bloß Resultat unserer Endlichkeit [...]; nur dadurch weil ich mich beschränkt fühle, entsteht mir ein beschränkendes; nur wegen des Widerstreits beider sezt die Einbildungskr[aft]. etwas hin, das Materie heißt. Nur für das endliche ist es so, für das unendliche würde es anders seyn; dieses hilft uns aber gar nichts, denn wir können es gar nicht umfaßen; deßen ungeachtet also ist unsere Weltansicht doch [...] die einzig richtige Wahrheit, die für endliche Wesen möglich ist. Da möchte jemand sagen: unsere ganze Ansicht der Welt ist also nur Täuschung, Schein? Das kann aber nur der sagen, der den Kopf vom Dinge an sich voll hat; der noch nicht auf unserm Gesichtspuncte steht[,] der hinter der Vernunft noch etwas sucht, das nicht vernünftig ist; [...] Daher ist die transcend[ent]al Philos[osophie]. die man auch transcendentalen Idealismus nennen kann zugleich ein Realismus, u zugleich der stärkste u entschiedenste den es geben kann. (Mph 213).
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minus, um einen praktischen Sachverhalt auszudrücken, der noch kein explizit moralischer ist. Der praktische Teil der Grundlage will keine Sittenlehre entfalten, sondern deren Voraussetzungen (wie die der anderen materialen Disziplinen der Wissenschaftslehre: Rechts- und Religionsphilosophie) darlegen. Es findet sich deshalb in der Gefühls- und Trieblehre keine bestimmte Erörterung des kategorischen Imperativs der Moral [...].285 Implizit ist dieser aber dennoch präsent. Die systematische Abfolge der Funktionen des Gemüts, die den Inhalt der Gefühls- und Trieblehre bildet, ist nämlich auf die Idee des absoluten, sich schlechthin selbst setzenden Ich als ihr immanentes Telos ausgerichtet. Diese Idee liegt Fichte zufolge der praktischen unendlichen Forderung des Ich, also dem kategorischen Imperativ, zugrunde.286 Demnach ist Freiheit nicht nur ein theoretisches Bestimmungsprincip unsrer Welt,287 wie Fichte in der Sittenlehre ausführt, sondern vor der Thematisierung des Verhältnisses von Freiheit und Welt in der Moralphilosophie auch des Begehrungsvermögens selbst. Die Darstellung der inneren Zweckmäßigkeit des Begehrungsvermögens ist ohne den höchsten Zweck, den der absoluten Übereinstimmung des Ich mit sich selbst, nicht möglich. Der Sinn der Formulierung, die Dinge an sich seien so beschaffen, wie wir sie machen sollen, ist nicht der Grundlage, sondern der Sittenlehre zu entnehmen. Deren zweites Hauptstück handelt unter der Überschrift Deduction der Realität, und Anwendbarkeit des Princips der Sittlichkeit von den Endzwecken288 der Dinge. Fichte zufolge hat ein Prinzip dann Realität und Anwendbarkeit, wenn durch es unsere Welt in gewisser Rücksicht bestimmt wird. Die Realität und Anwendbarkeit des Sittengesetzes nachweisen heißt sonach: untersuchen, wie und auf welche Weise durch [...] [es] Objecte bestimmt werden.289 Dieser Nachweis muß geführt werden, denn ohne ihn bleibt das Sittengesetz ein formales Prinzip ohne materialen Gehalt. Es besagt nur: [W]ir sind genöthigt zu denken, daß wir schlechthin [...] nach dem Begriffe der absoluten Selbstthätigkeit uns bestimmen sollen.290 Wir sehen ein, daß wir sollen; aber begreifen weder, was wir sollen, noch worin wir das gesollte darzustellen haben.291 Getrennt von seiner positiven Beziehung auf die Welt bleibt das Sollen leer, nur durch seine Anwendung auf die Welt erwächst ihm ein materialer Gehalt. Nun gilt: Was auch immer sein soll, ist noch nicht, sondern soll durch sittliches Handeln allererst wirklich werden. Damit sittlich gehandelt werden kann, muß überhaupt gehandelt werden können. Damit aber überhaupt gehandelt werden kann, muß die Welt respektive die Natur so beschaffen sein, daß sie dieses Handeln ermöglicht. Fichte de-
285 286 287 288 289 290 291
P. Ph. 185. Vgl. GWL 409 [277]; vgl. ebd. 396 [260]. SL 77 [68]. SL 78 [69]; vgl. Moral 84f. SL 73 [63]. SL 61 [49]. SL 83 [76].
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duziert die Realität des Sittengesetzes, indem er die Bedingungen der Möglichkeit292 des Bewußtseins der Freiheit, das im ersten Hauptstück der Sittenlehre entwickelt wurde, deduziert, und diese Bedingungen sind, sofern sie den Bereich konstituieren, in dem sittliches Handeln realisiert werden soll, Bestimmungen der äußeren Natur. Wir schreiben uns, so gewiß wir uns unsrer selbst bewußt werden, ein absolutes Vermögen der Freiheit zu [...]. Wie ist dieses möglich, wird gegenwärtig gefragt: und so knüpfen wir die aufzuzeigenden Bedingungen an das Bewußtseyn der Freiheit, und vermittelst desselben an das unmittelbare Selbstbewußtseyn; welche letztere Verknüpfung eben das Wesen einer philosophischen Deduction ausmacht.293 Es resultiert eine ununterbrochene Kette von Bedingungen, die in einer Reihe von Lehrsätzen294 aufgestellt werden, deren logisches Subjekt das endliche Vernunftwesen ist. Das endliche Vernunftwesen kann sich selbst kein Vermögen der Freiheit zuschreiben, ohne mehrere wirkliche und bestimmte Handlungen, die auf ein Objekt außer ihm gehen, als durch seine Freiheit möglich zu denken. Es muß demnach in sich eine wirkliche Ausübung dieses Vermögens, ein wirkliches freies Wollen finden. Dazu muß es sich eine wirkliche Kausalität auf Objekte außer sich zuschreiben und diese Kausalität durch ihren eigenen Begriff bestimmen.295 Fichtes Erläuterung des Charakters der Deduktion bedarf selbst der Erläuterung. Es ist von einer Erklärung und Ableitung die Rede, die das Ich selbst auf dem Gesichtspunkte des gemeinen Bewußtseyns macht, keinesweges von der Erklärung des Transscendental-Philosophen. Der letztere erklärt alles, was im Bewußtseyn vorkommt, aus dem idealen Handeln der Vernunft als solcher. Das erstere setzt zur ErSL 83 [76]. SL 84 [76f.]. 294 SL 83 [76]. Daß die im zweiten Hauptstück der Sittenlehre enthaltene Deduktion die von Bedingungen ist, die wiederum bedingt sind, zeigt den diskursiven Charakter der Darstellung, die sich im Unterschied zum ersten Hauptstück weit weniger auf die innere Anschauung von IchTätigkeiten stützt, wenn sie Begriffe einführt. Das zweite Hauptstück ist von dieser Art der Darstellung gemäß der neuen Methode der Wissenschaftslehre kaum bestimmt. Ein systematischer Zusammenhang von Bedingungen ist durch verschiedene Akte der Anschauung von Tätigkeiten auch nicht möglich (vgl. in dieser Arbeit das Kapitel Intellektuelle Anschauung). Das Verhältnis von diskursiver und auf innerer Anschauung basierender Darstellung ist problematisch (s. ebd.). Fichte kaschiert dies, wenn er sich in einer Anmerkung einerseits auf die Freiheit der Methode beruft, andererseits aber den Vorzug der diskursiven Darstellung offen zugibt. Nun ist man auch [...] bei den hier zu führenden Beweisen der innern Anschauung seiner Thätigkeit [...] keinesweges überhoben. Wir hätten [!] sonach [...] unsre Sätze in diesem Hauptstücke eben sowohl als Aufgaben aufstellen [...] können [...]. Aber, ohnerachtet schon die Absicht, die Freiheit der Methode zu zeigen, und unser System vor einem einförmigen Zuschnitte vor der Hand noch zu verwahren, uns hinlänglich entschuldigen könnte, hatten wir bei dieser Art der Aufstellung auch noch den Zweck, den Punkt, auf welchen bei Bestimmung jenes Gedankens [des Vermögen der Freiheit] die Aufmerksamkeit zu richten ist, genau anzugeben; da es ja [...] mehrere Bedingungen, und Bestimmungen desselben giebt. SL 84 [77]. 295 Dazu ausführlich Jacobs (1967), 100ff. 292 293
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klärung Gegenstände außer dem zu erklärenden. – Ferner wird das Ich seines Erklärens, als eines solchen, sich nicht bewußt, wohl aber der Produkte dieses Erklärens [...].296 Daß das Ich auf dem Gesichtspunkte des gemeinen Bewußtseyns etwas erklärt oder ableitet, sich aber nicht dieser Tätigkeit, sondern nur ihres Resultates bewußt sein soll, ist nur vor dem Hintergrund der beiden Reihen der Darstellung zu verstehen. Wie im Abschnitt Deduktion der Vorstellung sowie in der Gefühls- und Trieblehre der Grundlage ist auch hier zunächst zu unterscheiden zwischen Bestimmungen, die nur in und für die philosophische Reflexion sind und solchen, die im untersuchten Ich selbst gründen. Sodann ist zu unterscheiden zwischen dem, was für die philosophische Reflexion im Ich ist und dem, was für das Ich selbst in ihm ist. Die philosophische Reflexion ist selbst nur vorstellend, das untersuchte Ich keineswegs. Die philosophische Reflexion (der Transscendental-Philosoph) erklärt alles aus dem idealen Handeln der Vernunft als solcher, das heißt dem Handeln in der Vorstellung,297 das den Denkgesetzen unterliegt. Das Ich, das selbst Gegenstand der philosophischen Reflexion ist, erklärt sich selbst, indem es Gegenstände außer sich, dem zu Erklärenden, setzt. Es überträgt298 nämlich Bestimmungen der Vernunft auf etwas außer sich. Sein Handeln ist nicht nur vorstellend, sondern auch praktisch, es unterliegt deshalb nicht nur den Denkgesetzen, sondern steht auch in Beziehung auf das Sittengesetz.299 Daß die Erklärung des Ich nicht in sein Bewußtsein fällt, sondern in die philosophische Reflexion, bedeutet, daß es sich bei ihr um jenes vorbewußte Setzen handelt, das allem wirklichen Selbst- und Weltbewußtsein a priori zugrunde liegt. Dem wirklichen Bewußtsein ist als solchem der Einblick in seine transzendentale Genesis verwehrt, es nimmt nur deren fertiges Produkt wahr. Die Erklärung, die das Ich auf dem Gesichtspunkte des gemeinen Bewußtseyns macht, ist nicht Erklärung durch das gemeine Bewußtsein, sondern Erklärung des gemeinen Bewußtseins, seine transzendentale Rechtfertigung.300 Fichte verdeutlicht dies in bezug auf den für den Naturbegriff der Wissenschaftslehre zentralen achten Paragraphen der Sittenlehre. Wenn die gemeine Erfahrung lehrt, daß wir nie ein Objekt finden, das nur Stoff und nicht schon in gewisser Rücksicht formirt sey, und wenn es sonach scheint, daß das Bewußtseyn unserer Wirksamkeit nicht bloß durch das Setzen eines Objektes überhaupt, sondern auch durch das Setzen einer bestimmten Form der Objekte bedingt sey, dann besteht die transzendentale Erklärung dieser Erfahrung in dem Aufweis der Vernunftgesetze, zufolge derer diese Erfahrung allgemein und notwendig301 ist. Und weil dabei besonders die Einsicht in die bestimmte Form, die wir den
SL 108f. [110]. SL 68 [58]. 298 Siehe unten. 299 Vgl. SL 68 [58]. 300 Diese ist notwendig. Die Philosophie muß unsere Ueberzeugung von dem Daseyn einer Welt ausser uns deduciren. NR 335 [24]. 301 SL 102 [102]. 296 297
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Objekten unserer Wirksamkeit vor unserer Wirksamkeit vorher zuschreiben müssen, gefordert ist, ist die Erklärung Deduction einer Bestimmtheit der Objecte ohne unser Zuthun.302 Der zu beweisende Lehrsatz lautet: Das Vernunftwesen kann sich selbst keine Wirksamkeit zuschreiben, ohne derselben eine gewisse Wirksamkeit der Objecte vorauszusetzen.303 Fichte wird dartun, daß das Ich sich nur dann eine Wirksamkeit zuschreiben kann, wenn es der Natur als dem Inbegriff der Objekte eine Wirksamkeit zuschreibt, weil es sich selbst als Produkt der Natur vorstellen muß. Die Beweisführung nimmt ihren Ausgang von zwei antithetisch gegenübergestellten Sätzen. Das Vernunftwesen hat keine Erkenntniss, ausser zufolge einer Beschränkung seiner Thätigkeit.304 Alle Erkenntnis ist bedingt durch die Beschränkung der Selbsttätigkeit des Vernunftwesens, nämlich durch die im praktisch strebenden Ich, in seinem Wollen liegende Beschränkung. Die Erkenntnis von etwas setzt also das Wollen voraus. Aber dem Vernunftwesen kommt, als solchem, keine Selbstthätigkeit zu, ausser zufolge einer Erkenntniss; wenigstens einer Erkenntnis eines Etwas in ihm selbst.305 Die Selbsttätigkeit des Wollens muß für das Vernunftwesen sein, denn [o]hne Bewußtseyn einer Selbstthätigkeit ist überhaupt kein Bewußtseyn,306 und ist insofern bedingt durch die Erkenntnis des Gewollten, nämlich des Zwecks. Demnach setzt das Erkennen des Zwecks das Wollen, das Wollen aber das Erkennen des Zwecks voraus. Es läßt sich keine Thätigkeit ohne Erkenntniß annehmen, denn es wurde ja jeder Thätigkeit ein frei entworfner Zweckbegriff vorausgesetzt. Aber hinwiederum [...] [läßt] sich keine Erkenntniß annehmen, ohne ihr Thätigkeit vorauszusetzen, indem alle Erkenntniß aus der Wahrnehmung unsrer Beschränktheit im Handeln abgeleitet wurde.307 Die Schwierigkeit, daß sich in der Erklärung des Bewußtseins unserer Freiheit Erkennen und Wollen wechselseitig bedingen, ist nur durch die Synthesis des Bedingten und der Bedingung zu lösen, so daß beide als Eins, und eben dasselbe308 zu denken sind: das Wollen (die Selbsttätigkeit) selbst als die Erkenntnis, und die Erkenntnis (der Zweckbegriff ) als das Wollen. Der Zustand des Ich, in dem beide synthetisch vereinigt sind, ist das Sehnen. Mit dem Sehnen hebt deshalb alles Bewußtsein an, es ist der systematisch erste Moment alles Bewußtseyns.309 Im Sehnen fühlt das Ich den Trieb, ist der Trieb unmittelbar bewußt.310 Insofern das Ich seinen Trieb fühlt, ist es gebunden und nicht frei. Nicht ich selbst setze mich, sondern sowohl objectiv, als getrieben[,] und subjectiv, als fühlend diesen 302 303 304 305 306 307 308 309 310
So die Überschrift des achten Paragraphen der Sittenlehre (SL 102 [101]). SL 102 [101]. SL 103 [102]. SL 103 [103]. SL 103 [103]. SL 106 [107]. SL 104 [104]. SL 104 [104]. SL 106 [106].
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Trieb, bin ich gesetzt.311 Das natürliche Bewußtseins identifiziert das Ich mit dem seiner Freiheit bewußten Subjekt und läßt deshalb nur Denken und Handeln als Prädikate des Ich gelten, nicht aber das Getriebensein und Fühlen. Transzendentalphilosophisch betrachtet ist es dagegen ein und dasselbe Ich, das frei und getrieben ist.312 Insofern das Ich frei ist, ist es nicht Grund des Triebs und Gefühls. Wie ich mich fühle, hängt nicht von meiner Freiheit ab. Umgekehrt hängt meine Freiheit nicht vom Trieb ab. Wie ich denke und handle, ist nicht durch den Trieb determiniert. Das, worüber das Ich nicht die geringste Gewalt313 hat, seine sich im Gefühl manifestierende Triebbestimmtheit, macht seine Natur aus. Ich bin selbst in gewisser Rücksicht, unbeschadet der Absolutheit meiner Vernunft und meiner Freiheit, Natur; und diese meine Natur ist ein Trieb.314 Fichte leitet aus dem Charakter des Ich als Trieb seine Natur ab und aus der Natur des Ich als Trieb den Begriff der Natur überhaupt. Die Natur des Ich ist Trieb, das heißt etwas, das weder von außen kommt noch nach außen geht; eine innere Kraft des Substrats auf sich selbst.315 Sie läßt sich deshalb nicht durch das Gesetz des Naturmechanismus begreifen, wo in einer Reihe von Ursachen und Effekten jedem Glied der Reihe seine Tätigkeit von einem Glied außer ihm mitgeteilt wird und eine Urkraft nicht auffindbar ist, sondern allein durch den Begriff der Selbstbestimmung.316 Natur bestimmt sich selbst, aber nicht wie ein freies Wesen durch einen Begriff, sondern durch ihr Sein. Sie ist bestimmt, sich zu bestimmen und kann nicht, wie ein freies Wesen, auch unbestimmt sein.317 Was für meine Natur gilt, muß für die Natur überhaupt gelten. Alles sonach, was als Natur gedacht wird, wird gedacht als sich selbst bestimmend.318 Das Ganze der Natur muß gedacht werden als die Wechselwirkung der geschlossenen Summe aller Theile,319 die selbstbestimmt sind, deren Bestimmtheit aber zugleich resultiert aus der Bestimmtheit aller Teile durch sich selbst. Es ist deshalb als ein organisches Ganze320 zu denken, dessen Teile wiederum Ganzheiten sind, die sich durch sich selbst, ohne Zuthun meines Denkens,321 zu einem Ganzen vereinigen, als ein System reeller Ganzer [...].322 Indem durch den Begriff der Natur als organisches Ganzes die Teile sowohl als selbstSL 107 [107]. Vgl. SL 107f. [108]. 313 SL 107 [108]. 314 SL 108 [109]. 315 SL 109 [111]. 316 Moral 41: Eine Ursache als lezte Ursache läßt sich von d[er]. Kraft her nicht angeben, denn sie ist unendlich – welches das erste ist./ Eben so ist es [mi]t: dem Quantum der Kraft. In dem Bewirkten ist soviel als in dem bewirkenden, welches Bewirktes ist. In d[er]. ganzen Reihe ist selbe Quantum d[er]. Kraft. 317 Vgl. SL 111 [112]. 318 SL 111 [113]. 319 SL 111 [113]. 320 SL 112 [114]. 321 SL 114 [116]. 322 SL 115 [117]. 311 312
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bestimmt wie auch als fremdbestimmt gedacht werden, vermittelt er zwischen mechanischer Naturkausalität und zweckbestimmter Kausalität aus Freiheit. Die Freiheit ist dem Natur-Mechanism direkt entgegengesetzt, und wird durch ihn auf keine Weise bestimmt. Ist aber die Rede von einem Natur-Triebe, so muß der Charakter der Natur überhaupt, der des Mechanismus, neben dem Charakter des Triebes beibehalten, sonach beides synthetisch vereinigt werden.323 Der Charakter der Natur als Mechanismus wird beibehalten, er bildet die bleibende Grundlage der teleologisch bestimmten organischen Natur. Das Vermögen, das der teleologischen Bestimmung der Natur zugrunde liegt, ist die Urteilskraft in ihrer teleologisch reflektierenden Funktion, die Fichte, ausgehend von ihrer Kantischen Bestimmung, so modifiziert, daß sie nicht mehr in der Weise des als ob und nach einem Prinzip verfährt, das neben die transzendentale Einheit der Apperzeption als Prinzip der theoretischen und den Willen als Prinzip der praktischen Vernunft tritt. Die reflektierende Urteilskraft ist weder nur theoretisch noch nur praktisch zu verstehen, sondern sowohl theoretisch wie auch praktisch. Die reflektierende Urteilskraft denkt die Kategorien der Relation nicht nur in einer Richtung, wie der Verstand oder sein Funktionsorgan, die bestimmende, subsumierende Urteilskraft, sondern kehrt deren Richtung um.324 Accidens muß auch als Substanz, u. umgekehrt, Ursache als Wirkung, u. umgekehrt, Wechselwirkung auch als Nichtwechselwirkung[,] als Isolirung gedacht werden können.325 Aus dieser Umkehrung entspringen Reflexionsbegriffe, die die lebendige Natur allererst konstituieren, wie der Begriff des Organismus. Im Nat[ur].Mechanism[us]. hat jedes Glied seine Kraft von etwas auser ihm u. giebt sie einem dritten; in der Organisation hat jedes seine Kraft durch sich selbst u. geht auf sich selbst.326 Die reflektierende Urteilskraft stellt somit, anders als bei Kant, eine Vertiefung der Einen, ungeteilten Vernunft dar. Ihre Bestimmungen sind deshalb nicht regulativ, sondern konstitutiv;327 ohne die Begriffe der reflektierenden Urteilskraft keine lebendige Natur und keine Welt. Der Begriff d[er] Welt nach bloß mechanischen Gesezzen kan gar nicht als Ganzes begriffen werden. wird e[ine]. unendliche Reihe. Nun wird aber d[ie]. Welt doch als Ganzes gedacht – das ist Factum. Auf welche Weise komt also das Vernunftwesen zu diesem Ganzen. Nach welchem Gesezze kan d[as] Vernunftwesen d[ie]. Welt als Ganzes auffaßen?328 SL 113 [115]. Vgl. SL 110 [111f.]. 325 P. Ph. 241f. Zu Fichtes ersten, der Grundlage vorausgehenden Reflexionen zum Begriff des organischen Lebens und der Urteilskraft vgl. Schrader (1972), 33-50ff.; zu seinen Überlegungen im gesamten Kontext der ersten Wissenschaftslehre und ihrer Vorarbeiten vgl. Lauth (1984); 96139. 326 Mph 289. Dadurch bringt man erst Leben, Kausalität, u. Streben in die todte Natur / vor der theoretischen Philosophie ist die Natur moles iners; durch die praktische bekommt sie erst Thätigkeit. P. Phil. 246. 327 Reflexionsbegriffe wie Leben, Organismus können deshalb auch als Kategorien bezeichnet werden, was sich nach Kant verbietet. Vgl. von Manz (2001), 384. 328 Moral 42. Fichtes Rede vom Factum erinnert an die Kantische Bestimmung in der Kritik 323 324
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Die Natur des Ich ist als ein reelles Ganzes, als ein geschlossenes Ganze oder Totalität329 zu denken. Insofern das Ich ein Naturganzes ist, muß es aus der Natur selbst, aus einem ihr immanenten Gesetz erklärbar sein. Dieses Gesetz ist das des Bildungstriebes. Es besagt: [J]eder Naturtheil strebt sein Seyn, und sein Wirken mit dem Seyn und Wirken eines bestimmten andern Naturtheils zu vereinigen, und wenn man die Theile in den Raum denkt, auch im Raume mit ihm zusammen zu fließen. Dieser Trieb heißt der Bildungstrieb im aktiven und passiven Sinne des Worts; der Trieb zu bilden und sich bilden zu lassen: und er ist nothwendig in der Natur; nicht etwa eine fremde Zuthat, ohne welche sie auch bestehen könnte.330 Als ein Naturganzes ist das Ich ein organisirtes Naturproduct,331 dessen Organisation der Kausalität des Bildungstriebes in ihm geschuldet ist. Demnach gilt folgendes: so gewiß ich bin, so gewiß muß ich der Natur Kausalität zuschreiben; denn ich kann mich selb[s]t nur als ihr Produkt setzen.332 Insofern der Bildungstrieb meiner Selbsterhaltung als Naturganzem zugrunde liegt, ist er Selbsterhaltungstrieb. Dieser bezieht die Mittel auf den Zweck ohne jede intellektuelle Vermittlung. Worauf dieser mein Trieb geht, gehört zu meiner Erhaltung, weil er darauf geht; und was zu meiner Erhaltung gehört, darauf geht wer, weil es zu meiner Erhaltung gehört.333 Als Naturganzes ist das Ich sein eigner Zweck,334 das heißt Naturzweck im System der Naturzwecke, in welchem System allein physische Notwendigkeit herrscht und moralische Notwendigkeit335 keinen Ort hat. Nun ist das Ich nicht nur ein Naturganzes, sondern auch Intelligenz, welche allein von ihrer Selbstbestimmung abhängt, das heißt absolut frei ist. Das Ich reflektiert notwendig auf seinen Trieb, denn transzendentalphilosophisch betrachtet gründet die Reflexion im Trieb und ist der Trieb Gegenstand der Reflexion.336 Durch diese Reflexion auf den Trieb entsteht ein Sehnen, das Gefühl eines noch unbestimmten Bedürfnisses. Das Sehnen ist als Resultat der Reflexion ein Phänomen des Bewußtseins, die dunkle Empfindung337 eines Mangels, und unterscheidet das Ich von allen anderen Naturprodukten. In diesen bewirkt der Trieb bewußtlos immer dann die Befriedigung des Mangels, wenn die Bedingungen gegeben sind. Das Ich hingegen ist frei, die dunkle Vorstellung eines Bedürfnisses reflektierend der Urteilskraft, wonach das Faktum der Existenz von Organismen, die sich durch mechanische Kausalität allein nicht erklären lassen, die Bildung des übersinnlichen, teleologischen Prinzips der inneren Zweckmäßigkeit veranlaßt (KdU B 296). Vgl. in dieser Arbeit das Kapitel Vernünftiger Verstand und reflektierende Urteilskraft. 329 SL 113 [115f.]. 330 SL 117 [121]. 331 SL 118 [121]. 332 SL 118 [121]. 333 SL 119 [123]. 334 SL 123 [128]. 335 SL 116 [119]. 336 Siehe oben. 337 SL 122 [126].
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zu bestimmen und damit das Sehnen in ein Begehren zu verwandeln. Hier liegt der Übergang des Vernunftwesens zur Selbstständigkeit [...] [bzw.] die bestimmte scharfe Gränze zwischen Nothwendigkeit und Freiheit.338 Ob ich einen bestimmten Trieb empfinde, steht nicht in meiner Gewalt, ob ich ihn befriedige oder nicht, schon. Für die Wissenschaftslehre ist die Naturphilosophie integraler Bestandteil der Sittenlehre (und des Naturrechts), weil ihr zufolge Natur nur in bezug auf das freie Handeln-Können des Ich überhaupt thematisch sein kann. Transzendentalphilosophisch betrachtet gibt es nichts, was gegenüber der Tätigkeit des Ich selbständig wäre. Die Natur, abstrakt das Nicht-Ich, ist nur für das praktisch strebende Ich. Was das natürliche Bewußtsein im Alltag wie in der Wissenschaft erkennt, ist der allgemeinen Form seiner mechanischen und organischen Gesetzmäßigkeit nach konstituiert durch notwendige Handlungen des Ich und hat deshalb, nicht anders als bei Kant, den ontologischen Status einer Erscheinung. Weil das natürliche Bewußtsein aber nur das Resultat des Konstitutionsprozesses, nicht diesen Prozeß selber wahrnimmt, begreift es das, was Erscheinung ist, notwendig als etwas Gegebenes, Fertiges. Vom transcendentalen Gesichtspunkt aus, bin ich nicht Natur, sondern eigentl[ich] ursprünglich begrenzt; und diese Begrenzung ist Grundtrieb, und Grund der Reflexion [.] Hier ist nichts Heterogenes. Im Bewustseyn erscheint aber diese Begrenzung als Naturtrieb[.]339 Fichtes Idealismus ist mit dem Gedanken der Selbständigkeit der Natur gegenüber dem Geist unvereinbar. Es giebt keine Natur an sich; meine Natur und alle andere Natur, die gesetzt wird, um die erste zu erklären, ist nur eine besondere Weise, mich selbst zu erblicken.340 Das Ich ist wesentlich freie Tätigkeit, das NichtIch ist nur als das diese Hemmende, nicht negierende. Es muß demnach durch freies Handeln bestimmbar sein. Weil ich frei bin, setze ich die Objecte meiner Welt als modificabel [...].341 Kann Natur nur in bezug auf das freie Handeln-Können des Ich thematisch sein, so läßt sich die Freiheit sogar von der Naturphilosophie aus begreiflich machen342 und ist selbst ein theoretisches Bestimmungsprincip unsrer Welt.343 Das Gesetz der Freiheit ist beides: theoretisches und praktisches Prinzip. Als theoretisches Prinzip schreibt es der Natur Beschaffenheiten zu, die als Naturbestimmungen zugleich Bedingungen der Möglichkeit freien Handelns sind.344 Als praktisches Prinzip fordert SL 121 [126]. Moral 55. 340 SL 127 [133]. Der Idealismus hat kein NichtIch, das NichtIch ist ihm nur eine andre Ansicht des Ich. WLnmK 356. 341 SL 77 [68]. 342 SL 129 [135]. 343 SL 77 [68]. 344 Damit wendet sich Fichte gegen Kant, dem zufolge die zwei Aufgaben der Vernunftkritik, die Kritik der reinen spekulativen, theoretischen Vernunft und die der praktischen Vernunft, sehr verschieden sind. Die Aufgabe der Kritik der praktischen Vernunft, wie reine Vernunft [...] unmittelbar ein Bestimmungsgrund des Willens [...] sein könne, [...] fodert keine Erklärung, 338 339
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es, diese Beschaffenheiten zu erhalten, weil sie Bedingungen der Möglichkeit freien Handelns sind. Als praktisches Gesetz, welches sich an das Bewußtsein der Freiheit richtet, setzt es nur fort, was es als theoretisches Gesetz, ohne Bewußtsein der Intelligenz, selbst angefangen hat. Sein Inhalt lautet: Handle deiner Erkenntniß von den ursprünglichen Bestimmungen (den Endzwecken) der Dinge außer dir gemäß.345 Die ursprünglichen Bestimmungen der Dinge sind jene Naturbestimmungen, die Bedingungen der Möglichkeit freien Handelns sind. Sie sind Endzwecke der Dinge, weil und insofern die Dinge selbst nur Mittel sind der Realisierung des Endzwecks des handelnden Ich. Ich soll ein selbstständiges Ich seyn: dies ist mein Endzweck; und alles das, wodurch die Dinge diese Selbstständigkeit befördern, darzu soll ich sie benutzen, das ist ihr Endzweck.346 Das Endzwecksein der Dinge oder die teleologische Ordnung der Natur ist nur vom Endzweck des endlichen Vernunftwesens her zu verstehen. Dieser ist moralisch bestimmt; er ist dem endlichen Vernunftwesen nicht durch die Natur vorgegeben, sondern durch seine Vernunft aufgegeben: Das endliche Vernunftwesen soll Subjekt der Moralität sein.347 Die Zweckmäßigkeit in der SinnenWelt [...] [findet] für den Menschen nur insofern und aus dem Grunde statt [...], weil er sich selbst Zwecke setzen kann, und [...] er [...] kann [dies] lediglich dadurch, daß ihm durch seine Vernunft ein absoluter Endzweck (der der Sittlichkeit) aufgegeben ist [...].348 Das Bewußtsein seiner Freiheit und Selbständigkeit ist konstitutiv für das Selbstbewußtsein des endlichen Vernunftwesens. Bedingung der Möglichkeit dieses Bewußtseins ist aber das wie auch immer verdunkelte Bewußtsein seines Endzwekkes. Ohne dieses Bewußtseyn der Sittlichkeit349 überhaupt kein Bewußtsein und Selbstbewußtsein. Hier wird [...] behauptet, daß kein Mensch absolut ohne alles sittliche Gefühl seyn könne.350 Fichte unterscheidet in diesem Zusammenhang die formale von der materialen Freiheit. Dem Vernunftwesen eignet formale Freiheit, sofern es seine Selbsterhaltung durch Willen und Bewußtsein vermittelt betreibt, materiale Freiheit aber, sofern es die Freiheit um der Freiheit willen will. Als formal Freies bewirkt es aus Freiheit, was die Natur selbst ohne Freiheit realisiert haben würde, als material Freies bewirkt es dagegen etwas ganz anderes, als die Natur je bewirkt haben würde.351 wie die Objekte des Begehrungsvermögens möglich sind, denn das bleibt, als Aufgabe der theoretischen Naturerkenntnis, der Kritik der spekulativen Vernunft überlassen, sondern nur, wie Vernunft die Maxime des Willens bestimmen könne [...]. KpV A 77f. 345 SL 78 [69]. 346 SL 193 [212]. 347 Der moralische Endzweck jedes vernünftigen Wesens ist [...] Selbstständigkeit der Vernunft überhaupt; also Moralität aller vernünftigen Wesen. Wir sollen alle gleich handeln. SL 211 [233]. 348 Erklärungen 413. 349 SL 132 [138]. 350 SL 132 [138]. 351 SL 132 [139]. Die Differenz verweist auf die Kantische Unterscheidung von technisch-prak-
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Die Einführung teleologischer Naturbestimmungen, die Bestimmung des Naturganzen als System der Zwecke und die Bestimmung dieses Systems zum bloßen Mittel sittlichen Handelns überrascht nicht. Ist die Natur als Bedingung der Möglichkeit selbstbestimmten Handelns zu denken, dann kann sie nicht als durch mechanische Naturkausalität durchgängig determiniert vorgestellt werden. Auch nach Kant ist auf der Grundlage des Mechanism der Natur das Faktum, daß Menschen durch ihre Handlungen Zwecke in der Natur realisieren können, nicht erklärbar, und Kant zufolge ist die teleologische Weltbetrachtung der reflektierenden Urteilskraft zuletzt durch ein moralisches Interesse der praktischen Vernunft motiviert, welche schließlich moralisch nicht gebieten kann, was physisch unmöglich zu realisieren respektive zu befördern ist.352 In der Tat greift Fichte mit der Deduktion der Anwendbarkeit des Sittengesetzes Überlegungen Kants auf, aber nur um über sie hinauszugehen. Kant sagt: handle so, daß die Maxime deines Willens Princip einer allgemeinen Gesezgebung seyn könne. Aber wer soll denn in das Reich, das durch diese Gesezgebung regiert wird, mit gehören, und Antheil an dem Schutze derselben haben? Ich soll gewisse Wesen so behandeln, daß ich wollen kann, daß sie umgekehrt mich nach der gleichen Maxime behandeln. Aber ich handle doch alle Tage auf Thiere, und leblose Gegenstände, ohne die aufgegebne Frage auch nur im Ernste aufzuwerfen. Nun sagt man mir: es versteht sich, daß nur von [...] vernünftigen Wesen[] die Rede sey; und ich habe zwar statt des einen unbestimmten Begriffes einen andern, aber keinesweges eine Antwort auf meine Frage. Denn, wie weiß ich denn, welches bestimmte Objekt ein vernünftiges Wesen sey; ob etwa nur dem weissen Europäer, oder auch dem schwarzen Neger, ob nur dem erwachsenen Menschen, oder auch dem Kinde der Schutz jener Gesezgebung zukomme, und ob er nicht etwa auch dem treuen Hausthiere zukommen möchte. Solange diese Frage nicht beantwortet ist, hat [...] jenes Princip keine Anwendbarkeit und Realität.353
tischer und moralisch-praktischer Vernunft (vgl. SL 68 [57]). Nach Rohs (1991; 176) betont Fichte gegen Kant zu Recht, daß man auch dann, wenn man ausschließlich dem Naturtrieb folgt, frei handeln kann. In der Tat handelt Fichte zufolge derjenige, der seine animalischen Bedürfnisse befriedigt, frei, sofern er es nur mit Bewußtseyn thue, und Fichte ist nicht bekannt, daß jemand den Begriff der Freiheit in dieser Rücksicht [...] sorgfältig behandelt hätte. SL 129 [135] Nun hat Kant zwar Freiheit im emphatischen Sinne mit Autonomie gleichgesetzt (vgl. GMS 98), andererseits aber durchaus gesehen, daß auch die durch technisch-praktische Vernunft zu realisierenden Zwecke durch einen Akt der Freiheit des handelnden Subjekts bestimmt werden (TL A 11). 352 Vgl. KdU B IX. 353 NR 380 [80]; vgl SL 211 f. [233 f.] Unmittelbarer Anlaß der Kritik Fichtes ist wohl Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, wie der Brief an Reinhold vom 29. August 1795 zeigt (Briefe a 384ff.), doch wird sie durch Kants Ausführungen in der Dialektik der Kritik der praktischen Vernunft und in der Kritik der Urteilskraft nicht obsolet. Eine Deduktion der Anwendbarkeit des Sittengesetzes, wie sie Fichte als notwendig erachtet, hat Kant auch dort nicht geliefert.
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Kant hat zwar die Anwendbarkeit des Sittengesetzes thematisiert, aber nicht in der Weise, die Fichte für geboten hält. Seine Versuche, die Anwendbarkeit durch die Lehre vom höchsten Gut und den Postulaten (Kritik der praktischen Vernunft) beziehungsweise durch die Einführung des transzendentalen Prinzips der Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnisvermögen (Kritik der Urteilskraft) darzutun, haben den Dualismus von theoretischer und praktischer Vernunft zu ihrer Voraussetzung; sie heben ihn deshalb nicht auf, sondern reproduzieren ihn in anderer Form.354 Fichtes Deduktion der Anwendbarkeit des Sittengesetzes hat keinen Dualismus zu ihrer Voraussetzung. Im Streben, näher im Trieb sind Ich und Nicht-Ich, Freiheit und Natur, Vorstellen und Wollen, theoretische und praktische Vernunft immanent aufeinander bezogen als unterschiedene Momente ein und derselben Vernunft.355 Die Bestimmung ihrer Beziehung besteht in der Weiterbestimmung des Triebs.356 Der Einfluß357 der noumenalen Freiheit auf die sinnliche Natur ist daher aus dem Noumenalen selbst zu deduzieren und hat die Gestalt der Versinnlichung und leiblichen Individuierung der praktischen Vernunft. Die teleologischen Naturbestimmungen, die dieser Deduktion entspringen, sind Konstituentien wirklichen Selbstbewußtseins. Obwohl Bestimmungen der reflektierenden Urteilskraft, sind sie deshalb dennoch von konstitutiver, nicht nur von regulativer Geltung. [S]oll Bewußtseyn möglich seyn, so muß die Sinnenwelt so beschaffen seyn [...] – Man vergesse nicht, daß diese Folgerung nur transscendental zu verstehen ist. Es ist so, heißt, wir müssen es so setzen: und weil wir es so setzen müssen, darum ist es so.358 Daß diese Naturbestimmungen nur als Bedingungen sittlichen Handelns, und zwar in der Weise der Übertragung von Vernunftbestimmungen auf die Natur deduziert werden können, degradiert die Natur zum Mittel der Pflichterfüllung359 und die Naturphilosophie zu einem untergeordneten Bereich der mateVgl. dazu in dieser Arbeit das Kapitel Selbständigkeit und Unselbständigkeit der Moral. Vgl. GWL 409ff. [277ff.]. 356 Nach E. Düsing (1986) begibt sich Fichte dadurch, daß er den Begriff des Dinges an sich, der bei Kant wohlmotiviert sei, beseitigt, der Möglichkeit, praktische Freiheit durch die Unterscheidung von Phaenomenon und Noumenon als konsistent denkbar darzutun. Ihm bleibe nur die Alternative, das Ich in seinem Handeln als naturdeterminiert anzusehen und die Kausalität aus Freiheit als Schein, oder es als frei anzusehen und die Naturkausalität als Schein. Im Grunde verfange Fichte sich in Kants dritter Antinomie, indem er sich auf die Seite der Thesis stellt [...], statt wie Kant zu bedenken, ob diese ein wahrer disjunktiver Satz sei (192 ff.). An diesem Urteil über Fichte verblüfft seine Voraussetzung: daß Kants Begriff des Dinges an sich wohlmotiviert sei und deshalb seine Auflösung der Freiheitsantinomie konsistent. Vgl. dazu in dieser Arbeit die Kapitel Affektion und Ding an sich und Transzendentale und praktische Freiheit. 357 Vgl. Kant, KdU B XIX. 358 NR 374 [72]; vgl. Aph. 275: Wir tragen über: –. ist dies nothwendig, so ist es so: (d.i. diese Uebertragung ist objectiv gültig.) Es ist nothwendig, wenn es sich aus dem Vftsystem deduciren läßt. 359 Unsre Welt ist das versinnlichte Materiale unsrer Pflicht; dies ist das eigentliche Reelle in den Dingen, der wahre GrundStoff aller Erscheinung. Der Zwang, mit welchem der Glaube an die Realität derselben sich uns aufdringt, ist ein moralischer Zwang; der einzige, welcher für das freie Wesen möglich ist. GuG 353 [185]. 354 355
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rialen praktischen Disziplinen der Wissenschaftslehre.360 Diese Konsequenz ist der Transzendentalphilosophie immanent, wie Fichte in seinem bekannten Brief an Schelling betont. Es ist das Bewußtseyn des Handelns, das da wieder einen Zwekbegriff, als sein bestimmendes, und dieser einen Ding=Begriff, als sein bestimmbares voraussezt: – u. hier erst, in dieser kleinen Region des Bewußtseyns liegt eine SinnenWelt: eine Natur.361 Schellings nicht minder bekannte Antwort deutet schon an, daß ihm zufolge über die Fichtesche Position hinauszugehen ist, wie zuvor nach Reinhold, Fichte, Schelling, Hegel über die Kantische hinauszugehen war. In welche kleine Region des Bewußtseyns Ihnen die Natur nach Ihrem Begriff davon fallen müsse, ist mir zur Genüge bekannt. Sie hat Ihnen durchaus keine speculative, sondern nur teleologische Bedeutung.362 Teleologische Bedeutung hat die Natur, weil sie allein als Bedingung der Möglichkeit freien, zuletzt sittlichen Handelns thematisiert werden kann. Dabei ist ihre innere Zweckmäßigkeit363 nicht ontologisch-metaphysisch, sondern transzendental bestimmt.364 Das Ansich der Dinge geht in der Funktion, das freie, zuletzt sittliche HanFichte schreibt am 10. Mai 1806 an Karl Friedrich Beyme: Es giebt keine NaturPhilosophie; und wer ein Philosoph zu seyn glaubt, ohne von Religion, und Moral auszugehen, und gerade darin seine Stärke zu besitzen, ingleichen, wer an eine selbständige Natur in der Spekulation glaubt, der befindet sich im Irrthume. (Briefe c 358). – Lauths (1984) Nachweis, daß eine allgemeine Naturphilosophie Fichtes in erstaunlicher Konsequenz und Geschlossenheit vorliegt, wenn auch nicht in einer eigenen Schrift behandelt (XV), bewegt sich innerhalb dieser von Fichte immer wieder betonten Unselbständigkeit der Natur. 361 31. Mai 1801; Briefe c 48. Lauth (1984; 162 f.) bestätigt: Die Welt des Naturstrebens [...] ist [...] nur ein unselbständiges Moment der sich bildenden Vernunft. Sie ist, was sie in ihren Kräften und Gestaltungen ist, durch die absolute Vernunft./ Das heißt nun nicht etwa nur, daß die Natur nicht anders als in Bewußtseinsformen erfaßt werden, ja, daß sie immer nur in Bewußtseinsformen gegeben sein kann, wobei diese Formen Entäußerungen und Übertragungen aus dem Ich darstellen. Es heißt etwas viel tiefer Gehendes, nämlich: Die Natur besteht in diesen ihren Formen, weil sie für die bildende Freiheit, die als Reflexion ein Objekt haben muß, so beschaffen sein muß, um eben Objekt der Freiheit sein zu können. 362 3. Oktober 1801; Briefe c 87. Dem entspricht Hegels Verdikt, wonach die Ausführung des Fichteschen Systems einer konsequenten Reflexion gehöre: die Spekulation hat keinen Theil daran. DS 47 363 Es giebt nur eine innere, keinesweges eine relative Zweckmäßigkeit in der Natur. Die letztere entsteht erst durch die beliebigen Zwecke, die ein freies Wesen in den Naturobjecten sich zu setzen, und zum Theil auch auszuführen vermag. SL 124 [128f.]. 364 [D]aß Fichte im Rahmen insbesondere seines praktisch-philosophischen Denkens einen Sinn von Natur entdeckt, der auf den ersten Blick als mit dem theoretisch-philosophischen Aphysiologismus nur schwer kompatibel erscheinen muß, wie Hoffmann (2003; 8) meint, gilt eben nur für den ersten Blick. Näheres Hinsehen zeigt, daß Fichte keinen Sinn von Natur entdeckt, der dem transzendentalen Standpunkt widerspräche, wonach das Nicht-Ich nur eine andre Ansicht des Ich ist. – Zu Fichtes Naturauffassung zwischen Kant und Schelling vgl. auch Gloy (1994); zu Schellings Begründung einer Naturphilosophie im Anschluß an Kant und Fichte vgl. jetzt Gerhard (2002). 360
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deln-Können des endlichen Vernunftwesens zu erklären, vollständig auf. Darin drückt sich nicht nur ein radikaler Nominalismus aus, den Fichte im übrigen mit Schelling (und Hegel) teilt, sondern vor allem die Überzeugung, daß die Transzendentalphilosophie rein bewußtseinsimmanent verfahren müsse, wenn sie nicht dogmatisch geraten wolle. Naturbestimmungen resultieren aus einer Übertragung von Bestimmungen des Ich auf die Sphäre des Nicht-Ich. Die Sphäre des Nicht-Ich ist nur für das Ich, das Daß und Was der Dinge kann also nicht unter Absehung vom Ich gefaßt werden, und sie ist für das Ich nur als das ihm Entgegensetzte, kann also selbst niemals Ich werden. Ich trage, laut der Wissenschaftslehre, auf die Natur den Begriff meiner selbst über, so weit ich es kann, ohne die Natur selbst in ihrem Charakter aufzuheben, d.i. ohne sie zur Intelligenz (Ich, sich selbst setzend) zu machen.365
5. Apriorisches und Aposteriorisches Die Wissenschaftslehre hat den Grund aller Erfahrung anzugeben.366 Der Grund aller Erfahrung liegt selbst nothwendig außer aller Erfahrung.367 Er besteht in den vorbewußten apriorischen Handlungen des Geistes, welche die philosophische Reflexion ins Bewußtsein hebt. Die Erfahrung ist das durch diese Handlungen Konstituierte. Als a priori Konstituierte hat sie nicht die Seite der Kontingenz, sondern ist das System aller nothwendigen Vorstellungen [...].368 Für sie gilt, daß Apriori und Aposteriori dasselbe sind, nur aus verschiedenen Ansichten betrachtet. Apriorisches und Aposteriorisches sind für Fichte, anders als für Kant, gar nicht zweierlei, sondern ganz einerlei; es wird nur von zwei Seiten betrachtet, und ist lediglich durch die Art unterschieden, wie man dazu kommt. Die Philosophie anticipirt die gesammte Erfahrung, denkt sie sich nur als nothwendig, und in so fern ist sie, in Vergleich mit der wirklichen Erfahrung, a priori.369 Sie leitet ohne alle Rücksicht auf die Wahrnehmung, a priori ab, was ihr zufolge eben in der Wahrnehmung, also a posteriori, vorkommen soll. Ihr bedeuten sonach diese Ausdrücke nicht verschiedene Objekte, sondern nur eine verschiedene Ansicht eines und eben desselben Objekts.370 Ein und dasselbe, etwa das Gesetz der Kausalität oder die Forderung des moralischen Gesetzes an mich, ist als Resultat philosophischer Darstellung a priori, weil und insofern diese Darstellung die Genese dieser notwendigen Vorstellungen aus dem Wesen des Ich aufzeigt, und es ist als in der Erfahrung des gemeinen Mannes371 gegeben a poste-
365 366 367 368 369 370 371
Thiere 421 [362]. EE 187 [425]. EE 187 [425]. EE 205 [446]. EE 206 [447]. SB 213 [355]. EE 207 [449].
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riori, weil und insofern in dieser Erfahrung die Genese der Vorstellungen nicht in den Blick kommt. Der gemeine Mann muß nicht Wissenschaftslehre treiben, um als Naturwissenschaftler besondere Ursache-Wirkungszusammenhänge erforschen zu können oder eine pflichtmäßige Gesinnung und ein ihr entsprechendes Betragen zu erzeugen. Für das erste reicht eine naturwissenschaftliche Ausbildung, für das zweite, daß er auf die Aussprüche seines Gewissens sorgfältig merkt.372 Will er aber verstehen, was es mit der Kausalität überhaupt auf sich hat und warum sich in seinem Bewußtsein eine moralische Nötigung findet, dann muß er allerdings Wissenschaftslehre treiben und die Genese des Bewußtseins der Kausalität ebenso wie die des Bewußtseins des moralischen Zwangs aus der Ichheit als ihrem Grund verfolgen.373 Indem Fichte den Kantischen Dualismus von Apriorischem und Aposteriorischem negiert, negiert er auch den von Form und Inhalt der Erkenntnis. In der Kantischen Transzendentalphilosophie sind die apriorischen Formen des Verstandes und der Anschauung ohne den empirisch gegebenen Stoff leere Formen ohne Inhalt. Weil der Stoff nicht selbst produziert wird, sondern gegeben ist, bedarf es der Vermittlung beider durch den Schematismus der transzendentalen Einbildungskraft; weil der Stoff aber zuletzt empirisch gegeben ist, bleibt diese Vermittlung dem Stoff äußerlich und reproduziert den Dualismus. So stehen sich in den Antizipationen der Wahrnehmung der transzendentale Begriff der Empfindung überhaupt und der an die Reizschwelle der Sinne gebundene, nicht-transzendentale Begriff der Empfindung unvermittelt gegenüber.374 In der Wissenschaftslehre sind dagegen Form und Stoff [...] nicht besondere Stücke: die gesammte Formheit ist der Stoff [...].375 Der Stoff, der selbst Form ist, ist nicht empirisch gegeben, vielmehr besteht er in dem System des menschlichen Geistes, das heißt in dem wirklichen Bewußtsein. Der Inhalt der Wissenschaftslehre ist selbst Form, weil er den Erkenntnissen, die die Inhalte empirischer Bewußtseine ausmachen, keine neuen hinzufügt, sondern nur über den Mechanismus des Geistes aufklärt, der ihrem Zustandekommen zugrunde liegt. Es kommt [...] dem Innhalte der Philosophie keine andere Realität zu, als die des nothwendigen Denkens, unter der Bedingung, daß man über den Grund der Erfahrung etwas denken wolle.376 SL 33 [14]. Vgl. GuG 348ff. [178ff.]. 374 Vgl. in dieser Arbeit das Kapitel Selbstaffektion und transzendentaler Gegenstand. 375 EE 202 [443]. 376 EE 207 [449]. Fichte schreibt am 22. April 1799 an Reinhold: [I]n wiefern die Metaphysik das System reeller durch das bloße Denken hervorgebrachter Erkenntnisse seyn soll, läugnet z.B. Kant, und ich mit ihm die Möglichkeit der Metaphysik gänzlich; er rühmt sich, dieselbe mit der Wurzel ausgerottet zu haben, und es wird [...] dabei ohne Zweifel auf ewige Zeiten sein Bewenden haben./ Unser System, indem es die Erweiterungen Anderer zurückweiset, läßt sich eben so wenig einfallen, selbst an seinem Theile das gemeine und allein reelle Denken erweitern zu wollen: sondern es will dasselbe lediglich erschöpfend umfassen und darstellen. – Unser philosophisches Denken bedeutet nichts, und hat nicht den mindesten Gehalt; nur das in seinem Denken gedachte Denken bedeutet und hat Gehalt. Unser philosophisches Denken ist lediglich das Instru372 373
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Daneben muß Fichte aber noch ein absolut Zufällige[s], bloß Empirische[s] zugestehen, denn transzendentalphilosophisch ist nur die Notwendigkeit einer Beschränktheit überhaupt des Ich zu deduzieren, nicht aber deren Bestimmtheit. Hier sonach hat alle Deduction ein Ende. Diese Bestimmtheit erscheint als das absolut Zufällige, und liefert das bloß Empirische unserer Erkenntniß. Sie ist es z.B., durch die ich unter den möglichen VernunftWesen ein Mensch bin, durch die ich unter den Menschen diese bestimmte Person bin, u. s.w.377 Es ist demnach zu unterscheiden zwischen zwei Arten des Aposteriorischen, nämlich dem Aposteriorischen, welches transzendental deduzierbar und insofern a priori notwendig ist, und dem echten, welches nicht deduzierbar und insofern zufällig ist. Infolgedessen sind auch zwei Arten von Inhalt zu unterscheiden, nämlich einmal der Inhalt, der selbst Form ist, sodann der materiale Inhalt. Fichtes Zugeständnis eines bloß Empirischen könnte Zweifel daran aufkommen lassen, daß es ihm tatsächlich gelungen ist, den Dualismus von Spontaneität und Rezeptivität und mit diesem die dogmatische Behauptung eines gegebenen Stoffs zu überwinden. Kann das bloß Empirische nämlich nur als ein schlechthin Gegebenes aufgefaßt werden, so scheint damit in die Wissenschaftslehre wieder jener Stoff Eingang zu finden, in den sich Fichte zufolge der Dogmatismus der Kantianer flüchtet,378 um den für sich leeren apriorischen Formen einen Inhalt anzuschaffen. Fichte wäre auf die Frage zurückgeworfen, von der er nachgewiesen hatte, daß sie sich für die Transzendentalphilosophie nicht stellt: [W]oher denn der Stoff, der in diese Formen aufgenommen wird?379 In der Tat knüpft Fichte mit dem Zugeständnis eines bloß Empirischen an Kant an, ohne aber den Dualismus von Spontaneität und Rezeptivität zu restituieren und damit hinter die Positionen der Wissenschaftslehre zurückzufallen. Zunächst bedeutet das Zugeständnis eines bloß Empirischen nur, was sich von selbst versteht: die spezifische Bestimmtheit der ursprünglichen Beschränktheit des Ich kann nicht deduziert werden, denn aus Prinzipien kann die Fülle der empirischen Realität nicht konstruierend wiedergewonnen werden; konstruieren lassen sich nur deren allgemeine Formen. Das Positive in den Dingen ist schlechterdings weiter nichts, als was sich auf unser Gefühl bezieht, daß etwas roth ist[,] kann nicht abgeleitet werden, daß aber die Gegenstände in Raum und Zeit und in gewißen Beziehungen gegeneinander sind, das kann abgeleitet werden.380 Fichte beansprucht ebensowenig wie Kant die Ableitung besonderer Naturgesetze oder spezifischer Bestimmtheiten spezifischer Gegenstände aus der transzendentalen Einheit der Apperzeption oder notwendigen Handlungs-
ment, durch welches wir unser Werk zusammensetzen. Ist das Werk fertig, so wird das Instrument als unnütz weggeworfen. Briefe b 331. 377 ZE 242 [489]. 378 EE 202 [443]. 379 EE 202 [443]; vgl. in dieser Arbeit das Kapitel Selbstaffektion und transzendentaler Gegenstand. 380 WLnmK 382.
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weisen des Ich. Die Sphäre des bloß Empirischen ist für die Transzendentalphilosophie notwendig, denn sie markiert ihre Grenze. Umfaßt die Transzendentalphilosophie das a priori Notwendige in unserer Erkenntnis, so ist sie damit auch negativ bestimmt, gegen das a priori nicht-notwendige und insofern Zufällige in unserer Erkenntnis. Fichte hat diese Grenze nicht überschritten, sondern im Vergleich zu Kant gewissermaßen nur weiter hinausgeschoben. Wo sie genau verläuft, ist allerdings nicht deutlich. Einerseits gilt: Die Wissenschaftslehre kennt zwar keinen Dualismus von Spontaneität und Rezeptivität und deshalb auch nicht das notorische Problem, das Kants erste Kritik mit der Vermittlung dieser für sie heterogenen Bestimmungsstücke der Erkenntnis hat. Wohl aber kennt sie den Unterschied von transzendental bestimmter allgemeiner Form der Gesetzmäßigkeit der Erscheinungswelt und den transzendental nicht deduzierbaren besonderen Gesetzen bestimmter Gegenstände oder Gegenstandsbereiche. Andererseits aber verlängert Fichte im Naturrecht und in der Sittenlehre den Bereich des transzendental deduzierbaren Apriori, das nur eine andere Ansicht des Aposteriori ist, auf empirische Ereignisse in Raum und Zeit und auf empirische Phänomene wie das Licht oder die Bestimmtheiten der belebten Natur. Beide Varianten jeweils zu Ende gedacht, zeigen, daß der Bewußtseins-Immanentismus der Transzendentalphilosophie nicht aufrechterhalten werden kann. Zum Ersten: Fichte unterscheidet mit Kant die deduzierbare allgemeine Form der Gesetzmäßigkeit der Erscheinungswelt von den nicht deduzierbaren besonderen Gesetzen, die den Inhalt der Einzelwissenschaften ausmachen, und ihm ist bewußt, daß die Vermittlung beider ein genuines Thema der Transzendentalphilosophie ist. Diese kann sich nicht darauf beschränken, den kategorialen Rahmen ins Bewußtsein zu heben, innerhalb dessen sich die Erkenntnisfortschritte der Menschheit von jeher vollzogen haben und inskünftig vollziehen werden, und im übrigen mit Kants erster Kritik darauf verweisen, daß Erfahrung dazu kommen381 müsse. Sie muß vielmehr zeigen, daß und inwiefern diese Forderung auf der Grundlage ihrer eigenen Bestimmungen als prinzipiell erfüllbar gedacht werden kann. Schon Kant hat gesehen, daß die Möglichkeit der Erkenntnis des Besonderen als eines solchen ein Problem ist, von dessen Lösung das Gelingen der Transzendentalphilosophie insgesamt abhängt und sie zu einem zentralen Thema seiner dritten Kritik gemacht. Nach dieser ist die reflektierende Urteilskraft das Vermögen, vermittels dessen das empirische Subjekt den zu erklärenden Phänomenen gegenübertritt, um sie unter allgemeine Begriffe und Gesetze zu bringen. Fichte folgt dem Vorbild Kants: Nun könnte aber die Wahrnehmung gegeben sein, aber das Gesez wonach diese zu erklären wäre[,] wäre nicht ursprünglich gegeben, sondern müste ausgedacht u. erfunden werden; wäre es gefunden, so wäre die Urtheilskraft subsumirend, in dem Suchen aber ist die Urtheilskraft reflectirend [...].382
381 382
KrV B 165. Mph 288.
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II. FICHTE
Fichtes Charakterisierung der Funktion der reflektierenden Urteilskraft unterstellt ein empirisches Subjekt der Erkenntnis, dessen Denken kategorial nicht vollständig determiniert ist und das seine Begriffe zunächst versuchsweise an den gegebenen Phänomenen erprobt, die ebenfalls kategorial nicht vollständig bestimmt sind. Er handelt sich damit zwei Probleme ein, die bereits aus der Kritik der Urteilskraft bekannt sind.383 Das erste betrifft die Geltung der Resultate der reflektierenden Urteilskraft. Weil sie zu einem gegebenen Besonderen die allgemeine Regel sucht, kann den Schlüssen der reflektierenden Urteilskraft unmittelbar keine objektive Geltung zukommen. Als induktive Schlüsse können sie unmittelbar nur zu Resultaten von komparativer Allgemeinheit führen. Das zweite Problem betrifft die ontologische Voraussetzung der Schlüsse der reflektierenden Urteilskraft. Damit das empirische Subjekt an gegebenen Phänomenen überprüfen kann, ob die Begriffe seiner reflektierenden Urteilskraft nur ausgedacht u. erfunden (Fichte) sind oder ob durch sie tatsächlich eine den Phänomenen zugrunde liegende Gesetzmäßigkeit gefunden (Fichte) ist, müßten die Phänomene an sich bestimmt sein.384 Beide Probleme hängen zusammen. Sollen nämlich Schlüsse der reflektierenden Urteilskraft im Resultat sich in solche der subsumierenden transformieren können, was Fichte behauptet, und sollen sie damit objektive Geltung beanspruchen können, was unabdingbar ist, wenn die Transzendentalphilosophie nicht wie der Empirismus den Gesetzen der Einzelwissenschaften nur komparative Allgemeinheit zugestehen will, dann muß den Bestimmungen der reflektierenden Urteilskraft im Falle gelungener Erkenntnis in dem WahrgenomVgl. in dieser Arbeit das Kapitel Vernünftiger Verstand und reflektierende Urteilskraft. Das spricht auch gegen Lauths Bestimmung der reinen Empirie (der Ausdruck findet sich auch bei Fichte: vgl. Privat. 339): Die transzendentale Konstitution eröffnet aus ihr selbst den Freiraum für die reine Empirie. Diese kann und soll die Grenze des durch transzendentale Ableitung als grundgesetzlich Erwiesenen überschreiten, oder besser noch gesagt, in dessen Gebiet Boden für ihre Arbeit finden. Sie bleibt dabei freilich immer im Stande eines Paroikos. In dem Versuch, das zuerst historisch Gegebene systematisch zu erfassen, bedient sich die Empirie über die Sinneswahrnehmung hinausgehend der instrumentalen Messung und der Beobachtung. Sie kann nach Auswertung ihrer Befunde unter den möglichen Modi kategorialer und kategorialinvertierter Erklärung auswählen und sich derjenigen bedienen, die zu ihrem Zwecke der Einheitserfassung sich als die geeigneten erweisen. Sie kann auch bei Aufstellung ihrer Gesetze von Bestimmungsmomenten des ursprünglichen Bewußtseins der Außenwirklichkeit wieder absehen und sich nur eines reduzierten Bestandes bedienen. Ihre besonderen Gesetze sind infolgedessen freilich immer nur regulative Bestimmungen./ [D]er Status induktiver Gesetze [ist] ein grundsätzlich anderer als derjenige transzendentaler Gesetze. (1984; 170 f.) – Lütterfelds kritisiert zu Recht: Lauths [...] Vorschlag, das kategorialbegriffliche Element der Erfahrung a priori im Subjekt entspringen zu lassen, während das Erfahrungsmaterial dann darüber entscheidet, welche begriffliche Bestimmung zur Hypothesenbildung geeignet ist, übergeht die Schwierigkeiten dieses Prozesses. Denn das empirische Material muß in einem solchen Prozeß bereits begrifflich bestimmt sein, andernfalls könnte es gar nicht die fragliche Entscheidung herbeiführen. Aber dann entspringen die Begriffe keineswegs nur dem Subjekt, bzw. diesem entspringt auch das Aposteriori. (1989; 456f.). 383 384
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menen etwas korrespondieren. Die Bestimmtheit der Gegenstände, die den Begriffen der Urteilskraft korrespondiert, ist eine Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis, die nicht im erkennenden Subjekt selbst liegt, sondern ihm transzendent ist. Sie bildet die ontologisch-metaphysische Voraussetzung für erfolgreiche Schlüsse der reflektierenden Urteilskraft. Es liegt auf der Hand, daß Transzendentalphilosophie eine solche Ansich-Bestimmtheit der Natur nicht zugeben kann. Sie ist mit ihrem Anspruch, die Immanenz des Bewußtseins zu wahren, unvereinbar. Andererseits zeigt sich gerade im Hinblick auf die Möglichkeit der Erkenntnis des Besonderen als eines solchen, daß dieser Anspruch verfehlt ist. Schon Kant gelingt es nur um den Preis der Inkonsistenz seiner Argumentation, die reflektierende Urteilskraft von ontologisch-metaphysischen Implikationen freizuhalten. Einerseits soll sie sich selbst auf ihre gegenständlichen Voraussetzungen nur im Modus des als ob transzendieren, andererseits sollen ihre Begriffe und Gesetze auf Bestätigung durch die Natur angewiesen sein, was voraussetzt, daß diese Natur an sich bestimmt ist. Fichte sieht in dieser Argumentation Kants nur ein Zurückfallen hinter die Positionen der Transzendentalphilosophie, nicht aber das sachliche Problem, daß ihr tatsächlich zugrunde liegt. Kant bemerke in der Kritik der Urteilskraft, es sei eine Gunst der Natur, wenn sie sich bequeme der Begreiflichkeit und Faßlichkeit nach Vernunftgesetzen, die doch nicht in ihr liegen: und dies sagt er nicht spottend, sondern wenn auch nicht gerade als seine eigne Ansicht, dennoch als eine wohl zu vergönnende, löbliche, und zu Etwas führende; was beweisen würde, daß in dieser Stelle die richtige Einsicht ihm nicht beigewohnt hat. Bei uns ist dies nicht Gunst der Natur, sondern absolute Schuldigkeit und Nothwendigkeit, wenn sie überhaupt zu existiren begehrt, indem die ganze Natur gar nichts Anderes sein kann, als die Darstellung unserer Begriffe.385 Kants Wort von der Gunst der Natur bedeute einen Rückfall in den Empirismus, der nicht wisse, daß die Vernunft in der Natur nur finde, was sie zuvor selbst in sie hineingelegt habe. Der Empirist unterstelle eine Natur, die von sich aus so eingerichtet sei, daß ihr Mannigfaltiges sich begrifflich fassen lasse. Ihm sei nicht bewußt, daß die Merkmale, die der forschende Geist vermeintlich erst durch die Analyse eines gegebenen Einzeldings, etwa einer Pflanze, erhalte, selbst schon Begriffe [...]386 seien. Anders die Transzendentalphilosophie, die als Wissenschaftslehre den ursprünglichen Mechanismus des menschlichen Geistes systematisch darstellt. Sie weiß, daß das, was sie treibt, bloße Reproduktion ist des ursprünglichen Lebens des Wissens.387 Fichte entgeht hier, daß keineswegs alle Merkmale der Pflanze dem Subjekt allein entspringen. Die Merkmale, die er aufzählt: der Ort, den sie im Raum einnimmt, die Zeit, in der sie wahrgenommen wird, die Größe ihrer Ausdehnung, setzen transzendentale Bestimmungen voraus und gründen insofern im Subjekt (was freilich schon 385 386 387
TL 116f. TL 118. TL 121.
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nicht mehr auf das Gesetz des Wachstums, das Fichte ebenfalls anführt, zutrifft).388 Sie sind konstitutiv für den leeren Begriff eines Objekts überhaupt, ergeben aber nicht den Begriff der Pflanze. Mithin ist Fichtes Urteil, das die einzelne Pflanze analysierende Ich habe den ganzen Begriff der Pflanze, den der [empiristische] Logiker erst erzeugen will, schon gehabt,389 falsch, und die ganze Natur kann nicht nur, sondern sie muß noch etwas anderes sein als die Darstellung unserer Begriffe. Das zwingt wie schon bei Kant so auch bei Fichte zur Revision des radikalen Bewußtseins-Immanentismus der Transzendentalphilosophie und zur Anerkennung ihrer metaphysischen Implikationen. Zum Zweiten: Das Naturrecht spezifiziert die Frage der Wissenschaftslehre nach den notwendigen Bedingungen wirklichen Selbstbewußtseins zu der nach den notwendigen Bedingungen des Selbstbewußtseins des individuierten Ich. Fichte will nachweisen, daß Selbstbewußtsein logisch zwingend das Selbstbewußtsein von sich wechselseitig als Vernunftwesen anerkennenden Individuen ist. Er will als erster in der Geschichte der Philosophie aus dem Ich überhaupt die Sozialität des Menschen ableiten.390 [D]as vernünftige Wesen [kann] sich nicht als ein solches mit Selbstbewußtseyn setzen [...], ohne sich als Individuum, als Eins, unter Mehrern vernünftigen Wesen zu setzen, welche es ausser sich annimmt, so wie es sich selbst annimmt.391 Ist demnach für wirkliches Selbstbewußtsein die Selbstunterscheidung von Individuen derselben Art konstitutiv, dann schließt die Deduktion der Bedingungen wirklichen Selbstbewußtseins die Bedingungen dieser Selbstunterscheidung ein. Das Ich muß mit seinesgleichen in einem Verhältnis wechselseitiger Anerkennung freier Vernunftwesen stehen, das heißt in einem Rechtsverhältnis, und dies ist nicht denkbar ohne seine leibliche Individuierung. Von der Wissenschaftslehre im engeren Sinne ist daher überzugehen in die Rechtslehre,392 die aber ihrerseits auch Anthropologie
Vgl. TL 118. TL 119. 390 Zur Bestimmung und Begründung von Interpersonalität in der Philosophie allgemein vgl. die einleitenden Bemerkungen von Hunter (1973), 1-9; zum Problem der Interpersonalität bei Fichte Lauth (1962); zur transzendentalphilosophischen Begründung gesellschaftlicher Erfahrung durch Fichte und in Abgrenzung von Kant vgl. ders. (1986); zu Fichtes Begründung von Intersubjektivität und Selbstbewußtsein im Vergleich zu Mead, Schütz, Hegel vgl. E. Düsing (1986); vgl. ferner Heimsoeth (1923); Weischedel (1939). 391 NR 319 [8]; vgl. ebd. 365 [62]: [D]as Vernunftwesen kann sich [...] nicht etwa als Vernunftwesen überhaupt, es kann sich nur als Individuum setzen. 392 Die erste Rechtslehre Fichtes, die Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre (1796), ist, wie schon ihr Titel anzeigt, integraler Bestandteil der gesamten Wissenschaftslehre oder Transzendentalphilosophie. Honneths (2001; 80) Zweifel daran, ob die im Naturrecht entwickelte Intersubjektivitätstheorie Teil des transzendentalphilosophischen Programms ist, sind mithin unangebracht. Vgl. Lauth (1962; 183). – Bader (2001) betont nicht nur den grundsätzlichen System-Anspruch (76), mit dem Fichte seine Interpersonalitätstheorie entwickelt, sondern ist auch der Ansicht, daß er diesem Anspruch gerecht wird. – Radrizzani 388 389
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sein muß. Der Wissenschaftslehrer, der implizit ein Leibnehmer ist, solange er das Ich allein als Prinzip thematisiert, wird, mit Jean Paul zu sprechen, zum Leibgeber, der zwar nicht unsre liebe Person,393 wohl aber den Leib des Ich deduziert.394 [W]ie kommen wir dazu uns einen Leib beizulegen[?]395 Die Anthropologie, die bei Kant eine gegenüber der Transzendentalphilosophie unabhängige philosophische Disziplin ist,396 wird in diese integriert.397 (2006; 143) schreibt der Rechtslehre gegenüber Sittenlehre, Religion und Wissenschaft nur eine sehr untergeordnete, wenn auch unentbehrliche Stellung im projektierten System Fichtes zu. 393 Vgl. Fichtes Anmerkungen zu den von Gegner[n] der WissenschaftsLehre mit vieler Keckheit gegen deren Prinzip der Ichheit erhobenen Vorwurf: Wir für unsre Person können uns unter dem Begriffe des Ich nichts denken, als unsre liebe Person, im Gegensatze mit andern Personen. ZE 254 [501]. 394 Vgl. dazu auch E. Düsing (1991); Siep (1993). 395 Aph. 72; vgl. NR §§5f. Jean Paul hat seinem Titan als Anhang eine Clavis Fichtiana beigegeben. In dieser gibt Leibgeber, das Alter ego Fichtes, nach Paragraphen geordnet einen Abriß seines respektive des Fichteschen Werks. Paragraph 12 überliefert Gedanken, die Leibgeber bei Gelegenheit einer Fußwaschung kamen: ›Es frappiert mich selber, (sagt’ ich, als ich mein System während eines Fußbades flüchtig überblickte, und sah bedeutend auf die Fußzehen, deren Nägel man mir beschnitt) ›daß ich das All und Universum bin; mehr kann man nicht werden in der Welt als die Welt selber (§ 8) und Gott (§3) und die Geisterwelt (§8) dazu. [...] Welch ein Wesen, das, sich ausgenommen (denn es wird nur, und ist nie), alles macht, mein absolutes, alles gebärendes, fohlendes, lammendes, heckendes, brechendes, werfendes, setzendes Ich!/ Hier konnt’ ich nicht länger mit den Füßen im Wasser bleiben, sondern ging barfuß und tropfend auf und ab: ›Überschlage doch einmal, sagt’ ich, ›in Pausch und Bogen deine Schöpfungen – den Raum – die Zeit (jetzt bis ins achtzehnte Jahrhundert herein) – was in beiden ist – die Welten – was auf diesen ist – die drei Reiche der Natur – die lumpigen königlichen Reiche – das der Wahrheiten – das der kritischen Schule – und sämtliche Bibliotheken! – Und mithin auch die paar Bände, die Fichte geschrieben, weil ich ihn erst setzen oder machen muß, eh’ er eintunken kann – denn es kommt auf meine moralische Politesse an, ob ich ihn leben lassen will [...]. Daher nenn’ ich die Wissenschaftslehre keck mein Werk und den Leibgeberianismus, gesetzt auch, Fichte wäre und hegte ähnliche Gedanken [...]. Jean Paul (1800), 1037f. 396 Kant unterscheidet die Anthropologie in physiologischer und pragmatischer Hinsicht. Jene geht auf die Erforschung dessen, was die Natur aus dem Menschen macht, diese dagegen fragt nach dem, was er [der Mensch] als freihandelndes Wesen, aus sich selber macht, oder machen kann und soll. Grundlage dieser Anthropologie ist die Beobachtung des wirklichen Tun und Lassens der Menschen, ihre Mittel und Hülfsmittel sind Umgang mit seinen Stadt- und Landgenossen, Reisen, aber auch Kenntnis der Weltgeschichte, Biographien, ja Schauspiele und Romane. Anthr. BA IVff. (Vorrede). 397 Schrader (1992; 23): Statt Anthropologie durch Erfahrung zu begründen, ist – wie Fichte ausdrücklich feststellt – ›eine absolut reine Behandlung dieser Gegenstände möglich, u. muß wirklich werden. – Zöller (2001) relativiert: Bezeichnenderweise [...] reduziert [Fichte] die Spezifikation der Leiblichkeit nach den verschiedenen Sinnen bzw. Sinnesorganen auf ein Minimum. Begriffe wie ›Leib, ›Sinn, ›grobe und ›subtilere Materie sollten [...] in erster Linie als systematische Platzhalter für prinzipiell erforderliche Realisationsstrukturen endlicher Vernünf-
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II. FICHTE
Fichte setzt im Naturrecht das Resultat der Wissenschaftslehre voraus: Das Ich ist nur als Handeln, und die Konstituentien seines Handelns sind Wollen (Streben) und Vorstellen. Fichte fragt nun, wie diese nur analytisch zu trennenden Konstituentien des Ich im Nacheinander der Zeit sich wechselseitig voraussetzen und dennoch in Einem Zeitpunkt zusammenfallen können. Die Aufgabe ist unlösbar und wird nur deshalb formuliert. Wollen und Vorstellen sind entweder in jedem Zeitpunkt in Einheit, dann läßt sich die Genese des Selbstbewußtseins in der Zeit nicht erklären, weil in dieser Erklärung das zu Erklärende immer schon vorausgesetzt wird; oder sie sind nicht in Einheit, dann gerät die Erklärung in den unendlichen Regreß.398 Zirkel bzw. unendlicher Regreß ließen sich nur vermeiden, wenn Wollen und Vorstellen nicht mehr sich wechselseitig voraussetzende Handlungen desselben Ich wären, sondern diesem Ich von außen in Einem Moment gegeben würden. Dies geschieht Fichte zufolge dergestalt, daß ein wirkliches individuelles Selbstbewußtsein das potentielle Selbstbewußtsein auffordert zur freien Selbstbestimmung. Die Aufforderung ist ein Anstoß, ein äußerliches Einwirken auf das potentielle Ich, das von einem bereits wirklichen Selbstbewußtsein an es ergeht. In diesem ausgezeichneten Fall muß das potentielle, das aufgeforderte Ich nicht eigens den Zweck als Objekt seines Wollens vorstellen. Denn die Aufforderung ist als äußerliche Einwirkung zwar Objekt, aber ein Objekt, das selbst die freie Wirksamkeit des Subjekts bedeutet. Die Aufforderung, die wohl sprachliche Gestalt haben muß, ist nicht bloße physische Einwirkung, bloße Abfolge von Lauten, sondern von Lauten, die einen geistigen Gehalt ausdrücken, eine Bedeutung. Das, was dem aufgeforderten Ich äußerlich, als Objekt, gegeben wird, und was es, wenn es dieses Objekt begreift, vorfindet, ist der Begriff seiner Autonomie: sein Bestimmtseyn [...] zur Selbstbestimmung.399 Zirkel beziehungsweise unendlicher Regreß resultieren daraus, daß Fichte transzendentale Bestimmungen, die als solche jeder bestimmten Erfahrung a priori zugrunde liegen und daher nicht selbst erfahrbar sind, verwandelt in Bestimmungen, die in der Zeit erfahrbar sind. Fichte wechselt damit das Prinzip der Deduktion.400 Statt tigkeit angesehen werden, die dann in einer ›offenen physischen wie kulturellen Anthropologie empirisch und damit revidierbar zu spezifizieren wären. Fichtes transzendentale Theorie der materiellen Anwendungsbedingungen des Rechtsbegriffs präsentiert sich so als Proto- und Formalanthropologie zu den Grundformen der Präsenz und Effizienz von Vernünftigkeit in der Sinnenwelt. (110). 398 Alles Begreifen ist durch ein Setzen der Wirksamkeit des Vernunftwesens; und alle Wirksamkeit ist durch ein vorhergegangenes Begreifen desselben bedingt. NR 340 [30]. 399 NR 342 [33]. 400 Vgl. Janke (1990), 104. Siep spricht von einer Erweiterung der transzendentalen Deduktion auf die Bedingungen des Bewußtseins der Individualität, wodurch raum-zeitliche Ereignisse in den Bereich des Transzendentalen rücken (1981; 291). Fichte müsse die Methode ›transzendentaler Deduktion erweitern: Er muß zu ihr den Nachweis der Bedingungen rechnen, unter denen die in der ›Grundlage nachgewiesene Bewußtseinsstruktur in einem raum-zeitlich bestimmten Bewußtseinsleben selber ›bewußt bzw. ›gefunden werden kann./ Diese Erweiterung
C. Die Einheit der Vernunft
303
wie behauptet die Bestimmungen des Rechts aus der reinen Form der Vernunft, aus dem Ich401 zu deduzieren, setzt er das faktisch existierende Ich voraus und erschließt Bedingungen seines Selbstbewußtseins. Nur so kann er jenen Zirkel beziehungsweise unendlichen Regreß konstruieren, aus dem dann Aufforderung und wechselseitige Anerkennung führen sollen. Diese Konfundierung von Bestimmungen des Ich überhaupt mit solchen des individuellen, empirischen Ich, ist allerdings insofern durch die Wissenschaftslehre selbst gedeckt, als in ihr umgekehrt Bestimmungen des empirischen Ich in transzendentale verkehrt sind: Nach der so eben vorgenommenen Erörterung ist das Princip des Lebens und Bewußtseyns, der Grund seiner Möglichkeit, – allerdings im Ich enthalten, aber dadurch entsteht noch kein wirkliches Leben, kein empirisches Leben in der Zeit; [...] Soll ein solches wirkliches Leben möglich seyn, so bedarf es dazu noch eines besondern Anstoßes auf das Ich durch ein NichtIch.402 Mit dem empirische[n] Leben in der Zeit ist hier nicht das Individuum gemeint, das wohl allein in der Zeit lebt, sondern das Ich überhaupt, das seinem Dasein nach abhängig ist von einem Nicht-Ich. Inbegriff des Lebendigen ist nach der Wissenschaftslehre nicht die belebte Natur, sondern das Bewußtsein: das Ich, das danach strebt, jede bestimmte Grenze aufzuheben, das seine Begrenztheit überhaupt aber nicht aufheben kann. Daß das nicht haltbar ist, zeigt sich drastisch im Naturrecht, wenn Fichte den Prozeß der Aufforderung und daraus resultierenden wechselseitigen Anerkennung zweier Individuen im Hinblick auf dessen gegenständliche Bedingungen konkretisiert, um darzutun, daß das Aufgefordertwerden eines potentiellen Ich durch ein bereits wirkliches Selbstbewußtsein notwendig ist. Der Grund der Aufforderung liege in der Leibgestalt desjenigen, der aufgefordert wird.403 Das erst potentielle Ich wirke durch seine leibliche Gestalt auf das wirkliche Ich und nötige es zur Aufforderung. Fichte führt einen genetischen Beweiß.404 Der Leib dessen, der aufgefordert wird, muß von dem, der auffordert, als Naturzweck oder Organismus (Pflanze) vorgestellt werden, es muß ihm die Fähigkeit der freien Bewegung (Tier) und schließlich der Begriff der Freiheit (Mensch) zugesprochen werden. Fichte treibt die Deduktion von Naturbestimmtheiten aus dem Ich bis zu der des Lichts (und darüber hinaus): Mein Leib muß der Person ausser mir sichtbar seyn, ihr durch das Medium des Lichts erscheinen [...].405 widerspricht dem Programm der ›Grundlage nicht. In dieser ist immer wieder davon die Rede, das in ihr ›Deduzierte müsse jeder einzelne in seinem Selbstgefühl und ›faktischen Bewußtsein auffinden bzw. nachprüfen können. Daß aber die raumzeitlichen und ›sozialen (intersubjektiven) Bedingungen dieses Nachvollzugs in ihrer Allgemeinheit, ihrer Gültigkeit für jedes einzelne Individuum, selber noch in eine transzendentale Deduktion gehören, davon war in der ›Grundlage keine Rede. (1992; 81). 401 NR 358 [53]. 402 GWL 410f. [279]. 403 Vgl. NR 374ff. [73ff.]. 404 NR 378 [ 77]. 405 NR 377 [76].
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II. FICHTE
Schelling und Hegel haben in diesen Deduktionen einen Rückfall in die Teleologie der Physikotheologie gesehen, die Naturbestimmtheiten auf der Natur äußere Zwecke bezieht, und kritisiert, für Fichte habe die Natur durchaus keine speculative Bedeutung,406 sie sei wesenlos. Dagegen haben orthodoxe Kantianer darin die Auswüchse einer Spekulation gesehen, die in den Unsinn führt, weil sie sich über die von Kant gesetzten Grenzen hinwegsetzt.407 Fichte selbst hat das Unverständnis, auf das seine Bestimmung des Verhältnisses von Apriorischem und Aposteriorischem traf, persifliert: Ich trete auf, und sage meine Gründe, warum ichs für das Geschäft der Philosophie halte, die gesammte Erfahrung, als nothwendige Bedingung des Selbstbewußtseyns abzuleiten; und mache mich [...] an das Werk. Wer dagegen etwas hat, hat entweder die Unzulänglichkeit der Gründe nachzuweisen, aus welchen ich der Philosophie jene Bestimmung gebe; oder, wenn er das nicht kann, die Unrichtigkeit meiner Deductionen insbesondre nachzuweisen; oder, wenn er keins von beiden kann, ganz stille zu schweigen. – Was aber thun sie? [die Rezensenten der Wissenschaftslehre] Ich sage ihnen: hier habe ich a priori die Nothwendigkeit deducirt, noch andere vernünftige Wesen unsers gleichen anzunehmen. Sie antworten mir: ›da haben Sie ja a priori die Nothwendigkeit deducirt, noch andere vernünftige Wesen unsers gleichen anzunehmen; bedenken Sie nur! ha ha ha! Ich sage ihnen: hier habe ich Luft und Licht a priori deducirt. Sie antworten mir: ›Luft und Licht a priori; bedenken Sie nur! ha ha ha! [...]./ Luft und Licht a priori – fangt nur nicht gleich wieder an zu lachen – was ist denn daran so sonderbares?/ ›Ei, die Erkenntniß derselben ist ja a posteriori; Luft und Licht sind ja Gegenstände der Erfahrung./ Allerdings, wer läugnet denn das? haben wir denn überhaupt etwas anders als die Erfahrung?/ ›Aber, Sie sagten ja so eben, sie seyen a priori./ Allerdings, kann denn auf eine andere Weise etwas für uns Schelling schreibt am 3. Oktober 1801 an Fichte: Sie [die Natur] hat Ihnen durchaus keine speculative, sondern nur teleologische Bedeutung. Sollten Sie aber wirklich z. B. der Meinung seyn, daß das Licht nur ist, damit die Vernunftwesen, indem sie miteinander sprechen, sich auch sehen, und die Luft, damit sie, indem sie einander hören, mit einander sprechen können? (Fichte, Briefe c 87). Hegel befindet: Diese Anschauung der Natur, als Etwas, das Nichts an sich, sondern reine Erscheinung sey [...], gründet denn eine Teleologie der Natur, und eine Physikotheologie, welche der ältern dem Innhalt nach geradezu entgegengesetzt, aber der Form nach in gleichem Princip gegründet ist. Jene ältere Teleologie nemlich bezog die Natur im Einzelnen auf Zwecke, die außer diesem Einzelnen, so daß jedes nur um eines andern willen gesetzt wäre, im Ganzen aber bilde sie ein System, das [...] das vollkommene Gesetz der höchsten Weisheit in sich trüge. (GuW 404f.). 407 Jacob Sigismund Beck schreibt am 24. Juni 1797 an Kant: Fichte sagte mir, daß er in seinem neuen Journal, worin er seine Wissenschaftslehre neu bearbeitet hat, [...] nur eine Philosophie und keinen Unterschied zwischen theoretischer und Moralphilosophie annimmt, weil überall der Verstand, durch seine absolute Freyheit die Dinge setzt (ein dummes Zeug! Wer so reden kann, kann wohl niemals die critischen Principien beherzigt haben) [...]. Beck fügt hinzu: Ich versichere Sie, sowahr ich ein ehrlicher Mann bin, daß ich unendlich weit, von diesem Fichtischen Unsinn mich entfernt befinde. Kant, Briefe 174f. Zur zeitgenössischen Rezeption von Fichtes Naturrecht vgl. Fuchs u.a. (1995). 406
C. Die Einheit der Vernunft
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seyn, außer a priori? [...] ist denn irgend etwas a priori, das nicht eben darum nothwendig a posteriori seyn müsse; und kann denn irgend etwas a posteriori seyn, außer darum, weil es a priori ist?408 Schellings und Hegels Kritik ist der der Kant-Orthodoxie entgegengesetzt.409 Während diese Fichte die spekulative Überschreitung Kantischer Erkenntnisgrenzen vorwirft, kritisieren jene umgekehrt, daß Fichte innerhalb dieser Grenzen verharre. Fichtes Persiflage seiner Kritiker trifft nur die Kant-Orthodoxie, nicht die spekulativen Idealisten. Denn der Sache nach wiederholt Fichte nur die These von der Identität des Apriorischen und Aposteriorischen, ohne daß aber einsichtig würde, wo die Grenze verläuft zwischen dem Aposteriori, das nur eine andere Ansicht des Apriori ist, und dem echten Aposteriori, auf das dies nicht zutrifft. In der Wissenschaftslehre endet die Identität des Apriorischen und Aposteriorischen dort, wo es um die spezifische Bestimmtheit spezifischer Gegenstände geht. Diese Grenze ist mit der Erweiterung des transzendental Deduzierbaren auf empirische Ereignisse und Gegenstände im Naturrecht überschritten.410 Fichte gibt vor, die Nothwendigkeit aller bestimmten Objekte in der Natur, und ihre nothwendige Klassifikation lasse sich eben sowohl erhärten [...], als die Nothwendigkeit einer Welt überhaupt.411
Ph. T. 305 f. [472 ff.]. Fichte zielt besonders auf eine anonyme Rezension des Naturrechts in den Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen, die von Johann Georg Heinrich Feder stammte, hinter der er aber Gottlob Ernst Schulze vermutete. Dazu Feder (1796 u. 1797). 409 Die Anmerkung der Herausgeber in LuMH 250: Später haben Schelling und Hegel diese Deduktionen ähnlich mißverstanden – wie zuvor Johann Georg Heinrich Feder und Jacob Sigismund Beck, ist deshalb irreführend. 410 Zu Fichtes Schwanken in der Auffassung des transzendental Deduzierbaren vgl. Lütterfelds (1989), 456ff. 411 NR 348 [40]. Feder (1796; 44) schließt aus dieser Passage, daß sich nach Fichte das ganze Systema naturae aus der Ichheit erweisen lasse. 408
III. JENSEITS VON KANT UND FICHTE
Es ist gleich tödlich für den Geist, ein System zu haben und keins zu haben. Er wird sich also wohl entschließen müssen, beides zu verbinden. [F. Schlegel (1798), 173.]
A. Zur spekulativen Aufhebung der Transzendentalphilosophie Unter der Prämisse, daß Philosophie Systemgestalt haben muß, und angesichts der Unhaltbarkeit des Fichteschen Systems einer rein bewußtseinsimmanenten Transzendentalphilosophie, erscheint der historisch zu konstatierende Übergang von der Transzendentalphilosophie zum spekulativen Idealismus, wie ihn Schelling und Hegel um 1801 vollziehen,1 beinahe als unvermeidliche Konsequenz. Schelling und Hegel sehen in dem Gebot der Bewußtseinsimmanenz, gegen das nach Fichte bei Strafe des Rückfalls in den Dogmatismus nicht verstoßen werden darf, selbst eine dogmatische Setzung. Fichtes Entgegensetzung von transzendentalem, bewußtseinsimmanentem Idealismus und bewußtseinstranszendentem Dogmatismus interpretieren sie als ein unkritisch angenommenes Kantisches Erbe. Die sterbliche Seite, die der Idealismus in der Form der Wissenschaftslehre unmittelbar aus dem Kriticismus mitnahm, heißt es bei Schelling, und durch welche er an diesen den Tribut der Dankbarkeit für das vorläufige Wegbahnen entrichtete, ist die, welche sich bei Fichte ganz bestimmt und über allen Zweifel erhaben in der Frage ausgesprochen hat, die er dem Spinoza entgegensetzt: was berechtigte ihn [Spinoza] dann, über das im empirischen Bewußtseyn gegebene reine Bewußtseyn hinauszugehen? Hiermit – durch diese Beschränkung der Auffassung des absoluten Bewußtseyns auf das im empirischen gegebene reine Bewußtseyn ist für die ganze Folge das Differenzverhältniß des Ichs und des Absoluten, die unauflösliche Amphibolie des absoluten Ichs, welches das absolute Erkennen selbst ist, und des relativen, und jener der besonderen Form des Idealismus der Wissenschaftslehre eigenthümliche und unüberwindliche Gegensatz des Ich und Nicht=Ich entschieden und nothwendig gemacht.2 Transzendentalphilosophie behaupte, daß das Absolute nicht erkannt werden könne, während doch die Erkenntnis des Absoluten in Wahrheit das alleinige Thema der Philosophie sei. [W]as überhaupt im jetzigen Augenblicke zunächst Interesse der Philosophie ist, so Hegel in seiner Charakterisierung der Werke des Herrn Krug’s, ist: Gott absolut vornehin an die Spitze der Philosophie als den alleinigen Grund von allem, als das einzige principium essendi und cognoscendi zu stellen, nachdem man ihn lange genug neben andere Endlichkeiten, oder ganz ans Ende als ein Postulat, das von einer absoluten Endlichkeit ausgeht, gestellt hat [...].3 Beginnt die Philosophie mit dem Absoluten als alleinigem Seins- und Er1 2 3
Vgl. K. Düsing (1993a). Schelling (1802), 97f. Krug 179.
310
III. JENSEITS VON KANT UND FICHTE
kenntnisgrund von allem, dann ist sie selbst Reflexion der Selbstunterscheidung des Inbegriffs aller Realität in die Vielheit entgegengesetzter Bestimmungen. Die Einheit der Entgegengesetzten ist dann der metaphysische Grund, aus dem sie hervorgehen. Indem ihr Prinzip nicht mehr, wie von Fichte gefordert, im empirischen Bewußtsein liegt, sondern diesem transzendent ist, wird die Kantisch-Fichtesche Unterscheidung von transzendental (immanent) und transzendent selbst obsolet. Wenn unter der immanenten Kritik einer Argumentation die Überprüfung ihrer Voraussetzungen, Urteile und Schlußfolgerungen zu verstehen ist, wird man Schellings und Hegels frühe Kritik der Kantischen und Fichteschen Transzendentalphilosophie nicht als eine solche bezeichnen können. Ihr Interesse gilt nicht primär der Überwindung Kantischer und Fichtescher Ungereimtheiten, sondern der Ersetzung der sogenannten Reflexionsphilosophie insgesamt durch eine neue Metaphysik. Deren noch unausgeführtes Programm bildet den Maßstab, an dem die Transzendentalphilosophie gemessen wird.4 So möchte Schelling das Fichtesche System nicht darstellen, wie es sich selbst darstellt, sondern wie es von einem höheren Standpunkt aus erscheint.5 Fichtes Idealismus werde dadurch die höchste Bedeutung geliehen, daß er nach höheren Principien6 ausgelegt werde. Und für Hegel ist es im Hinblick auf Kant allein interessant, der wahrhaft speculative[n] Seite der Kantischen Philosophie7 nachzugehen. Wahrhaft spekulativ seien die Bestimmungen, in denen die Idee absoluter Identität vorgebildet sei. So habe Kant in der dritten Kritik sozusagen contre cœur mit der Idee des intuitiven Verstandes die Idee der absoluten Identität gefunden und ausgesprochen, seine Natur habe aber die Notwendigkeit, das Vernünftige zu denken, verachtet und sich nicht für die Vernunft selbst, sondern für deren Erscheinung als Erkenntnisvermögen entschlossen.8 Fichte habe die absolute Identität [...] nur in der Form eines entgegengesetzten [...]9 gefaßt, das Ich bleibe bei ihm ein subjektives Subjekt-Objekt.10 Schellings und Hegels früher Kritik an der Transzendentalphilosophie ist vor allem Dagegen galt den Kant- und Fichte-Interpreten lange Zeit das ausgeführte Hegelsche Programm als Maßstab ihrer Kant und Fichte-Auslegung. Die daraus resultierende These, wonach der Transzendentalphilosophie das Verdienst zukommt, die Hegelsche Philosophie vorbereitet zu haben, ist selbst hegelisch. Exemplarisch für diese Sicht auf Kant und Fichte ist das auch heute noch sehr lesenswerte Werk Kroners Von Kant zu Hegel. Heute wird meist eingeräumt, daß etwa Hegels Kritik der frühen Fichteschen Wissenschaftslehre diese nicht wirklich trifft (so z.B. Girndt [1965], Baumanns [1972], Lauth [1987]). Vgl. aber Siep (1970), dem zufolge Hegels Kritik nur die frühe Wissenschaftslehre, nicht aber die von 1804 trifft, und Hösle (1987), der Kant und Fichte unter der Überschrift Hegels Systemidee und ihre historischen Vorläufer abhandelt. 5 Schelling (1804), 133. 6 Schelling (1804), 134. 7 GuW 343; vgl. Kuhne (2004). 8 GuW 341. 9 DS 47. 10 DS 48. Schelling setzt bereits 1801 ein sich selbst-konstruierendes Subjekt-Objekt an, mit dessen Begrif wir noch weiter zurückgehen, als selbst Spinoza mit dem der natura naturans und natura naturata [...]. (1801; 127). 4
A. Zur spekulativen Aufhebung der Transzendentalphilosophie
311
zu entnehmen, daß dieser gemessen an den höheren Prinzipien einer Wissenschaft des Absoluten allenfalls transitorische Funktion zugesprochen werden kann. Ihr Verdienst besteht darin, dieser Wissenschaft historisch den Weg gebahnt zu haben. Der Kritik ist aber nicht zu entnehmen, wie der eigene, höhere Standpunkt überhaupt möglich ist. Statt Fichtes Frage, was Spinoza (oder eben Schelling und Hegel) berechtigte, über das im empirischen Bewußtsein gegebene reine Bewußtsein hinauszugehen, zu beantworten, suggeriert Schelling,11 das bloße Zitieren dieser Frage erweise sie als unbegründet. Der höhere Standpunkt des spekulativen Idealismus verlangt eine Abstraktion, die nach Fichte nicht möglich ist.12 Soll die absolute Einheit der Vernunft das Absolute sein, und soll dieses nicht nur als Idee für das wirkliche Ich sein, sondern an sich selbst, i.e. rein gedacht werden, muß das Ich sich selbst wegdenken. Schelling fordert: [U]m sie [die Vernunft] als absolut zu denken [...], muß vom Denkenden abstrahirt werden. Dem, welcher diese Abstraktion macht, hört die Vernunft unmittelbar auf etwas Subjektives zu seyn.13 Dem stimmt Hegel zu. Die Abstraktion vom Denkenden, vom Subjektiven sei die conditio sine qua non der Philosophie als der Wissenschaft des Absoluten. Indem das Absolute in die Form eines Subjekts gesetzt ist, hat diese Wissenschaft eine immanente Gränze; sie erhebt sich allein dadurch zur Wissenschaft des Absoluten [...], daß sie ihre Gränze kennt, und sich und dieselbe aufzuheben weiß [...].14 Das Denken der Einen Vernunft ist als Denken des reinen Denkens Denken des Absoluten.15 Das Absolute wird dabei, entgegen der Tradition, mit der logischen Notwendigkeit des Denkens selbst identifiziert.16 Das Absolute zu denken heißt das Denken, die Reflexion absolut setzen. Die Vernunft als die Gewißheit, alle Realität zu sein,17 impliziert die Anerkennung des ontologischen Gottesbeweises, welchen Fichte ebensowenig wie Kant akzeptiert.18
Siehe oben. Vgl. GWL 383 [244]. Zum Begriff des Wegdenkens und seiner Funktion in der Philosophie der Subjektivität vgl. Schulz (1962), 349ff. 13 Schelling (1801 a), 46f. 14 DS 76; vgl. ebd. 79. 15 Dem Anspruch nach darf es sich bei dem Denken des Absoluten weder um einen genitivus subiectivus noch um einen genitivus obiectivus handeln. 16 Dies schon bei Descartes: Die Verwerfung des täuschenden Gottes setzt das Absolute gleich mit der Logik, die nicht täuschen kann (vgl. Descartes 1647, die dritte Meditation). Im Unterschied dazu ist für Anselm das Absolute vom endlichen Geist weder diskursiv erfaßbar noch überhaupt positiv darstellbar, sondern wird durch Oxymora bezeichnet: Gott wohnt im unzugänglichen Licht. Vgl. Proslogion, Kapitel 16. 17 Hegel, PhG 134. 18 Anerkennung des ontologischen Beweises meint Anerkennung des Beweisziels, hingegen meint es nicht, daß Hegel den Beweis, wie er historisch in verschiedenen Formen geführt wurde, akzeptiert. Dies kann er nicht, denn alle diese Formen setzen nach Hegel die abstrakte Verstandestrennung von Begriff und Realität, also einen selbst zu kritisierenden Standpunkt, voraus (dazu Jaeschke 1986, 313ff.). – Vgl. Kant, KrV B 567; Fichte, GWL 410 Anm. [278 Anm.]. 11 12
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III. JENSEITS VON KANT UND FICHTE
Schelling und Hegel setzten ihren höheren Standpunkt dem der Transzendentalphilosophie entgegen, ohne den Übergang von der Transzendentalphilosophie zu diesem Standpunkt zu rechtfertigen. Der Übergang erfolgt durch einen Sprung über die Restriktionen der Transzendentalphilosophie hinweg. Er beruht offenbar auf einer Entscheidung19 und kann nicht durch einen auf logischem Zwang beruhenden Fortschritt in der Erkenntnis der Zulänglichkeit der Erkenntnismittel erklärt werden.20 Es wäre allerdings vorschnell und wenig philosophisch, Hegels Verfahren einer psychologisierenden Kritik (Kants Natur habe sich gegen die Vernunft als solche und für deren Erscheinung als Erkenntnisvermögen entschlossen) auf ihn selbst und Schelling anzuwenden und den Sprung psychologisch zu deuten. Die Entscheidung, die von der Transzendentalphilosophie gesetzten Grenzen zu überspringen, könnte sachlich gerechtfertigt sein. Es könnte nämlich sein, daß ein immanenter Übergang von dem endlichen Wissen der Transzendentalphilosophie zum absoluten Wissen des spekulativen Idealismus nicht möglich ist, weil er ein Übergang von der Endlichkeit zum Unendlichen wäre, der ebenso wie der vom Unendlichen zur Endlichkeit die abstrakte Entgegensetzung beider zu seiner Voraussetzung hat, die, weil nicht durch die Vernunft gesetzt, durch sie auch nicht aufzuheben ist. Daraus könnte folgen, daß der Übergang dann möglich wäre, wenn das Unendliche nicht abstrakt als Gegensatz der Endlichkeit, sondern konkret als die Einheit von sich und seinem Gegensatz gefaßt würde.21 Die Setzung des Unendlichen, Absoluten zu Beginn des Systems ließe sich dann allein durch das ausgeführte System rechtfertigen. Resultiert der Übergang in den spekulativen Idealismus nicht aus der immanenten Kritik der Transzendentalphilosophie, so könnte dennoch der spekulative Idealismus Antworten auf ungelöste Fragen der Transzendentalphilosophie enthalten. Für die Transzendentalphilosophie Kants und Fichtes gilt: Sie kann sich nicht darauf beschränken, den kategorialen Rahmen für Erkenntnis überhaupt ins Bewußtsein zu heben, sondern muß zeigen, wie auf ihrem Boden die Erkenntnis des Besonderen als eines solchen möglich ist. Sie muß, mit anderen Worten, die kategorial bestimmte allgemeine Form der Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen vermitteln mit den besonderen Gesetzen der Einzelwissenschaften, die kategoriale Bestimmtheit des Gegenstandes überhaupt mit der besonderen Bestimmtheit besonderer Gegenstände. Wo sie dies durch die Funktion der reflektierenden Urteilskraft versucht, wird sie gegen die eigene Intention genötigt, metaphysische Voraussetzungen anzuerkennen und insofern die Immanenz des Bewußtseins zu sprengen. Das Problem der Erkenntnis des Besonderen als eines solchen zeigt die Unhaltbarkeit eines rein bewußtseinsimmanenten Idealismus. Dieses Problem wird aber auch im spekulativen Idealismus nicht gelöst, wie am Beispiel der Passagen über Identität, Unterschied und Verschiedenheit in Hegels Wissenschaft der Logik gezeigt werden soll. 19 20 21
Kondylis (1979), 11ff. u. pass. Baum (1986), 31. Vgl. Sein 139ff.
A. Zur spekulativen Aufhebung der Transzendentalphilosophie
313
Thema der Wissenschaft der Logik ist nicht der Mechanismus des endlichen menschlichen Geistes, sondern der absolute Geist oder das Absolute. Die Aufhebung der für das wirkliche Bewußtsein (Kant, Fichte) konstitutiven Differenz von Subjekt und Objekt des Denkens ist kein Problem der Logik, sondern deren Voraussetzung.22 Hegel zufolge beruht die Objektivität der in der Logik entfalteten Bestimmungen gerade auf der Negation dieser Differenz. Die reine Wissenschaft setzt [...] die Befreyung von dem Gegensatze des Bewußtseyns voraus. Sie enthält den Gedanken, insofern er eben so sehr die Sache an sich selbst ist, oder die Sache an sich selbst, insofern sie eben so sehr der reine Gedanke ist. Als Wissenschaft ist die Wahrheit das reine sich entwikkelnde Selbstbewußtseyn, und hat die Gestalt des Selbsts, daß das an und für sich seyende gewußter Begriff, der Begriff als solcher aber das an und für sich seyende ist./ Dieses objektive Denken ist denn der Inhalt der reinen Wissenschaft.23 Das Problem der Erkenntnis des Besonderen als eines solchen erscheint in den Passagen über Identität, Unterschied und Verschiedenheit nicht in der Gestalt, die es bei Kant und Fichte hat, sondern als Problem der Ableitbarkeit der Kategorie der Verschiedenheit, unter der verschiedene, besondere Gegenstände stehen, aus der Dialektik der Kategorien von Identität und Unterschied. Hegel bestimmt die Identität als absolute Negation, das heißt sich auf sich beziehende, sich selbst unmittelbar negierende Negation. Die Identität ist also an ihr selbst absolute Nichtidentität. Aber sie ist auch die Bestimmung der Identität dagegen. Denn als Reflexion in sich setzt sie sich als ihr eigenes Nichtseyn; sie ist das Ganze, aber als Reflexion setzt sie sich als ihr eigenes Moment, als Gesetztseyn, aus welchem sie die Rückkehr in sich ist. So als ihr Moment ist sie erst die Identität als solche als Bestimmung der einfachen Gleichheit mit sich selbst, gegen den absoluten Unterschied.24 Die Reflexionsbestimmung Identität ist insofern analog der Fichteschen Ichheit, als diese zugleich das Handelnde, und das Produkt der Handlung [...] ist.25 In Differenz zur Ichheit ist aber das Resultat des Setzens, das Gesetztsein, hier als Moment der Identität bestimmt. Dies ist nur möglich, weil Hegel die reine Identität als Einheit faßt, die den Unterschied an sich hat. Der Unterschied ist das Ganze und sein eignes Moment; wie die Identität eben so sehr ihr Ganzes und ihr Moment ist. – Diß ist als die wesentliche Natur der Reflexion und als bestimmter Urgrund aller Thätigkeit und Selbstbewegung zu betrachten. – Unterschied wie die Identität machen sich zum Mo-
Die Entfaltung dieser Voraussetzung ist Thema der Phänomenologie des Geistes, welche ihrerseits die endlichen Gestalten des Bewußtseins nur deshalb als Erscheinungsweisen des absoluten Geistes darstellen kann, weil sie ebenfalls den absoluten Geist, das Absolute, voraussetzt. Die Phänomenologie bewegt sich ihrer Absicht und ihrem inneren Auftrag nach von Anfang an im Element des absoluten Wissens, und nur deshalb kann sie es wagen, dieses Element zu ›bereiten‹. Heidegger (1980), 43. Zum Beginn der Phänomenologie vgl. jetzt Bensch (2005). 23 Sein 33f. 24 Wesen 262. 25 GWL 259 [96]. 22
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III. JENSEITS VON KANT UND FICHTE
mente oder zum Gesetztseyn, weil sie als Reflexion die negative Beziehung auf sich selbst sind.26 Die Reflexionsbestimmungen Identität und Unterschied subsistieren logisch in sich, ohne jede Beziehung auf ein seiendes Substrat. Sie sollen aber mehr sein als eine tautologische Konstruktion. In der Argumentation Hegels, und zwar in bezug auf deren terminus ad quem, soll aus ihrem leeren In-sich-Kreisen die Notwendigkeit des Fortgangs in die Kategorie Verschiedenheit folgen. Diesen Fortgang faßt Hegel als immanente Weiterbestimmung der logisch in sich subsistierenden Bestimmungen und begeht damit einen Widerspruch, der offenbar kein dialektischer ist. Denn entweder subsistieren Identität und Unterschied logisch in sich, dann ist die immanente Entwicklung der Kategorien der Logik spätestens hier an ihrem Ende, oder aber sie subsistieren nicht in sich, dann wäre ihre Darstellung als logisch in sich subsistierende zumindest defizient. Diese Defizienz wäre dann aber nicht immanent zu korrigieren, sondern nur durch den Eingriff der äußeren Reflexion. Hegel erkennt diese Disjunktion nicht als vollständig an. Die Identität zerfällt an ihr selbst in Verschiedenheit, weil sie als absoluter Unterschied in sich selbst, sich als das Negative ihrer setzt, und diese ihre Momente, sie selbst und das Negative ihrer, Reflexionen in sich, identisch mit sich sind; oder eben weil sie ihr Negiren unmittelbar selbst aufhebt, und in ihrer Bestimmung in sich reflectirt ist. Das Unterschiedne besteht als gegen einander gleichgültig verschiedenes, weil es identisch mit sich ist, weil die Identität seinen Boden und Element ausmacht.27 Die Identität sei zunächst vom absoluten Unterschied unterschieden und darin mit ihm identisch. Sie sei sodann aufgrund ihrer immanenten Fortentwicklung unterschieden von der Verschiedenheit, womit zugleich der Unterschied als absoluter von der Verschiedenheit unterschieden sei. Der Unterschied qua absoluter Unterschied sei das Ganze und sein eigenes Moment, die Identität. Moment besagt hier, daß das, was der Unterschied nicht ist: Identität, kein selbständiges Bestehen gegen ihn hat, sondern in ihm und durch ihn ist. In der Reflexionsbewegung des absoluten Unterschieds, die die absolute Identität ist, haben existierende Unterschiede kein Bestehen, gibt es nichts Daseiendes, das mit sich identisch wäre. Der Unterschied qua Verschiedenheit soll dagegen existierende Unterschiede oder die Existenz von mit sich Identischem anzeigen. Weil die Abtrennbarkeit und Verselbständigung des Produkts einer Tätigkeit eine Materie erfordert, in der sich die Tätigkeit objektivieren kann,28 bringt Hegel die Metapher von der Identität als Boden und Element, in der das Verschiedene, das jeweils mit sich identisch ist, als gegeneinander gleichgültig Verschiedenes existiert. Hegel erschleicht den Fortgang der Argumentation, indem er durch die Metapher den äußerlichen Unterschied29 aus der Sphäre des Daseins zitiert und so den Unterschied zur Verschiedenheit macht, mit der ineins die Existenz von Verschiede-
26 27 28 29
Wesen 266. Wesen 267. Vgl. Aristoteles, Metaphysik 1050 a. Vgl. Wesen 267.
A. Zur spekulativen Aufhebung der Transzendentalphilosophie
315
nem behauptet ist, weil ohne diese Unterschied und Verschiedenheit indifferent blieben. So soll die als Identität und Unterschied logisch in sich subsistierende absolute Reflexion sich äusserlich30 geworden sein. Hegel will hier das Dasein als Nichtsein der Reflexion aus der Reflexion bestimmen. Die absolute Reflexion, die sich selbst äußerlich wird, wirft noch einmal das theologische Problem auf, ob das Absolute zu seiner Objektivation einer gleichursprünglichen Materie bedarf oder nicht.31 Hegels Darstellung zeigt wider Willen, nämlich durch das Scheitern der intendierten immanenten Deduktion der Verschiedenheit aus der Dialektik von Identität und Unterschied, daß die absolute Reflexion einer solchen Materie bedarf und daß diese Materie in Gestalt der Bestimmungen der philosophischen Tradition vorhanden ist.32 Für die Einführung der Verschiedenheit als neuer Kategorie, deren Bedeutung nicht die des Unterschieds ist, ist der Rekurs auf den inhaltlich bestimmten, existierenden Unterschied konstitutiv. Hegel müßte Beispiele solcher existierender Bestimmtheiten aus der Sphäre des Daseins zitieren, weil ohne sie die Kategorie Verschiedenheit nur durch den Unterschied vom Unterschied unterschieden, mithin nur ein anderer Name für den sich auf sich beziehenden Unterschied wäre. Die Sphäre des Daseins ist aber in der Wissenschaft der Logik ebenfalls rein kategorial bestimmt. Mit dem Scheitern der immanenten Deduktion der Kategorie Verschiedenheit erweist sich die spekulative Logik als formell. Zwar entwickelt sie das System der Kategorien differenzierter als die Transzendentalphilosophie, aber ihre Bestimmungen bleiben eben (und sollen es sein) kategorial. Infolgedessen bliebe hier ebenso wie in Fichtes Wissenschaftslehre der schlichte Hinweis darauf, daß das Besondere als solches nicht deduzierbar sei, weil es dem Bereich des bloß Empirischen, rein Zufälligen angehöre. Jedermann weiß, erstens, daß es Hunde und Katzen gibt, und zweitens, daß sie verschieden sind. Der Philosoph weiß, erstens, daß Hunde und Katzen als Verschiedenes unter der Kategorie Verschiedenheit stehen, und zweitens, daß ihrem Dasein keine Notwendigkeit zukommt.
Wesen 267. Vgl. etwa Thomas von Aquin, das 16. Kapitel des zweiten Bandes der Summa contra gentiles (Daß Gott die Dinge aus dem Nichts in das Sein hervorgebracht hat). Nicht zufällig nennt Thomas hier das Resultat seiner Argumentation, wonach Gott als Ursache alles dessen, was irgendwie ist oder existiert, auch die Ursache der prima materia sein müsse, eine Wahrheit, die durch die heilige Schrift bestätigt werde, wenn es (Gen. 1,1) heißt: ›Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde‹; denn schaffen ist nichts anderes, als etwas ohne vorliegende Materie in das Sein hervorbringen. Hatte Aristoteles rekursiv das Unbewegt Bewegende als das der Welt immanente Prinzip erschlossen, so wird bei Thomas das rekursiv Erschlossene zum Prinzip, aus dem alles als aus seinem Ursprung hervorgegangen ist. Thomas’ Argumentation greift hier auf neuplatonische Muster zurück. Vgl. dazu Mensching (1995), 114ff. u. pass. 32 Hegels Philosophie weiß um die Nichtleerheit der aufgestellten Kategorien durch die Tradition. Hartmann (1973), 227. 30 31
B. Die Aufhebung der Transzendentalphilosophie in Gesellschaftstheorie 1. Noch einmal: Kant, Fichte und das Problem der Erkenntnis des Besonderen Fichtes und Hegels systematische Darstellung erweist sich im Hinblick auf die Erkenntnis des Besonderen als eines solchen respektive dessen Bestimmtheit nicht zufällig als in ähnlicher Weise defizient, denn diese Defizienz ist die des Systems selbst. Die Erkenntnis respektive Bestimmtheit des Besonderen als solchen ist nicht abzuleiten. Das heißt aber nicht, daß sie unter dem Titel des ›absolut Zufälligen‚ bloß Empirischen‹1 in der systematischen Darstellung nur negativ zu bestimmen wäre und im übrigen auf die Praxis der Einzelwissenschaften verwiesen werden könnte. Eine solche Ausgliederung des echten Aposteriori aus der Wissenschaftslehre hätte zur Folge, daß die Möglichkeit der Erkenntnis bestimmter Gegenstände mysteriös bliebe, eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele [...].2 Darüber, wie die Erkenntnis des Besonderen als solchen auf der Grundlage der Bestimmungen der Wissenschaftslehre möglich ist, wäre nicht mehr zu sagen, als daß diese Erkenntnis vermittels der reflektierenden Urteilskraft als dem Vermögen induktiver Schlüsse zustande komme. Das echte Aposteriori würde so zur transzendentalen Leerstelle. Der Zusammenhang der induktiv schließenden reflektierenden Urteilskraft mit den systematischen Bestimmungen der Transzendentalphilosophie ist nämlich solange nur behauptet, wie die Bedingungen der Möglichkeit erfolgreicher Schlüsse der reflektierenden Urteilskraft durch die Transzendentalphilosophie nicht aufgewiesen sind. Liegen diese Bedingungen aber nicht im Subjekt selbst, sind sie der auf die Bewußtseinsimmanenz festgelegten Philosophie entzogen und die Bestimmung der Funktion der reflektierenden Urteilskraft selbst wird undurchsichtig. So bei Fichte. Einerseits thematisiert Fichte die reflektierende Urteilskraft als eine Vertiefung der Einen Vernunft; sie verfährt nicht im Modus des als ob und nach einem Prinzip, das neben die transzendentale Einheit der Apperzeption als Prinzip der theoretischen und den Willen als Prinzip der praktischen Vernunft tritt; ihre Bestimmungen sind nicht regulativ, sondern konstitutiv für wirkliches Selbstbewußtsein. Ohne sie könnte sich das Ich keinen Leib zuschreiben, sich also auch nicht als ein in der Welt seine Zwecke verfolgendes freies Wesen begreifen. Andererseits thematisiert er sie als Vermögen des empirischen, auch des forschenden Subjekts zu induktiver Erkenntnis, wobei ihre Resultate nur regulative Geltung haben.3 Fichte zieht aus dieser gegenüber Kant veränderten, doppelten Bestimmung der Funktion der reflektierenden Urteilskraft aber im Hinblick auf ihre Definition keine Konsequenz, sondern orientiert sich am Kantischen Vorbild. Es gibt gewiße Geseze, nach denen ich meine Erfahrungen ordnen muß, ein Vermögen, z.B. zum zufälligen die Ursache hinzuzufügen. Dieses Vermögen heißt die 1 2 3
Fichte, ZE 242 [489]. KrV B 180. Vgl. Lauth (1984), 170f.
B. Die Aufhebung der Transzendentalphilosophie in Gesellschaftstheorie
317
Urtheilskraft und ist hier nicht reflectirend, sondern, wie Kant sagt, subsumirend. Nun kann es sein, daß die Urtheilskraft nach diesen Allgemeingesezen nicht fort kann: sie nimmt einen Anstoß: sie muß also das Subsumtionsgesez umkehren, und reflektirt über sich selbst, insofern es einen Anstoß genommen hat. Diese Urtheilskraft heißt reflektirend, oder deliberirend. Allenthalben, wo durch Induktion bewiesen wird, ist ein Verfahren der deliberirenden Urtheilskraft.4 LuME 113; vgl. SL 110 [111f.]: In dem ersten Verfahren ist die Urtheilskraft das, was Kant subsumirend, im zweiten, was derselbe reflectirend nennt. Der Unterschied ist der. Das Gesetz des Natur-Mechanism ist nichts anders, als das Gesetz der Successionen der Reflexionen, und der Bestimmung der einen durch die andere selbst, (wodurch uns überhaupt eine Zeit, und Identität des Bewußtseyns im Fortgange der Zeit entsteht,) auf die Objecte übertragen. Der Verstand geht in diesem Denken ganz mechanisch seinen angebohrnen Gang; und die freie Urtheilskraft hat nichts weiter zu thun, als nur zu reflectiren, auf das, was sie als [!] mechanischer Verstand wirklich thut, um es zum Bewußtseyn zu erheben. Es wird ohne alles Zuthun der Freiheit und Überlegung durch den bloßen Mechanismus des Erkenntnißvermögens die Sache begriffen; und dieses Verfahren heißt mit Recht subsumiren. Im zweiten Falle geht das Begreifen nach diesem Mechanismus gar nicht von statten, es entsteht sonach ein Anstoß und Zweifel im Gemüthe, und daher eine sich aufdringende Reflexion darauf, daß es nicht von statten gehe. Aber es geht so nicht von statten, muß aber doch begriffen, (der Einheit des Selbstbewußtseyns einverleibt) werden, heißt: die Weise des Denkens muß umgekehrt werden [...]. Die Funktion der reflectirenden Urtheilskraft tritt nur da ein, wo die Subsumtion nicht möglich ist; und die reflectirende Urtheilkraft giebt sich selbst das Gesetz, nemlich, das Gesetz der Subsumtion umzukehren. – In seinen Vorlesungen über Logik und Metaphysik (Mph 288f.) illustriert Fichte die Funktion der reflektierenden Urteilskraft an drei verschiedenen Beispielen: am gemeinen Bewußtsein, an der einzelwissenschaftlichen Forschung und an Kants transzendentaler Ästhetik: Die Urth[eils].Kr[aft] ist subsumirend, verfährt mechanisch, nach nothwendigen Gesetzen z. B. wer gestoßen wird, sieht sich nach dem Stoße um; dieses geschieht nach dem Gesetze der Causalität; dieses braucht er sich nicht erst auszudrücken, dieß liegt in seinem Wesen, hier wirkt die Urth[eils].Kr[aft]. subsumirend. Nun könnte aber die Wahrnehmung gegeben sein, aber das Gesez wonach diese zu erklären wäre[,] wäre nicht ursprünglich gegeben, sondern müste ausgedacht u. erfunden werden; wäre es gefunden, so wäre die Urtheilskraft subsumirend, in dem Suchen aber ist die Urtheilskraft reflectirend z. B. das Gesetz des Naturmechanismus, daß alles was ist, seinen Grund hat u. dieses wieder einen Grund pp liegt ursprünglich in der Vernunft, dringt sich dem Menschen auf; im Gegentheil das Gesetz der Organisation, daß etwas seinen Grund nicht in einem andern sondern in sich selbst habe, dringt sich nicht auf, darüber muß man erst nachdenken, u. da findet es sich. [...] Im Nat[ur].Mechanism[us]. hat jedes Glied seine Kraft von etwas auser ihm u. giebt sie einem dritten; in der Organisation hat jedes seine Kraft durch sich selbst u. geht auf sich selbst. Hiernach laßen sich auch Schlüße machen; dieß nennt Kant die Induction [...]; eine Induction durch Urtheilskraft ist die, daß nicht behauptet wird der Begriff des Ganzen gehe aus den Gliedern der Eintheilung hervor, sondern muß gesucht werden u gesehen, ob er auf die Glieder der Eintheilung paßt, paßt er, so macht man erst einen Schluß: Weil er paßt kann ich eintheilen, daß die Erscheinungen hienach zu Stande kommen. Dieses heißt Hypothese, nicht ein grundloser leerer Gedanke, sondern ein solcher der vor der Hand noch keinen Grund hat; ob die Hypothese richtig ist soll erst dadurch dargethan werden, ob sich alles daraus erklären läßt, ist es, so ist er ein strenger Satz, u. es ist Induction. So ist z. B. die ganze Theorie von Raum u. Zeit bey Kant bloß durch Induction erwiesen. 4
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III. JENSEITS VON KANT UND FICHTE
Genaugenommen trifft diese Definition der Urteilskraft schon für Kant nicht zu, noch weniger aber für Fichte selbst. Für Kant trifft sie nicht zu, weil sie die Funktion, die der reflektierenden Urteilskraft dort als Medium besonderer Erkenntnis zukommt, übergeht. Kant zufolge betrachtet der empirische Verstandesgebrauch a priori jedes Naturphänomen als Wirkung einer Ursache. Er geht insofern, mit Fichte zu sprechen, mechanisch seinen angebohrnen Gang.5 Welche besondere Ursache aber dem besonderen Naturphänomen zugrunde liegt, ist nicht a priori zu bestimmen, sondern nur a posteriori zu eruieren. Für den Verstand ist der Begriff der bestimmten Ursache logisch zufällig. Ihn zu finden obliegt der reflektierenden Urteilskraft. Fichte definiert ungenau. Es kann nämlich nicht nur sein, daß die bestimmende Urteilskraft nach den Allgemeingesezen nicht fort kann, vielmehr kann sie im Hinblick auf besondere Erkenntnis prinzipiell nicht fort. Sie nimmt nicht nur Anstoß an Phänomenen der organischen Natur, die sich nicht mechanisch erklären lassen, wie Fichte oftmals suggeriert, wenn er den Unterschied von reflektierender und bestimmender Urteilskraft erläutert,6 sondern an allen Phänomenen. Ohne die reflektierende Urteilskraft ist nicht nur keine Erkenntnis der Phänomene der organischen Natur, sondern überhaupt keine bestimmte Erkenntnis möglich. Im Hinblick auf Fichtes Transzendentalphilosophie trifft die Definition der reflektierenden Urteilskraft aber noch weniger zu, denn sie wird der doppelten Bestimmung der reflektierenden Urteilskraft als Vertiefung oder Spezifikation der Einen Vernunft einerseits und als Medium besonderer Erkenntnis andererseits nicht gerecht. Während jene das Selbstbewußtsein des empirischen Subjekts allererst konstituiert, indem sie Begriffe realer Ganzheiten (Welt, Natur, Leib) ermöglicht, ist diese konstitutiv dafür, daß das empirische Subjekt – dessen Selbstbewußtsein also vorausgesetzt ist – bestimmte Erkenntnisse zutage fördern kann. Es ist die reflektierende Urteilskraft des empirischen Subjekts, die Anstoß nimmt, nicht die Vernunft als solche. Kant hat in der dritten Kritik das Subjekt bestimmter Erkenntnis und damit das Selbstbewußtsein des empirischen Subjekts einfach vorausgesetzt und die reflektierende Urteilskraft als das Vermögen eingeführt, vermittels dessen dieses Subjekt dem Mannigfaltigen der Natur gegenübertritt. Fichte kann aufgrund des systematischen Anspruchs der Wissenschaftslehre nicht in der gleichen Weise verfahren. Zwar wechselt auch er vom Ich, das handelnd die Zeit hervorbringt, zum Ich, das in der Zeit handelt. Der Übergang von der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre ins Naturrecht impliziert offensichtlich eine μετα´βασιζ ει’ ζ α’´ λλο γε´νοζ, denn Gegenstand der Untersuchung ist nicht mehr das im kantischen Sinne transzendentale Ich, das zwar Eines (Einheit),
S.Anm. 4. [Z.]B. das Gesetz des Naturmechanismus, daß alles was ist, seinen Grund hat u. dieses wieder einen Grund pp liegt ursprünglich in der Vernunft, dringt sich dem Menschen auf; im Gegentheil das Gesetz der Organisation, daß etwas seinen Grund nicht in einem andern sondern in sich selbst habe, dringt sich nicht auf, darüber muß man erst nachdenken, u. da findet es sich. Mph 288. 5 6
B. Die Aufhebung der Transzendentalphilosophie in Gesellschaftstheorie
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aber nicht notwendig Einzelnes ist, sondern das leiblich individuierte Ich. Dieser Wechsel des Gegenstands soll aber im Einklang mit dem Systemanspruch stehen, insofern das Naturrecht nach Principien der Wissenschaftslehre7 notwendige Bedingungen wirklichen Selbstbewußtseins deduziert. Die Funktion, die der reflektierenden Urteilskraft in diesem Kontext der Deduktion notwendiger Bedingungen wirklichen Selbstbewußtseins zufällt, wäre nun zu unterscheiden von derjenigen Funktion, die sie als Medium der Erkenntnis in den Einzelwissenschaften hat. Dazu müßte Fichte die reflektierende Urteilskraft als Vermögen des empirischen Subjekts zur Spekulation fassen. Die Freiheit dieses Vermögens gegenüber dem Mechanismus des Geistes hätte aber die Selbständigkeit der Natur gegenüber dem Geist zu ihrer Bedingung. Daß überhaupt ein Anstoß und Zweifel im Gemüthe des erkennenden Subjekts entstehen kann und zu einer sich aufdringende[n] Reflexion8 führt, setzt voraus, daß die Natur mehr ist als die Darstellung unserer Begriffe.9 Der Sache nach spricht Fichte von dem Vorrang des Objekts,10 der zur Spekulation nötigt. Freilich kann er einen solchen Vorrang des Objekts nicht zugestehen. Er ist weder mit dem Bewußtseins-Immanentismus der Transzendentalphilosophie noch mit ihrem Systemanspruch vereinbar. Jenem widerspricht er, denn er besagt, daß die Bedingungen der Erkenntnis nicht allein im Subjekt liegen,11 diesem widerspricht er, denn er bezeichnet eine notwendige Bedingung der Erkenntnis, die nicht als notwendige Bedingung wirklichen Selbstbewußtseins deduziert werden kann. Die Schwierigkeiten, in die Fichtes Transzendentalphilosophie im Hinblick auf die Erkenntnis des Besonderen als solchen gerät, lassen die von ihm betriebene FortbilDer vollständige Titel der ersten Fichteschen Rechtslehre lautet: Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre. 8 S. Anm. 4. 9 TL 117. 10 Adorno (1966), 193. Vorrang des Objekts heißt, daß der Gegenstand der Erkenntnis nicht in den subjektiven Bedingungen seiner Erkennbarkeit aufgeht. Durch den Übergang zum Vorrang des Objekts wird Dialektik materialistisch. (193) Mit dem Zitat wird hier Adornos Intention, nicht aber jedes Detail ihrer Umsetzung affirmiert. 11 Es ist ein Unterschied, ob Bedingungen der Möglichkeit wirklichen Selbst- und Weltbewußtseins deduziert werden, zu welchen Bedingungen Fichte zufolge etwa das Rechtsgesetz gehört, oder ob über die Bedingungen der Möglichkeit bestimmter Erkenntnis gehandelt wird. Jene scheinen zunächst mit der These von der Identität des Apriori und Aposteriori vereinbar, diese ganz sicher nicht. Fichte sieht dies aber nicht, wie eine Vorlesungsnachschrift Höijers zeigt: Fichte [will] erst a priori die Struktur der Welt aufzeigen. [...] Man gibt oft die Gründe zu, aber wenn [es] zur Anwendung kommt, will [man] sie nicht anerkennen, da [es] gegen das Angenommene [ist], und bezweifelt, daß sie so etwas haben enthalten können. Aber dies [ist] nicht philosophisch oder konsequent. Dies ist Fichte bei seiner Wissenschaftslehre widerfahren, die so leidlich passieren durfte, aber bei seinem Naturrecht begann [man] zu schreien bei der Deduktion anderer Menschen[;] von Licht und Luft. Wenn aber die Prämissen die gleichen [waren], mußten auch die Folgen es sein. LuMH 248ff. 7
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III. JENSEITS VON KANT UND FICHTE
dung der kritischen Philosophie Kants zum vollständigen Idealismus als zweifelhaftes Unterfangen erscheinen. Mehr noch: Sie wecken Zweifel an der Möglichkeit der von Fichte wie von seinen Nachfolgern Hegel und Schelling für unabdingbar gehaltenen Systemgestalt der Philosophie. Ein erneuter Blick auf Kant macht deutlich, daß die Art, in der die sogenannten deutschen Idealisten über Kant hinausgehen, nicht alternativlos ist. Dies scheint zwar trivial, und schon das Faktum, daß seit Mitte des 19. Jahrhunderts und bis heute die verschiedensten Richtungen der Philosophie und Wissenschaftstheorie sich zumindest partiell auf Kant berufen, scheint Beweis genug.12 Gleichwohl vermag ein erneuter Rekurs auf Kants Transzendentalphilosophie und insbesondere auf die Art, wie in ihr die Erkenntnis des Besonderen als solchen abgehandelt wird, Perspektiven zu eröffnen, die nicht nur jenseits von Fichtes Idealismus der Bewußtseinsimmanenz und dem spekulativen Idealismus seiner Nachfolger liegen, sondern darüber hinaus einen Begriff von Philosophie ermöglichen, der den geschichtslosen Positivismus der Wissenschaftstheorie vermeidet. Zufolge der Kritik der reinen Vernunft stehen alle mir gegebenen Vorstellungen [...] a priori unter der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption, unter die sie [aber] auch durch eine Synthesis gebracht werden müssen.13 Unter der Einheit der Apperzeption stehen die Erscheinungen nach der Seite der allgemeinen Form ihrer Gesetzmäßigkeit, welche die Form einer Erfahrung überhaupt ist; darunter gebracht werden müssen sie nach der Seite ihrer spezifischen Bestimmtheit, wozu wirkliche Erfahrung notwendig ist. Wirkliche Erfahrung ist die unmittelbare Erfahrung des empirischen Subjekts. Ohne sie ist keine bestimmte Erkenntnis möglich, ohne bestimmte Erkenntnis aber bleiben die reinen Grundsätze des Verstandes leere Formen einer Erkenntnis überhaupt. Nun ist ein Subjekt unmittelbarer Erfahrung und mithin bestimmte Erkenntnis auf dem Boden der ersten Kritik gar nicht möglich, denn nach dieser gründen beide: die Einheit des empirischen Bewußtseins ebenso wie die Einheit des empirischen Gegenstandes, in derselben kategorialen Synthesis eines an sich unbestimmten Mannigfaltigen der Wahrnehmung.14 Für sich genommen sind beide jeweils ein an sich zerstreutes Mannigfaltiges. Es ist deshalb kein empirisches Subjekt denkbar, das wirkliche, unmittelbare Erfahrung hätte, und es ist kein empirisch gegebener Gegenstand denkbar, der unmittelbar erfahrbar wäre. Weder ist ein empirisches Subjekt möglich, dessen Bestimmtheit selbst Bedingung der ErkenntVgl. Schnädelbach (1983), 134f. u. pass. Die Philosophie Immanuel Kants gehört übrigens nicht zum absoluten Idealismus, und dies machte sie nach dessen Ende so attraktiv für eine Rehabilitierung der Philosophie überhaupt. (18). 13 KrV B 135f. 14 Dem Problem ist nicht einfach dadurch zu begegnen, daß mit Buchdahl (1984; 97 f.) zwischen verschiedenen Typen des Transzendentalen innerhalb der kantischen Wissenschaftslehre unterschieden wird. Daß Kant seine transzendentale Stellungnahme in verschiedenen Gebieten: dem der Natur überhaupt, dem der besonderen Natur und dem der Ordnung der Natur entwickelt, ist richtig, doch bleibt zu fragen, inwiefern es sich bei dieser Stellungnahme, gemeint ist Kants Transzendentalphilosophie, um eine einheitliche handelt. 12
B. Die Aufhebung der Transzendentalphilosophie in Gesellschaftstheorie
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nis wäre, noch ist ein Gegenstand möglich, dessen Bestimmtheit selbst Bedingung der Erkenntnis wäre, denn die ontologische, von der kategorialen Synthesis unabhängige Bestimmtheit beider ist auf die bloße Existenz reduziert. Indem Kant in der Kritik der reinen Vernunft die Einheit des empirischen Bewußtseins mit der transzendentalen Einheit der Apperzeption identifiziert, reduziert er die empirischen Subjekte auf die Funktion der Erkenntnistätigkeit und die Bestimmtheit der Gegenstände der Erkenntnis auf die Funktion ihrer Erkennbarkeit. Erkennendes Subjekt und Gegenstand der Erkenntnis haben keine Selbständigkeit gegenüber ihrer Vermittlung im Prozeß der Erkenntnis.15 Wie unter diesen Voraussetzungen bestimmte Erkenntnis möglich sein soll, ist rätselhaft. Nun hat Kant gesehen, daß die Transzendentalphilosophie sich nicht auf den Nachweis der Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt beschränken und sich im Hinblick auf besondere Erkenntnis mit der Forderung: Es muß Erfahrung dazu kommen16 behelfen kann. Sie muß vielmehr auch die Bedingungen der Erkenntnis des Besonderen als solchen thematisieren, und dies kann nur gelingen, wenn das Subjekt der Erkenntnis nicht auf ein Funktionsorgan der transzendentalen Einheit der Apperzeption reduziert ist. In der Kritik der Urteilskraft setzt Kant deshalb die Selbständigkeit des empirischen Subjekts gegenüber der transzendentalen Subjektivität voraus. Dies hat zur Folge, daß das Subjekt gegenüber der Natur jetzt erstmals diejenige Stellung einnimmt, die ihm Kant in der zweiten Vorrede der Kritik der reinen Vernunft emphatisch zugesprochen hatte: die eines bestallten Richters, der der Natur Fragen vorlegt und sie durch Experimente zu Antworten nötigt.17 Doch diese neue Stellung18 des Subjekts zur Natur ist erschlichen, denn wie sie auf der Grundlage der ersten Kritik möglich sein soll, hat Kant nicht dargetan. Ebenfalls erschlichen ist die Art, wie die Natur dem Subjekt begegnet. Wenn Kant in der dritten Kritik von gegebenen Naturgegenständen spricht, dann suggeriert er, das Gegebene besäße aufgrund seines Gegebenseins Identität und Individualität. Das ist unverträglich mit der transzendentalen Ästhetik, nach welcher der in den Formen der Anschauung gegebene Gegenstand durch sein Gegebensein allein eben nicht schon Identität besitzt. Wenn Kant andererseits sagt, empirische Begriffe resultierten aus dem Vergleich des gegebenen Mannigfaltigen der Natur, was nur möglich sei, weil die reflektierende Urteilskraft das gegebene Naturmannigfaltige als nach Gattungen und Arten geordnet unterstelle, dann suggeriert er, die Identifizierung von Gegenständen Vgl. in dieser Arbeit die Kapitel ›Empirische Einheit des Bewußtseins‹ und Einheit des empirischen Bewußtseins und Subjekt und Objekt der Erkenntnis. 16 KrV B 165. 17 KrV B XIII. 18 Vossenkuhl (1996; 123) entgeht diese neue Stellung, wenn er feststellt: Kant hat seine Auffassung der Subjektivität der Erfahrung nicht im geringsten geändert. Das Subjekt konstituiert weiterhin die Welt. Lediglich das Wie und Warum seiner Konstitutionsleistung verändern sich. Dagegen betont K. Düsing (1968; 60 f.) zu Recht: Sofern [...] die reflektierende Urteilskraft in ihren Handlungen nur ihrem Prinzip folgt, ermöglicht sie ein ganz eigenes Verhältnis des Subjekts zum gegebenen Mannigfaltigen. 15
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III. JENSEITS VON KANT UND FICHTE
sei Resultat der empirischen Synthesis von Merkmalen, das heißt Resultat ihrer Klassifizierung. Dies ist sachlich falsch, denn Voraussetzung für den klassifizierenden Vergleich von Naturdingen ist die Identität und Individualität dieser Naturdinge.19 Voraussetzung der Synthesis von verschiedenen Subjekten mit einem identischen Prädikat ist die Ansichbestimmtheit dieser Subjekte. Nur wenn das gegebene Mannigfaltige der Natur an sich bestimmt ist, hat die reflektierende Urteilskraft eine Voraussetzung, an der sie sich betätigen kann. Das zwingt zur Revision des transzendentalen Idealismus. Kant kann die nominalistische Voraussetzung des datensensualistischen Bewußtseins nicht durch die nominalistische Theorie der kategorialen Synthesis allein aufheben. Die Befragung der Natur macht nur für den Sinn, der die Antwort noch nicht kennt. Als Funktionsorgan der transzendentalen Einheit der Apperzeption ist das empirische Subjekt immer schon im Besitz der Antwort. Es ist erkennendes Subjekt, für das die Differenz von Möglichkeit und Wirklichkeit der Erkenntnis nicht existiert. Ein solches Subjekt verfügt über keine Begriffe, deren Geltung bloß problematisch ist und die im Verein mit dem Experiment sich in der Befragung der Natur als falsch erweisen können. Begriffe, für die das zutrifft, können dem Kantischen Sprachgebrauch nach nur Vernunftideen sein. Ferner aber: Antwort geben kann nur, wer etwas zu sagen hat. Ein an sich unbestimmtes Mannigfaltiges der Wahrnehmung taugt nicht als Gegenstand experimenteller Naturforschung. Seine Bestimmung durch das Subjekt resultierte aus dessen Selbstbestimmung. Anders als es das Bild des bestallten Richters nahelegt, muß das Subjekt möglicher Erkenntnis sich auch nach den Naturphänomenen richten. Die Vernunftbegriffe des Subjekts können, müssen aber nicht etwas an der Natur treffen; die nach ihnen organisierten Experimente können mißlingen. Die Ansichbestimmtheit der Naturphänomene ist demnach selbst eine Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis. Dergleichen Vernunftbegriffe werden nicht aus der
Bezeichnenderweise findet sich in Kants Handexemplar die folgende Notiz: NB Konnte wohl Linnäus hoffen, ein System der Natur zu entwerfen, wenn er hätte besorgen müssen, daß, wenn [er] ein[en] Stein fand, den er Granit nannte, dieser von jedem anderen, der doch eben so aussahe, seiner inneren Beschaffenheit [nach] unterschieden sein dürfte und er also immer nur einzelne für den Verstand gleichsam isolierte Dinge nie aber eine Klasse derselben, die unter Gattungs- und Artsbegriffe gebracht werden könnten, anzutreffen hoffen dürfte. KdU 28 (1. Einl., Abschnitt V). Dazu bemerkt Horkheimer treffend (1925; 107): Wir dürfen Kant erwidern, daß seine Frage – wie die entsprechende allgemeine Frage in der Kritik der Urteilskraft überhaupt – eine andere Beantwortung ihrem Sinne nach voraussetzt, als Kant sie tatsächlich gibt. Timäus [?] hätte weder ›einen Stein‹ als solchen Granit nennen, noch besorgen können, daß er von allen übrigen Steinen, die ›ebenso‹ aussehen, innerlich unterschieden wäre, eben weil das alles Vergleichung, Klassifikation schon voraussetzt. Auch ›isolierte Dinge‹ hätte Timäus [?] als solche nie erkennen können, weil auch ein derartiges Wissen Erkenntnis der Dinge als gleichartiger Gegenstände im Gegensatz etwa zu den bloßen ›Ideen‹ – also Klassenbildung einschließt. Das vermeintlich nur regulative Prinzip gehört eben zur Möglichkeit der Erfahrung überhaupt und nicht bloß zur systematischen Naturforschung. 19
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Natur geschöpft, vielmehr befragen wir die Natur nach diesen Ideen, und halten unsere Erkenntnis für mangelhaft, solange sie denselben nicht adäquat ist. Man gesteht: daß sich schwerlich reine Erde, reine Wasser, reine Luft usw. finde. Gleichwohl hat man die Begriffe davon doch nötig (die also, was die völlige Reinigkeit betrifft, nur in der Vernunft ihren Ursprung haben), um den Anteil, den jede dieser Naturursachen an der Erscheinung hat, gehörig zu bestimmen, und so bringt man alle Materien auf die Erden (gleichsam die bloße Last), Salze und brennliche Wesen (als die Kraft), endlich auf Wasser und Luft als Vehikeln (gleichsam Maschinen, vermittelst deren die vorigen wirken), um nach der Idee eines Mechanismus die chemischen Wirkungen der Materien untereinander zu erklären. Denn, wiewohl man sich nicht wirklich so ausdrückt, so ist doch ein solcher Einfluß der Vernunft auf die Einteilungen der Naturforscher sehr leicht zu entdecken.20 Diese Passage aus dem Anhang zur transzendentalen Dialektik der ersten Kritik berücksichtigt die beiden notwendigen Bedingungen der Erkenntnis des Besonderen als solchen: Das Vermögen des Subjekts möglicher Erkenntnis zur Spekulation einerseits und die Ansichbestimmtheit der Natur andererseits. Das Subjekt möglicher Erkenntnis schöpft seine Begriffe aus der Vernunft, und diese Begriffe können, müssen aber nicht der Natur adäquat sein. Die Adäquanz ist nicht a priori garantiert, vielmehr ist sie ein Resultat der Spekulation und des Eingriffs in den Naturzusammenhang. Anders als es das Zitat nahelegt, hat Kant die beiden notwendigen Bedingungen der Erkenntnis des Besonderen als solchen aber nicht in angemessener Weise berücksichtigt. Die Selbständigkeit des Subjekts gegenüber der transzendentalen Einheit der Apperzeption ist in der dritten Kritik vorausgesetzt, ohne sie auf ihre Kompatibilität mit der ersten Kritik zu untersuchen. Die Ansichbestimmtheit der Natur wird als solche nicht thematisch, nur der aporetische Begriff des Dings an sich oder die Bemerkung, wonach die Begriffe der reflektierenden Urteilskraft auf die Bestätigung durch die Natur angewiesen seien, zeigen auf sie als auf ein ungelöstes Problem der Transzendentalphilosophie. Hätte Kant sie tatsächlich angemessen berücksichtigen wollen, hätte er die dritte Kritik nicht neben die erste stellen dürfen, als deren Ergänzung, sondern die erste Kritik revidieren müssen. Kants Einsicht, daß bestimmte Erkenntnis nicht nur die Kategorien, sondern auch das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft zu ihrer notwendigen Bedingung hat,21 und seine Einführung der Idee des Naturzwecks, die kein Totalitätsbegriff ist, sondern der Begriff der allgemeinen Form einer besonderen Klasse von Erfahrungsgegenständen, zwingt dazu, Unterscheidungen einzuführen, die das in der Kritik der reinen Vernunft entwickelte transzendentale Konstitutionssystem umstürzen und den Begriff der Philosophie selbst berühren.
20 21
KrV B 673f. Vgl. KdU B XXXVIf.
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III. JENSEITS VON KANT UND FICHTE
2. Die Historizität der transzendentalen Einheit der Apperzeption Zunächst ist zu unterscheiden zwischen der transzendentalen Einheit der Apperzeption und der Einheit des empirischen Bewußtseins. Stehen die Gegenstände möglicher Erfahrung nur nach der Seite der allgemeinen Form der Gesetzmäßigkeit a priori unter der transzendentalen Einheit der Apperzeption, müssen sie aber nach der Seite ihrer spezifischen Bestimmtheit durch Spekulation und Experiment allererst darunter gebracht werden, dann setzt dies die Selbständigkeit der empirischen Subjekte gegenüber der transzendentalen Einheit der Apperzeption voraus. Bedingung der Möglichkeit dieser Selbständigkeit ist die Selbständigkeit der Einheit des empirischen Bewußtseins gegenüber der transzendentalen Einheit der Apperzeption.22 Erst in der Folge gelungener Spekulation und gelungenen Experiments ist das empirische Subjekt nicht mehr nur eines möglicher, sondern wirklicher Erkenntnis, ein Funktionsorgan der allgemeinen Subjektivität. Das hat Konsequenzen für den Begriff der Erfahrung. Ist nämlich die transzendentale Einheit der Apperzeption als diejenige Einheit zu bestimmen, in der die Einzelwissenschaften und ihre besonderen Gesetze zusammenstimmen, dann ist zu unterscheiden zwischen Erfahrung im alltäglichen Sinne und im Sinne von wissenschaftlicher Erkenntnis. Die vollständige Disjunktion zwischen notwendiger, systematischer Einheit des empirischen Bewußtseins einerseits und bloßer Mannigfaltigkeit empirisch gegebener Vorstellungen andererseits in der Analytik der ersten Kritik führt zu der Gleichsetzung von Erfahrung und Erkenntnis. Damit sind Wahrnehmungsurteile, wie in den Prolegomena skizziert, unmöglich.23 Sind für wissenschaftliche Erkenntnis im Unterschied zur alltäglichen Erfahrung die Spekulation der reflektierenden Urteilskraft und der experimentelle Eingriff in den Naturzusammenhang konstitutiv, dann sind die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis als die von wissenschaftlicher Erkenntnis zu fassen, und die Gegenstände möglicher Erfahrung als die möglicher Erkenntnis. Kant spricht zwar in der dritten Kritik von derjenigen [Erfahrung], welche methodisch angestellt wird und Beobachtung heißt,24 unterscheidet aber in seiner Transzendentalphilosophie nicht strickt zwischen Erfahrung im alltäglichen Sinne, methodisch angestellter Erfahrung, und deren gelungenem Resultat, der wissenschaftlichen Erkenntnis. Die Disjunktion zwischen der notwendigen Einheit des empirischen Bewußtseins und der zufälligen empirischen Einheit mißt Erfahrung implizit am Maßstab wissenschaftlicher Erkenntnis: der systematischen Einheit und Widerspruchsfreiheit von Urteilen über partikulare Sachverhalte. Gemessen an diesem Maßstab muß die Erfahrung im alltäglichen Sinne als ein Chaos erscheinen, wie schon Lambert feststellt: Wir haben ein solches Stück der gemeinen Erkenntnis ein Chaos genannt, und müssen es als ein solches ansehen, weil man [vor] der genaueren UnterVgl. in dieser Arbeit das Kapitel ›Empirische Einheit des Bewußtseins‹ und Einheit des empirischen Bewußtseins. 23 Vgl. in dieser Arbeit das Kapitel Subjekt und Objekt der Erkenntnis. 24 KdU B 296. 22
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suchung und Beobachtung desselben nicht versichert ist, ob nicht viel verwirrtes Zeug darin sei, und weil sich eher ja als nein vermuten läßt. Wenn wir nun ein solches Chaos genauerzu durchgehen und es auseinanderzulesen vornehmen, so stellen wir es uns, so undeutlich wir es noch empfinden, an sich schon als ein Ganzes vor, das einer Entwicklung, Zerlegung und netteren Anordnung seiner Teile fähig ist. Ob wir aber gleich anfangs alles, was zu diesem Ganzen gehört, mitnehmen, dieses gibt die gemeine Erkenntnis nicht an, weil sie die Sache nicht so genau nimmt.25 Die gemeine Erfahrung nimmt die Sache nicht so genau. Deshalb ist für sie schon Gegenstand der Erfahrung, was der Wissenschaft noch als Chaos erscheinen muß. Daß aber ein solches Chaos einer Entwicklung, Zerlegung und netteren Anordnung seiner Teile fähig ist, ist eine Spekulation des forschenden Subjekts, die sich als falsch erweisen kann. Ist die transzendentale Einheit der Apperzeption die notwendige Einheit der Resultate der Wissenschaften, dann ist sie offenbar historisch bedingt. Sie ist die ›Einheit des Bewusstseins‹, die in Newtons Wissenschaft objektiv geworden war.26 Als solche ist sie abhängig von der historischen, mithin auch gesellschaftlichen Praxis der Einzelwissenschaften, und ihr Begriff ist nicht ohne Reflexion auf diese Praxis zu bestimmen. Die Reflexion auf das historische, gesellschaftliche Moment der transzendentalen Einheit der Apperzeption scheint vorderhand auf die Alternative hinauszulaufen, den Gegensatz von Apriorischem und Historischem zugunsten einer der beiden Seiten zu entscheiden. Hegel entscheidet ihn zugunsten des Apriorischen, indem er die Einheit der Apperzeption, das historisch Spätere, zum ontologisch Früheren bestimmt. Hegels spekulativ-idealistische Umdeutung der transzendentalen Einheit der Apperzeption zum Absoluten führt geradewegs zur Auffassung der Geschichte als eines in sich notwendigen Fortschritts im Bewußtsein der Freiheit. Das historische Moment der transzendentalen Einheit der Apperzeption ist darin zugleich ernst genommen und negiert. Die Historizität der Vernunft ist zwar genuines Thema systematischer Philosophie, aber nur um den Preis der Logifizierung der Historie.
Lambert (1764), 18f.; vgl. ebd. 7: Die wissenschaftliche Erkenntnis ist erstlich von der gemeinen Erkenntnis darin verschieden, daß, da diese jeden Begriff oder jeden Satz als für sich subsistierend betrachtet, jene hingegen bestimmt, wie sie voneinander abhängen. Die wissenschaftliche Erkenntnis vergleicht Erfahrungen mit Erfahrungen. Schon dieser erste Schritt entfernt sie von der gemeinen Erfahrung, weil das bloße Bewußtsein dieser Erfahrungen in ein genaueres Beobachten und öfters in wirkliche Versuche [...] verwandelt wird. Denn da die gemeine Erkenntnis solche Erfahrungen nur als abgebrochene Stücke oder einzelne Fragmente dargibt, so ist klar, daß man sie mit mehrerem Bewußtsein ansehen müsse, wenn man finden will, was sie in sich halten, wodurch etwann die eine sich mit der andern vergleichen oder sich durch dieselbe bestimmen lasse. (8). – Vgl. Bacon (1620; 177): Begegnet man ihr [der Erfahrung] so obenhin, so heißt sie Zufall, sucht man sie, so nennt man sie Experiment. [...] Die wahre Ordnung der Erfahrung zündet zuerst ein Licht an, zeigt dann bei Licht den Weg, indem sie mit einer wohlgeordneten und gegliederten Erfahrung beginnt, keineswegs aber mit einer voreiligen und irrenden. Daraus entwickelt sie die Lehrsätze und aus diesen folgert sie wiederum neue Experimente. 26 Cohen (1918), 318. 25
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III. JENSEITS VON KANT UND FICHTE
In der Theorie vom Fortschritt der Wissenschaften durch Paradigmenwechsel ist der Gegensatz des Apriorischen und Historischen im Begriff der Einheit der Apperzeption zugunsten des Historischen entschieden. Danach gibt es keine den Einzelsubjekten vorgeordnete, die Möglichkeit objektiver Erkenntnis verbürgende Instanz, sondern nur noch diese Einzelsubjekte selbst, die sich unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen angesichts krisenhafter Zustände in den Wissenschaften auf Paradigmen der Erkenntnis verständigen. Wie bei politischen Revolutionen gibt es auch bei der Wahl eines Paradigmas keine höhere Norm als die Billigung durch die jeweilige Gemeinschaft.27 Die Theorie vom Paradigmenwechsel scheint die historischen und insofern kontingenten Bedingungen wissenschaftlichen Fortschritts ernst zu nehmen, ohne in einen vollendeten Relativismus zu führen. Doch die, Kantisch gesprochen, kollektive Einheit der empirischen Bewußtseine, die sie allein kennt, ist nicht in der Sache begründet und daher der Wissenschaft selbst äußerlich. Kants objektiver Wahrheitsbegriff, wonach nicht die Allgemeinheit des Fürwahrhaltens die objektive Gültigkeit eines Urteils (d. i. die Gültigkeit desselben als Erkenntnisses) beweise, sondern, wenn jene auch zufälliger Weise zuträfe, dieses doch nicht einen Beweis der Übereinstimmung mit dem Objekt abgeben könne,28 ist ihr fremd. Die philosophische Reflexion muß vor der Alternative, entweder in einen robusten Hegelianismus zu flüchten oder aber den objektiven Wahrheitsbegriff, der auch derjenige Kants ist, preiszugeben, nicht kapitulieren. Kants Bestimmung der transzendentalen Einheit der Apperzeption als der objektive Erkenntnisurteile ermöglichenden Instanz kann durch die Reflexion auf die gesellschaftliche Praxis der Einzelwissenschaften pragmatisch begründet werden; der historische Charakter dieser Instanz kann durch die Reflexion auf die Geschichte der Philosophie aufgeklärt werden, ohne die Geltung in Genesis aufzulösen. Die Geschichte der ahistorischen transzendentalen Einheit der Apperzeption besteht, philosophieimmanent betrachtet, in der Entdekkung der menschlichen Subjektvität als der Erkenntnis überhaupt ermöglichenden Instanz.29 Sie beginnt mit der nominalistischen Wendung auf das denkende Subjekt, die zur Folge hat, daß die gegenständliche Welt nicht mehr als objektiv durch die Hierarchie der Wesenheiten strukturiert gedacht werden kann. Die Subjektivität, die in dieser Weise erstmals thematisch wird, ist noch nicht die allgemeine des Kantischen transzendentalen Subjekts, die den einzelnen Subjekten die Möglichkeit objektiver Erkenntnis garantiert, sondern die der empirischen Subjekte, und mit ihrer Thematisierung wird die Möglichkeit objektiver Erkenntnis gerade zum Problem. Garantierte im Neuplatonismus die Identität von Logik und Ontologie die Möglichkeit von Erkenntnis, so lenkt die philosophische Einsicht in die Differenz von subjektiven logischen Formen und objektiver Struktur des Seienden die Aufmerksamkeit auf das erkennende Subjekt, dem die logischen Formen als Mittel zur Erkenntnis des Seien27 28 29
Kuhn (1976), 106. Kant, KpV A 25. Dazu ausführlich Mensching (1992).
B. Die Aufhebung der Transzendentalphilosophie in Gesellschaftstheorie
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den dienen. Erkenntnis ist nicht länger passives Schauen objektiver Wesenheiten, sondern Tätigkeit des Subjekts. Ist aber jede begriffliche Distinktion, einschließlich der von Wesen und Akzidenz, durch das Subjekt vermittelt, zuletzt durch das Subjekt gesetzt, berührt das den ontologischen Wahrheitsbegriff der adaequatio rei et intellectus. Der durch das Subjekt gestifteten Ordnung der Allgemeinbegriffe, in der auch die Qualitäten der Dinge bestimmt sind, korrespondiert nur mehr eine Vielheit an sich unbestimmter Einzeldinge, deren Realität, weitergedacht, allein durch die Empfindung des einzelnen Subjekts, also als Bewußtseinsdatum sich ausweist. Derselbe Prozeß, der philosophisch die Möglichkeit von objektiver gegenständlicher Erkenntnis erst zu dem spezifisch erkenntnistheoretischen Problem der Frage nach dem Verhältnis von Subjekt und Objekt macht, bildet mit der Emanzipation der Subjektivität von der nur vermeintlich ontologisch-metaphysisch bestimmten Struktur der Welt die Voraussetzung für die kopernikanische Wende in der Kosmologie, an der die Transzendentalphilosophie ihr Modell hat. Kopernikus konnte das ptolemäische Weltbild nur stürzen, weil die logisch-metaphysischen Mittel bereitlagen, es zur Projektion der Einbildungskraft auf die Natur herabzusetzen, der dann eine andere Projektion entgegengestellt werden konnte.30 Der Prozeß, der in der Philosophie zur Entdeckung der Subjektivität führt, verläuft nicht im Medium rein philosophieimmanenter Kritik, sondern ist bedingt durch die Realgeschichte. Die Säkularisierung des Augustinischen Dualismus von civitas Dei und civitas terrena, die um 1000 u. Z. einsetzt, ist nicht denkbar ohne die Entstehung städtischen, in Ansätzen bürgerlichen Lebens, ohne die damit einhergehende Veränderung der Stellung des Menschen zur Natur, die Neubewertung gegenständlicher Arbeit und die Bestimmung der Erkenntnis als Tätigkeit des Subjekts, die an der proSchon bei Ockham hat es das Subjekt der Naturerkenntnis nur mit seinen eigenen begrifflichen Operationen zu tun, da dem logischen Subjekt der Aussage keine metaphysisch-ontologische Bestimmtheit zukommt: Und deshalb handelt die Naturwissenschaft weder von vergänglichen und werdenden Dingen noch von natürlichen Substanzen, noch von beweglichen Dingen, denn solche Dinge sind in keinem durch die Naturwissenschaft gewußten Schlußsatz Subjekt oder Prädikat. Vielmehr handelt die Naturwissenschaft im eigentlichen Sinne von den solchen Dingen gemeinsamen Intentionen der Seele, die in vielen Aussagen genau für diese Dinge supponieren [...]. Ockham (1319-24), 207. Dazu Mensching (1992): Ist die Natur nur in den wissenschaftlichen Sätzen verfügbar, dann bildet sie ein Geflecht von Zeichen, eine zweite Natur, die die erste supponieren soll. Nun wäre es aber darauf angekommen, die Beziehung beider zu reflektieren und zu fragen, ob ›supponieren‹ so viel wie ›vertreten‹ oder wie ›ersetzen‹ heißt. Aber Ockhams radikal nominalistische Position läßt diese Frage gar nicht zu, da er die subjektiven Bedingungen, durch die ein Gegenstand erkennbar ist, schon zum Grunde der Intelligibilität erhebt. Da die extramental existierenden singularia vom Verfahren des Verstandes gänzlich unberührt bleiben, schafft sich der wissenschaftliche Intellekt eine begriffliche Scheinwelt [...]. (333 f.). Indem Ockham die Erkenntnis von allen metaphysisch-ontologischen Voraussetzungen emanzipiert, vermag er zwar nicht zu erklären, wie überhaupt empirisch gehaltvolle Naturerkenntnis möglich ist, entdeckt aber die produktive Einbildungskraft, das Vermögen der Spekulation, ohne das Naturerkenntnis nicht möglich wäre. 30
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III. JENSEITS VON KANT UND FICHTE
duktiven Arbeit ihr Modell hat.31 So schreitet die philosophische Auffassung vom Subjekt und der Subjektivität in dem Maße fort, wie ihr Gegenstand realhistorisch an Objektivität gewinnt. Es ist daher kein Zufall, daß Kant die Wirklichkeit der in Mathematik und mathematischer Naturwissenschaft existierenden Erkenntnis als Voraussetzung der Vernunftkritik nennt. Es ist allerdings ebensowenig ein Zufall, daß er diese Voraussetzung als Voraussetzung der notwendigen und allgemeinen Geltung der Erkenntnisse dieser Wissenschaften begreift und von dem historischen Gewordensein dieser Erkenntnisse abstrahiert. Die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit objektiver Erkenntnis setzt mit dem objektiven Wahrheitsbegriff den Unterschied von Genesis und Geltung voraus. Sie scheint daher nur durch rein systematische Reflexion und nicht durch Rekurs auf Historisches beantwortet werden zu können. Nun konnte aber gezeigt werden, daß die so angelegte Erkenntniskritik nicht leisten kann, was sie leisten will. Kant vermag die Möglichkeit bestimmter Erkenntnis nicht darzutun und behilft sich mit dem Dualismus von apodiktisch geltenden apriorischen Formen von Erkenntnis überhaupt und besonderen Erkenntnissen von nur komparativer Allgemeinheit. Kant steht vor dem Dilemma, daß er die besonderen Erkenntnisse der Einzelwissenschaften einerseits als Spezifikationen der transzendentalen Einheit der Apperzeption begreifen muß, diesen Erkenntnissen aber andererseits keine apodiktische Geltung zugestehen kann, weil sie aus dieser Einheit nicht deduziert werden können.32 Die rein philosophische Lösung des Problems müßte dartun, wie aus dem ersten Prinzip das Prinzipiatum folgt; da aber aus dem Prinzip unmittelbar nur dieses selbst folgt, ist diese Lösung unmöglich.33 Das erzwingt den Übergang Vgl. Mensching (1992), 73ff. Vgl. in dieser Arbeit das Kapitel Vernünftiger Verstand und reflektierende Urteilskraft. 33 Der Versuch führt bei Plotin unter den Vorzeichen eines – retrospektiv betrachtet – naiven Universalienrealismus zu der bloßen Behauptung des Hervorgehens des Vielen aus dem Einen, welches selbst nicht als Vernunft gefaßt ist, sondern die Vernunft als erstes Anderes vermöge seiner Übergüte allererst hervorbringt. Der erste Übergang des Prinzips in das Prinzipiatum ist somit nicht-rational: Mithin gibt es auch für das Eine kein Gutes, folglich auch keinen Willen nach irgendeinem Guten, sondern es ist das Übergute, welches nicht für sich selbst, sondern für die andern Dinge gut ist, die etwa an ihm teilzuhaben vermögen. Auch ist es kein Denken, sonst wäre Andersheit in ihm; noch auch Bewegung; denn es ist vor der Bewegung und vor dem Denken. Was sollte es denn auch denken? Sich selbst? Dann müßte es vor dem Denken seiner selbst nichtwissend sein und des Denkens bedürfen damit es sich kennenlerne, es das doch unbedürftig, sich selbst genug ist. Indessen kann es nur deshalb weil es sich nicht erkennt und denkt, kein Nichtwissen in ihm geben, denn Nichtwissen findet nur statt wo ein zweites da ist, wenn eines das andere nicht weiß. Jenes aber da es allein ist, erkennt nichts, anderseits hat es aber nichts in sich das es nicht wüßte, sondern da es eines ist und bei sich selber, bedarf es nicht des Denkens seiner selbst. Eigentlich darf man ihm auch das Beisichselbersein nicht zuschreiben um die Einheit rein zu wahren, sondern man muß Denken wie Beisichsein ausschließen, auch das Denken seiner selbst wie das der andern Dinge. Enn. VI 9, 6. – Hegels Wissenschaft der Logik wäre schon mit der Gleichung: Das reine Seyn und das reine Nichts ist [...] dasselbe an ihrem Ende angelangt, wenn Hegel nicht den Begriff des Werdens aus der Tradition einführen würde, 31 32
B. Die Aufhebung der Transzendentalphilosophie in Gesellschaftstheorie
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von der reinen Transzendentalphilosophie zur Reflexion auf die gesellschaftliche Praxis der Naturwissenschaften. Mit dem Übergang von der reinen transzendentalphilosophischen Reflexion zur Reflexion auf die gesellschaftliche Praxis der Naturwissenschaften geraten zwei Bedingungen der Möglichkeit von (Natur-)Erkenntnis in den Blick, die Kant zwar erwähnt, die aber in seiner Erkenntniskritik nicht zum Tragen kommen: das spekulative Vermögen des empirischen Subjekts und sein besonderes Geschick im Arrangieren von Versuchsanordnungen. Im Unterschied zur leeren Erkenntnis überhaupt ist bestimmte Erkenntnis die partikularer Sachverhalte der Natur. Die Gesetzmäßigkeiten, denen partikulare Sachverhalte unterliegen, erscheinen nur unter bestimmten, empirisch faßbaren Bedingungen, die nicht durch bloße Beobachtung auszumachen sind. Ihre Identifizierung beruht auf theoretischen Annahmen, auf Spekulation, und, zumindest in der sublunaren Sphäre, auf dem technisch-praktischen Eingriff in den Naturzusammenhang.34 Die Vernunft muß mit ihren Prinzipien [...] in einer Hand, und mit dem Experiment, das sie nach jenen ausdachte, in der anderen, an die Natur gehen [...].35 Es bedarf nicht nur der gegenständlichen Tätigkeit empirischer Subjekte, um die entsprechenden Randbedingungen zu identifizieren, sondern auch eines besonderen Geschicks. Durch diese Tätigkeit wird der partikulare Sachverhalt aus dem Naturzusammenhang isoliert und zu einem reproduzierbaren Sachverhalt objektiviert. Das Einzelne behauptet seine Wirklichkeit dem Anschein nach unabhängig von der Forschung; darauf beruht der zweideutige Zusammenhang mit der Empfindung. Der allgemeine Fall dagegen kann nicht existieren; so wenig als die Gattung; als das Allgemeine überhaupt. [...] [D]er allgemeine Fall muß ein Erzeugnis der wissenschaftlichen Arbeit werden. Der Versuch tritt in seine Rechte. [...] [D]ie Wiederholbarkeit macht aus dem Einzelnen nicht nur einen anderen Fall, sondern überhaupt etwas anderes. Dieses andere ist der allgemeine Fall.36 Die technisch-praktische Herstellung von Randbedingungen gemäß einer Vernunftidee, die zunächst nicht mehr als eine Spekulation des forschenden Subjekts ist, liegt zwangsläufig jenseits transzendentalphilosophischer Reflexion.37 Da diese die Bedingungen von Erkenntnis überhaupt aufweisen will, vermag sie die Subjektivität der empirischen Subjekte nur als Subjektivität überhaupt zu fassen, und die Tätigkeit der Erkenntnis nur insofern, als sie Tätigkeit eines Subjekts überhaupt ist. Die Tätigkeit eines allgemeinen Subjekts ist aber entweder selbst unmittelbar allgemeine Tätigkeit, Denken, oder sie ist die allgemeine Form gegenständlicher Tätigkeit. Die allgemeine Form gegenständlicher Tätigkeit um dann an diesem Begriff zwei Momente, den des Entstehens und den des Vergehens, aufzuweisen. Sein 69ff. 34 Dazu ausführlich Bulthaup (1973); 59ff. und 77ff. 35 KrV B XIII. 36 Cohen (1914), 510. 37 Eine Erkenntnistheorie, die die Erkenntnis nicht als Moment der menschlichen Arbeit zu denken vermag, kann eben auch nicht den Erkenntnisprozeß einer Naturwissenschaft voll erfassen. Wahsner/ v. Borzeszkowski (1992), 253.
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III. JENSEITS VON KANT UND FICHTE
existiert dort, wo die empirischen Subjekte, die allein gegenständlich tätig sein können, als austauschbare Funktionsorgane eines Subjekts überhaupt agieren, und die bestimmten empirischen Sachverhalte, auf die sie sich beziehen, als austauschbare Repräsentanten der allgemeinen Form bestimmter Sachverhalte fungieren.38 Erst vom Resultat des nach einer Vernunftidee durch gegenständliche Tätigkeit organisierten erfolgreichen Experiments läßt sich die Methode definieren, welche die Reproduzierbarkeit des Resultats regelt, ohne daß dazu noch Spekulation und besonderes Geschick vonnöten wären. In der normativen Methode ist der Prozeß der Objektivierung des Sachverhalts, der zu ihr führte, nicht aufgehoben, sondern verschwunden. Die Methode, die die Reproduzierbarkeit wissenschaftlicher Resultate regelt, ist die Bedingung des Fortschritts der Naturwissenschaften. Mit ihr kann über das tradierte Wissen der Naturwissenschaften durch instrumentelle Vernunft39 verfügt werden. Sie ermöglicht damit die Akkumulation von Wissen, so daß Resultate der Erkenntnis zu Mitteln der Gewinnung neuer Erkenntnis instrumentalisiert werden können. Der Prozeß der Akkumulation von Wissen ist nicht auf die einzelne Disziplin beschränkt. So bilden die Resultate der einen Wissenschaft die Voraussetzung für eine zweite, deren Resultate die Voraussetzung für eine dritte usf. Die Akkumulation von Wissen ist eine notwendige Bedingung der Arbeitsteilung der Wissenschaften. Eine andere notwendige Bedingung ist die Kooperation zwischen verschiedenen Wissenschaften, die zur Entstehung neuer Disziplinen führen kann. Die durch Akkumulation von Wissen, Arbeitsteilung und Kooperation bestimmte gesellschaftliche Praxis der Naturwissenschaften präformiert die wissenschaftliche Arbeit. Sie ist allgemeine Arbeit40 nicht nur in dem Sinne, daß ihre Resultate, mit Schiller gesprochen, der Menschheit gehören,41 sondern auch in dem Sinne, daß sie das Wissen der Menschheit zu ihrer Voraussetzung hat. In der mathematischen Naturwissenschaft ist die allgemeine Subjektivität objektiv geworden, sie existiert in Gestalt der Wissenschaften getrennt von der Subjektivität und dem Selbstbewußtsein der empirischen Subjekte als das nach Prinzipien organisierte Wissen der Gattung. Insofern die empirischen Das hypothetische Urteil: ›Wenn eine Lösung von Silbernitrat zu einer Lösung von Natriumchlorid gegeben wird, dann fällt Silberchlorid aus‹, bezeichnet keinen empirischen Sachverhalt, denn die Lösungen, mit denen in Basel der Versuch wiederholt wird, sind nicht dieselben, mit denen er in Frankfurt gemacht wurde. Das Urteil bezeichnet die allgemeine Form eines Sachverhalts, die im Prinzip für alle Menschen dieselbe ist, wogegen die empirischen Sachverhalte numerisch und ontisch verschieden sind. Durch die Form des Sachverhalts, das Gesetz der Abfolge der Erscheinungen, werden diese Erscheinungen erst objektiviert und dadurch spezifiziert. Bulthaup (1998), 159. 39 Der Begriff entstammt der kritischen Theorie, vgl. Horkheimer (1947). 40 Marx (1863-67), 159. Marx unterscheidet in einer Notiz allgemeine und gemeinschaftliche Arbeit. Allgemeine Arbeit ist alle wissenschaftliche, alle Entdeckung, alle Erfindung. Sie ist bedingt theils durch Cooperation mit Mitlebenden, theils durch Benutzung der Arbeiten Früherer – Gemeinschaftliche Arbeit unterstellt die unmittelbare Cooperation der Individuen. (159). 41 Schiller (1789), 363: [W]as Einer im Reiche der Wahrheit erwirbt, hat er Allen erworben. 38
B. Die Aufhebung der Transzendentalphilosophie in Gesellschaftstheorie
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Subjekte in ihrer wissenschaftlichen Arbeit auf dieses verfügbare Wissen zurückgreifen, sind sie bloße Funktionsorgane der allgemeinen Subjektivität. Ihre individuelle Subjektivität, ihr Intellekt und ihre Einbildungskraft, kommen dort zum Tragen, wo neue Erkenntnisse gewonnen werden oder Fehler unterlaufen. Mit der Behebung der Fehler respektive mit der Einordnung der neuen Erkenntnisse in das Korpus des bestehenden Systems des Wissens verschwindet der Unterschied von individueller und allgemeiner Subjektivität. Arbeitsteilung, Akkumulation, Kooperation und Arbeit sind Bestimmungen, die ihren Ort nicht in den Naturwissenschaften oder der Transzendentalphilosophie haben. Sie stammen aus der Politischen Ökonomie und ihrer Kritik, mithin sind es ursprünglich Bestimmungen des materiellen Reproduktionsprozesses der bürgerlichen Gesellschaft. Daß dieselben Bestimmungen für die Reproduktion der bürgerlichen Gesellschaft einerseits und für die Naturwissenschaften und ihren Fortschritt andererseits grundlegend sind, verweist auf den systematischen Zusammenhang, in dem beide zueinander stehen. In der entwickelten bürgerlichen Gesellschaft beruht die materielle Produktion auf der Anwendung der Resultate der Naturwissenschaften. Mit der grossen Industrie42 sind die Menschen erstmals in ihrer Geschichte nicht mehr Anhängsel der ersten Natur, sondern in der Lage, Naturkräfte bewußt zu kontrollieren und in den Dienst der materiellen Produktion zu stellen. Marx spricht von der Sprengung der natürlichen Schranken der Produktion,43 der er zu Recht geschichtsphilosophische Bedeutung beimißt. Sie ist nämlich nicht bloßes Moment im kontinuierlich fortschreitenden historischen Prozeß. Vielmehr erhält mit ihr die Geschichte eine neue Qualität. In der großen Industrie hat die allgemeine, wissenschaftliche Arbeit gegenständliche Gestalt angenommen. Nicht mehr Geschick und Erfahrung Einzelner, sondern das Wissen der Gattung ist darin objektiviert. Die allgemeine Subjektivität fällt nicht mehr zusammen mit den Wesenskräften der einzelnen Subjekte. Sind die Resultate der Naturwissenschaften einerseits Voraussetzung des weiteren Fortschreitens der Wissenschaften selbst, sind sie zum anderen aber auch notwendige Bedingungen des arbeitsteilig organisierten materiellen Reproduktionsprozesses der Gesellschaft, dann bewähren sich die Resultate wissenschaftlicher Arbeit pragmatisch durch ihre Verwendbarkeit in den Funktionszusammenhängen der Wissenschaft, Technik und materiellen Produktion, die ihrerseits zu einem einzigen Funktionszusammenhang integriert sind. Das Problem der Kantischen Transzendentalphilosophie, daß die einzelnen Erkenntnisse qua Erkenntnisse unter der transzendentalen Einheit der Apperzeption stehen müssen, aber der Beweis, daß sie darunter stehen, ihre Deduktion aus dem höchsten Punkt der Transzendentalphilosophie erforderte, welche nicht möglich ist, ist durch die Reflexion auf die gesellschaftliche Praxis der Marx (1867), viertes Kapitel, vierter Abschnitt. Vgl. Marx (1867), 359 u. 504; vgl. Kuhne (1995), 62ff., 84ff. u. pass.; zum Begriff der allgemeinen Arbeit Bensch (1995), 74ff. 42 43
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III. JENSEITS VON KANT UND FICHTE
Naturwissenschaften lösbar. Die Notwendigkeit und Allgemeinheit der Erkenntnisse, ihre Wahrheit, ist dann pragmatisch begründet. Der mit der Entwicklung der großen Industrie entstehende funktionale Zusammenhang von Wissenschaft, Technik und materieller Produktion tritt in der pragmatischen Begründung der Wahrheit der Erkenntnisse objektiv in die Funktion ein, welche die philosophische Tradition, solange sie an dem objektiven Begriff der Wahrheit als der adaequatio intellectus et rei festhielt, dem Absoluten zugesprochen hat.44 Die Übereinstimmung von Intellekt und Sache ist nicht ontologisch garantiert, sondern funktional begründet. Dieser funktionale Zusammenhang ist historisch geworden. Aus seiner Wirklichkeit kann auf die notwendigen Bedingungen seiner Möglichkeit nur dann geschlossen werden, wenn an dem objektiven Begriff der Wahrheit festgehalten wird. Wird dieser zugunsten der intersubjektiven Übereinstimmung der Mitglieder der Scientific community aufgegeben, sind keine Gedanken mehr möglich, die Naturerkenntnis, Produktivkraftentwicklung durch Technik und die Verfaßtheit gesellschaftlicher Verhältnisse integrieren, sondern nur noch fallibles philosophisches Wissen und konkurrierende Paradigmen.45 Die pragmatische Begründung der Geltung der besonderen Erkenntnis resultiert aus keinem Paradigmenwechsel, sondern aus der immanenten Kritik der Transzendentalphilosophie. Sie steht zu dieser (und zur philosophischen Tradition insgesamt) deshalb nicht im Verhältnis der abstrakten Negation, vielmehr zeigt sie, wie deren Ansprüche nur dann eingelöst werden können, wenn Philosophie nicht bei sich selbst bleibt, sondern in Theorie der Gesellschaft übergeht – freilich ohne in ihr aufzugehen.46 Statt den metaphysischen Grundbegriffe[n] ihre Geltung mit Hinweis In den geschaffenen Dingen findet sich Wahrheit [...] einmal in den Dingen und außerdem im erkennenden Geist. Im erkennenden Geist, sofern er mit den Dingen in Übereinstimmung ist, von denen er Kenntnis besitzt; in den Dingen aber, sofern sie den göttlichen Geist nachbilden, der ihr Maß ist [...]. Thomas von Aquin (1256-59), qu. 1, a. 8 c. 45 Vgl. Habermas (1988), 25f. Habermas konstatiert, daß die einheitsstiftenden philosophischen Erklärungsformen in der Moderne einem Entwertungsschub ausgesetzt seien, in dessen Verlauf ihre Definitionsgewalt über Geltungskriterien an Expertenkulturen und Institutionen übergeht. Was der Philosophie bleibt, ist eine interpretierende Vermittlung zwischen dem Expertenwissen und der orientierungsbedürftigen Alltagspraxis. Zuerst karikiert Habermas den Anspruch der Philosophie als den auf einen privilegierten Zugang zu Wesenseinsichten, um dann – gegen Henrich (1982) – festzustellen, daß es nach Kant Metaphysik im Sinne ›abschließender‹ und ›integrierender‹ Gedanken nicht mehr geben kann. (26). 46 Es ist zwar richtig: Die nie ganz verabschiedete Frage, wer denn nun – Jacobi? Fichte? Schelling? Hegel? – eigentlich ›recht‹ usw. habe, [kommt] der neuzeitlichen Vernunft in ihrer geschichtlichen Vollendung schief entgegen: Diese Vernunft ist selbst ein Gefüge, ›System‹, das ganz da, ›heraus‹, nur ist sozusagen als seine – notwendig streitbare – Gemeinde, und deren Geist ist es, der philosophisch und nicht nur philosophiehistorisch interessant bleibt. (Scheier 1993, 4). Aber diese Feststellung trifft nur die halbe Wahrheit. Richtig ist sie insofern, als sie gegen das von den Idealisten – von Jacobi wird hier abgesehen – beanspruchte Hinausgehen über Kant und den jeweiligen Vorgänger jedem System unbeschadet seiner Defizienz ein eigenes Recht zuerkennt. Nur die halbe Wahrheit trifft sie insofern, als sie das Gefüge der neuzeitlichen Vernunft 44
B. Die Aufhebung der Transzendentalphilosophie in Gesellschaftstheorie
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auf die Entstehung von Expertenkulturen für Wissenschaft, Moral und Recht47 kurzerhand abzusprechen, führt die in Gesellschaftstheorie übergehende Philosophie deren Säkularisierung bewußt und mit Grund zu Ende.48 Das gilt nicht nur für den objektiven Begriff der Wahrheit, der, ursprünglich theologischer Herkunft, jetzt gesellschaftstheoretisch bestimmt ist, sondern auch für den der Geschichte. Der Begriff der Geschichte als eines teleologisch bestimmten Prozesses in der Zeit ist präformiert durch den theologischen Begriff der Heilsgeschichte.49 Erst als entdeckt wird, daß die Reproduktion der Menschen in der Natur nicht allein das Werk der Natur selbst ist, sondern wesentlich durch die Arbeit der Menschen vermittelt, wird der ursprünglich heilsgeschichtlich bestimmte Begriff des Fortschritts auf den der Natur bezogen und in der Konsequenz der Fortschritt als einer der Menschheit hin auf vernünftig eingerichtete gesellschaftliche Verhältnisse begriffen. Das Bewußtsein der Aufklärung, daß die Bedingungen menschlicher Existenz in dem Maße, in dem sie durch die Menschen selbst produziert werden, auch ihren gesellschaftlichen Zwecken unterworfen werden können, bringt Marx insofern auf den Begriff, als er zeigt, daß diese Zwecke zwar unter den Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise, nicht aber an und für sich determiniert sind.50
nur philosophisch und daher nur als philosophisches begreift. Die streitbare Gemeinde der idealistischen Systembauer deckt aber nicht nur wechselseitig die Mängel und Aporien auf, die es rechtfertigen, daß über ein Theorem hinausgegangen wird, sie deckt auch – vom Resultat her betrachtet – die Defizienz einer Philosophie auf, die sich noch zutraut, im Medium der rein philosophischen Reflexion die Totalität begreifen zu können. 47 Habermas (1988), 25. 48 Die pragmatische Begründung der Wahrheit der Resultate der Wissenschaften muß für diejenigen unbefriedigend erscheinen, welche unterhalb der Letztbegründung keine Begründung gelten lassen. So gesehen besteht zugegebenermaßen zwischen der pragmatischen Begründung der Wahrheit und dem Wort Berkeleys (1710; 86), Naturerkenntnis sei möglich, sei aber abhängig von der Voraussetzung, daß der Urheber der Natur stets gleichmäßig handelt unter beständiger Beobachtung jener Regeln, die wir für Prinzipien ansehen, was wir doch nicht mit Sicherheit wissen können, kein wesentlicher Unterschied. Freilich: Auch Verfechter der Letztbegründung werden, wenn sie sich per Auto, Bahn oder Flugzeug zu Philosophiekongressen begeben, in der Regel eher auf Wissenschaft und Technik als auf Gott vertrauen. Ihr praktisches Verhalten erinnert an das der Leugner des Satzes vom zu vermeidenden Widerspruch, die aus ihrer These auch keine praktischen Konsequenzen ziehen wollten. Denn warum geht denn der Anhänger dieser Lehre nach Megara und bleibt nicht lieber in Ruhe, während er meint zu gehen? Warum stürzt er sich nicht gleich frühmorgens in einen Brunnen oder einen Abgrund, wenn es sich eben trifft, sondern nimmt sich offenbar in acht, indem er also das Hineinstürzen nicht in gleicher Weise für nicht gut und für gut hält? Aristoteles, Metaphysik 1008 b. 49 Vgl. Augustinus (419), Buch 11-13. Vico nennt erstmals die Motive einer säkularisierten Theorie der Geschichte: Sie will den Ursprung und die Entwicklung der menschlichen Kultur begreifen. Vgl. Vico (1744), 178-187. 50 Die Einsicht in die Differenz von ökonomischer und technischer Rationalität ist für die Kritik der politischen Ökonomie essentiell. Dazu Kuhne (1995), 85f.
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III. JENSEITS VON KANT UND FICHTE
Die pragmatische Begründung der Wahrheit der Resultate naturwissenschaftlicher Erkenntnis durch die Reflexion auf ihre Verwendung in der Wissenschaft selbst und ihre Anwendung in dem gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß hat Konsequenzen für das Verhältnis von Freiheit und Natur in der Transzendentalphilosophie. Ist nämlich für die Naturwissenschaft der experimentelle Eingriff in den Naturzusammenhang konstitutiv, dann ist mit der Existenz der Naturwissenschaft die Antinomie von Naturkausalität und Kausalität aus Freiheit praktisch gelöst. Das hat Konsequenzen für den Naturbegriff der Transzendentalphilosophie. Erkenntnistheoretische Reflexion muß mit der Wirklichkeit und Geltung von Erkenntnis die Rationalität des Gegenstandes der Erkenntnis unterstellen, denn ohne die Rationalität als tertium comparationis fehlte der Erkenntnis mit ihrer Beziehung auf den Gegenstand dieser selbst; sie wäre reine Selbsterkenntnis. Als Reflexion, die auf die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt geht, muß sie die rationale Organisation der Totalität der Gegenstände möglicher Erkenntnis unterstellen. Innerhalb dieser Totalität wäre aber kein Ort möglich für die Differenz von Erkenntnis und Gegenstand, also auch nicht für die Reflexion auf die Möglichkeit von Erkenntnis. Mithin schließt die als Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis unterstellte durchgängige Organisation der Totalität Erkenntnis und Erkenntnistheorie gerade aus. So ist die strenge Determiniertheit alles Seienden durch die mechanischen Gesetze, die d’Holbach vertritt, eine Spekulation, die sich selbst widerspricht, weil in der von ihr vorgebrachten Welt für sie selbst kein logischer Ort denkbar ist.51 Wenn d’Holbach von dem System des Wissens nach dem Vorbild der Newtonschen Mechanik auf ein ihm korrespondierendes System der Natur oder der Gegenstände des Wissens schließt, vergißt er, daß die Gesetze der Mechanik nur solche Gegenstände eindeutig bestimmen, die aus dem Naturzusammenhang isoliert sind und daß das Faktum der Isolierbarkeit von Gegenständen der These ihrer universellen Determiniertheit widerspricht.52 Kants Transzendentalphilosophie scheint vor einem solchen Fehlschluß gleich vierfach gefeit,53 indem sie erstens Totalitätsbegriffe wie den der Erscheinungswelt nur als In einem von heftigem Sturm erregten Staubwirbel, der unseren Augen nur ein Bild ärgster Verwirrung darbietet; in dem furchtbarsten Unwetter, in dem widrige Winde die Fluten aufwühlen, gibt es kein einziges Staub- oder Wassermolekül, das sich durch Zufall an seiner Stelle befände, das keine hinreichende Ursache hätte, um den Ort einzunehmen, an dem es sich befindet, und das nicht streng nach der Art und Weise wirkte, nach der es wirken muß. D’Holbach (1770), 54. 52 D’Holbachs Konstruktion einer materialistischen Ontologie hat allerdings polemischen Charakter. Die Totalität der Natur [...] ist für den Materialismus kein selbständiger Gegenstand der Spekulation. Ob Natur in sich ein System bilde, gilt es nach den Kriterien der empirischen Wissenschaft, nach den verfügbaren Daten zu beantworten. Was Natur an sich, jenseits ihrer Bedeutung für den in Gesellschaft lebenden Menschen sein mag, ist dem Materialismus im Grunde uninteressant. Holbachs System der Natur, das sich wie eine gegen den Idealismus gewendete Metaphysik gibt, ist primär Polemik. Mensching (1971), 184f. Über Zweideutigkeiten bei der Ablehnung der Systeme in der französischen Aufklärung vgl. Kondylis (1981), 298ff. 53 Anders Schelling und Hegel, für die die Einheit der Wissenschaft und die Einheit der Ge51
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regulative Ideen gelten läßt, zweitens die Bestimmung der durchgängigen Verknüpfung der Erscheinungen nach den Kategorien von Kausalität und Wechselwirkung nur als Bestimmung der distributiven Einheit des Erfahrungsgebrauchs verstanden wissen will, drittens unterscheidet zwischen der durchgängigen Determiniertheit der Erscheinungen hinsichtlich der allgemeinen Form der Gesetzmäßigkeit (Totalität) und ihrer Nichtdeterminiertheit hinsichtlich ihrer besonderen Gesetzmäßigkeit, und schließlich viertens das Angewiesensein der transzendentalen Reflexion auf Totalitätsbegriffe und deren Status nicht thematisiert.54 Indem Kant ein ontologisches Korrelat der transzendentalen Einheit der Apperzeption ausschließt, erklärt er allerdings die Natur zum an sich unbestimmten Material der Synthesis, und wie eine derart bestimmte Natur Spekulationen der reflektierenden Urteilskraft soll ›bestätigen‹ können, ist ein Rätsel. Korrespondiert der transzendentalen Einheit der Apperzeption als Einheit der Erkenntnisse der Wissenschaften auch kein System der Gegenstände à la d’Holbach, so ist die Natur unabhängig von der Synthesis doch nicht als bloße Mannigfaltigkeit des empirisch Gegebenen zu denken. Die transzendentalphilosophische Reflexion setzt mit den Wissenschaften deren Inhalte, mit diesen die unterschiedenen Gegenstandsbereiche und damit die ontologische Bestimmtheit dieser Gegenstandsbereiche voraus. Diese ist unabhängig von dem Inhalt der existierenden Wissenschaften nicht positiv zu bestimmen. Als positive Bestimmung wäre sie nur in einer affirmativen Metaphysik möglich, die die Totalität des Seienden nach dem Modell der arbor porphyriana bestimmte. Ontologische Bestimmtheit ist aber ein erkenntnistheoretischer Reflexionsbegriff, der bezeichnet, daß die Ansichbestimmtheit der Gegenstandsbereiche (bzw. Gegenstände) Bedingung ihrer Bestimmbarkeit, damit ihrer eindeutigen Unterscheidbarkeit ist. Wären sie nicht eindeutig unterschieden, könnten die Gegenstandsbereiche der verschiedenen Wissenschaften verwechselt werden. Wären sie gar nicht zu unterscheiden, gäbe es nur einen Gegenstandsbereich und es bliebe rätselhaft, weshalb es nicht nur eine sondern verschiedene Wissenschaften gibt. Daß es genstände der Wissenschaft identisch ist. Vgl. etwa Schellings (1800; 496) programmatische Skizzierung des spekulativen Idealismus. Als ein System, welches den Ursprung der Dinge in einer Thätigkeit des Geistes sucht, welche ideell und reell zugleich ist, [müßte es] eben deßwegen, weil es der vollkommenste Idealismus ist, zugleich der vollkommenste Realismus seyn [...]. Wenn nämlich der vollkommenste Realismus derjenige ist, welcher die Dinge an sich und unmittelbar erkennt, so ist er nur in einer Natur möglich, welche in den Dingen nur ihre eigne, durch eigne Thätigkeit eingeschränkte Realität erblickt. Denn eine solche Natur würde als die inwohnende Seele der Dinge sie wie ihren unmittelbaren Organismus durchdringen, und gleichwie der Meister am vollkommensten sein Werk erkennt, ihren innern Mechanismus ursprünglich durchschauen. – Vgl. Hegels Bestimmung der Seele als der nicht nur äußerlichen, formalen Einheit (analog der Kantischen transzendentalen Einheit der Apperzeption), unter der die mechanischen Objekte stehen, sondern als der ihnen immanenten, substantiellen Einheit dieser Objekte (Begriff 145ff.). 54 Vgl. in dieser Arbeit das Kapitel Die Restriktion des Verstandes auf ›mögliche Erfahrung‹.
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aber eindeutig unterschiedene Wissenschaften gibt, zeigt sich schon daran, daß nicht jede mathematische Form zugleich auch eine physikalische ist. Erkenntnistheoretische Reflexion bestimmt nicht das Wesen des Gegenstandes der Erkenntnis, sondern die Konstituentien, die der Erkenntnis des Gegenstandes a priori zugrunde liegen. Darin liegt ihre Affinität zur Methodologie. Läßt sie die ontologischmetaphysischen Voraussetzungen der existierenden Wissenschaften unberücksichtigt, wird sie zur positiven Bestimmung des Wie der Erkenntnis.55 [D]ie Kategorien sind daher am Ende von keinem anderen, als einem möglichen empirischen Gebrauche, indem sie bloß dazu dienen, durch Gründe einer a priori notwendigen Einheit (wegen der notwendigen Vereinigung alles Bewußtseins in einer ursprünglichen Apperzeption) Erscheinungen allgemeinen Regeln der Synthesis zu unterwerfen, und sie dadurch zur durchgängigen Verknüpfung in einer Erfahrung schicklich zu machen.56 Die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit existierender Erkenntnis und die: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?57 sind nicht einfach alternative Formulierungen desselben. Die Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis muß nicht durch eine positive Erkenntnislehre beantwortet werden; die Lehre von den synthetischen Urteilen a priori ist Kants positive Erkenntnislehre.
3. Konsequenzen für eine Theorie des Selbstbewußtseins Diese Kant-Kritik hat Konsequenzen für die philosophische Theorie des Selbstbewußtseins und damit auch für Fichtes Wissenschaftslehre. Ist die transzendentale Einheit der Apperzeption oberste Einheit der Resultate der Wissenschaften und als solche selbst abhängig von der historischen und gesellschaftlichen Praxis der Naturwissenschaften, dann ist sie nicht als absolutes Ich zu interpretieren, als Prinzip, das jedem empirischen Bewußtsein a priori zugrunde liegt. Als funktionale Einheit des in den Einzelwissenschaften akkumulierten Wissens taugt sie nicht zum ersten Prinzip eines philosophischen Systems. Transzendentalphilosophie kann auf der Grundlage eines absoluten Ich keine ahistorische, transzendentale Geschichte des empirischen Selbstund Weltbewußtseins sein, wie Fichte meint.58 Vgl. Gloy (1996; 78f.): Die These [Kants], daß die Vernunft bezüglich der Natur nur das einsieht, was sie selbst nach einem vorherigen Plane hervorbringt, drückt das Programm und Selbstverständnis der neuzeitlichen Naturwissenschaft aus. Ihr entspricht die These von der Künstlichkeit des Objekts, die das Seiende nicht an sich nimmt, sondern es unter bestimmte Hinsichten stellt und es konstruiert. So darf Kant gleicherweise als geistiger Vater des neuzeitlichen Konstruktivismus und Operationalismus wie des neuzeitlichen methodischen Objektivismus gelten. 56 KrV B 185. 57 KrV B 19. 58 Der Ausdruck Geschichte des Selbstbewußtseins stammt von Schelling (1800; 399 u. pass.). Fichte spricht von der Geschichte des menschlichen Geistes: Wir sind nicht Gesetzgeber des menschlichen Geistes, sondern seine Historiographen; freilich nicht Zeitungsschreiber, son55
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Die immanente Kritik der Kantischen Transzendentalphilosophie hat gezeigt, daß zwischen der transzendentalen Einheit der Apperzeption und der Einheit des empirischen Bewußtsein unterschieden werden muß. Die Einheit des Bewußtseins des empirischen Subjekts, das auch ein Subjekt möglicher Erkenntnis ist, steht nicht a priori unter der Bedingung der transzendentalen Einheit der Apperzeption, sondern erst als Subjekt wirklicher Erkenntnis. Die transzendentale Einheit der Apperzeption ist formal durch die Axiome der Logik: den Satz der Identität, den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch und den vom ausgeschlossenen Dritten bestimmt. Die Axiome der Logik begründen mit der Möglichkeit, wahre Urteile von falschen unterscheiden zu können, die der Übereinstimmung des Denkens mit sich selbst, seinen eigenen Formen. Die Übereinstimmung des Denkens mit sich selbst oder die formelle Einheit des Selbstbewußtseins kann nicht aus anderem begründet werden, sondern nur aus dem Denken selbst. Ist der Gegenstand des Denkens aber nicht das Denken selbst, so muß er doch, um gedacht werden zu können, dessen Formen genügen. In der transzendentalen Einheit der Apperzeption als Einheit der Resultate der Wissenschaften stimmen die Urteile über partikulare Sachverhalte der Natur widerspruchsfrei zusammen. Kant und seine idealistischen Nachfolger fassen das empirische Selbstbewußtsein als Spezifikation der transzendentalen Einheit der Apperzeption, der Vernunft. Sie setzen damit das Moment der Allgemeinheit absolut. Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was garnicht gedacht werden könnte, welches ebensoviel heißt, als die Vorstellung würde entweder unmöglich, oder wenigstens für mich nichts sein. Diejenige Vorstellung, die vor allem Denken gegeben sein kann, heißt Anschauung. Also hat alles Mannigfaltige der Anschauung eine notwendige Beziehung auf das: Ich denke, in demselben Subjekt, darin dieses Mannigfaltige angetroffen wird. Diese Vorstellung aber ist ein Aktus der Spontaneität [...]. Ich nenne sie die reine Apperzeption, um sie von der empirischen zu unterscheiden, oder auch die ursprüngliche Apperzeption, weil sie dasjenige Selbstbewußtsein ist, was, indem es die Vorstellung Ich denke hervorbringt, die alle anderen muß begleiten können, und in allem Bewußtsein ein und dasselbe ist, von keiner weiter begleitet werden kann. Ich nenne auch die Einheit derselben die transzendentale Einheit des Selbstbewußtseins, um die Möglichkeit der Erkenntnis a priori aus ihr zu bezeichnen. Denn die mannigfaltigen Vorstellungen, die in einer gewissen Anschauung gegeben werden, würden nicht insgesamt meine Vorstellungen sein, wenn sie nicht insgesamt zu einem Selbstbewußtsein gehörten, d. i. als meine Vorstellungen (ob ich mich ihrer gleich nicht als solcher bewußt bin) müssen sie doch der Bedingung notwendig gemäß sein, unter sie allein in einem allgemeinen Selbstdern pragmatische Geschichtsschreiber. Begriff 147 [77]. Das, was in der Wissenschaftslehre dargestellt wird, das System des menschlichen Geistes, ist Fichte zufolge infallibel; dagegen darf die Darstellung selbst keinen Anspruch auf Infallibilität erheben, denn der Wissenschaftslehrer ist Historiograph, nicht Gesetzgeber (vgl. ebd.).
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bewußtsein zusammenstehen können, weil sie sonst nicht durchgängig mir angehören würden.59 Kant schließt von der universalen auf die partikulare Negation, um dann umgekehrt von der partikularen auf die universale zu schließen. Das Mannigfaltige, das nicht durch das Ich denke, die Einheit der Handlung der Synthesis, bestimmbar sei, könne nicht zu meinem Bewußtsein gehören, also sei die Einheit meines Bewußtseins indifferent gegen den Unterschied von individueller und kollektiver Einheit des Selbstbewußtseins, also könne, was nicht zu meinem Bewußtsein gehören könne, zu keinem Bewußtsein gehören. Daß Vorstellungen, die zu keinem Bewußtsein gehören können, auch nicht zu meinem Bewußtsein gehören, ist zwingend, daß aber umgekehrt Vorstellungen, die nicht zu meinem Bewußtsein gehören können, zu keinem Bewußtsein gehören können, wäre nur dann zwingend, wenn die Einheit des individuellen Bewußtseins identisch wäre mit der transzendentalen Einheit der Apperzeption. Die Identität beider macht die empirischen Subjekte vor der Einheit der Apperzeption austauschbar. Ihre Austauschbarkeit ist aber erst im Resultat gelungener Erkenntnis, nicht a priori gegeben. Für Kant und seine idealistischen Nachfolger hat das empirische Selbstbewußtsein seine Substanz am allgemeinen Selbstbewußtsein oder der Vernunft. Anders als das zweifelnde Ich Descartes’, das zunächst nur ein empirisches Ich ist und dann unter der Hand in ein quasi transzendentales Ich verwandelt werden muß, um als Fundament wahrer Urteile gelten zu können, bezeichnen das Ich im Ich denke, die Ichheit oder der Begriff das Moment der unbedingten und unbestimmten Allgemeinheit der Spontaneität des Denkens, in dem alle empirischen Selbstbewußtseine übereinstimmen. Indem sie aber das empirische Selbstbewußtsein auf eine Spezifikation der Vernunft reduzieren, mystifizieren sie zugleich das Verhältnis von logisch bestimmter Allgemeinheit und empirisch bestimmter Einzelheit. Die für die allgemeine Subjektivität konstitutiven Leistungen der einzelnen empirischen Subjekte werden unterschlagen. Diese Reduktion ist dem Systemdenken geschuldet. Im System fungiert Ich als Prinzip und Prinzipiatum, als Grund allen Selbst- und Weltbewußtseins und als Phänomen, das aus diesem Grund erklärt wird. Die systematische Erklärung des Phänomens setzt voraus, daß dieses Resultat in sich notwendiger Handlungsweisen KrV B 131ff. Vgl. Fichte, ZE 257f. [505]: In der WissenschaftsLehre ist [...] die Vernunft das einige an sich, und die Individualität nur accidentell; die Vernunft, Zweck; und die Persönlichkeit, Mittel; die letztere nur eine besondere Weise, die Vernunft auszudrücken, die sich immermehr in der allgemeinen Form derselben verlieren muß. Nur die Vernunft ist ihr ewig; die Individualität aber muß unaufhörlich absterben. – Vgl. Hegel, Begriff 17: Ich aber ist diese erstlich reine sich auf sich beziehende Einheit, und diß nicht unmittelbar, sondern indem es von aller Bestimmtheit und Inhalt abstrahirt, und in die Freyheit der schrankenlosen Gleichheit mit sich selbst zurückgeht. So ist es Allgemeinheit; Einheit, welche nur durch jenes negative Verhalten, welches als das Abstrahiren erscheint, Einheit mit sich ist, und dadurch alles Bestimmtseyn in sich aufgelöst enthält. Zweytens ist Ich eben so unmittelbar als die sich auf sich selbst beziehende Negativität, Einzelnheit, absolutes Bestimmtseyn, welches sich anderem gegenüberstellt, und es ausschließt; individuelle Persönlichkeit. 59
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des Geistes ist. Die Darstellung hebt nur ins Bewußtsein, was an sich selbst systematisch verfaßt ist: das System des Wissens. Gegenüber dem nicht notwendigen, unsystematischen Moment der Subjektivität der empirischen Subjekte ist sie blind. Fichtes ahistorische Geschichte des menschlichen Geistes, die gegenüber der aktuellen und aller vergangenen Gegenwart prinzipiell, d.h. transzendental vergangen ist,60 vermag empirisches Selbst- und Weltbewußtsein zwar nicht befriedigend zu erklären, stellt aber im Vergleich zu Kant insofern einen Fortschritt dar, als sie es überhaupt aus seiner Geschichte zu begreifen versucht.61 Da Subjektivität nicht aus anderem ableitbar ist, kann sie sich selbst nur begreifen, indem sie auf ihre Geschichte reflektiert. Aus der Perspektive der Transzendentalphilosophie kann diese Geschichte nur die ahistorische transzendentale Geschichte notwendiger Handlungsweisen des Ich sein, nicht die historische, auf materialen Voraussetzungen basierende Geschichte. Die Erklärung des Selbstbewußtseins aus seinen materialen historischen Voraussetzungen wäre analog der Behauptung eines empirischen Ursprungs der nicht-empirischen, apriorischen Verstandesbegriffe. Sie unterstellte eine generatio aequivoca von Apriorischem und Empirischem.62 Dennoch ist es die Transzendentalphilosophie selbst, die dazu nötigt, von der transzendentalen in die empirische Geschichte des Selbstbewußtseins überzugehen. Zufolge der Transzendentalphilosophie subsistiert das Subjekt wirklichen Selbstbewußtseins nicht in sich. Als endliches Vernunftwesen muß es sich gegeben sein, damit es sich seiner als Eines (Einheit) bewußt werden kann. Die Abhängigkeit des Subjekts wirklichen Selbstbewußtseins seinem Dasein nach hat zwei Seiten: Als Individuum ist das Subjekt Resultat des Prozesses der Selbsterhaltung der Art Mensch dadurch, daß sich die Exemplare dieser Art qua Stoffwechsel selbst erhalten und neue Exemplare zeugen; als in sich reflektiertes Individuum, daseiendes Selbstbewußtsein, ist es Resultat eines Artprozesses, der auch historischer Prozeß ist, kein bloßer Prozeß in der Natur, sondern einer im Stoffwechsel mit der Natur. Daß das Subjekt des Selbstbewußtseins materielle Voraussetzungen hat und zugleich Resultat eines historischen Prozesses ist, legt die Frage nahe, wie diese materiellen Bedingungen seines historischen Werdens beschaffen sind. Mit dieser Frage gerät eine Bedingung von Selbstbewußtsein in den Blick, welche der transzendentalen Claesges (1974), 157. Indem Fichte die Untersuchung auf die Einheit der Vernunft und die Struktur des Selbstbewußtseins zentriert, entfernt er sich von der Frage nach den Möglichkeitsbedingungen objektiver Erkenntnisurteile. Der Fortschritt über Kant hinaus ist partiell durch einen Rückschritt erkauft. Für Kant hat Erfahrung nicht nur, aber auch die Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntnis, deren Modell die Newtonsche Physik ist. Aber welche Bedeutung hatte Newton noch für ihn [Fichte]? Die Bedingungen der Möglichkeit werden unter seiner Hand zu Bedingungen des Selbstbewußtseins. Das Selbstbewußtsein wird jetzt das Zauberwort, mit dem er alle Probleme der Natur bewältigen zu können vermeint. Licht und Luft bringt er aus dem Selbstbewußtsein hervor. So wird das Selbstbewußtsein zum allgemeinen Quell der Möglichkeit. Es tritt [...] an die Stelle der Ontologie. Cohen (1914), 416f. 62 Vgl. Kant, KrV B 167. 60 61
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Geschichtsschreibung unerreichbar ist, weil sie darauf festgelegt ist, daß das der Vernunft Heterogene partiell mit dieser auch gleichartig63 ist: Herrschaft und Gewalt. Historisch gewährleistet die Herrschaft von Menschen über Menschen, die auf der Androhung physischer Gewalt basiert, daß gesellschaftlich mehr produziert wird, als zur Erhaltung der einzelnen notwendig ist. Das gesellschaftliche Mehrprodukt ist Ausdruck der Differenz von naturaler Basis und Kultur, in ihm hat die Freiheit der Menschen von unmittelbarem Naturzwang gegenständliche Gestalt.64 Systematisch ist Herrschaft nicht zu rechtfertigen, ihre Partikularität widerstreitet dem Begriff der Menschheit. Fichtes transzendentale Geschichte des Selbstbewußtseins deutet, ihrer Intention entgegen, auf die reale Geschichte, in der die Subjektivität Gestalt annimmt, und auf die Geschichte der Philosophie, in der sie in dem Maße, in dem sie realhistorisch Gestalt gewinnt, explizit zum Thema wird. Abstrahiert die Theorie des Selbstbewußtseins von der Geschichte, fällt sie noch hinter die Einsicht Fichtes zurück. Sie reklamiert dann für sich einen unmittelbaren Zugang zu ihrem Gegenstand, ohne zu bemerken, daß dieser Zugang notwendig historisch vermittelt ist, und daß der Gegenstand selbst eminent historisch ist. Philosophie täuscht sich so über ihren Gegenstand und damit über sich selbst.65 Das Ansinnen, eine überzeugende Beschreibung des
GWL 405 [272]. Vgl. in dieser Arbeit das Kapitel Praktische Vernunft. – Das hat Konsequenzen für die Theorie der Aufforderung und Anerkennung. Der Anstoß, vermittels dessen ein potentielles Selbstbewußtsein wirkliches Selbstbewußtsein wird, besteht zufolge des Naturrechts in der Aufforderung zur Selbstbestimmung, die ein wirkliches Selbstbewußtsein an ein potentielles richtet. Dieser Anstoß ist dem potentiellen Selbstbewußtsein fremd, insofern er von außen kommt, nicht fremd, insofern er ermöglicht, daß das aufgeforderte Subjekt den Begriff seiner eigenen Freiheit und Selbsttätigkeit faßt (NR §3). Anders als in Hegels Phänomenologie des Geistes, wo der Prozeß der Anerkennung einen Kampf auf Leben und Tod impliziert und schließlich in einem Herr-Knecht-Verhältnis resultiert, hat der Anerkennungsprozeß in Fichtes Naturrecht dialogischen, also friedlichen Charakter. Der Dialog-stiftende Charakter der Aufforderung ist streng von der Sprechart des Befehls zu unterscheiden. Jede Art Befehl überspringt ein Zwiegespräch zwischen Gleichberechtigten. Janke (1977), 161. Zwingend ist weder die Fichtesche noch die Hegelsche Variante, wie u.a. auch E. Düsing (1986) hervorhebt. 64 Daß Herrschaft notwendig ist, damit eine Minderheit, befreit von den Zwängen gegenständlicher Tätigkeit, Wissenschaft und Philosophie treiben könne, spricht Aristoteles aus, lange bevor Freiheit im emphatischen Sinne, Autonomie, ein Thema der Philosophie ist. Bei dem Fortschritt in der Erfindung von Künsten, teils für die notwendigen Bedürfnisse, teils für die (angenehmere) Lebensführung, halten wir die letzteren immer für weiser als die ersteren, weil ihr Wissen nicht auf den Nutzen gerichtet ist. Als daher schon alles Derartige geordnet war, da wurden die Wissenschaften gefunden, die sich weder auf die notwendigen Bedürfnisse, noch auf das Angenehme des Lebens beziehen, und zwar zuerst in den Gegenden, wo man Muße hatte. (Metaphysik 981 b) Die Muße der wenigen Herren muß aber durch die Arbeit der Knechte ermöglicht werden, zumindest so lange, wie es nicht möglich ist, daß das Weberschiff von selber webt[...]. Politik 1253 b. 65 Die semantische Interpretation der Selbstgewißheit des denkenden Ich als ein Fall kriterien63
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Bewußtseins und Selbstbewußtseins zu geben, die zugleich in sich konsistent genannt werden könnte,66 zielt an der Sache vorbei, wenn es unterstellt, die Erklärung von Selbstbewußtsein könne sich auf die Beschreibung seiner formalen Struktur beschränken. Wenn die Selbstgewißheit des denkenden Ich bei Augustinus neuplatonisch als Abbild des göttlichen Selbstbewußtseins gedacht ist und bei Descartes als Resultat des universell und systematisch zweifelnden empirischen Subjekts, dann manifestiert sich in diesen Bestimmungen eine jeweils spezifische Stellung des Gedankens zur Objectivität,67 des Denkens zur Welt und damit zu sich selbst. Die Abfolge der verschiedenen Stellungen des Denkens zur Welt und zu sich selbst zu erklären
loser Selbstzuschreibung und die Zurückführung der Unbezweifelbarkeit der Existenz des denkenden Subjekts auf die Verwendungsregel des Personalpronomens ich, daß mittels dieses Ausdrucks der jeweilige Sprecher sich selbst bezeichnet (Tugendhat (1979; 73), abstrahiert von der Geschichte des Selbstbewußtseins und der Subjektivität. Es verwundert deshalb, daß Tugendhat (1976; 25) in der sprachanalytischen Philosophie nichts Geringeres als das telos der Tradition zu erblicken scheint, wenn er formuliert, daß die traditionellen Ansätze erst in der Sprachanalyse eigentlich zu sich selbst kommen [...]. 66 Gloy (1998), 341. Für Gloy sind die historisch anzutreffenden Bewußtseinstheorien nur im Hinblick auf ihre Strukturen interessant. Daß Unzulänglichkeiten in der Beschreibung von Bewußtsein und Selbstbewußtsein spezifische historische Schranken der Erkenntnis anzeigen können, sieht sie nicht. Gloy begreift im Unterschied zu den Selbstbewußtseins- oder Subjektivitätstheorien im engeren Sinne, die ein Ich-Subjekt unterstellen, das sich in Abgrenzung von der Welt, sei es in Form einer unmittelbaren Selbstvertrautheit oder einer vermittelten, expliziten Selbstreflexion findet, und welches als individuelles oder jedem individuellen Selbstbewußtsein zugrundeliegendes transzendentales Ich-Bewußtsein stets eine eigenständige Instanz gegenüber der Welt darstellt, Bewußtsein als eine Totalitätsstruktur, die in der Geschichte der Philosophie schon lange vor der Thematisierung eines Ich-Bewußtseins Gegenstand gewesen sei. Es zeige sich, daß das Bewußtsein als Totalitätsstruktur sich bei einer Selbsterfassung in Zirkel und Regresse verwickele, die nicht als fehlerhaft, sondern als konstitutive Mängel jeder Selbsterfassung anzusehen seien. Das Selbstbewußtsein stellt in dieser Hinsicht keinen Sonderfall dar; denn das hier auftretende Defizit trifft [...] ebenso auf alle anderen Selbstverhältnisse naturaler, wahrnehmungstheoretischer, mengentheoretischer Art zu. (22) Gloys Gang durch die Geschichte der Bewußtseinstheorien kommt zu dem Resultat: Sie alle erlagen Widersprüchen, Paradoxien, Inkonzinnitäten, die sie als adäquate Interpretationen des Bewußtseins scheitern ließen. (341) Gloys Fazit, die in sich konsistente Beschreibung des Bewußtseins stehe noch aus, scheint mit ihrer Einsicht, wonach die Selbsterfassung von Totalitätsstrukturen unvermeidlich in Zirkel, Regresse und Paradoxien führe, kaum vereinbar. Vielmehr wäre aus dieser Einsicht der Schluß zu ziehen, den bereits Hegel gezogen hat, daß nämlich Totalitätsbegriffe notwendig in sich widersprüchlich sind (vgl. Sein 180). 67 Enz. I 69ff. Hegels Betrachtungen über die Stellungen des Gedankens zur Objectivität beziehen sich auf den neuzeitlichen Rationalismus, den Empirismus und die kritische Philosophie sowie auf Jacobi, doch läßt sich seine These, wonach die Stellung des philosophischen Denkens zur Welt und damit zu sich selbst einer notwendigen Entwicklung unterliegt, auf die gesamte Philosophie einschließlich seiner eigenen ausdehnen, wobei freilich die Notwendigkeit dieser Entwicklung anders als bei Hegel bestimmt werden muß.
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und die darin enthaltene historische und gesellschaftliche Erfahrung freizulegen obliegt einer Reflexion, die durch immanente Kritik der tradierten Theorien deren Wahrheit hervortreten läßt, und die deren zeitlicher Abfolge insofern Notwendigkeit zuspricht, als es ihr gelingt, die frühere Gestalt als eine notwendige Bedingung der Späteren zu rechtfertigen. Bedingung der Möglichkeit dieser Reflexion auf die philosophische und materiale Geschichte der Subjektivität ist der Begriff der transzendentalen Einheit der Apperzeption als Einheit der Resultate der Wissenschaften, der wie gezeigt kein rein philosophischer Begriff ist. Das Verhältnis von allgemeiner Subjektivität und einzelnen Subjekten ist nicht für alle Zeiten logisch festgeschrieben, sondern variiert historisch. Die Einsicht in sein historisches Gewordensein ist erst möglich, wenn beide real auseinander getreten sind und die allgemeine Subjektivität in Gestalt der Wissenschaften und der durch sie ermöglichten Technik getrennt von der Subjektivität der Einzelnen existiert. Erst von diesem historischen Resultat läßt sich seine Genese begreifen. Deren begriffliche Darstellung ist rekursiv: Sie reflektiert auf die historisch notwendigen Bedingungen des Resultats, ohne dieses dadurch zu dem der Geschichte immanenten telos zu erklären; sie schließt die notwendigen Bedingungen nicht zum zureichenden Grund zusammen.68 Obwohl systematisch, wird sie nicht zum Kreisgang, entspricht somit nicht dem idealistischen Systemgedanken.69 Abstrahiert die philosophische Theorie des Selbstbewußtseins im Namen eines durch methodologische Erwägungen abgesicherten Konzeptes von der begrifflich tradierten Erfahrung, verliert sie mit dieser auch ihren vorgeblichen Gegenstand.
Wie Hegel (vgl. Wesen, Abschnitt Die Bedingung). Vgl. in dieser Arbeit den Abschnitt Die Reflexivität der Transzendentalphilosophie Fichtes. – Systematische Reflexion muß nicht die Gestalt des logisch abgeschlossenen Systems haben, wie es, in unterschiedlicher Weise, von Fichte und Hegel propagiert wird. Mithin ist durch den Verweis auf die vermeintliche Überholtheit der idealistischen Systeme die Verabschiedung vom systematischen Philosophieren nicht zu rechtfertigen. Systematisches Philosophieren steht heute nicht hoch im Kurs. Was damit über den Zustand der Gegenwartsphilosophie gesagt ist, braucht man niemandem zu erklären, wenn er nur weiß, daß die Philosophie aus dem Impuls zu systematischem Wissen lebt. Gerhardt (2001), 245. 68 69
LITERATURVERZEICHNIS
A. Quellen und Zitierweise 1. Kant Schriften Kants werden zitiert nach der Werkausgabe [WA] in zwölf Bänden, herausgegeben von Wilhelm Weischedel, Frankfurt a. M. 1977 ff. Dabei wird die Originalpaginierung der ersten (A) beziehungsweise zweiten Auflage (B) angeführt. Davon abgewichen wird bei der Kritik der reinen Vernunft. Diese wird nach der von Raymund Schmidt edierten Ausgabe, im Nachdruck Hamburg 1971, zitiert. Die in der Werkausgabe nicht edierten Briefe und Reflexionen sowie das Opus postumum werden zitiert nach: Kant’s gesammelte Schriften, herausgegeben von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften und ihren Nachfolgern, Berlin 1902ff. [AA]. Die einzelnen Schriften werden wie folgt bezeichnet: AG Anthr. Briefe DO ED GMS GTP KdU KpV KrV A KrV B Logik MAdN OP PF Prol. R
Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, 1784 [WA XI]. Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, Königsberg 1798 [WA XII]. Kant’s Briefwechsel, Band III, 1795-1803 [AA XII]. Was heißt: sich im Denken orientieren?, 1786 [WA V]. Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll, Königsberg 1790 [WA V]. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Riga 1785 [WA VII]. Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, 1793 [WA XI]. Kritik der Urteilskraft, 1. Auflage 1790; 2. Auflage 1793 [WA X]. Kritik der praktischen Vernunft, Riga 1788 [WA VII]. Kritik der reinen Vernunft, 1. Auflage Riga 1781. Kritik der reinen Vernunft, 2. Auflage Riga 1787. Logik Jäsche; Immanuel Kants Logik, ein Handbuch zu Vorlesungen, Königsberg 1800 [WA VI]. Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Riga 1786 [WA IX]. Opus postumum, Erste Hälfte, Kant, handschriftlicher Nachlaß [AA XXI]. Preisfrage: Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolffs Zeiten in Deutschland gemacht hat?, Königsberg 1804 [WA VI]. Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, Riga 1783 [WA V]. Reflexion zur Metaphysik. Kant, handschriftlicher Nachlaß [AA XVIII].
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RGV RL Söm. TL VT WA ZeF
LITERATURVERZEICHNIS
Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Königsberg 1793 (1. Auflage [A]) und 1794 (2. Auflage [B]) [WA VIII]. Die Metaphysik der Sitten, erster Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Königsberg 1797 [WA VIII]. Aus Sömmering: Über das Organ der Seele, Königsberg 1796 [WA XI]. Die Metaphysik der Sitten, zweiter Teil: Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre, Königsberg 1797 [WA VIII]. Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie, 1796 [WA VI]. Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, 1784 [WA XI]. Zum ewigen Frieden, 1786 [WA XI].
2. Fichte Schriften Fichtes werden zitiert nach der historisch-kritischen Edition: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften [GA], herausgegeben von Reinhard Lauth und Hans Gliwitzky, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 ff. In eckigen Klammern wird jeweils die entsprechende Seite in Fichtes Werke [FW], herausgegeben von Immanuel Hermann Fichte, Nachdruck Berlin 1971, angegeben. Zum Vergleich herangezogen wird stellenweise: Johann Gottlieb Fichte, nachgelassene Schriften, Bd. 2, Schriften aus den Jahren 1790-1800, herausgegeben von Hans Jacob, Berlin 1937. Die einzelnen Schriften werden wie folgt bezeichnet: AP Aph.
Appellation an das Publikum, Jena und Leipzig 1799 [GA I,5/ FW V]. Nachgelassene Schriften zu Platners Philosophischen Aphorismen (1794-1812) [GA II,4]. BdG Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, 1794 [GA I,3/ FW VI]. BdM Die Bestimmung des Menschen, Berlin 1800 [GA I,6/ FW II]. Begriff Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie, als Einladungsschrift zu seinen Vorlesungen über diese Wissenschaft, Weimar 1794 [GA I,2/ FW I]. Briefe a Johann Gottlieb Fichte, Briefwechsel 1793-1795 [GA III,2]. Briefe b Johann Gottlieb Fichte, Briefwechsel 1796-1799 [GA III,3]. Briefe c Johann Gottlieb Fichte, Briefwechsel 1801-1806 [GA III,5]. EE Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre, 1797 [GA I,4/ FW I]. Erklärungen: Erklärungen und Anmerkungen zu Artikeln im ›Philosophischen Journal einer Gesellschaft Teutscher Gelehrten‹, IX. und X. Band, 1799 und 1800 [GA I,6]. GR Grundriß des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre in Rüksicht auf das theoretische Vermögen, Jena 1795 [GA I,3/ FW I]. GuB Ueber den Unterschied des Geistes, u. des Buchstabens in der Philosophie, 1794 [GA II,3]. GuG Ueber den Grund unsers Glaubens an eine göttliche WeltRegierung, 1798 [GA I,5/ FW V].
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GWL
Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre als Handschrift für seine Zuhörer, Jena und Leipzig 1794/95 [GA I,2/ FW I]. LuME Logik und Metaphysik, Nachschrift Eschen [GA IV,3]. LuMH Aus Fichtes Vorlesungen ab 23. August 1798 über Logik und Metaphysik, Nachschrift Höijer [GA IV,3]. Moral Collegium über die Moral, Jena 1796 [GA IV,1]. Mph Kollegnachschrift der Vorlesungen über Logik und Metaphysik als populäre Einleitung in die gesammte Philosophie, im Sommerhalbjahre 1797 in Jena [GA IV,1]. NBdWL Neue Bearbeitung der W. L. 1800 [GA II,5]. NR Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre, Jena und Leipzig 1796 [GA I,3/ FW III]. P. Ph. Practische Philosophie [GA II,3]. Ph. T. Annalen des philosophischen Tons, Jena und Leipzig 1797 [GA I,4/ FW II]. Privat. Privatissimum für G. D. Aprill 1803 [GA II,6]. Rez. Rezension des Aenesidemus, oder über die Fundamente der von dem Hrn. Prof. Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie, Jena 1794 [GA I,2/ FW I]. SB Sonnenklarer Bericht an das grössere Publicum, über das eigentliche Wesen der neuesten Philosophie. Ein Versuch, die Leser zum Verstehen zu zwingen, Erste Ausgabe, Berlin 1801 [GA I,7/ FW II]. SL Das System der Sittenlehre nach den Principien der Wissenschaftslehre, Jena und Leipzig 1798 [GA I,5/ FW IV]. Thiere Sätze zur Erläuterung des Wesens der Thiere [GA II,5/ FW XI]. TL Ueber das Verhältniß der Logik zur Philosophie oder transcendentale Logik, 1812 [FW IX]. VnD Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, 1797 [GA I,4/ FW I]. VPS Vergleichung des vom Hrn Prof. Schmid aufgestellten Systems mit der Wissenschaftslehre, 1795 [GA I,3/ FW II]. WL 1804-II Die Wissenschaftslehre. Zweiter Vortrag im Jahre 1804 vom 16. April bis 8. Juni [GA II,8/ FW X]. WLnmE Fr. A. Eschens Kollegnachschrift der Wissenschaftslehre nova methodo [GA IV,3]. WLnmH Hallesche Nachschrift der Wissenschaftslehre nova methodo [GA IV,2]. WLnmK K. Chr. Fr. Krauses Kollegnachschrift der Wissenschaftslehre nova methodo 1798/99 [GA IV,3]. Würde Ueber die Würde des Menschen, 1794 [GA I,2/ FW I]. ZE Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre, 1797 [GA I,4/ FW I]. ZVL Züricher Vorlesungen über den Begriff der Wissenschaftslehre, 1794 [GA IV,3].
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LITERATURVERZEICHNIS
lesungen über die Geschichte der Philosophie sowie die Zusätze in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften werden zitiert nach: G. W. F. Hegel Theorie-Werkausgabe [TW], auf der Grundlage der Werke von 1832-1845 neu edierte Ausgabe in zwanzig Bänden, Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt a. M. 1970ff. Weiter wird zitiert: Vorlesungen über Logik und Metaphysik, Heidelberg 1817. Mitgeschrieben von F. A. Good, herausgegeben von Karen Gloy unter Mitarbeit von Manuel Bachmann, Reinhard Heckmann und Rainer Lambrecht, Hamburg 1992. Die einzelnen Schriften werden wie folgt bezeichnet: Begriff
Wissenschaft der Logik, Die subjektive Logik oder die Lehre vom Begriff, Nürnberg 1816 [GW 12]. DS Differenz des Fichte’schen und Schelling’schen Systems der Philosophie, Jena 1801 [GW 4]. Enz. I Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, Erster Theil. Die Wissenschaft der Logik, Heidelberg 1830 [GW 20]. Enz. II Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, Zweiter Theil. Naturphilosophie, Heidelberg 1830 [GW 20]. Enz. III Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, Dritter Theil. Philosophie des Geistes, Heidelberg 1830 [GW 20]; Zusätze [TW 10]. GuW Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjectivität, in der Vollständigkeit ihrer Formen, als Kantische, Jacobische, und Fichtesche Philosophie, Tübingen 1802 [GW 4]. Krug Wie der gemeine Menschenverstand die Philosophie nehme, – dargestellt an den Werken des Herrn Krug’s [GW 4]. PhG Phänomenologie des Geistes, Bamberg und Würzburg 1807 [GW 9]. Rphil. Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse. Mit Hegels eigenhändigen Notizen und den mündlichen Zusätzen [TW 7]. Sein Wissenschaft der Logik, Die Lehre vom Sein, Stuttgart und Tübingen 1832 [GW 21]. Skep. Verhältniß des Skepticismus zur Philosophie, Darstellung seiner verschiedenen Modificationen, und Vergleichung des neuesten mit dem alten, Tübingen 1802 [GW 4]. VLGdPh I Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie I [TW 18]. VLGdPh III Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III [TW 20]. VLLuM Vorlesungen über Logik und Metaphysik, mitgeschrieben von F. A. Good, Heidelberg 1817. Wesen Wissenschaft der Logik, Die Lehre vom Wesen, Nürnberg 1813 [GW 11].
LITERATURVERZEICHNIS
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4. Sonstige Quellen Anselm von Canterbury (1077/78): Proslogion, lateinisch-deutsche Ausgabe von P. Franciscus Salesius Schmitt O. S. B., Abtei Wimpfen, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962. Aristoteles: Metaphysik. Erster Halbband: Bücher I-VI, in der Übersetzung von Hermann Bonitz, neu bearbeitet, mit Einleitung und Kommentar herausgegeben von Horst Seidl, griechischer Text in der Edition von Wilhelm Christ, zweite, verbesserte Auflage Hamburg 1982; zweiter Halbband: Bücher VII-XIV, Neubearbeitung der Übersetzung von Hermann Bonitz, mit Einleitung und Kommentar herausgegeben von Horst Seidl, griechischer Text in der Edition von Wilhelm Christ, zweite, verbesserte Auflage Hamburg 1984. – : Von der Seele, in: ders., Vom Himmel, Von der Seele, Von der Dichtkunst, übersetzt, herausgegeben und mit einer Vorbemerkung versehen von Olof Gigon, München 21987. – : Politik, übersetzt und mit erklärenden Anmerkungen versehen von Eugen Rolfes; mit einer Einleitung von Günther Bien, Hamburg 41981. Augustinus (419): Vom Gottesstaat, Buch 11-22. Aus dem Lateinischen übertragen von Wilhelm Thimme, eingeleitet und kommentiert von Carl Andresen, München 41997. Bacon, Francis (1620): Neues Organon, herausgegeben und mit einer Einleitung von Wolfgang Krohn, lateinisch-deutsch, Hamburg 1990. Berkeley, George (1710): Eine Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis, nach der Übersetzung von Friedrich Überweg mit Einleitung, Anmerkungen und Register neu herausgegeben von Alfred Klemmt, Hamburg 1964. Descartes, René (1637): Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung. Übersetzt und herausgegeben von Lüder Gäbe, Hamburg 1969. – (1644): Die Prinzipien der Philosophie. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Artur Buchenau, Hamburg 81992. – (1647): Meditationen über die Grundlagen der Philosophie mit den sämtlichen Einwänden und Erwiderungen. Zum erstenmal vollständig übersetzt und herausgegeben von Artur Buchenau, Hamburg 1972. – (1649): Die Leidenschaften der Seele. Herausgegeben und übersetzt von Klaus Hammacher, Hamburg 21996. – : Briefe 1629-1650, hrsg. von Max Bense, Köln, Krefeld 1949. Euklid: Die Elemente, Buch I-XIII, nach Heibergs Text aus dem Griechischen übersetzt und herausgegeben von Clemens Thaer, Darmstadt 81991. Feder, Johann Georg Heinrich (1796): Grundlage des Naturrechts, nach Principien der Wissenschaftslehre, von Joh. Gottlieb Fichte, Rezension in: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen unter der Aufsicht der königl. Gesellschaft der Wissenschaften. St. 194 vom 3. Dez. 1796, wieder abgedruckt in: Erich Fuchs, Wilhelm G. Jacobs, Walter Schieche (1995), 43-51. – (1797): Klarstellung, in: Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen unter der Aufsicht der königl. Gesellschaft der Wissenschaften. St. 94 vom 15. Juni 1797, wieder abgedruckt in: Erich Fuchs, Wilhelm G. Jacobs, Walter Schieche (1995), 52. Forberg, Friedrich Carl (1796): Fragmente aus meinen Papieren, Jena 1796. Goethe, Johann Wolfgang: Briefe, in: Goethes Briefe, Bd. II, textkritisch durchgesehen und mit Anmerkungen versehen von Karl Robert Mandelkow, Hamburg 1964.
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LITERATURVERZEICHNIS
Herbart, Johann Friedrich (1824): Psychologie als Wissenschaft, neu gegründet auf Erfahrung, Metaphysik und Mathematik. Erster, synthetischer Theil, in: ders., Sämtliche Werke, hrsg. von Karl Kehrbach und Otto Flügel, Bd. 5, Langensalza 1890; Nachdruck Aalen 1964. – (1825): Psychologie als Wissenschaft, neu gegründet auf Erfahrung, Metaphysik und Mathematik. Zweyter, analytischer Theil, in: ders., Sämtliche Werke, hrsg. von Karl Kehrbach und Otto Flügel, Bd. 6, Langensalza 1892; Nachdruck Aalen 1964. Herder, Johann Gottfried (1799): Vernunft und Sprache. Eine Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft. Mit einer Zugabe, betreffend ein kritisches Tribunal aller Facultäten, Regierungen und Geschäfte. Zweiter Theil, in: ders., Sämtliche Werke, hrsg. von Bernhard Suphan, Bd. XXI, Berlin 1881; Nachdruck Hildesheim, New York o. J. Hobbes, Thomas (1655): Elemente der Philosophie, Erste Abteilung: Der Körper, übersetzt, mit einer Einleitung und mit textkritischen Annotationen versehen und herausgegeben von Karl Schuhmann, Hamburg 1997. Hölderlin, Friedrich: Briefe, in: ders., Große Stuttgarter Ausgabe, hrsg. von Friedrich Beissner, Bd. 6.1: Briefe: Text, hrsg. von Adolf Beck, Stuttgart 1954. d’Holbach, Paul Thiry (1770): System der Natur oder von den Gesetzen der physischen und der moralischen Welt, übers. von Fritz-Georg Voigt, Frankfurt a. M. 1978. Hume, David (1739/40): Ein Traktat über die menschliche Natur, 2 Bde., übersetzt, mit Anmerkungen und Register versehen von Theodor Lipps; mit neuer Einführung herausgegeben von Reinhard Brandt, Hamburg 1989 (Bd. 1) u. 1978 (Bd. 2). (Engl.: A Treatise of Human Nature, ed. by L. A. Selby-Bigge. Second Edition with text revised and variant readings by P. H. Nidditch, Oxford 1978.) Jacobi, Friedrich Heinrich (1785): Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn. Auf der Grundlage der Ausgabe von Klaus Hammacher und Irmgard-Maria Piske bearbeitet von Marion Lauschke, Hamburg 2000. – (1787): David Hume über den Glauben, oder Idealismus und Realismus. Ein Gespräch, in: ders., Werke in 6 Bänden, hrsg. von Friedrich Roth und Friedrich Köppen, Leipzig 18121825, Bd. II, Leipzig 1815; Nachdruck Darmstadt 1968, 125-288. – (1787 a): Beylage: Ueber den transscendentalen Idealismus, in: ders., Werke in 6 Bänden, hrsg. von Friedrich Roth und Friedrich Köppen, Leipzig 1812-1825, Bd. II, Leipzig 1815; Nachdruck Darmstadt 1968, 289-310. – (1799): Ueber die Unzertrennlichkeit des Begriffes der Freyheit und Vorsehung von dem Begriffe der Vernunft, in: ders., Werke in 6 Bänden, hrsg. von Friedrich Roth und Friedrich Köppen, Leipzig 1812-1825, Bd. II, Leipzig 1815; Nachdruck Darmstadt 1968, 311-323. – (1801): Ueber das Unternehmen des Kriticismus, die Vernunft zu Verstande zu bringen, in: ders., Werke in 6 Bänden, hrsg. von Friedrich Roth und Friedrich Köppen, Leipzig 18121825, Bd. III, Leipzig 1816; Nachdruck Darmstadt 1968, 59-195. – (1815): Vorrede, zugleich Einleitung in des Verfassers sämtliche philosophische Schriften, in: ders., Werke in 6 Bänden, hrsg. von Friedrich Roth und Friedrich Köppen, Leipzig 18121825, Bd. II, Leipzig 1815; Nachdruck Darmstadt 1968, 3-123. Lambert, Johann Heinrich (1764): Von der wissenschaftlichen Erkenntnis (aus: Neues Organon oder Gedanken über die Erforschung und Bezeichnung des Wahren und dessen Unterscheidung vom Irrtum und Schein, Erster Band, Neuntes Hauptstück), in: ders.: Texte zur Systematologie und zur Theorie der wissenschaftlichen Erkenntnis, hrsg. von Geo Siegwart, Hamburg 1988, 1-51.
LITERATURVERZEICHNIS
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Locke, John (1690): Versuch über den menschlichen Verstand, Bd. 1, fünfte, durchgesehene Auflage, Hamburg 2000 (Engl.: An Essay Concerning Human Understanding. Edited with an Introduction, Critical Apparatus and Glossary by Peter H. Nidditch, Oxford 1975). Maimon, Salomon (1790): Versuch über die Transcendentalphilosophie mit einem Anhang über die symbolische Erkenntniß und Anmerkungen, Berlin 1790, in: ders., Gesammelte Werke, hrsg. von Valerio Verra, Bd. II, Nachdruck Hildesheim 1965. Marx, Karl (1867): Das Kapital. Kritik der politischen Oekonomie, Erster Band, Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals, Hamburg 1867; Nachdruck der Erstausgabe Hildesheim 21984. – (1863-1867): Das Kapital, Bd. 3, in: Karl Marx; Friedrich Engels Gesamtausgabe (MEGA), zweite Abteilung: Das Kapital und Vorarbeiten, Bd. 4: Ökonomische Manuskripte 18631867, Teil 2, hrsg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung, Berlin 1992. Nietzsche, Friedrich (1886): Jenseits von Gut und Böse, in: Friedrich Nietzsche, Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Bd. 5, München 31993. Ockham, Wilhelm von (ca. 1322-24): Physikkommentar, Prolog, in: ders., Texte zur Theorie der Erkenntnis und der Wissenschaft, lateinisch-deutsch, herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Ruedi Imbach, Stuttgart 1996. Parmenides: Die Lehre vom Seienden (Ontologie), in: Die Vorsokratiker, hrsg. von Wilhelm Capelle, München 1968. Platon: Symposion, in: Werke in acht Bänden, griechisch und deutsch, hrsg. von Gunther Eigler, 3. Bd.: Phaidon, Das Gastmahl, Kratylos, bearbeitet von Dietrich Kurz, griechischer Text von Léon Robin und Louis Méridier, deutsche Übersetzung von Friedrich Schleiermacher, Sonderausgabe Darmstadt 1990. Plotin: Schriften, übersetzt von Richard Harder. Neubearbeitung mit griechischem Lesetext und Anmerkungen, Bd. 1: Die Schriften 1-21 der chronologischen Reihenfolge, Hamburg 1956. Reinhold, Karl Leonhard (1789): Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens, Prag, Jena 1789; Nachdruck Darmstadt 1963. – (1790): Beyträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen, Erster Band das Fundament der Elementarphilosophie betreffend, Jena 1790. – (1791): Über das Fundament des philosophischen Wissens, in: Über das Fundament des philosophischen Wissens. Über die Möglichkeit der Philosophie als strenge Wissenschaft, Nachdruck, mit einer Einleitung herausgegeben von Wolfgang H. Schrader, Hamburg 1978. – (1794): Beyträge zur Berichtigung bisheriger Mißverständnisse der Philosophen, Zweyter Band die Fundamente des Wissens, der Metaphysik, Moral, moralischen Religion und Geschmackslehre betreffend, Jena 1794. Richter, Jean Paul Friedrich (1800): Clavis Fichtiana seu Leibgeberiana (Anhang zum I. komischen Anhang des Titans), in: ders., Sämtliche Werke, Abt. 1, Bd. 3, hrsg. von Norbert Miller, Frankfurt a. M. 21996. Rousseau, Jean-Jacques (1762): Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars, in: ders., Emile oder Von der Erziehung, München 1979 (Frz.: Profession de foi du vicaire savoyard, in: ders., Œuvres complètes, IV [Émile – Éducation – Morale – Botanique], Édition publiée sous la direction de Bernard Gagnebin et Marcel Raymond, Paris 1969).
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LITERATURVERZEICHNIS
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph (1800): System des transcendentalen Idealismus, in: ders., Sämmtliche Werke, hrsg. von Karl Friedrich August Schelling, Stuttgart 1856-1861, Abtheilung I, Bd. 3; Nachdruck in: ders., Ausgewählte Schriften in sechs Bänden, hrsg. von Manfred Frank, Bd. 1, Frankfurt a. M. 21995, 395-702. – (1801): Anhang zu dem Aufsatz des Herrn Eschenmayer betreffend den wahren Begriff der Naturphilosophie, und die richtige Art ihre Probleme aufzulösen, in: Zeitschrift für spekulative Physik, hrsg. von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Bd. 2, Heft 1, Jena und Leipzig 1801; Nachdruck Hildesheim 1969, 109-146. – (1801 a): Darstellung meines Systems der Philosophie, in: ders., Sämmtliche Werke, hrsg. von Karl Friedrich August Schelling, Stuttgart 1856-1861, Abtheilung I, Bd. 4; Nachdruck in: ders., Ausgewählte Schriften in sechs Bänden, hrsg. von Manfred Frank, Bd. 2, Frankfurt a. M. 21995, 37-75. – (1802): Fernere Darstellungen aus dem System der Philosophie, in: ders., Sämmtliche Werke, hrsg. von Karl Friedrich August Schelling, Stuttgart 1856-1861, Abtheilung I, Bd. 4; Nachdruck in: ders., Ausgewählte Schriften in sechs Bänden, hrsg. von Manfred Frank, Bd. 2, Frankfurt a. M. 21995, 77-167. – (1804): Propädeutik der Philosophie, aus dem handschriftlichen Nachlaß, in: ders., Sämmtliche Werke, hrsg. von Karl Friedrich August Schelling, Stuttgart 1856-1861, Abtheilung I, Bd. 6; Nachdruck in: ders., Ausgewählte Schriften in sechs Bänden, hrsg. von Manfred Frank, Bd. 3, Frankfurt a. M. 21995, 81-140. – (1811): Die Weltalter. Erstes Buch, Die Vergangenheit, Druck I (1811), in: ders., Die Weltalter. Fragmente, in den Urfassungen von 1811 und 1813 hrsg. von Manfred Schröter, München 1946; Nachdruck in: ders., Ausgewählte Schriften in sechs Bänden, hrsg. von Manfred Frank, Bd. 4, Frankfurt a. M. 21995, 213-319. – (1833/4): Zur Geschichte der neueren Philosophie, Münchener Vorlesungen, aus dem handschriftlichen Nachlaß, in: ders., Sämmtliche Werke, hrsg. von Karl Friedrich August Schelling, Stuttgart 1856-1861, Abtheilung I, Bd. 10; Nachdruck in: ders., Ausgewählte Schriften in sechs Bänden, hrsg. von Manfred Frank, Bd. 4, Frankfurt a. M. 21995, 417-616. Schiller, Friedrich (1789): Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? Eine akademische Antrittsrede, in: Schillers Werke, Nationalausgabe, siebzehnter Band: Historische Schriften, Erster Teil, hrsg. von Karl-Heinz Hahn, Weimar 1970, 359-376. Schlegel, Friedrich (1798): Athenäum-Fragmente, in: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hrsg. von Ernst Behler, Bd. II: Charakteristiken und Kritiken I, herausgegeben und eingeleitet von Hans Eichner, München, Paderborn, Wien 1967. – Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel, in: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hrsg. von Ernst Behler unter Mitwirkung anderer Fachgelehrter, Bd. XXIII, dritte Abteilung, München, Paderborn, Wien 1987. Schopenhauer, Arthur (1819): Kritik der Kantischen Philosophie, Anhang zu: Die Welt als Wille und Vorstellung, in: ders., Sämtliche Werke, nach der ersten, von Julius Frauenstädt besorgten Gesamtausgabe, neu bearbeitet und herausgegeben von Arthur Hübscher, Bd. 1, Wiesbaden 21949, 489-633. – (1840): Preisschrift über die Grundlage der Moral, in: ders., Die beiden Grundlagen der Ethik, in: ders., Sämtliche Werke, nach der ersten, von Julius Frauenstädt besorgten Gesamtausgabe, neu bearbeitet und herausgegeben von Arthur Hübscher, Bd. 4, Wiesbaden 21950, 101-275.
LITERATURVERZEICHNIS
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Schulze, Gottlob Ernst (Aenesidemus) (1792): Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn Professor Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie. Nebst einer Vertheidigung des Skepticismus gegen die Anmaassungen der Vernunftkritik, o. O. 1792, in: Neudrucke seltener philosophischer Werke, unter Angabe der Originalpaginierung herausgegeben von der Kantgesellschaft, Bd. I, besorgt von Arthur Liebert, Berlin 1911. – (1801): Kritik der theoretischen Philosophie, Zweyter Band, Hamburg 1801. Spinoza, Baruch (Benedict) de (1677): Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt. Neu übersetzt, herausgegeben, mit einer Einleitung versehen von Wolfgang Bartuschat, Hamburg 1999. – : Briefwechsel (1986), herausgegeben, mit Einleitung, Anhang und erweiterter Bibliographie von Manfred Walther, Hamburg 31986. Thomas von Aquin (1256-59): Quaestiones disputatae de veritate, in deutscher Übertragung von Edith Stein, Bd. 1 (Quaestio 1-13), Louvain, Freiburg 1952. – (1261-1264): Summa contra gentiles oder Die Verteidigung der höchsten Wahrheiten, aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt und mit Uebersichten, Erläuterungen und Aristoteles-Texten versehen von Helmut Fahsel, Bd. II, Zürich 1949. Vico, Giovanni Battista (1744): Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker, Teilband 2, übersetzt von Vittorio Hösle und Christoph Jermann und mit Textverweisen von Christoph Jermann, Hamburg 1990. Wezel, Johann K. (1776): Belphegor oder Die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne, mit einem Nachwort von Lenz Prütting, Frankfurt a. M. 41984.
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LITERATURVERZEICHNIS
B. Sekundärliteratur und sonstige Literatur Adickes, Erich (1889): Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft. Mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Erich Adickes, Berlin 1889. – (1924): Kant und das Ding an sich, Berlin 1924; Nachdruck Hildesheim, New York 1977. – (1929): Kants Lehre von der doppelten Affektion unseres Ich als Schlüssel zu seiner Erkenntnistheorie, Tübingen 1929. Adorno, Theodor W. (1966): Negative Dialektik, in: ders., Gesammelte Schriften Bd. 6, hrsg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt a. M. 31984, 7-412. Albrecht, Michael (1978): Kants Antinomie der praktischen Vernunft, Hildesheim, New York 1978. Allison, Henry E. (1978): Things in Themselves, Noumena, and the Transcendental Object, in: Dialectica 32/1978. – (1983): Kants’s Transcendental Idealism. An Interpretation and Defense, New Haven, London 1983. Ameriks, Karl (1990): Kant, Fichte, and Short Arguments to Idealism, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 72/1990, 63-85. Apel, Karl-Otto/ Riccardo Pozzo (1990): Zur Rekonstruktion der praktischen Philosophie. Gedenkschrift für Karl-Heinz Ilting, hrsg. von Karl-Otto Apel in Verbindung mit Riccardo Pozzo, Stuttgart-Bad Cannstatt 1990. Arndt, Andreas (1994): Dialektik und Reflexion. Zur Rekonstruktion des Vernunftbegriffs, Hamburg 1994. Arndt, Andreas/ Walter Jaeschke (2000): Materialismus und Spiritualismus. Philosophie und Wissenschaften nach 1848, hrsg. von Andreas Arndt und Walter Jaeschke, Hamburg 2000. Aschenberg, Reinhold (1982): Sprachanalyse und Transzendentalphilosophie, Stuttgart 1982. – (1984): Transzendentale Argumentation: progressiv und analytisch. Zu Ross Harrisons analytischer Transzendentalphilosophie, in: Eva Schaper, Wilhelm Vossenkuhl (1984), 57-62. Bader, Franz (2001): Systemidee und Interpersonalitätstheorie in Fichtes Wissenschaftslehre, in: Erich Fuchs, Marco Ivaldo, Giovanni Moretto (2001), 65-106. Bartuschat, Wolfgang (1972): Zum systematischen Ort von Kants Kritik der Urteilskraft, Frankfurt a. M. 1972. Baum, Günther (1974): K. L. Reinholds Elementarphilosophie und die Idee des transzendentalen Idealismus, in: Reinhard Lauth (1974), 86-107. Baum, Manfred (1979): Transcendental Proofs in the Critique of Pure Reason, in: Peter Bieri, Rolf-P. Horstmann, Lorenz Krüger (1979), 3-26. – (1986): Deduktion und Beweis in Kants Transzendentalphilosophie. Untersuchungen zur Kritik der reinen Vernunft, Königstein/ Ts. 1986. – (1990): Kants Prinzip der Zweckmäßigkeit und Hegels Realisierung des Begriffs, in: HansFriedrich Fulda, Rolf-Peter Horstmann (1990), 158-173. – (1991): Dinge an sich und Raum bei Kant, in: Akten des Siebenten Internationalen KantKongresses in Mainz 1990, Bd. II.1, Bonn, Berlin 1991, 63-72. – (1993): Metaphysik und Kritik in Kants theoretischer Philosophie, in: Klaus Held, Jochem Hennigfeld (1993), 13-30.
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Baumanns, Peter (1972): Fichtes ursprüngliches System. Sein Standort zwischen Kant und Hegel, Stuttgart-Bad Cannstatt 1972. – (1979): Transzendentale Deduktion der Kategorien bei Kant und Fichte, in: Klaus Hammacher, Albert Mues (1979), 42-75. – (1981): Anschauung, Raum und Zeit bei Kant, in: Ingeborg Heidemann, Wolfgang Ritzel (1981), 69-125. Baumgartner, Hans Michael (1984): Zur methodischen Struktur der Transzendentalphilosophie Immanuel Kants, in: Eva Schaper, Wilhelm Vossenkuhl (1984), 80-87. Beck, Lewis White (1960): A Commentary on Kant’s Critique of Practical Reason, Chicago 31963. – (1974): Hatte denn der Philosoph von Königsberg keine Träume?, in: Kant-StudienSonderheft: Akten des 4. Internationalen Kant-Kongresses, Teil III, Berlin, New York 1974, 26-43. Becker, Wolfgang (1984): Selbstbewußtsein und Erfahrung, Freiburg, München 1984. Behler, Ernst/ Jochen Hörisch (1987): Die Aktualität der Frühromantik, hrsg. von Ernst Behler und Jochen Hörisch, Padernborn, München, Wien, Zürich 1987. Bellut, Clemens/ Ulrich Müller-Schöll (1989): Mensch und Moderne. Beiträge zur philosophischen Anthropologie und Gesellschaftskritik, hrsg. von Clemens Bellut und Ulrich MüllerSchöll, Würzburg 1989. Bennett, Jonathan (1966): Kant’s Analytic, Cambridge 21975. – (1974): Kants’s Dialectic, Cambridge 1974. Bensch, Hans-Georg (1995): Vom Reichtum der Gesellschaften. Mehrprodukt und Reproduktion als Freiheit und Notwendigkeit in der Kritik der Politischen Ökonomie, Lüneburg 1995. – (2005): Perspektiven des Bewußtseins. Hegels Anfang der Phänomenologie des Geistes (Contradictio, Studien zur Philosophie und ihrer Geschichte, Bd. 5), Würzburg 2005. Bieri, Peter/ Rolf-P. Horstmann/ Lorenz Krüger (1979): Transcendental arguments and science. Essays in Epistemology, ed. by Peter Bieri; Rolf-P. Horstmann and Lorenz Krüger, Dordrecht, Boston, London 1979. Bittner, Rüdiger (1983): Moralisches Gebot oder Autonomie, Freiburg, München 1983. Blasche, Siegfried (1988): Selbstaffektion und Schematismus, in: Forum für Philosophie Bad Homburg (1988), 91-113. Boeder, Heribert (1980): Topologie der Metaphysik, Freiburg, München 1980. Böhme, Gernot (1986): Philosophieren mit Kant. Zur Rekonstruktion der Kantischen Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, Frankfurt a. M. 1986. Bondeli, Martin (1995): Das Anfangsproblem bei Karl Leonhard Reinhold, Frankfurt a. M. 1995. Brandt, Reinhardt (1984): Historisches zum Selbstbewußtsein, in: Burkhard Tuschling (1984), 1-14. Brandt, Reinhard/ Werner Stark (1987): Kant-Forschungen, Bd. 1: Neue Autographen und Dokumente zu Kants Leben, Schriften und Vorlesungen, hrsg. von Reinhard Brandt und Werner Stark, Hamburg 1987. Breazeale, Daniel (1998): Fichte’s Nova Methodo Phenomenologica. On the methodological role of intellectual intuition in the later Jena Wissenschaftslehre, in: Revue Internationale de Philosophie 4/1998, 587-616.
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LITERATURVERZEICHNIS
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PERSONENREGISTER
Nicht aufgenommen sind die Namen: Kant, Immanuel; Fichte, Johann Gottlieb, da ihre Aufzählung aufgrund der Häufigkeit ihres Vorkommens keine zusätzliche Information böte. Adickes, Erich 24f., 99, 140 Adorno, Theodor W. 6, 144, 146, 319 Aenesidemus: siehe Schulze, Gottlob Ernst Albrecht, Michael 153 Allison, Henry E. 25-27 Anaxagoras: 280 Anselm von Canterbury 311 Aristoteles 7, 59, 63, 75, 92, 195, 314f., 333, 340 Arndt, Andreas 184, 241 Aschenberg, Reinhold 8, 169 Augustinus 1 f., 333, 341 Bacon, Francis 81, 325 Bader, Franz 300 Bartuschat, Wolfgang 119 Baum, Günther 180 Baum, Manfred 29, 108, 115, 125, 129, 130f., 162 f., 312 Baumanns, Peter 43, 70, 241, 257, 272, 310 Baumgartner, Michael 169 Beck, Jacob Sigismund 304f. Beck, Lewis White 20, 57, 145, 152f. Becker, Wolfgang 8, 57, 80 Bennett, Jonathan 7f., 84, 92 Bensch, Hans-Georg 313, 331 Berkeley, George 268, 272, 333 Beyme, Karl Friedrich 293 Bittner, Rüdiger 146, 148 Blasche, Siegfried 44, 72 Boeder, Heribert 241 Böhme, Gernot 42 Bondeli, Martin 179f. Borzeszkowski, Horst-Heino von 329 Breazeale, Daniel 211, 217 Brelage, Manfred 188 Bubner, Rüdiger 169 Buchdahl, Gerd 320
Büchsel, Martin 61,70, 72, 85, 90, 103 Bulthaup, Peter 5, 47, 104, 329f. Cesa, Claudio 272 Claesges, Ulrich 181, 202, 241, 256, 260f., 272, 275f., 339 Class, Wolfgang 261 Cohen, Hermann 21, 188, 325, 329, 339 Cramer, Konrad 50f., 145, 183 Cramer, Wolfgang 58, 99, 101 Delekat, Friedrich 42 Descartes, René 1f., 6, 29, 54-56, 61, 63, 65, 128, 194f., 311, 338, 341 Dorschel, Andreas 149 Düsing, Edith 292, 300f., 340 Düsing, Klaus 38, 55, 78, 119, 123, 155, 159, 238, 309, 321 Eidam, Heinz 240 Engstler, Achim 31 Erdmann, Benno 140, 142f. Ertl, Wolfgang 143f. Euklid 263 Feder, Johann Georg Heinrich 305 Fichte, Immanuel Hermann 191 Fischer, Kuno 35, 164 Fleischer, Margot 70, 80, 91, 146, 168 Forberg, Friedrich Carl 3 Forschner, Maximilian 145 Frank, Manfred 3, 9, 178, 186, 193, 231 Fuchs, Erich 304 Galilei, Galileo 125 Gerhard, Myriam 293 Gerhardt, Volker 342 Gesang, Bernward 23
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PERSONENREGISTER
Girndt, Helmut 310 Gloy, Karen 183, 258, 264, 269, 293, 336, 341 Goethe, Johann Wolfgang 191 Guyer, Paul 92, 95 Haag, Karl Heinz 25 Habermas, Jürgen 3, 73, 332 f. Hanewald, Christian 240 Hartenstein, Gustav 140 Hartmann, Klaus 4, 315 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 3, 7, 10, 13, 38 f., 69, 77, 88 f., 130, 168, 170, 173, 178, 183, 192f., 195, 202, 204 f., 210, 242, 247, 258, 263, 269, 293 f., 300, 304 f., 309-316, 320, 325f., 328, 332, 334 f., 338, 340-342 Heidegger, Martin 19, 41, 43, 69, 161, 313 Heimsoeth, Heinz 75, 92, 100f., 106, 118, 137, 140, 196, 272, 279, 300 Heinrichs, Johannes 87, 169 Heintel, Erich 57, 59 Henrich, Dieter 3, 9, 50, 70, 97, 112, 146, 153, 179f., 198, 213, 231, 259, 332 Herbart, Johann Friedrich 3f., 119, 189 Herder, Johann Gottfried 19 Hobbes, Thomas 51 Höffe, Otfried 20 Höijer, Karl Henrik 319 Hölderlin, Friedrich 3, 192f. Hösle, Vittorio 161, 169, 310 Hoffmann, Thomas Sören 293 Hohler, Thomas P. 206 d’Holbach, Paul Thiry 139, 334f. Honneth, Axel 300 Horkheimer, Max 322, 330 Horstmann, Rolf-Peter 185, 220 Hossenfelder, Malte 33f. Hudde, Johann 107 Hume, David 5, 19, 31, 56, 59, 63f., 73, 77, 93, 220 Hunter, Charles K. 300 Iber, Christian 210, 213, 231 Jacob, Hans 230
Jacobi, Friedrich Heinrich 23f., 30, 38f., 44, 77, 143, 186 f., 220-224, 332, 341 Jacobs, Wilhelm G. 43, 272, 283 Jaeschke, Walter 3, 311 Janke, Wolfgang 195, 203, 213, 257-259, 261, 264, 302, 340 Johannsen, Friedrich 206 Kambartel, Friedrich 20 Kaulbach, Friedrich 68, 90, 116 Kemp Smith, Norman 95, 99 Kepler, Johannes 125 Kittsteiner, Heinz-Dieter 160 Klemme, Heiner F. 185 Klotz, Christian 193, 197, 205, 214, 217, 225 Kobusch, Theo 54 Körner, Christian Gottfried 2 Körsgen, Norbert 73, 75 Kondylis, Panajotis 9, 312, 334 Konhardt, Klaus 67 Krings, Hermann 168 Kroner, Richard 22, 85, 161f., 166, 242, 310 Kuhn, Thomas S. 3, 326 Kuhne, Frank 61, 145, 147, 310, 331, 333 Kulenkampff, Arend 166 Kurz, Gerhard 178 Lambert, Johann Heinrich 324f. Lange, Friedrich Albert 3 Lauth, Reinhard 192, 199, 241, 280, 287, 293, 298, 300, 310, 316 Leibniz, Gottfried Wilhelm 31, 42, 45, 171f. Liedtke, Max 93, 119, 122 f., 129 Linnäus 322 Locke, John 18-20, 27, 29, 31, 44, 64, 73, 171 f. Lohmann, Petra 272 López-Domínguez, Virginia 274 Lütterfelds, Wilhelm 66, 298, 305 Luhmann, Niklas 48 Lutz-Bachmann, Matthias 31 Maier, Anneliese 22, 42, 85 Maimon, Salomon 23, 31f., 281 Manz, Hans Georg von 287 Martin, Gottfried 22, 72
PERSONENREGISTER
Marx, Karl 330 f., 333 Mead, George Herbert 300 Mensching, Günther 72, 315, 326-328, 334 Mersenne, Marin 65 Mertens, Helga 125 Metz, Wilhelm 45, 58, 70f., 80, 93, 168f., 203, 233, 241, 245, 262 Mörchen, Hermann 68, 87 Mohr, Georg 8, 50, 53, 57 Nabokov, Vladimir 4 Nagl-Docekal, Herta 3 Newton, Isaac 125, 325, 334, 339 Niethammer, Friedrich Immanuel 193 Nietzsche, Friedrich 161 Ockham, Wilhelm von 327 Parmenides 195 Pascher, Manfred 8 Paton, Herbert James 68, 252 Petrus Johannis Olivi 54 Philonenko, Alexis 203 Pippin, Robert B. 272 Pistorius, Hermann Andreas 23 Platner, Ernst 187, 344 Platon 270 Plotin 328 Pothast, Ulrich 9, 51 Prauss, Gerold 25-27, 29, 56, 80 Puntel, Lorenz Bruno 168 Quine, Willard Van Orman 8 Radrizzani, Ives 300 Rang, Bernhard 115 Reich, Klaus 51, 74, 130 Reichenbach, Hans 4 Reinhold, Karl Leonhard 3f., 9, 35, 178-183, 205 f., 222, 273, 291, 293, 295 Richli, Urs 263 Richter, Jean Paul Friedrich 301 Riehl, Alois 69 Röttges, Heinz 26 Rohs, Peter 291
371
Rorty, Richard 4 Rousseau, Jean-Jacques 20 Ruschig, Ulrich 47 Ryle, Gilbert 64 Sala, Giovanni B. 95, 149, 152 f. Sallis, John 97, 112 Schäfer, Dorothee 241, 259 Scheier, Claus-Artur 257, 332 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 3, 10, 13, 178, 192, 206, 223, 267, 293 f., 304f., 309-312, 320, 332, 334-336 Schiller, Friedrich 330 Schlegel, Friedrich 2, 193, 307 Schlick, Moritz 4 Schmid, Carl Christian Erhard 193 Schmidt, Gerhart 63, 65 Schmidt, Raymund 97 Schmucker, Josef 95, 100-102, 138, 143 Schnädelbach, Herbert 171f., 320 Schönrich, Gerhard 80 Schopenhauer, Arthur 30, 149, 186 Schrader, Wolfgang H. 179, 183, 272, 277, 287, 301 Schüßler, Ingeborg 168, 233 Schütz, Alfred 300 Schulz, Walter 195, 268, 311 Schulze, Gottlob Ernst (Aenesidemus) 23f., 57, 86, 180f., 305 Schweitzer, Albert 151 Schweppenhäuser, Hermann 144 Siemek, Marek J. 273 Siep, Ludwig 210, 280, 301 f., 310 Silber, John R. 147 Soller, Alois K. 243, 261, 272 Spinoza, Baruch (Benedict) de 107, 112, 192 f., 220, 234, 248, 309-311 Stephani, Heinrich 178, 182 Stolzenberg, Jürgen 181, 210, 229f. Strawson, Peter 8, 54, 65, 68 f., 140 Streichert, Till 112 Strohmeyer, Ingeborg 36 Stuhlmann-Laeisz, Rainer 51, 74, 80 Sturma, Dieter 7-9, 57, 168 Teichner, Wilhelm 179
372
Thomas von Aquin 315, 332 Tieftrunk, Johann Heinrich 85, 190 Tugendhat, Ernst 3, 341 Ulrich, Johann August Heinrich 161 Vaihinger, Hans 7, 22, 24, 161 Van Cleve, James 25, 34 Vetter, Helmuth 3 Vico, Giovanni Battista 333 Viertel, Wolfgang 80 Voigt, Christian Gottlob 191 Vossenkuhl, Wilhelm 321 Wagner, Hans 204
PERSONENREGISTER
Wahsner, Renate 329 Waibel, Violetta 193 Weischedel, Wilhelm 300 Wezel, Johann K. 133 Wildt, Andreas 259 Wimmer, Reiner 151 Windelband, Wilhelm 3 Wittgenstein, Ludwig 8 Wolf, Ursula 3 Wolff, Michael 106 Wolff, Robert Paul 56 Wood, Allen W. 152 Zocher, Rudolf 18, 68 Zöller, Günter 264, 301