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German Pages 1331 [1332] Year 2010
JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 151
Sonja Meier
Gesamtschulden Entstehung und Regress in historischer und vergleichender Perspektive
Mohr Siebeck
Sonja Meier, geboren 1964; 1983–1991 Studium der Rechtswissenschaft in Regensburg und London (LL.M.); 1997 Promotion; 2009 Habilitation; seit 2009 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und europäische Rechtsgeschichte an der Philipps-Universität Marburg.
e-ISBN PDF 978-3-16-151228-5 ISBN 978-3-16-150443-3 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-ub.de abrufbar.
© 2010 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Textservice Zink in Schwarzach aus der Garamond-Antiqua belichtet, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Sommersemester 2009 von der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg als Habilitationsschrift angenommen. Rechtsprechung und Literatur sind, soweit mir zugänglich, auf dem Stand von Anfang 2009. Meinem akademischen Lehrer Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Reinhard Zimmermann habe ich unendlich viel zu verdanken, nicht nur die Förderung dieser Arbeit. Prof. Dr. Hans Christoph Grigoleits Gutachten ging weit über das hinaus, was man von einem Zweitgutachter erwartet. Die Arbeit wurde weitgehend in meiner Zeit als Referentin am Max-PlanckInstitut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg verfasst, das mich in jeglicher Hinsicht unterstützt hat, zuletzt mit einem großzügigen Druckkostenzuschuss. Der Gedankenaustausch mit den wissenschaftlichen Kollegen war ungewöhnlich fruchtbar, und die Hilfsbereitschaft der Mitarbeiter in Bibliothek und Verwaltung sucht ihresgleichen. Nützlich war auch die digitale Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte. Für die Übernahme des Korrekturlesens und für sonstige Unterstützung danke ich Xaver Hörmann. Marburg, im März 2010
Sonja Meier
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Verzeichnis der weniger geläufigen Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . XVII Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Teil A
Rechtsgeschäftlich vereinbarte Gesamtschulden 5
I. Die Entstehung vertraglicher Gesamtschuldverhältnisse . . . . .
6
II. Teilschuldvermutung vs. Gesamtschuldvermutung . . . . . . . .
12
1. Historische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Anwendungsbereich des § 427 BGB . . . . . . . . . 3. Gesamtschuldvermutung vs. Teilschuldvermutung heute Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
12 22 27 39
III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle . . . . . . . .
41
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
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. . . .
Die römischen Grundlagen und ihre Rezeption im Gemeinen Frankreich: Die solidarité . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutschland: Die Korrealobligation . . . . . . . . . . . . . . Ein deutschrechtliches Modell? . . . . . . . . . . . . . . . . . Die deutschsprachigen Regelwerke . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen aus heutiger Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gesamthand als Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Haftung der Wohnungseigentümer . . . . . . . . . . . . Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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42 49 53 66 68 72 75 91 99 104
VIII
Inhaltsverzeichnis
IV. Unteilbare Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die „unteilbare Leistung“ vor dem Hintergrund der historischen Teilschuldvermutung . . . . . . . . . . . . 2. Die Rechtsfolgen: Modifizierte Gesamtschulden? . . . . . 3. Die Sonderrolle der Rückgabepflichtigen und Beauftragten 4. Entstehung und Funktion des § 431 BGB bei unteilbaren Leistungen im Allgemeinen . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
106
. . . . . . . . . . . . . . . . . .
106 109 117
. . . . . . . . . . . .
122 126
V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie? . . . .
128
1. Die Fälle des Zusammenwirkens vor 1900 . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Entscheidung des BGB-Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die herrschende Lehre zum BGB: Gemeinschaftliche Schulden und Gesamthandsschulden . . . . . . . . 4. Das Grundproblem: Können mehrere gemeinsam schulden? . . . . . 5. Die sog. Gesamthandsschulden bei Nachlassverbindlichkeiten im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . 6. Die Verpflichtung von Gesamthändern oder Teilhabern einer Bruchteilsgemeinschaft, über einen gemeinschaftlichen Gegenstand zu verfügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sind Gesamtschulden nicht möglich? . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nachlassverbindlichkeiten auf Verfügung über einen Nachlassgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Exkurs: Leistungsstörungen bei gemeinschaftlichen Nachlassverbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vertraglich geschuldete gemeinschaftliche Verfügungen . . . . . . e) Das Modell der beschränkten Haftung (Gesamthandsschuld i.e.S.) f) Das Modell der gemeinschaftlichen Schuld mit wechselseitiger Einstandspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Die Alternative: Vertragliche Teil- oder Einzelschulden . . . . . . h) Dingliche und sonstige Ansprüche auf Verfügungen durch Mitberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Gemeinschaftlich geschuldete Werk- und Dienstleistungen . . . . . . a) Die Gestaltungsmöglichkeiten: Kumulierte Einzelschulden, Teilschulden, Gesamtschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesamtschulden bei Werkleistungen in Zusammenarbeit? . . . . . c) Gruppenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Weitere Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Rückgabepflicht mehrerer Mieter . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Mieterhöhungsverlangen gegenüber einer Mietermehrheit . . c) Die gemeinsame Rechnungserstellung durch mehrere Verkäufer . d) Das Notwegverlangen gegen Miteigentümer . . . . . . . . . . . .
128 132 134 139 141
145 145 149 155 158 161 166 169 173 177 178 178 186 190 195 195 199 200 203
IX
Inhaltsverzeichnis
9. Unterlassungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Ergebnis: Der notwendige Abschied vom Gemeinen Recht 11. Europäischer Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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205 218 226 228
VI. Der Zugriff des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 1. 2. 3. 4.
Der Zugriff auf den einzelnen Schuldner . . . . Die Einrede der Teilung . . . . . . . . . . . . . Der mehrfache Zugriff . . . . . . . . . . . . . . Teilleistungen und der Verzicht des Gläubigers auf die solidarische Haftung . . . . . . . . . . . 5. Die Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
231 234 242
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245 248 258
VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern . . . . . . 259 1. Einführung: Der Regress im Falle eines vertraglichen Innenverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die römischen Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ein allgemeiner Gesamtschuldregress? . . . . . . . . . . . . . . . c) Die regresslose Korrealobligation . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Rückkehr zum Gesamtschuldregress . . . . . . . . . . . . . . e) Die BGB-Beratungen: Von der Regressneutralität über die Beweislastumkehr zum gesetzlichen Schuldverhältnis . . . . 3. Regress und vertragliches Innenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Ausgestaltung des Rückgriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Verhältnis des Gesamtschuldregresses zum rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis unter den Schuldnern . . . . . . . c) Der Rückgriff bei Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . 4. Die Mitwirkungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Historische Vorbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die herrschende Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufwendungs- und Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . d) Befreiungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das Innenverhältnis als Anspruchsgrund . . . . . . . . . . . (2) Das Problem der eigenen Haftung des Befreiungsschuldners (3) Grundlage und Fälligkeit des Befreiungsanspruchs bei vertraglichen Gesamtschuldverhältnissen . . . . . . . . . . . (4) Befreiungsansprüche wegen Beendigung des Innenverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Sechs Entscheidungen des BGH . . . . . . . . . . . . . . . .
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259 263 263 268 270 276
. . .
279 287 287
. . . . . . . . .
293 300 316 317 319 322 329 329 335
.
338
. .
346 350
X
Inhaltsverzeichnis
aa) BGHZ 23, 361 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) BGH NJW 1981, 1666 . . . . . . . . . . . . . . . . cc) BGH NJW 1986, 978 . . . . . . . . . . . . . . . . dd) BGH NJW 1986, 3131 . . . . . . . . . . . . . . . . ee) BGH NJW 1987, 374 . . . . . . . . . . . . . . . . ff) BGH NJW 1995, 652 . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Der gemeinsam geschlossene Vertrag als Sonderbeziehung 5. Das nichtige Innenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Schuldbefreiung im Außenverhältnis als ungeeigneter Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausgleichsmaßstab und Konkurrenzen . . . . . . . . . . . 6. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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350 352 353 355 357 361 364 365 370
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370 376 384 387
VIII. Der Zessionsregress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
389
1. Die Frage nach einem Derivativregress für Gesamtschuldner in historisch-vergleichender Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Wertungsgrundlagen des Derivativregresses im BGB . . . . . . 3. Anteilsregress? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Konstruktionsprobleme I: Vor 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Konstruktionsprobleme II: Nach 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestehen und Umfang des Zessionsregresses . . . . . . . . . . . b) Sach-, Dienst- und Werkleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anspruch auf zukünftig fällige Zinsen der Gläubigerforderung? 7. Legalzession trotz Ausschluss der Abtretbarkeit? . . . . . . . . . . 8. Das Schicksal der akzessorischen Sicherheiten . . . . . . . . . . . . a) Drittsicherheiten für die Gesamtschuld als solche . . . . . . . . b) Drittsicherheiten für die Schuld des intern freigestellten Gesamtschuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Drittsicherheiten für die Schuld des regresspflichtigen Gesamtschuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Aus dem Schuldnervermögen bestellte Sicherheiten . . . . . . . e) Ein alternativer Lösungsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Sonderprobleme bei fiduziarischen Sicherheiten . . . . . . . . . . . 10. Der Zessionsregress des Personenaußengesellschafters . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
389 400 408 413 421 430 430 433 436 439 446 447
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451
. . . . . .
455 460 468 472 481 491
XI
Inhaltsverzeichnis
Teil B
Gesamtschulden auf Schadensersatz 495
I. Die solidarische Schadensersatzhaftung im Verhältnis zur Vertragsgesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 1. Personenkonkurrenzen bei gesetzlichen Verbindlichkeiten im römischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Umfang der Haftung: Kumulation, Solidarität und Teilschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Verhältnis der gesetzlichen zur vertraglichen Solidarhaftung und das Problem der Klagenkonkurrenz . . . . . . . . . . . . . . 2. Gemeines Recht: Gesamtschulden auf Schadensersatz . . . . . . . . 3. Die Solidarobligationen des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . 4. Die französische obligation in solidum . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Einheitsgesamtschuld der deutschsprachigen Regelwerke des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Folgerungen für das heutige Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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496
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496
. . . .
508 515 518 533
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541 543 554
II. Der Innenausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 1. Die Einrede der Teilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Regress unter gesetzlichen Gesamtschuldnern nach römischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Regressrechte und Regressbeschränkungen im Gemeinen Recht . . 4. Die Regelwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Entscheidung des BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Der Ausgleichsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Ausgestaltung des Regresses: Verschiedene Regresstechniken . 8. Mitwirkungspflichten aus dem Gesamtschuldverhältnis? . . . . . . . 9. Schadensersatzansprüche wegen verletzter Mitwirkungspflicht . . . 10. Befreiungsansprüche unter Schadensersatz-Gesamtschuldnern? . . . 11. Die Verjährung des Rückgriffsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die herrschende Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Maßgeblichkeit der Verjährung des Gläubigeranspruchs? . . . . d) Beschränkte Gesamtwirkung der Verjährung? . . . . . . . . . . . e) Mögliche Lösungen bei eigenständiger Verjährung des Gesamtschuldregresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Fristberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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557
. . . . . . . . . . . . . .
561 571 577 584 590 597 601 613 627 639 640 642 643 645
. .
648 650
XII
Inhaltsverzeichnis
g) Ausschlussfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Regress bei Leistung auf eine verjährte Forderung? . . . . . . . . 12. Die Auswirkung weiterer „Tatsachen“ im Verhältnis zwischen regresspflichtigen Gesamtschuldner und dem Gläubiger . . . a) Klageabweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzelerlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufrechnungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Mehrfachleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
dem . . . . . . . . . . . . . . .
655 657
. . . . .
659 659 662 666 668
13. Der privilegierte Gesamtschuldregress und seine Kritiker . . . . . . .
670
14. Eine Schuldgemeinschaft unter gesetzlichen SchadensersatzGesamtschuldnern? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
684
15. Schluss
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
692
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
693
III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
695
1. Mittäter und Teilnehmer
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
696
2. Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
701
3. Die Rolle der Teilschuldregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
707
4. Gemeinschaftliche Haftung aufgrund einer bestimmten Position . . .
712
5. Nebentäter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Haftung für den gesamten Schaden . . . . . . . . . . . b) Die Frage nach dem Korreal- bzw. Solidarschuldverhältnis c) Die Rolle der Beteiligtenregel . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
. . . .
. . . .
717 719 727 737
6. „Gestufte“ gesetzliche Schadensersatzverbindlichkeiten . . . . . . a) Die Haftung für einen anderen: Täter und Aufsichtspflichtiger b) Verursacher und aufgrund seiner Position Haftender . . . . . c) Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
742 743 748 754
7. Die Bedeutung der gesetzlichen Gesamtschuldanordnungen . . . . . a) Zwischenbilanz zu den bisherigen Ergebnissen im Deliktsrecht . b) Die Bedeutung der Anordnungsregeln im Vorlage- und Teilentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
756 756
8. Das Zusammentreffen von Schadensersatzansprüchen außerhalb des Deliktsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Die vertragliche Haftung für Sachentziehungen und -beschädigungen durch Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Aktivlegitimation für Ansprüche gegen den Dritten vor Leistung an den Geschädigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Abtretungslösung des römischen Rechts . . . . . . . . . . . . c) Exkurs: Die Rechte an der verloren gegangenen Sache . . . . . . . (1) Rechte des Vindikationsbeklagten . . . . . . . . . . . . . . . .
758 763 770 771 779 786 786
XIII
Inhaltsverzeichnis
(2) Rechte des Entleihers und anderer schuldrechtlich zur Rückgabe Verpflichteter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ein allgemeines Abtretungsrecht des Schadensersatzpflichtigen (4) Die Lösung der Ersten Kommission . . . . . . . . . . . . . . . (5) Die Lösung der Zweiten Kommission . . . . . . . . . . . . . . (6) Die heutige Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Abtretung von Schadensersatzansprüchen . . . . . . . . . . . . e) Die Doppelnatur des Zessionsregresses . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Haltung des BGB-Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . .
788 792 793 797 802 804 807 819
10. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
826
Zusammenfassung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
828
IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 830 1. Die Lehre von der unechten Schadensersatz-Gesamtschuld und ihre Kritiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Idee einer unechten Gesamtschuld . . . . . . . . . . b) Die Suche nach dem Abgrenzungskriterium: Gesetzliche Anordnung und Schuldgrundtheorie . . . . . . . . . . . c) Die Zweckgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Zwecklehre im weiten Sinne und die Lehre von der einheitlichen Gesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
830 830
. . . . . . . . . . . .
834 841
. . . . . .
844
2. Die Lehre nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der engere Gesamtschuldbegriff: Abgrenzung zu gestuften Verbindlichkeiten mit nur einseitiger Solutionskonkurrenz b) Die moderne Zwecklehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der weite Gesamtschuldbegriff in Anlehnung an § 421 . . . d) Die Kriterien der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Frage nach der Solutionskonkurrenz
. . . .
846
. . . .
846 852 853 854
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. . . . . . . . . . . . . . . .
856
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
863
5. Der Zessionsregress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Regress über § 255 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Exkurs: Die Konkurrenz von Ansprüchen auf Schadensersatz und Erlösherausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Unterschied zwischen wechselseitiger und nur einseitiger Solutionskonkurrenz in der Ausgestaltung des Regresses . . . . .
869 869
883
6. Der Bereicherungsregress
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
887
7. Der Geschäftsführungsregress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
892
8. Die Besonderheiten des Gesamtschuldregresses . . . . . . . . . . . . . a) §§ 423 und 424 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Schuldgemeinschaft nach § 426 . . . . . . . . . . . . . . . . . .
897 897 901
4. Die Frage nach dem Regress
876
XIV
Inhaltsverzeichnis
9. Folgerungen: Die Rolle der Schuldgemeinschaft bei der Bestimmung des Gesamtschuldtatbestands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Die Abgrenzungskriterien: Gesetz, Analogiebildung und Stufenlehre 11. Ein Blick in die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konkurrenz gesetzlicher Schadensersatzpflichten . . . . . . . . . b) Zusammentreffen gesetzlicher mit vertraglichen Schadensersatzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Haftung für den Erfüllungsgehilfen . . . . . . . . . . . . . . . (2) Nebentäterfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Vertragliche Haftung des Obhutspflichtigen für einen vom Dritten verursachten Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konkurrenz vertraglicher Schadensersatzansprüche . . . . . . . . (1) Verbundene Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zusammenarbeit unabhängiger Vertragsschuldner, insbesondere Bauunternehmer und Architekt . . . . . . . . . (3) Zusammentreffen von Schadensersatz- mit Mängelbeseitigungs- oder anderen Gewährleistungsansprüchen . . . . . . . (4) Mängelbeseitigungsrechte gegen Vor- und Nachunternehmer (5) Völlig unabhängige vertragliche Schadensersatzansprüche . . 12. Die Besonderheiten vertraglicher Schadensersatzansprüche . . . . . . a) Ein Rückblick auf die Störung des Gesamtschuldausgleichs durch anfänglichen Haftungsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Modell der Schuldgemeinschaft bei vertraglich begründeten Ansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Regress gegen den Vertragsschuldner trotz fehlender Haftung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Einbeziehung des Vertragsschuldners in eine Schuldgemeinschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Der Vertragsschuldner als Regressgläubiger: Belastung des Regressschuldners durch fremde Verträge? . . . . . . . . . . . (4) Ausnahmen bei praktischer Zusammenarbeit der Vertragsschuldner? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Modell der materiellen Teilschuld bei vertraglichen Ansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Folgerungen: Die Maßgeblichkeit der vertraglichen Haftungsausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Subsidiaritätsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Erlass, Vergleich und andere nachträgliche „Tatsachen“ . . . . . . (1) Regress trotz Erlass? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Vorschlag: Modifizierte Anwendung der Abtretungsregeln . . (3) Auswirkungen auf andere „Tatsachen“ . . . . . . . . . . . . . (4) Schutz des regressberechtigten Schuldners? . . . . . . . . . . .
905 908 916 917 920 920 923 926 930 930 932 937 948 966 967 968 974 974 977 980 982 984 995 998 1002 1002 1008 1013 1015
13. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1017 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1020
XV
Inhaltsverzeichnis
Teil C
Mitbürgen 1023
I. Unterschiedliche Regelungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . 1024 II. Die Höhe der Haftung im Außenverhältnis . . . . . . . . . . . . 1027 1. 2. 3. 4.
Die römischen Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formen der Mitbürgschaft im einheimischen Recht . . . . . . . . Die gemeinrechtliche Mitbürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Regelwerke und die Entscheidungen des BGB-Gesetzgebers . a) Die grundsätzliche Ganzhaftung jedes Mitbürgen . . . . . . . . b) Die Frage nach der Teilungseinrede . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zur Abdingbarkeit des § 769 und zur Haftung von Höchstbetragsbürgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1027 1032 1033 1039 1039 1043
. . 1052 . . 1062
III. Das Verhältnis der Mitbürgschaft zu sonstigen Gruppen von Solidarschuldnern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1064 1. Gemeines Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die gemeinrechtlichen Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die früheren Regelwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unterscheidung zwischen gemeinschaftlichen Mitbürgen und Nebenbürgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Regelung des Code Civil . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mitbürgen als Gesamtschuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Lage nach dem BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Haltung des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nebenbürgen als Gesamtschuldner . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1064 1064 1069 1076
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1077 1080 1082 1084 1084 1086 1088
IV. Regress und Regressvereitelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1089 1. Römisches und Gemeines Recht . . . . a) Die Frage nach dem Regress . . . . . b) Das Problem der Regressvereitelung 2. Die Lösungen in den Regelwerken . . . a) Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Österreich . . . . . . . . . . . . . . .
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1089 1089 1098 1105 1106 1108
XVI
3. 4.
5.
6. 7.
8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.
Inhaltsverzeichnis
c) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die übrigen Regelwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Mitbürgenregress im BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Vorschrift des § 776 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schutz vor einer Regressgefährdung? . . . . . . . . . . . . . c) § 776 als Schadensersatzvorschrift? . . . . . . . . . . . . . . . d) Schutz des entlassenen Mitbürgen? . . . . . . . . . . . . . . . e) Zur Vorstellung des Gesetzgebers über die Ausgestaltung des Gesamtschuldregresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Beschränkung des § 776 auf Nebenbürgen? . . . . . . . . . . Der Mitbürgenerlass nach Rechtsprechung und Literatur . . . . a) Die Lage bis 1991 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Rechtsprechung des BGH, insbesondere die Mitbürgenentscheidung vom 11.6.1992 . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausgleichspflicht des entlassenen Nebenbürgen? . . . . . . . Die Besonderheiten des Mitbürgenregresses . . . . . . . . . . . Das Schuldgemeinschaftsmodell im Einzelnen . . . . . . . . . . a) Mitwirkungs- und Befreiungsansprüche . . . . . . . . . . . . b) Die Einrede der Vorausklage und die Fälligkeit des Regressanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Befreiungen von der Bürgenhaftung . . . . . . . . . . . . . . d) Verjährungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Aufrechnungslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Mehrfachleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bürgen und Ausfallbürgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitbürgenregress bei fehlendem Regressrecht gegen den Hauptschuldner? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Grundlagen des Mitbürgenregresses . . . . . . . . . . . . . Bürgschaft und Gesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Europäische Vereinheitlichungsprojekte . . . . . . . . . . . . . . Bürgen- und Mitbürgenregress im BGB . . . . . . . . . . . . . Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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. . . . . . . . . .
1110 1120 1129 1132 1136 1143 1143 1147 1151 1157
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1160 1166 1168 1168
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1170 1181 1183 1190 1190
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1194 1198 1202 1207 1211 1213
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1219 1224 1232 1239 1242 1247 1249
Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1253 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1257 Anhang: Entwürfe und Gesetzgebungsmaterialien . . . . . . . . . . . 1301 Sachverzeichnis
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1303
Verzeichnis der weniger geläufigen Abkürzungen AGO ALR ALR-RevE 1831 ArchPrRW ArchRpfl BauR BasK BayE BBl BGE BJM Bull civ BW BWNotZ Cass CC CEC CMBC CMBC-E 1811
D DCFR DGWR DH DP Dr. et patr. DresdE
Allgemeine Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten (1793) Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (1794) Revisionsentwurf zum ALR 1831 (Anhang Literaturverzeichnis Nr. 2) Archiv für practische Rechtswissenschaft Archiv für Rechtspflege in Sachsen, Thüringen und Anhalt Zeitschrift für das gesamte öffentliche und zivile Baurecht Basler Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Bayern (1861) (Anhang Literaturverzeichnis Nr. 7) Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Baseler Juristische Mitteilungen Bulletin des arrêts de la cour de cassation (Chambres civiles) Burgerlijk Wetboek (Niederlande) Zeitschrift für das Notariat in Baden-Württemberg Cour de Cassation Code Civil (Frankreich) Code Européen des Contrats (Anhang Literaturverzeichnis Nr. 23) Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis (1756) Revisionsentwurf 1811 zum CMBC (Anhang Literaturverzeichnis Nr. 4) Dalloz, Jurisprudence Générale, Recueil périodique et critique de jurisprudence, de législation et de doctrine, Recueil Dalloz Sirey Draft Common Frame of Reference (Anhang Literaturverzeichnis Nr. 26) Deutsches Gemein- und Wirtschaftsrecht Dalloz, Recueil hebdomadaire de jurisprudence Dalloz, Jurisprudence Générale, Recueil périodique et critique de jurisprudence, de législation et de doctrine Droit et patrimoine Dresdener Entwurf eines allgemeinen deutschen Gesetzes über Schuldverhältnisse (1866) (Anhang Literaturverzeichnis Nr. 10)
XVIII Dresd. Prot.
Verzeichnis der weniger geläufigen Abkürzungen
DRZ DS DVGZ DZWir
Protokolle der Dresdener Kommission (Anhang Literaturverzeichnis Nr. 11) Deutsche Rechtszeitschrift Der Sachverständige Deutsche Gerichtsvollzieher-Zeitung Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
ecolex EvBl
Österreichisches Recht der Wirtschaft Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen (Österreich)
Gai GazPal GE
Gaius, Institutionen Gazette du Palais Das Grundeigentum (Zeitschrift für die gesamte Grundstücks-, Haus- und Wohnungswirtschaft) Der Gesellschafter. Zeitschrift für Gesellschafts- und Unternehmensrecht (Österreich) Sammlung von zivilrechtlichen Entscheidungen des k.k. Obersten Gerichtshofes (hg. v. Glaser und Unger) (Österreich) Sammlung von zivilrechtlichen Entscheidungen des k.k. Obersten Gerichtshofes, Neue Folge Beiträge zur Erläuterung des Preussischen Rechts durch Theorie und Praxis Zeitschrift für das Privat- und Öffentliche Recht der Gegenwart (Österreich)
GesRZ GlU GlUNF Gruch GrünZ
HansGZ HessE HRG Jakobs/Schubert JbGemR JBl JCP JFG JhJb KBB KGJ k.k.OGH KritÜ KritVj
Hanseatische Gerichtszeitung (bis 1927), Hanseatische Rechtsund Gerichts-Zeitschrift (ab 1928) Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Großherzogthum Hessen (1845/53) (Anhang Literaturverzeichnis Nr. 6) Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte Horst Heinrich Jakobs, Werner Schubert (Hg.), Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Anhang Literaturverzeichnis Nr. 13) Jahrbuch des gemeinen deutschen Rechts Juristische Blätter (Österreich) Jurisclasseurs périodiques, La Semaine Juridique Jahrbuch für Entscheidungen in Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechts Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts Koziol/Bydlinski/Bollenberger, Kurzkommentar ABGB Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit Kaiserlich-königlicher Oberster Gerichtshof (Österreich) Kritische Überschau der deutschen Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft
Verzeichnis der weniger geläufigen Abkürzungen
XIX
KritZ KTS
Kritische Zeitschrift für die gesammte Rechtswissenschaft Konkurs, Treuhand, Sanierung: Zeitschrift für Insolvenzrecht
LZ
Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht
MietSlg MittBayNot
Mietrechtliche Entscheidungen (Österreich) Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins, der Notarkasse und der Landesnotarkammer Bayern Benno Mugdan (Hg.), Die gesammten Materialien zum BGB (Anhang Literaturverzeichnis Nr. 15)
Mugdan
NdsRpfl nF NJOZ NZ NZBau NZM
Niedersächsische Rechtspflege neue Folge Neue Juristische Online-Zeitschrift Österreichische Notariats-Zeitung Bau- und Vergaberecht Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht
OAG ObG ObHG ObTr OGH OGHBrZ OR ÖBA ÖJZ
Oberappellationsgericht Obergericht Oberhofgericht Obertribunal Oberster Gerichtshof Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone Obligationenrecht Österreichisches Bankarchiv Österreichische Juristen-Zeitung
PECL
Principles of European Contract Law (Anhang Literaturverzeichnis Nr. 22) Principles of European Law (Study Group) Principles of European Law: Personal Security (Anhang Literaturverzeichnis Nr. 25) Principles of European Tort Law (Anhang Literaturverzeichnis Nr. 24)
PEL PEL Pers. Sec. PETL
RdW Rev crit RheinZ RGRK RTD civ RTD com RZ
Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Revue Critique de Législation et de Jurisprudence Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozeßrecht Reichsgerichtsrätekommentar Revue trimestrielle de droit civil Revue trimestrielle de droit commercial Österreichische Richterzeitung
SächsArch SächsE
Sächsisches Archiv für Bürgerliches Recht und Prozeß Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen (1852) (Anhang Literaturverzeichnis Nr. 5)
XX SächsGB Schubert SDHI S SJZ SR SZ
Verzeichnis der weniger geläufigen Abkürzungen
Sächsisches Bürgerliches Gesetzbuch (1863) Schubert, Werner (Hg.): Die Vorlagen der Redaktoren (Anhang Literaturverzeichnis Nr. 12) Studia et documenta historiae et iuris Recueil Générale des Lois et des Arrêtes (begr. durch J.-B. Sirey) Schweizerische Juristen-Zeitung Schuldrecht a) Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte b) Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofs in Zivilsachen
TeilE
Franz Philipp von Kübel, Teilentwurf No. 7, Gesammtschuldverhältnisse (1882), in: Schubert, SR I, 49 ff.
UGB
Unternehmensgesetzbuch (Österreich, ab 1.1.2007)
VorlE
Franz Philipp von Kübel, Vorlage 1878 No. 4: Gesammtschuldverhältniß, in: Schubert, SR III, 1213 ff.
WBl wobl WoM WRP WuB
Wirtschaftsrechtliche Blätter (Österreich) Wohnrechtliche Blätter (Österreich) Wohnungswirtschaft und Mietrecht Wettbewerb in Recht und Praxis Wirtschafts- und Bankrecht
ZAS ZBJV ZBl ZCRPr ZEV ZfIR ZfV ZMR ZR
Zeitschrift für Arbeitsrecht und Sozialrecht (Österreich) Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins Zentralblatt für die Juristische Praxis (Österreich) Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für Immobilienrecht Zeitschrift für Versicherungswesen Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Blätter für Zürcherische Rechtsprechung (Neue Folge der Schweizer Blätter für Handelsrechtliche Entscheidungen) Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für Schweizerisches Recht Privatrechtliches Gesetzbuch für den Kanton Zürich (1853/55) Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Verkehrsrecht (Österreich) Zeitschrift für Wohnungseigentum
ZfRV ZSchwR ZürGB ZVersWiss ZVglRWiss ZVR ZWE
Einleitung Wissenschaftliche Bearbeitungen des Gesamtschuldrechts konzentrieren sich häufig auf die Frage nach dem „Wesen“ der Gesamtschuld. Dieses soll darüber Auskunft geben, wann eine Gesamtschuld i.S.d. § 421 BGB vorliegt und wann nicht. Funktional handelt es sich aber um die Frage, auf welche Arten von Schuldnermehrheiten die Regeln der §§ 422 ff. BGB anwendbar sind. Sie kann nur dann sinnvoll beantwortet werden, wenn über den Inhalt der Gesamtschuldvorschriften hinreichend Klarheit besteht. Dies ist bei näherem Hinsehen aber nicht der Fall. Die vorliegende Arbeit will eine Grundlage für eine sinnvolle Bestimmung des Gesamtschuldtatbestands bilden, indem sie sich in erster Linie denjenigen Konstellationen widmet, in denen das Bestehen eines Gesamtschuldverhältnisses allgemein oder überwiegend anerkannt ist, und in diesem Rahmen die Gesamtschuldvorschriften näher untersucht, die sich aus dem Gesetz oder nach Rechtsprechung und Lehre ergeben. Eine erschöpfende Behandlung sämtlicher Streitfragen, etwa zum Regress bei der sogenannten gestörten Gesamtschuld, ist nicht beabsichtigt. Hierzu verweise ich auf die Kommentarliteratur und für einen historischen Überblick auf meine Darstellung der §§ 420–432 im Historisch-Kritischen Kommentar zum BGB. Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich auf die Entstehungsvoraussetzungen der Gesamtschuld und auf die Ausgestaltung des Regresses. In diesem Rahmen sind aber abstrakte Fragestellungen ohne Rücksicht auf die Art und den Entstehungsgrund des Gesamtschuldverhältnisses nicht hilfreich. So kann die Frage, ob ein Gesamtschuldner auch dann Regress gegen einen anderen nehmen kann, wenn dieser zuvor durch Erlass seitens des Gläubigers von seiner Haftung befreit wurde, nicht sinnvoll erörtert werden, wenn der eine Leser dabei an ein vertraglich vereinbartes Gesamtschuldverhältnis denkt, der zweite an Miterben, der dritte an deliktische Mittäter und der vierte vielleicht an unabhängige Bürgen derselben Hauptschuld. Die herrschende Gesamtschulddogmatik, die ein Gerüst von Regeln und Folgesätzen gewissermaßen im luftleeren Raum konstruiert, läuft Gefahr, den konkreten Regelungshintergrund und die spezifischen Wertungen des Rechtsgebiets, zu dem das jeweilige Gesamtschuldverhältnis gehört, aus den Augen zu verlieren. Aus diesem Grund werden hier drei Hauptfälle von Gesamtschuldverhältnissen herausgegriffen und getrennt untersucht. Teil A behandelt vertraglich vereinbarte Gesamtschuldverhältnisse, bei denen nicht nur die einzelnen Verbindlichkeiten der Schuldner, sondern auch das Solidarschuldverhältnis selbst auf einer Parteivereinbarung beruhen. Im Teil B geht es um das Zusammentreffen mehrerer Verbindlichkeiten auf Ersatz desselben
2
Einleitung
Schadens. Den Kernbereich bilden hier die von § 840 BGB erfassten Fälle, in denen sowohl die Verbindlichkeiten als auch ihre solidarische Verknüpfung allein auf dem Gesetz beruhen. Teil C erörtert die Mitbürgschaft. Der Fall, dass sich mehrere gemeinschaftlich für eine Schuld verbürgen, unterscheidet sich nicht wesentlich von den Fällen sonstiger vertraglich vereinbarter Gesamtschuldverhältnisse, so dass Einzelfragen zur gemeinschaftlichen Mitbürgschaft wegen ihres Sachzusammenhangs teilweise schon in Teil A erörtert werden. Verbürgen sich dagegen mehrere unabhängig voneinander für dieselbe Hauptschuld, beruhen sämtliche Verbindlichkeiten auf Vertrag, während die Solidarverknüpfung unter ihnen erst durch das Gesetz hergestellt wird. Eine vollständige Trennung der Darstellung ist nicht möglich. Insbesondere in Teil A werden daher auch Fragestellungen erörtert, die auch für die Gesamtschuldverhältnisse in Teil B und C relevant sind, etwa der Zessionsregress. Die drei behandelten Fallgruppen erschöpfen das Gebiet möglicher Gesamtschuldkonstellationen nicht, sondern bilden Musterfälle, deren Lösungen auch für verwandte Fallgestaltungen herangezogen werden können. Die Regelungsprobleme bei solidarisch haftenden Miterben ähneln denen vertraglich vereinbarter Gesamtschulden. Weil die Gesamtschuld unter Miterben historisch verhältnismäßig jung ist, wird sie hier nicht in einem eigenen Abschnitt dargestellt, wohl aber im Rahmen der Behandlung sogenannter gemeinschaftlicher Schulden angesprochen. Bei einem mit dem Urschuldner abgesprochenen Schuldbeitritt gelten ähnliche Regeln wie bei anfänglichen vertraglichen Gesamtschuldverhältnissen, während ein Schuldbeitritt ohne Einwilligung des Schuldners ähnliche Probleme aufwirft wie der Fall unabhängiger Mitbürgen. Die Untersuchung arbeitet nicht nur auf rechtsvergleichender, sondern auch auf rechtshistorischer Grundlage. Die Einbeziehung des geschichtlichen Hintergrunds ist zunächst einmal im Rahmen der historischen Auslegung der Gesamtschuldvorschriften geboten. Die wichtigsten Quellen zur Entstehungsgeschichte sind die Protokolle der Ersten und Zweiten Kommission sowie die Vorentwürfe, die den Beratungen zugrunde lagen. Bei der Gesamtschuld gab es sogar zwei Vorentwürfe. Der erste, hier „Vorlageentwurf“ genannt, wurde vom Schuldrechtsredaktor Franz von Kübel 1879 gefertigt und im selben Jahr im Rahmen der Vorberatungen der Ersten Kommission diskutiert. Die Ergebnisse der Vorberatungen bildeten die Grundlage für einen zweiten Vorentwurf von Kübels, der hier „Teilentwurf“ genannt wird und den Hauptberatungen der Ersten Kommission 1882 zugrunde lag, die ihrerseits zum Ersten Entwurf (E I) des BGB führten. Dieser wurde dann von einer Kommission im Reichsjustizamt und später von der Zweiten Kommission beraten, wobei die Zweite Kommission häufig den Vorschlägen der Reichsjustizamts-Kommission folgte. Die in den „Protokollen“ dokumentierten Beratungen der Zweiten Kommission sind seit 1900 bekannt. Die Beratungsprotokolle der Ersten Kommission und der Reichsjustizamtskommission sind 1978 von Horst Heinrich Jakobs und Werner Schubert veröffentlicht worden, die Vorentwürfe von Kübels 1980 durch Werner Schubert.
Einleitung
3
Der Gesetzgeber arbeitete seinerseits vor dem gemeinrechtlichen Hintergrund des 19. Jahrhunderts und bezog im Rahmen umfassender rechtsvergleichender Untersuchungen auch die Kodifikationen des preußischen, französischen, österreichischen und schweizerischen Rechts sowie zahlreiche deutsche Kodifikationsentwürfe, insbesondere den Dresdener Entwurf von 1866, mit ein. Erst eine Untersuchung des Gemeinen Rechts sowie der zeitgenössischen Regelwerke macht deutlich, welche Regelungsprobleme den Gesetzgeber beschäftigten und welche Lösungswege ihm zur Verfügung standen. Sie kann damit zur Lösung von Fragen beitragen, zu denen die Beratungsprotokolle schweigen. Sowohl das Gemeine Recht des 19. Jahrhunderts als auch die Regelwerke sind aber wiederum nur vor dem Hintergrund der römischen Quellen und der frühen gemeinrechtlichen Wissenschaft verständlich, auf deren Erkenntnissen sie aufbauten. Das gilt gerade auch für die Gesamtschuldregeln des französischen Code Civil, die ohne ihre gemeinrechtlichen Grundlagen kaum verstanden werden können. Darum wird hier auch das römische Recht dargestellt, wobei der Schwerpunkt nicht auf der Frage liegt, wie die Quellen aus heutiger Sicht verstanden werden können, sondern darauf, in welcher Gestalt sie den gemeinrechtlichen Schriftstellern überliefert wurden und welche Schlüsse man aus ihnen zog. Die Einbeziehung des rechtshistorischen Hintergrunds ist aber auch ein Akt vertikaler Rechtsvergleichung. Die heute diskutierten Gesamtschuldprobleme sind zum Großteil nicht erst nach 1900 entstanden, sondern wurden jahrhundertelang von der gemeinrechtlichen Wissenschaft diskutiert und in den zahlreichen Regelwerken auf unterschiedliche Weise gelöst. Gerade in eher technischen Rechtsgebieten wie dem Gesamtschuldrecht, das durch Veränderungen in der Sozialgeschichte nur wenig berührt wurde, eröffnet der rechtshistorische Blick den Zugang zu einer Fülle von Argumentationen und Lösungswegen. Dabei ist es selbstverständlich, dass eine Lösung nicht deswegen richtig ist, weil sie einer Tradition entspricht. Die rechtshistorische Perspektive kann zeigen, dass der Gesetzgeber manchmal zu Unrecht an überkommenen gemeinrechtlichen Kategorien festhielt (etwa indem er zwischen teilbaren und unteilbaren Leistungen unterschied), in anderen Bereichen dagegen einen Befreiungsschlag unternahm (etwa durch die Ablehnung der gemeinschaftlichen Schuld), dem wiederum die Literatur nicht gefolgt ist, die ihrerseits an Begrifflichkeiten des 19. Jahrhunderts festhielt. Im Rahmen der horizontalen Rechtsvergleichung werden die Entwicklungen in denjenigen Nachbarrechtsordnungen verfolgt, deren Kodifikationen schon der BGB-Gesetzgeber herangezogen hatte, also Frankreich, Österreich und die Schweiz. Ein weiterer Blick richtet sich auf europäische Vereinheitlichungsprojekte wie die Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (Principles of European Contract Law) oder den Entwurf eines Europäischen Referenzrahmens (Draft Common Frame of Reference).
Teil A
Rechtsgeschäftlich vereinbarte Gesamtschulden
I. Die Entstehung vertraglicher Gesamtschuldverhältnisse Gesamtschulden, die auf einer Vereinbarung zwischen dem Gläubiger und sämtlichen Schuldnern beruhen, bilden seit jeher in den europäischen Rechtsordnungen einen Kernbereich der solidarischen Haftung. Sie beruhen auf einem Vertrag, bei dem auf Schuldnerseite mehrere Personen beteiligt sind. Anders als bei Teilschulden kann der Gläubiger die insgesamt geschuldete Leistung von jedem Schuldner verlangen. Wird die Leistung von einem oder mehreren der Schuldner erbracht, sind alle Schuldner gegenüber dem Gläubiger frei. Damit sind Gesamtschulden für den Gläubiger vorteilhaft. Er ist nicht, wie bei Teilschulden, gezwungen, jeden einzelnen Schuldner zu belangen. Vor allem aber bieten Gesamtschulden sowohl gegenüber Teilschulden als auch gegenüber einer Einzelschuld den Vorteil, dass mehrere Schuldnervermögen für ein und dasselbe Leistungsinteresse haften1. Der Gläubiger kann sich den solventesten Schuldner heraussuchen und fällt nach heutigem Recht erst dann mit seiner Forderung aus, wenn sämtliche Gesamtschuldner insolvent sind. Insofern gehört die Gesamtschuld zu den Personalsicherheiten und ist mit der Bürgschaft verwandt. Auf der Schuldnerseite kann sie zur Krediterlangung eingesetzt werden. Gegenüber gewöhnlichen Gesamtschulden ist die Bürgschaft in der europäischen Rechtstradition stets entweder als Sonderfall oder als aliud angesehen worden2. Zumindest dann, wenn die Hauptschuld auf eine Geldzahlung gerichtet ist, bestehen zwischen Gesamtschulden und Bürgschaften Ähnlichkeiten. Das entscheidende Abgrenzungskriterium ist hier nicht die Subsidiarität der Bürgenhaftung. Eine Einrede der Vorausklage ist im Bürgschaftsrecht nur beschränkt anerkannt und zudem grundsätzlich abdingbar. Entscheidend ist vielmehr die (mehr oder weniger ausgeprägte) Akzessorietät der Bürgenverpflichtung3. Ihr Bestand richtet sich nach der Hauptforderung. Änderungen bei der Hauptschuld wirken auf die Bürgenschuld ein; Änderungen bei der Bürgenschuld lassen hingegen die Hauptschuld unberührt. Bei der Gesamtschuld werden die Verpflichtungen der Schuldner dagegen grundsätzlich gleich behandelt. Es ist zwar möglich, dass „Tatsachen“ wie eine Leistungsstörung, ein Erlass, ein Urteil oder eine eingetre1 Beide Vorteile wurden in der Pandektenliteratur des 19. Jahrhunderts allgemein nach einer auf Savigny, Obligationenrecht I, 218, zurückgehenden Ausdrucksweise als „Sicherheit und Bequemlichkeit in der Rechtsverfolgung“ bezeichnet, eine Formel, die sich dann auch in den Motiven, Bd. II, 155 f. (Mugdan II, 86), wiederfindet. 2 Näheres unten, 1064 ff. 3 Zum Streit, ob man die Bürgschaft als „akzessorische Gesamtschuld“ unter einen weiten Gesamtschuldbegriff subsumiert oder den Begriff der Gesamtschuld enger fasst, unten, 1232 ff.
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tene Verjährung bei einem Schuldner die Verpflichtungen der anderen Schuldner ebenfalls berühren, doch dann gilt dies wechselseitig. Eine Tatsache wirkt entweder wechselseitig (sog. Gesamtwirkung) oder ist auf den einzelnen Schuldner begrenzt (sog. Einzelwirkung). Welche Tatsachen Gesamt- oder Einzelwirkung haben, wurde historisch unterschiedlich geregelt. Je mehr Tatsachen Gesamtwirkung hatten, desto größer war die Tendenz, Gesamtschulden als eine einzige Obligation anzusehen. Heute entstehen vertragliche Gesamtschulden, wenn sie von den Parteien vereinbart werden. Besondere rechtsgeschäftliche Erfordernisse gibt es nicht. Anders verhielt es sich im römischen Recht, das den Grundsatz der Bindungswirkung formloser Vereinbarungen nicht anerkannte. Wenn Vereinbarungen bestimmte Voraussetzungen formeller oder inhaltlicher Art erfüllen müssen, um verpflichtend zu sein, dann werden auch die Erfordernisse für eine Gesamtschuldabrede reglementiert. Das Herzstück des römischen Gesamtschuldrechts war die durch Stipulation entstandene Gesamtschuld4. Die wichtigsten Quellensammlungen, nämlich Justinians Institutionen, die Digesten und der Codex, behandeln sie zusammen mit der durch Stipulation entstandenen Gesamtforderung in jeweils einem eigenen Abschnitt5. Bei der Stipulation handelt es sich um eine formelhafte mündliche Abrede unter Anwesenden, mit der einseitig bindende Verträge geschlossen werden konnten6. Zur Begründung einer Gesamtschuld wurden die Formeln in bestimmter Weise auf die potentiellen Schuldner erstreckt. Der Stipulator (Versprechensempfänger) richtete seine Frageformel an die einzelnen Schuldner nacheinander in erkennbarem Zusammenhang („Maevi, quinque aureos dare spondes? Sei, eosdem quinque aureos dare spondes?“) oder an alle zusammen („… spondetis?“), woraufhin diese einzeln nacheinander („spondeo“) oder zusammen („spondemus“) die Antwortformel äußerten7. Mit Wendungen wie eosdem oder idem wurde klargestellt, dass es um dasselbe Leistungsinteresse ging. Erforderlich war zudem, zumindest ursprünglich, eine gewisse Aktseinheit bei diesem Austausch von Fragen und Antworten: Zum einen gab es zeitliche Begrenzungen (die zweite Antwort durfte nicht erst am nächsten Tag erfolgen), zum anderen mussten die Willenserklärungen derart verschränkt sein, dass nicht erst Frage 1 und Antwort 1 und dann Frage 2 und Antwort 2 erfolgten8. All diese Erfordernisse dienten dazu, die Gesamtschuld von anderen in Frage kommenden Rechtsgeschäften abzugrenzen. Denn wenn S2 sich zu etwas verpflichtete, was S1 schuldete, kamen auch kumulierte Verpflichtungen oder eine Bürgschaft in Betracht, 4
Hierzu Levy, Konkurrenz I, 175 ff.; neuerdings ausführlich Schmieder, Duo rei (2007), 34 ff. Institutionen: Inst. 3, 16 (De duobus reis stipulandi et promittendi); Digesten: D. 45, 2 (De duobus reis constituendis); Codex: C. 8, 39 (De duobus reis stipulandi et promittendi). 6 Kaser, Römisches Privatrecht I, § 128; Zimmermann, Law of Obligations, 68 ff. 7 Beispiele nach Inst. 3,16 pr. und Pomponius D.45,2,4. Weil es keine Stellvertretung gab, mussten beide Schuldner anwesend sein, Ulpian D.45,2,8. 8 Vgl. Inst. 3,16 pr.; Venuleius D. 45,1,137 pr., D.45,2,12 pr.; Julian D.45,2,6,3; Levy, Konkurrenz I, 176 f.; ausführlich Schmieder, Duo rei, 54 ff. 5
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oder auch eine zwischen dem Gläubiger und S2 vereinbarte Schuldumwandlung, die S1 befreite. Das Erfordernis einer engen zeitlichen Verbindung wurde im Laufe der Zeit wohl etwas liberaler gehandhabt, und es ist möglich, dass später sogar Gesamtschulden durch völlig getrennte Stipulationsakte begründet werden konnten, sofern die Absicht aller Parteien, eine Gesamtschuld zu begründen, klar war9. Diese im 19. Jahrhundert ausführlich debattierten10 Fragen sind heute nur noch von historischem Interesse. Seit der Anerkennung der Bindungswirkung aller formlosen Verträge im Gemeinen Recht ist es selbstverständlich, dass bei entsprechendem Parteiwillen Gesamtschulden auch durch getrennte Rechtsgeschäfte entstehen können. Im römischen Recht konnten Gesamtschulden außer durch Stipulation (später durch entsprechende Vereinbarung in Urkunden11) auch im Rahmen anderer anerkannter Vertragstypen begründet werden. Die Quellen erwähnen Gesamtschulden bei den römischen Realverträgen (die ihre Bindungswirkung auf die Hingabe einer Sache gründeten), insbesondere bei der Verwahrung12 und der Leihe13, ferner bei den Konsensualverträgen (die formlos geschlossen werden konnten), hier bei Miete14, Kauf15 und Auftrag16, sowie schließlich bei ausnahmsweise bindenden pacta17. Da es sich bei den genannten Typen um sog. Verträge bonae fidei handelte, war eine Gesamtschuldabrede hier auch formlos möglich18. 9
Vgl. Ulpian D.45,2,3 pr.; hierzu Schmieder, Duo rei, 55 ff. m.w.N. Etwa Ribbentrop, Correal-Obligationen, 113 ff.; Liebe, Stipulation, 214 ff.; Vangerow, Pandekten, § 573 Anm. 2 Nr. 1; Kuntze, Singularsuccession, 165 ff.; Fitting, Correalobligationen, 87 Fn. 101; Fritz, ZCRPr nF 18 (1861), 363 ff.; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 254 ff.; Bekker, Aktionen II, 312 ff.; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 65 ff.; Unger, JhJb 22 (1884), 280 ff.; Windscheid, Pandekten, § 297 Fn. 3; Mitteis, Individualisirung, 103 ff.; Eisele, AcP 77 (1891), 423 f., 461 f.; Binder, Korrealobligationen, 6 ff. 11 Papinian D.45,2,11,2. 12 Ulpian D.16,3,1,43; Papinian D.45,2,9 pr.-1; Schmieder, Duo rei, 165 ff. 13 Ulpian D.13,6,5,15 (anders Schmieder, Duo rei, 173 ff., nach dem es in diesem Fragment nur um die Haftung auf das Interesse gehen soll); Papinian D.45,2,9 pr. 14 Ulpian D.13,6,5,15, D.19,2,13,9; Marcellus D.19,2,47 (der Hinweis auf eine Teilhaftung bezieht sich auf das beneficium divisionis, hierzu unten, 234 ff.; anders Schmieder, Duo rei, 193); Valerian C.4,65,13; Schmieder, Duo rei, 199 ff. 15 Marcellus D.19,2,47; Ulpian D.21,1,31,10; Schmieder, Duo rei, 192 ff. 16 Mehrere Auftragnehmer: Scaevola D.17,1,60,2; mehrere (Kredit-)Auftraggeber: Paulus D.15,4,5,1, D.17,1,59,3; Papinian D.27,7,7, D.46,1,52,3; Modestin D.46,1,41,1; vgl. auch unten, 1031 f.; zu beiden Schmieder, Duo rei, 201 ff. Allerdings ist bei diesen Stellen nicht immer klar, ob es sich um einen einheitlichen oder mehrere unabhängige Aufträge handelt. 17 Constitutum (Erfüllungszusage): Ulpian D.13,5,16 pr.; Schmieder, Duo rei, 215 f.; s.a. unten, 1031 f. 18 Hierzu Schmieder, Duo rei, 216 ff.; vgl. auch Kaser, Römisches Privatrecht I, § 154 IV 2 (S. 657); Evans-Jones, SDHI 52 (1986), 119 ff. Für Formlosigkeit auch die h.L. im 19. Jahrhundert, etwa Ribbentrop, Correal-Obligationen, 170, 176; Vangerow, Pandekten, § 573 Anm. 2, Nr. 1; Savigny, Obligationenrecht I, 153 ff.; von Helmolt, Correal-Obligationen, 130 ff.; Fritz, ZCRPr nF 22 (1865), 461 ff.; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 89; Mitteis, Individualisirung, 59 f. Anders nur Kuntze, Singularsuccession, 169 ff., und Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 225 f., nach denen auch hier eine Stipulation erforderlich war. 10
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Problematisch war nur das Darlehen als Vertrag stricti iuris: Grundsätzlich schuldete bei mehreren Darlehensnehmern jeder nur soviel, wie er selbst als Eigentum empfangen hatte, falls nicht durch Stipulation eine Gesamtschuld vereinbart war. Vielleicht konnte aber schon durch entsprechenden Parteiwillen ein gemeinsamer Empfang und damit eine gesamtschuldnerische Haftung begründet werden19. Die römische Bezeichnung für vertragliche Gesamtschuldner war rei promittendi, soweit sie durch Stipulation verpflichtet waren20. Allgemeiner findet sich einmal der Ausdruck rei debendi21, sonst nur duo bzw. plures rei22. Beruhte die Gesamtschuld auf einem anderen Vertragstyp als dem der Stipulation, sprechen die Quellen manchmal von quasi duo rei oder quodammodo duo rei23. Teilweise findet sich (zusätzlich) der Ausdruck in solidum24. An einer Stelle wird von conreus gesprochen25. Aus conreus wurde correus, woraus sich in der europäischen Rezeption die deutsche Korrealobligation bildete. Gleichbedeutend war bis Ende des 18. Jahrhunderts der Ausdruck solidarische Verpflichtung26. Auch im Gemeinen Recht und in den späteren Kodifikationen stand die vertraglich vereinbarte Gesamtschuld im Vordergrund. Die rezipierten römischen Gesamtschuldregeln trafen hier auf deutschrechtliches Gedankengut in Gestalt der sogenannten Verpflichtung zur gesamten Hand27. Sie entstand durch 19 Schmieder, Duo rei, 180 ff. m.w.N. Die relevanten Quellenstellen sind Afrikan D.16,1,17,2; Paulus D.46,1,71 pr.; Diokletian C.4,2,5, C.4,2,12, C.8,39,1, C.8,39,3. Für das Erfordernis einer entsprechenden Stipulation im 19. Jahrhundert Ribbentrop, Correal-Obligationen, 11 Fn. 113; Hölder, AcP 69 (1886), 205; s.a. Kaser, Römisches Privatrecht I, § 154 Fn. 12; dagegen Savigny, Obligationenrecht I, 155 ff.; Brinz, KritBl 4 (1853), 10; Fritz, ZCRPr nF 22 (1865), 463 ff.; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 93 ff. 20 So etwa Inst. 3,16; Modestin D.45,2,1 und 4; Ulpian D.45,2,3 pr.; Julian D.45,2,6 pr.; Papinian D.45,2,9,2; vgl. Schmieder, Duo rei, 299 ff. Nach Papinian D.45,2,9 pr. sind auch andere durch Vertrag oder Vermächtnis verpflichtete Gesamtschuldner rei promittendi. Hierbei muss es sich nicht notwendig um eine Interpolation handeln, wie meist angenommen wird; vielmehr kommt auch eine reformorientierte Einzelmeinung Papinians in Betracht, so Schmieder, a.a.O., 322 ff. Der Ausdruck findet sich in zahlreichen weiteren Quellenstellen, etwa Paulus D.2,14,25 pr., D.12,2,28,3, D.34,3,29, D.46,1,71 pr., D.50,17,173,2; Julian D.12,6,20, D.45,2,5, D.46,3,34,11; Marcian D.22,1,32,4; Ulpian D.34,3,3,3, D.35,2,62, D.46,1,5; Papinian D.45,2,10 und 11 pr., D.46,1,51,2; Venuleius D.45,2,13; Pomponius D.45,2,18; Scaevola D.46,3,93,1; C.8.39, passim; Justinian C.8,40,28. 21 Paulus D.4,8,34 pr.; vgl. Paulus D.46,1,71 pr. (duo rei eiusdem debiti). 22 Für Stipulationsgesamtschuldner: Julian D.45,2,6,1–3; Ulpian D.45,2,8; Venuleius D.45,2,12 pr.; Paulus D.45,2,14; Papinian D.45,1,116. Ferner Ulpian D.4,4,27,2, D.19,2,13,9, D.24,1,5,1, D.45,2,3,1; Papinian D.45,2,9,1; Pomponius D.12,6,19,4; Afrikan D.16,1,20; Modestin D.46,1,40. 23 Ulpian D.13,5,16 pr. (Erfüllungszusage), D.13,6,5,15 (Leihe), D.21,1,31,10 (Kaufvertrag); ebenso für Gesamtschulden aus einem Vermächtnis Pomponius D.30,8,1. 24 Ulpian D.19,2,13,9; Marcellus D.19,2,47; Valerian C.4,65,13. In solidum (auf das Ganze) kann aber auch in anderen Zusammenhängen verwendet werden, etwa bei kumulierten Verpflichungen, Diocletian C.4,8,1. 25 Ulpian D.34,3,3,3. 26 Siehe in deutscher Sprache etwa Glück, Pandecten IV (1796), 510 ff.; Höpfner, Commentar, §§ 812 ff. (1783) (Correalobligation, in solidum). Zu den französischen Ausdrücken Domat, Loix civiles, §§ 1824 ff.; Pothier, Traité des Obligations, §§ 261 ff. (solidité); CC Art. 1200 ff. (solidarité). 27 Hierzu Stobbe, Geschichte des deutschen Vertragsrechts (1855), 139, 145 ff. mit zahlreichen Quellen; von Gierke, Schuld und Haftung, 109 ff.; ders., Deutsches Privatrecht III, § 182.
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gemeinsamen Vertragsschluss oder durch eine gemeinsame Verbürgung, wobei die Versprechenden wohl ursprünglich die Hände ineinander gehalten hatten und sich so zu einer symbolischen Einheit formten. „Geschuldet“ wurde die Leistung nach deutschrechtlicher Vorstellung offenbar nicht von jedem, sondern von allen Schuldnern zusammen, die insoweit eine gewisse Personeneinheit bildeten28. In der Praxis scheinen sich römisches und deutschrechtliches Gedankengut gemischt zu haben29. Hierauf deutet auch der Sprachgebrauch der neuzeitlichen Kodifikationen hin: Der Codex Maximilianus Bavaricus Civilis (1756) bezeichnet als correi debendi mehrere Vertragschließende, die gleichsam für einen Mann stehen, und das nemliche samt und sonders, ganz und in solidum30. Das preußische ALR (1794) sprach von Correalverträgen, bei denen einer für alle und alle für einen haften, ebenso das österreichische ABGB (1811), wonach sich eine solche Haftung durch ein Versprechen zur ungeteilten Hand ergibt31. Ganz bewusst aufgenommen wurde deutschrechtliches Gedankengut in das von Bluntschli entworfene Züricher Gesetzbuch (1855). Neben der Solidarschuld, bei der jeder Schuldner zur Gesamtleistung verpflichtet war, kannte es auch die Gesammtschuld, bei der jeder Schuldner zunächst Teilschuldner war, für die Anteile seiner Mitschuldner aber subsidiär haftete32. Zur Begründung einer Gesamtschuld verwendeten die Parteien römische und deutschrechtliche Ausdrücke wie in solidum, solidarisch, korreal, zur gesamten Hand, ungeteilt, zur ungeteilten Hand, ungeschieden, samt und sonders, sammtverbindlich oder alle für einen und einer für alle33. Seit die Bindungswirkung auch formlos geschlossener Verträge allgemein anerkannt wurde, war eine besondere Form nicht mehr erforderlich. Vereinzelt findet sich allerdings in der zeitgenössischen Literatur die Ansicht, eine Gesamtschuld müsse ausdrücklich vereinbart werden34. Sie hat ihre Spuren hinterlassen etwa in der Formulierung
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Unten, 66 ff. So auch von Gierke, Deutsches Privatrecht III, 253 ff. Vgl. auch Kreittmayr, der in seinen Anmerkungen zum CMBC, Bd. IV, römische Rechtssätze mit der deutschrechtlichen Vorstellung verbindet, dass „Correi suo modo für eine Person zusamm gerechnet werden“, 78 ff., 81. 30 CMBC IV 1 § 21. 31 ALR I 5 § 424; ABGB § 891. 32 ZürGB §§ 935, 940, 948. Näheres unten, 239. 33 Diese Ausdrücke finden sich bei Glück, Pandecten IV, 515; Höpfner, Commentar, § 817; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 90; Puchta, Vorlesungen, § 234; Windscheid, Pandekten, § 297 Fn. 2; Wächter, Pandekten, § 177 II A; Dernburg, Pandekten II, § 71 Nr. 1 a; Stobbe, Geschichte, 147 f.; von Gierke, Deutsches Privatrecht III, 248; CMBC IV 1 § 21 Nr. 6; HessE IV 1 Art. 6 II; ZürGB § 940; SächsGB § 1021; DresdE Art. 13 II; Vorlageentwurf § 2 II; BGB-E I § 321 II; weitere ausführliche Nachweise bei Samhaber, Correalobligation, 164 f. 34 Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 2; Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst.3,16(17) pr., § 4; Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, § 207 bei Fn. n; Ribbentrop, Correal-Obligationen, 116; Koch, Recht der Forderungen II, 3 f.; Göschen, Obligationenrecht, § 373 (S. 12); von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap III/1, zu 1 (S. 92); Sintenis, Civilrecht, § 89 bei Fn. 30; Binder, Korrealobligationen, 20. 29
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des österreichischen ABGB35, vor allem aber, wohl über Domat und Pothier36, in Art. 1202 I des französischen Code Civil („La solidarité ne se présume point; il faut qu’elle soit expressément stipulée“). Doch offenbar ging es bei diesem „Ausdrücklichkeitserfordernis“ nicht um die Notwendigkeit der Verwendung bestimmter Formeln oder Ausdrücke, sondern allein darum, dass die Absicht der Gesamthaftung sich klar zumindest aus den Umständen ergeben muss37. Insofern handelte es sich nur um besondere Bekräftigungen der gemeinrechtlichen Teilschuldvermutung (hierzu sogleich unten). Rechtsprechung38 und herrschende Lehre39 im 19. Jahrhundert hielten auch bei Gesamtschulden an der allgemeinen Regel fest, dass Rechtsgeschäfte stillschweigend vereinbart werden können. In diesem Sinne werden Art. 1202 CC und § 891 ABGB auch in Frankreich40 und Österreich41 verstanden: Eine Gesamtschuld liegt dann vor, wenn die Absicht der Parteien, ein Gesamtschuldverhältnis zu begründen, ersichtlich ist.
35 § 891 ABGB: „Versprechen mehrere Personen ein und dasselbe Ganze zur ungetheilten Hand dergestalt, daß sich einer für Alle, und Alle für Einen ausdrücklich verbinden; so haftet jede einzelne Person für das Ganze (…)“. Sachlich ebenso CMBC-E 1811 IV 1, § 27 Nr. 4; HessE IV 1, Art. 6 I. 36 Vgl. Domat, Loix civiles, § 1830; Pothier, Obligations, § 265. 37 Vgl. Unterholzner, Schuldverhältnisse, §§ 88 I, 90; Koch, Recht der Forderungen II, 2 f.; Dedekind, AcP 40 (1857), 425 f. 38 ObG Wolfenbüttel, SeuffA 24 Nr. 108 (9.7.1851 und 27.5.1870); RGZ 15, 175, 176 (5.2.1886); vgl. aber auch OAG Wolfenbüttel, SeuffA 23 Nr. 28 (1847). 39 Etwa Vangerow, Pandekten, § 573, Anm. 2, Nr. 1 a.E.; Samhaber, Correalobligation, 165 f.; Windscheid, Pandekten, § 297 Nr. 1, Fn. 2; Dernburg, Pandekten II, § 71 Fn. 10; Wendt, Pandekten, § 206. 40 Etwa Cass req (4.8.1896), DP 1896, 1, 456; Cass req (17.6.1913), D 1914, 1, 280; Cass 1 civ (3.12.1974), Bull civ I No. 322; Cass 1 civ (19.2.1991), Bull civ I No 71; ebenso RG JW 1886, 403, Nr. 23 (12.12.1886, zum badischen Recht); siehe Marcadé/Pont, Explication IV, § 603 m.w.N.; Colin/Capitant, Cours II, 181; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1065; Mazeaud/Chabas, Droit civil II/1, § 1057; Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rz 1249; Mestre/Tian, Solidarité passive, §§ 10, 14; Le Tourneau/Julien, Solidarité, §§ 29 f.; Aynès/Crocq, Sûretés, § 147. Im Entwurf der Catala-Kommission zur Reform des französischen Code Civil von 2005 ist im neuen Art. 1202 das Erfordernis der Ausdrücklichkeit nicht mehr enthalten. 41 OGH SZ 25/246 (24.9.1952); SZ 27/299 (24.11.1954); EvBl 1958/344 (3.9.1958); EvBl 1961/ 222 (1.3.1961); MietSlg 15.027 (2.10.1963); SZ 38/160 (12.10.1965); MietSlg 17.080 (24.11.1965); EvBl 1967/86 (30.8.1966); SZ 43/61 (4.3.1970); MietSlg 31.101 (27.2.1979); Klang/Gschnitzer, ABGB, § 891 Anm. I 1; Rummel, Vertragsauslegung, 54 ff., 59 f.; Ehrenzweig/Mayrhofer, System II/1, § 14 VI 1; Rummel/Gamerith, ABGB, § 891 Rz 3; KBB/P. Bydlinski, ABGB, § 891 Rz 1; Klang/Perner, ABGB, § 891 Rz 2; Rudolf, Schuldnermehrheiten, 105 f.
II. Teilschuldvermutung vs. Gesamtschuldvermutung 1. Historische Grundlagen Fehlt eine ausdrückliche Gesamtschuldabrede, dann stellt sich das Problem der Vertragsauslegung, und, sofern die Auslegung nichts ergibt, die Frage, ob das Recht eine bestimmte Art der Schuldnermehrheit vermuten soll. Hierzu ist es wichtig, sich die Alternativen zur Gesamtschuld vor Augen zu halten. Soll nur einer Hauptschuldner, der andere dagegen Bürge sein, dann muss der Vertrag zumindest einen Hinweis auf die Ungleichbehandlung der Schuldner enthalten. Fehlt es an solchen Hinweisen, haften die Schuldner also gleichrangig, dann kommen als wichtigste Alternative zu Gesamtschulden Teilschulden in Betracht. Sofern man auf einen bestimmten Leistungsgegenstand abstellt, könnte man zwischen Teilschulden und kumulierten Schulden unterscheiden: Zehn Säcke Korn können von fünf Schuldnern als Teilschuldner (jeder zwei) oder kumuliert (insgesamt 50) geschuldet werden. Geht man dagegen vom Vertrag und von der insgesamt dem Gläubiger geschuldeten Leistung aus, dann fallen Teilschulden und kumulierte Schulden zusammen: Entweder wird die Gesamtleistung unter den Schuldnern aufgeteilt und dann getrennt geschuldet oder nicht. Das Problem, dass auch durch Auslegung nicht ermittelbar ist, ob Gesamtoder Teilschulden vereinbart wurden (etwa wenn G insgesamt 300 von S1, S2 und S3 bekommen soll und sonst keinerlei Anhaltspunkte vorliegen), stellt sich offenbar häufig, denn sowohl das Gemeine Recht als auch sämtliche alten und modernen Regelwerke stellen Vermutungen entweder für Gesamtschulden oder für Teilschulden auf. Teilschuldvermutungen setzen die Teilbarkeit der Gesamtleistung voraus. „Teilbarkeit“ kann bei Schuldnermehrheiten in verschiedenem Sinne verstanden werden. Der rechtsgeschäftlichen Vereinbarung von Teilschulden sind grundsätzlich keine Grenzen gesetzt. Schulden S1 und S2 den Bau eines Hauses, dann kann S1 für das Erdgeschoss und S2 für das Dach verantwortlich sein. Verkaufen S1 und S2 dem G ein Pferd, so kann vereinbart werden, dass jeder Schuldner nur Miteigentum zur Hälfte und Verschaffung des Mitbesitzes zur Hälfte schuldet. Eine andere Frage ist, ob solche Aufteilungen vermutet werden sollen. Teilschuldvermutungen arbeiten häufig mit einem engeren Teilbarkeitsbegriff, der etwa Werkleistungen oder manchmal auch die Verschaffung einer Speziessache ausschließt1. Sofern schließlich aus dem Vertrag kein Anhaltspunkt für eine ungleiche Beteiligung der Schuldner hervorgeht, setzt eine Teilschuldvermu-
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Näheres unten, 108 f.
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tung zusätzlich die Teilbarkeit in gleiche Teile voraus, weil das Recht eine ungleiche Verteilung dann nicht vermuten kann. Die Teilbarkeit hängt dann nicht nur vom Leistungsgegenstand, sondern auch von der Anzahl der Schuldner ab. Verkaufen etwa S1 und S2 dem G sieben Pferde (und nimmt man an, dass die Verschaffung eines Pferdes unteilbar ist), dann kann eine Teilschuldvermutung (etwa dass S1 vier und S2 drei Pferde schuldet) nur eingreifen, falls der Vertrag Anhaltspunkte für diese Verteilung bietet (etwa, dass G 4/7 des Kaufpreises an S1 und 3/ 7 an S2 zahlen muss). Ohne solche Indizien muss die Leistung als unteilbar angesehen werden; bei sieben Schuldnern wäre sie teilbar. Ob schon das klassische römische Recht eine Vermutung aufgestellt hat, ist nicht belegt2. Bei Stipulationen mag bereits die Stipulationsformel Aufschluss über die beabsichtigte Art der Schuldnermehrheit gegeben haben. Im nachklassischen Recht setzte sich vielleicht eine Teilschuldvermutung durch3. Zumindest im Jahre 539 scheint Unsicherheit geherrscht zu haben, so dass der oströmische Kaiser Justinian per Gesetz eingriff. In der Novelle 99 ordnete er für so genannte λληλεγγως υπευ-νοι
(allelengýos hypeythýnoi, etwa: Schuldner, die in enger gegenseitiger Weise verpflichtet sind) an, dass der Gläubiger von jedem Schuldner nur dessen Anteil fordern kann, sofern eine Bestimmung, dass jeder das Ganze schuldet, fehlt. Die genaue Bedeutung der Novelle ist stets strittig gewesen4. Geht man aber mit der zu allen Zeiten herrschenden Lehre davon aus, dass die Novelle rechtsgeschäftliche Gesamtschulden betrifft, dann bedeutet die genannte Regel eine Teilschuldvermutung bei gemeinsamem Vertragsschluss5. Im Gemeinen Recht war die Teilschuldvermutung (im Zweifel nach Kopfteilen) allgemein anerkannt, unabhängig davon, ob man sie auf die Novelle 99 oder auf andere Quellenstellen stützte6. Man empfand die Teilschuld als das „natürli2 Dagegen Levy, Konkurrenz I, 179 ff.; vgl. Kaser, Römisches Privatrecht I, § 154 Fn. 2; ausführlich Schmieder, Duo rei, 69 ff., jew. m.w.N. 3 Hierfür spricht vor allem Papinian D.45,2,11; ferner Paulus D.21,1,44,1; Ulpian D.45,2,8; Diocletian C.4,2,5; dagegen Paulus D.39,2,27; vgl. zu Vermächtnissen Paulus D.45,2,17; Pomponius D.30,54,3; Neraz D.30,124; Modestin D.31,33 pr. Bei Stipulationen könnte die ambiguitas contra stipulatorem-Regel in Zweifelsfällen zu Teilschulden geführt haben, Schmieder, Duo rei, 74 f. 4 Der Streit betrifft die Auslegung des zweiten Teils der Novelle, der bei vereinbarter Ganzhaftung eine Teilungseinrede begründete; hierzu unten, 236 ff. 5 Kaser, Römisches Privatrecht II, § 277 I 3 (S. 454); aus dem 19. Jahrhundert ausdrücklich Ribbentrop, Correal-Obligationen, 116; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 88; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap III/1, zu 1 (S. 92). 6 Neben den in der vorigen Fußnote Genannten etwa Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,39, Kap. IV, § 5; Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 2; Kreittmayr, Anmerkungen IV, 79; Pothier, Obligations, § 265; Glück, Pandekten IV, 510 f. m.w.N.; Bucher, Forderungen, § 39; Burchardi, Obligationenrecht, § 247; Koch, Forderungen II, 2; Göschen, Obligationenrecht, § 373 (S. 11); Savigny, Obligationenrecht I, 137, 146, 286, 323; Mühlenbruch, Pandekten, § 323; Seuffert, Pandekten, § 228; Windscheid, Pandekten, § 292; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 226; von Helmolt, Correal-Obligationen, 110, 132 f.; Sintenis, Civilrecht, § 89 bei Fn. 3; Samhaber, Correalobligation, 181; Fritz, ZCRPr nF 18 (1861), 360; Arndts, Pandekten, § 213 Anm. 4; Wächter, Pandekten, § 176; Wendt, Pandekten, § 206; Dernburg, Pandekten II, § 71 Nr. 1; Binder, Korrealobligationen, 19.
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II. Teilschuldvermutung vs. Gesamtschuldvermutung
chere“ Verhältnis und wollte die Bereitschaft des Einzelschuldners, das Risiko der Insolvenz seiner Mitschuldner zu tragen, nicht einfach unterstellen. In Frankreich berief man sich auch auf die favor debitoris-Regel, wonach Verpflichtungserklärungen schuldnerfreundlich ausgelegt werden sollten7. Neben der römischen Tradition spielte für diese Wertung wohl auch der Umstand eine Rolle, dass man im Gemeinen Recht mit der vertraglichen Gesamtschuld eine Reihe belastender Nebenwirkungen verband, etwa die gegenseitige Verschuldenszurechnung oder die Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung durch den Gläubiger8. Dies sollte offenbar eine bewusste Entscheidung der Parteien voraussetzen. Mit dieser Tradition brach das preußische Allgemeine Landrecht. Bei gemeinsamem Vertragsschluss sah es eine Gesamtschuldvermutung vor, die sogar nur durch eine ausdrückliche Teilungsabrede entkräftet werden konnte9. Der ALRRedaktor Svarez war nicht nur der Auffassung, dass die Gesamtschuldvermutung den Zustand des klassischen römischen Rechts vor der Novelle 99 widerspiegele, sondern auch, dass sie sachlich gerechtfertigt sei: Wenn jeder Schuldner die gesamte Leistung verspreche, dann sei die Annahme natürlicher, dass auch jeder für das Versprochene einstehen müsse und insofern Gesamtschuldner sei10. Doch mit dieser Wertung blieb das ALR lange Zeit allein11. Der Code Civil, das ABGB und nahezu12 sämtliche weiteren Kodifikationen und Entwürfe des 19. Jahrhunderts bis hin zum Ersten Entwurf des BGB hielten, zumindest im bürgerlichen Recht, an der gemeinrechtlichen Teilschuldvermutung fest13.
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Aus der Rechtsprechung etwa OAG Wolfenbüttel, SeuffA 23 Nr. 28 (1847); ObTr Stuttgart, SeuffA 4 Nr. 258 (22.7.1851); ObG Wolfenbüttel, SeuffA 24 Nr. 108 (9.7.1851 u. 27.5.1870); OLG Braunschweig, SeuffA 41, Nr. 270 (19.6.1883); RGZ 15, 175, 176 (5.2.1886); BayObLG, SeuffA 43 Nr. 100 (20.10.1887). 7 Domat, Loix civiles, § 1830; Pothier, Obligations, § 265; aus heutiger Zeit Le Tourneau/Julien, Solidarité, § 27. Zu favor debitoris-Regel, die als Art. 1162 in den CC aufgenommen wurde, HKK/ Vogenauer, Bd. I, §§ 133, 157 Rz 117, Bd. II, §§ 305–310 Rz 19, 23. 8 Unten, 48 f. 9 In seiner bemüht detaillierten, belehrenden Ausdrucksweise heißt es in Teil I 5: „§ 424: Haben mehrere Personen zugleich sich einem Dritten in ein und eben demselben Vertrage verpflichtet, so ist, wenn nicht das Gegentheil ausdrücklich verabredet worden, anzunehmen, daß einer für alle, und alle für einen, dem Berechtigten für die Erfüllung haften. § 425: Wollen die mehrern Verpflichteten aus dem gemeinschaftlich geschlossenen Vertrage solchergestalt nicht verhaftet seyn, so müssen sie sich darüber in dem Vertrage selbst deutlich erklären.“ 10 Carl Gottlieb Svarez, zitiert bei Bornemann, Preußisches Civilrecht II, 656; Koch, Forderungen II, 2 ff. 11 Auch in der Literatur wurde die Gesamtschuldvermutung des ALR kritisiert, etwa bei Gruchot, Gruch 3 (1859), 295 ff. 12 Eine Mittelstellung nimmt das Züricher Gesetzbuch ein, das eine Vermutung der „eigentlichen Teilschuld“ aufstellt, bei der die Schuldner subsidiär für die Anteile der Mitschuldner haften, §§ 935, 936, 948. 13 CMBC IV 1 § 21 Nr. 6; CC Art. 1202; ABGB §§ 888 f. i.V.m. § 839; SächsE §§ 588 f., 591; HessE IV 1 Art. 6 I, 34 II; BayE II Art. 220 I, 222 II, III; SächsGB § 663; DresdE Art. 12; OR 1881 Art. 162 (OR 1911 Art. 143); VorlE § 1 II; E I § 320.
1. Historische Grundlagen
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Die Teilschuldvermutung kannte allerdings auch Ausnahmen. Eine davon ist auf den ersten Blick sachlich nicht erklärbar: Mehrere Auftraggeber, die gemeinschaftlich einen Auftrag erteilten, sollten dem Beauftragten gegenüber aus dem Auftragsverhältnis (etwa auf Ersatz seiner Auslagen) stets als Gesamtschuldner haften. Die Wurzel dieser merkwürdigen Regel liegt im römischen Kreditmandat. Wer einem anderen den Auftrag gab, einem Dritten ein Darlehen zu gewähren, schuldete dem anderen die Kreditsumme, falls dieser sie nicht vom Dritten zurückerhalten konnte. Die Haftung des Kreditauftraggebers ähnelte funktional der Bürgenhaftung, beruhte aber (anders als nach dem BGB, § 778) auf Auftragsrecht; es handelte sich um einen Anspruch auf Auslagenersatz14. In zahlreichen Quellenstellen findet sich die Regel, dass bei mehreren Kreditauftraggebern jeder auf das Ganze haftet15. Die Vermutung liegt nahe, dass es in diesen Stellen gar nicht um einen gemeinsam erteilten Kreditauftrag ging, sondern um mehrere unabhängige Aufträge, einem bestimmten Dritten ein Darlehen zu gewähren, bei denen die Annahme von Teilschulden eher fernliegt16. Die Frage ist stets umstritten gewesen, aber die wohl herrschende Lehre nahm an, dass zumindest eines der Fragmente17 (auch) den Fall des gemeinschaftlich erteilten Mandats im Auge hatte18. Dies würde bedeuten, dass das römische Recht, das sonst bei keinem Vertragstyp für teilbare Leistungen eine Gesamtschuldvermutung kannte, bei Kreditauftraggebern eine Ausnahme machte, vielleicht deshalb, weil man die getrennte und gemeinsame Kreditbeauftragung nicht voneinander abgrenzen wollte und daher auch die gemeinsame Beauftragung als zwei Aufträge konzipierte19. In jedem Fall findet sich daher im Gemeinen Recht häufig die solidarische Haftung der gemeinsamen Auftraggeber als Ausnahme zur Teilschuldvermutung20. Wenn auch sachlich wenig Grund dafür besteht, mehrere Auftraggeber anders zu be14
Kaser, Römisches Privatrecht I, § 155 III. Paulus D.15,4,5,1, D.17,1,59,3; Ulpian D.17,1,21; Papinian D.27,7,7 (die Stelle handelt von der Teilungseinrede, die eine Gesamtschuld voraussetzt), D.46,1,52,3; Modestin D.46,1,41,1; Diocletian C.8,40,23. 16 Vgl. unten, 1031 f. 17 Nämlich Paulus D.17,1,59,3, weil dort eine Gesamtschuld auch ohne ausdrückliche Parteivereinbarung (etiamsi non sit concessum in mandato) angenommen wird. 18 Eisele, AcP 77 (1891), 459 ff.; Binder, Korrealobligationen, 351 ff.; Levy, Konkurrenz I, § 21, S. 194 ff. m.w.N.; Schmieder, Duo rei, 202 ff. 19 Ribbentrop, Correal-Obligationen, 90 Fn. 1, 231 Fn. 9; Baron, Pandekten, § 246 I 1 c; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 138. 20 Voet, Commentarius, zu D.17,2, § 10; Pothier, Mandat, § 82; Glück, Pandecten XV, 317; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 621 II; Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, § 303 (S. 655); Ribbentrop, Correal-Obligationen, 90 Fn. 1, 231; von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT Kap. VIII/1a, Nr. 15 (S. 554); Vangerow, Pandekten, § 573, Anm. 2 a.E.; Puchta, Pandekten, § 233 bei Fn. i; Brinz, KritBl 4 (1853), 43, 56 f.; ders., Pandekten II/1, § 233 I 2 (S. 75); Seuffert, Pandekten, § 337 (S. 249); Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 221 f.; Arndts, Pandekten, § 293; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 61 f., 93, 138; Müller, Institutionen, § 97 Fn. 5; Unger, JhJb 22 (1884), 296 f.; ebenso (obiter) OAG Wiesbaden, SeuffA 1 Nr. 53 (1.6.1838); ObTr Stuttgart, SeuffA 4 Nr. 258 (22.7.1851); OAG Dresden, SeuffA 9 Nr. 328 (1854); zum österreichischen Recht Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 64. Anders (Gesamtschuld nur bei unabhängigen Auftraggebern) Thibaut, Pandekten, § 868; Savigny, Obligationenrecht I, 208 f. Vgl. unten, 1035 f. 15
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II. Teilschuldvermutung vs. Gesamtschuldvermutung
handeln als mehrere Käufer oder Mieter, wanderte die Gesamtschuld der Auftraggeber doch in eine Reihe von Kodifikationen und Entwürfen21. Sonderregeln galten auch für den Fall, dass mehrere durch das Handeln eines Dritten verpflichtet werden. Das römische Recht kannte zwar das Institut der direkten Stellvertretung nicht, wohl aber, als funktionsähnliches Institut, die sogenannten adjektizischen Klagen22. Römische Geschäftsleute pflegten ihre Geschäfte häufig durch andere, insbesondere Sklaven und Hauskinder, führen zu lassen. Um trotz der fehlenden Möglichkeit der Stellvertretung Dritten einen Anreiz zum Kontrahieren mit Sklaven, Haussöhnen, Haustöchtern oder sonstigen Angestellten zu geben, wurde in bestimmten Fallsituationen eine Haftung des Hintermanns (Prinzipals) für die Schulden des von ihm eingesetzten Vertragschließenden entwickelt. So haftete der Reeder für die Verbindlichkeiten des von ihm eingesetzten Schiffsführers, der Geschäftsinhaber für diejenigen seines eingesetzten Betriebsleiters (institor). Der paterfamilias haftete unter bestimmten Voraussetzungen für Verbindlichkeiten seines Sklaven oder Hauskinds (nämlich, vereinfacht gesagt, falls er den Sklaven oder das Hauskind zu dem betreffenden Geschäft ermächtigt, mit einem Sondervermögen ausgestattet oder sich aus dem Geschäft bereichert hatte)23. Die Voraussetzungen einer solchen adjektizischen Haftung konnten sich auf mehrere Prinzipale zugleich erstrecken, etwa dann, wenn ein vertragschließender Sklave im Miteigentum mehrerer stand oder ein Schiffer oder Betriebsleiter von mehreren eingestellt worden war. In diesen Fällen hafteten die Prinzipale gesamtschuldnerisch24. Der Grund für diese Ganzhaftung liegt darin, dass die adjektizische Haftung zwar funktional der Stellvertretung entsprach, aber nicht als rechtsgeschäftliche Stellvertretung konstruiert war, sondern als gesetzliche Haftung der Prinzipale. Dies bedeutet unter anderem, dass kein Offenkundigkeitsprinzip galt25. Da der Vertragschließende im eigenen Namen auftrat, wusste der Gläubiger nicht, mit wie vielen Prinzipalen er es zu tun hatte. Er hatte nur mit einer Person kontrahiert, gegen die er aber in der Regel (nämlich wenn der Vertragschließende unfrei war) nicht vorgehen konnte26. Eine teilschuldnerische Haftung der Prinzipale 21 ALR I 13, § 211; CC Art. 2002; ZürGB § 1181; HessE IV 2, Art. 289; BayE II, Art. 704; SächsGB § 1316; DresdE Art. 706 (die Regel war bei den Beratungen unstrittig, siehe Dresd. Prot. 2522–2524); OR 1881 Art. 401 I (OR 1911 Art. 403 I); span. Código Civil Art. 1731; BW Art. 7:408 I. Überblick über die älteren Gesetze in Schubert, SR II, 886 f. 22 Hierzu Gai. 4,69–74; Inst. 4, 6; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 141; Zimmermann, Obligations, 51–53; Wacke, SZ RA 111 (1994), 280; Buckland, Slavery, 166 ff. 23 Reederklage: actio exercitoria (D.14,1); Betriebsleiterklage: actio institoria (D.14,3); Ermächtigung: actio quod iussu (D.15,4); Sondervermögen: actio de peculio (D.15,1), actio tributoria (D.14,4); Bereicherung: actio de in rem verso (D.15,3). 24 Ulpian D.14,1,1,25, D.14,1,4,1–2, D.14,3,13,2 und 14, D.14,4,3, D.15,1,11,9 und 15; Gaius D.14,1,2, D.15,1,27,3 und § 8; Paulus D.10,3,8,4; D.14,1,3 und 6,1, D.14,3,14 und 17,1, D.14,4,5,1, D.15,4,5,1. Hierzu Drosdowski, Actio pro socio, 116 ff.; Schmieder, Duo rei, 286 ff. 25 Wacke, SZ (RA) 111 (1994), 333 ff. 26 Gegen Sklaven und Haustöchter konnte nicht geklagt und gegen Haussöhne nicht vollstreckt werden. Ab der klassischen Zeit bezeichnete man die Verpflichtungen von Sklaven und Hauskindern als Naturalobligationen. Siehe Gai. 3,104; Kaser, Römisches Privatrecht I, §§ 82 IV, 113 II.
1. Historische Grundlagen
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(nach Kopfteilen oder Beteiligungsquoten am Geschäft) hätte bedeutet, dem Gläubiger ohne sein Wissen und Wollen eine Aufteilung seines Anspruchs zuzumuten27. Im Gemeinen Recht wurden die Regeln der adjektizischen Klagen zunächst rezipiert, wobei die Haftung für den institor (Betriebsleiter) allmählich auf sämtliche Vertretungsfälle ausgedehnt wurde. Schließlich setzte sich aber das Prinzip der direkten Stellvertretung durch28. Die Tradition der adjektizischen Klagen bewirkte aber, dass in Literatur und Rechtsprechung häufig eine gesamtschuldnerische Haftung angenommen wurde, wenn die Schuldner mittels eines gemeinsamen Vertreters kontrahiert hatten29. Andere Stimmen wiesen dagegen auf die veränderten Voraussetzungen hin, die sich aus der Anerkennung des Stellvertretungsprinzips ergaben: Zum einen war erforderlich, dass der Vertreter in fremdem Namen handelte, so dass der Vertragspartner die Anzahl der Vertretenen kennen musste; zum anderen sollte durch das Vertretergeschäft dieselbe Lage eintreten, als ob der Vertretene selbst gehandelt hätte. Demzufolge sollte nach dieser Ansicht nun auch bei einem Handeln durch Vertreter die allgemeine Teilschuldvermutung gelten30. Zu weiteren Besonderheiten konnte es im Gemeinen Recht kommen, wenn die Schuldner eine Gesellschaft bildeten. Dies war im römischen Recht noch anders gewesen. Die römische societas war als reine Innengesellschaft konzipiert31, so dass sich im Verhältnis zu Dritten keine Abweichungen zu sonstigen Schuldnermehrheiten ergaben. Sofern für die Gesellschafter ein Dritter oder auch einer von ihnen auftrat, wurden sie gebunden, wenn die Voraussetzungen der adjektizischen Klagen vorlagen (die unter Justinian über die traditionellen Fälle hinaus erweitert wurden32); dann hafteten sie nach allgemeinen Regeln gesamtschuldnerisch. Traten sie dagegen persönlich gemeinsam auf, wurden spätestens ab dem nachklassischen Recht Teilschulden (wohl im Verhältnis der Geschäftsanteile) vermutet33. Etwas anderes galt nur in zwei Sonderfällen: Bei Gesellschaftern, die ein Bankgeschäft betrieben (argentarii socii), haftete nach Gewohnheitsrecht jeder gesamtschuldnerisch für alle Gesellschaftsverbindlichkeiten, unabhängig da27
So ausdrücklich Gaius D.14,1,2, D.15,1,27,8; vgl. Ulpian D.14,3,13,2. Hierzu Coing, Europäisches Privatrecht I, 428–430; Zimmermann, Obligations, 54–58; Wacke, SZ (RA) 111 (1994), 340 ff. 29 Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, § 211 a.E.; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 89 V; Thibaut, Pandekten, § 877; Seuffert, Padekten, § 338 (S. 253); Sintenis, Civilrecht, § 89 bei Fn. 39, § 102 bei Fn. 47; Wendt, Pandekten, § 206; OAG Jena, SeuffA 14 Nr. 93 (13.12.1845); obiter OAG Dresden, SeuffA 9 Nr. 328 (1854). 30 Insbesondere Buchka, Stellvertretung (1852), 244 ff.; ferner Wächter, Pandekten, § 177 II C 2; OAG Dresden, SeuffA 15 Nr. 111 (29.8.1861); AG Flensburg, SeuffA 20 Nr. 127 (15.2.1867); vgl. zum älteren Recht Glück, Pandecten XIV, 255 f. Die Kodifikationen und Entwürfe ließen die direkte Stellvertretung zu, ohne dabei Sonderregeln zur Schuldnermehrheit vorzusehen. 31 Hierzu Kaser, Römisches Privatrecht I, § 133 II; Zimmermann, Obligations, 455. 32 Hierzu Kaser, Römisches Privatrecht II, § 204 III 3, § 267 II 1; Zimmermann, Obligations, 467 f. 33 Vgl. Ulpian D.14,1,4 pr.; Paulus D.21,1,44,1. 28
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II. Teilschuldvermutung vs. Gesamtschuldvermutung
von, wer den Vertrag geschlossen hatte34. Und für Sklavenhaltergesellschaften ordneten die Ädilen (offenbar aufgrund bestehender Missstände) die Ganzhaftung eines Gesellschafters an, soweit es um die Ansprüche aus der kaufvertraglichen Mängelhaftung ging35. In Europa begegneten sich bei der Gesellschafterhaftung zwei Traditionen. Zum einen gab es das rezipierte römische Recht. Demgemäß unterschied die Lehre zum Gemeinen Recht danach, ob die Gesellschafter zusammen oder durch einen Vertreter kontrahiert hatten. Im ersten Fall sollten Teilschulden eintreten (ob nach Gesellschafts- oder Kopfteilen, war strittig), im zweiten Fall, nach den Regeln der institor-Haftung, Gesamtschulden36. Auch hier wurde später eingewandt, dass die Anerkennung des Prinzips der direkten Stellvertretung die Konsequenz erfordere, auch im Vertretungsfall Teilschulden anzunehmen37. Auf der anderen Seite hatten sich insbesondere im italienischen Handelsverkehr eigenständige Gesellschaftsformen herausgebildet, die ein eigenes Vermögen hatten und auch nach außen durch Gebrauch einer gemeinsamen Firma als gesellschaftliche Einheit auftraten. Diese Handel treibenden Gesellschaften lebten vom Kredit ihrer Gesellschafter, welche für Verbindlichkeiten, die für die Firma der Gesellschaft eingegangen worden waren, solidarisch hafteten. Diese gewohnheitsrechtlich entwickelte solidarische Haftung der Gesellschafter (die offenbar zunächst nicht auf Handelsgesellschaften im engeren Sinne beschränkt war) kollidierte mit der römischen Teilschuldvermutung und wurde schließlich als Sonderrecht für Handelsgesellschaften begriffen38. Im 19. Jahrhundert war die 34 Auctor ad Herennium II 13. Vgl. Paulus D.2,14,25 pr., D.4,8,34 pr.; Savigny, Obligationenrecht I, 150 ff.; Roesler, ZHR 4 (1861), 269 ff.; Gensel, ArchPrRW nF 1 (1864), 196 f.; Levy, Konkurrenz I, 218 f.; Schmieder, Duo rei, 213 ff. 35 Paulus D.21,1,44,1; hierzu Roesler, ZHR 4 (1861), 265 ff.; Levy, Konkurrenz I, 218 f.; Schmieder, Duo rei, 195 f. 36 Glück, Pandecten XV, 462 ff. m.w.N. (weitere Nachweise zum älteren Gemeinen Recht bei Buchka, Stellvertretung, 246; Stein, Tulane LR 33 [1959], 600 ff.); CMBC IV 8, §§ 8, 11; WeningIngenheim, Lehrbuch I, § 271 (S. 565 f.); Thibaut, Pandekten, § 885; Bucher, Forderungen, § 82; Göschen, Obligationenrecht, 413 f.; Vangerow, Pandekten III, § 653 (S. 492 ff.); von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT Kap. XVI/3, Nr. 1 (S. 818 ff.); Gensel, ArchPrRW nF 1 (1864), 190 ff.; Seuffert, Pandekten, § 351 (S. 279); Sintenis, Civilrecht, § 89 bei Fn. 39, § 121 nach Fn. 90; Thöl, Handelsrecht I/1 (5. Aufl. 1875), 383 ff., 395 f.; OAG Dresden, SeuffA 9 Nr. 328 (1854); OAG Dresden, ZHR 2 (1859), 416 (1.10.1857); OAG München, SeuffA 12 Nr. 13 (15.9.1857); Überblick in Schubert, SR III, 134 f. Anders im römisch-holländischen Recht: Voet, Commentarius, zu D.14,1, § 5, zu D.14,3, § 2, zu D.17,2, § 13; Grotius, Inleiding III, 1, § 31; siehe Buchka, Stellvertretung, 245 f.; Zimmermann, Obligations, 468 ff. 37 Buchka, Stellvertretung, 244, 247; Windscheid, Pandekten, § 407; Dernburg, Pandekten II, § 127; Hellmann, AcP 78 (1892), 375 f.; AG Flensburg, SeuffA 20 Nr. 127 (15.2.1867); vgl. Dresd. Prot. 2830 f. Eine Zusammenfassung der Diskussion findet sich in der Beratungsvorlage zum Gesellschaftsrecht, Schubert, SR III, 134 f., und in Mot. II, 611 f. (Mugdan II, 341 f.). 38 Vgl. die französische Ordonnance pour le commerce von 1673, IV Art. 7; Pothier, Obligations, § 266; ders., Société, §§ 96, 103; Preußischer Entwurf eines HGB, Motive zu Art. 91 II (Modell für Art. 112 ADHGB), Bd. II, S. 48; Gensel, ArchPrRW nF 1 (1864), 208 ff.; Lastig, ZHR 24 (1879), 431 ff.; ders., Handelsgesellschaften, 329 f.; Endemann, Handelsrecht, 116 ff.; Weber, Handelsgesellschaften, 58 ff., 129 ff.; Stobbe, Handbuch III, 171 f.; ders., Geschichte, 149; Bluntschli,
1. Historische Grundlagen
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gesamtschuldnerische Haftung der Handelsgesellschafter in Literatur39 und Praxis40 nahezu allgemein anerkannt. Sie wurde in den französischen Code de commerce, ins ABGB und als Art. 112 in das Allgemeine deutsche Handelsgesetzbuch von 1861 übernommen41. Von romanistischer Seite her wurde sie teilweise als Ausprägung der institor-Haftung rationalisiert42. Doch die Solidarhaftung trat auch ein, wenn die Gesellschafter zusammen den Vertrag geschlossen hatten. Sie beruhte nicht auf Vermutungen des Parteiwillens beim Vertragsschluss, sondern auf der Gesellschafterstellung des Schuldners (der beim Eintritt in eine Gesellschaft selbstverständlich auch für schon bestehende Verbindlichkeiten mithaftete43) und konnte nicht auf das römische Recht zurückgeführt werden. Für andere als Handelsgesellschaften stellte sich für die Gesetzgeber des 19. Jahrhunderts die Frage, ob man diesem „deutschrechtlichen“ Modell der Handelsgesellschaften folgen sollte oder aber der überlieferten römischen Teilschuldregel. Eine Unterscheidung danach, ob ein Vertreter oder alle Gesellschafter zusammen das Geschäft geschlossen hatten, erschien wenig zweckmäßig. Praktisch ging es darum, ob die Gründe der solidarischen Haftung der Handelsgesellschafter nicht auch eine Gesamthaftung insbesondere bei der bürgerlichrechtlichen 39 Deutsches Privatrecht, § 139 Nr. 9, S. 400; von Gierke, Genossenschaftsrecht III, 818 f.; ders., Deutsches Privatrecht III, 254; Hacman, ZHR 68 (1910), 439 und ZHR 69 (1911), 47; Kellenbenz, Handelsgesellschaft, 1936 ff.; Coing, Europäisches Privatrecht I, § 90 V, S. 468. 39 Martens, Handelsrecht (1820), 33; Appelius, AcP 16 (1833), 296 ff.; Buchka, Stellvertretung, 248–250; Puchelt, ADHGB, Art. 112 Anm. 5; Samhaber, Correalobligation, 182 f. m.w.N.; a.A. aber Thöl, Handelsrecht I (2. Aufl. 1847), § 37 (S. 138) Fn. 22; § 38 (S. 141 f.). 40 OAG Darmstadt, SeuffA 18 Nr. 100 (22.5.1846); OAG Lübeck, SeuffA 2 Nr. 178–179 (15.6.1846); OAG Dresden, SeuffA 1 (1847) Nr. 33; OAG Zwickau und OAG Dresden, SeuffA 3 Nr. 360 (8.7.1848 und 24.2.1849); OAG Dresden, SeuffA 9 Nr. 327 und 328 (1854); OAG München, SeuffA 12 Nr. 13 (15.9.1857); OAG Rostock, SeuffA 28 Nr. 111 (17.12.1857); OAG Dresden, ZHR 2 (1859), 416 Nr. 33 und 34 (1.10.1857, 26.2.1858); OAG Celle, ZHR 1 (1858), 161; Handelsgericht Hamburg, ZHR 2 (1859), 418 (22.6.1858); ferner zum Recht vor Inkrafttreten des ADHGB OAG Jena, SeuffA 17 Nr. 141 (20.3.1863); AG Flensburg, SeuffA 20 Nr. 127 (15.2.1867); ROHGE 3, 415, 416 f. (7.11.1871); ROHGE 5, 81, 85 (31.1.1872); ROHGE 12, 251, 253 (26.1.1874). 41 Code de commerce (1808) Art. 22 (heute Code de commerce Art. L 221-1); ABGB § 1203 (hierzu Servos, Personenhandelsgesellschaften, 146 f.); SächsE § 1348; ZürGB § 1298; ADHGB Art. 112 (jetzt § 128 HGB); OR 1881 Art. 564, OR 1911 Art. 568 (nur subsidiär); zum preußischen Recht Servos, a.a.O., 42 ff. Zu weiteren europäischen Anordnungen der solidarischen Handelsgesellschafterhaftung zeitgenössischer Überblick bei Behrend, Handelsrecht I/1 (1886), 522–524. Für Gelegenheitsgesellschaften im Handelsverkehr (die keine Handelsgesellschaften waren) ordnete das ADHGB die gesamtschuldnerische Haftung bei gemeinsamen Verträgen besonders an, Art. 269 II (ebenso schon der Entwurf Würrtemberg, Art. 277 II, und der Preußische Entwurf, Art. 209 II; siehe auch SächsE § 1350). Auch hierfür bestand ein Bedürfnis des Handelsverkehrs, siehe Prot. ADHGB 397–399, 495–498. Das HGB musste wegen § 427 BGB eine entsprechende Regel nicht mehr aufnehmen, so Denkschrift HGB, vor § 315, S. 186 f. (413). Zu den Partikularrechten Buchka, Stellvertretung, 249. 42 Vgl. Appelius, AcP 16 (1833), 296 ff.; Savigny, Obligationenrecht I, 287; Sintenis, Civilrecht, § 121 Fn. 90; Samhaber, Correalobligation, 182 f. m.w.N.; Gensel, ArchPrRW nF 1 (1864), 197; Kuntze, ZHR 6 (1863), 216 f.; von Hahn, ADHGB, Art. 112, § 2; Anschütz/Völderndorff, ADHGB, Art. 112, Anm. 1; Behrend, Handelsrecht I/1 (1886), 459 f. (§ 63); OAG Darmstadt, SeuffA 18 Nr. 100 (22.5.1846); zum Ganzen auch Weber, Handelsgesellschaften, 151 ff. 43 OAG Lübeck, SeuffA 2 Nr. 178 (15.6.1846); ADHGB Art. 113 (heute § 130 HGB).
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II. Teilschuldvermutung vs. Gesamtschuldvermutung
Erwerbsgesellschaft erforderten. Neben dem ALR erkannten auch die Gesetzgeber des Züricher Gesetzbuchs, des Schweizer Obligationenrechts und des Bayerischen Entwurfs ein entsprechendes Verkehrsbedürfnis an und sahen für bürgerlichrechtliche Gesellschaften zwar keine zwingende Solidarhaftung, aber eine Gesamtschuldvermutung vor44. Für eine Teilschuldvermutung entschieden sich dagegen der Code Civil, das ABGB, das Sächsische BGB, der hessische Entwurf und der Erste Entwurf zum BGB45. Die Verfasser des Dresdener Entwurfs gingen zwar von einer Teilschuldvermutung bei „gemeinen Gesellschaften“ aus; äußerst kontrovers war aber, ob nicht bei Erwerbsgesellschaften die handelsrechtlichen Regeln gelten sollten. Schließlich ordnete man die analoge Anwendung des Art. 112 ADHGB für solche Erwerbsgesellschaften an, bei denen die Gesellschafter unter einem gemeinsamen Namen auftraten46. Vom Handelsrecht ging noch ein zweiter wichtiger Impuls gegen die Teilschuldvermutung aus. Auch dann, wenn mehrere einen Vertrag schlossen, ohne Gesellschafter zu sein, konnte man im Handelsverkehr nicht annehmen, dass ein Gläubiger bereit sei, gegen jeden einzelnen Schuldner vorzugehen und das Risiko in Kauf zu nehmen, mit seiner Forderung wegen Unerreichbarkeit oder Zahlungsunfähigkeit einzelner Schuldner teilweise auszufallen. Daher entwickelte sich im Handelsrecht eine allgemeine Gesamtschuldvermutung, die bis heute in Frankreich als Gewohnheitsrecht anerkannt wird47. In Deutschland und Österreich setzte sie sich spätestens mit ihrer Aufnahme ins ADHGB von 1861 durch. Nach Art. 280 wurde solidarische Haftung vermutet, sofern das Geschäft für die Schuldner ein Handelsgeschäft war48. Die Einführung des ADHGB in den deutschsprachigen Territorien beeinflusste auch das allgemeine Zivilrecht. Ob Teil- oder Gesamtschulden vorlagen, 44 ALR I 17, § 239 (für Erwerbsgesellschaften, vgl. II 6 § 12); CMBC-E 1811 IV 8, § 9; ZürGB § 1250; BayE II, Art. 568 (hierzu Motive zu BayE II, S. 179 f.); OR Art. 544 III. Gesamtüberblick in der Beratungsvorlage zum Gesellschaftsrecht, in: Schubert, SR III, 137 ff. 45 CC (ursprüngl. Fassung) Art. 1863 (ebenso schon Pothier, Société, § 103); ABGB § 1203; HessE IV 2, Art. 390, 391; SächsGB § 1378; E I § 642 (hierzu Jakobs/Schubert, SR III, 278). Der Sächsische Entwurf von 1852 hatte eine teilweise verselbständigte Gesamthandsgesellschaft vorgesehen, für deren Schulden die Gesellschafter offenbar subsidiär und teilschuldnerisch hafteten, vgl. SächsE §§ 1330–1332; Motive zum SächsE, 290 f. Zur heutigen Rechtslage in Frankreich und Österreich unten, 88 ff. 46 DresdE Art. 795 (gemeine Gesellschaft), 810 (Collektiv-Erwerbsgesellschaft). Zu den kontroversen Beratungen Dresd. Prot. 2828–2831, 2997–3002, 3036 f., 4491–4493. 47 Sie entwickelte sich aus einer analogen Anwendung der Regeln über Handelsgesellschafter; vgl. Pothier, Obligations, § 266; Fremery, Droit commercial (1833), 21 ff.; Biener, Wechselrechtliche Abhandlungen (1859), 350 f.; Derrida, RTD com 6 (1953), 329; Planiol/Ripert, Droit Civil VII, § 1075; Cass req (20.10.1920), DP 1920, 1, 161, S 1922, 1, 201; Cass req (13.1.1926), DH 1926, 67, S 1926, 1, 104; Cass civ (7.1.1946), D 1946, 132. Weiteres unten, 28 f. 48 ADHGB Art. 280: „Wenn zwei oder mehrere Personen einem Anderen gegenüber in einem Geschäft, welches auf ihrer Seite ein Handelsgeschäft ist, gemeinschaftlich eine Verpflichtung eingegangen sind, so sind sie als Solidarschuldner zu betrachten, sofern sich nicht aus der Uebereinkunft mit dem Gläubiger das Gegentheil ergibt.“ Diese bei den Gesetzesberatungen unstrittige (Prot. ADHGB, 499) Bestimmung beruhte auf Art. 215 des Preußischen Entwurfs, der mit den Bedürfnissen des Handelsverkehrs begründet wurde, Motive zum PreußE, S. 105.
1. Historische Grundlagen
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konnte nun von dem (manchmal zufälligen) Umstand abhängen, ob das betreffende Geschäft zu den gesetzlich bestimmten Handelsgeschäften zählte, so dass sich die Frage stellte, ob nicht eine allgemeine Gesamtschuldvermutung auch für Nichthandelsgeschäfte zweckmäßiger wäre49. Der Hamburger Gesetzgeber zog hieraus die Konsequenz und ordnete im Hamburger Einführungsgesetz zum ADHGB von 1866 die allgemeine Geltung (unter anderem) der Gesamtschuldvermutung auch für das Bürgerliche Recht an50. Bei den Beratungen zum BGB war die Frage, welche Vermutung gelten sollte, äußerst umstritten. Von Kübel befürwortete die Aufnahme der gemeinrechtlichen Teilschuldvermutung51. Ihm folgte die Mehrheit der Ersten Kommission52. Der Erste Entwurf enthielt daher eine allgemeine Teilschuldvermutung53, die nur für den Fall der Verwendung der üblichen Formeln (wie „alle für einen und einer für alle“, „samt und sonders“ etc.) durch eine Gesamtschuldvermutung ergänzt wurde54. Von den gemeinrechtlichen Ausnahmen zur Teilschuldvermutung (Auftraggeber, Vertretene), deren Aufnahme von Kübel ursprünglich noch erwogen hatte55, fand keine Eingang in den Entwurf.56 Auch bei Gesellschaftern sollte die Teilschuldvermutung gelten, verbunden allerdings mit einer subsidiären gesamtschuldnerischen Ausfallhaftung im Rahmen der Liquidation57. Die heute in § 42758 enthaltene Gesamtschuldvermutung setzte sich erstmals 1891 in der Vorkommission des Reichsjustizamtes durch und wurde dann nach kontroverser Debatte in der Zweiten Kommission beschlossen59. Bei den Debatten verwiesen die Befürworter der Teilschuldvermutung auf die „einfache“ Struktur des Teilschuldverhältnisses, verglichen mit dem komplexen Nebeneinander von interner Teilhaftung und Ganzhaftung nach außen bei der Gesamtschuld60. Die andere Seite argumentierte, die Verpflichtung durch mehrere Schuldner solle die Rechtsverfolgung für den Gläubiger erleichtern und
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So etwa der Beschluss des Ersten deutschen Handelstags von 1862; siehe Bühler, Entstehung, 223 ff., 227 f. 50 Hamburger Einführungsgesetz zum ADHGB v. 22.12.1865, § 30; abgedruckt in Bühler, Entstehung, 207. Zu den Hintergründen Bühler, a.a.O., 229. 51 VorlE, These I und § 1 I. 52 Der Beschluss fiel schon in den Vorberatungen, Jakobs/Schubert, SR I, 894, 906. Ergebnis: TeilE § 1 I. 53 E I § 320. 54 E I § 321 II; ebenso schon VorlE und TeilE, § 2; SächsGB § 1021; DresdE Art. 13. 55 VorlE, Motive zu § 2, S. 21 (Schubert, SR III, 1233). 56 Vgl. Mot. II, 154 (Mugdan II, 84) und speziell zur Haftung der Auftraggeber Jakobs/Schubert, SR III, 73. 57 E I §§ 642, 656 II 3; hierzu Jakobs/Schubert, SR III, 278. 58 Paragraphen ohne Gesetzesangabe entstammen dem BGB. 59 Jakobs/Schubert, SR I, 915 f.; zu den Beratungen Prot. 866 ff. (Mugdan II, 603 f.). 60 Begründung von Kübels im Vorlageentwurf für § 1 (Schubert, SR III, 1221); übernommen in Teilentwurf, Motive zu § 1 (Schubert, SR I, 54), und in den Motiven II, 153 (Mugdan II, 84); ähnlich schon Motive zum HessE IV 1, S. 19; ferner Prot. 869 (Mugdan II, 604); Bähr, Gegenentwurf, Anm. zu § 307.
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II. Teilschuldvermutung vs. Gesamtschuldvermutung
nicht durch eine teilschuldnerische Haftung erschweren61. Für den Sieg der Gesamtschuldvermutung mag der Umstand eine Rolle gespielt haben, dass die gemeinrechtlichen schuldnerbelastenden Gesamtwirkungen der vertraglichen Gesamtschuld nicht ins BGB aufgenommen worden waren (§ 425). Entscheidend waren aber wohl die Bedürfnisse der Praxis im ausgehenden 19. Jahrhundert, denen die Teilschuldvermutung auch außerhalb der Handelsgeschäfte nicht mehr entsprach. Eine allgemeine Gesamtschuldvermutung konnte auf einer hundertjährigen preußischen Erfahrung62 aufbauen und ermöglichte die Harmonisierung mit dem Handelsrecht63.
2. Der Anwendungsbereich des § 427 BGB Nach dem preußischen ALR hatte die Gesamtschuldvermutung noch vorausgesetzt, dass die Schuldner sich „in ein und eben demselben Vertrage“ verpflichtet hatten64. Hiervon rückte der BGB-Gesetzgeber bewusst ab. Der Antrag, die Gesamtschuldvermutung nur bei der Verpflichtung mehrerer „in einem und demselben Rechtsgeschäfte“ auszusprechen, wurde in der Zweiten Kommission zurückgewiesen65. Der Antragsteller (von Mandry) war davon ausgegangen, dass sich die Gesamtschuld bei getrennten Rechtsgeschäften von selbst verstehe; die Kommission fürchtete dagegen, dass aus der beantragten Fassung e contrario der Schluss gezogen werden könnte, die Gesamtschuldvermutung gelte bei getrennten Verpflichtungsakten nicht66. Entscheidend ist nach § 427 allein, dass sich die Schuldner „gemeinschaftlich“ verpflichtet haben. Gemeinschaftliche Verpflichtungen beruhen aber in der Regel auf einem gemeinsamen Vertrag. Den Kommissionsmitgliedern ging es darum, die Gesamtschuldvermutung bei zeitlich getrennten Verpflichtungsakten nicht auszuschließen67. Doch auch zeitlich getrennte Willenserklärungen müssen einen gemeinsamen Vertrag nicht ausschließen, etwa wenn ein Paar eine gemeinsame 61 Prot. 868 (Mugdan II, 604).; s.a. Boyens, Gesellschaft (Gutachten zum Ersten Entwurf), 1051 ff.; Reatz, Gemeinschaftliche Schuld (Gutachten zum Ersten Entwurf), 1110 f., 1140 f., 1152 ff., 1156 ff.; von Gierke, Entwurf (1889), 210; ferner Seuffert und Laband, zitiert in Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen II, 91 f. 62 Bei der Revision des ALR 1830/31 hatte sich keine Stimme gegen die Gesamtschuldvermutung erhoben, vgl. Schubert/Regge, Quellen zur preußischen Gesetzgebung, Bd. II/3, S. 225. 63 Prot. 867 f., Denkschrift 56 f. (Mugdan II, 603 f., 1242 f.); so schon Boyens, Gesellschaft, 1051. 64 ALR I 5 §§ 424 f. Das ADHGB verlangte, dass die Schuldner sich „in einem Geschäft“ gemeinschaftlich verpflichtet hatten, Art. 280. 65 Jakobs/Schubert, SR III, 916. Ob der Entwurf der Reichsjustizamts-Kommission, der erstmals eine Gesamtschuldvermutung aufstellte, einen gemeinsamen Vertrag verlangte, ist aufgrund unterschiedlicher Protokollfassungen nicht sicher, vgl. einerseits Jakobs/Schubert, SR III, 915, andererseits Prot. 865 (Mugdan II, 603). 66 Prot. 870 (Mugdan II, 604). Dieser Schluss war zum ALR tatsächlich von Gruchot, Gruch 3 (1859), 302 ff., gezogen worden. 67 So auch Winter, Teilschuld, 166.
2. Der Anwendungsbereich des § 427 BGB
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Wohnung mietet und der Vermieter sich mit einem Schuldner persönlich, mit dem anderen später telefonisch einigt, sofern nur von Anfang an feststeht, dass eine gemeinsame Miete gewollt ist. Eine gemeinschaftliche Verpflichtung durch mehrere Verträge wäre höchstens derart vorstellbar, dass der Gläubiger sich mit S1 einigt, dass dieser zusammen mit S2 schulden soll (wobei S2 noch nichts davon wissen muss), und später mit S2, dass dieser zusammen mit S1 schuldet. Auch dann gilt nach § 427 die Gesamtschuldvermutung, aber solche Fälle sind wohl eher selten. Insofern ist es fraglich, ob das Erfordernis eines gemeinsamen Vertrags oder sein Fehlen bei einer Gesamtschuldvermutung sich überhaupt praktisch auswirkt68. Der Verzicht auf den gemeinsamen Vertrag als Tatbestandsmerkmal hat jedenfalls nach 1900 für Irritationen gesorgt und im Ergebnis zu einer Ausweitung des § 427 auf Fälle geführt, für die er nicht gedacht war. Eher als unglücklich hat sich dabei eine Formulierung des BGH aus dem Jahre 1959 erwiesen, wonach eine gemeinschaftliche Verpflichtung auch dann vorliege, „wenn sich mehrere getrennt voneinander auf dieselbe Leistung verpflichten und jeder mit der Verpflichtung des anderen rechnet“69. Im konkreten Fall bestand für dieses obiter dictum kein Anlass: Ein Baubetreuer hatte im Namen mehrerer Bauherren (Erwerbern von Wohnungseigentum) einem Werkunternehmer einen Auftrag erteilt, was selbstverständlich eine gemeinschaftliche und auch gleichzeitige Verpflichtung der Bauherren bedeutete70. Bedenklich ist die genannte Formulierung, weil nicht recht klar ist, wann ein Schuldner (subjektiv oder erkennbar?) mit der Verpflichtung eines anderen „rechnet“: Beauftragt der Hauseigentümer für die Reparatur desselben Dachs unabhängig voneinander zwei Handwerker, um sicher zu gehen, so entstehen normalerweise keine Gesamtschulden; soll dies aber anders sein, wenn die Handwerker zufällig beide wissen, dass der Eigentümer übervorsichtig ist und sich häufig doppelt absichert? Dass diese Bedenken nicht aus der Luft gegriffen sind, zeigt ein Urteil des Landgerichts Kassel71, das unter Berufung auf die BGH-Formel Gesamtschulden nach § 427 annahm, wenn ein ausziehender Mieter vertraglich zu Schönheitsreparaturen verpflichtet ist und der einziehende Nachmieter sich unabhängig davon ebenfalls zur sofortigen Renovierung verpflichtet hat. Wer in eine unrenovierte Wohnung einziehe, so das Gericht, rechne 68 In der Rechtsprechung findet sich offenbar kein Fall, in dem bei einer (wirklich) gemeinschaftlichen Verpflichtung mehrerer durch getrennte Verträge die Gesamtschuldvermutung zum Einsatz gekommen wäre. Die in diesem Zusammenhang zitierten Urteile betreffen entweder gemeinsame Verträge oder Schuldbeitritte oder unabhängige rechtsgeschäftliche Verpflichtungen; hierzu sogleich unten. Die Gesamtschuldvermutung der PECL, Art. 10:102 I, verlangt einen gemeinsamen Vertrag (hierzu kritisch Whittaker, Plurality, 36 ff., dem es aber allein um Fälle des Hinzutretens Dritter geht), während nach dem italienischen Codice Civile, Art. 1294, die Gesamtschuldvermutung nur erfordert, dass es sich um Mitschuldner (condebitori) handelt. 69 BGH NJW 1959, 2160, 2161 (29.9.1959). 70 Unrichtig insofern MüKo/P. Bydlinski, § 427 Rz 2; wie hier Erman/Ehmann, § 427 Rz 6. Eine andere Frage ist, ob die Bauherren nicht trotzdem Teilschuldner sind, hierzu unten, 35 ff. 71 LG Kassel, NJW 1975, 1842 (28.4.1975).
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II. Teilschuldvermutung vs. Gesamtschuldvermutung
schließlich damit, dass der ausgezogene Mieter seiner Renovierungspflicht nicht nachgekommen sei und daher dem Vermieter Schadensersatz schulde. In der Literatur finden sich deshalb zusätzliche Erfordernisse für die Anwendung des § 42772. Die Verpflichtungen der Schuldner müssen bei zeitlich getrennten Verpflichtungsakten aufeinander Bezug nehmen73, die Schuldner eine subjektive Einheit bilden, die Verpflichtung des anderen kennen oder im Gläubiger die Erwartung des gegenseitigen Einstehens erwecken74. Hilfreich erscheint höchstens das erste Kriterium. Ob § 427 anwendbar ist, richtet sich nach seiner Funktion und nach den gewöhnlichen Regeln der Rechtsgeschäftslehre: § 427 regelt die Frage, ob Gesamt- oder Teilschulden vorliegen. Diese Frage stellt sich nur dann, wenn Teilschulden konkret in Betracht kämen, insbesondere beim gemeinsamen Vertragsschluss, bei dem tatsächlich nach Gemeinem Recht eine Teilschuldvermutung galt. Bei völlig unabhängigen rechtsgeschäftlichen Verpflichtungen (etwa in den genannten Fällen der Dachdecker oder der Schönheitsreparatur) besteht für die Annahme von Teilschulden kein Anlass; vielmehr müssen hier Gesamtschulden von unabhängigen (kumulierten) Verpflichtungen abgegrenzt werden, wozu § 427 nichts sagt. Zudem handelt es sich bei § 427 um eine widerlegbare Vermutung. Vermutet wird ein entsprechender Parteiwille aller Beteiligten. Dies setzt voraus, dass (bei zwei Schuldnern) alle drei Beteiligten vereinbart haben, dass die Schuldner gemeinsam schulden, ob geteilt oder als Gesamtschuldner. Ob eine solche Vereinbarung vorliegt, entscheidet sich durch Auslegung der entsprechenden Willenserklärungen. Erst wenn die Auslegung ergibt, dass die dem Gläubiger zustehende Leistung von mehreren geschuldet werden soll, greift die Vermutung des § 427 ein. Daher kann etwa die gesamtschuldnerische Haftung im Falle eines Schuldbeitritts zumindest dann nicht mit § 427 erklärt werden, wenn der Beitritt durch Vertrag des Beitretenden mit dem Gläubiger erfolgt75. Abgesehen davon, dass die Annahme von Teilschulden (um diese Frage geht es bei § 427!) hier von vornherein fernliegt, fehlt es an einer Willenserklärung des Erstschuldners, die ausgelegt werden könnte. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der Beitritt auf einem dreiseitigen Vertrag aller Beteiligten beruht76, weil hier zumindest die (wenn auch nicht naheliegende) Möglichkeit besteht, dass die Parteien die bisherige
72 Anders (Gesamtschuld durch Vereinbarung, selbst wenn die Schuldner nicht von der Verpflichtung des anderen wissen) Schmidt-Kessel, Mehrheit, B II 3 a, S. 285. Dann kann aber die Vereinbarung nicht der Grund des Gesamtschuldverhältnisses sein. 73 Selb, Mehrheiten, 53; MüKo/P. Bydlinski, § 427 Rz 2. 74 Vgl. Jürgens, Teilschuld, 22; Staud/Werner (1930), § 427 Anm. 2; Staud/Kaduk (1994), § 427 Rz 6; Staud/Noack (2005), § 427 Rz 9; Soergel/Wolf, § 427 Rz 3; jurisPK/Rüßmann, § 427 Rz 5; Palandt/Grüneberg, § 427 Rz 1; BamR/Gehrlein, § 427 Rz 1; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 27. 75 So aber Soergel/Wolf, § 427 Rz 3; und offenbar BGHZ 41, 298, 300 (15.4.1964). Auch im eben erwähnten Urteil von 1959 verwies der BGH (NJW 1959, 2161) für seine Ansicht zur Anwendbarkeit des § 427 auf RGZ 70, 405 (17.3.1909), einen Fall des Schuldbeitritts. 76 So lag der Sachverhalt in BGHZ 41, 298 tatsächlich.
2. Der Anwendungsbereich des § 427 BGB
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Ganzhaftung des Erstschuldners in eine Teilhaftung beider Schuldner umwandeln wollten. Ebenso wenig genügt es für die Anwendung des § 427, dass die Schuld mehrerer aus einer einheitlichen Verpflichtung entspringt bzw. dass mehrere in einen Vertrag nachfolgen77. Bei der dieser Ansicht zugrunde liegenden Entscheidung des BGH78 ging es um den Übergang der Vermieterpflichten auf den Grundstückserwerber nach § 566 BGB (§ 571 BGB a.F.). Der bisherige Vermieter hatte das vermietete Grundstück in zehn Teile geteilt und an verschiedene Erwerber veräußert. Diese sollten nach Ansicht des BGH gesamtschuldnerisch für die Vermieterpflichten haften: Für eine Zerlegung des bislang einheitlichen Schuldverhältnisses gebe es keine Rechtsgrundlage. Doch eine solche Rechtsgrundlage existiert, zumindest insoweit man die Vermieterpflichten als teilbar ansieht, in Gestalt der allgemeinen Teilschuldvermutung des § 420. Die Auslegungsregel des § 427 kann direkt gar nicht angewendet werden, weil die Verpflichtungen der Erwerber nicht auf einem Vertragsschluss mit dem Mieter beruhen, sondern auf dem Gesetz, und eine Auslegung des Parteiwillens insoweit nicht möglich ist. Denkbar wäre eine analoge Anwendung, falls die zehn Erwerber das Grundstück gemeinsam vom Veräußerer erworben haben, so dass die vermutete gesamtschuldnerische Haftung aus dem Kaufvertrag auch auf das Mietverhältnis übertragen wird. Eine Analogie scheitert aber dann, wenn jeder Erwerber getrennt ein Teilgrundstück erworben hat. Wenn, wie der BGH und Teile der Literatur meinen, die Anwendung des § 427 lediglich erfordert, dass eine „einheitliche Verpflichtung“ vorliegt oder mehrere in eine solche einheitliche Verpflichtung nachfolgen, dann stellt sich zum einen die Frage, warum der Gesetzgeber die gesamtschuldnerische Haftung der Erben besonders angeordnet hat, zum anderen, welche Fälle dann für die Teilschuldregel des § 420 übrigbleiben. Nach Gemeinem Recht galt nicht nur eine Teilschuldvermutung bei gemeinsamem Vertragsschluss, sondern auch Miterben hafteten für die Schulden des Erblassers nur als Teilschuldner79. Hieraus entwickelten die Schriftsteller die allgemeine Regel, dass mehrere gemeinschaftlich Schuldende grundsätzlich Teilschuldner waren, sofern sich aus Vertrag oder Gesetz nichts anderes ergab80. Die gesamtschuldnerische Haftung der gemeinsamen Mitbürgen oder der gemein77 So aber Selb, Mehrheiten, 53; MüKo/P. Bydlinski, § 427 Rz 3; RGRK/Weber, § 427 Rz 2; Staud/Kaduk, § 427 Rz 7; Staud/Noack, § 427 Rz 71; Soergel/Wolf, § 427 Rz 4; Erman/Ehmann, § 427 Rz 6, § 431 Rz 5; jurisPK/Rüßmann, § 427 Rz 11; Palandt/Grüneberg, § 427 Rz 1; BamR/ Gehrlein, § 427 Rz 1; dagegen Winter, Teilschuld, 166; Jürgens, Teilschuld, 22 f. 78 BGH NJW 1973, 455 (24.1.1973). 79 Unten, 107. 80 Etwa Höpfner, Commentar, § 812; Göschen, Obligationenrecht, § 373 (S. 11); Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 88; Koch, Forderungen II, 2; Savigny, Obligationenrecht I, 137; Windscheid, Pandekten, § 292; Wächter, Pandekten, § 176. Die allgemeine, nicht auf Verträge beschränkte Teilschuldregel wurde in die Mehrheit der Regelwerke aufgenommen, ABGB §§ 888 f.; CMBC-E 1811 IV 1, § 27 Nr. 1; HessE IV 1, Art. 6 I, 34 II; BayE II, Art. 220; SächsGB § 663; DresdE Art. 12.
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II. Teilschuldvermutung vs. Gesamtschuldvermutung
schaftlichen Tierhalter wegen eines Tierschadens wurde als Ausnahme zu dieser Teilschuldregel angesehen. Auf diesem Verständnis beruht die Regel des § 420, von der nach Vorstellung des Gesetzgebers die wichtigsten Ausnahmen bestimmte Fälle des § 840 sowie die gesamtschuldnerische Erbenhaftung nach § 2058 waren81. Dies bedeutet, dass § 420 gerade den Fall vor Augen hat, dass ein Verpflichtungstatbestand von mehreren erfüllt wird oder mehrere in eine Verpflichtung nachfolgen82. Die Entscheidung des Gesetzgebers, in Ermangelung besonderer Regelungen Teilschulden vorzusehen, mag verfehlt sein. Die Rechtsentwicklung setzte sich darüber hinweg, so dass heute kaum noch Anwendungsfälle der Teilschuldregel zu finden sind83. Sachlich spricht auch nichts dagegen, im Fall der zehn Erwerber Gesamtschulden anzunehmen. Hierfür spricht in erster Linie der Schutzgedanke des § 566, wonach der Mieter bei einer Teilhaftung der Erwerber schlechter gestellt wäre als bislang, als er sich an eine Einzelperson halten konnte84. Insofern war das Urteil im Ergebnis richtig. Entscheidend ist nur, dass in allen genannten Fällen (zehn Erwerber, Schuldbeitritt, Schönheitsreparatur) für die Frage, ob Gesamtschulden bestehen, § 427 keine Antwort bereithält. Die Begründung der gesamtschuldnerischen Haftung mit § 427 in Fällen, in denen von einer Auslegung des gemeinsamen Parteiwillens keine Rede sein kann, läuft daher Gefahr, die wesentlichen Sachargumente zu verschleiern. Während der Gesetzgeber einerseits durch den Verzicht auf einen gemeinsamen Vertragsschluss im Tatbestand des § 427 ungewollt für Unklarheiten gesorgt hatte, beschränkte er den Tatbestand andererseits durch das Erfordernis eines Vertrages, womit er die gemeinschaftliche Verpflichtung durch ein einseitiges Rechtsgeschäft von der Gesamtschuldvermutung ausschloss. Damit folgte er dem preußischen ALR, nicht aber dem ADHGB, das lediglich ein „Geschäft“ verlangt hatte85. Diese Beschränkung beruhte offenbar nicht auf einer bewussten Entscheidung. Die Erste Kommission, die noch eine allgemeine Teilschuldvermutung vorgesehen hatte, war sich einig, dass diese auch für einseitige Rechtsgeschäfte gelten sollte86. In der Zweiten Kommission, welche die Gesamtschuldvermutung für vertragliche Verpflichtungen einführte, wurde an einseitige Rechtsgeschäfte offenbar nicht mehr besonders gedacht. Der oben genannte Antrag seitens von Mandry hatte als Tatbestand der Gesamtschuldvermutung die Verpflichtung mehrerer „in einem und demselben Rechtsgeschäft“ vorgeschlagen. Er wurde deshalb abgelehnt, weil auch getrennte Verpflichtungsakte ausreichen 81 Für von Kübel, der noch von einer teilschuldnerischen Erbenhaftung ausging, war diese eine direkte Folge der Teilschuldregel, Vorlageentwurf, Motive zu § 1 (Schubert, SR III, 1222). 82 Ähnlich Winter, Teilschuld, 19 ff., 175 ff., der als Tatbestand des § 420 ein einheitliches Schuldverhältnis annimmt; unrichtig insofern Jürgens, Teilschuld, 13, 18, 29. Siehe auch unten, 707 ff. 83 Hierzu HKK/Meier, §§ 420–432 I, Rz 32 f. 84 So hatte das Reichsgericht in einem ähnlichen Fall die gesamtschuldnerische Haftung der Erwerber zutreffend begründet, RGZ 124, 195, 198 f. (29.4.1929). 85 ALR I 5 §§ 424 f.; ADHGB Art. 280. 86 Jakobs/Schubert, SR III, 894.
3. Gesamtschuldvermutung vs. Teilschuldvermutung heute
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sollten, so dass es bei der gemeinschaftlichen Verpflichtung mehrerer „durch Vertrag“ blieb87. Ein bewusster Ausschluss einseitiger Rechtsgeschäfte war damit wohl nicht verbunden. Sachlich leuchtet es auch schwer ein, warum die Gesamtschuldvermutung ausnahmsweise dann nicht gelten sollte, wenn zwei Personen mittels Auslobung eine Belohnung versprechen88. Heute ist die Anwendung des § 427 auf einseitige Rechtsgeschäfte wohl allgemeine Meinung in der Literatur89 (einschlägige Rechtsprechung gibt es allerdings nicht90).
3. Gesamtschuldvermutung vs. Teilschuldvermutung heute Die Frage, ob bei gemeinsamem Vertragsschluss Gesamt- oder Teilschulden vermutet werden sollen, wird in Europa unterschiedlich beantwortet. Der BGB-Gesetzgeber hatte sich mit § 427 gegen die Teilschuldvermutungen des französischen, österreichischen und schweizerischen Rechts entschieden. Teilschuldvermutungen enthält auch das spanische und das junge niederländische Gesetzbuch, während der italienische Codice Civile, das englische Recht, die PECL und der DCFR eine Gesamtschuldvermutung vorsehen91. Doch die praktische Bedeutung dieser divergierenden Regelungen sollte nicht überschätzt werden. Soweit Teilschuldvermutungen bestehen, werden oft für bestimmte Vertragstypen oder allgemein für den Handelsverkehr Ausnahmen gemacht. Zudem kommen sowohl Teilschuld- als auch Gesamtschuldvermutungen nur dann zur Anwendung, wenn die Vertragsauslegung nichts ergibt. Einem Gericht steht daher die Möglichkeit offen, mittels Auslegung des Vertrags anhand aller Umstände des Einzelfalls zu derjenigen Form der Schuldnermehrheit zu gelangen, die es im Fall für angemessen hält. In Frankreich gilt die Regel des Art. 1202 CC, wonach solidarité nur durch besondere Parteivereinbarung oder gesetzliche Anordnung entsteht, nur im Bereich des bürgerlichen Rechts. Ihre Funktion wird heute (in Übereinstimmung mit ihrem Wortlaut) anders verstanden als die des § 427: Einerseits setzt ihre Anwendung keine gemeinsame Verpflichtung voraus, andererseits grenzt sie die solidarité nicht nur von Teilschulden, sondern auch von anderen Formen der Schuldnermehrheit und von der Einzelschuld ab. Praktisch bedeutet dies, dass 87
Jakobs/Schubert, SR III, 916; Prot. 870 (Mugdan II, 604). So schon die Kritik bei Hruza, SächsArch 5 (1895), 298. 89 Stellvertretend Staud/Noack, § 427 Rz 7; MüKo/P. Bydlinski, § 427 Rz 4; Erman/Ehmann, § 427 Rz 6; a.A. wohl nur Rippich, Anwendungsgebiet (1931), 22. 90 Das häufig in diesem Zusammenhang zitierte Urteil BGH WM 1961, 580 (28.6.1961) betrifft weder einseitige Rechtsgeschäfte (sondern vertragliche Verpflichtungen) noch Gesamtschulden (sondern einen Vertrag mit mehreren Beteiligten). 91 Código Civil Art. 1138; BW Art. 6:6 I; Codice Civile Art. 1294; PECL Art. 10:102 I; DCFR Art. III-4:103 II. In England entsteht bei einem gemeinsamen Versprechen im Zweifel eine joint liability, die eine Gesamtschuldform ist: Chitty/Burrows, Joint Obligations, Rz 17–005; Treitel/Peel, Contract, Rz 13–003; Mitchell, Contribution, Rz 8.09; ausführlich Williams, Joint Obligations, 35 ff. 88
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II. Teilschuldvermutung vs. Gesamtschuldvermutung
die Verurteilung eines Beklagten als Gesamtschuldner i.S.d. Art. 1200 ff. CC in jedem Fall einer besonderen Begründung des Gerichts bedarf. Fehlt es daran, wird das Urteil vom Kassationshof unter Berufung auf Art. 1202 CC aufgehoben, wobei offenbleiben kann, ob der Beklagte statt dessen teilschuldnerisch, als „unechter Gesamtschuldner“ oder gar nicht haften soll92. Ebenso verhält es sich umgekehrt mit der Regel, wonach im Handelsrecht im Zweifel Gesamtschulden vorliegen. Während sie ursprünglich als Vermutung eines entsprechenden Parteiwillens verstanden wurde und damit eine Fallkonstellation voraussetzte, in der ein solcher Parteiwille zumindest in Frage kam, entwickelt sie sich zunehmend zu einer Regel des dispositiven Rechts, die nicht auf gemeinschaftliche vertragliche Verpflichtungen begrenzt ist93: Im Handelsrecht muss eine solidarische Verurteilung grundsätzlich nicht mehr besonders begründet werden94. Die Bedeutung des Art. 1202 CC sowie der umgekehrten Regel im Handelsrecht geht also weit über die Abgrenzung zwischen Gesamt- und Teilschulden hinaus. Für den Fall der gemeinschaftlichen vertraglichen Verpflichtung bedeutet dies, dass Gesamtschulden vermutet werden, sofern ein objektives Handelsgeschäft vorliegt95, auch wenn die Schuldner keine Kaufleute sind96. Außerhalb des Handelsrechts finden sich vereinzelt besondere Gesamtschuldanordnungen97. Für die 92 Beispiele: Cass civ (8.6.1915), DP 1920,1,102 (Miteigentümer 2 ist kein Gesamtschuldner, wenn Miteigentümer 1 Werkleistungen bestellt, die dem gemeinsamen Grundstück zugute kommen); Cass civ (1.6.1938), S 1938, 1, 253 (Tochter haftet nicht für Lieferungen, die von ihren mit ihr zusammenlebenden Eltern bestellt wurden); Cass 1 civ (28.4.1986), Bull civ I No. 108, D 1986 IR 396 (Ehefrau haftet bei Gütergemeinschaft nicht für Schulden aus einem nur vom Ehemann geführten Handelsgeschäft); Cass com (8.3.1988), Bull civ IV No. 102, RTD civ 1988, 77 (Ehefrau haftet nicht aus einem Scheck, den Ehemann auf das gemeinsame Oderkonto zieht); siehe auch Cass 3 civ (8.2.1989), Bull civ III No. 34; Cass 3 civ (20.1.1993), Bull civ III No. 8, D 1993 IR 48, RTD civ 1993, 845 ff. 93 Derrida, RTD com 6 (1953), 329; Hannoun, JCP 1991 II 21748; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1075; Mestre/Tian, Solidarité, § 19. 94 Siehe etwa Cass req (13.1.1926), DH 1926, 67, S 1926, 1, 104 (Schuldner und Zedent der Forderung, der für diese Garantie übernahm); Cass civ (18.7.1929), DH 1929, 556 (Urschuldner und Vertragsübernehmer); Cass civ (7.1.1946), D 1946, 132 (Besteller und mit ihm verbundene Gesellschaft); Cass com (6.5.1963), Bull civ III No. 225 (Käufer und Dritter, der auf ihn gezogenen Wechsel des Verkäufers akzeptiert); Cass com (23.4.1966), Bull civ III No 196 (Vertragsschuldner und Rückgewährschuldner); Cass com (8.6.1993), Bull civ IV No. 228 (Haftung der Mitschuldner auf Schadensersatz bei Vertragsverletzung durch einen von ihnen). 95 Beispielsfälle sind wohl Cass req (20.10.1920), DP 1920,1,161, S 1922,1,201; Cass com (12.7.1967), Bull civ III No. 294; Cass com (21.4.1980), Bull civ IV No. 158; Cass com (28.4.1987), Bull civ IV No 103, D 1987 somm 391; Cass com (16.1.1990), JCP 1991 II 21748, D 1992 somm 177. 96 Mestre/Tian, Solidarité, § 20; Le Tourneau/Julien, Solidarité, § 36. 97 Etwa, wie schon erwähnt, die solidarische Haftung der gemeinsamen Auftraggeber nach Art. 2002 CC. Demnach kann etwa ein Notar, der einen Kaufvertrag beurkundet, sein Honorar von beiden Vertragsparteien als Gesamtschuldner (solidarité) verlangen, so Cass civ (30.1.1889), DP 1889,1,400; Cass civ (23.10.1889), DP 1890,1,390; Cass 1 civ (7.6.1978), Bull civ I No. 221; zur solidarischen Verpflichtung gegenüber einem beauftragten Makler Cass 1 civ (27.4.1971), D 1972 somm 7. Zum Versuch, Art. 2002 für eine Ganzhaftung gegenüber Dritten fruchtbar zu machen, mit denen der gemeinsam Beauftragte im Namen der Auftraggeber kontrahiert, Gautier, RTD civ 1993, 845 ff.
3. Gesamtschuldvermutung vs. Teilschuldvermutung heute
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übrigen Fälle gilt Art. 1202 I, wonach Gesamtschulden nicht vermutet werden98. Die eigentliche Teilschuldvermutung wird nicht aus Art. 1202, sondern aus dem Gewohnheitsrecht abgeleitet99. Da aber die Annahme von Gesamtschulden keine ausdrückliche Parteivereinbarung erfordert und ein Verstoß gegen Art. 1202 nur bei fehlender Begründung der Gesamtschuldanordnung durch die Tatsacheninstanz vorliegen soll100, kann ein Tatsachengericht die Annahme einer Gesamtschuld, solange es diese Annahme begründet, auch aus den Umständen des Falls folgern, und sei es nur, dass die Schuldner eine einheitliche, nicht aufgeteilte, Geldsumme schulden101. Im Übrigen sind Gesamtschuldklauseln in der Vertragspraxis wohl die Regel102. Die mit einer Reform des französischen Obligationenrechts befasste sog. Catala-Kommission hat in ihrem 2005 vorgelegten Entwurf an der Vorschrift des Art. 1202 CC grundsätzlich festgehalten und lediglich ihren Wortlaut unter Berücksichtigung der handelsrechtlichen Gesamtschuldvermutung modifiziert103. Eine von einer Minderheit in der Kommission favorisierte allgemeine Gesamtschuldvermutung erschien der Mehrheit insbesondere im Hinblick auf den Schutz des Verbrauchers vor übermäßigen Belastungen als zu gefährlich104. Art. 143 des Schweizer Obligationenrechts ähnelt Art. 1202 CC, indem er anordnet, dass Solidarität nur durch Parteivereinbarung oder gesetzliche Bestimmung entsteht. Gesamtschulden sieht das Gesetz nicht nur bei mehreren Entlei98 Beispiele: Cass 3 civ (12.5.1975), Bull civ III No. 165 (Miteigentümer bestellen Werkleistungen, die dem gemeinsamen Grundstück zugute kommen); Cass 1 civ (19.2.1991), Bull civ I No. 71 (gemeinsame Darlehensaufnahme). 99 Vgl. Demante/Colmet, Cours V, § 127; Demolombe, Cours XXVI, §§ 105, 110, 226; Colin/ Capitant, Cours II, 177; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1055; Mazeaud/Chabas, Droit civil II/1, § 1052; Carbonnier, Obligations, § 344, S. 565; Bacache, Indivisibilité, § 24; Le Tourneau/Julien, Solidarité, § 24. 100 Cass civ (1.12.1908), DP 1909,1,420; Mestre/Tian, Solidarité, § 16; Le Tourneau/Julien, Solidarité, §§ 27 f. 101 Siehe etwa Cass req (4.8.1896), DP 96,1,456 (S1 verpflichtet sich und S2, an G eine Rente in bestimmter Höhe zu leisten); Cass req (17.6.1913), D 1914, 1, 280 (gemeinschaftliche Schuldübernahme); Cass 1 civ (3.12.1974), Bull civ I No. 322 (G verkauft Gesellschaftsanteile an S1 und S2 je zur Hälfte, aber mit einheitlichem Gesamtpreis); Cass 3 civ (26.1.2005), Bull civ III no. 14 (Besteller beauftragt fünf Werkunternehmer mit dem Bau eines Hauses, ohne Aufgabenbereiche und Werklöhne einzeln festzusetzen); in allen Fällen wurde die Gesamtschuldannahme der Tatsacheninstanz vom Kassationshof nicht beanstandet. Ein anderer Weg zur Gesamthaftung jedes Schuldners führt über die Annahme einer stillschweigend vereinbarten Unteilbarkeit (trotz an sich teilbarer Leistung), womit die Schuldnermehrheitsform der indivisibilité (Art. 1222–1225 CC) vorläge, die ebenfalls eine Ganzhaftung jedes Schuldners vorsieht, Art. 1222. Zu ihr unten, 111 ff. Die Versuche, über die Unteilbarkeit zur Gesamthaftung zu gelangen, sind in der Praxis meist nicht erfolgreich gewesen, siehe Delebecque, Indivisibilité, §§ 90 ff. 102 So Colin/Capitant, Cours II, 177, 180; Planiol/Ripert, Droit civil VII, §§ 1056, 1064; Marty/ Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 93; Mazeaud/Chabas, Droit civil II/1, § 1052; Le Tourneau/Julien, Solidarité, §§ 23, 35. 103 Avant-projet, Art. 1202: „La solidarité ne se présume pas; elle ne peut résulter que de la loi, d’une convention ou des usages du commerce.“ 104 Catala, in: Avant-projet, 67.
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II. Teilschuldvermutung vs. Gesamtschuldvermutung
hern, mehreren Auftraggebern, mehreren Beauftragten und mehreren Verwahrern vor105, sondern auch (im Zweifel) bei rechtsgeschäftlichen Verbindlichkeiten von Gesellschaftern, Art. 544 III OR. Vor allem mit Hilfe dieser Bestimmung wird in der Praxis bei gemeinschaftlichen vertraglichen Verpflichtungen häufig eine gesamtschuldnerische Haftung erreicht, indem aus der Tatsache des gemeinsamen Vertragsschlusses auf eine Gesellschaft der Schuldner geschlossen wird106. Auch ansonsten wird häufig eine konkludente Gesamtschuldabrede aus den Umständen des Falls gefolgert, etwa bei der gemeinsamen Miete oder Darlehensaufnahme107, während Teilschulden eher selten angenommen werden108. In Österreich schließlich spielt die Teilschuldvermutung des § 889 ABGB in der Praxis offenbar kaum eine Rolle. Im Handelsrecht gilt von vornherein eine Gesamtschuldvermutung, die sich bis 1938 auf Art. 280 ADHGB stützte. Als der österreichische Gesetzgeber 1938 das deutsche HGB (das wegen § 427 BGB keine Gesamtschuldvermutung enthält) übernahm, wurde die handelsrechtliche Gesamtschuldvermutung eigens in Art. 8 Nr. 1 der 4. EVHGB109 angeordnet. Während aber das ADHGB noch verlangt hatte, dass es sich für die Schuldner um ein Handelsgeschäft handeln musste110, übernahm Art. 8 Nr. 1 den Wortlaut des § 427 BGB. Die Rechtsprechung kam daher unter Anwendung des § 345 HGB zum Schluss, die Gesamtschuldvermutung gelte auch dann, wenn nur für den Gläubiger ein Handelsgeschäft vorliege111. Demnach waren (wie auch in Frankreich) Verbraucher im Zweifel Gesamtschuldner, wenn sie mit einem Unternehmer kontrahierten. Ob eine solche Differenzierung nach dem Status des Gläubigers sachgerecht ist, lässt sich bezweifeln112. Bei der jüngsten Reform des 105
Art. 308 (Leihe), 403 (Auftrag), 478 (Verwahrung) OR. Bucher, Obligationenrecht AT, 493; Schmid, SJZ 1991, 350, 356; Gauch/Schluep/Schmid/ Rey, Obligationenrecht AT 2, Rz 3853; BGE 15, 282 (25.1.1889). In BGE 116 II 707, 709 ff. (14.11.1990), verkauften die Aktionäre einer Gesellschaft sämtliche Gesellschaftsaktien einem Käufer zum Gesamtkaufpreis. Das Bundesgericht nahm eine duch die Aktionäre zum Zwecke des Verkaufs gebildete Gesellschaft und somit Gesamtschulden der Aktionäre an. 107 Schwenzer, Obligationenrecht AT, Rz 88.15; Bucher, a.a.O.; Gauch/Schluep/Schmid/Rey, a.a.O., Rz 3914 f.; BasK/Schnyder, Art. 143 OR Rz 7. Beispiele: BGE 15, 282 (25.1.1889, gemeinsame Miete); BGE 45 II 63 (6.2.1919, gemeinsames Ausstellen einer Inhaberschuldverschreibung); BGE 47 III 213 (12.12.1921, gemeinsame Ersteigerung); Zivilgericht Basel BJM 1972, 85 (6.3.1972, gemeinsame Darlehensaufnahme); BGE 116 II 707, 712 (14.11.1990, gemeinsamer Verkauf zum Gesamtkaufpreis). 108 Etwa in BGE 49 III 205 (18.10.1923), einem Fall der Sicherung einer Schuld durch zwei mittellose Angehörige, der aus heutiger Sicht in den Grenzbereich der Sittenwidrigkeit fällt, so dass Teilschulden zumindest eher hinnehmbar waren als Gesamtschulden. Vereinzelt wird Art. 143 OR (wie Art. 1202 CC) auch herangezogen, um zu begründen, dass der Beklagte gar nicht schuldet, etwa Obergericht Zürich, ZR 87 (1988) 43 Nr. 17 (2.12.1986). 109 Vierte Verordnung zur Einführung handelsrechtlicher Vorschriften im Lande Österreich v. 24.12.1938, dRGBl 1938 I 1999. 110 Oben Fn. 48. 111 OHG SZ 41/68 (5.6.1968); OGH SZ 44/13 (11.2.1971); OGH MietSlg 31.101 (27.2.1979); OGH SZ 53/14 (30.1.1980); OGH MietSlg 39.065 (27.4.1987); OGH WBl 1989, 221 (7.2.1989). 112 Vgl. Thiery, GesRZ 1989, 219, der deswegen die handelsrechtliche Gesamtschuldvermutung auf alle Nichthandelsgeschäfte ausdehnen will. 106
3. Gesamtschuldvermutung vs. Teilschuldvermutung heute
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österreichischen Handelsrechts ist dieser Missstand beseitigt worden. Nach § 348 des neuen Unternehmensgesetzbuchs gilt die Gesamtschuldvermutung nur noch für schuldende Unternehmer113. Soweit aber mangels handelsrechtlicher Sonderregelung § 889 ABGB gilt, hat die Rechtsprechung die Teilschuldvermutung geradezu in ihr Gegenteil verkehrt114. Berichtet wurde schon, dass eine Gesamtschuldvereinbarung entgegen dem Wortlaut des § 891 ABGB nicht ausdrücklich erfolgen muss115. Stattdessen hat die Rechtsprechung die unbestimmte Formel entwickelt, eine Gesamtschuld liege immer dann vor, wenn sie sich aus der Parteiabsicht, der Verkehrssitte oder der Natur des Geschäfts ergebe116. Insofern sind Urteile, die nach § 889 ABGB von Teilschulden ausgehen, rar117. Gesamtschulden werden in der Regel immer dann angenommen, wenn die den Schuldnern zukommende Gegenleistung unteilbar ist118. So haften nach ständiger Rechtsprechung mehrere Mieter oder Pächter gesamtschuldnerisch für den Miet- oder Pachtzins119. Ebenso schulden mehrere, die durch einen gemeinsamen Vertrag einen Werkunternehmer120, einen Makler121 oder einen Rechtsanwalt122 beauftragen, die Vergütung als Gesamtschuldner. Gesamtschulden nimmt die Rechtsprechung aber auch in zahlreichen
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§ 348 UGB in der Fassung nach dem Handelsrechtsänderungsgesetz, in Kraft ab 1.1.2007. Rummel, Vertragsauslegung, 54 ff. mit zahlreichen Nachweisen bis 1971; Rudolf, Schuldnermehrheiten, 106 ff., 115; Klang/Gschnitzer, ABGB, § 889 Anm. II; Klang/Perner, ABGB, § 891 Rz 3 f.; Rummel/Gamerith, ABGB, § 891 Rz 4. Diese Einschätzung teilt der OGH selbst: OGH MietSlg 17.080 (24.11.1965). Kritik bei Rummel, a.a.O.; Schwimann/Apathy/Riedler, ABGB, § 891 Rz 2 f.; Rummel/Grillberger, ABGB, §§ 1202–1203, Rz 6; Rudolf, a.a.O., 113 ff. 115 Oben, 11. 116 Etwa OGH SZ 27/299 (24.11.1954); OGH MietSlg 16.051 (24.9.1964); OGH MietSlg 17.080 (24.11.1965); OGH SZ 43/61 (4.3.1970); OGH MietSlg 29.099 (26.1.1977); OGH MietSlg 31.101 (27.2.1979); OGH MietSlg 50.081 (24.11.1998); s.a. OGH SZ 30/82 (4.12.1957). 117 OGH GlUNF 7091 (28.10.1914, Zahlungsversprechen der Mitgesellschafter an einen ausscheidenden Gesellschafter); OGH EvBl 1961/222 (1.3.1961, vertraglicher Verwendungsersatzanspruch des Mieters gegen Vermietermehrheit). In beiden Fällen ging es nicht um synallagmatische Pflichten. In OGH, SZ 48/36 (3.4.1975), ergab sich die Teilschuldabrede aus einer Vertragsauslegung (die Schuldner hatten nur für die Transaktionskosten eine gesamtschuldnerische Haftung übernommen). 118 Hiergegen aber LG Wien, MietSlg 9.359 (20.11.1962). 119 OGH GlUNF 5487 (24.5.1911); OGH GlUNF 6246 (14.1.1913); OGH SZ 30/17 (13.3.1957); OGH MietSlg 7834 (22.6.1960); OGH MietSlg 19.063 (6.9.1967); OGH SZ 41/68 (5.6.1968); OGH SZ 57/120 (27.6.1984). Vgl. Kocévar, ÖJZ 1956, 287, der allerdings zwischen Gesamtschuld und gemeinschaftlicher Schuld schwankt. Wie man sich bei einer Zahlungspflicht eine solche Schuld, die von den Schuldnern gemeinschaftlich erfüllt werden muss, vorstellen soll, ist allerdings unklar; vgl. unten, 128 ff. 120 OGH SZ 8/138 (29.4.1926); OGH ZBl 1931/195 (24.3.1931); OGH ZBl 1936/55 (27.8.1935); OGH SZ 27/299 (24.11.1954); OGH JBl 1969, 556, 557 (28.11.1968); OGH MietSlg 39.065 (27.4.1987, Leitsatz in WBl 1987, 316); OGH MietSlg 50.081 (24.11.1998); kritisch allerdings OGH SZ 53/14 (30.1.1980). 121 OGH MietSlg 15.027 (2.10.1963); OGH JBl 1967, 148 (23.2.1966); OGH ecolex 1992, 476 (1.4.1992); s.a. OGH WBl 1989, 221 (7.2.1989). 122 OGH ZBl 1932/41 (13.11.1931); OGH RZ 1958, 43 (15.1.1958); OGH NZ 1971, 127 (17.12.1969). 114
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II. Teilschuldvermutung vs. Gesamtschuldvermutung
anderen Fällen123 an, etwa bei einer gemeinsamen Darlehensaufnahme, zumindest dann, wenn der Kreditbetrag für einen gemeinsamen Zweck verwendet wird124. Wenn in der Praxis also offenbar in der Mehrheit der Fälle das Bedürfnis für eine gesamtschuldnerische Haftung besteht125, dann fragt es sich, ob § 889 ABGB nicht reformbedürftig ist. Doch bei der jüngsten Reform des Handelsrechts hat der österreichische Gesetzgeber die Gelegenheit, die Gesamtschuldvermutung der 4. EVHGB ins ABGB statt ins Unternehmensgesetzbuch zu übernehmen, nicht wahrgenommen. Insgesamt gibt es also unter Geltung einer Teilschuldvermutung eine starke Tendenz, in bestimmten Fallgruppen dennoch von einer gesamtschuldnerischen Haftung auszugehen. Dies gilt in erster Linie, wenn die Gegenleistung den Schuldnern ungeteilt zugutekommt, etwa bei der gemeinsamen Miete oder der gemeinsamen Beauftragung eines Dritten mit einer Werkleistung oder Geschäftsbesorgung. Auch bei der gemeinsamen Darlehensaufnahme werden häufig Gesamtschulden angenommen, vermutlich deshalb, weil die Darlehensgewährung ein typisches Kreditgeschäft ist, bei dem Sicherheiten eine große Rolle spielen. Dass Gesamtschulden bestehen, wenn sich neben dem Schuldner ein zweiter Schuldner zur Sicherheit mitverpflichtet, ist ohnehin selbstverständlich126. Manchmal wird die solidarische Haftung aber auch nur aus der einheitlichen Geldsumme, zu deren Zahlung die Schuldner sich verpflichten, geschlossen. Besteht umgekehrt eine Gesamtschuldvermutung wie im deutschen Recht, gibt es ebenfalls Fallgruppen, in denen trotz gemeinsamen Vertragsschlusses regelmäßig nur Teilverpflichtungen der Schuldner angenommen werden. Konstruktiv lässt sich dies entweder durch eine Vertragsauslegung erreichen, wonach Teilschulden vereinbart wurden, oder durch die Annahme, trotz des einheitlichen Verpflichtungsakts lägen in Wahrheit mehrere unabhängige Verträge vor127. 123 Etwa OGH ZBl 1933/146 (19.1.1933, zwei Schuldner verkaufen ihre [jeweils eigenen] Grundstücke einem Käufer zum Gesamtpreis; wegen einheitlichen Kaufvertrags solidarische Verpflichtung); OGH SZ 54/148 (20.10.1981, gemeinsames Einkaufen auf Kredit); OGH MietSlg 34.128 (1.9.1982, Ablöseverpflichtung durch Mietermehrheit an Vormieter). 124 OGH EvBl 1958/344 (3.9.1958); OGH EvBl 1967/86 (30.8.1966); OGH SZ 174/60 (6.11.1973); OGH RZ 1985/44 (8.9.1983); OGH WBl 1988, 164 (16.2.1988). 125 So auch Klang/Perner, ABGB, § 891 Rz 4. Gamerith will die Gesamtschuldvermutung nicht schon bei gemeinsamer Auftragserteilung annehmen, sondern verlangt eine erkennbare „Gemeinschaft“ der Schuldner (Miteigentum, Mitmiete, Ehe etc.), der die Gegenleistung gemeinsam zugute kommt, Rummel/Gamerith, ABGB, § 891 Rz 4; ihm folgt Klang/Perner, § 891 ABGB Rz 4 f. Diese Formel deckt den Großteil der entschiedenen Fälle, passt aber auch nicht recht zu einer allgemeinen Teilschuldvermutung. 126 Siehe etwa Appellationsgericht Basel, SJZ 21 (1924/25) S. 7 Nr. 8 (13.11.1923); OGH ZBl 1931/195 (24.3.1931); BGE 81 II 520 (18.10.1955); vgl. schon OLG Braunschweig, SeuffA 41 Nr. 270 (19.6.1883). 127 Manchmal wird die Bestimmung des § 427 auch schlicht ignoriert, etwa in OLG Köln, VersR 1999, 1507 (23.10.1998). Der Beklagte hatte dem Kläger zugesagt, ein Defizit aus einer bestimmten Veranstaltung zusammen mit zwei anderen zu übernehmen. Nach Ansicht des OLG haftete der Beklagte nur als Teilschuldner zu einem Drittel, da der Kläger eine Gesamtschuld nicht bewiesen habe. Dies entspreche der Regel des § 420. Das Ergebnis mag im konkreten Fall gerechtfertigt sein; die Begründung aber ist unrichtig.
3. Gesamtschuldvermutung vs. Teilschuldvermutung heute
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Der Unterschied in den Rechtsfolgen besteht darin, dass nur bei Teilschulden im Rahmen eines einheitlichen Vertrags Regeln wie § 320 I 2 oder § 356 BGB gelten. Ebenso wie aus einer den Schuldnern ungeteilt zugutekommenden Gegenleistung häufig Gesamtschulden gefolgert werden, wird umgekehrt die offenkundige Aufteilung der Gegenleistung auf die einzelnen Schuldner als Indiz für eine Teilschuldvereinbarung (oder für getrennte Verpflichtungen) angesehen128. Ein Beispiel bildet der Fall eines Grundstückskaufvertrags mit zwei Käufern S1 und S2, der unter Festlegung eines einheitlichen Gesamtkaufpreises vorsah, dass der Verkäufer an S1 einen Anteil von 1/5, an S2 einen Anteil von 4/5 „verkauft und zum Eigentum überträgt“. Das OLG Köln129 ging hier im Ergebnis vertretbar130 davon aus, dass jeder Käufer nur einen Anteil des Kaufpreises schuldete. Seine Begründung, der Tatbestand des § 427 liege mangels gemeinschaftlicher Verpflichtung nicht vor, da jeder Käufer sich nur zur Zahlung eines Anteils verpflichtet hatte, war allerdings bedenklich: Gegen die Annahme zweier völlig getrennter Verträge, die in derselben Urkunde dokumentiert wurden, sprach der einheitliche Kaufpreis131. Das Ergebnis ließ sich ungezwungen mit einer konkludenten Teilschuldabrede begründen, welche die Gesamtschuldvermutung trotz gemeinschaftlicher Verpflichtung ausschloss. Die Frage, welche Leistung der Gläubiger von welchem Schuldner verlangen kann, hat insbesondere in solchen Fällen Probleme aufgeworfen, in denen jemand für eine Mehrheit von Personen eine Anzahl von Leistungsgegenständen bestellt, die den Empfängern erkennbar einzeln zugeordnet werden können, insbesondere, wenn nicht eindeutig ist, ob der Handelnde in eigenem oder in fremdem Namen auftritt. Bekannte Fälle aus der Rechtsprechung sind die Buchung einer Fernreise durch einen Einzelnen für sich und weitere acht Personen132, die Bestellung von Fahrausweisen bei der Bahn durch einen Lehrer für sich und 30 Schüler133, die Bestellung von Taschenrechnern durch einen Studentenvertreter auf Rechnung, der die Taschenrechner an die einzelnen Studenten weiterreichen will134, und die Bestellung von Heizöl durch einen Hauseigentümer für sich und zwei Nachbarn mit getrennten Liefermengen135. Die Besonderheit dieser Fälle liegt darin, dass neben getrennten Verträgen, Teilschulden und Gesamtschulden auch die vierte Möglichkeit in Betracht kommt, dass der Handelnde in eigenem Namen auftritt.
128 Vgl. Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 162 II; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 315 II 1 a; Leonhard, SR AT, 717, nach denen die Tatsache, dass die verkaufte Ware verteilt an mehrere Erwerber geliefert werden soll, Indiz einer Teilschuldvereinbarung ist. 129 OLG Köln OLGZ 1979, 487 (3.9.1979). 130 Hinzu kam, dass S2 eine GmbH war, die S1 gegründet hatte, offenbar auch zu dem Zweck, einer persönlichen Ganzhaftung zu entgehen. 131 A.A. MüKo/P. Bydlinski, § 427 Rz 2. 132 BGH WM 1978, 899 (6.4.1978). 133 LG Wiesbaden, NJW 1985, 1905 (17.1.1985); OLG Frankfurt, NJW 1986, 1941 (23.1.1986). 134 OLG Frankfurt, NJW-RR 1991, 283 (2.2.1990). 135 LG Konstanz, NJW 1987, 2521 (28.11.1986); LG Augsburg, NJW-RR 2004, 852 (16.3.2004).
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II. Teilschuldvermutung vs. Gesamtschuldvermutung
Die Fragen, ob in eigenem oder in fremdem Namen gehandelt wurde (wofür es keine Vermutung gibt), und, falls es sich um Vertretung handelt, welche Schuldnermehrheit vorliegt (mit der Vermutung des § 427), können hier nicht getrennt voneinander beantwortet werden, weil schon bei der Auslegung, ob ein Handeln in fremdem Namen vorlag, berücksichtigt werden muss, in welcher Höhe der Handelnde die Vertretenen gegebenenfalls verpflichtet haben soll. Sachlich sind Teilschulden oder unabhängige Einzelschulden ungünstig für den Gläubiger, wenn er sich an eine Vielzahl ihm nicht bekannter Schuldner halten muss. Die Annahme von Gesamtschulden verschafft dem Gläubiger dagegen eine Vervielfachung von Sicherheiten. In der Mitte steht die Alleinhaftung des Handelnden, die dem Gläubiger die mehrfache Rechtsverfolgung erspart, zugleich aber eine mögliche Übersicherung vermeidet. Eine Gesamtschuld der Leistungsempfänger wird in all diesen Fällen zu Recht abgelehnt136: Unabhängig davon, ob der Handelnde überhaupt eine entsprechende Vollmacht besaß, kann nicht angenommen werden, dass die Reiseteilnehmer, Schüler, Studenten und Nachbarn das Risiko der Zahlungsunfähigkeit sämtlicher Kollegen übernehmen wollten; es handelt sich nicht um Personengruppen, die aus ihrer gesamtschuldnerischen Haftung Kredit schöpfen. So ist schwer einsehbar, warum der Gläubiger nur wegen der Tatsache der Sammelbestellung eine größere Sicherheit haben soll als in gewöhnlichen Fällen, in denen er für jede Einzelleistung einen Schuldner hat. Sofern er davor geschützt werden muss, gegen die ihm unbekannten Empfänger einzeln vorgehen zu müssen, kann dies auch durch die Annahme einer Alleinhaftung des Handelnden erreicht werden. Die tatsächliche Alternative ist die zwischen Teilschulden (oder unabhängigen Verpflichtungen) der Empfänger und Alleinhaftung des Handelnden. Im Ergebnis findet hier wohl ein Abwägungsprozess statt, bei dem neben der Höhe der Gesamtkosten und der Anzahl der Schuldner vor allem der Umstand bedeutend ist, ob und an wen der Gläubiger vorleisten muss. Kann er sich durch ein Zurückbehaltungsrecht absichern (wie in den Reisefällen), neigt die Rechtsprechung zumindest bei hohen Gesamtbeiträgen eher zu Einzelverpflichtungen der Empfän-
136
K. Schmidt, JuS 1988, 444; Staud/Noack, § 420 Rz 46, § 427 Rz 70; Soergel/Wolf, § 427 Rz 4; Erman/Ehmann, § 427 Rz 6; MüKo/P. Bydlinski, § 427 Rz 6; jurisPK/Rüßmann, § 427 Rz 12; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 43, 56; a.A. aber Staud/Kaduk, § 427 Rz 7 a. Für Gesamtschulden im Klassenfahrtfall LG Wiesbaden als Vorinstanz (NJW 1985, 1905); Wernecke, Gesamtschuld, 129; Palandt/Grüneberg, § 427 Rz 2; richtig demgegenüber OLG Frankfurt, NJW 1986, 1941, 1942; Jauernig/Stürner, § 420 Rz 3. Die Begründung des Gerichts, es liege keine gemeinschaftliche Verpflichtung i.S.d. § 427 vor, ist allerdings genauso zirkulär wie im oben genannten Urteil des OLG Köln und hier angesichts des Pauschalarrangements besonders fragwürdig, ebenso Staud/Noack, § 427 Rz 70. Fast allgemein abgelehnt wird auch das Urteil des LG Konstanz im Heizölfall (NJW 1987, 2521), sowohl im Ergebnis (Gesamtschuld trotz getrennter Rechnungen), als auch in der Begründung (BGB-Gesellschaft; tatsächlich handelt es sich, wenn überhaupt, nur um eine Innengesellschaft, deren Vorliegen über die Art der Schuldnermehrheit nichts aussagt); richtig in einem anderen Heizölfall LG Augsburg, NJW-RR 2004, 852; Erman/Ehmann, § 420 Rz 8, § 427 Rz 5; a.A. nur Palandt/Grüneberg, § 427 Rz 2.
3. Gesamtschuldvermutung vs. Teilschuldvermutung heute
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ger137. Im Taschenrechnerfall musste der Gläubiger dagegen an den Handelnden vorleisten, der sich wiederum durch Weitergabe der Rechner nur gegen Zahlung absichern konnte, so dass trotz der hohen Gesamtsumme eine Verpflichtung in eigenem Namen angenommen wurde138. Im Heizölfall schließlich musste der Gläubiger zwar ebenfalls vorleisten, allerdings nur an drei ihm bekannte Parteien, was, zusammen mit der Bestellung auf getrennte Rechnungen, die Annahme einer konkludenten Teilschuldvereinbarung rechtfertigt139. Handelt ein für eine größere Personenzahl Auftretender unzweifelhaft in fremdem Namen, dann bleiben nur die Möglichkeiten, entweder Teilschulden bzw. getrennte Verpflichtungen der Vertretenen anzunehmen, mit der Folge, dass der Gläubiger sich an eine Vielzahl ihm unbekannter Personen halten muss, oder Gesamtschulden zu bejahen, mit der Folge, dass der einzelne Vertretene für eine Gesamtsumme haftet, die weit über sein Interesse am Vertrag hinausgehen kann. Je größer die Personenanzahl und je höher die vertragliche Verpflichtung ist, umso weniger ist die Rechtsprechung geneigt, von einer gesamtschuldnerischen Haftung jeder Einzelperson auszugehen. Das bekannteste Beispiel sind Verträge einer Bauherrengemeinschaft bei der Errichtung von Eigentumswohnungen. Die Miteigentümer des Grundstücks, die zugleich zukünftige Wohnungseigentümer sind (vgl. §§ 3, 8 WEG), bedienen sich zur Errichtung des Gebäudes eines Baubetreuers, der die Werkverträge für die Gemeinschaft mit den einzelnen Unternehmern schließt. Da die einzelnen Miteigentümer aus steuerlichen Gründen selbst Bauherren sein müssen, geht die Rechtsprechung regelmäßig davon aus, dass die vom Baubetreuer „im Namen der Gemeinschaft XY“ eingegangenen Verträge im Namen der einzelnen Miteigentümer geschlossen werden, und zwar innerhalb der dem Baubetreuer erteilten Vollmacht, so dass nicht er, sondern die zukünftigen Wohnungseigentümer Schuldner der Werklohnforderungen sind. Der BGH hat in einem Grundsatzurteil 1959140 entschieden, dass mit einem solchen Werkvertrag entgegen der Vermutung des § 427 BGB Teilschulden vereinbart wurden. Ausschlaggebend waren nicht die konkrete Vertragsgestaltung oder besondere Umstände des Einzelfalls, sondern Erwägungen allgemeiner Art: Das Wagnis, für den Gesamtpreis der Baukosten zu haften und damit das Insolvenzrisiko der übrigen Wohnungseigentümer zu übernehmen, gehe über das dem einzelnen Wohnungseigentümer wirtschaftlich und sozial Zumutbare hinaus. Der Unternehmer, dem bekannt war, dass Eigentumswohnungen errichtet wer137 So der BGH im Fernreisefall, WM 1978, 899. Im Klassenfahrtfall sprach gegen diese Auslegung allerdings der Umstand, dass die Schüler der Bahn nicht einmal namentlich bekannt waren. Die Entscheidung des OLG Frankfurt (NJW 1986, 1941), dennoch Einzelverpflichtungen der Schüler anzunehmen, erklärt sich wohl aus dem Umstand, dass die Bahn von ihrem Zurückbehaltungsrecht keinen Gebrauch gemacht hatte, die Reise somit ohne vorherige Bezahlung stattfand und der Lehrer nun Gefahr lief, für den Gesamtpreis haften zu müssen, obwohl er die Reise nicht in kommerziellem Interesse organisiert hatte. 138 OLG Frankfurt, NJW-RR 1991, 283. 139 Ebenso K. Schmidt, JuS 1988, 446; LG Augsburg, NJW-RR 2004, 852. 140 BGH NJW 1959, 2160 (29.9.1959); ebenso schon zuvor OLG Frankfurt, MDR 1956, 229 (6.9.1955).
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II. Teilschuldvermutung vs. Gesamtschuldvermutung
den sollten, könne vernünftigerweise nicht glauben, dass der einzelne Bauherr sich gesamtschuldnerisch habe verpflichten wollen. Die offen sozialpolitische Begründung mit dem Zweck des Wohnungseigentumsgesetzes, „auch Minderbemittelten die Möglichkeit zum Erwerb einer Art Kleineigentum an einer Wohnung zu verschaffen“141, wurde in der späteren Rechtsprechung fallengelassen, die nicht mehr auf die Leistungsfähigkeit der Schuldner oder die Art und Ausstattung der baulichen Anlage abstellte, sondern stattdessen ein Gerüst dispositiver Regelungen entwickelte: Die Regel der anteiligen Haftung gilt stets, wenn bei Werkverträgen über die Errichtung von Gebäuden die einzelnen Schuldner dingliche Rechte an abgrenzbaren Gebäudeteilen haben (also Sondereigentum und nicht nur Miteigentum), ob es sich nun um einen Gebäudekomplex aus drei Wohnanlagen oder um ein großes Wohn- und Geschäftszentrum mit Eigentumswohnungen und Gewerbeeinheiten mit über 70 Schuldnern handelt. Im Zweifel soll sich die Höhe der Einzelschulden nach der (aus dem Grundbuch sichtbaren) Größe der Miteigentumsanteile richten142. Nach denselben Grundsätzen nahm der BGH eine konkludente Teilschuldvereinbarung an bei einem Baukostendarlehen des Arbeitgebers an eine Siedlungsgemeinschaft aus 27 Betriebsangehörigen, die je ein Eigenheim errichten wollten143. Haben die Bauherren dagegen keine einzelnen dinglichen Interessen an abgrenzbaren Einheiten des Gebäudes, haften sie unabhängig von der Größe des geschuldeten Betrags als Gesamtschuldner144. Gesamtschulden sollten nach der Rechtsprechung auch bis vor kurzem vorliegen, wenn es sich nicht um Aufbauschulden, sondern um sog. Verwaltungsschulden handelt, also um Verbindlichkeiten, die im Namen der Wohnungseigentümer bei der Verwaltung einer bereits bestehenden Anlage eingegangen werden145. Wurde also ein Fahrstuhl eingebaut, bestanden Teilschulden; wurde er repariert, Gesamtschulden. Offen argumentierte der BGH, dass bei der in der Regel geringeren Höhe der Verwaltungsschulden die gesamtschuldnerische Haftung eher zumutbar sei und bei ausnahmsweise größeren Aufträgen der einzelne Wohnungseigentümer durch das Erfordernis einer besonderen Vollmacht für den Verwalter geschützt werde146. 141
BGH NJW 1959, 2162; ebenso schon OLG Frankfurt, MDR 1956, 229. BGHZ 67, 334 (18.11.1976); BGHZ 75, 26 (18.6.1979); BGHZ 76, 86 (17.1.1980); BGH WM 1989, 377, 378 (8.12.1988); OLG Hamm, DB 1973, 1891 (10.7.1973); kritisch Selb, Mehrheiten, 23 f. Diese Grundsätze sollen selbst dann gelten, wenn die Bauherren eine BGB-Außengesellschaft bilden, hierzu unten, 86. 143 BGH, WM 1961, 884 (15.5.1961); kritisch Tiefenbacher, BB 1961, 801; Nicknig, Haftung, 11 f. Nach LG Kiel, NJW 1982, 390 (26.3.1981), gilt die teilschuldnerische Haftung der Bauherren auch gegenüber dem Architekten. 144 BGH WM 1989, 377 (8.12.1988). 145 BGHZ 67, 232, 235 (21.10.1976); BGH NJW 1977, 1686 (12.5.1977); BGH NJW 1977, 1964 (29.6.1977); BGHZ 75, 26, 30 (18.6.1979); KG, NJW-RR 1992, 84 (1.7.1991); OLG Köln, ZMR 2005, 573 (4.3.2005). 146 BGHZ 67, 232; vgl. auch BGHZ 75, 26, 30; BGH NJW 1959, 2160, 2162. Kritisch Erman/ Ehmann (11. Aufl. 2004), § 420 Rz 11. 142
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Für die Haftung von (zukünftigen) Wohnungseigentümern aus Verträgen, die in ihrem Namen geschlossen werden, hat die Rechtsprechung also eigene Regeln entwickelt, welche die Vermutung des § 427 teilweise beiseite schieben. Ein ähnliches Sonderrecht für Wohnungseigentümer haben die österreichischen Gerichte entwickelt. Dies war trotz der Teilschuldvermutung des § 889 ABGB deshalb erforderlich, weil zum einen nach ständiger Rechtsprechung die gemeinsame Beauftragung eines Werkunternehmers Gesamtschulden begründet, zum anderen der Werkunternehmer in der Regel Kaufmann ist und die handelsrechtliche Gesamtschuldvermutung (bis 2007) auch dann galt, wenn die Schuldner Verbraucher waren. Nach ständiger Rechtsprechung soll von beiden Regeln eine Ausnahme gemacht werden, wenn die Schuldner zukünftige oder bestehende Wohnungseigentümer sind147. Anders als die deutsche Judikatur entschied sich die österreichische auch dann für eine teilschuldnerische Haftung, wenn es um Verwaltungsschulden ging, etwa bei Reparaturaufträgen, der Bestellung von Heizöl oder sogar der Beauftragung eines Maklers148. Die Betriebskosten, so der OGH, könnten im Einzelfall zwar gering sein, wegen ihrer Häufigkeit aber insgesamt eine beträchtliche Höhe erreichen, die eine Gesamthaftung für den einzelnen Wohnungseigentümer als unzumutbar erscheinen lasse149. Seit 1993 ist die österreichische Wohnungseigentümergemeinschaft kraft Gesetz rechtsfähig. Im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung ordnete der Gesetzgeber eine teilschuldnerische Haftung der Wohnungseigentümer neben der Gemeinschaft an150. Ebenso haften in Frankreich Wohnungseigentümer im Rahmen von Aufbauschulden151 und Verwaltungsschulden152 teilschuldnerisch. Auch in Deutschland ist die Gesamtschuldlösung der Rechtsprechung bei Verwaltungsschulden kritisiert worden. Angesichts dessen, dass große Wohnanlagen manchmal Hunderte von Wohneinheiten umfassen, kann sie sich insbesondere im Falle umfangreicher Sanierungsarbeiten für den einzelnen Wohnungseigentü147
OGH MietSlg 9.358 (28.3.1962); OGH SZ 38/160 (12.10.1965); OGH MietSlg 31.101 (27.2.1979); OGH SZ 55/138 (5.10.1982); OGH MietSlg 39.065 (27.4.1987, Leitsatz in WBl 1987, 316); anders aber OGH MietSlg 24.492 (11.1.1972). 148 OGH SZ 44/13 (11.2.1971, Teilschulden bei Heizölbestellung durch den Verwalter, obiter, weil Verwalter in eigenem Namen handelte); OGH SZ 53/14 (30.1.1980, Reparaturauftrag); OGH SZ 55/138 (5.10.1982); OGH MietSlg 36.627 (29.5.1984, Wartungsauftrag); OLG Wien MietSlg 36.628 (18.7.1984, Reparaturauftrag); OGH ecolex 1992, 476 (1.4.1992, Maklerbeauftragung). Anders noch OGH SZ 18/217 (15.12.1936, Gesamtschuld bei Bestellung von Kohlen durch den Verwalter). 149 OGH SZ 53/14 und 55/138. 150 WEG 1975 in der Fassung von 1993, § 13 c Abs. 1–2; heute WEG 2002, § 18 Abs. 1 und 3. Hierzu unten, 96 f. 151 Siehe Cass 1 civ (21.11.1955), GazPal 1956,1,52, wonach (mit ähnlicher Begründung wie in Deutschland und Österreich) der einzelne Wohnungseigentümer bei Aufbauschulden nur anteilig haftet und daher auch das Werkunternehmer-Pfandrecht sich nur auf den Anteil bezieht. 152 Schuldnerin ist seit dem Wohnungseigentumsgesetz von 1965 eigentlich die Gemeinschaft selbst; die Rechtsprechung lässt aber auch eine anteilige Inanspruchnahme der Eigentümer zu, Cass 3 civ (10.5.1968), Bull civ III Nr. 202, und (30.10.1984), Bull civ III Nr. 180. Näheres unten, 96.
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II. Teilschuldvermutung vs. Gesamtschuldvermutung
mer existenzbedrohend auswirken153. Auf der anderen Seite ist es für den Werkunternehmer nur schwer zumutbar, seine Forderung aufzuteilen und bei unzähligen Wohnungseigentümern einzeln einzutreiben, wobei die Rechtsverfolgungskosten in keinem Verhältnis zur Werklohnforderung stehen müssen. Eine allen Parteien gerecht werdende Lösung gibt es offenbar nicht. Die Diskussion entbrannte erneut 2005, als der Fünfte Senat des BGH die Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft bejahte und zugleich eine persönliche Außenhaftung der einzelnen Wohnungseigentümer ganz ablehnte154. Demgegenüber war die Literatur nahezu einhellig der Auffassung, dass unabhängig von einer Rechtsfähigkeit und damit von einer Schuld der Wohnungseigentümergemeinschaft selbst auf eine persönliche Haftung der einzelnen Eigentümer nicht verzichtet werden könne. In diesem Zusammenhang sprachen sich einige Autoren für eine teilschuldnerische Haftung auch für Verwaltungsschulden und damit für eine Abkehr von der älteren Rechtsprechung aus155. Dem folgte der Gesetzgeber bei der Reform des WEG156. Schuldnerin der im Namen der Wohnungseigentümergemeinschaft eingegangenen Verpflichtungen ist zwar zunächst einmal diese selbst; daneben haften nun aber auch die einzelnen Eigentümer als Teilschuldner im Verhältnis ihrer Eigentumsanteile157. Für diese Haftungsbegrenzung entgegen der Grundregel des § 427 kann ins Feld geführt werden, dass der Verwalter schon mit Stimmenmehrheit berechtigt werden kann, Verträge im Namen der Gemeinschaft zu schließen, die dann auch die Minderheit persönlich binden158. Überblickt man die dargestellten Teilschuld- und Gesamtschuldvermutungen mit ihren jeweiligen Tatbeständen und Ausnahmen, dann ist eine Gesamtschuldvermutung vorzuziehen159. Beide Vermutungen müssen Ausnahmen bzw. eine flexible Vertragsauslegung zulassen. Eine gewisse Einigkeit besteht darin, dass eher Teilschulden anzunehmen sind, wenn die Gegenleistung den Schuldnern aufgeteilt zugutekommt und/oder die Anzahl der Schuldner besonders hoch ist, dagegen eher von Gesamtschulden auszugehen ist, wenn die Gegenleistung nicht
153 Hartmann, Wohnungseigentümergemeinschaft, 14 f.; Rau, ZMR 2004, 785; Elzer, ZMR 2005, 574 f. (mit Beispielen von Zahlungsklagen bis zu 280 000 DM). Aus diesem Grunde versagte das OLG Köln, NZM 2002, 625 (6.3.2002), dem BGH die Gefolgschaft und nahm eine teilschuldnerische Haftung bei einer mehrjährigen Sanierungsmaßnahme an, die eine Anlage mit mehr als 200 Wohneinheiten betraf. 154 BGHZ 163, 154 (2.6.2005). Näheres unten, 93 ff. 155 So Häublein, ZMR 2005, 557; ders., ZIP 2005, 1723 f.; Renner, Wohnungseigentümergemeinschaft (2005), 121 ff; Jacobs, JZ 2007, 952; wohl auch Hügel, DNotZ 2005, 767. Für Gesamtschulden dagegen Drasdo, NZM 2006, 213, 218; Bauer, JR 2006, 245 f. Für eine Ausweitung der richterrechtlichen Teilschuldvermutung bei Aufbauschulden auf Verwaltungsschulden aus außergewöhnlichen Geschäften, etwa umfassenden Sanierungsarbeiten, Armbrüster, ZWE 2005, 379, 381. 156 BT-Drs. 16/887 v. 9.3.2006, Anlage 3, S. 65. 157 WEG nach der Reform vom 16.3.2007, § 10, Abs. 6 und 8. Kritisch Abramenko, ZMR 2006, 497 f. 158 § 27 III Nr. 7 WEG. Vgl. aber unten, 95 ff. 159 Anders Busch, Plurality, 17, 19 f.
Zusammenfassung
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geteilt wird oder die Mehrheit der Schuldner den Gläubiger gerade sichern soll. Die Anzahl der Ausnahmen erscheint aber bei einer allgemeinen Teilschuldvermutung größer. Bestehen neben einer solchen Teilschuldvermutung besondere Gesamtschuldanordnungen für bestimmte Vertragstypen, kommt die Schwierigkeit hinzu, diese unterschiedlichen Regeln je nach Vertragsart überzeugend zu erklären160. Besonderen Druck auf die Teilschuldvermutung übt der Umstand aus, dass bei Verträgen im Namen einer Außengesellschaft die ungeteilte Haftung der einzelnen Gesellschafter heute wohl allgemein anerkannt ist (wie immer man sie auch konstruieren mag)161. Das Schicksal der Teilschuldvermutung hängt dann davon ab, wie sehr man bereit ist, bei Verträgen seitens einer Personenmehrheit das Bestehen einer Außengesellschaft anzuerkennen; im Extremfall bleibt für die Teilschuldvermutung nichts mehr übrig. Will man aber zwischen Außengesellschaften und sonstigen vertragschließenden Personenmehrheiten differenzieren, so hängt bei einer allgemeinen Teilschuldvermutung der Umfang der Verpflichtung von der Existenz einer Außengesellschaft ab, so dass die Gefahr besteht, bei im Ergebnis gewünschter solidarischer Haftung stets eine Außengesellschaft annehmen zu müssen. Schließlich übt auch die allgemein anerkannte handelsrechtliche Gesamtschuldvermutung Druck auf eine bürgerlich-rechtliche Teilschuldvermutung aus. Sofern sie – wie in Frankreich und bis vor kurzem in Österreich – schon dann gilt, wenn nur auf Seiten des Gläubigers ein Handelsgeschäft vorliegt, lässt sich diese Differenzierung in der Haftung des Verbrauchers, je nachdem, ob er mit einem Kaufmann/Unternehmer kontrahiert oder nicht, sachlich kaum rechtfertigen. Aber auch unabhängig davon ist es zweifelhaft, ob die Höhe der eingegangenen Verpflichtung von der nicht immer leicht zu beantwortenden Frage abhängen sollte, ob ein handels- bzw. unternehmensbezogenes Geschäft vorliegt. Es waren gerade diese Gesichtspunkte, die den Gesetzgeber des BGB zur Einführung des § 427 bewogen hatten.
Zusammenfassung Für den Fall, dass aus dem Vertrag nicht hervorgeht, ob die dem Gläubiger insgesamt geschuldete Leistung von den Schuldnern anteilig oder solidarisch geschuldet wird, sah das Gemeine Recht eine Teilschuldvermutung vor, der sich unter anderem das französische, österreichische und schweizerische Recht anschlossen. Das BGB entschied sich dagegen im Anschluss an das preußische und das Handelsrecht für eine Gesamtschuldvermutung. Weil es sich bei dieser um eine Auslegung des übereinstimmenden Parteiwillens handelt, kann sie zur Lösung von 160 Kritisch zur Schweizer Regelung daher von Büren, Obligationenrecht AT, 93; Bucher, Obligationenrecht AT, 493. 161 Hierzu unten, 83 ff.
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II. Teilschuldvermutung vs. Gesamtschuldvermutung
Fällen nichts beitragen, in denen gesetzliche oder unabhängige vertragliche Verbindlichkeiten konkurrieren. In der Praxis wirkt sich der Unterschied zwischen beiden Vermutungen kaum aus. Die Teilschuldvermutung kennt zahlreiche Ausnahmen, etwa im Handelsrecht oder bei bestimmten Vertragstypen. Da sowohl eine Teilschuld- als auch eine Gesamtschuldvermutung nur dann zum Einsatz kommen, wenn die Art der Schuldnermehrheit aus dem Vertrag nicht hervorgeht, besteht stets die Möglichkeit, die im Einzelfall für sinnvoll gehaltene Lösung mittels Auslegung des Vertrags zu gewinnen. Auch Rechtsordnungen mit Teilschuldvermutung neigen zur Annahme einer Gesamtschuld, wenn die Mehrheit der Schuldner der Sicherung des Gläubigers dienen oder die Gegenleistung den Schuldnern ungeteilt zugutekommen soll. Umgekehrt werden auch in Rechtsordnungen mit Gesamtschuldvermutung Teilschulden angenommen, wenn die Anzahl der Schuldner hoch und der Umfang der Leistungsverpflichtungen groß ist, etwa bei Werkverträgen im Auftrag zukünftiger oder bestehender Wohnungseigentümer. Da die Teilschuldvermutung weitaus mehr Ausnahmen kennt als die Gesamtschuldvermutung, erweist sich eine vertragliche Gesamtschuldvermutung als überlegen.
III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle Bei einer vertraglich vereinbarten Gesamtschuld kann der Gläubiger von einem beliebigen einzelnen Schuldner die Leistung verlangen. Insofern gibt es schuldrechtliche Beziehungen zwischen dem Gläubiger und jedem einzelnen Schuldner. Diese Beziehungen stehen nicht unverbunden nebeneinander. Die Erfüllung durch einen Schuldner befreit die übrigen gegenüber dem Gläubiger. Doch darauf müssen sich die sogenannten Gesamtwirkungen nicht beschränken. Konkret stellen sich die Fragen, ob begünstigende oder belastende Rechtsgeschäfte, die ein Schuldner mit dem Gläubiger schließt (Erlass, Vergleich, Schuldumwandlung), auch die anderen Schuldner begünstigen oder belasten, ob ein Schuldner auch für Leistungsstörungen eines Mitschuldners einstehen muss, ob die Mahnung an einen Schuldner auch die übrigen in Verzug setzt bzw. die Klage gegen einen auch die Verjährung gegen die übrigen unterbricht, ob ein zwischen dem Gläubiger und einem Schuldner ergangenes Urteil auch gegenüber den übrigen wirkt, und andere mehr. Bei vertraglichen Gesamtschulden können diese Fragen zumeist (soweit es nicht um Prozessrecht geht) von den Parteien selbst geregelt werden. Da aber solche Vereinbarungen häufig nicht getroffen werden, stellen die Rechtsordnungen Dispositivregeln zur Verfügung. Angesichts dessen, dass die Schuldner gegenüber dem Gläubiger die Verpflichtungen gemeinschaftlich eingegangen sind und insofern (untechnisch gesprochen) als eine Einheit auftreten, liegt die Annahme nicht fern, dass zumindest einige der genannten Gesamtwirkungen den Interessen der Parteien entsprechen. Es ist daher nicht erstaunlich, dass mit der vertraglich vereinbarten Gesamtschuld häufig Rechtsfolgen in Form von bestimmten Gesamtwirkungen verbunden worden sind. Zugleich hat es historisch immer wieder Versuche gegeben, die vertraglich vereinbarte Gesamtschuld zu „konzeptionalisieren“, d.h. ein Modell zu finden, mit dem sich die konkret vorgefundenen Gesamtwirkungen erklären lassen. Dabei reicht die Bandbreite von der Annahme unverbundener Einzelobligationen (insbesondere, wenn es kaum Gesamtwirkungen gibt) bis zur Annahme einer einzigen gemeinsamen Obligation (die insbesondere dann nicht fernliegt, wenn die Schicksale der einzelnen schuldrechtlichen Beziehungen identisch sind) und umfasst verschiedene Zwischenmodelle. Zwei herausragende Beispiele für Erklärungsmodelle der vertraglichen Gesamtschuld sind die französische solidarité und die deutsche Korrealobligation des 19. Jahrhunderts. Beide wurden durch die zeitgenössische Auslegung der römischen Quellen ge-
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
prägt. Doch auch deutschrechtliche Gedanken haben ihre Spuren in der Gesamtschulddogmatik hinterlassen.
1. Die römischen Grundlagen und ihre Rezeption im Gemeinen Recht Die Ausgestaltung der vertraglichen Gesamtschuld im Gemeinen Recht wurde wesentlich durch die Regeln geprägt, die man glaubte, den römischen Quellen entnehmen zu können1. Danach konnten die Verpflichtungen der einzelnen Schuldner unterschiedliche Schicksale erleiden. Insbesondere konnte die Verpflichtung eines Schuldners aus einem nur ihn persönlich betreffenden Grund enden und dabei die Verpflichtungen der übrigen unberührt lassen. Dies war beim persönlichen schuldrechtlichen Klageverzicht (pactum de non petendo)2, bei der Konfusion zwischen dem Gläubiger und einem Schuldner3 und bei der Statusänderung (capitis deminutio) eines Schuldners4 der Fall. Andere Schuldaufhebungsgründe betrafen nach römischer Vorstellung das (Stipulations-)Gesamtschuldverhältnis im Ganzen, selbst wenn sie nur durch einen der Schuldner bewirkt waren. Vereinbarte ein Gesamtschuldner mit dem Gläubiger einen förmlichen schuldaufhebenden Erlass (acceptilatio)5 oder eine Schuldumwandlung (Novation)6, befreite er damit seine Mitschuldner. Dasselbe galt, wenn einer der Gesamtschuldner im Prozess einen Eid über das Nichtbestehen der Schuld ablegte7. Der förmliche Erlass, die Novation und der prozessuale Schuldnereid wurden insofern in ihrer Wirkung der Erfüllung gleichgestellt8. Dagegen scheint zumindest das klassische römische Recht keine die Mitschuldner belastenden Gesamtwirkungen gekannt zu haben. Die Gesamtwir1 Schmieder macht darauf aufmerksam, dass die im Folgenden genannten Quellen sich in der Regel auf Stipulations-Gesamtschulden beziehen und es keineswegs sicher ist, ob die dort genannten Regeln auch für andere vertragliche Gesamtschuldverhältnisse galten, Duo rei (2007), 295 ff., 316 ff. Vermutet werden kann, dass die Einzelwirkung bestimmter Ereignisse bei Stipulations-Gesamtschulden auch für andere Gesamtschuldverhältnisse galt, während die Lage bei gesamtwirkenden Tatsachen tatsächlich unsicher ist. 2 Paulus D.2,14,25,1; Julian D.46,3,34,11; Ulpian D.34,3,3,3. Ein sog. pactum de non petendo in rem hatte dagegen dann Gesamtwirkung, wenn unter den Schuldnern eine Innengesellschaft mit Regresspflicht bestand, Paulus D.2,14,21,5, D.2,14,23, D.2,14,25. Hierzu HKK/Meier, §§ 420– 432 I Rz 168; teilweise abweichend Schmieder, Duo rei, 129 ff. 3 Paulus D.46,1,71 pr.; Schmieder, Duo rei, 145. 4 Pomponius D.45,2,19 (multum enim interest, utrum res ipsa solvetur an persona liberetur; cum persona liberatur manente obligatione, alter durat obligatus); Schmieder, Duo rei, 149 f. 5 Javolen D.45,2,2; Julian D.30,82,5; Ulpian D.46,4,16, D.4,4,27,2, D.34,3,3,3; Paulus D.34,3,29, D.39,6,35,6; Modestin, D.5,2,12,3; Schmieder, Duo rei, 99 ff.; HKK/Meier, §§ 420–432 I, Rz 55 ff. 6 Afrikan D.16,1,20; zur Gesamtgläubigerschaft Venuleius D.46,2,31,1. Näheres bei Schmieder, Duo rei, 103 ff. 7 Paulus D.12,2,28,3; Schmieder, Duo rei, 112 ff. Ebenso nützte der Eid des Bürgen dem Hauptschuldner (Paulus D.12,2,28,1; Pomponius D.12,2,42,1; Ulpian D.44,5,1,3) und der Eid des defensor dem Beklagten (Pomponius D.12,2,42,2). 8 Vgl. zum Erlass Gai. 3,169; Inst. 3,29,1; Ulpian D.34,3,7,1, D.46,4,5, D.46,4,16; zur Novation Venuleius D.46,2,31,1; zum Schuldnereid Gaius D.12,2,27.
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kung der Verjährungsunterbrechung durch Klage oder Anerkenntnis wurde erst durch eine Konstitution Justinians aus dem Jahr 531 eingeführt9. Hinsichtlich der Haftung für Leistungsstörungen betonen die Quellen, dass der Verzug eines Gesamtschuldners seinen Mitschuldnern nicht schade10. Ob es Fälle der Gesamtwirkung des Verschuldens gab, lässt sich nicht sicher sagen. Überliefert ist ein Pomponius zugeschriebenes Fragment mit dem Wortlaut: Ex duobus reis eiusdem Stichi promittendi factis alterius factum alteri quoque nocet11. Zwei Gesamtschuldner haben versprochen, den Sklaven Stichus zu leisten. Was für eine Handlung des einen dem anderen hier schaden soll, ist nicht klar. Im Gemeinen Recht wurde das Fragment mehrheitlich so ausgelegt, dass Gesamtschuldner für das Verschulden ihrer Mitschuldner einstehen müssen: Wenn der versprochene Sklave durch das Verschulden eines der Gesamtschuldner getötet wird, haftet auch der andere Gesamtschuldner. Doch dieser Schluss ist angesichts der Tatsache, dass eine Gesamtwirkung des Verschuldens in den übrigen Quellen nicht erwähnt und in einer Stelle sogar verneint wird12, angesichts der bloßen Einzelwirkung des Verzugs und angesichts des unklaren Wortlauts des Pomponius-Fragments fragwürdig13. Wahrscheinlich hatte das Verschulden zumindest im klassischen Recht nur Einzelwirkung14. Doch die gemeinrechtlich mit der vertraglichen Gesamtschuld verbundene Gesamtwirkung des Verschuldens hat die spätere dogmatische Entwicklung erheblich geprägt. Noch bedeutender aber war in Deutschland der Einfluss durch ein aus heutiger Sicht merkwürdiges Institut des römischen Rechts, die sogenannte Klagenkonsumption15. Das klassische römische Recht war wie das ältere englische Recht ein Aktionensystem: Eine vermeintliche Rechtsverletzung konnte nur dann erfolgreich vor Gericht geltend gemacht werden, wenn sich eine passende Klageart fand, unter deren Formel der konkrete Sachverhalt passte. Der römische Zivilprozess in klassischer Zeit – das sog. Formularverfahren – war zweistufig. Zunächst trafen sich die Parteien vor dem Prätor, um hier gemeinsam den Streitgegenstand zu bestimmen und die geeignete Klageart zu ermitteln. Das Verfahren endete mit einer durch den Prätor festgelegten Klageformel, die sich an den Richter im zweiten Verfahrensteil, den iudex, richtete, die genauen Voraussetzungen einer bestimmten Klageart beschrieb und den iudex anwies, den Beklagten in bestimmter Weise zu verurteilen, falls sich die genannten Voraussetzungen als wahr 9
Justinian C.8,39,4. Marcian D.22,1,32,4; Paulus D.50,17,173,2. 11 Pomponius D.45,2,18. 12 Ulpian D.16,3,1,43 (allerdings geht es hier nicht um eine Stipulations-Gesamtschuld). 13 Ebenso Schmieder, Duo rei, 150 ff. 14 Anderer Ansicht Levy, Konkurrenz I, 210, nach dem sowohl Verzug als auch Verschulden schon im klassischen Recht Gesamtwirkung hatten. 15 Hierzu Liebs, SZ (RA) 86 (1969), 169; ders., Klagenkonkurrenz (1972); Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. I, § 154 IV 4, Bd. II, § 277 II 1; Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht, §§ 43, 94 II; Schmieder, Duo rei, 83 ff.; Levy, Konkurrenz I, 48 ff.; Eisele, AcP 77 (1891), 410 ff. 10
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herausstellten. Der zweite Teil des Prozesses war Tatsacheninstanz. Die Aufgabe des iudex war es, festzustellen, ob die vom Prätor in der Klageformel genannten Voraussetzungen im konkreten Fall tatsächlich zutrafen, und den Beklagten gegebenenfalls nach der festgelegten Formel zu verurteilen. Der Abschluss des Verfahrens vor dem Prätor, nämlich die Annahme der vom Prätor festgelegten Prozessformel durch die Parteien, wurde litis contestatio genannt16. Mit dieser litis contestatio ging nach römischer Vorstellung das ursprüngliche materielle Recht des Klägers unter und wurde durch ein Recht ersetzt, vom Beklagten die Unterwerfung unter das zukünftige Urteil zu verlangen17. Auch wenn der Prozess aus irgendwelchen Gründen ohne Urteil endete, war eine erneute Klage nun konsumiert und damit ausgeschlossen. Diese Konsumptionswirkung konnte auch andere Klagen gegen denselben Beklagten erfassen, sofern derselbe Streitgegenstand (res) betroffen war: bis de eadem re ne sit actio, eine mehrfache Klage über denselben Streitgegenstand war nicht zulässig. Interessanterweise konnte mit einer anhängig gemachten Klage jedoch auch eine Klage gegen einen Dritten konsumiert werden. So verhielt es sich etwa bei den Klagen gegen Hauptschuldner und Bürgen, die nach römischer Auffassung denselben Streitgegenstand betrafen18. Die Klage des Gläubigers gegen den Hauptschuldner befreite also den Bürgen. Die Klage gegen den Bürgen befreite wiederum den Hauptschuldner und damit auch weitere Mitbürgen derselben Schuld. Ebenso verhielt es sich mit Gesamtschulden, die auf einer gemeinschaftlichen Stipulation beruhten. Verklagte der Gläubiger einen der Gesamtschuldner, wurden mit der litis contestatio auch die Klagen gegen die übrigen Gesamtschuldner konsumiert, weil nach römischer Vorstellung sämtliche Klagen denselben Streitgegenstand betrafen19. Im Ergebnis wurden die übrigen Gesamtschuldner also selbst dann befreit, wenn es aus irgendwelchen Gründen zu keinem Urteil gegenüber dem Beklagten kam oder wenn der Gläubiger trotz Urteils nicht befriedigt wurde. Dieses auf den ersten Blick erstaunliche Ergebnis – dem Gläubiger wird eine Sicherheit vorenthalten, die ihm die gesamtschuldnerische Haftung aus heutiger Sicht gerade bieten soll – stammt aus dem älteren Legisaktionenverfahren und ist wohl nur vor dem Hintergrund des älteren römischen Zivilprozess- und
16 Zum (im Einzelnen strittigen) Begriff der litis contestatio Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht, § 41 IV; Schlinker, Litis contestatio, 15 ff. 17 Genau genommen gilt dies nur für den Fall direkter prozessualer Konsumption, in dem die actio ipso iure untergeht. Direkte Konsumption trat im römischen Recht ein, wenn eine actio in personam in ius concepta in einem satzungsgemäßen Prozess (legitimum judicium) geltend gemacht wurde. In allen anderen Fällen trat lediglich indirekte Konsumption ein, d.h. die actio ging nicht automatisch unter, sondern der Beklagte musste eine Einrede (exceptio rei in judicium deductae) erheben. Vgl. Gai. 3,180 f.; Gai. 4,106 f.; Einzelheiten bei Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht, §§ 42 III, 43. Die Wirkungen der indirekten Konsumption waren ansonsten aber die gleichen wie bei der direkten, so dass hier nicht weiter auf den Unterschied eingegangen wird. 18 Stellvertretend Schmieder, Duo rei, 230 ff. m.w.N. 19 Javolen D.45,2,2; Papinian D.45,1,116.
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Vollstreckungsrechts verständlich20. Zum einen musste den Gefahren einer Doppelverurteilung und Doppelbefriedigung vorgebeugt werden, weil es ursprünglich offenbar keine Möglichkeit eines verurteilten Gesamtschuldners gab, nachträglich einzuwenden, dass einer seiner Mitschuldner inzwischen ebenfalls verurteilt worden war und/oder die Leistung bewirkt hatte. Zum anderen war das römische Vollstreckungsrecht härter als das heutige. Ursprünglich herrschte Personalvollstreckung (so dass der Gläubiger auf die Person des Schuldners zugreifen konnte, wenn dieser nicht durch Leistung der Urteilssumme losgelöst wurde), später im klassischen Recht zwar Vermögensvollstreckung, aber in Form der Gesamtvollstreckung. Unter diesen Umständen war das Risiko eines Gläubigers, bei einer begründeten Klage nicht befriedigt zu werden, geringer als heute. Die sachliche Rechtfertigung der Klagenkonsumption durch ein schon überkommenes Prozess- und Vollstreckungsrecht sowie ihre Einbettung in das prozessrechtliche Formularsystem, das allmählich einem moderneren Anspruchssystem Platz machte, führte zu ihrer allmählichen Zurückdrängung. Der Anspruch wurde vom Mittel seiner Durchsetzung getrennt, womit die Vorstellung von einer Vernichtung des Anspruchs durch litis contestatio verschwand. Doch auch nachdem die Konsumptionswirkung der litis contestatio im allgemeinen Prozessrecht verschwunden war, blieb sie bei Stipulations-Gesamtschulden offenbar noch eine gewisse Zeit bestehen. Wahrscheinlich hatte sich die Klagenkonsumption in der Vorstellung der zeitgenössischen Juristen inzwischen zu einem materiellen Bestandteil der Stipulations-Gesamtschuld verwandelt, der sich von den Entwicklungen im Prozessrecht abgekoppelt hatte. Doch ihre praktischen Auswirkungen wurden offenbar immer mehr als unbefriedigend empfunden. Es war schließlich Justinian, der den Schlussstrich zog, indem er 531 durch Konstitution die Klagenkonsumption unter Mitbürgen, zwischen Bürgen und Hauptschuldner sowie zwischen Stipulations-Gesamtschuldnern
20 Vgl. Dernburg, Pandekten II, § 72 Nr. 1; Hartmann, ZSchwR 28 (1887), 120 f.; Eisele, AcP 77 (1891), 409; Binder, Korrealobligationen, 400 ff.; Liebs, Klagenkonkurrenz, 184, 252 f.; Schmieder, Duo rei, 94 ff. Unbefriedigend erscheint demgegenüber die Erklärung der Klagenkonsumption bei Bentele, Gesamtschuld, 128–130. Danach soll es sich bei der Vertragsgesamtschuld des klassischen römischen Rechts um eine einzige „Kollektivverbindlichkeit“ gehandelt haben, für das ein den Schuldnern gemeinsames Kollektivvermögen gehaftet habe. Wegen dieser Vermögenseinheit habe die Funktion der Gesamtschuld nicht in einer Garantie für den Gläubiger bestanden, sondern darin, den Schuldnern zu ermöglichen, „die zum Erlöschen der Schuld nötigen Formalitäten in Abwesenheit der übrigen Schuldner auszuüben“ (130). Letzteres will schon wegen der römischen Regel, dass auch ein Dritter eine Schuld tilgen kann, nicht recht überzeugen. Vor allem aber ist die These, dass Vertragsgesamtschuldner in klassischer Zeit stets auch ein Kollektivvermögen aufgewiesen haben sollen, historisch nicht haltbar. Das von Bentele genannte consortium gehörte dem altrömischen Recht an. Möglich war, dass die Schuldner Gesellschafter oder Miterben waren, aber dies führte nicht dazu, dass dem Gläubiger zur Vollstreckung nur ein gemeinschaftliches Vermögen zur Verfügung stand. Klagenkonkurrenz bestand im Übrigen auch zwischen Hauptschuldner und Bürgen, bei denen von einem gemeinsamen Vermögen von vornherein nicht die Rede sein kann.
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aufhob21. Praktisch spielte die Klagenkonsumption ab dann keine Rolle mehr; doch die dogmatische Bewältigung dieses Phänomens beschäftigte die Wissenschaft während der gesamten Epoche des Gemeinen Rechts und fand ihren Höhepunkt im 19. Jahrhundert. Dies lag daran, dass die überlieferten Quellen der justinianischen Kompilation unterschiedliche Aussagen darüber enthalten, ob die Klage gegen einen Gesamtschuldner diejenige gegen seine Mitschuldner konsumiert. Neben Stellen, die von einer Befreiung der Gesamtschuldner durch Klage gegen einen von ihnen sprechen, finden sich Fragmente, wonach nicht schon eine Klageerhebung, sondern erst die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner die übrigen befreit. Dieses Nebeneinanderstehen von Stellen mit „Klagenkonkurrenz“ und solchen mit bloßer „Solutionskonkurrenz“ (wobei stets selbstverständlich war, dass auch im Fall der Klagenkonkurrenz eine Erfüllung alle Gesamtschuldner befreite) hat aus heutiger Sicht mehrere Gründe. Bekanntlich haben Justinians Kompilatoren die ursprünglichen Quellen der klassischen Schriftsteller bei ihrer Aufnahme in die Kompilation teilweise verändert (interpoliert), um sie dem inzwischen geltenden Recht anzupassen. Justinian hob die Konsumptionswirkung der litis contestatio in der Zeit auf, in der die Digesten entstanden. Sofern die Kompilatoren danach auf Stellen mit Klagenkonkurrenz stießen, strichen sie diesen Hinweis oder veränderten ihn so, dass nun von einer Befreiung durch Erfüllung die Rede war22. Dass nicht alle Stellen mit Klagenkonkurrenz eliminiert wurden, kann daran liegen, dass versteckte Hinweise der Originalquellen auf eine Klagenkonsumption übersehen wurden, vielleicht auch daran, dass zum Zeitpunkt der Reform verschiedene Bücher der Digesten schon fertiggestellt waren und daher nicht mehr oder nur noch eingeschränkt im Nachhinein dem reformierten Rechtszustand angepasst wurden. Allerdings beruhen nach heutiger Auffassung nicht alle Stellen mit Solutionskonkurrenz auf Interpolationen. Die Klagenkonkurrenz befand sich auch schon vor Justinians Reform auf dem Rückzug. Es ist möglich, dass sie bei bestimmten Gesamtschuldarten, insbesondere wenn sie jüngerer Natur waren, von vornherein nicht gegolten hat. Insoweit wäre es kein Zufall, dass die klassische Klagenkonkurrenz ausgerechnet bei Klagen aus Stipulationen (auch Bürgen verpflichteten sich durch Stipulation) überliefert ist. Daneben galt sie bei durch Vermächtnis angeordneten Gesamtschulden23 sowie im Bereich der adjektizischen Klagen: Sofern hier der unmittelbare Vertragschließende verklagt werden konnte, konsu21 C.8,40,28. Nach Liebs, Klagenkonkurrenz, 38 ff., handelt es sich um zwei Konstitutionen: 531 wurde die Klagenkonsumption unter Mitbürgen, 534 diejenige zwischen Bürgen und Hauptschuldner sowie zwischen Stipulations-Gesamtschuldnern aufgehoben. Hiergegen Schmieder, Duo rei, 91 ff. 22 Mögliche Beispiele: Pomponius D.30,8,1; Alexander C.5,57,2; Gordian C.8,40,15; Diocletian C.8,40,23. Siehe Liebs, Klagenkonkurrenz, 60 ff. 23 Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass Pomponius D.30,8,1 insoweit interpoliert ist, vgl. Liebs, Klagenkonkurrenz, 66 f.; Schmieder, Duo rei, 266 f.; m.w.N.
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mierte die gegen ihn gerichtete Klage die gegen den Prinzipal und umgekehrt24; ebenso bestand Klagenkonkurrenz zwischen mehreren Prinzipalen25. Bei Gesamtschulden aus bonae fidei-Verträgen (Leihe, Verwahrung, Kauf, Miete, Auftrag) sprechen die Quellen dagegen nie von einer Klagenkonkurrenz, sondern betonen teilweise die Solutionskonkurrenz26. Hier ist es gut möglich, dass von Anfang an nicht die Klage, sondern erst die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner die übrigen befreite27. Folgt man dem, beruht die Unterscheidung zwischen Gesamtschuldfällen mit und ohne Klagenkonkurrenz nicht auf fundamentalen Wesensverschiedenheiten, sondern auf mehr oder weniger zufälligen historischen Entwicklungen. Aus den römischen Quellen, insbesondere zur Stipulations-Gesamtschuld, formten die gemeinrechtlichen Schriftsteller ein Institut, das zuerst duo rei und später Korrealobligation genannt wurde und dessen Kernbereich das vertraglich vereinbarte Gesamtschuldverhältnis war. Die Wirkungen im Außenverhältnis bestimmten sich danach, was man glaubte, den Quellen entnehmen zu können. Der schuldaufhebende Erlass, die Novation sowie der schuldabschwörende Eid hatten Gesamtwirkung, befreiten also sämtliche Mitschuldner28. Eine Klagen-
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Ulpian D.14,1,1,24, D.15,1,32 pr. Hier spielte wohl auch der Umstand eine Rolle, dass sämtliche Klagen dieselbe intentio aufwiesen und daher selbstverständlich denselben Streitgegenstand bildeten. Probleme schuf die Klagenkonkurrenz bei der Pekuliumsklage, wenn die Prinzipale nicht durch ein besonderes Innenverhältnis verbunden waren, unten, 244. 26 Ulpian D.13,6,5,15 (Leihe und Miete); D.16,3,1,43 (Verwahrung); Papinian D.46,1,52,3; Diocletian C.8,40,23; Justinian C.8,40,28 (mehrere [Kredit-]Auftraggeber); Scaevola D.17,1,60,2 (mehrere Beauftragte). 27 So Liebs, Klagenkonkurrenz, 181 ff., 247 ff.; ihm folgend Kaser, Römisches Privatrecht I, § 154 IV 4; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, 283; ebenso Evans-Jones, SDHI 52 (1986), 119 ff.; Schmieder, Duo rei, 166 ff., 202 ff., 328, 330 m.w.N. Anders (Solutionskonkurrenz interpoliert, in Wahrheit Klagenkonkurrenz) Eisele, AcP 77 (1891), 435 ff., 444 ff., 459 ff.; Binder, Korrealobligationen, 351 ff., 355 ff.; Levy, Konkurrenz I, 199 ff., 203 ff. 28 Etwa Donellus, Commentarii de jure civili, Buch 16, Kap. 25, §§ 5, 8, 14; ders., Commentarii in Codicem, zu C.8,39, Kap. 7, §§ 1, 4; Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 5; Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst. 3,16(17),1, § 3; Lauterbach, Usus modernus III, 714, §§ 16, 26, 29 (zitiert bei Binder, Korrealobligationen, 485); Domat, Loix civiles, §§ 1836, 2113; Pothier, Obligations, §§ 599, 621, 918; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 227 V, § 236, § 289; Keller, Litis Contestation, 449; Ribbentrop, Correal-Obligationen, 24, 262, 268 ff.; von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 410 f.; Mühlenbruch, Pandekten, § 493; Vangerow, Pandekten, § 573 Anm. 5; Savigny, Obligationenrecht I, 164, 170, 184 f.; Göschen, Obligationenrecht, § 374; Puchta, Pandekten, § 235; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap III/1, Nr. 6 (S. 98); Girtanner, Bürgschaft, 400 f.; ders., Stipulation, 272; Brinz, KritBl 4 (1853), 29 f.; ders., Pandekten, § 235 Fn. 3; Bekker, Consumption, 224 f.; Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 32 ff.; Kuntze, Singularsuccession, 188; Fitting, Correalobligationen, 40 ff., 48 ff., 71 ff., 197 f., 247 ff.; Fritz, ZCRPr nF 19 (1862), 71 ff., 88 f.; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 309 ff., 376 ff.; Windscheid, Pandekten, § 295; Arndts, Pandekten, § 213 Fn. n; Wächter, Pandekten, § 177 III 8; Unger, JhJb 22 (1884), 266, 268 f.; Dernburg, Pandekten II, § 73 Nr. 4; Wendt, Pandekten, § 208 Nr. 2; Binder, Korrealobligationen, 171 ff., 200 ff. Bei der Novation wurde die Quelle Venuleius D.46,2,31,1 teilweise so verstanden, dass die Gesamtwirkung nur bei besonderer Vereinbarung eintrat, so Girtanner, Bürgschaft, 398 Fn. 7; Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 14 f., 39 ff.; von Helmolt, Correal-Obligationen, 142 Fn. 24; Stinzing, 25
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konsumption, also eine Befreiung der Mitschuldner durch Klageerhebung gegen einen von ihnen, gab es wegen Justinians Reform nicht mehr. Statt dessen sollte nach einem Teil der Lehre, die im 19. Jahrhundert herrschend war, ein Urteil, das im Rechtsstreit zwischen dem Gläubiger und einem Gesamtschuldner ergangen war und das Bestehen der Schuld verneinte, auch die Mitschuldner befreien29. Unter den belastenden Gesamtwirkungen war wegen Justinians Konstitution in erster Linie die Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung allgemein anerkannt30. Weniger Einigkeit bestand im Bereich der Leistungsstörungen. Einerseits sollte der Verzug eines Gesamtschuldners seinen Mitschuldnern nicht schaden. Andererseits gab es das unklare Pomponius-Fragment, aus dem man eine Haftung der Mitschuldner im Fall der von einem einzelnen verschuldeten Unmöglichkeit der Leistung herauslesen konnte. Die Mehrheit der Schriftsteller kam zu dem Schluss, dass der Verzug eines Gesamtschuldners Einzelwirkung, das Verschulden eines Gesamtschuldners dagegen Gesamtwirkung haben musste31. Gegen diese Ungleichbehandlung von Verzug und Verschulden erho29 KritVj 1 (1859), 517 f.; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 319 ff.; Dernburg, Pandekten II, § 73 Nr. 4 b; Mitteis, GrünZ 14 (1887), 454 f.; dagegen Savigny, Obligationenrecht I, 165 f.; Vangerow, Pandekten, § 573 Anm. 5, I 2; Fitting, Correalobligationen, 48 ff.; Fritz, ZCRPr nF 19 (1862), 71 ff.; Salkowski, Novation, 351 ff.; Binder, Korrealobligationen, 216 ff. Für eine Gesamtwirkung nur bei einer Novation mit Personenwechsel Binder, a.a.O., 212 ff. Siehe zu allem HKK/Meier, §§ 420–432 I, Rz 55 ff. 29 So Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 5; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 233 IV; Keller, Litis Contestation, 449 f.; Ribbentrop, Correal-Obligationen, 261 ff.; von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 411; Vangerow, Pandekten, § 173 Anm. VI Nr. 8; Savigny, Obligationenrecht I, 188 ff.; Puchta, Pandekten, § 235; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap III/1, Nr. 6 (S. 98); Brinz, KritBl 4 (1853), 33 f.; ders., KritVj 16 (1874), 16; ders., Pandekten, § 253 Fn. 50 und Text nach Fn. 76; Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 13, 32 ff.; Fritz, ZCRPr nF 19 (1862), 106 ff.; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 372 f.; Windscheid, Pandekten, § 295; Wächter, Pandekten, § 177 III 8; Unger, JhJb 22 (1884), 266 f.; Hartmann, ZSchwR 28 (1887), 123 ff.; Wendt, Pandekten, § 208 Nr. 2; Eisele, AcP 77 (1891), 415, 461, 474 f.; aus der Rechtsprechung OAG Celle, SeuffA 12 Nr. 12 (3.10.1856); ObG Wolfenbüttel, SeuffA 19 Nr. 22 (4.11.1864). Man berief sich auf Pomponius D.12,2,42,3, wonach das Urteil gegen einen Bürgen auch dem Hauptschuldner nützen sollte. Für Einzelwirkung dagegen Donellus, De iure civili, Buch 16, Kap. 25, § 8; ders., Commentarii in Codicem, zu C.8,39(40), Kap. 7, § 2; Kuntze, Singularsuccession, 210 ff.; Fitting, Correalobligationen, 70 f., 254 Fn. 264; Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 21; Dernburg, Pandekten II, § 73 Nr. 4; Mitteis, GrünZ 14 (1887), 456 ff.; Binder, Korrealobligationen, 251 ff.; RG JW 1886, 119 Nr. 25 (26.2.1886); für beschränkte Gesamtwirkung Seuffert, Pandekten, § 296 Fn. 2. 30 Etwa Donellus, Commentarii in Codicem, zu C. 8,39, § 10; Cujas, Commentaria in libros quaestionum Papiniani, lib. 27, zu D.45,2,9,1; Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 6; Glück, Pandecten IV, 529; Pothier, Obligations, § 272; Vangerow, Pandekten, § 573 Anm. 1, I; Savigny, Obligationenrecht I, 193 ff.; Puchta, Pandekten, § 235 bei Fn. k; von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 410; Koch, Recht der Forderungen II, 27 f.; Brinz, KritBl 4 (1853), 31; ders., Pandekten, § 253 bei Fn. 76; Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 53 f.; Samhaber, Correalobligation, 101; Fritz, ZCRPr nF 19 (1862), 90 f.; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 290 f., 383; Sintenis, Civilrecht, § 89 bei Fn. 27; Windscheid, Pandekten, § 295 bei Fn. 11; Wächter, Pandekten, § 177 III 6; Unger, JhJb 22 (1884), 270 f.; Wendt, Pandekten, § 208 Nr. 2; Dernburg, Pandekten II, § 75; OAG Cassel, SeuffA 16 Nr. 4. 31 So Donellus, De jure civili, Buch 16, Kap. 25, § 8; ders., Commentarii in Codicem, zu C.8,39, Kap. 7, § 5, Kap. 9; Cujas, Commentaria in libros quaestionum Papiniani, lib. 27, zu D.45,2,9,1;
2. Frankreich: Die solidarité
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ben sich aber von Anfang an Bedenken. Es gab daher auch die Ansicht, dass das Pomponius-Fragment von etwas anderem handeln müsse und sowohl Verzug als auch Verschulden stets nur Einzelwirkung hätten32. Insbesondere im 19. Jahrhundert war die Verschuldenszurechnung bei Vertragsgesamtschuldnern eine der bestrittensten Fragen der deutschen gemeinrechtlichen Gesamtschulddogmatik.
2. Frankreich: Die solidarité Der französische Code Civil von 1804 ist insbesondere in seinem schuldrechtlichen Teil stark durch die Schriften von Pothier beeinflusst worden, der sich seinerseits auf das Gemeine Recht in den Bearbeitungen von Dumoulin (Molinaeus) und Domat stützte. Die Regeln zur Gesamtschuld (solidarité) in Art. 1200 ff. CC33 spiegeln die zeitgenössische Sicht auf die römischen Quellen wider. Die gesamtwirkenden Befreiungsgründe des schuldaufhebenden Erlasses, der Novation und des Schuldnereides wurden übernommen34. Umgekehrt führen Konfusion und Einzelerlass wie im römischen Recht nur beim betroffenen Gesamtschuldner zur vollständigen Befreiung35. Seinem Wortlaut nach geht der Code bei der Gesamtschuld von einer einzigen Obligation aus36. Dies entsprach der zeitgenös32 Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 5; Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, § 207; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 91 II; Ribbentrop, Correal-Obligationen, 28 ff.; Mühlenbruch, Pandekten, § 492; Koch, Recht der Forderungen II, 25 f.; Vangerow, Pandekten, § 573 Anm. 1, I; Savigny, Obligationenrecht I, 160; Puchta, Pandekten, § 235; Göschen, Obligationenrecht, § 374 Nr. 1; Burchardi, Obligationenrecht, § 247 bei Fn. 30; Mommsen, Mora, 280 f.; Brinz, KritBl 4 (1853), 32 f.; ders., Pandekten, § 253 nach Fn. 68; Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 19 ff.; Wirth, AcP 39 (1856), 123 ff.; Dworzak, KritÜ 4 (1857), 63 f.; Samhaber, Correalobligation, 102 ff., 114 ff.; Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht I, § 63 bei Fn. 29–30 (S. 392); Wienstein, Gruch 6 (1862), 512 ff.; Czyhlarz, GrünhZ 3 (1876), 77 ff.; Wächter, Pandekten, § 177 III 4–5; Hölder, Wesen, 57 ff.; Schneider, KritVj 26 (1884), 466; Hartmann, ZSchwR 28 (1887), 135 ff.; Puntschart, KritVj 29 (1887), 519; Kohler, KritVj 30 (1888), 215 f.; Wendt, Pandekten, § 208 Nr. 2; Eisele, AcP 88 (1895), 295 ff. Hierzu HKK/Meier, §§ 420–432 I, Rz 42, 62. 32 Nachweise zur älteren Lehre bei Ribbentrop, Correal-Obligationen, 28 ff.; aus dem 19. Jahrhundert Girtanner, Bürgschaft, 404 ff.; ders., Stipulation, 265; Kuntze, Singularsuccession, 150 ff.; Fitting, Correalobligationen, 78 ff.; Fritz, ZCRPr nF 19 (1862), 74 ff.; Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 28; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 285 ff.; Windscheid, Pandekten, § 295 mit Fn. 13; Bekker, Aktionen II, 230; Mitteis, Individualisirung, 94 ff.; ders., GrünZ 14 (1887), 465 ff.; Binder, Korrealobligationen, 263 ff. 33 Rechtsvergleichende Darstellungen bei Bentele, Gesamtschuld (2005), 79 ff. (kurzer Überblick); Becker, Kreditsicherungen (1974), 23 ff.; Ferid, Französisches Zivilrecht I (1971), Rz 2 E 55 ff.; Lange, Mehrheit von Schuldnern (1963), 11 ff.; Kaßler, Gesamtschuld (1933), 12 ff.; Schmitt, Solidarität (1927), 49 ff. 34 CC Art. 1281 I, 1284 f., 1365. 35 CC Art. 1285, 1209, 1301. Die Verpflichtungen der übrigen Schuldner mindern sich allerdings um den internen Anteil des Befreiten (beschränkte Gesamtwirkung). Zur Konfusion Pothier, Obbligations, § 276. 36 Deutlich bei der Gesamtgläubigerschaft: L’obligation est solidaire entre plusieurs créanciers lorsque … (Art. 1197); aber ebenso auch bei der Gesamtschuld, z.B. Art. 1201 (L’obligation peut
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
sischen Ausdrucksweise37. Doch anders als in der deutschen Diskussion des 19. Jahrhunderts war die Einheit der Gesamtschuldobligation im frühen Gemeinen Recht kein dogmatischer Fixpunkt. Sie konnte herangezogen werden, um die überlieferten Gesamtwirkungen anschaulich zu machen, und fand dort ihre Grenzen, wo die Verpflichtungen der Schuldner unterschiedliche Schicksale annehmen konnten. Ähnlich wie andere gemeinrechtliche Schriftsteller38 formulierte Pothier: „L’obligation solidaire est une, à la vérité, par rapport à la chose qui en fait l’objet, le sujet et la matière; mais elle est composée d’autant de liens qu’il y a de personnes différentes qui l’ont contractée.“ Je nach der Perspektive, von der man das Gesamtschuldverhältnis betrachtete, stand mehr die Einheit oder die Mehrheit im Vordergrund: „L’obligation est une par rapport à son objet, qui est la chose due: mais par rapport aux personnes qui l’ont contractée, on peut dire qu’il y a autant d’obligations qu’il y a de personnes obligées.“39 Die Pothier’sche Formel hat in etwas modifizierter Form bis heute überlebt. So findet man auch in heutigen französischen Lehrbüchern das Begriffspaar unité d’objet und pluralité de liens obligatoires: Einheit des Gegenstands, Mehrheit der schuldrechtlichen Beziehungen40. Ob es sich dabei, weil Pothiers Einheit der Obligation durch die Einheit des Gegenstands ersetzt wurde, um eine „echte“ Einheit der Obligation handelt, ist eine müßige Frage. Die Lehrbücher sprechen häufig von „der“ Solidarobligation mehrerer Schuldner, lehnen sich dabei aber nur an den gesetzlichen Sprachgebrauch an. Soweit sich einzelne Autoren zu diesem Punkt überhaupt äußern, findet man Aussagen, dass eigentlich nur eine Obligation vorliege41, neben Aussagen, dass es sich tatsächlich um mehêtre37 solidaire quoique l’un des débiteurs soit obligé différement de l’autre …), 1203 (Le créancier d’une obligation contractée solidairement peut …), 1213 (L’obligation contractée solidairement envers le créancier se divise de plein droit entre les débiteurs …). 37 Vgl. etwa Donellus, De jure civili, Buch 16, Kap. 25, § 5; Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 5; Domat, Loix civiles, § 1836; Pothier, Obligations, § 261; Kreittmayr, Anmerkungen IV, 83; Glück, Pandecten IV, 512; Höpfner, Commentar, § 813. 38 Vgl. Lauterbach, Collegium theoretico-practicum ad quinquaginta Pandectarum libros (1690–1711), zu D.45,2, Anm. 10 (ut ratione Subjecti pluralitas, scilicet in personis debendi diversae sint obligationes (…); ratione Objecti identitas aut unitas rei requiratur, et sicut objective numero una et eadem res, ita una et eadem correoreum est obligatio); Anm. 13 (objective est una (obligatio) (…). Sed respiciendo ad personas plures potius obligationis videntur). Zitiert nach von Helmolt, Correal-Obligationen, S. 6 Fn. 8; und nach Pothier, Obligations, § 263 a.E. 39 Beide Zitate: Pothier, Obligations, § 263 a.E. Vgl. auch Hasse, Beitrag (1808), S. 48: Bei der aktiven Korrealobligation (Gesamtforderung) gebe es eine Verbindlichkeit mit mehreren Berechtigungen, bei der passiven ein Recht mit mehreren Verbindlichkeiten. 40 Etwa Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 298 ter, S. 24; Demolombe, Cours XXVI, §§ 119, 202 f.; Demante/Colmet, Cours V, §§ 134 f.; Colin/Capitant, Cours II, 184; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1076; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, §§ 112 ff.; Carbonnier, Obligations, § 344 (S. 565), § 346, a 1 (S. 568); Mestre/Tian, Solidarité, §§ 50 ff.; Le Tourneau/Julien, Solidarité, § 84; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, § 1259; vgl. Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rz 1253 f. (unicité de la dette, pluralité de liens d’obligation). 41 Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 298 ter, S. 25; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 114; Vincent, RTD civ 38 (1939), 601, § 58; vgl. auch Le Tourneau/Julien, Solidarité, §§ 94, 100; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, § 1260.
2. Frankreich: Die solidarité
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rere handle42. Die Frage der Obligationseinheit hat die französische Literatur, anders als die deutsche, nie richtig beschäftigt. Die modifizierte Pothier’sche Formel wird aber bis heute benutzt, um die sog. Primärwirkungen der Gesamtschuld zu erklären. So wird die Gesamtwirkung der Erfüllung, der Novation und des Gesamterlasses auf die Einheit des Gegenstands, die Einzelwirkung anderer Tatsachen (etwa des Einzelerlasses oder der Minderjährigkeit eines Schuldners) dagegen auf die Mehrheit der schuldrechtlichen Beziehungen zurückgeführt43. Wie weiter unten gezeigt wird, findet sich dieser Ansatz, die Frage nach der Gesamt- und Einzelwirkung von Tatsachen in ein System einzubetten, auch bei der deutschen Korrealobligation des 19. Jahrhunderts. Eine ganz eigenständige Stellung hat das französische Gesamtschuldrecht aber, soweit es um schuldnerbelastende Gesamtwirkungen, insbesondere die Zurechnung von Leistungsstörungen, geht. Dies geht auf die Lehre von Dumoulin zurück, der die unterschiedliche Behandlung von Verzug (Einzelwirkung) und Verschulden (Gesamtwirkung) als systematisch unbefriedigend empfand und die römischen Quellen daher im Sinne einer Gleichbehandlung beider Leistungsstörungstatbestände auslegte44. Der Untergang der geschuldeten Sache, der entweder durch das Verschulden oder während des Verzugs eines Gesamtschuldners eintrat, durfte nach dem Pomponius-Fragment seine Mitschuldner nicht befreien. Zugleich durfte er ihnen aber nach den in den Digesten enthaltenen Regeln über den Verzug auch nicht schaden, d.h. ihre Stellung verschlechtern. Dies wäre aber der Fall, wenn sie nun verpflichtet wären, dem Gläubiger seinen gesamten Schaden zu ersetzen. Die Lösung war, den nicht verantwortlichen Mitschuldnern lediglich eine Haftung für den Wert der untergegangenen Sache aufzuerlegen. Damit erschien ihre Stellung durch den Untergang weder verbessert noch verschlechtert. Die Verpflichtung, dem Gläubiger seinen gesamten Schaden zu ersetzen (der weit über den Sachwert hinausreichen mochte), sollte nur den verantwortlichen Gesamtschuldner treffen. Hieraus konnte die allgemeine Regel entwickelt werden, dass die Handlung eines Gesamtschuldners die Verbindlichkeit seiner Mitschuldner nicht erschweren, wohl aber aufrechterhalten konnte. Dazu passte auch die Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung: Unterbrach ein Schuldner durch Anerkenntnis die Verjährung, hielt er die Verpflichtungen seiner Mitschuldner lediglich aufrecht, ohne sie zu erschweren. 42
So Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1076; Carbonnier, Obligations, § 346, a 1 (S. 568). Siehe insbesondere Colin/Capitant, Cours II, 184 ff.; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, §§ 113 ff.; Carbonnier, Obligations, § 346, a 1 (S. 568); Mestre/Tian, Solidarité, §§ 50 ff.; Le Tourneau/Julien, Solidarité, §§ 94 ff.; Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rz 1252 ff.; Malaurie/Aynès/ Stoffel-Munck, Obligations, §§ 1259 ff.; ablehnend aber Mazeaud/Chabas, Droit civil II/1, § 1061 (die ihrerseits die Rechtsfolgen der solidarité damit erklären, dass jeder nur seinen internen Anteil schuldet und für den Rest die anderen Schuldner „vertritt“, vgl. unten Fn. 50). 44 Charles Dumoulin, Extricatio labyrinthi dividui et individui, Bd. III, § 126; zitiert nach Pothier, Obligations, § 273; hierzu auch Demolombe, Cours XXVI, § 343; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 119. 43
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
Über Pothier45 gelangte diese Theorie in den Code Civil. Nach Art. 1205 haften die Mitschuldner beim Untergang der geschuldeten Sache während des Verzugs oder durch das Verschulden eines Gesamtschuldners in Höhe des Werts der Sache; Schadensersatz schuldet nur der verantwortliche Gesamtschuldner46. Die Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung findet sich in Art. 1206 und Art. 2249 (seit 17.6.2008: Art. 2245). Zusätzlich sieht der Code in Art. 1207 vor, dass Verzugszinsen gegenüber allen Gesamtschuldnern laufen, sobald nur einer von ihnen vom Gläubiger in Verzug gesetzt wurde. Eigentümlich ist das französische Recht auch insoweit, als es um die Erklärung dieser sogenannten Sekundärwirkungen (effets secondaires) der Gesamtschuld geht. Nach einer schon aus dem 17. Jahrhundert stammenden (aber von Pothier nicht vertretenen) und bis heute zu findenden Ansicht beruhen sie darauf, dass derjenige Gesamtschuldner, der die Sache schuldhaft zerstört, in Verzug gerät oder ein verjährungshemmendes Anerkenntnis abgibt, seine Mitschuldner vertritt47. Die wechselseitige Vertretungsmacht der Gesamtschuldner wird zugleich im Sinne der Dumoulin’schen Theorie begrenzt: Sie kann nur Handlungen umfassen, welche die Lage der Mitschuldner verbessern oder aufrechterhalten, nicht aber Handlungen, welche die Lage der Mitschuldner verschlechtern. Mit dieser Formel kann allerdings, wie in der Literatur moniert wird, Art. 1207 nur schwer erklärt werden, wonach alle Gesamtschuldner in Verzug geraten, wenn einer von ihnen „in Vertretung“ eine Mahnung erhält48. Die französische Rechtsprechung hat die Vertretungsidee aufgenommen und aus ihr weitere Sekundärwirkungen der solidarité entwickelt, etwa die Rechtskrafterstreckung eines gegen einen Gesamtschuldner ergangenen Urteils auf die Mitschuldner49. In der heutigen Litera45
Pothier, Obligations, § 273. Kritisch gegenüber der Werthaftung Demante/Colmet, Cours V, § 139 bis I; Demolombe, Cours XXVI, §§ 344 f.; Colin/Capitant, Cours II, 187. Diese findet sich auch im spanischen Código Civil, Art. 1147, und im italienischen Codice Civile, Art. 1307. 47 Siehe etwa Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 298 ter, S. 28 ff.; Demolombe, Cours XXVI, §§ 117– 119, 201, 341, 355; Marcadé/Pont, Explication IV, §§ 593, 608 ff.; Demante/Colmet, Cours V, §§ 132 bis, 139; Colin/Capitant, Cours II, 187 ff.; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1083; Marty/ Raynaud/Jestaz, Obligations II, §§ 112, 119, 120 b; Carbonnier, Obligations, § 346, b (S. 570); Mestre/Tian, Solidarité, §§ 82 ff.; Le Tourneau/Julien, Solidarité, §§ 121 ff. 48 Bei Pothier, Obligations, § 273, hatte der Verzug nur Einzelwirkung. Kritik an Art. 1207 und Erklärungsversuche etwa bei Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 298 ter, Fn. 34; Marcadé/Pont, Explication IV, § 611; Demante/Colmet, Cours V, § 141 bis I; Demolombe, Cours XXVI, § 349; Colin/Capitant, Cours II, 187 f.; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1985; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 120 c; Carbonnier, Obligations, § 347, b (S. 570); Mestre/Tian, Solidarité, § 91. 49 Etwa Cass Civ (1.12.1885), D 1886,1,251; siehe Colin/Capitant, Cours II, 189; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1086; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 122; Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rz 1256; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, § 1269; ausführlich Veaux/ Veaux-Fournerie, FS Weill, 547, §§ 25 ff.; Mestre/Tian, Solidarité, §§ 93 ff.; Le Tourneau/Julien, Solidarité, §§ 130 ff.; jew. m.w.N.; rechtsvergleichend Schmitt, Solidarität, 49 ff.; Kaßler, Gesamtschuld, 12 ff.; Lange, Mehrheit, 30 f.; Becker, Kreditsicherungen, 31 f. Im 19. Jahrhundert war die Wirkung des zwischen dem Gläubiger und einem Gesamtschuldner ergangenen Urteils noch strittig gewesen; für eine Gesamtwirkung Demolombe, Cours XXVI, §§ 367 ff., insbes. 372 ff., m.w.N.; für eine Gesamtwirkung der klageabweisenden Urteile Aubry/ 46
3. Deutschland: Die Korrealobligation
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tur wird die Vertretungsidee dagegen zunehmend als fiktiv und als zur Erklärung der Sekundärwirkungen ungeeignet verworfen50. Die mit einer Reform des französischen Obligationenrechts befasste CatalaKommission hat in ihrem 2005 vorgelegten Entwurf die Vorschriften zur solidarité, insbesondere zu ihren Sekundärwirkungen, im Wesentlichen unverändert gelassen51. Offenbar sah man hier keinen Reformbedarf52.
3. Deutschland: Die Korrealobligation In der deutschen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts war die Gesamtschuld eines der meistdiskutierten Themen und hat eine Fülle an Literatur hervorgebracht. Hierbei ging es weniger um praktische Streitfragen, sondern um die richtige „Konstruktion“ des Gesamtschuldverhältnisses. Auslöser waren zwei Monographien von Keller (1827) und Ribbentrop (1831), nach denen es zwei Arten von Gesamtschuldverhältnissen gab: diejenigen mit nur einer und diejenigen mit mehreren Obligationen53. Die Grundlage dieser These und auch der folgenden Diskussion im gesamten 19. Jahrhundert war das schon geschilderte Nebeneinanderstehen von römischen Quellen mit Klagenkonkurrenz und solchen mit Solutionskonkurrenz. Natürlich war dieser Widerspruch in den überlieferten Quellen auch den früheren Juristen des Gemeinen Rechts nicht entgangen, die ihn auf verschiedene Weise aufzulösen versuchten. Die Erklärung derjenigen Stellen, die von einem Freiwerden der Mitschuldner bei Klageerhebung sprachen, war für die gemeinrechtlichen Juristen aber schwierig, weil man bis 1816, als das Institutionenlehrbuch von Gaius wiederentdeckt wurde, das römische System der Prozesskonsumption nicht kannte. Insofern konnte man auch zu dem Schluss kommen, dass die betreffenden Quellen lediglich davon handelten, dass ab Klageerhebung gegen einen Gesamtschuldner die Mitschuldner nur noch subsidiär hafteten54, oder 50 Rau, Droit Civil IV, § 298 ter, S. 30 f.; für eine Einzelwirkung Demante/Colmet, Cours V, §§ 328 bis XXV ff.; und das RG, JW 1886, 119 Nr. 25 (26.2.1886, zum badischen Recht). Wie das französische Recht auch der italienische Codice Civile, Art. 1306. 50 Insbes. Veaux/Veaux-Fournerie, FS Weill (1983), 547; ferner Colin/Capitant, Cours II, 188 f.; Mestre/Tian, Solidarité, §§ 84–87; Le Tourneau/Julien, Solidarité, §§ 85 f., 120–123; Malaurie/ Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, § 1266; Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rz 1257. Ganz im entgegengesetzten Sinne aber Mazeaud/Chabas, Droit civil II/1, §§ 1053, 1061 ff., wonach der Vertretungsgedanke nicht nur die Sekundärwirkungen, sondern sämtliche Wirkungen der solidarité erklären kann. Danach schuldet jeder Gesamtschuldner nur seinen internen Anteil, haftet aber für die gesamte Schuld und vertritt insofern die Mitschuldner in Höhe ihrer internen Anteile. Diese Theorie hat in der Pandektistik Brinz vertreten, unten, 59 f. 51 Avant-projet, Art. 1200–1212. 52 Catala, in: Avant-projet, 66 f. 53 Keller, Ueber litis contestatio und Urtheil, 1827; Ribbentrop, Zur Lehre von den CorrealObligationen, 1831. 54 So Glück, Pandecten IV, 523 ff., der sich auf Dresky beruft.
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
dass die Stellen stillschweigend voraussetzten, dass der verklagte Gesamtschuldner auch die Leistung erbracht hatte55. Soweit man aber anerkannte, dass die Klage gegen einen Gesamtschuldner seine Mitschuldner in manchen Quellenstellen befreite und in anderen nicht, führten manche Schriftsteller diesen Gegensatz auf einen Meinungsstreit im älteren Recht56, andere (im Ergebnis nahe an der heutigen Auffassung) auf den Gegensatz zwischen strengrechtlichen Obligationen, insbesondere Stipulationen, (Klagenkonkurrenz) und bonae fidei-Obligationen (Solutionskonkurrenz)57 zurück. Auch eine Unterteilung der Gesamtschuldverhältnisse war schon vor Keller und Ribbentrop bekannt. Für Cujas etwa sollte die Gesamtwirkung des Verschuldens nur für solche Gesamtschulden gelten, die durch die Parteien vereinbart waren, nicht für sonstige Fälle der solidarischen Haftung mehrerer58. Donellus unterschied wie später Ribbentrop zwischen rechtsgeschäftlichen Gesamtschulden (duo rei), bei denen es sich um nur eine Obligation aus nur einem Entstehungsgrund handeln sollte, und sonstigen solidarischen Verpflichtungen in Form einer Mehrheit von Obligationen aus verschiedenen Entstehungstatbeständen, ohne aber für diese Unterscheidung auf die Klagenkonkurrenz abzustellen59. Ein Konsens entwickelte sich nicht. Offenbar lag es auch an der fehlenden Kenntnis der Regeln zur römischen Prozesskonsumption, dass der Gegensatz zwischen Klagen- und Solutionskonkurrenz die Dogmatik des Gesamtschuldverhältnisses bislang nicht entscheidend geprägt hatte. Dies änderte sich mit Kellers Monographie, die, aufbauend auf den neuen durch Gaius’ Institutionenlehrbuch gewonnenen Erkenntnissen, die Klagenkonkurrenz im klassischen römischen Zivilprozess behandelte. Zur Gesamtschuld vertrat Keller folgende Thesen, die von Ribbentrop aufgenommen und zu einem allgemeinen System der Gesamtschuldverhältnisse ausgebaut wurden: 1. Die durch die Klage gegen einen Stipulations-Gesamtschuldner bewirkte Befreiung der Mitschuldner im klassischen römischen Recht beruhte auf der Einheit der Obligation60. Mit der litis contestatio gegenüber einem Schuldner muss notwendig die gesamte Obligation untergehen, die nur beim verklagten Schuldner durch eine neue (Einzel-)Obligation ersetzt wird, sich dem Urteil zu unterwerfen. Zwar ist die Klagenkonkurrenz durch Justinian allgemein abgeschafft worden, doch an der Obligationseinheit hat sich nichts geändert. Sie erklärt auch heute
55 Etwa Cujas, Commentarius ad titulum De verborum obligationibus, zu D.45,1,116; anders aber ders., Commentaria in libros quaestionum Papiniani, lib. 4, zu D.45,1,116. 56 Donellus, Commentarii in Codicem, zu C. 8,39(40), Kap. 8, zu C.8,40(41),23, §§ 1–3; Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst.3,16(17),1, § 3. 57 Nachweise bei Ribbentrop, Correal-Obligationen, 5 ff. Aus dem 19. Jahrhundert Wening-Ingenheim, ZCRPr 4 (1831), 386 ff., 396; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 293 I 3; und Démangeat, Obligations Solidaires, 1858 (zitiert nach Samhaber, Correalobligation, 66 ff., 155 ff., und Eisele, AcP 77 [1891], 392 f.). 58 Cujas, Observationum, lib. 26, cap. 26. 59 Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,39, Kap. 12, § 4. 60 Keller, Litis Contestation, 413 ff., 443 ff.; Ribbentrop, Correal-Obligationen, 12 ff.
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noch andere gesamtwirkende Befreiungsgründe, etwa Novation oder Gesamterlass. 2. Die Einheit der Obligation verhindert nicht, dass die einzelnen Gesamtschuldner gegenüber dem Gläubiger in unterschiedlicher Weise gebunden sind und nur für ihre Person befreit werden können. Denn neben einem einheitlichen objektiven Bestand weist die Korrealobligation eine Mehrheit subjektiver Beziehungen auf61. 3. Es gibt auch Fälle der Solidarhaftung, in denen mehrere Obligationen auf dasselbe Leistungsinteresse vorliegen, insbesondere die Haftung mehrerer deliktischer Täter auf Schadensersatz. Die römischen Quellenstellen mit Solutionskonkurrenz handeln, sofern sie nicht auf Interpolation beruhen, von solchen Obligationsmehrheiten62. Keiner dieser Gedanken war als solcher völlig neu. Was die Keller/Ribbentrop’sche Lehre so erfolgreich machte, war offenbar die Verbindung all dieser Gedanken zu einem insbesondere von Ribbentrop entworfenen, umfassenden und auf den ersten Blick rationalen System der Gesamtschuldverhältnisse. Die Vorstellung einer Obligationseinheit (mit einer Mehrheit subjektiver Beziehungen) gab es, wie gezeigt, schon im Gemeinen Recht, doch (sieht man von Donellus ab) eher im Sinne eines diffusen Anschauungsmodells als einer klaren dogmatischen Entscheidung zwischen Obligationseinheit oder -mehrheit. Diese Sicht entsprach den römischen Quellen, die (auch bei der Stipulationsgesamtschuld) manchmal von einer63, manchmal von mehreren64 Obligationen sprachen. Die Frage, ob es sich „technisch“ um eine oder mehrere Obligationen handle und was daraus abzuleiten sei, stand vor Keller/Ribbentrop nicht im Vordergrund. Nun aber wurde die Obligationseinheit als dogmatische Erklärung der Klagenkonkurrenz verwendet und insofern mit ihr identifiziert. Sie gewann dadurch an Konturen, dass andere Gesamtschuldfälle abgegrenzt wurden, bei denen mehrere Obligationen und Solutionskonkurrenz vorliegen sollten. Die damit verbundene grundlegende Zweiteilung der Gesamtschuldverhältnisse widersprach der zuvor herrschenden Lehre, die nur eine Form der Gesamtschuld gekannt hatte. Der zuvor für alle Gesamtschulden gebräuchliche Ausdruck Korrealobligation wurde nun auf Gesamtschulden beschränkt, bei denen wegen ihrer Obligationseinheit im römischen Recht Klagenkonkurrenz geherrscht haben sollte. Alle anderen Gesamtschulden waren nun bloße Solidarobligationen. Die überlieferten Gesamtwirkungen wurden nun auf die Einheit der Obligation zurückgeführt und damit auf die Korrealobligationen beschränkt. Dies waren neben der befreienden Wirkung der litis contestatio im römischen Recht die allgemein anerkannte Gesamtwirkung der Novation, der acceptilatio (schuldaufhebender Erlass), des Schuldnereids und der Verjährungsunterbrechung, nach herrschender Lehre zu61
Keller, Litis Contestation, 446 f.; Ribbentrop, Correal-Obligationen, 23 ff. Keller, Litis Contestation, 479 ff., insb. 482 f.; Ribbentrop, Correal-Obligationen, 39 f., 44 ff., 83 f., 90 f. 63 Vgl. Inst. 3,16 pr.; Ulpian D.35,2,62, D.45,2,3,1, D.46,4,16; Papinian D.45,1,116; Javolen D.45,2,2; Pomponius D.45,2,19; Paulus D.46,8,14; für das Verhältnis Bürge-Hauptschuldner auch Gaius D.44,7,1,8. 64 Vgl. Inst. 3,16,1; Ulpian D.45,2,3 pr., D.46,1,5; Papinian D.45,2,9,2; Venuleius D.45,2,13. 62
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
dem die Gesamtwirkung des Verschuldens und des einen Gesamtschuldner freisprechenden Urteils. Im Bereich der Gesamtschulden war die Klagenkonkurrenz insbesondere für Stipulations-Gesamtschulden überliefert. Dies musste nach dem Keller/Ribbentrop’schen System bedeuten, dass vertraglich vereinbarte Gesamtschulden Korrealobligationen waren. Probleme bereiteten aber die römischen Quellen zu den Verträgen bonae fidei. Einerseits sagte ein Papinian zugeschriebenes Fragment, dass es bei diesen Verträgen ebenso wie bei Stipulationen rei promittendi geben könne65, was für eine Gleichbehandlung mit Stipulations-Gesamtschulden sprach. Andererseits erwähnten Quellen zur Leihe und zur Verwahrung die Solutionskonkurrenz66. Ribbentrop löste das Problem, indem er bei den letztgenannten Quellen annahm, dass eine besondere Gesamtschuldabrede und daher eine Korrealobligation nicht vorliege67. Dann schulde jeder Entleiher und Verwahrer für sich die Rückgabe der Sache, hafte aber nur im Falle eines eigenen Vertretenmüssens. Die in den Quellen erwähnte solidarische Haftung beruhe also nicht auf der Einheit der vertraglichen Pflicht, sondern darauf, dass mehrere Schuldner nebeneinander ihre eigenen vertraglichen Verpflichtungen verletzt haben. Insofern sollte es sich um Solidarobligationen (ähnlich wie bei mehreren Schadensverursachern im Deliktsrecht) handeln. Das Papinian-Fragment spreche demgegenüber von einer Korrealobligation kraft Parteivereinbarung, bei der jeder Schuldner auch für das Verschulden seiner Mitschuldner einstehen müsse68. Ein weiteres Problem waren diejenigen Quellen, die bei mehreren Auftraggebern oder mehreren Beauftragten von Solutionskonkurrenz sprachen. Dies Phänomen erklärte Ribbentrop damit, dass das römische Recht die gemeinsame Beauftragung durch mehrere oder an mehrere wie getrennte Aufträge auf dasselbe angesehen habe, woraus sich nur reine Solidarobligationen ergeben konnten69. Hatte man damit die Stellen zur Solutionskonkurrenz bei den Verträgen bonae fidei mit den Besonderheiten des Falls erklärt, ergab sich ein im Großen und Ganzen geschlossenes Bild: Klagenkonkurrenz gab es bei vertraglich vereinbarten sowie bei durch Vermächtnis angeordneten70 Gesamtschulden; Korrealobligationen entstanden also in erster Linie durch Rechtsgeschäft71. Quellen mit So65
Papinian D.45,2,9 pr.; vgl. hierzu etwa Levy, Konkurrenz I, 204 ff.; Evans-Jones, SDHI 52 (1986), 119 ff.; Schmieder, Duo rei, 321 ff. 66 Ulpian D.13,6,5,15 (mehrere Entleiher oder Mieter), D.16,3,1,43 (mehrere Verwahrer). 67 Dieser Gedanke ging auf Cujas, Observationum, lib 26, cap 26, zurück. 68 Ribbentrop, Correal-Obligationen, 119 ff., 149 ff., 170 ff. Vgl. auch unten, 119 ff. 69 Ribbentrop, Correal-Obligationen, 90 Fn. 1, 230 f. Vgl. zur Mehrheit der Auftraggeber oben, 15 f., zur Mehrheit der Beauftragten unten, 121. 70 Die Solutionskonkurrenz in Pomponius D.30,8,1 war nach allgemeiner Ansicht interpoliert; etwa Ribbentrop, Correal-Obligationen, 42 ff., 117 ff.; Vangerow, Pandekten, § 573, Anm. 5, I 3; Savigny, Obligationenrecht I, 183; Brinz, KritBl 4 (1853), 10; von Helmolt, Correal-Obligationen, 146; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 258; Windscheid, Pandekten, § 297 Fn. 4; Eisele, AcP 77 (1891), 434; Binder, Korrealobligationen, 331 f.; hierzu Liebs, Klagenkonkurrenz, 66 f. 71 Ribbentrop, Correal-Obligationen, 258 f. Nicht um eine Korrealobligation sollte es sich dagegen nach Ribbentrop und einer Reihe späterer Autoren bei der Haftung mehrerer Prinzipale im
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lutionskonkurrenz betrafen hingegen meist gesetzliche Gesamtschulden, etwa auf Schadensersatz. Berücksichtigt man nun, dass die überlieferten Gesamtwirkungen auf die Einheit der Obligation zurückgeführt wurden, ergibt sich ein einleuchtendes System: Nur bei Korrealobligationen, d.h. im Wesentlichen bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden, befreit ein Gesamtschuldner, der mit dem Gläubiger einen Gesamterlass oder eine Novation vereinbart, seine Mitschuldner. Nur hier unterbricht eine Klage gegen einen oder ein Anerkenntnis durch einen Gesamtschuldner die Verjährung gegen alle, und nur hier haften die Gesamtschuldner für das Verschulden ihrer Mitschuldner. Diese Gesamtwirkungen können sachlich damit gerechtfertigt werden, dass die Schuldner sich untereinander kennen, das Gesamtschuldverhältnis gemeinsam begründet haben und dem Gläubiger gegenüber eine gewisse Einheit bilden. Bestimmte Ereignisse wie Konfusion und pactum de non petendo wirkten sich dagegen nur bei der Verpflichtung des betroffenen Gesamtschuldners aus. Wie schon Pothier nahmen Keller und Ribbentrop an, dass durch solche Ereignisse nicht der objektive Bestand der Obligation, sondern nur die jeweilige einzelne subjektive Beziehung berührt wurde. Demnach konnte auch die Wirkung von Ereignissen, die eine Obligation betreffen, bei der Korrealobligation systematisch erklärt werden: Betrafen sie den objektiven Bestand der Obligation, hatten sie Gesamtwirkung, betrafen sie nur die einzelne subjektive Beziehung, hatten sie Einzelwirkung. Diese auf den ersten Blick einleuchtende, systematische Ordnung der Gesamtschuldverhältnisse war wohl die Ursache dafür, dass die deutsche Literatur zunächst fast72 geschlossen die neue Keller/Ribbentrop’sche Lehre übernahm73. Ihre 72 Rahmen der adjektizischen Klagen handeln, obwohl die Klagenkonkurrenz hier anerkannt war (anders nur Liebe, Stipulation, 166). Zunächst ging man davon aus, dass der Prinzipal selbst gar nicht Schuldner einer Obligation sei, sondern nur für eine fremde Verbindlichkeit hafte, so Keller, Litis Contestation, 413 ff., Ribbentrop, Correal-Obligationen, 12 Fn. 2; Savigny, Obligationenrecht I, 209 ff. Später bejahte man eine Obligation des Prinzipals, zog aber unterschiedliche Folgerungen. Ein Korrealschuldverhältnis bejahten Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 2 Nr. 3 (S. 74 f.); Brinz, Pandekten, § 258 Nr. 2; Samhaber, Correalobligation, 152 f., 176; Kuntze, Singularsuccession, 239 ff. Für bloße Solidarobligationen von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 414; Liebe, Stipulation, 166; Puchta, Pandekten, § 233 bei Fn. g; Arndts, Pandekten, § 214; ebenso unter Verweis auf die Akzessorietät im Verhältnis zum Hauptschuldner von Helmolt, Correal-Obligationen, 95; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 268 ff. Für Brackenhoeft, Identität, 70 f., und Hartmann, Obligation, 155 ff., die bei Korrealobligationen eine Obligationsmehrheit annahmen, handelte es sich bei der adjektizischen Haftung ausnahmsweise um nur eine gemeinsame Obligation. Soweit man aber anerkannte, dass nach modernem Recht die Haftung der Prinzipale auf einer Stellvertretung beruhte, handelte es sich selbstverständlich um einen gewöhnlichen Fall der vertraglichen Korrealobligation, so Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 12; Wendt, Pandekten, § 206. 72 An der Einheit der Obligation bei allen Gesamtschuldverhältnissen hielten fest: Appelius, AcP 16 (1833), 281; Unterholzner, Schuldverhältnisse (1840), §§ 86 ff.; Koch, Recht der Forderungen II (1840), §§ 62 f., S. 5 ff.; Burchardi, Obligationenrecht (2.A.1854), § 247. Dagegen ging Brackenhoeft schon 1839 von einer Mehrheit von Obligationen im Korrealschuldverhältnis aus, vgl. unten Fn. 88. 73 von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 409; Thibaut, Pandekten (8. Aufl. 1834), §§ 135 ff.; Göschen, Obligationenrecht (1839), §§ 372 ff.; Mühlenbruch, Pandekten (3.A.1840), § 490; Liebe, Stipula-
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
bekanntesten Vertreter sind Savigny74, Vangerow75 und Windscheid76. Ab den 1850er Jahren aber kam Widerspruch auf. Er richtete sich in erster Linie gegen die Vorstellung, dass es eine einzige Obligation mit mehreren Schuldnern geben könne. Auch die Formel vom einheitlichen objektiven Bestand der Obligation mit den mehrfachen subjektiven Beziehungen erregte Kritik. Unklar war, was man sich unter diesem „Bestand“ eigentlich vorzustellen hatte. Zudem wirkte die Zuordnung von Ereignissen zum objektiven Bestand oder zur subjektiven Beziehung, je nachdem, ob sie Gesamt- oder Einzelwirkung haben sollten, willkürlich. Wieso sollte etwa das Verschulden und die acceptilatio den objektiven Bestand, der Verzug, der schuldrechtliche Klageverzicht oder die Konfusion nur die subjektive Beziehung treffen? Die Erklärungen schienen also das zu Erklärende schon vorauszusetzen77. Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurden zahlreiche Alternativmodelle entwickelt78. Das zu lösende Problem empfanden alle Autoren als gleich: Wie konnte man ohne die unbefriedigende Formel von der Obligationseinheit die Gesamtwirkungen der Korrealobligation erklären? Woran lag es, dass manche Ereignisse nur den einzelnen Gesamtschuldner betrafen, andere dagegen sich auf alle Gesamtschuldner auswirkten?
tion74 (1840), 157 ff., insbes. 169 f.; von Holzschuher, Theorie II/2 (1847), OR AT, Kap III/1; Puchta, Institutionen III (1847), § 263; ders., Pandekten, §§ 233 ff.; J.A. Seuffert, Pandektenrecht (1852), § 228; von Scheurl, Institutionen (1850), § 110 (3./4.Aufl. 1857/1862: § 140; anders dann ders., KritVj 18 [1876], 506 f.: Mehrheitslehre); Brinkmann, Verhältnis (1855), 137 ff.; Dworzak, KritÜb 4 (1857), 57 ff.; Müller, Institutionen (1858), §§ 97 ff.; E.Zimmermann, KritZ 5 (1859), 146; Samhaber, Correalobligation (1861), 83 ff.; Wienstein, Gruch 6 (1862), 476 ff.; Wächter, Pandekten (1881), §§ 177 f.; Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht I (1881), § 63; in Österreich Mages, Gesamtschuldverhältnisse (1872), passim. 74 Obligationenrecht I (1851), 136 ff.; vgl. auch System V (1841), 220–222. 75 Leitfaden III (1847), 64 ff.; Pandekten III (1863), § 573 (S. 65 ff.). 76 KritÜb 6 (1859), 209; KritVj 3 (1861), 161; Pandekten (7.Aufl. 1891), §§ 292 ff. 77 Zur Kritik am Keller/Ribbentrop’schen Modell siehe Brackenhoeft, Identität (1839), 145 f., Fn. 18 a; Brinz, KritBl 4 (1853), 3 ff.; Bekker, Consumption (1853), 225 f.; Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 1 ff.; Kuntze, Singularsuccession (1856), 118 ff.; ders., Jus extraordinarium (1886), 143 f., 171 f.; von Helmolt, Correal-Obligationen (1857), 159 ff.; Fitting, Correalobligationen (1859), 21 ff.; Harum, GrünZ 1 (1874), 201 ff.; Unger, JhJb 22 (1884), 222, 263 f.; Hölder, Wesen (1884), 35 ff.; Mitteis, Individualisirung (1886), 49 ff.; ders., GrünZ 14 (1887), 423 f.; Eisele, AcP 77 (1891), 376 ff. Besonders polemisch formuliert Rückert: „In diesem Falle wäre also objektiver Bestand das, was zwar nicht durch die mora, wohl aber durch die culpa afficiert wird, sofern nicht etwa der Umstand in den Weg tritt, daß eine principale und eine accessorische subjektive Beziehung vorliegen, was ferner in litem deduciert wird, was durch die Interruption, und durch den Eid des Schuldners, nicht aber durch den des Gläubigers, und was allerdings durch das dem Schuldner günstige, nicht aber das ihm ungünstige Urtheil betroffen wird, dessen Gemeinschaftlichkeit endlich zur Folge hat, daß Acceptilation und Novation als Surrogate der Zahlung wirken“, ZCRPr nF 12 (1855), 16. 78 Übersicht über die Diskussion bis 1861 aus Sicht der h.L. bei Samhaber, Correalobligation, 1–83; ferner Windscheid, KritÜb 6 (1859), 209, und KritVj 3 (1861), 161; Fritz, ZCRPr nF 17 (1860), 145. Zur späteren Diskussion Eisele, AcP 77 (1891), 394 ff.; und die eher polemische Darstellung bei Kuntze, Jus extraordinarium (1886), 149 ff.; aus heutiger Zeit Winter, Teilschuld, 30 ff.
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Nach einer insbesondere von Girtanner (1850) und Fitting (1858) entwickelten Theorie war die Korrealobligation eine Art Wahlschuldverhältnis79. Alle Verpflichteten waren nur potentiell gebunden; Schuldner der Obligation konnte nur einer werden. Wer Schuldner wurde, sollte in erster Linie von der Wahl des Gläubigers abhängen. Wählte der Gläubiger einen aus, konnten die übrigen nicht mehr Schuldner werden und wurden damit frei. Hieraus (und nicht aus einer Prozesskonsumption) sollte sich insbesondere80 die Befreiung durch litis contestatio im römischen Recht erklären. Dagegen sollten Ereignisse wie Konfusion oder schuldrechtlicher Klageverzicht keinen Akt der Wahl durch den Gläubiger bedeuten und daher die übrigen Verpflichteten nicht berühren. Diese Konstruktion einer alternativen Obligation wurde jedoch von der ganz überwiegenden Meinung abgelehnt: Nach den Quellen war jeder Verpflichtete sofort und nicht nur potentiell Schuldner, und die befreiende Wirkung der litis contestatio erklärte sich aus der prozessualischen Konsumption81. Brinz (1853)82 legte seiner Erklärung der Korrealobligation die von ihm für das Gemeine Recht entwickelte Unterscheidung von Schuld und Haftung zugrunde. Ausgangspunkt war das Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner: „Materiell“ handle es sich nur um eine Obligation des Hauptschuldners. Indem der Bürge für diese Obligation eintrete und sie notfalls erfülle, vertrete er den Schuldner. Das Recht konstruiere die Verpflichtung des Bürgen „künstlich“ als eine eigene Obligation, was aber an der materiellen Einheit nichts ändere. Ebenso verhalte es sich bei der vertraglichen Gesamtschuld: Nehmen etwa S1 und S2 als Korrealschuldner ein Darlehen von 100 auf, das jedem zur Hälfte zugutekommen soll, vertrete jeder in Höhe von 50 den jeweils anderen. „Materiell“ oder 79 Girtanner, Bürgschaft (1850/51), 75–77, 397 ff., 545 ff., 568; etwas modifiziert ders., Stipulation (1859), 252 ff.; Fitting, Correalobligationen (1859), passim; billigend Goldschmidt, ZHR 3 (1860), 267; ähnlich Stinzing, KritVj 1 (1859), 509; Puntschart, KritVj 29 (1887), 481. Der Gedanke einer subjektiv-alternativen Obligation findet sich auch schon bei Koch, Forderungen II (1840), 5 f.; und Christiansen, Institutionen (1843), § 3 (S. 285); später auch bei Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 1 I (S. 68); und bei Arndts, Pandekten, § 213, obwohl beide sonst der Keller-/Ribbentrop’schen Lehre folgen. 80 Nach Girtanner sollte auch die Gesamtwirkung von acceptilatio, Novation und Schuldnereid darauf beruhen, dass der Gläubiger den betreffenden Schuldner auswählte, damit die übrigen befreite und zugleich die nun entstandende Obligation des Ausgewählten aufhob, Bürgschaft, 400 f. Diese Konstruktion wurde selbst seitens der Pandektisten als übertrieben künstlich angesehen, Kuntze, Singularsuccession, 122 ff.; Windscheid, KritÜ 6 (1859), 223. Für Fitting beruhte die Gesamtwirkung dieser drei Ereignisse dagegen auf ihrer Qualifikation als Erfüllungssurrogat, Correalobligationen, §§ 8 f., 12, 32. Die Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung wurde mit der positiven Konstitution Justinians erklärt; die Gesamtwirkung des Verschuldens lehnten beide Autoren ab, Girtanner, Bürgschaft, 404 ff., Fitting, a.a.O., § 13. 81 Vgl. insbesondere Samhaber, Correalobligation, 92 ff., 125 ff.; Gruchot, Gruch 3 (1859), 310 f.; Windscheid, KritVj 3 (1861), 164 ff.; Brinz, KritVj 16 (1874), 3 ff.; Randa, KritVj 16 (1874), 529; Bekker, Aktionen II, 322; Hölder, Wesen, 45 ff.; Kuntze, Jus extraordinarium, 146 f., 164; Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht I, § 63 bei Fn. 20 (S. 390); Mitteis, GrünZ 14 (1887), 423; Eisele, AcP 77 (1891), 398 ff.; A. Guhl, Passive Korrealität, 18 ff. 82 Kritische Blätter Nr. 4 (1853), insbes. 18 ff.; etwas modifiziert in KritVj 16 (1874), 1; Pandekten (1879), §§ 235, 253.
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
„natürlicherweise“ handle es sich auch hier nur um eine Obligation, trotz der formalen Mehrheit83. Ebenso wie die deutschrechtliche Terminologie sprach Brinz von nur einer Schuld mit mehreren Haftungen84. Die Gesamtwirkung von Erfüllung, acceptilatio, Novation, Schuldnereid, Verjährungsunterbrechung und litis contestatio erkläre sich daraus, dass es sich um Rechtsgeschäfte handle, bei denen der beteiligte Schuldner seine Mitschuldner vertrete85, während es sich etwa bei der einzelwirkenden Konfusion nur um ein Ereignis handle, bei dem keine Vertretung möglich sei86. Die Vertretungsidee als solche gab es, wie dargestellt, schon in Frankreich. Für Brinz waren allerdings nicht nur bestimmte, sondern sämtliche Wirkungen der vertraglichen Gesamtschuld damit erklärbar. Diese Konstruktion der Korrealobligation fand in Deutschland aber keine Anhänger87. Zunehmend ging die Literatur dazu über, die unbefriedigende Keller/Ribbentrop’sche Einheit der Korrealobligation ganz fallen zu lassen und anzuerkennen, dass es sich auch bei der vertraglichen Gesamtschuld um eine Mehrheit von Obligationen handelt88. Mit diesem Modell konnte man ohne weiteres erklären, dass die Verpflichtungen der Schuldner sich verschieden entwickeln konnten. Freilich
83 Ein ähnlicher Gedanke (aber ohne die Vertretungsidee) findet sich bei Bekker, Processualische Consumption (1853), der von der Regel bis de eadem re ne sit actio ausgeht und res (was wir heute mit Streitgegenstand übersetzen würden, oben, 44) mit „Anspruch“ übersetzt (43 ff.). Bei der Korrealobligation (214 ff.) soll es sich um eine Verbindlichkeit handeln, über die mehrere Klagen begründet sind (226), bzw. materiell um eine Obligation, formell um mehrere Obligationen (227). In einer späteren Schrift näherte sich Bekker mit der Formel „ein Anspruch und mehrere Aktionen (=Obligationen)“, die zudem nur noch für das römische Recht gelten sollte, der Mehrheitstheorie an, Aktionen II (1873), 316–323. Umgekehrt (eine actio, mehrere Ansprüche) Pernice, ZHR 21 (1875), 331; ders., ZHR 33 (1887), 440. 84 Pandekten, § 235 Nr. 4 (S. 80 ff.), § 253 ab Fn. 53 (S. 172 ff.). 85 In KritBl Nr. 4 (1853) identifizierte Brinz noch Vertretung und Obligationseinheit, die nur bei echten Korrealobligationen vorliegen sollten. Später erklärte er die Klagenkonkurrenz nur noch aus dem Vertretungsgedanken, weil er nun eine Obligationseinheit auch bei Solidarobligationen annahm (bei denen Solutionskonkurrenz galt), KritVj 16 (1874), 1; Pandekten § 235. 86 Warum aber wirkte ein schuldrechtlicher Klageverzicht (pactum de non petendo) nicht zugunsten der übrigen, obwohl hier doch auch eine Vertretung möglich war? Für Brinz handelte es sich um einen Notbehelf, den das römische Recht entwickelt hatte, um den Parteiinteressen nach einem einzelwirkenden Erlass entgegenzukommen, KritBl 4 (1853), 31 f.; später erklärte er die Einzelwirkung mit der Mehrheit der Haftungen, Pandekten II/1, § 253 bei Fn. 62 (S. 174). 87 Die Vertretungsidee wird allerdings auch bei Wendt, Pandekten (1888), § 208 Nr. 2 (S. 511 f.) zur Erklärung der Gesamtwirkungen herangezogen. Gegen Brinz wurde hauptsächlich eingewandt, dass a) nach seiner Konstruktion eigentlich „materiell“ zwei Teilobligationen vorliegen müssten, b) unklar sei, was eine Vertretung bei einer Obligation bedeuten solle, c) Korrealschuldner nicht akzessorisch schulden, und d) die Gegenüberstellung von materieller Einheit und formeller Mehrheit zu unbestimmt sei und sachlich nichts aussage. Vgl. Kuntze, Singularsuccession, 126 ff.; ders., Jus extraordinarium, 145; Fitting, Correalobligationen, 5 ff.; Windscheid, KritÜ 6 (1859), 224 ff.; von Helmolt, Correal-Obligationen, 175 ff., Fn. 33; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 228 f., 238; Czyhlarz, GrünhZ 3 (1876), 127 f.; Mitteis, GrünZ 14 (1887), 429 ff.; Eisele, AcP 77 (1891), 401 ff.; Binder, Korrealobligationen, 23 ff., 318 f. Die Brinz’sche Konstruktion findet sich aber in der heutigen französischen Literatur bei Mazeaud/Chabas, Droit civil II/1, §§ 1053, 1061 ff.
3. Deutschland: Die Korrealobligation
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stelle sich für die Vertreter der „Mehrheitstheorie“ nun die Aufgabe, die vorgefundenen Gesamtwirkungen der Korrealobligation zu begründen. Soweit es um die Gesamtwirkung von acceptilatio, Novation und Schuldnereid ging, konnte man auf deren römische Qualifikation als Erfüllungssurrogate verweisen, für die Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung auf Justinians positives Gesetz. Eine Gesamtwirkung des Verschuldens lehnten die Vertreter der Mehrheitstheorie zumeist ab. Doch wie konnte man den vermeintlichen Befund erklären, dass bei den Korrealobligationen, anders als bei den Solidarobligationen, im klassischen römischen Recht Klagenkonkurrenz geherrscht hatte? Für Rückert (1855) handelte es sich bei den gesamtwirkenden Befreiungsgründen, auch bei der Klagenkonkurrenz, schlicht um Vorteile, die den vertraglichen Gesamtschuldnern zum Ausgleich für die übermäßig gesicherte Stellung des Gläubigers eingeräumt waren, während die Gesamtwirkung des Verschuldens der Sicherungsfunktion der vertraglichen Gesamtschuld diente. Die Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung habe Justinian dann zum Ausgleich für die weggefallene Klagenkonkurrenz eingeführt89. Nach Kuntze90 (1856) bestand das Korrealschuldverhältnis aus mehreren Obligationen, die denselben „Obligationsinhalt“91 aufwiesen. Befreiungsgründe wie litis contestatio, acceptilatio, Novation oder Schuldnereid zerstörten diesen gemeinsamen Obligationsinhalt und befreiten dadurch die übrigen Schuldner92. Nach von Helmolt (1857)93, dem Sintenis folgte94, sagte die Klagenkonkurrenz über das Wesen der Korrealobligation nichts aus. Die Gesamtwirkungen bei vertraglichen Gesamtschulden beruhten 88 So früh schon Brackenhoeft, Identität (1839), 4, 132, 142 ff., 152 ff., der aber offenbar auch die Klagenkonkurrenz anzweifelte, vgl. 142 Fn. 18, 153 Fn. 31. Der „Mehrheitstheorie“ folgten insbesondere Rückert, Kuntze, von Helmolt, Sintenis, Fritz, E.U. Seuffert, Hartmann, Czyhlarz, Mitteis, Dernburg, Eisele und Binder; Nachweise in den folgenden Fußnoten; ferner Harum, GrünZ 1 (1874), 201; von Scheurl, KritVj 18 (1876), 506 f. 89 Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 1. Dieser Ansicht wurde entgegengehalten, sie erkläre nicht, warum die Schuldner vom Recht derart begünstigt wurden, vgl. Kuntze, Singularsuccession, 131 ff.; Fitting, Correalobligationen, 10 f.; Windscheid, KritÜ 6 (1859), 213 f.; Samhaber, Correalobligation, 88 ff. 90 Kuntze, Singularsuccession (1856), 115 ff., 145 ff.; ders., Jus extraordinarium (1886), 153 ff. 91 Zu diesem (den Kuntze zunächst auch Vermögensstoff nannte) Kuntze, Singularsuccession, 138 ff.; Jus extraordinarium, 99 ff. In ähnlicher Weise sollte bei der Novation eine neue Obligation entstehen, die denselben Obligationsinhalt aufwies wie die alte, Jus extraordinarium, 125 ff. Unter dem Ausdruck „res“ in den Quellen sollte dieser Obligationsinhalt zu verstehen sein. 92 Kuntze sprach von theoretischen (im Gegensatz zu „echten“ wie Hinterlegung oder Aufrechnung) Erfüllungssurrogaten. Litis contestatio und Eid sollten wie eine Novation wirken. Keine Wirkung sollten die theoretischen Erfüllungssurrogate dagegen bei Solidarobligationen und generell im modernen Recht haben. Siehe Singularsuccession, 172 ff., Jus extraordinarium, 157 ff. Das Verschulden hatte Einzelwirkung, Singularsuccession, 150 ff. Die Kritiker monierten, es bliebe unklar, warum die gesamtwirkenden Befreiungsgründe auf die Korrealobligationen beschränkt gewesen seien, vgl. Bekker, KritZ (1856), 460 f.; Dworzak, KritÜb 4 (1857), 57 ff.; Windscheid, KritÜb 6 (1859), 214 f.; Samhaber, Correalobligation, 90 ff.; Eisele, AcP 77 (1891), 400 f.; Binder, Korrealobligationen, 49 ff. 93 Correal-Obligationen, 1857, passim. 94 Sintenis, Civilrecht (3. Aufl. 1868), § 89 Fn. 10 (S. 125 ff.).
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schlicht auf dem vermuteten Parteiwillen, selbst die frühere Befreiungswirkung der litis contestatio95. Schließlich erklärte Fritz (ab 1860)96 die Gesamtwirkungen von acceptilatio, Novation und Schuldnereid mit ihrer Qualifikation als Erfüllungssurrogate97. Ebenso wie von Helmolt hielt er die Klagenkonkurrenz nicht für ein Wesensmerkmal der Korrealobligation. Sie beruhe weniger auf der Prozesskonsumption, sondern eher darauf, dass das Recht die Klage gegen einen Schuldner als eine endgültig bindende Auswahl eines Schuldners durch den Gläubiger angesehen habe98. Weil man diese Erklärungen der Klagenkonkurrenz als unbefriedigend empfand, kam es in der Folgezeit zu einer Reihe von vermittelnden Ansichten, die auf die eine oder andere Art versuchten, Einheit und Mehrheit zu kombinieren. Für Baron (1864)99 setzte die Einheit der Obligation eine Personeneinheit auf der Schuldnerseite voraus. Die Korrealobligation sei deswegen eine Gesamtobligation, weil sich die Schuldner mit Abschluss des Vertrags zu einer höheren Einheit, einer Art Gesamtpersönlichkeit vereinigten, die (hier ist der Einfluss der zeitgenössischen Diskussion zur Gesamthand erkennbar100) sich von der juristischen Person dadurch unterscheide, dass sie vom Bestand der Mitglieder nicht unabhängig sei. Weil aber das Bestehen einer einzigen Gesamtobligation unpraktisch sei, gebe es zusätzlich für jeden Schuldner eine eigene Sonder-Obligation. Die Korrealobligation sei also ein Gesamtrechtsverhältnis in Form einer Obligation, die mehrere Obligationen enthalte. Schuldaufhebende oder -erschwerende Ereignisse (auch das Verschulden101) berühren grundsätzlich nur die jeweilige Sonderobligation, Erfüllung, acceptilatio, Novation und Schuldnereid dagegen die Gesamtobligation102. Die Klagenkonkurrenz beruhe darauf, dass Gegenstand des Prozesses das Rechtsverhältnis als solches und damit die Gesamtobligation sei103. 95 von Helmolt, Correal-Obligationen, 137 ff. Aus heutiger Sicht wirkt von Helmolts auf Konstruktionen verzichtende Theorie erstaunlich modern. Allerdings wurde zu Recht bemängelt, dass insbesondere die Klagenkonkurrenz nicht auf einen vermuteten Parteiwillen zurückgeführt werden konnte, etwa Windscheid, KritÜb 6 (1859), 215 ff.; E.Zimmermann, KritZ 3 (1859), 146. 96 Fritz, ZCRPr nF 17 (1860), 165 f., ZCRPr nF 18 (1861), 377 ff., ZCRPr nF 19 (1862), 55. Sachlich war Fritz Anhänger der Mehrheitstheorie, auch wenn er gelegentlich von „Unität“ oder einer „Gesamtobligation“ sprach, ZCRPr nF 17 (1860), 165 f.; 18 (1861), 381, 388 f. Dies waren für ihn nur (ungenaue) Ausdrucksweisen, aus denen er, anders als die im Folgenden genannten Autoren, keine konstruktiven Schlüsse zog. Ebenso Fritz E.U. Seuffert in den Anmerkungen zu J.A. Seufferts Pandektenrecht, 4. Aufl. 1867, § 228 Fn. 4. 97 ZCRPr nF 19 (1862), 71 f., 88 f. Das Verschulden hatte Einzelwirkung, a.a.O., 74 ff., 80 ff. 98 ZCRPr nF 18 (1861), 379; 19 (1862), 93 ff. 99 Baron, Gesammtrechtsverhältnisse (1864), 77 f., 225 ff. 100 Hierzu unten, 75 ff. 101 Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 285 ff. Die Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung beruht nur auf Justinians Konstitution, a.a.O., 290 f. 102 Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 234 f., 278, 308 ff., 333 ff., 376 ff. Bei der Novation soll der Parteiwille entscheiden, ob die Sonderobligation oder die Gesamtobligation berührt werde, a.a.O., 235 f., 319 ff. 103 Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 363 ff.
3. Deutschland: Die Korrealobligation
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Aus heutiger Sicht ähnlich ist Ungers Theorie (1884), die ebenfalls Anleihen bei der deutschrechtlichen Gesamthand nahm104. Die Korrealobligation war für Unger Einheit und Mehrheit zugleich, für deren Beschreibung er verschiedene Ausdrücke zur Hilfe nahm: eine zur Einheit zusammengefasste Mehrheit von Obligationen, eine Verbandsobligation, eine aus Einzelobligationen zusammengesetzte Obligation, eine Kollektivobligation oder eine mehrgliedrige Obligation. Die Schuldner sollten eine Schuld- bzw. Haftungsgemeinschaft bilden105 und insoweit als Einheit bzw. als eine einzige Person anzusehen sein, die aber kein selbständiges Subjekt gegenüber den Schuldnern sei. Hierzu passte die gegenseitige Verschuldenszurechnug. Gesamt- oder Einzelwirkung sollten davon abhängen, ob das Ereignis die Gesamt- oder nur die Gliedobligation berühre106. Die Klagenkonkurrenz beruhe darauf, dass mit der Gliedobligation zugleich die Gesamtobligation anhängig gemacht werde107. Sowohl gegen Baron als auch gegen Unger wurde eingewandt, das Nebeneinanderstehen von einer Gesamt- oder Kollektivobligation und mehreren Einzeloder Gliedobligationen sei unlogisch und finde in den Quellen keine Stütze; zudem verkenne Unger das Wesen der römischen Korrealobligation. Beiden wurde der Vorwurf gemacht, dass die Konstruktion von Gesamt- bzw. Kollektivobligationen die Wirkung der Klagenkonkurrenz vielleicht beschreiben, aber nicht erklären könne, da es gerade fraglich sei, warum die Anhängigmachung einer Klage nicht nur die betreffende Einzelobligation berühre108. Ähnliche Vorwürfe musste sich schließlich die Theorie von Hölder (1884) gefallen lassen, wonach die Korrealobligation zwar aus einer Mehrheit von Obligationen bestand, die aber kraft Parteiwillens als identisch angesehen wurden109. Die Klagenkonkurrenz beruhte für ihn auf einer vom Recht fingierten Obligationseinheit110. Die Schuldner sollten in ihrer Eigenschaft als Subjekt der Korrealobligation als eine Person angesehen werden. Treffe ein Ereignis den Schuldner gerade in seiner Eigenschaft als Schuldner dieser Obligation, trete folglich Ge-
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Unger, JhJb 22 (1884), 207; vgl. auch ders., JhJb 23 (1885), 106. Unger machte selbst auf den Zusammenhang zur deutschrechtlichen Gesamthandschuld aufmerksam, hielt die Beschreibung aber auch für die römische Korrealobligation für zutreffend, JhJb 22 (1884), 224 f. Seine Folgerung (a.a.O., 231 Fn. 55), die Korrealität finde ihren schärfsten Ausdruck in einer Regel, wonach nur alle Schuldner zusammen verklagt werden können (die es aber weder im römischen noch im Gemeinen Recht gab), macht deutlich, dass sich Ungers Haftungsgemeinschaft eher von der römischen Gesamtschuld entfernte. 106 Erfüllung, Schuldnereid und freisprechendes Urteil betrafen die Gesamtobligation; bei Erlass und Novation hing die Wirkung vom Parteiwillen ab; und die Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung war ein „Unikum“, JhJb 22, 264 ff. 107 JhJb 22, 256 ff. 108 Vgl. Hölder, Wesen (1884), 31 ff., 43 ff.; ders., AcP 69 (1886), 207 ff.; Kuntze, Jus extraordinarium, 148 f., 167 f.; Mitteis, Individualisirung, 51 Fn. 58; ders., GrünZ 14 (1887), 435 ff.; Eisele, AcP 77 (1891), 394 ff. Selbst von Gierke kritisierte Ungers Hineinlesen deutschrechtlichen Gedankenguts in die römischen Quellen, Genossenschaftstheorie, 362 Fn. 3. 109 Hölder, Wesen der Korrealobligation (1884), 35 ff.; ders., AcP 69 (1886), 203. 110 Wesen, 45 ff. 105
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
samtwirkung ein111. Auch gegen diesen Ansatz wurde geltend gemacht, dass von einer Fiktion in den Quellen nicht die Rede sei und zudem offenbleibe, worin der Grund für eine solche Fiktion liege112. Dass dieser „Zustand der Lehre wenig erfreulich“113 war (er gilt heute als Blüte der Begriffsjurisprudenz), entging auch den zeitgenössischen Autoren nicht, die an der (hier nicht einmal vollständig wiedergegebenen) Fülle der vorgeschlagenen Konstruktionen zunehmend verzweifelten114. Die Aufgabe, vor die sich die Pandektisten gestellt sahen, erschien kaum lösbar. Für Ribbentrop waren drei Elemente notwendig miteinander verknüpft: die rechtsgeschäftliche Gesamtschuld, die Obligationseinheit und die Klagenkonkurrenz. Die Einheit der Obligation erwies sich zunehmend als nicht haltbar. Damit verblieb aber auch für die Anhänger der Mehrheitstheorie die Verknüpfung von rechtsgeschäftlicher Gesamtschuld und Klagenkonkurrenz, die es irgendwie zu erklären galt. Der Nebel lichtete sich daher (aus heutiger Sicht) erst dann, als man auch diese Verknüpfung löste, indem man die Klagenkonkurrenz als prozessrechtliche Besonderheit ansah, die es nicht nur bei rechtsgeschäftlichen Gesamtschulden gegeben hatte.
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Wesen, 56 f.; AcP 69, 218 ff. Unger, JhJb 23 (1885), 115 ff.; Kuntze, Jus extraordinarium, 141 f., 149 f.; Eisele, AcP 77 (1891), 396 ff. 113 Windscheid, Pandekten, § 293 Fn. 1. 114 Es wird „in dem Kopfe des Schülers, vor lauter Dogma, finster“, Brinz, KritBl 4 (1853), 42. „Dies schrieb Brinz im Jahre 1853, was würde er wohl jetzt sagen?“, Hasenöhrl, Obligationenrecht I, § 9 Fn. 1 (1899). „Jene Verkünstelung der einfachen quellenmäßigen Grundsätze der Correalität, welche die Ursache dafür ist, daß den Juristen selbst bei dem bloßen Namen der Correal-Obligation ein gewisses Unbehagen überkommt, trägt sicher auch die Schuld, daß diese Lehre hinsichtlich ihrer praktischen Brauchbarkeit in eine Art von Erstarrung geraten ist“, von Helmolt, Correal-Obligationen (1857), S. VI. „Ueber das Wesen der Correalobligation ist in der neueren Zeit so viel geschrieben worden, daß das Thema anfangen mag, Manchem einen gelinden Ueberdruß zu erregen“, Windscheid, KritVj 3 (1861), 161. „Wo solche ,zwiespältige‘, verzwickte, geschraubte, verwickelte und nebelhafte Constructionen auftauchen (…), offenbart sich ein Zustand der Verzweiflung“, Kuntze, Jus extraordinarium (1886), 149. „Jeder denkende Kopf von einfachem, gesundem, praktischem Blick und Urteil musste ohnehin durch jene ganze scholastische Behandlungsweise, durch den ewigen Schulstreit über Einheit und Vielheit zurückgeschreckt werden“, Hartmann, ZSchwR 28 (1887), 115. „… unerträglicher scholastischer Logicismus, mit welchem wir gerade in dieser Lehre so reichlich überschüttet worden sind“, Kohler, KritVj 30 (1888), 212. „Noch im Jahre 1829 konnte geschrieben werden: ,Es ist nicht leicht über irgend einen andern Hauptpunkt des römischen Rechts die Literatur so dürftig, wie über diesen‘. Mancher möchte vielleicht diesen Zustand zurückwünschen“, Windscheid, Pandekten, § 292 Fn. * a.E. Bekannt ist der Spott Jherings: „Zu den widerhaarigsten ,Rechtsfiguren‘, die mit einer wahrhaft dämonischen Störrigkeit behaftet sind, gehört vor allem die Korrealobligation. (…) Man kann die Juristen der heutigen Zeit in zwei Klassen einteilen: diejenigen, die über die Korrealobligation geschrieben, und die nicht darüber geschrieben haben. Den Theologen kann der Begriff der Dreieinigkeit nicht mehr Kopfzerbrechen verursacht haben, als unsern Juristen der dieser civilistischen Zwei- oder Mehreinigkeit. (…) Mir schwindelt der Kopf, wenn ich mich in diese Literatur vertiefe, und je mehr ich davon lese, desto wirrer wird es mir, und wenn ich einen praktischen Fall zu beurtheilen habe, so werde ich seiner nur dadurch Herr, daß ich alles, was ich je über Korrealobligationen gehört und gelesen, gänzlich vergesse“, Scherz und Ernst, 8 f. 112
3. Deutschland: Die Korrealobligation
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Czyhlarz (1876)115 erklärte die Klagenkonkurrenz damit, dass die mehreren vertraglichen Korrealobligationen auf derselben causa beruhten und damit eadem rem im prozessrechtlichen Sinne bildeten. Die Klagenkonkurrenz war für ihn kein Wesensmerkmal der Korrealobligationen, sondern gewissermaßen nur zufällig mit ihnen verknüpft und vereinzelt auch außerhalb der Korrealobligationen zu finden. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam Ludwig Mitteis (1886), nach dessen Ansicht die Klagenkonkurrenz ursprünglich weit über das Feld der Korrealobligationen hinausgereicht hatte, bei nichtrechtsgeschäftlichen Gesamtschulden dann aber zum Schutz des Gläubigers abgeschafft und bei Korrealobligationen lediglich länger beibehalten worden war116. Für Hartmann (1887)117 und Dernburg (1882/1900)118 war die Frage, ob für eine bestimmte Art von Gesamtschulden Klagenkonkurrenz geherrscht hatte, auch von der historischen Entwicklung des römischen Prozessrechts abhängig, so dass die Klagenkonkurrenz eher bei älteren, die Solutionskonkurrenz eher bei jüngeren Gesamtschuldarten des römischen Rechts geherrscht hatte. Obwohl sich damit die vertragliche bzw. rechtsgeschäftliche Gesamtschuld nicht mehr durch die Klagenkonkurrenz gegenüber anderen Gesamtschuldarten auszeichnete, hielten Czyhlarz, Hartmann und Dernburg an der Trennung zwischen Korrealobligationen (im Wesentlichen rechtsgeschäftliche Gesamtschulden) und Solidarobligationen (im Wesentlichen gesetzliche Gesamtschulden) fest. Bestimmte Gesamtwirkungen, insbesondere die gegenseitige Verschuldenszurechnung, sollte es weiterhin nur bei der Korrealobligation geben119. Czyhlarz begründete dies mit der durch die Einheit der causa begründeten Identität des Inhalts der Obligationen, Hartmann mit dem identischen Obligationszweck, während Dernburg schlicht auf das Verkehrsinteresse nach einer engeren Bindung der Korrealschuldner verwies. Demgegenüber sah Mitteis, abgesehen von der durch Justinians Gesetz vorgesehenen Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung, keine praktischen Unterschiede zwischen beiden Gesamtschuldformen mehr120. Noch weiter gingen (mit unterschiedlichen Begründungen) Eisele (1891)121 und Binder (1899)122, indem sie zahlreiche Quellenstellen, die von einer Solutionskonkurrenz sprachen, für interpoliert erklärten123. Demnach hatte es auch bei 115
Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 59, insbes. 109 ff. Mitteis, Individualisirung (1886), 61 ff., 100 ff. 117 ZSchwR 28 (1887), 113, insbes. 119. Die Obligationenmehrheit bei der Korrealobligation hatte Hartmann schon in Obligation (1875), 147 ff., 153 f., verteidigt. 118 Preußisches Privatrecht (1882), § 47 Fn. 7; Pandekten (1900), § 72. 119 Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 77 ff.; Hartmann, ZSchwR 28 (1887), 123 ff., 131 ff., 144 f.; Dernburg, Pandekten II, § 73. 120 Mitteis, Individualisirung (1886), 111 ff.; ders., GrünZ 14 (1887), 474 ff.; ähnlich Kohler, KritVj 30 (1888), 211 ff. 121 Eisele, AcP 77 (1891), 374, insbes. 410 ff. 122 Binder, Korrealobligationen (1899). 123 Eisele, AcP 77 (1891), 432 ff.; Binder, Korrealobligationen, 313 ff.; ebenso Krüger, SZ RA 22 (1901), 215; ähnlich später Levy, Konkurrenz I, 76 ff.; Kritik bei Hruza, KritVj 42 (1900), 174. Anders als Binder kannte Eisele daneben noch eine beschränkte Anzahl sog. unechter Solidarobliga116
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
gesetzlichen Gesamtschulden, die bislang zu den Solidarobligationen gezählt worden waren, Klagenkonkurrenz gegeben, womit das Fundament der Keller/ Ribbentrop’schen Lehre endgültig zusammenbrach. Insbesondere sollten sich vertragliche Gesamtschulden nicht grundsätzlich von der gesamtschuldnerischen Haftung mehrerer deliktischer Mittäter unterscheiden124. Am Endpunkt des 19. Jahrhunderts und der gemeinrechtlichen Diskussion hatte die rechtsgeschäftliche Gesamtschuld damit endgültig ihre dogmatische Eigenständigkeit verloren.
4. Ein deutschrechtliches Modell? In der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben Germanisten, insbesondere Stobbe und von Gierke, der römischen Korrealobligation ein deutschrechtliches Pendant gegenübergestellt125. Die sogenannte Gesamthandsschuld, die sich in den einheimischen Quellen findet, entstand durch gemeinsamen Vertragsschluss. Sofern es kein Gesamthandsvermögen der Schuldner gab, konnte sich der Gläubiger zur Vollstreckung nur an die einzelnen Schuldner halten, und zwar entweder anteilig oder, wie bei römisch-gemeinrechtlichen Gesamtschuld, solidarisch. Im Falle eines Gesamthandsvermögens konnte die Haftung auf dieses beschränkt sein; möglich war aber auch eine daneben bestehende anteilige oder solidarische Haftung jedes Schuldners. Sofern der Gläubiger sich an jeden Schuldner für das Ganze halten konnte, entsprach die Gesamthandsschuld also funktional der römisch-gemeinrechtlichen Gesamtschuld. Eigentümlich soll ihr aber nach Vorstellung der Germanisten gewesen sein, dass die Gesamtleistung nicht von jedem einzelnen Schuldner, sondern nur von allen Schuldnern zusammen geschuldet wurde126. Von Gierke führte diesen Gegensatz zwischen gemeinsamer Schuld und Zugriff auf den einzelnen Schuldner auf eine deutschrechtliche Unterscheidung zwischen Schuld und Haftung zurück127. Danach wurde mit Schuld das recht124 tionen, die aber nur einen kleinen Teil der bisherigen Solidarobligationen umfassten, hierzu unten, 529 ff. und 732 f. Im vorliegenden Zusammenhang allein wichtig ist, dass beide eine einheitliche Gruppe aus rechtsgeschäftlichen und gesetzlichen Gesamtschulden bildeten. 124 Die für sie in den Quellen zu findende Solutionskonkurrenz beruhte für Eisele auf historischen Besonderheiten des römischen Rechts (Entwicklung aus den alten Strafklagen). Weitergehend dann Levy, Konkurrenz I, 80 ff., für den es im klassischen römischen Recht überhaupt keine Solutionskonkurrenz gegeben hatte. Zur heutigen Sicht oben, 46 f., siehe auch unten, 508 ff. 125 Stobbe, Geschichte (1855), 139, 145 ff.; ders., Handbuch III (1878), § 176; von Gierke, Schuld und Haftung, 109 ff.; ders., Deutsches Privatrecht III, § 182; Georg Beseler, Deutsches Privatrecht I, § 115 II, S. 523 f.; Heusler, Institutionen II, 258 ff.; Bluntschli, Deutsches Privatrecht, § 110 Nr. 5; von Amira, Nordgermanisches Obligationenrecht, Bd. I, 177 ff., Bd. II, 207 ff.; s.a. Caroni, ZBJV 103 (1967), 289. 126 Von Gierke, Schuld und Haftung, 110 ff.; ders., Deutsches Privatrecht III, 248 ff.; Stobbe, Geschichte, 146 f., 159 f.; ders., Handbuch III, 166; ähnlich Heusler, Institutionen II, 260; Hacman, ZHR 68 (1910), 450 ff.; Hübner, Deutsches Privatrecht, § 81; Caroni, ZBJV 103 (1967), 292. 127 Von Gierke, Schuld und Haftung, insbes. 98 ff.; ferner Hübner, Deutsches Privatrecht, § 68.
4. Ein deutschrechtliches Modell?
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liche Leistensollen bezeichnet, das als solches dem Gläubiger noch keinerlei Zwangs- oder Vollstreckungsmittel in die Hand gab. Die Haftung betraf demgegenüber den Zugriff des Gläubigers auf die Person, das Vermögen oder eine Sache des Schuldners oder eines Dritten. Haftung und Schuld konnten auseinander fallen. Konnte sich der Gläubiger für seinen Zugriff etwa nicht an den Schuldner, sondern nur an den Bürgen halten, dann schuldete der Schuldner ohne Haftung, während der Bürge haftete, ohne Schuldner zu sein. Da also die „Schuld“ lediglich das bezeichnete, was rechtlich geschehen sollte, und den Zugriff des Gläubigers außen vor ließ, handelte es sich bei der Gesamthandsschuld nur um eine einzige Schuld: Schließlich sollte der Gläubiger die Leistung auch nur einmal und nicht mehrfach erhalten. Anders verhielt es sich bei der Frage nach dem Zugriff des Gläubigers: Für eine einzige Schuld konnten selbstverständlich mehrere Personen oder Vermögen haften. Demnach konnte es auch eine solidarische Haftung mehrerer Personen für eine einzige Schuld geben. Im Laufe der Zeit sollen sich Schuld und Haftung einander angenähert haben, indem man in Fällen, in denen zunächst nur von einer Haftung die Rede war, dazu überging, auch eine Schuld des Haftenden anzunehmen128. Insbesondere dann, wenn sowohl ein Gesamthandsvermögen als auch die Schuldner selbst hafteten, habe es auch ein Modell gegeben, wonach eine gemeinsame Verpflichtung und zugleich einzelne Verpflichtungen jedes Schuldners vorlagen129. Ob es tatsächlich ein von der römischen Rezeption unbeeinflusstes einheimisches Recht gab, das der römischen Terminologie eine eigenständige technische Terminologie, insbesondere die Unterscheidung zwischen Schuld und Haftung, entgegenhielt, ist aus heutiger Sicht zweifelhaft. Richtig ist aber, dass es zur Schuldnermehrheit auch einheimische Rechtsvorstellungen gab, die sich wohl in der Praxis mit römischem Gedankengut gemischt haben. Die Vorstellung einer auf irgendeine Art „gemeinschaftlichen“ Schuld gehörte wohl dazu. Wahrscheinlich hat sie die Idee gefördert, dass die gemeinsame Haftung zu einer Art „Schuldgemeinschaft“ mit Ausgleichspflichten führe, dass also ein Regressrecht schon aus der Gesamtschuld selbst folge, eine Idee, die dem römischen Recht fremd war und sich erst im Gemeinen Recht durchsetzte130. Auch die Vorstellung, dass die Schuldner in irgendeiner Art gemeinsam und zugleich einzeln schulden können, hat es im einheimischen Recht gegeben, wie der noch heute gebräuchliche Ausdruck „samt und sonders“ zeigt131. Besonders deutlich zeigen sich diese Vorstellungen bis heute im englischen Recht.
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Von Gierke, Schuld und Haftung, 101 ff., 109; ders., Deutsches Privatrecht III, 251 f. Von Gierke, Genossenschaftsrecht II, § 15 (S. 383 ff.); ders., Genossenschaftstheorie, 362 Fn. 3; ders., Deutsches Privatrecht III, 249 f. 130 Unten, 263 ff. 131 Vgl. Kreittmayr, Anmerkungen IV, 80, wonach die Correalität „omnes & singulos, das ist, alle insgesamt, und jeden besonders (…) betreffen“ soll. Zum modernen Äquivalent der Schuld bei Personenaußengesellschaften unten, 80 ff. 129
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
Hier gibt es zur kontinentaleuropäischen Gesamtschuld gleich zwei funktionelle Äquivalente. Bei der mangels anderer Abreden entstehenden joint liability soll es sich um eine einzige Schuld mehrerer durch ein gemeinsames Versprechen handeln132. Sie war ursprünglich dadurch geprägt, dass der Gläubiger die Schuldner gemeinsam verklagen musste, wenn er sich auch zur Vollstreckung an jeden einzelnen halten konnte. Sofern der Gläubiger ausnahmsweise nur einen oder nur einige der Schuldner verklagen durfte, etwa weil die übrigen im Ausland waren, konsumierte das Urteil ähnlich wie bei der römischen Stipulationsgesamtschuld alle Klagen, so dass die nicht beklagten Schuldner frei wurden. Ebenso, wie es teilweise bei der deutschrechtlichen Gesamthandsschuld angenommen wurde133, ging die Verpflichtung beim Tod eines Schuldners nicht auf dessen Erben über, sondern wuchs den Mitschuldnern zu. Daneben findet sich die jüngere Schuldnermehrheitsform der joint and several liability. Hier sollen eine gemeinsame Verpflichtung und zugleich Einzelverpflichtungen jedes Schuldners auf das Ganze vorliegen, die durch ein gemeinsames Versprechen, verbunden mit Einzelversprechen jedes Schuldners, begründet werden. Beide Gesamtschuldformen werden auch heute noch unterschieden, haben sich aber in ihren Rechtsfolgen im Laufe der Zeit immer mehr einander angenähert. Wenn auch unklar ist, inwieweit die Vorstellung einer einzigen gemeinsamen Schuld mehrerer Schuldner im einheimischen Recht tatsächlich eine Rolle spielte und sich von der römischen-gemeinrechtlichen Begrifflichkeit unterschied (in der man die Korrealobligation schließlich ebenfalls häufig als gemeinsame Schuld auffasste), wurde sie jedenfalls im 19. Jahrhundert von den Germanisten populär gemacht und bewusst der gemeinrechtlichen Gesamtschuld gegenübergestellt. Dieser Einfluss ist bis heute spürbar, und zwar nicht nur beim Schuldmodell der Gesamthandsgemeinschaften134, sondern auch bei der heute herrschenden Lehre von der „gemeinschaftlichen Schuld“, bei der mehrere Schuldner, die kein Gesamthandsvermögen haben, die Leistung im Zusammenwirken erbringen müssen135.
5. Die deutschsprachigen Regelwerke Bei der Ausgestaltung ihrer Regelungen zum Gesamtschuldverhältnis waren die neuzeitlichen Gesetzgeber nicht an die (vermeintlichen oder wirklichen) überlieferten römischen Gesamt- und Einzelwirkungen gebunden. Der Code Civil
132 Zur joint liability und zur joint and several liability Williams, Joint Obligations, 33, 92 ff.; Chitty/Burrows, Joint Obligations, Rz 17-002 ff., 17-015 f.; Treitel/Peel, Contract, Rz 13-005 ff.; rechtsvergleichend Friedmann/Cohen, Adjustment, § 13. 133 Vgl. Stobbe, Geschichte, 169 f.; F. Schmidt, Handelsgesellschaften, 68; Heusler, Institutionen II, 258 f.; von Gierke, Deutsches Privatrecht III, 249. 134 Unten, 75 ff. 135 Unten, 134 ff.
5. Die deutschsprachigen Regelwerke
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lehnte sich, wie gezeigt, dennoch an die vermeintliche römische Überlieferung an und kannte insbesondere eine Reihe schuldnerbelastender Gesamtwirkungen. Im deutschsprachigen Raum hielten sich die Verfasser der Kodifikationen und Entwürfe (mit Ausnahme des deutschrechtlich beeinflussten CMBC und des französisch beeinflussten Hessischen Entwurfs136) dagegen mit der Anordnung von insbesondere schuldnerbelastenden Gesamtwirkungen zurück. Sowohl das preußische ALR (1794) als auch das österreichische ABGB (1811) stellten den Grundsatz auf, dass sowohl begünstigende als auch belastende Ereignisse nur den einzelnen Gesamtschuldner treffen, nicht seine Mitschuldner137. Als Ausnahmen sah das ALR in römischer Tradition die Gesamtwirkung der Novation sowie der Verjährungsunterbrechung durch Klage vor138, während der Text des ABGB überhaupt keine Gesamtwirkungen kannte139. Die Frage, wie das vertragliche Gesamtschuldverhältnis zu „konstruieren“ sei, insbesondere ob eine oder mehrere Obligationen vorliegen, stellte sich für die Gesetzgeber nicht140. Ähnliches galt in der Schweiz für das Züricher Gesetzbuch (1855) und später für das Schweizer Obligationenrecht (1881). Eine Gesamtwirkung ordneten beide Gesetze nur bei der Verjährungsunterbrechung an141. Bei Befreiungsgründen außerhalb der Erfüllung sah das Obligationenrecht eine Gesamtwirkung „nur so weit“ vor, „als die Umstände oder die Natur der Verbindlichkeit es rechtfertigen“142. Zum zeitgenössischen Streit um das Wesen der Korrealobligation äu-
136 Nach CMBC IV 1, § 21 Nr. 4, sollten günstige und belastende Ereignisse grundsätzlich Gesamtwirkung haben. Zum Hessischen Entwurf unten im Text. 137 ALR I 5 §§ 437–439; ABGB § 894. Aufgrund der gemeinrechtlichen Tradition wurde aber die Gesamtwirkung des Verschuldens im 19. Jahrhundert teilweise in den Gesetzestext hineingelesen. Zum ALR Koch, Forderungen II, 33 f.; Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht I, § 63 nach Fn. 82 (S. 407 ff.) m.w.N.; Samhaber, Correalobligation, 209 f.; dagegen Dernburg, Preußisches Privatrecht II, 118; Binder, Korrealobligationen, 489 ff. Zum ABGB Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 121 f.; Unger, JhJb 22 (1884), 254; dagegen Binder, a.a.O., 504 f. Heute nimmt man in Österreich die Einzelwirkung des Verschuldens an, Rummel/Gamerith, ABGB, § 894 Rz 2; Klang/Perner, ABGB, §§ 893–894 Rz 17; für eine Werthaftung aber Ehrenzweig/Mayrhofer, System II/1, § 15 I. 138 Novation: ALR I 16 § 458. Verjährungsunterbrechung: ALR I 5 § 440 (s.a. ALR I 9 §§ 576– 578); hierzu Bornemann, Preußisches Civilrecht II, 659; Koch, ALR, zu ALR I 5 § 439, Anm. 37; Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht I, § 63 bei Fn. 68 (S. 403 f.). 139 Die Gesamtwirkung der Erfüllung und ihrer Surrogate (Hinterlegung, Aufrechnung) ist bei Gesamtschulden selbstverständlich und wird hier nicht weiter berücksichtigt. Näheres zur Erfüllung unten, 248 ff. 140 Beide Gesetzbücher sprechen gelegentlich von einer Schuld, Verbindlichkeit oder Forderung, vgl. ALR I 5 §§ 430, 431, ABGB § 896. Dies spiegelt jedoch nur den gemeinrechtlichen Sprachgebrauch wider, oben, 49 f. Vgl. zum ALR Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht I, § 63 nach Fn. 46 (S. 399). In Österreich unternahm Mages, Gesamtschuldverhältnisse (1872), den (wenig überzeugenden) Versuch, die Keller/Ribbentrop’sche Theorie in das ABGB hineinzutragen; kritisch Harum, GrünZ 1 (1874), 201. 141 ZürGB § 1071; OR 1881 Art. 155 S. 1 (OR 1911 Art. 136 I). 142 OR 1881 Art. 166 II (OR 1911 Art. 147 II).
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
ßerte sich der Schweizer Gesetzgeber nicht143. Ebenso zurückhaltend waren die Verfasser des Allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs (1861)144. Die Verfasser der deutschen Partikularrechte und Entwürfe dagegen formten ihre Gesamtschuldvorschriften in bewusster Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Lehre. Zunächst entschied man sich überall aus Praktikabilitätsgründen gegen die vermeintlich gemeinrechtliche Zweiteilung der Gesamtschuld in Korreal- und Solidarobligationen145. Dies bedeutete, dass für die vertragliche Gesamtschuld keine Sondervorschriften vorgesehen waren. Während der (österreichisch geprägte) Sächsische Entwurf (1852) nach der gemeinrechtlichen Tradition von der Einheit der Schuld ausging146, sollte es sich beim Gesamtschuldverhältnis für die Verfasser des Hessischen (1853) und des Bayerischen Entwurfs (1861), der Pothier’schen Formel gemäß, objektiv um eine, subjektiv um mehrere Obligationen handeln147. Die hieraus gezogenen Folgerungen waren aber unterschiedlich. Alle drei Entwürfe kannten die Gesamtwirkungen der Novation und des Erlasses (bei entsprechendem Gläubigerwillen)148. Der Hessische Entwurf lehnte sich jedoch ans französische Recht an und sah eine Werthaftung der Mitschuldner im Fall der nur von einem zu vertretenden Unmöglichkeit vor; auch sollte das sich auf die Schuld beziehende Urteil gegenüber einem Gesamtschuldner Gesamtwirkung haben149. Der Bayerische und der Sächsische Entwurf dagegen beschränkten sich im Wesentlichen auf die Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung150. Die modernsten Regelwerke, zumindest aus Sicht des BGB-Schuldrechtsredaktors von Kübel, waren das Sächsische BGB (1863) und der Dresdener Entwurf (1866). Hier entschlossen sich die Gesetzgeber, die Gesamtschuldregeln konsequent auf dem Modell der (vermeintlich gemeinrechtlichen) Solidarobliga143 Auch beim Schweizer Obligationenrecht darf man wohl keine Schlüsse daraus ziehen, dass der Gesetzestext von einer Schuld, Forderung oder Verbindlichkeit spricht, OR 1881 Art. 162, 163, 164 (OR 1911 Art. 143, 144, 145). Zum Versuch, die gemeinrechtliche Zweiteilung der Gesamtschuldverhältnisse ins OR hineinzutragen, Hartmann, ZSchwR 28 (1887), 113. 144 Nach dem Preußischen Entwurf, Art. 215, galt die Gesamtschuldvermutung, „wenn zwei oder mehrere Personen gemeinschaftlich dieselbe Verbindlichkeit in Handelsgeschäften eingegangen sind“. In Art. 280 ADHGB hieß es dann nur noch „gemeinschaftlich eine Verpflichtung eingegangen sind“, um dem Eindruck entgegenzutreten, die handelsrechtliche Gesamtschuld sei eine Korrealobligation im Gegensatz zu einer Solidarobligation, vgl. ADHGB-Prot. 499. Der Gesetzgeber wollte sich zu dieser Streitfrage nicht äußern, da man diese „als eine rein doktrinäre im Gesetze zu berühren nicht für gut fand, zumal selbst die Doktrin über dieselbe noch nicht völlig ins Reine gekommen zu sein scheine und für manche Partikular-Rechte (z.B. das allgemeine preuß. Landrecht, das rheinische und das österreichische Recht) die Frage überhaupt nicht von Interesse sei“, ADHGB-Prot. 1308. 145 Hierzu unten, 541 ff. 146 Motive zum Sächsischen Entwurf, zu § 592, S. 128. 147 Motive zum Hessischen Entwurf IV 1, S. 19 ff.; Motive zum Bayerischen Entwurf II, S. 116. 148 SächsE §§ 604, 925; HessE IV 1, Art. 328, 346 II; BayE II, Art. 231 III, 232 II. 149 HessE IV 1 Art. 240, 354. Die Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung fehlt nur deshalb, weil der Hessische Entwurf Verjährungsfragen ausklammerte. 150 BayE II Art. 238. Ansonsten sollten begünstigende und belastende Ereignisse grundsätzlich Einzelwirkung haben, BayE II Art. 229. Ähnlich SächsE § 601 f.
5. Die deutschsprachigen Regelwerke
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tionen aufzubauen, also auf dem Modell einer Mehrheit von Obligationen151. Abgesehen von der Novation152 und, im Dresdener Entwurf, dem Gesamterlass durch Quittung153, die man als Erfüllungssurrogate behandelte, waren daher überhaupt keine Gesamtwirkungen vorgesehen. Die Verbindlichkeiten der einzelnen Gesamtschuldner waren allein durch die gesamtbefreiende Wirkung der Erfüllung (oder ihrer Surrogate) verbunden. Diesen Ansatz favorisierte von Kübel auch für das BGB. Nach seinem Vorlageentwurf (1878) sollte die Ausgestaltung der Gesamtschuldregeln dem „Mehrheitsprinzip“ folgen154. Als einzige Gesamtwirkung (abgesehen von den echten Erfüllungssurrogaten) war die Möglichkeit eines zwischen dem Gläubiger und einem Gesamtschuldner vereinbarten Gesamterlasses (heute § 423 BGB) vorgesehen, die von Kübel nicht auf die Eigenarten des Gesamtschuldverhältnisses, sondern auf eine entsprechende Anwendung der Regeln zum Vertrag zugunsten Dritter zurückführte155. Ansonsten sollten die Schicksale der einzelnen Obligationen unabhängig voneinander sein. Doch die Erste Kommission sprach sich dagegen aus, den Gesamtschuldregeln ein bestimmtes Modell zugrunde zu legen. Der Streit um Einheit oder Mehrheit der Obligation sollte nicht vom Gesetzgeber, sondern von der Wissenschaft gelöst werden. Über die Gesamt- oder Einzelwirkung von Tatsachen sollten allein Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte und das Verkehrsbedürfnis entscheiden156. Der Sache nach blieb es im Ersten Entwurf dabei, dass eine Gesamtwirkung nur für den Erlass (bei entsprechendem Parteiwillen) vorgesehen war. In der Zweiten Kommission wurde die Gesamtwirkung des Annahmeverzugs (§ 424) hinzugefügt. Ansonsten sollten sämtliche „Tatsachen“ grundsätzlich nur Einzelwirkung haben, § 425. Damit setzte man sich von der gemeinrechtlichen Tradition der Gesamtwirkung insbesondere der Verjährungsunterbrechung und (nach herrschender Lehre) des Verschuldens ab. Es ist daher kein Zufall, dass die Einzelwirkung des Verschuldens im Ersten Entwurf heftige Kritik hervorrief157 und auch in den beratenden Kommissionen selbst stets umstritten war158. Eine Minderheit plä151 Zum SächsGB sein Verfasser Siebenhaar, Sächsisches Privatrecht, 456, 574; ferner Siebenhaar/Pöschmann, SächsGB, Anm. zu § 1019; B.Schmidt, Vorlesungen I, 410; zum Dresdener Entwurf Dresd.Prot., 53 f., 1452–1456. 152 SächsGB § 1028 (kritisch Unger, Revidierter Entwurf Sachsen, 89: Die Gesamtwirkung der Novation sei angesichts der grundlegenden Entscheidung für das Mehrheitsprinzip inkonsequent); DresdE Art. 381. 153 DresdE Art. 342. 154 Motive zum VorlageE, 20 (Schubert, SR III, 1232). 155 VorlE, These XII und § 14, Motive zum VorlE, 44 f. (Schubert, SR III, 1214, 1219, 1256 f.). 156 Jakobs/Schubert, SR I, 895 f., 905, 907; entsprechend dann die Motive zum Teilentwurf 1882, 14 (Schubert, SR I, 66) und zum Ersten Entwurf, Mot. II, 165 (Mugdan II, 86). Im Wortlaut des jetzigen § 421 BGB vermied man das Wort „Wahl“ des Gläubigers, um dem Eindruck vorzubeugen, man habe sich der Girtanner/Fitting’schen Wahlschuldtheorie angeschlossen, Prot. 873 f. (Mugdan II, 605). Für das Einheitsprinzip sprach sich der Gegenentwurf von Rocholl aus, §§ 320 ff. mit Anmerkungen. 157 Hartmann, AcP 73 (1888), 392 ff., 395 f.; Bähr, Gegenentwurf, § 312; Reatz, Gemeinschaftliche Schuld, 1113 f. 158 Vgl. zum Verschulden Jakobs/Schubert, SR I, 925 f.; Prot. 881 ff. (Mugdan II, 607).
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
dierte dafür, wenigstens für vertragliche Gesamtschulden eine gegenseitige Verschuldenshaftung vorzusehen. Doch die Mehrheit lehnte ab: Selbstverständlich stand es bei der vertraglichen Gesamtschuld den Parteien frei, eine gegenseitige Verschuldenshaftung zu vereinbaren. Mit der Wendung in § 425 „soweit sich nicht aus dem Schuldverhältnis ein anderes ergibt“ waren abweichende Parteivereinbarungen gemeint159. Solche sollten nach Ansicht der Mehrheit aber auch bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden nicht vermutet werden. Im Ergebnis behandelt also das BGB vertragliche Gesamtschulden ebenso wie gesetzliche, womit es sich im Einklang mit anderen Kodifikationen und Entwürfen befindet, aber von der herrschenden gemeinrechtlichen Ansicht des 19. Jahrhunderts abwich. Mit Gesamterlass und Annahmeverzug kennt es nur zwei (schuldnerfreundliche) Gesamtwirkungen. Die vertragliche Gesamtschuld, befreit von belastenden Gesamtwirkungen, weist nach dem Gesetz gegenüber anderen Gesamtschuldverhältnissen keinerlei Besonderheit auf.
6. Anmerkungen aus heutiger Sicht Die pandektistische Diskussion um die Einheit oder Mehrheit der Korrealobligation gilt heute als unfruchtbarer begriffsjuristischer Streit. Besonders befremdend kann dabei wirken, dass dieser Streit seinen Ausgangspunkt in der Klagenkonkurrenz und damit in einem Phänomen fand, das schon seit weit über tausend Jahren nicht mehr geltendes Recht war. Der heutige Rechtswissenschaftler, der sich mit der deutschen Gesamtschuld beschäftigt, hat es allerdings insofern leichter, als dass er für die Frage, ob ein Ereignis Gesamt- oder Einzelwirkung hat, auf das positive Recht, auf die Interessen der Parteien und auf das systematische Argument der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle verweisen kann und nicht mehr darauf angewiesen ist, in diesem Zusammenhang die in den Quellen überlieferten Regeln und insbesondere das Phänomen der Klagenkonkurrenz erklären zu müssen. Will man aus heutiger Sicht zu dem begrifflichen Streit Stellung nehmen, kann zumindest sicher gesagt werden, dass die Konstruktion eines Wahlschuldverhältnisses zwar eine theoretisch mögliche ist, aber das Gesamtschuldverhältnis, ob nach Gemeinem oder nach kodifiziertem Recht, nicht richtig beschreibt160. Weniger schwer wiegt dabei das Argument, dass das Recht zur Wahl des leistenden Schuldners zumindest auch, wenn nicht sogar in erster Linie, den Schuldnern zusteht: Schließlich hat der einzelne Schuldner auch dann das Recht zur befreienden Leistung, wenn der Gläubiger einen anderen Gesamtschuldner bevorzugt und 159 Die ursprüngliche Fassung „soweit sich nicht aus dem Rechtsgeschäfte, auf welchem das Gesammtschuldverhältniß beruht, ein anderes sich ergibt“ wurde nur deswegen geändert, um auch nachträgliche Änderungen durch Rechtsgeschäft einzuschließen, Prot. 880–882 (Mugdan II, 605 f.). 160 Zum Recht des BGB allgemeine Meinung, etwa Endemann, BürgR I, § 154, 2 b; Leonhard, SR AT, § 360; Staud/Kaduk, § 421 Rz 59 ff.
6. Anmerkungen aus heutiger Sicht
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sogar (seit 534) schon Klage gegen diesen erhoben hat161. Notfalls könnte man das Wahlrecht auch bei den Schuldnern verankern. Entscheidend ist vielmehr, dass die Annahme, der gewählte Schuldner gelte (ob ex nunc oder ex tunc) als alleiniger Schuldner, im Leistungsstörungsbereich zu unrichtigen oder unpassenden Ergebnissen führen muss. Ein Gesamtschuldverhältnis, bei dem die Schuldner (kraft Parteivereinbarung) das Verschulden ihrer Mitschuldner vertreten müssen, könnte damit nicht erklärt werden. Unerfindlich wäre auch, warum der Gläubiger mehrere Schuldner gleichzeitig in Verzug setzen und auch von mehreren nebeneinander Verzugszinsen oder den Ersatz eines Verzugsschadens verlangen kann. Tatsächlich soll in einem vereinbarten Gesamtschuldverhältnis jeder Schuldner sofort schulden. Ob man nun bei dieser Sachlage, in der jeder Schuldner von Anfang an verpflichtet ist, von einer Obligationseinheit, von mehreren Haftungen für eine Schuld, von Gesamt- und Sonderobligationen, von einem identischen Obligationsinhalt oder -zweck oder von einer Vertretung in der Obligation spricht, hängt davon ab, was man unter den betreffenden Begriffen verstehen will. Immerhin wird auch heute von mehreren Schuldverhältnissen im engeren Sinne und einem Schuldverhältnis im weiteren Sinne gesprochen162. Eine bestimmte begriffliche Konstruktion des vertraglichen Gesamtschuldverhältnisses kann aber Gefahr laufen, die Sacherklärungen für die einzelnen Rechtsfolgen zu verschleiern, insbesondere wenn die Begriffe selbst (wie etwa die Vertretung in der Obligation nach Brinz oder nach französischer Doktrin) nicht ganz klar sind. Nach heutigem Verständnis des Begriffs des Schuldverhältnisses im engeren Sinne bzw. der Forderung oder der Schuld liegen bei Verpflichtungen mehrerer immer auch mehrere Forderungen und Schulden vor. Ein weiterer Schuldner bedeutet eine weitere Schuld. Eine einzige Schuld gegenüber mehreren ist also nur dann möglich, wenn die Schuldner zu einer Gruppe zusammengefasst werden. Dieser Gedanke findet sich, von der germanistischen Gesamthandslehre beeinflusst, im 19. Jahrhundert bei Baron und in eingeschränktem Maß auch bei Unger. Im 20. Jahrhundert wurde er allgemein für Schulden von Personengesellschaften fruchtbar gemacht. Sofern aber die Schuldner keine Gruppe bilden, spricht man heute von mehreren Schulden. Damit sind aber rechtliche Zusammenhänge zwischen diesen Schulden nicht ausgeschlossen. Es war gerade die Erklärung dieser Zusammenhänge, welche die 161 So schon Kuntze, Singularsuccession, 124. Die Vertreter der Wahlschuldtheorie sahen sich hierdurch genötigt, das Leistungsrecht des „nicht gewählten“ Schuldners damit zu begründen, dass jeder fremde Verbindlichkeiten erfüllen kann (heute § 267 BGB); Fitting, Correalobligationen, 194 f.; Girtanner, Stipulation, 268 Fn. 221. Damit entfernt sich die Konstruktion völlig vom Gesamtschuldverhältnis. 162 Vgl. Planck/Siber, vor § 241 Anm. I 1; Gernhuber, Schuldverhältnis, § 2 I; ders., Erfüllung, § 1/1; Staud/Olzen, § 241 Rz 36 ff.; MüKo/Kramer, vor § 241 Rz 13; im Gesamtschuldkontext etwa Staud/Werner (9. Aufl. 1930), vor § 420 Anm. 2; Soergel/Re. Schmidt (1967), § 421 Rz 3; RGRK/Weber, § 421 Rz 43; Larenz, Schuldrecht AT, § 37 II; Erman/Ehmann, § 427 Rz 9; BGHZ 46, 14, 15 (14.7.1966).
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
Schriftsteller des 19. Jahrhunderts zur Entwicklung verschiedener Modelle herausforderte. Nach ihrer eigenen Einschätzung war es die eigentliche Aufgabe der zu entwickelnden Konstruktion der Korrealobligation, eine überzeugende Erklärung ihrer Gesamtwirkungen zu finden163. Das längst verschwundene Phänomen der Klagenkonkurrenz im klassischen römischen Recht hätte aber keinen so großen Einfluss auf die Dogmatik des vertraglichen Gesamtschuldverhältnisses gehabt, wenn es nicht auch andere Gesamtwirkungen gegeben hätte, die tatsächlich oder vermeintlich in den Quellen zu finden und als weiterhin geltendes Recht anzusehen waren. Der Versuch, diese Gesamtwirkungen (insbesondere des Verschuldens und der Verjährungsunterbrechung) auf vertraglich vereinbarte Gesamtschulden zu beschränken, mag historisch unrichtig entwickelt worden sein, ist aber der Sache nach verständlich164. Die Identifikation von vertraglichen Gesamtschulden und Klagenkonkurrenz war dabei für die Diskussion wenig hilfreich. Die verschiedenen Formeln zur Erklärung von Gesamt- und Einzelwirkungen sind aus heutiger Sicht unbefriedigend, weil sie Phänomene nur vage beschreiben und nicht erklären. Ob ein bestimmtes Ereignis den Bestand der Obligation oder die subjektive Beziehung berührt, ob bei ihm eine Vertretung möglich ist, ob es die Gesamt- oder die Gliedobligation trifft, ob es den Gegenstand, den Obligationsinhalt oder den Obligationszweck betrifft oder nicht, all dies lässt sich nicht aus einer bestimmten Begrifflichkeit deduzieren. Interessant ist aber, dass sowohl im französischen Recht als auch in der deutschen gemeinrechtlichen Lehre des 19. Jahrhunderts die Verbindung zwischen rechtsgeschäftlicher Gesamtschuld und einer Reihe von Gesamtwirkungen selbstverständlich war. Dies ist heute anders. Der BGB-Gesetzgeber schuf ein Einheitsregime für alle Gesamtschuldarten und lehnte besondere Gesamtwirkungen für vertragliche Gesamtschulden ab. Doch das Bedürfnis nach solchen Gesamtwirkungen hat sich auch nach 1900 immer wieder geäußert, insbesondere im Leistungsstörungsbereich. Schon von Anfang an war anerkannt, dass bei Verträgen mit Rechtsanwälten, die sich zu einer Sozietät zusammengeschlossen hatten, nicht nur Gesamtschulden der Rechtsanwälte bestanden, sondern auch jeder Anwalt für das Verschulden seiner Kollegen einstehen musste165. Ebenso entschied der BGH im Falle einer von mehreren betriebenen Autowerkstatt166 sowie bei Verträgen mit Ärzten, 163 Siehe insbesondere Ribbentrop, Correal-Obligationen, 20, 258 f.; Samhaber, Correalobligation, 87 ff., 162; Windscheid, KritÜb 6 (1859), 213 ff.; ders., KritVj 3 (1861), 161; ders., Pandekten, § 293 Fn. 1 a.E., nach denen die wichtigste Aufgabe der Obligationseinheit die Erklärung der Gesamtwirkungen war. Die entscheidende Bedeutung der Erklärung der Gesamtwirkungen hebt auch Sintenis hervor, Civilrecht, § 89 Fn. 10. 164 Ähnlich R. Leonhard, FS ABGB II, 849 ff. 165 So RGZ 22, 314 (22.11.1988, noch zum preußischen Recht); RGZ 85, 306 (6.10.1914); OLG Hamm, NJW 1970, 1791 (13.5.1970); BGHZ 56, 355 (6.7.1971); BGHZ 83, 328 (21.4.1982); BGH NJW-RR 1988, 1299 (10.3.1988); BGHZ 124, 47 (5.11.1993); hierzu Kornblum, BB 1973, 218; seit 1994 BRAO § 51 a II. 166 BGHZ 45, 311 (30.6.1966). Ebenso zur GbR als Vermieterin BGH ZIP 1990, 611 (7.3.1990).
7. Die Gesamthand als Schuldner
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die sich zu einer Gemeinschaftspraxis zusammengeschlossen hatten167. Die Abweichung von § 425 wurde anfänglich in erster Linie damit begründet, dass in diesen Fällen nicht der Gläubiger, sondern die Schuldner festlegen, wer von ihnen die geschuldete Leistung tatsächlich erbringt, so dass das Risiko der Schlechtleistung durch den ausgewählten Schuldner nicht vom Gläubiger getragen werden sollte168. Doch dieses Auswahlrecht der Schuldner besteht grundsätzlich bei jeder Art von Gesamtschuldverhältnis, solange die Schuldner leistungsbereit sind: Der Gläubiger hat nicht das Recht, die Leistung eines ihm weniger genehmen Schuldners abzulehnen169. Später argumentierte man damit, dass die Rechtsanwälte oder Ärzte dem Gläubiger als Einheit gegenübertreten und damit konkludent die Haftung für Leistungsstörungen der Mitschuldner übernehmen170. Aus diesem Grunde sollte auch bei einem Vertrag mit einer SteuerberaterSozietät das Anerkenntnis durch einen Steuerberater die Verjährung entgegen § 425 zulasten aller Schuldner unterbrechen171. Dann fragt es sich aber, was diese „Einheit“ sein soll und ob es Fälle vertraglich vereinbarter Gesamtschulden gibt, in denen die Schuldner nicht als Einheit auftreten. Schließlich ging die Rechtsprechung dazu über, in bestimmten Fällen, in denen die Schuldner als Gruppe auftreten, mit einem veränderten Schuldmodell zu arbeiten, aus dem sich die gewünschten Gesamtwirkungen von selbst ergaben.
7. Die Gesamthand als Schuldner Wollen mehrere Personen zusammen Geschäfte betreiben, können sie gemeinschaftlich einen Vertrag mit einem Dritten schließen. In diesen Fällen entsteht gewöhnlich eine Gesamtschuld, § 427. Stattdessen können sie auch eine juristische Person, etwa eine Aktiengesellschaft, eine GmbH oder einen Verein gründen. Kontrahiert die juristische Person, besteht keine Schuldnermehrheit, sondern nur eine einzige Schuld der juristischen Person. Das deutsche Recht kennt daneben die dritte Möglichkeit, dass die Schuldner eine Gesamthandsgemeinschaft bilden. Die heutige Rechtsfigur der Gesamthand hat in erster Linie einen sachenrechtlichen Hintergrund. Sie wurde, unter Fruchtbarmachung deutschrechtlichen Gedankenguts, zur Regelung der Beteiligung mehrerer an einem Sondervermögen entwickelt, für die das rezipierte römische Recht keine passenden Instrumente bereithielt. 167
BGHZ 97, 273 (25.3.1986); BGHZ 142, 126, 136 f. (29.6.1999); BGHZ 165, 36 (8.11.2005). Vgl. Josef, JW 1912, 511; ihm folgend RGZ 85, 306; ferner Heck, Schuldrecht, 235; OLG Hamm, NJW 1970, 1791, 1792; BGHZ 56, 355; BGHZ 97, 273; Staud/Noack, § 425 Rz 36; MüKo/ P. Bydlinski, § 425 Rz 18. 169 Vgl. unten, 233. 170 Vgl. Müller, NJW 1969, 903; Larenz, Schuldrecht AT, § 37 II, S. 641 f.; Selb, Mehrheiten, 48 f.; OLG Hamm, NJW 1970, 1791, 1792 f.; Wernecke, Gesamtschuld, 162 f.; BGH NJW 1999, 2731, 2734 (29.6.1999). 171 BGH WM 1996, 33 (28.9.1995). 168
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
Für Gesellschaften, auch wenn sie Handel betrieben, stellte das römische Recht nur die societas zur Verfügung, die als reine Innengesellschaft konzipiert war. Zwar war schon im klassischen römischen Recht die Bildung eines Gesellschaftsvermögens üblich, doch konnte dieses nur in der Form von Bruchteilseigentum an eingebrachten Sachen (communio) entstehen172. Nicht nur die Schulden173, sondern auch die Forderungen „der Gesellschaft“ waren unter den Gesellschaftern real geteilt. Dieses Regelungsmodell der societas wurde im Gemeinen Recht rezipiert174 und fand für die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft Eingang in die Mehrheit der Kodifikationen und Entwürfe175. Den Bedürfnissen der Handel treibenden Gesellschaften seit dem Mittelalter entsprach es aber nicht. Berichtet wurde schon, dass sich bei ihnen die Regel der Solidarhaftung der Gesellschafter entwickelte176. Auf der Aktivseite bestand in der Regel ein gemeinschaftliches Gesellschaftsvermögen in Form von dinglichen Rechten, Kapital und Forderungen. Um den Verbleib dieses Vermögens im gemeinsamen Geschäft sicherzustellen, musste es vom Privatvermögen der einzelnen Gesellschafter getrennt und insbesondere dem Zugriff der Privatgläubiger der Gesellschafter entzogen werden. Dies war aber mit der Konstruktion einer Bruchteilsgemeinschaft oder mit einer Realteilung nicht möglich. Das Gesellschaftsvermögen musste auch juristisch ein Sondervermögen aller Gesellschafter zusammen bilden. Damit entstand aber im 19. Jahrhundert die Frage, ob einem solchen Sondervermögen nicht auch ein besonderer Vermögensinhaber zugeordnet werden musste, und, wenn ja, ob die Handelsgesellschaft als Inhaber des Gesellschaftsvermögens dann als juristische Person anzusehen war. In Frankreich wurden beide Fragen bejaht177, in Deutschland im Ergebnis nur die erste. Bekanntlich machten Beseler, von Gierke und andere Germanisten 172 Tatsächlich hatte das ältere römische Recht eine vollständige Gütergemeinschaft (consortium) gekannt, die zunächst bei einer Erbenmehrheit und später auch durch Vereinbarung entstehen konnte. Wie bei der deutschen Gesamthand gab es keine Anteile, über die der Einzelne verfügen konnte, wenn auch jeder Beteiligte (sozusagen kraft Ermächtigung) über einzelne Gegenstände verfügen konnte, Gai. 3,154 a, b; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 24 III, IV (99–101), § 37 I (142). Doch sowohl bei Erbengemeinschaften als auch bei rechtsgeschäftlichen Verbindungen wurde diese Gütergemeinschaft durch die Bruchteilsgemeinschaft ersetzt, Kaser, a.a.O., § 99 I, II (410 ff.), § 138 I (590 f.), § 179 I (727). Zum Vermögen bei der römischen societas Kaser, a.a.O., § 133 I, III 2 (572 f., 575); ders., Römisches Privatrecht II, § 267 I, II 1 (409 f.); Zimmermann, Obligations, 451– 455, 465. 173 Oben, 16 f. 174 Stellvertretend Glück, Pandecten, Bd. X, 419, Bd. XI, 122 ff., Bd. XV, 460 ff.; Höpfner, Commentar, § 904 (S. 179); Vangerow, Pandekten, §§ 651 Anm. 2, 653; Dernburg, Pandekten II, § 127; Coing, Europäisches Privatrecht I, § 90 (464 ff.). 175 CC a.F. Art. 1845, 1851, 1862 f.; ABGB §§ 1175 ff., 1183, 1203; OR 1881 Art. 544; HessE IV 2 Art. 370, 382, 390; BayE II Art. 543, 546, 558; SächsGB §§ 1366, 1378; DresdE Art. 771–773, 791, 795. Anders aber das ALR, das eine Miteigentumsgemeinschaft der Gesellschafter vorsah, ALR I 17, §§ 169 ff., 198, 263 ff., I 5 §§ 450 ff.; sowie der Sächsische Entwurf von 1852 mit einem Gesamthandsmodell, SächsE §§ 1296, 1329 ff.; Motive zum SächsE, 290 f. Zeitgenössischer Überblick in der Beratungsvorlage zum BGB-Gesellschaftsrecht, 21 ff. (Schubert, SR III, 51 ff.). 176 Oben, 18 f. 177 Fremery, Droit commercial (1833), 30 ff.; Coing, Europäisches Privatrecht II, 355 f.; Servos, Personenhandelsgesellschaften, 88 f.; heute Code de commerce, Art. L 210-6.
7. Die Gesamthand als Schuldner
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deutschrechtliches Gedankengut fruchtbar und sahen die Gesellschaft als eine Gesamthandsgemeinschaft an, die weder ein rein schuldrechtlicher Zusammenschluss noch eine juristische Person war178. Das gemeinschaftliche Vermögen sollte den einzelnen Gesamthändern weder real noch ideal geteilt zustehen, sondern nur der Gemeinschaft als solcher, die kein von den Gesamthändern getrenntes Rechtssubjekt, sondern eine kollektive Einheit der Gesamthänder selbst war. Die Handelsgesellschaft sollte als eine solche Gesamthandsgemeinschaft rechtsund parteifähig sein. Dies bedeutete, dass bei im Namen der Gesellschaft eingegangenen vertraglichen Verbindlichkeiten die Gesellschaft selbst Schuldnerin war. Die persönlichen Verbindlichkeiten der Gesellschafter aus ihrer Haftung für die Gesellschaftsschulden waren damit von der Schuld der Gesellschaft zu trennen179. Als Gesamthandsgemeinschaften galten aber auch (partikularrechtlich bestehende) eherechtliche Gütergemeinschaften und Erbengemeinschaften. Es war diese Diskussion, die Barons und Ungers Theorie der Korrealobligation beeinflusst hatte180. Der Gesetzgeber übernahm die Idee einer rechtsfähigen Gesamthand nur sehr zögerlich181. Zwar fand sich die heutige Bestimmung des § 124 Abs. 1 HGB, wonach die OHG unter ihrer Firma unter anderem Rechte erwerben, Verbindlichkeiten eingehen, vor Gericht klagen und verklagt werden kann, schon als Art. 111 Abs. 1 im ADHGB von 1861. Eine Rechtsfähigkeit der Handelsgesellschaft sollte damit aber gerade nicht angeordnet werden. Die weiter gehende Formulierung des Preußischen Entwurfs, wonach die Handelsgesellschaft „als solche“ selbständig ihre Rechte und Pflichten hat182, wurde bewusst nicht übernommen. Die Rechtsnatur der Handelsgesellschaft sollte offengelassen und mit Art. 111 es den Gesellschaftern lediglich aus praktischen Gründen ermöglicht werden, unter ihrer Firma gerichtlich und außergerichtlich aufzutreten183. Zurückhaltung zeigte man zunächst auch bei Regeln zum Gesellschaftsvermögen. Die im Preußischen und Österreichischen Entwurf vorgesehene Trennung von 178 von Gierke, Genossenschaftsrecht II (1873), § 36, S. 923 ff.; ders., Genossenschaftstheorie (1887), 339 ff., 435 ff., 492 ff., 592 ff.; ders., Deutsches Privatrecht, Bd. I (1895), §§ 79, 80 (S. 660 ff., 663 ff.), vgl. auch Bd. II (1905), § 122 (S. 387 ff.), Bd. III (1917), § 183 (S. 268 ff.); Beseler, Deutsches Privatrecht, Bd. I, § 70, S. 275 f., Bd. II, §§ 229, 230/VII (S. 1034 f., 1040); ebenso von romanistischer Seite Kuntze, ZHR 6 (1863), 208 ff. Überblick bei Seif, SZ GA 2001, 302; Wächter, Gesamthandsgemeinschaften, 37 ff., 64; zu von Gierke Wertenbruch, Haftung, 40 ff.; siehe auch Weber, Handelsgesellschaften, 44 ff.; Hübner, Deutsches Privatrecht, § 21 II, § 23 III; Buchda, Gesamthand, HRG I, 1587 ff. 179 Hierzu insbesondere von Gierke, Genossenschaftstheorie, 550 ff. 180 Vgl. Unger, System I, § 43, S. 330 ff., 333, zur Gesamthand. 181 Zur gesetzlichen Regelung der Handelsgesellschaften und zum Streit um ihre Rechtsnatur im preußischen und österreichischen Recht vor dem ADHGB Servos, Personenhandelsgesellschaften, 28 ff., 42 ff., 131 ff. 182 Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preußischen Staaten, Art. 87 (auch abgedruckt in Schubert, Protokolle ADHGB, Bd. 10). Nach den Motiven zu Art. 87 (Motive PreußE, S. 47) sollte offengelassen werden, ob die Handelsgesellschaft juristische Person sei; jedenfalls solle sie rechtsfähig sein. Vgl. auch Ladenburg, ZHR 1 (1858), 136 ff.; Goldschmidt, KritZ 4 (1859), 186 ff. 183 Prot. ADHGB, 154–161, 274–279. Siehe auch Wertenbruch, Haftung, 46 ff.
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
Gesellschaftsvermögen und Gesellschaftervermögen184 wurde von einer Mehrheit ebenso abgelehnt wie der Vorschlag, wenigstens Einzelbestimmungen zum Schutz des Gesellschaftsvermögens vor Privatgläubigern aufzunehmen, weil man eine unzulässige Vermischung von juristischer Person und societas befürchtete185. Erst in dritter Lesung setzten die Regierungen von Preußen und Sachsen solche Gesamthandsbestimmungen durch, insbesondere die Unzulässigkeit der Vollstreckung in das Gesellschaftsvermögen durch Privatgläubiger und das Verbot der Aufrechnung eines Privatgläubigers gegen eine Gesellschaftsforderung186. Weil das ADHGB die Rechtsnatur der Handelsgesellschaft nicht ausdrücklich geregelt hatte, war es auch nach 1861 strittig, ob es sich um eine modifizierte römische societas, um eine juristische Person oder um eine Gesamthandsgemeinschaft im Sinne der Germanisten handelte187. Dem letzteren Modell entsprach die Rechtsprechung des Reichsoberhandelsgerichts, nach der die Handelsgesellschaft rechts- und parteifähig, aber keine juristische Person war, während die Rechtsprechung des Reichsgerichts weniger einheitlich war188. Nach dem ADHGB lagen Handelsgesellschaften nur dann vor, wenn die Vereinigung gewerbsmäßig, also auf Dauer angelegt, Handelsgeschäfte betrieb. Doch die Frage nach der kollektiven Rechtszuständigkeit stellte sich auch bei anderen Vereinigungen, die entweder gar nicht erwerbswirtschaftlich ausgerichtet waren oder zwar Erwerbsgesellschaften waren, aber keine Handelsgeschäfte i.S.d. ADHGB betrieben. Sofern solche Vereinigungen ein gemeinsames Vermögen aufwiesen und unter einheitlichem Namen auftraten, wurden sie von der Rechtsprechung im 19. Jahrhundert zumindest teilweise ebenso wie Handelsgesellschaften als parteifähig angesehen und im Ergebnis wie rechtsfähige Personenvereinigungen behandelt189. Das Schicksal dieser „Nichthandelsgesellschaften“ war Gegenstand der Beratungen zum BGB. Für die einfache bürgerlich-rechtliche Gesellschaft folgten die Regeln des Ersten Entwurfs bekanntlich dem Modell der römischen societas und sahen nur eine reine Innengesellschaft vor, die sich in den schuldrechtlichen Beziehungen unter den Gesellschaftern erschöpfte. Ein „Gesellschaftsvermögen“ war nur in Form von gewöhnlichem Miteigentum an in die Gesellschaft eingebrachten Sachen 184
PreußE Art. 88; hierzu kritisch Goldschmidt, KritZ 4 (1859), 165 ff.; Entwurf eines österreichischen Handelsrechtes, Ministerieller Entwurf § 88, Revidierter Entwurf § 90 (alle Entwürfe abgedruckt in Schubert, Protokolle ADHGB, Bd. 10). Zu den entsprechenden Bestimmungen im Entwurf eines ADHGB von 1849 siehe Servos, Personenhandelsgesellschaften, 220 ff. 185 Prot. ADHGB, 1026 f., 1133–1144. 186 Prot. ADHGB, Bd. 11 [2], S. 21–23, Prot. ADHGB 4520–4526, 4638 f. Ergebnis: ADHGB Art. 119–122; hierzu Wertenbruch, Haftung, 50 ff. Gesamthandsregeln für die Handelsgesellschaft fanden sich auch in ZürGB §§ 1272, 1294 ff., 1304 f.; OR 1881 Art. 563 ff. (OR 1911 Art. 568 ff.). 187 Nachweise bei Gensel, ArchPrRW nF 1 (1864), 211 ff.; von Gierke, Genossenschaftstheorie, 48–51; Goldschmidt, Handelsrecht, § 42; Wieland, Handelsrecht I (1921), 396 ff., 613 ff., 629 f.; Wertenbruch, Haftung, 83 ff., 167 f.; Wächter, Gesamthandsgemeinschaften, 55 ff.; Coing, Europäisches Privatrecht II, § 63 IV, S. 364 f. 188 Überblick bei Wertenbruch, Haftung, 58 ff. 189 Nachweise bei Wertenbruch, Haftung, 112 ff.
7. Die Gesamthand als Schuldner
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möglich190. Nach diesem Modell führte eine gemeinschaftliche vertragliche Verpflichtung der Gesellschafter im Zweifel zu Teilschulden; sofern aber die im Ersten Entwurf geltende Teilschuldvermutung widerlegt war, lagen gewöhnliche Gesamtschulden vor. Der Gläubiger konnte sich dann zur Vollstreckung an das Vermögen eines beliebigen Gesellschafters halten, zu dem auch die Anteile dieses Gesellschafters an den gemeinschaftlichen Gegenständen gehörten. Die Zweite Kommission entschloss sich demgegenüber, das Gesamthandsprinzip auch für Gesellschaften des bürgerlichen Rechts einzuführen191. Ergebnis waren die §§ 718–720 BGB, die durch § 736 ZPO ergänzt wurden, wonach die Gesellschafter ein Gesamthandsvermögen bilden konnten (aber nicht mussten). Im zeitgleich entstehenden Handelsgesetzbuch konnte auf besondere Gesamthandsvorschriften für die Handelsgesellschaft nun verzichtet werden, indem man auf die Regeln zur BGB-Gesellschaft verwies, von der die Handelsgesellschaft nun nur noch eine Sonderform war192. Diese Regeln des Ersten Entwurfs, die nur eine schuldrechtlich wirkende societas vorsahen, müssen allerdings vor dem Hintergrund gesehen werden193, dass der Erste Entwurf (nach dem Vorbild des Dresdener Entwurfs194) für bürgerlichrechtliche Erwerbsgesellschaften195 die Möglichkeit vorsah, sich durch Beschluss der Gesellschafter den Regeln der OHG zu unterwerfen, womit eine Eintragung ins Handelsregister, die Fähigkeit, vor Gericht aufzutreten und Verbindlichkeiten einzugehen, sowie die solidarische Haftung der Gesellschafter verbunden war196. Diese Vorschrift (§ 659 E I) wurde auch in der Zweiten Kommission gebilligt und in den Zweiten Entwurf eingefügt197. Erst in den Beratungen des Bun190
E I §§ 631, 642, und 645, wonach die Verfügung über Anteile am Gesellschaftsvermögen lediglich mit schuldrechtlicher Wirkung verboten wurde. Zum Hintergrund Jakobs/Schubert, SR III, 286 ff.; Mot. II, 591, 599 f., 615 (Mugdan II, 330, 335, 344); Wächter, Gesamthandsgemeinschaften, 115 ff. 191 Jakobs/Schubert, SR III, 292 ff.; Prot. 2430 ff. (Mugdan II, 988 ff.); Denkschrift, 84 ff. (Mugdan II, 1259 f.); ebenso schon der Gegenentwurf (zum Ersten Entwurf) von Rocholl, §§ 629 ff. mit Anmerkungen (nach dem die Gesellschafter gegenüber Dritten gemeinschaftlich nach den Regeln zur unteilbaren Leistung hafteten, § 642). Nach Wertenbruch, Haftung, 34 ff., 165 ff., beabsichtigte der Gesetzgeber, dieselbe Art von Gesamthandsgemeinschaft wie bei der OHG einzuführen; anders Wächter, Gesamthandsgemeinschaften, 243 ff., 284 ff., 319 ff.; hierzu auch U.Huber, FS Lutter (2000), 120 f. 192 § 105 III HGB i.d.F.v. 22.6.1998 (früher § 105 II); Denkschrift HGB, zu § 94 II, S. 80 (258 f.), zu §§ 111–112, S. 91 (274 f.). Nur für die OHG wurden allerdings im HGB § 124 II und § 129 eingeführt, hierzu Denkschrift HGB, zu §§ 111–112, S. 90 (273 f.), zu §§ 116–118, S. 95 f. (280 f.); Wertenbruch, Haftung, 88 ff. Vgl. auch Wächter, Gesamthandsgemeinschaften, 296 ff. 193 Zum Folgenden Wächter, Gesamthandsgemeinschaften, 93 ff., 115 f., 254 ff., 319 f.; K. Schmidt, Gutachten III, 498 f. 194 DresdE Art. 810. Hierzu der Überblick in der Beratungsvorlage Gesellschaftsrecht, Schubert, SR III, 285 ff. 195 Damit waren Gesellschaften gemeint, die ein Gewerbe betrieben, Jakobs/Schubert, SR III, 362. 196 E I § 659. Zu den Gründen Jakobs/Schubert, SR III, 354 ff.; kürzer Mot. II, 632 ff. (Mugdan II, 353 ff.). 197 E II § 675; hierzu Prot. 2472 ff. (Mugdan II, 1002 ff.).
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
desrats wurde die Regel gestrichen, weil man die Öffnung der OHG-Regeln stattdessen durch eine Revision des Kaufmannsbegriffs im neuen HGB erreichen wollte198. Die Vorschriften zur BGB-Gesellschaft sollten also nach Ansicht der Mitglieder sowohl der Ersten als auch der Zweiten Kommission nur solche Gesellschaften betreffen, die entweder kein Gewerbe betrieben oder sich nicht für eine Anwendung der OHG-Regeln entschieden hatten199. Ob es daher tatsächlich dringende Bedürfnisse der Praxis waren oder eher der germanistische Einfluss, die zur Umgestaltung der BGB-Gesellschaft in der Zweiten Kommission führten, ist nicht sicher. Im HGB kam es allerdings nicht zu einer umfassenden Öffnung des Kaufmannsbegriffs. Nur Unternehmen, deren Gewerbebetriebe einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erforderten, wurden durch eine Eintragung ins Handelsregister Handelsgewerbe (§ 2 HGB a.F.)200. Für kleingewerbliche und auch nichtgewerbliche Gesellschaften verblieb damit nur die Regelung des BGB, so dass ein praktisches Bedürfnis für die Gesamthandsregelung der §§ 718 ff. tatsächlich gegeben war. Die vom Gesetzgeber offen gelassene Frage, welche Folgen aus dem Gesamthandsprinzip zu ziehen seien, hat die deutsche Rechtswissenschaft das ganze 20. Jahrhundert lang beschäftigt. Bei der OHG legte immerhin schon das Gesetz fest, dass sie unter ihrer Firma Verbindlichkeiten eingehen und verklagt werden konnte und dass die Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft akzessorisch hafteten201, so dass es praktisch weniger bedeutsam war, ob man hieraus die Rechtsfähigkeit der OHG schloss oder von einer gesetzgeberischen Fiktion ausging202. Bei der BGB-Gesellschaft fehlen dagegen solche Regeln. Vielmehr sieht § 714 vor, dass der Geschäftsführer im Zweifel dazu ermächtigt ist, „die Gesellschafter“ zu vertreten, was für bloße Gesamtschulden der Gesellschafter sprechen könnte. Entsprechend umstritten war hier das Schuldmodell203. 198
Jakobs/Schubert, SR III, 364. Nach Ansicht der Ersten Kommission wären ihre Regeln zur BGB-Gesellschaft ohne die Option für die Regeln der OHG unvollständig, insbesondere hinsichtlich des Gesellschaftsvermögens, und zur Befriedigung des praktischen Bedürfnisses nicht ausreichend, Jakobs/Schubert, SR III, 356; Mot. II, 632 (Mugdan II, 353). 200 Weder Kleingewerbetreibenden noch Vereinigungen, die kein Gewerbe betrieben, sollte also die Möglichkeit zustehen, kraft Eintragung zur Handelsgesellschaft zu werden, vgl. § 4 II HGB a.F. und Denkschrift HGB, zu § 2, S. 15 f. (165 f.). 201 §§ 124, 128, 129 HGB. 202 Übersicht zum Streitstand etwa bei Flume, Personengesellschaft, 283 ff.; Wertenbruch, Haftung, 97 ff., 102 ff. In der Schweiz geht die herrschende Lehre zur Kollektivgesellschaft, die der deutschen OHG entspricht und für die mit Art. 562 OR eine § 124 HGB entsprechende Regel gilt, nach wie vor von einer bloßen Handlungsfähigkeit oder „Quasi-Rechtspersönlichkeit“ der Gesellschaft aus, die an der materiellen Rechtszuständigkeit der Gesellschafter nichts ändere; vgl. BasK/Baudenbacher, Art. 552 OR Rz 2–3; BasK/Pestalozzi/Hettich, Art. 562 OR Rz 1–4; Meier-Hayoz/Forstmoser, Schweizerisches Gesellschaftsrecht, § 2 Rz 62, 66 ff., § 13 Rz 16 ff. 203 Überblick zum Streitstand von 1981 bei Aderhold, Schuldmodell, 23 ff., 75 ff., 146 ff.; siehe auch die Darstellung bei Göckeler, Stellung der Gesellschaft, 30 – 40; Wiedemann, Gesellschafts199
7. Die Gesamthand als Schuldner
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Ein Teil der Literatur beschränkte die Bedeutung des Gesamthandsprinzips auf die dingliche Ebene. Die Gesellschaft selbst konnte nicht rechtsfähig sein; Schuldner der „Gesellschaftsverbindlichkeiten“ waren somit nur die Gesellschafter. Bei vertraglich eingegangenen Verpflichtungen lagen dann nach § 427 gewöhnliche Gesamtschulden vor. Eine Besonderheit bestand nur darin, dass der Gläubiger zwar einen Gesellschafter persönlich für das Ganze in Anspruch nehmen, aber nicht in das Gesellschaftsvermögen vollstrecken konnte, solange er nicht Titel gegen alle Gesellschafter besaß, so dass es sich empfahl, sämtliche Gesellschafter als Streitgenossen zu verklagen204. Ein anderer Teil der Literatur ging ebenfalls von einer fehlenden Rechtsfähigkeit der Gesellschaft aus, nahm aber eine besondere Form der Schuldnermehrheit an. Verbindlichkeiten „der Gesellschaft“ waren danach stets „Gesamthandsschulden“, die auf sämtlichen Gesamthändern lasteten und für die allein das Gesellschaftsvermögen haftete. Daneben sollten in der Regel gewöhnliche Gesamtschulden der einzelnen Gesellschafter bestehen, die den Zugriff auf ihr Privatvermögen eröffneten205. Demgegenüber ging ein zunehmend größer werdender Teil der Literatur von einer Rechtsfähigkeit der Gesellschaft aus, die selbst Schuldnerin der Gesellschaftsverbindlichkeiten sein sollte. Ein gegen diese Gesellschaft erstrittener Titel ermöglichte dem Gläubiger dann den Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen206. Neben der Gesellschaft schuldeten in der Regel auch die Gesellschafter persönlich. Bekanntlich hat sich aber nicht nur bei der OHG, sondern auch bei der Außengesellschaft des BGB das Modell der rechtsfähigen Gesamthand als Schuldnerin durchgesetzt. Ein praktischer Grund waren insbesondere die Probleme, die sich bei Annahme von Verpflichtungen nur der einzelnen Gesellschafter im Fall eines Gesellschafterwechsels ergaben207. Waren tatsächlich nur die Gesellschafter 204 recht II, 8 ff., 640 ff. Weitere Nachweise etwa bei K. Schmidt, Gutachten III, 466 f.; MüKo/Ulmer (3. Aufl. 1997), § 705 Rz 129 ff., § 714 Rz 23 ff.; Dauner-Lieb, Sondervermögen, 520 f.; Eberl-Borges, Erbauseinandersetzung, 6 ff. 204 Etwa G.Hueck, Gesellschaftsrecht, §§ 2 I, 3 II, 5 I 5, 8 II 3, 9 IV; Buchner, AcP 169 (1969), 489 ff.; Zöllner, FS Gernhuber (1993), 563; ders., FS Kraft (1998), 701; Cordes, JZ 1998, 545; Berndt/Boin, NJW 1998, 2854; Peifer, NZG 2001, 193. 205 Etwa J. Blomeyer, JR 1971, 397; Kornblum, Haftung, 30 ff., 54; Nicknig, Haftung, 6 ff.; Beuthien, DB 1975, 725, 773; Kübler, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 1998, § 6 III 4; Larenz, Schuldrecht BT, § 60 IV c; Selb, Mehrheiten, 198 ff., 224 f., 229 f.; Soergel/Wolf, vor § 420 Rz 12, § 421 Rz 37; Göckeler, Stellung der GbR (1992), 223 ff. Zu Recht kritisch gegenüber dieser Konstruktion Schünemann, Gesamthandsgesellschaft, 126 ff.; Aderhold, Schuldmodell, 79 ff., 111 ff. Ausführlich zum Modell einer Gesamthandsschuld bei Erbengemeinschaften unten, 141 ff. 206 § 736 ZPO spricht nur von einem Titel gegen alle Gesellschafter. Darunter können die Gesellschafter in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit verstanden werden, also materiell die Gesellschaft selbst. Allerdings sollte § 736 ZPO, anders als § 24 II HGB, den Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen auch dann ermöglichen, wenn einzelne Titel wegen anderer Schulden gegen sämtliche Gesellschafter vorliegen. 207 Hierzu etwa Nicknig, Haftung, 92 ff.; Aderhold, Schuldmodell, 104 ff.; Ulmer, AcP 198 (1998), 141 ff.; Wertenbruch, Haftung, 211 ff.
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
Vertragspartei, so müssten konsequenterweise alle Dauerschuldverhältnisse neu geschlossen werden. Auch eine (praktisch erwünschte) Haftung des neu eintretenden BGB-Gesellschafters für bestehende Gesellschaftsschulden (und sei es nur mit seinem Anteil am Gesellschaftsvermögen) schien nicht begründbar. Dogmatisch wurde die Rechtsfähigkeit insbesondere durch Flume, in Anknüpfung an die germanistischen Theorien des 19. Jahrhunderts, damit begründet, dass das Rechtsobjekt des Gesamthandvermögens nur mit einem Rechtssubjekt als Vermögensträger denkbar sei. Wenn der Gläubiger auch auf das Gesamthandsvermögen zugreifen könne, müsse Schuldner auch der Träger dieses Vermögens sein, also die Gesellschaft selbst, d.h. die Gesellschafter zusammen in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit208. Spätestens seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts ist die Rechtsfähigkeit der BGB-Außengesellschaft ganz herrschende Lehre und auch von der Rechtsprechung anerkannt209. Seit einer Entscheidung des BGH aus dem Jahre 2001 gilt sie auch als parteifähig210. Das Problem der Haftung für die Gesellschaftsschulden war damit aber noch nicht vollständig gelöst. Der Gläubiger konnte nun die Gesellschaft als Schuldnerin verklagen und bei Erfolg in das Gesamthandsvermögen vollstrecken, aber hieraus ergab sich kein Zugriff auf das Privatvermögen der einzelnen Gesellschafter. Daher bestand stets Einigkeit darüber, dass es neben der Schuld der rechtsfähigen Gesellschaft auch eine persönliche und ungeteilte Haftung jedes Gesellschafters geben müsse. Dieses auch vom BGB-Gesetzgeber ausdrücklich gewollte Ergebnis trägt, wie die persönliche Gesellschafterhaftung bei der OHG, dem Umstand Rechnung, dass es bei Personengesellschaften, anders als bei Kapitalgesellschaften, keine Vorschriften zum Bestand, zur Publizität und zum Gläubigerschutz hinsichtlich des Gesellschaftsvermögens gibt211.
208 Flume, ZHR 136 (1972), 177; ders., FS Westermann (1974), 119; ders., Personengesellschaft, 50 ff., 314 ff.; ebenso Reinhardt, Gesellschaftsrecht (1973), Rz 36 ff., 90 ff.; Schünemann, Gesamthandsgesellschaft (1975), 146 ff.; Hennecke, Sondervermögen (1976), 61 ff., 72 ff.; vgl. auch schon Fabricius, Relativität, 158 ff.; Hoffmann, NJW 1969, 725. 209 Teichmann, AcP 179 (1979), 480 f.; MüKo/Ulmer, 1. Aufl. 1980, § 705 Rz 108–113, § 714 Rz 19 f.; Aderhold, Schuldmodell (1981), passim; Lindacher, JuS 1981, 431; Soergel/Hadding (11. Aufl. 1985), vor § 705 Rz 20 f., § 714 Rz 3, § 718 Rz 3, 20; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, ab 1. Aufl. 1986, § 8 III, § 58 IV, V, § 60 II (für die unternehmenstragende Gesellschaft); Habersack, JuS 1990, 179; Wiedemann, WM 1994, Beil. 4; Staud/Habermeier, vor § 705 Rz 8 ff.; Timm, NJW 1995, 3209; Reiff, Haftungsverfassungen (1996), 185 ff., 302 ff.; Ulmer, AcP 198 (1998), 113; Mülbert, AcP 1999 (1999), 43 ff.; Kindl, NZG 1999, 522 ff.; U.Huber, FS Lutter (2000), 107; EberlBorges, Erbauseinandersetzung (2000), 13 ff.; für eine Qualifizierung als juristische Person insbes. Raiser, AcP 194 (1994), 495; ders., FS Zöllner I (1998), 469; s.a. Bälz, FS Zöllner I, 38 ff., 58 ff. Aus der Rechtsprechung beispielsweise BGHZ 79, 374 (15.12.1980); BGHZ 116, 86 (4.11.1991); BGHZ 117, 168 (10.2.1992); BGHZ 136, 254 (15.7.1997); BGH WM 1997, 2220 (2.10.1997); BGHZ 146, 341 (29.1.2001). 210 BGHZ 146, 341 (29.1.2001); so schon Wertenbruch, Haftung, 5 ff.; anders etwa Göckeler, Stellung der Gesellschaft, 89 ff. 211 Hierzu insbesondere Reiff, Haftungsverfassungen, passim; s.a. Reuter, AcP 207 (2007), 687 ff.
7. Die Gesamthand als Schuldner
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Über die Begründung der Gesellschafterhaftung bestand aber bekanntlich zunächst keine Einigkeit212. Nach der sog. Akzessorietätstheorie handelte es sich um eine gesetzliche Haftung für die Gesellschaftsschuld, die entweder auf einer analogen Anwendung des § 128 HGB oder auf einem allgemeinen Prinzip jeder Gesamthandsgemeinschaft beruhte213. Die Rechtsprechung und herrschende Lehre folgten demgegenüber zunächst der sog. Doppelverpflichtungstheorie, wonach die Gesellschafterhaftung rechtsgeschäftlich begründet wird. Danach verpflichtet der die Gesellschaft vertretende Geschäftsführer nicht nur die Gesellschaft, sondern zusätzlich auch die Gesellschafter persönlich, wofür er auch von den Gesellschaftern regelmäßig bevollmächtigt wird. Der Sache nach handelt es sich um einen Schuldbeitritt214. Unterschiede in der Ausgestaltung der Gesellschafterhaftung mussten sich aus diesen Ansätzen nicht notwendig ergeben, da man auch mit der Doppelverpflichtungstheorie die Akzessorietät der Gesellschafterschuld im Verhältnis zur Gesellschaftsschuld begründen konnte, nämlich durch Auslegung des Schuldbeitritts215. Danach konnte ein Parteiwille des BGB-Gesellschafters angenommen werden, nicht stärker gebunden zu werden als ein Gesellschafter bei der OHG. Auch der BGB-Gesellschafter profitiert danach von einem Erlass oder einem klageabweisenden Urteil gegenüber der Gesellschaft. Untereinander sind die Gesellschafter unstreitig gewöhnliche Gesamtschuldner und insofern mit Mitbürgen (§ 769) vergleichbar. Der Streit war trotzdem nicht nur theoretischer Natur. Nur mit der Akzessorietätstheorie konnte eine Haftung der Gesellschafter für gesetzliche Verbind-
212 Überblick zum Streitstand etwa bei K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 60 III 2; Reiff, Haftungsverfassungen, 165 ff. 213 Flume, FS Westermann (1974) 119; ders., Personengesellschaft, 314 ff.; Wiedemann, WM 1975, Beil. 4, S. 42 f.; ders., Gesellschaftsrecht I (1980), 277 ff.; ders., WM 1994, Beil. 4, 16 ff.; Hennecke, Sondervermögen (1976), 74 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, ab 1. Aufl. 1986, § 60 III (für die Mitunternehmer-GbR); Jaschke, Gesamthand (1991), 15 f.; Schwark, FS Heinsius (1991), 753; Timm, NJW 1995, 3215 ff.; Reiff, Haftungsverfassungen (1996), 185 ff., 302 ff.; ders., ZIP 1999, 517; Dauner-Lieb, Sondervermögen (1998), 520 ff.; dies., DStR 1998, 2014; Reiff, AcP 1999 (1999), 67 ff.; ebenso später Ulmer, ZIP 1999, 554; MüKo/Ulmer, § 714 Rz 6, 34 ff. 214 So etwa Ulmer, FS Fischer (1979), 790 ff.; MüKo/Ulmer, § 714 Rz 24 ff. (1. Aufl. 1980) bzw. 28 ff. (3. Aufl. 1997); Soergel/Hadding, 11. Aufl. 1985 und 12. Aufl. 2007, § 714 Rz 9–11, 29; Aderhold, Schuldmodell (1981), 181 ff., 210 ff., 252 ff.; ders., JA 1980, 136; Wiesner, JuS 1981, 331; Habersack, JuS 1993, 1; ders., BB 1999, 61; Hommelhoff, ZIP 1998, 8; Wackerbarth, ZGR 1999, 374 ff.; Kindl, NZG 1999, 517; und bis vor kurzem der BGH: BGHZ 74, 240 (30.4.1979); BGH NJW 1987, 3124 (6.4.1987); BGH ZIP 1990, 611 (7.3. 1990); BGHZ 117, 168 (10.2.1992); BGHZ 136, 254 (15.7.1997). Vgl. auch Schünemann, Gesamthandsgesellschaft, 142 ff., der § 427 zur Hilfe nimmt; und Lindacher, JuS 1981, 821 f., JuS 1982, 40, der bei Rechtsgeschäften mit der Doppelverpflichtungstheorie arbeitet und bei gesetzlichen Verbindlichkeiten teilweise eine akzessorische Haftung annimmt. 215 Vgl. Lindacher, JuS 1981, 819 f.; Soergel/Hadding, 11. Aufl. 1985 und 12. Aufl. 2007, § 714 Rz 37; Hadding/Häuser, WM 1988, 1590; Habersack, JuS 1993, 5; ders., AcP 198 (1998), 154 f.; ders., BB 1999, 63 f.; Ulmer, AcP 198 (1998), 139; Beck, WM 1999, 1753; Kindl, NZG 1999, 523; BGH NJW 1998, 2904 (18.5.1998).
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
lichkeiten der Gesellschafter begründet werden216. Die Haftung des neu eintretenden Gesellschafters für Altschulden ergab sich nach der Akzessorietätstheorie von selbst, während die Doppelverpflichtungstheorie mit einem konkludenten Schuldbeitritt arbeiten musste. Für die Praxis besonders wichtig waren die unterschiedlichen Konsequenzen für die Möglichkeit der Gesellschafter, ihre Haftung auf das Gesellschaftsvermögen zu beschränken. Ist die Gesellschafterhaftung eine gesetzliche, so kann sie nur durch besondere Vereinbarung mit dem Vertragspartner eingeschränkt werden. Die Doppelverpflichtungstheorie ging demgegenüber davon aus, dass die Gesellschafter sich „freiwillig“ durch den Geschäftsführer als ihren Vertreter verpflichteten. Dann musste aber auch die Möglichkeit bestehen, durch eine interne Beschränkung der Vollmacht des Geschäftsführers die Haftung auf das Gesellschaftsvermögen zu beschränken. Für den Vertragspartner blieb nur der Schutz durch die Regeln zur Duldungs- und Anscheinsvollmacht. Ob danach die Wirksamkeit einer Haftungsbeschränkung deren Offenkundigkeit oder nur Erkennbarkeit seitens des Vertragspartners voraussetzte, wurde unterschiedlich beantwortet217. Die danach bestehende Möglichkeit, den Vertragspartner ohne entsprechende Vereinbarung für seine Befriedigung auf ein gesetzlich nicht gesichertes Gesamthandsvermögen zu verweisen, war wohl auch ein Grund dafür, dass der BGH 2001 seine Rechtsprechung geändert und sich der Akzessorietätstheorie angeschlossen hat218. Tatsächlich erscheint zumindest bei rechtsgeschäftlich begründeten Verpflichtungen219 nur diese, bejaht man die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft, mit den Wertungen des Gesetzes vereinbar. Der Gesetzgeber ging ab dem 216
Hierzu aus historischer Sicht Altmeppen, NJW 1996, 1017. Vgl. Ulmer, FS Fischer (1979), 796 ff.; MüKo/Ulmer (3.Aufl. 1997), § 714 Rz 34 ff.; Soergel/ Hadding, 11. Aufl. 1985, § 714 Rz 30 ff. (ferner 12. Aufl. 2007, § 714 Rz 32 a); K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 60 III 2 c; Nicknig, Haftung, 16 ff.; Aderhold, Schuldmodell, 190 ff.; Heckelmann, FS Quack, 1991, 243; Habersack, JuS 1993, 3; Heermann, BB 1994, 2421; Kögel, DB 1995, 2201; Hennrichs/Kießling, WM 1999, 877; Wackerbarth, ZGR 1999, 365; zu Recht kritisch Gummert, ZIP 1993, 1063. Aus der Rechtsprechung BGHZ 91, 139 (3.5.1984); BGH NJW 1985, 619 (25.10.1984); BGH NJW 1987, 3124 (6.4.1987); BGH WM 1989, 377, 379 f. (8.12.1988); BGH ZIP 1990, 611 (7.3. 1990); BGH ZIP 1990, 715, 716 (12.3.1990); BGH NJW 1992, 3037, 3039 (25.6.1992); OLG Saarbrücken, NJW-RR 1998, 550 (14.1.1998). 218 BGHZ 146, 341 (29.1.2001); der Sache nach schon vorweggenommen in BGHZ 142, 315 (27.9.1999). Zur Haftung für Altverbindlichkeiten BGHZ 154, 370 (7.4.2003); BGH NJW 2006, 765 (12.12.2005). 219 Der BGH nimmt auch eine persönliche Gesellschafterhaftung für gesetzliche Gesellschaftsverbindlichkeiten an; BGHZ 154, 88 (24.2.2003); BGHZ 155, 206, 210 (24.6.2003); BGH NJW 2007, 2490 (3.5.2007). Zustimmend Reiff, ZGR 2003, 552 ff.; K. Schmidt, NJW 2003, 1900 f.; Ulmer, ZIP 2003, 1114 f.; ablehnend Baumann, JZ 2001, 900 f.; Altmeppen, NJW 2003, 1553; Schäfer, ZIP 2003, 1226 ff.; Flume, DB 2003, 1775; Canaris, ZGR 2004, 109 ff.; Armbrüster, ZGR 2005, 56 ff.; Soergel/Hadding, § 714 Rz 38 ff. Ob eine solche Haftung für deliktische Verbindlichkeiten gerechtfertigt werden kann, ist fraglich, weil sie nach dem ursprünglichen Schuldmodell, das dem Gesetzgeber vorschwebte, nicht bestand, so dass es in der Regel keine Schutzlücke gibt. Anders kann es sich aber verhalten, wenn ansonsten keine natürliche Person haften würde, etwa wenn man nur die GbR selbst als verantwortlich i.S.d. §§ 831, 833 oder 836 ansieht. 217
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Zweiten Entwurf von einer gesamtschuldnerischen Haftung der BGB-Gesellschafter für Verbindlichkeiten aus, die im Namen der Gesellschaft begründet worden waren220. Der Gläubiger sollte sowohl auf das Privatvermögen der einzelnen Gesellschafter als auch, bei einem Titel gegen alle, auf das Gesamthandsvermögen zugreifen können. Die Frage, ob es sich dabei um Gesamtschulden der Gesellschafter mit einem zusätzlichen besonderen Haftungsobjekt oder um eine Verbindlichkeit der Gesellschaft selbst mit zusätzlichen solidarischen Schulden der Gesellschafter handelt, ist in erster Linie eine dogmatische Frage, für die der Gesetzgeber nicht alleinzuständig ist. Die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft erscheint daher als zulässige Rechtsfortbildung221. Gewährleistet werden muss dabei aber die Beibehaltung der gesetzlichen Wertungen222. Dies ist nicht der Fall, wenn die gesamtschuldnerische Haftung der einzelnen Gesellschafter nun nicht mehr von selbst besteht, sondern erst durch einen besonderen privatautonomen Verpflichtungsakt begründet werden muss. Die vom Gesetzgeber gewollte solidarische Gesellschafterhaftung bedeutet, dass jeder Gesellschafter mit seinem Privatvermögen haftet und eine Haftungsbeschränkung wie jeder andere Schuldner auch nur durch eine Vereinbarung mit dem Gläubiger erreichen kann. Soweit die Doppelverpflichtungstheorie wegen der von ihr angenommenen Freiwilligkeit der Gesellschafterhaftung Haftungsbeschränkungen durch interne Vollmachtsregelungen zuließ, setzte sie sich über diese Wertung in unzulässiger Weise hinweg223. Die konsequente Anwendung des Akzessorietätsmodells auf alle Außengesellschaften erfordert allerdings eine ungeteilte Haftung der einzelnen Gesellschafter auf das Ganze auch in Fallgruppen, in denen ein Bedürfnis nach einer teilschuldnerischen oder beschränkten Haftung angenommen wird. Der BGH hat daher Ausnahmen gemacht und bestimmte Privilegien für einzelne Schuldnergruppen bewahrt. Dies gilt zum einen für in Form von BGB-Gesellschaften geführte geschlossene Immobilienfonds, bei denen eine Beschränkung der Haftung des einzelnen Anlegers üblich ist und für sinnvoll gehalten wird. Hier hilft der BGH, in220 Die im Ersten Entwurf vorgesehene Teilschuld der Gesellschafter war für die Zweite Kommission weder mit dem Gesamthandsprinzip noch mit der inzwischen beschlossenen Gesamtschuldvermutung vereinbar und wurde gestrichen, Jakobs/Schubert, SR III, 282. Jeder Gesellschafter sollte nach § 427 für die gesamten Schulden haften. 221 Anders Peifer, NZG 2001, 296; Heil, NZG 2001, 300; Wächter, Gesamthandsgemeinschaften (2002), 319 ff. 222 So insbesondere Dauner-Lieb, Sondervermögen, 393 ff., 520 ff. („haftungsrechtliche Neutralität“); U.Huber, FS Lutter (2000), 114 ff. 223 Anders Beuthien, JZ 2003, 974 ff.; Hadding, FS Raiser (2005), 129; vgl. Soergel/Hadding, § 714 Rz 29, 32 a. Dies gilt zumindest für die Annahme, dass ein wirksamer Vertrag mit Haftungsbeschränkung zustande kommt. Zu Recht weist Canaris, ZGR 2004, 69, 87 ff. darauf hin, dass das Problem der Vollmachtsbeschränkung (mit der Folge des § 177) auch durch die Annahme einer gesetzlichen Haftung der Gesellschafter für Gesellschaftsschulden nicht vollständig gelöst ist, weil den Gesellschaftern nach § 714 BGB frei steht, dem Handelnden auch gar keine Vertretungsmacht zu erteilen, und eine analoge Anwendung von § 126 HGB nicht gerechtfertigt ist. Canaris selbst schlägt eine Lösung mit Hilfe der AGB-Kontrolle vor.
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
dem er für „Altgesellschaften“ eine Rückwirkung seiner Rechtsprechung über die akzessorische Haftung verneint, so dass es bei der bislang geltenden Möglichkeit der Haftungsbeschränkung durch interne Vollmachtsbegrenzung bleibt. Bei Neugesellschaften, bei denen die Haftungsbeschränkung mit dem Vertragspartner vereinbart werden muss, soll eine solche Vereinbarung ausnahmsweise auch mittels AGB möglich sein224. Zum anderen dürfen zukünftige Wohnungseigentümer ihr bisheriges Privileg, für Aufbauschulden nur anteilig zu haften225, auch dann behalten, wenn sie gegenüber dem Werkunternehmer in Form einer BGB-Außengesellschaft aufgetreten sind226. Konstruktiv lässt sich dieses Ergebnis, solange die Bauherren keine entsprechenden AGB verwenden, nur dadurch erreichen, dass eine Individualvereinbarung, wonach die gesetzliche akzessorische Haftung auf eine Teilhaftung beschränkt wird, in den Vertrag hineingelesen wird227. Billigt man die bisherige Rechtsprechung zu den Aufbauschulden, ist dagegen freilich im Ergebnis auch nichts einzuwenden: Die Bauherren verweisen den Gläubiger nicht auf ein ungesichertes Gesamthandsvermögen. Die gesetzliche Haftung für die vertraglichen Gesellschaftsschulden soll den Gläubiger lediglich davor bewahren, durch die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Außengesellschaft schlechter zu stehen als zuvor; sie soll seine Lage nicht verbessern228. Die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Außengesellschaft wirft die Frage auf, ob das Schuldmodell der Außengesellschaft nicht auch bei den anderen Gesamthandsgemeinschaften des BGB anwendbar ist. Das Gesamthandsprinzip bei der ehelichen Gütergemeinschaft (§§ 1415 ff.) war schon im Ersten Entwurf des BGB vorgesehen229, während es bei der Erbengemeinschaft (§§ 2032 ff.) (ebenso wie bei der Gesellschaft) erst durch die Zweite Kommission eingeführt wurde230. Folgert man die Rechtsfähigkeit aus dem Gesamthandsprinzip selbst 224
BGHZ 150, 1 (21.1.2002). Oben, 35 ff. 226 So obiter BGHZ 150, 1, 6. Dies galt zwar auch nach bisheriger Rechtsprechung, BGH WM 1989, 377, 378 (8.12.1988), war aber auf Grundlage der damals vertretenen Doppelverpflichtungstheorie leichter begründbar. Meistens ging der BGH, wenn ein Baubetreuer im Namen einer Bauherrengemeinschaft Verträge schloss, nicht vom Bestehen einer Außengesellschaft aus, etwa BGHZ 67, 334 (18.11.1976); BGHZ 75, 26 (18.6.1979); BGHZ 76, 86 (17.1.1980); BGH NJW-RR 1987, 1233 (1.6.1987); anders aber BGHZ 74, 240 (30.4.1979); s.a. Wiedemann, Gesellschaftsrecht II, 618 f.; MüKo/Ulmer, vor § 705 Rz 48 f. 227 Für ein Erfordernis der Verwendung entsprechender AGB Casper, JZ 2002, 1112; Ulmer, ZIP 2003, 1118 f. 228 Ebenso Reiff, ZGR 2003, 558 ff., 569 ff.; Canaris, ZGR 2004, 102. 229 E I § 1342, 1344, 1345, hierzu Mot. IV, 330 ff. (Mugdan IV, 181 ff.); BGB i.d.F.v. 1896, §§ 1438, 1442; heute §§ 1416, 1419 BGB. Im Teilentwurf Familienrecht war das Vermögen noch allein dem Ehemann zugeordnet. Hierzu (mit teilweise anderer Auslegung) Wächter, Gesamthandsgemeinschaften, 182 ff., 190 ff., 208 ff., 267 ff. 230 §§ 2032 ff. BGB, hierzu Prot. 8056 ff. (Mugdan V, 495). Im Ersten Entwurf war noch eine Bruchteilsgemeinschaft und Realteilung bei Forderungen und Schulden vorgesehen, E I §§ 2051, 2151, hierzu Mot. V, 526 ff. (Mugdan V, 281 ff.); ebenso schon TeilE Erbrecht, § 321 (in Schubert, ErbR I, 67). Näheres bei Wächter, Gesamthandsgemeinschaften, 141 ff., 227 ff., 258 ff. 225
7. Die Gesamthand als Schuldner
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und geht man davon aus, dass der Gesetzgeber nur ein einheitliches Gesamthandsmodell einführen wollte statt drei verschiedene, gelangt man zur Anerkennung der Rechtsfähigkeit auch der Erben- und Gütergemeinschaft231. Vorstellbar wäre es tatsächlich, die Erbengemeinschaft als solche als Schuldnerin der Nachlassverbindlichkeiten und der im Namen der Erbengemeinschaft eingegangenen Verbindlichkeiten anzusehen und die Erben als akzessorische Gesamtschuldner (§ 2058). Selbst bei der Gütergemeinschaft wäre es nicht völlig undenkbar, die Gütergemeinschaft als Schuldnerin der Verbindlichkeiten anzusehen, welche die Ehegatten betreffen, wobei der betroffene Ehegatte und gegebenenfalls zusätzlich der verwaltende Ehegatte akzessorische Schuldner wären (§ 1437). Für die bislang herrschende Lehre, die eine Rechtsfähigkeit von Erben-232 und Gütergemeinschaft233 auch nach Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Außengesellschaft ablehnt, spricht aber das hier fehlende praktische Bedürfnis nach einer solchen Konstruktion. Wenn auch das Gesamthandsprinzip die theoretische Grundlage für die Rechtsfähigkeit der Personenaußengesellschaft geliefert hatte, so ergab sich die Rechtsfähigkeit doch in der Praxis aus dem Bedürfnis nach rechtlicher Kontinuität bei länger andauernden Geschäftsbeziehungen, die durch den Ein- oder Austritt von Gesellschaftern grundsätzlich nicht berührt werden sollten. Die Erbengemeinschaft ist demgegenüber nicht auf Dauer angelegt234, während es bei der Gütergemeinschaft grundsätzlich keinen Personenwechsel gibt. Wird die Rechtsfähigkeit also mit der Kombination aus dem Bestehen eines Gesamthandsvermögens und dem Bedürfnis nach einer länger andauernden überindividuellen Wirkungseinheit begründet, spricht dies gegen die Rechtsfähigkeit von Güter- und Erbengemeinschaft. Folgt man dem, bleibt es für Miterben und Ehegatten in Gütergemeinschaft beim traditionellen Schuldmodell: Es 231 Zur Erbengemeinschaft Hohensee, Erbengemeinschaft, 187 ff.; Grunewald, AcP 197 (1997), 305; Soergel/Wolf, vor § 2032 Rz 4, § 2032 Rz 1 (siehe auch schon Wolf, AcP 181 [1981], 493); Eberl-Borges, Erbauseinandersetzung, 30 ff.; dies, ZEV 2002, 125; Weipert, ZEV 2002, 300; Harder/Kroppenberg, Erbrecht, Rz 590 (zur unternehmenstragenden Erbengemeinschaft auch K. Schmidt, NJW 1985, 2788 f.); zur Gütergemeinschaft Schünemann, FamRZ 1976, 137; zu beiden Fabricius, Relativität, 145 ff.; Hennecke, Sondervermögen (1976), 98 ff., 119 ff.; Aderhold, JA 1980, 136; Jaschke, Gesamthand (1991), insbes. 22 ff., 42 f., 45 ff.; Seif, SZ GA 2001, 319; wohl auch Flume, Personengesellschaft, 56, 59 Fn. 48, 68, 69, 90, 118, 316 f. 232 Gegen ihre Rechtsfähigkeit zuletzt BGH ZIP 2006, 2155 (= WM 2006, 2257, 17.10.2006); ferner BGH NJW 1989, 2133 (21.12.1988); BGH NJW 2002, 3389 (11.9.2002); BGH NJW-RR 2004, 1006 (16.3.2004); Ulmer, AcP 198 (1998), 124 ff., 150 f.; MüKo/Ulmer (2004), § 705 Rz 292; Staud/Werner, § 2032 Rz 4 f., 7; Marotzke, ZEV 2002, 506; Staud/Marotzke, § 2058 Rz 48, 67 f.; MüKo/Heldrich, § 2032 Rz 12; Erman/Schlüter, § 2032 Rz 1; Bork, Rechtsfähigkeit (1998) m.w.N. (182); Canaris, Handelsrecht, § 9 Rz 11 f.; Hüffer, ZGR 1986, 618 f.; Heil, ZEV 2002, 296; Reuter, AcP 207 (2007), 704 ff.; Erman/Ehmann, vor § 420 Rz 3. 233 Ihre Rechtsfähigkeit wird verneint von MüKo/Ulmer (2004), § 705 Rz 292; MüKo/Kanzleiter, § 1416 Rz 3; Staud/Thiele, § 1416 Rz 3 ff.; Soergel/Gaul, § 1416 Rz 3; Habersack, JuS 1990, 179; K. Schmidt, Gutachten III, 469; ders., Gesellschaftsrecht, § 8 III 3; ders., NJW 2001, 995 f.; BayObLG, NJW-RR 2003, 899 (22.1.2003). 234 Dagegen aber Eberl-Borges, Erbauseinandersetzung, 36 ff.; dies., ZEV 2002, 127.
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
liegen Gesamtschulden vor, bei denen der Gläubiger für seine Befriedigung auf ein Sondervermögen zurückgreifen kann oder muss. Das Bedürfnis, Außengesellschaften auch dann die Möglichkeit einer Rechtsfähigkeit zuzusprechen, wenn sie nicht Handelsgesellschaften im traditionellen Sinne sind, hat sich auch in den Nachbarrechtsordnungen gezeigt. In Frankreich wurde die Rechtspersönlichkeit der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts von der Rechtsprechung eingeführt235; heute ist sie in Art. 1842 CC geregelt236. Neben der Gesellschaft haften die Gesellschafter subsidiär als Teilschuldner, Art. 1857 f. CC. Doch die Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft entsteht erst durch Eintragung in ein Register. Daneben kennt der CC auch die formlose société en participation ohne Rechtspersönlichkeit, die Innen- oder Außengesellschaft sein kann (Art. 1871) und im Außenverhältnis eine gesamt- (Handelsgesellschaft) oder teilschuldnerische Haftung begründet, Art. 1872-1 CC237. In Österreich war das Außenrecht der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft vor der Reform von 1990 besonders unbefriedigend geregelt. Die Vorschriften der §§ 1175 ff. des ABGB von 1811 folgen zumindest ihrem Wortlaut nach dem gemeinrechtlichen Modell. Es gibt kein Gesamthandsvermögen, sondern nur Miteigentum der Gesellschafter und eine Realteilung der Gesellschaftsforderungen. Demgemäß gehen Rechtsprechung und herrschende Lehre davon aus, dass die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft i.S.d. ABGB weder rechtsfähig sein noch Gesamthandsvermögen bilden kann238. Zur Schuldenhaftung sieht § 1203 ABGB Teilschulden der Gesellschafter vor, sofern nicht Gesamtschulden vereinbart sind, was bei „Handelsleuten“ vermutet wird. Welche Bedeutung dieser Vermutung nach Einführung des ADHGB bzw. HGB, die das Recht der Handelsgesellschaften umfassend regelten, noch zukam, war umstritten. Die herrschende Lehre setzte „Handelsleute“ mit den Kaufleuten i.S.d. HGB gleich und kam zum Ergebnis, dass die Gesellschafter einer bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft dann solidarisch hafteten, wenn die Gesellschaft ein minderkaufmännisches Gewerbe betrieb oder die Gesellschafter aus anderen Gründen Kaufleute waren239; nach anderer Ansicht sollte die Solidarhaftungsvermutung schon dann eingreifen, wenn die Gesellschaft unter einem einheitlichen Namen auftrat240. Doch auch unabhängig davon blieb für die Grundregel der teilschuldnerischen Haftung 235
Cass civ (23.2.1891), D 1891, 1, 337. Eingehende Darstellung aus rechtsvergleichender Sicht bei Tat, Rechtssubjektivität (2003), insbes. 13 ff., 93 ff., 232 ff. Kürzerer Überblick bei Müller-Gugenberger, ZHR 142 (1978), 605 ff.; Ferid/Sonnenberger, Französisches Zivilrecht II, Rz 2 L 17 ff., 128 ff., 315, 413 f.; K. Schmidt, Gutachten III, 441 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht II, 63 ff. 237 Hierzu Tat, Rechtssubjektivität, 137 ff., 156 ff. 238 Hierzu Welser, GesRZ 1978, 141 ff.; Rummel/Grillberger, ABGB, § 1175 Rz 23, § 1183 Rz 4. 239 Welser, GesRZ 1978, 143; OGH WBl 1989, 221 (7.2.1989); Klang/Perner, ABGB, § 890 Rz 46 f. 240 Oberhammer, RdW 1996, 572 ff.; sympathisierend Rummel/Grillberger, ABGB, §§ 1202– 1203 Rz 5. 236
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praktisch kaum ein Anwendungsbereich übrig. Bis 2006 war die allgemeine handelsrechtliche Gesamtschuldvermutung auch schon dann anwendbar, wenn nur für den Gläubiger ein Handelsgeschäft vorlag241. Bei einer unteilbaren Leistung bestanden von vornherein nach § 890 ABGB Gesamtschulden. Vor allem aber galt die Rechtsprechung, die entgegen der allgemeinen Teilschuldvermutung des § 889 ABGB bei einem gemeinsamen Vertragsschluss im Zweifel von einem Gesamtschuldverhältnis ausging242, gerade auch bei Verpflichtungen durch Gesellschafter243. Angesichts dieser Rechtslage wurden Rufe nach einer Reform laut: Zumindest den unternehmenstragenden Gesellschaften sollte Rechtsfähigkeit zugebilligt werden244. Der Gesetzgeber reagierte mit dem 1990 in Kraft getretenen Gesetz über die eingetragene Erwerbsgesellschaft. Danach kann eine Gesellschaft, die auf einen gemeinsamen Erwerb unter gemeinsamer Firma gerichtet ist, zu deren Zweck aber eine OHG oder KG nicht gebildet werden kann, durch Eintragung ins Handelsregister zur offenen Erwerbsgesellschaft (OEG) oder Kommandit-Erwerbsgesellschaft werden. In diesem Fall gelten die Regeln des HGB über die OHG bzw. KG entsprechend245. Nicht- und Minderkaufleuten wird damit die Möglichkeit eröffnet, eine Gesellschaft mit Gesamthandsvermögen zu bilden und gegebenenfalls die Haftung eines Teils der Gesellschafter nach den Regeln der Kommanditgesellschaft zu beschränken. Sofern aber die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft nicht ins Handelsregister eingetragen wird, bleibt es bei der fehlenden Rechtsfähigkeit, der Verpflichtung nur der Gesellschafter und dem unbefriedigenden Rekurs auf § 1203 ABGB für die Frage, ob Gesamt- oder Teilschulden vorliegen. Eine Reform der Gesellschaftsrechtsvorschriften des ABGB hat der Gesetzgeber nicht ins Auge gefasst. Statt dessen ging er in dem am 1.1.2007 in Kraft getretenen Unternehmensgesetzbuch noch einen Schritt weiter, indem er die Unterscheidung zwischen Handels- und Nichthandelsgesellschaften völlig aufgab. Sowohl die bisherige OHG als auch die bisherige OEG sind nun zur „offenen Gesellschaft“ geworden, die mit Eintragung ins Firmenbuch entsteht und für welche die bisherigen Regeln der OHG Anwendung finden246. Entsprechendes gilt für die Kommanditgesellschaft247. Dies bedeutet aber, dass nun auch die bisherigen Handelsgesellschaften erst durch Registereintragung entstehen. Bei einem Handeln im Namen der Ge-
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4. EVHGB, Art. 8 Nr. 1, hierzu oben, 30 f. Oben, 31 f. 243 Etwa OGH WBl 1989, 221 (7.2.1989). Vgl. Welser, GesRZ 1978, 144; Thiery, GesRZ 1989, 219 (der von einer gewohnheitsrechtlichen Derogierung der Teilschuldvermutung des § 1203 ausgeht); Rummel/Grillberger, ABGB, §§ 1202–1203 Rz 4 ff.; Klang/Perner, ABGB, § 891 Rz 15. 244 K. Schmidt, JBl 1988, 745 ff.; Thiery, GesRZ 1989, 218 ff. 245 EEG v. 25.4.1990, §§ 1–4. Das Gesetz ließ manche Fragen offen, etwa ob jede GbR eine „Erwerbsgesellschaft“ sein sollte und ob es einen Eintragungszwang gab. Vgl. Reiff, ZVglRW 90 (1991), 130; G.Roth, ZHR 155 (1991), 24; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 58 V 3. 246 UGB §§ 105, 123 I; hierzu etwa Reich-Rohrwig/Schneider, ecolex 2006, 389. 247 UGB § 161. 242
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
sellschaft vor Registereintragung werden die Gesellschafter selbst berechtigt und verpflichtet248. Dasselbe gilt, wenn die Gesellschafter für eine unternehmerisch tätige Gesellschaft bürgerlichen Rechts handeln, die im Geschäftsverkehr unter eigenem Namen auftritt249. In diesem Fall stellt sich wieder die Frage nach der teil- oder gesamtschuldnerischen Haftung. Sofern die Schuldner ein Unternehmen führen, besteht eine Gesamtschuldvermutung250. Andernfalls muss offenbar wieder auf die Regel des § 1203 ABGB zurückgegriffen werden. In der Schweiz sah das Obligationenrecht von 1882 für die einfache Gesellschaft noch Miteigentum der Gesellschafter an den gemeinschaftlichen Sachen und eine Teilung der Gesellschaftsforderungen vor251. Nach dem Obligationenrecht von 1911 gilt dagegen das Gesamthandsprinzip252. Die Gesellschafter haften stets solidarisch253. Anders als in Deutschland hat es hier keine Bestrebungen gegeben, die einfache Gesellschaft der (der OHG vergleichbaren) Kollektivgesellschaft anzugleichen und ihr Rechts- oder Parteifähigkeit zuzubilligen254. Dies liegt möglicherweise daran, dass schon seit 1882 jeder Gesellschaft die Möglichkeit eingeräumt wird, durch Eintragung ins Handelsregister zur Kollektivgesellschaft zu werden255. Gesellschaften, die keine Handelsgesellschaften im klassischen Sinne sind, etwa kleingewerbliche, freiberufliche oder vermögensverwaltende, können in den Nachbarrechtsordnungen also durch Registereintragung die Stellung einer rechts- und parteifähigen Außengesellschaft erlangen. Auch das deutsche Recht bietet entsprechende Möglichkeiten. Nach der Handelsrechtsreform von 1998 können alle gewerbetreibenden und vermögensverwaltenden Gesellschaften kraft Eintragung Handelsgesellschaft werden, § 105 II HGB. Für Angehörige freier Berufe bietet der Gesetzgeber die Form der Partnerschaftsgesellschaft an. Wenn diese nach § 4 PartGG ins Partnerschaftsregister eingetragen wird, gilt nach § 7 PartGG § 124 HGB entsprechend. Für Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften die Partner wie bei der OHG akzessorisch als Gesamtschuldner, allerdings mit gewissen Beschränkungen, § 8 PartGG. Die Rechtsprechung zur Rechts- und Parteifähigkeit der BGB-Außengesellschaft betrifft also Gesell248
UGB § 123 II. UGB § 178. 250 UGB § 348; vgl. oben, 31. 251 OR 1881 Art. 544. 252 OR 1911 Art. 544 i.V.m. ZGB Art. 652 ff.; zu dieser Reform Fellmann, ZBJV 133 (1997), 286 ff. m.w.N.; zum heutigen Recht etwa BernK/Becker, Art. 530 OR Rz 17, Art. 544 OR Rz 1; BasK/Pestalozzi/Hettich, Art. 544 OR Rz 3 ff. 253 OR 1881 und 1911, Art. 544 III. 254 Vgl. BernK/Becker (1934), Art. 530 OR Rz 3, 17; BasK/Handschin, Art. 530 OR Rz 6; BasK/Pestalozzi/Hettich, Art. 543 OR Rz 1, Art. 544 OR Rz 3, 10, 14; Guhl/Druey, Obligationenrecht, § 61 Rz 18, § 62 Rz 39. Annäherungen an die moderne deutsche Gesamthandslehre aber bei Meier-Hayoz/Forstmoser, Schweizerisches Gesellschaftsrecht (2007), § 2 Rz 66–68, § 12 Rz 15 f.; Fellmann, ZBJV 133 (1997), 289 f. 255 OR 1881 Art. 552 III; OR 1911 Art. 553. In der Praxis machen davon etwa Rechtsanwaltssozietäten und vermögensverwaltende Gesellschaften Gebrauch, BasK/Baudenbacher, Art. 553 OR Rz 1. 249
8. Die Haftung der Wohnungseigentümer
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schaften, welche die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten zur Erlangung der Rechtsfähigkeit nicht nutzen wollen oder können, etwa Gelegenheitsaußengesellschaften. Anders als in den Nachbarrechtsordnungen besteht in Deutschland offenbar das Bedürfnis, solchen Gesellschaften die Rechtsfähigkeit auch ohne Registereintrag zu ermöglichen.
8. Die Haftung der Wohnungseigentümer Schließlich stellte sich die Frage der Rechtsfähigkeit auch bei bestehenden Wohnungseigentümergemeinschaften. Schloss der Verwalter im Namen der Eigentümergemeinschaft einen Vertrag, etwa um Renovierungen am Haus vorzunehmen oder Heizöl zu kaufen, entstanden nach früherer Rechtsprechung Gesamtschulden der einzelnen Eigentümer256. Vorstellbar war es auch hier, die Gesamtschulden wie bei Außengesellschaften derart zu verbinden, dass eine Schuld der Wohnungseigentümergemeinschaft selbst angenommen wird, für welche die Eigentümer akzessorisch haften. Das Gesetz hat die Wohnungseigentümergemeinschaft allerdings nicht als Personengesellschaft ausgestaltet. Das WEG von 1951 sprach lediglich vom Sonder- und Miteigentum und ordnete an, dass hilfsweise die Vorschriften der Bruchteilsgemeinschaft anwendbar sein sollten257. Nach ganz herrschender Ansicht ist die Wohnungseigentümergemeinschaft daher keine Gesellschaft258. Anders als bei gewöhnlichen Bruchteilsgemeinschaften sieht das WEG aber „Organe“ in Form der Wohnungseigentümerversammlung und des Verwalters vor. Für die Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums führen die Eigentümer Geldbeträge ab, die ein gemeinsames Vermögen bilden und von den Eigentümern oder vom Verwalter zweckbestimmt verwendet werden. Insofern stellte sich die Frage, ob es sich beim Verwaltungsvermögen nicht um ein gesamthänderisch gebundenes Vermögen handelt, das der Eigentümergemeinschaft als solcher zusteht259. 256
Oben, 36 ff. WEG vor der Reform v. 16.3.2007, § 10 I. Die Vorschrift findet sich nun in § 10 II WEG. 258 Stellvertretend MüKo/Ulmer, vor § 705 Rz 131 f.; Weitnauer/Hauger/Lüke, WEG, vor § 1 Rz 30, 58; Bub, ZWE 2002, 107 ff.; BGHZ 163, 154, 170 f. (2.6.2005). Anderer Ansicht aber Junker, Gesellschaft nach dem Wohnungseigentumsgesetz, 1993, nach dem die Wohnungseigentümergemeinschaft eine besondere Gesellschaftsform bildet, nämlich die „dingliche Gesellschaft“. Alle Vermögenswerte, sowohl das Eigentum am Grundstück als auch das Verwaltungsvermögen, bilden das Gesellschaftsvermögen, wobei das Sondereigentum dinglich den einzelnen Gesellschaftern, das Miteigentum und das Verwaltungsvermögen allen Gesellschaftern gesamthänderisch zugeordnet ist. Bei den Konsequenzen dieses Gesellschaftsmodells lehnt sich Junker aber an die traditionelle Gesamthandslehre an, indem er davon ausgeht, dass das Gesellschaftsvermögen nicht der Wohnungseigentümergemeinschaft zugeordnet sei, sondern den einzelnen Gesellschaftern zur gesamten Hand, da die Gemeinschaft keine eigene Rechtspersönlichkeit darstelle (97 ff., 130 f.); zugleich will er aber § 124 HGB analog anwenden (182). Im Ergebnis nimmt er, da nur ein Teil des Gesellschaftsvermögens Gesamthandsvermögen ist, bei Verwaltungsschulden Teilschulden der Wohnungseigentümer an (184 f.). 259 Vgl. zum Folgenden die ausführliche Darstellung bei Renner, Wohnungseigentümergemeinschaft (2005), 30 ff., 45 ff., 51 ff. 257
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
Nach einem traditionelleren Modell260 war die Wohnungseigentümergemeinschaft eine modifizierte Form der Bruchteilsgemeinschaft und das Verwaltungsvermögen Gegenstand einer besonderen Bruchteilsgemeinschaft, die sich von der Bruchteilsgemeinschaft am Grundstück unterscheidet. Wechselte daher der Eigentümer einer Wohnung, haftete der Erwerber nicht für bislang ungezahlte Hausgeldbeiträge; umgekehrt hatte er auch keinen Anteil an einem bestehenden Verwaltungsvermögen. Schloss der Verwalter Verträge im Namen der Wohnungseigentümergemeinschaft, handelte er im Namen der einzelnen Wohnungseigentümer. Nach § 427 BGB entstanden damit gewöhnliche Gesamtschulden für diejenigen, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Wohnungseigentümer waren. Hiergegen machte insbesondere Bärmann schon früh das Gesamthandsprinzip fruchtbar261. Danach bestand das Wohnungseigentum nicht nur aus dem durch das WEG vorgesehenen Sonder- und Teileigentum, sondern auch aus einer Beteiligung am gemeinschaftlichen Verwaltungsvermögen. Die Gesamthandsqualität dieses Vermögens sollte insbesondere dazu führen, dass bei einem Eigentümerwechsel der Erwerber automatisch am bestehenden Verwaltungsvermögen beteiligt war, umgekehrt aber auch für bislang nicht gezahlte Beiträge des Veräußerers haftete. Inhaber des Verwaltungsvermögens war danach die rechtsfähige Wohnungseigentümergemeinschaft. Schloss der Verwalter in ihrem Namen Verträge, verpflichtete er damit die Gemeinschaft als solche (mit der Folge der Haftung des Gesamthandsvermögens), zugleich aber auch die einzelnen Wohnungseigentümer, weil diese nach dem Gesamthandsprinzip für Schulden der Gemeinschaft persönlich akzessorisch hafteten. Nach Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Außengesellschaft nahmen in der Literatur die Stimmen zu, die für eine gleiche Lösung bei der Wohnungseigentümergemeinschaft plädierten262. Man verwies vor allem auf die praktischen Nachteile der fehlenden Rechts- und Parteifähigkeit, etwa im Prozess zwischen der Gemeinschaft und einem Wohnungseigentümer oder im Fall des Mitgliederwechsels263: Hier sollte die Rechtsfähigkeit der Gemeinschaft ohne weiteres si260 Weitnauer, FS Seuß (1987), 295 ff.; ders., FS Korbian (1986), 463 ff.; ders., in Weitnauer/ Hauger/Lüke, WEG, vor § 1 Rz 25–58, § 1 Rz 11–26; Lüke, ebd., § 10 Rz 11–13; ähnlich Ehmann, FS Bärmann/Weitnauer (1990), 157 ff.; Hartmann, Wohnungseigentümergemeinschaft, 12 ff. 261 Bärmann, NJW 1989, 1057; ders., Wohnungseigentum, Rz 265 ff., 280 ff.; ähnlich Bärmann/ Pick/Merle, WEG, Einl Rz 5 ff., 22 ff., 37 f.; Erman/Ehmann (11. Aufl. 2004), § 427 Rz 5 a. Siehe auch Merle, Wohnungseigentum (1979), 82 ff., 114 ff., 142 ff., 162 ff.; und H. Roth, ZWE 2001, 238, der sich wie Merle für die Gesamthandsqualität des Verwaltungsvermögens und die Untrennbarkeit des Vermögensanteils vom Wohnungseigentum ausspricht, dagegen eine Haftung des Erwerbers für offene Verwaltungsschulden und eine Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft ablehnt. 262 Raiser, ZWE 2001, 173; Bub, ZWE 2002, 103 (siehe auch schon Bub/Petersen, NZM 1999, 646); Derleder, ZWE 2002, 193 und 250; Schwörer, NZM 2002, 421; Pauly, WoM 2002, 531; Maroldt, ZWE 2004, 42; Häublein, FS Wenzel (2005), 175; Renner, Wohnungseigentümergemeinschaft (2005), 40 ff., 74 ff.; dagegen Ott, ZMR 2002, 97. Überblick bei MüKo/Commichau, vor § 1 WEG Rz 42 ff. 263 Zu den hiermit verbundenen Problemen auf der Grundlage des traditionellen Modells etwa Ott, ZMR 2002, 169; Häublein, FS Wenzel (2005), 181 ff. m.w.N.
8. Die Haftung der Wohnungseigentümer
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cherstellen, dass der Erwerber in Dauerschuldverhältnisse – wie den Vertrag mit dem Hausmeister – eintrete und Mitinhaber eines gemeinschaftlichen Kontos werde. Schuldner der im Namen der Gemeinschaft geschlossenen Verträge sollte danach in erster Linie die Wohnungseigentümergemeinschaft selbst sein, die mit ihrem Verwaltungsvermögen haftete. Als selbstverständlich empfand man es, dass daneben auch die einzelnen Wohnungseigentümer persönlich wie bei der Außen-GbR für die Gemeinschaftsschulden haften sollten264. Die Rechtsprechung hatte eine gesetzliche Haftung des Erwerbers für Hausgeldrückstände lange verneint und sich damit der traditionelleren Ansicht zugeneigt265. Sowohl die Gesamthandsqualität des Verwaltungsvermögens266 als auch die Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft267 wurden ausdrücklich abgelehnt. Bei Verwaltungsschulden sollte es sich also um schlichte Gesamtschulden der zur Zeit des Vertragsschlusses vorhandenen Wohnungseigentümer handeln268. Doch im Juni 2005 vollzog der Fünfte Senat des BGH eine Kehrtwende, indem er die Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft als Inhaberin des zweckgebundenen Verwaltungsvermögens anerkannte269. Schuldner der im Namen der Gemeinschaft eingegangenen Verbindlichkeiten war demnach die Gemeinschaft selbst. Zur Begründung führte der Senat in erster Linie die schon in der Literatur genannten schuldrechtlichen Konsequenzen im Falle eines Eigentümerwechsels an (der Neueigentümer soll in bestehende Dauerschuldverhältnisse eintreten und unter Ausschluss des Alteigentümers an gemeinschaftlichen Forderungen teilhaben). Befremdlich war allerdings, dass nach dieser Entscheidung bei Verträgen im Namen der Wohnungseigentümergemeinschaft nur diese Schuldnerin sein und die Wohnungseigentümer im Außenverhältnis gar nicht haften sollten. Eine gesetzliche akzessorische Haftung der Eigentümer lehnte der Senat ebenso ab wie eine regelmäßige „Doppelverpflichtung“ durch den kontrahierenden Verwal264
So Raiser, ZWE 2001, 178; Bub, ZWE 2002, 111; Derleder, ZWE 2002, 251 f. („zwingende Folge“); Schwörer, NZM 2002, 425 („außer Zweifel“); Pauly, WoM 2002, 533 Fn. 23; Maroldt, ZWE 2004, 45 f.; Armbrüster, FS Wenzel (2005), 98 („notwendige Folge“); Häublein, FS Wenzel, 199 f.; Renner, Wohnungseigentümergemeinschaft, 119 ff., 133 f. Uneinig war man lediglich darüber, ob der Erwerber für Altschulden haften sollte. 265 BGHZ 88, 302, 305 (13.10.1983); BGHZ 95, 118, 122 (27.6.1985); BGHZ 99, 358, 360 (22.1.1987); BGH NJW 1994, 2950, 2951 (24.2.1994); BGHZ 142, 290 (23.9.1999); BayObLGZ 1984, 198, 202 ff. (25.7.1984); KG, OLGZ 1977, 1, 5 f. (28.11.1975); KG, OLGZ 1991, 190 (1.1.1990); KG, NJW-RR 1992, 84 (1.7.1991); teilweise anders nun aber KG, NJW-RR 2002, 1379 (29.4.2002). 266 BGHZ 109, 179, 185 (3.11.1989); BayObLGZ 1984, 198, 206 f. (25.7.1984); BayObLGZ 1995, 103, 107 (23.2.1995); offen gelassen jedoch in BGHZ 142, 290 (23.9.1999). 267 BGH NJW 1977, 1686 (12.5.1977); BGHZ 78, 166, 172 (25.9.1980); BGH NJW 1983, 1901, 1902 (20.1.1983); OVG Münster, NJW-RR 1992, 458 (20.6.1991); BGH NJW 1998, 3279 (2.7.1998); BayObLG, NZM 2001, 956 (26.7.2001); BayObLG NJW 2002, 1506 (14.2.2002); OLG Frankfurt, NZM 2004, 503 (7.1.2004); BayObLG, RPfl 2005, 309 (17.1.2005). 268 So BGHZ 78, 166, 175 (25.9.1980); BGHZ 95, 118, 122 (27.6.1985); KG, NJW-RR 1992, 84 (1.7.1991); BGH, NJW-RR 2004, 874, 875 (9.2.2004). 269 BGHZ 163, 154 (2.6.2005, NJW 2005, 2061, ZIP 2005, 1233).
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
ter270. Nach dieser Lösung kann der Gläubiger nur auf das Vermögen der Gemeinschaft in Gestalt des Verwaltungsvermögens und eventueller Rücklagen zugreifen. Ist die Kasse der Gemeinschaft leer, kann er Beitragsansprüche der Gemeinschaft gegen die Eigentümer pfänden. Bestehen keine solchen Beitragsansprüche, weil kein Beschluss der Eigentümerversammlung zur Erhebung von Vorschüssen oder Umlagen vorliegt, muss der Gläubiger einen Anspruch der Gemeinschaft gegen die Eigentümer pfänden, einen solchen Beschluss herbeizuführen. Zudem sollen die einzelnen Eigentümer gegenüber der Gemeinschaft solidarisch zu Schadensersatz verpflichtet sein, wenn sie nicht auf eine ausreichende Finanzausstattung hinwirken. Auch diese Schadensersatzansprüche soll der Gläubiger pfänden können und damit im Ergebnis nicht schutzlos sein271. Dem schloss sich in einer 2007 ergangenen Entscheidung der Achte Senat an272. Der Ausschluss der persönlichen Haftung im Außenverhältnis ist in der Literatur nahezu273 einhellig kritisiert worden, unabhängig davon, ob die Autoren der Rechtsfähigkeitsthese zustimmten oder nicht274. Unklar ist, warum gerade die Wohnungseigentümergemeinschaft, anders als die Personengesellschaft, ihren Gläubiger ohne besondere Vereinbarung für seine Befriedigung auf ein ungesichertes Vermögen verweisen können soll275. Zu diesem gehört nicht einmal das Grundstück selbst, so dass auch kein Anspruch auf eine Sicherungshypothek nach § 648 BGB besteht. Die vom Senat angeführte Möglichkeit, die Gemeinschaftsansprüche zu pfänden, hilft dem Gläubiger nur begrenzt. Beitragsansprüche sind zunächst einmal Teilschulden, auch wenn die Eigentümer subsidiär zur Schließung von Deckungslücken verpflichtet sind, und setzen einen entsprechenden Beschluss der Gemeinschaft voraus. Die Herbeiführung eines wirksamen, nicht anfechtbaren, Beitragserhebungsbeschlusses durch den Gläubiger verlangt eine Kenntnis des Innenverhältnisses. Pfändbare Schadensersatzansprüche der 270
BGHZ 163, 154, 173 f. (III 9 der Gründe). BGHZ 163, 154, 174 ff. (III 9 c-d der Gründe). 272 BGH NJW 2007, 2987 (7.3.2007). 273 Zustimmend aber Abramenko, ZMR 2005, 586 ff.; Bub/Petersen, NJW 2005, 2590. 274 Bork, ZIP 2005, 1207 ff.; Lüke, ZfIR 2005, 517 ff.; Häublein, ZMR 2005, 557 f.; ders., ZIP 2005, 1722 ff.; Armbrüster, ZWE 2005, 375 ff.; Demharter, ZWE 2005, 358 f.; Maroldt, ZWE 2005, 363 f.; Rapp, MittBayNot 2005, 456 f.; Hügel, DNotZ 2005, 765 ff.; Drasdo, NZM 2006, 211 ff.; Bauer, JR 2006, 245 f.; Reuter, AcP 207 (2007), 692 ff.; Jacobs, JZ 2007, 951 ff. 275 Besonders unbillig erscheint die Anwendung der neuen Rechtsprechung auf Altfälle. Nach dem LG Wuppertal haften aus einem 1997 mit den „Eigentümern des XY-Objekts“ geschlossenen Werkvertrag nicht die Eigentümer, sondern nur die Gemeinschaft, ZMR 2005, 990 (22.9.2005). Auch der Achte Senat des BGH ist der Ansicht, dass es in einem derartigen Fall auf die Ansicht des Dritten, er kontrahiere mit den einzelnen Eigentümern, nicht ankomme, NJW 2007, 2987 (7.3.2007). Nach dem OLG Hamm soll das selbst dann gelten, wenn der Vertrag eine solidarische Haftung der Eigentümer vorsah (weil der Vertragschluss lediglich auf einem Mehrheitsbeschluss beruht habe), NZM 2006, 632 (3.1.2006). Hat der Werkunternehmer in der Annahme einer solidarischen Haftung nur gegen einen Eigentümer geklagt, ist eine Rubrumsberichtigung nicht möglich. Der Anspruch gegen die Gemeinschaft kann daher schon verjährt sein. Das OLG München gewährte in einem solchen Fall Vertrauensschutz, indem es den allein verklagten Eigentümer ausnahmsweise als passivlegitimiert ansah, NJW 2007, 2862 (27.2.2007). 271
8. Die Haftung der Wohnungseigentümer
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Gemeinschaft gegen den einzelnen Eigentümer kommen nur in Betracht, wenn diesem zumindest eine Pflichtverletzung i.S.d. § 280 I nachweisbar ist; selbst dann steht ihm aber der Entlastungsbeweis offen. Legt man hier strenge Maßstäbe an, läuft der einzelne Eigentümer Gefahr, für den gesamten Ausfall zu haften, wenn er nicht sämtliche Rechtsmittel zur Herbeiführung eines Beitragserhebungsbeschlusses oder zur Anfechtung eines ablehnenden Beschlusses ausgeschöpft hat. In jedem Fall wird dem Gläubiger eine Vielzahl von Prozessen zugemutet. Eine effektive Rechtsverfolgung ist kaum möglich, was im Endergebnis dazu führen kann, dass Wohnungseigentümergemeinschaften nicht mehr kreditfähig sind, sofern nicht die Eigentümer bürgen oder der Schuld beitreten276. Ein Modell, wonach den Eigentümer gegenüber der Gemeinschaft die Pflicht trifft, sie mit ausreichender Deckung auszustatten, um ihr die Tilgung ihrer Verbindlichkeiten zu ermöglichen, und wonach diese Pflicht zu Schadensersatzansprüchen der Gemeinschaft führt, die wiederum der außenstehende Gläubiger pfänden kann, verwirklicht das gewünschte Ergebnis auf besonders umständliche Weise. Es ist richtig, dass es bei Annahme der Rechtsfähigkeit der Gemeinschaft Anreize für die Eigentümer geben muss, den Verband mit Finanzmitteln auszustatten. Doch das einfachste und seit langem in parallelen Fällen bewährte Mittel dazu ist die Annahme einer persönlichen Haftung der Einzelnen neben dem Verband, sei es als Teil- oder als Gesamtschuldner277. Besonders unbefriedigend an der Entscheidung des Fünften Senats ist aber, dass der Ausschluss der persönlichen Außenhaftung schlicht mit dem Fehlen einer entsprechenden gesetzlichen Anordnung begründet wurde278. Es geht nicht an, zunächst im Wege der Rechtsfortbildung die Rechtsfähigkeit der Gemeinschaft anzuerkennen und damit die bislang anerkannte Schuldnerstellung der Eigentümer zu beseitigen, um gleich darauf festzustellen, dass es für die persönliche Haftung keine gesetzliche Grundlage gebe. Tatsächlich hätte umgekehrt der Ausschluss der persönlichen Haftung begründet werden müssen, weil die veränderte dogmatische Konstruktion allein an den bislang anerkannten Rechtsfolgen nichts ändern kann279. Gerade diese Erwägung der „haftungsrechtlichen Neutralität“ war einer der Gründe, die bei der GbR zur Ablehnung der Doppelverpflichtungstheorie zugunsten des Akzessorietätsmodells geführt hatten280. Die benachbarten Rechtsordnungen zeigen, dass die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft keineswegs zu einer unzumut276 Nach dem KG, NJW 2006, 3647 (6.4.2006), haften die Eigentümer für vertraglich geschuldete Abfall- und Straßenreinigungsgebühren in Berlin weiterhin solidarisch, weil der Versorger sich weder seine Vertragspartner aussuchen noch seine Leistung von der Erstellung von Sicherheiten abhängig machen könne. Vgl. zu Be- und Entwässerungsgebühren auch KG NJW-RR 2007, 232 (29.9.2006); KG NJW-RR 2008, 966 (7.11.2007). 277 So auch Häublein, ZIP 2005, 1722; Armbrüster, ZWE 2005, 380; Drasdo, NZM 2006, 213. Zur Alternative zwischen Teil- und Gesamtschulden schon oben, 36 ff. 278 BGHZ 163, 154, 173 f. (III 9 a der Gründe). 279 So zu Recht Reuter, AcP 207 (2007), 694; Jacobs, JZ 2007, 951. 280 Oben, 84 f.
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
baren Belastung des Gläubigers führen muss. In Frankreich ist die syndicat genannte Gemeinschaft nach dem Wohnungseigentumsgesetz von 1965 eine juristische Person, die Inhaberin des Verwaltungsvermögens und Schuldnerin der in ihrem Namen geschlossenen Verträge ist281. Wegen der Tilgung ihrer Verbindlichkeiten gegenüber Dritten hat sie anteilige Aufwendungsersatzansprüche gegen die einzelnen Wohnungseigentümer, die der Gläubiger pfänden kann. Die Beitragsforderungen der Gemeinschaft gegen den einzelnen Eigentümer sind durch eine gesetzliche Hypothek an seinem Miteigentumsanteil, durch ein Pfandrecht an der Wohnungseinrichtung oder dem Mietzins und durch ein besonderes Immobiliarprivileg gesichert282. Die Rechtsprechung kürzt den Weg einer Pfändung dieser Ansprüche seitens des Gläubigers dadurch ab, dass sie ihm gestattet, die Eigentümer unmittelbar im Verhältnis ihres Miteigentumsanteils in Anspruch zu nehmen283. Durch diese Rechtsfortbildung, deren dogmatische Fundierung in der Literatur umstritten ist284, bestehen praktisch neben der Haftung der Gemeinschaft Teilschulden der Eigentümer. In Österreich wurde die Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft 1993 im Rahmen der Reform des österreichischen WEG eingeführt285. Das seit 2002 geltende WEG spricht von einer juristischen Person286. Der Gläubiger muss daher die Gemeinschaft selbst verklagen und sich aus ihrem Verwaltungsvermögen befriedigen287. Soweit aber die Vollstreckung keinen Erfolg bringt, haf281 Gesetz v. 10.7.1965 (Loi No. 65–557, im Folgenden frWEG), Art. 14 I („La collectivité de copropriétaires est constituée en un syndicat qui a la personnalité civile“). Hierzu aus deutscher Sicht Hartmann, Wohnungseigentümergemeinschaft, 39 ff. 282 Hypothek: Art. 19 I frWEG; Pfandrecht: Art. 19 V frWEG i.V.m. Art. 2332 Nr. 1 CC; Privileg: Art. 19-1 frWEG i.V.m. Art. 2374 Nr. 1 CC. Einzelheiten bei Hartmann, Wohnungseigentümergemeinschaft, 58 ff.; Strickler, Biens, § 401. 283 Cass 3 civ (10.5.1968), Bull civ III, Nr. 202 = D 1969, 45 m. Anm. Giverdon; Cass 3 civ (30.10.1984), Bull civ III, Nr. 180. 284 Überblick bei Hartmann, Wohnungseigentümergemeinschaft, 56 ff. 285 WEG von 1975 in der Fassung von 1993 (im Folgenden WEG 1993), § 13 c I (Die Wohnungseigentümergemeinschaft „kann in Angelegenheiten der Verwaltung der Liegenschaft als solche Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen sowie klagen und am Ort der gelegenen Sache geklagt werden“). Aus Sicht der modernen deutschen Gesamthandslehre handelt es sich hier um eine rechtsfähige Gruppe, nicht unbedingt um eine juristische Person. So soll die Vereinigung aller Wohnungen in einer Hand zum Erlöschen der Gemeinschaft führen. Die Vorstellung einer Trennung von Rechtsfähigkeit und Qualifizierung als juristische Person wird aber nicht überall geteilt. So ging man in Österreich zumeist von einer „Quasirechtspersönlichkeit“ oder fingierten Rechtsfähigkeit aus, ähnlich wie die herkömmliche Auslegung des § 124 HGB (obwohl § 13 c I die Worte „als solche“ enthielt, die im HGB gerade fehlen, vgl. oben, 77); Nachweise bei Hausmann/ Vonkilch/Löcker, Wohnrecht, § 18 WEG, Rz 9 ff., s.a. OGH, MietSlg Nr. 49.510, 50.587 (10.6.1997/ 18.5.1998); ebenso Hartmann, Wohnungseigentümergemeinschaft (2001), 83 ff. Der OGH ging schließlich von einer „echten“ Rechtspersönlichkeit aus, etwa MietSlg Nr. 51.537 (9.3.1999). Nach Löcker, Wohnungseigentümergemeinschaft (1997), 64 ff., sollte es sich um eine juristische Person handeln. Diese Vorstellung wurde 2002 vom Gesetzgeber übernommen. 286 WEG 2002, § 2 V. Die bisherige Vorschrift des § 13 c I findet sich nun geringfügig modifiziert in § 18 I WEG 2002. 287 OGH, MietSlg Nr. 50.587 (18.5.1998); Nr. 51.537 (9.3.1999); Nr. 51.543 (20.10.1999); Hausmann/Vonkilch/Löcker, Wohnrecht, § 18 WEG, Rz 98, 110 ff.
8. Die Haftung der Wohnungseigentümer
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ten nach dem Gesetz die Eigentümer für den Ausfall anteilig288. Ihre Haftung ist akzessorisch zur Gemeinschaft, aber anders als in Frankreich nur subsidiär, weil der Gläubiger zuerst eine Zwangsvollstreckung ins Verwaltungsvermögen durchführen muss. Dies betraf aber bis 2002 nur die schon eingezogenen Beiträge und Umlagen, so dass der Gläubiger bei leerer Gemeinschaftskasse nicht die Beitragsforderungen pfänden musste, sondern direkt auf die Eigentümer zugreifen konnte289. Nach dem WEG 2002 kann der Gläubiger dagegen auch in Beitragsansprüche vollstrecken290, so dass die Subsidiarität der Eigentümerhaftung praktisch offenbar dazu führt, dass der Gläubiger zunächst die Beitragsforderung der Gemeinschaft pfänden muss291. Die hiermit verbundene mehrstufige Rechtsverfolgung hat für ihn aber auch Vorteile: 1999 wurde ein gesetzliches Vorzugspfandrecht am Miteigentumsanteil des Wohnungseigentümers zugunsten der Gemeinschaft wegen ihrer Beitragsforderungen eingeführt292. Bei Pfändung der Beitragsansprüche kann der Gläubiger sich daher auch dieser Sicherheit bedienen und im Ergebnis bevorzugt auf die Wohnung des säumigen Beitragsschuldners zugreifen. Die Schweizer Regelung des Stockwerkeigentums wurde 1965 ins ZGB eingefügt. Die Gemeinschaft der Stockwerkeigentümer kann im Rahmen der Verwaltung Rechte erwerben, Verbindlichkeiten eingehen, klagen und verklagt werden293. Aus Sicht der modernen deutschen Gesamthandslehre ist die Gemeinschaft somit rechtsfähig; die schweizerische Literatur spricht demgegenüber nur von einer beschränkten Handlungsfähigkeit, die nicht zur Rechtsfähigkeit führe und die „materielle“ Rechtszuständigkeit der Eigentümer unberührt lasse294. Schuldner der im Namen der Gemeinschaft eingegangenen Verbindlichkeit ist in jedem Fall diese selbst. Daneben schulden die Eigentümer persönlich überhaupt nicht295. Der Gesetzgeber hatte die „Handlungsfähigkeit“ der Stockwerkeigentümergemeinschaft gerade deswegen eingeführt, um eine solidarische Haftung der 288
WEG 1993, § 13 c II („Soweit die Rücklage und die eingehobenen Vorauszahlungen keine ausreichende Deckung bieten, haften die Miteigentümer für den Ausfall im Zweifel im Verhältnis ihrer Miteigentumsanteile“); ähnlich § 18 III WEG 2002. 289 Zu den Einzelheiten Löcker, Wohnungseigentümergemeinschaft, 380 ff., 389 f., 391 ff.; Hartmann, Wohnungseigentümergemeinschaft, 94 ff.; Hausmann/Vonkilch/Löcker, Wohnrecht, § 18 WEG, Rz 221 ff. Selbstverständlich benötigt der Gläubiger zur Vollstreckung gegen einen Eigentümer einen eigenen Titel, so nun ausdrücklich § 18 I 4 WEG 2002. 290 WEG 2002, § 18 III. 291 So Schauer, wobl 2002, 143; Hausmann/Vonkilch/Löcker, Wohnrecht, § 18 WEG, Rz 116. 292 WEG in der 1999 geltenden Fassung, § 13 c III; WEG 2002, § 27. Einzelheiten bei Hausmann/Vonkilch/Löcker, Wohnrecht, § 27 WEG, Rz 9 ff., 13 ff. 293 ZGB Art. 712 l. 294 Rey, Stockwerkeigentum, Rz 224, 226, 275; BasK/Bösch, vor Art. 712 a ZGB, Rz 8, Art. 712 l ZGB, Rz 1; ebenso Hartmann, Wohnungseigentümergemeinschaft, 61 ff.; vgl. auch Botschaft des Bundesrates zum Gesetzentwurf, BBl 1962 II, 1461 ff., 1492. Diese traditionelle Sicht besteht in der Schweiz auch zur OHG, vgl. oben, 80. 295 BGE 119 II 404, 409 f. (8.10.1993); Rey, Stockwerkeigentum, Rz 241, 273; BasK/Bösch, Art. 712 l ZGB, Rz 2; Wermelinger, Stockwerkeigentum, Art. 712 h ZGB, Rz 34, 36, 38; Hartmann, Wohnungseigentümergemeinschaft, 75 ff.
98
III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
Eigentümer zu vermeiden, die er als zu risikoreich empfand296. Der Gläubiger kann sich daher nur an die Gemeinschaft wenden und bei leerer Kasse ihre Beitragsansprüche gegen die einzelnen Eigentümer pfänden. Auf den ersten Blick entspricht die Schweizer Regelung daher der Rechtslage nach dem Urteil des Fünften BGH-Senats. Doch sie weist gegenüber dem deutschen Recht zwei wesentliche Besonderheiten auf. Zum einen entstehen die Beitragsansprüche der Gemeinschaft nicht erst durch einen Beschluss der Eigentümerversammlung. Vielmehr sind die Eigentümer nach Art. 712 h ZGB gesetzlich zur anteiligen Lasten- und Kostentragung verpflichtet. Diese Regelung wird so verstanden, dass schon zu dem Zeitpunkt, in dem eine Verbindlichkeit der Gemeinschaft gegenüber einem Dritten entsteht, die nicht durch das liquide Vermögen gedeckt ist, unmittelbar fällige Ansprüche der Gemeinschaft gegen die einzelnen Eigentümer entstehen, an der Tilgung der Schuld im Verhältnis ihres Miteigentumsanteils durch Zahlung an die Gemeinschaft mitzuwirken297. Der Gläubiger kann daher, wenn er aus dem Gemeinschaftsvermögen nicht befriedigt wird, direkt die Beitragsansprüche pfänden, ohne einen entsprechenden Beschluss herbeiführen zu müssen. Im Ergebnis erhält er auf diese Weise Teilschuldner für seine Forderung298. Zum anderen hat die Gemeinschaft zur Sicherung ihrer Beitragsansprüche der letzten drei Jahre einen dinglichen Anspruch gegen den jeweiligen Eigentümer auf Einräumung eines Pfandrechts am Miteigentumsanteil299. Aufgrund eines entsprechenden Titels kann das Pfandrecht dann auch ohne Zustimmung des Eigentümers ins Grundbuch eingetragen werden, womit es zur Entstehung gelangt. Sein Rang im Verhältnis zu anderen Sicherungen bestimmt sich nach dem Zeitpunkt seiner Eintragung (oder der Eintragung einer Vormerkung) ins Grundbuch. Bei einer Pfändung des Beitragsanspruchs kann auch der Gläubiger das Pfandrecht eintragen lassen. Ferner wird der Beitragsanspruch auch durch ein Retentionsrecht (vergleichbar mit einem Vermieterpfandrecht) an den beweglichen Sachen in der Wohnung des Beitragsschuldners gesichert300. Sowohl die sofort fällige Beitragspflicht als auch die beiden Sicherungen dienen gerade dem Schutz des Gläubigers, dem auf diese Weise ein Ausgleich für die fehlende unmittelbare Haftung der Eigentümer geschaffen wird301. 296
Botschaft des Bundesrates, BBl 1962 II, 1491. Rey, Stockwerkeigentum, Rz 240, 517; BasK/Bösch, Art. 712 h ZGB, Rz 5; Wermelinger, Stockwerkeigentum, Art. 712 h ZGB, Rz 40 ff. 298 Eine Ausfallhaftung der übrigen Miteigentümer nach außen gibt es nach h.L. nicht; Rey, Stockwerkeigentum, Rz 522; BasK/Bösch, Art. 712 h ZGB, Rz 6; Wermelinger, Stockwerkeigentum, Art. 712 h ZGB, Rz 50; Hartmann, Wohnungseigentümergemeinschaft, 80 f. 299 ZGB Art. 712 i. Näheres bei Rey, Stockwerkeigentum, Rz 526 ff.; BasK/Bösch, Art. 712 i ZGB, Rz 3, 7 f.; Wermelinger, Stockwerkeigentum, Art. 712 i ZGB, Rz 4 f., 19, 37 f., 86; Hartmann, Wohnungseigentümergemeinschaft, 77 ff. 300 ZGB Art. 712 k. 301 Bundesrat, BBl 1962 II, 1491 f.; BGE 119 II 404, 409 f. (8.10.1993); Rey, Stockwerkeigentum, Rz 242, 518; BasK/Bösch, Art. 712 h ZGB, Rz 3, Art. 712 i ZGB, Rz 1; Wermelinger, Stockwerkeigentum, Art. 712 h ZGB, Rz 35, Art. 712 i ZGB, Rz 9. 297
9. Schluss
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Eine Lage, wonach der Gläubiger der Wohnungseigentümergemeinschaft erst einen Beschluss zur Beitragserhebung herbeiführen oder Schadensersatzansprüche der Gemeinschaft gegen den einzelnen Eigentümer nachweisen und pfänden muss, ist in den Nachbarrechtsordnungen also ausgeschlossen. Im Ergebnis haften die Eigentümer überall teilschuldnerisch, entweder direkt, wie in Frankreich, oder subsidiär zur Gemeinschaft, wie in Österreich, oder mittelbar durch die sofortige Fälligkeit der pfändbaren Beitragsansprüche, wie in der Schweiz. In Deutschland hat der Gesetzgeber, der ohnehin gerade mit der Reform des WEG befasst war, die Kritik der Literatur aufgegriffen302 und das WEG mit Gesetz vom 26.3.2007 geändert. Die Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft wird nun in § 10 Abs. 6 WEG gesetzlich anerkannt, so dass in erster Linie diese Schuldnerin ist. Daneben ordnet aber § 10 Abs. 8 eine anteilige akzessorische Haftung der einzelnen Eigentümer an303. Rechtsvergleichung wurde bei der kurzfristigen Erarbeitung dieser Regeln offenbar nicht betrieben. Hier hätte man daran denken können, wie in Frankreich, Österreich und der Schweiz eine dingliche Sicherung für die Beitragsforderungen der Gemeinschaft einzuführen. Der Schweizer Gesetzgeber hatte die reine Teilschuldlösung als für den Gläubiger unzumutbar abgelehnt304. Wenn eine solidarische Haftung der einzelnen Wohnungseigentümer wegen des zu großen Risikos abgelehnt wird und dem Gläubiger daher zugemutet wird, bei leerer Gemeinschaftskasse anteilig gegen zahlreiche Wohnungseigentümer vorzugehen, könnte eine besondere dingliche Sicherheit an der Wohnung des Beitragsschuldners das Schicksal des Gläubigers erleichtern.
9. Schluss Die heutige Auffassung zum Schuldmodell bei einer vertraglichen Verpflichtung einer Außengesellschaft bürgerlichen Rechts wirft ein etwas milderes Licht auf die pandektistischen Diskussionen zur Konstruktion der Korrealobligation. Die Außengesellschaft bürgerlichen Rechts wird in kein Register eingetragen und steht dem Gläubiger als eine Gruppe von Gesellschaftern gegenüber. Schließt sie einen Vertrag, lägen nach gemeinrechtlicher Auffassung des 19. Jahrhunderts Verbindlichkeiten der einzelnen Gesellschafter vor. Sofern die an sich geltende Teilschuldvermutung entkräftet ist, handelt es sich nach der Vorstellung des 19. Jahrhunderts um eine Korrealobligation, bei der umstritten war, ob es sich um eine Obligation, mehrere Obligationen oder eine Gesamt- mit mehreren Einzelobligationen handelte. Heute spricht man in dieser Fallgruppe von einer Verbindlichkeit der Gesellschaft und zusätzlichen akzessorischen Einzelverbind302
BT-Drs. 16/887 v. 9.3.2006, Anlage 3, S. 57, 64 ff. Auch gegenüber der Gemeinschaft haftet der einzelne Wohnungseigentümer nun nur noch teilschuldnerisch, § 10 VIII 4 WEG; kritisch hierzu Abramenko, ZMR 2006, 497 f. 304 Bundesrat, BBl 1962 II, 1491. 303
100
III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
lichkeiten der Gesellschafter. Dies ist nicht dasselbe wie die Gesamtobligation Barons oder die Kollektivobligation Ungers, unter anderem weil die Frage nach Gesamt- und Einzelwirkungen von Tatsachen nach heutiger Lehre mit Hilfe des Akzessorietätsgrundsatzes gelöst wird. Dennoch ist das Schuldmodell bei der BGB-Außengesellschaft nicht nur das funktionale Äquivalent zu einer Teilgruppe der Korrealobligationen, sondern es beruht auch ebenso wie die alte Korrealobligation auf einer engeren juristischen Verknüpfung der Verbindlichkeiten der Schuldner. Mit solchen Verknüpfungen können Gesamtwirkungen erreicht werden, für die offenbar ein Verkehrsbedürfnis besteht305. Bei der heutigen Gesellschaftsschuld geht es allerdings nicht mehr um eine direkte Gesamtwirkung in dem Sinne, dass eine Tatsache bei der Verpflichtung eines Schuldners auch die Verpflichtung eines anderen Schuldners betrifft. Stattdessen werden Verknüpfungen indirekt über das Akzessorietätsprinzip erreicht. War die alte Korrealobligation nach herrschender Lehre dadurch ausgezeichnet, dass das Verschulden eines Schuldners auch die Verpflichtung seines Mitschuldners berührte, wird heute dasselbe Ergebnis dadurch erreicht, dass das Verschulden eines Gesellschafters nach § 278 der Gesellschaft zugerechnet wird und für die hieraus entspringende Verbindlichkeit der Gesellschaft wiederum alle Gesellschafter akzessorisch haften306. Mahnungen und Fristsetzungen müssen nicht an jeden Gesellschafter, sondern lediglich an die Gesellschaft selbst gerichtet werden, um im Ergebnis alle Gesellschafter zu binden307. Der Gläubiger kann durch einen einzigen Akt der Rechtsverfolgung die Verjährung der Gesellschaftsschuld unterbrechen bzw. hemmen, womit auch die Verjährung der Gesellschafterverbindlichkeiten unterbrochen bzw. gehemmt wird308. Die rechtskräftige Abweisung der Klage gegen die Gesellschaft befreit auch alle Gesellschafter; umgekehrt können diese analog § 129 HGB keine Einwendungen mehr erheben, die der Gesellschaft durch das Urteil abgeschnitten sind309. Sowohl die alte Korrealobligation als auch die moderne Schuld der Außengesellschaft erfüllen also Bedürfnisse nach Gesamtwirkungen bei vertraglichen Ver305
Vgl. Adler, FS ABGB II, 883 ff. Flume, Personengesellschaft, 319 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 60 II 2 a (S. 1776 f.), III 2 a (S. 1792); Habersack, JuS 1993, 6; Ulmer, AcP 198 (1998), 139; U.Huber, FS Lutter (2000), 130 ff.; Staud/Noack, § 425 Rz 38 ff.; Erman/Ehmann, § 425 Rz 16 ff.; BGH NJW-RR 1996, 313, 314 f. (28.9.1995); für die Anwaltssozietät schon Kornblum, BB 1973, 218; ähnlich Müller, NJW 1969, 903; einschränkend Sieg, WM 2002, 1432. 307 Anders kann es sich bei ausgeschiedenen Gesellschaftern verhalten, vgl. etwa RGZ 65, 26 (21.12.1906); Staud/Noack, § 425 Rz 33 f. 308 BGHZ 73, 217 (11.12.1978); Flume, Personengesellschaft, 289 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 49 II 3 c (S. 1418); Wertenbruch, NJW 2002, 325; Erman/Ehmann, § 425 Rz 28; a.A. Habersack, JuS 1993, 7. Zur Gesamtwirkung von verjährungshemmenden Erklärungen eines Gesellschafters BGH NJW-RR 1996, 313, 315 (28.9.1995); BGH NJW-RR 2006, 923, 927 (19.1.2006). 309 Vgl. RGZ 102, 301 (30.6.1921); BGHZ 44, 229, 233 f. (8.11.1965); BGHZ 64, 155 (18.3.1975); K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 49 VI 1 a (S. 1438 ff.); MüKo/Ulmer, § 714 Rz 50; Staud/Noack, § 425 Rz 78 ff. 306
9. Schluss
101
pflichtungen durch mehrere Personen. Das heutige Modell der Gesellschaftsschuld ist allerdings in erster Linie nicht wegen dieser Gesamtwirkungen entwickelt worden. Zunächst ging es darum, das Sondervermögen der Gesellschafter vor dem Zugriff der Privatgläubiger abzuschotten. Mit der Zuordnung dieses Sondervermögens zu einer rechtsfähigen Gruppe als Vermögensinhaber reagierte man dann auf die Tatsache, dass die Vermögensinhaber als Gruppe im Rechtsverkehr auftreten und auch länger andauernde Geschäftsbeziehungen pflegen, die vom Eintritt oder Austritt einzelner Gesellschafter nicht berührt werden sollen. Nach ganz herrschender Lehre liegt daher nicht bei jedem Vertragsschluss durch eine Personenmehrheit eine rechtsfähige Außengesellschaft vor310. Die Abgrenzung rechtsfähiger Außengesellschaften von sonstigen Gesellschaften ist im Einzelnen umstritten311. Weitgehende Einigkeit besteht aber darüber, dass die typische Außengesellschaft sich durch das Bestehen eines Gesamthandsvermögens auszeichnet und als selbständiges Subjekt im Rechtsverkehr auftritt. Fehlt es daran (etwa bei einer schlichten Miete einer Wohnung durch zwei Personen), liegt, wenn überhaupt, nur eine Innengesellschaft vor. Der gemeinsame Vertragsschluss begründet dann nur gewöhnliche Gesamtschulden nach § 427, für die § 425 gilt. Das Modell der Schuld der rechtsfähigen Gesellschaft deckt also nur einen Teilbereich der Fälle ab, in denen mehrere Personen sich vertraglich verpflichten. Offenbar gibt es aber auch in Fällen, in denen die vertraglichen Schuldner keine Außengesellschaft bilden, Bedürfnisse nach Gesamtwirkungen. Schließlich treten auch hier die Gesamtschuldner gegenüber dem Gläubiger als eine „Einheit“ auf. In der Literatur ist daher immer wieder vorgeschlagen worden, bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden jeden Schuldner als Erfüllungsgehilfen seiner Mitschuldner anzusehen und so zu einer Zurechnung aller Leistungsstörungen über § 278 zu kommen312. Durchgesetzt hat sich diese Ansicht nicht. Rechtsprechung und herrschende Lehre halten daran fest, dass eine Abweichung von der in § 425 vorgesehenen Einzelwirkung einer Begründung im Einzelfall bedarf313. Überzeugende Kriterien dafür, in welchen Fällen eine Zurechnung stattfinden soll und in welchen nicht, sind aber bislang nicht gefunden worden. Bei Mietverträgen 310
K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 58 II 2, § 60 I 2; ders., JuS 1988, 444; Erman/Ehmann, vor § 420 Rz 3, § 425 Rz 16, § 427 Rz 5; MüKo/Ulmer, § 714 Rz 10; anders offenbar Flume, Personengesellschaft, 114 ff. (= ZHR 136 [1972], 203 ff.); dagegen Rütten, Mehrheit von Gläubigern, 84 ff. 311 Vgl. Flume, Personengesellschaft, 4 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 43 II 3; MüKo/Ulmer (2004), § 705 Rz 254, 266 ff., 277 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht II, 600 ff., 648; Staud/Habermeier, § 705 Rz 58 ff.; Bälz, FS Zöllner I (1998), 40 ff.; Reiff, AcP 199 (1999), 62 ff.; Hadding, ZGR 2001, 714 ff.; Habersack, BB 2001, 478 f.; Derleder, BB 2001, 2488 ff.; Reuter, AcP 207 (2007), 680 ff. 312 Heck, Schuldrecht, § 76 Nr. 5 (S. 235); Krückmann, Institutionen, § 57 III 4; Ehmann, Gesamtschuld, 207 f.; Erman/Ehmann, vor § 420 Rz 29, § 425 Rz 16. Ebenso zum Schweizer Recht von Tuhr/Escher, Obligationenrecht AT II, 307 f.; Schwenzer, OR AT, Rz 88.21. Vgl. zum österreichischen Recht Perner, JBl 2005, 629. 313 Stellvertretend Selb, Mehrheiten, 83; Soegel/Wolf, § 425 Rz 11; MüKo/P. Bydlinski, § 425 Rz 17; Staud/Noack, § 425 Rz 35 ff.; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 122.
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
wurde eine Haftung aller Mieter für die von einem verursachte Verschlechterung der Mietsache häufig bejaht314, vielleicht deswegen, weil der Vermieter den Urheber in der Regel nicht selbst ermitteln kann315. Ebenso wurde die Haftung eines Mieters bei einer vom Mitmieter verschuldeten Unmöglichkeit der Rückgabe angenommen316. Bei Verträgen mit Ehepaaren geht die Rechtsprechung manchmal ohne weiteres von einer Gesamtwirkung der Verjährung317 oder der Verjährungsunterbrechung318 aus. Insbesondere dann, wenn Schuldner bei der Erfüllung ihrer Leistungspflichten praktisch zusammenarbeiten müssen, hat die Rechtsprechung häufig eine Gesamtwirkung des Verschuldens319 oder auch der Verjährungsunterbrechung durch einen Nachbesserungsversuch320 angenommen. Bemerkenswert ist aber, dass es sich hier um Fälle handelte, in denen die Schuldner sich offenbar getrennt voneinander verpflichtet hatten, von einem gemeinschaftlichen Vertrag i.S.d. § 427 also keine Rede war. Dem Gläubiger, so wurde argumentiert, dürfe kein Nachteil daraus entstehen, dass die Abgrenzung der Leistungsbereiche der einzelnen Schuldner für ihn nicht erkennbar sei. Daher werde schon die Erfüllung solidarisch geschuldet, wobei die Schuldner für Leistungsstörungen der Mitschuldner einzustehen hätten. Diese Konstruktion einer gesamtschuldnerischen Primärleistungspflicht zur Begründung einer Verschuldenszurechnung stellt die Regel des § 425 auf den Kopf. Tatsächlich kann die notwendige Zusammenarbeit mehrerer Schuldner eine Solidarhaftung hinsichtlich der Erfüllungspflicht nicht begründen321. In der Literatur wird in derartigen Fällen häufig eine sogenannte 314 Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 163 a.E.; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 316; Heck, Schuldrecht, 235; RGZ 144, 182, 186 (20.3.1934, obiter); Staud/Kaduk, § 425 Rz 75; Behrens, Beteiligung mehrerer Mieter, 164 ff.; OLG Celle, MDR 1998, 896 (18.2.1998); AG Gießen, NJW-RR 2008, 392 (21.6.2007). 315 So verhielt es sich im Fall des OLG Celle, MDR 1998, 896 (Schaden durch Betrieb der Waschmaschine in der Wohnung). In LG Berlin, NJW-RR 2002, 1452 (2.11.2001) ging es dagegen um die unberechtigte Lagerung einer Hebebühne auf dem Parkplatz, die eindeutig einem der Mieter zuzurechnen war; das Gericht verneinte eine Haftung des Mitmieters. Vgl. Behrens, Beteiligung mehrerer Mieter, 165 f. Für eine bloße Beweislastumkehr Larenz, Schuldrecht AT, § 37 II (S. 640). 316 BGHZ 65, 226 (29.10.1975); OLG Düsseldorf, NJW-RR 1987, 911 (15.1.1987); vgl. hierzu auch unten, 195 ff. 317 Etwa OLG Bremen, NJW 1972, 910 (25.10.1971): Vierjährige Verjährungsfrist nach § 196 I Nr. 1, II BGB a.F. gegenüber beiden Schuldnern, obwohl nur einer einen Gewerbebetrieb hat; zustimmend Ehmann, Gesamtschuld, 213. 318 Etwa OLG Köln, NJW 1972, 1899 (13.1.1972). 319 Grundlegend BGH NJW 1952, 217 (18.10.1951, Glasbetondeckenfall); ebenso schon OLG Braunschweig, OLGE 9, 4 (7.4.1903); vgl. Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 163 III; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 316 IV, Fn. 9; ferner BGH VersR 1969, 830 (4.6.1969); LAG Düsseldorf, DB 1967, 909 (27.1.1967); OLG Nürnberg, NJW-RR 1991, 28 (21.12.1989); hierzu unten, 186 ff., 190 f., 199. Zustimmend Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, § 93 IV; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 55 f.; Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 46 ff., 154 f., 160; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 122; Soergel/Wolf, vor § 420 Rz 13, § 425 Rz 11; Staud/Noack, § 425 Rz 43, 60; Erman/Ehmann, § 425 Rz 19; ders. (11. Aufl. 2004), vor § 420 Rz 27 f.; Palandt/Grüneberg, § 425 Rz 15; BamR/Gehrlein, § 425 Rz 11; kritisch MüKo/P. Bydlinski, § 425 Rz 19. 320 BGH NJW-RR 1994, 373 (30.9.1993). 321 Unten, 186.
9. Schluss
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gemeinschaftliche Schuld angenommen, die sich vom Gesamtschuldverhältnis gerade durch die wechselseitige Haftung für Leistungsstörungen auszeichnen soll322. Doch eine besondere Konstruktion der Schuldform für den Primärleistungsanspruch wird gar nicht gebraucht. Arbeiten mehrere Schuldner im Rahmen eines Teilschuldverhältnisses oder aufgrund unabhängiger Verträge so eng zusammen, dass der Gläubiger die Leistungsbereiche nicht mehr auseinanderhalten kann, dann bestehen gute Gründe dafür, die Schuldner und ihre jeweiligen Gehilfen auch als Erfüllungsgehilfen des Mitschuldners anzusehen. Möglich wäre auch, eine Leistungsstörung im Bereich des engen Zusammenarbeitens als objektive Pflichtverletzung aller Schuldner i.S.d. § 280 I anzusehen, für die sich der einzelne Schuldner durch den Nachweis des Nichtvertretenmüssens entlasten muss. In jedem Fall kann es auch im Rahmen von Teil- oder Einzelschuldverhältnissen, bei denen die Schuldner zusammenarbeiten, im Ergebnis zu einer Haftung für Leistungsstörungen kommen, die möglicherweise ein anderer Schuldner verursacht hat. Ebenso kann das Zusammenarbeiten unabhängiger Schuldner dazu führen, dass ein Nachbesserungsversuch durch den einen Schuldner auch die Verjährung gegenüber dem anderen unterbricht. Der Umfang der Primärleistungspflicht des einzelnen Schuldners ist nicht alleinentscheidend. Mindestens ebenso wichtig ist der Umstand, ob sich die Schuldner unabhängig voneinander oder durch einen einheitlichen Vertrag verpflichtet haben. Der einheitliche Vertrag kann bestimmte Gesamtwirkungen auch für Teilschuldner begründen, wie die Vorschriften der § 320 I 2 und § 351 zeigen. Die Frage nach Gesamt- und Einzelwirkungen bei vertraglich begründeten Gesamtschuldverhältnissen muss daher, ebenso wie die Frage nach der Ausübung und Wirkung von Gestaltungsrechten323, im Kontext einer umfassenden Lehre von Verträgen mit Schuldnermehrheiten beantwortet werden. Hierbei müsste wohl nicht nur nach dem Umfang der Leistungspflichten differenziert werden, sondern auch danach, ob es sich um eine Nicht- oder Schlechtleistung handelt, ob die Pflichtverletzung den Leistungsaustausch oder die Verletzung von sonstigen Gläubigerinteressen betrifft und ob sie erkennbar einem Schuldner zugeordnet werden kann. Die Vorschrift des § 425 mag insofern zutreffend sein, als dass nicht jede Leistungsstörung eines Vertragsgesamtschuldners den Mitschuldnern zugerechnet werden muss. Doch der völlige Ausschluss von Gesamtwirkungen bei gemeinsamer vertraglicher Verpflichtung ist ebenfalls nicht interessengerecht. Insofern verdeckt das Einheitsregime des § 425 die grundlegende Unterschiede zwischen vertraglich vereinbarten und sonstigen Gesamtschuldverhältnissen.
322 Oertmann, Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 5 b; Selb, Mehrheiten, 47, 196; Larenz, SR AT, § 37 II a.E. (S. 642); Wernecke, Gesamtschuld, 160 f.; Stehl, DB 1969, 350; Jauernig/Stürner, § 431 Rz 2, 4. Zur Figur der gemeinschaftlichen Schuld ausführlich unten, 128 ff. 323 Hierzu Leverenz, Gestaltungsrechtsausübungen durch und gegen Personenmehrheiten, 1995.
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III. Rechtsfolgen im Überblick und Erklärungsmodelle
Zusammenfassung Vertraglich vereinbarte Gesamtschuldverhältnisse bildeten den Kernbereich der gemeinrechtlichen Korrealobligation. Ihre Ausgestaltung im Außenverhältnis wurde durch die Auslegung der römischen Quellen zur Stipulationsgesamtschuld geprägt. Danach befreiten ein schuldaufhebender Erlass, eine Novation und nach herrschender Lehre auch ein klageabweisendes Urteil zwischen dem Gläubiger und einem Gesamtschuldner auch die übrigen; zugleich sollten aber eine Verjährungsunterbrechung und nach herrschender Lehre auch das Verschulden eines Gesamtschuldners zulasten der übrigen Schuldner wirken. Die gemeinrechtliche Lehre hat maßgeblich den französischen Code Civil geprägt, dessen solidarité zahlreiche schuldnerbegünstigende und -belastende Gesamtwirkungen aufweist. In Deutschland kam es Anfang des 19. Jahrhunderts zur Keller/Ribbentrop’schen Wende: Nachdem man gemeinrechtlich zunächst nur eine Art von Gesamtschuldverhältnis gekannt hatte, unterschied man nun zwischen Korrealobligationen, die in erster Linie rechtsgeschäftlich begründet wurden, und Solidarobligationen, die hauptsächlich bei der Konkurrenz gesetzlicher Schadensersatzverbindlichkeiten entstanden. Nur für Korrealobligationen sollten die gemeinrechtlich überlieferten Gesamtwirkungen gelten. Die genaue Konstruktion des Korrealschuldverhältnisses, etwa ob es sich um eine oder mehrere Obligationen, um ein Wahlschuldverhältnis oder um ein Nebeneinander von einer Hauptund mehreren Sonderobligationen handelte, war Gegenstand einer ausführlichen Debatte. Alle Konstruktionsversuche kreisten dabei um die Aufgabe, die überlieferten Gesamtwirkungen der Korrealobligationen zu erklären. Grundlage der Unterscheidung bildete die prozessuale Klagenkonsumption, die nach klassischem römischen Recht für Stipulationsgesamtschulden gegolten hatte, für den Großteil gesetzlicher Gesamtschulden dagegen nicht überliefert war. So unrichtig es aus heutiger Sicht auch ist, aus den unterschiedlichen Aussagen der römischen Quellen, die teilweise auf justinianischen Änderungen beruhten, eine grundsätzliche Zweiteilung der Gesamtschuldverhältnisse zu folgern, so berechtigt erscheint der Sache nach der Versuch, die überlieferten Gesamtwirkungen auf vertragliche und testamentarische Gesamtschulden zu beschränken. Die Verfasser der zeitgenössischen Kodifikationen und Entwürfe entschieden sich dagegen aus Gründen der Praktikabilität bewusst für eine Einheits-Gesamtschuld. Auch die Gesamtschuldregeln des BGB sollten gleichermaßen rechtsgeschäftliche und gesetzliche Solidarschuldverhältnisse umfassen, so dass das Außenverhältnis bewusst neutral gestaltet wurde. Die in § 425 vorgesehene grundsätzliche Einzelwirkung aller „Tatsachen“ wird aber bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden den Bedürfnissen der Parteien häufig nicht gerecht. Die Rechtsprechung geht daher insbesondere dann von einer abweichenden Parteivereinbarung aus, wenn die Schuldner gegenüber dem Gläubiger in irgendeiner Weise als Einheit auftraten. Mittlerweile wird von der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre die Rechtsfähigkeit der Außengesellschaft bürgerlichen Rechts
Zusammenfassung
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anerkannt. Dies führt zu einem veränderten Schuldmodell, wenn im Namen der Gesellschaft kontrahiert wird, indem nun eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung der Gesellschaft selbst und hierzu akzessorische gesetzliche Verbindlichkeiten der Gesellschafter angenommen werden. Hierdurch ergeben sich bestimmte Gesamtwirkungen von selbst, etwa die gegenseitige Zurechnung von Leistungsstörungen. Das Schuldmodell der modernen Außen-GbR bildet damit ein funktionales Äquivalent zur gemeinrechtlichen Korrealobligation, erfasst allerdings nur einen Teilbereich der gemeinschaftlichen vertraglichen Verpflichtung mehrerer. In den übrigen Fällen bleibt es ungewiss, ob und wann eine Gesamtwirkung etwa des Verschuldens oder der Verjährungshemmung angenommen werden kann. Das Gesetz bietet hier keine Hilfe, weil es die spezifischen Gegebenheiten vertraglich entstehender Schuldnermehrheiten zugunsten der abstrakten Einheitsgesamtschuld vernachlässigt hat.
IV. Unteilbare Leistungen Die Bestimmung des § 431 BGB, die Verpflichtungen zu unteilbaren Leistungen getrennt von den übrigen Gesamtschuldvorschriften regelt, gibt heutigen Kommentatoren häufig Rätsel auf1. So kann sich die Frage stellen, ob die Vorschrift überhaupt eine Funktion hat. Wörtlich genommen könnte man sie auch für unrichtig halten: Wenn mehrere Dachdecker die Reparatur desselben Dachs unabhängig voneinander versprechen, könnte man annehmen, dass dann mehrere eine unteilbare Leistung schulden; trotzdem werden sie keine Gesamtschuldner. Tatsächlich aber hatte der Gesetzgeber solche Fälle nicht vor Augen. § 431 sollte die Frage regeln, ob ein Unterschied zu machen ist, je nachdem ob es sich um eine teilbare oder eine unteilbare Leistung handelt, zu der sich mehrere gemeinsam verpflichten bzw. durch Gesetz verpflichtet werden2. Im Einzelnen sollten zwei Sachfragen geregelt werden: 1) Bedarf es für unteilbare Leistungen im Allgemeinen einer Sonderkategorie der Ganzhaftung, die sich von Gesamtschulden unterscheidet? 2) Ist zumindest für diejenigen Fälle eine besondere Kategorie der Schuldnermehrheit erforderlich, in denen die Leistung im Zusammenwirken aller Schuldner erbracht werden soll? Dieses Kapitel erörtert zunächst die erste Frage, während die zweite im folgenden Kapitel behandelt wird.
1. Die „unteilbare Leistung“ vor dem Hintergrund der historischen Teilschuldvermutung Die Notwendigkeit, Sonderregeln für unteilbare Leistungen vorzusehen, ergibt sich nur, soweit eine Teilschuldvermutung oder (für gesetzliche Verbindlichkeiten) eine Teilschuldregel existiert. Wie dargestellt galt gemeinrechtlich (vielleicht auch schon nach römischem Recht) sowie nach der Mehrzahl der Kodifikationen 1 Vgl. Börnsen, Strukturen, 155 f., 165, 168 ff. (der zu Unrecht auf die Unteilbarkeit der Einzelverpflichtungen abstellt); Ehmann, Gesamtschuld, 203 ff.; Prediger, Auslegung, 165 ff., 172 ff.; Wernecke, Gesamtschuld, 158 Fn. 164; Staud/Noack, § 431 Rz 5. Typische Fehlentscheidungen zu § 431 sind etwa RGZ 67, 273 (28.12.1907), und OLG Dresden, SeuffA 67 Nr. 32 (13.6.1911). 2 So richtig R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 48 f.: Die Verbindlichkeiten der Schuldner müssen bei den §§ 420 und 431 auf einem einheitlichen Entstehungsgrund beruhen; ähnlich Erman/Ehmann, vor § 420 Rz 15, § 420 Rz 5, § 431 Rz 1; jurisPK/Rüßmann, § 431 Rz 3. Zu weit aber geht Jürgens, Teilschuld, 24, wonach § 431 eine gemeinschaftlich eingegangene Verpflichtung voraussetzt: Die Vorschrift gilt auch für gesetzliche Verpflichtungen. Unrichtig Crome, Schuldverhältnisse, § 209 I; Reichel, Schuldmitübernahme, 51; Esser, Schuldrecht (1949), § 193 (S. 196); Börnsen, Strukturen, 169; RGRK/Weber, § 431 Rz 4, wonach § 431 auch Fälle getrennter Verpflichtungen umfasst.
1. Die „unteilbare Leistung“ der historischen Teilschuldvermutung
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und Entwürfe bei gemeinschaftlichem Vertragsschluss eine Teilschuldvermutung3. Diese konnte aber nicht eingreifen, wenn die versprochene Leistung nicht auf die Schuldner aufteilbar war. Eine solche Unteilbarkeit musste nicht notwendig bedeuten, dass die Leistung überhaupt nicht zerlegt werden konnte. In der Regel folgte sie aus dem Umstand, dass der Leistungsgegenstand nicht in gleichartige Anteile aufgeteilt werden konnte, die Vereinbarung der Parteien aber keinen Hinweis auf eine ungleichartige Beteiligung der Schuldner enthielt. Dann war die Annahme ungleichartiger Teilschulden sachlich ausgeschlossen und die Annahme von Teilschulden nach Kopfteilen nicht möglich. Die Errichtung eines Wohnhauses mit freistehender Garage ist unter zwei Schuldnern sehr wohl aufteilbar (einer schuldet das Wohnhaus, der andere die Garage), muss aber mangels Vereinbarung einer solchen ungleichen Aufteilung als unteilbar gelten. Wenn es also eine Regel gibt, dass bei teilbaren Leistungen im Zweifel Teilschulden anzunehmen sind, muss es auch eine Regel geben, die bestimmt, was bei unteilbaren Leistungen gelten soll. Dasselbe Problem stellte sich bei der Haftung von Miterben für die Erblasserschulden. Sowohl nach römischem4 als auch nach Gemeinem5 Recht wurden die Verbindlichkeiten des Erblassers unter den Miterben real geteilt. Jeder Miterbe schuldete also nur einen Anteil, der seiner Erbquote entsprach. Eine Teilschuldvermutung bestand auch, wenn der Erblasser mehrere Miterben mit einem Vermächtnis beschwert hatte6. Demnach stellte sich auch hier die Frage, wie Miterben hafteten, wenn der vom Erblasser geschuldete oder vermachte Gegenstand unteilbar war. Die Regeln für unteilbare Leistungen waren also in erster Linie für Miterben und für Verträge ohne besondere Gesamtschuldabrede7 gedacht. Dieselbe Funktion erfüllten sie in den Kodifikationen und Entwürfen, die nicht nur die vertragliche Teilschuldvermutung, sondern teilweise auch die geteilte Erbenhaftung aufnahmen8 und daher eigene Regeln für Schuldnermehrheiten bei unteilbaren Leistungen vorsahen9. Allein das preußische ALR nahm eine Sonderstellung ein. Als 3
Oben, 13 f. Die Regel der geteilten Erbenhaftung geht auf das Zwölftafelgesetz zurück und findet sich etwa in Papinian D.7,1,5, D.46,1,50; Paulus D.10,2,25,13, D.16,3,9, D.45,1,85, pr.-1; Ulpian D.38,1,15,1; Diocletian C.2,3,26; Valerian C.8,31,1; siehe Kaser, Römisches Privatrecht I, § 181 II. 5 Stellvertretend Grotius, Inleiding III, 1, § 44; Voet, Commentarius, zu D.10,2, § 26; Pothier, Obligations, § 299; Glück, Pandecten XI, 57; Savigny, Obligationenrecht I, 324 f.; Windscheid, Pandekten, § 292 Fn. 1, § 608 Nr. 1. 6 Pomponius D.30,54,3; Julian D.30,86,3; Neraz, D.30,124; Glück, Pandecten IV, 516; Windscheid, Pandekten, § 626 Nr. 2; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 185 II (S. 746). 7 Für das römische Recht kann dies allerdings nicht sicher behauptet werden. Schmieder, Duo rei, 293 ff., macht zu Recht darauf aufmerksam, dass die Quellenaussagen zu unteilbaren Leistungen sich nur auf Erbenmehrheiten beziehen. 8 CC Art. 873, 1220 (vgl. hierzu aber Lange, Mehrheit, 104 ff.); HessE III, Art. 249, 251, IV 1, Art. 34; SächsGB § 2324; anders das preußische und österreichische (ABGB §§ 550, 820, aber auch § 821) Recht. 9 CC Art. 1222–1225; ABGB § 890; SächsE § 590; HessE IV 1, Art. 33–39; BayE II, Art. 221, 242–247; SächsGB §§ 1037–1038; DresdE Art. 241–243, 344; OR 1881 Art. 79–80 (vgl. OR 1911 Art. 70); siehe auch span. Código Civil, Art. 1139, 1150 f. 4
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IV. Unteilbare Leistungen
einziges Regelwerk kannte es eine allgemeine Gesamtschuldvermutung bei gemeinschaftlichem Vertragsschluss10. Miterben hafteten, ob für teilbare oder unteilbare Forderungen des Erblassers, vor der Nachlassteilung gemeinschaftlich (gesamthänderisch) und nach der Teilung gesamtschuldnerisch11. Weil in beiden Fällen Teilschulden nicht vermutet bzw. vorgesehen waren, kam es auf die Teilbarkeit des Leistungsgegenstandes nicht an. Auf Vorschriften über unteilbare Leistungen konnte das ALR daher verzichten. Soweit es besondere Regeln für unteilbare Leistungen gibt, muss die Frage beantwortet werden, wann genau eine Leistung unteilbar ist12. Die römischen Juristen hatten in erster Linie die Einräumung einer Grunddienstbarkeit, etwa eines Wegerechts, vor Augen13, daneben Werkleistungen, wie die Errichtung eines Bauwerks14, und die Ausführung eines bestimmten Dienstes15. Die Verpflichtung zur Verschaffung einer Speziessache galt demgegenüber als teilbar16. Daher gab es Sonderregeln für Gattungs- und Wahlschulden (weil die geleisteten Anteile „zusammenpassen müssen“, trat trotz Teilschulden Befreiung erst bei vollständiger Erfüllung ein)17, ferner für Vertragsstrafen (sie wurden verwirkt, wenn nicht die gesamte Leistung, ob teilbar oder nicht, erbracht war, wurden aber ihrerseits geteilt)18. Die Rückgabeverpflichtung mehrerer Verwahrer oder Entleiher wurde in den Quellen gesondert behandelt und daher später häufig als Sonderfall angesehen19. Die gemeinrechtlichen Juristen entwickelten eine allgemeine Teilbarkeitslehre, die für das gesamte Obligationenrecht gelten sollte20. Verpflichtungen zu einem Tun oder Unterlassen21 waren danach regelmäßig unteilbar, während es bei der 10
ALR I 5, § 424, oben, 14. ALR I 17, §§ 127, 131. 12 Zum Folgenden Überblick bei Rütten, Mehrheit von Gläubigern, 5 ff. 13 Pomponius D.8,1,17; Paulus D.10,2,25,10–11, D.33,3,7, D.45,1,2,1–2 und l. 4,1; Ulpian D.32,11,24, D.45,1,72 pr.; Gaius D.35,2,80,1. 14 Paulus D.10,2,44,8, D.45,1,85,2; Ulpian D.32,11,23–24, D.45,1,72 pr.; Gaius D.35,2,80,1. 15 Ulpian D.38,1,15,1 (falls es nicht um eine Dienstleistungspflicht in einer bestimmten Quantität ging); vgl. Scaevola D.17,1,60,2. 16 Vgl. Papinian D.7,1,5; Paulus D.21,1,44,1, D.45,1,2,1 und § 3, D.45,1,85,4; Scaevola D. 21,2,12; Julian D.45,1,54 pr.; Binder, Korrealobligationen, 59; Levy, Konkurrenz I, 219. Nach römischem Recht war der Verkäufer nur zur Verschaffung des (ungestörten) Besitzes verpflichtet, Kaser, Römisches Privatrecht I, § 130 V 1. Besonderheiten galten bei der Eviktionshaftung (Ulpian D.21,2,51,4; Celsus D.21,2,62,1; Paulus D.45,1,85,2; Venuleius D.45,1,139). 17 Vgl. Paulus D.45,1,2,1 und l. 85,4; Celsus D.31,15; hierzu etwa Savigny, Obligationenrecht I, 346 ff.; Vangerow, Pandekten, § 567, Anm. 2 II 1–2; Ubbelohde, Unteilbare Obligationen, 24 f. 18 Paulus D.10,2,25,13, D.45,1,85,6; Pomponius D.45,1,5,3–4; hierzu etwa Savigny, Obligationenrecht I, 326 ff.; Vangerow, Pandekten, § 567 Anm. 2 II 3; Ubbelohde, Unteilbare Obligationen, 121 ff.; vgl. CC Art. 1232 f. 19 Hierzu unten, 117 ff. 20 Stellvertretend Savigny, Obligationenrecht I, 303 ff., 329 ff.; Vangerow, Pandekten § 567 Anm. 2; Windscheid, Pandekten, § 253; Ubbelohde, Unteilbare Obligationen, 6 ff., 18 ff.; Brinz, Pandekten, § 229; Dernburg, Pandekten II, § 24; Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht I, § 67 (S. 439 ff.); Hasenöhrl, Obligationenrecht I, § 13 II; Wächter, AcP 27 (1844), 172 ff.; vgl. auch Motive zum HessE IV 1, S. 32 f. 21 Hierzu Näheres unten, 205 ff. 11
2. Die Rechtsfolgen: Modifizierte Gesamtschulden?
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Pflicht, ein Recht zu verschaffen, darauf ankam, ob das Recht selbst teilbar war. Grundsätzlich galten mit Ausnahme der Grunddienstbarkeit alle Rechte als teilbar. Umstritten war die Teilbarkeit der Sachverschaffungspflicht (verkaufen mehrere eine Sache, so ist vorstellbar, dass jeder nur zur Einräumung von Miteigentum und Mitbesitz verpflichtet ist, auch wenn dies den Interessen des Käufers, der Alleineigentum und Alleinbesitz erwerben will, nicht unbedingt entsprechen muss). In manchen Kodifikationen und Entwürfen finden sich Legaldefinitionen des Teilbarkeitsbegriffs, die aber wenig aussagekräftig sind22.
2. Die Rechtsfolgen: Modifizierte Gesamtschulden? Bei der Frage nach den Rechtsfolgen einer Verpflichtung mehrerer zu einer unteilbaren Leistung gibt es im Wesentlichen zwei Optionen. Entweder wendet man dieselben Regeln wie bei der vertraglich vereinbarten Gesamtschuld an. Oder man modifiziert die Rechtsfolgen der vertraglich vereinbarten Gesamtschuld zugunsten der Schuldner, um die Tatsache zu berücksichtigen, dass der Ausschluss der Teilschulden hier nicht auf einer Vereinbarung der Parteien, sondern lediglich auf der Unteilbarkeit des Leistungsgegenstandes beruht. Das römische Recht hat aus heutiger Sicht offenbar den ersten Weg eingeschlagen. Die Quellen behandeln unteilbare Leistungen in erster Linie im Zusammenhang mit der Haftung von Miterben. Danach konnte der Gläubiger, wenn der Erblasser die Einräumung eines Wegerechts oder die Errichtung eines Bauwerks versprochen hatte, von jedem Miterben die Gesamtleistung verlangen23. Wurde nicht geleistet, konnte die Verurteilung nach römischem Recht ursprünglich nur auf das Interesse erfolgen, also auf eine Geldzahlung24. Hierbei wurde der verklagte Miterbe zur Leistung des gesamten Interesses verurteilt25. Hatte ein Miterbe geleistet oder die Interesseleistung erbracht, konnte er mit Hilfe der Erbteilungsklage von den übrigen Miterben anteiligen Regress nehmen26.
22 CC Art. 1217 f. (hierzu unten, 111 f.); SächsGB § 1037 („Forderungen, deren Gegenstand eine als ein Ganzes sich darstellende Handlung oder Unterlassung, oder ein untheilbares Recht ist“); HessE IV Art. 33 („Eine Verbindlichkeit ist untheilbar, wenn deren Gegenstand entweder seiner Natur nach untheilbar ist, oder doch in der Art, wie er zu leisten ist, durch eine getheilte Leistung eine Veränderung erleiden würde. Jede andere Verbindlichkeit ist theilbar“); BayE II Art. 241 („Eine Verbindlichkeit ist untheilbar, wenn ihr Gegenstand in der Uebertragung eines untheilbaren Rechtes oder in einem Thun oder Unterlassen besteht. Jede andere Verbindlichkeit ist theilbar“); vgl. auch span. Código Civil, Art. 1151; ital. Codice Civile, Art. 1316. 23 Pomponius D.8,1,17; Paulus D.10,2,25,10–11, D.33,3,7, D.45,1,2,2 und l. 85,2; Ulpian D.32,11,23; Gaius D.35,2,80,1; Marcellus D.50,17,192 pr. Hierzu Kaser, Römisches Privatrecht I, § 154 IV 2, § 181 II; Schmieder, Duo rei, 294. 24 Gai. 4,48; Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. I, § 117 I 1, Bd. II, § 257 II 1; Zimmermann, Obligations, 771 ff.; HKK/Repgen, §§ 362–371 Rz 20–24. 25 Paulus D.10,2,25,10, D.45,1,2,2. 26 Paulus D.10,2,25,10 und l. 44,8, D.45,1,2,2; Ulpian D.32,11,23. Hierauf bezieht sich wohl auch Paulus D.31,49,4.
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IV. Unteilbare Leistungen
Dementsprechend gab es unter den Schriftstellern des Gemeinen Rechts die Ansicht, dass Verpflichtungen zu unteilbaren Leistungen den Gesamtschulden gleichzustellen waren27. Diese Auffassung liegt auch dem österreichischen ABGB zugrunde, wonach der Gläubiger die unteilbare Leistung „von einem jeden Mitschuldner fordern“ kann28. Doch die Frage, ob die römischen Quellen tatsächlich auf diese Art zu interpretieren waren, war heftig umstritten. Dies lag auch daran, dass die überlieferten Fragmente nicht immer eindeutig waren29. Die Verurteilung eines einzelnen Miterben zur Leistung des gesamten Interesses wird nur bei der Verpflichtung zur Einräumung einer Grunddienstbarkeit ausdrücklich erwähnt30. Ein Ulpian zugeschriebenes Fragment zitiert eine Ansicht des älteren römischen Juristen Tubero, wonach bei Verpflichtungen auf ein facere die Interesseleistung geteilt werden kann31. Hierauf aufbauend entwickelte sich eine auf Donellus32 zurückgehende und im 19. Jahrhundert wieder von Ribbentrop populär gemachte Lehre, wonach bei Verpflichtungen auf ein Tun der Gläubiger zwar von jedem Schuldner die Primärleistung verlangen kann, bei einer Verurteilung auf die Sekundärleistung in Form des Interesses (das in heutiger Terminologie in etwa dem Schadensersatz wegen Nichterfüllung entspricht) aber der Betrag unter den Schuldnern aufgeteilt wird33. Gedacht war bei der Aufteilung des Interesses ursprünglich an den Fall, dass die geschuldete Werkleistung nicht erbracht wird. Für Ribbentrop hatten sich die Schuldner nur zur gemeinschaftlichen Errichtung des Werks verpflichten wollen und rechneten daher mit der Mitwirkung der übrigen. Jeder Schuldner schuldete daher „eigentlich“ nur einen Anteil an der Werkleistung, den er aber wegen der Unteilbarkeit nicht befreiend bewirken konnte. Daher sollte er auch nur seinen Anteil an der Interesseleistung zahlen müssen34. Die These der Interesseteilung hatte sich aber mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass die Quellen bei der Verpflichtung zur Einräumung einer Servitut unzweifelhaft eine Haftung des einzelnen Schuldners für das gesamte Interesse vorsahen. Während die älteren 27 So offenbar Glück, Pandecten, Bd. IV, 516, Bd. XI, 49; Grotius, Inleiding III, 1, § 44; WeningIngenheim, Lehrbuch I, § 207 bei Fn. q; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 87, § 89 III, V (S. 176 ff.); Mühlenbruch, Pandekten, §§ 224, 326; Sell, ZCRPr 3 (1830), 414 f. 28 ABGB § 890; vgl. Zeiller, ABGB, § 891 Anm. 1; ebenso CMBC-RevE 1811 IV 1, § 27 Nr. 3; SächsE § 590 I; ital. Codice Civile, Art. 1317; BW Art. 6: 6 II; CEC-Avant-projet III.18, Art. 88 V. Auch heute wird § 890 ABGB als Gesamtschuldanordnung ausgelegt, Klang/Gschnitzer, ABGB, § 890 Anm. I 1; Klang/Perner, ABGB, § 890 Rz 1; Rummel/Gamerith, ABGB, § 890 Rz 2; Schwimann/Apathy/Riedler, ABGB, § 890 Rz 1; KBB/P. Bydlinski, ABGB, § 890 Rz 1; Rudolf, Schuldnermehrheiten, 69, 71 f.; aus der Rechtsprechung etwa OGH SZ 30/82 (4.12.1957). 29 So spricht Paulus D.31,49,4 von einer anteiligen Leistungsverpfllichtung der Miterben für ein unteilbares Vermächtnis, meint aber wohl die interne Aufteilung. Zur Haftung der Rückgabepflichtigen unten, 117 ff. 30 Paulus D.10,2,25,10, D.45,1,2,2. 31 Ulpian D.45,1,72 pr. 32 Donellus, De verborum obligationibus, zu D.45,1,72, §§ 25 ff., 50 ff.; ebenso Voet, Commentarius, zu D.29,2, § 28, zu D.45,1, § 16; Pothier, Obligations, § 324. 33 Ribbentrop, Correal-Obligationen, 178 ff., 222 ff. 34 Ribbentrop, Correal-Obligationen, 228 ff.
2. Die Rechtsfolgen: Modifizierte Gesamtschulden?
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Schriftsteller diesen Gegensatz noch auf die Unterscheidung zwischen dare und facere zurückführten, war für Ribbentrop die Servitutseinräumung nur noch eine auf die alten Klageformeln zurückgehende Ausnahme35, die Werkleistung dagegen Modell für alle unteilbaren Leistungen. Der Gedankengang erschien einleuchtend: Wenn allein die Unteilbarkeit der Primärleistung eine Aufteilung unter den Schuldnern verhinderte, fiel dieser Grund weg, wenn anstelle der unteilbaren Leistung eine teilbare Interesseleistung trat. Die Verpflichtung mehrerer zu einer unteilbaren Leistung wurde so zu einer für die Schuldner milderen Form der Ganzhaftung, welche die Tatsache berücksichtigte, dass eine Gesamtschuldvereinbarung unter den Parteien gerade nicht vorlag. Wenn allein die Unteilbarkeit der Leistung die „an sich“ vorgesehenen Teilschulden verhinderte, bot es sich an, die Rechtsfolgen der unteilbaren Leistungsverpflichtung so auszugestalten, dass sie trotz der Ganzhaftung jedes Schuldners für die Primärleistung so weit wie möglich denen der Teilschulden entsprachen. Neben der Interesseteilung kam hierfür auch eine Pflicht des Gläubigers in Betracht, alle Schuldner gemeinsam zu belangen. Sofern schließlich die vertragliche Gesamtschuld durch schuldnerbelastende Gesamtwirkungen ausgezeichnet war, bot es sich an, für unteilbare Leistungen auf diese Gesamtwirkungen zu verzichten. Besonders kompliziert ist das Recht der unteilbaren Leistungspflichten in Frankreich. Dies liegt daran, dass der Code Civil einen großen Teil der über Pothier rezipierten Lehre von Dumoulin übernahm. Danach war zu unterscheiden, ob die Unteilbarkeit der Leistungspflicht absolut (die Leistung kann nicht zerlegt werden) oder relativ (die Leistung könnte theoretisch zerlegt werden, soll aber einheitlich erbracht werden, etwa der Bau eines Hauses) war36. Diese Zweiteilung hat der Code übernommen (Art. 1217 und 1218). Bei teilbaren Leistungen, zu denen die Eigentumsverschaffungspflicht gehörte, sahen Dumoulin und Pothier eine Reihe an Sonderregeln für Miterben vor. Danach sollte es darauf ankommen, wer die geschuldete Sache im Besitz hatte und warum, ob nur einer oder alle verpflichtet werden sollten und ob eine Teilleistung nach der Parteivereinbarung ausgeschlossen war37. Auch diese Ausnahmen wurden im Code Civil übernommen. Eine Teilung unter den Miterben findet nicht statt bei Hypotheken, Spezi35 Ribbentrop, Correal-Obligationen, 231 ff.; ebenso von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 433 f.; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap. I/3, Nr. 2 (S. 8); Vangerow, Pandekten III, § 567 Anm. 2, I 1 und II (S. 16); Mühlenbruch, Pandekten, § 491; Samhaber, Correalobligation, 178; Sintenis, Civilrecht, § 84 bei Fn. 19. Vangerow, Mühlenbruch und Samhaber sprachen hier ausdrücklich von Korrealobligationen. Nach von Helmolt, Correal-Obligationen, 43, und Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 212 ff., sollte dagegen auch beim Wegerecht Interesseteilung bestehen. Pothier hatte angenommen, der Beklagte habe seine Mitschuldner hier nicht hinzugezogen und müsse deshalb ungeteilt haften, Obligations, §§ 333, 335. 36 Dumoulin, Extricatio labyrinthi dividui et individui. Dumoulin sprach im ersten Fall von individuitas natura vel contractu, im zweiten von individuitas obligatione. Siehe Pothier, Obligations, §§ 287 ff.; Demolombe, Cours XXVI, §§ 514 ff. 37 Pothier, Obligations, §§ 299 ff. Dumoulin sprach hier teilweise von individuitas solutione tantum.
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IV. Unteilbare Leistungen
esschulden und Wahlschulden (Art. 1221 Nr. 1–3), ferner dann, wenn einer der Miterben allein verpflichtet ist oder wenn sich aus der Natur der Verpflichtung oder der Parteivereinbarung etwas anderes ergibt (Art. 1221 Nr. 4–5). Diese komplizierte Lehre wurde in der französischen Literatur fortgeführt38, wobei man schließlich dazu überging, auch bei den Ausnahmen des Art. 1221 Nr. 4–5 von Unteilbarkeit zu sprechen, so dass es nun neben der absoluten und relativen auch eine vereinbarte Unteilbarkeit gab39. Die Regeln des Code zur Teil- und Unteilbarkeit werden allerdings auch in der französischen Literatur als obskur und praktisch unbrauchbar angesehen40. Zunehmend häufiger findet sich anstelle der verschachtelten traditionellen Terminologie eine schlichte Unterscheidung zwischen natürlicher und vereinbarter Unteilbarkeit41. Unteilbare Leistungspflichten sollten sich grundlegend von Gesamtschulden unterscheiden. Auf Dumoulin geht die Ausdrucksweise zurück, der Schuldner einer unteilbaren Leistung schulde totum, der Gesamtschuldner aber totaliter42. Insbesondere die Gesamtwirkungen der solidarité im Leistungsstörungsbereich sollten für unteilbare Leistungen nicht gelten. Die wichtigste Modifikation gegenüber Gesamtschulden war auch hier die Teilung der Interesseleistung43. Besondere Regeln galten ferner für die Haftung von Miterben für unteilbare Leistungspflichten des Erblassers. Hier sollte es darauf ankommen, ob die Leistung nur von einem, nur von allen zusammen oder von jedem erbracht werden konnte. Für letzteren Fall sollte der beklagte Miterbe ein Recht zur Hinzuziehung der übrigen Erben haben (mit der Folge der Aufteilung einer Schadensersatzverpflichtung)44. Dieses Hinzuziehungsrecht des beklagten Miterben wurde in den Code aufgenommen (Art. 1225) und in der Literatur auf alle Fälle unteilbarer Leistungs38 Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 301 Nr. 1 und 3 (S. 47 ff., 53 ff.); Marcadé/Pont, Explication IV, §§ 628 ff.; Demolombe, Cours XXVI, §§ 522 ff.; Demante/Colmet, Cours V, §§ 153 ff.; jeweils mit sorgfältiger Unterscheidung zwischen Unteilbarkeit kraft Parteivereinbarung einerseits und den Fällen des Art. 1221 Nr. 4–5 CC andererseits (Aubry/Rau, a.a.O., § 301 Fn. 37; Marcadé/Pont, a.a.O., §§ 629, 632–634; Demolombe, a.a.O., §§ 530–534, 588–593; Demante/Colmet, a.a.O., §§ 157 bis VII, IX-XI, 161 bis III). 39 Planiol/Ripert, Droit civil VII, §§ 1058, 1101 f.; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, §§ 96 f.; besonders detailliert Delebecque, Indivisibilité, §§ 22 ff., der zwischen materieller, rationeller, intellektueller und vereinbarter Unteilbarkeit unterscheidet. 40 Colin/Capitant, Cours II, 192 f.; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1098; Marty/Raynaud/ Jestaz, Obligations II, § 94; Delebecque, Indivisibilité, § 14; vgl. schon Marcadé/Pont, Explication IV, § 627; Demolombe, Cours XXVI, §§ 501 ff. Insbesondere zur Kritik am gesetzgeberisch nicht geglückten Art. 1221: Marcadé/Pont, a.a.O., § 641; Demolombe, a.a.O., §§ 557–564; Demante/Colmet, Cours V, § 157 bis XI. 41 Colin/Capitant, Cours II, 193 ff.; Mazeaud/Chabas, Droit civil II/1, § 1075; Bacache, Indivisibilité, §§ 10 ff.; Terré/Simler/Lequette, Obligations, §§ 1266–1268; Malaurie/Aynès/StoffelMunck, Obligations, § 1251. 42 Pothier, Obligations, §§ 262, 323; vgl. Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 298 ter, S. 19; Marcadé/ Pont, Explication IV, §§ 593, 646; Demolombe, Cours XXVI, § 597; Demante/Colmet, Cours V, §§ 132 bis, 155 bis. 43 Pothier, Obligations, § 324. 44 Pothier, Obligations, §§ 330 ff.
2. Die Rechtsfolgen: Modifizierte Gesamtschulden?
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pflichten, also auch für ursprüngliche Mitschuldner, ausgedehnt45. Eine Teilung der Schadensersatzpflicht wird im Code nicht besonders erwähnt, wohl aber bis heute überwiegend angenommen46. Danach soll, wenn nur ein Schuldner für die Leistungsstörung verantwortlich ist, dieser vollen Schadensersatz, die übrigen dagegen nur anteiligen Schadensersatz schulden. Hierfür verweist man auf die Teilbarkeit der Schadensersatzverpflichtung, auf eine Analogie zu Art. 1232 (der Entsprechendes bei der Pflicht zur Leistung einer Vertragsstrafe vorsieht) und auf das Hinzuziehungsrecht des Art. 1225, das gerade in dieser Interesseteilung seinen Sinn haben soll47. Insgesamt bildet die indivisibilité im Code Civil (Art. 1222–1225) eine Sonderkategorie der Ganzhaftung (zumindest für die Primärleistung), die sich von der solidarité auch durch den Verzicht auf schuldnerbelastende Sekundärwirkungen unterscheidet: Die für die solidarité angeordneten Gesamtwirkungen von Verzug, Verschulden und Mahnung (aber auch Novation und Gesamterlass) werden vom Gesetz hier nicht vorgesehen, was nach der französischen Begrifflichkeit damit erklärt werden kann, dass eine gegenseitige Vertretung der Mitschuldner nicht vorliegt48. Dass der Code allerdings eine Ausnahme bei der Verjährungsunterbrechung macht und deren Gesamtwirkung auch für unteilbare Leistungen anordnet49, sehen manche als Widerspruch zur Einzelwirkung der Inverzugset45
Etwa Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 301 Fn. 15; Demante/Colmet, Cours V, § 160; Colin/Capitant, Cours II, 196; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1103; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 101; Delebecque, Indivisibilité, § 122. 46 Cass req (15.12.1880), DP 1881,1,37; Cass civ (14.6.1887), DP 1888,1,19; Cass civ (14.3.1933), DH 1933, 234; Cass soc (4.7.1967), Bull civ IV Nr. 554; anders Cass com (4.1.1967), Bull civ III Nr. 14. Aus der Literatur Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 301 Nr. 2 b (S. 52); Marcadé/Pont, Explication IV, § 646; Demolombe, Cours XXVI, §§ 540, 601 f.; Demante/Colmet, Cours V, § 155 bis; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1101; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 102 (nur für den Fall des notwendigen Zusammenwirkens); Mazeaud/Chabas, Droit civil II/1, § 1075; Delebecque, Indivisibilité, §§ 39, 52, 119 f. (mit Ausnahmen); Bacache, Indivisibilité, §§ 14, 32; Terré/ Simler/Lequette, Obligations, § 1269. 47 Denn ein allgemeines Hinzuziehungsrecht für Mitschuldner ist ohnehin in Art. 109 des Nouveau Code de procédure civile von 1975 (Art. 175 Code procédure civile a.F.) vorgesehen. Hierbei soll es lediglich um die Regresserleichterung gehen, während die Hinzuziehung bei Art. 1225 CC zur gemeinsamen Verurteilung bzw. zur geteilten Interesseleistung führen soll, so Aubry/Rau, a.a.O.; Demolombe, Cours XXVI, §§ 600–602; Demante/Colmet, Cours V, §§ 160 ff.; Marcadé/Pont, Explication IV, §§ 646 f.; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1103; Delebecque, Indivisibilité, § 122. Dies entspricht der Ansicht Pothiers, Obligations, §§ 333, 335. Anders wohl Colin/Capitant, Cours II, 196. 48 Vgl. Cass civ (20.12.1927), DH 1928, 66; Cass 2 civ (18.3.1987), Bull civ II Nr. 71; CA Versailles (17.11.1988), Gaz pal 1989 somm 409. Zur Nichtgeltung der Art. 1205 und 1207 Marcadé/ Pont, Explication IV, § 648; Demolombe, Cours XXVI, § 540; Demante/Colmet, Cours V, §§ 155 bis, 161 bis II; Mazeaud/Chabas, Droit civil II/1, § 1076; Terré/Simler/Lequette, Obligations, § 1269. Kritisch zum Vertretungskriterium Veaux/Veaux-Fournerie, FS Weill (1983), 547, § 6; Delebecque, Indivisibilité, § 136. 49 Dies kann aus Art. 2249 II CC (Art. 2245 II CC i.d.F.v. 17.6.2008) geschlossen werden; siehe etwa Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 301 Nr. 2 d (S. 53); Marcadé/Pont, Explication IV, § 648; Demolombe, Cours XXVI, § 623; Demante/Colmet, Cours V, § 161; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 101; Delebecque, Indivisibilité, § 134.
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IV. Unteilbare Leistungen
zung an50. Teilweise wird auch für unteilbare Leistungen (etwa unter Berufung auf eine vermeintliche Einheit der Obligation) die Geltung bestimmter Sekundärwirkungen angenommen51, etwa die Gesamtwirkung des gegen einen Schuldner ergangenen Urteils52. Unter Berufung auf eine stillschweigend vereinbarte Unteilbarkeit des Leistungsgegenstands haben französische Instanzgerichte manchmal das Ergebnis einer Ganzhaftung jedes Schuldners erzielt, obwohl keine Gesamtschuld vereinbart und der Leistungsgegenstand selbst teilbar war53. Die Cour de Cassation hebt solche Urteile regelmäßig auf. In der französischen Literatur fragt man sich, warum es den Instanzgerichten erlaubt ist, eine stillschweigende Vereinbarung der solidarité ohne weiteres aus den Umständen zu schließen, und sei es nur dass die Schuldner eine einheitliche nicht aufgeteilte Geldsumme schulden54, warum aber die Annahme einer stillschweigend vereinbarten Unteilbarkeit nicht möglich sein soll, obwohl die indivisibilité die Schuldner in der Regel weniger belastet als die solidarité55. Doch die Kategorie der indivisibilité bringt gegenüber der solidarité auch gläubigerfreundlichere Rechtsfolgen mit sich: Erben eines Mitschuldners haften, anders als bei der solidarité56, nicht geteilt. Weil aber die geteilte Erbenhaftung in der Praxis meist unerwünscht ist, wird die Unteilbarkeit auch bei teilbaren Leistungspflichten häufig besonders vereinbart. Bei vertraglichen Schuldnermehrheiten wird also nicht nur die solidarité, sondern zugleich auch die indivisibilité routinemäßig mit vereinbart57. In dieser Funktion bildet die indivisibilité keine Alternative zur Gesamtschuld, sondern eine zusätzliche Parteivereinbarung, die für den Fall des Todes eines Schuldners das bewirkt, was nach deutschem Recht ohnehin gilt, nämlich die Gesamthaftung jedes Miterben58.
50 Demolombe, Cours XXVI, § 625; Demante/Colmet, Cours V, § 161 bis I; Colin/Capitant, Cours II, 196; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1103; Mazeaud/Chabas, Droit civil II/1, § 1076. 51 Delebecque, Indivisibilité, §§ 123 (Befreiungsgründe), 124 (Erlass), 126 f. (Leistungsstörungen), 136 (Inverzugsetzung und Urteil). Bestimmte prozessuale Gesamtwirkungen sind gesetzlich angeordnet; hierzu Bacache, Indivisibilité, §§ 37 ff. 52 Die Frage der Wirkung eines verurteilenden oder freisprechenden Urteils gegenüber den Mitschuldnern ist sehr umstritten. Vgl. Demolombe, Cours XXVI, §§ 628 ff. m.w.N. zum Streitstand im 19. Jahrhundert; Cass civ (20.12.1927), DH 1928, 66; Cass 1 civ (6.7.1976), Bull civ I Nr. 247; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1103/4; Mazeaud/Chabas, Droit civil II/1, § 1076; Delebecque, Indivisibilité, §§ 135 f. 53 Nachweise bei Mestre, RTD civ 1985, 171 ff. 54 Oben, 29. 55 Mestre, RTD civ 1985, 173. 56 Vgl. CC Art. 1219, 1220, 1223; Pothier, Obligations, § 323. 57 Mazeaud/Chabas, Droit civil II/1, § 1076; Carbonnier, Obligations, § 344; Delebecque, Indivisibilité, §§ 17, 84, 100; Bacache, Indivisibilité, § 16; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, § 1251; Terré/Simler/Lequette, Obligations, § 1268; Simler, Cautionnement, § 542. 58 Schließlich dient die indivisibilité offenbar auch noch dazu, die Ausübung von Gestaltungsrechten hinsichtlich eines Teils des Schuldverhältnisses auszuschließen, siehe etwa Delebecque, Indivisibilité, §§ 73 ff. Nach deutschem Recht ist die einheitliche Ausübung vertraglicher Gestaltungsrechte für alle Formen der Schuldnermehrheit die Regel, vgl. § 351 BGB.
2. Die Rechtsfolgen: Modifizierte Gesamtschulden?
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Die unbefriedigend komplizierten französischen Regeln zur indivisibilité beruhen zum einen auf dem historischen Erbe von Dumoulin, sind zum anderen aber auch Konsequenzen der Teilschuldvermutung. Die mit der Reform des französischen Obligationenrechts befasste Catala-Kommission hat in ihrem 2005 vorgelegten Entwurf an der Teilschuldvermutung für Verträge und Miterben festgehalten59. Die geltenden Regeln zur Unteilbarkeit wurden größtenteils beibehalten und damit eine Reformchance vertan. Lediglich die besonders unbefriedigende Vorschrift des Art. 1221 wurde ersatzlos gestrichen60. Im deutschsprachigen Raum war die von Ribbentrop propagierte Lehre von der Teilung des Interesses für alle unteilbaren Leistungen (mit Ausnahme der Servitutseinräumung) im 19. Jahrhundert herrschende gemeinrechtliche Lehre61, auch wenn sich, angeführt durch Savigny, eine starke Opposition bildete, die – im Einklang mit der heutigen romanistischen Sicht – eine Interesseteilung für alle Fälle der unteilbaren Leistung ablehnte62. Nach herrschender Lehre dagegen sollte die Interesseleistung nicht nur dann geteilt werden, wenn die unteilbare Leistung nicht erbracht wurde, sondern auch dann, wenn sie durch ein Verschulden aller Mitschuldner unmöglich wurde (verschuldete nur einer die Unmöglichkeit, sollte nur er allein auf das volle Interesse haften). Neben der Interesseteilung kam man dem Mitschuldner einer unteilbaren Leistung teilweise auch dadurch entgegen, dass ihm eine sog. exceptio plurium litis consortium gewährt wurde, also eine prozessuale Einrede, nach der sich der beklagte Schuldner nur dann auf den Streit einlassen muss, wenn der Gläubiger zugleich auch alle Mitschuldner verklagt. Wenn nämlich das klassische römische Recht – so wurde argumentiert – eine Verurteilung zur Leistung nicht gekannt und bei der Verurteilung auf das Interesse eine Teilung vorgesehen habe, müsse
59
Avant-projet, Art. 1202, 1224-1. Avant-projet, Art. 1213–1217. Gestrichen werden sollte auch die Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung für unteilbare Leistungen in Art. 2249 CC. In der ab dem 17.6.2008 geltenden Neufassung des Verjährungsrechts des CC wird diese Vorschrift aber als Art. 2245 im Wesentlichen beibehalten. 61 Bucher, Forderungen, § 39; Puchta, Pandekten, § 233 Fn. o; von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 433 f.; Vangerow, Pandekten III, § 567 Anm. 2 (S. 10 f., 13); Seuffert, Pandekten, § 228 Fn. 6; von Helmolt, Correal-Obligationen, 43; Sintenis, Civilrecht, § 84 nach Fn. 11 und vor Fn. 27, § 89 bei Fn. 42; Samhaber, Correalobligation, 178; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 212 ff.; Dernburg, Preußisches Privatrecht II, § 25 a.E.; ders., Pandekten II, § 24 a.E.; Hruza, KritVj 42 (1900), 196 f.; anfangs auch Brinz, KritBl 4 (1853), 45 ff.; ebenso zum österreichischen Recht Nippel, ABGB, § 890 Anm. 2; Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 43, 46 ff.; Stubenrauch, ABGB, § 890 Anm. 2; Hasenöhrl, Obligationenrecht I, 193 ff.; vgl. auch von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap. I/ 3, Nr. 2 (S. 8 f.): Interesseteilung nur nach römischem, nicht nach modernem Recht. 62 Savigny, Obligationenrecht I, 356 ff.; ebenso mit etwas anderer Begründung Ubbelohde, Unteilbare Obligationen, 45 f., 75 ff., 248 ff. Dem schlossen sich an: Kuntze, Singularsuccession, 233 ff.; Bekker, Consumption, 230; Brinkmann, Verhältnis, 141; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 106 f., 129 ff.; Arndts, Pandekten (ab 9. Aufl. 1877), § 216 Anm. 2; Wächter, Pandekten, § 179; Windscheid, Pandekten, § 299 Fn. 7; später Brinz, Pandekten II/1, § 233 I 1 c (S. 74); Binder, Korrealobligationen, 74 ff., 368; jeweils m.w.N.; der Sache nach auch OGH Bayern, SeuffA 31 Nr. 242 (29.11.1872). Die Frage wurde offen gelassen in ROHGE 5, 81, 85 (31.1.1872). 60
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IV. Unteilbare Leistungen
im modernen Recht, das eine Verurteilung zur Leistung zuließ, wenigstens eine prozessuale Beteiligung der Mitschuldner vorgesehen werden, um der Tatsache gerecht zu werden, dass die Mitschuldner sich gemeinschaftlich zur Leistung verpflichtet hatten63. Besonders häufig findet sich diese Ansicht in der Literatur zum preußischen Recht, obwohl das ALR die Kategorie der unteilbaren Leistung nicht kannte. Das liegt daran, dass die (aus der Zeit vor dem ALR stammende) preußische Allgemeine Gerichtsordnung eine exceptio plurium litis consortium bei „untheilbaren Sachen“ vorsah64. Hiermit waren in der Gerichtsordnung offenbar nur Leistungen gemeint, die notwendig von allen Schuldnern zusammen erbracht werden müssen (die heutige Kategorie der gemeinschaftlichen Schuld), denn unteilbar sollte eine Sache dann sein, wenn sie „von sämmtlichen Interessenten geleistet werden muß, wenn sie dem Gegentheile zu Statten kommen soll, wie z.B. Grundgerechtigkeiten“. Die Literatur sprach dagegen von unteilbaren Leistungen im Allgemeinen65. Im Ergebnis bildeten die unteilbaren Leistungspflichten in der Literatur des 19. Jahrhunderts eine eigene Kategorie der Schuldnermehrheiten, die sich nach einem Teil der Lehre hauptsächlich durch die Interesseteilung von den übrigen zwei Gesamtschuldformen (Korreal- und Solidarobligationen) unterschied. Soweit es um sonstige Rechtsfolgen, also insbesondere die Gesamt- und Einzelwirkungen von Tatsachen ging, folgte ein Teil der Literatur dem Modell der Korrealobligationen66, während nach anderer Ansicht die bloße Unteilbarkeit keinerlei Gesamtwirkungen hervorbrachte, so dass insoweit von Solidarobligationen gesprochen werden konnte67. Die deutschsprachigen Kodifikationen und Entwürfe des späteren 19. Jahrhunderts standen auf dem Boden der herrschenden gemeinrechtlichen Ansicht. Unteilbare Leistungsverpflichtungen bildeten neben den Gesamtschulden eine eigene Kategorie der Schuldnermehrheit68. Nahezu alle Regelwerke bestimmten, dass der Gläubiger von jedem Schuldner die Gesamtleistung verlangen 63 Ribbentrop, Correal-Obligationen, 183 f., 229; Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 146 f.; vgl. auch Brinz, Pandekten, § 233 Nr. 1 (Pflicht zur gemeinsamen Verklagung ist zwar nicht geltendes Recht, wäre aber „natürlicher“). Kritisch hierzu Ubbelohde, Unteilbare Obligationen, 281 ff.; Sintenis, Civilrecht, § 84 Fn. 27 a.E. 64 PrAGO I 5, § 4 Nr. 8; vgl. Koch, Preußischer Civil-Prozeß, 179. 65 Koch, Forderungen II, 15; Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht I, § 63 bei Fn. 61 (S. 402); Dernburg, Preußisches Privatrecht II, § 25 bei Fn. 14. 66 Weil wegen der Unteilbarkeit nur eine Obligation vorliegen sollte. Vgl. Savigny, Obligationenrecht I, 367 f.; Bekker, Consumption, 230; Kuntze, Singularsuccession, 233 ff.; Windscheid, Pandekten, § 299 a.E.; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 106 f., 129 ff.; Wendt, Pandekten, § 206; ebenso wohl Ribbentrop, Correal-Obligationen, 223, 231, 241. 67 Mühlenbruch, Pandekten, § 491; Puchta, Pandekten, § 233 bei Fn. o; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 212; Wächter, Pandekten, § 179; Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 43; ähnlich Ubbelohde, Unteilbare Obligationen, 265 ff. 68 SächsE § 590; HessE IV 1, Art. 33–39; BayE II, Art. 221, 242–247; SächsGB §§ 1037–1038 (s.a. § 2390); DresdE Art. 241–243, 344 (eine einheitliche Regelung von Gesamtschulden und unteilbaren Leistungen verursachte nach Ansicht der Dresdener Kommission zuviele Unklarheiten, Dresd.Prot. 102 f.); OR 1881 Art. 79–80.
3. Die Sonderrolle der Rückgabepflichtigen und Beauftragten
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konnte69. Nur der Bayerische Entwurf sah eine Pflicht des Gläubigers zur gemeinsamen Belangung aller Mitschuldner vor70, wobei die Entwurfsverfasser allerdings nur diejenigen Fälle vor Augen hatten, in denen die unteilbare Leistung im Zusammenwirken der Schuldner erbracht werden soll71. Nahezu alle Regelwerke, von den deutschen Entwürfen bis zum Schweizer Obligationenrecht, sahen in Übereinstimmung mit der herrschenden gemeinrechtlichen Lehre die Teilung der Interesseleistung vor72. Hinsichtlich sonstiger Rechtsfolgen verwiesen manche Regelwerke auf die Gesamtschuldvorschriften, während andere für Gesamtschulden besondere belastende oder begünstigende Gesamtwirkungen vorsahen, die für unteilbare Leistungen teilweise nicht gelten sollten73.
3. Die Sonderrolle der Rückgabepflichtigen und Beauftragten Die Haftung gemeinschaftlicher Verwahrer und Entleiher für die Rückgabe der Sache und insbesondere die Haftung der Miterben eines Verwahrers oder Entleihers war in den römischen Quellen an besonderen Stellen geregelt. Offenbar weichen die Rechtsfolgen aber nicht von anderen Fällen unteilbarer Leistungen oder vertraglicher Gesamtschulden ab74. Wegen des ursprünglich geltenden Grundsat69 SächsE § 590; HessE IV 1, Art. 35; SächsGB § 1037; DresdE Art. 241; OR 1881 Art. 79 I (OR 1911 Art. 70 II). 70 BayE II Art. 242. Ein gleichlautender Antrag konnte sich bei den Beratungen zum Dresdener Entwurf nicht durchsetzen, Dresd.Prot. 29–31, 4144–4146. Vgl. auch span. Código Civil, Art. 1139. 71 Motive zu BayE II, 119 f. Mehr zu dieser Vorschrift daher unten, 131. 72 HessE IV 1 Art. 39; BayE II Art. 246; SächsGB § 1038; DresdE Art. 243; OR 1881 Art. 80 (bei der Revision 1911 wurde diese Vorschrift gestrichen, siehe jetzt OR 1911 Art. 70); vgl. span. Código Civil, Art. 1139 II, 1150. Anwendungsbeispiel: Lösen Verpächter (Schuldner einer unteilbaren Leistungspflicht) den Pachtvertrag vorzeitig auf, schulden sie dem Pächter den Ersatz seiner durch die Vertragsauflösung vergeblichen Aufwendungen nur als Teilschuldner, so Appellationshof Bern, ZBJV 45, 505 (20.1.1909). 73 Im Hessischen Entwurf, der insoweit dem französischen CC ähnelt, soll die bei Gesamtschulden geltende Gesamtwirkung des Verschuldens, des Urteils, der Novation und des Gesamterlasses (HessE IV 1, Art. 228, 240, 328, 346, 354) bei unteilbaren Leistungen nicht gelten. Der Bayerische und der Dresdener Entwurf verzichteten bei unteilbaren Leistungen zumindest auf die Gesamtwirkung der Novation (BayE II Art. 231, DresdE Art. 381), nicht aber auf die des Gesamterlasses (BayE II Art. 243 II, DresdE Art. 342). Zusätzlich verzichtete der Bayerische Entwurf auf die Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung (BayE II Art. 238), nicht aber das Schweizer Obligationenrecht (OR 1881 Art. 155, OR 1911 Art. 136). Das SächsGB sah bei den Gesamtwirkungen keinen Unterschied zwischen Gesamtschulden und unteilbaren Leistungen vor, § 1037. 74 Vgl. zum Folgenden die teilweise abweichende neuere Darstellung bei Schmieder, Duo rei (2007), 165, 174 ff., 216 ff., 294 f. Danach sind die Verpflichtungen von mehreren Verwahrern oder Entleihern nur dann unteilbare Leistungspflichten, wenn die Vertragssache selbst unteilbar ist, was aber offenbar die Ausnahme sein soll. Die Quellen bezeugen danach lediglich, dass Gesamtschuldverhältnisse bei der Verwahrung möglich waren und dass dann Solutionskonkurrenz bestand (Ulpian D.16,3,1,43). Hinsichtlich der Haftung auf das Interesse soll die Ganzhaftung jedes Schuldners mit Solutionskonkurrenz nicht nur bei der Verwahrung, sondern auch bei der Leihe (Ulpian D.13,6,5,15) gegolten haben.
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IV. Unteilbare Leistungen
zes der Geldkondemnation behandeln die Quellen in erster Linie die Frage, ob ein einzelner Mitschuldner das gesamte oder nur einen Anteil am Interesse schuldet. Grundsätzlich schuldete ein Verwahrer oder Entleiher die Leistung des Interesses, wenn er die Sache nicht zurückgab, musste aber nicht für jede Unmöglichkeit der Rückgabe einstehen75. Dies hing vom Haftungsmaßstab ab: Der Verwahrer haftete grundsätzlich nur für dolus, der Entleiher dagegen für custodia (wurde also zumindest dann frei, wenn die Unmöglichkeit der Rückgabe auf vis maior beruhte)76. Verwahrten oder entliehen mehrere eine Sache, schuldete der Einzelne das volle Interesse, wenn in seiner Person die Haftungsvoraussetzungen gegeben waren77. Eine Gesamtwirkung des Verschuldens gab es, ebenso wie bei gewöhnlichen Gesamtschulden, nicht78. Erfüllten mehrere die Haftungsvoraussetzungen, haftete grundsätzlich jeder auf das volle Interesse. Für diesen Fall sprechen die überlieferten Fragmente von Solutionskonkurrenz. Mehrere Miterben hafteten dann auf einen der Erbquote entsprechenden Anteil des Interesses, wenn die Haftungsvoraussetzungen schon in der Person des Erblassers gegeben waren, also wenn der Erblasser für die fehlende Rückgabe verantwortlich war79. Denn dann schuldete bereits der Erblasser eine Geldsumme, die nach allgemeinen Regeln anteilig auf die Erben aufgeteilt wurde. Hatte dagegen ein einzelner Miterbe selbst die Nichtrückgabe zu verantworten (etwa indem er die Sache unterschlug), haftete er auf das gesamte Interesse, während die übrigen frei waren80; bei mehreren verantwortlichen Miterben haftete je75 Hierzu Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. I, § 119 I, Bd. II, § 259 I; Zimmermann, Obligations, 783 ff. 76 Näheres etwa bei Zimmermann, Obligations, 192 ff., 208 ff.; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 118 III, § 125 II. 77 Zur Leihe Ulpian D.13,6,5,15; zur Verwahrung Ulpian D.16,3,1,43; ebenso Schmieder, Duo rei, 167, 174 ff. Anders Afrikan D.13,6,21,1 (Teilschulden der Entleiher auf das Interesse, möglicherweise wegen Parteivereinbarung oder Teilbarkeit der Menge an entliehenen Sachen); hierzu etwa Ribbentrop, Correal-Obligationen, 132 f., Fn. 14; Eisele, AcP 77 (1891), 436; Levy, Konkurrenz I, 215; Schmieder, Duo rei, 180 Fn. 749; jeweils m.w.N. 78 Anders Schmieder, Duo rei, 178, nach dem Ulpian D.13,6,5,15 für eine Gesamtwirkung der culpa sprechen soll, weil die dort genannte Ganzhaftung beider Entleiher auf das Interesse sich auf den „Normalfall“ beziehen soll, dass nur einen von ihnen ein Verschulden trifft. Entleiher aber hafteten für custodia, was bedeutet, dass sie für einen Diebstahl grundsätzlich ohne Verschulden eintreten mussten. Offenbar beruht die Nichtrückgabe in D.13,6,5,15 auf einem Diebstahl durch einen Dritten, so dass beide Entleiher eine custodia-Haftung trifft und eine Gesamtwirkung des Verschuldens für das Ergebnis nicht benötigt wird. Auch die Klageabwendungsbefugnis in Ulpian D.13,6,7 pr. spricht nicht gegen eine Gleichstellung mit gewöhnlichen Gesamtschuldnern. Ein einzelner Entleiher musste bei einem Diebstahl durch Dritte gegenüber dem Verleiher haften, konnte dafür aber die actio furti gegen den Dritten erheben, unten, 771 f. Bei zwei Entleihern konnte die Diebstahlsklage aber nur einmal erhoben werden. Wenn nun ein Entleiher die Klage gegen den Dritten bereits erhoben hatte und der Verleiher den anderen Entleiher in Anspruch nahm, fehlte diesem die Möglichkeit, als Ausgleich für seine vertragliche Haftung die lukrative actio furti geltend zu machen. Es ist offenbar dieser Grund, warum er den Gläubiger gegen Sicherheitsleistung auf den anderen Entleiher verweisen konnte, nicht die besondere Art der Schuldnermehrheit. 79 Vgl. Ulpian D.13,6,3,3, D.16,3,7,1; Paulus D.16,3,9. 80 Ulpian D.13,6,3,3; Paulus D.13,6,17,2; Paulus und Julian D.16,3,9–10.
3. Die Sonderrolle der Rückgabepflichtigen und Beauftragten
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der ganz81. Völlig eindeutig sind die Quellen allerdings nicht82. Teilweise heißt es pauschal, Miterben schuldeten nur ihren Anteil des Interesses83, wohl deshalb, weil man mangels anderer Anhaltspunkte von einer Verantwortlichkeit schon in der Person des Erblassers ausging. Im Gemeinen Recht bestand aufgrund dieser nicht ganz klaren Quellenlage zunächst keine Einigkeit, ob bei mehreren Verwahrern oder Entleihern die Interesseleistung von jedem nur anteilig oder ganz zu entrichten war84. Da die Quellen aber zumindest für den Fall der ursprünglichen Schuldnermehrheit eindeutig von einer Ganzhaftung auf das Interesse sprachen, setzte sich die Ansicht durch, dass (ursprünglich) gemeinschaftliche Verwahrer und Entleiher wie gewöhnliche Gesamtschuldner das volle Interesse schuldeten. Die Mehrzahl der Kodifikationen und Entwürfe ordnete daher die gesamtschuldnerische Haftung von Entleihern und/oder Verwahrern an85. Ging man bei unteilbaren Leistungen grundsätzlich von einer Interesseteilung aus, dann mussten Entleiher und Verwahrer eine Ausnahme bilden. Noch komplizierter gestaltete sich die Haftung der Rückgabepflichtigen im Dogmengerüst des 19. Jahrhunderts. Weil Ribbentrop davon ausging, dass Korrealobligationen sowohl durch Klagenkonkurrenz als auch durch eine Gesamtwirkung des Verschuldens gekennzeichnet waren, konnten die Quellen, die von Solutionskonkurrenz und einer Einzelwirkung des Verschuldens sprachen, nicht von Korrealobligationen handeln86. Weil keine Teilung des Interesses stattfand,
81
Marcellus D.16,3,22, 2. Fall. Vgl. Marcellus D.16,3,22, 1. Fall: Interesseteilung unter solventen Miterben bei gemeinsamer Geldunterschlagung. Hier könnte man daran denken, dass es sich von vornherein um eine teilbare Verbindlichkeit handelte, so Schmieder, Duo rei, 168 Fn. 690. Dann ist aber unklar, warum nur unter den Solventen geteilt wurde. 83 Marcellus D.16,3,22 a.E.; Ulpian D.13,6,3,3. 84 Vgl. Glück, Pandecten, Bd. XIII, 472 f. m.w.N. zum Streitstand, ferner Bd. IV, 516, Bd. XV, 231 f.; Voet, Commentarius, zu D.13,6, § 3, zu D.16,3, § 5; Pothier, Obligations, §§ 303 ff., Prêt à usage, §§ 65 f., Contrat de dépôt, §§ 64 f.; Kreittmayr, Anmerkungen IV, 123; von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT, Kap. IV, Nr. 8 (S. 501 f.) m.w.N., Kap. VI, Nr. 13 (S. 525); Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, § 289 bei Fn. e; s.a. Braun, Erörterungen II, § 885 (S. 789); Bucher, Forderungen, §§ 98, 100. 85 Entleiher: CC Art. 1887; CMBC-RevE 1811, IV 2 § 5 Nr. 10; BayE II Art. 658; SächsGB § 1185; DresdE Art. 612; OR 1881 Art. 324 (Art. 308 OR 1911); s.a. span. Código Civil, Art. 1748; BW Art. 7:1786. Verwahrer: ALR I 14 § 59; SächsE § 1197; HessE IV 2 Art. 339; BayE II Art. 674; SächsGB § 1272; DresdE Art. 744; OR 1881 Art. 481 (OR 1911 Art. 478); s.a. BW Art. 7:606. 86 Das Fragment Papinian D.45,2,9 pr., in dem gemeinschaftliche Verwahrer den StipulationsGesamtschuldnern gleichgestellt werden, sollte dann vom Fall einer ausdrücklichen Gesamtschuldabrede handeln, für den die allgemeinen Regeln der Korrealobligation, insbesondere die Gesamtwirkung des Verschuldens, galten. Vgl. oben, 56. Korrealobligationen für alle Fälle gemeinschaftlicher Verwahrung oder Leihe nahmen nur diejenigen wenigen Schriftsteller an, die der Klagenkonkurrenz keine entscheidende Bedeutung zumaßen: von Helmolt, Correal-Obligationen, 63 ff.; Fritz, ZCRPr nF 22 (1865), 473 ff.; Sintenis, Civilrecht, § 89 bei Fn. 41. Später hielt man die in den Quellen zu findende Solutionskonkurrenz für interpoliert; in Wahrheit sollte es sich um gewöhnliche vertragliche Gesamtschulden mit Klagenkonkurrenz handeln; so Eisele, AcP 77 (1891), 82
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IV. Unteilbare Leistungen
schied aber auch die Kategorie der unteilbaren Leistung aus87. Dies lag für Ribbentrop daran, dass anders als bei einer Werkleistung (seinem Musterfall der unteilbaren Leistung) die Schuldner die Leistung nicht im Zusammenwirken erbringen wollten, sondern jeder für die Rückgabe so verpflichtet sei, als habe er die Sache allein geliehen oder in Verwahrung genommen. Habe er die Nichtrückgabe (je nach Haftungsmaßstab) zu vertreten, schulde er daher das volle Interesse. Sofern daneben ein weiterer Schuldner die Nichtrückgabe ebenfalls zu vertreten habe, schulde jeder unabhängig voneinander das Ganze. Eine solidarische Haftung trete also nur ein, wenn bei mehreren die Haftungsvoraussetzungen vorliegen. Sie folge nicht aus einer einheitlichen Obligation, sondern aus der Verpflichtung jedes einzelnen Schuldners. Damit sollten also weder Korrealobligationen noch unteilbare Leistungspflichten vorliegen, sondern bloße Solidarobligationen88. Unter den nachfolgenden Schriftstellern bestand weitgehend Einigkeit, dass es sich bei den Rückgabepflichten um Solidarobligationen handelte; umstritten war dagegen die genaue Konstruktion: Während ein Teil der Literatur Ribbentrop so verstand, dass die gemeinschaftliche Verwahrung oder Leihe Solidarobligationen begründet89, ging die wohl überwiegende Meinung davon aus, dass durch den Vertragsschluss als solchen überhaupt keine gemeinschaftliche Verbindlichkeit entsteht. Weil die Quellen nicht direkt von der Pflicht zur Rückgabe, sondern nur von der Interesseleistungspflicht sprachen, die im Ergebnis nur im Falle eines Vertretenmüssens eintrat, glaubte man folgern zu können, dass die Rückgabepflicht als solche nur denjenigen Schuldner traf, der die Sache in den Händen hielt. Eine solidarische Haftung trat danach nur dann ein, wenn sich mehrere Schuldner einer Vertragsverletzung schuldig gemacht hatten und hierdurch für die Nichtrückgabe kausal geworden waren90. Die solidarischen Verpflichtungen 87 (1891), 435 ff., 444 ff.; Binder, Korrealobligationen, 97 ff., 355 ff.; Levy, Konkurrenz I, 204 ff. Heute hält man den Interpolationsvorwurf nicht mehr aufrecht, misst aber der Frage der Klagenkonkurrenz keine entscheidende Bedeutung mehr zu. Danach handelt es sich bei den Rückgabepflichtigen um vertragliche Gesamtschuldner, bei denen „zufällig“ Solutionskonkurrenz galt, Liebs, Klagenkonkurrenz, 185, vgl. oben, A III 1. 87 Anders aber von Helmolt, Correal-Obligationen, 43; Sintenis, Civilrecht, § 84 Fn. 27, nach denen auch bei Rückgabepflichten die Interesseleistung sich teilte. Wieder anders eine zur Gläubigermehrheit ergangene Entscheidung des OAG Celle, SeuffA 31 Nr. 318 (19.5.1865), nach der die Pflicht zur Herausgabe eines Grundstücks vom Pächter an den Verpächter teilbar sein soll. 88 Ribbentrop, Correal-Obligationen, 119 ff., 229 f. (dessen Überlegungen auch auf Cujas zurückgehen). 89 Fitting, Correalobligationen, 230; Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, § 289 (S. 622); Mühlenbruch, Pandekten, § 491; Puchta, Pandekten, § 233 bei Fn. k; Vangerow, Leitfaden III (1847), 75; Ubbelohde, Unteilbare Obligationen, 265 ff.; von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 414; Unger, JhJb 22 (1884), 296; Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 62. 90 Savigny, Obligationenrecht I, 203 ff.; Brinz, KritBl 4 (1853), 44 f.; Vangerow, Pandekten III (1863), § 573 Anm. 2 (S. 76 f.); Windscheid, Pandekten, § 298 Fn. 15 b; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 207 ff.; Czyhlarz, GrünhZ 3 (1876), 61–63, 90 ff., 138 f.; Kuntze, Singularsuccession, 170; Müller, Institutionen, § 97 I 3. Hierzu kritisch Fritz, ZCRPr nF 17 (1860), 151 ff., ZCRPr nF 22 (1865), 451, 481 ff.; Binder, Korrealobligationen, 97 ff.
3. Die Sonderrolle der Rückgabepflichtigen und Beauftragten
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der Verwahrer und Entleiher wurden auf diese Art zu Haftungs-Gesamtschulden91, die auf der Verursachung desselben Schadens durch mehrere beruhen. Interessant ist dabei, dass die Idee der Haftungs-Gesamtschuld schon im 19. Jahrhundert nicht auf das Deliktsrecht beschränkt war. Besonderheiten galten schließlich auch für die Verpflichtung mehrerer Beauftragter. Ein einziges römisches Fragment sah die Haftung jedes Schuldners auf das Ganze vor, wenn der Gläubiger zwei Personen mit der Verwaltung seiner Geschäfte beauftragt92. Im Gemeinen Recht ging man daher von einer gesamtschuldnerischen Haftung mehrerer Beauftragter aus93, die auch in eine Reihe von Kodifikationen und Entwürfen wanderte94. Damit galt, sofern man bei unteilbaren Leistungen eine Interesseteilung annahm, auch für die Beauftragten eine Ausnahme. Ribbentrop erklärte dies so, dass es nicht um die gemeinschaftliche Erfüllung des Auftrags gehe, sondern der Auftraggeber zu seiner Sicherheit den Auftrag gleichsam zweimal vergebe, aber eine Erfüllung nur einmal möglich sei. Insofern handle es sich um Solidarobligationen95. Darin folgte ihm die gemeinrechtliche Lehre des 19. Jahrhunderts96. Auch hier nahm man teilweise an, es handle sich lediglich um Schadensersatz-Gesamtschulden für den Fall, dass beide Beauftragte nicht oder schlecht erfüllten97. Im Ergebnis herrschte also bei unteilbaren Leistungen eine kaum zu übersehende Vielfalt der Lösungen. Unteilbare Werkleistungen galten als Musterfall. Hier ging man teilweise von Korrealobligationen, teilweise von (modifizierten) Solidarobligationen, meist aber von einer dritten Kategorie der Schuldnermehrheit aus. Bei der Haftung der Rückgabepflichtigen und Beauftragten sollte es sich entweder um einen Fall der unteilbaren Leistungen oder um gewöhnliche Solidarobligationen handeln, die wiederum entweder auf dem Vertrag oder auf der
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In diese Richtung bei Entleihern nun auch Schmieder, Duo rei, 175 ff. Scaevola D.17,1,60,2. 93 Voet, Commentarius, zu D.17,2, § 8; Pothier, Mandat, § 63; Bucher, Forderungen, § 76; Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, § 303 bei Fn. i; Appelius, AcP 16 (1833), 290; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 89 V; von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT, Kap. VIII, Nr. 15 (S. 554); Puchta, Pandekten, § 324; Seuffert, Pandekten, § 336 a.E.; Fritz, ZCRPr nF 22 (1865), 473 ff.; von Helmolt, Correal-Obligationen, 70 f.; Brinz, Pandekten, § 334 bei Fn. 45; Dernburg, Pandekten II, § 116 a.E.; OAG Wiesbaden, SeuffA 1 Nr. 53 (1.6.1838). 94 ALR I 13 § 201; HessE IV 2 Art. 280 II; BayE II Art. 697 II; SächsGB § 1313; DresdE Art. 701; ZürGB § 1176; OR 1881 Art. 401 II (OR 1911 Art. 403 II); ital. Codice Civile, Art. 1716. Anders (und gegen Pothier) entschied sich der Code Civil in Art. 1995 (ohne ausdrückliche Vereinbarung keine solidarité, ebenso span. Código Civil Art. 1723). Auch das ABGB sollte ursprünglich eine besondere Teilschuldanordnung (für das Interesse) enthalten; die Vorschrift wurde dann aber wieder gestrichen, Ofner, Ur-Entwurf II, 567. 95 Ribbentrop, Correal-Obligationen, 148 f., 230 f. 96 Puchta, Institutionen, § 263 bei Fn. d; Seuffert, Pandekten, § 336 (S. 247); Fitting, Correalobligationen, 230; Unger, JhJb 22 (1884), 295 f.; ebenso Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 63. 97 Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 620 VI; Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 2 a.E. (S. 76 f.); Windscheid, § 298 Fn. 15 b; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 207 ff.; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 61; Müller, Institutionen, § 97 I 3; Dernburg, Pandekten II, § 71 Nr. 2. Dagegen Binder, Korrealobligationen, 109; Levy, Konkurrenz I, 203 f.; Liebs, Klagenkonkurrenz, 185. 92
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IV. Unteilbare Leistungen
gemeinsamen Schadensverursachung beruhen sollten. Bei der Verpflichtung zur Einräumung eines Wegerechts, bei der eine Interesseteilung durch die Quellen ebenfalls ausgeschlossen wurde, nahm man vereinzelt trotzdem unteilbare Leistungen mit Interesseteilung, meist aber echte Korrealobligationen an. Die Begründungen dieser in die Quellen künstlich hineingetragenen Differenzierungen überzeugten aber kaum.
4. Entstehung und Funktion des § 431 BGB bei unteilbaren Leistungen im Allgemeinen Nach Ansicht der Verfasser des BGB sollten für Rückgabepflichtige oder Beauftragte keine Sondervorschriften gelten, sondern alle Fallgruppen der unteilbaren Leistungen gleich behandelt werden98. Für diese legte der Schuldrechtsredaktor von Kübel einen eigenen Teilentwurf „Mehrheit der Gläubiger oder Schuldner bei untheilbarer Leistung“ vor99, der im Wesentlichen der herrschenden gemeinrechtlichen Lehre des 19. Jahrhunderts entsprach. Auch wenn die bisherigen Korreal- und Solidarobligationen in der neuen Kodifikation zu einer einheitlichen Gesamtschuld zusammengefasst werden sollten, war für unteilbare Leistungen eine Sonderkategorie vorgesehen. Die Erste Kommission integrierte diese Regeln in den Abschnitt zu den Gesamtschuldvorschriften100, ihr Inhalt und ihre Funktion hatten sich im Ersten Entwurf aber kaum geändert: Beim gemeinschaftlichen Vertragsschluss galt die Teilschuldvermutung101. Ebenso hafteten Miterben für teilbare Verbindlichkeiten des Erblassers als Teilschuldner102. Damit ergab sich wie im Gemeinen Recht das Bedürfnis, für Miterben und vertragliche Schuldner ohne Gesamtschuldabrede besondere Regeln vorzusehen, wenn ihre Ganzhaftung nur auf der Unteilbarkeit des Leistungsgegenstandes beruhte103. 98
Zu mehreren Beauftragten Jakobs/Schubert, SR III, 66 f.; zu mehreren Geschäftsführern ohne Auftrag von Kübel, Vorentwurf Nr. 4, 31 (Schubert, SR II, 963); Jakobs/Schubert, SR III, 140; zu mehreren Verwahrern Prot. 897 (Mugdan II, 612). 99 Vorlage Nr. 18, abgedruckt in Schubert, SR I, 115 ff. 100 Jakobs/Schubert, SR I, 957; Ergebnis: E I §§ 340–341. 101 VorlE und TeilE, § 1; E I § 320; vgl. oben, 21. 102 Teilentwurf Erbrecht, § 321 III (Schubert, ErbR I, 67); E I § 2051. Hierzu Motive zum TeilE ErbR, 892 ff. (Schubert, ErbR II, 148 ff.); Mot. V, 526 ff. (Mugdan V, 281 f.). 103 Teilentwurf Unteilbare Leistungen, 1 (Schubert, SR I, 117); für Miterben Motive zum TeilE ErbR, 908 (Schubert, ErbR II, 164); Mot. V, 530 (Mugdan V, 283). Für mehrere durch ein Vermächtnis Beschwerte, die ebenfalls Teilschuldner sein sollten, hatte der Teilentwurf Erbrecht ursprünglich noch eine Sondervorschrift vorgesehen, wonach bei Unteilbarkeit Gesamtschulden bestehen sollten, TeilE ErbR § 92 (Schubert, ErbR I, 22). Dies sollte dem Gemeinen Recht entsprechen, Motive zum Teilentwurf Erbrecht, 219 (Schubert, ErbR I, 335). Diese Vorschrift strich von Schmitt nach einer Revision seines Teilentwurfs mit der Begründung, die Gesamthaftung ergebe sich schon aus §§ 338, 339 KE (also E I §§ 340–341), Schubert, ErbR II, 709; zustimmend die Erste Kommission, Jakobs/Schubert, ErbR II, 1183; vgl. Mot. V, 137 (Mugdan V, 72). Der damalige Rechtsfolgenunterschied zwischen Gesamtschulden und Schuldnermehrheiten bei unteilbaren Leistungen (mit Interesseteilung!) war hier offenbar wenig bedeutsam.
4. Entstehung und Funktion des § 431 BGB bei unteilbaren Leistungen
123
Auf eine Begriffsbestimmung der unteilbaren Leistungspflicht verzichtete man wegen der Unzulänglichkeit der bisherigen Versuche einer Legaldefinition und überwies die Aufgabe der Wissenschaft104. Wie bei Gesamtschulden sollte der Gläubiger von jedem Schuldner die gesamte Leistung verlangen können105. Eine Pflicht zur Belangung aller Schuldner, so meinte von Kübel, entspreche zwar am besten dem Wesen der unteilbaren Leistung, bringe aber erhebliche Nachteile für den Gläubiger, weil eine Vollstreckung „kaum durchführbar“ sei106. Eine seitens von Kübel ursprünglich noch vorgesehene Ausnahme für den Fall, dass die Leistung durch alle Schuldner zusammen erbracht werden soll, wurde in der Ersten Kommission gestrichen107. Auch bei der Frage nach der Gesamt- oder Einzelwirkung von Tatsachen bedurfte es für unteilbare Leistungen keiner Modifikationen gegenüber gewöhnlichen Gesamtschulden108, weil auch für diese keine schuldnerbelastenden Gesamtwirkungen vorgesehen waren. Als entscheidende Modifikation gegenüber gewöhnlichen Gesamtschulden verblieb nur die Teilung des Interesses109. Diese Regel wurde in der Zweiten Kommission gestrichen110, aus heutiger Sicht zu Recht111. Unklar ist von vornherein, was man sich unter der „Umwandlung“ einer Primärleistungspflicht mehrerer in eine Interesseleistungspflicht mehrerer vorstellen soll. Handelt es sich um eine vertragliche Verpflichtung, welche die Schuldner für den Fall übernommen haben, dass die unteilbare Leistung nicht erbracht werden kann (etwa mangels erforderlicher Genehmigung) oder um eine Vertragsstrafe, dann spricht bei Geltung einer Teilschuldvermutung nichts gegen die Annahme von Teilschulden, die sich aber schon aus der Teilschuldvermutung selbst ergibt, so dass die Interesseteilungsregel insofern überflüssig ist112. Bei der Verpflichtung zur Leistung des Interesses dachte man aber in erster Linie an einen Anspruch des Gläubigers auf Geldersatz für den Fall der Nichterfüllung. In heutiger Terminologie spricht man von Schadensersatz wegen Nichterfüllung bzw. Schadensersatz statt der Leistung. Hier geht die Vorstellung, eine gemeinsame Primärleistungspflicht der Schuldner könne sich in eine gemeinsame 104 von Kübel, Teilentwurf Unteilbare Leistungen, 2 (Schubert, SR I, 118); zur Ersten Kommission Jakobs/Schubert, SR III, 952; Mot. II, 172 f. (Mugdan II, 95). Ebenso schon die Dresdener Kommission, Dresd. Prot. 27 f. 105 TeilE Unteilbare Leistungen, § 23; E I § 340. 106 TeilE Unteilbare Leistungen, 4 f. (Schubert, SR I, 120 f.); Mot. II, 173 (Mugdan II, 95); ebenso schon die Dresdener Kommission, Dresd.Prot. 30 f., 4144–4146. 107 Hierzu unten, 134. 108 TeilE Unteilbare Leistungen, §§ 25–27; E I § 340. 109 TeilE Unteilbare Leistungen, § 29; E I § 341. 110 Prot. 896 f. (Mugdan II, 611 f.); vgl. schon die entsprechende Diskussion in der Ersten Kommission und in der Reichsjustizamtskommission, Jakobs/Schubert, SR I, 962 f. 111 Anderer Ansicht Goette, Gesamtschuldbegriff, 83 ff. (der aber offenbar zu den gleichen Ergebnissen kommt wie hier, vgl. die nachfolgenden Fußnoten). 112 Dies ist offenbar der Fall, den Goette zur Rechtfertigung der Interesseteilungsregel vor Augen hat, Gesamtschuldbegriff, 84 f.
124
IV. Unteilbare Leistungen
Interesseleistungspflicht „verwandeln“, fehl, auch wenn sie bis heute zu finden ist. Solange die Schuldner nicht zu einer rechtsfähigen Gruppe vereinigt sind, stehen dem Gläubiger einzelne Schuldner gegenüber. Der Gläubiger kann einen Anspruch auf Geldersatz nur durch Vollstreckung in das Vermögen eines einzelnen Schuldners (oder mehrerer) durchsetzen. Dann stellt sich die Frage, ob und in welcher Höhe dieser Schuldner auf das Interesse haftet. Dies hängt davon ab, was dieser Schuldner schuldet, nicht was die Schuldnermehrheit schuldet. Der Erfüllungsanspruch „verwandelt“ sich nicht bei den Schuldnern insgesamt, sondern beim Einzelnen, wie die Mehrheit in der Zweiten Kommission zu Recht argumentierte. Hier kann aber die Pflicht zur Interesse- bzw. Schadensersatzleistung nicht von der Primärleistungspflicht abgekoppelt werden. Schuldet der Einzelne die ganze Primärleistung, dann haftet er auch auf das gesamte Interesse. Nach heutiger Auffassung setzt ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung (bzw. statt der Leistung) grundsätzlich eine zu vertretende Leistungsstörung voraus113. Verursacht etwa einer der Schuldner in zu vertretender Weise die Unmöglichkeit der Leistung, haftet er nach allgemeinen Regeln auf das Gesamtinteresse des Gläubigers. Dies wurde bezeichnenderweise auch von der gemeinrechtlich herrschenden Lehre nicht bestritten. Etwas anderes sollte aber dann gelten, wenn die Unmöglichkeit von mehreren Schuldnern vertretbar verursacht worden war. Doch es ist nicht angebracht, den verantwortlichen Schuldner im Außenverhältnis zu einem Teil zu entlasten, wenn daneben auch ein weiterer Schuldner für die Unmöglichkeit verantwortlich war. Dies widerspräche auch der allgemeinen Regel im Schadensrecht, wonach ein Verursacher gegenüber dem Geschädigten nicht dadurch entlastet wird, dass der Schaden auch von einem anderen verursacht wurde (heute § 840 BGB). Ähnlich ist es beim Verzug: Wenn der Verzug Einzelwirkung hat, schuldet nur derjenige Schuldner Schadensersatz, der die an ihn gerichtete Frist verstreichen ließ oder während dessen Verzugs die geschuldete Sache unterging, und zwar gerichtet auf das Gesamtinteresse des Gläubigers. Dann besteht kein Grund, seine Haftung zu reduzieren, wenn auch andere Mitschuldner schuldhaft ihrer Leistungspflicht nicht nachkamen114. Wenn jeder die Primärleistung hätte erbringen können und müssen, schuldet auch jeder das Gesamtinteresse. Sind alle Schuldner gleichmäßig verantwortlich und solvent, kommt es ohnehin im Ergebnis zu einer Aufteilung des Interesses, nämlich im Innenverhältnis der Schuldner. Bei Insolvenz eines der Schuldner geht es aber nicht an, dieses Risiko dem Gläubiger aufzubürden: Haben von zwei Schuldnern beide nicht geleistet und ist einer insolvent, ist es nicht einsehbar, warum der Gläubiger vom solventen Schuldner nur die Hälfte seiner Interesseforderung erhalten und mit 113 So § 280 I 2 BGB. Ebenso die herrschende Lehre zum BGB a.F., vgl. §§ 280, 286 II, 325 f. mit der Ausnahme des § 283; umfassend zum Problem Sutschet, Garantiehaftung und Verschuldenshaftung, passim (der die Gegenansicht vertritt). 114 Im Ergebnis ebenso Goette, Gesamtschuldbegriff, 84, der bei gemeinsamem Verschulden oder Verzug eine Schadensersatzgesamtschuld analog § 840 annimmt.
4. Entstehung und Funktion des § 431 BGB bei unteilbaren Leistungen
125
der anderen Hälfte ausfallen sollte. Insofern war die Entscheidung der Zweiten Kommission, die Vorschrift zur Interesseteilung zu streichen (und sich damit von allen übrigen Regelwerken des späteren 19. Jahrhunderts abzusetzen!), richtig. Doch nicht nur der Inhalt, sondern auch die Funktion der Regeln über unteilbare Leistungspflichten mehrerer hatte sich in der Zweiten Kommission grundlegend geändert. Inzwischen galt bei gemeinschaftlichen Verpflichtungen zu einer teilbaren Leistung eine Gesamtschuldvermutung115. Dann konnte man aber auch vertraglichen Schuldnern einer unteilbaren Leistung, die keine besondere Gesamtschuldabrede getroffen hatten, eine gesamtschuldnerische Haftung ohne Modifikationen zumuten. Für Erbenmehrheiten ordnete die Zweite Kommission allgemein eine gesamtschuldnerische Haftung an116, so dass es hier ohnehin nicht mehr darauf ankam, ob die Leistung teilbar war. Damit fielen aber die zwei Hauptanwendungsgebiete weg, in denen das Bedürfnis nach Sonderregeln für unteilbare Leistungen bestanden hatte. Nachdem inhaltlich mit der Streichung der Regel zur Interesseteilung der letzte Rechtsfolgenunterschied zur gewöhnlichen Gesamtschuld beseitigt war, blieb vom Teilentwurf zu den unteilbaren Leistungspflichten für Schuldnermehrheiten nur § 431 BGB übrig. Seine Herkunft aus einem eigenen Teilentwurf erklärt seine systematische Stellung neben § 432 (unteilbare Leistungen bei Gläubigermehrheiten) und abseits von den übrigen Gesamtschuldvorschriften. Nach § 431 sollen bei unteilbaren Leistungen Gesamtschulden vorliegen. Gemeint ist also: Es entsteht keine modifizierte Gesamtschuldform117. Bei einer gemeinschaftlichen Verpflichtung durch mehrere entstehen also bei teilbaren Leistungen nach § 427 Gesamtschulden nur im Zweifel, bei unteilbaren Leistungen nach § 431 dagegen immer. Angesichts dieses Befunds erscheint aber die Aufteilung in zwei verschiedene Vorschriften, je nachdem ob der Leistungsgegenstand teilbar ist oder nicht, wenig geglückt. Da bei unteilbaren Leistungen ein Zweifel, ob Gesamt- oder Teilschulden vorliegen, ohnehin nicht besteht, hätte es für den Fall der gemeinschaftlichen Verpflichtung auch gereicht, in § 427 das Tatbestandsmerkmal „teilbar“ zu streichen118. Die Existenz zweier verschiedener Vorschriften, deren Anwendungsbereich vom Tatbestandsmerkmal „Teilbarkeit“ abhängt, zwingt zumindest theoretisch dazu, sich zuerst über die Teilbarkeit des Leistungsgegenstandes Gedanken zu machen119 und dann, sofern man eine Teilbarkeit bejaht, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die Gesamtschuldvermutung widerlegt ist. Die Ermittlung einer „objektiven Teilbarkeit“ ist bei rechtsgeschäftlichen Verpflichtungen aber überflüssig. Entscheidend ist allein, ob 115
E II § 370; BGB § 427; hierzu oben, 21 f. E II § 1932; BGB § 2058; vgl. Prot. 8114 ff., insbes. 8121 f. (Mugdan V, 513 ff.). 117 So richtig Erman/Ehmann, § 431 Rz 1; Goette, Gesamtschuldbegriff, 82; Jürgens, Teilschuld, 24. 118 Im Ergebnis ebenso, aber mit anderer Begründung, Prediger, Auslegung, 179; ähnlich auch Kreller, AcP 146 (1941), 119, 143, 154. 119 Hierzu Überblick bei Rütten, Mehrheit von Gläubigern, 10 ff.; Soergel/Wolf, § 420 Rz 2 ff.; Staud/Noack, § 420 Rz 10 ff. 116
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IV. Unteilbare Leistungen
die Parteien eine Aufteilung beabsichtigen oder nicht120, was sich durch Auslegung und hilfsweise durch Anwendung der Gesamtschuldvermutung ergibt. Verkaufen etwa zwei Schuldner eine Speziessache, so ist es überflüssig zu erwägen, ob diese Leistung „an sich“ teilbar ist, weil jeder Miteigentum und Mitbesitz zur Hälfte verschaffen kann, oder ob Unteilbarkeit vorliegt, weil der Gläubiger die ganze Sache haben will und das Ganze nicht die Summe seiner Teile ist121. Die Parteien können eine Aufteilung vereinbaren oder auch nicht. Was gewollt ist, bestimmt die Auslegung, im Zweifel liegen nach der Wertung des § 427 Gesamtschulden vor. Das Kriterium der objektiven Teilbarkeit des Leistungsgegenstandes bei Schuldnermehrheiten beruht auf der Gedankenwelt des Gemeinen Rechts und seiner Teilschuldvermutung. Zumindest bei rechtsgeschäftlichen Verbindlichkeiten passt es nicht mehr ins heutige Recht122. Andere Rechtsordnungen, auch die Principles of European Contract Law, kommen ohne einen Teilbarkeitsbegriff aus, indem sie allgemein bei gemeinschaftlichem Vertragsabschluss Gesamtschulden vermuten123.
Zusammenfassung Sonderregeln für unteilbare Leistungen werden dann benötigt, wenn es bei gemeinsamem Vertragsschluss eine Teilschuldvermutung gibt und/oder mehrere Erben für die Erblasserschulden als Teilschuldner haften. Dies war im Gemeinen Recht und in der Mehrheit der früheren Regelwerke der Fall. Wenn die an sich vorgesehene Teilschuldlösung nur wegen der Eigenart des Leistungsgegenstan120 So zu Recht Rütten, a.a.O., 14 ff. (zu Gläubigermehrheiten): Entscheidend ist nicht die Teilbarkeit, sondern die Geteiltheit, und diese bestimmen die Parteien; ebenso Erman/Ehmann, § 420 Rz 5, 9. 121 Vgl. zur Eigentumsübertragung an einer Sache einerseits (teilbar) Planck, BGB (1900), § 420 Anm. 2; Planck/Siber, § 420 Anm. 2 a; Oertmann, Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 1 b; Endemann, BürgR I, § 154 Fn. 13; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 228 III 2; Rippich, Anwendungsgebiet, 17; Leonhard, SR AT, 84; Warneyer, BGB, § 420 Anm. II; Soergel/Re. Schmidt (1967), § 420 Rz 3; Wernecke, Gesamtschuld, 110, 127 Fn. 8; Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 187 ff.; Soergel/Wolf, vor § 420 Rz 13, § 420 Rz 4; Staud/Kaduk, § 420 Rz 32; Staud/Noack, § 420 Rz 19; jurisPK/Rüßmann, § 420 Rz 11; MüKo/P. Bydlinski, § 420 Rz 5 (Eigentum soll teilbar, aber § 420 wegen der Verschiedenheit der Miteigentumsanteile nicht anwendbar sein, anders noch 4. Aufl. 2001); andererseits (unteilbar) Crome, Schuldverhältnisse, § 145 Nr. 4 b; Esser, Schuldrecht AT, § 57 II; Selb, Mehrheiten, 21; Jürgens, Teilschuld, 18; RGRK/Weber, § 420 Rz 11; Palandt/Grüneberg, § 420 Rz 2. 122 Siehe auch unten, 219 ff. 123 PECL Art. 10:102 I: „If several debtors are bound to render one and the same performance to a creditor under the same contract, they are solidarily liable, unless the contract or the law provides otherwise“; ähnlich DCFR Art. III-4:103 II 1. Auch das englische Recht stellt nicht auf die Teilbarkeit ab. Bei einem gemeinsamen Versprechen soll im Zweifel eine joint liability entstehen, die eine Gesamtschuldform ist; siehe Chitty/Burrows, Joint Obligations, Rz 17-005; Treitel/Peel, Contract, Rz 13–003; Mitchell, Contribution, Rz 8.09; ausführlich Williams, Joint Obligations, 35 ff.
Zusammenfassung
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des nicht erreichbar war, konnte versucht werden, mit anderen Mitteln eine gegenüber gewöhnlichen Gesamtschuldverhältnissen mildere Haftung zu erzielen, etwa durch einen Verzicht auf Gesamtwirkungen, die mit gewöhnlichen Gesamtschulden verbunden waren, mit einer Teilung der Schadensersatzpflicht oder mit einem Erfordernis, sämtliche Schuldner gemeinsam zu verklagen. Die abgesonderte Stellung des § 431 erklärt sich nur daraus, dass ursprünglich auch im BGB Teilschulden bei gemeinsamen Verträgen und Erbenmehrheiten vorgesehen waren. Angesichts der Gesamtschuldvermutung des § 427 und der gesamtschuldnerischen Erbenhaftung sind besondere Regeln zu unteilbaren Leistungen im BGB grundsätzlich nicht erforderlich. Damit entfällt auch die Notwendigkeit, zwischen teilbaren und unteilbaren Leistungen zu unterscheiden. Ob die dem Gläubiger vertraglich geschuldete Gesamtleistung aufgeteilt wird, bestimmen die Parteien; im Zweifel bestehen nach §§ 427, 431 Gesamtschulden.
V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie? Wenn eine Unterscheidung zwischen objektiv teilbaren und unteilbaren Leistungen zumindest bei vertraglichen Schuldnermehrheiten heute nicht mehr gebraucht wird, stellt sich die Frage, ob nicht dennoch für solche Fälle eine Sonderkategorie erforderlich ist, in denen die dem Gläubiger insgesamt zustehende Leistung von den Schuldnern gemeinschaftlich erbracht werden soll. Neben Fällen, in denen der einzelne Schuldner zur Erbringung der Gesamtleistung überhaupt nicht in der Lage ist (dem Schulfall des Streichquartetts), kommen für eine solche Sonderkategorie auch Fälle in Betracht, in denen ein einzelner Schuldner zwar leisten könnte, nach der Parteivereinbarung aber ein Zusammenwirken der Schuldner vorgesehen ist (etwa wenn mehrere zusammen ein Bauwerk errichten sollen). Die Frage lautet, ob es neben Gesamtschulden und Teilschulden eine dritte Form der gleichrangigen Schuldnermehrheit gibt. Tatsächlich ist die heutige Literatur mehrheitlich der Auffassung, dass die §§ 420 ff. BGB, die nur Teilschulden und Gesamtschulden kennen, insofern eine Lücke aufweisen.
1. Die Fälle des Zusammenwirkens vor 1900 Das römische Recht kannte nur Teilschulden und Gesamtschulden. Es scheute sich nicht davor, Gesamtschulden gerade in solchen Fällen vorzusehen, in denen ein Schuldner allein unzweifelhaft zur Leistung nicht in der Lage war, nämlich bei der Einräumung einer Grunddienstbarkeit an einem gemeinschaftlichen Grundstück: Hatte der Erblasser eine Servitut an seinem Grundstück versprochen, das nach seinem Tode auf eine Erbenmehrheit in Miteigentum überging, handelte es sich bei der auf die Erben übergegangenen Verpflichtung um eine unteilbare Leistung, mit dem Ergebnis, dass jeder Erbe die Gesamtleistung schuldete und zur Leistung des gesamten Interesses verurteilt werden konnte1. Dass der in Anspruch genommene einzelne Miterbe allein gar nicht leisten konnte, spielte keine Rolle. Schließlich, so wurde argumentiert, könne man auch die Einräumung einer Servitut an einem fremden Grundstück wirksam versprechen2. Das Unvermögen zur Leistung machte die Verpflichtung nicht unwirksam. Im-
1
Pomponius D.8,1,17; Paulus D.10,2,25,10–11, D.45,1,2,2; Gaius D.35,2,80,1; hierzu oben,
109. 2
Paulus D.10,2,25,10.
1. Die Fälle des Zusammenwirkens vor 1900
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merhin hatte der verklagte Erbe die Regressklage gegen seine nicht leistungsbereiten Miterben. Erst im Gemeinen Recht wendete man Fällen, in denen die Gesamtleistung von einem Schuldner allein nicht erbracht werden kann oder soll, besondere Aufmerksamkeit zu. Möglich ist insoweit ein Einfluss deutschrechtlichen Gedankenguts, nach dem bei einer Gesamthandsschuld die Gesamtleistung nicht von jedem Einzelnen, sondern von allen zusammen geschuldet wurde3. Dieser dem römischen Recht fremde Gedanke wurde für Fälle herangezogen, in denen die Leistung im Zusammenwirken der Schuldner erbracht werden sollte. Die Fälle des Zusammenwirkens bildeten allerdings, anders als in der heutigen Literatur, keine eigene Sondergruppe, sondern gingen in der Kategorie der unteilbaren Leistungspflichten auf. Tatsächlich bildeten sie gerade den gedanklichen Musterfall der unteilbaren Leistung. Ribbentrop hatte bei unteilbaren Leistungen den Fall vor Augen, dass mehrere Schuldner sich gemeinschaftlich zu einem facere verpflichteten. Dies bedeutete für ihn, dass die Leistung von allen vereint zu erbringen war und jeder Schuldner mit der Mitwirkung der übrigen Schuldner rechnete. Gerade aus diesen Gründen sollten für Ribbentrop die Privilegien des Schuldners einer unteilbaren Leistung, nämlich gemeinsame Belangung aller Schuldner und Teilung des Interesses, gerechtfertigt sein4. Als Beispiel wählte er einen Transportvertrag mit mehreren Fuhrleuten (die offenbar verschiedene Strecken übernehmen sollten). Wenn die Sache nicht oder nur zum Teil befördert worden sei, sollte jeder Frachtführer anteilig das Interesse schulden. Dabei könne er nicht einwenden, dass er allein zur Leistung nicht in der Lage war und ein anderer Frachtführer seine Mitwirkung versagt habe, da es sich lediglich um eine unbeachtliche subjektive Unmöglichkeit handle5. Ribbentrop machte also keinen Unterschied danach, ob ein Zusammenwirken der Schuldner tatsächlich notwendig oder nur von den Parteien vereinbart war. Entscheidend war, dass die Gesamtleistung nicht von einem beliebigen Schuldner, sondern von allen zusammen erbracht werden und jeder Schuldner an der Gesamtleistung mitwirken sollte. Diese Fallkonstellation war für ihn das Modell der unteilbaren Leistungspflicht. Die gedankliche Gleichstellung von Zusammenwirken und unteilbarer Leistung überzeugt aus heutiger Sicht nicht, da selbstverständlich auch bei unteilbaren Leistungen die Parteivereinbarung vorsehen kann, dass die Gesamtleistung von einem beliebigen Schuldner erbracht wird6. Die aus dem Zusammenwirken erklärten Privilegien wurden also auf alle Fälle unteilbarer Leistung angewendet. Umgekehrt musste Ribbentrop wegen
3
Oben, 66 f. Ribbentrop, Correal-Obligationen, 183 f., 229 f. 5 a.a.o., 229 f. 6 Beispiele: Mehrere Handwerker (die keine GbR bilden) versprechen, dass einer von ihnen zur Reparatur erscheint. Eigentümer von Nachbargrundstücken verpflichten sich, dem Gläubiger eine Grunddienstbarkeit an einem der Grundstücke einzuräumen. 4
130
V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
der Quellenlage ausgerechnet in dem Fall eine Ausnahme machen, in dem ein Zusammenwirken der Schuldner tatsächlich notwendig war, nämlich bei der Servitutseinräumung am gemeinschaftlichen Grundstück. Hier sollten Gesamtschulden entstehen, obwohl ein Schuldner allein nicht leisten konnte7. Fälle des notwendigen oder vereinbarten Zusammenwirkens waren im Gemeinen Recht also Fälle unteilbarer Leistungen. Sofern man für diese Sonderregeln vorsah8, galten sie auch (mit Ausnahme der Servitutseinräumung) für Fälle des Zusammenwirkens. Dies war nach herrschender Lehre in erster Linie die Teilung des Interesses. Sie bedeutete, dass ein leistungsbereiter Schuldner für die fehlende Leistungsbereitschaft seines Mitschuldners weder voll noch gar nicht, sondern anteilig haftete. Manche nahmen darüber hinaus auch eine Pflicht des Gläubigers zur gemeinsamen Belangung aller Schuldner an. Ähnlich verhält es sich bei der großen Mehrheit der Kodifikationen und Entwürfe. Soweit sie Sonderregeln für unteilbare Leistungen vorsahen, sollten diese gerade auch für die Fälle des Zusammenwirkens gelten. So finden etwa in Frankreich grundsätzlich die Regeln über die indivisibilité Anwendung9. Dies bedeutet, dass der verklagte Schuldner nach Art. 1225 CC seine Mitschuldner hinzuziehen kann, um damit eine gemeinsame Verurteilung und eine Teilung des Interesses zu erreichen. Strittig war allerdings, ob bei einem notwendigen Zusammenwirken diese Regeln nicht für den Fall modifiziert werden sollen, dass ein Teil der Schuldner leistungsbereit ist und nur wegen der fehlenden Mitwirkung des anderen Teils nicht leisten kann. So nahmen etwa Dumoulin und Pothier an, wenn S1 leistungsbereit sei und S2 sich weigere, schulde S1 nichts und S2 das volle Interesse10. Andere dagegen wiesen darauf hin, dass die fehlende Leistungsbereitschaft von S2 für S1 keine zufällige Unmöglichkeit aufgrund eines äußeren Leistungshindernisses (cas fortuit), sondern nur Unvermögen bedeute, das hier ebenso unerheblich sei wie beim Versprechen einer Servitut an einem fremden Grundstück. Daher müsse auch in diesem Fall S1 anteilig auf Schadensersatz haften11. Auch in den deutschsprachigen Regelwerken des späteren 19. Jahrhunderts wurden die Fälle des Zusammenwirkens den Sonderregeln über unteilbare Leistungen unterworfen12. Dies hatte in erster Linie die Teilung der Interesseleistung zur Folge. Abgesehen davon sollte nach der Mehrheit der Regelwerke der Gläu7
Ribbentrop, Correal-Obligationen, 231 ff.; vgl. oben, 110 f. Hierzu oben, 115 f. 9 Hierzu oben, 111 ff. Speziell zum Fall des Zusammenwirkens Pothier, Obligations, § 332; Marcadé/Pont, Explication IV, § 645; Demolombe, Cours XXVI, § 607; Demante/Colmet, Cours V, § 160 bis IV; Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 301 Nr. 2 b (S. 52). 10 Pothier, Obligations, § 334; Marcadé/Pont, Explication IV, § 647; ebenso, wenn auch kritisch, Demolombe, Cours XXVI, § 608. 11 Demante/Colmet, Cours V, § 160 bis IV; Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 301 Nr. 2 b (S. 52); Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 102. Der für die Leistungsstörung verantwortliche Schuldner soll demgegenüber nach dem Gedanken des 1232 CC Schadensersatz in voller Höhe schulden, Marty/Raynaud/Jestaz, a.a.O.; Terré/Simler/Lequette, Obligations, § 1269. 12 Hierzu oben, 116 f. 8
1. Die Fälle des Zusammenwirkens vor 1900
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biger, wie bei gewöhnlichen Gesamtschulden, vom einzelnen Schuldner die Gesamtleistung verlangen können. Eine Ausnahme bildete nur die merkwürdige Regel des Bayerischen Entwurfs, nach welcher „der Gläubiger nur von ihnen insgesammt ohne Ausscheidung von Theilen die Leistung fordern“ konnte, sofern nicht der geschuldete Gegenstand einem Mitschuldner zugeteilt war13. Die Entwurfsmotive erklärten dazu, bei unteilbaren Leistungen könne ein einzelner Schuldner gar nicht erfüllen: Er könne allein nicht eine Servitut am gemeinsamen Grundstück bestellen, gemeinschaftliches Eigentum übertragen oder eine gemeinschaftliche Werkleistung erbringen14. Die Entwurfsverfasser dachten bei unteilbaren Leistungen also nur an Fälle des (notwendigen oder vereinbarten) Zusammenwirkens15. Dieses Zusammenwirken sollte dazu führen, dass der Gläubiger die Leistung nur von allen Schuldnern zusammen verlangen konnte. Was auf den ersten Blick plausibel klingt, birgt bei näherem Hinsehen Probleme: Entweder handelt es sich nur um eine prozessuale Pflicht, alle Schuldner gemeinsam zu belangen, also um eine exceptio plurium litisconsortium bzw. um eine notwendige Streitgenossenschaft im materiellrechtlichen Sinne (§ 62 Fall 2 ZPO). Diese würde nichts an der Tatsache ändern, dass der Gläubiger von jedem Schuldner die Gesamtleistung verlangen kann, könnte aber praktisch wie in Frankreich zur Interesseteilung im Prozess führen. Dann handelt es sich nur um eine prozessuale Regel, die in einer materiellrechtlichen Kodifikation wenig glücklich platziert ist. Oder die Regel hat auch materiellrechtlichen Charakter, indem sie das Recht des Gläubigers beschränkt. Dann fragt sich aber, wie man sich eine solche Beschränkung vorstellen soll. Die Formulierung, der Gläubiger könne die Leistung nur von den Schuldnern zusammen verlangen, lässt die Frage offen, was genau der Gläubiger dann vom einzelnen Schuldner verlangen kann. Diese Frage darf aber, solange die Schuldner keinen Verbund bilden, nicht offen bleiben. Spätestens wenn der Gläubiger in das Vermögen eines Schuldners vollstreckt, muss klar sein, was dieser Schuldner schuldet. Soll er nur seine Mitwirkung schulden, dann fragt es sich, ob es sich dabei statt um eine unteilbare Leistungspflicht nicht vielmehr um (ungleichartige) Teilschulden handelt. Eine eigenständige Regelung nur für Fälle des Zusammenwirkens findet sich allein im preußischen Recht, zumindest dem Wortlaut nach. Das ALR enthielt eine allgemeine Gesamtschuldvermutung bei gemeinsamem Vertragsschluss, ohne zwischen teilbaren und unteilbaren Leistungen zu unterscheiden. Daneben sah die preußische AGO für die Fälle des notwendigen Zusammenwirkens eine exceptio plurium litisconsortium vor; der Gläubiger musste also alle Schuldner gemeinsam verklagen16. Dies würde aus heutiger Sicht bedeuten, dass bei notwen13
BayE II, Art. 242. Motive zu BayE II, 119 f. 15 Vgl. auch die Begründung eines entsprechenden bayerischen Antrags bei den Beratungen zum Dresdener Entwurf, Dresd. Prot. 29–31, 4144–46. 16 Pr AGO I 5 § 4 Nr. 8, hierzu oben, 116. 14
132
V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
digem Zusammenwirken im Zweifel Gesamtschulden mit notwendiger Streitgenossenschaft im materiellrechtlichen Sinne vorliegen. Nach der zeitgenössischen Literatur aber sollte die Pflicht zur gemeinsamen Belangung auch materiellrechtlich bedeutsam sein: Danach gab es neben Gesamtschulden und Teilschulden auch die dritte Schuldnermehrheitsform der „gemeinschaftlichen Schuld“, bei der die Schuldner die Leistung zusammen erbringen sollten, etwa wenn Miteigentümer die gemeinschaftliche Sache verkaufen17. Dem folgte die Rechtsprechung: In einem solchen Fall war danach die Gesamtschuldvermutung des ALR widerlegt, jeder Schuldner nur zur Mitwirkung verpflichtet und grundsätzlich nur eine gemeinsame Belangung aller Schuldner möglich18. Sowohl der Gedanke als auch die Terminologie tauchten dann im 20. Jahrhundert wieder auf.
2. Die Entscheidung des BGB-Gesetzgebers Die Wurzel der Regelung des BGB liegt in einer 1862 erschienenen Monographie von Ubbelohde, die den teilbaren und unteilbaren Leistungen gewidmet war. Hier versuchte Ubbelohde nicht nur die herrschende Lehre der Interesseteilung bei unteilbaren Leistungen zu widerlegen19, sondern er nahm sich auch eigens der Fälle des Zusammenwirkens an20. Bei der Verpflichtung mehrerer zu einer unteilbaren Leistungen unterschied er (für die im modernen Recht allein relevanten Obligationen bonae fidei21) im Wesentlichen vier Fallgruppen: 1) Jeder Schuldner kann die Leistung erbringen; ein Zusammenwirken ist nicht vereinbart. 2) Ein Zusammenwirken ist nicht notwendig, aber vereinbart (etwa beim Bau eines Hauses), ohne dass den einzelnen Schuldnern besondere Aufgabenbereiche zugewiesen sind. 3) Ein Zusammenwirken mit bestimmter Aufgabenverteilung ist vereinbart (etwa wenn ein Maurer und ein Zimmermann zusammen ein Haus bauen sollen, oder der von Ribbentrop angeführte Fall des Transports durch mehrere Frachtführer, bei dem jedem eine bestimmte Strecke zugewiesen ist). 4) Ein Zusammenwirken ist notwendig, weil ein einzelner Schuldner nicht leisten kann (der Schulfall des Streichquartetts oder die Verpflichtung zur Einräumung einer Grunddienstbarkeit am gemeinsamen Grundstück). In den ersten beiden Fallgruppen sollten Gesamtschulden vorliegen. In den Fallgruppen 3 und 4 dagegen sollte der natürliche Sinn der Vereinbarung (also die 17 Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht I, § 63 bei Fn. 49 und 61 (S. 400, 402); s.a. Bd. II, § 143 bei Fn. 90 (S. 409); Dernburg, Preußisches Privatrecht II, § 48 unter b). 18 RG Gruch 35, 115 (2.7.1890), m.w.N. zur Rspr. des Obertribunals. 19 Hierzu oben, 115. 20 Ubbelohde, Unteilbare Obligationen, 238–251. 21 Bei Obligationen stricti iuris sollten immer Gesamtschulden vorliegen: a.a.O., 44 ff., 238 f., 243.
2. Die Entscheidung des BGB-Gesetzgebers
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Vertragsauslegung) ergeben, dass der einzelne Schuldner sich nicht zur Gesamtleistung verpflichten wollte, sondern nur zu seiner Mitwirkung. Dann lagen für Ubbelohde einzelne unabhängige Verpflichtungen jedes Schuldners vor. Dies hatte folgende Konsequenzen: Kann ein Schuldner seine Mitwirkungshandlung erbringen, ist er befreit (der Mauer stellt den Rohbau fertig, bevor der Zimmermann kommt). Macht ein Schuldner seine Mitwirkung schuldhaft unmöglich, dann schuldet er für seine Verpflichtung das volle Interesse. Dies können die Kosten der Beschaffung eines „Ersatzmanns“ sein. Wird aber, weil der Schuldner nicht ersetzbar ist, durch seine fehlende Mitwirkung die Gesamtleistung unmöglich, dann schuldet er nach allgemeinen Regeln das Interesse an der gesamten Leistung. Die leistungsbereiten anderen Schuldner, die wegen der ausgefallenen Mitwirkung nicht mehr leisten können, sind dann frei; ihr Anspruch auf Gegenleistung richtet sich nach den allgemeinen Regeln. Ubbelohde nahm also in Fällen des notwendigen oder vereinbarten (mit Aufgabenverteilung) Zusammenwirkens keine unteilbare Leistungspflicht oder gemeinschaftliche Schuld an, sondern mehrere einzelne Leistungspflichten mit unterschiedlichen Inhalten. Zu diesem Ergebnis gelangte er durch Vertragsauslegung. Dies bedeutete, dass auch bei vereinbartem Zusammenwirken ohne Aufgabenverteilung solche Einzelverpflichtungen entstehen konnten, falls die Parteien dies vereinbarten22. Die von Ubbelohde angenommenen Einzelverpflichtungen bei notwendigem oder vereinbartem Zusammenwirken könnten in heutiger Terminologie als kumulierte Schulden (auf Mitwirkung) bezeichnet werden. Möglich wäre aber auch die Annahme von (ungleichartigen) Teilschulden. „Rezipiert“ wurde die Lehre Ubbelohdes in der Literatur offenbar nur von Windscheid, der sie in einem Satz zusammenfasste: „Der Sinn, in dem eine Mehrheit von Schuldnern eine unteilbare Leistung übernimmt, kann möglicherweise auch der sein, dass jeder sich nur zu einer Mitwirkung bestimmter Art anheischig macht; dann haftet er auch nur für diese Mitwirkung, nicht für die ganze Leistung.“23 Dass es sich hier nach Ubbelohde um kumulierte Einzelschulden handelte, wird aus dieser Formulierung nicht ganz deutlich. Es war diese von Windscheid erwähnte Lehre von Ubbelohde, die von Kübel dazu bewog, in seinem Teilentwurf zu unteilbaren Leistungen eine Sonderregel für Fälle des Zusammenwirkens vorzusehen. Wie berichtet lehnte von Kübel bei unteilbaren Leistungen eine Pflicht des Gläubigers, alle Schuldner zusammen zu belangen, im Einklang mit der Mehrheit der zeitgenössischen Regelwerke grundsätzlich ab24. Nach § 23 des Teilentwurfs war jeder Schuldner zur gesamten Leistung verpflichtet. Dies sollte aber nur dann gelten, „wenn nicht hierzu das Zusammenwirken aller Schuldner erforderlich oder die Verpflichtung eines jeden der mehreren Schuldner auf eine bestimmte Art der Mitwirkung beschränkt ist.“ 22 23 24
A.a.O., 249. Windscheid, Pandekten, § 300 Nr. 1. Oben, 123.
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
Wie auch aus den Motiven zum Teilentwurf hervorgeht, hatte von Kübel bei dieser Formulierung Ubbelohdes Fallgruppen 4 und 3 vor Augen: zum einen das notwendige Zusammenwirken, zum anderen das vereinbarte Zusammenwirken mit Aufgabenverteilung. Hier sollte der Gläubiger die Leistung nicht von jedem Schuldner fordern dürfen, sondern nur von allen zusammen25. Obwohl sich also von Kübel ausdrücklich auf Ubbelohde berief und dessen Fallgruppen übernahm, folgte er ihm im Ergebnis nicht: Für Ubbelohde handelte es sich in diesen Fallgruppen um unabhängige Einzelverpflichtungen. Von Kübel sah dagegen eine Sonderregel im Rahmen der unteilbaren Leistungspflichten vor. Die Fälle des Zusammenwirkens waren damit nur Sonderfälle der Kategorie, dass die Gesamtleistung als unteilbare Leistung von mehreren geschuldet wird. Ihrer Besonderheit wurde Rechnung getragen, indem vom Recht des Gläubigers, die Schuldner einzeln auf die Gesamtleistung in Anspruch zu nehmen, eine Ausnahme vorgesehen war. Diese Ausnahme wurde in der Ersten Kommission gestrichen. Man erwog: In den Fällen des vereinbarten Zusammenwirkens mit Aufgabenverteilung habe der Gläubiger gegen den einzelnen Schuldner nur einen Anspruch auf die von diesem Schuldner zu bewirkende Leistung. Bei notwendigem Zusammenwirken müsse unterschieden werden: Entweder handle es sich ebenfalls um einzelne Ansprüche auf Mitwirkung. Oder es liege eine einheitliche Verpflichtung vor; dann schulde aber jeder das Ganze26. Im Ergebnis folgte die Erste Kommission also Ubbelohde: Entweder schuldet jeder Schuldner das Ganze oder nur seine Mitwirkung. Es gibt nur Ganzhaftung oder einzelne Verpflichtungen auf Mitwirkung, keine dritte Kategorie. Dem schloss sich die Zweite Kommission an27. Der Gesetzgeber lehnte also mit dem heutigen § 431 die Kategorie der „gemeinschaftlichen Schuld“ bewusst ab28. Wird die dem Gläubiger insgesamt zukommende Leistung von mehreren geschuldet, dann liegen entweder Gesamtschulden oder Einzelschulden (kumulierte oder Teilschulden) vor. Tertium non datur.
3. Die herrschende Lehre zum BGB: Gemeinschaftliche Schulden und Gesamthandsschulden Nach heute herrschender Auffassung ist die Regelung des BGB zu gleichrangigen Schuldnermehrheiten lückenhaft. Neben Gesamtschulden und Teilschulden (bzw. kumulierten Schulden) soll es für die Fälle, in denen die Schuldner die Gesamtleistung nur im Zusammenwirken erbringen können, eine weitere Form der Schuldnermehrheit geben.
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Motive zum TeilE Unteilbare Leistungen, 5 (Schubert, SR I, 121). Jakobs/Schubert, SR I, 956; ähnlich Mot. II, 173 (Mugdan II, 95). Prot. 895 (Mugdan II, 611). Ebenso schon Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 32; Erman/Ehmann, § 431 Rz 1.
3. Die herrschende Lehre zum BGB
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Besteht auf Schuldnerseite eine Gesamthandsgemeinschaft, wird häufig von einer sog. Gesamthandsschuld gesprochen29. Dahinter steht die Vorstellung, dass die Leistung aus dem Gesamthandsvermögen erfolgen soll und die Schuldner über Gegenstände des Gesamthandsvermögens nur gemeinschaftlich verfügen können, so dass insoweit ein Zusammenwirken erforderlich ist. Es soll sich dabei um eine einzige Schuld handeln, bei welcher der Gläubiger die Leistung nur von allen Schuldnern zusammen verlangen kann30. Die genaue Terminologie ist uneinheitlich. Manche sprechen immer dann von Gesamthandsschulden, wenn der Gläubiger auf ein Gesamthandsvermögen zugreifen kann. Solche Gesamthandsschulden sollen dann neben Gesamtschulden bestehen können: Der Miterbe schuldet bei Nachlassverbindlichkeiten also nicht nur persönlich als Gesamtschuldner, sondern ist auch einer Gesamthandsschuld auf Leistung aus dem Nachlass unterworfen31. Andere schränken den Begriff der Gesamthandsschuld auf Fälle ein, in denen der geschuldete Gegenstand sich im Gesamthandsvermögen befindet (etwa wenn Miterben eine Nachlasssache verkaufen)32 oder in denen der Gläubiger nicht das Recht hat, auf das persönliche Vermögen der Gesamthänder zuzugreifen33. Eine besondere, gesetzlich nicht geregelte Art von Schuldnermehrheit gibt es nach ganz herrschender Lehre auch außerhalb von Gesamthandsgemein29
Im Rahmen der Darstellung der Schuldnermehrheitsformen wird die Gesamthandsschuld als eigene Kategorie angesehen bei Endemann, BürgR I, § 154 Fn. 3; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 311 I 3, II B 1, § 312 (S. 256 ff.); Oertmann, Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 5 b; von Gierke, Deutsches Privatrecht III, § 182 V, S. 266 f.; Heck, Schuldrecht, §§ 75/3, 76/7; Leonhard, SR AT, 751 f.; Staud/Werner (1930), vor § 420 Anm. 3; Siber, Grundriß II (1931), 157; Kreller, AcP 146 (1941), 133; Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, § 88 I 3 b, § 89 III; Esser, Schuldrecht AT, § 57; Larenz, Schuldrecht AT, § 36 II c; Molitor, Schuldrecht AT, § 33; A. Blomeyer, Schuldrecht AT, § 48 IV; Soergel/Re. Schmidt (1967), vor § 420 Rz 7; Weitnauer, Personenmehrheit, 376; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 8 f.; Selb, Mehrheiten, 196 ff.; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rz 789; Brox/Walker, SR AT, Rz 38/2; RGRK/Weber, vor § 420 Rz 12 f.; MüKo/P. Bydlinski, vor § 420 Rz 8, § 421 Rz 7; Staud/Kaduk, vor § 420 Rz 82 ff.; Soergel/Wolf, vor § 420 Rz 11 f.; Wolf/Niedenführ, JA 1985, 376; Palandt/Grüneberg, vor § 420 Rz 8; Lange, Mehrheit, 88 ff.; Jürgens, Teilschuld, 26; Wernecke, Gesamtschuld, 16; Leverenz, Personenmehrheiten, 191 ff.; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 7. 30 Anders allerdings J. Blomeyer, JR 1971, 403. 31 So etwa von Gierke, Deutsches Privatrecht III, § 182 V, S. 266 f.; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 312 III, S. 260 f.; Staud/Werner (1930), vor § 420 Anm. 3; Molitor, SR AT, § 33 II; A. Blomeyer, SR AT § 48 IV 3; von Lübtow, Erbrecht, 1180; J. Blomeyer, JR 1971, 397; Esser, SR AT, § 57; Selb, Mehrheiten, 196 ff.; RGRK/Weber, vor § 420 Rz 12 f.; MüKo/P. Bydlinski, vor § 420 Rz 8; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 8 f.; Staud/Kaduk, vor § 420 Rz 87 ff.; Soergel/Wolf, vor § 420 Rz 12; Wolf/Niedenführ, JA 1985, 376; Hoepfner, Jura 1982, 173; Schlechtriem/SchmidtKessel, SR AT, Rz 835 f.; Fikentscher/Heinemann, SR, Rz 765, 785; Brox/Walker, SR AT, Rz 38/2; Palandt/Grüneberg, vor § 420 Rz 8; Lange, Mehrheit, 81, 89; Bayer, Erbengemeinschaft (1993), 103 ff., mit ausführlicher Darstellung des Streitstands, 13 ff.; entsprechend zur Haftung bei der BGB-Gesellschaft Kornblum, Haftung, 30 ff., 54. 32 So Schwab, Streitgenossenschaft (1957), 285 f.; Gottwald, JA 1982, 69; MüKoZPO/Schultes, § 62 Rz 32; Larenz, Schuldrecht AT, § 36 II c; Weitnauer, Personenmehrheit, 376; MüKo/Heldrich, § 2059 Rz 22. 33 So Oertmann, Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 5 b.
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schaften. Hier spricht man meistens von der sog. gemeinschaftlichen Schuld als Alternative zu Gesamt- und Teilschulden34. Sie soll dann entstehen (oder zumindest entstehen können), wenn ein Schuldner allein zur Erbringung der Gesamtleistung nicht in der Lage ist oder die Gesamtleistung nach Parteivereinbarung in Zusammenarbeit erbracht werden soll, also in den Fällen des notwendigen oder vereinbarten Zusammenwirkens im Sinne von Ubbelohdes Fallgruppen 3 und 4. Auch die angeführten Beispiele entsprechen den im 19. Jahrhundert genannten: Streichquartette und Artistengruppen verpflichten sich zum gemeinsamen Auftritt. Miteigentümer verkaufen ihr gemeinsames Grundstück oder versprechen, eine Grunddienstbarkeit einzurichten. Neuere Beispiele betreffen etwa die Verpflichtung von Mitmietern, einer Mieterhöhung zuzustimmen. Nicht ganz klar ist, ob es nach alldem vier Gruppen der gleichrangigen Schuldnermehrheit gibt (Gesamtschulden, Teilschulden, Gesamthandsschulden, gemeinschaftliche Schulden)35, ob die beiden letzten eine einheitliche Gruppe bilden36 oder ob eine der beiden letzteren Kategorien überflüssig ist. Beide Schuldnermehrheitsformen haben offenbar gemeinsam,
34 Cosack, BürgR I (1913), § 119 II; Planck/Siber, § 431 Anm. 1 Nr. 3; Siber, Grundriß II (1931), 157; Oertmann, Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 5 b; Henle, Schuldrecht, § 150; Kreller, AcP 146 (1941), 118, 131 f., 136 f.; Esser, Schuldrecht (1. Aufl. 1949), 196; Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, § 88 I 4 d; Larenz, SR AT, § 36 II c; Molitor, SR AT, § 33 II; Soergel/ Re. Schmidt (1967), § 431 Rz 1; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 16 ff.; RGRK/Weber, vor § 420 Rz 14; Selb, Mehrheiten, 8, 46 ff., 189 ff.; MüKo/P. Bydlinski, vor § 420 Rz 7, § 421 Rz 6, 22, § 431 Rz 3 f.; Wolf/Niedenführ, JA 1985, 375 ff.; Soergel/Wolf, vor § 420 Rz 11, 13 ff., § 421 Rz 22; Staud/Noack, vor § 420 Rz 16, 24 ff., § 431 Rz 3 f.; Jauernig/Stürner, vor § 420 Rz 4, § 431 Rz 2 ff., §§ 2058–2063 Rz 8; jurisPK/Rüßmann, § 420 Rz 6; Palandt/Grüneberg, vor § 420 Rz 9; Medicus, Schuldrecht AT, Rz 797, 810; Esser/Schmidt, Schuldrecht AT 2, § 39 Fn. 3; Schlechtriem/SchmidtKessel, SR AT, Rz 835; Looschelders, Schuldrecht AT, Rz 1217; Brox/Walker, SR AT, Rz 37/4; Lange, Mehrheit, 96; Börnsen, Strukturen, 155; Hassold, Streitgenossenschaft (1970), 47; Weitnauer, Personenmehrheit, 375, 378; Hoffmann, Gruppenakkordarbeit, 31 f., 80 f.; van Venrooy, JuS 1982, 93, 95; Kaiser, BauR 1984, 33; Preißer, JuS 1987, 212; Schreiber, Jura 1989, 353; Jürgens, Teilschuld, 25 f.; Wernecke, Gesamtschuld, 14 Fn. 7, 95 ff., 158 ff.; Leverenz, Personenmehrheiten, 194 f.; Wieser, JuS 2000, 998 ff.; Schmidt-Kessel, Mehrheit, B II 2; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 7, 14; Zerres, Jura 2008, 727. Um etwas anderes handelt es sich bei der Gesamtobligation, die Caroni, ZBJV 103 (1967), 289, der Solidar- und der Teilschuld gegenüberstellt. Besteht auf Seiten der Schuldner ein Gesamthandsvermögen, entspricht die Gesamtobligation der Gesamthandsschuld. Besteht kein Gesamthandsvermögen, zeichnet sich die Gesamtobligation dadurch aus, dass der einzelne Schuldner zunächst nur für seinen Anteil und nur subsidiär für die Anteile der Mitschuldner haftet. Nicht erforderlich ist dabei, dass die Leistung nur im Zusammenwirken erbracht werden kann. Zu dieser Gestaltung unten, 239. 35 So Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, § 88 I 3–4; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 8 f., 16 ff. 36 So Oertmann, Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 5 b; Selb, Mehrheiten, 9 f.; MüKo/ P. Bydlinski, § 421 Rz 7; Soergel/Wolf, vor § 420 Rz 11 ff., § 421 Rz 22; Palandt/Grüneberg, vor § 420 Rz 7; Larenz, SR AT, § 36 II c; Medicus, SR AT, Rz 810; Schlechtriem/Schmidt-Kessel, SR AT, Rz 835 f.; Brox/Walker, SR AT, Rz 37/4; Jürgens, Teilschuld, 26; Wernecke, Gesamtschuld, 16.
3. Die herrschende Lehre zum BGB
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dass es sich, wie bei der alten Korrealobligation, um eine einzige Obligation mit mehreren Schuldnern handelt37. Auch das Verhältnis der gemeinschaftlichen Schuld zur Gesamtschuld wird unterschiedlich beurteilt. Manche nehmen an, in den Fällen des notwendigen Zusammenwirkens könne überhaupt keine Gesamtschuld bestehen38. Für sie ist es undenkbar, dass etwa der Cellist des Streichquartetts das Spiel aller vier Musiker schulden soll. Andere dagegen halten in Fällen des Zusammenwirkens auch Gesamtschulden für möglich39. Dann soll die Vertragsauslegung ergeben, ob Gesamtschulden oder eine gemeinschaftliche Schuld vereinbart ist. Ungeklärt sind auch die Rechtsfolgen dieser gemeinschaftlichen Schuld. Einigkeit besteht nur insofern, als der Gläubiger einen einzelnen Schuldner nicht auf die Gesamtleistung in Anspruch nehmen kann. Manchmal heißt es, die Schuldner schulden nur zusammen40. Vereinzelt geht man von einem Recht des Gläubigers aus, einen einzelnen Mitschuldner auf seine Mitwirkung zu verklagen41; überwiegend wird aber eine notwendige Streitgenossenschaft im materiellrechtlichen Sinne (§ 62 I Fall 2 ZPO) angenommen, also eine Pflicht des Gläubigers, alle Schuldner gemeinsam zu verklagen42. Der einzelne Schuldner soll zur Mitwirkung43, zur Herbeiführung des Gesamterfolgs im Zusammenwirken mit den anderen44 oder sogar zu einer Einwirkung auf seine Mitschuldner45 verpflichtet sein. Besonders umstritten ist die Wirkung des Verzugs oder des Verschuldens eines Mitschuldners. Manche nehmen eine Einzelwirkung (u.U. mit Beweislastum-
37 So für die gemeinschaftliche Schuld ausdrücklich Planck/Siber, § 431 Anm. 1 Nr. 3; Henle, Schuldrecht, § 150 I B; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 16 f.; Hassold, Streitgenossenschaft, 47; Kaiser, BauR 1984, 33; Wernecke, Gesamtschuld, 14 Fn. 7; siehe auch Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 312 I 3. 38 Etwa Siber, Grundriß II, 157; Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, § 88 II 2; Soergel/ Re. Schmidt (1967), § 431 Rz 1; Börnsen, Strukturen, 155; Lumm, Ausgleich, 23; Goette, Gesamtschuldbegriff, 82, 101; Jürgens, Teilschuld, 24 f.; Costede, JR 2005, 49; Kornblum, Haftung, 30 f.; Larenz, SR AT, § 36 II c; ders., SR BT, § 60 IV c, S. 397; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 6 (anders aber § 431 Rz 3); Jauernig/Stürner, § 425 Rz 8, § 431 Rz 1; jurisPK/Rüßmann, § 431 Rz 8; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 14; wohl auch Looschelders, SR AT, Rz 1217. 39 Henle, Schuldrecht, § 150 I A; Kreller, AcP 146 (1941), 132, 136; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 17, 19; Soergel/Wolf, vor § 420 Rz 13 (anders aber § 431 Rz 1); Staud/Noack, vor § 420 Rz 28, § 431 Rz 4; Palandt/Grüneberg, vor § 420 Rz 9; Wernecke, Gesamtschuld, 95 ff., 158 ff. 40 van Venrooy, JuS 1982, 95; Larenz, SR AT, § 36 II c; Jauernig/Stürner, § 431 Rz 3. 41 So Planck/Siber, § 431 Anm. 1 Nr. 3; Selb, Mehrheiten, 194; MüKo/P. Bydlinski, vor § 420 Rz 7; Zerres, Jura 2008, 727. 42 So Henle, Schuldrecht, § 150 II; Larenz, SR AT, § 36 II c; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 91 f.; Wolf/Niedenführ, JA 1985, 377; Soergel/Wolf, vor § 420 Rz 13; Staud/Noack, vor § 420 Rz 26; Jauernig/Stürner, § 431 Rz 3; jurisPK/Rüßmann, § 420 Rz 6; Looschelders, SR AT, Rz 1217; Wieser, JuS 2000, 998; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 7; Schmidt-Kessel, Mehrheit, B II 2; wohl auch Oertmann, Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 5 b; Leonhard, SR AT, 752. 43 Planck/Siber, vor § 420 Anm. 1 c; Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, § 88 I 4 b, II 2; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 17; MüKo/P. Bydlinski, § 431 Rz 3; Staud/Noack, vor § 420 Rz 24; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 7. 44 Jürgens, Teilschuld, 25; Palandt/Grüneberg, vor § 420 Rz 7. 45 Soergel/Wolf, vor § 420 Rz 11.
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kehr) an46. Die wohl überwiegende Meinung geht dagegen von einer Gesamtwirkung aus, die entweder aus der gemeinschaftlichen Schuld selbst oder daraus hervorgeht, dass bei gemeinschaftlichen Schulden der einzelne Schuldner in der Regel eine „garantieartige Einstandspflicht“ für die Leistung seiner Mitschuldner übernimmt47. Für andere Autoren wiederum folgt aus der gemeinschaftlichen Schuld kein bestimmtes Haftungsmodell, so dass die Frage der Haftung für Leistungsstörungen der Mitschuldner mittels Vertragsauslegung beantwortet werden muss48. Die Rechtsprechung hält in Fällen des aus tatsächlichen Gründen notwendigen Zusammenwirkens ohne weiteres Gesamtschulden für möglich49. Sofern aber mehrere eine Verfügung schulden, die aus Rechtsgründen nur gemeinsam vorgenommen werden kann, geht sie regelmäßig von einer notwendigen Streitgenossenschaft im materiellrechtlichen Sinne, also von einem Zwang zur gemeinsamen Klage, aus und spricht gelegentlich auch von einer „gemeinschaftlichen Schuld“, die gerade keine Gesamtschuld sein soll50. Den Verfechtern der gemeinschaftlichen Schuld ist es nicht entgangen, dass ihre Ansicht im Widerspruch zu § 431 BGB steht, zumindest zu seinem Wortlaut. Vereinzelt wird behauptet, der Gesetzgeber habe das Problem des Zusammenwirkens nicht gesehen51. Meistens heißt es, § 431 sei auf die Fälle des Zusammenwirkens nicht anwendbar, weil sein Tatbestand voraussetze, dass der einzelne Schuldner zur Leistung imstande sei52. Dies ist aber gerade die zu beweisende Behauptung, angesichts der Tatsache, dass der Gesetzgeber gerade auch die Fälle des Zusammenwirkens mit § 431 regeln wollte.
46 So Henle, Schuldrecht, § 150 II; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 17; Wolf/Niedenführ, JA 1985, 378; Soergel/Wolf, vor § 420 Rz 14; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 49, § 425 Rz 19; Palandt/ Grüneberg, vor § 420 Rz 9; früher Larenz, Schuldrecht AT, 3. Aufl. 1958, § 32 II c. 47 Oertmann, Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 5 b; Leonhard, SR AT, 752; Enneccerus/ Lehmann, Schuldverhältnisse, § 88 I 4 d; Esser, Schuldrecht (1. Aufl. 1949), 196; Larenz, SR AT, § 36 II c; ders., SR BT, § 60 IV c, S. 397; van Venrooy, JuS 1982, 95; Selb, Mehrheiten, 47, 49 f., 83 f., 195 f.; Staud/Noack, vor § 420 Rz 27; Jauernig/Stürner, vor § 420 Rz 4, § 431 Rz 4; Schlechtriem/ Schmidt-Kessel, SR AT, Rz 838; Looschelders, SR AT, Rz 1217; Leverenz, Personenmehrheiten, 194 f.; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 7, 14; zum österreichischen Recht Perner, JBl 2005, 635 f. 48 Jürgens, Teilschuld, 26; Wernecke, Gesamtschuld, 160 f. 49 Näheres unten, 186 ff. 50 So ausdrücklich BGH NJW 1980, 2464 (7.7.1980); OLG Braunschweig, NJW-RR 1997, 1038 (12.12.1996); BGH WM 1999, 453, 455 (17.12.1998). 51 Selb, Mehrheiten, 5, 55; Looschelders, SR AT, Rz 1217. Entgegen Wernecke, Gesamtschuld, 158 Fn. 164, handelt es sich auch nicht um eine „missverständliche“ Formulierung. 52 Henle, Schuldrecht, § 150 I A; Esser, Schuldrecht (1. Aufl. 1949), 196; ders., Schuldrecht AT, § 58 I, S. 432; Larenz, SR AT, § 36 II c; RGRK/Weber, § 431 Rz 2; Staud/Kaduk, vor § 420 Rz 90, § 431 Rz 2; Wolf/Niedenführ, JA 1985, 377 f.; Soergel/Wolf, vor § 420 Rz 11, § 431 Rz 1; Medicus, SR AT, Rz 797; Looschelders, SR AT, Rz 1217; Lange, Mehrheit, 78; Hassold, Streitgenossenschaft, 47; Aderhold, Schuldmodell, 58; van Venrooy, JuS 1982, 95; Jürgens, Teilschuld, 24 f.; Bayer, Erbengemeinschaft, 55; jurisPK/Rüßmann, § 420 Rz 6; BamR/Gehrlein, § 431 Rz 1; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 28.
4. Das Grundproblem: Können mehrere gemeinsam schulden?
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Daher findet sich zunehmend das Argument, § 431 sei eine dispositive Regel53. Hier kommt es aber darauf an, auf welchen Regelungsgehalt sich die Dispositivität beziehen soll. § 431 sagt zum einen aus, dass die Unteilbarkeit des Leistungsgegenstandes nicht zu einer modifizierten, sondern zu einer gewöhnlichen Gesamtschuld führt. Den Parteien muss es aber trotzdem freistehen, bestimmte Modifikationen, und sei es die Teilung des Interesses, besonders zu vereinbaren; insofern kann § 431 als dispositiv angesehen werden. Zugleich wollte der Gesetzgeber mit § 431 aber auch klarstellen, dass es auch in den Fällen des Zusammenwirkens keine dritte Form der Schuldnermehrheit gibt, dass also je nach Vereinbarung der Parteien entweder Gesamtschulden (notfalls in modifizierter Form) oder einzelne Verpflichtungen zur Mitwirkung vorliegen. Für diesen Regelungsgehalt kann die Frage nach der zwingenden oder dispositiven Natur nicht gestellt werden, weil der Gesetzgeber insoweit nicht eine von mehreren möglichen Rechtsfolgen beschrieb, die entweder zwingend oder mangels anderer Vereinbarung gelten soll, sondern eine dogmatische Entscheidung traf: Verpflichtungen mehrerer sind nach dem System des BGB entweder als Gesamtschulden oder als einzelne Schulden einzuordnen. Für dogmatische Entscheidungen ist der Gesetzgeber allerdings nicht alleinzuständig. Es ist möglich, dass die gesetzgeberische Sicht nicht haltbar ist. Bei der Frage, ob trotz § 431 die Kategorie der gemeinschaftlichen Schuld anzuerkennen ist, geht es also nicht um die Dispositivität des § 431, sondern darum, ob die Entscheidung des Gesetzgebers sich aus sachlichen Gründen nicht halten lässt.
4. Das Grundproblem: Können mehrere gemeinsam schulden? Unschwer erkennbar geht die heutige gemeinschaftliche Schuld auf das Gedankengut des 19. Jahrhunderts zurück, insbesondere auf die Lehre zum preußischen Recht, von der auch die Terminologie entliehen ist. Nur von einer Teilung des Interesses wird (mit einer Ausnahme54) nicht mehr gesprochen. Geblieben ist aber die Vorstellung, dass die Schuldner gemeinsam leisten sollen, daher gemeinsam schulden und auch nur gemeinsam belangt werden können. Dieser Gedanke hat, wie dargestellt, möglicherweise deutschrechtliche Wurzeln; zumindest entspricht er sachlich einer deutschrechtlichen Vorstellung. Es ist insofern nicht erstaunlich, dass die gemeinschaftliche Schuld in Krellers Entwurf zu einem geplanten Volksgesetzbuch den Regelfall der Schuldnermehrheit bilden sollte55. Bei den Gesamthandsschulden ist die Verbindung mit deutschrechtlichem Gedankengut unmittelbar, weil sie an Gesamthandsgemeinschaften und damit an ein deutschrechtliches Institut anknüpfen, das der BGB-Gesetzgeber aufgenommen 53
Soergel/Wolf, § 421 Rz 30, § 431 Rz 1; MüKo/P. Bydlinski, § 431 Rz 2; Staud/Noack, § 431 Rz 2; jurisPK/Rüßmann, § 431 Rz 2, 8; Selb, Mehrheiten, 55 (Auslegungsregel). 54 Bei der Gruppenarbeit; unten, 194 f. 55 Kreller, AcP 146 (1941), 131 ff., 143, 154.
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
hat. Ebenso wie das Gesamthandsvermögen dem einzelnen Gesamthänder weder ganz noch anteilig, sondern nur den Gesamthändern in ihrer Verbundenheit zusteht, schulden die Gesamthänder auch nur in Verbundenheit. Dieser Bezug zu deutschrechtlichem Gedankengut ist Anlass für einen grundsätzlichen Einwand gegen die Figur der gemeinschaftlichen Schuld: Die Vorstellung, dass mehrere Einzelpersonen „nur zusammen schulden“ oder dass es Schulden gibt, die mehrere unverbundene Einzelpersonen gemeinsam betreffen, passt nicht ins System des BGB. Wenn in deutschrechtlicher Terminologie die „Schuld“ nur das rechtliche Leistensollen, ohne eine damit verbundene Haftung, kennzeichnete, dann ist es unschädlich, von einer Schuld mehrerer Personen, die sie zusammen erfüllen sollen, zu sprechen: Der Begriff der Schuld beschreibt dann nur, was nach Vorstellung der Parteien im wirtschaftlichen Sinne geschehen soll, um eine Haftung zu vermeiden. In diesem Sinne schulden die Schuldner tatsächlich gemeinsam, weil die Parteien davon ausgehen, dass die Schuldner im Zusammenwirken erfüllen sollen; geschieht dies, stellt sich die Haftungsfrage nicht. Dieser Begriff der Schuld ist aber nicht derjenige des BGB. Schuld bedeutet grundsätzlich auch Haftung, sofern nicht Ausnahmen wie eine beschränkte Haftung oder ein Ausschluss der Klagbarkeit oder Vollstreckbarkeit vorliegt. Umgekehrt gilt, dass wer persönlich haftet, auch schuldet56. Nach deutschrechtlicher Terminologie konnte man davon sprechen, dass der Bürge nur „haftete“; nach dem BGB aber ist er Schuldner einer eigenen Obligation. Wenn also die Haftung mit dem eigenen Vermögen im Begriff der Schuld enthalten ist, dann ist ein „gemeinsames Schulden“ mehrerer unverbundener Personen nicht möglich57. Gibt es auf Seiten der Schuldner kein Gesamthandsvermögen, dann würde ein gemeinsames Schulden auch ein gemeinsames Haften bedeuten. Eine solche gemeinschaftliche Haftung ohne zugehöriges Sondervermögen gab es aber selbst nach deutschrechtlicher Vorstellung nicht. Haften kann nur eine einzelne Person. Der Gläubiger muss, um die Haftung zu realisieren, in das Vermögen eines bestimmten Schuldners vollstrecken. Dazu muss aber geklärt werden, was dieser Schuldner schuldet. Wenn ein Schuldner einzeln persönlich haftet, dann schuldet er auch einzeln. Die Vorstellung, dass mehrere Einzelpersonen gemeinsam schulden, wofür jeder Einzelne persönlich haftet, ist deutschrechtliches Gedankengut, das mit einem Schuldbegriff arbeitet, der dem geltenden Recht nicht entspricht. Besteht auf Seiten der Schuldner ein Gesamthandsvermögen, dann gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder sieht man das Sondervermögen nur als Haftungsobjekt an, das durch Sonderregeln insoweit privilegiert ist, als wegen einer Schuld gegen einen einzelnen Gesamthänder kein Zugriff, auch kein anteiliger, auf die von ihm erfassten Gegenstände möglich ist, solange nicht Titel gegen alle Gesamthänder vorliegen, was bedeutet, dass jeder Gesamthänder schulden muss. Oder man fol56
Stellvertretend Gernhuber, Schuldverhältnis, § 4, 63 ff., 87 f.; Dauner-Lieb, Sondervermögen, 30 ff.; Staud/Olzen, vor § 241 Rz 237 ff. 57 Ebenso von Gierke, Deutsches Privatrecht III, 258; Aderhold, Schuldmodell, 79; vgl. auch Schünemann, Gesamthandsgesellschaft, 130 ff.
5. Die sog. Gesamthandsschulden bei Nachlassverbindlichkeiten im Allgemeinen
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gert, wie Flume und die Germanisten des 19. Jahrhunderts, aus der Haftung des Sondervermögens auch eine auf dem Sondervermögen lastende Schuld; Schuldner sind dann die Gesamthänder in ihrer Verbundenheit. Dann besteht (lässt man die persönliche Haftung der Gesamthänder einmal beiseite) tatsächlich eine einheitliche Schuld der Gesamthänder. Wenn die Gesamthänder aber als solche, also in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit schulden, dann ist es nur konsequent, ihnen die Qualität einer rechtsfähigen Gruppe zuzusprechen. Es handelt sich dann um eine Schuld der Gruppe. Diesen Weg ist die Rechtsentwicklung bei Personenaußengesellschaften gegangen. Schuldet eine solche Gesellschaft, dann besteht keine „gemeinschaftliche Schuld“ der einzelnen Gesellschafter, sondern eine Einzelschuld der rechtsfähigen Gruppe, die in der Regel mit akzessorischen Einzelschulden der einzelnen Gesellschafter verknüpft ist. Diese Lage kann man zwar mit dem Begriff der „Gesamthandsschuld“ beschreiben, doch ist diese „Gesamthandsschuld“ hier keine eigenständige Schuldnermehrheitsform, sondern nur die Beschreibung für eine Einzelschuld einer Gruppe, die in der Regel mit akzessorischen Gesamtschulden der Gruppenmitglieder verbunden ist. Bei Güter- und Erbengemeinschaften wollen Rechtsprechung und herrschende Lehre diesen Weg dagegen nicht gehen: Die Gesamthänder bilden hier keine rechtsfähige Gruppe. Dann muss es aber beim ersten Modell bleiben, nämlich bei Schulden der einzelnen Gesamthänder, bei denen haftungsrechtliche Sonderregeln hinsichtlich des Gesamthandsvermögens gelten. Die Figur der „Gesamthandsschuld“ als besondere Form der Schuldnermehrheit neben Gesamtund Teilschulden vermischt die beiden dargestellten Modelle und sorgt so für unnötige Verwirrung. Das Dargestellte soll im Folgenden anhand der einzelnen Gruppen der Gesamthands- und gemeinschaftlichen Schuld überprüft werden. Dabei geht es um zwei Fragen: Ist die Annahme von Gesamtschulden im gegebenen Fall nicht möglich? Wenn aber Gesamtschulden möglich sind: Entsprechen die Rechtsfolgen der Gesamtschuld nicht den Interessen der Parteien oder der gesetzlichen Wertung, so dass eine alternative Gestaltung anzunehmen ist, und lässt sich eine solche alternative Gestaltung als gemeinschaftliche Schuld vorstellen? Außer Betracht bleiben Schulden von Personenaußengesellschaften, weil es sich nach heutiger Auffassung um eine Schuld der Gruppe handelt, nicht um verbundene Schulden der Gesellschafter. Für die als nicht rechtsfähig geltenden Gesamthandsgemeinschaften soll die Erbengemeinschaft als Modell dienen.
5. Die sog. Gesamthandsschulden bei Nachlassverbindlichkeiten im Allgemeinen Die Regelung des BGB zur Haftung von Miterben beruht auf dem Gedanken, dass die Miterben zuerst die Nachlassverbindlichkeiten erfüllen sollen, bevor sie den Nachlass unter sich aufteilen. Daher „haften“ Miterben nach der Teilung für
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
unerfüllte Nachlassverbindlichkeiten als Gesamtschuldner, § 2058 I, und nur in bestimmten Sonderfällen als Teilschuldner, §§ 2060, 2061. Vor der Teilung sind Miterben nach dem Gesetz ebenfalls Gesamtschuldner, § 2058. Sie können aber mittels prozessualer Einrede eine Haftung mit ihrem Eigenvermögen verweigern, § 2059 I 1. Die Erhebung dieser Einrede im Prozess führt allerdings lediglich dazu, dass das Urteil dem Miterben diese Haftungsbeschränkung vorbehält, § 780 I ZPO, die er dann im Vollstreckungsverfahren nochmals in Form einer Vollstreckungsgegenklage geltend machen muss, §§ 781, 785, 767 ZPO. Der Grund, warum die Haftungsbeschränkung nicht schon im Urteil ausgesprochen wird, ist, dass die Vollstreckung durch den Gläubiger auch nach der Teilung erfolgen kann. In diesem Fall kann der Miterbe sich auf die Haftungsbeschränkung nicht mehr berufen. Daher wird erst im Vollstreckungsverfahren endgültig über die Haftungsbeschränkung entschieden. Erhebt hier der Miterbe erfolgreich die Einwendungsklage wegen beschränkter Erbenhaftung, kann der Gläubiger nur dessen Anteil am Nachlass (§ 859 ZPO) pfänden. Damit kann der Gläubiger allerdings nicht in bestimmte Nachlassgegenstände vollstrecken, weil, solange nicht geteilt wurde, die Verfügungsbefugnis über diese nur allen Miterben gemeinschaftlich zusteht, § 2040. Zur Vollstreckung in Nachlassgegenstände braucht der Gläubiger daher Titel gegen alle Miterben, § 747 ZPO. Eine einheitliche Klage ist deswegen aber nicht erforderlich. Vielmehr reicht es nach allgemeiner Ansicht aus, dass der Gläubiger unterschiedliche Titel i.S.d. §§ 704, 794 ZPO gegen jeden Miterben hat58. Der Gläubiger kann also jeden Miterben getrennt als Gesamtschuldner belangen und, unabhängig davon, ob der Miterbe seine beschränkte Erbenhaftung i.S.d. § 2059 I 1 geltend macht, aus der Gesamtheit der Titel in einzelne Nachlassgegenstände vollstrecken. Kommt es dem Gläubiger gerade auf die Vollstreckung in den Nachlass an, kann er auch nach § 2059 II vorgehen und von den Miterben nur die Befriedigung aus dem ungeteilten Nachlass verlangen. Dies bedeutet praktisch eine Beschränkung des Klageantrags auf Duldung der Zwangsvollstreckung in den Nachlass oder auf Leistung zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung in den Nachlass, womit die Erhebung einer Einrede der beschränkten Erbenhaftung i.S.d. § 2059 I 1 überflüssig wird59. Hat der Gläubiger gegen alle Miterben Titel nach § 2059 II, kann er in den Nachlass (aber von vornherein in nichts anderes) vollstrecken. Dem Gläubiger stehen also verschiedene prozessuale Wege offen. Eine Klage nach §§ 2058, 2059 I wird gemeinhin als Gesamtschuldklage bezeichnet; beim
58 RGZ 68, 221 (28.3.1908); RGZ 71, 366 (10.7.1909); RG Gruch 57, 158 (8.7.1912); BGHZ 53, 110 (5.12.1969); Kipp/Coing, Erbrecht, § 121 III d; Bartholomeyczik, Erbrecht, § 55 III 1 b; Lange/ Kuchinke, Erbrecht, § 50 IV 2 b; Brox, Erbrecht, Rz 724; MüKo/Heldrich, § 2059 Rz 19; Soergel/ Wolf, § 2058 Rz 6, 15. 59 Ebenso Soergel/Wolf, § 2059 Rz 10; Brox, Erbrecht, Rz 726–728.
5. Die sog. Gesamthandsschulden bei Nachlassverbindlichkeiten im Allgemeinen
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Vorgehen nach § 2059 II spricht man von einer Gesamthandsklage60. Bei dieser Gesamthandsklage nach § 2059 II besteht nach herrschender Lehre und Rechtsprechung notwendige Streitgenossenschaft i.S.d. § 62 Fall 2 ZPO, also eine Pflicht zur gemeinsamen Verklagung aller Miterben. Eine Ausnahme soll nur dann gelten, wenn der Gläubiger gegen den nicht mitverklagten Miterben schon einen Titel hat, etwa weil er ihn schon erfolgreich nach § 2058 verklagt hat61. Denn zur Vollstreckung benötigt der Gläubiger nur Titel gegen alle Miterben, unabhängig davon, ob sie in einem oder mehreren Prozessen entstanden sind und ob es Titel nach § 2058 oder § 2059 II sind. Solange man die Erbengemeinschaft nicht als rechtsfähiges Subjekt ansieht, solange also Schuldner nur die einzelnen Erben sein können, ist es weder erforderlich noch sinnvoll, bei der Erbenhaftung vor der Teilung von zwei Arten von Schulden zu sprechen, nämlich von Gesamtschulden i.S.v. § 2058 I und von Gesamthandsschulden i.S.v. § 2059 II62. Die Begriffe der Gesamtschuldklage und Gesamthandsklage beziehen sich dann nur auf das prozessuale Vorgehen des Gläubigers, nicht auf die Schuldform. Das Gesetz stellt unmissverständlich klar, dass die Miterben Gesamtschuldner sind, § 2058. Die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung nach § 2059 I 1 ändert daran nichts. Auch derjenige, der für eine Schuld nur beschränkt haftet, schuldet die gesamte Schuld und nicht einen Teil. Wenn aber jeder Miterbe das Ganze schuldet, sind sie auch Gesamtschuldner. Geht der Gläubiger nach § 2059 II vor, macht er nicht etwa eine besondere Gesamthandsschuld geltend, sondern er beschränkt seinen Klageantrag, der sich auf 60 RGZ 71, 366 (10.7.1909); BGH NJW 1963, 1611 (24.4.1963, JZ 1964, 722); BGH FamRZ 1988, 614 (10.2.1988); Kipp/Coing, Erbrecht, § 121 III; Bartholomeyczik, Erbrecht, § 55 III 1; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 50 IV 2; Schlüter, Erbrecht, Rz 1188 ff.; Brox, Erbrecht, Rz 722 ff.; Michalski, Erbrecht, Rz 913 ff.; Harder/Kroppenberg, Erbrecht, Rz 627 ff.; Soergel/Wolf, vor § 2058 Rz 2 f., § 2059 Rz 9; kritisch MüKo/Heldrich, § 2058 Rz 21–24, § 2059 Rz 19 f.; Staud/Marotzke, § 2058 Rz 65 ff. 61 RGZ 71, 366 (10.7.1909) (anders aber RG Gruch 57, 158, 8.7.1912); obiter OLG Naumburg, NJW-RR 1998, 308 (16.1.1997); Schwab, Streitgenossenschaft (1957), 285 f., 295; Henckel, Parteilehre, 55 ff.; Wieczorek/Schütze, ZPO, § 62 Rz 49 f.; Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 62 Rz 20; MüKoZPO/Schultes, § 62 Rz 32; Kipp/Coing, Erbrecht, § 121 III 1; MüKo/Heldrich, § 2059 Rz 24; von Lübtow, Erbrecht, 1181; Bartholomeyczik, Erbrecht, § 55 III 1 b; Schlüter, Erbrecht, Rz 1189; Michalski, Erbrecht, Rz 915; Harder/Kroppenberg, Erbrecht, Rz 631; Bayer, Erbengemeinschaft, 183 f.; BamR/Lohmann, § 2059 Rz 6. 62 So aber Bayer, Erbengemeinschaft. Danach kann die Haftung des Nachlasses bei Vorliegen bloßer Gesamtschuldtitel dogmatisch nicht erklärt werden, 29 ff. Doch die Rechtsprechung lässt sogar bei unzweifelhaften (bloßen) Gesamtschulden aller Gesamthänder eine Vollstreckung in den Nachlass zu, BGHZ 53, 110 (1969). Bayer beruft sich ferner auf die Vorschrift des § 2040 II (123 ff.) sowie auf den Umstand, dass kein Erlöschen der Forderung durch Konfusion stattfindet, wenn der Gläubiger des Erblassers einer der Miterben wird (126 ff.). Doch § 2040 II sagt über die Schuldstruktur nichts. Auch der Schuldner bei Mitgläubigerschaft i.S.d. § 432 kann nicht mit einer Forderung gegen einen der Gläubiger aufrechnen, eben weil dem einzelnen Mitgläubiger, ebenso wie dem einzelnen Gesamthänder, grundsätzlich die Empfangsbefugnis bei gemeinschaftlichen Forderungen fehlt. Ein Erlöschen des gesamten Schuldverhältnisses, falls einer der Schuldner zugleich Gläubiger ist, scheidet schließlich auch nach allgemeinen Gesamtschuldregeln aus, § 425 II: Die Konfusion hat keine Gesamtwirkung.
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
die gesamtschuldnerische Haftung stützt63. Gerade diese Beschränkung hinsichtlich des Vollstreckungszugriffs erklärt, warum grundsätzlich eine Klage gegen alle Miterben für erforderlich gehalten wird. Klagt der Gläubiger nach § 2059 II allein gegen E1, ohne gegen den anderen Miterben E2 einen Titel zu haben, dann nützt ihm der Titel gegen E1 nichts, weil er daraus weder in das Eigenvermögen des E1 noch in dessen Anteil am Nachlass noch in den Nachlass selbst vollstrecken kann. Insofern fehlt ihm das Rechtsschutzbedürfnis64. Führt man die passive Prozessführungsbefugnis auf das prozessuale Interesse des Klägers und die Verfügungsbefugnis des Beklagten über das haftende Vermögen zurück, dann kann man die Prozessführungsbefugnis eines einzelnen Beklagten verneinen, wenn der Kläger seinen Antrag auf eine Vollstreckung in ein Vermögen beschränkt, über das der Beklagte nicht allein verfügungsbefugt ist. Hiermit kann eine notwendige Streitgenossenschaft begründet werden65. Diese fällt allerdings weg, sobald schon Titel gegen die anderen Gesamthänder vorliegen. Insofern kann es auch sinnvoll sein, bei Gesamthandsklagen i.S.d. § 2059 II überhaupt nicht von einer notwendigen Streitgenossenschaft zu sprechen66, sondern nur im Einzelfall das Rechtsschutzbedürfnis für eine Einzelklage abzulehnen, wenn Titel gegen die Mitberechtigten weder vorhanden noch (etwa aus anderen laufenden Prozessen) zu erwarten sind67. In jedem Fall führt auch die Annahme einer notwendigen Streitgenossenschaft nicht zur Existenz einer besonderen Schuldform im materiellen Recht68. Die Vorstellung, dass E1 und E2 nicht nur Gesamtschuldner, sondern daneben auch gemeinschaftliche Schuldner einer Gesamthandsschuld sein sollen und dass dennoch E1 allein aus der gemeinschaftlichen Schuld belangt werden kann, wenn die Haftung des E2 aus einer anderen Schuld (nämlich der Gesamtschuld) feststeht, macht keinen Sinn. Solange die Erbengemeinschaft nicht als rechtsfähig angesehen wird, sind Nachlassschulden der Miterben vor der Teilung also nur Gesamtschulden, keine davon zu unterscheidenden „Gesamthandsschulden“69. Gegenüber gewöhnli63
Ebenso Henckel, Parteilehre, 60; Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 94. Ebenso Staud/Marotzke, § 2058 Rz 55; ders., ZZP 105 (1992), 540; Müther, MDR 1998, 628 (zur GbR). 65 So Henckel, Parteilehre, 52 ff. Grundsätzlich anders Grunsky, ZZP 76 (1963), 60 ff., nach dem die fehlende Verfügungsbefugnis des Beklagten nicht zur Unzulässigkeit, sondern zur Unbegründetheit der Klage führen soll. Diese Ansicht ist in den Fällen, in denen sich der Beklagte die Verfügungsbefugnis verschaffen kann, wohl nicht haltbar, vgl. unten, 145 ff. 66 So Hellwig, Zivilprozeßrecht III/1, §§ 153 IV, 155 (S. 101, 125 ff.); Lent, JhJb 90 (1942), 36 f.; Nikisch, Zivilprozeßrecht, 438; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 62 Rz 17 f. 67 So Staud/Marotzke, § 2058 Rz 68 f.; vgl. auch Grunsky, ZZP 76 (1963), 56 ff., der eine prozessuale Relevanz der Verfügungsbefugnis eher beim Rechtsschutzinteresse als bei der Prozessführungsbefugnis festmacht. 68 So auch Henckel, Parteilehre, 56 f., 59; ders., ZZP 84 (1971), 447, 452. 69 Ebenso RGZ 68, 221 (28.3.1908); Kreß, Erbengemeinschaft, 81; ders., Schuldrecht AT, § 24 Fn. 6; Henle, Schuldrecht, § 150; Hellwig, Zivilprozeßrecht III/1, 125; Lent, JhJb 90 (1942), 36 f.; Larenz, SR AT, § 36 II c; Henckel, ZZP 84 (1971), 452; Weitnauer, Personenmehrheit, 376; Gottwald, JA 1982, 69; Staud/Noack, vor § 420 Rz 19; Erman/Ehmann, vor § 420 Rz 5; Jauernig/Stürner, vor § 420 Rz 3; MüKo/Heldrich, § 2058 Rz 24, § 2059 Rz 19; Staud/Marotzke, § 2058 Rz 4, 66 f. 64
6. Verpflichtung von Gesamthändern oder Teilhabern einer Bruchteilsgemeinschaft
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chen Gesamtschulden bestehen nur Besonderheiten hinsichtlich des Haftungsobjekts, die auf prozessualer Ebene in manchen Fällen eine gemeinsame Klage gegen alle Miterben erforderlich machen können. Anders stellt sich die Regelung der §§ 2058, 2059 dar, wenn man der Erbengemeinschaft selbst die Fähigkeit zuschreibt, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Dann gilt im Wesentlichen das Schuldmodell der BGB-Außengesellschaft70. Schuldner der Nachlassverbindlichkeiten ist zunächst einmal die Erbengemeinschaft, die der Gläubiger nach § 2059 II verklagen kann, um so auf den Nachlass als Vermögen der Erbengemeinschaft zuzugreifen. Daneben bestehen akzessorische Schulden der einzelnen Miterben, die untereinander Gesamtschuldner sind, § 2058, wobei es aber, anders als bei der GbR, eine gesetzliche Möglichkeit der Haftungsbeschränkung gibt. Es besteht dann eine Einzelschuld der Erbengemeinschaft, verbunden mit mehreren Schulden der einzelnen Miterben. Auch nach diesem Modell gibt es keine gemeinsame Schuld mehrerer unverbundener Subjekte.
6. Die Verpflichtung von Gesamthändern oder Teilhabern einer Bruchteilsgemeinschaft, über einen gemeinschaftlichen Gegenstand zu verfügen a) Sind Gesamtschulden nicht möglich? Sind mehrere Schuldner verpflichtet, eine Sache, die ihnen in Bruchteils- oder Gesamthandsgemeinschaft zusteht, zu veräußern oder zu belasten, dann kann ein Schuldner ohne Mitwirkung der übrigen nicht erfüllen. Denn sowohl bei der Bruchteilsgemeinschaft (§ 747) als auch bei der Gesamthandsgemeinschaft (§§ 719, 1419, 2040) können nur alle Berechtigte zusammen über einen gemeinschaftlichen Gegenstand verfügen. Bei der Bruchteilsgemeinschaft kann ein einzelner Schuldner nur über seinen Anteil am gemeinschaftlichen Gegenstand verfügen; bei der Gesamthandsgemeinschaft entfällt auch diese Möglichkeit. Hieraus folgt aber nicht, dass bei Verpflichtungen, über den gemeinsamen Gegenstand in seiner Gesamtheit zu verfügen, keine Gesamtschulden möglich sind71. Dies ergibt sich schon allein aus dem Umstand, dass jeder sich verpflichten kann, über eine fremde Sache zu verfügen72. In einem solchen Fall liegt, wenn überhaupt, nur anfängliches Unvermögen vor, das weder nach altem (§ 306 BGB 70
So Hennecke, Sondervermögen, 122 f.; Jaschke, Gesamthand, 16 f., 51; Hohensee, Erbengemeinschaft, 196 f., 203 f., 227 ff.; Soergel/Wolf, vor § 2058 Rz 3; Eberl-Borges, ZEV 2002, 131 f.; vgl. schon Flume, Personengesellschaft, 316; der Sache nach ähnlich Bayer, Erbengemeinschaft, 114 ff., 161 ff., der die Rechtsfähigkeit der Erbengemeinschaft aber offen lässt, 95–102, 118 f., 178 ff. 71 Ebenso Planck/Siber, vor § 420 Anm. 1 c; Henle, Schuldrecht, § 139 I 1, § 150 I A; Soergel/ U.Huber, § 433 Rz 320, 325; Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 28 f., 65 f.; Staud/Noack, vor § 420 Rz 28. 72 Ähnlich Schünemann, Gesamthandsgesellschaft, 139.
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
a.F. e contrario) noch nach reformiertem (§ 311 a I BGB n.F.) Schuldrecht zur Unwirksamkeit des zugrunde liegenden Vertrags führt. Demnach kann ein einzelner Miteigentümer oder Gesamthänder sich selbstverständlich73 schuldrechtlich dazu verpflichten, über die gemeinsame Sache (oder einen Bruchteil davon74) zu verfügen. Kann aber ein Einzelner wirksam eine solche Verfügung schulden, dann können sich auch mehrere zu einer solchen Verfügung verpflichten und diese Verbindlichkeiten zu Gesamtschulden zusammenfassen. Eine gegenteilige Ansicht wäre ein klarer Verstoß gegen das Trennungsprinzip: Durch die Verpflichtung zur Verfügung wird gerade nicht verfügt. Gegen die Annahme von Gesamtschulden spricht auch nicht, dass ein Erfüllungsanspruch gegen einen einzelnen Schuldner vielleicht ausgeschlossen oder nicht vollstreckbar ist75. Zwar kann niemand zu einer Leistung verurteilt werden, von der feststeht, dass er sie nicht erbringen kann. Nach altem Schuldrecht war dies eine Frage des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses; nach reformiertem Schuldrecht findet sich die Regel in § 275 I. Hier geht es aber nur um Fälle, in denen die Leistung entweder objektiv unmöglich ist oder zwar durch einen anderen erbracht werden kann, der Schuldner aber zur Einwirkung auf diesen anderen nicht in der Lage ist, weil dieser entweder nicht auffindbar oder unstreitig unter keinen Umständen erfüllungsbereit ist76. Diese Umstände liegen bei einem Verkauf durch Gesamthänder oder Bruchteilseigentümer gewöhnlich nicht vor. Hier gilt das Gleiche wie beim Verkauf einer schuldnerfremden Sache. Kann ein Schuldner zur Zeit des Vertragsschlusses die (objektiv mögliche) Leistung allein nicht erbringen, lag nach Ansicht des Gesetzgebers von 1900 stets anfängliches Unvermögen vor, das bei vertraglichen Verpflichtungen grundsätzlich unbe-
73 Siehe etwa RG Gruch 53, 1061, 1064 = JW 1909, 20 Nr. 14 (13.11.1908); RGZ 118, 244 (22.10.1927); BGH BWNotZ 1968, 165 (22.3.1966); BGH WM 1967, 978 (12.7.1967); Kreß, Erbengemeinschaft, 57 f.; MüKo/Heldrich, § 2033 Rz 40; Staud/Werner, § 2033 Rz 44; Soergel/Wolf, § 2033 Rz 24. 74 Hiervon zu unterscheiden ist die Verpflichtung, über den Anteil eines Gesamthänders zu verfügen. Eine Verfügung über einen solchen Anteil ist nach § 2033 II nicht möglich. Dies gilt auch dann, wenn alle Gesamthänder mitwirken, RGZ 88, 21 (12.1.1916); Zunft, NJW 1957, 1178; MüKo/Heldrich, § 2033 Rz 38; Staud/Werner, § 2033 Rz 40; Soergel/Wolf, § 2033 Rz 3; a.A. Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 42 I 4 b. Ob eine Verpflichtung zu einer solchen Verfügung wirksam ist, war unter Geltung des § 306 BGB a.F. strittig; dafür RG Gruch 53, 1061, 1064 = JW 1909, 20 Nr. 14 (13.11.1908); RG HRR 1929 Nr. 2084 (14.10.1929); RG JW 1930, 132 (14.10.1929); RG HRR 1931 Nr. 840 (30.1.1931); dagegen Zunft, NJW 1957, 1178; vgl. Staud/Werner, § 2033 Rz 44. Etwas anderes ist aber die Verpflichtung, Bruchteilseigentum an einer Sache zu verschaffen, die sich derzeit in einem Gesamthandsvermögen befindet: Sie ist ebenso möglich wie die Verpflichtung, Alleineigentum zu verschaffen; vgl. BGH BWNotZ 1968, 165 (22.3.1966); Soergel/Wolf, § 2033 Rz 24; MüKo/Heldrich, § 2033 Rz 40. 75 So offenbar van Venrooy, JuS 1982, 95; Bayer, Erbengemeinschaft, 53 ff.; OLG Naumburg, NJW-RR 1998, 308. 76 Vgl. etwa RGZ 160, 257, 263 (5.4.1939); BGH NJW 1972, 152 (4.11.1971); BGH NJW 1974, 943, 944 (28.2.1974); BGH NJW 1974, 1552, 1554 (21.6.1974). Zu allgemein argumentiert daher Grunsky, ZZP 76 (1963), 59 ff., dass bei fehlender Verfügungsbefugnis des Beklagten subjektive Unmöglichkeit vorliege, die zur Unbegründetheit der Klage führen müsse.
6. Verpflichtung von Gesamthändern oder Teilhabern einer Bruchteilsgemeinschaft
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achtlich war77. Der Gläubiger konnte trotzdem auf Erfüllung klagen und bei ausbleibender Leistung über § 283 BGB a.F. Schadensersatz verlangen; stattdessen konnte er aber auch von vornherein nach § 286 II bzw. § 326 BGB a.F. vorgehen. Bekanntlich entwickelte sich demgegenüber in der Lehre die Vorstellung, dass ein Unvermögen nur dann vorliege, wenn dem Schuldner auch die Beschaffung nicht gelingt. Dann sei es der Unmöglichkeit (hier: § 280 I bzw. § 325 BGB a.F. analog) gleichzustellen. Diese Lehre liegt dem reformierten BGB zugrunde. Nach § 275 BGB n.F. bleibt der Erfüllungsanspruch bestehen, solange der Schuldner nicht darlegt und beweist, dass ihm die Beschaffung mit dem nach § 275 II zumutbaren Aufwand nicht möglich ist78. Nimmt man also beim Verkauf einer Sache in Bruchteilseigentum oder in Gesamthandsvermögen Gesamtschulden an, dann ist ein Erfüllungsanspruch gegen einen einzelnen Schuldner nach geltendem Recht nur dann ausgeschlossen, wenn feststeht, dass die Mitschuldner unter keinen Umständen zur Veräußerung bereit sind (was angesichts ihrer eigenen Verpflichtung selten sein dürfte)79. In diesem Fall hinge ein vertraglicher Schadensersatzanspruch aus § 311 a II80 davon ab, ob der belangte Schuldner die fehlende Veräußerungsbereitschaft seiner Mitschuldner kannte, für ihr Vorhandensein garantierte oder dieses Risiko übernahm, § 276. Auch die möglicherweise fehlende Vollstreckbarkeit eines Leistungsanspruchs gegen einen einzelnen Schuldner spricht nicht gegen die Annahme von Gesamtschulden. Es gibt im deutschen Recht keinen Satz, wonach nur vollstreckbare Verbindlichkeiten wirksam sind. Dies zeigt sich gerade bei der Verpflichtung, Eigentum an einer Sache zu übertragen. Bei beweglichen Sachen erfolgt die Vollstreckung hinsichtlich der Einigung nach § 894 ZPO (Fiktion der Abgabe der Willenserklärung), hinsichtlich der Übergabe nach §§ 883 f. ZPO (Wegnahme durch den Gerichtsvollzieher). Diese Vollstreckungswege helfen dem Gläubiger nicht, wenn der Schuldner weder Eigentümer noch Besitzer ist (und auch keinen Herausgabeanspruch gegen den Besitzer hat, § 886 ZPO), etwa weil er dem Gläubiger eine fremde Sache verkauft hat, die er sich noch nicht beschafft hat. Ebenso nützt dem Gläubiger bei der Verpflichtung, ein Grundstück zu übereignen, eine Vollstreckung nach § 894 ZPO (Fiktion der Auflassungserklärung, mit 77 Hierzu und zum Folgenden stellvertretend U.Huber, Leistungsstörungen I, §§ 22 II, 23 I (530 ff., 543 ff.); weitere Nachweise bei Meier, Jura 2002, 189 ff. 78 Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, Rz 2/14; MüKo/Ernst, § 275 Rz 51 f.; Staud/Löwisch, § 275 Rz 62; Erman/Westermann, § 275 Rz 15; ebenso zum Recht vor der Schuldrechtsmodernisierung Soergel/Wiedemann, § 275 Rz 52–54. 79 Ebenso Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 28 ff., 65 ff. Ungenau insofern das Urteil BGH NJW 1998, 682 (15.10.1997), das von einer „Unmöglichkeit“ bei einem Miterben spricht, über eine geerbte Sache zu verfügen, die nach der Teilung zum Alleineigentum eines anderen Miterben wurde; unrichtig Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 91; van Venrooy, JuS 1982, 94; Staud/Beckmann, § 433 Rz 39. 80 Sofern die Mitschuldner sich erst nach Vertragschluss dazu entschlossen, die Sache keinesfalls zu veräußern, liegt freilich nach der Systematik des Gesetzes ein nachträgliches Leistungshindernis vor, so dass ein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 I, III, 283 in Betracht kommt.
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
deren Hilfe der Gläubiger die Eintragung im Grundbuch veranlassen kann) nichts, wenn der Schuldner nicht Eigentümer ist. Wenn beim Verkauf einer fremden Sache, die der Schuldner bislang nicht beschafft hat, eine gewöhnliche Übereignungsvollstreckung nach §§ 894, 883 ZPO scheitert, wäre an eine Handlungsvollstreckung nach § 887 ZPO zu denken, da die Erfüllung durch den Schuldner eine Beschaffungshandlung voraussetzt. Der Gläubiger könnte sich die Sache dann auf Kosten des Schuldners selbst beschaffen. Dieser Weg ist aber nach § 887 III ZPO versperrt. Bei der Verpflichtung zur „Leistung von Sachen“ (wozu unstrittig die gewöhnliche Eigentumsverschaffungspflicht gehört) sollte nach Ansicht des Gesetzgebers nur nach §§ 894, 883– 886 ZPO vollstreckt werden können. Dass die Übereignung häufig eine vorherige Handlung wie Beschaffung, Herstellung oder Transport zum Gläubiger erfordern kann, führt grundsätzlich nicht zu einer Anwendung der §§ 887 f. ZPO81. Streitig ist nur der Fall, dass der Titel ausdrücklich neben der Übereignungspflicht auch eine Beschaffungs- oder Herstellungspflicht enthält82. Hier halten manche, zumindest bei einer Herstellungsverpflichtung, eine Handlungsvollstreckung für zulässig. Die Vollstreckung einer Beschaffungspflicht nach § 887 ZPO soll dagegen, wenn überhaupt, nur im Ausnahmefall einer selbstständig neben der Übereignungspflicht bestehenden und auch so titulierten Beschaffungspflicht möglich sein. Ein Anspruch auf Übereignung ist also, auch wenn er die Hürde des § 275 BGB n.F. nimmt, häufig nicht vollstreckbar. Der Gläubiger ist dadurch nicht rechtlos gestellt, da ihm nach § 893 ZPO die Klage auf das Interesse bleibt. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Leistungsklage fällt durch die mangelnde Vollstreckbarkeit grundsätzlich nicht weg83. Nach altem Recht ergab sich dies schon aus § 283 BGB a.F. Auch nach neuem Recht kann der Gläubiger ein Interesse daran haben, eine Leistungsklage zu erheben. Denn durch den gewonnenen Titel stünde rechtskräftig fest, dass der Schuldner zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung leisten konnte (durch Beschaffung bzw. Einwirkung auf seine Mitschuldner) und trotzdem nicht leistete84. Der Gläubiger könnte nun nach Fristsetzung einen Schadensersatzanspruch nach §§ 280 I, III, 281 geltend ma81
RGZ 36, 369, 372 (18.11.1895, zur Reichs-CPO); RGZ 58, 160 (20.5.1904); OLG Stuttgart, OLGE 40, 414 (11.5.1920); OLG Hamburg, Recht 1921 Nr. 1947 (16.10.1920); LG Berlin, JR 1948, 137 (13.12.1947); OLG Kiel, JR 1948, 340 (23.2.1948); OLG Köln, NJW 1958, 1355 (11.4.1958); Lent, JZ 1959, 64; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rz 39.6; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rz 1068; Wieczorek/Schütze/Storz, ZPO, § 883 Rz 16; Stein/Jonas/ Brehm, ZPO, § 887 Rz 3, § 888 Rz 2; Schuschke/Walker, Zwangsvollstreckung, § 887 ZPO Rz 1; a.A. OLG Köln, LZ 1925, 329 (27.5.1924). 82 Hierzu LG Lüneburg, DRZ 1950, 211 (13.9.1949); Stein/Jonas/Brehm, ZPO, § 883 Rz 4–7; MüKoZPO/Gruber, § 883 Rz 14 ff., 20; Musielak/Lackmann, ZPO, § 883 Rz 4; Schuschke/Walker, Zwangsvollstreckung, § 883 ZPO Rz 3; vgl. auch BGH NJW-RR 2005, 212 (19.3.2004). 83 Ebenso Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 28 f., 52 f., 73 f.; anders Grunsky, ZZP 76 (1963), 59 f., der keinen Unterschied zwischen der fehlenden Verfügungsbefugnis des Leistenden und einer objektiven Unmöglichkeit macht. 84 MüKo/Ernst, § 281 Rz 177.
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chen, gegen den sich der Schuldner nur durch Berufung auf ein nachträgliches Leistungshindernis, das er nicht nach § 280 I 2 zu vertreten hat, wehren könnte. Zudem kann das Urteil auch beim Anspruch auf Ersatz eines Verzugsschadens herangezogen werden. Die Annahme von Gesamtschulden macht also bei nur gemeinschaftlicher Verfügungsbefugnis genauso viel Sinn wie die Annahme einer wirksamen Leistungspflicht bei Verkauf einer fremden Speziessache. Die Frage kann demnach nur lauten, ob die grundsätzlich mögliche Annahme von Gesamtschulden den Parteiinteressen oder den gesetzlichen Wertungen widerspricht.
b) Nachlassverbindlichkeiten auf Verfügung über einen Nachlassgegenstand Die Nachlassverbindlichkeiten von Miterben können sich auf einen Gegenstand im Nachlassvermögen richten, etwa wenn der Erblasser dem Gläubiger eine Verfügung über diesen Gegenstand schuldete oder den Gegenstand als Vermächtnis85 zuwendete. Nach der gesetzlichen Regelung, die keine Besonderheiten für Verbindlichkeiten hinsichtlich Gegenständen im Nachlassvermögen vorsieht, sind die Miterben dann Gesamtschuldner, § 2058. Dies erscheint auch sachgerecht, da die Interessenlage nicht grundsätzlich anders ist, als wenn der geschuldete Gegenstand sich im Vermögen eines Dritten befindet. Der einzelne Miterbe kann in beiden Fällen allein nicht erfüllen und benötigt die Mitwirkung des Dritten bzw. seiner Miterben. Im letzteren Fall ist er wegen seines gesetzlichen Anspruchs gegen seine Miterben auf Mitwirkung an Maßnahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung (§ 2038) sogar noch besser gestellt. Wie oben gezeigt, gibt es auch kein Nebeneinander von Gesamtschulden und Gesamthandsschulden. Verkaufte der Erblasser eine Truhe, die zum Nachlass gehört, gibt es nicht für jeden Miterben zwei Schulden, nämlich zum einen, dem Gläubiger das Eigentum an der Truhe zu verschaffen (§ 2058), zum anderen, die Zwangsvollstreckung in die Truhe zusammen mit seinen Miterben zu dulden (§ 2059 II). Diese Vorstellung einer Verdoppelung der materiellen Schuld ist ebenso wenig hilfreich wie die Vorstellung, jeder Einzelschuldner schulde zum einen die Leistung, zum anderen die Duldung der Zwangsvollstreckung in sein Vermögen. Rechtsprechung und herrschende Lehre unterscheiden auch bei geschuldeten Verfügungen über Nachlassgegenstände zwischen Gesamtschuld- und Gesamthandsklage, aber mit Modifikationen86. 85 Verbindlichkeiten aus Vermächtnissen sind Nachlassschulden, § 1967 II. Sie sind zumindest dann gemeinschaftlich i.S.d. § 2058, wenn sämtliche Erben beschwert sind, BGH NJW 1998, 682 (15.10.1997). Die Vorschrift des § 2148 über die Aufteilung der Beschwerung unter mehreren Miterben gilt nach wohl allgemeiner Ansicht nur für das Innenverhältnis; Kipp/Coing, Erbrecht, § 54 II; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 29 III 1 (S. 629 f.); MüKo/Schlichting, § 2148 Rz 2; Staud/ Otte, § 2148 Rz 3 f. 86 Ausführlich zum Streitstand Bayer, Erbengemeinschaft, 46 ff.
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
Eine Gesamthandsklage i.S.d. § 2059 II soll vorliegen, wenn der Gläubiger die Verfügung selbst begehrt, etwa bei einer Klage auf Auflassung des Nachlassgrundstücks87. Das notwendige Zusammenwirken bei Verfügungen über Nachlassgegenstände führt danach zur notwendigen Streitgenossenschaft im materiellrechtlichen Sinn (§ 62 Fall 2 ZPO)88. Ist eine auf Auflassung gerichtete Klage also nur gegen einen einzelnen Miterben gerichtet, ist sie grundsätzlich unzulässig89. Ausnahmsweise ist aber eine Einzelklage möglich, wenn die nicht verklagten Miterben leistungsbereit sind, insbesondere schon Auflassungserklärungen über das gemeinsame Grundstück abgegeben haben. In diesem Fall soll der Gläubiger den einzelnen Miterben auf Abgabe „seiner“ Auflassungserklärung oder auf Zustimmung zur Gesamtverfügung verklagen können90. Eine gemeinschaftliche (im Sinne einer zeitgleichen) Auflassungserklärung aller Gesamthänder ist also nicht erforderlich; es genügen zeitlich aufeinanderfolgende Einzelerklärungen. Neben dieser Gesamthandsklage soll dem Gläubiger aber auch die Gesamtschuldklage i.S.d. § 2058 offenstehen91. Diese soll aber nicht auf die Auflassungserklärung selbst, sondern auf die „Herbeiführung der Auflassung“ gerichtet sein92. In der Literatur wird hierfür eine doppelte Pflicht des verklagten Miterben angenommen, nämlich einerseits die Abgabe seiner eigenen Erklärung und andererseits die Einwirkung auf seine Miterben, ebenfalls die Auflassung zu erklä-
87 Dasselbe gilt für die Eintragungsbewilligung, die im Folgenden nicht besonders erwähnt werden soll. 88 RGZ 71, 366 (10.7.1909); BGH LM zu § 62 ZPO Nr. 2 (4.6.1954); BGH NJW 1963, 1611 (24.4.1963); Henckel, Parteilehre, 57–59, 78; Hassold, Streitgenossenschaft, 41; Gottwald, JA 1982, 69; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 49 Rz 24; Wieser, JuS 2000, 998 f.; Wieczorek/Schütze, ZPO, § 62 Rz 49; MüKoZPO/Schultes, § 62 Rz 32; Musielak/Weth, ZPO, § 62 Rz 11; Bartholomeyczik, Erbrecht, § 55 III 1 b; Ebenroth, Erbrecht, Rz 1175; Soergel/Wolf, § 2059 Rz 9; MüKo/Heldrich, § 2059 Rz 22; BamR/Lohmann, § 2058 Rz 6; a.A. J. Blomeyer, JR 1971, 402 f.; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 62 Rz 17 f. 89 RG JW 1933, 1310 (19.1.1933); BGH NJW 1982, 441, 442 (2.12.1981); BGH NJW 1994, 1470 (4.2.1994); BGH NJW 1995, 58 (28.9.1994); BGH NJW 1998, 682 (15.10.1997); zustimmend MüKo/Heldrich, § 2059 Rz 22; Soergel/Wolf, § 2059 Rz 9; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 50 IV 2 b (S. 1286); Erman/Schlüter, § 2058 Rz 2. 90 RG Recht 1923, 214 Nr. 751 (28.9.1922); BGH WM 1978, 1327 (20.9.1978); BGH NJW 1982, 441, 442 (2.12.1981); BGH NJW 1995, 58 (28.9.1994); BGH WM 2001, 1905, 1907 (18.5.2001); MüKo/Heldrich, § 2059 Rz 22; Soergel/Wolf, § 2058 Rz 12 (der hier aber von einer Gesamtschuldklage ausgeht); in anderem Zusammenhang (außerhalb von Nachlassverbindlichkeiten) auch RGZ 93, 292 (18.9.1918); RGZ 111, 338 (5.10.1925); RGZ 112, 129 (21.11.1925). 91 RGZ 71, 366 (10.7.1909); BGH NJW 1963, 1611 (24.4.1963); Bötticher, JZ 1964, 723; Kipp/ Coing, Erbrecht, § 121 III d; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 50 Fn. 37; Ebenroth, Erbrecht, Rz 1175; MüKo/Heldrich, § 2058 Rz 22, § 2059 Rz 23; Soergel/Wolf, § 2058 Rz 11; zweifelnd aber Henckel, Parteilehre, 57 Fn. 67; Wieser, JuS 2000, 998 f.; OLG Naumburg, NJW-RR 1998, 308 (16.1.1997); ablehnend Bayer, Erbengemeinschaft, 54 ff.; Kornblum, BB 1970, 1448 Fn. 53, die eine Gesamtschuld für ausgeschlossen halten. 92 RGZ 71, 366 (10.7.1909); BGH NJW 1963, 1611 (24.4.1963); BGH NJW 1998, 682 (15.10.1997); Bartholomeyczik, Erbrecht, § 55 III 1 b; Ebenroth, Erbrecht, Rz 1175; MüKo/Heldrich, § 2058 Rz 22, § 2059 Rz 23; Soergel/Wolf, § 2058 Rz 6, 11; BamR/Lohmann, § 2058 Rz 6, § 2059 Rz 6.
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ren93. Diese Einwirkungspflicht wird mit dem Anspruch des Beklagten gegen die Miterben auf Mitwirkung nach § 2038 gerechtfertigt. Problematisch ist schon der Ausgangspunkt dieser Auffassung, nämlich die Annahme einer notwendigen Streitgenossenschaft für die Klage auf die Verfügung selbst. Sie beruht auf der Gleichstellung der Klage auf Verfügung mit der Gesamthandsklage i.S.d. § 2059 II. Eine Begründung findet sich besonders ausführlich bei Henckel94: Die gewöhnliche Gesamthandsklage, etwa bei Zahlungsansprüchen, richtet sich allein auf Duldung der Zwangsvollstreckung in den Nachlass. Weil aus ihr nur in ein Sondervermögen vollstreckt werden kann, ist sie unzulässig, wenn sie gegen einen Beklagten gerichtet ist, der allein über dieses Sondervermögen nicht verfügen kann, und keine Titel gegen die übrigen Gesamthänder vorliegen. Der Kläger hat kein schutzwürdiges Interesse an einer Verurteilung, die nicht zur Vollstreckung führen kann. Ebenso soll es sich verhalten, wenn sich die Klage auf Verfügung über einen Nachlassgegenstand richtet. Für den Übereignungsanspruch „hafte“ zunächst nur dieser Nachlassgegenstand, über den der Beklagte allein nicht verfügen könne. Daher habe der Kläger auch hier kein schutzwürdiges Interesse an einer Verurteilung nur des einzelnen Gesamthänders95. Anders verhalte es sich mit Ansprüchen auf Schadensersatz bei ausbleibender Verfügung, doch dies sei ein anderer Streitgegenstand, für den andere Regeln gelten. Wenn diese Auffassung zutrifft, dann müssten Klagen auf Übereignung grundsätzlich immer dann unzulässig sein, wenn der Beklagte nicht Eigentümer ist, weil eine Vollstreckung ausscheidet. Das widerspricht der Regel des § 275. Die Prozessführungsbefugnis eines Beklagten hängt grundsätzlich nicht von seiner dinglichen Verfügungsbefugnis ab. Die Ansicht, dass es bei Gesamthändern ausnahmsweise auf die Verfügungsbefugnis ankommen soll, beruht auf der Gleichstellung der Verfügungsklage mit der Gesamthandsklage. Bei dieser kann tatsächlich das Rechtsschutzbedürfnis für eine Einzelklage verneint und insofern von einer notwendigen Streitgenossenschaft gesprochen werden. Die Klage auf Verfügung über einen Nachlassgegenstand ist aber keine Gesamthandsklage i.S.d. § 2059 II. Richtig ist zwar, dass der Anspruch auf Verfügung über eine Nachlasssache sich auf einen Gegenstand im Nachlass, nicht im Eigenvermögen des Erben, richtet. Doch während sich die Gesamthandsklage auf Duldung der Vollstreckung in den Nachlass, und damit auch in einen Nachlassgegenstand, richtet, zielt die Klage auf Auflassung auf einen Gegenstand, der sich zufällig gegenwärtig im Nachlassvermögen befindet. Daher sind auch die Rechtsfolgen unterschiedlich.
93 Bötticher, JZ 1964, 723; MüKo/Heldrich, § 2058 Rz 22, § 2059 Rz 23. Zu Recht macht Soergel/Wolf, § 2058 Rz 11, geltend, dass es bei einer Pflicht der Miterben, jeweils ihre Verfügungserklärung abzugeben, nicht um Gesamtschulden handeln kann. 94 Parteilehre, 57 ff., 78. 95 Ebenso Wieser, JuS 2000, 998 f.
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
Bei der echten Gesamthandsklage, die auf Duldung der Vollstreckung in den Nachlass gerichtet ist, muss der Miterbe sich seine beschränkte Haftung nicht nach § 780 ZPO im Urteil vorbehalten lassen, weil von vornherein nicht in sein Eigenvermögen vollstreckt werden kann. Bei der Klage auf Auflassung führt der im Urteil unterbliebene Vorbehalt dagegen dazu, dass der Gläubiger vollstrecken kann (also Eigentümer wird), falls die geschuldete Sache schon vor der Teilung dem beklagten Miterben als Alleineigentümer zugewiesen wird96. Ebenso kann der Gläubiger, mit oder ohne Vorbehalt, aus dem Urteil nach der Teilung des Nachlasses ins Eigenvermögen vollstrecken, wenn der Beklagte Eigentümer geworden ist. Denn während sich die Gesamthandsklage von vornherein auf den Nachlass beschränkt und eine Vollstreckung nur bis zur Teilung zulässt, richtet sich die Auflassungsklage auf einen bestimmten Gegenstand, unabhängig davon, ob er zum Nachlass gehört oder nicht. Daher kann der Gläubiger ein Rechtsschutzinteresse an einer Einzelklage haben. Die Klage auf Auflassung ist zwar gegenstandsbezogen, aber nicht auf Duldung der Vollstreckung in ein Sondervermögen oder auch nur in diesen Gegenstand gerichtet. Es handelt sich um eine gewöhnliche Gesamtschuldklage nach § 2058. Auch Rechtsprechung und herrschende Lehre gestehen zu, wohl wegen des klaren Wortlauts des § 2058, dass bei Ansprüchen auf Verfügungen über Nachlassgegenstände die Gesamtschuldklage möglich ist. Weil man aber die Klage auf Auflassung bzw. Übereignung als Gesamthandsklage nach § 2059 II ansieht, muss man bei der Gesamtschuldklage einen anderen Klageantrag annehmen, nämlich den auf „Herbeiführung“ der Auflassung bzw. Übereignung. Überträgt man diesen Gedanken wiederum auf den Einzelverkäufer, der eine fremde Sache verkauft hat, würde dies bedeuten, dass er, solange er nicht Eigentümer ist, auf „Herbeiführung“ der Übereignung verklagt werden muss. Ob der Klageantrag sich auf Übereignung/Auflassung oder auf Herbeiführung richten muss, hinge also von dem dem Käufer nicht immer bekannten Umstand ab, ob der Verkäufer Eigentümer ist. Auch das erscheint sachwidrig. Hinzu kommt, dass der prozessuale und vollstreckungsrechtliche Sinn eines Klageantrags auf „Herbeiführung“ nicht klar ist97. Tituliert man eine eigenständige „Herbeiführungspflicht“, dann entstehen ähnliche vollstreckungsrechtliche Probleme, als wenn man gegen einen Einzelverkäufer einen Antrag auf „Beschaffung“ für zulässig hält98. Tatsächlich wird bei der Gesamtschuldklage gegen einen Miterben vorgeschlagen, wegen der möglichen Haftungsbeschränkung auf den Nachlass nach § 2059 I 1 sei eine Vollstreckung nach § 894 ZPO nicht möglich; statt dessen solle die Pflicht des Miterben, die gemeinschaftliche Auflassungserklärung herbeizuführen, nach § 888 ZPO (unvertretbare Handlung) vollstreckt 96 Anders Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 94, 96, nach dem gegen die Klage auf Auflassung eines Nachlassgrundstücks ein Haftungsvorbehalt nicht erforderlich ist. 97 Ebenso Staud/Marotzke, § 2058 Rz 62 („Herbeiführung der Auflassung“ weder einklagbar noch vollstreckbar); ausführlich Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 79 ff.; ablehnend auch Bayer, Erbengemeinschaft, 64 f. 98 Vgl. oben, 147 f.
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werden99. Diese Ansicht beruht auf einer in der Literatur vertretenen These, eine Vollstreckung nach § 894 ZPO sei nicht möglich, wenn sich der Schuldner im Urteil nach § 780 ZPO die beschränkte Erbenhaftung vorbehalten hat100. Die hierfür zitierten Urteile des Reichsgerichts und des Kammergerichts betrafen aber Fälle, in denen sich die Übereignungsverpflichtung auf einen Gegenstand im Eigenvermögen des Erben richtete101. In diesem Fall würde eine Vollstreckung nach § 894 ZPO tatsächlich die Möglichkeit des Erben vereiteln, eine Vollstreckung in sein Eigenvermögen abzuwenden. Anders verhält es sich jedoch, wenn sich der geschuldete Gegenstand im Nachlass befindet. In diesem Fall bedarf der verklagte Erbe keines Schutzes hinsichtlich seines Eigenvermögens102, so dass einer Vollstreckung nach § 894 ZPO grundsätzlich nichts im Wege steht. Demnach gelten für eine Vollstreckung eines Anspruchs auf eine Nachlasssache allein §§ 883–886 und § 894 ZPO103. Die Vollstreckung einer Handlungspflicht, auf die Miterben einzuwirken bzw. die Sache von ihnen zu beschaffen, ist nach § 887 III ZPO ausgeschlossen. Auch § 888 ZPO kommt nicht in Betracht, weil es sich auch dann, wenn die geschuldete Sache keine vertretbare ist (Grundstück), nicht um eine unvertretbare Handlung handelt104. Unvertretbar ist nur die Auflassungserklärung durch den Schuldner selbst; für diese gilt aber § 894 ZPO. Danach kann die Übereignungserklärung des beklagten Miterben fingiert werden105, die allerdings nur dann wirksam ist, wenn entsprechende Erklärungen der übrigen Miterben vorliegen. Ansonsten führt die Vollstreckung ins Leere, und es bleibt bei der Klage auf das Interesse. Dies entspricht der Lage beim Verkauf einer (nach wie vor) schuldnerfremden Sache; und es ist nicht ersichtlich, warum bei Nachlassgegenständen etwas anderes gelten soll. Für die sog. Gesamtschuldklage gilt demnach Folgendes: Weil der einzelne Miterbe nach § 2058 Gesamtschuldner ist, schuldet er die Übereignung des 99
Bötticher, JZ 1964, 723; Thielmann, ZHR 136 (1972), 409 Fn. 43. MüKo/Siegmann, § 1967 Rz 29; Soergel/Stein, vor § 1967 Rz 14; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, § 894 Rz 5; MüKoZPO/Gruber, § 894 Rz 12; Musielak/Lackmann, ZPO, § 894 Rz 8; Zöller/Stöber, ZPO, § 894 Rz 2; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rz 41.6; vgl. auch Lange/ Kuchinke, Erbrecht, § 49 Fn. 26; zweifelnd Staud/Marotzke, vor § 1967 Rz 39. 101 In RGZ 49, 415 (23.10.1901) hatte der Erblasser dem Gläubiger ein dingliches Recht verkauft, das zu einem Gesamthandsvermögen gehörte, das dem Erblasser und dem Erben zustand. In KG, OLGE 11, 117 (5.6.1905), schuldete der Erblasser dem Gläubiger ein Grundstück und übereignete dieses vor seinem Tode an einen der Miterben. 102 So auch RG Gruch 56, 1005 (2.3.1912): Hatte sich der Erblasser gegenüber einem Grundstückskäufer verpflichtet, eine zugunsten der späteren Miterben eingetragene Hypothek zu löschen, und stellt sich heraus, dass die Hypothekenforderung nicht besteht, so dass die Hypothek in Wahrheit Eigentümergrundschuld des Erblassers war und somit zum Nachlass gehört, bedürfen die Erben des Schutzes nach § 780 ZPO nicht. 103 Ebenso Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 75 ff.; Ebenroth, Erbrecht, Rz 1175. 104 So auch Hartung, NJW 1958, 568; Henckel, Parteilehre, 57 Fn. 67. Anders Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 75 ff., 86 ff., der im Ergebnis aber ebenfalls eine Anwendung des § 888 ZPO wegen des Vorrangs der §§ 883 f. bzw. der Verwaltungshoheit der Erbengemeinschaft ausschließt; ebenso Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rz 40.14. 105 Ebenso Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 72 f. 100
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
Grundstücks106. Die Tatsache, dass er mit § 2038 die rechtliche Möglichkeit hat, eine gemeinsame Auflassung herbeizuführen, ist insofern relevant, als sie eine subjektive Unmöglichkeit i.S.d. § 275 I BGB ausschließt. Prozess- und vollstreckungsrechtlich kann jedoch nichts anderes gelten als in anderen Fällen von Übereignungsverpflichtungen: Der Klageantrag richtet sich auf Übereignung. Mit § 894 ZPO kann nur eine Auflassungserklärung des Beklagten fingiert werden, nicht eine gemeinsame Auflassungserklärung. Fehlt es an dazugehörigen Auflassungserklärungen der Miterben (und ist der Beklagte nicht inzwischen durch Teilung Alleineigentümer geworden), bleibt dem Gläubiger nur die Klage auf das Interesse. Diese stützt sich auf §§ 280 I, III, 281. Der einzelne Miterbe kann leisten (weil kein Fall des § 275 vorliegt); leistet er dennoch nicht, hat er dies grundsätzlich zu vertreten i.S.d. § 280 I 2. Der beklagte Miterbe kann aber sowohl gegen die Erfüllungs- als auch die Schadensersatzklage die beschränkte Erbenhaftung nach § 2059 I 1 geltend machen, die zur Unzulässigkeit der Vollstreckung in sein Eigenvermögen führt, solange noch nicht geteilt ist. Liegen schon Auflassungserklärungen der Miterben E23 vor, die mit der noch fehlenden Auflassungserklärung von E1 zu einer einheitlichen Auflassungserklärung aller Miterben verbunden werden können, ist es sinnvoll, dem Gläubiger zu gestatten, die Klage gegen E1 auf Abgabe „seiner“ Auflassungserklärung zu beschränken. Dann macht der Gläubiger aber nicht eine andere Schuld geltend, sondern beschränkt lediglich seinen Klageantrag gegen E1, der auf dessen gesamtschuldnerische Haftung gestützt wird. Für eine solche Beschränkung mag es nur dann ein Rechtsschutzbedürfnis geben, wenn die übrigen Auflassungserklärungen schon vorliegen107. Um eine Gesamthandsklage nach § 2059 II handelt es sich aber auch bei diesem Vorgehen nicht108. Der Gläubiger beschränkt seinen Klageantrag nicht hinsichtlich des Vollstreckungsobjekts, sondern hinsichtlich des Klageziels: E1 soll nicht übereignen, sondern nur „seine“ Auflassungserklärung abgeben. Um ein Vorgehen nach § 2059 II würde es sich demgegenüber handeln, wenn der Gläubiger alle Miterben auf „Übereignung“ bei Vermeidung der Zwangsvollstreckung in den Nachlass verklagen würde. Werden auf diese Weise nur einige Miterben verklagt, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, falls nicht schon entsprechende Titel gegen die nicht verklagten Miterben vorliegen.
106 Ebenso Hellwig, Zivilprozeßrecht III/1, 125, 127; Gernhuber, Bürgerliches Recht, 97; Thielmann, ZHR 136 (1972), 407 f.; Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 65 ff., 79; Staud/Marotzke, § 2058 Rz 61 f. 107 So Staud/Marotzke, § 2058 Rz 63; dagegen Thielmann, ZHR 136 (1972), 408 ff. 108 Ebenso Kipp/Coing, Erbrecht, § 121 III d; Thielmann, ZHR 136 (1972), 410; und offenbar Soergel/Wolf, § 2058 Rz 12.
6. Verpflichtung von Gesamthändern oder Teilhabern einer Bruchteilsgemeinschaft
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c) Exkurs: Leistungsstörungen bei gemeinschaftlichen Nachlassverbindlichkeiten Die Vorstellung einer gemeinsamen Schuld der Miterben auf Verfügung über einen Nachlassgegenstand dient wohl auch dazu, ein gewünschtes Haftungsmodell bei Leistungsstörungen zu verwirklichen. Für sog. Gesamthandsschulden wird ein Modell favorisiert, das an das Haftungsmodell der GbR erinnert: Wenn ein Miterbe in Schuldnerverzug gerät, soll danach sowohl dieser Miterbe persönlich (also unbeschränkbar) als auch die Gesamthand haften. § 425 soll nicht anwendbar sein. Die Haftung der „schuldlosen“ Miterben ist also auf den Nachlass beschränkt109. Ein solches Ergebnis setzt aber nicht die Annahme einer gemeinschaftlichen Schuld der Gesamthand oder Miterben voraus, sondern lässt sich auch mittels Anwendung der Gesamtschuldregeln erreichen, wobei allerdings zwischen verschiedenen Arten von Leistungsstörungen differenziert werden muss. Zur Klarstellung erscheint an dieser Stelle ein kurzer Überblick zum Haftungsmodell bei Nachlassverbindlichkeiten erforderlich. Ausgangspunkt ist, dass nach wohl einhelliger Ansicht im Erbrecht ein (Einzel- oder Mit-)Erbe sich nicht auf eine beschränkbare Erbenhaftung berufen kann, wenn er eine Nachlassverbindlichkeit schuldhaft verletzt. Die herrschende Lehre nimmt in diesem Fall an, die Verpflichtung zum Schadensersatz sei dann sowohl Nachlassverbindlichkeit als auch Eigenverbindlichkeit des Erben110; nach anderer Ansicht handelt es sich nur um eine Nachlassverbindlichkeit, aber mit der Besonderheit, dass eine Haftungsbeschränkung nicht möglich ist111. Allerdings wird seitens der erbrechtlichen Literatur an dieser Stelle zu wenig differenziert. Die „schuldhafte Verletzung einer Nachlassverbindlichkeit“, die zur Haftung mit dem Eigenvermögen führen soll, kann nicht jede schuldhafte Pflichtverletzung im Sinne des allgemeinen Schuldrechts sein. Denn ansonsten bräuchte der Gläubiger einem Miterben nur eine Frist nach § 281 BGB zu setzen, um nach deren Ablauf unbeschränkbar auf dessen Eigenvermögen zugreifen zu können. Leistet ein Miterbe nach Ablauf der Frist nicht, liegt eine Pflichtverletzung nach §§ 280, 281 vor, die der Miterbe grundsätzlich auch vertreten muss, da er trotz Leistungsmöglichkeit nicht leistet. Es entsteht eine Nachlassverbindlichkeit auf Schadensersatz. Gegenüber dieser kann der nicht leistende Miterbe sich auf seine Haftungsbeschränkung nach § 2059 I 1 berufen. Dem Gläubiger hilft die Annahme einer Schadensersatzverbindlichkeit trotzdem weiter, weil er aus ihr bei 109
OLG Neustadt, DNotZ 1963, 58, 61 (26.2.1962; hier handelte es sich allerdings nicht um eine Nachlassverbindlichkeit, vgl. unten, 162); Kipp/Coing, Erbrecht, § 121 Fn. 17; MüKo/Heldrich, § 2058 Rz 17; Soergel/Wolf, § 2058 Rz 4; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 50 Fn. 42; Staud/ Kaduk, vor § 420 Rz 86 f.; im Ergebnis ebenso Staud/Marotzke, § 2058 Rz 45 ff. 110 MüKo/Siegmann, § 1967 Rz 18; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 47 II 1 c; Erman/Schlüter, § 1967 Rz 9; Bartholomeyczik, Erbrecht, § 50 IV 3; von Lübtow, Erbrecht, 1099; Brox, Erbrecht, Rz 658; Michalski, Erbrecht, Rz 834; Harder/Kroppenberg, Erbrecht, Rz 549; etwas anders Soergel/Stein, § 1967 Rz 18 (reine Eigenschuld). 111 Staud/Marotzke, § 1967 Rz 53, § 2058 Rz 45.
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
Titeln gegen alle Miterben112 in den Nachlass, ansonsten in den Nachlassanteil oder nach der Teilung ins Eigenvermögen vollstrecken kann. Eine Eigenverbindlichkeit des nicht leistenden Miterben kann aber hieraus nicht entstehen, weil sie das Recht des Miterben nach § 2059 I 1, die Berichtigung aus seinem Eigenvermögen zu verweigern, praktisch zunichtemachen würde113. Denn § 2059 I 1 schützt den Miterben gerade deshalb, weil er allein mit den Mitteln des Nachlasses nicht erfüllen kann. Bei der „schuldhaften Verletzung“ einer Nachlassverbindlichkeit, die zu seiner unbeschränkbaren Haftung mit dem Eigenvermögen führen soll, muss es sich daher um mehr handeln als um die bloße Nichtleistung nach Fristablauf: Der Erbe muss die Erfüllung der Nachlassverbindlichkeit vielmehr durch aktives Tun vereiteln114. Demnach können bei einer Nachlassverbindlichkeit auf Leistung einer Nachlasssache und einer gedachten Erbengemeinschaft aus E1 und E2 folgende Fallgruppen unterschieden werden: (1) E1 zerstört schuldhaft die geschuldete Nachlasssache. E1 schuldet unbeschränkbar (nach herrschender Lehre als Eigenverbindlichkeit) Schadensersatz aus §§ 280, 283. Eine Eigenverbindlichkeit von E2 entsteht wegen § 425, der bei gesetzlichen Gesamtschulden uneingeschränkt anwendbar ist, nicht. E2 würde aber auf den Nachlass beschränkt haften, wenn man die Schadensersatzpflicht des E1 zugleich als gemeinschaftliche Nachlassverbindlichkeit i.S.d. § 2058 ansieht. Dies wird von einem Teil der Literatur angenommen, die insofern von einer Pflichtsubjektivität des Nachlasses spricht115. Hierfür könnte sprechen, dass bei Alleinerben die Schadensersatzpflicht aus einer Pflichtverletzung des Erben unstreitig Nachlassverbindlichkeit ist, weil sie die Natur der verletzten Pflicht (der Erfüllungspflicht) teilt, und diese Qualifizierung auch Dritte oder andere Nachlassgläubiger treffen kann, nämlich bei nachträglicher Separierung des Nachlasses (Übergang auf einen Nacherben, Nachlassinsolvenz). Insofern erscheint es nicht von vornherein systemwidrig, auch bei der Pflichtverletzung durch einen Miterben eine Nachlassverbindlichkeit gegenüber allen Miterben anzunehmen, falls diese an die Stelle des ursprünglichen Leistungsanspruchs tritt. Ob man allerdings den nicht rechtsfähigen Nachlass tatsächlich als „pflichtfähig“ ansehen kann, ist nicht sicher. Das gewünschte Ergebnis könnte statt dessen vielleicht auch durch die Annahme erreicht werden, dass nur E1 Schuldner ist, der Nachlass aber für die Schuld des E1 haftet. E2 wäre dann nicht Schuldner, sondern wie ein Drittsicherer einer fremden Schuld lediglich verpflichtet, 112 Setzt der Gläubiger allen Miterben eine Frist und leistet keiner, schulden alle Schadensersatz als Gesamtschuldner, allerdings als Nachlassverbindlichkeit. 113 Ebenso im Ergebnis U.Huber, Leistungsstörungen I, § 13 III, S. 336 ff., 343 f.; anders offenbar Staud/Marotzke, § 2059 Rz 18. 114 So verhielt es sich auch im Fall RGZ 92, 341 (22.3.1918), auf den sich die Literatur beruft: Der Erblasser war Miteigentümer und gegenüber dem anderen Miteigentümer verpflichtet, seinen Anteil nicht zu belasten, damit das Grundstück verkauft werden konnte. Sein Erbe kannte diese Verpflichtung, belastete dennoch den Anteil und vereitelte damit den Verkauf. Hier nahm das Reichsgericht eine Schadensersatzverbindlichkeit des Erben ohne Beschränkung auf den Nachlass an. 115 Staud/Marotzke, § 2058 Rz 47 f., m.w.N.
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eine Vollstreckung in den Nachlass zu dulden. Schließlich besteht auch die Möglichkeit, eine Nachlassverbindlichkeit (und damit eine indirekte Belastung des E2, des Nacherben oder der bisherigen Nachlassgläubiger) in einem solchen Fall ganz zu verneinen116. (2) G setzt nur E1 eine Frist, der nach deren Ablauf nicht leistet. Weil E1 als Gesamtschuldner zur Leistung verpflichtet war und innerhalb der Frist trotz Möglichkeit der Leistung nicht leistete, entsteht ein Schadensersatzanspruch des G aus §§ 280, 281, der eine Nachlassverbindlichkeit ist. Da die bloße Nichtleistung eines Miterben vor der Teilung keine besondere Pflichtverletzung ist, die eine Haftung mit dem Eigenvermögen rechtfertigt, entsteht keine Eigenverbindlichkeit des E1. E1 kann sich also nach § 2059 I 1 auf die Haftungsbeschränkung berufen. E2 schuldet ebenfalls die Nachlasssache. Da ihm keine Frist gesetzt wurde, hat er seine eigene Primärleistungspflicht nicht in eine Nachlass- oder Eigenverbindlichkeit auf Schadensersatz verwandelt117. E2 schuldet also nach wie vor nur die Sache selbst. G muss ihm eine Frist setzen, um nach deren Ablauf wegen des Schadensersatzes in den gesamten Nachlass vollstrecken zu können (falls nicht vorher geleistet wird). Wenn E2 Erfüllung und E1 Schadensersatz schulden, schließt dies eine Gesamtschuld zwischen E1 und E2 im Übrigen nicht aus. (3) G, dem der Erblasser ein Nachlassgrundstück schuldete, setzt beiden Erben eine Frist. Nach deren Ablauf weigert sich E1, zu erfüllen, während E2 leistungsbereit ist und schon eine eigene Auflassungserklärung abgegeben hat. Hier schulden beide Erben Schadensersatz aus §§ 280, 281. Dies gilt auch für E2: Als Gesamtschuldner war er zur Übereignung des Grundstücks verpflichtet, nicht nur zur Abgabe einer eigenen Auflassungserklärung. Durch Einwirkung auf E1 konnte er auch erfüllen. Es handelt sich aber zumindest hinsichtlich E2 um eine reine Nachlassverbindlichkeit, so dass er sich auf § 2059 I 1 berufen kann. G kann hinsichtlich des Schadensersatzes in den Nachlass vollstrecken, § 2059 II. Gegenüber E1 ist sogar die Annahme einer Eigenverbindlichkeit (bzw. einer Nichtbeschränkbarkeit seiner Haftung) denkbar. Zwar bestand seine Pflichtverletzung lediglich in einer Nichtleistung. Da hier aber E2 eine Auflassungserklärung abgegeben hat, hätte E1, um seine Übereignungspflicht zu erfüllen, lediglich ebenfalls eine Auflassungserklärung abgeben und insofern nicht auf sein Eigenvermögen zugreifen müssen, so dass ihm die grundsätzlich beschränkte Miterbenhaftung hier nicht entlastet (während in Fall b E1 die geschuldete Übereignung nur durch Einwirkung auf E2 erreichen könnte, für deren Unterbleiben nach der Wertung des § 2059 I 1 eine Haftung mit dem Eigenvermögen ausscheiden muss). Statt dessen kann G nach reformiertem Schuldrecht (§ 281 IV) auch noch nach Ablauf der Frist E1 auf Erfüllung verklagen und hierdurch die Fiktion seiner Auflassungserklärung erreichen. Dass die Lösungen der angesprochenen Fälle schwierig und umstritten sind und komplexe Fragen aufwerfen, liegt weniger am Gesamtschuldmodell als an 116 117
So Kreß, Erbengemeinschaft, 78 f. Ebenso Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 97, der wie hier von Gesamtschulden ausgeht.
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
der unnötig kompliziert ausgestalteten gesetzlichen Regelung der Haftung der Miterben vor der Teilung. In jedem Fall ist eine interessengerechte Lösung der Leistungsstörungsprobleme auch auf dem Boden des Gesamtschuldmodells möglich, ohne dass dem § 425 entgegensteht. Denkbar ist lediglich, dass die Haftung der Miterben für Nachlassverbindlichkeiten unter Annahme eines Gesamthandsmodells, nach dem die Gesamthand bzw. die Erbengemeinschaft schuldet und daneben möglicherweise ein einzelner Erbe persönlich haftet, etwas vereinfacht werden kann. In Fall a und c könnte man dann schlicht von einer Leistungsstörung durch die Gesamthand sprechen, für welche die Gesamthand Schadensersatz schuldet. Für diese Schulden haftet der Miterbe vor der Teilung beschränkbar, falls er nicht eine Eigenverbindlichkeit begründete (was genau eine Eigenverbindlichkeit wäre, müsste auch nach diesem Modell geklärt werden). In Fall b müsste man bei Annahme der Schuld „der Erbengemeinschaft“ die Fristsetzung für unwirksam halten, weil sie nicht gegenüber der Erbengemeinschaft, also gegenüber allen Erben (§ 2038), erklärt wurde. Ein Schadensersatzanspruch wäre dann gar nicht entstanden (was wiederum den Gläubiger bei Unkenntnis der Miterben benachteiligen könnte). Will man ein solches Gesamthandsmodell, dann muss man aber konsequenterweise die Rechtsfähigkeit der Erbengemeinschaft bejahen. Dann aber gilt das „Gesamthandsmodell“ nicht nur bei Verpflichtungen zu Verfügungen über einen Nachlassgegenstand, sondern bei allen Nachlassverbindlichkeiten118. Die nur gemeinschaftliche Verfügungsbefugnis als solche kann die Art der Schuldnermehrheit also nicht ändern.
d) Vertraglich geschuldete gemeinschaftliche Verfügungen Verpflichten sich mehrere Schuldner gemeinschaftlich, dem Gläubiger eine Sache zu übereignen oder eine sonstige Verfügung über einen Gegenstand zu treffen, dann richtet sich die Art der Schuldnermehrheit auf den ersten Blick auch dann nach §§ 420 ff., wenn der Gegenstand den Schuldnern gemeinschaftlich i.S.d. § 741 zusteht oder Teil eines Gesamthandsvermögens ist. Demnach wären die Schuldner gemäß §§ 427, 431 im Zweifel Gesamtschuldner, unabhängig davon, ob man den geschuldeten Gegenstand als teilbar ansieht oder nicht. Selbstverständlich können die Parteien auch eine andere Art der Schuldnermehrheit vereinbaren. Für eine solche Annahme müssten aber Indizien vorliegen. Nach allgemeinen rechtsgeschäftlichen Regeln richtet sich die Art der Schuldnermehrheit nach der Parteivereinbarung, nicht nach der sachenrechtlichen Lage auf der Schuldnerseite. Auf dieser Linie lag das Urteil des Berufungsgerichts in einem Reichsgerichtsfall von 1925119. Der Gläubiger, dem eine Erbengemeinschaft ein Nachlassgrundstück verkauft hatte, verklagte einen Miterben auf Übereignung. Nach Ansicht 118 119
Vgl. Staud/Marotzke, § 2058 Rz 51. RGZ 111, 338 (5.10.1925).
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des Berufungsgerichts nahm der Kläger den Miterben nicht in seiner Eigenschaft als Erbe, sondern als Verkäufer in Anspruch, ebenso, wie wenn die Miterben ein fremdes Grundstück verkauft hätten. Der beklagte Miterbe sei also zur Übereignung verpflichtet, ohne sich auf seine mangelnde Verfügungsbefugnis berufen zu können. Das Reichsgericht aber war anderer Meinung: Das Berufungsgericht habe übersehen, dass die gesamte Erbengemeinschaft Verkäufer und eine „selbständige Verpflichtung“ des Miterben zur Verfügung über das gesamte Grundstück nicht entstanden sei. Weil der Kläger nicht gegen alle Miterben auf Auflassung geklagt habe, fehle nach §§ 2033, 2040 eigentlich die Passivlegitimation. Wenn aber die nicht verklagten Miterben die geschuldete Verfügung schon freiwillig getroffen hätten, zu ihr verurteilt oder unstreitig bereit seien, dann könne ausnahmsweise der einzelne Miterbe auf Abgabe seiner Auflassungserklärung als Bestandteil der Gesamtverfügung verklagt werden. Mit diesem Urteil setzte das Reichsgericht seine alte Rechtsprechung zum preußischen ALR fort. Ein Vertrag, mit dem Miterben ein Nachlassgrundstück verkauften, war danach so auszulegen, dass wegen der mangelnden Verfügungsbefugnis des einzelnen Miterben die gesetzliche Gesamtschuldvermutung (damals ALR I 5 § 424) widerlegt war. Statt dessen sollte die Eigentumsübertragung durch die Miterben gemeinsam erfolgen und jeder Miterbe dazu im Rahmen seiner Verfügungsberechtigung beitragen. Der Gläubiger musste danach alle Miterben gemeinschaftlich auf Auflassung in Anspruch nehmen. Nur wenn die nicht verklagten Miterben unstreitig erfüllungsbereit waren, sollte auch eine Einzelklage auf „Verschaffung der Auflassung gemeinsam mit den anderen Miterben“ möglich sein120. In der Folgezeit beschränkte sich die Rechtsprechung zumeist darauf, für die Klage auf Erfüllung, also etwa die Auflassung des geschuldeten Gesamthandsgrundstücks, eine notwendige Streitgenossenschaft im materiellrechtlichen Sinne anzunehmen. Die Klage gegen einen einzelnen Verkäufer sollte also unzulässig sein, sofern nicht die übrigen Gesamthänder schon erfüllungsbereit waren121. Ähnlich wird entschieden, wenn Miteigentümer die gemeinschaftliche Sache verkaufen. Hier besteht allerdings die Besonderheit, dass wegen der Verfügungsbefugnis des einzelnen Miteigentümers über seinen Anteil auch die Annahme von Teilschulden möglich ist, wonach jeder Miteigentümer lediglich die Verfügung über seinen Miteigentumsanteil schuldet. Zu Recht prüft die Rechtsprechung daher zunächst mittels Vertragsauslegung, ob einzelne Anteilsverfügungen oder die Verfügung über die Sache als Ganzes geschuldet werden. Sofern Letzteres der Fall ist, soll für den Primärleistungsanspruch auf Übereignung not-
120
RG Gruch 35, 115 (2.7.1890), m.w.N. RGZ 112, 129 (21.11.1925); RG Warn 1926, 127 Nr. 93 (3.3.1926); ebenso obiter BGH NJW 1994, 1470, 1471 (4.2.1994). Dem folgt die prozessrechtliche Literatur, etwa Wieczorek/Schütze, ZPO, § 62 Rz 49; MüKoZPO/Schultes, § 62 Rz 32 (mit restriktiverer Handhabung der Ausnahme, Rz 34); Musielak/Weth, ZPO, § 62 Rz 11; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 49 Rz 24; a.A. Zöller/Vollkommer, ZPO, § 62 Rz 17 f. 121
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wendige Streitgenossenschaft im materiellrechtlichen Sinne bestehen, eine Klage gegen einen einzelnen Miteigentümer also grundsätzlich unzulässig sein, solange nicht die übrigen Miteigentümer unstreitig leistungsbereit sind oder ihre Auflassungserklärung schon abgegeben haben122. Stellt man allein auf die notwendige Streitgenossenschaft als prozessrechtliches Institut ab, so könnte es scheinen, dass die Rechtsprechung materiellrechtlich von Gesamtschulden ausgeht, die nur dadurch modifiziert sind, dass die Erfüllungsklage gegen alle Schuldner zusammen gerichtet werden muss123. Dagegen spricht aber schon das erwähnte Reichsgerichtsurteil von 1925, das eine selbständige Übereignungspflicht des einzelnen Verkäufers ablehnte, und die Tradition der Rechtsprechung zum preußischen ALR. Vor allem wäre auch nicht klar, warum hier, anders als bei den Nachlassverbindlichkeiten, nicht auch eine „Gesamtschuldklage“ auf „Herbeiführung“ möglich sein soll, die auch gegen einen einzelnen Verkäufer gerichtet werden kann. Die Zulässigkeit derartiger Einzelklagen auf Erfüllung wird in Fällen des gemeinschaftlichen Verkaufs jedenfalls nie erwähnt. Demnach scheint es, als ob die Rechtsprechung hier von einer anderen Form der Schuldnermehrheit ausgeht. Hierfür spricht auch ein dictum des BGH von 1980, wonach bei einem Verkauf eines Nachlassgrundstücks durch Miterben eine „gemeinschaftliche Schuld“ vorliege, die keine Gesamtschuld sei124. Auch die ganz herrschende Lehre in der Literatur nimmt in Fällen, in denen Miteigentümer oder Gesamthänder eine gemeinschaftliche Sache verkaufen oder belasten, eine besondere Schuldnermehrheitsform der Gesamthandsschuld oder gemeinschaftlichen Schuld an125. Da eine Erfüllung nur durch die Berechtigten gemeinsam möglich ist, soll diese gemeinschaftliche Schuld entweder die einzig mögliche Schuldform sein oder zumindest im Regelfall den Parteiinteressen eher entsprechen als Gesamtschulden. 122 BGH NJW 1962, 1722 (8.6.1962); BGH NJW 1994, 1470 (4.2.1994); Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht, § 49 Rz 26; Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 62 Rz 20; MüKoZPO/Schultes, § 62 Rz 33; Musielak/Weth, ZPO, § 62 Rz 12; ebenso, obiter, für die Verpflichtung zur Einräumung einer Grunddienstbarkeit, BGH NJW-RR 1991, 333 (26.10.1990); Soergel/Stürner, vor § 1008 Rz 7. Ablehnend Zöller/Vollkommer, ZPO, § 62 Rz 17 f. 123 So Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 91 f. 124 BGH NJW 1980, 2464 (7.7.1980); ähnlich OLG Braunschweig, NJW-RR 1997, 1038 (12.12.1996). 125 Larenz, SR AT, § 36 II c; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 19; Selb, Mehrheiten, 192 f.; Staud/Kaduk, vor § 420 Rz 90; Staud/Noack, vor § 420 Rz 25; Soergel/Wolf, vor § 420 Rz 11, 13, § 421 Rz 22; Jauernig/Stürner, vor § 420 Rz 4, § 427 Rz 2, § 431 Rz 2; Medicus, SR AT, Rz 810; Schlechtriem/Schmidt-Kessel, SR AT, Rz 835 ff.; Schwab, Streitgenossenschaft (1957), 285 f.; Hassold, Streitgenossenschaft (1970), 47; van Venrooy, JuS 1982, 95; Wolf/Niedenführ, JA 1985, 376 f.; Wieser, JuS 2000, 998; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 14; wohl auch Gottwald, JA 1982, 69; nur für den Fall, dass ausdrücklich die gemeinsame Verschaffung von Alleineigentum versprochen wird (sonst Einzelschulden): MüKo/P. Bydlinski, § 420 Rz 5, § 431 Rz 3; anders Palandt/ Grüneberg, vor § 420 Rz 9 (Gesamtschulden). Für den Fall der Verpflichtung zur Bestellung einer Grunddienstbarkeit am gemeinsamen Grundstück auch Planck/Siber, § 431 Anm. 1; Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, § 88 II 2; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 19.
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Der gedankliche Zusammenhang zur Dogmatik der Nachlassverbindlichkeiten ist offensichtlich, doch hier geht man noch einen Schritt weiter. Bei den Nachlassverbindlichkeiten auf Verfügung über einen Nachlassgegenstand ging es zunächst einmal nur um die Annahme einer notwendigen Streitgenossenschaft bei der Klage auf Auflassung. Sie wurde dadurch begründet, dass die Klage auf Auflassung der Gesamthandsklage i.S.d. § 2059 II gleichgestellt wurde. Die damit verbundene Annahme, nur derjenige sei richtiger Beklagter, der die Verfügung auch vornehmen könnte, betraf allerdings nur den Klageantrag, weil wegen der Regel des § 2058 zugleich „Gesamtschuldklagen“ auf „Herbeiführung“ zugelassen wurden. Weil bei vertraglichen Verpflichtungen § 2058 nicht gilt (sondern „nur“ §§ 427, 431), konnte man hier die Herbeiführungsklagen weglassen und von vornherein die Erfüllungsklage nur gegen die Verfügungsberechtigten zusammen zulassen, was wiederum zur Annahme führen musste, dass eine besondere Art der gemeinschaftlichen Schuld vorliege. Demnach stellt sich die Frage, welche Rechtsfolgen eine solche Gesamthands- oder gemeinschaftliche Schuld hervorbringen soll und wie sich diese Rechtsfolgen von Gesamtschulden unterscheiden. Liegen Gesamtschulden vor, schuldet jeder Mitberechtigte die Übereignung. Subjektive Unmöglichkeit i.S.d. § 275 I liegt in der Regel nicht vor. Übereignet ein Mitberechtigter nach Fristsetzung gegen ihn nicht, weil die Mitschuldner nicht mitwirken, schuldet er Schadensersatz aus §§ 280, 281, weil er zu vertreten hat, dass er trotz Leistungsmöglichkeit nicht leistet. Die Vorschrift des § 425 muss hier nicht herangezogen werden, weil es um die Pflichtverletzung des Schuldners selbst geht, nicht um ein Einstehenmüssen für Pflichtverletzungen der Mitschuldner126. Setzt der Gläubiger eine Frist gegenüber allen und leistet keiner, schuldet jeder vollen Schadensersatz; im Ergebnis entstehen hierdurch Schadensersatzgesamtschulden. Wird die Übereignung hingegen durch Verschulden eines Mitschuldners unmöglich (etwa wenn er die Sache zerstört), hängt eine Schadensersatzpflicht der übrigen Mitschuldner aus §§ 280, 283 davon ab, ob das Verschulden des einen ihnen entgegen § 425 zugerechnet wird. Das gesetzliche Gesamtschuldmodell erlaubt hier, je nach Parteivereinbarung, beide Lösungen. Falls eine Zurechnung bejaht wird, schulden alle Schadensersatz, und es entstehen wiederum Gesamtschulden. Über die genauen Rechtsfolgen der rechtsgeschäftlich entstehenden Gesamthands- oder gemeinschaftlichen Schuld herrscht in der Literatur keine Einigkeit. Im Wesentlichen kann zwischen zwei Haftungsmodellen unterschieden werden.
e) Das Modell der beschränkten Haftung (Gesamthandsschuld i.e.S.) Für diejenigen Fälle, in denen sich auf Seiten der Schuldner ein Gesamthandsvermögen befindet, sehen manche Autoren die Besonderheit der gemeinschaftlichen 126 Ebenso Soergel/U.Huber, § 433 Rz 323–323 b; und im Ergebnis auch Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 46, 95–97.
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bzw. Gesamthandsschuld in einer (teilweisen) Beschränkung der Haftung auf das Gesamthandsvermögen. Verkaufen danach zwei Miterben einen Nachlassgegenstand, soll der Gläubiger nur gegen beide zusammen auf Erfüllung klagen können. Unterbleibt die Erfüllung wegen Verzugs oder Verschuldens eines Miterben, schuldet „die Gesamthand“ Schadensersatz, während die übrigen Miterben persönlich nicht haften127. Anders als bei der Annahme von Gesamtschulden ist also zumindest die persönliche Haftung eines Miterben ausgeschlossen, wenn die Erfüllung nur deshalb unterbleibt, weil ein anderer Miterbe sich weigert, an der Verfügung mitzuwirken. Damit stellt sich die Frage, wie eine solche Haftungsbeschränkung erklärt werden kann. (1) Verneint man eine Rechtssubjektivität der Erbengemeinschaft, schulden nur die Miterben selbst. Nach allgemeinen Regeln haftet ein Schuldner mit seinem gesamten Vermögen. Gesetzlich angeordnete Haftungsbeschränkungen bei einem Kontrahieren durch eine Erbengemeinschaft bestehen nicht. Demnach kann eine Haftungsbeschränkung nur auf einer Vereinbarung der Schuldner mit dem Gläubiger beruhen. Tatsächlich findet sich in der erbrechtlichen Literatur die These, dass Miterben, die Verträge mit Nachlassbezug abschließen, ihre Haftung schon durch den offengelegten Nachlassbezug auf den Nachlass beschränken. Dies soll unabhängig davon gelten, ob ein Gegenstand des Nachlasses geschuldet wird, also auch dann, wenn, wie bei Geldschulden, die Erfüllung durch einen Miterben allein möglich ist. Diese These beruht wiederum auf der Lehre der sog. Nachlasseigenschulden. Ausgangspunkt ist, dass ein Alleinerbe, der Geschäfte in ordnungsgemäßer Verwaltung des Nachlasses abschließt, im Falle einer späteren Nachlassliquidation privilegierte Aufwendungsersatzansprüche gegenüber dem Nachlass aus § 1978 III hat, mit denen er auch eine Befreiung von eingegangenen Verbindlichkeiten verlangen kann. Weitergehend hat die Rechtsprechung zugelassen, dass auch der Gläubiger des Alleinerben bei einer Nachlassliquidation sich direkt an den Nachlass halten kann und nicht den Befreiungsanspruch des Erben pfänden muss128. Damit entstanden sog. Nachlasseigenschulden: Nachlassverbindlichkeiten, die auf einem Rechtsgeschäft des Erben beruhen129. Die Besonderheit dieser Nachlasseigenschulden ist aber, dass daneben die persönliche rechtsgeschäftliche
127 So OLG Neustadt, DNotZ 1963, 58, 61 (26.2.1962); Staud/Kaduk, vor § 420 Rz 86 f.; Wolf/ Niedenführ, JA 1985, 376; früher auch Larenz, Schuldrecht AT, 13.Aufl. 1982, § 36 II c; siehe auch Jauernig/Stürner, § 431 Rz 4. Ob der schuldhaft die Erfüllung vereitelnde Miterbe selbst persönlich haftet, wird unterschiedlich beurteilt. 128 RGZ 62, 38 (9.11.1905); RGZ 90, 91, 94 ff. (26.3.1917); RGZ 146, 343 (21.1.1935). 129 RGZ 112, 129 (21.11.1925); BGHZ 32, 60, 64 f. (10.2.1960); BGHZ 38, 187, 193 (31.10.1962); BGHZ 110, 176, 179 (31.1.1990); Bartholomeyczik, DGWR 1938, 321; Kipp/Coing, Erbrecht, § 93 III; MüKo/Siegmann, § 1967 Rz 15–17; Staud/Marotzke, § 1967 Rz 5–7, 40–42, 49; Soergel/Stein, § 1967 Rz 8 ff.; Erman/Schlüter, § 1967 Rz 9; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 47 V; Brox, Erbrecht, Rz 658 f.; Michalski, Erbrecht, Rz 833 f.; Heil, ZEV 2002, 298 f.; ausführlich A.Ernst, Haftung des Erben, 13 ff.
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Haftung des Erben unberührt bleibt130: Man spricht von einem „Nebeneinander“ von Nachlassverbindlichkeiten und Eigenschulden. Praktisch bedeutet dies, dass dem Gläubiger im Falle einer Nachlassliquidation neben der Inanspruchnahme des Erben auch die Möglichkeit offensteht, sich an den nun separierten Nachlass zu halten und damit in Konkurrenz zu den „echten“ Nachlassgläubigern zu treten. Wenn der Gläubiger sich aber an den Nachlass halten kann, dann liegt der Gedanke nicht fern, die eigene rechtsgeschäftliche Haftung der Erben wiederum auszuschließen. Der Erbe kann daher nach heute wohl allgemeiner Ansicht bei Verträgen mit Nachlassbezug eine solche Haftungsbeschränkung vereinbaren131. Die Anforderungen an eine solche Haftungsbeschränkungsabrede sind aber nicht ganz klar. Die Rechtsprechung erwähnt, allerdings nur obiter, die Möglichkeit einer konkludenten Haftungsbeschränkung dergestalt, dass der Erbe den Willen äußert, nur für den Nachlass zu handeln, und der Gläubiger sich darauf einlässt132. Diese Regeln werden, etwas modifiziert, auf das rechtsgeschäftliche Handeln durch Miterben übertragen. Auch diese sollen durch Verträge mit Nachlassbezug echte Nachlassverbindlichkeiten begründen können, wobei das Erfordernis der ordnungsgemäßen Verwaltung hier teilweise fallen gelassen wird. Ebenso sollen die Miterben ihre persönliche Haftung ausschließen können, wobei manche hierfür schon den erkennbaren Willen, nur für den Nachlass zu handeln, ausreichen lassen133. Gegen die Lehre von der Nachlasseigenschuld hat Dauner-Lieb beachtliche Einwände erhoben134. So kann ein Erbe, wenn überhaupt, den Nachlass nur dann mit neuen Verbindlichkeiten belasten, wenn dies für den Erhalt des Nachlasses i.S.d. § 2078 III erforderlich ist, da die ursprünglichen Nachlassgläubiger anderenfalls eine Konkurrenz durch Neugläubiger nicht hinnehmen müssen135. Bei Verpflichtungen von Miterben muss allerdings die Frage, ob das Gesamthandsvermögen haftet, von der anderen Frage unterschieden werden, ob der Nachlass als solcher belastet wird, ob also im Falle der Nachlassliquidation die Nachlass-
130 Hierzu insbesondere RGZ 90, 91, 93; RGZ 146, 343; BGHZ 110, 176; Bartholomeyczik, DGWR 1938, 321, 322 f. 131 Hierzu Staud/Marotzke, § 1967 Rz 40; MüKo/Siegmann, § 1967 Rz 23. 132 RGZ 90, 91, 93; RGZ 146, 343; ebenso Soergel/Stein, § 1967 Rz 9; Erman/Schlüter, § 1967 Rz 9; Bartholomeyczik, Erbrecht, § 50 IV 1. 133 BGH BB 1968, 769, 770 (25.3.1968); Bartholomeyczik, Erbrecht, § 38 III 1; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 43 III 3, Fn. 114; MüKo/Siegmann, § 2038 Rz 27; Erman/Schlüter, § 2038 Rz 12; Schlüter, Erbrecht, Rz 679; Brox, Erbrecht, Rz 778; Michalski, Erbrecht, Rz 780; kritisch Sobich, Erbengemeinschaft, 51 ff. Bei unternehmensfortführenden Miterben wird für einen Ausschluss der persönlichen Haftung meist eine besondere Vereinbarung gefordert, etwa MüKo/Siegmann, § 2038 Rz 28; M. Wolf, AcP 181 (1981), 503 ff.; Soergel/Wolf, § 2032 Rz 9; Hüffer, ZGR 1986, 629 f., 636 f.; Ernst, Haftung, 59 ff.; Hohensee, Erbengemeinschaft, 239 f.; Canaris, Handelsrecht, § 9 Rz 17 (anders noch 22. Aufl. 1995, 148 f.). 134 Dauner-Lieb, Sondervermögen, 129 ff. 135 Zustimmend Harder/Kroppenberg, Erbrecht, Rz 549; ähnlich Staud/Marotzke, § 1967 Rz 40 ff.; Ernst, Haftung, 24 ff., 70 ff.; anders Windel, Nachfolge, 82 ff.
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gläubiger ihre privilegierte Stellung mit dem Neugläubiger teilen müssen136. Letzteres kann nur bei Verträgen angenommen werden, die dem Erhalt des Nachlasses dienen137. Für alle anderen Verträge gilt, dass der Gläubiger bei einer Nachlassliquidation kein Zugriffsrecht hat. Eine Beschränkung der Haftung auf das Gesamthandsvermögen ist zwar möglich, kann sich aber im Fall einer Nachlassliquidation nicht auswirken, so dass dann ein Zugriff auf die Miterben gewährleistet sein muss. Soweit danach eine Haftungsbeschränkung auf das Gesamthandsvermögen überhaupt möglich ist, setzt sie eine Vereinbarung voraus, die bei Verträgen mit Nachlassbezug nicht ohne weitere Indizien angenommen werden kann138. Auch das Auftreten als Miterben rechtfertigt nicht die Annahme einer stillschweigenden Haftungsbeschränkung139. Zwar ist, anders als beim Alleinerben, das Gesamthandsvermögen als Haftungsgegenstand vom Eigenvermögen der Miterben gesondert. Diese Separierung dient jedoch nur dem Interesse der Miterben selbst140, die, solange sie sich einig sind, die Gegenstände des Gesamthandsvermögens zu jedem beliebigen Zweck verwenden können. Mit einer Haftungsbeschränkung wäre der Gläubiger also auf ein ungesichertes, dem jederzeitigen Zugriff durch seine Schuldner unterliegendes Vermögen verwiesen. Eine derartige Abrede muss, wenn schon nicht ausdrücklich, so doch wenigstens deutlich erkennbar erfolgen. Auch wenn die Verpflichtung der Miterben darin besteht, über einen Gegenstand des Gesamthandsvermögens zu verfügen, kann eine konkludent vereinbarte Haftungsbeschränkung, mag sie hier auch näher liegen141, nicht ohne weiteres angenommen werden. Verkauft etwa eine Erbengemeinschaft ein Nachlassgrundstück und betreibt danach ein Nachlassgläubiger die Zwangsvollstreckung in dieses Grundstück, würde eine Haftungsbeschränkung offenbar dazu führen, dass dem Vertragsgläubiger nur noch der Zugriff auf das restliche Gesamthandsvermögen verbleibt, sofern ein solches überhaupt vorhanden ist. Insbesondere dann, wenn die Vertragsparteien über den Gesamtbestand des Gesamthandsvermögens gar nicht gesprochen haben, liegt die Annahme einer Haftungsbeschränkung daher fern. Soweit man aber im Einzelfall eine Beschränkung der Haftung auf das Gesamthandsvermögen nach dem dargestellten Modell bejaht, bedeutet dies nicht eine besondere Schuldnermehrheitsform. Es liegen lediglich Gesamtschulden mit 136
Dauner-Lieb, Sondervermögen, 57, 334 ff., 345 f.; ebenso Sobich, Erbengemeinschaft, 53 f. Ausführlich Dauner-Lieb, Sondervermögen, 380 f., 387 ff., 445 ff.; ebenso Staud/Marotzke, § 1967 Rz 49; anders Windel, Nachfolge, 90 f. 138 Dauner-Lieb, Sondervermögen, 140 ff.; Staud/Marotzke, § 1967 Rz 40; ders., AcP 199 (1999), 618 f.; MüKo/Siegmann, § 1967 Rz 23; siehe auch Windel, Nachfolge, 90 ff. 139 Ausführlich Dauner-Lieb, Sondervermögen, 387 ff., 396 ff.; ebenso Hohensee, Erbengemeinschaft, 239 f.; Heil, ZEV 2002, 298 f. 140 Dauner-Lieb, Sondervermögen, 342 f. 141 Vgl. Dauner-Lieb, Sondervermögen, 401, die für diese Fälle offen lässt, ob eine konkludente Haftungsbeschränkung ausnahmsweise möglich ist. 137
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beschränkter Haftung vor142. Auch wer nur mit einem Sondervermögen haftet, kann trotzdem die gesamte Leistung schulden143. Wenn der Gläubiger in das Gesamthandsvermögen vollstrecken können soll, braucht er Titel gegen beide Erben. Also müssen beide Erben schulden. Was sie schulden, kann nur die Gesamtleistung sein. Denn schuldete jeder nur seine „Mitwirkung“ oder Abgabe seiner Auflassungserklärung, könnte der Gläubiger, wenn nach Fristsetzung nur E2, nicht E1 die Auflassung erklärte, wegen eines Schadensersatzanspruchs mangels Titels gegen E2 nicht mehr ins Gesamthandsvermögen vollstrecken. Weil dem Gläubiger nach diesem Modell die Vollstreckung auch bei einer nur von E1 verschuldeten Unmöglichkeit gestattet werden soll, muss es sich sogar um Gesamtschulden handeln, bei denen das Verschulden entgegen § 425 Gesamtwirkung hat, weil ansonsten kein Titel gegen E2 möglich wäre. Diese Gesamtschulden sind verbunden mit einer Haftungsbeschränkung, die allerdings nur insoweit gilt, als die Leistungsstörung nicht auf einer besonderen Pflichtverletzung des betreffenden Schuldners beruht. Sofern der Gläubiger nur in das Gesamthandsvermögen vollstrecken kann, ergibt sich die regelmäßige Notwendigkeit, alle Schuldner gemeinsam zu belangen, schon aus § 747 ZPO: Der Klage gegen nur einen Miterben fehlt, ebenso wie bei der Gesamthandsklage i.S.d. § 2059 II, das Rechtsschutzbedürfnis, solange nicht schon ein Titel gegen den anderen besteht. Um eine besondere Art der Schuldnermehrheit handelt es sich bei diesem Modell also nicht. (2) Geht man statt dessen von einer Rechtssubjektivität der Erbengemeinschaft aus, dann wird, sofern die Miterben in ihrer Eigenschaft als Miterben auftraten, die Erbengemeinschaft als solche Vertragspartei und Schuldner und haftet mit ihrem Gesamthandsvermögen. Erfüllung könnte der Gläubiger zunächst einmal von der Erbengemeinschaft selbst, also von allen Miterben in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit, verlangen. Auch eine Haftung der Gesamthand für Leistungsstörungen durch ihre Mitglieder als Organe könnte mit diesem Modell erklärt werden. Eine daneben bestehende persönliche Haftung der einzelnen Gesamthänder könnte aber nur dann ausgeschlossen werden, wenn man – in Parallele zur Doppelverpflichtungstheorie bei der GbR144 – einen besonderen rechtsgeschäftlichen Verpflichtungsakt der Gesamthänder verlangte. Unter dieser Prämisse ließe sich die Ansicht vertreten, dass bei einem Vertragsschluss durch Miterben mit Nachlassbezug eine persönliche Haftung in der Regel ausgeschlossen sei. Eine solche Lösung wäre allerdings gegenüber der traditionellen Lösung (Schulden nur der Miterben selbst) haftungsrechtlich nicht neutral145 und ist auch deshalb bei der GbR mittlerweile aufgegeben worden. Vorzugswürdig wäre, zumindest bei rechtsgeschäftlichen Verpflichtungen, eine akzessorische Haftung 142
Ebenso (ausführlich) Aderhold, Schuldmodell, 87 ff., 126, 129; ferner Heil, NZG 2001, 304. Vgl., zu Nachlassverbindlichkeiten, Soergel/Wolf, § 2058 Rz 3; Staud/Marotzke, § 2058 Rz 10, 66; MüKo/Heldrich, § 2059 Rz 19. 144 Oben, 83 ff. 145 So Dauner-Lieb, Sondervermögen, 393 ff., 404 ff. 143
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der Miterben für die Schulden der Erbengemeinschaft146. Dann aber könnte der Gläubiger statt der Erbengemeinschaft einen einzelnen Miterben verklagen. Vorstellbar wäre höchstens, in Parallele zur entsprechenden Diskussion bei der Personengesellschaft über den Inhalt der Gesellschafterschuld147 eine auf Erfüllung gerichtete Klage des Gläubigers gegen den einzelnen Miterben auszuschließen, weil Gegenstand des Schuldverhältnisses die Erfüllung durch die Erbengemeinschaft ist148. Wie auch immer man sich entscheidet: Ist die Erbengemeinschaft rechtsfähig, dann entsteht eine Schuld der Erbengemeinschaft. Daneben kann es persönliche akzessorische Schulden der Miterben geben, die untereinander Gesamtschulden sind und sich entweder auf Erfüllung oder auf das Interesse richten. Die nur gemeinschaftliche Verfügungsbefugnis über den geschuldeten Gegenstand führt insoweit zu keinen Besonderheiten. Im Ergebnis lässt sich das Modell der „auf die Gesamthand“ beschränkten Haftung nur dann aufrechterhalten, wenn man entweder (häufig interessenwidrig) eine entsprechende Haftungsbeschränkung in den Vertrag hineinliest oder der Erbengemeinschaft Rechtsfähigkeit beilegt, ohne damit eine akzessorische Haftung der Miterben zu verbinden. Im Übrigen hilft das Gesamthands-Haftungsmodell dann nicht weiter, wenn auf Verkäuferseite in Wahrheit keine Erbengemeinschaft besteht, etwa weil einem der Verkäufer „sein“ Anteil am Nachlass gar nicht zustand, sondern einem Dritten149: Hier kann der Gläubiger mangels Titel gegen den Dritten nicht ins Gesamthandsvermögen vollstrecken. Schließlich bietet es auch für diejenigen Fälle keine Lösung, in denen Teilhaber einer Bruchteilsgemeinschaft einen gemeinschaftlichen Gegenstand verkaufen. Insofern findet sich in der Literatur für Fälle der Verpflichtungen, über gemeinschaftliche Gegenstände zu verfügen, noch ein anderes, wesentlich strengeres Modell.
f) Das Modell der gemeinschaftlichen Schuld mit wechselseitiger Einstandspflicht Nach einem zweiten in der Literatur vertretenen Modell, das sich sowohl auf Gesamthands- als auch auf Bruchteilsgemeinschaften auf Verkäuferseite bezieht, sollen zwar nicht für den Primärleistungsanspruch, wohl aber für den Schadensersatzanspruch wegen Leistungsstörungen Gesamtschulden bestehen, weil das Verschulden eines Schuldners entgegen § 425 auch den übrigen zugerechnet wer146 So zur unternehmenstragenden Erbengemeinschaft K. Schmidt, NJW 1985, 2790 f.; Hohensee, Erbengemeinschaft, 227 ff. 147 Hierzu (Erfüllungs- und Haftungstheorie) stellvertretend A.Hueck, OHG, § 21 II; Flume, Personengesellschaft, 298 ff.; Hadding, ZGR 1981, 577; Lindacher, JuS 1982, 349; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 49 III; MüKo/Ulmer, § 714 Rz 43 f.; Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 106 ff.; Martensen, Haftung (1989), passim. 148 Vgl. Flume, Personengesellschaft, 323 f. 149 Dies war der Fall in BGH NJW 1980, 2464 (7.7.1980).
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den soll. Dies sei gerade der Unterschied zu Gesamtschulden. Wer mit anderen eine Leistung verspreche, die er nur zusammen mit diesen anderen erbringen kann, übernehme eine garantieartige Einstandspflicht für seine Mitschuldner150. Wenn aber jeder Schuldner bei Leistungsstörungen das volle Interesse schuldet, dann fragt sich, warum nicht von vornherein Gesamtschulden angenommen werden, bei denen im Sinne des § 425 etwas anderes (nämlich die Gesamtwirkung des Verschuldens) vereinbart ist151. Die Annahme, jeder Schuldner schulde nur seine Mitwirkung an der gemeinsamen Leistung, übernehme aber eine Garantie für die Leistungen der Mitschuldner, erscheint als überflüssiger Umweg: Warum soll ein Schuldner, der im Ergebnis für die Erbringung der Gesamtleistung einstehen muss, diese dann nicht auch schulden? Der Unterschied dieser „gemeinschaftlichen Schuld“ zu gewöhnlichen Gesamtschulden (mit Gesamtwirkung des Verschuldens) beschränkt sich auf das Erfordernis, den Erfüllungsanspruch nur gegen alle gemeinsam geltend zu machen. Demnach stellt sich die Frage, wozu dieses Erfordernis bei nur gemeinschaftlicher Verfügungsbefugnis eigentlich dienen soll. Nach dem oben Gesagten ergibt es sich nicht schon aus allgemeinen Regeln: Das bloße Unvermögen des Beklagten zur Leistung macht eine Einzelklage weder unzulässig noch unbegründet. Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Einzelklage kann fehlen, wenn sich die Klage von vornherein auf die Duldung der Zwangsvollstreckung in ein Vermögen richtet, das dem Beklagten nicht allein zusteht. Die Klage auf Übereignung ist aber keine Klage, die Zwangsvollstreckung in ein bestimmtes Vermögen zu dulden, sondern eine Klage auf Übereignung dieser Sache, unabhängig davon, ob sie sich in Alleineigentum, Miteigentum oder in einem Gesamthandsvermögen befindet. Auch eine Vollstreckung ist möglich, sofern der Schuldner zur Zeit der Vollstreckung Alleineigentümer ist. Unabhängig davon übt sie Druck auf den Schuldner aus, zur Vermeidung einer Schadensersatzklage (aus der in sein eigenes Vermögen vollstreckt werden kann) zu leisten. Möglich ist, dass das Erfordernis einer gemeinschaftlichen Klage zum Schutze des einzelnen Schuldners erforderlich ist, gerade weil er nicht allein erfüllen kann. Allerdings schuldet der Einzelne auf der Schadensersatzebene ohnehin das Gesamtinteresse, so dass sich die Frage stellt, welches Interesse er daran haben soll, auf der Primärleistungsebene nur zusammen mit seinen Mitschuldnern belangt zu werden. Hier könnte man an die Vollstreckung nach § 894 ZPO denken: Wenn der Gläubiger alle Schuldner auf Erfüllung verklagt, erhält er durch die Fiktion aller Willenserklärungen die geschuldete Leistung, so dass der einzelne Schuldner nicht mehr Gefahr läuft, Schadensersatz statt der Leistung zu schul150 van Venrooy, JuS 1982, 95 f.; Larenz, SR AT, § 36 II c. Dem folgt das OLG Braunschweig, NJW-RR 1997, 1038 (12.12.1996). 151 Kritik auch bei Aderhold, Schuldmodell, 130 ff. Nach van Venrooy, JuS 1982, 95 f., gibt es zum einen die Primärleistungspflicht, welche die Personenmehrheit als solche trifft, zum anderen Gesamtschulden jedes einzelnen Schuldners, die Erfüllung der Primärleistungspflicht der Personenmehrheit zu ermöglichen. Die rein begriffliche Annahme, ein einzelner Schuldner könne nicht die Übereignung als solche schulden, führt zu dieser unnötigen Verdoppelung des Schuldinhalts.
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den. Möglicherweise könnte er also, um einen Schadensersatzanspruch zu entgehen, den Gläubiger auf eine Erfüllungsklage gegen alle Schuldner verweisen. Doch ein Schuldner hat nach allgemeinen Regeln kein Recht, den Gläubiger auf eine Erfüllungsklage zu verweisen, wenn die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs gegeben sind. Dies ergibt sich aus § 281: Nach Ende der vom Gläubiger gesetzten Frist kann der Gläubiger auch bei noch möglicher Erfüllung Schadensersatz verlangen. Der Schuldner kann dann zwar noch erfüllen, aber er kann den Gläubiger nicht dazu zwingen, seine Klage auf Erfüllung zu richten. Im Fall der Veräußerung einer Sache durch Gesamthänder oder Bruchteilseigentümer bedeutet dies: Weigert sich einer der Mitschuldner zu leisten, kann der Gläubiger grundsätzlich allen eine Frist nach § 281 setzen und dann von den einzelnen Schuldnern Schadensersatz verlangen, ohne dass diese von ihm verlangen können, zunächst sein Glück über eine Erfüllungsklage zu suchen. Als Schutz gegen eine Schadensersatzpflicht ist die notwendige Streitgenossenschaft also nicht geeignet. Richtig ist, dass eine Klage auf Erfüllung sinnvoller sein kann, wenn sie gegen alle Schuldner gerichtet ist, weil dann eine Vollstreckung nach § 894 ZPO problemlos möglich ist. Insofern kann sie auch im Interesse des Gläubigers liegen. Daraus folgt aber nicht, dass dem Gläubiger das Recht versagt werden muss, gegen nur einen Schuldner auf Erfüllung zu klagen. Praktisch bedeutet eine solche Klage einen ersten Schritt zu einem Schadensersatzanspruch gegen den beklagten Schuldner, wobei der Gläubiger aber, anders als bei einer Schadensersatzklage nach Fristsetzung, nach wie vor auf Erfüllung hofft und den möglichen Schadensersatzanspruch gegen den beklagten Schuldner nur als Druckmittel einsetzt, um diesen dazu zu bewegen, auf seine Mitschuldner einzuwirken. Das erscheint, nimmt man eine „Einstandspflicht“ des einzelnen Schuldners für den gesamten Leistungserfolg an, auch legitim. Es ist nicht Sache des Gläubigers, sein Recht auf Erfüllung durch kostspielige Klagehäufung zu verfolgen, sondern Sache des Schuldners, die Erfüllung durch Einwirkung auf seine Mitschuldner herbeizuführen. Die Notwendigkeit einer gemeinschaftlichen Klage auf Erfüllung lässt sich also bei Verpflichtungen zu Verfügungen über gemeinschaftliche Sachen weder aus allgemeinen Regeln ableiten noch sachlich rechtfertigen. Wenn ein einzelner Schuldner bei Ausbleiben der Leistung auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden kann, besteht kein Grund, eine Einzelklage auf Erfüllung auszuschließen. Der einzelne Schuldner schuldet dann nicht eine Mitwirkung, sondern die Verfügung selbst. Es handelt sich um Gesamtschulden mit vereinbarter Gesamtwirkung des Verschuldens152.
152 Ebenso Soergel/U.Huber, § 433 Rz 320–325; für Gesamtschulden auch Palandt/Grüneberg, vor § 420 Rz 9.
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g) Die Alternative: Vertragliche Teil- oder Einzelschulden Im Vorstehenden wurde mit der Literatur davon ausgegangen, dass bei einem Verkauf einer Sache durch Gesamthänder oder Bruchteilseigentümer jeder Verkäufer auch für die Leistungsbereitschaft der übrigen einstehen muss. Dies erscheint angesichts §§ 427, 431 im Regelfall auch als berechtigte Annahme. Ein Gesamthänder oder Bruchteilseigentümer könnte aber auch ein Interesse daran haben, bei fehlender Leistungsbereitschaft seiner Mitschuldner überhaupt nicht zu haften, solange er selbst alles leistet, was ihm persönlich möglich ist; und der Gläubiger könnte sich darauf einlassen. Kraft Parteiautonomie steht es den Parteien frei, ein solches Modell zu vereinbaren. Dann fragt es sich, um was für eine Art von Schuldnermehrheit es sich dabei handelt. Die Frage ist insofern praktisch relevant, als das hier entwickelte Modell auch auf Fälle gesetzlicher Verpflichtungen anwendbar sein könnte, bei denen eine Haftung für die Leistungsbereitschaft der übrigen Miteigentümer oder Gesamthänder nicht immer erwünscht ist. Besteht auf Verkäuferseite eine Bruchteilsgemeinschaft, liegt die Annahme von Teilschulden nahe, § 420153. Jeder Schuldner schuldet dann nur die Verfügung über seinen Anteil und kann ohne Mitwirkung der übrigen erfüllen. Bleibt die Anteilsverfügung seitens des Schuldners S1 aus, schulden die übrigen deswegen keinen Schadensersatz. S1 schuldet, wenn die Voraussetzungen der §§ 280 ff. vorliegen, Schadensersatz mindestens in der Höhe des Werts seines Anteils. Gegen die Annahme von Einzelschulden, die auf Verfügungen über den Anteil gerichtet sind, wird eingewandt, das Gläubigerinteresse richte sich in der Regel nicht auf einzelne ideelle Anteile, sondern auf das Recht an der Sache im Ganzen154. Dieser Einwand kann die Annahme von Teilschulden jedoch nicht zwingend ausschließen, weil auch bei Teilschulden das Interesse des Gläubigers, die Gesamtleistung und nicht nur Anteile zu erhalten, geschützt wird. Gerade für den Fall der Veräußerung einer Sache durch Miteigentümer als Teilschuldner ist die Regel des § 320 I 2 gedacht, die sich aus dem römischen Kaufrecht entwickelt hat155. Vor dem Hintergrund der gemeinrechtlichen Teilschuldund Teilgläubigerschaftsvermutung bestand das Bedürfnis, den Käufer oder Verkäufer zu schützen, dem auf der anderen Seite mehrere Vertragsparteien gegenüberstanden. Bei Miteigentümern auf der Verkäuferseite konnte der einzelne Mit153 Nach Endemann, BürgR I, § 154 Fn. 13; Hennecke, Sondervermögen, 69 f.; Soergel/Wolf, vor § 420 Rz 13; Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 187 ff.; Wernecke, Gesamtschuld, 110, 127 Fn. 8; Staud/Noack, vor § 420 Rz 19; und MüKo/P. Bydlinski, § 420 Rz 5, soll dies entgegen § 427 sogar die Regel sein. 154 Vgl. van Venrooy, JuS 1982, 95; Selb, Mehrheiten, 21; Wolf/Niedenführ, JA 1985, 377; Larenz, SR AT, § 36 II c; BGH NJW 1994, 1470, 1471 (4.2.1994); OLG Braunschweig, NJW-RR 1997, 1038 (12.12.1996). 155 Bei den einschlägigen Quellen – Ulpian D.21,1,31,8 und D.19,1,13,8; Labeo D.18,1,78,2 – ging es ursprünglich nur um Sonderregeln zum Schutz des Verkäufers, der sich einer (durch Erbgang oder durch Vertragsschluss eines Sklaven in Miteigentum entstandenen) Käufermehrheit gegenübersah. Hierzu und zur späteren Entwicklung einer beiden Vertragsparteien zustehenden Einrede W.Ernst, Einrede des nichterfüllten Vertrags (2000), 18 ff., insbes. 30 ff.
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eigentümer, obwohl er Teilschuldner und für den Kaufpreis Teilgläubiger war, seinen Anteil am Kaufpreis solange nicht verlangen, wie der Käufer nicht die Gesamtleistung erhalten hatte, selbst wenn er seinen eigenen Anteil schon übertragen hatte. Umgekehrt konnte bei Personenmehrheit auf der Käuferseite vor vollständiger Zahlung des Gesamtpreises kein Käufer seinen Anteil am Eigentum verlangen. Der Schuldrechtsredaktor von Kübel plante zunächst, diese beiden Regeln ins Kaufrecht aufzunehmen156: Auch wenn der Kaufgegenstand teilbar sei (womit nach damaliger Rechtslage die Teilschuldvermutung anwendbar war), werde er doch als Ganzes und zum Gesamtpreis verkauft157. Die Regeln wurden von der Ersten Kommission gebilligt158 und schließlich in verallgemeinerter Form ins allgemeine Schuldrecht eingefügt159. Ihre Bedeutung verminderte sich, nachdem seitens der Zweiten Kommission die vertragliche Gesamtschuldvermutung des § 427 eingeführt worden war. Die Vorschrift des § 320 I 2 ist nun nur noch im Rahmen vertraglicher Teilschuldvereinbarungen relevant160. Hier zeigt sie aber, dass auch bei der Annahme von Teilschulden das Leistungsinteresse des Gläubigers als ungeteilt gedacht werden kann161. Bei Annahme von Teilschulden wird also das Interesse des Gläubigers, die Gesamtleistung zu erhalten, mittelbar dadurch geschützt, dass er, solange die Gesamtleistung ausbleibt, gegen den Kaufpreisanspruch eine Einrede und damit auch ein Druckmittel gegen die Schuldner hat, auf eine vollständige Erfüllung hinzuwirken162. Neben dieser Einrede kommen auch andere Mittel in Betracht, das Interesse an einer Gesamtleistung zu schützen. Falls einer der Miteigentümer (S1) die Verfügung über seinen Anteil unmöglich im Sinne des § 275 macht (etwa indem er ihn an einen Dritten veräußert, der keinesfalls zur Rückübertragung bereit ist), hilft dem Käufer die Einrede des § 320 nicht, weil sie die Möglichkeit der ausbleibenden Leistung voraussetzt163. Ebenso wie beim Einzelschuldverhältnis wäre nun an § 326 zu denken. Ginge man von einem Nebeneinander einzelner 156
Teilentwurf Nr. 32 (Kaufrecht), in: Schubert, SR II, 1 ff., §§ 7, 14. Ebenso schon SächsGB § 1099; DresdE Art. 427, 436. 157 Motive zum Teilentwurf Kaufrecht, 12 (Schubert, SR II, 24); ähnlich Mot. II, 201 f. (Mugdan II, 111). 158 Ergebnis: ZustOR § 327 (Jakobs/Schubert, SR II, 71 f.); ebenso im Mietrecht ZustOR § 361 (Jakobs/Schubert, SR II, 444). 159 Der Beschluss zur Aufnahme ins Allgemeine Schuldrecht findet sich in Jakobs/Schubert, SR I, 37; vgl. auch SR II, 72. Ergebnis war E I § 363. Die Regel wurde in der Zweiten Kommission gebilligt, Prot. 1256 f. (Mugdan II, 632); Ergebnis war VorlZust § 363, siehe Jakobs/Schubert, SR II, 74. Die Zusammenfügung mit dem übrigen Teil des heutigen § 320 erfolgte erst danach in der Redaktionskommission, Jakobs/Schubert, SR I, 465. 160 Das war den Mitgliedern der Zweiten Kommission auch klar, Prot. 1256 f. (Mugdan II, 632). 161 Richtig Endemann, BürgR I, § 154 Fn. 1; Planck/Siber, Anm. zu § 420; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 311 I 1 a. Anders für das österreichische Recht Schwimann/Apathy/Riedler, ABGB, § 889 Rz 3, wonach der Gläubiger gegenüber den Teilschuldnern nur dann ein Zurückbehaltungsrecht bis zur Bewirkung der Gesamtleistung haben soll, wenn seine Gegenleistung unteilbar ist. 162 Dies wird in der Literatur meist übersehen, etwa bei Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 188 ff. (der deshalb mit einer stillschweigend vereinbarten Bedingung arbeiten will). 163 Staud/Otto, § 320 Rz 21; MüKo/Emmerich, § 320 Rz 35; Soergel/Gsell, § 320 Rz 47.
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Schuldverhältnisse für die jeweiligen Anteile aus, käme man lediglich zu einem Untergang der Kaufpreisforderung des S1 nach § 326 I 1, 1. Halbsatz. Doch die in § 320 I 2 zum Ausdruck kommende Wertung muss auch im Falle der Unmöglichkeit beachtet werden: Es handelt sich um einen einheitlichen Vertrag auf eine Gesamtleistung. Demnach liegt nach § 326 I 1, 2. Halbsatz tatsächlich eine Teilleistung vor, die zunächst einmal nur zur Minderung des Gesamtkaufpreisanspruchs führt, darüber hinaus dem Gläubiger aber auch die Möglichkeit des Gesamtrücktritts nach § 326 V eröffnet164. Dieser setzt nach § 323 V 1 voraus, dass der Gläubiger an der Teilleistung, also an den ihm angebotenen oder übertragenen Miteigentumsanteilen, kein Interesse hat. Geht man davon aus, dass der Gläubiger nur die gesamte Kaufsache erwerben wollte, kann er also vom gesamten Vertrag zurücktreten. Dasselbe muss dann auch gelten, wenn die Erfüllung möglich ist und einer der Mitschuldner nach Fristsetzung nicht leistet, § 323 I, V 1. Zum selben Ergebnis kommen Rechtsprechung und Literatur durch die Annahme, dass bei einem Vertrag mit Personenmehrheit auf einer Seite ein Rücktritt gegenüber allen schon dann möglich ist, wenn ein Rücktrittsgrund nur in der Person von einem vorliegt, etwa weil nur einer schuldhaft seine Leistungspflicht verletzt hat165. Mit der Annahme von Teilschulden steht also eine alternative Gestaltungsmöglichkeit zur Verfügung, die den einzelnen Schuldner von Schadensersatzverbindlichkeiten für die Nichterfüllung seiner Mitschuldner freihält und trotzdem das Interesse des Gläubigers schützt, nur die gesamte Sache erwerben zu wollen166. Bei einem Verkauf seitens einer Gesamthandsgemeinschaft ist an eine andere Gestaltung zu denken, welche die Rechtsprechung und Literatur beim Wort nimmt, wonach jeder Gesamthänder nur seine Mitwirkung an der Gesamtverfügung schuldet. Danach trifft jeden Gesamthänder eine Einzelschuld, an der gemeinschaftlichen Verfügung mitzuwirken. Ein solcher Schuldinhalt ist möglich. So kann etwa ein Miterbe gegen den anderen Miterben einen Anspruch darauf haben, an der Veräußerung eines Nachlassgrundstücks mitzuwirken, wenn dies zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses erforderlich ist, § 2038167. Ein Anspruch, an einer Gesamtverfügung mitzuwirken, ist aber auch als Anspruch eines Dritten denkbar. Wenn etwa die Miterben E1, E2 und E3 dem G eine Nachlasssache schenken wollen, der vierte Miterbe E4 aber dazu ohne Gegenleistung 164 Ebenso Schlechtriem/Schmidt-Kessel, SR AT, Rz 834; vgl. zum Recht vor der Leistungsstörungsreform auch Leverenz, Personenmehrheiten, 284 ff. 165 BGH NJW 1976, 1931 (30.4.1976), wohl unter Anwendung des § 139; zum umgekehrten Fall (Leistungsstörung nur gegenüber einem Einzelnen der Personenmehrheit) RGZ 151, 304, 313 (12.6.1936); aus der Literatur Soergel/U.Huber, § 433 Rz 319; Selb, Mehrheiten, 19 f.; Staud/Noack, § 420 Rz 52 f.; Erman/Ehmann, § 420 Rz 12; ablehnend A. Blomeyer, SR AT, § 49 II 1; differenzierend (Auslegungsfrage, ob Fehlverhalten einer Person reicht) Staud/Kaiser, § 351 Rz 9; MüKo/Gaier, § 351 Rz 4. 166 Der Vereinbarung einer Bedingung, wie MüKo/P. Bydlinski, § 420 Rz 6, vorschlägt, bedarf es offenbar nicht. 167 So BGH NJW 2006, 439 (28.9.2005).
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nicht bereit ist, könnte G mit E4 einen Vertrag schließen, wonach E4 gegen Gegenleistung zur Mitwirkung an der Gesamtverfügung verpflichtet ist. Auch die Rechtsprechung lässt schließlich Einzelklagen gegen Gesamthänder zu, die auf Mitwirkung an einer Gesamtverfügung gerichtet sind168. Wenn aber ein Gesamthänder wirksam seine Mitwirkung an der Gesamtverfügung schulden kann, dann können auch alle Gesamthänder solche Verpflichtungen mittels eines gemeinsamen Vertrags eingehen169. Die Annahme solcher Einzelschulden beim Verkauf eines Gesamthandsgrundstücks durch drei Gesamthänder führt zu folgenden Konsequenzen: Erklären S1 und S2 die Auflassung und weigert sich S3, dann ist die Auflassungserklärung schwebend unwirksam, so dass der Gläubiger G auch kein anteiliges Eigentum erwerben kann. S1 und S2 haben ihre Einzelschulden dennoch erfüllt und schulden keinen Schadensersatz. G kann S3 auf Erfüllung verklagen mit dem Ziel, dass die Auflassungserklärung durch S3 nach § 894 ZPO fingiert wird, so dass G das Gesamteigentum erhalten kann. Statt dessen kann er auch nach Fristsetzung gegen S3 einen Schadensersatzanspruch geltend machen. Dieser kann, da die Nichterfüllung durch S3 die gesamte Übereignung vereitelt, das Gesamtinteresse des G umfassen. Stellt sich heraus, dass S3 in Wahrheit gar nicht zur Gesamthandsgemeinschaft gehörte, etwa weil tatsächlich D und nicht S3 Miterbe ist, kann G einen Erfüllungsanspruch gegen S3 geltend machen. S3 ist verpflichtet, sich die Mitverfügungsbefugnis zu beschaffen (etwa indem er D dazu bewegt, ihm seinen Erbteil abzutreten). Eine Vollstreckung ist allerdings, solange S3 nicht Berechtigter ist, nicht möglich. Statt dessen kann G einen Schadensersatzanspruch gegen S3 nach §§ 280, 281 auf das Gesamtinteresse geltend machen. Weigert sich D endgültig, kommt auch ein Schadensersatzanspruch gegen S3 aus § 311 a II in Betracht. Verursacht S3 schließlich schuldhaft eine Gesamtunmöglichkeit (etwa indem er die gekaufte Sache zerstört oder wirksam an einen gutgläubigen Erwerber veräußert), schuldet er, aber nicht S1 und S2, Schadensersatz nach §§ 280, 283. Für die Gegenleistungspflicht des G gelten dann ähnliche Regeln wie im Fall von Teilschulden einer Bruchteilsgemeinschaft. Solange die mögliche Erfüllung durch S3 (notfalls durch Erbteilserwerb) ausbleibt, kann G auch gegenüber S1 und S2 seine Gegenleistung verweigern, § 320 I 2. Kommt es wegen Unmöglichkeit zu keinerlei Auflassungserklärung, wird G nach § 326 I 1 frei. Haben S1 und S2 Auflassungserklärungen abgegeben, aber ist eine Auflassungserklärung durch S3 nicht möglich (etwa weil in Wahrheit D Miterbe ist und sich endgültig weigert, zu veräußern), muss G im Ergebnis auch von seiner Gegenleistungspflicht gegenüber S1 und S2 frei werden, weil diese trotz (schwebend unwirksamer) Auflassungserklärung Berechtigte geblieben sind. Auch hier helfen §§ 326 V, 323 V 1. 168
RG Gruch 35, 115 (2.7.1890); RGZ 93, 292, 295 (18.9.1918); RGZ 111, 338 (5.10.1925); RGZ 112, 129 (21.11.1925); BGHZ 38, 187, 195 (31.10.1962); BGH NJW 1982, 441 (2.12.1981); BGH NJW 1995, 58 (28.9.1994). 169 Ebenso Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 35.
6. Verpflichtung von Gesamthändern oder Teilhabern einer Bruchteilsgemeinschaft
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Da G offensichtlich kein Interesse an einer schwebend unwirksamen Auflassungserklärung hat, kann er vom gesamten Vertrag zurücktreten. S1 und S2 können dann aus § 346 ihre Auflassungserklärungen zurückverlangen. Die Annahme vertraglich verbundener Einzelschulden auf Mitwirkung an der Gesamtverfügung käme auch bei Bruchteilsgemeinschaften in Betracht. Hier besteht allerdings Streit, ob es eine eigenständige Gesamtverfügung i.S.d. § 747 S. 2 durch alle Teilhaber überhaupt gibt oder ob es sich nicht nur um verbundene Einzelverfügungen über die Einzelanteile i.S.d. § 747 S. 1 handelt170. Folgt man letzterer Ansicht, sind beim Verkauf einer Sache durch ihre Miteigentümer nur Gesamtschulden oder Teilschulden über die Anteile denkbar. In manchen Fällen aber kann die von den Miteigentümern geschuldete Leistung nicht auf die einzelnen Miteigentumsanteile bezogen werden, etwa wenn es sich um die Einräumung einer Grunddienstbarkeit handelt. Auch hier lässt der BGH eine Einzelklage gegen einen Miteigentümer auf Mitwirkung an der Gesamtverfügung zu, wenn der andere Miteigentümer erklärt hat, zur Leistung verpflichtet und bereit zu sein171. Insofern ist die Annahme möglich und zulässig, dass jeder nur seine eigene Verfügungserklärung als Bestandteil der Gesamtverfügung schuldet172.
h) Dingliche und sonstige Ansprüche auf Verfügungen durch Mitberechtigte Die Vorstellung einer nur gemeinschaftlich geschuldeten Leistung findet sich besonders häufig, wenn der Gläubiger einen dinglichen Anspruch gegen Gesamthänder oder Bruchteilsberechtigte geltend macht, der sich auf eine Verfügung über die gemeinschaftliche Sache richtet. So stellt sich etwa die Frage, wie und gegen wen der Gläubiger einen Anspruch auf Zustimmung zur Berichtigung des Grundbuchs aus § 894 geltend machen kann, wenn als Eigentümer Miterben oder Miteigentümer eingetragen sind, oder wie zu verfahren ist, wenn der Gläubiger eine Löschungsbewilligung hinsichtlich einer zum Nachlass gehörenden Hypothek verlangt. Die Rechtsprechung nimmt in solchen Fällen für die Erfüllungsklage eine notwendige Streitgenossenschaft im materiellrechtlichen Sinne an173. Die Klage gegen einen einzelnen Mitberechtigten soll grundsätzlich unzulässig sein, weil der einzelne Mitberechtigte allein die Verfügung nicht vornehmen kann. Nach Ansicht des Reichsgerichts gibt es kein Recht, auf Rechtshand170
Im ersteren Sinne Staud/Langhein, § 747 Rz 72–74; im zweiteren Sinne MüKo/K. Schmidt, § 747 Rz 25; Hennecke, Sondervermögen, 68 f.; Schnorr, Gemeinschaft, 296 ff. Die Ansichten unterscheiden sich vor allem hinsichtlich der Frage, ob bei einer von allen Teilhabern getroffenen Gesamtverfügung die Unwirksamkeit einer einzelnen Verfügungserklärung zur Anwendung des § 139 oder § 140 führt. Im Ergebnis herrscht wohl Einigkeit, dass, wenn die Gesamtverfügung geschuldet und beabsichtigt wird, einzelne Verfügungserklärungen über das Ganze schwebend unwirksam sind, solange nicht alle vorliegen. 171 BGH NJW-RR 1991, 333 (26.10.1990). 172 So auch Oertmann, Schuldverhältnisse AT, § 431 Anm. 3 b (unter Berufung auf Ubbelohde).
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
lungen zu klagen, die unwirksam sind. Der dingliche Anspruch könne nur gegen jemanden geltend gemacht werden, der ihn erfüllen kann, also nur gegen alle zusammen174. Auch hier lässt die Rechtsprechung ausnahmsweise eine Einzelklage zu, wenn die übrigen Mitberechtigten die geschuldete Verfügungserklärung schon abgegeben haben oder zur Abgabe unstreitig bereit sind175. Häufig befindet sich auf Schuldnerseite eine Erbengemeinschaft. Der dingliche Anspruch wird dann manchmal als „reine Gesamthandsverbindlichkeit“ bezeichnet176. Für deren Geltendmachung soll nicht die Gesamtschuldklage, sondern allein die Gesamthandsklage nach § 2059 II zulässig sein177. Es handelt sich bei derartigen dinglichen Ansprüchen gegen Miterben aber nicht um Nachlassverbindlichkeiten, weil die Miterben nicht als Erben, sondern als Eigentümer oder Rechtsinhaber in Anspruch genommen werden178. Damit entfällt auch eine direkte Anwendung der §§ 2058, 2059, so dass sich die Frage der Wahl zwischen Gesamtschuldklage und Gesamthandsklage im Grunde gar nicht stellt. Die primäre Frage ist, was der einzelne Miterbe schuldet. Die Gesamtschuldanordnungen der § 2058 und § 427 sind nicht anwendbar. Gesamtschulden nach § 431 setzen voraus, dass die geschuldete Leistung unteilbar ist. Dies ist aber gerade fraglich. Der einzelne Miterbe könnte auch nach dem eben beschriebenen Modell lediglich zur Abgabe seiner eigenen Verfügungserklärung als Bestandteil der Gesamtverfügung verpflichtet sein. Gegen die Annahme von Gesamtschulden spricht entscheidend die Rechtsnatur der dinglichen Ansprüche. Der Anspruch auf Zustimmung zur Grundbuchberichtigung etwa ist negatorischer Natur; er richtet sich gegen einen zu Unrecht eingetragenen Schuldner, weil und soweit er zu Unrecht eingetragen ist, und kann keine Verpflichtung begründen, Zustimmungserklärungen von Mitberechtigten zu beschaffen179. Insofern ist die Feststellung des Reichsgerichts, ein ding173 So zur Erbengemeinschaft im Ergebnis RGZ 93, 292 (18.9.1918) (anders noch RG LZ 1915, 1100, 5.5.1915); ferner BGH NJW 1963, 1611 (24.4.1963) (obiter); OLG Naumburg, NJW-RR 1998, 308 (16.1.1997); zustimmend MüKo/Heldrich, § 2059 Rz 22; Wieczorek/Schütze, ZPO, § 62 Rz 49; MüKoZPO/Schultes, § 62 Rz 32; Musielak/Weth, ZPO, § 62 Rz 11; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht, § 49 Rz 24; Wieser, JuS 2000, 999; Michalski, Erbrecht, Rz 913. Zur Klage gegen Miteigentümer BGH NJW-RR 1991, 333 (26.10.1990); BGHZ 36, 187 (29.11.1961). Im letzteren Fall ging es um eine Klage auf „Einräumung eines Notwegs“ nach § 917 BGB. Die Annahme des BGH, dass hiermit eine Verfügung geschuldet wird, ist allerdings unzutreffend, so zu Recht LG Nürnberg-Fürth, NJW 1980, 2477 (4.6.1980); Waldner, JR 1981, 184; Wieser, JuS 2000, 1000; und nun auch der BGH, NJW 1984, 2210 (4.5.1984). Näheres zum Notwegverlangen unten, 203 ff. 174 RGZ 93, 292, 294 (18.9.1918). 175 RGZ 93, 292, 295; OLG Hamm, RPfl 1967, 415 (23.9.1966); BGH NJW-RR 1991, 333 (26.10.1990); OLG Naumburg, NJW-RR 1998, 308 (16.1.1997). 176 OLG Neustadt, DNotZ 1963, 58, 61 (26.2.1962). 177 OLG Naumburg, NJW-RR 1998, 308 (16.1.1997); BGH NJW 1963, 1611 (24.4.1963); Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 50 Fn. 37. 178 Staud/Marotzke, § 2058 Rz 70; ders., ZZP 105 (1992), 539. 179 Anders Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 94 f., der keinen Unterschied zwischen einem dinglichen Anspruch und einer (Nachlass-)Verbindlichkeit auf Übereignung ausmachen kann.
6. Verpflichtung von Gesamthändern oder Teilhabern einer Bruchteilsgemeinschaft
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licher Anspruch könne nur gegen jemanden geltend gemacht werden, der ihn erfüllen kann, berechtigt. Um Gesamtschulden auszuschließen, ist aber die Annahme von Gesamthands- oder gemeinschaftlichen Schulden nicht erforderlich. Beim Grundbuchberichtigungsanspruch kommt es häufig vor, dass die Zustimmung mehrerer Rechtsinhaber erforderlich ist und dann gegenüber jedem einzelnen einklagbar ist. Ebenso kann man jeden Miterben oder Miteigentümer für zustimmungspflichtig halten180. Die Besonderheit ist lediglich, dass eine einzelne Zustimmungserklärung eines Gesamthänders oder Miteigentümers zur Änderung des Gesamtrechts (schwebend) unwirksam ist. Hierdurch lässt sich rechtfertigen, dass der Gläubiger alle Mitberechtigten gemeinsam verklagen muss, wenn noch keine Erklärung abgegeben wurde181: Für eine Klage gegen einen Einzelnen, mit Hilfe derer er (über § 894 ZPO) nur eine schwebend unwirksame Einzelerklärung erlangen kann, fehlt dem Gläubiger das Rechtsschutzbedürfnis. An diese Stelle passt wiederum die Aussage des Reichsgerichts, es gebe kein Recht, auf Rechtshandlungen zu klagen, die von vornherein unwirksam sind. Liegen hingegen die Erklärungen aller anderen schon vor, kann der Gläubiger vom einzelnen Mitberechtigten seine ausstehende Erklärung verlangen und auch einklagen, weil die Fiktion seiner Erklärung nach § 894 ZPO zugleich eine wirksame Verfügung durch alle Berechtigten entstehen lässt. Im Ergebnis besteht Einigkeit, dass der Gläubiger die Erfüllungsklage gegen alle diejenigen Mitberechtigten richten muss, welche die geschuldete Verfügungserklärung nicht abgegeben haben. Relevant wird die Frage nach der Art der Schuldnermehrheit, wenn auch bei dinglichen Ansprüchen Schadensersatzansprüche, etwa aus §§ 280 I, II, 286 oder aus §§ 989, 990 analog, möglich sind. Diese Frage ist umstritten182. Hält man mit der herrschenden Lehre in der Literatur Schadensersatzansprüche, etwa wegen bösgläubiger Verzögerung der geschuldeten Verfügung, für möglich, dann bietet die Annahme von Einzelschulden ein unkompliziertes Modell: Schadensersatz schuldet nur derjenige, der seine eigene Verfügungserklärung schuldhaft unterlässt. Nach dem für Erbengemeinschaften vorgeschlagenen „Gesamthandsmodell“ hingegen soll neben dem in Verzug geratenen Miterben auch der Nachlass haften183. Der Gläubiger müsste aber, um in den Nachlass zu vollstrecken, einen Titel auch gegen den Miterben erwirken, der seine Verfügungserklärung schon abgegeben hat, was nur durch die Annahme von Gesamtschulden (mit beschränkter Haftung) möglich ist. Warum aber der Gläubiger, wenn ein einzelner Miterbe die Zustimmung zur Grundbuchberichtigung verweigert, wegen seines Verzugsschadens in den gesamten Nachlass vollstrecken können soll, ist unerfindlich. Der Grundbuchberichti180
Ebenso RG LZ 1915, 1100 (5.5.1915); vgl. auch OLG Jena, Recht 1912 Nr. 447 (5.12.1911). Anders aber RG LZ 1915, 1100, und Zöller/Vollkommer, ZPO, § 62 Rz 18, wonach die Miterben einzeln verklagt werden können. 182 Vgl. RGZ 158, 40, 45 (21.7.1938); BGHZ 49, 263 (19.1.1968); Medicus, Bürgerliches Recht, Rz 451, 454; Staud/Gursky, § 888 Rz 64, § 894 Rz 126, 173; MüKo/Wacke, § 888 Rz 10, § 894 Rz 36. 183 OLG Neustadt, DNotZ 1963, 58, 61 (26.2.1962). 181
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
gungsanspruch hat sachlich mit dem Nachlass nichts zu tun, so dass auch für eine Haftungsbeschränkung auf den Nachlass kein Anlass besteht. Bei Miterben muss daher ebenso wie bei Miteigentümern entschieden werden, ob die Renitenz eines Mitberechtigten Schadensersatzansprüche (mit unbeschränkter Haftung) gegenüber den übrigen Mitberechtigten eröffnet oder nicht. Die bessere Lösung ist die Verneinung einer solchen Mithaftung. Dann sind die Mitberechtigten Einzelschuldner. Einzelschulden, entweder auf eine Anteilsverfügung oder auf Abgabe einer eigenen Verfügungserklärung als Bestandteil einer Gesamtverfügung, kommen im übrigen nicht nur bei dinglichen, sondern auch bei schuldrechtlichen Ansprüchen aus Gesetz in Betracht, für die § 427 nicht gilt und bei denen ein Einstehenmüssen für die Nichterfüllung durch die Mitberechtigten nicht gewünscht wird184. Dies betrifft etwa Rückübereignungsansprüche nach Art. 233 § 11 EGBGB (Bodenreform im Beitrittsgebiet) gegen eine Erbengemeinschaft. Der BGH geht hier nicht nur von einer notwendigen Streitgenossenschaft i.S.d. § 62 ZPO Fall 2 aus185, sondern nimmt auch materiellrechtlich eine „gemeinschaftliche Schuld“ an186, beides ohne Not. Richtig ist zwar, dass die Gesamtleistung der Rückübereignung des Grundstücks nur von allen zusammen erbracht werden kann und dass der einzelne Miterbe nicht für die Leistungsfähigkeit der übrigen einstehen soll. Dies lässt sich aber zwanglos mit der Annahme vereinbaren, dass jeder Berechtigte die Rückübereignung seines Anteils schuldet, wozu er auch in der Lage ist, weil das gemeinsame Grundstück den Miterben nach Art. 233 § 11 II 2 EGBGB nicht in Gesamthands-, sondern in Bruchteilsgemeinschaft zusteht. Eine gemeinschaftliche Klage erscheint daher nicht erforderlich. Der Gedanke einer gemeinschaftlichen Schuld findet sich schließlich vereinzelt auch in Fällen, in denen der Gläubiger aus einem Pfandrecht die Zwangsvollstreckung betreibt, das eine Sache in Miteigentum oder in einem Gesamthandsvermögen belastet187. So begründete das Reichsgericht die notwendige Streitgenossenschaft (hier im prozessualen Sinne) von mitberechtigten Gesamthändern bei 184 Anderer Ansicht aber Aderhold, Schuldmodell, 59 ff. Danach sollen bei einer Bereicherung im Gesamthandsvermögen Einzelverbindlichkeiten der Gesamthänder aus § 812 ausgeschlossen sein, weil der einzelne Gesamthänder keinen Gegenstand erlangt habe, den er herausgeben könne (70 f.). Die Annahme eines Teilschuldverhältnisses i.S.d. § 420 soll daran scheitern, dass es keine teilbare Pflicht der Gesamthänder gibt, den Bereicherungsgegenstand herauszugeben, sondern allenfalls Pflichten der einzelnen Gesamthänder, die sich auf das individuell Erlangte beziehen und nicht durch ein gemeinsames Schuldverhältnis höherer Ordnung verbunden werden (64 f.). Letztere These wird allerdings der Funktion des § 420 nicht gerecht, der ursprünglich insbesondere die Fälle der Miterbenhaftung und der Vertragshaftung ohne Gesamtschuldabrede regeln sollte. Die Vorschrift setzt nicht voraus, dass sich Bestehen und Umfang der einzelnen Teilschuld schon aus allgemeinen Regeln ergeben; vielmehr kann die einzelne Teilverpflichtung, wie insbesondere die Miterbenhaftung zeigt, gerade erst aus einer „Aufteilung“ einer Pflicht auf mehrere Personen entstehen. 185 BGHZ 131, 376 (12.1.1996). 186 BGH WM 1999, 453, 455 (17.12.1998) 187 Vgl. Schwab, Streitgenossenschaft (1957), 286; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 49 Rz 24.
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einer Klage aus § 1147 damit, dass die Duldung der Zwangsvollstreckung eine Verfügung sei, die nur gemeinsam getroffen werden könne188. Tatsächlich aber liegt in den Fällen, in denen der Gläubiger aus einem Pfandrecht die Zwangsvollstreckung in die gemeinschaftliche Sache betreibt, weder eine gemeinschaftliche noch eine Gesamtschuld vor, weil die Mitberechtigten überhaupt nicht schulden189. Der Gläubiger betreibt lediglich die Zwangsvollstreckung in die haftende Sache. Die Notwendigkeit, alle Mitberechtigten zu verklagen, ergibt sich bei Miteigentümern aus § 747 S. 2 BGB190, bei Miterben aus § 747 ZPO191.
i) Ergebnis Überblickt man die Palette von Gestaltungsmöglichkeiten nach geltendem Recht – Gesamtschulden mit oder ohne Gesamtwirkung des Verschuldens, mit oder ohne Haftungsbeschränkung auf das Gesamthandsvermögen, echte Teilschulden bei Bruchteilsgemeinschaften und schließlich Einzelschulden auf Abgabe der eigenen Verfügungserklärung als Bestandteil der Gesamtverfügung –, dann erweist sich eine besondere Schuldnermehrheitsform der gemeinschaftlichen Schuld oder Gesamthandsschuld als überflüssig192. Sie suggeriert, dass ein Anspruch auf Verfügung nur gegenüber demjenigen möglich ist, der diese Verfügung vornehmen kann, und verstößt damit gegen das Trennungsprinzip. Vor allem sorgt sie für massive Rechtsunsicherheit, weil die mit ihr verbundenen Rechtsfolgen unklar bleiben. Die Unsicherheiten, die durch die Vorstellung einer gemeinschaftlichen Schuld hervorgerufen werden, können anhand einer Entscheidung des OLG Braunschweig von 1996 illustriert werden193. Zwei Miteigentümer S1 und S2 verkauften ihr Grundstück dem Kläger und verpflichteten sich, alle dinglichen Lasten zu beseitigen. Ein Gläubiger von S1 ließ auf dessen Anteil eine Zwangssicherungshypothek eintragen. S1 konnte diesen Gläubiger nicht befriedigen. S2 lehnte eine Beseitigung der Belastung ausdrücklich ab, weil es sich nicht um seine Schuld handle. Der Kläger musste daher Kosten aufwenden, um dem Gläubiger die Schuld zu zahlen und die Hypothek zu beseitigen. Diese Kosten verlangte er von S2 als Schadensersatz. Das Gericht suchte in der Literatur vergeblich nach klaren Leitlinien und argumentierte folgendermaßen: Die Art der Verpflichtung, das Grundstück lastenfrei zu stellen, sei strittig. Es könnte sich um eine teilbare Leistung und damit um Teilschulden handeln. Aber da alles zum Gesamtpreis verkauft sei, müsse man 188 RGZ 157, 33 (31.1.1938). Nach Wernecke, Gesamtschuld, 124, liegen dagegen kumulierte Duldungspflichten vor. 189 Ebenso Henckel, Parteilehre, 56. 190 Vgl. MüKo/K. Schmidt, § 747 Rz 36; Staud/Langhein, § 747 Rz 50. 191 Vgl. Marotzke, ZZP 105 (1992), 540. 192 Ebenso Soergel/U.Huber, § 433 Rz 320, 325. 193 OLG Braunschweig, NJW-RR 1997, 1038 (12.12.1996).
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
mit der herrschenden Lehre von einer gemeinschaftlichen Schuld ausgehen. Diese könne wiederum entweder zu kumulierten Teilschulden oder zu Gesamtschulden (gemeint war hier wohl die Sekundärleistungspflicht) führen. Zumindest für die Schadensersatzpflicht müsse eine Gesamtschuld derart vorliegen, dass S2 auch ohne eigenes Verschulden Schadensersatz leisten müsse. Hierfür spreche die gemeinsame Verpflichtung. § 425 sei folglich nicht anwendbar, vielmehr hafte jeder für das Verschulden des anderen nach § 278. Schließlich ergebe sich die Gesamtschuld auch aus den Lehren von der Zweckgemeinschaft und der Gleichstufigkeit. Das Ergebnis, dass S2 Schadensersatz schuldet, hätte auch in wenigen gesetzeskonformen Schritten erreicht werden können. Unabhängig davon, ob man die lastenfreie Übereignung als teilbar ansieht, liegen im Zweifel Gesamtschulden vor, §§ 427, 431. Anhaltspunkte für eine von den Parteien gewollte Aufteilung fand das Gericht nicht. Damit schuldete S2 als Gesamtschuldner die lastenfreie Erfüllung194. Weil er die Erfüllung ernsthaft verweigerte, schuldet er Schadensersatz aus (heute) §§ 280 I, III, 281 I, II BGB195. Eines Rückgriffs auf § 425, § 278 oder auf Kriterien wie Zweckgemeinschaft oder Gleichstufigkeit (welche bei gemeinsamem Vertragsschluss überhaupt keine Funktion haben!) bedurfte es nicht. Dem Gericht ist wohl kein Vorwurf zu machen. Vielmehr hat die Dogmatik versagt, die nicht in der Lage ist, für derart einfache Fälle klare Regeln zu bieten, sondern mit obskuren Vorstellungen von gemeinschaftlichen Schulden arbeitet.
7. Gemeinschaftlich geschuldete Werk- und Dienstleistungen a) Die Gestaltungsmöglichkeiten: Kumulierte Einzelschulden, Teilschulden, Gesamtschulden Eine gemeinschaftliche Schuld nimmt die Literatur auch bei von mehreren geschuldeten Werk- oder Dienstleistungen an, die notwendig oder vereinbarungsgemäß im Zusammenwirken der Schuldner erbracht werden196. Schulfall des notwendigen Zusammenwirkens ist die geschuldete Aufführung des Streichquartetts; Schulfall des vereinbarten Zusammenwirkens der gemeinschaftliche Hausbau durch Maurer und Zimmermann. Gesamtschulden sollen deshalb nicht 194
Ebenso Palandt/Grüneberg, vor § 420 Rz 9. Nach den 1996 geltenden Regeln § 326 BGB a.F. 196 Oertmann, Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 5 b; Leonhard, SR AT, 751 f.; Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, § 88 I 4 d; Weitnauer, Personenmehrheit, 375, 378; Reinicke/ Tiedtke, Gesamtschuld, 16 ff.; Selb, Mehrheiten, 47, 189 ff.; Larenz, SR AT, § 36 II c; Esser/ Schmidt, Schuldrecht AT 2, § 39 Fn. 3; Schlechtriem/Schmidt-Kessel, SR AT, Rz 835; Looschelders, SR AT, Rz 1217; Jürgens, Teilschuld, 25 f.; Hassold, Streitgenossenschaft, 47; Wolf/Niedenführ, JA 1985, 377; Soergel/Wolf, vor § 420 Rz 14; MüKo/P. Bydlinski, vor § 420 Rz 7, § 421 Rz 6, § 425 Rz 19, § 431 Rz 3; Staud/Noack, vor § 420 Rz 24; Jauernig/Stürner, § 431 Rz 2; jurisPK/Rüßmann, § 420 Rz 6; Palandt/Grüneberg, vor § 420 Rz 9; Zerres, Jura 2008, 727. 195
7. Gemeinschaftlich geschuldete Werk- und Dienstleistungen
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vorliegen, weil der einzelne Schuldner nicht zur Gesamtleistung, sondern nur zur Mitwirkung an der Gesamtleistung verpflichtet sei. Um Einzelschulden soll es sich aber auch nicht handeln, weil die Leistungspflichten der Schuldner durch das einheitliche und nicht teilbare Leistungsinteresse des Gläubigers miteinander verbunden seien: Am Spiel nur des Cellisten habe der Gläubiger keinerlei Interesse. Gemeinschaftliche Schulden sollen sich also dadurch auszeichnen, dass einerseits jeder Schuldner nur an der Gesamtleistung mitwirkt, andererseits die Einzelleistung für den Gläubiger wertlos ist197. Doch wie schon im vorangegangenen Abschnitt für Verfügungen gezeigt, bietet das BGB genug Gestaltungsmöglichkeiten, um sämtlichen möglichen Parteiinteressen zu entsprechen, ohne dass ein Rückgriff auf eine außergesetzliche besondere Form der Schuldnermehrheit erforderlich ist. Demnach ist zu unterscheiden: a) Der Gläubiger kann mit jedem Schuldner einen eigenen, unabhängigen Vertrag schließen, der den Schuldner zu seiner Einzelleistung verpflichtet. Um ein Streichquartett zusammenzustellen, kann er mit verschiedenen Musikern Dienstverträge abschließen; für den geplanten Hausbau Werkverträge mit unterschiedlichen Handwerkern198. Dann handelt es sich um kumulierte Einzelschulden. In diesem Fall trägt der Gläubiger sämtliche Risiken des Zusammenwirkens. Ist nur ein Schuldner leistungsbereit, kann der Gläubiger von ihm nicht nur keinen Schadensersatz für das Ausbleiben der übrigen verlangen, sondern schuldet ihm in der Regel auch noch seine Gegenleistung. Erscheint vom erwarteten Streichquartett nur der Cellist, dann fällt das Risiko, dass der Cellist nicht am Quartett mitwirken kann, in die Sphäre des Gläubigers, so dass der Cellist seine Gegenleistung verlangen kann, § 615. Sollen ein Maurer und ein Zimmermann zusammen ein Bauwerk errichten und kann der Zimmermann nicht leisten, weil der Maurer dauerhaft nicht erscheint, kommt eine Entschädigung nach § 642 in Frage199. Die Parteien können durch entsprechende Ausgestaltung der Verträge einzelne Risiken auf die Schuldner abwälzen. Insbesondere kann es sich um verbundene Verträge handeln, nach denen etwa der Rücktritt oder die Kündigung gegenüber einem Schuldner auch ein Rücktritts- oder Kündigungsrecht gegenüber dem anderen Schuldner begründet200. b) Die Verpflichtungen der Schuldner können auch auf einem einheitlichen Vertrag beruhen. Hier können die Parteien ein Zusammenwirken in der Art beabsichtigen, dass der Gläubiger das „Schadensersatzrisiko“, die Schuldner aber das „Gegenleistungsrisiko“ tragen. Dies bedeutet, dass ein einzelner Schuldner 197 Selb, Mehrheiten, 189; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 6; Wolf/Niedenführ, JA 1985, 375 f.; Jürgens, Teilschuld, 25. 198 So fassen Endemann, BürgR I, § 154 Fn. 3, und Kreß, SR AT, 602 f., den Schulfall des Streichquartetts auf, Planck/Siber, § 431 Anm. 1, den Schulfall des Hausbaus durch Maurer und Zimmermann. Vgl. auch Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 16 f.; Staud/Noack, vor § 420 Rz 29. 199 Vgl. BGHZ 143, 32, 39 (21.10.1999); BGH WM 2003, 1435 (19.12.2002); Staud/Peters/Jacoby, § 631 Rz 27, § 642 Rz 10; MüKo/Busche, § 642 Rz 7, 9; Soergel/Kraft, § 615 Rz 71–73. 200 Vgl. Kreß, SR AT, 602 f.; und unten, 192 f.
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
bei Leistungsstörungen der Mitschuldner zwar keinen Schadensersatz schuldet, aber auch keine Gegenleistung beanspruchen kann. Diese Konstellation haben Reinicke und Tiedtke bei ihrer Behandlung der gemeinschaftlichen Schuld vor Augen201. Tatsächlich aber handelt es sich hier um Teilschulden202. Die Überwälzung des Gegenleistungsrisikos auf die Schuldner lässt sich schon aus dem Gesetz ableiten, wenn man von einem einheitlichen Vertrag und damit von einem einheitlichen Schuldverhältnis i.w.S. ausgeht. Solange die Leistungen der Mitschuldner ausbleiben, kann der einzelne Schuldner seinen Gegenleistungsanspruch wegen § 320 I 2 nicht durchsetzen. Weigert sich einer der Schuldner endgültig oder nach Fristsetzung, seinen Beitrag zu erbringen, kann der Gläubiger nach § 323 V 1 vom Gesamtvertrag zurücktreten, weil er an den Einzelleistungen der übrigen Schuldner (die insofern „Teilleistungen“ sind) kein Interesse hat. Dasselbe gilt, wenn die Leistung eines Schuldners und damit auch die Gesamtleistung unmöglich wird, etwa weil der Cellist zum Auftrittstermin (Fixgeschäft) nicht erscheint: Dem Gläubiger steht nicht nur eine Minderung seiner Gesamtgegenleistung nach § 326 I 1 zu, sondern er kann, weil er an der Teilleistung in Form des Spiels der anderen drei Musiker kein Interesse hat, vom gesamten Vertrag nach §§ 326 V, 323 V 1 zurücktreten. Die Konstruktion einer „gemeinschaftlichen Schuld“ durch die Literatur beruht offenbar auch auf der Annahme, ohne eine solche Schuldform kenne das Gesetz nur entweder Gesamtschulden oder völlig unverbundene Einzelschulden203. Die für Teilschulden zentrale Bestimmung des § 320 I 2 wird nicht erwähnt. Dies kann darauf zurückzuführen sein, dass man in Fällen des notwendigen Zusammenwirkens nicht von Teilschulden sprechen will. Ein Grund dafür ist die aus dem Gemeinen Recht stammende Lehre, Teilschulden i.S.d. § 420 müssten notwendig gleichartig sein204. Ein zweiter Grund ist, dass in Fällen des notwendigen Zusammenwirkens die einzelne Teilleistung für den Gläubiger völlig wertlos bzw. gar nicht möglich ist. Aber die Vorstellung, dass Teilschulden stets getrennt erbringbar205 oder auch einzeln für den Gläubiger von Interesse sein müssen206, lässt sich nicht begründen. Ebensowenig trägt das Argument, dass bei notwendigem Zusammenwirken die Verpflichtungen der Schuldner deshalb zu 201
Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 17 f. Vgl. Staud/Noack, vor § 420 Rz 29. Im Ergebnis nicht anders ist die Ansicht von Peter Bydlinski, der zwar von einer gemeinschaftlichen Schuld spricht, aber auf der Primärleistungsebene Einzelklagerechte „wie bei einer Teilschuld“ annimmt und auf der Schadensersatzebene eine Haftung für Leistungsstörungen der Mitschuldner ablehnt, MüKo/Bydlinski, vor § 420 Rz 7, § 425 Rz 19. 203 Diese Annahme teilt auch Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 21, 25 f., 153 ff., 158, der aber die gemeinschaftliche Schuld ablehnt und daher zu pauschal Gesamtschulden annimmt. 204 Hierzu unten, 220 ff. 205 So wohl Rippich, Anwendungsgebiet, 16; Selb, Mehrheiten, 21, 47; Wolf/Niedenführ, JA 1985, 376; Wernecke, Gesamtschuld, 111; Staud/Noack, § 420 Rz 14. 206 Kohler, Schuldrecht, § 14 Anm. VII; Planck/Siber, § 431 Anm. 1; Selb, Mehrheiten, 21; Wolf/ Niedenführ, JA 1985, 374, 377; Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 25 f.; Leverenz, Personenmehrheiten, 129; wohl auch Jürgens, Teilschuld, 25; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 7. 202
7. Gemeinschaftlich geschuldete Werk- und Dienstleistungen
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einer gemeinsamen Schuld zusammengefasst werden müssen, weil sonst der Gläubiger den einzelnen Schuldner auf eine Einzelleistung verklagen könnte, die als solche wert- oder sinnlos ist. Ausgangspunkt ist, dass die Pflicht, bei einem gemeinsamen Werk mitzuwirken, für sich allein einen sinnvollen Inhalt einer schuldrechtlichen Verpflichtung bilden kann. Der Bauherr mag selbst die Maurerarbeiten ausführen wollen und daher den Zimmermann beauftragen, mit ihm im Zusammenwirken den Bau zu errichten. Eine solche Vereinbarung ist zweifellos wirksam. Ebenso können drei Streicher, die sich zu einer Gruppe zusammengetan haben, sinnvoll einen vierten beauftragen, ein bestimmtes Konzert mit ihnen zu bestreiten. Zwei Gesellschafter können von einem dritten verlangen, mit ihnen zusammen den Rechnungsabschluss zu erstellen. Mitwirkungspflichten dieser Art sind einklagbar und auch nach § 887 oder § 888 vollstreckbar207. Mitwirkungspflichten verlieren ihren Sinn nicht, wenn mehrere zur Mitwirkung verpflichtet sind. Der Gläubiger kann gegen jeden einzelnen auf seine Mitwirkungshandlung klagen und gegebenenfalls nach § 887 oder § 888 vollstrecken. Weigern sich mehrere, kann der Gläubiger gegen mehrere klagen und vollstrecken. Wenn aber mehrere Schuldner nebeneinander zu einer Mitwirkungshandlung verpflichtet sein können, dann ist es ebenso wie bei sonstigen Leistungspflichten möglich, die Verpflichtungen durch einen gemeinsamen Vertrag zu einer Gesamtleistung zu verknüpfen, um so die Anwendung etwa der § 320 I 2, § 323 V 1 oder § 351 zu erreichen. Ob man bei derart verbundenen Einzelschulden von Teilschulden sprechen will, ist im Ergebnis gleichgültig208; jedenfalls handelt es sich nicht um völlig unverbundene kumulierte Schulden. c) Schließlich können die Parteien in Fällen des notwendigen Zusammenwirkens auch das Schadensersatzrisiko ganz oder teilweise den Schuldnern aufbürden: Danach schuldet ein einzelner Schuldner Schadensersatz, wenn die Gesamtleistung wegen einer Leistungsstörung eines Mitschuldners nicht erbracht wird. Dies soll nach der wohl herrschenden Lehre die typische Rechtsfolge der gemeinschaftlichen Schuld sein: § 425 sei gerade nicht anwendbar209. Doch ebenso wie schon bei den gemeinschaftlichen Verfügungen fragt es sich, warum dann, wenn ein einzelner Schuldner für die Gesamtleistung einstehen soll, nicht gleich auch von Gesamtschulden gesprochen wird. Sofern die Gesamtleistung ein persönliches Zusammenwirken der Schuldner verlangt, wie beim Streichquartett, halten manche Gesamtschulden für ausgeschlossen210. Der Gläubiger könne schließlich vom Cellisten allein das Gesamtspiel nicht verlangen und der Cellist durch sein Spiel die anderen Musiker auch 207
Vgl. Stein/Jonas/Brehm, ZPO, § 888 Rz 5; OLG München, NJW-RR 1992, 768 (21.2.1992). Hierzu unten, 221 f. 209 Oertmann, Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 5 b; Leonhard, SR AT, 752; Enneccerus/ Lehmann, Schuldverhältnisse, § 88 I 4 d; Selb, Mehrheiten, 47, 195 f.; MüKo/P. Bydlinski, vor § 420 Rz 7; Jürgens, Teilschuld, 26; Staud/Noack, vor § 420 Rz 27; Schlechtriem/Schmidt-Kessel, SR AT, Rz 838. 210 MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 6; Jürgens, Teilschuld, 25; Looschelders, SR AT, Rz 1217. 208
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nicht befreien. Die damit verbundene Annahme, jeder Musiker könne nur sein eigenes Spiel schulden (möglicherweise „im Zusammenwirken“ mit den übrigen) setzt aber stillschweigend voraus, dass Schuldinhalt nur das Musizieren durch den Schuldner selbst sein kann. Selbstverständlich läge bei einem Vertrag, der den Cellisten verpflichten würde, in eigener Person ein Streichquartett aufzuführen, anfängliche objektive Unmöglichkeit vor, weil keiner vier Instrumente gleichzeitig spielen kann. Der Vertrag muss aber nicht vorsehen, dass der Schuldner in eigener Person erfüllt. Der Cellist könnte das Spiel des Streichquartetts schulden und diese Schuld durch eigenen Einsatz und den Einsatz von drei Erfüllungsgehilfen erfüllen. Versprechen mehrere Quartettmitglieder in dieser Art den Auftritt des gesamten Quartetts, entstehen Gesamtschulden211. Eine andere Frage ist, ob und wie ein gegen ein einzelnes Gruppenmitglied ergangenes Leistungsurteil vollstreckt werden kann. In der Regel stellt sich diese Frage nicht, weil es sich in Fällen des notwendigen Zusammenwirkens häufig um objektive Fixgeschäfte handelt, so dass bei Nichtleistung Unmöglichkeit eintritt und der Leistungsanspruch nach § 275 I untergeht. Erscheinen also alle oder nur ein Mitglied des Streichquartetts nicht zum vereinbarten Auftritt, bleibt dem Gläubiger von vornherein nur die Interessenklage, die er bei Annahme von Gesamtschulden gegen ein beliebiges Quartettmitglied richten kann. Sofern aber kein Fixgeschäft vorliegt, etwa weil es sich um eine Studioaufnahme handelt, kann der Gläubiger ein Leistungsurteil gegen einen einzelnen Musiker erwirken. Ist das Quartett durch ein anderes ersetzbar, handelt es sich um eine vertretbare Handlung i.S.d. § 887 ZPO, so dass der Gläubiger notfalls auf Kosten des beklagten Musikers ein anderes Quartett engagieren kann212. Schwieriger ist die Frage, wie ein Leistungsurteil gegen einen einzelnen Musiker vollstreckt werden kann, wenn das Quartett nicht ersetzbar ist. Der beklagte Musiker schuldet sein eigenes Spiel als unvertretbare Handlung und könnte hierzu nach § 888 ZPO angehalten werden213. Scheitert aber die Erfüllung nicht an der fehlenden persönlichen Leistungsbereitschaft des Beklagten, sondern an der der übrigen Musiker, stellt sich die Frage, ob die Verpflichtung des Beklagten, für den Auftritt der anderen zu sorgen, mit Beugezwang vollstreckt werden kann. Eine Vollstreckung nach § 888 ZPO setzt voraus, dass die Handlung ausschließlich vom Willen des Schuldners abhängt. Nach heute wohl allgemeiner Auffassung schließt dieses Erfordernis aber nicht von vornherein eine Vollstreckung aus, wenn die geschuldete Handlung nur unter Mitwirkung von Dritten vorgenommen werden kann. Der Schuldner ist dann vielmehr mit Beugezwang 211 I.E. ebenso Erman/Ehmann, vor § 420 Rz 11. Für die Zulässigkeit von Gesamtschulden auch Kohler, Schuldrecht, § 52 Nr. 7; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 17. 212 Ebenso Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 163 f. 213 Das Problem, dass künstlerische Leistungen nicht nach § 888 ZPO vollstreckt werden können, soll hier zum Zweck der Argumentation außer Acht gelassen werden.
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dazu anzuhalten, sich um die Mitwirkung der Dritten zu bemühen214. Diese Regeln wurden allerdings in Fällen entwickelt, in denen die Personen, die an der geschuldeten Handlung mitwirken mussten, tatsächlich „Dritte“, also am Schuldverhältnis nicht beteiligt waren215. Der Einzelschuldner sollte sich der Erfüllung seiner Verpflichtung nicht mit der bloßen Begründung entziehen können, er benötige die Hilfe eines Dritten, der aber zur Mitwirkung nicht bereit sei. Ob dieser Gedanke auch bei Gesamtschulden zutrifft, ist fraglich. Hier schulden alle. Der Gläubiger kann sich bei ausbleibender Leistung einen Schuldner herausgreifen und das Interesse verlangen. Dass er aber sich einen Schuldner herausgreifen und diesen mit Beugezwang dazu anhalten kann, die anderen zur Leistung zu bewegen, liegt weniger nahe. Zwar kann der Beklagte gegen die übrigen notfalls aus dem Innenverhältnis rechtliche Schritte unternehmen. Das kann der Gläubiger aber auch selbst, so dass er insofern weniger schutzbedürftig ist als im Einzelschuldverhältnis. Vor allem aber würde er durch Beugezwang gegen den Beklagten indirekten Druck auf die nicht beklagten Schuldner ausüben, weil der Beklagte von diesen aus dem Innenverhältnis Ersatz für die geleisteten Zwangsgelder verlangen würde. Damit könnte der Gläubiger indirekt gegen Schuldner vollstrecken, gegen die er keinen Titel hat. Dies spricht dafür, bei fehlender Leistungsbereitschaft der Mitschuldner eine Vollstreckung nach § 888 ZPO ganz auszuschließen216. Die Lehre von der gemeinschaftlichen Schuld umgeht diese Probleme, indem sie notwendige Streitgenossenschaft im materiellen Sinne annimmt217. Der Gläubiger muss also gegen alle Schuldner einen Titel erwirken. Damit kann er gegen die nicht leistungsbereiten Schuldner aus den gegen sie gerichteten Titeln vollstrecken. Doch auch bei der Annahme von Gesamtschulden steht es dem Gläubiger offen, sämtliche Schuldner zu verklagen, um so geeignete Vollstreckungstitel zu erlangen. Er ist dazu aber nicht verpflichtet. Gesamtschulden ermöglichen dem Gläubiger eine Leistungsklage gegen einen einzelnen Schuldner, an welcher er auch bei fehlender Vollstreckungsmöglichkeit ein Interesse haben kann218.
214 Grunsky, JuS 1973, 553; Schilken, JR 1976, 320; MüKo ZPO/Gruber, § 888 ZPO Rz 15; Peters, GS Bruns (1980), 285; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, § 888 Rz 13 ff.; Wieczorek/Schütze/Storz, ZPO, § 888 Rz 14; Musielak/Lackmann, ZPO, § 888 Rz 2, 6; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rz 40.14; Zöller/Stöber, ZPO, § 888 Rz 2; Schuschke/Walker, Zwangsvollstreckung, § 888 ZPO Rz 17. 215 Etwa BayObLGZ 1974, 484 = NJW 1975, 740 (17.12.1974); OLG Hamm, MDR 1978, 586 (14.10.1977); BGH NJW 1982, 2552 (24.6.1982); BayObLGZ 1988, 440 (29.12.1988); OLG Frankfurt, NJW-RR 1992, 171 (17.7.1991); OLG Frankfurt, NJW-RR 1997, 567 (23.9.1996); OLG Karlsruhe, FamRZ 1999, 1436 (27.11.1998). 216 Im Ergebnis ebenso Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 165. 217 Oertmann, Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 5 b; Leonhard, SR AT, 752; Reinicke/ Tiedtke, Gesamtschuld, 91; Looschelders, SR AT, Rz 1217; Staud/Noack, vor § 420 Rz 26; Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 62 Rz 20; anders Selb, Mehrheiten, 194, der aber zur Vollstreckung ein gegen alle Schuldner ergangenes Urteil verlangt, und MüKo/P. Bydlinski, vor § 420 Rz 7. 218 Ebenso i.E. Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 28, 155 ff.; Erman/Ehmann (11. Aufl. 2004), § 431 Rz 4.
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
Die Vereinbarung von Gesamtschulden hat zur Folge, dass jeder Schuldner für die fehlende Leistungsbereitschaft seines Mitschuldners haftet, zumindest dann, wenn die Gesamtleistung noch möglich ist. Da er Gesamtschuldner ist, schuldet er die gesamte Leistung. Der Anspruch auf Erfüllung ist nur dann nach § 275 ausgeschlossen, wenn die Mitwirkung der Mitschuldner mit keinem Mittel zu erlangen ist, was angesichts des Innenverhältnisses der Gesamtschuldner selten sein dürfte und in jedem Fall vom Schuldner zu beweisen wäre. Sofern aber eine Erfüllung möglich ist und trotzdem nicht stattfindet, hat dies der einzelne Schuldner nach § 280 I 2 zu vertreten, so dass er spätestens nach Ablauf einer Frist nach § 281 Schadensersatz schuldet. Solange also die Gesamtleistung noch möglich ist, „haftet“ der einzelne Gesamtschuldner für die fehlende Leistungsbereitschaft seiner Mitschuldner. Konstruktiv handelt es sich hierbei aber nicht um eine Haftung für fremdes Verschulden, so dass § 425 anzuwenden wäre, sondern um ein eigenes Vertretenmüssen219. Mit der Annahme einer solchen gesamtschuldnerischen Haftung steht der einzelne Schuldner im Ergebnis nicht schlechter da als bei der Annahme von gemeinschaftlichen Schulden im Sinne der herrschenden Lehre. Zwar kann nach dieser der Gläubiger den Erfüllungsanspruch nicht gegen den einzelnen Schuldner richten. Statt dessen kann er aber den nicht leistungsbereiten Schuldner in Verzug setzen. Da der Verzug Gesamtwirkung haben soll, schuldet dann auch der leistungsbereite Schuldner Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Der Vorteil bei der Annahme von Gesamtschulden ist demgegenüber, dass der leistungsbereite Schuldner zumindest selbst in Verzug gesetzt werden muss, um Schadensersatz zu schulden, so dass er die Chance hat, dieser Verpflichtung durch Einwirkung auf seine Mitschuldner zu entgehen. Ist man dagegen der Ansicht, dass ein Erfüllungsanspruch auf das Ganze deshalb nicht angemessen ist, weil der einzelne Schuldner nur mitwirken soll, muss man Teilschulden im oben beschriebenen Sinne annehmen. Anders stellt sich die Lage bei Unmöglichkeit der Gesamtleistung dar, etwa beim Fixgeschäft. Ist zum vereinbarten Auftritt des Streichquartetts der Cellist schuldhaft nicht erschienen und das Konzert daher ausgefallen, stellt sich nur noch die Frage nach einem Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 280, 283. Geht der Gläubiger etwa gegen den Bratschisten vor, so kommt es darauf an, ob dieser die Umstände der Unmöglichkeit zu vertreten hat, § 280 I 2. Ein eigenes Verschulden könnte dann ausscheiden, wenn der Auftritt unter den Musikern vereinbart und der Cellist jahrelang stets pünktlich und zuverlässig war, so dass für den Bratschisten kein Anlass bestand, besondere Maßnahmen zur Sicherung des Auftretens zu ergreifen. Dann käme es darauf an, ob er das Verschulden des Cellisten zu vertreten hätte. Nach § 425 haftet er im Zweifel nur für eigenes Verschulden. Etwas anderes kann sich aber aus der Wertung des § 278 ergeben. Der Cellist wäre Erfüllungsgehilfe des Bratschisten, wenn er in dessen originären
219
Ebenso Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 46, 159.
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Pflichtenkreis tätig war. Liegen tatsächlich Gesamtschulden hinsichtlich des Spiels des Streichquartetts vor, dann schuldet der Bratschist nicht nur die Organisation des Auftritts der anderen, sondern das Spiel von vier Musikern, so dass der Cellist sein Erfüllungsgehilfe ist, für dessen Verschulden er nach § 278 einzustehen hat220. Für eine Anwendung des § 278 in Fällen des notwendigen Zusammenwirkens spricht auch die Gleichbehandlung mit den Fällen, in denen die Leistung noch möglich ist. Hier haftet der einzelne Gesamtschuldner ohnehin im Ergebnis für die Leistungsbereitschaft seines Mitschuldners, weil er, solange die Erfüllung möglich ist, erfüllen muss und eine Nichterfüllung daher selbst zu vertreten hat. Zwar hat er hier, anders als in den Fällen der Unmöglichkeit, die Chance, seiner Schadensersatzpflicht durch Einwirkung auf seine Mitschuldner zu entgehen. Dennoch bleibt es dabei, dass er im Ergebnis auf die Leistungsbereitschaft seiner Mitschuldner angewiesen ist. Dann sollte er, führte die fehlende Leistungsbereitschaft zur Unmöglichkeit, sich seiner Haftung nicht mit dem Argument entziehen, für die Nichtleistung seiner Mitschuldner nicht zuständig zu sein. Hier liegt der richtige Kern der in der Literatur vertretenen These, dass ein Schuldner, der eine Leistung verspricht, die er nicht allein erbringen kann, eine Einstandspflicht für die Leistungen seiner Mitschuldner übernimmt221. Sie gilt allerdings nur, wenn der Schuldner wirklich die Gesamtleistung verspricht, wenn also, sofern mehrere Schuldner dieses Versprechen abgaben, Gesamtschulden bestehen. d) Schließlich besteht die vierte und in der Praxis wohl häufige Möglichkeit, dass die Schuldner, die eine nur im Zusammenwirken erbringbare Leistung versprechen, eine Außengesellschaft bilden. In diesem Fall schuldet die Außengesellschaft selbst die Gesamtleistung. Die einzelnen Schuldner schulden akzessorisch zur Gesellschaftsschuld und unter sich als Gesamtschuldner. Ob sie auch die Gesamtleistung oder nur das Interesse schulden, hängt davon ab, inwieweit und in welchen Fällen man der sog. Erfüllungs- oder Haftungstheorie folgt. Ein eigenständiger Platz für eine „gemeinschaftliche Schuld“ bleibt neben den gezeigten Gestaltungsmöglichkeiten nicht. Wenn in der Literatur von einer gemeinschaftlichen Schuld gesprochen wird, wird hiermit teilweise ein Einstehenmüssen jedes Schuldners für den Gesamterfolg, teilweise eine Mehrzahl von Mitwirkungspflichten, die untereinander verbunden sind, verstanden. Für das erstere ist aber die Gesamtschuld zuständig, während es sich beim zweiten um vertraglich verbundene ungleichartige Teilschulden handelt. Gerade dies war auch die Auffassung des BGB-Gesetzgebers: Bei notwendigem Zusammenwirken ist entweder jeder für den Gesamterfolg verantwortlich und damit Gesamtschuldner, oder jeder schuldet nur seine Mitwirkung.
220 221
Ebenso Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 36, 47; BamR/Voit, § 631 Rz 113. Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 55.
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b) Gesamtschulden bei Werkleistungen in Zusammenarbeit? Soweit ersichtlich, spricht die Rechtsprechung in Fällen des notwendigen Zusammenwirkens bei Werk- und Dienstleistungen nicht von gemeinschaftlichen Schulden. Besonders einflussreich hat sich eine Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1952 erwiesen, der sog. Glasbetondeckenfall222. Danach soll der Umstand, dass eine Werkleistung nur durch das Zusammenwirken zweier Unternehmer erbracht werden kann, unabhängig von der Vertragsgestaltung Gesamtschulden dieser Unternehmer begründen. Der Gläubiger hatte zwei Werkunternehmer mit der Errichtung einer durch ein Glasprismenband unterbrochenen Betondecke beauftragt. Der eine war für die Herstellung der Betondecke, der andere für die Glasarbeiten zuständig. Weil aber das Lichtband mit der Betondecke eine bauliche Einheit bildete, konnte der Bau des Lichtbandes nicht von der Herstellung der übrigen Decke getrennt werden, so dass die Unternehmer im Ergebnis zusammenarbeiten mussten, ohne dass die einzelnen Verantwortungsbereiche klar voneinander geschieden werden konnten. Aus dem Umstand, dass keiner der Unternehmer eine für sich abgeschlossene Arbeit ausführen konnte und es dem Gläubiger nicht möglich war, die Arbeitsleistungen voneinander abzugrenzen, folgerte der BGH nicht nur, dass es sich bei der Herstellung der Glasbetondecke um eine unteilbare Leistung i.S.d. § 431 handelte und beide Unternehmer somit „als Gesamtschuldner“ für die Herstellung des Werkes „hafteten“, sondern auch, dass entgegen § 425 jeder Unternehmer für das Verschulden des anderen einstehen musste. Zu Recht ist in der Literatur kritisiert worden, dass der BGH die im Fall zu entscheidende Frage, nämlich die Schadensersatzhaftung des einzelnen Unternehmers für Leistungsstörungen, die möglicherweise dem anderen Unternehmer zuzurechnen sind, mit einer gesamtschuldnerischen Haftung für die Primärleistung begründete223. Weder führen Gesamtschulden bei der Primärleistungspflicht automatisch zur Gesamtwirkung von Leistungsstörungen, wie § 425 zeigt, noch erfordert die Schadensersatzhaftung des einzelnen Unternehmers zwingend Gesamtschulden auf der Primärleistungsebene. Welche Art der Schuldnermehrheit im Glasbetondeckenfall zwischen dem Gläubiger und den zwei Unternehmern vereinbart war, lässt sich dem veröffentlichten Tatbestand nicht genau entnehmen. Sofern aber die Unternehmer getrennt beauftragt wurden und Gesamtschulden nicht vereinbart waren, entstehen Gesamtschulden nicht durch die Notwendigkeit des Zusammenwirkens. Denn dies würde bedeuten, dass der Glasermeister auch die Herstellung der Betonteile schulden und somit auch dann haften würde, wenn der andere Unternehmer überhaupt nicht leistet. Dazu besteht kein Anlass. § 431 war vom Gesetzgeber für Fälle gedacht, in denen mehrere gemeinsam eine Leistung schulden, die nicht unter ihnen aufgeteilt werden soll. Die Vorschrift kann nicht unverbundene 222 223
BGH NJW 1952, 217 (18.10.1951). Wernecke, Gesamtschuld, 160.
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Schuldner zu Gesamtschuldnern machen. Insoweit kann selbst die Herstellung einer Glasbetondecke als teilbar angesehen werden. Denn es wäre ohne weiteres denkbar, dass der Gläubiger selbst die Betonarbeiten übernimmt und einen Unternehmer beauftragt, die Glasarbeiten durchzuführen. In diesem Fall muss zwischen den Arbeiten unterschieden werden, da der Glaser dann nicht für „Leistungsstörungen“ seitens des Gläubigers haften kann. Der Umstand, dass die Leistung eines Schuldners nur verbunden mit der Leistung eines anderen Schuldners erbracht werden kann, führt nicht dazu, dass der erste Schuldner auch die zweite Leistung schuldet224. Der BGH berief sich auf eine Entscheidung des OLG Braunschweig aus dem Jahre 1903225, die einen vergleichbaren Sachverhalt aufwies: Um beim Bau eines Hauses den Keller trockenzulegen, waren eine Asphaltisolierung und eine hierzu passende Betonierung erforderlich. Der Kläger übernahm gegenüber dem Bauherrn die Asphaltisolierung und schlug ihm vor, die dazugehörigen Betonierungsarbeiten durch den ohnehin mit dem Hausbau beauftragten Maurermeister vornehmen zu lassen. Bei der Betonierung kam es zu Mängeln, die möglicherweise auf das Verschulden des Maurermeisters zurückzuführen waren und die schon hergestellte Asphaltisolierung vor der Abnahme beschädigten. Der Kläger verweigerte die kostenlose Nachbesserung. Seine Werklohnklage wurde abgewiesen. Wie später der BGH ging hier das OLG von einer unteilbaren Leistung i.S.d. § 431 und daher von einem Gesamtschuldverhältnis zwischen den beiden Werkleistenden aus: Jede Teilleistung bilde einen für sich wertlosen unselbständigen Teil einer auf den Erfolg (der Trockenlegung) gerichteten Gesamtleistung. Dem Bauherren sei es nur auf die Trockenlegung selbst angekommen, ohne dass er zwischen den erforderlichen Arbeiten differenzieren könne. Da dies dem Kläger bekannt war, sei seine Erklärung, wonach er nur die Asphaltarbeiten, nicht die Betonierungsarbeiten übernehme, unbeachtlich. Selbst der Umstand, dass der Bauherr dem Kläger und dem Maurermeister getrennten Werklohn schuldete, sollte daran nichts ändern. Da keine „selbständigen“ Verbindlichkeiten vorlägen, hafte jeder Unternehmer entgegen § 425 nach § 278 für das Verschulden des anderen. Der Kläger habe daher die kostenlose Nachbesserung nicht verweigern dürfen. Selbstverständlich ist eine Auslegung möglich, wonach der Kläger gegenüber dem technisch nicht versierten Bauherrn die Gesamtleistungspflicht übernahm und den Maurer als Erfüllungsgehilfen einsetzte. (Um ein Gesamtschuldverhältnis festzustellen, hätte man allerdings auch die Erklärung des Maurermeisters auslegen müssen, die im Urteil überhaupt nicht erwähnt wurde.) Gegen eine Gesamtleistungspflicht des Klägers sprach aber entscheidend seine eigene Vertragserklärung sowie die getrennte Bezahlung. Folgt man dem OLG, wird der Kläger nur für die Asphaltierung bezahlt, schuldet aber, wenn der andere Unternehmer 224 225
Ebenso i.E. BamR/Voit, § 631 Rz 113. OLG Braunschweig, OLGE 9, 4 (7.4.1903).
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vor Leistungsbeginn insolvent wird, die Gesamtleistung. Insoweit gilt dasselbe wie beim Urteil des BGH: Auch wenn Werkleistungen mehrerer Unternehmer in Zusammenarbeit verrichtet werden müssen und dem Gläubiger nicht klar ist, wer wofür zuständig ist, folgt hieraus nicht, dass notwendig jeder Unternehmer sämtliche Werkleistungen schuldet. Tatsächlich war die Annahme von Gesamtschulden für das Ergebnis auch gar nicht nötig. Das Werk des Klägers wurde vor seiner Abnahme beschädigt. Der Kläger hatte den Schaden nicht verschuldet, trug aber nach § 644 die Vergütungsgefahr. Etwas anders würde nur dann gelten, wenn man das (mögliche) Verschulden des Maurermeisters nach § 645 analog dem Bauherrn zurechnet. Das Verschulden eines anderen vom Gläubiger beauftragten Unternehmers wird dem Gläubiger aber höchstens dann im Sinne des § 645 zugerechnet, wenn schon der Auftrag an den anderen Unternehmer selbst die Gefahr der Verschlechterung oder des Untergangs erhöhte226. Davon konnte im Fall des OLG, in dem der Kläger selbst dem Gläubiger zur Beauftragung geraten hatte, keine Rede sein. Da der Kläger nicht zur Nachbesserung bereit war, konnte er keinen Werklohn verlangen. Im Glasbetondeckenfall des BGH ging es demgegenüber um Schadensersatz. Offenbar war dem Gläubiger durch das Verschulden eines Angestellten des Maurermeisters, der für die Betondecke zuständig war, ein Schaden entstanden, dessen Ersatz der Gläubiger vom Glaser verlangte. Der BGH begründete den Anspruch mit der Annahme von Gesamtschulden, bei denen das Verschulden entgegen § 425 Gesamtwirkung hat. Soweit die Literatur dem nicht folgt227, nimmt sie hier eine gemeinschaftliche Schuld an: Da Glaser und Maurer nur im Zusammenwirken tätig sein konnten, schulde zwar jeder nur seine Mitwirkung, hafte aber für Leistungsstörungen des anderen Teils228. Selbst dies erscheint aber in seiner Allgemeinheit als unangemessen229. Das Ergebnis des BGH lässt sich zwanglos auch bei Annahme von Teilschulden oder unabhängigen Verpflichtungen erklären. Der Glaser und der Maurer hatten offenbar eng zusammengearbeitet. Dabei half ihnen beiden der Angestellte des Maurers, der insofern nach dem Sachverhalt auch direkt für den Glaser tätig war. Insofern ist es zumindest möglich, dass den Angestellten das Verschulden in einer Ausführung traf, die er für den Glaser verrichtete. Dann kann aber der Glaser seine Haftung für den Angestellten nicht mit dem Hinweis verneinen, dieser sei Arbeitnehmer des Maurers: Wenn er sich der Hilfe des Angestellten bediente, ist dieser auch sein Erfüllungsgehilfe, für dessen Verschulden er nach 226 Vgl. OLG Köln, OLGZ 1975, 323 (15.4.1975); BGHZ 78, 352 (6.11.1980); Staud/Peters/Jacoby, § 645 Rz 32; BamR/Voit, § 645 Rz 19; Stamm, Regreßfiguren, 172 ff.; abweichend aber BGHZ 136, 303, 308 f. (21.8.1997). 227 So Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 55, 91 f.; Soergel/Wolf, § 425 Rz 11; Staud/Noack, § 425 Rz 43; Erman/Ehmann, vor § 420 Rz 11; Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 154 f., 160. 228 Selb, Mehrheiten, 196; Larenz, SR AT, § 37 II a.E. (S. 642); Wernecke, Gesamtschuld, 160 f.; Stehl, DB 1969, 350; wohl auch Jauernig/Stürner, § 431 Rz 2, 4. 229 I.E. ebenso MüKo/P. Bydlinski, § 425 Rz 19.
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§ 278 einstehen muss. Denkbar wäre darüber hinaus, dass bei engem persönlichen Zusammenarbeiten, bei dem jeder Unternehmer dem anderen hilft, die Unternehmer sich gegenseitig als Erfüllungsgehilfen einsetzen und insoweit für das Verschulden des anderen haften. Dies führt aber nicht pauschal zu generellen wechselseitigen Einstandspflichten. Erleidet etwa der Gläubiger einen Schaden dadurch, dass der Maurer schuldhaft mangelhaften Beton verwendete, so kann auch das Zusammenwirken beim Bau der Glasbetondecke nicht dazu führen, dass der Glaser dem Gläubiger diesen Schaden ersetzen muss. Das „Zusammenwirken“ ist also nur insofern relevant, als dass ein Unternehmer (oder sein Angestellter) für bestimmte Arbeitsschritte Erfüllungsgehilfe des anderen sein kann; es führt (zumindest bei unabhängigen Verträgen) nicht zu einem Einstehenmüssen für sämtliche Leistungsstörungen des jeweils anderen. Dass die aus dem Zusammenwirken gefolgerte allgemeine Einstandspflicht zu unangemessenen Ergebnissen führen kann, illustriert ein Fall des OLG Nürnberg von 1989230. Der Beklagte S war verpflichtet, auf der Baustelle des Klägers G einen sogenannten Turmdrehkran zu errichten. Hierzu war die Verwendung eines Autokrans erforderlich. Die Parteien vereinbarten, dass G diesen Autokran bereitstellen sollte. G beauftragte damit den Unternehmer D. Bei der Errichtung des Turmdrehkrans mit Hilfe des Autokrans stürzte der Turmdrehkran um und verursachte bei G einen Schaden, dessen Ersatz G von S verlangte. Das Gericht gab der Klage statt und ließ dabei offen, ob das Umstürzen auf dem Verschulden des S (was dieser bestritt) oder des D beruhte. Gestützt auf den Glasbetondeckenfall argumentierte es, dass die Aufstellung des Krans ein Zusammenwirken zwischen S und D verlangte, da keiner eine in sich geschlossene Arbeit ausführen konnte und auf die Mitarbeit des anderen angewiesen war. G habe die Leistungen des S und des D nicht voneinander abgrenzen können. Damit kein Mitunternehmer die Verantwortung für Schäden auf den anderen abwälzen könne, müsse jeder entgegen § 425 für Vertragsverletzungen des anderen haften. S schulde also selbst dann Schadensersatz, wenn der Schaden auf D’s Verschulden zurückführbar sei. Das OLG äußerte sich nicht ausdrücklich zur ursprünglichen Form der Schuldnermehrheit. Um Gesamtschulden kann es sich aber nicht handeln, wenn die Bereitstellung des Autokrans, die gewöhnlich dem Turmdrehkranerrichter obliegt, hier ausdrücklich vom Gläubiger übernommen wurde, der damit einen Dritten beauftragte. Dann schuldet S gerade nicht die Bereitstellung des Autokrans. Auch das mögliche Zusammenwirken zwischen S und D kann nicht dazu führen, dass S gegenüber G haftet, wenn der von G ausgewählte und beauftragte D nicht erscheint. Aber auch für den Anspruch auf Schadensersatz wegen des Umstürzens begegnet die Annahme, S hafte für D’s Verschulden, schwerwiegenden Bedenken. Schon intuitiv leuchtet es nicht recht ein, dass S pauschal für ein Verschulden des D einstehen muss, der nicht von ihm, sondern vom Gläubiger ausgesucht wurde. 230
OLG Nürnberg, NJW-RR 1991, 28 (21.12.1989).
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Wäre D der Angestellte des G gewesen, hätte G zumindest eine Mitverantwortlichkeit nach § 254, wenn nicht sogar eine Alleinverantwortlichkeit getroffen. Die Frage ist dann, inwieweit es einen Unterschied macht, wenn G nicht den Autokran selbst bereitstellt, sondern es übernimmt, einen Unternehmer damit zu beauftragen. Man wird wohl danach differenzieren müssen, inwieweit D tatsächlich in S’ Pflichtenkreis tätig war, ob also der Schaden durch ein Verschulden des D bei Ausübung einer Tätigkeit entstand, die S selbst oblag. Dass S und D zusammenarbeiten mussten, hindert nicht eine Differenzierung nach einzelnen Tätigkeiten und Verantwortungsbereichen, so dass es auch möglich ist, dass D’s Verschulden sich gerade im Bereich der Führung des Autokrans auswirkte, für den S nach der Parteivereinbarung gerade nicht zuständig war. Eine pauschale Haftung des S für jegliches Verschulden des D lässt sich angesichts des Umstands, dass D durch G bereitgestellt wurde, nicht rechtfertigen. Demnach hätte das Gericht die Frage, wie und durch wessen Verschulden der Schaden entstand, nicht offenlassen dürfen.
c) Gruppenarbeit Besondere Probleme hat die Bestimmung der richtigen Schuldnermehrheit bei einer Mehrheit von Arbeitnehmern aufgeworfen, die zu einer Betriebs- oder Eigengruppe231 zusammengeschlossen sind. Die Betriebsgruppe wird vom Arbeitgeber aus seinen Arbeitnehmern zusammengestellt. Ihre Besonderheit kann zum einen in der Vereinbarung eines Gruppenakkords liegen, so dass jeder Arbeitnehmer hinsichtlich seines Gegenleistungsanspruchs auf die Leistung seiner Kollegen angewiesen ist, zum anderen darin, dass die Aufgabenverteilung innerhalb der von der Gruppe zu erbringenden Gesamtleistung in der Gruppe selbst vorgenommen wird. Die sogenannte Eigengruppe tritt demgegenüber schon als Gruppe mit dem Gläubiger in Kontakt, etwa wenn eine Maurerkolonne ihre Dienste bei Errichtung eines Neubaus anbietet. Auch das schon oben erwähnte Streichquartett kann dem Gläubiger in Form einer Eigengruppe gegenübertreten. In der Praxis geht es häufig um Schadensersatzansprüche des Gläubigers wegen Schlechterfüllung „der Gruppe“. Berüchtigt ist ein Urteil des LAG Düsseldorf von 1967232. Hier machte der Arbeitgeber einer Maurer-Akkordkolonne, die er selbst zusammengestellt hatte, einen durch Schlechtarbeit entstandenen Schaden geltend, den er den Arbeitnehmern anteilig vom Lohn abzog. Dies war nach Auffassung des Gerichts zulässig: Die Schuldner hätten sich gemeinschaftlich zu einer teilbaren Leistung verpflichtet und seien daher im Zweifel nach § 427 Gesamtschuldner. Dies ergebe sich 231
Hierzu etwa Schaub, DB 1967, Beilage Nr. 19; Rüthers, ZfA 1977, 4 ff.; Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 138 ff.; Staud/Richardi, vor § 611 Rz 373 ff.; Schaub/Koch, ArbR-Handbuch, § 182. 232 LAG Düsseldorf, DB 1967, 909 (27.1.1967).
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auch aus dem Wesen des Akkordvertrags, nach dem der Lohn gemeinschaftlich abgerechnet werde. Daher könne der Arbeitgeber die Schuldner auch für Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung gemeinschaftlich in Anspruch nehmen. Dieses Urteil war gleich doppelt falsch: Zum einen besteht bei Betriebsgruppen selbstverständlich keine Gesamtschuld hinsichtlich der Primärleistungspflicht. Der Arbeitnehmer schuldet aufgrund seines individuellen Arbeitsvertrags seine eigene (fehlerfreie) Arbeitsleistung, nicht die seiner Kollegen. Zum anderen folgt aus Gesamtschulden keine Schadensersatzhaftung für Leistungsstörungen der Gruppe, ob in Form von Gesamtschulden oder anteilig. Beides hat die nachfolgende Rechtsprechung dann auch klargestellt233. In der älteren Literatur wird die Arbeit einer Akkord(eigen)gruppe manchmal als Beispiel einer gemeinschaftlichen Schuld angeführt, bei der jeder zur Mitwirkung am Gesamterfolg verpflichtet ist und § 425 keine Anwendung findet234. Manche halten bei Arbeitsverträgen mit Eigengruppen sogar Gesamtschulden für möglich235. Häufig wird differenziert: Danach sollen bei Gruppenarbeit sowohl unverbundene Einzelarbeitsverhältnisse als auch Teilschulden als auch – im Fall des notwendigen Zusammenwirkens – gemeinschaftliche Schulden möglich sein236. Als Beispiel einer gemeinschaftlichen Schuld wird manchmal der „Fliesenlegerfall“ des BAG von 1974 genannt237. Hier hatte der Gläubiger fünf Arbeitnehmer, die eine im Akkord entlohnte Betriebsgruppe bildeten, damit beauftragt, in einer Lagerhalle einen Fliesenbelag aufzubringen. Die Organisation der Arbeitsgänge und Aufteilung der Arbeit blieb der Gruppe überlassen. Der fertiggestellte Belag wies Mängel auf, die auf unsachgemäßes Fliesenlegen zurückgingen. Der Gläubiger verlangte daher Schadensersatz von den Fliesenlegern. Das BAG war der Ansicht, bei einer solchen Form der Gruppenarbeit schulde der einzelne Arbeitnehmer nicht nur die fehlerfreie Erfüllung der ihm intern zugewiesenen Aufgabe. Vielmehr habe er an der gemeinschaftlichen Gesamtleistung mitzuwirken und zu diesem Zweck, soweit möglich, auch Schlechtleistungen durch seine Kollegen zu verhindern. Die Darlegungs- und Beweislast müsse daher nach Gefahrenbereichen verteilt werden: Wenn der Arbeitgeber nachweisen könne, dass ihm durch die vertragswidrige Schlechtleistung der Gruppe ein Schaden verursacht wurde, müsse der einzelne Arbeitnehmer beweisen, dass er selbst einwandfreie Arbeit geleistet und den
233 Gaul, DB 1968, 984; Stehl, DB 1969, 348, 349; ArbG Düsseldorf, DB 1969, 1846 (26.8.1969); LAG Bremen, DB 1970, 1696 (12.11.1969); ArbG Berlin, DB 1970, 644 (16.1.1970). 234 Oertmann, Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 5 b; Leonhard, SR AT, 752; Enneccerus/ Lehmann, Schuldverhältnisse, § 88 I 4 d. 235 Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 154 ff.; Soergel/Wolf, § 421 Rz 32; einschränkend Kniffka, BB 1976, 277. 236 Selb, Mehrheiten, 46 f.; Soergel/Wolf, § 421 Rz 32; Staud/Noack, § 427 Rz 39; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 22; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 30 f.; Hoffmann, Gruppenakkordarbeit, 31 f., 67 f., 80 f. 237 Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 18; Selb, Mehrheiten, 192, 196; MüKo/P. Bydlinski, § 425 Rz 19; Jauernig/Stürner, § 431 Rz 2; anders Soergel/Wolf, § 421 Rz 32 (Teilschulden).
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Schaden auch nicht durch schuldhafte Verletzung seiner Nebenpflichten verursacht habe238. Auch wenn man dieser Ansicht des BAG folgt, schulden die Fliesenleger nicht „gemeinschaftlich“ im Sinne einer besonderen Form der Schuldnermehrheit, sondern als Einzelschuldner aufgrund ihrer Arbeitsverträge. Der Einzelne hat nicht an einem bestimmten Erfolg mitzuwirken, sondern seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Der Inhalt seiner Leistungsverpflichtung kann neben der Ausführung der ihm zugewiesenen Teilaufgaben auch die Pflicht umfassen, auf Sorgfaltsverstöße durch Arbeitskollegen zu achten. Eine solche Pflicht ist mit der Annahme von Einzelschulden vereinbar: Schließlich könnte der Arbeitgeber mit den Arbeitnehmern (oder auch nur mit einem von ihnen) völlig unabhängige Einzelverträge schließen, in denen diese dazu verpflichtet werden, erkennbare Sorgfaltsverstöße der Kollegen zu verhindern. Das BAG sprach auch nicht von einer gemeinschaftlichen Schuld, sondern legte gerade umgekehrt dar, was der einzelne Arbeitnehmer schulden soll. Die Annahme einer gemeinschaftlichen Schuld bringt darüber hinaus keinen weiteren Erkenntnisgewinn, sofern man nicht etwa eine sachlich nicht gebotene notwendige Streitgenossenschaft unter den Arbeitnehmern behaupten will. Wer aufgrund seines Einzelarbeitsvertrags arbeitet, und sei es auch in einer Betriebsgruppe, schuldet nichts anderes als seine (wie auch immer definierte) Arbeitsleistung und ist daher Einzelschuldner239. Nur bei Eigengruppen kommen auch andere Gestaltungsmöglichkeiten in Betracht. Insbesondere kann es sich bei der Eigengruppe um eine Außengesellschaft handeln, die mit dem Gläubiger einen Werk-, Dienst- oder Dienstbeschaffungsvertrag schließt240. Sofern aber nicht eine Außengesellschaft als solche den Vertrag mit dem Arbeitgeber schließt, liegt eine Mehrheit von Einzelarbeitsverhältnissen vor, wie auch die arbeitsrechtliche Rechtsprechung anerkennt241. Teilschulden sind bei Arbeitsverhältnissen zwar denkbar242, doch nicht ohne weiteres anzunehmen, weil sie dazu führen können, 238
BAGE 26, 130 (24.4.1974) = AP § 611 BGB Akkordkolonne Nr. 4 = DB 1974, 1820. Vgl. Hoffmann, Gruppenakkordarbeit, 67 f.; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 22. Dagegen können mehrere Arbeitgeber, die zusammen einen Arbeitnehmer beschäftigen, selbstverständlich Gesamtschuldner hinsichtlich der Beschäftigungs- und Vergütungspflicht sein, wie in BAG DB 1982, 1569 (27.3.1981). 240 Hierzu etwa Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht I, 792 ff.; Schaub, DB 1967, Beilage Nr. 19, S. 7 f.; Rüthers, ZfA 1977, 36 ff.; Staud/Richardi, vor § 611 Rz 382–385; Schaub/Koch, ArbRHandbuch, § 182 Rz 16 ff. 241 LG München, AP, § 611 BGB Akkordkolonne Nr. 1 (11.11.1957); BAG, AP § 611 BGB Akkordkolonne Nr. 2 (23.2.1961); BAG, AP § 611 BGB Gruppenarbeitsverhältnisse Nr. 1 = DB 1972, 244 (21.10.1971); ebenso Kreß, SR AT, 602 f.; Gaul, DB 1968, 984; Rüthers, ZfA 1977, 40 f.; ErfK/Preis, § 611 BGB Rz 171. Anders Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 154 f., 157, der bei Eigengruppen stets Gesamtschulden annimmt, weil er davon ausgeht, dass es sich immer um eine Außengesellschaft handelt. Das ist aber zumindest bei Gruppenarbeitsverhältnissen nicht der Fall. Gegen die Annahme von Gesamtschulden zu Recht Selb, Mehrheiten, 47. 242 Hierfür Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 141; Staud/Noack, § 427 Rz 36 (für die Betriebsgruppe!); Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 30 f.; Selb, Mehrheiten, 46 f., Soergel/ Wolf, § 421 Rz 32; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 22. 239
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dass der eine Arbeitnehmer keinen Lohn erhält, wenn der andere nicht arbeitet. Das BAG hat im Falle eines Heimleiterehepaars zu Recht keine Teilschulden, sondern Einzelverträge angenommen, die lediglich dadurch verbunden sind, dass eine Kündigung nur gegenüber beiden möglich ist und ein Kündigungsgrund in der Person des einen auch zu Lasten des anderen wirken kann243. Von der Art der ursprünglichen Schuldnermehrheit zu unterscheiden ist die Frage nach der Haftung der einzelnen Arbeitnehmer für Leistungsstörungen „der Gruppe“. Rechtsprechung und Literatur stellen hier manchmal die Frage nach „Gesamtschulden auf Schadensersatz“ und prüfen hierfür das Vorliegen von Gesamtschulden hinsichtlich der Primärleistungspflicht244. Doch die dahinter stehende Vorstellung, eine Gesamtschuld auf Erfüllung könne sich auf irgendeine Weise in eine Gesamtschuld auf Schadenersatz verwandeln, ist irreführend. Von einer Schuld aller, die sich zunächst auf Erfüllung und dann gegebenenfalls auf Schadensersatz richtet, kann nur dann gesprochen werden, wenn die Schuldner eine rechtsfähige Gruppe bilden, weil dann die Gruppe selbst schuldet. Ansonsten ist bei der Einzelschuld anzusetzen: Zu fragen ist, ob ein einzelner Arbeitnehmer für Leistungsstörungen haftet, die (möglicherweise) nicht von ihm selbst, sondern von einem anderen Mitglied der Gruppe verschuldet sind. Dies hängt auch davon ab, was dieser Einzelschuldner ursprünglich schuldete. „Gesamtschulden auf Schadensersatz“ entstehen erst dann, wenn für mehrere Einzelschuldner jeweils eine Haftung für den gesamten Schaden bejaht worden ist245. Solange die Schuldner keine Außengesellschaft bilden und als solche mit dem Gläubiger einen Werk- oder Dienstbeschaffungsvertrag schließen, schuldet jeder Arbeit- oder Dienstnehmer nur seine eigene Arbeitsleistung. Dann schuldet er auch keinen Schadensersatz, wenn ein anderes Gruppenmitglied seine eigene Vertragspflicht schuldhaft verletzt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn man, wie das BAG im Fliesenlegerfall, eine besondere Mitüberwachungspflicht des einzelnen Gruppenmitglieds annimmt. Dann beruht eine eventuelle Schadensersatzpflicht aber auf eigenem Verschulden in Verletzung der Überwachungspflicht, nicht auf einer Haftung für fremdes Verschulden. Eine Haftung des Gruppenmitglieds für Schäden, die unstreitig auf dem Verschulden eines anderen Gruppenmitglieds beruhen, wird auch durch das Zusammenwirken der Arbeitnehmer nicht gerechtfertigt und in der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung und herrschenden Lehre zu 243 BAG, AP § 611 BGB Gruppenarbeitsverhältnisse Nr. 1 = DB 1972, 244 (21.10.1971). Dagegen nimmt Selb beim Heimleiterehepaar Teilschulden (Mehrheiten, 46) bzw. eine gemeinschaftliche Schuld (a.a.O., 192) an; nicht ganz klar auch MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 22 (Verpflichtung zu Teilleistungen). 244 Das Verhältnis zwischen gesamtschuldnerischer Erfüllungshaftung und gesamtschuldnerischer Schadensersatzhaftung bleibt unklar bei Stehl, DB 1969, 348, 393; ArbG Düsseldorf, DB 1969, 1846, 1847 (26.8.1969); LAG Bremen, DB 1970, 1696 (12.11.1969); unrichtig insoweit auch Rüthers, ZfA 1977, 27, nach dem Gesamtschulden bei der Erfüllung zu Gesamtschulden beim Schadensersatz führen sollen. 245 So zu Recht BAGE 26, 130, 139 (24.4.1974); Hoffmann, Gruppenakkordarbeit, 23 f. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Schaden auf das Verschulden mehrerer Arbeitnehmer zurückgeht, vgl. BAG AP § 4 TVG Ausschlussfristen Nr. 50 (30.5.1972).
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Recht abgelehnt246. Auch dies spricht gegen die Annahme einer „gemeinschaftlichen Schuld“, sofern sie mit einer Gesamtwirkung des Verschuldens verknüpft sein soll. Möglich wäre, zumindest theoretisch, dass eine Haftung für von anderen Gruppenmitgliedern schuldhaft verursachten Schäden unter den Parteien vereinbart wird. Aber auch dann würde es sich nicht um eine gemeinschaftliche Schuld handeln. Das einzelne Gruppenmitglied schuldete seine Arbeit als Einzelschuldner und hätte darüber hinaus eine Garantie übernommen247. Unterschiedlich beurteilt worden ist die Haftungsfrage nur für Fälle, in denen nicht aufklärbar ist, welches Gruppenmitglied den Schaden verschuldet hat. Es ist in erster Linie eine arbeitsrechtliche Frage, ob die Beweislast für das Verschulden des in Anspruch genommenen Arbeitnehmers den Arbeitgeber trifft (so dass er im Ergebnis dann keinen Schadensersatz erhält)248 oder, wie das BAG im Fliesenlegerfall annahm249, den Arbeitnehmer. Interessanterweise wird hier aber auch die alte gemeinrechtliche Lösung für „unteilbare Leistungen“ vorgeschlagen, nämlich eine Aufteilung des Schadensersatzes auf die Schuldner250. In der Praxis scheint sie nicht unbekannt zu sein, wie schon der oben genannten Fall vor dem LAG Düsseldorf zeigt, in dem der Arbeitgeber den Gesamtschaden nicht bei einem einzigen Arbeitnehmer geltend gemacht, sondern allen Gruppenmitgliedern anteilig vom Lohn abgezogen hatte; tatsächlich finden sich Regeln zur anteiligen Schadensersatzpflicht der Gruppenmitglieder auch in Tarifverträgen251. Dieses Phänomen könnte damit erklärbar sein, dass die Schadensersatzhaftung des Arbeitnehmers häufig funktional an die Stelle eines Min246 ArbG Düsseldorf, DB 1969, 1846 (26.8.1969); ArbG Bochum, DB 1970, 644 (6.11.1969); ArbG Berlin, DB 1970, 644 (16.1.1970); BAGE 26, 130, 137 ff. (24.4.1974); BAG AP § 4 TVG Ausschlussfristen Nr. 50 (30.5.1972); Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht I, 794 Fn. 19; Gaul, DB 1968, 984; Staud/Richardi, vor § 611 Rz 377, 381; MünchHArbR/Marschall, § 171 Rz 8, 15; Erman/ Edenfeld, § 611 Rz 128; ebenso Soergel/Wolf, vor § 420 Rz 14, § 421 Rz 32; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 22; für die Betriebsgruppe auch LAG Bremen, DB 1970, 1696 (12.11.1969); BAG DB 1983, 2200 = AP § 1 TVG Tarifverträge Bau Nr. 51 (18.5.1983); Hoffmann, Gruppenakkordarbeit, 26 ff., 69 ff., 119 ff. Anders für die Eigengruppe Schaub, DB 1967, Beilage 19, S. 9; Rüthers, ZfA 1977, 41; Schaub/Koch, ArbR-Handbuch, § 182 Rz 22; ebenso Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 160 f., der allerdings stets vom Bestehen einer Außen-GbR ausgeht; vgl. auch die Konstruktion bei Hoffmann, Gruppenakkordarbeit, 79 ff., 132 ff. (Arbeitsvertrag mit Außen-GbR, für deren Erfüllungs- und Schadensersatzverpflichungen die Gesellschafter teilschuldnerisch haften). 247 Im Ergebnis ähnlich Selb, Mehrheiten, 47. 248 So ArbG Düsseldorf, DB 1969, 1846 (26.8.1969); ArbG Bochum, DB 1970, 644 (6.11.1969); ArbG Berlin, DB 1970, 644 (16.1.1970); Gaul, DB 1968, 984; für die Betriebsgruppe auch LAG Bremen, DB 1970, 1696 (12.11.1969); Schaub, DB 1967, Beilage Nr. 19, S. 5; Kniffka, BB 1976, 276 f.; Hoffmann, Gruppenakkordarbeit, 36 ff., 69 ff., 128 f.; Staud/Noack, § 427 Rz 37; ErfK/ Preis, § 611 BGB Rz 166. Hierfür spricht nun § 619 a. 249 BAGE 26, 130, 137 ff. (24.4.1974); ebenso Erman/Edenfeld, § 611 Rz 126; einschränkend Rüthers, ZfA 1977, 20 ff.; MünchHArbR/Marschall, § 171 Rz 7. 250 Stehl, DB 1969, 348 ff., 393 ff. (allerdings mit dogmatisch nicht haltbarer Begründung, weil Primärleistungs- und Schadensersatzverpflichtung nicht auseinandergehalten werden); Kniffka, BB 1976, 277; Heinze, NJW 1985, 2119; ErfK/Preis, § 611 BGB Rz 166; Schaub/Koch, ArbRHandbuch, § 182 Rz 10; für die Eigengruppe Hoffmann, Gruppenakkordarbeit, 136 ff., auf der Basis einer teilschuldnerischen Gesellschafterhaftung. 251 Siehe etwa BAG DB 1983, 2200 (18.5.1983).
8. Weitere Beispiele
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derungsrechts für Schlechtleistung tritt, das es im Dienstvertragsrecht nicht gibt. Wenn die Gruppenmitglieder ohnehin durch die Akkordvereinbarung hinsichtlich ihres Gegenleistungsanspruchs voneinander abhängig sind, erscheint es nicht als von vornherein systemwidrig, wenn der Arbeitgeber eine „Minderung“ wegen Schlechtleistung der Gruppe in Gestalt eines Schadenersatzanspruchs auf die Arbeitnehmer verteilt. Möglich ist dies allerdings nur bei einer entsprechenden Vereinbarung252.
8. Weitere Beispiele Auch die übrigen in der Literatur angeführten Beispiele können die Notwendigkeit einer Rechtsfigur der gemeinschaftlichen Schuld nicht begründen. Auch hier schuldet jeder Schuldner entweder nur seinen Anteil (als Teil- oder Einzelschuldner) oder die Gesamtleistung.
a) Die Rückgabepflicht mehrerer Mieter Haben mehrere Personen zusammen Wohn- oder Geschäftsräume gemietet, dann stellt sich die Frage, gegen wen der Vermieter nach Beendigung des Mietverhältnisses seinen Anspruch auf Rückgabe der Mietsache aus § 546 I (§ 556 I BGB a.F.) geltend machen kann. Manche halten die Rückgabepflicht für eine gemeinschaftliche Schuld, weil ihre Erfüllung den Auszug aller Mieter verlangt und daher nur durch Mitwirkung sämtlicher Schuldner erreichbar ist253. Die Rechtsprechung beruft sich demgegenüber auf § 431 und geht trotz des notwendigen Zusammenwirkens von Gesamtschulden aus254. Dem folgt die herrschende Lehre255. Denkbar ist allerdings eine zwischen den Parteien vereinbarte „Aufteilung“ der Rückgabe dergestalt, dass jeder Mieter nur zur Räumung durch ihn selbst 252 Vgl. auch Rüthers, ZfA 1977, 28; Hoffmann, Gruppenakkordarbeit, 125 f.; Staud/Noack, § 427 Rz 38; Erman/Edenfeld, § 611 Rz 126; nach denen eine Aufteilung des Schadensersatzes auf mehrere für den Schaden unstreitig verantwortliche Arbeitnehmer sich auch aus einer Anwendung der §§ 254, 278 ergeben kann (jeder Arbeitnehmer kann dem Arbeitgeber das Mitverschulden des Kollegen entgegenhalten). 253 Wolf/Niedenführ, JA 1985, 379. 254 RGZ 89, 203, 207 (20.2.1917); BGH NJW 1991, 2416 (10.7.1991); BGHZ 131, 176, 183 (22.11.1995); BGH NJW 2005, 3786, 3787 (5.10.2005); BGH NJW 2006, 2561 (9.1.2006); OLG Düsseldorf, NJW-RR 1987, 911 und 1370 (15.1.1987 und 18.3.1987); LG Mannheim, MDR 1973, 228 (25.10.1972). 255 Behrens, Mietverhältnis, 288 ff.; Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 169 ff.; Reinicke/ Tiedtke, Gesamtschuld, 4; MüKo/P. Bydlinski, § 431 Rz 5; Staud/Kaduk, § 427 Rz 8; Staud/Rolfs, § 546 Rz 14; MüKo/Bieber, § 546 Rz 13; Soergel/Heintzmann, § 546 Rz 6; Medicus, SR AT, Rz 797; Wernecke, Gesamtschuld, 97 f.; Palandt/Grüneberg, § 427 Rz 1 (allerdings unter Berufung auf § 427); anders Schläger, ZMR 1976, 34, der offenbar von Teilschulden ausgeht.
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
verpflichtet ist, so dass er erfüllt, wenn er seine Sachen aus der gemeinsamen Wohnung entfernt und dem Vermieter seinen Schlüssel überlässt. Eine solche Gestaltung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Vermieter mehreren Parteien durch unabhängige Verträge Mitbesitz an einem gemeinschaftlichen Raum eingeräumt hat, wäre aber kraft besonderer Parteivereinbarung auch bei gemeinschaftlicher Miete zulässig. Sofern aber keine besondere Abrede getroffen wurde, spricht schon die Wertung des § 427 dafür, dass jeder Mieter die Gesamträumung schuldet. Der BGH begründet dieses Ergebnis mit dem Inhalt der Rückgabepflicht aus § 546. Danach ist der Mieter nicht zur Aufgabe seines Besitzes verpflichtet, sondern zur Einräumung des unmittelbaren Alleinbesitzes an den Vermieter. Hat er etwa untervermietet, schuldet er nach Beendigung des Hauptmietvertrags nicht nur seine eigene Besitzaufgabe, sondern auch die Räumung der Wohnung durch den Untermieter256. Daher kann auch bei gemeinschaftlicher Miete der einzelne Mieter seine Rückgabepflicht nicht schon durch die eigene Besitzaufgabe erfüllen, sondern schuldet als Gesamtschuldner die Einräumung des Alleinbesitzes als unteilbare Leistung257. Umstritten war in der obergerichtlichen Rechtsprechung allerdings, ob der Vermieter nach Beendigung des Mietverhältnisses eine Räumungsklage auch gegen denjenigen Mieter (M1) erheben kann, der schon ausgezogen ist258. Das OLG Schleswig hielt eine solche Klage für unzulässig: Zwar handle es sich nicht um eine gemeinschaftliche Schuld, weil es an einem Gesamthandsvermögen fehle und die Erfüllung hier nicht das Zusammenwirken beider, sondern nur die Räumung durch M2 erfordere. Doch der Räumungsklage gegen M1 fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil eine sinnvolle Vollstreckung gegenüber M1 nicht möglich sei. Zudem scheitere der Leistungsanspruch gegen M1 an dessen subjektivem Unvermögen, so dass auch die Möglichkeit, das Räumungsurteil als Grundlage eines Schadensersatzanspruchs gegenüber M1 (damals § 283 BGB a.F.) zu verwenden, ausscheide. Der Vermieter sei dadurch nicht rechtlos gestellt, weil Ansprüche auf Entschädigung oder Schadensersatz wegen verspäteter Rückgabe aus § 546 a (§ 557 BGB a.F.) selbstverständlich beide Mieter als Gesamtschuldner träfen259. Das OLG äußerte sich in diesem Urteil nicht ausdrücklich zur Art der Schuldnermehrheit. Wäre es aber von Teilschulden ausgegangen, so hätte es ein Erlöschen der Schuld des M1 durch Erfüllung, nicht durch Unmöglichkeit annehmen müssen. Da es eine gemeinschaftliche Schuld ablehnte, ging es offenbar von Gesamtschulden aus. Dies hieße dann aber, dass M1 ursprünglich zur Gesamträu256
BGHZ 56, 308 (30.6.1971). BGHZ 131, 176, 182 ff. (22.11.1995). 258 BayObLG, NJW-RR 1989, 1291 (26.7.1989); OLG Koblenz, NJW-RR 1995, 1356 (5.5.1995); OLG Stuttgart, NJW-RR 1995, 1354 (22.5.1995). 259 OLG Schleswig, NJW 1982, 2672 (25.6.1982); ebenso AG Essen, ZMR 1986, 172 (29.11.1985); AG Schöneberg, GE 1989, 731 (4.10.1988). Ähnlich schon LG Koblenz, ZMR 1976, 48 (24.6.1975), wonach die Räumungsklage gegen den ausgezogenen Mieter wegen Unvermögens nach § 275 unbegründet ist; und Schläger, ZMR 1976, 34. 257
8. Weitere Beispiele
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mung verpflichtet gewesen wäre und seine Erfüllungspflicht mit seinem Auszug unterging. Nicht ganz klar wäre dann, warum gerade der Auszug es unmöglich machte, die Räumung durch M2 herbeizuführen. Der Sache nach kommt die Entscheidung – Gesamtschulden auf der Sekundärleistungsebene, aber ein Primärleistungsanspruch nur im Rahmen der persönlichen Erfüllbarkeit – der Annahme einer gemeinschaftlichen Schuld sehr nahe. Demgegenüber halten andere Obergerichte und auch der BGH zu Recht eine Räumungsklage auch gegen denjenigen Mieter für zulässig, der schon ausgezogen ist260: Weil der Rückgabeanspruch vom Besitz des Mieters unabhängig ist, erlischt er nicht durch den Auszug. Auch ein anspruchsausschließendes Unvermögen liegt nicht vor, weil der Mieter auf den die Wohnung noch besitzenden Mitmieter – notfalls durch Klage aus dem Innenverhältnis – einwirken kann261. Der Räumungsklage fehlt daher auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis, weil mit Hilfe des Urteils eine Schadensersatzklage erleichtert wird (nach altem Recht wegen § 283 BGB a.F., heute nach §§ 280, 281). Zudem soll die Räumungsklage den Vermieter davor schützen, dass der fortgezogene Mieter wieder einzieht, ohne verbotene Eigenmacht zu begehen. Das OLG Düsseldorf hat schließlich aus dem Räumungsanspruch gegen den fortgezogenen Mieter gefolgert, dass dieser, wenn er die Räumung durch den Mitmieter nicht herbeiführt, schuldhaft handelt und damit in Verzug geraten und Schadensersatz schulden kann, wenn das Gebäude vor Einräumung des Besitzes an den Vermieter zufällig untergeht (§ 287)262. Der Anspruch auf Rückgabe gemieteter Räume hat mit dem Anspruch auf eine gemeinschaftliche Verfügung gemeinsam, dass ein einzelner Schuldner, anders als bei gewöhnlichen Gesamtschulden, ohne Kooperation seiner Mitschuldner zur Erfüllung nicht in der Lage ist. Sind die Mitschuldner nicht erfüllungsbereit, kann er weder eine gemeinschaftliche Sache übereignen noch dem Vermieter die geräumte Wohnung übergeben. Wohl aber kann er in beiden Fällen auf eine Erfüllung durch seine Mitschuldner hinwirken. Insofern ist es bemerkenswert, dass die Rechtsprechung bei der Wohnungsrückgabe ohne weiteres von Gesamtschulden ausgeht, bei gemeinschaftlichen Verfügungen dagegen eine klare Aussage zur Schuldnermehrheit vermeidet und eine notwendige Streitgenossenschaft annimmt. Warum es aber gerade bei der Verpflichtung zu einer Verfügung auf die Erfüllbarkeit durch einen einzelnen Schuldner ankommen soll, wird nicht begründet. 260 OLG Düsseldorf, NJW-RR 1987, 1370 (18.3.1987); BGHZ 131, 176, 182 ff. (22.11.1995); LG Berlin, GE 2000, 281 (27.12.1999); ebenso schon Boiczenko, MDR 1983, 895; Behrens, Mietverhältnis, 290 ff.; Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 171 f., 174; zustimmend Haase, JR 1996, 290; Emmerich, JuS 1996, 456, m.w.N.; MüKo/P. Bydlinski, § 431 Rz 5; Staud/Noack, § 431 Rz 10; Soergel/Heintzmann, § 546 Rz 6; MüKo/Bieber, § 546 Rz 13. 261 Anders verhielt es sich möglicherweise im Fall LG Koblenz, ZMR 1976, 48: Der ausgezogene Ehemann hatte hier versucht, die Ehefrau durch eine einstweilige Verfügung zur Räumung zu bewegen; das Amtsgericht hatte den Erlass einer solchen Verfügung aber abgelehnt. Hier könnte die Annahme des Landgerichts, es liege Unvermögen vor, vielleicht berechtigt sein. 262 OLG Düsseldorf, NJW-RR 1987, 911 (15.1.1987).
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
Mieten mehrere eine bewegliche Sache, halten auch Anhänger der gemeinschaftlichen Schuld Gesamtschulden hinsichtlich der Rückgabepflicht für möglich263. Anders als bei der Wohnungsmiete soll hier die Rückgabe durch einen einzelnen Mieter möglich sein. Dies ist aber keinesfalls selbstverständlich, wie gerade die in diesem Zusammenhang diskutierte BGH-Entscheidung264 zeigt: Hier hatten A und B ein Auto gemietet und in eine Tiefgarage gestellt. Ohne Wissen und Wollen des A „entwendete“ B das Auto und fuhr damit nach Spanien. Der BGH nahm ohne weiteres, gestützt auf § 431, Gesamtschulden für die Rückgabepflicht an. Bei der Miete beweglicher Sachen ist zwar die Erfüllung der Rückgabepflicht durch nur einen Mieter möglich, aber nur dann, wenn er den Alleinbesitz an der Sache hat oder sich beschaffen kann. Die übrigen Mitmieter können eine Rückgabe verhindern, etwa indem sie sich weigern, dem Rückgabewilligen die Sache oder den Autoschlüssel herauszugeben, oder sogar die Sache entwenden. Insofern ist der einzelne Mieter zur Rückgabe auf die Kooperation seiner Mitschuldner angewiesen und kann häufig nicht gegen deren Willen erfüllen. Führt man die Existenz von gemeinschaftlichen Schulden auf die Annahme zurück, es könne nur dort Gesamtschulden geben, wo jeder Schuldner allein zur Leistung in der Lage ist, müsste man auch bei der Rückgabepflicht Gesamtschulden ausschließen. Knüpft man die Schuldform an die Leistungsfähigkeit des einzelnen an, so könnte man konsequent zum Ergebnis kommen, dass dann, wenn die geliehene Sache sich mal beim einen, mal beim anderen Entleiher befindet, die Rückgabepflicht (als Einzelschuld!) nur denjenigen trifft, der gerade unmittelbarer Besitzer ist. Dann wäre man wieder beim Gedankengut des 19. Jahrhunderts angelangt: Wie berichtet galt die Rückgabepflicht als unteilbare Leistung. Während ein Teil der Literatur hier mit dem Vertragsschluss entstehende Solidarobligationen aller Entleiher annahm, ging die wohl herrschende Lehre davon aus, dass die Rückgabepflicht nur denjenigen traf, der die Sache in den Händen hielt265. Im genannten BGH-Fall bestand zudem die Besonderheit, dass ein Fahren durch Dritte vertraglich untersagt war und nur einer der Mieter des Autos einen Führerschein hatte und das Auto damit vertragsgerecht zurückgeben konnte. Stellt man auf die Leistungsfähigkeit des einzelnen Schuldners ab, müsste eine Einzelschuld des Führerscheininhabers vorliegen. Wenn aber nach heute nahezu allgemeiner Ansicht bei der Rückgabepflicht Gesamtschulden möglich sind, muss das bedeuten, dass die Fälle der gemeinschaftlichen Schuld sich nicht dadurch auszeichnen, dass der einzelne Schuldner 263 So etwa Wolf/Niedenführ, JA 1985, 379; Larenz, SR AT, § 37 II, S. 642; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 57 f.; Medicus, SR AT, Rz 797; Staud/Kaduk, § 431 Rz 7; Staud/Noack, § 425 Rz 44, § 431 Rz 10; Soergel/Wolf, § 425 Rz 13; MüKo/P. Bydlinski, § 425 Rz 18; ähnlich Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 166, der zwar die Kategorie der gemeinschaftlichen Schuld ablehnt, aber ein Zusammenwirken für die Rückgabe nur bei gemieteten Räumen, nicht bei gemieteten beweglichen Sachen für erforderlich hält; zweifelnd nur Wernecke, Gesamtschuld, 161. 264 BGHZ 65, 226 (29.10.1975). 265 Oben, 120 f.
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ohne Kooperation der Mitschuldner nicht erfüllen kann. Offenbar geht es bei der gemeinschaftlichen Schuld also darum, dass die Erfüllung stets eine Leistung im Zusammenwirken sämtlicher Schuldner erfordert, während die Erfüllung der Rückgabepflicht lediglich erfordert, dass die Mitschuldner zustimmen oder die Erfüllung zumindest nicht behindern. Warum aber die Linie gerade hier gezogen werden soll, ist nicht ganz klar. Widersprüchlich erscheint es demgegenüber, wenn die Pflicht zweier Gastwirte, den Gast während seines Lokalaufenthalts vor Angriffen zu schützen, als gemeinschaftliche Schuld angesehen wird266. In der diskutierten Entscheidung267 war der Gast durch einen Gaspistolenschuss verletzt worden, der entweder vom einen oder vom anderen Wirt abgegeben worden war. Die Erfüllung der Schutzpflicht der Gastwirte erforderte hier kein Zusammenwirken derart, dass beide Wirte koordiniert tätig sein mussten, da der Gastaufnahmevertrag auch bei Anwesenheit nur eines Wirts erfüllt werden konnte. Vielmehr lag nur der Fall vor, dass ein Wirt allein gegen den Willen des anderen die Schutzpflicht nicht erfüllen konnte, also für die Erfüllung auf ein vertragsgemäßes Verhalten des anderen angewiesen war. Unklar ist dann, warum die Schutzpflicht gemeinschaftliche Schuld sein soll, die Rückgabepflicht aber nicht. Insofern mangelt es der Lehre von der gemeinschaftlichen Schuld auch an schlüssigen Kriterien dafür, wann und warum diese besondere Art der Schuldnermehrheit erforderlich sein soll.
b) Das Mieterhöhungsverlangen gegenüber einer Mietermehrheit Wird eine Wohnung an mehrere gemeinschaftlich vermietet, so bedarf jede Vertragsänderung, auch eine Mieterhöhung, der Zustimmung aller Parteien. Ein auf § 558 (früher § 2 MHRG) gestütztes Verlangen auf Zustimmung zu einer Mieterhöhung muss daher gegen alle Mieter gerichtet werden268. In Rechtsprechung und Literatur wird die Pflicht der Mieter, einem solchen berechtigten Mieterhöhungsverlangen zuzustimmen, als Beispiel für eine gemeinschaftliche Schuld angesehen269. Doch solange die Mieter keine Außengesellschaft bilden, schuldet der einzelne Mieter entweder nur seine eigene Zustimmungserklärung oder die Her266 Larenz, SR AT, § 37 II, S. 642; Selb, Mehrheiten, 83 f.; wohl auch MüKo/P. Bydlinski, § 425 Rz 19; Jauernig/Stürner, § 431 Rz 2; anders (Gesamtschulden) Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 55 f.; Staud/Noack, § 425 Rz 48. 267 BGH VersR 1969, 830 (4.6.1969). 268 BGHZ 136, 314, 323 (10.9.1997); BGH NJW 2004, 1797 (3.3.2004); OLG Celle, OLGZ 1982, 254 (20.1.1982); BayObLGZ 1983, 30 (21.2.1983); OLG Koblenz, NJW 1984, 244 (13.10.1983); KG, NJW-RR 1986, 439 (5.12.1985); MüKo/Artz, § 558 a Rz 11; Soergel/Heintzmann, § 558 a Rz 5. 269 OLG Celle, OLGZ 1982, 254 („Gesamthandsschuldner“); OLG Koblenz, NJW 1984, 244 (Zustimmung wird „gesamthänderisch geschuldet“); KG, NJW-RR 1986, 173, 174 (25.10.1984) („gesamthandsähnliches Schuldverhältnis“); KG, NJW-RR 1986, 439, 440; LG Heidelberg, WoM 1993, 342 (9.10.1992) (Zustimmung wird „zur gesamten Hand als unteilbare Leistung“ geschuldet); Selb, Mehrheiten, 193; MüKo/P. Bydlinski, § 431 Rz 3; Behrens, Mietverhältnis, 155 ff.
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
beiführung einer gemeinschaftlichen Zustimmung. Da die Verpflichtung zur Zustimmung keine Hauptleistungspflicht des Mietvertrags, sondern gesetzlich angeordnete Nebenpflicht ist, spricht viel dafür, die Gesamtschuldvermutung des § 427 auch dann nicht anzuwenden, wenn die Zahlung des Mietzinses solidarisch geschuldet wird. Der Schutz des Vermieters erfordert offenbar nicht, den einen Mieter für die Beibringung der Zustimmungserklärung des anderen verantwortlich zu machen270. Auch bei der Annahme schlichter Teilschulden lassen sich interessengerechte Ergebnisse erzielen. Danach schuldet jeder Mieter seine Zustimmung. Der Umstand, dass die nur durch einen Mieter erklärte Zustimmung für den Vermieter wertlos ist271, schließt Teilschulden nicht aus272. Der Vermieter kann diejenigen auf Abgabe ihrer Zustimmungserklärung verklagen, die nicht zugestimmt haben. Verklagt er nur einzelne unter denen, die sich weigern, kann ihm das Rechtsschutzbedürfnis fehlen. Die Annahme einer allgemeinen notwendigen Streitgenossenschaft273 oder einer gemeinschaftlichen Schuld ist nicht erforderlich.
c) Die gemeinsame Rechnungserstellung durch mehrere Verkäufer In einem vom BGH 1974 entschiedenen Fall274 hatten die sieben Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft dem Käufer K ihre Gesellschaftsanteile verkauft. Die Kaufpreiszahlung sollte aufgeteilt an jeden einzelnen Verkäufer erfolgen. K verlangte von einem der Verkäufer, V1, die Erstellung einer Gesamtrechnung mit Umsatzsteuerausweisung auf den Namen aller Verkäufer, hilfsweise die Mitwirkung an einer solchen Gesamtrechnung, und hielt deswegen den Kaufpreisanteil für V1 zurück. Der BGH verneinte jedoch ein Zurückbehaltungsrecht und gab der Zahlungsklage von V1 statt. 270
Für Gesamtschulden aber OLG Hamm, ZMR 1983, 127, 128 (27.1.1983); Staud/Emmerich, § 558 a Rz 6. Nach Emmerich soll hieraus aber eine notwendige Streitgenossenschaft im materiellrechtlichen Sinne folgern, so dass nicht klar ist, ob er tatsächlich jeden Mieter für verpflichtet hält, alle Zustimmungen herbeizuführen. 271 Abwegig Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 178 f., der eine Erhöhung nur gegenüber dem zustimmenden Mieter für möglich hält und i.E. eine gesamtschuldnerische Verpflichtung jedes Mieters annimmt, einer solchen „persönlichen“ Mieterhöhung zuzustimmen. Doch der Vermieter bot nicht einen Zusatzvertrag mit einem einzelnen Mieter an, sondern die Änderung des zwischen allen Parteien geschlossenen Mietvertrags. 272 Anders Behrens, Mietverhältnis, 157, der sich Teilschulden nur in Form von Zustimmungen zu individuell wirkenden Erhöhungen vorstellen kann und daher Teilschulden für unmöglich hält. Doch der Mieter schuldet nicht die Zustimmung zu einer individuellen Erhöhung, sondern seine Zustimmung zur Gesamterhöhung als Bestandteil der Gesamtzustimmung. Wie hier i.E. Staud/ Noack, § 420 Rz 25. 273 So BGH NJW 2004, 1797 (3.3.2004); KG, NJW-RR 1986, 439, 440 (5.12.1985); LG Kiel, ZMR 1989, 429 (29.6.1989); Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 62 Rz 20; Musielak/Weth, ZPO, § 62 Rz 12; teilweise mit dem Vorbehalt, dass etwas anderes gelten kann, wenn der nichtverklagte Mieter seine Zustimmung schon abgegeben hat. Wie hier Zöller/Vollkommer, ZPO, § 62 Rz 18. 274 BGH NJW 1975, 310 (11.12.1974).
8. Weitere Beispiele
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Da V1 keine Vertretungsmacht für die übrigen Verkäufer hatte, konnte er allein keine wirksame Gesamtrechnung erstellen. Daher war er nach Ansicht des BGH für den im Hauptantrag geltend gemachten Anspruch auf eine Gesamtumsatzsteuerrechnung aus § 14 I 1 UStG nicht passiv prozessführungsbefugt. K könne diesen Anspruch nur gegenüber allen Verkäufern zusammen einklagen. V1 sei nicht Gesamtschuldner, weil § 431 nicht für Leistungen gelte, die aus Rechtsgründen nur zusammen erbracht werden könnten. Mangels Gegenseitigkeit gebe es auch kein Zurückbehaltungsrecht: Den Kaufpreis schulde K V1, während K die Rechnungserteilung nur von allen Verkäufern zusammen verlangen könne. Soweit es um den hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Mitwirkung ging, hielt der BGH eine Klage gegen V1 auf Mitwirkung für unzulässig, solange nicht die Mitwirkung der anderen Verkäufer sichergestellt sei. Auch der Mitwirkungsanspruch könne kein Zurückbehaltungsrecht begründen, weil V1 dann Zug um Zug leisten und in diesem Rahmen die Mitwirkung der anderen herbeiführen müsse, wozu er nicht verpflichtet sei. Die Literatur führt diese Entscheidung als Beispiel für eine gemeinschaftliche Schuld an275. In diese Richtung geht auch die Erwägung des BGH, dass K den Anspruch auf Rechnungserteilung nicht gegen V1, sondern nur gegen alle Verkäufer gemeinschaftlich habe. Doch gerade wegen des geltend gemachten Zurückbehaltungsrechts muss geklärt werden, was genau V1 schuldete. Eine Verpflichtung zur Erstellung einer Rechnung nur für seinen Gesellschaftsanteil schied aus, weil umsatzsteuerpflichtig nicht die Anteilsveräußerung, sondern nur die Veräußerung des Gesellschaftsbetriebs selbst war, also das Gesamtgeschäft. K benötigte eine solche Gesamtrechnung, um die Umsatzsteuer vom Finanzamt erstattet zu bekommen. V1 konnte dann nur die Erstellung dieser Gesamtrechnung oder die Mitwirkung daran schulden. Das Ergebnis des BGH, dass V1 nicht die Gesamtrechnung schuldete, erscheint richtig. § 431 setzt voraus, dass die Gesamtleistung ungeteilt geschuldet wird, und lässt daher die Frage gerade offen, ob der Einzelschuldner zur Gesamtleistung oder nur zur Mitwirkung verpflichtet ist. Die Vermutung des § 427 kam hier trotz gemeinsamen Vertrags nicht zur Anwendung, da die Rechnungserstellung Nebenpflicht der Verkäufer war276, die nicht nur Teilgläubiger des Kaufpreises waren, sondern auch die Übertragung ihrer Gesellschaftsanteile offenbar nur als Teilschuldner schuldeten. Demnach lagen Gesamtschulden nicht vor277. V1 275 Selb, Mehrheiten, 193; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 19, 91; Soergel/Wolf, vor § 420 Rz 13; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 6; Jauernig/Stürner, § 431 Rz 2; Palandt/Grüneberg, vor § 420 Rz 9; BamR/Gehrlein, § 431 Rz 1; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 14; Wieser, JuS 2000, 999. 276 So BGHZ 103, 284, 287 (24.2.1988): Es handelt sich um eine Nebenpflicht aus dem Kaufvertrag, die sich ohne die Vorschrift des § 14 UStG aus § 242 BGB ergäbe. 277 Anders Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 192 ff., der von einem Vertrag durch die KG und damit von einer gesamtschuldnerischen Haftung der Gesellschafter nach § 128 HGB auch für die Umsatzsteuerrechnung ausgeht. Hier verkauften aber die Gesellschafter ihre Gesellschaftsanteile, so dass nicht die Gesellschaft Verkäufer war.
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
war nicht verpflichtet, durch Einwirkung auf die Mitverkäufer eine Gesamtrechnung zu beschaffen, sondern schuldete nur seine Mitwirkung an einer solchen Rechnungserstellung. Er war daher Teilschuldner. Dagegen spricht nicht, dass einer Klage gegen nur einen Verkäufer auf Mitwirkung das Rechtsschutzbedürfnis fehlen kann, wenn die Mitwirkung der übrigen Schuldner nicht gewährleistet ist. Denn diese prozessuale Besonderheit ist auch in Fällen denkbar, in denen sich mehrere völlig unabhängig voneinander als Einzelschuldner auf Mitwirkung an einer Gemeinschaftsleistung verpflichten. Das eigentliche Problem der Entscheidung war das Zurückbehaltungsrecht. Die Erwägung des BGH, V1 könne nicht mittelbar zur Herbeiführung von Leistungen gezwungen werden, die er selbst nicht schuldet, ist in ihrer Allgemeinheit unzutreffend, wie § 320 I 2 zeigt: Hier ist der Gläubiger für die Durchsetzung seiner Forderung darauf angewiesen, dass seine Mitgläubiger ihre Leistungen erbringen, obwohl er selbst diese Leistungen nicht schuldet. Wäre also die Pflicht zur Erstellung einer Umsatzsteuerrechnung synallagmatische Pflicht i.S.d. § 320, hätte K zu Recht die Zahlung des Kaufpreises verweigert. Allerdings soll die Verpflichtung zur Umsatzsteuer-Rechnungserstellung, zumindest für die Rechtslage vor der Schuldrechtsmodernisierung278, keine Einrede nach § 320, sondern nur ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 begründen279. Hier fehlt eine § 320 I 2 entsprechende Regelung. Folgt man dem BGH, führt dies dazu, dass K überhaupt kein Zurückbehaltungsrecht geltend machen kann. Weigern sich alle Verkäufer, eine Rechnung auszustellen oder an ihr mitzuwirken, müsste K trotzdem den gesamten Kaufpreis zahlen. Das ist bedenklich, weil K ein nicht unbedeutendes wirtschaftliches Interesse an einer solchen Rechnung hat und unzweifelhaft ein Zurückbehaltungsrecht gehabt hätte, wenn er es nur mit einem Verkäufer zu tun gehabt hätte. Insofern wäre es zumindest denkbar, dem einzelnen Verkäufer doch eine Verantwortung für die Gesamtleistung aufzuerlegen, zumindest für die Geltendmachung seines Gegenleistungsanspruchs. Zu diesem Ergebnis käme man, indem man entweder die Pflicht zur Rechnungserstellung als synallagmatisch i.S.d. § 320 ansieht oder die Regelung des § 320 I 2 im Rahmen des Zurückbehaltungsrechts aus § 273 analog anwendet. Will man das nicht, käme in Betracht, von V1 für die Durchsetzung seines Zahlungsanspruchs (und auch zur Vermeidung einer Schadensersatzhaftung) zumindest seinen Beitrag zur Gesamtrechnungserstellung zu verlangen, etwa in Form einer im Namen aller Verkäufer erstellten, aber bislang nur von ihm unterschriebenen Gesamtrechnung, so dass bei einer späteren Klage gegen andere Verkäufer seine Mitwirkung schon feststünde. Die Qualifikation als „gemeinschaftliche Schuld“ löst dieses Problem jedenfalls nicht, sondern verdeckt es nur. 278
Vgl. etwa Soergel/Gsell, § 320 Rz 14, wonach der neue § 323, der das Rücktrittsrecht nicht von der Verletzung einer synallagmatischen Pflicht (i.e.S.) abhängig macht, auch für eine Einbeziehung von „Nebenleistungspflichten“ bei § 320 spricht. 279 Peusquens, NJW 1974, 684; Staud/Bittner, § 273 Rz 26.
8. Weitere Beispiele
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d) Das Notwegverlangen gegen Miteigentümer Macht ein Grundstückseigentümer nach § 917 ein Notwegrecht hinsichtlich eines Nachbargrundstücks geltend, das im Miteigentum mehrerer steht, so muss er nach höchstrichterlicher Rechtsprechung und herrschender Lehre eine Klage gegen sämtliche Miteigentümer richten280. Die Klage auf „Einräumung“ oder „Duldung“ des Notwegrechts gegen nur einen Miteigentümer ist danach grundsätzlich unzulässig, weil die Verpflichtung, den Notweg zu dulden, nur einheitlich festgestellt werden kann. Der BGH stützte sich zunächst auf die Erwägung, die Einräumung eines Notwegrechts komme einer Verfügung über das Gesamtgrundstück gleich, die nach § 747 S. 2 nur von sämtlichen Miteigentümern getroffen werden könne281. Später stellte der BGH darauf ab, dass die Duldungspflicht das Grundstück im Ganzen erfasse und daher der Notweganspruch nur von den Miteigentümern gemeinsam erfüllt werden könne. Dem einzelnen Miteigentümer fehle daher die Sachlegitimation282. Die herrschende Lehre folgert hieraus, dass die Pflicht zur Einräumung oder Duldung des Notwegs eine gemeinschaftliche Schuld sei283. Eine abweichende Ansicht stellt darauf ab, dass die „Einräumung“ eines Notwegs keine Verfügung über das Grundstück sei, weil die Pflicht zur Duldung der Grundstücksbenutzung schon aus dem Gesetz folge. Weil das Urteil über das Notwegrecht keine rechtsgestaltende Wirkung habe, müsse es nicht gegen alle Miteigentümer ergehen. Wer die Benutzung seines Grundstücks nicht dulde, sei Störer i.S.d. § 1004. Der Notwegberechtigte brauche daher nur den oder die Störer zu verklagen; zu einer Klage gegen diejenigen Miteigentümer, welche die Benutzung bislang nicht gehindert haben, bestehe weder ein sachlicher noch ein prozessualer Grund284. Zur materiellrechtlichen Seite findet sich vereinzelt die Ansicht, es lägen kumulierte Schulden vor: Jeder Miteigentümer schuldet für sich das Dulden in Form des Unterlassens von Widerstand285. Die Bestimmung der Art der Schuldnermehrheit bei mehreren Miteigentümern hängt von der (hier nicht zu entscheidenden) Frage ab, welche rechtliche Konstruktion man dem Notwegrecht des § 917 zugrunde legt. Nach Rechtspre-
280 RG JW 1906, 233, 234 (24.2.1906); BGHZ 36, 187 (29.11.1961); BGH, NJW 1984, 2210 (4.5.1984); Grunsky, ZZP 76 (1963), 64 f.; Wieczorek/Schütze, ZPO, § 62 Rz 49; Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 62 Rz 20; MüKoZPO/Schultes, § 62 Rz 33; Musielak/Weth, ZPO, § 62 Rz 12; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 49 Rz 25; Staud/H. Roth, § 917 Rz 33; Soergel/J.F. Baur, § 917 Rz 8; MüKo/Säcker, § 917 Rz 18. 281 BGHZ 36, 187, 189; vgl. Grunsky, ZZP 76 (1963), 64. 282 BGH NJW 1984, 2210. 283 Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 19, 91; Selb, Mehrheiten, 193; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 6; Soergel/Wolf, vor § 420 Rz 13; Palandt/Grüneberg, vor § 420 Rz 9; Hassold, Streitgenossenschaft, 47; Gottwald, JA 1982, 69; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 7. 284 LG Nürnberg-Fürth, NJW 1980, 2477 (4.6.1980); Waldner, JR 1981, 184; Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 183; Wieser, JuS 2000, 1000; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 62 Rz 18. 285 So wohl Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 183; und Wernecke, Gesamtschuld, 125.
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
chung und wohl herrschender Lehre286 handelt es sich um einen echten Anspruch i.S.d. § 194, der sich auf Duldung der Grundstücksbenutzung richtet. Der Anspruch entsteht mit der Notlage und einem Duldungsverlangen, verschafft dem Berechtigten aber nicht von selbst das Recht, das Nachbargrundstück zu benutzen, sondern nur ein Recht, vom Nachbarn die Duldung der Benutzung zu verlangen. Eine Nutzung ohne Einverständnis oder gestattendes Urteil ist danach verbotene Eigenmacht. Der Nachbar kann dem Duldungsanspruch entsprechen, indem er sich mit dem Berechtigten über den Umfang des Benutzungsrechts und den Verlauf des Notwegs einigt. Kommt es zu keiner Einigung, kann der Berechtigte ein Urteil erwirken, das sowohl das Bestehen des Notwegrechts als auch seinen Umfang und Verlauf (dies mit gestaltender Wirkung) bestimmt, § 917 S. 2. Folgt man dem, kann der Berechtigte das Nachbargrundstück gar nicht betreten, solange er nicht das Einverständnis sämtlicher Miteigentümer oder ein entsprechendes Urteil hat. Um sein Notwegrecht auszuüben, muss er also zumindest gegen alle diejenigen klagen, die nicht eingewilligt haben, so dass einer Klage gegen nur einen Miteigentümer das Rechtsschutzbedürfnis fehlen kann. Hinzu kommt, dass das Urteil mangels Einigung der Parteien den Umfang des Benutzungsrechts und die Richtung des Notwegs bestimmen muss und insofern Gestaltungswirkung entfaltet. Diese Gestaltungswirkung kann die Annahme einer notwendigen Streitgenossenschaft im materiellrechtlichen Sinne rechtfertigen287. Hieraus folgt aber nicht, dass die Duldung des Notwegs eine gemeinschaftliche Schuld ist. Materiellrechtlich geht es in erster Linie darum, ob der einzelne Miteigentümer nur sein eigenes Einverständnis oder die Einwilligung aller schuldet. Da der Notweganspruch nicht auf einem Vertrag beruht, sondern den Charakter eines gesetzlichen Aufopferungsanspruchs hat, spricht nichts dafür, den einzelnen Miteigentümer zur Verschaffung des Einverständnisses der anderen zu verpflichten. Jeder schuldet daher nur seine eigene Duldung. Da dem Berechtigten aber nicht gedient ist, wenn ein Miteigentümer ihm die Benutzung der westlichen, der andere die Benutzung der östlichen Grundstücksseite gestattet, benötigt er im Ergebnis koordinierte Erklärungen der Miteigentümer: Sein Notweganspruch wird ohne Urteil erfüllt, wenn eine Einigung zwischen ihm und sämtlichen Miteigentümern zustande kommt. Dabei handelt es sich nicht um eine Verfügung i.S.d. § 747, weil sie keine dingliche Wirkung gegenüber Dritten entfaltet, sondern um eine Abrede, welche nur die Vertragsparteien bindet. Jeder Miteigentümer schuldet also seine eigene „Duldung“ in Gestalt einer mit den Miteigentümern koordinierten Einwilligung bzw. einer Mitwirkung an einer Vereinbarung zwischen sämtlichen Parteien288. Die Tatsache, dass eine geschuldete Handlung mit anderen 286
Stellvertretend Staud/H. Roth, § 917 Rz 2, 41 f. (m.w.N.); Soergel/Baur, § 917 Rz 13 f. Genauer gesagt müsste der Berechtigte alle mit Ausnahme derjenigen verklagen, die sich nicht nur mit der Gestattung des Notwegrechts, sondern auch mit dem sich aus dem zu erwartenden Urteil ergebenden Umfang und Verlauf einverstanden erklären. 288 Ähnlich Grunsky, ZZP 76 (1963), 65. 287
9. Unterlassungspflichten
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Parteien koordiniert werden muss, hindert aber nicht die Charakterisierung der Verpflichtung als Einzelschuld: Auch unabhängige, auf verschiedenen Verträgen beruhende Einzelschulden können zum Inhalt haben, in Koordination mit anderen einen bestimmten Erfolg zu erzielen. Folgt man dagegen der anderen Ansicht, dann kann der Berechtigte das Nachbargrundstück schon dann betreten, wenn die objektive Notlage des § 917 vorliegt und er ein entsprechendes Verlangen an alle Miteigentümer gerichtet hat289. Dann aber ist eine gegen alle Miteigentümer gerichtete Klage auf „Duldung des Notwegrechts“ tatsächlich überflüssig. Der Berechtigte kann sich darauf beschränken, diejenigen Miteigentümer als Störer zu verklagen, die sich der Grundstücksbenutzung widersetzen. Die Art der Schuldnermehrheit, die nach diesem Modell vorliegt, ist aber kein Nebeneinander kumulierter Einzelschulden auf „Duldung“. Wenn ein Eigentümer berechtigt ist, im Fall einer Notlage und nach einem entsprechenden Verlangen ohne weiteres das Nachbargrundstück in Ausübung eines Notwegrechts zu benutzen, ist die „Duldungspflicht“ des Nachbarn offenbar ebensowenig Inhalt eines Schuldverhältnisses i.S.d. § 241 wie die Pflicht des Nachbarn, nach § 906 bestimmte Immissionen zu dulden. Ein Schuldverhältnis entstünde (bei berechtigter Nutzung) überhaupt erst dann, wenn sich ein Miteigentümer der Nutzung widersetzt und damit Störer i.S.d. § 1004 wird. Zur Schuldnermehrheit käme es nur dann, wenn sich mehrere Miteigentümer widersetzen. Die Bestimmung der Schuldnermehrheitsform folgt dann den Regeln der Haftung mehrerer Störer290.
9. Unterlassungspflichten Sind mehrere Schuldner dem Gläubiger gegenüber zum Unterlassen verpflichtet, stellt sich die Frage, ob auch für diese Verbindlichkeiten die gewöhnlichen For289
MüKo/Säcker, § 917 Rz 1, 4–5, 19–23. Diese sind allerdings im Einzelnen noch nicht geklärt. Problematisch ist insbesondere der Fall, in dem die Störung von einer Sache (hier: etwa einem Zaun) ausgeht, die mehreren gehört. Mangels Alternative bleibt hier wohl keine andere Möglichkeit, als Gesamtschulden für den Beseitigungsanspruch anzunehmen, ebenso MüKo/Medicus, § 1004 Rz 75; Erman/Ebbing, § 1004 Rz 139. So entschied im Ergebnis auch BGH NJW 1989, 2541 (21.4.1989) in einem Fall, in dem die störende Sache einer Erbengemeinschaft zustand, allerdings unter Heranziehung des § 2058. Dies überzeugt nicht, weil es im Außenverhältnis nicht darauf ankommen sollte, ob die störende Sache einer Erbengemeinschaft, einer sonstigen Gesamthandsgemeinschaft oder Miteigentümern zustand, so dass die gesamtschuldnerische Haftung in allen Fällen gleich begründet werden sollte. Wenn die Beseitigung nur durch Einwirkung auf die Sache selbst möglich ist und ein Mitberechtigter daher ohne Einwilligung der anderen die Störung nicht beseitigen kann, geht der BGH von einer notwendigen Streitgenossenschaft im materiellrechtlichen Sinne aus, BGH NJW 1992, 1101 (25.10.1991), zustimmend Staud/Gursky, § 1004 Rz 235. In der Literatur wird zudem materiellrechtlich von einer gemeinschaftlichen Schuld gesprochen; Picker, Beseitigungsanspruch, 136 Fn. 28; Staud/Gursky, § 1004 Rz 110 m.w.N. Der Zwang zur gemeinsamen Klage hilft zwar dem einzelnen Mitberechtigten, weil er im Falle seiner Verurteilung zugleich das Einverständnis der übrigen hat, und sorgt für eine Vollstreckbarkeit des Leistungsurteils, kann aber den Kläger unzumutbar beeinträchtigen, wenn einzelne Mitberechtigte schwer zu finden oder unbekannt sind. 290
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
men der Schuldnermehrheit – Gesamtschulden, Teilschulden, kumulierte Einzelschulden – möglich sind und welche Bedeutung hier die gesetzlichen Regeln der §§ 420, 427, 431 und 2058 haben. Weil das Gläubigerinteresse sich in der Regel darauf richtet, dass sämtliche Schuldner unterlassen, könnte auch an eine gemeinschaftliche Schuld gedacht werden, die nur durch Mitwirkung aller Schuldner erfüllt werden kann. Rechtsgeschäftlich vereinbarte Unterlassungspflichten gab es schon im römischen Recht. Mittels Stipulation konnte der Schuldner sich und auch seine Erben291 gegenüber dem Gläubiger dazu verpflichten, eine bestimmte Handlung zu unterlassen. Die Durchsetzung einer solchen Verpflichtung war wegen des Grundsatzes der Geldkondemnation grundsätzlich nur durch eine Klage auf das Interesse möglich. Weil das Interesse des Gläubigers aber gerade bei Unterlassungspflichten schwer einschätzbar war, vereinbarten die Parteien in solchen Fällen häufig eine (selbstständige oder unselbständige) Vertragsstrafe292. Fragen der Schuldnermehrheit erscheinen in den Quellen im Zusammenhang mit der Haftung von Miterben. Schulfall ist das Versprechen des Erblassers, dass weder er noch seine Erben den Gläubiger daran hindern werden, über das Grundstück des Erblassers zu gehen. Nach dem Tod des Erblassers wird das Grundstück Miteigentum der Erben. Ein Miterbe verweigert dem Gläubiger den Zutritt. Sofern eine Vertragsstrafe vereinbart war, wird sie verwirkt, wenn nur ein Miterbe gegen die Unterlassungspflicht verstößt. Nach allgemeinen Regeln wird sie (als primär geschuldeter Gegenstand) aber unter den Erben geteilt. Jeder muss daher im Ergebnis zu einem Anteil für den Verstoß seines Miterben einstehen293. Sofern es nicht um eine Vertragsstrafe, sondern um den Anspruch auf das Interesse geht, gilt ebenso, dass der Gläubiger von allen Miterben das gesamte Interesse verlangen kann, wenn nur ein Miterbe gegen die Unterlassungspflicht verstößt294. Ob dann jeder Erbe das Ganze oder nur einen Anteil schuldet, geht aus den Quellen nicht ausdrücklich hervor; wahrscheinlich aber waren die Miterben für die Interesseleistung – ebenso wie bei der positiven Pflicht zur Verschaffung einer Grunddienstbarkeit295 – Gesamtschuldner. In allen Fällen konnten die „unschuldigen“ Miterben, mochten sie ihren Anteil oder das Ganze geleistet haben, mittels der Erbteilungsklage Regress bei demjenigen von ihnen nehmen, der die Unterlassungspflicht verletzt hatte. Das Recht des Gläubigers, die gesamte Vertragsstrafe oder das gesamte Interesse verlangen zu können, wenn nur ein Miterbe ihm den Zutritt verweigert, wird in den Quellen damit begründet, dass eine anteilige Verweigerung des Zutritts nicht möglich sei: Wird der Gläubiger auch nur von einem Miterben gehin291
Siehe Ulpian D.45,1,38, pr.-2, D.45,1,13. Inst. 3,15,7; Paulus D.19,2,54,1; Scaevola D.45,1,122,6; Venuleius D.45,1,137,7; hierzu Zimmermann, Obligations, 95 f., 103 f.; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 115 II 4, § 120 I 2, II. 293 Paulus/Cato D.45,1,4,1; Paulus D.45,1,85,3. 294 Paulus D.10,2,25,12, D.10,2,44,5, D.45,1,2,5, D.45,1,4; Ulpian D.45,1,3, pr.-1; Scaevola D.45,1,131 pr. 295 Oben, 109. 292
9. Unterlassungspflichten
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dert, wird er ganz gehindert296. Demgegenüber behandelt ein Cato zugeschriebenes Fragment den Fall eines teilweisen Verstoßes gegen eine Unterlassungspflicht: Der Erblasser hatte unter Vertragsstrafe versprochen, eine Forderung nicht einzuklagen. Einer von seinen Erben, auf welche die Forderung nach allgemeinen Regeln geteilt überging, klagt seinen Anteil ein. Hier soll nur der klagende Erbe die Vertragsstrafe verwirken, und zwar nur zu seinem Anteil297. Insofern erscheint es, dass die römischen Quellen auch Einzelfälle „teilbarer“ Unterlassungspflichten kannten. So wurde das Fragment jedenfalls von den Autoren des Gemeinen Rechts ausgelegt, die aus den Quellen eine allgemeine Lehre der Schuldnermehrheiten bei Unterlassungspflichten entwickelten. Danach war die Pflicht, die Benutzung des gemeinsamen Grundstücks durch den Gläubiger zu dulden, Beispiel für eine unteilbare Unterlassungspflicht. In diesen Fällen konnte der Gläubiger die Vertragsstrafe oder das Interesse von allen Miterben verlangen, auch wenn nur einer der Pflicht zuwiderhandelte. Während Einigkeit darüber bestand, dass eine Vertragsstrafe dann geteilt wurde, war es strittig, ob die Miterben das Interesse anteilig oder solidarisch schuldeten298. Der Streit spiegelt die Diskussion wider, ob bei unteilbaren positiven Leistungspflichten das Interesse geteilt wird oder nicht299. Unteilbare Unterlassungspflichten waren insofern ein Unterfall der unteilbaren Leistungspflichten: Alle Miterben zusammen schuldeten das Unterlassen durch alle. Daneben kannte die wohl überwiegende Lehre aber nach dem Vorbild des Cato-Fragments auch teilbare Unterlassungspflichten. Hier sollte ein Miterbe nur anteilig verpflichtet sein. Für den Verstoß durch einen Miterben sollte nur dieser auf das Interesse oder eine Vertragsstrafe haften, und zwar anteilig300. Nicht geklärt war aber, ob es neben der Pflicht, Forderungen nicht einzuklagen, auch andere Fälle teilbarer Unterlassungspflichten gab und wie man diese von den unteilbaren Unterlassungspflichten abgrenzen konnte. Manche hielten teilbare Unterlassungspflichten nur bei Pflichten, eine Rechtshandlung zu unterlas-
296
Vgl. Paulus/Cato D.45,1,4,1; Paulus D.45,1,85,4; Ulpian D.45,1,3,1. Paulus/Cato D.45,1,4,1. 298 Für Teilschulden Voet, Commentarius, zu D.29,2, § 28, zu D.45,1, § 15; Bucher, Forderungen, § 39; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap. I/3, Anm. 2 c (S. 9); Vangerow, Pandekten, § 567 Anm. 2, I 3; Ubbelohde, Unteilbare Obligationen, 84, 105; für Gesamtschulden Savigny, Obligationenrecht I, 365 f.; Binder, Korrealobligationen, 89 ff. Nach Dumoulin und Pothier sollte der verstoßende Miterbe das volle, die übrigen das anteilige Interesse schulden, Pothier, Obligations, § 336. 299 Hierzu oben, 110 f., 115. 300 Voet, Commentarius, zu D.29,2, § 28, zu D.45,1, § 15; Dumoulin und Pothier, siehe Pothier, Obligations, § 289; zum französischen Recht auch Marcadé/Pont, Explication IV, §§ 635 f.; Demolombe, Cours XXVI, § 528; ferner Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 102 a.E. (S. 215 f.); Bucher, Forderungen, § 39; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap.I/3, Anm. 1 (S. 7); Savigny, Obligationenrecht I, 343 f.; Vangerow, Pandekten, § 567 Anm. 2, I 3; Sintenis, Civilrecht, § 84 Fn. 23; Ubbelohde, Unteilbare Obligationen, 106–112, 129 ff.; Windscheid, Pandekten, § 253 bei Fn. 9; Binder, Korrealobligationen, 94. 297
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
sen, für möglich301. Andere stellten darauf ab, ob das verbotene Tun teilbar war302 oder ob das Forderungsrecht auch nur zum Teil verletzt werden konnte303. Als Beispiel einer teilbaren Unterlassungspflicht wurde die Pflicht, einen Wald nicht zu roden, genannt, gegen die (durch Teilrodung) auch zum Teil verstoßen werden konnte304. Schließlich konnte man auch darauf abstellen, ob die Möglichkeit zum Verstoß gegen die Unterlassungspflicht unter den Schuldnern geteilt war305. Die heute herrschende Lehre zum Recht des BGB wurde entscheidend durch zwei frühe Abhandlungen von Wendt und Lehmann306 geprägt, mit deren Ergebnissen die Literatur bis heute im Wesentlichen übereinstimmt. Danach sind Unterlassungspflichten stets unteilbar, weil sie nur insgesamt beachtet oder verletzt werden können307. Ein teilweises Unterlassen durch einen Schuldner, so die Argumentation, bedeute notwendig eine Vereitelung des Gesamterfolgs, was mit dem Begriff der Teilleistung nicht vereinbar sei308. Trotz dieser Unteilbarkeit sollen aber grundsätzlich keine Gesamtschulden nach § 431 vorliegen, weil sich die Unterlassungspflicht nur auf das eigene Unterlassen beziehen soll. Verpflichten sich also mehrere gemeinsam zu einer Unterlassung, dann soll im Zweifel jeder Schuldner nur seine eigene Unterlassung schulden309. Gesamtschulden sind nach herrschender Lehre nicht möglich: Kein Schuldner könne durch Erfüllung seine Mitschuldner befreien; zudem sei die Unterlassung durch einen Schuldner nicht dieselbe Leistung wie die Unterlassung durch einen anderen Schuldner310. Über301
Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 102 a.E. (S. 215 f.). Pothier, Obligations, § 289; dagegen Windscheid, Pandekten, § 300 Nr. 2. 303 Vangerow, Pandekten, § 567 Anm. 2, I 3; Windscheid, Pandekten, § 253 bei Fn. 9. 304 Marcadé/Pont, Explication IV, §§ 635 f.; Demolombe, Cours XXVI, § 528. 305 Savigny, Obligationenrecht I, 343 f.; Windscheid, Pandekten, § 300 Nr. 2; wohl auch Sintenis, Civilrecht, § 84 bei Fn. 26; Hasenöhrl, Obligationenrecht I, § 13 II 3. Dies ist auch der Ausgangspunkt bei Ubbelohde, Unteilbare Obligationen, 106 ff., der dann zum Ergebnis kommt, dass nur die Pflicht, eine Forderung nicht einzuklagen, teilbar ist, 111, 129 ff., 295 ff. 306 Wendt, AcP 92 (1902), 1; Lehmann, Unterlassungspflicht (1906). 307 Lehmann, Unterlassungspflicht, 198 ff., 313; Ulrich, JhJb 64 (1914), 215 ff.; Planck/Siber, § 420 Anm. 2 a) a.E.; Oertmann, Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 1 f; Staud/Werner (1930), § 420 Anm. I 1 b; Warneyer, BGB, § 420 Anm. II; Rippich, Anwendungsgebiet, 18; Wernecke, Gesamtschuld, 122 f.; Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 24; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 26; RGRK/Weber, § 420 Rz 11, § 431 Rz 5; Soergel/Re. Schmidt (1967), § 420 Rz 5; Soergel/Wolf, § 420 Rz 7; Staud/Kaduk, § 420 Rz 21, § 431 Rz 15; Staud/Noack, § 420 Rz 23; jurisPK/ Rüßmann, § 420 Rz 12, § 431 Rz 5; ebenso obiter (im Zusammenhang mit Gläubigermehrheiten) BGH NJW-RR 1987, 1148 (29.1.1987). Anders noch Crome, Schuldverhältnisse, § 145 a.E. (teilbare Unterlassungspflichten möglich); und Wendt, AcP 92 (1902), 76 f., der die Unterscheidung zwischen Teilbarkeit und Unteilbarkeit bei Unterlassungspflichten für bedeutungslos hielt. 308 Lehmann, Unterlassungspflicht, 198; Ulrich, JhJb 64 (1914), 215. 309 Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 315 II 1 a, § 319 Fn. 5; Leonhard, SR AT, 717; Staud/Werner (1930), § 431 Anm. III 1; Staud/Kaduk, § 427 Rz 19; Palandt/Grüneberg, vor § 420 Rz 11. 310 Wendt, AcP 92 (1902), 71 ff.; Crome, Schuldverhältnisse, § 206 (S. 372) Fn. 20; Lehmann, Unterlassungspflicht, 314; Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 161 II; Ulrich, JhJb 64 (1914), 218; Kreß, SR AT, 600; E. Wolf, Schuldrecht AT, 528 Fn. 21; Wernecke, Gesamtschuld, 119 ff.; Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 23 f.; RGRK/Weber, vor § 420 Rz 18; Staud/Kaduk, § 431 Rz 15; Erman/Ehmann, § 421 Rz 3, 13, 83; jurisPK/Rüßmann, § 431 Rz 5; BamR/Gehrlein, vor § 420 Rz 5; Köhler, AcP 190 (1990), 529 f. 302
9. Unterlassungspflichten
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haupt seien die §§ 420–431 auf positive Leistungen zugeschnitten und für Unterlassungspflichten nicht anwendbar311. Es handele sich also um kumulierte Schulden, die selbständige Schuldverhältnisse begründen, nach denen jeder Schuldner nur für seine eigene Unterlassung einstehen muss312. Kumulierte Schulden sollen grundsätzlich auch entstehen, wenn eine vererbbare Unterlassungspflicht auf mehrere Miterben übergeht oder sonst mehrere in ein Schuldverhältnis nachfolgen. Entgegen §§ 2058, 420 entstehen also weder Teil- noch Gesamtschulden; vielmehr vervielfältigt sich die Unterlassungspflicht313. Das gilt nach Lehmann auch für den im Cato-Fragment geschilderten Fall: Auch hier sei jeder Miterben-Teilgläubiger verpflichtet, die gesamte Forderung nicht einzuklagen; nur sei die tatsächliche Möglichkeit eines Verstoßes für den einzelnen Miterben beschränkt314. Auch die herrschende Lehre erkennt an, dass mehrere Schuldner sich gemeinsam derart zu einer Unterlassung verpflichten können, dass jeder auch für das Unterlassen durch seine Mitschuldner einstehen will315. Wer von der Höchstpersönlichkeit der Unterlassungspflicht ausgeht316, nimmt für diesen Fall eine Kombination verschiedener Pflichten an: Neben die Pflicht zum eigenen Unterlassen tritt entweder die Pflicht, auf das Unterlassen der Mitschuldner hinzuwirken, oder aber eine Garantie, wonach sich jeder Schuldner zur Interesseleistung verpflichtet, wenn die Unterlassungspflicht von einem anderen verletzt wird317. Andere sprechen dagegen in diesem Fall von Gesamtschulden318. Ob Unterlassungspflichten tatsächlich eine derartige Sonderbehandlung im Rahmen von Schuldnermehrheiten erfordern, ist zweifelhaft. Die Argumentation 311
Wendt, AcP 92 (1902), 76 f.; Ulrich, JhJb 64 (1914), 218; Soergel/Re. Schmidt (1967), § 420 Rz 5; Soergel/Wolf, § 420 Rz 7. 312 Wendt, AcP 92 (1902), 73, 76 f.; Lehmann, Unterlassungspflicht, 314, 317; Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, § 88 I 4 a; Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 161 Fn. 14; Ulrich, JhJb 64 (1914), 218 f.; Planck/Siber, § 431 Anm. 1; Siber, Grundriß II, 157; Oertmann, Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 1 f; Selb, Mehrheiten, 52; Wernecke, Gesamtschuld, 120; Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 23, 25; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 26; RGRK/Weber, vor § 420 Rz 18, § 431 Rz 5; Soergel/Wolf, § 420 Rz 7; Staud/Kaduk, vor § 420 Rz 97 a; Staud/Noack, § 420 Rz 23, § 431 Rz 11; Jauernig/Stürner, vor § 420 Rz 5; jurisPK/Rüßmann, § 420 Rz 12; BamR/Gehrlein, vor § 420 Rz 5. 313 Wendt, AcP 92 (1902), 73 f., 76 f.; Lehmann, Unterlassungspflicht, 199, 314; RGRK/Weber, vor § 420 Rz 18; Staud/Kaduk, vor § 420 Rz 97 a, § 420 Rz 22; Staud/Noack, § 420 Rz 23; Palandt/ Grüneberg, vor § 420 Rz 11. 314 Lehmann, Unterlassungspflicht, 199. 315 Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 161 V und Fn. 14; Planck/Siber, § 431 Anm. 1; Kreß, SR AT, 601; Leonhard, SR AT, 717; Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, § 88 I 4 a; RGRK/Weber, vor § 420 Rz 18. 316 Insbes. Lehmann, Unterlassungspflicht, 193 ff. 317 Lehmann, Unterlassungspflicht, 195, 289 ff., 317; Ulrich, JhJb 64 (1914), 209–211; Wernecke, Gesamtschuld, 122 f.; Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 23 f.; wohl auch Köhler, AcP 190 (1990), 501 f., 529 f. 318 Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 315 II 1 a; Staud/Werner (1930), § 431 Anm. III 1; Selb, Mehrheiten, 52; Staud/Kaduk, vor § 420 Rz 97 a, § 427 Rz 19, § 431 Rz 16; Staud/Noack, § 431 Rz 12; Palandt/Grüneberg, vor § 420 Rz 11; Tilmann, GRUR 1986, 694 f.
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
der herrschenden Lehre erscheint zu begrifflich. So ist es zunächst nicht unmittelbar einsichtig, warum Unterlassungspflichten notwendig unteilbar sein müssen. Selbstverständlich kommt eine Aufteilung von vornherein nicht in Frage, wenn das verbotene Tun unteilbar ist und der Verstoß eines Schuldners das Interesse des Gläubigers im Ganzen vereitelt, etwa bei der Pflicht, ein Betriebsgeheimnis nicht zu verraten. Aber auch dann, wenn das verbotene Tun aufteilbar ist und gegen das Verbot in größerem oder geringerem Maße verstoßen werden kann, macht die Vorstellung einer Teilbarkeit dann keinen Sinn, wenn man sich darunter vorstellt, dass jeder Teilschuldner die verbotene Handlung nur zum Teil unterlassen soll, also berechtigt ist, sie zum Teil vorzunehmen. Ist es zwei Schuldnern verboten, zwei Bäume zu fällen, so kann eine Teilung nicht so aussehen, dass jedem Schuldner die Fällung eines Baumes untersagt ist, so dass, wenn jeder nur einen Baum fällt, die Unterlassungspflicht beachtet ist. Anders kann es sich jedoch verhalten, wenn die Möglichkeit zum Verstoß gegen die Unterlassungspflicht unter den Schuldnern aufgeteilt und es im Ergebnis nicht gleichgültig ist, ob nur einer oder mehrere die Pflicht verletzen. Verkauft etwa der Gläubiger zwei Grundstücksflächen, auf denen je ein Baum steht, durch einen einheitlichen Vertrag an zwei Schuldner, von denen jeder eine Hälfte erwerben soll, und verpflichten sich die Schuldner, die Bäume nicht zu fällen, so ist zumindest vorstellbar, dass die Unterlassungspflicht derart geteilt ist, dass jeder Schuldner „seinen“ Baum nicht fällen darf. Zumindest das Interesse des Gläubigers kann in derartigen Fällen als geteilt gedacht werden. Dem Gläubiger mag es lieber sein, wenn zumindest ein Baum stehen bleibt als gar keiner. Verpflichtet der Gläubiger durch einheitlichen Vertrag seine drei Nachbarn dazu, nicht höher als sechs Meter zu bauen, um sich die Aussicht auf das Gebirge dahinter zu erhalten, dann wird zwar sein Interesse verletzt, wenn einer höher baut, aber weniger als in dem Fall, dass alle höher bauen. Verpflichten sich drei Inhaber eines Wegerechts dazu, nicht über das Grundstück des Gläubigers zu gehen, dann mag dem Gläubiger schon zum Teil geholfen sein, wenn zumindest einer das Grundstück nicht mehr betritt. Selbstverständlich wird das Interesse des Gläubigers in diesen Fällen nur dann voll befriedigt, wenn alle Schuldner die Pflicht erfüllen, aber das ist auch bei gewöhnlichen Teilschulden der Fall. Die herrschende Lehre würde in den genannten Fällen einzelne kumulierte Unterlassungspflichten annehmen, die durch einen gemeinsamen Vertrag verbunden sind. Tatsächlich ist es bei vertraglichen Schuldnermehrheiten im Ergebnis gleichgültig, ob man von Teilschulden oder von kumulierten Schulden spricht, solange klar ist, dass das einheitliche Leistungsinteresse des Gläubigers und der gemeinsame Vertragsschluss zur Anwendung von Sonderregeln wie §§ 320 I 2 oder 351 führen können, welche die Verpflichtungen der Schuldner untereinander in bestimmter Weise verknüpfen. Hat etwa der Gläubiger den Schuldnern eine Gegenleistung dafür versprochen, dass alle drei mindestens zwei Wochen lang nicht über sein Grundstück gehen, dann kann auch derjenige, der sich vertragsgemäß verhält, keine Gegenleistung verlangen, solange seine
9. Unterlassungspflichten
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Mitschuldner ihre Pflicht verletzen. Die Rede von den „selbständigen Schuldverhältnissen“ läuft zumindest Gefahr, diesen Zusammenhang aus den Augen zu verlieren. Sind mehrere Schuldner verpflichtet, in eigener Person zu unterlassen, geht die herrschende Lehre davon aus, dass das Gläubigerinteresse sich notwendig auf ein Unterlassen durch sämtliche Schuldner richten muss. Denkbar (wenn auch praktisch vielleicht weniger naheliegend) ist aber auch, dass dem Gläubiger schon gedient ist, wenn nur ein Schuldner der Unterlassungspflicht genügt. Dies kommt dann in Betracht, wenn die Unterlassungspflicht aufteilbar im oben beschriebenen Sinne ist. Kommt es dem Gläubiger nur darauf an, von irgendeinem Punkt seines Grundstücks aus die Aussicht zu genießen, dann mag es ihm genügen, wenn nur einer der Nachbarn nicht höher baut. Haben drei Nachbarn das Recht, jeweils eine bestimmte Wassermenge aus dem Brunnen des Gläubigers zu entnehmen, so mag sein Interesse sich darauf richten, dass nur zwei Drittel der Gesamtmenge entnommen werden. In diesen Fällen steht es ihm frei, mit den Schuldnern zu vereinbaren, dass zumindest einer der Schuldner der Unterlassungspflicht genügen muss. Grundsätzlich spricht nichts dagegen, hier von Gesamtschulden zu sprechen, die sich auf eine Einzelunterlassung richten: Solange keiner unterlässt, kann der Gläubiger jeden auf Unterlassung belangen; unterlässt aber mindestens einer, kann der Gläubiger gegen die anderen nicht vorgehen. Die herrschende Lehre würde hier allerdings Gesamtschulden deshalb ablehnen, weil der Inhalt der einzelnen Schulden nicht identisch ist: Das Unterlassen durch den einen Nachbarn ist nicht dasselbe wie das Unterlassen durch den anderen. Es gibt aber wohl keinen sachlichen Grund, Gesamtschulden von einer wie auch immer definierten Identität der Leistungsgegenstände abhängig zu machen319. Die Regeln der §§ 421 ff. passen auch auf derartige Unterlassungs-Gesamtschulden; insbesondere könnte derjenige Nachbar, der zugunsten der übrigen darauf verzichtet, höher zu bauen oder seine Wassermenge zu entnehmen, von den übrigen einen Ausgleich verlangen320. Bislang ging es um Fälle, in denen jeder Schuldner nur zu einem eigenen Unterlassen verpflichtet ist. Möglich ist aber auch, dass ein Schuldner für ein Unterlassen durch Dritte einstehen will, oder, wie die Miterben in den römischen Quellen, einstehen muss. Erkennt man an, dass jemand ein Unterlassen eines Dritten schulden kann, dann müssten auch gesamtschuldnerische Unterlassungs319
Hierzu auch unten, 939 ff. Vgl. BayObLG, NJW 1973, 1881 (28.5.1973), wonach eine Gesamtschuld vorliegt, wenn mehrere Grundstücke mit einer Gesamthypothek belastet sind: Jeder Eigentümer sei nach § 1132 zur Duldung der Zwangsvollstreckung verpflichtet; vollstrecke der Gläubiger in ein Grundstück, werden die übrigen Eigentümer frei; der „duldende“ Eigentümer könne aber von den anderen Ausgleich nach § 426 verlangen. Danach scheint es sich hier um Gesamtschulden auf eine Unterlassung (Duldung) in dem im Text beschriebenen Sinne zu handeln, so wohl Wernecke, Gesamtschuld, 120, 123; Palandt/Grüneberg, vor § 420 Rz 11. Richtig ist aber wohl, dass die Eigentümer der sichernden Grundstücke gar nicht schulden. Der Ausgleich zwischen mehreren Eigentümern richtet sich daher nach den Regeln zur Mehrheit von Sicherern, für die strittig ist, ob und inwieweit § 426 analog anzuwenden ist. 320
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
pflichten denkbar sein, die sich auf ein Unterlassen durch sämtliche Schuldner (oder auch durch bestimmte Dritte) richten, wie auch ein Teil der Literatur annimmt. Wer aber Unterlassungspflichten als streng höchstpersönlich ansieht, muss Unterlassungspflichten hinsichtlich Dritter ablehnen und eine Einstandspflicht für fremdes Unterlassen mit der Übernahme positiver Einwirkungs- oder Garantiepflichten begründen. Ob sich aber Unterlassungspflichten nur auf die eigene Person beziehen können, ist höchst zweifelhaft. In der Praxis bezieht sich eine vom Schuldner übernommene Unterlassungspflicht häufig auch auf Dritte: Der Wettbewerb soll nicht nur vom Firmeninhaber, sondern auch von dessen Angestellten unterlassen werden. Nicht nur der Mieter, sondern auch seine Familie soll das Klavierspiel zu bestimmten Zeiten unterlassen. Der Schuldner, der einem Dritten die Möglichkeit zu einer Pflichtverletzung verschafft, muss auch für dessen Verstoß einstehen. Verstößt dann der Dritte gegen das Verbot, dann fragt es sich, ob der Schuldner nach dem Rechtsgedanken des § 278 für jedes schuldhafte Verhalten des Dritten einstehen muss321 oder nur bei eigenem Verschulden haftet. Soweit es um die Vollstreckung von Unterlassungspflichten mittels Ordnungsgeld nach § 890 ZPO geht, hat die Rechtsprechung eine Reihe von Regeln entwickelt: Danach kann ein Ordnungsgeld wegen seines repressiven Charakters nur dann gegen einen Schuldner verhängt werden, wenn ihn persönlich ein Verschulden trifft322. Doch ein fehlendes Verschulden liegt nicht schon dann vor, wenn der Schuldner persönlich die Handlung unterlässt. Je nach Inhalt der konkreten Unterlassungspflicht ist er gehalten, Verstöße durch seine Angestellten, Familienmitglieder oder sonstige Dritte durch aktives Tun zu unterbinden323. Hierfür kann im Einzelfall die bloße Belehrung des Dritten über das Verbot reichen324; häufig wird aber mehr verlangt, etwa eine effektive Überwachung und Sanktionsandrohung325. 321 Hierfür Wendt, AcP 92 (1902), 65 ff.; Köhler, AcP 190 (1990), 501; dagegen Lehmann, Unterlassungspflicht, 193 ff., 289 ff.; Ulrich, JhJb 64 (1914), 209 ff. 322 Stellvertretend BVerfGE 58, 159 (14.7.1981, NJW 1981, 2457); Wieczorek/Schütze/Storz, ZPO, § 890 Rz 40 f.; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, § 890 Rz 23, 26; MüKoZPO/Gruber, § 890 Rz 21; Zöller/Stöber, ZPO, § 890 Rz 5. 323 So ausdrücklich BGH, NJW-RR 2003, 1235 (11.4.2003); Schuschke/Walker, Zwangsvollstreckung, § 890 ZPO Rz 2; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, § 890 Rz 5, 26; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rz 40.21; Wieczorek/Schütze/Storz, ZPO, § 890 Rz 35 f.; Thomas/Putzo, ZPO, § 890 Rz 2 a; Zöller/Stöber, ZPO, § 890 Rz 3 a. Beispiele: OLG München, NJW-RR 1986, 638 (19.3.1986): Mieter müssen das Klavierspiel ihres Sohnes unterbinden; OLG Zweibrücken, NJW-RR 1988, 1341 (1.2.1988): Schuldner muss durch positives Tun Nutzung einer von ihm rechtswidrig beschafften Kundenliste durch GmbH verhindern, die er gegründet hat; OLG Frankfurt, NJW-RR 1990, 639 (2.1.1990): Schuldner muss Handlung eines Dritten verhindern, wenn er selbst dem Dritten die Möglichkeit zur Zuwiderhandlung verschaffte. Alle hier und in den nächsten drei Fußnoten genannten Urteile betreffen die Verhängung eines Ordnungsgeldes nach § 890 ZPO. 324 So in LG Freiburg, FamRZ 1992, 1208 (31.1.1992): Verstoß gegen ein Betretungsverbot durch die Tochter des Schuldners. Hier zweifelte das Gericht zusätzlich, ob sich die Unterlassungspflicht überhaupt auf die Tochter erstrecken konnte. 325 Etwa in OLG Köln, NJW-RR 1986, 1191 (26.5.1986): Verstoß gegen Werbeverbot durch Tochter der Betriebsinhaberin; OLG Hamburg, NJW-RR 1993 (10.3.1993): Rechtsverletzende
9. Unterlassungspflichten
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Diese Erstreckung von Unterlassungspflichten auf Dritte erfolgt zwar in der Regel im Zusammenhang mit Familienmitgliedern oder Angestellten. Entscheidend ist aber, dass eine Unterlassungspflicht sich nicht dadurch auszeichnet, dass sie nur den Schuldner persönlich trifft, ebensowenig dadurch, dass sie durch „bloßes Unterlassen“ erfüllt werden kann. Vielmehr ist anerkannt, dass auch die Erfüllung von Unterlassungspflichten ein positives Tun erfordern kann. Wenn dies aber so ist, dann müssen auch mehrere die Herbeiführung einer bestimmten Unterlassung durch positives Tun schulden können. Mehrere Betriebsinhaber können gesamtschuldnerisch dafür haften, dass kein Angestellter des Betriebs die Unterlassungspflicht verletzt. Das Ehepaar, das eine Wohnung gemietet hat, kann solidarisch schulden, dass der Sohn zu bestimmten Zeiten nicht Klavier spielt. In diesen Fällen könnte man zwar auch von einer positiven Einwirkungsoder Erfolgsvermeidungspflicht sprechen: Die Eltern sollen nicht gesamtschuldnerisch das Klavierspiel in der Wohnung unterlassen, sondern gesamtschuldnerisch dafür sorgen, dass das Klavierspiel unterbleibt326. Häufig ist es möglich, eine Pflicht, die sich auf das Ausbleiben eines bestimmten Erfolges richtet, sowohl als positive Leistungspflicht als auch als Unterlassungspflicht zu formulieren327. Die Vollstreckung kann dann vom gestellten Antrag abhängen328. Entscheidend ist aber, dass eine echte Unterlassungsvollstreckung von der Rechtsprechung gerade auch in Fällen zugelassen wird, in denen es um den Verstoß eines Dritten geht, den der Schuldner durch positives Tun hätte verhindern können. Dann besteht aber sachlich kein Grund, die Möglichkeit von gesamtschuldnerischen Unterlassungspflichten zu leugnen. Folgt man dem, sind Gesamtschulden auf Unterlassen denkbar, und zwar (wie Gesamtschulden auf ein Tun) in völlig verschiedenen Ausgestaltungen. Oben wurde schon der (wohl eher theoretische) Fall erwähnt, dass die Schuldner das Unterlassen durch einen beliebigen von ihnen schulden. Ein anderer Fall ist, dass das Unterlassen durch einen bestimmten Dritten, etwa des klavierspielenden Sohnes oder der Angestellten des Betriebs, solidarisch geschuldet wird. Hier ist denkbar, dass einer der Betriebsinhaber oder Eltern sich um die Einhaltung der Unterlassungspflicht durch den Dritten kümmert und hierzu Aufwendungen eingeht, für die er vom anderen teilweisen Ersatz verlangt. 326 Veröffentlichung durch Mitarbeiter des schuldenden Verlags; BayObLGZ 1995, 114 (9.3.1995): Teileigentümer, dem bestimmte Nutzung seiner Räume untersagt ist, muss für Unterlassung durch seinen Pächter sorgen; OLG Nürnberg, NJW-RR 1999, 723 (19.8.1998): Verstoß durch Mitarbeiter des Schuldners. 326 Siehe den Fall OLG München, NJW-RR 1986, 638 (19.3.1986): Die Eltern wurden zunächst dazu verurteilt, samtverbindlich das Klavierspiel zu unterlassen. Der Tenor wurde dann korrigiert; nun hatten die Eltern samtverbindlich dafür zu sorgen, dass das Klavierspiel unterbleibt. 327 Siehe etwa BGH NJW 1974, 2317 (9.10.1974): Pflicht des Vermieters, dafür zu sorgen, dass ein anderer Mieter keine Konkurrenz betreibt, mit positiver Leistungsklage einklagbar; OLG Köln, BB 1981, 393 (5.1.1981): Pflicht des Pächters, dafür zu sorgen, dass der Unterpächter eine Außentür geschlossen hält, nach § 888 ZPO vollstreckbar. 328 Vgl. Köhler, AcP 190 (1990), 514; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, § 890 Rz 5 f.; Schuschke/Walker, Zwangsvollstreckung, § 890 ZPO Rz 2.
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
In der Praxis nicht selten sind ferner Fälle, in denen sowohl S1 als auch S2 das Unterlassen durch S1 schulden, insbesondere dann, wenn S1 eine natürliche Person ist, für dessen Verstoß auch S2 als Gesellschaft oder Betriebsinhaber einstehen muss. Das OLG Koblenz hat in einem solchen Fall angenommen, es handle sich um zwei selbständige Ansprüche, nicht um Gesamtschulden, da ein Unterlassen durch S2 den Schuldner S1 nicht befreie. Daher seien bei einer Unterlassungsklage des Gläubigers gegen beide Schuldner die Streitwerte, anders als bei Gesamtschulden, nach § 5 ZPO zu addieren329. Das Ergebnis überzeugt nicht, weil das Gericht zu undifferenziert von einer bestimmten Form von Unterlassungs-Gesamtschulden ausgeht. Selbstverständlich sollte nicht entweder S1 oder S2 unterlassen. Aber es gibt auch andere Formen von Gesamtschulden bei Unterlassungspflichten. Hier schuldeten beide die Unterlassung desselben Erfolgs, nämlich einer geschäftlichen Verleumdung durch S1. Wenn S1 sich an das Verbot hielt, konnte auch S2 nicht haften. Zumindest bei Schadensersatzpflichten liegen, wenn ein Schuldner für das Verhalten des anderen haften muss, gewöhnlich nach § 840 Gesamtschulden vor, bei denen die Streitwerte gerade nicht addiert werden. Dass bei Unterlassungsklagen etwas anderes gelten soll, ist schwer einsehbar330. Richtig erscheint demgegenüber ein Urteil des OLG Hamm in einem Fall, in dem nach Erlass entsprechender Titel gegen beide Schuldner S1 und damit auch S2 gegen das Verbot verstieß und nun über die Verhängung des Ordnungsgelds zu befinden war. Zwar, so das OLG, hätten beide Schuldner gegen die Unterlassungspflicht verstoßen; tatsächlich aber liege nur ein Verstoß durch S1 gegen zwei gleichgerichtete Unterlassungspflichten vor, der nur über die wechselseitige Zurechnung zur Verwirkung des Ordnungsgelds bei beiden Schuldnern führe. Daher sei es angemessen, das Ordnungsgeld gegen S1 und S2 als Gesamtschuldner zu verhängen331. Dies ist nach der hier vertretenen Auffassung konsequent, da S1 und S2 schon das Unterlassen durch S1 als Gesamtschuldner schuldeten. Schließlich können sich auch mehrere gesamtschuldnerisch dazu verpflichten, dass jeder von ihnen die Handlung unterlässt. Selbstverständlich kann dann ein Schuldner die Verpflichtung durch persönliches Unterlassen nicht erfüllen, aber das alleinige persönliche Unterlassen ist in diesem Fall auch nicht der Inhalt der Schuld. Richtig ist auch, dass der einzelne Schuldner trotz Einwirkungsmöglichkeit auf seine Mitschuldner den geschuldeten Erfolg dann nicht herbeiführen kann, wenn die Mitschuldner renitent sind. Dasselbe gilt aber auch bei positiven Leistungspflichten, wenn die Leistung nur im Zusammen-
329 OLG Koblenz, WRP 1985, 45 (16.8.1984). Es ging um einen Unterlassungsanspruch nach dem UWG, der nach § 8 II UWG auch gegen den Inhaber des Unternehmens begründet ist. 330 Ebenso Tilmann, GRUR 1986, 691 ff. 331 OLG Hamm, MDR 1986, 1035 (3.6.1986). Tatsächlich gab es hier drei Schuldner: Der Wettbewerbsverstoß erfolgte durch S1, der Geschäftsführer der GmbH S2 war, die wiederum Komplementärin der GmbH & Co KG S3 war.
9. Unterlassungspflichten
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wirken der Schuldner herbeigeführt werden kann. Ebensowenig wie dort bedarf es hier der Kategorie einer gemeinschaftlichen Schuld: Wenn nicht jeder nur zu seinem Beitrag (hier: zum eigenen Unterlassen) verpflichtet ist, liegen Gesamtschulden vor, weil das Vorliegen von Gesamtschulden nicht erfordert, dass jeder Schuldner ohne Hilfe der Mitschuldner erfüllen kann332. Es ist dann eine Frage der Vertragsauslegung, ob ein Schadensersatzanspruch des Gläubigers gegen einen der Schuldner nach der Wertung des § 425 ein eigenes Verschulden dieses Schuldners voraussetzt oder ob jeder Schuldner auch für das Verschulden seines Mitschuldners einstehen soll. Letzteres ist in Fällen des notwendigen Zusammenwirkens häufig. Eine Vollstreckung mittels Ordnungsgeldes setzt dagegen nach allgemeinen Regeln ein persönliches Verschulden voraus, so dass die Annahme von gesamtschuldnerischen Unterlassungspflichten die Schuldner auch nicht übermäßig belastet. Übrig bleibt die Frage, welche Art der Schuldnermehrheit in einem konkreten Fall einer Unterlassungsschuld angenommen werden kann. Angesichts der verschiedenen möglichen Ausgestaltungen einer Unterlassungs-Gesamtschuld verbietet es sich, schematisch von einer Vervielfältigung auszugehen, ohne die Wertungen der §§ 420, 427 und 2058 zu beachten. Vielmehr besteht die Aufgabe darin, die bei positiven Leistungspflichten getroffenen Wertungen möglichst sachnah in Regeln für Unterlassungspflichten zu „übersetzen“. Verpflichten sich mehrere Schuldner gemeinschaftlich zu einem Unterlassen, richtet sich das Interesse des Gläubigers in der Regel333 auf ein Unterlassen durch sämtliche Schuldner. In diesem Fall ist durch Vertragsauslegung zu klären, ob jeder nur sein eigenes Unterlassen oder das Unterlassen durch alle schuldet. Die Regel des § 431 hilft hier nicht weiter, weil sie schon voraussetzt, dass jeder Schuldner mehr als sein eigenes Unterlassen schuldet. Nach der Wertung des § 427 müsste die dem Gläubiger insgesamt zustehende Gegenleistung, also das Unterlassen durch alle, im Zweifel von jedem Schuldner geschuldet werden. Die Tatsache, dass die Gesamtleistung nur im Zusammenwirken aller Schuldner erbracht werden kann, bildet allerdings ein gewichtiges Indiz gegen die gesetzliche Gesamtschuldvermutung. Dies ist bei Unterlassungspflichten nicht anders als bei positiven Leistungen, die im Zusammenwirken der Schuldner erbracht werden sollen. Ergibt die Vertragsauslegung, dass jeder nicht nur sein eigenes Unterlassen schuldet, bestehen Gesamtschulden auf ein Unterlassen durch alle. Nach dem ge332
Im Ergebnis ebenso, aber in der Begründung abweichend, Tilmann, GRUR 1986, 694 f., nach dem im Falle der gegenseitigen Einstandspflicht der Verstoß durch S1 zugleich als Verstoß durch S2 gilt. Abzustellen ist dann allein auf das Unterlassen durch einen bestimmten Schuldner. Danach wirkt die Unterlassung einer Tat des S1 durch S1 zugleich als Unterlassen der Tat des S1 durch S2, woraus sich die Gesamtwirkung der Erfüllung nach § 422 erklären soll. Diese Konstruktion erscheint nicht notwendig. 333 Zu abweichenden Fällen oben im Text: Der Gläubiger mag an einem Unterlassen durch einen bestimmten Schuldner, durch einen bestimmten Dritten oder aber durch einen der Schuldner interessiert sein.
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
setzlichen Haftungsmodell des § 425 haftet allerdings jeder nur für sein eigenes Verschulden. Der einzelne Schuldner schuldet damit nur dann Schadensersatz oder Ordnungsgeld, wenn er selbst verstieß oder den Verstoß seines Mitschuldners verhindern konnte. Besondere Einwirkungspflichten müssen für diese Lösung nicht entwickelt werden. Möglich ist nach § 425 aber auch eine vereinbarte Haftung für das Verschulden der Mitschuldner, die dem Gläubiger einen Schadensersatzanspruch (nicht aber eine Vollstreckungsmöglichkeit mittels Ordnungsgeld) gegen den schuldlosen Mitschuldner eröffnet. Die gesetzliche Regelung hält also genug Lösungen bereit, so dass eine Sonderbehandlung der Unterlassungspflichten nicht erforderlich ist. Bei gesetzlichen Verbindlichkeiten erscheint es schwieriger, die für positive Leistungspflichten getroffenen Wertungen auf Unterlassungspflichten anzuwenden. Dies gilt insbesondere für die praktisch wichtige Haftung der Miterben. Hier ist es bislang noch nicht abschließend geklärt, welche Unterlassungspflichten überhaupt vererbbar sind, in welchem Umfang sie vererbt werden und welche Rolle die Haftungsbeschränkungsmöglichkeit des § 2059 bei Unterlassungspflichten spielen soll334. Soweit sich die Literatur zur Haftung von Miterben äußert, heißt es, dass sich die vererbbaren Unterlassungspflichten mit dem Erbgang vervielfältigen, wobei aber jeder Miterbe grundsätzlich nur für sein eigenes Verschulden einstehen muss335. Doch die Vorstellung einer „Vervielfältigung“ passt nicht zur Wertung des § 2058 und entspricht zudem nicht den Tatsachen, weil es keineswegs so ist, dass mit dem Erbgang ein Vielfaches von dem unterlassen werden muss, was zuvor unterlassen werden musste. Gerade in diesem Bereich empfiehlt sich eine Abkehr von der Vorstellung, dass die Unterlassungspflicht sich notwendig auf das persönliche Unterlassen durch den Schuldner beziehen und sich daher bei einem Erbgang notwendig „vervielfältigen“ muss. Ungeachtet aller Meinungsverschiedenheiten besteht eine gewisse Einigkeit darüber, dass Unterlassungspflichten überhaupt nur dann vererbbar sind, wenn sie einen Bezug zu einem vererbten Gegenstand haben: Auf dem Erblassergrundstück dürfen bestimmte störende Handlungen nicht vorgenommen werden; der Erblasserbetrieb muss eine bestimmte Konkurrenz unterlassen; mit den Erblasseraktien darf nicht abgestimmt werden. Geschuldet wird also nicht die Unterlassung der Störung, der Konkurrenz oder der Ausübung des Stimmrechts als solche, sondern nur die Unterlassung solcher Handlungen, die vom Grundstück oder Betrieb des Erblassers ausgehen oder mit seinen Aktien vorgenommen werden. Damit erklärt es sich, dass die Miterben nicht gehalten sind, Handlungen, die sie bislang auf ihrem eigenen Grundstück, in ihrem eigenen Betrieb 334 Hierzu Gaa, AcP 161 (1962), 433; Schröder, JZ 1978, 379; Soergel/Stein, § 1922 Rz 52; MüKo/Leipold, § 1922 Rz 32; Staud/Marotzke, § 1922 Rz 269 ff., § 1967 Rz 11. 335 Wendt, AcP 92 (1902), 70 ff., 76 f.; Lehmann, Unterlassungspflicht, 199, 314, 317; Ulrich, JhJb 64 (1914), 218 f.; etwas anders Staud/Kaduk, vor § 420 Rz 97 a, der auch eine Gesamtschuld mit einem gegenseitigen Einstehenmüssen für möglich hält.
9. Unterlassungspflichten
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oder mit ihren eigenen Aktien vornahmen, nun zu unterlassen. Für das, was geschuldet wird, haften die Erben aber nach § 2058 als Gesamtschuldner. Dies bedeutet nicht, dass entweder der eine oder der andere Erbe unterlassen muss, weil nicht die Pflicht, dass irgendeiner unterlassen muss, auf die Erben überging, sondern dass jeder Erbe dafür sorgen muss, dass die verbotene Handlung aus dem Bereich des Erblassers unterbleibt. Bei ungeteilter Erbschaft schuldet jeder damit auch die entsprechende Einwirkung auf seine Miterben. Nimmt ein Miterbe E1 auf dem Erblassergrundstück schuldhaft die verbotene Handlung vor, dann wird sein Verschulden nach § 425 nicht den übrigen Miterben E23 zugerechnet. Diese haften aber wegen eigenen Verschuldens, soweit sie die Handlung hätten verhindern können. Nach der Wertung des § 2059 sollen Miterben aber nicht mit ihrem Eigenvermögen haften, wenn ihre Pflichtverletzung in einer ungeteilten Erbengemeinschaft darin besteht, die notwendige Mitwirkung durch ihre Miterben nicht erreicht zu haben336. Daher können die Miterben E23 ihre Haftung wegen des Verstoßes durch E1 auf den Nachlass beschränken. Bei E1 kommt dagegen auch eine Haftung mit dem Eigenvermögen in Betracht. Schwieriger ist die Lage nach der Teilung, wenn Miterben gesamtschuldnerisch haften, ohne ihre Haftung nach § 2059 beschränken zu können. Was dies für Unterlassungspflichten bedeutet, ist noch nicht geklärt. Erhält ein Erbe bei der Auseinandersetzung das Grundstück oder den Betrieb und verstößt er dann immer wieder gegen seine Unterlassungspflicht, so erscheint eine Haftung der Miterben ohne Beschränkungsmöglichkeit wenig sachgerecht. Eine Lösung wäre, nach der Auseinandersetzung eine Einwirkungsmöglichkeit und damit ein Verschulden der Miterben zu verneinen. Eine andere Lösung könnte auf der Erwägung aufbauen, dass die unbeschränkte solidarische Haftung nach der Teilung die Miterben dazu bewegen soll, die Erblasserschulden vor der Teilung zu berichtigen, was aber bei Unterlassungspflichten nicht möglich ist. Daher käme hier in Betracht, die Unterlassungspflicht nach der Teilung auf denjenigen Miterben zu beschränken, der den betreffenden Gegenstand aus der Erbschaft erhält und damit zum Verstoß in der Lage ist. Diese Abweichung von § 2058 könnte damit gerechtfertigt werden, dass Unterlassungspflichten in der Regel nicht ein für alle Mal erfüllt werden können, diese Erfüllungsmöglichkeit aber gerade Grund der gesetzgeberischen Wertung war. Keineswegs aber rechtfertigt die Qualifizierung einer Schuld als Unterlassungspflicht generell eine von positiven Leistungspflichten abweichende Behandlung.
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Hierzu oben, 155 ff.
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
10. Ergebnis: Der notwendige Abschied vom Gemeinen Recht „Gemeinschaftliche Schulden“ gibt es nicht337. Die Entscheidung des historischen Gesetzgebers hat sich als richtig erwiesen: Verpflichten sich mehrere, im Zusammenwirken eine Leistung zu erbringen, schuldet der Einzelne entweder die Gesamtleistung oder seinen Beitrag. Dass es Gesamtschulden auch in Fällen des notwendigen Zusammenwirkens geben kann, wird auch in der Literatur zunehmend anerkannt. Die gegenteilige Ansicht beruht auf der unzutreffenden Prämisse, die Wirksamkeit einer Schuld setzte voraus, dass der Schuldner sie persönlich erfüllen kann. Dies ist aber auch bei gewöhnlichen Leistungspflichten häufig nicht der Fall. Insbesondere bei der Verpflichtung, über gemeinsame Gegenstände zu verfügen, ist die Annahme, Gesamtschulden seien nicht möglich, auch mit dem Trennungsprinzip nicht vereinbar. Selbstverständlich ist es aber möglich, dass der einzelne Schuldner sich nicht zu einem Erfolg verpflichten will, den er nur in Zusammenarbeit mit anderen erreichen kann. Insofern spielt der Umstand, dass die Gesamtleistung nur im Zusammenwirken erbracht werden kann, bei der Vertragsauslegung eine Rolle, indem er ein wichtiges Indiz gegen die vom Gesetz vermutete Gesamtschuld bilden kann. Ergibt die Auslegung, dass keine Gesamtschulden vereinbart wurden, schuldet jeder Schuldner nur seine Mitwirkung. Dies ist auch die Annahme der Lehre von der gemeinschaftlichen Schuld, die sich aber solche verbundenen Mitwirkungspflichten nur in Form einer einheitlichen gemeinsamen Schuld vorstellen kann, nicht in Form von einzelnen Schulden, weil die Leistung eines einzelnen Schuldners nicht möglich, sinnlos oder für den Gläubiger wertlos sei. Doch dieser Umstand schließt die Annahme von Einzelschulden nicht aus. Die Wirksamkeit einer schuldrechtlichen Verpflichtung hängt nicht davon ab, ob der Schuldner seine Leistung unabhängig von Dritten oder nur in Zusammenarbeit erbringen kann338. Die Lehre von der gemeinschaftlichen Schuld geht offenbar auch davon aus, dass die Annahme mehrerer einzelner Mitwirkungs-Verpflichtungen dem einheitlichen Gläubigerinteresse zuwiderläuft. Die Figur der gemeinschaftlichen Schuld soll die Mitwirkungspflichten der Schuldner in irgendeinem Sinne rechtlich verbinden. Demgegenüber wurde hier angenommen, dass eine rechtliche Verbindung der einzelnen Schulden im Hinblick auf das ungeteilte Leistungsinteresse des Gläubigers dadurch möglich ist, dass man sie als (ungleichartige) Teilschulden ansieht. Nach ganz herrschender Lehre können aber in vielen Fällen des notwendigen Zusammenwirkens Teilschulden deshalb nicht vorliegen, weil keine Teilbarkeit im technischen Sinne gegeben ist. Insofern liegt der Verdacht nahe, 337 So zu Recht Erman/Ehmann (11. Aufl. 2004), vor § 420 Rz 26 (vgl. 12. Aufl. 2008, vor § 420 Rz 8, 11, § 431 Rz 1); Aderhold, Schuldmodell, 75 ff., 143 f.; ebenso schon Riering, Gemeinschaftliche Schulden, 33; wohl auch Staud/Werner (1930), § 431 Anm. III 2; Hellwig, Zivilprozeßrecht III/1, 125; Lent, JhJb 90 (1942), 36 f.; Marotzke, ZZP 105 (1992), 537. 338 Oben, 145 ff.
10. Ergebnis: Der notwendige Abschied vom Gemeinen Recht
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dass die Lehre von der gemeinschaftlichen Schuld auch auf einem Teilbarkeitsbegriff beruht, den die Literatur mehr oder weniger unreflektiert aus dem Gemeinen Recht übernommen hat. Um zu entscheiden, ob eine Leistung teilbar ist, muss man wissen, welche Funktion der Teilbarkeitsbegriff hat. In der Lehre zum Gemeinen Recht gab es einen einheitlichen Teilbarkeitsbegriff für das gesamte Obligationenrecht, der unterschiedliche Funktionen erfüllen musste339. Im Einzelschuldverhältnis etwa war die Teilbarkeit für die Fragen von Bedeutung, ob der Schuldner teilweise leisten, der Gläubiger teilweise fordern oder die Obligation teilweise erlöschen oder aufgehoben werden konnte. Besonders relevant war der Teilbarkeitsbegriff aber bei der Beteiligung mehrerer an einem Schuldverhältnis. Bei Verträgen herrschte eine allgemeine Teilschuld- und Teilgläubigerschaftsvermutung. Vor allem aber teilten sich Schulden und Forderungen unter mehreren Miterben. Von der Teilbarkeit der geschuldeten Leistung bzw. der Obligation hing also die praktisch wichtige Frage ab, ob die Miterben nur ihren Anteil schuldeten bzw. fordern konnten oder ob die Regeln der unteilbaren Leistungspflicht eingriffen. Aus dieser Funktion erklärt es sich, dass das Gemeine Recht mit einem quotalen Teilbarkeitsbegriff arbeitete: Eine Leistung war dann teilbar, wenn Teilleistungen nach Quoten (also z.B. dem Anteil an der Erbschaft) gebildet werden konnten340. Dies bedeutete, dass die einzelne Teilleistung sich nur quantitativ, nicht qualitativ von den übrigen Teilleistungen unterscheiden durfte. Denn solange der Erblasser keine Teilungsanordnung getroffen hatte, war eine andere Verteilung unter den Miterben mangels Anhaltspunkten nicht möglich. Hatte der Erblasser ein Hausgrundstück mit Wiesengrundstück zu fordern, so konnte diese Forderung unter zwei Miterben nicht dergestalt geteilt werden, dass einer das Haus, der andere die Wiese fordern konnte, selbst wenn beide Grundstücke denselben Wert aufwiesen, weil das Recht nicht entscheiden konnte, wem was zuzuordnen war. In Frage kam dann nur, dass jeder Miterbe die Hälfte beider Grundstücke fordern konnte. Selbstverständlich war daher etwa die Verpflichtung, ein Bauwerk zu errichten, unteilbar, auch wenn die Errichtung des Bauwerks in einzelne Leistungsteile zerlegt werden konnte: Die Leistung war „aufteilbar“, aber nicht nach Quoten teilbar. Weil es keinen Maßstab dafür geben konnte, welchem Erbe welche Teilaufgabe zugewiesen wird, war die Leistung unteilbar341. 339 Hierzu etwa Savigny, Obligationenrecht I, 320 ff.; Vangerow, Pandekten, § 567 Anm. 2; Ubbelohde, Unteilbare Obligationen, 18 ff., 60 ff., 191 ff.; Sintenis, Civilrecht, § 84 III; Windscheid, Pandekten, § 253. 340 So ausdrücklich Savigny, Obligationenrecht I, 334; Ubbelohde, Unteilbare Obligationen, 18 f., 22, 60, 75; Windscheid, Pandekten, § 253; Dernburg, Preußisches Privatrecht II, § 25 bei Fn. 4; Hasenöhrl, Obligationenrecht I, § 13 I. Zur Diskussion Rümelin, JhJb 28 (1889), 387 ff. 341 Der Zusammenhang zwischen quotalem Teilbarkeitsbegriff und Miterbenhaftung wird deutlich bei Ubbelohde, der, wie berichtet, die Figur der gemeischaftlichen Schuld ablehnte. Wenn mehrere eine nach herkömmlichen Begriffen unteilbare Leistung versprachen, die sie im Zusammenwirken mit bestimmter Aufgabenverteilung ausführen wollten, hielt Ubbelohde die Auslegung für „natürlich“, dass jeder sich nur zu seiner Mitwirkungshandlung verpflichten wollte. Dann
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
Die Funktion des Teilbarkeitsbegriffs erklärt auch das weitere Erfordernis, dass die Teilung ohne Wertverlust möglich sein muss. Der Gläubiger sollte zumindest hinsichtlich des Werts der ihm geschuldeten Gesamtleistung nicht dadurch schlechter gestellt werden, dass sein Schuldner durch mehrere beerbt wurde. Ebenso setzte die geltende Teilschuldvermutung bei Verträgen voraus, dass sich die Aufteilung unter die Schuldner für den Gläubiger nicht nachteilig auswirkte. Die Einführung des BGB wäre Anlass gewesen, den Teilbarkeitsbegriff grundsätzlich zu überdenken und sich insbesondere zu fragen, welche Funktionen er im kodifizierten Recht in welchen Zusammenhängen erfüllen sollte. Dies wurde von der Literatur aber nicht getan. Zunächst gingen einige sogar wie im Gemeinen Recht von einem allgemeinen Teilbarkeitsbegriff für das gesamte Schuldrecht aus342. Mittlerweile besteht demgegenüber Einigkeit, dass der Teilbarkeitsbegriff bei Schuldner- und Gläubigermehrheiten eine eigenständige Funktion und Bedeutung hat und daher nicht der gleiche sein muss wie in anderen Bereichen des Schuldrechts. Bei der Bestimmung dieses Teilbarkeitsbegriffs aber lehnt sich die ganz herrschende Lehre an das Gemeine Recht an343. Demnach ist eine Leistung teilbar i.S.d. § 420, wenn der Leistungserfolg ohne Wertverlust in mehrere Leistungsteile geteilt werden kann, die sich lediglich quantitativ, nicht qualitativ von der Gesamtleistung oder untereinander unterscheiden344. Es herrscht also der quotale Teilbarkeitsbegriff des Gemeinen Rechts. Die Teilleistungen dürfen nicht ungleichartig sein. Ferner muss die Teilung ohne Wertverlust möglich sein. Dies ist wohl der Grund für die Auffassung, Teilschulden könnten nicht vorliegen, wenn die einzelne Teilleistung für den Gläubiger wertlos sei345. Warum es aber diese Erfordernisse geben soll, bleibt offen. Bezeichnenderweise verweisen manche auf den Teilbarkeitsbegriff des § 752. Hier geht es um die Aufhebung einer Bruchteilsgemeinschaft durch Naturalteilung. Dass eine solche Teilung mittels gleichartiger Anteile und ohne Wertverlust geschehen soll, ist verständlich. Warum aber dasselbe für die Teilbarkeit einer Leistungspflicht bei mehreren Schuldnern gelten soll, wird nicht begründet. Die 342 sollten Einzelobligationen auf Mitwirkung entstehen (Unteilbare Obligationen, 243 ff., vgl. oben, 132 f.). Von „Teilschulden“ sprach er hierbei nicht, weil die Gesamtleistung nicht quotal teilbar war. Daher war eine Aufteilung der unteilbaren Werkleistung auch nur durch Parteivereinbarung möglich, nicht im Fall der Erbenmehrheit, so dass mehrere Erben einer unteilbaren, aber aufteilbaren Werkleistung notwendig Gesamtschuldner sein mussten (a.a.O., 250). Anders verhielt es sich bei der Verpflichtung mehrerer Miteigentümer, eine Dienstbarkeit am gemeinsamen Grundstück zu bestellen. Hier sollte nach Ubbelohde jeder Miteigentümer nur seine Mitwirkung an der Einrichtung der Dienstbarkeit schulden. Da die Mitwirkungspflichten untereinander gleichartig sind, hielt Ubbelohde die Pflicht zur Einräumung einer Dienstbarkeit entgegen der herrschenden Lehre für teilbar. Dies bedeutete, dass Miterben eines Eigentümers, der eine Dienstbarkeit versprochen hatte, nur zur anteiligen Mitwirkung verpflichtet waren (a.a.O., 240 f.). 342 Crome, Schuldverhältnisse, § 145 Nr. 4; Kohler, Schuldrecht, § 14 Anm. VII; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 228 III; Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse (1958), § 4 IV; siehe auch Palandt/Grüneberg, § 420 Rz 1 f., § 431 Rz 1. 343 Ausdrücklich Planck, BGB (1900), § 420 Anm. 2. Wie hier Rütten, Mehrheit von Gläubigern, 10 ff.
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dahinter stehende Vorstellung ist offenbar diejenige des Gemeinen Rechts: Die Teilbarkeit führt zur Teilung auch ohne besondere Zustimmung des Gläubigers, daher darf sie nicht zum Wertverlust führen; und da es keine Anhaltspunkte für eine ungleichartige Teilung gibt, müssen die Anteile gleichartig sein. Diese Vorstellung trifft aber für das Recht des BGB nicht mehr zu. a) Der Begriff der Teilbarkeit könnte dazu dienen, die Kategorie der Teilschulden von derjenigen der kumulierten Schulden abzugrenzen. Teilschulden würden danach nur entstehen, wenn die dem Gläubiger insgesamt zustehende Leistung teilbar im technischen Sinne ist. Sieht man die Verpflichtung zur Aufführung eines Streichquartetts oder zur Übertragung von Eigentum an einer Sache als unteilbar an, ergibt aber die Vertragsauslegung, dass jeder Schuldner sich nur zu seinem eigenen Beitrag verpflichten will, dann könnten nur kumulierte Einzelschulden vorliegen. Tatsächlich spricht die herrschende Lehre nur dann von Teilschulden, wenn die Leistungen der einzelnen Schuldner zumindest untereinander gleichartig sind. Ein kleinerer Teil der Literatur will demgegenüber auch ungleichartige Teilschulden zulassen, zumindest dann, wenn jeder Schuldner für sich leisten kann346. So sollen etwa ein Maurer und ein Zimmermann, die ein Bauwerk errichten sollen, Teilschuldner in dem Sinne sein können, dass jeder nur seine Handwerkerleistung schuldet. Die herrschende Lehre verweist demgegenüber darauf, dass die Parteien zwar diejenigen Rechtsfolgen vereinbaren können, die sich bei teilbaren Leistungen ergeben, „echte“ Teilschulden oder eine Teilbarkeit i.S.d. § 420 dennoch bei Ungleichartigkeit der Leistungen nicht vorliegen können347. Tatsächlich kann die Frage nach der Abgrenzung zwischen Teilschulden und kumulierten Einzelschulden nicht sinnvoll beantwortet werden, weil das BGB an das Bestehen von Teilschulden keine spezifischen Rechtsfolgen knüpft. Die Vor344 Dies war – auch wenn auf eine Legaldefinition der Teilbarkeit verzichtet wurde – schon die Ansicht von Kübels, siehe Teilentwurf Unteilbare Leistungen, 1 f. (Schubert, SR I, 117 f.); Teilentwurf Nr. 4 (Geschäftsführung ohne Auftrag), 31 (Schubert, SR II, 963); ebenso zum Ersten Entwurf Rümelin, JhJb 28 (1889), 478 ff. Zum BGB Stammler, Schuldverhältnisse, 252; Planck, BGB (1900), § 420 Anm. 2; Crome, Schuldverhältnisse, § 145 Nr. 4; Cosack, BürgR I, § 85 I; Lehmann, Unterlassungspflicht, 198; von Gierke, Deutsches Privatrecht III, § 182 I, S. 246 f.; Ulrich, JhJb 64 (1914), 215 f.; Planck/Siber, § 420 Anm. 2; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 228 III; Rippich, Anwendungsgebiet, 16 ff.; Leonhard, SR AT, 84; Staud/Werner (1930), § 420 Anm. I; Warneyer, BGB, § 420 Anm. II; Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, § 4 IV; Esser, SR AT, § 57 II; Soergel/ Re. Schmidt (1967), § 420 Rz 2; Jürgens, Teilschuld, 18; Brox/Walker, SR AT, Rz 36/1; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 26; Wolf/Niedenführ, JA 1985, 374; Soergel/Wolf, § 420 Rz 2; RGRK/Weber, § 420 Rz 9; MüKo/P. Bydlinski, § 420 Rz 4; Staud/Kaduk, vor § 420 Rz 9, § 420 Rz 7 f.; Staud/Noack, § 420 Rz 13, 15; jurisPK/Rüßmann, § 420 Rz 9 f.; BamR/Gehrlein, § 420 Rz 1; zweifelnd Oertmann, Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 1 a; ablehnend Selb, Mehrheiten, 20 f.; Wernecke, Gesamtschuld, 16; Rütten, Mehrheit von Gläubigern, 12; Erman/Ehmann, § 420 Rz 9. 345 Vgl. oben, 180 f. 346 Henle, Schuldrecht, § 137 I 1; Selb, Mehrheiten, 18, 20 f., 46 f.; Larenz, SR AT, § 36 I a, Fn. 1 b; Wernecke, Gesamtschuld, 16, 103 Fn. 2. 347 Soergel/Wolf, § 420 Rz 2; Staud/Noack, § 420 Rz 15; Staud/Kaduk, vor § 420 Rz 10; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 26.
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
schriften der §§ 320 I 2, 351, 441 II und 638 II verlangen keine Teilschulden, sondern nur Schulden, die auf einem gemeinsamen Vertrag beruhen. Insofern macht es im Ergebnis keinen Unterschied, ob man bei ungleichartigen Einzelleistungen, die durch einen gemeinsamen Vertrag und ein einheitliches Gläubigerinteresse miteinander verknüpft sind, von Teilschulden spricht oder von kumulierten Schulden. Was Teilschulden sind, hängt dann davon ab, was man unter dem Begriff der Teilschulden verstehen will. Damit fragt sich, wozu der Begriff der Teilschuld eigentlich dienen soll. In der Literatur findet sich vereinzelt die gemeinrechtliche Vorstellung, Teilschulden beruhten auf der Aufteilung einer einheitlichen Leistungspflicht348. Bei rechtsgeschäftlichen Verpflichtungen hilft diese Vorstellung aber nicht weiter: Wenn S1 und S2 sich gemeinschaftlich verpflichten, dem Gläubiger jeweils 50 zu zahlen, wird dann eine einheitliche Leistungspflicht aufgeteilt oder entstehen von vornherein nur Leistungspflichten in Höhe von 50? Häufig heißt es in der Literatur, der Unterschied zwischen Teilschulden und kumulierten Schulden bestehe darin, dass es sich bei Teilschulden insgesamt nur um eine Leistung handle, bei kumulierten Schulden um mehrere349. Dann verschiebt sich aber nur die Fragestellung dahin, wann eine und wann mehrere Leistungen vorliegen sollen. Manche verweisen auf ein einheitliches Leistungsinteresse des Gläubigers350 oder darauf, dass die einzelnen Leistungen zum selben Zweck versprochen werden351. Schließlich heißt es auch, dass bei Teilschulden anders als bei kumulierten Schulden nur ein Schuldverhältnis (im weiteren Sinne) vorliegt352 oder dass die Verpflichtungen auf einem einheitlichen Rechtsgrund beruhen353. Sowohl bei Teilschulden als auch bei kumulierten Schulden kann der Gläubiger von jedem Schuldner dessen Leistung verlangen. In manchen Fällen verknüpft das Gesetz durch Regeln wie §§ 320 I 2, 351 etc. die Verpflichtungen der Schuldner, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass der Gläubiger die einzelnen Leistungen im Zusammenhang erwerben wollte. Diese Tatsache zeigt sich in der Regel durch einen gemeinsamen Vertragschluss. Wenn aber manche nebeneinander bestehende Schulden gesetzlich besonders behandelt werden, macht es Sinn, den Teilschuldbegriff hier anzuknüpfen. Ein solcher Teilschuldbegriff ist nicht zwingend, vermeidet aber eine unscharfe Kategorienbildung. Die herrschende Lehre, nach der Teilschulden eine Gleichartigkeit der Leistungen voraussetzen, muss zwischen Gesamtschulden, u.U. gemeinschaftlichen Schulden, Teilschulden und kumulierten Schulden unterscheiden, wobei letztere auf einem einheitlichen Vertrag beruhen können oder nicht. Die Rechtsfolgen von Teilschulden und auf einem einheitlichen Vertrag beruhenden kumulierten Schulden 348 Jürgens, Teilschuld, 11 ff.; ähnlich Erman/Ehmann, § 420 Rz 2; offen gelassen bei Staud/Noack, § 420 Rz 4. 349 Staud/Noack, vor § 420 Rz 14; Jürgens, Teilschuld, 11 ff.; Wernecke, Gesamtschuld, 103 ff. 350 Staud/Noack, § 420 Rz 5; Wernecke, Gesamtschuld, 103 ff. 351 Erman/Ehmann, § 420 Rz 2. 352 MüKo/P. Bydlinski, § 420 Rz 16; Staud/Kaduk, § 420 Rz 34. 353 Staud/Noack, § 420 Rz 2, 6.
10. Ergebnis: Der notwendige Abschied vom Gemeinen Recht
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sind aber identisch. Vorzugswürdig erscheint demgegenüber eine Gruppenbildung, welche sich nach den Rechtsfolgen ausrichtet. Danach gibt es Gesamtschulden, Teilschulden und sonstige kumulierte Schulden. Teilschulden sind kumulierte Schulden, die auf einem einheitlichen Vertrag beruhen und ein einheitliches Leistungsinteresse des Gläubigers befriedigen, was durch die Anwendung der Regeln der §§ 320 I 2, 351, 441 II und 638 II berücksichtigt wird. b) Wenn der Teilbarkeitsbegriff im Rahmen der Definition der Teilschulden also im Ergebnis ohne Belang ist, könnte er aber dort relevant sein, wo das Gesetz an die Teilbarkeit oder Unteilbarkeit einer Leistung Rechtsfolgen anknüpft. Beim näheren Hinsehen zeigt sich aber, dass auch hier der quotale Teilbarkeitsbegriff der herrschenden Lehre nicht benötigt wird. Verpflichten sich mehrere Schuldner durch ein gemeinsames Rechtsgeschäft gegenüber dem Gläubiger, so ist die Frage, ob die dem Gläubiger insgesamt geschuldete Leistung „objektiv“ teilbar ist, unsinnig. Ob die Gesamtleistung unter den Schuldnern aufgeteilt wird, bestimmen die Parteien354. Fehlt es an einer Parteivereinbarung, gilt grundsätzlich eine Gesamtschuldvermutung nach §§ 427 und 431. Insbesondere in Fällen, in denen die Gesamtleistung nur im Zusammenwirken erbracht werden kann, ist demgegenüber eine Auslegung möglich, wonach jeder Schuldner nur seinen Beitrag schuldet. Wenn sich etwa durch gemeinsamen Vertrag vier Mitglieder eines Streichquartetts zur Aufführung oder vier Miteigentümer zur Übereignung verpflichten, so ist denkbar, dass jeder nur für seinen Beitrag verantwortlich sein will. Nach herrschender Lehre ist die Gesamtleistung in diesen Fällen aber regelmäßig nicht teilbar: Beim Streichquartett sind die Verpflichtungen der vier Musiker ungleichartig. Die Verpflichtungen der Miteigentümer zur Anteilsübertragung sind zwar untereinander gleichartig, aber möglicherweise etwas qualitativ anderes als die Übereignung der gesamten Sache. Nach § 431 müssten folglich Gesamtschulden vorliegen. Um dieses Ergebnis zu vermeiden, nimmt man entweder eine im Gesetz nicht geregelte gemeinschaftliche Schuld an, oder man erklärt § 431 für von vornherein nicht anwendbar, weil nicht eine gemeinsam geschuldete Leistung vorliegt, sondern jeder Schuldner seine eigene Leistung schuldet. Die Bestimmung der Schuldnermehrheit hängt dann davon ab, ob dem Gläubiger eine Gesamtleistung (als Gesamt- oder auch als gemeinschaftliche Schuld) oder mehrere Einzelleistungen geschuldet werden. Die Kriterien für diese Unterscheidung bleiben aber unklar. Denn auch dann, wenn mehrere Einzelleistungen geschuldet werden, können diese wiederum wegen des gemeinsamen Vertrags durch Regeln wie § 320 I 1 oder § 351 untereinander verknüpft sein. All dies erscheint unnötig komplex. Vor allem ist nicht begründbar, warum die Teilbarkeit bei gemeinschaftlichen rechtsgeschäftlichen Verpflichtungen davon abhängen sollte, dass die Einzelleistungen untereinander oder mit der Gesamtleistung
354 Ebenso, für Gläubigermehrheiten, Rütten, Mehrheit von Gläubigern, 15 f.; ihm folgend Erman/Ehmann, § 420 Rz 9. Vgl. schon oben, 125 f.
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
gleichartig sind. Der enge Teilbarkeitsbegriff der h.L. erfüllt in diesem Zusammenhang keine Funktion. Verzichtet man auf die Beschränkungen beim Teilbarkeitsbegriff, dann schulden mehrere, die sich gemeinsam rechtsgeschäftlich verpflichten, die Gesamtleistung entweder ungeteilt als Gesamtschuldner oder geteilt als Teilschuldner. Eine „objektive“ Unteilbarkeit, die eine mögliche Aufteilung verhindern könnte, gibt es dann nicht. Ergibt die Auslegung, dass die Schuldner nur ihren Beitrag schulden, dann liegt auch keine unteilbare Leistung vor, so dass keine Notwendigkeit besteht, die Regel des § 431 zu umschiffen. Die Schuldner sind (ungleichartige) Teilschuldner, mit der Folge der Anwendung der §§ 320 I 2, 351 etc. c) Bei gesetzlichen Verpflichtungen mehrerer scheint der Teilbarkeitsbegriff demgegenüber auf den ersten Blick eine Rolle zu spielen, weil es nach §§ 420, 431 von der Teilbarkeit der Leistung abhängt, ob Gesamtschulden vorliegen oder Teilschulden355 vermutet werden. Nach der herrschenden Lehre müssten also dann, wenn die Gesamtleistung in gleichartige Teile zerlegbar ist, Teilschulden vorliegen, soweit nichts anderes bestimmt ist. Lässt sich die Gesamtleistung dagegen nur in ungleichartige Teile zerlegen, müssten Gesamtschulden vorliegen. Diese Vorstellungen (die wohl auch der historische Gesetzgeber teilte) treffen aber nach heutigem Recht nicht mehr zu. Die Frage, ob bei gesetzlich entstehenden Verbindlichkeiten Teil- oder Gesamtschulden bestehen, stellt sich immer dann, wenn eine Verpflichtung, die sich gewöhnlich nur gegen einen Schuldner richtet, aus besonderen Gründen mehrere betrifft, seien es Miteigentümer, Miterben oder sonstige Mitberechtigte oder Rechtsnachfolger. Hier hängt die Entscheidung zwischen Teil- und Ganzhaftung nicht davon ab, ob die insgesamt geschuldete Leistung in gleichartige Teile zerlegbar ist oder nicht. In vielen Fällen lässt sich eine solidarische Haftung und damit ein Einstehenmüssen für die Leistungsbereitschaft des Mitschuldners bei gesetzlichen Verbindlichkeiten nicht begründen. Als Beispiele wurden oben die Verpflichtung zur Zustimmung zu einer Grundbuchberichtigung, einer Mieterhöhung oder der Einräumung eines Notwegs genannt. Hier schuldet jeder Mitberechtigte (Miteigentümer oder Miterbe) bzw. jeder Mitmieter nur seine eigene Zustimmung. Sieht man die insgesamt geschuldete Zustimmung oder Duldung als unteilbare Leistung an, steht einer solchen Lösung aber § 431 entgegen. Daher wird hier häufig eine gesetzlich nicht geregelte gemeinschaftliche Schuld angenommen. Ein anderer Ausweg wäre, die Verpflichtungen der Schuldner von vornherein als mehrere Leistungen anzusehen, so dass das Tatbestandsmerkmal der gemeinsam geschuldeten unteilbaren Leistung entfällt. Beide Lösungen führen dazu, dass trotz fehlender Teilbarkeit im technischen Sinne jeder nur seinen Beitrag schuldet.
355 Der Ausdruck soll hier der Einfachheit halber beibehalten werden. Bei gesetzlichen Verbindlichkeiten gibt es keinen Unterschied zwischen Teil- und kumulierten Schulden.
10. Ergebnis: Der notwendige Abschied vom Gemeinen Recht
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Umgekehrt kann die gesetzliche Wertung auch die Annahme von Gesamtschulden nahelegen, etwa bei der Nachfolge mehrerer in eine Vermieterstellung356. Zwar könnte hier die gesamtschuldnerische Verpflichtung zur Gewährung des Gebrauchs auch mit § 431 begründet werden, wenn man die Gebrauchsüberlassung als unteilbare Leistung ansieht. Doch die Gesamtschulden beruhen sachlich auf der Wertung des § 566, wonach dem Mieter durch den Eigentümerwechsel keine Nachteile entstehen sollen, und müssen daher auch für solche Pflichten angenommen werden, die, wie die Rückzahlung einer Kaution, unzweifelhaft teilbar sind. Das Gesetz ordnet Teilschulden bei mehreren gleichrangigen Unterhaltspflichtigen an, § 1606 III. Satz 2 der Vorschrift, wonach einer der Schuldner den Unterhalt auch als Naturalleistung leisten kann, zeigt, dass selbst der Gesetzgeber bei Teilschulden nicht immer von gleichartigen Leistungen ausgeht357. Der wichtigste Fall, für den es im Gemeinen Recht auf die Teilbarkeit ankam, war die Haftung von Miterben. Heute schulden sie unabhängig von der Teilbarkeit als Gesamtschuldner, § 2058. In Ausnahmefällen können aber Teilschulden eintreten, §§ 2060, 2061358. Hier könnte es also tatsächlich, in Anknüpfung an die Lehren zum Gemeinen Recht, auf die Teilbarkeit des geschuldeten Gegenstands ankommen, indem bei unteilbarer Leistung Gesamtschulden oder eine andere Art der Schuldnermehrheit angenommen werden müssen. Die erbrechtliche Literatur entscheidet sich aber anders: Wenn die vom Erblasser geschuldete Leistung unteilbar ist, soll der Gläubiger das Recht haben, den Leistungsanspruch in einen Anspruch auf Zahlung des Wertes, also in einen Geldanspruch, umzuwandeln und gegen jeden Miterben anteilig vorzugehen359. Die Wertung, dass unter den Miterben geteilt werden soll, setzt sich hier also auch dann durch, wenn der geschuldete Gegenstand „technisch“ unteilbar ist. Angesichts dieses Befunds empfiehlt es sich, die Begriffe der Teilbarkeit und Unteilbarkeit einer Leistung für das Recht der Schuldnermehrheiten völlig aufzugeben. Es handelt sich um Gespensterbegriffe aus dem Gemeinen Recht, die im heutigen Recht keine sinnvolle Funktion mehr erfüllen. Nicht mehr die Frage, ob die dem Gläubiger insgesamt zustehende Leistung (gleichartig, ungleichartig, 356
Oben, 25 f. Hierauf macht Staud/Noack, § 420 Rz 32, aufmerksam. 358 Abwegig Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 50 V 4, unter Berufung auf Ann, Erbengemeinschaft (2001), 157, wonach Gesamtschulden in Höhe des kleinsten gemeinsamen Betrags vorliegen sollen. Erfüllt ein Miterbe seine Teilverpflichtung, befreit er seine Miterben auch nicht zum Teil; richtig Staud/Marotzke, § 2060 Rz 15; MüKo/Heldrich, § 2060 Rz 3. 359 MüKo/Heldrich, § 2060 Rz 6; Staud/Marotzke, § 2060 Rz 30; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 50 V 4; Brox, Erbrecht, Rz 731; Michalski, Erbrecht, Rz 928. Nach Marotzke kann der Gläubiger auch von demjenigen Miterben, der den geschuldeten Gegenstand hat, die Primärleistung verlangen, aber nur gegen Erstattung des Geldwerts zu einer Quote, die dem Anteil der übrigen Miterben entspricht. Eine ähnliche Lösung kennt der Code Civil, Art. 1224, für unteilbare Leistungen bei Gläubigermehrheiten: Hat einer der Gläubiger dem Schuldner einen Erlass gewährt, kann der andere die Leistung vom Schuldner nur gegen Erstattung des Werts in Höhe der Quote des Erlassenden verlangen, vgl. HKK/Meier, §§ 420–432 II, Rz 48. 357
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
mit oder ohne Wertverlust) objektiv teilbar ist, entscheidet über die Art der Schuldnermehrheit, sondern die Auslegung des Parteiwillens oder des Gesetzes. Dabei kann die Aufteilbarkeit durchaus eine Rolle spielen: Verpflichten sich etwa vier Musiker, die alle sämtliche Streichinstrumente beherrschen, zur Aufführung eines Streichquartetts und ist der Parteivereinbarung keine Aufgabenverteilung zu entnehmen, dann können jedenfalls keine Teilschulden angenommen werden, wonach jeder ein bestimmtes Instrument spielen soll, weil das Recht eine ungleichartige Aufteilung mangels Anhaltspunkte nicht vornehmen kann. Dies ist aber eine Frage der Auslegung des Parteiwillens360, für die ein technischer Teilbarkeitsbegriff nicht erforderlich ist. Nach diesem Verständnis ist die Frage, ob geteilt oder solidarisch geschuldet wird, in erster Linie durch Auslegung der Parteivereinbarung oder des Gesetzes zu entscheiden. Bei Zweifeln gilt im Fall von gemeinschaftlichen Verträgen die Gesamtschuldvermutung des § 427, während bei gesetzlichen Verbindlichkeiten eher Teilschulden anzunehmen sind, § 420. Das Wort „teilbar“ drückt in beiden Vorschriften lediglich die Selbstverständlichkeit aus, dass eine Aufteilung nur dann erfolgt, wenn sie im konkreten Fall überhaupt denkbar ist, sei es eine gleichmäßige Aufteilung nach Kopfteilen, sei es eine ungleichmäßige oder sogar ungleichartige Aufteilung, wenn der Fall dafür Anhaltspunkte bietet. § 431 ist nach dieser Sichtweise demgegenüber keine Auslegungsregel. Die Vorschrift besagt nur: Schulden mehrere gemeinsam eine Leistung, die (nach Gesetz oder Parteiwillen) nicht aufgeteilt werden soll, dann handelt es sich um Gesamtschulden. Gemeinschaftliche Schulden kennt das Gesetz nicht.
11. Europäischer Ausblick Die Fälle, in denen die Schuldner die Leistung im Zusammenwirken erbringen müssen, werden in den europäischen Rechtsordnungen sehr unterschiedlich geregelt. Die deutsche Kategorie der gemeinschaftlichen Schuld findet sich – offenbar aufgrund deutschen Einflusses – auch in der österreichischen Literatur361. Nach französischem Recht handelt es sich demgegenüber, solange keine besondere Gesamtschuldabrede getroffen wurde, um einen Fall einer unteilbaren Leistungspflicht, mit der Folge, dass der beklagte Schuldner seine Mitschuldner zum Prozess hinzuziehen kann und die Interesseleistung sich unter den Schuldnern teilt362. Die Fälle des Zusammenwirkens sind also eine Untergruppe der indivisi360
Ebenso Erman/Ehmann, § 420 Rz 9. Klang/Gschnitzer, ABGB, § 890 Anm. I 2; Rummel/Gamerith, ABGB, § 890 Rz 2, 7; Schwimann/Apathy/Riedler, ABGB, § 890 Rz 8; Ehrenzweig/Mayrhofer, System II/1, § 13 IV; KBB/P. Bydlinski, ABGB, § 890 Rz 4; Rudolf, Schuldnermehrheiten, 75 ff.; Perner, JBl 2005, 635 f.; Klang/Perner, § 890 ABGB Rz 2. Zum Schweizer Recht vgl. Schwenzer, OR AT, Rz 88.06 ff.; Gauch/Schluep/Schmid/Rey, OR AT 2, Rz 3893 ff. 362 Oben, 111 ff. Sachlich ähnlich ist das spanische Recht, siehe Código Civil, Art. 1139, 1150. 361
11. Europäischer Ausblick
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bilité. Das englische Recht kennt die der deutschrechtlichen Gesamthandsschuld ähnliche joint liability, die man sich als gemeinsame Schuld vorstellt, und daneben die joint and several liability. Bei beiden Figuren handelt es sich um funktionale Äquivalente zur deutschen Gesamtschuld. Die Bestimmung der Schuldnermehrheitsform hängt nach englischem Recht aber weder von der Teilbarkeit des Leistungsgegenstandes noch von der Frage ab, ob die Schuldner zusammenwirken müssen. Dies ist offenbar auch darauf zurückführbar, dass der Gläubiger in der Regel von vornherein nur einen Anspruch auf Schadensersatz hat, der aber verschuldensunabhängig ausgestaltet ist363. Mit den Principles of European Law wurde versucht, die Gruppen der Schuldnermehrheit zu harmonisieren. Auf das Kriterium der Teilbarkeit der Leistung wurde dabei zu Recht verzichtet. Neben Teil- und Gesamtschulden kennt Art. 10:101 PECL eine dritte Kategorie: „An obligation is communal when all the debtors are bound to render the performance together and the creditor may require it only from all of them.“ Für die Leistung des Interesses im Fall der Nichterfüllung sollen die Schuldner aber auch hier als Gesamtschuldner haften, Art. 10:104. Damit ist impliziert, wie auch die Kommentierung klar macht364, dass jeder Schuldner für das Verschulden seiner Mitschuldner haften muss. Was genau der einzelne Schuldner bei der communal obligation schuldet, bleibt offen. Der Sache nach scheint es sich um Gesamtschulden mit gegenseitiger Verschuldenszurechnung zu handeln, deren einzige Besonderheit in einer notwendige Streitgenossenschaft bei einer Klage auf die Primärleistung besteht, so dass sich die Frage stellt, ob eine derartige prozessuale Regelung in den Principles richtig aufgehoben ist. Die Kommentierung365 zeigt, dass hier die deutsche gemeinschaftliche Schuld Pate gestanden hat: Eine communal obligation soll bei Leistungen in Frage kommen, die nach ihrer Natur von den Schuldnern zusammen erbracht werden müssen. Es handle sich um eine einheitliche Schuld mit mehreren Schuldnern. Jeder Schuldner sei zur Mitwirkung verpflichtet. Als Beispielsfälle werden das gemeinsame Spiel eines Orchesters und der gemeinschaftliche Hausbau durch verschiedene Unternehmer genannt. Die rechtsvergleichenden Anmerkungen366 verweisen ausdrücklich auf die deutsche gemeinschaftliche Schuld und fügen hinzu, dass die communal obligation in den anderen europäischen Rechtsordnungen keine eigene Kategorie bilde. Stellt man aber nur auf den Wortlaut der Regeln selbst ab, sind auch andere Auslegungen möglich. Der Franzose wird in der communal obligation die ihm vertraute indivisibilité erblicken: eine unteilbare Leistungspflicht, die nach französischer Auffassung die Schuldner zumindest insofern nur zusammen trifft, dass diese die gemeinschaftliche Belangung durch den Gläubiger verlangen kön363 364 365 366
Hierzu stellvertretend Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, 477 ff., 501 ff. PECL Art. 10:104, Comment. PECL Art. 10:101, Comment D. PECL Art. 10:101, Notes No. 1, 4.
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V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
nen367. Denn das besondere Kennzeichen der deutschen gemeinschaftlichen Schuld gegenüber der französischen unteilbaren Leistungspflicht, nämlich dass die Leistung nur im Zusammenwirken erbracht werden kann, geht aus der Formulierung „the debtors are bound to render the performance together“ nicht klar hervor. Für den Engländer wiederum handelt es sich bei der communal obligation um nichts anderes als um die ihm vertraute joint liability368, die nach englischer Sicht eine gemeinschaftliche Verbindlichkeit aller Schuldner ist, weshalb der Gläubiger zumindest ursprünglich alle Schuldner zusammen verklagen musste369. Da eine joint liability nach englischem Recht bei allen Arten von Leistungsgegenständen vorliegen kann, wird aus englischer Sicht eine communal obligation auch bei Geldansprüchen möglich sein. Dem würden der Franzose und der Deutsche vermutlich widersprechen. Die Kategorie der communal obligation, die unter dem Namen joint obligation in den DCFR übernommen wurde370, ist insofern missglückt, als Anwender aus verschiedenen Rechtsordnungen in ihr jeweils die ihnen vertraute nationale Kategorie erblicken, ohne sich bewusst zu werden, dass die einzelnen nationalen Vorstellungen von einer „gemeinsamen Schuld“ sehr voneinander abweichen können371. Es handelt sich aber nicht nur um ein Problem der ungenauen Tatbestandsbeschreibung. Indem die Verfasser ihre Figur der communal obligation in Anlehnung an die deutsche gemeinschaftliche Schuld entwickelten, haben sie an eine nationale Begrifflichkeit angeknüpft, die auch in ihrem Herkunftsland unausgereift ist. Diffuse Vorstellungen, wonach mehrere in irgendeiner Weise zusammen oder gemeinschaftlich schulden können, ersetzen nicht eine klare Begriffsbildung, die auch für ein vereinheitlichtes europäisches Privatrecht unverzichtbar ist.
Zusammenfassung Mit § 431 hatte sich der Gesetzgeber bewusst gegen eine besondere Schuldnermehrheitsform für diejenigen Fälle entschieden, in denen die vertraglich geschuldete Leistung nur im Zusammenwirken der Schuldner erbracht werden kann oder soll. Diese Klarstellung war vergebens, weil die herrschende Lehre in Fortführung einer Tradition zum preußischen Recht sowie infolge einer ungenauen Gesamthandsdogmatik an der Figur der gemeinschaftlichen Schuld festhält. Nach dem Recht des BGB kann zwar eine Forderung mehreren zustehen, nicht aber können mehrere derart gemeinsam schulden, dass sie eine einzige gemein367
Oben, 112 f. Vgl. Whittaker, Plurality, 30. 369 Oben, 68. 370 DCFR Art. III-4:102 (3), III-4:105. 371 Anders Busch, Plurality, 4, 11, 12, der die communal obligation der PECL ausdrücklich befürwortet. 368
Zusammenfassung
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same Verbindlichkeit trifft, sofern sie nicht zu einer rechtsfähigen Gruppe zusammengefasst werden. Vollstrecken kann der Gläubiger nur gegen einen einzelnen Schuldner; hierzu muss bestimmt werden, was dieser schuldet. Auch wenn auf Seiten der Schuldner ein Gesamthandsvermögen besteht, mag es zwar zwei verschiedene prozessuale Wege für den Gläubiger (Gesamthandsklage und Gesamtschuldklage) geben, nicht aber gibt es mehrere Schulden derart, dass jeder sowohl den Gegenstand bzw. die Mitwirkung an der Verschaffung des Gegenstands und zugleich die Duldung der Vollstreckung ins Gesamthandsvermögen oder in den betreffenden Gegenstand schuldet. Die Annahme, dass Gesamtschulden nur dann möglich sind, wenn jeder einzelne Schuldner die Gesamtleistung erbringen kann, verstößt gegen das Trennungsprinzip des deutschen Rechts. Miterben schulden die Erblasserverbindlichkeiten als Gesamtschuldner und können lediglich vor der Teilung von einer Haftungsbeschränkung profitieren. Verkaufen Mitglieder einer Erbengemeinschaft einen Nachlassgegenstand, ist ihre Haftung nicht schon deswegen auf den Nachlass beschränkt. Vielmehr gilt hier dasselbe wie in sonstigen Fällen, in denen ein Gegenstand verkauft wird oder belastet werden soll, der sich im Miteigentum befindet oder zu einem Gesamthandsvermögen gehört. Gesamtschulden sind ohne weiteres möglich; der Gläubiger kann einen nur gegen einen einzelnen Schuldner erstrittenen Titel zwar nicht zur Vollstreckung, wohl aber als Grundlage für einen Schadensersatzanspruch verwenden. Vereinbart werden kann auch eine Haftungsbeschränkung, die aber an der Schuldform nichts ändert. Möglich und bei gesetzlichen Verpflichtungen häufig sind aber auch kumulierte Einzelverpflichtungen, sei es, dass jeder Schuldner die Verschaffung seines Miteigentumsanteils, sei es, dass jeder seine Mitwirkung an der gemeinsamen Verfügung über einen Gesamthandsgegenstand schuldet. Auch in solchen Fällen wird das Interesse des Gläubigers, den Gegenstand als ganzen zu erhalten, durch Vorschriften wie § 320 I 2 oder § 323 V 1 geschützt, so dass er im Ergebnis seine eigene Leistung nur dann erbringen muss, wenn er den Gegenstand im Ganzen erhalten hat. In ähnlicher Weise schuldet bei Werkleistungen, die in Zusammenarbeit erbracht werden müssen, jeder Schuldner entweder das Ganze oder seine Mitwirkung. Die praktisch wichtige Frage, ob ein Schuldner für Leistungsstörungen eines anderen Schuldners einstehen muss, lässt sich nicht aus der Annahme einer bestimmten Art von Schuldnermehrheit herleiten. Auch bei Gesamtschulden findet eine solche Haftung nach § 425 nur unter besonderen Voraussetzungen statt, während auch einen Einzelschuldner die zusätzliche Pflicht treffen kann, Leistungsstörungen durch Kollegen zu verhindern. Selbst bei Unterlassungspflichten sind Gesamt- und Teilschulden möglich, sofern man nur den Gegenstand der Verpflichtung richtig fasst und die bei positiven Leistungspflichten geltenden Wertungen auf Unterlassungspflichten überträgt. Die Lehre von der gemeinschaftlichen Schuld beruht auch auf einem aus dem Gemeinen Recht übernommenen Teilbarkeitsbegriff, der im heutigen Recht keine Funktion mehr hat. Tatsächlich gibt es nur Gesamtschulden, Einzelschulden aufgrund eines gemeinsamen Vertrags (die hier Teilschulden genannt wer-
230
V. Leistungen im Zusammenwirken: Eine Sonderkategorie?
den) und unverbundene Einzelschulden. Im Falle eines gemeinsamen Vertragsschlusses bestehen unabhängig von einer wie auch immer definierten objektiven Teilbarkeit im Zweifel Gesamtschulden, wobei der Umstand, dass nur gemeinsam erfüllt werden kann, ein gewichtiges Indiz für Teilschulden bilden kann. § 431 ist nur anwendbar, wenn schon feststeht, dass jeder das Ganze schuldet. Dasselbe wie zum deutschen gilt auch zum europäischen Vertragsrecht. Die Kategorie der communal bzw. joint obligation der PECL und des DCFR lehnt sich an so grundverschiedene Schuldnermehrheitsformen wie die deutsche gemeinschaftliche Schuld, die französische indivisibilité und die englische joint liability an, ohne für sich eine sinnvolle Funktion zu erfüllen.
VI. Der Zugriff des Gläubigers In Savignys bekannter Formulierung verschafft die Gesamtschuld dem Gläubiger den Vorteil der „Sicherheit und Bequemlichkeit in der Rechtsverfolgung“1. „Sicherheit“ bedeutet, dass die Schuldner das Insolvenzrisiko ihrer Mitschuldner tragen, so dass der Gläubiger auch dann befriedigt wird, wenn nur ein Gesamtschuldner zahlungsfähig ist. Mit „Bequemlichkeit“ bzw. „Leichtigkeit“2 der Rechtsverfolgung ist gemeint, dass der Gläubiger nicht gezwungen ist, gegen jeden einzelnen Schuldner vorzugehen oder alle zusammen zu verklagen. Er kann sich einen Schuldner heraussuchen und von diesem die Leistung des Ganzen oder eines Teils verlangen. Solange er nicht vollständig befriedigt ist, kann er mehrere Schuldner miteinander oder nacheinander in Anspruch nehmen. Er kann seine Klage gegen einen, gegen mehrere miteinander oder gegen mehrere nacheinander richten. Diese „Paschastellung“3 des Gläubigers ist heute selbstverständlich. Historisch jedoch waren die Sicherheit und vor allem die Leichtigkeit der Rechtsverfolgung häufig Einschränkungen unterworfen.
1. Der Zugriff auf den einzelnen Schuldner Die römische Gesamtschuld war dadurch geprägt, dass der Gläubiger das Recht hatte, von einem einzigen Schuldner die gesamte Leistung zu verlangen und ihn daher auch allein zu verklagen4. Einen Zwang zur gemeinschaftlichen Klage kannte zumindest das klassische römische Recht nicht5. Das zugrunde liegende Modell war individualistisch: Jeder Schuldner schuldete für sich die gesamte Leistung. Die Verpflichtungen der Schuldner waren aber in bestimmter Weise 1 Savigny, Obligationenrecht I, 218; ebenso die nachfolgende Lehre, etwa Kuntze, Singularsuccession, 148; Bekker, Consumption, 219; Fitting, Correalobligationen, 234; Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 16; Samhaber, Correalobligation, 24; Stinzing, KritVj 1 (1859), 514; Sintenis, Civilrecht, § 89 nach Fn. 10; Arndts, Pandekten, § 213; Unger, JhJb 22 (1884), 212; Dernburg, Pandekten II, § 71 Nr. 1 a.E.; Motive zum PreußE eines HGB, 105. 2 von Kübel, Motive zum VorlE, 23 f. (Schubert, SR III, 1235 f.), Motive zum TeilE, 17 (Schubert, SR I, 69); Mot. II, 155 f. (Mugdan II, 86). 3 „Der Gläubiger ist gewissermaßen ein juristischer Pascha“, Heck, Schuldrecht, 234. 4 So ausdrücklich Inst. 3,16,1; Pomponius D.30,8,1; Javolen D.45,2,2; Ulpian D.45,2,3,1; Diocletian C.8,39,2. 5 Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht, § 28 IV.
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VI. Der Zugriff des Gläubigers
miteinander verbunden, insbesondere dadurch, dass bei Leistung eines Schuldners die übrigen dem Gläubiger nichts mehr schuldeten. Bei der deutschrechtlichen Gesamthandsschuld gab es demgegenüber die Vorstellung, dass die Schuldner gemeinschaftlich schulden6. Für den Zugriff des Gläubigers aber war entscheidend die Frage, wer haftete. Wenn jeder Schuldner für die gemeinschaftliche Schuld haftete, konnte der Gläubiger ebenso wie im römischen Recht einen der Schuldner für seine Befriedigung herausgreifen. Möglich war aber auch eine gemeinschaftliche Haftung, insbesondere dann, wenn die Schuldner gemeinschaftliches Vermögen hatten, auf das der Gläubiger zugreifen wollte7. Eine solche gemeinsame Haftung konnte dazu führen, dass der Gläubiger die Schuldner nur gemeinschaftlich in Anspruch nehmen konnte. Die Gemeinschaftlichkeit des Zugriffs findet sich besonders ausgeprägt in der englischen joint liability, die sich ursprünglich dadurch auszeichnete, dass der Gläubiger sämtliche Schuldner zusammen verklagen musste8. Die gemeinrechtlichen Korreal- und Solidarobligationen beruhten insofern auf dem römischen Modell, als jeder Schuldner die gesamte Leistung schuldete und für sie allein in Anspruch genommen werden konnte. Die Vorstellung des gemeinsamen Schuldens aber hat sich daneben als konkurrierendes Modell erhalten. Insbesondere die gemeinrechtliche Lehre von den unteilbaren Leistungspflichten9 beruhte auf dem Gedanken, dass die Leistung nur von allen Schuldnern zusammen erbracht werden sollte, woraus teilweise der Schluss gezogen wurde, dass der Gläubiger die Schuldner nur gemeinschaftlich in Anspruch nehmen konnte oder der verklagte Schuldner ein Recht hatte, die übrigen Mitschuldner als Beklagte zum Prozess hinzuzuziehen. Die Vorstellung, dass ein einzelner Schuldner nicht zur Gesamtleistung verpflichtet war, zeigte sich hier vor allem in der Aufteilung der Interesseforderung. Für Joseph Unger war sogar die gemeinrechtliche Korrealobligation vom deutschrechtlichen Gedanken der Schuldgemeinschaft geprägt10. Diese sollte in einem Zwang zur gemeinsamen Klageerhebung, wenn er auch de lege lata nicht existierte, ihren schärfsten und prägnantesten Ausdruck finden11. Mit dieser Ansicht blieb er aber allein12. Das BGB übernahm in § 421, wie alle anderen Regelwerke vor ihm13, für die Gesamtschuld das römische Modell, wonach jeder Schuldner einzeln schuldet 6
Oben, 66 f. von Amira, Nordgermanisches Obligationenrecht, Bd. I, 182 ff., Bd. II, 212 ff.; von Gierke, Schuld und Haftung, 112; ders., Deutsches Privatrecht III, 249 f. 8 Williams, Joint Obligations, 51 ff.; Chitty/Burrows, Joint Obligations, Rz 17-009; Treitel/ Peel, Contract, Rz 13-005. 9 Oben, 110 ff. 10 Oben, 63. 11 Unger, JhJb 22 (1884), 223 ff., 231. 12 Gegen Unger insbesondere Hölder, AcP 69 (1886), 211; Kuntze, Jus extraordinarium, 149, 167 f.; von Gierke, Genossenschaftstheorie, 362 Fn. 3. 13 CMBC IV 1 § 32; ALR I 5 § 430; CC Art. 1203; ABGB § 891; SächsE § 600; HessE IV 1 Art. 7; BayE II Art. 223; SächsGB § 1024; DresdE Art. 234; ZürGB § 940; OR 1881 Art. 163 (OR 1911 Art. 144). 7
1. Der Zugriff auf den einzelnen Schuldner
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und allein auf die Gesamtleistung verklagt werden kann14. Die heutige Rechtsprechung betont das Recht des Gläubigers, den in Anspruch genommenen Schuldner nach freiem Belieben auszusuchen, selbst wenn die Wahl den Interessen der Mitschuldner zuwiderläuft. Eine Grenze bildet nach § 242 nur das rechtsmissbräuchliche Verhalten des Gläubigers, nämlich wenn er sich deswegen an einen Gesamtschuldner hält, weil er aus missbilligenswerten Motiven die Absicht hat, gerade diesem Schuldner Schaden zuzufügen15. Das Recht des Gläubigers, von einem Schuldner seiner Wahl die Leistung zu verlangen, bedeutet aber nicht, dass hierdurch andere Schuldner von der Leistung ausgeschlossen sind. Wenn die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner die anderen Schuldner befreit, bedeutet dies, dass auch ein „nicht ausgewählter“ Schuldner die Leistung erbringen kann16. Er leistet dann nicht als Dritter i.S.d. § 267, sondern erfüllt seine eigene Verbindlichkeit17. Insbesondere kann ein Gesamtschuldner auch dann dem Gläubiger die Leistung anbieten und ihn in Annahmeverzug versetzen, wenn der Gläubiger die Erfüllung durch einen anderen Gesamtschuldner bevorzugt. Das „Wahlrecht“ des Gläubigers besteht also nur dann, wenn keiner der Gesamtschuldner leistungsbereit ist. Sind sich die Schuldner einig und leistungsbereit, dann bestimmen sie und nicht der Gläubiger die Person des Leistenden. Neben dem römischen hat sich das deutschrechtliche Modell in Nischen erhalten. Es liegt der herrschenden Lehre zugrunde, wenn sie annimmt, dass bei Leistungen, die nur im Zusammenwirken erbracht werden können, eine gemeinschaftliche Schuld vorliegt, bei der die Schuldner notwendige Streitgenossen nach § 62 Fall 2 ZPO sind18. Ebenso findet es sich in der Vorstellung von „Gesamthandsschulden“ als besonderer Form der Schuldnermehrheit, bei der die Schuld14 Die Vorentwürfe und der Erste Entwurf sprachen noch von einer „Wahl“ durch den Gläubiger, VorlE und TeilE § 4; E I § 324. Dieses Wort wurde in der Zweiten Kommission durch „Belieben“ ersetzt, um den Eindruck zu vermeiden, der Gesetzgeber folge der Wahltheorie, wonach es sich beim Gesamtschuldverhältnis um ein subjektives Wahlschuldverhältnis handelt (oben, 59), Prot. 875 (Mugdan II, 605). Kritisch gegenüber dem „individualistischen“ Gesamtschuldmodell des Ersten Entwurfs von Gierke, Entwurf, 211 f. 15 RG JW 1938, 516, 519 (19.10.1937); BGH WM 1967, 397 (30.1.1967); BGH NJW 1983, 1423 (10.12.1983); BGH WM 1984, 906 (22.5.1984); BGH WM 1984, 1309 (13.7.1984); BGH NJW 1991, 1289 (22.1.1991); BGH ZIP 2007, 1705, § 15 (18.6.2007); BGH NJW-RR 2008, 176, § 25 (26.7.2007). Vgl. zum französischen Recht Mestre/Tian, Solidarité, §§ 52–60 m.w.N. 16 Dies wird insbesondere in der französischen Literatur betont; ausführlich Demolombe, Cours XXVI, § 318; ferner Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 298 ter, S. 27; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 114; Mestre/Tian, Solidarité, § 61; Le Tourneau/Julien, Solidarité, § 94; siehe auch Cass civ (25.3.1896), D.1896,1,294 (296); zum preußischen Recht Gruchot, Gruch 3 (1859), 310 f.; zum Schweizer Recht Gauch/Schluep/Schmid/Rey, OR AT 2, Rz 3927. Im 19. Jahrhundert wurde das Leistungsrecht des nicht „gewählten“ Gesamtschuldners als Argument gegen die Wahltheorie (wonach es sich beim Gesamtschuldverhältnis um ein Wahlschuldverhältnis handelt) herangezogen, Kuntze, Singularsuccession, 124; vgl. oben, 59 und 72. Das Gegenargument der Wahltheorie (Fitting, Correalobligationen, 194; Girtanner, Bürgschaft, 268 Fn. 221), jeder Dritte könne befreiend leisten, überzeugt aus dem im Text angegebenen Grund nicht. 17 Näheres unten, 254 f. 18 Hierzu oben, 134 ff.
234
VI. Der Zugriff des Gläubigers
ner nur zusammen schulden und daher auch nur gemeinsam verklagt werden können. Tatsächlich sind Schulden der deutschrechtlichen Gesamthandsgemeinschaften insofern keine römischen Gesamtschulden in Reinform, als für die Vollstreckung ins Gesamthandsvermögen Titel gegen alle Gesamthänder benötigt werden, so dass dem Gläubiger durch eine Einzelklage häufig nicht geholfen ist. Allerdings können die Titel auch in getrennten Prozessen erstritten werden, zumindest dann, wenn der Gläubiger seinen Klageantrag nicht auf die Vollstreckung ins Gesamthandsvermögen beschränkt19. Bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts wiederum hat sich die Vorstellung, dass die Schuldner gemeinschaftlich schulden, so verdichtet, dass schließlich den Schuldnern in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit die Qualität einer rechtsfähigen Gruppe zuerkannt wurde, so dass nun in erster Linie die Gesellschaft selbst schuldet20. Dies erscheint konsequent. Die Vorstellung, dass der Gläubiger auf die Schuldner gemeinschaftlich zugreifen muss, weil sie nur gemeinschaftlich schulden, lässt sich nach dem Recht des BGB widerspruchsfrei nur durch die Annahme eines eigenen Rechtssubjekts erklären.
2. Die Einrede der Teilung Wenn auch der Gläubiger nach römischem und Gemeinem Recht jeden Schuldner auf die Gesamtleistung belangen konnte, führte dies nicht immer mit Notwendigkeit dazu, dass der einzelne Schuldner auch zur Gesamtleistung verurteilt wurde. Schon das klassische römische Recht kannte für bestimmte Arten von Mitbürgen die Einrede der Teilung. Die Existenz einer solchen Einrede führt aber nicht dazu, dass aus Gesamtschulden Teilschulden werden21. Der Unterschied lässt sich an den verschiedenen Gruppen von Mitbürgen nach römischem Recht22 illustrieren. Ältere Bürgschaftsformen waren die sponsio und die fidepro19
Oben, 142 ff. Oben, 75 ff. 21 Es ist vielleicht Geschmackssache, ob man eine Schuldnermehrheit, bei der ein auf die Gesamtleistung verklagter Schuldner die vorherige Ausklagung der übrigen Schuldner in Höhe ihrer Anteile verlangen kann, als „Teilschulden mit Ausfallhaftung“ (vgl. Liebs, Klagenkonkurrenz, 183, 186 f., 248) oder, wie hier, als „Gesamtschulden mit Teilungseinrede“ bzw. als „Subsidiär-Gesamtschuld“ bezeichnet. Schmieder, Duo rei (vgl. etwa S. 193, 216, 255, 274), will in diesen Fällen gar nicht von Gesamtschulden sprechen. Ebenso stellt Caroni, ZBJV 103 (1967), 289, die deutschrechtliche Subsidiär-Gesamtschuld den Gesamt- und Teilschuldverhältnissen als eigene Schuldnermehrheitsform gegenüber. Dass hier anders verfahren wird, beruht auf drei Gründen: a) Auch mit einer Teilungseinrede schuldete der Schuldner ebenso die gesamte Leistung wie der Bürge, dem die Einrede der Vorausklage zusteht. b) Zumindest aus heutiger Sicht ist entscheidend, wer das Insolvenzrisiko der Mitschuldner trägt. In dieser Hinsicht gleicht der Schuldner mit Teilungseinrede dem gewöhnlichen Gesamtschuldner, nicht dem Teilschuldner. c) Historisch wurde diese Art von Schuldnermehrheit stets zu den Gesamtschulden (Korreal- oder Solidarobligationen) gezählt. Nach gemeinrechtlich herrschender Lehre stand die in der Nov. 99 gewährte (modifizierte) Teilungseinrede (dazu sogleich im Text) gerade allen vertraglichen Korrealschuldnern zu. 22 Zu ihnen Gai. 3,115 ff. Näheres unten, 1027 ff. 20
2. Die Einrede der Teilung
235
missio. Mehrere sponsores oder fidepromissores, die für dieselbe Schuld bürgten, wurden durch eine lex Furia zu echten Teilschuldnern23. Der Gläubiger konnte den einzelnen Schuldner von vornherein nur in Höhe seines Kopfteils verklagen. Die Insolvenz einzelner Schuldner ging stets zulasten des Gläubigers. Anders verhielt es sich mit der jüngeren Bürgschaftsform der fideiusso, aus der die moderne Bürgschaft hervorgegangen ist. Gab es für eine Schuld mehrere fideiussores (im Folgenden Mitbürgen genannt), dann konnte der Gläubiger den einzelnen Mitbürgen auf die ganze Schuld verklagen. Durch ein Reskript des Kaisers Hadrian wurde den Mitbürgen aber ein beneficium divisionis gewährt, eine Einrede der Teilung: Der in Anspruch genommene Mitbürge konnte vom Gläubiger verlangen, den geschuldeten Betrag unter allen solventen Mitbürgen aufzuteilen24. Die Ganzhaftung der Mitbürgen mit Teilungseinrede wies gegenüber Teilschulden drei Besonderheiten auf. Erstens handelte es sich nur um eine Einrede. Machte der beklagte Mitbürge die Einrede nicht geltend, wurde er zur Zahlung des vollen Betrags verurteilt. Auch wenn er freiwillig, etwa in Unkenntnis seiner Einrede, den Gesamtbetrag zahlte, konnte er die Differenz nicht zurückverlangen, weil es an einer Leistung auf eine Nichtschuld fehlte25. Zweitens wurde nicht der Betrag der ursprünglichen Schuld geteilt, sondern die Summe, die bei Klageerhebung gegen den Mitbürgen noch offen war und die der Gläubiger vom Mitbürgen verlangte26. Drittens, und praktisch besonders wichtig, fand die Teilung nur unter denjenigen Mitbürgen statt, die zur Zeit der Klageerhebung (genauer: der litis contestatio) gegen den, der die Einrede geltend machte, solvent waren. Der Anteil der insolventen Mitbürgen wurde, ähnlich wie heute beim Regress nach § 426 I 2, anteilig auf die solventen Mitbürgen aufgeteilt27. Mit der Erhebung der Einrede musste der beklagte Mitbürge also auf solvente Mitbürgen verweisen und eine entsprechende Reduzierung des geltend gemachten Betrags verlangen. Sofern es unsicher war, ob bestimmte Mitbürgen solvent waren, konnte der beklagte Mitbürge dem Gläubiger Sicherheit leisten, um die Minderung der geforderten Summe zu erreichen28. Die Erhebung der Teilungseinrede führte also zu einer ex nunc-Teilung der offenen Summe unter den zur Zeit der Klageerhebung solventen Mitbürgen. Diese Teilung war dann aber endgültig: Sofern ein Mitbürge später insolvent wurde, musste der Gläubiger den Ausfall tragen, wenn er noch nicht liquidiert hatte29. 23
Gai. 3,121. Gai. 3,121; Inst. 3,20,4; Ulpian D.46,1,10 pr. und 27; Gaius D.46,1,26; Paulus D.46,1,28; Papinian D.46,1,51,1–4; Severus C.8,40,3; anders bei Bürgen eines Vormunds, Papinian D.46,6,12. 25 Inst. 3,20,4; Papinian D.46,1,49,1. 26 Hatte etwa einer von zwei Mitbürgen schon freiwillig die Hälfte gezahlt und wurde dann vom Gläubiger auf Zahlung des Rests verklagt, konnte die Erhebung der Teilungseinrede nur dazu führen, dass er die Hälfte des ausstehenden Betrags, also noch ein weiteres Viertel der ursprünglichen Summe, zahlen musste. Allerdings half man hier mit einer besonderen exceptio, Papinian D.46,1,51,1; vgl. Julian D.46,3,37; Emunds, Solvendo, 217 ff. 27 Gai. 3,121; Inst. 3,20,4; Gaius D.46,1,26. 28 Ulpian D.46,1,10 pr. 29 Papinian D.46,1,51,4, D.46,1,52,1. 24
236
VI. Der Zugriff des Gläubigers
Der Gläubiger war dadurch gezwungen, die übrigen Mitbürgen, auf die sich der Beklagte mit der Erhebung der Einrede berufen hatte, unverzüglich zu belangen. Im Ergebnis nahm die Einrede der Teilung dem Gläubiger nicht den Vorteil der Sicherheit, wenn er die Rechtsverfolgung zügig betrieb, weil nur unter den Solventen aufgeteilt wurde. Anders als bei Teilschulden trugen grundsätzlich die einzelnen Schuldner das Risiko der Insolvenz ihrer Mitschuldner. Die Einrede nahm dem Gläubiger jedoch den Vorteil der „Bequemlichkeit“: Er musste seine Forderung anteilig eintreiben und notfalls mehrere Prozesse führen, und all dies zudem unverzüglich. Im Laufe der Zeit, spätestens im justinianischen Recht, wurde die Teilungseinrede auch anderen Gruppen von Gesamtschuldnern gewährt. Die überlieferten Quellen sind nicht einheitlich, so dass nicht sicher ist, ob diejenigen Stellen, welche eine Teilungseinrede gewähren, auf Interpolationen beruhen oder schon einen Meinungsstreit im klassischen Recht widerspiegeln30. Erwähnt wird die Einrede zum einen bei bürgenähnlichen Gesamtschuldnern, also Indemnitätspromittenten31, Constituenten32 und Kreditmandatoren33. Zum anderen findet sie sich häufig bei der Haftung mehrerer Vormünder, die bei gemeinsamer ungeteilter Verwaltung des Mündelvermögens solidarisch für Pflichtverletzungen einzustehen hatten34. Nach den überlieferten Quellen konnte der beklagte Vormund aufgrund eines besonderen Gesetzes sogar eine prozessuale Hinzuziehung seiner Mitvormünder verlangen35. Ob gewöhnliche vertragliche Gesamtschuldner vor Justinian von einer Teilungseinrede profitieren konnten, ist dagegen zweifelhaft36. Für die spätere Entwicklung im Gemeinen Recht von erheblicher Bedeutung war die Novelle 99, die Justinian 539 erließ. Sie betraf eine bestimmte Art von Mitschuldnern, die sich gemeinschaftlich verpflichteten, und hatte einen zweifachen Regelungsgehalt. Zum einen sollten, sofern eine ausdrückliche Ganzhaf-
30 Hierzu Liebs, Klagenkonkurrenz, 64, 187 f.; vgl. Eisele, AcP 77 (1891), 457 Fn. 75, 460; Binder, Korrealobligationen, 284 f., 294 ff.; Schulz, Rückgriff, 18 ff. 31 Papinian D.27,7,7. 32 Justinian C.4,18,3. 33 Die Einrede wird erwähnt bei Papinian D.27,7,7; dagegen nicht bei Paulus D.15,4,5,1, D.17,1,59,3; Diocletian C.8,40,23. Justinian behauptet in C.4,18,3, schon das Hadriansche Gesetz habe für Kreditmandatoren gegolten. 34 Erwähnt bei Papinian D.26,7,38, pr.-1, D.27,7,6; Ulpian D.27,3,1,11–12; Gordian C.5,51,5; dagegen nicht bei Tryphonin D.26,7,55 pr.; Diocletian C.5,51,6; Carinus C.5,52,2. Zur Teilungseinrede bei Magistraten, die Vormünder bestellen und dabei Pflichten verletzen, Celsus D.27,8,7; Gordian C.5,75,3. 35 So Papinian D.11,2,2; Gordian C.5,51,5; hierzu Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht, § 28 IV (S. 209) m.w.N. 36 Die Einrede wird erwogen im vielleicht interpolierten (Levy, Konkurrenz I, 217 f.; Liebs, Klagenkonkurrenz, 188; vgl. auch Schmieder, Duo rei, 192 ff.) Fragment Marcellus D.19,2,47, in dem es um mehrere Käufer und Mieter geht; vgl. auch Papinian D.26,7,38 pr. und Binder, Korrealobligationen, 296, 303, 309. Nach Schulz, Rückgriff, 19 ff., war die Teilungseinrede auch bei vertraglichen Gesamtschuldnern klassisches Recht.
2. Die Einrede der Teilung
237
tungsabrede fehlte, (echte) Teilschulden entstehen37. Zum anderen aber, und das ist im vorliegenden Zusammenhang relevant, sollte auch im Falle einer Ganzhaftungsabrede der beklagte Schuldner eine Hinzuziehung seiner Mitschuldner zum Zweck der Aufteilung verlangen dürfen. Der Richter wurde daher angewiesen, diejenigen Mitschuldner, die anwesend (also am selben Ort) waren, zum Prozess hinzuzuziehen, um dann den geschuldeten Betrag unter den solventen Mitschuldnern aufzuteilen. Für die gemeinrechtlichen Juristen in Deutschland und zunächst auch in Frankreich38 war dieses Gesetz Justinians nach wie vor unmittelbar anwendbar. Unklar war aber, auf welche Art von Schuldnermehrheit sich die Novelle bezog. Der griechische Originaltext sprach von λληλεγγως υπευ-νοι
(allelengýos hypeythýnoi). Generationen von Juristen haben sich ausführlich der Bedeutung dieses Begriffs gewidmet39, die heute nur noch von historischem Interesse ist40. Sicher ist, dass die Novelle 99 in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Novelle 4,1 steht, mit der Justinian die Einrede der Vorausklage für Bürgen einführte. Auch ein sachlicher Zusammenhang ist gegeben. Der Bürge, der „materiell“ nur für eine fremde Schuld haftete, sollte vom Gläubiger verlangen können, dass dieser sich in erster Linie an denjenigen hielt, der „materiell“ der Schuldner war. Der Mitschuldner in der Novelle 99 sollte zwar nicht die vorherige, wohl aber die zeitgleiche Verklagung der übrigen Mitschuldner verlangen können, die für ihren internen Anteil, wie der Hauptschuldner in Novelle 4,1, in erster Linie zu belangen waren. Im Ergebnis lag also auch der Novelle 99 der Gedanke zugrunde, dass derjenige, der für eine Schuld haftet, für die er intern nicht primär zuständig ist, nur subsidiär haften soll. Die Mitschuldner der Novelle 99 hatten sich, so gesehen, jeweils für die internen Anteile der übrigen „verbürgt“. Streitig war aber, welche Konsequenzen aus dieser Erkenntnis zu ziehen waren. Handelte es sich, wie viele annahmen, um Korrealschuldner (also vertragliche Gesamtschuldner), die sich jeweils für die übrigen verbürgt hatten?41 Aber welchen Sinn machte eine gegenseitige Verbürgung, wenn ohnehin Gesamtschulden bestanden? Waren es nicht vielmehr Teilschuldner, die für die Anteile der übrigen eine Bürgschaft übernommen hatten?42 Aber galt für diese nicht schon die 37
Hierzu schon oben, 13. Domat, Loix civiles, § 1831; anders dann aber Pothier, Obligations, § 270. 39 Nachweise zum (jeweiligen) Streitstand etwa bei Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst.3,16(17),1, § 1; Glück, Pandecten IV, 526 f.; Savigny, Obligationenrecht I, 280 ff.; Vangerow, Pandekten, § 573 Anm. 4; Dedekind, AcP 40 (1857), 380 ff.; Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 47; Kaser, Römisches Privatrecht II, § 277 Fn. 9. 40 Hierzu Wolff, FS Volterra III, 735 ff. m.w.N. 41 So Donellus, Commentarii in Codicem, zu C. 8,39, Kap. 13; Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 4; Pothier, Obligations, § 270; Bucher, Forderungen, § 117; Braun, Erörterungen I, § 227 (S. 245); Savigny, Obligationenrecht I, 282 ff.; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap III/1, zu 3 (S. 94 ff.); Mitteis, Individualisirung, 70 Fn. 95; kritisch Brinz, KritBl 4 (1853), 35 ff. 42 So Dedekind, AcP 40 (1857), 264 ff. und 380 ff.; von Helmolt, Correal-Obligationen, 110 ff.; Hölder, AcP 69 (1886), 238 ff.; OAG München, SeuffA 12 Nr. 13 (15.9.1857); aus heutiger Zeit Bentele, Gesamtschuld, 134 f. 38
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VI. Der Zugriff des Gläubigers
Novelle 4,1? Bestand daher der Sinn der Novelle darin, bei unspezifischer Verpflichtung mehrerer mit Ganzhaftungsabrede solche Teilschulden mit gegenseitiger Verbürgung anzunehmen?43 Oder handelte sie von Schuldnern, die an der Schuld nur anteilig interessiert waren (etwa bei einem Darlehen, das anteilig an die Schuldner gezahlt wurde), aber trotzdem die gesamtschuldnerische Haftung übernommen hatten, so dass insofern eine „materielle“ Verbürgung für die Anteile der übrigen vorlag?44 Aber sollte die Frage, ob im Innenverhältnis alle anteilig oder einer allein schuldete, im Außenverhältnis zum Gläubiger relevant sein? Die wohl zu allen Zeiten herrschende Lehre nahm demgegenüber an, dass die Novelle 99 allgemein von vertraglichen Gesamtschuldnern handelt45. Der enge Zusammenhang mit der Novelle 4,1 sollte darauf beruhen, dass mit jeder vertraglichen Gesamtschuld nicht der Form, aber der Sache nach eine Verbürgung für die Anteile der übrigen Mitschuldner verbunden war. Im Ergebnis gewährte also die stets herrschende Lehre und offenbar auch die überwiegende Praxis46 allen vertraglichen Gesamtschuldnern eine Art Teilungseinrede. Dies ist aus heutiger Sicht erstaunlich, insbesondere angesichts der Tatsache, dass es nach Gemeinem Recht keine Gesamtschuldvermutung gab, Gesamtschulden also ohnehin nur dann entstanden, wenn die Parteien sie besonders vereinbart hatten. Trotz dieser Gesamtschuldabrede sollte der einzelne Schuldner das Recht auf eine Aufteilung der geschuldeten Leistung unter den solventen Mitschuldnern haben und damit dem Gläubiger zwar nicht die Sicherheit, aber die Leichtigkeit der Rechtsverfolgung wegnehmen können. Welche Bedeutung diese Teilungseinrede in der Praxis hatte, ist schwer einschätzbar. Die Einrede war nach allgemeiner Meinung abdingbar. Möglicherweise wurden Gesamt43 So Burchardi, AcP 19 (1836), 49; gefolgt von Koch, Forderungen II, 36 f.; Brackenhoeft, Identität, 153 Fn. 31. 44 So Vangerow, Pandekten, § 573 Anm. 4; Windscheid, Pandekten, § 293 Fn. 10. 45 Grotius, Inleiding III, 3, §§ 8 ff.; Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst.3,16(17),1, § 1; Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 4 (nur im Ergebnis, weil er die Teilungseinrede nicht auf die Novelle 99 zurückführte); Domat, Loix civiles, § 1831; Höpfner, Commentar, § 818; Stryck und Lauterbach, zitiert bei Binder, Korrealobligationen, 485; Thibaut, Pandekten, § 227; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 176 I; Ribbentrop, Correal-Obligationen, 116 Fn. 18; Wening-Ingenheim, ZCRPr 4 (1831), 382; ders., Lehrbuch I, § 207; Appelius, AcP 16 (1833), 295 f.; von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 438 ff.; Göschen, Obligationenrecht, § 374 Nr. 5; Mühlenbruch, Pandekten, § 492; Puchta, Pandekten, § 235; ders., Vorlesungen, § 235; Seuffert, Pandekten, § 228 bei Fn. 14; Bornemann, Preußisches Civilrecht II, 655; Girtanner, Bürgschaft, 127 ff., 548 f.; Wächter, Pandekten, § 177 III 7; Brinz, Pandekten II/1, § 236 Nr. 5, § 253 zu Fn. 39 und 77 (S. 168 f., 177 f.); Arndts, Pandekten, § 215; Wendt, Pandekten, § 208 Nr. 2; Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 55 f.; Sintenis, Civilrecht, § 89 bei Fn. 47; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 383; Dernburg, Pandekten II, § 73 Nr. 1; Binder, Korrealobligationen, 300 ff., 485; Mitteis, Reichsrecht, 184; Sohm/Mitteis, Römisches Privatrecht, § 62 IV; Kaser, Römisches Privatrecht II, § 277 I 3; Wesener, Labeo 11 (1965), 355; Wolff, FS Volterra III, 735 ff. 46 Dies wird zumindest behauptet bei Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 4; Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst.3,16(17),1, § 1; Glück, Pandecten IV, 527; Dedekind, AcP 40 (1857), 397 ff. m.w.N.; Thibaut, Pandekten, § 227; Koch, Forderungen II, 37; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap III/1, zu 3 (S. 94); Windscheid, Pandekten, § 293 Fn. 10; Arndts, Pandekten, § 215, Anm.; Unger, JhJb 22 (1884), 273.
2. Die Einrede der Teilung
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schuldabreden häufig, vielleicht sogar routinemäßig mit einem Verzicht auf die Einrede verbunden47. Streitig war zudem, ob die Einrede auch denjenigen zustand, die Gesamtschuldner nicht durch besondere Abrede, sondern nach den Regeln der adjektizischen Haftung waren, also Gesellschafter und andere Personenmehrheiten, die sich bei Vertragsschluss durch eine Person vertreten ließen48. Auf der anderen Seite sind aus dem 19. Jahrhundert zahlreiche Urteile überliefert, die sich mit der Teilungseinrede bei Gesamtschuldnern befassen und sie bei gewöhnlichen vertraglichen Gesamtschuldnern in der Regel auch bejahen49. In dem Umfang, wie die Teilungseinrede anerkannt war, hatte die gemeinrechtliche Vertragsgesamtschuld also für den Gläubiger eine andere Bedeutung als heute. Interessanterweise findet sich auch in der einheimischen Tradition ein Äquivalent zur gemeinrechtlichen Teilungseinrede. Die deutschrechtliche Gesamthandsschuld war dadurch geprägt, dass jeder Schuldner für die gemeinsame Schuld solidarisch haftete, also im Ergebnis das Insolvenzrisiko seiner Mitschuldner trug. Hierfür sind aber zwei Formen überliefert. Neben die ältere, nach welcher der einzelne Schuldner von vornherein für die Gesamtleistung haftete, trat eine jüngere, nach welcher der einzelne Schuldner primär nur für seinen Anteil und erst subsidiär für die Anteile der übrigen Mitschuldner haftete, nämlich dann, wenn diese nicht zahlen konnten50. Ob diese letztere Form der „Subsidiär-Gesamtschuld“ genuin einheimisches Gedankengut ist51 oder durch die Teilungseinrede des römischen Rechts beeinflusst war, ist nicht sicher. Bluntschli nahm sie in das Züricher Gesetzbuch von 1855 als Regelfall der Schuldnermehrheit auf52. Bei der gemeinrechtlichen, auf die Novelle 99 gestützten Teilungseinrede waren nicht nur ihre Voraussetzungen unklar und strittig, sondern auch ihre ge47
So für Frankreich Domat, Loix civiles, § 1831 Fn. f; Pothier, Obligations, § 270. Für die Anwendung der Teilungseinrede Appelius, AcP 16 (1833), 302; Gensel, ArchPrRW nF 1 (1864), 190; Thibaut, Pandekten, §§ 872, 885; Bucher, Forderungen, § 157; Sintenis, Civilrecht, § 121 Fn. 98; dagegen Glück, Pandecten, Bd. XIV, 190 f. und 255 f., Bd. XV, 466, jeweils m.w.N.; von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT, Kap. VIII/2, Nr. 9 (S. 580 f.); Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, §§ 211 a.E., 271; Vangerow, Pandekten III, § 653, II 2 (S. 493); Wächter, Pandekten, § 177 III 7; Thöl, Handelsrecht I/1 (5. Aufl. 1875), 387, 395 f.; OAG Zwickau und OAG Dresden, SeuffA 3 Nr. 360 (8.7.1848/24.2.1849) und SeuffA 9 Nr. 328 (1854); OAG München, SeuffA 12 Nr. 13 (= ZHR 2, 417; 15.9.1857); OAG Celle, ZHR 1 (1858), 161; wohl auch ROHGE 5, 81 (31.1.1872). 49 So OAG Wolfenbüttel, SeuffA 9 Nr. 140 (5.2.1833) und SeuffA 23 Nr. 28 (1847); OAG Lübeck, SeuffA 8 Nr. 134 (8.11.1838) und SeuffA 25 Nr. 25 (12.3.1870); OAG Darmstadt, SeuffA 12 Nr. 336 (10.10.1840) und SeuffA 13 Nr. 95 (21.1.1859); OAG Jena, SeuffA 13 Nr. 134 (26.4.1852); OAG Dresden, SeuffA 10 Nr. 22 (7.11.1854); dagegen OAG Lübeck, SeuffA 2 Nr. 173 (o.D.); OAG München, SeuffA 12 Nr. 13 (15.9.1857); OG Wolfenbüttel, SeuffA 25 Nr. 223 (23.6.1855). 50 Stobbe, Geschichte, 157, 161 ff.; ders., Handbuch III, 167 f.; Bluntschli, Deutsches Privatrecht, § 110 Nr. 5; Heusler, Institutionen II, 260; F. Schmidt, Handelsgesellschaften, 67 f.; von Gierke, Schuld und Haftung, 113; ders., Deutsches Privatrecht III, 250, 790; Caroni, ZBJV 103 (1967), 292 ff. 51 So Caroni, ZBJV 103 (1967), 289, insbes. 306 ff., 316 f. 52 ZürGB §§ 935 b, 936, 948. Hierzu Schneider, KrVJS 26 (1884), 465 („verkünstelte Construction“, die aber in der Praxis geschätzt werde); Caroni, ZBJV 103 (1967), 295 ff., 304 ff. 48
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VI. Der Zugriff des Gläubigers
nauen Rechtsfolgen. Nach dem Wortlaut der Novelle war es Amtspflicht des Richters, die am Ort anwesenden Mitschuldner zum Prozess hinzuzuziehen und dann alle, soweit solvent, gleichmäßig zu verurteilen. Doch von einer Pflicht oder auch nur einem Recht des Richters, unbeteiligte Dritte als Beklagte zum Prozess zu laden, ging weder die Literatur noch die Praxis (zumindest im 19. Jahrhundert) aus. Vereinzelt nahm man statt dessen eine exceptio plurium litis consortium an, also ein Recht des Schuldners, sich nicht auf den Prozess einlassen zu müssen, wenn der Gläubiger nicht sämtliche Schuldner gemeinsam verklagt53. Meist aber wurde die Novelle 99 rein materiellrechtlich interpretiert54: In der Literatur wurde die in der Novelle gewährte Einrede häufig schlicht der Teilungseinrede der Mitbürgen gleichgestellt55. Sie hatte dann lediglich zur Folge, dass der beklagte Gesamtschuldner bei Existenz solventer und ohne Schwierigkeiten belangbarer Mitschuldner eine Herabsetzung des geltend gemachten Betrags verlangen konnte. Manche nahmen nach dem Vorbild des beneficium divisionis der Mitbürgen an, dass die Teilung dann endgültig war56. Andere lehnten die Einrede der Novelle 99 an die Einrede der Vorausklage des Bürgen an. Danach konnte der beklagte Gesamtschuldner verlangen, dass der Gläubiger sich für die Anteile der Mitschuldner zunächst an diese hielt. Die Einrede führte damit nicht zu einer endgültigen, sondern nur zu einer vorläufigen Teilung: Soweit der Gläubiger von den Mitschuldnern nichts erlangen konnte, durfte er sich wieder an den ursprünglich Beklagten halten57. So wurde die Einrede wohl auch überwiegend in der Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts gehandhabt. Erhob ein Gesamtschuldner die Teilungseinrede, war zu prüfen, ob es solvente Mitschuldner gab, die der Gläubiger ohne zusätzliche Schwierigkeiten verklagen konnte. Hierfür trug nach überwiegender Meinung der beklagte Schuldner die Beweislast58. Die erfolgreiche
53 Wächter, Pandekten, § 177 III 7; Brinz, Pandekten, § 253 bei Fn. 82; wohl auch Windscheid, Pandekten, § 293 Fn. 10. 54 So auch Dedekind, AcP 40 (1857), 423; Wendt, Pandekten, § 208 Nr. 2; vgl. Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 47 a.E.; Dernburg, Pandekten II, § 73 Nr. 1. 55 Etwa bei Wening-Ingenheim, ZCRPr 4 (1831), 405 ff.; Thibaut, Pandekten (8. Aufl.1834), § 138; Göschen, Obligationenrecht, § 374 Nr. 5; Mühlenbruch, Pandekten, § 492; Puchta, Pandekten, § 235; Seuffert, Pandekten, § 228 bei Fn. 14; Brinz, Pandekten, § 236 Nr. 5, § 253 Fn. 78; Arndts, Pandekten, § 215; Sintenis, Civilrecht, § 89 bei Fn. 47; Unger, JhJb 22 (1884), 274. 56 Wening-Ingenheim, ZCRPr 4 (1831), 382 m.w.N. (S. 384); Thibaut, Pandekten (1834), § 138; Puchta, Vorlesungen, § 235; Brinz, Pandekten, § 236 Nr. 5; Seuffert, Pandekten, § 228 bei Fn. 14; Arndts, Pandekten, § 215. 57 So Domat, Loix civiles, § 1831; Höpfner, Commentar, § 818; Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, § 207 a.E.; von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 441 ff.; Dedekind, AcP 40 (1857), 423 ff.; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap III/1, zu 3 (S. 95 f.); Girtanner, Bürgschaft, 548 f.; Wendt, Pandekten, § 208 Nr. 2; ähnlich Windscheid, Pandekten, § 293 Fn. 10. Im Ergebnis ebenso Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 176 X; Sintenis, Civilrecht, § 89 bei Fn. 48, wonach auch bei Mitbürgen die Teilung nicht mehr endgültig sein sollte, weil diese Wirkung allein auf der überkommenen Klagenkonkurrenz beruht habe. 58 So OAG Wolfenbüttel, SeuffA 9 Nr. 140 (5.2.1833) und SeuffA 23 Nr. 28 (1847); OAG Darmstadt, SeuffA 12 Nr. 336 (10.10.1840); OAG Lübeck, SeuffA 25 Nr. 25 (12.3.1870); anders OAG Darmstadt, SeuffA 13 Nr. 95 (21.1.1859).
2. Die Einrede der Teilung
241
Geltendmachung der Einrede führte dazu, dass der Beklagte für die Anteile der Mitschuldner nur subsidiär haftete, der Gläubiger insofern sich zunächst an diese halten musste59. Anders aber entschied das Reichsgericht 1885. Danach sollte die wesentliche Bedeutung der durch die Novelle 99 gewährten Einrede nicht im materiellen, sondern im Prozessrecht liegen, nämlich in der Hinzuziehung der Mitschuldner durch den Richter. Nachdem die CPO keine Hinzuziehung Dritter als Beklagte zulasse, sei die Novelle insofern mit dem Gesetz nicht vereinbar. Auch eine materiellrechtliche Auslegung, wonach der Beklagte eine Teilung verlangen kann, sei nicht zulässig, weil sie die Lage des Gläubigers verschlechtere, der nach dem Wortlaut der Novelle immerhin im Rahmen des von ihm angestrengten Prozesses ein Urteil auf den gesamten geschuldeten Betrag (wenn auch gegen mehrere) erhalte. Daher sei die gesamte Novelle 99 nicht mehr geltendes Recht60. Mit diesem eher überraschenden61 Urteil läutete das Reichsgericht das Ende der Teilungseinrede für vertragliche Gesamtschuldner schon 15 Jahre vor Inkrafttreten des BGB ein. Es ist wenig erstaunlich, dass die gemeinrechtliche Teilungseinrede bei den Verfassern der Kodifikationen und Entwürfe keine Freunde fand. Schon die gemeinrechtlichen Schriftsteller kritisierten, die Teilungseinrede sei mit dem Wesen und der Funktion der Gesamtschuld unvereinbar, weil sie die Rechtsverfolgung durch den Gläubiger unnötig erschwere62. Im Handelsrecht wurde die Einrede, falls man sie hier überhaupt anwendete63, spätestens 1861 durch das ADHGB ausgeschlossen64. Aber auch im bürgerlichen Recht wurde sie, sieht man von der Subsidiär-Gesamtschuld des deutschrechtlich geprägten Züricher Gesetzbuchs ab, für Vertragsgesamtschuldner von allen Kodifikation und Entwürfen abgelehnt. Angesichts der unsicheren gemeinrechtlichen Lage stellten viele Regelwerke die Nichtanwendbarkeit bzw. Abschaffung des beneficium divisionis ausdrücklich klar65. Auch bei Schaffung des BGB bestand über diesen Punkt völlige
59 OAG Lübeck, SeuffA 8 Nr. 134 (8.11.1838) und SeuffA 25 Nr. 25 (12.3.1870); OAG Jena, SeuffA 13 Nr. 134 (26.4.1852); OAG Dresden, SeuffA 10 Nr. 22 (7.11.1854). 60 RGZ 12, 219 (30.1.1885, vgl. SeuffA 40 Nr. 281). 61 Kritisch Wendt, Pandekten, § 208 Nr. 2; Hellmann, AcP 78 (1892), 386 ff. 62 Vgl. Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 4 (S. 91); Wächter, Pandekten, § 177 III 7; Unger, JhJb 22 (1884), 274; Hölder, Wesen, 66; Dernburg, Preußisches Privatrecht II, § 49 Fn. 1. 63 Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst.3,16(17),1, § 1, berichtet, dass die Einrede unter Kaufleuten in Antwerpen nicht angewendet wurde. Nach Thibaut, § 227 (1834: § 138), der sich auf Lauterbach berief, galt die Einrede im Handelsrecht grundsätzlich nicht; anders Appelius, AcP 16 (1833), 302. 64 Art. 281 ADHGB. Die Bestimmung beruhte auf Art. 215 II des Preußischen Entwurfs (der sie wegen der Novelle 99 zur Klarstellung aufgenommen hatte) und war bei der Gesetzgebung unstrittig. 65 CMBC IV 1, § 32; CC Art. 1203; HessE IV 1 Art. 7 II; SächsGB § 1024 S. 3; DresdE Art. 234 II (vgl. Dresd.Prot. 52); Hamburger EG zum ADHGB v. 22.12.1865, § 30 (abgedruckt bei Bühler, Entstehung, 207).
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VI. Der Zugriff des Gläubigers
Einigkeit66. Die Abschaffung der Teilungseinrede fiel umso leichter, als dass die Mehrheit der Regelwerke für Gesamtschulden einen gesetzlichen Regressanspruch vorsah. Die Aufteilung der Schuld unter die solventen Schuldner wurde damit ins Innenverhältnis verlegt. Wenn es im preußischen ALR hieß „der in Anspruch genommene kann zwar seine Mitverpflichteten zur gemeinschaftlichen Vertheidigung, oder Leistung der übernommenen Verbindlichkeit auffordern; durch diese Aufforderung aber darf der Berechtigte in Verfolgung seines Anspruchs nicht aufgehalten werden“67, dann bezieht sich diese Bestimmung nicht auf ein Recht des Gesamtschuldners, zusammen mit seinen Mitschuldnern verklagt zu werden, sondern lediglich auf das prozessuale Institut der Streitverkündung, das schon in der preußischen Allgemeinen Gerichtsordnung vorgesehen war68 und sich heute in §§ 72 ff. ZPO findet. Es trägt dem Interesse des Gesamtschuldners Rechnung, seine Mitschuldner als Nebenparteien zum Prozess hinzuzuziehen, um einerseits seine Verteidigungsmöglichkeiten zu erweitern und andererseits einen Regressanspruch gegen die Mitschuldner abzusichern. Die Streitverkündung schneidet den Mitschuldnern die Möglichkeit ab, sich im Regressprozess auf die Unrichtigkeit des ergangenen Urteils zu berufen, macht sie aber nicht zu Beklagten des laufenden Prozesses69.
3. Der mehrfache Zugriff Auch wenn der Gläubiger das Recht hat, sich an einen einzigen Schuldner für die Gesamtleistung zu halten und ein entsprechendes Urteil zu erwirken, muss dies nicht notwendig zu seiner Befriedigung führen, insbesondere dann nicht, wenn der Schuldner insolvent ist. Der Gläubiger kann also ein Interesse daran haben, nach oder neben dem ersten Gesamtschuldner einen zweiten auf die Gesamtleis66 VorlE 1878, These 5; Motive zum VorlE, 24 f. (Schubert, SR III, 1236 f.); Motive zum TeilE, 18 (Schubert, SR I, 70); zur Ersten Kommission Jakobs/Schubert, SR I, 896, 907; Mot. II, 158 f. (Mugdan II, 87). Kritisch aber von Gierke, Entwurf, 211, der eine Subsidiär-Gesamtschuld wie im Züricher Gesetzbuch vermisst und diese sogar als Regelfall aufstellen will; skeptisch auch Reatz, Gemeinschaftliche Schuld, 1172 ff. 67 ALR I 5, §§ 431 f. 68 AGO I 17, §§ 3 ff., insbes. § 17; siehe Begründung des Revisionsentwurfs zum ALR, zu §§ 389–419 (Schubert/Regge, Quellen II/3, 225 f.); Bornemann, Preußisches Civilrecht II, 660; Koch, ALR, zu I 5 § 432; ders., Forderungen II, 43 ff.; Gruchot, Gruch 3 (1859), 312 f.; Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht I, § 63 bei Fn. 69 (S. 404). 69 Vgl. zum preußischen Recht AGO I 17 §§ 10, 19, 22, 24, 29 f., 33; Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht I, § 63 bei Fn. 69 und nach Fn. 107 (S. 404, 413); Koch, Forderungen II, 45; Wienstein, Gruch 6 (1862), 494 f.; zum heutigen Recht § 74 i.V.m. §§ 67 f. ZPO. Zur Streitverkündung durch Gesamtschuldner im französischen Recht siehe Art. 109 i.V.m. Art. 331 ff. Nouveau Code de procédure civile (Dekret No. 72–684 vom 20.7.1972); Mestre/Tian, Solidarité, § 53; Le Tourneau/Julien, Solidarité, § 93; Cass 1 civ (22.4.1976), Bull Civ I No. 136; früher Art. 175 Code de procédure civile 1806; hierzu Demante/Colmet, Cours V, § 136 bis II; Demolombe, Cours XXVI, § 316; Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 298 ter, S. 28; Colin/Capitant, Cours II, 184.
3. Der mehrfache Zugriff
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tung zu belangen. Gerade diese Möglichkeit versagte ihm das klassische römische Recht, zumindest bei Stipulations-Gesamtschulden, bei Mitbürgen und bei den adjektizischen Klagen: Die Anhängigmachung der Klage gegen einen Gesamtschuldner konsumierte hier sämtliche Klagen gegen die Mitschuldner; eine neue Klage war daher nicht möglich70. Der Gläubiger konnte seine Sicherheit auch nicht dadurch erhöhen, dass er sämtliche Gesamtschuldner gemeinsam verklagte: In diesem Fall wurde die Urteilssumme spätestens bei der Vollstreckung unter den Schuldnern aufgeteilt71. Aus heutiger Sicht schien die Stipulations-Gesamtschuld also dem Gläubiger, der nur einmal zur Klage auf die Gesamtleistung berechtigt war, wenig Sicherheit zu bieten. Wie berichtet hängt die Klagekonkurrenz, die auch im Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner galt, mit der Härte des ursprünglichen römischen Vollstreckungsrechts zusammen: Die Sicherheit, dass der Gläubiger im Falle eines zusprechenden Urteils auch befriedigt wurde, war relativ groß. Die Gesamtschuldvereinbarung bot dem Gläubiger zumindest den Vorteil, auf einen beliebigen Schuldner für die Gesamtleistung zugreifen zu können, was dann von Nutzen war, wenn einzelne der Mitschuldner abwesend, in Gefangenschaft oder mit ungeklärter Nachfolge gestorben waren. Die Regel der Klagenkonkurrenz, die dem älteren römischen Prozessrecht entstammt, wurde offenbar zunehmend als unpraktisch empfunden. Zur Umgehung boten sich besondere Gestaltungsmöglichkeiten an. Bei der Interzession konnte der Interzedent statt einer gewöhnlichen Bürgschaft auch eine Ausfallbürgschaft übernehmen, indem er dem Gläubiger versprach, ihm das zu leisten, was er vom Schuldner nicht erlangen konnte. In diesem Fall bildeten die Obligationen des Hauptschuldners und des Ausfallbürgen keinen einheitlichen Streitgegenstand, so dass der Gläubiger zuerst die Gesamtleistung vom Hauptschuldner und dann den Ausfall vom Bürgen einklagen konnte72. Justinian berichtet 531, dass es mittlerweile üblich sei, die Klagenkonkurrenz bei Bürgschaften und Mitbürgschaften durch Parteivereinbarung (pactum) auszuschließen; möglicherweise galt dasselbe für Stipulations-Gesamtschulden73. In besonderen Fällen ließ zudem das Recht selbst Ausnahmen von der Klagenkonsumption zu. Der Prätor konnte nicht nur (bei indirekter Konkurrenz) die exceptio rei iudicatae bzw. in judicium deductae verweigern, sondern sogar bei direkter Konsumption die eigentlich untergegangene Klage gegen den zweiten Schuldner durch restitutio in integrum wiederherstellen74. Dies kam allerdings nur dann in Betracht, wenn aus besonderen Gründen die Wirkung der Klagenkonsumption härter erschien als im Normalfall; denkbar ist etwa der Fall, dass 70
Oben, 43 ff. Paulus D.42,1,43, D.17,1,59,3; Ulpian D.49,1,10,3; Alexander C.7,55,1, Gordian C.7,55,2; vgl. Alexander C.5,57,1; Levy, Konkurrenz I, 197 ff.; Liebs, Klagenkonkurrenz, 186 Fn. 325, 251. 72 Papinian D.45,1,116, D.27,7,7; Celsus D.12,1,42 pr.; Paulus D.46,3,21; Alexander C.5,57,2,2. 73 Justinian C.8,40,28; vgl. Kaser, Römisches Privatrecht II, § 277 II 1 (S. 455); Schmieder, Duo rei, 93 Fn. 303; jew. m.w.N. 74 Liebs, Klagenkonkurrenz, 256, 259; siehe etwa Papinian D.46,1,52,1. 71
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VI. Der Zugriff des Gläubigers
der Gläubiger die erste Klage nur aufgrund einer Täuschung erhoben hatte. Überliefert sind Fälle der Pekuliumsklage, bei der die Klagenkonkurrenz wegen der Haftungsbeschränkung besonders unbillig erschien: Hatte ein Sklave mehrere Eigentümer, die ihn jeweils mit einem eigenen Sondergut ausgestattet hatten und in keinem besonderen Innenverhältnis zueinander standen, dann haftete jeder Eigentümer zwar als Gesamtschuldner75, aber nur in Höhe des von ihm selbst zur Verfügung gestellten Sonderguts76. Angesichts dieser Haftungsbeschränkung konnte der Gläubiger mit einer Klage gegen einen der Eigentümer oft nur einen Teil seiner Forderung realisieren; Klagen gegen die anderen Eigentümer waren aber konsumiert. Hier halfen die Prätoren mit einer Wiederherstellung der Klagebefugnis77. Wie berichtet schaffte Justinian die Klagenkonkurrenz 531 endgültig ab78. Die moderne Gesamtschuld ist überall dadurch gekennzeichnet, dass der Gläubiger die Gesamtschuldner auch nacheinander auf die Gesamtleistung in Anspruch nehmen kann, solange er nicht befriedigt ist, womit er ein größtmögliches Maß an Sicherheit gewinnt. Als die modernen Kodifikationen und Entwürfe entstanden, galt die Klagenkonkurrenz schon seit über einem Jahrtausend nicht mehr. Doch wegen ihrer herausragenden Bedeutung in der Gesamtschulddogmatik und ihrer Erwähnung in den überlieferten römischen Quellen hoben die meisten Regelwerke das heute selbstverständliche Recht des Gläubigers, nach Klageerhebung oder Urteil gegen einen Gesamtschuldner einen zweiten zu verklagen, besonders hervor79. Im Ersten Entwurf zum BGB hieß es ausdrücklich, der Gläubiger könne seine Wahl bis zu seiner Befriedigung beliebig wieder ändern80. Die Zweite Kommission lehnte sich demgegenüber an die Formulierung im Schweizer Obligationenrecht81 an und drückte denselben Gedanken im heutigen § 421 Satz 2 aus, wonach bis zur Bewirkung der ganzen Leistung sämtliche Schuldner verpflichtet bleiben82. Nicht ganz geklärt war aber im Gemeinen Recht, ob der Gläubiger auch dann Klage gegen einen zweiten Gesamtschuldner erheben konnte, wenn der Prozess 75
Oben, 16. Ulpian D.15,1,13 und l.15, l.32 pr.; Julian D.15,1,14, pr.-1 und l.16, l.37,2. War das Sondergut dagegen gemeinschaftlich, haftete jeder in Höhe des gesamten Sonderguts: Ulpian D.15,1,11,9 und l.15; Gaius D.15,1,27,8; Julian D.15,1,37,2 a.E.; Scaevola D.15,1,51. Siehe Drosdowski, Actio pro socio, 127 f., und die in der nächsten Fn. Genannten. 77 Ulpian D.15,1,30,5 und l.32 pr.; Paulus D.15,1,47,3; hierzu Keller, Litis Contestation, 544 ff.; Bekker, Consumption, 310 ff.; Levy, Konkurrenz I, 241 ff.; Liebs, Klagenkonkurrenz, 257 f.; Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht, § 51 II 2. 78 C.8,40,28; oben, 45 f. 79 ALR I 5 § 434 (allerdings hatte sich Svarez gegen diese Vorschrift ausgesprochen, weil er in der Belangung eines Gesamtschuldners einen Verzicht des Gläubigers auf Belangung der übrigen sah, siehe Bornemann, Preußisches Civilrecht II, 659 Fn. 3); zum CMBC Kreittmayr, Anmerkungen IV, 82 f.; CC Art. 1204; ABGB § 891 S. 3; SächsE § 600 II; HessE IV 1 Art. 7 III; BayE II Art. 224; DresdE Art. 234 III (vgl. Dresd.Prot. 52); span. Código Civil, Art. 1144. 80 VorlE und TeilE, § 4, E I § 324; E-RJA § a (Jakobs/Schubert, SR I, 923, 964). 81 OR 1881 Art. 163 S. 2 (OR 1911 Art. 144 II). 82 Prot. 875 (Mugdan II, 605). 76
4. Teilleistungen und der Verzicht des Gläubigers auf die solidarische Haftung
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mit dem ersten noch anhängig war. Manche Gerichte sprachen ihm unter Berufung auf die Einheit der Korrealobligation dieses Recht ab83. Diese Irritation hat sich unter den Regelwerken im österreichischen ABGB niedergeschlagen, nach dessen § 891 Satz 3 dem Gläubiger nach erhobener Klage gegen einen Gesamtschuldner die Wahl eines anderen Mitschuldners nur dann vorbehalten bleibt, wenn er von der ersten Klage „absteht“84. Von Kübel lehnte diese Regel, die seiner Ansicht nach auf einer übertriebenen Vorsorge gegen eine Doppeleintreibung durch den Gläubiger beruhte, für das BGB ab85. Auch in Österreich wurde die Vorschrift des § 891 Satz 3 kritisiert86 und wird mittlerweile, nachdem das moderne österreichische Prozessrecht kein „Abstehen“ von einer Klage (Klagerücknahme ohne Anspruchsverzicht) mehr kennt, nicht mehr angewendet87, so dass es dem Gläubiger heute überall frei steht, mehrere Schuldner nacheinander oder auch gleichzeitig in verschiedenen Prozessen auf die Gesamtleistung zu verklagen.
4. Teilleistungen und der Verzicht des Gläubigers auf die solidarische Haftung Selbstverständlich kann der Gläubiger auch Teilbeträge einklagen, insbesondere von einem Gesamtschuldner nur dessen internen Anteil verlangen88. Dies galt auch schon nach römischem Recht89, wobei auch hier die Klagenkonkurrenz zu beachten war: Klagte der Gläubiger gegen einen Gesamtschuldner auf dessen Anteil, wurde die Klage nur in dieser Höhe konsumiert. Der Gläubiger konnte also den Rest mit einer weiteren Klage, entweder gegen den ursprünglich Beklag-
83 OAG Celle, SeuffA 12 Nr. 12 (3.10.1956); OAG Kiel, SeuffA 20 Nr. 20 (7.4.1866). Anders aber OAG Lübeck, SeuffA 6 Nr. 257 (8.3.1853); OG Wolfenbüttel, SeuffA 19 Nr. 22 (4.11.1864); OAG Celle, SeuffA 20 Nr. 129 (17.9.1866). 84 ABGB § 891 S. 3; ebenso SächsE § 600 II 1. Näheres bei Last, Anspruchskonkurrenz, 232 ff. 85 Motive zum VorlE, 24 (Schubert, SR III, 1236); Motive zum TeilE, 18 (Schubert, SR I, 70). Ebenso der Sache nach schon Gruchot, Gruch 3 (1859), 318 ff.; RevisionsE zum ALR, Begründung zu §§ 398–419 (Schubert/Regge, Quellen II/3, 26); Bluntschli, Anm. zu § 940 ZürGB; dagegen aber Hruza, SächsArch 5 (1895), 198; Rocholl, Gegenentwurf, §§ 323 b und 323 c mit Anmerkungen. 86 Stellvertretend Unger, System II, 397 Fn. 32, 537 Fn. 17; Ehrenzweig/Mayrhofer, System II/ 1, § 14 IV, m.w.N. 87 OGH GlUNF Nr. 3804, S. 369 (11.6.1907); Stubenrauch, ABGB, § 891 Anm. III; Klang/ Gschnitzer, ABGB, § 891 Anm. II 2 b; Rummel/Gamerith, ABGB, § 891 Rz 9; Klang/Perner, ABGB, § 891 Rz 43. 88 Die Gesamtschuldregeln der Kodifikationen und Entwürfe heben dieses Recht meist ausdrücklich hervor: ALR I 5 § 433; CC Art. 1211 III; ABGB § 891 Satz 2; SächsE § 600 I 2; HessE IV 1 Art. 7 II; BayE II Art. 223; SächsGB § 1024 S. 2; DresdE Art. 234 I; OR 1881 Art. 163 (OR 1911 Art. 144 I); BGB § 421 Satz 1. Ebenso OAG Zwickau, SeuffA 3 Nr. 360 (8.7.1848). 89 Etwa Ulpian D.45,2,3,1; Papinian D.45,2,11 pr., D.46,1,51,2; Alexander C.5,57,1; Diocletian C.8,40,23; Liebs, Klagenkonkurrenz, 64, 186 Fn. 325; Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. I, § 154 Fn. 5, Bd. II, § 277 bei Fn. 4; Schmieder, Duo rei, 81 f.
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VI. Der Zugriff des Gläubigers
ten oder gegen einen anderen Gesamtschuldner, geltend machen90. Verklagte er dagegen sämtliche Gesamtschuldner auf ihre Anteile, dann war die gesamte Klage konsumiert, so dass er nun eine Forderung auf die Gesamtleistung nicht mehr geltend machen konnte91. Es ist aber auch ein Fragment überliefert, wonach ein Gläubiger, der eine Aufteilung der Schuld unter den Gesamtschuldnern zugelassen hat, die Vorteile der solidarischen Haftung verliert92. Hier ist offenbar nicht von der Klagenkonkurrenz die Rede, sondern von einem Verzicht des Gläubigers auf die Solidarhaftung zugunsten einer Anteilshaftung. Bei den Schriftstellern des Gemeinen Rechts wurden die römischen Quellen über die Wirkung der Klagenkonkurrenz bei anteiliger Klage gegen alle Schuldner und über die Wirkung eines Verzichts auf die Solidarhaftung nicht immer unterschieden. Es findet sich daher häufig die Ansicht, ein Gläubiger, der sämtliche Schuldner durch eine gemeinsame Klage anteilig in Anspruch nehme, verzichte damit notwendig auf die solidarische Haftung, so dass Teilschulden entstehen93. Andere hielten dagegen, ein Verzicht des Gläubigers könne nicht schon bei einer anteiligen Klage gegen alle (oder bei einer Teilklage gegen einen) vermutet werden, sondern müsse besonders erklärt werden94. Auch die These, dass ein Gläubiger, der von einem Gesamtschuldner dessen internen Anteil an der Leistung entgegennimmt, diesem gegenüber auf die Solidarhaft verzichtet95, lehnte man im 19. Jahrhundert in Deutschland überwiegend ab96. In Frankreich hatte sich Pothier besonders ausführlich mit der Frage beschäftigt, unter welchen Umständen ein Verzicht des Gläubigers auf die Solidarhaft zu vermuten sei, und eine Fülle detaillierter Regeln vorgelegt97, die der Code Civil im Wesentlichen übernahm. Nach Art. 1211 CC entlässt der Gläubiger einen Gesamtschuldner aus der solidarischen Haftung, wenn er von diesem eine Teilleistung entgegennimmt, die dessen internem Anteil entspricht, aber nur dann, wenn der Gläubiger dem Schuldner ausdrücklich den Empfang „seines Anteils“ bestä90
Pomponius D.30,8,1 (insoweit wohl echt). Gordian C.8,40,16. 92 Diocletian C.2,3,18. 93 Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 4, zu D.46,1, § 26; Glück, Pandecten IV, 525; Wening-Ingenheim, ZCRPr 4 (1831), 403 ff.; Göschen, Obligationenrecht, § 374 Nr. 2; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap III/1, zu 4 (S. 97); Puchta, Vorlesungen, § 235 bei Fn. 6; Seuffert, Pandekten, § 228 bei Fn. 13; Sintenis, Civilrecht, § 89 bei Fn. 45; Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 113. 94 Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,40(41),23, § 4; Kreittmayr, Anmerkungen IV, 83; Koch, Forderungen II, 29; Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, § 207 bei Fn. z; Fitting, Correalobligationen, 217 f., Fn. 239; Savigny, Obligationenrecht I, 160 Fn. b; Arndts, Pandekten, § 215; Burchardi, Obligationenrecht, § 247 bei Fn. 38; Seuffert, Pandekten, § 228 bei Fn. 13. 95 So Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 4 m.w.N. 96 von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap III/1, Nr. 5 m.w.N. (S. 97); Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 91; Wening-Ingenheim, ZCRPr 4 (1831), 398 ff.; Fitting, Correalobligationen, 217 f.; Gruchot, Gruch 3 (1859), 321 f.; Sintenis, Civilrecht, § 89 bei Fn. 45; Arndts, Pandekten, § 215. 97 Pothier, Obligations, §§ 277–279; vgl. schon Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,40(41),23, §§ 5 ff. 91
4. Teilleistungen und der Verzicht des Gläubigers auf die solidarische Haftung
247
tigt, und auch dann nicht, wenn der Gläubiger sich den solidarischen Zugriff vorbehält. Ebenso soll eine Klage gegen einen Gesamtschuldner, die ausdrücklich auf dessen Anteil gerichtet ist, diesem gegenüber einen Verzicht auf die Solidarhaftung bewirken, aber nur dann, wenn entweder der belangte Schuldner den Teilanspruch anerkennt (wegen des Vertragsprinzips beim Verzicht) oder wenn er nach der Teilklage verurteilt wurde. Art. 1212 CC enthält schließlich Sonderregeln für Schulden mit wiederkehrenden Leistungsverpflichtungen: Bestätigt hier der Gläubiger einem Gesamtschuldner den Empfang „seines Anteils“ an einer Raten- oder Zinszahlung, soll er auf die Solidarhaft nur hinsichtlich der betreffenden Rate verzichten, nicht wegen des offenen Rests, was wiederum anders ist, wenn der Gläubiger zehn Jahre lang von einem Schuldner stets „dessen Anteil“ in Empfang nahm (eine Art Verjährung der Solidarhaft durch Nichtgebrauch). Ob diese Regelungsfülle98 in einer Kodifikation richtig aufgehoben ist und überhaupt praktische Auswirkungen hat, lässt sich bezweifeln. Die CatalaKommission hat in ihrem 2005 vorgelegten Entwurf zu einer Reform des französischen Obligationenrechts99 die Art. 1211 und 1212 CC ersatzlos gestrichen. Für Mitbürgen gilt bis heute, dass ein Verzicht auf die Solidarhaft unwiderlegich vermutet wird, wenn der Gläubiger jeden für seinen internen Anteil verklagt100. Die deutschsprachigen Regelwerke fassten sich demgegenüber kürzer101. Um die bestehenden gemeinrechtlichen Streitigkeiten bei Anteilsforderungen zu beseitigen, sahen sie lediglich vor, dass ein Gläubiger, der von einem Gesamtschuldner dessen internen Anteil fordert oder entgegennimmt, nicht auf die Solidarhaft verzichtet102. Diese Regel legte auch der Gesetzgeber des BGB zugrunde103. Ursprünglich sollte sie durch § 324 E I ausgedrückt werden, wonach der Gläubiger, auch nach Teilforderungen, seine Wahl ändern kann104. Diese Vorschrift wurde dann zu § 421 Satz 2 umformuliert, wonach bis zur Bewirkung der ganzen Leistung sämtliche Schuldner verpflichtet bleiben. Anders als in den Vorgänger-Regelwerken wird also nicht ausdrücklich festgestellt, dass die Forderung oder die Empfangnahme des internen Anteils keinen Verzicht bedeutet. Dies ist aus heutiger Sicht auch nicht mehr nötig, nachdem die Einzelheiten des Gemeinen Rechts in Vergessenheit geraten sind. Ein Verzicht wird nicht vermutet, so dass die Vermutung nicht mehr besonders ausgeschlossen werden muss. Ob ein Gläu98 Zu weiteren Details Demolombe, Cours XXVI, §§ 467–493 (19. Jahrhundert); Mestre/Tian, Solidarité, §§ 121–127 (20. Jahrhundert); siehe auch Bentele, Gesamtschuld, 107 ff. Ähnliche Vorschriften enthält der ital. Codice Civile, Art. 1311–1313. 99 Catala (Hg.), Avant-projet de reforme du droit des obligations. 100 CC aF Art. 2027; nF Art. 2305. 101 Dem französischen Recht folgt nur CMBC-RevE 1811, § 29 Nr. 9–11. 102 ALR I 5, § 433; SächsE § 600 II 2; HessE IV 1 Art. 8; BayE II Art. 225; SächsGB § 1024 Satz 4; DresdE Art. 234 II 2 (siehe Dresd.Prot. 52, 104); OR 1881 Art. 163 (vgl. OR 1911 Art. 144). Zum österreichischen Recht § 891 Satz 3 und OGH GlUNF Nr. 3804 (11.6.1907); OGH SZ 41/ 123 (3.10.1968). 103 Motive zum VorlE, 24 (Schubert, SR III, 1236); Motive zum TeilE, 17 f. (Schubert, SR I, 69 f.); zur Ersten Kommission Jakobs/Schubert, SR I, 896, 907. 104 Vgl oben, 244.
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VI. Der Zugriff des Gläubigers
biger einen Gesamtschuldner von der Solidarhaft befreien will, richtet sich nach gewöhnlichen Regeln der Vertragsauslegung. Tatsächlich ist ein Verzicht auf die gesamtschuldnerische Haftung nichts anderes als ein Teilerlass: Der Gläubiger erlässt die Forderung gegenüber dem betreffenden Gesamtschuldner in Höhe der internen Anteile der Mitschuldner. Die Frage, welche Wirkungen ein solcher Erlass gegenüber dem Erlasspartner und gegenüber den übrigen Gesamtschuldnern hat, ist daher eine Frage der Auslegung des § 423.
5. Die Erfüllung Gesamtschulden unterscheiden sich von kumulierten Schulden dadurch, dass nach § 421 der Gläubiger die von jedem geschuldete Leistung insgesamt nur einmal erhalten soll. Nach § 422 I 1 wirkt die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner auch für die übrigen Schuldner. Diese Vorschrift, die auf den ersten Blick als eine selbstverständliche Konsequenz aus § 421 erscheint, hat nach 1900 zu Irritationen geführt: Wie sollte man sich – angesichts des mittlerweile allgemein akzeptierten Modells der Forderungsmehrheit – den Einfluss der Leistung eines Gesamtschuldners auf die Verpflichtung seines Mitschuldners vorstellen? Beruht die Befreiung des Mitschuldners auf der Miterfüllung seiner Schuld? Wie passt die Gesamtwirkung der Erfüllung zu § 426 II, wonach die Forderungen gegen die Mitschuldner nicht erlöschen, sondern (teilweise) auf den leistenden Gesamtschuldner übergehen? Die letztere Frage, also ob man beim Übergang der Gläubigerforderung auf den leistenden Gesamtschuldner von einer Erfüllung oder Tilgung oder nur von einem Wechsel des Gläubigers sprechen muss, wird im Abschnitt zum Zessionsregress erörtert werden105. Vorerst soll es nur um das Schicksal der Mitschuldnerforderung für den Fall gehen, dass entweder das Recht keinen Zessionsregress bei der Gesamtschuld kennt (wie es bei der Mehrheit der früheren Regelwerke der Fall war) oder der nicht leistende Gesamtschuldner nach dem Innenverhältnis nicht ausgleichspflichtig ist. In diesen Fällen geht die Forderung des Gläubigers gegen den nicht leistenden Gesamtschuldner endgültig unter, wenn ein anderer Gesamtschuldner leistet, und es stellt sich die Frage, worauf dieser Untergang beruht. Hierzu wird die These vertreten, das BGB habe mit § 422 I 1 eine „Erfüllungsgemeinschaft“ zwischen den Gesamtschuldnern angeordnet: Indem ein Gesamtschuldner leiste, erfülle er für den anderen Gesamtschuldner mit106. Wörtlich kann man § 422 aber auch so auslegen, dass der leistende Gesamtschuldner nur seine eigene Schuld erfüllt und diese Erfüllung eine bestimmte Wirkung auf die Schuld des Mitschuldners hat. 105
Unten, 421 ff. Selb, Schadensbegriff (1963), 17 ff.; ders., Mehrheiten, 32 ff., 67; Frotz, JZ 1964, 667 f.; Esser, Schuldrecht AT, § 58 I (S. 433), § 59 IV (S. 446); Mirow, Unechte Gesamtschulden, 34 ff.; Schürnbrand, Schuldbeitritt, 29; früher schon Lischka, Gesamtschuld (1932), 30, 52 ff., 60. 106
5. Die Erfüllung
249
Die römischen Quellen verwenden für die Befreiung der Mitschuldner stets dasselbe Verb: liberare107. Von solutio sprechen sie nur beim leistenden Schuldner108. Dies allein besagt allerdings noch nicht viel, denn der in den Quellen gebrauchte Ausdruck solutio ist in der Regel nicht mit der heutigen Erfüllung gleichzusetzen, sondern als Leistung in Tilgungsabsicht zu verstehen109. Die Frage, ob die Mitschuldnerobligation erfüllt oder nur in anderer Weise zum Erlöschen gebracht wurde, stellte sich so nicht. Wichtiger ist, dass das klassische römische Recht bei Schuldnermehrheiten deutlich zwischen einer Leistung auf die eigene Obligation und einer Drittleistung auf die Schwesterobligation unterschied. So konnte etwa der Bürge entweder auf seine Bürgenschuld oder als Dritter auf die Schuld des Hauptschuldners leisten, womit sich unterschiedliche Rechtsfolgen ergaben110. Ebenso konnte der Prinzipal bei der adjektizischen Haftung111 entweder auf seine eigene honorarrechtliche Schuld leisten oder auf die zivile Schuld des Vertragsschließenden112. Nichts spricht dagegen, dass nicht auch bei Gesamtschulden entsprechend differenziert wurde113. Demnach muss es für einen Gesamtschuldner theoretisch die Möglichkeit gegeben haben, statt auf seine auf die Schuld seines Mitschuldners zu leisten, wodurch sich etwa die Regresslage ändern konnte. Wenn unter „Miterfüllung“ zu verstehen sein sollte, dass die Leistung eines Gesamtschuldners sich unterschiedslos auf sämtliche Obligationen aus dem Gesamtschuldverhältnis auswirkt, dann ging das römische Recht nicht von einer Miterfüllung aus. Wie die römischen Quellen formulierten die älteren Autoren zum Gemeinen Recht114 und auch die Mehrheit der Gesetzbücher. Im CMBC, im Code Civil sowie im Schweizer Obligationenrecht heißt es, dass durch die Leistung eines Gesamtschuldners seine Mitschuldner gegenüber dem Gläubiger „befreit“ werden115. Nach dem preußischen ALR ergibt sich die Befreiung aus einer Bestimmung, wonach die Handlung eines Verpflichteten „allen übrigen zum Vortheil gereicht“116. 107
Inst. 3,16,1; Ulpian D.2,7,6, D.2,10,1,4, D.4,2,14,15, D.4,3,17 pr., D.9,3,3, D.13,6,5,15, D.16,3,1,43, D.45,2,3,1; Pomponius D.30,8,1; Paulus D.46,1,71 pr. Einige dieser Stellen bezogen sich allerdings in ihrer ursprünglichen Form nur auf die Befreiung durch litis contestatio. 108 Inst. 3,16,1; Ulpian D.2,7,6, D.16,3,1,43, D.45,2,3,1; Pomponius D.30,8,1; Paulus D.46,1,71 pr. 109 Emunds, Solvendo, 41 ff. 110 Tryphonin D.46,1,69; Celsus D.12,6,47; Papinian D.46,1,51,1; Ulpian D.15,3,15 (für Konstituenten); hierzu Emunds, Solvendo, 202 ff. 111 Oben, 16 f. 112 Ulpian D.14,1,1,24; Paulus D.46,3,59; hierzu Emunds, Solvendo, 187 ff. 113 Dafür spricht Ulpian D.15,3,10,10; vgl. Emunds, Solvendo, 86, 237. 114 Vgl. etwa Cujas, Commentaria in libros quaestionum Papiniani, lib. 27, zu D.45,2,9,1; Donellus, De jure civili, Buch 16, Kap. 25, § 5; Grotius, Inleiding III, 3, § 8; Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 4; Pothier, Obligations, § 274; Höpfner, Commentar, §§ 812, 818; Glück, Pandecten IV, 510, 528. 115 CMBC IV 1 § 23; CC Art. 1200; OR 1881 Art. 166 I (OR 1911 Art. 147 I). 116 ALR I 5 § 435; hierzu Koch, ALR, Anm. zu I 5 § 435; ders., Preußisches Privatrecht II, § 518, S. 125; Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht I, § 63 vor Fn. 74 (S. 405); Bornemann, Preußisches Civilrecht II, 660.
250
VI. Der Zugriff des Gläubigers
Nach dem ABGB darf, „sobald ein Mitschuldner dem Gläubiger das Ganze entrichtet hat, (…) dieser von den übrigen Mitschuldnern nichts mehr fordern“117. Die Vorstellung einer „Miterfüllung“ für die Mitschuldner findet sich vor allem in der Literatur des 19. Jahrhunderts, als man nach dem Keller/Ribbentrop’schen Modell von der Einheit der Korrealobligation ausging und daraus dogmatische Schlüsse zog118. Bei Korrealobligationen (also insbesondere vertraglich begründeten Gesamtschulden) lag nach zunächst herrschender Lehre eine einzige Obligation mit einer Mehrheit subjektiver Beziehungen vor. Die Erfüllung durch einen Korrealschuldner zerstörte danach den objektiven Bestand der gemeinsamen Obligation, wodurch die Mitschuldner frei wurden119. Ähnlich wurde die Befreiungswirkung im 19. Jahrhundert bei den Autoren erklärt, die zwar das Keller/Ribbentrop’sche Modell ablehnten, aber ebenfalls ein einheitliches Rechtsverhältnis zwischen allen Parteien annahmen, das in irgendeiner Weise neben den individuellen Rechtsbeziehungen zu den einzelnen Schuldnern bestehen sollte: Die Erfüllung durch einen Schuldner hob dann das „gemeinsame Rechtsverhältnis“ (die einheitliche materielle Verbindlichkeit120, die Gesamtobligation121, das Haftungsverhältnis122) auf und entzog den rechtlichen Beziehungen zu den übrigen Schuldnern (den verschiedenen formellen Forderungen/Klagen, Einzelobligationen, Haftungen) somit ihre Grundlage. Auch in Frankreich wurde die befreiende Wirkung der Erfüllung auf die Einheit der Obligation zurückgeführt123. Heute liest man, dass die Leistung eines Gesamtschuldners das gemeinsame einheitliche „Objekt“ der Obligation vernichtet124. Besondere Probleme warf die Erklärung der Mitschuldnerbefreiung dagegen für die Vertreter der „Wahltheorie“ auf. Für sie war das Gesamtschuldverhältnis ein alternatives Schuldverhältnis, bei dem eine Obligation auf Leistung überhaupt nur bei einem Schuldner entstehen kann, nämlich bei dem, den der Gläubiger ausgewählt hat125. Mit diesem Akt der Wahl (etwa im klassischen 117
ABGB § 893; ähnlich HessE IV 1 Art. 5 III. Vgl. auch SächsE § 602 S. 2 („Inwieweit er [ein Gesamtschuldner] aber den Gläubiger befriedigt, erlischt auch dessen Anspruch an die übrigen Mitschuldner“); ZürGB § 942 I („Hat der Gläubiger von einem der Solidarschuldner volle Zahlung erhalten, so ist er auch im Verhältnis zu den übrigen befriedigt und er darf nicht zwei Mal dasselbe fordern“). 118 Oben, 53 ff. 119 Keller, Litis Contestation, 449; Ribbentrop, Correal-Obligationen, 23 f.; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 217 IV; Burchardi, Obligationenrecht, § 247 bei Fn. 18; von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 410 f.; Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 1 und 5 I (S. 68 f., 97); Puchta, Pandekten, § 235; Wienstein, Gruch 6 (1862), 502. 120 Bekker, Consumption, 221, 226 f., 228; ähnlich Brinz, KritBl 4 (1853), 22 f., 29; ders., Pandekten, § 235 Nr. 4 b, § 253 nach Fn. 55. Vgl. zu Brinz aber auch Fußnoten 126–127. 121 Unger, JhJb 22 (1884), 265. 122 Puntschart, KritVj 29 (1887), 511 f., 518. 123 Pothier, Obligations, § 274; Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 298 ter, S. 25; heute noch Le Tourneau/Julien, Solidarité, § 94. 124 Vgl. Colin/Capitant, Cours II, 184 f.; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 114 b, c; Carbonnier, Obligations, § 346, S. 568; Mestre/Tian, Solidarité, § 61. 125 Oben, 59.
5. Die Erfüllung
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Recht durch litis contestatio) wurden zugleich die Mitschuldner befreit. Doch gerade die wichtige Rechtsfolge der Befreiung der Mitschuldner durch Leistung eines Schuldners war so nicht recht erklärbar. Entweder, so musste man annehmen, hatte der Gläubiger den leistenden Schuldner vorher ausgewählt. Dann beruhte die Befreiung der übrigen auf der Wahl selbst; der leistende Schuldner erfüllte dann nur noch seine eigene Obligation. Oder ein solcher Auswahlakt fehlte, etwa wenn sich der Gläubiger weigerte, den die Leistung anbietenden Schuldner zu wählen. Dann blieb zur Erklärung, warum der Schuldner dennoch leisten und alle Mitschuldner befreien konnte, nur noch die Konstruktion übrig, dass er als Dritter (heute § 267 BGB) auf eine fremde (zukünftige) Schuld leistete (nämlich auf die Obligation desjenigen, den der Gläubiger schließlich wählt)126. Durchgesetzt hat sich in Deutschland schließlich die Vorstellung von einer Mehrheit der Obligationen, die (anders als bei der Wahltheorie) gleichzeitig und nebeneinander bestehen. Damit standen die Vertreter der Mehrheitstheorie aber vor der Aufgabe, zu erklären, wie die Obligation des nicht leistenden Schuldners dadurch untergehen kann, dass sein Mitschuldner seine eigene Obligation erfüllt. In der Literatur vor 1890 lassen sich zu dieser Frage, bei allen Konstruktionsunterschieden im einzelnen, zwei Tendenzen ausmachen. Vereinzelt findet sich der Gedanke der Vertretung: Indem der leistende Gesamtschuldner S1 seine eigene Obligation erfüllt, erfüllt er zugleich die Obligation des Mitschuldners S2127, bzw. die Erfüllung durch S1 wird vom Recht als Erfüllung durch S2 angesehen128. Öfter aber (und nicht immer davon klar unterscheidbar) wird der Untergang der Obligation des S2 „objektiv“ erklärt: Indem S1 seine Obligation erfüllt, wird der Obligation von S2 etwas Wesentliches genommen, ohne dass sie nicht existieren kann; die Obligation verliert ihren „Obligationsinhalt“, „Vermögensstoff“ oder „Gegenstand“, so dass sie „gegenstandslos“ oder „erledigt“ wird.129 Oder, etwas weniger begrifflich ausgedrückt: Weil die Verpflichtung des S2 von vornherein dadurch bestimmt ist, dass die Leistung insgesamt nur einmal erbracht werden muss, hört sie auf, wenn S1 seine Obligation erfüllt130. Der Kor126 Girtanner, Stipulation, 268 Fn. 221; Fitting, Correalobligationen, 194 f.; vgl. oben, 233. Der Gedanke der Erfüllung durch einen Dritten i.S.d. heutigen § 267 BGB findet sich auch bei Brinz, Pandekten, § 253 bei Fn. 14, ohne dass aber Brinz hierin den entscheidenden Grund für die Befreiung der Mitschuldner sieht. 127 Brackenhoeft, Identität, 4, 142, 145 Fn. 18 a. Der Vertretungsgedanke bei der Erfüllung findet sich auch in der früheren Ansicht von Brinz, vgl. KritBl 4 (1853), 30, lässt sich hier aber nicht vom Gedanken der Einheit der Korrealobligation trennen: Weil S1 bei der Erfüllung S2 vertritt, liegt eine einheitliche Obligation vor. Später gab Brinz den Zusammenhang zwischen Obligationseinheit und Vertretung auf: Einheit der Obligation konnte auch ohne Vertretung bestehen; die Befreiung aller Schuldner bei Erfüllung erklärte sich dann nur noch aus der Obligationseinheit, Pandekten, § 235 Nr. 4 a-b, § 253 nach Fn. 55 (allerdings missverständlich formuliert). 128 Hölder, AcP 69 (1886), 218 f., 235; Geib, Bürgschaftsrecht, 69. 129 Kuntze, Singularsuccession, 172 ff.; ders., Jus extraordinarium, 156; von Helmolt, CorrealObligationen, 136; Sintenis, Civilrecht, § 89 bei Fn. 14; Czyhlarz, GrünhZ 3 (1876), 72 f. 130 Fritz, ZCRPr nF 19 (1862), 67 ff., 70.
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VI. Der Zugriff des Gläubigers
realschuldner, so Baron, zahle nicht als Stellvertreter der Gesamtheit, sondern als Sonderschuldner auf seine eigene Obligation, tilge aber zugleich die Obligationen der Mitschuldner131. Dieses Erklärungsmodell verwendete die Literatur von vornherein bei den sog. Solidarobligationen, bei denen es sich nach nahezu132 allgemeiner Ansicht um eine Mehrheit von Obligationen handelte. Erfüllte ein Solidarschuldner seine Obligation, wurde die Befreiung seiner Mitschuldner damit erklärt, dass ihre Obligationen „gegenstandslos“ geworden seien: Die Leistung eines Solidarschuldners erfüllte die konkurrierenden Obligationen nicht, sondern beraubte sie ihrer Anspruchsvoraussetzungen133. Das Freiwerden der Mitschuldner bei Erfüllung durch einen Gesamtschuldner wurde in Deutschland also keineswegs allgemein unreflektiert auf die Einheit der Korrealobligation zurückgeführt. Zumindest ein Teil der Literatur, der in der einen oder anderen Weise von einer Obligationsmehrheit ausging, differenzierte zwischen dem Erlöschen der Obligation des leistenden Gesamtschuldners durch Erfüllung und dem Erlöschen der Obligationen der Mitschuldner, das besonders erklärt werden musste134. Nicht nur bei den Solidarobligationen, sondern auch zunehmend bei den Korrealobligationen ging man also davon aus, dass die Befreiung des Mitschuldners bei Leistung eines Gesamtschuldners nicht auf einer „Miterfüllung“ beruhte. Der heutige § 422 geht direkt auf den 1878 erstellten Vorlageentwurf von Franz von Kübel zurück. In seinen dem Entwurf vorangestellten Thesen hieß es zur Erfüllung, sie „wirke befreiend“ für alle Gesamtschuldner135. Im Entwurfstext selbst findet sich dagegen die Formulierung von der „Wirkung der Erfüllung“ „für“ die übrigen Gesamtschuldner136. Diesen Ausdruck hatte von Kübel offenbar aus den entsprechenden Bestimmungen im Bayerischen Entwurf, im Sächsischen BGB und im Dresdener Entwurf übernommen137. Im Bayerischen Entwurf mag der Formulierung die Vorstellung einer Obligations-
131
Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 234 f., 302. Anders nur der späte Brinz, KritVj 16 (1874), 13 ff., Pandekten, § 235. 133 Ribbentrop, Correal-Obligationen, 84, 91; Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 1 II (S. 71); Puchta, Institutionen, § 263 nach Fn. d; ders., Pandekten, § 233 Nr. 3; Savigny, Obligationenrecht I, 201; Windscheid, Pandekten, § 298 bei Fn. 14; Arndts, Pandekten, § 214; Wächter, Pandekten, § 178; Wendt, Pandekten, § 209; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 221 ff.; Unger, JhJb 22 (1884), 233 f.; Geib, Bürgschaftsrecht, 69. 134 Nicht ganz zutreffend insofern Selb, Mehrheiten, 32; Ehmann, Gesamtschuld, 80. 135 VorlE, These Nr. XI. Die These wurde von der Vorkommission gebilligt: Jakobs/Schubert, SR I, 899 f., 909. 136 VorlE § 10. Die Bestimmung wurde während des gesamten Gesetzgebungsverfahrens nicht mehr in Zweifel gezogen und wurde zu TeilE § 10, E I § 329, BGB § 422. 137 BayE II (1860), Art. 231 I („Die von einem Sammtschuldner geleistete Zahlung wirkt auch zu Gunsten der übrigen Sammtschuldner“); SächsGB (1863/65), § 1026 S. 2 („Die von einem Gesammtschuldner geleistete Erfüllung gilt auch für die übrigen Gesammtschuldner“); DresdE (1866), Art. 343 („Die von einem Gesammtschuldner an den Gläubiger geleistete Zahlung wirkt auch für die übrigen Gesammtschuldner“). 132
5. Die Erfüllung
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einheit zugrunde gelegen haben138. Das Sächsische BGB und der Dresdener Entwurf gingen demgegenüber von einer strengen Mehrheitstheorie aus, wonach die Beeinflussung der Obligation eines Gesamtschuldners durch das Schicksal der Obligation eines anderen Gesamtschuldners so gering wie möglich sein sollte. Die angeordnete Gesamtwirkung der Erfüllung war eine der wenigen Ausnahmen hiervon und sollte nichts anderes bedeuten als eine Befreiung der Mitschuldner139. Auch Franz von Kübel war Anhänger der Mehrheitstheorie. Die Befreiung der Mitschuldner bei Leistung eines Gesamtschuldners beruhte seiner Ansicht nach darauf, dass alle Obligationen stillschweigend dadurch bedingt seien, dass die Leistung nicht schon durch einen anderen Schuldner erfolgt sei140. Letztere Begründung wurde zwar von der Ersten Kommission, welche die theoretische Konstruktion der Gesamtschuld der Wissenschaft überlassen wollte, nicht übernommen; sie billigte aber die vorgeschlagene Regelung als Kodifizierung des bislang für Korreal- und Solidarobligationen geltenden Rechts141. Dies ist die entscheidende Erwägung für die historische Auslegung des § 422 I 1: Der Gesetzgeber wollte sowohl die Korreal- als auch die Solidarobligationen des Gemeinen Rechts regeln. Schon bei den Korrealobligationen war es, wie oben dargestellt, keineswegs ausgemacht, dass das Erlöschen der Mitschuldnerobligationen auf einer Miterfüllung beruhte. Bei den Solidarobligationen aber hatte keiner diese Ansicht vertreten; vielmehr sollten hier die Mitschuldnerobligationen wegen Gegenstandslosigkeit, Zweckwegfall oder Interessefortfall erlöschen. Die Regelung des § 422 sollte auch die alten Solidarobligationen umfassen, ohne hier den Rechtszustand zu ändern: Die „objektive Wirkung“ der Erfüllung sei, so von Kübel, „unbestritten“ 142. Er verwies auf die entsprechenden Regeln der älteren Kodifikationen und Entwürfe, deren Anwendung nicht auf Korrealobligationen i.e.S. beschränkt war; die Motive zum BGB verweisen zusätzlich auf Windscheids Darstellung der Erfüllung bei den Korrealobligationen143 und bei den Solidarobligationen144. 138 Motive zum BayE, S. 116; vgl. Erman/Ehmann, vor § 420 Rz 16, § 422 Rz 1. Doch selbst hier muss sie nicht so verstanden werden, dass die Wirkung der Erfüllung durch einen Gesamtschuldner gerade die ist, dass auch die Obligation des Mitschuldners erfüllt wird. So sollte nicht nur die Zahlung zu Gunsten der Mitschuldner wirken, sondern „dasselbe“ auch für die Schuldumwandlung gelten, Art. 231 III. Damit war aber nur die Befreiung von der alten Schuld gemeint, nicht auch die Erstreckung der neuen Schuld auf die Mitschuldner. Die „Wirkung“ eines Akts für die Mitschuldner bedeutete also nicht notwendig eine Erstreckung dieses Aktes auf sie, sondern nur ihre Befreiung. 139 Vgl. Dresd.Prot. 1452 ff., 1456; Siebenhaar/Pöschmann, SächsGB, Anm. zu § 1019. 140 Motive zum VorlageE, 35 f. (Schubert, SR III, 1247 f.). 141 Jakobs/Schubert, SR I, 899 f., 909. 142 Motive zum VorlageE, 35 f. (Schubert, SR III, 1247 f.); Motive zum TeilE, 31 (Schubert, SR I, 83); Mot. II, 161 (Mugdan II, 89). 143 Windscheid, Pandekten, § 295: „durch (…) die Leistung eines Correalschuldners werden (…) auch die übrigen Schuldner befreit“. Ebenso § 293. 144 Windscheid, Pandekten, § 298: „hier werden durch einmalige Leistung (…) alle Schuldner frei“.
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VI. Der Zugriff des Gläubigers
Der Gesetzgeber des BGB ging also nicht von einer Miterfüllung der Mitschuldnerobligationen aus145. Der Sache nach fragt es sich, was die Vorstellung einer „Miterfüllung“ der übrigen Verbindlichkeiten bedeuten soll. Der leistende Gesamtschuldner handelt unstreitig nicht als Erfüllungsgehilfe seines Mitschuldners146. Auch eine Drittleistung im Sinne des § 267 BGB (so wie es die Wahltheorie im 19. Jahrhundert angenommen hatte) wird von der ganz herrschenden Lehre und Rechtsprechung zu Recht (und dem römischen Recht folgend) abgelehnt147. Der Gesamtschuldner leistet in erster Linie auf seine eigene Schuld. Die Annahme, er leiste zugleich als Dritter auf die Schuld des Mitschuldners, ist schon wegen der damit verbundenen Vorstellung einer doppelten Tilgungsbestimmung problematisch148. Zudem ist zweifelhaft, ob eine Tilgungsbestimmung149 hinsichtlich der Mitschuldnerforderung überhaupt vorliegt. Allenfalls bei vertraglichen Gesamtschulden könnte eine allseitige (für zukünftige Leistungen geltende) Tilgungsbestimmung vielleicht noch in den Vertrag hineingelesen werden. Doch spätestens bei gesetzlichen Gesamtschulden fehlt es häufig an einem entsprechenden Tilgungswillen, wenn nicht überhaupt an der Kenntnis des Gesamtschuldverhältnisses150. Vor allem aber ist es im Hinblick auf die Regressfolgen notwendig, eine gewöhnliche Leistung durch einen Gesamt-
145 Anders wohl Selb, Mehrheiten, 32 f., und insbesondere Frotz, JZ 1964, 668, der aus der Entstehungsgeschichte gerade den umgekehrten Schluss zieht: Sowohl bei Korreal- als auch bei Solidarobligationen sei die „Gesamtwirkung“ der Erfüllung h.M. gewesen; wenn der Gesetzgeber beide in den §§ 421 ff. regeln wollte, bedeute dies folglich, dass er die Vorstellung der „allseitigen Wirkung der Erfüllung“, also der Miterfüllung, übernommen habe. Vgl. Winter, Teilschuld, 139, nach dem § 422 I überflüssig wäre, wenn das Gesetz von einer direkten Miterfüllung ausgegangen wäre. 146 In diesem Fall stände dem untätigen Gesamtschuldner als Geschäftsherrn nicht nur der Ausgleichsanspruch nach § 426 I bzw. dem Innenverhältnis zu, sondern auch die Leistungskondiktion gegen den Gläubiger, wenn die Gesamtschuld nicht wirksam bestand. Leistet dagegen ein Gesamtschuldner, wie im Regelfall, nur auf seine eigene Schuld, erwirbt der untätige Mitschuldner keine Leistungskondiktion, wenn seine Schuld nicht besteht; unrichtig Hager, NJW 1989, 1643 Fn. 30. Sofern die Schuld des Leistenden wirksam bestand, kann ein solches Ergebnis auch nicht mit einer nachträglichen Änderung der Tilgungsbestimmung gerechtfertigt werden, so aber Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 183. 147 BGHZ 42, 53, 56 (15.6.1964); BGH NJW 1986, 1491, 1492 (7.11.1985); Mirow, Unechte Gesamtschulden, 35; Ehmann, Gesamtschuld, 202 f.; Gernhuber, Erfüllung, § 21 I 1; Wernecke, Gesamtschuld, 73; Soergel/Wolf, § 267 Rz 9, § 421 Rz 6; Staud/Bittner, § 267 Rz 15; Staud/Noack, § 422 Rz 4 f. 148 Ebenso Jürgens, Teilschuld, 97 ff.; Wernecke, Gesamtschuld, 73 Fn. 10; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 182. 149 Diese halten auch Anhänger der Theorie der realen Leistungsbewirkung bei Drittleistungen für notwendig, vgl. MüKo/Wenzel, § 362 Rz 14; Larenz, Schuldrecht AT, § 18 I 4; Gernhuber, Erfüllung, § 5 II 6. 150 R. Schmidt, AcP 163 (1963), 533; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 89 f.; Ehmann, Gesamtschuld, 78; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 45 f.; Jürgens, Teilschuld, 77 f.; Wernecke, Gesamtschuld, 73; Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 5; Staud/Noack, § 422 Rz 5.
5. Die Erfüllung
255
schuldner von einer echten Drittleistung eines Gesamtschuldners151 oder eines Außenstehenden zu unterscheiden. Möglich wäre es, ohne Rücksicht auf einen Tilgungswillen § 422 als „gesetzlich angeordnete Miterfüllung“ zu verstehen. Allerdings sind Vorteile eines derartigen Sprachgebrauchs nicht ersichtlich. Soweit es um konkrete Rechtsfolgen der Erfüllung geht, muss ohnehin im Einzelfall differenziert werden, ob die Folge für alle oder nur für den leistenden Gesamtschuldner gilt. Zugunsten aller Gesamtschuldner wird i.S.d. § 320 I die Gegenleistung bewirkt, so dass dem Gläubiger gegenüber keinem von ihnen die Einrede des nicht erfüllten Vertrags zusteht; ebenso kann das Erlöschen des Vorbehaltseigentums des Gläubigers nach § 449 I allen Gesamtschuldnern zugutekommen. Umgekehrt bezieht sich die Heilung eines formunwirksamen Rechtsgeschäfts durch Erfüllung wohl nur auf den leistenden Gesamtschuldner selbst: Haben sich etwa mehrere formunwirksam für dieselbe Schuld verbürgt, führt die Leistung eines Mitbürgen offenbar nicht dazu, dass auch der Formmangel hinsichtlich der Verbindlichkeiten der übrigen durch Erfüllung geheilt wird (§ 766)152. Wenn das Recht insbesondere bei der Regressfrage deutlich zwischen dem leistenden und den nicht leistenden Gesamtschuldnern differenziert, erscheint es daher sinnvoller, von einer Erfüllung nur bei der Verbindlichkeit des Leistenden zu sprechen. Fest steht nur, dass, wenn ein Gesamtschuldner leistet und damit seine eigene Schuld erfüllt i.S.d. § 362 I, die Verbindlichkeiten der übrigen Gesamtschuldner (vorbehaltlich des Zessionsregresses) erlöschen153. Der leistende Gesamtschuldner hat das Erlöschen der übrigen Verbindlichkeiten verursacht. Diese Verursachung kann als „Tilgung“ bezeichnet werden. Die Mittilgung der Mitschuldnerverbindlichkeiten beruht bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden auf dem 151 Hierzu Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 180 f. Zu weit geht die These von Mirow (Unechte Gesamtschulden, 35) und Jürgens (Teilschuld, 97 ff.), wonach jemand, der selbst gegenüber dem Gläubiger verpflichtet ist, nicht als Dritter auf die konkurrierende Schuld leisten könne. Für diese Einschränkung besteht kein Grund. Leistet der intern allein verpflichtete Gesamtschuldner S1 als Dritter auf die Schuld des intern freigestellten Gesamtschuldners S2, hat er zwar einerseits eine Rückgriffskondiktion gegen S2, ist aber zugleich dem Regress von S2 aus § 426 ausgesetzt, so dass er im Ergebnis von S2 nichts verlangen kann. Dasselbe gilt, wenn der Schädiger statt auf die Schadensersatzforderung als Dritter auf die Forderung gegen die Schadensversicherung leistet: Seiner Rückgriffskondiktion steht die auf die Versicherung nach § 67 VVG übergegangene Schadensersatzforderung gegenüber. Richtig ist nur, dass der Gesamtschuldner bzw. Schädiger nicht gleichzeitig auf die eigene und auf die konkurrierende Schuld leisten kann. 152 Anders entscheidet die Literatur (Gernhuber, Erfüllung, § 21 I 9; Staud/Bittner, § 267 Rz 26; MüKo/Krüger, § 267 Rz 15; Staud/Horn, § 766 Rz 53; MüKo/Habersack, § 766 Rz 28) bei der Drittleistung: Danach kann bei formunwirksamen Schenkungs- (§ 518) oder Bürgschaftsversprechen auch die Leistung eines Dritten i.S.d. § 267 eine Heilung herbeiführen. Der hier notwendige Schutz des Schuldners (der vielleicht gar nicht erfüllen wollte) kann dann im Rahmen des Regresses erreicht werden, indem man eine Rückgriffskondiktion mangels Bereicherung ausschließt. Bei Gesamtschuldverhältnissen wäre eine solche Lösung aber nur schwer zu erreichen, weil der Regress auf § 426 I beruht. 153 Anders allerdings Winter, Teilschuld, 131 f., und Wernecke, Gesamtschuld, 89 Fn. 66, wonach die Verbindlichkeiten der Mitschuldner fortbestehen, ihre Geltendmachung aber eine unzulässige Rechtsausübung wäre.
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VI. Der Zugriff des Gläubigers
Parteiwillen: Die Vereinbarung von Gesamtschulden soll gerade bedeuten, dass sämtliche Verbindlichkeiten bei Leistung eines Schuldners unabhängig von seinem aktuellen Willen bei der Leistung untergehen154. Bei sonstigen Gesamtschuldverhältnissen beruht die Mittilgung auf dem Gesetz. Damit ist gemeint, dass in bestimmten Konstellationen, in denen der Gläubiger die Leistung insgesamt nur einmal erhalten soll, das Recht eine Konstruktion wählt, wonach bei Leistung eines Schuldners sämtliche Verbindlichkeiten von selbst erlöschen155. Die Bezeichnung dieser Wirkung als „Miterfüllung“ erscheint als unnötig verwirrend, weil sie zumindest nahe legt, dass der leistende Gesamtschuldner zugleich auf die Verbindlichkeiten der Mitschuldner leistet156. Die These von der Erfüllungsgemeinschaft bezieht sich allerdings gar nicht auf die Rechtsfolgen, sondern auf den Tatbestand der Gesamtschuld, zu dem sie die Vorschrift des § 422 I 1 rechnet: Nur wenn die Leistung eines Schuldners die Schuld eines Mitschuldners miterfüllt i.S.d. § 422 (wobei von § 426 II abzusehen ist), liege überhaupt eine Gesamtschuld im Sinne des BGB vor. Damit wird eine Diskussion berührt, die schon in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts von Eisele und Binder geführt wurde. Für Eisele157 waren die gemeinrechtlichen Korrealund Solidarobligationen, die seiner Ansicht nach im römischen Recht nicht unterschieden worden waren und die nun in der Gesamtschuld des BGB vereinigt wurden, dadurch gekennzeichnet, dass die Leistung eines Gesamtschuldners die Obligationen der Mitschuldner „miterfüllte“. Daneben sollte es aber eine dritte Kategorie der „unechten Gesamtschulden“ geben, etwa die Obligationen des zum Schadensersatz verpflichteten Delikttäters und des Schadensversicherers: Diese seien im BGB nicht geregelt und unterschieden sich von den „echten“ Gesamtschulden dadurch, dass die Leistung eines Schuldners die Obligation seines Mitschuldners nur gegenstandslos mache und damit zufällig zum Erlöschen bringe (so wie es früher für die Solidarobligationen angenommen wurde). Diese These wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer wieder aufgegriffen und steht hinter der „Erfüllungsgemeinschaft“ bei Frotz158: Nicht schon bei einer
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Anders aber Ehmann, Gesamtschuld, 107 f. Theoretisch wären auch andere Konstruktionen denkbar, etwa eine Lösung, wonach die Mitschuldnerverbindlichkeit bestehen bleibt, der Mitschuldner aber eine Einrede geltend machen kann. Ist der nichtleistende Mitschuldner intern zur Lastentragung verpflichtet, kommt auch in Betracht, die Mitschuldnerverbindlichkeit als überhaupt nicht getilgt anzusehen (auch nicht im Innenverhältnis) und den Gläubiger zur Zession zu verpflichten, so wie es bei § 255 BGB angenommen wird. Zum Unterschied dieser Konstruktion zum Zessionsregress nach § 426 II unten, 426 ff., 807 ff., 883 ff. 156 Gegen eine „Miterfüllung“ insbesondere Ehmann, Gesamtschuld, 24, 80 ff., 107 f., 202 f., 241; Erman/Ehmann, vor § 420 Rz 16; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 88 ff.; Jürgens, Teilschuld, 75 ff.; ferner Münchbach, Regreßkonstruktionen, 45 f.; Wernecke, Gesamtschuld, 73; Staud/Noack, § 422 Rz 4 f.; aus der frühen Literatur Planck/Siber, vor § 420 Anm. 1 b; Kremer, Mitbürgschaft, 72, 90, 95. 157 Eisele, AcP 77 (1891), 458 f., 480. 158 Frotz, JZ 1964, 667 f.; vgl. ders., VersR 1965, 213 ff.; ders., NJW 1965, 1259, 1261; der Sache nach ebenso Esser, SR AT, § 58 I (S. 433), § 59 IV (S. 447). 155
5. Die Erfüllung
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bloßen Mittilgung (womit das Erlöschen der Schwesterobligation gemeint ist), sondern erst bei einer echten Miterfüllung liege eine Gesamtschuld vor. Die Gegenposition wurde zunächst von Binder159 eingenommen. Seiner Ansicht nach beruhte das Erlöschen der Obligation des Mitschuldners auch bei „echten“ Gesamtschulden nicht auf einer Miterfüllung, sondern auf einer „bloßen Reflexwirkung“: Die Verbindlichkeiten der Mitschuldner gingen deshalb unter, weil sie gegenstandslos geworden seien. Eine Sonderkategorie von sich gegenseitig befreienden Mitschuldnern außerhalb der Gesamtschuld sei abzulehnen: Wenn die Leistung eines Schuldners seinen Mitschuldner befreie, dann liege stets eine Gesamtschuld vor. Auch diese These wurde im 20. Jahrhundert immer wieder vertreten (wobei Uneinigkeit bestand, wann eine gegenseitige Befreiung oder Tilgung vorliegen sollte160), unter anderem von Selb161. Dieser geht zwar ebenso wie Frotz von einer „Miterfüllung“ bei Gesamtschulden aus, lehnt aber die Vorstellung einer außerhalb der Gesamtschuld bestehenden bloßen Mittilgung, also eines Erlöschens der Schwesterverbindlichkeit ohne Erfüllung, ab: Entweder werden alle Mitschuldner befreit, dann geschieht dies durch Miterfüllung, oder nicht, dann liegt gar keine Gesamtschuld vor. Die These von der Erfüllungsgemeinschaft findet sich also bei der Diskussion, ob eine wechselseitige Befreiung auch außerhalb der Gesamtschuld möglich ist, auf beiden Seiten wieder162. Gegen diese gesamte Diskussion ist allerdings insbesondere von Ehmann163 vorgebracht worden, dass es sich bei § 422 I 1 nicht um den Tatbestand, sondern um eine Rechtsfolge der Gesamtschuld handle. Tatbestand sei nach § 421 allein, dass der Gläubiger im Ergebnis die Leistung nur einmal erhalten könne. Rechtsfolge der Leistung eines Gesamtschuldners sei, dass die Verbindlichkeit seines Mitschuldners teilweise erlösche, teilweise (in Höhe seiner Ausgleichspflicht) auf den Leistenden übergehe. Unter diese Regelungen ließen sich auch Schuldner159
Binder, Korrealobligationen, 28, 31 ff., 351 ff., 563 ff. Vgl. zum einen Rudolf Schmidt, JhJb 72 (1922), 54 ff., 102 f.; zum anderen Larenz, Schuldrecht AT, 7.Aufl. 1964, § 33 III; Jürgens, Teilschuld, 65 ff. 161 Selb, Schadensbegriff (1963), 17 ff.; ders., Mehrheiten, 32 ff., 35, 67. 162 So zu Recht Jürgens, Teilschuld, 76, 79 f. Wiederum anders wird die „Erfüllungsgemeinschaft“ bei Manfred Wolf (Soergel/Wolf, § 421 Rz 7, 9–11, 14, 25; Wolf/Niedenführ, JA 1985, 373 f.) verstanden. Nach ihm liegt eine Erfüllungsgemeinschaft und damit eine Gesamtschuld vor, wenn die Erfüllung der einen Verbindlichkeit die Wirkung hat, dass die andere Verbindlichkeit dem Gläubiger nicht mehr zur Verfügung steht, sei es, dass sie erloschen ist, sei es, dass sie auf den Leistenden übergegangen ist. Damit werden die Fälle des Regresses durch gesetzlichen Forderungsübergang zur Gesamtschuld gezählt, nicht aber die Fälle des Abtretungsregresses nach § 255 BGB, weil die Abtretung durch den Gläubiger seine Inhaberschaft voraussetzt. Auch hier wird der Tatbestand von der Rechtsfolge her bestimmt. I.E. ebenso, aber ohne den Begriff der Erfüllungsgemeinschaft, Staud/Noack, vor § 420 Rz 20 ff., § 421 Rz 21. 163 Ehmann, Gesamtschuld, 25 ff., 67 ff., 106; Erman/Ehmann, vor § 420 Rz 16; ebenso schon von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 82; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 54 ff., 80 ff.; der Sache nach ähnlich E. Wolf, Schuldrecht AT, 531 Fn. 32; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 45; Esser/ Schmidt, Schuldrecht AT 2, § 39 I; Stamm, Regreßfiguren, 37; teilweise auch später Larenz, SR AT, § 37 I, S. 632. 160
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VI. Der Zugriff des Gläubigers
mehrheiten fassen, welche die herrschende Lehre nicht zu den Gesamtschulden zähle, etwa die „Legalzessionsfälle“ oder sog. abgestuften Leistungspflichten, also das Verhältnis zwischen Schadensverursacher auf der einen, Schadensversicherer, Unterhaltspflichtigem oder Lohnfortzahler auf der anderen Seite. Tatsächlich mag es müßig sein, sich zu fragen, ob die Leistung eines Schuldners die Verbindlichkeit seines Mitschuldners erfüllen oder tilgen würde, wenn es die Gesamtschuldregelung des BGB nicht gäbe. Der Anwendungsbereich dieser Regeln kann nicht von der begrifflichen Frage abhängen, ob ohne §§ 422, 426 eine wechselseitige Tilgung oder Erfüllung eintreten würde, sondern muss nach sachlichen Gesichtspunkten bestimmt werden164.
Zusammenfassung Der Zugriff des Gläubigers auf die Gesamtschuldner war historisch nur in beschränktem Maße möglich. Nach klassischem römischen Recht galt unter Stipulations-Gesamtschuldnern, dass die Klage des Gläubigers gegen einen Schuldner seine Klagen gegen die übrigen konsumierte, so dass ihm die Gesamtschuld im Ergebnis zwar das Recht zur einmaligen Schuldnerauswahl, nicht aber die Möglichkeit einer weiteren Klage verschaffte, wodurch ihm die heute mit der Gesamtschuld verbundene Sicherheit in Form der Haftung mehrerer Schuldnervermögen für ein einmaliges Leistungsinteresse gerade nicht gewährt wurde. Gemeinrechtlich stand Mitbürgen und nach herrschender Lehre allen vertraglichen Gesamtschuldnern eine Einrede der Teilung zu, wonach der in Anspruch genommene Schuldner vom Gläubiger verlangen konnte, den noch offenen Betrag auf sämtliche solventen Schuldner aufzuteilen. Im Ergebnis verlor der Gläubiger hierdurch nicht den Vorteil der Sicherheit, wohl aber der Leichtigkeit der Rechtsverfolgung, weswegen die Teilungseinrede, die in der Praxis wohl häufig abgedungen wurde, in die nationalen Kodifikationen überwiegend nicht aufgenommen wurde. Nach heutigem Recht kann der Gläubiger alle Gesamtschuldner zusammen oder einen einzelnen Schuldner auf das Ganze oder einen Teil in Anspruch nehmen und seine Wahl bis zur endgültigen Befriedigung ändern. Leistet ein Gesamtschuldner an den Gläubiger, erfüllt er nur seine eigene Verbindlichkeit, während die Forderungen gegen die Mitschuldner nach § 422 erlöschen oder auf den Leistenden übergehen. Die These einer Erfüllungsgemeinschaft unter den Gesamtschuldnern macht den Anwendungsbereich der Gesamtschuldregeln zu Unrecht von selbstgewählten konstruktiven Annahmen abhängig.
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Vgl. unten, 856 ff.
VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern 1. Einführung: Der Regress im Falle eines vertraglichen Innenverhältnisses Der Regress ist nach heutiger Auffassung selbstverständlicher Bestandteil des Gesamtschuldverhältnisses. Er vermeidet, dass die Wahl des Gläubigers, welchen Gesamtschuldner er in Anspruch nimmt, auch über die Lastenverteilung im Innenverhältnis entscheidet1. Aus Sicht der Gesamtschuldner ist es Zufall, oder, in Savignys Worten, ein Glücksspiel2, auf wen der Gläubiger zugreift. Da die Wahl des Gläubigers im Innenverhältnis der Schuldner keinen zureichenden Grund für die Lastenverteilung bildet, kann der Regress mit Billigkeitsgründen gerechtfertigt werden. Daneben oder statt dessen können auch Gründe der Effizienz herangezogen werden. Hinge es tatsächlich von der Willkür des Gläubigers ab, welcher Gesamtschuldner endgültig belastet wird, könnte jeder Gesamtschuldner mit dem Gläubiger Verhandlungen aufnehmen mit dem Ziel, nicht in Anspruch genommen zu werden, und dem Gläubiger daher Vorteile anbieten, die über die geschuldete Leistung hinaus gehen3. Der Gläubiger könnte auf diesem Weg nahezu den doppelten Wert der geschuldeten Leistung erhalten. Sinnvoller für die Gesamtschuldner erschiene es demgegenüber, eine interne Lastenverteilung zu vereinbaren und auf diesem Weg eine überlegene Verhandlungsposition des Gläubigers zu vermeiden. Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass sich das Regressproblem bei vertraglich vereinbarten und bei gesetzlich angeordneten Gesamtschulden unterschiedlich darstellt. Typische gesetzliche Gesamtschulden sind diejenigen der deliktischen Mit- und Nebentäter (§ 840) oder der unabhängigen Mitbürgen 1
Weigelin, Schuldbeitritt, 96, 98 f.; Soergel/Re. Schmidt (1967), § 426 Rz 1; Ehmann, Gesamtschuld, 98 ff.; Erman/Ehmann, vor § 420 Rz 13, 17, 22, § 421 Rz 10, § 426 Rz 1, 6; Steinbeis, Haftungsausschluß, 144; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 61; Esser/Schmidt, Schuldrecht AT 2, § 39 III (S. 348); Goette, Gesamtschuldbegriff, 126 f.; Soergel/Wolf, § 426 Rz 1; Staud/Kaduk, § 426 Rz 1; Staud/Noack, § 426 Rz 1; BamR/Gehrlein, § 426 Rz 1; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 129; BGHZ 12, 213, 218 (3.2.1954); BGHZ 58, 216, 219 (9.3.1972); BGHZ 88, 185, 190 (14.7.1983); BGHZ 137, 76, 85 f. (28.10.1997); Ehrenzweig/Mayrhofer, System II/1, § 16 I bei Fn. 5; Klang/Perner, ABGB, § 896 Rz 1; Friedmann/Cohen, Adjustment, § 9, Weir, Complex Liabilities, § 106. 2 Mehr zu Savignys Lehre unten, 276 f. 3 Vgl. Schulz, Rückgriff, 45; Korintenberg, ArchRPfl 1931, 31; Soergel/Re. Schmidt (1967), § 426 Rz 1; Selb, Mehrheiten, 90; Prediger, Auslegung, 82; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 35, 98; Bacher, Ausgleichsansprüche, 69; Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht I, Rz 10/46.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
(§ 769). Hier liegt in der Regel kein besonderes Innenverhältnis unter den Schuldnern vor. Sofern daher das Gesetz keinen Gesamtschuldregress anordnet, findet gar kein Regress statt, und es kommt zum dargestellten Problem der Gläubigerwillkür. Bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden (wozu auch die gemeinsam beschlossene Mitbürgschaft gehört) liegt dagegen grundsätzlich ein besonderes Innenverhältnis unter den Schuldnern vor, das auch die Regressfrage regelt. Denn wenn mehrere in gegenseitiger Abstimmung eine gesamtschuldnerische Verpflichtung übernehmen, haben sie grundsätzlich eine gemeinsame Vorstellung davon, wer im Innenverhältnis welchen Anteil tragen soll4. Gäbe es keinen Gesamtschuldregress, käme es trotzdem, gestützt auf das rechtsgeschäftliche Innenverhältnis, zu einem Rückgriff. Insofern gilt das Glücksspiel- oder Gläubigerwillkür-Argument bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt. Für die Vorschrift des § 426 I besteht zumindest kein dringendes Bedürfnis5. Im Innenverhältnis kann danach unterschieden werden, ob die gesamtschuldnerische Verpflichtung im Interesse aller Gesamtschuldner, nur einiger oder nur eines Gesamtschuldners liegt. Ein Schulbeispiel der Gesamtschuld im Interesse aller ist der gemeinsame Heizölkauf durch Nachbarn. Hier hat jeder nur ein Teilinteresse in Höhe der von ihm selbst beanspruchten Menge Heizöls. Intern wird verabredet, dass jeder Nachbar den anteiligen Kaufpreis „seiner“ Heizölmenge tragen muss. Wenn im Außenverhältnis zum Händler Gesamtschulden vereinbart werden, schuldet jeder Nachbar im Außenverhältnis mehr als im Innenverhältnis. Sofern er im Außenverhältnis für mehr als seinen internen Anteil in Anspruch genommen wird, besteht das Bedürfnis für einen Regress. Anders wäre es, wenn jeder Nachbar nach außen nur Teilschuldner in Höhe der von ihm beanspruchten Menge wäre. Dann stimmen Außen- und Innenhaftung überein, und ein Regress entfällt. Bei Gesamtschulden hingegen stimmen Außen- und Innenhaftung nicht überein. Eine Diskrepanz zwischen Außen- und Innenhaftung gibt es aber nicht nur bei Gesamtschulden. Die Nachbarn können auch verabreden, dass nur einer von ihnen den Vertrag mit dem Händler schließt und mit den übrigen Nachbarn dann intern abrechnet. Hier besteht im Außenverhältnis eine Einzelschuld, während intern jeder anteilig verpflichtet ist. Der kontrahierende Nachbar, der die Gesamtrechnung an den Händler zahlt, hat dasselbe Bedürfnis für einen Regress, wie wenn Gesamtschulden vereinbart worden wären und der Gläubiger auf ihn allein zugegriffen hätte. § 426 hilft ihm hier aber nicht. Regressprobleme können auch bei Teilschulden entstehen. Wollen die Nachbarn eine gesamtschuldnerische Haftung vermeiden, ist der Händler aber nicht bereit, Teilschulden nach Verbrauch zu vereinbaren, können die Parteien verabreden, dass jeder Nachbar 4
Ebenso von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 84; Erman/Ehmann, § 426 Rz 36; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 38; Soergel/Pecher, § 769 Rz 5, 8, § 774 Rz 26; Zerres, Jura 2008, 731. 5 Ebenso Heck, Schuldrecht, § 76 Nr. 6 b; Keuk, JZ 1972, 530; Goette, Gesamtschuldbegriff, 125.
1. Einführung: Der Regress im Falle eines vertraglichen Innenverhältnisses
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kopfteilig schuldet. Im Innenverhältnis aber soll weiterhin der Verbrauch maßgebend sein. Wird ein Nachbar, der wenig Öl braucht, auf diese Weise für mehr als seinen internen Anteil in Anspruch genommen, stellt sich ebenfalls die Regressfrage. Das Bedürfnis für einen Regress gibt es also immer dann, wenn Außenhaftung und interne Lastenverteilung nicht übereinstimmen6. Die gesamtschuldnerische Haftung bildet hier keinen besonders regresswürdigen Sonderfall. Tatsächlich ist das Interesse an einem Regress in allen Fällen der Diskrepanz von Außen- und Innenhaftung gleich groß. Die Interessenlage desjenigen Nachbarn, der aufgrund seiner Alleinhaftung in Anspruch genommen wird, ist insofern nicht anders als diejenige des Nachbarn, der als Gesamtschuldner leisten muss. Dies wird durch die Regeln des Innenverhältnisses widergespiegelt, die einen Regress völlig unabhängig davon vorsehen, ob Gesamtschulden vorliegen oder nicht, solange der Regresssuchende nur im Außenverhältnis mehr geleistet hat als seinen internen Teil. Im Fall der Nachbarn handelt es sich, sofern Außen- und Innenhaftung nicht übereinstimmen, um eine Innengesellschaft, unabhängig davon, ob Gesamtschulden, Alleinschulden oder verbrauchsunabhängige Teilschulden vereinbart werden. Der Regress ergibt sich in allen Fällen aus § 713 i.V.m. § 6707. Stellt man für den Regress auf das Außenverhältnis ab, muss man dagegen differenzieren: Nur in einem Fall, nämlich der Gesamtschuldvereinbarung, kommen § 426 I und § 426 II zur Hilfe. Ein zwingender Grund für diese Ungleichbehandlung besteht nicht. Ähnlich verhält es sich, wenn das mit dem Gläubiger geschlossene Geschäft nur im Interesse einer Partei liegt. Sofern A mit dem Gläubiger G einen Vertrag schließen möchte, dieser aber auf einem (weiteren) zahlungskräftigen Schuldner beharrt, kann A ein Interesse daran haben, dass B sich gegenüber G verpflichtet. Hierfür gibt es mehrere Gestaltungsmöglichkeiten. B kann zusammen mit A Gesamtschuldner werden. B kann auch für A bürgen. Möglich ist schließlich, dass der Gläubiger gar keinen Wert auf A’s Haftung legt und nur mit B den Vertrag schließt, der dann im Außenverhältnis allein haftet. In allen Fällen hat B, wenn er in Anspruch genommen wird, ein Interesse an einem Regress gegen A. Das Innenverhältnis berücksichtigt das Regressinteresse in allen Fällen gleichermaßen: Zwischen A und B besteht ein Auftragsverhältnis, woraus B nach § 670 Regress nehmen kann. Interessant sind hingegen die unterschiedlichen Rechtsfolgen, die sich aus der Gestaltung des Außenverhältnisses ergeben: Als Gesamtschuldner hat B neben § 670 den Regress aus § 426 I und dazu die übergegangene Gläubigerforderung nach § 426 II. Ist er Bürge, wird sein Regress nach § 670 durch einen Forderungsübergang gesichert, § 774. Haftet er dagegen allein, kann er sich offenbar nur auf seinen Regress aus § 670 berufen. Das Regressinteresse ist aber in allen drei Fällen gleich. 6 Ähnlich Selb, Mehrheiten, 25 f., 90–92; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 3; von Büren, Schweizerisches OR AT, 91. 7 Zum Regress bei Personengesellschaften unten, 300 ff.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
Bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden ist also ein Regress „aus der Gesamtschuld selbst“ nicht unbedingt erforderlich. Eine Rechtsordnung könnte die Regelung der Regressfrage hier auch dem Innenverhältnis überlassen, ohne dadurch irrational zu werden. Bei vertraglichen Gesamtschulden ist die Frage nach dem Gesamtschuldregress genau genommen nur eine Frage nach dem Abstraktionsgrad, den ein Gesetzgeber der Gesamtschuld zukommen lassen möchte: Soll sie nur das Außenverhältnis zum Gläubiger erfassen oder auch Auskunft über das Innenverhältnis der Schuldner (das schon unabhängig von der Gesamtschuld besteht) geben? Tatsächlich sprechen auch bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden einige gute Gründe für einen (an sich „überflüssigen“) Gesamtschuldregress: Das Gesamtschuldverhältnis weist gegenüber anderen Formen der Außenhaftung die Besonderheit auf, dass hier die Diskrepanz zwischen Außen- und Innenhaftung unmittelbar klar ist. Bei Teil- und Einzelschulden geht aus dem Außenverhältnis nicht hervor, ob der Vertragschließende intern für jemand anderen haftet oder nicht. Bei Gesamtschulden ist dagegen offensichtlich, dass nicht jeder Schuldner in Höhe seiner Außenhaftung auch intern zuständig ist, weil im Innenverhältnis keine kumulierten Schulden vorliegen. Dieser Gedanke spricht dafür, bei Gesamtschulden eine Regressvereinbarung zu vermuten. Insofern kann bei vertraglichen Gesamtschulden ein Regress in Form einer Vermutung oder auch in Form eines dispositiven Rechtssatzes angeordnet werden. Entscheidet sich ein Gesetzgeber für ein gesetzlich gewährtes Rückgriffsrecht, sind verschiedene Ausgestaltungen denkbar. Für den Regress des Bürgen gegenüber dem Hauptschuldner sieht das BGB einen gesetzlichen Forderungsübergang vor, dem aber Einwendungen des Hauptschuldners aus dem Innenverhältnis entgegenstehen können, § 774. Dem leistenden Gesamtschuldner gewährt das Gesetz demgegenüber mit § 426 einen gesetzlichen Rückgriffsanspruch, der durch den (anteiligen) Forderungsübergang abgesichert wird. Diese unterschiedlichen Regresstechniken sind bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass die Diskrepanz zwischen Außenhaftung und interner Lastenverteilung in beiden Haftungsverbänden gleich ist. Die unterschiedlichen Voraussetzungen und Ausgestaltungen des Regresses bei vertraglich vereinbarten Gesamthaftungen sind eben nicht selbstverständlich, sondern Ergebnis einer (oft historisch bedingten) Entscheidung. Dem Gesetzgeber stehen also verschiedene Regresstechniken zur Verfügung. Er kann ans Innenverhältnis anknüpfen, also auf den Regress nach dem Innenverhältnis verweisen und diesen im Zweifel vermuten. Er kann aber auch einen eigenen Regressanspruch gewähren, der neben den Regress aus dem Innenverhältnis tritt, möglicherweise aber durch das Innenverhältnis modifiziert wird. Vor diesem Hintergrund ist die wechselhafte Geschichte des Gesamtschuldregresses zu betrachten.
2. Historische Entwicklung
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2. Historische Entwicklung a) Die römischen Grundlagen Die Frage, ob eine gesamtschuldnerische Haftung stets mit einem Regress verbunden ist, haben sich die römischen Juristen als solche nie gestellt und daher auch in den Quellen nicht direkt beantwortet. Überliefert sind nur Ausführungen zum Rückgriffsrecht bei einzelnen besonderen Gesamtschuldgruppen. Aus ihnen geht hervor, dass zumindest das klassische römische Recht bei der Gesamtschuld keinen „automatischen“, auf die Gesamtschuld gestützten Regress kannte8. Dies bedeutete aber nicht, dass kein Ausgleich stattfand. Vielmehr war die römische Gesamtschuld abstrakter als die des BGB, indem sie nur das Außenverhältnis zum Gläubiger betraf. Der Rückgriff stützte sich auf das Innenverhältnis, etwa in der Gestalt eines Vertrags unter den Schuldnern. Eine solche Trennung von Außen- und Innenverhältnis ist auch dem BGB nicht fremd, etwa bei der befreienden Schuldübernahme: Auch wenn ein Rückgriffsrecht des Übernehmers in §§ 414 ff. nicht erwähnt wird und daher nicht aus der Übernahme als solcher folgt, bedeutet dies nicht, dass kein Rückgriff stattfindet, sondern nur, dass er auf das Innenverhältnis zwischen Übernehmer und Altschuldner gestützt wird. Sofern es kein Innenverhältnis unter den Gesamtschuldnern gab, gewährte das Recht in manchen Fallgruppen ein besonderes Rückgriffsrecht des Leistenden, insbesondere bei der solidarischen Haftung mehrerer Vormünder für Pflichtverletzungen bei der Verwaltung des Mündelvermögens9. Grundlage des Regresses war hier entweder die an den Leistenden zedierte Gläubigerklage oder ein eigenes Klagerecht des Leistenden in Gestalt einer actio utilis, bei der es sich wahrscheinlich nicht um eine analoge Geschäftsführerklage, sondern um die fiktiv zedierte Gläubigerklage handelte10. Bei der Solidarhaftung mehrerer Mitbürgen (fideiussores) schließen die Quellen dagegen ein eigenes Regressrecht des Leistenden gegenüber seinen Mitbürgen ausdrücklich aus11. Dies muss aber vor dem Hintergrund gesehen werden, dass zum einen Mitbürgen die Einrede der Teilung zustand12, zum anderen ein Mitbürge, der die Gesamtleistung erbrachte, spätestens im nachklassischen Recht vom Gläubiger die Abtretung der Klage gegen den Hauptschuldner verlangen konnte und mit dieser Klage auch die Rechte
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Wesener, Labeo 11 (1965), 350 ff.; Levy, Konkurrenz I, 238; Liebs, Klagenkonkurrenz, 248; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 154 IV 5; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 107 V; Schmieder, Duo rei, 161 ff. 9 Ulpian D.27,3,1,13 und § 18; Julian D.3,5,29; Diocletian C.5,51,6; Carinus C.5,52,2; Antoninus C.5.58,2; zur Haftung mehrerer Bewohner bei der actio de effusis vel deiectis Paulus D.9,3,4. Siehe unten, 561 ff. 10 So Seiler, Negotiorum gestio, 189 ff., m.w.N. 11 Gai. 3,122; Inst. 3,20,4; Modestin D.46,1,39; Alexander C.8,40,11. Vgl. unten, 1089 ff. 12 Oben, 234 ff.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
gegenüber den übrigen Bürgen erwarb13. Ein Regress war daher nur dann ausgeschlossen, wenn kein besonderes Innenverhältnis unter den Mitbürgen bestand und der Leistende es unterlassen hatte, vom Gläubiger die Abtretung zu verlangen. Insgesamt hingen Zulässigkeit und Modalitäten des Rückgriffs also von der konkreten Art der gesamtschuldnerischen Haftung ab. Ein gesetzliches Innenverhältnis unter den Schuldnern bestand, wenn sie als Miterben für die Schulden des Erblassers einzustehen hatten oder ein Vermächtnis erfüllen mussten. Grundsätzlich hafteten Miterben nur als Teilschuldner14. War der Gegenstand der Leistungsverpflichtung aber unteilbar, konnte der Gläubiger von jedem Miterben die Gesamtleistung verlangen15. Derjenige Erbe, der geleistet oder dem Gläubiger sein Interesse gezahlt hatte, konnte von seinen Miterben anteiligen Ausgleich mit Hilfe der Erbteilungsklage (actio familiae erciscundae) verlangen16. Im Innenverhältnis hatte jeder Miterbe die Schuld nach seinem Erbanteil mitzutragen. Dieser Gesamtschuldregress war nur eine der vielen Funktionen der Erbteilungsklage, mit deren Hilfe auch Ersatz sonstiger Aufwendungen oder Schadensersatz gefordert werden konnte17. In Betracht kam ein Regress mit der Erbteilungsklage etwa auch dann, wenn die Miterben Teilschuldner waren, ein Miterbe aber aus besonderen Gründen die gesamte Schuld erfüllt hatte18. Beruhte die Solidarhaftung auf einem gemeinsam geschlossenen Vertrag, richtete sich der Regress nach dem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis unter den Schuldnern. Hier kam in erster Linie eine Innengesellschaft (societas) unter den Schuldnern in Frage. Da für Gesellschafter nach außen die allgemeine Teilschuldregel galt, trat eine solidarische Haftung nur in bestimmten Fällen ein. Die Gesellschafter waren Gesamtschuldner, wenn sie dies mit dem Gläubiger, etwa durch entsprechende Stipulation, vereinbart hatten, ferner, wenn ihre Leistungspflicht unteilbar war, und schließlich im Rahmen der adjektizischen Klagen: Danach hafteten die Gesellschafter solidarisch unter anderem für Verbindlichkeiten, die ein von ihnen eingesetzter Schiffsführer oder Betriebsleiter eingegangen war, ebenso für Schulden eines gemeinsamen Sklaven, den sie mit einem Sondervermögen ausgestattet hatten19. Die Quellen zur adjektizischen Haftung, die eine solidarische Haftung der Prinzipale anordnen, sehen zugleich einen Rückgriff des zahlenden Gesamtschuldners gegen seine
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Julian D.46,1,17; Schmieder, Duo rei, 259 ff. m.w.N. Oben, 107. 15 Oben, 109. 16 Paulus D.10,2,25,10–11, D.10,2,44,8, D.45,1,2,2. 17 Berger, Teilungsklagen, 101 ff., 135 ff.; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 179 I 2. 18 Etwa weil die gesamte Schuld mit einem Pfand gesichert oder mit einer Vertragsstrafe verbunden war, Ulpian D.10,2,18,5–7; Paulus D.10,2,25,13–15; vgl. Pomponius D.13,7,8,2; hierzu Berger, Teilungsklagen, 148 ff. 19 Oben, 16 f. Hatte der Sklave verschiedene Pekulien von verschiedenen Prinzipalen, dann haftete jeder Miteigentümer zwar als Gesamtschuldner, aber nur in Höhe des von ihm gestellten Sonderguts, vgl. oben, 244. 14
2. Historische Entwicklung
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Mitschuldner vor, und zwar in Form der actio pro socio oder der actio communi dividundo20. Bei der actio pro socio handelte es sich um eine umfassende Abrechnungsklage, mit der ein Gesellschafter von seinen Mitgesellschaftern unter anderem anteiligen Ersatz seiner Aufwendungen verlangen konnte, die er für die Gesellschaft getätigt hatte21. Hierzu gehörte auch die Zahlung von „Gesellschaftsschulden“, also von Verbindlichkeiten, welche die Gesellschafter für Gesellschaftszwecke eingegangen waren. Maßgeblich für die Aufteilung im Innenverhältnis waren die Verlustanteile der einzelnen Gesellschafter. Die actio communi dividundo (Teilungsklage) diente dagegen in erster Linie der Auflösung und Auseinandersetzung der unter den Gesellschaftern bestehenden Bruchteilsgemeinschaft am Gesellschaftsvermögen22. In diesem Rahmen konnten aber auch schuldrechtliche Abrechnungsansprüche wie der auf Aufwendungsersatz für gezahlte „Gesellschaftsschulden“ geltend gemacht werden23. Ein Rückgriff mit Hilfe einer dieser Klagen stand dem Gesellschafter, auch wenn der Regress nur bei der adjektizischen Haftung erwähnt wird, wohl auch in sonstigen Fällen der solidarischen Gesellschafterhaftung zu. Offenbar hatte er die Wahl, auf welche der beiden Klagen er sein Rückgriffsbegehren stützte. Dieser Rückgriff konnte allerdings, anders als heute24, nur eingeschränkt geltend gemacht werden: Zumindest nach klassischem römischen Recht waren Klagen der Gesellschafter gegeneinander während des Bestehens der Gesellschaft ausgeschlossen25. Die actiones pro socio und communi dividundo zielten auf Abrechnung und Auseinandersetzung nach Beendigung der Gesellschaft ab; die Erhebung der actio pro socio selbst galt als Beendigung. Solange die Gesellschaft bestand, wurde von den Gesellschaftern erwartet, dass sie ihre gegenseitigen Beziehungen unter sich, ohne Hilfe des Rechts, regelten. Erst wenn dies nicht mehr möglich war, kam es zur Beendigung und zur umfassenden Abrechnung gegenseitiger Ansprüche vor Gericht. Hatte also ein Gesellschafter als Gesamtschuldner eine gemeinsame Schuld getilgt, erwarb er damit nicht einen sofort klagbaren Rückgriffsanspruch. Die Schuldtilgung hatte zunächst nur für die interne Rechnung unter den Gesellschaftern Bedeutung und wurde nur dann ein vor Gericht geltend gemachter Posten, wenn eine Einigung und damit die Gesellschaft selbst scheiterte.
20 Julian D.10,3,25; Paulus, D.10,3,8,4, D.10,3,15, D.14,1,3, D.14,3,14; Ulpian D.14,3,13,2; Afrikan D.10,3,9; Gaius D.15,1,27,8; Scaevola D.15,1,51; hierzu Drosdowski, Actio pro socio, 115 ff.; Berger, Teilungsklagen, 170 ff.; Buckland, Slavery, 377 ff. 21 Zum Folgenden Drosdowski, Actio pro socio, 1 ff. 22 Paulus D.10,3,1. 23 Zimmermann, Law of Obligations, 465 f.; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 138 II 2. 24 Vgl. unten, 304 ff., zum Verhältnis zwischen dem Regress gegenüber der Gesellschaftskasse und dem Regress gegen die Mitgesellschafter. 25 Hierzu Wieacker, SZ RA 69 (1952), 302; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 133 V, § 138 I 2; ders., SDHI 41 (1975), 329 ff.; Zimmermann, Obligations, 457, 460; Drosdowski, Actio pro socio, 36 ff., 45 f.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
Das vertragliche Innenverhältnis unter den Gesamtschuldnern musste nicht notwendig eine societas sein. In Betracht kam auch, dass ein künftiger Schuldner einen Dritten bat, mit ihm zusammen Gesamtschuldner zu werden, weil der Gläubiger Sicherheiten verlangte. Die Mitübernahme der Schuld durch den Dritten beruhte dann auf einem Auftrag. Erfüllte der Dritte dann, konnte er gegenüber dem ersten Schuldner die actio mandati contraria, also die Klage des Beauftragten auf Auslagenersatz, erheben. Die überlieferten Quellen erwähnen einen Gesamtschuldrückgriff mit der Auftragsklage allerdings nicht. Dies beruht aber offenbar darauf, dass die Quellen über die Gesamtschuld sich grundsätzlich auf das Verhältnis zwischen Schuldnern und Gläubiger konzentrieren und nicht auf das Innenverhältnis. Über den Rückgriff ist bei vertraglichen Gesamtschulden in den klassischen Quellen grundsätzlich nur im Rahmen der adjektizischen Haftung die Rede, offenbar deshalb, weil man mit der Rückgriffsmöglichkeit die keinesfalls selbstverständliche Haftung jedes Prinzipals auf das Ganze rechtfertigen wollte26. Ansonsten war der Regress aus dem vertraglichen Innenverhältnis wohl selbstverständlich. Allerdings gibt es eine Reihe von Quellenstellen, in denen der societas unter den Gesamtschuldnern besondere Bedeutung auch im Außenverhältnis zum Gläubiger eingeräumt wird: Auf eine vereinbarte Haftungsbefreiung oder ein Liberationslegat des Gläubigers zugunsten eines Gesamtschuldners S1 konnte sich ein anderer Gesamtschuldner S2 nur dann berufen, wenn er Gesellschafter von S1 war27. Hatte der Gläubiger mittels Schiedsvertrag auf die Klage gegen einen Gesamtschuldner verzichtet und verklagte er den anderen Gesamtschuldner, verwirkte er die Strafe aus dem Schiedsvertrag nur dann, wenn die Gesamtschuldner Gesellschafter waren28. Nur bei einer societas unter den Gesamtschuldnern konnte S1 gegenüber dem Gläubiger mit einer Forderung des S2 aufrechnen29. Beerbte der Gläubiger den Schuldner S1, konnte er von S2 grundsätzlich nach wie vor die Gesamtleistung verlangen, im Fall einer Gesellschaft zwischen S1 und S2 dagegen nur den von S2 intern zu tragenden Anteil30. Schließlich wurden bei der Berechnung der Falzidischen Quart31 Verbindlichkeiten von Gesamtschuldnern dann als Teilschulden angesetzt, wenn sie Gesellschafter waren32.
26 Vgl. Ulpian D.14,3,13,2; Paulus D.14,3,14; Gaius D.15,1,27,8; Julian D.15,1,37,2; Scaevola D.15,1,51; Levy, Konkurrenz I, 242 f., 269 f.; Berger, Teilungsklagen, 175 f.; Drosdowski, Actio pro socio, 141 f. 27 Haftungsbefreiung: Papinian D.45,2,9,1; Liberationslegat: Ulpian D.34,3,3,3; Paulus D.34,3,29 (die Befreiung des begünstigten Schuldners erfolgte dann im Wege der gesamtwirkenden acceptilatio). Hierzu Schmieder, Duo rei, 135 ff. 28 Paulus D.4,8,34 pr.; vgl. Schmieder, Duo rei, 141 ff. 29 Papinian D.45,2,10; vgl. Schmieder, Duo rei, 115 f. 30 Paulus D.46,1,71 pr.; vgl. Schmieder, Duo rei, 188 f. 31 Die lex Falcidia (D.35,2) sah vor, dass ein Erbe nur insoweit mit Nachlassverbindlichkeiten, insbesondere Vermächtnissen, belastet werden konnte, als ihm noch mindestens ein Viertel der Erbschaft übrig blieb. 32 Ulpian D.35,2,62.
2. Historische Entwicklung
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Die genannten Gesamtwirkungen können damit erklärt werden, dass unter Gesellschaftern ein Rückgriffsverhältnis bestand. Wenn aber die Gesamtwirkungen nur bei der societas eintraten, bedeutet dies, dass es außerhalb der societas keinen Rückgriff gab? Dieser Schluss wurde von einigen Autoren des 19. Jahrhunderts tatsächlich gezogen, ist aber in dieser Allgemeinheit unrichtig. Schon die Quellen zur Solidarhaftung der Miterben zeigen, dass ein Gesamtschuldrückgriff auch auf andere Gründe als eine Innengesellschaft gestützt werden konnte. Dass die Gesamtwirkungen trotzdem nur für die societas erwähnt werden, kann verschiedene Gründe haben: Entweder diente die societas hier als Musterfall eines Regressverhältnisses, so dass die Gesamtwirkungen auch dann eintraten, wenn es aus anderen Gründen als einer societas einen Rückgriff aus dem Innenverhältnis gab. Oder die Gesamtwirkungen waren tatsächlich auf die societas beschränkt. Dann erklären sie sich nicht schon aus dem Rückgriffsrecht als solchen, sondern aus der besonders engen Verbundenheit von GesellschafterGesamtschuldnern. Dass ein Rückgriff nicht aus dem Gesamtschuldverhältnis als solchem gefolgert wurde, kann sicher nur für das klassische römische Recht gesagt werden. Nachklassische Überlieferungen sprechen zumindest für eine Tendenz zur Erweiterung der Regressmöglichkeiten. Besonders diskutiert wurde unter den gemeinrechtlichen Schriftstellern die Diocletian zugeschriebene Stelle C. 8,39,1, in der für den Fall einer gemeinsamen Darlehensaufnahme mit Gesamtschuldabrede von einem Rückgriff des zahlenden Gesamtschuldners gesprochen wird. Möglicherweise hat Diocletian (oder, wenn die Stelle interpoliert ist, Justinian) ein allgemeines Regressrecht bei vertraglichen Gesamtschuldnern eingeführt33. Vielleicht handelte die Stelle über das Regressrecht in ihrer ursprünglichen Form nur von Teilschulden34. Ebenso gut kann es sich aber auch schlicht um einen Hinweis handeln, dass ein Regressrecht aus dem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis unter den Gesamtschuldnern folgt, das bei gemeinsamer Darlehensaufnahme vermutet werden kann35. Dagegen wird in einer nachklassischen Codexstelle und einer wohl interpolierten Digestenstelle, in denen es um gemeinschaftliche Kauf- bzw. Pachtverträge geht, von einem Recht des leistenden Gesamtschuldners gesprochen, vom Gläubiger die Abtretung der übrigen Forderungen zu verlangen36. Hieraus kann geschlossen werden, dass spätestens zur Zeit Justinians zumindest bei vertraglichen Gesamtschulden neben einem Regress aus dem Innenverhältnis wahrscheinlich auch ein Zessionsregress möglich war, sofern der Leistende vom Gläubiger die
33 Vgl. Dernburg, Pandekten II, § 73 Fn. 19; Binder, Korrealobligationen, 283 Fn. 14, 287 f.; Levy, Konkurrenz I, 238; Kaser, Römisches Privatrecht II, § 277 bei Fn. 27. 34 So Schmieder, Duo rei, 190 f. 35 So Savigny, Obligationenrecht I, 261 ff.; Wesener, Labeo 11 (1965), 354 f. 36 Valerian C.4,65,13; Marcellus D.19,2,47; siehe auch Papinian D.21,2,65; hierzu Levy, Konkurrenz I, 217 f., 238; Wesener, Labeo 11 (1965), 353, 355; Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. I, § 154 Fn. 40, Bd. II, § 277 Fn. 8, 23, 26; Schmieder, Duo rei, 193 ff., 200 f.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
Abtretung verlangte37; vielleicht gab es sogar eine allgemeine Regressklage38. In dieses Bild könnte auch die durch Justinian erlassene Novelle 99 passen, die (zumindest nach herrschender Meinung) für vertragliche Gesamtschuldner eine Teilungseinrede eröffnete39. Teilungseinrede und Regress sind funktional verwandt; sie dienen beide der Verteilung der Schuld unter den solventen Gesamtschuldnern. Zwar kann auch argumentiert werden, gerade die Einrede der Teilung mache den Regress überflüssig. Möglicherweise beruht die Teilungseinrede aber auch auf der Vorstellung, dass bei Gesamtschulden stets eine Verteilung im Innenverhältnis stattfinden müsse, dass diese Verteilung also nicht aus dem besonderen Innenverhältnis gefolgert wird, sondern schon aus der Tatsache, dass eine Gesamtschuld vorliegt, und dass gerade diese Vorstellung nahe legt, auch den Regress schon auf die Tatsache zu stützen, dass überhaupt ein Gesamtschuldverhältnis vorliegt40. Einen sicheren Schluss lässt die Quellenlage aber nicht zu.
b) Ein allgemeiner Gesamtschuldregress? Unter den gemeinrechtlichen Schriftstellern war daher die Frage, ob dem leistenden Korrealschuldner „als solchem“ ein Regressrecht gegen seine Mitschuldner zusteht, seit der Zeit der Glossatoren bis ins 19. Jahrhundert umstritten41. Eine Möglichkeit bestand darin, die verschiedenen Quellenstellen, die bei unterschiedlichen Gesamtschuldverhältnissen von einem Rückgriff oder einem Zessionsrecht des leistenden Gesamtschuldners sprachen, zu verallgemeinern und daraus den Schluss zu ziehen, dass ein Gesamtschuldner grundsätzlich auch das Recht zu einem anteiligen Rückgriff habe42. Aus einem (bis heute in seiner Bedeutung nicht ganz geklärten) Digestenfragment, nach dem Gesamtschuldner als wechselseitige Bürgen anzusehen seien43, konnte man schließen, dass jeder Gesamtschuld im Innenverhältnis eine Interzession zugrunde liege, die dem Leistenden einen Regress mit Hilfe der Mandatsklage eröffne. Insbesondere in der gemeinrechtlichen Praxis wurde das Rückgriffsrecht dagegen auf eine analoge Geschäftsführerklage (actio negotiorum gestorum utilis) gestützt44: Wer an den 37
Levy, Konkurrenz I, 238; Wesener, Labeo 11 (1965), 355; Kaser, Römisches Privatrecht II, § 277 II 2. 38 So Binder, Korrealobligationen, 288, 311; Kaser, Römisches Privatrecht II, § 277 II 2. 39 Oben, 236 ff. 40 Binder, Korrealobligationen, 284 ff., 309 ff.; vgl. auch Bentele, Gesamtschuld, 133 ff. 41 Übersicht zum frühen Gemeinen Recht bei von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 415 ff.; Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 7; Glück, Pandecten IV, 528; Kreittmayr, Anmerkungen IV, 83. 42 So etwa Domat, Loix civiles, § 1834; Pothier, Obligations, § 282; und wohl Grotius, Inleiding III, 3, § 8; weitere Nachweise bei Binder, Korrealobligationen, 485 f.; im 19. Jahrhundert noch Sell, ZCRPr 3 (1830), 370, ZCRPr 4 (1831), 17. 43 Papinian D.45,2,11 pr. Hierzu Wolff, FS Volterra III, 735 ff. 44 Diese Praxis wird ausdrücklich gutgeheißen bei Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst.3,16(17),1, § 4. Nachweise bei Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 7; Glück, Pandecten IV, 528; Höpfner, Commentar, § 820; Sell, ZCRPr 3 (1830), 371; von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 416 f.; Koch,
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Gläubiger leistete, erfüllte zwar in erster Linie seine eigene Schuld und war daher kein „echter“ Geschäftsführer für die anderen, doch befreite er seine Mitschuldner zugleich von ihrer Schuld. Es schien unbillig, den Mitschuldnern diesen Vermögensvorteil zukommen zu lassen, ohne für einen Ausgleich zugunsten desjenigen zu sorgen, auf dessen Vermögensopfer die Befreiung zurückging. Letztlich beruhte der Gedanke eines „automatischen“ Gesamtschuldregresses wie heute auf der Vorstellung, dass die Gesamthaftung im Außenverhältnis notwendig mit einer Aufteilung der Schuld im Innenverhältnis verbunden ist, eine Vorstellung, die auch schon Justinians Novelle 99 zugrunde lag. Sie findet sich auch in der deutschrechtlichen Tradition. Bei der Verpflichtung zur gesamten Hand haftete der einzelne Schuldner zusammen mit den Mitschuldnern für die gemeinsame Schuld, die auf allen Schuldnern zusammen lastete45. Wer also an den Gläubiger leistete, erfüllte eine Verbindlichkeit, die ihn nicht allein, sondern nur mit den Mitschuldnern zusammen traf; er erfüllte daher zugleich für seine Mitschuldner. Konsequenterweise stand ihm ein Rückgriffsrecht zu: Im Innenverhältnis war die gemeinsame Schuld unter den Schuldnern aufgeteilt46. Diese Vorstellung einer inneren Teilung der Gesamtschuld lag schließlich auch der großen Mehrheit der Kodifikationen und Entwürfe zugrunde. Von einem Regress des leistenden Gesamtschuldners sprach schon der CMBC47. Nach den Regeln des preußischen ALR über „Correalverträge“ sollte sich der Rückgriff zwar in erster Linie nach dem Vertrag unter den Schuldnern oder auch der Art des mit dem Gläubiger geschlossenen Geschäfts richten; sofern sich hieraus aber keine Anhaltspunkte ergaben, war ein Regress nach Kopfteilen vorgesehen48. Der französische Code Civil sah (im Anschluss an Pothier49) ausdrücklich vor, dass die Gesamtschuld im Innenverhältnis unter den Schuldnern geteilt ist, so dass der leistende Schuldner einen anteiligen Rückgriff hatte50. Demgegenüber sollte das österreichische ABGB ursprünglich eine Regel enthalten, wonach ein Rückgriffsrecht sich nur auf das besondere Innenverhältnis unter den Schuldnern stützen konnte51. In der Schlussrevision schloss man sich aber mit Bezug auf den mutmaßlichen Parteiwillen dem ALR und dem CC an und sah einen automatischen Gesamtschuldregress vor52. Dieselbe Entscheidung trafen 45 Forderungen II, § 66, S. 39; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap III/1, Nr. 2 (S. 93); Bornemann, Preußisches Civilrecht II, 655; Gruchot, Gruch 3 (1859), 339 f.; Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht I, § 63 bei Fn. 96 (S. 410); Göschen, Obligationenrecht, § 374 Nr. 4. 45 Oben, 66 ff. 46 Stobbe, Geschichte, 171 ff.; ders., Handbuch III, 168 f.; Bluntschli, Deutsches Privatrecht, § 110 Nr. 5 a.E.; von Gierke, Schuld und Haftung, 112; ders., Deutsches Privatrecht III, 249; Schulz, Rückgriff, 15 f.; vgl. von Amira, Nordgermanisches Obligationenrecht, Bd. I, 180, Bd. II, 212, 214. 47 CMBC IV 1 § 23. 48 ALR I 5 §§ 443–445. 49 Pothier, Obligations, § 264. 50 CC Art. 1213, 1214. 51 Urentwurf § 38; siehe Ofner, Ur-Entwurf, Bd. I, XCIII, Bd. II, 20 f. 52 Ofner, Ur-Entwurf II, 403 f.; Ergebnis: § 896 ABGB.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
der Sächsische, der Hessische und der Bayerische Entwurf53. In der Schweiz lag der Gesamtschuldregress besonders nahe, weil man hier noch stärker an deutschrechtliches Gedankengut anknüpfte. So findet er sich nicht nur in Bluntschlis Züricher Gesetzbuch54 (und wird von Bluntschli auf die „Gemeinschaft der Solidarschuldner mit Bezug auf die Schuld“ zurückgeführt55), sondern schließlich auch im Schweizer Obligationenrecht56.
c) Die regresslose Korrealobligation Nach einer unter den gemeinrechtlichen Schriftstellern verbreiteten Gegenauffassung führte die Gesamtschuld als solche nicht zu einem Rückgriffsrecht57. Diese Ansicht wurde ganz herrschend und fand auch Eingang in die Rechtsprechung58, als die Vertreter der Historischen Schule im 19. Jahrhundert in Abkehr von vermeintlichen Billigkeitsvorstellungen wieder auf die römischen Quellen zurückgriffen, die ihrer Ansicht nach einen mit der Korrealobligation verbundenen Regress nicht begründen konnten59. Gerade die besondere Hervorhebung der societas als Innenverhältnis unter den Schuldnern, so wurde argumentiert, zeige, dass es ohne ein besonderes Innenverhältnis keinen Rückgriff gebe60. Das Fehlen eines direkten Rückgriffsanspruchs unter Mitbürgen war damit nicht 53 SächsE § 607; HessE IV 1, Art. 12 (der Gesetzgeber schloss sich hier der unten dargestellten Lehre Savignys an, Motive zu HessE IV 1, S. 4 f., 22), Art. 38 (unteilbare Leistungen); BayE II, Art. 239 (Gesamtschuld), 245 (unteilbare Leistungen). 54 ZürGB § 942 Satz 2 (Solidarschuld), § 948 II (Subsidiär-Gesamtschuld). 55 Bluntschli, Anmerkung zu § 942 ZürGB. 56 OR 1881 Art. 168, OR 1911 Art. 148 (Gesamtschuld), OR 1881 Art. 79 II, OR 1911 Art. 70 III (unteilbare Leistungen). 57 Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 7; Wolff, Ius naturae III, § 697; Höpfner, Commentar, § 820; Glück, Pandecten IV, 528; Thibaut, Pandekten, § 227 (1834: § 138), Anm. 2; Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, § 207 bei Fn. g; Braun, Erörterungen I, § 227 (S. 245 f.); Unterholzner, Schuldverhältnisse, §§ 91 IV, 534 II; Bucher, Forderungen, § 117; Koch, Forderungen II, 38. 58 OAG Zerbst, SeuffA 1 Nr. 331 (1838/1839); OAG München, SeuffA 22 Nr. 237 (22.5.1868); OLG (München?) als Berufungsinstanz in BayObLG, SeuffA 43 Nr. 100 (20.10.1887); im Ergebnis ebenso Obertribunal Berlin, SeuffA 24 Nr. 109 (22.9.1868). Ein Regress bei gemeinschaftlicher Übernahme der Solidarschuld wird dagegen bejaht in OAG Kiel, SeuffA 7 Nr. 158 (18.10.1837); OAG Berlin, SeuffA 24 Nr. 110 (24.6.1870). 59 Ausführlich von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 409; Vangerow, Pandekten, § 573 Anm. 3; Windscheid, KritÜb 6 (1859), 229 ff.; ders., Pandekten, § 294; Samhaber, Correalobligation, 192 ff.; ferner Puchta, Pandekten, § 235 a.E.; ders., Vorlesungen, § 235; Burchardi, Obligationenrecht, § 247 bei Fn. 33; Göschen, Obligationenrecht, § 374 Nr. 4; Mühlenbruch, Pandekten, § 492; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap III/1, Nr. 2 (S. 93 f.); Bornemann, Preußisches Civilrecht II, 655; Fitting, Correalobligationen, 103 Fn. 129; Kuntze, Singularsuccession, 235; Brinkmann, Verhältnis, 152 ff.; Müller, Institutionen, § 97 II; Brinz, Pandekten, § 236, Anm. 6, § 253 a.E.; Baron, Pandekten, § 245 III 1 b; Arndts, Pandekten, § 213 a.E.; Wächter, Pandekten, § 177 III 10; Wendt, Pandekten, § 207; Mitteis, GrünZ 14 (1887), 469 f., 472 ff.; Dernburg, Pandekten II, § 73 Anm. 5. 60 Windscheid, KritÜb 6 (1859), 231 f.; Fitting, Correalobligationen, 103 Fn. 129; Samhaber, Correalobligation, 194 ff.; Dernburg, Pandekten II, § 73 Fn. 19; Binder, Korrealobligationen, 284 Fn. 14.
2. Historische Entwicklung
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Ausnahme, sondern Regel. Viele Schriftsteller verneinten einen „automatischen“ Regress bei allen Arten von Gesamtschuldverhältnissen, während andere bereit waren, bei Solidarobligationen (also gesetzlichen Gesamtschulden) eine Ausnahme zu machen, um so die in den Quellen erwähnten Rückgriffsrechte unter Vormündern oder Hausbewohnern (bei der actio de effusis) zu erklären61. Einigkeit bestand jedenfalls darüber, dass die Korrealobligation, worunter hauptsächlich vertragliche Gesamtschulden verstanden wurden, als solche ein Rückgriffsrecht nicht begründen könne. Diese Regresslosigkeit sollte für viele direkt aus dem Wesen der Korrealobligation folgen: Wer an den Gläubiger leiste, erfülle allein seine eigene Schuld und führe damit nur sein eigenes, kein fremdes Geschäft62. Die Befreiung der Mitschuldner war so gesehen nur eine Reflexwirkung der Leistung an den Gläubiger, die als solche weder einen Rückgriff aus Fremdgeschäftsführung noch aus ungerechtfertigter Bereicherung begründen konnte63. Wer bei Solidarobligationen einen Rückgriff bejahte, konnte argumentieren, dass es sich hier, anders als bei der Korrealobligation, um mehrere Obligationen handle, so dass der Leistende zugleich eine fremde Obligation tilge64. Zudem, so manche Autoren, treffe die solidarische Haftung die Schuldner hier gleichsam nur zufällig, während sie bei der Korrealobligation geplant sei65. Während diese Erwägungen für den heutigen Leser eher begrifflich und teilweise unverständlich erscheinen, ist ein anderes, später vorgetragenes Argument klarer: Die Korrealschuldner haben es, anders als die gesetzlichen Solidarschuldner, in der Regel selbst in der Hand, durch entsprechende Vereinbarung für einen Rückgriff zu sorgen66. Tatsächlich scheint es bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden im Ergebnis keinen großen Unterschied zwischen den einen Gesamtschuldregress bejahenden und verneinenden Meinungen gegeben zu haben67. Wer einen Regress aus der Gesamtschuld selbst verneinte, lehnte nicht den Rückgriff als solchen ab, 61
Hierzu unten, 571 ff. So Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 7; Glück, Pandecten IV, 528; Höpfner, Commentar, § 820; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 534 II 7; Braun, Erörterungen I, § 227 (S. 245 f.); Koch, Forderungen II, 39; Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 3 (S. 78); Wächter, Pandekten, § 177 III 10; Dernburg, Pandekten II, § 73 Anm. 5. 63 Vgl. von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 418 ff.; Jhering, JhJb 10 (1871), 263, 272, 295, 332; Kohler, JhJb 25 (1887), 118–120; BayObLG, SeuffA 49 Nr. 81 (28.9.1893); OLG Hamburg, SeuffA 52 Nr. 7 (1.4.1895). 64 von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 418, 431 f.; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap III/1, Nr. 2 (S. 93); Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 3 (S. 80 f.). Kritisch zu diesem Argument Savigny, Obligationenrecht I, 219 Fn. b; Unger, JhJb 22 (1884), 272; von Kübel, Motive zum Vorlageentwurf, 52 (Schubert, SR III, 1264). 65 von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 421, 432. 66 So Eisele, AcP 77 (1891), 480. 67 So auch Samhaber, Correalobligation, 199 f.; Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 52 (so wichtig die Streitfrage theoretisch auch sei, werde doch der Regress in so vielen Fällen vertraglicher Gesamtschulden anerkannt, „dass man in Verlegenheit gerathen muss, wenn man sagen soll, welche Fälle nun noch übrig seien“); von Kübel, Motive zum Vorlageentwurf, 56 (Schubert, SR III, 1268); Goette, Gesamtschuldbegriff, 108. 62
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
sondern sah die Gesamtschuld bzw. Korrealobligation als „neutral“ gegenüber der Regressfrage an68. Sie betraf nur das Außenverhältnis zum Gläubiger; der Rückgriff im Innenverhältnis musste sich daher auf eine andere „Anspruchsgrundlage“ stützen, wie etwa die Erbteilungsklage, wenn es sich um Gesamtschulden von Miterben handelte. Bei einer vertraglich vereinbarten Gesamtschuld war unstreitig ein anteiliger Rückgriff über die actio pro socio (deren Beschränkung auf schon beendete Gesellschaften längst weggefallen war) oder auch communi dividundo möglich, sofern die Schuldner Gesellschafter waren69. Ebenso kam ein Rückgriff mit Hilfe der Mandatsklage in Frage, sofern der regresssuchende Gesamtschuldner die Schuld im Auftrag eines anderen eingegangen war70. Bei fehlendem Innenverhältnis kam auch ein Rückgriff über die Geschäftsführerklage in Betracht, wobei die Fremdgeschäftsführung allerdings nicht schon durch die Leistung an den Gläubiger begründet wurde, sondern die fremdnützige Übernahme der solidarischen Haftung verlangte71. Schließlich hielten viele einen Rückgriff auch dann für möglich, wenn der Vorteil der eingegangenen Schuld in Gestalt der Gegenleistung (auch) dem nicht leistenden Gesamtschuldner zugutegekommen war72. Im Ergebnis hing der Rückgriff bei vertraglichen Gesamtschulden davon ab, wie weit man bereit war, eine Gesellschaft, ein Auftragsverhältnis oder einen „zugutegekommenen Vorteil“ unter den Gesamtschuldnern anzunehmen. Dies kann an den gemeinrechtlichen Diskussionen zur Stelle C.8,39,1 illustriert werden, die im Fall einer gemeinschaftlichen Darlehensaufnahme von einem Rückgriff des leistenden Gesamtschuldners sprach73. Wer einen selbständigen Gesamtschuldregress bejahte, sah seine Ansicht mit dieser Stelle bestätigt74. 68 Siehe insbes. Windscheid, KritÜb 6 (1859), 229 ff.; Arndts, KritVj 5 (1863), 336; Samhaber, Correalobligation, 198 f.; Wächter, Pandekten, § 177 III 10; vgl. auch Savigny, Obligationenrecht I, 227 f. 69 Beispiel: OAG Rostock, SeuffA 28 Nr. 111 (17.12.1857). 70 Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 534 II 5; Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, § 207 bei Fn. g; Sell, ZCRPr 3 (1830), 370 f.; von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 434; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap III/1, Nr. 2 (S. 93); Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 3 (S. 81); Puchta, Vorlesungen, § 235; Seuffert, Pandekten, § 228 a.E.; Windscheid, Pandekten, § 294 Fn. 3; Müller, Institutionen, § 97 II; Brinz, Pandekten, § 236, Anm. 6; Samhaber, Correalobligation, 199; Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 52; Wendt, Pandekten, § 207; Jhering, JhJb 10 (1871), 344 f.; Mitteis, GrünZ 14 (1887), 473; vgl. Savigny, Obligationenrecht I, 233 ff. 71 Vgl. Kohler, JhJb 25 (1887), 119; Windscheid, Pandekten, § 294 Fn. 3, § 431 Fn. 12; Brinz, Pandekten, § 236, Anm. 6; Savigny, Obligationenrecht I, 236 ff. 72 Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 7; Mühlenbruch, Pandekten, § 492; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap III/1, Nr. 2 (S. 93); von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 427, 434; Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 3 (S. 80, 81, 83); Brinkmann, Verhältnis, 147 ff.; Windscheid, Pandekten, § 294 Fn. 3; Wächter, Pandekten, § 177 III 10; Wendt, Pandekten, § 207; Samhaber, Correalobligation, 199; vgl. Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 52 (S. 148). Zum Ursprung dieses Gedankens bei den Glossatoren von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 415 f., 427. 73 Vgl. oben, 267. 74 Sell, ZCRPr 3 (1830), 403 ff., 412 f.; Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 52 (S. 148); zum Zessionsregress Savigny, Obligationenrecht I, 263 Fn. o.; Schmid, Cession I, 370 f.; Zaun, ArchPrRW nF 1 (1864), 136.
2. Historische Entwicklung
273
Diejenigen Schriftsteller aber, die für den Regress ein besonderes Innenverhältnis verlangten, begründeten den in der Stelle gewährten Rückgriff mit einer societas75, mit dem gemeinsamen Interesse der Darlehensnehmer76 oder mit dem Vorteil, den der nicht leistende Schuldner durch das gewährte Darlehen erhalte77 und der eine Fremdgeschäftsführungs-78 oder Bereicherungs- bzw. Versionsklage79 eröffne. Manche schlossen aus dem Fragment, dass bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden stets eine Gesellschaft unter den Gesamtschuldnern vorliege80 bzw. stets ein Rückgriffsanspruch bestehe81. Neben dem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis unter den Schuldnern kamen noch andere Wege in Betracht, den Rückgriff, der nicht schon aus der Gesamtschuld selbst folgen sollte, im Einzelfall zu begründen. Einzelne Schriftsteller bejahten einen Regress, wenn dem das Ganze leistenden Gesamtschuldner die Einrede der Teilung zugestanden hätte, so dass die Leistung hinsichtlich der Anteile der Mitschuldner als Fremdgeschäft angesehen werden konnte82. Diese Ansicht, die angesichts der herrschenden Lehre, die allen vertraglichen Gesamtschuldnern die Teilungseinrede gewährte83, weitreichende Folgen für den Regress haben konnte, setzte sich allerdings nicht allgemein durch, weil sie nicht damit vereinbar war, dass man einen Regress unter unabhängigen Mitbürgen trotz hier anerkannter Teilungseinrede für ausgeschlossen hielt. Andere hielten einen „automatischen“ Regress bei unteilbaren Leistungsverpflichtungen für gegeben84. Hierfür stützte man sich nicht nur auf die Quellen (welche unteilbare Leistungen nur im 75 Cujas, Notae in libros Institutionem Justiniani, zu Inst.3,16, a.E.; Braun, Erörterungen I, § 227 (S. 245 f.); Koch, Forderungen II, 38; Göschen, Obligationenrecht, § 374 Nr. 4; Brinz, Pandekten, § 236, Anm. 6; weitere Nachweise bei Sell, ZCRPr 3 (1830), 405; von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 426. 76 Wächter, Pandekten, § 177 III 10; Kohler, JhJb 25 (1887), 119. 77 Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 7; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap III/1, Nr. 2 (S. 93); Samhaber, Correalobligation, 199. 78 Brinkmann, Verhältnis, 147 ff.; Windscheid, Pandekten, § 294 Fn. 3; Wendt, Pandekten, § 207. 79 von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 427; Mühlenbruch, Pandekten, § 492; Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 3 (S. 80). 80 Vgl. Sell, ZCRPr 3 (1830), 407; von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 422, 426; Bucher, Forderungen, § 117; Koch, Forderungen II, 38. 81 So Glück, Pandecten IV, 528; Christiansen, Institutionen, § 3, S. 286. 82 Thibaut, Pandekten, § 227 (1834: § 138), Anm. 2; Sell, ZCRPr 3 (1830), 376 Fn. 2; Braun, Erörterungen I, § 227 (S. 246); von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 435, 445; vgl. Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 534 II 7; Windscheid, Pandekten, § 298 bei Fn. 12 (für Solidarobligationen); dagegen Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 3 (S. 81); Brinkmann, Verhältnis, 153 f.; OAG Zerbst, SeuffA 1 Nr. 331 (1838/1839). 83 Oben, 238. 84 Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, § 207 Fn. g; von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 433 f.; Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 3 (S. 81); Brinz, Pandekten, § 233 Fn. 18 (vgl. § 236 Fn. 36); Kuntze, Singularsuccession, 235; Brinkmann, Verhältnis, 151 f.; Ubbelohde, Unteilbare Obligationen, 270; Windscheid, Pandekten, § 299 bei Fn. 3; OGH Bayern, SeuffA 31 Nr. 242 (29.11.1872); vgl. Sell, ZCRPr 3 (1830), 414 f.; Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 52 (S. 148); dagegen von Helmolt, Correal-Obligationen, 42; Binder, Korrealobligationen, 288 ff. So auch der Dresdener Entwurf, Art. 242; vgl. Dresd. Prot. 4223 f.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
Zusammenhang mit Miterben behandelten und daher selbstverständlich einen Regress bejahten, allerdings aufgrund der Erbteilungsklage), sondern auch auf den Gedanken, dass es sich „eigentlich“ um Teilschulden handle, bei denen der solidarische Zugriff allein auf der Unteilbarkeit des Leistungsgegenstandes beruhe85, so dass der Rückgriff das „natürliche“ Teilschuldverhältnis wiederherstelle. Eine Reihe von Schriftstellern verneinte zwar ein aus der Gesamtschuld folgendes Rückgriffsrecht, räumte dem leistenden Gesamtschuldner aber das Recht ein, vom Gläubiger zu Regresszwecken eine Zession der Klagen gegen die übrigen Schuldner zu verlangen86. Hierfür konnten sie sich auf die wenigen Digestenstellen berufen, die von einem solchen Zessionsrecht bei Gesamtschuldnern sprachen. Im späteren 19. Jahrhundert überwog dagegen die Auffassung, dass ein solches Zessionsrecht bei Gesamtschuldnern nicht bestehe: Die Zession könne nur ein bereits bestehendes Rückgriffsrecht absichern, nicht aber einen Rückgriff erst ermöglichen. Ohne Ausgleichsverhältnis unter den Gesamtschuldnern könne nicht begründet werden, warum der Gläubiger die Klagen gegen die Mitschuldner nur anteilig abtreten müsse. Ein Recht auf Klageabtretung bestehe nur dann, wenn der Leistende ohnehin zum Rückgriff berechtigt sei87. Diese, aus Sicht des 19. Jahrhunderts „moderne“, Auffassung schlug sich in den beiden Regelwerken nieder, die am stärksten vom Gedankengut der Pandektistik beeinflusst waren, nämlich dem Sächsischen BGB und dem Dresdener Entwurf. Nach dem Sächsischen BGB war ein Rückgriff des leistenden Gesamtschuldners grundsätzlich ausgeschlossen, außer wenn unter den Gesamtschuldnern eine „Gemeinschaft oder ein Auftragsverhältnis“ bestand88, womit man alle möglichen Arten von vertraglichen Innenverhältnissen abzudecken meinte89. Der Dresdener Entwurf brachte den Gedanken noch genauer auf den Punkt, indem er vorsah, dass „vermöge des Gesammtschuldverhältnisses an sich“ ein Rückgriff nicht bestehe, sondern sich nur aus dem Innenverhältnis der Gesamtschuldner ergeben könne90. Die Gesamtschuld selbst, so die Verfasser, sei neutral gegenüber 85
Hierzu oben, 109 ff. Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 7; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 180 III 1 D, § 534 II 6; Koch, Forderungen II, 39; ders., ALR, Anm. zu I 14 § 304; Seuffert, Pandekten, § 228 bei Fn. 18; Burchardi, Obligationenrecht, § 247 bei Fn. 34; Savigny, Obligationenrecht I, 240 ff.; Puchta, Pandekten, § 235 a.E.; Müller, Institutionen, § 97 II; Baron, Pandekten, § 245 III 1 b; Sintenis, Civilrecht, § 89 nach Fn. 51; Schmid, Cession I, 359 ff., 369 ff.; ObG Wolfenbüttel, SeuffA 25 Nr. 223 (23.6.1855); ROHGE 18, 70, 75 (29.6.1875); einschränkend auch Brinz, Pandekten, § 236, Anm. 6, § 253 a.E. Nach Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 534 II 6, soll darüber hinaus ein Regress über eine utilis actio möglich sein, wenn der Leistende es entschuldbar versäumt hat, die Abtretung zu verlangen; hiervon handle C.8,39,1. Näheres unten, 392 ff. 87 So Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 3 (S. 83), § 574 Anm. 3 Nr. 5 (S. 124); Windscheid, Pandekten, § 294; Wächter, Pandekten, § 177 III 10; Wendt, Pandekten, § 207; OAG Dresden, SeuffA 17 Nr. 39 (4.10.1862); RGZ 28, 187, 190 f. (5.1.1892). 88 SächsGB § 1036. Auch die fingierte Zession des § 955 SächsGB war auf Gesamtschuldner nicht anwendbar, unten, 398. Kritisch Unger, Revidierter Entwurf Sachsen, 89 f. 89 So Siebenhaar (Verfasser des SächsGB), Sächsisches Privatrecht, 577. 90 DresdE Art. 16. 86
2. Historische Entwicklung
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der Regressfrage91. Bei vertraglichen Gesamtschulden werde sich der Rückgriff meist aus einem Auftrags-, Gemeinschafts- oder Geschäftsführungsverhältnis ergeben92. Nur für die Sonderkategorie der unteilbaren Leistungen sah der Dresdener Entwurf, nicht aber das Sächsische BGB, einen unmittelbaren Rückgriff vor93. Für gesetzliche Gesamtschulden, etwa bei deliktischen Mittätern, enthielten beide Regelwerke einzelne spezialgesetzliche Rückgriffsansprüche94. Es war dieses Regelungsmodell der regresslosen, oder besser regressneutralen, Gesamtschuld, das der Schuldrechtsredaktor von Kübel (der Mitglied der Dresdener Kommission gewesen war) für das BGB vorsah. Nach seinem Vorlageentwurf von 1878 konnte ein Rückgriffsrecht bei der Gesamtschuld nur „durch ein zwischen den Gesammtschuldnern (…) bestehendes Rechtsverhältniß oder unmittelbar durch gesetzliche Vorschrift“ begründet werden95. Denn Begriff und Wesen der Gesamtschuld, die sich allein auf das Außenverhältnis zum Gläubiger beziehe, gäben auf die Ausgleichsfrage keine Antwort. Auch die Billigkeit verlange keinen automatischen Gesamtschuldregress, so von Kübel in Anlehnung an die gemeinrechtliche Argumentation, weil der Leistende lediglich seine eigene Schuld erfülle und daher auch nicht Fremdgeschäftsführer sei96. Bei vertraglichen Gesamtschulden werde der Regress durch das Innenverhältnis der Schuldner begründet. Ein solches Innenverhältnis konnte für von Kübel nicht nur eine Gesellschaft oder ein Auftragsverhältnis sein, sondern auch der aus dem Gemeinen Recht bekannte „Vorteil“, der dem nicht leistenden Gesamtschuldner durch das Geschäft mit dem Gläubiger zugutegekommen war97. Insofern machte es für ihn vom Ergebnis her keinen großen Unterschied, ob man bei vertraglichen Gesamtschuldnern einen aus der Gesamtschuld folgenden Regress vorsah oder nicht98. Anders als für Gesamtschulden sah von Kübel für unteilbare Leistungen offenbar einen „automatischen“ Regress vor99. Auch für gesetzliche Gesamtschulden aus Delikten plante er eine besondere Rückgriffsvorschrift100. 91
Dresd. Prot. 54 f., 3830 ff. Dresd. Prot. 4304 ff. 93 DresdE Art. 242; hierzu Dresd. Prot. 4223 f. Nach dem SächsGB galten für unteilbare Leistungen dagegen grundsätzlich die Gesamtschuldregeln, § 1037. 94 SächsGB §§ 1495, 1556; DresdE Art. 219, 1021 u.a.; hierzu unten, 583 f. 95 VorlE, These XV, § 21 I. 96 Motive zum VorlE, 57 f. (Schubert, SR III, 1269 f.). 97 Motive zum VorlE, 59 (Schubert, SR III, 1271). 98 Motive zum VorlE, 56 (Schubert, SR III, 1268). 99 TeilE Unteilbare Leistungen, § 28. Dieser Teilentwurf erschien 1882, also nachdem die Erste Kommission sich gegen von Kübels Willen zugunsten eines allgemeinen Gesamtschuldregresses ausgesprochen hatte (hierzu unten, 279 f.). Dennoch sprechen der gemeinrechtliche Hintergrund und die Motive zu § 28 (Motive zum TeilE Unteilbare Leistungen, 7; Schubert, SR I, 123) dafür, dass von Kübel dieses Rückgriffsrecht nicht erst wegen der Kommissionsentscheidung einfügte, sondern von Anfang an geplant hatte: Weil „materiell“ jeder Schuldner nur Teilschuldner war und nur wegen der Unteilbarkeit dem Zugriff aufs Ganze unterlag, führte der leistende Schuldner, anders als bei „echten“ Gesamtschulden, anteilig die Geschäfte seiner Mitschuldner. Ab dem Ersten Entwurf galten für unteilbare Leistungen die Gesamtschuldregeln, so dass die besondere Regressvorschrift für unteilbare Leistungen überflüssig wurde, Jakobs/Schubert, SR I, 957, 959. 100 Vgl. TeilE, Fn. 2 zu § 20 (Schubert, SR I, 52). 92
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
d) Die Rückkehr zum Gesamtschuldregress Bekanntlich hat sich von Kübels Auffassung in den Beratungen zum BGB nicht durchgesetzt. Die entgegengesetzte Entscheidung zugunsten eines allgemeinen Gesamtschuldregresses fiel schon in den Vorberatungen der Ersten Kommission. Angesichts der herrschenden gemeinrechtlichen Lehre im späteren 19. Jahrhundert und der klaren Regelung des Dresdener Entwurfs stellt sich die Frage, wie der BGB-Gesetzgeber zu dieser Entscheidung kam und was ihn bei dieser Frage beeinflusst hat. Die überlieferten Materialien über die Gesetzesberatungen zur Regressfrage sind nur sehr spärlich. Eine gewisse Rolle wird gespielt haben, dass zwar nicht die beiden „modernen“ pandektistischen Regelwerke, wohl aber die Mehrheit der Kodifikationen und Entwürfe einen Gesamtschuldregress vorsahen und, wie man wusste, auch für das Schweizer Obligationenrecht, das gerade entstand, ein Rückgriffsrecht geplant war. Ein wesentlicher Einfluss ist aber offenbar von den gemeinrechtlichen Schriftstellern selbst ausgegangen. Denn wenn auch im 19. Jahrhundert weitgehende Einigkeit bestand, dass die Korrealobligation „neutral“ gegenüber der Regressfrage war und zumindest das klassische römische Recht keinen aus der Gesamtschuld folgenden Rückgriff gekannt hatte, hatten einzelne Autoren es dennoch unternommen, in Weiterentwicklung des römischen Rechts einen allgemeinen Gesamtschuldrückgriff für das moderne Recht zu begründen. Den Anfang machte die bekannte „Glücksspiel“-Argumentation von Savigny101. Das natürliche Verhältnis sei, so Savigny, dass jeder Schuldner dem Gläubiger als Teilschuldner nur für sein Interesse am Vertrag hafte. Die Gesamtschuld modifiziere das natürliche Teilschuldverhältnis allein im Interesse des Gläubigers. Sein Recht, von einem beliebigen Schuldner die Gesamtleistung zu verlangen, mache die Gesamtschuld für die Schuldner aber zu einem Glücksspiel. Ein Regress unter den Gesamtschuldnern könne dieses Glücksspiel verhüten und im Ergebnis das natürliche Teilschuldverhältnis wiederherstellen, ohne die Interessen des Gläubigers an einer sicheren und leichten Rechtsverfolgung zu beeinträchtigen. Dieser Regress folge zwar nicht aus der Korreal- oder Solidarobligation selbst, die nur das Außenverhältnis zum Gläubiger beträfen, sei aber wünschenswert und mit Hilfe anderer Rechtssätze zu entwickeln. Bei vertraglichen Gesamtschulden bestehe ohnehin stets eine Gesellschaft oder ein Auftragsverhältnis unter den Schuldnern, weil die Eingehung der Schuld immer auch im fremden Interesse erfolge. Darüber hinaus stehe dem leistenden Schuldner aber auch ein Rückgriff mit Hilfe der Gläubigerforderung zu: Grundlage sei das aus der Arglisteinrede folgende Recht des Gesamtschuldners, vom Gläubiger die Zession der Klagen gegen die Mitschuldner zu verlangen. Ein Zessionszwang führe aber dann zu Problemen, wenn der Gläubiger die Abtretung verweigert oder vor der Abtretung stirbt. Schon das römische Recht habe daher in Einzelfällen eine Zession auch ohne entsprechende Gläubigererklärung fingiert. Seit dem 101
Savigny, Obligationenrecht I, 215 ff., 226 ff.
2. Historische Entwicklung
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justinianischen Recht sei die fingierte Zession im Falle eines Zessionsrechts allgemeine Regel. Zahle daher ein Gesamtschuldner, fingiere das Recht eine sofortige Abtretung der Gläubigerrechte an den Zahlenden, mit deren Hilfe der Zahlende Rückgriff nehmen könne102. Diese Ansicht Savignys setzte sich nicht durch103. Eine lediglich aus einem Zessionsrecht folgende allgemeine Abtretungsfiktion (im Ergebnis also eine cessio legis) hatte es auch im nachklassischen römischen Recht nicht gegeben, wie Zeitgenossen zu Recht monierten104. Nach einem anderen Vorschlag sollte die fingierte Zession stattdessen auf den mutmaßlichen Parteiwillen gestützt werden, weil ein redlich denkender Gläubiger sich der Abtretung seiner Klagen gegen die Mitschuldner nicht verweigern werde und bei Gesamtschuldverhältnissen ohne weiteres erkennbar sei, dass der Zahlende die Forderung gegen seine Mitschuldner zu Regresszwecken erwerben wolle105. Auch dies fand kein Gehör. Mit der fingierten Zession werde, so Wendt, dem (abzulehnenden) Rückgriffsrecht „nur ein neues Kleid angethan“106. In der Folgezeit kam es zu weiteren Vorschlägen, für das moderne Recht oder zumindest de lege ferenda dem leistenden Gesamtschuldner einen anteiligen Regressanspruch zu gewähren107. Sintenis nahm das Argument der herrschenden Lehre auf, dass der leistende Korrealschuldner wegen der Einheit der Korrelobligation nur sein eigenes Geschäft führe, und drehte es um: Aus der Anerkennung des „Mehrheitsprinzips“ auch für Korrealobligationen108 folge, dass der Leistende nicht nur seine eigene, sondern auch die Obligationen der Mitschuldner aufhebe und daher als Fremdgeschäftsführer Regress nehmen könne109. Für Jhering war die Befreiung der Mitschuldner bei Zahlung eines Korrealschuldners Beispiel einer begünstigenden Reflexwirkung, die im römischen Recht nur in Einzelfällen zu einem Ausgleichsanspruch geführt habe. Daher habe der Regress des Korrealschuldners sich nur aus dem Innenverhältnis ergeben können. Im modernen Recht sei es aber gerechtfertigt, einen Ausgleich für den zugutegekommenen Vorteil der Schuldbefreiung zu schaffen und dem zahlenden Korrealschuldner, falls es kein entsprechendes Innenverhältnis gebe, einen Regress102
Savigny, Obligationenrecht I, 243 ff. Gegen Savigny insbes. Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 3 (S. 81 ff.); Windscheid, KritÜb 6 (1859), 229 ff.; Samhaber, Correalobligation, 193 ff.; Binder, Korrealobligationen, 281 ff.; OAG München, SeuffA 22 Nr. 237 (22.5.1868); OAG Oldenburg, SeuffA 28 Nr. 225 (7.3.1873). Im Ergebnis wie Savigny aber Puchta, Pandekten, § 281 i.V.m. § 235 a.E.; sympathisierend von Holzschuher, Theorie III, § 220 Anm. 2 (S. 119); Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht I, § 63 nach Fn. 96 (S. 410); zustimmend Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 52 (S. 148). Schmid, Cession I, bejaht eine fingierte Zession bei Mitvormündern (359 ff.), Hausbewohnern im Rahmen der actio de effusis (368 f.) und vertraglichen Gesamtschulden mit Interzessionscharakter (369 ff.). 104 Etwa Zaun, ArchPrRW nF 1 (1864), 11. 105 Zaun, ArchPrRW nF 1 (1864), 131 ff., 139 f. 106 Wendt, Pandekten, § 207. 107 Neben den im Folgenden Genannten auch Schilling, Naturrecht I (1859), § 141. 108 Vgl. oben, 60 ff. 109 Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 52 (S. 147). 103
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
anspruch in Form der analogen Geschäftsführerklage zu gewähren110. Ähnlich argumentierte Kohler: Das römische Recht, das den Regress aus der Korrealobligation nicht gekannt habe, stehe auf einem rein formalen Standpunkt, wonach der zahlende Korrealschuldner allein seine Schuld tilge. Doch die Befreiung der Mitschuldner sei keine zufällige Folge der Zahlung, sondern im Zweck der Korrealobligation angelegt. De lege ferenda müsse der Gedanke, dass die Zahlung eines Gesamtschuldners materiell einem gemeinsamen Zweck diene, zur Gewährung eines anteiligen Regresses führen111. Auch Unger ging von der Prämisse aus, dass das römische Recht einen Regress aus der Korrealobligation nicht gekannt habe. Die Billigkeit erfordere aber, dass die gemeinsame Last von allen Korrealschuldnern gleichmäßig getragen und daher auf sie verteilt werden solle. Es sei gerade diese Erwägung, die der gemeinrechtlichen Praxis zugrunde gelegen habe, die Teilungseinrede allen vertraglichen Gesamtschuldnern zu gewähren112. Weil hier der Ausgleich aber auf Kosten des Gläubigers stattfinde, indem seine Rechtsverfolgung unzumutbar beeinträchtigt werde, sei die Teilungseinrede in den modernen Gesetzbüchern zu Recht abgeschafft worden. An ihre Stelle müsse de lege ferenda ein Regressrecht treten, das den Ausgleich ins Innenverhältnis verlagere. Für einen solchen Regress gebe es auch einen „inneren Grund“: Der zahlende Korrealschuldner erfülle nicht nur seine eigene Verbindlichkeit, sondern auch die der anderen; er handle in gemeinschaftlicher Angelegenheit. Die Mitschuldner stünden in einer „Schuldgemeinschaft“; sie seien „Schuldgenossen“ nicht nur nach außen, sondern auch nach innen; das Recht müsse die unter ihnen bestehende „Schuldsocietät“ anerkennen113. Für Dernburg schließlich blieb es zwar dabei, dass die Korrealobligation keinen Regress begründen könne; wegen dieses „unerfreulichen“ und unbilligen Ergebnisses sprach er sich aber für eine Vermutung eines rückgriffsbegründenden Innenverhältnisses aus, so dass es dem in Anspruch genommenen Gesamtschuldner oblag, das Fehlen des Regressrechts darzulegen114. Aus alldem wird ersichtlich, dass die, zumindest für das römische Recht anerkannte, Regressneutralität der Gesamtschuld im 19. Jahrhundert zunehmend als unbefriedigend empfunden wurde. Wenn auch alle genannten Autoren zumindest de lege ferenda zum gleichen Ergebnis, nämlich einem Gesamtschuldregress, kamen, wichen ihre Begründungen doch voneinander ab. Am wenigsten weit ging Dernburg, der lediglich eine Beweislastumkehr vorschlug und den Regress aus dem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis begründen wollte.
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Jhering, JhJb 10 (1871), 344 f.; hiergegen Binder, Korrealobligationen, 281 f. Kohler, JhJb 25 (1887), 118 ff., 121. 112 Hierzu oben, 238. 113 Unger, JhJb 22 (1884), 271 ff., 275 f. („Erst durch die Anerkennung der Schuldgemeinschaft auch nach innen und in dem Verhältnis der Schuldgenossen zu und untereinander, gelangt die Correalität zur vollen Ausgestaltung und zu allseitiger Entwicklung. Es handelt sich darum, … die unter ihnen bestehende Schuldsocietät anzuerkennen und zu allseitiger Geltung zu bringen.“) 114 Dernburg, Pandekten II, § 73 Anm. 5. 111
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Demgegenüber plädierten Savigny, Sintenis, Jhering und Kohler für einen gesetzlichen Gesamtschuldregress. Anknüpfungspunkt war für sie dabei die Befreiung des Mitschuldners von seiner Schuld. Der Regress wurde auf den bereicherungsrechtlichen Gedanken gestützt, dass der Mitschuldner den Vermögensvorteil in Gestalt der Schuldbefreiung auf Kosten des leistenden Gesamtschuldners erhalten hatte115. Zwar hatte der Leistende zugleich seine eigene Verbindlichkeit erfüllt, doch war die Befreiung des Mitschuldners nicht nur Reflexwirkung, sondern in der Korrealobligation angelegt: Die Schuldtilgung war ein gemeinschaftliches Geschäft, weil, in den Worten Savignys, jeder Schuldner „nach innen“ nur ein Teilinteresse hatte, also zwischen Außenhaftung und Inneninteresse eine Diskrepanz bestand. Diese Diskrepanz ergab sich aus der Gesamtschuld selbst, nicht erst aus einem besonderen Innenverhältnis: Im Außenverhältnis schuldet jeder, aber im Verhältnis der Schuldner untereinander kann die Last nicht auf jedem (kumuliert) beruhen; ebenso wenig kann es im Interesse der Parteien liegen, denjenigen die Last tragen zu lassen, den der Gläubiger zufällig auswählte (Savignys Glücksspielargument). Im Ergebnis beruhte der Regress also auf dem alten gemeinrechtlichen und auch heute noch zu findenden Gedanken, dass jede Gesamtschuld im Innenverhältnis aufgeteilt ist, so dass im Innenverhältnis der Leistende anteilig fremde Schulden tilgt116. Von einer solchen Teilung im Innenverhältnis sprach auch Unger, der aber offenbar noch einen Schritt weiter ging, wenn er eine „Schuldgemeinschaft“ auch im Innenverhältnis postulierte. Während die zuvor Genannten den Regress direkt und nur an die Schuldbefreiung der Mitschuldner anknüpften, hatte Unger, unter Berufung auf die deutschrechtliche Tradition, eine echte „Gemeinschaft“ der „Schuldgenossen“ in Gestalt einer „Schuldsocietät“ vor Augen; er konstruierte damit ein gesetzliches, aber rechtsgeschäftsähnliches Innenverhältnis unter den Schuldnern. Mit einem solchen Modell war es möglich, neben einem bloßen Regress bei Schuldbefreiung auch andere Pflichten im Innenverhältnis unter den Gesamtschuldnern zu konstruieren, wie es in der deutschen Doktrin des 20. Jahrhunderts auch geschehen ist. Ob Unger selbst (der seine Schuldgemeinschaft auf Korrealobligationen, also im Wesentlichen vertragliche Gesamtschulden, beschränkte) diese Konsequenz gezogen hätte, ist allerdings zweifelhaft.
e) Die BGB-Beratungen: Von der Regressneutralität über die Beweislastumkehr zum gesetzlichen Schuldverhältnis Bei den Vorberatungen der Ersten Kommission im Jahre 1878 traf das seitens von Kübel vorgeschlagene Modell einer regressneutralen Gesamtschuld auf Wider115
Explizit Savigny, Obligationenrecht I, 229; ebenso Schilling, Naturrecht I, § 141; die anderen Autoren arbeiteten mit dem bereicherungsrechtsähnlichen Gedanken der Geschäftsführung ohne Auftrag. 116 Ebenso OAG Kiel, SeuffA 7 Nr. 158 (18.10.1837).
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
spruch117. Zwar sei die Richtigkeit der Regel „vom theoretischen Standpunkte nicht zu leugnen“, so mehrere Kommissionsmitglieder, doch sie „werde dem praktischen Bedürfnisse nicht gerecht; dieses erheische, in Regelung der Beweislast die Vermuthung auszusprechen, daß die Verpflichtung zur (…) Regreßleistung bestehe“. Eine solche Regelung sei insbesondere in den Fällen notwendig, in denen die Gesamtschuld auf einem gemeinschaftlich geschlossenen Vertrag beruhe. Die Kommission beschloss eine Regel, wonach der leistende Gesamtschuldner „im Zweifel, d.h. insofern sich nicht aus dem Gesetze oder dem Rechtsgeschäfte ein Anderes ergiebt“, Regress nehmen konnte, mangels anderer Anhaltspunkte nach Kopfteilen. Eine entsprechende Vorschrift nahm von Kübel als § 20 I in seinen Teilentwurf von 1882 auf. Überzeugt war er aber nicht, wie sich aus den Motiven dieses Entwurfs118 und einer schon 1879 erschienenen inhaltsgleichen Publikation119 ergab. Das praktische Bedürfnis erforderte seiner Ansicht nach keine Beweislastumkehr, zumal ein fehlendes Regressverhältnis nur schwer zu beweisen sei. Die Regressregel des § 20 TeilE, welche in diesem Abschnitt der Gesetzesvorbereitung geplant war, unterschied sich vom heutigen § 426 I in zwei Hinsichten. Zum einen handelte sie ausdrücklich nur vom Rückgriff des leistenden Gesamtschuldners, ohne das Verhältnis der Gesamtschuldner vor Leistung an den Gläubiger anzusprechen. Zum anderen sollte der Rückgriff, im Einklang mit der gemeinrechtlich herrschenden Lehre, bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden direkt auf dem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis der Gesamtschuldner beruhen. Dem leistenden Gesamtschuldner wurde lediglich die Last abgenommen, ein solches rechtsgeschäftliches Innenverhältnis zu beweisen120. Insofern erscheint es, als habe für vertragliche Gesamtschulden das Dernburg’sche Modell der bloßen Beweislastumkehr Pate gestanden. Weil aber das zu schaffende BGB keinen Unterschied mehr zwischen Korrealund Solidarobligationen und somit auch keinen Unterschied zwischen vertraglichen und gesetzlichen Gesamtschulden machen sollte, galt die neue Regressvorschrift für alle Arten von Gesamtschulden. Bei gesetzlichen Gesamtschulden ohne Innenverhältnis unter den Gesamtschuldnern machte aber eine Beweislastumkehr keinen Sinn. Wenn die Erste Kommission auch für diese Arten von Gesamtschulden ein Rückgriffsrecht vorsah, musste dies einen gesetzlichen Regress, der auf der Gesamtschuld selbst beruhte, bedeuten, wie er schon Savigny vorge117
Zum Folgenden Jakobs/Schubert, SR I, 904, 911 f. (Beschluss Nr. 22). Motive zum TeilE, 56 mit Fn. 1 (Schubert, SR I, 108). 119 von Kübel, Württembergisches Gerichtsblatt 15 (1879), 163, 177 f. 120 Motive zum TeilE, 54, 56 (Schubert, SR I, 106, 108). Noch stärker in diese Richtung der Gegenentwurf von Bähr, § 319: „Wer von den mehreren Gesammtschuldnern, in dem Verhältniß dieser zu einander, die Schuld zu tragen hat, bestimmt sich nach dem Rechtsverhältniß, das der Gemeinsamkeit ihrer Haftung zu Grunde liegt. So weit hieraus nicht ein Anderes sich ergiebt, haften diejenigen, welche eine Schuld insgesammt übernommen haben, im Verhältniß zu einander zu gleichen Theilen, und sie sind dementsprechend zur Ausgleichung der gezahlten Schuld untereinander verpflichtet …“ (Hervorhebung hinzugefügt). 118
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schwebt hatte. Demnach erscheint es so, als ob die Regel des § 20 TeilE, wonach der Leistende „im Zweifel“ zum Rückgriff berechtigt war, bei vertraglichen Gesamtschulden eine Beweislastumkehr bedeuten sollte, bei Gesamtschulden ohne Innenverhältnis dagegen einen gesetzlichen Regress anordnete, der vorbehaltlich entgegenstehender Regelungen gelten sollte. Diese Doppeldeutigkeit der Worte „im Zweifel“ bzw. die unklare Natur der geplanten Regressvorschrift war vielleicht einer der Gründe, warum sich die Erste Kommission in ihren Hauptberatungen nochmals anders entschied. Diese Hauptberatungen fanden 1882 statt und hatten von Kübels Teilentwurf zur Grundlage. Die Mehrheit entschied zunächst, die in den Vorberatungen getroffene Entscheidung sachlich aufrechtzuerhalten, und zwar im Wesentlichen aus den Gründen, die in den Motiven zum Teilentwurf wiedergegeben waren121. Gemeint war das praktische Bedürfnis, das bei der „theoretisch“ regresslosen Gesamtschuld eine Vermutung für ein Rückgriffsverhältnis begründet. Für die Fassung der Regressregel wurde aber ein Antrag angenommen, der im Wesentlichen dem heutigen § 426 I Satz 1 entspricht: „Soweit nicht aus Gesetz oder Rechtsgeschäft ein Anderes sich ergiebt, sind (…) die Gesammtschuldner im Verhältniß zu einander zu gleichen Antheilen verpflichtet.“ Diese Formulierung, so die Kommissionsmitglieder, enthalte „mit klaren Worten das Prinzip“, von dem § 20 TeilE eine Konsequenz sei122. Die Fassung wurde zu § 337 I des Ersten Entwurfs, mit der im Laufe der redaktionellen Bearbeitung erfolgten123 Modifikation, dass die Gesamtschuldner als zu gleichen Anteilen verpflichtet „gelten“. Aus diesem spärlichen Material zu den Gesetzesberatungen ergibt sich zunächst einmal, dass der heutige § 426 I 1, entgegen seiner vielleicht etwas missverständlichen Formulierung, nicht nur einen Maßstab für die internen Schuldanteile bildet, die bei einem Regress mittels Forderungsübergang (§ 426 II) beachtet werden müssen, sondern vom Gesetzgeber als Grundlage für ein eigenes Rückgriffsrecht des leistenden Gesamtschuldners vorgesehen war, weil der Inhalt des § 20 TeilE insofern nicht geändert werden sollte. Dies ist heute auch nahezu124 allgemeine Meinung. Was aber genau die Mitglieder der Ersten Kommission dazu bewogen hat, diese Formulierung zu wählen und welches Regressmodell ihnen vorschwebte, ist dagegen nicht eindeutig und bis heute nicht abschließend geklärt. 121
Jakobs/Schubert, SR I, 947. Jakobs/Schubert, SR I, 947. 123 Siehe Jakobs/Schubert, SR I, 948 f. 124 Anders nur Stamm (Regreßfiguren, 69–71; NJW 2004, 811), der den Anwendungsbereich des § 426 I auf den Zeitpunkt vor der Befriedigung des Gläubigers beschränken und einen Regress nach Befriedigung nur durch Legalzession nach § 426 II zulassen will. Dies entspricht zumindest nicht der Ansicht des historischen Gesetzgebers. Eine andere Frage ist allerdings, ob der eigene, von der Gläubigerforderung unabhängige, Rückgriffsanspruch des § 426 I tatsächlich sachgerecht ist. Bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden stellt sich diese Frage in dieser Form aber nicht, weil es ohnehin einen von der Gläubigerforderung losgelösten Regressanspruch gibt, nämlich den aus dem vertraglichen Innenverhältnis. Zweifelhaft ist dann nur noch, ob der Rückgriff aus § 426 I neben dem vertraglichen Rückgriff eine eigenständige Existenz hat, dazu mehr unten, 293 ff. 122
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Einerseits beriefen sich die Kommissionsmitglieder auf die Motive zur Vorgängerregelung und somit auf die Beweislastumkehr, die aus rein praktischen Gründen ins Gesetzbuch aufzunehmen sei. Andererseits fehlen nun die Worte „im Zweifel“, die durch „soweit nicht aus Gesetz oder Rechtsgeschäft ein anderes sich ergibt“ ersetzt werden. Sprachlich bleibt von einer Vermutung nichts mehr übrig; der Regress ist als dispositives Recht formuliert. In dieser Fassung passt die neue Regel auch besser zu den gesetzlichen Gesamtschuldverhältnissen. Eine Vorbildrolle spielte offenbar Art. 168 I des gerade in Kraft getretenen Schweizer Obligationenrechts, wonach es hieß: „Sofern sich aus dem Rechtsverhältnisse unter den Solidarschuldnern nicht etwas Anderes ergibt, hat von der an den Gläubiger geleisteten Zahlung ein Jeder einen gleichen Theil zu übernehmen.“125 Auch diese Regelung war nicht nur als Beteiligungsmaßstab, sondern als „Anspruchsgrundlage“ gedacht126. Der Schweizer Gesetzgeber, der sich weniger eng an pandektistisches Gedankengut anlehnte als der deutsche, hatte sicher nicht den Grundsatz vor Augen, dass die Gesamtschuld „theoretisch“ regressneutral sei und aus praktischen Gründen eine Vermutung eines Innenverhältnisses eingefügt werden müsse: Für ihn folgte der Regress, ob es sich um vertragliche oder gesetzliche Solidarhaftung handelte, aus der Gesamtschuld selbst. Ebenso muss offenbar die deutsche Regelung zumindest objektiv verstanden werden, wenn auch nicht klar ist, inwieweit die damaligen Kommissionsmitglieder diese Folge vor Augen hatten. Wenn das Gesetz anordnet, dass grundsätzlich jeder Schuldner einen bestimmten Teil zu tragen hat, bedeutet dies im Ergebnis nichts anderes als die französische Formulierung, wonach die Gesamtschuld sich im Inneren zerteilt. Mit der Formulierung des Ersten Entwurfs bzw. des heutigen § 426 I hat das BGB insofern wieder Anschluss an die übrigen regressbejahenden Kodifikationen und Entwürfe gefunden: Der Regress beruht auf der Gesamtschuld selbst127. Die von der Ersten Kommission angenommene Formulierung des heutigen § 426 I geht aber noch über die Schweizer Regelung hinaus. Die Gesamtschuldner sind nicht nur untereinander verpflichtet, von der an den Gläubiger bereits geleisteten Zahlung ihre Teile zu übernehmen, sondern sie sind überhaupt grundsätzlich „im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet“ (§ 426 I 1). Von einem Regress wegen schon erfolgter Leistung an den Gläubiger ist nicht
125
Heute Art. 148 I OR 1911. Offenbar war dies in der Rechtsanwendung nicht unmittelbar einsichtig, so dass der Gesetzgeber des Obligationenrechts von 1911 noch einen weiteren Absatz anfügte, wonach ein Solidarschuldner, der mehr als seinen Teil zahlt, insoweit Rückgriff nehmen kann, Art. 148 II OR 1911. 127 Anders Goette, Gesamtschuldbegriff, 117 ff., 122 ff., und Winter, Teilschuld, 74 ff., 81 ff., nach denen es sich weiterhin um eine Beweislastregelung handeln sollte. Für gesetzliche Gesamtschulden ohne Innenverhältnis geht Winter davon aus, dass mit § 337 E I ein Regress durch den Gesetzgeber besonders angeordnet und damit nicht auf der Gesamtschuld selbst beruhen sollte. Die Unterscheidung, ob der Regress aus Sicht des Gesetzgebers aus der Gesamtschuld folgt oder ob er „nur“ vom Gesetzgeber angeordnet wird, erscheint aber als wenig hilfreich. Siehe auch unten, 584 ff. 126
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mehr die Rede. Insofern könnte die Vorschrift des heutigen § 426 I also einen weiteren Regelungsgehalt haben als die alte Regressregel des Teilentwurfs. Dafür könnte die Äußerung der Ersten Kommission sprechen, wonach die neue Regel das Prinzip sei, aus dem das Regressrecht (nur?) eine Konsequenz bilde. Sind die Gesamtschuldner auch in anderer Hinsicht untereinander verpflichtet, etwa schon vor Leistung an den Gläubiger? Die Motive zum Ersten Entwurf bejahen diese Frage, mit den folgenden, wegen ihres Einflusses auf Rechtsprechung und Literatur hier wörtlich wiedergegebenen Erwägungen: „Diese Bestimmung hat übrigens eine über das nach (…) bewirkter Leistung in Frage kommende (…) Regreßrecht hinausgehende Bedeutung. Sie enthält ein Prinzip über das innere Verhältnis überhaupt. Es erhellt hieraus besonders, daß die mehreren Schuldner in Ermangelung gegentheiliger Bestimmung von vornherein mit der Begründung des Gesammtschuldverhältnisses als in einem inneren Schuldverhältnisse stehend anzusehen sind, das sie verpflichtet, so zu handeln, daß es überhaupt zu einem Regresse nicht kommt. Sie sind kraft dieses inneren Schuldverhältnisses einander zu der erforderlichen Mitwirkung und Beitragung bei der Leistung verpflichtet, sofern nicht nach dem inneren Verhältnisse die Leistung nur von einem oder einigen Genossen zu bewirken ist. Letzterenfalls haben aber die nicht Leistungspflichtigen gegen die Leistungspflichtigen auch einen Anspruch darauf, daß sie selbst vor dem Anspruche des Gläubigers bewahrt bleiben.“128 Demnach würde schon das Gesamtschuldverhältnis selbst ein pflichtenbegründendes gesetzliches Schuldverhältnis unter den Gesamtschuldnern schaffen. Anders als bei Savigny, Sintenis, Jhering und Kohler würde der Regress sich nicht erst auf die Tilgung der Schuld stützen, die (intern) anteilig den anderen Gesamtschuldnern zugeordnet ist. Vielmehr wäre jeder Gesamtschuldner gegenüber seinen Mitschuldnern verpflichtet, seinen internen Anteil selbst zu tilgen; das Regressrecht entstünde nur, wenn und weil der verpflichtete Gesamtschuldner dieser Pflicht nicht nachgekommen ist; es wäre eine von mehreren Rechtsfolgen aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis unter den Gesamtschuldnern in Gestalt eines „verwandelten“ Mitwirkungs- bzw. Befreiungsanspruchs. Ob es aber tatsächlich dieses „Schuldgemeinschafts“-Modell war, das den Mitgliedern der Ersten Kommission vor Augen schwebte, ist zweifelhaft. Die zusammen mit dem Ersten Entwurf veröffentlichten Motive sind nicht das Werk der Ersten Kommission selbst. Aus Zeitgründen wurde auf eine Entwurfsbegründung durch die Kommission verzichtet. Stattdessen fügte man dem fertigen Gesetzestext die „Motive“ bei, die „Hilfsarbeiter“ der Kommission, hier Karl Ege oder Hermann Struckmann, aus einerseits den Motiven zu den Vorentwürfen, andererseits den Beratungsprotokollen zusammengestellt hatten129. Tatsächlich lassen sich die Äußerungen in den „Motiven“ zu den Gesamtschuldvorschriften des Ersten Entwurfs allesamt entweder auf von Kübels Ent128 129
Mot. II, 169 f. (Mugdan II, 93). Vgl. auch von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 84. Schubert, Entstehungsgeschichte BGB, 49 f.; Winter, Teilschuld, 13 ff.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
wurfsbegründungen oder auf die von Jakobs und Schubert veröffentlichten Beratungsprotokolle zurückführen – nur für die eben zitierte Stelle findet sich in den authentischen Materialien keine Entsprechung. Es erscheint aber kaum wahrscheinlich, dass ein solch zentraler Gedanke, der geradezu das Gegenteil von dem verkörpert, was von Kübel vorschwebte, wäre er in den Gesamtschuldberatungen zur Sprache gekommen, überhaupt nicht dokumentiert worden wäre. Zumindest einen Beschluss zu Mitwirkungs- und Befreiungsansprüchen hat die Erste Kommission bei ihren Beratungen zum Gesamtschuldrecht nicht gefasst. Hierfür spricht auch, dass zur Zeit der Beratung, 1882, ein literarisches Vorbild für die „innere Schuldgemeinschaft“ fehlt. Savigny, Sintenis und Jhering hatten an die Schuldtilgung gegenüber dem Gläubiger angeknüpft und den Regress auf den Gedanken der Fremdgeschäftsführung gestützt. Sachlich handelte es sich um den Bereicherungsgedanken, mit dem heute eine Rückgriffskondiktion bei Drittleistung auf fremde Schuld (§ 267) begründet wird und der keinesfalls ein Recht des Schuldners auf Schuldtilgung oder Befreiung durch den Dritten begründen kann. Von einer „Schuldgemeinschaft“, welche die Gesamtschuldner auch „nach innen“ zu Schuldgenossen machte, sprach nur Unger, dessen Aufsatz aber erst 1884 erschien. Insofern mag es kein Zufall sein, dass sich die Erste Kommission, zumindest nach den authentischen Beratungsprotokollen zu urteilen, erst nach 1884 mit der Frage der Mitwirkungs- und Befreiungsansprüche beschäftigt hat, und zwar in den 1887 stattfindenden Beratungen zum Familienrecht. In den Protokollen zur Beratung des heutigen § 1833 II 2 (gesamtschuldnerische Haftung von Vormund und Gegenvormund, interne Alleinhaftung des Gegenvormunds) heißt es: „Welche rechtlichen Folgen die Bestimmung, daß nach Innen eine gewisse Art der Haftung zu gleichen Antheilen, zu ungleichen Antheilen, des Einen zu keinem Antheile und des Anderen zum Ganzen, gelten solle, unter den Betheiligten habe, sei im [§ 426 I] nicht näher bestimmt und habe auch nach der bei der Berathung des Paragraphen festgehaltenen Auffassung der Kommission nicht näher bestimmt zu werden brauchen. Jedenfalls sei hier in dieser Richtung ein Besonderes nicht zu bestimmen und insbesondere eine Entscheidung der Frage nicht zu geben, ob der in dem Verhältnisse zum mithaftenden Gesammtschuldner zu Entlastende, auch bevor er von dem Gläubiger in Anspruch genommen sei und erfüllt habe, von dem ihm gegenüber antheilig oder allein Verpflichtete[n] sofortige Liberation verlangen könne oder nur einen Ersatzanspruch habe, wenn er ein Mehreres als seinen Antheil geleistet habe.“130 Die Frage, ob das Gesamtschuldverhältnis Mitwirkungs- oder Befreiungsansprüche begründet, wurde also ausdrücklich offen gelassen. Dies deutet darauf hin, dass es dazu innerhalb der Kommission verschiedene Ansichten gab, eine ab130 Jakobs/Schubert, FamR II, 908. In den Motiven zum heutigen § 1833 heißt es hierzu lediglich, inwieweit nicht nur ein Ersatz-, sondern auch ein Befreiungsanspruch bestehe, sei nach E I § 337 (§ 426 BGB) zu beurteilen, Mot. IV, 1179 (Mugdan IV, 625).
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schließende Diskussion aber nicht stattfand. Der Verfasser der 1887 fertiggestellten Motive zum Gesamtschuldrecht gehörte offenbar zu den, wahrscheinlich durch Unger beeinflussten131, Befürwortern von Mitwirkungs- und Befreiungsansprüchen. Obwohl sich also der Gedanke einer pflichtenbegründenden Schuldgemeinschaft nicht auf die Autorität der Ersten Kommission stützen konnte, wurde er in die Motive aufgenommen, um von dort die Rechtsentwicklung des 20. Jahrhunderts zu bestimmen. Die Änderung der Fassung der Regressvorschrift in den Hauptberatungen der Ersten Kommission beruht also nicht auf einer veränderten Haltung der Kommission zum Gesamtschuldregress im Sinne einer Schuldgemeinschaft. Statt dessen bietet sich eine ganz andere Erklärung an. Bis zum Ersten Entwurf wurden die Regeln zur Gesamtschuld und zur Gesamtgläubigerschaft (in der man ein Spiegelbild zur Gesamtschuld sah) zusammen behandelt, so dass Fragen wie Entstehungsvoraussetzungen, Wirkungen von „Tatsachen“ wie Erlass oder Verjährung und schließlich auch der Ausgleich unter den Teilnehmern in einheitlichen Vorschriften geregelt waren132. Bei der Beratung der Ersten Kommission ging es also zugleich um die Ausgleichspflicht unter Gesamtgläubigern. § 20 des Teilentwurfs sah daher nicht nur ein Regressrecht des leistenden Gesamtschuldners vor, sondern auch, dass der Gesamtgläubiger, an den erfüllt worden war, zur Teilung des Empfangenen mit den übrigen Gläubigern verpflichtet war. Bei den Beratungen wurde man auf das Problem aufmerksam, dass ein Gesamtgläubiger nicht nur dann zum Ausgleich verpflichtet sein sollte, wenn er die Leistung empfängt, sondern auch dann, wenn er mit dem Schuldner einen gesamtwirkenden133 Erlass vereinbart oder den Schuldner beerbt134 und die Forderungen der übrigen Gläubiger auf diese Weise zunichtemacht. Kurlbaum stellte daher den Antrag, die Ausgleichspflicht für diese Fälle ausdrücklich anzuordnen135. Wesentlich eleganter erschien demgegenüber ein neuer Antrag, wonach die Gesamtgläubiger „im Verhältnis zu einander zu gleichen Antheilen berechtigt“ sein sollten, weil diese Formulierung nach Ansicht der Kommission die Ausgleichspflicht nicht nur bei Empfangnahme der Leistung, sondern auch bei Erlass oder Konfusion regelte und daher die beantragte Ergänzung zu § 20 TeilE überflüssig machte. An diese neue Formulierung passte man dann auch den Gesamtschuldregress an, so dass es im späteren § 337 I schließlich hieß: „Soweit nicht aus Gesetz oder Rechtsgeschäft ein Anderes sich ergiebt, gelten im Verhältniß zueinander die Gesammtgläubiger als zu gleichen Antheilen berechtigt, die Gesammtschuldner als zu gleichen Antheilen verpflichtet.“ Insoweit erklärt sich die Erwägung der Ersten Kommission, dass die neue Regel (später § 337 I E I) das Prinzip enthalte, von dem die Regel des § 20 TeilE eine 131
Ebenso Winter, Teilschuld, 80. Hierzu (kritisch) Meier, AcP 205 (2005), 862 f. 133 Die Berechtigung eines Gesamtgläubigers zur Vereinbarung eines Gesamterlasses war vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollt, Jakobs/Schubert, SR I, 900, 909 f.; § 429 III 1 i.V.m. § 423. 134 Siehe § 429 II BGB. 135 Jakobs/Schubert, SR I, 947. 132
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
Konsequenz sei: Aus der im Zweifel intern gleichen Berechtigung der Gesamtgläubiger folgt unter anderem die in § 20 TeilE geregelte Ausgleichspflicht des Leistungsempfängers, daneben aber auch eine Ausgleichspflicht in anderen Fällen. Überträgt man diesen Gedanken „spiegelbildlich“ auf Gesamtschuldner, würde das heißen, dass nicht nur der die Gesamtleistung erbringende Gesamtschuldner zum Regress berechtigt ist, sondern auch derjenige, der auf andere Weise die Befreiung der Mitschuldner erreicht, aber ein Vermögensopfer dafür aufbringt136. Das ist heute selbstverständlich137. Damit ist aber nicht gesagt, dass ein Gesamtschuldverhältnis „als solches“ Pflichten unter den Gesamtschuldnern hervorbringt, an der Befriedigung des Gläubigers mitzuwirken. Bei den Vorarbeiten zum Zweiten Entwurf wurden die Vorschriften über Gesamtschulden und Gesamtforderungen auf Anregung der Reichsjustizamtskommission getrennt beraten138, so dass schließlich aus § 337 I des Ersten Entwurfs die heutigen §§ 426 I und § 430 wurden. Bei den Beratungen zum Gesamtschuldregress billigte die Zweite Kommission dem Inhalt nach die Regel des § 337 I E I aus den in den Motiven genannten Gründen139. Demnach erscheint es, als habe sich der Gesetzgeber den Gedanken der inneren Schuldgemeinschaft mit Mitwirkungspflichten zu eigen gemacht. Mehr Hinweise geben die überlieferten Protokolle allerdings nicht, so dass nicht klar ist, ob die Kommissionsmitglieder das innere Schuldverhältnis als selbstverständlich ansahen, darüber diskutierten oder sich schlicht keine Gedanken machten. Im Ergebnis hat der Gesamtschuldregress im Laufe der BGB-Beratungen also einen bemerkenswerten Wandel durchgemacht. Zunächst sollte er sich überhaupt nur auf das Innenverhältnis stützen können, bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden also auf das vertragliche Verhältnis unter den Schuldnern (von Kübels Vorlageentwurf). Dann wurde dem leistenden Gesamtschuldner zumindest der Beweis für ein entsprechendes Innenverhältnis erlassen (Teilentwurf). Später sollte der Regress offenbar als dispositives Recht auf der Gesamtschuld selbst beruhen und an die Leistung an den Gläubiger anknüpfen (Erster Entwurf). Schließlich kam der Gedanke der inneren Schuldgemeinschaft dazu, die schon mit der Gesamtschuld selbst entsteht und ein gesetzliches Pflichten begründendes Schuldverhältnis unter den Gesamtschuldnern schafft (Motive zum Ersten Entwurf, die von der Zweiten Kommission gebilligt wurden).
136 Das Vermögensopfer ist notwendig, weil ansonsten von vornherein kein Regress in Frage kommt. Wenn bei Gesamtgläubigern umgekehrt kein direkter Vermögensvorteil für die Ausgleichung verlangt wird, zeigt dies nur die Grenzen des „Spiegelbildmodells“. Die Regelungsprobleme bei mehreren Berechtigten an (wirtschaftlich) einer Forderung sind völlig verschieden von denen bei der Haftung mehrerer für dasselbe Leistungsinteresse. 137 Ein Beispiel bildet der Fall, dass ein Schuldner im Vergleichswege den Gesamterlass durch den Gläubiger mittels einer Zuwendung „erkauft“. Die Konfusion eignet sich nicht als Beispielsfall, weil sie bei der Gesamtschuld, anders als bei der Gesamtforderung (§ 429 II), nur Einzelwirkung hat, § 425 II. 138 Jakobs/Schubert, SR I, 964 f. 139 Prot. 885 f. (Mugdan II, 608).
3. Regress und vertragliches Innenverhältnis
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Die Frage nach der Grundlage des Regresses bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden ist nicht nur theoretischer oder „begrifflicher“ Natur. Stets stellen sich zwei Hauptfragen. Zum einen geht es um das Verhältnis zwischen gesetzlichem Gesamtschuldregress und vertraglich vereinbartem Rückgriff. Ist der gesetzliche Regress in Wahrheit nichts anderes als der (vermutete) vertragliche Rückgriff oder tritt er neben ihn? Kann der gesetzliche Regress vom vertraglichen im Ganzen oder in den Modalitäten abweichen? Zum anderen fragt es sich, ob der Regress, nach dem gemeinrechtlichen Geschäftsführungsmodell, an die Befreiung durch die Leistung an den Gläubiger anknüpft oder ob er auf einem schon mit Begründung der Gesamtschuld entstehenden Innenverhältnis beruht. Knüpft er erst an die Leistung an den Gläubiger an, wäre es möglich, einen Regress zu versagen, wenn der in Anspruch Genommene inzwischen nicht mehr Schuldner ist, sei es wegen Verjährung oder eines Einzelerlasses. Umgekehrt ist es nur mit der Konstruktion eines mit der Gesamtschuld entstehenden Innenverhältnisses möglich, Mitwirkungsansprüche auch schon vor Leistung an den Gläubiger zu konstruieren. Die beiden Hauptfragen hängen zusammen. Sofern der Regress nichts anderes als das rechtsgeschäftliche Innenverhältnis widerspiegelt, beruht er auf einem schon vor Leistung an den Gläubiger bestehendem Schuldverhältnis. Geht man dagegen von einem gesetzlichen Rückgriffsrecht aus, das sich noch dazu vom vertraglichen Regress unterscheiden kann, liegt es näher, den Rückgriff an die Schuldbefreiung anzuknüpfen.
3. Regress und vertragliches Innenverhältnis a) Die Ausgestaltung des Rückgriffs Die Ausgestaltung des Gesamtschuldrückgriffs ist auf verschiedene Weisen möglich. Dies betrifft in erster Linie die Höhe der Ausgleichsforderung. Wenn S1, S2 und S3, die ein gleiches Interesse am Vertrag haben, als Gesamtschuldner 300 schulden, S1 den Gesamtbetrag an den Gläubiger zahlt und S2 insolvent ist, kann die Rückgriffsforderung des S1 gegen S3 auf vierfache Weise bestimmt werden: (1) 300, wenn sich der Rückgriff auf den vollen Schuldbetrag richtet und als Gesamtschuld ausgestaltet ist, (2) 200, wenn S1 von der Gesamtsumme seinen internen Anteil abziehen muss, (3) 100, wenn der Rückgriff als Teilschuld ausgestaltet ist, und (4) 150, wenn zusätzlich die Insolvenzregel (§ 426 I 2) gilt. Alle Regelwerke, die einen Gesamtschuldregress vorsehen, wählen das vierte Modell. a) Zunächst ist es (fast) überall selbstverständlich, dass ein mit der Gesamtschuld verbundener Regress insoweit als Teilschuld ausgestaltet ist, als der Leistende von einem Mitschuldner nicht die Gesamtsumme (und sei es unter Abzug des Anteils des Leistenden) verlangen kann, sondern nur denjenigen Anteil, den der in Anspruch Genommene im Verhältnis der Schuldner untereinander tragen
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
muss140. Dass der Regress nur anteilig ist, sehen sämtliche Regelwerke mit Gesamtschuldregress vor141, ebenso wie diejenigen gemeinrechtlichen Autoren, die für einen Gesamtschuldregress plädieren142. Die Regel entspricht dem rechtsgeschäftlich begründeten Rückgriff im Falle einer Gesellschaft unter den Schuldnern: Wer Aufwendungen im Gesellschaftsinteresse macht, kann von einem einzelnen Mitgesellschafter auch nur denjenigen Teil verlangen, den dieser intern zu tragen hat. Die Anteiligkeit des Regresses kann aber auch ohne Bezug auf das Gesellschaftsrecht direkt mit der Natur des Gesamtschuldregresses begründet werden: Beruht der Rückgriff auf der Teilung der Gesamtschuld im Innenverhältnis, dann kann er sich auch nur auf den jeweiligen internen Anteil richten. Der Gedanke, dass der Leistende eine Aufwendung im Interesse aller Beteiligten erbringt, die im Innenverhältnis den einzelnen Beteiligten anteilig aufgebürdet wird und somit zum Anteilsregress führt, ist beim Aufwendungsersatzanspruch des Gesellschafters und beim Regress „aus der Gesamtschuld“ gleich. Demgegenüber hat in neuerer Zeit Peter Bydlinski Bedenken gegen den nur anteiligen Rückgriff geltend gemacht143. Derjenige Gesamtschuldner, der an den Gläubiger geleistet und sich damit als einziger obligationsmäßig verhalten habe, solle nicht dadurch belastet werden, dass er jeden Mitschuldner nur zum Teil belangen kann und mehrere Rückgriffsprozesse führen muss. Vorzuziehen sei ein „Kaskadenregress“, wonach der Regressberechtigte von einem beliebigen Mitschuldner den Gesamtbetrag abzüglich des Innenanteils des Regressberechtigten verlangen kann und der Mitschuldner in gleicher Weise einen weiteren Gesamtschuldner in Anspruch nehmen kann. Schulden also S1–4 zu gleichen Teilen 100 und zahlt S1 100 an G, kann S1 danach von S2 75 verlangen, S2 von S3 50 und S3 von S4 25. Hierdurch wird tatsächlich das Risiko, Regressprozesse führen zu müssen und ggf. die Insolvenz eines Mitschuldners (§ 426 I 2) zu beweisen, auf die Gesamtschuldner verteilt, wenn auch nicht ganz gleichmäßig: Der zuletzt in 140
Zum römischen Recht siehe Paulus D.9,3,4; D.10,2,25,10; D.10,2,44,8. Selbstverständlich kann der Leistende dann die Gesamtsumme verlangen, wenn der interne Anteil des in Anspruch Genommenen 100% beträgt, dazu sogleich unten. 141 CMBC IV 1 § 23; ALR I 5 § 448; CC Art. 1214 I; ABGB § 896; SächsE § 607; HessE IV 1 Art. 12 (mit Motiven, S. 22), Art. 38; BayE II Art. 239, 245; ZürGB §§ 942 S. 2, 948; OR 1881 Art. 79 II, 168 I (OR 1911 Art. 70 III, 148 I; vgl. Reichel, ZSchwR 58 [1917], 215 ff.); SächsGB §§ 1495, 1556; DresdE Art. 219, 242, 1021; TeilE § 20; E I § 337; BGB § 426 I 1; span. Código Civil, Art. 1145 II; ital. Codice Civile, Art. 1299 I; BW Art. 6: 10 I, II; PECL Art. 10: 106 I; DCFR Art. III-4:107 I; CEC-Avant-projet III.18, Art. 88 II; PETL Art. 9: 102 IV; Friedmann/Cohen, Adjustment, § 69. Entgegen der missverständlichen Darstellung bei Koch, Forderungen II, 41, war der Anteilsregress auch in der preußischen Literatur nicht strittig (sondern nur dann, wenn der Gläubiger dem leistenden Schuldner zugleich die Gesamtforderung abtrat), vgl. Bornemann, Preußisches Civilrecht II, 662; Savigny, Obligationenrecht I, 291. 142 Etwa Domat, Loix civiles, § 1834; Pothier, Obligations, §§ 264, 280; Sell, ZCRPr 3 (1870), 370, 375; Savigny, Obligationenrecht I, 280 ff.; Sintenis, Civilrecht, § 89 bei Fn. 52; Zaun, Arch PrRW nF 1 (1864), 131 ff.; Jhering, JhJb 10 (1871), 331 ff.; Unger, JhJb 22 (1884), 275; Kohler, JhJb 25 (1887), 121; Eisele, AcP 77 (1891), 480; Dernburg, Pandekten II, § 73 Anm. 5. 143 MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 30; zum österreichischen Recht auch Bydlinski/Coors, ÖJZ 2007, 275. Kritisch auch Erman/Ehmann, § 426 Rz 22.
3. Regress und vertragliches Innenverhältnis
289
Anspruch genommene S4 muss nach wie vor nur seinen internen Anteil zahlen, während S3 in Höhe von 25, S2 in Höhe von 50 vorleisten muss. Zumindest muss jeder, bis auf S4, genau einen Regressanspruch geltend machen. Eine Insolvenz von S3 oder S4 wäre im Regressprozess von S1 gegen S2 von S2 darzulegen und zu beweisen. Ob die hierdurch erreichte etwas gleichmäßigere Belastung der Gesamtschuldner diese komplizierte Regressregelung rechtfertigt, ist fraglich. Nach dem gesetzlichen Modell kann S1 schließlich seine Mitschuldner als (einfache) Streitgenossen gemeinsam verklagen. Auch beim Kaskadenregress bleibt die „Ungerechtigkeit“, dass der zuletzt in Anspruch genommene Gesamtschuldner einen Vorteil genießt, ohne dass dies sachlich gerechtfertigt werden kann. Eine völlige Gleichbehandlung aller Gesamtschuldner lässt sich offenbar nicht erreichen, was für die Beibehaltung der einfach durchzuführenden gesetzlichen Regressregelung spricht144. b) Selbstverständlich ist ferner überall, dass die Höhe der internen Anteile sich in erster Linie nach der Parteivereinbarung unter den Gesamtschuldnern richtet145. Auch insoweit entspricht der Gesamtschuldregress dem Regress des Gesellschafters, für den die privatautonom festgelegten Verlustanteile der Gesellschafter maßgeblich sind. Neben dem Parteiwillen wird insbesondere in der französischen Literatur bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden als Ausgleichsmaßstab auch das Interesse genannt, das der einzelne Gesamtschuldner am gemeinsamen Geschäft hat146. Richtig daran ist, dass etwa bei einer Darlehensgewährung an mehrere der interne Anteil des einzelnen Gesamtschuldners sich in der Regel danach bemisst, in welchem Umfang die Darlehenssumme ihm persönlich zugutekam147. Wird die Gegenleistung zugunsten einer gemeinschaftlichen Sache verwendet, liegt ein Ausgleich nach der Höhe der Miteigentumsanteile nahe148. Bürgen Gesellschafter für eine Schuld der GmbH, sind die Anteile im Zweifel nicht gleich groß, sondern richten sich nach den Gesellschaftsanteilen149. Doch zumindest in den Fällen, in denen die Gesamtschuldner durch ein 144
Ähnlich Bacher, Ausgleichsansprüche, 96 f.; s.a. Klang/Perner, ABGB, § 896 Rz 47. So ausdrücklich ALR I 5 § 443; ABGB § 896 S. 1; SächsE § 607; BayE II Art. 239 I; ZürGB § 945 f.; OR 1881 Art. 168 I (OR 1911 Art. 148 I); E I § 337 I; BGB § 426 I 1; PECL Art. 10:105 I; PETL Art. 9:102 I. 146 Pothier, Obligations, § 264; Demante/Colmet, Cours V, § 147 bis I; Demolombe, Cours XXVI, § 431; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1090; Mestre/Tian, Solidarité, §§ 110 f.; Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rz 1258; ebenso Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 179 f.; Schulz, Rückgriff, 33; vgl. auch Savigny, Obligationenrecht I, 220 ff., 223; Friedmann/Cohen, Adjustment, § 73. 147 Pothier, Obligations, § 264; Demante/Colmet, Cours V, § 147 bis I; Demolombe, Cours XXVI, § 431; ROHGE 6, 222 (4.6.1872); BGH NJW 1986, 1491, 1492 (7.11.1985); OLG Bamberg, FamRZ 2001, 1074 (27.11.2000); OLG Zweibrücken, FamRZ 2005, 910 (28.12.2004); Staud/Noack, § 426 Rz 57. Zur Darlehensaufnahme seitens der Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft unten, 380 f. 148 Vgl. Carbonnier, Obligations, § 346, S. 569; BGHZ 87, 265, 269 (17.5.1983); Erman/Ehmann, § 426 Rz 43; Staud/Noack, § 426 Rz 56; Klang/Perner, ABGB, § 896 Rz 30. 149 RG Warn 1914 Nr. 247 (25.6.1914); RGZ 88, 122 (21.2.1916); OLG Hamburg, ZIP 1984, 707 (3.2.1984); BGH WM 1989, 406, 407 (19.12.1988); OLG Köln, NJW 1995, 1685 (26.8.1994); vgl. BGH NJW 1986, 1097, 1098 (19.12.1985); Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rz 395; Staud/ 145
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
vertragliches Innenverhältnis verbunden sind150, bildet dieses Interesse keinen eigenständigen Ausgleichsmaßstab, sondern nur einen Anhaltspunkt bei der Auslegung des Parteiwillens, der allein über die Höhe der Innenbeteiligung entscheidet151. Nur für den Fall, dass weder die Auslegung des Parteiwillens noch das Gesetz Anhaltspunkte für den Verteilungsmaßstab ergeben, sehen nahezu sämtliche Kodifikationen und Entwürfe gleiche Anteile der Gesamtschuldner vor152. Auch dies ist keine Besonderheit des auf die Gesamtschuld gestützten Regresses. Der Rückgriff des Gesellschafters gegen die einzelnen Mitgesellschafter in Form des Auslagenersatzanspruchs richtet sich nach den Verlustanteilen der Gesellschafter, die mangels anderweitiger Vereinbarung als gleich groß gelten153. Schließlich ist es auch selbstverständlich, dass die internen Beteiligungsquoten zwischen 0 und 100% rangieren können. Im Innenverhältnis kann also der Gesamtschuldner S1 die gesamte Last, der andere Gesamtschuldner S2 nichts zu tragen haben, etwa wenn S2 sich nur auf Wunsch von S1 mitverpflichtet und kein eigenes Interesse am Geschäft hat154. Leistet S1 an den Gläubiger, hat er kein Rückgriffsrecht; leistet S2, kann er die Gesamtsumme von S1 verlangen. Rechtsgeschäftlich liegt hier ein Auftragsverhältnis zwischen den Gesamtschuldnern 150 Noack, § 426 Rz 198; Staud/Horn, § 774 Rz 53; MüKo/Habersack, § 774 Rz 24; P. Bydlinski, Bürgschaft, 51 ff. Im französischen Recht ist das Interessekriterium hier aber umstritten; dafür Mestre, RTD civ 1981, 1, § 41; dagegen Cass com (28.6.1994), JCP 1994, G IV 2166; vgl. Simler, Cautionnement, § 645; Schmid, Mehrheit, 21 ff. 150 Zur Rechtsprechung zum Gesamtschuldausgleich unter Ehegatten siehe etwa Gernhuber, JZ 1996, 696, 765; Kotzur, NJW 1989, 817; Kleinle, FamRZ 1997, 8; Staud/Noack, § 426 Rz 202 ff.; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 217 ff. 151 So zu Recht Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 62 f.; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 15; Staud/ Kaduk, § 426 Rz 86; Erman/Ehmann, § 426 Rz 7; Soergel/Pecher, § 769 Rz 6; zum französischen Recht Carbonnier, Obligations, § 346, S. 569; Le Tourneau/Julien, Solidarité, § 139; Malaurie/ Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, § 1264; anders aber (zu bürgenden Gesellschaftern) P. Bydlinski, Bürgschaft, 51 f. 152 ALR I 5 § 445; ABGB § 896 S. 1; SächsE § 607; BayE II Art. 239; ZürGB Art. 945 f.; OR 1881 Art. 168 I (OR 1911 Art. 148 I); TeilE § 20; E I § 337 I; BGB § 426 I 1; ital. Codice Civile, Art. 1298 II; PECL Art. 10:105 I; DCFR Art. III-4:106 I; CEC-Avant-projet III.18, Art. 88 II 2; PETL Art. 9:102 II 3; ebenso Kohler, JhJb 25 (1887), 121; Dernburg, Pandekten II, § 73 Anm. 5. In Frankreich wird die Kopfteilvermutung aus der Natur der Sache gefolgert oder in Art. 1213 CC hineingelesen, vgl. Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 298 ter, S. 31; Demolombe, Cours XXVI, § 431; Demante/Colmet, Cours V, § 147 bis I; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1090; Marty/Raynaud/ Jestaz, Obligations II, § 117; Carbonnier, Obligations, § 346, S. 569; Mestre/Tian, Solidarité, §§ 110 f.; Le Tourneau/Julien, Solidarité, § 138; Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rz 1258; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, § 1264; Cass civ (29.10.1890), D 1891,1,475 (477); Cass com (7.2.1983), Bull civ IV no. 52. Zum englischen Recht Mitchell, Contribution, Rz 10.15 ff. 153 § 722 I BGB, zu Recht bei einem Gesamtschuldverhältnis angewendet in BGH NJW-RR 1990, 736 (14.3.1990). 154 Hierauf weisen ausdrücklich hin Pothier, Obligations, §§ 264, 280; Unger, JhJb 22 (1884), 272; Kohler, JhJb 25 (1887), 121; CC Art. 1216; HessE IV 1 Art. 13; ital. Codice Civile, Art. 1298 I; Mot. II, 169 f. (Mugdan II, 93). Auch ALR I 5 § 444 sollte diesen Gedanken ausdrücken, vgl. den Vorentwurf von Svarez, II 2 § 301, und Bornemann, Preußisches Civilrecht II, 662. Vgl. allerdings Savigny, Obligationenrecht I, 224.
3. Regress und vertragliches Innenverhältnis
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vor, das dem Beauftragten S2 einen Anspruch auf Auslagenersatz eröffnet. Der Code Civil spricht für diesen Fall, nach dem Vorbild Pothiers, von einer Bürgschaft im Innenverhältnis155. c) Die Insolvenzregel des § 426 I 2 mildert den Grundsatz, dass der Leistende von jedem Mitschuldner nur dessen internen Anteil verlangen kann, zugunsten des Leistenden ab, indem der Ausfall eines Mitschuldners auf die solventen Schuldner verteilt wird und die internen Anteile entsprechend erhöht werden. Sie findet sich in nahezu sämtlichen Regelwerken mit Gesamtschuldregress156. Selbstverständlich ist dabei stets, dass der Ausfall auf sämtliche solvente Gesamtschuldner verteilt wird157, mit Einschluss desjenigen, der die Gesamtleistung an den Gläubiger erbracht hat und nun einen Rückgriffsanspruch geltend macht. Die älteren Regelwerke heben dies meist ausdrücklich hervor158. Das BGB spricht hingegen nur davon, dass der Ausfall „von den übrigen zur Ausgleichung verpflichteten Schuldnern“ zu tragen ist. Damit ist aber nicht gemeint, dass der an den Gläubiger leistende Gesamtschuldner ausgeschlossen ist159. Eine Abweichung von den früheren Regelwerken war nicht beabsichtigt160. Vielmehr erklärt sich die Formulierung damit, dass das BGB, anders als die früheren Regelwerke, nicht von einer Ausgleichspflicht der nicht leistenden Gesamtschuldner gegenüber dem leistenden spricht, sondern anordnet, dass sämtliche Gesamtschuldner untereinander zum Ausgleich verpflichtet sind, so dass auch der leistende Gesamtschuldner zu den „übrigen“ i.S.d. § 426 I 2 gehört161. Der Hessische und der Bayerische Entwurf betonten ausdrücklich, dass der Maßstab, nach dem der Ausfall auf die solventen Schuldner verteilt wird, dem 155
CC Art. 1216; Pothier, Obligations, § 264; ebenso HessE IV 1, Art. 13 II. ALR I 5, § 447; CC Art. 1214 II (siehe schon Domat, Loix civiles, § 1834; Pothier, Obligations, § 282); ABGB § 896 S. 2; CMBC-RevE 1811, IV 1 § 29 Nr. 6; SächsE § 608; HessE IV 1 Art. Art. 12 II, 38 II; BayE II Art. 239 II; OR 1881 Art. 168 II (OR 1911 Art. 148 III); VorlE § 21 II; TeilE § 20 II; E I § 337 III; span. Código Civil, Art. 1145 III; ital. Codice Civile, Art. 1299 II; BW Art. 6:13; PECL Art. 10:106 III; DCFR Art. III-4:107 III; PETL Art. 9:102 IV; ebenso das englische Recht: Williams, Joint Obligations, 166; Chitty/Burrows, Joint Obligations, Rz 17-027; vgl. Weir, Complex Liabilities, § 133; Friedmann/Cohen, Adjustment, § 69. 157 Auch auf diejenigen, deren interne Quote 0% beträgt. Sind nur noch intern freigestellte Schuldner solvent, muss die Last unter sie kopfteilig verteilt werden, so zu Recht Selb, Schadensbegriff, 29; ders., Mehrheiten, 102; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 37; Soergel/Wolf, § 426 Rz 34; Staud/Noack, § 426 Rz 116; BGH NJW 1992, 2286, 2288 (11.6.1992). Ein ausdrückliche Regel hierzu findet sich in ital. Codice Civile, Art. 1299 III; BW Art. 6: 13 II. 158 ALR I 5 § 447; CC Art. 1214 II; CMBC-RevE 1811, IV 1 § 29 Nr. 6; HessE IV 1 Art. 12 II; BayE II Art. 239 II; ebenso ital. Codice Civile, Art. 1299 II; PECL Art. 10:106 III. Nach § 896 S. 2 ABGB muss der Ausfall von „allen Mitverpflichteten“ übernommen werden. 159 So aber Hruza, SächsArch 5 (1895), 292, der von einer ungenauen Textierung spricht. 160 Nach § 21 II VorlE und § 20 II TeilE sollte der Ausfall von den „übrigen zur gegenseitigen Ausgleichung verpflichteten Gesamtschuldnern“ getragen werden, also nicht nur von den nach Leistung eines Gesamtschuldners regresspflichtigen. 161 Entsprechendes gilt für die ursprüngliche Schweizer Formulierung, Art. 168 I und II OR 1881. In der Fassung des OR 1911 ist dies weniger klar, weil nun zwischen dem Satz, dass jeder Gesamtschuldner einen Anteil zu übernehmen hat, und der Insolvenzregel, wonach der Ausfall eines Schuldners von den „übrigen“ getragen werden muss, ein Absatz eingefügt wurde, der das Rückgriffsrecht des leistenden Gesamtschuldners anordnet, Art. 148 OR 1911. 156
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
Verhältnis der ursprünglichen Beteiligungsquoten entspricht162. Irritationen hat demgegenüber das Schweizer Obligationenrecht hervorgerufen, nach dem der Ausfall von den übrigen Schuldnern „gleichmäßig“ zu tragen ist163. Der BGBGesetzgeber entschied sich bewusst gegen einen kopfteiligen zugunsten eines proportionalen Maßstabs164. Betrug also das ursprüngliche Verhältnis bei drei Gesamtschuldnern S1/S2/S3 100/100/100 und ist S3 insolvent, lautet die Quote S1/S2 nun 150/150. Bei einem ursprünglichen Verhältnis 300/100/100 lautet sie 375/125, bei einem Verhältnis von 50/0/50 nun 100/0, bei einem Verhältnis von 0/ 50/50 nun 0/100165, bei einem Verhältnis von 0/0/100 nun 50/50166. Der Gedanke, die Innenanteile der insolventen Gesamtschuldner auf die solventen zu verteilen, liegt auch der gemeinrechtlichen Teilungseinrede zugrunde, mit der schon im Außenverhältnis eine Aufteilung unter den solventen Schuldnern stattfindet167. Vorbild der Insolvenzregel beim Regress war das Gesellschaftsrecht168. Fällt ein Gesellschafter aus, erhöhen sich die Verlustanteile der übrigen Gesellschafter proportional. Das BGB sieht die Insolvenzregel bei der Ausfallhaftung der Gesellschafter im Falle einer Liquidation vor, § 735. Bei einem Rückgriff nach Gesellschaftsrecht ist es daher selbstverständlich, dass die internen Anteile der insolventen Gesamtschuldner auf die übrigen proportional verteilt werden. d) Nicht nur die Höhe der internen Anteile liegt im Belieben der Parteien. Vielmehr können sie auch von der dispositiven Grundregel, dass der Regress als Teilschuld ausgestaltet ist, abweichen und für den Rückgriff Gruppenbildungen vornehmen, die den „Haftungseinheiten“ bei Schadensersatz-Gesamtschulden entsprechen169. Nehmen etwa zwei Ehepaare gemeinsam ein Darlehen auf, das jedem Ehepaar zur Hälfte zugutekommen soll, so liegt eine Vereinbarung nahe,
162 HessE IV 1 Art. 12 II; BayE II Art. 239 II; ebenso schon CMBC-RevE 1811, IV 1 § 29 Nr. 6; auch BW Art. 6:13 I. Für kopfteilige Verteilung des Ausfalls im preußischen Recht Koch, Forderungen II, 41; für proportionale Verteilung dagegen Bornemann, Preußisches Civilrecht II, 663. 163 OR 1881 Art. 168 II; OR 1911 Art. 148 III. Daher für eine kopfteilige Ausfallhaftung BernK/Becker, Art. 148 OR Anm. 3; von Tuhr, Allgemeiner Teil I, 762; BasK/Schnyder, Art. 148 OR Rz 5; für einen proportionalen Maßstab dagegen Gadmer, Solidarschuldner, 108; Keller/ Schöbi, Rechtsinstitute, 18 f.; Bucher, OR AT, § 27 II 4 b; Schwenzer, OR AT, Rz 88.36. 164 So ausdrücklich VorlE § 21 II; TeilE § 20 II; E I § 337 III. Die von der ReichsjustizamtsKommission vorgeschlagene Regel, wonach der Ausfall „zu gleichen Teilen“ zu tragen ist, wurde in der Zweiten Kommission als „willkürlich“ abgelehnt, Prot. 885 f. (Mugdan II, 608). 165 So zu Recht RGZ 92, 143, 146 (24.1.1918); Selb, Mehrheiten, 101. 166 So zu Recht Selb, Mehrheiten, 102; Ehmann, Gesamtschuld, 219 Fn. 25; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 37. 167 Zur Herleitung der Insolvenzregel aus der Teilungseinrede Domat, Loix civiles, § 1834; Reichel, ZSchwR 58 (1917), 218. 168 So ausdrücklich Pothier, Obligations, § 282; Savigny, Obligationenrecht I, 266. Die französische Literatur zum Code Civil spricht daher von einer gesetzlich angeordneten Gesellschaft unter den Gesamtschuldnern, Demolombe, Cours XXVI, § 434; Marcadé/Pont, Explication IV, § 624; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1094. 169 Ebenso Füllbier, NJW 1989, 2802; Staud/Kaduk, § 426 Rz 24, 94; Staud/Noack, § 426 Rz 86.
3. Regress und vertragliches Innenverhältnis
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dass ein Gesamtschuldner, der den Gesamtbetrag an den Gläubiger zahlt, nicht von jedem anderen 25% in Form von Teilschulden verlangen kann, sondern 50% vom anderen Ehepaar als Gesamtschuldner und weitere 25% von seinem eigenen Ehepartner170. Hiermit wird erreicht, dass die Insolvenz eines Beteiligten allein von seinem Ehepartner getragen werden und das andere Ehepaar nur dann einspringen muss, wenn beim einen Ehepaar beide insolvent sind. Eine solche „gestufte Gesamtschuld“ kann auch dann nahe liegen, wenn ein Teil der Gesamtschuldner im Innenverhältnis nur Schuldbeitretende sind. So kann eine Gesamtschuld zwischen A, B, C und D deshalb entstehen, weil A und B ein Darlehen aufnehmen, das ihnen je zur Hälfte zugutekommen soll, und C und D auf ihre Bitte hin zur Sicherung des Gläubigers beigetreten sind. Zahlt C das Darlehen an den Gläubiger zurück, könnte er nach der Grundregel des § 426 I 1 von A und B jeweils nur die Hälfte verlangen. C kann von A nach § 426 I 2 die Gesamtsumme verlangen, wenn B insolvent ist171, was C allerdings zu beweisen hat. Statt dessen ist auch eine Vereinbarung möglich und in diesem Fall sogar naheliegend, dass C von vornherein den Gesamtbetrag von A oder B als Gesamtschuldner verlangen kann172. Ein Rückgriffsanspruch gegen D kommt bei beiden Gestaltungen nur dann in Frage, wenn sowohl A als auch B insolvent sind, und richtet sich nach § 426 I 2 dann auf die Hälfte. Welche Gestaltung gewollt ist, muss durch Auslegung der Vereinbarung ermittelt werden. Eine allgemeine Regel, nach welcher der Rückgriffsanspruch des intern nicht verpflichteten Gesamtschuldners stets als Gesamtschuld ausgestaltet ist173, erscheint demnach als unnötig und zu pauschal174.
b) Das Verhältnis des Gesamtschuldregresses zum rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis unter den Schuldnern Die Ausgestaltung des Gesamtschuldrückgriffs, insbesondere die Höhe der internen Anteile, richtet sich also nach der Vereinbarung unter den Gesamtschuldnern. Nur soweit eine Vereinbarung fehlt, gilt nach § 426 I 1 ein anteiliger Rückgriff mit im Zweifel gleichen internen Anteilen. Die Ausgestaltung des gesetzlichen Gesamtschuldrückgriffs folgt, soweit mehr als zwei Schuldner beteiligt 170 Siehe BGH NJW 1986, 1491 (7.11.1985). Weitere Beispiele: BGHZ 55, 344, 348 f. (22.2.1971); BGH WM 1976, 687, 689 (26.4.1976); BGH WM 1993, 1668 (17.6.1993). 171 RGZ 92, 143, 146 (24.1.1918). 172 So schon Schulz, Rückgriff, 52; Reichel, JW 1927, 1635 (Nr. 3, 7). 173 Vgl. zu deliktischen Gesamtschulden RGZ 87, 64, 67 f. (7.6.1915); RGZ 136, 275, 286 f. (23.4.1932); BGHZ 17, 214, 222 (13.5.1955); BGH VersR 1957, 441 (7.5.1957); grundsätzlich Erman/Ehmann, § 426 Rz 22; Schmidt-Kessel, Mehrheit, B II 3 c, S. 304. 174 Vgl. Selb, Mehrheiten, 101 f.; ders., Schadensbegriff, 27 ff.; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 75 f.; Ehmann, Gesamtschuld, 219 f.; Esser/Schmidt, SR AT 2, § 39 III 2 b (S. 351); Staud/Kaduk, § 426 Rz 23; Staud/Noack, § 426 Rz 28–30; Palandt/Grüneberg, § 426 Rz 7; Rüßmann, JuS 1988, 186; jurisPK/Rüßmann, § 426 Rz 23; Wendehorst, Jura 2004, 506; zu Recht differenzierend Wandt, FS Kollhosser II (2004), 775 f.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
sind, einem gesellschaftsrechtlichen Modell. Es fragt sich nach alldem, ob der Rückgriff aus einer vertraglich vereinbarten Gesamtschuld tatsächlich nichts anderes ist als eine (vermutete) Folge aus dem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis oder ob der gesetzliche Gesamtschuldrückgriff neben das vertragliche Innenverhältnis tritt und unter Umständen auch dann einen Regress begründen kann, wenn das Innenverhältnis keinen vorsieht. In Frankreich lehrte Pothier, dass eine Gesamtschuld stets mit einem Rückgriff verbunden sei, dieser aber je nach dem Entstehungsgrund der Gesamtschuld eine unterschiedliche Natur aufweise: Hätten sich die Schuldner in einer gemeinsamen Angelegenheit verpflichtet, etwa um gemeinsam ein Darlehen aufzunehmen, folge der Rückgriff grundsätzlich aus der actio pro socio. Betreffe das Geschäft hingegen nur einen Schuldner, dann sei der zweite Schuldner, der sich mitverpflichtet habe, im Innenverhältnis Bürge des ersten und könne seinen Rückgriff auf die actio mandati stützen. Fehle ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis, etwa bei deliktischen Gesamtschulden, könne der Regress mit der actio negotiorum gestorum utilis begründet werden175. Dieser Lehre folgte die französische Literatur auch nach Inkrafttreten des Code Civil. Art. 1213 CC sieht vor, dass die Gesamtschuld im Innenverhältnis unter den Schuldnern geteilt ist. Nach Art. 1214 I CC kann der leistende Gesamtschuldner von den Mitschuldnern im Wege des Rückgriffs nicht mehr als ihre jeweiligen Innenanteile verlangen. Bei dieser Vorschrift handelt es sich nach französischer Ansicht aber nicht um die Regressgrundlage selbst. Diese sei vielmehr, so die Literatur im 19. Jahrhundert, im vertraglichen Innenverhältnis unter den Schuldnern zu finden, die eine Gesellschaft oder ein Auftragsverhältnis sein könne. Der Rückgriff folge dann aus Art. 1999 CC, dem Anspruch des Beauftragten auf Auslagenersatz. Weil die Gesamtschuld im Innenverhältnis geteilt sei, leiste der zahlende Schuldner im Innenverhältnis teilweise auf fremde Schulden176. Die Literatur ab dem 20. Jahrhundert ist sich darüber einig, dass der Gesamtschuldrückgriff bei rechtsgeschäftlichen Gesamtschulden aus dem Auslagenersatzanspruch des Beauftragten (Art. 1999) folgt, bei gesetzlichen Gesamtschulden aus den Regeln zur Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 1375)177. Art. 1213 f. sind also nicht (in deutscher Terminologie) als selbständige „Anspruchsgrundlage“ zu verstehen178, sondern als Anordnung des Gesetzgebers, einen Gesamtschuldrückgriff zu gewähr-
175
Pothier, Obligations, § 280. Demolombe, Cours XXVI, §§ 421–423, 442, 450; Demante/Colmet, Cours V, § 147; Aubry/ Rau, Droit Civil IV, § 298 ter, S. 31 f.; Marcadé/Pont, Explication IV, § 623. Demolombe erwähnt daneben einen Regress aus Art. 2028 CC (Auslagenersatzanspruch des Bürgen, ab 2006 Art. 2305) für den Fall einer „Bürgschaft im Innenverhältnis“ (Art. 1216 CC) und aus Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 1375 CC). 177 Colin/Capitant, Cours II, 192; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1092; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 118; Carbonnier, Obligations, § 346, S. 569; Mestre/Tian, Solidarité, § 112; Le Tourneau/Julien, Solidarité, § 154; Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rz 1259; Malaurie/ Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, § 1265. 178 Ebenso von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 84. 176
3. Regress und vertragliches Innenverhältnis
295
leisten, der dann auf die Regeln zum Auftrags- oder Geschäftsführungsrecht gestützt werden kann. In Österreich ist die Rechtsnatur des Gesamtschuldrückgriffs nach § 896 ABGB umstritten179. Soweit die Schuldner aber durch ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis verbunden sind, folgt der Rückgriff nach wohl herrschender Auffassung aus diesem Innenverhältnis selbst und richtet sich ausschließlich nach dessen Regeln, insbesondere hinsichtlich der Verjährung180. Die Schweizer Position zum Verhältnis zwischen Gesamtschuldrückgriff und Innenverhältnis ist unklar181. Im BGB ist der Gesamtschuldrückgriff nicht mehr (wie noch im Teilentwurf) als Vermutung eines rechtsgeschäftlichen Innenverhältnisses ausgestaltet, sondern als dispositives Recht. Möglich wäre es, § 426 I als subsidiäres dispositives Recht zu begreifen, das im Falle einer rechtsgeschäftlichen Regressregelung unter den Gesamtschuldnern nicht zur Anwendung kommt182. Ebenso könnte man von einer Anspruchsnormenkonkurrenz183 sprechen, wonach es nur einen einheitlichen Regressanspruch gibt, der sich auf zwei verschiedene Anspruchsgrundlagen stützt184. Im Ergebnis führen diese Ansätze dazu, dass allein die vertragliche Beziehung unter den Gesamtschuldnern über die Existenz und die Modalitäten des Rückgriffs entscheiden, insbesondere auch über seine Verjährung. Nach ganz herrschender Lehre in der Literatur liegt demgegenüber eine echte Anspruchskonkurrenz vor185. Dem leistenden Gesamtschuldner stehen also (neben dem Forderungsübergang nach § 426 II) zwei Regresswege zur Verfügung. Die Rechtsprechung ist uneindeutig. Nach einer Entscheidung des BAG von 1975 ist der Anspruch aus § 426 I mit dem vertraglichen Anspruch auf Auslagen-
179
Hierzu unten, 604. So Gschnitzer, SR AT, § 27 C IV 2; Rummel/Gamerith, ABGB, § 896 Rz 6, 11; KBB/P. Bydlinski, § 896 Rz 4–5; Schwimann/Apathy/Riedler, ABGB, § 896 Rz 10; Klang/Perner, ABGB, § 896 Rz 8, 87. 181 Vgl. BernK/Becker, Art. 148 OR Rz 1; ZürK/Oser, Art. 148 OR Rz 1; Keller/Schöbi, Rechtsinstitute, 16; Guhl/Koller, Obligationenrecht, § 6 Rz 20 f., 25. Ausdrücklich aber im Sinne der deutschen Lehre (mehrere Regresswege) Schwenzer, OR AT, Rz 88.41. 182 So wohl Heck, § 76/6 (S. 236); ferner Kremer, Mitbürgschaft, 183; Esser, Schuldrecht (2. Aufl. 1960), § 98/1 I (etwas anders die 4. Aufl., § 59 I 1); Esser/Schmidt, SR AT 2, § 39 III 1 a (S. 349); Keuk, JZ 1972, 530; Goette, Gesamtschuldbegriff, 129, 131, 149 f.; E. Wolf, Schuldrecht AT, 538; Winter, Teilschuld, 180; Jürgens, Teilschuld, 185; Prediger, Auslegung, 87 Fn. 1, 149 f.; früher auch Tiedtke, Aufrechnungsfragen, 13 f.; s.a. Soergel/Pecher, § 769 Rz 8. 183 Zu dieser Terminologie Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil, Rz 18/26 ff.; kritisch etwa Hübner, Allgemeiner Teil, Rz 430 ff.; Medicus, Schuldrecht AT, Rz 357. 184 So offenbar Schulz, Rückgriff, 103; i.E. auch von Tuhr, AT I, 280 f. (der den Zessionsregress des § 426 II und den Regress aus dem Innenverhältnis zu einem einheitlichen Anspruch verbindet, ohne den Rückgriff aus § 426 I als dritten Regressweg zu erwähnen). 185 Weigelin, Schuldbeitritt, 99; Ehmann, Gesamtschuld, 108 ff.; Erman/Ehmann, § 426 Rz 14; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 65; Selb, Mehrheiten, 95; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 26; Staud/Noack, § 426 Rz 5; Soergel/Wolf, § 426 Rz 12, 39; Jauernig/Stürner, § 426 Rz 18; Thiele, JuS 1968, 155; Fikentscher/Heinemann, SR, Rz 777; Brox/Walker, SR AT, Rz 37/15; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 132, 139, 161, 202; der Sache nach auch Larenz, SR AT, § 37 III. 180
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
ersatz „identisch“186, während der BGH in einem Urteil aus dem Jahre 1981 von zwei nebeneinanderstehenden Regresswegen sprach187. Beide Bemerkungen waren obiter dicta. Ein konkretes Ergebnis lässt sich aus den genannten Ansätzen nicht notwendig ableiten. Denn auch bei der Annahme echter Anspruchskonkurrenz ist noch nicht die Frage beantwortet, ob und inwieweit der vertragliche Anspruch die Modalitäten des gesetzlichen bestimmen kann. Auch bei Annahme einer Anspruchskonkurrenz ist es selbstverständlich, dass der Umfang des gesetzlichen Regresses durch die Parteivereinbarung bestimmt wird. Dies gilt nicht nur für die Höhe der internen Anteile, sondern auch für die Frage, ob der Regress als Teil- oder Gesamtschuld ausgestaltet ist, weil § 426 I insofern dispositiv ist. Ebenso würde auch ein Anhänger der Anspruchskonkurrenz nicht leugnen, dass es den Parteien freisteht, einen Regress vollständig auszuschließen188, wenn auch eine solche Gestaltung praktisch nicht häufig sein mag. Uneinigkeit besteht dagegen bei Verjährungs- und Ausschlussfristen. Nach einem Teil der Literatur verjährt der Anspruch aus § 426 I selbständig189. Nach der Rechtslage vor der Schuldrechtsmodernisierung 2002 bedeutete dies, dass für § 426 I 1 die gesetzliche Regelverjährung von 30 Jahren auch dann gelten sollte, wenn das vertragliche Innenverhältnis einer wesentlich kürzeren Verjährungsfrist unterlag. Nach anderer Ansicht sollen Verjährungs- und Ausschlussfristen, die auf den vertraglichen Regressanspruch anwendbar sind, auch für den Rückgriff aus § 426 I gelten190. Doch auch für diejenigen, die eine eigenständige Verjährung des gesetzlichen Rückgriffsanspruchs befürworten, sollen der rechtsgeschäftliche und der gesetzliche Rückgriffsanspruch offenbar nicht isoliert abtretbar sein191. Gegen eine eigenständige Verjährung könnte eingewandt werden, warum ein Rückgriffsanspruch, der sich hinsichtlich seines Bestehens, seines Umfangs und seiner Ausgestaltung nach der Parteivereinbarung richtet, ausgerechnet bei der Verjährungsfrist eigenständige Wege gehen soll. Noch grundsätzlicher könnte gefragt werden, warum eine Ausgleichspflicht der Gesamtschuldner, die nach § 426 I 1 dann besteht, wenn nichts anderes bestimmt ist, neben eine Ausgleichspflicht, die „anders bestimmt“ ist, treten soll192. Nach Ehmann spricht für eine 186
BAGE 27, 127, 131 (30.4.1975). BGHZ 80, 228, 233 (27.3.1981). 188 So zumindest Ehmann, Gesamtschuld, 109. Beispielsfall: BGHZ 77, 55 (24.3.1980); vgl. auch RGZ 142, 353, 354 f. (6.12.1933). 189 Weigelin, Schuldbeitritt, 99; Warneyer, BGB, § 426 Anm. I; Selb, Mehrheiten, 95 f. (differenzierend aber ders., EWiR § 426 BGB, 2/86, 979); Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 65; Soergel/Wolf, § 426 Rz 39; Fikentscher/Heinemann, SR, Rz 777. Ebenso die Schuldrechtskommission (allerdings mit einer geplanten kürzeren Verjährungsfrist, hierzu unten, 651), Abschlussbericht, 111. 190 Schulz, Rückgriff, 103; Schlechtriem, NJW 1972, 1556; Ehmann, Gesamtschuld, 110; Erman/Ehmann, § 426 Rz 24; Staud/Noack, § 426 Rz 19; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 25; Wendehorst, Jura 2004, 506; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 139; unentschieden von Olshausen, Gläubigerrecht, 167, 170 f. 191 So zumindest Selb, Mehrheiten, 96. 192 Ebenso Goette, Gesamtschuldbegriff, 149. 187
3. Regress und vertragliches Innenverhältnis
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echte Anspruchskonkurrenz, dass der Regress notwendiges Korrelat der Gesamtschuld ist193. Der Gesamtschuldrückgriff ist also durch die Parteien modifizierbar, im Extremfall auch abdingbar, aber er folgt aus der Gesamtschuld selbst, nicht aus der Parteivereinbarung. Damit kehrt die anfangs angesprochene Frage zurück, ob die Haftung mehrerer für eine einmalig zu erbringende Leistung nur ein Indiz für eine Ausgleichsvereinbarung unter den Parteien ist oder vielmehr einen eigenständigen Grund für eine Ausgleichung darstellt, der unabhängig von der Parteivereinbarung besteht. Dies kann an einem Fall illustriert werden, den das BAG 1975 zu entscheiden hatte194. Ein reisender Arbeitnehmer verwendete zur Begleichung seiner Spesen eine Kreditkarte, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam beantragt hatten und für die beide gesamtschuldnerisch gegenüber dem Kartenunternehmen hafteten. Im Innenverhältnis oblag die Begleichung der Spesen dem Arbeitgeber. Falls der Arbeitnehmer die Schuld an das Kartenunternehmen zahlte, hätte er gegen den Arbeitgeber sowohl einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Aufwendungsersatz nach § 670 als auch einen Rückgriffsanspruch aus § 426 I. Nach Ansicht des BAG waren beide Ansprüche identisch. Die Rechtslage sei ebenso, wie wenn der Arbeitnehmer allein ein Darlehen aufgenommen hätte, um aus diesem die Spesen auszulegen195. Nimmt man statt des Darlehens an, der Arbeitnehmer habe allein den Kreditkartenvertrag geschlossen und sei alleiniger Schuldner des Kreditkartenunternehmens, dann stellt sich die Frage, ob ein Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Erstattung des an das Karteninstitut Gezahlten, oder auch auf Befreiung von der Verbindlichkeit gegenüber dem Institut, einen schwächeren Gerechtigkeitsgehalt hätte als bei einer Haftung beider. Richtig ist, dass nur im Fall der Gesamtschuld ein Wahlrecht des Gläubigers besteht, vor dessen willkürlichen Ergebnissen ein Regress schützen muss. Aber in beiden Fällen führt eine Inanspruchnahme des Arbeitnehmers durch das Karteninstitut dazu, dass derjenige im Außenverhältnis leisten muss, der intern die Last nicht tragen soll. Während dieses Ergebnis bei der Alleinhaftung des Arbeitnehmers zwangsläufig ist, besteht bei einer Gesamtschuld zumindest die Möglichkeit, dass die Außenhaftung den intern Zuständigen trifft. Ob hierdurch ein stärkeres Regressbedürfnis entsteht, ist fraglich. Auch die Rechtsprechung hat sich mit der Frage des Einflusses des Innenverhältnisses auf die Verjährung des Anspruchs aus § 426 befasst, allerdings nicht im Rahmen der hier besprochenen vertraglich vereinbarten Gesamtschulden, sondern bei gesetzlich begründeten Gesamtschulden auf Schadensersatz. In einem vom Reichsgericht 1911 entschiedenen Fall196 hatte ein Spediteur den Transport durch einen Erfüllungsgehilfen in Gestalt eines Frachtführers durchführen lassen. Weil das Gut durch den Frachtführer beschädigt wurde, hatte der Absender 193 194 195 196
Ehmann, Gesamtschuld, 109. BAGE 27, 127 (30.4.1975); i.E. zustimmend Selb, EWiR § 426 BGB, 2/86, 979. BAGE 27, 131, 132. RGZ 77, 317 (25.11.1911).
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
gegen den Spediteur einen vertraglichen, gegen den Frachtführer einen deliktischen Schadensersatzanspruch, so dass eine Gesamtschuld vorlag197. Der Spediteur leistete an den Absender. Seine Ansprüche gegen den Frachtführer aus dem Frachtvertrag waren verjährt. Diese Verjährung betraf nach Ansicht des Reichsgerichts aber nicht den Regress aus § 426, der dem Spediteur nach wie vor offen stand. Anders entschieden später das BAG und der BGH. Im Fall vor dem BAG198 ging es ebenfalls um einen vertraglichen Schadensersatzanspruch des Bestellers gegen einen Unternehmer und einen deliktischen Schadensersatzanspruch gegen die Arbeiter des Unternehmers, die Schäden am Eigentum des Bestellers verursacht hatten. Dem Unternehmer, der an den Besteller geleistet hatte, stand gegen seine Arbeiter an sich ein vertraglicher Schadensersatzanspruch zu, der aber wegen Versäumnis einer tarifvertraglichen Frist ausgeschlossen war. Nach Ansicht des BAG musste diese Ausschlussfrist dann auch für einen Regress des Unternehmers aus § 426 gelten. Der BGH199 hatte über einen transportrechtlichen Fall zu entscheiden, in dem wegen Schäden am Transportgut der Hauptfrachtführer und der Unterfrachtführer gesamtschuldnerisch zu Schadensersatz verurteilt waren und der Unterfrachtführer an den Gläubiger geleistet hatte. Ein möglicher200 Regress nach dem hier anwendbaren CMR, so der BGH, sei nach Art. 32 CMR verjährt. Ein Anspruch aus § 426 sei nicht gegeben, weil das CMR den Regress abschließend regele; selbst wenn aber ein Gesamtschuldrückgriff grundsätzlich anwendbar sei201, gelte auch für ihn die Verjährungsfrist des Art. 32 CMR. Auch in diesen Fällen von Schadensersatz-Gesamtschulden erscheint ein Vorrang des Innenverhältnisses (sei es ein Vertrag oder, wie im BGH-Fall, eine spezialgesetzliche Regelung) bei der Bestimmung der Verjährungsfrist für den Rückgriff, und damit das vom BAG und BGH erzielte Ergebnis, sachgerechter202. Wandelt man die Fälle des RG und des BAG derart ab, dass die jeweiligen Erfüllungsgehilfen beim vertraglichen Gläubiger nur einen Vermögensschaden verursacht haben, der keinen deliktischen Schadensersatzanspruch begründet, dann haftet im Außenverhältnis von vornherein nur der Geschäftsherr aus Ver197
Hierzu unten, 920 ff. BAG NJW 1986, 3104 (24.4.1986). 199 BGH WM 1990, 2123 (10.5.1990). 200 Nach Ansicht des BGH lag in Wahrheit gar keine Gesamtschuld vor, weil nach dem CMR nur der Hauptfrachtführer Schadensersatz geschuldet habe, nicht der Unterfrachtführer, so dass die gesamtschuldnerische Verurteilung (eines französischen Gerichts) zu Unrecht erfolgt sei. Daher erwog der BGH nur eine entsprechende Anwendung der Rückgriffsvorschrift des Art. 37 CMR. 201 Auch hinsichtlich § 426 BGB erwog der BGH aus den eben genannten Gründen allenfalls eine analoge Anwendung. 202 Vgl. auch LG Nürnberg-Fürth, NJW 1990, 3023 (22.3.1990): Kann der Käufer wegen Verletzung seiner Rügeobliegenheit aus § 377 HGB keine vertraglichen Ansprüche mehr gegen den Verkäufer wegen Mängeln der Ware machen, dann steht ihm auch kein Recht aus § 426 I mehr zu, falls der Weiterverkauf durch den Käufer dazu führte, dass Dritten ein Schaden entstand, für den sowohl Verkäufer als auch Käufer als Gesamtschuldner hafteten. 198
3. Regress und vertragliches Innenverhältnis
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trag. Auch wenn im Innenverhältnis der Schaden vom Erfüllungsgehilfen zu tragen ist, kann der Geschäftsherr nach Ablauf der entsprechenden Verjährungsfrist keine Ansprüche gegen den Erfüllungsgehilfen mehr durchsetzen. Auch hier stellt sich die Frage, ob nur deshalb etwas anderes gelten soll, weil zusätzlich der Erfüllungsgehilfe selbst im Außenverhältnis haftet203. Immerhin befreit ihn der Geschäftsherr bei Zahlung an den Gläubiger von einer Schuld. Dennoch ist es mit oder ohne Eigenhaftung des Erfüllungsgehilfen so, dass bei Inanspruchnahme des Geschäftsherrn der intern nicht Zuständige leistet, der für seinen Regress im Innenverhältnis grundsätzlich die vertraglichen Fristen beachten muss. Anders verhält es sich vielleicht dann, wenn die interne Frist bei Inanspruchnahme durch den Gläubiger schon abgelaufen ist, so dass ein Rückgriffsanspruch gar nicht erst entstehen kann. So argumentiert Rüßmann, dass, falls man im BAG-Fall die tarifvertragliche Ausschlussfrist auf den Gesamtschuldregress anwendet, diese Frist dann erst mit Leistung an den Gläubiger beginnen sollte. Andernfalls drohe die Gefahr, dass der Gläubiger erst nach Ablauf der Ausschlussfrist einen der Gesamtschuldner in Anspruch nehme, der durch seine Leistung dann den anderen Schuldner befreie, ohne einen Regress zu haben, so dass im Ergebnis die Willkür des Gläubigers über die endgültige Belastung entscheide204. Das Problem des Zugriffs bei schon abgelaufener Regressfrist stellt sich allerdings auch dann, wenn im Außenverhältnis nur der Geschäftsherr haftet. Auch hier könnte es zu einer Willkür des Gläubigers kommen, der entscheiden kann, ob er den Geschäftsherrn vor (mit Regress) oder nach (ohne Regress) Ablauf der internen Frist belangt205. Eine Lösung müsste daher sowohl die Fälle der Alleinhaftung des Geschäftsherrn als auch die einer Gesamtschuld umfassen. Hierfür kann zunächst auf den Befreiungsanspruch des Geschäftsherrn verwiesen werden, der aus dem vertraglichen Innenverhältnis folgt und mit Entstehung des Schadens fällig wird, so dass er vor Ablauf der Ausschlussfrist geltend gemacht werden kann206. Sinnvoll, und sei es nur de lege ferenda, erscheint aber auch eine Verschiebung des Fristbeginns bei allen Arten von Regressansprüchen, nicht nur bei Gesamtschulden. In jedem Fall ist ein Ergebnis, dass es bei Gesamtschulden von der Wahl des Gläubigers abhängt, wer die Last endgültig tragen muss, nicht unbedingt unerträglicher als ein Ergebnis, wonach der Gläubiger einen Alleinschuldner in Anspruch nehmen kann, dessen interner Regressanspruch verjährt oder durch Fristablauf ausgeschlossen ist. Das Argument der Gläubigerwillkür muss nicht zwingend zu einem Gesamtschuldregress führen. Dies ist zumindest im Ergebnis 203
Ebenso Goette, Gesamtschuldbegriff, 149 f. Rüßmann, JuS 1988, 182, 185; ähnlich von Olshausen, Gläubigerrecht, 168–171. 205 Dass dieses Problem weniger schwerwiegend sein soll, weil die rasche Inanspruchnahme des Geschäftsherrn bei Alleinschuldnerschaft wahrscheinlicher sei (so von Olshausen, Gläubigerrecht, 171), erscheint mir nicht erwiesen. 206 Vgl. die Argumentation bei BGH VersR 1991, 238, 240. Näheres zum Befreiungsanspruch unten, 329 ff. 204
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
offenbar auch die Ansicht des BGH. In einem 1986 entschiedenen Fall hatte ein Tankstellenpächter die Verschmutzung des Bodens mit Öl verursacht. Nachdem das Pachtverhältnis beendet war, wurde das Grundstück veräußert. Ein Jahr später nahm die Ordnungsbehörde wegen der Bodenverschmutzung den Pächter als Handlungsstörer und den neuen Eigentümer als Zustandsstörer in Anspruch. Der Eigentümer beseitigte die Verschmutzung, konnte aber beim Pächter keinen Regress nehmen: Nach Ansicht des BGH galt die kurze Verjährungsfrist des § 558 BGB auch für Regressansprüche aus Geschäftsführungs- und Bereicherungsrecht, selbst dann, wenn sie vom Rechtsnachfolger des ehemaligen Vermieters erhoben wurden207. Ein Gesamtschuldausgleich wurde trotz der Tatsache, dass die Ordnungsbehörde die Beseitigung auch vom Pächter hätte verlangen können, nicht erwogen208. Im Ergebnis billigte der BGH eine Lage, bei der es von der Gläubigerwillkür in Gestalt des Zugriffs der Ordnungsbehörde abhing, wer die Verschmutzung beseitigen und mangels Regressmöglichkeit die Kosten dafür endgültig tragen musste209.
c) Der Rückgriff bei Personengesellschaften Tilgt ein Gesellschafter eine Schuld, die im Interesse der Gesellschaft eingegangen wurde, beruht sein anteiliger Regress gegen die Mitgesellschafter auf dem Gesellschaftsverhältnis. Dieser gesellschaftsrechtliche Rückgriff ist unabhängig davon, ob die Gesellschafter im Außenverhältnis Gesamtschuldner oder Teilschuldner waren oder ob nur der leistende Gesellschafter Schuldner war. Der besondere Gesamtschuldregress nach § 426 I wird nach der hier vertretenen Auffassung zumindest bei wirksamen Gesellschaftsverträgen nicht gebraucht. Nach der modernen gesellschaftsrechtlichen Lehre scheint aber zumindest dann etwas anderes zu gelten, wenn es sich um eine rechtsfähige Gesamthandsgesellschaft handelt. Der gesellschaftsrechtliche Rückgriffsanspruch wegen Tilgung von Gesellschaftsschulden soll sich dann nicht gegen die Gesellschafter, sondern gegen die Gesellschaft richten und als Sozialverbindlichkeit auch nicht durch die solidarische Haftung der Gesellschafter für Gesellschaftsschulden gesichert sein. Dennoch soll auch schon vor der Gewinn- und Verlustabrechnung ein Rückgriffsanspruch gegen die Gesellschafter persönlich zulässig sein, nämlich dann, wenn die Gesellschafter als Gesamtschuldner für die getilgte Schuld haften. Die207
BGHZ 98, 235 (18.8.1986). Nach BGH NJW 1981, 2457 (11.6.1981) sollte zwischen mehreren polizeirechtlichen Störern kein Gesamtschuldausgleich nach oder analog § 426 stattfinden. Hiergegen zu Recht Finkenauer, NJW 1995, 432 m.w.N.; und die Angaben bei Wagner, BB 2000, 420. Das am 1.3.1999 in Kraft getretene Bundesbodenschutzgesetz sieht in § 24 einen gesetzlichen Ausgleichsanspruch vor, wobei sich die interne Verteilung nach dem Verursacherprinzip richtet. Hierzu Wagner, BB 2000, 417; BGH JZ 2005, 145 (2.4.2004). 209 So auch Peters, JZ 1987, 198, der dem Ergebnis trotzdem zustimmt; kritisch Wagner, BB 2000, 419 f., 426. 208
3. Regress und vertragliches Innenverhältnis
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ser (subsidiäre) Rückgriff gegen die Gesellschafter soll sich nicht auf den gesellschaftsrechtlichen Aufwendungsersatzanspruch stützen (weil dieser nur gegen die Gesellschaft gerichtet ist), sondern direkt auf § 426 I. Demnach scheint es, als ob der Gesamtschuldrückgriff hier gebraucht wird, weil das rechtsgeschäftliche Innenverhältnis keinen Regress vorsieht. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass dieser Schluss nicht gerechtfertigt ist. Die römische und gemeinrechtliche societas war eine reine Innengesellschaft. Ansprüche aus dem Gesellschaftsverhältnis richteten sich daher nur gegen die Mitgesellschafter selbst. Ein wichtiger Anwendungsbereich der actio pro socio war der Anspruch auf Erstattung für Aufwendungen, die ein Gesellschafter im Interesse der Gesellschaft gemacht hatte210. Hierzu gehörte auch die Tilgung von „Gesellschaftsschulden“. Die Ausgestaltung dieser „Gesellschaftsschulden“ im Außenverhältnis gegenüber dem Gläubiger war grundsätzlich gleichgültig. Berichtet wurde schon, dass die actio pro socio als Regressgrundlage diente, wenn im Außenverhältnis Gesamtschulden vorlagen211. Häufig erwähnen die römischen Quellen aber auch den Fall, dass ein Gesellschafter allein im Interesse der Gesellschaft die Verbindlichkeit eingeht und diese dann erfüllt212. Auch hier gewährte die actio pro socio einen anteiligen Rückgriff213. Die Anteile bestimmten sich nach den Verlustanteilen der Gesellschafter. Es galt die Insolvenzregel, wonach die Anteile insolventer Gesellschafter proportional auf die solventen aufgeteilt wurden214. Dieser anteilige Gesellschaftsregress diente offenbar als Vorbild für den Gesamtschuldregress, beschränkte sich aber nicht auf den Fall, dass im Außenverhältnis Gesamtschulden vorlagen. Der gemeinrechtliche Aufwendungsersatzanspruch des Gesellschafters fand Eingang in die Regelwerke. Stets war es selbstverständlich, dass der Aufwendungsersatzanspruch grundsätzlich auch den Regress bei Tilgung von „Gesellschaftsschulden“ umfasste, unabhängig davon, ob es sich um Gesamtschulden oder Alleinschulden des leistenden Gesellschafters handelte. Die Ausgestaltung im Einzelnen war aber unterschiedlich. Manche Regelwerke sahen einen besonderen Aufwendungsersatzanspruch im Gesellschaftsrecht vor; andere verwiesen auf den Aufwendungsersatzanspruch des Beauftragten. Unterschiedlich wurde auch die Frage beantwortet, inwieweit ein nicht zur Geschäftsführung berechtigter Gesellschafter Aufwendungsersatzansprüche hatte. Schon zum Gemeinen Recht bestand die Ansicht, dass ein solcher Gesellschafter nur nach den Regeln 210 Stellvertretend Kaser, Römisches Privatrecht I, § 133 V 2; Glück, Pandecten XV, 441; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 527 IV; Windscheid, Pandekten, § 406 Nr. 3. 211 Oben, 264 f., 272. Beispiel: OAG Rostock, SeuffA 28 Nr. 111 (17.12.1857). 212 Paulus D.17,2,67 pr., D.17,2,27–28; Diocletian C.4,37,2. 213 Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 527 VI; Sintenis, Civilrecht, § 121 bei Fn. 71; ObTr Stuttgart, SeuffA 9 Nr. 30 (24.3.1855); siehe auch die Beratungsvorlage zum Gesellschaftsrecht des BGB, zu Art. 785 DresdE, 71 f. (Schubert, SR III, 101 f.). 214 Ulpian D.17,2,63,5; Paulus D.17,2,67 pr.; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 527 VIII; Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, § 270 a.E.; Sintenis, a.a.O.; Dernburg, Preußisches Privatrecht II, § 224 a.E.; ObTr Stuttgart, SeuffA 9 Nr. 30.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
der Geschäftsführung ohne Auftrag Ersatz verlangen konnte215. Wenn also ein zur Geschäftsführung berechtigter Gesellschafter Ersatz schon dann verlangen konnte, wenn er die Aufwendung für erforderlich halten durfte, kam es beim nicht geschäftsführenden Gesellschafter darauf an, ob die Aufwendung dem Interesse und Willen der übrigen Gesellschafter entsprach oder zumindest bereicherungsrechtlich zu einem Vermögensvorteil geführt hatte. Dieses Problem stellte sich auch beim Regress. Wenn ein nicht geschäftsführender Gesellschafter im eigenen Namen, aber im vermeintlichen Gesellschaftsinteresse, eine Verbindlichkeit eingegangen war und diese dann erfüllt hatte, sollte er nicht ohne weiteres Rückgriff bei seinen Mitgesellschaftern nehmen dürfen. An dieser Stelle spielte der Umstand, dass es sich bei der getilgten Schuld um eine Gesamtschuld handelte, eine Rolle. Wenn alle Gesellschafter Gesamtschuldner der „Gesellschaftsschuld“ waren, dann beruhte dies entweder auf dem Willen aller Gesellschafter oder zumindest auf dem des Geschäftsführers, der als Vertreter alle Gesellschafter verpflichtet hatte. Tilgte einer der Gesellschafter die Schuld, dann war nicht nur klar, dass die Schuld selbst im Gesellschaftsinteresse eingegangen war, sondern auch, dass dieser Gesellschafter aufgrund seiner eigenen Haftung berechtigt war, die Schuld zu tilgen. Indem die Gesellschafter oder der Geschäftsführer den einzelnen Gesellschafter zum Schuldner machten, berechtigten sie ihn zugleich zur Tilgung und konnten einen darauf gestützten Aufwendungsersatzanspruch nicht wegen fehlenden Interesses für die Gesellschaft abweisen. Die Gesamtschuld führte insofern dazu, dass der einzelne Gesellschafter, weil er im Gesellschaftsinteresse zum Schuldner wurde, hinsichtlich der Tilgung wie ein berechtigter Geschäftsführer behandelt wurde. Im Einzelnen galt Folgendes: Das preußische ALR, der Code Civil, das Züricher Gesetzbuch und das Schweizer OR gewährten, zumindest ihrem Wortlaut nach, jedem Gesellschafter einen Aufwendungsersatzanspruch216. Diese Regel wurde dann für die Handelsgesellschaft vom ADHGB und vom HGB aufgenommen217. Das ABGB hingegen verwies auf den Aufwendungsersatzanspruch des Beauftragten, und zwar nur für geschäftsführende Gesellschafter218. Die übrigen Regelwerke differenzierten. Der Bayerische Entwurf verwies für den geschäftsführenden Gesellschafter auf die Regeln des Auftragsrechts, für andere Gesellschafter auf die Regeln zur Geschäftsführung ohne Auftrag219. Der Hessische Entwurf und das Sächsische BGB sahen einen besonderen Aufwendungsersatzanspruch für den Gesellschafter vor, der im Auftrag der Gesellschaft Ge215
Überblick in der Beratungsvorlage zum BGB-Gesellschaftsrecht, zu Art. 785 DresdE, 71 f. (Schubert, SR III, 101 f.). 216 ALR I 17 § 226 (hierzu Dernburg, Preußisches Privatrecht II, § 219 Nr. 4); CMBC IV 8 § 5 Nr. 2; CC i.d.F.v. 1804, Art. 1852; SächsE § 1321; ZürGB § 1239 Nr. 3 (vgl. Bluntschli, ZürGB, § 1248 Anm. 1); OR Art. 537. 217 ADHGB Art. 93, HGB § 110. Der Anspruch richtet sich hier allerdings gegen die Gesellschaft selbst; hierzu sogleich im Text. 218 ABGB §§ 1188, 1190 i.V.m. § 837. 219 BayE II Art. 560 III, 563 I, 565.
3. Regress und vertragliches Innenverhältnis
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schäfte geführt hatte. Hingegen sollte sich der Regress des nicht zur Geschäftsführung berechtigten Gesellschafters, der für die Gesellschaft Verbindlichkeiten übernommen oder erfüllt hatte, nach den Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag richten220. Besonders differenziert präsentierten sich die Regeln des Dresdener Entwurfs, der den BGB-Beratungen zugrunde lag. a) Für den zur Geschäftsführung berechtigten Gesellschafter war ein Verweis auf Regeln des Auftragsrechts vorgesehen, der den Aufwendungsersatzanspruch, nicht jedoch den Befreiungsanspruch des Beauftragten umfasste221. Ein solcher Befreiungsanspruch sollte aber dann bestehen, wenn der Geschäftsführer im eigenen Namen Verbindlichkeiten für die Gesellschaft eingegangen war. Daher gab es neben dem allgemeinen Verweis auf das Auftragsrecht noch eine Sondervorschrift, die sowohl einen Befreiungsanspruch bei der Übernahme einer Verbindlichkeit für die Gesellschaft als auch einen Aufwendungsersatzanspruch unter anderem bei Tilgung von Gesellschaftsschulden vorsah222. b) Für den nicht zur Geschäftsführung berechtigten Gesellschafter wurde auf die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag verwiesen223. c) Zudem gab es noch eine besondere Vorschrift zum Regress desjenigen Gesellschafters, der als Gesamtschuldner eine Gesellschaftsschuld getilgt hatte224. Für diese Vorschrift war in den Beratungen ins Feld geführt worden, dass die Gesamtschuldregeln des Dresdener Entwurfs keinen aus der Gesamtschuld folgenden Regress vorsahen225. Die Vorschrift sei wichtig für den nicht zur Geschäftsführung befugten Gesellschafter, weil sie die Regel, dass diesem grundsätzlich nur die Rechte eines Geschäftsführers ohne Auftrag zustehen, im Fall von Gesamtschulden durchbreche226. Der BGB-Gesetzgeber, in diesem Fall die Erste Kommission, beschloss dagegen, sich kürzer zu fassen. Für den zur Geschäftsführung berechtigten Gesellschafter reichte ein Verweis auf die Regeln zum Auftragsrecht, der sowohl einen Aufwendungsersatzanspruch als auch einen Befreiungsanspruch umfasste227. Dass der nicht zur Geschäftsführung berechtigte Gesellschafter Rechte als Geschäftsführer ohne Auftrag haben konnte, hielt man für selbstverständlich228. Damit stellte sich nur noch die Frage, ob eine Sonderregel erforderlich war, wenn der tilgende (nicht geschäftsführende) Gesellschafter selbst Schuldner war. Ein dahingehender Antrag von Planck (der interessanterweise nicht auf die Gesamtschuld, sondern allein auf die Haftung des Schuldtilgenden abstellte) wurde ab220
HessE IV 2 Art. 387, 388; SächsGB §§ 1368, 1369, 1375. DresdE Art. 780, der den Aufwendungsersatzanspruch aus Art. 703, nicht aber den Befreiungsanspruch aus Art. 704 erwähnt. Zum Hintergrund Dresd. Prot. 2797 ff. 222 DresdE Art. 785 I; vgl. Dresd. Prot. 2822. 223 DresdE Art. 783. 224 DresdE Art. 785 II. 225 DresdE Art. 16; dazu oben, 274 f. 226 Dresd. Prot. 2822–2825. 227 Jakobs/Schubert, SR III, 256–259, 267. Ergebnis: E I § 639, BGB § 713. 228 Jakobs/Schubert, SR III, 266. 221
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
gelehnt. Bei Gesamtschulden, so die Mehrheit, ergebe sich der Regress schon aus (der heutigen Vorschrift des) § 426 I. Zudem müsse nicht extra klargestellt werden, dass derjenige Gesellschafter, der wegen seiner gesamtschuldnerischen Haftung leistet, wie ein zur Geschäftsführung berechtigter Gesellschafter zu behandeln sei229. Hieraus ergibt sich, dass der Aufwendungsersatzanspruch des zur Geschäftsführung berechtigten Gesellschafters für die Tilgung von Gesellschaftsschulden nach der Vorstellung des BGB-Gesetzgebers grundsätzlich auf § 713 i.V.m. § 670 beruhen sollte, unabhängig davon, ob es sich um Gesamtschulden oder um Alleinschulden des Tilgenden handelte. Tilgte ein Gesellschafter als Gesamtschuldner eine Gesellschaftsschuld, konnte er, auch wenn er im Allgemeinen nicht zur Geschäftsführung berechtigt war, seinen Regress sowohl auf § 426 I als auch auf §§ 713, 670 stützen, weil er als Gesamtschuldner Geschäftsführer i.S.d. § 713 war. Aufwendungsersatzansprüche eines Gesellschafters einer Personengesellschaft unterliegen allerdings mehreren Einschränkungen, weil es sich um sogenannte Sozialverbindlichkeiten handelt. Sofern ein gemeinsames Vermögen besteht, ist allgemein anerkannt, dass der Gesellschafter sich zuerst an dieses halten muss230. Eine persönliche Inanspruchnahme der Mitgesellschafter ist, wenn überhaupt, nur dann möglich, wenn die Gesellschaftskasse leer ist. Diese Einschränkung beruht auf dem gesellschaftsrechtlichen Innenverhältnis und besteht unabhängig davon, ob es sich um eine Außen- oder Innengesellschaft handelt und ob es sich beim gemeinsamen Vermögen um Gesamthandsvermögen handelt oder nicht231. Sie gilt somit auch für Regressansprüche wegen Tilgung von Gesellschaftsschulden, unabhängig davon, ob diese sich gegen die Gesellschaft oder gegen die Gesellschafter richten und ob sie auf das Gesellschaftsverhältnis oder auf § 426 I gestützt werden. Darüber hinaus können Aufwendungsansprüche nach Rechtsprechung232 und herrschender Lehre233 gegen Mitgesellschafter grundsätzlich überhaupt nicht gel229
Jakobs/Schubert, SR III, 267. Etwa RGZ 153, 305, 314 (5.1.1937); BGHZ 37, 299, 303 (2.7.1962); BGH WM 1974, 749, 751 (1.4.1974); BGH NJW 1980, 339 (2.7.1979); BGH NJW 1981, 1095 (20.10.1980); BGHZ 103, 72, 76 (15.1.1988); BGH ZIP 2002, 394, 396 (17.12.2001); BGH JZ 2008, 362 (15.10.2007); A.Hueck, OHG, § 18 III 2; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 49 V 2; Grunewald, Gesellschaftsrecht, 1 A Rz 119, 1 B Rz 48; Staub/Ulmer, HGB, § 110 Rz 31 f.; MüKo/Ulmer, § 713 Rz 15; Schlegelberger/ Martens, HGB, § 110 Rz 9; Hadding/Häuser, WM 1988, 1588, 1590; Staud/Noack, § 426 Rz 190. 231 Die Regel galt schon im Gemeinen und im preußischen Recht, vgl. Paulus D.17,2,65,14; BayObLG, SeuffA 36 Nr. 122 (26.10.1880); Dresd. Prot. 2823; Dernburg, Preußisches Privatrecht II, § 224; RG JW 1912, 240 Nr. 7 (29.11.1911). Sie wird auch von denjenigen bejaht, die eine Rechtsfähigkeit der Gesellschaft ablehnen, etwa Buchner, AcP 169 (1969), 506 f. 232 Etwa RGZ 59, 143 (8.11.1904); RGZ 80, 268 (25.10.1912); RGZ 120, 136 (7.2.1928); BGHZ 37, 299, 301 (2.7.1962). 233 Für die OHG etwa A.Hueck, OHG, § 18 III 2; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 47 II 4; Baumbach/Hopt, HGB, § 110 Rz 5; Walter, JuS 1982, 82 f. m.w.N.; MüKoHGB/Langhein, § 110 Rz 10. Für die GbR Soergel/Hadding, § 705 Rz 52, § 707 Rz 1, § 713 Rz 10; Staud/Habermeier, § 707 Rz 6, § 713 Rz 10; Nicknig, Haftung, 68 ff. Nach anderer Ansicht kann schon während des Bestehens der Gesellschaft ein anteiliger Aufwendungsersatzanspruch gegen Mitgesellschafter er230
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tend gemacht werden, solange die Gesellschaft als werbende besteht. Dies wird damit begründet, dass die Inanspruchnahme eines Mitgesellschafters einer nachträglichen Beitragserhöhung gleichkommt, zu der Personengesellschafter während des Bestehens der Gesellschaft nicht verpflichtet sind, § 707. Auch bei leerer Gesellschaftskasse muss der Gesellschafter, der Aufwendungen für die Gesellschaft gemacht hat, daher warten, bis sich die Gesellschaftskasse wieder füllt. Eine Inanspruchnahme der Mitgesellschafter ist grundsätzlich nur im Rahmen der Liquidation möglich. Diese Regel bestand schon, bevor die Rechtsfähigkeit der Gesamthandsgesellschaft anerkannt war, auch wenn sie in Deutschland nie ausdrücklich in eine Kodifikation aufgenommen wurde234. Sie beruht nicht auf dieser dogmatischen Konstruktion, sondern auf den praktischen Bedürfnissen bei Gesellschaftsverträgen. Auch die Erste Kommission ging bei ihren Beratungen zur BGB-Gesellschaft von einer solchen Beschränkung aus, verzichtete aber, entgegen einem Antrag von Planck, auf eine gesetzliche Regelung, weil sie meinte, die Beschränkung selbst ergebe sich schon aus allgemeinen Regeln, während die Einzelheiten Wissenschaft und Praxis überlassen werden sollten235. Die Beschränkung der Inanspruchnahme von Mitgesellschaftern auf die Liquidation wurde teilweise auch auf Regressansprüche angewandt236. Sie hat daher auch die Frage beeinflusst, ob und wo die gesellschaftsrechtliche Insolvenzregel in ein Gesetzbuch aufzunehmen ist. In einigen Regelwerken findet sie sich, der gemeinrechtlichen Tradition gemäß, direkt im Zusammenhang mit dem gesellschaftsrechtlichen Aufwendungsersatzanspruch237. Wenn aber ein solcher Aufwendungsersatzanspruch nur im Rahmen der Auseinandersetzung geltend gemacht werden darf, kann die Insolvenzregel auch bei den Auseinandersetzungsregeln erscheinen. Diese Frage beschäftige insbesondere den Gesetzgeber des ADHGB238. Es bestand Einigkeit darüber, dass bei Geltendmachung eines Aufwendungsersatzanspruchs gegen die Mitgesellschafter, etwa wegen Zahlung einer Gesellschaftsschuld, die Anteile der Insolventen auf die Solventen verteilt werden sollten. Unklar war nur, ob man diese Insolvenzregel direkt beim Aufwendungsersatzanspruch aus Art. 93 ADHGB oder weiter hinten bei den Regeln zur Auseinandersetzung (so der Erste Entwurf zum ADHGB) platzieren sollte. 234 hoben werden, sofern aus dem Gesellschaftsvermögen keine Befriedigung zu erlangen ist; RGZ 153, 305, 314 (5.1.1937); Staub/Ulmer, HGB, § 110 Rz 31; MüKo/Ulmer, § 707 Rz 4, § 713 Rz 15; Wiedemann, WM 1975, Beil. 4, S. 38; ders., WM 1992, Beil. 7, S. 36 f.; ders., Gesellschaftsrecht I, 271; ders., Gesellschaftsrecht II, 237 f.; Schlegelberger/Martens, HGB, § 110 Rz 8 f.; Grunewald, Gesellschaftsrecht, 1 B Rz 49. 234 Siehe etwa ROHGE 12, 272, 274 (11.2.1874); ROHGE 13, 144 (28.3.1874) = SeuffA 30 Nr. 208 (hier sogar für Drittgläubigerforderungen); ROHGE 19, 415 (29.3.1876); RGZ 31, 139, 141 (12.6.1893); Dernburg, Preußisches Privatrecht II, § 224; Puchelt, ADHGB, Art. 93 Anm. 6. 235 Jakobs/Schubert, SR III, 259–261; siehe auch Mot. II, 607 f. (Mugdan II, 339 f.). 236 RGZ 31, 139, 141 (12.6.1893); von Hahn, ADHGB, Art. 112, § 8. Hiervon ging auch der Gesetzgeber des HGB aus, Denkschrift HGB, zu §§ 116–118, S. 94 f. (279 f.). Anders aber ROHGE 12, 251 (26.1.1874, SeuffA 29 Nr. 236); Puchelt, ADHGB, Art. 112 Anm. 1. 237 HessE IV 2 Art. 389; SächsGB § 1377; DresdE Art. 789. 238 Zum Folgenden E I-ADHGB Art. 137 II; ADHGB-Prot. 254 f., 1015 f.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
Schließlich entschied man sich, die Insolvenzregel als selbstverständlich vorauszusetzen und sie gar nicht ins Gesetzbuch aufzunehmen. Daher findet sie sich auch nicht im HGB. Der BGB-Gesetzgeber entschied sich demgegenüber, die Insolvenzregel im Rahmen der Nachschusspflicht bei der Auseinandersetzung aufzunehmen, § 735239. Sofern es sich bei der Gesellschaft um eine societas bzw. um eine nichtrechtsfähige Personengesellschaft handelt, bedeutet die dargestellte Beschränkung nichts anderes als eine Modifikation der gesellschaftsrechtlichen Aufwendungsersatzansprüche gegen die Mitgesellschafter. Ganz anders kann die Beschränkung erklärt werden, wenn die Gesellschaft selbst rechtsfähig ist oder als Träger von Verbindlichkeiten anerkannt wird, wie es zuerst bei den Handelsgesellschaften geschah. Nach Art. 93 ADHGB bzw. § 110 HGB richtet sich der Aufwendungsersatz des Gesellschafters nicht gegen seine Mitgesellschafter, sondern gegen die Gesellschaft selbst. Hieraus kann zwanglos erklärt werden, warum der ersatzberechtigte Gesellschafter sich während des Bestehens der Gesellschaft nur an das Gesellschaftsvermögen halten kann. Um dieses Ergebnis nicht zu gefährden, muss allerdings die Regel, dass bei der OHG jeder Gesellschafter auch persönlich für die Gesellschaftsschulden haftet, ausgeschaltet werden. Demgemäß besteht Einigkeit darüber, dass die solidarische Haftung der Handelsgesellschafter nicht für Sozialverbindlichkeiten der Gesellschaft gilt240. Nachdem sich das Modell der rechtsfähigen Gesellschaft mit akzessorischer Gesellschafterhaftung auch für die BGB-Außengesellschaft durchgesetzt hat241, gilt hier Entsprechendes242. Nur die Gesellschaft selbst, nicht der einzelne Mitgesellschafter, scheint danach Schuldner des Aufwendungsersatzanspruchs zu sein. Die persönliche Inanspruchnahme eines Mitgesellschafters ist nach diesem Modell, wonach nur die Gesellschaft schuldet, schwer zu erklären. Sie ist grundsätzlich nur im Rahmen der Liquidation möglich. Hier trifft den einzelnen Gesellschafter eine Nachschusspflicht, § 735243. Nach dem Modell der rechtsfähigen Gesellschaft besteht die Nachschusspflicht allerdings gegenüber der Gesellschaft. Dennoch lässt die herrschende Lehre im Rahmen der Liquidation unmittelbare Ausgleichsansprüche unter den Gesellschaftern zu. Wer nur die Gesellschaft selbst für den Anspruchsinhaber hält, muss dies konsequenterweise mit der mo239
Jakobs/Schubert, SR III, 268 f. RGZ 59, 143 (8.11.1904); RGZ 120, 136 (7.2.1928); RGZ 153, 305 (5.1.1937); BGHZ 37, 299, 301 (2.7.1962): K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 47 II 4; Staub/Ulmer, HGB, § 110 Rz 29, 31; MüKoHGB/Langhein, § 110 Rz 10. 241 Oben, 81 f. 242 MüKo/Ulmer, § 705 Rz 197 m.w.N., § 714 Rz 39; Soergel/Hadding, § 705 Rz 51, § 714 Rz 36; Staud/Habermeier, vor § 705 Rz 46, § 705 Rz 37. Ähnlich verhält es sich, wenn man zwar die Rechtsfähigkeit der GbR verneint, aber Sozialverbindlichkeiten zu sog. Gesamthandsschulden erklärt, für die per definitionem nur das Gesamthandsvermögen haftet. Auch bei dieser Begrifflichkeit scheint ein Aufwendungsersatzanspruch gegen einen Mitgesellschafter persönlich nicht möglich zu sein: Larenz, Schuldrecht BT, § 60 IV c (S. 398 f.). 243 § 735 gilt auch für die OHG, stellvertretend MüKoHGB/K. Schmidt, § 105 Rz 269, § 149 Rz 26; Staub/Ulmer, HGB, § 105 Rz 65; Staub/Habersack, HGB, § 145 Rz 9. 240
3. Regress und vertragliches Innenverhältnis
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dernen actio pro socio bzw. gewillkürter Prozessstandschaft und § 155 II 1 HGB erklären244. Von der Regel, dass Aufwendungsersatzansprüche nur gegen die Gesellschaft gerichtet werden können, machen Rechtsprechung und herrschende Lehre inzwischen eine Ausnahme, wenn ein Gesellschafter aufgrund seiner solidarischen Haftung für eine Gesellschaftsschuld in Anspruch genommen wird245. Hier soll sich der tilgende Gesellschafter zwar ebenfalls zunächst an das Gesellschaftsvermögen halten. Soweit aber keine liquiden Gesellschaftsmittel zur Verfügung stehen, hat der Gesellschafter gegen seine Mitgesellschafter sofort einen Anspruch auf anteiligen Regress. Zur Begründung wird angeführt, dass für Gesellschaftsschulden nach außen alle Gesellschafter solidarisch haften. Der einzelne Mitgesellschafter hätte also ohnehin vom Gläubiger in Anspruch genommen werden können, und zwar in voller Höhe. Der Zufall, dass der Gläubiger auf einen anderen Gesellschafter zugegriffen habe, dürfe nicht dazu führen, dass bis zur Auseinandersetzung nur ein Gesellschafter die Last tragen müsse. Wäre die Gesellschaft nicht rechtsfähig, ließe sich diese Ausnahme dogmatisch leicht erklären: Die gesellschaftsrechtlichen Beschränkungen für die Geltendmachung von Sozialverbindlichkeiten gegen die Mitgesellschafter gelten beim Regress wegen der Tilgung von Gesellschaftsschulden nicht. Wenn aber die Gesellschaft selbst als rechtsfähig gilt, dann stellt sich die Frage der Regressgrundlage. Können Aufwendungsersatzansprüche nur gegen die Gesellschaft selbst geltend gemacht werden, scheint für einen Regress gegen die Mitgesellschafter während des Bestehens der werbenden Gesellschaft die gesellschaftsrechtliche Anspruchsgrundlage zu fehlen. Die Lösung, die akzessorische Haftung der Gesellschafter für Gesellschaftsschulden hier ausnahmsweise auch für Sozialverbindlichkeiten zuzulassen, scheidet aus, weil sie nicht zum gewünschten anteiligen Regress führt. In dieser Lage bietet sich als Anspruchsgrundlage § 426 I an: Da im Außenverhältnis die Gesellschafter solidarisch für die Gesellschaftsschuld gegenüber dem Gläubiger haften, besteht unter ihnen eine Gesamtschuld, die einen Regress eröffnet. Daher stützen Rechtsprechung und Literatur den Gesellschafter-
244 Vgl. zur OHG K. Schmidt, ZHR 153 (1989), 293 ff.; MüKoHGB/K. Schmidt, § 145 Rz 17, § 146 Rz 56, § 149 Rz 22, 27, 30, 44, § 155 Rz 17 f., 20; ders., Gesellschaftsrecht, § 52 IV 1; Staub/ Habersack, HGB, § 145 Rz 9, § 149 Rz 31, § 155 Rz 2, 8–15 (zur Gegenansicht etwa A.Hueck, OHG, § 31 II 3, § 32 V 2, IX; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer, HGB, § 145 Rz 3, § 155 Rz 10; Ebenroth/Boujong/Hillmann, HGB, § 145 Rz 8, § 149 Rz 11, § 155 Rz 23); zur GbR MüKo/Ulmer, § 730 Rz 35, § 735 Rz 5 f.; Staud/Habermeier, § 730 Rz 19, § 735 Rz 4; Soergel/Hadding, § 735 Rz 6; ferner Wiedemann, Gesellschaftsrecht II, 572 f., 577. 245 BGHZ 37, 299, 302 (2.7.1962); BGH WM 1974, 749, 751 (1.4.1974); A.Hueck, OHG, § 18 III 2; Flume, Personengesellschaft, 298; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 49 V 2, § 60 III 5; MüKo/Ulmer, § 705 Rz 217, § 707 Rz 4, § 714 Rz 56; Soergel/Hadding, § 705 Rz 52, § 707 Rz 1, § 713 Rz 10, § 714 Rz 36; Staud/Habermeier, § 705 Rz 45, § 707 Rz 6; Grunewald, Gesellschaftsrecht, 1 A Rz 119, 1 B Rz 48; Ebenroth/Boujong/Hillmann, HGB, § 128 Rz 32 f.; Soergel/Wolf, § 426 Rz 19; Nicknig, Haftung, 72 ff.; und die in der folgenden Fußnote Genannten.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
rückgriff nun auf § 426 I246. Der Gesamtschuldregress wird gerade mit dem Argument gerechtfertigt, dass es angesichts der Haftung aller Gesellschafter Zufall sei, auf wen der Gläubiger zugreife: das Glücksspiel-Argument Savignys247. Demnach scheint der Gesamtschuldregress bei der Tilgung von Gesellschaftsschulden tatsächlich gebraucht zu werden, weil das Innenverhältnis keinen Anspruch bereithält. Ein solches Ergebnis wäre allerdings bemerkenswert. Jahrhundertelang war es selbstverständlich, dass es das Gesellschaftsverhältnis selbst war, das dem eine Gesellschaftsschuld tilgenden Gesellschafter den Regress gegen seine Mitschuldner eröffnete. Durch eine bloße Veränderung der Schuldkonstruktion im Außenverhältnis (Rechtsfähigkeit der Gesamthand) soll sich das Innenverhältnis derart geändert haben, dass es allein nicht mehr in der Lage ist, den Regress gegen den Mitgesellschafter zu begründen. Wenn die Heranziehung des § 426 I trotz rechtsgeschäftlichen Innenverhältnisses wirklich notwendig sein sollte, dann hieße das, dass der anteilige Regress gegen die Mitgesellschafter nicht auf der Parteivereinbarung beruht. Es überzeugt aber wenig, wenn der gewöhnliche Aufwendungsersatz gegen das Gesellschaftsvermögen auf dem Gesellschaftsverhältnis und damit auf der rechtsgeschäftlichen Innenbeziehung selbst beruhen soll, die Inanspruchnahme des Mitgesellschafters bei der Tilgung von Gesellschaftsschulden dagegen vom Gesellschaftsverhältnis nicht erfasst und nur durch den Gesamtschuldregress ermöglicht wird. Damit stellt sich die Frage, ob die Ausnahme von den allgemeinen Regeln der Sozialverbindlichkeiten, die bei der Tilgung von Gesellschaftsschulden gemacht wird, tatsächlich nur auf dem Glücksspiel-Argument beruht, also auf der Tatsache, dass ansonsten die Gläubigerwillkür die Lastenverteilung bis zur Auseinandersetzung bestimmen würde. Ausgangspunkt muss die ratio der Beschränkung bei der Geltendmachung von Sozialverbindlichkeiten sein: Der einzelne Gesellschafter soll grundsätzlich während des Bestehens der Gesellschaft nicht indirekt zu einer Beitragserhöhung gezwungen werden. Das Gesamtschuldverhältnis unter den Gesellschaftern, das im Falle der Tilgung von Gesellschaftsschulden vorliegt, weist aber hinsichtlich des Aufwendungsersatzanspruchs zwei Besonderheiten auf. Zum einen haftet der Regresspflichtige persönlich. Zum anderen war 246
BGH NJW 1980, 339 (2.7.1979); BGH NJW 1981, 1095 (20.10.1980); BGHZ 103, 72, 76 (15.1.1988); OLG Koblenz, NJW-RR 1995, 486, 487 (15.12.1994); BGH JZ 2008, 362 (15.10.2007); Prediger, BB 1970, 868; Kornblum, Haftung, 67, 171; Nicknig, Haftung, 77; Larenz, SR BT, § 60 IV c; Walter, JuS 1982, 84; Kubis, Regreß, 48 f., 58 ff.; Hadding/Häuser, WM 1988, 1588; Soergel/ Hadding, § 705 Rz 52; Schlegelberger/Geßler, HGB (1963), § 128 Rz 28; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 49 V 2; MüKoHGB/K. Schmidt, § 128 Rz 34; Staub/Ulmer, HGB, § 110 Rz 32; MüKo/Ulmer, § 705 Rz 217, § 714 Rz 56; Habersack, AcP 198 (1998), 162 f., 167; Staub/Habersack, HGB, § 128 Rz 48 f.; Heymann/Emmerich, HGB, § 110 Rz 15; Koller, FS Georgiades (2006), 684; Koller/Roth/Morck, HGB, § 128 Rz 8; Ebenroth/Boujong/Goette, HGB, § 110 Rz 29; Baumbach/Hopt, HGB, § 128 Rz 27; Staud/Noack, § 426 Rz 186. 247 BGHZ 37, 299, 302; Schlegelberger/Geßler, HGB (1963), § 128 Rz 28; Prediger, BB 1970, 868; Kornblum, Haftung, 172; Nicknig, Haftung, 75; Staub/Fischer (1973), HGB, § 128 Rz 39; Walter, JuS 1982, 84; MüKo/Ulmer, § 705 Rz 217; Koller, FS Georgiades (2006), 284; Gehrlein, JZ 2008, 365.
3. Regress und vertragliches Innenverhältnis
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der Regressberechtigte als Gesamtschuldner zur Zahlung der Gesellschaftsschuld intern legitimiert. Die erste Besonderheit ist von zentraler Bedeutung. Weil der Regresspflichtige selbst dem Anspruch des Gläubigers ausgesetzt war, kann er sich gegenüber dem Regressberechtigten nicht darauf berufen, zur Erhöhung seines Beitrags nicht verpflichtet zu sein. Seine Haftung im Außenverhältnis beruht auf der Verbindlichkeit, die im Namen der Gesellschaft gegenüber dem Gläubiger eingegangen wurde und die unabhängig von § 707 sämtliche Gesellschafter dem Risiko der Inanspruchnahme aussetzt. Für diese gesellschaftsrechtlich vorgesehene persönliche Haftung kann § 707 von vornherein nicht gelten248. Die Verpflichtung der Gesellschafter als akzessorisch haftende Schuldner kann zwar wirtschaftlich einer Beitragserhöhung gleichkommen, diese wird aber gerade durch die Regel der Gesellschafterhaftung legitimiert. Die Bedeutung der zweiten Besonderheit, nämlich dass auch der Regressberechtigte als Gesamtschuldner haftet, ist weniger sicher. Möglicherweise macht die gesamtschuldnerische Stellung den Regressberechtigten wie im Gemeinen Recht zum berechtigten Geschäftsführer: Weil er durch die gesellschaftsrechtlich legitimierte Verpflichtung der Gesellschaft selbst zum Schuldner wurde, entsprach die Tilgung dem Gesellschaftswillen. Weder hat er als Nichtschuldner fremde Schulden getilgt, noch ist er ohne Berechtigung eine eigene Verbindlichkeit eingegangen und hat diese getilgt. Sollte eine derartige Berechtigung für einen Mitgesellschafterregress während bestehender Gesellschaft erforderlich sein, müsste man etwa dem nach außen nicht haftenden Kommanditisten, der ungefragt eine Gesellschaftsschuld tilgt, einen Regress gegenüber dem Komplementär versagen: Der Komplementär, so könnte argumentiert werden, ist zwar dem Risiko der Inanspruchnahme durch den Gläubiger ausgesetzt und kann sich daher grundsätzlich nicht auf seine fehlende Pflicht zur Beitragserhöhung berufen; jedoch muss er sich nur einen Zugriff durch den Gläubiger selbst oder andere haftende Gesellschafter gefallen lassen, nicht einen möglicherweise früheren Rückgriff durch einen nichtberechtigten Kommanditisten, der die Schuld ungefragt tilgte. Folgt man dieser Argumentation, dürfte der Kommanditist auch dann keinen sofortigen (subsidiären) Rückgriff gegenüber dem Komplementär haben, wenn er ungefragt der Gesellschaftsschuld beigetreten ist und nun die Schuld tilgt, auch wenn er dadurch Gesamtschuldner geworden ist. Statt dessen könnte auch argumentiert werden, dass es auf die Schuldnerstellung des Regressberechtigten überhaupt nicht ankommt und auch derjenige Gesellschafter, der, ohne selbst Schuldner zu sein, ungefragt eine Gesellschaftsschuld tilgt, einen sofortigen subsidiären Rückgriff gegen den schuldenden Mitgesellschafter haben sollte.
248
A.Hueck, OHG, § 18 III 2; Prediger, BB 1970, 868 f.; Kornblum, Haftung, 67, 172; Staub/ Fischer (1973), HGB, § 128 Rz 39; Walter, JuS 1982, 84; Kubis, Regreß, 59; Koller, FS Georgiades (2006), 684; Staub/Habersack, HGB, § 128 Rz 48; Ebenroth/Boujong/Hillmann, HGB, § 128 Rz 32; Baumbach/Hopt, HGB, § 128 Rz 27; BGHZ 37, 299, 302.
310
VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
Folgt man dem, kann es auf die Gesamtschuld zwischen Regressberechtigtem und -verpflichtetem von vornherein nicht ankommen. Das Gesamtschuldverhältnis unter den Gesellschaftern besteht also bei genauerem Hinsehen aus zwei Elementen, die zusammen einen sofortigen Mitgesellschafterrückgriff rechtfertigen. Wenn eines dieser Elemente im Einzelfall fehlt, kann es möglicherweise durch ein anderes ersetzt werden, das ebenfalls den sofortigen persönlichen Rückgriff legitimiert. Dies kann an zwei Entscheidungen des BGH illustriert werden, in denen jeweils eines der genannten Elemente fehlte. In einem vom BGH 1974 entschiedenen Fall249 bildeten G1 und G2 eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Im Auftrag der Gesellschaft schloss G1 in eigenem Namen einen mehrjährigen Mietvertrag über eine Telefonanlage, die von der Gesellschaft genutzt wurde. Nach Auflösung der Gesellschaft, aber noch vor Beendigung der Auseinandersetzung, verlangte G1 von G2 die anteilige Freistellung von seiner Verpflichtung gegenüber dem Telefonunternehmen. G1 stand ein Befreiungsanspruch aus §§ 670, 257 zu, und zwar spätestens bei Auflösung der Gesellschaft. Dieser Befreiungsanspruch richtete sich gegen die Gesellschaft. Nach Ansicht des BGH aber bestand auch ein anteiliger Befreiungsanspruch gegen den Mitgesellschafter G2. Insofern sollten die gleichen Regeln gelten wie bei der Tilgung von Gesellschaftsschulden durch Gesellschafter, die Ansprüche auch gegen den Mitgesellschafter selbst begründet, sofern aus dem Gesellschaftsvermögen keine Befriedigung zu erlangen ist. Dass der Befreiungsanspruch des G1 diesem Erstattungsanspruch gleichzustellen war, bedurfte nach Ansicht des Gerichts keiner weiteren Begründung250. Diese Gleichstellung des Befreiungsanspruchs mit einem Erstattungsanspruch bei der Tilgung von Gesellschaftsschulden ist bemerkenswert. Immerhin bestand hier nach außen keine Verbindlichkeit der Gesellschaft, so dass G2 vom Gläubiger gar nicht in Anspruch genommen werden konnte. Insofern stellt sich die Frage nach der Anspruchsgrundlage, die das Gericht bezeichnenderweise nicht beantwortete. Der Anspruch aus §§ 670, 257 richtet sich nur gegen die Gesellschaft, und § 426 I kommt mangels Gesamtschuld zwischen G1 und G2 nicht in Betracht. Offenbar gibt es also Aufwendungsersatz- bzw. Befreiungsansprüche gegen Mitgesellschafter auch auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage. Im Ergebnis war die Gleichstellung des Befreiungsanspruchs mit einem Regressanspruch wegen Tilgung von Gesellschaftsschulden in diesem Urteil wohl nur durch die Besonderheit gerechtfertigt, dass die Gesellschaft sich in der Abwicklungsphase befand. Hier ist es im Ergebnis gleichgültig, ob man nur eine Sozialverbindlichkeit der Gesellschaft oder auch einen Anspruch gegen Mitgesellschafter bejaht. Für beide Arten von Ansprüchen gilt die allgemeine Regel, dass sie vor der endgültigen Schlussabrechnung grundsätzlich nicht selbständig gel-
249 250
BGH WM 1974, 749 (1.4.1974). BGH WM 1974, 750.
3. Regress und vertragliches Innenverhältnis
311
tend gemacht werden können251. In einer Schlussabrechnung wiederum macht es grundsätzlich keinen Unterschied, ob ein geltend gemachter Anspruch nur gegen die Gesellschaft oder auch gegen die Gesellschafter gerichtet ist. Für beide Arten von Ansprüchen gilt nach herrschender Lehre auch eine Ausnahme von der Durchsetzungssperre während der Auseinandersetzung, nämlich wenn schon vorher feststeht, dass ein Gesellschafter zumindest einen bestimmten Betrag von einem anderen verlangen kann252. Diese Ausnahme wendete der BGH im vorliegenden Fall an, weil offenbar weder Gesellschaftsvermögen noch Ansprüche des G2 gegeben waren und G2 die Abrechnung grundlos verzögerte253. Demnach stand G1 der geltend gemachte anteilige Befreiungsanspruch zu. Würde man die Regeln für gewöhnliche Sozialverbindlichkeiten anwenden, dann hatte G1 in der Auseinandersetzung einen Anspruch gegen die Gesellschaft und G2 eine entsprechende Nachschusspflicht. Weil feststand, dass G1 per saldo der Anspruch gegen G2 zustand, konnte G1 ihn schon vor der Schlussabrechnung geltend machen. Die umgekehrte Fallkonstellation, nämlich dass zwar der Regresspflichtige haftet, nicht aber der Regressberechtigte, behandelte ein Urteil des BGH von 2001254. In einer Zweipersonen-Kommanditgesellschaft hatten der (nach außen nicht haftende) Kommanditist255 sowie seine an der Gesellschaft nicht beteiligte Ehefrau auf Bitten des Komplementärs für Schulden der Gesellschaft Grundschulden bestellt und später auf diese Grundschulden gezahlt, mit dem Ergebnis, dass die Gesellschaft vom Gläubiger nicht mehr in Anspruch genommen werden konnte. Sie verlangten Ersatz sowohl von der Gesellschaft als auch vom Komplementär persönlich. Der BGH beschäftigte sich in diesem Urteil nicht mit der Frage des Regresses des fiduziarischen Sicherers gegenüber dem Schuldner, sondern behandelte die Kläger so, als hätten sie direkt auf Bitten des Komplementärs eine Gesellschaftsschuld getilgt. Hiervon soll zu Argumentationszwecken auch im Folgenden ausgegangen werden. Der Regress der Ehefrau war unproblematisch: Als Außenstehende hatte sie mit der Gesellschaft, vertreten durch den Komplementär, einen Auftragsvertrag geschlossen. Daher konnte sie von der Gesellschaft aus § 670 Ersatz ihrer Aufwendungen verlangen. Für diese Forderung haftete der Komplementär nach 251 BGHZ 103, 72, 77 (15.1.1988); K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 52 IV 1 c; Wiedemann, Gesellschaftsrecht II, 575 ff.; MüKo/Ulmer, § 730 Rz 49 ff.; Baumbach/Hopt, HGB, § 149 Rz 5; Hadding/Häuser, WM 1988, 1591 f.; und die in der folgenden Fußnote Genannten. 252 BGHZ 37, 299, 304 f.; BGH WM 1993, 1340 (10.5.1993); BGH NJW 1995, 188 (24.10.1994); BGH JZ 2008, 362, 364 (15.10.2007); Wiedemann, Gesellschaftsrecht II, 577; MüKoHGB/ K. Schmidt, § 149 Rz 44, § 155 Rz 19; MüKo/Ulmer, § 730 Rz 56; Staub/Habersack, HGB, § 128 Rz 52, § 155 Rz 15; Soergel/Hadding/Kießling, § 730 Rz 8 f.; Staud/Habermeier, § 730 Rz 21 f.; Ebenroth/Boujong/Hillmann, HGB, § 149 Rz 21; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer, HGB, § 145 Rz 11; Baumbach/Hopt, HGB, § 145 Rz 6. 253 BGH WM 1974, 751. 254 BGH ZIP 2002, 394 (17.12.2001) = NJW-RR 2002, 455. 255 Im konkreten Fall handelte es sich um einen atypisch stillen Gesellschafter, der aber im Innenverhältnis wie ein Kommanditist behandelt wurde; hierzu K. Schmidt, JuS 2003, 229.
312
VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
§ 128 HGB. Nach Ansicht des BGH konnte dies aber für den Kommanditisten nicht gelten, weil er selbst Gesellschafter war. Ihm sollte gegen die Gesellschaft, da er ein Sonderopfer erbracht hatte, ein Aufwendungsersatzanspruch nach § 110 HGB zustehen. Für seinen Regress gegen den Komplementär schien hingegen die Anspruchsgrundlage zu fehlen, da bei Sozialverbindlichkeiten eine Haftung nach § 128 HGB nicht besteht. Auch die gewöhnliche Anspruchsgrundlage für den Mitgesellschafterregress, § 426 I, schied aus, weil der Kommanditist (zumindest nach der Annahme, er habe schlicht eine Gesellschaftsschuld getilgt) gegenüber dem Gläubiger nicht haftete und daher kein Gesamtschuldner war. Daher bemühte sich der BGH um eine Analogie: Die Regeln zum Ausgleich unter gesamtschuldnerisch haftenden Gesellschaftern seien auch dann anwendbar, wenn ein Kommanditist ohne Verpflichtung im Außenverhältnis freiwillig Schulden der Gesellschaft tilge und sich dadurch einem persönlich haftenden Gesellschafter gleichstelle256. Weil die Gesellschaft (vertreten durch den Komplementär) nicht zum Aufwendungsersatz bereit war, konnte der Kommanditist danach direkt den Komplementär in Anspruch nehmen. Der Regressanspruch war, wie stets beim Gesellschafterregress, nur anteilig; da aber der Verlustanteil des Kommanditisten hier 0%, der des Komplementärs 100% betrug, konnte der Kommanditist vollen Ersatz verlangen. In der Literatur ist das Ergebnis gebilligt worden, doch die Begründung erregte einhellige Kritik257. In der Tat fragt es sich, wieso eine Analogie zum Gesamtschuldregress möglich sein soll, wenn doch gerade keine Gesamtschuld vorliegt. Der sofortige Gesellschafterregress kann jedenfalls nicht mit dem GlücksspielArgument gerechtfertigt werden: Es lag nicht in der Willkür des Gläubigers, wer belastet wurde; vielmehr haftete allein der Komplementär. Ein Teil der Literatur erklärt das Ergebnis, indem er den Kommanditisten mit seiner Ehefrau gleichstellt: Weil er von der Gesellschaft beauftragt worden sei, stehe er der Gesellschaft als Drittgläubiger eines Auftragsverhältnisses gegenüber. Daher könne er seinen Regress gegen die Gesellschaft auf § 670 und gegen den Komplementär auf § 128 HGB stützen258. Doch es ist zweifelhaft, ob die Tatsache, dass der Kommanditist vom Komplementär beauftragt wurde, ihn zum Drittgläubiger macht. Es handelt sich nicht um ein Geschäft, das ebenso gut mit einem Dritten abgeschlossen hätte werden können; vielmehr wurde der Kommanditist im Gesellschaftsinteresse tätig. Die Annahme einer Drittgläubigerforderung würde bedeuten, dass er bei mehreren haftenden Gesellschaftern jeden für seinen Regress als Gesamtschuldner in Anspruch neh-
256
BGH ZIP 2002, 396. K. Schmidt, Jus 2003, 230 f.; MüKoHGB/K. Schmidt, § 128 Rz 34; Hennrichs/Merschmeyer, LM § 110 HGB Nr. 5; Schöne, EWiR 2002, 628; Lindacher, FS Hadding (2004), 530; Koller, FS Georgiades (2006), 676 f.; Staud/Noack, § 426 Rz 186. 258 K. Schmidt, JuS 2003, 229 ff.; MüKoHGB/K. Schmidt, § 128 Rz 32, 34; Koller, FS Georgiades (2006), 678 ff.; Staud/Noack, § 426 Rz 186; Soergel/Pecher, § 774 Rz 22. 257
3. Regress und vertragliches Innenverhältnis
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men kann259. Diese Privilegierung des Kommanditisten im Verhältnis zu persönlich haftenden Gesellschaftern (für deren Regress § 128 HGB unstreitig nicht gilt) erscheint unangemessen. Dass er im Außenverhältnis grundsätzlich nicht haftet, bedeutet nicht, dass er sich im Innenverhältnis wie ein unbeteiligter Dritter behandeln lassen kann. Folgt man dem (und insoweit auch dem BGH), stand dem Kommanditisten gegen die Gesellschaft nur der gewöhnliche Aufwendungsersatz aus § 110 zu260. Dann fragt es sich aber, wie ein Regress gegen den Komplementär begründet werden kann, der nach den Regeln für gewöhnliche Sozialverbindlichkeiten vor einer Liquidation der Gesellschaft nicht gegeben ist. An dieser Stelle verweist ein anderer Teil der Literatur darauf, dass im vom BGH entschiedenen Fall der Kommanditist tatsächlich nicht einfach eine Gesellschaftsschuld getilgt, sondern eine Grundschuld bestellt und dann auf diese gezahlt hatte. Wegen dieses Nebeneinanders von dinglicher Haftung des Kommanditisten und persönlicher akzessorischer Haftung des Komplementärs greift sie auf die Regeln zum Ausgleich unter mehreren Sicherern zurück und kann so eine zumindest analoge Anwendung des § 426 rechtfertigen261. Doch dieser Ansatz führt nicht weiter, wenn – wie hier zu Argumentationszwecken zugrunde gelegt – der Kommanditist auf Bitten des Komplementärs eine Gesellschaftsschuld tilgt, für die er nicht haftet. Im Ergebnis wäre es aber befremdlich, den Regress des Kommanditisten gegenüber dem Komplementär davon abhängig zu machen, ob er vor Zahlung an den Gesellschaftsgläubiger eine Sicherheit bestellte oder nicht262. Ob der Komplementär den Kommanditisten zur Grundschuldbestellung, zur Bürgschaft, zum Schuldbeitritt oder schlicht zur Zahlung beauftragt, darf, wenn es zur Zahlung des Kommanditisten kommt, im Innenverhältnis nicht über das Bestehen des Regresses entscheiden. Ebenso kann die Stellung eines Kommanditisten, der ungefragt Gesellschaftsschulden tilgt, nicht dadurch verbessert werden, dass er, statt als Dritter zu zahlen, ungefragt eine Grundschuld bestellt oder eine Bürgschaft eingeht und dann auf diese zahlt. Die Konzentration auf die Form der Haftung im Außenverhältnis macht den Regress zu Unrecht von Umständen abhängig, die im Innenverhältnis keine Bedeutung haben. Die sachliche Frage in diesem Fall ist die, warum für den Regress gegen den Komplementär die Regeln des Gesellschafter-Gesamtschuldregresses und nicht die Regeln für gewöhnliche Sozialverbindlichkeiten anwendbar sein sollen. Ein entscheidendes Element ist die persönliche Haftung des regresspflichtigen Komplementärs: Weil er gegenüber dem Gläubiger ohnehin haftet, kann er sich nicht 259 Offenbar hält auch Karsten Schmidt einen subsidiären Teilregress für angemessen, den er durch die Annahme einer Einschränkung der Haftung aus § 128 HGB durch die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht erreicht. 260 Ebenso Lindacher, FS Hadding (2004), 529 ff., 537. 261 Lindacher, FS Hadding (2004), 532 f.; Schöne, EWiR 2002, 628; Erman/Ehmann, § 421 Rz 55, § 426 Rz 19, 42; Staud/Noack, § 426 Rz 186. 262 Staud/Noack, § 426 Rz 186, will allerdings bei fehlender Eigenhaftung mit einem (nicht weiter begründeten) Anspruch aus § 670 bzw. GoA gegen den Komplementär helfen.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
auf seine fehlende Pflicht zur Beitragserhöhung berufen. Die Abweichung zum Gesamtschuldverhältnis liegt darin, dass der Regressberechtigte selbst nicht schuldete. Insofern könnte gefragt werden, ob er als Nichtschuldner berechtigt sein kann, durch Tilgung der Gesellschaftsschuld nicht nur die Gesellschaft, sondern auch den Komplementär persönlich in Anspruch zu nehmen. Im vorliegenden Fall aber stand die Berechtigung des Kommanditisten zur Schuldtilgung außer Frage, weil er vom Komplementär und damit von der Gesellschaft selbst beauftragt worden war. Diese Beauftragung ersetzte seine Schuldnerstellung. Damit war der Regress ebenso wie in Fällen der solidarischen Gesellschafterhaftung gerechtfertigt. Das offenbare Fehlen einer geeigneten Anspruchsgrundlage und die analoge Heranziehung des Gesamtschuldregresses ohne Gesamtschuld durch den BGH ist nichts anderes als die logische Konsequenz aus einem verfehlten Ausgangspunkt. Indem man annahm, dass nach Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Gesamthand gesellschaftsrechtliche Aufwendungsersatzansprüche allein gegen die Gesellschaft vorlägen, war Aufwendungsersatzansprüchen gegen Gesellschafter, die zuvor selbstverständlich auf das Gesellschaftsverhältnis gestützt wurden, scheinbar die gesellschaftsrechtliche Grundlage entzogen. Dennoch ergab sich das Bedürfnis, auch während des Bestehens der Gesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen Ansprüche gegen die Mitgesellschafter zuzulassen, insbesondere bei der Tilgung von Gesellschaftsschulden. Weil hier gleichsam zufällig auch Gesamtschulden vorlagen, glaubte man, auf eine gesellschaftsrechtliche Begründung des Regresses verzichten zu können, und nahm den gesetzlichen Gesamtschuldrückgriff zu Hilfe. Nachdem sich herausstellte, dass manchmal auch bei Fehlen eines Gesamtschuldverhältnisses ein Bedürfnis für einen Gesellschafterrückgriff vorliegt, ging man nicht etwa auf das Gesellschaftsverhältnis zurück, sondern wendete den gesetzlichen Gesamtschuldrückgriff analog an. Dieser Ansatz aber stellt die Dinge auf den Kopf. Die Gesellschafter sind untereinander durch einen Vertrag verbunden. Dieser Gesellschaftsvertrag, ergänzt durch die Regeln des dispositiven Gesellschaftsrechts, bestimmt ihr Verhältnis sowohl untereinander als auch gegenüber dem nun geschaffenen Rechtsgebilde „Gesellschaft“. Ob Ansprüche gegen die Gesellschaft oder gegen die Mitgesellschafter bestehen, richtet sich in erster Linie nach dem Gesellschaftsvertrag. Dieser eröffnet selbstverständlich auch Ansprüche zwischen den Gesellschaftern selbst263. Zwar soll sich der Aufwendungsersatzanspruch grundsätzlich nur gegen die Gesellschaft richten. Wenn aber in manchen Fallkonstellationen auch ein Regress gegenüber dem Mitgesellschafter gerechtfertigt erscheint, insbesondere weil dessen persönliche Haftung im Außenverhältnis das sonst geltende Argument des Beitragserhöhungsverbots außer Kraft setzt, dann beruht dieser Regress auch auf dem Gesellschaftsverhältnis selbst264. 263 Vgl. Flume, ZHR 136 (1972), 182; ders., Personengesellschaft, 11 f., 95; MüKo/Ulmer, § 705 Rz 216. 264 Ebenso Wiedemann, WM 1992, Beil. 7, S. 37; ders., Gesellschaftsrecht II, 238; und offenbar Flume, Personengesellschaft, 297 (vgl. aber auch 298); zum eben geschilderten BGH-Fall der Schuldtilgung durch einen Kommanditisten auch Hennrichs/Merschmeyer, LM § 110 HGB Nr. 5.
3. Regress und vertragliches Innenverhältnis
315
Zwar kann bei der Tilgung von Gesellschaftsschulden, für die alle Gesellschafter persönlich haften, der Regress daneben auch auf § 426 I gestützt werden. Dies kann aber zu Missverständnissen führen, weil der wahre Regressgrund nicht das Gesamtschuldverhältnis, sondern die persönliche Haftung des Regresspflichtigen im Außenverhältnis (und vielleicht auch die Berechtigung des Regressbegehrenden zur Schuldtilgung) ist. Daher erfasst § 426 I auch nicht alle Fälle des Gesellschafterregresses. Insofern unterscheidet sich das Gesellschaftsverhältnis nicht von anderen Fällen des vertraglichen Innenverhältnisses: Das Bestehen und die Modalitäten eines Regressanspruchs werden durch das Innenverhältnis bestimmt. Sofern Gesamtschulden vorliegen, kann der Regress auch auf § 426 I gestützt werden; irgendein Erkenntnisfortschritt ist aber damit nicht verbunden. Ähnliches gilt im Übrigen auch, wenn ein ausgeschiedener Gesellschafter im Rahmen seiner fortbestehenden Gesellschafterhaftung Gesellschaftsschulden tilgt. Hier wird die These vertreten, dass § 426 I Anspruchsgrundlage für den Regress nicht nur gegenüber den übrigen Gesellschaftern, sondern auch gegenüber der Gesellschaft selbst ist265. Dem liegt offenbar die Überlegung zugrunde, dass eine andere Anspruchsgrundlage nicht zu finden ist, weil man § 713 bzw. § 110 HGB beim ausgeschiedenen Gesellschafter für unanwendbar hält266. Doch schon ganz unabhängig von der Frage, ob zwischen Gesellschaft und ausgeschiedenem Gesellschafter tatsächlich ein Gesamtschuldverhältnis i.S.d. § 421 besteht267, ergibt sich auch der Regress des ausgeschiedenen Gesellschafters selbstverständlich aus dem Gesellschaftsvertrag selbst, ob man ihn auf § 738 I 2, auf § 713 bzw. § 110 HGB oder auf § 670 stützt268. Der ausgeschiedene Gesellschafter war Schuldner geworden, als er noch Gesellschafter war, und zwar auf der gesellschaftsvertraglichen Grundlage, dass er bei Tilgung Regress gegen die Gesellschaft selbst und subsidiär gegen die Gesellschafter nehmen kann. Diese vertragliche Verbindlichkeit der Gesellschaft und der Gesellschafter kann durch das 265 So zumindest im Ergebnis BGHZ 39, 319, 324 f. (9.5.1963); Kornblum, Haftung, 192; für § 426 II Staub/Fischer (1973), HGB, § 128 Rz 60; Preißer, JuS 1987, 291. 266 BGHZ 39, 319, 324 f.; Staub/Fischer (1973), HGB, § 128 Rz 60; vgl. Ebenroth/Boujong/ Hillmann, HGB, § 128 Rz 31; Schlegelberger/Martens, HGB, § 110 Rz 4; MüKoHGB/Langhein, § 110 Rz 7. 267 Dagegen Hadding/Häuser, WM 1988, 1589; Hadding, FS Stimpel (1985), 151 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 49 II 4; MüKoHGB/K. Schmidt, § 128 Rz 61; Staub/Habersack, HGB, § 128 Rz 20, 23; Baumbach/Hopt, HGB, § 128 Rz 36. 268 Vgl. BGH WM 1978, 114, 115 (14.11.1977); Schumann, JZ 1958, 427; Flume, Personengesellschaft, 297; Hadding, FS Stimpel (1985), 153 ff.; Hadding/Häuser, WM 1988, 1589; Kubis, Regreß, 28 ff.; Büscher/Klusmann, ZIP 1992, 16 f.; Wiedemann, WM 1992, Beil. 7, S. 36; ders., Gesellschaftsrecht II, 236–238; Preuß, ZHR 160 (1996), 165; Habersack, AcP 198 (1998), 164; Staub/Habersack, HGB, § 128 Rz 45; MüKoHGB/K. Schmidt, § 128 Rz 32, 61; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 51 III 2. Das Argument, der Befreiungsanspruch des § 738 I 2 verwandle sich bei Zahlung in einen Erstattungsanspruch, ist allerdings schief, denn ein Befreiungsanspruch verwandelt sich nicht in einen Erstattungsanspruch, sondern setzt einen voraus, so zu Recht Gerhardt, Befreiungsanspruch, 34; MüKo/Krüger, § 257 Rz 5; das gilt auch für den Anspruch aus § 738 I 2. Unpassend erscheint auch eine Qualifizierung als Schadensersatz- oder Bereicherungsanspruch.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
Ausscheiden des Gesellschafters modifiziert werden269, aber sie fällt, solange nichts anderes vereinbart ist, nicht einfach weg, ebenso wenig wie der Erstattungsanspruch des Beauftragten nach Kündigung des Auftragsverhältnisses wegfällt. § 426 I wird daher nicht gebraucht.
4. Die Mitwirkungspflicht Die bisherigen Ausführungen haben ergeben, dass der Gesamtschuldregress auf verschiedene Weise begründbar ist. Eine mögliche Begründung stützt sich auf das Glücksspiel-Argument Savignys: Ohne Regress hinge die Entscheidung, wer die Last endgültig tragen muss, von der Gläubigerwillkür ab, was aus Gründen der Gerechtigkeit und/oder der Effizienz zu vermeiden ist. Die Auswahl durch den Gläubiger bildet nach diesem Modell im Innenverhältnis keinen zureichenden Rechtsgrund für die endgültige Lastenverteilung. Weil die Schuld intern geteilt ist, leistet der regressberechtigte Gesamtschuldner im Innenverhältnis teilweise (oder auch ganz) auf eine fremde Schuld. Ähnlich wie die bereicherungsrechtliche Rückgriffskondiktion bei Leistung auf eine fremde Schuld stützt sich der Regress auf die Befreiung des Mitschuldners von seiner Verbindlichkeit, hier aber nur in der Höhe seines internen Anteils. Der Rückgriff knüpft also an die Schuldbefreiung selbst an. Eine Konsequenz könnte darin bestehen, den Rückgriff auch nur dann zuzulassen, wenn der in Anspruch genommene Mitschuldner tatsächlich Schuldner des Gläubigers war. Eine Regresspflicht könnte dann verneint werden, wenn der Mitschuldner zum Zeitpunkt der Leistung gar nicht mehr dem Zugriff des Gläubigers ausgesetzt war, zumindest wenn dies ohne einen Akt der Gläubigerwillkür geschah, etwa weil die Gläubigerforderung gegen ihn verjährt oder durch rechtskräftiges Urteil abgewiesen war. Demgegenüber gehen die in der Zweiten Kommission gebilligten Motive von einer Schuldgemeinschaft aus, die schon mit der Gesamtschuld selbst entsteht270. Die Gesamtschuldner sind durch ein gesetzliches Schuldverhältnis verbunden, das gegenseitige Mitwirkungspflichten und sogar Befreiungsansprüche begründen kann. Weil dieses innere Schuldverhältnis schon von Anfang an besteht, kann sich ein Gesamtschuldner seiner Ausgleichspflicht auch nicht ohne weiteres dadurch entziehen, dass er von der Haftung im Außenverhältnis befreit wird, sei es durch Erlass, Verjährung oder Urteil.
269 Zum Streit, ob das Subsidiaritätserfordnis bei der Inanspruchnahme der Mitgesellschafter noch gilt und ob die Mitgesellschafter noch anteilig haften, BGH NJW 1980, 339, 340 (2.7.1979); K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 51 III 2; MüKoHGB/K. Schmidt, § 128 Rz 62; MüKo/Ulmer, § 714 Rz 56, § 738 Rz 78; Hadding, FS Stimpel (1985), 160 f.; Hadding/Häuser, WM 1988, 1590; Kubis, Regreß, 61, 128 ff.; Wiedemann, WM 1992, Beil. 7, S. 37; ders, Gesellschaftsrecht II, 238; Habersack, AcP 198 (1998), 165 f.; Ebenroth/Boujong/Hillmann, HGB, § 128 Rz 34; Staud/Noack, § 426 Rz 193; zum Gemeinen Recht RGZ 11, 123, 130 f. (9.2.1884). 270 Zum Wortlaut oben, 283.
4. Die Mitwirkungspflicht
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a) Historische Vorbilder Ein direktes historisches Vorbild für diese „Gesamtschuldgemeinschaft“ der Motive ist schwer auszumachen. Die große Mehrheit der früheren Kodifikationen und Entwürfe kannte keine direkten Mitwirkungspflichten der Gesamtschuldner. Der Gedanke eines inneren Schuldverhältnisses konnte sich nicht auf die romanistische Tradition stützen. Seine Wurzel liegt wohl in einheimischem bzw. deutschrechtlichem Gedankengut. Wenn die Gesamtschuldner hier durch eine Art Schuldgemeinschaft derart verbunden waren, dass schon aus dieser Schuldgemeinschaft ein Rückgriffsanspruch folgte, dann lag der Gedanke nicht fern, auch weitere Pflichten im Innenverhältnis anzunehmen. Nach Stobbe konnte der Regress des leistenden Gesamtschuldners neben den an den Gläubiger geleisteten Betrag auch andere Verluste umfassen, etwa in Gestalt der entstandenen Kosten271. Von umfassenden Mitwirkungspflichten ist allerdings bei Germanisten wie Stobbe oder von Gierke272 nicht die Rede. Auch Unger, der eine Schuldgemeinschaft auch für die gemeinrechtliche Korrealobligation postulierte273, folgerte aus dieser Gemeinschaft lediglich einen Regress und keine weiteren Mitwirkungspflichten. Der Gedanke von Pflichten unter den Gesamtschuldnern schon vor Leistung an den Gläubiger entstammte wohl dem preußischen Recht. Das ALR sah in seinem Abschnitt über „Correalverträge“ nicht nur einen Regress des leistenden Gesamtschuldners vor, sondern auch einen Anspruch auf Sicherheitsleistung: „Geräth ein Mitverpflichteter in Umstände, welche sein künftiges Unvermögen, den Vertrag zu erfüllen, wahrscheinlich machen, so können die andern wider ihn auf Sicherstellung seines Antheils dringen.“274 Das Reichsoberhandelsgericht sprach von einer gegenseitigen Mitwirkungspflicht der Korrealschuldner nach preußischem Recht275. In Dernburgs Darstellung zum preußischen Privatrecht ist ohne weitere Begründung von einem Befreiungsanspruch des zahlungsbereiten Korrealschuldners die Rede276. Ein weiteres Vorbild war offenbar das deutschrechtlich geprägte Züricher Gesetzbuch von 1855, das als einziges Regelwerk eine echte Mitwirkungspflicht kannte: „Wird ein einzelner Solidarschuldner von dem Gläubiger belangt, so ist er berechtigt, seine Mitschuldner zu verhältnismäßiger Betheiligung bei der Zahlung anzuhalten. Diesen aber steht es hinwieder frei, ihren Beitrag unmittelbar an den Gläubiger zu bezahlen, wenn dieser die 271
Stobbe, Geschichte, 172. Siehe aber von Gierke, Entwurf (1889), 212, der in den Motiven zum Ersten Entwurf das Vorbild der deutschrechtlichen Schuldgemeinschaft wirken sieht. 273 Unger, JhJb 22 (1887), 225 ff., 275 f.; vgl. oben, 278. 274 ALR I 5 § 449. Dem folgte der Sächsische Entwurf, § 609. 275 ROHGE 24, 99 (14.10.1878). In dieser Entscheidung wird aus der Mitwirkungspflicht allerdings kein Befreiungsanspruch gefolgert, sondern nur ein Anspruch des Bürgen, auch schon bei Leistungen unterhalb seines internen Anteils Regress bei seinen Mitbürgen zu nehmen. Dies ist auch im heutigen Recht anerkannt, unten, 350 ff. 276 Dernburg, Preußisches Privatrecht II, § 50 a.E. 272
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
Theilzahlung annehmen will, oder bis die Gesammtzahlung möglich wird, gerichtlich zu hinterlegen.“277 Eine eingehendere Diskussion über Mitwirkungspflichten unter Gesamtschuldnern fand offenbar nur in Frankreich statt. Das französische Gemeine Recht kannte, anders als das römische Recht, einen eigenständigen Regressanspruch auch unter unabhängigen Mitbürgen. In diesem Rahmen wurde nicht nur erwogen, ob ein Bürge auch schon vor Zahlung an den Gläubiger einen Anspruch gegen die Mitbürgen auf Mitwirkung bei der Zahlung hatte, sondern auch, ob Bürgen einer Rentenschuld bei Insolvenz des Hauptschuldners ein gegenseitiger Anspruch auf Mitwirkung bei der Ablösung der Rentenschuld zustand, was einige Gerichte bejahten278. Pothier befürwortete einen Mitwirkungsanspruch für Mitbürgen lediglich im Rahmen eines Kostenerstattungsanspruchs: Verkünde ein Bürge seinen Mitbürgen, dass er vom Gläubiger gerichtlich in Anspruch genommen wird, und wirkten die Mitbürgen dennoch nicht an der Leistung an den Gläubiger mit, dann könne der beklagte Mitbürge gegen die übrigen anteilig die Kosten geltend machen, die ihm nach der Verkündung entstanden seien. Weitere Mitwirkungspflichten lehnte Pothier mit Hinweis auf das fehlende Innenverhältnis unter unabhängigen Mitbürgen ab279. Die französische Diskussion im 19. Jahrhundert hatte zum Ausgangspunkt, dass schon der Gesamtschuldregress selbst nach französischer Sicht nicht direkt auf den Gesamtschuldvorschriften beruht, sondern auf dem konkreten Innenverhältnis unter den Gesamtschuldnern, das daher auch für die Ausgestaltung des Regresses bestimmend ist280. Wenn also bei einem vertraglichen Innenverhältnis unter den Gesamtschuldnern der Rückgriff regelmäßig auf dem Aufwendungsersatzanspruch des Beauftragten nach Art. 1999 CC beruht, dann bedeutet dies auch, dass der leistende Gesamtschuldner seinen Anspruch wie ein Beauftragter sofort verzinsen kann, Art. 2001281. Für die Frage der Mitwirkungspflicht war somit entscheidend, ob Vorschriften des CC, die über einen reinen Regress hinausgehen, auf alle oder einzelne Gesamtschuldarten anwendbar waren. So kann ein Bürge, der gegenüber dem Hauptschuldner (anders als nach deutschem Recht) einen gesetzlichen Aufwendungsersatzanspruch hat, nach Art. 2305 II (Art. 2028 II a.F.) CC auch die Erstattung derjenigen Kosten verlangen, die nach der Benachrichtigung des Hauptschuldners von der Inanspruchnahme des Bürgen entstanden sind. Hielt man alle Gesamtschuldner für gegenseitige Bürgen in einem weiten Sinne, konnte man so zu einem Kostenerstat277
ZürGB § 943. Siehe den Bericht bei Pothier, Obligations, § 445, m.w.N. 279 Pothier, Obligations, § 445. 280 Oben, 294 f. 281 Allgemeine Meinung, etwa Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 298 ter, S. 31 f.; Marcadé/Pont, Explication IV, § 623; Demolombe, Cours XXVI, § 442; Demante/Colmet, Cours V, § 147 bis II; Colin/Capitant, Cours II, 191; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1092; Carbonnier, Obligations, § 346, S. 569; Mestre/Tian, Solidarité, § 112; Le Tourneau/Julien, Solidarité, § 154; Malaurie/ Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, § 1265. 278
4. Die Mitwirkungspflicht
319
tungsanspruch auch unter Gesamtschuldnern gelangen282. Nach herrschender Lehre aber sollte Art. 2305 nur auf diejenigen Gesamtschuldner anwendbar sein, die in der Funktion als Sicherer für eine Schuld mithaften, die materiell einen anderen Gesamtschuldner allein angeht283. Für diesen Fall sieht Art. 1216 CC ausdrücklich vor, dass die sichernden Gesamtschuldner im Innenverhältnis als Bürgen anzusehen sind. Ebenso setzte sich die Ansicht durch, dass der Befreiungsanspruch des Bürgen gegen den Hauptschuldner aus Art. 2309 (Art. 2032 a.F.) CC nur denjenigen Gesamtschuldnern zusteht, die nach Art. 1216 CC Bürgen im Innenverhältnis sind284. Nach der französischen Sicht, die schon den Rückgriffsanspruch selbst aus dem Innenverhältnis herleitet, kommt es also auch bei der Frage nach dem Bestehen sonstiger Pflichten unter den Gesamtschuldnern ebenfalls auf das konkrete Innenverhältnis an.
b) Die herrschende Lehre Demgegenüber gehen in Deutschland Rechtsprechung285 und ganz herrschende Lehre286 im Anschluss an die Motive von einer pflichtenbegründenden Schuldgemeinschaft unter den Gesamtschuldnern aus, die durch die Gesamtschuld selbst begründet wird. Zwar soll nach allgemeiner Meinung der Leistungsanspruch aus 282
So Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 298 ter, S. 31 f. Demolombe, Cours XXVI, §§ 443, 450; Demante/Colmet, Cours V, § 151 bis I. 284 Ausführlich Demolombe, Cours XXVI, §§ 427, 450; ferner Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 298 ter, S. 32; Demante/Colmet, Cours V, § 151 bis I, jew. m.w.N. zum Streitstand; aus der heutigen Literatur Le Tourneau/Julien, Solidarité, § 146; Simler, Cautionnement, § 640. 285 Etwa RGZ 79, 288 (26.4.1912); RGZ 81, 414, 418 (27.2.1913); KG OLGE 33, 254 (16.4.1914); RGZ 92, 143, 151 ff. (24.1.1918); RGZ 160, 148, 151 (1.4.1939); OLG Celle OLGZ 1970, 357, 358 f. (9.1.1970); BGH WM 1987, 984, 985 (27.4.1987); BGH WM 1991, 399, 400 (20.12.1990); BGHZ 114, 117, 122 (21.3.1991); BGH NJW 1992, 2286, 2287 (11.6.1992); BGH NJW 1995, 652, 654 (30.11.1994); BGHZ 131, 176, 183 f. (22.11.1995); BGH NJW 2005, 3786, 3787 (5.10.2005); und die in Fn. 288–290 genannten Entscheidungen. 286 Planck, BGB (1900), § 426 Anm. 1; Crome, Schuldverhältnisse, § 207 II 1 (S. 384); Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 164 III 1; Cosack, BürgR I, § 119 I 3; Kremer, Mitbürgschaft, 175 f.; Lippmann, AcP 111 (1914), 152 f., 176 ff.; Planck/Siber, § 426 Anm. 1; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 318 III 1; Oertmann, Schuldverhältnisse AT, § 426 Anm. 1; Kreß, SR AT, 613; Leonhard, SR AT, 732; Staud/Werner (1930), § 426 Anm. A I 1 b; Warneyer, BGB (1930), § 426 Anm. I; Lischka, Gesamtschuld (1932), 68; A. Blomeyer, SR AT, § 49 I 2; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 67; dies., Kreditsicherung, Rz 70; Larenz, SR AT, § 37 III, S. 648 f.; Esser, SR AT, § 59 II 1 (S. 441), § 59 a.E. (S. 447); Esser/Schmidt, SR AT 2, § 39 III 2 (S. 350); Soergel/Re. Schmidt (1967), § 426 Rz 5; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 131; Thiele, JuS 1968, 155; Lumm, Ausgleich, 159 ff.; Mirow, Unechte Gesamtschulden, 42 ff.; Weitnauer, Personenmehrheit, 377 f.; Steinbeis, Haftungsausschluß, 145; Schreiber, Jura 1989, 357; Jürgens, Teilschuld, 186; Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 2; Kuhlmann, Rückgriffsgrundlagen, 126 f.; Zerres, Jura 2008, 731; Fikentscher/Heinemann, SR, Rz 776; Brox/Walker, SR AT, Rz 37/16; Looschelders, SR AT, Rz 1205; RGRK/Weber, § 426 Rz 11 ff.; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 12, 71 ff.; Soergel/Wolf, § 426 Rz 15; Staud/Kaduk, § 426 Rz 11, 21, 27, 34 ff.; Staud/Noack, § 426 Rz 6, 37, 73 ff.; Erman/Ehmann, § 421 Rz 10, § 426 Rz 16; Jauernig/Stürner, § 426 Rz 14, 20; jurisPK/Rüßmann, § 426 Rz 1 f.; Palandt/Grüneberg, § 426 Rz 1, 5; BamR/Gehrlein, § 426 Rz 1, 3; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 134, 149, 182 ff. 283
320
VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
§ 426 I sich nur auf die (teilweise) Erstattung des an den Gläubiger Geleisteten richten, nicht auf den Ersatz von Prozess- oder sonstigen Kosten287. Ein Kostenersatzanspruch ist aber in Form eines Schadensersatzanspruchs wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht möglich. Danach ist jeder Gesamtschuldner gegenüber seinen Mitschuldnern verpflichtet, in Höhe seines internen Anteils an der Befriedigung des Gläubigers mitzuwirken. Kommt er mit dieser Mitwirkung in Verzug, kann ein Schadensersatzanspruch eines anderen Gesamtschuldners aus §§ 280, 286 (früher § 286 BGB a.F.) entstehen. Dieser kann sich auf die Erstattung von Prozesskosten richten, wenn es zum Prozess nur wegen der versagten Mitwirkung gekommen ist288, aber auch auf den Ersatz anderer durch die unterlassene Mitwirkung hervorgerufenen Schäden, etwa einen durch den Rücktritt des Gläubigers entgangenen Gewinn289. Darüber hinaus gewähren Rechtsprechung290 und herrschende Lehre291 dem Gesamtschuldner, sofern er nicht intern allein verpflichtet ist, einen einklagbaren 287 Ständige Rspr. seit RGZ 92, 143, 148 (24.1.1918); etwa RGZ 171, 242, 246 f. (16.7.1943); BGH, VersR 1956, 160, 161 (17.12.1955); VersR 1957, 800 (18.10.1957); VersR 1960, 632 (8.3.1960); OLG Neustadt, NJW 1963, 494 (27.11.1962); BGH NJW 1974, 693 (18.12.1973); BGHZ 155, 265, 270 (26.6.2003); aus der Literatur stellvertretend Staud/Noack, § 426 Rz 37; Selb, Mehrheiten, 93; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 24; Soergel/Wolf, § 426 Rz 29; Erman/Ehmann, § 426 Rz 16. Anders verhält es sich, wenn der ausgleichsberechtigte Gesamtschuldner die Prozesskosten des Gläubigers im Rahmen eines Vergleichs zur Abgeltung eines Teils der Hauptforderung übernommen hat, weil dies i.S.d. § 422 I 2 einer Erfüllung gleichkommt, BGH NJW 1971, 884 (16.2.1971). Dagegen umfasst der Ausgleichsanspruch im niederländischen Recht auch die aufgewendeten Kosten, BW Art. 6: 10 III; ebenso PECL Art. 10:106 I. 288 BGH VersR 1956, 160, 161 (17.12.1955); BGH NJW 1962, 1678, 1680 (3.7.1962); OLG Neustadt, NJW 1963, 494 (27.11.1962); BGH NJW 1971, 884 (16.2.1971); BGH NJW 1974, 693, 694 (18.12.1973); BGHZ 155, 265, 270 f. (26.6.2003); Hennicke, VersR 1954, 447; Möring, VersR 1954, 572. 289 RGZ 79, 288 (26.4.1912); BGH NJW 1980, 2464 (7.7.1980). 290 OLG Dresden, OLGE 28, 102 (4.7.1913); OLG Hamburg, HansGZ 1928 B, 169 (26.10.1927); BGH NJW 1958, 497 (= JZ 1958, 57, vollständig abgedruckt in VersR 1957, 806, 22.10.1957); BGHZ 35, 317, 325 (27.6.1961); OLG Neustadt, NJW 1963, 494 (27.11.1962); BGHZ 47, 157, 166 (22.2.1967); OLG Celle, OLGZ 1970, 357, 358 f. (9.1.1970); BGH Warn 1979, Nr. 143, S. 439 (28.5.1979); BGH NJW 1981, 1666, 1667 f. (5.3.1981); BGH NJW 1986, 978 (7.11.1985); BGH NJW 1986, 3131 (15.5.1986); LG Flensburg, NJW-RR 1987, 440 (13.8.1986); BGH NJW 1987, 374, 376 (23.10.1986); OLG Hamm, NJW-RR 1988, 55 (23.3.1987); BGH NJW 1989, 1920, 1921 (5.4.1989); BGHZ 114, 138, 142 (25.3.1991); BGH NJW 1994, 2231, 2232 (28.4.1994); OLG Köln NJW-RR 1995, 1282 (7.12.1994); LG Aachen, NJW-RR 1996, 462 (16.6.1995); OLG Schleswig, MDR 1998, 1493 (7.5.1998); BayObLG, NJW-RR 1999, 590, 592 (11.1.1999); OLG Hamm, NJW 2002, 1054 (13.9.2001); OLG Stuttgart, NJW-RR 2004, 1087, 1088 (13.11.2003); BGH WM 2006, 1637, 1638 (20.7.2006); BGH JZ 2008, 362, 363 (15.10.2007). 291 Reichel, Schuldmitübernahme, 555 f.; A. Blomeyer, JZ 1957, 444; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 67; dies., Kreditsicherung, Rz 70; Ehmann, Gesamtschuld, 24 f.; Erman/Ehmann, § 426 Rz 16; Esser, Schuldrecht (2. Aufl. 1960), § 98/2 I; ders., SR AT, § 59 II 1 (der aber Subsidiarität im Verhältnis zum rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis annimmt); Esser/Schmidt, SR AT 2, § 39 III 2 (S. 350); Fikentscher/Heinemann, SR, Rz 776; Gerhardt, Befreiungsanspruch, 5; R. Schmidt, AcP 163 (1963), 535; Thiele, JuS 1968, 155; Mirow, Unechte Gesamtschulden, 42 f.; Bischof, ZIP 1984, 1452; Preißer, JuS 1987, 629; Jürgens, Teilschuld, 186, 207; Stamm, Regreßfiguren, 48; Wendehorst, Jura 2004, 506, 512; Klutinius/Karwatzki, VersR 2008, 618; RGRK/Weber, § 426 Rz 13; MüKo/
4. Die Mitwirkungspflicht
321
Befreiungsanspruch gegen seine Mitschuldner, sobald die Schuld fällig ist. Jeder Gesamtschuldner ist danach verpflichtet, seine Mitschuldner in Höhe seines internen Anteils von der Verbindlichkeit gegenüber dem Gläubiger zu befreien. Dieser Anspruch soll nach § 887 ZPO vollstreckbar sein, so dass ein ausgleichsberechtigter Gesamtschuldner nach § 887 II ZPO einen Vorschuss und somit Leistung an sich selbst verlangen kann. Diese Annahme umfassender Mitwirkungspflichten hat in der Literatur aber auch Kritik hervorgerufen292. Moniert wird etwa, dass auch ein ausgleichspflichtiger Gesamtschuldner das Recht habe, selbst zu entscheiden, ob und wann er an den Gläubiger leistet, und daher zur Leistung nur vom Gläubiger, nicht von seinen Mitschuldnern gezwungen werden könne. Der ausgleichsberechtigte Gesamtschuldner wiederum habe entstehende Prozesskosten selbst zu tragen: Da er im Außenverhältnis zur Gesamtleistung verpflichtet sei, müsse er es sich selbst zuschreiben, wenn es zum Prozess gekommen sei; schließlich könne er den Gläubigeranspruch auch kostensparend anerkennen293. Die herrschende Lehre argumentiert demgegenüber, dass ohne Annahme einer Mitwirkungspflicht der einzelne Gesamtschuldner gezwungen sein könnte, vorzuleisten und damit das Insolvenzrisiko seiner Mitschuldner zu tragen, obwohl er im Innenverhältnis gar nicht (allein) verpflichtet ist294. Besondere Probleme hat die Annahme eines Befreiungsanspruchs in Fällen hervorgerufen, in denen mehrere Gesamtschuldner intern verpflichtet sind295. So ist nicht ganz klar, wie der Befreiungsanspruch bei Verpflichtungen zu unteilbaren Leistungen zu handhaben ist. Aber auch bei einfachen Zahlungsverpflichtungen birgt der Befreiungsanspruch Probleme. Der ausgleichspflichtige Gesamtschuldner könnte den ausgleichsberechtigten zwar dadurch befreien, dass er seinen Anteil an den Gläubiger leistet, doch dieser ist nach § 266 zur Annahme von Teilleistungen nicht verpflichtet. Nimmt man dagegen eine Pflicht des Ausgleichspflichtigen an, seinen internen Anteil an den leistungswilligen Gesamtschuldner zu leisten, dann setzt man ihn dem Risiko aus, dass der Empfänger vor 292 P. Bydlinski, § 426 Rz 70; Staud/Kaduk, § 426 Rz 11, 27, 34, 36 f.; Staud/Noack, § 426 Rz 6, 48, 77 ff.; Jauernig/Stürner, § 426 Rz 14; Palandt/Grüneberg, § 426 Rz 4 f.; BamR/Gehrlein, § 426 Rz 3; Schmidt-Kessel, Mehrheit, B II 3 c, S. 303; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 183. Für einen einklagbaren Anspruch auf Leistung an den Gläubiger auch schon Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 164 III 1 (der einen Befreiungsanspruch schon nach preußischem Recht annahm, oben, 317); Lippmann, AcP 111 (1914), 176 ff.; BGHZ 23, 361, 363 (21.2.1957); für ein Recht auf Vorschussleistung Staud/Werner (1930), § 426 Anm. A I 1 b. 292 Zur Kritik insbesondere aus historischer Sicht Winter, Teilschuld, 103 ff.; Goette, Gesamtschuldbegriff, 128 ff. 293 Prediger, NJW 1970, 125; ders., Auslegung, 113, 119 ff., 151 ff., 160 ff. 294 Staud/Noack, § 426 Rz 74; Soergel/Wolf, § 426 Rz 15; A. Blomeyer, JZ 1957, 444; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 182. 295 Zum Folgenden etwa Prediger, NJW 1970, 125; ders., Auslegung, 83 ff.; Winter, Teilschuld, 108. Nach M.Wolf besteht daher nur dann ein Befreiungsanspruch, wenn der in Anspruch genommene Gesamtschuldner intern allein verpflichtet ist, Soergel/Wolf, § 426 Rz 15 (ebenso Prediger, NJW 1970, 125; anders aber ders., Auslegung, 126). Dies entspricht dem Hinweis in den Motiven, Mot. II, 169 f. (Mugdan II, 93).
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
Leistung an den Gläubiger insolvent wird oder den Betrag veruntreut, womit der Ausgleichspflichtige doppelt zahlen müsste. Dieses Problem wird nicht dadurch entschärft, dass die Pflicht zur Leistung an den Ausgleichsberechtigten die Gestalt eines vollstreckungsrechtlichen Vorschussanspruchs nach § 887 II ZPO annimmt. Die Hauptkritik gegen die Annahme von Mitwirkungspflichten aus dem Gesamtschuldverhältnis richtet sich aber darauf, dass Mitwirkungs-, Schadensersatz- oder Befreiungsansprüche nur aus einem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis unter den Gesamtschuldnern herleitbar seien296. Sofern ein solches Innenverhältnis unter den Gesamtschuldnern bestehe, beruhe eine Mitwirkungspflicht auf diesem, nicht auf dem Gesamtschuldverhältnis297. Sofern es dagegen an einem besonderen Innenverhältnis fehle, sei die Annahme von Mitwirkungspflichten verfehlt. Insbesondere von Caemmerer hat die These vertreten, dass die Vorstellung eines pflichtenbegründenden inneren Schuldverhältnisses unter den Gesamtschuldnern eine unzulässige Verallgemeinerung des vertragsrechtlichen Modells bedeute298. Tatsächlich bestätigt ein näherer Blick auf die Fälle vertraglich vereinbarter Gesamtschulden, dass die Annahme von Schadensersatz- oder Befreiungsansprüchen statt mit dem Gesamtschuldverhältnis auch mit dem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis unter den Schuldnern begründbar ist. Ferner wird klar, dass die Umstände des Innenverhältnisses, die in einem konkreten Fall zur Annahme einer „Mitwirkungspflicht“ führen, eine solche Pflicht in der Regel auch dann rechtfertigen würden, wenn gar keine Gesamtschulden vorlägen, sondern Teilschulden oder die Alleinhaftung eines Vertragspartners.
c) Aufwendungs- und Schadensersatzansprüche Beruht die Gesamtschuld auf einer vertraglichen Vereinbarung unter den Schuldnern und leistet ein Gesamtschuldner an den Gläubiger, dann hat er in der Regel (falls er nicht intern allein verpflichtet ist) einen vertraglichen Aufwendungsersatzanspruch aus § 670, gegebenenfalls i.V.m. § 713. Aufwendungen des Beauftragten bzw. Geschäftsführers können auch Prozesskosten umfassen. Ist es etwa zweifelhaft, ob oder in welcher Höhe die Gesamtschuldner gegenüber dem Gläubiger verpflichtet sind, kann eine gerichtliche Klärung im Interesse aller Gesamtschuldner liegen und einen entsprechenden Kostenerstattungsanspruch rechtfertigen. Anders verhält es sich selbstverständlich, wenn der in Anspruch 296 Weigelin, Schuldbeitritt, 99 f., 105 ff.; Selb, Mehrheiten, 94; von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 85 ff.; Keuk, JZ 1972, 530; Goette, Gesamtschuldbegriff, 133; Denck, JZ 1976, 672 f.; im Ergebnis ebenso schon Kohler, Schuldrecht, § 53 II. 297 So auch E. Wolf, SR AT, 537 f.; Esser, Schuldrecht (2. Aufl. 1960), § 98, Anm. 1 I und 2 I (der eine aus § 426 folgende Mitwirkungspflicht nur bei fehlendem Innenverhältnis annimmt). 298 von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 90 f.; ebenso Keuk, JZ 1972, 530; Goette, Gesamtschuldbegriff, 129 ff.; ähnlich Denck, JZ 1976, 672 f.
4. Die Mitwirkungspflicht
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genommene Gesamtschuldner es auf einen Prozess ankommen lässt, obwohl die Schuld unbestreitbar ist und ein anderer Gesamtschuldner zahlungsbereit gewesen wäre. In diesem Fall ist ein Aufwendungsersatzanspruch nicht gegeben, weil der Prozessführende die Aufwendungen nicht i.S.d. § 670 für erforderlich halten durfte. Sofern aber die Prozessführung im Interesse aller Gesamtschuldner liegt, ergibt sich der Kostenerstattungsanspruch aus Auftragsrecht und setzt auch keinen Verzug mit einer Mitwirkungspflicht voraus. Tatsächlich setzt er nicht einmal eine Gesamtschuld voraus, denn auch derjenige, der in Abstimmung mit seinen Partnern im Innenverhältnis die Alleinhaftung nach außen übernimmt, kann Prozesskosten, sofern ihre Eingehung erforderlich war, nach § 670 geltend machen. Ähnlich verhält es sich bei Schadensersatz-Gesamtschulden, bei denen die Schuldner durch ein besonderes Innenverhältnis verbunden sind. In einem vom BGH 1969 entschiedenen Fall299 führte ein Unternehmer im Auftrag des Bestellers Arbeiten durch, bei denen durch Verschulden des Unternehmers ein Dritter verletzt wurde, der dadurch Schadensersatzansprüche gegen Besteller und Unternehmer als Gesamtschuldner erwarb. Der Besteller regulierte den Schaden und verlangte vom Unternehmer nicht nur die Erstattung des Geleisteten, sondern auch den Ersatz der angefallenen Prozesskosten. Obwohl eine Gesamtschuld vorlag, stützte der BGH den Kostenerstattungsanspruch nicht auf § 426. Von einer unterlassenen Mitwirkung des Unternehmers war nicht die Rede. Vielmehr beruhte der Kostenerstattungsanspruch auf der positiven Vertragsverletzung des Werkvertrags durch den Unternehmer, der dazu verpflichtet war, den Besteller von allen Verpflichtungen aus Schadensfällen freizuhalten. Dasselbe Ergebnis hätte sich ergeben, wenn im Außenverhältnis nur der Besteller gehaftet hätte, ohne dass eine Gesamtschuld vorläge. Bei vertraglichen Gesamtschulden (und oft auch sonstigen Gesamtschulden mit vertraglichem Innenverhältnis) beruhen Prozesskostenerstattungsansprüche also oft schon auf dem vertraglichen Innenverhältnis und setzen keine unterlassene Mitwirkung voraus. Die in der Rechtsprechung entschiedenen Fälle zum Kostenerstattungsanspruch wegen unterlassener Mitwirkung betreffen nicht zufällig offenbar nur gesetzliche Gesamtschulden ohne Innenverhältnis300. Damit ist aber nicht gesagt, dass nicht auch bei vertraglichen Gesamtschulden ein Kostenersatz- oder auch ein Schadensersatzanspruch gerade auf einer verletzten Mitwirkungspflicht beruhen kann. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Schuldner die Leistung im Zusammenwirken erbringen müssen301 und jedem Schuldner intern eine Aufgabe zugewiesen ist, welche die übrigen Schuldner nicht ohne weiteres selbst vornehmen können. Verpflichten sich etwa Miteigentümer gesamtschuldnerisch, ihr Grundstück zu veräußern, dann kann die Weigerung nur eines Miteigentümers, seinen Anteil zu übertra299 300 301
BGH VersR 1969, 1039 (22.9.1969). Hierzu unten, 613 ff. Zu dieser Fallkonstellation ausführlich oben, 128 ff.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
gen, eine Ursache für eine Klage des Gläubigers gegen einen anderen oder gegen alle Gesamtschuldner sein. Nach Ansicht des BGH kann ein Prozesskostenerstattungsanspruch begründet sein, wenn ein Gesamtschuldner durch Verweigerung oder Verzögerung seiner Pflicht zur anteilmäßigen Befriedigung einen anderen Gesamtschuldner dazu zwingt, ein ungünstiges Prozessrisiko einzugehen oder sich einer offensichtlich berechtigten Klage auszusetzen302. Die Frage ist aber, ob ein solcher Prozesskostenerstattungsanspruch bei vertraglichen Gesamtschulden wirklich auf der Gesamtschuld beruht oder nicht vielmehr auf dem vertraglichen Innenverhältnis. Wer sich mit anderen zusammentut, um eine gemeinsame Leistung zu erbringen und hierfür gesamtschuldnerisch zu haften, ist mit diesem durch ein vertragliches Innenverhältnis verbunden, und sei es nur eine Innengesellschaft. Dieses vertragliche Innenverhältnis verpflichtet die Gesamtschuldner untereinander, zur Erreichung des Vertragszwecks an der Leistung mitzuwirken, und kann bei schuldhaft unterlassener Mitwirkung Schadensersatzansprüche aus pFV bzw. aus § 280 I begründen, ohne dass hierfür auf die gesamtschuldnerische Haftung im Außenverhältnis zurückgegriffen werden muss. Dies kann anhand zweier Entscheidungen des RG und des BGH illustriert werden, die nicht Prozesskosten, sondern sonstige Schadensersatzansprüche wegen unterlassener Mitwirkung betrafen. In einem vom Reichsgericht 1912 entschiedenen Fall303 hatte bei einer Zwangsversteigerung eines Grundstücks der vorrangige Hypothekengläubiger G sich gegenüber zwei nachrangigen Hypothekengläubigern S1 und S2 dazu verpflichtet, diesen die Rechte aus seinem Meistgebot anteilig abzutreten, und zwar zu zwei Dritteln an S1 und zu einem Drittel an S2. S1 und S2 waren im Gegenzug bereit, die Hypothek zu zwei (S1) bzw. einem (S2) Drittel zu übernehmen. Sie verpflichteten sich gesamtschuldnerisch, auf die Hypothek bis zu einem bestimmten Termin einen bestimmten Teilbetrag zu zahlen. S1 zahlte zwei Drittel dieser Summe an G; S2 zahlte nichts. G trat daraufhin vom Vertrag zurück und ließ sich den Zuschlag erteilen, was dazu führte, dass die Hypothek von S1 ausfiel. S1 verlangte dafür Schadensersatz von S2. In dieser Entscheidung begründete das Reichsgericht seine Lehre von der Schuldgemeinschaft aus der Gesamtschuld, die ein gesetzliches Schuldverhältnis unter den Gesamtschuldnern begründet. Danach war S2 auch ohne eine besondere Vereinbarung der Schuldner über ihre Beiträge verpflichtet, seinem Anteil entsprechend an der Leistung an den Gläubiger mitzuwirken, hier also ein Drittel der Summe an G zu leisten. Falls er mit dieser Pflicht in Verzug geraten sei, schulde er S1 aus § 286 BGB a.F. den Ersatz aller Schäden (vorbehaltlich einer Minderung nach § 254), die S1 durch die unterlassene Mitwirkung entstanden seien, etwa durch die nun ausgebliebene Gegenleistung des Gläubigers.
302 303
BGH NJW 1971, 884, 885 (16.2.1971). RGZ 79, 288 (26.4.1912).
4. Die Mitwirkungspflicht
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Dieses Ergebnis ließe sich auch mit dem vertraglichen Innenverhältnis unter den Schuldnern begründen304. Wenn S1 und S2 sich darüber einig waren, die Hypothek des G gemeinsam abzulösen, um dessen Rechte aus dem Meistgebot zu erwerben und so ihre eigenen Hypotheken zu retten, dann schlossen sie nicht nur mit dem Gläubiger, sondern auch untereinander einen Vertrag, offenbar in Form einer Innengesellschaft. Dieser Vertrag verpflichtete sie untereinander, an der Erreichung des gemeinsamen Ziels mitzuwirken, im Fall einer Innengesellschaft also nach § 705 Beiträge zu leisten. Wenn S2 seine vertragliche Mitwirkungsoder Beitragspflicht schuldhaft verletzt und dadurch einen Schaden bei S1 verursacht, schuldet er selbstverständlich Schadensersatz, aber aus Vertrag. Das Berufungsgericht aber hatte keinen Vertrag zwischen S1 und S2 ausmachen können, weil ihre Verhandlungen über den Erwerb des Grundstücks und die Höhe der von jedem zu leistenden Zahlungen ohne Ergebnis geblieben waren. Daher stützte sich das Reichsgericht zur Begründung der Mitwirkungspflicht auf das Gesamtschuldverhältnis selbst, wobei es aber entgegen der Kopfteilvermutung in § 426 I 1 ohne nähere Begründung davon ausging, dass S1 zwei Drittel, S2 ein Drittel der Summe zu leisten hätte. Wenn aber aus dem Umstand, dass S1 zwei Drittel der Hypothek erwerben wollte, der naheliegende Schluss gezogen wurde, dass S1 zu zwei Dritteln zur Zahlung beitragen sollte, dann wäre es konsequenter und ehrlicher gewesen, diese interne Beitragsverpflichtung auf den mutmaßlichen Parteiwillen und damit auf einen Vertrag im Innenverhältnis zu stützen, der vielleicht nicht alle Details des geplanten Grundstückserwerbs regelte, wohl aber zumindest die Beteiligung an der Zahlungspflicht305. Dafür spricht entscheidend, dass die Gesamtschuld selbst zur Begründung der Schadensersatzpflicht nicht gebraucht wird. Hätten S1 und S2 nämlich mit G auch für die Zahlungsverpflichtungen Teilschulden zu zwei und einem Drittel vereinbart und hätte dann S2 nichts gezahlt, dann wäre G ebenfalls berechtigt gewesen, nach § 323 (§ 326 BGB a.F.) vom Vertrag zurückzutreten. Der Schaden bei S1 wäre hier ebenso dadurch verursacht worden, dass S2 sich nicht an der Befriedigung des Gläubigers beteiligte. Ganz unabhängig davon, ob im Außenverhältnis Gesamt- oder Teilschulden vereinbart wurden, kann ein Schadensersatzanspruch des S1 nur darauf gestützt werden, dass die unterlassene Mitwirkung des S2 nicht der Parteivereinbarung entsprach. Unsinnig wäre es demgegenüber, nur bei Gesamtschulden, nicht aber bei Teilschulden einen Schadensersatzanspruch anzunehmen. Der Anspruch folgt aus einem Vertrag im Innenverhältnis unter den Schuldnern, nicht aus dem Gesamtschuldverhältnis. Ähnliche Erwägungen gelten für einen vom BGH 1980 entschiedenen Fall306. S1 und E bildeten eine Erbengemeinschaft und waren in dieser Eigenschaft als Eigentümer eines Grundstücks im Grundbuch eingetragen. E setzte S2 zum Erben ein und verstarb. S1 und S2 verkauften das Grundstück an G. Es stellte sich 304 305 306
Ebenso Goette, Gesamtschuldbegriff, 134 f. Ähnlich Goette, Gesamtschuldbegriff, 134 Fn. 139. BGH NJW 1980, 2464 (7.7.1980).
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
heraus, dass die Erbeinsetzung des S2 durch E formunwirksam war, so dass in Wahrheit X Erbe des E war. G trat daraufhin vom Kaufvertrag zurück und verlangte die Rückzahlung des schon hinterlegten Kaufpreises. S1 trat mit anwaltlicher Hilfe in Verhandlungen mit G ein, um das Geschäft zu retten. Dann gelang es S2, die Erbschaft von X zu erwerben. Der Verkauf und die Veräußerung des Grundstücks an G wurden schließlich durchgeführt. S1 verlangte von S2 seine durch die Verhandlungen mit G entstandenen Anwaltskosten. Ausgangspunkt für den BGH war das Gesamtschuldverhältnis307 zwischen S1 und S2: Bei einem Kaufvertrag mit mehreren Verkäufern, so das Gericht, entstehe ein „gesetzliches Rechtsverhältnis“ unter den Verkäufern, das jeden Verkäufer verpflichte, zu seinem Anteil an der Erfüllung mitzuwirken. Dieser Anspruch werde, soweit kein besonderes Rechtsverhältnis bestehe, bei Gesamtschuldnern aus § 426 hergeleitet. Mit diesem Ansatz stellte sich aber das Problem, dass das Verhalten des S2, das für den Schaden kausal war, zeitlich vor der Entstehung des Gesamtschuldverhältnisses lag: S2 hatte sorgfaltswidrig S1 zugesichert, Erbe des E zu sein, worauf dann beide den Kaufvertrag mit G schlossen. S2 konnte aber nicht eine Pflicht verletzten, die erst mit dem Kaufvertrag mit G zustande kam. Also zog das Gericht die Grundsätze der culpa in contrahendo über Sorgfaltsund Rücksichtspflichten bei Vertragsverhandlungen heran. Auch diese erschienen ihm aber nicht direkt anwendbar, weil S1 und S2 beim späteren Kaufvertrag keine sich gegenüberstehenden Vertragsparteien waren, sondern zusammen eine Vertragspartei gegenüber G bildeten. Per Analogieschluss hielt der BGH die Regeln zur Haftung bei Vertragsverhandlungen aber auch dann für anwendbar, wenn mehrere Personen zusammenkommen, um einem Dritten gemeinschaftlich einen Vermögensgegenstand zu verkaufen. S2 sei danach verpflichtet gewesen, S1 sorgfältig über seine Erbenstellung aufzuklären. Wegen Verletzung dieser Pflicht sei er gegenüber S2 zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet. Diese gewundene Argumentation war nur deshalb erforderlich, weil das Gericht die Grundlage für eine durch S2 verletzte Pflicht im Gesamtschuldverhältnis suchte und daher nicht die Möglichkeit in Betracht zog, dass neben dem Kaufvertrag mit G eine zweiter Vertrag zwischen S1 und S2 bestand, dessen Gegenstand der geplante Verkauf an G war. Immerhin hatten sich S1 und S2 darüber geeinigt, das Grundstück gemeinschaftlich an G zu verkaufen, wobei S1 sich auf die Zusicherung von S2 verlassen hatte, Erbe des Anteils von E zu sein. Diese Vereinbarung zwischen S1 und S2 fand schon vor dem Kaufvertrag mit G statt und verpflichtete S2, am Verkauf und an der Eigentumsübertragung hinsichtlich „seines“ Anteils mitzuwirken. Mit diesem vertraglichen Innenverhältnis unter den Schuldnern könnte eine Verpflichtung des S2 auf Ersatz des Vertrauensschadens wegen Verletzung der Aufklärungspflicht gegenüber seinem Vertragspart307
Im vorliegenden Fall nahm der BGH keine Gesamtschuld, sondern (zu Unrecht) eine gemeinschaftliche Schuld an; hierzu kritisch oben, 145 ff., 160. Er hielt aber im Innenverhältnis § 426 und insbesondere die Mitwirkungspflicht für entsprechend anwendbar, so dass es auf diesen Aspekt im Folgenden nicht ankommt.
4. Die Mitwirkungspflicht
327
ner S1 begründet werden308. Denkbar wäre auch eine Schadensersatzpflicht aus § 280 I, II wegen vertraglicher Pflichtverletzung: Sieht man die Vereinbarung zwischen S1 und S2 als Innengesellschaft an, die den Verkauf des Grundstücks zum Zweck hat, dann war S2 mit seiner Beitragsleistung zeitweise im Verzug, wodurch der Schaden von S1 entstand. Dass tatsächlich das vertragliche Innenverhältnis zwischen S1 und S2 entscheidend ist und nicht etwa ihre (spätere) Gesamtschuldnerstellung, zeigt die Gegenprobe: Wäre das Grundstück Gegenstand nicht einer Gesamthands-, sondern einer Bruchteilsgemeinschaft gewesen, hätten S1 und S2 es an G auch als Teilschuldner verkaufen können. S2 wäre dann mit der Erfüllung seiner Schuld in Gestalt der Übertragung „seines“ Miteigentumsanteils gegenüber G in Verzug gekommen309, was G ebenfalls zum Gesamtrücktritt berechtigen konnte310. Die Frage nach einem Schadensersatzanspruch von S1 hätte sich ganz genauso gestellt: Schließlich wendete S1 die Kosten nicht auf, um einer eigenen Schadensersatzpflicht zu entgehen, sondern um einen Rücktritt des G zu vermeiden und so seinen Gewinn zu sichern311. Mit der Argumentation des BGH müsste man hier vorvertragliche Sorgfaltspflichten im Verhältnis zwischen zukünftigen Teilschuldnern annehmen, die letztlich auf eine Mitwirkungspflicht, die durch Teilschulden begründet wird, hinauslaufen. Das macht keinen Sinn: Die Mitwirkungspflicht des S2 beruht auf dem vertraglichen Innenverhältnis zwischen S1 und S2, nicht auf einer abstrakten Schuldnerstellung im Verhältnis zu G. Damit ist nicht gesagt, dass die Gesamtschuldnerstellung bei der Frage nach einem auf dem Innenverhältnis beruhenden Schadensersatzanspruch wegen versagter Mitwirkung keine Rolle spielen würde, denn manche Schäden entstehen nur aufgrund der Solidarhaftung. So nimmt der BGH etwa (zu Recht) an, dass 308
Im Ergebnis ähnlich van Venrooy, JuS 1982, 96 f. Für das im Fall anwendbare Recht vor der Schuldrechtsmodernisierung wird hier der Ansicht von U.Huber, Leistungsstörungen I, §§ 22 II, 23 I (S. 530 ff., 543 ff.), gefolgt; die damals herrschende Lehre nahm dagegen an, dass es sich um ein evtl. der Unmöglichkeit gleichzustellendes anfängliches Unvermögen handelte, im vorliegenden Zusammenhang etwa van Venrooy, JuS 1982, 94; vgl. hierzu Meier, Jura 2002, 187, 189 ff., und schon oben, 145 ff. Nach geltendem Recht stünde S2 keine Einrede aus § 275 BGB zu, weil er in der Lage war, sich die Verfügungsbefugnis zu beschaffen, so dass (evtl. nach Mahnung des G) seine Haftung auf §§ 280, 286 beruhen würde. 310 Hierzu oben, 170 f. 311 Anders van Venrooy, der ohne Begründung von der Prämisse ausgeht, dass S1 (im Ausgangsfall) nur dann von S2 Schadensersatz verlangen kann, wenn er selbst gegenüber G schadensersatzpflichtig gewesen wäre, und daher zur Annahme gezwungen wird, dass die Kosten von S1 schon vor der Rücktrittserklärung des Gläubigers (mit der nach damaligem Recht ein Schadensersatzanspruch entfiel) entstanden waren, JuS 1982, 94, 95. Auf eine mögliche Schadensersatzpflicht des S1 stellte der BGH aber ersichtlich nicht ab. Richtig ist allerdings, dass die vom BGH vorgenommene Schadensermittlung ohne Berücksichtigung einer evtl. Schadensersatzpflicht des S1 nicht ohne weiteres nachvollziehbar ist: Das Gericht argumentierte, dass bei sorgfältiger Aufklärung durch S2 der Kaufvertrag mit G nicht zustande gekommen und daher die Aufwendungen des S1 nicht entstanden wären. Rechnet man aber so, dann müsste man den aus der erfolgreichen Durchführung des Kaufs entstandenen Gewinn des S1 (der schließlich der Zweck der Aufwendungen war!) schadensmindernd berücksichtigen. Das Problem wird vermieden bei Annahme einer Pflicht des S2 gegenüber S1 auf Ersatz des positiven Interesses. 309
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
die Verpflichtung zweier gemeinsamer Mieter, die Wohnung nach Beendigung des Mietverhältnisses zu räumen, eine Gesamtschuld ist312. Der Vermieter kann daher, wenn einer der Mieter nicht geräumt hat, Schadensersatz auch von dem anderen verlangen. Dem einzelnen Mieter wiederum soll auch schon vor seiner Leistung gegenüber dem anderen Mieter ein Anspruch auf Mitwirkung an der Räumung zustehen313. Ein solcher Anspruch besteht tatsächlich, aber aufgrund des vertraglichen Innenverhältnisses. Wenn der Mieter, der schon ausgezogen ist, dem Vermieter Schadensersatz leisten muss, weil der andere nicht geräumt hat, kann er gegen diesen einen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der vertraglichen Mitwirkungspflicht geltend machen. Ein solcher Anspruch würde nicht bestehen, wenn die Mieter hinsichtlich der Räumung Teilschuldner wären, aber nur deshalb nicht, weil ein Mieter mit seinem eigenen Auszug erfüllt hätte und keinen Schadensersatz schuldete, also gar keinen Schaden hat. Dies bedeutet aber nicht, dass der Schadensersatz im Ausgangsfall auf der Gesamtschuld beruht. Denn auch wenn die Mieter für die Räumung Teilschuldner wären, käme ein vertraglicher Schadensersatzanspruch in Frage, etwa wenn der Vermieter die gemeinsam gezahlte Kaution solange zurückbehält, bis die Wohnung vollständig geräumt ist. In allen Fällen ist es der Vertrag zwischen den Mietern selbst, der Mitwirkungs- und ggf. Schadensersatzansprüche eröffnet. Die Verletzung einer Mitwirkungspflicht kann gelegentlich zu geradezu verzwickten Situationen führen. In einem vom BGH 1987 entschiedenen Fall314 kauften S1 und S2 zusammen ein Grundstück, das sie als Miteigentümer halten, bebauen und später weiterveräußern wollten. S2 beteiligte sich abredewidrig nicht an der Zahlung des Kaufpreises. S1 nahm daraufhin ein Darlehen auf und zahlte hieraus den Gesamtkaufpreis. Zur Sicherung des Darlehens hatte er das Gesamtgrundstück, also auch den späteren Miteigentumsanteil von S2, mit einer Grundschuld belastet. S2 weigerte sich, der Forderung des S1 auf hälftigen Ausgleich nachzukommen, solange sein Miteigentumsanteil belastet sei. Der BGH aber gab der Regressklage durch S1 statt. Aus dem Gesamtschuldverhältnis sei S2 zur Mitwirkung an der Aufbringung des Kaufpreises verpflichtet gewesen. Weil er diese Mitwirkung verweigert habe, habe S1 den (späteren) Miteigentumsanteil von S2 zu Recht belastet. S2 könne aufgrund dieser Belastung auch kein Zurückbehaltungsrecht gegenüber der Regressforderung geltend machen, weil dies im Ergebnis dazu führe, dass S1 zuerst die Belastung beseitigen müsste, bevor er Zahlung von S2 erhalte, im Ergebnis also den Anteil von S2 aus eigenen Mitteln auslegen müsste. Dies würde sachlich einer Vorschussleistung gleichkommen, zu der ein Gesamtschuldner grundsätzlich nicht verpflichtet sei. Auch die Möglichkeit, dass S2 seinen internen Anteil direkt an die kreditgewährende Bank zahlt und dadurch die Beseitigung der Belastung seines Miteigentumsan312
Hierzu schon oben, 195 ff. BGHZ 131, 176, 183 f. (22.11.1995); BGH NJW 2005, 3786, 3787 (5.10.2005). 314 BGH WM 1987, 984 (27.4.1987). Der Sachverhalt wird im Folgenden vereinfacht wiedergegeben. 313
4. Die Mitwirkungspflicht
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teils erreicht, scheide aus, da die Bank nicht bereit sei, auch nur einen Teil ihrer Sicherheit aufzugeben, bevor das gesamte Darlehen zurückgezahlt sei. Dies müsse S2 hinnehmen, da er die Lage durch seine versagte Mitwirkung selbst verschuldet habe. Die Mitwirkungspflicht von S2 wurde vom BGH zu Recht bejaht; sie folgte aber aus dem vertraglichen Innenverhältnis zwischen S1 und S2, das hier, angesichts der Pläne, das Grundstück zu bebauen und gewinnbringend weiterzuveräußern, offenbar eine (Innen-)Gesellschaft war. Die Vertragsverletzung durch S2 kann auch die Annahme rechtfertigen, dass S1 den Anteil von S2 zu Recht belastet hatte. Im Ergebnis wird nun aber S2 zu einer Art Vorleistung gezwungen: Er muss seinen internen Anteil an S1 zahlen und kann danach nur hoffen, dass S1 einen gleich hohen Betrag aus eigenen Mitteln aufbringt und diesen zusammen mit dem Betrag von S2 dazu verwendet, das Darlehen zurückzuzahlen und die Grundschuld zu beseitigen, ohne vorher insolvent zu werden oder den Betrag von S2 zu veruntreuen. Immerhin hatte er die interessengerechte Lösung – jeder Gesamtschuldner nimmt für seinen internen Anteil ein Darlehen auf und belastet dafür seinen Miteigentumsanteil – selbst verhindert. Im konkreten Fall sachgerechter wäre allerdings eine Verpflichtung des S2 gewesen, seinen internen Anteil direkt an den Darlehensgläubiger zu leisten (oder ihn, falls der Gläubiger die Teilleistung nicht annehmen will, zu hinterlegen). Wenn er auch dadurch nicht eine Beseitigung seiner Belastung bewirken konnte, müsste er zumindest hinsichtlich dieser Leistung dann nicht mehr das Insolvenzrisiko des S1 tragen. Hierfür spricht auch folgende Erwägung: S1 hat zwar auf die gemeinsame Gesamtschuld geleistet, aber wirtschaftlich gesehen nicht aus eigenen Mitteln; vielmehr hat er im Außenverhältnis die gemeinsame Kaufpreisschuld durch eine Darlehensschuld ersetzt, für die persönlich zwar nur S1 haftete, dinglich aber beide. Da S1 diese Darlehensschuld noch nicht erfüllt hatte, konnte er von S2 auch nicht Zahlung an sich selbst verlangen, sondern höchstens die hälftige Befreiung von der Verbindlichkeit. Auch ein solcher Befreiungsanspruch hat, wie im Folgenden gezeigt wird, eine vertragliche Grundlage.
d) Befreiungsansprüche (1) Das Innenverhältnis als Anspruchsgrund Nach den Motiven soll ein Gesamtschuldner zumindest in den Fällen einen Befreiungsanspruch gegen einen anderen haben, wenn dieser andere intern allein verpflichtet ist. In § 426 ist allerdings von einem Befreiungsanspruch nicht die Rede. Dies ist wenig erstaunlich. Die im BGB ausdrücklich erwähnten Befreiungsansprüche knüpfen an die schon im Gemeinen Recht bekannten an; ein aus dem Gesamtschuldverhältnis folgender Befreiungsanspruch war jedoch unbekannt. Neben den im Gesetz ausdrücklich vorgesehenen gibt es aber noch weitere Befreiungsansprüche. Sie beruhen allerdings, sieht man von der Gesamt-
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
schuld ab, stets auf dem besonderen Innenverhältnis unter den Parteien, nicht auf der Art der Schuldnerstellung gegenüber dem Gläubiger. Der klassische Fall eines Befreiungsanspruchs entstammt dem Auftragsrecht. Kauft der Beauftragte für den Auftraggeber (aber im eigenen Namen) ein Grundstück, dann hat er selbstverständlich einen Aufwendungsersatzanspruch gegen den Auftraggeber, sobald er den Kaufpreis an den Verkäufer gezahlt hat. Schon nach römischem Recht konnte er aber schon vor Leistung an den Gläubiger die Auftragsklage (actio mandati contraria) gegen den Auftraggeber erheben. Sie richtete sich darauf, dass der Auftraggeber die Schuld des Beauftragten durch Novation mit dem Gläubiger übernahm oder Sicherheit leistete315. Sowohl das Gemeine Recht316 als auch viele Regelwerke317 kannten einen Befreiungsanspruch des Beauftragten, der in Ausführung seines Auftrags eine Verbindlichkeit eingegangen war. Ein solcher Anspruch wurde teilweise auch bei berechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag anerkannt318. Sowohl nach dem Ersten als auch nach dem Zweiten Entwurf zum BGB konnte ein Beauftragter, der zur Ausführung des Auftrags erforderliche Aufwendungen gemacht hatte, neben einem Aufwendungsersatzanspruch auch einen Anspruch auf Befreiung von eingegangenen Verbindlichkeiten geltend machen319. Weitere Befreiungsansprüche sahen die Entwürfe bei auftragsähnlichen Rechtsverhältnissen vor, nämlich für Aufwendungen durch den berechtigten Geschäftsführer ohne Auftrag320, den Geschäftsbesorger321, den Verwahrer einer fremden Sache322, den Ehemann, der das Ehegut verwaltete323, und den Vorerben, der den Nachlass verwaltete324. Erst in der Revision des Zweiten Entwurfs fasste man diese besonderen Befreiungsansprüche durch die Vorschrift des heutigen § 257 im Allgemeinen Schuldrecht zusammen, ohne damit eine inhaltliche Änderung zu beabsichtigen325. Ein solcher Befreiungsanspruch aus § 257 kann einem Beauftragten auch dann zustehen, wenn die Verbindlichkeit, von der er befreit werden will, auch den 315
Paulus, D.17,1,45 pr.; vgl. D.17,1,45, §§ 2, 3, 5 mit weiteren Beispielen. Stellvertretend Höpfner, Commentar, § 931; Glück, Pandecten XV, 315 ff.; Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, § 303 bei Fn. n; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 621; Puchta, Pandekten, § 324; Seuffert, Pandekten, § 337; Sintenis, Civilrecht, § 113 bei Fn. 57; ROHGE 13, 275, 280 f. (= SeuffA 31 Nr. 133, S. 173); ausführlich von Tuhr, Actio de in rem verso, 46 ff. 317 ALR I 13 § 82; CMBC-RevE 1811, IV 9 § 8 Nr. 3; ZürGB § 1177; HessE IV 2 Art. 284; BayE II Art. 699 III; SächsGB § 1315; DresdE Art. 704; OR 1881 Art. 400 I (OR 1911 Art. 402 I). 318 HessE IV 2 Art. 353; BayE II Art. 741 II, 742, 743 I; SächsGB § 1352; DresdE Art. 760; OR 1881 Art. 472 I (OR 1911 Art. 422 I); ebenso von Kübel in TeilE GoA, §§ 238, 242 (abgedruckt in Schubert, SR II, 929 ff.). 319 E I § 595 III; E II § 601 II; hierzu Jakobs/Schubert, SR III, 70 f.; Prot. 2312–2315 (Mugdan II, 950 f.). 320 E I § 753; E II 614; vgl. BGB § 683. 321 E II § 606; vgl. BGB § 675 I. 322 E I § 621 II; E II § 633; vgl. BGB § 693. 323 E I § 1324 I; E II § 1289 I; vgl. BGB i.d.F. v. 1.1.1900, § 1390. 324 E II § 1997 II 3; vgl. BGB § 2124 II 2. 325 Prot. 8404 (Mugdan II, 953) = Jakobs/Schubert, SR I, 125 f. 316
4. Die Mitwirkungspflicht
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Auftraggeber trifft, wenn also ein Gesamtschuldverhältnis zwischen Beauftragtem und Auftraggeber vorliegt. Ein Beispiel bildet der schon oben erwähnte Kreditkartenfall326: Der Arbeitnehmer verwendete zur Begleichung seiner Spesen eine Kreditkarte. Gegenüber dem Kartenunternehmen hafteten Arbeitgeber und -nehmer als Gesamtschuldner. Im Innenverhältnis sollte der Arbeitgeber als Auftraggeber die Spesen tragen. Daher konnte der Arbeitnehmer nach §§ 670, 257 vom Arbeitgeber Befreiung von den Verbindlichkeiten gegenüber dem Kartenunternehmen verlangen. Dieser Befreiungsanspruch hätte ebenso bestanden, wenn gegenüber dem Kartenunternehmen nur der Arbeitnehmer gehaftet hätte. Stützt man den Befreiungsanspruch zusätzlich auf § 426 I, fügt man sachlich nichts hinzu. Das BAG ging von einer Identität der Ansprüche aus §§ 670, 257 und aus § 426 aus. Der zweite bekannte Fall eines Befreiungsanspruchs im römischen und Gemeinen Recht betraf den Bürgen, der unter bestimmten Voraussetzungen vom Hauptschuldner Befreiung von seiner Bürgschaftsverbindlichkeit verlangen konnte, etwa wenn sich die Vermögensverhältnisse des Hauptschuldners verschlechterten327. Einige Kodifikationen gewähren, zumindest ihrem Wortlaut nach, diesen Befreiungsanspruch jedem Bürgen328. Gemeinrechtlich stand er aber nur demjenigen zu, der sich aufgrund eines Auftragsverhältnisses verbürgt hatte, und wurde dann auch auf Fälle erstreckt, in denen die Bürgschaft eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag darstellte329. Daher wurde auch in den meisten Regelwerken der Befreiungsanspruch auf Auftragsbürgen beschränkt330 oder dann ausgeschlossen, wenn der Bürge sich gegen den Willen des Schuldners verbürgt hat331. Auch das BGB gewährt den Befreiungsanspruch des § 775 nur dem326 BAGE 27, 127 (30.4.1975); oben, 297. Vgl. auch BayObLG, NJW-RR 2001, 158 (3.2.2000): Werden in einer Wohnungseigentumssache Wohnungseigentümer zusammen mit dem Verwalter gesamtschuldnerisch zur Tragung der Gerichtskosten verurteilt, hat der Verwalter gegen die Wohnungseigentümer grundsätzlich einen Anspruch aus §§ 675, 670, 257, von dieser Kostentragungspflicht freigehalten zu werden. 327 Marcellus D.17,1,38,1; Scaevola D.46,1,45; Diocletian C.4,35,10; zum Gemeinen Recht etwa Girtanner, Bürgschaft, 219 f., 256 f., 530 ff., m.w.N.; Grotius, Inleiding III, 3, § 30; Domat, Loix civiles, § 1877; Pothier, Obligations, § 441; Kreittmayr, Anmerkungen IV, 576 f.; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 746; von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT, Kap. 18/1, Nr. 9 (S. 867 f.); Puchta, Pandekten, § 406; Seuffert, Pandekten, § 386; Windscheid, Pandekten, § 480 Nr. 3; Hasenbalg, Bürgschaft, 697 ff.; Sintenis, Civilrecht, § 129 bei Fn. 74; Arndts, Pandekten, § 356; Wendt, Pandekten, § 269; Baron, Pandekten, § 260 I; Dernburg, Pandekten II, § 80 II 1 b. 328 CMBC IV 10 § 17; CC Art. 2032 (ab 2006: Art. 2309); ABGB § 1365; SächsE § 883; OR 1881 Art. 511 (OR 1911 Art. 506); vgl. Gruchot, Gruch 16 (1872), 752 ff. Ein Teil der österreichische Lehre will den Befreiungsanspruch aber auf Auftragsbürgen beschränken, siehe Rummel/Gamerith, ABGB, § 1365 Rz 3 m.w.N. 329 Hierzu Girtanner, Bürgschaft, 219 f., 256 f.; Hasenbalg, Bürgschaft, 711 ff. 330 So ZürGB § 1804; vgl. Bluntschli, ZürGB, zu § 1804, Anm.1; BayE II Art. 884; vgl. Motive zu BayE II, S. 268; SächsGB § 1470; DresdE Art. 944; hierzu Dresd. Prot. 3465, 4594 ff. Ebenso nun PEL Personal Security, DCFR IV G, jew. Art. 2:111. Moderne Rechtsvergleichung bei PEL Personal Securities, notes zu Art. 2:111 (Hauck). 331 So ALR I 14 §§ 357–358 i.V.m. § 341 (vgl. Koch, ALR, zu I 14 § 341, Anm. 59, und zu I 14 § 356, Anm. 65; Dernburg, Preußisches Privatrecht II, § 245 Fn. 15); HessE IV 2 Art. 614.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
jenigen Bürgen, der sich im Auftrag des Hauptschuldners verbürgt hat oder berechtigter Geschäftsführer ohne Auftrag ist. Die Bürgschaft als solche führt also nach dem klaren Willen des Gesetzgebers nicht zu einem Befreiungsanspruch332. Dies ist bemerkenswert, weil bei einer Bürgschaft ebenso wie bei einer Gesamtschuld eine Diskrepanz zwischen Innen- und Außenhaftung besteht. Bei der Gesamtschuld wird der Befreiungsanspruch auf die Erwägung gestützt, dass der intern nicht Verpflichtete davor geschützt werden muss, vorzuleisten und das Insolvenzrisiko der Mitschuldner zu tragen. Der Bürge aber, der die Voraussetzungen des § 775 nicht erfüllt (etwa weil er gegen den Willen des Schuldners bürgte), muss vorleisten, auch wenn er intern insofern nicht verpflichtet ist, als er bei Zahlung an den Gläubiger mittels § 774 oder einer Rückgriffskondiktion (§§ 684, 812) Regress gegenüber dem Schuldner nehmen kann. Der Befreiungsanspruch beruht also auch bei der Bürgschaft nicht auf dem Umstand, dass mehrere für (wirtschaftlich) eine Verbindlichkeit haften, sondern auf dem Innenverhältnis. Die Parteien können eine Freistellungspflicht auch vertraglich vereinbaren. Bei der Erfüllungsübernahme etwa soll sich aus der Verpflichtung des Übernehmers, den Gläubiger der anderen Partei zu befriedigen, ein Befreiungsanspruch dieser Partei ergeben333. Eine Freistellungsabrede ist selbstverständlich auch unter Gesamtschuldnern möglich334. In einem vom BAG 1988 entschiedenen Fall335 setzte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zum Autofahren ein, obwohl dieser keinen Führerschein hatte. Der Arbeitnehmer verursachte einen Unfall. Das BAG nahm einen Anspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber an, von seinen Schadensersatzverbindlichkeiten aus diesem Unfall freigestellt zu werden. Als Grundlage dieses Anspruchs bezeichnete es zutreffend die Fürsorgepflicht des Arbeitnehmers aus § 611, also das vertragliche Innenverhältnis. Weil der Arbeitgeber Halter des Fahrzeugs war, haftete auch er; es bestand also ein Gesamt332 Siehe auch Mot. II, 676 f. (Mugdan II, 378). Nach Ansicht des BGH muss der Befreiung begehrende Bürge das Auftragsverhältnis bzw. die berechtigte Geschäftsführung beweisen, BGH NJW 2000, 1643 (16.3.2000); dagegen Reinicke/Tiedtke, JZ 2001, 46. 333 BGH WM 1959, 1133, 1136 (1.6.1959); BGH NJW 1996, 1051, 1052 (20.11.1995); BGH ZIP 2002, 125, 126 (12.9.2001); Reichel, Schuldmitübernahme, 551 f.; Gerhardt, Befreiungsanspruch, 4; Gernhuber, Erfüllung, § 22 Nr. 6; Staud/Jagmann, § 329 Rz 16; MüKo/Gottwald, § 329 Rz 1, 16; Soergel/Wolf, § 257 Rz 2; Staud/Bittner, § 257 Rz 22. Anders Soergel/Hadding, § 329 Rz 14 f., wonach der Übernehmer verpflichtet ist, den Drittgläubiger zu befriedigen, nicht nur den Schuldner (etwa durch Vereinbarung mit dem Gläubiger) zu befreien. Dies ist wohl eine Frage der Auslegung des Parteiwillens. 334 Beispiele: Im Fall OLG Köln, NJW-RR 1993, 1475 (12.7.1993), vereinbarten die solidarisch haftenden Eheleute bei ihrer Trennung, dass die Ehefrau 30% und der Ehemann 70% der Rückzahlungslast für den gemeinsam aufgenommenen Kredit tragen sollte. Hieraus ergaben sich wechselseitige vertragliche Freistellungsansprüche. Im Fall OLG Stuttgart, NJW-RR 2004, 1087 (13.11.2003), hatten Eheleute gesamtschuldnerisch ein Darlehen aufgenommen, mit dem der Erwerb einer Immobilie durch die Ehefrau finanziert wurde. Die Ehefrau vermietete das Gebäude dann an den Ehemann. Vereinbart war, die Mietzahlungen des Ehemanns zur Rückführung des Darlehens zu verwenden. Dem Ehemann, der Mietzahlungen an die Ehefrau geleistet hatte, stand insoweit jeweils ein Freistellungsanspruch zu. 335 BAG NJW 1989, 854 (23.6.1988).
4. Die Mitwirkungspflicht
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schuldverhältnis. Ebenso wie im Kreditkartenfall war aber dieses Gesamtschuldverhältnis für die Begründung des Befreiungsanspruchs nicht erforderlich, weil die Lage dieselbe gewesen wäre, wenn der Arbeitgeber nicht gehaftet hätte336. Die Annahme einer zusätzlichen Anspruchsgrundlage des Befreiungsanspruchs aus § 426 I würde sachlich nichts hinzufügen. Geradezu grotesk wirkt demgegenüber die Überlegung des BAG, ob der zusätzliche Umstand, dass die Parteien durch ein Gesamtschuldverhältnis verbunden waren, den vertraglichen Befreiungsanspruch nicht unterstützen, sondern umgekehrt ausschließen könne, weil der Arbeitgeber möglicherweise einen Ausgleichsanspruch aus § 426 II habe. Weil aber, so das BAG, der Arbeitnehmer den vertraglichen Freistellungsanspruch habe, sei „etwas anderes bestimmt“ i.S.d. § 426 I. Dies ist im Ergebnis richtig: Der Maßstab der internen Lastenverteilung unter den Gesamtschuldnern richtet sich grundsätzlich nach dem vertraglichen Innenverhältnis, das hier 100% für den Arbeitgeber und 0% für den Arbeitnehmer vorsieht, so dass die Kopfteilvermutung des § 426 I 1 von vornherein nicht zum Zuge kommt. Daher hätte der Arbeitgeber nach Zahlung an den Gläubiger keinen Regress. Eine andere Frage ist, ob der Ausgleichsberechtigte auch einen Befreiungsanspruch hat. Auch hier entscheidet in erster Linie das Innenverhältnis. Wenn Existenz und Modalitäten des Befreiungsanspruchs im Innenverhältnis feststehen, bringt die Annahme eines zusätzlichen Befreiungsanspruchs aus dem Gesamtschuldverhältnis keinen weiteren Nutzen. Ein Befreiungsanspruch kann auch auf einer gesetzlichen Verpflichtung beruhen. So hat der haushaltsführende Ehegatte gegen den verdienenden einen Freistellungsanspruch wegen seiner im Rahmen von Geschäften zur Deckung des Lebensbedarfs eingegangenen Verbindlichkeiten. Dies ergibt sich aus seinem Unterhaltsanspruch337. Dass der verdienende Ehegatte wegen § 1357 ebenfalls Schuldner ist und damit ein Gesamtschuldverhältnis vorliegt, ist nicht entscheidend, weil der Befreiungsanspruch auch bei Alleinhaftung des kontrahierenden Ehegatten bestünde. Schließlich kann sich ein Befreiungsanspruch auch aus einem Anspruch auf Schadensersatz ergeben: Besteht der Schaden des Geschädigten darin, dass er Verbindlichkeiten Dritter ausgesetzt ist, dann kann er vom Schädiger im Wege der Naturalrestitution (§ 249) verlangen, ihn von diesen Verbindlichkeiten freizustellen338. Auch in dieser Konstellation spielt es im Wesentlichen keine Rolle, 336 Vgl. den Fall BAG NJW 1969, 2299 (10.6.1969), in dem das BAG einen auf die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gestützten (teilweisen) Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers bejahte und dabei offen ließ, ob der Arbeitgeber nach außen ebenfalls haftete, ob also ein Gesamtschuldverhältnis vorlag (2301). 337 Vgl. Staud/Voppel, § 1357 Rz 86; Soergel/Lange, § 1360 a Rz 5; MüKo/Wacke, § 1360 a Rz 7. Ein Anwendungsbeispiel bildet der Fall KG NJW 1980, 1341 (29.1.1980). Vgl. auch OLG Frankfurt, NJW-RR 1990, 712 (27.6.1989): Freistellungsanspruch hinsichtlich solidarisch geschuldeter Miete für die Ehewohnung als Gegenstand des Unterhaltsanspruchs nach Trennung. 338 BGHZ 57, 78, 81 (22.9.1971); BGH NJW 1996, 2726 (4.6.1996); Gerhardt, Befreiungsanspruch, 5, 12; Soergel/Wolf, § 257 Rz 2; vgl. Soergel/Pecher, § 775 Rz 16.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
ob der Schädiger gegenüber dem Drittgläubiger ebenfalls verpflichtet ist, also ein Gesamtschuldverhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem vorliegt. Beispiele aus der Rechtsprechung sind: Der Unternehmer verletzt bei Ausführung seiner Werkleistung schuldhaft einen Dritten, der dadurch Schadensersatzansprüche gegen Besteller und Unternehmer erwirbt. Der Besteller hat wegen der Vertragspflichtverletzung des Unternehmers einen Anspruch gegen diesen, ihn (den Besteller) von den Verpflichtungen aus dem Schadensfall freizustellen339. Setzt ein Frachtführer einen zweiten ein, der das Frachtgut beschädigt, und müssen hierfür beide gegenüber dem Absender als Gesamtschuldner einstehen (etwa wegen § 437 III HGB oder Art. 36 CMR), dann hat der erste Frachtführer gegen den zweiten aus dem zwischen ihnen bestehenden Vertrag einen Anspruch, von der Verbindlichkeit gegenüber dem Absender befreit zu werden340. Der Insolvenzverwalter einer GmbH kann einen Anspruch gegen den ehemaligen Geschäftsführer haben, die GmbH von Schadensersatzverbindlichkeiten zu befreien, die er durch Betrug gegenüber Anlegern verursacht hat und für die er auch selbst haftet341. Beschädigt der vom Vermieter beauftragte Unternehmer Sachen des Mieters, wofür der Unternehmer aus § 823 I, der Vermieter aus § 536 a haftet, dann kommt ein Freistellungsanspruch des Vermieters gegen den Unternehmer wegen Verletzung des Werkvertrags in Frage342. In all diesen Fällen hätte der Geschädigte auch dann einen Befreiungsanspruch gegen den Schädiger gehabt, wenn der Schädiger aus irgendeinem Grunde gegenüber dem Drittgläubiger nicht verpflichtet gewesen wäre. Der Befreiungsanspruch gründete sich auf eine Schadensersatzpflicht aus dem vertraglichen Innenverhältnis. Wenn der BGH demgegenüber im Vermieterfall (dem letzten Beispiel) den Anspruch direkt aus dem Gesamtschuldverhältnis zwischen den Parteien herleitete, dann war dies zumindest missverständlich, weil nicht die Gesamtschuld, sondern die Vertragsbedingungen und die Pflichtverletzung des Schädigers die Modalitäten des Befreiungsanspruchs bestimmen. Ein Befreiungsanspruch kann sich im Gesamtschuldverhältnis also auf einen Grund im Innenverhältnis der Parteien (Aufwendungsersatz, vertraglich eingegangene Verpflichtung, Unterhalt, Schadensersatz) stützen, der auch dann einen Befreiungsanspruch hervorgerufen hätte, wenn es keine Gesamtschuld gegeben hätte, also nur der Befreiungsgläubiger gegenüber dem Dritten verpflichtet gewesen wäre. Damit stellen sich zwei Fragen: 1) Bestehen für einen Befreiungsanspruch im Gesamtschuldverhältnis, unabhängig von seiner Begründung, Besonderheiten, weil der Befreiungsschuldner selbst verpflichtet ist? 2) Ist das Gesamtschuldverhältnis selbst schon ein Grund für einen Befreiungsanspruch?
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BGH VersR 1969, 1039 (22.9.1969); vgl. oben, 323. Vgl. BGH WM 1990, 2123, 2124 (10.5.1990), oben, 298; und BGH NJW-RR 2005, 34 (13.10.2004). 341 OLG Hamburg, NJW-RR 1995, 673 (25.2.1994). 342 BGH NJW 1994, 2231, 2232 (28.4.1994). 340
4. Die Mitwirkungspflicht
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(2) Das Problem der eigenen Haftung des Befreiungsschuldners Die Besonderheit, dass der Befreiungsschuldner selbst gegenüber dem Drittgläubiger verpflichtet ist, teilt der Befreiungsanspruch im Gesamtschuldverhältnis mit dem Befreiungsanspruch des Bürgen aus § 775. Diese Vorschrift zeigt zugleich, dass die eigene Verpflichtung des Schuldners einen Befreiungsanspruch grundsätzlich nicht ausschließt. Allerdings führt sie zu Modifikationen, die sowohl für das Gesamtschuldverhältnis als auch für den Anspruch aus § 775 gelten. Denn der Befreiungsschuldner muss vor der Gefahr geschützt werden, zweimal leisten zu müssen. Inhaltlich richtet sich ein Befreiungsanspruch nach dem BGB weder auf eine Leistung an den Befreiungsgläubiger noch auf eine Leistung an den Drittgläubiger noch auf eine Sicherheitsleistung, sondern allein auf die Befreiung des Befreiungsgläubigers343. Die Art der Befreiung (Leistung, Schuldübernahme, Erlassvereinbarung etc.) bleibt dem Befreiungsschuldner überlassen, der zudem das Recht hat, den Befreiungsanspruch durch Sicherheitsleistung abzuwehren, aber nur, wenn der Hauptanspruch noch nicht fällig ist344. All dies ist nicht selbstverständlich. So sehen manche Rechte einen Anspruch auf Sicherheitsleistung bzw. ein unbeschränktes Recht des Befreiungsschuldners auf Abwehr durch Sicherheitsleistung vor345. Bei „gewöhnlichen“ Befreiungsansprüchen (worunter hier diejenigen verstanden werden, deren Schuldner nicht zugleich Schuldner der Drittforderung ist) wäre es auch nicht völlig undenkbar, dem Befreiungsgläubiger ein Recht zu gewähren, Leistung an sich selbst zu verlangen. Der Befreiungsschuldner hätte dann durch die Leistung an den Befreiungsgläubiger erfüllt, auch wenn dieser die Leistung nicht an den Drittgläubiger weiterleitet. Ein solches Recht sah noch der Erste Entwurf beim Befreiungsanspruch des Beauftragten vor, wenn die Drittforderung sich auf eine Geldzahlung richtete346. Wenn aber der Befreiungsschuldner selbst dem Drittgläubiger schuldet, muss ein solcher Anspruchsinhalt unbedingt ausscheiden, weil er den Befreiungsschuldner dem Risiko der doppelten Inanspruchnahme aussetzt. Daher sah die Vorgängerregelung des § 775 im Ersten Entwurf vor, dass das Recht des Beauftragten, Leistung an sich zu verlangen, für den Bürgen nicht gelten sollte347. 343
Hierzu Gerhardt, Befreiungsanspruch, 9 f., 16 ff., 36 ff.; Soergel/Wolf, § 257 Rz 6; Müko/ Krüger, § 257 Rz 4 f.; Staud/Bittner, § 257 Rz 7 f.; grundsätzlich anders Soergel/Pecher, § 775 Rz 15 ff. 344 §§ 257 S. 2, 775 II, 738 S. 2. Für eine analoge Anwendung von § 257 S. 2 auf ungeregelte Befreiungsansprüche Gerhardt, Befreiungsanspruch, 21 f.; Soergel/Wolf, § 257 Rz 2; MüKo/Krüger, § 257 Rz 2; Staud/Bittner, § 257 Rz 22, 24; Rimmelspacher, JR 1976, 89. 345 Etwa beim Beauftragten HessE IV 2 Art. 284; BayE II Art. 699 III; DresdE Art. 704; und noch E I § 595 III (hierzu Jakobs/Schubert, SR III, 71). Die heutige Regelung des § 257 beruht auf der Zweiten Kommission, die ein Recht des Befreiungsgläubigers auf Sicherheitsleistung ebenso ablehnte wie ein unbeschränktes Recht des Befreiungsschuldners, den Anspruch durch Sicherheitsleistung abzuwehren, Prot. 2313–2315 (Mugdan II, 951). 346 E I § 595 III (hierzu Jakobs/Schubert, SR III, 71), in der Zweiten Kommission gestrichen, Prot. 2313–2315 (Mugdan II, 951). 347 E I § 677; hierzu Jakobs/Schubert, SR III, 504.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
Nach heutigem Recht gilt schon für den gewöhnlichen Befreiungsanspruch, dass der Befreiungsgläubiger nicht Leistung an sich verlangen kann, so dass insofern keine Modifikationen bei Bürgschaft und Gesamtschuld erforderlich sind348. Anders verhält es sich jedoch auf der vollstreckungsrechtlichen Ebene. Nach heute herrschender Lehre wird der gewöhnliche Befreiungsanspruch nach § 887 ZPO vollstreckt, so dass der Befreiungsgläubiger sich ermächtigen lassen kann, selbst die Befreiung herbeizuführen und sich hierfür einen Vorschuss vom Befreiungsschuldner geben zu lassen349. Ein solches Recht erscheint unproblematisch, wenn der Befreiungsschuldner nicht selbst verpflichtet ist. Ist er aber selbst Schuldner, dann bestehen gute Gründe, diese Art der Vollstreckung, die ihn dem Risiko der doppelten Inanspruchnahme aussetzt, nicht zuzulassen. Dennoch geht die Lehre zu § 775350, gestützt auf eine alte Reichsgerichtsentscheidung zur Reichs-CPO351, ebenso wie die herrschende Ansicht zur Gesamtschuld352 von einer Vollstreckungsmöglichkeit nach § 887 II ZPO aus. Zwar hat es der selbst verpflichtete Befreiungsschuldner auch nach einem Ermächtigungsbeschluss nach § 887 ZPO noch in der Hand, eine andere Art der Befreiung des Befreiungsgläubigers herbeizuführen, die ihn zugleich selbst befreit, womit er eine doppelte Inanspruchnahme vermeidet. Allerdings kann der verpflichtete Befreiungsschuldner auch gute Gründe haben, warum er nicht an den Gläubiger leisten will. Insofern ist es bemerkenswert, dass in nahezu sämtlichen früheren Regelwerken der Befreiungsanspruch des Bürgen sich nicht auf die Befreiung selbst richtete, sondern auf Befreiung oder Sicherheitsleistung oder nur auf Sicherheitsleistung353. 348 Auch der Befreiungsanspruch des Bürgen richtet sich nur auf die Befreiung, nicht auf Zahlung an den Bürgen, BGHZ 140, 270, 273 ff. (14.1.1999), und nicht auf Zahlung an den Gläubiger, BGH NJW 2000, 1643 (16.3.2000); a.A. Soergel/Pecher, § 775 Rz 18. Klar ist auch, dass der Befreiungsanspruch des Gesamtschuldners nicht auf Leistung an ihn selbst geht, BGH NJW 1958, 497 (22.10.1957); OLG Hamm NJW 2002, 1054 (13.1.2001); anders noch Kremer, Mitbürgschaft, 175; Staud/Werner (1930), § 426 Anm. A I 1 b; Lischka, Gesamtschuld (1932), 68. Zur Frage, ob im Falle gesetzlicher Gesamtschulden Befreiung oder Befriedigung des Gläubigers verlangt werden kann, unten, 627 ff. 349 OLG Naumburg, HRR 1937 Nr. 1614 (13.7.1937); BGHZ 25, 1, 7 (19.6.1957); OLG Hamm, NJW 1960, 923 (15.2.1960); KG OLGZ 1973, 54 (17.7.1970); OLG Köln, FamRZ 1994, 1048 (18.8.1992); BGH NJW 1996, 2726, 2727 (4.6.1996); Gerhardt, Befreiungsanspruch, 14 ff.; Soergel/Wolf, § 257 Rz 8; Müko/Krüger, § 257 Rz 17; Staud/Bittner, § 257 Rz 13; Rimmelspacher, JR 1976, 90; Bischof, ZIP 1984, 1445 f. 350 Kremer, Mitbürgschaft, 124; Staud/Horn, § 775 Rz 5; MüKo/Habersack, § 775 Rz 11; Soergel/Pecher, § 775 Rz 17; Reinicke/Tiedtke, Kreditsicherung, Rz 445; Rimmelspacher, JR 1976, 186. 351 RGZ 18, 435 (14.9.1887); siehe auch RGZ 150, 77, 80 (20.1.1936). 352 So BGH NJW 1958, 497 (22.10.1957); BGH NJW 1986, 978 (7.11.1985); OLG Hamm, WM 1984, 336 (27.10.1983); Staud/Noack, § 426 Rz 77; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 70 f.; Soergel/ Wolf, § 426 Rz 15; BamR/Gehrlein, § 426 Rz 3; Schreiber, Jura 1989, 357; Jürgens, Teilschuld, 207; a.A. (Vollstreckung nach §§ 803 ff. ZPO) A. Blomeyer, JZ 1957, 444; Jauernig/Stürner, § 426 Rz 14; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 183. 353 ALR I 14 §§ 357 f.; ABGB § 1365 (zum Hintergrund Ofner, Ur-Entwurf II, 221 ff., 224, 578 f.); CMBC-RevE 1811 IV 10 § 13; SächsE § 883; HessE IV 2 Art. 614; BayE II Art. 884 I; ZürGB § 1804; OR 1881 Art. 511 (OR 1911 Art. 506); DresdE Art. 944 (hierzu Dresd. Prot.3464); und noch E I § 677. Die Zweite Kommission sorgte dann für eine Anpassung an den heutigen § 257, ohne auf die unterschiedlichen Interessenlagen einzugehen, Prot. 2533 f. (Mugdan II, 1028).
4. Die Mitwirkungspflicht
337
Bei der Gesamtschuld sehen diejenigen wenigen Regelwerke, die überhaupt einen Anspruch gegen den Mitschuldner hinsichtlich der Mitwirkung an der Gläubigerleistung kennen, nämlich das ALR, der Sächsische Entwurf und das Züricher Gesetzbuch, ebenfalls nur Ansprüche auf Sicherheitsleistung vor354. Diese erwägenswerte Lösung wird vereinzelt auch für das moderne deutsche Recht vorgeschlagen355. Der Umstand, dass der Befreiungsschuldner selbst Schuldner des Drittgläubigers ist, führt auch zu insolvenzrechtlichen Besonderheiten. Ist der Befreiungsschuldner insolvent, besteht zwar die Möglichkeit, dass der Befreiungsgläubiger seinen Befreiungsanspruch anmeldet356, doch wird er in der Regel dadurch daran gehindert, dass der Drittgläubiger selbst seine Forderung anmeldet, womit der Befreiungsgläubiger ausgeschlossen wird357. Ist umgekehrt der Befreiungsgläubiger insolvent, so gilt beim gewöhnlichen Befreiungsanspruch, dass er sich in einen Zahlungsanspruch an die Insolvenzmasse verwandelt, mit dem Ergebnis, dass der Drittgläubiger nur mit der Insolvenzquote befriedigt wird und der Rest die Quoten aller Insolvenzgläubiger erhöht358. Diese Lösung scheidet selbstverständlich aus, wenn der Befreiungsschuldner selbst haftet, weil er andernfalls den Gesamtbetrag an die Insolvenzmasse zahlen und dann zusätzlich den Drittgläubiger in Höhe seines Ausfalls befriedigen müsste359. Offenbar fällt hier ein Befreiungsanspruch einfach weg. Der Drittgläubiger hat schließlich den direkten Zugriff auf den Befreiungsschuldner, der durch seine Leistung wiederum den insolventen Befreiungsgläubiger befreit. All diese Besonderheiten beruhen auf der Eigenhaftung des Befreiungsschuldners und bestehen beim Befreiungsanspruch aus § 775 ebenso wie bei einem Befreiungsanspruch im Gesamtschuldverhältnis, unabhängig davon, ob dieser auf § 257, eine besondere Abrede, einen Schadensersatzanspruch oder auf die Gesamtschuld selbst gestützt wird. Sie sprechen weder für noch gegen einen Befreiungsanspruch im Gesamtschuldverhältnis, sondern können nur Modifikationen auf der Rechtsfolgenseite gegenüber gewöhnlichen Befreiungsansprüchen begründen.
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ALR I 5, § 449; SächsE § 609; ZürGB § 943. Lange, NJW 1958, 497; LG Flensburg, NJW-RR 1987, 440 (13.8.1986); vgl. auch OLG Hamm, NJW 2002, 1054 (13.9.2001). 356 Hierzu stellvertretend Staud/Bittner, § 257 Rz 16; MüKo/Habersack, § 775 Rz 13. 357 § 44 InsO. Anders verhält es sich natürlich, wenn der Drittgläubiger sich am Verfahren nicht beteiligt, wie es etwa im Kreditkartenfall in der Insolvenz des Arbeitgebers geschah, BAGE 27, 127 (30.4.1975); oben, 331. 358 Gerhardt, Befreiungsanspruch, 99 ff.; BGHZ 57, 78, 81 (22.9.1971); BGH NJW 1994, 49 (16.9.1993); Soergel/Wolf, § 257 Rz 10; MüKo/Krüger, § 257 Rz 10; Bischof, ZIP 1984, 1450. 359 BGH NJW 1994, 49, 51; OLG Hamburg, NJW-RR 1995, 673 (25.2.1994); MüKo/Krüger, § 257 Rz 10; Staud/Bittner, § 257 Rz 15. 355
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
(3) Grundlage und Fälligkeit des Befreiungsanspruchs bei vertraglichen Gesamtschuldverhältnissen Eine andere Frage ist es, ob bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden Befreiungsansprüche tatsächlich auf dem Gesamtschuldverhältnis selbst beruhen oder nicht vielmehr auf dem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis unter den Schuldnern. Beruht die Gesamtschuld auf einer gemeinsamen Verpflichtung der Schuldner, dann sind die Schuldner in der Regel durch ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis verbunden, das nicht nur die Höhe der internen Anteile bestimmt, sondern auch, wie oben gezeigt, einen anteiligen Rückgriff eröffnet. Darüber hinaus kann das Innenverhältnis auch als Grundlage für gegenseitige Befreiungsansprüche dienen. Ein möglicher Anknüpfungspunkt für rechtsgeschäftliche Befreiungsansprüche ist die Vorschrift des § 257. Wenn sich die Schuldner darüber einig sind, dass im Innenverhältnis jeder nur einen Teil tragen, im Außenverhältnis jeder aber die Gesamthaftung übernehmen soll, könnte jeder Schuldner, der im Außenverhältnis mehr als seinen internen Anteil schuldet, insoweit als Beauftragter der übrigen Schuldner angesehen werden, genauer: als Beauftragter derjenigen Schuldner, für deren Innenanteile er nach außen die Haftung übernimmt. Hieraus könnten sich anteilige Befreiungsansprüche nach § 257 ergeben. Die Vorschrift des § 257 passt aber nicht, wenn Gegenstand des Auftrags gerade die Eingehung der Verbindlichkeit war360. Nach § 257 ist der Befreiungsanspruch sofort fällig, selbst wenn die Drittverbindlichkeit noch nicht fällig ist. Das macht im Schulfall des Auftrags auch Sinn: Kauft A im Auftrag von B ein Grundstück, will A sofort von seiner Verbindlichkeit gegenüber dem Verkäufer freigestellt werden, auch wenn diese noch nicht fällig ist. A’s Verpflichtung aus dem Auftrag war es lediglich, das Geschäft in B’s Interesse abzuschließen, nicht aber für eine weitere Zeit die persönliche Haftung zu übernehmen. Richtet sich B’s Auftrag an A dagegen gerade darauf, eine Verbindlichkeit zu übernehmen, etwa mit ihm zusammen als Gesamtschuldner zu haften, dann macht es keinen Sinn, wenn A nach Ausführung des Auftrags, also nach Übernahme der Verbindlichkeit, sofort wieder Befreiung verlangen kann. Es ist gerade dieses Problem, das der Regelung des § 775 zugrunde liegt. Die im Auftrag des Schuldners eingegangene Bürgschaft ist ein typischer Fall eines Auftrags zur Eingehung einer Verbindlichkeit. Nach § 775 ist der Befreiungsanspruch des Bürgen nicht sofort fällig. Er ist auch nicht mit Fälligkeit der Hauptschuld fällig, sondern erst unter bestimmten, in § 775 aufgezählten Voraussetzungen, etwa bei Verzug des Schuldners, bei einer Verschlechterung seiner Vermögensverhältnisse oder wenn ein vollstreckbares Urteil gegen den Bürgen vorliegt.
360 Ebenso Reichel, Schuldmitübernahme, 553; Kremer, Mitbürgschaft, 114 ff.; Westerkamp, Bürgschaft, 494 f.; Weigelin, Schuldbeitritt, 106 f.
4. Die Mitwirkungspflicht
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Diese Regel entspricht dem römischen und Gemeinen Recht361 und findet sich auch in früheren Kodifikationen und Entwürfen362. Die Voraussetzungen des Befreiungsanspruchs im Einzelnen sind nicht überall gleich, aber es besteht Einigkeit darüber, dass der Bürge vom Hauptschuldner nicht schon bei Fälligkeit der Hauptschuld Befreiung verlangen kann, sondern erst dann, wenn seine Inanspruchnahme durch den Gläubiger unmittelbar droht oder das Risiko der Bürgschaft sich nachträglich erheblich vergrößert hat. Schließlich war der Bürge gerade damit beauftragt worden, die Schuld zu sichern. Demgemäß sollte es nach Gemeinem Recht dann keinen sofort fälligen Befreiungsanspruch des Beauftragten geben, wenn Gegenstand des Auftrags gerade die Eingehung der Verbindlichkeit war363. Das Sächsische BGB nahm diesen Gedanken auf und sah vor: „Der Auftraggeber ist verpflichtet, den Beauftragten von den für ihn übernommenen Verbindlichkeiten zu befreien, sofern nicht der Zweck des Auftrages darin besteht, daß der Beauftragte sich für ihn oder einen Anderen verpflichten soll, welchenfalls der Anspruch des Beauftragten auf Befreiung erst dann entsteht, wenn er zur Erfüllung der übernommenen Verbindlichkeit genöthigt ist.“364 Die Einschränkung des Befreiungsanspruchs war für Interzessionen, insbesondere durch Bürgschaften, gedacht365. Bei den Beratungen zum Dresdener Entwurf plante der Referent ebenfalls eine solche Beschränkung des Befreiungsanspruchs im Auftragsrecht. Die Mehrheit der Kommission war dagegen der Ansicht, dass es genüge, im Bürgschaftsrecht eine besondere Regelung zum Befreiungsanspruch des Auftragsbürgen gegenüber dem Hauptschuldner aufzunehmen. Der Auftrag zur Eingehung einer Verbindlichkeit müsse im Auftragsrecht nicht besonders erwähnt werden, weil gar kein „reines Mandat“ vorliege366. Dieselbe Auffassung hatte offenbar der Gesetzgeber des BGB. § 257 enthält wie der Dresdener Entwurf keine Modifikationen für den Auftrag zur Eingehung einer Verbindlichkeit, weil man § 257 in diesem Fall offenbar für unanwendbar hielt. Hierfür spricht, dass für die Regel des heutigen § 775 zunächst eine Fassung beantragt war, wonach der Bürge „Befreiung nach Auftragsrecht“ erst dann verlangen kann, wenn die besonderen Voraussetzungen vorliegen. Die Erste Kommission aber strich den Verweis auf das Auftragsrecht mit der Erwä361
Marcellus, D.17,1,38,1; Paulus D.17,1,45,4; Gordian C.4,35,6; Diocletian C.4,35,10; Kreittmayr, Anmerkungen IV, 576 f.; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 746; Girtanner, Bürgschaft, 529 ff.; Hasenbalg, Bürgschaft, 697 ff.; Sintenis, Civilrecht, § 129 bei Fn. 74; Dernburg, Pandekten II, § 80 II 1 b; von Tuhr, Actio de in rem verso, 61 f. 362 CMBC IV 10 § 17; ALR I 14 §§ 357 f.; CC Art. 2032 (ab 2006: Art. 2309); ABGB § 1365; HessE IV 2 Art. 614; BayE II Art. 884; SächsGB § 1470; DresdE Art. 944 (hierzu Dresd. Prot. 4594 ff.); ZürGB § 1804 (hierzu Bluntschli, ZürGB, zu § 1804, Anm. 1); OR 1881 Art. 511 (OR 1911 Art. 506). 363 So ausdrücklich Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 621 Fn. g; Sintenis, Civilrecht, § 113 bei Fn. 57; Dernburg, Preußisches Privatrecht II, § 182 Fn. 8; ROHGE 13, 275, 280 f. (= SeuffA 31 Nr. 133, S. 173). 364 SächsGB § 1315. 365 Siebenhaar/Pöschmann, SächsGB, Anm. zu § 1315. 366 Dresd. Prot. 2521 f.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
gung, ein solcher Verweis könne die unrichtige Vorstellung hervorrufen, dass der Befreiungsanspruch des Bürgen nur ein Anwendungsfall des Befreiungsanspruchs des Beauftragten sei, der aus besonderen Gründen Beschränkungen unterliege367. Das Verhältnis zwischen den Befreiungsansprüchen des Beauftragten und des Bürgen bzw. zwischen § 257 und § 775 kann demnach auf zwei Arten erklärt werden. Nach einem Modell steht dem Auftragsbürgen der Befreiungsanspruch des Beauftragten zu, der grundsätzlich sofort fällig ist. Weil aber bei der Bürgschaft die sofortige Fälligkeit dem Parteiwillen nicht entspricht, wird der Befreiungsanspruch, wenn der Beauftragte Bürge ist, ausnahmsweise beschränkt368. § 775 ist dann eine Modifikation des § 257. So sieht es offenbar die heutige Lehre369. Das andere Modell stellt darauf ab, dass beim Bürgen der Gegenstand des Auftrags gerade der war, die Verbindlichkeit zu übernehmen. Dem Bürgen stehen zwar wie jedem Beauftragten Aufwendungsersatzansprüche und andere Rechte aus dem Auftragsverhältnis zu, doch können diese grundsätzlich nicht zum Ziel haben, den auftragsgemäß bewirkten Erfolg wieder rückgängig zu machen. Anders als beim Beauftragten, der in mittelbarer Stellvertretung ein Grundstück kauft, bedeutet ein Befreiungsanspruch beim Bürgen gerade die Aufhebung der geschuldeten Tätigkeit. Diese kann aus Auftragsrecht grundsätzlich nicht verlangt werden. Der Befreiungsanspruch des Bürgen wird danach nur ausnahmsweise in bestimmten Fallgruppen gewährt370. Nach dieser Sicht, die offenbar die des Gesetzgebers ist, modifiziert § 775 nicht § 257, sondern bildet eine andere Anspruchsgrundlage, weil § 257 nicht anwendbar ist371. Die Vorschrift des § 775 beruht also auf zwei Gedanken. Ist es Gegenstand eines Auftrags, eine Verbindlichkeit zu übernehmen, kann nicht nach allgemeinen Auftragsregeln sogleich Befreiung von dieser Verbindlichkeit verlangt werden. Wohl aber entsteht ein Befreiungsanspruch unter besonderen Voraussetzungen. Diese treten nicht schon bei Fälligkeit der übernommenen Verbindlichkeit ein, sondern erst dann, wenn sich das Risiko des Übernehmers nachträglich erhöht oder wenn der Zugriff durch den Gläubiger in Form eines vollstreckbaren Urteils unmittelbar bevorsteht. Der Befreiungsanspruch beruht dann auf dem Innenverhältnis in Gestalt des Auftrags bzw. der G.o.A. Demnach stellt sich die Frage, ob diese Gedanken auch dann gelten, wenn der Auftrag, eine Verbindlichkeit einzugehen, nicht zu einer Bürgschaft, sondern zu einer Gesamtschuld führt, insbesondere also bei der beauftragten Schuldmitübernahme. 367
Jakobs/Schubert, SR III, 505. So im 19. Jahrhundert wohl Girtanner, Bürgschaft, 529 ff. 369 RGZ 59, 10, 12 (22.9.1904); OLG Köln, OLGE 28, 227 (11.11.1913); Westerkamp, Bürgschaft, 495, 498 f.; Staud/Brändl (1959), § 775 Rz 13; Gerhardt, Befreiungsanspruch, 3; Stötter, MDR 1970, 547; Soergel/Mühl (1985), § 775 Rz 1; Medicus, Schuldrecht BT, Rz 530; MüKo/Habersack, § 775 Rz 1; Staud/Horn, § 775 Rz 1; Erman/Herrmann, § 775 Rz 1; Bülow, Kreditsicherung, Rz 958; Reinicke/Tiedtke, JZ 2001, 46. 370 So im 19. Jahrhundert wohl Hasenbalg, Bürgschaft, 695 ff., 700. 371 So Oertmann, Schuldverhältnisse BT, § 775 Anm. 1. 368
4. Die Mitwirkungspflicht
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Die Lehre zum Bürgschaftsrecht formuliert die Frage dergestalt, ob § 775 analog auf den Schuldbeitritt anwendbar ist. Die Formulierung ist nicht ganz genau, denn nach dem oben Gesagten kann eine Ablehnung der Analogie einerseits bedeuten, dass der Befreiungsanspruch des beauftragten Schuldübernehmers nicht durch § 775 beschränkt ist372, andererseits, dass der Schuldübernehmer gar keinen Befreiungsanspruch hat. Letzteres ist offenbar gemeint, wenn ein Teil der Lehre die Analogie ablehnt373. Hierfür kann die Ansicht des Gesetzgebers ins Feld geführt werden, der den allgemeinen Befreiungsanspruch des Beauftragten in § 257 deshalb nicht für Fälle der beauftragten Eingehung einer Verbindlichkeit einschränkte, weil er meinte, das Problem werde durch § 775 gelöst. Dies ist ein starkes Indiz dafür, dass der Gesetzgeber an einen Befreiungsanspruch bei beauftragtem Schuldbeitritt und überhaupt an einen Befreiungsanspruch aus der Gesamtschuld gar nicht dachte. Mit guten Gründen kann demgegenüber argumentiert werden, dass der eingeschränkte Befreiungsanspruch des § 775 auch einem Gesamtschuldner zustehen sollte, der die Schuld im Auftrag seines Mitschuldners ganz oder teilweise übernahm374, weil die Interessenlage vergleichbar ist: Im Innenverhältnis unter den Schuldnern ist es nicht entscheidend, ob die Haftung nach außen von der Akzessorietät (Bürgschaft) oder von der grundsätzlichen Unabhängigkeit (Gesamtschuld) geprägt ist. Dies entspricht der französischen Auffassung, nach welcher der Befreiungsanspruch des Bürgen aus Art. 2309 (a.F. Art. 2032) CC auch dem interzedierenden Gesamtschuldner i.S.d. Art. 1216 CC zusteht375. Ein Ergebnis hingegen, nach dem der beauftragte Gesamtschuldner einen Befreiungsanspruch hat, der nicht durch § 775 beschränkt ist, würde die Verhältnisse auf den Kopf stellen. Der Gesetzgeber hat die Regel des § 775 offenbar nur deshalb nicht auf Gesamtschuldner ausgeweitet, weil sie seiner Ansicht nach gar keinen Befreiungsanspruch hatten. Hieraus kann nicht umgekehrt auf eine Privilegierung des Schuldmitübernehmers gegenüber dem Bürgen geschlossen werden. Beruht also die Eingehung der Schuld auf einem Auftragsverhältnis, dann ist zu differenzieren: Dient sie lediglich der Verfolgung des mit dem Auftrag verbundenen Zwecks, dann hat der Beauftragte einen Befreiungsanspruch nach § 257, der sofort, gegebenenfalls schon vor Fälligkeit der Hauptschuld, fällig ist. War dagegen der Auftrag selbst darauf gerichtet, dass der Beauftragte die Verbindlichkeit eingeht, dann entsteht ein Befreiungsanspruch nicht schon nach § 257376, sondern nach dem Gedanken des § 775 erst bei nachträglicher Risikoer372
So tatsächlich Westerkamp, Bürgschaft, 494 ff., 501 f., 526, nach dem der beauftragte Schuldbeitretende schon bei Fälligkeit seiner Schuld einen Befreiungsanspruch hat. 373 Soergel/Mühl (1985), § 775 Rz 1; Staud/Horn, § 775 Rz 7; in diese Richtung auch LG Meiningen, ZIP 1998, 991, 992 (31.3.1998); ausdrücklich schon Reichel, Schuldmitübernahme, 553 f.; Planck/Oegg, § 775 Anm. 1; einschränkend Weigelin, Schuldbeitritt, 107. 374 So MüKo/Habersack, § 775 Rz 3; Schürnbrand, Schuldbeitritt, 159. 375 Oben, 318 ff. 376 Ebenso für den Fall einer Bestellung einer dinglichen Sicherheit durch ein Dritten im Auftrag des Schuldners BGH MDR 1955, 283, 285 (17.12.1954).
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
höhung oder unmittelbar drohender Inanspruchnahme. Eine solche Differenzierung war etwa im genannten Kreditkartenfall erforderlich, in dem das BAG die Frage offen ließ, ob für den Befreiungsanspruch des Arbeitnehmers die Tatbestandsvoraussetzungen des § 775 I analog anzuwenden waren377. Hier kommt es auf die Auslegung der Abrede zwischen Arbeitgeber und -nehmer an. Da die Eingehung der Verbindlichkeit gegenüber dem Kreditkartenunternehmen nur ein Element bei der Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten war, sprach viel dafür, allein § 257 anzuwenden und einen sofortigen Freistellungsanspruch anzunehmen. An eine Anwendung des § 775 wäre höchstens dann zu denken, wenn es dem Arbeitgeber gerade darauf angekommen wäre, dass der Arbeitnehmer persönlich verpflichtet ist und bleibt. Für vertraglich vereinbarte Gesamtschulden, bei denen intern nur ein Schuldner haftet, ergibt sich damit Folgendes: Zwischen den Schuldnern besteht ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis, in der Regel ein Auftragsverhältnis. Dieses Innenverhältnis bestimmt, ob und wann der intern nicht verantwortliche Schuldner einen Befreiungsanspruch geltend machen kann378. War die Mitübernahme der Verbindlichkeit gerade Gegenstand des Auftrags, kann der Befreiungsanspruch nicht sofort entstehen. Einen Grund für einen Befreiungsanspruch kann aber die nachträgliche Risikoerhöhung oder die unmittelbar drohende Inanspruchnahme bilden. Gegenstand des Auftrags war nur die Mithaftung selbst, nicht die Leistung an den Gläubiger. Eine unvollständige gesetzliche Regelung findet sich in § 775, dessen analoge Anwendung auf die beauftragte Schuldmitübernahme sich anbietet. Sollte der Befreiungsanspruch des beauftragten Gesamtschuldners dagegen weniger oder auch mehr Voraussetzungen unterliegen als der des Auftragsbürgen, müssten dafür sachliche Gründe angeführt werden. In jedem Fall beruht der Befreiungsanspruch hier auf dem vermuteten Parteiwillen, also auf dem Innenverhältnis. Er bestünde auch dann, wenn im Außenverhältnis gar keine Gesamtschulden vorliegen. Beauftragt A den B, an A’s Stelle Schuldner des G zu werden und hierzu mit Zustimmung des Gläubigers die Schuld befreiend zu übernehmen, wobei intern nach wie vor A die Schuld tragen soll, dann hat B wohl dann einen Befreiungsanspruch gegen A, wenn G gegen ihn ein vollstreckbares Urteil erwirkt. Ein Gesamtschuldverhältnis wird hierfür nicht gebraucht. Häufig aber ist bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden die Schuld im Innenverhältnis nicht einem Schuldner allein zugeordnet, sondern anteilig mehreren oder allen Gesamtschuldnern. Ein mögliches rechtsgeschäftliches Innenverhältnis unter den Schuldnern ist dann eine (Außen- oder Innen-)Gesellschaft. Auch ein Gesellschaftsvertrag kann Befreiungsansprüche unter den Gesellschaftern begründen. Diese Befreiungsansprüche können nicht nur bei gesamtschuld-
377 BAGE 27, 127, 131 (30.4.1975), oben 297 und 331. Die Frage konnte offen bleiben, weil bei analoger Anwendung der Tatbestand des § 775 I Nr. 1 und 3 vorgelegen hätte. 378 So auch BGH WM 2006, 1637, 1638 (20.7.2006).
4. Die Mitwirkungspflicht
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nerisch haftenden Gesellschaftern bestehen, sondern auch dann, wenn ein Gesellschafter allein im Gesellschaftsinteresse eine Verbindlichkeit eingeht. Tatsächlich stand historisch der Befreiungsanspruch des allein haftenden Gesellschafters im Vordergrund. Nach römischem und Gemeinem Recht musste ein Gesellschafter, der als berechtigter Geschäftsführer im eigenen Namen für die Gesellschaft eine Verbindlichkeit eingegangen war, nicht warten, bis er vom Gläubiger in Anspruch genommen wurde, um erst dann seinen Regress gegen die möglicherweise inzwischen insolventen Mitgesellschafter durchzusetzen. Da die im Interesse der Gesellschaft eingegangene Verbindlichkeit im Innenverhältnis von allen Gesellschaftern zu tragen war, konnte er von seinen Mitgesellschaftern Sicherheitsleistung verlangen379. Auch heute hat der Personengesellschafter, der in berechtigter Geschäftsführung im eigenen Namen Verbindlichkeiten für die Gesellschaft eingeht, einen sofort fälligen Befreiungsanspruch aus §§ 713, 670, 257 bzw. aus § 110 HGB i.V.m. § 257 BGB gegen die Gesellschaft380, im Ausnahmefall auch gegen die Mitgesellschafter381. Die alleinige Haftung eines Gesellschafters für eine im Interesse der Gesellschaft eingegangene Schuld ist ein Sonderopfer, für das er nach dem gesellschaftsrechtlichen Innenverhältnis einen Ausgleich verlangen kann. Um eine solche Konstellation ging es in einem 1991 ergangenen Urteil des BGH382. R1 ließ ein Schiff bauen und nahm hierfür im eigenen Namen ein Darlehen auf. Später vereinigte er sich mit R2, um das Schiff gemeinsam in einer Partenreederei (§ 489 I HGB) zu betreiben. Diese Reederei (die zumindest funktional einer Personengesellschaft entspricht383) bediente sich des Darlehens, ohne dass R2 die persönliche Haftung für das Darlehen übernahm. Als es zum Verzug mit der Rückzahlung kam und das Schiff vom Gläubiger zwangsversteigert wurde, verlangte R1 von R2 anteilige Freistellung von der Darlehensverpflichtung. Weil R1 und R2 durch ein vertragliches Innenverhältnis verbunden waren, in dessen Rahmen das Darlehen gemeinsam genutzt wurde, hätte es nahe gelegen, für einen Befreiungsanspruch direkt auf dieses Innenverhältnis (also die Partenreederei) zurückzugreifen. Die Dominanz der herrschenden Gesamtschulddogmatik im Vergleich zum Reedereirecht führte aber dazu, dass der Zweite Senat des BGH als erstes prüfte, ob sich ein Befreiungsanspruch nicht aus einem zwischen R1 und R2 bestehenden Gesamtschuldverhältnis ergeben könnte. Nachdem der Senat ausführlich geprüft und begründet hatte, warum R2 für das Darle379 Paulus D.17,2,67 pr.; vgl. Paulus D.17,2,27; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 527 VI; Sintenis, Civilrecht, § 121 bei Fn. 71; siehe auch die Beratungsvorlage zum Gesellschaftsrecht des BGB, zu Art. 785 DresdE, 71 f. (Schubert, SR III, 101 f.). 380 Staud/Habermeier, § 713 Rz 10; Staub/Ulmer, HGB, § 110 Rz 28; Schlegelberger/Martens, HGB, § 110 Rz 30. 381 Gegenüber diesen gelten wohl die allgemeinen Beschränkungen für die Inanspruchnahme der Mitgesellschafter für Sozialverbindlichkeiten; zur Sicht des Gesetzgebers Jakobs/Schubert, SR III, 259–261. 382 BGHZ 114, 138 (25.3.1991). Der Sachverhalt wird vereinfacht wiedergegeben. 383 Zur strittigen Rechtsnatur der Partenreederei (Bruchteilsgemeinschaft oder Außengesellschaft) stellvertretend K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 65 I 3.
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hen nicht persönlich haftete, § 426 I also nicht einschlägig war, wandte er sich endlich dem Innenverhältnis zu, das selbstverständlich einen Befreiungsanspruch von R1 begründete, der hier, weil es bei der Partenreederei im Gegensatz zur gewöhnlichen Personengesellschaft eine Nachschusspflicht gibt (§ 500 I HGB), direkt gegenüber R2 anteilig geltend gemacht werden konnte. So selbstverständlich der Befreiungsanspruch des allein haftenden Gesellschafters war, so wenig selbstverständlich waren demgegenüber, zumindest historisch, Befreiungsansprüche bei gesamtschuldnerisch haftenden Gesellschaftern. Die deutschen und Schweizer Regelwerke des 19. Jahrhunderts enthielten zwar direkt oder über einen Verweis auf das Auftragsrecht Befreiungsansprüche der Gesellschafter384; hier dachte man aber offenbar nur an den Fall, dass ein Gesellschafter im eigenen Namen eine Verbindlichkeit einging. Deutlich ist der Dresdener Entwurf, der für den geschäftsführenden Gesellschafter einen Befreiungsanspruch für den Fall vorsah, dass er für die Gesellschaft eine Verbindlichkeit einging, für gesamtschuldnerisch haftende Gesellschafter dagegen nur einen Regress bei Tilgung der Gesellschaftsschuld anordnete385. Auch der BGB-Gesetzgeber sah mit § 713 bewusst einen Befreiungsanspruch des geschäftsführenden Gesellschafters vor386. Die Dresdener Entwurfsvorschrift für die Gesamtschuldner übernahm er nicht, weil er den Gesamtschuldregress aus § 426 I für ausreichend hielt387. Zur Frage eines Befreiungsanspruchs des GesellschafterGesamtschuldners äußerte er sich nicht, wahrscheinlich, weil man an einen solchen Anspruch nicht dachte. Die Konzentration auf den Befreiungsanspruch des allein haftenden Gesellschafters hat sachliche Gründe. Der Geschäftsführer, der im eigenen Namen eine Verbindlichkeit im Gesellschaftsinteresse eingeht, erbringt ein Sonderopfer, dessen Ausgleich er (solange der Gesellschaftsvertrag nicht die Alleinhaftung des Geschäftsführers besonders vorsieht) unmittelbar verlangen kann. Sind dagegen alle Gesellschafter durch die Verbindlichkeit gleichermaßen belastet, liegt kein Sonderopfer vor. Die gesamtschuldnerische Haftung der Gesellschafter ist einvernehmlich gewolltes Mittel zur wirtschaftlichen Betätigung der Gesellschaft. Ein sofortiger Befreiungsanspruch wäre ebenso sinnwidrig wie im Falle eines Auftrags, der die Eingehung einer Verbindlichkeit zum Gegenstand hat. Ebenso wie beim Auftrag ist ein Befreiungsanspruch aber beim Vorliegen besonderer Voraussetzungen denkbar. Der gesamtschuldnerisch haftende Gesellschafter erbringt zwar durch seine Außenhaftung allein noch kein Sonderopfer, wohl aber, 384
HessE IV 2 Art. 387 II, 388; BayE II Art. 560 III, 563 I i.V.m. Art. 699 III (ferner Art. 565 i.V.m. 741–743); SächsGB § 1375; ADHGB Art. 93; ZürGB § 1239 Nr. 3 (hierzu Bluntschli, ZürGB, § 1248 Anm. 1); OR 1881 Art. 537 I, 540 i.V.m. Art. 400 I, 472 I (OR 1911 Art. 402 I, 422 I). 385 DresdE Art. 785. Auch bei den Beratungen war nur von einem Befreiungsanspruch bei Eingehung einer Verbindlichkeit im eigenen Namen die Rede, nicht aber bei Gesamtschulden, Dresd. Prot. 2799 f., 2822 ff. 386 Jakobs/Schubert, SR III, 256–259. 387 Jakobs/Schubert, SR III, 267.
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wenn er an den Gläubiger leisten muss. Insofern kann, ähnlich wie beim beauftragten Bürgen oder Schuldmitübernehmer, an einen Befreiungsanspruch dann gedacht werden, wenn eine Inanspruchnahme durch den Gläubiger unmittelbar bevorsteht. Tatsächlich ist in der heutigen gesellschaftsrechtlichen Literatur anerkannt, dass auch der gesamtschuldnerisch haftende Gesellschafter einen Befreiungsanspruch aus §§ 713, 670, 257 bzw. § 110 HGB i.V.m. § 257 BGB gegen die Gesellschaft haben kann388. Hierfür stützt man sich auf ein Urteil des Landgerichts Hagen in einem 1974 entschiedenen Fall389, in dem sich die Frage offenbar zum ersten Mal stellte. Das Gericht lehnte hier eine direkte Anwendung des § 257 ab, da der einzelne Gesellschafter die Verbindlichkeit nicht selbst eingegangen war, sondern kraft Gesetz (§ 128 HGB) für sie haftete. Ein Befreiungsanspruch sollte aber analog § 257 bestehen, da der Gesellschafter im Fall der Tilgung einen Aufwendungsersatzanspruch nach § 110 HGB hätte. Darüber hinaus verwies das Gericht auf die parallele Rechtslage bei der Gesamtschuld, bei der inzwischen ebenfalls ein Befreiungsanspruch anerkannt war. Der gesamtschuldnerisch haftende Gesellschafter sollte aber nicht schon bei Fälligkeit der Forderung Befreiung verlangen können. Die gesellschaftliche Treuepflicht, so das Gericht, gebiete es, dass der Gesellschafter sein Recht erst dann geltend mache, wenn er ernstlich befürchten müsse, vom Gläubiger in Anspruch genommen zu werden. Eine Abstimmung mit der Vorschrift des § 775, die das gleiche Problem regelt, unterblieb. Im zur Entscheidung anstehenden Fall hatte der Gläubiger ein rechtskräftiges Urteil gegen den Gesellschafter erwirkt, so dass bei entsprechender Anwendung von § 775 die Tatbestandsvoraussetzungen (§ 775 I Nr. 4) gegeben waren. In ähnlicher Weise argumentiert die Literatur, dass ein Befreiungsanspruch, der schon mit der Entstehung oder Fälligkeit der Gläubigerforderung fällig wird, mit der Haftungsstruktur der Personengesellschaft und der Pflicht des Gesellschafters zur Förderung des Gesellschaftszwecks nicht vereinbar sei. Der Befreiungsanspruch soll daher erst bei drohender Inanspruchnahme durch den Gläubiger geltend gemacht werden können390. Ob es sich um die gleichen Voraussetzungen wie 388 MüKo/Ulmer, § 714 Rz 55; MüKoHGB/K. Schmidt, § 128 Rz 35; Staub/Ulmer, HGB, § 110 Rz 40; Staub/Habersack, HGB, § 128 Rz 41; Ebenroth/Boujong/Hillmann, HGB, § 128 Rz 36. Auch der BGH spricht in einem Urteil vom 1.4.1974 (WM 1974, 749) allgemein von einem Befreiungsanspruch gegen die Gesellschaft; allerdings befand sich diese im zu entscheidenden Fall bereits im Auseinandersetzungsstadium. Auch in OLG Koblenz, NJW-RR 1995, 486 (15.12.1994), wurde ein Befreiungsanspruch bejaht; hier war über das Vermögen der Gesellschaft das Konkursverfahren eröffnet worden. 389 LG Hagen, BB 1976, 763 (12.3.1974). 390 MüKo/Ulmer, § 714 Rz 55; Staub/Ulmer, HGB, § 110 Rz 40; Staub/Habersack, HGB, § 128 Rz 41; Ebenroth/Boujong/Hillmann, HGB, § 128 Rz 36; Baumbach/Hopt, HGB, § 128 Rz 26. A.A. aus rein begrifflichen Gründen Gehrlein, JZ 2008, 365 f. Nach Karsten Schmidt soll der Freistellungsanspruch schon vorher bestehen, aber mangels Rechtsschutzinteresses vor Inanspruchnahme durch den Gläubiger nicht eingeklagt werden können, MüKoHGB/Schmidt, § 128 Rz 35. M.E. handelt es sich nicht um ein Problem des Rechtsschutzbedürfnisses, weil ein Gesellschafter schon vor Inanspruchnahme ein berechtigtes Interesse daran haben kann, statt als Gesamtschuldner nur als Teilschuldner zu haften.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
bei § 775 handelt, bleibt dabei offen391. Wie beim Regressanspruch soll bei leerer Gesellschaftskasse auch ein subsidiärer Befreiungsanspruch gegen die Mitgesellschafter gegeben sein392. All diese Regeln wurden vom Zweiten Senat des BGH in einer 2007 ergangenen Entscheidung bestätigt: Bei fehlenden frei verfügbaren Gesellschaftsmitteln könne der gesamtschuldnerisch haftende Außengesellschafter Freistellung von seinem Mitgesellschafter verlangen, wenn die ernsthafte Möglichkeit der Inanspruchnahme durch einen Gesellschaftsgläubiger bestehe393. Auch bei einem gesellschaftsrechtlichen Innenverhältnis können also Befreiungsansprüche direkt aus diesem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis hervorgehen. Eine Gesamtschuld ist, wie der Fall des allein haftenden Geschäftsführers zeigt, hierfür nicht erforderlich. Vielmehr wird umgekehrt bei Vorliegen einer Gesamtschuld der Gesellschafter der Befreiungsanspruch nur eingeschränkt gewährt. Dies beruht auf demselben Gedanken wie beim Bürgen oder beauftragten Schuldmitübernehmer: Die Außenhaftung des Bürgen, Mitschuldners oder Gesellschafters ist nach dem Innenverhältnis gerade gewollt. Ein Ungleichgewicht wird erst durch die Inanspruchnahme geschaffen. Daher rechtfertigt sich ein Befreiungsanspruch, wenn sich das Risiko der Inanspruchnahme planwidrig erhöht bzw. eine Inanspruchnahme unmittelbar bevorsteht. Die erforderliche Abstimmung mit den Tatbestandsvoraussetzungen des § 775 ist bislang ausgeblieben. Beim Bürgen liegt eine drohende Inanspruchnahme erst dann vor, wenn der Hauptschuldner in Verzug gerät oder der Gläubiger ein vollstreckbares Urteil gegen den Bürgen erwirkt hat (§ 775 I Nr. 3–4). Ob ein Gesellschafter schon bei weniger Voraussetzungen, etwa im Falle einer Klagedrohung, einen Befreiungsanspruch haben soll, müsste unter Verweis auf unterschiedliche Interessenlagen begründet werden394. (4) Befreiungsansprüche wegen Beendigung des Innenverhältnisses Nicht nur eine Risikoerhöhung bzw. drohende Inanspruchnahme kann einen Befreiungsanspruch begründen, sondern auch die Beendigung des zugrunde liegenden Schuldverhältnisses. Die Art der Außenhaftung ist hier gleichgültig; es kommt allein auf ein Auseinanderfallen von Außenhaftung und interner Zuständigkeit an. Wenn das Schuldverhältnis, das dieses Auseinanderfallen bislang gerechtfertigt hat, beendet wird, müssen die noch offenen Haftungen ausgeglichen 391 Habersack weist zumindest auf die Parallele hin, Staub/Habersack, HGB, § 128 Rz 41. Im Fall OLG Koblenz, NJW-RR 1995, 486 (15.12.1994), in dem obiter ein Befreiungsanspruch bejaht wurde, war nicht nur das Konkursverfahren über die Gesellschaft eröffnet worden, sondern der Gläubiger hatte gegen den Kläger auch schon ein rechtskräftiges Urteil erwirkt, vgl. § 775 I Nr. 1, 4. 392 MüKoHGB/K. Schmidt, § 128 Rz 36; Staub/Habersack, HGB, § 128 Rz 47; Ebenroth/Boujong/Hillmann, HGB, § 128 Rz 37; OLG Koblenz, NJW-RR 1995, 486, 487 (15.12.1994). 393 BGH JZ 2008, 362 (15.10.2007). 394 Möglicherweise sind die Voraussetzungen eines Befreiungsanspruchs für den Auftragsbürgen in § 775 auch zu restriktiv, so etwa Stötter, MDR 1970, 547 f.
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werden, unabhängig davon, ob es sich um Gesamt-, Teil- oder Alleinschulden handelt. Bei einer Gesellschaft kommt in erster Linie die Auflösung der Gesellschaft in Frage. Hier bedarf es eines Ausgleichs hinsichtlich aller noch nicht erfüllter Verbindlichkeiten, sofern Innen- und Außenhaftung nicht übereinstimmen. Schon das römische und Gemeine Recht sahen daher bei Beendigung der Gesellschaft Ansprüche der Gesellschafter untereinander auf Sicherheitsleistung wegen noch nicht fälliger „Gesellschafts“-Schulden vor395. Moderne Kodifikationen regeln das Problem im Rahmen der Auseinandersetzung bzw. Liquidation. Danach sind aus dem Gesellschaftsvermögen zunächst die gemeinschaftlichen Schulden zu berichtigen und für noch nicht fällige Schulden die entsprechenden Beträge zurückzubehalten396. Reicht das Gesellschaftsvermögen nicht aus, besteht eine Nachschusspflicht. Unter die zunächst zu berichtigenden Schulden i.S.d. § 733 I BGB fallen nicht nur die Gesellschaftsschulden, für die alle Gesellschafter gesamtschuldnerisch haften, sondern auch Teilschulden, weil, so der Gesetzgeber zu Recht, auch bei Teilschulden Innen- und Außenhaftung auseinanderfallen können397. Bei Ausscheiden eines Gesellschafters sieht § 738 I 2 BGB einen gesetzlichen Befreiungsanspruch für gemeinschaftliche Schulden vor398. Auch dies ist ein Indiz dafür, dass das Gesamtschuldverhältnis als solches zumindest nach Ansicht des Gesetzgebers noch keine Befreiungsansprüche eröffnet. Der Anspruch aus § 738 besteht auch bei Handelsgesellschaften und richtet sich bei einer Außengesellschaft399 grundsätzlich gegen die Gesellschaft. Rechtsprechung und Lehre wenden § 738 I 2 auch dann an, wenn ein Gesellschafter aus einer Zweipersonengesellschaft ausscheidet und der andere das Geschäft übernimmt; in diesem Fall richtet sich der Befreiungsanspruch gegen den übernehmenden Gesellschafter400. Der Vorschrift liegt ein allgemeiner Gedanke zugrunde. Wer aufgrund eines be395
Paulus D.17,2,27–28; Sintenis, Civilrecht, § 121 III Nr. 5 (S. 716); ObTr Stuttgart, SeuffA 9 Nr. 30 (24.3.1855). 396 ADHGB Art. 141 II; HGB § 155 II 2; BGB § 733 I. 397 Jakobs/Schubert, SR III, 335. Diese Erwägung spricht dafür, die Bestimmung auch auf Alleinschulden eines Gesellschafters, die er für die Gesellschaft einging, anzuwenden, so MüKo/Ulmer, § 733 Rz 6; Staud/Habermeier, § 733 Rz 5; Soergel/Hadding/Kießling, § 733 Rz 5; wohl auch BGH WM 1974, 749 (1.4.1974). Folgt man dieser Ansicht nicht, handelt es sich beim Befreiungsanspruch des Alleinhaftenden um eine gewöhnliche Sozialverbindlichkeit, für welche die Durchsetzungssperre gilt, so dass sie erst in der abschließenden Schlussabrechnung zum Tragen kommt. 398 Ein historisches Vorbild findet sich in ALR I 17, §§ 302, 303 i.V.m. § 149. 399 Nach MüKo/Ulmer, § 738 Rz 10, soll es bei Innengesellschaften keinen Befreiungsanspruch geben, da es am gesellschaftlichen Außenhandeln fehlt. Aber aus einer gesamtschuldnerischen Verpflichtung mehrerer kann nicht notwendig auf eine Außengesellschaft geschlossen werden. Verpflichten sich Innengesellschafter gesamtschuldnerisch, dann besteht bei Beendigung der Gesellschaft ein Bedürfnis für einen anteiligen Befreiungsanspruch; ebenso i.E. BGHZ 47, 157, 164 (22.2.1967, hierzu unten in diesem Abschnitt). 400 BGH NJW 1974, 899 (14.2.1974); BGH WM 1993, 1668 (17.6.1993); BGH NJW 1999, 2438 (3.5.1999); MüKo/Ulmer, § 738 Rz 11; Soergel/Hadding/Kießling, § 738 Rz 2; Staud/Habermeier, § 738 Rz 5; Ebenroth/Boujong/Lorz, HGB, § 131 Rz 55.
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stimmten Kausalverhältnisses eine Verbindlichkeit übernimmt, für die er intern nicht (allein) haften soll, kann eine „Rückabwicklung“ in Form eines (anteiligen) Befreiungsanspruchs geltend machen, wenn das Kausalverhältnis endet. Daher wird § 738 I 2 auch in anderen Bereichen analog angewendet. Bürgen Gesellschafter einer GmbH für eine Gesellschaftsverbindlichkeit, dann soll ein Gesellschafter Befreiung verlangen können, wenn er seinen Gesellschaftsanteil durch Einziehung oder Übertragung verliert401. Nach einem Urteil des OLG Hamburg besteht der Befreiungsanspruch im Fall der Einziehung nicht nur gegen die GmbH, sondern auch anteilig gegen die mitbürgenden Mitgesellschafter402. Hierfür berief sich das Gericht auf die anerkannte Regel, dass bei Gesellschaftern, die sich für eine Schuld der Gesellschaft verbürgen, die Höhe der internen Anteile sich im Zweifel nach der Höhe der Gesellschaftsanteile richtet403. Allein auf diese Regel kann der Befreiungsanspruch allerdings nicht gestützt werden. Richtig ist zwar, dass der „ausgeschiedene“ Gesellschafter im Innenverhältnis nun nicht mehr haften soll404. Daraus ergibt sich ein möglicher Regressanspruch auf das Ganze, falls er in Anspruch genommen wird, nicht aber ohne weiteres ein Befreiungsanspruch. Ansonsten hätten alle Gesellschafter schon vor der Einziehung des Gesellschaftsanteils einen anteiligen Befreiungsanspruch gehabt, weil sie intern nur anteilig haften. Davon war im Urteil aber keine Rede. Tatsächlich führte die Einziehung des Gesellschaftsanteils ebenso wie das Ausscheiden bei einer Personengesellschaft gleich zu zwei Konsequenzen: Zum einen konnte sie zu einer Änderung der internen Haftungsquote führen. Zum anderen fiel durch das Ausscheiden die Grundlage weg, auf welcher der Gesellschafter gehalten war, im Außenverhältnis für mehr als seinen internen Anteil zu haften. In einer 1967 ergangenen Entscheidung wendete der BGH § 738 I 2 analog auf einen Ausgleich unter Ehegatten nach einer Scheidung an405. Das Paar hatte gemeinsam eine im Namen des Mannes geführte Gaststätte betrieben und hierfür gesamtschuldnerisch ein Darlehen aufgenommen, das die Ehefrau durch eine Grundschuld auf ihrem Grundstück absicherte. Nach der Scheidung führte der Mann die Gaststätte allein weiter. Der BGH zog die Regeln über Innengesellschaften heran und gewährte der Ehefrau aus § 738 I 2 einen (anteiligen) Befreiungsanspruch. Daneben berief sich das Gericht auch auf das Gesamtschuldverhältnis, das schon vor Leistung an den Gläubiger einen Befreiungsanspruch eröffne406. Diese Begründung war problematisch, weil (abgesehen davon, dass es 401
OLG Hamburg, ZIP 1984, 707 (3.2.1984); OLG Köln, NJW-RR 1995, 549 (13.7.1994); ähnlich schon BGH WM 1974, 214, 215 (16.1.1974); vgl. auch BGH WM 1989, 406, 407 (19.12.1988); LG Stuttgart, BB 1999, 2474 = NJW-RR 2000, 623 (2.3.1999); Staud/Horn, § 775 Rz 3; MüKo/Habersack, § 774 Rz 24, § 775 Rz 4; Staud/Noack, § 426 Rz 198. 402 OLG Hamburg, ZIP 1984, 707. 403 Oben, 289. 404 So auch BGH WM 1975, 100, 101 (11.7.1973). 405 BGHZ 47, 157 (22.2.1967). 406 BGHZ 47, 157, 164 ff.
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auch um die Befreiung hinsichtlich der Grundschuld ging) das Gesamtschuldverhältnis keine Auskunft darüber gibt, ab wann die Ehefrau Befreiung verlangen kann. Im Übrigen hätte die Ehefrau auch dann einen Befreiungsanspruch gehabt, wenn sie allein das für den Betrieb genutzte Darlehen aufgenommen hätte. Tatsächlich war der Befreiungsanspruch im Fall zum einen durch die Beendigung des Innenverhältnisses begründet, zum anderen möglicherweise auch durch eine unmittelbar drohende Inanspruchnahme, weil zumindest nach Aussage der Ehefrau die Zwangsversteigerung ihres Grundstücks drohte. In anderen Fällen mit vergleichbarem Sachverhalt arbeitet der BGH nicht mit § 738 (weil die Vermögensbeziehungen unter Ehegatten im Regelfall nicht nach gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen sind), sondern wendet Auftragsrecht an. In einem 1954 entschiedenen Fall407 hatte die Ehefrau auf Bitten des Ehemanns zur Sicherung von ihn betreffenden Geschäftskrediten eine Hypothek auf ihrem Grundstück bestellt. Nach der Trennung des Ehepaars verlangte sie vom Ehemann Befreiung von der Haftung. Aus dem zugrunde liegenden Auftragsverhältnis, so der BGH, sei die Ehefrau gehalten, das Grundstück zur Kreditsicherung zur Verfügung zu stellen. Grundsätzlich könne sie daher weder Aufwendungsersatz aus § 670 verlangen noch den Auftrag nach § 671 I kündigen. Nachdem sich das Ehepaar hier aber getrennt hatte, habe die Ehefrau das Auftragsverhältnis zulässig aus wichtigem Grund (§ 671 III) gekündigt und sich damit von ihren Verpflichtungen gelöst. Daher könne sie nun unbeschränkt den Anspruch aus § 670 geltend machen und sofortige Befreiung von der dinglichen Haftung verlangen408. Mit anderen Worten: Ein Befreiungsanspruch entstand nicht schon mit dem Auftragsverhältnis selbst aus §§ 670, 257, weil die Übernahme der dinglichen Haftung gerade Gegenstand des Auftrags war. Auch der Umstand, dass beide Eheleute, ähnlich wie Gesamtschuldner, für dieselbe Leistung hafteten (einmal dinglich und einmal persönlich) und der Ehemann im Innenverhältnis allein verpflichtet war, konnte nach Ansicht des Gerichts keinen Befreiungsanspruch begründen. Dieser entstand erst mit der berechtigten Kündigung des Auftrags, also mit dem Ende der zugrunde liegenden Kausalbeziehung. In ähnlicher Weise soll auch derjenige, der aufgrund eines Auftragsverhältnisses eine Grundschuld an seinem Grundstück einem anderen als Kreditsicherung zur Verfügung stellt, gegen diesen einen Anspruch auf Befreiung von der dinglichen Haftung haben, wenn er das Auftragsverhältnis zulässig gekündigt hat409. Dieselben Grundsätze wendet die Rechtsprechung an, wenn Eheleute gesamtschuldnerisch einen Kredit aufnehmen, der nur einem von ihnen zugutekommt, etwa wenn die Ehefrau die Mithaftung für geschäftliche Schulden des Ehemanns 407
BGH MDR 1955, 283 (17.12.1954). BGH MDR 1955, 283, 285. 409 BGH WM 1960, 373 (10.12.1959). Ebenso hat der Auftragsbürge, der im Innenverhältnis nur befristet bürgt, nach Fristablauf einen Befreiungsanspruch, OLG Karlsruhe, WM 1970, 647 (27.1.1970); zum Befreiungsanspruch des Auftragsbürgen nach Kündigung des Auftrags Stötter, MDR 1970, 548. 408
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
übernimmt410 oder mit der Kreditsumme der Erwerb einer Immobilie nur durch die Ehefrau finanziert wird411. Im Innenverhältnis wird Auftragsrecht angewendet. Der Befreiungsanspruch des beauftragten Ehegatten in Form des Aufwendungsersatzanspruchs wird während der Dauer des Auftragsverhältnisses ausgeschlossen. Das Scheitern der Ehe berechtigt den beauftragten Gatten dann zur Kündigung aus wichtigem Grund, die wiederum einen Befreiungsanspruch gegen den anderen Ehegatten als Auftraggeber hervorruft412. Nicht das Gesamtschuldverhältnis begründet also den Befreiungsanspruch, sondern das Innenverhältnis. Die solidarische Haftung als solche reicht nicht: Solange das Auftragsverhältnis besteht, ist trotz der Gesamtschuld ein Befreiungsanspruch grundsätzlich nicht gegeben. (5) Sechs Entscheidungen des BGH Beruht eine Gesamtschuld auf dem übereinstimmenden Willen der Schuldner, gemeinsam eine gesamtschuldnerische Verbindlichkeit einzugehen, dann besteht ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis unter den Schuldnern, das gewöhnlich ein Auftrags- oder Gesellschaftsverhältnis ist. Das Innenverhältnis bestimmt, ob und wann Befreiungsansprüche gegeben sind413. Unter diesem Blickwinkel lohnt sich ein Blick auf diejenigen Fälle vertraglicher Gesamtschulden, in denen der BGH einen Befreiungsanspruch direkt auf das Gesamtschuldverhältnis gestützt hat. In sämtlichen Fällen hatten die Parteien die gesamtschuldnerische Haftung in gegenseitiger Abstimmung übernommen. Die Urteile zeigen, dass ein pauschales Abstellen auf einen Befreiungsanspruch aus dem Gesamtschuldverhältnis entweder für das Entscheidungsergebnis gar nicht gebraucht wurde oder im Fall zu falschen Überlegungen und Ergebnissen führte. aa) BGHZ 23, 361 Im ersten Fall hatten sich die Parteien gemeinschaftlich für einen Dritten verbürgt. Der Kläger verlangte nicht Befreiung, sondern wollte Regress nehmen. 410 So in BGH FamRZ 1972, 362 (28.2.1972); und in BGH NJW 1989, 1920 (5.4.1989). In beiden Fällen hatte die Ehefrau daneben auch Grundschulden bestellt, die ebenfalls Gegenstand des Befreiungsanspruchs waren. 411 So in OLG Stuttgart, NJW-RR 2004, 1087, 1089 (13.11.2003). Hier hatte die Ehefrau die mit der Kreditsumme finanzierte Immobilie an den Ehemann vermietet und dieses Mietverhältnis nach dem Scheitern der Ehe gekündigt und Räumung verlangt. Damit, so das OLG, habe sie das Auftragsverhältnis, das der Mithaftung des Ehemanns zugrunde lag, gekündigt, womit dem Ehemann ein Befreiungsanspruch in Höhe des noch nicht zurückgezahlten Darlehensbetrags zustehe. 412 Damit erklärt sich auch, warum Befreiungsansprüche oft bei getrennten Eheleuten gewährt werden, wie etwa in OLG Schleswig, MDR 1998, 1493 (7.5.1998); BayObLG, NJW-RR 1999, 590, 592 (11.1.1999); OLG München, FamRZ 2001, 224 (15.3.2000); OLG Köln, FamRZ 2003, 1664 (25.6.2003). Die Trennung bedeutet in der Regel das Ende des dem Gesamtschuldverhältnis zugrunde liegenden Kausalverhältnisses. 413 Im Ergebnis ebenso Kohler, Schuldrecht, § 53 II; von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 85; Selb, Mehrheiten, 94.
4. Die Mitwirkungspflicht
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Das Problem war, dass er nur eine Teilleistung an den Gläubiger erbracht hatte, deren Höhe unter seinem internen Anteil an der Gesamtforderung lag. Der BGH erwähnte hier den aus dem Gesamtschuldverhältnis folgenden Mitwirkungs- und Befreiungsanspruch nur deshalb, um festzustellen, dass aus diesem der Kläger nicht Leistung an sich selbst verlangen konnte, sondern höchstens Leistung an den Gläubiger. Statt dessen gab er dem Zahlungsanspruch des Klägers als gewöhnlichen Regressanspruch statt. Hierfür stellte er die heute im Mitbürgenrecht anerkannte Regel auf, dass ein Mitbürge ausnahmsweise schon bei Leistung unterhalb seines Anteils Regress nehmen kann, wenn ungewiss ist, ob der Gläubiger die Mitbürgen über diesen Anteil hinaus überhaupt in Anspruch nimmt414. Immerhin, so der BGH, könne der Hauptschuldner, auch wenn er im Verzug sei, die Zahlung wieder aufnehmen. Dem teilleistenden Mitbürgen sei nicht zuzumuten, mit seinem Regress zu warten, bis sicher ist, ob und in welcher Höhe der Gläubiger sich für den Rest an die Mitbürgen halte415. Der Anspruch des Gläubigers gegen die (offenbar selbstschuldnerisch haftenden) Mitbürgen war hier in voller Höhe fällig; nur die Inanspruchnahme war nicht sicher. Der Fall illustriert, dass ein mit Fälligkeit der Gläubigerforderung entstehender Befreiungsanspruch interessenwidrig sein kann: Wenn die Mitbürgen legitimerweise darauf hoffen dürfen, nicht weiter vom Gläubiger in Anspruch genommen zu werden und daher sich sofort untereinander ausgleichen können, sollte ein Mitbürge nicht vom anderen verlangen können, einen vom Gläubiger noch gar nicht angeforderten Teilbetrag an den Gläubiger zu zahlen. Die entgegengesetzte Ansicht findet sich in einer Urteilsanmerkung Blomeyers: Der BGH habe falsch entschieden. Ein Mitbürge, der weniger als seinen Anteil an der Gesamtforderung geleistet habe, könne keinen Regress nehmen. Statt dessen könne er von den anderen Mitbürgen verlangen, dass diese ihren Innenanteil an den Gläubiger leisten. Da die Forderung fällig sei, gebe es keine Unsicherheit. Der Mitbürge habe ein berechtigtes Interesse an der Geltendmachung des Befreiungsanspruchs, weil er damit verhindern könne, vom Gläubiger zukünftig über seinen Innenanteil hinaus in Anspruch genommen und damit zur Vorleistung gezwungen zu werden416. Mit solchen Befreiungsansprüchen ist den Parteien aber weniger gedient als mit dem vom BGH zugelassenen vorläufigen Regress. Der Regress ermöglicht es dem teilleistenden Mitbürgen, sofort einen Anteil seiner Ausgaben wieder hereinzuholen. Hat er dagegen nur einen Befreiungsanspruch, bleibt er endgültig auf seinen Ausgaben sitzen. Dafür ist er davor geschützt, im (nicht sicheren!) Fall der weiteren Inanspruchnahme für seine Mitbürgen vorleisten zu müssen. Die Ver-
414 Hierzu Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rz 389 ff.; MüKo/Habersack, § 774 Rz 26; Staud/Horn, § 774 Rz 47; Staud/Noack, § 426 Rz 25; Soergel/Wolf, § 426 Rz 37; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 53; Erman/Ehmann, § 426 Rz 21; HKK/Meier, §§ 420–432 I Rz 147. Zum preußischen Vorläufer dieser Regel siehe ROHGE 24, 99 (14.10.1878). 415 BGHZ 23, 361, 363 f. (21.2.1957). 416 A. Blomeyer, JZ 1957, 443.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
meidung des Risikos, dass ein Bürge mehr als seinen Innenanteil leisten muss, wird dadurch erkauft, dass jeder Mitbürge auch ohne Inanspruchnahme durch den Gläubiger seinen Anteil zahlt und damit auf die Chance verzichtet, vielleicht überhaupt nicht in Anspruch genommen zu werden. Um jede Gefahr der Ungerechtigkeit zu vermeiden, müssen alle Mitbürgen Nachteile auf sich nehmen. Dies erscheint übertrieben. Es ist nicht die Aufgabe von Mitschuldnern, sich gegenseitig zur Leistung an den Gläubiger zu zwingen. Zwar muss ein Mitschuldner davor geschützt werden, bei Leistung an den Gläubiger seinen Regress wegen Insolvenz der Mitschuldner nicht durchsetzen zu können. Hierfür reichen aber, wie beim Bürgen im Verhältnis zum Hauptschuldner, Befreiungsansprüche, die bei Vermögensverschlechterung der Mitbürgen oder bei Inanspruchnahme durch den Gläubiger geltend gemacht werden können. Tatsächlich ist es schwer einsehbar, warum ein Bürge bei Fälligkeit der Gläubigerforderung seine Mitbürgen zur Befriedigung zwingen kann, den eigentlich zuständigen Hauptschuldner dagegen nur unter den Voraussetzungen des § 775. bb) BGH NJW 1981, 1666 Im zweiten Fall zog der BGH konkrete Folgen aus der Annahme eines Befreiungsanspruchs, nämlich ein Zurückbehaltungsrecht. Für ein Darlehen an eine GmbH hatten die Gesellschafter S1 und S2 die persönliche Haftung übernommen417. Der Gläubiger G forderte die Gesellschafter zur Zahlung auf. S1 klagte gegen S2 aus einer anderen Forderung, die mit dem Gesellschaftsverhältnis in Zusammenhang stand (im folgenden: Drittforderung). S2 machte ein Zurückbehaltungsrecht aus § 426 I geltend, nach Ansicht des BGH zu Recht: Wegen der Fälligkeit der Gläubigerforderung stehe S2 ein Befreiungsanspruch zu, der ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 begründen könne. Der BGH verwies den Fall zur näheren Aufklärung an die untere Instanz zurück, die zudem zu berücksichtigen hatte, dass auch S1 einen Befreiungsanspruch gegen S2 hatte418. Wie der Fall dann angesichts der Tatsache, dass auch ein Befreiungsanspruch des S1 in Frage kam, endgültig entschieden wurde, ist nicht bekannt. Folgt man der Annahme von Befreiungsansprüchen aus dem Gesamtschuldverhältnis, dann gab es zwischen den Parteien drei Ansprüche: die Drittforderung des S1 gegen S2 und zwei Befreiungsansprüche. Nach wohl herrschender Lehre gibt es gegen die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts kein weiteres Zurückbehaltungsrecht, d.h. S1 könnte gegen das Zurückbehaltungsrecht von S2 nicht seine (zweite) Forderung aus § 426 I entgegensetzen419. Im Ergebnis kann S1 dann seine Drittforderung nicht durchsetzen, ohne seinen Anteil an der Gläubigerforderung geleistet zu haben, womit er für S2 in Vorlage treten muss. Nimmt man an, die Gläubigerforderung betrage 100, wovon S1 und S2 je 50 tragen sollten, und die 417 418 419
Im Fall waren es drei Gesellschafter; der dritte war wahrscheinlich insolvent, § 426 I 2. BGH NJW 1981, 1666, 1667 f. (5.3.1981). Staud/Bittner, § 273 Rz 36; MüKo/Krüger, § 273 Rz 81.
4. Die Mitwirkungspflicht
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Drittforderung betrage 50, dann kann S1 von S2 nur dann 50 erhalten, wenn er zuvor 50 an G geleistet hat, womit er das Insolvenzrisiko von S2 trägt, weil G S1 auch für die restlichen 50 in Anspruch nehmen und S2 inzwischen insolvent sein kann. Ohne Drittforderung könnten S1 und S2 ihre gegenseitigen Befreiungsansprüche nicht durchsetzen, weil jeder die Einrede aus § 273 hat. Damit kann keiner gezwungen werden, in Erfüllung eines Befreiungsanspruchs in Höhe seines Anteils vorzuleisten. Hier dagegen kann S1 seine Drittforderung nur dann durchsetzen, wenn er innerhalb des Gesamtschuldverhältnisses vorleistet. Sachgerechter erschiene es, einen Befreiungsanspruch überhaupt nur dann zu gewähren, wenn der Befreiungsgläubiger schon seinen internen Anteil an den Gläubiger geleistet hat420. Doch selbst wenn man diesen Aspekt beiseitelässt und annimmt, dass für die Befriedigung der Gläubigerforderung intern allein S1 zuständig war (etwa weil es so vereinbart wurde oder weil S2 schon eine Leistung an den Gläubiger erbracht hatte, die seinem internen Anteil entsprach), ist ein Zurückbehaltungsrecht des S2 keinesfalls selbstverständlich. Zwar wäre S2, wenn er die Forderung von S1 befriedigen müsste, der Gefahr ausgesetzt, bei Inanspruchnahme durch G für S1 vorleisten zu müssen und seinen Regress vielleicht nicht durchsetzen zu können. Vor dieser Gefahr könnte ihn ein Zurückbehaltungsrecht schützen. Doch bedingte und zukünftige Forderungen können ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 anerkanntermaßen nicht begründen421; die möglicherweise entstehende Regressforderung musste also außer Acht bleiben. Es blieb nur der Befreiungsanspruch, der schon mit Fälligkeit der Gläubigerforderung fällig sein sollte. Dann fragt es sich aber, warum der Gesamtschuldner gegenüber dem Bürgen soweit privilegiert sein soll, dass sein Befreiungsanspruch schon mit Fälligkeit der Gläubigerforderung entsteht und nicht erst unter den Voraussetzungen des § 775. Immerhin muss man sich vor Augen halten, dass S2, wenn er Auftragsbürge für S1 gewesen wäre, gegenüber einem Zahlungsanspruch von S1 wegen einer anderen Forderung kein Zurückbehaltungsrecht gehabt hätte. Sein Befreiungsanspruch aus § 775 wäre noch nicht entstanden, obwohl er der Gefahr ausgesetzt wäre, später vom Gläubiger in Anspruch genommen zu werden. Für diese Diskrepanz lassen sich überzeugende Gründe nicht finden. Hält man an der Wertung fest, dass zukünftige Ansprüche kein Zurückbehaltungsrecht begründen können und dass beim Auftragsbürgen nicht sofort ein Befreiungsanspruch entsteht, auch wenn der Bürge intern nicht zuständig ist, dann kann auch dem Gesamtschuldner kein Zurückbehaltungsrecht gewährt werden. cc) BGH NJW 1986, 978 In einem 1985 entschiedenen Fall erwarben S1 und S2, die miteinander befreundet waren, je zur Hälfte ein Erbbaurecht an einem Grundstück, um dort ge420 421
So OLG Hamburg, HansGZ 1928 B, 169 (26.10.1927); anders aber die h.L.; vgl. unten, 637. MüKo/Krüger, § 273 Rz 30, 32; Staud/Bittner, § 273 Rz 25.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
meinsam ein Haus zu bauen422. S1 finanzierte seinen Erwerb durch ein von G gewährtes Darlehen, zu dessen Sicherung S2 ebenfalls die persönliche Haftung übernahm und eine Grundschuld an seinem Erbbaurechtsanteil bestellte. Nachdem S1 mit der Rückzahlung in Verzug kam, kündigte G das Darlehen und forderte S2 unter Androhung der Zwangsversteigerung zur Zahlung auf. Dann zahlte S1 die Rückstände, woraufhin G den Kredit wieder fortsetzte. S2 war die Lage nun offenbar zu unsicher: Er verlangte von S1 die Freistellung von seiner Haftung. Der BGH steuerte direkt auf § 426 I zu und ging von der Regel aus, dass ein Gesamtschuldner bei Fälligkeit der Gläubigerforderung einen Befreiungsanspruch gegen seinen Mitschuldner habe. Da unstreitig intern S1 allein die Schuld zu tragen hatte, würde sich der Befreiungsanspruch hier auf das Ganze richten. Die Frage war also, ob die Gläubigerforderung fällig war. Eine einheitliche Gläubigerforderung gab es aber nicht: Da das Gesamtschuldverhältnis aus heutiger Sicht aus mehreren Forderungen besteht, konnte die Fälligkeitsfrage bei G’s Forderung gegen S1 anders beantwortet werden als bei seiner Forderung gegen S2. Offenbar ging der BGH davon aus, dass beide Forderungen fällig sein mussten. Gegenüber S1 hatte G das Kreditverhältnis berechtigt gekündigt und die gesamte Darlehensforderung fällig gestellt. Weil G ein entsprechendes Schreiben auch an S2 gerichtet hatte, hielt es der BGH für selbstverständlich, dass auch die Forderung gegen S2 fällig war. Doch angesichts § 425 war dies keinesfalls selbstverständlich. Immerhin hatte S2 nicht gebürgt, sondern die gesamtschuldnerische Mithaftung übernommen, die grundsätzlich nicht akzessorisch ist. Ob dann der Verzug durch S1 auch gegenüber S2 eine Darlehenskündigung rechtfertigte, hätte näher geprüft werden müssen. Mit dem Ergebnis der Fälligkeit beider Forderungen war die Prüfung aber noch nicht beendet, denn nun stellte sich die Frage, ob sich dadurch etwas änderte, dass S1 den Rückstand gezahlt und G den Kredit wieder fortgesetzt hatte. Das Berufungsgericht hatte die Frage verneint: Ein einmal entstandener Befreiungsanspruch könne nicht nachträglich durch Abreden zwischen Gläubiger und Befreiungsschuldner wieder entfallen. Der BGH war anderer Ansicht: Da der Rückstand gezahlt und die restliche Darlehenssumme wegen der Fortsetzung des Kredits nicht mehr fällig war, seien die Tatbestandsvoraussetzungen des Freistellungsanspruchs inzwischen wieder entfallen. Richtig sei zwar, dass der Befreiungsanspruch des Bürgen aus § 775 I Nr. 3 wegen Verzug des Hauptschuldners nicht durch nachträgliche Stundungsvereinbarungen zwischen Gläubiger und Hauptschuldner wieder beseitigt werden könne. Ob diese Vorschrift hier entsprechend anzuwenden sei, könne indes offen bleiben. Denn S1 habe sich nur hinsichtlich der Rückstände in Verzug befunden. Für diese könne aber kein Befreiungsanspruch mehr bestehen, weil S1 die Forderung erfüllt habe. Hinsichtlich des Rests aber habe kein Verzug vorgelegen.
422
BGH NJW 1986, 978 (7.11.1985). S1 und S2 waren zwei befreundete Ehepaare.
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Im Endergebnis gelangte der BGH dennoch zu einem Befreiungsanspruch, und zwar aus dem zugrunde liegenden Kausalverhältnis, das der BGH als Gefälligkeitsverhältnis bewertete. Der Verzug von S1, die allgemeine Unsicherheit, ob S1 seinen Verpflichtungen zukünftig nachkommen werde und die Gefahr der Zwangsversteigerung und persönlichen Inanspruchnahme in erheblicher Höhe hätten S2 dazu berechtigt, das Gefälligkeitsverhältnis aus wichtigem Grund zu kündigen. Mit der Kündigung stehe S2 ein Befreiungsanspruch zu. Im Ergebnis war es also nicht das Gesamtschuldverhältnis selbst, das den Befreiungsanspruch begründete. Das leuchtet auch ein. S2 hatte die Verbindlichkeit auf Bitten von S1 mitübernommen, unabhängig davon, ob man das zugrunde liegende Kausalverhältnis als Auftrag i.S.d. § 662 oder als Gefälligkeitsverhältnis bezeichnet. In jedem Fall war die Übernahme der Verbindlichkeit gerade der Gegenstand der schuldrechtlichen Abrede. Hieraus folgt, dass ein Befreiungsanspruch nur dann entsteht, wenn entweder das Kausalverhältnis endet oder nach dem Gedanken des § 775 sich das Risiko für den Haftenden, etwa bei unmittelbar drohender Inanspruchnahme, nachträglich erhöht. Die sachliche Frage war hier, ob eine solche Risikoerhöhung schon dann besteht, wenn der intern verpflichtete Schuldner mit einer Teilleistung in Verzug kommt, diese dann erbringt, aber den Rest noch nicht geleistet hat. Diese Frage stellt sich beim Bürgen und beim Schuldmitübernehmer gleichermaßen. Bejaht man diese Frage, kann man den Befreiungsanspruch entweder mit einer erweiterten Anwendung des § 775 begründen oder mit einer Kündigung des Kausalverhältnisses aus wichtigem Grund. Insofern ist es wenig verständlich, warum der BGH nicht von vornherein mit einer analogen Anwendung des § 775 auf die Schuldmitübernahme arbeitete, weil gerade diese Vorschrift das hier vorliegende Problem zum Gegenstand hat, über das § 426 hingegen nichts aussagt. dd) BGH NJW 1986, 3131 Für ein einer GmbH gewährtes Darlehen hatten sich in gegenseitiger Abstimmung die Gesellschafter G1 und G2 sowie der Kreditvermittler K verbürgt. G2 war insolvent. Der Gläubiger nahm für die Rückzahlung G1 in Anspruch, ließ sich eine Grundschuld auf dessen Grundstück einräumen und drohte mit der Zwangsversteigerung. Daraufhin verlangte G1 von K anteilige Freistellung. Nach Ansicht des BGH hatte G1, sofern G1 und K tatsächlich Mitbürgen waren und K’s Innenanteil nicht Null war, aus § 426 I 1 einen anteiligen Befreiungsanspruch. Dies erscheint im Ergebnis richtig. G1 berief sich nicht allein auf die Tatsache, dass die Forderung des Gläubigers fällig war. Vielmehr drohte ihm unmittelbar die Vollstreckung. Die Tatsache, dass der Gläubiger eine Grundschuld hatte, aus der er unmittelbar vollstrecken konnte, rechtfertigte, ähnlich wie das vollstreckbare Urteil in § 775 I Nr. 4, den Befreiungsanspruch. In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass der Neunte Senat in diesem Urteil nicht mehr von einem Befreiungsanspruch sprach, der mit Fälligkeit der Gläubigerforderung fällig sein sollte, sondern den Befreiungsanspruch davon abhängig machte, dass
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der Mitschuldner vom Gläubiger wegen der fälligen Forderung auch in Anspruch genommen wird423. Dieselbe Formulierung verwendete der Senat auch in dem unten besprochenen fünften Fall424. Zwar handelt es sich insofern noch um eine ungenaue Formulierung, als die notwendige Abstimmung mit dem Tatbestand des § 775 ausbleibt. Dennoch zeigt sie, dass der Befreiungsanspruch nicht schon auf der Haftung mehrerer beruht, sondern auf dem unmittelbar drohenden Sonderopfer, das einer der Schuldner erbringen muss, wozu er aber im Innenverhältnis nicht (in voller Höhe) verpflichtet ist. Nicht in der Formulierung, aber im Ergebnis stimmt hiermit auch eine im selben Jahr ergangene Entscheidung des LG Flensburg überein425. Auch hier hatten Gesellschafter für ein Darlehen gebürgt. Das Gericht gab der anteiligen Befreiungsklage eines Gesellschafters statt426, wobei es sich auf das Gesamtschuldverhältnis und die Fälligkeit der Gläubigerforderung berief. Tatsächlich aber hatte hier der Gläubiger gegen den klagenden Gesellschafter schon ein Urteil erwirkt, was angesichts § 775 I Nr. 4 den Befreiungsanspruch rechtfertigte. Der im Ausgangsfall zu Recht gewährte Befreiungsanspruch findet seine Grundlage im rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis unter den Mitbürgen, welche die Bürgschaft in gegenseitiger Abstimmung übernahmen. Auch wenn man die gemeinsame Bürgschaft allein nicht als gemeinsamen Zweck i.S.d. § 705 anerkennt und daher eine Innengesellschaft verneint, besteht eine rechtsgeschäftliche Übereinkunft, die bestimmt, wer wieviel im Innenverhältnis tragen muss. Voraussetzung eines Rückgriffs- oder Befreiungsanspruchs war eine Verpflichtung des K im Innenverhältnis, einen bestimmten Anteil zu tragen. Die gesamtschuldnerische Stellung im Außenverhältnis ist, soweit ein Innenverhältnis vorliegt, sekundär427. Dies zeigt sich gerade an dem Problem, das den BGH in diesem Fall hauptsächlich beschäftigte. Gegen die Klage von G1 hatte K eingewandt, kein Mitbürge zu sein, weil er mit dem Gläubiger nur eine Ausfallbürgschaft vereinbart habe. Tatsächlich hatte die Bank K mündlich zugesagt, dass er zuletzt in Anspruch genommen werden sollte. Der BGH prüfte sehr sorgfältig, wie die Abrede zwischen K und der Bank auszulegen war, ob es sich um ein unverbindliches gentlemen’s agreement (wie das Berufungsgericht angenommen hatte) oder um eine echte Ausfallbürgschaft handelte. Im Ergebnis verwies das Gericht den Fall zur näheren Prüfung zurück, hielt aber eine modifizierte Ausfallbürgschaft für wahrscheinlich. In diesem Fall sei K nicht Mitbürge geworden und sei daher auch keinen Ansprüchen aus § 426 ausgesetzt. Möglich sei aber, dass K sich gegenüber G1 und G2 verpflichtet habe, als gleichrangiger Mitbürge zu haften; dann könne 423
BGH NJW 1986, 3131, 3132 (15.5.1986). BGH NJW 1987, 374, 376 (23.10.1986). Siehe auch Schlechtriem/Schmidt-Kessel, SR AT, Rz 851. 425 LG Flensburg, NJW-RR 1987, 440 (13.8.1986). 426 Das Urteil ist insofern interessant, als es eine Vollstreckung nach § 887 II ZPO in Form einer Vorschusszahlung an den Kläger ablehnte und nur auf eine Hinterlegung erkannte; hierzu oben, 337. 427 Ebenso Soergel/Pecher, § 769 Rz 8. 424
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er wegen Verletzung dieser Pflicht ausgleichspflichtig sein. Sollte K schließlich doch Mitbürge geworden sein, müsse geprüft werden, ob er im Innenverhältnis überhaupt haften sollte428. Angesichts dieser Erwägungen stellt sich die Frage, ob die Ausgleichs- bzw. Befreiungsansprüche der Mitbürgen trotz ihrer rechtsgeschäftlichen Verbundenheit wirklich davon abhängig sein sollten, welche Vereinbarung einer dieser Mitbürgen allein mit dem Gläubiger getroffen hat. Tatsächlich erscheint die Prüfung, welchen Inhalt die Vereinbarung zwischen K und der Bank hat, im Ergebnis überflüssig429. Weil es um den Innenausgleich ging, war in erster Linie die zwischen G1, G2 und K getroffene Vereinbarung auszulegen. Entweder sollte K, da er nur Kreditmittler und nicht Gesellschafter war, im Innenverhältnis nicht haften. Dann ist es ohne Belang, ob er mit der Bank eine Mit- oder Ausfallbürgschaft vereinbart hatte: Ein Befreiungsanspruch ist dann nicht entstanden. Oder es war eine anteilige Beteiligung K’s im Innenverhältnis vereinbart, wofür hier sprach, dass er eine hohe Provision aus der Kreditvermittlung bezogen hatte. In diesem Fall kann K seiner Ausgleichspflicht nicht dadurch entgehen, dass er im Außenverhältnis seine Haftung ausschließt. Die Vereinbarung betrifft nur den Zugriff der Bank. Dies wurde im Ergebnis auch vom BGH anerkannt, der hierfür auf einen Anspruch wegen Pflichtverletzung zurückgriff. Doch das Abstellen auf eine Pflichtverletzung erscheint gar nicht erforderlich. Wenn die Parteien vereinbart hatten, dass die Last der Bürgschaft von allen gleichmäßig getragen werden sollte, dann führt diese Vereinbarung zu einem Regressrecht aus dem Innenverhältnis, unabhängig davon, ob K eine Pflicht verletzt hat. Ebenso wie bei einem Gesellschaftsverhältnis kann das Innenverhältnis bei drohender Inanspruchnahme auch einen Befreiungsanspruch eröffnen. Liegt ein Innenverhältnis vor, besagt daher ein Abstellen auf das Außenverhältnis, also die Frage nach der gesamtschuldnerischen Haftung, über die gegenseitigen Ansprüche nichts aus. ee) BGH NJW 1987, 374 Hier hatte der Gläubiger G mit zwei Mitbürgen jeweils vereinbart, dass Leistungen eines Mitbürgen an G nicht in Erfüllung der Bürgenschuld erbracht werden, sondern nur als Sicherheitsleistung gelten sollten, solange G wegen seiner Forderung gegen den Hauptschuldner nicht vollständig befriedigt war. Hintergrund dieser Abrede ist die Konkurrenz zwischen der Restforderung des Gläubigers und dem Regressanspruch des Bürgen. Erbringt ein Bürge nur eine Teilleistung oder ist er Höchstbetragsbürge, geht es dem Gläubiger darum, seine Restforderung gegen den Hauptschuldner ungestört durchsetzen zu können. Mit der Klausel verhindert er sowohl einen teilweisen Forderungsübergang nach § 774 auf den leistenden Bürgen als auch eine Anmeldung eines eigenen Regressan428 429
BGH NJW 1986, 3132 ff. Ebenso Soergel/Pecher, § 769 Rz 8.
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spruchs durch den Bürgen in der Insolvenz des Hauptschuldners. Damit kann der Gläubiger hier nach wie vor seine gesamte Forderung anmelden430. Hier zahlte der Höchstbetragsbürge B1 den von ihm geschuldeten Betrag an G und verlangte dafür Ausgleich vom Mitbürgen B2. Nach Ansicht des BGH hatte B1 wegen der Klausel seine Bürgschaftsschuld nicht erfüllt, so dass ein Forderungsübergang nach §§ 774, 426 II ausschied. B1 habe aber aus dem Gesamtschuldverhältnis bei Inanspruchnahme durch G einen anteiligen Befreiungsanspruch gegen B2 gehabt, der sich durch die Zahlung des B1 an G in einen Anspruch auf Zahlung eines Betrags verwandelt habe, in dessen Höhe B2 B1 hätte freistellen müssen. Der Anspruch richte sich aber nur auf eine Sicherheitsleistung. Soweit G vom Hauptschuldner nichts erhalte und daher die Zahlung durch B1 endgültig vereinnahme, diene die Sicherheitsleistung zum endgültigen Ausgleich unter den Mitbürgen; anderenfalls habe B2 einen Rückforderungsanspruch431. Im Fall ging es also um einen Zahlungsanspruch, nicht um einen Anspruch auf Befreiung. Weil aber der Regress nach §§ 774, 426 die Erfüllung der Bürgschaftsforderung voraussetzt, nahm der BGH die Annahme eines schon vor Leistung an den Gläubiger bestehenden Befreiungsanspruchs zur Hilfe. Damit aber hat er es sich offenbar zu einfach gemacht. Das Problem der Konkurrenz zwischen Regress und Restbefriedigung des Gläubigers wird nicht beseitigt, indem statt eines Regressanspruchs ein Befreiungsanspruch angenommen wird. Dies zeigt sich zunächst im Verhältnis zum Hauptschuldner: Weil dieser im Verzug und insolvent war, wäre B1 vor Zahlung an G der Befreiungsanspruch aus § 775 zugestanden. In der Insolvenz des Hauptschuldners hätte B1 diesen Befreiungsanspruch aber selbstverständlich nicht neben der Forderung des Gläubigers geltend machen können. Der – hier durch die Abrede noch verstärkte – Vorrang des Gläubigers gilt auch gegenüber Befreiungsansprüchen. Auch im Verhältnis zum Mitbürgen kann die Frage nach der Regresshöhe nicht durch die Annahme von Befreiungsansprüchen unterlaufen werden. Der Satz, dass ein Gesamtschuldner oder Mitbürge einen Befreiungsanspruch gegen den anderen in Höhe des internen Anteils des anderen hat, der sich bei Zahlung an den Gläubiger in einen Zahlungsanspruch verwandelt, ist schlechthin unrichtig. Schulden B1 und B2 dem Gläubiger 100 zu intern gleichen Anteilen und zahlt B1 50 an den Gläubiger, dann kann er nicht bei B2 Regress in Höhe von 50 nehmen mit der Begründung, er habe gegenüber B2 einen Befreiungsanspruch in Höhe von 50 gehabt, der sich nun in einen Zahlungsanspruch verwandelt habe. Vielmehr hat B1 im Normalfall der Gesamtschuld gar keinen Regress; bei Mitbürgschaft kann er ausnahmsweise einen Regress in Höhe von 25 haben, wenn 430 § 43 InsO schützt den Gläubiger nur bei Teilzahlungen eines Bürgen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Näheres in RGZ 83, 401 (29.12.1913); BGHZ 92, 374, 378 ff. (30.10.1984); Tiedtke, JZ 1987, 493 f. (der die Klausel als AGB für unwirksam hält); Staud/Horn, § 774 Rz 28; MüKo/Habersack, § 774 Rz 13; HKK/Meier, §§ 420–432 I Rz 153. 431 BGH NJW 1987, 374, 376 (23.10.1986).
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ungewiss ist, ob der Gläubiger die Mitbürgen noch in Anspruch nehmen wird. Der Gesamtschuldregress ist kein verwandelter Befreiungsanspruch432. Vielmehr ist es umgekehrt: Ein Befreiungsanspruch setzt gewöhnlich voraus, dass der Befreiungsgläubiger, würde er selbst an den Drittgläubiger zahlen, vom Befreiungsschuldner Regress nehmen könnte. Der Befreiungsanspruch beruht sachlich auf dem zukünftigen Regress. Daher spricht viel dafür, einen Befreiungsanspruch im Gesamtschuldverhältnis überhaupt nur dann anzunehmen, wenn der Befreiung begehrende Gesamtschuldner, zahlte er an den Gläubiger, in dieser Höhe Regress nehmen könnte. Im vorliegenden Fall hätte B1 ohne die Sicherheitsleistungs-Klausel einen vollen Regressanspruch gegen B2 gehabt, wenn dieser nach dem Innenverhältnis zwischen den Mitbürgen die gesamte Last tragen sollte (was im Fall noch zu prüfen war)433. Demnach stellt sich die Frage, ob die Klausel etwas daran ändert. Im Verhältnis zum Hauptschuldner schloss sie zunächst einen Regress aus. Der Gläubiger wollte den Hauptschuldner allein in Anspruch nehmen, ohne den von B1 gezahlten Betrag von seiner Forderung abzuziehen. B1 konnte daher gegen den Hauptschuldner auch keinen in einen Zahlungsanspruch umgewandelten Befreiungsanspruch geltend machen. Die Frage war, ob dasselbe im Verhältnis zu B2 galt. Dies hängt von der Auslegung der Klauseln in den Bürgschaftsverträgen ab. Ging es G nur darum, ungestört seine Forderung gegen den Hauptschuldner geltend machen zu können und für den am Ende nicht vom Hauptschuldner erlangten Betrag die Bürgenzahlungen zu vereinnahmen, kann ein sofortiger vorläufiger Ausgleich in Form einer Sicherheitsleistung gerechtfertigt sein. Dies setzt aber voraus, dass G von den Mitbürgen insgesamt nur den Betrag der Hauptforderung verlangen will. B1 hätte B2 dann teilweise von seiner Pflicht, die Sicherheitsleistung an den Gläubiger zu erbringen, befreit. Ein Regress in Form einer Sicherheitsleistung des B2 an B1 rechtfertigt sich dann nicht aus einem verwandelten Befreiungsanspruch, sondern aus dem Innenverhältnis oder einer zumindest analogen Anwendung der §§ 422, 426 I. Der Wortlaut der Bürgschaftsverträge, nach dem unter anderem § 769 ausgeschlossen wurde, spricht aber eher für eine andere Auslegung, nämlich dass G auch bei der Inanspruchnahme der einzelnen Mitbürgen nicht durch die Geltendmachung von Regressansprüchen behindert sein wollte. Eine solche Gefahr bestand ohne die Klausel tatsächlich. Zwar galt zulasten des Regressanspruchs des B1 der Gläubigervorrang nach §§ 426 II 2, 774 I 2 (der auch bei Höchstbe432
Vgl. Gerhardt, Befreiungsanspruch, 34, der zu Recht betont, dass der Befreiungsanspruch sich aus einem zugrunde liegenden Aufwendungsersatzanspruch ergibt und nicht umgekehrt der Zahlungsanspruch ein „verwandelter“ Befreiungsanspruch ist. 433 B2 war zwar auch Höchstbetragsbürge; der Höchstbetrag lag aber offenbar über dem aktuellen Betrag der Hauptforderung. Wäre die Hauptforderung höher als der Höchstbetrag bei B2, käme auch ohne Klausel nach Gesamtschuldregeln kein voller Regress in Frage, da ein Höchstbetragsbürge keinen Regress schuldet, soweit er Gefahr läuft, bei späterer Inanspruchnahme durch den Gläubiger insgesamt über den Höchstbetrag hinaus leisten zu müssen, stellvertretend Reinicke/Tiedtke, JZ 1983, 896, 898; Tiedtke, JZ 1987, 493; vgl. unten, 1060.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
tragsbürgen, die den von ihnen geschuldeten Betrag vollständig leisten, für anwendbar gehalten wird434). Dieser betrifft aber nur die Verwertung von Sicherheiten in der Einzelzwangsvollstreckung. In einer Insolvenz von B2 wäre B1 ohne Klausel nicht daran gehindert, seine Regressforderung anzumelden, während G nur die geminderte Forderung anmelden kann435. Wenn die Klausel G auch vor dieser Gefahr schützen sollte, dann bedeutet dies, dass G nach wie vor die volle Forderung gegen B2 geltend machen kann. Hier hatte G gegen B2 auch schon ein Urteil in dieser Höhe erwirkt. Spätestens wenn G gegenüber B2 wegen der Gesamtforderung vollstreckt, müsste B2 zumindest nach Gesamtschuldregeln die Sicherheitsleistung von B1 zurückverlangen können, weil er nicht zweimal leisten muss436. Zwar läuft auch ein Hauptschuldner Gefahr, bei Geltendmachung eines Befreiungsanspruchs durch den Bürgen doppelt in Anspruch genommen zu werden. Doch der Anspruch des Bürgen richtet sich auf Befreiung, womit der Hauptschuldner zugleich sich selbst befreien kann. Hier aber konnte B1 B2 durch Zahlung an G nicht befreien. Das zugrunde liegende Problem ist, dass die Sicherheitsleistungen der Mitbürgen bei dieser Auslegung nicht solidarisch, sondern bis zur endgültigen Klärung kumuliert geschuldet werden. Geht man davon aus, dass B2 nicht doppelt leisten muss, dann käme ein Anspruch des B1 auf Sicherheitsleistung überhaupt nur bis zu dem Zeitpunkt in Frage, in dem G bei B2 vollstreckt. Eine mögliche Rechtfertigung wäre eine Parallele zum Mitbürgenregress bei einer Teilleistung unterhalb des internen Anteils437. Wenn unsicher ist, ob der Gläubiger die Mitbürgen noch weiter in Anspruch nimmt, kann der regresssuchende Mitbürge so gestellt werden, als ob keine weitere Inanspruchnahme mehr erfolgt. Dann hätte er über seinen internen Anteil hinaus geleistet und könnte Regress nehmen. Ebenso könnte im vorliegenden Fall angenommen werden, dass die Lage so sein soll, als werde G B2 nicht in Anspruch nehmen, solange diese Tatsache nicht sicher ist. Zumindest dann, wenn G B2 endgültig nicht in Anspruch nähme, hätte B1 eine Regressforderung. Gegen diese Parallele spricht allerdings, dass beim Mitbürgenausgleich bei Teilleistungen die Teilleistung dem anderen Mitbürgen zumindest teilweise zugutekommt, indem sie seine Schuld verringert, während es hier nicht sicher ist, ob die Zahlung von B1 B2 überhaupt zugutekommt438. Wenn kumuliert geschuldet wird und der Gläubiger die Schuld nur bei einem der Schuldner eintreibt, rechtfertigt dies schließlich auch keinen Ausgleichsanspruch. Insofern erscheint das mit Hilfe eines Befreiungsanspruchs begründete Ergebnis unrichtig439.
434 Dies ist anerkannt für den Regress des Höchstbetragsbürgen gegen den Hauptschuldner, RGZ 76, 195, 197 (13.2.1911); BGHZ 92, 374, 378 f. (30.10.1984); Staud/Horn, § 774 Rz 27; MüKo/Habersack, § 774 Rz 12. Beim Regress gegen einen Mitbürgen kann nichts anderes gelten. 435 Oben Fn. 430. 436 Ähnlich Tiedtke, JZ 1987, 493. 437 Hierzu oben, 350 ff. 438 So zu Recht Tiedtke, JZ 1987, 493 ff.; MüKo/Habersack, § 774 Rz 5. 439 So auch Soergel/Pecher, § 769 Rz 15.
4. Die Mitwirkungspflicht
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Anders ist es, wenn man B2 dazu verpflichtet hält, sowohl die Sicherheitsleistung an G zu erbringen als auch der Regressforderung von B1 nachzukommen. Dies wäre der Fall, wenn (wie B1 behauptet hatte) B2 gegenüber B1 versprochen hätte, ihn in jedem Fall von Ansprüchen des Gläubigers freizustellen. In diesem Fall beruhte der Regress aber auf einer besonderen Abrede im Innenverhältnis. ff) BGH NJW 1995, 652 Das letzte Urteil betrifft einen Gesamtschuldausgleich nach Scheitern einer Ehe. Die Parteien hatten während ihres Zusammenlebens zwei Immobilien erworben und für den darauf lastenden Schuldendienst die gesamtschuldnerische Haftung übernommen. Der Ehemann, der wesentlich mehr verdiente als die Ehefrau, beglich die monatlich anfallenden Schulden allein. Nach dem Scheitern der Ehe verlangte er von der Ehefrau rückwirkend hälftigen Ausgleich für diejenigen Zahlungen, die er ab dem endgültigen Getrenntleben allein erbracht hatte. Ein solcher Ausgleich stand ihm nach der obergerichtlichen Rechtsprechung auch grundsätzlich zu: Während bei bestehender ehelicher Lebensgemeinschaft anerkannt ist, dass die Schuldtilgung durch den Allein- oder Hauptverdiener in der Regel keinen Ausgleichsanspruch eröffnet, weil insofern i.S.d. § 426 I etwas anders bestimmt ist, soll der Ausgleichsanspruch ab dem Zeitpunkt der Trennung für die Zukunft wieder „aufleben“ können440. Die Besonderheit dieses Falls war, dass der Ehemann die Zahlungen, für die er Ausgleich begehrte, vollständig von seiner Einkommensteuer abgesetzt hatte. Die Vorinstanzen waren daher der Ansicht gewesen, dass, sofern diese Steuervorteile dem Ehemann endgültig verblieben (wovon hier ausgegangen werden soll), er sie sich auf seinen Ausgleichsanspruch aus § 426 I anrechnen lassen müsse. Der BGH widersprach: Die Regeln der Vorteilsausgleichung seien für das Schadensersatzrecht entwickelt worden und auf den Gesamtschuldausgleich nicht anwendbar. Zur Begründung verwies er auf den Befreiungsanspruch: Der Ehemann habe schon bei Fälligkeit der Schuld gegen die Ehefrau einen Anspruch auf Mitwirkung gehabt. Nachdem er den Gläubiger befriedigt habe, habe sich der Mitwirkungsanspruch in einen Zahlungsanspruch verwandelt. Die Ehefrau müsse ihm also den Betrag erstatten, den eigentlich sie an den Gläubiger hätte zahlen müssen. Ein Vorteilsausgleich komme in diesem Zusammenhang nicht in Betracht. Die Ehefrau habe daher keine Berechtigung, an den Steuervorteilen des Ehemanns zu partizipieren441. Diese begriffliche Schlussfolgerung von einer Rechtsnatur des Regressanspruchs als „verwandelter“ Befreiungsanspruch auf die Unzulässigkeit der Vorteilsanrechnung ist in seiner Allgemeinheit verfehlt. Die Qualifizierung als Befreiungsanspruch besagt nichts, weil es auch bei Befreiungsansprüchen eine Vor440
Hierzu etwa Staud/Noack, § 426 Rz 211 ff.; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 17; Erman/Ehmann, § 426 Rz 45 ff.; Kotzur, NJW 1989, 817; Wever, FamRZ 1996, 907 f.; Kleinle, FamRZ 1997, 9 f. 441 BGH NJW 1995, 652, 654 (30.11.1994).
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
teilsanrechnung geben kann442. Dies kommt nicht nur bei Befreiungsansprüchen in Frage, die auf einen Schadensersatzanspruch zurückgehen. Der BGH hat vielmehr eine Vorteilsanrechnung auch in einem Fall des Zusammentreffens von persönlicher und dinglicher Haftung für zulässig erachtet. In diesem schon oben angesprochenen, 1954 entschiedenen Fall443 hatte die Ehefrau im Auftrag ihres Mannes eine Hypothek an ihrem Grundstück zur Sicherung seiner Geschäftsverbindlichkeiten bestellt. Nach Scheitern der Ehe konnte sie Befreiung von der dinglichen Haftung verlangen, weil das zugrunde liegende Schuldverhältnis durch die Kündigung des Auftrags beendet wurde. Die Belastung des Grundstücks hatte aber dazu geführt, dass die Ehefrau weitgehend von der Lastenausgleichsabgabe befreit worden war. Diesen Vorteil, so der BGH damals, müsse sie sich anrechnen lassen. Es gehe hier nicht um eine Vorteilsanrechnung im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs. Vielmehr minderten sich durch die ersparte Lastenausgleichsabgabe die Aufwendungen der Ehefrau, für die sie Ersatz verlangen und damit auch Befreiung beanspruchen könne444. Wenn also selbst bei Befreiungsansprüchen eine Vorteilsanrechnung möglich ist, dann führt im Ausgangsfall der Hinweis des BGH auf die Mitwirkungspflicht der Ehefrau nicht weiter. Richtig ist zwar, dass im Lastenausgleichsfall der Vorteil schon durch die Belastung selbst eintrat, im Steuersparfall dagegen erst durch die Begleichung der Verbindlichkeit. Bevor hier der Ehemann die gemeinsamen Schulden nicht gezahlt hatte, konnte er sie offenbar nicht steuerlich absetzen. Hätte er also vor der Zahlung einen Befreiungsanspruch gegen die Ehefrau gehabt (etwa wegen drohender Zwangsvollstreckung), hätte es keinen anzurechnenden Vorteil gegeben. Dies ändert aber nichts daran, dass mit der Zahlung durch den Ehemann ein Vorteil entstanden war. Ob dieser anzurechnen ist, hat mit einer Mitwirkungspflicht der Ehefrau nichts zu tun. Aber auch ein Abstellen auf das „Wesen des Ausgleichsanspruchs aus § 426 I“ hilft nicht weiter. Die Frage, ob im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs eine Vorteilsanrechnung stattfinden soll, kann nicht allgemein beantwortet werden. Wenn der BGH darauf abstellt, dass die Ehefrau durch den Steuervorteil des Ehemanns nicht von ihrer Verpflichtung befreit werden kann, ihren Anteil an der Gesamtschuld zu leisten, dann geht er offenbar von einer bereicherungsrechtlichen Natur des Gesamtschuldausgleichs aus: Es soll nicht auf den Schaden oder die Aufwendungen des Ehemanns ankommen, sondern auf den Vorteil der Ehefrau in Gestalt ihrer Befreiung von dem Schuldanteil, der im Innenverhältnis sie trifft. Dieser Vorteil wird nicht dadurch gemindert, dass der Ehemann geringere Aufwendungen hat. Doch eine solche pauschale Qualifizierung des Ausgleichsanspruchs ist zumindest dann bedenklich, wenn die Parteien durch ein Innenverhältnis verbunden sind oder waren. Der Gesamtschuldausgleich dient dann nicht der Abschöpfung eines Vermögensvorteils unter Fremden. 442 443 444
Soergel/Wolf, § 257 Rz 12; Müko/Krüger, § 257 Rz 9; Staud/Bittner, § 257 Rz 12. BGH MDR 1955, 283 (17.12.1954), oben, 349. MDR 1955, 286.
4. Die Mitwirkungspflicht
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Tatsächlich kann die Frage, ob ein Vorteil angerechnet wird, nur im Hinblick auf das konkrete Innenverhältnis und die Art des Vermögensvorteils beantwortet werden. Dies wird unmittelbar einsichtig, wenn man sich vorstellt, der gemeinsame Sohn habe dem Ehemann seine Aufwendungen ersetzt, weil er damit rechnet, die Immobilien später zu erben. Solange der Sohn nicht erkennbar allein den Vater begünstigen wollte, muss ein Regressanspruch gegen die Ehefrau dann ausscheiden. Bei der Steuerersparnis könnte demgegenüber argumentiert werden, dass sie die Ehefrau nichts angeht. Doch dieses Argument ist zumindest hinsichtlich des internen Anteils der Ehefrau angreifbar. Da sie ebenfalls berufstätig war, bestand die Möglichkeit, dass sie, wenn sie an den Gläubiger geleistet hätte, diese Zahlung bei ihrer Einkommensteuer absetzen könnte. Möglicherweise hat also der Ehemann, indem er auch den internen Anteil der Frau zahlte, dieser eine Absetzungsmöglichkeit weggenommen. Aber auch dann, wenn Steuervorteile bei der Ehefrau praktisch unerheblich wären, ist zu berücksichtigen, dass das Ehepaar die Immobilien deshalb erworben hatte, um Steuern zu sparen. Gespart werden sollte offenbar die Einkommensteuer des gut verdienenden Ehemanns, was auch gelang. Auch unter diesem Gesichtspunkt stellt sich die Frage, ob es sachgerecht ist, die Ehefrau nun mit der Hälfte der Schulden zu belasten, ohne dass sie dadurch eine Steuerersparnis hat, während der Ehemann nach wie vor sein Steuersparziel erreicht. All dies hätte im Fall geprüft werden müssen, statt pauschal auf die Natur des Gesamtschuldregresses abzustellen. Ein mögliches Ergebnis wäre, dass im Innenverhältnis „etwas anderes bestimmt“ ist als der kopfteilige Ausgleich. Tatsächlich ist die Frage nach der „Anrechnung“ eines Vermögensvorteils beim Regresssuchenden nichts anderes als die Frage nach dem Ausgleichsmaßstab im Innenverhältnis. Die Kopfteilvermutung des § 426 I greift nur dann ein, wenn das Innenverhältnis überhaupt keine Anhaltspunkte bietet. Die Argumentation des BGH ist demgegenüber ein fragwürdiger Schluss vom Außenverhältnis auf das Innenverhältnis. Dies zeigt sich an einem Gegenbeispiel: Die Parteien haben die Immobilien schon vor der Eheschließung gemeinsam zu Miteigentum erworben. Intern soll jeder die Hälfte der Schulden tragen; im Außenverhältnis hat sich aber nur der Mann verpflichtet. Während der Ehe übernimmt der Ehemann intern auch den Teil der Ehefrau, verzichtet also auf einen Ausgleich. Nach dem Scheitern der Ehe verlangt er wieder hälftigen Ersatz. Auch in diesem Fall würde sich die Frage stellen, ob die Steuerersparnis des Ehemanns nicht auf den Ersatzanspruch anzurechnen ist. Das käme etwa dann in Betracht, wenn der Anspruch des Ehemanns als Aufwendungsersatzanspruch zu qualifizieren wäre. Äußerst fragwürdig wäre es demgegenüber, die beiden Fälle unterschiedlich zu entscheiden, die Regresshöhe also davon abhängig zu machen, ob auch die Ehefrau die Außenhaftung übernommen hat. Dies mag nur zur zusätzlichen Sicherung des Gläubigers geschehen sein. Weil vertraglich vereinbarte Gesamtschulden auf einem Innenverhältnis unter den Schuldnern beruhen, das den Maßstab für den Regress bildet, ist eine Herleitung von Ergebnissen aus dem Außenverhältnis, also der Gesamtschuldnerstellung, sowohl überflüssig als auch irreführend.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
(6) Ergebnis Befreiungsansprüche innerhalb eines Gesamtschuldverhältnisses beruhen häufig auf einem besonderen Innenverhältnis unter den Schuldnern, das einen Befreiungsanspruch ganz unabhängig davon gewährt, ob auch der Befreiungsgläubiger selbst schuldet, ob also Gesamtschulden vorliegen. Dieses Innenverhältnis bestimmt zugleich die nähere Ausgestaltung des Befreiungsanspruchs, insbesondere seine Fälligkeit. Beruht der Anspruch etwa auf einem Versprechen des Befreiungsschuldners, den Befreiungsgläubiger von Schadensersatzansprüchen freizuhalten, dann entsteht er nicht erst mit der Fälligkeit der Gläubigerforderung. Vielmehr ist hier der Befreiungsschuldner gehalten, den Gläubigeranspruch von vornherein abzuwehren und den Befreiungsgläubiger auch vor unbegründeten Schadensersatzansprüchen Dritter zu schützen445. Eine solche Abwehrpflicht trifft aber nicht jeden Befreiungsschuldner446, sondern kann sich nur aus dem besonderen Innenverhältnis ergeben. Beruht der Befreiungsanspruch auf einem Versprechen, eine vertragliche Schuld des Befreiungsgläubigers zu erfüllen, setzt er in der Regel zumindest die Fälligkeit dieser Schuld voraus447. Der Befreiungsanspruch aus § 257 wiederum entsteht mit der Gläubigerforderung, also schon vor ihrer Fälligkeit. Der Befreiungsanspruch aus § 775 dagegen erfordert eine besondere Risikoerhöhung für den Bürgen. Ähnliche Erfordernisse muss ein Befreiungsanspruch haben, wenn eine Schuldmitübernahme Gegenstand eines Auftrags oder auftragsähnlichen Verhältnisses war. Auch bei gesamtschuldnerisch haftenden Gesellschaftern soll der Befreiungsanspruch zumindest eine unmittelbar drohende Inanspruchnahme voraussetzen. Der nach herrschender Lehre aus dem Gesamtschuldverhältnis folgende Befreiungsanspruch ist insofern ein Fremdkörper, als er völlig unabhängig vom konkreten Innenverhältnis sich schon aus der Stellung der Parteien im Außenverhältnis ergeben soll. Dies steht im Widerspruch zur Regel des § 775, wonach auch der selbstschuldnerisch haftende Bürge einen Befreiungsanspruch nur bei Vorliegen eines besonderen Innenverhältnisses hat, obwohl die Stellung der Parteien im Außenverhältnis zumindest gesamtschuldähnlich ist448. Zudem soll der Befreiungsanspruch aus dem Gesamtschuldverhältnis nach herrschender Lehre mit Fälligkeit der Gläubigerforderung fällig sein. Warum gerade auf diesen Zeitpunkt abgestellt wird, bleibt im Dunkeln. Sofern die Übernahme der 445
BGH NJW 1970, 1594 (24.6.1970); BGH NJW 1983, 1729 (19.1.1983). Zu pauschal Soergel/Wolf, § 257 Rz 5; Bischof, ZIP 1984, 1447; Schmidt-Kessel, Mehrheit, B II 3 c, S. 303; und der Zweite Senat des BGH in JZ 2008, 362, 364 (15.10.2007), mit zustimmender Anmerkung von Gehrlein, JZ 2008, 366: Danach soll sich aus § 426 I ein Befreiungsanspruch auf Abwehr auch unbegründeter Ansprüche ergeben. Doch bei unbegründeten Ansprüchen gibt es kein Gesamtschuldverhältnis. Tatsächlich lag im Fall ein vertragliches Innenverhältnis zwischen den Parteien vor. 447 So BGHZ 91, 73 (11.4.1984); Staud/Bittner, § 257 Rz 25. Zu Befreiungsansprüchen, die auf einer Erfüllungsübernahme beruhen, RG JW 1908, 717 Nr. 9 (10.10.1908); BGH WM 1959, 1133, 1136 (1.6.1959). 448 Ebenso Prediger, Auslegung, 123 f. 446
4. Die Mitwirkungspflicht
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gesamtschuldnerischen Haftung Gegenstand eines rechtsgeschäftlichen Innenverhältnisses ist, ergeben sich Befreiungsansprüche grundsätzlich nur bei einer Risikoerhöhung, einer unmittelbar drohenden Inanspruchnahme oder bei Beendigung des Schuldverhältnisses. Mit diesen rechtsgeschäftlichen Regeln wäre zwar die Annahme eines aus § 426 I folgenden, schon mit Fälligkeit der Gläubigerforderung fälligen Befreiungsanspruchs insofern vereinbar, als § 426 I dispositiv ist. Aber auch eine dispositive Regel muss einen anwendungsfähigen Kern haben. Daran fehlt es zumindest im Bereich der vertraglich vereinbarten Gesamtschulden. Bei vertraglich vereinbarten Gesamtschuldverhältnissen gilt für den Befreiungsanspruch dasselbe wie für den Rückgriff: Sein Entstehen, seine Modalitäten und seine Fälligkeit richten sich nach dem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis unter den Schuldnern. Die Annahme eines zusätzlichen, vom Innenverhältnis unabhängigen und aus § 426 I folgenden Befreiungsanspruchs ist nicht nur überflüssig449, sondern kann auch zu falschen Schlussfolgerungen führen. Denn sie verdunkelt nicht nur die Tatsache, dass der Befreiungsanspruch in der Regel nicht mit der Fälligkeit des Gläubigeranspruchs entsteht, sondern, je nach Innenverhältnis, schon mit Entstehung der Gläubigerforderung oder erst bei drohender Inanspruchnahme oder bei Beendigung des Schuldverhältnisses. Vor allem verstellt sie den Blick dafür, dass der Befreiungsanspruch in allen diesen Fällen auf einem besonderen Grund im Innenverhältnis beruht, der auch dann einen Befreiungsanspruch hervorgerufen hätte, wenn der Befreiungsgläubiger Allein- oder Teilschuldner gewesen wäre.
e) Der gemeinsam geschlossene Vertrag als Sonderbeziehung Beruhen Gesamtschulden auf einem gemeinsam geschlossenen Vertrag, dann besteht unter den Gesamtschuldnern ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis. Dieses Innenverhältnis entscheidet über das Entstehen, die Modalitäten und die Höhe eines Regressanspruchs. Es gibt darüber Auskunft, ob und wann ein Gesamtschuldner vom anderen Befreiung von der Verbindlichkeit oder Schadensersatz wegen „versagter Mitwirkung“ verlangen kann. Dennoch ist die Vorschrift des § 426 I bei vertraglich vereinbarten Gesamtschuldverhältnissen nicht völlig funktionslos. In den seltenen Fällen, in denen sich aus dem Innenverhältnis keinerlei Anhaltspunkte ergeben, ordnet sie an, dass im Zweifel ein Regress stattfindet, und dieser im Zweifel nach Kopfteilen. Vor allem aber hilft die Vorschrift 449 Die Mitwirkungspflicht wurde auch nicht dafür gebraucht, zu begründen, warum der Gesamtschuldner, der den Gläubiger nach Eröffnung des Vergleichsverfahrens über das Vermögen des anderen Gesamtschuldners befriedigt, Vergleichsgläubiger i.S.d. § 25 der früheren VerglO war, siehe BGHZ 114, 117, 122 (21.3.1991). Dies ergab sich vielmehr aus den §§ 30, 31, 33 und 82 II 2 VerglO und galt gleichermaßen für einen Bürgen, der nach Eröffnung des Vergleichsverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners an den Gläubiger zahlt, obwohl von einer Mitwirkungspflicht des Hauptschuldners gegenüber dem Bürgen offenbar nicht die Rede ist.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
dem regresssuchenden Gesamtschuldner, indem sie ihm den Beweis des Innenverhältnisses erspart, solange er nur kopfteiligen Regress begehrt. Demgegenüber besteht in Rechtsprechung und Literatur die Tendenz, von vornherein ohne Berücksichtigung des konkreten Innenverhältnisses auf § 426 I zuzusteuern, um von diesem vermeintlich sicheren Boden aus zu Ergebnissen zu gelangen, die andernfalls durch das mühsame Geschäft der Auslegung der Parteivereinbarung hätten gewonnen werden müssen. Vereinzelt wird sogar versucht, unter Zuhilfenahme des § 426 I zu Ergebnissen zu gelangen, die zwar richtig sind, aber mit dem Gesamtschuldregress nichts zu tun haben. In einer Entscheidung des Landgerichts Aachen450 hatte ein Ehepaar eine Wohnung gemietet, die dem Ehemann als damaligem Postbeamten zugeteilt worden war. Nach dem Scheitern der Ehe zog der Mann aus und verlangte von der Frau, welche die Wohnung weiter bewohnte und nun allein die Miete zahlte, die Zustimmung zur Kündigung des Mietverhältnisses, nach Ansicht des LG zu Recht. Da die Miete solidarisch geschuldet wurde, ging das Gericht direkt von § 426 I aus. Danach sollte ein Gesamtschuldner auch vor Befriedigung des Gläubigers einen Befreiungsanspruch gegen den anderen haben. Hier habe der Ehemann ein berechtigtes Interesse daran, nicht mehr weiterhin für die Miete im Außenverhältnis zu haften. Folgte der Anspruch des Ehemanns wirklich aus § 426 I, fragt sich, warum der Ehemann dann nicht auch schon während des gemeinsamen Wohnens bei bestehender ehelicher Lebensgemeinschaft jederzeit die Zustimmung zur Kündigung verlangen kann. Dass aus der Gesamtschuld selbst ein Anspruch auf Beendigung der Gesamtschuld folgen soll, erscheint befremdlich451. Tatsächlich beruhte der Anspruch hier, wie das LG selbst feststellte, auf der Beendigung der Lebensgemeinschaft und dem Auszug des Mannes. Insofern wäre nach dem oben Gesagten an einen Befreiungsanspruch wegen Beendigung des zugrunde liegenden Kausalverhältnisses zu denken. Solche Befreiungsansprüche beruhen nicht auf der Gesamtschuld, sondern auf dem Innenverhältnis. Wäre die Miete vom Ehemann nur als Teilschuldner oder als Alleinschuldner geschuldet (und nun von der Frau teilweise oder ganz in Form der Drittleistung weitergezahlt) worden, hätte der Mann ebenfalls ein berechtigtes Interesse an seiner zukünftigen Haftungsfreistellung gehabt. Der Ehemann begehrte hier aber nicht nur Freistellung, sondern die Zustimmung zur Auflösung des Mietvertrags. Dies geht über einen Befreiungsanspruch hinaus, den die Ehefrau auch dadurch hätte erfüllen können, dass sie eine entsprechende Erlassvereinbarung mit dem Vermieter erreicht. Dass das Gericht der Klage auf Zustimmung stattgab, ist zumindest nachvollziehbar: Es handelte sich um eine Dienstwohnung, auf welche die Frau allein keinen Anspruch hatte; zudem hinderte der bestehende Mietvertrag den Mann offenbar daran, für sich eine neue Dienstwohnung in Anspruch nehmen zu können. Dies alles hat aber mit der 450 451
LG Aachen, NJW-RR 1996, 462 = FamRZ 1995, 1151 (16.6.1995). So aber MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 73.
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gesamtschuldnerischen Haftung für den Mietzins nichts zu tun. Sofern der Anspruch des Mannes auf Zustimmung zu Recht bestand, war er unabhängig davon, in welcher Form der Mietzins im Außenverhältnis geschuldet wurde: Er beruhte allein auf dem Innenverhältnis. In einem vom OLG Hamm entschiedenen Fall452 hatte ein Ehepaar über 20 Jahre lang sich einander ablösende Ratenkredite in Anspruch genommen, für die sie jeweils gesamtschuldnerisch hafteten. Nach der Trennung leistete der Mann allein die fälligen Raten auf den derzeitigen Kredit und verlangte von der Frau Ausgleich für vergangene Zahlungen und anteilige Freistellung für die zukünftigen Raten. Der aktuelle Darlehensvertrag war nicht sittenwidrig, wohl aber ein Teil der früheren Kredite. Weil der aktuelle Kredit frühere Kredite ablöste und sich nach ihnen berechnet hatte, war eine Anpassung des aktuellen Vertrags nach den Regeln der Störung der Geschäftsgrundlage möglich. Hierfür fand der Mann allerdings nicht alle erforderlichen Unterlagen. Die Frau weigerte sich, einen Ausgleich an den Mann zu zahlen, solange nicht klar war, wie viel überhaupt geschuldet wurde. Das Gericht ging von der anerkannten Regel aus, dass bei ratenweise zu tilgenden Gesamtschulden ein Regressanspruch besteht, wenn ein Gesamtschuldner mehr als seinen internen Anteil an der jeweiligen Rate gezahlt hat. Darüber hinaus, so das OLG, habe der Mann auch schon vor Leistung an den Gläubiger zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt einer Rate einen anteiligen Freistellungsanspruch gegen die Frau. Die Grundlage für den Ausgleich sollte nach Ansicht des Gerichts der derzeitige Ratenbetrag bilden, solange der Darlehensvertrag nicht angepasst sei. Die Frau könne vom Mann nicht verlangen, zuerst gegenüber dem Gläubiger auf Anpassung des Darlehensvertrags zu klagen, bevor er sie für einen Regress in Anspruch nehme. Ein Urteil zwischen dem Mann und dem Gläubiger habe keine Rechtskraft gegenüber der Frau. Zudem sei unklar, ob der Mann mit den bei ihm befindlichen Unterlagen Prozesskostenhilfe bekommen und die nötigen Beweise vorlegen könne. Es sei daher „treuwidrig, wenn nicht vertragswidrig“, von der Frau, dem Mann allein das Prozesskostenrisiko zuzuschieben453. Weil die Kredite auf Absprachen des Ehepaars beruht hätten, treffe auch die Frau eine vertragliche Pflicht, selbst nach der Trennung, sich um eine Anpassung zu bemühen. Zumindest ergebe sich die Pflicht aus Treu und Glauben und der ehelichen Lebensgemeinschaft. Das Ergebnis erscheint gerechtfertigt. Im Innenverhältnis hatten die Eheleute vereinbart, die Kreditverpflichtungen hälftig zu tragen. Der Befreiungsanspruch für die zukünftig fälligen Raten ergab sich hier zum einen aus der Beendigung des zugrunde liegenden Kausalverhältnisses, da die eheliche Lebensgemeinschaft nicht mehr bestand454. Zum anderen hatte sich die Ehefrau bei der Trennung 452 OLG Hamm, NJW-RR 1988, 55 (23.3.1987). Im Urteil des OLG ging es nur um die Erfolgsaussichten der Klage im Rahmen eines Antrags auf Prozesskostenhilfe. 453 NJW-RR 1988, 57. 454 Ebenso verhielt es sich mit dem in OLG Köln, NJW-RR 1995, 1282 (7.12.1994) gewährten Befreiungsanspruch.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
schriftlich verpflichtet, gemeinsame Schulden auch zukünftig hälftig abzutragen. Das Innenverhältnis bestimmte auch die Frage nach der dem Ausgleich zugrunde liegenden Ratenhöhe. Zu Recht schloss das Gericht aus der Tatsache, dass die Kredite in gegenseitiger Absprache aufgenommen worden waren, dass die Anpassung des Darlehensvertrags nicht allein eine auf eigenes Risiko wahrzunehmende Pflicht des Ehemannes war. Die Ehefrau traf damit nicht nur die Pflicht, an einer Anpassung mitzuwirken (durch Beteiligung an einer Klage und ggf. Zurverfügungstellung von Unterlagen aus ihrem Besitz), sondern auch, bis zur geglückten Anpassung, die eventuell überhöhten Kreditraten mitzutragen. Diese Pflicht begründete das Gericht zu Recht mit dem Innenverhältnis, nicht mit dem Gesamtschuldverhältnis als solchem. In der Literatur allerdings wird aus dem Urteil der Schluss gezogen, die Pflichten eines Gesamtschuldners aus dem Gesamtschuldverhältnis könnten auch die Mithilfe bei einer Vertragsanpassung oder die Bereitstellung von Verteidigungsmitteln und Beweisen umfassen455. Damit wird übersehen, dass diese Pflichten ihren Grund im Innenverhältnis haben und daher auch dann bestehen können, wenn im Außenverhältnis Teilschulden bestehen. Hätte das Ehepaar die Ratenkredite als Teilschuldner aufgenommen, hätte der Ehemann ebenfalls ein Interesse an einer Anpassung des aktuellen Vertrags gehabt. Wenn eine solche Anpassung eine Gestaltungserklärung der Ehefrau erforderte oder von der Beibringung von Unterlagen abhängig wäre, welche die Ehefrau im Besitz hat, hätte er gegen die Ehefrau offenbar ebenfalls einen Anspruch auf Mitwirkung an der Anpassung. Tatsächlich lassen sich bei vertraglichen Gesamtschulden sämtliche Pflichten, welche die Literatur aus dem Gesamtschuldverhältnis folgern will456, besser mit dem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis der Gesamtschuldner erklären. Nach einer neueren Entscheidung des OLG München soll ein Gesamtschuldner Einreden und Einwendungen gegen die Gläubigerforderung grundsätzlich nicht dem Regressanspruch des Mitschuldners entgegenhalten können, der die Gläubigerforderung gutgläubig getilgt hat. Einwendungen, die sich auf das „Grundverhältnis“ zum Gläubiger beziehen, sollen danach das Innenverhältnis zwischen den Schuldnern aus § 426 I nicht berühren. Der zum Regress herangezogene Schuldner müsse seiner Ausgleichspflicht nachkommen und notfalls gegenüber dem Gläubiger einen Bereicherungsanspruch geltend machen457. Eine solche Regel würde bedeuten, dass ein Gesamtschuldner dem gesetzlichen Gesamtschuldregress nicht entgegenhalten könnte, dass gar keine Gesamtschuld besteht, weil er nicht, oder nicht in der geltend gemachten Höhe, schuldet – ein geradezu absurdes Ergebnis, das die Lehre von der gesetzlichen Schuldgemeinschaft der Gesamtschuldner auf die Spitze treibt, indem der (wie auch immer 455 Staud/Noack, § 426 Rz 76; Soergel/Wolf, § 426 Rz 15; Erman/Ehmann, § 426 Rz 16; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 182. 456 Zur Pflicht, bei Leistung an den Gläubiger die übrigen Gesamtschuldner zu informieren, unten, 669. 457 OLG München, VersR 2008, 974 (2.4.2008, nicht rechtskräftig).
4. Die Mitwirkungspflicht
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begründete) Gesamtschuldregress nun auch ohne Gesamtschuld zulässig sein soll. Tatsächlich war das Ergebnis im konkreten Fall nicht abwegig. Zwei Parteien hatten gemeinschaftlich einen Schiedsrichter beauftragt und für dessen Vergütung die solidarische Haftung übernommen. Nachdem ein Schuldner die Rechnung beglichen hatte und hälftigen Ausgleich forderte, wandte der andere Schuldner ein, die Rechnung sei fehlerhaft, intransparent und überhöht. In dieser Lage ist durch Auslegung des rechtsgeschäftlichen Innenverhältnisses zu ermitteln, ob der in Anspruch genommene Schuldner sich auf die Einwendungen gegenüber der Gläubigerforderung berufen kann oder vielmehr gehalten ist, den Ausfall zunächst gemeinschaftlich mit dem anderen Schuldner zu tragen und das Überbezahlte vom Gläubiger zurückzuholen. Eine solche Pflicht, sich an der Befriedigung einer möglicherweise gar nicht bestehenden Forderung zu beteiligen, kann sich aber nicht aus dem (möglicherweise gar nicht bestehenden) Gesamtschuldverhältnis ergeben, sondern nur aus dem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis, das hier durch die gemeinsame Schiedsrichterbestellung entstanden war. Bei dem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis unter Vertragsgesamtschuldnern handelt es sich nicht immer um eine Gesellschaft oder ein Auftragsverhältnis. In den zuerst genannten Fällen mietete ein Ehepaar gemeinsam eine Wohnung bzw. nahm gemeinsam ein Darlehen auf. Sofern damit keine über die eheliche Lebensgemeinschaft hinausgehenden Zwecke verfolgt werden, liegt dann nach ganz herrschender Lehre keine Gesellschaft vor. Innenverhältnis soll dann die eheliche Lebensgemeinschaft selbst sein. Im Darlehensfall war sich das OLG selbst nicht sicher, ob die Pflicht der Ehefrau gegenüber dem Mann vertraglich war oder sich aus der nachwirkenden ehelichen Lebensgemeinschaft ergab. Auch bei nicht verheirateten Gesamtschuldnern kann sich die Frage stellen, ob der gemeinsame Vertragschluss stets auf einem Auftrags- oder Gesellschaftsverhältnis beruhen muss. Doch ganz unabhängig von einer Qualifikation des Innenverhältnisses kann nicht bestritten werden, dass einem gemeinsamen Vertragsschluss eine Absprache der (zukünftigen) Gesamtschuldner zugrunde liegt. Wer zusammen mit einem anderen Vertragspartei wird, ist auf die Kooperation dieses anderen angewiesen. Rücktritt und andere Gestaltungsrechte können in der Regel nur gemeinsam ausgeübt werden. Die gegenüberstehende Vertragspartei kann ihre Gegenleistung so lange zurückhalten, bis auch der Mitschuldner geleistet hat. Vertragsanpassungen verlangen die Mitwirkung aller Beteiligten. Selbst wenn also kein spezifisches vertragliches Innenverhältnis unter den Gesamtschuldnern auszumachen wäre, würde schon die gemeinsame Beteiligung an einem Vertrag mit einem Dritten ausreichen, um zwischen den Beteiligten eine Sonderverbindung zu begründen. Diese Verbindung kann unter gemeinschaftlichen Schuldnern Verpflichtungen begründen, unabhängig davon, ob Gesamt- oder Teilschulden vereinbart sind.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
5. Das nichtige Innenverhältnis Trotz wirksamer gesamtschuldnerischer Verpflichtung im Außenverhältnis kann das Innenverhältnis unter den Gesamtschuldnern, das ihrer solidarischen Verpflichtung zugrunde lag, unwirksam sein, etwa wegen Irrtums, Täuschung, Dissenses, Formmängeln oder Sittenwidrigkeit. Leistet ein Gesamtschuldner an den Gläubiger, steht für seinen Regress dann keine rechtsgeschäftliche Anspruchsgrundlage zur Verfügung. Damit stellt sich die Frage, ob hier der Gesamtschuldregress aus § 426 tatsächlich gebraucht wird und welche Rolle das Bereicherungsrecht spielt, das gewöhnlich für die Rückabwicklung nichtiger Verträge herangezogen wird.
a) Die Schuldbefreiung im Außenverhältnis als ungeeigneter Anknüpfungspunkt An erster Stelle gilt es hier, sich über ein scheinbares logisches Paradoxon hinwegzusetzen. Schulden S1 und S2 als Gesamtschuldner dem Gläubiger G 100, dann hat G gegen jeden Schuldner eine Forderung in Höhe von 100. Leistet S1, wird S2 im Außenverhältnis zu G von seiner Schuld in Höhe von 100 frei. S2 hat offenbar damit etwas, nämlich die Schuldbefreiung in Höhe von 100, durch Leistung von S1 oder auf dessen Kosten erlangt. Da das Innenverhältnis nichtig ist, könnte man zum Schluss kommen, dass die Bereicherung von S2 rechtsgrundlos ist. S1 hätte dann aus § 812 I einen Bereicherungsanspruch gegen S2, der sich auf den Wert (§ 818 I) dieser Schuldbefreiung in Höhe von 100 richtet. Umgekehrt hätte aber S2, wenn er zuerst an G geleistet hätte, einen gleichen Bereicherungsanspruch gegen S1. Mit diesem Gedankengang wäre ein ähnliches Ergebnis wie bei einer Regresslosigkeit der Gesamtschuld erreicht, nur umgekehrt: Nicht derjenige Gesamtschuldner trägt die Last endgültig, der zuerst vom Gläubiger in Anspruch genommen wird, sondern derjenige, der nicht an den Gläubiger geleistet hat, bei mehr als zwei Gesamtschuldnern derjenige, der in der Regresskette zuletzt in Anspruch genommen wird. Gegen ein solches Ergebnis sprechen nahezu die gleichen Gründe wie gegen die Regresslosigkeit: Die interne Lastenverteilung soll nicht von der Entscheidung des Gläubigers, wen er in Anspruch nimmt, abhängen, ebenso wenig von einem Wettlauf der Gesamtschuldner mit dem Ziel, als erster den Gläubiger zu befriedigen. Der Gedanke, der dem Gesamtschuldregress nach § 426 zugrunde liegt, ist es aber gerade, die interne Verteilung unter den Gesamtschuldnern nicht davon abhängig zu machen, wer den Gläubiger befriedigt, sondern von einem Maßstab, der sich unabhängig davon aus dem Innenverhältnis der Schuldner ergibt. Die Begründung eines Bereicherungsanspruchs mit der bloßen Schuldbefreiung im Außenverhältnis funktioniert übrigens auch dann nicht, wenn man eine Bereicherung verneint, soweit die Leistung des Gesamtschuldners S1 nicht zum
5. Das nichtige Innenverhältnis
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Erlöschen der Forderung gegen S2, sondern zu einem Forderungsübergang auf S1 nach § 426 II führt458. Eine solche Konstruktion bringt völlig ungereimte Ergebnisse mit sich: Soll bei einer Gesamtschuld von 100 S1 intern 90 und S2 10 tragen und zahlt S1 100 an G, dann geht G’s Forderung gegen S2 in Höhe von 10 an S1 über. Nach dem geschilderten Gedankengang ist S2 in Höhe von 90 bereichert, weil G’s Forderung insoweit völlig erloschen ist, während S2 in der Resthöhe von 10 nicht bereichert ist, weil die Forderung insoweit nur ihren Inhaber gewechselt hat. Das absurde Ergebnis wäre, dass S1 von S2 90 verlangen kann, obwohl nach dem Innenverhältnis S1 90 und S2 nur 10 tragen sollte. Diese Ungereimtheit ist kein Zufall: Der Forderungsübergang nach § 426 II dient dazu, den Regress nach dem internen Maßstab zu verwirklichen. Dann kann das von § 426 II erreichte Ergebnis nicht gerade umgekehrt Anknüpfungspunkt für eine auszugleichende Bereicherung sein459. Aus denselben Gründen kann die bloße Schuldbefreiung im Außenverhältnis auch keinen Grund für einen Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag bilden460. Der Gedanke, der an den Gläubiger leistende Gesamtschuldner habe nicht nur sich, sondern auch den anderen Gesamtschuldner von der Schuld befreit und damit ein auch-fremdes Geschäft geführt, so dass er nach §§ 683, 670 in voller Höhe Aufwendungsersatz verlangen (oder notfalls einen Bereicherungsanspruch nach §§ 684, 812 geltend machen) kann, führt ebenso zu dem nicht gewollten Ergebnis, die interne Lastenverteilung davon abhängig zu machen, wer den Gläubiger befriedigt. Als Zwischenergebnis ergibt sich damit: Der Umstand, dass bei Gesamtschulden die Leistung eines Schuldners zur Befreiung des anderen Schuldners im Außenverhältnis führt, kann als solcher weder einen Bereicherungsanspruch noch einen Anspruch aus G.o.A. begründen. Dies hat auch der BGH in einer der wenigen einschlägigen Entscheidungen zum Gesamtschuldregress bei nichtigem Innenverhältnis festgestellt461. Hier nahmen V und K als Gesamtschuldner ein Darlehen bei einer Bank auf. In betrügerischer Absicht hatten sie ihr vorgespiegelt, K habe bei V Waren gekauft und benötige den Kredit zur Finanzierung des Kaufpreises. Daraufhin zahlte die Bank die Darlehenssumme vereinbarungsgemäß an V aus. In Wahrheit sollten mit dem Geld Forderungen des V gegen eine GmbH abgedeckt werden, deren Geschäftsführer K war. Nachdem die Bank von K erfolglos die Rückzahlung verlangt hatte, zahlte V die geschuldete Summe und verlangte die Erstattung von K462. Der Darlehensvertrag war wirksam. Dagegen war die Vereinbarung 458
Vgl. Schreiber, Jura 1989, 359; Wernecke, Gesamtschuld, 190; BGH NJW 2007, 1208, §§ 13 und 21 (28.11.2006). 459 Ausführlicher zu diesem Problem unten, 421 ff. 460 So schon R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 72; ferner Medicus, Bürgerliches Recht, Rz 415. 461 BGH NJW 1963, 2067 (4.7.1963). 462 Tatsächlich hatte die Bank schon Klage gegen K erhoben, als V zahlte. Daher war formell hier die Bank Klägerin, die ihre ursprüngliche Klage nun mit dem Ziel der Zahlung an V weiterverfolgte (§§ 426 II BGB, 265 ZPO). Dieser Aspekt spielt aber im vorliegenden Zusammenhang keine Rolle.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
zwischen V und K, gemeinsam das Darlehen zu beantragen, wobei K die interne Last tragen sollte, nach §§ 134, 138 nichtig. Das Berufungsgericht ging von § 426 II aus, suchte einen Regressmaßstab und tappte in die oben beschriebene logische Falle: Indem V an die Bank gezahlt habe, sei K von seiner Pflicht, an die Bank zu zahlen, befreit worden und damit rechtsgrundlos auf Kosten von V bereichert. Daher sei die Forderung der Bank gegenüber K nach § 426 II auf V übergegangen. Demgegenüber machte der BGH zu Recht klar, dass die bloße Schuldtilgung durch V und die damit verbundene Befreiung von K als solche weder einen Bereicherungsanspruch noch einen Anspruch aus G.o.A. begründen kann. Dies würde dem Sinn und Zweck des § 426 I 1 widersprechen. Die Regelung zeige, dass der Gesetzgeber weder eine Regresslosigkeit noch einen automatischen Totalregress des zuerst Zahlenden gewollt habe. Bei jeder Art von Gesamtschuld darf aus dem Umstand, dass der an den Gläubiger leistende Gesamtschuldner nicht nur sich, sondern auch den anderen Gesamtschuldner im Außenverhältnis von der Verbindlichkeit in voller Höhe befreit, nicht mit Hilfe gesamtschuldfremder Regeln auf einen Totalregress geschlossen werden. Bei Gesamtschulden mit wirksamem Innenverhältnis ergibt sich das Problem nur deswegen nicht, weil die totale Schuldbefreiung im Außenverhältnis, wollte man sie für einen Regress fruchtbar machen, von einem Rechtsgrund im Innenverhältnis getragen wird. Bei gesetzlichen Gesamtschulden ohne Innenverhältnis hingegen ist der Gedanke wichtig, dass der Regress nicht an die Schuldbefreiung im Außenverhältnis angeknüpft werden darf463. Technisch kann dieses Ergebnis auf verschiedenen Wegen erreicht werden. Der Gesamtschuldregress nach § 426 kann als eine lex specialis angesehen werden, die einen Regress wegen Schuldbefreiung nach Bereicherungsrecht oder G.o.A. ausschließt464. Möglich ist auch, schon das Vorliegen des Tatbestands des § 812 zu verneinen465. Der BGH löste das Problem im eben genannten Fall, indem er annahm, dass § 426 I 1 einen Rechtsgrund für die Schuldbefreiung im Außenverhältnis bildet466. In jedem Fall erfüllt die Regel des § 426 I insofern sowohl bei nichtigem Innenverhältnis als auch bei Gesamtschulden ohne Innenverhältnis eine nützliche Funktion, indem sie klarstellt, dass der Maßstab des Regresses vom Umstand
463 Daher berief sich das OLG Düsseldorf in einem Fall der Schadensersatz-Gesamtschuld (MDR 1977, 226; 28.10.1976) auf die genannte BGH-Entscheidung, um zu begründen, dass auch ein Regress aus GoA nur besteht, soweit der in Anspruch genommene Gesamtschuldner intern verpflichtet ist, weil ansonsten die Regel des § 426 I umgangen würde. 464 So wohl Mirow, Unechte Gesamtschulden, 44; Erman/Ehmann, § 426 Rz 15, § 677 Rz 11; Staud/Noack, § 426 Rz 49; Staud/S.Lorenz, § 812 Rz 69. 465 Rudolf Schmidt, NJW 1964, 295, hat argumentiert, dass die Bereicherung des einen Gesamtschuldners nicht auf Kosten des anderen erfolge. Weil der andere vor der Zahlung an den Gläubiger mit der Schuld belastet gewesen sei, entspreche seine Vermögenslage nach der Zahlung derjenigen vor der Zahlung. Hiermit wird ein Bereicherungsregress bei jeder Art von Schuldnermehrheit ausgeschlossen. Kritisch von Olshausen, Gläubigerrecht, 297 f. 466 NJW 1963, 2068; ebenso Schreiber, Jura 1989, 359; BGH NJW 2007, 1208 (28.11.2006), § 21.
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der Schuldbefreiung nach außen unabhängig ist, vielmehr im Innenverhältnis unter den Gesamtschuldnern gesucht werden muss. Dieser Gedanke gilt allerdings in allen Fällen einer Gesamthaftung im weiteren Sinne, also auch insoweit, als man in Fällen einer Solutionskonkurrenz nach außen Gesamtschulden i.S.d. § 421 verneint. Wenn die Rechtsprechung etwa beim Zusammentreffen von Ansprüchen auf Schadensersatz mit Unterhaltsansprüchen oder im Fuldaer Dombrandfall Gesamtschulden verneint und einen Regress des Unterhaltsleistenden bzw. Kirchenbaulastpflichtigen gegen den Schadensverursacher nach §§ 683, 670 annimmt, dann geht sie trotzdem nicht davon aus, dass schon die Schuldbefreiung im Außenverhältnis die Führung des fremden Geschäfts ist, da ansonsten auch der Schadensverursacher, zahlte er an den Gläubiger, einen Totalregress hätte. Vielmehr stellt sie darauf ab, dass die Pflicht zur Befriedigung des Gläubigers in erster Linie einen der Schuldner (etwa den Schadensverursacher) trifft und nicht den anderen467. Ähnlich verhält es sich bei denjenigen, die in bestimmten Fallkonstellationen „unechter Gesamtschulden“ mit einem Regress nach § 812 arbeiten468: Die bloße Befreiung im Außenverhältnis kann nicht schon die auszugleichende Bereicherung sein469. Hier heißt es dann, dass eine Befreiung des „Näherstehenden“ durch Zahlung des „Fernerstehenden“ ohne Rechtsgrund, eine Befreiung des „Fernerstehenden“ durch Zahlung des „Näherstehenden“ dagegen mit Rechtsgrund erfolge. Bei beiden Regresskonstruktionen wird damit die Schuld, ebenso wie bei § 426 I, intern auf die Schuldner aufgeteilt (hier im Verhältnis 100%-0%) und der Regress mit der Schuldbefreiung im Innenverhältnis begründet. Zu Recht wird daher gegen beide Regresskonstruktionen eingewandt, dass eine solche interne Aufteilung der gemeinsamen Schuld gerade Regelungsgegenstand von § 426 I ist470. Eine gegenseitige Befreiung im Außenverhältnis findet auch bei der Bürgschaft statt, die nach herrschender Lehre keine Gesamtschuld ist. Auch hier kann im Verhältnis zwischen Hauptschuldner und Bürgen nicht schon die Befreiung des jeweils anderen zu einem Regress nach Bereicherungsrecht oder G.o.A. führen. Das OLG Stuttgart hatte 1993 über einen Fall zu entscheiden, der dem eben geschilderten BGH-Fall äußerst ähnlich war, mit dem einen Unterschied, dass es sich hier um eine Bürgschaft statt um eine gewöhnliche Gesamtschuld handelte471. S, B und X unternahmen einen Versicherungsbetrug, indem sie durch Vortäuschung eines Auffahrunfalls eine Leistung der Haftpflichtversicherung 467 Etwa RGZ 82, 206, 214 ff. (26.4.1913, Dombrandfall); BGH NJW 1979, 598 (21.12.1978); vgl. auch Wollschläger, Geschäftsführung, 120 f.; MüKo/Seiler, § 677 Rz 26–30. 468 Insbesondere Esser, SR AT, § 59 IV 4 (S. 447); Frotz, JZ 1964, 670; ders., VersR 1965, 218; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 186 f.; i.E. ebenso BGH NJW 1981, 1908 (25.9.1980), wo das Problem aber nicht gesehen wird. 469 Vgl. von Olshausen, Gläubigerrecht, 298 Fn. 77, 302. 470 Rabel, RheinZ 10 (1919), 91 ff.; R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 73; Ehmann, Gesamtschuld, 92 ff.; Stamm, Regreßfiguren, 97 f., 103, 110 f.; ders., Jura 2002, 730, 732; vgl. auch Finger, BB 1974, 1421; Selb, Schadensbegriff, 35; und ausführlich unten, 887 ff., 892 ff. 471 OLG Stuttgart, ZIP 1994, 200 (17.12.1993).
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von X erschleichen wollten. Noch während die Versicherung mit der Prüfung des Falls beschäftigt war, beantragte S bei Bank G ein Darlehen, um seinen vermeintlichen Unfallschaden zu finanzieren. Zur Sicherheit trat S seine vermeintlichen Ansprüche an den Unfallgegner an die Bank ab, während B eine Bürgschaft übernahm. Vereinbarungsgemäß zahlte die Bank das Geld an B aus. Wie viel von dieser „vorweggenommenen Beute“ B an S weiterleitete, blieb streitig. Die Versicherung zahlte nicht, und die Bank verlangte die Rückzahlung des Darlehens. Schließlich zahlte B und nahm unter Berufung auf § 774 Regress bei S. Dieser berief sich darauf, dass das Innenverhältnis zwischen S, X und B (nicht aber der Darlehensvertrag) wegen Sittenwidrigkeit nichtig war. Für den Anspruch des B aus einer nach § 774 übergegangenen Forderung der Bank war wegen § 774 I 3 das Innenverhältnis zu prüfen472. Bei wirksamem Innenverhältnis, so das OLG, hätte B als Beauftragter einen Anspruch aus § 670 gehabt. Weil nach der Rechtsprechung des BGH bei einem nichtigen Auftragsverhältnis die Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag anwendbar seien, stehe B wegen der Zahlung an die Bank, die S befreite, grundsätzlich ein Anspruch aus § 683, 670 zu. Die Rechtsprechung des BGH zur Anwendung der §§ 677 ff. bei nichtigem Innenverhältnis473 ist in der Literatur kritisiert worden, weil die Abwicklung nichtiger Rechtsverhältnisse in erster Linie Aufgabe des Bereicherungsrechts ist474. Im konkreten Fall war zudem fraglich, ob das nichtige Innenverhältnis überhaupt ein Auftrag oder nicht vielmehr eine Innengesellschaft war475. Doch unabhängig davon, ob man einen Regress des B mit §§ 683, 670 oder mit § 812 begründen will, kann die bloße Befreiung des S im Außenverhältnis als solche nicht schon Grund für einen Totalregress sein. Denn mit dieser Begründung könnte auch S, wenn er an die Bank zahlte, Regress bei B nehmen, weil dieser durch die Zahlung von seiner Bürgenverpflichtung frei wurde. Tatsächlich ging es auch in diesem Fall darum, für die Frage der internen Belastung nicht darauf abzustellen, wer an den Gläubiger gezahlt hatte, sondern einen Maßstab zu finden, der sich unabhängig von der Befreiung im Außenverhältnis aus dem Innenverhältnis zwischen S und B ergab. Immerhin hatten S und B ihre jeweilige Verpflichtung (Hauptschuld und Bürgschaft) in gegenseitiger Abstimmung und aufgrund eines gemeinsamen Plans übernommen, wobei es Zufall gewesen sein mag, wer die Rolle des Darlehensnehmers und wer die Rolle des Bürgen einnahm. 472
Hierzu Würthwein, FS Leser (1998), 177. BGHZ 37, 258, 262 f. (25.6.1962); BGHZ 39, 87, 90 (31.1.1963); BGHZ 101, 393, 399 (24.9.1987); BGH NJW-RR 1993, 200 (28.10.1992); weitere Nachweise bei Staud/Bergmann, vor § 677 Rz 329. 474 MüKo/Seiler, § 677 Rz 48; Soergel/Beuthien, § 677 Rz 16; Staud/Martinek, § 662 Rz 19; Erman/Ehmann, § 677 Rz 9; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rz 347; dies., Kreditsicherung, Rz 382; Schubert, AcP 178 (1978), 425, 451 ff.; Gursky, AcP 185 (1985), 13, 31 ff.; Canaris, NJW 1985, 2405; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 74 III 2 (S. 348); S.Lorenz, NJW 1996, 883; Würthwein, FS Leser, 189 f.; a.A. aber Staud/Wittmann (1995), vor § 677 Rz 43; Staud/Bergmann (2006), vor § 677 Rz 193, 334 (mit weiteren Nachweisen zur herrschenden Lehre in Rz 331). 475 So auch K. Schmidt, JuS 1994, 887. 473
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Stünde etwa fest, dass die Darlehenssumme hälftig aufgeteilt worden war, spräche einiges für einen hälftigen Regress. Dies sah auch das OLG so: Aufgrund des Innenverhältnisses müsse sich auch B an der Rückzahlung beteiligen. Auf den ersten Blick mag die These, dass ein Bürge bei nichtigem oder fehlendem Innenverhältnis seinen Regress nicht auf die Befreiung des Hauptschuldners stützen kann, überraschend klingen. Tatsächlich aber beruht der Bürgenregress, unabhängig davon, ob es sich um ein wirksames, ein fehlendes oder ein nichtiges Innenverhältnis handelt, auf der Bürgschaftsübernahme selbst, verbunden mit der Zahlung. Gibt es kein wirksames Innenverhältnis, dann bildet die Eingehung der Bürgschaft, verbunden mit der Zahlung, in der Regel eine rechtsgrundlose Bereicherung oder, folgt man dem BGH, eine auftragslose nützliche Fremdgeschäftsführung, weil der Hauptschuldner ohnehin schuldete und der Hinzutritt des Bürgen insofern eine auszugleichende Vermögensverschiebung darstellt. Der Fall vor dem OLG bildete insofern eine Ausnahme, weil auch die Übernahme der Hauptschuld auf der internen Vereinbarung zwischen Hauptschuldner und Bürgen beruhte. Bei der Bürgschaft verhält es sich insofern nicht anders als bei gewöhnlichen Gesamtschulden: Weil jeder Schuldner durch seine Leistung an den Gläubiger den anderen im Außenverhältnis befreit, kann der Regress nicht schon auf diese Befreiung gestützt werden, sondern muss vom Innenverhältnis abhängen, in dem die gemeinsame Belastung nach irgendeinem Maßstab auf die Schuldner aufgeteilt wird476. Hält man aber mit der herrschenden Lehre die Bürgschaft für keinen Fall der Gesamtschuld, dann fehlt hier eine Regel wie § 426, die diesen Gedanken zum Ausdruck bringt. Das OLG nahm daher, um die Aufteilung zwischen Bürgen und Hauptschuldner im Innenverhältnis zu begründen, eine analoge Anwendung des § 426 zu Hilfe. Hierfür stützte es sich auf die Erwägung, S und B seien durch ein gesellschaftsähnliches Verhältnis verbunden. Das Darlehen habe die Funktion einer vorfinanzierten Beute gehabt. Der Fall müsse daher ebenso entschieden werden, wie wenn die Versicherung das Geld ausgezahlt hätte und nun nach Entdeckung des Betrugs die Rückzahlung verlangt. In diesem Falle wären beide nach § 840 gesamtschuldnerisch zum Schadensersatz in Form der Rückzahlung verpflichtet, so dass § 426 anwendbar sei477. Beim Darlehen dürfe es nicht anders sein478. Des Vergleichs mit einer gesamtschuldnerischen Haftung nach § 840 hätte es gar nicht bedurft. Weil die Bürgschaft durch eine Solutionskonkurrenz im Außenverhältnis geprägt ist, kann die gegenseitige Befreiung bei Zahlung an den Gläubiger keinen Regressgrund bilden. Weil das Gesetz die interne Belastung nicht vom Zufall abhängig machen will, muss auch bei der Bürgschaft der Verteilungsmaßstab aus dem Innenverhältnis gefolgert werden, auch wenn das rechtsgeschäftliche Innenverhältnis zwischen Bürge und Hauptschuldner nichtig ist. 476 477 478
Wollschläger, Geschäftsführung, 93. Beispiel: OLG Hamm, NJW 2002, 1054 (13.9.2001). OLG Stuttgart, ZIP 1994, 200, 2002.
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Dies gilt für alle Formen der Schuldnermehrheit mit Solutionskonkurrenz im Außenverhältnis, etwa auch für das Verhältnis zwischen Außengesellschaft und haftendem Gesellschafter. Sofern man also diese Fälle nicht von vornherein mittels eines weiten Gesamtschuldbegriffs unter § 421 subsumiert, muss die § 426 zugrunde liegende Regel, dass die gemeinsame Schuld im Innenverhältnis aufgeteilt wird (und sei es im Verhältnis 100% – 0%), für alle Schuldnermehrheiten mit Solutionskonkurrenz im Außenverhältnis gelten.
b) Ausgleichsmaßstab und Konkurrenzen Damit stellt sich die Frage nach dem Ausgleichsmaßstab. § 426 I 1 bietet als Hilfsregel den Ausgleich nach Kopfteilen an. Auf diese Hilfsregel wird in der Praxis aber selten zurückgegriffen. Schon das preußische ALR hatte vorgesehen: „Ist kein solcher Vertrag [unter den Gesamtschuldnern] vorhanden, so muß die unter ihnen bestehende Verbindlichkeit nach ihren, in Ansehung des übernommenen Geschäfts oder des daraus gezogenen Vorteils, obwaltenden besondern Verhältnisse beurtheilt werden.“479 Die deutsche Rechtsprechung beruft sich, soweit sie keine Vereinbarung unter den Gesamtschuldnern über den Beteiligungsmaßstab ausmachen kann, gern auf den „Inhalt und Zweck des Rechtsverhältnisses“ sowie auf die „Natur der Sache“480. Damit bringt sie den richtigen Gedanken zum Ausdruck, dass die Hilfsregel der gleichen Anteile nicht schon dann eingreift, wenn es an einer Parteivereinbarung oder an einer gesetzlichen Vorschrift zur Regelung der internen Aufteilung fehlt. Der Verweis auf eine Natur der Sache kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Ausgleichsmaßstab aus rechtlichen Prinzipien und Wertungen hergeleitet werden muss, die der Gesamtschuldausgleich – ähnlich wie das Bereicherungsrecht – aus anderen Rechtsgebieten aufnimmt und umsetzt481. Im Ergebnis stellt die Rechtsprechung in der Regel darauf ab, in welchem Verhältnis der durch die gesamtschuldnerische Verpflichtung erreichte Vorteil dem einzelnen Gesamtschuldner zugutegekommen ist482.
479
ALR I 5 § 444. Bei der Mitbürgschaft etwa BGH NJW 1984, 482 (10.11.1983); BGH NJW 1986, 3131, 3133 (15.5.1986); BGH NJW 2000, 1034, 1035 (13.1.2000); bei der nichtehelichen Lebensgemeinschaft BGHZ 77, 55, 58 (24.3.1980); beim Gesamtschuldausgleich unter Ehegatten BGHZ 87, 265, 268 (17.5.1983); BGH NJW 1984, 795, 796 (3.11.1983); BGH NJW-RR 1986, 1196, 1197 (4.6.1986); BGH FamRZ 1988, 596 (14.10.1987); BGH NJW 2000, 1944, 1945 (13.4.2000); BGH NJW 2002, 1570 (20.3.2002); BGH NJW 2002, 2319, 2320 (12.6.2002); BGH NJW 2006, 2623, 2624 (31.5.2006); BGH NJW 2008, 849, 850 (9.1.2008). 481 Zu Recht kritisch gegenüber der Formel von der Natur der Sache R. Schmidt, NJW 1964, 295; Esser, SR AT, § 59 I 2 e (S. 441); Soergel/Wolf, § 426 Rz 17; Gernhuber, JZ 1996, 698 ff.; Soergel/Pecher, § 769 Rz 6; richtig insoweit OLG Hamm, NJW-RR 1993, 197 (4.3.1992). 482 Zur Fallgruppe der Darlehensaufnahme bei Partnern einer Lebensgemeinschaft Näheres weiter unten im Text. 480
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Der Sache nach lag der Gedanke auch in der schon geschilderten Entscheidung des BGH zum Gesamtschuldausgleich beim nichtigen Innenverhältnis zugrunde483. Das Gericht erwähnte auch hier die Natur der Sache und die besondere Gestaltung des tatsächlichen Geschehens, die eine andere als eine kopfteilige Aufteilung rechtfertigen könnten. Hier war die betrügerisch erlangte Darlehenssumme dazu verwendet worden, Schulden einer GmbH gegenüber V zu tilgen, deren Geschäftsführer K war. Zur Vereinbarung zwischen den Gesamtschuldnern V und K hatte auch eine Abrede gehört, wonach K der Schuld der GmbH beitrat. Wäre dieser Schuldbeitritt wirksam gewesen, wäre die Darlehenssumme insofern K zugutegekommen, als sie ihn von seiner Verbindlichkeit aus dem Schuldbeitritt befreit hätte. Auf diese Erwägung hatte sich offenbar das Urteil des Berufungsgerichts gestützt, das die Belastung im Innenverhältnis allein K zuwies und daher V einen vollständigen Regress gewährte. Nach Ansicht des BGH aber war K’s Schuldbeitritt als Teil der sittenwidrigen Abrede nach § 139 nichtig. Daher liege keine Bereicherung des K in Form der Schuldbefreiung wegen der Verbindlichkeit der GmbH vor. Am Ende entschied der BGH nicht selbst über den Ausgleichsmaßstab, sondern verwies die Sache mit dem wenig hilfreichen Hinweis zurück, der Tatrichter müsse den Ausgleichsmaßstab durch Abwägung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ermitteln. Im Fall des OLG Stuttgart484, in dem S ein Darlehen zur Finanzierung eines vorgetäuschten Unfallschadens aufgenommen und B dafür gebürgt hatte, war die Darlehenssumme an B gezahlt worden, der einen nicht mehr aufklärbaren Anteil davon an S weitergeleitet hatte. Nach Ansicht des OLG wäre es naheliegend, dass S und B jeweils intern für den Betrag haften, der ihnen im Ergebnis zugeflossen ist. Allerdings war die von der Bank erhaltene Darlehenssumme kein Reingewinn des betrügerischen Plans, weil jeder Beteiligte auch Aufwendungen in unterschiedlicher Höhe getätigt hatte; so hatte S etwa sein Auto „geopfert“. Da das OLG sich außerstande sah, den von jedem Beteiligten im Ergebnis gemachten Gewinn zu ermitteln, wendete es schließlich doch die Hilfsregel des § 426 I 1 an und gewährte B, der an die Bank gezahlt hatte, einen hälftigen Regress485. 483 BGH NJW 1963, 2067, 2068 (oben, 371 ff.). Auch von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 84 Fn. 11, und Wollschläger, Geschäftsführung, 96, stellen für den Regress in diesem Fall darauf ab, wem die Darlehensvaluta rechtswirksam zugeflossen ist. 484 OLG Stuttgart, ZIP 1994, 200; oben, 373 f. 485 Kritisch Wandt, nach dem wegen der Sittenwidrigkeit des Innenverhältnisses eine Gewinnermittlung unter Abzug der Aufwendungen nicht vorgenommen werden durfte, so dass das OLG allein darauf hätte abstellen sollen, wem die Darlehensvaluta zugeflossen war, EWiR 1994, 245. Noch grundsätzlicher stellt sich in beiden dargestellten Entscheidungen die Frage, ob wegen der Gesetz- bzw. Sittenwidrigkeit des Innenverhältnisses unter Berufung auf § 817 S. 2 ein Regress völlig ausgeschlossen werden sollte, so R. Schmidt, NJW 1964, 295; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rz 347; dies., Kreditsicherung, Rz 382; wohl auch Staud/Horn, § 774 Rz 37; dagegen Würthwein, FS Leser, 192 ff. Der BGH erwähnte die Vorschrift gar nicht. Das OLG Stuttgart (ZIP 1994, 200, 202) verwies auf die Rechtsprechung des BGH (BGHZ 39, 87, 91, vom 31.1.1963), wonach § 817 S. 2 nicht auf einen Anspruch aus GoA anwendbar sein soll; hierzu kritisch Würthwein, FS Leser, 189 f. Allerdings besteht nach dem BGH die Möglichkeit, dass der Geschäftsführer, der
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
Die Entscheidung, die Belastung im Innenverhältnis von der Höhe des jedem Gesamtschuldner zugutegekommenen Vorteils abhängig zu machen und die kopfteilige Belastung nur als Hilfsregel anzuwenden, hat einen unmittelbar einleuchtenden Gerechtigkeitsgehalt. Damit stellt sich die Frage, ob dieser Verteilungsmaßstab eine eigenständige Wertung des Gesamtschuldregresses ist oder ob es nicht andere Regeln gibt, die Grund und Höhe des Regresses bei nichtigem Innenverhältnis festlegen. Für die Abwicklung nichtiger Rechtsverhältnisse ist in erster Linie das Bereicherungsrecht zuständig. In manchen Fällen können Grund und Höhe des Regresses schon mit einer direkten Anwendung der §§ 812 ff. erklärt werden, nämlich dann, wenn eine Leistung eines Gesamtschuldners an den anderen in Form einer Schuldbefreiung vorliegt. Tritt etwa S2 aufgrund eines nichtigen Auftragsverhältnisses der bestehenden Schuld von S1 bei und zahlt dann an den Gläubiger, hat er gegen S1 eine Leistungskondiktion iSd § 812 I 1 Fall 1. Zwar darf, wie im vorigen Abschnitt dargelegt, eine auszugleichende Bereicherung nicht in dem Umstand gefunden werden, dass die Befriedigung des Gläubigers wegen der Solutionskonkurrenz zugleich den anderen Gesamtschuldner im Außenverhältnis befreit, weil dann auch S1, zahlte er an den Gläubiger, einen Bereicherungsanspruch gegen S2 hätte. Bei der Bestimmung der auszugleichenden Bereicherung muss also von der automatischen gegenseitigen Befreiung infolge der Solutionskonkurrenz abgesehen werden. Hier schuldete zunächst S1 allein. S2 leistete an S1, indem er aufgrund einer vermeintlichen Kausalbeziehung dessen Schuld beitrat und daraufhin an den Gläubiger zahlte, wodurch S1 von seiner ursprünglichen Alleinschuld frei wurde. Die Außerachtlassung der durch die Solutionskonkurrenz erfolgenden Befreiung kann dadurch erreicht werden, dass man sich die Mithaftung des Bereicherungsschuldners S1 wegdenkt: Dann wäre S2 Alleinschuldner und hätte damit die Schuld des S1 befreiend übernommen, woraus sich sein Bereicherungsanspruch ergibt. Auch in der Literatur wird für diese Fallkonstellation das Bereicherungsrecht als Ausgleichsmaßstab herangezogen, der einen Totalregress des S2 rechtfertigt486. Entsprechendes gilt, wenn man bei nichtigen Auftragsverhältnissen die die486 Gesetzwidrigkeit kennt, die Aufwendung, für die er Ersatz verlangt, nicht für erforderlich halten durfte i.S.d. § 683, 670; BGHZ 37, 258, 263 f. (25.6.1962). Die Gesetzwidrigkeit des Innenverhältnisses spielt auch eine Rolle, soweit man für den Regress auf die Regeln zur fehlerhaften Gesellschaft zurückgreift (unten im Text), weil diese bei gesetzwidrigem Gesellschaftsvertrag nicht anwendbar sein sollen, BGHZ 62, 234 (25.3.1974); BGHZ 75, 214 (24.9.1979); BGHZ 97, 243 (20.3.1986). Auf die spezifischen Probleme bei gesetz- und sittenwidrigen Innenverhältnissen und die oft für unbefriedigend gehaltene Vorschrift des § 817 S. 2 kann in diesem Rahmen nicht eingegangen werden. Sofern aber ein Regress aus dem Innenverhältnis wegen Gesetz- oder Sittenwidrigkeit verneint wird, sollte dieses Ergebnis nicht durch Anwendung des Gesamtschuldregresses umgangen werden. 486 Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 318 II 2; Leonhard, SR AT, § 364, S. 727 f.; Reichel, Schuldmitübernahme, 559; Weigelin, Schuldbeitritt, 98; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 64; Thiele, JuS 1968, 155 Fn. 86; Lumm, Ausgleich, 151; Soergel/Wolf, § 426 Rz 22; Staud/Noack, § 426 Rz 49; Jürgens, Teilschuld, 185; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 161.
5. Das nichtige Innenverhältnis
379
Regeln der §§ 677 ff. für anwendbar hält. Dann hätte S2, indem er der Schuld des S1 beitrat und den Gläubiger befriedigte, ein Geschäft des S1 geführt, was dem Willen und Interesse von S1 entsprach, so dass er aus §§ 683, 670 Aufwendungsersatz verlangen könnte487. Sofern die Anwendung von Bereicherungs- oder Geschäftsführungsrecht einen Totalregress rechtfertigt, stellt sich das gleiche Konkurrenzproblem wie im Fall des wirksamen Innenverhältnisses488. Der Anspruch aus § 426 I 1, für dessen Bestimmung § 812 bzw. § 683 herangezogen wurde, könnte selbständig neben dem Anspruch aus § 812 bzw. § 683 stehen; es könnte sich aber auch um einen einzigen Anspruch handeln, weil vielleicht § 426 oder umgekehrt § 812 bzw. § 683 subsidiär ist. Im Ergebnis ist die Frage hier wohl ohne Belang, weil die Modalitäten der verschiedenen gesetzlichen Regressansprüche, insbesondere die Verjährung, gleich sind. Ähnlich wie in den Fällen des wirksamen Innenverhältnisses darf nur nicht aus den Augen verloren werden, dass sich das gleiche Regressproblem stellen kann, wenn nach außen nur eine Einzelschuld vorliegt. Beauftragt etwa S1 aufgrund eines nichtigen Vertrags S2, seine Schuld mit zu übernehmen, mag es für das Verhältnis zwischen S1 und S2 Zufall sein, ob der Gläubiger auf einer Weiterhaftung von S1 beharrt und S2 daher als Gesamtschuldner hinzunimmt oder ob er einer befreienden Schuldübernahme zustimmt, so dass nur noch S2 schuldet. In beiden Fällen muss S2, wenn er vom Gläubiger in Anspruch genommen worden ist, gegen S1 einen Regress geltend machen können, weil er ihn aufgrund eines nichtigen Schuldverhältnisses im Ergebnis von einer Schuld befreit hat. In beiden Varianten könnte der Regress auf Bereicherungs- oder Geschäftsführungsrecht gestützt werden, auf § 426 I 1 aber nur in der ersten Variante. Nur in wenigen Fällen liegt der „Vorteil“ oder die auszugleichende Bereicherung eines Gesamtschuldners in der Befreiung von der Schuld, die zugleich den Gegenstand des Gesamtschuldverhältnisses bildet. Dies gilt nur, wenn der Regresspflichtige unabhängig von der Gesamtschuldvereinbarung schuldet, also in den Fällen des Schuldbeitritts. In allen anderen Fällen muss der Vorteil, der den Beteiligungsmaßstab bestimmen soll, woanders ausgemacht werden. Dies gilt etwa, wenn die Nachbarn N1, N2 und N3 aufgrund gemeinsamer Verabredung als Gesamtschuldner eine Menge Heizöl kaufen, wovon N1 die Hälfte, N2 und N3 je ein Viertel erhalten. Ist das Innenverhältnis nichtig, liegt es nahe, den Ausgleich nach dem erhaltenen Vorteil vorzunehmen, so dass N1, zahlt er an den Gläubiger, von N2 und N3 je ein Viertel der Summe verlangen kann. Fraglich ist aber, ob ein solcher Ausgleich mit Bereicherungsrecht begründet werden kann. N1 hat seine Nachbarn nicht in der Höhe von je einem Viertel von der gemeinsamen Schuld befreit: N2 und N3 schuldeten im Außenverhältnis ganz, und N1 befreite sie jeweils ganz, worauf aber bei der Bestimmung des Ausgleichsmaßstabs nicht abgestellt werden darf. Es wäre fiktiv zu behaupten, dass N2 und N3 dem 487 488
So R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 94 ff. Oben, 293 ff.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
Heizölverkäufer je ein Viertel schuldeten. Sofern man auf eine auszugleichende Bereicherung abstellt, müsste diese also im Erhalt des Heizöls selbst gesehen werden. Sofern der solidarisch geschuldete Kaufpreis dem Marktwert des Öls entspricht, könnte man den Anspruch von N1 gegen N2 auf ein Viertel des Kaufpreises auch bereicherungsrechtlich konstruieren. Weil die Befreiung von N2 im Außenverhältnis für den Bereicherungsanspruch außer Betracht bleiben muss, wird der Fall so gesehen, als wäre N1 Alleinschuldner gewesen, also als ob er allein den Kaufvertrag geschlossen und den Kaufpreis für das Öl gezahlt hätte, das zu einem Viertel N2 zugutekam. Damit hätte er N2 das Öl rechtsgrundlos zugewendet, so dass N2 ihm zum Wertersatz (§ 818 I) in Höhe des Marktwerts, hier also in Höhe eines Viertels der Kaufpreisforderung, verpflichtet wäre. Bereicherungsanspruch und Gesamtschuldregress kämen zum selben Ergebnis. Das Problem ist aber, dass der Gesamtschuldregress nicht nur den Ausgleich von zugutegekommenen Vorteilen umfasst. Die Summe der Bereicherungen aller Gesamtschuldner muss nicht der Höhe der gemeinsamen Belastung entsprechen. Anders als das Bereicherungsrecht sozialisiert der Gesamtschuldregress auch Verluste. War der Kaufpreis etwa höher als der Marktwert des Öls, kann N1 aus Bereicherungsrecht von N2 offenbar nur ein Viertel des Marktwerts verlangen, während er mittels des Gesamtschuldausgleichs ein Viertel des Kaufpreises auf N2 umlegen kann. Ist N3 insolvent, kann N1 nach § 426 I 2 dessen internen Anteil proportional (hier: zu einem Drittel) N2 aufbürden, was er nach Bereicherungsrecht nicht kann. Besonders deutlich wird der Unterschied, wenn es überhaupt keine auszugleichende Bereicherung gibt. Geht etwa das gekaufte Öl auf dem Transport zu den Nachbarn unter und weist der (wirksame) Kaufvertrag dieses Risiko den Käufern zu489, dann bleibt die gesamtschuldnerische Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises bestehen. Leistet N1 an den Verkäufer, hat er einen Gesamtschuldregress, offenbar aber keine Bereicherungsansprüche. Die Frage ist also, ob der Gesamtschuldregress in dieser Fallgruppe, anders als bei einem wirksamen Innenverhältnis, eigenständigen Wertungen folgt und damit Ergebnisse erzielt, die mit Hilfe der sonstigen Schuldrechtsregeln nicht erzielt werden können. Dies würde bedeuten, dass das Bestehen und die Höhe des Regresses im Innenverhältnis in dieser Fallgruppe tatsächlich davon abhängen, ob im Außenverhältnis Gesamtschulden vorliegen oder nicht. Die Beantwortung der Frage hängt davon ab, inwieweit bei nichtigem Innenverhältnis entstandene Verluste auch mit Hilfe des sonstigen Schuldrechts sozialisiert werden können. Zur Illustration kann die verwandte Fallgruppe dienen, in der einer oder beide Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft im Vertrauen auf den Bestand der Lebensgemeinschaft einen Kredit aufnehmen. Wird nach Beendigung der Lebensgemeinschaft ein Partner für fortlaufende Kreditraten in Anspruch genommen, sei es als Gesamtschuldner oder als Alleinschuldner, stellt sich die Regress489
475.
Dies ist möglich, wenn es sich nicht um einen Verbrauchsgüterkauf handelt, §§ 447, 474 II,
5. Das nichtige Innenverhältnis
381
frage. Bei dieser Fallgruppe liegt kein nichtiges Innenverhältnis vor; dennoch kann man darüber streiten, ob ein Regress hier auf vertraglicher oder gesetzlicher Grundlage stattfinden soll. Sofern ein Gesamtschuldverhältnis vorliegt, wird § 426 I als Regressgrundlage herangezogen490. Hat dagegen ein Partner allein das Darlehen aufgenommen, das dem anderen zugutekam (etwa zum Erwerb von Eigentum oder zur Umschuldung früherer Kredite), wendet die Rechtsprechung manchmal Auftragsrecht an491; in anderen Fällen soll die Kreditaufnahme, soweit sie dem jeweils anderen Partner zugutekam, eine unbenannte Zuwendung sein, deren nun weggefallene Geschäftsgrundlage das Bestehen der Lebensgemeinschaft war492. In allen Fällen aber wird der Beteiligungsmaßstab im Innenverhältnis in der gleichen Weise ermittelt: Der Maßstab, nach dem die Darlehenssumme dem einen oder dem anderen Partner zugutekam, ist zugleich der Maßstab für die Aufteilung der ausstehenden Schulden bei Beendigung der Lebensgemeinschaft. Die Höhe der aktuellen Schulden kann geringer sein als der bei Darlehensaufnahme erzielte Vorteil (etwa weil ein Großteil schon abbezahlt ist), aber auch höher (etwa wegen der Zinsen). Der Ausgleich richtet sich also nicht nach dem Wert der damaligen Bereicherung des anderen Partners. Dies gilt unabhängig davon, ob beide Partner Gesamtschuldner sind493, ob einer Alleinschuldner ist494 oder ob ein Partner Schuldner und der andere Bürge ist495. In dieser Fallgruppe werden also auch außerhalb des Gesamtschuldregresses Vorteile aufgeteilt und Verluste sozialisiert. Der Gesamtschuldregress aus § 426 I erfüllt hier keine eigenständige Funktion, weil bei jeder Art von Außenhaftung der Beteiligungsmaßstab gleich ist. In den Fällen des nichtigen Innenverhältnisses kommt es somit darauf an, ob in ähnlicher Weise Verluste auch unabhängig vom Gesamtschuldregress aufgeteilt werden, also auch im Falle von Allein- oder Teilschulden. Grundsätzlich findet ein Ausgleich bei nichtigen Verträgen nur im Rahmen des Bereicherungsrechts statt, das allein auf tatsächlich zugutegekommene Vorteile abstellt. Bei gewöhnlichen Austauschverträgen gilt, dass Verluste, die durch das Vertrauen auf den Bestand des nichtigen Vertrags entstanden sind (also Vertrauensschäden), von jeder Partei selbst zu tragen sind, sofern nicht Sonderregeln wie eine Haftung nach c.i.c. oder § 122 II eingreifen. Anders kann es sich jedoch bei Auftrags- und Gesellschaftsverträgen verhalten, bei denen ein Vertragspartner auch im Interesse des anderen tätig wird. Im Fall des Heizölkaufs der Nachbarn kann eine nichtige Innengesellschaft vorliegen. Kamen hier die Gesellschafter überein, dass N1 die Gesamtmenge im Auftrag aller, aber im eigenen Namen kaufen sollte, dann fragt es sich, ob N1, der den Gläubiger befriedigt hat, seine Nachbarn nur im Rahmen 490
BGHZ 77, 55 (24.3.1980); OLG Köln, NJW-RR 1995, 1282 (7.12.1994). BGH NJW 1981, 1502 (23.2.1981); OLG Frankfurt, NJW 1985, 810 (9.5.1984). 492 OLG Karlsruhe, NJW-RR 1994, 1157 (11.2.1993). 493 So in BGHZ 77, 55; OLG Köln, NJW-RR 1995, 1282. 494 So in BGH NJW 1981, 1502; OLG Frankfurt, NJW 1985, 810; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1994, 1157. 495 So in OLG Celle, NJW 1983, 1063 (10.2.1983). 491
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
ihrer tatsächlichen Bereicherung in Anspruch nehmen kann und daher etwa beim Untergang des Öls auf dem Transport keinen Regress hat oder ob es auch hier trotz Nichtigkeit des Innenverhältnisses Möglichkeiten gibt, N2 und N3 an einem Verlust des N1 zu beteiligen. So kann argumentiert werden, es sei unbillig, N1 einen Verlust allein tragen zu lassen, den er zwar auf der Grundlage eines nichtigen Innenverhältnisses, aber aufgrund des gemeinsamen Planes eingegangen ist. Hier kommen die von der Rechtsprechung entwickelten Regeln zur fehlerhaften Gesellschaft in Betracht496. Danach soll eine in Vollzug gesetzte Gesellschaft trotz Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit des Gesellschaftsvertrags so lange als wirksam betrachtet werden, bis einer der Gesellschafter den Fehler geltend macht. Diese Geltendmachung wirkt dann nur ex nunc in Form einer Auflösungsklage bzw. außerordentlichen Kündigung und führt zur Abwicklung nach den allgemeinen Regeln. Da die Wirksamkeit sowohl im Außen- wie auch im Innenverhältnis bestehen soll, kann ein Gesellschafter somit Aufwendungen, die er im Auftrag der Gesellschaft gemacht hat, nach § 110 HGB bzw. §§ 713, 670 BGB in der Abwicklung der Gesellschaft ebenso geltend machen wie bei einer von Anfang an wirksamen Gesellschaft. Der Anwendungsbereich der Regeln zur fehlerhaften Gesellschaft ist allerdings strittig. Nach der Rechtsprechung des BGH können sie auch bei reinen Innengesellschaften angewendet werden497. Sie finden dann ihre Rechtfertigung darin, dass im Innenverhältnis die gewöhnlichen Nichtigkeits- und Anfechtungsfolgen ungeeignet zur Rückabwicklung sind, wenn die Parteien gemeinsam Chancen genutzt und Risiken getragen haben498. Ein Teil der Literatur verweist demgegenüber darauf, dass die Regeln zur fehlerhaften Gesellschaft zum Schutz Dritter entwickelt wurden, die auf den Bestand der fehlerhaften Gesellschaft vertraut haben. Anknüpfungspunkt könne daher nur ein nach außen erkennbarer Verband sein, das heißt eine organisierte Gesamthandsgemeinschaft, aus heutiger Sicht also eine rechtsfähige Außengesellschaft. Dagegen seien die Regeln der fehlerhaften Gesellschaft nicht für den Ausgleich im Rahmen von Innengesellschaften zuständig, weil dieses Problem nicht typisch sei für Gesellschaften, die Abwicklung nach Bereicherungsrecht vielmehr bei allen Arten von Dauerschuldverhältnissen Probleme schaffe499.
496 Hierzu stellvertretend MüKo/Ulmer, § 705 Rz 323 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 6; Flume, Personengesellschaft, § 2 III. 497 BGHZ 8, 157, 166 ff. (29.11.1952) und BGH NJW 1992, 2696, 2698 (29.6.1992) bei atypischer stiller Gesellschaft; BGHZ 55, 5, 8 f. (29.6.1970), BGH NJW 1993, 2107 (24.5.1993) und BGH NZG 2005, 261 (29.11.2004) bei stiller Gesellschaft; BGH NJW-RR 1991, 613 (22.10.1990) bei BGB-Innengesellschaft. 498 BGHZ 55, 5, 8. 499 Vgl. (mit Unterschieden im Einzelnen) Flume, Personengesellschaft, § 2 III; Ulmer, FS Flume II (1978), 317 f.; MüKo/Ulmer, § 705 Rz 358 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 6 II 3; Soergel/Hadding, § 705 Rz 88; Staud/Habermeier, § 705 Rz 59.
5. Das nichtige Innenverhältnis
383
Ein anderer Weg zur Sozialisierung von Verlusten führt über die von der herrschenden Lehre verpönte Anwendung der Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag auf nichtige Auftragsverhältnisse. So argumentiert Bergmann500, dass die Regelungen des Bereicherungsrechts nur geeignet seien zur Rückabwicklung unwirksamer Koordinationsverhältnisse, womit Austauschverträge bezeichnet werden, die durch den Interessengegensatz der Parteien geprägt sind. Auftrag und Geschäftsbesorgungsvertrag seien demgegenüber als Subordinationsverträge dadurch gekennzeichnet, dass eine Partei die Interessen der anderen wahrnehme. Diese Struktur werde bei den gesetzlichen Schuldverhältnissen nicht durch das Bereicherungsrecht, sondern durch die Geschäftsführung ohne Auftrag widergespiegelt, die nicht an die Abschöpfung von Vermögensvorteilen anknüpfe, sondern an die besondere Interessenstruktur eines Subordinationsverhältnisses. Weil der Geschäftsführer auch dann, wenn er von einem wirksamen Vertrag ausgeht, bewusst fremde Interessen wahrnimmt, könne er Verluste mittels des Aufwendungsersatzanspruchs auch außerhalb einer Bereicherung auf den Geschäftsherrn abwälzen, § 683. Nach Bergmann sollen die Regeln der §§ 677 ff. allerdings nur bei unwirksamen Auftrags- und Geschäftsbesorgungsverträgen anwendbar sein, nicht bei Gesellschaftsverträgen, die durch eine Interessengleichrichtung geprägt seien501. Wer aber geschäftsführend für eine Innengesellschaft handelt, nimmt anteilig auch die Interessen seiner Mitgesellschafter wahr, was das Gesetz dadurch bestätigt, dass der Geschäftsführer Aufwendungsersatz wie ein Beauftragter verlangen kann, § 713. Insofern könnte auch bei einem nichtigen Gesellschaftsvertrag zumindest für die Ansprüche des Geschäftsführers eine ähnliche Interessenstruktur wie beim Auftragsverhältnis angenommen werden, was eine Anwendung der Regeln der §§ 677 ff. rechtfertigen würde. Im Heizölfall könnte dann der im Außenverhältnis allein schuldende N1, selbst wenn das Öl vor der Anlieferung untergegangen ist, von seinen Nachbarn anteiligen502 Ersatz des Kaufpreises verlangen, weil er durch den Kauf anteilig für sie ein Geschäft besorgt hat, was ihrem Interesse und Willen entsprach, §§ 677, 683. Folgt man dem, würde es für den Regress durch N1 keinen Unterschied machen, ob im Außenverhältnis Alleinschulden des N1 oder Gesamtschulden bestehen. Die Bedeutung des Gesamtschuldregresses bei nichtigem Innenverhältnis hängt also davon ab, inwieweit man die Belastung, die durch die aufgrund des gemeinsamen Plans eingegangene Verpflichtung entsteht, auch mit Hilfe der sonstigen Regeln des Schuldrechts auf die Beteiligten verteilen will. Weil es sich beim Innenverhältnis unter Gesamtschuldnern typischerweise um ein Auftrags- oder Gesellschaftsverhältnis handelt, kommen hier nicht nur die Regeln der fehlerhaften Gesellschaft, sondern auch eine Anwendung der Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag in Betracht. Nimmt man mit Hilfe dieser Regeln eine Auftei500 501 502
Staud/Bergmann, vor § 677 Rz 29 f., 334. Staud/Bergmann, vor § 677 Rz 29, 335. Vgl. Staud/Bergmann, § 683 Rz 51 f.
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
lung der Schuldbelastung auch unabhängig von einer Bereicherung vor, kommt es im Ergebnis nicht mehr darauf an, ob im Außenverhältnis Gesamt-, Alleinoder Teilschulden vorliegen. Wie im Falle des wirksamen vertraglichen Innenverhältnisses wäre § 426 I eine nur in einem Sonderfall, nämlich der gesamtschuldnerischen Haftung, eingreifende Regel, die nur das wiederholt, was sich schon aus dem Regressanspruch des Innenverhältnisses ergibt, allerdings für den Regresssuchenden eine praktisch wichtige Beweiserleichterung bietet. Lehnt man dagegen bei nichtigem Innenverhältnis eine Sozialisierung von Verlusten mit Hilfe sonstiger schuldrechtlicher Regeln ab, dann kommt dem Gesamtschuldregress eine eigenständige Bedeutung zu. Geht im Heizölfall die Lieferung unter, hätte der zahlende Nachbar N1 unter dieser Prämisse nur dann einen Regress, wenn er zusammen mit den anderen Nachbarn Gesamtschuldner gewesen wäre, nicht aber dann, wenn er im Auftrag der anderen allein das Heizöl bestellt hätte. Dieses Ergebnis könnte mit dem Gedanken gerechtfertigt werden, dass der Entscheidung, selbst im Außenverhältnis zu haften, eine wesentliche Bedeutung auch für den internen Ausgleich zukommt: Weil die Nachbarn N2 und N3 gerade nicht die Haftung nach außen übernommen haben, besteht auch kein Grund, sie bei nichtigem Innenverhältnis daran zu beteiligen. Der Gesamtschuldregress würde dann auf demselben Grund beruhen wie bei gesetzlichen Gesamtschulden ohne jedes Innenverhältnis, nämlich der Erwägung, dass bei der Haftung mehrerer die endgültige Belastung im Innenverhältnis nicht von der Entscheidung des Gläubigers abhängen darf.
6. Schluss In der Literatur findet sich der Gedanke, dass es ähnlich wie eine Innengesellschaft auch eine „Innengesamtschuld“ geben könne, also eine Passivengemeinschaft, die eine interne Aufteilung einer Schuldbelastung erfordert, für die im Außenverhältnis aber keine Gesamtschulden, sondern Allein- oder Teilschulden bestehen. Hier soll eine analoge Anwendung des § 426 I in Betracht kommen503. Nach der hier vertretenen Auffassung ist daran richtig, dass in vielen Fällen eine Schuldbelastung unter mehreren Personen unabhängig davon aufgeteilt wird, ob im Außenverhältnis Gesamt-, Teil- oder Alleinschulden vorliegen. Das ist der Fall, wenn unter den Personen ein besonderes Innenverhältnis vorliegt, insbesondere ein Vertrag, der die interne Aufteilung der Belastung zum Gegenstand hat. Sofern ein solches Innenverhältnis besteht, sollte die Schlussfolgerung aber gerade genau umgekehrt sein: Wenn das Innenverhältnis den Ausgleich regelt, dann ist im Fall von Gesamtschulden ein zweiter Regressweg in Form des Gesamtschuldausgleichs überflüssig. Erst recht muss der Gesamtschuldausgleich nicht bei Teil- oder Alleinschulden entsprechend herangezogen werden. 503
Rz 19.
Soergel/Wolf, § 426 Rz 5; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 3. Dagegen Erman/Ehmann, § 426
6. Schluss
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Verpflichten sich mehrere gemeinschaftlich, also in gegenseitiger Abstimmung, als Gesamtschuldner, dann besteht zwischen ihnen grundsätzlich ein Vertrag, in der Regel in Form einer Gesellschaft oder eines Auftrags. Der Vertrag gibt Auskunft darüber, wie hoch die internen Anteile der Gesamtschuldner sind, unter welchen Voraussetzungen ein Regress stattfindet, ob und wann einer der Schuldner Befreiung verlangen kann und schließlich, ob und wie die Schuldner an der Leistung an den Gläubiger mitwirken müssen. Der Vertrag bildet also die Grundlage für Regress- und Befreiungsansprüche sowie für Schadensersatzansprüche wegen unterlassener Mitwirkung. Weitere Ansprüche können sich auf eine Mitwirkung an der Beendigung oder Anpassung des Vertrags oder auf eine sonstige Mitwirkung bei der Ausübung von Gestaltungsrechten richten. Der gemeinsam geschlossene Vertrag mit dem Gläubiger schafft auch dann eine Sonderverbindung unter den Schuldnern, wenn man im Innenverhältnis statt eines Vertrags nur eine eheliche Lebensgemeinschaft oder Ähnliches annimmt. Die primäre Funktion von § 426 I bei vertraglich vereinbarten Gesamtschuldverhältnissen ist es, dem an den Gläubiger leistenden Gesamtschuldner bei unaufklärbarem oder nicht beweisbarem Innenverhältnis einen kopfteiligen Regress zu ermöglichen. Diese Vermutungsfunktion kann damit gerechtfertigt werden, dass die Diskrepanz zwischen Außen- und Innenhaftung bei Gesamtschulden stets klar ist, während sie bei Teil- oder Alleinschulden nur manchmal vorliegt. Eine eigenständige Bedeutung könnte dem Gesamtschuldregress zudem bei nichtigem Innenverhältnis zukommen, allerdings nur dann, wenn man hier eine interne Aufteilung der eingegangenen Verpflichtung nach allgemeinen Schuldrechtsregeln verneint. Von diesem Sonderfall abgesehen bildet der Gesamtschuldregress nur das ab, was sich ohnehin aus dem Innenverhältnis ergibt. Das ist nicht weiter schädlich, sofern man sich klarmacht, dass es das Innenverhältnis ist, das Bestehen, Umfang und Modalitäten des Regresses regelt. Rechtsprechung und herrschende Lehre neigen demgegenüber dazu, auch in Fällen eines vertraglichen Innenverhältnisses den Regress in erster Linie mit dem Vorliegen der Gesamtschuld, also dem Glücksspielargument, zu rechtfertigen. Schon der Ausgangspunkt, nämlich die besondere Regressbedürftigkeit bei Vorliegen eines Gesamtschuldverhältnisses, ist zweifelhaft: Nach der hier vertretenen Auffassung ist das Bedürfnis für einen Regress bei vertraglichen Gesamtschulden nicht größer als das Bedürfnis für einen Regress des Alleinhaftenden, der die Schuld im Innenverhältnis nicht tragen soll. Die Konzentration auf die Gesamtschuld als Regressgrund kann auch Folgen für das Verhältnis zwischen § 426 I und dem vertraglichen Regress haben: Wer in der Gesamtschuld einen besonderen Regressgrund sieht, wird eher die Existenz eines eigenständigen, neben dem vertraglichen Regress bestehenden Gesamtschuldregresses bejahen, der eigenen Regeln folgt und auch dann bestehen kann, wenn nach dem Innenverhältnis (etwa wegen Verjährung) ein Regress nicht stattfindet. Diese Konsequenz würde von vornherein ausscheiden, wenn man in § 426 I bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden nur eine Auslegungsregel sähe. Doch auch wenn man von einer Regel des dispositiven Rechts ausgeht, ist es nach allgemeinen Grund-
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
sätzen schwer zu erklären, wie eine dispositive Regel neben einer denselben Gegenstand betreffenden Parteivereinbarung ein Eigenleben führen soll. Im Ergebnis ist es auch kaum zu rechtfertigen, der Parteivereinbarung, die etwa eine kurze Verjährung vorsieht, Bedeutung beizumessen, sofern im Außenverhältnis Alleinschulden des intern nicht Zuständigen vorliegen, nicht aber im Fall von Gesamtschulden. Die Konzentration auf das Gesamtschuldverhältnis statt auf das vertragliche Innenverhältnis hat es auch ermöglicht, die Grundlage für weitere Ansprüche, insbesondere auf Befreiung oder Schadensersatz wegen versagter Mitwirkung, nicht mehr im Innenverhältnis zu suchen, sondern in der vermeintlich einfachen Regel des § 426 I 1. Die pauschale Bezugnahme verdeckt jedoch, dass ein (anteiliger) Befreiungsanspruch bei Fälligkeit der Gläubigerforderung keineswegs die Regel ist, sondern vielmehr verschiedenartige Befreiungsansprüche mit verschiedenen Entstehungszeitpunkten je nach Ausgestaltung des Innenverhältnisses in Frage kommen. Zudem wird übersehen, dass sowohl ein Befreiungsanspruch als auch ein Schadensersatzanspruch wegen versagter Mitwirkung sich aus dem Innenverhältnis ganz unabhängig davon ergeben können, ob im Außenverhältnis Gesamt-, Teil- oder Alleinschulden vorliegen. Völlig systemwidrig ist es, aus dem Gesamtschuldverhältnis Ansprüche herzuleiten, die mit der gesamtschuldnerischen Außenhaftung gar nichts zu tun haben, sondern auf der Tatsache des gemeinsamen Vertragsschlusses beruhen, etwa Ansprüche auf Mitwirkung an vertragsaufhebenden oder -ändernden Gestaltungserklärungen. Im Ergebnis wird hiermit ein extensives Pflichtenprogramm in § 426 I hineingelesen, das seine Berechtigung im konkreten Fall eher aus dem vertraglichen Innenverhältnis der Gesamtschuldner als aus der solidarischen Außenhaftung herleiten kann. Nimmt man eine solche „Schuldgemeinschaft“ in Form eines umfassenden gesetzlichen Schuldverhältnisses unter Gesamtschuldnern an, muss dies auch für gesetzliche Gesamtschulden ohne Innenverhältnis gelten. Ob eine solche Pflichten begründende Schuldgemeinschaft aber auch etwa unter unabhängigen Mitbürgen besteht, die voneinander keine Kenntnis haben müssen, ist zweifelhaft. Ein Blick ins Ausland verstärkt diese Zweifel. Der Gesamtschuldrückgriff ist in den europäischen Rechtsordnungen selbstverständlich504. Die aus dem Gesamtschuldverhältnis folgende Mitwirkungspflicht ist demgegenüber rein deutsches Gedankengut, das die Nachbarrechtsordnungen nicht teilen505 504 Neben ABGB § 896, OR Art. 148, CC Art. 1213 f. auch z.B. span. Código Civil, Art. 1145 II; ital. Codice Civile, Art. 1298 f.; BW Art. 6: 10; PECL Art. 10:106 I; DCFR Art. III4:107; CEC-Avant-projet III.18, Art. 88 II; ebenso das englische Recht, Williams, Joint Obligations, 163 ff.; Mitchell, Contribution, Rz 4.08 ff. 505 Zu Frankreich oben, 318 f.; zu Österreich etwa Rummel/Gamerith, ABGB, § 896 Rz 4; Klang/Perner, ABGB, § 896 Rz 17 ff.; Ehrenzweig/Mayrhofer, System II/1, § 16 I bei Fn. 11; Bacher, Ausgleichsansprüche, 80; ausführlicher unten, 612; zur Schweiz BernK/Becker, Art. 148 OR Rz 6; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 148 OR Rz 3; von Tuhr/Escher, OR AT II, 313 f.; von Büren, OR AT, 98; Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 87 f.; Ernst, Solidarschuld, 179. Das englische Recht kennt allerdings Möglichkeiten, den Mitschuldner gerichtlich zur Leistung seines Anteils anzuhalten, Mitchell, Contribution, Rz 14.38 ff.; siehe auch Williams, Joint Obligations, 167 ff.
Zusammenfassung
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und das in die Principles of European Contract Law bewusst nicht aufgenommen wurde506. Vor allem aber verengt die Annahme eines umfassenden gesetzlichen Schuldverhältnisses ohne Not den Anwendungsbereich des § 421: Je mehr Pflichten man neben der bloßen Regresspflicht annimmt, desto eher wird man geneigt sein, den Regress in Streitfällen (sog. abgestufte Pflichten, unechte Gesamtschulden oder Schuldnermehrheiten mit angeordnetem Zessionsregress) außerhalb des § 426 zu suchen.
Zusammenfassung Der Regress unter vertraglichen Gesamtschuldnern findet auf der Grundlage des unter ihnen bestehenden rechtsgeschäftlichen Innenverhältnisses statt, das mit der Verabredung zur gemeinschaftlichen Verpflichtung stets verbunden ist. Die vertragliche Regressgrundlage und das Bedürfnis für einen Regress bestehen gleichermaßen, ob im Außenverhältnis Gesamt-, Teil- oder Einzelschulden vereinbart werden, solange Innen- und Außenhaftung des Einzelnen nicht übereinstimmen. Nach römischem Recht und nach herrschender gemeinrechtlicher Lehre im 19. Jahrhundert war das Rückgriffsrecht bei vertraglichen Gesamtschulden vom Nachweis eines solchen besonderen Innenverhältnisses abhängig. Bei den Beratungen zum BGB beschloss man zuerst eine tatsächliche Vermutung eines rechtsgeschäftlichen Innenverhältnisses, aus der schließlich, weil man auch gesetzliche Gesamtschuldverhältnisse mit einbezog, die dispositive Regressvorschrift des § 426 I wurde. Inhaltlich ähnelt der Gesamtschuldregress mit seinem nur anteiligen Rückgriff, dem Vorrang der Parteivereinbarung und der Insolvenzregel des § 426 I 2 dem Regress unter Personengesellschaftern. Sofern unter den Gesamtschuldnern ein vertragliches Rückgriffsrecht besteht, ist eine Heranziehung des § 426 I überflüssig und schädlich, weil die Anspruchsgrundlage ohne Not verdoppelt wird und Regressrechte auch dann angenommen werden, wenn sie nach dem Innenverhältnis, etwa wegen Verjährung, nicht bestehen sollen. Auch im Falle einer rechtsfähigen Außengesellschaft wird der Regress unter den Gesellschaftern selbst, sofern er zulässig ist, nicht erst durch die Vorschrift des § 426 I ermöglicht, sondern findet seine Grundlage im vertraglichen Innenverhältnis. Die Annahme der ganz herrschenden Lehre, dass das Gesamtschuldverhältnis Mitwirkungs- und Befreiungsansprüche hervorbringt, beruht auf einer Äuße506 Kommentar zu Art. 10:106 PECL, Anm. A, der allerdings auf mögliche Mitwirkungspflichten nach dem Prinzip von Treu und Glauben hinweist. Dafür umfasst der Ausgleichsanspruch nach den Principles auch die Prozesskosten, Art. 10:106 (1) PECL. Vorbild hierfür mag die entsprechende Regel im niederländischen Gesetzbuch gewesen sein, Art. 6:10 (3) BW. Wie die PECL auch der DCFR, Art. III-4:107 (1).
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VII. Der Rückgriff unter vertraglichen Gesamtschuldnern
rung in den Motiven zum Ersten Entwurf, entspricht aber nicht der Auffassung der Ersten Kommission. Tatsächlich setzt sich die Annahme gesetzlicher Mitwirkungspflichten bei vertraglichen Gesamtschuldverhältnissen über die allgemeinen Regeln des Schuldrechts hinweg. Schadensersatzansprüche wegen versagter Mitwirkung können sich aus dem vertraglichen Innenverhältnis unter den Schuldnern ergeben, und zwar unabhängig davon, ob im Außenverhältnis Gesamt- oder Teilschulden bestehen. Befreiungsansprüche entstehen nicht schon mit der Fälligkeit der Gläubigerforderung, sondern nach der maßgeblichen Wertung des § 775 nur im Fall einer besonderen Risikoerhöhung oder bei Beendigung des vertraglichen Innenverhältnisses. Auch sonstige Verpflichtungen, etwa zur Mitwirkung an der Vertragsabwicklung, können ihre Grundlage ganz unabhängig von der Form der Außenhaftung nur in der Sonderbeziehung unter den Schuldnern haben, die durch den gemeinsamen Vertragsschluss entsteht. Ein gesetzliches Rückgriffsrecht aus § 426 I könnte nur dann gebraucht werden, wenn das Innenverhältnis nichtig ist. Dies setzt aber voraus, dass es nicht schon mit Hilfe anderer Regeln, etwa zur Geschäftsführung ohne Auftrag oder zum Bereicherungsrecht, möglich ist, entstandene Verluste unter den Parteien des nichtigen Innenverhältnisses zu verteilen.
VIII. Der Zessionsregress Soweit ein leistender Gesamtschuldner regressberechtigt ist, geht nach § 426 II die Forderung des Gläubigers gegen die Mitschuldner auf ihn über. Der leistende Gesamtschuldner ist also nicht darauf beschränkt, seinen Regressanspruch aus dem Innenverhältnis oder aus § 426 I geltend zu machen, sondern kann sich daneben auch der Gläubigerforderung bedienen. Einen solchen Forderungsübergang zu Regresszwecken kennt das BGB auch an anderen Stellen, etwa beim Regress des Ablösungsberechtigten (§ 268 III), des Bürgen (§ 774) oder des dinglichen Sicherers (§§ 1143, 1225) gegen den Hauptschuldner. Ein Rückgriff mittels der übergegangenen Gläubigerforderung kann gegenüber einem Rückgriff aus eigenem Recht Vorteile haben, etwa eine besondere sachliche, örtliche und funktionelle Gerichtszuständigkeit oder die Geltung einer Schiedsvereinbarung. Praktisch am wichtigsten ist aber der mit dem Forderungsübergang nach §§ 412, 401 verbundene Übergang der Neben- und Vorzugsrechte. Die primäre Funktion des § 426 II ist es daher, den Regressanspruch des leistenden Gesamtschuldners für den Fall der Zahlungsunfähigkeit des Mitschuldners abzusichern. Die Verwendung der Gläubigerforderung zu Regresszwecken ist keine Erfindung des BGB, sondern war schon dem römischen Recht bekannt. Vorläufer des automatischen Übergangs der Gläubigerforderung war ein Anspruch des Regressberechtigten gegen den Gläubiger auf Abtretung der Rechte gegen den Regressverpflichteten. Der rechtsgeschäftliche oder gesetzliche Übergang der Gläubigerforderung unterscheidet sich von einer gewöhnlichen Abtretung i.S.d. § 398 dadurch, dass er allein zu Regresszwecken erfolgt. Die Indienstnahme der Gläubigerforderung für einen ihr völlig fremden Zweck hat stets zu Problemen bei der Frage geführt, wie dieser Übergang vonstatten gehen soll und welche Rechtsfolgen mit ihm verbunden sind. Des Weiteren stellt sich die Frage, warum gerade Gesamtschuldner von den besonderen Vorteilen des Zessionsregresses profitieren sollen.
1. Die Frage nach einem Derivativregress für Gesamtschuldner in historisch-vergleichender Perspektive Im römischen Recht war die Technik, die Forderung des Gläubigers zu Regresszwecken zu verwenden, weit verbreitet. Eine Forderungsabtretung im heutigen Sinne (§ 398) war allerdings unbekannt: Nach römischer Auffassung konnte das
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VIII. Der Zessionsregress
Forderungsrecht als persönliches Band zwischen Gläubiger und Schuldner nicht von der Person des Gläubigers losgelöst werden. Um dem praktischen Bedürfnis entgegenzukommen, den wirtschaftlichen Wert einer Forderung einem anderen zukommen zu lassen, behalf man sich mit dem Institut der Prozessvertretung1. Dem Gläubiger war es gestattet, einen Dritten mit der gerichtlichen Einziehung seiner Forderung zu beauftragen2. Sollte die Forderung im Ergebnis dem Vermögen eines Dritten zukommen, konnte dieser vom Gläubiger ermächtigt werden, sie in eigenem Namen und eigenem Interesse als sog. procurator in rem suam einzuklagen. Die so gewonnene Rechtsstellung des Dritten war ursprünglich nicht ganz dieselbe wie die eines heutigen Zessionars, weil der Gläubiger bis zum Zeitpunkt der Klageerhebung durch den Dritten die Ermächtigung widerrufen oder die Forderung selbst einklagen konnte. Im Laufe der Zeit gewährte man dem Dritten auch ein eigenes Klagerecht und schütze ihn schließlich auch vor Beeinträchtigungen durch den Altgläubiger, sobald der Schuldner von der Abtretung in Kenntnis gesetzt worden war. Im justinianischen Recht ähnelte die Stellung des Dritten daher derjenigen eines heutigen Zessionars. Diese Technik der „Abtretung“ in Form der Einräumung des Klagerechts wurde schon in klassischer Zeit zu Regresszwecken bei Gesamtschuldverhältnissen eingesetzt. Der zahlende Bürge konnte mit Hilfe der abgetretenen Gläubigerklage Regress nicht nur beim Schuldner, sondern auch bei Mitbürgen nehmen3. Häufig wird der Regress mit Hilfe der Gläubigerklage bei der gesamtschuldnerischen Haftung von Mitvormündern erwähnt4, ferner bei steuerrechtlichen Gesamtschuldverhältnissen5, im Rahmen der adjektizischen Haftung6 und schließlich auch bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden7. Die Quellen sprechen meist von einer Abtretung oder Übertragung der Klagen8. Ebenso konnte der Zahlende für seinen Regress auch auf Sicherheiten zugreifen, die für die Forderung bestellt worden waren9. 1
Hierzu und zum Folgenden Zaun, ArchPrRW nF 1 (1864), 18 ff.; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 153 I; Zimmermann, Law of Obligations, 58 ff.; HKK/C.Hattenhauer, §§ 398–413 Rz 8. 2 Einzelheiten bei Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht, § 29. 3 Julian D.46,1,17; Paulus D.46,1,36; Modestin D.46,1,39; Papinian D.46,6,12; Severus C.8,40,2; Alexander C.8,40,11; Gordian C.8,40,14; Diocletian C.8,40,21; zu Kreditmandatoren Modestin D.46,1,41,1. 4 Papinian D.26,7,38,2, D.26,7,42, D.27,3,21; Ulpian D.27,3,1,13, D.27,3,1,18; Diocletian C.5,51,6; Carinus C.5,52,2; Antoninus C.5,58,2; vielleicht auch Severus C.5,58,1 (hier ist nicht sicher, ob der Zahlende Gesamtschuldner war); siehe Seiler, Negotiorum gestio, 179 ff.; Emunds, Solvendo, 84 f. 5 Papinian D.50,15,5 pr. 6 Ulpian D.10,2,18,5, D.15,1,30,3. 7 Marcellus D.19,2,47; Valerian C.4,65,13; vgl. Papinian D.21,2,65. 8 Praestare (D.19,2,47, D.21,2,65, D.26,7,38,2, D.46,1,36, D.46,6,12), mandare (D.27,3,1,13, D.27,3,1,18, D.46,1,41,1, C.5,58,2, C.8,40,14), cedere (D.27,3,21, D.46,1,39, C.5,52,2, C.8,40,11), transferre (C.5,51,6, C.5,52,2) actiones. Vom procurator in rem suam sprechen D.26,7,42, C.5,58,1. 9 Vgl. Paulus D.17,1,59,1; Papinian D.20,5,2; Valerian C.4,65,13; Severus C.8,40,2; Alexander C.8,40,11; Gordian C.8,40,14; Diocletian C.8,40,21; Zimmermann, Obligations, 134.
1. Die Frage nach einem Derivativregress für Gesamtschuldner
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Ein allgemeines Recht des den Gläubiger befriedigenden Gesamtschuldners, von diesem die Abtretung seiner Klagen zu verlangen, war dem klassischen Recht allerdings noch unbekannt. Die in den Quellen zu einzelnen Gesamtschuldverhältnissen erwähnten Rechte auf Klagezession entstammen unterschiedlichen Zeitpunkten10. Häufig wird das Zessionsrecht bei der solidarischen Haftung von Mitvormündern erwähnt, manchmal allein, manchmal als Alternative zur eigenen Regressklage. Ursprünglich diente es dazu, einem Vormund einen Totalregress gegen einen Mitvormund zu ermöglichen, für dessen Pflichtverletzung der erste Vormund im Rahmen seiner solidarischen Haftung einzustehen hatte11. Spätestens im justinianischen Recht wurde der Zessionsregress aber auch zum anteiligen Rückgriff unter mehreren intern gleichrangig haftenden Vormündern eingesetzt12. Ebenfalls in nachklassischen Quellen erwähnt wird ein Recht des Bürgen, vom Gläubiger Klageabtretungen zum Zweck des Regresses gegenüber Hauptschuldner und Mitbürgen zu verlangen13. Dieses Recht wurde im Jahre 535 von Justinian in der Nov. 4,1 allgemein angeordnet. Bei anderen Arten von Gesamtschuldverhältnissen finden sich Hinweise auf ein Recht auf Klageabtretung in den Digesten, wobei aber nicht immer klar ist, ob es sich um eine klassische oder justinianische Quelle handelt. Erwähnt wird ein (wohl schon aus klassischer Zeit stammendes) Zessionsrecht bei solidarisch haftenden Kreditmandatoren14 und Vormundsbürgen15 sowie (möglicherweise erst justinianisch) im Rahmen der adjektizischen Haftung16, nicht aber bei der gesamtschuldnerischen Haftung von Miterben für unteilbare Leistungen. Bei vertraglich vereinbarten Gesamtschuldverhältnissen wird – neben einem nicht ganz aussagekräftigen Hinweis in einer Digestenstelle17 – ein Zessionsrecht 10 Levy, Konkurrenz I, 237 f.; Wesener, Labeo 11 (1965), 350 ff. (vgl. auch Gerhard Beseler, Beiträge IV, 275 ff.). 11 Ulpian D.27,3,1,13 (ex facto alterius tutoris) und § 18; Antoninus C.5,58,2 (212); vielleicht auch Severus C.5,58,1 (201). Hierzu unten, 506 ff. 12 Ulpian D.27,3,1,13 (vel ex communi gestu); vielleicht auch schon Carinus C.5,52,2 (284); Diocletian C.5,51,6 (290); vgl. Papinian D.26,7,38,2. 13 Severus C.8,40,2; Alexander C.8,40,11; Diocletian C.8,40,21; siehe auch Julian D.46,1,17; Paulus D.46,1,36. Hierzu Levy, Konkurrenz I, 237; Wesener, Labeo 11 (1965), 350; Medicus, FS Kaser, 395 f.; Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. I, § 155 II 5, Bd. II, § 278 I 3; Zimmermann, Obligations, 134 ff.; Dieckmann, Derivativregreß, 41 ff.; und unten, 1091 ff. 14 Modestin D.46,1,41,1. 15 Papinian D.46,6,12. Anders als gewöhnlichen Bürgen stand Vormundsbürgen nicht die Teilungseinrede zu, vgl. oben, 235. 16 Vgl. Ulpian D.10,2,18,5; Levy, Konkurrenz I, 225 Fn. 2, 238 Fn. 4; Kaser, Römisches Privatrecht II, § 277 Fn. 26. Siehe auch Ulpian D.15,1,30,3; hier könnte es aber auch um eine sog. Annalklage gehen, bei der jeder Miterbe nur in Höhe seines eigenen Sonderguts, im Ergebnis also anteilig, haftet, so Levy, Konkurrenz I, 227 Fn. 2, 249 Fn. 7, 250 f. 17 In Papinian D.21,2,65 geht es um den Regress eines Mitverkäufers, der als Teilschuldner im Rahmen der Eviktionshaftung in Anspruch genommen wird, gegen denjenigen Mitverkäufer, der für den Rechtsmangel verantwortlich ist. Bei der Verneinung der Frage, ob der nicht verantwortliche Mitverkäufer vom Gläubiger die Abtretung der Klage gegen den Verantwortlichen verlangen kann, wird erwähnt, dass es sich nicht um ein Gesamtschuldverhältnis handelt. Hierzu Levy, Konkurrenz I, 225; Schmieder, Duo rei, 161 Fn. 655.
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VIII. Der Zessionsregress
nur in zwei Quellen erwähnt. Ein Marcellus zugeschriebenes Digestenfragment über ein Klageabtretungsrecht bei solidarisch haftenden Käufern und Mietern ist nach heute überwiegender Ansicht interpoliert18. Authentisch kann demgegenüber eine Codexstelle von 259 sein, wonach bei solidarisch haftenden Pächtern der Zahlende ein Recht auf Übertragung der für die Gläubigerforderung bestellten Pfänder hat19. Aus dieser eher dünnen Quellenlage kann der Schluss gezogen werden, dass das Recht auf Klagenzession bei vertraglichen Gesamtschulden nicht klassisch ist20, wohl aber schon im vorjustinianischen Recht bekannt war und unter Justinian erweitert wurde. Grundlage des Zessionsrechts war hier die exceptio doli21. Möglicherweise kam es in dieser Zeit zu einem allgemeinen Recht auf Klagezession bei Gesamtschuldverhältnissen22. Die Schriftsteller des Gemeinen Rechts knüpften an diese Tradition an. Der Regress mit Hilfe der Gläubigerforderung war von der Beantwortung der Frage abhängig, ob der leistende Gesamtschuldner vom Gläubiger die Abtretung seiner Klagerechte (oder, nach Anerkennung der Zulässigkeit der Forderungsabtretung, seiner Forderung) verlangen konnte, ob er also ein sog. beneficium cedendarum actionum hatte. Beim Bürgen war wegen der Novelle 4 das Recht auf Klagenabtretung, um damit Regress gegenüber dem Hauptschuldner und den Mitbürgen zu nehmen, allgemein anerkannt. Bei gewöhnlichen Gesamtschuldverhältnissen dagegen wurde der Frage, inwieweit der Gesamtschuldner die Gläubigerforderung zu Regresszwecken heranziehen und damit von bestellten Sicherheiten profitieren konnte, aus heutiger Sicht nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob es überhaupt ein Regressrecht aus der Gesamtschuld gab. Einige Autoren bejahten sowohl ein eigenes Rückgriffsrecht als auch ein Recht zur Klageabtretung23. Andere lehnten ein Zessionsrecht des leistenden Gesamtschuldners ausdrücklich ab24 oder erwähnten es zumindest nicht25. Sehr häufig aber findet sich in der Literatur nach mehr oder weniger ausführlichen Erörterungen über das Nichtbestehen eines Rückgriffsanspruchs die eher beiläufige Bemerkung, der zahlende Gesamtschuldner könne aber vom Gläubiger die Abtre18 Marcellus D.19,2,47; vgl. Levy, Konkurrenz I, 217 f., 225; Wesener, Labeo 11 (1965), 355; Schmieder, Duo rei, 192 ff. 19 Valerian C.4,65,13; vgl. Levy, Konkurrenz I, 238; Wesener, Labeo 11 (1965), 353; Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. I, § 154 Fn. 40, Bd. II, § 277 Fn. 23; Schmieder, Duo rei, 200 f. 20 So auch Medicus, FS Kaser, 402; Kim, Zessionsregreß, 20 ff.; Schmieder, Duo rei, 163. 21 Ulpian D.10,2,18,5; Papinian D.21,2,65; Levy, Konkurrenz I, 225; Wesener, Labeo 11 (1965), 355. 22 So Wesener, Labeo 11 (1965), 355; Kaser, Römisches Privatrecht II, § 277 II 2; Zimmermann, Obligations, 137. 23 Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst.3,16(17),1, § 4; Pothier, Obligations, § 280 (dagegen keine Erwähnung eines Rechts auf Zession bei Domat, Loix civiles, § 1834); i.E. ebenso Sintenis, Civilrecht, § 89 nach Fn. 51. 24 Etwa Glück, Pandecten IV, 528; Samhaber, Correalobligation, 192 ff. 25 Vgl. Domat, Loix civiles, § 1834; Thibaut, Pandekten, § 227 (1834: § 138); Bucher, Forderungen, § 117; Göschen, Obligationenrecht, § 374 Nr. 4; Unger, JhJb 22 (1884), 271 ff.; Dernburg, Pandekten II, § 73 Nr. 5; Eisele, AcP 77 (1891), 479 f.
1. Die Frage nach einem Derivativregress für Gesamtschuldner
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tung der Klagerechte gegen die Mitschuldner verlangen26. Soweit man diesen Satz überhaupt begründete, stützte man ihn wie im römischen Recht auf die Arglisteinrede: Da der Gläubiger durch die Leistung eines Schuldners vollständig befriedigt sei, habe er kein Interesse mehr an den Klagen gegen die übrigen Schuldner und handle daher dolos, wenn er die Abtretung verweigere. Mittels der exceptio doli könne der belangte Schuldner seine Leistung daher zurückbehalten, solange der Gläubiger nicht zur Abtretung bereit sei27. Die Berufung auf das fehlende entgegenstehende Gläubigerinteresse überzeugt aus heutiger Sicht nicht, da bei der Frage nach dem Zessionsregress andere Interessen im Spiel sind: Soweit der Regress durch die Zession erst ermöglicht werden soll, steht dem Interesse des leistenden Gesamtschuldners das Interesse des anderen Gesamtschuldners gegenüber. Soll die Zession einen ohnehin bestehenden Regress sichern, werden insbesondere die Interessen der Gläubiger des anderen Gesamtschuldners betroffen. Doch die Privilegierung des leistenden Gesamtschuldners im Verhältnis zu diesen Gläubigern, die durch den Übergang der bestellten Sicherheiten erreicht wird, wurde in der gemeinrechtlichen Literatur nicht thematisiert. Bezeichnend ist insofern eine Entscheidung des Oberappellationsgerichts Rostock von 185728. Zwei Gesellschafter einer OHG hatten einen Kredit aufgenommen und dafür eine Sache verpfändet. Als der die Schuld begleichende Gesellschafter vom Gläubiger die Rückgabe des Pfandes forderte, verlangte dieser eine Ermächtigung des anderen Gesellschafters. Das Gericht begründete ausführlich, warum der leistende Gesellschafter aus eigenem Recht Rückgabe des Pfandes an sich selbst verlangen konnte, um damit seinen Regress gegen den anderen Gesellschafter aus der actio pro socio zu sichern. Die Frage nach einem Zessionsregress, die aus heutiger Sicht über das Schicksal der verpfändeten Sache entschieden hätte, wurde gar nicht gestellt. Bei der Frage nach dem Zessionsregress ging es also nicht um die dem Gläubiger gestellten Sicherheiten, sondern in erster Linie darum, ob ein Regress überhaupt stattfindet. Besonders deutlich wird dies bei den gemeinrechtlichen Autoren des 19. Jahrhunderts, die den Versuch unternahmen, ein allgemeines Regressrecht aus dem Gesamtschuldverhältnis zu begründen29. Während Jhering, Kohler 26
Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 7; Mühlenbruch, Cession, 412, 414 f.; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 180 III 1 D, § 534 II 6; Koch, Forderungen II, § 66, S. 39; ders., ALR, Anm. zu I 14 § 304; Seuffert, Pandekten, § 228 bei Fn. 18; Burchardi, Obligationenrecht, § 247 bei Fn. 34; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap III/1, Nr. 2 (S. 93); Puchta, Pandekten, § 235 a.E.; Müller, Institutionen, § 97 II; Baron, Pandekten, § 245 III 1 b; Goldschmidt, ZHR 14 (1870), 415 ff.; Oertmann, AcP 82 (1894), 377, 379 f.; einschränkend auch Brinz, Pandekten, § 236, Anm. 6, § 253 a.E.; zu unteilbaren Leistungen auch Ubbelohde, Unteilbare Obligationen, 278; aus der Rechtsprechung etwa ObG Wolfenbüttel, SeuffA 25 Nr. 223 (23.6.1855); ROHGE 18, 70, 75 (29.6.1875). 27 Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 180; Savigny, Obligationenrecht I, 241 f.; Müller, Institutionen, § 97 II, Fn. 12; Goldschmidt, ZHR 14 (1870), 415 ff.; ObG Wolfenbüttel, SeuffA 25 Nr. 223 (23.6.1855); ähnlich Zaun, ArchPrRW nF 1 (1864), 136. 28 OAG Rostock, SeuffA 28 Nr. 111 (17.12.1857). 29 Hierzu oben, 276 ff.
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VIII. Der Zessionsregress
und Unger einen eigenen Regressanspruch wegen Tilgung einer intern fremden Schuld befürworteten, nahm Savigny den Zessionsregress zu Hilfe: Danach konnte der leistende Gesamtschuldner deswegen anteiligen Regress bei seinen Mitschuldnern nehmen, weil mittels fingierter Zession die Gläubigerforderung auf ihn übergegangen war30. Dass der leistende Gesamtschuldner mit diesem Ansatz auch von den bestellten Sicherheiten profitieren konnte und insofern besser stand als bei Annahme eines bloßen schuldrechtlichen Regressanspruchs, wurde weder von Savigny noch in der sonstigen Literatur überhaupt erwähnt31. Primär ging es um die Frage nach dem Rückgriffsrecht des leistenden Gesamtschuldners; das technische Mittel zum Rückgriff, ob eigener oder Zessionsregress, war demgegenüber sekundär. Im Laufe des 19. Jahrhunderts gewann aber auch eine andere Auffassung Raum, nach der ein Zessionsrecht nur dann bestehen sollte, wenn der leistende Gesamtschuldner schon aus einem anderen Grund zum Rückgriff berechtigt war32. Der Zessionsregress dient hier nicht der Rückgriffsbegründung, sondern der Rückgriffssicherung33. Diese unter anderem von Windscheid vertretene Auffassung teilte auch der Schuldrechtsredaktor von Kübel. Nach seinem Vorlageentwurf sollte, wie berichtet, ein Rückgriffsrecht des leistenden Gesamtschuldners nur dann bestehen, wenn ein entsprechendes vertragliches Innenverhältnis oder eine besondere gesetzliche Vorschrift vorlag. Wenn aber der Gesamtschuldner einen solchen Rückgriffsanspruch hatte, dann sollte er in Höhe dieses Rückgriffsrechts auch die Rechte des Gläubigers geltend machen können34. Letzteres war auch die Auffassung der Ersten Kommission, die erstmals die Sicherung des Regresses durch den Übergang der akzessorischen Sicherheiten auf den leistenden Gesamtschuldner betonte35. Nach Einführung des allgemeinen Gesamtschuldregresses sichert der Forderungsübergang nun nicht mehr ein eventuell bestehendes besonderes Rückgriffsrecht, sondern allgemein den Regress aus § 426 I. Ein solcher Derivativregress, der ein bestehendes Rückgriffsrecht voraussetzt und absichert, war bereits in Frankreich und in der Schweiz bekannt. Den Code 30 Savigny, Obligationenrecht I, 240 ff.; ebenso Sintenis, Civilrecht, § 89 bei Fn. 52; Schmid, Cession I, 369 ff.; i.E. auch Zaun, ArchPrRW nF 1 (1864), 131 ff. 31 Eine Ausnahme bilden Sell, ZCRPr 3 (1830), 380 f., 384 f.; und Zaun, ArchPrRW nF1 (1864), 139. 32 Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 3 (S. 83), § 574 Anm. 3 Nr. 5 (S. 124); Windscheid, Pandekten, § 294; Wächter, Pandekten, § 177 III 10; Wendt, Pandekten, § 207; wohl auch Römer, ZHR 18 (1873), 27 f., 31 f. Für einen Gleichlauf von Rückgriffsanspruch und Zessionsregress auch OAG Dresden, SeuffA 17 Nr. 39 (4.10.1862); RGZ 28, 187, 190 f. (5.1.1892); bei deliktischen Gesamtschulden RGZ 33, 67, 75 (23.9.1893); OLG Hamburg (1.4.1895), bestätigt durch RG (28.9.1895), SeuffA 52 Nr. 7. 33 Gegen diese Ansicht ausdrücklich Brinz, Pandekten, § 236 Nr. 6, § 256 Nr. 3, wonach der Zessionsregress gerade dann von Bedeutung ist, wenn es kein eigenes Rückgriffsrecht gibt. 34 VorlE 1878, These XV, § 21 I 2; hierzu Motive zum VorlE, 60 (Schubert, SR III, 1272). 35 Und zwar schon in den Beratungen zum Vorlageentwurf, Jakobs/Schubert, SR I, 904. In den Motiven zum darauf folgenden Teilentwurf (§ 20 I 2) nahm von Kübel diesen Hinweis auf, Motive zum TeilE, 58 (Schubert, SR I, 110).
1. Die Frage nach einem Derivativregress für Gesamtschuldner
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Civil prägte insoweit die zeitgenössische französische gemeinrechtliche Auffassung, wonach der leistende Gesamtschuldner nicht nur ein eigenes Rückgriffsrecht, sondern auch ein Recht auf Zession hatte36. Daher findet sich neben dem eigenen Rückgriffsanspruch auch das Institut der subrogation. Nach Art. 1251 Nr. 3 CC tritt derjenige in die Rechte des Gläubigers ein, der eine Forderung begleicht, hinsichtlich der er mit anderen oder für andere haftet, womit unter anderem Gesamtschuldverhältnisse gemeint sind. In der Schweiz sah schon das Züricher Gesetzbuch von 185537, dann auch das Schweizer Obligationenrecht von 188138 einen Übergang der Gläubigerrechte auf den leistenden Gesamtschuldner vor. Ganz anders präsentierten sich demgegenüber die dem BGB vorausgehenden deutschen und österreichischen Regelwerke. Der bayerische CMBC, das preußische ALR, das österreichische ABGB sowie der Sächsische, Hessische und Bayerische Entwurf sahen zwar ein Rückgriffsrecht des leistenden Gesamtschuldners vor39. Von einem Zessionsanspruch, einem Forderungsübergang oder einem Eintritt in die Rechte des Gläubigers ist hier aber nicht die Rede. Ebenso wenig wurde das Rückgriffsrecht, das dem Gesamtschuldner nach dem Sächsischen BGB und dem Dresdner Entwurf auf vertraglicher und besonderer gesetzlicher Grundlage zustehen sollte, durch einen Zessionsregress abgesichert40. Dieser Befund ist bemerkenswert angesichts der wohl herrschenden gemeinrechtlichen Lehre, die von einem Zessionsrecht des leistenden Gesamtschuldners sprach. Eine mögliche Erklärung liegt darin, dass der Zessionsanspruch im Gemeinen Recht in erster Linie nicht der Sicherung eines Rückgriffsrechts dienen, sondern den Regress erst ermöglichen sollte. Die erstgenannten Regelwerke hatten aber ein allgemeines Rückgriffsrecht des leistenden Gesamtschuldners eingeführt, so dass der Zessionsregress zur Regressbegründung nicht mehr gebraucht wurde. Besonders deutlich wird diese Motivation beim CMBC, der nicht nur bei Gesamtschuldverhältnissen, sondern auch beim Bürgen auf einen Zessionsregress verzichtete. Dem Bürgen wurde ein eigenes Rückgriffsrecht gegen Hauptschuldner und Mitbürgen eingeräumt, womit er nach dem CMBC „das sogenannte Beneficium cedendarum actionum als eine Römische Rechts-Subtilität heut zu Tag nicht mehr vonnöthen“ hatte41. Die Gesetzgeber des Sächsischen BGB und des 36
Mestre, Subrogation, §§ 17 ff. ZürGB §§ 942 S. 2, 1027. 38 OR 1881 Art. 168 III (OR 1911 Art. 149 I); für unteilbare Leistungen Art. 79 III (OR 1911 Art. 70 III). 39 CMBC IV 1 § 23; ALR I 5 §§ 443–445; ABGB § 896; SächsE § 607; HessE IV 1 Art. 12; BayE II Art. 239. 40 SächsGB § 1036; DresdE Art. 16. 41 CMBC IV 10 § 14 Nr. 6; hierzu Kreittmayr, Anmerkungen IV, 571 f. Der Revisionsentwurf zum CMBC von 1811 sah demgegenüber neben dem eigenen Regressanspruch ein Eintrittsrecht für den Bürgen vor, CMBC-RevE IV 10 § 16 Nr. 2. Auch der Drittzahler, dem der CMBC einen Derivativregress versagt hatte (CMBC IV 14 § 3 Nr. 4), sollte nun von einem Eintrittsrecht profitieren, das allerdings nicht die bestellten Sicherheiten umfasste, CMBC-RevE IV 16 § 3 Nr. 6–8. Bei Gesamtschulden gab es dagegen keine Änderung. 37
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VIII. Der Zessionsregress
Dresdener Entwurfs auf der anderen Seite gingen offenbar davon aus, dass bei bestehendem Rückgriffsrecht ein Zessionsregress nicht gebraucht wird, während in den Fällen, in denen ein Rückgriffsrecht des Gesamtschuldners nicht bestand, dieses auch nicht auf dem Umweg eines Zessionsanspruchs eingeräumt werden sollte42. Damit ist allerdings sachlich noch nicht erklärt, warum Gesamtschuldner durch die Versagung des Derivativregresses schlechter gestellt wurden als andere Regressberechtigte. Denn abgesehen vom CMBC sahen alle genannten Regelwerke für den zahlenden Bürgen einen Eintritt in die Gläubigerrechte oder einen Forderungsübergang vor, so dass er die für die Gläubigerforderung bestellten Sicherheiten zum Regress gegen den Hauptschuldner und häufig auch gegenüber den Mitbürgen verwenden konnte43. Diese Ungleichbehandlung von Bürgschaft und Gesamtschuld kann darauf zurückzuführen sein, dass im Gemeinen Recht das Zessionsrecht nur beim Bürgen durch positives Gesetz (Novelle 4,1) abgesichert war. Doch interessanterweise gewährt die Mehrheit der genannten Regelwerke – unter dem Einfluss naturrechtlichen Gedankenguts44 – den Derivativregress auch in einer Fallgruppe, in der er weder nach Gemeinem Recht45 noch nach heutigem deutschen Recht46 anerkannt ist, nämlich bei der einfachen Drittzahlung auf eine fremde Schuld. Nach dem preußischen ALR trat der Dritte, der eine fremde Schuld zahlte, in die Rechte des Gläubigers ein, womit er aber (anders als der Bürge) noch nicht von den bestellten Sicherheiten profitieren konnte. Hierfür bedurfte es einer besonderen Zession, auf die der Drittzahler aber, sofern der Schuldner der Zahlung nicht widersprochen hatte, einen Anspruch hatte47. Insofern war seine Stellung offenbar besser als diejenige des zahlenden Gesamtschuldners, der zumindest nach der Rechtsprechung nur seinen eigenen Ausgleichsanspruch geltend machen konnte48. Im österreichischen ABGB ist der Eintritt in die Rechte des Gläubigers allgemein in der Vorschrift des § 1358 geregelt, die in ihrer ursprünglichen Fassung lediglich die Zahlung der Schuld eines anderen verlangte. Nach wohl herrschender 42 So die Motive zu § 1036 SächsGB: Motive zu E II § 1968, S. 791; auch abgedruckt bei Siebenhaar/Pöschmann, SächsGB, Anm. zu § 1036. 43 ALR I 14 § 338; ABGB § 1358; SächsE § 859; HessE IV 2 Art. 603 II; BayE II Art. 879; SächsGB § 955; DresdE Art. 940; hierzu (beschränkt auf die Kodifikationen) Dieckmann, Derivativregreß, 56 ff. Weiteres unten, 1105 ff. 44 Vgl. Wolff, Jus Naturae V, § 718. Hierzu Kim, Zessionsregreß, 34 ff. 45 Gordian C.8,42,5; Pothier, Obligations, § 556; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 218 II mit Fn. d, § 277 III 1 mit Fn. e; Mühlenbruch, Cession, § 37 V a.E., S. 418; Sintenis, Civilrecht, § 103 nach Fn. 38, § 129 Fn. 55; Oertmann, AcP 82 (1894), 377, 379 f., 440; ausführlich Emunds, Solvendo, 68 ff. 46 Vgl. § 267, 268 BGB. 47 ALR I 16 § 46–50, vgl. I 11 § 442; hierzu auch RGZ 3, 34, 47 f. (24.11.1880); Oertmann, AcP 82 (1894), 503 ff.; Dieckmann, Derivativregreß, 60 f.; Kim, Zessionsregreß, 37 ff. Zeitgenössische Kritik an dieser Regelung bei Koch, Forderungen II, 625 ff. 48 So Bundes-OHG Leipzig, SeuffA 25 Nr. 11 (8.11.1870).
1. Die Frage nach einem Derivativregress für Gesamtschuldner
397
Lehre im 19. Jahrhundert galt die Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut nicht für sämtliche Drittzahler, sondern verlangte eine eigene Haftung des Zahlenden49. Dem schloss sich der Gesetzgeber an: Nach der ab der 3. Teilnovelle 1916 geltenden Fassung des § 1358 tritt derjenige in die Rechte des Gläubigers ein, der „eine fremde Schuld bezahlt, für die er persönlich oder mit bestimmten Vermögensstücken haftet“. Hierzu gehören unstreitig der Bürge und der Pfandbesteller. Für den gewöhnlichen Drittzahler sah die ursprüngliche Fassung des ABGB einen Zessionsanspruch vor, sofern die Zahlung mit dem Willen des Schuldners geschah oder vom Gläubiger angenommen wurde50. Heute, nach den Änderungen von 1916, erfolgt die Zession nach § 1422 sogar automatisch, sofern der Drittzahler sie verlangt. Die Frage, ob der leistende Gesamtschuldner, dem das ABGB in § 896 „auch ohne geschehene Rechtsabtretung“ einen einfachen Rückgriffsanspruch einräumt, auch von einem solchen Eintrittsrecht oder Zessionsrecht profitieren kann, ist bis heute strittig. Die wohl herrschende Lehre lehnt eine Anwendung des § 1358 auf gewöhnliche Gesamtschuldner ab51. Allein der Schuldbeitretende, für den die Schuld „materiell“ eine völlig fremde ist, soll nach § 1358 bei Zahlung in die Gläubigerrechte eintreten. Manche nehmen an, dass zwar nicht die Gläubigerforderung, wohl aber die bestellten Sicherheiten auf den leistenden Gesamtschuldner übergehen und nun seinen Rückgriffsanspruch aus § 896 sichern; andere gehen eher beiläufig davon aus, dass der Gesamtschuldner gegenüber dem Gläubiger einen Zessionsanspruch (wohl wegen § 1422) hat. Die (durch die Regelung des § 426 II BGB beeinflusste) Diskussion ist aus deutscher Sicht etwas verworren, was auch an der Fassung des § 1358 liegt, die eine Zahlung auf eine fremde Schuld verlangt. Unplausibel ist es von vornherein, bei Gesamtschuldnern ein Zessionsrecht i.S.d. § 1422 anzunehmen: Wenn der Gesamtschuldner schon wie ein Drittleistender behandelt wird, dann müsste man auch seine eigene Haftung berücksichtigen und dann zu § 1358 kommen. Grundsätzlich aber leistet der Gesamtschuldner auf eine eigene Schuld, nicht auf eine fremde. Dasselbe trifft allerdings auch für den Bürgen zu, für den § 1358 unzweifelhaft gilt. Gemeint ist also, wie auch die Literatur betont, eine Zahlung auf eine formell eigene, aber „materiell“ fremde Schuld. Wenn aber der Schuldbeitretende in die Gläubigerrechte eintritt, 49 Etwa Stubenrauch, ABGB, § 1358 Anm. 1; Nippel, ABGB, § 1358 Anm. 1; Krasnopolski, GrünZ 18 (1891), 782 ff.; dagegen Strohal, GrünZ 9 (1882), 670 ff.; Koban, Regress, 115 ff.; siehe auch Oertmann, AcP 82 (1894), 510. Übersicht zum Streitstand bei Koban, a.a.O., 113 ff.; Dieckmann, Derivativregreß, 69 f.; zum Hintergrund Kim, Zessionsregreß, 42 ff. 50 ABGB a.F. § 1422, 1423; vgl. Dieckmann, Derivativregreß, 69 ff. 51 Aus dem 19. Jahrhundert Stubenrauch, ABGB, § 896 Anm. 3, § 1358 Anm. 1; Nippel, ABGB, § 896 Anm. 2; Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 179 ff., 185 f. Zur heutigen Diskussion Rummel/Gamerith, ABGB, § 896 Rz 1 a, 5, 5 a, § 1358 Rz 1; Klang/Perner, ABGB, § 896 Rz 4 ff.; Ehrenzweig/Mayrhofer, System II/1, § 16 I bei Fn. 12; Schwimann/Apathy/Riedler, ABGB, § 896 Rz 6; Rudolf, Schuldnermehrheiten, 236 ff.; jeweils m.w.N. Aus der Rechtsprechung etwa OGH GlUNF Nr. 506 (8.2.1899); OGH GlUNF Nr. 4526 (10.2.1909); OGH RZ 1961, 45 (30.6.1960); OGH SZ 58 Nr. 132 (28.8.1985).
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VIII. Der Zessionsregress
weil seine Schuld „materiell“ fremd ist, dann ist nicht klar, warum dasselbe nicht auch für sonstige Gesamtschuldner gilt, die im Innenverhältnis nicht haften, und warum nicht darüber hinaus das Eintrittsrecht allen Gesamtschuldnern in Höhe ihres Regressrechts zukommen soll, denn in dieser Höhe ist ihre Schuld „materiell“ fremd. Dies ist die Ansicht Koziols, wonach der Gesamtschuldregress allein durch den Eintritt in die Gläubigerrechte nach § 1358 stattfinden soll, während § 896 lediglich die interne Teilung der Schuld anordnet und keinen eigenen Rückgriffsanspruch darstellt52. Gschnitzer legt dagegen schon § 896 im Sinne des § 426 BGB aus: Dem Leistenden sollen ein eigenes Rückgriffsrecht und in dieser Höhe zusätzlich die Vorteile der Gläubigerforderung zugutekommen. Eine Anwendung des § 1358 soll daneben nicht notwendig sein53. Einen eigenen, durch die Sicherheiten der Gläubigerforderung verstärkten Gesamtschuldregress nimmt in neuerer Zeit offenbar auch der Oberste Gerichtshof an54. In Anknüpfung an die österreichische Tradition sah auch der Sächsische Entwurf von 1852 ein Eintrittsrecht für Bürgen und Schuldbeitretende sowie einen Zessionsanspruch für den Drittleistenden vor, wogegen der Gesamtschuldner nur einen einfachen Rückgriffsanspruch haben sollte55. Das Sächsische BGB arbeitete mit einer fingierten Zession auf Verlangen des Leistenden, die nicht nur dem leistenden Bürgen, sondern auch dem Drittzahler zugutekam56. Dem leistenden Gesamtschuldner aber war nach der Vorstellung des Gesetzgebers und nach der Rechtsprechung diese Form des Zessionsregresses versagt57. Der Überblick zeigt, dass in den genannten Regelwerken bei der Frage des Derivativregresses häufig anders gewertet wurde als im BGB. Stets kann der Bürge und häufig auch der Drittzahler die Gläubigerforderung zu Regresszwecken in Anspruch nehmen, nicht aber der gewöhnliche Gesamtschuldner. Die Gewährung des Derivativregresses für Drittzahler kann darauf zurückzuführen sein, dass ein Regress nach den Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag oder des Bereicherungsrechts noch nicht so selbstverständlich war wie heute. Dass der Auftragsbürge dagegen trotz unzweifelhaft bestehenden Regressanspruchs im Innenverhältnis zusätzlich von der Gläubigerforderung profitieren konnte, lässt sich wohl in erster Linie mit der historischen Tradition erklären. Angesichts der Tatsache, dass der Derivativregress des Gesamtschuldners in den Regelwerken vor dem BGB alles andere als selbstverständlich war, ist es be52 Koziol, JBl 1964, 310 f.; ders., Haftpflichtrecht I, Rz 14/21; ebenso Bacher, Ausgleichsansprüche, 90 ff., 108 f.; in diese Richtung nun auch Bydlinski/Coors, ÖJZ 2007, 275. 53 Klang/Gschnitzer, ABGB, §§ 895–896 Anm. I 2. Ebenso nun Klang/Perner, ABGB, § 896 Rz 95. 54 Etwa OGH SZ 68/29, S. 172 (9.2.1995); OGH JBl 2001, 647 (25.4.2001). 55 Zum Eintrittsrecht SächsE § 859; zum Zessionsanspruch SächsE § 969. Dieser Zessionsanspruch sollte nach den Motiven dem Bürgen nicht zustehen, weil er auf eine eigene Schuld zahlt, Motive zum SächsE, 202. Dasselbe müsste auch für Gesamtschuldner gelten. 56 SächsGB § 955. Zur Anwendung dieser Vorschrift auf Bürgen Motive zu E II-SächsGB § 982, S. 780; Hoffmann, SächsGB, § 1466 Anm. 2; Dieckmann, Derivativregreß, 71 ff. 57 Motive zu SächsGB-E II § 1968, S. 791 (auch bei Siebenhaar/Pöschmann, SächsGB, Anm. zu § 1036); Siebenhaar, Sächsisches Privatrecht, 577; Hoffmann, SächsGB, § 1036 Anm. 1.
1. Die Frage nach einem Derivativregress für Gesamtschuldner
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merkenswert, dass die Entscheidung des BGB-Gesetzgebers für einen Forderungsübergang nach § 426 II kaum begründet wurde. Von Kübel beschränkte sich in seinem Vorlageentwurf mit einem Hinweis auf die geplante Schweizer Regelung und auf die Bemerkung, dass der Forderungsübergang zur Sicherung des Regresses „sachgemäß und zweckentsprechend“ sei58. In den Kommissionsberatungen erhob sich kein Widerspruch, so dass die Frage nicht weiter diskutiert wurde. Ähnlich verhielt es sich übrigens bei der Versagung des Derivativregresses für einfache Drittzahler (§ 267), die zwar dem Gemeinen Recht, nicht aber den bestehenden Kodifikationen entsprach und trotzdem vom Gesetzgeber offenbar als selbstverständlich angesehen wurde59. Für die Entscheidung des Gesetzgebers zugunsten eines Forderungsübergangs bei Gesamtschuldverhältnissen wird neben dem Vorbild des Schweizer Obligationenrechts wohl auch die gemeinrechtliche Lage im 19. Jahrhundert eine Rolle gespielt haben. Die wohl herrschende Lehre bejahte einen auf die Arglisteinrede gestützten Zessionsanspruch. Strittig war aber insbesondere, ob und wann das Zessionsrecht gegenüber dem Gläubiger besonders geltend gemacht werden musste60. Hätte der Gesetzgeber bei Gesamtschuldverhältnissen nur ein Rückgriffsrecht vorgesehen, hätte sich die Diskussion um ein Zessionsrecht aus § 242 und seine Einzelheiten fortgesetzt. Eine klare Regelung zum Forderungsübergang erschien daher erforderlich. Die Alternative, sowohl einen Forderungsübergang als auch einen Zessionsanspruch ausdrücklich auszuschließen, hätte sich dagegen wohl zu weit vom Gemeinen Recht entfernt. Der Derivativregress bei Gesamtschuldverhältnissen findet sich auch in einer Mehrheit der europäischen Nachbarrechtsordnungen. Einen Eintritt in die Gläubigerrechte oder einen Forderungsübergang in Höhe der Rückgriffsforderung sehen neben der Schweiz und Frankreich nicht nur die französisch beeinflussten Rechtsordnungen Italiens und Spaniens, sondern auch das englische Recht sowie das neue niederländische Gesetzbuch vor61. Ein Eintrittsrecht findet sich daher auch in den Principles of European Contract Law62. Dieser Befund erübrigt aber
58 Motive zum VorlE, 60 (Schubert, SR III, 1272); entsprechend Motive zum TeilE, 58 (Schubert, SR I, 110). 59 Von Kübel spricht in den Motiven zu seinem Teilentwurf über die „Verpflichtung des Schuldners zur Erfüllung“, der § 267 BGB zugrunde liegt, kurz über den Regress des Drittleistenden gegen den Schuldner nach dem Innenverhältnis oder den Regeln zur G.o.A., Schubert, SR I, 772. In Mot. II, 33 (Mugdan II, 18) zum heutigen § 267 und in Mot. II, 120 (Mugdan II, 66) zum heutigen § 412 wird ein Derivativregress des Drittzahlers abgelehnt. Eine kontroverse Debatte fand bei den Gesetzesberatungen offenbar nicht statt, vgl. etwa Jakobs/Schubert, SachR II, 690 f. Ausführlich zur Entstehungsgeschichte der Legalzessionsregeln Kim, Zessionsregreß, 49 ff. 60 Dazu unten, 416 ff. 61 Ital. Codice Civile, Art. 1203 Nr. 3; span. Código Civil Art. 1210 Nr. 3; BW Art. 6:12. In England wurde das Eintrittsrecht bei Bürgen und Gesamtschuldnern, soweit nicht schon vom Fallrecht anerkannt, 1856 durch den Mercantile Law Amendment Act (19 & 20 Vict., c. 97), s. 5, eingeführt; hierzu Williams, Joint Obligations, 173 f.; Dieckmann, Derivativregreß, 151 ff.; Mitchell, Contribution, Rz 14.14 ff. 62 PECL Art. 10:106 II; ebenso DCFR Art. III-4:107 II.
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VIII. Der Zessionsregress
nicht die sachliche Frage, warum Gesamtschuldner von einem Derivativregress profitieren können, insbesondere dann, wenn anderen Gruppen von Regressberechtigten ein Forderungsübergang versagt wird.
2. Die Wertungsgrundlagen des Derivativregresses im BGB Die Entscheidung des BGB-Gesetzgebers, einen Derivativregress für den Bürgen, den Ablösungsberechtigten (§ 268) und den Gesamtschuldner, nicht aber für den einfachen Drittzahler zuzulassen, ist sachlich keinesfalls selbstverständlich63, sondern beruht auf einer Wertung, die nicht offen gelegt wurde. Nicht genügend ist jedenfalls die Erklärung, dass Bürge und Gesamtschuldner auf eine eigene Schuld leisten, die nicht identisch ist mit der übergehenden Forderung, während der einfache Drittzahler direkt auf die fremde Schuld zahlt, wodurch sich die Konstruktion eines Derivativregresses verbiete, da eine getilgte Forderung nicht übergehen könne. Schon beim Ablösungsberechtigten i.S.d. § 268 ist die Annahme, der Ablösungsberechtigte leiste nicht auf fremde Schuld, sondern zur Ablösung oder zum Erwerb der Forderung64, nicht zwingend: Nach Gernhuber etwa leistet der Dritte bei § 268 durchaus auf eine fremde Schuld, der Erfüllungsakt ist hier aber statt wie gewöhnlich schuldtilgend (§ 362) ausnahmsweise schulderhaltend65. Vor allem aber handelt es sich um eine reine Konstruktionsfrage. Auch unter Zugrundelegung der Ansicht, dass ein Forderungsübergang bei einer Leistung auf fremde Schuld unmöglich ist, wäre der Gesetzgeber nicht daran gehindert, bei einfachen Drittleistungen eine Legalzession vorzusehen: Er hätte dann konstruktiv jedem Dritten ein Ablösungsrecht mit der Unterstellung eines Erwerbswillens eingeräumt. Bei vertraglich vereinbarten Gesamtschuldverhältnissen beruht das Rückgriffsrecht, wie gezeigt, grundsätzlich auf dem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis, also auf dem Parteiwillen, während § 426 I in erster Linie die Funktion einer Beweiserleichterung hat. Für den Derivativregress wäre demnach zu fragen, ob der Übergang der Forderung und insbesondere der Übergang der von einem oder allen Gesamtschuldnern gestellten Sicherheiten auf den leistenden Gesamt63 Die Entscheidung, Gesamtschuldnern, aber nicht Drittzahlenden, einen Derivativregress einzuräumen, wird kritisiert von Hruza, SächsArch 5 (1895), 295 („schlimme Inkonsequenz“). Kritik an der Nichtgewährung der Legalzession bei § 267 auch bei Reichel, Schuldmitübernahme, 565; Hübener, Forderungsübergang, 34 f.; Dieckmann, Derivativregreß, 405; vgl. auch Kim, Zessionsregreß, 61 f.; dagegen aber Schims, Forderungsübergang, 68. 64 So wohl RGZ 150, 58, 60 (7.1.1936); HKK/Groeschler, §§ 266–268 Rz 6. 65 Gernhuber, Erfüllung, § 5 I 4 a, § 21 II 1 und 4; ähnlich Staud/Bittner, § 267 Rz 6, § 268 Rz 1; Staud/Olzen, § 362 Rz 15; Esser/Weyers, Schuldrecht BT 2, § 48 III 4 a. Gerade deswegen wird der Forderungsübergang in § 268 de lege ferenda kritisiert bei Schims, Forderungsübergang, 69 f.: Der Verzicht auf die Legalzession bei § 268 soll danach die Einheit des Gesetzes fördern und die dogmatischen Schwierigkeiten beseitigen, den Fortbestand der Forderung trotz Drittleistung zu erklären. Doch von solchen Konstruktionsfragen darf die wertende Entscheidung, ob dem Ablösungsberechtigten die Vorteile des Derivativregresses gewährt werden sollen, gerade nicht abhängen.
2. Die Wertungsgrundlagen des Derivativregresses im BGB
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schuldner dem typischen Parteiwillen entspricht, auch wenn die Parteien einen solchen Forderungs- oder Sicherheitsübergang nicht besonders vereinbart haben. Nimmt man einen solchen typischen Parteiwillen an, dann fragt es sich, warum bei der privativen Schuldübernahme und der beauftragten Drittzahlung etwas anderes gilt: Hier kann der Übernehmer bzw. Drittzahler für einen eventuellen Regress gegenüber dem Altschuldner nicht die vom Schuldner gestellten Sicherheiten verwenden. Zugunsten des Forderungsübergangs bei Gesamtschuldverhältnissen kann die dogmatische und funktionelle Verwandtschaft mit der Bürgschaft ins Feld geführt werden. Beide Institute können zur Kreditsicherung mittels persönlicher Haftung eingesetzt werden; und in beiden Fällen haftet jemand für eine „materiell“ fremde Schuld, d.h., er schuldet im Außenverhältnis mehr, als er intern zu leisten hat. Die Analogie zur Bürgschaft ist aber nicht zwingend. Der Forderungsübergang zugunsten des Bürgen kann auch als besonderes Privileg für den Bürgen angesehen werden, dem so ein Anreiz zur Sicherung fremder Forderungen gegeben werden soll. Die Verpflichtung des Gesamtschuldners dagegen kann aus den verschiedensten Gründen entstanden sein, insbesondere bei gesetzlichen Gesamtschulden. Wenn etwa die Schadensverursacher S1 und S2 solidarisch Schadensersatz schulden, dann ist es keinesfalls selbstverständlich, dass der an den Gläubiger leistende S1 sich für seinen Regress gegenüber S2 auch der von S2 gestellten Sicherheiten bedienen kann und damit in der Insolvenz des S2 besser gestellt wird als dessen sonstige Gläubiger. Die Regelung des BGB könnte auf der Wertung beruhen, dass derjenige, der aufgrund einer eigenen Verpflichtung (Bürge, Gesamtschuldner) oder zur Vermeidung eines Rechtsnachteils (§ 268) zur Zahlung gezwungen wird, besonderen Schutz durch die Gewährung des Derivativregresses verdient, der dem „freiwillig“ Drittleistenden nicht eingeräumt werden muss66. Diese Wertung findet sich besonders deutlich im englischen Recht, das schon den (bereicherungsrechtlich konstruierten) Rückgriff selbst davon abhängig macht, dass der Dritte wegen „legal compulsion“, also wegen einer eigenen Verpflichtung oder zur Abwendung eigener Nachteile in der Zwangsvollstreckung, geleistet hat67. Der einfache Drittzahler hat hier gar keinen Rückgriff, weil er sich grundlos in fremde Angelegenheiten eingemischt hat. Ob diese Wertung auch dem kontinentaleuropäischen Recht zugrunde liegt, ist nicht sicher: Immerhin werteten, wie gezeigt, einige frühere Regelwerke gerade umgekehrt, indem sie den freiwillig auf fremde Schuld zahlenden Dritten mit einem Derivativregress belohnten, der dem Gesamtschuldner, der nur seine eigene Schuld tilgte, versagt war. Die Überzeugungskraft einer Wertung, die den zwangsweise Leistenden begünstigt, ist angesichts der Tatsache, dass sich ein Dritter auch ohne Willen des Schuldners „freiwillig“ in die 66
Vgl. Ehmann, Gesamtschuld, 111 f.; von Olshausen, Gläubigerrecht, 205. Burrows, Restitution, 273 ff.; Virgo, Restitution, 220 ff.; Goff/Jones, Restitution, Rz 13001 ff.; Mitchell, Subrogation, 51 ff.; Friedmann/Cohen, Payment, §§ 4, 7, 10, 13; Schlechtriem, Restitution II, Rz 7/204. 67
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VIII. Der Zessionsregress
Zwangslage begeben kann (auftragslose Bürgschaft, ungebetener Schuldbeitritt), ohnehin nur begrenzt68. Richtig ist zwar, dass der Drittleistende, weil er nicht zur Leistung verpflichtet ist, seine Leistung davon abhängig machen kann, dass der Gläubiger ihm die Forderung gegen den Schuldner abtritt. Diese Erwägung trifft insbesondere auf Fälle zu, in denen der Drittleistende im Interesse des Gläubigers tätig wird. Verfolgt er dagegen die Interessen des Schuldners, kann es vorkommen, dass der Gläubiger sich einer Abtretung widersetzt und die Schuldnerinteressen trotzdem eine Leistung gebieten. Insofern hätte es sich auch angeboten, einen Zessionsregress zumindest dann vorzusehen, wenn der Dritte mit Einwilligung des Schuldners leistet69. Letztlich ist es wohl das Glücksspiel-Argument, das nicht nur den Gesamtschuldregress als solchen rechtfertigen, sondern auch zugunsten einer Legalzession ins Feld geführt werden kann. Entscheidende Bedeutung hat der Forderungsübergang im Fall der Insolvenz des regresspflichtigen Gesamtschuldners, der dem Gläubiger eine Sicherheit gestellt hat. Ohne § 426 II hinge die interne Belastung praktisch von der Zugriffsentscheidung des Gläubigers ab: Hält er sich mittels der Sicherheit an den regresspflichtigen Gesamtschuldner, trägt dieser dem Innenverhältnis entsprechend endgültig die Belastung. Nimmt der Gläubiger dagegen den intern nicht verpflichteten Mitschuldner in Anspruch, geht die Sicherheit unter oder fällt an den regresspflichtigen Gesamtschuldner oder Sicherer zurück, so dass der in Anspruch Genommene zwar einen Rückgriffsanspruch hat, diesen aber praktisch nicht oder nur zu einem Bruchteil verwirklichen kann. Für den Mitschuldner ist damit von entscheidender Bedeutung, auf wen der Gläubiger zugreift, so dass er versuchen wird, die Wahl des Gläubigers zu beeinflussen. Mit einem Forderungsübergang ist es dagegen im wirtschaftlichen Ergebnis gleichgültig, wen der Gläubiger zuerst in Anspruch nimmt: Deckt die Sicherheit die Schuld voll ab, kann sich der intern nicht verpflichtete Gesamtschuldner im Fall seiner Inanspruchnahme für seinen Regress an diese halten. Soweit die Sicherheit nicht ausreicht, wird sich der Gläubiger so oder so für den Restbetrag an den intern nicht verpflichteten Gesamtschuldner halten, so dass sich auch hier kein Glücksspiel ergibt. Mit dieser Argumentation wird der Derivativregress im Ergebnis auf die Solutionskonkurrenz im Verhältnis zum Gläubiger zurückgeführt, also auf den Umstand, dass mehrere Schuldner verpflichtet sind und die Leistung des einen den anderen gegenüber dem Gläubiger befreit. Der einfache Drittleistende kann danach nicht von einem Forderungsübergang profitieren, weil der Gläubiger hier von vornherein nur auf einen, nämlich den Schuldner, zugreifen kann und die Gefahr eines Glücksspiels ausscheidet. Ebenso verhält es sich beim Regress des befreienden Schuldübernehmers, wobei hier der einzige, auf den der Gläubiger
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So auch Schulz, Rückgriff, 53. Siehe Hübener, Forderungsübergang, 27, 32 ff.; vgl. CC Art. 1250 Nr. 2; OR Art. 110 Nr. 2.
2. Die Wertungsgrundlagen des Derivativregresses im BGB
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zugreifen kann, der Schuldübernehmer, also der Regressberechtigte, und nicht der Regressverpflichtete in Gestalt des ursprünglichen Schuldners ist. Wenn aber die Solutionskonkurrenz im eben beschriebenen Sinn der entscheidende Grund für einen Derivativregress ist, dann müsste im Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner auch der Hauptschuldner von einem Derivativregress oder zumindest von einer vom Bürgen bestellten Sicherheit profitieren können, wenn ausnahmsweise der Bürge im Innenverhältnis verpflichtet ist. Andernfalls bestünde für den Hauptschuldner die Gefahr einer Glücksspielsituation, nämlich dann, wenn der selbstschuldnerisch verpflichtete Bürge, der dem Gläubiger eine Sicherheit für seine Bürgenschuld gestellt hatte, zahlungsunfähig ist: Dann hinge es von der Willkür des Gläubigers ab, ob er auf die vom Bürgen gestellte Sicherheit zurückgreift, womit er den intern Zuständigen in Anspruch nimmt, oder ob er sich an den Schuldner hält, der seinen im Innenverhältnis gegebenen Regress nicht durchsetzen kann. Doch der Gesetzgeber hat mit § 774 nur dem Bürgen, nicht dem Hauptschuldner einen Derivativregress gewährt, obwohl ihm, wie die Vorschrift des § 774 I 3 zeigt, auch die seltenere Fallkonstellation vor Augen stand, dass der Bürge intern verpflichtet ist. Wegen der akzessorischen Natur der Bürgenverpflichtung scheint ein Derivativregress hier auch unmöglich zu sein: Leistet der Hauptschuldner, erlischt seine Schuld nach § 362 und damit auch die Bürgenschuld nach § 767. Dem Gesetzgeber hätte es aber freigestanden, dem intern freigestellten Hauptschuldner einen Zugriff auf die vom Bürgen gestellte Sicherheit zu ermöglichen. Hierzu könnte er entweder für diesen Fall den Akzessorietätsgrundsatz durchbrechen, so dass die Bürgenforderung ausnahmsweise weiterbesteht und auf den Hauptschuldner übergeleitet wird, oder, nach dem Vorbild des § 1164, nur den Übergang der für die Bürgenschuld bestellten Sicherheiten anordnen, die nun nicht mehr die Bürgenschuld, sondern den internen Regressanspruch des Hauptschuldners sichern. § 1164 ist aber eine Ausnahmevorschrift für Hypotheken. Bei Pfandrechten und Bürgschaften hat der Gesetzgeber davon abgesehen, dem intern nicht verpflichteten Schuldner einen Zugriff auf eine Sicherheit, die auf dem Vermögen des regresspflichtigen Dritten lastet, zu ermöglichen. Der Hauptschuldner profitiert damit nicht von Sicherheiten, die vom Bürgen gestellt wurden70, obwohl er durch seine Leistung den intern verpflichteten Bürgen gegenüber dem Gläubiger befreit. Sofern also die Glücksspielvermeidung tragender Grund des Derivativregresses sein soll, gilt dies zumindest nicht ausnahmslos. Neuerdings vertritt von Koppenfels-Spies die These, dass der Zessionsregress bei der Gesamtschuld nicht nur keinesfalls selbstverständlich, sondern geradezu systemwidrig sei71. Weil § 426 II nicht in das System der gesetzlichen Voraussetzungen und Wertungen des Zessionsregresses hineinpasse, müsse die Vorschrift schon de lege lata als dogmatische Fehlkonstruktion des Gesetzgebers gestri-
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Bülow, Kreditsicherheiten, Rz 1017. von Koppenfels-Spies, Cessio legis (2006), 439 ff.
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VIII. Der Zessionsregress
chen werden72. Für von Koppenfels-Spies ist der gesetzliche Forderungsübergang die Antwort auf eine spezifische Dreieckskonstellation, nämlich Schuldnermehrheiten mit abgestuften Leistungspflichten. Abgestuft seien Verbindlichkeiten mit einem nach außen erkennbaren Rangverhältnis: Dies könne etwa der Fall sein, wenn eine der Verbindlichkeiten subsidiär (bürgerlich-rechtliche Bürgenschuld und Hauptschuld, nachrangiger und vorrangiger Unterhaltsschuldner) und/oder akzessorisch (Bürgenschuld und Hauptschuld, Gesellschafterschuld und Gesellschaftsschuld) sei. Manchmal ergebe sich die Rangfolge aber auch aus einer wertenden Betrachtung. So sei derjenige, der einen Schaden verursacht habe oder sonst für ihn verantwortlich sei, im Verhältnis zum Versicherer oder Lohnfortzahler „näher dran“ und daher erstrangig zum Ausgleich beim Gläubiger verpflichtet73. Das Gesamtschuldverhältnis sei dagegen von einer Gleichstufigkeit geprägt. Weil im Verhältnis zum Gläubiger eine Rangfolge nicht bestehe, dürfe der Regress auch nicht an die Gläubigerforderung anknüpfen und könne sich daher nur als eigener Regressanspruch aus dem Innenverhältnis bzw. § 426 I ergeben74. Ob es aber tatsächlich einen derart fundamentalen Unterschied zwischen Gesamtschulden und Schuldnermehrheiten mit abgestuften Leistungspflichten gibt, ist zweifelhaft. Ohne nähere Begründung geht die Autorin bei Gesamtschulden mit der herrschenden Lehre vom problematischen Begriff der „Gleichstufigkeit“ aus: Der Gläubiger könne auf jeden Schuldner gleichermaßen und unmittelbar zugreifen, jeder leistende Schuldner erfülle nur seine Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger, und der Ausgleich sei allein Sache des Innenverhältnisses75. Doch auch im Verhältnis zwischen Hauptschuldner und selbstschuldnerischem Bürgen kann der Gläubiger auf beide Schuldner frei zugreifen, und der zahlende Bürge erfüllt seine eigene Verbindlichkeit gegenüber dem Gläubiger. Dasselbe gilt im Verhältnis zwischen Schädiger und Schadensversicherer. Vor allem kann letztlich jedes Gesamtschuldverhältnis als „gestuft“ bezeichnet werden, solange es nicht regresslos ist: Im Verhältnis der Schuldner untereinander ist stets einer primär und ein anderer sekundär zuständig, sei es für die gesamte Leistung (wenn ein Gesamtschuldner intern alles tragen soll und der andere intern freigestellt ist), sei es für einzelne Leistungsteile (wenn die Last intern aufgeteilt ist). Für von Koppenfels-Spies soll diese Aufteilung aber nur das interne Verhältnis der Gesamtschuldner betreffen. Dahinter steht offenbar der Gedanke, dass bei abgestuften Verbindlichkeiten die Rangfolge nach außen erkennbar ist, sei es durch Subsidiarität, Akzessorietät oder durch wertende Betrachtung ermittelt. Doch gerade dieses letzte Abgrenzungskriterium bleibt vage76. Richtig ist zwar, dass bei Gesamtschulden für den Gläubiger manchmal nicht erkennbar ist, wer 72 73 74 75 76
A.a.O., 448. A.a.O., 49 ff., 60 ff. A.a.O., 442 ff. A.a.O., 48 f., 57 f. Zur Kritik an den Stufenlehre unten, 909 ff.
2. Die Wertungsgrundlagen des Derivativregresses im BGB
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welche Last tragen soll, etwa wenn zwei Schuldner ohne nähere Bestimmung ein Darlehen aufnehmen, das an sie gemeinsam ausgezahlt wird. In anderen Fällen ist die Rangfolge aber auch nach außen erkennbar, etwa wenn ein Schuldner der Schuld zur Sicherung beigetreten ist77, wenn ein Schuldner ein Delikt verübt und der andere als Aufsichtspflichtiger oder Tierhalter dafür einstehen muss (§ 840 II und III), wenn beim Betriebsübergang der bisherige Arbeitgeber eine Zeit lang neben dem neuen Arbeitgeber für die Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis haftet (§ 613 a II) oder wenn nach früherem Recht der Vermögensübernehmer neben dem Schuldner für dessen Verbindlichkeiten haftete (§ 419 BGB a.F.). In allen diesen Fällen kann gesagt werden, dass einer der Schuldner „näher dran“ oder primär für die Bedarfsdeckung des Gläubigers zuständig ist. Auf die Erkennbarkeit der Rangfolge kann es daher nicht ankommen. Auch auf die Schuldgründe kann sich die behauptete Gleichstufigkeit bei der Gesamtschuld nicht beziehen, weil Gesamtschulden unstreitig auch bei völlig unterschiedlichen Schuldgründen bestehen können78. Darüber hinaus fragt es sich, warum es für die Frage des Zessionsregresses ausgerechnet auf die „Ungleichstufigkeit“ oder Erkennbarkeit der Rangfolge ankommen soll. Für von Koppenfels-Spies ist die Legalzession die Antwort auf eine dreiseitige Verteilungsstörung. Die Leistung des ferner stehenden Dritten könne die Verbindlichkeit des Schuldners nicht erfüllen. Der Gläubiger behalte daher seine formelle Gläubigerstellung, könne aber vom Schuldner nichts mehr verlangen. Also seien sowohl der Gläubiger (durch seine formelle Gläubigerstellung) als auch der Schuldner (durch seine Befreiung gegenüber dem Gläubiger) bereichert, während der Dritte belastet sei. Die Legalzession gleiche alle drei Störungen gleichzeitig aus und sei daher notwendige Rechtsfolge79. Bei Gesamtschulden dagegen soll nur eine zweiseitige Verteilungsstörung unter den Schuldnern bestehen, weil jeder Schuldner die genau von ihm primär geschuldete Leistung erbringe. Nach § 422 bestehe eine wechselseitige Erfüllungswirkung unabhängig davon, welcher Gesamtschuldner leistet80. Richtig ist, dass bei Schuldnermehrheiten mit Legalzession die Leistung eines Schuldners die Verbindlichkeit des anderen nicht erfüllt i.S.d. § 362. Insofern entspricht die Lage der oben81 beschriebenen Situation unter Gesamtschuldnern. 77
Bei Schürnbrand, Schuldbeitritt, 98 f., wird hier daher die Gleichstufigkeit verneint. Darüber hinaus führt von Koppenfels-Spies noch zwei weitere Unterscheidungsmerkmale zwischen Gesamtschulden und abgestuften Verpflichtungen an: Zum einen heißt es, bei Gesamtschulden müssten die Leistungspflichten an der Grenze zur inhaltlichen Gleichheit liegen (Cessio legis, 57, Fn. 41). Warum es für den Zessionsregress aber darauf ankommen soll, wird nicht weiter ausgeführt. Zum anderen stellt die Autorin häufig darauf ab, dass bei gestuften Pflichten der ferner Stehende typischerweise ein Versicherer oder Versorger sei. Diesem Kriterium wird aber an anderer Stelle (149) die Bedeutung für die Frage der Legalzession abgesprochen. 79 A.a.O., 88 ff., 96 ff., 125 ff., 152 ff., 162, 186 ff. 80 A.a.O., 93 ff., 447, nicht recht klar S. 444 (unabhängig davon, ob S1 oder S2 leistet, „tritt im Verhältnis zu den anderen Gesamtschuldnern Erfüllungswirkung ein; keine der Leistungen eines Gesamtschuldners an den Gläubiger bewirkt die Schuldtilgung gem. § 362 BGB“). 81 254 ff. 78
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VIII. Der Zessionsregress
Richtig ist auch, dass die Schuld des „erstrangig Zuständigen“ nicht völlig aus der Welt geschafft, sondern zumindest zum Zweck des Regresses aufrechterhalten wird. Dies folgt aus der Legalzessionsanordnung und erscheint somit als Rechtsfolge des Zessionsregresses. Für von Koppenfels-Spies aber handelt es sich bei der „relativen Erfüllung“ nicht um die Rechtsfolge, sondern um den Tatbestand der Legalzession, sie führt gerade zu der dreiseitigen Verteilungsstörung, welche die Legalzession ausgleichen soll82. Es ist aber zunächst einmal problematisch, aus einer gesetzlich angeordneten Legalzession einen Rechtszustand zu konstruieren, der bestehen würde, wenn es die Legalzession nicht gäbe. Solche Überlegungen können die Grenze zwischen Tatbestand und Rechtsfolge verwischen. Aber auch das Modell selbst ist nicht zwingend: Unausgesprochen liegt ihm die Vorstellung zugrunde, dass mangels einer Erfüllung durch den zweitrangig Zuständigen die Schuld des erstrangig Zuständigen zumindest in formaler Hinsicht bestehen bleiben muss. Dass dieser Satz in seiner Allgemeinheit nicht zutrifft, zeigt schon das römische Recht. Der Hauptschuldner war sowohl im Verhältnis zu einem Kreditauftraggeber als auch im Verhältnis zu einem Bürgen erstrangig zuständig. Die Wirkung der Leistung des „ferner Stehenden“ wurde aber unterschiedlich konstruiert83. Zahlte der Kreditmandator, wurde der Schuldner nicht befreit; es stand ihm aber gegen eine Inanspruchnahme durch den Gläubiger eine Einrede zu, um eine Doppelbefriedigung zu verhindern. Der Kreditmandator konnte vom Gläubiger die Abtretung der Klage gegen den Schuldner verlangen, womit der Gläubiger seine „formale Gläubigerstellung“ verlor und der Kreditmandator zu seinem Regress kam. Insofern ähnelte die Lage der Analyse bei von Koppenfels-Spies. Anders aber verhielt es sich bei der Leistung des Bürgen: Sie befreite den Hauptschuldner. Dem Bürgen wurde zwar im Laufe der Zeit ebenfalls ein Anspruch auf Zession zugebilligt. Wegen der Befreiungswirkung der Bürgenleistung musste der Zessionsregress aber zu einem Klagenkauf umgedeutet werden und setzte daher nach dem römischen Juristen Modestin ein Abtretungsverlangen vor der Leistung voraus. Hatte der Bürge ohne ein solches Verlangen geleistet, blieb es bei der Befreiung des Hauptschuldners, und ein Zessionsregress war nicht mehr möglich. Es ist also nicht apriorisch ausgeschlossen, dass ein Schuldner durch die Leistung eines Dritten vollständig befreit wird, auch wenn der Dritte nicht auf die Verbindlichkeit des Schuldners, sondern auf eine eigene Verbindlichkeit leistet, selbst dann, wenn der Dritte nur zweitrangig haftet. Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine solche Befreiung außerhalb der echten Drittleistung ein Spezifikum des römischen Rechts wäre, das dem deutschen Recht unbekannt ist. Ob ein Schuldner durch Leistung eines Dritten befreit wird oder nicht, entscheidet das Recht. Es kann eine echte Solutionskonkurrenz anordnen und dem Dritten einen einfachen ungesicherten Regress gewähren. Es kann aber auch dem Dritten einen eigenen Regress wegen Befreiung des Schuldners gewähren und zu diesem Zweck 82 83
Vgl., a.a.O., 92, 154, 156, 468 ff. Hierzu Näheres unten, 413 ff., siehe auch 807 ff.
2. Die Wertungsgrundlagen des Derivativregresses im BGB
407
dem Dritten im Wege der Subrogation die Gläubigerforderung zur Verfügung stellen84. Es kann schließlich auch annehmen, dass der Schuldner durch die Leistung des Dritten überhaupt nicht befreit ist, so dass der Gläubiger seine „formale“ Gläubigerstellung behält (auch wenn er die Forderung vielleicht nicht mehr durchsetzen kann) und ein echter Forderungsübergang durch Abtretung oder Gesetz unproblematisch möglich ist. Warum sämtlichen Legalzessionsfällen ausgerechnet das dritte Modell (das Kreditmandator-Modell) zugrunde liegen soll, wird nicht begründet. Doch auch wenn man den Ausführungen der Autorin zur Dreiecksanalyse in Legalzessionsfällen folgt, bleibt unklar, warum dasselbe nicht auch bei gewöhnlichen Gesamtschulden gelten soll. Die These, dass im Gesamtschuldverhältnis wegen § 422 jede Leistung dieselbe Wirkung hat, unabhängig davon, welcher Gesamtschuldner sie erbringt, ist letztlich nicht haltbar. Ist der Gesamtschuldner S1 intern allein verpflichtet und S2 intern freigestellt, dann führt die Leistung von S1 zu einer Erfüllung (§ 362) seiner Schuld, während die Schuld von S2 endgültig erlischt. Leistet dagegen S2, wird seine Schuld erfüllt, während die Schuld von S1 zu Regresszwecken auf S2 übergeleitet wird. Genauso verhält es sich, wenn S1 Hauptschuldner und S2 Bürge ist. Ein konstruktiver Unterschied ist nicht erkennbar. Es ist gut möglich, dass die Legalzession in Fällen der „abgestuften Verbindlichkeiten“, also etwa im Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner, Schädiger und Versicherer oder vorrangig und nachrangig Unterhaltspflichtigem, ein sinnvolles Instrument ist, vielleicht sogar sinnvoller als in manchen Fällen gewöhnlicher Gesamtschulden. Doch weder ist die Legalzession in bestimmten Konstellationen zwingend, noch ist sie in anderen Konstellationen ausgeschlossen. Der Gesetzgeber wäre nicht gehindert, im Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner echte Solutionskonkurrenz vorzusehen (so wie es ursprünglich im römischen Recht galt) oder umgekehrt bei der einfachen Drittleistung die hervorgerufene Verteilungsstörung mit einer Legalzession zu beheben (so wie es viele Gesetzbücher des 19. Jahrhunderts taten). Der BGB-Gesetzgeber hat offenbar auf Schuldnermehrheiten abgestellt, bei denen der Gläubiger insgesamt nur einmal befriedigt werden soll, nicht aber auf „abgestufte“ Schuldnermehrheiten. Insofern ist § 426 II nicht systemwidrig. Es geht nicht an, nur einen Teil der geltenden Legalzessionen zu rationalisieren und diejenigen Legalzessionen, die sich in das gefundene Konzept nicht einfügen wollen, als systemwidrig zu klassifizieren. Passt § 426 II nicht in das gefundene System, dann ist dieses nicht das System des BGB. Die Argumentation seitens von Koppenfels-Spies bestärkt aber die hier vertretene These, dass der Zessionsregress bei Gesamtschulden keinesfalls so selbstverständlich ist, wie er oft erscheint, und dass der Gesetzgeber die Wertungsgrundlagen des Derivativregresses nicht offengelegt hat. Für die Frage, wann ein Zessi84 Dass dies die Lösung des BGB bei der Bürgschaft und bei der Gesamtschuld ist, wird unten, 421 ff., begründet.
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VIII. Der Zessionsregress
onsregress angeordnet werden soll und wann nicht, waren offenbar in erster Linie historische Gründe ausschlaggebend, denn der Gesetzgeber hat beim Forderungs- bzw. Sicherheitenübergang an bekannte Konstellationen angeknüpft, wie den Bürgen- und Gesamtschuldregress, aber auch den Regress des Hypothekarschuldners gegen den intern verpflichteten Eigentümer85. Die Gesamtentscheidung des Gesetzgebers kann rationalisiert, aber durch wertende Argumente nicht vollständig erklärt werden. Insofern ist es wenig erstaunlich, dass der Anwendungsbereich der Legalzession nach wie vor im einzelnen streitig ist, wie es sich etwa beim Regress des Gesellschafters einer Außengesellschaft zeigt86.
3. Anteilsregress? Soweit ein Derivativregress besteht, stellt sich die Frage nach seinem Umfang. Im Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner ist der Hauptschuldner grundsätzlich allein verpflichtet. Der Zessionsregress des Bürgen gegenüber dem Hauptschuldner kann daher damit erklärt werden, dass die Klage gegen den Hauptschuldner, die zuvor dem Gläubiger zustand, nun vom Bürgen, und zwar in voller Höhe, geltend gemacht werden kann. Ähnlich verhält es sich in anderen Fällen des Zessionsregresses, in denen einer der Schuldner intern die gesamte Last zu tragen hat, etwa wenn ein Vormund nach römischem Recht für die Pflichtverletzung eines Mitvormundes einzustehen hatte: Mittels der vom Gläubiger zedierten Klage konnte er beim pflichtverletzenden Vormund vollständigen Regress nehmen. Doch das spätklassische oder spätestens das justinianische Recht kannte einen Zessionsregress auch in Fällen der paritätischen Gesamtschulden, etwa bei Vormündern, die gemeinsam das Mündelvermögen schlecht verwaltet hatten, bei Mitbürgen und bei vertraglichen Gesamtschuldnern. Damit stellt sich die Frage, ob der leistende Gesamtschuldner, dem der Gläubiger die 85 Die Vorschrift des heutigen § 1164 wurde in der Ersten Kommission noch als „Anomalie“ abgelehnt (Jakobs/Schubert, SachR II, 691, 692 f.) und erst in der Zweiten Kommission beschlossen (a.a.O., 700 ff., 703). Eine ähnliche Regel kannte schon das Sächsische BGB, § 441. Der Gesetzgeber dachte an den Fall, dass der Erwerber des belasteten Grundstücks gegenüber dem auch persönlich schuldenden Veräußerer die Erfüllung der Schuld übernimmt, der Gläubiger aber den Schuldner-Veräußerer nicht befreit, sondern auf ihn zugreift. Der Veräußerer soll die Hypothek dann zum Regress gegen den nunmehrigen Eigentümer erhalten. Hier hat offenbar das preußische Recht Einfluss ausgeübt. § 41 des Gesetzes über Grundeigenthum und Hypothekenrecht (Eigentumserwerbsgesetz) vom 5.5.1872 sah vor, dass auch der Erwerber persönlicher Schuldner wurde (fingierte aus heutiger Sicht also einen Vertrag zugunsten Dritter), so dass Veräußerer und Erwerber Gesamtschuldner wurden. Leistete dann der Veräußerer, hatte er einen vertraglich begründeten Gesamtschuldregress gegen den Erwerber. Die Rechtsprechung wendete auf diesen Fall den gemeinrechtlichen Grundsatz an, dass der zahlende Solidarschuldner vom Gläubiger die Abtretung der Klage gegen den ausgleichspflichtigen Gesamtschuldner und damit auch der Hypothek verlangen konnte, RGZ 28, 187, 190 f. (5.1.1892). Dieses Ergebnis, dass der Veräußerer auf die Hypothek zugreifen kann, sollte offenbar auch nach dem BGB, das eine Schuldnerstellung des Erwerbers und damit eine Gesamtschuld hier nicht annimmt (§§ 329, 415), beibehalten werden. 86 Hierzu unten, 481 ff.
3. Anteilsregress?
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Klagen gegen die Mitschuldner abgetreten hatte, einen beliebigen Mitschuldner herausgreifen und ihn mit Hilfe der Gläubigerklage auf das Ganze belangen konnte. Schließlich galt im parallelen Fall einer Konfusion zwischen Gläubiger und einem Gesamtschuldner, dass der Gläubiger-Gesamtschuldner nun von einem Mitschuldner grundsätzlich den vollen Forderungsbetrag verlangen konnte, falls nicht unter den Gesamtschuldnern eine societas bestand87. Doch ein solches Ergebnis hat das römische Recht vermieden. Mit Hilfe der zedierten Gläubigerklage konnte offenbar, wie einige Quellen andeuten, nur ein Anteilsregress erreicht werden88. Technisch wurde die Anteilsbeschränkung des Zessionsregresses ursprünglich wohl nicht durch eine Teilabtretung realisiert, sondern erst im Regressprozess89. Nachdem das Institut der Klageabtretung im justinianischen Recht soweit ausgebildet war, dass es zumindest funktional einer Abtretung im heutigen Sinne ähnelte, entwickelte sich die Vorstellung, dass der Gläubiger seine Klagen von vornherein nur anteilig abtrete90. Eine mögliche Erklärung für den nur anteiligen Zessionsregress könnte das beneficium divisionis, die Einrede der Teilung91, bieten92. Sofern ein Gesamtschuldner vom Gläubiger verlangen konnte, die geschuldete Leistung auf alle solventen Gesamtschuldner aufzuteilen, konnte er dieselbe Einrede auch gegenüber einem Mitgesamtschuldner erheben, der mittels der zedierten Gläubigerklage Regress nehmen wollte. Eine solche Erklärung würde allerdings nur Fälle umfassen können, in denen den Gesamtschuldnern die Teilungseinrede grundsätzlich zustand (was nur in manchen Gesamtschuldkonstellationen der Fall war), der regresssuchende Gesamtschuldner selbst sich aber (etwa wegen eines Verzichts) ihrer gegenüber dem Gläubiger nicht bedient hatte. Vor allem aber machen die Quellen klar, dass ein (offenbar anteiliger) Zessionsregress gerade in Fällen gewährt wurde, in denen es keine Teilungseinrede gab93. Der Zusammenhang zwischen 87
Paulus D.46,1,71 pr.; Ulpian D.46,3,43. Hierfür sprechen Papinian D.50,5,15 und die (allerdings insoweit wohl nicht echte) Stelle Papinian D.26,7,38,2; siehe auch Ulpian D.15,1,30,3. Ebenso Levy, Konkurrenz I, 227 ff., 238; Medicus, FS Kaser, 401. 89 Levy, Konkurrenz I, 227 Fn. 2. Hierfür spricht der Wortlaut von Modestin D.46,3,76 sowie die Tatsache, dass von einer Teilabtretung in den Quellen grundsätzlich nicht die Rede ist, siehe aber die folgende Fußnote. 90 So die wohl justinianische, zumindest nachklassische, Ergänzung (pro parte scilicet) in Papinian D.26,7,38,2. 91 Hierzu oben, 234 ff. 92 So gab es einen Zessionsregress hinsichtlich Mitbürgen (Julian D.46,1,17; Paulus D.46,1,36; Modestin D.46,1,39), denen seit einem Reskript Hadrians die Teilungseinrede zustand. Bei Mitvormündern sprechen Fragmente von Ulpian (D.27,3,1,11–13 und l.18) und Papinian (D.26,7,38, pr.1, D.26,7,42, D.27,3,21, D.27,7,6) sowohl von einer Teilungseinrede als auch von einem Zessionsregress. 93 Nach Papinian D.46,6,12 stand Vormundsbürgen nicht die Teilungseinrede, wohl aber ein Zessionsregress zu; ebenso für Mitvormünder Diocletian C.5,51,6; Carinus C.5,52,2. Im Fragment Marcellus D.19,2,47 wird erwogen, ob bei einer vertraglichen Gesamtschuld statt der Teilungseinrede ein Zessionsregress gewährt werden soll. Valerian C.4,65,13 spricht bei vertraglichen Gesamtschulden von einer Ganzhaftung mit Recht auf Abtretung der Pfänder. 88
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VIII. Der Zessionsregress
anteiligem Zessionsregress und Teilungseinrede ist offenbar nur ein mittelbarer: Teilungseinrede, anteiliger Zessionsregress und der Gesamtschuldregress überhaupt beruhen sachlich auf dem gleichen Gedanken, dem der inneren Teilung der Gesamtschuld. Dieser Gedanke war dem römischen Recht ursprünglich fremd; er entwickelte sich aber allmählich in den einzelnen Gesamtschuldgruppen und wurde wahrscheinlich im justinianischen Recht generalisiert94. Auch im Gemeinen Recht stellte sich die Frage nach dem Umfang des Zessionsregresses. Ging man davon aus, dass das Gesamtschuldverhältnis selbst kein Rückgriffsrecht begründete, und nahm man die Vorstellung ernst, dass der Leistende vom Gläubiger sämtliche Klagen bzw. Forderungen erwarb, dann konnte man zum Ergebnis kommen, dass sich der Zessionsregress auf die volle Höhe der Forderung richten musste und daher für einen anteiligen Ausgleich im Innenverhältnis ungeeignet war95. Doch dieses Ergebnis wurde auch im Gemeinen Recht nicht erzielt. Strittig war hier schon, welche Wirkung eine freiwillige Abtretung sämtlicher Klagerechte an den Leistenden durch den Gläubiger haben sollte. Konnte bei drei Gesamtschuldnern der Leistende von seinem Mitschuldner mit Hilfe der zedierten Klage das Ganze, zwei Drittel oder nur ein Drittel verlangen? Sofern die Gesamtschuldner durch ein rückgriffsbegründendes Innenverhältnis verbunden waren, bestand Einigkeit darüber, dass der Regresssuchende zumindest einen eigenen Anteil von der Regressforderung abziehen musste, im Beispiel also höchstens zwei Drittel verlangen konnte. Denn bei einer Liquidation des Gesamtbetrags müsste er dem anderen wegen dessen Rückgriffsrecht seinen eigenen Anteil sofort wieder zurückerstatten, und gegen die Forderung eines Betrags, der sofort wieder zurückerstattet werden müsste, konnte der andere die exceptio doli einwenden. Streitig war aber, ob es für den Rest zu einem Kaskadenregress (S1 erhält zwei Drittel von S2, S2 ein Drittel von S3)96 oder zu einem Anteilsregress (S1 kann von S2 und S3 jeweils nur ein Drittel verlangen)97 kam. Interessanterweise finden sich die Lösungen des Kaskaden- und Anteils-Zessionsregresses auch in Fällen, in denen die Gesamtschuldner mangels Innenverhältnis keinerlei eigene Rückgriffsrechte haben98.
94
Vgl. oben, 267 f. So Binder, Korrealobligationen, 282. Hiervon gingen auch die Verfasser des Dresdener Entwurfs aus für Gesamtschuldner ohne Innenverhältnis (Nebenbürgen), Dresd. Prot. 3454 ff.; ebenso von Kübel, Motive zum VorlE, 59 f. (Schubert, SR III, 1271 f.); Motive zum TeilE, 57 f. (Schubert, SR I, 109 f.). 96 So zum französischen Recht Domat, Loix civiles, § 1834 Fn. I; zum preußischen Recht Bornemann, Preußisches Civilrecht II, § 171 Nr. 5; Dernburg, Preußisches Privatrecht II, § 49 Fn. 8; ROHGE 6, 222, 223 (4.6.1872); zum Gemeinen Recht wohl RGZ 11, 123, 127 f. (9.2.1884). 97 So zum preußischen Recht Koch, Forderungen II, 41 f.; ders., ALR, zu I 5 § 445, Anm. 39; Wienstein, Gruch 6 (1862), 521 f.; und wohl Savigny, Obligationenrecht I, 291 f. 98 Vgl. zu Mitbürgen ohne Teilungseinrede und zu Wechselschuldnern OAG Jena, SeuffA 17 Nr. 144 (12.5.1854); OAG Rostock, SeuffA 10 Nr. 205 (29.7.1854); OG Wolfenbüttel, SeuffA 25 Nr. 223 (23.6.1855); BOHG Leipzig, SeuffA 25 Nr. 11 (8.11.1870); ROHGE 4, 325 (= SeuffA 26 Nr. 241, 19.12.1871); OLG Kiel, SeuffA 40 Nr. 19 (8.2.1884). 95
3. Anteilsregress?
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Die Frage, wie sich ein vom leistenden Gesamtschuldner erzwingbarer Zessionsregress ausgestaltet, wurde bei den gemeinrechtlichen Schriftstellern nur spärlich angesprochen. Hier heißt es, dass der erzwingbare Zessionsregress nur „pro rata“ bzw. „anteilig“ geltend gemacht werden könne99. Aus heutiger Sicht klingt dies wie ein Anteilsregress; gemeint war aber offenbar zumindest bei den älteren Autoren ein Kaskadenregress, bei dem lediglich der Anteil des Regresssuchenden abgezogen wird100. Nicht ganz klar war dabei, ob sich die Beschränkung des Zessionsregresses erst im Regressprozess auswirkte101 oder ob der Gläubiger von vornherein nur zur anteiligen Klageabtretung verpflichtet war102. Demgegenüber sprach sich in Frankreich Pothier für einen Anteilszessionsregress aus, allerdings mit einer wenig überzeugenden Begründung: Wenn der leistende Gesamtschuldner S1 vom Mitschuldner S2 mit Hilfe der Gläubigerforderung das Ganze abzüglich seines Eigenanteils verlangen dürfe, so Pothier, könne S2 von S1 die Zession dieser geminderten Forderung verlangen und diese nun wiederum gegenüber S1, abzüglich seines eigenen Anteils, geltend machen, woraufhin wieder S1 die Zession verlangen könne, so dass die Gläubigerforderung ewig hin- und herwandere103. Gemeint war offenbar Folgendes: Schulden S1, S2 und S3 gleichrangig 90, dann kann S1, der 90 an den Gläubiger gezahlt hat, von S2 60 verlangen; S2 kann dann von S1 60 abzüglich seines Drittels in Höhe von 20, also 40, verlangen; S1 verlangt dann von S2 40 abzüglich seines Drittels in Höhe von 13, 33, also 26, 66 etc. Ein solches Ergebnis sollte nach Pothier durch einen Zessionsregress vermieden werden, der sich von vornherein nur auf den Innenanteil des in Anspruch Genommenen richtet. Die Pothier’sche Konstruktion überzeugt formal nicht, weil es nach der Leistung des ersten Gesamtschuldners S1 an den Gläubiger offenbar keine Klage gegen S1 mehr gibt, die S1 selbst innehaben und dann an S2 abtreten könnte, so dass nicht klar ist, wie S2 dann wieder gegenüber S1 Regress nehmen kann. Auch sachlich ist es schwer nachvollziehbar, warum der Gesamtschuldner S1, der beim Regress gegenüber S2 schon seinen internen Anteil abgezogen hat, trotzdem für den Restbetrag wieder in Anspruch genommen werden kann. Tatsächlich ist die Alternative zum Anteilsregress nicht eine hin- und herwandernde Gläubigerforderung, sondern ein Kaskadenregress, wonach S1 von S2 60 und S2 von S3 30 verlangen kann. 99 Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 7; weitere Nachweise bei Zimmermann, SZ GA 102 (1985), 193; aus dem 19. Jahrhundert Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 180 III 1 D; Savigny, Obligationenrecht I, 266; Puchta, Pandekten, § 235 a.E.; Seuffert, Pandekten, § 228 bei Fn. 18; Brinz, Pandekten, § 253 a.E.; Wächter, Pandekten, § 177 III 10; Sintenis, Civilrecht, § 89 bei Fn. 52; Schmid, Cession I, 369 ff.; Zaun, ArchPrRW nF 1 (1864), 139 f. 100 Zimmermann, SZ GA 102 (1985), 193 f.; ferner die Reden der Richter van der Heever JA und Fagan JA in der südafrikanischen Entscheidung Gerber v Wolson [1955(1)] SA 158, 167, 179. 101 So Brinz, Pandekten, § 253 a.E. 102 Hierfür Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 7: Der Gläubiger habe das Recht, seine Klage zu teilen und jeden Gesamtschuldner nur anteilig zu belangen (vgl. hierzu oben, 245 f.), daher könne er die Klage auch proportional abtreten; ebenso Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 180 III 1 D. 103 Pothier, Obligations, § 281.Vgl. die ähnliche Konstruktion für Mitbürgen bei Lippmann, AcP 111 (1914), 167 f.
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VIII. Der Zessionsregress
Weil die Subrogationsvorschrift des Art. 1251 Nr. 3 CC zur Höhe des Regresses keine Auskunft gibt, beschäftigt die Alternative zwischen Kaskaden- und Anteilsregress auch die heutige Literatur. Hier entscheidet man sich unter Berufung auf Art. 1214 CC, wonach die Gesamtschuld im Innenverhältnis in Teilschulden zerfällt, für einen auf den Innenanteil beschränkten Subrogationsregress104. Wenn auch ein Großteil der gemeinrechtlichen Schriftsteller Pothier nicht folgte und einen Kaskadenregress annahm, sollte es doch jedenfalls nicht zu einem Totalregress kommen. Dies ist bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass die Gesamtschuld nach einer verbreiteten und im 19. Jahrhundert ganz herrschenden Lehre regressneutral war. Das fehlende Rückgriffsrecht „aus der Gesamtschuld“ stand also nicht der Vorstellung entgegen, dass sich eine Gesamtschuld im Innenverhältnis in einzelne Anteile unter die Schuldner aufteilt. Es war dieselbe Vorstellung, die auch der Teilungseinrede zugrunde lag. Diese innere Teilung konnte begründen, warum der leistende Gesamtschuldner mit Hilfe einer erzwungenen Zession von seinem Mitschuldner Regress für dessen internen Anteil nehmen konnte; ein Rückgriffsrecht aus eigenem Recht begründete sie nach herrschender Lehre dagegen nicht. Anders verhielt es sich bei denjenigen Autoren des späten 19. Jahrhunderts, die einen Zessionsregress nur dann bejahten, wenn dem Leistenden schon ein eigenes Rückgriffsrecht aus dem Innenverhältnis zustand105. Damit musste es zu einem Anteilsregress kommen: Wenn der Zessionsregress nur ein schon bestehendes Rückgriffsrecht absichern sollte, dann erschien es einleuchtend, dass er nur in Höhe dieses Rückgriffsrechts gewährt wurde. Die Angleichung von eigenem Rückgriffsrecht und Zessionsregress war auch die Lösung der zeitgenössischen Gesetzgeber. Nach dem Züricher Gesetzbuch und dem Schweizer Obligationenrecht fand ein Forderungsübergang nur in Höhe des Rückgriffsrechts des leistenden Gesamtschuldners statt106. Dem folgte das BGB. Von Kübel war der Ansicht, dass ein Zessionsrecht ohne ein Rückgriffsverhältnis unter den Gesamtschuldnern zu einem Totalregress führen müsse. Sofern aber der Zessionsregress vom Gesetz nur unter der Voraussetzung eines schon bestehenden Rückgriffsrechts gewährt werde, müsse er sich notwendig auf den internen Anteil des Inanspruchgenommenen beschränken107. Auch in der Ersten Kommission war man um die 104 Vgl. Marcadé/Pont, Explication IV, § 624; Demolombe, Cours XXVI, §§ 432–433, Cours XXVII, §§ 607 ff.; Demante/Colmet, Cours V, §§ 148, 148 bis I, II; Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 321 Nr. 4 c, S. 187 f.; Colin/Capitant, Cours II, 96, 100, 192; Planiol/Ripert, Droit civil VII, §§ 1094, 1228; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 118; Terré/Simler/Lequette, Obligations, § 1387; Mestre, Subrogation, §§ 472, 546 f.; ders., RTD civ. 1981, § 40; Mestre/Tian, Solidarité, § 113; Lorvellec, Subrogation, § 62; Savaux, Subrogation, § 165; Simler, Cautionnement, § 653. 105 Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 3 (S. 83), § 574 Anm. 3 Nr. 5 (S. 124); Windscheid, Pandekten, §§ 294, 298; Wächter, Pandekten, § 177 III 10; Wendt, Pandekten, § 207. 106 ZürGB § 942 S. 2; OR 1881 Art. 79 III, 168 III (OR 1911 Art. 70 III, 149 I); ebenso in England s. 5 Mercantile Amendment Act 1856. 107 Motive zum VorlE, 59 f. (Schubert, SR III, 1271 f.); ebenso Motive zum TeilE, 57 f. (Schubert, SR I, 109 f.). Ob diese Beschränkung, wie von Kübel annahm, sich wirklich schon aus der Aufrechnungseinrede ergibt, ist allerdings fraglich.
4. Konstruktionsprobleme I: Vor 1900
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Klarstellung bemüht, dass der leistende Gesamtschuldner mit Hilfe der Gläubigerforderung nicht die Gesamtleistung abzüglich seines eigenen Anteils, sondern von jedem anderen Gesamtschuldner nur dessen Innenanteil verlangen konnte108. Dies wurde im Gesetz dadurch zum Ausdruck gebracht, dass ein Forderungsübergang nur stattfinden sollte, „soweit“ der leistende Gesamtschuldner Ausgleich verlangen konnte109.
4. Konstruktionsprobleme I: Vor 1900 Sowohl bei Gesamtschuldnern als auch bei Bürgen hat die Konstruktion des Derivativregresses immer Probleme bereitet, die auch heute nicht vollständig gelöst sind. Insbesondere geht es dabei um die Frage, ob eine Übertragung der Klage oder Forderung des Gläubigers gegen den regresspflichtigen Schuldner an den Leistenden nicht daran scheitert, dass diese Klage oder Forderung längst erloschen ist. Ein erstes Hindernis, das sich allerdings nur im klassischen römischen Recht stellte, war die Klagenkonkurrenz, die unter anderem im Verhältnis zwischen Bürgen, Hauptschuldner und Mitbürgen sowie zwischen Stipulations-Gesamtschuldnern bestand110. Hatte der Gläubiger den Bürgen einmal verklagt, so waren die Klagen gegen den Hauptschuldner und gegen mögliche Mitbürgen konsumiert und konnten daher nicht mehr auf den Bürgen übertragen werden, wenn er nun freiwillig oder aufgrund eines Urteils an den Gläubiger leistete. Aus demselben Grund erschien ein Derivativregress zugunsten eines Stipulationsgesamtschuldners nicht möglich, wenn er an den Gläubiger leistete, nachdem er verklagt worden war. Wie die römische Praxis mit diesem Problem umging, ist nicht sicher. Entweder führte die Klagenkonkurrenz tatsächlich dazu, dass ein Derivativregress bei Bürgen und Stipulations-Gesamtschuldnern nur dann in Frage kam, wenn sie unverklagt geleistet hatten. Oder der Prätor gewährte, wie Levy vermutet, dem Gläubiger zugunsten des Regressberechtigten eine restitutio in integrum, eine Wiedereinsetzung in den Stand vor der Klageerhebung, um hiermit die konsumierten Klagen für Regresszwecke wieder ins Leben zu rufen111. In jedem Fall wurde dieses Hindernis spätestens mit Justinians Abschaffung der Klagenkonkurrenz 534/537 beseitigt. Ein zweites Hindernis erwies sich als wesentlich langlebiger, nämlich das Problem der Solutionskonkurrenz. Die Leistung des Bürgen befreite den Haupt108
Jakobs/Schubert, SR I, 904 f. und 947. Vgl. (mit im Einzelnen unterschiedlichen Formulierungen) VorlE § 21 I 2; TeilE § 20 I 2; E I § 337 II; RJA-E § f II; BGB § 426 II. 110 Oben, 242 ff. 111 Levy, Konkurrenz I, 223 ff. (der allerdings Klagenkonkurrenz in weitaus mehr Fällen annimmt als hier); vgl. auch Ribbentrop, Correal-Obligationen, 46 f.; Girtanner, Bürgschaft, 96; Wesener, Labeo 11 (1965), 351; Seiler, Negotiorum gestio, 180 ff.; Medicus, FS Kaser, 394; Zimmermann, Obligations, 134 Fn. 133. 109
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VIII. Der Zessionsregress
schuldner112 und dadurch auch die Mitbürgen; die Leistung eines Gesamtschuldners befreite die anderen Gesamtschuldner113. Wenn der Gläubiger also nun befriedigt war und keine Klagen gegen weitere Verpflichtete mehr hatte, schien er sie auch nicht mehr an den Leistenden abtreten zu können. Auch wenn die Abtretung vor der Leistung an den Gläubiger vereinbart war, schienen die abgetretenen Klagen doch spätestens mit der Leistung unterzugehen und damit für einen Regress nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Dass die Solutionskonkurrenz von den Römern ernst genommen wurde, zeigt der Vergleich mit dem Kreditmandat. Die Stellung des Kreditmandators, der den Gläubiger damit beauftragt hatte, dem Schuldner ein Darlehen zu gewähren, ähnelte funktional der Stellung des Bürgen, wurde aber anders konstruiert: War die Rückzahlung vom Schuldner nicht zu erlangen, konnte der Gläubiger als Beauftragter vom Kreditmandator Auslagenersatz in Höhe der Darlehenssumme verlangen114. Umgekehrt schuldete er dann dem Kreditmandator das aus der Ausführung des Auftrags Erlangte in Gestalt der Darlehensklage115. Mittels der zedierten Klage konnte der Kreditmandator dann beim Schuldner Regress nehmen. Hier erwähnen die Quellen ausdrücklich, dass die Zahlung durch den Kreditmandator den Schuldner nicht befreite116. Sie führte lediglich zu einer Einrede des Schuldners gegenüber dem schon befriedigten Gläubiger, falls dieser, anstelle die Klage zu zedieren, sie selbst gegenüber dem Schuldner geltend machte. Dies galt aber nicht zulasten des Kreditmandators. Durch die Verneinung der Solutionskonkurrenz war sein Zessionsregress problemlos möglich117. Bei Bürgen und Gesamtschuldnern hingegen wurde diese Konstruktion nicht verwendet: Die Quellen sprechen die gegenseitige Befreiung durch Leistung an den Gläubiger klar aus. Zur Lösung dieses Problems bedienten sich die Römer bekanntlich der Fiktion des Klagenkaufs118. Danach wurde die Lage so behandelt, als habe der leistende Bürge119 oder Gesamtschuldner120 nicht seine Verpflichtung erfüllt, sondern dem Gläubiger die Klagen gegen die übrigen Mitverpflichteten abgekauft. Der Zweck dieser Fiktion war eine Umdeutung der Zahlung an den Gläubiger, die nun nicht 112
Inst. 3,29 pr.; Julian D.12,6,20; Ulpian D.46,3,24; Schmieder, Duo rei, 229. Inst. 3,16,1; Ulpian D.2,10,1,4, D.4,2,14,15, D.4,3,17 pr., D.13,6,5,15, D.16,3,1,43, D.27,3,15, D.27,6,7,4, D.45,2,3,1; Ulpian-Paulus D.9,3,3–4; Pomponius D.45,2,19; Papinian D.46,1,52,3; Paulus D.46,1,71 pr. 114 Vgl. schon oben, 15. 115 Gaius D.17,1,27,5. 116 Ulpian D.17,1,28; Julian D.46,1,13; Papinian D.46,3,95,10. 117 Ebenso Emunds, Solvendo, 254 ff. Die Fiktion eines Forderungskaufs war hier also unnötig. Insofern sind die bei Medicus (FS Kaser, 396 ff., insbes. 401 f.) zu dieser Fiktion erwähnten Quellen, die vom Kreditmandat handeln, nicht aussagekräftig. 118 Hierzu Medicus, FS Kaser (1976), 391 ff.; Zimmermann, Obligations, 134 f.; Dieckmann, Derivativregreß, 49 ff.; Emunds, Solvendo, 69 ff. 119 Insbesondere Paulus D.46,1,36; ferner Julian D.46,1,17; s.a. Paulus D.17,1,59,1; Papinian D.20,5,2. 120 Insbesondere Papinian D.27,3,21, D.50,15,5 pr.; Modestin D.46,3,76; ferner Ulpian D.15,1,30,3; Severus C.5,58,1. 113
4. Konstruktionsprobleme I: Vor 1900
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mehr als Erfüllung, sondern als Entrichtung des Kaufpreises galt. War die Zahlung aber keine Erfüllung, dann konnten die Mitschuldner auch nicht befreit sein. Das ursprüngliche Schuldverhältnis war, so gesehen, also überhaupt noch nicht erfüllt. Dieses Erklärungsmodell für den Zessionsregress, das dann auch im Gemeinen Recht übernommen wurde121, mag aus heutiger Sicht abwegig erscheinen122. Selbstverständlich lag ein Klagenkauf der Absicht der Parteien fern; ihnen ging es wirtschaftlich um Erfüllung und Regress. Dies war aber auch den Römern klar, für die der Klagenkauf nichts anderes als eine Fiktion war123. Der Sache nach räumte das Recht dem Bürgen oder Gesamtschuldner, der vom Gläubiger in Anspruch genommen wurde, ein Ablösungsrecht ein: Statt die Forderung zu tilgen, konnte er sie vom Gläubiger erwerben, und zwar zu einem festgesetzten Preis in Höhe der Forderungssumme. Gegen die Schlüssigkeit dieser Konstruktion kann auch nicht eingewendet werden, dass der Leistende lediglich die Klagen gegen die übrigen Verpflichteten erwerbe und es daher unklar sei, was aus der Klage gegen den Leistenden selbst geworden sei, die ja (weil die Leistung nur Kaufpreiszahlung war) nicht durch Erfüllung erloschen sein könne124. Vielmehr erwarb der Leistende nach diesem Modell offenbar nicht nur die Klagen gegen die Mitschuldner, sondern die „Gesamtforderung“, d.h. alle Klagen oder Forderungen aus dem Gesamtschuldverhältnis. Die Klage gegen den Leistenden selbst ging aber, ähnlich wie bei einer Konfusion (Vereinigung von Schuldner und Gläubiger)125, unter, während die übrigen Klagen aufrechterhalten blieben126. Umstritten war aber offenbar schon bei den Römern, unter welchen tatsächlichen Voraussetzungen ein solcher Klagenkauf fingiert werden konnte. Eine Vereinbarung zwischen Leistendem und Gläubiger über einen Kauf der Forderun-
121 Bei Gesamtschulden etwa Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 7; Pothier, Obligations, §§ 280, 559; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 180 Fn. c; Puchta, Vorlesungen, § 235 a.E.; Brinz, Pandekten, § 236 Nr. 6; Zaun, ArchPrRW nF 1 (1864), 136 f.; bei der Bürgschaft etwa Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,40(41),11, § 7; Voet, Commentarius, zu D.46,1, § 30; Domat, Loix civiles, § 1887; vgl. Girtanner, Bürgschaft, 216 ff., 250 ff.; Hasenbalg, Bürgschaft, 413 ff.; ferner OTr Stuttgart, SeuffA 12 Nr. 117 (5.6.1857); OAG Oldenburg, SeuffA 28 Nr. 225 (7.3.1873). 122 Vgl. Hartmann, Obligation, 49 („doctrinäre Fiction, welche als solche den wahren Sachverhalt entstellt, anstatt ihn zu erklären“); Strohal, GrünZ 9 (1882), 675; Vischer, ZSchwR 29 (1888), 7 („technische Notlüge“); Binder, Korrealobligationen, 148 („ein theoretischer Notbehelf, eine Art von Gewissensberuhigung“); Schulz, Rückgriff, 27 („verlogener Spiritualismus“); Levy, Konkurrenz I, 223; Seiler, Negotiorum gestio, 180. 123 Vgl. Paulus D.46,1,36 (quodammodo); Modestin D.46,3,76 (videatur); Papinian D.27,3,21, D.50,15,5 pr. (videtur); Medicus, FS Kaser, 397 f.; Zimmermann, Obligations, 135; Emunds, Solvendo, 72 f. 124 So Medicus, FS Kaser, 398; ähnlich schon Hartmann, Obligation, 50. 125 Zur Einzelwirkung der Konfusion im Gesamtschuldverhältnis Paulus D.46,1,71 pr.; Ulpian D.46,3,43. 126 Vgl. Pomponius D.31,13; Fritz, ZCRPr nF 19 (1862), 64 ff.; von Scheurl, KritVj 18 (1876), 504. Bei Klagenkonkurrenz kam auch eine Befreiung des Leistenden dadurch in Betracht, dass er (im Zuge der Abtretung) als procurator des Gläubigers den Mitschuldner verklagte und dadurch zugleich die gegen ihn gerichtete Klage konsumierte, vgl. Binder, Korrealobligationen, 243 ff.
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VIII. Der Zessionsregress
gen war gerade nicht erforderlich. Eine strengere Auffassung, die sich insbesondere in einem Fragment von Modestin findet, verlangte aber eine (kausale) Abtretungsvereinbarung, die der Leistung vorausgehen musste127. Fingiert (oder umgedeutet) wurde dann nur der Inhalt dieser Vereinbarung. Die Abrede war hiernach notwendig, um der Leistung den Charakter der Erfüllung zu nehmen und damit ein Erlöschen der Klagen zu verhindern. Die Abtretung selbst konnte, sofern sie nur vorher vereinbart war, auch nach der Leistung geschehen. Dies bedeutete, dass bei vorbehaltloser Zahlung eines Bürgen oder Gesamtschuldners sämtliche Klagen bzw. Forderungen erloschen und eine nachträgliche Abtretung daher nicht mehr möglich war128. Ein anderes, Paulus zugeschriebenes Fragment erwähnt dieses Erfordernis dagegen nicht, sondern sagt nur, dass aufgrund der Fiktion des Klagenkaufs auch noch nach der Zahlung eine Abtretung möglich ist129. Dies kann bedeuten, dass nach Paulus’ Ansicht der Zessionsregress auch ohne vorherige Abtretungsvereinbarung stattfand130. Fingiert würde danach nicht der Inhalt einer Vereinbarung, sondern die Vereinbarung selbst: Das Recht würde unterstellen, dass der in Anspruch genommene Bürge oder Gesamtschuldner auch ohne besondere Vereinbarung, statt zu erfüllen, sein Ablösungsrecht ausüben will. Damit würde der Leistung der Charakter der Erfüllung genommen, so dass eine spätere Abtretung möglich wäre. Die Frage, ob der Zessionsregress eine Abtretungsvereinbarung oder zumindest ein Abtretungsverlangen vor Zahlung erforderte, beschäftigte die Schriftsteller des Gemeinen Rechts und auch die Rechtsprechung bis ins 19. Jahrhundert131. Die strengere Lehre, die unter den Pandektisten die herrschende war, verlangte grundsätzlich eine vorherige Abtretungsvereinbarung oder zumindest, dass der Leistende vor seiner Zahlung die Abtretung verlangt hatte, um ihr den Charakter der Erfüllung zu nehmen132. Hierfür sprach eindeutig die ModestinStelle. Das Paulus-Fragment sollte nach dieser Lehre von dem Fall handeln, in dem die Abtretung nach der Zahlung erfolgte, aber vorher schon vereinbart worden war. Weniger streng war man demgegenüber mit dem Nachweis der entsprechenden Gläubigererklärung. Hatte der Bürge oder Gesamtschuldner vor oder bei seiner Leistung die Abtretung verlangt und der Gläubiger die Leistung entgegengenommen, konnte aus dieser Entgegennahme ein Einverständnis mit der
127 Modestin D.46,3,76; ähnlich D.46,1,39; Alexander C.8,40,11; vielleicht auch Severus C.5,58,1 (vgl. Emunds, Solvendo, 86). 128 Die in den Quellen erwähnte eigene Regressklage des verurteilten Mitvormunds wurde wahrscheinlich gerade in Fällen entwickelt, in denen eine Zession ohne sein Verschulden unterblieben war, um seinen Regress zu retten, so Seiler, Negotiorum gestio, 189 ff. 129 Paulus D.46,1,36. 130 So Medicus, FS Kaser, 404 f.; Zimmermann, Obligations, 135; anders Levy, Konkurrenz I, 229 (Interpolation). 131 Zum älteren Streitstand beim Bürgenregress Girtanner, Bürgschaft, 216–218, 250–256; Hasenbalg, Bürgschaft, 413 ff.; von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT, Kap. 18, Nr. 15 (S. 880); zum Streitstand im französischen Gemeinen Recht Pothier, Obligations, § 280.
4. Konstruktionsprobleme I: Vor 1900
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Abtretungsvereinbarung und darüber hinaus auch schon mit der Abtretung selbst gesehen werden. Die letztere Annahme bedeutete praktisch einen Übergang der Klagen bzw. Forderungen auf den Leistenden, falls dieser die Abtretung zuvor verlangt hatte. Bei vorbehaltloser Zahlung hingegen waren die übrigen Klagen erloschen und ein Zessionsregress nicht mehr möglich. Nach einer anderen Ansicht, die offenbar auch die Praxis beeinflusste, war eine Abtretung auch nach vorbehaltloser Zahlung möglich133. Die Aussage des Modestin sollte aus verschiedenen Gründen für das zeitgenössische Gemeine Recht nicht zutreffen. In der älteren Lehre zum Bürgschaftsrecht findet sich der Gedanke, die Stellung des Bürgen an die des Kreditmandators anzugleichen: Das Modestin-Fragment (in dem es um Vormünder ging) spreche von einer echten Korrealobligation, also einer einzigen Obligation mit mehreren Schuldnern. Der Bürge hingegen (von dem das Paulus-Fragment handelte) sei Schuldner einer eigenen Obligation. Leiste er, erfülle er nicht die Obligation des Hauptschuldners, sondern nur seine eigene und befreie dadurch den Hauptschuldner auch nicht, so dass eine Zession weiterhin möglich bleibe134. Gegen diese Argumentation konnte man aber einwenden, dass ganz unabhängig von der Frage der Einheit oder Mehrheit der Obligationen die Quellen die Befreiung des Hauptschuldners bei Leistung durch den Bürgen im Gegensatz zur Leistung durch den Kreditmandator (und ebenso die gegenseitige Befreiung bei Gesamtschuldnern) ausdrücklich aussprachen. Andere begründeten das Ergebnis daher mit dem Gedanken, dass nach zeitgenössischem Recht die Absicht des Leistenden, die Forderungen gegen die Mitverpflichteten zu erwerben, grundsätzlich zu unterstellen sei135. 132
Zum Bürgenregress Grotius, Inleiding III, 3, § 31; Voet, Commentarius, zu D.46,1, § 30; Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst.3,20(21),4, § 9; Pothier, Obligations, § 446; Bucher, Forderungen, § 119; von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT, Kap. 18, Nr. 15 (S. 880); Puchta, Pandekten, § 405 bei Fn. o; Seuffert, Pandekten, § 385 Fn. 26; Sintenis, Civilrecht, § 129 bei Fn. 57; allgemein oder zum Gesamtschuldregress Pothier, Obligations, § 280; Mühlenbruch, Cession, 445 ff.; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 180 Fn. c; Seuffert, a.a.O., § 298 Fn. 8; Vangerow, Pandekten, § 574 Anm. 3; Brinz, Pandekten, § 236 Nr. 6; Wächter, Pandekten, § 177 III 10; aus der Bürgschafts-Rechtsprechung OAG Wolfenbüttel, SeuffA 22 Nr. 238 (18.5.1849); OTr Stuttgart, SeuffA 12 Nr. 117 (5.6.1857); OAG Dresden, SeuffA 17 Nr. 39 (4.10.1862); OAG Oldenburg, SeuffA 28 Nr. 225 (7.3.1873); zur deliktischen Gesamtschuld ObG Wolfenbüttel (9.11.1837), abgedruckt bei Gruchot, Gruch 3 (1859), 497. 133 Zum Bürgenregress Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,40(41),11, § 7; Sell, ZCRPr 4 (1831), 30 f., Fn. 2; Girtanner, Bürgschaft, 535–539; Hasenbalg, Bürgschaft, 413 ff.; Arndts, Pandekten, § 356 Anm. 2; Dernburg, Pandekten II, § 80 II 2; ebenso wohl Höpfner, Commentar, § 845; zum Gesamtschuldregress Dumoulin, nach Pothier, Obligations, § 280; Savigny, Obligationenrecht I, 254 f.; Zaun, ArchPrRW nF 1 (1864), 136 f.; aus der Bürgschafts-Rechtsprechung OAG Kiel, SeuffA 7 Nr. 313 (9.3.1853); OAG Rostock, SeuffA 17 Nr. 40 (4.4.1863); OAG München, SeuffA 22 Nr. 142 (10.10.1867); RGZ 18, 235, 240 f. (9.11.1886). 134 Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,40(41),11, § 7; vgl. zu dieser auf Bartolus zurückgehenden Argumentation auch Voet, Commentarius, zu D.46,1, § 30; Girtanner, Bürgschaft, 216–218, 250–256; Hasenbalg, Bürgschaft, 413 ff.; Mühlenbruch, Cession, 445 ff. 135 So wohl Höpfner, Commentar, § 845; ferner Girtanner, Bürgschaft, 535–539; Hasenbalg, Bürgschaft, 413 ff.; Zaun, ArchPrRW nF 1 (1864), 136 f., 139 f.; OAG Kiel, SeuffA 7 Nr. 313 (9.3.1853); OAG Rostock, SeuffA 17 Nr. 40 (4.4.1863); RGZ 18, 235, 240 f. (9.11.1886).
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VIII. Der Zessionsregress
Vom Ergebnis her erschien die zweite Auffassung vorzugswürdiger. Die strengere erste Ansicht machte den Zessionsregress von dem oft zufälligen Umstand abhängig, ob der leistende Bürge oder Gesamtschuldner rechtzeitig daran gedacht hatte, vor seiner Leistung die Abtretung zu verlangen. Angesichts der Tatsache, dass ein Wille des Bürgen oder Gesamtschuldners zum Rückgriff regelmäßig vorliegen wird, benachteiligte diese Ansicht die Unerfahrenen und Rechtsunkundigen. Wenn man aber auf das ausdrückliche Abtretungsverlangen des Leistenden verzichtete, dann fragte es sich, ob nicht auch das Erfordernis einer gesonderten Abtretung selbst eine überflüssige Förmelei war, ob also nicht nur die (kausale) Abtretungsvereinbarung, sondern auch die Abtretungserklärungen selbst vom Recht unterstellt werden sollten. Diese schon von Dumoulin vertretene Auffassung136 findet sich im 19. Jahrhundert bei Zaun, der bei der Leistung eines Gesamtschuldners oder Bürgen einen mutmaßlichen beidseitigen Parteiwillen zur Abtretung annahm, weswegen das Recht auch ohne weitere Erklärungen eine Zession fingiere137. Zum gleichen Ergebnis kamen mit etwas anderer Begründung die schon geschilderte Ansichten von Savigny, Puchta und Schmid, wonach die Zession wegen des Rechts des Leistenden auf Abtretung fingiert werden müsse138. Im Ergebnis bedeutete diese fingierte Zession nichts anderes als einen gesetzlichen Forderungsübergang. All diese Ansichten setzten sich im Gemeinen Recht nicht durch, weil sie nur schwer mit den Quellen zu vereinbaren waren139. Die zeitgenössischen Gesetzgeber aber waren an die Quellen nicht gebunden. In den Regelwerken finden sich daher zum Derivativregress unterschiedliche Konstruktionen, welche die Meinungsvielfalt im Gemeinen Recht widerspiegeln. Ein einfacher Anspruch gegen den Gläubiger auf Zession wurde manchmal dem Drittzahler gewährt, etwa im ursprünglichen ABGB und im Sächsischen Entwurf140. Interessanterweise konnte der Dritte den Zessionsanspruch auch erst nach seiner Zahlung an den Gläubiger geltend machen141, was bedeutete, dass ein 136 Hierzu Pothier, Obligations, § 280; Mestre, Subrogation, § 17; Kim, Zessionsregreß, 31 ff. Die zeitgenössische Lehre in Frankreich folgte Dumoulin allerdings nicht; der automatische Forderungsübergang wurde erst vom CC eingeführt. 137 Zaun, ArchPrRW nF 1 (1864), 131 ff.; ebenso zum Mitbürgenregress Dernburg, Pandekten II, § 80 II 2. 138 Savigny, Obligationenrecht I, 243 ff.; Puchta, Pandekten, § 108; Schmid, Cession I, 359 ff., 369 ff.; vgl. oben, 276 ff. 139 Vgl. oben, 277; zu Dumoulins Lehre Pothier, Obligations, § 280, und die Nachweise bei Marcadé/Pont, Explication IX, § 265; Mestre, Subrogation, § 17; ferner von Kübel, Teilentwurf „Uebertragung der Forderungen“, 13 (Schubert, SR I, 945) m.w.N.; vgl. aber Seiler, Negotiorum gestio, 202 ff. 140 ABGB a.F. §§ 1422 f.; SächsE § 969. Auch das ALR, I 16 § 50, gewährte dem Dritten einen Zessionsanspruch, der ihm trotz automatischen Eintritts in die Gläubigerrechte nützlich sein konnte, weil der Eintritt sich nicht auf Drittsicherheiten und Vorrechte bezog, ALR I 15, §§ 47 f., 50. 141 So ausdrücklich SächsE § 969. Im ABGB war allerdings Voraussetzung, dass der Dritte ohne den Willen des Schuldners zahlte, vgl. ABGB a.F. § 1423 mit § 1422, und Dieckmann, Derivativregreß, 70.
4. Konstruktionsprobleme I: Vor 1900
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Erlöschen der Forderung durch die Leistung eines Dritten, anders als nach dem BGB, von vornherein nicht stattfand, weil der Gesetzgeber – nach gemeinrechtlichen Begriffen – jedem Dritten einen Ablösungswillen unterstellte. Vor allem aber dann, wenn der Regressberechtigte selbst haftete, verzichteten die Regelwerke auf eine Zessionserklärung des Gläubigers. Dann stellte sich die Frage, ob man der strengeren gemeinrechtlichen Lehre folgen und zumindest ein Abtretungsverlangen des Dritten vor seiner Zahlung für erforderlich halten sollte142. Ergebnis wäre dann ein Forderungsübergang, falls der Dritte ihn rechtzeitig verlangt und damit seinen Erwerbswillen gezeigt, und ein Erlöschen der Forderung, falls der Dritte vorbehaltlos gezahlt hatte. Diese Konstruktion wählte das Sächsische BGB für Bürgen und Drittzahler; für letztere folgte ihm der österreichische Gesetzgeber von 1916143. Die Mehrheit der Regelwerke aber verwendete für den Derivativregress die Technik des automatischen Forderungsübergangs, die keinerlei Parteierklärung verlangte. Hiermit sollte dem als unfruchtbar empfundenen gemeinrechtlichen Streit um die Erfordernisse des Zessionsregresses ein für alle Mal ein Ende bereitet werden. Das ABGB und die deutschen Entwürfe sahen einen Eintritt in die Gläubigerrechte für Bürgen vor144, das ALR für Bürgen und Drittzahler145. Der Code Civil, das Züricher Gesetzbuch und das Schweizer Obligationenrecht, die als einzige Regelwerke nicht nur dem Bürgen, sondern auch dem Gesamtschuldner einen Derivativregress gewährten, ordneten für beide Fälle den automatischen Übergang der Gläubigerrechte an146. Dem schloss sich von Kübel für das BGB an147. Mit einem kraft Gesetzes, ohne weitere Parteierklärungen, eintretenden Forderungsübergang konnte dem Regressberechtigten der Umweg einer Zessionserzwingung erspart werden; ein weiteres Argument war für von Kübel die größere Sicherheit des Regressberechtigten im Konkurs des Gläubigers. Zwar konnte bei einem gesetzlichen Forde142
Diese Frage wurde kontrovers debattiert bei den Beratungen zum Dresdner Entwurf, Dresd. Prot. 3440–3445, 4592 f. 143 SächsGB § 955; ABGB n.F. § 1422; zu beidem Dieckmann, Derivativregreß, 70–74. 144 ABGB Art. 1358 (zum Einfluss des ALR vgl. Dieckmann, Derivativregreß, 64 ff.); SächsE § 859; HessE IV 2 Art. 603 II; BayE II Art. 879; DresdE Art. 940. 145 ALR I 14 § 338 (Bürge), I 16 § 46 (Drittzahler); hierzu Dieckmann, Derivativregreß, 56 f. 146 CC Art. 1251 Nr. 3 (Gesamtschuld), 2029 (Bürge, heute Art. 2306); hierzu Marcadé/Pont, Explication IX, § 266; Mestre, Subrogation, §§ 20 f., 85, 136 ff.; ZürGB §§ 942 (Gesamtschuld), 1801 (Bürge), jew. i.V.m. § 1027; OR 1881 Art. 168 III (Gesamtschuld, heute Art. 149 I), Art. 79 III (unteilbare Leistung, heute Art. 70 III), Art. 504 (Bürge, heute Art. 507 I); jeweils i.V.m. Art. 185 (heute Art. 166). Ein ganz anderes Bild bietet das englische Recht, das insofern dem klassischen römischen Recht ähnelt: Hinsichtlich der Forderung selbst erlaubt es die vom Mercantile Law Amendment Act angeordnete subrogation dem Bürgen oder Gesamtschuldner, die Forderung im Namen des Gläubigers einzuklagen. Hinsichtlich Sicherheiten gewährt der Wortlaut des Gesetzes einen Übertragungsanspruch; teilweise geht die Literatur aber von einem automatischen Übergang aus. Zu beidem Dieckmann, Derivativregreß, 178 ff., 194 ff. 147 Teilentwurf „Übertragung der Forderungen“ (Schubert, SR I, 927 ff.), § 2 IV; VorlE § 21 I 2; TeilE § 20 I 2.
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VIII. Der Zessionsregress
rungsübergang grundsätzlich die Gefahr bestehen, dass die Person des Forderungsinhabers nicht unmittelbar feststand, sondern erst unter Bezug auf ein möglicherweise fremdes Innenverhältnis ermittelt werden konnte148. Doch bei Gesamtschuldverhältnissen schien diese Gefahr ausgeschlossen: Leistete ein Gesamtschuldner an den Gläubiger, hing die Frage, ob und in welcher Höhe er die Gläubigerforderung geltend machen konnte, vom Innenverhältnis unter den Gesamtschuldnern ab. Diese waren aber zugleich die Beteiligten des Regressprozesses. Der befriedigte Gläubiger, den das Innenverhältnis nichts angehen musste, war bei der Regressfrage nicht mehr beteiligt149. In den Beratungen erhob sich kein Widerspruch. Nach von Kübels Vorentwürfen und dem Ersten Entwurf sollte der Gesamtschuldner in Höhe seines Regresses „die Rechte des Gläubigers geltend machen“ können150; beim Bürgenregress sprach der Erste Entwurf hingegen von einer Übertragung der Forderung kraft Gesetzes151. In der Zweiten Kommission war man sich über die zu wählende Bezeichnung nicht einig; die Redaktionskommission entschied sich beim Bürgenregress für den „Forderungsübergang“, der dann auch für den Gesamtschuldregress übernommen wurde152. Gemeint war aber stets dasselbe153: Dem Regressberechtigten standen (in Höhe seines Regressrechts) aufgrund Gesetzes die Gläubigerforderung sowie die für sie bestellten Sicherheiten und Vorzugsrechte (§§ 401, 412) zu.
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Von Kübel, Teilentwurf „Übertragung der Forderungen“, 14 (Schubert, SR I, 946). Von Kübel, TeilE Gesamtschuld, 58 (Schubert, SR I, 110). Etwas anders gilt aber, wenn der Gläubiger vom Gesamtschuldner S1 befriedigt wird, nachdem er Klage gegen den Gesamtschuldner S2 erhoben hat. Weil man hier § 265 ZPO analog anwendet (BGH NJW 1963, 2067 [4.7.1963]; Staud/Noack, § 426 Rz 125), ist der Gläubiger weiterhin Kläger, obwohl der geltend gemachte Anspruch (des S1) nun auch davon abhängt, ob und in welcher Höhe ein Rückgriffsanspruch des S1 gegen S2 besteht. Die Lage wird dadurch noch problematischer, dass eine Entscheidung des Gerichts über diesen internen Rückgriffsanspruch gegenüber S1 keine Rechtskraft entfaltet. Hierzu von Olshausen, Gläubigerrecht, 184 ff. 150 VorlE § 21 I 2; TeilE § 20 I 2; E I § 337 II; ebenso RJA-E § f II. 151 E I § 676, vgl. Jakobs/Schubert, SR III, 496. 152 Siehe zur Bürgschaft Jakobs/Schubert, SR III, 503; zur Gesamtschuld Prot. 2531 (Mugdan II, 608); Jakobs/Schubert, SR I, 970. 153 Für von Kübel waren Geltendmachung der Gläubigerrechte, fingierte Zession, gesetzliche Zession und gesetzliche Forderungsübertragung dasselbe, vgl. die unterschiedliche Terminologie in Teilentwurf „Übertragung der Forderungen“, § 2 IV; Teilentwurf „Gesamtschuld“, § 20 I 2 und S. 58 (Schubert, SR I, 110). In den Motiven zum heutigen § 774 (Mot. II, 673, Mugdan II, 376) werden Legalübergang, subrogatio und cessio ficta in eins gesetzt. Die Materialien ergeben nichts für die These, dass der BGB-Gesetzgeber sich mit dem „Forderungsübergang“ bewusst vom „Eintrittsrecht“ des ALR (I 14 § 338), des ABGB (§ 1358) und der Partikularentwürfe (SächsE § 859, HessE IV 2 Art. 603 II, BayE II Art. 879), vom „Rechtsübergang“ des DresdE (Art. 940) und des OR 1881 (Art. 168 III) bzw. von der Subrogation des CC (Art. 1251) absetzen wollte; so aber (zu § 774) Dieckmann, Derivativregreß, 103 f., 315, 444, vgl. auch 319. 149
5. Konstruktionsprobleme II: Nach 1900
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5. Konstruktionsprobleme II: Nach 1900 Mit Einführung des gesetzlichen Forderungsübergangs in § 426 II war das Konstruktionsproblem des Zessionsregresses aber noch nicht gelöst. Auf den ersten Blick allerdings scheint das Problem durch den Abschied vom Gemeinen Recht und die Anerkennung des „Mehrheitsprinzips“ für Gesamtschuldverhältnisse beseitigt zu sein. Danach besteht der Widerspruch zwischen Erfüllung und Forderungsübergang dann, wenn die Forderung, die der Regressberechtigte erfüllt, gerade diejenige ist, die auf ihn übergehen soll. Hier könnte man annehmen, dass der Übergang einer Forderung, die erfüllt worden ist, notwendig ausgeschlossen sein müsse154. Das Konstruktionsproblem bestünde dann nur bei der einfachen Drittzahlung. Beim Gesamtschuldverhältnis würde es sich nur dann stellen, wenn man mit der im Gemeinen Recht vertretenen Lehre von der Einheit der Korrealobligation ausgeht; beim Bürgenregress nur dann, wenn man annimmt, der Bürge leiste auf die Obligation des Hauptschuldners. Nach heutiger Sicht aber leistet der Bürge auf seine eigene Bürgenschuld, nicht auf die Schuld des Hauptschuldners. Demnach erfüllt der Bürge auch nur seine eigene Schuld, die nach § 362 erlischt, während die Schuld des Hauptschuldners nach § 774 auf ihn übergeht155. Beim Gesamtschuldregress findet sich in der Literatur zwar häufig die von einem Einheitsmodell geprägte Vorstellung, wonach „die Forderung“ des Gläubigers von einem Gesamtschuldner erfüllt wird und dann teilweise auf ihn übergeht156. Nimmt man aber das heute herrschende Modell einer Mehrheit von Verbindlichkeiten im Gesamtschuldverhältnis ernst, dann kann der Zessionsregress damit erklärt werden, dass der leistende Gesamtschuldner nur seine eigene Schuld i.S.d. § 362 erfüllt, während die Forderungen gegen die Mitschuldner in Höhe ihres intern zu tragenden Anteils nicht erlöschen, sondern nach § 426 II übergeleitet werden. Aus dieser Sicht werden die Forderungen gegen die Mitschuldner also, ähnlich wie bei der Kauffiktion des Gemeinen Rechts, in Höhe ihres intern zu tragenden 154
So Oertmann, AcP 82 (1894), 378 ff. Vgl. schon RGZ 53, 403 (7.2.1903); Siber, Rechtszwang, 239, 248 ff.; aus der heutigen Literatur etwa RGRK/Mormann, § 774 Rz 1; Staud/Horn, § 774 Rz 3; Reinicke/Tiedtke, Kreditsicherung, Rz 376; Bülow, Kreditsicherheiten, Rz 1013; Jauernig/Stadler, § 774 Rz 1; Dieckmann, Derivativregreß, 27, 323; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 7, 89. 156 Vgl. Staud/Werner (1930), § 426 Anm. A I 1 c; Kanka, JhJb 87 (1938), 170; Esser/Schmidt, SR AT 2, § 39 I (S. 343), II 2 a (S. 346), III 3 (S. 352); Schlechtriem/Schmidt-Kessel, SR AT, Rz 846, 853; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rz 777; Brox/Walker, SR AT, Rz 37/28; Rüßmann, JuS 1974, 295; jurisPK/Rüßmann, § 422 Rz 12; Schreiber, Jura 1989, 358; Zerres, Jura 2008, 732; RGRK/Weber, § 422 Rz 2; Staud/Kaduk, § 422 Rz 4; MüKo/P. Bydlinski, § 422 Rz 2, BamR/ Gehrlein, § 426 Rz 16. Diese Vorstellung fand sich auch beim Gesetzgeber, vgl. etwa Jakobs/Schubert, SachR II, 690; oder Prot. 4748 f. (Mugdan II, 845 f.), wo kein wesentlicher Unterschied gesehen wird zwischen dem Zessionsregress des leistenden Gesamtschuldners und dem Fall, dass der Einzelschuldner einer hypothekengesicherten Forderung leistet und die Hypothek zum Regress gegen den intern verpflichteten Eigentümer verwenden will (heute § 1164), weil in beiden Fällen die Konstruktionsprobleme darauf beruhen sollen, dass der Gläubiger wegen „der Forderung“ befriedigt wurde. 155
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VIII. Der Zessionsregress
Anteils überhaupt nicht getilgt157. Die Quellen, die von einer wechselseitigen Befreiung durch Leistung eines Gesamtschuldners sprechen, binden heute nicht mehr. An ihre Stelle ist allerdings die Vorschrift des § 422 I 1 getreten, die der Konstruktion einer ausbleibenden Tilgung im Wege zu stehen scheint. Danach „wirkt“ die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner auch für die übrigen Schuldner. Gemeint war damit zwar nicht eine „Miterfüllung“ der Mitschuldnerverbindlichkeiten158, wohl aber, dass die Leistung eines Gesamtschuldners, durch die seine eigene Schuld erfüllt wird, die Mitschuldner so befreit, als ob sie selbst erfüllt hätten. Die Mitschuldnerverbindlichkeiten müssten dann nach § 362 I erlöschen und könnten nicht auf den Leistenden übergehen. Die Vorschrift des § 422 I scheint danach nicht zu § 426 II zu passen159. Dieser Befund kann historisch damit erklärt werden, dass von Kübel die Regel des heutigen § 422 in Anlehnung an entsprechende Vorschriften im Bayerischen Entwurf, im Sächsischen BGB und im Dresdener Entwurf formulierte160, die allesamt bei Gesamtschulden keinen Zessionsregress kannten161. Auch nach von Kübels Vorlageentwurf sollte ein Ausgleichsanspruch, und damit auch ein Zessionsregress, nur dann stattfinden, wenn er durch Parteiwillen oder Gesetz besonders vorgesehen war162. Ohne Zessionsregress aber erloschen, wenn ein Gesamtschuldner leistete, die Obligationen der Mitschuldner tatsächlich vollständig und endgültig. Die Gesamtwirkung der Erfüllung bedeutete hier, dass die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner nicht nur seine eigene Schuld nach der Regel des heutigen § 362 zum Erlöschen brachte, sondern zugleich auch die Forderungen gegen die Mitschuldner vernichtete. Nimmt man aber den in § 426 II vorgesehenen Forderungsübergang ernst, kann von einer vollständigen Vernichtung keine Rede sein. Ein Teil der Literatur schränkt daher den Anwendungsbereich des § 422 auf den Teil der Schuld ein, den der nichtleistende Gesamtschuldner intern nicht tragen muss: Schulden zwei Gesamtschuldner 100, wovon intern S1 70, S2 30 tragen soll, und zahlt S1 100 an den Gläubiger, dann erlischt die Schuld von S1 vollständig nach § 362. Die Schuld von S2 erlischt nur in Höhe von 70 nach § 422, während sie in Höhe von 30 nach § 426 II auf S1 übergeht. Bei mehr als zwei Ge157 Kremer, Mitbürgschaft, 74 ff., 130 f. Für Siber, Rechtszwang, 248 und 251, sollte die Leistung eines Gesamtschuldners „in Höhe seines Regressrechts“ nicht Erfüllung, sondern Leistung zum Zweck des Erwerbs der Forderungen gegen die Mitschuldner sein. Das Gesetz gewähre dem Gesamtschuldner ein Lösungsrecht und unterstelle ihm (fiktiv) die Absicht, mit seiner Leistung davon Gebrauch zu machen. Vgl. auch MüKo/Krüger, § 267 Rz 13, wonach der leistende Gesamtschuldner nicht das Erlöschen der Forderung gegen den Mitschuldner bezweckt, sondern deren Erwerb. 158 Oben, 253 ff. 159 Dies wurde schon in der frühen Literatur zum BGB kritisiert, Hruza, SächsArch 5 (1895), 294 (nach dem wegen § 422 der in § 426 II angeordnete Forderungsübergang „unmöglich“ sein soll, anders als bei § 774, weil der Bürge nur seine Bürgenschuld, nicht die Hauptschuld erfülle, 297); Kremer, Mitbürgschaft, 73 f.; Boethke, Gruch 47 (1903), 858. 160 Hierzu oben, 252 f. 161 Oben, 395. 162 Oben, 275.
5. Konstruktionsprobleme II: Nach 1900
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samtschuldnern kann zum Leistungszeitpunkt wegen § 426 I 2 der genaue Anteil, der erlischt, und der Anteil, der übergeht, noch unklar sein. Im Endergebnis aber erlischt die Forderung, soweit sie nicht übergeht: § 422 und § 426 II ergänzen sich, was das Schicksal der Mitschuldnerforderung angeht163. Dieses an sich schlüssige Modell kann die Konstruktionsprobleme des Zessionsregresses allerdings auch nicht vollständig beseitigen. Nimmt man die Vorstellung ernst, dass der Leistende die Schuld seines Mitschuldners in Höhe von dessen internen Anteil gar nicht zum Erlöschen bringt, sondern lediglich per Legalzession erwirbt, dann fragt es sich, worauf dann eigentlich der Regress aus § 426 I oder auch der Regress aus einem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis beruhen soll. Sicherlich ist der Mitschuldner von der Haftung gegenüber dem Altgläubiger frei. Dafür hat er aber einen neuen Gläubiger. Ein reiner Gläubigerwechsel ist grundsätzlich kein mittels Regress auszugleichender Vermögensvorteil: Auch derjenige, der rechtsgeschäftlich eine Forderung nach § 398 erwirbt, befreit den Schuldner von seiner Haftung gegenüber dem Altgläubiger, ohne dass jemand auf die Idee käme, deswegen einen Regress anzuordnen; vielmehr ist es die zedierte Forderung selbst, mit der sich der Zessionar an den Schuldner hält. Dasselbe gilt aber auch für den gesetzlichen Forderungsübergang, wenn er nicht zu Regresszwecken angeordnet wird, also in den Fällen, in denen eine Forderung vom bislang nicht befriedigten Altgläubiger (meist im Zuge einer größeren Vermögensverschiebung) auf einen neuen Gläubiger übergeht164: Selbstverständlich hat der neue Gläubiger gegen den Schuldner keinen Regress, sondern nur die Forderung selbst. Bei der Legalzession nach § 426 II oder auch nach § 774 soll hingegen neben dem Zessionsregress noch ein eigener Rückgriffsanspruch möglich sein; bei der Gesamtschuld ist er sogar erforderlich, um den Forderungsübergang überhaupt entstehen zu lassen. Zugleich scheint der Forderungsübergang dem eigenen Regressanspruch den Boden zu entziehen: ein umgekehrter circulus vitiosus. Dieses Dilemma besteht, sofern man sich den nach § 426 II vorgesehenen Forderungsübergang tatsächlich wie einen gewöhnlichen gesetzlichen Forderungsübergang vorstellt, der sich von der Abtretung nach § 398 nur durch seinen Entstehungstatbestand unterscheidet. Diese Vorstellung kommt der gemeinrechtlichen Kauffiktion sehr nahe: Statt die Forderungen gegen seine Mitschuldner zu 163 Ehmann, Gesamtschuld, 102; Erman/Ehmann, vor § 420 Rz 16, § 422 Rz 1, § 426 Rz 12; ihm folgend Rüßmann, JuS 1974, 295; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 76; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 40; Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 5; der Sache nach schon Korintenberg, ArchRPfl 1931, 3 f.; Mirow, Unechte Gesamtschulden, 143 f. Ähnlich BGHZ 103, 72, 76 (15.1.1988): Soweit der Mitschuldner regresspflichtig ist, erlischt das Schuldverhältnis „entgegen §§ 362 Abs. 1, 422 Abs. 1“ nicht; ebenso BGH NJW 1991, 97, 98 (20.9.1990). Winter, Teilschuld, 127 ff., geht demgegenüber von einem vollständigen Übergang der Verbindlichkeiten der Mitschuldner auf den Leistenden aus, der sie dann aber nur in Höhe seines Regressrechts geltend machen kann. 164 Beispiel: § 82 S. 2 BGB; weitere Fälle bei von Olshausen, Gläubigerrecht, 144; Schims, Forderungsübergang, 40 ff.; vgl. auch die bei Hübener, Forderungsübergang, zu B-E aufgeführten Fälle.
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VIII. Der Zessionsregress
tilgen, erwirbt sie der Gesamtschuldner, nur nicht, wie im Gemeinen Recht, durch fiktiven Kauf, sondern durch Gesetz. Auch bei der gemeinrechtlichen Konstruktion hätte sich die Frage stellen können, wie ein – rechtsgeschäftliches oder gesetzlich vorgesehenes – Regressrecht des leistenden Gesamtschuldners erklärt werden kann, wenn er die Mitschuldnerforderungen dem Gläubiger lediglich abgekauft hat. Möglicherweise löste sich das Problem nach römischem Recht, indem man von einer Wahl des Regressberechtigten ausging, entweder die Mitschuldnerklagen vom Gläubiger zu erwerben (durch rechtzeitiges Abtretungsverlangen) oder ohne Gläubigerklage einen eigenen Regressanspruch geltend zu machen. Der leistende Gesamtschuldner würde die übrigen Forderungen dann entweder tilgen oder erwerben, nicht beides. Nach § 426 aber setzt der Forderungsübergang gerade ein eigenes Regressrecht voraus. Dem leistenden Gesamtschuldner stehen beide Regresswege offen, sowohl der eigene Rückgriffsanspruch als auch die Gläubigerforderung. Selbstverständlich kann er hiermit nicht doppelt liquidieren, aber er muss sich nicht für einen der Regresswege entscheiden165. Er tilgt und erwirbt sozusagen zugleich. Dass die konstruktiven Bedenken nicht aus der Luft gegriffen sind, zeigt sich an der verwandten Frage, ob neben einer Legalzession noch ein Bereicherungsanspruch in Form einer Rückgriffskondiktion möglich ist. Hat sich etwa der Bürge gegen den Willen des Hauptschuldners verbürgt, kann er weder aus Auftrag noch aus G.o.A. Regress nehmen. Statt dessen käme aber ein Bereicherungsanspruch (§§ 812, 683 S. 2) in Frage, weil der Bürge durch seine Leistung den intern vorrangig zuständigen Hauptschuldner befreit hat. Hier nimmt aber ein Teil der Literatur an, dass, sofern eine Legalzession zugunsten des Bürgen stattfindet, eine auszugleichende Bereicherung des Hauptschuldners nicht vorliegt166. (Dies kann zu der Schlussfolgerung führen, dass der Bürge wegen des fehlenden Regressrechts nach § 774 I 2 auch die Gläubigerforderung nicht geltend machen kann, worin dann wieder eine Bereicherung des Hauptschuldners liegen könnte, die einen Bereicherungsanspruch eröffnet167 – wieder ein Argumentationskreisel.) Ähnliche Bedenken müssten dann auch beim Gesamtschuldverhältnis gelten, und zwar nicht nur hinsichtlich eines Bereicherungsanspruchs wegen Schuldbefreiung168, sondern auch für den Regress nach § 426 I: Wenn der Leistende (in Höhe des internen Anteils des Mitschuldners) lediglich die Gläubigerforderung erwirbt, wie lässt sich dann, insbesondere bei gesetzlichen Gesamt165 Staud/Noack, § 426 Rz 127; Erman/Ehmann, § 426 Rz 32; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 38; Soergel/Wolf, § 426 Rz 52. Ebenso zu § 774 Staud/Horn, § 774 Rz 5; Dieckmann, Derivativregreß, 375; OLG Köln, JZ 1990, 343, 344 (26.1.1989). 166 Oertmann, Schuldverhältnisse BT, § 774 Anm. 1 c; Dieckmann, Derivativregreß, 38, 341; allgemein Gernhuber, Erfüllung, § 21 II 5; Schlechtriem, Restitution II, Rz 7/233; Schims, Forderungsübergang, 106, 113; Soergel/Mühl/Hadding, § 812 Rz 30; Jauernig/Stadler, § 812 Rz 73; Coester-Waltjen, Jura 1997, 609; Wendehorst, Jura 2004, 510; ebenso für andere Fälle der RegressLegalzession Staud/S.Lorenz, § 812 Rz 68; MüKo/Lieb, § 812 Rz 126; Kim, Zessionsregreß, 79 f.; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 141; vgl. auch BGHZ 33, 243, 246 f. (7.11.1960). 167 Vgl. Dieckmann, Derivativregreß, 336, 341. 168 Vgl. hierzu schon oben, 370 ff.
5. Konstruktionsprobleme II: Nach 1900
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schulden, ein Regress rechtfertigen, der nach herrschender Lehre unabhängig ist von der Gläubigerforderung und daher auch dann bestehen bleibt, wenn es die Gläubigerforderung nicht mehr gibt? Die Schwierigkeit, den eigenen Rückgriffsanspruch zu erklären, zeigt, dass die Konstruktionsprobleme des Zessionsregresses durch die Annahme einer Obligationsmehrheit nicht beiseite geräumt werden können169. Es hat daher an Versuchen nicht gefehlt, den Regress nach § 426 II anders zu deuten als einen echten Forderungsübergang. Das Bestehen und die Höhe des Gesamtschuldrückgriffs richten sich allein nach § 426 I bzw. dem Innenverhältnis; der Forderungsübergang nach § 426 II dient lediglich dazu, dem Regressberechtigten die Neben- und Vorzugsrechte der Gläubigerforderung zu verschaffen. Für von Tuhr bedeutete die Regelung des § 426 II daher, dass der Regressberechtigte in Wahrheit allein seine Regressforderung aus § 426 I bzw. dem Innenverhältnis geltend macht, auf die aber kraft Gesetz die Vorteile der Gläubigerforderung übergeleitet werden170. Eine solche Überleitung von Sicherheiten von der Gläubigerforderung auf die Regressforderung kennt das BGB in § 1164 für den Fall, dass der Schuldner einer hypothekengesicherten Forderung den Gläubiger befriedigt und eine Regressforderung gegen den Eigentümer des belasteten Grundstücks hat. Bei der Gesamtschuld hat der Gesetzgeber diese Konstruktion dagegen gerade nicht gewählt. Die Sicherheiten „bleiben bei der Gläubigerforderung“, was insbesondere dazu führt, dass ihr Schicksal an deren Bestand geknüpft ist171. Auch wenn der leistende Gesamtschuldner die Gläubigersicherheiten erwirbt, gehen diese für ihn verloren, wenn danach die Gläubigerforderung gegen den regresspflichtigen Gesamtschuldner wegen einer rechtskräftigen Klageabweisung oder wegen Verstreichung einer Ausschlussfrist zunichtegemacht wird, selbst wenn der eigene Rückgriffsanspruch noch besteht. Mit der von Tuhr’schen Konstruktion müsste man also annehmen, dass die Sicherheiten, die nach dem Untergang der Gläubigerforderung durch Leistung eines Gesamtschuldners auf dessen Regressanspruch übergeleitet werden, nur so lange bestehen, wie die Gläubigerforderung bestanden hätte, wäre sie nicht durch Leistung untergegangen172. Auch Fritz Schulz lehnte die Vorstellung eines Übergangs der Gläubigerforderung auf den Regressberechtigten als verfehlte Anlehnung an das Gemeine Recht ab173. Er konstruierte den gesetzlichen Gesamtschuldregress nach § 426 als einheitlichen Regressanspruch mit bereicherungsrechtlicher ratio174. Danach steht 169
I.E. ebenso Schulz, Rückgriff, 29. von Tuhr, Allgemeiner Teil I (1910), 280 f.; ebenso zum Schweizer Recht Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 85 ff.; ähnlich zum Bürgenregress Lippmann, AcP 111 (1914), 173; vgl. auch Lischka, Gesamtschuld (1932), 73 f. (Forderungsübergang als Fiktion); Larenz, Schuldrecht AT, 7. Aufl. 1964, § 33 II a.E. (S. 386). 171 Reinicke, DB 1967, 848; von Olshausen, Gläubigerrecht, 161 f. 172 So auch von Tuhr, ZSchwR 64 (nF 42, 1923), 115 f. (der hier einräumt, dass die von ihm vorgeschlagene Konstruktion nicht die der BGB-Verfasser war). 173 Schulz, Rückgriff, 26 ff. 174 Schulz, Rückgriff, 39–42, 74 ff.; i.E. ähnlich schon Stammler, Schuldverhältnisse, 203 f. 170
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VIII. Der Zessionsregress
dem leistenden Gesamtschuldner, der mit den Mitschuldnern durch ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis verbunden ist, ein von der Gläubigerforderung unabhängiger Rückgriff aus dem Innenverhältnis zu. Soweit aber kein besonderes Innenverhältnis unter den Gesamtschuldnern besteht, ist ein Regress nur nach § 426 möglich. Dieser kann aber nur dadurch gerechtfertigt werden, dass der Mitschuldner von der Gläubigerforderung befreit worden ist, also auf bereicherungsrechtlicher Grundlage. Weil der Mitschuldner nur in Höhe seiner Bereicherung regresspflichtig ist, darf er nicht schlechter stehen, als wenn der Gläubiger selbst die Forderung geltend macht. Hieraus ergibt sich eine Lösung, die nach heute herrschender Lehre für die Rückgriffskondiktion im Falle einer Drittleistung nach § 267 gilt175: Der Regresspflichtige darf dem Regressanspruch alle Einwendungen entgegensetzen, die auch gegenüber dem Gläubiger bestanden; die Beschränkung der Haftung auf seine Bereicherung wird durch die analoge Anwendung der §§ 404 ff. gewährleistet. Dem leistenden Gesamtschuldner steht demnach nicht die Gläubigerforderung selbst, sondern ein eigener Regressanspruch zu, der aber zum Schutz des Regresspflichtigen inhaltlich der Gläubigerforderung entspricht und auf den auch die Sicherheiten der Gläubigerforderung übergeleitet werden können. Eine alternative Erklärung des Zessionsregresses nach § 426 II könnte auf französisches Gedankengut zurückgreifen. Hier wird der Derivativregress in Form der sog. Subrogation verwirklicht. Unter dem Abschnitt „Du payement avec subrogation“ spricht Art. 1251 Nr. 3 von einer „subrogation au profit de celui qui, étant tenu avec d’autres ou pour d’autres au payement de la dette, avait intérêt de l’acquitter“. Nach dieser Vorschrift soll der leistende Gesamtschuldner die Gläubigerforderung gegen die Mitschuldner in Höhe des vom Mitschuldner jeweils zu tragenden internen Anteils erwerben. Der Wortlaut des CC legt die Vorstellung nahe, dass es sich beim Gesamtschuldverhältnis nur um eine einzige Schuld handelt, die der leistende Gesamtschuldner erfüllt. Daher stellte sich in Frankreich die Frage, wie die Gläubigerforderung trotz Erfüllung (paiement) auf den leistenden Gesamtschuldner übergehen soll176. Der im 19. Jahrhundert geäußerte Gedanke, dass die eigentlich durch Erfüllung erloschene Forderung zugunsten des Erfüllenden als fortbestehend fingiert wird177, findet sich heute nicht mehr. Statt dessen geht die Literatur mehrheitlich davon aus, dass es sich bei der Subrogation um ein Mischinstitut zwischen Erfüllung und Forderungsübergang bzw. um eine besondere Unterart der Erfüllung handelt: Die Forderung wird erfüllt, erlischt aber ausnahmsweise nicht, sondern geht zu Regresszwecken auf den Erfüllenden über178. Die Wirkung der Subrogation ähnelt der Wirkung eines
175
Hierzu unten, 599. Siehe etwa Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 402; Colin/Capitant, Cours II, 90, 92 f.; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1244; Terré/Simler/Lequette, Obligations, § 1385; Savaux, Subrogation, § 4; zum 19. Jahrhundert ausführlich Demolombe, Cours XXVII, §§ 316 ff. m.w.N. 177 Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 321, S. 168 f.; s.a. CA Toulouse (27.12.1911), GazPal 1912 I, 417, 418. 176
5. Konstruktionsprobleme II: Nach 1900
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Forderungsübergangs durch Abtretung, ist aber nicht dieselbe, was sich unter anderem daran zeigt, dass der leistende Gesamtschuldner die Gläubigerforderung nur „in Teilforderungen aufgespaltet“ erwirbt179. Dieses Erklärungsmodell einer Subrogation als schulderhaltender Erfüllung ist auch außerhalb Frankreichs für Gesamtschuld- und Bürgschaftsverhältnisse vorgeschlagen worden180. Die Vorstellung eines ausnahmsweise nicht schuldtilgenden, sondern schulderhaltenden Erfüllungsakts findet sich auch in Deutschland. So soll nach Gernhuber der Ablösungsberechtigte im Fall des § 268 wie im gewöhnlichen Fall des § 267 als Dritter auf eine fremde Schuld leisten und diese auch erfüllen; nur bewirke diese Erfüllung in Abweichung von § 362 nicht das Erlöschen der Forderung, sondern ihren Übergang181. Auf Gesamtschuldverhältnisse kann diese Erklärung allerdings nicht direkt übertragen werden182. Anders als im Fall des § 268 und anders als nach dem französischen Gesamtschuldmodell handelt es sich nach deutscher Vorstellung um mehrere Verbindlichkeiten. Der leistende Gesamtschuldner erfüllt zwar seine eigene Verbindlichkeit i.S.d. § 362, nicht aber die Verbindlichkeiten seiner Mitschuldner. Daher kann hier von vornherein nicht von einem schulderhaltenden Erfüllungsakt gesprochen werden183. Soweit es keinen Zessionsregress gibt (etwa weil der Mitschuldner nicht ausgleichspflichtig ist), bringt der leistende Gesamtschuldner die Verbindlichkeit des Mitschuldners lediglich zum Erlöschen, was als „Mittilgung“ bezeichnet werden kann184. In Anlehnung an das französische Modell müsste man daher, soweit nach § 426 II ein Forderungsübergang stattfindet, von einer „schulderhaltenden Mittilgung“ sprechen. Diese Begrifflichkeit mag in sich widersprüchlich erscheinen. Entscheidend sind aber nicht die verwendeten Worte, sondern der Gedanke: Der leistende Ge178 Colin/Capitant, Cours II, 93; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1244; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 402; Mazeaud/Chabas, Droit civil II/1, § 861; Carbonnier, Obligations, §§ 335 f.; Terré/Simler/Lequette, §§ 1361, 1385; Savaux, Subrogation, §§ 5 ff.; ausführlich Mestre, Subrogation, §§ 5 f., 306 ff., 635 ff. Aus rechtsvergleichender Sicht Hasse, Regreß, 79 ff., und (auch zum parallelen englischen Institut der subrogation) Friedmann/Cohen, Payment, §§ 20 ff.; vgl. auch Hüffer, Rückgriff, 24 ff. 179 Hierzu Colin/Capitant, Cours II, 99 ff.; Planiol/Ripert, Droit civil VII, §§ 1235 ff.; Marty/ Raynaud/Jestaz, Obligations II, §§ 402 f.; Mazeaud/Chabas, Droit civil II/1, §§ 859, 861; Carbonnier, Obligations, § 335; Terré/Simler/Lequette, Obligations, § 1388; Mestre, Subrogation, §§ 546 f. 180 Zu Gemeinen Recht Hartmann, Obligation, 50–52; zum Schweizer Recht Vischer, ZSchwR 29 (1888), 7 ff., 15; zum deutschen Recht Crome, Schuldverhältnisse, § 201 II 1; Kanka, JhJb 87 (1938), 147 f. 181 Gernhuber, Erfüllung, § 5 I 4 a, § 21 II 1 b. 182 So aber Kim, Zessionsregreß, 90 f. 183 So aber von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 89, für die Fälle der § 268, § 774 und § 1607. Doch Gernhuber prägte diesen Ausdruck nur für Fälle, in denen der Leistende direkt auf eine fremde Schuld zahlt (§ 268), nicht für Fälle, in denen er auf eine eigene Schuld zahlt (§§ 774, 1607), weil er hier die fremde Schuld überhaupt nicht erfüllt. Insofern ist auch der bei von KoppenfelsSpies verwendete Ausdruck „relative Erfüllung“ (92, 154, 162) missverständlich. Bei Gesamtschulden soll auch eine relative Erfüllung eintreten, allerdings in Gestalt einer „wechselseitigen Erfüllungswirkung“ (93 ff., 444); zur Kritik oben, 403 ff. 184 Oben, 255 f.
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VIII. Der Zessionsregress
samtschuldner erfüllt die Mitschuldnerverbindlichkeit zwar nicht, aber er befriedigt den Gläubiger, anders als ein rechtsgeschäftlicher Zessionar, auch im Hinblick auf die Mitschuldnerforderung. Die gewöhnliche Folge der Befriedigung des Gläubigers ist das Erlöschen auch der Mitschuldnerverbindlichkeit. Allein zu Regresszwecken wird sie noch am Leben erhalten. Der in § 426 II angeordnete Übergang ist also kein gewöhnlicher Forderungsübergang (der nur dann stattfinden kann, wenn die Forderung mangels Gläubigerbefriedigung noch besteht), sondern eine Subrogation zu Regresszwecken. Mit diesem Erklärungsmodell kann § 422 anders ausgelegt werden: Eine „Wirkung der Erfüllung“ auf die Mitschuldnerverbindlichkeit findet auch für den Forderungsteil statt, für den der Mitschuldner regresspflichtig ist. Diese Wirkung besteht darin, dass der Gläubiger hinsichtlich der gesamten Mitschuldnerforderung befriedigt wird. Die Forderung des Gläubigers gegen den Mitschuldner ist damit keine gewöhnliche, noch erfüllbare und übertragbare, Forderung mehr, sondern wird allein zu Regresszwecken auf den Leistenden übergeleitet185. Der Regress erklärt sich gerade daraus, dass der Leistende die Mitschuldnerverbindlichkeit nicht erworben, sondern den Gläubiger wegen ihr befriedigt hat. Es hat auch Versuche gegeben, dieses Spannungsverhältnis zwischen Erfüllung, Tilgung und Überleitung durch die Gegenüberstellung von Außen- und Innenverhältnis zu erklären oder zumindest zu beschreiben. Doch die Zuordnung zu Außen- oder Innenverhältnis kann nicht recht gelingen186. Danach soll die Vorschrift des § 426 II zeigen, dass die Gesamtwirkung der Erfüllung nach § 422 nur im Außenverhältnis gilt187. Gemeint ist damit, dass die Mitschuldnerforderung gegenüber dem Gläubiger erlischt, während sie für den internen Regress erhalten bleibt. Ebenso gut könnte man aber umgekehrt sagen, dass die Gesamtwirkung der Erfüllung nur im Innenverhältnis gilt. Denn der Regress im Innenverhältnis kann nur mit der Annahme einer Mittilgung oder Gläubigerbefriedigung gerechtfertigt werden. Die Überleitung der Gläubigerforderung als Regressinstrument wirkt sich demgegenüber in erster Linie im Außenverhältnis aus, nämlich bei der Konkurrenz zwischen dem leistenden Gesamtschuldner einerseits und anderen Gläubigern des regresspflichtigen Gesamtschuldners oder Sicherheitsgebern andererseits. In diesem Außenverhältnis ist es von zentraler Bedeutung, dass eine Gesamtwirkung der Erfüllung i.S.d. § 362 oder ein vollständiges Erlöschen gerade nicht stattfand, weil ansonsten die Sicherheiten nicht an den Regressberechtigten fallen, sondern dem Sicherheitsgeber oder den Gläubigern des Regresspflichtigen zuständen. Findet also bei Leistung eines Gesamtschuldners ein Forderungsübergang im Wege der Subrogation statt oder erlischt die Forderung „in Wahrheit“, während 185
Vgl. Coester-Waltjen, Jura 1997, 609; zum Bürgenregress Staud/Horn, § 774 Rz 3. Hierzu auch Ehmann, Gesamtschuld, 81; von Olshausen, Gläubigerrecht, 154 f. 187 Oertmann, Schuldverhältnisse AT, § 426 Anm. 4 f; R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 55; Leonhard, SR AT, 731; Medicus, FS Kaser, 391 f., 406; Jürgens, Teilschuld, 68 ff.; Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 5; ähnlich von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 93 (für Gesamtschulden), 92 f., 162 (für sonstige Schuldnermehrheiten mit Legalzession). 186
5. Konstruktionsprobleme II: Nach 1900
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der Leistende eine neue, inhaltsgleiche Forderung erwirbt? Tatsächlich kann die Frage nicht sinnvoll beantwortet werden. Schließlich sind Forderungen keine körperlichen Gegenstände, sondern Gedankenprodukte, nämlich Begriffe, die funktionell eine abkürzende Bezeichnung für eine Reihe von Regeln sind188. Die Identitätsfrage kann bei solchen Rechtsbegriffen nicht sinnvoll gestellt werden. Schon bei der rechtsgeschäftlichen Abtretung nach § 398 ist es müßig, sich zu fragen, ob der Zessionar dieselbe Forderung erhält, die zuvor der Zedent hatte, oder ob die Forderung des Zedenten, weil an die Person des Gläubigers gebunden, erlischt und beim Zessionar eine neue Forderung entsteht, die in ihrer Ausgestaltung der alten Forderung vollkommen gleicht. Fest steht nur, dass der Zessionar im Ergebnis eine Forderung mit gleichem Inhalt und mit gleichen Nebenrechten wie die Gläubigerforderung erhält. Die Vorstellung eines Übergangs der identischen Forderung vom Zedenten auf den Zessionar kann als Bild verwendet werden, um die Rechtslage zu beschreiben; aber sie gibt keine überprüfbare Tatsache wider189. Ebenso verhält es sich bei der Legalzession zu Regresszwecken190. Im Ergebnis verschafft § 426 II dem leistenden Gesamtschuldner zu Regresszwecken eine Forderung, die in ihrer Ausgestaltung an die Gläubigerforderung angelehnt ist und die insbesondere durch die Sicherheiten, die bislang für die Gläubigerforderung bestanden, gesichert wird. Diesen Zustand kann man bildlich als „Forderungsübergang“ bezeichnen. Entscheidend ist nur, dass aus der Vorstellung des Gläubigerwechsels bei einer identischen Forderung keine begrifflichen Schlüsse gezogen werden, die funktional nicht erforderlich sind. Der Gesetzgeber ist bei der Ausgestaltung der Regressforderung nicht an vermeintliche Gesetze der Logik über den Übergang identischer Forderungen gebunden, sondern nur an die Regeln der Sachgerechtigkeit. Ob man bei § 426 II also von einer Subrogation oder von einer neuen Forderung des regressberechtigten Gesamtschuldners spricht, ist nur eine terminologische Frage. Entscheidend ist, dass aus der Tatsache, dass § 426 II einen „Forderungsübergang“ anordnet, nicht der Schluss gezogen wird, dass bei der Leistung eines Gesamtschuldners ein Forderungserwerb stattfindet, der sich von der Abtretung nach § 398 nur durch seinen gesetzlichen Entstehungstatbestand unterscheidet. Mit dieser Vorstellung wäre der eigene Rückgriff aus dem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis bzw. nach § 426 I tatsächlich nicht erklärbar. Der „Forderungsübergang“ ist nicht das primäre Phänomen, an dem sich die weiteren schuldrechtlichen Folgen auszurichten haben, sondern er wird nur wegen des Regresses angeordnet, der wiederum auf der Befreiung der Mitschuldner nach § 422 beruht. Aus demselben Grund schließt eine Legalzession auch nicht einen Bereicherungsanspruch in Form der Rückgriffskondiktion wegen Schuldbefrei188
von Olshausen, Gläubigerrecht, 1 ff. Heck, Schuldrecht, § 69 Nr. 4 (S. 212 f.); Leonhard, SR AT, § 339, S. 660 f.; von Olshausen, Gläubigerrecht, 7 ff. 190 Heck, Schuldrecht, § 69 Nr. 6 (S. 213 f.); von Olshausen, Gläubigerrecht, 149 ff., 153 ff.; vgl. auch Friedmann/Cohen, Payment, § 23. 189
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VIII. Der Zessionsregress
ung aus191. Ein logischer Widerspruch besteht hierin nicht, sofern man sich nur klarmacht, dass das Recht dem Leistenden zum Zwecke des Regresses eine Forderung in die Hand gibt, die aus Sachgründen an die Gläubigerforderung angelehnt wird. Die Ausgestaltung dieses Derivativregresses wird daher nicht durch vermeintlich logische Schlüsse aus der Identität der Forderung bestimmt, sondern richtet sich allein nach diesen Sachgesichtspunkten.
6. Folgerungen a) Bestehen und Umfang des Zessionsregresses Über das Bestehen und den Umfang des Regresses entscheidet allein das Innenverhältnis bzw. § 426 I. Der Forderungsübergang nach § 426 II ist nur zur Sicherung und erleichterten Geltendmachung dieses Regresses angeordnet. Daher kann der leistende Gesamtschuldner die Gläubigerforderung nur dann verwenden, wenn er einen Regressanspruch hat, und dann auch nur solange, wie er einen Regressanspruch hat. Die Literatur spricht von einer Akzessorietät der Forderung nach § 426 II zu der nach § 426 I192. Hat ein zwischen den Gesamtschuldnern ergangenes rechtskräftiges Urteil den Regress aus dem Innenverhältnis bzw. aus § 426 I verneint, dann nützt dem Leistenden auch die Gläubigerforderung nichts mehr193. Dasselbe gilt, wenn der interne Regressanspruch wegen einer kurzen Ausschlussfrist erloschen ist194. 191
Ebenso von Olshausen, Gläubigerrecht, 182 f. (der zugleich klar macht, dass die Frage praktisch keine Bedeutung hat, weil die Rückgriffskondiktion nicht weiter reicht als ein Zessionsregress); Crome, Schuldverhältnisse, § 201 Fn. 12; Reinicke, VersR 1967, 2; ders., DB 1967, 851; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 64; Dörner, MDR 1976, 709; Kim, Zessionsregreß, 79 f.; OLG Köln, JZ 1990, 343, 344 (26.1.1989); wohl auch Esser/Weyers, Schuldrecht BT 1, § 40 IV 2. 192 Reichel, Schuldmitübernahme, 566 ff.; Oertmann, Schuldverhältnisse AT, § 426 Anm. 4 b; Staud/Werner (1930), § 426 Anm. A I 1 c; Esser, SR AT, § 59 III b; Esser/Schmidt, SR AT 2, § 39 III 3 b; Tiedtke, Aufrechnungsfragen, 15; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 83; dies., Kreditsicherung, Rz 75; Lumm, Ausgleich, 154; von Olshausen, Gläubigerrecht, 167 ff.; Jürgens, Teilschuld, 208; Kim, Zessionsregreß, 85 ff.; Looschelders, SR AT, Rz 1208; RGRK/Weber, § 426 Rz 62; Staud/Kaduk, § 426 Rz 40; Staud/Noack, § 426 Rz 129; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 44; ebenso BGHZ 9, 65, 73 (19.2.1953); unrichtig insoweit Zerres, Jura 2008, 732. Daher gelten die oben, 310 f., dargestellten Beschränkungen des Rückgriffsanspruchs gegen Mitgesellschafter (nur unselbständiger Rechnungsposten bei Auseinandersetzung) auch für den Regress mittels § 426 II, BGHZ 103, 72, 77 f. (15.1.1988); siehe auch schon RG JW 1912, 240 Nr. 7 (29.11.1911). Habersack, AcP 198 (1998), 164 und 169, will letzteres Ergebnis durch eine analoge Anwendung des § 774 I 3 erreichen. Stützt man aber wie Habersack den Rückgriff gegen die Mitgesellschafter auf § 774, dann verweist § 774 II auf § 426 und damit auf die Regel, dass der Forderungsübergang sich von vornherein nur auf die Höhe des Innenregresses erstreckt. Eine Anwendung des § 774 I 3 ist daher unnötig und verschiebt auch zulasten des Regresspflichtigen die Beweislast. 193 Anders Denck, JZ 1976, 670. 194 So zu Recht BAG NJW 1986, 3104, 3105 (24.4.1986); von Olshausen, Gläubigerrecht, 167. Im Ergebnis ebenso, aber mit ungenauer Begründung, LG Nürnberg-Fürth, NJW 1990, 3023, 3024 (22.3.1990).
6. Folgerungen
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Ist der Rückgriffsanspruch aus dem Innenverhältnis schon vor der Gläubigerforderung verjährt, etwa wegen einer kurzen vertraglichen Verjährungsfrist, dann kann sich der Regresspflichtige auch dann auf die eingetretene Verjährung berufen, wenn der Leistende mit der Gläubigerforderung vorgeht195. Wegen § 216 nützt die Verjährung dem Regresspflichtigen allerdings nur teilweise, weil der Leistende sich trotzdem an die für die Gläubigerforderung bestellten Sicherheiten halten kann196. Hier kann die Vorschrift des § 426 II dem Leistenden also im Ergebnis zu einem Regress verhelfen, den er nach § 426 I nicht mehr durchsetzen könnte. Dies entspricht aber gerade der Funktion des § 426 II. Auch bei einer Insolvenz der Regresspflichtigen kann die Vorschrift einen Regress verschaffen, den der Leistende sonst nicht realisieren könnte. Das praktisch wichtigste Mittel zur Sicherung des Rückgriffsanspruchs ist die Überleitung der für die Gläubigerforderung bestellten Sicherheiten. Nach § 216 schützt die Sicherheit nicht nur bei Insolvenz des Schuldners, sondern auch bei der Verjährung. Auch die Höhe des Regresses nach § 426 II richtet sich nach der Höhe des Rückgriffsanspruchs aus dem Innenverhältnis bzw. § 426 I. Wie gezeigt, war es für den Gesetzgeber klar, dass bei intern gleichrangigen Gesamtschuldnern der Leistende auch mit Hilfe von § 426 II von jedem Mitschuldner nur dessen Anteil verlangen kann197. Diese Beschränkung lässt sich ungezwungen mit dem Regresssicherungszweck des § 426 II erklären. Die Vorstellung einer Identität der Forderung kann dagegen einen unbeschränkten Totalregress nahelegen198. Die Litera195 Reichel, Schuldmitübernahme, 568; Staud/Werner (1930), § 426 Anm. A I 2 d; Spiro, Begrenzung I, § 204 Fn. 1; Staud/Kaduk, § 426 Rz 81; Ernst, Solidarschuld, 181 f.; anders Larenz, Schuldrecht BT, § 64 III (S. 479). 196 Vgl. Ernst, Solidarschuld, 186. 197 Oben, 412 f. 198 So tatsächlich E. Wolf, SR AT, 538; zum österreichischen Recht Bydlinski/Coors, ÖJZ 2007, 276; s.a. MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 30. Nach Hruza, SächsArch 5 (1895), 295 f. kann mit Hilfe des § 426 II der regresspflichtige Mitschuldner bis zur Höhe seines internen Anteils solidarisch in Anspruch genommen werden. Schulden A, B, C und D intern gleichrangig 400 und zahlt A 200, dann soll aus 426 II folgen, dass 100 von B, C und D solidarisch geschuldet werden. Doch die primäre Frage ist hier, in welcher Höhe A aus § 426 I Regress nehmen kann. Nach heutiger Rechtsprechung muss er den über seinen Anteil gezahlten Betrag unter die Mitschuldner aufteilen, so dass er von jedem nur 100/3 verlangen kann, BGH NJW 1986, 1097 (19.12.1985); siehe HKK/Meier, §§ 420–432 I Rz 147. Denkbar wäre aber auch, dass A 100 von einem der Mitschuldner verlangen kann, so i.E. RGZ 117, 1, 4 f. (4.4.1927), und Kanka, JhJb 87 (1938), 159 f., für den Fall, dass A und B jeweils 200 an den Gläubiger leisteten. In diesem Fall besteht zwischen A, B, C und D ein Verhältnis, das einem Gesamtschuld- oder Gesamtforderungsverhältnis nur auf den ersten Blick ähnelt: A kann sowohl C als auch D in Anspruch nehmen; umgekehrt kann C wählen, ob er an A oder B leistet; hat C 100 an A gezahlt, kann D nur noch an B leisten und B nur noch D belangen; hierzu Meier, AcP 205 (2005), 897. In jedem Fall aber handelt es sich um die Frage, in welcher Höhe A aus § 426 I Regress nehmen kann. Hat man diese Frage beantwortet, kann für den Subrogationsregress nichts anders gelten. Gegen die Vorstellung eines nur anteiligen Forderungsübergangs hat sich insbesondere Kremer, Mitbürgschaft (1902), 186 ff., gewandt. Sie setze voraus, dass schon bei Leistung des Gesamtschuldners an den Gläubiger der Umfang der Subrogation klar sein müsse; dies sei aber wegen § 426 I 2 nicht der Fall. Schulden A, B und C intern gleichrangig und leistet A an den Gläubiger, führe der nur anteilige Forderungsübergang dazu, dass die Forderung gegen B auf A nur zu einem
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VIII. Der Zessionsregress
Drittel übergehe. Stelle sich dann später heraus, dass C insolvent sei, stehe A gegen B ein Regress über die Hälfte zu, der aber nur in Höhe eines Drittels der Gläubigerforderung abgesichert werde, was unbillig sei. Gehe man aber davon aus, dass der Umfang der Subrogation sich nach dem unter Berücksichtigung des § 426 I 2 errechneten Regressrechts richte, dann gehe auf A zwar die Forderung gegen B zur Hälfte über, nicht aber die gegen den insolventen C. Werde C später wieder solvent, sei der Regress gegen ihn nicht gesichert. Schließlich sei es nicht erklärbar, wieso die Forderung gegen B, die zunächst im Gesamtschuldverband stand, nur durch die Zahlung des A zu einer Einzelschuld (in Höhe der Hälfte oder eines Drittels) werde. Alle Schwierigkeiten könnten nur durch die Konstruktion behoben werden, dass die Forderungen gegen B und C auf A vollständig als Gesamtschulden abzüglich des Kopfteils von A übergehen. A könne aber die auf ihn übergegangenen Forderungen im Ergebnis nur in Höhe seines internen Regressrechts geltend machen. Im Ergebnis zustimmend Koban, Regress, 174 Fn. 2. Doch diese Probleme, die ersichtlich auf der Vorstellung einer Identität der ursprünglichen Gläubigerforderung mit der regresssichernden Forderung beruhen, erfordern die vorgeschlagene Konstruktion nicht. Richtig ist, dass der endgültige Umfang der Subrogation zum Zeitpunkt der Leistung an den Gläubiger und damit das genaue Schicksal einer für diese Forderung bestellten Sicherheit wegen § 426 I 2 unsicher sein kann. Will etwa derjenige, der für die Gläubigerforderung gegen B eine Sicherheit bestellt hat, wissen, in welcher Höhe die Sicherheit dem leistenden Gesamtschuldner A zu diesem Zeitpunkt zusteht und in welcher Höhe sie erloschen bzw. an den Sicherheitsgeber zurückgefallen ist, dann muss er den höchstmöglichen Regressbetrag zugrunde legen: Schulden A, B und C intern gleichrangig und leistet A an den Gläubiger, so geht die Forderung gegen B auf A höchstens in Höhe der Hälfte der Gläubigerforderung über, weil A nie mehr als die Hälfte von B verlangen kann. Leistet dann C ein Drittel an A, steht A die Gläubigerforderung gegen B nur noch in Höhe eines Drittels zu. Ist die Solvenz von B und C nicht sicher, muss man danach annehmen, dass A sowohl die Gläubigerforderung gegen B als auch die gegen C jeweils zur Hälfte zusteht. Ist C insolvent, kann A von B die Hälfte verlangen und insoweit sich der Gläubigerforderung gegen B bedienen; zugleich bleibt aber C für den Fall späterer Solvenz regresspflichtig, so dass auch die Gläubigerforderung gegen C auf A übergeht; leistet B eine Hälfte an A, steht die Gläubigerforderung gegen C jeweils zu einem Sechstel A und B zu. All diese Ergebnisse erklären sich schlicht daraus, dass es sich bei der übergegangenen Gläubigerforderung um eine akzessorische Sicherheit handelt, die dem Sicherheitsnehmer nur in Höhe der gesicherten (Regress-)Forderung zusteht, diese sich aber ändern kann. Sofern danach die Gläubigerforderungen gegen B und C dem leistenden Gesamtschuldner A in größerem Umfang zur Verfügung stehen als die Summe seiner Regressforderungen, handelt es sich nicht um ein schuldrechtliches Gesamtschuldverhältnis, sondern um eine mehrfache Sicherung der Regressforderung. Eine exakte Festlegung ist im Übrigen auch nach Kremers Modell nicht möglich, wonach auf A die Forderungen gegen B und C jeweils in Höhe von zwei Dritteln übergehen. Nach ihm soll, wenn B einer Regresspflicht gegenüber A genügt, die Gläubigerforderung gegen B dann endgültig untergehen. Leistet B aber im Beispiel ein Drittel an A, weiß man nicht, ob dies der Fall ist oder ob wegen einer Insolvenz des C B seine Regresspflicht gar nicht vollständig erfüllt hat. Derjenige, der für die Gläubigerforderung gegen B eine Sicherheit bestellt hat, weiß also bis zum endgültigen Ausgleich nie, in welcher Höhe die Sicherheit erlischt bzw. an ihn zurückfällt. Kremer ging es bei seiner Konstruktion auch um die Sicherung des „Weiterregresses“: Leiste bei drei Gesamtschuldnern ABC der Schuldner A an den Gläubiger und nehme Regress gegenüber B, so könne dieser, etwa weil er gegenüber C dazu verpflichtet sei, Interesse daran haben, an A nicht nur sein eigenes, sondern auch das Drittel von C zu leisten und insoweit später gegenüber C Regress zu nehmen. War die Schuld des C gegenüber dem Gläubiger dinglich gesichert, müsse B für diesen Regress auch die Sicherheit in Anspruch nehmen können. Dies sei nur mit der Konstruktion möglich, dass A mit seiner Leistung an den Gläubiger die Forderungen gegen B und C vollständig erwerbe, so dass diese Regress-Gesamtschuldner gegenüber A werden und B mit seiner Leistung an A nach § 426 II die Gläubigerforderung gegen C erwirbt, Kremer, a.a.O., 209 ff. Bei diesem Beispiel ist aber schon der Ausgangspunkt unrichtig, nämlich dass B wegen seines Regresses gegen C die Sicherheit der Gläubigerforderung gegen C zustehen müsse. Weil es sich beim Gesamtschuldregress um Teilschulen handelt, ist B gegenüber A nicht verpflichtet, C’s Anteil mitzuzahlen. Er leis-
6. Folgerungen
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tur behilft sich mit der Vorstellung, dass die Gläubigerforderung sich beim Übergang auf den Regressberechtigten aufspaltet bzw. in Teile zerfällt199. Wegen dieser Abhängigkeit des Subrogationsregresses nach § 426 II vom Rückgriffsanspruch aus dem Innenverhältnis bzw. § 426 I nützt der Forderungsübergang dem Regressberechtigten weniger, als es zunächst den Anschein hat. Hatte der Gläubiger gegen den regresspflichtigen Gesamtschuldner bereits ein Urteil erstritten, kann der Regressberechtigte sich nur dann eine vollstreckbare Ausfertigung nach § 727 ZPO erteilen lassen, wenn er nicht nur seine Zahlung an den Gläubiger, sondern auch die Höhe seines Ausgleichsanspruchs nach § 426 I durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden nachweist, was ihm im Regelfall nicht gelingen wird200. Die lange Verjährungsfrist des rechtskräftig zwischen dem Gläubiger und dem Regresspflichtigen festgestellten Anspruchs nach § 197 I Nr. 3 nützt dem Regressberechtigten nichts, wenn sein eigener Rückgriffsanspruch schon verjährt ist201. Auch der in der Literatur immer wieder genannte202 Vorteil des § 426 II in Gestalt einer günstigen Beweislastverteilung beim Gläubigeranspruch besteht offenbar nicht: Kann der Regressberechtigte seinen eigenen Rückgriffsanspruch aus dem Innenverhältnis oder § 426 I nicht beweisen, hilft ihm auch § 426 II nicht203.
b) Sach-, Dienst- und Werkleistungen Eine Aufteilung der Gläubigerforderung im Rahmen des § 426 II scheint nicht möglich, wenn diese auf einen unteilbaren Leistungsgegenstand gerichtet ist. Vereinzelt ist aus der Vorstellung einer Forderungsidentität der Schluss gezogen worden, dass bei unteilbaren Leistungen kein Forderungsübergang nach § 426 II
tet 199 daher als Dritter i.S.d. § 267. Dann muss aber die Grundentscheidung des BGB hingenommen werden, leistenden Dritten, die in keiner Form zur Zahlung gezwungen waren, einen Derivativregress zu versagen. Unrichtig auch die ähnliche Konstruktion bei Kanka, JhJb 87 (1938), 180. 199 Endemann, BürgR I, § 154 Fn. 31; Larenz, Schuldrecht AT, § 37 III (S. 649); Lumm, Ausgleich, 157 f.; RGRK/Weber, § 426 Rz 67; Staud/Noack, § 426 Rz 123; Soergel/Wolf, § 426 Rz 50; Erman/Ehmann, § 426 Rz 27; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 199. 200 KG OLGE 5, 333 (28.6.1902); KG NJW 1955, 913 (3.12.1954); OLG Hamburg MDR 1968, 248 (24.10.1967); BayObLG NJW 1970, 1800 (19.5.1970); OLG Düsseldorf RPfl 1996, 75 (3.7.1995); Reichel, Schuldmitübernahme, 570; Staud/Werner (1930), § 426 Anm. C II; Selb, Mehrheiten, 114; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 39; Soergel/Wolf, § 426 Rz 52; Staud/Kaduk, § 426 Rz 105; Staud/Noack, § 426 Rz 126; a.A. noch OLG Hamburg, SeuffA 62 Nr. 269 = OLGE 18, 44 (21.1.1907). 201 So zu Recht BGH WM 1990, 2123 (10.5.1990). 202 Selb, Mehrheiten, 113; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 39; Soergel/Wolf, § 426 Rz 52; Staud/ Noack, § 426 Rz 122; Erman/Ehmann, § 426 Rz 32; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 199, 201; Schreiber, Jura 1989, 358 f.; Schmidt-Kessel, Mehrheit, B II 3 c, S. 305. 203 So auch Reichel, Schuldmitübernahme, 570. Eine andere Frage ist, ob man die Beweislastverteilung im Rahmen des Rückgriffs aus § 426 I berücksichtigen will; dagegen Weitnauer, FS Klingmüller, 499.
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VIII. Der Zessionsregress
stattfinden könne204. Die heutige Lehre nimmt demgegenüber an, dass die auf eine unteilbare Leistung gerichtete Gläubigerforderung sich bei ihrem Übergang auf den Regressberechtigten in eine Geldforderung „verwandle“ und damit anteilig gegenüber den Mitschuldnern geltend gemacht werden könne205. Ausgangspunkt muss die Funktion des § 426 II sein, den Rückgriff aus dem Innenverhältnis bzw. § 426 I zu sichern. Daher stellt sich zunächst einmal die Frage nach dem Inhalt des eigenen Rückgriffsanspruchs. Nach Rechtsprechung und heutiger Lehre soll sich der Ausgleichsanspruch aus § 426 I bei unteilbaren Leistungen auf Wertersatz richten206. Hier stellt sich sogleich die Frage, ob es wirklich auf die „Unteilbarkeit“ des Leistungsgegenstandes ankommt oder nicht vielmehr darauf, dass es sich um eine Werk-, Dienst- oder Sachleistung handelt, die nach den Umständen nur durch eine Geldzahlung ausgeglichen werden kann. Schulden fünf Gesamtschuldner insgesamt fünf Ladungen Getreide, also nach herrschender Ansicht eine teilbare Leistung, und leistet einer von ihnen an den Gläubiger, kann der Ausgleich dann nur in der Form stattfinden, dass er von jedem Mitschuldner eine Ladung Getreide erhält? Verpflichten sich zwei Studenten gesamtschuldnerisch, zwei gleiche Garagentore zu streichen, und streicht nur einer, weil der andere nicht kann, wie soll dann der Ausgleich aussehen? Verpflichtungen zu nichtmonetären Leistungen beruhen häufig auf einem Vertrag oder einem einseitigen Rechtsgeschäft. Wurde eine solche Verpflichtung von den Gesamtschuldnern gemeinschaftlich übernommen, besteht grundsätzlich ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis, das den Rückgriff regelt. Der Regress folgt hier in der Regel aus § 670, ggf. i.V.m. § 713, und richtet sich als Aufwendungsersatzanspruch auf eine Geldleistung. Ist das Innenverhältnis nichtig, können Ansprüche aus §§ 677, 683, 670 oder aus § 812 bestehen, die ebenfalls auf eine Geldleistung gerichtet sind. In all diesen Fällen kommt es nicht darauf an, ob die dem Gläubiger geschuldete Leistung teilbar oder unteilbar ist. Selbstverständlich gilt in erster Linie der durch Auslegung zu ermittelnde Parteiwille. Wird das Getreide im genannten Beispiel von fünf Bauern aus eigener Ernte geschuldet, kann die Vereinbarung eines Ausgleichs in Natur sinnvoll sein. Anders verhält es sich bei fünf Händlern, von denen einer die Beschaffung des Getreides am Markt übernimmt. Hier erscheint nur ein Wertausgleich angemessen207. Bei Werk- und Dienstleistungen wird grundsätzlich von vornherein nichts anderes in Frage kommen. Beruhen die Verpflichtungen zu einer nichtmonetären Leistung auf Gesetz, steht für den eigenen Rückgriff meist nur § 426 I zur Verfügung. Auch hier gilt, 204 Oertmann, Schuldverhältnisse AT, § 426 Anm. 4 f., in Österreich Schwimann/Apathy/Riedler, ABGB,§ 896 Rz 6. 205 Staud/Noack, § 426 Rz 123; Soergel/Wolf, § 426 Rz 50; Erman/Ehmann, § 426 Rz 27; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 200. 206 BGHZ 43, 227, 234 (1.2.1965); Larenz, SR AT, § 37 III (S. 644); E. Wolf, SR AT, 538; Staud/ Noack, § 426 Rz 32; Soergel/Wolf, § 426 Rz 16; Prediger, Auslegung, 150; Jürgens, Teilschuld, 15; anders nur Lippmann, AcP 111 (1914), 182 Fn. 25 (kein Regress). 207 Der Sache nach ebenso Staud/Noack, § 426 Rz 32.
6. Folgerungen
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dass der Rückgriff sich grundsätzlich auf Wertersatz richtet208, etwa wenn zwei Schädiger zur Naturalrestitution (§ 249) verpflichtet sind und einer den Schaden wieder gut macht. Schuldet wegen eines Baumangels der Unternehmer Nachbesserung und der Architekt Schadensersatz, dann richtet sich der Gesamtschuldregress des leistenden Architekten auf Wertersatz209. Dasselbe gilt, wenn der Arbeitnehmer nach einem Betriebsübergang Anspruch auf Resturlaub gegen den alten und den neuen Arbeitgeber als Gesamtschuldner (§ 613 a II) hat, den der alte Arbeitgeber nur noch finanziell abgelten kann, der neue Arbeitgeber hingegen in Natur gewähren kann und muss: Gewährt der neue Arbeitgeber den Urlaub, schuldet der alte Wertersatz aus § 426 I210. Diese Wertersatzpflicht beruht nicht auf der Unteilbarkeit des Leistungsgegenstandes, sondern darauf, dass ein Ausgleich in Natur nicht möglich ist. Der erwünschte interne Lastenausgleich unter den Gesamtschuldnern kann dann nur durch eine Wertersatzpflicht erfolgen. Der gleiche Gedanke findet sich im Bereicherungsrecht in der Vorschrift des § 818 II. Zwar liegt der Gedanke an die Unteilbarkeit als Grund der Wertersatzpflicht nahe, weil Dienst- und Werkleistungen grundsätzlich als unteilbar gelten. Doch eine Unteilbarkeit kann nur dort Auswirkungen haben, wo intern mehrere Schuldner verpflichtet sind, weil nur dann eine Aufteilung in Frage kommt. In den Beispielen des Baumangels und des Urlaubsanspruchs ist dagegen nur einer der Gesamtschuldner intern verpflichtet (der Bauunternehmer bzw. der alte Arbeitgeber). Wenn daher der andere Gesamtschuldner Rückgriff in Höhe der Gesamtleistung nimmt, kann die Unteilbarkeit des Leistungsgegenstandes keine Rolle spielen211. Dieser Befund entspricht der hier vertretenen und oben begründeten212 Ansicht, dass die Unterscheidung zwischen Teilbarkeit und Unteilbarkeit im Bereich der Schuldnermehrheiten keine sinnvolle Funktion erfüllt. Wenn sich der Rückgriffsanspruch aus dem Innenverhältnis bzw. aus § 426 I bei allen (auch den teilbaren) nichtmonetären Leistungen grundsätzlich auf Wertersatz richtet, dann fragt es sich, ob etwas anderes für den Regress nach § 426 II gelten soll. Die Antwort ergibt sich aus der Funktion des § 426 II, den Regress aus dem Innenverhältnis bzw. aus § 426 I abzusichern. Zu diesem Zweck muss der Regress aus § 426 II sich ebenfalls auf Wertersatz richten213. Funktional geht es stets darum, die für die Gläubigerforderung bestellten Sicherheiten für den Rückgriffsanspruch des Leistenden fruchtbar zu machen. Diese „Verwendung“ der Gläubigersicherheiten zur Sicherung einer wirtschaftlich anderen Forderung wird, wie gezeigt, nur dadurch eingeschränkt, dass der Regress aus § 426 II nicht 208
So Erman/Ehmann, § 426 Rz 18; Jauernig/Stürner, § 426 Rz 15; Palandt/Grüneberg, § 426 Rz 6; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 145; ähnlich Staud/Noack, § 426 Rz 32 f.; vgl. Soergel/Wolf, § 426 Rz 16. 209 BGHZ 43, 227, 234 f. (1.2.1965). Näheres unten, 937 ff. 210 BGH NJW 1985, 2643 (4.7.1985). 211 Zu Recht stellt daher Soergel/Wolf, § 426 Rz 16 und 50, hier nicht auf die Unteilbarkeit ab. 212 Oben, 220 ff. 213 I.E. ebenso BGH NJW 1985, 2643 (4.7.1985); Hübener, Forderungsübergang, 82. Eine gesetzliche Vorschrift dieses Inhalts findet sich im niederländischen Gesetzbuch, Art. 6:12 II BW.
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VIII. Der Zessionsregress
weiter reichen darf als der ursprüngliche Anspruch des Gläubigers reichen würde. Insofern könnte gegen eine Wertersatzpflicht bei § 426 II nur sprechen, dass der Gläubiger selbst die Geldleistung nicht verlangen konnte, der Regresspflichtige also benachteiligt wird, indem er sich nicht mehr durch die Dienst-, Werk- oder Sachleistung befreien kann. Doch eine solche Umstellung des Anspruchs wird ihm auch im Fall des § 818 I oder § 251 I grundsätzlich zugemutet214. Die rein begriffliche Vorstellung einer Identität der Forderung aus § 426 II mit der Gläubigerforderung darf dem Ergebnis eines Wertersatzanspruchs jedenfalls nicht entgegenstehen.
c) Anspruch auf zukünftig fällige Zinsen der Gläubigerforderung? Die Konstruktion des Zessionsregresses hat insbesondere bei der Frage eine Rolle gespielt, ob für den Regress der für die Gläubigerforderung geltende Zinssatz erhoben werden kann. Diese Frage hat sich in erster Linie beim Bürgenregress nach § 774 gestellt215. Bei einer verzinslichen Gläubigerforderung umfasst der Regress des Bürgen, der durch § 774 gesichert wird, selbstverständlich die bereits an den Gläubiger gezahlten Zinsen. Kann aber der Bürge für die Zukunft die Gläubigerforderung mit den jeweils fällig werdenden Zinsen geltend machen? Für das Reichsgericht war die Ansicht, dass die Zinshöhe der Gläubigerforderung weiter maßgeblich sei, „ganz unhaltbar“216. Nach § 774 trete der Forderungsübergang nur ein, soweit der Bürge den Gläubiger befriedigt habe. In Höhe des zukünftig fällig werdenden Zinses habe der Bürge den Gläubiger nicht befriedigt. Es gelte daher der für den Regress aus dem Innenverhältnis maßgebliche, vereinbarte oder gesetzliche, Zinssatz. Dem folgte die ältere Literatur217. Nach einer neueren Ansicht218, der sich auch der BGH angeschlossen hat219, umfasst die Legalzession zu Regresszwecken auch die zukünftig fällig werdenden Zinsforderungen. Das Wort „soweit“ in § 774 I 1 soll danach nur die Funktion haben, die Legalzession auch zugunsten des teilzahlenden Bürgen zu ermög214 Auch im Bürgschaftsrecht wird vorgeschlagen, bei höchstpersönlichen Leistungen eine Legalzession zu gewähren, die auf eine Interesseleistung gerichtet ist, Staud/Horn, § 774 Rz 16; Dieckmann, Derivativregreß, 363. 215 Überblick zum Streitstand bei Dieckmann, Derivativregreß, 353 ff. 216 RGZ 61, 343, 347 (12.10.1905). 217 Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 414 Fn. 3; Oertmann, Schuldverhältnisse BT, § 774 Anm. 2; Planck/Oegg, § 774 Anm. 4 d; Staub/Koenige/Pinner/Bondi, HGB (1921), § 349 Anm. 43; Leonhard, SR BT, § 163, S. 325; Staub/Ratz, HGB (1978), § 349 Anm. 63. 218 Flessa, NJW 1958, 859; Staud/Brändl (1959), § 774 Rz 3; Soergel/Re. Schmidt (1967), § 426 Rz 13; Rietschel, LM § 774 BGB Nr. 5; E. Wolf, SR BT, 368; Hadding/Häuser, WM 1991, Festgabe Heinsius, 7 f.; Graf Lambsdorff/Skora, Bürgschaftsrecht, Rz 297; Staud/Horn, § 774 Rz 15; Soergel/Mühl (1985), § 774 Rz 2; RGRK/Mormann, § 774 Rz 2; Erman/Seiler (10. Aufl.), § 774 Rz 5; Jauernig/Stadler, § 774 Rz 5; BamR/Rohe, § 774 Rz 7; Staud/Busche, § 401 Rz 47; Dieckmann, Derivativregreß, 353 ff.; ebenso schon Lippmann, AcP 111 (1914), 151 f. 219 BGHZ 35, 172 (18.5.1961); ebenso LG Hamburg, DB 1963, 305 (23.11.1962); zu § 67 VVG BGH NJW 1972, 437, 439 (24.11.1971).
6. Folgerungen
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lichen. Für den Übergang des Zinsanspruchs werden mehrere Argumente ins Feld geführt: Der Zinsanspruch könne selbstverständlich nicht beim Gläubiger verbleiben. Werde er von der Zession nicht erfasst, müsse er untergehen, was (so der BGH) schwer einsehbar sei. Der Bürge erwerbe die Gläubigerforderung mit allen Vorzügen und Schwächen; aus einer verzinslichen Forderung könne daher keine unverzinsliche werden. Zugunsten eines Übergangs spreche auch der Vergleich mit der rechtsgeschäftlichen Abtretung, die (zwar nicht nach § 401, aber nach einer Auslegung des Parteiwillens) gewöhnlich auch den Zinsanspruch umfasse. Schließlich führe die Ansicht des RG auch zu unbefriedigenden Ergebnissen, weil der Schuldner durch den geringeren oder wegfallenden Zins für seine Nichtleistung belohnt werde. Statt dessen solle der Übergang des Zinsanspruchs einen Anreiz für den Schuldner schaffen, sich weiterhin um die Leistung zu bemühen. Die Argumentation des BGH ist ersichtlich von der Vorstellung geprägt, dass es sich bei der Legalzession nach § 774 um einen gewöhnlichen Fall des Forderungsübergangs handelt, der sich von der Abtretung nur durch seinen Entstehungstatbestand unterscheidet220. Dann wäre es in der Tat schwer einsehbar, warum die Hauptforderung übergeht, die Forderung auf künftigen Zins dagegen wegfällt. Doch diese Vorstellung trifft nicht zu. Es gilt gerade nicht mehr das gemeinrechtliche Modell, wonach der Bürge die Forderung vom Gläubiger erwirbt. Vielmehr wird sie nur zu Regresszwecken übergeleitet. Daher erwirbt der Bürge die Gläubigerforderung nicht „mit allen Vorzügen“. Ist der Regress im Innenverhältnis durch Vereinbarung ausgeschlossen oder gemindert, dann kann der Bürge ein anderes Ergebnis nicht mittels der übergeleiteten Gläubigerforderung erreichen. Ist der Regress im Innenverhältnis verjährt, kann der Bürge auch die Gläubigerforderung nicht mehr aktiv durchsetzen, selbst wenn diese, wäre sie beim Gläubiger verblieben, noch nicht verjährt wäre. Der Bürge steht insofern schlechter da als ein rechtsgeschäftlicher Zessionar. Dies erklärt sich aber gerade daraus, dass er den Gläubiger aufgrund eines Innenverhältnisses mit dem Schuldner befriedigt hat, statt sich die Forderung abtreten zu lassen. In all diesen Fällen ließe sich sagen, dass der Schuldner für seine Nichtleistung „belohnt“ wird. Warum es gerade bei der Frage der Zinshöhe eine Ausnahme geben soll, ist nicht begründbar. Ein anderer Teil der Literatur verweist daher gegen die Ansicht des BGH zu Recht auf § 774 I 3. Wenn Hauptschuldner und Bürge im Innenverhältnis einen niedrigeren Zinssatz vereinbart hätten, könne der Hauptschuldner diese Vereinbarung gegenüber der Regressforderung als Einwendung i.S.d. § 774 I 3 geltend machen. Aber auch wenn keine besondere Zinsabrede getroffen sei, gelte der gesetzliche Zinssatz nach §§ 670, 256 i.V.m. § 246 (bzw. § 352 HGB), der als dispositives Recht das Innenverhältnis regele und daher ebenso eine Einwendung aus dem Innenverhältnis darstelle. Soweit die Regressforderung aus dem Innenver-
220
So zu Recht von Olshausen, Gläubigerrecht, 173 ff.; Würthwein, FS Leser, 183 ff.
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VIII. Der Zessionsregress
hältnis verzinslich sei, könne der Gläubiger vom Zinssatz der Gläubigerforderung profitieren, nicht aber darüber hinaus221. Hiermit ist noch nicht der Fall entschieden, dass Bürge und Hauptschuldner durch kein besonderes Innenverhältnis verbunden sind und auch eine nützliche Geschäftsführung nicht vorliegt. Hier wäre es möglich, einen eigenen Rückgriffsanspruch des Bürgen ganz zu verneinen und ihn allein auf die Legalzession zu verweisen, die dann nicht durch § 774 I 3 beschränkt wird. Im Ergebnis würde der Bürge in diesen Fällen nach dem gemeinrechtlichen Vorbild wie ein rechtsgeschäftlicher Zessionar behandelt. Damit würde allerdings die Vorschrift des § 774 I 1 sehr unterschiedlich ausgelegt, je nachdem ob ein besonderes Innenverhältnis vorliegt oder nicht: Im ersten Fall befreit der Bürge den Schuldner, weswegen er einen Regressanspruch hat, der wiederum im Wege der Subrogation durch die Sicherheiten und Nebenrechte der Gläubigerforderung verstärkt wird. Ohne Innenverhältnis dagegen befreit der Bürge den Schuldner nicht, weswegen er auch keinen Regress hat; statt dessen erwirbt er die Forderung vom Gläubiger und kann nun diese unbeschränkt geltend machen. Will man diese Aufteilung vermeiden, muss man den Regress stets so konstruieren wie im Falle eines rechtsgeschäftlichen Innenverhältnises: Der Bürge, der ohne Innenverhältnis und auch nicht als Geschäftsführer leistet, erwirbt eine Rückgriffskondiktion gegen den Schuldner, die durch die Subrogation nach § 774 nur abgesichert wird222. Bei Gesamtschuldverhältnissen wird ein Übergang des Zinsanspruchs nach § 426 II auch für die Zukunft in Rechtsprechung223 und Literatur224 vereinzelt bejaht. Doch ein uneingeschränkter Übergang der Forderung auf zukünftigen Zins kommt bei Gesamtschuldverhältnissen noch weniger in Betracht als bei der Bürgschaft. Anders als § 774 macht § 426 II klar, dass der Umfang des Forderungsübergangs vom Umfang des Rechts, Ausgleichung zu verlangen, abhängt. Soweit ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis unter den Gesamtschuldnern besteht, handelt es sich beim eigenen Rückgriffsanspruch um einen Aufwendungsersatzanspruch aus diesem Innenverhältnis. Hinsichtlich zukünftiger Zinsforderungen hat der leistende Gesamtschuldner keine Aufwendungen gemacht, so 221 Reinicke, DB 1967, 847 ff.; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rz 351 f.; dies., Kreditsicherung, Rz 381 f.; Esser, SR BT, § 87 IV 1 b; von Olshausen, Gläubigerrecht, 174 f.; MüKo/Habersack, § 774 Rz 9; Larenz, Schuldrecht BT, § 64 III Fn. 2; Hadding/Häuser/Welter, Bürgschaft und Garantie, 651 f.; Würthwein, FS Leser, 185 ff.; einschränkend Soergel/Pecher, § 774 Rz 21 (nur wenn der Bürge gegenüber dem Hauptschuldner auch die Zahlung übernommen hatte). Weitergehend Kim, Zessionsregreß, 152 f.: Der Bürge kann den Zinssatz der Gläubigerforderung insoweit beanspruchen, wie seine gesamte Forderung aus dem Innenverhältnis gesichert wird. Auch bei einem niedrigeren Zinssatz im Innenverhältnis kann demnach ein erhöhter Zinssatz der Gläubigerforderung verlangt werden, soweit der Aufwendungsersatzanspruch im Innenverhältnis (etwa wegen eines Kostenersatzanspruchs) weiter reicht als der Betrag der Gläubigerforderung. 222 So auch Reinicke, DB 1967, 851 f. 223 OLG Kiel, OLGE 33, 255 (19.10.1915); BGH WM 1975, 100, 102 (11.7.1973) bei Mitbürgen. 224 Staud/Noack, § 426 Rz 124; Soergel/Wolf, § 426 Rz 49, 52. Dagegen Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 85 f.; ebenso im Ergebnis Lippmann, AcP 111 (1914), 152.
7. Legalzession trotz Ausschluss der Abtretbarkeit?
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dass er mangels Rückgriffsrecht insoweit auch nicht vom Forderungsübergang profitieren kann. Ein gegenteiliges Ergebnis entspräche auch nicht dem Parteiwillen. Haben die Schuldner gemeinsam ein Darlehen zu einem hohen Zinssatz aufgenommen, das schließlich einer von ihnen zurückzahlt, können die anderen damit rechnen, von der Darlehensforderung mit dem hohen Zinssatz befreit zu sein, auch wenn sie einer Regressforderung im Innenverhältnis ausgesetzt sind. Ein Gesamtschuldner, der gegenüber seinen Mitschuldnern für die Zukunft anteilig den Zinssatz der Gläubigerforderung erhebt, würde sich so verhalten, als habe er seine Mitschuldner nicht befreit, sondern dem Gläubiger die Forderungen lediglich anteilig abgekauft. Das widerspräche der Vereinbarung im Innenverhältnis. Aber auch bei gesetzlichen Gesamtschulden ohne Innenverhältnis entspricht eine Überleitung der Forderungen auf zukünftigen Zins nicht der gesetzlichen Konzeption. Theoretisch hätte der Gesetzgeber das Gesamtschuldverhältnis so ausgestalten können, dass der zuerst an den Gläubiger leistende Schuldner lediglich ein Ablösungsrecht wahrnimmt und nun mit der unbeschränkten Gläubigerforderung gegen seine Mitschuldner vorgehen kann. Der für zukünftig fällig werdenden Zins in Anspruch genommene Gesamtschuldner müsste dies hinnehmen, weil seine Stellung derjenigen nach einer rechtsgeschäftlichen Zession entsprechen würde. Doch dies ist nicht die Konzeption des BGB. Die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner wirkt nach § 422 I 1 für seine Mitschuldner. Daher steht der Leistende seinen Mitschuldnern gerade nicht wie ein rechtsgeschäftlicher Zessionar gegenüber. Bei einer Mehrheit regresspflichtiger Gesamtschuldner kann er auch mittels § 426 II von jedem nur dessen internen Anteil verlangen und nicht die Gesamtleistung. Jeder Mitschuldner profitiert also von der Leistung eines Gesamtschuldners, weil er nur noch seinen internen Anteil leisten muss. Zwar kann dies zu einer „Belohnung“ für die Nichtleistung und somit zu einem Anreiz führen, nicht als erster an den Gläubiger zu leisten. Das aber hat der Gesetzgeber bei Gesamtschulden gerade in Kauf genommen. Nur insoweit, als der eigene Rückgriffsanspruch aus dem Innenverhältnis verzinslich ist, kommt eine Absicherung mit Hilfe der verzinslichen Gläubigerforderung in Frage, die schließlich zur Sicherung des Regresses übergeleitet wird. Soweit der Innenregress nicht verzinslich ist, geht die Gläubigerforderung auf zukünftigen Zins bei Leistung eines Gesamtschuldners unter.
7. Legalzession trotz Ausschluss der Abtretbarkeit? Weil der Zessionsregress etwas grundsätzlich anderes ist als eine rechtsgeschäftliche Abtretung, kann auch nicht ohne weiteres angenommen werden, dass er bei nicht abtretbaren Forderungen ausscheiden muss225. Zwar ordnet § 412 die Gel225 So aber offenbar Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 306 I 1; Kreß, SR AT, 516, 614 Fn. 35; Staud/Kaduk, § 426 Rz 44; Staud/Noack, § 426 Rz 133.
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VIII. Der Zessionsregress
tung der §§ 399 f. auch für den gesetzlichen Forderungsübergang an. Dies schließt aber nicht eine Prüfung aus, ob eine für rechtsgeschäftliche Abtretungen entwickelte Vorschrift in Fällen eines Zessionsregresses tatsächlich sinnvoll ist. Einfach ist die Lage bei § 400, wonach unpfändbare Forderungen nicht abtretbar sind. Die Unpfändbarkeit betrifft nach §§ 850 ff. ZPO in erster Linie Arbeitseinkommen, Unterhaltsansprüche und Renten wegen einer Körperverletzung. Diese Vorschriften dienen dem Schutz des Gläubigers, dem seine Lebensgrundlage nicht vollständig entzogen werden soll, sei es durch Pfändung oder Abtretung. Daher wird § 400 BGB bei rechtsgeschäftlichen Abtretungen nach wohl allgemeiner Ansicht für unanwendbar gehalten, wenn sein Zweck eine Anwendung nicht erfordert, nämlich dann, wenn der Gläubiger vom Zessionar freiwillig oder aufgrund einer Verpflichtung eine gleichwertige Leistung erhält226. Schon dies spricht dafür, die Vorschrift in Fällen einer Legalzession zu Regresszwecken, in denen der Forderungsübergang erst mit Leistung an den Gläubiger eintritt, erst recht nicht anzuwenden227. Auch der Gesetzgeber ordnet in Einzelfällen wie selbstverständlich eine Legalzession zu Regresszwecken gerade auch bei unpfändbaren Forderungen an228. Hinzu kommt, dass im Fall des § 426 II die Wirkung der Vorschrift des § 400 in keinem Zusammenhang mit ihrem Zweck steht: Während sie bei der Abtretung bewirkt, dass der bisherige Gläubiger die Forderung behält und noch nutzen kann, würde sie beim Gesamtschuldregress dazu führen, dass die Forderung gegen den Regresspflichtigen mit Leistung des Regressberechtigten wegen der grundsätzlich geltenden Solutionskonkurrenz (§ 422) untergeht. Der Gläubiger verliert sie also ohnehin; die Wirkung betrifft den Regressberechtigten, der die Vorteile der Gläubigerforderung nun nicht mehr nutzen kann. Dies kann mit dem Gedanken des Gläubigerschutzes nicht gerechtfertigt werden229. Wesentlich schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob ein vereinbarter Abtretungsaussschluss i.S.d. § 399 einen Forderungsübergang zu Regresszwecken 226 BGHZ 4, 153 (10.12.1951); BGHZ 13, 360, 367 ff. (31.5.1954); BAG NJW 1966, 1727 (2.6.1966); Staud/Busche, § 400 Rz 11 f.; MüKo/H. Roth, § 400 Rz 6; Soergel/Zeiss, § 400 Rz 3; jeweils m.w.N. 227 So Reichel, JW 1932, 1378; Hübener, Forderungsübergang, 90; von Olshausen, Gläubigerrecht, 158 f.; Scheying/Nörr, in: Nörr/Scheying/Pöggeler, Sukzessionen, § 3 III 3, § 14 II 2; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 221; MüKo/H. Roth, § 400 Rz 8; Erman/Westermann, § 400 Rz 4; Soergel/Zeiss, § 400 Rz 4; wohl auch Staud/Busche, § 400 Rz 15; der Sache nach schon RGZ 135, 25, 30 f. (21.12.1931); anders noch RGZ 76, 204, 208 f. (6.4.1911); Planck/Siber, § 400 Anm. 2. Zum Gesamtschuldregress Soergel/Wolf, § 426 Rz 51; Erman/Ehmann, § 426 Rz 28; Esser/Schmidt, SR AT 2, § 39 III 3 b; BamR/Gehrlein, § 426 Rz 17; zum Bürgenregress Kanka, JhJb 87 (1938), 151 f.; Staud/Brändl (1959), § 774 Rz 3; Soergel/Mühl (1985), § 774 Rz 2; Staud/Horn, § 774 Rz 16; MüKo/Pecher (1986), § 774 Rz 5; MüKo/Habersack, § 774 Rz 5; Graf Lambsdorff/Skora, Bürgschaftsrecht, Rz 281; Dieckmann, Derivativregreß, 362 f.; zu § 1542 RVO RG Warn 1930 Nr. 5 = JW 1930, 3638 (11.11.1929); RG JW 1932, 344 (26.10.1931). 228 Etwa in §§ 1607, 1608, 1584 BGB und § 94 SGB XII (früher § 91 BSHG) hinsichtlich unpfändbarer (§ 850 I Nr. 2 ZPO) Unterhaltsansprüche; in § 6 I EFZG und § 116 I SGB X hinsichtlich unpfändbarer (§ 850 b I Nr. 1 ZPO) Rentenansprüche wegen Körperverletzung. 229 Dieckmann, Derivativregreß, 362 f., zu § 774 BGB.
7. Legalzession trotz Ausschluss der Abtretbarkeit?
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verhindern kann230. Diese Frage kann weder von vornherein unter Berufung auf § 412 bejaht noch ohne weiteres unter Verweis auf die Unterschiede zwischen Abtretung und Legalzession verneint werden. Im Gesamtschuldrecht wird sie selten angesprochen und dann unterschiedlich beantwortet231. Eine Diskussion findet hauptsächlich beim Regress des Bürgen nach § 774 statt232. Die Befürworter eines Zessionsregresses trotz Abtretungsverbot verweisen auf die im Vergleich zu einem rechtsgeschäftlichen Zessionar erhöhte Schutzbedürftigkeit des Regresssuchenden (hier des Bürgen) und auf eine analoge Anwendung des § 851 II ZPO, wonach ein Abtretungsausschluss einer Pfändung zur Einziehung nicht im Wege steht233. Richtiger Kern dieser Argumentation ist, dass ein Abtretungsausschluss bei einer Legalzession zu Regresszwecken eine andere Wirkung hat als im Fall einer rechtsgeschäftlichen Abtretung. Wenn die rechtsgeschäftliche Abtretung verhindert wird, bedeutet dies, dass die Forderung samt Sicherheiten beim alten Gläubiger verbleibt. Der Schuldner hat lediglich den Gläubigerwechsel verhindert; ansonsten ist seine Lage gleich, da statt des Zessionars der ursprüngliche Gläubiger die Sicherheiten im Falle der Verjährung oder der Insolvenz des Schuldners verwenden kann. Die Verhinderung einer Legalzession bei Gesamtschuld und Bürgschaft würde demgegenüber bedeuten, dass die Forderung gegen den Schuldner untergeht, wenn der Mitschuldner oder Bürge geleistet hat234. Dem 230 Bejahend Planck/Siber, § 399 Anm. 4; Hübener, Forderungsübergang, 90 f.; Blaurock, ZHR 142 (1978), 333; Hadding/van Look, WM 1988, Beil. 7, S. 15; Coester-Waltjen, Jura 1997, 609; grundsätzlich auch Blaum, Abtretungsverbot, 55 ff.; differenzierend (dabei aber grundsätzlich bejahend) E.Wagner, Abtretungsverbote, 240, 481, 491; verneinend Scheying/Nörr, in: Nörr/Scheying/Pöggler, Sukzessionen, § 14 II 1; Berger, Verfügungsbeschränkungen, 324 ff.; von KoppenfelsSpies, Cessio legis, 222 ff.; im Ergebnis auch BAG NJW 1966, 1727 (2.6.1966), mit der unrichtigen Erwägung, dass die Ausnahme zu § 400 (Zessionar erbringt dem Gläubiger wirtschaftlich gleichwertige Leistung) auch bei § 399 gelten müsse. Doch § 399 Fall 2 schützt anders als § 400 nicht den Gläubiger, sondern den Schuldner. Zu § 67 VVG bejahend RGZ 97, 76, 78 (1.11.1919); BGH VersR 1997, 1088, 1090 (26.3.1997); vgl. aber auch RG LZ 1913, 944 (9.4.1913); offen gelassen in BGHZ 65, 364, 365 (8.12.1975). 231 Für eine Anwendung des § 399 Fall 2 auf die Legalzession nach § 426 II Staud/Noack, § 426 Rz 133; Soergel/Wolf, § 426 Rz 51. Dagegen Berger, Verfügungsbeschränkungen, 327 f. Wie Berger auch Selb, Mehrheiten, 115; Esser/Schmidt, SR AT 2, § 39 III 3 b; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 203; BamR/Gehrlein, § 426 Rz 17; all diese aber mit der unrichtigen Begründung, der Gläubiger erhalte eine wirtschaftlich gleichwertige Leistung (worauf es bei § 399 nicht ankommt, siehe vorige Fußnote). 232 Für die Anwendbarkeit des § 399 Kersting, ZKW 1969, 96; Serick, Eigentumsvorbehalt IV, § 52 V 5, S. 593 f.; Blaum, Abtretungsverbot, 212 ff.; Dieckmann, Derivativregreß, 364 ff.; RGRK/ Mormann, § 774 Rz 2; Erman/Seiler (10. Aufl.), § 774 Rz 7. 233 Kanka, JhJb 87 (1938), 150 f. (allerdings nur im Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner, vgl. S. 187 f.); Staud/Brändl (1959), § 774 Rz 3; Staud/Horn, § 774 Rz 16; MüKo/Habersack, § 774 Rz 5; Berger, Verfügungsbeschränkungen, 327. Für einen Zessionsregress zumindest dann, wenn der Bürge vom Hauptschuldner beigebracht wurde, Soergel/Pecher, § 774 Rz 7. 234 Zur Gesamtschuld § 422; zur Bürgschaft Dieckmann, Derivativregreß, 372, 378. Anders offenbar Berger, Verfügungsbeschränkungen, 325; und insbes. von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 92, 154, 156, 468 ff.; dazu oben, 403 ff. und 421 ff. Beim Regress des Versicherers nach § 67 VVG könnte man tatsächlich annehmen, dass ein Abtretungsausschluss dazu führt, dass die Forderung
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VIII. Der Zessionsregress
Mitschuldner bzw. Bürgen verbliebe sein eigener Rückgriffsanspruch (aus dem Innenverhältnis bzw. § 426 I)235, der aber nicht gesichert ist. Hiervon profitieren die übrigen Gläubiger des Schuldners oder der Sicherheitsgeber, indem die Sicherheit bei Leistung des Regresssuchenden nicht auf diesen übergeht, sondern erlischt oder an den Schuldner bzw. Sicherheitsgeber zurückfällt. Die Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger benachteiligt also nicht nur Dritte, sondern begünstigt auch Dritte236. Im Ergebnis manipulieren Schuldner und Gläubiger die gesetzlich vorgesehene Regresslage, die nun wieder einen Zug von Glücksspielcharakter annimmt: Hat der intern verpflichtete, aber zahlungsunfähige Schuldner eine Sicherheit gestellt, so wäre es bei wirksamer Legalzession im Ergebnis gleichgültig, auf wen der Gläubiger zugreift, während es bei ausgeschlossenem Forderungsübergang für den Mitschuldner bzw. Bürgen entscheidend darauf ankommt, dass der Gläubiger auf die Sicherheit und nicht auf ihn zugreift, weil der Regress praktisch nicht durchsetzbar ist. All dies spricht dafür, dass die rechtsgeschäftliche Verhinderung der Legalzession bedenklich und zumindest rechtspolitisch unerwünscht ist237. Der Gesetzgeber hat daher bestimmte Legalzessionen zugunsten öffentlicher Leistungsträger auch im Falle eines Abtretungsausschlusses zugelassen238. Rechtssystematisch spricht die Tatsache, dass die Geltung der §§ 412, 399 nur in bestimmten Fällen ausgeschlossen wird, freilich eher gegen eine allgemeine Unanwendbarkeit des § 399 bei Legalzessionen239. Auch eine Analogie zu § 851 II ZPO ist zumindest nicht zwingend: Hier verwehrt es der Gesetzgeber dem Gläubiger, durch Vereinbarung eines Abtretungsausschlusses seine Forderung dem Zugriff seiner Gläubiger zu entziehen. Daraus können nicht unbedingt Schlüsse für die andersgear-
235 (gegen den Schädiger) beim Gläubiger (Geschädigten) verbleibt und dieser sie einziehen und den Erlös an den Versicherer abtreten muss, so RGZ 97, 76, 78. Dann stellt sich das Problem nicht in dieser Dringlichkeit. 235 Anders Berger, Verfügungsbeschränkungen, 328, der ohne Begründung annimmt, bei gesetzlichen Gesamtschulden könne die Legalzession regressbegründend, ihr Ausschluss also regressvernichtend wirken. Dies widerspricht dem Wortlaut des § 426, der Absicht des historischen Gesetzgebers sowie der ganz herrschenden Lehre. 236 Nach Berger, Verfügungsbeschränkungen, 325, soll auch der Gläubiger an der Verhinderung der Legalzession interessiert sein können, nämlich im Falle einer Teilleistung des Regressberechtigten. Doch entgegen Berger führt hier der Ausschluss des Forderungsübergangs hinsichtlich des Teils der Forderung, auf den geleistet wurde, nicht zum Verbleib beim Gläubiger, sondern zum Erlöschen. Der Regressberechtigte kann seine Rückgriffsforderung aus dem Innenverhältnis geltend machen und so im Fall der Schuldnerinsolvenz mit dem Gläubiger konkurrieren; jedoch steht die für die Forderung bestellte Sicherheit nun allein dem Gläubiger zu, was tatsächlich ein Vorteil ist. Allerdings schützt sich ein Gläubiger, der die Konkurrenz des Regressberechtigten im Falle einer Teilleistung fürchtet, besser durch eine Vereinbarung, wonach es sich bis zur vollständigen Befriedigung des Gläubigers nur um eine Sicherheitsleistung handeln soll; hierzu oben, 357 ff. 237 Die PEL Personal Security und der DCFR Teil IV G lassen daher im Rahmen des Bürgenregresses eine Subrogation auch bei vertraglichem Abtretungsausschluss zu, jew. Art. 2:113 III. 238 SGB X § 115 II zugunsten des Sozialversicherungsträgers; SGB XII § 93 I 4 (früher BSHG § 90 I 4) zugunsten des Trägers der Sozialhilfe. 239 Dieckmann, Derivativregreß, 369; vgl. von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 220 f.
7. Legalzession trotz Ausschluss der Abtretbarkeit?
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tete Interessenlage bei der Verhinderung einer Legalzession im Interesse des Schuldners gezogen werden240. Zugunsten einer Anwendung des § 399 bei Legalzessionen lassen sich nicht nur der Wortlaut des § 412, sondern auch die Schuldnerinteressen241 ins Feld führen. Auch wenn es rechtspolitisch bedenklich und häufig kritisiert ist242, hat sich der Gesetzgeber in § 399 für die Unwirksamkeit einer verbotswidrigen Abtretung entschieden. Damit kann der Schuldner hinsichtlich rechtsgeschäftlicher Abtretungen verhindern, dass ein Dritter sein Gläubiger wird und die dem Altgläubiger gestellten Sicherheiten verwenden kann. Der Schutz vor einem neuen Gläubiger ist praktisch allerdings nur gering, soweit man in diesen Fällen eine Drittleistung i.S.d. § 267 zulässt, mit deren Hilfe der Dritte eine Rückgriffskondiktion nach § 812 erwerben kann, die inhaltlich der erloschenen Gläubigerforderung gleicht243. Zumindest aber kann der Schuldner durch das Abtretungsverbot erreichen, dass die Sicherheiten nicht auf Dritte übergehen. Die Frage ist damit, ob der Schuldner diesen Schutz dadurch verlieren soll, dass nicht ein außenstehender Dritter, sondern ein ebenfalls verpflichteter Mitschuldner oder Bürge leistet244. Hierfür spricht auf den ersten Blick, dass Mitschuldner und Bürgen anders als der außenstehende Dritte zur Leistung gezwungen sind. Doch dieses Argument der „legal compulsion“ ist deshalb fragwürdig, weil sich jeder Dritte gegen den Willen des Schuldners freiwillig in die Zwangslage bringen kann. Mit anderen Worten: Wenn ein Abtretungsausschluss sich nicht gegenüber Legalzessionen nach § 426 II oder § 774 durchsetzt, ist er praktisch wertlos, weil ein Dritter, der in Kollaboration mit dem Gläubiger die Sicherheit erwerben will, sich nur zum Mitschuldner (Schuldbeitritt) oder Bürgen machen und dann leisten braucht, um die Sicherheit zu erwerben. Dass diese Gefahr tatsächlich besteht, zeigt die Praxis der Factoring-Institute, die bei unabtretbaren Forderungen keine Zession vereinbaren, sondern eine Bürgschaft übernehmen245. Angesichts dieser Erwägungen steht die Antwort auf die Frage nach der Anwendbarkeit des § 399 bei § 426 II oder § 774 nicht von vornherein fest, sondern hängt von einer Bewertung der widerstreitenden Interessen ab. Beim Gesamtschuldregress geht es genauer gesagt darum, welche Bedeutung man dem Zessionsregress nach § 426 II (der, wie gezeigt, rechtspolitisch nicht selbstverständlich ist!) zumessen und in welchem Maße man ihn vor Manipulationen schützen will. 240
Vgl. BGHZ 56, 228, 232 (27.5.1971); Dieckmann, Derivativregreß, 370 f. Zu ihnen Wagner, Abtretungsverbote, 41 ff.; Berger, Verfügungsbeschränkungen, 228 ff. 242 Stellvertretend Hadding/van Look, WM 1988, Beil. 7. 243 Nach Larenz/Canaris (Schuldrecht II/2, § 69 III 2 b, S. 192) und Medicus (BürgR, Rz 952) soll daher im Falle eines Abtretungsverbots eine wirksame Schuldtilgung eines Dritten nach § 267 nicht möglich sein. Dann stellt sich die Frage, ob man in diesem Fall nicht auch die Möglichkeit eines ohne Mitwirkung des Schuldners zustande gekommenen Schuldbeitritts mit Gesamtschuldregress ausschließen muss. 244 Verneinend Bacher, Ausgleichsansprüche, 112. 245 Hierzu Kersting, ZKW 1969, 95; Blaurock, ZHR 142 (1978), 332 f.; Serick, Eigentumsvorbehalt IV, § 52 V 5; Blaum, Abtretungsverbot, 211 f. Bei klarer Umgehungsabsicht will Kanka, JhJb 87 (1938), 151 Fn. 27, mit § 138 helfen. 241
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VIII. Der Zessionsregress
Wird der Abtretungsausschluss nicht von vornherein, sondern erst nach Entstehung der zunächst abtretbaren Forderung vereinbart (was nach § 399 möglich ist246), ergäbe sich bei einer Erstreckung der Vereinbarung auf die Legalzession für die Mitschuldner eine ähnliche Wirkung, als wenn der Gläubiger mit dem betreffenden Gesamtschuldner einen Einzelerlass i.S.d. § 397 vereinbart oder die Sicherheit freigegeben hätte: Ihnen verbliebe womöglich ein eigener Regressanspruch, der aber nicht mehr durch die Gläubigerforderung abgesichert wäre. Zumindest beim nachträglichen Abtretungsausschluss handelt es sich damit um ein Problem der Regressbehinderung durch den Gläubiger. Wer, wie ein Teil der Lehre247, eine solche Regressbehinderung, sei es durch Sicherheitenfreigabe, sei es durch einen § 426 II ausschließenden Einzelerlass, für unzulässig hält, muss daher entweder dem nachträglich vereinbarten Abtretungsausschluss die Wirkung auf die Legalzession versagen oder statt dessen den Anspruch des Gläubigers gegen den regressberechtigten Schuldner in entsprechender Anwendung des § 776 kürzen248. Anders verhält es sich, wenn man mit Rechtsprechung249 und herrschender Lehre250 eine nachträgliche Sicherheitsfreigabe oder einen schuldaufhebenden Einzelerlass durch den Gläubiger für möglich hält. Dann liegt es nahe, auch einen die Legalzession verhindernden Abtretungsausschluss zuzulassen. Das Argument der Regressbehinderung ist in den Fällen schwächer, in denen der Gesamtschuldner von vornherein die gegen ihn gerichtete Forderung als eine nicht abtretbare begründet. Bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden kann eine solche Vereinbarung eines Gesamtschuldners mit dem Gläubiger ohne Kenntnis der Mitschuldner gegen eine Abrede aus dem Innenverhältnis verstoßen, welche den Mitschuldnern gegebenenfalls einen Schadensersatzanspruch gegen den betreffenden Gesamtschuldner eröffnet, der ihnen allerdings im Falle seiner Insolvenz wenig nützt. Ohne ein besonderes Innenverhältnis aber ist kein Gesamtschuldner zur Stellung einer Sicherheit verpflichtet. Wenn es ohne weite246
Stellvertretend Staud/Busche, § 399 Rz 53; MüKo/H. Roth, § 399 Rz 30; jew. m.w.N. Wacke, AcP 170 (1970), 60 ff.; Ehmann, Gesamtschuld, 242 ff., 364 f.; Erman/Ehmann, § 421 Rz 74, § 423 Rz 2–5, § 426 Rz 33; Martens, AcP 177 (1977), 126; RGRK/Weber, § 423 Rz 12 f.; Gernhuber, Erfüllung, § 16 I 13; Schürnbrand, Schuldbeitritt, 148 ff. (für den SicherungsSchuldbeitritt). 248 Letzteres schlägt Reichel vor, JW 1932, 1378; vgl. auch (zum Bürgenregress) Kanka, JhJb 87 (1938), 195; Blaum, Abtretungsverbot, 213 f.; und die Bedenken bei Berger, Verfügungsbeschränkungen, 327. 249 RG JW 1938, 516, 519 (19.10.1937); BGH WM 1962, 1293, 1294 (27.9.1962); BGH WM 1967, 397 (30.1.1967); BGHZ 59, 97, 103 (29.6.1972); BGH NJW 1983, 1423, 1424 (10.12.1982); OLG Hamm, ZIP 1983, 922 (24.6.1983); BGH NJW-RR 1989, 918, 920 (25.4.1989); BGH NJW 1992, 2286 (11.6.1992); OLG Hamm, NJW-RR 1993, 1071 (18.1.1993); BGH NJW 2000, 1034, 1035 (13.1.2000). 250 Crome, Schuldverhältnisse, § 207 I 3; Kohler, Schuldrecht, § 53 III 2; Reichel, JhJb 85 (1935), 45 f.; Frotz, NJW 1965, 1258; Lumm, Ausgleich, 187; Soergel/Re. Schmidt (1967), § 423 Rz 3; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 83, 122; dies., Bürgschaftsrecht, Rz 240; dies., Kreditsicherung, Rz 73, 281; Selb, Mehrheiten, 73; Schanbacher, WM 1998, 1806 f.; Staud/Noack, § 421 Rz 115, § 423 Rz 13, § 426 Rz 134; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 45; Soergel/Wolf, § 423 Rz 7; Soergel/ Mühl (1985), § 776 Rz 14; Staud/Horn, § 776 Rz 23; wohl auch MüKo/Habersack, § 776 Rz 2. 247
7. Legalzession trotz Ausschluss der Abtretbarkeit?
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res zulässig ist, dass ein Bürge dem Gläubiger für seine Bürgenschuld keine Sicherheit stellt und so den späteren Regress möglicher Mitbürgen ungesichert lässt, warum sollte der Bürge dann nicht die Möglichkeit haben, dem Gläubiger eine Sicherheit zu stellen, aber einen Forderungsübergang auszuschließen?251 An dieser Stelle könnte ein weiterentwickeltes Glücksspiel-Argument ins Spiel gebracht werden, wonach Situationen unbedingt zu vermeiden sind, in denen die Gläubigerwillkür die Lastenverteilung bestimmen kann. Stellt der regresspflichtige Gesamtschuldner S1 keine Sicherheit, entsteht danach keine Situation der Gläubigerwillkür: Entweder ist S1 solvent, dann ist die Wahl des Gläubigers wegen des Ausgleichsanspruchs des anderen Gesamtschuldners S2 im Ergebnis nicht entscheidend. Ist S1 dagegen insolvent, hält sich der Gläubiger ohnehin an S2, ohne eine Wahl zu haben. Anders ist es, wenn S1 dem Gläubiger eine nicht durch Legalzession übertragbare Sicherheit gestellt hat und insolvent ist: Der Gläubiger kann wählen, ob er S1 (mittels der Sicherheit) oder S2 in Anspruch nimmt. Im zweiten Fall kann S2 mangels übergeleiteter Sicherheit praktisch keinen Regress nehmen, so dass es für ihn im Ergebnis entscheidend auf die Willkürentscheidung des Gläubigers ankommt, auf welchen Schuldner er zugreift. Dies, so kann argumentiert werden, ist zu vermeiden. Doch das Glücksspiel-Argument ist hier ebenso wenig zwingend wie bei der Frage, ob es überhaupt einen Gesamtschuldregress geben soll. Der Sache nach gelten hier ähnliche Erwägungen wie bei der Frage, ob ein Regress aus § 426 I auch dann besteht, wenn der Rückgriffsanspruch aus dem rechtsgeschäftlichen oder gesetzlichen Innenverhältnis erloschen ist252. Für § 426 I kann dort ins Feld geführt werden, dass ansonsten die interne Belastung von der Wahl des Gläubigers abhängt. Wandelt man aber den Fall so ab, dass nur der intern nicht Verpflichtete im Außenverhältnis haftet, dann ist es selbstverständlich, dass er auch dann in Anspruch genommen werden kann, wenn sein Regressanspruch nicht mehr besteht. Nach der Glücksspiel-Argumentation ist das nicht bedenklich, weil keine Wahl des Gläubigers besteht. Der Sache nach bedeutet dies, dass eine Situation nicht zugelassen wird, bei der es von der Gläubigerentscheidung abhängt, ob der (nach dem Innenverhältnis) Falsche oder der Richtige endgültig belastet wird, während eine Lage, nach der auf jeden Fall der Falsche endgültig belastet wird, hingenommen wird. Ebenso liegt es hier: Nach dem Glücksspiel-Argument darf keine nicht transferierbare Sicherheit bestellt werden, weil es im Insolvenzfall dann von der Gläubigerentscheidung abhängt, wer praktisch endgültig belastet wird. Toleriert wird dagegen eine Lage, in der von vornherein keine Sicherheiten bestellt wurden, so dass bei einer Insolvenz des intern Verpflichteten in jedem Fall der Falsche belastet wird. Bedenklich ist es, mit einer derartigen, schon an sich auf tönernen Füßen stehenden Wertung den gesetzlichen Schutz des Schuldners, der ein Abtretungsverbot vereinbart hat, aus den Angeln zu heben. Zumindest beim Regress desjeni251 252
So zu Recht Kanka, JhJb 87 (1938), 187 f. Hierzu oben, 299 f.
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VIII. Der Zessionsregress
gen, der seine Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger freiwillig begründet hat, muss die Entscheidung des Gesetzgebers, den Schuldner zu schützen, Vorrang genießen vor der Erwägung, eine Glücksspiel-Situation um jeden Preis zu vermeiden. Korrekturen sind allenfalls bei „unfreiwilligen“ Legalzessionaren wie im Fall der deliktischen Gesamtschuld denkbar. Die unbefriedigende Lage, dass Schuldner und Gläubiger mit der Vereinbarung eines Abtretungsverbots die Regresslage manipulieren können, geht letztlich auf die rechtspolitisch bedenkliche Zulassung der absoluten Wirkung eines Abtretungsausschlusses zurück. Hier, nicht bei den Wirkungen der Legalzession, sollte der korrigierende Hebel angesetzt werden. Dies ist durch die 1994 eingeführte Vorschrift des § 354 a HGB teilweise geschehen. Sofern das zugrunde liegende Rechtsgeschäft für beide Seiten ein Handelsgeschäft ist, ist die Abtretung einer Geldforderung trotz einer Vereinbarung i.S.d. § 399 „gleichwohl wirksam“; der Schuldner kann allerdings weiterhin befreiend an den bisherigen Gläubiger leisten. Im Anwendungsbereich dieser Vorschrift muss dann auch eine Legalzession möglich sein253. Dagegen kann nicht eingewandt werden, dass § 354 a HGB nur von einer Abtretung spricht und eine analoge Anwendung an einer Gesetzeslücke scheitert254. Einer Analogie zu § 354 a HGB bedarf es wegen § 412 nicht. Danach ist § 399 analog auf die Legalzession anwendbar. Im Anwendungsbereich des § 354 a HGB verhindert § 399 die wirksame Abtretung nicht. Dann kann auch eine analoge Anwendung des § 399 eine Legalzession nicht verhindern. Vor allem aber entfällt bei § 354 a HGB der entscheidende Grund zugunsten einer Wirkung des Abtretungsausschlusses auf den Zessionsregress. Wenn der Schuldner eine Abtretung und damit den Übergang der Sicherheiten nicht verhindern kann, dann besteht auch kein Grund, ihn vor einem Sicherheitsübergang per Legalzession zu schützen.
8. Das Schicksal der akzessorischen Sicherheiten Der praktisch wichtigste Vorteil des Zessionsregresses ist der Übergang der für den Gläubiger bestellten akzessorischen Sicherheiten auf den Leistenden. Allerdings erwirbt dieser nicht jede im Zusammenhang mit der Gesamtschuld bestellte Sicherheit. Nach dem heute herrschenden Mehrheitsmodell besteht das Gesamtschuldverhältnis aus mehreren Forderungen. Leistet ein Gesamtschuldner, wird die Forderung gegen ihn selbst nach § 362 erfüllt, während die Forderung gegen den anderen auf den Leistenden nach § 426 II in Höhe seines Rückgriffsrechts übergeht und zum restlichen Teil nach § 422 erlischt. Demnach scheint die Frage nach dem Schicksal der bestellten Sicherheiten auf den ersten Blick einfach beantwortet werden zu können: 253
So auch MüKoHGB/K. Schmidt, § 354 a Rz 14 m.w.N.; MüKo/H. Roth, § 399 Rz 41. So aber E.Wagner, WM 1994, 2102; Dieckmann, Derivativregreß, 373. Ebenso Heymann/ Horn, HGB, § 354 a Rz 6, der aber § 399 bei Legalzessionen ohnehin für unanwendbar hält. 254
8. Das Schicksal der akzessorischen Sicherheiten
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Wurde die Sicherheit für die Schuld des leistenden Gesamtschuldners bestellt, wird sie frei: Eine Bürgenschuld und ein Pfandrecht (§ 1252) erlöschen, und eine Hypothek wird nach §§ 1163 I 2, 1177 zur Eigentümergrundschuld. Wurde die Sicherheit für die Schuld des anderen, regresspflichtigen, Gesamtschuldners bestellt, geht sie nach §§ 412, 401, 1153 I, 1250 I zusammen mit der Gläubigerforderung auf den Leistenden über. Schließlich ist es aber auch möglich, dass die Sicherheit für die Gesamtschuld als solche bestellt wurde. Zumindest bei einer Bürgschaft für die Gesamtschuld im Ganzen geht die herrschende Lehre davon aus, dass der Bürge frei wird, wenn einer der Gesamtschuldner leistet. Tatsächlich aber ist die Frage nach dem Schicksal der bestellten Sicherheiten nicht so einfach zu beantworten. So muss nicht nur danach differenziert werden, wofür die Sicherheit bestellt wurde, sondern auch danach, wer sie bestellt hat. Da die herrschende Lehre die Differenzierung zwischen einer Sicherung der Gesamtschuld und der Sicherung der Schuld eines einzelnen Gesamtschuldners bei der Bürgschaft entwickelt hat, soll hier mit von Dritten gestellten Sicherheiten begonnen werden.
a) Drittsicherheiten für die Gesamtschuld als solche Nach ganz herrschender Lehre kann sich ein Bürge statt für die Schuld eines Gesamtschuldners auch für die Gesamtschuld insgesamt verbürgen. Leistet dann einer der Gesamtschuldner, wird der Bürge frei. Der ausgleichsberechtigte Gesamtschuldner erwirbt zwar nach § 426 II die Gläubigerforderung gegen den Mitschuldner, nicht aber die Bürgenforderung, die dem Gesamtschuldregress damit nicht zur Verfügung steht. Leistet umgekehrt der Gesamtschuldbürge an den Gläubiger, erwirbt er nach § 774 die Forderungen gegen alle Gesamtschuldner und kann von ihnen solidarisch Regress nehmen255. Die zugrunde liegende Wertung, dass die Stellung des Bürgen besser ist, wenn er sich nicht nur für eine, sondern gleich für alle Forderungen im Gesamtschuldverhältnis verbürgt hat, ist in sich stimmig256. Der Bürge, der sich für „die Gesamtschuld“ selbst verbürgt, geht im Verhältnis zum Bürgen für nur einen Gesamtschuldner grundsätzlich ein geringeres Risiko ein. Der Bürge für einen Gesamtschuldner S1 bürgt dafür, dass gerade S1 leistet. Eine solche Leistung liegt nicht vor, wenn der andere Gesamtschuldner S2 leistet. In diesem Fall ändert sich nach § 426 II die Bürgenverpflichtung, indem der Bürge im Ergebnis nun den Gesamtschuldregress des S2 absichert. Wer dagegen für „die Gesamtschuld“
255 BGHZ 46, 14, 15 f. (14.7.1966); Reichel, Schuldmitübernahme, 484; A. Blomeyer, SR AT, § 49 II 3 b; Weber, Jus 1972, 10; ders., Kreditsicherheiten, § 4 III; Reinicke/Tiedtke, NJW 1981, 2146 f., 2149; dies., Bürgschaftsrecht, Rz 413; dies., Kreditsicherung, Rz 429; Staud/Horn, § 774 Rz 17; MüKo/Habersack, § 765 Rz 108; Soergel/Pecher, § 774 Rz 6; Soergel/Wolf, § 422 Rz 5; Staud/Noack, § 422 Rz 37, § 426 Rz 229; Selb, Mehrheiten, 122; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 51; jurisPK/Rüßmann, § 426 Rz 15; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 96, 240.
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VIII. Der Zessionsregress
bürgt, bürgt gegenüber dem Gläubiger dafür, dass im Gesamtschuldverhältnis geleistet wird, sei es durch S1 oder S2. Die Wahrscheinlichkeit, dass einer der Gesamtschuldner leistet, ist wesentlich größer als die, dass ein bestimmter Gesamtschuldner leistet. Insoweit ist das Risiko des Bürgen geringer. Zwar kann er, anders als der Bürge für nur einen Gesamtschuldner, hinsichtlich beider Gesamtschuldner für Verzugszinsen und Schadensersatzansprüche haften. Dennoch bleibt es dabei, dass er nur das einmalige Leistungsinteresse des Gläubigers im Gesamtschuldverhältnis sichert. Erfüllt daher einer der Gesamtschuldner seine Leistungspflicht, wird der Bürge frei, weil es nichts mehr zu sichern gibt. Der Gesamtschuldbürge bürgt also grundsätzlich nicht dafür, dass jeder Gesamtschuldner seinen Anteil beiträgt, indem er entweder an den Gläubiger leistet oder seine Regressverpflichtung erfüllt. Kraft Parteiautonomie steht dem Bürgen allerdings frei, eine solche Verpflichtung zu übernehmen. Soll dies durch Rechtsgeschäft mit dem Gläubiger geschehen, bietet sich an, für jeden der beiden Gesamtschuldner getrennt eine Bürgschaft zu übernehmen. Leistet dann S2 an G, erlischt B’s Bürgenschuld für S2, während B’s Bürgenschuld für S1 nach §§ 426 II, 412, 401 auf S2 übergeht. Doch ohne besondere Anhaltspunkte kann eine derartige Verpflichtung des Gesamtschuldbürgen nicht angenommen werden. Der leistende Gesamtschuldner erwirbt also mittels § 426 II nicht die Forderung gegen einen Dritten, der sich für die Gesamtschuld selbst verbürgt hat. Zweifelhaft könnte lediglich sein, ob dasselbe gilt, wenn ausnahmsweise der Gesamtschuldbürge im Innenverhältnis zwischen ihm und den beiden Gesamtschuldnern regresspflichtig ist, etwa wenn B sich für ein von S1 und S2 aufgenommenes Darlehen verbürgt, das im Innenverhältnis an ihn selbst ausgezahlt wird. Leistet B an den Gläubiger, kann er wegen § 774 I 3 von der Gläubigerforderung gegen die Gesamtschuldner nicht profitieren. Zahlt umgekehrt einer der Gesamtschuldner das Darlehen an den Gläubiger zurück, hat er einen Aufwendungsersatzanspruch gegen B im Innenverhältnis. Doch von einem Forderungsübergang oder von einer seitens B bestellten Sicherheit kann er nicht profitieren257. Dieser Befund erklärt sich schlicht mit der oben angesprochenen Tatsache, dass der Gesetzgeber nicht in jedem Fall einer Solutionskonkurrenz einen Zessionsregress vorgesehen hat: Der zahlende Einzel-Hauptschuldner erhält weder die Forderung gegen den Bürgen noch eine vom Bürgen gestellte Sicherheit. Der 256 Hierzu Reinicke/Tiedtke, NJW 1981, 2147; dies., Bürgschaftsrecht, Rz 421; Mader, JBl 1988, 291; gegen diese Unterscheidung aber (bei fiduziarischen Drittsicherheiten) Wilhelm, Sachenrecht, Rz 1808 (der den eine Einzelschuld sichernden Drittsicherer im Ergebnis wie einen GesamtschuldDrittsicherer behandeln will). Das Urteil OLG Celle, NJW 1986, 1761 (8.1.1986), wirft die Frage auf, ob ein Bürge für den Gesamtschuldner S1 sich im nachhinein für die ganze Gesamtschuld verbürgen und damit die Regresslage zu seinen Gunsten verändern kann. Dies wird man grundsätzlich bejahen müssen: Der andere Gesamtschuldner S2 kann weder verhindern, dass ein Dritter sich für ihn verbürgt, noch dass der Gläubiger die von S1 gestellten Sicherheiten freigibt (was er im Ergebnis täte, wenn er die Bürgschaft für S1 in eine Bürgschaft für die Gesamtschuld verwandeln würde). Möglich wäre höchstens eine analoge Anwendung des § 776 mit dem Ergebnis, dass S2 gegenüber dem Gläubiger (teilweise) befreit wäre. 257 So auch A. Blomeyer, SR AT, § 49 II 3 b.
8. Das Schicksal der akzessorischen Sicherheiten
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Forderungsübergang scheitert am Akzessorietätsgrundsatz, der Sicherheitenübergang am Fehlen einer § 1164 entsprechenden Vorschrift258. An diesem Verhältnis zwischen Hauptschuldner und Bürgen kann sich nichts ändern, wenn sich auf der Hauptschuldnerseite eine Schuldnermehrheit befindet. Möglich ist es schließlich auch, dass der Bürge im Außenverhältnis als Gesamtschuldbürge auftritt, im Innenverhältnis aber unter sämtlichen Beteiligten klar ist, dass er nur die Schuld eines Gesamtschuldners sichern soll. In einem 1976 entschiedenen Fall259 schuldeten S1 und S2 (vereinfacht dargestellt) intern gleichrangig 100. Weil eine Erfüllung durch S1 (eine KG) nicht sicher erschien, verlangte der Gläubiger hierfür eine Bürgschaft. Im Ergebnis verbürgte sich B (ein Kommanditist der KG) für die gesamte Schuld mit einem Höchstbetrag von 50. Da S1 tatsächlich ausfiel, zahlte B diese Summe an den Gläubiger. Der BGH kam zu Recht zum Ergebnis, dass B nicht nach § 774 bei S2 Regress nehmen konnte, weil er lediglich den von S1 zu tragenden Anteil geleistet hatte. Hierfür konnte das Gericht sich auf § 774 I 3 stützen. Hätte statt dessen S2 an den Gläubiger 100 gezahlt, hätte er nach diesem Gedankengang 50 von B verlangen können. Dieses Ergebnis ist angesichts der Akzessorietät der Gesamtschuld-Bürgschaft allerdings nur schwer zu begründen, solange man nicht die Bürgschaft von B entgegen dem Wortlaut des Bürgschaftsvertrags als Einzelbürgschaft für S1 auslegen will260. Ebenso wie beim Bürgen verhält es sich mit dem dinglichen Sicherheitsgeber. Sicherte er nur die Schuld des S1, geht die Sicherung zusammen mit der Forderung gegen S1 grundsätzlich auf den zahlenden regressberechtigten S2 über. Wurde die Sicherheit dagegen für die Gesamtschuld als solche gestellt, wird sie bei der Leistung eines Gesamtschuldners frei: Ein Pfandrecht erlischt, und eine Hypothek wird zur Eigentümergrundschuld261. Auch hier gilt die allgemeine Regel, dass ein Schuldner die von einem Dritten gestellte Sicherheit grundsätzlich nicht zu Regresszwecken verwenden kann, auch wenn intern der Dritte die Last tragen soll. Die Ausnahme des § 1164 bestätigt die Regel: Hier wird die vom intern verpflichteten Eigentümer bestellte Hypothek ausnahmsweise auf den leistenden Schuldner (und damit auch auf einen Gesamtschuldner) übergeleitet, um seine Rückgriffsforderung zu sichern. Ansonsten bleibt es dabei, dass es im Verhältnis zwischen Schuldner und Sicherheitsgeber keinen Sicherheitenübergang zugunsten des Schuldners gibt. Daran kann der Umstand, dass es sich auf der Schuldnerseite um Gesamtschuldner handelt, nichts ändern262. 258
Oben, 403. BGH WM 1976, 687 (26.4.1976). 260 Eine alternative Lösung bietet der am Ende dieses Abschnitts (468 ff.) vorgeschlagene Weg, die Möglichkeit der Sicherung „einer Gesamtschuld“ ganz abzulehnen und einen Ausgleich zwischen sämtlichen Bürgen und Gesamtschuldnern stattfinden zu lassen. 261 Reinicke/Tiedtke, NJW 1981, 2147; dies., Kreditsicherung, Rz 1113; A. Dieckmann, WM 1990, 1482; unrichtig insofern Wendehorst, Jura 2004, 507; Klutinius/Karwatzki, VersR 2008, 618. 262 A. Dieckmann, WM 1990, 1482, will § 426 II analog i.V.m. § 1164 anwenden, wenn der Eigentümer, der die Gesamtschuld mit einer Hypothek sichert, dem intern verpflichteten Gesamt259
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VIII. Der Zessionsregress
Gegen das hier beschriebene Wahlrecht des Sicherheitsgebers, ob er nur die Forderung gegen einen Gesamtschuldner sichert (und damit Gefahr läuft, in den Gesamtschuldregress hineingezogen zu werden) oder die Gesamtschuld selbst (womit er intern stets nachrangig zu allen Gesamtschuldnern haftet), hat sich Josef Esser ausgesprochen. Danach soll die Sicherung der Verbindlichkeit eines einzelnen Gesamtschuldners überhaupt nur dann möglich sein, wenn die Verbindlichkeiten der Gesamtschuldner auf unterschiedlichen Entstehungstatbeständen beruhen, wie es etwa bei Nebentätern oder Nebenbürgen der Fall ist. Liegt den Gesamtschulden dagegen ein einheitlicher Entstehungstatbestand wie etwa ein gemeinschaftlicher Vertragsschluss zugrunde, soll es für Sicherheitsgeber (seien es die Gesamtschuldner selbst oder Dritte) kein Wahlrecht geben. Vielmehr umfasse die Sicherheit hier notwendig das ganze Gesamtschuldverhältnis. Doch soll in diesem Fall – entgegen dem eben Dargestellten – die für die ganze Gesamtschuld bestellte Sicherheit nach § 426 II auf den leistenden Gesamtschuldner übergehen263. Doch schon der Ausgangspunkt, die Unterscheidung zwischen Gesamtschulden mit und ohne einheitlichen Entstehungstatbestand, kann nicht überzeugen. Der Gesetzgeber des BGB hat eine solche Unterscheidung gerade nicht getroffen. Die Gesamtschuldanordnung in § 840 gilt gleichermaßen für Mit- und Nebentäter; § 769 bezieht sich sowohl auf sich gemeinschaftlich verpflichtende Mitbürgen als auch auf Nebenbürgen. Für eine vermeintlich gemeinrechtliche Unterscheidung zwischen einheitlichem und verschiedenem Entstehungstatbestand ist daher kein Platz. Auch sachlich will es nicht einleuchten, warum der Parteiautonomie bei Mittätern engere Grenzen gesetzt sein sollen als bei Nebentätern. Die Vorstellung, dass bei einheitlichem Entstehungstatbestand nur die Sicherung der „Forderung schlechthin“ möglich sein soll, beruht ersichtlich auf einem Einheitsmodell (obwohl Esser sich grundsätzlich zum Modell einer Mehrheit von Schulden bekennt264), wonach der leistende Gesamtschuldner „die Forderung“ ablöst, wodurch diese mit sämtlichen Sicherheiten auf ihn übergeht. Konsequenterweise erwirbt der Leistende nach Esser sogar diejenigen Sicherheiten, mit denen gerade seine eigene Verbindlichkeit gesichert werden sollte, etwa die Forderung gegen den für ihn haftenden Bürgen oder das für seine Schuld bestellte Pfandrecht am Eigentum eines Dritten. Hier kann Esser nur mit Hilfe des Einwands der unzulässigen Rechtsausübung verhindern, dass der leistende Gesamtschuldner sich dieser Sicherheiten im Rahmen seines Gesamtschuldregresses bedient. 263 schuldner gegenüber regresspflichtig ist und der intern freigestellte Gesamtschuldner an den Gläubiger leistet. Strukturell handelt es sich um ein ähnliches Problem wie bei der (von der h.L. bejahten) Frage, ob die Forderung gegen den regresspflichtigen Gesamtschuldner auf den Bürgen des freigestellten Gesamtschuldners übergeht, dazu sogleich unten, 451 ff. 263 Esser, Schuldrecht (2. Aufl. 1960), § 98/3 d-e (S. 452), zum hier verwendeten Begriff der unechten Gesamtschuld § 97/4. Kürzere Darstellungen bei Esser, SR AT, § 59 III c (S. 444); ders., SR BT, § 87 IV 1 f (S. 224); Esser/Schmidt, SR AT 2, § 39 III 3 c (S. 353). 264 Esser, Schuldrecht (2. Aufl. 1960), § 97/2.
8. Das Schicksal der akzessorischen Sicherheiten
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Diese Konstruktionsfrage ist allerdings zweitrangig. Das gewünschte Ergebnis, dass sämtliche Sicherheiten das ganze Gesamtschuldverhältnis umfassen und für den Regress aus § 426 zur Verfügung stehen, könnte auch ohne ein Einheitsmodell mit der Annahme erzielt werden, dass jede Sicherheit kumulativ beide Forderungen aus dem Gesamtschuldverhältnis sichert. Sachlich aber ist zweifelhaft, ob und warum die Parteiautonomie derart beschränkt werden muss. Im Ergebnis wäre ein Dritter nicht in der Lage, den Gläubiger zu sichern, ohne in den Gesamtschuldregress hineingezogen zu werden. Letztlich benachteiligt dies den Gläubiger, der Mühe haben wird, einen Sicherer für seine Forderungen im Gesamtschuldverhältnis zu finden. Dafür besteht kein Grund. Zumindest seitens eines Dritten muss es die Möglichkeit der Sicherung des Gläubigers geben, ohne für die Ausgleichsansprüche der Gesamtschuldner zu haften. Hier gebietet es also die Parteiautonomie, beide Formen der Sicherung zuzulassen: zum einen die Sicherung einer Einzelschuld, die gegebenenfalls nach § 426 II auf den anderen Gesamtschuldner übergeht, zum anderen die Sicherung des Gesamtschuldverhältnisses, die von § 426 II nicht umfasst wird.
b) Drittsicherheiten für die Schuld des intern freigestellten Gesamtschuldners Der Bürge kann statt der Gesamtschuld selbst auch die Schuld eines einzelnen Gesamtschuldners sichern, der im Folgenden S1 genannt werden soll. S1 kann gegenüber seinem Mitgesamtschuldner S2 intern freigestellt sein. Leistet dann S1 an den Gläubiger, erlischt seine Schuld nach § 362, womit auch sein Bürge B frei wird. S1 kann nach § 426 I und II Regress bei S2 nehmen. Leistet S2 an den Gläubiger, findet mangels Rückgriffsanspruch gegen S1 kein Forderungsübergang statt, so dass S2 auch nicht auf B zugreifen kann. Auch wenn der Gläubiger zunächst sowohl auf S1 als auch auf S2 als auch auf B zugreifen konnte, ist die Last letztlich von S2 allein zu tragen. Nicht ganz geklärt ist in dieser Konstellation allerdings die Frage, was gilt, wenn B an den Gläubiger leistet. Nach § 774 geht die Forderung gegen „seinen“ Schuldner S1 auf ihn über. Doch die Forderung des Gläubigers gegen S2 ist von diesem Übergang nicht erfasst, weil B sich nicht für S2 verbürgt hatte265. Insbesondere dann, wenn S1 insolvent ist, stellt sich die Frage, ob B die Forderung gegen S2 mit Hilfe des § 426 II erwirbt. Die Frage wird vereinzelt verneint266, von Rechtsprechung und herrschender Lehre hingegen bejaht267. 265 Anders nur Soergel/Pecher, § 774 Rz 6, nach dem der Bürge keine schlechtere Stellung haben kann als der Gläubiger. Doch nach § 774 geht zunächst einmal nur die gesicherte Forderung auf den Bürgen über, nicht die gesamte Rechtsstellung des Gläubigers. 266 Reichel, Schuldmitübernahme, 482 f.; MüKo/Habersack, § 765 Rz 108; wohl auch (im wechselrechtlichen Zusammenhang) OLG Hamburg, LZ 1907, 359 (9.11.1906). 267 RGZ 65, 164, 169 ff. (7.2.1907); BGHZ 46, 14, 16 f. (14.7.1966); Planck/Oegg, § 774 Anm. 2 c; Reinicke, NJW 1966, 2143 f.; Tiedtke, WM 1976, 176; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rz 416 f.;
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VIII. Der Zessionsregress
Hiergegen spricht nicht schon der Umstand, dass B die Verpflichtung von S2 nicht gekannt haben muss und daher auf einen Forderungsübergang nicht vertrauen konnte: Das BGB stellt regressberechtigten Bürgen und Gesamtschuldnern mittels §§ 774, 426 II auch Sicherheiten zur Verfügung, von deren Existenz sie nicht gewusst haben mussten. Eine direkte Anwendung des § 426 II im Verhältnis zwischen B und S2 scheidet allerdings nach ganz herrschender Lehre aus, wonach B am Gesamtschuldverhältnis zwischen S1 und S2 nicht beteiligt ist. Der Bürge ist für seinen Zessionsregress danach auf § 774 verwiesen. Hier wäre es aber möglich, die Verpflichtung des S2 als Sicherheit für die Schuld des S1 anzusehen, die mit der Forderung gegen S1 analog § 401 auf B übergeht. Der Gesetzgeber hat die Frage offen gelassen, ob § 401 auch auf Verpflichtungen von Mitgesamtschuldnern angewendet werden kann. Von Kübels Vorentwurf zur heutigen Vorschrift des § 401 sprach noch allgemein von einem Übergang der „Nebenrechte“268, ohne sich in der Begründung zu Gesamtschuldverhältnissen zu äußern. Die Erste Kommission übernahm in E I § 297 den Begriff der Nebenrechte und überließ die Frage, ob darunter auch der Übergang der Forderungen gegen solidarische Mitschuldner zu verstehen sei, ausdrücklich Wissenschaft und Praxis269. In der Zweiten Kommission wurde der Begriff der Nebenrechte dann als zu allgemein und zu umfassend angesehen und durch die Aufzählung konkreter Sicherheiten wie Bürgschaft und Pfandrecht ersetzt. Die analoge Anwendung des heutigen § 401 auf andere Nebenrechte sollte aber „selbstverständlich“ möglich sein270. Zu dieser Unentschiedenheit des Gesetzgebers kommt noch hinzu, dass er bei der Diskussion offenbar in erster Linie die rechtsgeschäftliche Abtretung und nicht die Legalzession im Auge hatte, so dass die historische Auslegung insgesamt unergiebig ist. Das Reichsgericht hat eine Anwendung des § 401 auf die Schuld des regresspflichtigen Gesamtschuldners umstandslos bejaht271. Dies weckt allerdings Bedenken, nicht nur deshalb, weil die Verpflichtung eines solidarisch haftenden Mitschuldners im Gegensatz zu Bürgschaft, Hypothek und Pfandrecht nicht akzessorisch zur Hauptschuld ist272. Zweifelhaft ist auch, ob es sich um eine „Si268 dies., Kreditsicherung, Rz 431; Lumm, Ausgleich, 108 ff., 143 ff.; Weber, Jus 1972, 10; ders., Kreditsicherheiten, § 4 III; Bülow, Kreditsicherheiten, Rz 1607; Soergel/Wolf, § 422 Rz 5; Staud/Noack, § 422 Rz 36, § 426 Rz 230 f.; Selb, Mehrheiten, 122; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 51; jurisPK/ Rüßmann, § 426 Rz 16; Staud/Horn, § 774 Rz 17; Soergel/Mühl (1985), § 774 Rz 2; MüKo/Pecher (1986), § 774 Rz 7; Jauernig/Stadler, vor § 765 Rz 3; BamR/Rohe, § 774 Rz 5; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 96, 241; i.E. auch Ehmann, Gesamtschuld, 362; Erman/Ehmann, § 422 Rz 12; ähnlich Schürnbrand, Schuldbeitritt, 145 ff. (der dem Bürgen nur einen Anspruch auf Abtretung der Forderung gegen S2 gewähren will). 268 Teilentwurf „Übertragung der Forderungen“ (Schubert, SR I, 927 ff.), § 7. 269 Jakobs/Schubert, SR I, 782 ff., insbes. 784 f.; ebenso dann Mot. II, 124 f. (Mugdan II, 68). 270 Prot. 778 f. (Mugdan II, 574). 271 RGZ 65, 164, 169 ff. (7.2.1907). 272 Gegen eine Anwendung des § 401 daher Reichel, Schuldmitübernahme, 455 f.; Selb, Mehrheiten, 122; Schürnbrand, Schuldbeitritt, 131 ff., 147.
8. Das Schicksal der akzessorischen Sicherheiten
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cherheit“ handelt273, insbesondere angesichts der Tatsache, dass der „sichernde“ Gesamtschuldner intern allein verpflichtet ist. Folgerichtig müsste man auch annehmen, dass die Verpflichtung desjenigen Gesamtschuldners, der ohne eigenes Interesse einer Schuld beigetreten ist, durch die Verpflichtung des ersten Gesamtschuldners gesichert wird. Demgegenüber besteht in Literatur und Rechtsprechung heute gerade umgekehrt die Tendenz, § 401 nur auf den Fall eines sichernden Schuldbeitritts anzuwenden274. Folgt man dem, gelangt man zu dem merkwürdigen Ergebnis, dass der Bürge einen Zessionsregress gegen den anderen Schuldner nur dann hat, wenn dieser (als Schuldbeitretender) intern nicht verpflichtet war, nicht aber dann, wenn er intern allein verpflichtet ist. Diese Unstimmigkeit geht letztlich auf das gesetzliche System zurück, wonach der Zessionsregress sich gerade auf die (Dritt)sicherheiten und im Ergebnis damit gegen Dritte richtet, die in der Regel intern (gegenüber dem Schuldner) nicht verpflichtet sind. Der regresspflichtige Mitgesamtschuldner ist zumindest kein typischer Sicherer, aber er ist im Verhältnis zum Hauptschuldner intern verpflichtet. Dann stellt sich die Frage, ob er besser oder schlechter gestellt werden soll als ein echter Sicherer. Die Wertung muss auch davon abhängen, was mit der Forderung gegen den intern verpflichteten S2 geschieht, wenn sie nicht auf den Bürgen übergeht. Die Vorstellung, sie verbliebe beim Gläubiger (der sie dann dem Bürgen abtreten müsse)275, kann im Ergebnis nicht zutreffen, weil der Gläubiger befriedigt worden ist276. Mit der Bürgenleistung hat der Gläubiger unzweifelhaft (§ 774) seine Forderung gegen den gesicherten Gesamtschuldner S1 verloren. Dabei handelt es sich aber nicht lediglich um eine i.S.d. § 425 einzelwirkende Tatsache wie eine Verjährung oder ein abweisendes Urteil; vielmehr verliert der Gläubiger seine Forderung gegen S1, weil er wegen ihr befriedigt worden ist. Auch wenn die Schuld des S1 nicht durch Erfüllung untergegangen ist, muss doch zumindest die grundlegende Wertung des § 422 gelten, dass der Gläubiger, wenn er hinsichtlich der einen Gesamtschuldforderung befriedigt ist, auch die andere verliert. Bleibt die Schuld von S2 also nicht beim Gläubiger, könnte sie erloschen sein, weil weder ein Mitschuldner (§ 426 II) noch ein Bürge (§ 774) von S2 geleistet hat. Die Lage gliche derjenigen, dass ein Dritter nach § 267 für S2 leistete. Doch ein Erlöschen der Forderung benachteiligt den intern freigestellten Mitschuldner S1, weil er dann, wenn er seinem Bürgen dessen Aufwendungen ersetzt hat, keinen Zessi273
So aber Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rz 417; dies., Kreditsicherung, Rz 431. BGH NJW 1972, 437, 439 (24.11.1971) zum Zessionsregress des Versicherers nach § 67 VVG (mit bedenklichem Ergebnis); BAG WM 1990, 734, 737 (12.12.1989) zum Regress des Versorgungsträgers; BGH NJW 2000, 575 (23.11.1999) und OLG Nürnberg, MDR 2002, 912 (18.4.2002) für den Fall der rechtsgeschäftlichen Abtretung; MüKo/Habersack, § 765 Rz 108. Vgl. hierzu Bartels, JZ 2000, 608, und unten, 456 ff. 275 So Schürnbrand, Schuldbeitritt, 147 (soweit der Schuldbeitritt mit der h.L. als nichtakzessorisch gilt); MüKo/Habersack, § 765 Rz 108. 276 Reinicke, NJW 1966, 2143; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rz 416; dies., Kreditsicherung, Rz 431. 274
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VIII. Der Zessionsregress
onsregress mehr gegen S2 hätte. Immerhin hat hier gerade kein außenstehender Dritter den Gläubiger befriedigt, sondern ein Bürge, der bei S1 Regress nehmen kann. Dies spricht dafür, S2 nicht besser zu stellen als im Falle einer Leistung durch S1 selbst277. Mit einem Forderungsübergang muss S2 rechnen. Sofern die Forderung also nicht auf den Bürgen übergeht, muss sie S1 zustehen, auf dessen Rechnung die Gläubigerbefriedigung letztlich erfolgt. B hätte dann zwar im Rahmen seines Regressanspruchs gegen S1 die Möglichkeit, den (gesicherten) Regressanspruch des S1 gegen S2 zu pfänden. Doch auch andere Gläubiger von S1 könnten auf diesen Regressanspruch zugreifen. Im Ergebnis geht es also um eine Konkurrenz zwischen B und den Gläubigern des S1. Steht die Gläubigerforderung von Anfang an S1 zu, ist B in derselben Lage wie ein Bürge, der für einen Hauptschuldner gezahlt hat, der eine rein vertragliche Regressforderung gegen einen nicht selbst haftenden Dritten hat. Diese Forderung geht nicht auf den Bürgen über. Dann stellt sich die Frage, warum etwas anderes gelten soll, wenn der Hauptschuldner zugleich Gesamtschuldner ist. Die Besonderheit beim Bürgen für einen regressberechtigten Gesamtschuldner ist die, dass seine Schuld über das Zwischenglied der Schuld des gesicherten Gesamtschuldners auch in Solutionskonkurrenz (von Subrogationen zum Zwecke des Regresses einmal abgesehen) zur Schuld des anderen Gesamtschuldners steht. Ist der gesicherte Schuldner S1 insolvent, hat der Gläubiger die Wahl, ob er auf S2 oder auf den Bürgen von S1 zugreift. Hält er sich an S2, hat dieser unzweifelhaft keinen Regress gegen B, sondern muss die Schuld letztlich allein tragen. Dieses Ergebnis sollte sich nicht dadurch ändern, dass der Gläubiger statt auf S2 auf B zugreift. Das Wahlrecht des Gläubigers verlangt also, ebenso wie bei einer gewöhnlichen Gesamtschuld, einen Rückgriff des intern nicht verpflichteten B. Ein solcher Regress wäre zwar auch in Form einer einfachen Rückgriffskondiktion wegen Schuldbefreiung denkbar. Diese würde nicht die von S2 gestellten Sicherheiten umfassen, so dass sie dann in die Hände der Gläubiger des S1 fallen könnten. Aus § 774 und § 426 II ergibt sich aber, dass der Gesetzgeber im Falle der Solutionskonkurrenz zwischen mehreren Schuldnern durch einen Forderungsübergang jede Art von Glücksspiel vermeiden will. Sind also sowohl S1 als auch S2 insolvent und ist die Schuld des S2 dinglich gesichert, so soll es nicht von der Wahl des Gläubigers abhängen, ob er sich mittels der Sicherheit an den letztlich verpflichteten S2 hält oder ob er auf B zugreift, der dann mangels Forderungsübergang seinen Regress nicht durchsetzen kann. Im Ergebnis besteht zwischen B und S2 also ein zumindest gesamtschuldähnliches Verhältnis, bei dem die Kombination der Wertungen des § 774 und des § 426 II zu einem Zessionsregress führen muss. Zuzustimmen ist daher der herrschenden Lehre, wonach die Gläubigerforderung gegen S2 B zusteht, solange S1 nicht an B geleistet hat. Entsprechendes gilt zugunsten desjenigen Dritten, der für die Schuld eines intern freigestellten Ge277 Ebenso Reinicke, NJW 1966, 2143; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rz 416; dies., Kreditsicherung, Rz 431; Staud/Noack, § 426 Rz 231.
8. Das Schicksal der akzessorischen Sicherheiten
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samtschuldners eine Hypothek oder ein Pfandrecht bestellt: Befriedigt er den Eigentümer, geht auf ihn nicht nur nach § 1143 I bzw. § 1225 die Forderung gegen den gesicherten Gesamtschuldner, sondern auch gegen den regresspflichtigen Mitschuldner über278.
c) Drittsicherheiten für die Schuld des regresspflichtigen Gesamtschuldners Wesentlich umstrittener ist die Lage, wenn die Drittsicherheit für die Schuld des regresspflichtigen Gesamtschuldners bestellt wurde. Ist S1, für dessen Schuld B sich verbürgt hat, im Innenverhältnis allein belastet, soll nach Rechtsprechung279 und Literatur280 grundsätzlich Folgendes gelten: Leistet S2 an den Gläubiger, geht nach § 426 II die Forderung gegen S1 in voller Höhe auf ihn über und damit auch nach §§ 412, 401 die Bürgenschuld in voller Höhe. S2 kann also bei B Regress nehmen. Leistet umgekehrt B, geht zunächst einmal nur die Forderung gegen S1 nach § 774 auf ihn über. Ein Übergang der Forderung gegen S2 setzt nach dem im vorangegangenen Abschnitt Gesagten voraus, dass S2 gegenüber S1 regresspflichtig ist. Da S2 gegenüber S1 aber freigestellt ist, geht die Forderung gegen S2 nicht auf B über. Umstritten ist aber, ob von diesen Regeln dann eine Ausnahme gemacht werden soll, wenn B und S2 funktional gleichrangige Sicherer der Schuld des S1 sind. So können etwa für die Schuld des S1, der ein Darlehen aufnimmt, seine beiden Freunde B und S2 Sicherheiten stellen, indem B für S1 bürgt und S2 der Schuld beitritt. Hier wird argumentiert, dass es für den Ausgleich zwischen B und S2 nicht darauf ankommen dürfe, in welcher Form sie gegenüber dem Gläubiger gesichert haben: Stets sei ein anteiliger Ausgleich wie bei mehreren gleichartigen Sicherern durchzuführen. Sofern kein anderer Anhaltspunkt ersichtlich ist, soll jeder einen gleichen Anteil am Ausfall des Hauptschuldners tragen281. Leistet S2 an 278
Reinicke/Tiedtke, Kreditsicherung, Rz 1113. BGHZ 46, 14, 15 (14.7.1966); OLG Celle, ZIP 1980, 1077, 1078 (2.10.1980, obiter); BGH NJW 1991, 97 (20.9.1990); ebenso schon für die bürgerlich-rechtliche Bürgschaft im Wechselrecht BGHZ 35, 19 (6.4.1961). Anders soll es sich verhalten, wenn B sich nicht für die Schuld des S1 selbst verbürgt hat, sondern nur für die Pflicht des S1, dem Gläubiger den Vorschuss zurückzuzahlen, falls es nicht zur Erfüllung kommt. Erfüllt dann S2 den vom mittlerweile insolventen S1 intern zu tragenden Teil, soll der Bürge frei sein, weil die Rückzahlungspflicht als gesicherte Schuld nicht entstanden ist, BGHZ 72, 267 (8.11.1978). Auch diese Wertung ist keineswegs selbstverständlich. 280 Reichel, Schuldmitübernahme, 483; Reinicke, NJW 1966, 2144 ff.; Tiedtke, WM 1976, 178; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rz 420, 423; dies., Kreditsicherung, Rz 432, 434; Lumm, Ausgleich, 147 ff.; Staud/Horn, § 774 Rz 17; Staud/Noack, § 422 Rz 36, § 426 Rz 230; Erman/Ehmann, § 426 Rz 80; grundsätzlich anders Soergel/Pecher, § 774 Rz 6. 281 Medicus, Bürgerliches Recht, Rz 944; Wacke, AcP 170 (1970), 63; Schlechtriem, FS von Caemmerer (1978), 1028 ff.; Schmitz, FS Merz (1992), 553; Wernecke, Gesamtschuld, 148 f.; Schürnbrand, Schuldbeitritt, 141 ff.; Soergel/Wolf, § 426 Rz 10; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 46, 51; Staud/Noack, § 426 Rz 242; Hadding/Häuser/Welter, Bürgschaft und Garantie, 654; Erman/Seiler (10. Aufl.), § 774 Rz 14; MüKo/Habersack, § 765 Rz 108, § 774 Rz 28 (für den allerdings der si279
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VIII. Der Zessionsregress
den Gläubiger, geht auf ihn die Bürgenforderung nach § 426 II dann nur zur Hälfte über. Leistet der Bürge, wird die Verpflichtung des S2 wie eine weitere Bürgschaft für S1 angesehen, so dass auf B analog §§ 769, 426 II, 774 II oder auf dem Weg des §§ 774, 412, 401 die Schuld des S2 zur Hälfte übergeht. Das Problem ist hier ein grundsätzlich anderes als das im vorangegangenen Abschnitt erörterte. Dort war S1, für dessen Schuld B bürgte, der intern freigestellte Gesamtschuldner, und es war klar, dass im Verhältnis zwischen B und S2 im Ergebnis S2 die Last tragen muss. Weil dieses Ergebnis sofort erzielt wird, wenn der Gläubiger S2 in Anspruch nimmt, nicht aber unbedingt, wenn der Gläubiger auf B zugreift, ging es darum, durch den Zessionsregress für B sicherzustellen, dass die Auswahlentscheidung des Gläubigers im Ergebnis keine Rolle spielt. Hier dagegen geht es um die Wertung, wer bei Insolvenz des materiellen Alleinschuldners S1 die Last tragen soll, nicht um ein Problem der Gläubigerwillkür. Nach der einen Ansicht trägt stets der Bürge die Last, unabhängig davon, ob der Gläubiger auf B oder auf S2 zugreift. Nach der anderen Ansicht wird die Last stets aufgeteilt. Die Frage ist, ob das Gesetz eine Wertung bereithält, wonach im Verhältnis zwischen Bürgen und Mitschuldner entweder der Bürge oder der Mitschuldner oder beide anteilig die Last zu tragen haben. Reinicke findet eine solche Wertung in § 426 II, wonach auf den leistenden Gesamtschuldner nicht nur die Forderung gegen den anderen regresspflichtigen Gesamtschuldner, sondern auch die Bürgenforderung übergeht, während ein Zessionsregress des Bürgen gegen den Mitschuldner nicht vorgesehen ist. Dies zeige, dass nach der gesetzlichen Wertung der Bürge vorrangig hafte282. Zwingend ist dieses Argument aber nur, wenn der Gesetzgeber sich tatsächlich Gedanken über die Rangfolge zwischen Bürgen und Mitschuldnern gemacht hätte. § 426 II betrifft zunächst einmal nur die Forderung gegen den anderen Gesamtschuldner selbst. Die Bürgenforderung geht nur wegen §§ 412, 401 mit über. Demnach gelangt man wieder zur schon oben angesprochenen Frage, ob und mit welchem Grund § 401 auf akzessorische Sicherheiten begrenzt ist. § 401 kann den Zweck haben, ein Auseinanderfallen von Forderungs- und Sicherungsinhaber zu verhindern283. Die Sicherheit folgt danach grundsätzlich der Forderung. Sollte der Übergang der Sicherheit ausnahmsweise abgedungen sein,
282 chernde Schuldbeitritt keine Gesamtschuld begründet, vor § 765 Rz 12 ff.); OLG Celle, NJW 1986, 1761; OLG Hamm, OLGZ 1990, 336 (4.10.1989); wohl auch Staud/Horn, § 774 Rz 19, 63 f., 73 f.; der Sache nach auch Soergel/Pecher, § 774 Rz 6; ebenso zum österreichischen Recht Mader, JBl 1988, 293; für einen Ausgleich (nur) nach § 426 I Bülow, Kreditsicherheiten, Rz 1607. Diese Lösung wird auch in den PEL Personal Security (Art.1:106–108) und im DCFR (Art. IV.G-1:104– 106) vorgeschlagen. Vgl. auch BGH NJW 1972, 437, 439 (24.11.1971) und BAG WM 1990, 734, 737 (12.12.1989), wonach beim Zessionsregress des Versicherers bzw. Versorgungsträgers die Schuld des sichernden Mitschuldners sogar voll auf den Regredienten übergehen soll. 282 Reinicke, NJW 1966, 2144 f. 283 So insbesondere Schürnbrand, Schuldbeitritt, 131 ff.; kritisch gegen diese Funktion BeckerEberhard, Sicherungsrechte, 504 ff.
8. Das Schicksal der akzessorischen Sicherheiten
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geht sie unter, weil sie als isolierte Sicherheit nicht bestehen kann. In dieser Lesart ist § 401 eine Ausprägung des Akzessorietätsprinzips und daher auf Bürgschaften, nicht aber auf die nichtakzessorischen Gesamtschulden anwendbar. Wenn aber § 401 lediglich eine technische Konsequenz aus dem Akzessorietätsprinzip zieht, ist der Vorschrift eine Wertung über das Regressverhältnis zwischen verschiedenen Sicherern nicht zu entnehmen. Die Selbständigkeit oder Unselbständigkeit einer Sicherheit gibt darüber Auskunft, wie eng die Sicherheit mit der gesicherten Forderung verknüpft ist, nicht darüber, ob der Sicherungsgeber im Vergleich zu anderen Sicherungsgebern vorrangig oder nachrangig haftet. Dementsprechend behandelt die herrschende Lehre Hypotheken und Grundschulden beim Ausgleich mehrerer Sicherungsgeber grundsätzlich gleich. § 401 führt hier lediglich dazu, dass die akzessorische Hypothek (in Höhe der Regressberechtigung) automatisch auf den Regressberechtigten übergeht, während die nichtakzessorische Grundschuld vom Gläubiger besonders übertragen werden muss284. Bei den nichtakzessorischen Gesamtschulden scheidet eine Übertragungspflicht des Gläubigers allerdings aus, weil die Forderung wegen § 422 dem Gläubiger nicht mehr zur Verfügung steht, sofern der Sicherer eines anderen Gesamtschuldners leistet. Die Gesamtschuld ist wegen §§ 422, 426 II nicht ganz so selbständig wie fiduziarische Sicherheiten. Weil die Schuld eines Gesamtschuldners ohnehin automatisch auf einen an den Gläubiger Leistenden übergehen kann, nämlich nach § 426 II auf einen Mitgesamtschuldner oder nach § 774 auf einen Bürgen dieses Gesamtschuldners, spricht grundsätzlich nichts dagegen, einen automatischen (Teil-)Übergang auch zugunsten des Sicherers eines anderen Gesamtschuldners anzunehmen, etwa durch eine analoge Anwendung der §§ 769, 774 II. Sieht man also § 401 lediglich als Folge des Akzessorietätsprinzips an, enthält die Vorschrift keine Wertung, dass der Bürge gegenüber dem Mitgesamtschuldner vorrangig haften muss. Sie ist zwar nicht auf Gesamtschulden anwendbar, steht einem Ausgleich zwischen Bürgen und Mitgesamtschuldner aber auch nicht entgegen. Ein anderer Zweck von § 401 könnte sein, dem mutmaßlichen Parteiwillen im Falle einer rechtsgeschäftlichen Abtretung zur Wirkung zu verhelfen285. Danach entspricht es grundsätzlich dem Interesse der Parteien eines Abtretungsvertrags, dass eine akzessorische Sicherheit nicht untergeht, sondern dem Zessionar zur Verfügung steht. In dieser Lesart spricht nichts dagegen, auch nichtakzessorische Sicherheiten auf den Zessionar übergehen zu lassen, sofern dies dem mutmaßlichen Parteiwillen entspricht286. Wird eine Forderung gegen einen Gesamtschuldner abgetreten, spricht viel dafür, dass die Parteien auch einen Übergang der Forderungen gegen Mitgesamtschuldner beabsichtigten, zumindest dann, wenn diese die abgetretene Forderung sichern sollten. Mit dieser Erwägung wenden 284
Unten, 472 ff. So insbesondere von Rintelen, Übergang, 147 ff.; hierzu auch Becker-Eberhard, Sicherungsrechte, 519 ff. 286 Zur Auslegung Becker-Eberhard, Sicherungsrechte, 534 ff. 285
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VIII. Der Zessionsregress
Rechtsprechung und herrschende Lehre bei rechtsgeschäftlichen Abtretungen § 401 analog auf den sichernden Schuldbeitritt an287. Die Erwägungen zur Frage, wie weit der mutmaßliche Parteiwille bei einer rechtsgeschäftlichen Abtretung reicht, sind aber ganz andere als bei der Frage, ob im Verhältnis zwischen Bürgen und Mitgesamtschuldner der Bürge oder der Mitschuldner vorrangig haftet. Auch hier rächt es sich, dass der Gesetzgeber bei der Legalzession zu Regresszwecken mit § 412 schlicht auf die Vorschriften zur rechtsgeschäftlichen Abtretung verwiesen hat. Die Subrogation ist eben kein gewöhnlicher Forderungsübergang. Die Frage, welche von Dritten gestellten Sicherheiten (im weiten Sinne) von einer Subrogation erfasst werden, muss daher im Kontext der Subrogation selbst beantwortet werden. Hier leuchtet es zumindest nicht unmittelbar ein, den Bürgen, der nur für eine materiell fremde Schuld haftet, schlechter zu stellen als den Mitschuldner, der selbst schuldet. Es wird daher auch gerade umgekehrt die Ansicht vertreten, dass stets der Bürge privilegiert werden müsse, also für seinen Regress auf den Mitschuldner zugreifen und umgekehrt von diesem nicht in Anspruch genommen werden könne288. Aber auch diese Rangfolge erscheint nicht zwingend. Immerhin lehnt sich der Bürge akzessorisch an die Schuld des S1 an und teilt damit ihr Schicksal, während S2 gerade eine unabhängige andere Schuld begründet. Auch im Außenverhältnis zum Gläubiger gibt es keine eindeutige Rangfolge zwischen Bürgschaft und Schuldbeitritt: Der Bürge haftet einerseits schärfer, weil er stets auch für Schadensersatzverbindlichkeiten des Hauptschuldners eintreten muss, andererseits auch milder, weil er von jeder Befreiung des Hauptschuldners profitiert. Gibt der Gläubiger eine vom Hauptschuldner gestellte Sicherheit auf, wird der Bürge nach § 776 (teilweise) frei, während der Mitgesamtschuldner nach zumindest herrschender Lehre nicht von dieser Vorschrift profitieren kann, sondern auf seinen nun ungesicherten Gesamtschuldregress verwiesen ist289. Insofern kann von einer klaren Rangfolge nicht gesprochen werden290. Die Lösung eines Anteilsregresses wird von ihren Befürwortern zumeist auf den Fall beschränkt, dass der Mitschuldner seine Verpflichtung nur zur Siche-
287 BGH NJW 2000, 575 (23.11.1999); Bülow, Kreditsicherheiten, Rz 1596; Graf Lambsdorff/ Skora, Bürgschaftsrecht, Rz 285; MüKo/H. Roth, § 401 Rz 9; Staud/Busche, § 401 Rz 31; Jauernig/ Stürner, § 401 Rz 2; Scheying/Nörr, in: Nörr/Scheying/Pöggeler, Sukzessionen, § 5 I 3 c; Weigelin, Schuldbeitritt, 87 ff.; ausführlich Derleder, FS Heinrichs (1998), 155, 172 f. Dagegen Reichel, Schuldmitübernahme, 455 f.; Bartels, JZ 2000, 608; Schürnbrand, Schuldbeitritt, 130 ff. 288 Schulz, Rückgriff, 51 f.; Martens, BB 1971, 769 f.; ebenso für die bürgerlich-rechtliche Bürgschaft im Wechselrecht Jerusalem, NJW 1962, 725; vgl. auch Hruza, SächsArch 5 (1895), 295; und zum französischen Recht Mestre, Subrogation, §§ 423, 467, 473. Nach Wilhelm, Sachenrecht, Rz 1808, sollen bei der Sicherung der Schuld eines Gesamtschuldners durch eine Grundschuld am Grundstück eines Dritten dem ablösenden Eigentümer die Gläubigerforderungen gegen beide Gesamtschuldner zustehen. 289 Nachweise oben, Fn. 249–250. 290 Ebenso Schmitz, FS Merz, 555 ff.; Schürnbrand, Schuldbeitritt, 143 ff.
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rung der Schuld des Hauptschuldners übernommen hat291. Wann allerdings eine solche Sicherung vorliegen soll, wird dabei nicht immer klar. Das Kriterium eines nachträglichen Schuldbeitritts ist nicht geeignet, weil ein solcher Schuldbeitritt nicht nur zur Sicherung, sondern auch dann vereinbart werden kann, wenn der Schuldbeitretende im Innenverhältnis die gesamte Schuld übernehmen will und der Gläubiger den ersten Schuldner nicht entlässt. Stellt man tatsächlich auf die Sicherungsfunktion ab, müsste man konsequenterweise auch den Gesamtschuldner als Sicherer ansehen, der von Anfang an mitschuldet, ohne ein eigenes Interesse am Geschäft zu haben. Für den Gläubiger ist es allerdings nicht immer erkennbar, ob die Gesamtschuld auf einer Interzession beruht oder nicht. Dann fragt es sich aber, ob nicht auch bei einem Darlehen, das die Gesamtschuldner unter sich aufteilen, jeder Gesamtschuldner zur Hälfte die Schuld des anderen absichert, mit anderen Worten: ob nicht bei jeder Gesamtschuld jeder Gesamtschuldner den Teil funktional sichert, den er im Innenverhältnis nicht selbst zu tragen hat. Folgt man dem, käme auch eine Lösung in Betracht, wonach zumindest bei Insolvenz des Hauptschuldners ein anteiliger Ausgleich zwischen sämtlichen Sicherern und Mitgesamtschuldnern analog § 426 stattfindet292. Im Ausgangsbeispiel wären dann B und S2 mit je 0%, S1 mit 100% belastet. Wenn aber S1 insolvent ist, wären B und S2 nach § 426 I 2 je zur Hälfte verpflichtet. Leistet einer von ihnen dann an den Gläubiger, würde die Forderung gegen den anderen zur Hälfte auf ihn übergehen. Statt dessen ist es auch möglich, den Sicherungs-Schuldbeitritt von der gewöhnlichen Gesamtschuld durch klare, nach außen erkennbare Kriterien abzugrenzen. So will ein Teil der Literatur einen sichernden Schuldbeitritt nur dann annehmen, wenn der Sicherungszweck des Beitritts mit dem Gläubiger vereinbart war. Im Verhältnis zur Hauptschuld sollen dann nicht mehr die §§ 421 ff. gelten, sondern die Regeln zur Akzessorietät293. Nur für diese Mitverpflichtung soll dann § 401 anwendbar sein294. Leistet also ein Bürge des Hauptschuldners, gehen auf ihn nicht die Forderungen gegen Mitgesamtschuldner, sondern nur Forderungen gegen Sicherungs-Beitretende über. Eine solche Lösung verlangt aber ebenso wie die Lösung, wonach Forderungen gegen Mitschuldner überhaupt nicht auf Bürgen übergehen, eine grundsätzliche Klärung der Frage, warum ein sichernder Schuldner schlechter gestellt werden soll als ein nichtsichernder. Nach dem oben Gesagten kann die Wertung des § 401 bei der Subrogation nicht ausschlaggebend sein, bei der eine gesetzliche Rangfolge unter verschiedenen Schuldnern und Sicherern gefunden werden muss, die für dasselbe Leistungsinteresse des Gläubigers haften. Hier ist es alles andere als selbstverständ291 Ohne diese Beschränkung dagegen offenbar Hadding/Häuser/Welter, Bürgschaft und Garantie, 654; nicht ganz klar Medicus, BürgR, Rz 944. 292 So früher Ehmann, Gesamtschuld, 362; und heute Erman/Ehmann, § 426 Rz 80 für den Fall, dass der Sicherer die Gesamtschuld im Ganzen sichert. 293 MüKo/Habersack, vor § 765 Rz 12 ff.; vgl. ders., JZ 1997, 864 f.; in diese Richtung auch Schürnbrand, Schuldbeitritt, 118 ff., 161 ff., 194 ff.; Bülow, Kreditsicherheiten, Rz 1579 ff., 1600. 294 MüKo/Habersack, § 765 Rz 108, § 774 Rz 28; Schürnbrand, Schuldbeitritt, 137.
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lich, dass ein Sicherer, der im Verhältnis zum Hauptschuldner gerade nicht verpflichtet ist, immer auch Regressansprüche Dritter absichern muss. Eine „richtige“ Lösung gibt es bei dieser Streitfrage wohl ebenso wenig wie bei der verwandten Streitfrage zum Ausgleich zwischen ungleichartigen Sicherern derselben Schuld. Wer dort jede Rangfolge ablehnt und einen anteiligen Ausgleich sämtlicher Sicherer favorisiert, muss sich die Frage stellen, warum ein intern freigestellter Gesamtschuldner dann nicht auch einen Beitrag leisten muss, wenn er davon profitiert, dass sich für den anderen Gesamtschuldner ein Sicherer gefunden hat, der bei Leistung an den Gläubiger auch den freigestellten Gesamtschuldner befreit und ihn davon entlastet, das Insolvenzrisiko des anderen Gesamtschuldners allein zu tragen. Auf der anderen Seite hat die Lösung einer „Haftungseinheit“ zwischen dem einzelnen Gesamtschuldner und seinen Sicherern295 den pragmatischen Vorteil, dass die Ausgleichsansprüche bei mehreren, jeweils einfach oder sogar mehrfach besicherten Gesamtschuldnern wesentlich einfacher zu handhaben sind.
d) Aus dem Schuldnervermögen bestellte Sicherheiten Schließlich kann die Sicherheit in Form eines Pfandrechts oder einer Hypothek auch von einem Gesamtschuldner selbst stammen. Bestellt er sie zur Sicherung seiner eigenen Schuld, liegt geradezu der Musterfall des § 426 II vor. Die Sicherheit geht zusammen mit der Forderung auf den anderen leistenden Gesamtschuldner über, soweit dieser regressberechtigt ist. Nimmt man aber die oben dargestellte Differenzierung nach der gesicherten Schuld vor, müsste es auch möglich sein, dass ein Gesamtschuldner „die Gesamtschuld“ als solche sichert, mit der Folge, dass bei Leistung des regressberechtigten anderen Gesamtschuldners zwar die Forderung, nicht aber die Sicherheit übergeht. Tatsächlich nimmt ein Teil der Literatur offenbar an, dass mittels § 426 II nur diejenigen Sicherheiten übergehen, die ein Gesamtschuldner gerade für seine eigene Schuld bestellt hat296. Die Rechtsprechung und ein anderer Teil der Literatur scheinen dagegen mehr oder weniger unausgesprochen davon auszugehen, dass es keinen Unterschied macht, ob der Gesamtschuldner die Sicherheit für „seine Schuld“ oder für „die Gesamtschuld“ bestellt hat297; auch die Tatbestände der veröffentlichten Urteile machen nicht immer deutlich, wofür genau die Sicherheit bestellt wurde. Grundlage dieser Haltung mag die verbreitete Einheits-Vorstellung sein, wonach der leistende Gesamtschuldner auf „die“ Forderung leistet, die dann zum Teil auf ihn übergeht298. Für eine Differenzierung danach, ob eine 295
So Lumm, Ausgleich, 144 ff.; heute Erman/Ehmann, § 426 Rz 80. Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 84; dies., Kreditsicherung, Rz 77. 297 Für einen Übergang der von S1 für die Gesamtschuld bestellten Hypothek auf den regressberechtigten S2 nach § 426 II ausdrücklich A. Dieckmann, WM 1990, 1482. 298 Zur Literatur oben, Fn. 156; aus der Rechtsprechung etwa RGZ 65, 414, 417 f. (3.4.1907). 296
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Einzel- oder die Gesamtschuld gesichert wurde, ist dann kein Platz. Im Parallelfall der fiduziarischen Sicherheiten ist es für die Rechtsprechung sogar selbstverständlich, dass auch eine von einem oder von allen Gesamtschuldnern für die Gesamtschuld selbst bestellte fiduziarische Sicherheit für den Regress des leistenden Gesamtschuldners fruchtbar gemacht werden kann299. Im Ergebnis erscheint dies auch richtig. Historisch wurde bei der Frage, ob ein Gesamtschuldner die von einem anderen Gesamtschuldner gestellte Sicherheit für Regresszwecke verwenden kann, keine Unterscheidung danach getroffen, für was genau die Sicherheit bestellt wurde. Eine solche Unterscheidung setzt ein Mehrheitsmodell mit einer klaren Abgrenzung zwischen der einzelnen Schuld und dem übergreifenden Gesamtschuldverhältnis voraus, die es vor 1900, als man über die Frage stritt, ob es sich bei der Gesamtschuld um eine oder mehrere oder um Glied- oder Sonderobligationen handelt, schlicht nicht gab. Auch sachlich will es nicht einleuchten, dass die entscheidende Frage, ob der regressberechtigte Gesamtschuldner von den vom anderen Gesamtschuldner gestellten Sicherheiten profitieren kann, vom gewissermaßen zufälligen Umstand abhängt, ob die Sicherheit nur für die einzelne Schuld oder für die Gesamtschuld gestellt wurde. In der Praxis wird den Parteien diese Unterscheidung häufig wohl gar nicht bewusst sein. Ein Ergebnis, wonach es bei von einem Gesamtschuldner gestellten Sicherheiten nicht darauf ankommt, wofür genau sie bestellt wurden, lässt sich allerdings bei fiduziarischen Sicherheiten leichter erreichen als bei der Legalzession. Fiduziarische Sicherheiten gehen nach ganz herrschender Lehre nicht von selbst über, sondern bedürfen der Übertragung durch den Gläubiger, wozu er nach herrschender Meinung verpflichtet sein soll. Hier kann man annehmen, dass der Gläubiger verpflichtet ist, dem regressberechtigten leistenden Gesamtschuldner sämtliche vom anderen Gesamtschuldner gestellte Sicherheiten zu übertragen, unabhängig davon, ob sie seine Schuld oder die Gesamtschuld sicherten. In beiden Fällen befindet sich die Sicherheit schließlich noch im Gläubigervermögen. Bei der Legalzession nach § 426 II dagegen stellt sich die Frage, ob eine für die Gesamtschuld gestellte Sicherheit überhaupt noch besteht, wenn ein Gesamtschuldner geleistet hat. Bei der Bürgschaft für eine Gesamtschuld wurde argumentiert, dass sie erlischt, wenn einer der Gesamtschuldner leistet. Dann ist es schwierig zu erklären, warum diese von Gesetz wegen eintretende Folge bei einer vom Gesamtschuldner für die Gesamtschuld gestellte Sicherheit nicht eintreten soll, obwohl das Gesetz, insbesondere § 426 II, keinen Unterschied danach macht, wer die Sicherheit gestellt hat. Möglich wäre eine Auslegungsregel, wonach die Sicherheitenbestellung durch einen Gesamtschuldner stets so zu verstehen ist, dass nur die Schuld des Gesamtschuldners selbst gesichert werden soll. Bestellen beide Gesamtschuldner zusammen eine Sicherheit, etwa in Form eines Pfandrechts an einer gemeinsamen Sa299 So in RGZ 91, 277 (26.11.1917); BGHZ 80, 228, 233 (27.3.1981), wohl auch BGH WM 1995, 523 (31.1.1995).
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che, könnte man annehmen, dass jeder Gesamtschuldner seinen Miteigentumsanteil verpfändet, und zwar für die jeweils ihn treffende Schuld. Ist die Sicherheit nicht so aufteilbar, weil sie Gegenstand eines Gesamthandsvermögens ist, könnte man annehmen, dass die verpfändete Sache sowohl die Forderung gegen den einen als auch die Forderung gegen den anderen Gesamtschuldner sichert. In all diesen Fällen handelte es sich dann nicht um eine „für die Gesamtschuld“ bestellte Sicherheit, so dass sie dem leistenden Gesamtschuldner in Höhe seines Regressrechts zur Verfügung stünde. Diese Lösung führt aber zu Problemen, wenn ein Gesamtschuldner ausdrücklich erklärt, die Sicherheit solle nicht seine, sondern die Gesamtschuld sichern. Bei Hypotheken käme zudem in Frage, dass in der Eintragungsbewilligung bzw. im Grundbuch (§ 1115)300 als Schuldner der gesicherten Forderung beide Gesamtschuldner zusammen bezeichnet sein könnten. Vor allem aber würde eine Auslegungsregel nicht helfen, wenn die Sicherheit zwar zum Schuldnervermögen gehört, aber nicht von den Gesamtschuldnern selbst bestellt wurde. Dies kommt in Betracht, wenn der Erblasser für seine Schuld eine Hypothek oder ein Pfandrecht bestellt hat und von mehreren, nach § 2058 als Gesamtschuldner haftenden, Miterben beerbt wird. Hier lässt sich kaum bezweifeln, dass die Sicherheit nicht die Einzelforderung gegen einen Miterben sichert, sondern die Schuld als solche, die mit dem Erbfall zum Gesamtschuldverhältnis wurde. Demnach stellt sich die Frage, ob ein leistender Miterbe E1 nach § 426 II für seinen Regress auf die auf dem Nachlass lastende Sicherheit zurückgreifen kann. Da der Zessionsregress nur akzessorisch zum eigenen Rückgriff i.S.d. § 426 I besteht, muss zunächst geklärt werden, was E1 aus eigenem Recht verlangen kann. Grundsätzlich besteht nach § 426 I ein Anteilsregress, bei dem allerdings in zweierlei Hinsicht „ein anderes bestimmt ist“: Zum einen sind statt der Kopfteile die Erbquoten maßgebend. Zum anderen kann ein Miterbe vor der Teilung nach dem Gedanken des § 2059 I nicht zur, und sei es nur anteilsmäßigen, Leistung aus seinem Eigenvermögen gezwungen werden301. Nach dem Innenverhältnis sind die Nachlassgläubiger in erster Linie aus dem Nachlass zu befriedigen. Die herrschende Meinung gewährt E1 daher für seinen Regress einen Zugriff ins Gesamthandsvermögen302. Im Ergebnis kann er von jedem Miterben die Duldung der Zwangsvollstreckung in den Nachlass verlangen. Mit diesem begrenzten Klageziel gehen dann auch nach § 426 II die Forderungen des Gläubigers gegen die Miterben auf ihn über. Nach ganz herrschender Lehre geht dann auch eine vom Erblasser bestellte, den Nachlass belastende Hypothek zumindest in der Höhe der Summe der Re300 Die Person des Schuldners muss bezeichnet werden, wenn sie nicht mit der Person des Eigentümers übereinstimmt, und zwar nach herrschender Ansicht in der Eintragungsbewilligung (stellvertretend Staud/Wolfsteiner, § 1115 Rz 40), nach a.A. im Grundbuch selbst (MüKo/Eickmann, § 1115 Rz 21). 301 Vgl. zur Miterbenhaftung oben, 141 ff. 302 Staud/Marotzke, § 2058 Rz 37; MüKo/Heldrich, § 2058 Rz 30; BamR/Lohmann, § 2058 Rz 12.
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gressansprüche gegen die Miterben auf E1 über303. Grundlage dieses Übergangs soll § 426 II sein. Im Ergebnis zerlegt sich die Hypothek in Teilhypotheken, welche die einzelnen anteiligen Regressforderungen von E1 gegen seine Miterben sichern. Umstritten ist lediglich, ob die Hypothek auch für den Anteil, der intern E1 zur Last fällt, auf ihn übergeht. Eine Meinung verweist darauf, dass die Gläubigerforderung in Höhe des Anteils von E1 mangels Forderungsübergang erlischt. Die Hypothek soll daher in Höhe des Anteils von E1 nach §§ 1163 I 2, 1177 zur Eigentümergrundschuld der Erbengemeinschaft werden304. Eine zweite Ansicht wendet für diesen Teil der Hypothek § 1164 an: E1 hat als persönlicher Schuldner (§ 2058) eine Forderung (nämlich die Gläubigerforderung in Höhe seines Anteils) getilgt, die nach dem Innenverhältnis der Erbengemeinschaft bzw. dem Gesamthandsvermögen zur Last fiel, so dass die Hypothek insoweit auf ihn übergeht und nun seinen Regress gegen die Erbengemeinschaft sichert305. Eine dritte Ansicht eröffnet E1 auch ohne § 1164 den Zugriff auf die gesamte Hypothek, sei es über § 426 II oder über eine analoge Anwendung des § 774306. Der Streit über das Schicksal des Hypothekenteils, der dem Anteil des E1 entspricht, ist hier nicht von primärer Relevanz. Der Ansatz, auf einen Teil der Hypothek § 426 II, auf einen anderen § 1164 anzuwenden, erscheint allerdings weniger überzeugend. Bei drei Miterben, die zu gleichen Teilen erben, würde das der Sache nach bedeuten, dass die Schuld des Erblassers intern zu einem Drittel von E2, zu einem Drittel von E3 und zum letzten Drittel von der Erbengemeinschaft insgesamt zu tragen wäre; zudem hilft er nicht weiter, wenn auf dem Nachlassgegenstand keine Hypothek, sondern ein Pfandrecht lastet. Angesichts dessen, dass die Sicherheit nicht auf dem Eigenvermögen von E2 und E3, sondern auf dem gemeinsamen Gesamthandsvermögen lastet, erscheint daher der Ansatz vorzugswürdig, die gesamte Sicherheit einheitlich auf E1 übergehen zu lassen, weil er damit im wirtschaftlichen Ergebnis auf das Vermögen seiner Miterben nur in Höhe ihres intern zu tragenden Anteils zugreift. In jedem Fall ist es bemerkenswert, dass der Übergang der Hypothek auf den leistenden Miterben, und sei es nur anteilig, grundsätzlich nicht bezweifelt wird, 303 KGJ 50, 206, 209 (15.3.1917); OGHBrZ 1, 42, 44 (1.7.1948); OLG Freiburg, MDR 1950, 484 (16.12.1948); OLG Celle, NdsRpfl 1951, 6 (20.10.1950); Strecker, JR 1951, 582; Staud/Marotzke, § 2058 Rz 37; MüKo/Eickmann, § 1143 Rz 15, § 1163 Rz 29; Soergel/Konzen, § 1163 Rz 17; Staud/Wolfsteiner, § 1163 Rz 56; Palandt/Bassenge, § 1143 Rz 4. 304 KGJ 50, 206, 209 (15.3.1917); OGHBrZ 1, 42, 44 (1.7.1948); Strecker, JR 1951, 583; MüKo/ Eickmann, § 1143 Rz 15, § 1163 Rz 29; Soergel/Konzen, § 1163 Rz 17; Palandt/Bassenge, § 1143 Rz 4; Westermann/Eickmann/Pinger, Sachenrecht II, § 119 III 3. Nach dem Mehrheitsmodell müsste man genauer sagen: Bei Leistung durch E1 erlischt die Forderung gegen E1 vollständig nach § 362; die Forderungen gegen E2, E3 etc. erlöschen in Höhe des Anteils von E1 nach § 422. 305 OLG Freiburg, MDR 1950, 484 (16.12.1948); OLG Celle, NdsRpfl 1951, 6 (20.10.1950); G. und D. Reinicke, MDR 1950, 485 (die § 1164 auf die gesamte Hypothek anwenden wollen); Soergel/Wolf, § 2058 Rz 9 (wonach gerade umgekehrt § 1164 für den Teil gelten soll, für den E1 von der Miterbengemeinschaft Ersatz verlangen kann, nicht aber für den von E1 zu tragenden Anteil). 306 Staud/Marotzke, § 2058 Rz 37; Staud/Wolfsteiner, § 1163 Rz 56, § 1164 Rz 25; für § 774 Bayer, Erbengemeinschaft, 170 ff.
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obwohl die Hypothek für die „Schuld als solche“ bestellt wurde. Die auf dem Nachlass lastenden Sicherheiten stehen danach grundsätzlich für den Gesamtschuldnerausgleich zur Verfügung. Im Ergebnis leuchtet dies auch ein, weil schon der Nachlass als solcher – solange keine endgültige Nachlassseparation stattfindet – dem Miterben zum Ersatz seiner Aufwendungen zur Verfügung steht: Selbst wenn die anderen Miterben insolvent sind und ihre Eigengläubiger ihre Nachlassanteile gepfändet haben, können diese nicht auf die einzelnen Nachlassgegenstände zugreifen, sondern erhalten nach einer Teilung nur den Überschuss, der sich ergibt, nachdem E1 sich wegen seiner Regressforderung befriedigt hat. Wenn E1 also ohnehin auf den Nachlass zugreifen kann, spricht nichts dagegen, ihm auch die Sicherheit zu gewähren. Auch eine Konkurrenz zwischen E1 und weiteren Nachlassgläubigern spricht – solange keine endgültige Separation des Nachlasses stattgefunden hat – nicht gegen eine Überleitung der Sicherheit auf E1. Möglich ist, dass der Nachlass nur noch aus dem belasteten Grundstück besteht und ein zweiter Nachlassgläubiger in dieses Grundstück vollstreckt. Ginge die Hypothek nicht auf E1 über, würde sich der zweite Gläubiger aus dem Grundstück befriedigen. E1 verlöre seine Sicherheit und hätte wegen der Befriedigung des ersten Gläubigers nur noch ungesicherte Ausgleichsansprüche gegen seine Miterben. Steht die Hypothek dagegen E1 zu, kann er sich wegen seiner Leistung an den ersten Gläubiger aus der Hypothek befriedigen. Der zweite Gläubiger wird nicht oder nur anteilig befriedigt. Im Ergebnis ist er wegen seiner Forderung nun schlecht gesichert. Dies muss er aber in Kauf nehmen, weil das Gesamthandsvermögen der Miterben gegenüber Nachlassgläubigern – solange keine Separation stattfindet – nicht gesichert ist. Den Miterben stand es unabhängig von einer Hypothek des E1 frei, das Grundstück zu veräußern und den Erlös E1 zukommen zu lassen. Der zweite Nachlassgläubiger kann aber nun nach § 2058 wegen seiner Nachlassforderung (unter anderem) auf E1 zugreifen. Leistet E1 an ihn, hat er Regressansprüche gegen E2 und E3, die aber nicht gesichert sind, so dass seine Lage im Ergebnis ähnlich wie diejenige ohne Hypothek ist. So selbstverständlich für die herrschende Lehre der (zumindest anteilige) Übergang der auf dem Nachlass lastenden Sicherheiten ist, so wenig spricht sie von einem Übergang der von Dritten gestellten Sicherheiten auf den leistenden Miterben. Tatsächlich ist die Lage hier ganz anders. Hat ein Dritter für die Schuld des Erblassers gebürgt, so würde ein Übergang der Bürgenforderung auf den leistenden Miterben dazu führen, dass der Bürge den Miterben die Durchführung ihres Gesamtschuldausgleichs absichert. Das kann im Ergebnis nicht richtig sein: Der Bürge sicherte nur eine fremde Schuld, für deren Erfüllung nach dem Tod des Erblassers nun die Erben als Hauptschuldner primär zuständig sind. Ein Übergang der Bürgenverpflichtung zugunsten des Hauptschuldners aber findet nicht statt. Auch im Innenverhältnis sind die Miterben als solidarische Schuldner in erster Linie verpflichtet. Dagegen spricht nicht, dass sie eine Vollstreckung in ihr Eigenvermögen nach § 2059 I abwenden können. Diese Vollstreckungsbeschränkung ist gerade nicht dasselbe wie eine Haftungsbeschränkung etwa im Fall der Nachlassverwaltung. Solange zwischen den Miterben und dem Nachlass
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keine endgültige Vermögensseparation stattgefunden hat, sind die Miterben die zuständigen Schuldner. Sie können das ihnen zustehende Gesamthandsvermögen zur Schuldtilgung nutzen; sie können es aber auch verschleudern, womit sie dann ohne die Einrede des § 2059 I als gewöhnliche Gesamtschuldner haften. Es versteht sich von selbst, dass ein Miterbe, der nach gemeinsamer Verschleuderung des Nachlasses einen Nachlassgläubiger befriedigt, sich für den Gesamtschuldausgleich nicht an den Bürgen halten kann. Dasselbe wie für den Bürgen muss für den dinglichen Drittsicherer gelten: Im Verhältnis zu ihm sind die Miterben primär zur Schuldtilgung zuständig und können die Sicherheit nicht zur Absicherung ihres Innenausgleichs verwenden. Leistet daher ein solidarisch schuldender Miterbe an den Gläubiger, ohne dass eine Nachlassseparation stattfindet, dann erlöschen sämtliche von Dritten für die Nachlassforderung bestellten Sicherheiten. Dagegen stehen auf dem Nachlass lastende Sicherheiten grundsätzlich für einen Gesamtschuldnerausgleich zur Verfügung. Insgesamt zeigt der Miterben-Gesamtschuldausgleich also, dass eine Differenzierung danach, ob die Sicherheit aus dem Schuldnervermögen stammt oder von einem Dritten bestellt wurde, sinnvoll ist. Beide Arten von Sicherheiten werden für die „Schuld als solche“ bestellt; doch nur die Schuldner-Sicherheiten sichern zugleich den Gesamtschuldausgleich. Nur kursorisch kann hier die Lage für den Fall angedeutet werden, dass eine Nachlassseparation stattfindet, etwa bei einem Nachlassinsolvenzverfahren. Hier stellt sich das Regressproblem, wenn ein Einzel- oder Miterbe schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Nachlassverbindlichkeit erfüllt hat, für die eine Sicherheit an einem Nachlassgegenstand bestellt war. Der befriedigte Nachlassgläubiger muss nichts herausgeben, auch wenn er bei Teilnahme am Insolvenzverfahren nur eine Quote erhalten hätte. Weil der Nachlass überschuldet ist, konkurriert der Regress begehrende Erbe im Ergebnis mit den übrigen Nachlassgläubigern. Das Gesetz trifft hier eine im Ergebnis nicht ganz überzeugende Regelung. Durfte der Erbe bei der Gläubigerbefriedigung davon ausgehen, dass der Nachlass zur Befriedigung der Gläubiger ausreicht (im Folgenden: der gutgläubige Erbe), hat er einen Aufwendungsersatzanspruch gegen den Nachlass aus §§ 1979, 1978 III, der als Masseverbindlichkeit nach § 324 I Nr. 1 InsO bevorrechtigt, aber nicht dinglich gesichert ist. Musste der Erbe hingegen bei der Gläubigerbefriedigung die Überschuldung des Nachlasses erkennen (im Folgenden: der bösgläubige Erbe), bekommt er keinen Aufwendungsersatzanspruch; statt dessen tritt er aber nach § 326 II InsO (früher § 225 II KO) in die Stellung des befriedigten Gläubigers ein. Damit ist nach ganz herrschender Lehre ein Forderungsübergang und damit auch ein Übergang der Sicherheiten gemeint307. 307 RGZ 55, 157, 160 ff. (1.7.1903); MüKo/Siegmann, § 1979 Rz 5; Staud/Marotzke, § 1979 Rz 14; Soergel/Stein, § 1979 Rz 4; Erman/Schlüter, § 1979 Rz 4; Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 49 Fn. 46; Jaeger/Weber, KO, § 225 Rz 9; Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 225 Rz 2 (= Uhlenbruck/Lüer, InsO, § 326 Rz 3); MüKoInsO/Siegmann, § 326 Rz 6; Gottwald/Döbereiner, InsolvenzrechtsHandbuch, § 114 Rz 10.
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Insofern kann der eigentlich gewarnte bösgläubige Erbe durch den Sicherheitsübergang besser dastehen als der gutgläubige. Ein Teil der Lehre will daher das Eintrittsrecht des § 326 II InsO analog auch dem gutgläubigen Erben gewähren308. Im vorliegenden Zusammenhang sind nur zwei Punkte wichtig. Zum einen geht es hier nicht mehr um den Regress unter Gesamtschuldnern, sondern um die Konkurrenz zwischen Erben auf der einen und Nachlassgläubigern auf der anderen Seite. Die Frage, ob eine Sicherheit auf den leistenden (Mit)erben übergeht, ist daher kein Problem des § 426 II. Sofern man also mit dem Gesetzeswortlaut einen Sicherheitenübergang auf den gutgläubigen Erben verneint, darf dieses Ergebnis nicht durch eine Anwendung des § 426 II umgangen werden. Im Verhältnis zu den Nachlassgläubigern kann es keinen Unterschied machen, ob der befriedigende Erbe Allein- oder Miterbe war und ob er im Verhältnis unter den Miterben mehr oder weniger beitragen musste. Wenn eine endgültige Nachlassseparierung vorliegt und die Erben damit im Ergebnis nicht mehr für die Tilgung der Nachlassverbindlichkeiten zuständig sind, kann eine Vorschrift wie § 426 II, die auf der geteilten Zuständigkeit der Miterben aufbaut, keine Anwendung mehr finden. Will man daher einen Übergang der Sicherheit auch auf den gutgläubigen Erben erreichen, muss man § 326 II InsO analog anwenden. Zum anderen stellt sich auch hier die Frage, ob nicht zwischen Nachlasssicherheiten und Drittsicherheiten zu differenzieren ist. Ein Teil der Lehre ist der Ansicht, dass mit der Forderung, die nach § 326 II InsO auf den Erben übergeht, nur diejenigen Sicherheiten übergehen, die auf dem Nachlass lasten, während Bürgen und dingliche Drittsicherer frei werden309. Die wohl herrschende Lehre will dagegen angesichts des Wortlauts der §§ 412, 401 keinen Unterschied zwischen Schuldner- und Drittsicherheiten machen, so dass der Erbe sich gegebenenfalls auch an den Bürgen halten kann310. Für die herrschende Lehre spricht, dass man angesichts der Nachlassseparation nicht mehr von einer primären Zuständigkeit des Erben für die Berichtigung der Nachlassverbindlichkeiten sprechen kann. Die Insolvenz des Nachlasses als Schuldnervermögen scheint im Gegenteil gerade dasjenige Risiko zu sein, das der Bürge übernommen hat. Zudem hätte sich der vom Erben befriedigte Gläubiger auch an den Bürgen halten können. Die Gegenmeinung verweist allerdings darauf, dass sich diese Wertungen aufgrund des Umstandes, dass der Erbe an den Nachlassgläubiger leistete, geän308 Staud/Marotzke, § 1979 Rz 15; HeidK/Marotzke, InsO, § 326 Rz 6; Graf-Schlicker/Messner, InsO, § 326 Rz 5; von Olshausen, Gläubigerrecht, 210 Fn. 31; dagegen Jaeger/Weber, KO, § 225 Rz 9 (jedoch mit Kritik an der geltenden Regelung); MüKo/Siegmann, § 1979 Rz 4; MüKoInsO/Siegmann, § 326 Rz 5; Geitner, Erbe, 99 ff. 309 von Olshausen, Gläubigerrecht, 211 ff.; Staud/Marotzke, § 1979 Rz 14; HeidK/Marotzke, InsO, § 326 Rz 5. 310 MüKo/Siegmann, § 1979 Rz 5; MüKoInsO/Siegmann, § 326 Rz 6; Soergel/Stein, § 1979 Rz 4; Jaeger/Weber, KO, § 225 Rz 9; Gottwald/Döbereiner, Insolvenzrechts-Handbuch, § 114 Rz 10; wohl auch Erman/Schlüter, § 1979 Rz 4; Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 225 Rz 2 (= Uhlenbruck/Lüer, InsO, § 326 Rz 3); Geitner, Erbe, 100 f.
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dert haben. Der Nachlassgläubiger hat dadurch im Ergebnis mehr erhalten, als ihm eigentlich zugestanden hätte; trotzdem ist er nicht zur Rückzahlung verpflichtet. Dieser Vorteil solle ebenso dem Bürgen zukommen, der den Nachlassgläubiger gesichert hat. Hätte nämlich zunächst der Bürge an den Nachlassgläubiger geleistet und dann vom Erben nach § 774 Regress genommen, hätte der Erbe nicht an den Gläubiger, sondern an den Bürgen geleistet, der diese Leistung ebenso wie der Gläubiger endgültig behalten dürfe311. Wie diese Diskussion zeigt, kann es auch außerhalb des Gesamtschuldausgleichs gute Gründe dafür geben, Schuldnersicherheiten und Drittsicherheiten unterschiedlich zu behandeln. Beim Gesamtschuldnerausgleich selbst erscheint eine solche Differenzierung im Ergebnis unumgänglich. Dies hat sachliche Gründe: Die Interessenlage bei vom Schuldner bestellten und bei Drittsicherheiten ist verschieden. Der Drittsicherheitsgeber sichert eine fremde Schuld, für deren Tilgung er im Regelfall nicht zuständig ist. Leistet er an den Gläubiger, steht ihm daher in der Regel ein Rückgriff gegen den Schuldner zu, den das Gesetz durch einen Forderungsübergang absichert. Greift der Gläubiger hingegen auf eine vom Schuldner bestellte Sicherheit zu, gibt es keinen Regress: Die Schuldnersicherheit war auch für die Tilgung zuständig. Daher spricht grundsätzlich nichts dagegen, die Schuldnersicherheit auch für den Ausgleich unter Gesamtschuldnern fruchtbar zu machen. Die bei von Dritten gewährten Sicherheiten anerkannte Unterscheidung zwischen der Sicherung der Gesamtschuld und der Sicherung einer Einzelforderung ist bei Sicherheiten, die aus dem Schuldnervermögen stammen, nicht sinnvoll. Bestellt einer der Gesamtschuldner eine Sicherheit, kann es von gänzlich anderen Erwägungen oder vom Zufall abhängen, ob er mit dem Gläubiger die Sicherung gerade seiner oder der gesamten Schuld vereinbart. Insofern ist es folgerichtig, wenn die herrschende Lehre und wohl auch Praxis hier gar nicht weiter differenziert. Wie der Regress unter Miterben zeigt, hilft hier allerdings keine Auslegungsregel, wonach von einem Gesamtschuldner gestellte Sicherheiten stets auch seine eigene Verbindlichkeit als solche sichern. Vielmehr stehen die vom Erblasser bestellten und nun den Nachlass belastenden Sicherheiten dem Gesamtschuldausgleich zur Verfügung, obwohl sie unzweifelhaft für die Schuld als solche bestellt wurden. Als Ausweg bietet sich daher die Anerkennung einer Rechtsregel an, wonach aus dem Schuldnervermögen bestellte Sicherheiten auch dem Gesamtschuldausgleich dienen und daher vom Forderungsübergang nach § 426 II stets umfasst werden. Haben also der intern verpflichtete Gesamtschuldner S1 und der intern freigestellte Gesamtschuldner S2 jeweils eine Sicherheit gestellt und leistet S2 an den Gläubiger, wird die von ihm gestellte Sicherheit mangels Forderungsübergang frei, während die von S1 gestellte Sicherheit mit der Forderung gegen S1 auf S2 übergeht, unabhängig davon, ob sie für die Schuld des S1 oder für die Gesamt-
311
Von Olshausen, Gläubigerrecht, 212.
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VIII. Der Zessionsregress
schuld bestellt worden ist. Ebenso geht eine vom Erblasser bestellte Sicherheit an einem Nachlassgegenstand auf den leistenden Miterben über. Zur Erklärung muss man sich aber von einer mechanistischen Sicht lösen, wonach bei mehreren Forderungen im Gesamtschuldverhältnis auf den leistenden Gesamtschuldner nur die Forderung gegen den anderen Gesamtschuldner und daher auch nur eine genau für diese Forderung bestellte Sicherheit übergehen kann. Historisch hat es eine solche Differenzierung nicht gegeben. Der Zessionsregress ermöglichte es dem leistenden Gesamtschuldner ganz allgemein, auf die vom anderen Gesamtschuldner gestellten Sicherheiten zurückzugreifen. Der Gesetzgeber des BGB wollte an diesem Rechtszustand nichts ändern312. Das heute anerkannte Modell eines Gesamtschuldverhältnisses aus mehreren Forderungen hatte sich der Gesetzgeber noch nicht zu eigen gemacht; es setzte sich erst nach 1900 durch. Die veränderte Konstruktion darf aber nicht das Ergebnis bestimmen. Wie herrschende Lehre und Praxis zeigen, soll es auch weiterhin keinen Unterschied machen, ob ein Gesamtschuldner gerade seine oder die Gesamtschuld selbst sichert. Wenn dies bei Drittsicherheiten anders ist, liegt das allein an der unterschiedlichen Interessenlage.
e) Ein alternativer Lösungsweg Die gesetzliche Regelung zum Sicherheitsübergang beim Zessionsregress des Gesamtschuldners ist wenig ausgereift und lückenhaft. Fiduziarische Sicherheiten werden von vornherein nicht erfasst, so dass Lehre und Praxis sich bemühen, durch die Annahme schuldrechtlicher Übertragungspflichten Ergebnisse zu erzielen, die denen bei akzessorischen Sicherheiten ähnlich sind313. Wenig geglückt ist aber auch die Regelung des Schicksals der akzessorischen Sicherheiten. Der Gesetzgeber ordnete mit § 426 II einen Forderungsübergang an, ohne zu klären, ob es sich dabei um die als einheitlich gedachte Gesamtschuld selbst oder, auf dem Boden des Mehrheitsmodells, um die Forderung gegen den regresspflichtigen Gesamtschuldner handeln soll. Weil auch heute meist nicht entsprechend differenziert wird, fällt es kaum auf, dass für Sicherheiten aus dem Schuldnervermögen und für Drittsicherheiten unterschiedliche Regeln gelten müssen und in der Praxis auch gelten: Bei Sicherheiten aus dem Schuldnervermögen nimmt man ohne weiteres einen Übergang auf den Leistenden an, auch wenn sie für die gesamte Schuld bestellt wurden, und folgt damit unausgesprochen einem Einheitsmodell, während man bei Drittsicherheiten streng dem Mehrheitsmodell folgt und fragt, ob sie nur für die Schuld des regresspflichtigen Gesamtschuldners oder für die Gesamtschuld als solche bestellt wurden. Diese notwendige Differenzie312
Vgl. die Beratungen der Ersten Kommission über den Fall einer durch eine Hypothek auf dem Grundstück eines Gesamtschuldners gesicherten Gesamtschuld Jakobs/Schubert, SachR II, 690. 313 Hierzu sogleich unten, 472 ff.
8. Das Schicksal der akzessorischen Sicherheiten
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rung zwischen Schuldnersicherheiten und Drittsicherheiten hat der Gesetzgeber nicht gesehen und daher auch nicht angeordnet. Statt dessen hat er bei der Ausgestaltung des Zessionsregresses schlicht auf die Regeln zur rechtsgeschäftlichen Abtretung verwiesen und damit die Probleme der von Dritten gestellten Sicherheiten nur unzureichend erfasst. Die Frage, welche von Dritten gestellten Sicherheiten auf den leistenden Gesamtschuldner übergehen, wird so zu einer Frage der Auslegung des § 401, obwohl diese Vorschrift in erster Linie die ganz andere Frage regeln will, ob eine rechtsgeschäftliche Abtretung nach dem mutmaßlichen Parteiwillen auch die für die Forderung bestellten Sicherheiten umfasst. Beschränkt man § 401 auf echte akzessorische Sicherheiten, gelangt man zum Ergebnis, dass diese Sicherheiten, nicht aber Forderungen gegen Mitgesamtschuldner auf einen Legalzessionar übergehen. Die damit verbundene Besserstellung des regresspflichtigen oder auch nur intern sichernden Gesamtschuldners gegenüber echten Sicherheitsgebern ist keinesfalls selbstverständlich, sondern verlangt eine wertende Erklärung, die aber bislang nicht unternommen worden ist. Bezeichnenderweise finden sich in der Literatur zu dieser Frage geradezu konträre Auffassungen: Eine Ansicht will § 401 nur auf die Schuld des intern regresspflichtigen Gesamtschuldners anwenden, nicht auf die Schuld des intern freigestellten sichernden Gesamtschuldners; die andere Ansicht will gerade umgekehrt nur die Forderung gegen einen sichernden Gesamtschuldner übergehen lassen, nicht die gegen den intern Zuständigen. Dieser Befund deutet darauf hin, dass selbst über die grundlegenden Wertungen des Zessionsregresses zwischen Gesamtschuldnern und Drittsicherern keine Einigkeit besteht. Das ist in Anbetracht des Schweigens des Gesetzgebers auch wenig erstaunlich. Eine überzeugende Lösung des Problems muss sich in erster Linie der Frage stellen, ob und warum es richtig ist, den Sicherungsgeber einem Zessionsregress durch ihm unbekannte Dritte auszusetzen und den gewöhnlichen Gesamtschuldner davon zu verschonen. Im Ergebnis bieten sich verschiedene Lösungsansätze an. Zu klaren Abgrenzungen führt der Ansatz, vom Boden des Mehrheitsmodells auszugehen und dann dem Gesetzeswortlaut zu folgen. Auf den leistenden Gesamtschuldner geht dann nicht die Forderung gegen den Gesamtschuldbürgen, wohl aber die Forderung gegen den Bürgen des regresspflichtigen Gesamtschuldners über, und dies in voller Höhe des Regressrechts. Leistet der Bürge eines Gesamtschuldners, geht mangels gesetzlichen Tatbestands die Forderung gegen den anderen Gesamtschuldner nie auf ihn über. Eine solche Lösung müsste aber zum einen eine Ausnahme machen für Sicherheiten aus dem Schuldnervermögen, weil bei diesen keine Differenzierung nach dem Mehrheitsmodell stattfindet. Zum anderen führt sie zu wenig überzeugenden Wertungen: Bürgen B1 und B2 für S, dann findet selbstverständlich nach §§ 769, 426 II, 774 II ein Ausgleich durch Zessionsregress unter ihnen statt, auch wenn sie nichts voneinander gewusst haben. Bürgt aber B1 für den Gesamtschuldner S1 und B2 für den Gesamtschuldner S2 und sind die (intern gleichrangigen) Gesamtschuldner insolvent, dann könnte B1, wenn er an den Gläubiger leistet, keinen Zessionsregress gegenüber B2 nehmen.
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VIII. Der Zessionsregress
Hier korrigiert die herrschende Lehre, indem sie dem Bürgen eines Gesamtschuldners auch den Zugriff auf die Forderung gegen den regresspflichtigen Mitschuldner ermöglicht. Im Beispiel geht auf B1 dann die Forderung gegen S2 zur Hälfte über und damit nach § 401 in dieser Höhe auch die Forderung gegen B2. Im Ergebnis würde das bedeuten, dass ein Gesamtschuldner insoweit den Zessionsregress eines Dritten befürchten muss, wie er im Gesamtschuldverhältnis regresspflichtig ist. Ein Sicherer dagegen, der im Verhältnis zum Hauptschuldner überhaupt nicht verpflichtet ist, muss stets mit einem Zessionsregress eines Dritten rechnen. Diese Lösung bietet ebenso wie die erste klare Abgrenzungen, bleibt allerdings die Antwort auf ihre Wertungsgrundlagen ebenso schuldig. Die bevorzugte Behandlung von Gesamtschuldnern gegenüber Sicherheitsgebern will ein Teil der Literatur zumindest dann ausschließen, wenn der Gesamtschuldner als Schuldbeitretender funktional sichert. Aber auch hier wird die Frage nicht beantwortet, warum der sichernde Gesamtschuldner schlechter steht als der nicht sichernde. Insofern ist auch eine Lösung denkbar, Gesamtschuldner allgemein mit Drittsicherern auf eine gleiche Stufe zu stellen314. Hierfür könnte sprechen, dass zwischen sämtlichen Gesamtschuldnern und sämtlichen Bürgen Solutionskonkurrenz besteht, so dass ein Zessionsregress nicht davon abhängen sollte, ob im Verhältnis zwischen dem Regressbegehrenden und dem Regresspflichtigen der Tatbestand des § 426 II oder § 774 vorliegt. Nach dieser Lösung liegt zwischen sämtlichen Haftenden ein zumindest gesamtschuldähnliches Verhältnis vor, bei dem analog § 426 I eine interne Lastenverteilung vorgenommen werden muss. Ist der Gesamtschuldner S1 intern regresspflichtig, bedeutet dies, dass S1 100%, S2 0% und sämtliche Bürgen, unabhängig davon, was sie genau sichern, ebenfalls 0% tragen. Ist S1 insolvent, muss die Last nach § 426 I 2 auf S2 und die Bürgen aufgeteilt werden. Der Maßstab richtet sich in erster Linie nach dem Innenverhältnis. Mangels näherer Anhaltspunkte wäre die Last zwischen S2 und einem Bürgen, der sich für S1 verbürgt hat, gleichmäßig aufzuteilen. Hat sich ein Bürge dagegen für die Gesamtschuld selbst verbürgt, ist dies ein Anzeichen dafür, dass er im Innenverhältnis nachrangig zu den Schuldnern und sämtlichen Einzelbürgen haften will. Hat sich ein Bürge für die Verbindlichkeit eines Schuldners verbürgt, der von mehreren Miterben beerbt wird, besteht zwischen dem Bürgen und den Miterben ein Haftungsverband, in dem analog § 426 I interne Anteile gebildet werden müssen; da aber die Miterben in erster Linie für die Tilgung zuständig sind, trägt der Bürge intern 0% und wird im Ergebnis nicht in den Gesamtschuldausgleich hineingezogen. Eine solche Lösung hätte den Vorteil, nicht zwischen Sicherheiten aus dem Schuldnervermögen und Drittsicherheiten differenzieren zu müssen. Statt dessen 314 In diese Richtung auch Erman/Ehmann, § 426 Rz 76, 80, der aber den Regress davon abhängig machen will, ob der Bürge sich für alle (dann im Zweifel kopfteiliger Ausgleich zwischen allen) oder nur für einen (dann Haftungseinheit) Gesamtschuldner verbürgt und damit die mit der im Text genannten Lösung verbundene Flexibilität nicht zulässt; ferner Wernecke, Gesamtschuld, 134 ff., 148 f.; s.a. Soergel/Pecher, § 774 Rz 6.
8. Das Schicksal der akzessorischen Sicherheiten
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würden die Schuldnersicherheiten im Haftungsverband einen bestimmten Rang einnehmen: Die von einem Gesamtschuldner gestellten Sicherheiten teilen den Rang seiner internen Ausgleichspflicht, während die von beiden oder aus dem Erblasservermögen bestellten Sicherheiten sowohl für den Regress eines Dritten als auch für den Ausgleich unter den Gesamtschuldnern selbst zur Verfügung stehen, im Ergebnis also gegenüber den Drittsicherheiten vorrangig haften. Favorisiert man eine solche Radikallösung, die sich von den gesetzlichen Grundlagen der §§ 426 II, 774, 401 entfernt, muss man allerdings die Grenzen beachten, die durch das Akzessorietätsprinzip gesteckt werden. Nach dem oben Gesagten verhindert das Akzessorietätsprinzip einen Zessionsregress, wenn sich ein Bürge für mehrere Gesamtschuldner verbürgt und im Innenverhältnis allein die Last tragen soll. Demnach erscheint es, als ob von der Lösung eines gegenseitigen Zessionsregresses nach einem einheitlichen Maßstab für den gesamten Haftungsverband dann eine Ausnahme gemacht werden muss, wenn es sich um einen Dritten handelt, der die Gesamtschuld selbst sichert, weil dann außerhalb des § 1164 ein Übergang der Forderung bzw. Sicherheit zulasten des Dritten nicht möglich ist. Doch macht man tatsächlich Ernst mit der Vorstellung, dass der Zessionsregress zwischen sämtlichen Gesamtschuldnern und Bürgen nicht mehr von einer kombinierten Anwendung der §§ 426 II, 774, sondern von einem einheitlichen im gesamten Haftungsverband geltenden Maßstab abhängig ist, dann kommt man auch über dieses Hindernis hinweg. Anzuerkennen wäre dafür, dass es eine Bürgschaft oder allgemein eine Sicherheit für die Gesamtschuld als solche nicht gibt. Der Gesamtschuldbürge B verbürgt sich damit stets für beide Gesamtschuldner S1 und S2. Leistet der Gesamtschuldner S1 an den Gläubiger, erlischt die Bürgenforderung also nicht notwendig. Vielmehr hängt ihr Erlöschen bzw. ihr Übergang auf den leistenden Gesamtschuldner davon ab, inwieweit B gegenüber S1 für die Tilgung zuständig ist. Die Besonderheit dieser Lösung ist, dass die interne Verteilung zwischen S1 und S2 hierfür keine Rolle mehr spielen muss, weil der Regress zwischen S1 und B nun nicht mehr den Umweg über den Zessionsregress nach § 426 II zwischen S1 und S2 nehmen muss. Sollen also S1 und S2 im Verhältnis zueinander gleichrangig, der Bürge aber gegenüber beiden vorrangig haften, dann bilden S1 und S2 gegenüber B eine Haftungseinheit. Leistet S1 an den Gläubiger, geht auf ihn die Bürgenforderung vollständig über. Folgt man diesem Ansatz, setzt man sich dem Einwand aus, vergleichbare Fälle ungleich zu behandeln: Sichert der ausnahmsweise intern zuständige Bürge eine Einzelschuld, scheidet nach dem Akzessorietätsprinzip ein Zessionsregress des leistenden Hauptschuldners aus. Sichert der regresspflichtige Bürge dagegen mehrere Schuldner, wird die Schuldnermehrheit als Hebel genommen, den an sich nicht vorgesehenen Zessionsregress des leistenden Gesamtschuldners gegenüber dem Bürgen zu ermöglichen. Dieser Einwand ist gerechtfertigt. Doch solange der Gesetzgeber den Zessionsregress bei Gesamtschulden und Bürgschaften unterschiedlich regelt, ist eine vollständig in sich stimmige Lösung des Zessionsregresses beim Aufeinandertreffen von Gesamtschuldnern und Bürgen wohl nicht möglich.
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VIII. Der Zessionsregress
9. Sonderprobleme bei fiduziarischen Sicherheiten Nicht geregelt hat der Gesetzgeber die Frage, ob der Legalzessionar auch von selbständigen Sicherheiten profitieren kann, die für die Forderung bestellt waren. Dieses Problem stellt sich auch beim Bürgenregress nach § 774 und ist in erster Linie in diesem Zusammenhang diskutiert worden. Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass nichtakzessorische Sicherheiten wie Grundschulden, Sicherungseigentum oder sicherungshalber zedierte Forderungen keine von § 401 umfassten Sicherheiten sind, so dass sie bei der Legalzession der gesicherten Forderung nicht von selbst nach §§ 412, 401 auf den neuen Gläubiger übergehen315. Demnach stellte sich die Frage, ob nicht dadurch ein zumindest ähnliches Ergebnis wie bei akzessorischen Sicherheiten erreicht werden kann, dass man eine schuldrechtliche Pflicht des befriedigten Gläubigers annimmt, die fiduziarische Sicherheit rechtsgeschäftlich auf den leistenden Legalzessionar zu übertragen. Beim Bürgenregress nehmen Rechtsprechung und herrschende Lehre eine solche Übertragungspflicht zumindest dann an, wenn die Sicherheit vom Hauptschuldner gestellt wurde. Teilweise beruft man sich hierfür auf den mutmaßlichen Parteiwillen316; meistens aber nimmt man in Analogie zu § 401 eine gesetzliche Übertragungspflicht an317. Zwar gibt es gegen diese Lösung auch Bedenken angesichts der Tatsache, dass der Hauptschuldner dem Gläubiger die Sicherheit aufgrund einer schuldrechtlichen Sicherungsabrede anvertraut hatte, die den Gläubiger zur Rückübertragung der Sicherheit an den Schuldner verpflichtet. Die Übertragung des fiduziarischen Rechts an Dritte kann den Schuldner gefähr315
Zur Gegenansicht (bei Sicherungseigentum und -abtretung) stellvertretend von Rintelen, Übergang (1996), 81 ff., m.w.N. (S. 5). Sie entspricht wohl dem europäischen Trend, vgl. zum Bürgschaftsrecht PEL Personal Security und DCFR Teil IV G, jew. Art. 2:113 III. Die PECL zum Gesamtschuldregress folgen dagegen der deutschen Lösung, Art. 10:106 II. 316 Dieser Parteiwille wird sowohl im Verhältnis Bürge-Gläubiger als auch im Verhältnis Gläubiger-Schuldner (hier: mutmaßliche Einwilligung in die Weiterübertragung) gefunden; vgl. RGZ 89, 193, 195 (8.12.1916); RG HRR 6 (1930) Nr. 499 (21.11.1929); RG DR 1941, 2609 (12.9.1941); OLG München, MDR 1957, 356 (1.2.1957); Planck/Oegg, § 774 Anm. 2 c; Herzfeld, JR 1958, 453, 455; Schlechtriem, FS von Caemmerer, 1044; Bülow, WM 1989, 1878; ders., Kreditsicherheiten, Rz 343, 1020; Erman/Westermann, § 401 Rz 4; Soergel/Pecher, § 776 Rz 11; mit Einschränkungen Becker-Eberhard, Sicherungsrechte, 534 ff., 564 ff.; wohl auch Soergel/Zeiss, § 401 Rz 3. Kritisch gegenüber dieser Begründung Pulina, NJW 1984, 2873; J.Dieckmann, Derivativregreß, 410, 415 ff. 317 RG LZ 1930, 982 Nr. 4 = Warn 1930 Nr. 11 (28.10.1929); BGHZ 42, 53, 56 f. (15.6.1964); BGH WM 1969, 1103, 1104 (23.6.1969); BGHZ 78, 137, 143 (24.9.1980); BGHZ 92, 374, 378 (30.10.1984); BGHZ 110, 41, 43 (11.1.1990); BGH WM 1994, 1161, 1163 (28.4.1994); BGHZ 136, 347, 352 (18.9.1997); BGHZ 144, 52, 54 f. (2.3.2000); BGH NJW 2001, 2327, 2330 (5.4.2001); OLG Stuttgart, NJW-RR 1990, 945 (3.4.1990); OLG Köln, NJW 1990, 3214 (22.5.1990). Aus der Literatur Serick, Eigentumsvorbehalt, Bd. I, § 10 I 3, S. 216 f., Bd. II, § 26 V, S. 372 ff., Bd. III, § 37 III 2, S. 426 f.; Pfeiffer, NJW 1958, 1859; Scholz, NJW 1962, 1228; Dieckmann, Derivativregreß, 421 ff.; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rz 241, 358; dies., Kreditsicherung, Rz 393; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 60 IV 2; Bayer/Wandt, JuS 1987, 272; Ehlscheid, BB 1992, 1294; Staud/Busche, § 401 Rz 39, 41; Staud/Horn, § 774 Rz 21 f.; MüKo/Habersack, § 774 Rz 10; Soergel/Mühl (1985), § 774 Rz 3; Palandt/Sprau, § 774 Rz 9. Kritisch gegenüber dieser Begründung Becker-Eberhard, Sicherungsrechte, 526 ff., 560.
9. Sonderprobleme bei fiduziarischen Sicherheiten
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den318. Zugunsten einer Übertragungspflicht wird aber angeführt, dass der Schuldner nach § 404 auch dem Bürgen gegenüber nur gegen Rückübertragung des Sicherungsguts leisten muss. Häufig wird darüber hinaus zum Schutz des Schuldners auch eine Pflicht des Bürgen angenommen, die Pflichten des Gläubigers aus dem Sicherungsvertrag zu übernehmen319. Sofern eine Übertragungspflicht bejaht wird, ist zweifelhaft, ob sie auch dann besteht, wenn in der Sicherungsabrede eine Übertragung der Sicherheit an Dritte ausdrücklich ausgeschlossen wurde320. Eine solche Vereinbarung hätte (wohl auch bei Grundschulden321) wegen § 137 keine dingliche Wirkung, könnte also eine Übertragung durch den Gläubiger nicht verhindern. Wohl aber könnte sie eine Übertragungspflicht des Gläubigers mit der Erwägung ausschließen, dass eine Verpflichtung zum Verstoß gegen einen schuldrechtlichen Vertrag mit einem Dritten vom Recht nicht anerkannt werden dürfe. Im Ergebnis muss die Lösung auch von der Entscheidung bei der oben dargestellten322 Streitfrage abhängen, ob ein rechtsgeschäftlicher Ausschluss der Abtretung auch eine Legalzession verhindert. Wenn nämlich der Schuldner die Möglichkeit hat, mittels eines Abtretungsausschlusses den Übergang der Forderung und der akzessorischen Sicherheiten sogar mit dinglicher Wirkung zu verhindern, dann erscheint es wenig überzeugend, ihm als rechtliches Minus ein Instrument zu versagen, das den Forderungsübergang nicht berührt, sondern lediglich eine Übertragungspflicht des Gläubigers hinsichtlich der fiduziarischen Sicherheiten ausschließt323.
318 Daher skeptisch gegenüber der h.L. MüKo/H. Roth, § 401 Rz 14; Erman/Westermann, § 401 Rz 4; Schanbacher, AcP 191 (1991), 98 f. 319 Zur lebhaften Diskussion in den 50er und 60er Jahren Dempewolf, NJW 1958, 979, 980; Zunft, NJW 1958, 1219; Pfeiffer, NJW 1958, 1859; Herzfeld, JR 1958, 453; Scholz, NJW 1962, 1228; Friedrich, NJW 1969, 485; Serick, Eigentumsvorbehalt II, § 26 V, 369 ff.; aus späterer Zeit etwa Pulina, NJW 1984, 2873; Ehlscheid, BB 1992, 1294; ausführlich Becker-Eberhard, Sicherungsrechte, 525 ff.; von Rintelen, Übergang, 25 ff.; Dieckmann, Derivativregreß, 409 ff. 320 Die herrschende Lehre verneint eine Übertragungspflicht für diesen Fall, so außer denjenigen, die ohnehin eine Übertragungspflicht nur aufgrund mutmaßlichen Parteiwillens annehmen (oben Fn. 316), auch BGHZ 78, 137, 143 (24.9.1980); BGHZ 110, 41, 43 (11.1.1990); BGH NJW 1995, 2635, 2636 (23.6.1995); Staud/Busche, § 401 Rz 39; MüKo/Pecher (1986), § 774 Rz 2; MüKo/ Habersack, § 774 Rz 10; Palandt/Sprau, § 774 Rz 9; Reinicke/Tiedtke, Kreditsicherung, Rz 1246; Graf Lambsdorff/Skora, Bürgschaftsrecht, Rz 285. Anders aber Pfeiffer, NJW 1958, 1860; Scholz, NJW 1962, 1229; Dieckmann, Derivativregreß, 440 f. 321 Die Anwendung von §§ 413, 399 Fall 2 auf Grundschulden ist umstritten, dafür etwa OLG München, JFG 16, 291, 295 (20.10.1937); OLG Stuttgart, OLGZ 1965, 96 (26.5.1965); OLG Hamm, NJW 1968, 1289 (18.3.1968); OLG Köln, DNotZ 1970, 419, 422 (4.3.1969); Westermann/ Eickmann/Pinger, Sachenrecht II, § 134 I; Baur/Stürner, Sachenrecht, Rz 5/22; Wilhelm, Sachenrecht, Rz 1810; Soergel/Konzen, § 1191 Rz 23; Staud/Wolfsteiner, vor § 1113 Rz 96; Palandt/Bassenge, vor § 854 Rz 12, § 1191 Rz 8; Buchholz, AcP 187 (1987), 110 f.; wohl zu Recht dagegen Däubler, NJW 1968, 1121 f.; Serick, Eigentumsvorbehalt II, § 28 III 1, S. 430; MüKo/H. Roth, § 413 Rz 4; Bülow, Kreditsicherheiten, Rz 228; Becker-Eberhard, Sicherungsrechte, 530 f.; Maurer, JuS 2004, 1045; wohl auch Staud/Busche, § 401 Rz 5; unentschieden BGH NJW 1972, 1463, 1464 (21.4.1972); Staud/Gursky, § 877 Rz 14. 322 Oben, 439 ff. 323 So aber Dieckmann, Derivativregreß, 369 ff., 440 f., 441 f.
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VIII. Der Zessionsregress
Sofern man danach eine Übertragungspflicht im Bürgschaftsrecht bejaht, stellt sich die Frage, ob Entsprechendes im Gesamtschuldrecht gelten soll. Die Frage wird von Rechtsprechung und herrschender Lehre324 ohne weiteres bejaht. Danach ist der Gläubiger analog §§ 426 II, 412, 401 verpflichtet, dem regressberechtigten leistenden Gesamtschuldner diejenigen Sicherheiten zu übertragen, die entweder von sämtlichen Gesamtschuldnern325 oder allein vom regresspflichtigen Gesamtschuldner gestellt wurden, im letzteren Fall auch unabhängig davon, ob die Sicherheit nur die Schuld des regresspflichtigen Gesamtschuldners326 oder die Gesamtschuld als solche327 sichern sollte. Darüber hinaus wird die Ansicht vertreten, der regressberechtigte Gesamtschuldner dürfe von vornherein die Leistung an den Gläubiger verweigern, solange dieser seiner Pflicht zur Sicherungsübertragung nicht nachkommt328. Doch eine Übertragung der im Bürgschaftsrecht entwickelten Regeln auf das Gesamtschuldverhältnis ist nicht ohne weiteres möglich. Dem leistenden Bürgen kann der Gläubiger sämtliche vom Hauptschuldner gestellte Sicherheiten übertragen, weil im Innenverhältnis zwischen Hauptschuldner und Bürgen grundsätzlich der Hauptschuldner regressverpflichtet ist. Sollte ausnahmsweise der Bürge intern zuständig sein, ohne dass dies dem Gläubiger mitgeteilt wurde, kann eine Übertragung der Sicherheiten an den Bürgen gegenüber dem Hauptschuldner keine schuldhafte Verletzung der Sicherungsabrede darstellen. Insofern kann dem Gläubiger zugemutet werden, dass der Bürge nur gegen Abtretung der Sicherheit zur Leistung verpflichtet ist. Bei Gesamtschuldnern dagegen hängt die Regressberechtigung vom Innenverhältnis ab, das dem Gläubiger nicht bekannt sein muss. Wenn die Übertragungspflicht vom Ausmaß der Regressberechtigung des leistenden Gesamtschuldners abhängig gemacht und diesem noch dazu ein Zurückbehaltungsrecht zugebilligt wird, führt dies zu massiven Problemen für den Gläubiger, der dadurch um die Vorteile gebracht werden kann, die ihm die Gesamtschuld gerade bieten soll. Wenn etwa zwei Gesamtschuldner S1 und S2 ein Darlehen aufnehmen und S2 hierfür eine fiduziarische Sicherheit bestellt, kann S1, der vom Gläubiger in Anspruch genommen wird, einwenden, er sei nur gegen die Übertragung der Sicherheit zur Leistung verpflichtet, weil er im Innenverhältnis freigestellt sei. 324 Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 85; Selb, Mehrheiten, 116; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 45; Soergel/Wolf, § 426 Rz 56; Staud/Noack, § 426 Rz 135; Staud/Wolfsteiner, vor § 1191 Rz 124; Soergel/Konzen, § 1191 Rz 84; Baur/Stürner, Sachenrecht, Rz 45/89; Erman/Westermann, § 401 Rz 2; BamR/Gehrlein, § 426 Rz 17; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 203; Schlechtriem, FS von Caemmerer, 1043 ff.; A. Dieckmann, WM 1990, 1487. Zur Rechtsprechung siehe die folgenden Fußnoten. 325 RGZ 91, 277, 279 f. (26.11.1917); BGH WM 1969, 209 (25.11.1968); BGH NJW 1983, 2449 (28.4.1983); BGHZ 103, 72, 83 (15.1.1988); BGH WM 1995, 523 (31.1.1995); LG Darmstadt, NJW 1977, 251 (28.6.1976). 326 RGZ 82, 25 (11.3.1913); RGZ 89, 193, 196 (8.12.1916). 327 BGHZ 80, 228, 232 f. (27.3.1981). 328 BGHZ 80, 228, 232, 234; LG Darmstadt, NJW 1977, 251; Staud/Wolfsteiner, vor § 1191 Rz 124 f.; A. Dieckmann, WM 1990, 1487.
9. Sonderprobleme bei fiduziarischen Sicherheiten
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S2 kann demgegenüber behaupten, es verhalte sich gerade umgekehrt, in Wahrheit sei S1 im Innenverhältnis allein belastet, und der Gläubiger verletze den Sicherungsvertrag, wenn er trotzdem die Sicherheit an S1 übertrage. Dem Gläubiger bleiben dann mehrere Möglichkeiten. Er kann die Sicherheit an S1 übertragen und damit Gefahr laufen, sich gegenüber S2 schadensersatzpflichtig zu machen, falls tatsächlich S1 im Innenverhältnis belastet war. Eine Gefahr für S2 besteht insbesondere, wenn S1 die Sicherheit an einen Dritten überträgt, indem er etwa die sicherungshalber zedierte Forderung an einen Dritten abtritt. Handelte es sich um eine Sicherungsgrundschuld, kann S1 selbst gegen S2 aus der Grundschuld nicht vorgehen, weil S2 insofern eine Einrede zusteht. Nach herrschender Lehre kann S2 nach §§ 1192, 1157 diese Einrede auch einem Dritten entgegenhalten, der die Grundschuld von S1 erworben hat. Dies galt aber bis zum Risikobegrenzungsgesetz von 2008 dann nicht, wenn der Dritte i.S.v. § 892 gutgläubig war, die fehlende Valutierung der Grundschuld also nicht kannte329. Statt dessen kann G, um sicher zu gehen, es auf einen Rechtsstreit über die Regressberechtigung des S1 ankommen lassen. Dann entsteht aber gerade diejenige Situation, die bei einer Gesamtschuld nicht entstehen sollte, nämlich dass der Zugriff des Gläubigers vom Innenverhältnis der Schuldner abhängt. Der Gläubiger kann erst dann die Sicherheit übertragen, wenn das Innenverhältnis der Gesamtschuldner geklärt ist, und daher auch erst dann seine Leistung von S1 erhalten. In dieser Lage wäre an die Möglichkeit einer Hinterlegung nach § 372 Satz 2 zu denken. Während man aber Grundschuldbriefe noch als hinterlegungsfähige Urkunden i.S.d. § 372 ansehen kann, scheidet eine Hinterlegung bei Buchgrundschulden, Sicherungseigentum und der Sicherungsabtretung von Forderungen oder Geschäftsanteilen offenbar aus. Will sich der Gläubiger ohne Hinterlegungsmöglichkeit sofort für seine Forderung befriedigen, ohne auf den Ausgang eines Rechtsstreits über das Innenverhältnis zu warten, bleibt ihm die Möglichkeit, auf den Gesamtschuldner S2 zuzugreifen, der die Sicherheit bestellt hat, weil im Falle einer Leistung durch S2 unzweifelhaft eine Rückübertragungspflicht gegenüber S2 besteht. Der Gläubiger wäre dann aber in seiner Wahlfreiheit beschränkt, wenn er praktisch nur auf den Gesamtschuldner zugreifen kann, der die Sicherheit gestellt hat. Zudem versagt dieser Weg, wenn entweder beide oder jeder der Gesamtschuldner eine Sicherheit gestellt haben, weil dann das Dilemma für den Gläubiger unab329
Zur Rechtslage bis 2008: BGHZ 103, 72, 81 f. (15.1.1988); Soergel/Konzen, § 1157 Rz 3, § 1191 Rz 25 f.; Serick, Eigentumsvorbehalt II, § 28 I 2 (S. 412) und III 2 (S. 432 ff.); Reinicke/ Tiedtke, Kreditsicherung, Rz 1222; Westermann/Eickmann/Pinger, Sachenrecht II, § 132 III; Baur/Stürner, Sachenrecht, Rz 45/66; i.E. ebenso Staud/Wolfsteiner, § 1157 Rz 22 f.; weitergehend MüKo/Eickmann, § 1191 Rz 93; Wilhelm, Sachenrecht, Rz 1769 ff., 1814; Bülow, Kreditsicherheiten, Rz 306 f.; kritisch Buchholz, AcP 187 (1987), 107. Siehe jetzt § 1192 Abs. 1 a BGB. Bei Sicherungseigentum wird der Sicherungsgeber im Fall der Veräußerung an Dritte durch § 986 II geschützt; hierzu stellvertretend Reinicke/Tiedtke, Kreditsicherung, Rz 704 f.; BeckerEberhard, Sicherungsrechte, 542.
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VIII. Der Zessionsregress
hängig von der Person des in Anspruch genommenen Gesamtschuldners besteht. Schließlich kann der Gläubiger, der seine Forderung ohne Verzögerung realisieren will, auch die Sicherheit selbst verwerten, um dem Streit über eine Rückübertragungspflicht zu entgehen. Aber auch dieser Weg führt nicht weiter, wenn es eine weitere, vom anderen Gesamtschuldner gestellte, Sicherheit gibt, weil sich dann die Frage stellt, wem der Gläubiger die andere Sicherheit übertragen muss. Dass diese Situation für den Gesamtschuldgläubiger unzumutbar ist, war zumindest die ursprüngliche Ansicht des Reichsgerichts. In einem 1913 ergangenen Urteil versagte es dem in Anspruch genommenen Gesamtschuldner S1 die Einrede, er müsse nur gegen Abtretung der von S2 bestellten Grundschuld leisten, mit der Begründung, dass dem Gläubiger das Innenverhältnis unter den Gesamtschuldnern nicht bekannt sei330. Die nachfolgende Rechtsprechung ging demgegenüber auf das Problem nicht mehr ein. Dies mag auch darauf zurückzuführen sein, dass es sich in den zu entscheidenden Fällen zumeist nicht stellte: In einigen Fällen war die Regressberechtigung des leistenden Gesamtschuldners auch für den Gläubiger offenkundig331. In anderen Fällen ging es zwar um die Frage, ob dem leistenden Gesamtschuldner das Recht auf Übertragung der Sicherheiten zustand, nicht aber im Zusammenhang mit einem Leistungsverweigerungsrecht332. Eine Sonderlösung entwickelte der BGH in einem 1968 ergangenen Urteil. Ein Ehepaar hatte gesamtschuldnerisch einen Kredit aufgenommen. Die Sicherungsabrede unter den Parteien sah vor, dass „der Darlehensnehmer“ der Bank Grundschulden übertrug, die auf dem Grundstück des Ehemanns lasteten, und dass die Bank die Grundschuld nach Rückzahlung des Darlehens an „den Darlehensneh330
RGZ 82, 25, 28 (11.3.1913); zustimmend Lumm, Ausgleich, 154. Im vom RG in RGZ 89, 193, 196 erwähnten Fall war der regressberechtigte Gesamtschuldner aufgrund eines Vertrags mit dem Gläubiger der Schuld des anderen Gesamtschuldners zur Sicherung beigetreten. In LG Darmstadt, NJW 1977, 251, war die solidarisch mit ihrem Ehemann schuldende Ehefrau in der Scheidungsvereinbarung von der Zahlungspflicht an den Gläubiger freigestellt worden. 332 In RGZ 91, 277 hatte der Gläubiger die Sicherheiten dem leistenden Gesamtschuldner schon übertragen. In BGH NJW 1983, 2449 hatte der Gesamtschuldner schon an den Gläubiger geleistet. In BGH WM 1995, 523 (NJW-RR 1995, 589) ging es lediglich um die Übertragungspflicht, falls geleistet würde (entgegen Staud/Wolfsteiner, vor § 1191 Rz 125, hing die Übertragungspflicht hier von der Regressberechtigung ab). In BGHZ 80, 228 hatte S1 eine Grundschuld bestellt, die auf dem Grundstück des E lastete. G nahm E aus der Grundschuld in Anspruch. Hier ging der BGH zu Unrecht davon aus, dass die nachfolgende Abtretung der Gesamtschuld-Forderung durch G an E wirksam war und E daher S2 in Anspruch nehmen konnte. S2 sollte dann gegen E nach § 404 die Einrede zustehen, nur gegen Abtretung der Grundschuld leisten zu müssen, falls er gegenüber S1 regressberechtigt war. Richtigerweise hätte E’s Zahlung, da S1 und nicht E Sicherheitsgeber war, S1 zugerechnet werden müssen, mit dem Ergebnis, dass, ähnlich wie bei einer Zahlung auf die Forderung, G entsprechend § 422 weder S1 noch S2 in Anspruch nehmen kann und daher auch E kein Anspruch gegen S2 zusteht, unabhängig von der Regresslage im Innenverhältnis, so zu Recht Reinicke/Tiedtke, NJW 1981, 4149 ff.; dies., Kreditsicherung, Rz 1257 ff.; Wernecke, Gesamtschuld, 155 f.; anders Wilhelm, Sachenrecht, Rz 1808. 331
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mer“ zurückzuübertragen hatte. Der BGH legte diese Sicherungsabrede so aus, dass die Bank verpflichtet war, die Grundschuld an den zahlenden Gesamtschuldner (hier die Ehefrau) zu übertragen, unabhängig von seiner Regressberechtigung333. In diesem Fall wäre die Bank also von einer Prüfung des Innenverhältnisses befreit. Diese Lösung blieb allerdings ein Einzelfall. Bestellen beide Gesamtschuldner gemeinsam eine Sicherheit, geht die Rechtsprechung gewöhnlich davon aus, dass der leistende Gesamtschuldner einen Anspruch auf Sicherheitenübertragung nur insoweit hat, als er im Innenverhältnis regressberechtigt ist. Soweit er keinen Ausgleichsanspruch hat, muss der Gläubiger die Sicherheit offenbar an den Besteller, also an beide Gesamtschuldner zusammen, übertragen334. Nach Ansicht des BGH muss zwischen zwei Ansprüchen unterschieden werden: zum einen dem vertraglichen Anspruch aus der Sicherungsabrede auf Rückübertragung bei Wegfall des Sicherungszwecks, für den § 432 gelte, zum anderen dem gesetzlichen Anspruch des regressberechtigten Gesamtschuldners auf Abtretung der Sicherheit analog §§ 426 II, 412, 401335. Die Annahme eines vom Innenverhältnis abhängigen Übertragungsanspruchs, der ein Zurückbehaltungsrecht begründen soll, ist mit den grundlegenden Wertungsprinzipien des Gesamtschuldrechts nicht vereinbar. Der Zugriff des Gläubigers auf einen beliebigen Gesamtschuldner darf nicht dadurch eingeschränkt werden, dass der Gläubiger entweder das Risiko einer Schadensersatzhaftung eingeht oder die Klärung des Innenverhältnisses abwarten muss. Die Ermittlung der internen Quoten der einzelnen Gesamtschuldner kann äußerst kompliziert sein, insbesondere bei Gesamtschulden auf Schadensersatz, bei denen die Rechtsprechung nicht nur eine Abwägung analog § 254 vornimmt, sondern auch Haftungs- und Zurechnungseinheiten bildet336. Stellt einer der Schadensersatz-Gesamtschuldner dem Gläubiger eine fiduziarische Sicherheit, kann dem Gläubiger nicht zugemutet werden, einen anderen Gesamtschuldner erst nach Ermittlung der internen Quoten in Anspruch nehmen zu können. Der Gedanke gilt erst recht in den Fällen, in denen neben den Gesamtschuldnern noch weitere Sicherer auftreten, seien es Bürgen für einzelne Gesamtschuldner, Gesamtschuldbürgen, Verpfänder oder Dritte, welche für eine Einzelschuld oder die Gesamtschuld insgesamt eine fiduziarische Sicherheit bestellen. Wie in den vorangegangenen Abschnitten gezeigt, ist schon das Regressverhältnis zwischen den Gesamtschuldnern und akzessorischen Drittsicherern unsicher. Hinzu kommt, dass nach Rechtsprechung und herrschender Lehre ein anteiliger Ausgleich analog § 426 I auch im Verhältnis zwischen mehreren gleichstufigen Sicherern (dinglich, per-
333 BGH WM 1969, 209, 210 f. (25.11.1968). In diesem Sinne versteht Staud/Wolfsteiner, vor § 1191 Rz 125, auch die Entscheidung BGH WM 1995, 523. 334 BGH NJW 1983, 2449, 2450, 2451; BGHZ 103, 72, 83; LG Darmstadt, NJW 1977, 251; dagegen aber Oesterle, NJW 1977, 719. 335 BGH WM 1995, 523; zustimmend Erman/Wenzel, § 1191 Rz 70 f. 336 Hierzu etwa HKK/Meier, §§ 420–432 I Rz 138–143.
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sönlich, akzessorisch und fiduziarisch) stattfinden soll337. Bestellt einer der Beteiligten in diesem Sicherungsgefüge eine fiduziarische Sicherheit zur Sicherung der Schuld eines Gesamtschuldners, der Gesamtschuld insgesamt oder nur seiner eigenen Sicherungsverbindlichkeit, ist der Gläubiger mit der Ermittlung der Frage, wer in welcher Höhe die Sicherheit für einen Regress in Anspruch nehmen kann, regelmäßig überfordert. Dass die herrschende Lehre die Übertragungspflicht von der Regressberechtigung abhängig macht, ist verständlich. Mit der Annahme einer Übertragungspflicht analog §§ 426 II, 412, 401 sollte für fiduziarische Sicherheiten eine Annäherung an die Lage bei akzessorischen Sicherheiten erreicht werden. Akzessorische Sicherheiten aber gehen nach § 426 II nur dann und insoweit über, wenn und wie der leistende Gesamtschuldner im Innenverhältnis regressberechtigt ist. Die Entscheidung, den Übergang der Gläubigerforderung vom internen Verhältnis der Gesamtschuldner abhängig zu machen, hatte der Redaktor von Kübel damit gerechtfertigt, dass das Ausmaß des Forderungsübergangs im Ergebnis dem befriedigten Gläubiger gleichgültig sein könne und nur noch im Regressstreit unter den beteiligten Gesamtschuldnern von Relevanz sei338. Bei fiduziarischen Sicherheiten gelten diese Erwägungen aber gerade nicht, weil die Übertragung nicht automatisch geschieht, sondern durch den Gläubiger vorgenommen werden muss, so dass im Ergebnis die Pflicht des befriedigten Gläubigers vom internen Verhältnis unter den Schuldnern abhängt. Zur Vermeidung einer Lösung, die den Zugriff des Gläubigers von einer Klärung des Innenverhältnisses abhängig macht, bieten sich mehrere Alternativlösungen an. Hier muss auch danach unterschieden werden, ob die Sicherheit nur von einem, möglicherweise regresspflichtigen, Gesamtschuldner gestellt wurde oder von allen zusammen. Während im ersten Fall eine gesetzliche Pflicht in Frage kommt, ist im zweiten Fall primär die Sicherungsabrede zwischen den Gesamtschuldnern und dem Gläubiger auszulegen. a) Eine Pflicht des Gläubigers zur Übertragung von fiduziarischen Sicherheiten auf den regressberechtigten Gesamtschuldner könnte ganz oder zumindest für die Fälle des nicht offenkundigen Innenverhältnisses abgelehnt werden, so dass die Sicherheit unabhängig vom Innenverhältnis der Gesamtschuldner gemäß der Sicherungsabrede an den Besteller, gegebenenfalls an sämtliche Gesamtschuldner, zurückzuübertragen ist339. Bei gemeinsamer Sicherheitsbestellung könnte dafür die Erwägung sprechen, dass es Sache der Gesamtschuldner wäre, 337
BGHZ 108, 179 (29.6.1989); BGH WM 1990, 1956 (9.10.1990); BGH WM 1991, 399 (20.12.1990); BGH NJW 1992, 3228 (24.9.1992); BGH NJW 2009, 437 (9.12.2008); aus der Literatur etwa Ehmann, Gesamtschuld, 332 ff.; Erman/Ehmann, § 421 Rz 61, § 426 Rz 94; Schlechtriem, FS von Caemmerer, 1013; Steinbach/Lang, WM 1987, 1237; Bayer/Wandt, JuS 1987, 271; Wernecke, Gesamtschuld, 146 ff., 152, 153 ff.; Ehlscheid, BB 1992, 1290; Kim, Zessionsregreß, 110 ff., 150 f.; Reiff, FS E.Lorenz, 563; Staud/Wiegand, § 1225 Rz 11 ff., 32 ff.; Soergel/Habersack, § 1225 Rz 9 ff.; Staud/Noack, § 426 Rz 241 ff.; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 46. 338 Oben, 419 f. 339 So offenbar Oesterle, NJW 1977, 719, vgl. BGH WM 1993, 849, 855 (13.1.1993).
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eine regressabhängige Übertragungspflicht mit dem Gläubiger zu vereinbaren und zu diesem Zweck die Höhe der internen Anteile in die Sicherungsabrede aufzunehmen. Bei einer Einzelbestellung könnte argumentiert werden, dass das vom Gesetz nicht ausdrücklich geschützte Interesse eines regressberechtigten Gesamtschuldners, eine von einem anderen Schuldner gestellte fiduziarische Sicherheit zu erlangen, vor dem Interesse des Gläubigers, der das Innenverhältnis nicht kennt, zurücktreten muss. Eine solche Radikallösung könnte sich aber in der Rechtsprechung wohl nicht durchsetzen, die insbesondere in den Fällen der gemeinsamen Sicherheitsbestellung auch ohne besondere Abrede dem Interesse des regressberechtigten Gesamtschuldners an der Sicherheit einen hohen Stellenwert zumisst, indem sie ihm Leistungsverweigerungs- und Schadensersatzansprüche gewährt, wenn der Gläubiger die Sicherheit freigibt oder anders verwendet340. Zudem kann gefragt werden, ob eine Lösung, welche die zumindest funktional ähnlichen akzessorischen und nichtakzessorischen Sicherheiten derart unterschiedlich behandelt, tatsächlich durch das Interesse des Gläubigers erfordert wird. b) Zugunsten des Gläubigers könnte die Kopfteilvermutung des § 426 I angewendet werden, so dass er mangels anderer Anhaltspunkte von gleichen Anteilen im Innenverhältnis ausgehen darf. Diese Vermutung würde zugunsten des Gläubigers also auch dann gelten, wenn intern andere Anteile vereinbart und dem Gläubiger nicht mitgeteilt werden: Ist S1 intern nur für 25% regressberechtigt, bekommt er dennoch vom Gläubiger 50% der von S2 gestellten Sicherheit und damit zu viel; kann er umgekehrt zu 75% Regress nehmen, ist er mit der Hälfte der Sicherheit nur teilweise gesichert. Die Kopfteilvermutung zugunsten des Gläubigers löst demnach keine Probleme, sondern verlagert sie nur; zudem erscheint sie unnötig kompliziert. c) Möglich wäre auch die vom BGH im Urteil von 1968 genannte Lösung, den Gläubiger stets zur Übertragung der Sicherheit auf den leistenden Gesamtschuldner zu verpflichten, unabhängig von dessen Regressberechtigung im Innenverhältnis. Eine solche Lösung erscheint insbesondere dann naheliegend, wenn (wie im BGH-Fall) die Sicherheit von sämtlichen Gesamtschuldnern gestellt wurde. Zwar würde der leistende Gesamtschuldner die Sicherheit auch bei fehlendem Regressrecht erhalten, müsste sie dann aber im Innenverhältnis wieder den übrigen Gesamtschuldnern zur Verfügung stellen. Wie oben beschrieben, besteht nur die Gefahr, dass der leistende Gesamtschuldner die gewonnene Sicherheit an einen (gutgläubigen) Dritten überträgt. Wenn aber die Gesamtschuldner durch ein Innenverhältnis verbunden sind und gemeinsam die Sicherheit bestellten, besteht Grund für die Annahme, dass sie einander zumindest in demselben Maße vertrauen wie dem Gläubiger, dem sie schließlich ebenfalls im Rahmen des Treuhandverhältnisses die Möglichkeit eines Missbrauchs eröffnet hatten341.
340 341
So in BGH WM 1969, 209; BGHZ 80, 228; LG Darmstadt, NJW 1977, 251. Ebenso Staud/Wolfsteiner, vor § 1191 Rz 125.
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VIII. Der Zessionsregress
Doch auch dann, wenn die Sicherheit von nur einem Gesamtschuldner bestellt wurde, wäre die Annahme einer regressunabhängigen Übertragungspflicht an den leistenden Gesamtschuldner nicht völlig sachwidrig. Zwar kann dann, wenn der intern freigestellte S2 eine Sicherheit bestellt, der intern verpflichtete S1 bei Leistung an den Gläubiger die Sicherheit erwerben. In diesem Fall muss S2 gegen S1 ein schuldrechtlicher Anspruch (etwa aus einer entsprechenden Anwendung des § 426 I oder aus § 816 II) auf Übertragung der Sicherheit zustehen. S2 ist dann nicht geschützt, wenn S1 die Sicherheit veräußert und insolvent wird. Doch ein solches Risiko geht ein intern freigestellter Gesamtschuldner, der dem Gläubiger eine Sicherheit stellt, ohnehin ein. Der Gläubiger hätte schließlich auch, statt S1 in Anspruch zu nehmen, die Sicherheit verwerten können. Dann bliebe S2 nur sein schuldrechtlicher Regress gegen S1, der ebenfalls ungesichert wäre. Diese Erwägung könnte für eine Lösung sprechen, den Gläubiger zumindest dann, wenn er die Sicherheit verwerten kann, zu ihrer Übertragung an den leistenden Gesamtschuldner zu verpflichten. d) Schließlich käme auch eine weniger radikale Lösung in Betracht, welche die Parallelwertung zu den akzessorischen Sicherheiten so weit wie möglich wahrt und dennoch den Gläubiger schützt. Es bliebe dabei, dass die Verpflichtung des Gläubigers zur Übertragung der Sicherheit an den leistenden Gesamtschuldner von dessen Regressrecht im Innenverhältnis abhängig ist; aber es entfällt das Zurückbehaltungsrecht des in Anspruch genommenen Gesamtschuldners. Hat also S2 eine Sicherheit gestellt und nimmt der Gläubiger S1 in Anspruch, so kann dieser nicht einwenden, nur gegen Abtretung der Sicherheit zur Leistung verpflichtet zu sein. Im Falle einer Klage durch G wird S1 nicht zur Erfüllung Zug um Zug, sondern unbeschränkt verurteilt. Nach Leistung durch S1 ist es dann möglich, dass der Gläubiger für die Übertragung der Sicherheit sowohl von S1 (mit der Behauptung, regressberechtigt zu sein) als auch von S2 (aus der Sicherungsabrede) in Anspruch genommen wird. Jetzt kann der Gläubiger, solange ein Einblick in das Innenverhältnis nicht möglich ist, es notfalls auf einen Rechtsstreit ankommen lassen (in dem er als Beklagter dem anderen Gesamtschuldner den Streit verkünden müsste). Soweit eine Hinterlegung nach §§ 372 BGB, 65 ZPO nicht möglich ist, kann die Sicherungsabrede so ausgelegt werden, dass ein Gläubiger, der ohne eigenes Verschulden das Innenverhältnis nicht kennt, die Sicherheit einstweilen zurückhalten muss, bis es zur Klärung gekommen ist. Selbstverständlich darf er die Sicherheit nicht für andere Zwecke nutzen. Die bloße Zurückhaltung aber begründet weder gegenüber S1 noch gegenüber S2 Schadensersatzpflichten. Unabhängig davon, für welche der angeführten Lösungen man sich entscheidet, erscheinen sie alle der Lösung überlegen, dem Gesamtschuldner ein Zurückbehaltungsrecht wegen eines regressabhängigen Übertragungsanspruchs zu gewähren. Die für den Bürgenregress entwickelten Lösungen werden den Besonderheiten im Gesamtschuldverhältnis nicht immer gerecht. Das Bestreben, dem Gesamtschuldner in jedem Fall und um jeden Preis einen gesicherten Regress zu verschaffen, kann letztlich zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung des Gläubigers führen.
10. Der Zessionsregress des Personenaußengesellschafters
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10. Der Zessionsregress des Personenaußengesellschafters Hat ein Personengesellschafter einen Gesellschaftsgläubiger befriedigt, stellt sich die Frage, ob er neben seinem Regressanspruch gegen die Gesellschaft oder die Mitgesellschafter auch von einem Forderungsübergang profitieren kann. Bei Innengesellschaften ohne Gesamthandsvermögen liegen lediglich gewöhnliche Gesamtschulden der einzelnen Gesellschafter vor. Auf den leistenden Gesellschafter gehen daher nach § 426 II die Forderungen gegen die Mitgesellschafter in Höhe seiner jeweiligen Regressberechtigung über. Bei der modernen Außengesellschaft aber weicht das Schuldmodell vom gewöhnlichen Gesamtschuldmodell ab: Danach schulden sowohl die Gesellschaft selbst als auch, akzessorisch zur Gesellschaftsschuld, die einzelnen Gesellschafter, die unter sich Gesamtschuldner sind342. Die Frage, welche Konsequenz aus diesem Schuldmodell für den Zessionsregress des leistenden Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft und gegenüber den Mitgesellschaftern zu ziehen ist, wird bis heute kontrovers beurteilt. Wie in einem Brennglas spiegeln sich in der gesellschaftsrechtlichen Diskussion die in diesem Kapitel dargestellten Unsicherheiten über die Grundlagen und Mechanismen des Zessionsregresses wider. Unstreitig besteht zwischen der Gesellschaftsschuld und der Schuld des Gesellschafters kein oder zumindest kein gewöhnliches Gesamtschuldverhältnis, weil die Schuld des Gesellschafters akzessorisch zur Gesellschaftsschuld ist. Der BGH und ein Teil der Literatur lehnen daher mangels Tatbestands des § 426 II einen Übergang der Forderung gegen die Gesellschaft auf den leistenden Gesellschafter ab343. Nach Ansicht des BGH soll aber, wegen der unterschiedlichen Interessenlage, ein ausgeschiedener Gesellschafter, der aufgrund seiner Forthaftung einen Gesellschaftsgläubiger befriedigt hatte, von einem solchen Forderungsübergang profitieren344. § 426 II soll auch Anwendung finden, soweit es um den Regress des zahlenden Gesellschafters gegen seine Mitgesellschafter geht345. Ein anderer Teil der Literatur will demgegenüber § 426 II analog auch auf den Regress gegen die Gesellschaft anwenden346. Wiederum andere sprechen sich eben342
Oben, 81 ff. BGHZ 39, 319, 323 f. (9.5.1963); Staub/Fischer (1973), HGB, § 128 Rz 22; A.Hueck, OHG, § 21 II 7 (S. 321); Nicknig, Haftung, 76; Hadding, FS Stimpel, 140; Hadding/Häuser, WM 1988, 1588 f.; Preuß, ZHR 160 (1996), 170 ff.; Ebenroth/Boujong/Hillmann, HGB, § 128 Rz 21, 30; Baumbach/Hopt, HGB, § 128 Rz 25; Hüffer, Gesellschaftsrecht, § 18 Rz 16–18 (der aber eine Anwendung des § 1164 erwägt); Beuthien, JZ 2003, 976 Fn. 71. 344 BGHZ 39, 319, 324 ff.; BGHZ 93, 246, 247 (14.1.1985); ebenso Staub/Fischer (1973), HGB, § 128 Rz 60; Ebenroth/Boujong/Hillmann, HGB, § 128 Rz 21, 31; Baumbach/Hopt, HGB, § 128 Rz 25; Kornblum, Haftung, 192; Nicknig, Haftung, 76; für § 774 analog Preuß, ZHR 160 (1996), 173 f. 345 BGHZ 103, 72, 77 f. (15.1.1988); ebenso Staub/Fischer (1973), HGB, § 128 Rz 22; Hüffer, Gesellschaftsrecht, § 18 Rz 22; Kornblum, Haftung, 67, 171; Nicknig, Haftung, 77. 346 J. Blomeyer, BB 1968, 1463; Flume, Personengesellschaft, 288, 297; Goette, Gesamtschuldbegriff, 93; früher K. Schmidt, ZHR 137 (1974), 516 ff.; ders., Einlage, 145; ferner Heymann/Emmerich, HGB, § 110 Rz 16, § 128 Rz 72; Selb, Mehrheiten, 118; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 49; Soergel/Wolf, § 426 Rz 11, 48. Für eine direkte Anwendung Wernecke, Gesamtschuld, 169. 343
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falls für einen Forderungsübergang im Verhältnis zur Gesellschaft aus, stützen diesen aber auf eine analoge Anwendung des § 774347. Ausgangspunkt ist, dass die Verbindlichkeiten der haftenden Gesellschafter sowohl bei der OHG als auch bei der bürgerlich-rechtlichen Außengesellschaft untereinander in einem Gesamtschuldverhältnis stehen. Dies spricht auf den ersten Blick für eine Anwendung des § 426 II beim Regress der Gesellschafter untereinander348, wie es der BGH auch vorsieht. Gegen die Rechtsprechung des BGH ist aber eingewendet worden, es sei dogmatisch nicht möglich, beim Regress des angehörigen Gesellschafters einen Forderungsübergang im Verhältnis zur Gesellschaft zu verneinen und im Verhältnis zu den Mitgesellschaftern zu bejahen: Wenn die Gesellschaftsschuld nicht übergehe, müsse sie erlöschen, womit nach dem Akzessorietätsprinzip auch die Schulden der Mitgesellschafter untergingen und daher für einen Zessionsregress nicht mehr zur Verfügung stünden349. Dieses berechtigte Bedenken spricht allerdings nicht zwingend gegen einen Übergang der Forderungen gegen die Mitgesellschafter. Will man tatsächlich eine Lösung, wonach die Forderung gegen die Gesellschaft untergeht und die Forderungen gegen die Gesellschafter legalzediert werden, können dogmatische Erwägungen nicht im Wege stehen. Die in der Literatur hierzu vorgeschlagenen Lösungen, § 426 II hinsichtlich der Mitgesellschafter nur analog anzuwenden350 oder gar den Forderungsübergang hinsichtlich der Gesellschaft zu fingieren351, sind allerdings wenig überzeugend, weil eine Analogie das Problem des Untergangs der zu zedierenden Forderungen nicht beseitigt und eine Fiktion dogmatisch stets unbefriedigend ist, da sie die Abweichung von der Grundregel nicht begründen kann. Statt dessen käme in Betracht, das Problem an der Wurzel, also an der Akzessorietät der Gesellschafterhaftung, anzupacken und das Akzessorietätsprinzip, das ohnehin (auch bei der Bürgschaft) nur eingeschränkt gilt, bei der Gesellschafterhaftung zu beschränken. Der Untergang der Gesellschaftsschuld durch Leistung eines Gesellschafters würde danach ausnahmsweise nicht zum Untergang der Gesellschafterschulden führen. 347 Stolterfoht, JZ 1975, 659 Fn. 14; Kubis, Regreß, 119 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 49 II 4, V 1, § 60 III 5; ders., NJW 1997, 2205; MüKoHGB/K. Schmidt, § 128 Rz 31; Habersack, AcP 198 (1998), 159 ff., 166 f.; Staub/Habersack, HGB, § 128 Rz 43; Ulmer, AcP 198 (1998), 140; MüKo/Ulmer, § 714 Rz 54; Koller/Roth/Morck, HGB, § 128 Rz 8; Grunewald, Gesellschaftsrecht, 1 A Rz 119, 1 B Rz 48; Kindl, NZG 1999, 523; Lindacher, FS Hadding, 532; Schims, Forderungsübergang, 159 ff.; einschränkend Martensen, Haftung, 50 ff.: Forderungsübergang analog § 774, aber kein Übergang der Sicherungs- und Vorzugsrechte nach §§ 412, 401. Die Entscheidung zwischen § 426 II und § 774 wird offen gelassen bei Wiedemann, WM 1992, Beil. 7, S. 36; ders., Gesellschaftsrecht II, 236; Staud/Noack, § 426 Rz 184. Von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 392 ff., stützt sich auf eine Gesamtanalogie zu §§ 774 BGB, 1607 BGB, 116 SGB X, 67 VVG, 6 EFZG. 348 Kubis, Regreß, 48 f. 349 K. Schmidt, ZHR 137 (1974), 517; Hadding, FS Stimpel, 158, 160; Hadding/Häuser, WM 1988, 1590 f.; Preuß, ZHR 160 (1996), 172. 350 Büscher/Klusmann, ZIP 1992, 17 f. 351 Preuß, ZHR 160 (1996), 172 f.
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Vorrangig ist aber die Frage, warum die Gesellschaftsschuld überhaupt untergehen soll. Immerhin erfüllt der in Anspruch genommene Gesellschafter nicht die Gesellschaftsschuld, sondern leistet auf seine eigene Gesellschafterverbindlichkeit. Eine direkte Anwendung des § 362 auf die Gesellschaftsschuld scheidet damit aus, ebenso wie die Leistung eines Gesamtschuldners nicht die Schuld seines Mitschuldners erfüllt352. Richtig ist, dass das Gesetz einen Forderungsübergang hinsichtlich der Gesellschaftsschuld nicht ausdrücklich vorsieht. Nimmt man aber die gesetzlichen Entscheidungen ernst, dass Gesellschafter untereinander Gesamtschuldner sind und dass Gesamtschulden einen Zessionsregress eröffnen, so könnte man umgekehrt argumentieren, dass der Zessionsregress auch dann verwirklicht werden muss, wenn die Gesamtschulden in einem Akzessorietätsverhältnis zu einer dritten Schuld stehen, und zwar durch die naheliegende Lösung des Übergangs der Gesellschaftsschuld. Vor allem aber will es aus Wertungsgesichtspunkten nicht recht einleuchten, warum beim Bestehenbleiben der Gesellschafterschulden die Gesellschaftsschuld untergehen und damit das Gesellschaftsvermögen gegenüber dem Vermögen der Mitgesellschafter privilegiert werden soll, obwohl doch nach dem Innenverhältnis gerade das Gesellschaftsvermögen für die Tilgung von Gesellschaftsschulden zuständig ist. Der BGH bejaht einen Übergang der Gesellschaftsschuld nur zugunsten des ausgeschiedenen Gesellschafters. Begrifflich kann (wie das Gericht selbst einräumt353) diese Unterscheidung nicht gerechtfertigt werden. Die Schuld des ausgeschiedenen Gesellschafters ist gegenüber der Gesellschaftsschuld etwas mehr verselbständigt als die Haftung des teilhabenden Gesellschafters, aber sie ist grundsätzlich ebenfalls akzessorisch zur Gesellschaftsschuld. Entscheidend ist aber, dass eine Akzessorietät der Haftung nicht gegen einen Forderungsübergang spricht354, wie § 774 zeigt. Der BGH begründet die unterschiedliche Behandlung beider Gesellschafter-Gruppen daher auch mit dem besonderen Schutz des Rückgriffsanspruchs des ausgeschiedenen Gesellschafters. Die Argumente gegen eine Legalzession gerade beim teilhabenden Gesellschafter können freilich wenig überzeugen: Hier wird angeführt, der Regress des teilhabenden Gesellschafters sei „nur“ ein gesellschaftsrechtlicher Aufwendungsersatzanspruch nach § 110 HGB355. Dies ist zwar richtig, doch (abgesehen davon, dass der Regress des ausgeschiedenen Gesellschafters nach der hier vertretenen Auffassung ebenfalls ein gesellschaftsrechtlicher Aufwendungsersatzanspruch ist356) spricht dies selbstverständlich nicht gegen einen Forderungsübergang nach § 774 oder § 426 II357. Der 352
Dazu oben, 254 ff. BGHZ 39, 324. 354 So aber Hadding, FS Stimpel, 150 ff., der deshalb auch einen Forderungsübergang zugunsten des ausgeschiedenen Gesellschafters verneint. 355 BGHZ 39, 323 f.; Hüffer, Gesellschaftsrecht, § 18 Rz 17; Hadding/Häuser, WM 1988, 1588; Preuß, ZHR 160 (1996), 173. 356 Oben, 315 f. 357 Ebenso Flume, Personengesellschaft, 297; K. Schmidt, ZHR 137 (1974), 518; ders., Gesellschaftsrecht, § 49 V 1, § 51 III 2; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 397. 353
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VIII. Der Zessionsregress
Regress des Bürgen gegen den Hauptschuldner beruht häufig auf einem Aufwendungsersatzanspruch aus Auftragsrecht und wird durch die Legalzession nach § 774 verstärkt. Ebenso gibt es bei vertraglichen Gesamtschuldverhältnissen in der Regel einen Regress in Form eines vertraglichen Aufwendungsersatzanspruchs aus § 670 oder §§ 713, 670. Anders als im Bürgschaftsrecht sieht das Gesetz darüber hinaus noch eine Anspruchsgrundlage für einen eigenen Regressanspruch vor (§ 426 I), der aber den Vertragsanspruch keinesfalls verdrängt, sondern nach der hier vertretenen Auffassung sogar vor ihm zurücktritt358; in jedem Fall verstärkt die Legalzession nach § 426 II dann den vertraglichen Regress. Weiterhin heißt es, der Regress des bestehenden Gesellschafters unterliege, anders als der des ausgeschiedenen Gesellschafters, besonderen gesellschaftsrechtlichen Bindungen359. In der Tat gelten etwa die Beschränkungen des Regresses in der Liquidationsphase (nur unselbständiger Rechnungsposten)360 nicht zulasten des ausgeschiedenen Gesellschafters. Ebenso sollen nach einem Teil der Literatur die Beschränkungen des Mitgesellschafterregresses (Subsidiarität und Teilhaftung) nicht auf den ausgeschiedenen Gesellschafter angewendet werden361. Sämtliche gewünschten Beschränkungen würden aber selbstverständlich auch für einen Zessionsregress gelten. Sowohl der Forderungsübergang nach § 426 II als auch der nach § 774 (wegen § 774 I 3) kommen dem Legalzessionar im Ergebnis nur insoweit zugute, wie das Innenverhältnis einen Regress vorsieht. Dies gilt nicht nur für das Bestehen und den Umfang, sondern auch für die Durchsetzbarkeit: Der Zessionsregress ist akzessorisch zum eigenen Regressanspruch362. Selbstverständlich führt auch weder eine Anwendung des § 426 II noch des § 774 im Verhältnis zur Gesellschaftsschuld dazu, dass die Mitgesellschafter wegen § 128 HGB solidarische Regressschuldner werden363. Bei einer entsprechenden Anwendung des § 774 folgt dies unmittelbar aus § 774 II364: Erwirbt der Bürge/ Gesellschafter nach § 774 I die Forderung gegen den Hauptschuldner/die Gesellschaft, würde er nach § 401 BGB/§ 128 HGB eigentlich auch die Forderung gegen den akzessorisch haftenden Mitbürgen/Mitgesellschafter vollständig erwerben, was aber durch § 774 II eingeschränkt wird, weil Bürge und Mitbürge/Gesellschafter und Mitgesellschafter untereinander gleichrangige Gesamtschuldner sind. Wendet man für den Übergang der Gesellschaftsschuld dagegen § 426 II an, müsste man argumentieren, dass innerhalb des gesamtschuldähnlichen Haftungsverbands zwischen Gesellschaft und allen Gesellschaftern unabhängig von § 401 oder § 128 HGB die Höhe des Zessionsregresses nach § 426 II ausschließlich vom Innenverhältnis abhängt. Dieser Argumentationsaufwand ist ein Indiz da358 359 360 361 362
Hierzu oben, 293 ff. BGHZ 39, 324 f. Oben, 310 f. Vgl. oben, 315 f. So zu Recht RG JW 1912, 240 Nr. 7 (29.11.1911); BGHZ 103, 72, 77 f. (15.1.1988); vgl. oben,
430 ff. 363 364
Ebenso i.E. K. Schmidt, ZHR 137 (1974), 518 f.; Kubis, Regreß, 92 f. Ebenso Habersack, AcP 198 (1998), 163.
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für, dass § 774 für den Forderungsübergang bei der Gesellschaftsschuld die passendere Vorschrift ist. Auch Dritte, die für die Gesellschaftsschuld eine Sicherheit gestellt haben, müssen nicht befürchten, durch einen Zessionsregress in den Ausgleich zwischen Gesellschaftern und Gesellschaft hineingezogen zu werden. Mit sicherem Judiz schließt zumindest ein Teil der Literatur, die einen Übergang der Gesellschaftsschuld befürwortet, Drittsicherheiten vom Übergang auf den leistenden Gesellschafter aus365. Diese Einschränkung ergibt sich schon aus dem richtig verstandenen allgemeinen Gesamtschuldrecht: Für die Gesamtschuld als solche gestellte Drittsicherheiten stehen dem Gesamtschuldausgleich nicht zur Verfügung366. Im Verhältnis zu Drittsicherern sind die Gesellschafter selbst Schuldner und können daher die Sicherheit für ihren Regress untereinander oder gegen die Gesellschaft nicht verwenden, auch wenn im Verhältnis zwischen Gesellschaftern und Gesellschaft letztere primär zuständig ist. Wendet man auf den Forderungsübergang § 774 an, so muss man über § 774 II zum Gesamtschuldrecht kommen und hier annehmen, dass gesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Intern haften die Gesellschafter zwar nachrangig zur Gesellschaft, aber vorrangig zu Drittsicherern. (Unrichtig wäre es allerdings, hier von einer dreistufig akzessorischen Haftung auszugehen, da die Haftung der akzessorischen Drittsicherer akzessorisch nur zur Gesellschaftsschuld, nicht zur Gesellschafterschuld ist.) Aus alldem ergibt sich, dass dem Übergang der Gesellschaftsschuld keine dogmatischen oder gesamtschuldimmanenten Probleme entgegenstehen. Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet worden, ob ein Forderungsübergang geboten oder sinnvoll ist. Der Aufwendungsersatzanspruch gegen die Gesellschaft wegen der Tilgung von Gesellschaftsschulden ist sachlich eine Sozialverbindlichkeit. Ein Forderungsübergang würde bedeuten, dass eine bestimmte Gruppe von Ansprüchen wegen Sozialverbindlichkeiten durch den Übergang der Sicherheiten privilegiert wird, während andere Ansprüche, etwa wegen sonstiger Aufwendungen im Gesellschaftsinteresse, ungesichert bleiben. Dies würde etwa dazu führen, dass der Komplementär bei Befriedigung des Gesellschaftsgläubigers die Gesellschaftssicherheiten erwirbt, nicht aber der Kommanditist, der den Gesellschaftsgläubiger auf Bitten des Geschäftsführers befriedigt367 (sofern er nicht klug genug ist, vorher noch eine Bürgschaftsverpflichtung für die Gesellschaft einzugehen und dann auf diese zu leisten). Sofern man hierin eine Unstimmigkeit sieht, geht diese allerdings letztlich auf die Entscheidung des Gesetzgebers zurück, bestimmten Gruppen von Regressberechtigten einen Zessionsregress zu
365 RGRK-HGB/Weipert (1950), § 128 Anm. 33; Schlegelberger/Geßler, HGB (1963), § 128 Rz 29; Staub/Fischer (1973), HGB, § 128 Rz 21, 60; K. Schmidt, ZHR 137 (1974), 519 f.; Preuß, ZHR 160 (1996), 176; a.A. aber Kubis, Regreß, 105 f. 366 Oben, 447 ff. 367 Es sei denn, man folgt der kühnen Rechtsfortbildung des BGH, § 426 auch zugunsten des nicht schuldenden Kommanditisten anzuwenden, BGH ZIP 2002, 394, 396 (17.12.2001); dazu oben, 311 ff.
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gewähren und anderen nicht, ohne die Wertungsgrundlagen für diese Entscheidung näher zu begründen368. Habersack leitet aus dem BGB ein gesetzgeberisches Prinzip ab, wonach dem akzessorisch Schuldenden grundsätzlich ein Zessionsregress gegen den Hauptschuldner zusteht, und damit auch dem Gesellschafter gegen die Gesellschaft369. Dieses auf den ersten Blick plausible Prinzip kann allerdings solange nicht als gesichert gelten, wie nicht der sachliche Zusammenhang zwischen Akzessorietät und Zessionsregress hinreichend geklärt ist370. Die akzessorische Natur der Haftung kann ein Indiz dafür sein, dass im Innenverhältnis der andere Teil für die Schuldtilgung zuständig ist, der akzessorisch Schuldende also einen Regress hat. Dann ist aber noch nicht dargetan, warum es gerade ein Zessionsregress sein soll. Immerhin gewährt das Gesetz auch dem nichtakzessorisch haftenden Gesamtschuldner einen Zessionsregress, der selbstverständlich nicht mit der Nicht-Akzessorietät erklärt werden kann371. Nach dem oben Gesagten schien der BGBGesetzgeber den Zessionsregress eher an der Solutionskonkurrenz festzumachen (sofern nicht gerade umgekehrt das Akzessorietätsprinzip im Weg stand, etwa beim Regress des Hauptschuldners gegen den intern verpflichteten Bürgen)372. Bei der BGB-Gesellschaft hat der Gesetzgeber deshalb keinen Übergang der Forderung gegen die Gesellschaft vorgesehen, weil ihm dieses moderne Schuldmodell nicht vor Augen stand. Auch wenn es bis heute nicht ganz geklärt ist, inwieweit der Gesetzgeber die Gesellschaft bürgerlichen Rechts als eine rein schuldrechtliche Beziehung oder doch als eine gewisse Einheit ansah, so ging er jedenfalls nicht von einer akzessorischen Haftung der Gesellschafter für eine Schuld der Gesellschaft aus373. Im Wege der funktionalen Betrachtung muss daher geklärt werden, zu welchen Ergebnissen das traditionelle Schuldmodell führen würde, wenn ein Gesellschafter Gesellschaftsschulden tilgt, für welche die Gesellschaft Sicherheiten gestellt hatte. Danach bestehen nur Gesamtschulden der Gesellschafter. Die Forderungen gegen die Mitgesellschafter gehen nach § 426 II auf den Leistenden über. Die Sicherheit aus dem Gesellschaftsvermögen wurde nicht von der Gesellschaft, sondern von allen Gesellschaftern als Inhabern des Gesamthandsvermögens gestellt. Nach dem oben Gesagten war es für den Gesetzgeber selbstverständlich, dass Sicherheiten aus dem Schuldnervermögen, die für die „Gesamtschuld als solche“ gestellt werden, für den Gesamtschuldausgleich zur Verfügung stehen374. Der Leistende erwirbt damit, wie heute bei der 368
Oben, 400 ff. Habersack, AcP 198 (1998), 159 f. In diese Richtung geht auch der oben (403 ff.) beschriebene Ansatz bei von Koppenfels-Spies, Cessio legis. 370 Ebenso Dieckmann, Derivativregreß, 396 ff. 371 Vgl. zum Zessionsregress bei nichtakzessorischer Haftung Schims, Forderungsübergang, 168 ff. 372 Oben, 403. Hiermit begründet Kubis die Notwendigkeit eines Zessionsregresses auch gegen die Gesellschaft, Regreß, 66 ff., 87 ff. 373 Vgl. oben, 78 ff. 374 Oben, 460 ff., 468. 369
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Erbengemeinschaft, die Sicherheit anteilig in Höhe seiner Regressforderungen und kann im Ergebnis wegen seines Gesamtschuldregresses die Sicherheit (vollständig oder unter Abzug seines Innenanteils375) nutzen. Das Reichsgericht hielt den Übergang der von der Gesellschaft gestellten Sicherheit daher offenbar für selbstverständlich376. Dann kann aber argumentiert werden, dass der Wechsel vom traditionellen Schuldmodell zum modernen Akzessorietäts-Modell „regressrechtlich neutral“ 377 bleiben müsse. Wenn der Leistende die auf dem Gesellschaftsvermögen lastende Sicherheit ganz oder zum Großteil erwerben konnte, dann muss er das auch heute können, was für einen Übergang der Forderung gegen die Gesellschaft spricht. Bei der OHG verhält es sich anders. Das HGB sieht in § 128 eine solidarische Haftung der Gesellschafter für die Gesellschaftsverbindlichkeiten, nicht aber einen Forderungsübergang vor. Die Regeln entstammen dem ADHGB von 1861. Wie berichtet hatte sich der Gesetzgeber des ADHGB trotz einer § 124 HGB entsprechenden Vorschrift nicht für die Rechtsfähigkeit der OHG entschieden378. Demnach ging er nicht von einem Nebeneinander von Gesellschafts- und Gesellschafterschuld aus, das die Frage eines Zessionsregresses im Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter aufgeworfen hätte. Ein Regress, und damit ein Forderungsübergang, kam nur im solidarischen Verhältnis der Gesellschafter untereinander in Betracht. Doch die gemeinrechtliche Gesamtschuld galt im 19. Jahrhundert als regresslos. Der Rückgriff beruhte auf dem Innenverhältnis. Dementsprechend sah das ADHGB einen Aufwendungsersatzanspruch des leistenden Gesellschafters vor379. Die Gesamtschuldanordnung betraf also allein das Außenverhältnis zum Gläubiger. Im Ergebnis sah der ADHGB-Gesetzgeber also offenbar gar keinen Zessionsregress vor. Allerdings gab es, wie geschildert, in der gemeinrechtlichen Rechtsprechung und Literatur teilweise die Ansicht, dass dem leistenden Gesamtschuldner gegenüber dem Gläubiger ein Recht auf Abtretung der Klagen gegen die Mitgesamtschuldner zustehe380. Es ist schwer einzuschätzen, welche Rolle dieses beneficium cedendarum actionum bei der Handelsgesellschaft gespielt hat. Der Gesetzgeber des ADHGB hat sich mit der Frage offenbar nicht befasst. Die Lage änderte sich, als das BGB in Kraft trat und das ADHGB zum HGB wurde. Wegen § 426 BGB hätte die nun in § 128 HGB übernommene Anordnung der solidarischen Haftung dazu führen müssen, dass ein Regress des leistenden Gesellschafters gegen seine Mitgesellschafter bestehen musste, der durch einen Forderungsübergang abgesichert war. Demnach stellte sich sachlich die Frage, ob dieser Forderungsübergang bei Handelsgesellschaften ausgeschlossen 375
Zu dieser Frage oben, 463. Richtiger scheint der vollständige Erwerb der Sicherheit zu sein. RGZ 91, 277, 279 f. (26.11.1917). 377 Vgl. oben, 85, 165, zum entsprechenden Argument der „haftungsrechtlichen Neutralität“ im Verhältnis zum Gläubiger. 378 Oben, 77 f. 379 ADHGB Art. 93; heute HGB § 110. 380 Oben, 274, 392 ff. 376
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VIII. Der Zessionsregress
sein sollte, und wenn ja, aus welchen Gründen. Der Gesetzgeber des HGB hielt es interessanterweise für selbstverständlich, dass trotz Anordnung der Solidarhaft § 426 BGB auf Handelsgesellschaften nicht anwendbar war. In der Denkschrift verwies er auf die Regeln, dass ein Regress erst nach der Auflösung der Gesellschaft möglich und auch innerhalb der Liquidation Beschränkungen unterworfen sei381. Mit dieser Begründung sollte offenbar auch ein Forderungsübergang ausgeschlossen werden. Doch weil es sich hierbei lediglich um eine im Gesetz nicht zum Ausdruck gekommene Meinung des Gesetzgebers handelte, die noch dazu auf einer Fehleinschätzung der Flexibilität des Regresses und des Zessionsregresses nach § 426 BGB beruhte, konnte sie die Streitfrage nicht autoritativ entscheiden. Für Anhänger des traditionellen Schuldmodells bedeuteten die in § 128 HGB genannten „Gesellschaftsverbindlichkeiten“ lediglich Gesamtschulden der Gesellschafter mit Besonderheiten des Haftungsobjekts. Angesichts § 426 BGB war es zumindest für einen Teil der Literatur nach 1900 daher selbstverständlich, dass der leistende Gesellschafter von einem Forderungsübergang profitieren konnte, der die von der „Gesellschaft“ gestellten Sicherheiten umfasste382. Während also der BGB-Gesetzgeber bei der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft im Ergebnis offenbar von einem Übergang der Gesellschaftssicherheiten auf den leistenden Gesellschafter ausging, ist die historisch-funktionale Auslegung bei der OHG weniger ergiebig. Die Zurückhaltung des handelsrechtlichen Gesetzgebers könnte auf einem echten Sachproblem beruhen. Bei der Frage des Übergangs der Forderung gegen die Gesellschaft geht es in erster Linie um das Schicksal der von der Gesellschaft gestellten Sicherheiten. Die Zugehörigkeit dieser Sicherheiten wird dann relevant, wenn die Gesellschaft nicht in der Lage ist, die Regressforderung des Gesellschafters zu befriedigen, insbesondere also in ihrer Insolvenz. Der regressberechtigte Gesellschafter, der die Sicherheit verwerten möchte, konkurriert dann mit den Gesellschaftsgläubigern, die sich aus dem Gesellschaftsvermögen befriedigen wollen. Weil aber der regressberechtigte Gesellschafter für alle Gesellschaftsverbindlichkeiten nach § 128 HGB persönlich haftet, kann es widersprüchlich erscheinen, ihm zu gestatten, den Gesellschaftsgläubigern ihren Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen hinsichtlich Forderungen zu entziehen, für die er ohnehin selbst haftet383. Es ist dieses Sachproblem, das den BGH dazu bewogen hat, einen Übergang der Forderung gegen die Gesellschaft nur zugunsten des ausgeschiedenen Gesellschafters zuzulassen384. Dieser haftet zwar weiterhin gegenüber allen zur Zeit seines Ausscheidens bestehenden Gesellschaftsgläubigern (den Altgläubigern), 381
Denkschrift HGB, zu §§ 116–118, S. 94 f. (279 f.). So RGRK-HGB/Weipert (1950), § 128 Anm. 2, 33; Schlegelberger/Geßler, HGB (1963), § 128 Rz 2, 29; Buchner, AcP 169 (1969), 508. 383 Manche Autoren schließen daher Regressansprüche der Gesellschafter wegen Tilgung von Gesellschaftsschulden nach Insolvenzeröffnung ganz aus, etwa K. Müller, NJW 1968, 229 f.; Keuk, ZHR 135 (1971), 436 ff. 384 BGHZ 39, 325. 382
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nicht aber gegenüber späteren Neugläubigern. Konkurriert der ausgeschiedene Gesellschafter, der einen Altgläubiger befriedigt hat, mit Neugläubigern um das nicht ausreichende Gesellschaftsvermögen, besteht kein Grund, das Gesellschaftsvermögen ausschließlich den Neugläubigern zuzuweisen. Schließlich hätte der Altgläubiger, statt auf den ausgeschiedenen Gesellschafter zuzugreifen, sich auch an die Gesellschaft halten und gegebenenfalls die Sicherheit verwerten können, wozu es wegen der Leistung des Ausgeschiedenen nicht gekommen ist. Die Konkurrenz zu den Gesellschaftsgläubigern könnte auch der sachliche Grund für eine vom HGB-Gesetzgeber abweichende Wertung des BGB-Gesetzgebers sein. Wenn dieser von einem traditionellen Schuldmodell ausging, bedeutet dies, dass der Gesellschafter nicht für sämtliche Schulden „der Gesellschaft“ einstehen musste, sondern nur dann, wenn ein Verpflichtungsgrund wie § 427 oder § 840 gerade auch in seiner Person entstanden war. Wenn aber der BGB-Gesellschafter nach diesem Modell nicht von vornherein für sämtliche Forderungen der Gesellschaftsgläubiger persönlich haftete, gab es auch weniger Anlass dazu, seinen Zugriff auf die von der Gesellschaft bestellte Sicherheit mit dem Hinweis auf seine persönliche Haftung gegenüber den konkurrierenden Gesellschaftsgläubigern einzuschränken. Sofern es aber eine solche Wertung tatsächlich gab, hat sie sich spätestens dann geändert, als der BGH sich auch bei der BGB-Gesellschaft für das akzessorische Schuldmodell entschied385. Hinter der konstruktiven Schwierigkeit, den Forderungsübergang beim akzessorischen Haftungsmodell mangels gesetzlicher Grundlage zu begründen, verbirgt sich also ein Sachproblem, nämlich die Konkurrenz zu den Gesellschaftsgläubigern, gegenüber denen der Regressberechtigte haftet. Es ist in erster Linie eine gesellschaftsrechtliche Frage, wie dieses Konkurrenzproblem zu lösen ist. Die gesellschaftsrechtlichen Befürworter eines Zessionsregresses gegenüber der Gesellschaft sehen in der Gläubigerkonkurrenz kein grundlegendes Hindernis für einen Forderungsübergang386. Befriedigt ein Gesellschafter einen Gläubiger und nimmt er mithilfe der übergegangenen Forderung Regress bei der Gesellschaft, stehen die übrigen Gesellschaftsgläubiger nicht schlechter da, als wenn die Befriedigung des einen Gläubigers nie stattgefunden hätte. Nach wie vor können sie auf den haftenden Gesellschafter zugreifen. Es ist zwar möglich, dass die auf den Gesellschafter übergegangene Sicherheit von dessen Privatgläubiger gepfändet wird. Das müssen die übrigen Gläubiger aber hinnehmen, da das Gesellschaftsvermögen ihnen gegenüber nicht gesichert ist, solange die Gesellschaft zahlungsfähig ist. Nach Insolvenz der Gesellschaft können mittlerweile nicht nur Kommanditisten, sondern auch andere Gesellschafter auf Gesellschaftsverbindlichkeiten befreiend nur noch an den Insolvenzverwalter leisten387. Selbst in diesem Stadium ist ein Forderungsübergang grundsätzlich 385
Oben, 84 f. Vgl. K. Schmidt, Einlage, 145 ff.; J. Blomeyer, BB 1968, 1461; Kubis, Regreß, 94 ff.; a.A. Martensen, Haftung, 51 f. 387 Kommanditisten: § 171 II HGB; persönlich haftende Gesellschafter: § 93 InsO. 386
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möglich, hilft dem Gesellschafter im Ergebnis aber nicht, wenn er gegenüber den übrigen Gesellschaftsgläubigern weiterhin haftet388. In dieser Lage will zumindest ein Teil der Literatur von vornherein die Inanspruchnahme der Sicherheit durch den leistenden Gesellschafter verhindern389. Im Ergebnis scheint danach der Forderungsübergang dem (aktuellen) Gesellschafter im Verhältnis zu den konkurrierenden Gesellschaftsgläubigern kaum Vorteile zu bringen. Denkbar wäre allerdings eine Sicherungsfunktion im Verhältnis zu den Mitgesellschaftern. Anders als bei der Erbengemeinschaft ist der regressberechtigte Gesellschafter nicht davor geschützt, dass ein anderer Gesellschafter bei Geltung des Einzelvertretungsgrundsatzes die Gegenstände des Gesellschaftsvermögens im Namen der Gesellschaft veräußert. Sofern also eine Konkurrenz zu den Gesellschaftsgläubigern keine Rolle spielt, könnte der Forderungsübergang verhindern, dass der Regress ins Gesellschaftsvermögen leerläuft und nur ein ungesicherter Regress gegen die Mitgesellschafter besteht. Darüber hinaus schafft der Übergang der Forderung gegen die Gesellschaft auch die dogmatische Voraussetzung für den Forderungsübergang hinsichtlich der Mitgesellschafter. Sofern danach ein Forderungsübergang gegen die Gesellschaft bejaht wird, fragt es sich, ob § 426 II oder § 774 analog anzuwenden ist. Da sich die Rechtsfolgen kaum unterscheiden, lassen manche Autoren diese Frage auch offen390. Strukturell erscheint § 774 als passendere Norm, nicht nur deshalb, weil die Gesellschafterhaftung zur Gesellschaftsschuld ebenso akzessorisch ist wie die Bürgenschuld zur Hauptschuld391. Durch § 774 II wird auch gerade das typische Schuldmodell der Personenaußengesellschaft erfasst, nämlich das Nebeneinanderstehen mehrerer Verbindlichkeiten, die sämtlich akzessorisch zur Schuld eines intern primär zuständigen Dritten sind, aber unter sich im Gesamtschuldverhältnis stehen392. Daher passt § 774 auch bei der Beweislast besser: Während § 426 II i.V.m. § 426 I gleiche interne Anteile sämtlicher Beteiligter vermutet, würde bei Anwendung des § 774 mangels gegenteiligen Beweises (§ 774 I 3) die Gesellschaft
388
K. Schmidt, Einlage, 150 ff. K. Schmidt, ZHR 137 (1974), 520; ders., Einlage, 152 f.; Preuß, ZHR 160 (1996), 175 ff., 178. 390 Wiedemann, Gesellschaftsrecht II, 236; Staud/Noack, § 426 Rz 184. 391 Ebenso Kubis, Regreß, 116 ff.; Schims, Forderungsübergang, 159 ff. Dies wird auch von Büscher/Klusmann, ZIP 1992, 17, erwogen, die sich dann aber doch für eine Analogie zu § 426 II entscheiden, da der Gesellschafter anders als der Bürge nicht subsidiär hafte. Doch abgesehen davon, dass in der Praxis die Einrede der Vorausklage bei Bürgen meist nicht besteht, ist der behauptete Zusammenhang zwischen § 774 und einer Subsidiarität nicht ersichtlich. Unerfindlich ist auch, warum eine Analogie zu § 774 beim beteiligten Gesellschafter daran scheitern sollte, dass dieser, anders als ein Bürge, auf die Belange des „Hauptschuldners“ Einfluss nehmen kann, so Preuß, ZHR 160 (1996), 173 f. Gegen eine sachliche Verbindung zwischen Zessionsregress und Einflussmöglichkeit spricht schon, dass § 426 II keinen Unterschied danach macht, ob die Gesamtschuldner sich gemeinschaftlich verpflichtet haben oder nichts voneinander wissen. 392 Ebenso Kubis, Regreß, 120. Erwägenswert ist auch die seitens von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 399, vorgeschlagene Gesamtanalogie zu §§ 774 BGB, 1607 BGB, 116 SGB X, 67 VVG, 6 EFZG. 389
Zusammenfassung
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als interne Alleinschuldnerin gelten, während die Kopfteilvermutung nach § 774 II i.V.m. § 426 I nur auf das Verhältnis der intern subsidiär haftenden Gesellschafter untereinander anwendbar wäre393.
Zusammenfassung Das BGB gewährt einen Zessionsregress nicht nur Gesamtschuldnern, sondern auch Bürgen, dinglichen Sicherern und Ablösungsberechtigten, nicht aber dem einfachen Drittleistenden. Diese unterschiedliche Ausgestaltung des Regresses desjenigen, der einen Schuldner durch Leistung an den Gläubiger vor dem Zugriff des Gläubigers befreit, kann nicht dadurch erklärt werden, dass Gesamtschuldner und Bürgen auf eine eigene Schuld, der Drittleistende dagegen direkt auf die Schuld des Schuldners leistet. Richtiger Ansicht nach leistet auch im Fall des § 268 der Dritte auf die Verbindlichkeit des Schuldners. Drittleistung und Legalzession schließen sich nicht grundsätzlich aus. In Frankreich spricht man hier von einer subrogation, während man im deutschen Recht von einer ausnahmsweise schulderhaltenden Erfüllung reden kann. Die Entscheidung des BGB-Gesetzgebers ist daher nicht technisch vorgegeben, sondern beruht auf einer Wertungsentscheidung, deren Grundlagen aber nicht offen gelegt wurden. Im Ergebnis wird der Zessionsregress im BGB denjenigen gewährt, die entweder aufgrund eigener Verpflichtung (Bürge, Gesamtschuldner) oder weil der Zugriff des Gläubigers ihre Rechte berührt (dinglicher Sicherer, Ablösungsberechtigter), an den Gläubiger leisten. Die Erwägung, dass Gesamtschuldner, Bürge, Sicherer und Ablösungsberechtigter
393 Für den anteiligen Übergang der Forderungen gegen die Mitgesellschafter gelten demnach §§ 774 II, 426 II; ebenso MüKoHGB/K. Schmidt, § 128 Rz 34 (unklar aber ders., Gesellschaftsrecht, § 49 V, wonach offenbar gar kein Forderungsübergang stattfindet); Grunewald, Gesellschaftsrecht, 1 A Rz 119, 1 B Rz 48; Martensen, Haftung, 52; Schims, Forderungsübergang, 162. Demgegenüber will Habersack § 426 II hier gar nicht anwenden: Der Forderungsübergang finde schon nach § 774 I i.V.m. § 401 statt; § 774 II verweise dann lediglich auf § 426 I und schränke den Umfang des Übergangs ein, AcP 198 (1998), 162; Staub/Habersack, HGB, § 128 Rz 48; ebenso Koller/Roth/Morck, HGB, § 128 Rz 8. Abgesehen davon, dass der Wortlaut des § 774 II auch auf § 426 II verweist, besteht auch kein zwingender Grund, von einem (zeitlich vorrangigen?) Forderungsübergang nach § 774 auszugehen, der einen Übergang nach § 426 II ins Leere laufen lässt. Ebenso gut ist vorstellbar, dass die Forderung gegen den Mitgesellschafter zum einen nach dem (direkt anwendbaren!) § 426 II anteilig übergeht, zum anderen ein Übergang nach § 774 in Frage kommt, wobei hier § 774 II im Ergebnis klarstellt, dass es beim nur anteiligen Übergang nach § 426 II bleibt; vgl. auch unten, 1142 f., zur entsprechenden Frage bei der Mitbürgenhaftung. Für die Regel, dass die Subsidiarität des Mitgesellschafterregresses auch den Forderungsübergang umfasst, kann Habersack daher nicht § 426 II („soweit“) heranziehen, sondern muss § 774 I 3 anwenden, AcP 198, 163 f. Der Ansatz, allein mit §§ 774, 401 zu arbeiten, führt zu Problemen, wenn man (im Sinne der Doppelverpflichtungstheorie) die Akzessorietät der Gesellschafterhaftung als rechtsgeschäftlich vereinbart ansieht, weil sich dann die Frage stellt, ob ein rechtsgeschäftlich vereinbarter automatischer Mitlauf i.S.d. § 401 überhaupt mit § 137 vereinbar ist, hierzu Habersack, AcP 198, 168 f.
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VIII. Der Zessionsregress
zur Leistung an den Gläubiger mehr oder weniger gezwungen sind, so dass sie durch einen Zessionsregress geschützt werden müssen, überzeugt allerdings solange nicht, wie jeder Dritte sich auch gegen den Willen des Schuldners zum Bürgen oder Mitgesamtschuldner machen kann. Letztlich kann zur Rechtfertigung des Zessionsregresses nur ein erweitertes Glücksspiel-Argument herangezogen werden, das aber auch nicht restlos überzeugt. Offenbar beruht die Entscheidung des Gesetzgebers in erster Linie auf historischen Gründen, weil er die Fallgruppen des Zessionsregresses aus dem Gemeinen Recht übernommen hat (wobei er aber von vorangegangenen Regelwerken abwich). Die Entscheidung des Gesetzgebers ist also sachlich keinesfalls selbstverständlich, muss aber als positive gesetzgeberische Entscheidung hingenommen werden. Aus systematischen Gründen ist dann auch bei der OHG oder Außen-GbR der Übergang der Forderung gegen die Gesellschaft auf den leistenden Gesellschafter anzunehmen. Da der Forderungsübergang aber in erster Linie die Konkurrenz mit den Gesellschaftsgläubigern betrifft, gegenüber denen der Gesellschafter selbst haftet, hat die Entscheidung über diese Frage kaum praktische Auswirkungen. Auch wenn das BGB beim Zessionsregress des Gesamtschuldners und Bürgen von einem „Forderungsübergang“ spricht, handelt es sich nicht um einen Gläubigerwechsel, der sich von der Abtretung i.S.d. § 398 nur durch seinen gesetzlichen Entstehungstatbestand unterscheidet. Zwar ist es theoretisch möglich, den Regress so auszugestalten, dass die Stellung des Regressberechtigten derjenigen eines rechtsgeschäftlichen Zessionars entspricht. Diese der gemeinrechtlichen Kauffiktion ähnelnde Konstruktion hat der Gesetzgeber aber nicht gewählt. Die Tatsache, dass dem Gesamtschuldner und dem (Auftrags-)Bürgen ein eigener, von der Gläubigerforderung unabhängiger Regressanspruch gewährt wird, zeigt, dass nicht lediglich ein Inhaberwechsel der Forderung stattgefunden haben kann. Vielmehr wird der Gläubiger auch wegen der Forderung gegen den Hauptschuldner bzw. Mitgesamtschuldner befriedigt. Diese Forderung besteht daher nicht im selben Maße weiter, sondern wird allein zu Regresszwecken mit Beschränkungen am Leben gehalten; ob man hier von einem Übergang oder von einer neuen inhaltsgleichen Forderung des Regressberechtigten spricht, ist eine rein terminologische Frage. Auch die Rechtsfolgen der Legalzession sind nicht dieselben wie bei einer Abtretung. Die Gläubigerforderung geht nur in Höhe des eigenen Regressrechts über und ist auch weiterhin akzessorisch zur eigenen Regressforderung. Sie richtet sich in der Regel wie die eigene Regressforderung auf Geldersatz, auch wenn sie sich in der Hand des Gläubigers noch auf eine nichtmonetäre Leistung gerichtet hatte. Daher kann der Legalzessionar auch Zinsen ab der Zeit des Forderungsübergangs nur in der Höhe verlangen, in der sie ihm aus seinem eigenen Regressanspruch zustehen; die entgegenstehende Argumentation von BGH und herrschender Lehre geht zu Unrecht von einer der Abtretung gleichen Lage aus. Zur Klarstellung der Unterscheidung zwischen einem gewöhnlichen Forderungsübergang, der wie eine Abtretung wirkt, und einer Legalzession zu Regresszwe-
Zusammenfassung
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cken empfiehlt es sich, bei letzterer nach französischem und Schweizer Vorbild von einer Subrogation zu sprechen. Insofern erweist es sich nicht als glücklich, dass das Gesetz die regresssichernde Subrogation durch Verweis auf die Regeln zur rechtsgeschäftlichen Abtretung regelt. So passen die Vorschriften der §§ 399–400 nicht unbedingt auf Legalzessionen. Umgekehrt kann aber nicht ohne weiteres ein Forderungsübergang bei einem rechtsgeschäftlichen Abtretungsverbot angenommen werden, weil das Recht eines Schuldners, einen Gläubigerwechsel zu verhindern, nicht einfach dadurch umgangen werden darf, dass ein Dritter, statt die Forderung vom Gläubiger zu erwerben, sich zum Bürgen oder Mitschuldner macht und dann leistet. Die unvollkommene gesetzliche Regelung zeigt sich insbesondere bei der Frage, welche Sicherheiten auf den leistenden Bürgen oder Gesamtschuldner übergehen. Bei der Gesamtschuld hat der Gesetzgeber, der sich nicht zwischen Einheits- und Mehrheitskonstruktion entscheiden wollte, offengelassen, ob „die Gesamtschuld“ insgesamt oder nur die besondere Forderung gegen den regresspflichtigen Gesamtschuldner auf den Leistenden übergehen soll. Tatsächlich ist eine Differenzierung nach dem Sicherheitsgeber zu treffen: Sicherheiten aus dem Schuldnervermögen gehen stets auf den leistenden Gesamtschuldner über, während durch Dritte bestellte Sicherheiten nicht immer für den Gesamtschuldausgleich zur Verfügung stehen. Für diese in der Praxis vorgenommene Differenzierung fehlt es jedoch an einem Anhaltspunkt im Gesetz. Beim Zusammentreffen von Gesamtschuldnern und akzessorischen Sicherern stellt das BGB neben §§ 426 II, 774 nur die Vorschrift des § 401 zur Verfügung, die aber für ein anderes Regelungsproblem geschaffen wurde. Ihre konsequente Anwendung führt zu einer Bevorzugung der Gesamtschuldner vor akzessorischen Sicherern, deren Wertungsgrundlage aber unklar bleibt. Rechtsprechung und Literatur setzen sich daher teilweise über sie hinweg, ohne aber über die zugrunde liegenden Wertungen Einigkeit zu erzielen. Eine in sich schlüssige Gesamtlösung für alle Fälle des Aufeinandertreffens von Gesamtschuldnern und Bürgen würde voraussetzen, sich von den beiden isolierten Legalzessionsvorschriften der §§ 774, 426 II i.V.m. § 401 zu lösen und einen umfassenden Ausgleich auf der Basis einer analogen Anwendung des § 426 vorzunehmen. In ähnlicher Weise ungeregelt blieb das Problem des Ausgleichs ungleichartiger Sicherer, das Rechtsprechung und Literatur bis heute beschäftigt. Zum Schicksal unselbständiger Sicherheiten äußert sich das Gesetz gar nicht. Insgesamt erweisen sich die Regelungen des BGB zur Legalzession als wenig ausgereift und für die Praxis nicht hilfreich.
Teil B
Gesamtschulden auf Schadensersatz
I. Die solidarische Schadensersatzhaftung im Verhältnis zur Vertragsgesamtschuld Neben vertraglichen Verbindlichkeiten bildet die Schadensersatzhaftung mehrerer einen zweiten bedeutsamen Anwendungsfall der Solidarhaftung. Auch ihre Wurzeln gehen auf das römische Recht zurück, wenngleich bei den römischen Vorläufern unserer heutigen Deliktsansprüche nicht die gesamtschuldnerische, sondern die kumulierte Haftung im Vordergrund stand.
1. Personenkonkurrenzen bei gesetzlichen Verbindlichkeiten im römischen Recht a) Der Umfang der Haftung: Kumulation, Solidarität und Teilschulden Das römische Deliktsrecht kannte keine allgemeine Haftung auf Schadensersatz, sondern bestand wie das englische law of torts aus einem Katalog verschiedener Deliktsklagen, die sich nicht nur in ihren Tatbeständen, sondern auch in ihren Rechtsfolgen voneinander unterschieden1. Einen Kernbereich bildeten die sog. Strafklagen (actiones poenales), die als Privatklagen Funktionen wahrnahmen, die heute das öffentliche Strafrecht ausübt. Hervorgegangen aus einer staatlichen Beschränkung der Ausübung von Rache, dienten sie ursprünglich allein der Sanktionierung, genauer: der Vergeltung von Unrecht in Form einer Geldbuße, wobei diese Buße nicht der Allgemeinheit, sondern dem Verletzten zukam. Diese Geldbuße konnte ein festgelegter Betrag sein; sie konnte aber auch den Wert des verletzten Rechtsguts oder ein Vielfaches dieses Werts widerspiegeln. Die Sanktionierungsfunktion erklärt einige Besonderheiten der römischen Strafklagen, etwa ihre passive Unvererblichkeit. Erst im Laufe der Zeit rückte auch die Funktion der Wiedergutmachung in den Vordergrund. In Gaius’ Institutionen findet sich schließlich eine funktionsabhängige Dreiteilung der Klagen: Die sog. reinen Strafklagen richteten sich allein auf die Sanktionierung des Unrechts. Die sachverfolgenden (reipersekutorischen) Klagen dienten ausschließlich der Wiedergutmachung des Schadens des Verletzten. Die sog. gemischten Strafklagen sollten
1 Zum Folgenden Zimmermann, Law of Obligations, 1 ff., 914 ff.; Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. I, § 39 II, § 142, Bd. II, § 271; ausführlich Liebs, Klagenkonkurrenz, passim; Jansen, Haftungsrecht, 185 ff.
1. Personenkonkurrenzen bei gesetzlichen Verbindlichkeiten im römischen Recht
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demgegenüber zugleich sanktionierende als auch wiedergutmachende Funktionen erfüllen2. Das bekannteste Beispiel einer reinen Strafklage ist die actio furti, eine auf das Zwölftafelgesetz zurückgehende Zivilklage, deren Tatbestand neben dem Diebstahl auch die Unterschlagung, den Gebrauchsdiebstahl und andere Fälle der Zueignung fremden Guts umfasste3. Sie richtete sich auf den doppelten Wert der Sache, bei Ergreifung auf frischer Tat sogar auf den vierfachen Wert4. Daneben stand dem Eigentümer, als rein sachverfolgende Klage, die condictio furtiva zur Verfügung, die sich auf den einfachen Sachwert richtete5. Wegen der unterschiedlichen Funktionen der actio furti und der condictio furtiva konnte der Verletzte beide Klagen kumulativ erheben und von einem Einzeltäter im Ergebnis den dreifachen bzw. fünffachen Wert der Sache erlangen6. Unter diesen Umständen erstaunt es nicht, dass mehrere Täter bei der actio furti kumulativ hafteten7. Dies galt, wie die Quellen hervorheben8, auch dann, wenn es sich um Mittäter handelte und im Ergebnis nur ein Diebstahl an einer Sache stattgefunden hatte. Jeder Tatbeteiligte hatte ein zu sühnendes Unrecht begangen. Eine (aus heutiger Sicht) Überentschädigung des Verletzten war bei den Strafklagen nichts Ungewöhnliches. Eine kumulierte Haftung mehrerer Täter bestand auch bei der actio legis Aquiliae, aus der später die allgemeine deliktische Schadensersatzhaftung hervorging9. Die aus dem dritten Jahrhundert v. Chr. stammende lex Aquilia gewährte in ihrem ersten Kapitel eine Klage bei der Tötung von fremden Sklaven und fremdem Vieh, die sich (ursprünglich) auf den Betrag des höchsten Wertes richtete, den der Sklave oder das Tier im letzten Jahr aufgewiesen hatte. Das dritte Kapitel ordnete eine Wertersatzpflicht bei sonstigen Schädigungen oder
2 Gai. 4,6–9; vgl. Inst. 4,6,16–19; hierzu Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. I, § 117 II, § 142 IV, Bd. II, § 257 I; Zimmermann, Obligations, 918 ff.; Jansen, Haftungsrecht, 187 ff., 237 ff. 3 Gai. 3,183 ff.; Inst. 4,1,1 ff.; D.47,2; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 41 III, § 143; Zimmermann, Obligations, 922 ff. 4 Zwölftafelgesetz, VIII Nr. 16; Gai. 3,189 f.; Inst. 4,1,5; 4,6,18; eod., 23; eod., 25–27; Ulpian D.47,2,46,2, D.47,2,50 pr.; Gaius D.47,2,56,3; Diocletian C.6,2,11. 5 D.13,1; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 143 III; Zimmermann, Obligations, 941 f.; Levy, Konkurrenz I, 279 ff.; Pika, Causa furtiva, passim. Zu „pönalen Spitzen“ der condictio furtiva Liebs, Klagenkonkurrenz, 132 ff. 6 Gai. 4,4; Inst. 4,1,19; Inst. 4,6,18; Ulpian D.3,6,5,1, D.13,1,7,1; Paulus D.9,4,31, D.44,7,34,2; Gaius D.47,2,55,3; Julian D.47,6,2; Diocletian C.3,41,5, C.6,2,12–14; Levy, Konkurrenz I, 428 f.; Liebs, Klagenkonkurrenz, 92 f.; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 143 III; Pika, Causa furtiva, 108; Zimmermann, Obligations, 942 f. Nach Liebs, a.a.O., 94 ff., soll dies allerdings erst ab dem spätklassischen Recht gegolten haben, weil die actio furti ursprünglich auch eine wiedergutmachende Funktion innegehabt habe. 7 Tryphonin D.26,7,55,1; Ulpian D.47,2,21,9, D.47,4,1,19, D.47,6,1 pr.; Hermogenian D.49,14,46,9; Diocletian C.4,8,1; Levy, Konkurrenz I, 482; Liebs, Klagenkonkurrenz, 125 ff. 8 Julian D.9,2,51,2; Ulpian D.47,2,21,9. 9 Gai. 3,210 ff.; Inst. 4,3; D.9,2. Hierzu Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. I, § 41 IV 2, § 144, Bd. II, § 273 I 2; Zimmermann, Obligations, 953 ff.; Jansen, Haftungsrecht, 202 ff. Der Text ist überliefert bei Gaius D.9,2,2 pr. und Ulpian D.9,2,27,5.
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I. Die solidarische Schadensersatzhaftung im Verhältnis zur Vertragsgesamtschuld
Verletzungen an10. Bestritt der Täter die Tat, schuldete er jeweils das Doppelte. In klassischer Zeit wurde die Klage, die mittlerweile sowohl eine Sanktionierungsals auch eine Wiedergutmachungsfunktion aufwies, als eine gemischte Strafklage bezeichnet11. Hatten mehrere die Tat gemeinsam begangen, schuldete jeder die volle Buße12. Hier findet sich auch der Ursprung der heute in § 830 I 2 enthaltenen Regel, wonach bei nicht aufklärbarem Kausalverlauf jeder Beteiligte für den Erfolg einstehen muss13. Rechtsfolge war aber nicht wie heute die gesamtschuldnerische (§ 840), sondern die kumulative Haftung jedes Beteiligten. Diese kumulative Mittäterhaftung konnte bei durch Sklaven verübten Delikten zur wirtschaftlichen Existenzgefährdung des Sklaveneigentümers führen, der für diese Delikte im Rahmen seiner Noxalhaftung einstehen musste. Diese Noxalhaftung war ein eigentümliches Kennzeichen der römischen Strafklagen14. Bei Delikten durch Sklaven oder Hauskinder konnte der Verletzte den Täter gegen den Willen seines Gewalthabers nicht zur Rechenschaft ziehen, wohl aber die entsprechende Strafklage als Noxalklage gegen den Gewalthaber erheben. Diesem stand es dann frei, entweder die dem Verletzten zustehende Buße zu entrichten oder den Sklaven bzw. das Hauskind an den Verletzten auszuliefern. Bei Strafklagen mit kumulativer Mittäterhaftung hätte dies aber bedeutet, dass ein Gewalthaber, dessen Sklaven gemeinschaftlich ein Delikt verübt hatten, entweder für jeden der Sklaven die volle Buße entrichten oder alle beteiligten Sklaven ausliefern musste, obwohl der Sache nach nur ein Delikt begangen worden war. Der Prätor half durch die Einführung des sog. familia-Edikts: Hatten mehrere Sklaven eines Hausstandes einen gemeinschaftlichen Diebstahl begangen, schuldete ihr Eigentümer (wenn er nicht alle beteiligten Sklaven ausliefern wollte) lediglich diejenige Buße, die angefallen wäre, wenn der Diebstahl von nur einer Person begangen worden wäre15. Diese Haftungsmilderung wurde auch in den Fällen angewandt, in denen die Sklaven gemeinschaftlich eine schädigende Handlung im Sinne der lex Aquilia begangen hatten16. Eine kumulative Haftung von Mittätern findet sich auch bei anderen Strafklagen, die der actio furti oder der actio legis Aquiliae nachgebildet waren, etwa bei der Klage wegen Diebstahls an der Erbschaft durch testamentarisch freigelas10
Zu den strittigen Einzelheiten etwa Kaser, Römisches Privatrecht I, § 41 IV 2; Zimmermann, Obligations, 959 ff.; Jansen, Haftungsrecht, 204. 11 Gai. 4,9; siehe Jansen, Haftungsrecht, 237 ff., 264; anders von Lübtow, Lex Aquilia, 36 ff. 12 Ulpian D.9,2,11,2, s.a. § 4, D.47,6,1,2; Gaius D.9,2,32 pr.; Levy, Konkurrenz I, 484 ff.; Liebs, Klagenkonkurrenz, 181; Zimmermann, Obligations, 973; Jansen, Haftungsrecht, 209. 13 Ulpian D.9,2,11,2; Julian D.9,2,51,1. Hierzu unten, 701 ff. 14 Gai. 4,75 ff.; Inst. 4,8; D.9,4; Kaser, Römisches Privatrecht I, §§ 42, 147; Zimmermann, Obligations, 916 f., 1118; Wicke, Respondeat Superior, 42 ff. 15 D. 47,6, insbes. Ulpian D.47,6,1 pr.; ferner Gaius D.9,2,32 pr.; Paulus D.2,1,9, D.9,4,31; vgl. Levy, Konkurrenz I, 341 ff., 478. 16 Gaius D.9,2,32 pr.; Ulpian D.47,6,1,2; anders Paulus D.2,1,9 (insoweit wohl nicht klassisch). Nur eine einmalige Haftung des Gewalthabers galt auch beim Publikanendelikt wegen Diebstahls oder Beschädigungen bei der Steuereintreibung, D.39,4,3,3; hier aber gab es ohnehin keine kumulative Haftung mehrerer; unten bei Fn. 45.
1. Personenkonkurrenzen bei gesetzlichen Verbindlichkeiten im römischen Recht
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sene Sklaven17 oder bei der auf das Zwölftafelgesetz zurückgehenden Baumfällungsklage18. Besonderheiten galten bei der Injurienklage. Die ursprünglich ebenfalls auf das Zwölftafelgesetz zurückgehende actio iniuriarum umfasste im klassischen Recht als prätorische Klage Delikte, die heute als Persönlichkeitsverletzung bezeichnet werden19. Die Buße, die im Zwölftafelgesetz noch einen festen Betrag ausgemacht hatte, richtete sich nach den Umständen des Einzelfalls. Es handelt sich um eine typische Strafklage, bei der mehrere Täter jeweils die volle Buße zu entrichten hatten20. Doch anders als bei den actiones furti oder legis Aquiliae wurde diese Regel darauf zurückgeführt, dass bei einer Mehrheit von Tätern stets auch mehrere Delikte vorlagen. Hatten mehrere einen gemeinsamen Diebstahl begangen, dann lag nur ein Diebstahl vor. Dass dennoch kumulative Haftung eintrat, war eine rechtspolitische Entscheidung, die mit dem Strafzweck der actio furti erklärt werden konnte. Hatten aber mehrere jemanden gemeinsam beleidigt, dann war der Verletzte von jedem beleidigt worden; es lagen also mehrere Beleidigungen vor21. Der Fall wurde nicht anders behandelt, als wenn mehrere zu unterschiedlichen Zeiten jemanden beleidigt oder verschiedene Täter verschiedene Sachen gestohlen hätten. Die Haftung jedes einzelnen Täters auf die volle Buße war hier selbstverständlich. Daher wurde bei Injurien, die von Sklaven eines gemeinsamen Hausstandes begangen waren, auch das familiaEdikt nicht angewendet: Der Gewalthaber musste kumulativ die Bußen entrichten oder alle Täter ausliefern. Wie die Injurienklage wurde schließlich auch die actio de albo corrupto wegen böswilliger Beschädigung der Gerichtstafel des Prätors behandelt22. Neben der kumulierten Haftung kannte das römische Recht aber auch Fälle der Solidarität. Dies war in erster Linie der Fall, wenn die konkrete Klage keine Strafzwecke erfüllte, sondern allein der Wiedergutmachung beim Verletzten diente. Ein Beispiel ist die schon erwähnte condictio furtiva. Als rein sachverfolgende Klage, die dem bestohlenen Eigentümer seine Sache oder zumindest deren Wert wiederbeschaffen sollte, konnte sie auch bei einer Mehrheit von Tätern nur 17 Ulpian D.47,4,1,19; Levy, Konkurrenz I, 483; Liebs, Klagenkonkurrenz, 155. Die Klage, die sich auf das duplum richtete, war notwendig, weil der Sklave erst ab Erbschaftsantritt durch die Erben als frei galt, bei einem Diebstahl vor Erbschaftsantritt somit als Hausangehöriger nicht der actio furti unterfiel. Die Klage umfasste auch Beschädigungen. Vgl. D.47,4; Liebs, a.a.O., 154 f.; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 143 V. 18 Pomponius D.47,7,6 pr.; Levy, Konkurrenz I, 488; Liebs, Klagenkonkurrenz, 239 f. Die actio arborum furtim caesarum (Klage wegen heimlichen Fällens fremder Bäume) richtete sich als prätorische Klage auf ein duplum, nachdem das Zwölftafelgesetz noch eine feste Buße vorgesehen hatte. Ihr Tatbestand überschnitt sich teilweise mit dem der actio furti und dem der actio legis Aquiliae. Vgl. D.47,7; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 41 III 5, § 143 V; Liebs, Klagenkonkurrenz, 196 ff. 19 Hierzu Gai. 3,220 ff.; Inst. 4,4; D.47,10; Kaser, Römisches Privatrecht I, §§ 42 II, 145; Zimmermann, Obligations, 1050 ff. 20 Liebs, Klagenkonkurrenz, 181. 21 Gaius D.47,10,34; Paulus D.2,1,9; Levy, Konkurrenz I, 478 f. 22 Ulpian, Gaius, Paulus, D.2,1,7–9; Levy, Konkurrenz I, 479 f.
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I. Die solidarische Schadensersatzhaftung im Verhältnis zur Vertragsgesamtschuld
einmal erhoben werden. Eine Aufteilung der Summe unter den Haftenden wurde aber nicht erwogen. Im Ergebnis entstanden damit hinsichtlich der condictio furtiva Gesamtschulden23. Nach alldem könnte es scheinen, als ob die Abgrenzung zwischen kumulativer und gesamtschuldnerischer Haftung sich nach dem Zweck der Klage richte: Hat die Klage (auch) eine Straffunktion, haften Mittäter kumulativ; soll sie dagegen als rein sachverfolgende Klage nur der Wiedergutmachung dienen, haften Mittäter als Gesamtschuldner. Nach Ansicht von Levy war dies tatsächlich der Zustand des klassischen römischen Rechts. Sofern eine Klage eine Straffunktion aufwies, habe sie bei jedem Mittäter ein anderes Ziel verfolgt, was eine gesamtschuldnerische Verbindung ausschließe und notwendig zur Kumulation führen müsse24. Dagegen spricht aber, dass zahlreiche Quellen zu bestimmten gemischten Strafklagen oder Klagen, die zumindest teilweise pönale Elemente aufweisen, nicht von einer kumulativen, sondern von einer solidarischen Haftung mehrerer Verantwortlicher sprechen, indem sie anordnen, dass (spätestens) bei Leistung durch einen von ihnen die übrigen befreit werden. Die im Gemeinen Recht bekannteste Stelle betrifft die prätorische actio de effusis vel deiectis25. Wurde von einer Wohnung aus etwas auf die Straße geworfen oder geschüttet und dadurch ein Schaden verursacht, haftete der Wohnungsinhaber auf den doppelten Schadensbetrag. Einerseits wies die Klage typische pönale Elemente auf wie die Haftung auf das duplum, die passive Unvererblichkeit, die zeitliche Befristung und die Noxalhaftung; andererseits musste ein Verschulden des Inhabers nicht nachgewiesen werden. Um eine typische Strafklage handelte es sich also nicht, weswegen sie später den sog. Quasidelikten zugeschlagen wurde26. Den Grund der Haftung versuchte man in nachklassischer Zeit mit einer fahrlässigen Gefährdung zu erklären; heute würde man dagegen von einer strikten Haftung sprechen. Wenn mehrere das Stockwerk bewohnten, aus dem etwas geworfen oder geschüttet wurde, konnte die Klage gegen jeden Bewohner auf das Ganze (also das duplum) erhoben werden. Doch bei einer Klageerhebung gegen einen Bewohner (spätestens bei einer Leistung durch einen Bewohner) wurden die übrigen frei27.
23 Diocletian C.4,8,1; Levy, Konkurrenz I, 283 ff.; Liebs, Klagenkonkurrenz, 132 ff.; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 154 IV 2. Dies galt offenbar auch dann, wenn A die Sache vom Eigentümer und danach B die Sache von A stahl. Nach Pomponius D.47,2,77,1 solle dem Eigentümer sowohl gegen A als auch gegen B die condictio furtiva zustehen. Dies muss aber nicht bedeuten, dass kumuliert wurde, Pika, Causa furtiva, 37 f.; teilweise anders Liebs, Klagenkonkurrenz, 133; Levy, Konkurrenz I, 481; Binder, Korrealobligationen, 375 f. 24 Levy, Konkurrenz I, insbes. 115 ff., 119 ff., 476 ff. Im Ergebnis ebenso Bentele, Gesamtschuld, 141 f., allerdings auf der Basis unzureichender Quellenauswertung. 25 D.9,3; Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. I, § 146 V 1, Bd. II, § 271 II 2; Zimmermann, FS H.Lange (1992), 301. 26 Inst. 4,5,1, Gaius D.44,7,5,5; vgl. Zimmermann, a.a.O., 311 ff. 27 Ulpian, Gaius, Paulus D.9,3,1,10 – D.9,3,4. Zur Frage der Klagenkonkurrenz unten, 508 ff.
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Weitere Stellen, nach denen alle Verantwortlichen spätestens bei Leistung durch einen von ihnen frei werden, betreffen (in der Reihenfolge der Digestentitel): die Klage gegen mehrere, die einen anderen am Erscheinen vor Gericht hindern (D.2,10)28, die Klage wegen Drohung oder Gewalt (actio quod metus causa, D.4,2)29, die Klage wegen Arglist (actio de dolo, D.4,3)30, die Klage gegen mehrere gemeinschaftlich beauftragte dolose Feldmesser (D.11,6)31, die Klage gegen Mitvormünder wegen Unterschlagung des Mündelvermögens32, die Klage gegen mehrere Scheinvormünder, die einem Rechtsstreit mit dem Mündel zugestimmt hatten (D.27,6,7)33, das Interdikt unde vi bei gewaltsamer Besitzverdrängung (D.43,16)34 und
28 Ulpian D.2,10,1,4 (si plures dolo fecerint, omnes tenentur: sed si unus praestiterit poenam, ceteri liberantur, cum nihil intersit). Die gemischte Strafklage richtete sich gegen den, der einen anderen arglistig daran gehindert hatte, einen Gerichtstermin wahrzunehmen, und umfasste das einfache Interesse. 29 Ulpian D.4,2,14,15; Paulus D.4,2,15. Die actio quod metus causa war eine gemische Strafklage, die sich auf das Vierfache dessen richtete, was der Verletzte aus Furcht hingegeben hatte. Zugleich aber war sie arbiträr: Hatte der Täter das Erlangte dem Verletzten zurückgegeben, bevor ein Urteil gegen ihn ergangen war, konnte er nicht mehr verurteilt werden. Siehe Kaser, Römisches Privatrecht I, § 146 III; Zimmermann, Obligations, 654 f. 30 Ulpian D.4,3,17 pr. Die (subsidiäre) actio de dolo wegen arglistiger Schädigung war ebenfalls eine gemischte Strafklage. Sie richtete sich nur auf das einfache Interesse, bewirkte aber, anders als die actio quod metus causa, Infamie. Auch hier konnte der Täter durch rechtzeitige Erstattung eine Verurteilung vermeiden. Siehe Kaser, Römisches Privatrecht I, § 146 IV; Zimmermann, Obligations, 662 ff. 31 Ulpian D.11,6,3 pr. Der Feldmesser (mensor) haftete, wenn er (etwa bei einem geplanten Kauf) vorsätzlich eine unrichtige Grundstücksgröße angegeben hatte, auf das Interesse. Eine Vertragsklage stand nicht immer zur Verfügung, weil der Feldmesser oft nicht im Rahmen eines Werkvertrags, sondern eines Freundschaftsdienstes tätig wurde. Hatte die getäuschte Kaufvertragspartei wegen der unrichtigen Größenangabe eine vertragliche Klage gegen die andere Partei, entfiel die Klage gegen den Feldmesser mangels Schaden, Ulpian D.11,6,3,2–3 und l. 5,1. Auch eine zeitliche Beschränkung (wie sonst bei Strafklagen) gab es nicht, Paulus D.11,6,4. Auf der anderen Seite war die Feldmesserklage passiv nicht vererblich, und eine Noxalhaftung wurde zumindest erwogen, Ulpian D.11,6,5–6. Insgesamt ist die pönale Natur hier nicht sicher; vgl. Kaser, Römisches Privatrecht I, § 146 V 5. 32 Tryphonin D.26,7,55,1; Ulpian D.27,3,15. Die auf das Zwölftafelgesetz zurückgehende actio rationibus distrahendis war eine Strafklage, die sich auf den doppelten Wert der unterschlagenen Sachen richtete. Unterschlagungen durch die vermögensverwaltenden Vormünder waren offenbar ursprünglich nicht vom anfangs engeren Tatbestand der actio furti erfasst. Siehe Kaser, Römisches Privatrecht I, §§ 21 IV 1, 88 II; Ulpian/Paulus D.27,3,1,19 – D.27,3,2,2. 33 Ulpian D.27,6,7,4; Paulus D.27,6,8. Die Klage stand dem Dritten zu, der mit der Ermächtigung des Scheintutors gegen das Mündel einen Prozess geführt hatte, der wegen der fehlenden Vormundeigenschaft das Mündel nicht band, aber eine erneute Klage gegen das Mündel verhinderte. Die Klage richtete sich auf das Interesse, setzte Arglist des Scheintutors voraus, war zeitlich begrenzt und passiv unvererblich. Vgl. Keller, Litis Contestation, 573 ff.; Kaser, Römisches Privatrecht I, §§ 88 V, 146 V 4; Liebs, Klagenkonkurrenz, 183. 34 Das Interdikt richtete sich auf Restitution; unterblieb diese, wurde der Beklagte zur Leistung einer Geldsumme verurteilt. Mit einer zeitlichen Befristung und der passiven Unvererblichkeit
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I. Die solidarische Schadensersatzhaftung im Verhältnis zur Vertragsgesamtschuld
das Interdikt quod vi aut clam wegen gewaltsamer oder heimlicher Veränderungen an einem fremden Grundstück (D.43,24)35. Für Levy waren diese Fragmente, die in ihrer überlieferten Form von der Befreiung eines Beteiligten durch die Leistung eines anderen sprechen, allesamt von den justinianischen Kompilatoren verändert worden. Im klassischen Recht habe bei den Klagen wegen Verhinderung des Erscheinens vor Gericht sowie wegen metus und dolus aufgrund ihrer Strafnatur eine kumulative Haftung mehrerer Täter bestanden36. Bei den Strafklagen gegen den dolosen Feldmesser, den unterschlagenden Vormund und den Scheinvormund habe ebenfalls ursprünglich Kumulation gegolten. Diese sei jedoch durch eine prätorische oder judiziale Konsumption abgemildert worden, indem der Prätor oder Judex die eigentlich gebotene Kumulation aus Billigkeitsgründen mit prozessualen Mitteln verhindert habe37. Auch bei den beiden Interdikten hätten Mittäter kumulativ gehaftet. Anders habe es sich nur beim Verhältnis zwischen Täter und Anstifter verhalten; hier habe das Recht mit dem Gedanken der Stellvertretung gearbeitet und nur einen einzigen Erfolg im Namen beider angenommen, so dass eine kumulative Haftung nicht in Betracht kam38. Eine ursprüngliche Solidarhaftung von Mittätern habe es, trotz ihrer Strafnatur, nur bei der actio de effusis vel deiectis gegeben. Der Grund dafür sei, dass die Sanktion nicht am Delikt (dem Herausgießen) anknüpfe, sondern am Wohnen selbst. Das Delikt aber sei zweifelsfrei nur einmal begangen worden; daher sei auch die Strafe nur einmalig zu leisten gewesen39. Ob aber nach römischer Vorstellung die Strafnatur einer Klage zwingend zur Kumulation führte, ist ebenso wenig sicher wie die von Levy angenommenen Textveränderungen in den Fragmenten. Der Ansatz, mit einer vorgegebenen logischen Struktur an die Quellen heranzugehen und alles Entgegenstehende mit Interpolationen zu erklären, wird heute nicht mehr verfolgt. Nach heutiger Auffassung deuten die Quellen vielmehr darauf hin, dass schon das klassische Recht die solidarische Haftung bei Klagen mit pönalen Elementen kannte40. Nur bei reinen Strafklagen wurde die Mittäterhaftung stets kumuliert. Bei gemischten Strafklagen hing die Form der Schuldnermehrheit demgegenüber offenbar vom 35 wies das Interdikt pönale Elemente auf, siehe Kaser, Römisches Privatrecht I, § 96 IV 3. Nach Ulpian D.43,16,1,13 haften, wenn einer einen anderen zur Verdrängung eines Dritten beauftragt hat, beide, aber solidarisch. 35 Auch hier handelte es sich um ein restitutorisches Interdikt mit einzelnen pönalen Elementen, Kaser, Römisches Privatrecht I, § 98 III. Nach Paulus D.43,24,6 bestand eine solidarische Haftung zwischen demjenigen, der die Veränderung vornahm, und dem, in dessen Auftrag dies geschah. Aus dem mit vielen Unsicherheiten behafteten Fragment Ulpian D.43,24,15,2 kann geschlossen werden, dass Mittäter solidarisch hafteten. 36 Levy, Konkurrenz I, 498 ff. (Verhinderung des Erscheinens vor Gericht), Nachträge, 66 ff. (metus und dolus). 37 Levy, Konkurrenz II, 241 ff., 243 ff., 247 ff. 38 Levy, Konkurrenz I, 285 ff., 295 ff. 39 Levy, Konkurrenz I, 328 ff. 40 Zum Folgenden Liebs, Klagenkonkurrenz, 181 ff., 247 ff.; Kaser, Römisches Privatrecht II, § 271 II 4.
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Alter der Klage ab: Bei der älteren actio legis Aquiliae wurde noch kumuliert, während bei jüngeren gemischten Strafklagen (Verhinderung am Erscheinen vor Gericht, dolus, metus und Feldmesser) offenbar von Anfang an die solidarische Haftung der Mittäter galt. Dass gegen unterschlagende Mitvormünder anders als in sonstigen Fällen der Unterschlagung nicht kumuliert wurde, war möglicherweise ein besonderes Privileg für Vormünder, die fremdes Vermögen im Fremdinteresse verwalten mussten; zugleich wurde die Klage hiermit der gewöhnlichen actio tutelae (gegen den Vormund auf Rechenschaftslegung) angenähert, für welche die solidarische Haftung selbstverständlich war. Die fehlende Kumulation bei der Klage gegen den Scheinvormund mag damit zusammenhängen, dass sie auf der Zustimmung und damit auf einem Rechtsgeschäft des Scheinvormunds beruhte. Bei der actio de effusis liegt eine Kumulation wegen ihrer Natur als strikte Haftung von vornherein fern41. Bei den Interdikten schließlich handelte es sich primär um Besitzschutzklagen. Somit kannte das klassische römische Recht bei Klagen, die (auch) Strafzwecke verfolgten, sowohl die kumulative als auch die solidarische Haftung von Mittätern, wobei es wahrscheinlich eine Entwicklung zugunsten der Solidarität gab. Bei rein sachverfolgenden Klagen war eine Kumulation von vornherein ausgeschlossen; hier finden sich häufig Gesamtschulden. In Einzelfällen kannte das römische Recht auch eine Subsidiär-Gesamtschuld, die man mit Liebs auch als Teilschuld mit Ausfallhaftung bezeichnen kann42. Eine besondere Klage richtete sich gegen Publikanen (Staatspächter), die Steuern mit Gewalt eingetrieben oder bei der Zollerhebung etwas gestohlen oder beschädigt hatten43. Diese gemischte Strafklage verdrängte die hier an sich einschlägigen Strafklagen nicht, sondern war für den Verletzten eine alternative Form der Rechtsverfolgung, die gegenüber gewöhnlichen Strafklagen sowohl Vorteile als auch Nachteile mit sich brachte, weil sie in mancher Hinsicht schärfer, in anderer dagegen milder war44. Bei einer Verantwortlichkeit mehrerer Staatspächter war durch kaiserliche Verordnung vorgesehen, dass jeder nur anteilig schuldete, wobei aber die Anteile der Insolventen von den Solventen übernommen werden mussten45. Diese Ausfallhaftung, die sich ebenso beim beneficium divisionis der Mitbürgen findet, wird auch beim Delikt des Beiseiteschaffens von Fiskalvermögen (fraus fisci) erwähnt46. 41
Liebs, Klagenkonkurrenz, 68 f. Vgl. oben, 234. 43 D.39,4; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 146 V 3; Liebs, Klagenkonkurrenz, 175 ff.; Levy, Konkurrenz I, 489 ff.; Wicke, Respondeat Superior, 101 ff. 44 Geschuldet wurde (nur) ein duplum, während die Klagen wegen Raubs oder offenkundigen Diebstahls eine vierfache Summe vorsahen. Zugleich konnte sich der Publikan durch rechtzeitige Rückerstattung befreien; auch Infamie trat nicht ein. Auf der anderen Seite konnte der Publikan für die an der Steuererhebung beteiligten Sklaven haften, ohne die bei der Noxalhaftung sonst übliche Möglichkeit der Auslieferung zu haben. 45 Modestin D.39,4,6; hierzu Levy, Konkurrenz I, 492 f.; Liebs, Klagenkonkurrenz, 180 f. 46 Hermogenian D.49,14,46,9; Levy, Konkurrenz I, 493; Liebs, Klagenkonkurrenz, 189 ff., 193 ff. 42
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I. Die solidarische Schadensersatzhaftung im Verhältnis zur Vertragsgesamtschuld
Schließlich waren auch echte Teilschulden denkbar, wie sich an der Regenwasserklage zeigt: Wurde durch Anlagen auf einem Grundstück ein verstärktes Einströmen von Regenwasser auf das Nachbargrundstück verursacht, konnte der Nachbar mittels der auf das Zwölftafelgesetz zurückgehenden actio aquae pluviae arcendae vom Grundstückseigentümer die Beseitigung der Anlage und die Wiedergutmachung verlangen. Möglicherweise hatte die Klage ursprünglich auch eine Straffunktion; im klassischen Recht war sie jedenfalls nur sachverfolgend47. Stand das Grundstück mit der Anlage mehreren Miteigentümern zu, war wohl schon im klassischen Recht streitig, ob die Miteigentümer anteilig oder solidarisch hafteten48. Neben diesen Fällen der Tätermehrheit bei deliktischen oder deliktsähnlichen Klagen kannte das römische Recht zwei Sondergruppen von gesetzlichen Schuldnermehrheiten, die teilweise eigenen Regeln folgten und in den Quellen relativ häufig erwähnt werden: die Noxalhaftung mehrerer Gewalthaber und die Haftung mehrerer Tutoren. Wurden Miteigentümer für ein Delikt ihres gemeinsamen Sklaven im Rahmen der Noxalhaftung in Anspruch genommen, hafteten sie gesamtschuldnerisch49. Die Noxalhaftung für ein Sklavendelikt war milder als die Haftung für ein eigenes Delikt, weil sich der Gewalthaber durch Auslieferung des Sklaven befreien konnte. Zudem war sie mit dem Eigentum am Sklaven verknüpft: Die Haftung des Eigentümers endete, wenn er das Eigentum gutgläubig an einen Dritten übertrug; statt dessen haftete von da an der Dritte50. Bei der Noxalhaftung ging es also nicht um eine Bestrafung des Eigentümers, so dass eine Kumulation ausschied. Vielmehr bestand eine solidarische Haftung dergestalt, dass der Geschädigte ei-
47 D.39,3; siehe Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. I, §§ 31 V 3 c, 41 V, 98 III 6, 142 III, Bd. II, § 277 I 2. 48 Vgl. die referierten Ansichten bei Paulus D.39,3,11,1–3; Levy, Konkurrenz I, 272 f.; Liebs, Klagenkonkurrenz, 250; Kaser, Römisches Privatrecht II, § 277 I 2. Die Stelle Ulpian D.39,3,6,1 ist wohl weniger aussagekräftig, weil sie schon eine Klage gegen alle Miteigentümer zusammen voraussetzt, bei der ohnehin anteilig verurteilt wurde, oben, 243. 49 Ulpian D.9,4,5 pr., D.9,4,8, D.9,1,1,14, D.11,1,17; Paulus D.11,1,20 pr., D.11,3,14,2, D.39,3,11,3, D.10,2,25,15; Marcellus D.47,6,5. Dasselbe galt, wenn ein Dritter auf förmliche Befragung angab, Eigentümer des schädigenden Sklaven zu sein: Dann hafteten sowohl der wirkliche Eigentümer als auch der Dritte, und zwar solidarisch, Paulus D.11,1,20 pr., ferner D.11,1,8 und l. 13 pr., l. 14 pr., D.9,4,26,3. Vgl. Liebs, Klagenkonkurrenz, 69 ff.; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 154 IV 2; Schmieder, Duo rei, 290 ff.; Levy, Konkurrenz I, 309 ff. 50 Noxa caput sequitur; Gai. 3,77; Inst. 4,8,5; Ulpian D.9,4,7 pr.; Pomponius D.9,4,43. Etwas anderes galt aber, wenn der Eigentümer den Sklaven deshalb veräußert oder freigelassen hatte, um seiner Noxalhaftung zu entgehen: Dann haftete er weiterhin, jetzt ohne Auslieferungsmöglichkeit: Paulus D.9,4,12, D.9,4,24; Julian D.9,4,16; Ulpian D.9,4,38 pr. Mehrere arglistig freilassende Miteigentümer hafteten gesamtschuldnerisch, Julian D.9,4,39 pr.; Ulpian D.11,1,17; Paulus D.9,4,26,1. Solidarität bestand auch hinsichtlich der Haftung des Miteigentümers, der seinen Anteil arglistig veräußerte, und der Noxalhaftung des verbliebenen Miteigentümers, Paulus D.9,4,26,2, zwischen dem arglistigen Veräußerer und dem nun noxal haftenden gutgläubigen Erwerber, Paulus D.9,4,24 und l. 26 pr., und schließlich zwischen dem arglistig den Sklaven freilassenden Eigentümer und dem nun selbst haftenden Freigelassenen, Paulus D.9,4,24, D.47,2,42,1, D.47,8,3.
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nen der Miteigentümer belangen konnte, der nun die Wahl hatte, entweder die volle Buße zu entrichten oder den Sklaven im Ganzen auszuliefern (wofür er allerdings die Mitwirkung der Miteigentümer brauchte)51. Dieselben Regeln galten (was für die spätere Entwicklung im Gemeinen Recht wichtig war) bei der Tierhalterhaftung52. Besonderheiten wies die Haftung eines Eigentümers auf, der die deliktische Tat seines Sklaven entweder angeordnet oder zumindest trotz der Möglichkeit dazu nicht verhindert hatte53. Er haftete dann „direkt“, d.h. ohne sich durch Auslieferung oder Eigentumsübertragung an Dritte befreien zu können54. Hatten mehrere Miteigentümer die Tat angeordnet oder nicht verhindert, hafteten sie wahrscheinlich kumulativ55. 51 So Ulpian D.9,4,8. Vor der litis contestatio konnte sich ein Miteigentümer danach schon durch Übertragung seines Miteigentumsanteils an den Geschädigten befreien, der sich dann mit den übrigen Miteigentümern (weil die Noxalklage unter Miteigentümern nicht gegeben war) mittels der actio communi dividundo auseinandersetzen musste. 52 Überliefert ist dies für die actio de pauperie wegen eines durch ein vierfüßiges Nutztier angerichteten Schadens (hierzu Kaser, Römisches Privatrecht I, § 147 II; Zimmermann, Obligations, 1096 ff.), Ulpian D.9,1,1,14, s.a. D.11,1,7. 53 Vgl. Paulus D.9,2,45 pr., D.9,4,4 pr.; Ulpian D.9,4,3. Die Einzelheiten, insbesondere ob und inwieweit Anordnung und Nichtverhinderung gleich behandelt wurden, sind nicht sicher. 54 Ulpian D.9,4,2 pr.-1; Paulus D.9,4,4,2. 55 Ebenso Levy, Konkurrenz I, 493 ff.; Buckland, Slavery, 374 f.; Pernice, Sachbeschädigungen, 219. Für ein sicheres Ergebnis ist die Quellenlage zu dünn. Nach dem einschlägigen Fragment Ulpian D.9,4,5 pr. haftet jeder Miteigentümer ohne Auslieferungsmöglichkeit, ebenso wie wenn mehrere ein Delikt begangen hätten, wobei die Klageerhebung gegen einen die Haftung der übrigen unberührt lässt. Dies deutet (zumindest für eine Haftung aus der actio legis Aquiliae oder der actio furti) auf eine kumulierte Haftung hin. Vom Wortlaut gedeckt ist aber auch eine Gesamtschuld mit Solutionskonkurrenz. Hierfür könnten diejenigen Quellen sprechen, die den Fall behandeln, dass ein Miteigentümer E1 die Tat gekannt und nicht verhindert hat, während der Miteigentümer E2 nichts gewusst hatte. Hier haftet E1 direkt und E2 noxal, Ulpian D.9,4,5 pr. Die Klage gegen den bösgläubigen E1 befreit den gutgläubigen E2, Paulus D.9,4,9. Nach der (umstrittenen, vgl. Liebs, Klagenkonkurrenz, 249 f.) Stelle Paulus D.9,4,17 pr. soll, wenn der gutgläubige E2 verklagt war und von seiner Auslieferungsmöglichkeit Gebrauch gemacht hat, dem Geschädigten weiterhin die Möglichkeit einer Klage gegen den bösgläubigen E1 zustehen, gerichtet auf die Buße, allerdings abzüglich des Werts des Sklaven. Dies bedeutet, dass der bösgläubige Miteigentümer sich auf die Leistung des gutgläubigen Miteigentümers (hier in Höhe des Sklavenwerts) befreiend berufen konnte. Hieraus kann der Schluss gezogen werden, dass er sich dann auch auf die Leistung eines anderen bösgläubigen Miteigentümers berufen können muss, womit nicht Kumulation, sondern Gesamtschuld mit Solutionskonkurrenz bestehen würde. Dies war ganz herrschende Lehre im 19. Jahrhundert, etwa Ribbentrop, Correal-Obligationen, 93; Bekker, Consumption, 230 ff.; Brinz, Pandekten, § 258 a.E.; Kuntze, Singularsuccession, 231; von Helmolt, Correal-Obligationen, 46 ff.; E.Zimmermann, KritZ 3 (1859), 158 f.; Windscheid, Pandekten, § 298 Fn. 15; vgl. auch Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 272 Fn. 2. Siehe auch Eisele, AcP 77 (1891), 469 ff. (bei gemeinsamer Kenntnis Solutionskonkurrenz, bei unabhängiger Kenntnis Kumulation). Für Klagenkonkurrenz (D.9,4,5 pr. insoweit interpoliert) Binder, Korrealobligationen, 384 ff.; von Lübtow, Lex Aquilia, 50 ff. Möglich wäre aber auch Folgendes: Bei der echten Noxalhaftung unter Gutgläubigen bestand Klagenkonkurrenz. Bei der direkten Haftung mehrerer Bösgläubiger galten die allgemeinen Regeln, also (bei den actiones legis Aquliae und furti) Kumulation. Gab es sowohl gut- als auch bösgläubige Miteigentümer, musste der Kläger sich (wie auch bei einem Alleineigentümer, Paulus D.9,4,4,3) entscheiden, ob er die Klage auf das Verhalten des Gewalthabers oder aber als Noxal-
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I. Die solidarische Schadensersatzhaftung im Verhältnis zur Vertragsgesamtschuld
Ein Vormund (tutor) wurde testamentarisch, durch den Magistrat oder durch Gesetz für einen Unmündigen bestellt, der nicht unter väterlicher Gewalt stand56. Als Treuhänder sollte er das Vermögen des Mündels im Mündelinteresse verwalten. Dem Mündel standen zu seinem Schutz ursprünglich nur spezielle Rechtsbehelfe wie die schon erwähnte actio rationibus distrahendis bei Unterschlagungen durch den Vormund zu. Seit dem frühklassischen Recht konnte das Mündel aber bei Erreichung der Volljährigkeit die actio tutelae erheben, eine auf die bona fides gestützte Klage, die Rechnungslegung, Herausgabe und Schadensersatz umfassen konnte und insofern der actio negotiorum gestorum nahe stand. Der Tutor hatte zunächst nur für dolus einzustehen, im nachklassischen Recht auch für culpa; die Verurteilung führte zur Infamie. Über die Haftung einer Mehrheit von Tutoren finden sich besonders viele Zeugnisse. Doch die Quellen bieten kein einheitliches Bild57. Wenn die Verwaltung durch Testament oder durch den Magistrat unter den Tutoren nach bestimmten Bereichen aufgeteilt war, haftete jeder Vormund nur für seinen Bereich58. Soweit aber eine solche Aufteilung nicht vorgenommen wurde, gehen zahlreiche Quellen davon aus, dass sämtliche Tutoren im Rahmen der actio tutelae als Gesamtschuldner hafteten, unabhängig davon, wer welches Geschäft vorgenommen hatte und ob unter ihnen eine Aufteilung der Geschäftsführung vereinbart worden war oder nicht59. Besonderheiten galten danach nur für diejenigen Vormünder, die pflichtwidrig die Verwaltung gar nicht erst aufge-
56 klage auf das Sklavendelikt stützte. Die Klage gegen den Bösgläubigen bedeutete eine Entscheidung für die direkte Haftung und befreite daher den gutgläubigen, nicht aber einen weiteren bösgläubigen Miteigentümer. Die Klage gegen den Gutgläubigen bedeutete die Entscheidung für die Noxalhaftung und befreite daher ursprünglich auch den Bösgläubigen. So entscheidet auch die Stelle Ulpian D.9,4,7,1 zum Verhältnis zwischen dem bösgläubigen direkt haftenden ursprünglichen Eigentümer und dem gutgläubigen noxal haftenden Erwerber. Die Befreiung des Bösgläubigen durch Klage gegen den Gutgläubigen wurde dann als unbillig empfunden und in Paulus D.9,4,17 pr. durch ein Nachforderungsrecht abgemildert. Ein ähnliches Problem behandelt Marcellus D.47,6,5: Auf die Haftungsbegrenzung durch das familia-Edikt konnte sich nur der gutgläubige Eigentümer berufen. Hatten zwei Sklaven, die zusammen E1 und E2 gehörten, einen Diebstahl (Buße: duplum) mit Wissen nur des E1 begangen, so schuldete der gutgläubige E2 nach dem Edikt nur das duplum (falls er nicht ausliefern wollte), E1 dagegen kumuliert insgesamt das Vierfache. Marcellus stellt die Frage, ob der Geschädigte, nachdem er gegen E2 Klage erhoben und von ihm das duplum erhalten hat, überhaupt noch gegen E1 auf den Rest (das andere duplum) klagen kann. Offenbar war dies gerade nicht selbstverständlich. Im Ergebnis ähnlich Levy, Konkurrenz I, 309 ff., 339 ff., 493 ff. 56 Zur tutela stellvertretend Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. I, §§ 21, 86–88, Bd. II, § 234 III. 57 Zum Folgenden Levy, SZ RA 37 (1916), 14; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 88 IV 4, § 154 Fn. 13 m.w.N.; Seiler, Negotiorum gestio, 175 ff.; Schmieder, Duo rei, 268 ff. 58 Ulpian D.26,7,4, D.46,7,3,7; Venuleius D.26,7,51; Alexander C.5,38,2; Carinus C.5,52,2,1. 59 Ulpian D.26,7,5,1, D.27,3,1,10–13 (mit Teilungseinrede), D.27,8,2; Venuleius D.26,7,51; Tryphonin D.26,7,55 pr.; Papinian D.27,7,6 (mit Teilungseinrede); Julian D.27,8,5; Paulus D.26,7,45 und l. 46,1 a.E.; Antoninus C.2,4,1, C.5,58,2; Diocletian C.5,51,6,1, C.5,52,3; Carinus C.5,52,2 pr. und § 3; Gordian C.5,75,4. Anders Schmieder, Duo rei, 268 ff., der nicht von Gesamtschuldnern sprechen will, soweit den Vormündern die Teilungseinrede zustand (was seiner Ansicht nach schon im klassischen Recht der Fall war; vgl. unten, 557 f.); hierzu oben, 234.
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nommen hatten, die sog. Zessanten: Ihre Haftung wurde erst durch kaiserliche Gesetzgebung eingeführt, richtete sich auf das Ganze60, war aber subsidiär zur Haftung der geschäftsführenden Tutoren61. Zessanten hafteten danach nur, soweit die geschäftsführenden Tutoren zahlungsunfähig waren. Sämtliche Tutoren aber hafteten danach gesamtschuldnerisch (zur Not nur subsidiär und vorbehaltlich einer Teilung unter den Solventen62) für alles, was das Mündel aus der actio tutelae erhalten konnte. Dies bedeutete offenbar, dass ein Vormund (anders als ein vertraglicher Gesamtschuldner) auch für das Verschulden seiner Mitvormünder einstehen musste. Auf der anderen Seite finden sich Quellen, welche die subsidiäre Haftung der Zessanten mit einer Verletzung ihrer Überwachungspflicht über die geschäftsführenden Tutoren erklären63 oder überhaupt die Haftung für einen Mitvormund von einer verletzten Überwachungspflicht abhängig machen64. Es ist möglich, dass die Haftung der untätigen Zessanten mit dem Gedanken der schuldhaften Pflichtverletzung rationalisiert werden konnte und dass die genannten Quellen, soweit sie nicht von Zessanten handeln, sich auf Fälle beziehen, in denen die Verwaltung unter den Tutoren von vornherein aufgeteilt war (so dass an sich die Vormünder nur für ihren Bereich einstehen mussten), und hier eine zusätzliche verschuldensabhängige Haftung für den jeweils anderen Bereich anordnen65. Denkbar ist aber auch, dass die Quellen zwei unterschiedliche Rechtszustände widerspiegeln, in dem Sinne, dass Mitvormünder bei ungeteilter Vormundschaft ursprünglich strikt füreinander einstehen mussten und später nur bei Verschulden hafteten. Dies ist die Ansicht Levys, nach der sämtliche Quellen der zweiten Gruppe interpoliert sind und im Ergebnis das justinianische Recht widerspiegeln, in dem das Verschuldensprinzip eine herausragende Rolle spielte und in dem die allgemeine Haftung des Vormunds von Einzelansprüchen wegen konkreter Pflichtverletzungen abgelöst wurde66. Bei Zahlungsunfähigkeit der verantwortlichen Tutoren kam
60 Ulpian D.26,7,1,1, eod.,5,3, eod.,5,10, D.46,6,4,3, D.49,1,10,4; Paulus D.23,2,60,3; Tryphonin D.26,7,55 pr. und §§ 2–3; Scaevola D.27,1,37,1; Julian D.27,8,2; Diocletian C.5,37,19, C.5,38,5. Mehrere nicht verwaltende Vormünder waren danach gewöhnliche Gesamtschuldner, Papinian D.26,7,38 (mit Teilungseinrede), D.26,7,39,11; vgl. Alexander C.5,55,2. 61 Papinian D.26,7,39,11; Tryphonin D.26,7,55,2; Paulus D.27,1,35; Papinian (Ulpian) D.50,8,4; Diocletian C.5,51,6,1, C.5,52,3; Antoninus C.5,54,2; Alexander C.5,55,1–2; Gordian C.5,64,1; für Kuratoren Alexander C.5,37,8. 62 Hierzu unten, 557 f. 63 Alexander C.5,55,1. 64 Paulus D.26,7,14 und l. 46,6, l. 53; Papinian D.26,7,39,16 und l. 41, D.46,6,12; Ulpian D.26,7,3,2 und l. 7,14, l. 9,8, D.27,3,1,15; Marcian D.27,1,29,1; Alexander C.5,56,2. 65 Um eine zusätzliche Haftung für Bereiche, für deren Verwaltung der Vormund nicht zuständig ist, geht es zumindest bei Ulpian D.26,7,3,2 und l. 7,14; Paulus D.26,7,46,6 und l. 53; Carinus C.5,52,2,1–2. 66 Levy, SZ RA 37 (1916), 14. Anders etwa Binder, Korrealobligationen, 40 f., 333 ff. (Gesamtschuld nur dann, wenn bei einem bestimmten Geschäft mehrere Vormünder schuldhaft etwas getan oder unterlassen haben).
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I. Die solidarische Schadensersatzhaftung im Verhältnis zur Vertragsgesamtschuld
schließlich auch eine subsidiäre Klage gegen die Magistrate in Betracht, die diese eingesetzt hatten67. Auch mehrere Magistrate waren dann Gesamtschuldner68.
b) Das Verhältnis der gesetzlichen zur vertraglichen Solidarhaftung und das Problem der Klagenkonkurrenz Soweit das klassische römische Recht eine solidarische Haftung bei sachverfolgenden oder Strafklagen vorsah, stellt sich die Frage, ob diese gesetzlichen Gesamtschulden ebenso behandelt wurden wie vertraglich vereinbarte Gesamtschulden, ob also das römische Recht einen einheitlichen Gesamtschuldbegriff kannte. Die gemeinrechtliche Wissenschaft des 19. Jahrhunderts stellte hier, wie berichtet69, in erster Linie auf das Phänomen der Konsumption durch litis contestatio ab und fragte, ob die Quellen im Einzelfall von Klagenkonkurrenz oder von Solutionskonkurrenz sprachen. Nach dem Wortlaut der Quellen gibt es nur eine Gruppe gesetzlicher Gesamtschulden, bei der Klagenkonkurrenz gegolten hat, nämlich bei der Noxalhaftung. Hier befreite die Klage gegen einen Miteigentümer unstreitig auch die übrigen70. In allen anderen Fällen sehen die Quellen in ihrer durch die justinianische Kompilation überlieferten Form stets Solutionskonkurrenz vor71. Da 67
D.27,8; C.5,75; Paulus D.26,7,46,6 und l. 53; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 88 V. Modestin D.27,8,8; Ulpian D.27,8,1,9; Celsus D.27,8,7; Gordian C.5,75,3 (die letzten beiden Stellen mit Teilungseinrede). 69 Oben, 53 ff. 70 Paulus D.11,1,20 pr., D.9,4,26,1–2; Julian D.9,4,39 pr.; Ulpian D.9,4,5 pr. Dasselbe galt, wenn ein Dritter auf förmliche Befragung angab, Eigentümer zu sein, und daher neben dem wirklichen Eigentümer haftete: Die Klage gegen den Dritten befreite den Eigentümer, Paulus D.11,1,8 und l. 20 pr. Ebenso bestand Klagenkonkurrenz im Verhältnis zwischen Verkäufer und Käufer (wenn die Noxalhaftung des Verkäufers ausnahmsweise trotz Eigentumsverlustes weiterbestand), Paulus D.9,4,24 und l. 26 pr., sowie zwischen freilassendem Eigentümer und Freigelassenem, Paulus D.47,2,42,1, D.47,8,3. Wohl interpoliert sind insofern die Solutionskonkurrenz vorsehenden Fragmente Paulus D.9,4,26,3 und D.11,3,14,2; so Liebs, Klagenkonkurrenz, 69 ff., 126 f.; Kaser, Römisches Privatrecht II, § 271 II 4; Levy, Konkurrenz I, 309 ff.; Binder, Korrealobligationen, 381, 389 ff.; Eisele, AcP 77 (1891), 426 f., 431; anders Schmieder, Duo rei, 290 ff. Schwieriger ist die Konkurrenzfrage, wenn ein Eigentümer wegen Kenntnis und Nichtverhinderung der Sklaventat (im Folgenden: Bösgläubigkeit) direkt, also ohne Auslieferungsmöglichkeit, haftete. Die Klage gegen einen bösgläubigen Miteigentümer befreite den gutgläubigen Miteigentümer (Paulus D.9,4,9), während die Klage gegen den Gutgläubigen dem Kläger offenbar nicht die Möglichkeit abschnitt, einen etwaigen Rest (weil der Gutgläubige nicht die Buße gezahlt, sondern den weniger wertvollen Sklaven ausgeliefert hatte) später noch gegenüber dem Bösgläubigen geltend zu machen (Paulus D.9,4,17 pr.). Im Parallelfall, in dem der bösgläubige Alleineigentümer den Sklaven veräußert, so dass nun sowohl der Veräußerer (weil seine direkte Haftung nicht endete) als auch der Erwerber (als derzeitiger Eigentümer im Rahmen der Noxalhaftung) haften, galt die Klagenkonkurrenz offenbar wechselseitig (Ulpian D.9,4,7,1). Im Verhältnis mehrerer bösgläubiger Eigentümer gab es keine Klagenkonsumption, Ulpian D.9,4,5 pr. Zur Frage, ob dies Solutionskonkurrenz oder kumulierte Haftung bedeutete, oben Fn. 55. 71 Einzelnachweise weiter unten. 68
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aber Justinian die Klagenkonkurrenz allgemein abschaffte und die in die Kompilation aufgenommenen Fragmente zum Teil dementsprechend verändern ließ, spiegeln die überlieferten Texte nicht notwendig den Rechtszustand der klassischen Zeit wider. Doch von den Autoren des 19. Jahrhunderts wurde die überlieferte Solutionskonkurrenz nicht in Frage gestellt72, teilweise auch ausdrücklich gegen Interpolationsvorwürfe verteidigt73. Zu gut passte die Solutionskonkurrenz in ihr theoretisches Gerüst, wonach in diesen Fällen eine Mehrheit von Obligationen vorlag, weil jeder Schuldner wegen seiner Beteiligung unabhängig von den anderen haftete. Die Klagenkonkurrenz bei der Noxalhaftung wurde demgegenüber damit erklärt, dass es nur um ein Delikt des Sklaven ging, für das mehrere hafteten74. Die Quellenkritik setzte mit Eisele ein, der diese Art von Zweiteilung der Gesamtschulden in Korreal- und Solidarobligationen ablehnte. Für ihn folgte die Klagenkonkurrenz des klassischen römischen Rechts aus dem identischen Streitgegenstand, der wiederum aus der gemeinsamen causa hervorging. Auch bei gesetzlichen Gesamtschulden konnte daher Klagenkonkurrenz bestehen, sofern nur die causa identisch war. Bei der Haftung mehrerer Vormünder (gemeinsame causa: Vormundsverhältnis), der actio de effusis vel deiectis (gemeinsame causa: Wohnen), der Feldmesserklage (gemeinsame causa: Beauftragung), der condictio furtiva und der Regenwasserklage war danach die ursprünglich geltende Klagenkonkurrenz durch die Kompilatoren verfälscht worden75. Bei gemeinsam begangenen Delikten habe wegen des Strafzwecks der Klagen ursprünglich Kumulation gegolten, die später zur Solutionskonkurrenz abgemildert worden sei76. Wegen der Strafnatur der Klagen seien die römischen Juristen von einer Mehrheit der causae ausgegangen. Daher habe etwa bei der Klage wegen Verhinderung des Erscheinens vor Gericht, der actio quod metus causa, der actio doli und der actio 72 Siehe etwa Ribbentrop, Correal-Obligationen, 44 ff., 90 ff., 254 ff.; Göschen, Obligationenrecht, § 373 a.E.; Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 2 (S. 75–77); Puchta, Pandekten, § 233; Mühlenbruch, Pandekten, § 491; Windscheid, Pandekten, § 298 Fn. 15; Müller, Institutionen, § 97 I 3; Arndts, Pandekten, § 214; Dernburg, Pandekten II, § 71 Nr. 2 (zum Interdikt quod vi aut clam § 72 Fn. 6); ebenso (trotz Kritik an der Zweiteilung) Fritz, ZCRPr nF 22 (1865), 484 ff., 490 ff.; zum Teil auch von Helmolt, Correal-Obligationen, 61 ff. Aus heutiger Zeit noch Bentele, Gesamtschuld, 142 f. 73 Ribbentrop, Correal-Obligationen, 49 f.; Samhaber, Correalobligation, 157 f.; Dernburg, Pandekten II, § 72 Fn. 7. 74 Die Klagenkonkurrenz bei der Noxalhaftung der gutgläubigen Sklaveneigentümer war allgemein anerkannt; streitig war nur, ob es sich um eine gewöhnliche Korrealobligation oder um das Nebeneinander mehrerer akzessorischer Haftungen handelte. Keine Einigkeit bestand auch über die Qualifikation der Konkurrenz zwischen gutgläubigen noxal haftenden und bösgläubigen direkt haftenden Prinzipalen. Vgl. Ribbentrop, Correal-Obligationen, 243 ff.; Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 2 Nr. 4 (S. 75); Bekker, Consumption, 230 ff., 259 f.; Brinz, KritBl 4 (1853), 14 ff., 24 f.; Windscheid, Pandekten, § 297 a.E.; Kuntze, Singularsuccession, 231; von Helmolt, Correal-Obligationen, 24 ff., 46 ff.; E.Zimmermann, KritZ 3 (1859), 158 f.; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 262 ff.; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 101 ff., 105, 117 ff. 75 Eisele, AcP 77 (1891), 431 ff. 76 AcP 77, 464 ff.
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I. Die solidarische Schadensersatzhaftung im Verhältnis zur Vertragsgesamtschuld
rationibus distrahendis tatsächlich Solutionskonkurrenz gegolten. Aus moderner Sicht liege hier aber ebenfalls nur eine causa vor. Dies sei von den Römern nur ansatzweise erkannt worden, indem sie in Randbereichen des Deliktsrechts Klagenkonkurrenz angenommen hätten, etwa bei der Klage gegen den Scheintutor77 oder den Interdikten78 (insoweit seien wieder Interpolationen anzunehmen). Die Entwicklung von der Kumulation über die Solutionskonkurrenz hin zur Klagenkonkurrenz sei bis 534, als Justinian die Klagekonsumption abschaffte, schlichtweg nicht zum Abschluss gekommen. In noch weiterem Ausmaße verdächtigte Binder die genannten Quellen. Für ihn kannte das römische Recht nur eine Art von Gesamtschuld, bei der im klassischen Recht grundsätzlich Klagenkonkurrenz galt. Die überlieferte Solutionskonkurrenz sollte daher in den genannten Quellen (mit Ausnahme der Klagen wegen dolus oder metus79) auf justinianischen Interpolationen beruhen80. In ähnlicher Weise nahm Levy an, dass das klassische Recht bei Gesamtschulden nur die Klagenkonkurrenz gekannt habe. Sämtliche Stellen mit Solutionskonkurrenz seien daher interpoliert; ursprünglich habe in diesen Fällen entweder Klagenkonkurrenz oder Kumulation gegolten, wobei die kumulative Haftung manchmal durch eine prätorische oder judiziale Konsumption abgemildert worden sei, die aber ebenfalls an die Klageerhebung angeknüpft habe. Eine Befreiung gerade durch Leistung eines Mitschuldners habe erst das justinianische Recht eingeführt81. Die heutige Lehre ist demgegenüber wesentlich zurückhaltender bei Interpolationsannahmen und neigt dazu, den überlieferten Quellen Glauben zu schenken, wenn keine gegenteiligen Indizien vorliegen. Liebs und (ihm folgend) Kaser nehmen daher eine ursprüngliche Klagenkonkurrenz nur bei solchen Fragmenten an, bei denen dies ihrer Fassung nach nahe liegt82. Dies betrifft die actio de ef77
AcP 77, 454 f. AcP 77, 427 ff., 439 ff. 79 Beide Klagen waren arbiträr, d.h. der Beklagte konnte sich durch rechtzeitige Rückerstattung des rechtswidrig Erlangten befreien. Dies führte nach Binder dazu, dass die wegen der Strafnatur der Klagen eigentlich vorgesehene Kumulation derart durch Solutionskonkurrenz abgemildert wurde, dass nicht nur die rechtzeitige Rückerstattung, sondern auch die Leistung der Urteilssumme die übrigen Schuldner befreite, Korrealobligationen, 370 f., 377 f. 80 Ursprünglich Klagenkonkurrenz galt nach Binder bei der Haftung der Mitvormünder (Korrealobligationen, 339 ff.), der Regenwasserklage (79 ff.), der Klage gegen den Scheinvormund (346 f., 371) sowie der actio de effusis, der Feldmesserklage, der condictio furtiva und den Interdikten (358 ff., 371 ff.). Bei der actio rationibus distrahendis sei dagegen im klassischen Recht kumuliert worden (347 ff.). Zeitgenössische Kritik bei Hruza, KritVj 42 (1900), 174; teilweise Zustimmung bei Krüger, SZ RA 22 (1901), 215. 81 Nach Levy galt Klagenkonkurrenz bei der Tutorenhaftung, der actio de effusis, der condictio furtiva und der Regenwasserklage (Konkurrenz I, 220 ff., 272 ff., 279 ff., 328 ff.), Kumulation bei der Klage wegen Verhinderung des Erscheinens vor Gericht (Konkurrenz I, 498 ff.), den Klagen wegen metus und dolus (Nachträge, 66 ff.) sowie (für Mittäter) bei den Interdikten (Konkurrenz I, 288, 295, 300 f., 488) und prätorische oder judiziale Konsumption bei den Klagen gegen den Feldmesser, den Scheinvormund und den unterschlagenden Vormund (Konkurrenz II, 241 ff.). 82 Liebs, Klagenkonkurrenz, 67 ff. (zur condictio furtiva und actio de effusis), 132 ff. (zur condictio furtiva), 181 ff., 247 ff.; Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. II, § 271 II 4, § 277 II 1, Bd. I, § 154 bei Fn. 13 (zu Tutoren). 78
1. Personenkonkurrenzen bei gesetzlichen Verbindlichkeiten im römischen Recht
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fusis vel deiectis83, die condictio furtiva84, das Interdikt unde vi85 und das Interdikt quod vi aut clam86. Bei den übrigen Fragmenten kann demgegenüber ein späterer Eingriff nicht nachgewiesen werden. Demnach scheint in zahlreichen Gesamtschuldgruppen schon in klassischer Zeit Solutionskonkurrenz geherrscht zu haben, nämlich bei der Haftung mehrerer Tutoren87, der Klage wegen Verhinderung des Erscheinens vor Gericht88, der actio quod metus causa89, der actio de dolo90, der Feldmesserklage91, der Klage gegen den Scheinvormund92, der actio rationibus distrahendis93 und der Regenwasserklage (soweit man hier Gesamtschulden annahm)94. Folgt man dem, so gab es bei gesetzlichen Gesamtschulden im römischen Recht sowohl Klagenkonkurrenz als auch Solutionskonkurrenz, und zwar unabhängig davon, ob die Klage nur sachverfolgend war oder auch pönale Zwecke verfolgte. Ein sachliches Kriterium, das die Klagen mit und diejenigen ohne Kla-
83 Ulpian D.9,3,3 (si cum uno fuerit actum, ceteri liberabuntur); darauf aber folgend Paulus D.9,3,4 (perceptione, non litis contestatione). 84 Diocletian C.4,8,1 (si ab uno satisfactum fuerit, ceteros liberari). 85 Ulpian D.43,16,1,13 (utrolibet eorum … agi posse … et alterius nomine alteri eximi, sic tamen, si ab altero eorum litis aestimatio fuerit praestita). 86 Paulus D.43,24,6 (uno ex his satisfaciente ceteri liberantur). Das schwierige Fragment Ulpian D.43,24,15,2 spricht zunächst von der Haftung desjenigen, der einen anderen zur Tat beauftragt, dann von Mittätern, dann von Nebentätern, die jeweils einen eigenen, unabhängigen Beitrag leisten. Es endet mit itaque alter conventus alterum non liberabit, quin immo perceptio ab altero: superiore etenim casu alterius conventio alterum liberat. Völlig umstritten war stets, ob die hier erwähnte Klagenkonkurrenz sich auf das Verhältnis Auftraggeber-Beauftragter oder auf die Mittäter bezieht, ferner, wie die genannten Nebentäter haften. Vgl. Ribbentrop, Correal-Obligationen, 95 ff.; Dernburg, Pandekten II, § 72 Fn. 6; Ziebarth, JhJb 12 (1873), 402 ff.; Mitteis, Individualisirung, 64 f.; Pernice, ZHR 33 (1887), 439 f.; Eisele, AcP 77 (1891), 427 ff.; Binder, Korrealobligationen, 358 ff.; Levy, Konkurrenz I, 295 ff.; Liebs, Klagenkonkurrenz, 181 f. Aus heutiger Sicht besagt das Fragment Folgendes: 1. Wer jemanden zur Tat beauftragt, haftet selbst. 2. Mittäter haften als Gesamtschuldner mit Klagenkonkurrenz. 3. Nebentäter haften jeweils für den von ihnen verursachten Tatbeitrag. 87 So auch Seiler, Negotiorum gestio, 181 ff.; Schmieder, Duo rei, 274 ff. Hierfür spricht insbes. Julian D.26,7,18,1 (ex duobus tutoribus si cum altero actum fuerit, alter non liberabitur); ferner Ulpian D.27,3,1,18, D.27,3,15, s.a. Papinian D.26,7,38 pr., D.27,3,21. Der Umstand, dass es bei Mitvormündern einen Zessionsregress und eine Teilungseinrede gab, spricht als solcher noch nicht gegen eine Klagenkonkurrenz. 88 Ulpian D.2,10,1,4 (si unus praestiterit poenam, ceteri liberantur, cum nihil intersit). 89 Ulpian D.4,2,14,15 (wenn einer ex sententia quadruplum restituerit, verius est etiam sic peremi adversus ceteros metus causa actionem); Paulus D.4,2,15 (aut in id dabitur adversus ceteros actio, quod minus ab illo exactum sit). 90 Ulpian D.4,3,17 pr. (si plures dolo fecerint et unus restituerit, omnes liberantur: quod si unus quanti ea res est praestiterit, puto adhuc ceteros liberari). 91 Ulpian D.11,6,3 pr. (altero convento, si satisfecerit, in alterum actionem denegari oportebit). 92 Ulpian D.27,6,7,4 (perceptione ab uno facta et ceteri liberantur, non electione); Paulus D.27,6,8 (et ideo si nihil aut non totum servatum sit, in reliquos non denegandam in id quod deest). 93 Tryphonin D.26,7,55,1 (der Satz quamvis unus duplum praestiterit, nihilo minus etiam alii teneantur wird verneint); Ulpian D.27,3,15 (si conventus alter praestitisset, proficiet id quod praestitit ei qui conventus non est: licet enim doli ambo rei sint, tamen sufficit unum satisfacere). 94 Paulus D.39,3,11,1 (si cum uno actum sit et si praestiterit ceteros liberari).
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genkonkurrenz voneinander unterscheidet, ist nicht ersichtlich. Offenbar spielte zumindest zum Teil das Alter der Klage eine Rolle, weil die Klagen mit Solutionskonkurrenz meist jüngere sind. In jedem Fall beruht die Konkurrenzfrage offenbar, in den Worten von Liebs, auf historischem Zufall95 und kann über das „Wesen“ einer Gesamtschuldgruppe keine Auskunft geben96. Dieser Befund entspricht dem bei vertraglichen Gesamtschulden, die sich ebenfalls aus wohl rein historischen Gründen in Gesamtschulden mit und Gesamtschulden ohne Klagenkonkurrenz aufteilen97. Zur Frage, ob vertragliche und gesetzliche Gesamtschulden im römischen Recht zu einem einheitlichen Gesamtschuldbegriff zusammengefasst wurden, kann das Phänomen der Klagenkonkurrenz also nichts aussagen, weil es in beiden Gruppen nur teilweise zu finden ist. Sucht man nach anderen Kriterien, dann fällt auf, dass es nur für eine Gesamtschuldgruppe eine technische Bezeichnung gibt: Stipulationsgesamtschuldner werden rei promittendi genannt98. Bei einer Reihe von Quellen, die von rei promittendi sprechen, ist es sicher, dass sie nur Stipulationsgesamtschuldner im Auge haben99. Daneben verwenden die Quellen häufig den Ausdruck duo/plures rei, vereinzelt auch rei debendi oder conrei. Sie waren offenbar gleichbedeutend mit rei promittendi, auch wenn der Wortlaut eine weitergehende Bedeutung zulassen würde. Häufig beziehen sich Quellen mit rei allein auf Stipulationsgesamtschuldner100 oder verwenden rei und rei promittendi als austauschbare Begriffe101. Gesamtschuldner, die aus einer anderen Vertragsart oder aus einem Vermächtnis verpflichtet sind, werden als quasi duo rei oder quodammodo duo rei102, manchmal aber auch als rei promittendi103 oder duo rei104 bezeichnet. Es ist gut möglich, dass einige Quellen, die von rei promittendi105 oder von rei106sprechen, sich nicht nur auf Stipulations-Gesamtschuldner, sondern auf alle Gesamtschuldner beziehen, die sich durch Vertrag verpflichtet haben.
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Liebs, Klagenkonkurrenz, 252. So auch Schmieder, Duo rei, 330. 97 Oben, 46 f. 98 Modestin D.45,2,1; Inst. 3,16. Zum Folgenden vgl. Liebs, Klagenkonkurrenz, 39 Fn. 4; und nun ausführlich Schmieder, Duo rei, 299 ff. 99 So etwa Ulpian D.45,2,3 pr.; Pomponius D.45,2,4; Julian D.45,2,5 und l. 6 pr.; Papinian D.45,2,9,2 und l. 11 pr., § 2; ferner Ulpian D.34,3,3,3 und Paulus D.34,3,29 (weil es in beiden Texten um eine acceptilatio geht, die nur bei Stipulationsschulden möglich war); wohl auch Ulpian D.35,2,62 pr. 100 Julian D.45,2,6,1 und § 3; Ulpian D.45,2,8; Venuleius D.45,2,12 pr.-1; Paulus D.45,2,14; Gaius D.4,4,27,2 und Ulpian D.24,1,5,1 (wegen acceptilatio); Papinian D.45,1,116 (weil Klagenkonsumption angedeutet wird). 101 So Ulpian D.34,3,3,3 (zum Ausdruck conreus); Paulus D.46,1,71 pr.; siehe auch Pomponius und Julian D.12,6,19,4 und l. 20. 102 Vertrag: Ulpian D.13,5,16 pr., D.13,6,5,15, D.21,1,31,10; Vermächtnis: Pomponius D.30,8,1. 103 Papinian D.45,2,9 pr. 104 Ulpian D.19,2,13,9. 105 Etwa Florentin D.45,2,7; Pomponius D.45,2,18, D.46,1,71 pr.; Diocletian C.8,39,1–3. 106 Etwa Ulpian D.14,6,7,1, D.15,3,10,10, D.45,2,3,1; Papinian D.45,2,9,1; Modestin D.46,1,40. 96
1. Personenkonkurrenzen bei gesetzlichen Verbindlichkeiten im römischen Recht
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Sprechen die Quellen dagegen von gesetzlichen Gesamtschuldnern, verwenden sie diese Ausdrücke nicht107. Eine Bezeichnung gerade für gesetzliche Gesamtschuldner fehlt völlig; die Quellen beschränken sich darauf, die Befreiung eines Schuldners durch Verklagung bzw. Leistung eines Mitschuldners auszusprechen. Hieraus und aus dem Fragment Papinian D.45,2,9 pr., wonach alle rechtsgeschäftlichen Gesamtschuldner als rei promittendi anzusehen sind, könnte der Schluss gezogen werden, dass das römische Recht zwischen rechtsgeschäftlichen108 und gesetzlichen Gesamtschuldnern derart unterschied, dass die Regeln der Quellen, die von rei oder rei promittendi handeln, nur auf die erste und nicht auf die zweite Gesamtschuldgruppe anwendbar waren. Ein solcher Schluss könnte allerdings nicht mit der später im Gemeinen und französischen Recht zu findenden Erwägung gerechtfertigt werden, dass rechtsgeschäftliche Gesamtschulden künstlich durch den Parteiwillen hergestellt werden, während sich bei Gesamtschulden auf Schadensersatz die Befreiung eines Schuldners bei Leistung durch den Mitschuldner gleichsam von selbst versteht, weil der Gläubiger mangels Schaden nun nicht mehr liquidieren kann. Wie gezeigt, richteten sich die Klagen des römischen Rechts, die sich auf eine Rechtsverletzung stützten, nicht notwendigerweise auf den Ersatz des Schadens. Eine Rechtsverletzung in der Verantwortung mehrerer konnte zur kumulativen, gesamtschuldnerischen oder auch teilschuldnerischen Haftung führen. Die gesamtschuldnerische Haftung ergab sich im römischen Recht nie von selbst, sondern war auch bei Delikten eine Rechtsfolge unter mehreren möglichen. Sofern eine in den Quellen zu findende Regel sich in ihrem Anwendungsbereich nur auf Stipulationsgesamtschuldner oder auch nur auf vertragliche Gesamtschuldner bezieht, kann das schlicht daran liegen, dass sich die Frage bei gesetzlichen Gesamtschuldnern nicht stellte, etwa wenn es um darum ging, wie eine Stipulations-Gesamtschuld vereinbart wurde109 oder ob die Gesamtschuldner sich hinsichtlich Bedingungen, Fristen oder Verschuldenshaftung in unterschiedlicher Weise verpflichten konnten110. Häufig beruhte die Beschränkung aber auch darauf, dass die konkrete Rechtsfolge bei gesetzlichen Gesamtschulden ohnehin selbstverständlich war: Nicht nur bei vertraglichen Gesamtschulden schuldete jeder das Ganze111, konnte der Gläubiger Teilbeträge einklagen112 und konnte für jeden Gesamtschuldner ein eigener Bürge bestellt werden113. Die Beerbung eines 107 Für mehrere Tutoren gilt dies allerdings nicht uneingeschränkt. In Papinian D.26,7,38 pr. findet sich eine Gleichstellung der Mitvormünder mit eiusdem pecuniae debitores. Der Ausdruck quasi duo rei eiusdem debiti in Papinian D.26,7,45 bezieht sich möglicherweise auf Mitvormünder. Ulpian verweist in D.16,3,1,43 bei der Solutionskonkurrenz bei mehreren Verwahrern auf die Solutionskonkurrenz bei Mitvormündern. 108 Oder rechtsgeschäftsähnlichen, wenn man die Tutoren dazuzählen will. 109 Ulpian D.45,2,3 pr. und l. 8, Pomponius D.45,2,4; Julian D.45,2,5 und l. 6 pr., § 3; Venuleius D.45,2,12 pr.-1; Paulus D.45,2,14. 110 Hierzu Inst.3,16,2; Florentin D.45,2,7; Papinian D.45,2,9,1–2. 111 Ulpian D.45,2,3,1; Diocletian C.8,39,1–3. 112 Ulpian D.45,2,3,1; Papinian D.45,2,11 pr., D.46,1,51,2. 113 Julian D.45,2,6,1; Afrikan D.46,1,21,4; Modestin D.46,1,40; Papinian D.46,1,51,2.
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Gesamtschuldners durch den anderen führte wohl auch bei gesetzlichen Gesamtschuldnern dazu, dass der Erbe nun aus zwei Verbindlichkeiten haftete114. Die Einzelwirkung des Verzugs115, des Forderungsverzichts per pactum116, des Schiedsvertrags117, der Statusänderung118 oder der Konfusion zwischen Gläubiger und einem Gesamtschuldner119 musste offenbar nur bei Stipulations- oder vertraglichen Gesamtschulden besonders hervorgehoben werden. Stellt man auf die konkreten Rechtsfolgen ab, dann kann von einer fundamentalen Unterscheidung gerade zwischen rechtsgeschäftlichen und gesetzlichen Gesamtschulden nicht gesprochen werden. Die eben genannten Rechtsfolgen galten für alle Arten von Gesamtschulden. Die Befreiung der Mitschuldner durch litis contestatio betraf, wie dargestellt, einen Teil sowohl der vertraglichen als auch der gesetzlichen Gesamtschuldner. Manche Regeln galten nur für Gesamtschuldner, die eine societas bildeten oder zwischen denen ein besonderes Ausgleichsverhältnis bestand120. Die in den Quellen bezeugte Gesamtwirkung der acceptilatio (eines förmlichen Erlasses)121 bezieht sich offenbar deshalb auf Stipulations-Gesamtschuldner, weil eine acceptilatio nur bei Stipulationsschulden möglich war122. Bei einigen Gesamtwirkungen kann nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden, ob sie nur für Stipulations-Gesamtschuldner, für alle vertraglichen Gesamtschuldner oder für Gesamtschulden überhaupt galten123. Nicht vollständig geklärt ist schließlich auch, welche Gesamtschuldgruppen von den Reformen Justinians betroffen waren124. Für das römische Recht ergibt sich demnach folgendes Bild: Ein einheitlicher Gesamtschuldbegriff war unbekannt125. Weder gab es eine technische Bezeichnung für alle Arten von Gesamtschulden, noch sind konkrete Rechtssätze über114
Venuleius D.45,2,13; Paulus D.46,1,5; Scaevola D.46,3,93,1. Marcian D.22,1,32,4; Paulus D.50,17,173,2. 116 Paulus D.2,14,25 pr.; Papinian D.45,2,9,1; Julian D.46,3,34,11. 117 Paulus D.4,8,34 pr. 118 Pomponius D.45,2,19. 119 Paulus D.46,1,71 pr. 120 So etwa die Gesamtwirkung des pactum de non petendo in rem (Paulus D.2,14,25 pr.), die Gesamtwirkung eines Schiedsvertrags (Paulus D.4,8,34 pr.), die beschränkte Gesamtwirkung der Konfusion zwischen Gläubiger und einem Gesamtschuldner (Paulus D.46,1,71 pr.), die Möglichkeit, mit der Forderung eines Mitschuldners aufzurechnen (Papinian D.45,2,10) und die besondere Berechnung der Falzidischen Quart (Ulpian D.35,2,62). 121 Javolen D.45,2,2; Ulpian D.46,4,16, D.4,4,27,2, D.34,3,3,3; Paulus D.34,3,29. 122 Gai. 3,169 f.; Inst. 3,29,1; Ulpian D.46,4,8,3. 123 Dies gilt etwa für die Gesamtwirkung der Schuldübernahme im Wege der Novation (Afrikan D.16,1,20) oder des abschwörenden Eides (Paulus D.12,2,28,3). 124 Zur Teilungseinrede durch die Nov. 99 oben, 236 ff. In der Konstitution C.8,39,4, mit der Justinian die Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung einführte, ist meist von Gesamtschulden aus Vertrag die Rede; nach gemeinrechtlicher Lehre bezog sich das Gesetz allerdings auf alle Arten von Gesamtschulden. Die Bedeutung des Fragments Pomponius D.45,2,18, das sich auf vertragliche Gesamtschulden bezieht und mit dem möglicherweise eine Gesamtwirkung des Verschuldens gemeint war, ist unsicher. 125 Zum selben Ergebnis kommt nun die eingehende Untersuchung von Schmieder, Duo rei, insbes. 295 ff. 115
2. Gemeines Recht: Gesamtschulden auf Schadensersatz
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liefert, die gleichermaßen für jede Art von Gesamtschuld gelten sollten. Ebenso wenig kann aber von einer Zweiteilung in vertragliche und gesetzliche Gesamtschulden gesprochen werden. Das Herzstück des römischen Gesamtschuldrechts war vielmehr die Stipulationsgesamtschuld. Ihr ist in den Institutionen Justinians, in den Digesten und im Codex jeweils ein eigener Titel gewidmet. Um sie geht es auch an erster Stelle in den Fragmenten, die von rei promittendi oder von einer Mehrheit von rei handeln. Hiermit war aber kein Exklusivitätsanspruch verknüpft; die genannten Regeln konnten vielmehr, soweit passend, auch auf andere Gesamtschuldfälle angewendet werden. Statt einer starren Unterteilung in nebeneinanderstehende Gesamtschuldkategorien gab es offenbar verschiedene, sich überschneidende Gesamtschuldbereiche: Stipulationsgesamtschulden, Gesamtschulden mit besonderem Innenverhältnis, rechtsgeschäftliche und gesetzliche Gesamtschulden, Gesamtschulden mit oder ohne Klagenkonkurrenz. Eine Regel konnte sich auf alle Gesamtschulden oder nur auf einen bestimmten Gesamtschuldbereich beziehen. Es würde dem fallrechtsartigen, induktiv vorgehenden Charakter des römischen Rechts widersprechen, in den Quellen ein geschlossenes Gesamtschuld-System zu suchen.
2. Gemeines Recht: Gesamtschulden auf Schadensersatz Kennzeichnend für die Entwicklung im Gemeinen Recht ist die systematische Trennung von Privatstrafe und Schadensersatz. Die Wurzeln dieser Trennung liegen schon im nachklassischen römischen Recht, als man versuchte, die Rechtsfolgen von Privatklagen mit dem alleinigen Gedanken des Schadensausgleichs zu erklären und die Straffunktion dem öffentlichen Kriminalrecht zuzuweisen126. Justinian hielt demgegenüber zwar an den klassischen Strafklagen fest, zerlegte aber die überlieferten Bußen in einen Strafanteil und einen Schadensersatzanteil: Wenn etwa die Klage wegen Raubs auf den vierfachen Sachwert gerichtet war, sollte es sich beim einfachen Wert um Schadensersatz und um den darüber hinausgehenden Betrag um eine Strafe handeln127. Die Schriftsteller des frühen Gemeinen Rechts knüpften daran an und zogen hieraus systematische Schlüsse: Nur der Strafanteil der dem Verletzten zu zahlenden Summe sollte wegen seiner Sanktionierungsfunktion bei Mittätern kumuliert werden. Der Schadensersatz sollte dagegen dem Verletzten nur einmalig geleistet werden, so dass für den Schadensersatzanteil solidarische Haftung eintrat128. Dementsprechend wurden die überlieferten Quellen interpretiert: Eine dort vorgesehene Kumulation sollte sich nur 126
Kaser, Römisches Privatrecht II, § 257 I 1, § 271 I 2; Jansen, Haftungsrecht, 237. Inst. 4,2 pr., vgl. Inst. 4,6,16–19; Liebs, Klagenkonkurrenz, 53 ff.; Kaser, Römisches Privatrecht II, § 257 I 2, § 271 II 3; Zimmermann, Obligations, 920; Jansen, Haftungsrecht, 237, 266 ff. 128 Hierzu Lange, Schadensersatz, 134 ff.; Kaufmann, Rezeption, 94; Wieling, Interesse, 254 ff.; Jansen, Haftungsrecht, 282. 127
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I. Die solidarische Schadensersatzhaftung im Verhältnis zur Vertragsgesamtschuld
auf den Strafanteil beziehen, während die Erwähnung einer solidarischen Haftung mit der fehlenden Strafnatur der Klage erklärt wurde. Hieraus entwickelte sich die allgemeine Regel, dass bei Verpflichtungen von Mittätern, die auf Schadensersatz gerichtet waren, Gesamtschulden entstanden. Auf die Art des Delikts kam es nun nicht mehr an. Die Privatstrafe, die den Täter über die Leistung des Schadensersatzes hinaus sanktionierte und daher bei Mittätern kumuliert werden sollte, wurde durch die öffentliche Strafe verdrängt. Zwar wurde sie von den gemeinrechtlichen Schriftstellern bis ins 19. Jahrhundert hinein als geltendes Recht mit aufgeführt, doch in der Praxis spielte sie offenbar kaum eine Rolle und verschwand schließlich ganz129. Insbesondere die praktisch wichtige actio legis Aquiliae verlor ihren Strafcharakter130. Mit der Beschränkung des Anspruchs des Geschädigten auf den Ersatz seines Schadens verschwand die kumulative Haftung von Mittätern131. Nun galt, dass mehrere, die gemeinsam ein Delikt begangen hatten, nur Schadensersatz, und diesen solidarisch, schuldeten132. Somit hatte sich im Gemeinen Recht eine allgemeine Kategorie der deliktischen Gesamtschuld entwickelt, die der vertraglichen Gesamtschuld gegenübergestellt werden konnte. Damit stellte sich die Frage, ob es zwischen diesen Gesamtschuldarten grundsätzliche Unterschiede gab. Für Donellus war dies der Fall: Um rei debendi sollte es sich handeln, wenn mehrere aus derselben causa durch dieselbe Obligation verpflichtet wurden. Diese Gesamtschuldart konnte nur durch Vertrag (sei es eine römische Stipulation oder ein anderer Vertrag) oder Testament entstehen133. Mehrere Deliktstäter hafteten zwar solidarisch, waren aber nicht rei debendi, weil jeder einzelne aus seiner schuldhaften Handlung, also aus einem unterschiedlichen Entstehungsgrund verpflichtet war134. Dasselbe galt für mehrere an einem Quasidelikt Beteiligte (etwa die Hausbewohner bei der actio de effusis) und für Mitvormünder135. Das Abgrenzungskri129
Hierzu und zu partikular geltenden besonderen Strafklagen Lange, Schadensersatz, 129 ff.; Wieling, Interesse, 136 ff., 241 ff.; Coing, Europäisches Privatrecht I, 504 f.; Jansen, Haftungsrecht, 290, 297, 363 f. 130 Kaufmann, Rezeption, 85 ff.; Coing, Europäisches Privatrecht I, 509 f.; Zimmermann, Obligations, 1019 f.; Jansen, Haftungsrecht, 281 ff., 294 f.; Kruse, Kausalität, 80 ff. 131 Kaufmann, Rezeption, 94 ff.; Coing, Europäisches Privatrecht I, 510; Zimmermann, Obligations, 1020; Kruse, Kausalität, 86 f. 132 Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,39, cap. 12, § 4; Grotius, Inleiding III, 32, § 15 und 34, § 6; Voet, Commentarius, zu D.9,2, § 12; Domat, Loix civiles, § 1825; Pothier, Obligations, § 264; Höpfner, Commentar, §§ 814, 1013, 1016, 1033, 1060; Glück, Pandecten X, 382 ff.; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 676 II; Bucher, Forderungen, §§ 124, 140; von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT, Kap. 30/1, Nr. 4 (S. 982); Brinz, Pandekten, § 340 bei Fn. 39; Arndts, Pandekten, § 324; Wächter, Pandekten, § 215 II; Windscheid, Pandekten, § 455 Nr. 6; Wendt, Pandekten, § 275; Dernburg, Pandekten II, § 129 bei Fn. 13, § 131 bei Fn. 17. 133 Ebenso Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 3; Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst.3,16(17),2, § 2. 134 Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,39, cap. 12, insbes. § 4. 135 Für Mitvormünder aber offenbar anders (nur eine Obligation wie bei duo rei) Donellus, De jure civili, Buch 16, Kap. 25, § 16.
2. Gemeines Recht: Gesamtschulden auf Schadensersatz
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terium für Donellus war also nicht die Klagenkonkurrenz136, sondern die Art des Entstehungstatbestandes, der hier Einheit, dort Mehrheit der causae sein sollte. Auch Cujas unterschied zwei Gesamtschuldgruppen, zog die Trennlinie aber anders: Echte rei debendi sollte es nur dort geben, wo die solidarische Haftung unter den Parteien besonders vereinbart war. Der bloße Umstand, dass mehrere gemeinsam eine Sache geliehen, gemietet oder in Verwahrung genommen hatten, führte nur zu einer Ganzhaftung, die derjenigen der rei angenähert war, aber insbesondere keine gegenseitige Verschuldenshaftung mit sich brachte137. Cujas stellte also auf die in den Quellen zur Miete und Verwahrung angeführte Einzelwirkung des Verschuldens ab und unterschied vereinbarte und sonstige Gesamtschulden. Demgegenüber ging die gemeinrechtliche Lehre und Praxis des 17. und 18. Jahrhunderts offenbar überwiegend von einem einheitlichen Gesamtschuldbegriff aus, der vertragliche und deliktische Gesamtschulden gleichermaßen umfasste. Dies gilt in Frankreich für Domat und Pothier138 und in Deutschland etwa für Kreittmayr, Höpfner und Glück139, deren solidité bzw. Korrealobligation ohne weiteres auch die Fälle der deliktischen Mittäter und der Mitvormünder betraf. Es war diese gemeinrechtliche Sicht, die den Kodifikationen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts zugrunde lag. Die Gesamtschuldregeln des preußischen ALR und des österreichischen ABGB bezogen sich zwar ihrem Tatbestand nach nur auf vertragliche Gesamtschulden140. Für deliktische Mittäter aber ordneten beide Gesetzbücher die Haftung „einer für alle und alle für einen“ an, für welche die Regeln der vertraglichen Gesamtschuld gelten sollten141. Der bayerische CMBC machte ausdrücklich klar, dass die „Correalität“ nicht nur aus Verträgen, sondern auch aus Delikten entstehen konnte und dass für beide Gruppen dieselben Regeln galten142. Nach Art. 1202 des französischen Code Civil konnte die „solidarité“ durch Vereinbarung oder durch gesetzliche Bestimmung entstehen. Solche gesetzliche Gesamtschuldanordnungen bestanden für die Schadensersatzpflicht von Mittätern, die wegen einer Straftat verurteilt wurden, ferner bei mehreren Testamentsvollstreckern und in weiteren Fällen der gesetzlichen Verpflich136
Vgl. Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,39, cap.8, § 2. Cujas, Observationum, lib 26, cap. 26. 138 Domat, Loix civiles, § 1825; Pothier, Obligations, §§ 264, 267 (Tutoren), 268. 139 Kreittmayr, Anmerkungen IV, 78; Höpfner, Commentar, § 814; Glück, Pandecten IV, 517; vgl. Binder, Korrealobligationen, 484; aus dem 19. Jahrhundert noch Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, § 207 bei Fn. r; Bucher, Forderungen, § 117; Brackenhoeft, Identität, 154 Fn. 31 f.; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 89; Christiansen, Institutionen, § 3; Koch, Forderungen II, § 63, S. 16 ff. 140 ALR I 5 §§ 424 ff.; ABGB Art. 891 ff. 141 ALR I 6 §§ 29 f.; ABGB Art. 1301 f. (vgl. Zeiller, ABGB, § 1302 Anm. 1; R.Leonhard, FS ABGB II, 852; Klang/Gschnitzer, ABGB, § 888 Anm. II A 2, B). Dies hinderte Mages, Gesamtschuldverhältnisse (1872), insbes. 37 ff., nicht, die Keller/Ribbentrop’sche Theorie in das ABGB hineinzutragen; hiergegen Harum, GrünZ 1 (1874), 201, 204 ff. 142 CMBC IV 1 § 21 Nr. 7, IV 16 § 4 Nr. 5. 137
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I. Die solidarische Schadensersatzhaftung im Verhältnis zur Vertragsgesamtschuld
tung mehrerer Personen143. Allerdings fehlte eine ausdrückliche Vorschrift, die bei rein zivilrechtlichen Delikten die solidarische Haftung für Mittäter anordnete. Dies sollte die spätere Entwicklung entscheidend beeinflussen.
3. Die Solidarobligationen des 19. Jahrhunderts Die Ausbreitung der Keller/Ribbentrop’schen Lehre im 19. Jahrhundert brachte eine grundsätzliche Trennung zwischen vertraglicher und deliktischer Gesamtschuld mit sich. Wie berichtet knüpften Keller und Ribbentrop an das Phänomen der römischen Klagenkonkurrenz an, das sie mit der Einheit der Obligation erklärten144. Eine solche einheitliche Obligation mit einer Mehrheit von Schuldnern und Klagenkonkurrenz, die sog. Korrealobligation, sollte in erster Linie aus einem Rechtsgeschäft entstehen. Bei deliktischen Gesamtschulden überlieferten die Quellen demgegenüber die Solutionskonkurrenz. Hier sollte es sich daher um eine Mehrheit von Obligationen handeln, die sog. (einfachen) Solidarobligationen. Die so erzielte Trennung zwischen vertraglicher und deliktischer Gesamtschuld ermöglichte es, die echten und vermeintlichen Gesamtwirkungen des römischen Rechts (außer der Befreiung durch litis contestatio auch etwa die Gesamtwirkung von Novation, acceptilatio, Verjährungsunterbrechung, Verschulden und Urteil) auf Korrealobligationen und damit in erster Linie auf vertraglich vereinbarte Gesamtschulden zu beschränken. Nun stellte sich aber für die Anhänger der Keller/Ribbentrop’schen Theorie die Aufgabe, zu erklären, warum das römische Recht eine solche fundamentale Unterscheidung getroffen hatte und warum hier Einheit, dort Mehrheit der Obligationen vorlag. Auch diejenigen Schriftsteller, die bei der Korrealobligation zwar keine Obligationseinheit, aber eine andere besondere Konstruktion (Wahlschuldverhältnis, gegenseitige Vertretung, Gesamtobligation, Kollektivobligation, Einheitsfiktion) zugrunde legten, mussten sich der Frage stellen, warum diese Konstruktion gerade bei der Korrealobligation und nicht bei den einfachen Solidarobligationen bestand. Hinzu kam, dass die Unterscheidung zwischen vertraglichen und gesetzlichen Gesamtschulden nicht vollständig mit der in den Quellen zu findenden Unterscheidung zwischen Klagenkonkurrenz und Solutionskonkurrenz übereinstimmte. Gerade diese Unterscheidung sollte aber das entscheidende Abgrenzungskriterium sein. Aus Sicht der Schriftsteller des 19. Jahrhunderts145 galt damit Folgendes: Um eine Korrealobligation sollte es sich handeln bei der Stipulations-Gesamtschuld, bei sonstigen Verträgen mit besonderer Gesamtschuldabrede und bei der durch Vermächtnis angeordneten Gesamtschuld. Dies waren alles durch Rechtsgeschäft entstandene Gesamtschulden. Häufig wurde aber auch wegen der überlieferten Klagenkonkurrenz die Noxalhaftung mehrerer Miteigentümer für ein 143 144
Art. 55 Code Pénal (1810); Art. 1033 CC. Näheres unten, 533 ff. Oben, 53 ff.
3. Die Solidarobligationen des 19. Jahrhunderts
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Sklavendelikt bzw. einen Tierschaden dazugezählt. Die Verpflichtungen von Bürge und Hauptschuldner sowie zwischen mehreren Mitbürgen waren ein Sonderfall: Manche stellten für den Begriff der Korrealobligation allein auf die Klagenkonkurrenz ab und unterschieden paritätische und akzessorische Korrealobligationen, so dass die Verpflichtungen des Hauptschuldners und sämtlicher Bürgen eine durch das Akzessorietätsverhältnis geprägte Korrealobligation waren. Andere stellten darauf ab, dass die Quellen den Ausdruck duo rei (promittendi/ debendi) nicht für Bürgen verwendeten, und schlossen akzessorische Verbindlichkeiten völlig aus dem Korrealschuldbegriff aus146. Ebenso verhielt es sich bei den adjektizischen Klagen147: Die Verpflichtung des Prinzipals wurde als akzessorisch zur Verpflichtung des Vertragschließenden angesehen. Das Verhältnis zwischen Prinzipal und Vertragschließendem sowie zwischen mehreren Prinzipalen wurde daher ebenso wie bei der Bürgschaft teilweise innerhalb148, teilweise außerhalb der Korrealobligation149 angesiedelt. Solidarobligationen sollten bestehen bei deliktischen Mittätern, bei mehreren Hausbewohnern im Rahmen der actio de effusis vel deiectis sowie zwischen Mitvormündern. Bei dieser Tutorenhaftung ging man davon aus, dass ein Vormund nur dann gegenüber dem Mündel haftete, wenn ihn ein eigenes Verschulden traf, sei es im Rahmen der Geschäftsführung oder bei der Überwachung des Mitvormunds150. Demnach trat die Solidarhaftung der Tutoren dann ein, wenn ein Schaden durch das Verschulden mehrerer Tutoren verursacht worden war. Somit wiesen diese drei Gesamtschuldgruppen das gemeinsame Merkmal auf, dass es sich um mehrere auf Ersatz desselben Schadens gerichtete Ansprüche handelte, die ein (bei der Hausbewohnerhaftung vermutetes) Verschulden voraussetzen. Um Solidarobligationen sollte es sich aber auch bei der Haftung mehrerer gemeinsamer Entleiher, Mieter und Verwahrer handeln (sofern nicht durch besondere Ge145 Zum Folgenden Ribbentrop, Correal-Obligationen, 83 f., 89 ff., 258 ff.; Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 1 II (S. 71 ff.), Anm. 2 (S. 76 ff.); Savigny, Obligationenrecht I, 197 ff.; ders., System V, § 232; Göschen, Obligationenrecht, §§ 372–373; Puchta, Pandekten, § 233; Mühlenbruch, Pandekten, §§ 490–491; von Scheurl, Institutionen, § 110; von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 413 ff.; Liebe, Stipulation, 165 f.; Müller, Institutionen, § 97; Bekker, Consumption, 217 f.; Samhaber, Correalobligation, 145 ff.; Windscheid, Pandekten, §§ 297–298; Arndts, Pandekten, § 214; Wächter, Pandekten, § 178; Wendt, Pandekten, § 209. 146 Ausführlich unten, 1069 ff. 147 Zu ihnen oben, 16 f. 148 Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 2 Nr. 3 (S. 74 f.); Windscheid, KritÜ 6 (1859), 226 ff.; Samhaber, Correalobligation, 152 f., 176; Brinz, KritBl 4 (1853), 24 f.; ders., Pandekten, § 258; Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 16 ff.; Kuntze, Singularsuccession, 239 ff. 149 Liebe, Stipulation, 166, 222 ff.; Savigny, Obligationenrecht I, 209 ff.; von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 414; Fitting, Correalobligationen, 229; Bekker, Consumption, 217 f., 221; von Helmolt, Correal-Obligationen, 95; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 268 ff.; Hartmann, Obligation, 155 ff.; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 101 ff.; Arndts, Pandekten, § 214. 150 Hierzu insbesondere Ribbentrop, Correal-Obligationen, 59 ff.; Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 2 (S. 76); Savigny, Obligationenrecht I, 206 ff.; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 60 f., 139; Dernburg, Pandekten II, § 71 Nr. 2; Brinz, KritBl 4 (1853), 43 ff.; anders dann ders., Pandekten, § 236 Nr. 5.
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I. Die solidarische Schadensersatzhaftung im Verhältnis zur Vertragsgesamtschuld
samtschuldabrede eine Korrealobligation begründet worden war)151. Die herrschende Lehre erklärte dies damit, dass der einzelne Entleiher, Mieter oder Verwahrer überhaupt nur dann haftete, wenn ihm die Rückgabe wegen eigenen Verschuldens nicht möglich war. Eine Solidarhaftung entstand danach nur dann, wenn das Verschulden mehrerer zur Nichtrückgabe geführt hatte, und konnte dann ebenso wie die deliktische Haftung der Mittäter als gemeinsame Schadensersatzhaftung rationalisiert werden. Schließlich zählte zu den Solidarobligationen nach einhelliger Meinung auch die Haftung mehrerer Beauftragter152 sowie die Haftung mehrerer Auftraggeber153, wobei man meist keinen Unterschied machte, ob es sich um eine gemeinsame oder getrennte Beauftragung handelte. Manche Einordnungen waren umstritten. Insbesondere die Solidarhaftung aus Verpflichtungen zu unteilbaren Leistungen wurde teils den Korreal-, teils den Solidarobligationen, teils (wegen der von der herrschenden Lehre angenommenen Teilung des Interesses) einer dritten Gruppe zugeschlagen154. Keine Einigkeit bestand auch darüber, ob eine Gesamtschuld durch konstitutives Urteil entstehen konnte, und, wenn ja, ob es dann eine Korreal- oder Solidarschuld war. Über das „Wesen“ der Solidarobligationen bestand demgegenüber weitgehende Einigkeit. Nach nahezu155 einhelliger Meinung handelte es sich um eine Mehrzahl von Obligationen, die allein durch die Gesamtwirkung der Erfüllung und der Erfüllungssurrogate verbunden waren. Musterfall war die Verpflichtung mehrerer zum Ersatz eines von allen zu verantwortenden Schadens, sei es durch gemeinsames Delikt, Quasidelikt (actio de effusis) oder bei der Tutorenhaftung. Die Leistung eines Schuldners befreite die Mitschuldner, weil durch sie der Schaden des Gläubigers wegfiel. Die Obligationen der Mitschuldner wurden gegenstandslos156. Insofern sprach man bei Solidarobligationen häufig von der Einheit des Leistungsgegenstandes oder des Leistungszwecks157. 151
Vgl. oben, 119 ff. Vgl. oben, 121. 153 Oben, 15 f. 154 Hierzu oben, 116. 155 Anders nur der späte Brinz, unten, bei Fn. 177. 156 Ribbentrop, Correal-Obligationen, 84, 90 f.; von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 413 f.; Liebe, Stipulation, 165 f.; Savigny, Obligationenrecht I, 200 ff.; ders., System V, 221 f.; Puchta, Vorlesungen, § 233; von Scheurl, Institutionen, § 110; Windscheid, Pandekten, § 298; Girtanner, Bürgschaft, 400; Fitting, Correalobligationen, 148, 229 ff. (der von einer Unmöglichkeit der Leistung spricht); Samhaber, Correalobligation, 151; Brinz, KritBl 4 (1853), 57; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 207 ff., 218 ff.; Arndts, Pandekten, § 214; Wendt, Pandekten, § 209; Römer, ZHR 18 (1873), 17 f.; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 60; Unger, JhJb 22 (1884), 233 f., 240 f.; Hölder, AcP 69 (1886), 234 f.; Hartmann, ZSchwR 28 (1887), 143; Crome, JhJb 35 (1896), 101 f.; in Österreich Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 37, 41; vgl. auch Fritz, ZCRPr nF 22 (1865), 490 ff.; Eisele, AcP 77 (1891), 458 f. (der diese Erklärung ebenfalls verwendet, aber nicht für die deliktische Mittäterhaftung); Binder, Korrealobligationen, 28 ff. (der diese Erklärung für alle Gesamtschulden verwendet). 157 Mühlenbruch, Pandekten, § 490; Puchta, Pandekten, § 233; Seuffert, Pandekten, § 228 bei Fn. 3; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap III/1, Fn. 2 (S. 90); Müller, Institutionen, § 97 I Nr. 3 und 5; Windscheid, Pandekten, § 298; Randa, KritVj 16 (1874), 530; Arndts, Pandekten, § 214; Wendt, Pandekten, § 209; Kuntze, Jus extraordinarium, 168; Unger, JhJb 22 (1884), 231, 233. 152
3. Die Solidarobligationen des 19. Jahrhunderts
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Wie aber passte die Haftung mehrerer Auftraggeber dazu?158 Bei dieser dachte man insbesondere an den Fall, dass mehrere unabhängig voneinander dem Gläubiger den Auftrag erteilt hatten, einer bestimmten Person einen Kredit zu gewähren. Konnte der Gläubiger das Darlehen vom Schuldner dann nicht zurückerlangen, hatte er einen entsprechenden Anspruch gegen die Kreditauftraggeber auf Auslagenersatz. Wenn nun, so argumentierte man, einer der Kreditauftraggeber dem Gläubiger seine Auslagen in Höhe der Darlehenssumme ersetze, werde der andere Kreditauftraggeber frei, weil es keine Auslagen des Gläubigers mehr gebe, die er vom anderen Kreditmandator verlangen könne159. Savigny sprach davon, dass durch Zahlung des ersten Auftraggebers der Schaden des Gläubigers wegfalle160. Die zu ersetzenden Auslagen wurden also wie ein zu ersetzender Schaden behandelt161. Ein Ersatz war nur einmal möglich. Die Solidarobligationen zwischen Verwahrern, Entleihern und Mietern waren von denjenigen leicht zu erklären, die sie auf ein Verschulden sämtlicher Haftender zurückführten: Dann konnten sie als gemeinsame Schadensersatzhaftung ebenso rationalisiert werden wie bei den deliktischen Mittätern162. Wer dagegen schon durch den Vertrag selbst entstehende Solidarobligationen annahm, die auf Rückgabe der Sache gerichtet waren, musste die Erklärung zu Hilfe nehmen, dass eine Rückgabe nur einmal möglich war, bei Rückgabe der Sache durch eine Person daher sämtliche anderen Rückgabeverpflichtungen gegenstandslos wurden163. Ebenso verhielt es sich bei den Solidarobligationen mehrerer Beauftragter: Manche führten sie auf ein gemeinsames Verschulden bei Ausführung des Auftrags zurück164, andere dagegen auf die Tatsache, dass der Auftrag nur einmal aus158
Unbefriedigend wirken die Erklärungen bei Brinz, KritBl 4 (1853), 56 f.; und Müller, Institutionen, § 97 I 3: Ungeteiltheit des Mandats. 159 Etwa Ribbentrop, Correal-Obligationen, 90 Fn. 1; Fitting, Correalobligationen, 230; Brinz, KritVj 16 (1874), 16; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 207 ff., 218 ff.; wohl auch Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 61 f.; Unger, JhJb 22 (1884), 294 ff.; Eisele, AcP 77 (1891), 459. 160 Savigny, Obligationenrecht I, 208. Nach Kuntze, Jus extraordinarium, 175, soll die Solidarhaftung mehrerer Kreditmandatoren deliktsähnlich sein: Der Kreditauftraggeber bezeichne eine bestimmte Person unzutreffend als kreditwürdig, wodurch sich der Schaden des Gläubigers ergebe. 161 Arndts, Pandekten, § 214, erklärte so auch das Verhältnis mehrerer Prinzipale bei der adjektizischen Haftung: Jeder Prinzipal habe den Vertragschließenden zu seinem Tun veranlasst und damit einen Anspruch des Dritten auf Schadloshaltung erzeugt. Also handle es sich um Solidarobligationen. 162 Savigny, Obligationenrecht I, 203 ff.; Vangerow, Pandekten III (1863), § 573 Anm. 2 (S. 76 f.); Windscheid, Pandekten, § 298 Fn. 15 b; Brinz, KritBl 4 (1853), 43 ff., 56; Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 18; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 207 ff.; Czyhlarz, GrünhZ 3 (1876), 61–63, 90 ff., 138 f.; Kuntze, Singularsuccession, 170; Müller, Institutionen, § 97 I 3. Hierzu kritisch Fritz, ZCRPr nF 17 (1860), 151 ff., ZCRPr nF 22 (1865), 481 ff.; Binder, Korrealobligationen, 97 ff. 163 Etwa von Scheurl, Institutionen, § 220; Fitting, Correalobligationen, 230; Samhaber, Correalobligation, 151; Ubbelohde, Unteilbare Obligationen, 267. 164 Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 2 a.E. (S. 76 f.); Windscheid, Pandekten, § 298 Fn. 15 b; Brinz, KritBl 4 (1853), 43 ff., 56; ders., Pandekten, § 233 Nr. 2; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 207 ff.; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 61; Müller, Institutionen, § 97 I 3; Dernburg, Pandekten II, § 71 Nr. 2.
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I. Die solidarische Schadensersatzhaftung im Verhältnis zur Vertragsgesamtschuld
geführt werden konnte und somit bei Leistung eines Beauftragten die Verpflichtung des anderen gegenstandslos wurde165. Insgesamt ging es bei den Solidarobligationen also um Verpflichtungen mehrerer, die unabhängig vom Parteiwillen schon von Rechts wegen nur einmal erfüllt werden konnten, so dass sämtliche Verpflichtungen bei Leistung eines Schuldners von selbst gegenstandslos wurden und damit entfielen. Korrealobligationen dagegen sollten zumeist bei gemeinsamen Verträgen, beim Vermächtnis und, nach einem Teil der Literatur, bei der Bürgenverpflichtung entstehen. Kennzeichnend war hier der Parteiwille, der nicht nur die Verpflichtung selbst, sondern auch die Obligationseinheit hervorzubringen schien166. Bei der Noxalhaftung der Miteigentümer wiederum befand Ribbentrop, dass die Einheit der Obligation nirgendwo natürlicher sei als hier, wo es um die Haftung mehrerer für ein einziges Sklavendelikt ging167. Ebenso konnte man die Obligationseinheit bei den adjektizischen Klagen erklären, bei denen mehrere Prinzipale und vielleicht auch der Vertragschließende selbst für einen einmalig geschlossenen Vertrag hafteten. Ein alle Fälle erklärendes einheitliches Abgrenzungskriterium konnte der Begründer des Systems, Ribbentrop, letztlich nicht finden. Seiner Ansicht nach hatten die Römer in den verschiedenen Fallgruppen aus unterschiedlichen Gründen mal eine einzige Obligation, mal eine Mehrheit der Obligationen angenommen168. Seine Nachfolger bemühten sich dagegen weiterhin, das der vermeintlich römischen Unterscheidung zugrunde liegende Abgrenzungskriterium zu finden169. Manche sahen das gemeinsame Verschulden als besonderes Kennzeichen der Solidarobligation an170, aber dazu passte die Haftung mehrerer Auftraggeber nicht171. Die Erwägung, Korrealobligationen könnten nur durch Parteiwillen und ausnahmsweise durch Gesetz entstehen172, erklärte nichts. Was war also das besondere Kennzeichen der Korrealobligation, das sie von den Solidarobligationen abgrenzte und eine besondere juristische Konstruktion notwendig machte? Bei allen Unterschieden im Detail lassen sich zwei Begründungsstränge ausmachen. Ein kleinerer Teil der Literatur stellte auf den Einheitsgedanken ab173. Für Windscheid lag, wenn mehrere als Gesamtschuldner ein Darlehen aufnahmen 165 So etwa Fitting, Correalobligationen, 230; Samhaber, Correalobligation, 151; wohl auch Unger, JhJb 22 (1884), 294 ff. 166 Ribbentrop, Correal-Obligationen, 258. 167 Ribbentrop, Correal-Obligationen, 244. 168 Ribbentrop, Correal-Obligationen, 106. 169 Hierzu Samhaber, Correalobligation, 145 ff. 170 Brinz, KritBl 4 (1853), 42 ff., 57; Müller, Institutionen, § 97 I Nr. 3 und 5; Kuntze, Singularsuccession, 231; ders., Jus extraordinarium, 169, 175. 171 Vgl. Fitting, Correalobligationen, 230 Fn. 253. 172 Göschen, Obligationenrecht, § 373; Wächter, Pandekten, § 177 II; Samhaber, Correalobligation, 151; Unger, JhJb 22 (1884), 212, 277, 282 ff.; Mitteis, GrünZ 14 (1887), 421, 442. 173 Mühlenbruch, Pandekten, § 490, stellte auch bei den Solidarobligationen auf die Einheit des Obligationsgrundes ab, der eine Mehrheit von Verbindlichkeiten derselben Art und mit demselben Leistungsobjekt hervorbringe. Sachlich kommt dies der Auffassung Eiseles nahe, vgl. weiter unten im Text.
3. Die Solidarobligationen des 19. Jahrhunderts
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oder eine Sache kauften, von vornherein nur eine Schuld vor174. Der gemeinsame Vertrag und das gemeinsame Vermächtnis schufen stets nur eine gemeinsame Obligation. Die Schuldner hatten nicht jeder für sich den Vertrag geschlossen, sondern zusammen. Die deliktischen Mittäter waren demgegenüber Solidarschuldner, weil die unerlaubte Handlung des einen nicht die unerlaubte Handlung des anderen war. Ihre Gesamtschuld beruhte auf einer Mehrheit von Tatsachen. Eine einzige natürliche Schuld lag demgegenüber vor, wenn der Bürge sich für die Verbindlichkeit des Hauptschuldners verbürgte oder wenn der Sklave ein Delikt beging, für das sämtliche Miteigentümer noxal haften mussten. Doch dieses Abgrenzungskriterium der „natürlichen Einheit“ erschien wenig aussagekräftig. Warum sollte etwa bei der Tierhalterhaftung der Miteigentümer nur eine Obligation vorliegen, bei der Haftung mehrerer Hausbewohner für etwas aus dem Haus Geschüttetes dagegen mehrere? Die Antwort Windscheids ist bezeichnend: „Wenn Mehrere zusammen wohnen, so ist das Wohnen des Einen nicht das Wohnen des Andern; wenn aber Mehrere zusammen Eigenthümer sind, so ist allerdings das Eigenthum des Einen das Eigenthum des Andern.“175 Auch Brinz argumentierte mit der „natürlichen Einheit“ der Obligation176. Die Haftung mehrerer beruhte für ihn auf einer Vertretung: Mehrere solidarische Vertragschließende vertraten sich gegenseitig. Der Bürge vertrat den Hauptschuldner, der Eigentümer bei der Noxalhaftung den Sklaven und der Prinzipal bei den adjektizischen Klagen den Vertragschließenden. Bei den Gesamtschulden auf Schadensersatz wegen eines Delikts oder einer Vertragsverletzung (mehrere Entleiher) gab es dagegen keine Vertretung: Jeder haftete für sein eigenes Verschulden auf den gesamten Schaden, ganz unabhängig davon, ob noch ein zweiter haftete. Es lag eine Mehrheit selbständiger Obligationen vor. Später änderte Brinz seine Meinung teilweise und nahm an, dass selbst bei den Solidarobligationen nur eine einzige Obligation bestand, weil jeder für etwas Identisches hafte und der Gläubiger wirtschaftlich nur einen Anspruch habe. Der entscheidende Unterschied zur Korrealobligation war allein die Vertretung, die es bei den Solidarobligationen nicht gab177. Teilweise wurde sogar angenommen, dass eine Korrealobligation nur durch einen gemeinsamen Entstehungstatbestand begründet werden konnte178. Das Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner sowie zwischen unabhängigen Mitbürgen musste somit aus der Korrealobligation herausfallen. Auch durch einen Schuldbeitritt konnte dann kein Korrealverhältnis begründet werden. Hinter diesem auf den ersten Blick sehr formalen Kriterium stand eine sachliche Erwä174 Windscheid, KritÜ 6 (1859), 226 ff.; ders., Pandekten, § 298 mit Fn. 15; ähnlich Samhaber, Correalobligation, 145 ff., 151; Bekker, Consumption, 221. 175 Windscheid, Pandekten, § 297 Fn. 7, § 298 Fn. 17; vgl. hierzu Unger, JhJb 22 (1884), 289 Fn. 193. Kritik am Einheitsgedanken als Abgrenzungskriterium auch bei Harum, GrünZ 1 (1874), 201, 203 ff. 176 Brinz, KritBl 4 (1853), 22 ff., 27 f., 57 f.; ders., Pandekten, §§ 253, 258. 177 Brinz, KritVj 16 (1874), 13 ff.; ders., Pandekten, § 235. 178 Liebe, Stipulation, 214 ff.; s.a. Mitteis, Individualisirung, 103 ff. (für das römische Recht).
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I. Die solidarische Schadensersatzhaftung im Verhältnis zur Vertragsgesamtschuld
gung: Wer annahm, dass die Korrealobligation durch eine gegenseitige Verschuldenshaftung gekennzeichnet war, konnte nicht erlauben, dass ein Schuldner gegen seinen Willen in einen Korrealverband hineingezogen wurde. Eine Korrealhaftung mit Verschuldenszurechnung konnte dann nur auf dem gemeinsamen Willen sämtlicher Schuldner beruhen. Das Erfordernis eines gemeinsamen Entstehungstatbestandes wurde allerdings in der Literatur mehrheitlich abgelehnt179. Selbst Stipulations-Gesamtschulden als Musterfall der Korrealobligation, so wurde argumentiert, entstünden durch mehrere einzelne Versprechen und damit durch eine Mehrheit von Tatsachen180. Eine spätere Variante des Einheitsgedankens findet sich bei Unger. Eine Korrealobligation war für ihn eine gemeinsame Haftung mehrerer im Gegensatz zur getrennten Haftung bei der Solidarobligation181. Korrealschulden entstanden durch einen auf die gemeinsame Haftung gerichteten Willen der Parteien oder des Gesetzes182. Ein einheitlicher Begründungstatbestand war aber nicht erforderlich. So konnte ein Korrealverhältnis auch zwischen Hauptschuldner und Bürgen sowie im Fall des nachträglichen Schuldbeitritts bestehen183. Solidarobligationen entstanden demgegenüber nur zufällig, wenn die Leistung eines Schuldners als indirekte Folge die Obligation des anderen Schuldners zum Erlöschen brachte, etwa im Falle mehrerer unabhängiger Auftraggeber184. Bei deliktischen Mittätern, so Unger, liege wegen des gemeinsamen Entstehungsgrundes eigentlich die gemeinsame Haftung, also die Korrealobligation, nahe. Der ursprüngliche pönale Charakter der römischen Deliktsklagen, der sich auf getrennte Strafen für jeden Täter richtete, habe aber im römischen Recht auch dann, wenn es nur um eine Schadensersatzhaftung ging, zur Ansicht geführt, dass die Mittäter getrennt hafteten und damit Solidarobligationen vorlägen185. Das genaue Abgrenzungskriterium zwischen Korreal- und Solidarobligationen blieb auch bei Unger diffus: Was genau unterschied eine gemeinsame Haftung von einer getrennten Haftung? Unklar war auch, warum gerade die Gemeinsamkeit der Haftung zur Unger’schen Konstruktion der Korrealobligation führte, nämlich einer mehrgliedrigen Kollektivobligation, die eine zur Einheit zusammengefasste Mehrheit von Obligationen darstellen sollte (im Gegensatz zur schlichten Obligationsmehrheit bei Solidarobligationen)186. Die wohl herrschende Lehre stellte demgegenüber für die Unterscheidung zwischen Korreal- und Solidarobligationen nicht auf den Gegensatz zwischen Einheit und Mehrheit, sondern auf die Unterscheidung zwischen Rechtsgeschäft 179
Ausdrücklich dagegen Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 2 (S. 73); Girtanner, Bürgschaft, 397; Unger, JhJb 22 (1884), 213. 180 Hölder, Wesen, 39 f.; Unger, JhJb 22 (1884), 285 f.; A. Guhl, Passive Korrealität, 37 ff. 181 Unger, JhJb 22 (1884), 223, 234. 182 A.a.O., 277, 282 ff. 183 A.a.O., 213. 184 A.a.O., 233 f., 240 f., 292, 294. 185 A.a.O., 285 ff. 186 A.a.O., 212, 215, 220 f.; hierzu oben, 63.
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und Gesetz ab. Korrealobligationen konnten danach nur durch Rechtsgeschäft entstehen. Dem stand jedoch die überlieferte Klagenkonkurrenz bei der Noxalhaftung mehrerer Miteigentümer im Wege, die daher aus der Korrealobligation hinausdefiniert werden musste. Dies konnte durch die Annahme geschehen, dass die noxale Haftung des Sklaveneigentümers akzessorisch zur Schadensersatzverbindlichkeit des Sklaven sei und akzessorische Verpflichtungen grundsätzlich nicht zu den Korrealobligationen gehörten187. Diese Erklärung setzte sich nicht nur darüber hinweg, dass der Sklave selbst im römischen Recht nicht gehaftet hatte, solange er Sklave war, sondern unterschlug vor allem, dass die Noxalhaftung inzwischen praktisch nur bei der Tierhalterhaftung relevant war und von einem Delikt des Tiers, für das die Tierhalter akzessorisch hafteten, nicht die Rede sein konnte188. Doch immerhin hatte man damit ein klares Abgrenzungskriterium in der Hand. Die Annahme, dass Korrealobligationen aus Rechtsgeschäft, Solidarobligationen aus Gesetz entstehen, findet sich daher bei der Mehrheit der Schriftsteller bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, unabhängig davon, welche Theorie sie im Einzelnen vertraten189. Doch dann stellte sich für diejenigen Schriftsteller, die der Korrealobligation eine besondere, von der Solidarobligation abweichende Konstruktion zugrunde legten, die Frage, warum rechtsgeschäftlich entstandene Gesamtschulden überhaupt eine andere Konstruktion aufweisen sollten als gesetzliche. Sollte sich die Obligationseinheit aus dem Parteiwillen herleiten?190 Doch warum, so fragten die Gegner191, sollte sich der Parteiwille gerade auf Schaffung einer einzigen Obligation richten? Immerhin schien ja die Obligationseinheit gerade für die Klagenkonkurrenz des klassischen römischen Rechts verantwortlich zu sein, die dem Zweck der Korrealobligation, nämlich der sicheren und bequemen Rechtsverfolgung durch den Gläubiger, geradezu entgegenstand. Demselben Einwand mussten sich diejenigen Schriftsteller aussetzen, die bei der rechtsgeschäftlichen Gesamtschuld zwar keine echte Obligationseinheit, dafür aber eine besondere Konstruktion annahmen, die für das Phänomen der Klagenkonkurrenz verantwortlich sein sollte, sei es ein Wahlschuldverhältnis, eine Gesamt- oder Kollektivobligation oder eine fiktive Obligationseinheit. Die Verteidiger der besonderen Korrealschuld-Konstruktionen gingen jedoch nicht davon aus, dass die Parteien gerade diese besondere Konstruktion im Ge187
Hierzu etwa Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 262 ff.; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 101 ff. So zu Recht Eisele, AcP 77 (1891), 389. 189 So Savigny, Obligationenrecht I, 144, 214 f.; von Schröter, ZCRPr 6 (1933), 412; Burchardi, Obligationenrecht, § 247; Puchta, Pandekten, § 234; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap III/1, Fn. 2 (S. 90 f.); von Scheurl, Institutionen, § 110; Müller, Institutionen, § 97 I 4; Bekker, Consumption, 217 f.; Brinz, Pandekten, § 233 Nr. 3, § 254; Fitting, Correalobligationen, 229, 233, 252 ff.; Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 16 ff.; Kuntze, Singularsuccession, 166; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 77 f., 225 ff.; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 62, 64 ff.; Mitteis, Individualisirung, 66; Hölder, AcP 69 (1886), 232 ff.; Hartmann, ZSchwR 28 (1887), 144; Dernburg, Pandekten II, § 71. 190 Vgl. Bekker, Consumption, 217 f. 191 Brinz, KritBl 4 (1853), 6 ff.; Mitteis, GrünZ 14 (1887), 424; Eisele, AcP 77 (1891), 387 f.; vgl. Windscheid, KritÜb 6 (1859), 226 ff. 188
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gensatz zur schlichten Obligationsmehrheit beabsichtigt hatten. Der Wille der Vertragschließenden richtete sich nur auf die Herstellung der Solidarhaftung; die Konstruktion war demgegenüber gesetzlich notwendige Folge dieses Parteiwillens. Dahinter stand die Überlegung, dass Solidarschulden ohne weiteres von selbst entstanden, weil der Gläubiger den Leistungsgegenstand nach der Natur der Sache nicht zweimal fordern konnte. Solidarobligationen entstanden aus „Notwendigkeit“, Korrealobligationen dagegen aus „Willkür“ 192: Bei einer auf die Zahlung einer bestimmten Geldsumme gerichteten Korrealobligation war es allein der Parteiwille, der die nur einmalige Leistungsberechtigung des Gläubigers hervorrief. Sowohl der Ausschluss der Kumulation als auch der Ausschluss der Teilung ergaben sich hier nicht von selbst, sondern wurden künstlich herbeigeführt. Dies sollte nur dadurch möglich sein, dass ein Wahlschuldverhältnis begründet wurde, die Schuldner eine Kollektivperson bildeten oder die Obligation des einen als identisch mit der Obligation des anderen fingiert wurde193. All dies konnte auf Dauer kaum überzeugen. Warum sollte es etwa bei einer Darlehensgewährung durch den Gläubiger nicht ebenso „notwendig“ sein, dass der Gläubiger das Darlehen nicht mehrfach zurückerhielt und somit die Rückzahlung durch einen Gesamtschuldner die anderen befreite? Sofern man aber die Erforderlichkeit einer besonderen Konstruktion für rechtsgeschäftliche Gesamtschulden auf Spezifika des römischen Rechts zurückführte, unterstellte man diesem eine konstruierte Begrifflichkeit, die es wohl nie aufgewiesen hatte. Auch umgekehrt konnte man fragen, ob die Ganzhaftung jedes Schuldners bei Solidarobligationen wirklich „notwendig“ war. Die Mehrheit der Schriftsteller ging offenbar davon aus: Weil bei deliktischen Mittätern jeder den gesamten Schaden durch seine Handlung verursacht hatte, musste er ihn selbstverständlich auch ganz ersetzen; eine Aufteilung des Schadensersatzes erschien willkürlich194. Die Gegenansicht findet sich bei Savigny: Die Gesamtschuld entstand für ihn nicht deswegen, weil jeder Verursacher des Gesamtschadens war, der möglicherweise erst durch das Zusammenwirken aller entstehen konnte. Vielmehr diente die Solidarschuld dazu, dem Geschädigten auf die sicherste und bequemste Art zum Ersatz seines Schadens zu verhelfen195. Für Savigny ähnelten sich Korrealund Solidarobligationen also, indem sie im Gläubigerinteresse eine Solidarhaftung mehrerer Schuldner vorsahen, sei es im Vertragsrecht oder im Deliktsrecht.
192 So insbesondere Fitting, Correalobligationen, 229, 233, 252 ff.; vgl. auch Brinz, KritVj 16 (1874), 16; von Scheurl, KritVj 18 (1876), 507; Dernburg, Pandekten II, § 71; Crome, JhJb 35 (1896), 102; Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 37. 193 Vgl. Fitting, Correalobligationen, 233, 252 f.; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 225 ff., 230; Hölder, AcP 69 (1886), 234 f.; Kuntze, Singularsuccession, 166, 169 ff.; ähnlich Unger, JhJb 22 (1884), 223, 239 ff. 194 So ausdrücklich Ribbentrop, Correal-Obligationen, 90 f.; Fitting, Correalobligationen, 148, 236; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 60. 195 Savigny, Obligationenrecht I, 219 (anders ders., System V, 221); ebenso Eisele, AcP 77 (1891), 473; in diese Richtung auch Brinz, KritBl 4 (1853), 55; Mitteis, Individualisirung, 83 f.; Binder, Korrealobligationen, 41; dagegen Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 219 f.
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Daher sollte für Savigny auch die Frage, ob eine „Tatsache“ Gesamt- oder Einzelwirkung hatte, nicht aus dem Wesen der Korreal- oder Solidarobligation hergeleitet werden, sondern sich aus der Untersuchung der jeweiligen Tatsache ergeben196. Savigny nimmt insoweit eine Sonderstellung innerhalb der Keller/Ribbentrop’schen Theorie ein. Er übernahm zwar den Gedanken, dass es in manchen Fällen der Schuldnermehrheit nur eine, in anderen mehrere Obligationen gab, zog aus dieser Unterscheidung aber keine grundlegenden Schlüsse. Vielleicht war die Zweiteilung für ihn keine analytische Notwendigkeit, sondern nur römische Tradition197. Weniger konstruktive Probleme hatten demgegenüber diejenigen, die auch bei der Korrealobligation von einer schlichten Obligationsmehrheit ausgingen198. Am radikalsten war insoweit die These von Fritz, wonach es außer bei der Frage der Klagenkonkurrenz keinerlei Unterschied zwischen den beiden Gesamtschuldarten gab und die sog. Solidarobligationen daher ebenfalls Korrealobligationen waren, bei denen nur zufällig im klassischen Recht keine Klagenkonkurrenz geherrscht hatte199. In ähnlicher Weise argumentierte später Ludwig Mitteis, dass der praktische Unterschied zwischen Korreal- und Solidarobligationen sich schon im römischen Recht in erster Linie auf die Frage der Klagenkonsumption bezogen habe und ein Wesensunterschied beider Gesamtschuldgruppen nicht feststellbar sei200. Die meisten Anhänger der Mehrheitstheorie hielten jedoch an der herkömmlichen Unterscheidung zwischen Korreal- und Solidarobligationen fest. Diese sollten sich zwar nicht in ihrer Konstruktion, wohl aber im Hinblick auf die Gesamtwirkung bzw. Einzelwirkung von Tatsachen unterscheiden201. Während bei den Solidarobligationen nur die Erfüllung durch einen Schuldner die übrigen befreite, sollte es bei den Korrealobligationen auch andere gesamtwirkende Befreiungsgründe geben, etwa den Erlass, die Novation oder das freisprechende Urteil, im römischen Recht auch Schuldnereid und litis contestatio. Es sollte sich dabei um Begünstigungen handeln, die das römische Recht den Solidarschuldnern, die
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Obligationenrecht, 161 ff.; dem folgte Windscheid, KritÜb 6 (1859), 223 f. Savigny behauptete zwar einen fundamentalen Unterschied zwischen Korreal- und Solidarobligationen (die er echte und unechte Korrealobligationen nannte), erklärte diesen aber nicht, so dass offen blieb, warum Korrealobligationen gerade durch Rechtsgeschäft entstanden und bestimmte Gesamtwirkungen hatten; vgl. Obligationenrecht I, 138 f., 197 f., 201 f., 218 f. mit Fn. b. 198 Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 1; Kuntze, Singularsuccession, 147; ders., Jus Extraordinarium, 125 ff.; von Helmolt, Correal-Obligationen, 17 ff., 159 ff.; Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 10; Fritz, ZCRPr nF 17 (1860), 165 ff.; ders., ZCRPr nF 18 (1861), 381 ff., 389 f.; Hartmann, Obligation, 153 ff.; Mitteis, Individualisirung, 49 ff.; ders., GrünZ 14 (1887), 419; Dernburg, Pandekten II, §§ 71, 72 Nr.5. 199 Fritz, ZCRPr nF 22 (1865), 484 ff., 490 ff. 200 Mitteis, Individualisirung (1886), 54 ff.; ebenso Kohler, KritVj 30 (1888), 211 ff.; später Hruza, KritVj 42 (1900), 174; Krüger, SZ RA 22 (1901), 215. 201 Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 1; Kuntze, Singularsuccession, 177, 229 ff.; ders., Jus extraordinarium, 169; von Helmolt, Correal-Obligationen, 44 ff.; Sintenis, Civilrecht, § 89, insbes. Fn. 10; Hartmann, ZSchwR 28 (1887), 123 ff., 143; Dernburg, Pandekten II, §§ 73, 75. 197
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meist wegen eines Delikts oder einer sonstigen schuldhaften Rechtsverletzung hafteten, nicht habe gewähren wollen202. Zugleich stellte man auf den mutmaßlichen Parteiwillen und die Sicherungsfunktion der vertraglichen Gesamtschuld ab. Hiermit konnten nicht nur begünstigende, sondern auch belastende Gesamtwirkungen wie die gegenseitige Verschuldenszurechnung erklärt werden. Weil bei der vertraglichen Gesamtschuld einer für alle haftete, hatten Erlass, Vergleich, Urteil, Verschulden und Verjährungsunterbrechung Gesamtwirkung203. Diese Unterscheidung zwischen vertraglichen Gesamtschulden, für welche eine Reihe von „Tatsachen“ Gesamtwirkung haben sollte, und gesetzlichen Gesamtschulden, bei denen nur die Erfüllung selbst die Obligationen der Mitschuldner berührte, beruhte zwar auf der zu Unrecht dem römischen Recht unterstellten Zweiteilung der Gesamtschulden in Korreal- und Solidarschulden. Sachlich aber ist diese Differenzierung nicht abwegig. Wie oben gezeigt204, gibt es bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden häufig das Bedürfnis nach Gesamtwirkungen, etwa nach einer gegenseitigen Zurechnung von Leistungsstörungen oder rechtsgeschäftlichen Erklärungen. Insofern lag es nahe, etwa die gemeinrechtliche Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung sowie die häufig angenommene Gesamtwirkung des Verschuldens auf vertragliche Gesamtschulden zu beschränken. Wenn die Schuldner die solidarische Haftung gemeinsam auf sich genommen hatten, lag es nicht fern, einen auf bestimmte Gesamtwirkungen gerichteten Parteiwillen zu vermuten. Nur die gesamtbefreiende Wirkung der litis contestatio im klassischen römischen Recht, die der gemeinrechtlichen Zweiteilung der Gesamtschulden zugrunde lag, konnte mit dem Verweis auf einen mutmaßlichen Parteiwillen205 nicht überzeugend erklärt werden. Schließlich ging man dazu über, diese Befreiung der Mitschuldner durch die litis contestatio auf die Regeln zur Prozesskonsumption, und damit auf den identischen Streitgegenstand (eadem res), zurückzuführen206. Dies wirkte sich notwendig auf die Unterscheidung zwischen Korreal- und Solidarschulden aus, die sich nun danach richten musste, ob und warum eadem res vorlag. Für Czyhlarz trat Klagekonsumption dann ein, wenn mehrere Obligationen wegen der Identität der causa einen identischen Inhalt hatten. Das war typischerweise bei gemeinsamen Verträgen und beim Vermächtnis zulasten mehrerer der Fall, also bei Korrealobligationen207. Dieselbe causa bestand aber auch im Verhältnis zwischen Bür202 Kuntze, Singularsuccession, 229 ff.; ders., Jus extraordinarium, 168, 175; von Helmolt, Correal-Obligationen, 51 f., 61 ff. Für Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 32, 52, sollten diese Begünstigungen zum Ausgleich der übermäßig starken Stellung des Gläubigers bei der vertraglichen Gesamtschuld dienen. 203 Von Helmolt, Correal-Obligationen, 137 ff.; Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 17; Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 21 ff.; Hartmann, ZSchwR 28 (1887), 123 ff., 145 f. 204 74 ff. und 100 ff. 205 Vgl. von Helmolt, Correal-Obligationen, 145 ff. (mutmaßlicher Parteiwille); Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 47 ff., 52 (Begünstigung der Schuldner bei vertraglicher Gesamtschuld); Fritz, ZCRPr nF 19 (1862), 101 ff. (Wahl durch Gläubiger). 206 Zuerst bei Bekker, Consumption, 217 f. 207 Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 64 f., 113. Vgl. auch schon Römer, ZHR 18 (1873), 6 ff., 16 ff.
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gen und Hauptschuldner, zwischen Vertragschließendem und Prinzipal bei den adjektizischen Klagen und zwischen Sklaven und Herrn bei der Noxalhaftung; allein wegen der Akzessorietät lagen hier keine Korrealobligationen vor208. Hatten dagegen mehrere ein Delikt begangen, so schuldete der einzelne den gesamten Schadensersatz, weil er am Delikt beteiligt war, also aufgrund seiner eigenen Handlung. Weil jeder wegen seiner Handlung haftete, lagen verschiedene causae und somit Solidarobligationen vor. Ebenso schuldete bei mehreren Auftraggebern jeder wegen seines Auftrags und bei mehreren Tutoren jeder wegen seiner Geschäftsführung: Wegen der Mehrheit der causae bestanden nur Solidarschulden ohne Klagenkonkurrenz. Hatten mehrere eine Sache verwahrt, ohne Gesamtschulden zu vereinbaren, so lag zwar in Gestalt der einheitlichen Verwahrung nur eine causa vor. Der einzelne Verwahrer haftete aber nur dann, wenn ihm ein dolus vorzuwerfen war. Solidarschulden entstanden also nicht schon wegen der gemeinsamen Verwahrung selbst, sondern erst dann, wenn zusätzlich mehrere dolose Handlungen vorlagen. Hier war zwar die causa einheitlich, aber der Inhalt der Obligationen nur zufällig gleich209. Es ist nicht ganz einfach, den bei Czyhlarz zugrunde liegenden causa-Begriff zu klären. Warum etwa war die causa im Beispiel der Verwahrer im gemeinsamen Vertrag zu sehen und nicht in der dolosen Vertragsverletzung des einzelnen Verwahrers? Warum bestand umgekehrt bei Mitvormündern die causa in der einzelnen fehlerhaften Geschäftsführung und nicht in der gemeinsamen Übernahme der Vormundschaft? Konnte man nicht auch im Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner von verschiedenen causae sprechen, weil der Hauptschuldner durch seinen Vertrag, der Bürge durch sein Bürgenversprechen verpflichtet war? Tatsächlich stellte Czyhlarz letztendlich doch nicht auf die Gemeinsamkeit der causa ab, sondern auf die Unterscheidung zwischen Vertrag und Gesetz: Bei der Haftung der Miterben für eine unteilbare Leistungsverpflichtung des Erblassers sollte zwar dieselbe causa, aber trotzdem keine Korrealobligation vorliegen, weil die Haftung nicht auf dem Parteiwillen beruhte. Daher sollte, anders als bei echten Korrealobligationen, jeder Erbe nur für sein eigenes Verschulden haften210. Das sachlich Entscheidende war für Czyhlarz also gar nicht die eadem res oder die Einheit der causa, sondern die von ihm bei der Korrealobligation angenommene Gesamtwirkung des Verschuldens: Eine gegenseitige Verschuldenszurechnung erschien nur dann gerechtfertigt, wenn die Schuldner die Haftung gemeinsam durch Rechtsgeschäft übernommen hatten. Auch Eisele erklärte die Klagenkonkurrenz mit eadem res, verwendete aber einen anderen causa-Begriff211. Eine gemeinsame causa nahm er immer dann an, wenn aufgrund eines einzigen Ereignisses gleichartige Verbindlichkeiten mehrerer entstanden. Dies bedeutete zunächst, dass bei den Verpflichtungen von Bür208 209 210 211
A.a.O., 101 ff., 113 ff. A.a.O., 62 f., 137 ff. A.a.O., 106 ff. Eisele, AcP 77 (1891), 410 ff., 419, 433. Dem folgt A. Guhl, Passive Korrealität, 50 ff.
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gen und Hauptschuldner und von mehreren unabhängigen Mitbürgen keine gemeinsame causa vorlag. Dass hier trotzdem Klagenkonkurrenz geherrscht hatte, lag daran, dass eadem res auch ohne eine gemeinsame causa vorliegen konnte, nämlich dann, wenn die Obligationen durch ein Akzessorietätsverhältnis (bei Mitbürgen durch das Akzessorietätsverhältnis zur gemeinsamen Hauptschuld) miteinander verbunden waren212. Korrealobligationen waren demgegenüber dadurch gekennzeichnet, dass die eadem res bei ihnen auf der gemeinsamen causa beruhte. Dies war zweifellos bei gemeinsamen Verträgen oder beim Vermächtnis der Fall, aber auch bei manchen gesetzlichen Gesamtschulden, etwa bei der Noxalhaftung der Miteigentümer, die auf dem Eigentum am selben Sklaven oder Tier, bei der Haftung aus der actio de effusis, die auf dem gemeinsamen Wohnen, oder bei der Haftung der Tutoren, die auf der gemeinsamen Vormundschaft beruhte213. Demgegenüber lagen getrennte causae und damit keine Korrealobligationen vor, wenn mehrere unabhängig voneinander den gleichen Kreditauftrag erteilten. Auch durch einen nachträglichen Schuldbeitritt konnte eine Korrealobligation nicht entstehen214. Das gemeinsam begangene Delikt nahm eine Sonderstellung ein. Die Tatsache, dass das römische Recht hier ursprünglich mit kumulierten Strafklagen arbeitete und damit jedes einzelne unrechte Handeln sanktionierte, habe dazu geführt, dass auch bei Klagen, die nur auf Schadensersatz gerichtet waren und daher nicht kumuliert wurden, mehrere causae angenommen wurden. Tatsächlich aber sei im Hinblick auf einen zu ersetzenden Schaden jeder nur Mitverursacher; das gemeinsame Delikt könne daher ebenso wie der gemeinsame Vertrag als eine einheitliche causa angesehen werden. Diese Erkenntnis habe sich im römischen Recht aber nur bei einzelnen deliktischen Klagen durchgesetzt, bei denen man folglich Klagenkonkurrenz angenommen habe215. Das Erfordernis einer gemeinsamen causa erinnert an das in der Literatur bereits aufgetauchte Erfordernis eines einheitlichen Entstehungstatbestandes. Eisele stellte es in den Dienst der Prozesskonsumption. Warum aber gerade der einheitliche und gemeinsame Entstehungstatbestand entscheidend gewesen sein sollte, will angesichts der Tatsache, dass die klassische Klagenkonkurrenz gerade auch ohne einheitlichen Entstehungstatbestand gelten konnte216, nicht recht einleuchten. Offenbar spielten auch bei Eisele dogmatische Erwägungen eine Rolle, nämlich seine Annahme, dass Korrealobligationen durch eine Gesamtwirkung
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A.a.O., 423, 462. A.a.O., 426 f., 433 ff. 214 A.a.O., 458 f. 215 A.a.O., 464 ff., 473. 216 Dazu gehören nicht nur das Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner sowie zwischen Mitbürgen. Auch bei der Noxalhaftung liegen manchen Fälle der Klagenkonkurrenz offenbar verschiedene Entstehungstatbestände zugrunde, etwa in Paulus D.11,1,8 und l. 20 pr. (S1 ist Eigentümer des schädigenden Sklaven, S2 behauptet vor Gericht, er sei Eigentümer); Paulus D.9,4,24 und l. 26 pr. (S1 veräußert den Sklaven bösgläubig, um seiner Noxalhaftung zu entgehen, S2 erwirbt ihn); Paulus D. 47,2,42,1, D.47,8,3 (S1 lässt den Sklaven frei, um seiner Noxalhaftung zu entgehen, S2 ist der nun selbst haftende ehemalige Sklave). 213
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des Verschuldens gekennzeichnet waren217. Der gemeinsame Entstehungstatbestand schließt dann aus, dass einem Schuldner später (etwa durch Schuldbeitritt) ein anderer Schuldner aufgedrängt wird, dessen Verschulden er vertreten muss. Bei Mittätern mag die gegenseitige Verschuldenszurechnung im Rahmen der Schadensersatzhaftung nicht so naheliegen, aber zumindest kennen sich die Schuldner und haben bewusst zusammengearbeitet. Bei Nebentätern, die unabhängig voneinander denselben Schaden verursacht haben, wird die unerwünschte Verschuldenszurechnung durch das Erfordernis des gemeinsamen Delikts als einheitlicher causa verhindert. Binder, der die Gesamtschulddiskussion des 19. Jahrhunderts beschloss, war zugleich der erste, der jegliche unterschiedliche Behandlung von vertraglichen und deliktischen Gesamtschulden schon für das römische Recht leugnete218. Mit Hilfe zahlreicher Interpolationsannahmen kam er zum Ergebnis, dass im klassischen römischen Recht bei allen Arten von Gesamtschulden Klagenkonkurrenz geherrscht habe219. Die Gesamtschuld bzw. Korrealobligation erforderte nichts weiter als die Identität der geschuldeten Leistung und konnte daher auch ohne Einheit der causa und bei unterschiedlichen Entstehungsgründen vorliegen220. Die Suche nach dem besonderen Kennzeichen der Korrealobligation nahm damit ein Ende. Die Schriftsteller des 19. Jahrhunderts aber, die zwei verschiedene Unterarten der Gesamtschuld angenommen hatten, unterschieden sich nicht nur in ihren Begründungen und Konstruktionen, sondern auch in den Folgerungen, die sie aus der vermeintlichen römischen Zweiteilung für das moderne Recht zogen. Immerhin hatte es die Klagenkonkurrenz, die das besondere Merkmal der Korrealobligation ausmachen sollte, nur im klassischen römischen Recht gegeben. Der Begründer des Systems, Ribbentrop, beschrieb eine in seinen Augen römische Unterscheidung, die daher auch für das Gemeine Recht Geltung hatte, aber offenbar sachlich nicht zwingend war. Es stellte sich die Frage, ob die Zweiteilung der Gesamtschuldverhältnisse de lege ferenda, also durch die zahlreichen Kodifikationsprojekte des 19. Jahrhunderts, überwunden werden konnte und sollte und ob ein solcher Schritt nicht vielleicht schon de lege lata, also in Weiterentwicklung des römischen Rechts, möglich war. Die wohl herrschende Lehre ging mehr oder weniger unausgesprochen davon aus, dass die Zweiteilung der Gesamtschulden sinnvoll sei und auch für das zeitgenössische Gemeine Recht Geltung habe221. Für einige Schriftsteller entsprang die Unterscheidung zwischen Korreal- und Solidarobligationen darüber hinaus der Natur der Sache und konnte daher auch de lege ferenda nicht beiseitegescho217
Eisele, AcP 84 (1895), 295. Binder, Korrealobligationen, 164 ff. 219 Binder, Korrealobligationen, 330 ff., 369 ff.; dagegen Hruza, KritVj 42 (1900), 193 ff.; teilweise Zustimmung bei Krüger, SZ RA 22 (1901), 215. 220 Binder, Korrealobligationen, 4 ff., 49 ff., 393 ff. 221 Etwa Savigny, Obligationenrecht I, 286 ff.; Windscheid, KritÜb 6 (1859), 232 f.; Brinz, KritVj 16 (1874), 16; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 381 ff.; Hölder, AcP 69 (1886), 234 ff. 218
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ben werden222. Auch wenn die neueren Gesetze von einer einheitlichen Gesamtschuld ausgingen, so Hartmann, zeige doch die Praxis ein zwingendes Bedürfnis, zwischen vertraglichen (zahlreiche Gesamtwirkungen) und gesetzlichen Gesamtschulden (Gesamtwirkung nur der Erfüllung) zu unterscheiden223. Umgekehrt gingen einzelne Schriftsteller davon aus, dass es sich bei der Zweiteilung um ein spezifisch römisches Phänomen gehandelt habe. Nicht nur die Klagenkonkurrenz, sondern auch andere Besonderheiten der Korrealobligation waren danach nur durch römische Rechtsregeln erklärbar, die im Gemeinen Recht nicht rezipiert worden waren. Im Ergebnis sollte es also schon de lege lata nur noch eine Art von Gesamtschuldverhältnis geben224. Eine besondere Position nahmen Unger und Eisele ein. Wie dargestellt handelte es sich bei Korrealobligationen für Unger um ein gemeinsames Haften in Form einer Kollektivobligation, für Eisele dagegen um eine schlichte Obligationsmehrheit, bei der wegen der eadem res, die auf der gemeinsamen causa beruhte, im römischen Recht Klagenkonkurrenz geherrscht hatte. Trotz der unterschiedlichen Ausgangspunkte kamen beide zum gleichen Ergebnis. Bei der Haftung mehrerer deliktischer Mittäter lag wegen des einheitlichen, gemeinsam verwirklichten Entstehungstatbestandes der Sache nach ein gemeinsames Haften bzw. eine einheitliche causa vor. Dass das römische Recht hier (teilweise) Solutionskonkurrenz vorgesehen hatte, war lediglich ein Relikt aus der Zeit, in der die primäre Rechtsfolge der Deliktsklagen die Bestrafung des einzelnen Täters gewesen war. Nachdem es inzwischen nur noch um den Ersatz des gemeinsam verursachten Schadens ging, war es die Aufgabe des modernen Rechts, die unvollständige römische Entwicklung zu Ende zu bringen und anzuerkennen, dass bei der Mittäterhaftung ein gemeinsames Haften bzw. eine gemeinsame causa vorlag, dass es sich also ebenfalls um Korrealobligationen handelte225. Im Ergebnis gab es nach Unger und Eisele also immer noch zwei Gesamtschuldarten; nur die deliktischen Mittäter hatten die Seiten gewechselt. Die Korrealobligation oder „echte“ Gesamtschuld entstand insbesondere aus einem gemeinsamen Vertrag oder Delikt. Die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner führte direkt zum Erlöschen der übrigen Obligationen. Um Solidarobligationen bzw. „unechte“ Gesamtschulden sollte es sich handeln, wenn mehrere unabhän-
222 Samhaber, Correalobligation, 151; Fitting, Correalobligationen, 235 f., 252 ff.; Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 37 ff.; Jhering, JhJb 24 (1886), 185 f.; Hartmann, ZSchwR 28 (1887), 115, 148 ff.; ders., AcP 73 (1888), 396 ff. 223 Hartmann, ZSchwR 28 (1887), 148 ff.; ders., AcP 73 (1888), 396 f. Mit der „Praxis“ bezog sich Hartmann vor allem (und nicht zu Unrecht) auf die französische Entwicklung; dazu unten, 533 ff. 224 Bekker, Aktionen II, 323; Kuntze, Singularsuccession, 233; ders., Jus extraordinarium, 183 ff.; Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 10; Mitteis, Individualisirung, 111 ff.; ders., GrünZ 14 (1887), 475 ff.; Pernice, ZHR 33 (1887), 443 f.; im Ergebnis auch Fritz, ZCRPr nF 22 (1865), 451 ff. 225 Unger, JhJb 22 (1884), 289 f.; Eisele, AcP 77 (1891), 474; ebenso A. Guhl, Passive Korrealität, 61 ff.; kritisch gegenüber Unger Mitteis, GrünZ 14 (1887), 436 f.
4. Die französische obligation in solidum
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gig voneinander entstandene Obligationen zufällig denselben Leistungsgegenstand aufwiesen, so dass die Erfüllung durch einen Schuldner mittelbar, als Reflexwirkung, die andere Obligation gegenstandslos machte226. Beispiele hierfür waren die Erteilung desselben Auftrags durch zwei unabhängige Auftraggeber, die Doppelversicherung oder das Zusammentreffen der Obligationen von Schädiger und Schadensversicherer227. Es war diese Gesamtschuldunterteilung, welche die Entwicklung in den ersten Jahrzehnten nach Inkrafttreten des BGB maßgeblich prägte und bis heute die Diskussion beeinflusst. Bevor es aber um die Folgerungen aus der pandektistischen Diskussion für das heutige Recht geht, soll zunächst ein kurzer Blick auf die parallele Diskussion in Frankreich geworfen werden.
4. Die französische obligation in solidum Die deutsche gemeinrechtliche Unterscheidung zwischen Korreal- und Solidarobligationen war entscheidend von dem Bestreben geprägt, die tatsächlichen oder vermeintlichen Gesamtwirkungen, die aus dem römischen Recht überliefert waren, auf bestimmte Arten von Gesamtschulden zu beschränken, in erster Linie auf diejenigen, die auf dem übereinstimmenden Willen der Gesamtschuldner beruhten. Zur gleichen Zeit fand eine Diskussion in Frankreich statt, die im Wesentlichen dieselbe Fragestellung verfolgte, wenn auch nicht im Rahmen des Gemeinen, sondern des kodifizierten Rechts228. Die solidarité des Code Civil war durch eine Reihe von schuldnerbelastenden Gesamtwirkungen geprägt229. Dabei entsprach die Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung230 noch der europäischen Tradition. Originär französisch waren dagegen die sogenannten Sekundärwirkungen der solidarité im Leistungsstörungsrecht: Ging der geschuldete Gegenstand durch das Verschulden oder während des Verzugs eines Gesamtschuldners unter, hafteten die übrigen Gesamtschuldner auf Wertersatz (Art. 1205). Setzte der Gläubiger nur einen Gesamtschuldner in Verzug, schuldeten von da an sämtliche Gesamtschuldner Verzugszinsen (Art. 1207). Ein Ge226
Unger, JhJb 22 (1884), 233 f., 240 f., 292; Eisele, AcP 77 (1891), 458 f., 478; ebenso A. Guhl, Passive Korrealität, 172 ff. 227 Unger, JhJb 22 (1884), 294 ff.; Eisele, AcP 77 (1891), 459; ebenso A. Guhl, Passive Korrealität, 192 ff. Auch Mitteis stellte den auf Parteiwillen oder Gesetz beruhenden Gesamtschulden die „zufällig“ entstehenden Gesamtschulden bei der Doppelversicherung und der Mehrheit von Auftraggebern als eigene Gruppe gegenüber. Diese hatte die Besonderheit, dass es keinerlei Gesamtwirkungen und auch keinen mit der Solidarhaft verbundenen Regress gab, GrünZ 14 (1887), 476 f. 228 Zum Folgenden aus rechtsvergleichender Sicht Lange, Mehrheit, 58 ff.; von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 88 f.; Neumann-Schniedewind, Mitverursachung, 13 ff.; Ferid, Französisches Zivilrecht I, Rz 2 E 55 ff., 87 ff.; Steinbeis, Haftungsausschluß, 18 ff.; Friedmann/Cohen, Adjustment, § 11; von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht I, Rz 52; Bentele, Gesamtschuld, 79 ff.; vgl. auch schon die kritische Analyse bei Crome, JhJb 35 (1896), 114 ff. 229 Hierzu oben, 51 ff. 230 Art. 1206 und Art. 2245 (seit dem 17.6.2008, a.F. Art. 2249) CC.
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samtschuldner musste sich also nicht nur bestimmte Erklärungen zurechnen lassen, die an einen Mitschuldner ergangen waren, sondern auch in gewissem Umfang für Leistungsstörungen durch seine Mitschuldner geradestehen. Die solidarité stellte sich so als besondere Verantwortungsgemeinschaft der Schuldner dar, die außer in den Fällen eines entsprechenden Parteiwillens nicht ohne weiteres angenommen werden konnte. Nach Art. 1202 CC wurde die solidarité (der gemeinrechtlichen Tradition entsprechend) nicht vermutet, sondern musste besonders vereinbart werden. Etwas anderes sollte nur dann gelten, wenn sie gesetzlich angeordnet wurde. Solche gesetzlichen Gesamtschuldanordnungen waren häufig231. Auch ohne besondere Vereinbarung hafteten mehrere Entleiher232, Auftraggeber233 oder Handelsgesellschafter234 solidarisch. Im Erbrecht war die solidarité unter anderem bei mehreren Testamentsvollstreckern vorgesehen235. Mehrere (unabhängige) Mieter eines Hauses hafteten solidarisch für einen Brandschaden, wenn nicht ermittelt werden konnte, in wessen Wohnung das Feuer ausgebrochen war236. Art. 55 Code Pénal ordnete eine solidarische Schadensersatzhaftung von Mit- und Nebentätern einer Straftat an237. Der Musterfall der deliktischen Solidarhaftung aber blieb ungeregelt. Im Gegensatz zu den anderen Kodifikationen seiner Zeit enthielt der Code Civil keine besondere Gesamtschuldanordnung für den Fall, dass mehrere einen zu ersetzenden Schaden verursacht hatten, ohne dass es sich um eine Straftat handelte. Diese Sonderstellung des Code Civil beruhte jedoch nicht auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers, sondern offenbar auf historischen Zufälligkeiten238. Für Domat und Pothier, deren Werke die Grundlagen der Kodifikation bildeten, hatte es sich bei Mittätern eines Zivildelikts der gemeinrechtlichen Tradition gemäß ganz selbstverständlich um einen Anwendungsfall der Einheits-Gesamtschuld gehandelt239. Vorentwürfe des Code Civil hatten daher eine allgemeine Gesamtschuldanordnung auch im Deliktsrecht vorgesehen. Bei der Ausarbeitung des deliktsrechtlichen Teils des Code Civil aber lehnte sich der Gesetzgeber offenbar an die entsprechenden Abschnitte bei Domat an. Dort erwähnte Domat 231 Überblick zu den gesetzlichen Gesamtschuldanordnungen im heutigen Recht bei Mestre/ Tian, Solidarité, §§ 21 ff.; Le Tourneau/Julien, Solidarité, §§ 43 ff. 232 Art. 1887 CC; hierzu oben, 119. 233 Art. 2002 CC; hierzu oben, 15 f. 234 Art. 22 Code du commerce (heute Art. L 221-1); hierzu oben, 18 f. 235 Art. 1033 CC. Zu Gesamtschuldanordnungen im Familienrecht im ursprünglichen Code Civil: Art. 395, 396, 1442 CC a.F.; heutige Fälle: Art. 220 (Äquivalent zu § 1357 BGB), 389-5, 418, 451 III CC. 236 Art. 1734 CC a.F.; heute haften die Mieter als Teilschuldner. Heutige Anordnungen einer solidarischen Schadensersatzhaftung finden sich etwa in Art. 1792-4 (Haftung von Bauunternehmer, Architekt und Hersteller für Baumängel), 1840 (Haftung der Gesellschaftsgründer). 237 Heute Art. 375-2, 480-1, 543 Code de procédure pénale. Nach Art. 1384 IV des heutigen CC haften die Eltern zudem solidarisch für die vom Kind verursachten Schäden. 238 Zur Gesetzgebungsgeschichte Périlleux, Obligation in solidum, § 8, m.w.N. 239 Oben, 517.
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lediglich die gesamtschuldnerische Haftung der Hausbewohner bei der actio de effusis vel deiectis240. Dies wiederum kann darauf zurückzuführen sein, dass Domat lediglich die römischen Quellen wiedergab, die zwar ausdrücklich den Fall der Hausbewohner regelten241, aber wegen der kumulativen Mittäterhaftung bei den actiones furti und legis Aquiliae keine allgemeine Regel der solidarischen Schadensersatzhaftung kannten242. Nach dem Vorbild von Domat sahen die Entwürfe eine Gesamtschuldanordnung nur für die Hausbewohner vor. Dies musste natürlich als kaum verständliche Detailregelung Bedenken erregen. Mit dem Argument, der Code solle nur die grundlegenden Prinzipien enthalten, aus denen die Details von selbst folgten, wurde die Regel im Gesetzgebungsverfahren gestrichen. Im Ergebnis enthalten die Art. 1382 ff. CC nun überhaupt keine Gesamtschuldanordnung. Dennoch war für die Rechtsprechung und zunächst auch die Lehre des 19. Jahrhunderts die solidarische Haftung von Mit- und Nebentätern auch bei rein zivilen Delikten selbstverständlich243. Hier übte offenbar die französisch-gemeinrechtliche Tradition ihren Einfluss aus. Soweit man die solidarité begründete, berief man sich auf die Unteilbarkeit des schadenstiftenden Ereignisses oder der Restitutionspflicht oder auf eine Analogie zu Art. 55 Code Pénal. Die Vorschrift des Art. 1202 CC, die für die solidarité eine besondere gesetzliche Bestimmung verlangte, sollte danach nur für vertragliche Gesamtschulden gelten. Bei Verträgen konnte eine Solidarhaft allein durch ausdrückliche Abrede entstehen, falls sie nicht, wie etwa bei Entleihern und Auftraggebern, gesetzlich vorgesehen war. Diese auf der gemeinrechtlichen Teilschuldvermutung basierende Regel sollte außervertragliche Gesamtschulden von vornherein nicht betreffen. Wenn damit die solidarité nicht nur bei einer entsprechenden Parteivereinbarung, sondern auch in außervertraglichen Fällen, insbesondere bei der deliktischen Haftung mehrerer für einen von allen verursachten Schaden, entstehen konnte, dann ergab sich das Problem, dass die gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgen der solidarité häufig als zu weitreichend empfunden wurden. Es erschien unangemessen, einem Schuldner die Leistungsstörung, die Mahnung oder das verjährungsunterbrechende Anerkenntnis eines anderen Schuldners zuzurechnen, wenn die Gesamtschuld lediglich auf dem Gesetz beruhte und die Schuldner sich womöglich nicht einmal kannten. Zur Behebung dieses Missstands unterschied ein Teil der französischen Literatur, nicht ohne Einfluss der Keller/Ribbentrop’schen Theorie, zwischen zwei Un-
240
Domat, Loix civiles, § 1551. Ulpian/Paulus D.9,3,1,10 – D.9,3,4. 242 Oben, 497 f. 243 Zum Folgenden Périlleux, Obligation in solidum, §§ 9 ff.; Nachweise zur Rechtsprechung auch bei Demolombe, Cours XXVI, §§ 284, 293; Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 298 ter, S. 22 f.; Mazeaud, Rev crit 50 (1930), 141, §§ 5 f.; Colin/Capitant, Cours II, 183; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1069; Mestre/Tian-Pancrazi, Obligation in solidum, §§ 5 f. 241
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tergruppen der solidarité244. Eine solidarité parfaite mit sämtlichen im Code Civil vorgesehenen Wirkungen sollte nur dann entstehen, wenn die Gesamtschuldner durch ein besonderes Innenverhältnis miteinander verbunden waren. Nur dann erschien die Erteilung einer wechselseitigen Vertretungsmacht denkbar, die nach französischer Lehre Grundlage der Sekundärwirkungen der solidarité war. Hatten sich die Schuldner dagegen nicht gegenseitig ausgesucht, konnte nur eine solidarité imparfaite entstehen, die keine Sekundärwirkungen kannte. Jeder Schuldner haftete hier unabhängig vom anderen; nur die Erfüllung hatte Gesamtwirkung. Die Abgrenzung zwischen solidarité parfaite und imparfaite war nicht deckungsgleich mit der Abgrenzung zwischen vertraglicher und gesetzlicher Gesamtschuld. Vielmehr sollte eine solidarité parfaite auch im Falle gesetzlicher Gesamtschuldanordnung in Frage kommen, sofern die Schuldner sich kannten und gemeinschaftlich eine Verantwortung übernommen hatten. „Echte Gesamtschulden“ bestanden danach etwa zwischen mehreren Entleihern, Auftraggebern oder Testamentsvollstreckern. Ein Schuldbeitritt konnte demgegenüber nur zur unechten Gesamtschuld führen, weil dem Urschuldner (solange er nicht dem Schuldbeitritt zustimmte) die belastenden Wirkungen der solidarité nicht aufgedrängt werden konnten245. Ebenso sollte bei deliktischen Mit- und Nebentätern oder bei den für einen Brandschaden haftenden Mietern nur eine solidarité imparfaite vorliegen. Doch diese Theorie konnte sich nicht durchsetzen. Der Code Civil kannte nur eine Form der solidarité, ohne zwischen verschiedenen Unterarten zu unterscheiden. Jede gesetzlich angeordnete solidarité, so die Gegner246, weise auch die gesetzlichen Sekundärwirkungen auf, wobei das zugrunde liegende gegenseitige Vertretungsverhältnis nicht notwendig auf dem Parteiwillen beruhen müsse, sondern auch erst vom Gesetz geschaffen werden könne. Die Lösung, die schließlich die Oberhand gewann, setzte an anderer Stelle an, nämlich bei der Vorschrift des Art. 1202 CC. Aus ihr sollte folgen, dass auch in den außervertraglichen Fällen eine solidarité nur durch besondere gesetzliche Anordnung entstehen konnte. Wenn es bei einer Mehrheit von Schadensverursachern außerhalb des Strafrechts keine Gesamtschuldanordnung gab, dann musste dies bedeuten, dass eine solidarité nicht vorliegen konnte. Teilschulden sollten aber auch nicht entstehen. Vielmehr sollte sich die Ganzhaftung jedes Mitverursachers aus allgemeinen Regeln ergeben. Hierfür berief man sich auf die Äquivalenztheorie, wonach jeder eine Ursache im Sinne einer conditio sine qua non gesetzt hatte und daher für den gesamten Schaden einstehen musste. Die Tatsache,
244 Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 298 ter, S. 19 ff. (die auf S. 21 ausdrücklich auf Ribbentrop verwiesen); Mourlon, Répétitions écrites, §§ 1247, 1257 ff. (abgedruckt bei Demolombe, Cours XXVI, §§ 276 ff.); Marcadé/Pont, Explication IV, §§ 593, 604; vgl. Kaßler, Gesamtschuld, 28 ff. 245 Marcadé/Pont, Explication IV, §§ 601 f. 246 Demolombe, Cours XXVI, §§ 287 ff.; Demante/Colmet, Cours V, § 135 bis II; s.a. Colin/ Capitant, Cours II, 190 f.; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1089.
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dass der Schaden nur deshalb eingetreten war, weil zugleich ein anderer eine Ursache gesetzt hatte, sollte einen Verursacher danach nicht entlasten. Zugleich aber konnte der Gläubiger seinen Schaden nicht mehrfach liquidieren, so dass die Leistung eines Mitverursachers die übrigen befreite. Damit kam man zu den Hauptwirkungen einer Gesamtschuld, ohne die unerwünschten Nebenwirkungen übernehmen zu müssen. Diese Art von Gesamtschuld wurde obligation in solidum genannt247. Die Theorie der obligation in solidum ist heute in Frankreich ganz herrschende Lehre248. Auch die Cour de Cassation folgt ihr249 und hob untergerichtliche Urteile, die bei deliktischen Tätermehrheiten oder in sonstigen Fällen ohne gesetzliche Gesamtschuldanordnung eine solidarité aussprachen, zunächst stets auf250. Mittlerweile werden Urteile, die zu Unrecht eine solidarité statt einer obligation in solidum aussprechen, aufrechterhalten, sofern es im konkreten Fall auf die unterschiedlichen Rechtsfolgen nicht ankommt251. Im Ergebnis kennt das französische Recht nun zwei Arten von Gesamtschulden. Für die Frage der schuldnerbelastenden Gesamtwirkungen kommt es allein darauf an, ob eine gesetzliche Gesamtschuldanordnung vorliegt. Ist dies der Fall, entsteht stets eine solidarité i.S.d. Art. 1200 ff. CC mit allen belastenden Nebenwirkungen. Andernfalls, insbesondere bei Mit- und Nebentätern eines Zivildelikts, liegt nur eine gesetzlich nicht geregelte obligation in solidum ohne Gesamtwirkungen vor. Sowohl die Theorie der solidarité imparfaite als auch die der obligation in solidum waren Antworten auf die aus deutscher Sicht exzessiven Gesamtwirkungen der gesetzlich geregelten solidarité. Die Theorie der solidarité imparfaite hatte den Vorteil, dass sie die gesetzlich angeordneten Sekundärwirkungen der solidarité im Ergebnis nur dort bejahte, wo sie sachlich angemessen erschienen. 247 Aus dem 19. Jahrhundert Demolombe, Cours XXVI, §§ 251, 291 ff.; Demante/Colmet, Cours V, § 135 bis III; s.a. Périlleux, Obligation in solidum, §§ 16, 20 ff. Eine Variante bildet die Ansicht, dass Art. 1202 tatsächlich nur für vertragliche Gesamtschulden gilt, aber ebenso Art. 1200, so dass die sich aus allgemeinen Regeln ergebende deliktische Gesamtschuld keine solidarité i.S.d. Art. 1200 ist, so Mazeaud, Rev crit 50 (1930), 141, §§ 3, 17. 248 Mazeaud, Rev crit 50 (1930), 141; Vincent, RTD civ 38 (1939), 601, §§ 47 ff.; Chabas, RTD civ 65 (1967), 310; Colin/Capitant, Cours II, 190 f.; Planiol/Ripert, Droit civil VII, §§ 1064, 1089; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, §§ 111, 125 ff.; Mazeaud/Chabas, Droit civil II/1, §§ 1056, 1070 ff.; Carbonnier, Obligations, § 345 a.E.; Le Tourneau/Julien, Solidarité, §§ 159 ff.; Mestre/ Tian-Pancrazi, Obligation in solidum, passim; Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rz 1261 ff.; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, §§ 1275 ff. 249 Als Leitentscheidungen gelten Cass civ (11.7.1892), DP 94,1,513 = S 92,1,508; Cass civ (4.12.1939), DC 1941,1,124. Der Sache nach entschied so auch das Reichsgericht in Anwendung französischen Rechts, etwa RGZ 23, 329 (4.6.1889); RGZ 33, 348 (8.5.1894); vgl. auch RGZ 19, 385 (30.9.1887). 250 Etwa Cass 1 civ (17.5.1961), Gaz Pal 1961 II 185; Cass 1 civ (14.12.1964), D 1965, 95 = JCP 1965 II 14175. 251 Cass 1 civ (13.11.1967), D 1968, 97; Cass 3 civ (17.7.1968), JCP 1969 II 15932; Cass Ch mixte (26.3.1971), JCP 1971 II 16762; Cass 1 civ (28.3.1995), Gaz Pal 1995 pan 224. Weitere Nachweise bei Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 111; Mazeaud/Chabas, Droit civil II/1, § 1072 a.E.; Mestre/Tian-Pancrazi, Obligation in solidum, §§ 17–19, 72; Terré/Simler/Lequette, Obligations, § 1264.
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Systematisch war es freilich unbefriedigend, in das Gesetz eine ihm nicht bekannte Zweiteilung hineinzutragen. Zudem erwies sich eine Abgrenzung danach, ob die Schuldner sich gegenseitig ausgesucht hatten, als im Einzelfall unsicher und daher wenig praktikabel. Wenn etwa die Mutter, die allein die Vormundschaft für ihr Kind innehatte, erneut heiratete und ihr die Vormundschaft nicht entzogen wurde, haftete der neue Ehemann solidarisch als Mitvormund252. Handelte es sich hier um eine unechte Gesamtschuld, weil der neue Ehemann gegen seinen Willen in eine Pflichtenstellung gedrängt wurde, oder doch um eine solidarité parfaite, weil sich die Eheleute schließlich gegenseitig ausgesucht hatten?253 Und handelten nicht auch deliktische Mittäter in freiwilligem Zusammenwirken?254 Für die Theorie der obligation in solidum spricht demgegenüber, dass sie den einheitlichen Begriff der solidarité auch einheitlich auslegt. Zudem scheint sie mit der gesetzlichen Gesamtschuldanordnung ein klares Abgrenzungskriterium zwischen solidarité und obligation in solidum zu bieten. Sachlich ist diese Abgrenzung freilich weniger befriedigend. So ist es schwer nachvollziehbar, warum die Existenz von belastenden Sekundärwirkungen ausgerechnet davon abhängen sollte, ob das von den Mit- oder Nebentätern begangene Delikt zugleich eine Straftat darstellt. Eine solche Unterscheidung hatte zumindest der Gesetzgeber nicht beabsichtigt. Hinzu kommt, dass die Abgrenzung bei näherem Hinsehen weniger klar ist, als es zunächst den Anschein hat. So erklärt man auch manche gesetzlich angeordneten Gesamtschulden, zu denen die Sekundärwirkungen der solidarité partout nicht passen wollen, zu obligations in solidum255, während die gewohnheitsrechtlich anerkannte Gesamtschuld im Handelsrecht trotz fehlender gesetzlicher Grundlage manchmal, aber nicht immer, als solidarité angesehen wird256. Dogmatisch kommt die heutige französische Lehre der deutschen gemeinrechtlichen Unterscheidung zwischen Korreal- und Solidarschulden wohl noch näher als die ältere Theorie der solidarité imparfaite. Wie die Korrealobligation wird die solidarité durch den Willen der Parteien oder des Gesetzgebers künstlich geschaffen. Diese künstliche Konstruktion erklärt die zahlreichen Gesamtwirkungen. In Frankreich ist es der Gedanke, dass jeder Gesamtschuldner die Mitschuldner in bestimmten Bereichen vertreten kann. Die obligation in solidum entsteht demgegenüber wie die Solidarobligation von selbst, gleichsam aus der Natur der Sache; die Erfüllung durch einen Schuldner befreit die übrigen nur deshalb, weil der Gläubiger seinen Schaden nicht mehrfach liquidieren kann. Weil jeder schon nach allgemeinen Regeln das Ganze schuldet, gibt es kein Ver252
Art. 396 CC a.F. Für solidarité parfaite Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 298 ter, S. 19 f. 254 Vgl. zur unterschiedlichen Einordnung der Gesamtschuldverhältnisse zwischen Mittätern Marcadé/Pont, Explication IV, § 604; Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 298 ter, S. 20; Demolombe, Cours XXVI, §§ 281–283. 255 Siehe zur wechselrechtlichen Gesamtschuld Mestre/Tian, Solidarité, § 33. 256 Hierzu insbesondere Derrida, RTD com 6 (1953), 329. 253
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tretungsverhältnis und damit auch keine weiteren Gesamtwirkungen257. Tatsächlich findet sich auch in der französischen Literatur das Bild von der Obligationseinheit bei der solidarité und der Obligationsmehrheit bei der obligation in solidum258; manche führen die französische Unterteilung sogar auf die vermeintlich römische Unterscheidung zwischen Korreal- und Solidarobligationen zurück259. Die der Konstruktion einer obligation in solidum zugrunde liegende Annahme, dass bei einer Mehrheit von Schadensverursachern jeder schon nach allgemeinen Regeln den gesamten Schaden zu ersetzen hat, ist in Frankreich aber in Frage gestellt worden260. Wenn jeder nur einen Teil der Ursachenkette bilde, so ein Teil der Literatur, dann sei auch eine Aufteilung der Schadensersatzhaftung denkbar261. Gegen die Annahme einer unteilbaren Schadenshaftung spreche schon der Umstand, dass beim internen Regress die Aufteilung des Gesamtschadens nach Verschuldens- und Verursachungskriterien selbstverständlich sei. Die Ganzhaftung jedes Mitverursachers sei keine logische Notwendigkeit, die sich aus allgemeinen Regeln ergebe, sondern eine wertende Entscheidung, welche die an sich gegebenen Teilhaftungen zum Schutz des Verletzten zu einer Gesamtschuld verbinde und jedem Mitverursacher damit das Insolvenzrisiko der anderen aufbürde. Die Rechtsprechung der 1960er Jahre zog hieraus den Schluss, dass eine Haftung des Mitverursachers auf den Ersatz des gesamten Schadens voraussetze, dass er einen Ausgleichsanspruch gegen den anderen Verursacher habe. Nur eine Teilhaftung im Außenverhältnis wurde daher angenommen, wenn ein Regress aus Rechtsgründen ausgeschlossen war, sei es, weil der andere Mitverursacher aus besonderen Gründen von Anfang an nicht haftete262 (aus deutscher Sicht Fälle der gestörten Gesamtschuld), sei es, weil der Regress nur mittels Sub257 Demolombe, Cours XXVI, §§ 295, 302; Mazeaud, Rev crit 50 (1930), 141, §§ 4 ff., 16 f.; Vincent, RTD civ 38 (1939), 601, § 57; Chabas, RTD civ 65 (1967), 318 f.; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1089; Mazeaud/Chabas, Droit civil II/1, § 1070; Périlleux, Obligation in solidum, §§ 26–28. 258 Vgl. Demolombe, Cours XXVI, §§ 119, 202, 296; Vincent, RTD civ 38 (1939), 601, § 58; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, §§ 114, 138; Mazeaud/Chabas, Droit civil II/1, § 1070; Mestre/Tian-Pancrazi, Obligation in solidum, § 11; Terré/Simler/Lequette, Obligations, §§ 1253, 1262; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, § 1275; Périlleux, Obligation in solidum, § 26. Nach Chabas, RTD civ 65 (1967), 318 f., schulden die Schuldner bei der solidarité dieselbe Leistung, bei der obligation in solidum gleiche Leistungen. 259 Vgl. Demolombe, Cours XXVI, §§ 117–120, 299; Mazeaud/Chabas, Droit civil II/1, § 1070; Mestre/Tian-Pancrazi, Obligation in solidum, § 3. 260 Zu diesem insbesondere in den 1960er Jahren lebhaft geführten Streit Meurisse, D 1962 chron 243; Brunet, Gaz Pal 1965 II, 75; Chabas, RTD civ 65 (1967), 310; ders., D 1970, chron 113; Durry, RTD civ 65 (1967), 170 und 645; Boré, JCP 1967 I 2126, II A; ders., JCP 1971 I 2369; Starck, JCP 1970 I 2339; Raynaud, FS Vincent (1981), 317, §§ 16 ff.; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 134; Lorvellec, Subrogation, §§ 54 f.; Mestre, Subrogation, §§ 180, 284 ff.; Mestre/ Tian-Pancrazi, Obligation in solidum, §§ 12 ff., 49 ff.; Le Tourneau/Julien, Solidarité, §§ 166, 194 ff.; Périlleux, Obligation in solidum, §§ 25, 35 f.; aus rechtsvergleichender Sicht NeumannSchniedewind, Mitverursachung, 18 f.; Weir, Complex Liabilities, § 80; ausführlich Steinbeis, Haftungsausschluß, 29 ff., 64 ff. 261 So die Lösung bei Dereux, RTD civ 42 (1944), 155. 262 Etwa Cass 2 civ (9.3.1962), JCP 1962 II 12728, D 1962, 625; Cass 2 civ (21.12.1965), JCP 1966 II 14736, Gaz Pal 1966 I 206.
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rogation möglich und die Gläubigerforderung, etwa wegen Verjährung, inzwischen nicht mehr durchsetzbar war263. Mittlerweile hat sich die Rechtsprechung vom Gedanken der „Teilkausalität“ verabschiedet und nimmt grundsätzlich wieder eine Ganzhaftung jedes Mitverursachers unabhängig von der Regressfrage an264. Der Grundgedanke, dass es sich bei dieser Gesamthaftung um eine Verknüpfung von Teilhaftungen zum Schutz des Geschädigten handelt, hat sich aber erhalten. Folgt man dem, dient die deliktische Gesamtschuld ebenso wie die vertragliche der Sicherheit des Gläubigers, so dass, wie in der Literatur zunehmend betont wird, die kategorische Unterscheidung nicht gerechtfertigt ist265. Solidarité und obligation in solidum sind dann nur zwei Untergruppen eines einheitlichen Gesamtschuldbegriffs. De lege ferenda hat es stets Versuche gegeben, die im Code Civil ungeregelt gebliebene Haftung mehrerer Schadensverursacher einer gesetzlichen Regelung zuzuführen. Dabei ist die naheliegende Lösung einer gesetzlichen Gesamtschuldanordnung wie in § 840 BGB im französischen Recht keineswegs selbstverständlich, zumindest wenn damit auf die Regelungen der solidarité mit ihren schuldnerbelastenden Gesamtwirkungen verwiesen werden soll. Das Badische Landrecht von 1862 beruhte größtenteils auf einer wörtlichen Übersetzung des Code Civil. Zusätzlich sah der Gesetzgeber aber in Art. 1382 d eine Sondervorschrift vor, wonach mehrere vorsätzlich handelnde Täter, die den Schaden gemeinsam verursachten, „sammtverbindlich“, d.h. nach den Regeln der solidarité, hafteten. Solange die Täter vorsätzlich zusammengewirkt und sich ihre Mittäter damit selbst ausgesucht hatten, erschienen die belastenden Gesamtwirkungen offenbar als tolerabel. Ungeregelt blieb damit aber weiterhin der Fall der Nebentäter, bei denen jeder für den gesamten Schaden kausal geworden war. Auch hier füllte die Rechtsprechung die Lücke durch Annahme einer gesetzlich nicht geregelten obligation in solidum266. Der Catala-Entwurf zur Reform des französischen Obligationenrechts schlägt vor, bei allen Arten einer Mehrheit von Schadensverursachern eine echte solidarité
263
Cass 2 civ (27.1.1966), Gaz Pal 1966, 1, 206. Ch mixte (20.12.1968), JCP 1969 II 15756; Cass 2 civ (2.7.1969), JCP 1971 II 16582; Cass com (31.3.1981), Bull civ IV Nr. 169, RTD civ 1982, 150, obs. Durry (Ganzhaftung trotz verjährtem Regressanspruch); Ass plén (22.12.1988), D 1989, 105; Cass 3 civ (5.7.2000), Bull civ III Nr. 135; Mazeaud/Chabas, Droit civil II/1, § 1071 a.E.; Terré/Simler/Lequette, Obligations, § 1263; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, § 1279. In bestimmten Fallgruppen der gestörten Gesamtschuld wird allerdings wie im deutschen Recht weiterhin eine Teilhaftung angenommen. Siehe Le Tourneau/Julien, Solidarité, §§ 194 ff.; Mestre/Tian-Pancrazi, Obligation in solidum, §§ 14 ff. 265 Boré, JCP 1967 I 2126, vor I; ders., JCP 1971 I 2369; ders., JCP 1972 II 17086, Teil II; Raynaud, D 1974, 120; ders., FS Vincent (1981), 317; Larroumet, D 1978, J 290; Mestre, Subrogation, §§ 180 f.; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, §§ 129 f., 138; Le Tourneau/Julien, Solidarité, §§ 168 ff., 219; Terré/Simler/Lequette, Obligations, § 1264; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, §§ 1275, 1283 f. 266 RG JW 1886, S. 403 Nr. 23 (12.10.1886); weitere Nachweise bei Hachenburg, Badisches Landrecht, Art. 1200 Anm. 1, Art. 1382 d, Anm. 3. 264
5. Die Einheitsgesamtschuld der deutschsprachigen Regelwerke des 19. Jahrhunderts
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anzuordnen267. Die schuldnerbelastenden Gesamtwirkungen der Art. 1205 ff. CC sollen aber zugleich beibehalten werden. Ob dieser Reformvorschlag Aussicht auf Erfolg hat, ist derzeit nicht abzusehen.
5. Die Einheitsgesamtschuld der deutschsprachigen Regelwerke des 19. Jahrhunderts Die Unterteilung der Gesamtschuldverhältnisse in Korreal- und Solidarobligationen war bis Ende des 19. Jahrhunderts in der deutschen gemeinrechtlichen Lehre nahezu unbestritten. In der Praxis aber wurde sie nie rezipiert. Die zeitgenössische Rechtsprechung, die das geltende Gemeine Recht anzuwenden hatte, zitierte zwar die pandektistische Literatur, soweit es um die Geltung einer Gesamt- oder Teilschuldvermutung, das Bestehen einer Regresspflicht oder die Gesamt- oder Einzelwirkung von Tatsachen ging. Es findet sich aber kein Urteil, das auf einem Gegensatz von Korreal- und Solidarobligationen mit unterschiedlichen Rechtsfolgen aufbaut. Offenbar erschien diese Unterscheidung, die auf dem rein historischen Phänomen der Klagenkonkurrenz beruhte, in den Einzelheiten völlig umstritten war und zu den subtilsten Abgrenzungsproblemen führte, für die Praxis unbrauchbar. Auch die zeitgenössischen Gesetzgeber entschieden sich bewusst gegen die vermeintlich gemeinrechtliche Zweiteilung, für die ihrer Ansicht nach kein praktisches Bedürfnis bestand. Beide Gesamtschuldformen dienten offenbar demselben Zweck, nämlich der Sicherung und Erleichterung der Rechtsverfolgung des Gläubigers. Nach Ansicht der Gesetzgeber erforderte das Verkehrsinteresse eine Abkehr von der im Einzelnen unsicheren Zweiteilung und die Entwicklung einheitlicher Regeln für alle Arten von Gesamtschulden268. Gemeinsame Regeln für vertragliche und deliktische Gesamtschulden finden sich daher im Sächsischen, Hessischen und Bayerischen Entwurf, im Schweizer Obligationenrecht sowie im Sächsischen BGB und im Dresdener Entwurf269. Aus denselben Gründen plante
267
Avant-projet, Art. 1378. Die Figur der obligation in solidum soll aufgegeben werden, so Catala, in: Avant-projet, 67. Ebenso schon der Code Civil von Québec (1991), Art. 1480, 1526, bei ähnlicher Regelung der solidarité, Art. 1523 ff. 268 Motive zum HessE IV 1, S. 3 f.; Motive zum BayE II, 116; zum SächsGB Motive zu §§ 1049 ff. des Entwurfs, S. 789 f.; s.a. Siebenhaar, Sächsisches Privatrecht, 571 f.; zum DresdE Dresd. Prot. 53 f. Die Literatur stimmte zumindest teilweise zu, etwa Gruchot, Gruch 3 (1859), 289; Arndts, KritVj 5 (1863), 336; Unger, Revidierter Entwurf Sachsen, 87 f.; ders., JhJb 22 (1884), 208; Mitteis, Individualisirung, 113. 269 SächsE §§ 592, 798; HessE IV 1 Art. 6, 214; BayE II Art. 69, 71, 222; SächsGB §§ 777, 1020, 1495; DresdE Art. 13, 218; OR 1881 Art. 60, 162 (OR 1911 Art. 50, 143). Das Züricher Gesetzbuch kannte sowohl eine gewöhnliche Gesamtschuld als auch eine Subsidiärgesamtschuld, §§ 935, 940, 948. Bei Verträgen wurden Subsidiärgesamtschulden vermutet, § 936; es konnten aber auch gewöhnliche Gesamtschulden vereinbart werden. Ebenso kamen auch bei deliktischen Tätermehrheiten beide Formen in Frage, §§ 1828 f.
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I. Die solidarische Schadensersatzhaftung im Verhältnis zur Vertragsgesamtschuld
auch von Kübel von Anfang an eine Einheitsgesamtschuld für das BGB270. Dieser Vorschlag, so die Protokolle der Ersten Kommission, „wurde von keiner Seite bekämpft“271. Die Einführung einer Einheitsgesamtschuld bedeutete, dass die Frage nach der Gesamt- oder Einzelwirkung einer „Tatsache“ bei vertraglichen und gesetzlichen Gesamtschulden grundsätzlich gleich geregelt werden musste. Insofern stand zur Entscheidung, ob und inwieweit man an die (vermeintlich) überlieferten Gesamtwirkungen des römischen Rechts anknüpfen sollte. Die gemeinrechtliche Lehre hatte die Gesamtwirkungen im Wesentlichen auf Korrealobligationen und damit auf vertragliche Gesamtschulden beschränkt. Bei der nun anstehenden Frage, ob man die Einheitsgesamtschuld eher nach dem Modell der Korreal- oder der Solidarobligationen formen sollte, musste die Entscheidung grundsätzlich zugunsten der Solidarobligationen ausfallen. Zwar führte dies zwangsläufig dazu, dass etwa die gegenseitige Verschuldenszurechnung oder die Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung oder des Urteils, welche für viele mit der vertraglichen Gesamtschuld verbunden waren, nun nicht mehr gesetzlich vorgesehen waren. Doch für vertragliche Gesamtschuldner bestand immerhin die Möglichkeit, im Rahmen des dispositiven Rechts bestimmte Gesamtwirkungen, etwa die gegenseitige Zurechnung von Erklärungen, Erklärungsentgegennahmen oder Leistungsstörungen mit dem Gläubiger zu vereinbaren. Demgegenüber hätte eine Anknüpfung an das Modell der Korrealobligation bedeutet, bestimmte Gesamtwirkungen auch solchen Gesamtschuldnern aufzudrängen, die sich nicht durch Vertrag verbunden hatten. Die Anordnung insbesondere von schuldnerbelastenden Gesamtwirkungen erschien aber nicht sachgemäß, wenn die Schuldner sich nicht gegenseitig ausgesucht hatten und zudem die Möglichkeit fehlte, die Gesamtwirkung durch Parteiabrede auszuschließen. Bedenklich war insofern die geplante Regelung des Hessischen Entwurfs, die in Anlehnung an das französische Recht eine Gesamtwirkung des Urteils und eine Werthaftung aller Schuldner bei Verschulden nur eines Gesamtschuldners vorsah272. Die übrigen Regelwerke hielten sich mit der Anordnung von Gesamtwirkungen dagegen zurück. Nahezu überall war vorgesehen, dass ein Gesamtschuldner durch Vereinbarung einer Novation oder eines Gesamterlasses mit dem Gläubiger seine Mitschuldner befreien konnte273. Aber dies waren schuldnerfreundliche Gesamtwirkungen. Als schuldnerbelastende findet sich nur die Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung, und zwar im Sächsischen und Bayerischen Entwurf, im Züricher Gesetzbuch sowie, bis heute, im Schweizer 270 Hartmann, ZSchwR 28 (1887), 148 ff., wollte auch bei der Anwendung des Schweizer OR zwischen Korrealobligationen aus Vertrag und Solidarobligationen aus Gesetz unterscheiden. Dagegen A. Guhl, Passive Korrealität (1908), 70 ff. 270 VorlE, These IV und Motive, S. 19 f. (Schubert, SR III, 1213, 1231 f.). 271 Jakobs/Schubert, SR I, 895 (s.a. 907, Beschluss Nr. 5). 272 HessE IV 1 Art. 240, 354. 273 SächsE §§ 604, 925; HessE IV 1 Art. 328, 346 II; BayE II Art. 231 III, 232 II; SächsGB § 1028; DresdE Art. 342, 381; BGB § 423.
6. Folgerungen für das heutige Recht
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Obligationenrecht274. Hier hatte die gemeinrechtliche Tradition, die auf Justinians Gesetz aufbaute275, offenbar starken Einfluss ausgeübt. Die Verfasser des Sächsischen BGB und des Dresdner Entwurfs sowie von Kübel in seinem Vorentwurf setzten sich aber auch darüber hinweg. Ihre Einheitsgesamtschuld sollte konsequent dem Modell der Solidarobligationen folgen276. Schuldnerbelastende Gesamtwirkungen waren nicht vorgesehen. Nach dem „Mehrheitsprinzip“ waren die Obligationen der Gesamtschuldner voneinander unabhängig und nur durch die Gesamtwirkung der Erfüllung miteinander verbunden, welcher die Novation bzw. der Gesamterlass gleichgestellt wurden. Die Erste Kommission folgte zwar von Kübels Mehrheitsmodell nicht, beließ es aber im Ergebnis dabei, dass außer der Erfüllung nur der Erlass Gesamtwirkung haben konnte; die Zweite Kommission fügte die Gesamtwirkung des Annahmeverzugs hinzu, die ebenfalls schuldnerfreundlich ist. Im Außenverhältnis weist das Gesamtschuldverhältnis des BGB also keine schuldnerbelastenden Gesamtwirkungen auf, so dass die Einbeziehung deliktischer Gesamtschulden unter diesem Aspekt unbedenklich erscheint.
6. Folgerungen für das heutige Recht Die Einheitsgesamtschuld ist nicht zwingend. Ein Gesetzgeber kann unterschiedliche Regelungen für verschiedene Arten von Gesamtschuldverhältnissen vorsehen. Insbesondere für vertraglich vereinbarte Gesamtschulden können bestimmte Gesamtwirkungen vorgesehen werden, für die in der Praxis ein Bedürfnis besteht, etwa die gegenseitige Zurechnung von Leistungsstörungen oder die Gesamtwirkung von Mahnung und Verjährungsunterbrechung277. Insofern kann es sinnvoll sein, vertragliche und gesetzliche Gesamtschulden getrennt zu regeln278. Dieser Gedanke einer Zweiteilung der Gesamtschuldverhältnisse in solche mit und solche ohne belastende Gesamtwirkungen, die in groben Zügen einer Zweiteilung zwischen vertraglich vereinbarten und sonstigen Gesamtschulden entspricht, findet sich sowohl in der gemeinrechtlichen Lehre des 19. Jahrhunderts als auch im französischen Recht. Bei der Anordnung von schuldnerbelastenden Gesamtwirkungen sind dem Gesetzgeber allerdings Grenzen gesetzt. Im vertraglichen Bereich bildet die Grenze der Satz, dass die Stellung eines Schuldners nicht durch fremde Rechtsgeschäfte, auf die er keinen Einfluss hat, verschlechtert werden darf. Ein Gesetzgeber würde gegen diesen Satz verstoßen, wenn er belastende Gesamtwirkungen
274 SächsE § 601; BayE II Art. 238; ZürGB § 1071; OR 1881 Art. 155 (OR 1911 Art. 136 I); so auch schon ALR I 5 § 440; CC Art. 1206 und Art. 2249 (ab 17.6.2008: Art. 2245). 275 Oben, 48. 276 Nachweise hierzu und zum Folgenden oben, 70 ff. 277 Vgl. oben, 74 f. und 101 ff. 278 Zum Folgenden auch Weir, Complex Liabilities, §§ 76, 95.
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I. Die solidarische Schadensersatzhaftung im Verhältnis zur Vertragsgesamtschuld
wie eine gegenseitige Verschuldenszurechnung auch im Falle von unabhängigen Nebenbürgen oder beim Schuldbeitritt ohne Willen des Urschuldners vorsähe, weil dem Schuldner dann ein Mitschuldner aufgedrängt würde, für den er die Haftung übernehmen müsste. Es ist daher konsequent, wenn die französische solidarité nicht schon bei Nebenbürgen oder durch einen Schuldbeitritt entstehen kann und wenn diejenigen Pandektisten, die von einer Verschuldenszurechnung bei der Korrealobligation ausgingen, deren Anwendungsbereich ebenso beschränkten. Im vertraglichen Bereich können schuldnerbelastende Gesamtwirkungen nur dann gerechtfertigt werden, wenn die gesamtschuldnerische Verbindung selbst vom übereinstimmenden Parteiwillen getragen wird. Bei gesetzlichen Gesamtschulden sind belastende Gesamtwirkungen nicht von vornherein ausgeschlossen, sondern zumindest dann denkbar, wenn zwischen den Schuldnern schon vor Entstehung des Gesamtschuldverhältnisses ein Innenverhältnis bestand, das die Anordnung der Gesamtwirkungen rechtfertigen kann. Wenn in der gemeinrechtlichen Lehre des 19. Jahrhunderts die Noxalhaftung der Miteigentümer bei vielen Autoren als einziger nichtrechtsgeschäftlicher Anwendungsfall der Korrealobligation anerkannt war, mag das mit dem besonderen Innenverhältnis zusammenhängen, das die Miteigentümer untereinander verbindet. Auch in Frankreich ist die solidarité nicht auf rechtsgeschäftliche Gesamtschulden beschränkt. Die Abgrenzung zwischen den Fällen gesetzlich entstehender solidarité und gesetzlich entstehenden obligations in solidum ist allerdings im Ergebnis vollkommen unbefriedigend, weil man hierfür allein auf das Bestehen einer ausdrücklich-gesetzlichen Gesamtschuldanordnung abstellt und damit an historische Zufallsergebnisse anknüpft. Die Existenz belastender Gesamtwirkungen kann zum Beispiel sachlich nicht davon abhängen, ob ein von Mit- oder Nebentätern begangenes Delikt zugleich eine Straftat darstellt. Im Ergebnis sachgemäßer erschien die ältere Theorie der solidarité imparfaite, die konkret auf das zwischen den Schuldnern bestehende Innenverhältnis abstellte. Doch diese litt nicht nur daran, dass sie mit dem Gesetz kaum zu vereinbaren war, sondern auch an der Unbestimmtheit des Abgrenzungskriteriums. Letztlich geht die unbefriedigende französische Situation auf den Gesetzgeber zurück, der das Zusammenspiel zwischen Art. 1202 CC, dem Fehlen einer deliktischen Gesamtschuldanordnung und der schuldnerbelastenden Wirkungen der solidarité nicht durchdacht hat. Will ein Gesetzgeber auch für bestimmte gesetzliche Gesamtschuldfälle belastende Gesamtwirkungen vorsehen, müsste er dies nicht nur gut rechtfertigen, sondern auch einen klaren Abgrenzungsmaßstab bieten. In vielen Fällen gesetzlicher Gesamtschulden scheiden schuldnerbelastende Gesamtwirkungen offenbar von vornherein aus. So kann ein Gesetzgeber, solange er im Deliktsrecht keine pönalen Zwecke verfolgt, einem Nebentäter nicht den Verzug oder die Verjährungsunterbrechung bei einem anderen Nebentäter zurechnen, mit dem der erste nicht zusammengewirkt hat und den er nicht einmal kennen muss. Bei Mittätern hingegen ist die Anordnung schuldnerbelastender Gesamtwirkungen zumindest denkbar, weil sich die Schuldner immerhin bewusst zur Erzielung eines gemeinsamen Erfolges zusammengetan haben. Die
6. Folgerungen für das heutige Recht
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Gegenüberstellung von vertraglichen Gesamtschuldnern und Mittätern auf der einen und Nebentätern auf der anderen Seite fand sich im 19. Jahrhundert im Badischen Landrecht, bei Unger und bei Eisele. Heute ist sie in der Schweiz zu beobachten. Der Schweizer Gesetzgeber ging ebenso wie der französische und wie die deutschen Gesetzes- und Entwurfsverfasser des 19. Jahrhunderts von einer Einheits-Gesamtschuld aus. Will aber ein Gesetzgeber das Institut der Gesamtschuld einheitlich regeln, dann muss er auf schuldnerbelastende Gesamtwirkungen verzichten. Ansonsten droht die Gefahr, dass in Fällen, in denen die Gesamtwirkungen als unpassend empfunden werden, eine zweite Gesamtschuldform praeter legem entsteht. Besonders deutlich ist dies in Frankreich zu beobachten, wo die exzessiven Gesamtwirkungen der solidarité zur Entwicklung der obligation in solidum geführt haben. Der Schweizer Gesetzgeber beschränkte sich dagegen auf die gemeinrechtlich überlieferte Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung279. Zugleich ordnete er die Solidarhaft auch für den Fall an, dass mehrere einen Schaden gemeinschaftlich verschuldet hatten280. Für Nebentäter, die vom Wortlaut dieser Vorschrift nicht erfasst sind, fehlt eine explizite Gesamtschuldanordnung281. Offenbar allein wegen der hier nicht zu rechtfertigenden Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung nehmen Rechtsprechung und ein Teil der Lehre an, dass dann nur eine unechte Solidarität entsteht, die sich von der echten in erster Linie durch die Einzelwirkung der Verjährungsunterbrechung unterscheidet282. Die Existenz von einer oder mehreren Gesamtschuldformen bzw. die Reichweite einer gesetzlichen Gesamtschuldregelung hängt also wesentlich von der Gesamt- und Einzelwirkung belastender Umstände ab283. Bei dieser Feststellung könnte man es sachlich belassen. Doch die Geschichte zeigt, dass die Existenz 279
OR 1881 Art. 136 I, OR 1911 Art. 155 S.1. OR 1881 Art. 60, OR 1911 Art. 50. 281 Art. 51 OR 1911, der vom Tatbestand her auch Nebentäter umfasst, regelt nur den Regress, ohne den Ausdruck „Solidarität“ zu verwenden. 282 Vgl. BGE 69 II, 162, 167 ff. (12.6.1943); BGE 89 II 415, 419 ff. (15.10.1963); BGE 93 II 317, 322 (24.10.1967); BGE 96 II 172, 175 f. (23.11.1970); BGE 104 II 225, 229 ff. (14.12.1978); BGE 115 II 42, 45 ff. (31.1.1989); BGE 127 III 257, 264 f. (4.4.2001); BGE 130 III 362, 369 ff. (23.2.2004). Einfluss ausgeübt hat hier auch die deutsche Lehre von den unechten Gesamtschulden (unten, 830 ff.); vgl. A. Guhl, Passive Korrealität (1908), 162 ff.; G.Jansen, Zusammentreffen, 33 ff. m.w.N. Die Literatur steht dem überwiegend kritisch gegenüber, vgl. BernK/Becker (1917), OR, Art. 50 Rz 5, Art. 51 Rz 1, Art. 144 Rz 5; ZürK/Oser, OR, Art. 50 Rz 1 ff., vor Art. 143 Rz 8; Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 63 ff.; von Tuhr/Peter, Obligationenrecht AT I, 465 f.; von Tuhr/Escher, Obligationenrecht AT II, 319 ff.; von Büren, OR AT, 104 f.; Jansen, Zusammentreffen, 50 ff., 106 ff.; Spiro, Begrenzung I, 430 ff., 445 ff.; Merz, Obligationenrecht AT 1, 102 ff.; Keller/GabiBolliger, Haftpflichtrecht, 132; Bucher, OR AT, § 27 II 5; Guhl/Koller, Obligationenrecht, § 6 Rz 5, § 26 Rz 6 ff.; Gauch/Schluep/Schmid/Rey, OR AT 2, Rz 3967 ff.; Rey, Haftpflichtrecht, Rz 1417 ff.; Oftinger/Stark, Haftpflichtrecht I, Rz 10/14 ff.; Honsell, Haftpflichtrecht, Rz 11/ 10 ff.; Schwenzer, OR AT, Rz 88.45 f.; BasK/Schnyder, OR, Art. 50 Rz 2 ff.; Weber, FS Widmer (2003), 341; BernK/Brehm (2006), OR, Art. 51 Rz 17 ff. 283 Ebenso schon Lange, Mehrheit, 44. 280
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I. Die solidarische Schadensersatzhaftung im Verhältnis zur Vertragsgesamtschuld
von mehreren Gesamtschulduntergruppen häufig dogmatisch überhöht und mit dem „Wesen“ einer bestimmten Gesamtschuldart erklärt wurde. Dabei handelt es sich jedoch um mehr oder weniger diffuse Vorstellungen und Begriffsbildungen, denen hier deswegen ausführlicher nachgegangen wurde, weil sie die Gesamtschulddiskussion bis zum heutigen Tag quälen, und dies nicht nur in Frankreich. Allen Theorien der wesensmäßigen Zweiteilung der Gesamtschulden liegt mehr oder weniger unausgesprochen die Vorstellung zugrunde, dass die Solidarhaftung sich bei der „unechten Gesamtschuld“ (Solidarobligation, obligation in solidum) von selbst, also aus allgemeinen Regeln ergibt. So soll, wenn mehrere unabhängig voneinander einen zu ersetzenden Schaden verursachen, der Ausschluss der Kumulation sich daraus ergeben, dass der Gläubiger seinen Schaden nur einmal liquidieren kann, während der Ausschluss der Teilschuld darauf zurückgeführt wird, dass jeder im Sinne der Äquivalenztheorie den Schaden ganz verursacht hat. Bei der „echten“ Gesamtschuld findet sich dagegen häufig die Vorstellung, sie sei nur „künstlich“ oder „willkürlich“ durch den Parteiwillen, vielleicht auch durch den Gesetzgeber, im Gläubigerinteresse herbeigeführt worden. Demzufolge wird manchmal angenommen, dass die Befreiung der Mitschuldner bei Leistung eines Schuldners im Falle „echter“ Gesamtschulden auf einer besonderen Miterfüllung oder Mittilgung beruht, bei „unechten“ Gesamtschulden dagegen nur aus dem Wegfall des Gläubigerinteresses folgt. Als Gegenargument findet sich dann der Gedanke, dass bei mehreren Schadensverursachern „eigentlich“ jeder nur anteilig hafte und die Gesamtschuld hier ebenfalls erst zum Schutz des Gläubigers besonders geschaffen werde. Doch die auch in der heutigen deutschen Literatur284 diskutierte Frage, ob bei mehreren Schadensverursachern jeder schon „an sich“ auf das Ganze haftet oder „eigentlich“ nur einen Anteil ersetzen muss, lässt sich so nicht beantworten. Das römische Recht lehrt, dass die Antwort einer Rechtsordnung auf eine Mehrheit von Schadensverursachern in einer kumulierten, solidarischen oder anteiligen Haftung bestehen kann. Geht man mit dem modernen Recht davon aus, dass die Haftung keine pönalen Zwecke verfolgt, sondern allein dem Ersatz des dem Gläubiger entstandenen Schadens dient, dann scheidet die Kumulation aus, und es stellt sich die Frage, ob der Gesamtschaden solidarisch geschuldet
284 Siehe einerseits (Gesamtschuld als natürliche Konsequenz, weil jeder für den gesamten Schaden kausal war) F. Bydlinski, AcP 158 (1959/60), 412; Stoll, FamRZ 1962, 65; von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 85 f.; Ludewig, Gesamtschuldnerausgleich, 1 f., 118 ff.; Schröder, JR 1970, 43 f.; Deutsch, Haftungsrecht, Rz 496; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 11 A I 1; Kreutzinger, Haftung, 133 f.; Schlechtriem/Schmidt-Kessel, SR AT, Rz 842; Staud/Vieweg, § 840 Rz 3; MüKo/Wagner, § 840 Rz 2; Jürgens, Teilschuld, 28; Glaßer, Gesamtschuldnerausgleich, 25, 34 f.; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 30, 136, 165; zum österreichischen Recht Koziol, Haftpflichtrecht I, Rz 14/33; andererseits („an sich“ Teilschulden, Gesamtschuldanordnung zum Schutz des Verletzten) G.und D. Reinicke, NJW 1954, 1641; Keuk, AcP 168 (1968), 183 ff., 187; dies., JZ 1972, 529 f.; Ehmann, Gesamtschuld, 215 ff.; ders., JZ 2004, 250 f.; Erman/Ehmann, § 421 Rz 16; Costede, JR 2005, 46, 48; vgl. auch Weckerle, Verantwortlichkeit, 93 ff.
6. Folgerungen für das heutige Recht
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oder aufgeteilt wird. Beides ist gleichermaßen möglich. Wenn behauptet wird, dass sich die Ganzhaftung unabhängig vom Schutz des Gläubigers schon von selbst daraus ergibt, dass jeder den ganzen Schaden verursacht hat, dann wird zu wenig beachtet, dass auch die Äquivalenztheorie dem Recht nicht vorgegeben ist. Ob ein Schaden, der erst im Zusammenwirken mehrerer entstehen konnte, von jedem vollständig ersetzt werden muss, ist keine Kausalitäts-, sondern eine Zurechnungsfrage. Die Zurechnung beruht auf einer Wertung. Sofern im Deliktsrecht die Entscheidung getroffen wird, den Schaden jedem Mitverursacher vollständig zuzurechnen, folgt daraus, dass jeder solidarisch haftet. Die Gesamtschuld beruht dann aber nicht auf einem Naturgesetz, sondern auf einem Rechtssatz. Aus demselben Grund kann man auch nicht umgekehrt annehmen, dass „an sich“ jeder Mitverursacher nur einen Anteil zu ersetzen hat, der sich nach dem Grad der Kausalität oder des Verschuldens richtet, so dass die Solidarhaft eine zugunsten des Gläubigers vorgenommene Abweichung von der allgemeinen Regel darstellt285. Eine direkte Linie zwischen Verursachungsbeitrag und zu ersetzendem Schaden kann hier von vornherein nicht gezogen werden: Wenn im berühmten Treibjagdbeispiel der Tod des Treibers durch das Zusammenwirken zweier Jägerkugeln verursacht wurde, dann kann schlecht davon die Rede sein, dass jeder Jäger den halben Unterhaltsschaden der Witwe verursacht hat. Es ist natürlich möglich, aus der Tatsache, dass ein Jäger den Tod nur deshalb verursacht hat, weil auch der andere schuldhaft handelte, den Schluss zu ziehen, dass jeder nur die Hälfte des Schadens tragen sollte. Dies ist dann aber schon eine Frage der Zurechnung, also eine rechtliche Wertung. Noch deutlicher wird der Wertungsgesichtspunkt bei der alternativen Kausalität, also im Fall, dass schon jede Kugel allein den Tod verursacht hätte. Um den Gläubiger nicht leer ausgehen zu lassen, setzt sich das Recht über die Paradoxie der conditio sine qua nonFormel hinweg und gewährt einen Schadensersatzanspruch gegen jeden Alternativverursacher286. Hier kann eine Ganzhaftung nicht, und erst recht nicht eine anteilige Haftung, mit einer Verursachungslogik begründet werden. Argumente, die darauf aufbauen, dass jeder Mitverursacher eines Schadens „an sich“ das Ganze oder einen Anteil schuldet, führen also ins Leere. Jede Entscheidung, ob für eine Gesamt- oder eine Anteilshaftung, beruht auf einer Wertung. Es gibt keinen rechtlichen Naturzustand. Wenn es also heißt, dass bei bestimmten Gesamtschuldverhältnissen jeder Schuldner schon an sich auf das Ganze haftet, wird lediglich auf eine weitere Rechtsregel verwiesen. Dann fragt es sich, was bei „echten“ Gesamtschulden, insbesondere vertraglich vereinbarten, das Spezifische sein soll, das eine grundlegend andere rechtliche Konstruktion erfordert. Selbstverständlich sind vertragliche Gesamtschulden insofern „künstlich“, als sie durch den Parteiwillen herbei285
Wie hier Steinbeis, Haftungsausschluß, 118 ff., 129; Weir, Complex Liabilities, §§ 79–81. Hierzu rechtsvergleichend Winiger/Koziol/Koch/Zimmermann, Digest, 457 ff.; s.a. PETL, Art. 3:102, 9: 101. 286
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I. Die solidarische Schadensersatzhaftung im Verhältnis zur Vertragsgesamtschuld
geführt werden. Mit dieser Erwägung steht man aber wieder vor der Frage, warum vertragliche und gesetzliche Gesamtschulden unterschiedlich konstruiert oder behandelt werden müssen. Mit der Künstlichkeit ist offenbar mehr gemeint: Gerade die Solidarhaft soll das Künstliche sein. Dies müsste bedeuten, dass es bei Verträgen auch eine „natürliche“ Form der Schuldnermehrheit gibt. Sowohl in der französischen als auch in der deutschen gemeinrechtlichen Literatur findet sich der Gedanke, dass „an sich“ jeder Vertragsschuldner nur einen Anteil schuldet, der seinem Anteil am Vertragsinteresse entspricht. Wenn der Gläubiger zwei Gesamtschuldnern ein Darlehen gewährt, das die Schuldner unter sich aufteilen, dann soll jeder „an sich“ nur die hälftige Rückzahlung schulden und für den Rest eine Haftung für eine fremde Schuld übernehmen. Ebenso soll es sich beim solidarisch geschuldeten Kaufpreis verhalten, wenn die Schuldner die vom Gläubiger gelieferten Waren unter sich aufteilen. Doch nach heutiger Ansicht beruht eine vertragliche Schuld auf dem Vertrag selbst, also dem angenommenen Versprechen, und nicht darauf, dass der Schuldner selbst eine Gegenleistung empfangen oder einen Vorteil erzielt hat. Auch das Darlehen ist kein Realvertrag mehr. Erwägungen, wer wie viel bekommen hat, mögen für Bereicherungsansprüche eine Rolle spielen. Wenn aber jeder Schuldner dem Gläubiger verspricht, ihm den vollen Darlehensbetrag zurückzuzahlen oder den vollen Kaufpreis zu entrichten, dann schuldet er nicht „an sich“ nur einen Teil, sondern alles, weil das Versprechen die Grundlage der Schuld ist. Richtig ist natürlich, dass vertragliche Gesamtschuldner funktional zumindest zum Teil eine Haftung für fremde Schuld übernehmen und insofern Bürgen ähneln. Ebenso wie zwischen Bürgen und Hauptschuldner grundsätzlich der Hauptschuldner primär zuständig ist, wird die Last bei vertraglichen Gesamtschulden im Innenverhältnis verteilt. Soweit der Schuldner einen Teil der Schuld intern nicht tragen soll, kann von einer formell eigenen und materiell fremden Schuld gesprochen werden. Doch dies trifft letztlich auf alle Gesamtschuldverhältnisse zu, sofern nur ein Regress vorgesehen ist. Die Gesamtschuld zerteilt sich im Innenverhältnis (notfalls im Verhältnis 100% zu 0%). Für jeden Teil ist ein bestimmter Schuldner primär zuständig, so dass der oder die Mitschuldner funktional für eine fremde Schuld haften. Die Vertragsgesamtschuld ist insofern „willkürlich“, als die Parteien die Art der Schuldnermehrheit völlig frei bestimmen können. Dem Gesetz sind hingegen Grenzen gesetzt. Wenn es die Entscheidung getroffen hat, dass Schadensersatzansprüche keine pönalen Zwecke verfolgen, dann darf es bei mehreren Schadensverursachern keine Kumulation anordnen. Wenn es bei einer Art von Mitverursachern Gesamtschulden anordnet, darf es nicht grundlos bei einer anderen Art von Mitverursachern Teilschulden vorsehen. Aber dies folgt lediglich aus dem Unterschied zwischen vertraglichen und gesetzlichen Verpflichtungen: Das Recht braucht nachvollziehbare Gründe für seine Entscheidung für eine bestimmte Form der Schuldnermehrheit, die Parteien nicht. Bei der angeblichen Wesensverschiedenheit vertraglicher und bestimmter gesetzlicher Gesamtschulden handelt es sich also lediglich um diffuse Vorstellun-
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gen, die letztlich auf den simplen Unterschied zwischen Parteiwillen und Gesetz zurückführbar sind. Auch eine Wesensverschiedenheit zwischen vertraglichen und bestimmten gesetzlichen Gesamtschulden auf der einen und sonstigen Arten von gesetzlichen Gesamtschulden auf der anderen Seite ist nicht auszumachen. Eine Unterscheidung danach, ob die Solidarhaft aus allgemeinen Regeln folgt oder künstlich vom Gesetzgeber geschaffen wird, lässt sich nicht sinnvoll treffen. Jede nicht rechtsgeschäftliche Gesamtschuld beruht auf einer wertenden Entscheidung des Rechts. Dies bedeutet nicht, dass ein Gesetzgeber nicht verschiedene Arten von Gesamtschuldverhältnissen unterschiedlich regeln oder auch, insbesondere hinsichtlich des Regresses, unterschiedlich „konstruieren“ kann. Doch eine aus der Natur der Sache folgende Wesensverschiedenheit von Gesamtschuldgruppen gibt es nicht. Die Frage, ob ein Gesamtschuldner „an sich“ auf das Ganze haftet oder ob er nur den ihn betreffenden internen Anteil schuldet und für den Rest eine Haftung für fremde Schuld übernimmt, ist neuerdings wieder aufgeworfen worden. In einer 2005 erschienen Monographie zieht Bentele die Trennlinie allerdings nicht zwischen Vertrag und Delikt, sondern zwischen verschiedenen historischen Epochen287. So soll bei der vertraglichen und deliktischen Gesamtschuld des klassischen römischen Rechts jeder Schuldner „originär“ auf das Ganze gehaftet haben, was sich unter anderem am Fehlen eines Regressrechts zeige. Die Idee, dass jeder Schuldner nur seinen internen Anteil schuldet und zugunsten des Gläubigers zusätzlich eine Garantie für die Mitschuldneranteile übernimmt, sei erst über die orientalische wechselseitige Bürgschaft ins nachklassische römische Recht eingedrungen. Die gemeinrechtlichen Autoren hätten beide Modelle zur modernen Gesamtschuld vermengt, wobei den Einzelregelungen mal dieses, mal jenes Modell zugrunde gelegen habe. Für das moderne Recht aber müsse zwingend vom Modell der wechselseitigen Bürgschaft ausgegangen werden, wonach jeder Schuldner „letztlich“ nur für seinen Anteil haftet und für die übrigen funktional eine Garantie übernimmt. Hieraus folge etwa, dass ein vom Gläubiger mit einem Gesamtschuldner vereinbarter Einzelerlass i.S.d. § 397 notwendig beschränkte Gesamtwirkung haben müsse. Doch der (französisch beeinflusste) Ansatz, mit einer vorgegebenen Begrifflichkeit an das historische oder moderne Recht heranzugehen und aus ihr konkrete Regelungen zu deduzieren, ergibt heute genauso wenig Sinn wie zur Zeit der Pandektistik. Der historisch richtige Kern der These ist, dass der Gedanke einer inneren Teilung der Gesamtschuld, aus dem sich ein allgemeiner Gesamtschuldregress sowie eine allgemeine Einrede der Teilung ergeben konnte, sich erst im nachklassischen römischen Recht gebildet hat288. Wer aber die Schablone „eigentliche Ganzhaftung vs. eigentliche Teilhaftung“ verschiedenen Epochen oder Detailregelungen der Gesamtschuld überstülpt, läuft Gefahr, die Geschichte
287 288
Bentele, Gesamtschuld, 125 ff. Vgl. oben, 267 f.
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I. Die solidarische Schadensersatzhaftung im Verhältnis zur Vertragsgesamtschuld
unrichtig darzustellen289 und an verschwommene Begrifflichkeiten anzuknüpfen290. Warum für das heutige Recht das Modell der wechselseitigen Bürgschaft gelten soll, bleibt letztlich unklar291. Richtig ist, dass das BGB mit der Gewährung eines allgemeinen Gesamtschuldregresses von einer „inneren Teilung“ der Gesamtschuld ausgeht. Bentele zieht daraus aber Folgen für das Außenverhältnis, indem er annimmt, dass ein Gesamtschuldner für die Anteile, die intern einem anderen Gesamtschuldner zugewiesen sind, nur akzessorisch haftet292, so dass sich Gesamtschulden im Ergebnis nicht mehr von Teilschulden mit wechselseitiger Verbürgung unterscheiden. Ein solches Akzessorietätsmodell hat aber weder der römisch-gemeinrechtlichen Gesamtschuld zugrunde gelegen, noch stand es dem BGB-Gesetzgeber vor Augen293, und zwar mit gutem Grund: Dem 289
So setzte die Vertragsgesamtschuld des klassischen römischen Rechts entgegen Bentele (128–130) nicht voraus, dass der Gläubiger nur auf ein gemeinsames Vermögen der Schuldner zugreifen konnte. Das von Bentele genannte consortium gehört zum altrömischen Recht. Die Schuldner mochten als Innengesellschafter Miteigentum gebildet haben, doch der Gläubiger war nicht gehindert, auf das Privatvermögen einzelner Schuldner zuzugreifen, vgl. oben, 242 ff. Daher war die klassische Vertragsgesamtschuld auch entgegen Bentele nicht regresslos, sondern verwies für den Ausgleich lediglich auf das vertragliche Innenverhältnis, vgl. oben, 263 ff. Insofern hat es den Gedanken, die geschuldete Leistung intern aufzuteilen, zumindest im Ansatz auch schon im klassischen Recht gegeben. – Zu den römischen Deliktsklagen heißt es (141–143), zunächst habe Kumulation gegolten, und ein Rückgriff sei nicht vorgesehen gewesen, wie Ulpian D.27,3,1,14 zeige. Dann habe sich die solidarische Haftung mit Solutionskonkurrenz und Rückgriff durchgesetzt. Doch die Rückgriffsfrage stellt sich bei kumulierten Verbindlichkeiten nicht; die Ulpianstelle bezieht sich offenbar auf Gesamtschulden. Bei diesen hat nicht immer Solutionskonkurrenz bestanden (vgl. oben, 508 ff.); vor allem war ein Rückgriff bei deliktischen Gesamtschulden bis zuletzt die Ausnahme, dazu das folgende Kapitel. – Ob mit Justinians Novelle 99 tatsächlich die orientalische wechselseitige Bürgschaft gemeint war (134), ist keinesfalls sicher, vgl. oben, 236 ff.; zur allelengye insbes. Wolff, FS Volterra III, 735 ff. – Die Behauptung, gemeinrechtliche Autoren hätten sich teilweise an die klassische römische Gesamtschuld angelehnt, teilweise an die orientalische Bürgschaft (137), wird nicht belegt und lässt sich wohl auch nicht belegen. 290 Was genau die „eigentliche Ganzhaftung“ bzw. „eigentliche Teilhaftung“ sein soll, wird nicht erläutert. Die Verbindung zwischen Einzelregelung und Modell bleibt daher unklar. Die Gesamtwirkung des Erlasses soll auf das Modell der eigentlichen Ganzhaftung zurückgehen (138, 150), obwohl nach einem solchen Modell doch auch ebenso denkbar wäre, dass ein Erlass die Mitschuldnerverbindlichkeiten gar nicht berühren darf. Schwer verständlich ist auch, warum die schuldnerbelastenden Sekundärwirkungen der französischen solidarité auf das Modell der Ganzhaftung zurückgehen sollen (138), nachdem das klassische römische Recht belastende Gesamtwirkungen doch gerade nicht gekannt hat. 291 Bei vertraglichen Gesamtschulden soll es sich daraus ergeben, dass die Schuldner kein Kollektivvermögen mehr innehaben (138). Doch ein solches hatten Gesamtschuldner historisch stets nur ausnahmsweise. Im Deliktsrecht verweist Bentele zu Recht darauf, dass die Haftung jedes Mitverursachers auf den vollen Schaden nicht zwingend ist (144–146). Die Teilhaftung ist allerdings ebenso wenig zwingend. In den von Bentele nicht erwähnten Fällen der unabhängigen Nebenbürgen oder der Doppelversicherung erscheint der Gedanke, dass jeder primär nur seinen Innenanteil schuldet und für den Rest zugunsten des Gläubigers eine Garantie übernimmt, von vornherein wenig plausibel. 292 Bentele, Gesamtschuld, 149, 151, 154, 157. 293 Beschränkte Gesamtwirkungen einzelner „Tatsachen“ wie Erlass, Verjährung oder Urteil wurden in den Beratungen zwar erwogen, aber stets abgelehnt: Jakobs/Schubert, SR I, 901, 937 f., 949 (Erlass), 898 f., 908 f., 929 (Urteil), 903, 915, 946 (Verjährung); Prot. 888 f., Mugdan II, 609 (Erlass).
6. Folgerungen für das heutige Recht
551
Gläubiger, der sich um das Innenverhältnis und die internen Anteile der Schuldner nicht kümmern will, wird mit der Gesamtschuld eine persönliche Kreditsicherheit geboten, die sich von der Bürgschaft gerade durch die fehlende Akzessorietät unterscheidet. Dies muss freilich nicht bedeuten, dass etwa die beschränkte Gesamtwirkung eines Einzelerlasses unzulässig wäre oder nicht im Einzelfall die bessere Lösung als die Einzelwirkung sein kann. Nur handelt es sich hier um Sachfragen, die nicht durch eine Deduktion aus einer vorgegebenen Begrifflichkeit gelöst werden können. Neben der Zweiteilung nach Vertrag und Delikt oder nach „eigentlicher“ Ganz- oder Teilhaftung stand Eiseles Zweiteilung, die auch nach Inkrafttreten des BGB Einfluss ausübte. Eisele ging nicht von einem Gegensatz zwischen Vertrag und Gesetz, sondern von dem zwischen Einheit und Mehrheit aus. Damit knüpfte er an das ursprüngliche Unterscheidungskriterium der Keller/Ribbentrop’schen Theorie an, das später von der herrschenden Lehre zugunsten des Gegensatzes zwischen Vertrag und Gesetz verdrängt worden war. Während es sich bei Ribbentrop und bis zuletzt auch bei Windscheid noch um den Gegensatz zwischen Einheit und Mehrheit der Obligation gehandelt hatte, stellten spätere Autoren wie Czyhlarz, Unger und Eisele, für die auch bei der Korrealschuld eine Obligationsmehrheit vorlag, auf die Einheit des Entstehungstatbestandes bzw. der causa ab. Einer solchen Einteilung der Gesamtschuldverhältnisse droht aber stets die Gefahr der Beliebigkeit, solange nicht geklärt wird, was genau unter einem Entstehungstatbestand oder einer causa zu verstehen sein soll und warum. Beruht etwa die vertraglich vereinbarte Gesamtschuld auf der einheitlichen causa des Vertrags oder auf der Mehrheit der Versprechen? Liegt bei Nebenbürgen Einheit vor, weil sie dieselbe Schuld sichern, oder Mehrheit, weil jeder sich eigenständig verpflichtet? Haften die Miteigentümer einheitlich für den durch das gemeinsame Tier angerichteten Schaden, oder haftet jeder aufgrund seines besonderen Miteigentumsanteils? Liegt bei Mittätern nur eine causa in Form der gemeinschaftlichen Tat oder liegen mehrere causae vor, weil jeder aufgrund seines eigenen Verschuldens haftet? Wenn die maßgeblichen Kriterien nicht offen liegen, kann eine Unterteilung nach Einheit oder Mehrheit der causae ebenso willkürlich wirken wie Windscheids Gedanke der „natürlichen Einheit der Schuld“ bei der Korrealobligation. Für Eisele handelte es sich bei der solidarischen Haftung von Mittätern, Vormündern, Hausbewohnern (im Rahmen der actio des effusis) und Miteigentümern bei der Noxalhaftung um eine gemeinsame causa und damit um echte Gesamtschulden. Demgegenüber sollten bei Nebentätern, beim Schuldbeitritt, bei „gestuften“ Schadensersatzverbindlichkeiten sowie bei der Doppelversicherung mehrere causae vorliegen. Bei diesen unechten Gesamtschulden brachte die Leistung eines Schuldners die Verbindlichkeit des anderen nur zufällig zum Erlöschen, indem diese gegenstandslos wurde. Eisele ging es hauptsächlich um eine Erklärung der römischen Klagenkonkurrenz und um eine befriedigende Systematisierung des Gemeinen Rechts. Doch gleichsam am Rande äußerte er die Meinung, dass die von ihm dargestellte Unterscheidung auch dem Recht des gerade
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I. Die solidarische Schadensersatzhaftung im Verhältnis zur Vertragsgesamtschuld
entstehenden BGB zugrunde liege, das in den (heutigen) §§ 421 ff. nur die echten Gesamtschulden regle294. Dieser Schluss war aus gleich zwei Gründen höchst problematisch. Eisele entwickelte seinen causa-Begriff aus dem Phänomen der römischen Klagenkonkurrenz. Die einheitliche causa sollte im klassischen Recht zur eadem res und damit zur Prozesskonsumption geführt haben. Dies ist, wie dargestellt, historisch nicht sicher: Nach heutiger Ansicht kannte das römische Recht nicht nur bei vertraglichen, sondern auch bei gesetzlichen Gesamtschulden sowohl Fälle der Klagenkonkurrenz als auch Fälle der Solutionskonkurrenz, ohne dass dieser Unterschied gerade am Bestehen oder Nichtbestehen einer einheitlichen causa festgemacht werden könnte. Doch auch wenn das römische Recht zur Regelung der Klagenkonkurrenz an der causa angeknüpft hätte, könnten daraus keine Schlüsse für das Recht des BGB gezogen werden295. Die Auslegung der §§ 421 ff. kann sich nicht an Phänomenen des römischen Prozessrechts orientieren. Es fehlt an jedem sachlichen Zusammenhang. Auch der Gesetzgeber selbst wollte die auf der Prozesskonsumption beruhende Zweiteilung des Gemeinen Rechts gerade überwinden. Die Anknüpfung an die gemeinsame causa hatte bei Eisele aber nicht nur historische, sondern auch sachliche Gründe. Die im Gemeinen Recht überlieferten belastenden Gesamtwirkungen der Korrealobligation konnten bei gesetzlichen Gesamtschuldverhältnissen eher gerechtfertigt werden, wenn sie auf einem gemeinsamen Entstehungstatbestand beruhten. Einen entscheidenden Einfluss hat offenbar die Tatsache ausgeübt, dass Eisele bei Korrealobligationen von einer gegenseitigen Verschuldenszurechnung ausging. Diese konnte Mittätern zugemutet werden, die sich immerhin freiwillig zusammengetan hatten. Auch zwischen gemeinsam verwaltenden Vormündern oder Miteigentümern eines Schaden stiftenden Tieres konnte man ein Innenverhältnis annehmen, das eine Verschuldenszurechnung oder eine Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung rechtfertigen mochte, vielleicht auch zwischen den Bewohnern eines Hauses, aus dem etwas geworfen wurde. Die Einbeziehung der Nebentäter, des Schuldbeitritts, der abgestuften Schadensersatzpflichten oder der Doppelversicherung in die „echten“ Gesamtschulden hätte demgegenüber bedeutet, einem Schuldner die Haftung für einen anderen zuzumuten, den er sich nicht ausgesucht hat und mit dem ihn keinerlei Innenverhältnis verbindet. Es war daher folgerichtig, dass Eisele entgegen anderen Stimmen in der Literatur die Einbeziehung des Schuldbeitritts in die Korrealobligation ausdrücklich ablehnte und bei Nebenbürgen zwar von eadem res, nicht aber von eadem causa sprach. Historisch ist die Gesamtwirkung des Verschuldens im römischen Recht keineswegs sicher, sondern hängt von der ungeklärten Bedeutung des Fragments Pomponius D.45,2,18 ab. Darauf kommt es im vorliegenden Zusammenhang 294
Eisele, AcP 77 (1891), 481. So auch Wernecke, Gesamtschuld, 32. (Dass, wie dort behauptet, von Kübel Anhänger der Keller/Ribbentrop’schen Lehre gewesen sei, trifft allerdings nicht zu.) 295
6. Folgerungen für das heutige Recht
553
freilich nicht an. Entscheidend ist, dass das BGB keine schuldnerbelastenden Gesamtwirkungen im Außenverhältnis kennt; Verschulden und Verjährungsunterbrechung haben nach § 425 Einzelwirkung. Damit bricht aber sachlich das Fundament zusammen, auf dem man Fälle getrennter Entstehungstatbestände vom Gesamtschuldbegriff ausschließt. Ein solcher Ausschluss lag dem BGB auch fern: § 769 schließt ausdrücklich die Nebenbürgen mit ein, und §§ 830, 840 beschränken das Gesamtschuldverhältnis nicht auf Mittäter, die sich bewusst zusammengetan haben. Es ist daher kein Zufall, dass im ersten Jahrzehnt nach Inkrafttreten des BGB die Gesamtschuld im Falle des Schuldbeitritts von Rechtsprechung und Lehre296, im Falle der Doppelversicherung vom Gesetzgeber297 anerkannt wurde. Die Übertragung der Gedankengänge Eiseles auf das Recht des BGB war also aus doppeltem Grund verfehlt. Dennoch haben sie insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts großen Einfluss auf die deutsche Rechtsentwicklung ausgeübt, als man neben der im BGB geregelten Gesamtschuld eine „unechte“ Gesamtschuld entdeckte und als Abgrenzungskriterium zeitweise mit dem Begriff des einheitlichen Schuldgrundes arbeitete298. Direkt auf Eisele und damit indirekt auf das gemeinrechtliche Gedankengut des 19. Jahrhunderts geht auch die noch in den 1960er Jahren zu findende These zurück, dass bei Gesamtschulden i.S.d. §§ 421 ff. eine echte Mittilgung stattfinde, während es daneben eine andere Form der Schuldnermehrheit gebe, bei der die Leistung eines Schuldners die Verbindlichkeit des anderen lediglich gegenstandslos mache299. Im vorliegenden Zusammenhang geht es zunächst einmal nur um die Frage, ob die Entscheidung des BGB-Gesetzgebers für eine Einheits-Gesamtschuld, insbesondere für die gemeinsame Regelung vertraglicher und deliktischer Gesamtschuldverhältnisse, sachlich gerechtfertigt werden kann und ob die Gesamtschuldregeln des BGB in der Lage sind, auch Fälle unabhängiger Verpflichtungen, bei denen die Schuldner nichts voneinander wissen müssen, angemessen zu lösen. Nachdem Argumente über das Wesen bestimmter Gesamtschuldgruppen sich als unbrauchbar erwiesen haben, bleibt als einziger Entscheidungsmaßstab nach dem oben Gesagten die konkrete gesetzliche Ausgestaltung des Gesamtschuldverhältnisses. Im Außenverhältnis kennt das BGB keine schuldnerbelastenden Gesamtwirkungen, die einer Einbeziehung von gesetzlichen Gesamtschuldverhältnissen im Wege stehen könnten. Sieht man von der selbstverständlichen Gesamtwirkung der Erfüllung und ihrer Surrogate ab, gibt es mit § 423 und § 424 nur zwei Gesamtwirkungen, die beide schuldnerfreundlich sind300. Die Regelungen des BGB zum Außenverhältnis bei Gesamtschulden sind also so
296 297 298 299 300
897 ff.
RGZ 64, 318 (23.11.1906); RGZ 70, 405 (17.3.1909); Reichel, Schuldmitübernahme (1906). § 59 VVG (v. 30.5.1908), § 787 HGB. Hierzu unten, 830 ff. Frotz, JZ 1964, 667 f.; Esser, Schuldrecht AT, § 58 I (S. 433), § 59 IV (S. 447); vgl. oben, 248 ff. Näheres zur Rolle der §§ 423 und 424 beim Streit um den Gesamtschuldtatbestand unten,
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I. Die solidarische Schadensersatzhaftung im Verhältnis zur Vertragsgesamtschuld
„neutral“, dass sie ohne weiteres bei allen Arten von gesetzlichen Gesamtschuldverhältnissen angewendet werden können, auch wenn die Schuldner durch keinerlei Innenverhältnis miteinander verbunden sind. Anpassungsbedarf besteht nicht bei den gesetzlichen, sondern bei den vertraglichen Gesamtschulden, weil die in § 425 vorgesehene Einzelwirkung von „Tatsachen“ häufig nicht den Absichten der Parteien entspricht. Abhilfe kann in bestimmtem Umfang durch Parteiabreden (oder die Annahme entsprechender Parteiabreden) oder durch rechtsschöpferische Institute wie die Außengesellschaft des bürgerlichen Rechts geschaffen werden. Insofern kann man darüber streiten, ob eine Einheitsgesamtschuld oder die getrennte Regelung von gesetzlichen und vertraglichen Gesamtschulden (oder zumindest die Bereitstellung von Sonderregeln für Vertragsgesamtschulden) sinnvoller ist. Die Lösung des BGB, einheitliche Regeln für das Außenverhältnis vorzusehen, ist aber zumindest ein zulässiger Weg. Die Gesamtschuldvorschriften erschöpfen sich allerdings nicht in der Regelung des Verhältnisses zum Gläubiger, sondern regeln auch den Regress und seine nähere Ausgestaltung. Hiervon wird im Folgenden die Rede sein.
Zusammenfassung Auf Rechtsgutsverletzungen reagierte das römische Recht häufig mit Strafklagen, so dass in den praktisch wichtigen Fällen des Diebstahls und der Sachbeschädigung mehrere Täter die Buße kumulativ schuldeten. Daneben kannte das römische Recht aber auch Klagen, die in erster Linie einen Vermögensschaden ausgleichen sollten und bei denen mehrere Täter solidarisch oder anteilig schuldeten. Erst im Gemeinen Recht setzte sich der Grundsatz durch, dass der Gläubiger insgesamt nicht mehr als den Ersatz seines erlittenen Schadens verlangen konnte, den mehrere Täter dann solidarisch schuldeten. Damit entstand die Frage, ob diese Schadensersatz-Gesamtschulden den vertraglichen Gesamtschuldverhältnissen gleichzustellen waren. Das römische Recht hatte keinen allgemeinen Gesamtschuldbegriff gekannt, sondern nur verschiedene, sich teilweise überschneidende Gruppen solidarischer Haftung. Die Korrealobligation des Gemeinen Rechts vor dem 19. Jahrhundert umfasste manchmal nur rechtsgeschäftliche Gesamtschulden, manchmal auch die deliktischen Mittäter. Nachdem man im Zuge der Keller/Ribbentrop’schen Wende zwischen Korrealobligationen und Solidarobligationen unterschied, zählte man die Verbindlichkeiten der gesamtschuldnerisch haftenden Deliktsschuldner zu den Solidarobligationen. Grundlage der Unterscheidung war die Klagenkonkurrenz des klassischen römischen Rechts, die Kennzeichen der Korrealobligation sein sollte und nach den (teilweise justinianisch veränderten) Quellen für gesetzliche Gesamtschulden grundsätzlich nicht überliefert war. Der Sache nach ermöglichte aber die Unterscheidung, die gemeinrechtlichen Gesamtwirkungen der Korrealobligation, insbesondere die des Verschuldens und der Verjährungsunterbrechung, auf rechtsgeschäftliche Gesamtschulden zu begrenzen.
Zusammenfassung
555
Die genaue Abgrenzung zwischen beiden Gruppen war ebenso umstritten wie die sachliche Erklärung für die Zweiteilung. Die wohl herrschende Lehre stellte darauf ab, ob die Gesamtschulden durch Parteiwillen oder Gesetz entstanden. Häufig findet sich die Vorstellung, dass die Solidarhaftung im ersten Fall künstlich durch den Parteiwillen geschaffen werde und daher eine besondere juristische Konstruktion erfordere, während sich die Ganzhaftung und der Ausschluss der Kumulation bei einer Mehrheit von Schadensersatz-Schuldnern von selbst ergäben. Solidarobligationen waren danach unabhängige Verbindlichkeiten, die lediglich durch die Gesamtwirkung der Erfüllung und ihrer Surrogate verbunden waren. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts führte Eisele die Klagenkonkurrenz auf einen einheitlichen Streitgegenstand in Form eines gemeinsamen Rechtsgrunds zurück und unterschied aufgrund zahlreicher Interpolationsannahmen zwischen echten Gesamtschuldverhältnissen, zu denen auch die Verbindlichkeiten deliktischer Mittäter gehörten, und unechten Gesamtschulden mit verschiedenen Rechtsgründen, zu denen die Haftung mehrerer Nebentäter für einen einheitlichen Schaden gehörte. Die Verfasser der Kodifikationen und Entwürfe entschieden sich, zum Teil in bewusstem Gegensatz zur vermeintlich römischen Zweiteilung, für eine Einheits-Gesamtschuld, die gleichermaßen vertragliche und gesetzliche Gesamtschulden umfassen sollte. Hierzu gehörte auch der Code Civil. Weil aber seine solidarité durch zahlreiche Gesamtwirkungen geprägt ist, die bei gesetzlichen Gesamtschulden nicht passen, und weil er keine ausdrückliche Gesamtschuldanordnung für deliktische Mittäter enthält, entwickelten Lehre und Rechtsprechung eine zweite Art von Gesamtschuld praeter legem, die ebenso wie die gemeinrechtliche Solidarobligation in erster Linie für konkurrierende Schadensersatzverbindlichkeiten gedacht ist und außer der Erfüllung keine weiteren Gesamtwirkungen kennt. Die konstruktiven Erwägungen, mit denen die jeweilige Zweiteilung gerechtfertigt wird, können aus heutiger Sicht nicht überzeugen. Mehrere Verursacher eines Schadens schulden den Ersatz weder an sich anteilig noch an sich solidarisch; vielmehr entscheidet das Recht über die Höhe der Haftung, ebenso wie bei rechtsgeschäftlichen Schuldnermehrheiten der Parteiwille den Umfang der Verbindlichkeiten bestimmt. Ein Unterschied im Wesen der Gesamtschuldverhältnisse lässt sich abgesehen vom einmal rechtsgeschäftlichen, einmal gesetzlichen Entstehungstatbestand nicht ausmachen. Ob eine Rechtsordnung ihre Regeln zur Vertragsgesamtschuld auch auf gesetzliche Gesamtschuldverhältnisse anwendet, hängt sachlich von der Ausgestaltung dieser Regeln ab. Dem Gesetzgeber steht es frei, notwendige Differenzierungen im Rahmen unterschiedlicher Gesamtschuldgruppen zu treffen oder auch eine Einheits-Gesamtschuld zu schaffen, deren Regeln so neutral gestaltet sind, dass sie auf alle Arten passen. Hierfür hat sich das BGB entschieden.
II. Der Innenausgleich Die Frage des internen Ausgleichs unter Gesamtschuldnern stellt sich bei einer Mehrheit von Schadensersatzverbindlichkeiten anders als bei vertraglichen Solidarschuldnern. Demjenigen ein Regressrecht zu gewähren, der einen Schaden verursacht hat, vielleicht schuldhaft oder sogar vorsätzlich, ist nie selbstverständlich gewesen und wurde häufig abgelehnt oder Einschränkungen unterworfen. Sofern aber ein Ausgleich stattfinden soll, kann hierfür in den meisten Fällen nicht auf ein vertragliches Innenverhältnis zurückgegriffen werden, weil es an einer besonderen Innenbeziehung unter den Gesamtschuldnern fehlt. Der Regress muss, soll er überhaupt stattfinden, vom Recht besonders angeordnet werden. Ist ein gesetzlicher Regress vorgesehen, stellt sich die Frage nach seiner näheren Ausgestaltung. Der Ausgleichsanspruch kann von einer teilweisen oder vollständigen Leistung an den Gläubiger abhängig gemacht oder aber dem intern nicht allein verpflichteten Gesamtschuldner schon vor der Befriedigung des Gläubigers in Gestalt eines Mitwirkungs- oder Befreiungsanspruchs eingeräumt werden. Weiterhin kann der Regress davon abhängig gemacht werden, dass der Regressverpflichtete, hätte der Regressberechtigte nicht geleistet, noch dem Anspruch des Gläubigers ausgesetzt wäre. Eine solche Gestaltung liegt insbesondere dann vor, wenn der Rückgriff als reiner Zessionsregress ausgestaltet ist. Die Alternative hierzu ist ein unabhängiger Rückgriffsanspruch, der auch gegen einen Gesamtschuldner geltend gemacht werden kann, der inzwischen wegen Verjährung, rechtskräftigen Urteils oder Erlasses gegenüber dem Gläubiger frei ist. Bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden entscheidet das Innenverhältnis nicht nur über das Regressrecht selbst und über seine Höhe, sondern auch über seine Modalitäten, etwa darüber ob und wann ein Befreiungsanspruch besteht1. Der auf das rechtsgeschäftliche Innenverhältnis gestützte Rückgriffsanspruch ist zudem in der Regel unabhängig vom Bestehen der Gläubigerforderung. Bei gesetzlichen Gesamtschulden mit einem auf Gesetz beruhenden Regressrecht sind dagegen, wie die historische und vergleichende Erfahrung zeigt, verschiedene Lösungen denkbar. Neben dem Rückgriffsanspruch des an den Gläubiger leistenden Schuldners gibt es noch eine zweite Möglichkeit des Ausgleichs unter den Schuldnern: die Aufteilung im Außenverhältnis in Form einer Teilungseinrede. Regress und Teilungseinrede sind funktional verwandt; sie dienen dem Ausgleich unter den sol-
1
Oben, 322 ff.
1. Die Einrede der Teilung
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venten Schuldnern, welche die Anteile der insolventen mit übernehmen müssen. Sie unterscheiden sich dadurch, dass im einen Fall die Aufteilung schon im Verhältnis zum Gläubiger erfolgt, was für diesen ungünstig ist, auch wenn er nicht das Insolvenzrisiko der Gesamtschuldner tragen muss, während im anderen Fall ein Innenausgleich stattfindet, der den Gläubiger nicht berührt. Bei der Frage nach dem Ausgleich unter Schadensersatz-Gesamtschuldnern in historischer Sicht ist daher zunächst der Frage nachzugehen, ob und wann diese von einem beneficium divisionis profitieren konnten.
1. Die Einrede der Teilung Bei den römischen Deliktsklagen gab es, wie berichtet, zwei Spezialfälle, in denen die geschuldete Leistung unter den solventen Schuldnern aufgeteilt wurde: aufgrund kaiserlicher Verordnung bei der Klage gegen Publikanen wegen unrechtmäßiger Steuereintreibung sowie beim Delikt des Beiseiteschaffens von Fiskalvermögen2. Ansonsten wird eine Aufteilung unter deliktischen Solidarschuldnern in den Quellen nicht erwähnt. Anders verhielt es sich aber bei den Mitvormündern. Wie berichtetet, hafteten diese solidarisch, wenn sie zur gemeinschaftlichen Vermögensverwaltung berufen waren3. Mehrere Quellen gewähren ihnen aber eine Einrede der Teilung, sei es, dass sie tatsächlich alle verwalteten, sei es, dass sie alle untätig geblieben waren4. Andere Quellen betonen demgegenüber die Gesamthaftung jedes Mitvormunds und schließen damit eine Teilungseinrede offensichtlich aus5. Hieraus ist geschlossen worden, dass die Teilungseinrede unter Mitvormündern erst im justinianischen Recht eingeführt wurde, die entsprechenden Stellen also interpoliert sind6. Statt dessen kann es sich aber auch, wie etwa Liebs annimmt, schon um einen Meinungsstreit im klassischen Recht gehandelt haben7. Eine ähnliche Teilungseinrede wie unter Mitvormündern findet sich auch bei einer Mehrheit von Magistraten, welche die Vormünder eingesetzt hatten und bei deren Zahlungsunfähigkeit subsidiär hafteten8. In all diesen Fällen handelt es sich offenbar um besondere Privilegien für bestimmte Gruppen von gesetzlichen Solidarschuldnern. Eine grundsätzliche Tei2 Modestin D.39,4,6; Hermogenian D.49,14,46,9; dazu Levy, Konkurrenz I, 492 f.; Liebs, Klagenkonkurrenz, 180 f., 189 ff.; oben, 503. 3 Oben, 506 ff. 4 Zu den Gerenten Modestin D.26,7,31; Ulpian D.27,3,1,10–12; Papinian D.27,7,6; zu den Zessanten Papinian D.26,7,28 pr.-1; ferner Papinian D.11,2,2 i.V.m. Gordian C.5,51,5. Beim Zusammentreffen von Gerenten und Zessanten galt nicht Teilung, sondern Subsidiarität, dazu sogleich unten. 5 Tryphonin D.26,7,55 pr.; Diocletian C.5,51,6; Carinus C.5,52,2. 6 Eisele, AcP 77 (1891), 457 f., Fn. 75; Binder, Korrealobligationen, 284 f., 294 ff.; Seiler, Negotiorum gestio, 177, 189, 196. 7 Liebs, Klagenkonkurrenz, 64, 187 f. Auch Schmieder, Duo rei, 268 ff., geht davon aus, dass die Teilungseinrede der Tutoren schon im klassischen Recht bekannt war. 8 Celsus D.27,8,7; Paulus D.26,7,45; Gordian C.5,75,3.
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II. Der Innenausgleich
lungseinrede kannte das römische Recht selbst bei strikt Haftenden (wie den Miteigentümern bei der Noxalhaftung oder den Hausbewohnern bei der actio de effusis vel deiectis) nicht, erst recht nicht bei der Solidarhaftung wegen Verschuldens. Auch die von Justinian in der Novelle 99 eingeführte Teilungseinrede bezieht sich nur auf vertragliche Schuldnermehrheiten (welcher Art auch immer)9. Sofern die Teilungseinrede in bestimmten Fallgruppen grundsätzlich zur Verfügung stand, konnte sie zudem ausgeschlossen sein, wenn den Schuldnern arglistiges Handeln vorzuwerfen war10. Bei einer Mehrheit von Vormündern kannte das römische Recht in bestimmten Fällen auch eine Subsidiärhaftung. So konnte gegen einen von Anfang an untätigen Mitvormund (Zessanten) nur geklagt werden, wenn die verwaltenden Mitvormünder insolvent waren11. Möglicherweise galt das Prinzip, dass der verwaltende Vormund zuerst in Anspruch genommen werden muss, auch in anderen Konstellationen12. Bei der Beamtenhaftung gab es offenbar eine Kette von abgestuften Subsidiärhaftungen, bei der primär der verwaltende Beamte, danach dessen Bürgen, Erben und Ernenner und zuletzt der Mitbeamte hafteten13. Die Anordnung einer nur subsidiären Haftung, funktional eine Einrede der Vorausklage, entspricht der Teilungseinrede für den Fall, dass bei mehreren Schuldnern intern einer 100%, der andere 0% tragen soll: Der intern Freigestellte kann dann vom Gläubiger verlangen, die Aufteilung unter den solventen Schuldnern schon im Außenverhältnis herbeizuführen. Eine restriktive Haltung gegenüber der Teilungseinrede bei deliktischen oder Schadensersatz-Gesamtschuldnern findet sich auch im Gemeinen Recht. Nur bei Mitvormündern war, wegen seiner Erwähnung in den Quellen, das beneficium divisionis allgemein anerkannt14. Ansonsten kam es bei gesetzlichen Gesamt-
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Hierzu oben, 236 ff. So ausdrücklich Celsus D.27,8,7 bei der Magistratshaftung. 11 Papinian D.26,7,39,11; Tryphonin D.26,7,55,2; Antoninus C.5,54,2; Alexander C.5,55,1–2; Gordian C.5,64,1; für Kuratoren Alexander C.5,37,8. 12 Vgl. Ulpian D.27,3,1,15; Papinian D.46,6,12, D.50,8,4; Diocletian C.5,51,6,1, C.5,52,3. Möglicherweise galt im nachklassischen Recht, dass bei gemeinsamer Verwaltung derjenige Vormund primär haftete, der das konkrete Geschäft geführt hatte, bei dem es zu einer Pflichtverletzung gekommen war; in Frage kommt auch, dass bei angeordneter getrennter Verwaltung, bei der jeder Vormund nur für seinen Bereich haftete, eine subsidiäre Haftung des Mittutors eingeführt wurde, wenn diesem ein Überwachungsverschulden vorzuwerfen war; hierzu oben, 507. 13 Vgl. Papinian D.50,1,11 pr.-1, D.50,1,13, D.50,8,4; Antoninus C.11,36,1; Gordian C.11,36,2; Diocletian C.11,36,4. 14 Grotius, Inleiding III, 26, § 9; Voet, Commentarius, zu D.27,8, § 6; Domat, Loix civiles, § 1339; Glück, Pandecten, Bd. IV, 526 Fn. 86, Bd. XXX, 362 ff.; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 176; Burchardi, Obligationenrecht, § 247 bei Fn. 35; Göschen, Obligationenrecht, § 374 Nr. 5; Mühlenbruch, Pandekten, § 492; Vangerow, Pandekten, § 573 Anm. 4; Windscheid, Pandekten, § 298 bei Fn. 10, § 443 bei Fn. 15; Müller, Institutionen, § 97 Fn. 15; Brinz, Pandekten, § 236 Nr. 5; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 383; Arndts, Pandekten, § 215 bei Fn. d; Wächter, Pandekten, § 178 III 2 d; Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 47; aus der Rechtsprechung OAG Celle, SeuffA 5 Nr. 297 (7.9.1837); anders aber für das französische Recht Pothier, Obligations, § 267. 10
1. Die Einrede der Teilung
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schulden auf die Auslegung von Justinians Novelle 99 an, die, wie dargestellt, sehr umstritten war. Häufig bezog man ihren Tatbestand auf vertragliche Gesamtschulden15 oder eine andere besonderen Art der vertraglichen Schuldnermehrheit16. Vereinzelt wurde eine analoge Anwendung auf eine Mehrheit von Schädigern erwogen, aber überwiegend abgelehnt17. Wer im 19. Jahrhundert den Tatbestand der Novelle auf Korrealobligationen im Sinne der Keller/Ribbentrop’schen Lehre bezog, konnte vielleicht die Noxalhaftung dazuzählen18. Eine verbreitete Meinung wollte die Teilungseinrede der Novelle 99 demgegenüber allen Gesamtschuldnern, also auch den gesetzlichen, gewähren, machte aber eine Ausnahme für Gesamtschulden aus Delikten19. Allein Windscheid wollte sich damit nicht zufriedengeben. Zwar war auch er der Ansicht, dass die Novelle 99 sich nicht auf deliktische Gesamtschuldner bezog. Doch aus der Teilungseinrede bei den Mitvormündern, Magistraten und Publikanen folgerte er, dass es ein allgemeines Prinzip gebe, wonach mehreren Solidarschuldnern (im engen Sinne der Keller/Ribbentrop’schen Theorie), die wegen eines gleichen Verschuldens auf Schadensersatz hafteten, stets die Einrede der Teilung zustehe20. Erst recht müsse dies gelten, wenn mehrere als Solidarschuld-
15 Anerkannt war auch, dass bestimmte nicht verwaltende Vormünder subsidiär hafteten; die Einzelheiten waren allerdings umstritten, vgl. etwa Voet, Commentarius, zu D.27,8, § 6; Domat, Loix civiles, § 1339; Glück, Pandecten XXX, 387; Fritz, ZCRPr nF 22 (1865), 484 ff.; Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 37; Windscheid, Pandekten, § 443 bei Fn. 6 und 10. 15 Göschen, Obligationenrecht, § 374 Nr. 5; Girtanner, Bürgschaft, 130 ff.; Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 55 ff.; Wächter, Pandekten, § 178 III 2 d. 16 Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,39, Kap. 13; Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 4; Pothier, Obligations, § 270; Bucher, Forderungen, §§ 117, 124; Braun, Erörterungen I, § 227 (S. 245); Burchardi, AcP 19 (1836), 49; Brackenhoeft, Identität, 153 Fn. 31; Koch, Forderungen II, 36 f.; Savigny, Obligationenrecht I, 282 ff.; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap III/1, Nr. 3 (S. 94 ff.); Dedekind, AcP 40 (1857), 264 und 380; Vangerow, Pandekten, § 573 Anm. 4; von Helmolt, Correal-Obligationen, 110 ff.; Windscheid, Pandekten, § 293 Fn. 10; Müller, Institutionen, § 97 Fn. 15; Hölder, AcP 69 (1886), 238 ff.; im Ergebnis ebenso von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 438; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 383; Dernburg, Pandekten II, § 73 Nr. 1 (vgl. unten Fn. 18). 17 Zum usus modernus Kaufmann, Rezeption, 92 f.; Kruse, Kausalität, 87 f., 109 m.w.N. 18 Ribbentrop, Correal-Obligationen, 116; Brinz, Pandekten, § 236 Nr. 5, § 253 zu Fn. 77; Wendt, Pandekten, § 208 Nr. 2 (der Mittäter ausdrücklich von der Teilungseinrede ausschließt, § 275). Demgegenüber bezogen von Schröter, Baron und Dernburg (Fn. 16) die Novelle ebenfalls auf alle Korrealobligationen, verstanden darunter aber nur vertragliche Gesamtschulden. 19 Domat, Loix civiles, § 1831 mit Fn. f; Höpfner, Commentar, § 818; Glück, Pandecten IV, 526 f.; Appelius, AcP 16 (1833), 295 f.; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 176 I; Thibaut, Pandekten, § 227 (1834: § 138); Seuffert, Pandekten, § 228 bei Fn. 16; Puchta, Pandekten, § 235; Mühlenbruch, Pandekten, § 492; Arndts, Pandekten, § 215; Sintenis, Civilrecht, § 89 bei Fn. 50 a; Binder, Korrealobligationen, 308 f.; s.a. Braun, Erörterungen I, § 227 (S. 245). 20 Pandekten, § 298, bei Fn. 10. Zusätzlich berief Windscheid sich noch auf Marcellus D.16,3,22. Danach sollen zwei Erben eines Verwahrers, welche die zu verwahrenden Goldstücke unter sich aufgeteilt haben, dann in Höhe ihrer Anteile haften, wenn beide zahlungsfähig sind. Die Bedeutung dieser Stelle ist nicht unmittelbar klar. Um die geteilte Erbenhaftung geht es offenbar nicht, da sonst der Hinweis auf die Zahlungsfähigkeit überflüssig wäre; offenbar liegt eine Art Teilungseinrede vor. Diese wird aber im folgenden Teil der Stelle den Erben nicht gewährt, wenn sie eine be-
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II. Der Innenausgleich
ner für fremdes Verschulden haften21. Aus den Quellen zur subsidiären Haftung bestimmter Mitvormünder (insbesondere der Zessanten) und Mitbeamten folgerte Windscheid das allgemeine Prinzip, dass derjenige, der wegen Verschuldens zusammen mit einem anderen auf Schadensersatz haftet, eine Einrede der Vorausklage habe, wenn der andere an der Entstehung des Schadens in erster Linie schuld sei22. In der Literatur stand Windscheid damit nahezu allein23. Wie großzügig die Rechtsprechung mit einer Teilungseinrede für Schadensersatz-Gesamtschuldner umging, ist schwer einzuschätzen. Die ältere Praxis gewährte die Teilungseinrede offenbar bei allen Arten von Gesamtschulden mit Ausnahme der deliktischen24. Aus dem 19. Jahrhundert finden sich Urteile, wonach die Teilungseinrede der Novelle 99 nur vertraglichen Gesamtschuldnern zustehen25 oder auf Gesamtschulden überhaupt nicht anwendbar sein26 soll, womit offenbar jegliche Teilungseinrede bei gesetzlichen Gesamtschulden abgelehnt werden sollte. Nach der Rechtsprechung des Oberappellationsgerichts Darmstadt sollte die Einrede demgegenüber auf alle Gesamtschuldner anwendbar sein und hiervon eine Ausnahme nur dann gemacht werden, wenn den Schuldnern Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen war27. Der Erste Senat des Reichsgerichts folgte in einer Entscheidung zum Seeversicherungsrecht obiter Windscheids These, dass die Teilungseinrede demjenigen zustehe, der mit einem anderen für fremdes Verschulden haftet28, während der Dritte Senat eine Teilungseinrede für den Fall des
21 stimmte hinterlegte Sache verarbeitet oder sich sonst angeeignet haben; hier haften sie sogleich aufs Ganze. Dieser Teil geht konform mit der allgemeinen Regel, dass die Miterben eines Verwahrers bei eigenem Verschulden wie mehrere ursprüngliche Verwahrer haften, nämlich solidarisch; siehe Ulpian D.16,3,1,43; Paulus D.16,3,9; und oben, 117 ff. Der erste Teil könnte demgegenüber davon ausgehen, dass durch die Aufteilung der Goldstücke keine Unmöglichkeit der Herausgabe stattgefunden hat und die Erben wie zwei Verwahrer einer teilbaren Menge von Sachen behandelt werden. Warum dann aber eine Gesamtschuld mit Teilungseinrede und nicht Teilschulden entstehen, ist unklar. Für Windscheids These spricht die Sonderbehandlung der Erben im ersten Teil der Stelle jedenfalls nicht. 21 Pandekten, § 298 bei Fn. 11. Die Quellenstelle, die Windscheid hierfür nennt (Ulpian D.9,3,5 pr.), ist allerdings nicht einschlägig, sondern betrifft eine Einzelschuld. 22 Pandekten, § 298 bei Fn. 9. 23 Zustimmung aber bei Römer, ZHR 18 (1873), 23. Römer war nicht nur Professor, sondern auch Richter am ROHG. 24 So berichten Glück, Pandecten IV, 527; Appelius, AcP 16 (1833), 295 f.; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap III/1, Nr. 3 (S. 94); Dedekind, AcP 40 (1857), 381, 397 ff., 422; Arndts, Pandekten, Anm. nach § 215. 25 OAG Lübeck, SeuffA 8 Nr. 134 (8.11.1838), SeuffA 25 Nr. 25 III (12.3.1870); OAG Wolfenbüttel, SeuffA 23 Nr. 28 (1847). 26 OAG München, SeuffA 12 Nr. 13 (15.9.1857); ObG Wolfenbüttel, SeuffA 25 Nr. 223 (23.6.1855). 27 OAG Darmstadt, SeuffA 12 Nr. 336 (10.10.1840), SeuffA 13 Nr. 95 (21.1.1859). In den Entscheidungen OAG Wolfenbüttel, SeuffA 9 Nr. 140 (5.2.1833), und OAG Jena, SeuffA 13 Nr. 134 (26.4.1852), wird die Teilungseinrede ebenfalls auf alle Gesamtschuldner angewandt, ohne allerdings zu erklären, ob und inwieweit Ausnahmen für Delikts-Gesamtschulder gelten sollen. 28 RGZ 33, 67, 75 (23.9.1893).
2. Der Regress unter gesetzlichen Gesamtschuldnern nach römischem Recht
561
gemeinsamen Verschuldens ablehnte und sich hierbei ausdrücklich gegen Windscheids Ansicht aussprach29. Soweit danach die Teilungseinrede bei deliktischen Gesamtschuldnern überhaupt gewährt wurde, hatte dies mit Einführung der Kodifikationen ein Ende. Allein das Züricher Gesetzbuch nahm eine Ausnahmestellung ein. Während für Mittäter und Gehilfen bei strafbaren oder vorsätzlichen Delikten sowie für sonstige Mitverursacher bei grobem Verschulden Gesamtschulden ohne Teilungseinrede bestehen sollten, hafteten sonstige Mitverursacher bei leichtem Verschulden zunächst nur anteilig (im Zweifel kopfteilig) und für den Rest subsidiär30. Alle anderen Kodifikationen und Regelwerke schafften dagegen die Teilungseinrede für deliktische Gesamtschuldner ab31. Auch bei Mitvormündern wurde sie zumeist nicht aufgenommen32. Im Einklang damit kennt das BGB weder bei deliktischen Gesamtschulden noch bei Mitvormündern33 eine Einrede der Teilung oder der Vorausklage.
2. Der Regress unter gesetzlichen Gesamtschuldnern nach römischem Recht Die Zurückhaltung, die das römische und Gemeine Recht bei deliktischen oder Schadensersatz-Gesamtschuldnern gegenüber der Teilungseinrede zeigen, findet sich auch im Hinblick auf den Regress. Aus dem römischen Recht ist ein Regress unter Gesamtschuldnern auf Schadensersatz nur in vier Fallgruppen überliefert. a) Verhältnismäßig viele Quellen beschäftigen sich mit dem – hier schon mehrfach angesprochenen34 – Regress unter Mitvormündern. Allerdings darf man sich die Lage im klassischen Recht nicht so vorstellen wie den heutigen Gesamtschuldregress unter mehreren Schadensersatzschuldnern. Ausgangspunkt ist, dass mehrere Mitvormünder im Fall der ungeteilten Verwaltung hinsichtlich der actio tutelae des Mündels solidarisch hafteten, ganz unabhängig davon, ob sie die Verwaltung unter sich aufgeteilt hatten und durch wen und hinsichtlich welchen Geschäfts eine Pflichtverletzung begangen worden war35. Eine Subsidiärhaftung 29
RG SeuffA 50 Nr. 249 (26.2.1895). ZürGB §§ 1828, 1850. Zur Gesamtschuld ohne Teilungseinrede (im ZürGB „Solidarschuld“) vgl. § 935 lit. a, zur Subsidiär-Gesamtschuld (im ZürGB „Gesammtschuld“ oder „eigentliche Theilschulden“) § 948. 31 Oben, 241. 32 Sie findet sich nur im CMBC, I 7 § 31 Nr. 5–8, § 34 Nr. 7; sowie im ZürGB, § 410; nicht aber im ALR (II 18 § 288), ABGB (§ 210 a.F.), SächsE (§ 1648) und SächsGB (§ 1958). Einzelne Bestimmungen zur subsidiären Haftung bestimmter nicht verwaltender Vormünder kennen der CMBC (I 7 § 31 Nr. 6–7, § 32 Nr. 10), das ALR (II 18 §§ 287, 292) sowie, nur für Ehrenvormünder, das SächsGB (§ 1961). 33 Hierzu TeilE FamR, § 504; Planck, Motive zum TeilE FamR, 2084 f. (Schubert, FamR II, 1098 f.); Jakobs/Schubert, FamR II, 907; E I § 1696; Mot. IV, 1178 (Mugdan IV, 625); BGB § 1833. 34 Oben, 263 und 390 f. 35 Oben, 506 ff. 30
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II. Der Innenausgleich
galt nur für Zessanten, also Vormünder, welche die Verwaltung überhaupt nicht aufgenommen hatten; und eine Teilungseinrede gab es im klassischen Recht entweder gar nicht, oder sie war zumindest umstritten. Wenn also jeder Vormund, der die Vermögensverwaltung überhaupt aufgenommen hatte, und sei es nur hinsichtlich eines begrenzten Bereichs, für die gesamte Vermögensverwaltung solidarisch einstehen musste, bedeutet dies, dass er für eine Pflichtverletzung haftbar gemacht werden konnte, die ein anderer Vormund verschuldet hatte und an der er selbst gar nicht beteiligt gewesen sein musste. Es war offenbar diese Fallkonstellation, für die der Tutorenregress im klassischen Recht entwickelt wurde: Der schuldlose Vormund, der für die Pflichtverletzung seines Mitvormunds einstehen muss, nimmt gegen diesen einen Rückgriff auf das Ganze36. Hinsichtlich der Rückgriffstechnik erwähnen die Quellen sowohl einen Zessionsregress mittels der Abtretung der actio tutelae durch das Mündel37 als auch eine eigene Rückgriffsklage38. Wie Seiler gezeigt hat, stand ursprünglich der Zessionsregress im Vordergrund39. Der in Anspruch genommene Vormund konnte also vom Mündel (spätestens im Vollstreckungsprozess) verlangen, ihm die Klage gegen den schuldhaften Vormund abzutreten. Hier war allerdings zu beachten, dass eine Leistung ohne Abtretungsverlangen als gewöhnliche Erfüllung galt, die nach allgemeinen Regeln auch den Mitvormund befreite: Die Modestin-Regel, wonach ein Zessionsregress nur dann möglich ist, wenn vor der Zahlung zumindest eine Vereinbarung über die Abtretung erfolgt ist (womit die Zahlung dann als Klagekauf gedeutet werden kann), bezieht sich gerade auf Mitvormünder40. Die hierdurch verursachte Unbilligkeit, dass ein Vormund, der versehentlich ohne Abtretungsverlangen geleistet hatte, vom Zessionsregress abgeschnitten war, bewog offenbar Antoninus Pius und andere Kaiser dazu, eine eigene Regressklage in Gestalt einer actio utilis einzuführen, die den Fortbestand der Klage gegen den Mitvormund nicht mehr voraussetzte41. Diese actio utilis, die ursprünglich nur für das verpasste Abtretungsverlangen entwickelt sein mochte, wurde dann offenbar ausgeweitet, so dass ein Vormund schon vor seiner Zahlung zwischen dem Zessionsregress und der eigenen Klage wählen konnte42. Die 36 Binder, Korrealobligationen, 285; Levy, Konkurrenz I, 234 ff.; Seiler, Negotiorum gestio, 179. Dies war offenbar der in Julian D.3,5,29 angesprochene Sachverhalt. In Ulpian D.27,3,1,13 heißt es zu den Voraussetzungen des Regressrechts: „Et si forte quis ex facto alterius tutoris condemnatus praestiterit vel ex communi gestu …“. Vel ex communi gestu ist wohl erst nachträglich hinzugefügt worden, Seiler, a.a.O., 189; Binder, a.a.O.; Levy, Konkurrenz I, 235. Siehe auch Ulpian D.27,3,1,18 (actiones adversus contutorem, pro quo condemnatus est); Antoninus C.5,58,2 (si non ex propria culpa solus pupillae condemnatus es …); ferner Severus C.5,58,1 (vgl. hierzu Levy, Konkurrenz I, 227 Fn. 5). 37 Papinian D.26,7,38 und l. 42, D.27,3,21; Ulpian D.27,3,1,13–14 und § 18; Modestin D.46,3,76; Diocletian C.5,51,6; Carinus C.5,52,2 pr. und § 3; Severus C.5,58,1; Antoninus C.5,58,2. 38 Julian D.3,5,29; Ulpian D.27,3,1,13–14; Antoninus C.5,58,2. 39 Seiler, Negotiorum gestio, 179 ff. 40 Modestin D.46,3,76; ähnlich Severus C.5,58,1; hierzu oben, 413 ff. 41 Ulpian D.27,3,1,13; hierzu Seiler, a.a.O., 189 ff. 42 Antoninus C.5,58,2.
2. Der Regress unter gesetzlichen Gesamtschuldnern nach römischem Recht
563
rechtliche Einordnung der actio utilis ist stets strittig gewesen. Nach Seiler handelte es sich bei ihr nicht, wie vielfach angenommen43, um eine (analoge) actio negotiorum gestorum, sondern um eine fingierte Zession. Fingiert wurde dann nicht nur die Abtretung, sondern auch der Fortbestand der eigentlich untergegangenen Klage gegen den Mitvormund44. Die Frage, ob und ab wann ein Vormund auch dann Regress nehmen konnte, wenn ihm selbst ein Verschulden vorzuwerfen war, lässt sich nicht sicher beantworten. Ursprünglich stand der Tutorenregress demjenigen Vormund zur Verfügung, der nicht für eine eigene, sondern für die Pflichtverletzung seines Mitvormunds haften musste. Hier ist allerdings zu beachten, dass eine relevante Pflichtverletzung ursprünglich dolus oder zumindest grobe Fahrlässigkeit voraussetzte. In einer Reihe von – möglicherweise nachklassischen – Quellen findet sich aber auch der Gedanke, dass ein Vormund deshalb für die Pflichtverletzung eines Mitvormunds einstehen muss, weil er seine eigene Überwachungspflicht verletzt hat45. Sofern hier ein Regress möglich war, würde dies bedeuten, dass zumindest ein Überwachungsverschulden keine Rolle spielte. Gab es aber auch einen Rückgriff bei gleichartigem Verschulden sämtlicher Mitvormünder, der die Schuld intern unter den Vormündern – etwa nach Kopfteilen – aufteilte? Diese Frage konnte sich dann stellen, wenn die geschäftsführenden Vormünder zahlungsunfähig waren und das Mündel einen von mehreren Zessanten in Anspruch nahm. Ein anteiliger Regress unter den Zessanten wird in einer (wohl nicht durchwegs klassischen) Papinian-Stelle ins Auge gefasst, aber schließlich mit der Erwägung abgelehnt, dass jeden Zessanten der Vorwurf der bewussten Unterlassung treffe46. Dies legt nahe, dass ein anteiliger Regress unter den Juristen zumindest diskutiert wurde. Hatten mehrere Mitvormünder gemeinschaftlich die Geschäfte des Mündels geführt, ohne dass die relevante Pflichtverletzung einem bestimmten unter ihnen zuzuordnen war, fand ein gegenseitiger anteiliger Regress spätestens im justinianischen Recht statt47, vielleicht aber auch schon früher48. Die Quellen, die meist pauschal von einem Regress gegen den Mitvormund sprechen49, lassen eine genaue Zeitbestimmung nicht zu. Welche Voraussetzungen der Tutorenregress auch im Einzelnen hatte, er schied in jedem Fall aus, wenn dem Vormund, der an das Mündel gezahlt hatte, 43
Etwa Sell, ZCRPr 3 (1830), 380 ff.; Levy, Konkurrenz I, 230; Wesener, Labeo 11 (1965), 352. Seiler, Negotiorum gestio, 192 ff., 201 ff.; ebenso schon Savigny, Obligationenrecht I, 254 ff.; Schmid, Cession I, 363 ff.; Glück, Pandecten XXX, 375 ff. m.w.N. zum Streitstand im Gemeinen Recht. Die Stelle Julian D.3,5,29, in der von einer actio negotiorum gestorum des zahlenden Vormunds V1 gegen den schuldhaften Mitvormund V2 gesprochen wird, soll danach entweder den Sonderfall betreffen, dass V2 sich bei geteilter Verwaltung in den Aufgabenbereich von V1 eingemischt hat, oder eine frühere Einzelmeinung darstellen. 45 Hierzu oben, 507. 46 Papinian D.26,7,38,2. 47 So Seiler, a.a.O., 189, 196 ff.; Binder, Korrealobligationen, 287. Hierfür spricht vel ex communi gestu in Ulpian D.27,1,13, oben, Fn. 36. 48 So Levy, Konkurrenz I, 235, 238; Wesener, Labeo 11 (1965), 351 ff. 49 Insbesondere Diocletian C.5,51,6; Carinus C.5,52,2 pr. und § 3. 44
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II. Der Innenausgleich
Arglist (dolus) vorzuwerfen war. Nach einem Ulpian zugeschriebenen und im Gemeinen Recht häufig herangezogenen Fragment sollte ein Vormund, der wegen gemeinschaftlicher Arglist verurteilt worden war und an das Mündel gezahlt hatte, weder eine Klagenabtretung verlangen noch mit einer eigenen Klage Regress nehmen können50. Denn, so heißt es dort, es gebe weder eine societas maleficiorum (also eine Gesellschaft zur Begehung unerlaubter Handlungen) noch eine communicatio iusta damni ex maleficio (wohl: rechtliche Vergemeinschaftung von Schäden aus unerlaubten Handlungen). b) Die zweite Fallgruppe betrifft die Noxalhaftung der Miteigentümer. Hier besteht die Besonderheit, dass die Miteigentümer durch ein rechtlich anerkanntes Innenverhältnis verbunden waren: Wenn sie nicht ohnehin Gesellschafter oder Miterben waren, bestand zwischen ihnen zumindest eine communio. Regressansprüche wegen der Tilgung gemeinschaftlicher Schulden konnten einerseits im Rahmen der Auflösung der Gesellschaft durch eine actio pro socio geltend gemacht werden, andererseits bei der Teilung des Miteigentums im Rahmen der Erbteilungsklage (actio familiae erciscundae, bei Miterben) oder der allgemeinen Teilungsklage (actio communi dividundo, bei sonstigen Miteigentümern)51. Wie berichtet traf die Noxalhaftung den Eigentümer eines Sklaven, der ein Delikt verübt hatte52. Der Eigentümer konnte wählen, ob er die erforderliche Buße entrichtete oder den Sklaven an den Geschädigten auslieferte. Miteigentümer hafteten solidarisch. Ein in Anspruch genommener Miteigentümer konnte sich durch Auslieferung des Sklaven befreien, wozu er aber die Kooperation der Mitberechtigten benötigte53. Zu diesem Zweck wurde ihm das Recht eingeräumt, mit Hilfe der actio communi dividundo von den Miteigentümern die Übertragung ihrer Anteile zu verlangen54. Sofern aber der in Anspruch genommene Miteigentümer nicht ausgeliefert, sondern die erforderliche Summe gezahlt hatte, stellte sich die Regressfrage. Die Quellen erwähnen einen anteiligen Regress mit Hilfe der Teilungsklage55 und der Erbteilungsklage56. Wahrscheinlich war ein Rückgriff auch im Rahmen der actio pro socio möglich57. In jedem Fall musste die Aufwen50
Ulpian D.27,3,1,14; nach Levy, Konkurrenz I, 235, justinianisch. Oben, 264 f. 52 Oben, 504 f. 53 Ulpian D.9,4,8. Bevor er sich auf die Noxalklage eingelassen hatte, konnte sich ein Miteigentümer offenbar auch durch Übertragung seines Anteils an den Verletzten befreien. Diesem stand als nunmehrigem Miteigentümer gegen die übrigen Eigentümer dann keine Noxalklage mehr zu, Julian D.9,4,41; Ulpian D.9,2,27,1, D.10,2,16,6; Paulus D.11,3,14,2. Man half wohl mit einer analogen (weil die Tat vor der nunmehrigen Gemeinschaft stattgefunden hatte) actio communi dividundo, Ulpian D.9,4,8. 54 Paulus D.10,3,15; Berger, Teilungsklagen, 167 f. 55 Ulpian D.9,4,8; Paulus D.9,4,17 pr., D.10,3,8,3 und l. 15; s.a. D.39,3,11,3. 56 Ulpian D.9,4,8; Paulus D.10,2,25,15. 57 Erwähnt wird die actio pro socio in Paulus D.9,4,10. Hier geht es allerdings um den Fall, dass ein Miteigentümer den Sklaven ausliefert und darüber hinaus den anderen Miteigentümer verklagt, weil dieser den gemeinsamen Sklaven verdorben haben soll. 51
2. Der Regress unter gesetzlichen Gesamtschuldnern nach römischem Recht
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dung, deren anteiligen Ersatz der Miteigentümer verlangte, gerechtfertigt sein58. Dies war selbstverständlich der Fall, wenn der Sklave einen höheren Wert aufwies als die geleistete Summe. Hatte ein Miteigentümer dagegen die Buße gezahlt, obwohl der Sklave weniger wert war, konnte er möglicherweise nur eingeschränkten Regress nehmen59. Besonderheiten galten, wenn ein Eigentümer von der schadensstiftenden Tat des Sklaven gewusst und diese trotzdem nicht verhindert oder wenn er dem Sklaven die Tat sogar befohlen hatte. In diesem Falle haftete er „direkt“, also ohne Auslieferungsmöglichkeit. Zudem konnte er bei einer Tat durch mehrere Sklaven eines Hausstandes nicht die Vergünstigung des familia-Edikts60 beanspruchen, so dass die Buße sich mit der Anzahl der Sklaven vervielfältigte. Bei einem Zusammentreffen eines solchen Miteigentümers mit einem gutgläubigen Miteigentümer galten für den Regress entsprechende Sonderregeln. Wer die Sklaventat befohlen hatte, konnte beim gutgläubigen Miteigentümer überhaupt keinen Regress nehmen61; umgekehrt hatte der Gutgläubige bei Leistung an den Verletzten einen Regress in voller Höhe62. Aus heutiger Sicht lag hier also ein Gesamtschuldverhältnis mit der internen Aufteilung 100% zu 0% vor. Nicht ganz geklärt ist die Lage, wenn sich zum gutgläubigen Miteigentümer ein bösgläubiger gesellte, der die Tat zwar nicht befohlen, aber von ihr gewusst und sie nicht verhindert hatte. Nahm der Gutgläubige von dem (allein) ihm zustehenden Auslieferungsrecht keinen Gebrauch, sondern zahlte an den Verletzten, konnte er vom Bösgläubigen anteiligen Regress nehmen63. Dies galt auch, wenn der Gutgläubige in geringerer Höhe haftete als der Bösgläubige: Hatten zwei im Miteigentum stehende Sklaven einen einfachen Diebstahl mit einem duplum als Buße begangen, haftete der Bösgläubige auf den vierfachen Wert, der Gutgläubige wegen des familia-Edikts nur auf den zweifachen; leistete er diesen, konnte er (bei gleichen Miteigentumsquoten) in Höhe des einfachen Werts Regress nehmen. Ob der Verletzte danach noch vom Bösgläubigen den „Rest“ in Höhe des zweifachen Werts verlangen konnte, war offenbar umstritten64. In jedem Fall aber musste der Gutgläubige intern einen Teil selbst tragen. 58
Paulus D.10,2,25,15 (… cum hoc expediret, id pro parte hoc iudicio consequatur). Dies folgern Buckland (Slavery, 374) und Berger (Teilungsklagen, 166 f.) aus Paulus D.10,3,8,3. Danach soll der zahlende Miteigentümer im Teilungsverfahren nur soviel zugewiesen bekommen, wie er selbst hätte leisten müssen, und zwar einen entsprechenden Anteil am Wert des Sklaven. Unklar ist aber, warum er dann nicht den ganzen Sklaven bzw. dessen Wert erhält. 60 Oben, 498. 61 Paulus D.9,4,17 pr. 62 Marcellus D.47,6,5. 63 Paulus D.9,4,9 und l. 17 pr. Zusätzlich erwähnt Paulus (D.9,4,10) auch eine Klage gegen den Bösgläubigen wegen „Verschlechterung“ des Sklaven, die offenbar nicht dem Regress, sondern dem Integritätsinteresse des Gutgläubigen diente und daher auch nach einer Auslieferung des Sklaven erhoben werden konnte. Vgl. Drosdowski, Actio pro socio, 132 f. 64 Marcellus D.47,6,5; s.a. Paulus D.9,4,17 pr. zur Parallelfrage, ob der Verletzte nach Auslieferung durch den Gutgläubigen vom Bösgläubigen noch die Differenz zur höheren Buße verlangen konnte. Vgl. oben, 505. 59
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II. Der Innenausgleich
Für die umgekehrte Situation, wenn der Bösgläubige an den Verletzten leistet, würde dies spiegelbildlich bedeuten, dass der Bösgläubige gegen den Gutgläubigen in dieser Höhe auch einen Regress haben müsste. Hierzu passt ein Fragment von Marcellus, wonach im Beispielsfall der Bösgläubige, wenn er an den Verletzten den vierfachen Wert geleistet hat, vom Gutgläubigen zwar nicht den zweifachen Wert verlangen darf (weil die Bösgläubigkeit dem Gutgläubigen nicht schaden kann), wohl aber den einfachen, also den internen Anteil des Gutgläubigen an der von ihm zu leistenden Summe65. Ähnlich urteilt Paulus im Fall, dass ein gemeinschaftlicher Sklave die Tat begangen hat, der weniger wert ist als die dem Verletzten zu leistende Buße: Danach kann der Bösgläubige vom Gutgläubigen nicht die Hälfte der Buße, sondern nur die Hälfte des Sklavenwerts verlangen, weil der Gutgläubige im Falle seiner Inanspruchnahme schon durch Auslieferung frei geworden wäre66. Ein anderes ebenfalls von Paulus stammendes Fragment schließt den Regress des Bösgläubigen gegen den Gutgläubigen dagegen ganz aus67. Wie diese Stellen zu vereinigen sind, ob etwa das zweite Paulus-Fragment den Fall des befehlenden Eigentümers im Auge hat68 oder ob das erste Paulus-Fragment auf justinianischer Überarbeitung beruht69, ist nicht sicher. Entsprechend unklar ist die Lage unter mehreren Bösgläubigen: Sofern ein bösgläubiger Miteigentümer gegen einen gutgläubigen Regress nehmen konnte, wäre auch ein Regress unter Bösgläubigen denkbar, was aber voraussetzt, dass sie nicht ohnehin kumuliert hafteten70. c) Ein Regress aus dem Innenverhältnis kam auch bei der Regenwasserklage in Betracht, die ein Grundstückseigentümer erheben konnte, wenn durch Anlagen auf dem Nachbargrundstück verstärkt Regenwasser auf sein eigenes Grundstück geleitet wurde. Wie berichtet stritten offenbar schon die Juristen des klassischen Rechts darüber, ob dann, wenn das Nachbargrundstück mehreren gehörte, die Miteigentümer anteilig oder solidarisch auf die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands hafteten71. Für diejenigen, die eine Gesamtschuld befürworteten, war ein Regress des in Anspruch genommenen Miteigentümers mit Hilfe der actio communi dividundo selbstverständlich72. Nicht ganz klar ist, ob man hier an einen anteiligen Regress unter allen Miteigentümern oder an einen Regress gerade gegen den Miteigentümer dachte, der die Anlage errichtet hatte. 65
Marcellus D.47,6,5. Paulus D.9,4,17 pr. 67 Paulus D.9,4,9. 68 So Buckland, Slavery, 375 f. Hierzu würde passen, dass das unmittelbar nachfolgende Fragment Paulus D.9,4,10 von einer Klage des Gutgläubigen gegen den Bösgläubigen wegen Verschlechterung des Sklaven spricht, was eher nahe liegt, wenn der Bösgläubige die Tat aktiv gefördert hat. 69 So Binder, Korrealobligationen, 114 f.; Levy, Konkurrenz I, 346–355. 70 Zu dieser Frage oben, 505. 71 Oben, 504. 72 Siehe die bei Paulus D.39,3,11,1–2 zitierten Ansichten von Cassius und Proculus. Ferox hielt dagegen, dass der Regress dem in Anspruch Genommenen nichts nütze, wenn die übrigen Eigentümer zahlungsunfähig seien. 66
2. Der Regress unter gesetzlichen Gesamtschuldnern nach römischem Recht
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d) Schließlich wird ein Regressrecht auch bei der actio de effusis vel deiectis erwähnt. Nach Ulpian bestanden unter mehreren Bewohnern eines Stockwerks, aus dem etwas geworfen worden war, Gesamtschulden. Die Klageerhebung gegen einen von ihnen sollten die übrigen befreien73. Direkt hinter diesen Aussagen findet sich in den Digesten ein Paulus zugeschriebenes Fragment, wonach nicht schon die Klageerhebung, sondern erst die Leistung des in Anspruch Genommenen die übrigen befreit, diese aber dem Zahlenden aufgrund der Gesellschafterklage oder einer actio utilis einen anteiligen Ausgleich leisten müssen74. Gemeint war hier nicht ein Regress gegen den schuldigen Hausbewohner, der selbst geworfen hatte (weil dieser gerade unbekannt war), sondern ein anteiliger Regress unter allen Bewohnern. Die bei Paulus genannte Regressgrundlage (actio pro socio oder utilis, nicht aber communi dividundo) wirft die Frage auf, durch welches Innenverhältnis die gesamtschuldnerisch haftenden Hausbewohner verbunden waren. Die actio de effusis vel deiectis richtete sich nicht gegen den Eigentümer des Hauses, sondern gegen den Bewohner des Stockwerks75. „Bewohner“ konnten Eigentümer, Mieter oder unentgeltlich Wohnende sein76. Eine Solidarhaft mehrerer Bewohner, die keinen Familienverband bildeten (dann stellte sich die Regressfrage nicht), war zum Beispiel möglich, wenn Miteigentümer ihr gemeinsames Haus bewohnten oder wenn mehrere Freie zusammen eine Wohnung gemietet hatten. Offenbar konnten im Einzelfall aber auch „Nebenmieter“ solidarisch haften, die durch keinerlei Innenverhältnis verbunden waren. Zwar sollten bei einer Aufteilung des Stockwerks nur die Bewohner des Teils haften, aus dem geworfen worden war; andererseits sollten aber im Fall der gewerblichen Zimmervermietung, bei welcher der Vermieter selbst nur einen kleinen Teil des Stockwerks bewohnt, alle Stockwerksbewohner solidarisch haften77. Unter diesen Umständen steht nicht fest, ob sich die actio pro socio nur auf den Fall der gemeinschaftlichen Miete bezieht, die als Gesellschaftsvertrag aufgefasst wird78, oder allgemein ein von Rechts wegen konstruiertes Gesellschaftsverhältnis unter den Bewohnern meint, wobei aber nicht klar ist, worauf sich dann die actio utilis beziehen soll. Bei dieser handelt es sich um eine „analoge Klage“, die der actio pro socio, der actio communi dividundo oder sogar der Gläubigerklage nachgebildet war, ohne ihren Tatbestand aufzuweisen. Wie auch immer man die genannten Regressgrundlagen verstehen will, sollte im Ergebnis offenbar ein anteiliger Rückgriff auch dann gewährt werden, wenn es an einem Innenverhältnis unter den Bewohnern fehlte.
73
Ulpian D.9,3,1,10 und D.9,3,3; hierzu oben, 500 und 510 f. Paulus D.9,3,4 (perceptione, non litis contestatione, praestaturi partem damni societatis iudicio vel utili actione ei qui solvit). 75 Ulpian D.9,3,1,4. 76 Ulpian D.9,3,1,9. 77 Ulpian D.9,3,5 pr.-1. 78 So Drosdowski, Actio pro socio, 138 ff., m.w.N. zur Diskussion. 74
568
II. Der Innenausgleich
Nicht gesichert ist auch, ob das erwähnte Regressrecht tatsächlich auf Paulus zurückgeht. Der erste Teil des Fragments, der Ulpians Klagenkonkurrenz zu einer Solutionskonkurrenz verändert, ist offensichtlich eine justinianische Schöpfung, die der allgemeinen Aufhebung der Klagenkonkurrenz geschuldet war79. Dies muss aber nicht bedeuten, dass auch das im Folgenden gewährte Regressrecht, insbesondere die actio utilis, wie häufig angenommen80 erst aus einer justinianischen Feder stammt81. Selbst wenn Justinian einen allgemeinen Gesamtschuldrückgriff eingeführt haben sollte, schließt dies nicht aus, dass schon in klassischer Zeit ein Regress in besonderen Fallgruppen gewährt wurde, in denen er besonders nahe lag. Dies war gerade bei den Hausbewohnern der Fall, die ohne eigenes Verschulden auf eine Bußzahlung hafteten und zwischen denen zwar nicht unbedingt eine besondere rechtliche Verbindung, wohl aber zumindest ein gemeinschaftsähnliches Verhältnis bestand. e) Außerhalb dieser Fallgruppen wird ein Regress unter gesetzlichen Gesamtschuldnern in den römischen Quellen nicht erwähnt. Bei Deliktsklagen mit pönalen Elementen hat ein Gesamtschuldnerausgleich offenbar nicht stattgefunden. Diese Entscheidung leuchtet ein, wenn man bedenkt, dass es sich bei den reinen oder gemischten Strafklagen, bei denen solidarisch gehaftet wurde82, nach heutigem Sprachgebrauch in der Regel um Vorsatzdelikte handelte: Der Täter erlangte durch Drohung oder Arglist einen Vermögensvorteil, hielt einen anderen vom Erscheinen bei einem Gerichtstermin ab, gab als Feldmesser bewusst ein unrichtiges Maß an, unterschlug als Vormund das Mündelvermögen oder gerierte sich als Scheinvormund. Auch bei den Interdikten wegen gewaltsamer Besitzverdrängung oder heimlicher Veränderung eines fremden Grundstücks hatte der Beklagte typischerweise bewusst gehandelt. Wenn aber selbst unter Mitvormündern ein Regress bei dolus ausgeschlossen war, dann konnte ein Gesamtschuldausgleich auch nicht unter vorsätzlich handelnden Deliktstätern stattfinden. Hierzu passt auch die Regressverweigerung bei der Noxalhaftung zu Lasten desjenigen Miteigentümers, der seinem Sklaven die deliktische Tat befohlen hatte. Insgesamt ergibt sich, dass das römische Recht, und zwar auch schon das klassische, insbesondere dann einen Gesamtschuldregress zuließ, wenn dem Schuldner kein eigenes Verschulden vorzuwerfen war. Dies betrifft den Vormund, der für die Pflichtverletzung seines Kollegen einstehen musste, den gutgläubigen Miteigentümer bei der Noxalhaftung, den Miteigentümer bei der Regenwasserklage sowie den Hausbewohner bei der actio de effusis, der lediglich wegen vermuteten, also gerade nicht nachgewiesenen, Verschuldens haftete. Auf der anderen Seite
79
Vgl. oben, 510 f. Wesener, Labeo 11 (1965), 353; Levy, Konkurrenz I, 238, 330 f.; Binder, Korrealobligationen, 287 f., 371 f. 81 So auch Liebs, Klagenkonkurrenz, 69; Drosdowski, Actio pro socio, 139; weitere Nachweise bei Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. I, § 154 Fn. 42, Bd. II, § 277 Fn. 27. 82 Eine Übersicht findet sich oben, 501 f. 80
2. Der Regress unter gesetzlichen Gesamtschuldnern nach römischem Recht
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des Spektrums befinden sich die vorsätzlich handelnden Gesamtschuldner. Ihnen ist ein Regress verwehrt. In der Mitte liegen diejenigen Gesamtschuldner, denen nach heutigen Begriffen ein Verschulden, aber kein Vorsatz vorzuwerfen ist. Die Quellen zur Haftung der gemeinschaftlich verwaltenden Mitvormünder und zum Regress des bösgläubigen Miteigentümers bei der Noxalhaftung legen den Eindruck nahe, dass hier ein Regress ursprünglich nicht vorgesehen war, aber zu irgendeinem Zeitpunkt, spätestens im justinianischen Recht, eingeführt wurde. Allerdings handelt es sich hier nicht um Schuldner, die in eigener Person ein Delikt begangen haben. Die aus heutiger Sicht zentrale Frage, ob ein Regress unter fahrlässig handelnden Deliktstätern möglich ist, hat sich im römischen Recht offenbar so nicht gestellt. Delikte wurden in der Regel vorsätzlich begangen. Bei derjenigen Deliktsklage, die aus heutiger Sicht die typische Fahrlässigkeitshaftung widerspiegelt, nämlich der actio legis Aquiliae, überliefern die Quellen eine kumulierte Haftung, bei der sich die Regressfrage nicht stellt. Hier ist zu bedenken, dass auch bei der lex Aquilia die ursprünglich typische Begehungsart die Vorsatztat war83 und die Quellen zur kumulierten Mittäterhaftung möglicherweise gerade vorsätzlich Handelnde im Auge haben84. Auch bei der gesetzlichen Solidarhaftung zeigt sich also, dass die „Regresslosigkeit“ der römischen Gesamtschuld nicht bedeutete, dass kein Ausgleich stattfand. Der Rückgriff ergab sich nur, anders als heute, nicht schon aus der Gesamtschuld selbst, sondern musste besonders begründet werden. Zugleich hat das römische Recht anders gewertet als das heutige, indem es einen Regress bei vorsätzlich handelnden Gesamtschuldnern ganz ausschloss und bei schuldhaft handelnden nur eingeschränkt gewährte. Wenn diese Hindernisse aber nicht vorlagen, weil den Schuldnern ein eigenes Verschulden nicht vorzuwerfen war, zeigt sich auch das römische Recht regressfreundlich. Soweit man nicht auf ein ohnehin bestehendes Innenverhältnis zurückgreifen konnte (wie die actiones communi dividundo, pro socio und familiae erciscundae bei Miteigentümern, Gesellschaftern oder Miterben), zögerte man nicht, eine besondere Regressklage zuzulassen, wie die actio utilis bei den Mitvormündern und Hausbewohnern, bei der es sich zumindest im Rahmen der Tutorenhaftung offenbar um eine fiktiv übergeleitete Gläubigerklage handelte. Wenn ein Bedürfnis für einen Regress vorlag, dann wurde er auch gewährt. Zu weit geht aber die These, dass nach römischem Recht eine Gesamtschuld nur dann möglich war, wenn unter den Schuldnern ein zur Erzeugung der Re-
83 Zum Verschuldenselement bei der lex Aquilia eingehend Zimmermann, Law of Obligations, 975 ff., 1004 ff. 84 Vgl. Ulpian D.9,2,11,2 und § 4; Julian D.9,2,51,1. Bei Gaius D.9,2,32 pr. (und ähnlich Ulpian D.47,6,1) wird allerdings gerade der Fall angeführt, dass mehrere einen Schaden fahrlässig herbeigeführt haben. Hier sind die Täter Sklaven eines gemeinsamen Hausstandes, und dem Eigentümer wird die Vergünstigung des familia-Edikts gewährt. Dies bedeutet, dass auch hier von Kumulation ausgegangen wurde (weil es des Edikts sonst nicht bedurft hätte), wobei aber ein Ergebnis wie im Falle einer Gesamtschuld erreicht wird.
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II. Der Innenausgleich
gressklage geeignetes Innenverhältnis vorlag85. Der moderne Gedanke, mit der Gesamtschuld müsse notwendig ein Innenausgleich verbunden sein, kann nicht ohne weiteres auf das römische Recht übertragen werden. Hier waren, wie die Deliktsklagen zeigen, Gesamtschulden auch ohne Regress denkbar. Aber selbst wenn man die pönalen Klagen und Fälle des Verschuldens beiseitelässt, ist nicht sicher, ob jede Gesamtschuld von einem Regress begleitet wurde. Bei der rein sachverfolgenden condictio furtiva etwa ist ein Regress nicht überliefert – was allerdings nicht notwendig auf einer bewussten Entscheidung gegen den Rückgriff beruhen muss, sondern auch daran liegen kann, dass sich die Frage nicht gestellt hatte oder einschlägige Quellen nicht in die Kompilation aufgenommen wurden86. Richtig ist, dass in Fällen, in denen ohnehin ein besonderes Innenverhältnis unter den Schuldnern bestand, die Entscheidung für eine solidarische Haftung im Außenverhältnis auch mit der Regressmöglichkeit begründet werden konnte und in den Quellen manchmal begründet wird87. Häufig fehlte es aber an einem solchen Innenverhältnis, etwa bei den Mitvormündern oder in einigen Fällen der Hausbewohnerhaftung. Wenn das Recht hier ein Rückgriffsrecht entwickelte, dann setzte dies schon die Entscheidung für eine solidarische Haftung im Außenverhältnis voraus. Die Frage, ob im Interesse des Gläubigers jeder Schuldner auf das Ganze in Anspruch genommen werden kann, war offenbar vorrangig. Nur wenn sie bejaht wurde, stellte sich die Regressfrage. Es ist möglich, dass ein Rückgriff bei fehlendem Verschulden, später vielleicht schon bei fehlendem Vorsatz, grundsätzlich gewährt wurde; ein Automatismus aber fand offenbar nicht statt.
85 So Drosdowski, Actio pro socio, 141 f. Dagegen zutreffend Berger, Teilungsklagen, 157 f., 175–177. 86 Immerhin wird die solidarische Außenhaftung bei der condictio furtiva nur in einer Stelle im Codex erwähnt, Diocletian C.4,8,1. 87 Zur Noxalhaftung von Miteigentümern siehe die (wohl nicht klassische) Anmerkung in Paulus D.39,3,11,3. Nach dem Fragment Paulus D.14,3,14, auf das Drosdowski sich in erster Linie beruft, haften die Erben des Sklaveneigentümers, der den Sklaven testamentarisch freiließ, hinsichtlich der adjektizischen Klagen nur anteilig, weil zwischen ihnen (mangels gemeinsamen Sklaveneigentums) kein Innenverhältnis vorliegt, das eine actio pro socio oder communi dividundo begründet. Das Ergebnis kann auch damit erklärt werden, dass die Erben den Sklaven nicht beauftragt und auch nie Eigentum an ihm erworben hatten und daher nicht selbst den Regeln der adjektizischen Klagen unterworfen waren, sondern lediglich als Erben und damit selbstverständlich geteilt hafteten. Im übrigen gab es auch zwischen Miterben Regressklagen. Bei den Fragmenten Gaius D.15,1,27,8; Julian D.15,1,37,2; Scaevola D.15,1,51 geht es nicht um den Gegensatz zwischen Gesamt- und Teilschulden, sondern darum, ob gegenüber einem mit der actio de peculio belangten, solidarisch schuldenden, aber nur bis zur Höhe des Sonderguts haftenden, Miteigentümer nur das von ihm oder auch das vom anderen Miteigentümer stammende Sondergut berücksichtigt wurde, was Drosdowski selbst nicht verkennt (Actio pro socio, 127 f.); vgl. Levy, Konkurrenz I, 241 ff., und oben, 244.
3. Regressrechte und Regressbeschränkungen im Gemeinen Recht
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3. Regressrechte und Regressbeschränkungen im Gemeinen Recht In der gemeinrechtlichen Diskussion zum Regress bei Schadensersatz-Gesamtschuldnern überschnitten sich zwei Fragestellungen. Zum einen ging es darum, ob bei bestimmten Gesamtschuldgruppen, etwa vorsätzlich Handelnden oder Deliktstätern, ein Regress von vornherein ausscheiden sollte. Zum anderen aber gab es zweifellos, wie die Quellen zeigten, einen Regress zumindest bei manchen Gruppen von Schadensersatzgesamtschuldnern. Hier fragte es sich, ob diese Vorschriften Ausdruck eines allgemeinen Prinzips waren oder nur der Billigkeit geschuldete Einzelregelungen. a) Hinsichtlich der ersten Frage gingen die gemeinrechtlichen Schriftsteller zunächst von der römischen Überlieferung aus. Die Quellen zur Tutoren- und Noxalhaftung waren hinsichtlich des Gesamtschuldregresses bei Verschulden nicht eindeutig. Mit einer restriktiven Auslegung konnte man zum Ergebnis kommen, dass ein Gesamtschuldner schon dann von einem Rückgriffsrecht ausgeschlossen war, wenn ihn ein eigenes Verschulden traf88. Überwiegend aber wurden die Quellen so gedeutet, dass unter Vormündern auch bei schuldhaftem Handeln ein Gesamtschuldausgleich stattfand, falls sie nicht gerade vorsätzlich gehandelt hatten. Diesen Gedanken konnte man verallgemeinern: Bei gesetzlichen Gesamtschuldnern, die nicht in eigener Person ein Delikt begangen hatten (Vormünder, Noxalhaftung, actio de effusis), stand das bloße Verschulden (im Gegensatz zum dolus) einem Regress nicht entgegen. Bei echten Deliktsschuldnern aber war ein Regress nicht überliefert. Hieraus wurde häufig geschlossen, dass bei Delikten ein Gesamtschuldausgleich grundsätzlich nicht möglich war89. Statt dessen konnte man aber auch darauf abstellen, dass die Deliktsklagen ohne Gesamtschuldregress im römischen Recht gerade Vorsatzdelikte gewesen waren. Die solidarische Haftung für fahrlässige Schadenszufügungen entwickelte sich erst im Gemeinen Recht, als die actio legis Aquiliae zu einer allgemeinen Klage auf Schadensersatz wurde, bei der eine Kumulation unter Mittätern nicht mehr stattfand. Daher konnte man quellenkonform auch zu dem Schluss kommen, dass nach Gemeinem Recht ein Rückgriff bei allen Arten gesetzlicher Gesamtschuldverhältnisse, die sich auf Schadensersatz richteten, in Frage kam und nur bei vorsätzlichem Handeln von vornherein ausgeschlossen war90. 88
So im 19. Jahrhundert Brinz, Pandekten, § 236 Nr. 6; Sintenis, Civilrecht, § 89 bei Fn. 52. Höpfner, Commentar, § 820; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 180 III 1 D, § 534 II; Bucher, Forderungen, § 124; Koch, Forderungen II, 38; Christiansen, Institutionen, § 3; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap III/1, Nr. 2 a.E. (S. 94); Puchta, Vorlesungen, § 235 a.E.; Sintenis, Civilrecht, § 89 bei Fn. 52; Hartmann, ZSchwR 28 (1887), 128; Vgl. auch Schilling, Naturrecht I (1859), § 141; gegen ein Abtretungsrecht bei Deliktsgesamtschuldnern Puchta, Pandekten, § 235 a.E.; Vangerow, Pandekten, § 573 Anm. 3 Nr. 4; Brinz, Pandekten, § 236 Nr. 6. 90 Ausführlich Sell, ZCRPr 3 (1830), 371, 400 f., 417 ff.; ferner von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 433; Savigny, Obligationenrecht I, 250; Mühlenbruch, Pandekten, § 492; vgl. ders., Cession, 414 Fn. 382 (der Regressausschluss bei Delikten beziehe sich nur auf Bußklagen, nicht auf Schadenser89
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II. Der Innenausgleich
Die Zurückhaltung gegenüber dem deliktischen Gesamtschuldregress war übrigens nicht auf das kontinentale Europa beschränkt. Das englische common law schloss einen Gesamtschuldausgleich bei einer Mehrheit von tortfeasers kategorisch aus91. Es blieb daher dem Gesetzgeber überlassen, einen Regress bei deliktischen Gesamtschulden einzuführen, was nicht vor 1935 geschah92; und selbst heute finden sich vereinzelte englische Stimmen, welche die Sinnhaftigkeit dieser gesetzlichen Entscheidung bezweifeln93. Die regressfeindliche Haltung des common law wird aus historischer Sicht verständlicher, wenn man bedenkt, dass auch bei den Deliktsklagen des frühen englischen Rechts die vorsätzlich begangenen Taten im Vordergrund standen und der allgemeine tort of negligence erst im 19. Jahrhundert entwickelt wurde94. Der strikte Ausschluss des Regresses für bestimmte Gruppen von Gesamtschuldnern, seien es Deliktstäter, seien es nur vorsätzlich Handelnde, konnte aber auch kritisiert werden. Zwar war auch im europäischen Recht die Maxime ex turpi causa non oritur actio95 ebenso allgemein anerkannt wie die Unwirksamkeit eines Gesellschaftsvertrags, der die Begehung rechtswidriger Handlungen zum Ziel hat96 (die bei Ulpian97 erwähnte societas maleficiorum). Doch auch wenn ein Vertrag, mit dem deliktische Mittäter eine Ausgleichspflicht und den Umfang des von jedem zu tragenden internen Anteils festlegten, nichtig sein mochte, bedeutete dies nicht, dass damit auch eine Rechtspflicht zum Innenausgleich ausgeschlossen sein musste98. Das Rückgriffsrecht, so konnte man argumentieren, beruhte schließlich nicht auf der deliktischen Tat, sondern auf der sittlich zu billigenden Leistung des Schadensersatzes an den Verletzten. Schließlich erschien es auch unbillig, einen nicht vom Gläubiger in Anspruch genommenen Gesamtschuldner gerade dann von einer Ausgleichspflicht zu befreien, wenn ihm ein de91 satzforderungen); Seuffert, Pandekten, § 228 bei Fn. 18; Müller, Institutionen, § 97 II; Windscheid, Pandekten, § 298, Fn. 12–13; Arndts, Pandekten, § 214 a.E.; Wächter, Pandekten, § 178 III 2 c; Gruchot, Gruch 3 (1859), 494 ff.; Zaun, ArchPrRW nF 1 (1864), 132, 139; Mitteis, GrünZ 14 (1887), 471. 91 Merryweather v Nixan (1799) 8 TR 186, 101 English Reports 1337. Siehe Mitchell, Contribution, Rz 4.20 ff., 13.17; von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 86 f.; Wagenfeld, Ausgleichsansprüche, 44 ff.; Friedmann/Cohen, Adjustment, §§ 14 ff.; ausführlich Glaßer, Gesamtschuldnerausgleich, 45 ff. 92 Law Reform (Married Women and Tortfeasors) Act 1935 (25 & 26 Geo 5 c 30), Art. 6 (hierzu aus rechtsvergleichender Sicht Wagenfeld, Ausgleichsansprüche, passim); inzwischen ersetzt durch Civil Liability (Contribution) Act 1978 (1978 c 47); hierzu Goff/Jones, Restitution, Rz 14-021 ff.; Chitty/Burrows, Joint Obligations, Rz 17–029 ff. 93 Tony Weir, Tort Law, 107 ff.; ders., Complex Liabilities, §§ 107 f., 141. 94 Näheres etwa bei Zimmermann, Obligations, 908 ff.; Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, § 40 III (S. 607 ff.); zum heutigen Recht von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht I, Rz 254 ff. 95 Oder: nemo enim ex delicto consequi potest actionem; oder: nemo auditur propriam turpitudinem allegans; vielleicht auch: in pari turpitudine melior est causa possidentis; zu letzterer Maxime Ulpian D.3,6,5,1; Paulus D.12,5,8; Papinian D.12,7,5; Antoninus C.4,7,2. 96 Ulpian D.17,2,53 und l. 57; Gaius D.18,1,35,2, D.46,1,70,5; s.a. Inst. 3,26,7 zur Unwirksamkeit eines Auftragsvertrags. 97 Ulpian D.27,3,1,14; oben, 564. 98 Vgl. Liebs, Klagenkonkurrenz, 194 f.
3. Regressrechte und Regressbeschränkungen im Gemeinen Recht
573
liktisches oder vorsätzliches Handeln vorzuwerfen war. Mit diesen Argumenten rechtfertigte Pothier die gemeinrechtliche Praxis in Frankreich, die einen Regress auch bei deliktischen Gesamtschuldnern (und offenbar selbst im Falle des vorsätzlichen Handelns) gewährte99. Für Dernburg waren die überlieferten Rückgriffsbeschränkungen lediglich Ausdruck des Strafcharakters der römischen Deliktsklagen und daher nach Gemeinem Recht, das diese Strafnatur nicht mehr kannte, nicht anzuwenden100. b) Die zweite Fragestellung war, wie die Rückgriffsrechte und die Regressbeschränkungen bei Schadensersatz-Gesamtschuldnern in das allgemeine System des Gesamtschuldregresses eingeordnet werden sollten. Wie berichtet war es im Gemeinen Recht stets strittig gewesen, ob mit der Gesamtschuld ein Ausgleichsanspruch verbunden war101. Wer einen allgemeinen Gesamtschuldregress annahm, konnte die in den Quellen erwähnten Regressrechte der Vormünder und der Hausbewohner bei der actio de effusis als Anwendungsbeispiele heranziehen102. Im Ergebnis kam es dann darauf an, inwieweit bestimmte Gesamtschuldgruppen gegen die allgemeine Regel vom Rückgriff ausgeschlossen werden sollten. Die frühe gemeinrechtliche Praxis, die Gesamtschuldnern einen Rückgriff mit Hilfe der actio negotiorum gestio ermöglichte, machte offenbar für deliktische Gesamtschuldner eine Ausnahme103. Wenn Sintenis im späten 19. Jahrhundert gegen die herrschende Lehre einen allgemeinen Gesamtschuldregress propagierte, bedeutete dies im Ergebnis nicht viel, weil er nicht nur Deliktsgesamtschuldner, sondern jeden schuldhaft Handelnden vom Rückgriff ausschloss104. Anders stellte sich die Lage dar, wenn man wie Savigny die Grenze erst bei Vorsatztätern zog105 oder wie Pothier überhaupt keine Einschränkung machte106. Dann war bei einer Mehrheit von Deliktstätern ein Regress grundsätzlich eröffnet. Pothier stützte ihn auf die actio negotiorum gestorum utilis. Nach der, im 19. Jahrhundert herrschenden, Gegenmeinung war die Gesamtschuld regressneutral: Ein Ausgleich fand nur dann statt, wenn er durch die Parteien vereinbart oder vom Gesetz besonders vorgesehen war. Während bei der Noxalhaftung der Regress schon aus dem Innenverhältnis folgte, konnten die in 99
Pothier, Obligations, §§ 264, 282. Dernburg, Pandekten II, § 129 Fn. 13; s.a. Unger, JhJb 22 (1884), 290 f. 101 Oben, 268 ff. 102 Vgl. etwa Sell, ZCRPr 3 (1830), 378 ff., 397 f.; Savigny, Obligationenrecht I, 240 ff.; Zaun, ArchPrRW nF 1 (1864), 132 ff., Jhering, JhJb 10 (1871), 343 f. 103 So ausdrücklich Höpfner, Commentar, § 820. Glück, der ebenfalls vom in der gemeinrechtlichen Praxis gewährten Gesamtschuldregress spricht (Pandecten IV, 528), erwähnt diesen Regress nicht bei der solidarischen Haftung nach der lex Aquilia (Pandecten X, 385 ff.), wohl aber bei der actio de effusis mit der Begründung, es handle sich hier nur um ein Quasidelikt (Pandecten X, 398). 104 Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 7 und Text bei Fn. 52. 105 Savigny, Obligationenrecht I, 250; ebenso Sell, ZCRPr 3 (1830), 400, 417 ff. 106 Pothier, Obligations, §§ 264, 282. Bei Domat, Loix civiles, § 1834, der ebenfalls einen allgemeinen Gesamtschuldregress propagierte, wird die Frage einer Beschränkung des Rückgriffs nicht erörtert. 100
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II. Der Innenausgleich
den Quellen erwähnten Rückgriffsrechte der Vormünder und Hausbewohner als besondere gesetzliche Anordnungen eines Rückgriffsrechts verstanden werden107. Bei der deliktischen Gesamtschuld musste der Regress dann schon mangels gesetzlicher Grundlage ausscheiden108. Wie berichtet ging allerdings ein Teil der Autoren trotz der Regressneutraliät von einem Recht des leistenden Gesamtschuldners auf Zession der Klagen gegen die Mitschuldner aus109. Vereinzelt sah man den Rückgriff der Tutoren und Hausbewohner auch als Ausdruck dieses Zessionsrechts an110. Doch bei Deliktsgesamtschuldnern war offenbar auch dieser Rückgriffsweg ausgeschlossen111. Ein Teil der Literatur des 19. Jahrhunderts nahm demgegenüber eine Zwischenposition ein, indem er den Gegensatz zwischen Korreal- und Solidarobligationen auch für die Regressfrage fruchtbar machte. Am Anfang stand eine rein begriffliche Konstruktion: Nach der Keller/Ribbentrop’schen Theorie handelte es sich bei der Korrealobligation nur um eine einzige Schuld. Der leistende Korrealschuldner erfüllte daher nur seine eigene Verbindlichkeit. Für einen Regress auf dem Boden der actio negotiorum gestorum fehlte es an einem Fremdgeschäft, das er geführt hatte. Demgegenüber sollten bei der Solidarschuld mehrere Obligationen vorliegen. Mit seiner Leistung hob der Solidarschuldner daher nicht nur seine eigene, sondern auch eine fremde Obligation auf. Insoweit handelte es sich um die Führung eines fremden Geschäfts, die einen anteiligen Regress eröffnete. Daher sollte bei Solidarobligationen anders als bei der Korrealobligation stets ein Rückgriff gegeben sein112. Dieser begriffsjuristische Schluss ist zu Recht aus verschiedenen Gründen kritisiert worden113. Dennoch findet sich bei einer Reihe von Autoren auch des späten 19. Jahrhunderts nach mehr oder minder ausführlichen Erörterungen über die Regresslosigkeit der Korrealobligation die meist nicht näher begründete Ansicht, dass bei Solidarobligationen ein Rückgriffsrecht gegeben sei114. Während einige hiervon aber eine Ausnahme bei deliktischen Gesamtschulden machten115, ging man zunehmend dazu über, nur noch bei vorsätzlichem Handeln den Rückgriff zu verweigern116.
107 So etwa Mühlenbruch, Pandekten, § 492; Puchta, Pandekten, § 235 a.E.; Seuffert, Pandekten, § 228 bei Fn. 19; Brinz, Pandekten, § 236 Nr. 6, s.a. Schmid, Cession I, § 37, S. 359 ff. 108 So ausdrücklich Christiansen, Institutionen, § 3. 109 Oben, 392 ff. 110 Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 180 III 1 D; Burchardi, Obligationenrecht, § 247 bei Fn. 34; Schmid, Cession I, § 37, S. 359 ff., 368 f. 111 Unterholzner, a.a.O.; Puchta, Pandekten, § 235 a.E.; ders., Vorlesungen, § 235 a.E. 112 von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 431 f.; Vangerow, Pandekten, § 573 Anm. 3 Nr. 4; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap III/1, Nr. 2 (S. 93). 113 Savigny, Obligationenrecht I, 220 Fn. b; Brinkmann, Verhältnis, 154; Unger, JhJb 22 (1884), 272 Fn. 154; Binder, Korrealobligationen, 279 ff.; von Kübel, VorlE, S. 52 (Schubert, SR III, 1264). 114 Müller, Institutionen, § 97 II; Arndts, Pandekten, § 214 a.E.; Wächter, Pandekten, § 178 III 2 c; Römer, ZHR 18 (1873), 27; für gesetzlich angeordnete Solidarobligationen Mitteis, GrünZ 14 (1887), 471; der Sache nach (bei gesetzlichen Gesamtschulden) auch Eisele, AcP 77 (1891), 479 f. 115 Vangerow, von Holzschuher, jew. a.a.O. 116 von Schröter, ZCrPr 6 (1833), 433; Müller, Arndts, Wächter, jew. a.a.O.
3. Regressrechte und Regressbeschränkungen im Gemeinen Recht
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Schließlich findet sich auch eine Ansicht, die den Regress zwar nicht bei allen Arten von Solidarobligationen zulassen wollte, wohl aber bei Schadensersatzverbindlichkeiten117. Nach Windscheid sollte jeder Solidarschuldner, der für das Verschulden eines anderen einstehen musste, gegen diesen, nach dem Beispiel des Rückgriffs gegen den pflichtverletzenden Mitvormund, einen Regress auf das Ganze haben. Ein anteiliger Regress sollte dem zustehen, den zusammen mit anderen ein gleiches Verschulden traf (wie die gemeinsam verwaltenden Vormünder) oder der mit anderen für ein fremdes Verschulden einstehen musste (wie der Miteigentümer bei der Noxalhaftung)118. Grundlage des Rückgriffs war für Windscheid die condictio sine causa oder die actio negotiorum gestorum119. Insgesamt findet sich also für den Rückgriff unter Schadensersatz-Gesamtschuldnern ein breites Meinungsspektrum. Das römische Recht bot eben keine klaren Leitlinien: Gesamtschulden auf Schadensersatz gab es nur in Einzelfällen, und die praktisch bedeutsame Frage, ob es einen Regress auch unter fahrlässig handelnden Deliktstätern geben sollte, war wegen der kumulierten Haftung bei der lex Aquilia nicht angesprochen. Ein Überblick über den gemeinrechtlichen Diskussionsstand wird zugleich dadurch erschwert, dass die Fragen, ob mit der Gesamtschuld ein Regress verbunden ist und ob in bestimmten Fällen der Regress ausgeschlossen werden sollte, ineinander verwoben waren. Die Position eines Autors zur Rückgriffsfrage allgemein entschied noch nicht über das Ergebnis im Falle gesetzlicher oder speziell deliktischer Gesamtschulden. Wer einen allgemeinen Gesamtschuldregress bejahte, konnte Ausnahmen für deliktische, schuldhafte oder vorsätzliche Gesamtschuldner machen. Wer die Gesamtschuld für regressneutral hielt, konnte für bestimmte Gesamtschuldkonstellationen, seien es konkrete Einzelfälle, sei es allgemein bei Schadensersatzverbindlichkeiten, ein positives Rückgriffsrecht annehmen. Wer die Korrealobligation für regresslos hielt, konnte bei Solidarobligationen ein allgemeines Rückgriffsrecht annehmen, hiervon aber wieder für deliktische oder vorsätzlich handelnde Schuldner eine Ausnahme machen. Soweit ein kursorischer Blick ein Urteil erlaubt, hat auch die Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts keine allgemeine Linie entwickelt. Teilweise schließt man einen Regress zumindest bei Vorsatztaten aus120; teilweise folgt man der verbreiteten Lehre, dass der Regress auch bei Solidarobligationen ein besonderes Innenverhältnis voraussetzt121. Das Reichsgericht stimmt demgegenüber in einem Urteil von 1893, allerdings nur obiter, der These von Windscheid zu, wonach derje117
Dernburg, Pandekten II, § 75 a.E., § 129 Fn. 13; Unger, JhJb 22 (1884), 293. Windscheid, Pandekten, § 298 bei Fn. 12; ebenso Römer, ZHR 18 (1873), 27 f. 119 Vgl. Windscheid, Pandekten, § 294 Fn. 3, § 422 Fn. 4 bei h, § 431 Fn. 12. 120 ObG Wolfenbüttel (9.11.1837); abgedruckt bei Gruchot, Gruch 3 (1859), 497. 121 So etwa BayObLG, SeuffA 49 Nr. 81 (28.9.1893). Das Zessionsrecht, das die juristische Fakultät Berlin (für das OAG Jena, SeuffA 23 Nr. 138) in einem Fall gewährte, in dem der unterschlagende Beamte und sein verantwortlicher Vorgesetzter solidarisch Schadensersatz schuldeten und der Vorgesetzte leistete, wurde offenbar durch die römische Beamtenhaftung inspiriert, vgl. Ulpian D.50,8,2,9. 118
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II. Der Innenausgleich
nige, der mit anderen für ein fremdes Verschulden haftet, einen anteiligen Rückgriff und ein Zessionsrecht hat122. In eine andere Richtung zielt die zwei Jahre später ergehende Entscheidung eines anderen Senats, wonach jedenfalls bei einem durch schuldhaftes Handeln mehrerer verursachten Schaden ein Rückgriff nicht stattfinde123. Im Ergebnis lässt sich, grob skizziert, eine allmähliche Entwicklung zugunsten eines Gesamtschuldregresses bei Schadensersatzschuldnern ausmachen. Ausgangspunkt war der Fall, dass ein schuldloser Gesamtschuldner für das Verschulden eines anderen Gesamtschuldners einstehen musste. Gerade hier stritt die Billigkeit für einen Totalregress, mit dessen Hilfe die Schadensersatzlast letztlich von demjenigen getragen werden musste, der für den Schaden verantwortlich war. Von diesem Fall aus wurde der Gesamtschuldregress auf Fälle erweitert, in denen der Schaden durch Verschulden mehrerer entstanden war. Zwar erschien der Regressberechtigte in diesem Fall wegen seines eigenen Verschuldens weniger schutzwürdig. Zudem konnte es Probleme bei der Festlegung der internen Anteile geben: Sofern man nicht an der starren Kopfteilregel festhalten mochte, die den Gegebenheiten des Einzelfalls nicht immer gerecht wurde, war man mit der schwierigen Aufgabe konfrontiert, Kausalitätsbeiträge und Verschuldensgrade gegeneinander abzuwägen124. Letztlich überwog hier aber der Gedanke, dass auch in diesem Fall der in Anspruch Genommene zumindest teilweise für fremdes Verschulden einstehen musste125. Der ursprüngliche Ausschluss des Regresses für Deliktstäter wich zunehmend einem allgemeinen Gesamtschuldregress, der nur noch bei vorsätzlichem Handeln oder gar nicht mehr beschränkt wurde. Daneben hat es aber auch stets Fälle des Regresses gegeben, in denen keinen der Gesamtschuldner ein Verschulden traf. Der Gedanke, mittels des Rückgriffs die Last auf denjenigen abzuwälzen, der in erster Linie für den Schaden verantwortlich war, konnte hier nicht herangezogen werden. Das römische Recht konnte in manchen Fällen auf ein ohnehin vorhandenes Innenverhältnis zurückgreifen (Noxalhaftung), hat dann aber einen Regress auch ohne Innenverhältnis im Falle der actio de effusis zugelassen, was im Gemeinen Recht auch rezipiert wurde. Wollte man diesen Regress nicht als besondere Einzelbestimmung, sondern als Anwendungsfall eines allgemeinen Regressrechts bei sämtlichen oder zumindest gesetzlichen Gesamtschuldverhältnissen verstehen, dann musste man auf das Glücksspiel-Argument Savignys bzw. auf den Gedanken zurückgreifen, 122
RGZ 33, 67, 75 (23.9.1893, 1. Senat). RG SeuffA 52 Nr. 7/2 (28.9.1895), ebenso die Vorinstanz OLG Hamburg (1.4.1895), SeuffA 52 Nr. 7/1. Nach dem OLG sollte auch die Billigkeit keinen allgemeinen Regress außerhalb der besonders angeordneten Fälle (Vormünder und Hausbewohner) gebieten, da jeder nur das zahle, was er selbst schulde. Zudem sahen sich beide Gerichte außerstande, einen Maßstab für die interne Aufteilung zu finden, der nicht „schrankenlose Willkür“ (OLG) bzw. „schwankend und willkürlich“ (RG) wäre. 124 Zum Aufteilungsmaßstab unten, 590 ff. 125 Vgl. von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 431 ff.; Windscheid, Pandekten, § 298; Zaun, ArchPrRW nF 1 (1864), 132 ff.; Jhering, JhJb 10 (1871), 343 f. 123
4. Die Regelwerke
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dass die Leistung eines Gesamtschuldners dem anderen einen auszugleichenden Vermögensvorteil in Form der Schuldbefreiung zuwendete126. Der Regress beruhte dann auf der Teilung der Gesamtschuld nach innen.
4. Die Regelwerke Wie berichtet kannte die große Mehrheit der Kodifikationen und Entwürfe einen mit der Gesamtschuld verbundenen allgemeinen Rückgriffsanspruch127. Dieser Regress wurde ohne weiteres auch deliktischen Gesamtschuldnern gewährt. Beschränkungen kannte allein das preußische Landrecht. Seine Vorschriften zum Gesamtschuldausgleich bezogen sich nur auf vertragliche Gesamtschulden128. Deliktischen Gesamtschuldnern wurde aber im Abschnitt über die unerlaubten Handlungen ein besonderes anteiliges Regressrecht eingeräumt, sofern der Schaden nur auf Fahrlässigkeit beruhte129. Bei einer vorsätzlicher Schadenszufügung durch mehrere konnte sich das ALR hingegen, der gemeinrechtlichen Überlieferung folgend, zu einem Regressrecht nicht entschließen130. Doch der Ausschluss des Rückgriffsrechts hätte bedeutet, dass die nichtleistenden Mitschuldner trotz ihres vorsätzlichen Handelns von jeglicher Verbindlichkeit frei waren. Nach Ansicht des Redaktors Svarez konnte die Hoffnung auf eine solche Haftungsfreiheit zur Begehung von Delikten förmlich einladen. Um dieses Ergebnis zu vermeiden, nahm er eine Bestimmung auf, wonach die Mitschuldner ihren Innenanteil zwar nicht an den leistenden Schuldner, wohl aber an die örtliche Armenkasse entrichten mussten131. Es handelte sich also um eine echte Strafvorschrift, die auch das Problem der Gläubigerwillkür nicht beseitigte, da es dem Gläubiger überlassen war, denjenigen Schuldner auszuwählen, der nicht nur seinen Innenanteil, sondern das Ganze endgültig tragen musste132. Diese wegen ihres Strafcharakters als „Anomalie“133 oder „uncivilistisches curiosum“134 bezeichnete Vorschrift blieb singulär135. 126 Insbes. Pothier, Obligations, § 282; Sell, ZCRPr 3 (1830), 376; Savigny, Obligationenrecht I, 226 ff.; Jhering, JhJb 10 (1871), 331 ff.; Dernburg, Pandekten II, § 129 Fn. 13; Unger, JhJb 22 (1884), 275; Eisele, AcP 77 (1891), 479 f. 127 Oben, 269 f. Es handelt sich um den CMBC, das ALR, den CC, das ABGB, den Sächsischen, Hessischen und Bayerischen Entwurf, das ZürGB und das OR. 128 ALR I 5 §§ 443 ff. befindet sich im Abschnitt zu „Correalverträgen“. 129 ALR I 6 § 33. 130 ALR I 6 § 34. 131 ALR I 6, § 35; vgl. auch ALR I 3 § 36 (keine Rechte und Pflichten unter den Teilnehmern einer rechtswidrigen Tat). Ursprünglich sollte der Fiskus der Begünstigte sein. Zur Entstehung Schubert/Regge, Quellen II/3, 169. 132 Ungenau Kruse, Kausalität, 117 f., wonach die Regel zur kumulativen Haftung der vorsätzlich Handelnden führte. 133 Koch, Forderungen II, 39 f.; vgl. auch ders., ALR, zu I 6 § 35, Anm. 18. 134 Gruchot, Gruch 3 (1859), 498. 135 In der Preußischen Gesetzesrevision 1830/31 sollte die Vorschrift wegen ihres Strafcharakters gestrichen und durch einen bloßen Regressausschluss bei Vorsatz ersetzt werden, siehe Schubert/Regge, Quellen II/3, 64, 168 f.
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II. Der Innenausgleich
Die übrigen Regelwerke, die auf dem Boden der frühen gemeinrechtlichen Lehre einen allgemeinen Gesamtschuldregress vorsahen, kannten für Gesamtschulden aus Delikten keinerlei Einschränkungen. Für sie wies die Verpflichtung zum Schadensersatz auch bei vorsätzlichen Delikten keinen Strafcharakter auf. Der Regress sollte daher nicht nur eine ungerechtfertigte endgültige Befreiung der Mitschuldner verhindern, sondern auch zugunsten des in Anspruch Genommenen die Last verteilen und damit die Willkür der Inanspruchnahme durch den Gläubiger ausgleichen136. Das ABGB, dessen Gesamtschuldregeln sich wie im ALR auf vertragliche Gesamtschulden bezogen, gewährte deliktischen Gesamtschuldnern ein besonderes uneingeschränktes Rückgriffsrecht137. Im bayerischen Landrecht, im Code Civil, im Züricher Gesetzbuch, im Schweizer Obligationenrecht und in der Mehrheit der deutschen Entwürfe galten für deliktische Solidarschuldner von vornherein die allgemeinen Gesamtschuldvorschriften und damit auch das Rückgriffsrecht, so dass man es entweder bei diesem allgemeinen Gesamtschuldregress belassen konnte138 oder für deliktische Gesamtschulden zusätzliche Sondervorschriften zum Rückgriffsrecht vorsah139. Im Schweizer Obligationenrecht findet sich allerdings eine Vorschrift, die man als Regressbeschränkung verstehen könnte: Danach soll das richterliche Ermessen darüber bestimmen, „ob und in welchem Umfange“ ein Rückgriffsrecht besteht140. Doch der hier zugelassene Ausschluss des Regresses bezieht sich offenbar nicht auf Fälle, in denen unabhängig von der Person des Leistenden überhaupt kein Rückgriff stattfinden soll, sondern lediglich auf Konstellationen, in denen der Leistende intern die ganze Schuld tragen muss (und drückt insofern Selbstverständliches aus). So wird die Vorschrift jedenfalls einhellig in der Schweizer Literatur verstanden141. Sonderprobleme ergaben sich aber in Frankreich. Der Code Civil sah in der Tradition von Pothier einen allgemeinen Gesamtschuldregress auch bei gesetzlichen Gesamtschulden ohne jede Einschränkungen vor. Rechtsprechung und Literatur waren sich demgemäß weitgehend darüber einig, dass ein Regress auch dann stattfinden sollte, wenn die solidarité auf einem Delikt oder einer Straftat
136
Zu den Beratungen zum ABGB Ofner, Ur-Entwurf II, 188; s.a. Motive zum BayE II, S. 78. ABGB § 1302 Satz 2. Das Regressrecht in § 896 bezieht sich seinem Wortlaut nach nur auf vereinbarte Gesamtschulden, §§ 891 ff. 138 So CMBC IV 1, § 23 i.V.m. § 21 Nr. 7, und IV 16, § 4 Nr. 5 (der allgemeine Gesamtschuldrückgriff zeigt sich auch darin, dass der Regress bei der actio de effusis nicht besonders angeordnet wurde, CMBC IV 16 § 8, obwohl er selbstverständlich stattfinden sollte, Kreittmayr, Anmerkungen IV, zu IV 16 § 8, Anm. f); CC Art. 1213 f.; HessE IV 1 Art. 12 i.V.m. Art. 6 und Art. 214. 139 So SächsE § 798 (vgl. §§ 592, 607, und Motive zum SächsE, 168); BayE II Art. 72 (vgl. Art. 69, 71, 222 II, 239); OR 1881 Art. 60 II, OR 1911 Art. 50 II (vgl. OR 1881 Art. 60 I, 168, OR 1911 Art. 50 I, 148). 140 OR 1881 Art. 60 II, OR 1911 Art. 50 II. 141 Vgl. Oftinger/Stark, Haftpflichtrecht I, Rz 10/45 ff.; Keller/Gabi-Bolliger, Haftpflichtrecht, 135 f.; BasK/Schnyder, OR, Art. 50 Rz 17; BernK/Brehm, OR, Art. 50 Rz 57. 137
4. Die Regelwerke
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beruhte142. Eine Regresslosigkeit, so wurde im 19. Jahrhundert argumentiert, würde eine Bereicherung der nicht in Anspruch genommenen Mitschuldner auf Kosten des Zahlenden bedeuten, die durch die ex turpi causa-Regel nicht gerechtfertigt sei143. Doch als man damit begann, bei Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Gesamtschuldanordnung keine solidarité, sondern eine gesetzlich nicht geregelte obligation in solidum anzunehmen144, stand man plötzlich wieder vor dem Problem, wie der Rückgriff begründet werden sollte. Art. 1213 und 1214, die von einer inneren Teilung der Gesamtschuld und einem anteiligen Rückgriffsrecht sprachen, waren nun auf einfache Delikts-Gesamtschulden nicht mehr anwendbar. Bei der Suche nach einer tragfähigen Basis für den gewünschten Regress tauchten erneut die alten gemeinrechtlichen Argumente auf145. Ein Rückgriffsrecht aus Auftrag (mandat) scheiterte daran, dass es unter den Gesamtschuldnern keine Innenbeziehung gab. Gegen einen Regress aus Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 1375 CC) sprach, dass der leistende Gesamtschuldner sein eigenes Geschäft führte, weil er ja nach allgemeinen Regeln die Leistung des gesamten Schadensersatzes schuldete. Ähnliche Erwägungen sprachen gegen einen Regress aus ungerechtfertigter Bereicherung146: Möglicherweise war der nichtleistende Gesamtschuldner gar nicht bereichert; zumindest schien keine Bereicherung auf Kosten des Leistenden stattgefunden zu haben, der schließlich nichts anderes getan hatte, als eine ihn treffende Pflicht zu erfüllen. Die Rechtsprechung hatte bei deliktischen Gesamtschulden ursprünglich solidarité und damit ohne weiteres ein gesetzliches Rückgriffsrecht angenommen. Als sie sich der Theorie der obligation in solidum anschloss, stützte sie den Regress von nun an nicht mehr auf die Art. 1213 f., sondern auf die gesetzliche Subrogation des Art. 1251 Nr. 3 CC147. Auch gegen diese Lösung wurden in der 142 Aus dem 20. Jahrhundert Mazeaud, Rev crit 50 (1930), 141, § 25; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1093; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 118; Mestre/Tian, Solidarité, §§ 117, 191 Fn. 95; Le Tourneau/Julien, Solidarité, § 144; jew. m.w.N.; s.a. Mestre, Subrogation, § 139. 143 Marcadé/Pont, Explication IV, § 623; Demante/Colmet, Cours V, § 147 bis III; Demolombe, Cours XXVI, §§ 308, 423. 144 Oben, 536 ff. 145 Zum Folgenden Demolombe, Cours XXVI, § 304; Mazeaud, Rev crit 50 (1930), 141, § 26; Vincent, RTD civ 38 (1939), 601 § 69; Boré, JCP 1967 I 2126; Larroumet, D 1978, J 290; Durry, RTD civ 1978, 366; Mazeaud/Chabas, Droit civil II/1, § 1072; Mestre, Subrogation, §§ 177, 270 Fn. 2; Mestre/Tian-Pancrazi, Obligation in solidum, §§ 82 ff.; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, § 1281; Périlleux, Obligation in solidum, § 29. Vgl. auch das Urteil RGZ 33, 348 (8.5.1894), das (in Anwendung französischen Rechts) einen Regress bei gesetzlich nicht geregelten Gesamtschuldverhältnissen ausschließt, weil Art. 1214 CC nicht anwendbar sei und ein Rückgriff sich auch nicht aus Geschäftsführungs- oder Bereicherungsrecht ergebe; dagegen Crome, JhJb 35 (1896), 123 ff. 146 Hierfür dezidiert Crome, JhJb 35 (1896), 126 ff.; Dejean de la Batie, JCP 1978 II 19003, Spalte 4; Plancqueel, Gaz Pal 1984 I 120. 147 Leitentscheidung war Cass civ (21.12.1943), JCP 1945 II 2779; ferner etwa Cass 2 civ (22.10.1975), Gaz pal 1976,1,192; Cass 1 civ (23.10.1984), Gaz Pal 1985 pan 111; Cass 1 civ (7.2.1989), RTD civ 1989, 543, obs Mestre; Cass 2 civ (6.3.1991), D 1991, 256. Weitere Nachweise
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II. Der Innenausgleich
Literatur konstruktive Einwendungen erhoben: Die Vorschrift, die auf dem gemeinrechtlichen Modell der Obligationseinheit aufbaute, gab das Subrogationsrecht dem Leistenden, „qui, étant tenu avec d’autres ou pour d’autres au payement de la dette, avait intérêt de l’acquitter“. Der Schuldner einer obligation in solidum aber, so konnte man argumentieren, schuldete nicht für oder mit anderen im Rahmen einer einheitlichen Schuld, sondern erfüllte eine Einzelschuld, die ihn allein traf148. All diese Argumente gegen ein Rückgriffsrecht gehen letztlich auf die Konstruktion zurück, dass bei der obligation in solidum jeder Schuldner schon „an sich“, nach allgemeinen Regeln, das Ganze schuldet, unabhängig davon, dass auch ein anderer Schuldner aufgrund einer eigenen Obligation ebenfalls das Ganze schuldet. Bei der solidarité dagegen konnte der Regress damit gerechtfertigt werden, dass es sich um eine einheitliche, nach innen geteilte Obligation handelte. Die französische Diskussion steht damit in bemerkenswertem Kontrast zu der deutschen im 19. Jahrhundert, in der aus der Obligationsmehrheit bei der Solidarschuld manchmal der umgekehrte Schluss gezogen wurde: Gerade weil eine Mehrheit von Obligationen vorlag, führte der zahlende Solidarschuldner ein fremdes Geschäft, indem er eine fremde Obligation zum Erlöschen brachte, so dass gerade bei Solidarobligationen im Gegensatz zu Korrealobligationen ein Regress stattfinden sollte149. Die Begründungen von Sachergebnissen aus begrifflichen Konstruktionen sind offenbar in gewissem Maße austauschbar. Im Ergebnis besteht aber Einigkeit, dass ein Regress auch bei der obligation in solidum stattfinden sollte, um die endgültige Belastung der Schuldner nicht von der Willkür des Gläubigers abhängig zu machen150. Die Subrogationslösung der Rechtsprechung wird trotz der konstruktiven Bedenken von der Literatur grundsätzlich gebilligt151. Wenn aber der Rückgriff allein über die zedierte Gläubigerforderung stattfindet, dann scheidet er aus, wenn der Gläubiger gegen den anderen Schädiger keinen Anspruch geltend machen kann oder wenn die Gläubi-
bei148 Boré, JCP 1967 I 2126; Mestre, Subrogation, §§ 177 ff.; Mestre/Tian-Pancrazi, Obligation in solidum, §§ 86 f.; Le Tourneau/Julien, Solidarité, § 199; Savaux, Subrogation, § 84. Aus rechtsvergleichender Sicht Neumann-Schneidewind, Mitverursachung, 26 f.; Friedmann/Cohen, Adjustment, § 11; Bentele, Gesamtschuld, 85 f., 95 ff. 148 Vgl. Vincent, RTD civ 38 (1939), 601, § 69; Chabas, RTD civ 65 (1967), 320, 334; Boré, JCP 1972 II 17086, II B; Raynaud, D 1974, 120; ders., FS Vincent, 317, § 6; Larroumet, D 1978, J 290; Agostini, D 1982, 257; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 141; Lorvellec, Subrogation, § 53; Mestre, Subrogation, §§ 177 ff.; Savaux, Subrogation, §§ 83 ff.; Mestre/Tian-Pancrazi, Obligation in solidum, § 87; Périlleux, Obligation in solidum, § 29. 149 Oben, 574. 150 Zur Gläubigerwillkür insbes. Demolombe, Cours XXVI, § 304; Mazeaud, Rev crit 50 (1930), 141, § 26; Chabas, RTD civ 65 (1967), 320; Boré, JCP 1967 I 2126; Starck, JCP 1970 I 2339 § 19; Mestre, Subrogation, § 177. 151 Neben den in Fn. 147 Genannten etwa Vincent, RTD civ 38 (1939), 601, § 69; Chabas, RTD civ 65 (1967), 320, 334, 337; Raynaud, FS Vincent (1981), 317, §§ 6 f.; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 141; Mestre, RTD civ 1989, 543; Lorvellec, Subrogation, § 53; Terré/Simler/Lequette, Obligations, § 1263.
4. Die Regelwerke
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gerforderung inzwischen verjährt ist152. Damit stellt sich die Frage, ob es neben dem Subrogationsregress noch ein eigenes, vom Schicksal der Gläubigerforderung unabhängiges, Rückgriffsrecht gibt. Hierfür kommt im französischen Recht die deliktische Generalklausel des Art. 1382 CC in Betracht, die anders als ihr deutsches Pendant auch die Verursachung reiner Vermögensschäden umfassen kann. Tatsächlich setzt die Rechtsprechung diese Vorschrift zumindest in manchen Fallgruppen als Regressgrundlage ein153. Haften der Bauunternehmer und der Architekt aufgrund unabhängiger Verträge auf den Ersatz desselben Schadens des Bestellers, soll ein Regress des Leistenden gegenüber dem Mitschuldner aus Art. 1382 nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich möglich sein, weil eine Vertragsverletzung gegenüber dem Besteller zugleich ein Delikt gegenüber dem vertragsfremden Mitschuldner darstellen könne154. Ein solches Delikt kommt etwa dann in Betracht, wenn der Unternehmer mangelhaft baut oder der Architekt mangelhafte Pläne liefert; zweifelhaft ist dagegen, ob eine mangelhafte Bauaufsicht des Architekten ein Delikt gegenüber dem beaufsichtigten Unternehmer darstellen kann155. Auch in der Fallgruppe der Verkehrsunfälle mit mehreren Beteiligten lässt der Kassationshof häufig neben der Subrogation einen Ausgleichsanspruch des Leistenden mit Hilfe des allgemeinen Deliktsrechts zu156. Die Rechtsprechung schwankt allerdings beträchtlich157. Aus deutscher Sicht ist es nur schwer einschätzbar, in welchen Fällen und aus welchen Gründen ein Regress mit Hilfe des Art. 1382 angenommen oder abgelehnt wird. Mit der Konstruktion eines Deliktsanspruchs ist ein Regress auch dann möglich, wenn die Gläubigerforderung gegen den Regresspflichtigen schon verjährt
152 Hierzu Boré, JCP 1967 I 2126, Teil I; Mestre, Subrogation, §§ 411 ff.; Mestre/Tian-Pancrazi, Obligation in solidum, § 89; Durry, RTD civ 1978, 365; Savaux, Subrogation, § 183. Daher gewährt die Rechtsprechung keinen Subrogationsregress, wenn die Gläubigerforderung gegen den Regresspflichtigen verjährt ist, Cass 2 civ (6.1.1966), Bull civ II Nr. 5; (7.2.1974), Bull civ II Nr. 56; (22.10.1975), Gaz Pal 1976,1,192, JCP 1977 II 18517; (6.10.1976), Bull civ II Nr. 262. 153 Hierzu, insbesondere für den Regress des Versorgungsträgers gegen den Schadensersatzpflichtigen, Mestre, Subrogation, §§ 270 ff.; Savaux, Subrogation, § 173; aus rechtsvergleichender Sicht Marschall von Bieberstein, Reflexschäden, 90 ff., 163 ff.; Hüffer, Rückgriff, 28 ff.; Fleming, Collateral Benefits, §§ 44 f.; Hasse, Regreß, 100 ff., 146 ff. 154 Cass 1 civ (14.10.1958), Bull civ I Nr. 428; (7.5.1965) JCP 1965 II 14376; Cass 3 civ (3.7.1968), JCP 1969 II 15860; (31.1.1969) JCP 1969 II 15937; (30.5.1969) JCP 1970 II 16443; (1.3.1983) Gaz Pal 1984,1,119; (3.10.1984) JCP 1984 IV 338. 155 Vgl. Cass 1 civ (7.11.1962), JCP 1963 II 12987; Liet-Veaux, JCP 1969 II 15937. 156 Etwa Cass 2 civ (6.3.1991), D 1991, 256, RTD civ 1991, 552 obs Jourdin; Cass 2 civ (24.1.1996), Bull civ II Nr. 7. 157 Nach Cass 2 civ (14.1.1998), D 1998, 174, JCP 1998 II 10045, soll der Regress bei Verkehrsunfällen nur auf Grundlage der Art. 1382 und 1251 Nr. 3 CC stattfinden. Die Literatur versteht das Urteil mehrheitlich so, dass der Regress nun nur noch per Subrogation in die Deliktsansprüche des Geschädigten möglich ist, nicht als eigener Rückgriffsanspruch. Ausgeschlossen würde damit auch eine Subrogation in die Rechte des Geschädigten aus dem Haftpflichtgesetz von 1985. Vgl. Jourdin, JCP 1998 II 10045; Chabas, Dr et Patr 1998, Nr. 1935; Groutel, D 1998, 174; Mestre/Tian-Pancrazi, Obligation in solidum, § 99.
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II. Der Innenausgleich
ist158 oder wenn der Gläubiger aus anderen Gründen nicht gegen den anderen Beteiligten vorgehen kann159. In der Literatur wird der deliktische Regress kritisiert: Die Annahme eines zum Schadensersatz verpflichtenden Delikts gegenüber dem Mitverursacher sei künstlich und führe im Fall der Haftungen von Bauunternehmer und Architekt zur sachwidrigen Folge, dass die Verjährung des Rückgriffsanspruchs ganz unabhängig von den jeweiligen vertraglichen Verjährungsfristen erst mit der Leistung an den Gläubiger zu laufen beginne160. Auch außerhalb der Fallgruppen, in denen die Rechtsprechung einen Regress mittels Deliktsanspruchs zulässt, ist es zur Anerkennung eines eigenen Rückgriffsrechts gekommen. In einem Fall, der 1977 von der Ersten Zivilkammer der Cour de Cassation entschieden wurde, hatte der Gläubiger dem regresspflichtigen Gesamtschuldner einen Erlass gewährt. Das Gericht wollte die Konsequenz, dass ein Regress des leistenden Gesamtschuldners mangels Subrogationsobjekt ausscheidet, nicht hinnehmen und erklärte, der leistende Schuldner einer obligation in solidum habe nicht nur einen Subrogationsregress, sondern auch ein eigenes Rückgriffsrecht, das vom Bestand der Gläubigerforderung unabhängig sei. Zur Begründung berief es sich auf Art. 1214 CC161. Auch wenn diese Entscheidung singulär blieb162, wird ihr in der Literatur eine grundsätzliche Bedeutung zugemessen. Das Ergebnis, dass der Gläubiger durch Vereinbarung mit einem Gesamtschuldner nicht dem anderen dessen Regress vereiteln kann, wird allgemein für richtig gehalten. Ein Teil der Literatur zieht es allerdings vor, dieses Ergebnis durch eine beschränkte Gesamtwirkung des Erlasses mittels analoger Anwendung des Art. 1285 II CC zu erreichen, so dass der Gläubiger vom anderen Gesamtschuldner von vornherein nur dessen internen Anteil verlangen kann und ein Regress gegenüber dem Entlassenen entfällt163. Andere folgen dagegen der Annahme des Gerichts, dass es auch bei der obligation in solidum ein eigenes Rückgriffsrecht gibt, das von der Existenz der Gläubigerforderung unabhängig ist. Die Grundlage dieses Regresses bleibt unsicher: Handelt es sich um einen Bereicherungsanspruch164, um Geschäftsführung ohne
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Cass 3 civ (1.3.1983), Gaz Pal 1984, 1, 119. So verhielt es sich offenbar in Cass 3 civ (3.7.1968), JCP 1969 II 15860 (nachträglicher Haftungsverzicht), und in Cass 2 civ (24.1.1996), Bull civ II Nr. 7 (keine Halterhaftung gegenüber Fahrer). 160 Zur Haftung von Architekt und Unternehmer Soinne, JCP 1969 II 15860; Liet-Veaux, JCP 1969 II 15937; Plancqueel, Gaz Pal 1984 I 120; zum Verkehrsunfall Jourdin, RTD civ 1991, 552; Chabas, Dr. et patr. 1996 Nr. 1308; Groutel, D 1998, 174. 161 Cass 1 civ (7.6.1977), GazPal 1978,1,131, D 1978 J 289, JCP 1978 II 19003. Hierzu Bentele, Gesamtschuld, 96 ff. 162 Mestre/Tian-Pancrazi, Obligation in solidum, § 91; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, § 1281. 163 Durry, RTD civ 1978, 364 (ähnlich für den Fall der Verjährung ders., RTD civ 1982, 151); Dejean de la Batie, JCP 1978 II 19003, Sp. 5 f.; Larroumet, D 1978, J 290; Raynaud, FS Vincent (1981), 317, §§ 21 f.; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, § 1282 Fn. 29. 164 So Dejean de la Batie, JCP 1978 II 19003; Plancqueel, Gaz Pal 1984 I 120; Le Tourneau/Julien, Solidarité, § 200. 159
4. Die Regelwerke
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Auftrag165, um einen Schadensersatzanspruch166 oder um eine Subrogation, bei der bestimmte Einwendungen abgeschnitten werden167? Die Cour de Cassation ging offenbar von einer Analogie zu Art. 1214 CC aus. Diejenigen, die sich für eine Annäherung der obligation in solidum an die gesetzlich geregelte solidarité aussprechen, sehen ihre Ansicht durch das Urteil bestätigt168. Ein Regress direkt über Art. 1213 f. CC wäre auch die Lösung der CatalaKommission, welche die obligation in solidum generell durch die solidarité ersetzen will169. Damit wäre man wieder am Ausgangspunkt angelangt: Der historische Gesetzgeber des CC hatte mit Art. 1213 f. eine Regressregelung für eine Einheits-Gesamtschuld beabsichtigt. Das Sächsische Gesetzbuch von 1863 und der Dresdener Entwurf von 1866 nahmen unter den Regelwerken hinsichtlich der Regressfrage eine Minderheitsposition ein. Beeinflusst von pandektistischem Gedankengut lehnten sie einen schon aus der Gesamtschuld selbst folgenden Regress ab170. Für deliktische Gesamtschulden stellte sich also nicht die Frage, ob bestimmte Ausnahmen vom allgemeinen Gesamtschuldregress zu machen waren, sondern ob für bestimmte Fälle der Regress positiv anzuordnen war. Dies galt in erster Linie für die rechtswidrige Schadenszufügung in der Tradition der lex Aquilia. Beide Regelwerke sahen hier einen anteiligen Rückgriff vor, wenn mehrere durch Fahrlässigkeit den zu ersetzenden Schaden verursacht hatten171. Bei vorsätzlichen Schädigungen sah man dagegen, auch hier in Übereinstimmung mit der herrschenden gemeinrechtlichen Lehre des 19. Jahrhunderts, von einem Gesamtschuldregress ab. Diese Regressbeschränkung war bei den Beratungen zum Dresdener Entwurf sehr kontrovers diskutiert worden172. Eine Minderheit, welche die hier schon mehrfach erwähnten Argumente zugunsten eines Rückgriffsrechts (fehlender Strafcharakter der Schadensersatzpflicht, Zufall der Gläubigerentscheidung, ungerechtfertigter Vorteil für den nicht in Anspruch Genommenen) ins Spiel brachte, konnte sich nicht durchsetzen. Der Regress, so die Mehrheit, beruhe bei deliktischen Gesamtschulden allein auf der Billigkeit, die ein vorsätzlich handelnder Täter nicht in Anspruch nehmen könne. Deliktische Gesamtschulden gab es nicht nur bei der schuldhaften Schadenszufügung. Aus der gemeinrechtlichen Tradition übernahmen das Sächsische Gesetzbuch und der Dresdener Entwurf die solidarische Haftung einerseits der
165
So Terré/Simler/Lequette, Obligations, § 1263. So Agostini, D 1982, 257. 167 So Groutel, D 1987 chron 87. 168 Vgl. Larroumet, D 1978 J 290; Raynaud, FS Vincent (1981), 317, § 10; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 141; Mestre/Tian-Pancrazi, Obligation in solidum, §§ 85, 91. 169 Oben, 540 f. 170 SächsGB § 1036; DresdE Art. 16; oben, 274 f. 171 SächsGB § 1495 S. 3; DresdE Art. 219. Im Sächsischen BGB galt der Regress auch für den Fall der solidarischen Haftung mehrerer Beteiligter bei unklarer Kausalität (vgl. § 830 I 2 BGB), die das Sächsische BGB, nicht aber der Dresdener Entwurf vorsah. 172 Dresd. Prot. 716–718, 4124 ff. 166
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II. Der Innenausgleich
Hausbewohner im Rahmen der (bisherigen) actio de effusis, andererseits der Miteigentümer bei Tierschäden (die gemeinrechtliche Noxalhaftung). Bei den Hausbewohnern sahen beide Regelwerke einen besonderen Gesamtschuldregress vor173, nicht aber bei den Tierhaltern174. Vermutlich ging man davon aus, dass bei diesen der Regress auf das Innenverhältnis in Gestalt der Miteigentumsgemeinschaft gestützt werden konnte, während bei den Hausbewohnern mangels besonderen Innenverhältnisses das Rückgriffsrecht eigens angeordnet werden musste, um die (nicht gewünschte) Regresslosigkeit zu vermeiden. Gesamtschuldnerisch hafteten im Dresdener Entwurf ferner der (verantwortliche) Täter und der Aufsichtspflichtige. Auch hier war ein Regress besonders angeordnet, in diesem Fall einseitig zugunsten des Aufsichtspflichtigen175. Im Ergebnis stellt sich die Regresslage im Sächsischen Gesetzbuch und im Dresdener Entwurf nicht viel anders dar als bei den übrigen Regelwerken176. Unterschiedlich beurteilt wird die Regressfrage bei Vorsatzdelikten. Bei Fahrlässigkeit und bei strikter Haftung hingegen sehen offenbar alle Regelwerke einen Rückgriff vor. Während die Mehrheit hierfür schlicht auf ihren allgemeinen Gesamtschuldregress verweisen konnte, mussten die Regelwerke mit regressneutraler Gesamtschuld für jeden gesetzlichen Gesamtschuldfall eigens ein besonderes Rückgriffsrecht anordnen. Dies konnte zu Lücken führen. So sah das Sächsische Gesetzbuch der gemeinrechtlichen Tradition gemäß eine solidarische Haftung der Mitvormünder vor, ohne aber einen Regress anzuordnen177. Ob diese Regresslosigkeit beabsichtigt oder eine versehentliche Lücke war, ist schwer festzustellen.
5. Die Entscheidung des BGB Die Entwicklungsgeschichte des § 426 BGB ist oben ausführlich dargestellt worden178. Im Folgenden sollen daher nur die wesentlichen Gesichtspunkte speziell aus der Perspektive des Regresses bei Deliktsgesamtschulden nachgezeichnet werden. Von Kübel teilte den Ausgangspunkt des Dresdener Entwurfs und des Sächsischen BGB: Der Regress sollte sich nicht schon aus der Gesamtschuld selbst ergeben, sondern, soweit gewünscht, in Einzelfällen besonders angeordnet 173 SächsGB § 1556; DresdE Art. 1021. Im DresdE wurde der Regress eingefügt, als man realisierte, dass es keinen allgemeinen Gesamtschuldregress gab und der Regress unter fahrlässig handelnden Tätern die strikt haftenden Hausbewohner nicht umfasste, Dresd. Prot. 3645 f. 174 Nur von Gesamtschulden, nicht von einem anteiligen Regress unter den Miteigentümern ist die Rede in SächsGB § 1564; DresdE Art. 1027. 175 DresdE Art. 217. Schließlich sah der Dresdener Entwurf auch im Falle eines Tierschadens ein Gesamtschuldverhältnis vor zwischen demjenigen, der das Tier gereizt hatte, und dem Tierhalter, den ein Aufsichtsverschulden traf, Art. 1026 II. Hier ergab sich der Regress wohl aus der Vorschrift des Art. 219, weil beide Verantwortliche ein Verschulden traf. 176 Ähnlich Goette, Gesamtschuldbegriff, 127 f. 177 SächsGB § 1958. Der Dresdener Entwurf enthielt kein Familienrecht. 178 Oben, 279 ff.
5. Die Entscheidung des BGB
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werden. Dementsprechend schlug er in seinem Vorlageentwurf von 1878 eine regresslose Gesamtschuld vor179. Die Frage nach besonderen Rückgriffsrechten bei deliktischen Gesamtschulden sollte dann der Detailberatung vorbehalten bleiben. Ein Rückgriffsrecht für vorsätzlich handelnde Täter war nach Ansicht von Kübels von vornherein ausgeschlossen. In Frage kam nur ein Regress bei fahrlässiger Schadenszufügung, doch selbst dessen Existenzberechtigung zweifelte von Kübel ursprünglich an180. Zu besonderen Rückgriffsanordnungen ist es dann nicht mehr gekommen. Schon in den Vorberatungen im Jahre 1878 entschied sich die Erste Kommission gegen von Kübels Willen für einen allgemeinen Gesamtschuldregress. Ihre Begründung allerdings scheint auf den ersten Blick nicht recht zu gesetzlichen Gesamtschulden zu passen: Zwar sei die Regresslosigkeit vom theoretischen Standpunkt aus richtig, doch das praktische Bedürfnis erfordere, in Regelung der „Beweislast“ die „Vermuthung“ auszusprechen, dass eine Regresspflicht bestehe. Daher sei die Regel aufzunehmen, dass der Gesamtschuldner „im Zweifel, d.h. insofern sich nicht aus dem Gesetze oder dem Rechtsgeschäfte ein Anderes ergiebt,“ Rückgriff nehmen könne181. Eine Beweislastregelung in Form einer echten Vermutung eines Rückgriffsrechts hat dort ihren Platz, wo die Gesamtschuldner durch ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis verbunden sind. Bei gesetzlichen Gesamtschulden ohne Innenverhältnis kann der Regress dagegen nicht auf einer tatsächlichen Vermutung beruhen. Für die Geltung einer Rechtsregel hingegen kann es keine Vermutung geben. Gemeint war offenbar etwas anderes. Schon im Gemeinen Recht war die Frage, ob und wann deliktische Gesamtschuldner Regress nehmen können, vom Verhältnis zwischen Regel und Ausnahme bestimmt: Der Regress konnte für alle Gesamtschuldner oder zumindest für Solidarschuldner i.e.S. eröffnet sein, aber deliktischen oder vorsätzlichen Gesamtschuldnern ausnahmsweise verschlossen bleiben; umgekehrt konnten bei einer grundsätzlich regresslosen Gesamtschuld für bestimmte Gruppen deliktischer Gesamtschuldner ausnahmsweise Rückgriffsrechte gelten. Ebenso verhielt es sich bei den Regelwerken: Die Mehrheit sah einen allgemeinen Gesamtschuldregress vor, wobei aber das ALR eine Ausnahme für Vorsatztaten machte; eine Minderheit gewährte bei regressloser Gesamtschuld fahrlässig handelnden oder strikt haftenden deliktischen Gesamtschuldnern ein besonderes Rückgriffsrecht. Wie von Kübel selbst feststellte, war der praktische Unterschied nicht allzu groß182. Die von der Ersten Kommission beschlossene Regel fügte er in seinen Teilentwurf von 1882 ein183. Am Grundsatz, dass zwischen vorsätzlich handelnden Tätern ein Rückgriff nicht stattfindet, hielt er aber fest. Wegen des nun gel179 180 181 182 183
VorlE These XV und § 21. VorlE, S. 4 f. (Schubert, SR III, 1216 f.). Jakobs/Schubert, SR I, 904. VorlE, S. 56 (Schubert, SR III, 1268). TeilE § 20.
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II. Der Innenausgleich
tenden allgemeinen Gesamtschuldregresses fügte er eine besondere Regel hinzu, nach welcher der Rückgriff in diesen Fällen ausnahmsweise nicht stattfinden sollte184. Inhaltlich wurde diese Regressbeschränkung auch in den nachfolgenden Beratungen der Ersten Kommission gebilligt und in den Ersten Entwurf aufgenommen185. Von Kübel selbst bevorzugte aber nach wie vor die grundsätzliche Regresslosigkeit der Gesamtschuld. Für den Fall, dass er die Kommission noch damit überzeugen konnte, plante er nun eine besondere Regel, nach welcher fahrlässig handelnden deliktischen Gesamtschuldnern ein besonderes Rückgriffsrecht zustehen sollte186. Wahrscheinlich hätte von Kübel sich im Falle der Regresslosigkeit der BGB-Gesamtschuld auch einem Regress unter strikt haftenden Tätern (etwa den Hausbewohnern bei der actio de effusis) nicht in den Weg gestellt. Soweit die Erste Kommission in ihren Vorberatungen auch bei gesetzlichen Gesamtschuldverhältnissen von der „Vermutung“ eines Regressrechts sprach, hatte sie offenbar in erster Linie Gesamtschulden aus Delikten im Auge, und zwar die historisch überlieferten Fälle. Dies waren in erster Linie die Fälle in der Tradition der lex Aquilia, in denen mehrere vorsätzlich oder fahrlässig einen Schaden verursacht hatten; daneben gab es einzelne Tatbestände der strikten Haftung, etwa bei den Hausbewohnern. Bei vorsätzlichen Tätern waren sich die Kommission und von Kübel darüber einig, dass es kein Regressrecht geben sollte. Dann erschien es aber als rein technische Frage, ob man bei jedem Fall einer solidarischen Deliktshaftung, bei welcher kein Vorsatz vorlag, ein besonderes Regressrecht anordnen oder einen allgemeinen Gesamtschuldregress mit einer Ausnahmeregel für Vorsatztäter vorsehen sollte. Es waren daher offenbar pragmatische Gründe, welche die Kommission dazu bewogen, anstelle der Einzelvorschriften eine allgemeine Regel mit Ausnahmen einzuführen. So könnte die Erwägung der Kommission erklärt werden, dass von Kübels Standpunkt theoretisch richtig sei, praktische Bedürfnisse aber für einen allgemeinen Regress sprächen. Die Umkehrung des Ausnahme-Regel-Verhältnisses verschob aber auch, zumindest theoretisch, die Beweislast187: Nach dem Vorschlag von Kübels hätte der regresssuchende Kläger den Tatbestand der speziellen Regressnorm darlegen und beweisen müssen, etwa den Umstand, dass nur Fahrlässigkeit vorlag, während nach der Fassung der Kommission es dem Beklagten überlassen war, einen geltend gemachten Regressanspruch mit der Behauptung zurückzuweisen, es sei vorsätzlich gehandelt worden. „Vermutet“ wurde, so gesehen, dass die Solidarhaftung nicht auf Vorsatz beruhte.
184
TeilE § 21. Jakobs/Schubert, SR I, 950; E I § 338. Zur Frage, inwieweit die Beschränkung auch bei der gesamtschuldnerischen Haftung der Mitvormünder gelten sollte, vgl. TeilE Familienrecht, § 504 III, IV; Abänderungsantrag Planck zu § 504 (Schubert, FamR III, 339, 535 f.); Jakobs/Schubert, FamR II, 908 f. (zur Ersten Kommission); E I § 1696 II. 186 TeilE, S. 4, Fn. 2 (Schubert, SR I, 52), vgl. TeilE, S. 61 f. (Schubert, SR I, 113 f.). 187 So auch von Kübel, TeilE, S. 54 (Schubert, SR I, 106). 185
5. Die Entscheidung des BGB
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Wenn dies richtig ist, dann beruhte die Entscheidung der Kommission in den Vorberatungen nicht auf einer grundsätzlichen Überzeugung, dass der Regress notwendig zur Gesamtschuld gehört, sondern auf der pragmatischen Erwägung, dass eine allgemeine Regel mit einer Ausnahme einer Reihe von Spezialregelungen vorzuziehen sei188. Um eine Vermutung handelte sich bei dem neuen Regressrecht für gesetzliche Gesamtschuldner freilich nicht, vielmehr um eine dispositive Regel, die nicht nur durch entgegenstehende Parteiabreden, sondern selbstverständlich auch durch abweichende gesetzliche Sonderregeln ausgeschaltet werden konnte. Die Formulierung der Kommissionsentscheidung und der entsprechenden Vorschrift des Teilentwurfs, wonach der leistende Gesamtschuldner „im Zweifel“ zum Regress berechtigt ist, war jedenfalls wenig geglückt, weil sie zugleich eine tatsächliche Vermutung (bei vertraglichem Innenverhältnis) und den Vorbehalt einer abweichenden Sonderregelung ausdrücken sollte189 und (wie die Kommission bei anderer Gelegenheit feststellte) „das Gesetz sich der Betonung, daß seine Dispositionen zweifelhaft seien, zu enthalten hat“190. Die heutige Formulierung des § 426 I, wonach die Gesamtschuldner im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet sind, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, wurde bei den 1882 stattfindenden Hauptberatungen der Ersten Kommission beschlossen. Ob mit dieser Entscheidung der Gesamtschuldregress auf eine andere Grundlage gestellt werden sollte, ist, wie berichtet191, nicht sicher: Die Kommission billigte die in den Vorberatungen genannten Gründe der Regressentscheidung, und die Wahl einer allgemeineren Formulierung könnte auch spezifischen Bedürfnissen bei der Gesamtgläubigerschaft geschuldet sein, die damals noch mit der Gesamtschuld in gemeinsamen Vorschriften geregelt war. Wie aus dem Nichts taucht dann plötzlich in den Motiven zum Ersten Entwurf der Gedanke der Schuldgemeinschaft auf: Schon mit Entstehung des Gesamtschuldverhältnisses sollen die Schuldner untereinander durch ein gesetzliches Schuldverhältnis verbunden sein, das sie zur Mitwirkung an der Leistung verpflichtet. Der Gesamtschuldner ist danach gegenüber seinen Mitschuldnern verpflichtet, so zu handeln, dass es zu einem Regress überhaupt nicht kommt192. Dieser Gedanke der Schuldgemeinschaft veränderte den Charakter des Regressrechts unter deliktischen Gesamtschuldnern fundamental und in bislang nicht da gewesener Weise. Gemeinrechtlich war Deliktsschuldnern der Regress oft abgesprochen worden. Bestehende Regressrechte unter Schadensersatz-Gesamtschuldnern wurden im römischen Recht häufig als Zessionsregress ausge-
188 Der Sache nach ähnlich Winter, Teilschuld, 70 f., 76 f., 83, 85; teilweise abweichend Goette, Gesamtschuldbegriff, 120 ff. 189 Hierzu schon oben, 280 f. 190 So die Erste Kommission bei der Beratung von E I § 320, der Vorgängerregelung von § 420 BGB, Jakobs/Schubert, SR I, 914. 191 Zum Folgenden oben, 281 ff. 192 Mot. II, 169 f. (Mugdan II, 93).
588
II. Der Innenausgleich
staltet oder zumindest von den gemeinrechtlichen Schriftstellern so ausgelegt193. Ein Zessionsregress kann aber erst dann eingreifen, wenn der Regressberechtigte schon an den Gläubiger geleistet hat, und eröffnet keine Mitwirkungspflichten. Auch soweit Schadensersatz-Gesamtschuldnern ein eigenes Regressrecht zugesprochen wurde, berief man sich lediglich auf die Billigkeit, die einen Ausgleich dafür verlangte, dass die Leistung eines Schuldners die Mitschuldner mitbefreite. Sieht man von Unger ab, hatten auch diejenigen Schriftsteller, die im 19. Jahrhundert einen allgemeinen Gesamtschuldregress propagierten, keine Schuldgemeinschaft vor Augen194. Dies gilt von vornherein für Savigny und Zaun, für die bei Fehlen eines besonderen Innenverhältnisses nur ein Zessionsregress in Betracht kam195. Vor allem aber knüpfte man allgemein den Regress an die Befreiung des Mitschuldners durch Leistung an den Gläubiger an. Diese Befreiung erschien als ein Vorteil des Befreiten, der auszugleichen war; die Leistung an den Gläubiger galt als (teilweise) Führung eines Fremdgeschäfts196. Der Rückgriff wurde also auf den Gedanken der Fremdgeschäftsführung und der ungerechtfertigten Bereicherung gestützt. Beide Begründungen (die hier ineinander verwoben waren) setzten aber voraus, dass der Mitschuldner durch das Handeln des leistenden Schuldners begünstigt wurde. Für einen Anspruch gegen den Mitschuldner war also kein Platz, wenn die Leistung an den Gläubiger noch gar nicht stattgefunden hatte oder wenn sie zwar erfolgt war, den Mitschuldner aber nicht befreit hatte. Die Begründung der Ausgleichspflicht in den Motiven geht demgegenüber nicht vom Vorteil des regresspflichtigen Mitschuldners aus, sondern von einem Recht des regressberechtigten Gesamtschuldners, nur seinen Innenanteil leisten zu müssen. Die Regresspflicht selbst ist so gesehen nur die Folge einer unterlassenen Mitwirkungshandlung, in heutiger Terminologie ein sog. Sekundäranspruch. Selbst bei Unger, der als einziger Schriftsteller von einer „Schuldgemeinschaft“ sprach, findet sich dieser Gedanke nicht. Mitwirkungspflichten und gegebenenfalls auch Befreiungsansprüche können, wie dargestellt, bestehen, wenn die Schuldner von vornherein durch ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis verbunden sind, insbesondere im Fall gemeinschaftlich eingegangener Gesamtschulden. In diesem Fall ergeben sich die Pflichten freilich aus dem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis selbst, so dass der Gedanke einer gesetzlichen Schuldgemeinschaft bestenfalls eine überflüssige Verdoppelung ist, aber auch zu unnötigen und sachwidrigen Abweichungen von der Parteivereinba193
Burchardi, Obligationenrecht, § 247 bei Fn. 34; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 180 III 1 D; von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 430; Brinz, Pandekten, § 236 Nr. 6. Auch Dumoulin sah den Tutorenregress als fingierte Zession an, siehe Pothier, Obligations, § 280. Nach Hartmann, ZSchwR 28 (1887), 128, 133 f., war ein Rückgriff unter deliktischen Solidarschuldnern überhaupt nur in Form eines Zessionsregresses möglich. 194 Vgl. oben, 276 ff., 284. 195 Savigny, Obligationenrecht I, 240 ff.; Zaun, ArchPrRW nF 1 (1864), 132 ff. 196 Vgl. Sell, ZCRPr 3 (1830), 376; Savigny, Obligationenrecht I, 229; Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 52; Jhering, JhJb 10 (1871), 331 ff., 343 ff., 352; Kohler, JhJb 25 (1887), 111 ff., 120 f.
5. Die Entscheidung des BGB
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rung führen kann197. Bei Schadensersatzgesamtschulden ohne Innenverhältnis statuiert die Annahme einer Schuldgemeinschaft dagegen Pflichten, die sonst nicht bestehen würden. Gerade dies hatte der Verfasser der Motive auch vor Augen: So findet sich die Schuldgemeinschaft nicht nur in den Motiven zum heutigen § 426, sondern auch im Deliktsrecht in den Motiven zu einer Vorgängerregelung des § 840198. Auch in der Tradition der Regelwerke war der Gedanke einer umfassenden Schuldgemeinschaft neu. Sämtliche Kodifikationen und Entwürfe vor dem BGB, sieht man vom Züricher Gesetzbuch ab, beschränkten die Regelung des Innenverhältnisses zwischen gesetzlichen Gesamtschuldnern auf einen Rückgriffsanspruch desjenigen unter ihnen, der mehr als seinen Innenanteil an den Gläubiger geleistet hatte199. Das ALR kannte darüber hinaus noch ein Recht auf Sicherheitsleistung auch schon vor Befriedigung des Gläubigers, gewährte dieses Recht aber nur Gesamtschuldnern, die sich gemeinsam vertraglich verpflichtet hatten200. Dementsprechend war auch eine „Mitwirkungspflicht“ nur für diese Fallgruppe anerkannt201. Allein das im Züricher Gesetzbuch erwähnte Recht, vom Mitschuldner eine Mitwirkung oder Sicherheitsleistung verlangen zu können, galt womöglich auch für deliktische Gesamtschuldner202. In Frankreich werden die Regressvorschriften der Art. 1213 f. CC nicht als Regressgrundlage selbst verstanden. Bei einer gesetzlich angeordneten solidarité ohne Innenverhältnis stützt die Literatur den Rückgriff auf Art. 1375 CC203, der den Auslagenersatzanspruch des auftraglosen Geschäftsführers regelt, aber keine Ansprüche vor der Vornahme des Fremdgeschäfts, also vor der Leistung an den Gläubiger, begründet204. Bei der obligation in solidum wird der Regress zumeist als reiner Subrogationsregress i.S.d. Art. 1251 Nr. 3 CC gewährt205. Wie dargestellt206 stammt der Gedanke der pflichtenbegründenden Schuldgemeinschaft offenbar nicht von der Ersten Kommission selbst, sondern geht auf den Verfasser der Motive zurück, der zu dieser Zeit, etwa 1887, von Ungers 1884 erschienenem Aufsatz beeinflusst worden sein könnte. Die authentischen Beratungsprotokolle der Ersten Kommission enthalten keinen Hinweis auf Pflichten unter den Gesamtschuldnern, die über die Regresspflicht hinausgehen. Auch in der Reichsjustizamtskommission und in der Zweiten Kommission wurde über 197
Hierzu oben, 329 ff. Motive zu E I § 713, Mot. II, 738 (Mugdan II, 412). 199 CMBC IV 1 § 23; ALR I 6 § 33; ABGB § 1302; SächsE § 798 lit b; HessE IV 1 Art. 12; BayE II Art. 72; SächsGB § 1495; DresdE Art. 219; OR 1881 Art. 60 II (OR 1911 Art. 50 II). 200 ALR I 5 § 449, im Abschnitt über Correalverträge. Bei den Regelungen zur deliktischen Gesamtschuld wird auf die Vorschriften der Correalverträge nur in Bezug auf das Außenverhältnis verwiesen, ALR I 6 § 30, und ein Regress besonders angeordnet, I 6 § 33. 201 Oben, 317. 202 Vgl. ZürGB §§ 943, 1828. 203 Oben, 294 f. 204 Vgl. oben, 318 f. 205 Oben, 579 ff. 206 Oben, 283 ff. 198
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II. Der Innenausgleich
diese Frage offenbar nicht debattiert; allerdings billigte die Zweite Kommission die Regel des heutigen § 426 im Ersten Entwurf aus den in den Motiven genannten Gründen207. Es ist daher nicht auszuschließen, dass sich die Kommissionsmitglieder die These von der Schuldgemeinschaft zu eigen gemacht haben. Nachdem die heutige Regel des § 426 schon von der Ersten Kommission beschlossen war, ergab sich bei den Beratungen zum Zweiten Entwurf nur noch eine einzige inhaltliche Änderung. Die Regel des § 338 des E I, wonach vorsätzlich handelnden Tätern ein Regressrecht nicht zustand, wurde auf einen entsprechenden Vorschlag der Reichsjustizamtskommission in der Zweiten Kommission ersatzlos gestrichen. Der Gedanke, denjenigen Täter, der das Opfer entschädigt hatte, zugunsten der untätig gebliebenen Mittäter zu benachteiligen, entsprach nach Ansicht der Kommissionsmitglieder nicht dem modernen Rechtsbewusstsein208.
6. Der Ausgleichsmaßstab Sowohl vor als auch nach dem Inkrafttreten des BGB hatte sich die Frage gestellt, in welcher Höhe ein Regress bei Schadensersatz-Gesamtschulden gewährt werden sollte, also in welchem Verhältnis die dem Verletzten insgesamt geschuldete Leistung im Innenverhältnis auf die Schuldner aufzuteilen war. Bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden war der Maßstab wenig problematisch; er richtete sich nach der Parteivereinbarung, hilfsweise, mangels anderer Anhaltspunkte, nach Kopfteilen. Der vereinbarte Aufteilungsmaßstab konnte hier selbstverständlich auch ein Verhältnis von 0% zu 100% bedeuten209. Bei Gesamtschulden auf Schadensersatz war das Verhältnis von 0% zu 100% ebenfalls bekannt; tatsächlich war es der älteste Aufteilungsmaßstab: Der schuldlose Vormund, der nach römischem Recht solidarisch für die Pflichtverletzung seines Mitvormunds einzustehen hatte, konnte gegen diesen einen Regress auf das Ganze nehmen; im Innenverhältnis war er also, nach heutigen Begriffen, freigestellt, während der pflichtverletzende Vormund 100% tragen musste. Ebenso konnte der schuldlose Miteigentümer bei der Noxalhaftung einen Regress auf das Ganze gegen denjenigen Miteigentümer nehmen, der den gemeinsamen Sklaven zur Tat angestiftet hatte, während dieser umgekehrt keinen Regress hatte. Ein solcher einseitiger Regress war auch dem Gemeinen Recht und den Regelwerken bekannt. Es handelte sich um Fälle, in denen die Gesamtschuld darauf beruhte, dass einen Gesamtschuldner ein Verschulden traf und der andere 207
Prot. 885 f. (Mugdan II, 608). Zur RJA-Kommission Jakobs/Schubert, SR I, 951; zur Zweiten Kommission Prot. 886 f. (Mugdan II, 608 f.). Kritisch gegenüber der Regel des Ersten Entwurfs auch schon von Gierke, Entwurf, 212; Reatz, Gemeinschaftliche Schuld, 1181; ferner Seuffert, zitiert in Zusammenstellung der gutachterlichen Äußerungen II, 104. 209 Oben, 289 ff. 208
6. Der Ausgleichsmaßstab
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dafür einstehen musste210, vereinzelt auch um das Verhältnis zwischen Täter und (intern allein zuständigem) Anstifter211. Häufig aber sollte die interne Last nicht einem Gesamtschuldner allein aufgebürdet werden, sondern unter den Schuldnern verteilt werden. Sofern der Regress auf ein bestehendes Innenverhältnis gestützt wurde, konnte auch der Aufteilungsmaßstab dem Innenverhältnis entnommen werden. Wenn etwa nach römisch-Gemeinem Recht ein Miteigentümer im Rahmen der Noxalhaftung in Anspruch genommen wurde und mit der Teilungs- oder Erbteilungsklage Regress nahm, war grundsätzlich die Höhe der Miteigentumsanteile maßgebend. Fehlte es aber an einem schon vorhandenen Innenverhältnis, stellte sich die Frage, ob die Last den Gesamtschuldnern gleichmäßig aufgebürdet oder nach einem anderen Maßstab verteilt werden sollte. Bei einer strikten Haftung der Gesamtschuldner kam neben der Kopfteilregel auch eine Aufteilung nach dem Grad der Beteiligung an der haftungsbegründenden Pflichtenstellung in Betracht, etwa nach der Größe der Wohnung bei der Hausbewohnerhaftung. Besonders dringlich stellte sich die Frage nach dem Ausgleichsmaßstab, als man einen Regress auch in Fällen gewährte, in denen der zu ersetzende Schaden von mehreren schuldhaft verursacht worden war. Eine Aufteilung nach Köpfen lag insbesondere dann nahe, wenn man die solidarische Haftung jedes Mitverursachers auf den Gedanken stützte, dass er eine notwendige Bedingung für den Schadenseintritt gesetzt hatte: Verursachen im Sinne der conditio sine qua nonFormel konnte man nur ganz oder gar nicht, so dass jeder Mitverursacher gleichmäßig verursacht hatte. Auf der anderen Seite sprach die Billigkeit dafür, die Schadensersatzlast je nach Fallgestaltung unterschiedlich zu verteilen. Ein Täter mochte vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt haben, während dem anderen nur ein geringes Versehen zur Last fiel, so dass eine Aufteilung nach der Schwere des Verschuldens in Betracht kam. Denkbar war auch eine Aufteilung nach Kausalitätsbeiträgen. Wenn auch jeder eine notwendige Ursache gesetzt hatte, konnte doch der Verursachungsbeitrag eines Täters einen größeren Umfang aufweisen als der des anderen (das Fass läuft über, weil A 99 Liter und B einen Liter hineingeschüttet hat). Eine Aufteilung nach Verursachungs- oder Verschuldensgesichtspunkten bedeutete freilich, dass der endgültige Maßstab erst vom Gericht im Regressprozess festgelegt werden konnte und schwer voraussehbar war. Das römische Recht bot kaum Leitlinien. Ein anteiliger Regress bei gesetzlichen Gesamtschuldnern ohne Innenverhältnis entwickelte sich erst im Laufe der Zeit und nur in zwei Fallgruppen, der Tutorenhaftung und der Haftung der Hausbewohner bei der actio de effusis. Ein Maßstab wird in den Quellen nicht genannt. Nach dem Muster der Teilungseinrede kann vermutet werden, dass es Kopfteile waren. Auch die Schriftsteller des Gemeinen Rechts schenkten der Frage nach dem Ausgleichsmaßstab bei Gesamtschulden auf Schadensersatz 210 Windscheid, Pandekten, § 298 bei Fn. 9 und 12; ALR II 10 § 137, II 18 § 289; BayE II Art. 64 II, 66 I; DresdE Art. 217; vgl. auch OR 1911 Art. 51 II. 211 BayE II Art. 72 II.
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II. Der Innenausgleich
kaum Aufmerksamkeit. Sofern man hier einen Regress überhaupt anerkannte, ging man offenbar ebenfalls von Kopfteilen aus212. Eine Aufteilung nach Verschuldensgesichtspunkten, so das Reichsgericht, würde zu Urteilen führen, die „in höchstem Maße schwankend und willkürlich“ wären213. Praktisch wichtig war die Frage für die Verfasser der Kodifikationen und Entwürfe, die einen Gesamtschuldregress auch bei deliktischen Gesamtschulden und insbesondere bei der schuldhaften Schadenszufügung durch mehrere zuließen. Das preußische ALR und der Sächsische Entwurf entschieden sich für eine Aufteilung nach dem Anteil des Verursachers an der Schadenszufügung214. In dieselbe Richtung ging die Regelung des Schweizer Obligationenrechts, das die Höhe des Regresses dem richterlichen Ermessen überließ215, was eine starre Verteilung gerade ausschloss. Dem standen der Bayerische Entwurf, das Sächsische BGB sowie der Dresdener Entwurf entgegen, die ausdrücklich für deliktische Schadensersatz-Gesamtschuldner eine Aufteilung nach Köpfen vorsahen216. Die Verantwortlichkeit des Einzelnen, so die Verfasser des Bayerischen Entwurfs, liege nicht im Maße seiner Beteiligung, sondern in der Beteiligung selbst; zudem sei ein Ausgleichsmaßstab nach der Größe des Verschuldens zu schwierig zu ermitteln217. Eine solche Kopfteilregel hatten auch die Verfasser des BGB vor Augen. Dies geht freilich aus dem Wortlaut des § 426 oder seiner Vorgängerregelungen nicht eindeutig hervor. Nach dem Beschluss der Ersten Kommission, einen allgemeinen Gesamtschuldregress einzuführen, sollte eine Aufteilung nach Kopfteilen „in Ermangelung eines anderen Anhalts“ erfolgen218; in von Kübels Teilentwurf sollte die Kopfteilregel gelten, „wenn nicht aus dem Gesetze oder aus den Umständen ein Anderes sich ergiebt“219. Im Ersten Entwurf hieß es restriktiver „soweit nicht aus Gesetz oder Rechtsgeschäft ein Anderes sich ergiebt“220; in § 426 wieder allgemeiner „soweit nicht ein anderes bestimmt ist“. Doch bei diesen Ausnahmen von der Kopfteilregel dachte man in allen Stadien der Gesetzesentstehung in erster Linie an abweichende Parteivereinbarungen sowie gesetzliche Sonderregelungen, nicht an eine Abwägung von Verursachungs- oder Verschuldensgesichtspunkten bei der deliktischen Gesamtschuld. Beim Ersten Entwurf ergibt sich dies aus dem Wortlaut, und die Zweite Kommission, welche die heute 212 So ausdrücklich Kohler, JhJb 25 (1887), 121; der Sache nach ebenso Windscheid, Pandekten, § 298 bei Fn. 10–12, der den Regress vom Umfang der Teilungseinrede abhängig macht; wohl auch Pothier, Obligations, § 264. 213 RG SeuffA 52 Nr. 7 (28.9.1895). Die Vorinstanz OLG Hamburg hatte von einer „schrankenlosen Willkür“ gesprochen. 214 ALR I 6 § 33; SächsE § 799. 215 OR 1881 Art. 60 II (OR 1911 Art. 50 II). 216 BayE II Art. 72 I; SächsGB § 1495 (s.a. § 1556); DresdE Art. 219; ebenso offenbar das Züricher Gesetzbuch, vgl. §§ 945 f., 1850 f. 217 Motive zu BayE II, S. 78. 218 Jakobs/Schubert, SR I, 904, 912. 219 TeilE § 20 I 1. 220 E I § 337 I.
6. Der Ausgleichsmaßstab
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geltende Fassung beschloss, ging ebenfalls davon aus, dass es gesetzliche oder rechtsgeschäftliche Bestimmungen waren, die eine Abweichung von der Kopfteilregel begründeten221. Für von Kübel, der auch hier, wie so oft, dem Sächsischen BGB und dem Dresdener Entwurf folgte, war bei deliktischen Schadensersatz-Gesamtschulden eine Aufteilung allein nach Köpfen selbstverständlich222. In den Beratungen der Kommissionen wurde eine Aufteilung nach Verschuldensoder Verursachungsgesichtspunkten nicht erwähnt. Statt dessen ordnete man bei den Beratungen zum Deliktsrecht in zahlreichen Fallgruppen, in denen ein kopfteiliger Regress nicht erwünscht war, durch Sonderregelungen einen einseitigen Regress an, etwa zugunsten des Aufsichtspflichtigen gegen den Beaufsichtigten oder zugunsten des strikt Haftenden gegen den schuldhaften Schadensverursacher223. Diese Regeln wurden schließlich zusammengefasst und finden sich heute in § 840 II, III und § 841 BGB. Als die Zweite Kommission den Regressausschluss unter vorsätzlich handelnden Tätern strich, erwog sie eine ähnliche Regel beim Zusammentreffen eines vorsätzlich handelnden mit einem fahrlässig handelnden Täter, entschied sich aber gegen sie, weil die Grenze zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit schwer zu ziehen sei, der Verursachungsbeitrag des fahrlässig Handelnden den des vorsätzlich Handelnden übersteigen könne und die praktisch wichtigsten Fälle durch die eben genannten Sonderregelungen abgedeckt seien224. Auch zugunsten des Vormunds, der für eine Pflichtverletzung seines Mitvormunds solidarisch haften musste, hielt man die Sonderregel für erforderlich, wonach der pflichtverletzende Vormund im Innenverhältnis allein verpflichtet sein sollte (heute § 1833 II 2)225. All diese Vorschriften dienten der Ausschaltung des Kopfteilregresses des heutigen § 426 I226. Nach der Vorstellung des BGB-Gesetzgebers sollten also mehrere Schadensverursacher im Innenverhältnis kopfteilig haften, sofern es keine gesetzliche Sonderregel gab227. Diese vom Gesetzgeber gewollte Regel hielt sich aber nur kurze Zeit228. Die gleichmäßige Aufteilung der Schadensersatzlast im Innenverhältnis ohne Rück221
Prot. 886 (Mugdan II, 608). So sein Vorschlag einer speziellen Regressregel für Delikts-Gesamtschuldner im Teilentwurf, Fn. 2 zu § 21 (Schubert, SR I, 52). 223 Teilentwurf Unerlaubte Handlungen, § 9 III; E I § 736 II; VorlZuSt §§ 734, 734 d, 735 und ZustRedKom § 714 f., abgedruckt in Jakobs/Schubert, SR III, 966, 975, 995 f., 1027. Näheres unten, 742 ff. 224 Prot. 887 (Mugdan II, 609 f.). Ähnlich schon die Erste Kommission bei den Beratungen zur Tierhalterhaftung, Jakobs/Schubert, SR III, 958 f. Für eine solche Regel dagegen E. Wolf, SR AT, 541 f. 225 TeilE FamR, § 504 III; E I § 1696 II. 226 Motive zum TeilE Unerlaubte Handlungen, 48 (Schubert, SR I, 704); Jakobs/Schubert, SR III, 958 f., 1005 f.; Mot. II, 737, 825 f. (Mugdan II, 412, 461); zu den Mitvormündern Planck, Motive zum TeilE FamR, 2084 f. (Schubert, FamR II, 1098 f.); Jakobs/Schubert, FamR II, 908; Mot. IV, 1179 (Mugdan IV, 625). 227 Ebenso Winter, Teilschuld, 182; anders Goette, Gesamtschuldbegriff, 124, 128 f.; Erman/Ehmann, vor § 420 Rz 18 f. 228 Von der Kopfteilregel geht noch aus RGZ 53, 114, 116, 118 (24.11.1902). 222
594
II. Der Innenausgleich
sicht auf den Verursachungsbeitrag und das Verschulden wurde als unbillig empfunden. Für einen der häufigsten Anwendungsfälle der deliktischen Gesamtschuld, nämlich die Straßenverkehrsunfälle, führte der Gesetzgeber des Kraftfahrzeuggesetzes von 1909 mit § 17 eine Sondervorschrift ein, die eine Aufteilung unter den Beteiligten nach Maßgabe des § 254 BGB vorsah. Hiermit sollte gerade die starre Kopfteilregelung des § 426 ausgeschaltet werden229. § 254 I stellt (bei einem Mitverschulden des Verletzten) auf die Umstände, insbesondere auf den jeweiligen Verursachungsbeitrag der Beteiligten ab. Außerhalb der Straßenverkehrsunfälle wurde dasselbe Ergebnis durch die Rechtsprechung erreicht. Nach entsprechenden Anregungen durch die Literatur230 entschloss sich das Reichsgericht 1910, § 254 analog auch bei § 426 als Ausgleichsmaßstab heranzuziehen231. Damit begründete es eine ständige Rechtsprechung232, die vom BGH übernommen233 und in der Literatur ganz überwiegend begrüßt wurde234. Heute richtet sich die Aufteilung im Innenverhältnis in erster Linie nach der Größe des Verursachungsbeitrags; daneben spielen aber auch andere Umstände eine Rolle, etwa das Maß des jeweiligen Verschuldens, eine vom Schuldner zu tragende Betriebsgefahr oder Pflichten im Innenverhältnis unter den Gesamtschuldnern235. Damit befindet sich das deutsche Recht im Wesentlichen im Einklang mit seinen Nachbarrechtsordnungen. Für die französische obligation in solidum ist in der Literatur zwar vereinzelt die Anwendung der Kopfteilregelung gefordert 229
Vgl. RGZ 87, 64, 66 (7.6.1915); RGZ 92, 143, 146 f. (24.1.1918). Reatz, Gemeinschaftliche Schuld, 1181 f.; Oertmann, Schuldverhältnisse AT, § 426 Anm. 2 f; ders., Schuldverhältnisse BT, § 840 Anm. 2; Kohler, Schuldrecht, § 177 IV; Schulz, Rückgriff, 47 f.; Dungs, Gruch 54 (1910), 550 f. 231 RGZ 75, 251, 256 (22.12.1910). Zuvor OLG Dresden, SeuffA 65 Nr. 213 (24.5.1910); der Sache nach auch OLG Braunschweig, OLGE 18, 8 (14.5.1907); OLG Stuttgart, Recht 1909 Nr. 1114 (18.2.1909); Sympathie für diesen Ansatz schon bei RGZ 61, 56, 64 (29.5.1905). 232 Etwa RG Gruch 56, 104 = Warn 1911 Nr. 394 = JW 1911, 752 Nr. 7 (19.6.1911); RG Warn 1912 Nr. 12 (9.11.1911); RG Gruch 56, 583 = Warn 1912 Nr. 64 (27.11.1911); RGZ 84, 208, 211 (19.2.1914); RGZ 84, 415, 430 f. (30.4.1914); RG Gruch 59, 354, 356 f. (12.10.1914); RGZ 93, 94 (29.5.1918); RGZ 136, 275, 286 (23.4.1932); RG JW 1936, 2066 (16.3.1936); RGZ 159, 86, 89 f. (17.2.1938). 233 Etwa BGHZ 17, 214, 222 (13.5.1955); BGHZ 43, 178, 187 (9.3.1965); BGHZ 43, 227, 235 (1.2.1965); BGHZ 51, 275, 279 (19.12.1968); BGHZ 59, 97, 103 (29.6.1972); BGH NJW 1980, 2348 (22.4.1980). 234 Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 318 II 3; R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 82 ff.; Heck, Schuldrecht, 236; Leonhard, SR AT, 729; Ehmann, Gesamtschuld, 218 f.; Selb, Mehrheiten, 99; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 65; Larenz, Schuldrecht AT, § 37 III; Esser, Schuldrecht AT, § 59 I 2 d; Staud/Kaduk, § 426 Rz 91 f.; Staud/Noack, § 426 Rz 97; Soergel/M.Wolf, § 426 Rz 30 f.; Wandt, FS Kollhosser II, 771 ff.; einschränkend aber Esser/Schmidt, Schuldrecht AT 2, § 39 III 1 a; ganz ablehnend E. Wolf, Schuldrecht I, 543 (für eine freie richterliche Schadensverteilung gebe es keine gesetzliche Grundlage). Die Anwendung des § 254 im Rahmen des § 426 findet sich in mehreren Entwürfen zur Reform des Deliktsrechts, Referentenentwurf 1967, § 426 I 1 (ebenso schon der Vorentwurf 1962, abgedruckt in Karlsruher Forum 1962, Beilage VersR 1962, 42); Kötz, Gefährdungshaftung (Gutachten zur Schuldrechtsreform), 1823, 1834. 235 Zum heutigen Rechtszustand stellvertretend Staudinger/Noack, § 426 Rz 97 ff. Kritisch gegenüber dem Verursachungskriterium Glaßer, Gesamtschuldnerausgleich, 37 ff. 230
6. Der Ausgleichsmaßstab
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worden, weil jeder Täter gleichermaßen eine Ursache für den Schaden gesetzt habe und jede andere Aufteilung unlogisch sei236. Die Rechtsprechung aber bemisst die internen Anteile grundsätzlich nach der Schwere des Verschuldens237. Dies gilt offenbar auch dann, wenn der Schadensersatz ausnahmsweise im Rahmen einer gesetzlich angeordneten solidarité geschuldet wird238. Ein Teil der Literatur weist demgegenüber auf den fehlenden Strafcharakter der Schadensersatzpflicht hin und favorisiert eine Aufteilung nach Kausalitätsbeiträgen239. Die Schwere des Verschuldens, die Höhe des Kausalitätsbeitrags sowie andere Umstände des Einzelfalls spielen auch beim Regress in Österreich240 und in der Schweiz241 eine Rolle. Die Gewichtung dieser Kriterien mag in den genannten Rechtsordnungen unterschiedlich sein. Überall gilt aber, dass der Ausgleich keinen starren Regeln folgt, dass selbst in Fällen strikter Haftung die Last nicht unbedingt nach Kopfteilen verteilt wird und dass im Ergebnis auch eine Verteilung von 0% zu 100% stattfinden kann242. Der Ausgleich unter Schadensersatzgesamtschuldnern hat in Deutschland zahlreiche Einzelfragen aufgeworfen, etwa in welcher Höhe ein Mitverschulden des Verletzten gegenüber einer Mehrheit von Nebentätern in Anschlag zu bringen ist. Diesen Einzelfragen zur Aufteilung einer Schadensersatzschuld im Innenverhältnis soll hier nicht nachgegangen werden243. Bedeutsam im vorliegenden Zusammenhang ist aber, dass der Abschied von der Kopfteilregel die Möglichkeit eröffnet hat, auch solche Schuldnermehrheiten unter § 426 zu subsumie236 Mazeaud, Rev crit 50 (1930), 141, § 28; Mazeaud/Chabas, Droit civil II/1, § 1072. Dagegen aber schon im 19. Jahrhundert Demolombe, Cours XXVI, § 309. 237 Zur Lage in Frankreich ausführlich Mestre/Tian-Pancrazi, Obligation in solidum, §§ 92 ff., 106 ff.; Le Tourneau/Julien, Solidarité, §§ 204 ff.; Boré, JCP 1967 I 2126, I C; ferner Mazeaud, Rev crit 50 (1930), 141, § 28; Vincent, RTD civ 38 (1939), 601, § 70; Chabas, RTD civ 65 (1967), 310; Neumann-Schniedewind, Mitverursachung, 27 ff.; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 142; Mazeaud/Chabas, Droit civil II/1, § 1072. 238 Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1090; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 117; Carbonnier, Obligations, § 346; Le Tourneau/Julien, Solidarité, § 139. 239 Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, § 1281; Mestre/Tian-Pancrazi, Obligation in solidum, § 107; vgl. auch Le Tourneau/Julien, Solidarité, § 210. 240 Koziol, Haftpflichtrecht I, Rz 14/23 ff.; Rummel/Gamerith, ABGB, § 896 Rz 6; Klang/Perner, ABGB, § 896 Rz 26. 241 BernK/Becker, OR, Art. 50 Rz 9, Art. 51 Rz 2 ff.; von Tuhr/Peter, Obligationenrecht AT I, § 51 II (S. 467); Keller/Gabi-Bolliger, Haftpflichtrecht, 135 ff.; Guhl/Koller, Obligationenrecht, § 26 Rz 15 ff.; Schwenzer, OR AT, Rz 88.31; BasK/Schnyder, OR, Art. 50 Rz 17; BernK/Brehm, OR, Art. 50 Rz 58. Ein besonderes Problem ist hier die starre Regelung des Art. 51 OR bei ungleichartigen Schuldgründen, hierzu Oftinger/Stark, Haftpflichtrecht I, § 10 Rz 49 ff.; BasK/ Schnyder, Art. 51 OR Rz 12 ff. 242 Gesetzliche Regeln zum flexiblen Innenausgleich finden sich in England (Civil Liability [Contribution] Act 1978, Art. 2; s.a. Wagenfeld, Ausgleichsansprüche, 177 ff.), Italien (Codice Civile Art. 2055) und den Niederlanden (BW Art. 6:102); siehe ferner PETL Art. 9:102 II; DCFR Art. III-4:106 II. Rechtsvergleichender Überblick bei Weir, Complex Liabilities, §§ 131 f.; Friedmann/Cohen, Adjustment, § 74; siehe auch die Länderberichte in Rogers, Tortfeasors, jeweils unter Punkt B 8, und den Überblick, S. 297 ff. Die PECL stellen keine eigene Regel auf, sondern verweisen für den Ausgleichsmaßstab auf das anwendbare nationale Recht, Art. 10:105. 243 Hierzu etwa Staud/Noack, § 426 Rz 102 ff.; HKK/Meier, §§ 420–432 I Rz 138 ff.
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II. Der Innenausgleich
ren, bei denen eine gleichmäßige Verteilung nicht erwünscht ist, etwa weil im Innenverhältnis nur ein Schuldner belastet sein soll, aber eine gesetzliche Regel dieses Inhalts fehlt244. Weitere Flexibilität hat die Rechtsprechung durch die Bildung von Haftungseinheiten gewonnen. Entsteht etwa ein Schaden einerseits durch das Verschulden des A, andererseits durch das Verschulden des B, für dessen Verschulden zusätzlich C haftet, dann werden B und C derart zu einer Haftungseinheit zusammengefasst, dass einerseits A’s interner Anteil sich durch C’s Einstehenmüssen für B nicht verringert (sind die Tatbeiträge von A und B gleichartig, dann bleibt es dabei, dass A intern zur Hälfte haftet), andererseits A seinen Ausgleichsanspruch (im Beispiel über die Hälfte) von B und C als Gesamtschuldner geltend machen kann. Zwischen B und C wiederum findet ein Ausgleich auf zweiter Stufe über ihren gemeinsamen Anteil statt. Solche Haftungseinheiten wurden zunächst bei rechtlich verbundenen Gesamtschuldnern (Geschäftsherr und Verrichtungsgehilfe, Schuldner und Erfüllungsgehilfe, Halter und Fahrer eines Kraftfahrzeugs) gebildet245, später aber auch bei Gesamtschuldnern, die einen gemeinsamen Verursachungsbeitrag erbracht hatten, der dann zusammen mit einem weiteren Beitrag eines Dritten den Schaden verursacht hatte246. Ob die Bildung solcher tatsächlicher Haftungseinheiten oder gar von Zurechnungseinheiten zwischen Geschädigtem und einzelnen Gesamtschuldnern die Insolvenzrisiken stets richtig verteilt, wird kontrovers beurteilt247. Im vorliegenden Zusammenhang ist allein die Rechtsfolge interessant: Die Regel des § 426 I 1, wonach es sich bei der Ausgleichspflicht der Gesamtschuldner um Teilschulden handelt, wird zwar nicht abgeschafft, aber dergestalt modifiziert, dass ein Teilschuldverhältnis nicht zwischen den einzelnen Gesamtschuldnern, sondern zwischen Untergruppen von Gesamtschuldnern besteht, deren Mitglieder für die Teilschuld ihrer jeweiligen Gruppe wiederum gesamtschuldnerisch einstehen müssen. Dieses Modell der gestuften Gesamtschuld erlaubt es, komplexe Schuldnermehrheiten dem Regime des § 426 zu unterstellen, bei denen eine einfache teilschuldnerische Ausgleichspflicht unangemessen erscheint248.
244
Vgl. Wandt, FS Kollhosser II (2004), 774. RGZ 136, 275 (23.4.1932, Geschäftsherr und Verrichtungsgehilfe); BGHZ 6, 3, 27 f. (24.4.1952, Schuldner und Erfüllungsgehilfe); BGH NJW 1966, 1262 (26.4.1966, Halter und Fahrer). Ein besonders frühes Beispiel einer Haftungseinheit findet sich in OLG Hamburg, SeuffA 75 Nr. 125 (14.5.1919: Reeder und Elblotse). 246 Etwa BGH NJW-RR 1989, 918 (25.4.1989); BGH NJW 1996, 2646 (4.6.1996). 247 Kritisch E.Lorenz, Haftungseinheiten, passim; H. Roth, Haftungseinheiten, 47 ff.; Selb, Schadensbegriff, 26 ff.; ders., JZ 1975, 193; ders., Mehrheiten, 103 ff., 109 ff.; Esser/Schmidt, Schuldrecht AT 2, § 39 III 2 b (S. 351 f.); Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 11 A IV 2 (S. 680 ff.); E. Wolf, Schuldrecht I, 545; Wandt, FS Kollhosser II, 777 f.; vgl. HKK/Jansen, § 254 Rz 67; weitere Literatur bei Staudinger/Noack, § 426 Rz 83 ff. 248 Zu „Haftungseinheiten“ im französischen Recht in Gestalt von solidarischen Regresspflichten vgl. Dejean de la Batie, JCP 1986 II 20543. 245
7. Die Ausgestaltung des Regresses: Verschiedene Regresstechniken
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7. Die Ausgestaltung des Regresses: Verschiedene Regresstechniken Bei Gesamtschulden auf Schadensersatz ist, wie bei allen anderen Arten von Gesamtschulden, eine Lage zu vermeiden, in der es von der Willkür des Gläubigers abhängt, welcher Gesamtschuldner endgültig belastet wird. Der historisch bedeutsame Sanktionsgedanke, der zu einer Beschränkung des Regressrechts und damit zu einer Bevorzugung bestimmter Gesamtschuldner nach Wahl des Gläubigers führte, wird heute abgelehnt. Dementsprechend wird auch nicht mehr bestritten, dass die Entscheidung des BGB-Gesetzgebers zugunsten eines Regressrechts für gesetzliche Gesamtschuldner richtig ist. Doch aus der Tatsache, dass ein Ausgleich stattfindet, folgt noch nicht, wie dieser Rückgriff ausgestaltet ist. Das Recht kennt eine Reihe unterschiedlicher Regresstechniken, die sich im Wesentlichen nach zwei Kriterien unterscheiden lassen. Zum einen geht es darum, ob der Regressberechtigte sich die Vorteile der Gläubigerforderung, insbesondere die für sie bestellten Sicherheiten, nutzbar machen kann. So kann im deutschen Recht etwa der Bürge (§ 774) oder der Ablösungsberechtigte (§ 268) von der Gläubigerforderung profitieren, nicht aber derjenige, der ungefragt eine fremde Schuld tilgt (§ 267). Aber auch derjenige, der im Auftrag des befreiten Schuldners handelte, indem er entweder die Schuld befreiend übernahm (§§ 414 f.) oder sie beim Gläubiger beglich (§ 267), kann nicht von einem Zessionsregress profitieren, sondern ist auf seinen ungesicherten vertraglichen Rückgriff verwiesen. Zum anderen kann danach unterschieden werden, ob und in welchem Maße der Regressanspruch vom Bestehen der Gläubigerforderung gegen den Regresspflichtigen abhängig ist. Wird etwa ein Regress allein über die zedierte Gläubigerforderung verwirklicht, dann ist er nicht mehr möglich, wenn die Gläubigerforderung etwa wegen Verjährung, Erlasses oder eines klageabweisenden Urteils nicht mehr durchsetzbar ist. Einreden gegen den Gläubigeranspruch sind zugleich Einreden gegen die Regressforderung. Mit Hilfe der schuldnerschützenden Vorschriften der §§ 404 ff. kann erreicht werden, dass sich die Stellung des Schuldners durch den Umstand, dass ein Dritter den Gläubiger befriedigt hat und nun Regress nimmt, nicht verschlechtert. Ein solcher vom Gläubigeranspruch abhängiger Regress ist dem Schuldner daher grundsätzlich immer zumutbar. Der Regress kann aber auch unabhängig von der Gläubigerforderung ausgestaltet werden, so dass er auch dann noch geltend gemacht werden kann, wenn der Gläubiger selbst, wäre er vom Dritten nicht befriedigt worden, vom Schuldner nichts verlangen könnte. Eine solche Unabhängigkeit besteht insbesondere bei vertraglichen Rückgriffsansprüchen249. Beauftragt der Schuldner einen Dritten, seine Schuld gegenüber dem Gläubiger zu tilgen (§ 267), dann kann er gegen den vertraglichen Aufwendungsersatzanspruch des Dritten aus § 670 nicht einwenden, dass die Gläubigerforderung schon verjährt war. Beauftragt der Schuld249
Spiro, Begrenzung I, § 204.
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II. Der Innenausgleich
ner den Dritten, seiner Schuld zur Sicherung beizutreten, und wird der Dritte später vom Gläubiger in Anspruch genommen, dann kann der Schuldner gegen den Regress nicht einwenden, dass er inzwischen mit dem Gläubiger einen Einzelerlass vereinbart habe. Für den vertraglichen Aufwendungsersatz kommt es darauf an, welche Aufwendungen der Regresssuchende für erforderlich halten durfte, nicht darauf, inwieweit der Auftraggeber tatsächlich von den auftragsgemäßen Handlungen des Dritten profitierte. Darüber hinaus eröffnet ein von der Gläubigerforderung unabhängiges Regressrecht auch die Möglichkeit, Ansprüche auf Mitwirkung oder Befreiung schon vor der Leistung an den Gläubiger anzuerkennen. Ein Regressanspruch kann also in zweifacher Hinsicht für den Regressberechtigten günstiger oder ungünstiger sein: Er kann durch die Sicherheiten der Gläubigerforderung abgesichert sein oder nicht, und er kann vom Bestehen der Gläubigerforderung abhängig sein oder nicht. (In letzterer Hinsicht lassen sich auch Zwischenstufen derart denken, dass bestimmte Ereignisse, welche die Gläubigerforderung undurchsetzbar machen, sich auch auf den Regress durchschlagen und andere nicht.) Entscheidend ist nun, dass der Vorteil in der einen Hinsicht nicht zwingend mit dem Nachteil in der anderen Hinsicht korrespondiert und umgekehrt, sondern dass die Vor- und Nachteile frei kombinierbar sind, so dass sich im Ergebnis vier verschiedene Grundkategorien des Regresses ergeben. (1) Wer im Auftrag des Schuldners dessen Schuld begleicht oder befreiend übernimmt, hat gegen diesen einen vertraglichen Aufwendungsersatzanspruch nach § 670, aber keinen Zessionsregress. Der Nachteil, nicht auf die Sicherheiten der Gläubigerforderung zugreifen zu können, wird kombiniert mit dem Vorteil eines Regressanspruchs, der nicht vom Schicksal der Gläubigerforderung abhängig ist. (2) Umgekehrt verhält es sich beim Ablösungsberechtigten, beim Regress des Schadensversicherers gegen den Täter (nach h.L.) oder beim Bürgen, der sich ohne Auftrag und auch nicht im Schuldnerinteresse verbürgt hat. Ihnen steht weder ein vertraglicher noch ein Anspruch aus G.o.A. zu, wohl aber ein Regress mit Hilfe der zedierten Gläubigerforderung, §§ 268, 774 BGB und § 67 VVG. Sie profitieren also von den für die Gläubigerforderung bestellten Sicherheiten. Auf der anderen Seite kann ihr Regress nur insoweit bestehen, als der Gläubiger selbst noch hätte gegen den Schuldner vorgehen können. Der Schadensversicherer kann nicht gegen den Täter vorgehen, wenn der Geschädigte diesem einen Erlass gewährt hat. Der nicht beauftragte oder im Interesse des Schuldners handelnde Bürge kann eine Regressforderung nicht durchsetzen, wenn die Gläubigerforderung, von der er den Schuldner befreite, verjährt ist. Mitwirkungs- oder Befreiungsansprüche sind bei einem reinen Zessionsregress, der eine Leistung an den Gläubiger voraussetzt, nicht denkbar. (3) Möglich ist auch eine Kombination beider Nachteile: Der Regress hängt vom Bestehen der Gläubigerforderung ab, ohne aber deren Sicherheiten zu genießen. Diese schwächste Form des Regresses gewährt die herrschende Lehre demjenigen, der zur Rechtfertigung seines Regresses nichts außer der Tatsache
7. Die Ausgestaltung des Regresses: Verschiedene Regresstechniken
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vorweisen kann, den Schuldner befreit zu haben, nämlich demjenigen, der ungefragt fremde Schulden tilgt, ohne die Voraussetzungen einer berechtigten G.o.A. zu erfüllen. Für seinen Regress bleibt nur ein Bereicherungsanspruch in Gestalt einer Rückgriffskondiktion. Manche Autoren wollen ihm, mit einer Analogie zu § 814 oder dem Gedanken einer aufgedrängten oder fehlenden Bereicherung, auch diesen Regress nicht zugestehen. Die herrschende Lehre lässt demgegenüber einen Rückgriff grundsätzlich zu, schützt den befreiten Schuldner aber durch eine analoge Anwendung der §§ 404 ff.250. Sofern etwa der Gläubigerforderung eine Einrede entgegenstand, muss dann nicht überlegt werden, ob und in welcher Höhe die Befreiung von einer einredebehafteten Forderung eine Bereicherung darstellen kann; vielmehr kann der befreite Schuldner die Einrede auch dem Drittzahler entgegenhalten. Im Ergebnis steht er dann nicht schlechter da, als wenn der Dritte nicht an den Gläubiger geleistet hätte; zugleich wird vermieden, dass er durch die Drittleistung rechtsgrundlos profitiert. Die analoge Anwendung der §§ 404 ff. führt also indirekt dazu, dass tatsächlich nur eine eventuelle Bereicherung abgeschöpft wird. Ein so ausgestalteter Rückgriff ist in doppelter Hinsicht schwach, weil er einerseits als rein schuldrechtlicher eigener Regress nicht auf die Sicherheiten der Gläubigerforderung zugreifen kann, andererseits aber durch die Anwendung der §§ 404 ff. davon abhängig ist, ob die Gläubigerforderung ohne Drittleistung noch bestünde. Dieser doppelt schwache Regress der Gruppe (3) entspricht inhaltlich dem reinen Zessionsregress der Gruppe (2), mit dem Unterschied, dass letzterer von den Gläubigersicherheiten profitiert. Insofern ist der schwache Regress im reinen Zessionsregress schon enthalten. Im Ergebnis macht es daher keinen Unterschied, ob man in den Fällen der Gruppe (2) zum Regress über die zedierte Gläubigerforderung noch zusätzlich einen eigenen Regress mit Hilfe der Rückgriffskondiktion annimmt oder nicht. So ist es beim nicht beauftragten und nicht im Schuldnerinteresse handelnden Bürgen strittig, ob dieser nur über die Gläubigerforderung nach § 774 oder auch mit einer Rückgriffskondiktion gegen den Schuldner vorgehen kann. Die im Ergebnis nicht relevante Frage ist rein konstruktiver Natur. Wie dargestellt erscheint es im Sinne einer einheitlichen Auslegung des § 774 I sinnvoller, stets einen eigenen Regressanspruch des Bürgen anzunehmen, der notfalls nur in einer Rückgriffskondiktion besteht251. (4) Schließlich kann ein Regress auch doppelt vorteilhaft ausgestaltet sein. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein gesetzlicher Zessionsregress mit einem vertraglichen Innenverhältnis zusammenfällt. Der Auftragsbürge kann sich 250 von Caemmerer, FS Dölle I, 153 f.; Reinicke, VersR 1967, 4 f.; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 472 f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 69 III 2 b, S. 192; Gernhuber, Erfüllung, § 21 I 10; Medicus, BürgR, Rz 952; MüKo/Lieb, § 812 Rz 124 f.; MüKo/Krüger, § 267 Rz 24; Kim, Zessionsregreß, 80 f.; Wendehorst, Jura 2004, 511; ausführlich von Olshausen, Gläubigerrecht, 329 ff.; zur Verjährung auch Spiro, Begrenzung I, § 207; BGHZ 70, 389, 398 (23.2.1978); BGHZ 89, 82, 87 (17.11.1983); BGH NJW 2000, 3492, 3494 f. (18.7.2000); anders, aber ohne Begründung, Stamm, Regreßfiguren, 112; Schims, Forderungsübergang, 113. 251 Oben, 424, 429 f.
600
II. Der Innenausgleich
sowohl der Gläubigerforderung nach § 774 bedienen als auch einen Aufwendungsersatzanspruch nach § 670 geltend machen. Wer vertraglich ein Gesamtschuldverhältnis vereinbart hat, kann gegen seinen Mitschuldner mit einem Zessionsregress nach § 426 II vorgehen; zugleich hat er einen vertraglichen Aufwendungsersatzanspruch aus § 670, ggf. i.V.m. § 713, der auch dann noch bestehen kann, wenn der Gläubiger selbst nicht mehr gegen den Mitschuldner hätte vorgehen können. Eine reine Kumulierung von Vorteilen findet allerdings bei diesen Regressverhältnissen nicht statt: Die Vorteile der Gläubigerforderung können nur insoweit in Anspruch genommen werden, wie die Gläubigerforderung selbst noch bestanden hätte. Stützt sich der Regressberechtigte auf seinen vertraglichen Rückgriffsanspruch, etwa weil er höher ist als die Gläubigerforderung oder weil diese infolge einer Ausschlussfrist inzwischen erloschen wäre, kann er insoweit nicht die Gläubigersicherheiten in Anspruch nehmen. Umgekehrt können die Vorteile der Gläubigerforderung nur in den Grenzen des eigenen Rückgriffsanspruchs in Anspruch genommen werden (§§ 774 I 3, 426 II); ist dieser weggefallen, hilft auch der Zessionsregress nichts mehr252. Dennoch ist dieser „Doppelregress“ für den Rückgriffsberechtigten insgesamt der günstigste Weg. Sofern die Gläubigerforderung zu Subrogationszwecken noch zur Verfügung steht (also: wenn der Gläubiger sie noch verwenden könnte, wäre er nicht befriedigt worden), kann der Regressberechtigte die für sie gestellten Sicherheiten nutzen und steht insofern besser da als ein rein vertraglich Regressberechtigter der Gruppe (1). Steht die Gläubigerforderung nicht zur Verfügung (etwa weil sie auch in der Hand des Gläubigers inzwischen untergegangen wäre), kann er zwar die Sicherheiten nicht mehr verwenden, aber im Gegensatz zum Zessionsberechtigten der Gruppe (2) ist sein Regress nicht ausgeschlossen, sondern kann mit Hilfe des eigenen Anspruchs geltend gemacht werden. Diesen günstigen Doppelregress gewähren Rechtsprechung und herrschende Lehre auch dem gesetzlichen Gesamtschuldner, den kein rechtsgeschäftliches oder spezialgesetzliches Innenverhältnis mit seinen Mitschuldnern verbindet. Insbesondere dem deliktischen Gesamtschuldner wird für seinen Regress also eine stärkere Position eingeräumt als anderen Gruppen von Regressberechtigten. Dies ist keinesfalls selbstverständlich und war es auch historisch nicht. Dass der deliktische Gesamtschuldner von einem Zessionsregress profitieren kann, folgt aus § 426 II und war auch vom Gesetzgeber beabsichtigt. Wie dargestellt, handelt es sich nicht um eine für Gesamtschulden notwendige Regresstechnik, sondern um eine positive Entscheidung des Gesetzgebers, die sich an gemeinrechtlich anerkannten Fällen des Zessionsregresses orientierte253. Neben dem Zessionsregress steht dem Gesamtschuldner aber auch ein eigener Ausgleichsanspruch zur Verfügung. Nach Absicht des Gesetzgebers sollte sich dieser aus § 426 I 1 ergeben. Rechtsprechung und herrschende Lehre haben aus diesem eigenen Regressrecht eine Schuldgemeinschaft gemacht, die schon mit der 252 253
Oben, 430 ff. Oben, 400 ff.
8. Mitwirkungspflichten aus dem Gesamtschuldverhältnis?
601
Gesamtschuld selbst entsteht, Pflichten unter den Gesamtschuldnern eröffnet und Regressansprüche unabhängig vom Bestehen der Gläubigerforderung ermöglicht. Zwingend ist das nicht. Theoretisch wäre es auch möglich, den Regressanspruch genauso schwach zu gestalten wie eine Rückgriffskondiktion bei Tilgung einer fremden Schuld. Der intern nicht allein verpflichtete Gesamtschuldner hätte in diesem Fall nur dann einen Rückgriff, wenn er bereits an den Gläubiger geleistet hat, und nur insoweit, wie der Gläubiger selbst noch auf den Mitschuldner hätte zugreifen können. Aus dem Wortlaut des § 426 I 1 ergibt sich weder das eine noch das andere. Wenn die Gesamtschuldner „im Verhältnis untereinander“ zu bestimmten Anteilen „verpflichtet“ sind, kann dies im Sinne der herrschenden Lehre so ausgelegt werden, dass jeder Gesamtschuldner gegenüber seinem Mitschuldner zur Leistung seines Anteils an den Gläubiger verpflichtet ist. Ebenso gut kann angenommen werden, dass im Verhältnis unter den Schuldnern jeder für einen bestimmten Anteil zuständig ist, dass also die Gesamtschuld sich im Innenverhältnis zerteilt, woraus sich ein Regressrecht, aber nicht unbedingt gegenseitige Mitwirkungspflichten ergeben müssen254. Auf den Wortlaut des § 426 I 1 kommt es auch nicht entscheidend an. Er beruht auf einer Entscheidung der Ersten Kommission, die bei dieser Formulierung offenbar nicht an über ein Regressrecht hinausgehende Pflichten gedacht hat. Die herrschende Lehre stützt sich auf die Schuldgemeinschafts-Gedanken in den nicht authentischen Motiven zum Ersten Entwurf, die pauschal von der Zweiten Kommission gebilligt wurden. Ob der Gesetzgeber tatsächlich eine pflichtenbegründende Schuldgemeinschaft beabsichtigt hatte, ist letztlich nicht aufklärbar, aber auch nicht entscheidend. Denn auch wenn es sich bei dieser Schuldgemeinschaft um alleiniges Gedankengut des Verfassers der Motive handeln würde, wären Rechtsprechung und Lehre nicht gehindert, diesen Gedanken im Rahmen der Fortentwicklung des Rechts aufzugreifen, sofern dies sinnvoll ist. Die Schuldgemeinschaft unter den Gesamtschuldnern unterscheidet sich von einem Regressanspruch nach dem Muster der Rückgriffskondiktion und auch von einem reinen Zessionsregress dadurch, dass zum einen schon vor der Gläubigerbefriedigung Pflichten unter den Gesamtschuldnern bestehen und zum anderen der Regress vom Zugriff des Gläubigers unabhängig ist.
8. Mitwirkungspflichten aus dem Gesamtschuldverhältnis? Nach Rechtsprechung und herrschender Lehre ist jeder Gesamtschuldner gegenüber seinem Mitschuldner verpflichtet, in Höhe seines internen Anteils an der Befriedigung des Gläubigers mitzuwirken255. Die schuldhafte Verletzung einer Mitwirkungspflicht soll einen Schadensersatzanspruch des ausgleichsberechtig254 A.A. Stamm, Regreßfiguren, 71, und NJW 2004, 811, der aus dem Wortlaut des § 426 I einen Befreiungsanspruch herleiten will. 255 Nachweise oben, 319 f.
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II. Der Innenausgleich
ten Gesamtschuldners eröffnen. Zudem soll ein Gesamtschuldner gegen seinen Mitschuldner einen einklagbaren Befreiungsanspruch in Höhe des internen Anteils des Mitschuldners haben. Diese Mitwirkungspflicht soll auch für gesetzliche Gesamtschulden auf Schadensersatz gelten: Die Literatur differenziert nicht zwischen verschiedenen Gesamtschuld-Untergruppen, und die Rechtsprechung nimmt Mitwirkungs- und Befreiungsansprüche gerade auch in Fällen deliktischer oder sonstiger Gesamtschulden auf Schadensersatz an256. Befreiungs- und Schadensersatzansprüche können sich im Einzelfall selbstverständlich aus einem besonderen Innenverhältnis ergeben. Dies kommt insbesondere dann in Frage, wenn die Handlung des Schuldners S1, welche die solidarische Haftung ausgelöst hat, zugleich die Verletzung einer vertraglichen oder spezialgesetzlichen Pflicht gegenüber dem Schuldner S2 darstellt. So kann der Unternehmer S1 bei Ausführung seiner Werkleistung einen Schaden bei einem Dritten verursachen, für den nicht nur S1, sondern auch der Besteller S2 haften muss257. Im Rahmen seines Schadensersatzanspruchs kann S2 dann von S1 verlangen, die Regulierungskosten zu tragen oder ihn von vornherein von der Haftung gegenüber dem Verletzten zu befreien (§ 249)258. Die Frage ist, ob es Mitwirkungspflichten auch dann geben sollte, wenn die Schuldner durch keinerlei besonderes Innenverhältnis verbunden sind. Immerhin wird der ausgleichspflichtige Gesamtschuldner dadurch benachteiligt. Nicht nur der Gläubiger, sondern auch die Mitschuldner können nun von ihm die Leistung seines Anteils an den Gläubiger verlangen. Zwar muss der ausgleichspflichtige Gesamtschuldner auch beim gewöhnlichen Regress hinnehmen, Schuldner seines Mitschuldners zu sein. Doch der Mitschuldner ersetzt in diesem Fall den ursprünglichen Gläubiger, der befriedigt worden ist (§ 422). Eine Mitwirkungspflicht führt hingegen dazu, dass der oder die Mitschuldner Gläubiger neben dem ursprünglichen Gläubiger werden. Die Hinzufügung weiterer Gläubiger, und sei es auf dieselbe Leistung, ist aber ein Nachteil, den ein Schuldner nicht ohne weiteres hinnehmen muss259. Schuldet er Schadensersatz als Gesamtschuldner, weil 256 RGZ 61, 56, 60 (29.5.1905); RGZ 92, 143, 151 (24.1.1918); RGZ 160, 148, 151 (1.4.1939); BGH VersR 1956, 160, 161 (17.12.1955); BGH VersR 1957, 806 (22.10.1957, teilweise abgedruckt in NJW 1958, 497); BGH VersR 1960, 632, 633 (8.3.1960); BGHZ 35, 317, 325 (27.6.1961); BGH NJW 1962, 1678, 1680 (3.7.1962); OLG Neustadt, NJW 1963, 494 (27.11.1962); OLG Celle, OLGZ 1970, 357, 358 f. (9.1.1970); BGH NJW 1974, 693 (18.12.1973); KG VersR 1978, 435 (2.3.1978); OLG Frankfurt, VersR 1983, 926 (13.1.1982); BGH NJW-RR 1989, 918, 920 (25.4.1989); OLG Hamm, NJW 2002, 1054 (13.1.2001); BGH NJW 2003, 828, 829 (10.12.2002); BGHZ 155, 265, 270 f. (26.6.2003). 257 Beispiele: BGH VersR 1969, 1039 (22.9.1969); BGH NJW 1994, 2231, 2232 (28.4.1994). 258 Weitere Fälle: BGH VersR 1957, 806, 807 (22.10.1957); BGH WM 1990, 2123, 2124 (10.5.1990); OLG Hamburg, NJW-RR 1995, 673 (25.2.1994); BGH NJW-RR 2005, 34 (13.10.2004). Vgl. oben, 323 und 333 f. 259 Zur Unzulässigkeit der einseitigen Begründung einer Gesamtgläubigerschaft durch den Einzelgläubiger BGHZ 64, 67 (5.3.1975); BGH NJW 1996, 1407, 1409 (12.10.1995); BGH NJW 1999, 715, 716 (9.12.1998); OLG Koblenz, FamRZ 1992, 1303 (13.9.1991); Arens, AcP 170 (1970), 392, 407; Soergel/Wolf, § 428 Rz 5; Staud/Noack, § 428 Rz 46; Erman/Ehmann, § 428 Rz 21; MüKo/ H. Roth, § 398 Rz 59 f.; Rütten, Mehrheit, 224 f.
8. Mitwirkungspflichten aus dem Gesamtschuldverhältnis?
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sein Verursachungsbeitrag nur zusammen mit einem anderen den Schaden verursachen konnte, steht er in dieser Hinsicht schlechter da, als wenn er allein einen Schaden verursacht hätte, für den nur er haftet. Aus diesem Grund lehnt ein kleinerer Teil der Lehre Mitwirkungspflichten bei gesetzlichen Gesamtschulden ab. Mitwirkungs- und Befreiungsansprüche, so wird argumentiert, können sich nur dann ergeben, wenn die Schuldner durch ein vertragliches oder sonstiges besonderes Innenverhältnis verbunden sind, nicht aber dann, wenn die Schuldner gleichsam zufällig nur dadurch zu Gesamtschuldnern geworden sind, dass beide eine Ursache für einen einheitlichen Schaden gesetzt haben. Die von der herrschenden Lehre angenommene Schuldgemeinschaft bedeute eine unzulässige Verallgemeinerung von Regeln, die nur für vertragliche Schuldverhältnisse passen260. Doch diese Argumentation spricht nicht zwingend gegen die Annahme rein gesetzlicher Mitwirkungspflichten. Das Recht bzw. der Gesetzgeber ist nicht gehindert, auch im außervertraglichen Bereich, und selbst dann, wenn die Parteien nur durch Zufall verbunden sind, vertragsähnliche Regelungen aufzustellen, sofern dies sachgerecht, durch die Parteiinteressen geboten, systematisch stimmig und mit der Privatautonomie vereinbar ist. Demgemäß fragt es sich, ob es Gründe für die Annahme von Mitwirkungspflichten gibt, die so stark sind, dass sie das Interesse des ausgleichspflichtigen Gesamtschuldners, nicht von seinen Mitschuldnern behelligt zu werden, überwiegen. Eine nahe liegende Erwägung ist, dass es ohne Mitwirkungspflichten zu einem überflüssigen Umweg kommt: Wenn der Gesamtschuldner dem Gläubiger eine Leistung in Höhe eines bestimmten Betrages erbringen muss und diesen Betrag danach im Wege des Regresses vom Mitschuldner verlangen kann, dann könnte es sich anbieten, dass der Mitschuldner den Betrag direkt an den Gläubiger zahlt261. In der Literatur wird darüber hinaus geltend gemacht, ohne Mitwirkungspflicht sei der intern nicht allein verpflichtete Gesamtschuldner gezwungen, vorzuleisten und damit das Insolvenzrisiko seiner Mitschuldner zu übernehmen262. Hier handelt es sich um ein verfeinertes Glücksspiel-Argument: Der pure Regress (nach Leistung an den Gläubiger) verhindert lediglich, dass die Gläubigerwillkür darüber entscheidet, wer die Last endgültig tragen muss. Es bleibt aber das Problem, dass es von der Wahl des Gläubigers abhängt, wer die insgesamt geschuldete Leistung vorschießen und wer nur seinen internen Anteil (im Rahmen des Regresses) leisten muss. Dies soll die Mitwirkungspflicht im Innenverhältnis der Gesamtschuldner verhindern. 260 von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 91; Keuk, JZ 1972, 530; Wagenfeld, Ausgleichsansprüche, 43 f.; Goette, Gesamtschuldbegriff, 129 ff.; Denck, JZ 1976, 673; Selb, Mehrheiten, 94; ebenso schon Kohler, Schuldrecht, § 53 II; Weigelin, Schuldbeitritt, 99 f., 105 f. Ablehnend gegenüber einer Mitwirkungspflicht auch Winter, Teilschuld, 85 f., 105 ff.; Prediger, Auslegung, 83 ff. 261 Stamm, Regreßfiguren, 48. 262 Steinbeis, Haftungsausschluß, 145; Staud/Noack, § 426 Rz 74; Soergel/Wolf, § 426 Rz 15; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 70; Bydlinski/Coors, ÖJZ 2007, 278; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 182.
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II. Der Innenausgleich
So gesehen stellt sich die Mitwirkungspflicht als Konsequenz des Gesamtschuldregresses dar. Ob dies zutrifft, hängt aber davon ab, wie man den Gesamtschuldregress begründet. Bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden beruht der Regress (und ebenso eventuelle Mitwirkungspflichten) auf dem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis. Bei gesetzlichen Gesamtschulden beruht der Regress auf § 426, aber es kann gefragt werden, auf welchem Rechtsgedanken dieser gesetzliche Regress aufbaut. Wie berichtet sind in der gemeinrechtlichen und französischen Literatur unterschiedliche Begründungen für den Gesamtschuldregress vorgeschlagen worden263. Auch in Österreich wird bei gesetzlichen Gesamtschuldverhältnissen darüber gerätselt, ob der Grund des in § 896 gewährten Rückgriffsanspruchs § 1041 ABGB (nützliche Verwendung), § 1042 ABGB (eine Art Rückgriffskondiktion), § 1014 ABGB (Auslagenersatz des Beauftragten), §§ 1036 f. ABGB (Geschäftsführung ohne Auftrag), ein Gemeinschaftsverhältnis unter den Schuldnern oder sogar ein Schadensersatzanspruch (bei deliktischen Gesamtschulden) ist264. Der an den Gläubiger leistende Gesamtschuldner könnte seinen Mitschuldner von einer Schuld befreit und ihn damit rechtsgrundlos bereichert haben265. Er könnte auch durch die Leistung an den Gläubiger ohne Auftrag ein Geschäft des Mitschuldners in Form der Schuldbefreiung geführt haben266. Daneben findet sich der Gedanke, dass Gesamtschuldner in einer gesetzlichen Gemeinschaft stehen, weil keiner seine Schuld erfüllen kann, ohne zugleich die Mitschuldner zu befreien, ebenso wie im Falle des Miteigentums keiner die gemeinsame Sache verbessern kann, ohne damit auch den übrigen Teilhabern zu nutzen. Diese zwangsläufige Interessengemeinschaft soll dann Ausgleichsansprüche wie in einer dinglichen Gemeinschaft (vgl. § 748) hervorrufen267. Schließlich gibt es das Argument des Glücksspiels bzw. der Gläubigerwillkür. Auf den ersten Blick ist das Verhältnis dieser Begründungswege untereinander unklar.
263
Zum Gemeinen Recht oben, 276 ff.; zum französischen Recht 294 f. Vgl. Rummel/Gamerith, ABGB, § 896 Rz 1 a; Klang/Perner, ABGB, § 896 Rz 3 ff.; Schwimann/Apathy/Riedler, ABGB, § 896 Rz 9; Weiss, JBl 1947, 531; C. Huber, JBl 1985, 403 Fn. 48; Bacher, Ausgleichsansprüche, 70 ff., 79 ff.; Rudolf, Schuldnermehrheiten, 236 ff.; aus dem 19. Jahrhundert Nippel, ABGB, § 896 Anm. 1; Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 178 f. Eine Mindermeinung vertritt Koziol, wonach es sich bei § 896 ABGB um nichts anderes als um die subrogierte Gläubigerforderung handelt, JBl 1964, 311, und Haftpflichtrecht I, Rz 14/21; hierzu oben, 398. 265 Vgl. Savigny, Obligationenrecht I, 229; Crome, JhJb 35 (1896), 126 ff.; Schulz, Rückgriff, 39 ff.; von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 90 f.; Weiss, JBl 1947, 531; Klang/Perner, ABGB, § 896 Rz 7; Dejean de la Batie, JCP 1978 II 19003; Demolombe, Cours XXVI, § 304; Le Tourneau/Julien, Solidarité, § 200. In England wird der Gesamtschuldausgleich zum law of restitution gezählt; stellvertretend Mitchell, Contribution, Rz 3.01 ff. m.w.N. 266 Vgl. Kohler, JhJb 25 (1887), 118 ff.; Pothier, Obligations, § 280; Demolombe, Cours XXVI, § 304; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1092; Carbonnier, Obligations, § 346, S. 569; Le Tourneau/ Julien, Solidarité, § 154; Nippel, ABGB, § 896 Anm. 1. 267 Jhering, JhJb 10 (1871), 331 ff.; Unger, JhJb 22 (1884), 275 f.; vgl. Crome, JhJb 35 (1896), 129 f. 264
8. Mitwirkungspflichten aus dem Gesamtschuldverhältnis?
605
Wie dargestellt kann der Regress, sei es in Form eines Bereicherungsanspruchs, sei es in Form eines Anspruchs aus G.o.A., nicht auf die Tatsache gestützt werden, dass der Mitschuldner im Außenverhältnis von seiner Schuld befreit wurde268. Jeder leistende Gesamtschuldner befreit sämtliche Mitschuldner von der vollständigen Schuld. Selbstverständlich kann er deswegen nicht kumulierte Bereicherungsansprüche erheben, und selbstverständlich kann nicht derjenige Gesamtschuldner, der zufällig zuerst zahlt, stets vom anderen vollen Regress nehmen. Soweit Rechtsprechung und Lehre in manchen SchuldnermehrheitsKonstellationen der „unechten Gesamtschuld“ tatsächlich mit einem Regress aus Bereicherungsrecht oder G.o.A. arbeiten, stellen sie zusätzlich darauf ab, wen die Pflicht in erster Linie trifft. Sie ordnen die Schuld also im Innenverhältnis einem der Schuldner zu. Tatsächlich ist bei Gesamtschulden und gesamtschuldähnlichen Schuldnermehrheiten Voraussetzung jeden sinnvollen Regresses, in welcher Form auch immer, dass die insgesamt geschuldete Leistung einem der Schuldner zugeordnet oder nach einem bestimmten Maßstab auf die Schuldner aufgeteilt wird. Der Gesamtschuldregress beruht, so gesehen, auf zwei gedanklichen Schritten. Der erste Schritt ist die Teilung „der Schuld“ im Innenverhältnis. Ihre Notwendigkeit ergibt sich direkt aus dem Argument der Gläubigerwillkür. Weil die von mehreren geschuldete Leistung nur einmal erbracht werden muss, wird sie im Zuge der Gläubigerbefriedigung im Ergebnis auf die Schuldner verteilt. Schulden fünf Gesamtschuldner 100, dann kann nicht jeder 100 zahlen, sondern die Zahlung wird im Ergebnis aufgeteilt, sei es, dass S1 100 zahlt, sei es, dass S2 30 und S3 70 zahlen. Ohne Gesamtschuldregress wäre es letztlich der Willkür des Gläubigers überlassen, welcher Schuldner welchen Teil tragen muss. Um dies zu vermeiden, entscheidet das Recht anstelle des Gläubigers über die Zuordnung, unabhängig davon, wer die Leistung tatsächlich erbracht hat. Dies kann im Beispiel dazu führen, dass jeder Schuldner 20 tragen muss, aber auch dazu, dass S1 100 und die übrigen nichts tragen müssen. Auch eine Zuordnung 100%-0% ist eine „Aufteilung“ der Gesamtschuld im Innenverhältnis. Eine solche Aufteilung ist stets notwendig, wenn dem Gläubiger für ein einfaches Leistungsinteresse mehrere Schuldner zur Verfügung stehen, unabhängig davon, ob man die Schuldnermehrheit als Gesamtschuld einordnet oder nicht. Kann das verletzte Kind die Heilungskosten vom Schädiger als Schadensersatz und vom Vater als Unterhalt verlangen, dann wird „die Schuld“ (also die endgültige Zuständigkeit für die Heilungskosten) derart zwischen Schädiger und Vater verteilt, dass der Schädiger 100%, der Vater 0% tragen muss. Ist der Geschädigte schadensversichert, trägt im Verhältnis zwischen Schädiger und Schadensversicherung der Schädiger 100% und die Versicherung nichts (§ 67 VVG). Die Aufteilung „der Schuld“ im Innenverhältnis ist nichts anderes als die Kehrseite davon, dass der Gläubiger im Außenverhältnis mehr Schuldner hat, als er zur ein-
268
Oben, 370 ff.
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II. Der Innenausgleich
maligen Leistungserbringung braucht, also die Kehrseite der Vervielfältigung der Schuldner im Außenverhältnis269. Die Aufteilung nach innen ist aber nur der erste Schritt. Steht etwa fest, dass die fünf Gesamtschuldner S1–5 intern je 20 tragen müssen, ist damit noch nicht gesagt, auf welche Weise S1, der 100 an den Gläubiger gezahlt hat, Regress nehmen kann. Aus dem Gedanken der inneren Teilung der Gesamtschuld könnte gefolgert werden, dass unter den Gesamtschuldnern die Lage so sein sollte, als ob Teilschulden (zu je 20) bestünden270. S1 hätte dann jeden seiner Mitschuldner von dessen Teilschuld in Höhe von 20 befreit, und zwar ohne rechtlichen Grund, weil die Gläubigerwahl gerade kein Rechtsgrund sein darf. Im Verhältnis unter den Gesamtschuldnern stünde S1 da wie ein Dritter, der auf fremde Schulden zahlte. Seine Regress beruhte auf einem Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung in Gestalt einer Rückgriffskondiktion. In ähnlicher Weise könnte die Zahlung von S1 als Führung fremder Geschäfte angesehen werden. S1 hätte für jeden der Mitschuldner ein Fremdgeschäft geführt, indem er ihn von seiner Schuld in Höhe von 20 befreit hat. Mitwirkungspflichten würden sich auf dem Boden dieser beiden Regressmodelle nicht ergeben. Statt dessen kann aber auch angenommen werden, dass jeder Schuldner im Verhältnis zu seinen Mitschuldnern verpflichtet ist, seinen internen Anteil zu tilgen. Das Argument der Gläubigerwillkür führt also zunächst einmal nur zur inneren Aufteilung des Geschuldeten. Diese Teilung nach innen wird gerade durch § 426 I 1 angeordnet. Noch nicht gesagt ist damit, auf welche Weise der Ausgleich stattfinden soll, wenn im Außenverhältnis nicht so an den Gläubiger geleistet wurde, wie es der inneren Zuständigkeit entsprechen würde. Die Trennung zwischen innerer Teilung und Regressgrundlage findet sich besonders ausgeprägt im französischen Recht. Aus Art. 1213 f. CC soll allein die Teilung nach innen folgen, während die Regressgrundlage woanders gesucht werden muss. Im deutschen Recht ist dagegen § 426 I 1 zugleich Anspruchsgrundlage für den Regress. Die Gestaltung dieses Regresses ist aber offen. Zugunsten der Schuldgemeinschaft kann ins Feld geführt werden, dass die Regressmodelle der ungerechtfertigten Bereicherung und der G.o.A. der spezifischen Lage bei Gesamtschuldverhältnissen nicht gerecht werden. Bestünden tatsächlich Teilschulden unter den Schuldnern, dann wäre S1, der die gesamte Schuld getilgt hat, tatsächlich nur ein Dritter, der ungefragt fremde Schulden tilgt, so dass der schwache Bereicherungsregress ohne Mitwirkungspflichten angemessen wäre. Doch diese Annahme blendet das Außenverhältnis aus. Auch wenn sich die Schuld unter den Schuldnern zerteilt, ändert dies nichts daran, dass S1 im Außenverhältnis zur Mittilgung der Anteile von S2–5 gezwungen war. 269 Auf das fragwürdige Argument, die Teilschuld sei das „natürliche“ Verhältnis, das durch den Regress wieder hergestellt werde (Savigny, Obligationenrecht I, 228 f.; Keuk, AcP 168 [1968], 185, 187; dies., JZ 1972, 531; Goette, Gesamtschuldbegriff, 126 f., 153; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 49), muss nicht zurückgegriffen werden 270 So Goette, Gesamtschuldbegriff, 125 ff., 128.
8. Mitwirkungspflichten aus dem Gesamtschuldverhältnis?
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Hier handelt es sich um das Argument der „legal compulsion“, das schon bei der Begründung des Zessionsregresses für Gesamtschuldner aufgetaucht war271. Wenn S1 gegen seinen Willen vom Gläubiger gezwungen werden kann, die internen Anteile der übrigen zu zahlen, verdient er einen privilegierten Regress. Vor allem führt die Zwangssituation dazu, an dieser Stelle das Argument der Gläubigerwillkür ein zweites Mal einzusetzen: Nicht nur die endgültige Belastung, sondern auch die Pflicht zur Vorleistung soll nicht von der Wahl des Gläubigers abhängen. Demnach würde die Tatsache, dass der Gläubiger sich für eine Leistung, die er im Ergebnis nur einmal bekommen soll, einen unter mehreren Schuldnern aussuchen kann, zu Mitwirkungspflichten unter den Schuldnern führen. Doch diese Schlussfolgerung ist in ihrer Allgemeinheit unrichtig. Das deutsche Recht kennt auch Fälle der Gläubigerwahl, bei denen die Gläubigerwillkür lediglich durch einen Regress, nicht aber durch Mitwirkungspflichten eingedämmt wird. Es handelt sich um Fallkonstellationen, in denen sich der Gläubiger für ein einmaliges Leistungsinteresse einen unter mehreren Schuldnern aussuchen kann, ohne dass (zu Recht oder zu Unrecht) eine Gesamtschuld i.S.d. § 421 angenommen wird. Dem nicht beauftragten Bürgen, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat, steht nach dem BGB kein Befreiungsanspruch gegen den Schuldner S zu, so dass es von der Gläubigerwillkür abhängt, ob er eine Vorschussleistung für S erbringen muss oder nicht. Der Vater, der seinem verletzten Kind wegen seiner Unterhaltspflicht die Heilungskosten schuldet, hat nach der Rechtsprechung gegen den gleichfalls schuldenden Schädiger nur einen Regress aus G.o.A.272, kann also nach seiner Leistung vom Schädiger Regress nehmen, aber nicht vor seiner Leistung vom Schädiger Befreiung verlangen273. Berät S1 G schuldhaft falsch, mit dem Ergebnis, dass G dem S2 eine nicht geschuldete Leistung erbringt, kann S1, ersetzt er den Schaden bei G, gegenüber S2 Regress nehmen (nach ganz h.L. über die zedierte Forderung des G aus § 812)274, aber er kann nicht vor seiner Leistung von S2 Befreiung oder Rückzahlung an G verlangen. Im Zusammenhang mit Gesamtschulden auf Schadensersatz aufschlussreich sind insbesondere die Regressansprüche von Schadensversicherern. So kann ein Geschädigter einen deliktischen Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger und einen vertraglichen Leistungsanspruch gegen seinen Schadensversicherer haben. Er hat die Wahl, welchen Schuldner er in Anspruch nimmt, kann aber seinen Schaden im Ergebnis nur einmal ersetzt bekommen. Leistet der Schädiger, wird der Versicherer frei. Leistet der Versicherer, hat er einen Zessionsregress (§ 67 271
Oben, 401 f. RGZ 53, 312 (19.1.1903); RGZ 82, 206, 214 (26.4.1913); RGZ 138, 1,2 (4.7.1932); BGH NJW 1979, 598 (21.12.1978); BGH NJW 2004, 2892, 2893 (15.6.2004). 273 So ausdrücklich RGZ 138, 1,2. 274 Hierzu MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 54–56; Erman/Ehmann, § 421 Rz 62–65; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 62; RGZ 149, 182, 186 f. (7.11.1935); BGHZ 6, 55, 61 f. (30.4.1952); OLG Karlsruhe, MDR 1968, 755 (26.1.1968); BGH NJW 1982, 1806 (17.12.1982); OLG München, NJW-RR 1995, 813 (9.3.1995); für Gesamtschulden aber BGH NJW-RR 1991, 662 (17.1.1991). 272
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II. Der Innenausgleich
VVG) gegen den Schädiger. Es ist also der Willkür des Gläubigers überlassen, ob der Versicherer für den Schädiger „vorleisten“ und dessen Insolvenzrisiko übernehmen muss oder ob er davon verschont wird. Trotzdem hat der Versicherer als potentiell Regressberechtigter keinen Mitwirkungsanspruch: Er kann vom Schädiger nicht Leistung an den Geschädigten oder sogar Befreiung verlangen275. Formell wird dieses Ergebnis damit begründet, dass der Schadensversicherer nach § 67 VVG erst dann in die Rechte des Versicherten eintritt, wenn und soweit er an diesen geleistet hat276. Ansprüche gegen den Schädiger kann er vor seiner eigenen Leistung also nicht erwerben277. Dann fragt es sich aber, aus welchem Grund der Versicherer auf einen Zessionsregress beschränkt wird, während der Mitschädiger von einer Schuldgemeinschaft mit privilegiertem Regress profitieren kann. Diese Frage stellt sich insbesondere in Fällen, in denen Mitschädiger und Versicherer zusammentreffen. Besteht bei zwei gleichrangig haftenden Schädigern zugunsten des Mitschädigers S1 eine gewöhnliche Haftpflichtversicherung und leistet der Haftpflichtversicherer HV an den Geschädigten G, dann ist er für seinen (anteiligen) Regress gegen den Mitschädiger S2 auf § 67 VVG angewiesen. Diese Vorschrift bewirkt nach heute allgemeiner Ansicht, dass der Ausgleichsanspruch von S1 gegen S2 aus § 426 auf HV übergeht. Mit dem Forderungsübergang profitiert HV auch vom privilegierten Gesamtschuldregress, allerdings erst dann, wenn er seine Leistung erbracht, also den G befriedigt hat. Vor seiner Leistung hat er also keinen Mitwirkungs- oder Befreiungsanspruch gegen S2278. Dieses Ergebnis kann damit begründet werden, dass eine Lage der Gläubigerwillkür gegenüber HV nicht besteht, weil G sich zwar wahlweise an S1 oder S2, nicht aber an HV halten kann. Weil HV dem Zugriff des Gläubigers nicht unterliegt, braucht er keinen Mitwirkungsanspruch. Damit wird allerdings vernachlässigt, dass HV zumindest mittelbar doch von der Wahl des G betroffen wird: Nimmt G S2 in Anspruch, ist HV gegenüber S1 verpflichtet, den anteiligen Regressanspruch des S2 zu befriedigen. Hält G sich dagegen an S1, ist HV gegenüber S1 verpflichtet, G vollständig zu befriedigen und damit für S2 in Vorlage zu treten.
275 A.A. Wernecke, Gesamtschuld, 70, die ohne weiteres auch zwischen Versicherer und Schädiger ein Gesamtschuldverhältnis annimmt; zumindest de lege ferenda auch Kuhlmann, Rückgriffsgrundlagen, 388 f. 276 BGH VersR 1966, 875 (13.6.1966); OLG Düsseldorf, VersR 1999, 1277 (26.5.1998); Prölss/ Martin/J.Prölss, VVG, § 67 Rz 17. 277 Das Problem, zuerst an den Geschädigten leisten zu müssen, bevor man sich an dritte Verantwortliche halten kann, haben die Sozialversicherungs- und Sozialhilfeträger (ST) nicht, weil schon mit Entstehung des Schadens der Anspruch des Verletzten G gegen den Schädiger auf sie übergeht, § 116 SGB X. Theoretisch könnte ein ST daher schon vor seiner Leistung an den Geschädigten vom Schädiger Zahlung an sich selbst verlangen. Hier besteht allerdings im Verhältnis zwischen ST und Schädiger kein Problem der Gläubigerwillkür, weil der Geschädigte nicht gegen den Schädiger vorgehen kann. Der schon von Anfang an dem ST zustehende Anspruch gegen den Schädiger ist hier unproblematisch, weil der ST nicht neben G, sondern an dessen Stelle tritt und lediglich dessen Anspruch geltend macht, was sich jeder Schuldner grundsätzlich gefallen lassen muss. 278 BGH NJW-RR 1989, 918, 920 (25.4.1989); Jauernig/Stürner, § 426 Rz 21.
8. Mitwirkungspflichten aus dem Gesamtschuldverhältnis?
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Vor allem aber hilft das Argument der Gläubigerwillkür nicht weiter, wenn der Haftpflichtversicherer ausnahmsweise vom Gläubiger direkt in Anspruch genommen werden kann. Dies ist der Fall bei der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung. Nach § 3 Nr. 1 PflVG hat der geschädigte Dritte einen Direktanspruch nicht nur gegen den Schädiger, sondern auch gegen dessen Pflichtversicherer, der nach § 3 Nr. 2 mit dem Schädiger als Gesamtschuldner haftet. Bei einer Mehrheit von verantwortlichen Schädigern stellt sich hier die Frage, ob der Pflichtversicherer PV1 nicht nur mit seinem Versicherungsnehmer, dem Schädiger S1, sondern auch mit dem Mitschädiger S2 und dessen Pflichtversicherer PV2 Gesamtschuldner ist. Auf den ersten Blick ist es schwer einsehbar, warum bei einer Gesamtschuld zum einen zwischen PV1 und S1, zum zweiten zwischen S1 und S2 (nach § 840) und zum dritten zwischen S2 und PV2 nicht ein einheitliches Gesamtschuldverhältnis unter allen vier Beteiligten bestehen sollte, das durch Haftungseinheiten zwischen S1 und PV1 und zwischen S2 und PV2 geprägt ist. Tatsächlich ist ein solches Gesamtschuldverhältnis in der Rechtsprechung teilweise angenommen worden, nämlich vom OLG Celle279 und, wenn auch obiter, vom Sechsten Senat des BGH280. Das OLG Celle argumentierte, es komme allein auf die Stellung der Schuldner zum Gläubiger an. Weil dieser für sein einmaliges Leistungsinteresse jeden Schuldner in Anspruch nehmen könne, sei der Tatbestand des § 421 gegeben. Hieraus folge, dass PV1 gegen S2 einen direkten Rückgriffsanspruch aus § 426 habe. Demgegenüber nehmen die Literatur und der größere Teil der Rechtsprechung, insbesondere der Dritte und Vierte und neuerdings auch der Sechste Senat des BGH, an, dass § 3 Nr. 2 PflVG ein Gesamtschuldverhältnis allein zwischen PV1 und S1 begründe, das vom Gesamtschuldverhältnis zwischen S1 und S2 zu unterscheiden sei281. PV1 hat danach keinen eigenen Regress aus § 426 gegen S2. 279
OLG Celle, VersR 1973, 1031 (14.5.1973); VersR 1975, 1051, 1052 (20.1.1975); VersR 1980, 562, 563 (25.6.1979); ebenso ohne weiteres OLG Frankfurt, VersR 1996, 1403, 1405 (5.7.1995); Palandt/Grüneberg, § 421 Rz 11; und wohl Staud/Kaduk, § 421 Rz 26. Das OLG München nimmt eine Gesamtschuld zumindest zwischen den Versicherern PV1 und PV2 an, VersR 2002, 1289 (15.12.1999). 280 BGH VersR 1978, 843 (VI, 13.6.1978). Hier bestand zwischen S1 und S2 gar keine Gesamtschuld, weil S1 wegen Unabwendbarkeit G nichts schuldete. Sein Haftpflichtversicherer PV1 zahlte an den Sozialversicherungsträger SV, der an G Leistungen erbracht hatte, nur wegen eines zwischen PV1 und SV bestehenden Teilungsabkommens. Der BGH prüfte obiter, wie die Rechtslage wäre, wenn es kein Teilungsabkommen gegeben hätte und S1 gegenüber G mitverantwortlich gewesen wäre. Dann, so der Senat, hätte PV1, wenn er an SV bzw. G gezahlt hätte, einen Regress aus § 426 gegen den Pflichtversicherer von S2 (S. 844). Zwischen allen Schuldnern des G entstünden daher Mitwirkungspflichten (S. 845). Von einem Gesamtschuldverhältnis zwischen einem Schädiger, dessen Haftpflichtversicherer und weiteren Schädigern spricht der Sechste Senat obiter auch in BGH NJW 2006, 896 (13.12.2005). 281 OLG Hamm, VersR 1976, 141, 142 (21.3.1975); KG VersR 1978, 435, 436 (2.3.1978); BGH VersR 1979, 838 (III, 28.5.1979); BGH NJW 1981, 681 (III, 30.10.1980, das Urteil des OLG Celle v. 25.6.1979 kassierend); OLG Karlsruhe, VersR 1986, 155 (13.1.1984); BGH NJW 1992, 1507 (IV, 5.2.1992); BGH NJW 2007, 1208, § 16 (VI, 28.11.2006); Geyer, VersR 1966, 512; Baumann, ZVers-
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II. Der Innenausgleich
Ist er gegenüber seinem Versicherungsnehmer S1 intern allein verpflichtet (so der Regelfall), kann er nach seiner Leistung mit § 67 VVG den Anspruch von S1 gegen S2 aus § 426 geltend machen. Ist er ausnahmsweise gegenüber S1 leistungsfrei (§ 3 Nr. 9 PflVG), kann er sich nur mittels § 426 an S1 halten und gegebenenfalls dessen Anspruch aus § 426 gegen S2 pfänden und an sich überweisen lassen. Dieses auf den ersten Blick schwer verständliche Ergebnis hat natürlich sachliche Gründe282. Es geht darum, den Direktanspruch des Geschädigten gegen den Pflichtversicherer, der ohnehin systemwidrig ist und nur zum Schutz des Geschädigten eingeführt wurde, derart zu begrenzen, dass er tatsächlich nur dem Geschädigten zugutekommt und die Regresslage nach Befriedigung des Geschädigten nicht beeinflusst. Der Schutz des § 3 Nr. 1 PflVG soll nur dem Geschädigten selbst, nicht etwaigen Regressansprüchen zukommen. Dies bedeutet zunächst einmal, dass der Mitschädiger S2, der den Gläubiger befriedigt hat, sich wegen seines Regressanspruchs gegen S1 aus § 426 nicht gem. § 3 Nr. 1 PflVG an dessen Versicherer PV1 halten kann283. Dieses Ergebnis darf aber nicht dadurch unterwandert werden, dass S2 ein eigener Regressanspruch gegen PV1 aus § 426 gewährt wird. Im Ergebnis wird der Direktanspruch des Geschädigten also ausgeblendet, soweit es um die Regressfrage geht. Die Lage wird wie die bei gewöhnlicher Haftpflichtversicherung ohne Direktanspruch behandelt: Leistet S2 an den Geschädigten, hat er nur einen Regress gegen S1, kann aber dessen Freistellungsanspruch gegen PV1 pfänden. Leistet umgekehrt PV1, kann er gegen S2 nur über den Umweg des § 67 VVG Regress nehmen. In diesem Rahmen kann er wiederum durch Pfändung des Freistellungsanspruchs von S2 sich auch an dessen Versicherer PV2 halten. Vor seiner eigenen Leistung hat er aber keine Mitwirkungs- oder Freistellungsansprüche. Dies ist bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass er dem direkten Zugriff des Gläubigers ausgesetzt ist. Die Gläubigerwillkür entscheidet also darüber, welcher der Beteiligten (insbesondere: welcher von beiden Versicherern) die Gesamtleistung erbringen und damit Vorleistungen für die übrigen erbringen muss. Gegen diese Rechtsprechung könnte konstruktiv eingewendet werden, dass eine derartige, aus mehreren sich überlappenden Gesamtschuldverhältnissen bestehende, Schuldnermehrheit nicht denkbar sei. Wenn die Leistung von PV 1 so282 Wiss 59 (1970), 196 f.; Bäumer, Zukunft, 77; Bruck/Möller/Johannsen, VVG, Bd. V/1, Anm. B 21 a.E.; G. Dilcher, JZ 1973, 201; Selb, Mehrheiten, 54 Fn. 142; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 47; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 73. 282 Wenig überzeugend ist allerdings die Begründung des Sechsten Senats in BGH NJW 2007, 1208 (28.11.2006), §§ 18 f.: Wenn S2 im Verhältnis zu S1 intern gar nicht verpflichtet sei, führe eine Gesamtschuld bei Insolvenz des S1 wegen § 426 I 2 dazu, dass PV1 und S2 jeweils die Hälfte tragen müssten, obwohl richtigerweise PV1 gar keinen Regress gegenüber S2 haben sollte. Dieses Ergebnis kann auch bei Annahme eines Gesamtschuldverhältnisses unproblematisch durch die Annahme einer Haftungseinheit zwischen S1 und PV1 erreicht werden. 283 KG VersR 1978, 435, 436; Prölss/Martin/Kappmann, VVG, § 3 Nr. 1–2 PflVG Rz 10; vgl. auch OLG Bamberg, VersR 1985, 750 (26.3.1985). Anders aber OLG Köln, VersR 1972, 651 (6.3.1972).
8. Mitwirkungspflichten aus dem Gesamtschuldverhältnis?
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wohl S1 (nach §§ 3 Nr. 2 PflVG, 422 BGB) als auch S2 (nach §§ 840, 422 BGB, andernfalls könnte PV1 nicht von einem Regress S1 gegen S2 nach § 426 profitieren) und damit auch PV 2 befreie, dann bestehe ein Fall durchgehender Solutionskonkurrenz. Diese liege zwar auch dann vor, wenn bei einem bestehenden Gesamtschuldverhältnis sich Dritte für die Verbindlichkeiten einzelner Gesamtschuldner verbürgen, ohne dass die herrschende Lehre auch die Bürgen ins Gesamtschuldverhältnis einbezieht284. Dort allerdings bestehe, anders als hier, die Besonderheit, dass einzelne Elemente der Solutionskonkurrenz-Kette durch ein Akzessorietätsverhältnis verbunden sind. Eine allseitige Solutionskonkurrenz ohne Akzessorietät müsse aber ein Gesamtschuldverhältnis bilden, so dass jeder gegen jeden einen Anspruch aus § 426 auf Mitwirkung erheben können müsste. Doch eine solche Argumentation setzt voraus, dass jeder Fall akzessorietätsloser Solutionskonkurrenz eine Gesamtschuld bilden muss und dass jeder Gesamtschuldner den privilegierten Regress in Form einer Schuldgemeinschaft hat. Die Kombination beider Sätze führt aber in die Irre. Gerade die Rechtsprechung zu § 3 Nr. 2 PflVG zeigt, dass es Schuldnermehrheiten mit allseitiger Solutionskonkurrenz geben kann, bei denen es zwar letztlich zum Regress und damit zu einer „richtigen“ Zuordnung im Innenverhältnis kommt, aber die spezielle Regresstechnik, welche die herrschende Lehre mit § 426 I verbindet, nicht erwünscht ist. Für eine solche Beschränkung der direkten Regressansprüche kann es gute Gründe geben285. So mag es der Schutz des im Straßenverkehr Geschädigten noch rechtfertigen, den Pflichtversicherer, der einen Vertrag nur mit seinem Versicherungsnehmer hat, in seiner Privatautonomie dadurch zu beschränken, dass ein vertragsfremder Dritter (der Geschädigte) einen eigenen Direktanspruch gegen ihn geltend machen kann, während man die Legitimation von Direktansprüchen durch Regresssuchende bezweifeln kann. Zu erwägen wäre allenfalls, ob nicht dem Mitschädiger S2 gegen den Pflichtversicherer PV1 ein Zessionsregress in Form des Übergangs der Forderung von S1 aus dem Versicherungsverhältnis gewährt werden sollte, nachdem S2 den Gläubiger befriedigt hat. Denn PV1 mag zwar ein berechtigtes Interesse daran haben, keinen Direktansprüchen dritter Regresssuchender ausgesetzt zu werden, gegen eine bloße Übertragung der gegen ihn gerichteten Forderung unter Anwendung der §§ 404 ff. muss er hingegen nicht besonders geschützt werden. Technisch könnte dieses Ergebnis dadurch erzielt werden, dass man die Forde284
Zu diesem Problem oben, 446 ff. Nach einer Zwischenlösung soll der Pflichtversicherer zwar nicht mit einem anderen Schädiger in einem Gesamtschuldverhältnis stehen, wohl aber mit dem Pflichtversicherer des anderen Schädigers, so Prölss/Martin/Kappmann, VVG, § 3 Nr. 1–2 PflVG Rz 10–11. Konstruktiv würde es sich hier um ein merkwürdiges „Gesamtschuldviereck“ handeln, bei dem jeder Beteiligte (PV 1, S1, S2, PV2) einen Punkt bildet, der mit seinen benachbarten Punkten, aber nicht mit dem gegenüberliegenden Punkt ein Gesamtschuldverhältnis bilden würde. Sachlich ist es schwer begründbar, warum Pflichtversicherer durch die Gewährung eines Direktanspruchs gegen andere Pflichtversicherer besser gestellt werden sollen als ihre Versicherungsnehmer und vor allem auch besser als nicht versicherte (Radfahrer oder Fußgänger) Mitschädiger. 285
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II. Der Innenausgleich
rung von S1 gegen seinen Versicherer als Nebenrecht i.S.d. § 401 ansieht, das mit der Legalzession nach § 426 II auf S2 übergeht. Befriedigt umgekehrt PV1 den Gläubiger, steht ihm bei einem gesunden Versicherungsverhältnis ohnehin mittels § 67 VVG der Regress gegen S2 nach § 426 I und II offen. Ist aber der Versicherer gegenüber seinem Versicherungsnehmer leistungsfrei, soll § 67 VVG nicht anwendbar sein. Hier wäre zu erwägen, ob nicht doch die Regressforderung von S1 gegen S2 mit Hilfe der §§ 426 II, 401 BGB oder des § 67 VVG analog auf PV1 übergehen sollte286. Für die im vorliegenden Zusammenhang relevanten Mitwirkungspflichten ergibt sich jedenfalls, dass eine Wahlmöglichkeit des Gläubigers, welchen von mehreren Schuldnern er in Anspruch nimmt und so zu einer Vorleistung zwingt, nicht notwendig zu Mitwirkungs- und Befreiungsansprüchen führen muss. Die Tatsache, dass der Gläubiger nach seiner Wahl einen von mehreren Schadensersatz-Gesamtschuldnern in Anspruch nehmen kann, der dann für die anderen vorleisten muss, führt daher noch nicht von selbst zu Mitwirkungs- oder Befreiungsansprüchen. Gegen die Selbstverständlichkeit, mit der Mitwirkungspflichten in gesetzlichen Gesamtschuldverhältnissen angenommen werden, spricht ferner die Tatsache, dass die Nachbarrechtsordnungen von Frankreich287, Österreich288 und der Schweiz289 solche Mitwirkungspflichten gerade auch bei gesetzlichen Gesamtschulden auf Schadensersatz ablehnen, ohne dadurch offenbar irrational zu erscheinen. Auch die Principles of European Contract Law kennen keine Mitwirkungspflichten290. Doch aus der Tatsache, dass Mitwirkungsansprüche bei Schadensersatz-Gesamtschulden nicht zwingend sind, folgt nicht, dass sie zwingend ausgeschlossen sein müssen. Statt dessen ist es auch möglich, zwischen verschiedenen Formen von Schuldnermehrheiten, die dem Einzelzugriff des Gläubigers ausgesetzt sind, zu differenzieren. So haben sich Haftpflicht- und sonstige Schadensversicherer durch Vertrag und gegen Gegenleistung gerade zur Vorschussleistung verpflichtet. Zugunsten des regresspflichtigen Schädigers bzw. Mitschädigers kann argumentiert werden, dass er sich nicht dadurch einen zusätzlichen Gläubiger aufdrängen lassen muss, dass ein Dritter freiwillig und durch einen Vertrag, an dem 286
Offen gelassen in BGH NJW 2007, 1208 (28.11.2006), §§ 23 f. Zur solidarité oben, 318 f.; zur obligation in solidum oben, 579 ff. 288 Ehrenzweig/Mayrhofer, System II/1, § 16 I bei Fn. 11 m.w.N.; Rummel/Gamerith, ABGB, § 896 Rz 4 m.w.N.; Klang/Perner, ABGB, § 896 Rz 17 ff.; Weiss, JBl 1947, 531; Wedl, JBl 1958, 138; Rudolf, Schuldnermehrheiten, 240, 245 f.; und der OGH: RZ 1956, 46 (12.10.1955); JBl 1959, 344 (30.1.1959); ZVR 1968/32 (30.11.1966); SZ 46/128 (20.12.1974); EvBl 1976/178 (13.1.1976); SZ 51/ 97 (27.6.1978); SZ 58/6 (16.1.1985); SZ 58/122 (10.7.1985). Für eine Mitwirkungspflicht aber Klang/Gschnitzer, ABGB, §§ 895–896 Anm. I 1; in diese Richtung auch Fenzl, ÖJZ 1949, 417; für einen Befreiungsanspruch nach deutschem Vorbild Koziol, ZAS 1978, 188; Bydlinski/Coors, ÖJZ 2007, 278; KBB/P. Bydlinski, ABGB, § 896 Rz 1. 289 BernK/Becker, Art. 148 OR Rz 6; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 148 OR Rz 3; von Tuhr/ Escher, OR AT II, § 90 VII (S. 313 f.); BasK/Schnyder, Art. 148 OR Rz 3; Ernst, Solidarschuld, 179. 290 PECL, Kommentar zu Art. 10:106, Anm. A. 287
9. Schadensersatzansprüche wegen verletzter Mitwirkungspflicht
613
der Regresspflichtige nicht beteiligt ist, das Schadensrisiko übernimmt. Der Regresspflichtige muss sich, so gesehen, nur einen Zessionsregress gefallen lassen, der seine Rechtsstellung grundsätzlich nicht verschlechtert. Zudem steht dem Versicherer die Möglichkeit offen, sich den Schadensersatz- oder Regressanspruch des Versicherten auch schon vor seiner Leistung abtreten zu lassen. Eine gesetzliche Verbindlichkeit zu Schadensersatz wird dem Schuldner dagegen ohne seinen Willen auferlegt. Sind mehrere als Gesamtschuldner zum Ersatz desselben Schadens verpflichtet, ohne diese Verpflichtung rechtsgeschäftlich übernommen zu haben, dann fragt es sich, ob die gesetzliche Vollhaftung im Außenverhältnis nicht dadurch abgemildert werden sollte, dass im Innenverhältnis Mitwirkungspflichten angenommen werden. Gegen eine solche Besserstellung des Schadensersatzverpflichteten gegenüber einem Versicherer kann nicht eingewendet werden, dass er Unrecht begangen oder vorwerfbar gehandelt hat. Die gesetzliche Schadenshaftung ist häufig strikt oder richtet sich nach einem Fahrlässigkeitsmaßstab, der nicht von einer persönlichen Vermeidbarkeit abhängig ist. Sie sanktioniert nicht ein vorwerfbares Verhalten des Schuldners, sondern dient dem Schadensausgleich, indem sie einen eingetretenen Schaden nach bestimmten Kriterien einer bestimmten Person zurechnet. Sie weist also Risiken zu. Wird ein Schaden mehreren zugerechnet, trägt zugunsten des Geschädigten jeder das Insolvenzrisiko des anderen. Sind aber alle solvent, muss jeder im Endergebnis nur einen Anteil (zwischen 0 und 100%) tragen. Die unfreiwillige Belastung mit der vollen Außenhaftung ist eher zumutbar, wenn dem Mitverantwortlichen Mitwirkungsansprüche eingeräumt werden. Ob solche Mitwirkungspflichten bestehen, hängt im Ergebnis von einer Abwägung zwischen den Interessen des in Anspruch Genommenen und denen des Mitschuldners ab. Bei gesetzlichen Schadensersatz-Gesamtschulden fällt ins Gewicht, dass der Regressberechtigte anders als ein Versicherer die Haftung nicht freiwillig übernommen hat. Insofern ist es ihm auch eher zumutbar, von seinem Mitschuldner schon vor der Gläubigerbefriedigung belästigt zu werden: Seine Stellung wird durch die Mitwirkungspflicht zwar verschlechtert, aber nicht infolge eines Vertrags, bei dem er nicht beteiligt war, sondern aufgrund der gesetzlichen Haftung des Regressberechtigten. Insofern besteht auch keine Manipulationsgefahr. Mitwirkungspflichten sind bei gesetzlichen Schadensersatz-Gesamtschulden also zumindest denkbar. Ob sie tatsächlich sinnvoll sind, kann erst im Hinblick auf die konkreten Rechtsfolgen beurteilt werden.
9. Schadensersatzansprüche wegen verletzter Mitwirkungspflicht Die Mitwirkungspflicht lässt sich zunächst einmal als echte Pflicht zur „Mitwirkung“ an der Gläubigerbefriedigung verstehen, die nicht unbedingt einklagbar sein muss, aber bei ihrer Verletzung Schadensersatzansprüche aus Verzug (§§ 280, 286) begründen kann. Insbesondere im Falle mehrerer Verursacher stellt sich hier das Problem, dass nicht nur die genaue Höhe des Schadens des Gläubi-
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II. Der Innenausgleich
gers unsicher sein kann, sondern auch die internen Quoten der Mitschuldner, die von einer nicht immer vorhersehbaren richterlichen Abwägung nach § 254 abhängen. Besonders kompliziert wird die Ermittlung der internen Anteile im Falle von Haftungseinheiten und bei einem Mitverschulden des Geschädigten. Das Reichsgericht war daher zunächst der Ansicht, vor der Feststellung der Innenanteile könne es keine Mitwirkungspflichten geben291. Diesen Standpunkt gab es in einer späteren Entscheidung auf. Danach sollten auch bei unklarem Innenverhältnis Mitwirkungspflichten schon mit der Gesamtschuld selbst entstehen und durch die gerichtliche Festlegung der Beteiligungsquoten lediglich festgestellt, nicht erst geschaffen werden292. Dem ist die neuere Rechtsprechung gefolgt293. Tatsächlich gibt es das Problem einer unklaren Forderungshöhe nicht nur bei Mitwirkungspflichten, sondern auch im Einzelschuldverhältnis, etwa bei einer Schadensersatzforderung bei Mitverschulden des Verletzten oder bei einem Schmerzensgeldanspruch. Selbstverständlich entstehen hier die Ansprüche nicht erst mit ihrer gerichtlichen Feststellung. Die Frage ist lediglich, ob der Schuldner (nach Mahnung) in Verzug kommt, wenn er die vom Gläubiger verlangte Summe für zu hoch hält und daher weniger leistet, ein Gericht aber später dem Gläubiger die Forderung in der von ihm geltend gemachten Höhe zuspricht294. Im Falle von Rechtsirrtümern handhabt die Rechtsprechung das Vertretenserfordernis des § 286 IV (§ 285 aF) grundsätzlich streng. Der Schuldner ist nicht schon dann entlastet, wenn er einer vertretbaren Rechtsauffassung folgt, sondern erst dann, wenn er mit einem Unterliegen im Prozess nicht ernsthaft rechnen musste295. In der Literatur wird teilweise ein milderer Maßstab gefordert296. Die unklare Höhe der gesamtschuldnerischen Innenanteile spricht daher nicht gegen die Annahme von Mitwirkungspflichten, kann aber ein Vertretenmüssen und damit einen Verzug ausschließen. Folgt man den von der Rechtsprechung zum Rechtsirrtum aufgestellten Maßstäben, verweigert der Schuldner die Mitwirkung bei unklaren Innenanteilen grundsätzlich auf eigenes Risiko297. Möglich wäre es auch, ein Verschulden zu verneinen, wenn sich die Einschätzung des Mitwirkungspflichtigen in einem vertretbaren Rahmen hielt, selbst wenn die genaue Quote nicht getroffen wurde298. Teilweise heißt es aber auch, der Mitwirkungspflichtige sei schon dann entlastet, wenn er begründete Zweifel an seiner Leistungspflicht gehabt habe299. Wenn letzterer Maßstab angelegt wird, bedeutet dies, 291 RGZ 92, 143, 151 (24.1.1918); zustimmend von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 91; Denck, JZ 1976, 673; Winter, Teilschuld, 109 f.; Prediger, Auslegung, 101, 112. 292 RGZ 160, 148, 151 (1.4.1939). 293 Ausdrücklich BGH NJW 1962, 1678, 1680 (3.7.1962); OLG Neustadt, NJW 1963, 494 (27.11.1962); zustimmend Hennicke, VersR 1954, 447; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 71; Kuhlmann, Rückgriffsgrundlagen, 127. 294 Staud/Löwisch, § 286 Rz 10. 295 Siehe U.Huber, Leistungsstörungen I, § 29, S. 710 ff. m.w.N. 296 Stellvertretend Staud/Löwisch, § 286 Rz 160. 297 So MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 71. 298 So wohl Ehmann, JZ 2004, 254. 299 Hennicke, VersR 1954, 448.
9. Schadensersatzansprüche wegen verletzter Mitwirkungspflicht
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dass die Mitwirkungspflicht ihr Ziel, die Gläubigerwillkür auszugleichen, oft nicht erreichen kann. Wird von zwei im Ergebnis hälftig verpflichteten Gesamtschuldnern einer vom Gläubiger in Anspruch genommen, dann nutzt ihm die Schuldgemeinschaft praktisch nichts, wenn der andere seinen Innenanteil aufgrund einer vertretbaren Rechtsauffassung auf 5% einschätzt. Insofern stellt sich die Frage, ob der Zweck der Mitwirkungspflicht, die Gesamtschuldner möglichst gleich zu behandeln, nicht besser ohne ein Vertretenserfordernis erreicht werden kann. Das zweite Problem eines Schadensersatzanspruchs wegen verletzter Mitwirkungspflicht ist der Schaden des Mitwirkungsberechtigten. In erster Linie werden hier die dem Mitwirkungsberechtigten entstandenen Kosten eines Rechtsstreits mit dem Gläubiger genannt. Auffällig ist allerdings, dass sich zumindest unter den in der Literatur zitierten Entscheidungen keine einzige findet, die einen Anspruch auf Ersatz der Prozesskosten tatsächlich anerkennt300. Stets wird betont, dass die einem Gesamtschuldner entstandenen Prozesskosten, da nicht von allen geschuldet, nicht unter die Regressforderung aus § 426 I 1 fallen301. Sie beruhen, so die Rechtsprechung, auf einem verlorenen, also zu Unrecht geführten Prozess, den der Gesamtschuldner durch Befriedigung des Gläubigers hätte vermeiden können302. Schwer vorstellbar ist, wie eine verletzte Mitwirkungspflicht daran etwas ändern kann. Zwar kann gesagt werden, dass der Gläubiger, wäre er vom Mitschuldner anteilig befriedigt worden, den Gesamtschuldner nur auf seinen Innenanteil verklagt hätte, so dass die Prozesskosten geringer ausgefallen wären303. Genaugenommen dürften als Schadensersatz dann aber nicht die „anteiligen“ Prozesskosten, sondern, wenn überhaupt, nur die Differenz zwischen den Prozesskosten bei Klage auf das Ganze und denen bei Klage auf den Anteil verlangt werden304. Vor allem aber besteht ein Kausalitätsproblem zwischen verletzter Mitwirkungspflicht und Schaden. In den Worten des BGH sollen Prozesskosten als Schadensersatz geschuldet werden, wenn der regresspflichtige Gesamtschuldner durch Verweigerung seiner Pflicht zur anteiligen Befriedigung des Gläubigers den Regressberechtigten gezwungen hat, ein ungünstiges Prozessrisiko einzugehen oder sich einer offensichtlich begründeten Klage auszusetzen305. Doch niemand ist gezwungen, einen ungünstigen Prozess zu führen. Selbst wenn 300 Ein Anspruch auf Ersatz der Prozesskosten bei Schadensersatz-Gesamtschulden wegen verletzter Mitwirkungspflicht wird erwogen, aber nicht zugesprochen in RGZ 92, 143 (24.1.1918); BGH VersR 1956, 160 (17.12.1955); BGH VersR 1960, 632 (8.3.1960); OLG Neustadt, NJW 1963, 494 (27.11.1962); BGH NJW 1974, 693 (18.12.1973); BGHZ 155, 265, 270 f. (26.6.2003). 301 Bei Gesamtschulden auf Schadensersatz etwa RGZ 171, 242, 246 f. (16.7.1943); BGH VersR 1956, 160 (17.12.1955); BGH VersR 1957, 800 (18.10.1957); BGH VersR 1960, 632 (10.11.1959); Hennicke, VersR 1954, 447. 302 RGZ 92, 143, 149 (24.1.1918); OLG Neustadt, NJW 1963, 494 (27.11.1962); BGH NJW 1974, 693 (18.12.1973); BGHZ 155, 265, 270 (26.6.2003). 303 So Hennicke, VersR 1954, 448; Möring, VersR 1954, 572; Lumm, Ausgleich, 170 f.; s.a. Baumgärtel, GS Rödig, 317 f.; Staud/Kaduk, § 426 Rz 27. 304 Diese ist geringer, weil die Prozesskosten im Verhältnis zum Streitwert degressiv ansteigen. 305 BGH NJW 1971, 884, 885 (16.2.1971); BGHZ 155, 265, 270 f. (26.6.2003).
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II. Der Innenausgleich
dem Regressberechtigten allein die Mittel fehlen, die gesamte Forderung des Gläubigers zu erfüllen, kann er den Anspruch anerkennen oder, durch Aufnahme eines Kredits, auch sofort befriedigen306. Die Entscheidung, einen unsicheren Prozess zu führen, durchbricht also den Kausalverlauf307: Die Prozesskosten sind dann ein Schaden, der dem mitwirkungspflichtigen Gesamtschuldner grundsätzlich nicht zurechenbar ist. Doch die Kosten eines Rechtsstreits mit dem Gläubiger müssen nicht notwendig dadurch entstanden sein, dass der Gesamtschuldner sich auf einen aussichtlosen Prozess eingelassen hat. Insbesondere bei unklarer Schadenshöhe und unklarem Geschehensablauf kann ein Rechtsstreit, der mit Hilfe von Sachverständigen den Schadenshergang und die Schadenshöhe klärt, manchmal kaum vermeidbar sein. Vor allem außerprozessuale Regulierungskosten, etwa die Einholung eines Gutachtens, können oft sogar geboten sein, um unberechtigte Zuvielforderungen des Gläubigers abzuwehren. Diese Kosten kann der in Anspruch genommene Gesamtschuldner nicht immer beim Gläubiger hereinholen, sei es, dass die schließlich festgestellte Forderungshöhe sich in der Mitte zwischen den Vorstellungen der Parteien befindet, sei es, dass der Gläubiger nach dem Ergebnis eines vom Gesamtschuldner bestellten Privatgutachtens seinen Forderungsbetrag ermäßigt, ohne die Gutachtenkosten zu übernehmen. Fraglich ist, ob der nicht in Anspruch genommene Gesamtschuldner solche Regulierungskosten anteilig übernehmen sollte. Doch im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs ist dies nicht immer möglich. Zumindest dann, wenn die Gesamtschuldner anteilig verpflichtet sind, kann oft nicht gesagt werden, dass die Kosten bei rechtzeitiger Mitwirkung nicht entstanden wären. Gutachtenkosten fallen unabhängig davon an, ob der Gesamtschuldner für einen Schaden vollständig oder teilweise in Anspruch genommen wird, wenn dessen Höhe strittig ist. Fraglich ist zudem, ob der nicht in Anspruch genommene Schuldner überhaupt seine Mitwirkungspflicht verletzt hat. Sofern der in Anspruch Genommene zur Regulierung außerprozessuale Kosten aufwendet und dies sinnvoll ist, kann vom Mitschuldner zumindest nicht erwartet werden, den Gläubiger streitlos zu befriedigen. Dennoch kann der Mitschuldner im Ergebnis von den Aufwendungen des anderen profitieren, nämlich dann, wenn der Gläubiger sich mit einem geringeren Betrag zufriedengibt und auch den Mitschuldner nicht weiter in Anspruch nimmt. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass die deutsche Auffassung, Prozesskosten seien vom Gesamtschuldausgleich nicht erfasst308, im Ausland nicht einhellig geteilt wird309. Sowohl nach dem niederländischen Gesetzbuch als auch nach den Principles of European Contract Law kann der regressberechtigte
306
Ebenso Prediger, Auslegung, 160–162. Ähnlich Stamm, NJW 2003, 2943. 308 Siehe aber Wollschläger, Geschäftsführung, 126 f., der den Ersatz von Prozesskosten aus § 683 auch bei bestehendem Gesamtschuldverhältnis für möglich hält. 309 Weir, Complex Liabilities, § 129; vgl. auch Friedmann/Cohen, Payment, § 24; Kaßler, Gesamtschuld, 73. 307
9. Schadensersatzansprüche wegen verletzter Mitwirkungspflicht
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Gesamtschuldner auch einen Anteil der Prozesskosten verlangen310. In der Schweiz soll sich ein solcher Anspruch aus Geschäftsführungsrecht (Art. 422 OR) ergeben können, wenn die Aufwendungen auch im Interesse der nicht verklagten Mitschuldner lagen und ex ante gerechtfertigt erschienen311. Nach österreichischem Recht gehören Prozesskosten zwar nicht zum Gesamtschuldregress nach §§ 896, 1302 ABGB312. In der Literatur ist aber vorgeschlagen worden, einen Ersatz für prozessuale Aufwendungen aus nützlicher Geschäftsführung (§ 1037 ABGB) zu gewähren, falls sie dem nicht beteiligten Gesamtschuldner zugutegekommen sind313. Der Oberste Gerichtshof (OGH) bezweifelte zunächst, ob die Führung eines Prozesses ein Fremdgeschäft darstellen könne: Ein Urteil zwischen dem Gläubiger und dem in Anspruch genommenen Gesamtschuldner entfalte schließlich keine Rechtskraft gegenüber dem Mitschuldner, so dass der Gläubiger rechtlich nicht gehindert sei, trotz Zugeständnis gegenüber dem ersten Gesamtschuldner den Mitschuldner abermals für die ursprüngliche Höhe in Anspruch zu nehmen314. Dagegen betonte die Literatur, dass ein Gläubiger, dessen Schadenshöhe in einem Prozess mit dem ersten Gesamtschuldner festgestellt wurde, in der Praxis sich häufig auch gegenüber dem Mitschuldner mit diesem Betrag zufriedengebe, so dass die Aufwendungen für den Mitschuldner einen „klaren, überwiegenden Vorteil“ i.S.d. § 1037 ABGB bedeuten könnten315. In der Rechtsprechung wurde dieser Ansicht zunächst vereinzelt gefolgt316. Doch 1997 leitete der OGH eine neue Rechtsprechung zum Prozesskostenersatz ein. Ausgangspunkt war für ihn die Wirkung einer prozessualen Streitverkündung. Für die Vorschriften der §§ 74, 68 ZPO gibt es in Österreich kein Gegenstück, doch hier wurde eine § 68 ZPO ähnliche Folgewirkung der Streitverkündung für den nachfolgenden Regressprozess richterrechtlich anerkannt: Verkündet der vom Gläubiger verklagte Gesamtschuldner R dem Mitschuldner S den Streit, kann S, ob er beitritt oder nicht, im Regressprozess zwischen R und S keine Einwendungen erheben, die mit den wesentlichen Elementen der Entschei-
310 BW Art. 6: 10 III (hierzu Busch, Plurality, 33); PECL Art. 10:106 I; ebenso DCFR Art. III4:107 I. 311 von Tuhr/Escher, OR AT II, 314; Keller/Schöbi, Rechtsinstitute, 18; Bucher, OR AT, § 27 II 4 b; Gauch/Schluep/Schmid/Rey, OR AT 2, Rz 3961; Oftinger/Stark, Haftpflichtrecht I, Rz 10/76; ebenso obiter BGE 69 II 150, 160 f. (16.4.1943). 312 Etwa OGH EvBl 1975/44 (10.9.1974); OGH SZ 54/119, S. 593 f. (10.9.1981); OGH SZ 56/ 185, S. 839 (14.12.1983); weitere Nachweise bei C. Huber, ZVR 1986, 36. 313 Koziol, Haftpflichtrecht I, Rz 14/30; Bacher, Ausgleichsansprüche, 120 ff.; Rummel/Gamerith, ABGB, § 896 Rz 10; Schwimann/Apathy/Riedler, ABGB, § 896 Rz 5; ähnlich, unter Heranziehung von § 837 III ABGB (Aufwendungsersatz in Gemeinschaft), Perner, RdW 2008, 49; Klang/Perner, ABGB, § 896 Rz 51 ff. 314 OGH SZ 54/119, S. 593 f. (10.9.1981). 315 Koziol, Haftpflichtrecht I, Rz 14/30; Rummel/Gamerith, ABGB, § 896 Rz 10; Perner, RdW 2008, 51; Klang/Perner, ABGB, § 896 Rz 52. 316 OLG Innsbruck, ZVR 1994/20 (8.1.1993), S. 48 f.; in diese Richtung obiter auch OGH JBl 1996, 584 (12.10.1995).
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II. Der Innenausgleich
dung des Vorprozesses im Widerspruch stehen317. Aus dieser Bindungswirkung schloss der OGH, dass der verklagte Gesamtschuldner R den Prozess auch für den nicht verklagten Schuldner S führe. S habe es in der Hand, die Kosten durch einen Beitritt und ein Anerkenntnis zu minimieren. Beteilige er sich nicht und überlasse er R die Klärung des Anspruchs, seien R’s Kosten in einem Verfahren entstanden, das bindend auch über den Anspruch des Gläubigers gegen S entscheide, und somit aus § 1037 anteilig ersatzfähig318. In der Folgezeit baute der OGH diese Rechtsprechung aus319. Die Streitverkündung bedeute im Ergebnis, dass R gegenüber S zeige, dass er den Prozess auch im Interesse des S führe und seine Einwilligung begehre320. Ein Ersatzanspruch für die gegnerischen Kosten bestehe auch dann, wenn S nach Streitverkündung beitrete. Zumindest dann, wenn R und S intern anteilig belastet seien, folge er in diesem Fall aber nicht aus Geschäftsführungs-, sondern aus Bereicherungsrecht (§ 1041 ABGB): S führe sein Geschäft selbst, sei aber bereichert, weil im Außenverhältnis nur G mit den Kosten des Gläubigers belastet werde321. Dogmatisch ist die Herleitung einer Fremdgeschäftsführung aus der Streitverkündung wohl verfehlt322. Auch wenn R seinem Mitschuldner S den Streit verkündet, wird im Prozess nach wie vor allein über die Klage des Gläubigers gegen R entschieden, der im Falle einer Abweisung nicht gehindert ist, eine weitere Klage gegen S zu erheben. Die Streitverkündung führt lediglich zu einem Einwendungsausschluss zu Lasten des S in einem Folgeprozess, so dass sie geradezu als das Gegenteil einer Fremdgeschäftsführung angesehen werden kann. Im Ergebnis interessant ist aber, dass in der Praxis offenbar ein Bedürfnis zum Ausgleich von Prozesskosten empfunden wird, wenn diese sich als notwendig erweisen und praktisch auch dem nicht beklagten Gesamtschuldner zugutekommen, weil der Gläubiger nicht ein zweites Mal einen Prozess führt. Dann hängt es in der Tat von der Willkür des Gläubigers ab, wer die Prozesskosten im Außenverhältnis tragen muss. Das Erfordernis einer Streitverkündung ist funktional offenbar als Korrektiv gedacht, um zu sichern, dass der beklagte Gesamtschuldner nicht unnötige Aufwendungen macht und dem Mitschuldner Gelegenheit gibt, den Prozess zu beeinflussen. So gesehen erfüllt die Streitverkündung eine ähnliche Funktion wie die deutsche Mitwirkungspflicht, die ebenfalls den nicht verklagten Mitschuldner warnt und zum Handeln auffordert. Doch ein Schutz des Mitschuldners vor exorbitanten Kosten wird nur begrenzt erreicht. Auch bei einer Streitverkündung bleibt der beklagte Gesamtschuldner Herr des Prozesses. Selbst wenn der Mitschuldner beitritt, hat es der Beklagte in der Hand, durch er317
OGH SZ 70/60 (8.4.1997). OGH SZ 70/241, S. 700 ff. (24.11.1997); s. auch schon OGH SZ 70/200 (14.10.1997). 319 Ausführliche Darstellung bei Pochmarski/Strauss, JBl 2002, 355 ff.; weitere Nachweise bei Klang/Perner, ABGB, § 896 Rz 49. 320 OGH JBl 2000, 36 (27.8.1999). 321 OGH JBl 2001, 172 (7.9.2000). 322 So zu Recht Fötschl, ÖJZ 2004, 781 ff., der sich gegen jeglichen Kostenerstattungsanspruch ausspricht. Wie der OGH zum deutschen Recht schon Kremer, Mitbürgschaft, 179 Fn. 2. 318
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folglose oder unnötige Verteidigungsmittel die Kosten des Gläubigers, für welche er dann einstehen muss, in die Höhe zu treiben. Nichts anderes gilt im Ergebnis, wenn man nicht auf die Streitverkündung, sondern auf eine verletzte Mitwirkungspflicht abstellt. Bei unsicherer Tatsachen- und Rechtslage ist es dem nicht verklagten Gesamtschuldner nicht zumutbar, den Gläubiger streitlos zu befriedigen, so dass ihm ebenfalls nur übrig bleibt, als Nebenintervenient beizutreten. Auf der anderen Seite versagt sowohl die österreichische als auch die deutsche Rechtsprechung dem regressberechtigten Gesamtschuldner den Schutz, wenn er vom Gläubiger verklagt wird, des Mitschuldners aber nicht habhaft werden kann oder diesen nicht kennt. Auch in diesem Fall kann aber argumentiert werden, dass die Belastung mit notwendigen prozessualen Kosten nicht von der Willkür des Gläubigers abhängen sollte. Insofern stellt sich die Frage, ob für die Frage des Kostenersatzes statt auf das Verhalten des regressberechtigten Mitschuldners oder auf eine Warnung in Form einer Streitverkündung nicht vielmehr darauf abgestellt werden sollte, ob und inwieweit ihm die vom beklagten Schuldner aufgewendeten Kosten tatsächlich zugutekamen. Ein Anspruch auf Ersatz derjenigen Kosten, die objektiv angemessen und nützlich waren, würde dem Ziel der Lehre von der Schuldgemeinschaft eher entsprechen, Gleichheit unter den Gesamtschuldnern herzustellen und den Zufall der Gläubigerentscheidung möglichst zu neutralisieren. Dieser Gedanke kann anhand zweier Entscheidungen des BGH illustriert werden. Im ersten, 1962 entschiedenen, Fall323 lieh sich X von H für einen bestimmten Zweck dessen Pkw aus, gab diesen aber abredewidrig an F weiter, der schuldhaft einen Unfall verursachte, bei dem G geschädigt wurde. G verlangte vom Halter H 3.300 DM Schadensersatz. H (genauer: dessen Pflichtversicherer PV) ließ für 70 DM ein technisches Gutachten über den Schadensverlauf und die Schadenshöhe anfertigen, aufgrund dessen Ergebnis G seine Forderung auf 2.800 DM reduzierte, die H (PV) beglich. H (PV mittels § 67 VVG) verlangte von X und F diesen Betrag sowie die Gutachtenkosten. X hatte den Leihvertrag mit H schuldhaft verletzt und schuldete ihm daher beide Beträge als Schadensersatz. F haftete als Fahrer gesamtschuldnerisch mit H für den Schaden des G und war im Innenverhältnis zu H allein verpflichtet. Als unberechtigter Fahrer genoss er auch keinen Versicherungsschutz, so dass H (PV) von F die gezahlten 2.800 DM aus § 426 verlangen konnte. Fraglich war nur, ob F auch (gesamtschuldnerisch mit X) für die Gutachtenkosten aufkommen musste. Nach Ansicht des BGH konnte sich ein Anspruch auf Erstattung dieser Kosten aus der Schuldgemeinschaft zwischen H und F ergeben. Sollte F mit der Erfüllung seiner Mitwirkungspflicht in Verzug gekommen sein, indem er auf eine Mahnung des H hin untätig geblieben ist, könnte er die Kosten als Verzugsschaden schulden324. Auf den ersten Blick erscheint es sachgerecht, F die Gutachtenkosten tragen zu lassen, weil er sie durch seine Schwarzfahrt schließlich verursacht hatte. Doch 323 324
BGH NJW 1962, 1678 (3.7.1962, VI. Senat), z.T. abgedruckt in BGHZ 37, 306. NJW 1962, 1680.
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muss beachtet werden, dass der BGH die Kosten nicht im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs wegen der Schwarzfahrt selbst zusprach. Sofern F aus dieser gegenüber H schadensersatzpflichtig wäre (etwa nach §§ 823 II BGB, 248 a StGB), müsste er die Gutachtenkosten selbstverständlich tragen. Wenn der BGH die Kosten aber im Rahmen des Gesamtschuldausgleichs zuspricht, muss angenommen werden, dass F sie auch dann tragen muss, wenn ihn gegenüber H wegen des Gebrauchs selbst keine Schadensersatzverpflichtung trifft, etwa wenn er gutgläubig annahm und annehmen durfte, X sei haftpflichtversicherter Eigentümer des Wagens gewesen. Die zweite Besonderheit ist, dass die von H aufgewendeten Gutachtenkosten F zugutekamen. Der BGH stellte selbst fest, die Einholung des Gutachtens sei angesichts der zunächst erhöhten Schadensersatzforderung des G notwendig gewesen325. Hätte G sich also statt an H an F gewendet, hätte dieser ebenfalls entweder die höhere Forderung anerkennen oder Gutachtenkosten aufwenden müssen. Zwar war G nach wie vor nicht daran gehindert, die Differenz von 500 DM noch von F einzufordern. Es war aber nicht zu erwarten, dass G, nachdem er den Schaden mit dem Haftpflichtversicherer als zahlungskräftigsten Schuldner reguliert hatte, noch einmal sein Glück beim weniger vermögenden Fahrer versuchen würde. Geht man mit der herrschenden Lehre davon aus, dass die Gutachtenkosten Schadensersatz sind, dann müsste F sie auch tragen, wenn sie ihm nicht zugutekamen. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn G seine Forderung gegen H zwar aufgrund des Gutachtens reduziert, aber die Differenz dann gegenüber F eingeklagt hätte. Nimmt man dazu noch an, dass F zwar am Unfall, nicht aber an der Schwarzfahrt selbst ein Verschulden traf, weil er X für den Eigentümer halten durfte, dann ist das Ergebnis schon wesentlich fragwürdiger. Wegen seiner internen Alleinhaftung hätte er im Ergebnis die Rolle eines Rechtsschutzversicherers für H übernommen. Umgekehrt versagt die Lehre von der Mitwirkungspflicht H dann einen Ausgleich, wenn er Kosten aufgewendet hat, die F zugutekommen, F aber kein Verschulden zugerechnet wird. So könnte F deshalb seine Mitwirkung verweigert haben, weil er die Versicherung intern für leistungspflichtig hielt. Die Frage, ob derjenige, der den Wagen vom berechtigten Besitzer entleiht, vom Versicherungsschutz umfasst wird, wenn der Besitzer zur Weitergabe nicht befugt ist, war tatsächlich zur Zeit des BGH-Urteils ungeklärt326. Nimmt man an, dass F lediglich einer vertretbaren Rechtsauffassung folgte und daher seine Nichtleistung nicht vertreten muss, könnte H nicht den Ersatz der Gutachtenkosten verlangen. Dasselbe wäre der Fall, wenn F nicht gemahnt worden wäre. So wäre vorstellbar, dass H die Identität des Schwarzfahrers nicht kennt und aufgrund seiner Haltereigenschaft zur Regulierung gezwungen ist. Taucht danach F auf, kann H von ihm nicht die Regulierungskosten verlangen. Die Gesamtschuldner H und F werden so keineswegs gleich behandelt. H ist gezwungen, den Schaden zu regulieren und Kosten dafür aufzuwenden, während F lediglich den Schaden des G 325 326
NJW 1962, 1679. Siehe die entsprechenden Ausführungen des BGH in NJW 1962, 1679.
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selbst tragen muss. Insofern stellt sich die Frage, ob die Folgen der Gläubigerwillkür nicht besser dadurch abgemildert werden sollten, dass der regressberechtigte Gesamtschuldner vom Mitschuldner ganz unabhängig von einer verletzten Mitwirkungspflicht die notwendigen Regulierungskosten verlangen kann. Für einen Ausgleich der Gutachtenkosten nach § 426 im entschiedenen Fall könnte auch ein Vergleich mit einem Urteil des BGH von 1971 sprechen. Dort hatte der in Anspruch genommene Gesamtschuldner S1 sich in der zweiten Instanz mit dem Gläubiger verglichen. Er übernahm die Prozesskosten des Gläubigers, der im Gegenzug den in der ersten Instanz zugesprochenen Anspruch herabsetze. Nach Ansicht des BGH konnte S1 auch hinsichtlich der dem Gläubiger erstatteten Prozesskosten Regress bei seinem Mitschuldner S2 nehmen, ganz unabhängig von einer Mitwirkungspflicht: Mit dem Vergleich hatte S1 einen Teil der Gläubigerforderung auch zugunsten von S2 (§ 422) durch Übernahme der Prozesskosten abgegolten und konnte daher nach § 426 Regress nehmen327. Ebenso könnte im Schwarzfahrt-Fall angenommen werden, dass G seine Forderung gegenüber H herabsetzte, weil dieser die Gutachtenkosten trug, so dass H auch in Form der Aufwendung der Gutachtenkosten eine F befreiende Leistung an G erbrachte, für die er Regress nehmen kann. Im zweiten, 2003 entschiedenen, Fall328 waren R und S zwei unabhängige Werkunternehmer, die einen Schaden beim Besteller G in Form von Mauerrissen verursacht hatten und dafür gesamtschuldnerisch hafteten. S (der, wie später entschieden wurde, intern 3/4 zu tragen hatte) einigte sich mit G darauf, zunächst ein Schiedsgutachten einzuholen. Dieses Gutachten wurde 1994 erstattet. 1995 klagte R gegen G auf Zahlung seines Werklohns in Höhe von 19.600 DM. G wandte Minderung wegen des Schadens ein. Beide verkündeten S den Streit, der auf Seiten des G (!) beitrat. 1997 wurde die Werklohnklage des R abgewiesen, weil der von R und S verursachte Schaden mindestens 19.600 DM betrug. 1998 verglich sich S auf Grundlage des Schiedsgutachtens mit G auf einen Betrag von 1.700 DM. R verklagte S erfolgreich auf anteiligen Regress hinsichtlich der (wirtschaftlich an G gezahlten) 19.600 DM329. Doch eine Beteiligung von S an den Kosten des Vorprozesses mit G (immerhin 33 000 DM) wegen verletzter Mitwirkungspflicht wurde sowohl vom OLG Nürnberg als Berufungsgericht als auch vom BGH abgelehnt. Das OLG meinte, S habe seine Mitwirkungspflicht nicht verletzt, weil er sich mit G auf die Einholung des Schiedsgutachtens einigen und auf dessen Richtigkeit vertrauen durfte. Der BGH beschränkte sich auf die Feststellung, es fehle an einem Verschulden des S, weil er nicht schuldhaft zum für R ungünstigen Ausgang des Prozesses beigetragen habe330.
327
BGH NJW 1971, 884 (16.2.1971). BGHZ 155, 265 (26.6.2003, VII. Senat, = NJW 2003, 2980 = JZ 2004, 248). 329 Hiervon wurde offenbar der Anteil von S2 in Höhe von 1/4 der von S gezahlten 1.700 DM abgezogen. Der Vergleich zwischen S und G hatte nur Einzelwirkung, war aber in Höhe der Zahlung durch S Erfüllung i.S.d. § 422. 330 BGHZ 155, 271. 328
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II. Der Innenausgleich
Das Ergebnis erscheint richtig, die Begründung allerdings bemerkenswert. Der BGH stellte offenbar auf die Beteiligung von S am Prozess zwischen R und G ab, also auf die Tatsache, dass er nicht Streithelfer des R, sondern des G wurde. Dieses Verhalten konnte mit dem Ergebnis des Schiedsgutachtens zusammenhängen, das aus dem Urteil allerdings nicht hervorgeht. Möglicherweise hielt S seinen Mitschuldner R für intern allein verpflichtet. Vielleicht war das Gutachten auch zum Ergebnis gekommen, dass R und S Teilschuldner für bestimmte Schadensposten in Form von einzelnen Mauerrissen waren331, so dass S hinsichtlich einzelner Risse von einer Alleinschuldnerschaft des R ausging. Warum im Ergebnis S nicht schuldhaft zum für R ungünstigen Prozessausgang beitrug, ob R den Prozess auch ohne S verloren hätte oder ob S nicht schuldhaft handelte, geht aus dem Urteil ebenfalls nicht hervor. Nach Ehmann kann im Beitritt auf Seiten des Gläubigers statt auf Seiten des Mitschuldners eine Verletzung der Mitwirkungspflicht liegen. Diese sei nämlich auch auf Abwehr des (unberechtigten) Anspruchs des Gläubigers und auf die Beibringung der zur Verfügung stehenden Beweismittel gerichtet332. Warum aber gerade das Gesamtschuldverhältnis derartige Pflichten hervorbringen sollte, ist schwer erklärbar333. Soweit der geltend gemachte Anspruch nicht berechtigt ist, liegt gar keine Gesamtschuld vor. Zwar ist denkbar, dass sich aus dem Tatbestand der gemeinsamen Schadensverursachung Pflichten herleiten lassen, Beweismittel zur Verfügung zu stellen. Doch auch diese Pflichten beruhen nicht auf der Solidarhaft selbst, sondern ergäben sich ebenso, wenn den Schuldnern einzelne Risse einzeln zugeordnet würden, für die sie jeweils als Alleinschuldner haften, das Beweismittel sich aber auf sämtliche Risse gleichermaßen bezieht, indem es etwa die Konsistenz der Mauer oder fehlerhafte Vorarbeiten Dritter betrifft. Unterdrückt ein Schuldner tatsächlich Beweismittel, die für beide relevant sind, kommt eine Haftung nach § 826 in Betracht. Aber ganz unabhängig davon stellt sich die Frage, warum S nicht schon durch die bloße Nichtleistung seine Mitwirkungspflicht verletzt hatte. Immerhin konnte es zu dem kostspieligen Prozess nur kommen, weil S weder seinen internen Schadensanteil in Höhe von 3/4 rechtzeitig an G geleistet noch R in dieser Höhe befreit hatte. Warum S trotz des 1994 erstatteten Gutachtens überhaupt erst 1998 etwas an G zahlte (im Wege der Verrechnung mit seiner Werklohnforderung), geht aus dem Urteil nicht hervor. Offenbar drang G deshalb nicht auf Zahlung, weil er beiden Unternehmen Werklohn schuldete und stets die Möglichkeit hatte, seinen Schaden mit einer der beiden Werklohnforderungen zu verrechnen. Im Ergebnis hatte S den intern nur zu einem Viertel verpflichteten R durch seine Nichtleistung zwar nicht zur Zahlung gezwungen, wohl aber ihn 331 Dies ist nicht unwahrscheinlich, weil der Gesamtschaden aus verschiedenen Mauerrissen bestand, die tatsächlich einzeln entweder auf S1 oder auf S2 zurückgeführt werden konnten. Die solidarische Haftung für sämtliche Risse wurde hier offenbar allein deshalb bejaht, weil die Risse nur zusammen beseitigt werden konnten, hierzu unten, 956 ff., 961 ff. 332 Ehmann, JZ 2004, 254. 333 Vgl. oben, 364 ff., zur Annahme besonderer Mitwirkungspflichten bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden.
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jahrelang daran gehindert, seine Werklohnforderung einzuziehen. Hätte er rechtzeitig seinen richtigen internen Anteil mit G verrechnet, hätte R schon 1995 einen Großteil seines Werklohns erhalten. Diese langjährige Nichtleistung des S wurde offenbar deshalb nicht als schuldhafte Verletzung der Mitwirkungspflicht angesehen, weil S sich mit G auf das Schiedsgutachten (und offenbar auch auf die erst späte Verrechnung) einigen durfte334. Insofern ist es wahrscheinlich, dass das OLG und der BGH auch dann nicht anders entschieden hätten, wenn R schon 1994 S hinsichtlich seiner Mitwirkungspflicht gemahnt hätte. Wenn aber dieser eher milde Verschuldensmaßstab angelegt wird, dann hat der Mitwirkungsanspruch für den regressberechtigten Gesamtschuldner nur wenig Wert. Sinn des Mitwirkungsanspruchs soll schließlich gerade sein, den Mitschuldner zur Leistung seines internen Beitrags auch dann anzuhalten, wenn er vom Gläubiger nicht in Anspruch genommen wird. Hier aber durfte S jahrelang im Einvernehmen mit dem Gläubiger seine Leistung zurückhalten und zusehen, wie R den 3/4-Anteil von S als Vorschussleistung erbrachte, indem er seine Werklohnforderung verlor. Die Gläubigerwillkür wird nicht abgemildert, wenn einer der Gesamtschuldner dem Zugriff des Gläubigers ausgesetzt wird und der andere seine Mitwirkung mit dem Argument verweigern kann, sich mit dem Gläubiger auf ein Schiedsgutachten geeinigt zu haben. Dass R von S nicht einen Anteil der Prozesskosten verlangen konnte, war im Ergebnis aber richtig. Die aufgewendeten Prozesskosten kamen S nicht zugute. Die Gesamtschuldner verfolgten unterschiedliche Strategien. Während S die Regulierung mit Hilfe eines offenbar günstigeren Schiedsgutachtens wählte, entschied R sich für einen kostspieligen Zivilprozess. Die Kosten seiner eigenen Entscheidung sollte er nicht auf den Mitschuldner S abwälzen können. Hier gilt die oben genannte Regel, dass ein Gesamtschuldner sich die Kosten eines verlorenen Prozesses selbst zuschreiben muss. Im Urteil von 1962 tendierte der BGH also zu einer Verpflichtung zum Ersatz der Regulierungskosten, während er den Ersatz der Prozesskosten im Urteil von 2003 ablehnte. Vergleicht man die Fälle, fällt auf, dass der entscheidende Unterschied offenbar nicht in der schuldhaften Pflichtverletzung des Mitschuldners lag. Im ersten Fall blieb F auf eine Mahnung hin untätig, im zweiten Fall einigte S sich mit dem Gläubiger auf eine verhältnismäßig geringe Summe und half diesem bei der Rechtsverfolgung gegen R. Wichtiger als das Verhalten des Mitschuldners war offenbar der geltend gemachte Schaden. Im ersten Fall waren es die eher geringen Kosten eines notwendigen Schadensgutachtens, dessen Ergebnis auch dem Mitschuldner zugutekam, im zweiten Fall die hohen Kosten eines auf eigene Faust geführten Zivilprozesses. Die von der herrschenden Lehre gestellte Frage, ob der Mitschuldner schuldhaft seine Mitwirkungspflicht verletzte und welche Schritte er im Einzelnen unternehmen darf und welche nicht, ist offenbar im Ergebnis wesentlich weniger entscheidend als die Frage, ob die Regu334 Im Ergebnis zustimmend Stamm, NJW 2003, 2943. Auch Ehmann, JZ 2004, 254, stellt für die Pflichtverletzung allein auf den Prozessbeitritt auf Seiten des G ab.
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II. Der Innenausgleich
lierungskosten, deren anteiliger Ersatz verlangt wird, berechtigterweise und auch im Interesse des anderen Gesamtschuldners aufgewendet wurden. Neben den Prozesskosten kommen noch andere Schäden des regressberechtigten Gesamtschuldners in Betracht, etwa die Verpflichtung, dem Gläubiger seinen Verzugsschaden zu ersetzen. Angenommen, von zwei Gesamtschuldnern R und S ist intern allein S zuständig. Der Gläubiger G mahnt nur R. Dieser mahnt S, seine Mitwirkungspflicht zu erfüllen. S tut nichts. G macht den entstandenen Verzugsschaden bei R geltend. Kann R Ersatz dieses Schadens von S verlangen? Dagegen spricht zunächst einmal die gesetzlich vorgesehene Einzelwirkung des Verzugs, § 425. Grundsätzlich ist auch in der heutigen Lehre anerkannt, dass allein derjenige Gesamtschuldner den Verzugsschaden ersetzen muss, den der Gläubiger in Verzug gesetzt hat335. Dies ist bemerkenswert, denn es bedeutet, dass schon nach der Konzeption des Gesetzes die Gesamtschuldner keinesfalls gleich behandelt werden. Die Gläubigerwillkür entscheidet darüber, welcher Gesamtschuldner mit dem Risiko der Verzugsfolgen belastet wird und welcher nicht. Ist dem in Verzug Gesetzten die Identität oder die Existenz des Mitschuldners nicht bekannt, hilft auch keine Mitwirkungspflicht. Im Beispiel allerdings kennt R seinen Mitschuldner und setzt ihn für die Erfüllung seiner Mitwirkungspflicht in Verzug. Wenn dies zur Folge haben kann, dass S im Ergebnis den Verzugsschaden des G tragen muss, könnte dies eine Umgehung des § 425 bedeuten. Dagegen kann aber argumentiert werden, dass die Möglichkeit eines internen Verzugs mit der Mitwirkungspflicht der Einzelwirkung des § 425 nicht entgegensteht. § 425 verhindert, dass S gegenüber G in Verzug gerät, wenn dieser R in Verzug setzt. Demgegenüber bezieht sich ein Verzug mit der Mitwirkungspflicht nur auf den internen Anteil des Mitwirkungspflichtigen (der hier nur zufällig 100% beträgt). Zudem setzt der Verzug mit einer Mitwirkungspflicht eine Mahnung gegenüber S voraus. S ist also nach wie vor davor geschützt, ohne sein Wissen in Verzug gegenüber G zu geraten, wie es bei einer Gesamtwirkung des Verzugs der Fall wäre. Gegen die Erstattungsfähigkeit eines Verzugsschadens sprechen aber letztlich dieselben Erwägungen wie bei den Prozesskosten. Wenn G den Schuldner R in Verzug setzt und S nicht leisten will, muss R notfalls selbst an G leisten. Hält er den Anspruch des G für zweifelhaft, verweigert er die Leistung auf eigenes Risiko. Ist er zur Leistung aus eigenen Mitteln nicht im Stande, muss er einen Kredit aufnehmen. Sein Schaden besteht, so gesehen, nicht aus der Verpflichtung, den Verzugsschaden des Gläubigers zu tragen, sondern aus den Kosten der Geldbeschaffung, mit anderen Worten: aus seiner Verpflichtung zur Vorleistung. Dies ist schließlich auch der Ausgangspunkt der herrschenden Lehre: Die Mitwirkungspflicht wird gerade mit der Unbilligkeit begründet, dass einer von mehreren Gesamtschuldnern für seine Mitschuldner vorleisten muss. Dann ist es aber konsequent, gerade bei den Kosten dieser Vorleistungspflicht anzusetzen.
335
Soergel/Wolf, § 425 Rz 6; MüKo/P. Bydlinski, § 425 Rz 13; Staud/Noack, § 425 Rz 25.
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Der Schaden des Regressberechtigten kann also darin bestehen, dass er gezwungen ist, Kosten für einen Kredit aufzuwenden336. Aber auch unabhängig von einem Kredit bedeutet die Vorleistungspflicht, dass dem in Anspruch Genommenen der Nutzen der Geldsumme, die er hinsichtlich der internen Anteile der anderen zahlt, solange entzogen ist, bis er seinen Regressanspruch durchgesetzt hat. Die Annahme einer Mitwirkungspflicht kann dies ausgleichen, indem sie es dem in Anspruch Genommenen ermöglicht, schon vor seiner Leistung die Mitschuldner in Verzug zu setzen und dann die Kreditkosten als Verzugsschaden zu verlangen. Verzugszinsen kann er allerdings vor seiner Leistung nicht erheben, weil ein Mitwirkungs- oder Befreiungsanspruch keine Geldschuld i.S.d. § 288 I ist. Befriedigt er den Gläubiger also aus eigenen Mitteln, kann die Mitwirkungspflicht offenbar keinen Schadensersatzanspruch begründen. Es stellt sich somit die Frage, ob die Mitwirkungspflicht tatsächlich das geeignete Mittel ist, die behauptete Unbilligkeit der Vorleistungspflicht eines Gesamtschuldners auszugleichen. Immerhin ist dieser auch bei Annahme eines einfachen Rückgriffsanspruchs nicht rechtlos gestellt. Zwar kann er dann vor seiner Leistung an den Gläubiger seine Mitschuldner nicht verzugsbegründend mahnen, weil sein Rückgriffsanspruch erst mit Zahlung an den Gläubiger fällig wird und eine Mahnung vor Fälligkeit wirkungslos ist. Sobald er aber an den Gläubiger geleistet hat, kann er von den Mitschuldnern Zahlung ihrer internen Anteile verlangen und dieses Verlangen mit einer Mahnung verbinden. Ein Verzug der Mitschuldner scheidet dann aus, wenn sie „alsbald“ nach Zugang der Mahnung zahlen. Leisten sie dagegen nicht, geraten sie in Verzug. Strittig ist dann nur, ob die Verzugszinsen schon ab dem Zeitpunkt der Mahnung oder erst ein paar Tage später geschuldet werden337. Im Ergebnis aber stellt sich die Lage des Regressberechtigten bei Annahme eines einfachen Rückgriffsrechts nicht wesentlich schlechter dar als bei Annahme eines Mitwirkungsanspruchs. Mahnt er seine Mitschuldner zum frühestmöglichen Zeitpunkt, ist er lediglich gezwungen, die Zinsbelastung für den Zeitpunkt zwischen Leistung an den Gläubiger und Zugang der Mahnung, vielleicht ergänzt um ein paar Tage, zu tragen. Auf der anderen Seite hilft die Mitwirkungspflicht dem in Anspruch genommenen Gesamtschuldner dann nicht weiter, wenn er seine Mitschuldner nicht kennt oder von ihrer Existenz nichts weiß, weil er sie dann nicht in Verzug setzen kann. Erfährt er erst ein Jahr nach seiner Leistung an den Gläubiger von sei336
MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 71; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 184. Nach MüKo/Ernst, § 286 Rz 52, tritt der Verzug erst nach Ablauf einer angemessenen Frist ab Zugang der Mahnung ein, innerhalb welcher der Schuldner den Anspruch prüfen und die Leistung auf den Weg bringen kann. Demgegenüber soll der Verzug nach Staud/Löwisch, § 286 Rz 58, und U.Huber, Leistungsstörungen I, 455 f., schon mit Zugang der Mahnung eintreten. Hierfür spricht der Gesetzeswortlaut des § 286 I, wonach der Schuldner, der auf eine Mahnung nicht leistet, durch die Mahnung in Verzug gerät. Nach Löwisch sollen Verzugszinsen dennoch erst ab dem Zeitpunkt geschuldet werden, in dem das Geld auf schnellstem Wege zum Gläubiger hätte gelangen können. Konsequenter erscheint es demgegenüber, mit Huber anzunehmen, dass die Verzugszinsen schon ab dem Zugang der Mahnung geschuldet werden, sofern nicht alsbald geleistet wird. 337
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nem Mitschuldner, dann hat er ihm, wirtschaftlich gesehen, ein Jahr lang ein zinsloses Darlehen in Höhe des Mitschuldneranteils gewährt. Stellt man sich auf den Standpunkt, dass die Gesamtschuldner unabhängig vom Gläubigerzugriff möglichst gleich behandelt werden sollen, ist dieses Ergebnis wenig tragbar. Die Gläubigerwillkür wäre im Wesentlichen neutralisiert, wenn der leistende Gesamtschuldner seine Regressforderung aus § 426 I unabhängig von einer Pflichtverletzung seiner Mitschuldner schon ab dem Zeitpunkt der Gläubigerbefriedigung verzinsen könnte. Eine solche Verzinsungspflicht wird im Schweizer Recht angenommen338. Im deutschen Recht könnte zu diesem Zweck der Gedanke des § 256 analog herangezogen werden339. Die sofortige Verzinsungspflicht des Auftraggebers wird damit begründet, dass die Nutzungen der aufgewendeten Geldsumme dem Beauftragten und nicht dem Auftraggeber zustehen. Bei Schadensersatz-Gesamtschuldnern kann argumentiert werden, dass sie im Verhältnis zueinander zur Tragung ihrer Innenanteile verpflichtet sind. Wer über seinen Innenanteil hinaus an den Gläubiger leistet, macht im Innenverhältnis Aufwendungen zugunsten seines Mitschuldners. Im Verhältnis unter den Gesamtschuldnern stehen die Nutzungen dieses Geldbetrags nicht dem Mitschuldner, sondern dem Leistenden zu. Hiermit könnte eine sofortige Zinspflicht gerechtfertigt werden. Im Ergebnis spielen Schadensersatzansprüche wegen versagter Mitwirkung in der deutschen Praxis kaum eine Rolle. Zum einen müssen sie die Hürde des Vertretenserfordernisses überspringen, zum anderen besteht der geltend gemachte Schaden häufig in aufgewendeten Prozesskosten, die in den Risikobereich des regressberechtigten Gesamtschuldners fallen. Angesichts der Tatsache, dass Gesamtschuldner nie völlig gleich behandelt werden können und die Gläubigerwillkür stets eine Rolle spielen wird, stellt sich die Frage, ob es nicht besser ist, im Einklang mit den Nachbarrechtsordnungen Mitwirkungspflichten von vornherein zu verneinen. Will man aber die Gläubigerwillkür tatsächlich eindämmen und alle Gesamtschuldner möglichst gleich behandeln, dann ist ein Schadensersatzanspruch wegen verschuldeter Verletzung der Mitwirkungspflicht ein nur wenig geeigneter Weg. Statt dessen bietet es sich an, den Regressanspruch des leistenden Gesamtschuldners dadurch zu verstärken, dass er zum einen notwendige Regulierungskosten umfasst und zum andern schon mit Leistung an den Gläubiger verzinst wird.
338 von Tuhr/Escher, OR AT II, 314; von Büren, OR AT, 98 Fn. 25; Bucher, OR AT, § 27 II 4 b; Gauch/Schluep/Schmid/Rey, OR AT 2, Rz 3961. 339 So auch Kremer, Mitbürgschaft, 179. An dieser Stelle könnte gefragt werden, warum dann nicht auch § 257 analog angewendet wird. Doch Befreiungsansprüche in Gesamtschuldverhältnissen bergen besondere Probleme, wie der folgende Abschnitt zeigt.
10. Befreiungsansprüche unter Schadensersatz-Gesamtschuldnern?
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10. Befreiungsansprüche unter Schadensersatz-Gesamtschuldnern? Befreiungsansprüche können verhindern, dass ein Gesamtschuldner vom Gläubiger für die Gesamtleistung in Anspruch genommen und damit gezwungen wird, das Insolvenzrisiko für seine Mitschuldner hinsichtlich deren interner Anteile zu übernehmen. Zusätzlich erspart ein erfolgreich durchgesetzter Befreiungsanspruch es dem Gesamtschuldner, sich in Höhe der Mitschuldneranteile überhaupt um die Gläubigerbefriedigung kümmern zu müssen. Er braucht dann nur noch seine Leistungsfähigkeit hinsichtlich seines Innenanteils herzustellen. Besonders vorteilhaft kann ein Befreiungsanspruch sein, wenn der Befreiungsgläubiger im Innenverhältnis gar nicht verpflichtet ist. Gegen die Annahme von Befreiungsansprüchen bei Schadensersatz-Gesamtschulden werden im Wesentlichen fünf Argumente vorgebracht: (1) Eine klagbare Mitwirkungspflicht vereitele das Recht des Gesamtschuldners, selbst zu entscheiden, wie er auf die Forderung des Gläubigers reagiert340. (2) Ein Gesamtschuldner, der selbst nicht seinen Anteil an den Gläubiger geleistet habe, könne den anderen nicht zur Leistung zwingen341. (3) Bei mehreren Verursachern sei die interne Aufteilung als Ergebnis der Abwägung nach § 254 oft nicht vorhersehbar. Der Mitverursacher könne daher nicht wissen, in welcher Höhe er den anderen befreien soll342. (4) Sofern die Mitwirkungspflicht nur anteilig bestehe, sei ihre Erfüllung unmöglich, wenn der Gläubiger nicht bereit sei, Teilleistungen anzunehmen (§ 266). Dasselbe gelte, wenn der Gläubiger nicht Geldersatz, sondern Naturalrestitution (§ 249) verlange343. (5) Ein Befreiungsanspruch, der nach § 887 II ZPO durch einen Vorschuss an den Befreiungsgläubiger vollstreckt werde, setze den Gesamtschuldner der Gefahr aus, sowohl an seinen Mitschuldner als auch, wenn dieser das Geld nicht weiterleitet und insolvent wird, an den Gläubiger zahlen zu müssen344. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass diese Einwände nur zum Teil berechtigt sind. Sind die internen Quoten unklar, kann der Mitwirkungspflichtige, wie dargestellt, vor Schadensersatzansprüchen durch eine entsprechende Handhabung des Verschuldenserfordernisses nach § 286 geschützt werden. Befreiungsansprüche aber können überhaupt nur dann tituliert und vollstreckt werden, wenn vorher in einem Prozess zwischen den Gesamtschuldnern die Höhe der internen Quoten festgestellt wurde. Die Vollstreckung eines Befreiungsanspruchs im Gesamtschuldverhältnis nach § 887 II ZPO345 birgt aber tatsächlich das Risiko für den Mitwirkungspflichtigen, doppelt in Anspruch genommen zu werden. 340 Weigelin, Schuldbeitritt, 106; von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 91; Denck, JZ 1976, 673; Prediger, Auslegung, 97, 120 ff. 341 Prediger, NJW 1970, 126; ders., Auslegung, 88 f. 342 Winter, Teilschuld, 85 f., 109; Prediger, Auslegung, 93 ff. 343 Prediger, NJW 1970, 126; ders., Auslegung, 86 ff., 101 ff. 344 Lange, NJW 1958, 497; Winter, Teilschuld, 108, 125. 345 So für Schadensersatz-Gesamtschulden BGH VersR 1957, 806 = NJW 1958, 497 = JZ 1958, 57 (22.10.1957).
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II. Der Innenausgleich
Dieses Risiko würde vermieden, wenn der Mitwirkungspflichtige im Ergebnis nur zur Hinterlegung einer Geldsumme in Höhe seines internen Anteils gezwungen werden könnte346. In einer Entscheidung von 1986 sprach das LG Flensburg einem Gesamtschuldner gegen seinen Mitschuldner einen anteiligen Befreiungsanspruch zu. Doch dieser begründe, so das Gericht, lediglich einen Anspruch auf anteilige Zahlung an den Gläubiger. Im Falle der Zwangsvollstreckung sei daher, um die Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme zu vermeiden, der zu leistende Vorschuss nicht an den Kläger auszuzahlen, sondern zugunsten des Gläubigers und des Klägers zu hinterlegen347. Nimmt man diesen Gedanken auf, dann stellt sich die Frage, ob nicht schon materiellrechtlich der Inhalt der Mitwirkungspflicht anders verstanden werden sollte. Wenn es tatsächlich nur um die anteilige Gläubigerbefriedigung geht, wäre es denkbar, den Mitwirkungsanspruch derart zu verstehen, dass der Mitwirkungspflichtige frei wird, wenn er entweder seinen internen Anteil an den Gläubiger leistet oder diesen Anteil zugunsten des Gläubigers und des Mitberechtigten hinterlegt. Bezeichnenderweise war gerade dies der Inhalt der einzigen allgemeinen gesamtschuldnerischen Mitwirkungspflicht, die jemals von einem Gesetz angeordnet wurde, nämlich durch § 943 des Züricher Gesetzbuchs348. Eine Hinterlegungspflicht könnte zwei Funktionen haben. Zum einen kann die hinterlegte Summe als Sicherheit für den Mitwirkungsberechtigten dienen, der dann auf sie zugreifen kann, wenn er den Gläubiger vollständig befriedigt hat. Zum anderen könnte sie im Rahmen der Gläubigerbefriedigung eingesetzt werden, indem der mitwirkungsberechtigte Mitschuldner den Betrag um seinen Anteil ergänzt und den Gesamtbetrag dann dem Gläubiger anbietet. Eine solche Hinterlegungspflicht würde auch die Einwände ausräumen, nach denen die Erfüllung einer anteiligen Befreiungspflicht unmöglich sein kann. Gewöhnlich verlangt ein Gläubiger bei Schadensersatzansprüchen nicht Naturalrestitution, sondern eine Geldleistung. Zumindest bei einer überschaubaren Anzahl von Gesamtschuldnern wird er in der Praxis häufig auch bereit sein, Teilleistungen anzunehmen, so dass der mitwirkungspflichtige Gesamtschuldner seiner Pflicht durch Leistung an den Gläubiger Genüge tun kann. Sollte der Gläubiger aber Teilleistungen ablehnen, könnte der Mitschuldner seinen Betrag hinterlegen. Dasselbe gilt, wenn der Gläubiger auf einer Naturalrestitution beharrt. Der mitwirkungspflichtige Gesamtschuldner könnte, wenn er nicht zu einer Wiederherstellung (notfalls im Zusammenwirken mit den Mitschuldnern) bereit ist, seinen Anteil an einer Summe, die den Wert der Wiederherstellung widerspiegelt, hin346
Lange, NJW 1958, 497. LG Flensburg, NJW-RR 1987, 440, 441 (13.8.1986). Im Fall ging es um Mitbürgen. 348 Wird ein einzelner Solidarschuldner von dem Gläubiger belangt, so ist er berechtigt, seine Mitschuldner zu verhältnismäßiger Betheiligung bei der Zahlung anzuhalten. Diesen aber steht es hinwieder frei, ihren Beitrag unmittelbar an den Gläubiger zu bezahlen, wenn dieser die Theilzahlung annehmen will, oder bis die Gesammtzahlung möglich wird, gerichtlich zu hinterlegen. Der im ALR (I 5 § 449) erwähnte Anspruch auf Sicherstellung des internen Anteils bezog sich nur auf vertraglich vereinbarte Gesamtschulden. 347
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terlegen. Dieser Anteil könnte dann als Zugriffsobjekt für den Regress desjenigen Mitschuldners dienen, der die Wiederherstellung erbracht hat oder die Interesseforderung des Gläubigers befriedigen musste. Im Ergebnis würde eine Hinterlegungspflicht nicht verhindern, dass der Gesamtschuldner auch hinsichtlich der Mitschuldneranteile dem Gläubigerzugriff ausgesetzt wäre, aber sie würde ihm ersparen, durch seine Leistung das Insolvenzrisiko seiner Mitschuldner zu übernehmen. Von einem echten Befreiungsanspruch kann dann allerdings nicht mehr gesprochen werden. Dies führt zu der Frage, warum das Gesamtschuldverhältnis Befreiungsansprüche überhaupt hervorbringen soll. Im gewöhnlichen Fall kann A von B Befreiung von einer Verbindlichkeit verlangen, wenn B ihm die Befreiung versprochen hat, wenn A die Verbindlichkeit aufgrund eines Rechtsgeschäfts mit B eingegangen ist, das beendet wird oder dessen Grundlage sich geändert hat (§ 775), oder wenn A’s Belastung mit der Verbindlichkeit einen von B auszugleichenden Schaden darstellt349. In all diesen Fällen hat A einen Anspruch auf unbedingte Befreiung, gleichgültig, auf welche Weise sie erreicht wird. B kann sich gegenüber A nicht darauf berufen, eine Leistung an den Gläubiger erbracht oder zugunsten des Gläubigers etwas hinterlegt zu haben, solange dies nicht zur Befreiung von A führt. B trägt also das Risiko, dass seine Bemühungen zum Erfolg der Befreiung führen. Wenn er in diesen Fällen dem Gläubiger ebenfalls verpflichtet ist, spielt dies für A’s Befreiungsanspruch grundsätzlich keine Rolle. Ob B durch die Befreiung des A ebenfalls befreit wird, ist unerheblich. Bei Schadensersatz-Gesamtschulden könnte daran gedacht werden, dass ein Gesamtschuldner dem anderen deshalb Befreiung schuldet, weil er dessen Belastung mit der Schadensersatzverbindlichkeit mitverursacht hat. Dieser Gedanke liegt insbesondere in den Fällen nahe, in denen einer der Gesamtschuldner intern allein belastet ist. Wenn etwa der Geschäftsherr für die schuldhafte Tat seines Verrichtungsgehilfen nach § 831 mithaften muss, oder wenn der Halter eines Luxustiers nur deswegen nach § 833 haften muss, weil ein Dritter das Tier befreit hat (und hieraus aus § 823 haftet), dann erscheint es gerecht, den Gehilfen bzw. Dritten zu verpflichten, den Geschäftsherrn bzw. Tierhalter vollständig freizustellen. Doch eine Herleitung dieses als billig empfundenen Ergebnisses aus dem Gesamtschuldverhältnis führt in die Irre. Der Gehilfe wird dem Geschäftsherrn in der Regel aus Vertrag Schadensersatz schulden und in diesem Rahmen auch zur Befreiung verpflichtet sein. Bei der Tierhalterhaftung muss, sofern kein vertragliches Innenverhältnis vorliegt, geprüft werden, ob der Dritte nicht auch gegenüber dem Halter ein Delikt, etwa in Form der Eigentumsverletzung, begangen hat, und daher im Rahmen seiner Schadensersatzpflicht Befreiung schuldet. Kommt man zum Ergebnis, dass ein Delikt des Dritten gegenüber dem Halter nicht vorliegt, dann wird auch die Befreiungspflicht fragwürdig. Ähnliche Zweifel erweckt die Gegenprobe. Ist man der Auffassung, der Gehilfe habe den Geschäftsherrn zu befreien, weil er dessen Haftung durch seine Tat verursacht habe, 349
Oben, 329 ff. und 346 ff.
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II. Der Innenausgleich
dann erscheint es wenig überzeugend, einen Befreiungsanspruch dann zu versagen, wenn der Gehilfe zufällig im Außenverhältnis zum Dritten nicht haftet, etwa weil er (jetzt als Erfüllungsgehilfe) nur einen Vermögensschaden verursacht hat, für den allein der Geschäftsherr als Vertragspartner des Dritten einstehen muss. Der Gedanke, dass die Schadensersatzhaftung eines Schuldners von einem anderen verursacht wurde, mag einen Befreiungsanspruch nahe legen, aber er trifft oft nur zufällig mit dem Gesamtschuldverhältnis zusammen. Auch bei Nebentätern, bei denen jeder den Erfolg nur deshalb verursachen konnte, weil auch der andere einen Verursachungsbeitrag leistete, könnte gesagt werden, dass jeder von ihnen mit seiner rechtswidrigen Tat die Schadensersatzhaftung des anderen verursacht hat und ihm daher zur anteiligen Befreiung verpflichtet ist. Doch dabei darf nicht aus dem Auge verloren werden, dass im Deliktsrecht die Verursachung eines reinen Vermögensschadens grundsätzlich nicht zu einer Haftung und damit auch nicht zu einem Befreiungsanspruch führt. Bei Alternativverursachern kann ein Befreiungsanspruch von vornherein nicht mit einer Schadensersatzpflicht begründet werden: Wäre der Erfolg schon durch das Handeln nur eines der Täter eingetreten, hat keiner die Haftung des anderen verursacht. Für die Begründung eines Befreiungsanspruchs bleibt nur das Gesamtschuldverhältnis selbst. In den Motiven zum heutigen § 426 heißt es zunächst, die innere Schuldgemeinschaft verpflichte die Gesamtschuldner zur erforderlichen Mitwirkung bei der Leistung an den Gläubiger, und zwar derart, dass es zu einem Regress gar nicht kommt350. Folgt man dem, ist jeder Gesamtschuldner dazu verpflichtet, seinen Leistungsanteil beizutragen, indem er diesen dem Gläubiger oder seinen Mitschuldnern zur gemeinsamen Gläubigerbefriedigung zur Verfügung stellt. Dies vermeidet einen Regress. Dazu kommt, dass ein Gesamtschuldner, der seinen internen Teil an den Gläubiger leistet, seine Mitschuldner in Höhe dieses Anteils nach § 422 befreit. Diese anteilige Befreiung ist aber erst Folge der Leistung an den Gläubiger. Der Gesamtschuldner ist nicht verpflichtet, den Mitschuldner anteilig zu befreien, sondern höchstens dazu, seinen eigenen Leistungsbeitrag an den Gläubiger zu erbringen, wodurch nach § 422 der Mitschuldner anteilig frei wird. In den Motiven heißt es aber nun weiter, dass ein intern nicht verpflichteter Gesamtschuldner gegen seinen Mitschuldner einen Anspruch darauf habe, vor einer Inanspruchnahme durch den Gläubiger bewahrt zu bleiben. Sofern hiermit ein Befreiungsanspruch gemeint sein sollte, bleibt dessen Grund im Dunkeln. Ob ein Gesamtschuldner intern 50%, 1% oder 0% tragen muss, ist eine Sache der Abstufung. Auch ein intern nicht verpflichteter Gesamtschuldner hat, wenn überhaupt, gegen den anderen einen Anspruch nur darauf, dass dieser seinen Leistungsbeitrag erbringt. Ist der andere intern allein verpflichtet, kann sich hieraus ein Anspruch ergeben, die Gesamtleistung an den Gläubiger zu erbringen.
350
Mot. II, 169 f. (Mugdan II, 93).
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Hierdurch würde der intern nicht Verpflichtete nach § 422 gegenüber dem Gläubiger frei. Dadurch wird der Anspruch, an den Gläubiger zu leisten, aber nicht zu einem Befreiungsanspruch. Hat A gegen B einen Befreiungsanspruch, ist B dazu verpflichtet, A von dessen Verbindlichkeit gegenüber dem Gläubiger zu befreien, unabhängig davon, ob auch B Schuldner ist und ob er selbst befreit wird. Im Gesamtschuldverhältnis ist B dagegen, wenn überhaupt, gegenüber A nur zur Erbringung seines Leistungsanteils verpflichtet, bei interner Alleinhaftung also zur Erfüllung seiner eigenen Verbindlichkeit, wodurch mittelbar auch A frei wird. Doch das Gesamtschuldverhältnis verpflichtet ihn nicht, A so zu stellen, also ob es nie ein Gesamtschuldverhältnis gegeben habe. Es ist wohl dieser Gedanke, der Äußerungen in Rechtsprechung und Literatur zugrunde liegt, wonach ein Gesamtschuldner gegenüber seinen Mitschuldnern verpflichtet ist, seinen internen Anteil an den Gläubiger zu leisten351, oder wonach zwar ein Befreiungsanspruch besteht, dieser sich aber auf Leistung an den Gläubiger richtet352. Nach der Dogmatik des Befreiungsanspruchs ist das unrichtig353: Der Anspruch richtet sich nicht auf Zahlung an den dritten Gläubiger, sondern auf Befreiung. Der gesamtschuldnerische Mitwirkungsanspruch (soweit er überhaupt besteht) ist aber kein echter Befreiungsanspruch354. Hiergegen kann nicht eingewendet werden, auch im Gesamtschuldverhältnis müsse dem intern verpflichteten Schuldner die Möglichkeit eingeräumt werden, seiner Mitwirkungspflicht auch anders als durch Leistung zu genügen, etwa indem er mit dem Gläubiger einen auch zugunsten des anderen Gesamtschuldners wirkenden Erlass vereinbart. Selbstverständlich kann der Gesamtschuldner die Außenhaftung des anderen durch eine Erlassvereinbarung i.S.d. § 423 beseitigen. Damit entfällt dann aber auch, mangels Gesamtschuldnerhaftung, der Mitwirkungsanspruch des Befreiten. Materiellrechtlich mögen daher nur wenige Unterschiede zwischen einem Befreiungs- und einem aus der Gesamtschuld folgenden Mitwirkungsanspruch bestehen. Doch prozessual führt die Verneinung des echten Befreiungsanspruchs zum Ausschluss der Vollstreckung nach § 887 II ZPO. Gerade
351 Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 164 III 1; Cosack, BürgR I, § 119 I 3; Kremer, Mitbürgschaft, 175; Lippmann, AcP 111 (1914), 152, 176 ff.; Kreß, SR AT, 613; Kaßler, Gesamtschuld, 74; A. Blomeyer, JZ 1957, 444; Soergel/Re. Schmidt (1967), § 426 Rz 5; Brox/Walker, SR AT, Rz 37/16; Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 2; Jauernig/Stürner, § 426 Rz 14; KG OLGE 33, 254 (16.4.1914); BGHZ 23, 361, 363 (21.2.1957); BGH NJW 1962, 1678, 1680 (3.7.1962); OLG Schleswig, MDR 1998, 1493 (7.5.1998: Anspruch des intern freigestellten Gesamtschuldners gegen den anderen auf Zahlung an den Gläubiger zusätzlich zum Befreiungsanspruch); BGH NJW 2003, 828, 829 (10.12.2002); OLG Zweibrücken, FamRZ 2005, 910 (28.12.2004). 352 OLG Dresden, OLGE 28, 102 (4.7.1913); OLG Celle, OLGZ 1970, 357, 358 f. (9.1.1970); LG Flensburg, NJW-RR 1987, 440, 441 (13.8.1986); Staud/Noack, § 426 Rz 77; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 183; Stamm, Regreßfiguren, 48; Gehrlein, JZ 2008, 365. 353 Hierzu oben, 335. Daher entschied in einem Fall der Schadensersatz-Gesamtschuld das OLG Hamm, S1 könne von S2 nicht Leistung an G, sondern nur Befreiung verlangen, NJW 2002, 1054, 1055 (13.9.2001). 354 In diese Richtung auch OLG Köln, FamRZ 2005, 471 (26.3.2004), allerdings im Zusammenhang mit einer vertraglich vereinbarten Freistellungspflicht unter Gesamtschuldnern.
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weil der beklagte Gesamtschuldner nicht verpflichtet ist, die Befreiung des Mitschuldners sozusagen um jeden Preis und unabhängig von seiner eigenen Verpflichtung herbeizuführen, passt eine Vollstreckungsart nicht, die es dem Kläger ermöglicht, vom Beklagten eine Geldsumme zu erlangen, die er zum eigenen Freiwerden einsetzt, ohne dass der Beklagte sicher sein kann, ob die Geldsumme auch seiner Befreiung zugutekommt. Der sogenannte Befreiungsanspruch ist also (will man ihn überhaupt anerkennen) lediglich ein Mitwirkungsanspruch, der durch anteilige Leistung an den Gläubiger oder durch Hinterlegung erfüllt werden kann. Erkennt man dies an, besteht auch kein Grund, den Mitwirkungsanspruch auf diejenigen Fälle zu reduzieren, in denen der mitwirkungspflichtige Gesamtschuldner intern allein verpflichtet ist355. Die Rechtsprechung gewährt Befreiungsansprüche jedenfalls auch in Konstellationen, in denen die interne Last unter den Schadensersatz-Gesamtschuldnern verteilt ist356. Doch auch wenn der Befreiungsanspruch als Mitwirkungsanspruch verstanden wird, sind die grundsätzlichen Bedenken gegen ihn nicht ausgeräumt. Der regresspflichtige Gesamtschuldner wird bei Anerkennung eines klagbaren Mitwirkungsanspruchs gleich in mehreren Hinsichten erheblich benachteiligt. Zum einen verliert er die Möglichkeit, sich selbst mit dem Gläubiger auseinanderzusetzen, mit ihm zu verhandeln oder mit einer später zu erwerbenden Forderung aufzurechnen. Dies ist allerdings ein Nachteil, den auch die gesamtschuldnerische Regresspflicht selbst dem Solidarschuldner bereitet, sofern man ein von der Gläubigerforderung unabhängiges Rückgriffsrecht bejaht. Zahlt der Gesamtschuldner R dem Gläubiger G die von diesem geforderte Summe, kann er sofort einen Rückgriffsanspruch gegen den anderen Gesamtschuldner S erheben, ohne dass dieser einwenden kann, er wolle sich nur mit G auseinandersetzen. S verliert das Recht, mit G zu verhandeln, einen Vergleich oder eine Stundung zu vereinbaren oder gegen G’s Forderung aufzurechnen. Dieser Nachteil kann aber S eher zugemutet werden, wenn R schon an G gezahlt hat und insofern einen Vermögensverlust erlitten hat357. Keineswegs selbstverständlich ist es, die Rechtsposition von S auch dann schon zu beschneiden, wenn R noch nichts oder nur seinen internen Anteil an G gezahlt hat. Zum anderen bedeutet eine klagbare Mitwirkungspflicht, dass S sich mehreren Gläubigern gegenübersieht, welche dieselbe Leistung von ihm verlangen können. Dies führt nicht nur zu Belästigungen für S, sondern auch zu prozessualen Nachteilen, weil er, wenn seine Schadensersatzverpflichtung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unsicher ist, gleich mehrere Prozesse gewinnen muss, um
355
So Soergel/Wolf, § 426 Rz 15; ähnlich Prediger, NJW 1970, 127. So etwa BGH VersR 1957, 806 (22.10.1957); OLG Celle, OLGZ 1970, 357, 358 f. (9.1.1970); KG VersR 1978, 435 (2.3.1978); OLG Hamm, NJW 2002, 1054 (13.1.2001); mehr zu diesen Entscheidungen in den folgenden Fußnoten. Obiter auch OLG Neustadt, NJW 1963, 494 (27.11.1962). 357 Ebenso Prediger, Auslegung, 120 ff. 356
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vor Ansprüchen sicher zu sein. Erhebt der Gläubiger Leistungsklage gegen S und verliert, kann danach dennoch R Klage auf Mitwirkung erheben. Auch umgekehrt ist G, sollte R mit einer Klage auf Mitwirkung abgewiesen werden, nicht gehindert, seinerseits eine Leistungsklage gegen S zu erheben. Allerdings kann auch schon die Ausgleichspflicht selbst, sofern man sie als eigenständiges Rückgriffsrecht versteht, zu einer prozessualen Risikoverdopplung führen: Klagt der Gläubiger gegen S und verliert, kann R den Gläubiger befriedigen und danach eine Regressklage gegen S erheben. Doch zumindest hat S, sofern nur ein Regressrecht nach Gläubigerbefriedigung anerkannt ist, zu jeder Zeit nur einen Gläubiger, nämlich entweder G oder R. Bei der Anerkennung von Mitwirkungspflichten kann es dagegen zur Gläubigervervielfältigung kommen358: Schulden S1–5 intern gleichrangig G 100, dann hat nicht nur jeder Schuldner vier Mitwirkungsansprüche in Höhe von je 20, sondern ist auch vier Mitwirkungsansprüchen ausgesetzt, so dass er notfalls fünf Prozesse gewinnen muss, um sicher zu sein, die ihm zugeschriebenen 20 nicht leisten zu müssen. Diese nachteiligen Folgen für den ausgleichspflichtigen Gesamtschuldner müssen allerdings nicht zwingend zur Versagung von Mitwirkungsansprüchen führen, sondern sind gegen das Interesse des ausgleichsberechtigten Gesamtschuldners abzuwägen, von einer Vorleistungspflicht mit anschließendem Regress von vornherein verschont zu werden. Eine solche Abwägung kann in verschiedenen Stadien des Gläubigerzugriffs zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Zunächst kommt in Betracht, dass der Gläubiger noch gar keine Forderung gegen einen der Gesamtschuldner erhoben hat. Dies hindert freilich nicht den Eintritt der Fälligkeit der Schadensersatzansprüche, sofern die Gesamtschuldner tatsächlich materiellrechtlich verpflichtet sind, § 271 I. Nach herrschender Lehre kann der Befreiungsanspruch daher schon entstehen, bevor der Gläubiger überhaupt Ansprüche geltend gemacht hat. Dies erscheint aber interessenwidrig. Hier lohnt sich ein Vergleich mit der Lage von Mitbürgen, die sich gemeinsam verpflichtet und auf die Einrede der Vorausklage verzichtet haben. Auch wenn die Schuld fällig ist, steht nicht fest, ob der Gläubiger sich statt an die Bürgen nicht doch an den Hauptschuldner halten und welchen Betrag er letztlich von den Bürgen einfordern wird. Hier hat sich die Frage gestellt, ob der Mitbürge B1, der bei einer Hauptschuld von 100 vom Gläubiger in Höhe von 50 in Anspruch genommen wurde, gegen den intern gleichrangigen Mitbürgen B2 einen Rückgriffsanspruch hat, obwohl er nicht mehr als seinen internen Anteil geleistet hat. Drei Lösungen sind denkbar: 1) B1 hat keinen Anspruch gegen B2, 2) B1 kann von B2 25 verlangen, 3) B1 kann von B2 Befreiung bzw. Zahlung an G in Höhe von 50 verlangen. Sind beide Bürgen solvent, widerstreitet die erste Lösung dem Gebot, die Gesamtschuldner unabhängig vom Gläubigerzugriff möglichst gleich zu behandeln. Rechtsprechung und herrschende Lehre haben sich aus guten Gründen für die zweite Lösung und damit implizit gegen die dritte
358
Lange, NJW 1958, 497.
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Lösung entschieden359. Ist die zukünftige Inanspruchnahme durch den Gläubiger unsicher, entspricht eine Verteilung des schon Gezahlten den Interessen der Mitbürgen eher als eine gleichmäßige höhere Belastung. Doch nicht nur bei Mitbürgen, sondern auch bei Schadensersatz-Gesamtschuldnern kann Unsicherheit darüber bestehen, ob und in welcher Höhe der Gläubiger sie in Anspruch nehmen wird. Nicht jeder Anspruch auf Schadensersatz wird tatsächlich geltend gemacht. Zudem ist ohne eine vom Gläubiger erhobene Forderung kaum zu ermitteln, welche Schadensposten überhaupt in Frage kommen. Auch hier entspricht es daher dem Interesse zumindest von solventen Gesamtschuldnern mehr, etwaige schon erfolgte Teilleistungen zu verrechnen, als Befreiungsansprüche für Forderungen anzuerkennen, die möglicherweise gar nicht geltend gemacht werden360. Solange daher der Gläubiger seine Forderung auf Schadenersatz gar nicht geltend macht, bestehen auch keine Mitwirkungspflichten361. Ganz anders fällt die Interessenbewertung in denjenigen Fällen aus, in denen der Gläubiger gegen beide oder zumindest gegen den ausgleichspflichtigen Gesamtschuldner ein Urteil erstritten hat und der Mitwirkungsanspruch sich darauf richtet, die festgestellte Gläubigerforderung vollständig oder anteilig zu befriedigen. In diesem Stadium kann der ausgleichspflichtige Gesamtschuldner sich nicht mehr darauf berufen, sich selbst mit dem Gläubiger auseinandersetzen zu wollen. Solange der geltend gemachte Mitwirkungsanspruch nicht weitergehend ist als 359 OLG Celle, JW 1934, 1864 (8.5.1934); BGHZ 23, 361, 363 f. (21.2.1957); BGH NJW 1986, 3131 (15.5.1986); OLG Köln, NJW 1995, 1685 (26.8.1994); hierzu oben, 350 ff. Zustimmend Staud/Noack, § 426 Rz 24 f.; Staud/Horn, § 774 Rz 47; MüKo/Habersack, § 774 Rz 25; Reinicke/ Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rz 389. Für die dritte Lösung dagegen A. Blomeyer, JZ 1957, 443. 360 Hartung, VersR 1968, 733; Wagenfeld, Ausgleichsansprüche, 76 f.; vgl. auch Prediger, NJW 1970, 126. 361 Ebenso Kaßler, Gesamtschuld, 74; Soergel/Wolf, § 426 Rz 15; ferner im Hinblick auf den Befreiungsanspruch bei vertraglich vereinbarter Mitbürgschaft BGH NJW 1986, 3131, 3132 (15.5.1986); BGH NJW 1987, 374, 376 (23.10.1986); vgl. oben, 355 f. Einen Sonderfall betraf OLG Frankfurt, VersR 1983, 926 (13.1.1982). Der Fahrer F hatte mit dem Wagen der Halterin H grob fahrlässig einen Unfall verursacht, bei dem G geschädigt wurde. Gegenüber G hafteten F und H (nach dem StVG) als Gesamtschuldner; intern haftete F allein. Zusätzlich haftete (in Gesamtschuld mit H) H’s Pflichtversicherung PV. Diese befriedigte G. Weil aber die vertragliche Deckungssumme des im Ausland versicherten Wagens sehr niedrig war, hatte PV für einen Teil ihrer Ausgaben einen Regressanspruch gegen H. Das OLG entschied, dass H von F verlangen konnte, sie von diesem Anspruch freizustellen. Hier handelte es sich nicht um einen Mitwirkungsanspruch, weil Gläubigerin von H und F nicht PV, sondern G war. Das Ergebnis erscheint trotzdem richtig. Zum einen bestand wahrscheinlich ein Schadensersatzanspruch von H gegen F aus deren Innenverhältnis (Auftrag oder Gefälligkeitsverhältnis), in dessen Rahmen F ohnehin zur Befreiung von H verpflichtet war. Zum anderen sprechen ähnliche Wertungen für einen Befreiungsanspruch wie in den zuvor zitierten Fällen: Wenn H an PV zahlt, kann sie nach § 426 vollständigen Regress gegenüber F nehmen. H hat ein Interesse daran, in den Ausgleich von vornherein nicht eingebunden zu werden. F wiederum hat keine schützenswerten Gegeninteressen: Nachdem G von PV befriedigt worden ist, schuldet F eine Zahlung offenbar weder an G noch (zumindest nach h.L.) an PV, sondern nur an H, falls diese an PV zahlt. Wenn H statt dessen Befreiung und damit im Ergebnis Zahlung an PV verlangt, wird F kein zweiter Gläubiger aufgedrängt; vielmehr ist die Situation für ihn ebenso, als wenn H an PV gezahlt und dann ihren Regressanspruch gegen F an PV abgetreten hat.
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der festgestellte Gläubigeranspruch, besteht auch nicht die Gefahr einer Verdoppelung des Prozessrisikos. Wenn die Rechtsprechung in dieser Fallkonstellation einen klagbaren Befreiungsanspruch gewährt362, bestehen dagegen (bis auf die Qualifizierung als Befreiungsanspruch) keine grundlegenden Bedenken. Hat der Gläubiger umgekehrt nur gegen den ausgleichsberechtigten Gesamtschuldner ein rechtskräftiges Urteil erstritten, bedeutet ein klagbarer Mitwirkungsanspruch für den ausgleichspflichtigen Gesamtschuldner nicht nur einen zusätzlichen Gläubiger, sondern auch den Verlust der Möglichkeit, sich allein mit seinem ursprünglichen Gläubiger auseinanderzusetzen. In der Rechtsprechung wird ein Befreiungsanspruch aber auch in dieser Lage gewährt363. Hierfür kann ins Feld geführt werden, dass auch ein gewöhnlicher Regressanspruch nach Leistung an den Gläubiger dem Regresspflichtigen die Möglichkeit nimmt, seine Haftung abschließend mit seinem Gläubiger zu klären. Ein rechtskräftiges Urteil kommt aber einer Zahlung durch den Regressberechtigten nahe. Die Höhe der Gläubigerforderung steht zumindest gegenüber dem einen Gesamtschuldner fest. Dieser hat ein unmittelbares Interesse an einer Leistung durch den ausgleichspflichtigen Gesamtschuldner, weil er der Gefahr der Vollstreckung durch den Gläubiger ausgesetzt ist. Es verbleibt die Fallkonstellation, in welcher der Gläubiger einen oder beide Gesamtschuldner in Anspruch nimmt, ohne aber ein Urteil erstritten zu haben, sei es, weil er nicht geklagt hat, sei es, weil es noch nicht zum Urteil gekommen ist. Die Anerkennung eines klagbaren Mitwirkungsanspruchs würde hier dazu führen, dass ein Gesamtschuldner gezwungen werden kann, an den Gläubiger etwas zu leisten, obwohl überhaupt nicht sicher ist, ob der Gläubiger bei der Inanspruchnahme eines Gesamtschuldners erfolgreich gewesen wäre. Es käme zum Ausgleich unter den Gesamtschuldnern, ohne dass zuvor etwas an den Gläubiger geleistet worden wäre und ohne dass ein Rechtsstreit stattgefunden hätte, an dem der Gläubiger beteiligt war. Aus diesem Grund kann ein Mitwirkungsanspruch hier zu interessenwidrigen Ergebnissen führen364. Gegen seine Gewährung sprechen grundsätzliche Erwägungen: 362 OLG Hamm, NJW 2002, 1054 (13.1.2001): Der Schädiger R hatte sich gegenüber G notariell zur Zahlung eines bestimmten Betrags verpflichtet, während der Mitschädiger S zur Zahlung desselben Betrags auf Klage des G hin rechtskräftig verurteilt worden war. Das Gericht nahm eine interne Aufteilung vor und gewährte R einen anteiligen Befreiungsanspruch. 363 BGH VersR 1957, 806 (22.10.1957, in NJW 1958, 497 insoweit nicht abgedruckt): G hatte gegen den Befreiung begehrenden Gesamtschuldner ein rechtskräftiges Urteil erstritten. Hier sollte die Höhe des Befreiungsanspruchs von der noch festzustellenden internen Verteilung abhängen. KG VersR 1978, 435 (2.3.1978): G hatte gegen R ein rechtskräftiges Zahlungsurteil erstritten. Das Gericht entschied, dass die Mitschädiger R und S intern gleichrangig haften und R daher ein hälftiger Befreiungsanspruch gegen S2 zustehe. In OLG Karlsruhe, VersR 1970, 261 (13.5.1969), wurde der Befreiungsanspruch unter ähnlichen Umständen nur deshalb abgelehnt, weil R intern allein haftete. 364 Erstes Beispiel: G behauptet, sein von R und S verursachter Schaden betrage 100. R klagt gegen S auf hälftige Mitwirkung. Das Gericht kommt zum Ergebnis, dass G’s Forderung berechtigt ist und gibt der Klage statt. Daraufhin zahlt S 50 an G. G erhebt für den Rest Klage gegen R und S
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II. Der Innenausgleich
In jedem Ausgleichsprozess unter Gesamtschuldnern, sei es im Rahmen eines Regressanspruchs oder eines Mitwirkungsanspruchs, muss auch über ein fremdes Rechtsverhältnis entschieden werden, nämlich über die Haftung der Gesamtschuldner gegenüber dem Gläubiger. Das Gericht muss also in einem Rechtsstreit unter den Gesamtschuldnern ohne Beteiligung des Gläubigers über die Berechtigung des Gläubigeranspruchs entscheiden. Bei Regressansprüchen nach Leistung an den Gläubiger ist diese Situation nicht vermeidbar, solange man, wie das deutsche Recht, zwischen Zugriffs- und Ausgleichsprozess trennt. Wenn hier der beklagte Gesamtschuldner zur Regresszahlung verurteilt wird, ohne dass der Gläubiger selbst einen Prozess führte, ging zumindest nicht nur das entscheidende Gericht, sondern auch der Kläger von der Berechtigung des Gläubigeranspruchs aus, weil er sonst nicht an den Gläubiger geleistet hätte. Bei Mitwirkungs- oder Befreiungsansprüchen geht es dagegen um die Frage, wer zur zukünftigen Leistung an den Gläubiger verpflichtet ist. Eine solcher Rechtsstreit ohne Beteiligung des Gläubigers erscheint nur dann tolerabel, wenn der Gläubiger zuvor zumindest gegen einen der Gesamtschuldner ein rechtskräftiges Urteil erstritten hat, weil dann die Leistungspflicht zumindest eines Gesamtschuldners unter Beteiligung des Gläubigers geklärt worden ist. Hat aber weder ein Rechtsstreit mit dem Gläubiger noch eine Leistung an den Gläubiger stattgefunden, dann besteht keine Rechtfertigung dafür, über die Haftung der Gesamtschuldner gegenüber dem Gläubiger ausgerechnet in einem nur unter den Gesamtschuldnern geführten Prozess zu entscheiden. In einem vom OLG Celle 1970 entschiedenen Fall365 ging es um einen Verkehrsunfall, den zwei Autofahrer R und S zu gleichen Teilen verschuldet hatten. Verletzt wurden S sowie seine mitfahrende Ehefrau G. Beide klagten gegen R erfolgreich auf Schadensersatz, wobei der Anspruch des Ehemanns S wegen Mitverschuldens (§ 254) auf die Hälfte herabgesetzt wurde. Das Problem war, dass für den Schaden der Ehefrau G auch der Ehemann S haftete. Zwischen R und S bestand hinsichtlich des Anspruchs der G ein Gesamtschuldverhältnis, das sie im Innenverhältnis zu gleichen Teilen verpflichtete. Würde R an G leisten, könnte er von S zur Hälfte Regress nehmen. Das OLG war der Auffassung, dass R gegen S daher schon vor seiner Leistung ein anteiliger Befreiungsanspruch zustehe. Daher habe er schon im Prozess gegen den Schadensersatzanspruch des Ehemanns S ein Zurückbehaltungsrecht aus § 273 ausüben können. Die Annahme eines solchen Zurückbehaltungsrechts erscheint im konkreten Fall auf den ersten Blick wenig anstößig, weil es schon während des Prozesses praktisch sicher war, dass es hinsichtlich der Klage der G zum Urteil kommen und365wird in beiden Prozessen mit der Klage abgewiesen, weil die Gerichte der Ansicht sind, dass der Anspruch überhaupt nicht besteht. S kann die gezahlten 50 nicht von G zurückfordern. Gegen einen Regress gegen R in Höhe von 25 spricht offenbar das rechtskräftige Urteil zwischen R und S. Zweites Beispiel: G macht gegenüber R 100 geltend. R klagt erfolgreich gegen den intern allein verpflichteten S auf Mitwirkung in Höhe von 100. S tut nichts. G erhebt Leistungsklage gegen R und S und wird mit beiden Klagen abgewiesen. Kann R noch aus dem Urteil gegen S vollstrecken? 365 OLG Celle, OLGZ 1970, 357 (9.1.1970).
10. Befreiungsansprüche unter Schadensersatz-Gesamtschuldnern?
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und dann R und nicht der Ehemann S an G leisten würde. Doch die Argumentation des Gerichts, S stehe aus dem Gesamtschuldverhältnis wegen der Fälligkeit der Forderung der G ein hälftiger Befreiungsanspruch und daher ein Zurückbehaltungsrecht zu, bedeutet, dass es zum selben Ergebnis gekommen wäre, wenn die Gläubigerin G noch gar keinen Anspruch erhoben hätte. Wäre also (wie im Folgenden zu unterstellen) G nicht die Ehefrau von S, sondern ein Dritter, der durch den Unfall geschädigt wurde, und hätte nicht G, sondern allein S gegen R Klage auf Schadensersatz erhoben, dann hätte R ebenfalls einen hälftigen Befreiungsanspruch und, da beide Ansprüche auf demselben tatsächlichen Geschehen beruhen, ein Zurückbehaltungsrecht. Das erscheint aber unrichtig. Zunächst ist fraglich, warum R ein Befreiungsanspruch zustehen sollte, wenn er seinerseits noch nichts an G gezahlt hat. Noch 1928 war das OLG Hamburg der Ansicht, der Befreiungsanspruch eines Gesamtschuldners setze voraus, dass dieser seinen internen Anteil an den Gläubiger geleistet hat366. Die heutige Rechtsprechung entscheidet explizit anders367, allerdings ohne Begründung. Danach entsteht der Befreiungsanspruch ohne weitere Voraussetzungen schon mit dem Gesamtschuldverhältnis. Hat der Befreiung begehrende Gesamtschuldner seinen internen Anteil nicht an den Gläubiger geleistet, soll der andere Gesamtschuldner gegen den Befreiungsanspruch ein Zurückbehaltungsrecht geltend machen können368. Ein solches Zurückbehaltungsrecht hilft S aber nicht, wenn schon der Befreiungsanspruch von R im Wege eines Zurückbehaltungsrechts geltend gemacht wird369. Im Ergebnis führt das R zugestandene Zurückbehaltungsrecht hier dazu, dass R für den Fall, dass er vom Gläubiger in Anspruch genommen wird, davor gesichert wird, für S eine Vorleistung erbringen und dessen Insolvenzrisiko tragen zu müssen. Nimmt aber der Gläubiger S in Anspruch, muss S für R vorleisten und dann versuchen, von R, der mittlerweile insolvent sein kann, zum einen seine Regressforderung, zum anderen seine Schadensersatzforderung einzutreiben. Die Auswirkungen der Gläubigerwahl werden durch die Anerkennung eines voraussetzungslosen Befreiungsanspruchs also gerade nicht abgemildert, sondern umgekehrt noch verstärkt. Dieses Ergebnis könnte vermieden werden, wenn ein Zurückbehaltungsrecht erst dann anerkannt würde, wenn R seinen internen Anteil an G geleistet hat. Darüber hinaus erscheint aber schon die Gewährung eines Zurückbehaltungsrechts als solche sachwidrig, also auch dann, wenn R seinen internen Anteil schon an G geleistet hat oder S intern allein verpflichtet ist. Der Schadensersatzgläubiger S steht dann vor einer Wahl. Er könnte vorläufig auf die Durchsetzung seines Schadensersatzanspruchs verzichten und warten, bis der Gläubiger 366
OLG Hamburg, HansGZ 1928 B, 169 (26.10.1927, zu vertraglichen Gesamtschulden). OLG Celle, OLGZ 1970, 357, 359 (9.1.1970); KG VersR 1978, 435 (2.3.1978); OLG Hamm, NJW 2002, 1054 (13.1.2001); für vertragliche Gesamtschulden bzw. Mitbürgen auch BGH NJW 1981, 1666, 1667 (5.3.1981); BGH NJW 1986, 3131 (15.5.1986). Ebenso A. Blomeyer, JZ 1957, 444. 368 OLG Dresden, OLGE 28, 102 (4.7.1913) (für vertragliche Gesamtschulden). 369 Vgl. oben, 352 f., zum Parallelproblem bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden. 367
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II. Der Innenausgleich
Klage erhebt oder R freiwillig an G leistet. Ob aber eines dieser Ereignisse eintritt, ist unsicher. R hat mit dem Schutz des Zurückbehaltungsrechts keinen Anreiz, freiwillig an G zu leisten. Ob und wann G ein rechtskräftiges Urteil erstreitet, ist offen. Solange nichts geschieht, hat S im Ergebnis durch die Nichtdurchsetzbarkeit seiner Schadensersatzforderung das Leistungsopfer im Gesamtschuldverhältnis erbracht, ohne aber vor dem Zugriff des G geschützt zu sein. Hiervon profitiert R, der ohne eigenes Vermögensopfer davor geschützt wird, seine Schuld gegenüber S erfüllen zu müssen. S hat daher ein Interesse daran, die Lage zu bereinigen. Dazu muss er aber den Befreiungs- oder Mitwirkungsanspruch des R erfüllen. Er ist also gezwungen, an G zu leisten (bzw. eine Befreiung des R zu erreichen), ohne dass G jemals einen Rechtsstreit geführt hat und ohne dass zuvor eine Leistung an G erbracht worden ist. Die Gewährung des Zurückbehaltungsrechts führt im Ergebnis dazu, dass innerhalb des Schadensersatzprozesses zwischen R und S über den Anspruch des G entschieden werden muss. Dieses Ergebnis wäre vielleicht noch hinnehmbar, wenn es zum Schutz des R erforderlich wäre. Dies ist aber nicht der Fall. Wird er von G in Anspruch genommen, bevor er den Anspruch des S erfüllt hat bzw. bevor S wegen seines Anspruchs gegen ihn vollstreckt hat, kann er gegen den Schadensersatzanspruch mit seiner Regressforderung aufrechnen. Im konkreten vom OLG Celle entschiedenen Fall war dies auch die Strategie des R gewesen: Er ließ sich hinsichtlich der Schadensersatzansprüche sowohl des S als auch der G verurteilen, leistete dann an G, rechnete mit seiner Regressforderung gegenüber der Schadensersatzforderung des S auf und erhob gegen diesen Vollstreckungsgegenklage. Er wollte den Schutz des Zurückbehaltungsrechts also gar nicht beanspruchen. Nach Ansicht des OLG hätte er dies aber tun müssen: Weil seine Regressforderung in Form eines Befreiungsanspruchs schon vor dem Urteil bestand, R aber kein Zurückbehaltungsrecht geltend machte, war er mit der Regressforderung bei der Vollstreckungsgegenklage nun nach § 767 II ZPO präkludiert. Das Gericht ging also davon aus, dass die Regressfrage schon im Prozess hätte geklärt werden müssen. Das mag im konkreten Fall noch verständlich sein, weil hier die Ehefrau G als Gläubigerin am Prozess beteiligt war. Verallgemeinert man das Ergebnis aber, dann bedeutet dies, dass ein Schuldner gezwungen ist, eine möglicherweise zukünftig entstehende Regressforderung aus einem Gesamtschuldverhältnis auch dann in einen Prozess einzubringen, wenn der GesamtschuldGläubiger nicht beteiligt ist und wenn unsicher ist, ob und wen er in welcher Höhe in Anspruch nehmen wird. Warum das Prozessgericht gegen die Parteiinteressen über fremde und unsichere Rechtsverhältnisse entscheiden muss, ist nicht ersichtlich. Möglich ist aber auch, dass der für die Schadensersatzforderung in Anspruch genommene Gesamtschuldner R ein Interesse daran hat, ein Zurückbehaltungsrecht auszuüben, weil er nicht damit rechnet, alsbald an den Gläubiger zu leisten. R ist möglicherweise nicht bereit, G ohne ein Urteil zu befriedigen; und ein solches ist mangels Klage des G in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Ohne Zurück-
11. Die Verjährung des Rückgriffsanspruchs
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behaltungsrecht läuft R dann Gefahr, die Aufrechnungsmöglichkeit als Sicherheit zu verlieren, nämlich dann, wenn S wegen seiner Schadensersatzforderung vollstreckt. Das erscheint aber auch sachgerecht. Die Gewährung eines Zurückbehaltungsrechts würde R davor schützen, im Fall einer späteren Inanspruchnahme für S vorleisten und seinen Regress vielleicht nicht durchsetzen zu können. Doch zukünftige und ungewisse Ansprüche können ein Zurückbehaltungsrecht nicht begründen. Hätte R gegen S als Gegenanspruch eine Darlehensforderung, die erst in drei Monaten fällig ist, könnte er auch kein Zurückbehaltungsrecht geltend machen. Dann fragt es sich aber, warum seine zukünftige und nicht einmal sichere Regressforderung anders behandelt werden soll. Der Verweis auf den hier sofort entstehenden Befreiungsanspruch ist lediglich ein Kunstgriff, der sachlich nichts erklärt. Der Befreiungsanspruch soll schließlich auch nichts anderes als eine ungewisse zukünftige Regressforderung sichern. Für eine Privilegierung von Regressansprüchen aus einem Gesamtschuldverhältnis gegenüber anderen Ansprüchen gibt es aber keinen Grund. Im Ergebnis können aus dem Gesamtschuldverhältnis als solchem keine Befreiungsansprüche abgeleitet werden. Denkbar sind allenfalls klagbare Mitwirkungspflichten, die nach Wahl des Schuldners durch anteilige Leistung an den Gläubiger oder durch Hinterlegung zugunsten des Gläubigers erfüllt werden können. Bei Gesamtschulden auf Schadensersatz entspricht es den Parteiinteressen und der Prozessökonomie am ehesten, Mitwirkungsansprüche, wenn überhaupt, nur dann anzuerkennen, wenn der Gläubiger schon gegen mindestens einen der beteiligten Gesamtschuldner ein rechtskräftiges Urteil erstritten hat.
11. Die Verjährung des Rückgriffsanspruchs Wäre der Gesamtschuldrückgriff ein reiner Zessionsregress, dann wäre der ausgleichspflichtige Gesamtschuldner vor Regressansprüchen sicher, wenn der Gläubiger nicht mehr auf ihn zugreifen könnte. Dasselbe gälte, wenn der Ausgleichsanspruch nach § 426 I wie eine bereicherungsrechtliche Rückgriffskondiktion verstanden würde, für die §§ 404 ff. analog anwendbar wären. Ein ähnliches Ergebnis könnte erreicht werden, wenn man den Gesamtschuldregress auf den Gedanken der Fremdgeschäftsführung stützen würde: Ist der ausgleichspflichtige Gesamtschuldner nicht mehr dem Zugriff des Gläubigers ausgesetzt, dann stellt für ihn die Leistung des ausgleichsberechtigten Gesamtschuldners keine nützliche Geschäftsführung dar, so dass es abermals zur Rückgriffskondiktion kommt, § 684, die wegen §§ 404 ff. keinen Regress eröffnet370. Rechtsprechung und herrschende Lehre verstehen den Ausgleichsanspruch aus § 426 I aber anders. Danach wird unter den Gesamtschuldnern ein eigenständiges gesetzli370 Noch weitgehender Wollschläger, Geschäftsführung, 81 ff.; Staud/Wittmann (1995), § 683 Rz 7, die auch bei einem Regress aus § 683 die Verjährung des Rückgriffsanspruchs nach der Verjährung der Gläubigerforderung ausrichten wollen; vgl. unten, 892 ff.
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II. Der Innenausgleich
ches Schuldverhältnis begründet. Dieses begründet gegenseitige Mitwirkungsund Ausgleichspflichten, die, ist es einmal zur Gesamtschuldkonstellation gekommen, vom Fortbestand des Gläubigerzugriffs auf den verpflichteten Schuldner unabhängig sind371. Was dies bedeutet, soll im Folgenden am Beispiel der Verjährung gezeigt werden.
a) Die herrschende Lehre Nach Rechtsprechung372 und herrschender Lehre373 handelt es sich beim Rückgriff aus § 426 I um einen eigenständigen, von der Gläubigerforderung unabhängigen Anspruch, dessen Verjährung sich nach den allgemeinen Regeln richtet. Die Verjährung der Gläubigerforderung berührt lediglich den Zessionsregress 371 RGZ 69, 422 (16.11.1908); RGZ 84, 415, 421 (30.4.1914); RGZ 87, 64, 65 (7.6.1915); RGZ 146, 97, 101 (29.11.1934); RGZ 159, 86, 89 (17.12.1938); RGZ 160, 148, 150 (1.4.1939); BGHZ 11, 170, 174 (21.11.1953); BGHZ 59, 97, 102 f. (29.6.1972); BGH VersR 1979, 838, 840 (28.5.1979); Hruza, SächsArch 5 (1895), 293; Reichel, Schuldmitübernahme, 562; Planck/Siber, § 426 Anm. 1 b; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 318 IV; Kreß, SR AT, 613; Lischka, Gesamtschuld, 68 f.; Ludewig, Gesamtschuldnerausgleich, 109 f.; Selb, Mehrheiten, 136; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 66 f.; Staud/Kaduk, § 426 Rz 11 ff., 39, 45; Staud/Noack, § 426 Rz 2, 7, 127 f.; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 8 ff., 12; Erman/Ehmann, § 426 Rz 32; Palandt/Grüneberg, § 426 Rz 4; BamR/Gehrlein, § 426 Rz 2; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 134, 153. 372 Zu Gesamtschulden auf Schadensersatz RGZ 69, 422, 426 ff. (16.11.1908); RGZ 77, 317, 322 (25.11.1911); RGZ 84, 415, 421 (30.4.1914); RGZ 90, 290, 293 f. (24.5.1917); OLG Hamburg, SeuffA 75 Nr. 125 (14.5.1919); RGZ 146, 97, 101 (29.11.1934); RGZ 159, 86, 89 (17.12.1938); LG Köln, VersR 1954, 296 (21.12.1953); BGH VersR 1956, 32, 33 (26.10.1955); BGH VersR 1960, 996 (11.7.1960); BGH VersR 1965, 804 (17.5.1965); OLG Karlsruhe, VersR 1970, 261 (13.5.1969); BGH WM 1971, 101, 103 (29.10.1970); BGHZ 58, 216 (9.3.1972); BGHZ 59, 97, 103 (29.6.1972); BAG JZ 1973, 383 (23.1.1973); OLG Celle, VersR 1975, 1051, 1052 (20.1.1975); OLG Frankfurt, VersR 1983, 926 (13.1.1982); OLG Hamburg, NJW-RR 1987, 915 (29.10.1986); BGH NJW 1991, 1683, 1685 (29.11.1990); BGH NJW 1992, 1507, 1509 (5.2.1992); BGH WM 2008, 660, § 17 (7.2.2008). 373 Planck, BGB (1900), § 426 Anm. 1; Reichel, Schuldmitübernahme, 568; Planck/Siber, § 426 Anm. 1 b, 3; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 318 Fn. 14; Oertmann, Schuldverhältnisse AT, § 426 Anm. 1 a.E.; Lippmann, AcP 111 (1914), 235 f.; Kreß, SR AT, § 24/4 c (S. 613); Staud/Werner (1930), § 426 Anm. A I 2 d; Warneyer, BGB (1930), § 426 Anm. I, VI; Lischka, Gesamtschuld (1932), 69, 73; Kaßler, Gesamtschuld (1933), 75; Selb, NJW 1963, 2058; ders., Mehrheiten, 115, 136; Larenz, SR AT, § 37 III a.E.; Esser, SR AT, § 59 III a; Molitor, SR AT, § 34 II; A. Blomeyer, SR AT, § 48 I 2; Soergel/Re. Schmidt (1967), § 426 Rz 7, 14; Reinicke, VersR 1967, 1; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 66 f., 81 f.; Ehmann, Gesamtschuld, 110 f.; Fikentscher/Heinemann, SR, Rz 776; Brox/Walker, SR AT, Rz 37/15, 28; Hönn, NJW 1966, 2201; Thiele, JuS 1968, 155; Boeck, NJW 1969, 1470; Mirow, Unechte Gesamtschulden, 51; Steinbeis, Haftungsausschluß, 158; Wollschläger, Geschäftsführung, 127; Martens, AcP 177 (1977), 125; Preißer, JuS 1987, 210; Jürgens, Teilschuld, 207 f.; Schreiber, Jura 1989, 358 f.; Glaßer, Gesamtschuldnerausgleich, 181 f.; Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 3, 10; Wendehorst, Jura 2004, 506, 512; Wandt, FS Kollhosser II (2004), 775; Zerres, Jura 2008, 732; Klutinius/Karwatzki, VersR 2008, 617; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 11 A IV 2 c; RGRK/Weber, § 426 Rz 7; Soergel/Wolf, § 426 Rz 39, 52; Soergel/Krause, § 840 Rz 11, 18; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 9, 25, 44; Staud/Kaduk, § 426 Rz 13, 45, 77 ff.; Staud/Noack, § 426 Rz 8, 9 ff.; Staud/Peters, § 195 Rz 20; Staud/Vieweg, § 840 Rz 86; Erman/Ehmann, § 426 Rz 24, 32; Jauernig/Stürner, § 426 Rz 17; jurisPK/Rüßmann, § 426 Rz 26; Palandt/Grüneberg, § 426 Rz 4; BamR/Gehrlein, § 426 Rz 2; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 134 f.
11. Die Verjährung des Rückgriffsanspruchs
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nach § 426 II374, nicht aber den Ausgleichsanspruch aus § 426 I. Auf diesen soll die regelmäßige Verjährungsfrist anwendbar sein, die vor der Verjährungsreform 2002 30 Jahre betrug, § 195 a.F. Die Verjährung begann damals mit der Entstehung des Anspruchs, § 198 a.F. Nach der herrschenden Lehre von der Schuldgemeinschaft, die schon mit der Gesamtschuld selbst entsteht und zu Befreiungsansprüchen führt, entsteht der Anspruch aus § 426 I nicht erst mit der Leistung an den Gläubiger, sondern schon mit der Gesamtschuld. Für Gesamtschulden auf Schadensersatz hieß das, dass der Regress frühestens 30 Jahre nach Eintritt des Schadens verjährte, während der Gläubigeranspruch selbst schon in drei Jahren von dem Zeitpunkt an verjährte, in dem der Gläubiger vom Schaden und der Person des Ersatzverpflichteten Kenntnis erlangt hatte, § 852 a.F. Mit der Reform von 2002 ist diese Diskrepanz der Fristen größtenteils beseitigt worden, weil nun für beide Ansprüche eine kenntnisabhängige Verjährung von drei Jahren gilt, §§ 195, 199. Aber auch nach dem reformierten Recht kann, folgt man der herrschenden Lehre, der Fall eintreten, dass ein Gesamtschuldner einer Regressforderung ausgesetzt ist, wenn der Gläubigeranspruch gegen ihn schon verjährt ist. In den von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen der Schadensersatz-Gesamtschulden hatte, soweit aus den Entscheidungsgründen ersichtlich, der regressberechtigte Gesamtschuldner (im Folgenden: R) an den Gläubiger G zu einem Zeitpunkt geleistet, zu dem er selbst noch dem Zugriff ausgesetzt war, also keine Verjährungseinrede erheben konnte. Von dieser Konstellation soll im Folgenden auch ausgegangen werden. Die Forderung des Gläubigers gegen den ausgleichspflichtigen Gesamtschuldner (im Folgenden: S) war dagegen zumeist schon zur Zeit des Zugriffs auf R verjährt. Unterschiedlich laufende Verjährungsfristen sind bei Gesamtschulden auf Schadensersatz nicht ungewöhnlich. Sie können entstehen, wenn G zuerst nur Kenntnis vom Schädiger S hat und erst später erfährt, dass R ebenfalls verantwortlich war, wenn eine Hemmung oder Unterbrechung der Verjährung nur im Verhältnis zwischen G und R stattfindet375, wenn der Anspruch gegen S einer spezialgesetzlichen kurzen Verjährung unterliegt376 oder wenn die Verjährungsfrist gegenüber S vertraglich verkürzt wurde377. Ein Regressanspruch trotz Verjährung der Gläubigerforderung gegen den regresspflichtigen Gesamtschuldner ist unproblematisch, wenn die Schuldner durch ein unabhängig von der Gesamtschuld bestehendes besonderes Innen374 Unrichtig Wendehorst, Jura 2004, 507: Erhebt bei zwei Gesamtschuldnern A und B der Gläubiger G innerhalb der Verjährungsfrist Klage nur gegen A, unterbricht er damit auch nur die Verjährung seines Anspruchs gegen A. Leistet nun A an G und hat er ein Regressrecht gegenüber B, so kann auf ihn nach § 426 II nur G’s Forderung gegen B übergehen, die (entgegen Wendehorst) von der Unterbrechung gegen A nicht betroffen und folglich verjährt ist. 375 So in RGZ 69, 422. 376 So in RGZ 90, 290; OLG Karlsruhe, VersR 1970, 261 (beide zu § 14 StVG a.F.). 377 So in BGHZ 58, 216; OLG Hamburg, NJW-RR 1987, 915. Von den Sonderproblemen einer vertraglichen Verjährungsverkürzung soll im Folgenden allerdings abgesehen werden; hierzu unten, 967 ff., 995 ff.
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II. Der Innenausgleich
verhältnis verbunden sind, das den Regress begründet. R kann gegen S einen vertraglichen Rückgriffsanspruch haben378. Möglich ist auch, dass der die Solidarhaft auslösende Umstand zugleich eine unerlaubte Handlung durch S gegenüber R darstellt, die S gegenüber R zum Schadensersatz und damit auch zur Freistellung von dessen Haftung verpflichtet. Hier kommt es nicht auf die Tatsache an, dass zugleich S gegenüber G verpflichtet ist, so dass auch die Verjährung bei S keine Rolle spielt. Anders ist es aber, wenn mangels besonderer Innenbeziehung R und S allein dadurch verbunden sind, dass beide solidarisch G Schadensersatz schulden.
b) Kritik Gegen die Lösung der herrschenden Lehre, wonach auch in diesem Fall S trotz Verjährung der gegen ihn gerichteten Gläubigerforderung einem Regressanspruch des R ausgesetzt ist, hat ein Teil der Literatur grundlegende Bedenken erhoben379. Sie gründen sich im Wesentlichen auf die Erwägung, dass es mangels besonderen Innenverhältnisses keinen Grund gebe, S gegenüber R stärker zu belasten als gegenüber seinem Gläubiger G. Wäre S für den Schaden des G allein verantwortlich, müsste er nach Verjährung der Gläubigerforderung keinen Zugriff mehr befürchten. Daher kann es unbillig erscheinen, dass S trotz Verjährung dann weiter haftet, wenn es einen Mitschuldner gibt. Dies gilt insbesondere für Nebentäter: Konnte S’ Handlung nur in Kombination mit dem Beitrag des R den Erfolg verursachen, steht S hinsichtlich der Verjährung schlechter da, als wenn er den Erfolg allein verursacht hätte. Der Gesamtschuldregress, so kann argumentiert werden, beruht darauf, dass R durch seine Leistung an G seinen Mitschuldner S befreit. Ist S aber ohnehin vor dem Zugriff des G geschützt, fehlt ein Regressgrund. Auch das Glücksspielargument zwingt hier nicht zum Regress, weil der Gläubiger nach Eintritt der Verjährung gegenüber S ohnehin nur auf R zugreifen kann. Zudem macht die Lösung der herrschenden Lehre die in § 425 angeordnete Einzelwirkung der Verjährung, ihrer Hemmung und ihres Neubeginns (früher Unterbrechung) praktisch größtenteils zunichte380. Ist S intern allein belastet, nützt ihm eine kürzere Verjährungsfrist als die von R praktisch nichts, wenn R innerhalb seiner längeren Verjährungsfrist leistet und dann Regress nimmt. Eine Verjährungshemmung im Verhältnis zwischen G und R kann dazu führen, dass R länger dem Zugriff des G ausgesetzt ist und dann bei S Regress nehmen kann, so 378 Beispiele: RGZ 150, 134 (30.1.1936, hier konnte R sechs Jahre nach dem Schadensereignis bei S Regress nehmen); BGHZ 49, 278 (7.2.1968, hier erstreckte der BGH aber die kurze Verjährungsfrist gegenüber S auch auf R, so dass es nicht zum Regress kam). 379 Schulz, Rückgriff, 78 f.; Wahle, VersR 1966, 790; von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 91 f.; Keuk, AcP 168 (1968), 176 f., 179 ff.; dies., JZ 1972, 528 ff.; Spiro, Begrenzung I, § 209; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 75 ff., 92 ff., 99, 217 ff., 223 f., 227; Müller, VersR 2001, 431. 380 Peters/Zimmermann, Gutachten, 236.
11. Die Verjährung des Rückgriffsanspruchs
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dass sich praktisch eine Gesamtwirkung zulasten des S ergibt381. Ist S intern nur teilweise belastet, besteht zumindest bei Solvenz des R ebenfalls kaum ein Unterschied zwischen der Lösung der herrschenden Lehre und einer Gesamtwirkung der Verjährungshemmung: Nach dem Zugriff des Gläubigers und dem Ausgleich zwischen den Schuldnern ist er im Ergebnis stets mit seinem internen Anteil belastet382.
c) Maßgeblichkeit der Verjährung des Gläubigeranspruchs? Blickt man also auf die Interessen des regresspflichtigen Schuldners S, dann bietet sich die Lösung an, den Gesamtschuldrückgriff nur insoweit zuzulassen, wie S noch dem Zugriff des Gläubigers ausgesetzt wäre, wobei es keine Rolle spielen würde, ob R vor oder nach Eintritt der Verjährung gegen S an G leistete, solange er seinen Regress erst nach dem Verjährungseintritt geltend macht383. Im Ergebnis würde der Ausgleichsanspruch des § 426 I an den Zessionsregress des § 426 II angeglichen. Eine solche Lösung ist entgegen einiger in der Literatur geäußerter Bedenken384 konstruktiv möglich. Sie bestünde nicht in einer (systemwidrigen) von Amts wegen zu beachtenden Verjährungs-Beschränkung bei § 426 I, sondern lediglich in einer analogen Anwendung der §§ 404 ff. Diese Technik ist bei der Rückgriffskondiktion bekannt. Der Gesamtschuldregress des § 426 I hätte dann sachlich die Gestalt eines Bereicherungsanspruchs. Auch diesen trifft das
381
Nach Binder, Korrealobligationen, 590 f., hätte der BGB-Gesetzgeber, wenn er schon eine solche Schuldgemeinschaft mit eigenständigem Regress einführt, konsequenterweise auch die Gesamtwirkung der Verjährungshemmung vorsehen müssen. 382 Spiro, Begrenzung I, § 209 Fn. 10. 383 So Schulz, Rückgriff, 78 f.; Stamm, NJW 2004, 812; ders., Regreßfiguren, 71; s.a. Rüßmann, JuS 1974, 296; für (Alternativ-?)Nebentäter R. Schmidt, AcP 163 (1963), 535 f.; für Mittäter Keuk, JZ 1972, 531; für den Fall von anfänglich unterschiedlichen gesetzlichen Verjährungsfristen Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 223 f. Zum österreichischen Recht Koziol, Haftpflichtrecht I, Rz 14/20 f.; zum Schweizer Recht Keller/Schöbi, Rechtsinstitute, 24 f.; Keller/Gabi-Bolliger, Haftpflichtrecht, 142 f.; und die (wohl überholte) Entscheidung BGE 55 II 118, 122 f. (24.5.1929). Ein solches Ergebnis erreichte in der Regel die französische Rechtsprechung im Rahmen der obligation in solidum, bei der zumindest bis 1977 grundsätzlich nur ein Subrogationsregress möglich war: Cass 2 civ (6.1.1966) Bull civ II Nr. 5; (7.2.1974) Bull civ II Nr. 56; (22.10.1975) Gaz Pal 1976,1,192, JCP 1977 II 18517; (6.10.1976) Bull civ II Nr. 262; Mestre, Subrogation, § 411; Mestre/ Tian-Pancrazi, Obligation in solidum, § 89; Durry, RTD civ 1978, 365; Plancqueel, Gaz Pal 1984,1,120; Savaux, Subrogation, § 183. Das Urteil Cass 1 civ (7.6.1977), Gaz Pal 1978,1,131, das einen eigenen Regressanspruch gegen einen Gesamtschuldner zulässt, dem der Gläubiger zuvor einen Erlass gewährt hatte, legt nahe, dass dann auch ein Regress nach Verjährung der Gläubigerforderung möglich ist, Durry, RTD civ 1978, 366; Groutel, D 1987, chron 87; Mestre/Tian-Pancrazi, a.a.O., § 16; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, § 1281; kritisch zu dieser Lösung Durry, RTD civ 1982, 151. Dasselbe gilt, soweit der Rückgriff auf die deliktische Generalklausel des Art. 1382 CC gestützt wird: Cass 3 civ (1.3.1983), Gaz Pal 1984,1,119; kritisch Plancqueel, a.a.O. Vgl. oben, 579 ff. 384 Ernst, Solidarschuld, 187 f.
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II. Der Innenausgleich
Schicksal einer doppelten Beschränkung385, nämlich einerseits durch seine eigene Verjährungsfrist, andererseits durch diejenige der Gläubigerforderung. Nicht durchschlagend ist auch das Argument, der Forderungsübergang solle den Regress verstärken, statt ihn zu beschränken386. Der Regress würde nicht erst durch den Forderungsübergang, sondern schon auf der Ebene des § 426 I durch den Schutz des regresspflichtigen Gesamtschuldners beschränkt, der zu einer analogen Anwendung der §§ 404 ff. führt. Richtig ist, dass bei dieser Auslegung der Rückgriff nach § 426 I (zumindest ab dem Zeitpunkt der Leistung an den Gläubiger) keine eigenständige Bedeutung neben dem Zessionsregress nach § 426 II hätte387. Sofern aber der Schutz des Regresspflichtigen eine solche Lösung gebietet, wäre dies hinzunehmen. Das einzige gewichtige Argument, das gegen eine Abhängigkeit des Gesamtschuldregresses von der Durchsetzbarkeit der Gläubigerforderung spricht, ist der Schutz des Regressberechtigten R. Er würde Gefahr laufen, nach Inanspruchnahme durch den Gläubiger seinen Regress nur noch kurze Zeit oder überhaupt nicht mehr durchsetzen zu können. Die Gefahr eines Regressverlusts spricht allerdings nicht zwingend gegen eine an der Gläubigerforderung orientierte Regressverjährung. Immerhin ist jede Verjährung dadurch gekennzeichnet, dass der Gläubiger einen an sich berechtigten Anspruch nicht mehr durchsetzen kann. Allerdings hat ein Gläubiger im Normalfall zumindest die Möglichkeit, durch rechtzeitiges Handeln die Verjährung zu vermeiden. Dies gilt insbesondere nach dem reformierten Verjährungsrecht, das den Beginn der Verjährungsfrist grundsätzlich von einer Kenntnis des Gläubigers abhängig macht. Zugunsten einer an der Gläubigerforderung orientierten Verjährungsfrist ist argumentiert worden, dass R sich durch rechtzeitige Leistung an den Gläubiger vor der Verjährung schützen kann388. Doch auch wenn R von der Existenz eines (möglichen) Mitschuldners S Kenntnis hat, kann er gute Gründe haben, nicht zu leisten, etwa wenn seine Verbindlichkeit streitig ist. Dann ist ihm nicht zumutbar, den Gläubiger schon vor einer gerichtlichen Klärung streitlos zu befriedigen, nur um seinen Regress zu bewahren389. Nach herrschender Lehre ist allerdings eine Leistung zur Bewahrung des Rückgriffsanspruchs gar nicht nötig, weil R schon von Anfang an ein Befreiungsanspruch gegen S zusteht, den er geltend machen und dessen Verjährung er hemmen kann. Nach der hier vertretenen Auffassung stehen R zwar keine Mitwirkungsansprüche zu, bevor nicht der Gläubiger ein Urteil gegen ihn erstritten hat, doch kann er Feststellungsklage erheben390 oder, sobald er von G verklagt wird, S den Streit verkünden, um die Verjährung des Regressanspruchs
385
Vgl. Ernst, Solidarschuld, 184. Lischka, Gesamtschuld, 73; Reinicke, VersR 1967, 2; Jürgens, Teilschuld, 208; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 44; Ernst, Solidarschuld, 183 f. 387 So Jürgens, Teilschuld, 208; s.a. Peters/Zimmermann, Gutachten, 300. 388 Schulz, Rückgriff, 79. 389 Goette, Gesamtschuldbegriff, 152. 390 Darauf stellt Rüßmann, JuS 1974, 296, ab. 386
11. Die Verjährung des Rückgriffsanspruchs
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zu hemmen, § 204 I Nr. 1 und 6. Weiß R also vom potentiellen Mitschuldner S, kann er sich schon vor seiner Leistung an den Gläubiger vor einer Verjährung des Regressanspruchs schützen. Diese Möglichkeit wird aber hinfällig, wenn R die Existenz oder die Identität des Mitschuldners nicht bekannt ist oder wenn er schon von seiner eigenen Haftung nichts weiß. R kann somit den Regressanspruch verlieren, bevor er ihn überhaupt kennt. Das Ergebnis, dass ein Gesamtschuldner vom Gläubiger in Anspruch genommen werden kann, ohne die Chance zu haben, einen Rückgriffsanspruch gegen einen intern verpflichteten solventen Mitschuldner durchsetzen zu können, wird von einem Großteil der Literatur als untragbar empfunden391.
d) Beschränkte Gesamtwirkung der Verjährung? Jede denkbare Lösung der Regressverjährung benachteiligt eine der Parteien im Gesamtschulddreieck, den Regressberechtigten R, den Regressverpflichteten S oder den Gläubiger G. Will man einen Gläubigerzugriff auf R ohne Regress vermeiden und zugleich S vor einem Regress nach Verjährung der Gläubigerforderung schützen, kommt eine Lösung zulasten des G in Betracht, nämlich die beschränkte Gesamtwirkung der Verjährung: Ist die Gläubigerforderung gegen S verjährt, kann G von R dann nur noch in Höhe von R’s internem Anteil zugreifen, so dass ein Regress gegen S entfällt392. Ist S intern allein verpflichtet, kann G nach Verjährung seiner Forderung gegen S gar nicht mehr auf R zugreifen. Für diese Lösung spricht, dass die Verjährung grundsätzlich zulasten des Gläubigers geht, der die Forderung nicht rechtzeitig erhoben hat. Im Gesamtschuldverhältnis sollte daher, so kann argumentiert werden, die Verjährung der Forderung gegen S nicht R belasten, sondern G. Nach Keuk soll diese Lösung für Nebentäter gelten, deren Kausalbeiträge nur in Kombination miteinander den Erfolg verursachen konnten. Hier hafte jeder Täter „an sich“ nur für denjenigen Teil des Schadens, der seinem Verantwortungsbeitrag entspreche. Die Gesamtschuld werde nur zum Schutz des Geschädigten angeordnet, indem jedem Täter auch der Beitrag des anderen zugerechnet werde. Hafte jedoch ein Nebentäter nicht mehr gegenüber dem Geschädigten, bestehe auch kein Grund, mit seinem Ver391 Keuk, AcP 168 (1968), 180; Goette, Gesamtschuldbegriff, 152 f.; Peters/Zimmermann, Gutachten, 237, 300; Schuldrechtskommission, Abschlussbericht, 109; C. Huber, JBl 1985, 403 f.; Bacher, Ausgleichsansprüche, 98 f.; Staud/Peters, § 195 Rz 20; Ernst, Solidarschuld, 184, 189 ff.; Jung, FS Tercier, 304. 392 So Esser/Schmidt, SR AT 2, § 39 III 2 a (S. 351); Jung, FS Tercier, 305 f. Diese Lösung favorisierte die französische Rechtsprechung in den 1960er Jahren aufgrund der (inzwischen aufgegebenen) Annahme, „an sich“ hafte jeder Mitverursacher nur anteilig: Cass 2 civ (27.1.1966), Gaz Pal 1966,1,206; zustimmend Boré, JCP 1967 I 2126, II A; ders., JCP 1971 I 2369, §§ 11 f.; Durry, RTD civ 1982, 151; Plancqueel, Gaz Pal 1984,1,120; wohl auch Mestre/Tian-Pancrazi, Obligation in solidum, § 16; ablehnend Chabas, D 1970 chron 115; Malaurie/Aynès/Stoffel-Munck, Obligations, § 1279; anders nun Cass com (31.3.1981), Bull civ IV Nr. 169, RTD civ 1982, 150 obs Durry; Cass 3 civ (5.7.2000), Bull civ III Nr. 135. Vgl. oben, 539 f.
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II. Der Innenausgleich
antwortungsbeitrag den Mitschuldner zu belasten. Der Mitschuldner hafte dann also nur noch für seinen internen Anteil393. Gegen die Lösung der beschränkten Gesamtwirkung spricht zunächst einmal, dass der Zugriff des Gläubigers G gegen den Gesamtschuldner R dann von gleich zwei fremden Rechtsverhältnissen abhinge. In einem Prozess zwischen G und R wäre nicht nur zu prüfen, ob die Forderung des G gegen S verjährt ist, sondern auch, wie die Schadensersatzlast im Innenverhältnis zwischen R und S aufgeteilt wird. Eine solche Abhängigkeit eines Anspruchs von fremden Rechtsverhältnissen kommt zwar vor394, ist aber möglichst zu vermeiden. Zudem schützt die beschränkte Gesamtwirkung R dann nicht, wenn G auf ihn kurz vor Eintritt der Verjährung gegenüber S zugreift. Vor allem aber ist schon das dogmatische Fundament dieser Lösung zweifelhaft. Unabhängig davon, ob es sich um Mit- oder Nebentäter handelt, ergibt eine Aussage darüber, in welcher Höhe ein Schadensersatz-Gesamtschuldner „an sich“ haften würde, keinen Sinn und ist daher zur Gewinnung konkreter Ergebnisse ungeeignet395. Es gibt keinen Rechtssatz des Inhalts, dass ein Nebentäter, der den Erfolg nur im Zusammenwirken mit einem anderen verursachen konnte, „eigentlich“ nur für einen bestimmten Anteil des Schadens haftet, der sich aus einer Abwägung der Verursachungsbeiträge und Verschuldensgrade ermitteln lässt. Sowohl bei Mittätern als auch bei Nebentätern ist die Entscheidung zwischen Teilschulden und Gesamtschulden nicht logisch vorgegeben, sondern hängt von einer Wertung des Rechts ab. Richtig ist zwar, dass für die in Deutschland und in den Nachbarrechtsordnungen getroffene Entscheidung zugunsten der Solidarhaftung der Gedanke des Schutzes des Verletzten eine Rolle spielt. Die entscheidende Frage ist dann aber, wovor die Gesamtschuld den Geschädigten schützen soll. Die auch in Frankreich häufig zu findende Ansicht, dass ein Mitschädiger nur dann zum Ersatz des gesamten Schadens herangezogen werden kann, solange er noch einen durchsetzbaren Regress gegen die übrigen Schädiger hat396, setzt das Ergebnis schon voraus: Das Risiko der Insolvenz der Mitschuldner ist von den Gesamtschuldnern zu tragen, das Risiko der Verjährung hingegen vom Gläubiger. Der sachliche Grund für gerade diese Risikoverteilung bleibt im Dunkeln. Gerade bei Gesamtschulden auf Schadensersatz spricht viel dafür, dem Geschädigten den Zugriff auf einen einzelnen Schädiger auch dann zu gestatten, wenn er sich wegen Verjährung nicht an andere Schädiger halten kann. Die Lösung der beschränkten Gesamtwirkung versagt dem Gläubiger dagegen die Vorteile, die ihm die Solidarhaft gerade bieten soll. Er könnte den vollen Er-
393 Keuk, AcP 168 (1968), 179 ff., insbes. 186 f., 196 f.; dies., JZ 1972, 529 ff.; s.a. MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 10. 394 Spiro, Begrenzung I, § 211 (S. 499). 395 Oben, 546 f. 396 G. und D. Reinicke, NJW 1954, 1641; Keuk, AcP 168 (1968), 187, 196; dies., JZ 1972, 530; Ehmann, Gesamtschuld, 220; zur französischen Diskussion oben, 539 f.
11. Die Verjährung des Rückgriffsanspruchs
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satz seines Schadens nur erlangen, solange sämtliche Forderungen gegen die Gesamtschuldner noch unverjährt sind. Zwar beginnt die dreijährige Regelverjährung erst, wenn der Gläubiger den Anspruch und den Schuldner kennt, so dass sie ihn nicht in Gefahr bringen würde, seinen Anspruch wegen unbekannter Gesamtschuldner kürzen zu müssen. Es bliebe aber die Belastung, zumindest hinsichtlich sämtlicher bekannter potentieller Mitschädiger auf die Verjährungsfrist und einen rechtzeitigen Zugriff zu achten. Dies ist schwer vereinbar mit der Funktion der Gesamtschuld, dem Gläubiger nicht nur die Sicherheit, sondern auch die Leichtigkeit seiner Rechtsverfolgung zu ermöglichen, indem sie ihm gestattet, „nach seinem Belieben“ (§ 421) auf einen der Schuldner zuzugreifen397. Noch gefährlicher wären für den Gläubiger die kenntnisunabhängigen Höchstfristen nach § 199 II und III. Möglich wäre, dass G acht Jahre nach Entstehung des Sachschadens vom potentiellen Schädiger R erfährt und gegen diesen verjährungshemmend Klage erhebt. Der Prozess zieht sich in die Länge. Drei Jahre später erfahren G und R, dass der Schaden von S mitverursacht wurde. Da der Anspruch des G gegen S inzwischen nach § 199 III verjährt ist, dürfte das Gericht R nur anteilig verurteilen. Das Regress- bzw. Verjährungsinteresse der Schuldner würde im Ergebnis dazu führen, dass dem Geschädigten, dem keinerlei Nachlässigkeit bei der Rechtsverfolgung vorzuwerfen ist, nur ein Anteil seines Schadens ersetzt wird, obwohl es zwei solvente Schädiger gibt. Das ist mit der Grundentscheidung des § 840, bei einer Mehrheit von Schädigern Gesamt- und nicht Teilschulden anzuordnen, nicht mehr vereinbar. Eine beschränkte Gesamtwirkung wäre nur dann aus der dogmatischen Struktur der Gesamtschuld herleitbar, wenn jeder Gesamtschuldner hinsichtlich seines eigenen internen Anteils als Hauptschuldner und hinsichtlich der Anteile der Mitschuldner nur akzessorisch haften würde. Die Gesamtschuld ist aber auch im Falle der Nebentäterschaft kein Teilschuldverhältnis mit wechselseitiger Verbürgung398. Der Gesetzgeber hat bewusst davon abgesehen, die Haftung eines Gesamtschuldners in Höhe des internen Anteils des Mitschuldners akzessorisch zu gestalten, wenn auch erst nach einigem Zögern: Bei den Vorberatungen der Ersten Kommission beschloss man, dem klageabweisendenen Urteil eine beschränkte Gesamtwirkung zukommen zu lassen, weil das Urteil dem betreffenden Gesamtschuldner keinen Nutzen bringe, solange er seinen Mitschuldnern ausgleichspflichtig sei399. Die gleiche Lösung wurde für die Verjährung erwo397 Goette, Gesamtschuldbegriff, 151; Rüßmann, JuS 1974, 296; Weir, Complex Liabilities, §§ 96, 104; Spiro, Begrenzung I, § 211 (S. 500 f.); BGE 127 III 257, 265 f. (4.4.2001); Ernst, Solidarschuld, 186 f. Aus demselben Grund bedenklich ist die von Spiro, a.a.O., § 210, vorgeschlagene Lösung, wonach eine Pflicht des Gläubigers G besteht, die Verjährung gegenüber dem regresspflichtigen Gesamtschuldner S rechtzeitig zu hemmen oder den regressberechtigten Schuldner R rechtzeitig vor Ablauf der Verjährungsfrist zu warnen. Sofern die schuldhafte Verletzung dieser Pflicht durch G dazu führen würde, dass der Regress von R vereitelt werden würde, soll G auf R nur noch in Höhe von dessen Innenanteil zugreifen können. 398 Oben, 549 ff. 399 Jakobs/Schubert, SR I, 899, 908 (Beschluss Nr. 11).
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II. Der Innenausgleich
gen400. In seinem Teilentwurf von 1882, den von Kübel auf der Basis dieser Vorberatungen anfertigte, setzte er den Kommissionsbeschluss aber nicht um401. Hierfür berief er sich nicht nur auf den Grundsatz, dass ein Urteil Rechtskraft allein im Verhältnis der Streitparteien schaffen könne, sondern auch darauf, dass jede Regel, die den Zugriff des Gläubigers vom Innenverhältnis der Gesamtschuldner abhängig mache, den Zweck der Gesamtschuld in Form der Sicherheit und Leichtigkeit der Rechtsverfolgung erheblich beeinträchtige402. Die von ihm vorgesehene Einzelwirkung von Urteil und Verjährung wurde dann von der Ersten Kommission in ihren Hauptberatungen gebilligt403. Der Gesetzgeber hat sich bei Urteil und Verjährung also bewusst gegen die beschränkte Gesamtwirkung entschieden.
e) Mögliche Lösungen bei eigenständiger Verjährung des Gesamtschuldregresses Wenn die Lösung zulasten des Gläubigers daher ausscheidet, kommen nur Lösungen zulasten des regressberechtigten oder zulasten des regresspflichtigen Gesamtschuldners in Betracht. Da es keine allseits befriedigende Lösung gibt404, geht es um eine Abwägung der Regressinteressen des einen Gesamtschuldners gegen das Interesse des anderen, nach Verjährung der gegen ihn gerichteten Gläubigerforderung nicht mehr behelligt zu werden. Hier kann ins Feld geführt werden, dass die Verjährung eine Befreiung ohne Gegenopfer bedeutet und daher dem Schuldner eine wenig schützenswerte Position einräumt405. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass das Institut der Verjährung nicht der rechtsgrundlosen Schuldnerbegünstigung dient, sondern dem Rechtsfrieden und dem Schutz des in Anspruch Genommenen vor einer Beweisnot. Insofern schützt die Verjährungsregelung nicht nur Schuldner, sondern auch Nichtschuldner, die nach Verstreichen einer gewissen Zeit zur Führung eines Entlastungsbeweises nicht mehr in der Lage sind. Die kenntnisabhängige Verjährungsfrist führt zwar dazu, dass der Schuldner zunächst nicht sicher sein kann, ob wegen eines Schadensereignisses nicht noch weitere Ansprüche möglicher Gläubiger gegen ihn erhoben werden, doch spätestens nach Verstreichen der Höchstfrist i.S.d. § 199 II-IV darf er normalerweise damit rechnen, aus einem Schadensereignis nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Schließlich wird die Stellung des Schuldners einer verjährten Forderung grundsätzlich auch gegenüber Dritten geschützt, nämlich im Fall der Abtretung und damit auch der Legalzession. Die entscheidende Frage ist also, ob und warum der Schadensersatz-Gesamtschuldner ein stärkeres Re400 401 402 403 404 405
Jakobs/Schubert, SR I, 903, 911 (Beschluss Nr. 21). TeilE §§ 8, 19 sahen wie § 425 BGB die Einzelwirkung von Urteil und Verjährung vor. Motive zum TeilE, 29 ff. (Schubert, SR I, 81 ff.). Jakobs/Schubert, SR I, 929, 946. Ergebnis: E I §§ 327, 336. So zu Recht Peters/Zimmermann, Gutachten, 300. Ernst, Solidarschuld, 189.
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gressrecht haben soll als der reine Legalzessionar, der nach Verjährung der Gläubigerforderung nicht mehr gegen den Schuldner vorgehen kann. Auch hier kann das schon zu den Mitwirkungspflichten angeführte Argument ins Feld geführt werden, dass der Schadensersatzschuldner unfreiwillig schuldet406. Seine Haftung beruht in der Regel auf dem Umstand, dass ihm das Recht einen eingetretenen Schaden aufgrund bestimmter Umstände zuweist, die nicht notwendig ein vorwerfbares Verhalten bedeuten. Zudem fehlt dem Schadensersatzschuldner in der Regel auch die Möglichkeit, sich durch Vereinbarung mit dem Gläubiger vor einem Regressverlust zu schützen. Anders verhält es sich etwa beim Schadensversicherer als typischem Legalzessionar. Vor einem Verlust der Schadensersatzforderung durch Zeitablauf schützen ihn in gewissem Umfang die Anzeige- und Informationspflichten des Versicherungsnehmers sowie das Aufgabeverbot des § 67 I 3 VVG. Wird allerdings die Identität des Schädigers erst nach Ablauf der Höchstfrist des § 199 II-III ermittelt, muss der Versicherer einen Regressverlust hinnehmen. Dies wird ihm aber zugemutet, weil er das Risiko durch Vertrag und gegen Entgelt übernommen hat. Insofern lässt es sich zumindest bei gesetzlichen Schadensersatzverbindlichkeiten sachlich rechtfertigen, dass die Rechtsprechung und die ganz überwiegende Lehre die Verjährung des Regresses nicht an die Verjährung des Gläubigeranspruchs gegen den Regresspflichtigen anknüpfen, sondern von einer eigenständigen Verjährung ausgehen. Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, ob ein Gesamtschuldregress auch dann möglich sein soll, wenn die Forderung gegen den regresspflichtigen Gesamtschuldner S schon zu der Zeit verjährt war, in welcher der Mitschuldner R an den Gläubiger leistete. Die herrschende Lehre und die Rechtsprechung nehmen dies ohne weiteres an. Es käme aber auch die Lösung in Betracht, den eigenständig verjährenden Gesamtschuldregress auf die Fälle zu beschränken, in denen S’ Schuld bei Leistung des R noch nicht verjährt war. Hierfür könnte ins Feld geführt werden, dass nur in diesem Fall ein vollständig wirksames Gesamtschuldverhältnis mit zwei durchsetzbaren Forderungen bestand. Leistet R zu diesem Zeitpunkt, befreit er S vom Zugriff des Gläubigers. Ist die Forderung gegen S aber bei der Leistung gegen R schon verjährt, wird S lediglich von einer nicht durchsetzbaren Schuld befreit. Dies muss nicht zum völligen Ausschluss des Regresses führen. Würde R als Dritter auf die Schuld des S leisten, hätte er eine Rückgriffskondiktion, gegen die S analog § 404 die Einrede der Verjährung erheben kann. Als Gesamtschuldner darf R nicht schlechter gestellt werden, so dass ihm zumindest ein mit der Verjährungseinrede behaftetes Rückgriffsrecht zustehen muss. Darüber hinaus ist es auch gerechtfertigt, R einen Zessionsregress zu gewähren. Hatte S für seine Schuld dem Gläubiger dingliche Sicherheiten bestellt, dann spielt die Verjährung seiner Schuld praktisch nur eine geringe Rolle, weil G weiterhin auf die Sicherheiten zugreifen kann, § 216. Leistet R in dieser Lage an G, sollte er auch von die-
406
Vgl. Peters/Zimmermann, Gutachten, 237; Jürgens, Teilschuld, 212.
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II. Der Innenausgleich
sen Sicherheiten profitieren können. Da er wegen seiner eigenen Schuld zur Leistung gezwungen war, gehört er zu dem Personenkreis, dem das Gesetz grundsätzlich einen Zessionsregress zur Verfügung stellt. Hat R also durch seine Leistung den Mitschuldner S von einer schon verjährten Schuld befreit, erscheint es sachgerecht, R einen Regress sowohl nach § 426 I als auch nach § 426 II zu gewähren, gegen den S aber die Einrede der Verjährung erheben kann. Für den Fall, dass die Forderung gegen S bei R’s Leistung noch nicht verjährt war, entspricht die hier vorgeschlagene Lösung also der herrschenden Lehre. S wird dem eigenständig verjährenden Gesamtschuldregress ausgesetzt mit dem Ergebnis, dass er von R noch zu einem Zeitpunkt in Anspruch genommen werden kann, zu dem der Gläubiger, hätte R nicht geleistet, nicht mehr auf S hätte zugreifen können. Dies ist auch nicht von vornherein unbillig, denn die Leistung des R kann den Gläubiger daran gehindert haben, rechtzeitig auf S zuzugreifen. Selbst wenn G zu diesem Zeitpunkt aus tatsächlichen Gründen daran gehindert war, S in Anspruch zu nehmen, etwa weil er dessen Identität nicht kannte, ist es nicht auszuschließen, dass er ohne die Leistung des R Anstrengungen unternommen hätte, die Identität des S zu ermitteln, sonstige Hindernisse zu beseitigen und S rechtzeitig innerhalb der Verjährungsfrist in Anspruch zu nehmen. S hat also einen tatsächlichen Vorteil durch die Leistung des R erlangt. Unterschiede zur herrschenden Lehre ergeben sich, wenn R erst zu einem Zeitpunkt leistete, an dem die Forderung gegen S schon verjährt war. Die herrschende Lehre würde dieser Lösung deshalb nicht zustimmen, weil sie, wenn auch in beschränkterem Maße, dieselben Nachteile aufweist wie die Lösung, die Verjährung nach der Gläubigerforderung auszurichten: R muss an G leisten, obwohl er (wenn keine Sicherheiten bestellt wurden) keine Chance hat, einen Regress gegen S durchsetzen zu können. Es fragt sich aber, ob das Regressinteresse des R wirklich letztentscheidend sein muss. Schließlich könnte S auch insolvent, verschwunden oder unbekannt sein. Zu diesen Risiken, die R unbestritten tragen muss, könnte man auch das Risiko zählen, dass die Forderung gegen den Mitschädiger S zum Zeitpunkt seiner Leistung bereits verjährt ist. Die Unbilligkeit, dass R an G leisten muss, ohne seinen Regress gegen S durchsetzen zu können, besteht so gesehen nicht, weil gegenüber S zu diesem Zeitpunkt keine durchsetzbare Forderung besteht und R daher der einzige Schuldner ist, auf den G zugreifen kann. Daher besteht auch keine Gefahr der Gläubigerwillkür.
f) Die Fristberechnung Unabhängig davon, ob man der herrschenden Lehre im Ganzen oder mit der hier vorgeschlagenen Beschränkung folgt, stellt sich die Frage sowohl nach der angemessenen Verjährungsfrist als auch nach dem Verjährungsbeginn. Die Rechtsprechung ging vor der Verjährungsreform von der allgemeinen Verjährungsfrist des § 195 a.F. aus, also von 30 Jahren. Diese begann mit der Entstehung des Anspruchs, worunter man die Entstehung des Gesamtschuldverhältnisses verstand.
11. Die Verjährung des Rückgriffsanspruchs
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Darüber, dass diese Frist sachlich viel zu lang war, herrschte wohl Einigkeit407. Weder bedurfte es einer 30-jährigen Überlegungsfrist, noch gab es einen Grund, den regressberechtigten Gesamtschuldner besser zu stellen als den Geschädigten selbst, für den schon vor der Reform eine (allerdings kenntnisabhängige) dreijährige Frist galt, § 852 a.F. Unter den Versuchen einer sachgerechten Lösung des Verjährungsproblems lassen sich zwei Strategien ausmachen: Entweder wird dem Gesamtschuldner nach seiner Leistung noch eine kurze Frist eingeräumt, seinen Regressanspruch geltend zu machen. Dies war die Lösung der Schuldrechtskommission: Zwar sollte sich die Verjährung des Regresses grundsätzlich an die Verjährung der Gläubigerforderung anlehnen, jedoch nicht vor sechs Monaten nach der Klage des Gläubigers oder der Leistung eintreten408. Vergleichbare Vorschläge sind zum österreichischen Recht gemacht worden409. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen diejenigen, die von einer ab Leistung an den Gläubiger laufenden längeren Verjährungsfrist ausgehen, aber eine Verwirkung oder ein rechtsmissbräuchliches Verhalten annehmen, wenn der Regressberechtigte die Geltendmachung seines Anspruchs grundlos verzögert410. 407 Etwa von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 92; Schlechtriem, NJW 1972, 1556; Wagenfeld, Ausgleichsansprüche, 64; Goette, Gesamtschuldbegriff, 153; Peters/Zimmermann, Gutachten, 236 f.; Schuldrechtskommission, Abschlussbericht, 109; Weir, Complex Liabilities, § 124; Friedmann/Cohen, Adjustment, § 66; Müller, VersR 2001, 431; Staud/Noack, § 426 Rz 11; Schlechtriem/SchmidtKessel, SR AT, Rz 854; zum österreichischen Recht C. Huber, JBl 1985, 403; Bacher, Ausgleichsansprüche, 82 f. 408 BGB-KE § 426 a: „(1) Für die Verjährung des Ausgleichsanspruchs nach § 426 Abs. 1 BGB ist die Verjährung des Anspruchs des Gläubigers gegen den ausgleichspflichtigen Gesamtschuldner maßgebend. Die Verjährung tritt jedoch nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Tag ein, an dem der Gläubiger gegen den ausgleichsberechtigten Gesamtschuldner Klage erhoben hat. Leistet der Gesamtschuldner an den Gläubiger, bevor es zur Durchführung eines Klageverfahrens kommt, so beginnt die Frist mit der Leistung. Die Sechsmonatsfrist gilt nicht, wenn der Anspruch des Gläubigers gegen den ausgleichsberechtigten Gesamtschuldner zum Zeitpunkt der Klageerhebung oder Leistung bereits verjährt war. (2) Mit dem Ausgleichsanspruch verjähren auch daneben bestehende Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag und ungerechtfertigter Bereicherung.“ Hierzu Schuldrechtskommission, Abschlussbericht (1992), 108 ff. 409 Vgl. C. Huber, JBl 1985, 471 ff.; Bacher, Ausgleichsansprüche, 98 ff., 105; Klang/Perner, ABGB, § 896 Rz 91 f. Erhebt der Gläubiger Klage gegen R, stellt auch Huber auf diesen Zeitpunkt ab. Ohne Klageerhebung soll es seinem Vorschlag nach nicht auf den Zeitpunkt der Leistung, sondern auf den Zeitpunkt ankommen, in dem die Verhandlungen zwischen G und R abgeschlossen sind und damit die Leistungspflicht des R gegen G feststeht. 410 Goette, Gesamtschuldbegriff, 153; zum Schweizer Recht BGE 115 II 42, 48 f. (31.1.1989); BGE 127 III 257, 266 f. (4.4.2001); Loser-Krogh, ZSchwR 2003 II 208 f.; Ernst, Solidarschuld, 191 f. In diesem Sinne auch der Schweizer Vorentwurf zu einer Revision des Haftpflichtrechts von Pierre Widmer, Art. 55 c (zitiert nach Koch, Verjährung, 195): „(1) Rückgriffsansprüche verjähren in drei Jahren von dem Tag an gerechnet, an dem die Ersatzleistung vollständig erbracht worden ist und die mithaftpflichtige Person bekannt wurde; sie verjähren in jedem Fall in 20 Jahren von dem Tag an gerechnet, an dem die Schädigung eingetreten ist oder ein Ende gefunden hat. (2) Wird eine Person auf Schadensersatz in Anspruch genommen, so hat sie dies jenen Personen anzuzeigen, die sie für mithaftpflichtig hält; ansonsten beginnt die Verjährung an dem Tage zu laufen, an dem die Anzeige nach Treu und Glauben hätte gemacht werden sollen.“
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II. Der Innenausgleich
Oder man lässt den Rückgriffsanspruch nach allgemeinen Regeln verjähren, wobei aber diese Verjährungsfrist grundsätzlich nicht länger ist als die der Gläubigerforderung. So wurde zum deutschen Recht vor der Verjährungsreform vorgeschlagen, den Regress nicht in der 30jährigen Regelfrist, sondern nach der Frist der Gläubigerforderung verjähren zu lassen411. Auch nach der bislang herrschenden Lehre in der Schweiz soll die Verjährungsfrist der Gläubigerforderung maßgeblich sein412. In ihrem Gutachten zur Reform des deutschen Verjährungsrechts schlugen Peters und Zimmermann zur Lösung des Problems eine allgemeine kenntnisabhängige Verjährungsfrist von zwei Jahren vor, die dann gleichermaßen für die Gläubigerforderung und für den Regress gelten sollte. Die Verjährung des Regresses sollte mit Entstehung des Anspruchs beginnen, aber gehemmt sein, solange der Regressberechtigte keine Kenntnis von seinem Anspruch oder dem Mitschuldner hatte413. Ähnlich ist die Regelung, die schließlich Gesetz wurde. Die allgemeine Verjährungsfrist beträgt nun drei Jahre und beginnt nicht vor Kenntnis des Anspruchs und des Schuldners. Sowohl das Gutachten als auch das geltende Recht sehen zusätzlich kenntnisunabhängige Verjährungshöchstfristen vor. Vielleicht noch wichtiger als die Länge der Verjährungsfrist für den Gesamtschuldregress ist der Zeitpunkt des Verjährungsbeginns. Würde dieser ohne Rücksicht auf die Kenntnis des Anspruchsinhabers mit dem Beginn des Gesamtschuldverhältnisses zusammenfallen, brächte die eigenständige Verjährung dem Regressberechtigten kaum Vorteile im Vergleich zu einem reinen Zessionsregress414. Die Schuldrechtskommission stellte kenntnisunabhängig auf den Zeitpunkt der Klage des Gläubigers oder, bei Leistung ohne Klage, den der Leistung an den Gläubiger ab415. Auch im Schweizer Recht soll es kenntnisunabhängig allein auf den Leistungszeitpunkt ankommen416. Dem Regressberechtigten wird so nur zum Teil geholfen. Erfährt er erst sechs Monate nach der Zahlung von der Existenz oder Identität seines Mitschuldners und ist die Gläubigerforderung ge-
411 von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 92; Schlechtriem, NJW 1972, 1556; Ehmann, Gesamtschuld, 322; Rüßmann, JuS 1974, 296; vgl. Weitnauer, Personenmehrheit, 386 f.; Müller, VersR 2001, 431; Staud/Noack, § 426 Rz 11. 412 Oftinger/Stark, Haftpflichtrecht I, Rz 10/82; Gauch/Schluep/Schmid/Rey, OR AT 2, Rz 3960; Schwenzer, OR AT, Rz 88.39; Loser-Krogh, ZSchwR 2003 II 208; siehe auch BGE 55 II 118, 122 f. (24.5.1929); BGE 115 II 42, 49 (31.1.1989); Weir, Complex Liabilities, § 124. A.A. BernK/Brehm, OR, Art. 50 Rz 64, Art. 51 Rz 143 (bereicherungsrechtliche Einjahresfrist des Art. 67 OR); Ernst, Solidarschuld, 175 ff. (allgemeine zehnjährige Verjährungsfrist des Art. 127 OR); s.a. Spiro, Begrenzung I, § 208, S. 489 ff.; Rey, Haftpflichtrecht, Rz 1717 ff. 413 Peters/Zimmermann, Gutachten, §§ 195, 196, 199, 208, hierzu S. 236 f., 299 f., 315 ff. 414 Peters/Zimmermann, Gutachten, 237. 415 BGB-KE § 426 a, oben Fn. 408. 416 von Tuhr/Escher, OR AT II, 314 Fn. 128; BernK/Brehm, OR, Art. 50 Rz 64, Art. 51 Rz 141 f.; Oftinger/Stark, Haftpflichtrecht I, Rz 10/82; Schwenzer, OR AT, Rz 88.39; LoserKrogh, ZSchwR 2003 II 207; Ernst, Solidarschuld, 178 f.; BGE 127 III 257, 266 (4.4.2001). Anders Gauch/Schluep/Schmid/Rey, OR AT 2, Rz 3960, die zusätzlich auf die Kenntnis des Regressrechts abstellen und sich hierfür auf BGE 115 II 42, 49 (31.1.1989) berufen.
11. Die Verjährung des Rückgriffsanspruchs
653
gen diesen inzwischen verjährt, kann er keinen Regress mehr nehmen. Nach dem heute geltenden Recht setzt der Verjährungsbeginn nicht nur die Entstehung des Anspruchs voraus, sondern auch die Kenntnis des Gläubigers vom Anspruch und vom Schuldner. Die entscheidende Frage ist aber, wann der Regressanspruch entsteht. In ihrem Gutachten zum Verjährungsrecht gingen Peters und Zimmermann davon aus, dass der Rückgriffsanspruch mit Zahlung an den Gläubiger entsteht417. Derselben Ansicht sind die europäischen Nachbarrechtsordnungen, weil sie keine Mitwirkungspflichten kennen. Folgt man dem für das geltende deutsche Recht, beginnt die dreijährige Verjährungsfrist erst dann, wenn der Gesamtschuldner an den Gläubiger geleistet hat und seinen Mitschuldner kennt. Nach herrschender Lehre aber erzeugt das Gesamtschuldverhältnis von Anfang an Befreiungsansprüche, die sich im Fall der Zahlung an den Gläubiger in Regressansprüche umwandeln. Danach muss die Verjährung schon dann beginnen, wenn der regressberechtigte Schuldner weiß, dass es einen intern nicht freigestellten Mitschuldner gibt, auch wenn der Gläubiger seinen Anspruch noch gar nicht geltend gemacht hat418. Für die Anwendung der Dreijahresfrist erscheint es im Ergebnis vorzugswürdig, auf die Leistung an den Gläubiger abzustellen. Die gegenteilige Ansicht kann dazu führen, dass der Regress des Gesamtschuldners schon verjährt ist, wenn er vom Gläubiger in Anspruch genommen wird. Zur Vermeidung der Regressverjährung müsste ein Gesamtschuldner darauf achten, schon vor dem Zugriff des Gläubigers gegen seinen Mitschuldner Klage auf Befreiung zu erheben. Wie gezeigt ist jedoch ein Rechtsstreit über die Höhe der Gläubigerforderung wenig sinnvoll, wenn der Gläubiger am Prozess nicht beteiligt ist, keine Klage erhoben hat und noch nicht befriedigt wurde419. Die Verjährungsregelung würde einen Gesamtschuldner aber zu einem solchen Rechtsstreit zwingen. Das sollte vermieden werden. Wer erst dann einen Ausgleich von seinen Mitschuldnern sucht, wenn er vom Gläubiger tatsächlich in Anspruch genommen wird, darf nicht benachteiligt werden420. Im Einklang mit der oben vertretenen Auffassung, wonach Mitwirkungspflichten erst dann entstehen, wenn der Gläubiger ein rechtskräftiges Urteil erstritten hat, könnte für die Entstehung des Rückgriffsanspruchs auf den Zeitpunkt abgestellt werden, indem entweder an den Gläubiger geleistet oder von diesem ein Urteil erstritten wurde. Noch sinnvoller erschiene es, nach dem Vorbild der Schuldrechtskommission schon auf den Zeitpunkt der Klage durch den Gläubiger abzustellen421. Hat der beklagte Gesamtschuldner zu dieser Zeit Kenntnis von möglicherweise ausgleichspflichti417
Peters/Zimmermann, Gutachten, 237. So ausdrücklich Klutinius/Karwatzki, VersR 2008, 617. 419 Oben, 633 ff. 420 So auch die Schuldrechtskommission, Abschlussbericht, 110; vgl. auch von Olshausen, Gläubigerrecht, 168 f.; Ernst, Solidarschuld, 179 f.; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 99. 421 Von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 92, und Piekenbrock, Befristung, 418, stellen auf die „Inanspruchnahme“ ab. 418
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II. Der Innenausgleich
gen Mitschuldnern, ist ihm zuzumuten, den Mitschuldnern nach § 73 ZPO den Streit zu verkünden und so die Verjährung des Regressanspruchs nach § 204 I Nr.6 BGB zu hemmen. Die Entscheidung für den Zeitpunkt der Leistung an den Gläubiger bzw. des Urteils oder der Klage führt freilich zu einer noch längeren Hinauszögerung des Verjährungszeitpunkts. De lege ferenda erscheint es daher vorzugswürdig, für Regressansprüche eine kürzere Verjährungsfrist vorzusehen. Zu bedenken ist allerdings, dass das geltende Verjährungsrecht mit seiner grundsätzlichen Entscheidung für einen kenntnisabhängigen Verjährungsbeginn dem (potentiellen) Schuldner ohnehin keine sichere Position einräumt, solange die Höchstfrist noch nicht abgelaufen ist. Damit stellt sich die Frage, wie diese sinnvoll zu berechnen ist. Da der Gesamtschuldregress kein Schadensersatzanspruch ist, wäre § 199 IV maßgeblich. Nach herrschender Lehre, die den Regress schon mit der Gesamtschuld entstehen lässt, würde die Verjährung spätestens zehn Jahre nach dem Schadensereignis eintreten. Dies würde aber bedeuten, dass Gesamtschuldner, die dem Gläubiger wegen einer Körperverletzung Schadensersatz schulden, nach Ablauf von zehn Jahren noch weitere 20 Jahre in Anspruch genommen werden könnten (§ 199 II), ohne einen durchsetzbaren Regress zu haben. Dieses Ergebnis nimmt die herrschende Lehre offenbar hin422. Doch sachlich gibt es hier keinen Grund, die Gläubigerwillkür über die Belastung entscheiden zu lassen: Der regressberechtigte Gesamtschuldner verdient, solange er selbst dem Zugriff des Gläubigers ausgesetzt ist, keinen Schutz, weil stets auch ein Dritter für ihn leisten und im Rahmen einer Rückgriffskondiktion auch unter Anwendung der §§ 404 ff. Regress nehmen könnte. Das Problem würde sich nicht stellen, wenn man wie hier den Regressanspruch erst mit der Leistung, der Klage oder dem Urteil entstehen lässt. Doch dann wird der regressberechtigte Gesamtschuldner sachlich um den Schutz gebracht, den eine kenntnisunabhängige Höchstfrist dem Schuldner gerade gewähren soll: Er kann nicht damit rechnen, zehn bzw. 30 Jahre nach einem bestimmten objektiven Ereignis vor Ansprüchen sicher zu sein. Denkbar ist, dass der Gläubiger erst acht Jahre nach Eintritt des Sachschadens vom Schuldner R erfährt und Klage gegen ihn erhebt. Nach einem langen Prozess zahlt R fünfzehn Jahre nach dem Schadensereignis und erfährt anschließend vom Mitschuldner S. Hier spricht viel dafür, den Regress als verjährt anzusehen. Immerhin hätte auch der Gläubiger, wenn er von S erst fünfzehn Jahre nach dem Schadenseintritt erfährt, keine durchsetzbare Schadensersatzforderung mehr: Er hat sie verloren, bevor er sie überhaupt kannte. Der leistende Gesamtschuldner muss mit seiner Regressforderung nicht besser gestellt werden. Will man dem regresspflichtigen Gesamtschuldner eine objektive Höchstfrist einräumen, die mit der Handlung bzw. dem Schadenseintritt entsteht und nicht nur von einer Kenntnis des Gläubigers und des Regressberechtigten unabhängig ist, sondern auch vom Zeitpunkt der Leis-
422
So jedenfalls Staud/Noack, § 426 Rz 11; Staud/Vieweg, § 840 Rz 86.
11. Die Verjährung des Rückgriffsanspruchs
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tung des Mitschuldners, dann wäre die sachlich beste Lösung, für die Höchstfrist an die Verjährung der Gläubigerforderung anzuknüpfen423. Mit dem geltenden Recht erscheint dies aber nur schwer vereinbar. Im Rahmen der allgemein geltenden Verjährungsregeln lässt sich das Problem der Regressverjährung offenbar nicht vollkommen befriedigend lösen.
g) Ausschlussfristen Die Anwendung der allgemeinen Verjährungsregeln ist auch dann unbefriedigend, wenn der Gläubigeranspruch ausnahmsweise einer kürzeren Verjährung unterliegt oder wenn es sich um eine kurze Ausschlussfrist handelt. Als Illustration kann der Fall BGHZ 11, 170 dienen. Der Schaden des G war vom Autofahrer A und von einem Zug der Bundesbahn B verursacht worden. Keinen traf ein Verschulden, aber A haftete als Halter nach dem StVG und B nach dem damaligen Sachschadenshaftpflichtgesetz. Nach § 5 SHG (der § 15 StVG nachgebildet war) verlor der Ersatzberechtigte seinen Anspruch, wenn er ihn nicht binnen dreier Monate, nachdem er vom Schaden Kenntnis erlangt hatte, dem Ersatzpflichtigen anzeigte. G nahm A in Anspruch, A ersetzte den Schaden und wollte bei B Regress nehmen. Diese wendete ein, dass G die Anzeigefrist versäumt hatte. Das Berufungsgericht wendete § 5 SHG analog auf den Gesamtschuldausgleich an und wies die Klage ab. Nach Ansicht des BGH aber unterlag der Regress als selbständiger Anspruch lediglich der allgemeinen Verjährungsfrist. Eine Analogie werde durch Sinn und Zweck des § 5 SHG nicht gerechtfertigt. Zwar habe die Bahn wegen ihrer strikten Haftung ein berechtigtes Interesse an einer schnellen Feststellung des Sachverhalts. Die Ausschlussfrist sei dem Geschädigten zumutbar, weil er den Vorteil der Gefährdungshaftung habe. Dies könne aber nicht zulasten eines Gesamtschuldners gelten, der ebenfalls aus einer Gefährdungshaftung in Anspruch genommen werde424. Für Fälle dieser Art sind drei Lösungen denkbar. (1) Der Gesamtschuldregress entfällt mit Erlöschen der Gläubigerforderung, ist also wie ein Zessionsregress oder eine Rückgriffskondiktion ausgestaltet. Dies kann dazu führen, dass schon bei Inanspruchnahme des A durch G ein Regress nicht mehr möglich ist. B ist nach Verstreichung der Ausschlussfrist frei und wird nicht durch die Existenz eines Mitschuldners benachteiligt425. Gegen diese Lösung kann aber ebenso wie bei der Verjährung eingewendet werden, dass angesichts der unfreiwilligen Haftung des A ein Zugriff ohne Regress unbillig ist. Insofern ist das Argument des BGH, dass schließlich auch A verschuldensunabhängig hafte, verständlich.
423
Ebenso Piekenbrock, Befristung, 421. In diesem Sinne auch Art. 55 c I des Entwurfs von Widmer, oben, Fn. 410. 424 BGHZ 11, 170, 172 ff. (21.11.1953). 425 Für diese Lösung Keuk, AcP 168 (1968), 176 f.; dies., JZ 1972, 529.
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II. Der Innenausgleich
(2) Nach der Lösung des BGH gilt die Ausschlussfrist nicht für den Gesamtschuldregress, der nach allgemeinen Regeln verjährt426. Auch bei Anwendung des reformierten Verjährungsrechts kann aber nicht gerechtfertigt werden, dass das Regressinteresse des A stärker geschützt wird als das Interesse des Geschädigten G, der bei einer Alleinverantwortlichkeit der Bahn innerhalb dreier Monate Anzeige erstatten muss, während sich A drei Jahre überlegen kann, ob er Regress nimmt. Hier überzeugt auch der Hinweis des BGH nicht, dass G von der Gefährdungshaftung profitiert, während A ebenso verschuldensunabhängig haftet wie B. Verpasst G bei einer Alleinschuldnerschaft der Bahn die Frist, hat er ebenso einen Schaden erlitten, an dem ihn (sieht man von der unterlassenen Anzeige ab) kein Verschulden trifft, wie A, wenn ihm der Regress gegen B versagt wird. Der Regressberechtigte B kann nicht besser gestellt werden als der Geschädigte G. (3) Dies spricht für eine dritte Lösung, nämlich die Anwendung der Ausschlussfrist auf den selbständigen Regressanspruch des A. Die Frist des § 5 SHG beginnt dann nicht, wenn G, sondern wenn A Kenntnis vom Schaden erlangt. Konkret wäre zu verlangen, dass A weiß, dass es beim Betrieb einer Eisenbahn zu einem Schaden gekommen ist, für den er möglicherweise haften muss. Ist etwa der Schaden des G für diesen, aber nicht für A erkennbar und nimmt G A erst vier Monate später in Anspruch, könnte A innerhalb der nun laufenden Ausschlussfrist Regress nehmen. Die Interessen der Bahn würden dadurch nicht unzumutbar beeinträchtigt. Dadurch, dass die Frist des § 5 SHG kenntnisabhängig ist und zudem der Rechtsverlust bei fehlendem Vertretenmüssen nicht eintritt, kann sie drei Monate nach dem Schadensereignis ohnehin nicht sicher sein, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Sachgerecht wäre daher die Lösung, zwar einen eigenständigen Gesamtschuldregress anzunehmen, aber auf ihn die Ausschlussfrist der Gläubigerforderung anzuwenden. Sofern eine Ausschlussfrist ausnahmsweise kenntnisunabhängig wäre, sollte dies auch beim Gesamtschuldregress gelten: Kann der Geschädigte ohne Verschulden und ohne Kenntnis seinen Ersatzanspruch verlieren, besteht kein Grund, den Regressberechtigten besser zu behandeln. De lege lata kann diese Lösung dadurch erreicht werden, dass man die konkrete Fristenregelung so auslegt, dass sie auch auf den Regress von Schadensersatz-Gesamtschuldnern anwendbar ist. Zu diesem Ergebnis kommt die Rechtsprechung etwa bei der Auslegung des Ausführungsgesetzes zum NATO-Truppenstatut, nach dem ein von fremden Streitkräften verursachter Schaden binnen dreier Monate bei der Behörde angezeigt werden muss. Die Frist, die mit Kenntnis des Geschädigten vom Eintritt des Schadens und von der Verantwortlichkeit der Streitkräfte be426 Im Ergebnis ebenso Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 98, der insofern Ausschlussfristen anders behandelt als Verjährungsfristen. Eine gesetzlich vorgesehene besonders kurze Verjährungsfrist soll für den betreffenden Gesamtschuldner ein allgemeines Freistellungsprivileg darstellen, das durch einen Gesamtschuldregress nicht unterlaufen werden dürfe, a.a.O., 223 f. Warum dies dann nicht auch für eine kurze Ausschlussfrist gelten soll, ist nicht ganz klar.
11. Die Verjährung des Rückgriffsanspruchs
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ginnt, gilt auch für einen Gesamtschuldregress, wobei es hier auf die Kenntnis und die Anmeldung des Regressberechtigten ankommt427. Eine solche Lösung kommt auch bei Verjährungsfristen in Betracht, die ausnahmsweise kürzer als drei Jahre sind428.
h) Regress bei Leistung auf eine verjährte Forderung? Zuletzt stellt sich die Frage, ob und in welcher Art ein Regress möglich ist, wenn der Gesamtschuldner R zu einem Zeitpunkt an den Gläubiger G gezahlt hat, in dem die Forderung gegen ihn schon verjährt war. Das niederländische Gesetzbuch schließt einen Gesamtschuldregress aus, wenn zur Zeit der Leistung des R an G sowohl die Forderung gegen R als auch die Forderung gegen S verjährt war429. Nach dem Entwurf der Schuldrechtskommission sollte die Zusatzfrist von sechs Monaten, die dem leistenden Gesamtschuldner R trotz Verjährung der Gläubigerforderung gegen S eingeräumt war, nicht gelten, wenn der Anspruch gegen R zur Zeit seiner Leistung verjährt war430. Das OLG Zweibrücken versagte den Regress aus § 426 I einem Gesamtschuldner, der auf seine verjährte Schuld geleistet hatte431. In der deutschsprachigen Literatur wird dagegen nicht danach differenziert, ob R auf eine verjährte oder unverjährte Forderung leistete432. Auch die Verfasser der PECL wollen einen eigenständig verjährenden Regress ohne weiteres auch dann zulassen, wenn der regresssuchende Gesamtschuldner auf eine verjährte Forderung geleistet hat433. Hierfür könnte sprechen, dass die Verjährung nicht zum Erlöschen des Anspruchs führt, sondern nur ein Leistungsverweigerungsrecht begründet, so dass das Gesamtschuldverhältnis zwischen R und S nach wie vor besteht434. Doch eine solche Argumentation wäre zu begrifflich. Soweit die herrschende Lehre einen eigenständig verjährenden Gesamtschuldregress auch dann zulässt, wenn die Forderung gegen den anderen Schuldner S zum Leistungszeitpunkt schon verjährt war, so bedeutet dies eine Privilegierung der Gesamtschuldner gegenüber anderen Gruppen von Regressberechtigten, denen nur ein Zessionsregress oder eine Rückgriffskondiktion zusteht. Eine solche Privilegierung kann, wenn überhaupt, nur damit gerechtfertigt werden, dass der gesetzlich zum Schadensersatz verpflichtete Gesamtschuldner nicht nur unfreiwillig schuldet, son427
BGH VersR 1979, 838 = Warn 1979 Nr. 143 (28.5.1979); BGH NJW 1981, 681 (30.10.1980). So für die Verjährungsfristen des CMR BGH WM 1990, 2123 (10.5.1990). 429 BW Art. 6:11 (3); vgl. Busch, Plurality, 47 f. 430 BGB-KE § 426 a I 4 (Text oben, Fn. 408). 431 OLG Zweibrücken, NJW-RR 1993, 1237 (30.3.1993); zustimmend Ingenstau/Korbion, VOB, § 13 VOB/B Rz 44. Das Gericht bezog sich allerdings nur auf den Fall, in dem der leistende Schuldner zuvor die Einrede der Verjährung erhoben hatte. Darauf sollte es aber nicht ankommen. 432 Vgl. Spiro, Begrenzung I, § 209; Müller, VersR 2001, 430 f.; Ernst, Solidarschuld, 188. 433 PECL, Kommentar zu Art. 10:110. 434 So PECL, a.a.O.; Ernst, Solidarschuld, 187 f. 428
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II. Der Innenausgleich
dern auch gezwungenermaßen leistet, weil er selbst dem Zugriff des Gläubigers ausgesetzt ist. Steht ihm aber ein Leistungsverweigerungsrecht zu, besteht kein Grund, einen Regress zu gewähren, wenn die Schuld des anderen schon verjährt war. Die Entscheidung, freiwillig an den Gläubiger zu leisten, darf die Lage des regresspflichtigen Gesamtschuldners nicht verschlechtern435. Dies muss nicht zu einer generellen Versagung des Regresses führen. Es fällt lediglich die besondere Privilegierung des Gesamtschuldregresses weg. Waren also zum Zeitpunkt der Leistung an G sowohl die Forderung gegen R als auch die gegen S verjährt, dann steht R nur derjenige Regress zu, den auch ein Drittleistender hätte. Dies bedeutet, dass die Regressforderung des R gegen S analog § 404 verjährt und damit nicht mehr durchsetzbar ist. Dem entspricht der Vorschlag der Schuldrechtskommission. Ein völliger Ausschluss des Rückgriffs, wie ihn möglicherweise das OLG Saarbrücken und das niederländische Gesetzbuch vorsieht, ist dagegen im deutschen Recht nicht gerechtfertigt436, da auch einem Dritten, der auf die verjährte Forderung gegen S leisten würde, zumindest eine Rückgriffskondiktion mit Verjährungseinrede zustehen würde. Gewährleistet werden muss lediglich, dass S nicht dadurch schlechter gestellt wird, dass R trotz Verjährung seiner Schuld leistet. Ist zum Zeitpunkt der Leistung die Forderung gegen R, nicht aber die gegen S verjährt, lässt das niederländische Gesetzbuch den Gesamtschuldregress zu. Für das deutsche Recht aber erscheint die Lösung der Schuldrechtskommission vorzugswürdig, die für diesen Fall die Verjährung der Gläubigerforderung gegen S für maßgeblich erklärt. Geht man davon aus, dass der privilegierte Gesamtschuldregress nicht gerechtfertigt ist, wenn der Regressberechtigte auf eine verjährte Forderung leistete, dann sollte R auch in dieser Lage nicht besser gestellt werden als ein Drittleistender. Dies bedeutet, dass die Leistung des R nicht eine neue eigenständige Verjährung begründet. Leistet R also kurz vor Eintritt der Verjährung gegenüber S auf seine eigene schon verjährte Forderung, dann kommt S die schon abgelaufene Verjährungszeit der Gläubigerforderung zugute. R hat also nur solange einen durchsetzbaren Rückgriffsanspruch gegen S, wie auch der Gläubiger auf S hätte zugreifen können. Dies muss aber darüber hinaus dazu führen, dass dem Gesamtschuldner, der auf eine verjährte Forderung leistet, auch die sonstigen Privilegien des unabhängigen Gesamtschuldregresses nicht zugutekommen dürfen. Wurde etwa eine Klage des Gläubigers gegen S rechtskräftig abgewiesen, dann kann eine Leistung des R auf seine verjährte Schuld keinen Rückgriffsanspruch mehr begründen. Dasselbe gilt, wenn der Gläubiger gegenüber S dessen Schuld erlassen hat. Konstruktiv könnte dieses Ergebnis auf zwei Arten erreicht werden. Möglich wäre es, den Regress nach § 426 auszuschließen, wenn ein Gesamtschuldner auf eine verjährte Forderung geleistet hat, und diesen auf die Rückgriffskondiktion zu verweisen. Hier besteht aber das Problem, dass die gesamte 435 436
Ebenso Müller, VersR 2001, 431. Ebenso mit anderer Begründung die Schuldrechtskommission, Abschlussbericht, 110 f.
12. Die Auswirkung weiterer „Tatsachen“
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dem Gläubiger zustehende Leistung trotzdem unter den Schuldnern verteilt werden muss, wofür weniger die Rückgriffskondiktion, sondern eher § 426 I das geeignete Instrument ist. Zudem gibt es auch keinen Grund, dem leistenden Gesamtschuldner, der immerhin auf eine wirksame, wenn auch nicht durchsetzbare, Forderung geleistet hat, die Vorteile des Forderungsübergangs nach § 426 II zu versagen. Angemessener erscheint daher die Lösung, den Gesamtschuldregress nach § 426 bei einer Leistung auf eine verjährte Forderung nicht auszuschließen, sondern den Rückgriff nach § 426 I je nach Sachlage verschieden auszulegen. Demnach kann ein eigenständig verjährender Rückgriffsanspruch dann gerechtfertigt werden, wenn ein gesetzlicher Schadensersatz-Gesamtschuldner auf eine durchsetzbare Forderung an den Gläubiger geleistet hat. Vorzuziehen wäre es aber, den Regress auf diejenigen Fälle zu beschränken, in denen die Schuld des regresspflichtigen Gesamtschuldners zum Leistungszeitpunkt noch nicht verjährt war. In allen übrigen Fällen hat der Ausgleichsanspruch aus § 426 I nur noch die Gestalt einer Rückgriffskondiktion. Ein Zessionsregress nach § 426 II steht dagegen jedem Gesamtschuldner gleichermaßen offen.
12. Die Auswirkung weiterer „Tatsachen“ im Verhältnis zwischen dem regresspflichtigen Gesamtschuldner und dem Gläubiger Die Verjährung diente als Modell des Interessenkonfliktes beim Gesamtschuldregress. Auch im Hinblick auf andere „Tatsachen“ i.S.d. §§ 422–425 benachteiligt die Annahme der herrschenden Lehre, dass § 426 I einen vom Fortbestehen der Gläubigerforderung unabhängigen Rückgriffsanspruch begründet, den regresspflichtigen Gesamtschuldner gegenüber demjenigen, der lediglich einem reinen Zessionsregress oder einer Rückgriffskondiktion ausgesetzt ist.
a) Klageabweisung Wird die Klage des Gläubigers gegen einen Gesamtschuldner rechtskräftig abgewiesen, ist dieser fortan vor dem Zugriff des Gläubigers sicher. Möglich ist aber, dass der Gläubiger danach erfolgreich einen anderen Gesamtschuldner belangt und dieser nun Regress beim ersten nehmen will. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Gesamtschuldner durch ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis verbunden sind, das vertragliche Rückgriffsansprüche ganz unabhängig davon hervorbringt, ob der regresspflichtige Gesamtschuldner dem Zugriff des Gläubigers (noch) unterliegt. Die Erste Kommission erwog in ihren Vorberatungen eine beschränkte Gesamtwirkung des klageabweisenden Urteils, um dem Gesamtschuldner den Vorteil seines prozessualen Sieges nicht dadurch wieder wegzunehmen, dass er von einem Mitschuldner erfolgreich auf Ausgleichung in
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II. Der Innenausgleich
Anspruch genommen wird437. Von Kübel aber weigerte sich, in seinem Teilentwurf von 1882 diesen Entschluss umzusetzen, und überzeugte damit schließlich auch die Kommission438. Vor allem wegen des Grundsatzes, dass rechtskräftige Urteile Bindungswirkung nur zwischen den am Streit beteiligten Parteien entfalten können, kehrte man wieder zu der seitens von Kübel ursprünglich geplanten439 Einzelwirkung des Urteils zurück, die schließlich Ausdruck in § 425 fand. Die herrschende Lehre ist daher der Ansicht, dass der in § 426 I gewährte Rückgriffsanspruch auch gegen einen Gesamtschuldner geltend gemacht werden kann, gegen den eine Klage des Gläubigers rechtskräftig abgewiesen worden ist440. Die Klageabweisung vernichtet nur den Zessionsregress. Klagt der Gesamtschuldner R, der an den Gläubiger geleistet hat, gegen seinen Mitschuldner S auf Regress und kommt das Gericht zum Ergebnis, dass nicht nur R, sondern auch S Schuldner des G war, kann R trotz der gegen S abgewiesenen Gläubigerklage Regress nehmen. Für den (potentiell) regresspflichtigen Gesamtschuldner S bedeutet dies eine Verdoppelung seines Prozessrisikos. Er kann seinen prozessualen Sieg gegenüber dem Gläubiger auch nicht dadurch im Rahmen des Gesamtschuldausgleichs verwerten, dass er schon bei der Klage durch den Gläubiger dem Mitschuldner R den Streit verkündet. Eine Streitverkündung durch S nach § 72 ZPO setzt voraus, dass S im Falle des Unterliegens einen Regressanspruch gegen R haben könnte, und kann dann im Regressprozess S gegen R die Nebeninterventionswirkung nach §§ 74, 68 ZPO entfalten441. Umgekehrt gilt dies aber nicht: S kann nicht durch Streitverkündung gegenüber R erreichen, dass im Regressprozess R gegen S die Feststellung, S sei nicht Schuldner des G, als bindend
437 438
Jakobs/Schubert, SR I, 899, 908 (Beschluss Nr. 11). TeilE § 8; Motive zum TeilE, 29 ff. (Schubert, SR I, 81 ff.); Jakobs/Schubert, SR I, 929; E I
§ 327. 439
VorlE These X und § 9. RGZ 69, 422 (16.11.1908); obiter auch RGZ 92, 143, 153 (24.1.1918); RGZ 159, 86, 89 (17.12.1938). Aus der späteren Rechtsprechung BGH VersR 1969, 1039 (22.9.1969). Hier war der (mögliche) Gesamtschuldner S gegenüber seinem Mitschuldner R allerdings ohnehin aus einem vertraglichen Innenverhältnis zum Ausgleich verpflichtet, so dass es auf die Tatsache, dass G’s Klage gegen S abgewiesen worden war, überhaupt nicht ankam. Aus der Literatur Planck, BGB (1900), § 426 Anm. 1; Planck/Siber, § 426 Anm. 1 b; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 318 Fn. 4, 16; Kreß, SR AT, 613, 614 Fn. 35; Staud/Werner (1930), § 426 Anm. C I; Warneyer, BGB, § 830 Anm. II; Kaßler, Gesamtschuld, 75; Esser, SR AT, § 59 III a (S. 444); Esser/Schmidt, SR AT 2, § 39 III 3 a (S. 353); A. Blomeyer, SR AT, § 48 I 2; Selb, Mehrheiten, 136; Jürgens, Teilschuld, 207; Reinicke, VersR 1967, 1; Mirow, Unechte Gesamtschulden, 51; Wagenfeld, Ausgleichsansprüche, 90 ff.; Baumgärtel, GS Rödig, 317; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 11 A IV 2 c; RGRK/Weber, § 425 Rz 20, § 426 Rz 9; Soergel/Wolf, § 425 Rz 19, § 426 Rz 14; Staud/Kaduk, § 426 Rz 14, 100 ff.; Staud/Noack, § 425 Rz 73, § 426 Rz 13–15; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 9; Erman/Ehmann, § 425 Rz 32; jurisPK/Rüßmann, § 425 Rz 16; BamR/ Gehrlein, § 425 Rz 9, § 426 Rz 2; Soergel/Krause, § 840 Rz 11; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 126, 136; i.E. auch Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 98, 223. 441 Wieczorek/Mansel, ZPO, § 68 Rz 139, § 72 Rz 52; Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 72 Rz 13; MüKoZPO/Schultes, § 72 Rz 11; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 72 Rz 7; Wussow, NJW 1974, 16; s.a. OLG München, NJW 1986, 263 (11.10.1985); Vollkommer, NJW 1986, 264. 440
12. Die Auswirkung weiterer „Tatsachen“
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behandelt wird442. Es bleibt also dabei, dass S bei unsicherer Tatsachen- oder Rechtslage nur dann vor Ansprüchen sicher ist, wenn er sowohl den Prozess mit dem Gläubiger als auch den Regressprozess mit dem Mitschuldner gewinnt. Bei einer Vielzahl von Gesamtschuldnern kann sich das Prozessrisiko des S somit vervielfachen. Im Gegensatz dazu kann ein Regressschuldner, der nur mittels eines reinen Zessionsregresses oder einer Rückgriffskondiktion unter analoger Anwendung der §§ 404 ff. in Anspruch genommen wird, von seinem prozessualen Sieg gegenüber dem Gläubiger tatsächlich profitieren. Die Einwendung der rechtskräftig entschiedenen Sache, die er gegenüber einem erneuten Verlangen des Gläubigers hätte, kann er nach § 404 auch dem Regressnehmenden entgegenhalten. Die Tatsache, dass er nicht vom Gläubiger, sondern von einem Dritten, der den Gläubiger befriedigt hat, in Anspruch genommen wird, verschlechtert seine Stellung nicht und beraubt ihn nicht des Vorteils des prozessualen Obsiegens. Ein kleiner Teil der Literatur will auch den Gesamtschuldregress so ausgestalten. Danach ist ein Rückgriff aus § 426 I gegenüber einem (möglichen) Gesamtschuldner nach rechtskräftiger Klageabweisung ausgeschlossen, auch wenn dies zu einer regresslosen Alleinhaftung des leistenden Schuldners führt443. Vereinzelt wird auch zum Schutz sowohl des prozessual obsiegenden als auch des leistenden Schuldners eine beschränkte Gesamtwirkung des klageabweisenden Urteils vorgeschlagen444.
442 Wäre im Falle der Haftung von S und R intern allein S belastet, stünde ihm also in keinem Fall ein Regress gegen R zu, wäre eine Streitverkündung nach § 72 ZPO von vornherein nicht zulässig. Auch nach der heute geltenden erweiternden Auslegung der Vorschrift trifft ihr Tatbestand nur Fälle, in denen die Ansprüche des Vorprozesses und des Folgeprozesses in einem Alternativverhältnis stehen bzw. in denen der Streitverkündungsempfänger ein Interesse daran hat, gerade auf Seiten des Streitverkündenden beizutreten, siehe Wieczorek/Mansel, ZPO, § 72 Rz 74–76; Musielak/Weth, ZPO, § 72 Rz 6; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 72 Rz 5; Häsemeyer, ZZP 84 (1971), 187 ff. S könnte R allerdings zulässig den Streit verkünden, wenn im Falle einer gesamtschuldnerischen Haftung intern auch R verpflichtet wäre. Wird aber dann die Klage des Gläubigers gegen S abgewiesen, kann S sich darauf im Regressprozess R gegen S nicht berufen. Die Interventionswirkung des § 68 ZPO betrifft nach der Rechtsprechung nur solche Feststellungen, die R, wäre er auf Seiten des S beigetreten, beeinflussen hätte können; BGH NJW 1982, 281, 282 (8.10.1981); BGHZ 100, 257, 262 f. (26.3.1987); BGH NJW 1998, 79, 80 (17.6.1997). R hätte aber als Streithelfer des S nicht dessen Haftung gegenüber G behaupten können. Zum selben Ergebnis kommt die Literatur: Es fehlt hier an „interessenparallelen Urteilgrundlagen“, weil S und R kein gleichgerichtetes Interesse an der Feststellung der Haftung des S haben, so Häsemeyer, ZZP 84 (1971), 192 ff.; Wieczorek/ Mansel, ZPO, § 68 Rz 117 f. R ist nicht gehindert, im Folgeprozess die für S günstigen Feststellungen des Vorprozesses anzugreifen, die möglicherweise auf eine schlechte Prozessführung durch G zurückgehen, so Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 68 Rz 11 f. Für eine Interventionswirkung aber obiter BGH VersR 1969, 1039 (22.9.1969); wohl auch Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 97 f.; wie hier Selb, Mehrheiten, 136 Fn. 208. 443 Schulz, Rückgriff, 79; Oertmann, Schuldverhältnisse AT, § 426 Anm. 4 e; wohl auch Stamm, NJW 2004, 812; ders., Regreßfiguren, 71. 444 So für Nebentäter Keuk, AcP 168 (1968), 196 f. Hiergegen im Sinne der herrschenden Lehre Goette, Gesamtschuldbegriff, 143 ff.
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b) Einzelerlass Vereinbart ein Gläubiger, der mehrere Gesamtschuldner hat, mit einem von ihnen einen nur für dessen Person geltenden Erlass, entstehen Probleme, wenn die Gesamtschuldner untereinander in einem Regressverhältnis stehen. Auf den ersten Blick steht es dem Gläubiger frei, den anderen Gesamtschuldner auf die Gesamtleistung zu belangen. Dessen Rückgriffsansprüche können zumindest dann, wenn sie auf einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung unter den Schuldnern beruhen, durch den Erlass nicht ausgeschlossen werden. Kann er aber Regress nehmen, nützt der Erlass dem Entlassenen nur teilweise oder (sofern er intern allein verpflichtet ist) im Ergebnis gar nicht. Es hat sich daher stets die Frage gestellt, ob ein solcher Einzelerlass den Gläubiger auch daran hindern sollte, den anderen Gesamtschuldner zu belangen, so dass der entlassene Gesamtschuldner auch vor Regressansprüchen geschützt ist. Diese Frage wurde schon im römischen Recht gestellt, und zwar für den Fall, dass die Schuldner durch eine societas (oder vermutlich auch durch ein sonstiges rechtsgeschäftliches Innenverhältnis) verbunden waren. Weil ein schuldaufhebender Erlass nur in Form einer acceptilatio möglich war, die als förmliche fiktive Bestätigung der Leistungsannahme zugleich alle anderen Gesamtschuldner befreite445, konnte die Entlassung nur eines Stipulations-Gesamtschuldners lediglich in Form eines schuldrechtlichen Klageverzichts, eines sog. pactum de non petendo, erfolgen446. Sofern der Gläubiger den Schuldner ungeachtet aller Regressansprüche nur persönlich befreien wollte, konnte er dies in Form eines sog. pactum de non petendo in personam tun, das den Befreiten nicht vor Regressansprüchen schützte447. Versprach der Gläubiger dem Schuldner dagegen, die Schuld als solche nicht einzuklagen, handelte es sich um ein sog. pactum de non petendo in rem. Ein solches pactum kam auch einem Mitschuldner zugute, der mit dem Entlassenen in einer societas stand, und zwar durch eine wohl vollständige, nicht nur beschränkte, Gesamtwirkung des pactum448. Diese Drittwirkung konnte angesichts des grundsätzlichen Verbots von Verträgen zugunsten Dritter damit gerechtfertigt werden, dass es nicht um den Schutz des Dritten, sondern um den Schutz des Entlassenen vor einer mittelbaren Inanspruchnahme in Form von Regressansprüchen ging. Auch gemeinrechtlich war anerkannt, dass der Gläubiger einen von mehreren Gesamtschuldnern aus der Haftung entlassen konnte, auch wenn man sich angesichts des Wegfalls der acceptilatio und der Klagbarkeit aller Verträge nicht darüber einig war, ob dies in Form eines einzelwirkenden schuldaufhebenden Erlas445
Oben, 42; hierzu HKK/Meier, §§ 420–432 I Rz 35. Hierzu HKK/Kleinschmidt, § 397 Rz 9; im Gesamtschuldzusammenhang HKK/Meier, §§ 420–432 I Rz 168. 447 Ulpian D.2,14,22; Paulus D.2,14,25,1. 448 Paulus D.2,14,21,5 und l. 23, l. 25 pr.; vgl. Papinian D.45,2,9,1. So wurden die Quellen zumindest von den gemeinrechtlichen Autoren ausgelegt; eine teilweise abweichende Sicht findet sich bei Schmieder, Duo rei, 129 ff. 446
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ses449 oder, wie im römischen Recht, nur mittels eines Klageverzichts450 möglich war. Das Sachproblem der fortbestehenden rechtsgeschäftlichen Rückgriffsansprüche durch Mitschuldner stellte sich aber in jedem Fall451, so dass einzelne Autoren überlegten, den Entlassenen durch die Annahme einer beschränkten Gesamtwirkung zu schützen452. Die Alternative zwischen Einzelwirkung und beschränkter Gesamtwirkung des Einzelerlasses beschäftige auch die zeitgenössischen Gesetzgeber, die sich für unterschiedliche Lösungen entschieden453. Die Einzelwirkung wird damit verteidigt, dass der Entlassene im Fall seiner Inanspruchnahme durch Mitschuldner die Möglichkeit habe, aus dem zugrunde liegenden Kausalgeschäft mit dem Gläubiger bei diesem Regress zu nehmen, falls der Gläubiger eine endgültige Befreiung versprochen habe. Zudem vermeide eine Einzelwirkung, dass der Zugriff des Gläubigers auf den nicht entlassenen Gesamtschuldner vom Innenverhältnis der Gesamtschuldner abhängig sei454. Für die beschränkte Gesamtwirkung wird geltend gemacht, dass der Zweck des Erlassgeschäfts nur unvollkommen erreicht werde, wenn der Entlassene weiterhin Regressansprüchen ausgesetzt sei. Verweise man den Entlassenen aber auf einen Regress beim Gläubiger, entstehe ein überflüssiger Anspruchskreisel455. In seinem Vorlageentwurf von 1878 schlug von Kübel die Einzelwirkung des Einzelerlasses vor456. Die erste Kommission favorisierte in ihren Vorberatungen
449 So etwa Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 19; Kuntze, Singularsuccession, 228; Unger, JhJb 22 (1884), 269; Dernburg, Pandekten II, § 73 Nr. 4. 450 So insbesondere diejenigen, die von der Einheit der Korrealobligation ausgingen, etwa Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 5; Keller, Litis Contestation, 447 f.; Brinz, KritBl 4 (1853), 31 f.; vgl. Zimmermann, Obligations, 162. 451 Siehe etwa ObTr Stuttgart, SeuffA 23 Nr. 115 (10.10.1963); ROHGE 14, 179 (16.9.1874). 452 Koch, Forderungen II, 31 f.; Mages, Gesammtschuldverhältnisse, 131 f.; Kohler, KritVj 30 (1888), 213; ferner von Bülow, Abhandlungen II, Nr. 19, und Guyet, Abhandlungen, Nr. 11, 280 ff., beide zitiert bei Vangerow, Pandekten, § 573 Anm. 5; siehe auch Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 19; Binder, Korrealobligationen, 190 f. 453 Für die Einzelwirkung ALR I 5 § 437; ABGB §§ 894, 896 S. 3; SächsE § 606 S. 2; SächsGB § 1030 S. 2; DresdE Art. 383 S. 2; OR 1911 Art. 147 II (OR 1881 Art. 166 II); spanischer Código Civil Art. 1146; BW Art. 6:14. Für die beschränkte Gesamtwirkung CC Art. 1285; HessE IV 1 Art. 346 I; BayE II Art. 232; italienischer Codice Civile Art. 1301; PECL Art. 10:108 (1). Rechtsvergleichend Friedmann/Cohen, Adjustment, §§ 37 ff.; Weir, Complex Liabilities, §§ 100, 125 f. Im DCFR, Art. III-4:109, ist grundsätzlich eine beschränkte Gesamtwirkung, bei Schadensersatz-Gesamtschulden hingegen offenbar eine Einzelwirkung vorgesehen. 454 Vgl. Dresd. Prot. 1460 ff., 4259 ff.; von Kübel, Motive zum VorlE, 43 f. (Schubert, SR III, 1255 f.); Bork, Vergleich, 341 ff. 455 Vgl. BayE, Motive zu Teil II, 118; HessE, Motive zu Teil IV 1, 173; Dresd. Prot. 4259 ff.; von Kübel, Motive zum TeilE, 41 (Schubert, SR I, 93); aus der französischen Literatur etwa Demolombe, Cours XXVI, § 394; Demante/Colmet, Cours V, §§ 235 bis, 144 bis I; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1078; Mestre/Tian, Solidarité, § 79; Le Tourneau/Julien, Solidarité, § 113; aus der heutigen deutschen Literatur Wacke, AcP 170 (1970), 57 ff.; Goette, Gesamtschuldbegriff, 138 ff.; Esser/ Schmidt, Schuldrecht AT 2, § 39 II 2 b (S. 347); Gernhuber, Erfüllung, § 16 I 13 b; Selb, Mehrheiten, 71 f.; Stamm, NJW 2004, 812; aus der Schweizer Literatur Jung, FS Tercier (2008), 295 ff. 456 VorlE § 14.
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die beschränkte Gesamtwirkung457, entschied sich dann aber in ihren Hauptberatungen für die Einzelwirkung458. Der entlassene Gesamtschuldner wurde darauf verwiesen, gegebenenfalls Regress beim erlassenden Gläubiger zu nehmen. Bei dieser Entscheidung blieb es auch im weiteren Gesetzgebungsverfahren459. Mit der Vorschrift des § 423 sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass dem Erlass Einzelwirkung zukam, falls nicht eine Gesamtwirkung vereinbart war. Die Rechtsentwicklung setzte sich über diese Entscheidung teilweise hinweg. Mittlerweile ist in Literatur460 und Rechtsprechung461 anerkannt, dass ein Einzelerlass auch eine beschränkte Gesamtwirkung haben kann. Vereinbart der Gläubiger mit einem Gesamtschuldner einen Erlass, ist es eine Frage der Auslegung, ob eine Gesamtwirkung, eine beschränkte Gesamtwirkung oder eine Einzelwirkung vereinbart wurde462. Das Problem, dass ein Gesamtschuldner sich trotz seiner Entlassung Ausgleichsansprüchen seiner Mitschuldner gegenübersieht, besteht unzweifelhaft dann, wenn diese Ausgleichsansprüche auf rechtsgeschäftlicher Grundlage beruhen, weil der Gläubiger nicht in ein vertraglich vereinbartes Innenverhältnis eingreifen kann. Nach ganz herrschender Lehre463 und Rechtsprechung464 gilt das457
Jakobs/Schubert, SR I, 901. Ergebnis: TeilE § 13 S. 3. Jakobs/Schubert, SR I, 937 f. Ergebnis: E I § 332; dazu Mot. II, 165 (Mugdan II, 91). 459 Kritik an der Regelung des E I bei Reatz, Gemeinschaftliche Schuld, 1166 ff., 1170 ff. Anträge, den Einzelerlass mit beschränkter Gesamtwirkung (wieder-)aufzunehmen, scheiterten in der Vorkommission des Reichsjustizamts, Jakobs/Schubert, SR I, 949 f., und in der Zweiten Kommission, Prot. 888 f. (Mugdan II, 609). 460 Kohler, Schuldrecht, § 53 IV 2; Lippmann, AcP 111 (1914), 199 ff.; Keuk, AcP 168 (1968), 193 ff.; Thiele, JuS 1968, 156 f.; Wacke, AcP 170 (1970), 42; Esser, SR AT, § 59 II 3 (S. 442); Ehmann, Gesamtschuld, 242 ff.; Wagenfeld, Ausgleichsansprüche, 104 ff.; Goette, Gesamtschuldbegriff, 138 ff.; Larenz, SR AT, § 37 Fn. 22; Esser/Schmidt, Schuldrecht AT 2, § 39 II 2 b (S. 347); Selb, Mehrheiten, 70 ff.; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 43; Schlechtriem/Schmidt-Kessel, SR AT, Rz 849; Bentele, Gesamtschuld, 60 ff.; Staud/Noack, § 423 Rz 19; MüKo/P. Bydlinski, § 423 Rz 3; Soergel/Wolf, § 423 Rz 1; jurisPK/Rüßmann, § 423 Rz 2; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 102. 461 Etwa BGH NJW 1986, 1097 (19.12.1985); OLG Hamm, NJW-RR 1988, 1174 (12.4.1988); OLG Oldenburg, VersR 1992, 956 (11.12.1991); OLG Köln, NJW-RR 1994, 1307 (17.12.1993); OLG Karlsruhe, NJW-RR 1998, 601 (11.12.1997); BGH NJW 2000, 1942, 1943 (21.3.2000); BGH NJW-RR 2005, 34 (13.10.2004). 462 Hierzu etwa Wacke, AcP 170 (1970), 50 ff.; Staud/Noack, § 423 Rz 20 ff.; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 103 ff.; ausführlich Bentele, Gesamtschuld, 51 ff., 69 ff. 463 Schulz, Rückgriff, 78; Kremer, Mitbürgschaft, 175; Reichel, JhJb 85 (1935), 45 f.; Larenz, SR AT, § 37 Fn. 22; Esser, SR AT, § 59 II 3; Frotz, NJW 1965, 1258; Lumm, Ausgleich, 177 ff.; Ludewig, Gesamtschuldnerausgleich, 11; Weitnauer, Personenmehrheit, 387 f.; Gernhuber, Erfüllung, § 16 I 13; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 43, 66, 83; RGRK/Weber, § 423 Rz 1, § 426 Rz 6; Staud/Kaduk, § 423 Rz 8; Soergel/Wolf, § 423 Rz 1, § 426 Rz 43; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 97 f., 221 f.; Schanbacher, WM 1998, 1807; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 102; Staud/Noack, § 423 Rz 14, 18; MüKo/P. Bydlinski, § 423 Rz 4, § 426 Rz 8 f.; Bentele, Gesamtschuld, 44 f. (de lege lata); Schlechtriem/Schmidt-Kessel, SR AT, Rz 849; für den Vergleich Bork, Vergleich, 343 f. 464 OLG Hamburg, HansGZ 1910, Beiblatt Nr. 80 (3.12.1909); RG JW 1938, 516, 519 (19.10.1937); BGHZ 11, 170, 174 (21.11.1953, obiter); BGH WM 1962, 1293, 1294 (27.9.1962); BGH VersR 1964, 1048 (9.7.1964); BGHZ 47, 376, 379 (20.4.1967, obiter); BGHZ 59, 97, 103 458
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selbe aber auch für den gesetzlichen Gesamtschuldregress: Ein einzelwirkender Erlass schützt den Gesamtschuldner nicht vor einem Rückgriffsanspruch aus § 426 I. Sofern der Gläubiger und der entlassene Gesamtschuldner wissen, dass es noch weitere Mitschuldner gibt, kann die Wirkung des Erlasses durch Auslegung ihrer Vereinbarung ermittelt werden. Muss der Entlassene davon ausgehen, dass der Gläubiger Mitschuldner in Anspruch nimmt, die dann Ausgleichsansprüche erheben können, ist sein Vertrauen auf eine endgültige Befreiung vielleicht gar nicht schutzwürdig. Darf er hingegen die Vereinbarung so verstehen, dass er nicht nur von der Gläubigerforderung, sondern auch von Ausgleichsansprüchen befreit wird, dann wird die Vereinbarung häufig im Sinne einer beschränkten Gesamtwirkung des Erlasses ausgelegt; ansonsten kann er nach Inanspruchnahme durch einen Mitschuldner gegen den Gläubiger aus dem zugrunde liegenden Kausalgeschäft vorgehen465. Anders verhält es sich aber, wenn den Parteien oder zumindest dem Entlassenen die Existenz weiterer Mitschuldner unbekannt war. In diesem Fall liegt die Auslegung einer beschränkten Gesamtwirkung weniger nahe. Auch eine aus dem Kausalverhältnis resultierende Pflicht des Gläubigers, den Entlassenen von jeglicher Inanspruchnahme freizustellen, kann nicht ohne weiteres angenommen werden. Möglich ist also, dass der entlassene Gesamtschuldner auf eine endgültige Befreiung vertraut oder auch für den Erlass eine Gegenleistung erbracht hat, später jedoch unerwartet mit Regressansprüchen konfrontiert wird. Ein Teil der Literatur hält demgegenüber einen Einzelerlass, der die Gläubigeransprüche gegen die Mitschuldner nicht berührt, schlechthin für unzulässig466. Hierfür werden nicht nur der Schutz des entlassenen Gesamtschuldners, sondern auch konstruktive Erwägungen ins Feld geführt, wonach der Gläubiger, der einen schuldaufhebenden Einzelerlass schließt, damit notwendig auf einen Teil seiner Forderung verzichtet. Zudem geht es um den Schutz des verbleibenden Gesamtschuldners. Ein schuldaufhebender Einzelerlass würde bedeuten, dass die Forderung gegen den Entlassenen endgültig untergeht und damit nicht mehr nach § 426 II auf den verbleibenden Gesamtschuldner übergehen kann, wenn dieser an den Gläubiger leistet. Dem Gläubiger soll es aber verwehrt sein, durch ein mit einem Gesamtschuldner geschlossenes Geschäft den Zessionsregress des anderen Gesamtschuldners zu vereiteln. Möglich ist danach aber ein mit nur einem Gesamtschuldner vereinbartes pactum de non petendo, das nur den Gläubiger selbst bindet und daher weder Regressansprüchen noch einem Zessionsre465 (29.6.1972); BGH WM 1978, 348, 349 (8.12.1977); BGH NJW 1986, 1097, 1098 (19.12.1985); BGH NJW-RR 1989, 918, 920 (25.4.1989); OLG Stuttgart, ZIP 1990, 445 (28.11.1989); OLG Hamburg, NJW 1991, 849 (17.7.1990); BGH WM 1991, 399, 400 (20.12.1990); BGH NJW 1992, 2286, 2287 (11.6.1992); BGH NJW 2000, 1942, 1943 (21.3.2000). 465 So auch Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 97, 221 f. 466 Insbesondere Wacke, AcP 170 (1970), 42 ff.; ferner Thiele, JuS 1968, 156 f.; Ehmann, Gesamtschuld, 242 ff., 364; Erman/Ehmann, § 423 Rz 2–10; Esser/Schmidt, SR AT 2, § 39 II 2 b; de lege ferenda auch Bentele, Gesamtschuld, 153 ff.
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gress der Mitschuldner entgegensteht. Für den entlassenen Gesamtschuldner kommt es danach entscheidend darauf an, unter welchen Umständen die Entlassung als bloßer Klageverzicht ausgelegt wird. Sofern ein echter Erlass immer dann bejaht wird, wenn der Entlassene mit Regressansprüchen möglicher Mitschuldner gar nicht rechnen musste467, führt diese Lehre auch zu einem Schutz des regresspflichtigen Gesamtschuldners.
c) Aufrechnungslage Der eigenständige Gesamtschuldregress benachteiligt den regresspflichtigen Schuldner auch dann, wenn er eine aufrechenbare Gegenforderung gegen den Gläubiger hatte. Wäre er nur einem Zessionsregress oder einer Rückgriffskondiktion ausgesetzt, könnte er im Rahmen des § 406 mit der Gegenforderung auch gegenüber dem Regressberechtigten aufrechnen. Beim Gesamtschuldregress aber geht die herrschende Lehre davon aus, dass der regresspflichtige Gesamtschuldner zwar gegen die nach § 426 II auf den Regressberechtigten übergegangene Gläubigerforderung aufrechnen kann, nicht aber gegen dessen eigenen Ausgleichsanspruch aus § 426 I468. Da eine Aufrechnung gerade gegen die Gläubigerforderung in der Regel keinen Sinn macht, wenn der Regressberechtigte weiterhin aus § 426 I vorgehen kann, bedeutet dies, dass der regresspflichtige Gesamtschuldner von seiner Aufrechnungsbefugnis im Normalfall keinen Gebrauch machen kann. Gegen diese Lösung hat sich Denck gewendet. Der Verlust des Aufrechnungsrechts durch Leistung des Mitschuldners soll in denjenigen Fällen unbillig sein, in denen gesetzliche Gesamtschuldner durch kein besonderes Innenverhältnis verbunden sind. In diesen Fällen soll der regresspflichtige Gesamtschuldner S auch nach Leistung des Mitschuldners R an den Gläubiger nach §§ 412, 406 gegen die auf R übergegangene Gläubigerforderung aufrechnen können469. Diese Aufrechnung soll nach § 389 zurückwirken mit dem Ergebnis, dass die Gläubigerforderung schon vor der Leistung des R erlosch. Demnach hätte nicht R, sondern S gegenüber dem Gläubiger gesamtbefreiend erfüllt. R könnte gegenüber S keinen Regress nehmen, sondern müsste seine Leistung nach § 812
467 Für Wacke, AcP 170 (1970), 50, kommt nur ein echter Erlass in Frage, wenn der Gläubiger mit Mitschuldnern nicht rechnete. Anders wohl Erman/Ehmann, § 423 Rz 2–10, wonach eine Entlassung unter Aufrechterhaltung der Regressansprüche ohne weiteres möglich, aber als pactum de non petendo auszulegen sein soll, offenbar ohne dass der Entlassene dies erkennen kann. 468 Reichel, Schuldmitübernahme, 571; Kaßler, Gesamtschuld, 75; Weitnauer, Personenmehrheit, 380 Fn. 24; Selb, Mehrheiten, 114; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 41; Staudinger/Noack, § 426 Rz 129; Soergel/Wolf, § 426 Rz 53; Erman/Ehmann, § 426 Rz 32; BamR/Gehrlein, § 426 Rz 17; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 202; Tempel, JuS 1965, 267; Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 3; wohl auch Wendehorst, Jura 2004, 512. Diese Ansicht geht auf eine Entscheidung des Reichsgerichts zum Bürgenregress zurück, RGZ 59, 207 (17.10.1904). 469 Denck, JZ 1976, 669; ebenso schon Schulz, Rückgriff, 76; Kanka, JhJb 87 (1938), 182 f. (für Nebenbürgen); wohl auch Stamm, NJW 2004, 812; ders., Regreßfiguren, 71.
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vom Gläubiger zurückfordern470. Die hiermit verbundene Benachteiligung des Mitschuldners R und vor allem die des Gläubigers, der die von einem Gesamtschuldner erbrachte Leistung im Nachhinein wieder herausgeben muss, hat Tiedtke zur Ansicht bewogen, dass eine Aufrechnung durch S gegen den auf R übergegangenen Gläubigeranspruch überhaupt nicht zulässig sein sollte471. Ein Ergebnis, wonach der Gläubiger die von einem Gesamtschuldner erbrachte Leistung später wieder herausgeben muss, weil ein anderer Gesamtschuldner aufrechnet, wäre in der Tat nicht haltbar. Auch ein Gesamtschuldgläubiger muss sich nach einer einmal erfolgten fehlerfreien Leistung darauf verlassen können, das Geleistete behalten zu können und nicht einem Rückforderungsanspruch ausgesetzt zu sein, der noch dazu vom Innenverhältnis der Schuldner abhängig ist472. Ein Schuldner wird vom Recht grundsätzlich nicht dagegen geschützt, sein Aufrechnungsrecht gegenüber dem Gläubiger durch Leistung eines Dritten zu verlieren. Dies ist unmittelbar einsichtig bei der einfachen Drittleistung nach § 267: Hat R als Dritter auf die Schuld des S geleistet und diese damit zum Erlöschen gebracht, kann S nicht mehr gegenüber G mit dem Ergebnis aufrechnen, dass R auf eine Nichtschuld geleistet hätte. Ein Schutz des S findet nicht im Verhältnis zu G, sondern nur gegenüber der Regressforderung des R statt. Ebenso verhält es sich, wenn R als Gesamtschuldner leistete: Die Forderung des G gegen S erlischt nach § 422 und steht für eine Aufrechnung nicht mehr zur Verfügung. Die Subrogation nach § 426 II kann daran nichts ändern. Es handelt sich eben nicht um einen gewöhnlichen Forderungsübergang wie im Falle einer Abtretung473. Die Forderung des G wird allein für Regresszwecke am Leben gehalten und auf R übergeleitet. Dies bedeutet, dass eine Aufrechnung durch S die Forderung auch nur als Regressmittel in der Hand des R vernichten kann. Gegenüber G, der befriedigt worden ist, kann eine Aufrechnung durch S keine Wirkung entfalten474. Es kommt also allein darauf an, wie sich eine Aufrechnung durch S auf den Regress des R auswirkt. Wäre R als reiner Legalzessionar, etwa als auftragsloser Bürge, für seinen Regress auf die Gläubigerforderung angewiesen, kann S den Regress durch Aufrechnung zunichtemachen. In diesem Fall entstünde eine Bereicherung des G, weil er von der Forderung des S befreit wird, und zwar auf Kosten des R, weil er durch die Aufrechnung seine Regressforderung verloren
470 So für den Fall der Zulässigkeit der Aufrechnung Tiedtke, Aufrechnungsfragen, 19 ff.; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 86, denen Denck insoweit folgt; ebenso schon Kanka, JhJb 87 (1938), 182; Staud/Brändl (1959), § 770 Rz 8. 471 Tiedtke, Aufrechnungsfragen, 67 ff., 73 f.; ders., DB 1970, 1722 f.; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 86 f.; ebenso Staud/Horn, § 770 Rz 15 (zum Regress des Bürgen gegen den Hauptschuldner). 472 Wäre R intern allein verpflichtet, fände bei seiner Leistung kein Forderungsübergang nach § 426 II statt, so dass S nicht nach §§ 412, 406 aufrechnen und G die Leistung behalten könnte. 473 Oben, 421 ff. 474 So zu Recht von Olshausen, Gläubigerrecht, 225 ff.; ebenso i.E. Oertmann, Schuldverhältnisse BT, § 770 Anm. 3; Selb, Mehrheiten, 114.
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II. Der Innenausgleich
hat. R hat deswegen gegen G einen Bereicherungsanspruch wegen Schuldbefreiung nach oder analog § 816 II475. G wird hierdurch nicht benachteiligt. Vor der Aufrechnung hatte S eine Forderung gegen ihn. Nach der Aufrechnung hat R einen Bereicherungsanspruch gegen ihn, der, weil lediglich G’s Bereicherung abgeschöpft werden soll, ebenso wie eine gewöhnliche Rückgriffskondiktion denselben Einwendungen ausgesetzt ist wie die Forderung des S. Ist R aber Gesamtschuldner, steht ihm kein reiner Zessionsregress zur Verfügung, sondern ein eigener Rückgriff nach § 426 I, der durch den Forderungsübergang lediglich gesichert wird. Hier kommt es, ebenso wie im Falle der Verjährung, des Urteils und des Erlasses, entscheidend darauf an, wie man das eigene Regressrecht verstehen will. Besteht zwischen R und S ein vertragliches Innenverhältnis, das S zum Ersatz verpflichtet, dann ist R’s Regress vom Bestand der Gläubigerforderung unabhängig. Eine Aufrechnung durch S gegen den übergegangenen Gläubigeranspruch könnte einen Anspruch des R etwa aus § 670 nicht zunichtemachen476. Sieht man bei Fehlen eines besonderen Innenverhältnisses den Regress nach § 426 I als einen der Rückgriffskondiktion vergleichbaren Bereicherungsanspruch an, dann wären auf ihn §§ 404 ff. analog anwendbar, so dass S die Aufrechnung gegen die Gläubigerforderung auch dem Rückgriff aus § 426 I entgegenhalten könnte. Das Ergebnis wäre dasselbe wie im Falle eines reinen Zessionsregresses: R verliert seinen Regress gegen S, gewinnt aber eine Forderung gegen G aus § 816 II477. Nach herrschender Lehre aber eröffnet § 426 I ein gesetzliches Schuldverhältnis, das einen vom Fortbestand der Gläubigerforderung unabhängigen Regress eröffnet. Folgt man dem, kann R von S trotz dessen Aufrechnung Ausgleich verlangen. Wegen seiner verlorenen Gegenforderung wäre S darauf angewiesen, gegenüber G eine Rückgriffskondiktion geltend zu machen, die sachlich dem untergegangenen Anspruch entspricht478. Im Ergebnis wird S durch die Leistung des R um die Vorteile gebracht, die ihm die Aufrechnung bieten sollte: Er muss (zwar nicht gegenüber G, sondern nun gegenüber R) eine Leistung erbringen und zugleich versuchen, seine Gegenforderung gegen G einzutreiben.
d) Mehrfachleistung Schließlich kann der ausgleichspflichtige Gesamtschuldner S auch in eine schwierige Lage geraten, wenn er an den Gläubiger leistet, ohne zu wissen, dass zuvor 475
von Olshausen, Gläubigerrecht, 231 f.; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 205 ff. (die aber eine Aufrechnung nicht zulassen will, wenn die Aufrechnungslage erst nach dem Forderungsübergang entstand, was mit der Wertung des § 406 schwer vereinbar erscheint). 476 von Olshausen, Gläubigerrecht, 229 f. 477 So von Olshausen, Gläubigerrecht, 231. Ähnlich ist die von Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 226 f., für den Fall, dass S von Anfang an eine Gegenforderung gegen G hatte, vorgeschlagene Lösung: R hat einen Rückgriffsanspruch gegen S analog § 426 I, den S aber durch Abtretung seiner Forderung gegen G erfüllen kann. 478 von Olshausen, Gläubigerrecht, 230 f.; Weitnauer, Personenmehrheit, 380 Fn. 24.
12. Die Auswirkung weiterer „Tatsachen“
669
schon der Mitschuldner R die Leistung an den Gläubiger erbracht hat. Wäre S nur einem reinen Zessionsregress oder einer Rückgriffskondiktion ausgesetzt, könnte er sich gegenüber dem Rückgriffsanspruch des R nach oder analog § 407 mit befeiender Wirkung auf seine Leistung an den Gläubiger berufen. R wäre dann darauf beschränkt, nach § 816 II vom Gläubiger die Herausgabe des von S Geleisteten zu verlangen479. Diese Lösung hält ein Teil der Literatur auch bei Gesamtschulden für selbstverständlich. Der an den Gläubiger leistende Gesamtschuldner S, der von der früheren Leistung des Gesamtschuldners R keine Kenntnis hatte, kann sich demnach gegenüber der Regressforderung des R auf § 407 berufen480. Auf dem Boden der herrschenden Lehre, wonach die Gesamtschuld einen gesetzlichen, vom Bestand der Gläubigerforderung unabhängigen, Ausgleichsanspruch begründet, müsste man aber zu einem anderen Ergebnis gelangen: Leistet R an den Gläubiger, erlöschen dessen Forderungen gegen R und S. Es entsteht ein eigenständiger Rückgriffsanspruch des R gegen S aus § 426 I. An diesem Anspruch dürfte sich nichts dadurch ändern, dass S nun auf die nicht mehr bestehende Schuld des G leistet. S müsste also in Höhe seines internen Anteils ein zweites Mal leisten, diesmal an R, und versuchen, seine an G erbrachte Leistung nach § 812 I 1 Fall 1 von diesem wieder herauszuverlangen. Die herrschende Lehre versucht, dieses Problem durch die Annahme von Anzeigepflichten zu vermeiden. Der an den Gläubiger zuerst leistende R hat demnach die Pflicht, den Mitschuldner S von seiner Leistung in Kenntnis zu setzen481. Verletzt er diese Pflicht und leistet S deshalb ebenfalls an den Gläubiger, wird vereinzelt eine Einrede des S gegen den Regressanspruch des R angenommen482. Mehrheitlich geht man dagegen von einem Schadensersatzanspruch des S aus, wenn dieser seine Leistung vom Gläubiger, etwa wegen dessen Insolvenz, nicht mehr zurückbekommen kann483. Dies bedeutet, dass dann, wenn R keine Anzeigepflicht verletzt hat, etwa weil er von der Schuldnerstellung des S nichts wusste, S auf den Bereicherungsanspruch gegen den Gläubiger beschränkt ist484. Im Falle rechtsgeschäftlicher Abtretungen sowie im Falle eines reinen Zessionsregresses wird ein Schuldner bei Unsicherheiten darüber, wer sein Gläubiger 479
von Olshausen, Gläubigerrecht, 232 f.; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 209 ff. So Denck, JZ 1976, 671 f.; Medicus, BürgR, Rz 927; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 132; Wernecke, Gesamtschuld, 88 Fn. 61, 195; wohl auch H. Roth, FS Medicus, 508; Stamm, NJW 2004, 812; ders., Regreßfiguren, 71. 481 Planck/Siber, § 426 Anm. 1 b; Oertmann, Schuldverhältnisse AT, § 426 Anm. 1; Staud/Werner (1930), § 426 Anm. A I 1 d; Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, § 95 II 1; Lumm, Ausgleich, 162; Staud/Kaduk, § 426 Rz 28, 49; Staud/Noack, § 426 Rz 82; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 73; Erman/Ehmann, § 426 Rz 16; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 185; kritisch Prediger, Auslegung, 154 f. 482 Oertmann, Schuldverhältnisse AT, § 426 Anm. 1. 483 Planck/Siber, § 426 Anm. 1 b; Staud/Werner (1930), § 426 Anm. A I 1 d; Lumm, Ausgleich, 163; Staud/Kaduk, § 426 Rz 49; Staud/Noack, § 426 Rz 82; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 185. 484 So ausdrücklich Staud/Kaduk, § 426 Rz 28, 49; Staud/Noack, § 422 Rz 11, § 426 Rz 82; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 185. 480
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II. Der Innenausgleich
ist, durch die §§ 407–410 umfassend geschützt. Im Gegensatz dazu wird ein Schadensersatzschuldner, der keine Kenntnis davon hat, dass auch ein anderer Schuldner solidarisch Schadensersatz schuldet, massiv benachteiligt. Wurde etwa der Schaden nebeneinander von zwei Personen verursacht, die von der Schuldnerstellung des jeweils anderen keine Kenntnis haben, leisten beide vollen Schadensersatz an den Geschädigten und wird dieser dann insolvent, dann kommt es für die Frage, wer von ihnen beim anderen Regress nehmen kann, auf den oft zufälligen Umstand an, wer zuerst an den Geschädigten geleistet hat. Der später Leistende muss dem anderen Gesamtschuldner Ausgleich leisten und fällt mit seiner Rückforderung gegenüber dem Geschädigten aus. Zwar besteht grundsätzlich immer ein Risiko, an jemanden rechtsgrundlos zu leisten, der dann wegen Insolvenz zur Herausgabe nicht in der Lage ist. Doch der später leistende Gesamtschuldner verhält sich gerade so, wie es die Rechtsordnung von ihm erwartet: Er leistet den von ihm geschuldeten Schadensersatz an den Geschädigten, der aus seiner Sicht nach wie vor sein Gläubiger ist. Er kann das Risiko, an den Falschen zu leisten, auch kaum vermeiden, wenn ihm der Geschädigte (böswillig oder aus Nachlässigkeit) versichert, noch keinen Ersatz von dritter Seite erhalten zu haben. Mit dem in der Literatur propagierten Ziel, die Gesamtschuldner untereinander möglichst gleich zu behandeln, ist diese Lösung nur schwer vereinbar.
13. Der privilegierte Gesamtschuldregress und seine Kritiker Folgt man der herrschenden Lehre, befindet sich der ausgleichspflichtige Gesamtschuldner in einer wesentlich schlechteren Lage als derjenige, der nur einem Zessionsregress oder einem Bereicherungsregress ausgesetzt ist. Nachträgliche Ereignisse, die ihn von der Gläubigerforderung befreien, beenden nicht seine Regresspflicht gegenüber seinem Mitschuldner. In Höhe seines internen Anteils bleibt er verpflichtet; ist er intern allein belastet, nützt ihm die Befreiung von der Gläubigerforderung wenig. Hatte er ursprünglich eine aufrechenbare Gegenforderung gegen den Gläubiger und damit die Sicherheit, sich durch Aufrechnungserklärung von der Leistungspflicht befreien zu können, geht ihm diese Möglichkeit praktisch verloren, wenn der Mitschuldner an den Gläubiger leistet. Hinzu kommt, dass der regresspflichtige Gesamtschuldner von der Gesamtschuld und damit vom Anspruch des Mitschuldners aus § 426 I nichts wissen muss, da bei Gesamtschulden auf Schadensersatz die Existenz und die Anzahl der Mitschädiger für den einzelnen Schuldner oft nicht ersichtlich sind. Der zum Schadensersatz Verpflichtete kann sich also gutgläubig auf eine Befreiung von der Gläubigerforderung durch Erlass, Urteil oder Verjährung eingerichtet und entsprechend disponiert haben, um dann von seiner Regresspflicht überrascht zu werden. Im schlimmsten Fall leistet er an den Gläubiger, ohne zu wissen, dass sein Mitschuldner bereits geleistet hat, und muss in Höhe seines internen Anteils erneut leisten.
13. Der privilegierte Gesamtschuldregress und seine Kritiker
671
Sind die Gesamtschuldner durch ein besonderes Innenverhältnis verbunden, das den Regress regelt, ist eine solche Regressgestaltung unproblematisch. Schuldet ein Gesamtschuldner dem anderen aus einem Vertrag oder aus einer eigenen Schadensersatzverpflichtung Freistellung von den Gläubigeransprüchen oder Ersatz des an den Gläubiger Geleisteten, dann kommt es auf die eigene Haftung des regresspflichtigen Gesamtschuldners gegenüber dem Gläubiger nicht an. Seine Befreiung von der Gläubigerforderung oder eine Aufrechnungslage gegenüber dem Gläubiger sind daher für den Regress unerheblich. Die entscheidende Frage ist, ob dies auch dann gelten soll, wenn abgesehen von § 426 I kein besonderes Innenverhältnis besteht. Die „Schuldgemeinschaft“ unter den Gesamtschuldnern gründet sich dann allein auf die Tatsache, dass beide gegenüber dem Gläubiger schulden. Dann ist es aber keinesfalls selbstverständlich, dass der Fortbestand dieser Schulden gegenüber dem Gläubiger, sind sie einmal entstanden, überhaupt keine Rolle mehr spielen soll. Dies zeigt auch die Diskussion um die sog. gestörte Gesamtschuld485. Hier geht es um Fälle, in denen gesetzliche Gesamtschulden, in der Regel auf Schadensersatz, bestünden, wäre nicht einer der potentiellen Schuldner durch Vereinbarung mit dem Gläubiger oder durch Gesetz von vornherein von der Haftung befreit worden. Nach allgemeinen Regeln müsste der nicht befreite Schuldner dem Gläubiger Schadensersatz leisten und könnte gegen den Befreiten keinen Regress nehmen, weil dieser nie Gesamtschuldner war. Doch in denjenigen Fällen, in denen die Befreiung auf einer Vereinbarung mit dem Gläubiger beruht, gewährt die Rechtsprechung dem nicht befreiten Schuldner dennoch einen (analogen) Gesamtschuldregress gegen den Befreiten486. Nach wohl herrschender Lehre in der Literatur ist es dagegen ausgeschlossen, jemanden zum Gesamtschuldregress heranzuziehen, der nie Schuldner war. Sie favorisiert generell eine beschränkte Gesamtwirkung der Haftungsfreistellung, so dass der Gläubiger den verbleibenden Schuldner nur in Höhe seines internen Anteils in Anspruch nehmen kann487. 485 Überblick bei Staudinger/Noack, § 426 Rz 143 ff.; MüKo/Wagner, § 840 Rz 28 ff.; rechtsvergleichender Überblick bei Friedmann/Cohen, Adjustment, §§ 31 ff.; Weir, Complex Liabilities, §§ 88 ff., 121. 486 BGHZ 12, 213 (3.2.1954); ebenso der Begründung nach BGHZ 58, 216 (9.3.1972); Näheres zu dieser Fallgruppe unten, 968 ff. Diese Lösung wird für alle Fälle der gestörten Gesamtschuld vorgeschlagen im Referentenentwurf von 1967 zur Reform des Schadensersatzrechts (hg. vom Bundesminister der Justiz), § 840 II; sowie in dessen Vorentwurf, Karlsruher Forum 1962 (Beilage zu VersR 1962), 42; hierzu Weitnauer, Karlsruher Forum 1962, 7 ff. 487 Etwa Prölss, JuS 1966, 400; Medicus, JZ 1967, 398; Thiele, JuS 1968, 156 f.; Esser, SR AT, § 59 II 3; Keuk, AcP 168 (1968), 175; dies., JZ 1972, 528; Ludewig, Gesamtschuldnerausgleich (1968), 103 ff.; Lumm, Ausgleich (1968), 194 ff.; Wacke, AcP 170 (1970), 67 ff.; Ehmann, Gesamtschuld, 244 ff.; Erman/Ehmann, § 421 Rz 81; Wagenfeld, Ausgleichsansprüche, 123 ff., 131 f., 162 ff., 239 ff.; Goette, Gesamtschuldbegriff, 138 ff.; Larenz, SR AT, 646 ff.; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 77 ff.; Esser/Schmidt, Schuldrecht AT 2, § 39 II 2 b; Fikentscher/Heinemann, SR, Rz 780; Brox/Walker, SR AT, Rz 37/20 ff.; Schreiber, Jura 1989, 358; Lange, JZ 1989, 48; Luckey, VersR 2002, 1213; Mitsch, ZIP 2005, 1018 f.; Schmieder, JZ 2009, 193 f.; RGRK/Weber, § 426 Rz 32 ff.; Staud/Kaduk, § 426 Rz 60 ff.; Jauernig/Stürner, § 426 Rz 23–25; MüKo/Wagner, § 840 Rz 29 ff.; Erman/Schiemann, § 840 Rz 7 f.; grds. auch Hager, NJW 1989, 1643 ff. Ebenso § 840 II
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II. Der Innenausgleich
Diese Lösung wählt auch die Rechtsprechung im Fall der Haftungsfreistellung nach § 104 SGB VII (früher § 636 RVO)488. Bei der gesetzlichen Haftungsbeschränkung nach § 1664 hat sich der BGH dagegen für eine Lösung entschieden, wonach der verbleibende Schuldner dem Gläubiger vollen Schadensersatz schuldet, ohne aber Regress gegenüber dem Befreiten nehmen zu können489. Selbstverständlich sind die Probleme bei anfänglichen Haftungsfreistellungen nicht dieselben wie die bei nachträglichen Befreiungen, aber sie sind verwandt490. Wenn etwa ein großer Teil der Literatur es als untragbar ansieht, jemanden zum Gesamtschuldregress heranzuziehen, der nie einem Anspruch des Gläubigers ausgesetzt war, dann muss er sich fragen lassen, warum dann derjenige Regress schulden soll, der zwar ursprünglich, inzwischen aber nicht mehr Schuldner des Gläubigers ist. Dies muss nicht zwingend dazu führen, dass ein Regress auch bei nachträglichen Haftungsfreistellungen ausgeschlossen ist. Doch die These, dass die Regresspflicht die Schuldnerstellung gegenüber dem Gläubiger zwingend voraussetzt, dann aber von ihr unabhängig ist, verlangt zumindest nach einer sachlichen Begründung491. Für den potentiell Regresspflichtigen mag es nur wenig Unterschied machen, ob er vor oder nach Erfüllung des Haftungstatbestands von der Gläubigerforderung befreit wird. Zugleich zeigt die Entscheidung des BGH zur Haftungsbeschränkung nach § 1664, dass eine Lage, in der ein Schadensverursacher dem Gläubiger den gesamten Schaden ersetzen muss, ohne vom
des488seitens von Bar erstellten Gutachtens zur Reform des Deliktsrechts, S. 1762. Dagegen grundsätzlich die Lösung eines Gesamtschuldregresses trotz Befreiung befürwortend Muscheler, JR 1994, 441. Wie die Rechtsprechung nach Fallgruppen differenzierend etwa Stoll, FamRZ 1962, 64; Hanau, VersR 1967, 516; von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 93 ff.; Gemtos, Haftungsausschluß (1968), insbes. 37 ff., 52 f., 70 f., 79 ff.; Lange, FS Gernhuber, 227; Selb, Mehrheiten, 124 ff.; Glaßer, Gesamtschuldnerausgleich, 146 ff., 190 ff.; Soergel/Wolf, § 426 Rz 41 ff.; Staud/Noack, § 426 Rz 144 ff.; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 54 ff.; Erman/Ehmann, § 426 Rz 66 ff.; Staud/Vieweg, § 840 Rz 52 ff.; Schlechtriem/Schmidt-Kessel, SR AT, Rz 863; Koziol, Haftpflichtrecht I, Rz 14/32 ff.; s.a. Schröder, JR 1970, 41; Steinbeis, Haftungsausschluß, 147 ff.; Stamm, NJW 2004, 812 f. Eine besonders differenzierte Lösung findet sich bei Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 105 ff. 488 BGHZ 51, 37 (29.10.1968); BGHZ 61, 51 (12.6.1973); BGHZ 94, 173 (23.4.1985); BGHZ 110, 114 (23.1.1990); BGHZ 155, 206, 212 ff. (24.6.2003); BGHZ 157, 9 (11.11.2003); BGH NJW 2005, 3144 (14.6.2005); BGH NJW 2008, 2116, 2117 (22.1.2008). 489 BGHZ 103, 338, 344 ff. (1.3.1988); bestätigt von BGH NJW 2004, 2892, 2893 f. (15.6.2004); ebenso OLG Hamm, NJW-RR 1994, 415 (17.8.1993); und schon Stoll, FamRZ 1962, 64; Steinbeis, Haftungsausschluß, 154 f.; anders noch BGHZ 35, 317 (27.6.1961). 490 Hierauf macht insbesondere Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 94, 103, 217 ff., aufmerksam; ebenso Schmieder, JZ 2009, 192 f. Manchmal überschneiden sich die Probleme auch, etwa im Fall BGHZ 58, 216 (9.3.1972), in dem einer der Gesamtschuldner schon vor Entstehung der Gesamtschuld mit dem Gläubiger eine verkürzte Verjährungsfrist vereinbart hatte und der Gläubiger den anderen erst nach Verstreichen dieser Verjährungsfrist in Anspruch nahm. Ob es sich hier um ein Problem der gestörten Gesamtschuld oder lediglich um einen Fall des vom Bestand der Gläubigerforderung unabhängigen Regresses handelt, wird unterschiedlich beurteilt, vgl. Schlechtriem, NJW 1972, 1556; Keuk, JZ 1972, 528; Selb, Mehrheiten, 130; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 81 f. Weiteres zu BGHZ 58, 216 unten, 978 ff., 996. 491 Ebenso Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 92 ff., 217 ff.
13. Der privilegierte Gesamtschuldregress und seine Kritiker
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Mitverursacher Regress nehmen zu können, nicht als vollends untragbar angesehen wird492. Die Lehre von einem Gesamtschuldregress, der durch nachträgliche Befreiungen vom Gläubigerzugriff nicht berührt wird, kann sich auf den ersten Blick auf die Entstehungsgeschichte der §§ 423, 425 stützen493. Danach hat die Erste Kommission in ihren Vorberatungen von 1879 die beschränkte Gesamtwirkung des Einzelerlasses und des klageabweisenden Urteils beschlossen, um zu vermeiden, dass der befreite Gesamtschuldner weiterhin Regressansprüchen seiner Mitschuldner ausgesetzt ist494. Eine solche Lösung wurde auch für die Verjährung erwogen495. Der Redaktor von Kübel war von Anfang an anderer Ansicht: Erlass, Urteil und Verjährung betrafen für ihn nur das Verhältnis zwischen dem Gläubiger und dem einzelnen Gesamtschuldner. Ihre Wirkung konnte nicht durch das Bestehen möglicher Ausgleichsansprüche unter den Gesamtschuldnern beeinflusst werden496. Dem folgte die Erste Kommission in ihren Hauptberatungen von 1882, in denen sie sich für die Einzelwirkung des Erlasses, des Urteils und der Verjährung entschied, selbst wenn dies dazu führen konnte, dass der befreite Gesamtschuldner weiterhin Ausgleichsansprüchen ausgesetzt war497. Hieraus könnte geschlossen werden, dass der Gesamtschuldregress nach § 426 I nach Ansicht des Gesetzgebers auch trotz Erlass, Klageabweisung oder Verjährung der Gläubigerforderung möglich sein sollte. Doch es steht keineswegs fest, dass mit den Regressansprüchen, denen der durch Erlass, Urteil oder Verjährung befreite Gesamtschuldner sich nach Ansicht des Gesetzgebers ausgesetzt sah, der gesetzliche Gesamtschuldregress nach § 426 I gemeint war. Möglich wäre auch, dass von Kübel und die Erste Kommission nur rechtsgeschäftlich vereinbarte Ausgleichsansprüche im Auge hatten, bei denen sich das Problem unabhängig von der Konstruktion des Gesamtschuldregresses stellt. Es ist daher nur möglich, keineswegs sicher, dass der historische Gesetzgeber von einer Schuldgemeinschaft in Gestalt eines vom Außenverhältnis unabhängigen Ausgleichsanspruch ausgegangen ist498. Gegen die herrschenden Lehre von der Schuldgemeinschaft, die Regressansprüche unabhängig vom Fortbestand der Gläubigerforderung begründen soll, sind aus der Literatur immer wieder Einwände erhoben worden. (1) Den Anfang machte 1907 Fritz Schulz. Für sämtliche Regresskonstellationen, seien es Gesamtschuld, Bürgschaft, Versicherungsleistung oder Drittleistung i.S.d. § 267, stellte er den Grundsatz auf, dass derjenige, der durch Leistung 492
In diesem Sinne auch Schröder, JR 1970, 43 ff.; Hager, NJW 1989, 1646 f.; Christensen, MDR 1989, 948; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 151 ff.; Stamm, NJW 2004, 813. 493 Hierzu schon oben, 647 f. (Verjährung), 659 f. (Urteil), 663 f. (Erlass). 494 Jakobs/Schubert, SR I, 899, 901. 495 Jakobs/Schubert, SR I, 903. 496 VorlE, §§ 9, 14, 20; Motive zum VorlE, 44 (Schubert, SR III, 1256); Motive zum TeilE, 29 ff. (Schubert, SR I, 81 ff.). 497 Jakobs/Schubert, SR I, 929, 937 f., 946. Ergebnis: E I §§ 327, 332, 336; BGB §§ 423, 425. 498 Ausführlicher zu dieser Auslegungsfrage unten, 1160 ff.
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II. Der Innenausgleich
an den Gläubiger (auch) die Verbindlichkeit eines anderen zum Erlöschen bringt, gegen den anderen einen Regress hat, soweit der andere für die Befriedigung des Gläubigers an erster Stelle zuständig ist. Dieser Regressanspruch könne aber verschiedene Formen annehmen. Handle der Regressberechtigte im Rahmen eines rechtsgeschäftlichen Innenverhältnisses mit dem anderen oder zumindest als berechtigter Geschäftsführer, umfasse der Regress seine Aufwendungen. Fehle es aber an einem besonderen Innenverhältnis, dann stehe der Regressberechtigte nur in einer Beziehung zum Gläubiger und könne nur aus dessen Recht einen Regress ableiten. Dies bedeute, dass er vom anderen nur das verlangen könne, was der Gläubiger verlangen konnte. Diese Art von Regress sei dem Schuldner stets zumutbar, weil er nicht schlechter stehe, als wenn der Gläubiger dem Regressberechtigten die Forderung abgetreten hätte. Bei diesem Rückgriffanspruch handle es sich aber nicht um die Gläubigerforderung selbst, sondern um einen Aufwendungsersatzanspruch, der durch die Bereicherung des Schuldners begrenzt sei499. Im Ergebnis legte Schulz den Anspruch aus § 426 I und II als einheitlichen Regressanspruch aus, der bei fehlendem Innenverhältnis bereicherungsrechtlich begründet wurde und daher die Gestalt einer heutigen Rückgriffskondiktion annahm, die durch die Sicherheiten der Gläubigerforderung gesichert wurde. Der Schuldner sollte gegenüber dem Regressberechtigten alle Einreden und Einwendungen geltend machen dürfen, die er auch dem Gläubiger hätte entgegensetzen können. Bei Klageabweisung oder Verjährung der Gläubigerforderung war er vor einem Regress geschützt; eine Aufrechnungslage blieb erhalten500. Nur für den Fall des Erlasses machte Schulz (wohl wegen der offensichtlichen Manipulationsgefahr) eine Ausnahme und ließ den Regress auch dann zu, wenn der Gläubiger mit dem regresspflichtigen Schuldner einen Einzelerlass vereinbart hatte501. (2) Insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren kam es häufig zur Kritik an der herrschenden Schuldgemeinschafts-Lehre. Von Caemmerer machte aus historisch-rechtsvergleichender Perspektive auf den grundlegenden Unterschied zwischen vertraglich vereinbarten und Schadensersatz-Gesamtschulden aufmerksam502. Weil bei ersteren der Regress aus dem Innenverhältnis folge, sei er selbstverständlich unabhängig vom Fortbestand der Gläubigerforderung und könne auch Mitwirkungs- und Befreiungsansprüche eröffnen503. Bei deliktischen und Haftpflichtschulden hingegen habe sich die Anerkennung eines allgemeinen Gesamtschuldausgleichs erst allmählich durchgesetzt und werde, wie die französische obligation in solidum zeige504, häufig allein durch einen Subrogationsregress verwirklicht. Demgegenüber sei die deutsche Annahme einer gesetzlichen Schuldgemeinschaft unter den Gesamtschuldnern im Vergleich zu einem Subro-
499 500 501 502 503 504
Schulz, Rückgriff, 40 ff., 81. Rückgriff, 74 ff. Rückgriff, 78. von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 81. ZfRV 9 (1968), 85. Oben, 579 ff.
13. Der privilegierte Gesamtschuldregress und seine Kritiker
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gations- oder Bereicherungsregress zu weitgehend und bedeute eine ungerechtfertigte Übertragung von Regeln, die allein zu vertraglich vereinbarten Gesamtschulden passen. Insbesondere die Annahme einer (damals geltenden) eigenständigen dreißigjährigen Verjährungsfrist sowie von Mitwirkungspflichten vor Leistung an den Gläubiger sei rechtspolitisch fragwürdig505. Auch Keuk kritisierte, dass ein gesetzlicher Gesamtschuldner selbst nach Befreiung von der Gläubigerforderung noch zum Gesamtschuldausgleich herangezogen werden kann506. Ihr ging es allerdings allein um Nebentäter, die den Schaden nur in Kombination ihrer Kausalbeiträge verursachen konnten. Nach Ansicht Keuks haftete jeder Nebentäter „an sich“ nur auf einen Anteil des Gesamtschadens. Die Solidarhaft werde allein durch § 840 zum Schutz des Verletzten angeordnet und bewirke, dass jeder Nebentäter auch für den Verursachungsbeitrag des anderen einstehen müsse. Nicht gerechtfertigt werde aber damit, dass ein Nebentäter schlechter stehe, als wenn er Alleinverursacher gewesen wäre. Sei er also durch Erlass, Verjährung oder Klageabweisung von der Gläubigerforderung frei, könne er auch nicht mehr zum Gesamtschuldregress herangezogen werden. Dies bedeute aber nicht, dass der vom Gläubiger in Anspruch genommene andere Nebentäter den gesamten Schaden ersetzen müsse, ohne Regress nehmen zu können. Da er in Höhe des internen Anteils seines Mitschuldners nur für einen fremden Kausalbeitrag einstehen müsse, entfalle diese Außenhaftung, wenn der Mitschuldner gegenüber dem Gläubiger frei sei. Im Ergebnis könne der Gläubiger den verbleibenden Gesamtschuldner nur in Höhe von dessen internen Anteil in Anspruch nehmen: Erlass, Verjährung und klageabweisendes Urteil hätten beschränkte Gesamtwirkung. Goette knüpfte wie Schulz und von Caemmerer an die Unterscheidung zwischen vertraglich vereinbarten und gesetzlichen Gesamtschulden an. Bei letzteren lehnte er die herrschende Ansicht von der Schuldgemeinschaft sowie die Annahme von Mitwirkungspflichten ab507. Der Regress, so Goette, habe die Funktion, den „natürlichen“ Zustand der Teilschuld herzustellen, dürfe aber nicht zu einer Schlechterstellung des regresspflichtigen Schuldners im Vergleich zum Teilschuldverhältnis führen508. Der Einzelerlass zwischen dem Gläubiger und einem Gesamtschuldner sollte diesen daher auch von Regresspflichten befreien und im Ergebnis beschränkte Gesamtwirkung haben. Ähnlich wie Keuk argumentierte Goette, dass der Gläubiger durch den Einzelerlass den internen Anteil des Entlassenen aus der gesamtschuldnerischen Verklammerung herauslöse und damit den verbleibenden Gesamtschuldner nur noch auf seinen internen Anteil in Anspruch nehmen könne509. Anders verhalte es sich aber beim klageabweisenden Urteil und der Verjährung: Da eine beschränkte Gesamtwirkung den Gläubiger 505 506 507 508 509
ZfRV 9 (1968), 85 ff., 90 ff. Keuk, AcP 168 (1968), 175, 193 ff.; dies., JZ 1972, 530 f. Goette, Gesamtschuldbegriff, 129 ff., 133 ff. A.a.O., 131. A.a.O., 138 ff.
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II. Der Innenausgleich
seiner Sicherheit und Wahlfreiheit beraube, müsse es bei der Lösung der herrschenden Lehre bleiben, wonach der regresspflichtige Gesamtschuldner trotz Befreiung vom Gläubigerzugriff zum Regress herangezogen werden könne510. Schließlich sprach sich auch Denck für eine Unterscheidung zwischen vertraglichen und gesetzlichen Gesamtschuldverhältnissen aus. Bei letzteren bestehe zwar ein Gemeinschaftsverhältnis unter den Schuldnern, das aber weitaus weniger gegenseitige Pflichten hervorbringe als im Falle eines vertraglichen Innenverhältnisses. Daher könne bei gesetzlichen Gesamtschuldverhältnissen ein Schuldner eine gegenüber dem Gläubiger bestehende Aufrechnungslage auch noch nach Leistung seines Mitschuldners dazu nutzen, den Regress des Mitschuldners abzuwehren511. Wie gezeigt512 empfiehlt es sich nicht, mit der Vorstellung zu arbeiten, dass jeder Schadensersatz-Gesamtschuldner „an sich“ nur einen Teil der insgesamt geschuldeten Leistung schuldet und für den Rest lediglich für eine materiell fremde Schuld haftet, sei es nur bei Nebentätern wie nach Keuk, sei es allgemein wie nach Goette. Was ein Schadensersatz-Gesamtschuldner „eigentlich“ schuldet, lässt sich nicht sinnvoll beantworten: Besteht ein Gesamtschuldverhältnis, etwa nach § 840, dann schuldet er das Ganze. Gibt es einen Gesamtschuldregress, dann ist für einzelne Anteile der insgesamt dem Gläubiger geschuldeten Leistung ein Gesamtschuldner intern primär, ein anderer intern sekundär zuständig. Dies ist aber keine Besonderheit von Schadensersatz-Gesamtschulden oder von Gesamtschuldverhältnissen unter Nebentätern. Vor allem können hieraus keine zwingenden Schlüsse zu den Folgen der nachträglichen Haftungsbefreiung eines Gesamtschuldners gezogen werden. Ein Gesetzgeber könnte hier verschiedene Auswirkungen auf die Haftung und den Regress des verbleibenden Mitschuldners vorsehen. Insbesondere stünde es ihm auch frei, eine volle Haftung des verbleibenden Gesamtschuldners ohne Regressmöglichkeit vorzusehen. Dies wäre etwa der Fall, wenn er einen reinen Zessionsregress ohne Schutzvorschriften in der Art der § 776 BGB, § 67 I 3 VVG anordnen würde. Warum dies dogmatisch nicht möglich sein soll, ist nicht ersichtlich. Es ist nicht zwingend, dass die Solidarhaft den Gläubiger allein vor der Insolvenz einzelner Mitschuldner schützen soll und daher voraussetzt, dass der solidarisch Haftende (nach wie vor) einen Ausgleichsanspruch hat. (3) Ein besonders ambitionierter und differenzierender Lösungsvorschlag ist 1997 durch Glöckner vorgelegt worden513. Auch er macht darauf aufmerksam, dass die herrschende Lehre vom eigenständigen Gesamtschuldregress, der vom Fortbestand der Gläubigerforderung unabhängig ist, den regresspflichtigen Gesamtschuldner im Ergebnis seiner Einwendungen gegenüber dem Gläubiger beraube und damit Privilegierungen zunichtemachen könne, die dem regresspflich510 511 512 513
A.a.O., 143 ff., 147 ff. Denck, JZ 1976, 673 f. Oben, 546 ff. und 646. Ebenso Glaßer, Gesamtschuldnerausgleich, 32 ff. Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 75 ff.
13. Der privilegierte Gesamtschuldregress und seine Kritiker
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tigen Gesamtschuldner grundsätzlich zugestanden hätten. Ausgangspunkt ist für ihn, dass die Probleme der anfänglichen Haftungsbefreiung (gestörte Gesamtschuld) und die der sonstigen anfänglichen Privilegierungen, die zu späteren Befreiungen oder Einreden führen können, strukturell gleich sind. Für die gestörte Gesamtschuld entwickelt er einen hochdifferenzierten Lösungsweg514, den er dann mit Modifikationen auch auf die Fälle nachträglicher Befreiungen oder sonstiger Einreden anwendet515. Die primäre Frage lautet danach, ob die konkrete Einwendung oder Einrede lediglich auf einem nachträglichen Ereignis im Verhältnis zwischen dem privilegierten Schuldner S und dem Gläubiger beruht – in diesem Fall muss S einen Regress durch seinen Mitschuldner R hinnehmen – oder ob es sich um ein von Anfang an bestehendes allgemeines Haftungsprivileg handelt, das S auch gegenüber einem Gesamtschuldregress immunisiert516. Um nachträgliche, den Gesamtschuldregress nicht hindernde, Einreden soll es sich etwa beim Einzelerlass, bei der Klageabweisung oder bei dem Verstreichen einer Ausschlussfrist handeln517. Dagegen soll S das Privileg einer von Anfang an kurzen Verjährungsfrist oder einer von Anfang an bestehenden Aufrechnungslage gegenüber dem Gläubiger auch gegen eine weitergehende Inanspruchnahme im Wege des Gesamtschuldregresses schützen. In diesem Fall stellt sich die zweite Frage, ob die Befreiung des S im Ergebnis zulasten des Gläubigers oder zulasten des Mitschuldners R gehen soll. Hier stellt Glöckner darauf ab, ob der Gläubiger, würde die Belastung R zugewiesen, im Ergebnis doppelt begünstigt wäre518. Dies sei etwa bei kurzen Verjährungsfristen der Fall, die auf einer Vereinbarung zwischen G und S beruhen. Im Gegenzug für die verkürzte Frist werde S seinen Leistungspreis reduzieren. Könne G nun trotzdem R voll in Anspruch nehmen, sei er doppelt begünstigt. Im Ergebnis müsse daher G den Nachteil tragen519. Keine Doppelbegünstigung finde dagegen statt, wenn S von Anfang an von einem Aufrechnungsrecht gegen G oder von einer kürzeren gesetzlichen Verjährungsfrist profitiere. Hier führe die Befreiung des S im Ergebnis zu einem Regressverlust des R, der gegenüber G voll hafte520. 514
A.a.O., 105 ff. A.a.O., 217 ff. 516 A.a.O., 96, 123, 220. 517 A.a.O., 97 f., 221 ff. 518 A.a.O., 142 ff. 519 A.a.O., 227 f. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob G’s Anspruch gegenüber R gekürzt wird oder ob R, wird er von G voll in Anspruch genommen und kann er bei S keinen Regress nehmen, wieder auf G zurückgreifen kann. Glöckner entwickelt eine Lösung, wonach R den Einwand des Regressverlusts schon gegenüber der Inanspruchnahme durch G mittels einer dolo petit-Einrede geltend machen kann, aber nicht muss. Erbringt er dagegen die Gesamtleistung an G, soll ein Bereicherungsanspruch des S gegen G entstehen, dessen Übertragung R von S analog § 426 I verlangen kann, a.a.O., 202 ff. 520 A.a.O., 223 f. (Verjährung), 226 f. (Aufrechnungslage). Beruft sich S gegenüber R auf sein Aufrechnungsrecht, kann R von ihm danach keinen Regress, sondern nur die Abtretung von S’ Forderung gegen G verlangen. Diese Lösung ähnelt im Ergebnis derjenigen bei Annahme eines Zessions- oder Bereicherungsregresses. 515
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II. Der Innenausgleich
Besonders interessant an diesem Lösungsweg ist, dass Glöckner nicht nur zwischen den einzelnen Befreiungsgründen und Einreden differenziert, sondern auch mittels einer Wertung zu ermitteln sucht, welcher Partei im gesamtschuldnerischen Dreieck die Belastung durch die konkrete Störung zuzuweisen ist. Doch die Grundlagen dieser Wertungen erscheinen nicht zwingend. Dies gilt insbesondere für Glöckners Abgrenzung zwischen anfänglichen allgemeinen Haftungsprivilegien, die auch vor einem Gesamtschuldregress schützen sollen, und bloßen nachträglichen Einwendungen im Verhältnis zum Gläubiger. Sie geht zurück auf Glöckners These, dass die Gesamtschuldvorschriften nur dann umfassend angewendet werden können, wenn die Schuldner „identische“ Leistungen schulden: Weichen die Leistungspflichten nach Inhalt, Umfang, Verjährungsfristen oder sonstigen Modalitäten voneinander ab, dürfe die Privilegierung des besser gestellten Schuldners nicht verloren gehen, so dass die Vorschriften zum Gesamtschuldregress allenfalls analog und mit Modifikationen angewendet werden könnten521. Doch die genaue Abgrenzung zwischen allgemeinen Haftungsprivilegien und unbeachtlichen nachträglichen Einwendungen bleibt unklar. Warum kurze Ausschlussfristen kein allgemeines Privileg darstellen, obwohl sie die Haftung des Gesamtschuldners von Anfang an bestimmen, wird nicht erklärt. Offen bleibt auch die Lösung des Falls, dass die Verbindlichkeiten der deliktischen Gesamtschuldner nur deshalb unterschiedlich verjähren, weil der Gläubiger G zunächst nur Kenntnis von einem von ihnen hat. Kann R, der auf seine unverjährte Forderung leistete, von S Regress nehmen, obwohl die Gläubigerforderung gegen S verjährt ist? Nach der These, dass der Gesamtschuldregress nur bei „unterschiedlichen Leistungsinhalten“ problematisch ist, müsste der Regress möglich sein, weil R und S mit derselben Verjährungsfrist schuldeten und der Umstand, dass G zunächst nur von S erfährt, lediglich ein nachträglicher Umstand im Verhältnis zwischen G und S ist. Doch ebenso kann angenommen werden, dass die Haftung mit einer Verjährungsfrist von drei Jahren ab Kenntnis des Gläubigers ein allgemeines Haftungsprivileg ist, dass S nicht mittels des Gesamtschuldregresses genommen werden darf. Darüber hinaus ist eine Differenzierung danach, ob die betreffende Einwendung von Anfang an bestand oder erst nachträglich entsteht, auch nicht vollends überzeugend. Warum wird der regressverpflichtete Schuldner S geschützt, wenn die Aufrechnungslage gegenüber G von Anfang an bestand, nicht aber, wenn er die Gegenforderung einen Tag nach Entstehung der Gesamtschuld erwirbt? Das Argument, S müsse mit dem Regress seines Mitschuldners R rechnen522, leuchtet dann nicht ein, wenn S vom Mitschädiger R und damit vom Gesamtschuldverhältnis keine Kenntnis hatte. Stellt man darauf ab, dass nachträgliche Ereignisse das Gleichgewicht des Gesamtschuldregresses nicht beeinflussen dürfen, dann fragt es sich, warum dasselbe nicht auch für anfängliche Privilegien gelten soll: 521 522
Glöckner, a.a.O., 96, 220 f., 244. A.a.O., 97, 221.
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Weil S von Anfang an als Gesamtschuldner haftet, so könnte argumentiert werden, steht ihm das konkrete Privileg in Wahrheit gar nicht unbeschränkt zu. Der Vergleich zwischen Haftungsbefreiungen und gestörter Gesamtschuld hat offenbar Grenzen. Das Problem des Einwendungsverlusts besteht auch bei Befreiungen aufgrund nachträglicher Ereignisse. Damit ist nicht gesagt, dass eine Differenzierung nach dem Grund der einzelnen Einwendung, etwa danach, ob eine kurze Verjährungsfrist auf dem Gesetz oder auf einer Vereinbarung mit dem Gläubiger beruht, nicht nützlich sein kann. Doch zum einen darf die Trennlinie nicht starr nach dem Zeitpunkt der Entstehung der Einwendung gezogen werden. Zum anderen fragt es sich, ob nicht auch in anderer Weise differenziert werden kann, nämlich nach dem Grund der gesamtschuldnerischen Haftung523. (4) In jüngster Zeit ist die Radikallösung von Fritz Schulz in modifizierter Form wieder vorgeschlagen worden. Während Stamm den von der herrschenden Lehre angenommenen Mitwirkungspflichten positiv gegenübersteht524, wendet er sich gegen die Annahme eines vom Fortbestand der Gläubigerforderung unabhängigen Rückgriffsanspruchs aus § 426 I. Ausgangspunkt ist für ihn die Regelung des § 426 II, welche dem allgemeinen schuldrechtlichen Grundsatz in Dreieckskonstellationen entspreche, dass niemandem die Einwendungen aus seinem eigenen Vertragsverhältnis abgeschnitten oder Einwendungen aus fremden Rechtsverhältnissen entgegengehalten werden können. Diese Wertungen würden durch die herrschende Lehre umgangen, indem sie § 426 I gegen seinen Wortlaut als eigenständigen Rückgriffsanspruch auslege, gegen den der regressverpflichtete Gesamtschuldner sich nicht auf seine Einwendungen im Verhältnis zum Gläubiger berufen könne. Daher müsse § 426 I in Übereinstimmung mit § 426 II ausgelegt werden: Die Vorschrift begründe lediglich einen Befreiungsanspruch für den Fall, dass noch nicht an den Gläubiger geleistet wurde. Nach Befriedigung des Gläubigers finde lediglich ein Zessionsregress nach § 426 II statt. Die Schuldnerschutzregel des § 404, die über § 412 beim Zessionsregress gelte, sei auch gegenüber dem Befreiungsanspruch aus § 426 I analog anwendbar525. Dieses Modell widerstreitet den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers, der einerseits mit § 426 I einen Rückgriffsanspruch nach Leistung an den Gläubiger einführen wollte und andererseits keinen Beschluss zu Mitwirkungspflichten fasste. Letztentscheidend ist die gesetzgeberische Vorstellung, die im Wortlaut des § 426 nur unvollkommen zum Ausdruck gebracht wurde, allerdings nicht. Die hier referierte Kritik an der herrschenden Lehre von der Schuldgemeinschaft der Gesamtschuldner zeigt zumindest ein gewisses Unbehagen an einer Regelung, die den Gesamtschuldner auch dann zum Regress verpflichtet, wenn er 523
Hierzu unten, 967 ff. Stamm, Regreßfiguren (2000), 48, 71; ders., Jura 2002, 733; ders., NJW 2004, 811 f. 525 Stamm, NJW 2004, 811 ff.; ders., Regreßfiguren, 49, 51, 69–71; ders., Jura 2002, 733; vgl. auch schon Rüßmann, Jus 1974, 296. Im Ergebnis ebenso die de lege ferenda vorgeschlagene Lösung bei Kuhlmann, Rückgriffsgrundlagen, 396 ff. 524
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II. Der Innenausgleich
vom Zugriff des Gläubigers befreit ist526. Dieses Unbehagen geht, wie Glöckner und Stamm zeigen, darauf zurück, dass die Einwendungen, die der zum Schadensersatz verpflichtete Schuldner gegenüber dem Gläubiger hat, praktisch (zumindest zum Teil) verloren gehen, wenn auch ein anderer zum Ersatz desselben Schadens verpflichtet ist. Der Schutz des Schuldners nach §§ 404 ff. bei Abtretung und Legalzession wird stets damit gerechtfertigt, dass der Schuldner durch einen Forderungsübergang, auf den er keinen Einfluss hat, auch nicht benachteiligt werden dürfe. Auf die Tatsache, dass der von ihm verursachte Schaden von einem anderen mitverursacht wurde, hat er aber, so kann argumentiert werden, ebenfalls keinen Einfluss. Insofern kann zu Recht die Frage gestellt werden, ob ein Ergebnis, nach dem ein Gesamtschuldner seine Einwendungen im Verhältnis zum Gläubiger auch gegenüber dem Regressanspruch des Mitschuldners geltend machen kann, den gesetzlichen Wertungen in Dreiecksverhältnis nicht besser entspricht. Die von Stamm favorisierte Lösung ist auch zum österreichischen Recht vorgeschlagen worden: Nach Koziol soll die Vorschrift des § 896 ABGB nicht, wie die herrschende Lehre annimmt, einen eigenen Rückgriffsanspruch des leistenden Gesamtschuldners begründen, sondern auf die Regel des § 1358 verweisen, wonach auf denjenigen, der auf eine materiell fremde Schuld leistet, die Gläubigerforderung zum Zwecke des Regresses übergeht527. Der Gesamtschuldregress wäre nach diesem Modell ein reiner Subrogationsregress, auf den die Schuldnerschutzvorschriften bei Zessionen anwendbar sind. Im deutschen Recht könnte ein solches Ergebnis durch eine analoge Anwendung der §§ 404 ff. auch gegenüber dem Anspruch aus § 426 I erreicht werden. Gegen die Anwendung der §§ 404 ff. zugunsten des regresspflichtigen Gesamtschuldners ist eingewendet worden, dass der Forderungsübergang nach § 426 II die Stellung des regressberechtigten Gesamtschuldners verbessern und nicht verschlechtern soll528. Daran ist richtig, dass der Umstand, dass der Regress aus § 426 I durch die Gläubigerforderung gesichert wird, keinen Einfluss auf die Frage nach seiner Ausgestaltung haben darf. Hat man sich einmal dafür entschieden, dem Gesamtschuldner einen eigenständigen, von der Gläubigerforderung unabhängigen Regress zu gewähren, dann kann ein zusätzlich angeordneter Forderungsübergang daran nichts ändern. Kann der Regress auf ein besonderes Innenverhältnis gestützt werden und sieht dieses einen Ausgleich unabhängig vom Fortbestand der Gläubigerforderung vor, dann wäre es verfehlt, den Regress deshalb zu beschränken, weil dem Gesamtschuldner nach § 426 II in Höhe seines Regresses zusätzlich die Gläubigerforderung zur Verfügung steht. Insofern ist es 526
Ebenso neuerdings Schmieder, JZ 2009, 193 f. Koziol, Haftpflichtrecht I, Rz 14/20 f.; vgl. oben, 398. Ähnlich zum österreichischen Recht Bacher, Ausgleichsansprüche, 90 ff.; zum Schweizer Recht Keller/Schöbi, Rechtsinstitute, 20 ff.; Keller/Gabi-Bolliger, Haftpflichtrecht, 142 f.: grundsätzlich reiner Subrogationsregress, anders nur im Falle des Einzelerlasses. Dies ähnelt der Lösung von Fritz Schulz. 528 Lischka, Gesamtschuld, 73; Reinicke, VersR 1967, 2; Jürgens, Teilschuld, 208; Ernst, Solidarschuld, 183 f.; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 44. 527
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methodisch bedenklich, wie Stamm die Wertungen des § 426 II ohne weiteres auf den Anspruch aus § 426 I zu übertragen. Tatsächlich aber geht es gar nicht um den Einfluss des § 426 II auf § 426 I, sondern um die Frage, wie § 426 I ganz unabhängig von § 426 II ausgelegt werden soll. Hätte der Gesetzgeber den Gesamtschuldausgleich allein durch die Vorschrift des § 426 I geregelt, dann wäre es genauso bedenklich, den Gesamtschuldner auch dann zum Regress heranzuziehen, wenn er mittlerweile von der Gläubigerforderung befreit ist, aufrechnen könnte oder gutgläubig schon an den Gläubiger geleistet hat. Die Frage ist gerade, ob ohne besonderes Innenverhältnis aus § 426 I ein von der Gläubigerforderung unabhängiger Regressanspruch folgt. Immerhin kann die Vorschrift auch so verstanden werden, dass der leistende Gesamtschuldner ein ähnlich wie die Rückgriffskondiktion ausgestaltetes Regressrecht hat, dem der in Anspruch genommene Mitschuldner analog §§ 404 ff. die Einreden gegen die Gläubigerforderung entgegenhalten kann. Auch der zugunsten der herrschenden Lehre angeführte Hinweis auf die Selbständigkeit des Ausgleichsanspruchs aus § 426 I ist nur von beschränkter Überzeugungskraft. Wer argumentiert, dass der Rückgriffsanspruch aus § 426 I ein eigenständiger Anspruch ist und daher von der Verjährung der Gläubigerforderung, einem Erlass oder einer Klageabweisung unberührt sein müsse529, setzt das zu Beweisende schon voraus. Auch eine Rückgriffskondiktion ist ein eigenständiger, nicht mit der Gläubigerforderung identischer Anspruch und trotzdem vom Bestand der Gläubigerforderung abhängig. Der Anspruch aus § 426 I kann also auch mit einer bereicherungsrechtlichen Rechtsfolge als eigenständiger Anspruch gedacht werden. Bedenkenswert ist lediglich das Argument, dass ein Rückgriffsanspruch aus § 426 I, der seinen Rechtsfolgen nach wie eine Rückgriffskondiktion ausgestaltet ist, neben dem Zessionsregress nach § 426 II keine eigenständige Funktion mehr haben würde530. Der „schwache“ Regress bei der Rückgriffskondiktion ist im Zessionsregress bereits enthalten. Wenn also, so kann argumentiert werden, der Gesetzgeber neben § 426 II auch einen eigenen Rückgriffsanspruch aus § 426 I angeordnet hat, dann muss dieser dem Regressberechtigten Vorteile bieten, die über den Zessionsregress hinausgehen. Hiergegen kann aber zweierlei eingewendet werden. Zum einen erfüllt § 426 I ganz unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des Regresses schon deshalb eine eigenständige Funktion, weil er das Ausmaß festlegt, in dem der regressberechtigte Gesamtschuldner von der Gläubigerforderung Gebrauch machen kann. Beim Forderungsübergang nach § 426 II handelt es sich nicht um einen reinen 529 Vgl. RGZ 69, 422, 424 ff. (16.11.1908); BGHZ 11, 170, 172 (21.11.1953); Reinicke, VersR 1967, 1; Staud/Kaduk, § 426 Rz 77. Weitnauer rechtfertigt den für den Regressverpflichteten „lästigeren“ Regress aus § 426 I (im Vergleich zum Subrogationsregess) mit der Erwägung, der Regressverpflichtete sei schließlich seiner aus dem Innenverhältnis beruhenden Pflicht zur (anteiligen) Befriedigung des Gläubigers nicht nachgekommen, Personenmehrheit, 386. Aber dann stellt sich die Frage, warum gerade beim Gesamtschuldverhältnis eine solche Pflicht angenommen wird. 530 Vgl. Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 66 f.; Jürgens, Teilschuld, 208; Peters/Zimmermann, Gutachten, 300.
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Zessionsregress (wie es etwa nach herrschender Lehre bei § 67 VVG der Fall sein soll), bei dem lediglich der Inhaber der Gläubigerforderung wechselt531. Vielmehr bestimmt allein das Innenverhältnis bzw. der Anspruch aus § 426 I die Höhe des Regresses. Auch wenn der Gesamtschuldner mittels § 426 II vorgeht, kann er gegen mehrere Mitschuldner grundsätzlich nur anteiligen Regress nehmen; ist der eigene Rückgriffsanspruch erloschen oder verjährt, ist der Zugriff über § 426 II ebenfalls versperrt. Entgegen Stamm kann die Anwendung des § 426 I also nicht auf den Zeitpunkt vor der Befriedigung des Gläubigers beschränkt werden. Zum anderen wäre es auch denkbar, § 426 I in verschiedenen Fallgestaltungen unterschiedlich auszulegen, so dass er manchmal einen von der Gläubigerforderung unabhängigen Rückgriff begründet, in anderen Konstellationen (etwa wenn der regressberechtigte Gesamtschuldner auf eine verjährte Forderung geleistet hat) dagegen nur einen schwachen, der Rückgriffskondiktion angeglichenen Regress. In der Literatur wird der eigenständige, von der Gläubigerforderung unabhängige Regress nach § 426 I häufig als besonderer Vorteil der Gesamtschuldregelung gepriesen, der es rechtfertige, die §§ 421 ff. auf Fallkonstellationen anzuwenden, bei denen ihre Anwendung strittig ist532. Doch der unzweifelhafte Vorteil für den Regressberechtigten korrespondiert mit dem ebenso unzweifelhaften Nachteil für den Regresspflichtigen. Die entscheidende Frage ist, warum der privilegierte Regress, der den Regressberechtigten zulasten des Regresspflichtigen bevorzugt, gerade bei Gesamtschuldverhältnissen stattfinden soll. Das Wahlrecht des Gläubigers und die damit verbundene Gefahr der Gläubigerwillkür erfordern den privilegierten Regress nicht. Allein beim Einzelerlass und ähnlichen Verzichten kann argumentiert werden, der Gläubiger könne nicht durch Rechtsgeschäft mit einem Gesamtschuldner diesen zulasten des anderen von seiner Regresspflicht befreien. Anders aber verhält es sich bei der Verjährung und der Klageabweisung: Sofern der Gläubiger nicht bewusst zur Bevorzugung eines Gesamtschuldners seine Forderung gegen diesen verjähren ließ bzw. den Prozess gegen diesen verlor, zwingt das Argument der Gläubigerwillkür nicht zur Annahme einer besonderen Schuldgemeinschaft. Wenn der Gläubiger, ohne manipuliert zu haben, auf einen der Gesamtschuldner nicht mehr zugreifen kann, dann droht auch keine Gläubigerwillkür mehr, so dass es auch denkbar wäre, den verbleibenden Gesamtschuldner ohne Regress haften zu lassen. Vor allem aber kennt auch die herrschende Lehre Situationen, in denen der Gläubiger für eine Leistung, die er im Ergebnis nur einmal erhalten soll, nach seiner Wahl auf einen von mehreren Schuldnern zugreifen kann, ohne dass es zum privilegierten Gesamtschuldregress kommt. Dies gilt etwa, zumindest nach einem Teil der Literatur, in Fällen, in denen das Gesetz lediglich eine Legalzession vorsieht. Der Gläubiger hat die Wahl, ob er auf den Hauptschuldner oder den 531
Oben, 421 ff., 430 ff. Jürgens, Teilschuld, 206 ff.; Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 3; ebenso BGHZ 59, 97, 102 f. (29.6.1972). 532
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selbstschuldnerischen Bürgen zugreift; wird letzterer in Anspruch genommen, steht ihm nach herrschender Lehre für seinen Regress nicht § 426, sondern nur § 774 zur Verfügung. Kann er sich also weder auf einen Vertrag mit dem Schuldner noch auf die Regelungen zur berechtigten G.o.A. berufen, ist sein Regress nicht durchsetzbar, wenn die Gläubigerforderung gegen den Schuldner mittlerweile verjährt wäre. Dasselbe gilt für den Schadensversicherer, dem nach herrschender Lehre gegenüber dem Schädiger nur der Zessionsregress aus § 67 VVG zur Verfügung steht, so dass dieser sich auf die §§ 404 ff. berufen kann, etwa wenn er nach dem Versicherer ebenfalls an den Schuldner geleistet oder mit diesem einen Erlass vereinbart hat. Beruht der hierdurch entstandene Regressverlust auf einem vorsätzlichen Verhalten des Versicherten, kann der Versicherer sich wegen § 67 I 3 VVG an diesen wenden; der Schädiger aber bleibt frei. Auch der lohnfortzahlende Arbeitgeber oder der beamtenrechtliche Versorger können gegenüber dem Schädiger, dessen Tat ihre Leistungspflicht verursacht hat, nach überwiegender Lehre nur einen Zessionsregress mit den Beschränkungen der §§ 404 ff. geltend machen. Ähnliches gilt für bestimmte Fallkonstellationen ohne angeordnete Legalzession, in denen trotz Wahlrecht des Gläubigers unter mehreren Schuldnern ein Gesamtschuldverhältnis von einem Teil oder auch von der überwiegenden Lehre abgelehnt wird: S1 schädigt G, weswegen S2 (erhöhten) Unterhalt zahlen muss. S1 verschuldet den Brand des Fuldaer Doms, weswegen der Baulastträger S2 ihn wieder herstellen muss. S1 berät G schuldhaft falsch, so dass dieser an S2 mehr auszahlt, als diesem zusteht. Soweit man in diesen Fällen ein Gesamtschuldverhältnis und damit die Anwendung des § 426 ablehnt, bedeutet dies, dass derjenige Schuldner, der die Last im Ergebnis nicht endgültig tragen soll, für seinen Regress gegen den intern primär zuständigen Schuldner einen anderen Weg suchen muss, sei es ein Recht, vom Gläubiger analog § 255 die Abtretung der anderen Forderung zu verlangen, sei es einen Regress über § 812 oder über die Regeln der G.o.A. Zumindest bei einem Regress über die zedierte Gläubigerforderung oder im Wege der Rückgriffskondiktion bedeutet dies, dass der Regresspflichtige im Ergebnis durch die §§ 404 ff. geschützt wird. Insofern kann sich die Frage stellen, was die Besonderheit bei Gesamtschuldverhältnissen ausmacht, die einen im Vergleich zu anderen Schuldnermehrheiten mit Gläubigerwahl privilegierten Regress rechtfertigt. Mit dieser Frage aber begibt man sich auf eine schiefe Ebene, gilt es doch nun, das sämtliche Gesamtschuldverhältnisse verbindende Merkmal zu finden. Dies hat die Literatur bekanntlich seit 1900 versucht533. Der Nutzen von Abgrenzungskriterien wie Gleichheit des Schuldgrunds, Zweckgemeinschaft, Erfüllungsgemeinschaft oder Gleichstufigkeit ist aber begrenzt, solange nicht der sachliche Zusammenhang zwischen dem einzelnen Kriterium und dem privilegierten Regress geklärt ist. Tatsächlich erscheint es nicht möglich, die von der herrschenden Lehre angenom-
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Näheres unten, 830 ff.
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II. Der Innenausgleich
mene Schuldgemeinschaft mit den Besonderheiten des Gesamtschuldverhältnisses zu erklären. Hinter dem abstrakten Begriff der Gesamtschuld verbergen sich im heutigen Recht ganz verschiedenartige Fallkonstellationen, bei denen die Bewertung und Abwägung der gegenläufigen Interessen unterschiedlich ausfallen kann. Der Verdacht liegt nahe, dass die Frage, ob und warum ein privilegierter Regress stattfinden soll, nicht beantwortet werden kann, solange man lediglich auf den abstrakten Begriff der „Gesamtschuld“ abstellt.
14. Eine Schuldgemeinschaft unter gesetzlichen Schadensersatz-Gesamtschuldnern? Im vorliegenden Zusammenhang geht es um die Regressgestaltung bei Gesamtschulden auf Schadensersatz. Im Wesentlichen konkurrieren hier drei Modelle, die jeweils zulasten eines der Beteiligten ausfallen: Das SchuldgemeinschaftsModell der herrschenden Lehre belastet den Regresspflichtigen, der zum Ausgleich herangezogen wird, obwohl er dem Zugriff des Gläubigers nicht mehr unterliegt, gegenüber dem Gläubiger hätte aufrechnen können oder ebenfalls, wenn auch später, an den Gläubiger geleistet hat. Das Modell des Subrogations- oder Bereicherungsregresses belastet den Regressberechtigten, der vom Gläubiger auf Ersatz des gesamten Schadens auch dann in Anspruch genommen werden kann, wenn er keinen durchsetzbaren Rückgriffsanspruch hat. Das Modell der beschränkten Gesamtwirkung belastet den Gläubiger, der Gefahr läuft, den Ersatz seines Schadens nur teilweise oder gar nicht zu erhalten. Eine perfekte Lösung, die den Interessen aller Beteiligter gerecht wird, gibt es nicht. Das Recht kann lediglich die gegenläufigen Interessen gegeneinander abwägen und eine wertende Entscheidung treffen. Es kann sich insgesamt für eines der Modelle entscheiden oder auch hinsichtlich der unterschiedlichen „Tatsachen“ (Verjährung, Urteil, Erlass, Aufrechnungslage, Doppelleistung) oder (wie Glöckner) noch weitgehender differenzieren. Wie dargestellt besteht auch unter den Kritikern der herrschenden Lehre keine Einigkeit über die richtige Lösung in den unterschiedlichen Fallgestaltungen. Schließlich zeigt ein Blick ins Ausland534, dass die Regressproblematik bei Schadensersatz-Gesamtschulden ganz unterschiedlich gelöst wird: In Frankreich werden bei Gesamtschulden auf Schadensersatz zumeist gesetzlich nicht geregelte obligations in solidum angenommen535, bei denen der Regress grundsätzlich mit Hilfe einer Subrogation verwirklicht wird536. Für den 534 Ausführliche Rechtsvergleichung bei Friedmann/Cohen, Adjustment, §§ 37 ff. (Erlass), 49 ff. (Klageabweisung), 64 ff. (Verjährung); Weir, Complex Liabilities, §§ 122 ff., 134; siehe auch die Länderberichte in Rogers, Tortfeasors (2004), jeweils unter Punkt B 6 (Erlass), B 10 (Verjährung), C 7 (Klageabweisung). 535 Oben, 533 ff. 536 Oben, 579 ff.
14. Eine Schuldgemeinschaft unter gesetzlichen Schadensersatz-Gesamtschuldnern?
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Fall eines Einzelerlasses nimmt die Rechtsprechung allerdings einen eigenen, vom Erlass nicht berührten, Ausgleichsanspruch des verbleibenden Gesamtschuldners an; die Literatur bevorzugt hier teilweise die Annahme einer beschränkten Gesamtwirkung des Erlasses537. Unklar ist, ob die Rechtsprechung den Regress im Falle der Verjährung, Klageabweisung oder Doppelzahlung auf die Subrogation beschränken und ihn damit im Ergebnis zunichtemachen würde. Etwas anderes gilt von vornherein, wenn der Regress auf die deliktische Generalklausel gestützt wird, weil er dann völlig unabhängig vom Bestand der Gläubigerforderung ist. Wann allerdings ein solcher Deliktsanspruch gegen den Mitverantwortlichen gewährt wird, ist aus deutscher Sicht schwer vorherzusehen; die bloße Tatsache der solidarischen Schadensersatzhaftung reicht dafür offenbar noch nicht aus. Ausnahmsweise kann auch unter Schadensersatz-Gesamtschuldnern eine solidarité i.S.d. Art. 1200 ff. CC bestehen. In diesem Fall stellt sich das Problem eines Regressrechts trotz fortgefallenen Gläubigerzugriffs offenbar kaum. Zwar wird hier wegen Art. 1213 f. CC ein (durch Subrogation lediglich verstärkter) eigener Rückgriffsanspruch angenommen, der sich bei fehlendem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis auf die Regeln zur Geschäftsführung ohne Auftrag stützt und einer eigenen Verjährung unterliegt538. Doch eine Befreiung des regresspflichtigen Gesamtschuldners von der Gläubigerforderung bezieht zumeist die Mitschuldner mit ein: Ein Erlass hat nach Art. 1285 CC entweder vollständige oder beschränkte Gesamtwirkung. Die Literatur kennt daneben auch ein pactum de non petendo mit bloßer Einzelwirkung539. Weiß aber der entlassene Gesamtschuldner nichts von seinen Mitschuldnern, wird eine solche Auslegung nicht in Frage kommen, so dass er über Art. 1285 vor zukünftigen Regressansprüchen geschützt ist. Ein Urteil, das zwischen dem Gläubiger und einem Gesamtschuldner ergeht und das Bestehen der Gesamtschuld verneint, wirkt nach Richterrecht zugunsten aller Gesamtschuldner540. Bei der Verjährung sieht der Code Civil lediglich die Gesamtwirkung der Unterbrechung vor541. Doch um zu vermeiden, dass der durch Verjährung befreite Gesamtschuldner dennoch zum Regress herangezogen wird, geht man heute offenbar auch von einer Gesamtwirkung der Verjährung selbst aus542. In Österreich werden auf den durch § 1302 ABGB angeordneten Rückgriff unter Schadensersatz-Gesamtschuldnern die allgemeinen Gesamtschuldvor-
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Siehe Bentele, Gesamtschuld, 95 f., 116 f.; Friedmann/Cohen, Adjustment, § 44; und ausführlich oben, 582 f. 538 Oben, 294 f. 539 Hierzu Bentele, Gesamtschuld, 93 f. 540 Oben, 52. 541 Art. 1206, 2249 (ab dem 17.6.2008 Art. 2245) CC. 542 Ausführlich im 19. Jahrhundert Demolombe, Cours XXVI, §§ 411 ff., insbes. 414; für beschränkte Gesamtwirkung Demante/Colmet, Cours V, § 142 bis V; aus der heutigen Literatur Colin/Capitant, Cours II, 185; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1077. Vgl. Art. 1310 Codice Civile.
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II. Der Innenausgleich
schriften angewendet; Grundlage des Regresses ist also § 896 ABGB543. Nach herrschender Lehre handelt es sich um einen eigenen, von der Gläubigerforderung unabhängigen Rückgriffsanspruch544. Wenn auch Unsicherheit über die Natur des Regresses bei gesetzlichen Gesamtschuldverhältnissen besteht545, gleicht die Lage doch im Wesentlichen der im deutschen Recht. Dass ein Einzelerlass nicht von der Ausgleichspflicht befreit, sieht das Gesetz selbst vor, § 896 Satz 3 ABGB546. Die Verjährung hat Einzelwirkung547, so dass der Gläubiger noch auf einen anderen Gesamtschuldner zugreifen kann, der dann Regress nehmen will. Die Rechtsprechung, gefolgt von einem Teil der Lehre, wendet, wenn keine Sonderregeln bestehen, für den Rückgriffsanspruch die allgemeine 30-jährige Verjährungsfrist der §§ 1478 f. ABGB an, auch wenn der Gläubigeranspruch nur der dreijährigen Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche nach § 1489 ABGB unterlag548. Die Verjährungsfrist beginnt erst mit Leistung an den Gläubiger549. Besonderheiten bestehen aber, wenn der Umstand, der die Solidarhaft auslöste, in einer vertraglichen Pflichtverletzung eines Gesamtschuldners gegenüber dem anderen lag, dieser also gegen den regresspflichtigen Gesamtschuldner zusätzlich einen vertraglichen Schadensersatzanspruch hat. Die Rechtsprechung wendet dann die dreijährige Sonderverjährung (die auch für vertragliche Schadensersatzansprüche gilt) auch auf den Gesamtschuldregress aus § 896 ABGB an550. Dass 543
Etwa OGH GlU Nr. 1754 (7.7.1863); SZ 39/25 (8.2.1966); SZ 39/82, S. 228 (3.5.1966); SZ 46/128 (20.12.1974); EvBl 1976/178 (13.1.1976); SZ 51/97 (27.6.1978); SZ 56/185 (14.12.1983); SZ 60/55 (26.3.1987); Weiss, JBl 1947, 531; Fenzl, ÖJZ 1949, 415; Wedl, JBl 1958, 138; Rummel/Gamerith, ABGB, § 896 Rz 1; Schwimann/Apathy/Riedler, ABGB, § 896 Rz 1; Koziol, Haftpflichtrecht I, Rz 14/17; Koch/Schwarzenegger, in Rogers, Tortfeasors, 15. 544 OGH SZ 60/55 (26.3.1987); SZ 70/50 (15.1.1997); RdW 2004 Nr. 409 (13.2.2004); Weiss, JBl 1947, 531; Ehrenzweig/Mayrhofer, System II/1, § 16 I bei Fn. 19; Rummel/Gamerith, ABGB, § 896 Rz 1 a, 5; Schwimann/Apathy/Riedler, ABGB, § 896 Rz 6; Rudolf, Schuldnermehrheiten, 236 ff.; Klang/Perner, ABGB, § 896 Rz 3 ff. 545 Nachweise oben, 604. 546 Für die Annahme einer beschränkten Gesamtwirkung aber Klang/Perner, ABGB, §§ 893– 894 Rz 10. 547 Klang/Gschnitzer, ABGB, §§ 893–894 Anm. II D; Klang/Perner, ABGB, §§ 893–894 Rz 15; Rummel/Gamerith, ABGB, § 894 Rz 3; KBB/P.Bydinski, ABGB, § 894 Rz 3; Schwimann/ Apathy/Riedler, ABGB, § 894 Rz 2; Rudolf, Schuldnermehrheiten, 224 f. 548 OGH SZ 43/15 (22.1.1970); ZVR 1974/38 (12.10.1972); SZ 60/55 (26.3.1987); Weiss, JBl 1947, 531; Ehrenzweig/Mayrhofer, System II/1, § 16 I bei Fn. 21; Rummel/Gamerith, ABGB, § 896 Rz 11; KBB/P. Bydlinski, ABGB, § 896 Rz 5; Schwimann/Apathy/Riedler, § 896 ABGB Rz 10; Rudolf, Schuldnermehrheiten, 256 ff.; Koch/Schwarzenegger, in Rogers, Tortfeasors, 21. Dagegen Koziol, Haftpflichtrecht I, Rz 14/20 f.; C. Huber, JBl 1985, 403 ff., 471 ff.; Klang/Perner, ABGB, § 896 Rz 91 ff., die grundsätzlich auf die Verjährung der Gläubigerforderung abstellen und dem Regressberechtigten zusätzlich eine angemessene Frist nach Leistung an den Gläubiger einräumen. 549 OGH EvBl 1976/178 (13.1.1976); SZ 56/185 (14.12.1983); SZ 58/122 (10.7.1985); SZ 69/78, S. 463 f. (26.3.1996); Rummel/Gamerith, ABGB, § 896 Rz 2, 11 m.w.N.; KBB/P. Bydlinski, ABGB, § 896 Rz 5; Schwimann/Apathy/Riedler, § 896 ABGB Rz 11; kritisch C. Huber, JBl 1985, 405. 550 OGH SZ 39/82 (3.5.1966); ZAS 1969, 102 (23.4.1968); EvBl 1976/178 (13.1.1976); SZ 51/97 (27.6.1978); SZ 56/185 (14.12.1983); Rummel/Gamerith, ABGB, § 896 Rz 11.
14. Eine Schuldgemeinschaft unter gesetzlichen Schadensersatz-Gesamtschuldnern?
687
ausgerechnet in diesen Fällen die allgemeine Verjährungsfrist auf ein Zehntel gekürzt werden soll, ist schwer einzusehen551. Das Urteil hat Einzelwirkung552, so dass trotz abgewiesener Gläubigerklage ein Regress möglich ist553. Auch eine Aufrechnungslage gegenüber dem Gläubiger kann der Regressforderung offenbar nicht entgegengehalten werden554. Im Gegensatz zur herrschenden Lehre will Koziol den Gesamtschuldregress allein über die subrogierte Gläubigerforderung ermöglichen, um den Regresspflichtigen zu schützen, auf den der Gläubiger nicht mehr zugreifen kann555. In der Schweiz werden bei Gesamtschulen auf Schadensersatz die allgemeinen Vorschriften zum Gesamtschuldregress angewendet556. Dieser findet mittels eines eigenen Rückgriffsrechts statt (Art. 148 OR), das durch die subrogierte Gläubigerforderung verstärkt wird (Art. 149 OR). Wie im deutschen Recht bestimmt allein das eigene Rückgriffsrecht das Ausmaß des Regresses und wird durch die Subrogation nur abgesichert557. Diese Regressordnung soll aber nur im Falle „echter Solidarität“ gelten, die unter Schadensersatz-Gesamtschuldnern nur dann angenommen wird, wenn diese aus einem gleichen Rechtsgrund haften und zusammengewirkt haben (Art. 50 OR)558. In allen anderen Fällen, insbes. bei Art. 51 OR, wird nur eine unechte Solidarität angenommen, bei welcher zwar ebenfalls ein eigenes Regressrecht besteht, aber keine Subrogation stattfindet559. Für den eigenen Rückgriffsanspruch gelten in beiden Konstellationen offenbar die gleichen Grundsätze: Der Erlass kann nach Art. 147 II Einzelwirkung haben560 und
551
So auch C. Huber, JBl 1985, 404. Klang/Gschnitzer, ABGB, §§ 893–894 Anm. II B 1; Rummel/Gamerith, ABGB, § 894 Rz 10; Rudolf, Schuldnermehrheiten, 219. 553 Weiss, JBl 1947, 531; Klang/Gschnitzer, ABGB, §§ 895–896 Anm. I 2; Koch/Schwarzenegger, in Rogers, Tortfeasors, 27. 554 Klang/Gschnitzer, ABGB, §§ 893–894 Anm. I C 2. 555 Koziol, Haftpflichtrecht I, Rz 14/20 f. Dagegen bezwecken P. Bydlinski und Coors, die ebenfalls einen Regress allein über die Gläubigerforderung favorisieren, damit nicht den Schutz des Regresspflichtigen: Ein Regressausschluss bei verjährter Gläubigerforderung soll durch Sonderregeln verhindert werden, ÖJZ 2007, 275, 279 f. 556 von Tuhr/Peter, OR AT I, 467 f.; BernK/Brehm, Art. 50 OR Rz 56; Chappuis/Petitpierre/ Winiger, in Rogers, Tortfeasors, 243 ff. 557 BGE 103 II 137, 139 f. (5.4.1977); BernK/Becker, Art. 149 OR Rz 3; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 149 OR Rz 1; von Tuhr/Escher, OR AT II, 317 f.; BernK/Brehm, Art. 50 OR Rz 56; Bucher, OR AT, § 27 II 4 c; Gauch/Schluep/Schmid/Rey, OR AT 2, Rz 3874; Schwenzer, OR AT, Rz 88.40; Ernst, Solidarschuld, 181 f. 558 Zur umstrittenen Schweizer Unterscheidung zwischen echter und unechter Solidarität siehe schon oben, 545. 559 BGE 89 II 415, 419 (15.10.1963); BGE 115 II 42, 48 (31.1.1989); BGE 127 III 257, 266 (4.4.2001); BGE 130 III 362, 369 (23.2.2004); BGE 133 III 6, § 5.3.3 (26.9.2006); vgl. von Tuhr/ Escher, OR AT II, 320; Bucher, OR AT, § 27 Fn. 67; BernK/Brehm, Art. 51 OR Rz 19; Oftinger/ Stark, Haftpflichtrecht I, Rz 10/16; Guhl/Koller, OR, § 6 Rz 5; Gauch/Schluep/Schmid/Rey, OR AT 2, Rz 3971; Honsell, Haftpflichtrecht, Rz 11/15; Schwenzer, OR AT, Rz 88.45; kritisch Rey, Haftpflichtrecht, Rz 1493 ff. 560 BernK/Becker, Art. 147 OR Rz 5; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 147 OR Rz 6; Gadmer, Solidarschuldner, 59; Keller/Schöbi, Rechtsinstitute, 13; BasK/Schnyder, Art. 147 OR Rz 3. 552
688
II. Der Innenausgleich
schützt dann nicht vor einem Regress561. Das Urteil zwischen dem Gläubiger und einem Gesamtschuldner hat stets Einzelwirkung562 und kann daher das Ausgleichsverhältnis nicht beeinflussen563. Ob ein Gesamtschuldner auch dann Rückgriff gegen den Mitschuldner nehmen kann, wenn dieser gutgläubig ebenfalls an den Gläubiger geleistet hat, ist unklar564. Besonders umstritten ist in der Schweiz die Verjährung des Regressanspruchs. Grundsätzlich hat die Verjährung im Gesamtschuldverhältnis Einzelwirkung565. Die gesetzlich vorgesehene (Art. 136 OR) Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung soll nur für die Fälle echter Solidarität gelten566. Sowohl bei echter als auch bei unechter Gesamtschuld ist es möglich, dass der Gläubiger auf einen Gesamtschuldner zugreifen kann, wenn seine Forderung gegen den Mitschuldner schon verjährt ist. Rechtsprechung und Literatur verwenden unterschiedliche Strategien, um zu verhindern, dass der belangte Gesamtschuldner nach seiner Zahlung noch von der allgemeinen zehnjährigen Verjährungsfrist des Art. 127 OR profitieren kann, selbst wenn die Gläubigerforderung der besonderen Deliktsverjährung (ein Jahr ab Kenntnis, Art. 67 OR) unterlag. In einer frühen Entscheidung ließ das Bundesgericht den Regress zusammen mit der Gläubigerforderung verjähren567. Die Literatur nimmt demgegenüber eine eigenständige Verjährung des Regressanspruchs an, deren Lauf mit Leistung an den Gläubiger beginnt568. Für diese Verjährung soll aber nach wohl herrschender Lehre die Verjährungsfrist der Gläubigerforderung maß-
561 ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 149 OR Rz 4; von Tuhr/Escher, OR AT II, 310, 313; von Büren, OR AT, 98; Bucher, OR AT, § 27 II 4 b, c; Gauch/Schluep/Schmid/Rey, OR AT 2, Rz 3956; Schwenzer, OR AT, Rz 88.37; BasK/Schnyder, Art. 148 OR Rz 2; Chappuis/Petitpierre/Winiger, in Rogers, Tortfeasors, 247 f.; für eine bechränkte Gesamtwirkung des Einzelerlasses Jung, FS Tercier (2008), 295 ff. 562 BGE 93 II 329, 333 ff. (26.7.1967); BernK/Becker, Art. 144 OR Rz 4; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 147 OR Rz 11; Gadmer, Solidarschuldner, 73 f.; von Tuhr/Escher, OR AT II, 311; BernK/Brehm, Art. 50 OR Rz 54; Keller/Schöbi, Rechtsinstitute, 11; Schwenzer, OR AT, Rz 88.27. 563 BGE 57 II 518, 521 f. (3.11.1931); von Büren, OR AT, 96 Fn. 17; Bucher, OR AT, § 27 Fn. 24; Chappuis/Petitpierre/Winiger, in Rogers, Tortfeasors, 259 f.; kritisch aber Oftinger/Stark, Haftpflichtrecht I, Rz 10/83. 564 Nach der Literatur soll ein Regress offenbar ausgeschlossen sein, wenn der zuerst Leistende dem später Leistenden seine Leistung nicht angezeigt hat, vgl. von Tuhr/Escher, OR AT II, 318 Fn. 161; Bucher, OR AT, § 27 II 4 b; BasK/Schnyder, Art. 145 OR Rz 4, Art. 148 OR Rz 4; Keller/ Schöbi, Rechtsinstitute, 17. Unklar ist aber, ob dies auch dann gelten soll, wenn der zuerst Leistende nichts von der Existenz des Mitschuldners wusste. 565 BernK/Becker, Art. 147 OR Rz 9; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 147 OR Rz 10; Gadmer, Solidarschuldner, 71; von Tuhr/Escher, OR AT II, 311; Schwenzer, OR AT, Rz 88.27; BasK/Schnyder, Art. 147 OR Rz 5; Ernst, Solidarschuld, 177. 566 BGE 69 II 162, 167 ff. (12.6.1943); BGE 89 II 415, 419 (15.10.1963); BGE 104 II 225, 232 f. (14.12.1978); BGE 115 II 42, 47 (31.1.1989); BGE 127 III 257, 264 (4.4.2001). 567 BGE 55 II 118, 122 f. (24.5.1929). 568 So von Tuhr/Escher, OR AT II, 314 Fn. 128; BernK/Brehm, Art. 50 OR Rz 64, Art. 51 OR Rz 141 f.; Oftinger/Stark, Haftpflichtrecht, Rz 10/82; Schwenzer, OR AT, Rz 88.39; Loser-Krogh, ZSchwR 2003 II 207; Ernst, Solidarschuld, 178 ff.; Jung, FS Tercier, 302 f. Anders Gauch/Schluep/ Schmid/Rey, OR AT 2, Rz 3960, die auf die Kenntnis des Regressrechts abstellen.
14. Eine Schuldgemeinschaft unter gesetzlichen Schadensersatz-Gesamtschuldnern?
689
geblich sein569. Andere stellen auf die einjährige Verjährungsfrist für Bereicherungsansprüche (Art. 67 OR) ab570. Es gibt aber auch in der Schweiz Stimmen, die für eine reine Subrogationslösung plädieren, um den Regresspflichtigen, etwa im Fall der Verjährung der Gläubigerforderung, zu schützen571. Das Schweizer Bundesgericht schützt den Regressberechtigten inzwischen allein durch das Institut der Verwirkung. Nach einem 1989 ergangenen Urteil sollte die Verjährung der Gläubigerforderung gegenüber dem Regresspflichtigen einen Regress dann ausschließen, wenn der Regressberechtigte von seinem Rückgriffsrecht Kenntnis hatte, dieses aber nicht rechtzeitig ausübte. Dies sei jedenfalls dann der Fall, wenn die Verjährungsfrist der Gläubigerforderung, gerechnet ab der Kenntnis des Regressberechtigten, abgelaufen sei572. In den folgenden Entscheidungen zog das Gericht eine klare Trennungslinie zwischen Verjährung und Verwirkung. Danach soll der Rückgriffsanspruch grundsätzlich einer eigenen, von der Gläubigerforderung unabhängigen Verjährungsfrist unterliegen, die ein Jahr ab der Leistung an den Gläubiger beträgt573. Dem Rückgriff steht danach nicht entgegen, dass die Gläubigerforderung gegen den Regresspflichtigen zum Zeitpunkt der Leistung des Regressberechtigten schon verjährt ist574. Etwas anderes soll nur dann gelten, wenn die Gläubigerforderung gegen den Regresspflichtigen zum Zahlungszeitpunkt nicht mehr besteht575. Zugleich aber versagt das Bundesgericht die Durchsetzung des Regresses, wenn der Regressberechtigte sein Regressrecht kennt und trotzdem nicht in angemessener Zeit ausübt576. Ein Schutz des Regresspflichtigen über die Verwirkung statt über die Verjährung wird auch in der neueren Literatur befürwortet577. In England ist der Regress unter Schadensersatz-Gesamtschuldnern gesetzlich geregelt. Ein Regress wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Gläubiger mit
569 Oftinger/Stark, Haftpflichtrecht I, Rz 10/82; Gauch/Schluep/Schmid/Rey, OR AT 2, Rz 3960; Schwenzer, OR AT, Rz 88.39; Loser-Krogh, ZSchwR 2003 II 208; Chappuis/Petitpierre/ Winiger, in Rogers, Tortfeasors, 254; dagegen Jung, FS Tercier, 303. 570 Etwa BernK/Brehm, Art. 50 OR Rz 64, Art. 51 OR Rz 143; vgl. auch Spiro, Begrenzung I, 489 ff.; Rey, Haftpflichtrecht, Rz 1717 f., 1722 ff. 571 Keller/Schöbi, Rechtsinstitute, 20 ff.; Keller/Gabi-Bolliger, Haftpflichtrecht, 142 f. 572 BGE 115 II 42 (31.1.1989). 573 BGE 127 III 257, 266 f. (4.4.2001); BGE 133 III 6 (26.9.2006). 574 So unter ausführlicher Darstellung des Streitstands BGE 133 III 6 (26.9.2006). 575 BGE 133 III 6 (26.9.2006), unter 5.3.4. Vgl. BGE 130 III 289, 369 ff. (23.2.2004): In diesem Fall „unechter“ Solidarität zwischen Bauunternehmer und Architekt ließ das Bundesgericht es offen, ob ein Regress des Bauunternehmers noch möglich ist, nachdem die Schuld des Architekten gegenüber dem Gläubiger verjährt, durch Erlass untergegangen oder wegen eines Haftungsverzichts ausgeschlossen ist. Jedenfalls dann, wenn der Mangel, für den der Architekt mitverantwortlich sei, sich erst nach Ablauf der Verjährungszeit gezeigt habe, sei ein Regress des Bauunternehmers ausgeschlossen. 576 BGE 127 III 257, 266 f. (4.4.2001); BGE 133 III 6 (26.9.2006), unter 6,2. 577 Ernst, Solidarschuld, 175 ff., 191 f.; de lege ferenda auch Loser-Krogh, ZSchwR 2003 II 208 f. Dagegen aber Jung, FS Tercier, 304 ff., der sich für eine beschränkte Gesamtwirkung ausspricht. Vgl. auch Art. 55 c des Vorentwurfs zu einer Revision des Haftpflichtrechts von Pierre Widmer, abgedruckt oben in Fn. 410.
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II. Der Innenausgleich
dem regresspflichtigen Schuldner einen Vergleich vereinbart hat. Die rechtskräftige Abweisung der Klage des Gläubigers schützt den Gesamtschuldner dagegen auch vor Regressansprüchen. Ein Regress ist möglich, wenn die Gläubigerforderung gegen den Regresspflichtigen zwar noch besteht, aber der Verjährungseinrede unterliegt, nicht aber dann, wenn sie wegen Zeitablaufs (Ausschlussfrist) untergegangen ist578. Nach den Principles of European Contract Law hat der zwischen dem Gläubiger und einem Gesamtschuldner vereinbarte Einzelerlass beschränkte Gesamtwirkung, so dass ein Regressproblem nicht entsteht579. Ansonsten folgen die PECL dem deutschen Recht: Urteil und Verjährung im Verhältnis zwischen dem Gläubiger und einem Gesamtschuldner haben keine Auswirkungen auf die Rechte des Gläubigers gegen die Mitschuldner oder auf den Innenregress580. Auch in den Nachbarrechtsordnungen wird also bei Schadensersatz-Gesamtschulden ein Regress häufig selbst dann zugelassen, wenn der Regresspflichtige dem Zugriff des Gläubigers nicht mehr unterliegt. Zur Frage der Wirkung von Verjährung und klageabweisendem Urteil werden allerdings unterschiedliche Lösungswege beschritten, von denen einige das Problem im Vergleich zum deutschen Recht deutlich entschärfen. Die rechtsvergleichende Umschau legt aber nahe, dass ein Modell der Schuldgemeinschaft bei gesetzlichen Schadensersatzpflichten nicht von vornherein als systemfremd ausgeschlossen werden kann. Das Modell der beschränkten Gesamtwirkung ist schon aus praktischer Sicht wenig empfehlenswert, weil es den Zugriff des Gläubigers auf einen Gesamtschuldner gleich von zwei fremden Rechtsverhältnissen abhängig macht581. Die Schuld des verbleibenden Gesamtschuldners gegenüber dem Gläubiger hinge dann nicht nur davon ab, ob es im Verhältnis zwischen dem Gläubiger und dem Mitschuldner tatsächlich einen Erlass, eine Verjährung oder ein klageabweisendes Urteil gab, sondern auch davon, in welcher Höhe der befreite Gesamtschuldner regresspflichtig war. Gerade bei Gesamtschulden auf Schadensersatz kommt aber hinzu, dass die beschränkte Gesamtwirkung dem Schutz, den die solidarische Haftung dem Gläubiger bieten soll, teilweise zuwiderläuft. Er könnte nur solange seinen gesamten Schaden bei einem der Verantwortlichen liquidieren, wie dieser einen durchsetzbaren Regress gegen seinen Mitverantwortlichen hat. Es erscheint aber billig, den Geschädigten mittels der Solidarhaft nicht nur vor dem Risiko der Insolvenz einzelner Mitschuldner, sondern auch vor sonstigen Schwierigkeiten der Rechtsverfolgung zu schützen. Anders verhält es sich nur im 578
Civil Liability (Contribution) Act 1978, s. 1 (3) und (5); hierzu Mitchell, Contribution, Rz 12.03 ff., 12.10 ff., 12.31 ff. Zur Lage vor Erlass dieses Gesetzes aus rechtsvergleichender Sicht Wagenfeld, Ausgleichsansprüche, 59 ff., 86 ff., 91 ff., 98 ff.; zur heutigen Lage Friedmann/Cohen, Adjustment, §§ 38, 52, 57, 61, 64. 579 PECL Art. 10:108 I; dagegen sieht DCFR Art. III-4:109 III offenbar die Einzelwirkung mit fortdauernder Regresspflicht vor. 580 PECL Art. 10:109, 10:110; ebenso DCFR Art. III-4:110–111. 581 von Kübel, Motive zum TeilE, 31 f. (Schubert, SR I, 83 f.); Selb, Mehrheiten, 128; Goette, Gesamtschuldbegriff, 131; vgl. auch Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 117, 196 ff.
14. Eine Schuldgemeinschaft unter gesetzlichen Schadensersatz-Gesamtschuldnern?
691
Fall des Einzelerlasses, weil der Gläubiger hier freiwillig auf Rechte verzichtet582. Zugleich besteht gerade beim Einzelerlass die Gefahr einer Regressmanipulation durch den Gläubiger. Insofern ist es kein Zufall, wenn die beschränkte Gesamtwirkung des Einzelerlasses in einigen Nachbarrechtsordnungen angeordnet und im deutschen Recht zumindest zugelassen wird. Scheidet eine Lösung zulasten des Gläubigers aus, verbleiben die Lösungen zulasten des regressberechtigten und zulasten des regresspflichtigen Gesamtschuldners. Bei gesetzlichen Schadensersatz-Gesamtschulden erscheint eine Bevorzugung der Regressinteressen des leistenden Gesamtschuldners als zumindest vertretbar. Dieser hat seine Schuld gegenüber dem Gläubiger nicht freiwillig auf sich genommen. Wenn das Recht ihm eine gesetzliche Haftung für den Schaden eines anderen aufbürdet, tut es gut daran, mögliche Regressansprüche nicht über Gebühr abzuschneiden. Zugleich hat der gesetzliche Schadensersatzschuldner keine Möglichkeit, sich durch Vereinbarung mit dem Gläubiger vor einem möglichen Regressverlust zu schützen. Der Nachteil, ohne Regress dem Zugriff des Gläubigers ausgesetzt zu sein, ist im Allgemeinen größer als der Nachteil, trotz fehlenden Gläubigerzugriffs Regress leisten zu müssen. Schließlich widerspricht die Lösung der herrschenden Lehre bei gesetzlichen Schadensersatz-Gesamtschulden auch nicht grundlegenden schuldrechtlichen Prinzipien. Es ist zwar richtig, dass dem regresspflichtigen Gesamtschuldner seine Einwendungen gegenüber dem Gläubiger im Ergebnis teilweise abgeschnitten werden. Die vom Fortbestand der Gläubigerforderung unabhängige Regresspflicht, die ihn im Ergebnis schlechter stellen kann als im Fall einer Einzelschuldnerschaft, entsteht zudem durch einen Umstand, auf den der Schadensersatzgesamtschuldner häufig keinen Einfluss hat, nämlich durch die Schadensersatzpflicht des Regressberechtigten gegenüber dem Gläubiger. Dieser Umstand ist aber kein Rechtsgeschäft, so dass nicht eingewendet werden kann, dass der Regresspflichtige durch ein fremdes Rechtsgeschäft benachteiligt wird. Vielmehr beruhen die Haftungen beider Gesamtschuldner auf dem Gesetz. Der Gesetzgeber aber ist frei, im Falle einer Schadenszufügung Rechtsfolgen vorzusehen, die über die unmittelbare Schadensersatzpflicht gegenüber dem Geschädigten hinausgehen. Die Annahme einer Schuldgemeinschaft bei Schadensersatzgesamtschulden bedeutet im Ergebnis, dass derjenige, der einen auszugleichenden Schaden verursacht hat, nicht nur mit der Schadensersatzpflicht gegenüber dem Geschädigten, sondern auch mit einer Ausgleichspflicht gegenüber einem Mitschädiger belastet wird. Zugleich bedeutet sie für einen Schädiger, sofern er nicht intern allein belastet ist, auch einen Vorteil, weil er bei Solvenz des Mitschädigers die Ersatzpflicht nicht allein tragen muss und zudem vom privilegierten Gesamtschuldregress profitiert. Im Einzelfall kann aber die Ausgleichspflicht gegenüber dem Mitschädiger über die Belastung hinausgehen, 582 Ähnliches kann etwa für den Fall gelten, dass der Gläubiger die Verjährungsfrist gegen einen der Schuldner bewusst verstreichen lässt oder auf eine Klage verzichtet, vgl. Staud/Noack, § 426 Rz 10, 15.
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II. Der Innenausgleich
welche die Schadensersatzpflicht gegenüber dem Gläubiger für den Schädiger bedeutet. Dies ist aber eine gesetzliche Nebenfolge seiner Schadensersatzpflicht, die er hinnehmen muss.
15. Schluss Ein Innenausgleich unter Schadensersatz-Gesamtschuldnern wurde historisch nur allmählich und zögerlich zugelassen. Der völlige Ausschluss des Regresses wurde insbesondere bei der Solidarhaftung aus Delikten häufig nicht als unbillig empfunden. Diese Situation hat sich im heutigen Recht geradezu umgekehrt. Zunächst setzte sich (zu Recht) die Ansicht durch, dass es auch bei Gesamtschulden auf Schadensersatz nicht der Gläubigerwillkür überlassen bleiben darf, zu entscheiden, wer die Belastung im Innenverhältnis trägt. Was die nähere Ausgestaltung des Regresses angeht, profitiert der Schadensersatz-Gesamtschuldner im heutigen deutschen Recht vom privilegierten Rückgriff aus § 426 I und II und steht damit im Ergebnis besser da als der unbeauftragte Bürge gegenüber dem Hauptschuldner oder andere Regressberechtigte, denen man nur einen Zessionsoder Bereicherungsregress gewährt. Aus Sicht des Regressverpflichteten ist dabei der Forderungsübergang nach § 426 II wenig problematisch, weil er ihn nicht schlechter stellt als im Falle einer Abtretung durch den Gläubiger. Dagegen eröffnet § 426 I nach Rechtsprechung und herrschender Lehre eine „Schuldgemeinschaft“ unter den Gesamtschuldnern, also ein gesetzliches Schuldverhältnis, das Rückgriffsansprüche unabhängig vom Fortbestand der Gläubigerforderung begründet. Zudem sollen sich zumindest nach heutiger Ansicht auch Mitwirkungspflichten und Befreiungsansprüche ergeben. Letztere Annahme hat sich in ihrer Allgemeinheit als wenig sachgerecht erwiesen. Das Modell einer von der Gläubigerforderung unabhängigen Regresspflicht hingegen erscheint bei gesetzlichen Gesamtschulden auf Schadensersatz als zumindest vertretbar. Der privilegierte Schuldgemeinschafts-Regress aus § 426 ist nach allgemeiner Ansicht aber nicht nur bei gesetzlichen Schadensersatz-Gesamtschulden, sondern bei jeder Art von Gesamtschuldverhältnissen eröffnet. Hierfür spricht, dass der Gesetzgeber eine Einheits-Gesamtschuld unter Abkehr der zeitgenössischen Unterscheidung zwischen Korreal- und Solidarobligationen beabsichtigte. Folgt man aber sowohl dem Einheitsmodell als auch der Annahme einer Schuldgemeinschaft, dann hat dies Auswirkungen auf den Tatbestand der Gesamtschuld. Ein Gesamtschuldverhältnis kann nur dort angenommen werden, wo der privilegierte Rückgriff, der den Regresspflichtigen benachteiligen kann, angemessen erscheint. Am Ende des Vorgängerkapitels ging es um die Frage, ob die Entscheidung des Gesetzgebers sinnvoll war, eine einheitliche Regelung für alle Arten von vertraglichen und gesetzlichen Gesamtschulden vorzusehen. Eine grundlegende Wesensverschiedenheit steht, wie gezeigt wurde, einer Einheitsregelung nicht entgegen. Auch die Regelung des Außenverhältnisses zwischen den Gesamtschuld-
Zusammenfassung
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nern und dem Gläubiger in den §§ 422–425 ist so neutral, dass sie ohne weiteres auf alle möglichen Arten von Gesamtschuldverhältnissen angewendet werden kann, auch wenn die Schuldner durch keine besondere Beziehung verbunden sind. Der Schuldgemeinschafts-Regress im Innenverhältnis aber macht die Neutralität im Außenverhältnis bedeutungslos. Nicht bei jeder Art von Schuldnermehrheit mit Gläubigerwahlrecht ist eine pflichtenbegründende Schuldgemeinschaft passend oder erwünscht. Zumindest die herrschende Lehre kennt auch Fallkonstellationen, in denen der Ausgleich allein mit Hilfe der zedierten Gläubigerforderung oder eines Bereicherungsregresses stattfindet. Die Abgrenzung von Gesamtschuldverhältnissen zu anderen Formen von Schuldnermehrheiten muss in erster Linie die Folgen für die Ausgestaltung des Regresses im Auge haben. Das Schuldgemeinschafts-Modell der herrschenden Lehre zwingt zu einer Einschränkung des Gesamtschuldtatbestands durch Ausschluss aller Fälle, in denen der privilegierte Regress nicht erwünscht ist.
Zusammenfassung Ein Regress unter deliktischen Mittätern schied nach römischem Recht häufig schon deswegen aus, weil die Täter kumulativ schuldeten. Doch auch in den Fällen der gesetzlichen Solidarhaftung wird ein Regressrecht nur für Einzelfälle überliefert. Im Gemeinen Recht bestand daher keine Einigkeit darüber, ob Rückgriffsrechte nur in einzelnen Fallgruppen, etwa bei verschuldensunabhängiger Haftung oder unter Mitvormündern, anerkannt werden sollten oder ob es ein allgemeines Regressrecht gab, von dem aber bestimmte Gruppen von Gesamtschuldnern ausgeschlossen werden sollten, seien es vorsätzliche Täter oder auch alle Deliktstäter. Ein Ausgleich unter zumindest fahrlässig handelnden Schadensverursachern wurde aber zunehmend anerkannt. Die Verfasser des BGB entschieden sich, der Mehrheit der früheren Regelwerke folgend, gegen einzelne Rückgriffsrechte für bestimmte Fallgruppen zugunsten eines allgemeinen Gesamtschuldregresses. Der Ausgleich sollte nach Kopfteilen, nicht nach Verursachungsbeiträgen erfolgen, worüber sich die Rechtsprechung aber schon bald hinwegsetzte. Die herrschende Lehre versteht den in § 426 I angeordneten Gesamtschuldausgleich im Sinne einer Schuldgemeinschaft mit Mitwirkungspflichten und Regressrechten, die unabhängig vom Fortbestand der Außenhaftung sind. Damit werden deliktische Mittäter besser gestellt als andere Regressberechtigte, denen häufig nur eine Legalzession oder eine Rückgriffskondiktion unter analoger Anwendung der §§ 404 ff. zusteht. Mitwirkungspflichten können aber nicht schon daraus hergeleitet werden, dass der Gläubiger wegen einer Leistung, die er insgesamt nur einmal erhalten soll, unter mehreren Schuldnern wählen kann. Schadensersatzansprüche wegen versagter Mitwirkung sind zur Erreichung des Ziels, die Gesamtschuldner möglichst gleich zu behandeln, auch gar kein geeignetes Instrument. Auch ein Befreiungsanspruch kann aus dem Gesamtschuldverhältnis
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II. Der Innenausgleich
nicht hergeleitet werden, höchstens ein Anspruch auf anteilige Leistung an den Gläubiger oder Hinterlegung, und dies auch nur dann, wenn der Gläubiger gegen zumindest einen Gesamtschuldner schon Klage erhoben hat. Die von der herrschenden Lehre angenommene eigenständige Verjährung des Rückgriffsanspruchs benachteiligt den regresspflichtigen Gesamtschuldner und sollte daher bei der Konkurrenz gesetzlicher Verbindlichkeiten auf diejenigen Fälle beschränkt werden, in denen zur Zeit der Leistung an den Gläubiger sowohl dessen Forderung gegen den leistenden als auch die gegen den regresspflichtigen Gesamtschuldner durchsetzbar waren. Die herrschende Lehre von der Schuldgemeinschaft benachteiligt den ausgleichspflichtigen Gesamtschuldner auch, wenn die Klage des Gläubigers gegen ihn rechtskräftig abgewiesen wurde, wenn der Gläubiger ihm einen Erlass gewährt hat, wenn er gegenüber der Gläubigerforderung aufrechnen könnte oder wenn er ohne Kenntnis der erfolgten Leistung ebenfalls an den Gläubiger zahlt. Ein Zessionsregress wäre in all diesen Fällen nicht möglich, während die herrschende Lehre einen Rückgriff aus § 426 I zulässt. Das Modell der gesetzlichen Schuldgemeinschaft unter den Gesamtschuldnern ist in der Literatur immer wieder kritisiert worden. Warum gerade unter Gesamtschuldnern ein derart privilegierter Regress stattfinden soll, wird von der herrschenden Lehre nicht begründet und kann wohl auch nicht begründet werden. Bei der Konkurrenz gesetzlicher Schadensersatzverbindlichkeiten erscheint die Annahme von unabhängigen Rückgriffsrechten, die über einen reinen Zessionsregress hinausgehen, allerdings nicht von vornherein unzulässig, weil der Gesetzgeber auch frei wäre, unter gesetzlichen Haftungsschuldnern Schadensersatzansprüche wegen reiner Vermögensschäden anzuordnen, und auch in den Nachbarrechtsordnungen der Ausgleich unter gesetzlichen Gesamtschuldnern nicht immer auf einen Zessionsregress beschränkt wird. Außerhalb gesetzlicher Schadensersatzverbindlichkeiten zwingt das Schuldgemeinschaftsmodell dagegen zu einer Einschränkung des Gesamtschuldtatbestands.
III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen Die Frage, unter welchen Umständen eine Mehrheit von Schadensersatzverpflichtungen ein Gesamtschuldverhältnis bildet, wurde hier bislang vernachlässigt. Diese Frage kann als solche nur dann sinnvoll gestellt werden, wenn man sich die Alternativen zum Gesamtschuldverhältnis vor Augen führt. Wird ein Gesamtschuldverhältnis unter mehreren möglichen Verursachern eines Schadens ausgeschlossen, so kann dies zunächst bedeuten, dass einer oder mehrere für den Schaden überhaupt nicht oder nur anteilig haften. Möglich ist auch, dass zwar mehrere für den Ersatz eines bestimmten Schadens in voller Höhe aufkommen müssen, der Gläubiger aber kein Wahlrecht hat, weil er zunächst nur einen von ihnen (Subsidiarität) oder jeden für einen Anteil (Einrede der Teilung) belangen kann. Doch auch wenn der Gläubiger von jedem Schuldner sofort den Ersatz des gesamten Schadens verlangen kann, muss dies nicht zu einem Gesamtschuldverhältnis führen: Denkbar ist, dass die Leistung eines ferner stehenden Schuldners die Verbindlichkeit eines näher stehenden gar nicht zum Erlöschen bringt, so dass diese für einen Regress mittels Abtretung oder echtem Forderungsübergang zur Verfügung steht. Selbst die wechselseitige Solutionskonkurrenz bedeutet nicht automatisch ein Gesamtschuldverhältnis. Hier kommt es darauf an, zu welchen Rechtsfolgen die Annahme einer Gesamtschuld, Korreal- oder Solidarobligation in einer bestimmten Rechtsordnung geführt hat. Anerkannt ist im heutigen Recht die gesamtschuldnerische Haftung von deliktischen Mit- und Nebentätern, die den Ersatz desselben Schadens schulden1. Unsicherheit besteht aber über die historische Fundierung der Solidarhaft der Nebentäter. Eine Untersuchung dieser Frage wirft Licht auf das Gesamtschuldverständnis des BGB-Gesetzgebers. Zum Verständnis des historischen Hintergrunds soll zunächst ein Blick auf andere Fallgruppen der Solidarhaftung geworfen werden.
1 Das ist auch in den Nachbarrechtsordnungen der Fall, wenn auch die Abgrenzung zwischen Teilnehmern und Nebentätern teilweise anders getroffen wird als in Deutschland oder eine solche Unterteilung ganz unbekannt ist. Hierzu von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht I, Rz 50 ff., 315 ff.; die Länderberichte in Rogers, Tortfeasors, jew. unter Punkt A 1–2, und der Überblick auf S. 276 ff.; Winiger/Koziol/Koch/Zimmermann, Digest, 265 ff.; PETL Art. 9:101; DCFR Art. VI6:105; zum anglo-amerikanischen Recht auch Weckerle, Verantwortlichkeit, 35 ff.; aus der älteren Literatur W.Buxbaum, Solidarische Schadenshaftung, 47 ff., 75 ff.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
1. Mittäter und Teilnehmer Nach römischem Recht haftete, wenn mehrere sich zur Erzielung eines bestimmten rechtswidrigen Erfolgs zusammenschlossen, jeder auf das Ganze. Wenn A dem Opfer Münzen aus der Hand schlug, damit B sie an sich nehmen konnte, wenn A eine Haustür aufbrach, damit B im Haus stehlen konnte, oder wenn A dem B im Wissen um dessen geplante Tat Einbruchswerkzeug beschaffte, dann sollten beide aus der actio furti, der Strafklage wegen Diebstahls, haften2. Dasselbe galt, wenn A und B gemeinsam in Diebstahlsabsicht einen Balken forttrugen, den ein Einzelner nicht hätte tragen können. Wenn man auch argumentieren könnte, so Julian, dass keiner haften soll, weil keiner allein den Diebstahl begehen konnte, hafteten sie doch seit alters her beide3. Auch eine anteilige Haftung sollte hier, so Ulpian, nicht eintreten, weil man nicht sagen könne, dass jeder den Diebstahl nur zum Teil begangen habe4. Jeder der beiden Täter haftete also aus der actio furti auf die gesamte Bußleistung. Ebenso verhielt es sich bei der Klage aus der lex Aquilia wegen Tötung oder Verletzung von Sklaven oder Vieh. Hatte etwa A den Sklaven festgehalten und B ihn getötet, dann sollte nicht nur B, sondern auch A haften5, weil er, so Ulpian, eine Ursache für den Tod gesetzt hatte6. Rechtsfolge der vollen Haftung beider war bei den actiones furti und legis Aquiliae kein Gesamtschuldverhältnis, sondern Kumulation7. Eine Haftung jedes Teilnehmers auf das Ganze wird aber auch im Zusammenhang mit Klagen berichtet, bei denen der Gläubiger die geschuldete Leistung insgesamt nur in einfacher Höhe erhalten konnte. Schütteten mehrere in geplantem Zusammenwirken Erde auf ein fremdes Grabmal, konnte der Grundstückseigentümer aus dem Interdikt quod vi aut clam gegen jeden einzelnen auf Wiederherstellung klagen: Das durch mehrere ungeteilt errichtete Werk, so Ulpian, verpflichte jeden auf das Ganze8. Durch die Leistung (und wohl auch schon durch die Verklagung) eines Mittäters wurden aber die übrigen frei9. Demzufolge galt im Gemeinen Recht, dass bei bewusstem Zusammenwirken mehrerer der von allen beabsichtigte Erfolg jedem Einzelnen zuzurechnen war,
2 Gai. 3,202; Inst. 4,1,11; weitere Beispiele bei Ulpian D.9,2,27,21, D.13,1,6, D.47,2,36 pr.-1, D.47,2,48,1, D.47,2,50,1–4, D.47,2,52,13 und §§ 19, 21–22; Paulus D.47,2,34; vgl. Zimmermann, Law of Obligations, 930 f. 3 Julian D.9,2,51,2. 4 Ulpian D.47,2,21,9. 5 Eine direkte Haftung nach der lex Aquilia kam hier nicht in Betracht, weil A nicht selbst getötet hatte, wohl aber eine in den Rechtsfolgen offenbar ähnliche actio in factum; hierzu stellvertretend Zimmermann, Obligations, 976 ff., 993 f.; Jansen, Haftungsrecht, 247 ff. 6 Ulpian D.9,2,11,1; s.a. D.9,2,9,3. 7 Oben, 497 f. 8 Ulpian D.43,24,15,2 (opus enim, quod a pluribus pro indiviso factum est, singulos in solidum obligare); zu diesem Fragment schon oben, 511. 9 Vgl. oben, 508 ff.
1. Mittäter und Teilnehmer
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auch wenn die Handlung des einzelnen allein den Erfolg nicht hätte herbeiführen können10. Dies betraf in erster Linie die Mittäter und zumeist auch die Gehilfen. Umstritten war lediglich die Haftung der Anstifter (wegen der nicht eindeutigen Quellenlage11) und der Begünstiger (weil diese grundsätzlich nicht mehr kausal für den Erfolg waren). Keine Einigkeit bestand über den Grund der Haftung jedes Teilnehmers. Nach einer Ansicht folgte sie schon aus allgemeinen Regeln, weil jeder den Schaden mitverursacht hatte, indem er ein notwendiges Glied in der Kausalkette bildete12. Dies musste aber bedeuten, dass ein Teilnehmer dann nicht haftete, wenn der Erfolg ausnahmsweise auch ohne seinen Beitrag eingetreten wäre. Die römischen Quellen stellten, so gesehen, eine Kausalitätsvermutung auf, die der Teilnehmer vielleicht widerlegen konnte. Dann kam es aber darauf an, ob man nur auf die physische Kausalität achtete oder auch eine psychische Kausalität in Form der Ermunterung und moralischen Unterstützung in Betracht zog13. War etwa das Wachehalten eines Gehilfen im Ergebnis nicht erheblich, weil sich gar keiner dem Tatort genähert hatte14, konnte man die Kausalität verneinen, weil die Tat auch ohne Wachestehen durchführbar war; statt dessen konnte man auch eine Kausalität bejahen, weil die übrigen Täter ohne das Wachestehen nicht zur Tat geschritten wären. Nach einer anderen Ansicht kam es dagegen auf die Kausalität gar nicht an. Jeder Teilnehmer haftete für den Erfolg, weil er sich den gemeinsamen Plan durch seine Teilnahme zu eigen gemacht hatte15. Ein Entlastungsbeweis stand ihm dann nicht offen. Insgesamt herrschte gemeinrechtlich keine Einigkeit über das Verhältnis zwischen physischer, psychischer und nur vermuteter Kausalität und schließlich zwischen der Haftung für einen eigenen Kausalbeitrag und der Zurechnung eines fremden Beitrags auf Grund gemeinsamer Tatplanung16. Die Schwierigkeit des Problems zeigt sich da10 Hierzu Grotius, Inleiding III, 32, §§ 12–15; Voet, Commentarius, zu D.9,2, § 12; Glück, Pandecten X, 385 f.; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 676 II; von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT, Kap. 30/1, Anm. 3 (S. 979 f.); Wendt, Pandekten, § 275; Dernburg, Pandekten II, § 131. 11 Vgl. Inst. 4,1,11 a.E.; Javolen D.9,2,37 pr.; Ulpian D.47,2,50,3 und l. 52,19; Paulus D.50,16,53,2. 12 So wohl Voet, Commentarius, zu D.9,2, § 12; Domat, Loix civiles, § 1825; Christiansen, Institutionen, § 3; Crome, JhJb 35 (1896), 107, 112 f.; Binder, Korrealobligationen, 593 f. 13 So ausdrücklich Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 219 f. 14 Vgl. Staud/Eberl-Borges, § 830 Rz 44; MüKo/Wagner, § 830 Rz 16 a.E. 15 So explizit von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT, Kap. 30/1, Anm. 3 (S. 980); in diese Richtung auch Gruchot, Gruch 3 (1859), 487. 16 Schwer verständlich sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen von Crome, JhJb 35 (1896), 100. Für Crome gibt es keine Haftung auf Grund vermuteter Kausalität, sondern nur die Haftung für einen Erfolg, den der Täter selbst verschuldet hat. Einen Erfolg verschulden soll bedeuten: einen Teil des Erfolgs verwirklichen und mit hinzutretenden Umständen, insbesondere dem Handeln eines Mittäters, rechnen (103). Demnach soll, wenn mehrere Kinder Steine auf eine andere Gruppe werfen und durch einen Stein das Opfer das Augenlicht verliert (RGZ 23, 329, Fn. 21), ein Kind aus der werfenden Gruppe auch dann haften, wenn es nachweislich den verletzenden Stein nicht geworfen hat, weil es sah und wusste, dass die anderen Kinder warfen und den von ihm gemachten Angriff unterstützen und ergänzen (118). Wenn Crome hier davon ausgeht, dass das nicht werfende Kind den Erfolg selbst verschuldet hat, dann rechnet er ihm offenbar fremde Handlungen wegen der gemeinsamen Tatplanung zu. Dagegen ist nichts einzuwenden,
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
rin, dass auch heute noch darüber gestritten wird, ob die Teilnehmerhaftung nach § 830 I 1 und II auf einer Kausalitätsvermutung oder auf einer materiellen Zurechnung beruht17. Auch die Nachbarrechtsordnungen sind sich über diese Frage nicht einig18. Nach der Rechtsprechung gegen Ende des 19. Jahrhunderts haftete, sofern mehrere auf Grund eines gemeinsamen Plans zusammenwirkten, jeder in voller Höhe für den planmäßigen Erfolg. Zu diesem Kreis gehörten nicht nur Mittäter und Gehilfen, sondern auch Anstifter19. In diesem Rahmen sollte es nicht darauf ankommen, ob der einzelne Teilnehmer für den Erfolg mitursächlich gewesen war, ob also der Erfolg auch ohne seinen Beitrag eingetreten wäre20. Das Reichsgericht rechnete einem Teilnehmer daher auch eine Tat zu, die allein ein anderer Täter begangen hatte, sofern sie nur dem gemeinsamen Tatplan entsprach. Hatten etwa mehrere beschlossen, auf eine bestimmte Person zu schießen, dann hafteten beide für deren Verletzung, auch wenn nur einer der Schüsse getroffen hatte21. Etwas anderes galt aber, wenn das Ziel des geplanten Zusammenwirkens erlaubt war: Schossen mehrere auf Grund eines gemeinsamen Beschlusses auf einen Hasen und traf einer der Schüsse versehentlich einen Passanten, so konnte dieser Erfolg nicht nach den Regeln der Teilnahmehaftung jedem Beteiligten zugerechnet werden, weil es an einem gemeinsamen Plan zur Verletzung des Passanten mangelte22. 17 doch Crome will in solchen Fällen nur dann zur Ganzhaftung kommen, wenn der Erfolg nicht zu messbaren Teilen auf die einzelnen Tätigkeiten zurückgeführt werden kann. Schließen sich zwei Fabriken zusammen und leiten auf Grund eines gemeinsamen Planes giftiges Abwasser in den Fluss, das den Fischbestand tötet, dann soll trotz des gemeinsamen Plans jede Fabrik nur für den Anteil des Schadens haften, der ihrem Anteil an der von beiden eingeleiteten Abwassermenge entspricht (109 f.). Warum hier anders als im Steinewerferfall entschieden wird, ist unklar, denn auch hier hat die Fabrik am Erfolg des Fischsterbens mitgewirkt und musste mit dem Handeln der anderen Fabrik rechnen. Crome stellt darauf ab, dass hier die Anteile, also die Kausalbeiträge, messbar sind, nämlich als Menge des Abwassers. Warum in diesem Fall aber das Wissen um den anderen Tatbeitrag bzw. die Zurechnung eines fremden Beitrags keine Rolle mehr spielen soll, ist rätselhaft. Stellt man nur auf die physische Verursachung durch eigenes Tun ab, haftet das Kind im Steinwerferfall gar nicht; rechnet man wegen des gewollten Zusammenwirkens fremde Beiträge hinzu, muss jede Fabrik für den Gesamtschaden haften. Das Abstellen auf die Messbarkeit der Beiträge ist hier willkürlich. 17 Im ersteren Sinne etwa F. Bydlinski, AcP 158 (1959/60), 417 ff.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 82 I 2 b; Kreutzinger, Haftung, passim (mit ausführlicher Darstellung des Streitstands bis 1985); Staud/Eberl-Borges, § 830 Rz 4, 8, 21 ff., 40 ff.; im letzteren Sinn etwa MüKo/Wagner, § 830 Rz 4 f., 15 f.; Soergel/Krause, § 830 Rz 7, 10; Deutsch, Haftungsrecht, Rz 509; jew.m.w.N. 18 Hierzu Rogers, Tortfeasors, 276 ff.; Winiger/Koziol/Koch/Zimmermann, Digest, 344 ff. 19 RGZ 10, 132 (5.10.1883); RGZ 28, 166 (11.12.1891). 20 So ausdrücklich OAG Dresden, SeuffA 1 (1847) Nr. 66 (ohne Datum); vgl. auch RG JW 1886, 153 Nr. 34 (23.3.1886). 21 RG SeuffA 41 Nr. 93 (3.3.1885). Ähnlich zum französischen Recht RGZ 23, 329 (4.6.1889): Wirft eine Kindergruppe auf Grund eines gemeinsamen Plans Steine auf andere Kinder, von denen eines durch einen Stein ein Auge verliert, haftet dafür jedes Mitglied der werfenden Gruppe. Dies gilt auch dann, wenn keiner den Verlust des Auges gewollt hatte, sofern das Werfen selbst auf einem gemeinsamen Vorsatz beruht. 22 RG SeuffA 47 Nr. 12 (19.6.1891).
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Rechtsfolge der Ganzhaftung jedes Teilnehmers war nach Gemeinem Recht, das die Straffunktion der Deliktsklagen nicht mehr anerkannte, eine solidarische Verpflichtung auf Ersatz des entstandenen Schadens. Mit Ausnahme des französischen Code Civil23 enthielten sämtliche Kodifikationen und Entwürfe Regeln zur Teilnehmerhaftung. Insbesondere nach den älteren Regelwerken sollte jeder für den Gesamterfolg einstehen, wenn ein Schaden von mehreren vorsätzlich24 bzw. vorsätzlich oder grob fahrlässig25 verursacht worden war. Die jüngeren Regelwerke stellten hingegen darauf ab, ob der Schaden „gemeinschaftlich“ bzw. „gemeinsam“ zugefügt wurde26. Wie gemeinschaftliche Täter sollen zumeist auch Gehilfen und Anstifter haften27. Ein grundlegender Unterschied zwischen dem Kriterium des Vorsatzes und dem der Gemeinschaftlichkeit bestand wohl nicht. Denn auch der Vorsatz musste sich offenbar nicht nur auf das eigene Handeln und den Erfolg, sondern auch auf die Mitwirkung der übrigen Beteiligten beziehen, so dass es auch hier im Ergebnis auf die Gemeinschaftlichkeit des Handelns ankam28. Was „gemeinschaftlich“ allerdings genau bedeuten sollte, ob allein das physische gleichzeitige Handeln (dessen sich der Einzelne aber offenbar zumindest bewusst sein musste) oder ein geplantes Zusammenwirken gemeint war, wird nicht immer ganz klar29. Im Ergebnis entstand hier ein gesetzlich angeordnetes Gesamtschuldverhältnis30. 23 Ein gesetzliches Gesamtschuldverhältnis (solidarité) wird nur bei Teilnehmern einer Straftat angeordnet, vgl. oben, 518 ff. Das badische Landrecht, das grundsätzlich dem CC nachgebildet ist, füllte diese Lücke mit einer Gesamtschuldanordnung bei vorsätzlichem Zusammenwirken, Art. 1382 d. 24 ABGB §§ 1301–1302; SächsE §§ 794, 798; BadLR Art. 1382 d. 25 ALR I 6 § 29; CMBC-RevE 1811, IV 15 § 1 Nr. 3. Eine Sonderstellung nahm das Züricher Gesetzbuch ein. Bei Vorsatzdelikten und Straftaten haftete jeder Teilnehmer solidarisch, § 1828. Bei sonstigen rechtswidrigen Schadenszufügungen haftete jeder, der mitgewirkt hatte, für das Ganze, bei leichtem Verschulden aber zunächst nur für einen Kopfteil und für den Rest subsidiär, § 1850. 26 HessE IV 1 Art. 214; BayE II Art. 69 I; SächsGB §§ 777, 1495 S. 1; DresdE Art. 218 S. 1; OR 1881 Art. 60 I (OR 1911 Art. 50 I). Dasselbe ist offenbar mit den „Complices Delicti“ in CMBC IV 16 § 4 Nr. 5 gemeint. 27 So BayE II Art. 69 II; SächsGB § 778; DresdE Art. 218 S. 1; OR 1881 Art. 60 I (OR 1911 Art. 50 I); s.a. ZürGB § 1828. 28 Zum ALR Gruchot, Gruch 3 (1859), 486 ff.; zum ABGB Winiwarter, Bürgerliches Recht IV, § 378; Nippel, ABGB, § 1302 Anm. 2; Stubenrauch, ABGB, §§ 1301–1302, Anm. B I 1. 29 Vgl. zum ALR Gruchot, Gruch 3 (1859), 486 ff., für den der in Julian D.9,2,51,1 und Ulpian D.9,2,11,2 behandelte Fall (hierzu der folgende Abschnitt) ein Beispiel des vorsätzlich gemeinschaftlichen Handelns darstellt. Die Vorschrift des HessE IV 1 Art. 214 (Haben mehrere Personen gemeinschaftlich einem Dritten Schaden zugefügt …) sollte möglicherweise nicht nur Teilnehmer, sondern sämtliche Beteiligte umfassen, weil eine Vorschrift zur Beteiligtenhaftung fehlt; die Motive (115 f.) sind mehrdeutig. Nach den Motiven zum BayE soll ein gemeinsames Handeln vorliegen, „wenn eine Beschädigung durch eine und dieselbe Handlung oder Unterlassung, woran mehrere Personen sich beteiligen, bewirkt wurde“, etwa wenn „mehrere zu gleicher Zeit, im Komplotte oder ohne Komplott, einen anderen misshandeln“, Mot. zum BayE II, 78. Im SächsGB war mit „Gemeinschaftlichkeit“ dagegen offenbar ein Handeln auf Grund eines gemeinsamen Plans gemeint, so jedenfalls Siebenhaar, Sächsisches Privatrecht, 715. Bei den Beratungen zum Dresdener
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
In seinem Vorentwurf „Unerlaubte Handlungen“31 schloss sich von Kübel der Tradition der jüngeren Regelwerke an. „Haben mehrere durch gemeinsames Handeln“, so hieß es dort, „sei es als Anstifter, Thäter oder Gehilfen, den Schaden verschuldet, so haften sie als Gesammtschuldner.“32 Der Vorschlag wurde in sämtlichen Kommissionen gebilligt33 und unverändert in den Ersten Entwurf aufgenommen34. Die Redaktionskommission der Zweiten Kommission änderte den Wortlaut des Tatbestands im Sinne des heutigen § 830 I 1, II, ohne damit eine inhaltliche Änderung zu beabsichtigen35. Das Tatbestandsmerkmal des gemeinsamen bzw. gemeinschaftlichen Handelns wurde eng aufgefasst. Von Kübel verstand darunter ein Handeln „in beabsichtigter Vereinigung“36. Auch der Wortlaut der Vorschrift zeigt, dass die Solidarhaftung nicht beliebige gleichzeitig Handelnde, die auf irgendeine Art den Schaden miteinander verursachen, treffen sollte, sondern Mittäter, Anstifter und Gehilfen, also Teilnehmer im strafrechtlichen Sinne. So wird die Vorschrift auch heute überwiegend ausgelegt37. Gerechtfertigt wurde die in den Regelwerken angeordnete Gesamtschuld der Teilnehmer nicht mit Kausalitätserwägungen, sondern mit dem Schutz des Verletzten38, der Gefährlichkeit des Zusammenhandelns39 oder dem Argument, dass der Wille des Einzelnen auch das Handeln der übrigen Teilnehmer umfasse40.
30 Entwurf herrschte Unsicherheit darüber, ob die Vorschrift zum „gemeinsamen Handeln“ auch das zeitgleiche Zusammentreffen unabhängiger Handlungen umfasste; die Mehrheit war der Ansicht, dass es einer Verabredung bedürfe, Dresd. Prot. 711 ff. 30 So ausdrücklich CMBC IV 16 § 4 Nr. 5; SächsE §§ 592, 798; HessE IV 1 Art. 6 II, 214; BayE II Art. 69; BadLR Art. 1382 d; SächsGB §§ 777, 1495; DresdE Art. 218; OR 1881 Art. 60 I (OR 1911 Art. 50 I); ebenso zumindest für das Außenverhältnis zum Gläubiger ALR I 6 § 30. Das ABGB sieht eine Haftung alle für einen und einer für alle vor, § 1302. 31 Abgedruckt bei Schubert, SR I, 653 ff. 32 VorE Unerlaubte Handlungen, § 10 Satz 1. Eine Sonderregel sah von Kübel in § 11 für Begünstiger und Hehler vor. Sie sollten haften, soweit sie durch ihre eigene Handlung einen Schaden verursacht oder einen Anteil am Gewinn empfangen hatten, vgl. ABGB § 1301; ZürGB § 1829; BayE II Art. 69 II; SächsGB §§ 778, 1500, 1503, 1505; DresdE Art. 220; OR 1881 Art. 60 III (OR 1911 Art. 50 III). Die Vorschrift wurde in der Ersten Kommission gestrichen, weil sie in ihrem ersten Teil selbstverständlich sei und in ihrem zweiten Teil ins Bereicherungsrecht gehöre, Jakobs/ Schubert, SR III, 930; so dann auch Mot. I, 738 (Mugdan II, 412). 33 Jakobs/Schubert, SR III, 930, 931. 34 E I § 714 Satz 1. 35 ZustRedKom § 709 b I, bei Jakobs/Schubert, SR III, 932. 36 Motive zum VorE Unerlaubte Handlungen, 50 (Schubert, SR I, 706). 37 Stellvertretend MüKo/Wagner, § 830 Rz 9 ff.; Staud/Eberl-Borges, § 830 Rz 11 ff.; jew. m.w.N. 38 Motive zum HessE IV 1, 115 f.; von Kübel, Motive zum VorE Unerlaubte Handlungen, 50 (Schubert, SR I, 706). 39 Gruchot, Gruch 3 (1859), 487. 40 Nippel, ABGB, § 1302 Anm. 2; Motive zum SächsE, 168; Motive zum HessE IV 1, 115; von Kübel, Motive zum VorE Unerlaubte Handlungen, 50 (Schubert, SR I, 706).
2. Beteiligte
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2. Beteiligte Zwei Fragmente von Julian und Ulpian behandeln die Frage, wer aus der lex Aquilia wegen Totschlags haftet, wenn ein Sklave stirbt, nachdem mehrere auf ihn eingeschlagen haben. Lässt sich ermitteln, dass der Tod durch den Schlag einer bestimmten Person herbeigeführt wurde, haftet diese (offenbar allein, wobei die übrigen wegen Körperverletzung haften können). Lässt sich dagegen nicht ermitteln, wessen Schlag den Sklaven tötete, haften alle wegen Totschlags41. Auf den ersten Blick handelt es sich hier um eine Haftung aus vermuteter Kausalität bei unklarem Kausalverlauf, die, wie die heutige Regel des § 830 I 2, lediglich ein rechtswidriges Nebeneinanderhandeln mehrerer erfordert. Ob aber die römischen Juristen tatsächlich eine klare Unterscheidung zwischen Teilnehmern i.S.d. § 830 I 1 und nebeneinander Handelnden i.S.d. § 830 I 2 machten, ist nicht sicher. Die Fragmente lassen den genauen subjektiven Tatbestand offen, insbesondere ob die Täter auf Grund eines gemeinsamen Beschlusses auf den Sklaven einschlugen oder zumindest das Handeln der übrigen zur Kenntnis nahmen42. Gemeinrechtlich war die Auslegung dieser Fragmente von Julian und Ulpian daher umstritten43. Häufig sah man sie als Fall der Teilnehmerhaftung an. Handelten mehrere gemeinsam, sollte der eingetretene Erfolg dann jedem zurechenbar sein, wenn er entweder durch das direkte Zusammenwirken aller oder nur durch einen verursacht wurde, dieser aber nicht ermittelt werden konnte44. In dieser Auslegung konnte die Julian/Ulpian-Regel als eine erweiterte Form der Teilnehmerhaftung verstanden werden: Wer zusammen mit anderen eine rechtswidrige Tat beging, haftete nicht nur für die gemeinsam beabsichtigten Folgen, sondern auch für die möglicherweise nur von einem ohne Wissen der übrigen verursachten Schäden, letzteres aber nur dann, wenn der einzelne Verursacher nicht ermittelbar war45. Die Zurechnung des Erfolgs beruhte dann auf dem vorwerfbaren Zusammenschluss mit anderen. Insbesondere im späteren 19. Jahrhundert unterschied man dagegen schlicht zwischen Teilnehmern, denen der Gesamterfolg in voller Höhe zugerechnet wurde, und unabhängig voneinander 41
Julian D.9,2,51,1; Ulpian D.9,2,11,2. Hierzu neuerdings Kruse, Alternative Kausalität (2006), 9 ff., nach dem die Fragmente den Fall des nicht gemeinschaftlichen Handelns betreffen und das Ergebnis mit der Strafnatur der aquilischen Haftung erklärt werden kann. Darauf, ob jeder das Handeln der Übrigen zur Kenntnis nahm, kommt es für ihn nicht an. 43 Ausführlich zum Gemeinen Recht seit dem Mittelalter und zu den Kodifikationen Kruse, Alternative Kausalität, 46 ff., 80 ff., 95 ff., 136 ff., von dessen Darstellung hier allerdings teilweise abgewichen wird. So misst Kruse weder der Auslegung der Julian/Ulpian-Regel als erweiterte Teilnehmerhaftung noch der Frage, ob jeder Handelnde zumindest eine Körperverletzung begangen haben muss, Bedeutung zu. 44 Voet, Commentarius, zu D.9,2, § 8; wohl auch Grotius, Inleiding III, 34, § 6; ferner von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT, Kap. 30/1, Anm. 3 (S. 979 f.); Beschorner, AcP 36 (1853), 6 ff.; Gruchot, Gruch 3 (1859), 487 f.; Sintenis, Civilrecht, § 125 bei Fn. 24; Crome, JhJb 35 (1896), 100, insbes. 112; Binder, Korrealobligationen, 593 f.; vgl. von Lübtow, Lex Aquilia, 58. 45 So insbesondere Beschorner, AcP 36 (1853), 6 ff., mit Folgerungen für die Haftung des Teilnehmers an einem Aufruhr. 42
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
handelnden Tätern, für die nach den Stellen von Julian und Ulpian eine Kausalitätsvermutung gelten sollte46. Sehr häufig mussten die Gerichte im 19. Jahrhundert über die in den Fragmenten von Julian und Ulpian beschriebene Situation entscheiden, dass mehrere das Opfer verletzen und dieses, möglicherweise nur auf Grund einer der Verletzungen, stirbt. Tatsächlicher Hintergrund waren hier meist Schlägereien mit mehreren Beteiligten. Die Häufigkeit der Urteile erklärt sich wohl daraus, dass es ebenso wie in den römischen Quellen unklar war, ob eine echte Teilnahmesituation in Form eines geplanten Zusammenwirkens oder bloße Beteiligung vorlag. Die Rechtsprechung hielt sich eng an den Wortlaut der Fragmente: Stand nicht fest, durch wessen Handlung das Opfer getötet wurde, dann haftete jeder Beteiligte, der zumindest erwiesenermaßen dem Opfer Körperverletzungen zugefügt hatte, für den gesamten (Unterhalts-)Schaden47. Konnte einem Beteiligten lediglich die Beteiligung an der Schlägerei nachgewiesen werden, nicht aber eine Körperverletzung gegenüber dem Opfer, haftete er nicht48. Aus diesem Grund konnte auch im oben erwähnten Fall, dass mehrere Jäger auf einen Hasen schossen und ein Schuss einen Passanten traf, keine Haftung aus vermuteter Kausalität eingreifen, denn selbst wenn jeden der Jäger den Vorwurf der Fahrlässigkeit traf, hatte doch nicht jeder eine Körperverletzung begangen49. Die bloß potentiell gefährliche rechtswidrige Tat als solche führte, anders als nach § 830 I 2, nicht zu einer Kausalitätsvermutung50. Sofern aber jeder eine Körperverletzung begangen hatte und bei unaufklärbarer Kausalität daher für den Tod haftete, bestand auch in der Rechtsprechung keine Einigkeit darüber, worauf diese Haftung dann eigentlich beruhte, ob das gemeinsame Verletzen zur Haftung nach Teilnahmeregeln führte51 oder ob die Verletzung lediglich Tatbestandserfordernis einer Kausalitätsvermutung bei bloßem Nebeneinanderhandeln war52. Im Ergebnis findet sich aber eine Differenzierung zwischen Fällen des geplanten Zusammenwirkens, in denen jeder auch ohne physischen Kausalzusammenhang für den Erfolg einstehen muss, und sonstigen Fällen des gleichzeitigen Handelns, in denen lediglich die Kausalitätsvermutung 46 Unger, JhJb 22 (1884), 291 Fn. 199; Dernburg, Pandekten II, § 131; Binder, Korrealobligationen, 362, 378 f., 593 f. 47 Obertribunal Stuttgart, SeuffA 13 Nr. 144 (Urteile vom 23.2.1852 und 15.1.1859); AG Celle, SeuffA 27 Nr. 28 (4.1.1872); RGZ 1, 89, 92 f. (2.12.1879); BayObLG, SeuffA 40 Nr. 109 (5.11.1884); BayObLG, SeuffA 51 Nr. 263 (13.2.1896). 48 So ausdrücklich RGZ 1, 89 (2.12.1879); BayObLG, SeuffA 40 Nr. 109 (5.11.1884); AG Celle, SeuffA 27 Nr. 28 (4.1.1872). 49 RG SeuffA 47 Nr. 12 (19.6.1891). 50 Anders Kruse, Kausalität, 136 ff., 143 ff., 155, nach dem sowohl die gemeinrechtliche Doktrin als auch die Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts die Kausalitätsvermutung ohne weiteres in Fällen des Urheberzweifels angewendet haben. Die Begründung des eben genannten Reichsgerichtsurteils vom 19.6.1891 erscheint ihm daher kryptisch, a.a.O., 149. 51 So offenbar Obertribunal Stuttgart, SeuffA 13 Nr. 144/2 (15.1.1859); RG JW 1886, 153 Nr. 34 (23.3.1886). 52 So der Sache nach BayObLG, SeuffA 51 Nr. 263 (13.2.1896).
2. Beteiligte
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eingreift. Nach einem Urteil des AG Celle hafteten beide Beteiligte, wenn a) beide den Erfolg im gleichberechtigten Zusammenwirken verursacht hatten, b) die Tathandlung nur von A begangen wurde, aber B dabei geholfen hatte oder c) wenn unklar war, wer die tödliche Verletzung verübt hatte53. Das OLG Celle wandte die Julian/Ulpian-Regel im Sinne einer Kausalitätsvermutung in einem Fall an, in dem ein geplantes Zusammenwirken nicht vorlag und unklar war, welcher Teil des Gesamtschadens gerade vom Beklagten verursacht worden war54. Eine Differenzierung zwischen gewolltem und ungewolltem Zusammenwirken findet sich schließlich auch in einem Urteil des Reichsgerichts zu einem Fall, in dem feststand, welcher von zwei Beteiligten den tödlichen Schlag versetzt hatte, so dass die Kausalitätsvermutung nicht eingreifen konnte. A und B hatten auf das Opfer eingeschlagen, A dabei eine Waffe benutzt und damit den Tod herbeigeführt. Sofern B gewusst habe, so das Reichsgericht, dass A die tödliche Waffe verwendete, hafte er ebenfalls für den (Unterhalts-)Schaden. Ohne diese Kenntnis hafte B nur dann, wenn er durch seine Handlungen verhindert habe, dass das Opfer sich gegen A wehren konnte, wenn er also ebenfalls eine Ursache für den Tod gesetzt habe55. Eine Vorschrift zur Kausalitätsvermutung bei Beteiligten findet sich auch in der Mehrheit der Kodifikationen und Entwürfe. Der Regelungsgehalt dieser Vorschrift war im ALR, im ABGB, im Revisionsentwurf zum CMBC, im Sächsischen, Bayerischen und Dresdener Entwurf sowie in von Kübels Vorentwurf „Unerlaubte Handlungen“ und im Ersten Entwurf zum BGB offenbar der gleiche56. Tatbestand war stets, dass jeder der Beteiligten den Schaden mitverursacht 53
AG Celle, SeuffA 27 Nr. 28 (4.1.1872). OLG Celle, SeuffA 35 Nr. 286 (22.4.1880): Zwei Hunde brachen unabhängig voneinander in einen Stall ein und rissen insgesamt 90 Schafe. Es war unklar, wie viele Schafe der Hund des Beklagten getötet hatte. Das Gericht lehnte eine Anwendung der Regeln über die gemeinschaftliche Schadenszufügung ab, betrachtete aber, um ein unbilliges Ergebnis zu vermeiden, den Tod der 90 Schafe als einheitlichen Gesamtschaden, den der Hund des Beklagten mitverursacht hatte und für den der Beklagte daher in voller Höhe aufkommen musste. Nach heutigem Recht wäre § 830 I 2 hier schon deswegen nicht anwendbar, weil nicht klar war, ob der zweite (unbekannte) Hund überhaupt einen Halter hatte; stattdessen würde man § 287 ZPO heranziehen; vgl. Staud/Eberl-Borges, § 830 Rz 69. 55 RGZ 23, 158, 160 f. (7.5.1889). 56 ALR I 6 §§ 31–32: Haben Mehrere bei einer Schadenszufügung nur aus mäßigem oder geringem Versehen mitgewirkt, so haftet jeder nur für sein eigenes Versehen. Doch haften sie einer für alle, und alle für einen, wenn nicht ausgemittelt werden kann, welchen Theil des Schadens ein jeder durch sein besonderes Versehen angerichtet habe. ABGB § 1301: Für einen widerrechtlich zugefügten Schaden können mehrere Personen verantwortlich werden, indem sie gemeinschaftlich, unmittelbarer oder mittelbarer Weise durch Verleiten, Drohen, Befehlen, Helfen, Verhehlen u.dgl.; oder, auch nur durch Unterlassung der besonderen Verbindlichkeit, das Übel zu verhindern, dazu beigetragen haben. § 1302: In einem solchen Falle verantwortet, wenn die Beschädigung in einem Versehen gegründet ist, und die Anteile sich bestimmen lassen, jeder nur den durch sein Versehen verursachten Schaden. Wenn aber der Schaden vorsätzlich zugefügt worden ist; oder, wenn die Anteile der Einzelnen an der Beschädigung sich nicht bestimmen lassen; so haften alle für einen und einer für alle (…). Der Wortlaut von SächsE §§ 794, 798 entspricht im Wesentlichem dem der §§ 1301–1302 ABGB. 54
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
hatte: Mehrere mussten bei einer Schadenszufügung „mitgewirkt“, zum Schaden „beigetragen“ oder den Schaden „verschuldet“ haben; der Schaden musste durch das „Zusammentreffen“ ihrer Handlungen verursacht worden sein57. Sofern sich in dieser Lage der Anteil des Einzelnen am verursachten Schaden ermitteln ließ, sollte jeder nur für seinen Anteil haften; ansonsten entstand ein Gesamtschuldverhältnis. Die Vorschriften waren also enger gefasst als § 830 I 2 BGB, weil sie das Erfordernis der Mitverursachung enthielten. Der Schulfall, dass zwei Jäger unabhängig voneinander schuldhaft einen Schuss in Richtung des Treibers abgeben und nur eine Kugel trifft, die aber nicht zuzuordnen ist, wird – im Sinne der zeitgenössischen Rechtsprechung – gerade nicht erfasst. Vielmehr muss jeder Beteiligte zur Entstehung des Schadens beigetragen haben58. In diesem Fall sollen anteilige Einzelschulden entstehen, wenn die Anteile der Einzelnen ermittelt werden können. Mit diesen Anteilen sind offenbar nicht Verursachungsbeiträge im Hinblick auf einen einheitlichen Schaden gemeint. Wenn etwa A zwei Schüsse und B einen Schuss auf das Opfer abgibt und der Tod nur durch die Kombination aller drei Schussverletzungen eintreten konnte, dann könnte gesagt werden, dass A den Schaden zu 2/3, B zu 1/3 verursacht hat und A’s Anteil am Schaden daher 2/3 betrage. Aber an eine solche Aufteilung war 57 CMBC-RevE 1811, IV 15 § 1 Nr. 3–4: Mehrere Personen, welche aus Vorsatz oder grober Fahrläßigkeit gemeinschaftlich Schaden gestiftet haben, haften für den ganzen Ersatz, (…) außerdem aber haftet jeder nur für seinen Antheil an der Beschädigung, es müßte denn dieser nicht bestimmt ausgemittelt werden können, welchenfalls ein jeder Theilnehmer an der Beschädigung ebenfalls auf das Ganze verpflichtet ist. BayE II, Art. 71: Die Sammtverbindlichkeit tritt auch in dem Falle ein, wenn ein Schaden durch das Zusammentreffen nicht gemeinschaftlicher widerrechtlicher Handlungen mehrerer Personen gestiftet worden und der Antheil jedes Einzelnen an dem eingetretenen Erfolge nicht zu ermitteln ist. DresdE Art. 218: Ist ein Schaden durch das Zusammentreffen widerrechtlicher Handlungen Mehrerer, welche nicht gemeinsam gehandelt haben, verursacht worden, und läßt sich der Antheil der Einzelnen an dem verursachten Schaden nicht ermitteln, so haften sie, ohne Unterschied, ob sie gleichzeitig oder nacheinander gehandelt haben, als Gesammtschuldner. Vorentwurf Unerlaubte Handlungen, § 10 Satz 2: Dieselbe Haftung [Gesamtschuld] tritt ein, wenn der Schaden durch das Zusammentreffen widerrechtlicher Handlungen Mehrerer, welche nicht gemeinsam gehandelt haben, verursacht worden ist und der Antheil des Einzelnen an dem verursachten Schaden sich nicht ermitteln lässt. E I, § 714 S. 2: Gleiches [gesamtschuldnerische Haftung] gilt, wenn im Falle eines von Mehreren verschuldeten Schadens von den Mehreren nicht gemeinsam gehandelt, der Antheil des Einzelnen an dem Schaden aber nicht zu ermitteln ist. Erwähnt werden kann hier noch das Züricher Gesetzbuch, das in § 1850 für fahrlässige Schädigungen eine Solidarhaft anordnete, wenn mehrere Personen zu der Schädigung mitgewirkt hatten; bei leichtem Verschulden haftete der einzelne für die Anteile der anderen nur subsidiär. Kausalitätszweifel werden nicht angesprochen. Wie der Julian/Ulpian-Fall hier gelöst worden wäre, ob man also eine Mitwirkung aller Beteiligten am Tod angenommen hätte oder nicht, ist nicht sicher. 57 Vgl. die Motive zum Vorentwurf Unerlaubte Handlungen, S. 50, wonach jeder durch eine beschädigende Handlung zur Herbeiführung des Schadens beigetragen haben musste (Schubert, SR I, 706). 58 So ausdrücklich Nippel, ABGB, § 1302 Anm. 6; Stubenrauch, ABGB, §§ 1301–1302, Anm. B I 2 mit Fn. 3.
2. Beteiligte
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nicht gedacht. Nach dem ALR sollten Gesamtschulden entstehen, „wenn nicht ausgemittelt werden kann, welchen Theil des Schadens ein jeder durch sein besonderes Versehen angerichtet habe“59. Die übrigen Regelwerke sprechen davon, dass der „Anteil“ des Einzelnen an der „Beschädigung“, am „Erfolg“ oder am „verursachten Schaden“ nicht ermittelt werden kann. Offenbar sollte es um Teilschäden gehen, die kausal einzelnen Beteiligten zugeordnet werden können, etwa wenn sicher ist, dass A’s Schuss den linken und B’s Schuss den rechten Arm verletzt hat. In diesem Fall, so von Kübel in seinem Vorentwurf, gelte die allgemeine Regel, dass „jeder nur für denjenigen Schaden haftet, den er in schuldvoller Weise verursacht hat“60. Für diese Auslegung spricht auch, dass eine Aufteilung eines einheitlichen Schadens nach Verursachungsgesichtspunkten dem älteren Recht zumeist fremd war. Selbst dann, wenn eine Aufteilung einer Schadensersatzsumme geboten erschien, nämlich beim Regress im Innenverhältnis, gingen die Rechtsprechung und die Mehrheit der Regelwerke von Kopfteilen aus, weil sie ein Abstellen auf Verursachungs- oder Verschuldensgesichtspunkten als zu unbestimmt empfanden61. Erst recht konnte eine Aufteilung nach Verursachungsbeiträgen dann nicht das Außenverhältnis beeinflussen. Demnach gehen die Regelwerke davon aus, dass es Fallgestaltungen geben kann, in denen bestimmte Schadensteile einzelnen Beteiligten zugeordnet werden können, zugleich aber alle den Gesamtschaden mitverursacht oder zu ihm beigetragen haben. Solidarhaftung tritt dann ein, wenn feststeht, dass jeder zumindest einen Teilschaden verursacht hat, aber unklar ist, welche Teilschäden welchem Handelnden zugeordnet werden können. Erfasst sind damit ohne weiteres die Fälle des sog. Anteilszweifels, etwa wenn klar ist, dass jeder Täter einen Arm der Opfers verletzt hat, und nur unklar ist, welcher Schuss welchen Arm traf. Der gemeinrechtliche Hintergrund spricht aber dafür, dass die Vorschriften oder zumindest einige von ihnen auch die Fälle der Julian/Ulpian-Regel umfassen sollten62. Danach ist folgende Auslegung denkbar: Hatten mehrere auf das Opfer eingeschlagen, das in Folge eines oder auch mehrerer Schläge starb, ohne dass der Tod des Opfers gemeinschaftlicher Plan der Handelnden gewesen war, dann hatte ein Beteiligter den tödlichen Erfolg in diesem Zusammenhang „mitverursacht“, wenn ihm eine körperverletzende Handlung nachgewiesen werden konnte. In diesem Fall musste er haften, wenn der oder die Urheber des tödlichen 59 ALR I 6 § 32. Mehrdeutig ist demgegenüber § 31, wonach andernfalls jeder nur für sein eigenes Versehen haftet. Die Gegenüberstellung mit § 32 zeigt aber, dass gemeint war, dass jeder nur für den von ihm angerichteten Teil des Schadens haftet. Diese Fassung wurde bei der Preußischen Gesetzesrevision von 1830 anstelle der Originalfassung vorgeschlagen, um klarer zum Ausdruck zu bringen, dass es darauf ankam, ob sich die Folgen der einzelnen Versehen voneinander trennen lassen, Schubert/Regge, Quellen II/3, 64 (Änderungsvorschlag), 244 (Begründung). 60 Vorentwurf U.H., S. 50 (Schubert, SR I, 706). 61 Oben, 592. 62 Anders Kruse, Kausalität, 119 f. (zum ALR), 129 ff. (zum ABGB), wonach nur die Fälle des Anteilszweifels erfasst waren.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
Schlags nicht ermittelbar waren. Schließlich hatte er zumindest einen „Teilschaden“ in Form der Körperverletzung verursacht. Das Erfordernis der Mitverursachung bzw. des Beitragens bezöge sich in dieser Auslegung nicht darauf, ob der Einzelne eine notwendige Bedingung für den Tod gesetzt hatte (vielleicht wäre das Opfer auch ohne seine Beteiligung gestorben), sondern diente als Voraussetzung der Kausalitätsvermutung: Diese galt dann, wenn der Einzelne an einer rechtswidrigen Tat (hier: der Körperverletzung) mitgewirkt hatte, wobei die Mitwirkung schon in einem rechtswidrigen Handeln in Kenntnis des rechtswidrigen gleichgerichteten Handelns der übrigen bestehen konnte63. Diese Auslegung erklärt die Ansicht der Ersten Kommission, dass die in den Ersten Entwurf aufgenommene Beteiligtenregel64 auch diejenigen Fälle umfasse, in denen ungewiss geblieben sei, welche Handlung den Schaden verursacht hat65. Nach wörtlicher Auslegung ist dies freilich nicht der Fall: Ist möglicherweise nur eine Handlung für den Erfolg kausal gewesen, haben nicht mehrere den Schaden „verschuldet“. Insofern litt die Regel des Ersten Entwurfs an derselben Unbestimmtheit wie ihre Vorgänger, weil nicht klar war, was man sich unter einem von mehreren verschuldeten Schaden vorstellen sollte: Hafteten mehrere für eine tödliche Verletzung erst dann, wenn jeder den Tod mitverursacht hatte, oder schon dann, wenn jeder eine Verletzungshandlung begangen hatte, oder sogar schon dann, wenn möglicherweise überhaupt nur einer gehandelt hatte? Es war die Kommission im Reichsjustizamt, die diesen Missstand behob. Die solidarische Haftung war ihrer Ansicht nach auch dann anzuordnen, wenn der Erfolg nicht durch das Zusammenwirken der Einzelhandlungen, sondern nur durch die Handlung eines Beteiligten herbeigeführt worden war, dieser aber nicht ermittelt werden konnte. Dazu musste aber die Vorschrift geändert werden. Als Vorbild konnte die Beteiligtenregel des Sächsischen BGB dienen, in der es hieß: „Läßt sich, wenn Mehrere gleichzeitig oder nach einander gehandelt haben, nicht ermitteln, wessen Handlung den Schaden verursacht hat, so haften sie als Gesammtschuldner“66. Das zweifelhafte Tatbestandsmerkmal, wonach alle zum Schaden beigetragen oder ihn mitverursacht haben mussten, fehlte hier. Eine ähnliche Fassung schlug nun die Reichsjustizamtskommission vor, wonach Gesamtschulden entstehen sollten, „wenn mehrere nicht gemeinsam gehandelt haben und sich nicht ermitteln lässt, wessen Handlung den Schaden zugefügt hat“67.
63 Vgl. Nippel, ABGB, § 1302 Anm. 6. Ferner der Gegenvorschlag zu E I § 714 S. 2 von Bähr, Gegenentwurf, § 798 S. 2: Das Gleiche [Gesamtschuld] gilt, wenn Mehrere zwar nicht durch gemeinsames, aber durch zusammentreffendes Handeln einen Schaden zugefügt haben und der Antheil des Einzelnen daran nicht zu ermitteln ist. 64 E I § 714 S. 2: Gleiches [gesamtschuldnerische Haftung] gilt, wenn im Falle eines von Mehreren verschuldeten Schadens von den Mehreren nicht gemeinsam gehandelt, der Antheil des Einzelnen an dem Schaden aber nicht zu ermitteln ist. 65 Jakobs/Schubert, SR III, 930; ebenso dann Mot. II, 738 (Mugdan II, 412). 66 SächsGB § 1495 S. 2. 67 Jakobs/Schubert, SR III, 931.
3. Die Rolle der Teilschuldregel
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Von der Zweiten Kommission gebilligt68, wurde diese Vorschrift mit redaktionellen Änderungen zum heutigen § 830 I 2. Heute gilt also, dass mehrere Beteiligte solidarisch für einen Schaden verantwortlich sind, auch wenn möglicherweise nur einer eine Ursache gesetzt hat. Erfasst ist der Schulfall der schießenden Jäger, von denen nur einer trifft. Voraussetzung der Zurechnung ist aber, dass die sonstigen Voraussetzungen der Deliktshaftung vorliegen, also jeder Beteiligte nach allgemeinen Regeln für den Schaden haften würde, sofern er die Ursache gesetzt hätte, dass zumindest einer der Beteiligten die Ursache wirklich gesetzt hat und dass der Geschädigte wegen der Beweisnot ohne diese Regel keinen Schadensersatzschuldner hätte69.
3. Die Rolle der Teilschuldregel Sofern mehrere Teilnehmer oder Beteiligte für den gesamten Schaden haften, entsteht ein Gesamtschuldverhältnis i.S.d. §§ 421 ff. BGB. Nach den Plänen der Ersten und Zweiten Kommission war diese Rechtsfolge direkt in der Vorschrift zur Teilnehmer- und Beteiligtenhaftung, also dem heutigen § 830, enthalten70. Erst im letzten Stadium der Gesetzesentstehung verteilte man die Rechtsfolgen der Verantwortlichkeit jedes Einzelnen für den Schaden (§ 830) und der Gesamtschuld als Folge der Haftung mehrerer (§ 840 I) auf zwei verschiedene Vorschriften71. Diese Änderung war lediglich redaktioneller Natur: Die Beschlüsse der Zweiten Kommission hatten nicht nur bei Teilnehmern und Beteiligten, sondern auch in zahlreichen anderen Konstellationen deliktischer Schuldnermehrheit Gesamtschulden angeordnet72. Man fasste die besonderen Gesamtschuldordnungen zur Vorschrift des heutigen § 840 I zusammen. Aus systematischen Gründen nahm man dabei auch die Gesamtschuldanordnung aus der Vorschrift des heutigen § 830 heraus und verlagerte sie in die des § 840. Eine sachliche Änderung war hiermit nicht beabsichtigt. Die Aufteilung der Rechtsfolge auf zwei verschiedene Vorschriften hat aber in der heutigen Literatur den Schluss hervorgerufen, dass § 840 I gegenüber § 830 einen eigenständigen Regelungsgehalt haben müsse. Danach soll § 830 I anordnen, dass jeder Mittäter oder Teilnehmer überhaupt haftet, während aus § 840 I 68
Prot. 2790 (Mugdan II, 1095 f.). Zu den Einzelheiten stellvertretend MüKo/Wagner, § 830 Rz 35 ff.; Staud/Eberl-Borges, § 830 Rz 67 ff. Auch die Mehrheit der Nachbarrechtsordnungen kennt entsprechende Zurechnungsregeln, vgl. von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht I, Rz 56–60, 321–323; Winiger/Koziol/Koch/Zimmermann, Digest, 353 ff.; Weckerle, Verantwortlichkeit, 40 ff., 49 ff., 109 f.; Kruse, Kausalität, 120 ff., 129 ff., 191 ff., 221 ff.; DCFR Art. VI-4:103; aus der älteren Literatur W.Buxbaum, Solidarische Schadenshaftung, 52 ff., 86 ff. Eine Proportionalhaftung ist vorgesehen in den PETL, Art. 3:103, 3:105; hierfür de lege ferenda auch Kruse, a.a.O., 229 ff. 70 E I § 714; zuletzt ZustRedKom § 709 b (Fassung der Redaktionskommission für den Zweiten Entwurf), abgedruckt in Jakobs/Schubert, SR III, 932. 71 E II §§ 753, 764 II, abgedruckt bei Jakobs/Schubert, SR III, 932, 1027. 72 Näheres unten, 742 ff. 69
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
folgen soll, dass er entgegen der Regel des § 420 auf Ersatz des gesamten Schadens haftet73. Dies ist zumindest aus historischer Perspektive schief, weil der Gesetzgeber an eine Anwendung der Teilschuldregel bei Mittätern, Teilnehmern und Beteiligten nicht gedacht hat. Richtig ist zwar, dass § 830 eine Abweichung von der Grundregel darstellt, dass jeder nur für den Schaden haftet, den er selbst nachweisbar verursacht hat74. Eine Anwendung dieser Grundregel würde aber nicht zu einem Teilschuldverhältnis führen, sondern dazu, dass einige oder alle Handelnde überhaupt nicht haften. Nach § 830 wird dem Gehilfen der Erfolg zugerechnet, der vielleicht auch ohne seine Hilfe verursacht wurde. Der Mittäter wird für ein Handeln des anderen Mittäters verantwortlich gemacht. Der Beteiligte muss für einen Erfolg einstehen, den er gar nicht verursacht hat. Die Zurechnung eines Erfolgs trotz Fehlens eines nachweisbaren Kausalzusammenhangs bedeutete für den Gesetzgeber selbstverständlich eine Zurechnung des gesamten Erfolgs. Es fand auch nicht etwa, nachdem man die Haftung aller Schuldner bejaht hatte, in einem zweiten Schritt die Überlegung statt, ob man den allen zurechenbaren Gesamtschaden nun nach § 420 auf die Schuldner aufteilen sollte. Rechtsfolge einer Anwendung des § 420 wäre in den Augen des Gesetzgebers wie bei § 426 eine Aufteilung nach Köpfen gewesen, weil er eine Aufteilung nach Verursachungs- und Verschuldensgesichtspunkten schon im Innenverhältnis ablehnte75. Es ist aber nie erwogen worden, nachdem man eine Haftung nicht nur des Täters, sondern auch des Gehilfen bejaht hatte, nun eine hälftige Aufteilung zwischen Täter und Gehilfen vorzunehmen. Wenn die Regel der heutigen §§ 830, 840 nach von Kübels Motiven den Geschädigten schützen sollte76, dann vor einer Lage, in der mangels Kausalnachweises keiner oder nicht alle hafteten, nicht aber vor einem Teilschuldverhältnis77. Tatsächlich war die Teilschuldregel aus Sicht des Gesetzgebers überhaupt nicht anwendbar, wenn mehrere aus unterschiedlichen Gründen an der Verursachung eines einheitlichen Schadens beteiligt waren. Mit der Vorschrift des heutigen § 420, die sich schon in von Kübels Vorlageentwurf befunden hatte78, sollte die nach Gemeinem Recht geltende Teilschuldregel kodifiziert werden. Der Satz nomina sunt ipso iure divisa hatte im römischen Recht in erster Linie für Verträge und Erbenmehrheiten gegolten79. Die gemeinrechtlichen Schriftsteller aber leiteten aus der geteilten Erbenhaftung die allgemeine Regel ab, dass bei teilbaren Leistungsgegenständen mehrere Schuldner in 73 Staud/Vieweg, § 840 Rz 2; Erman/Schiemann, § 840 Rz 1; Jürgens, Teilschuld, 27 f.; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 30, 91, 136; Schims, Forderungsübergang, 139; ähnlich RGRK/Weber, § 420 Rz 6; Staud/Kaduk, vor § 420 Rz 114 f.; Medicus, BürgR, Rz 920; Costede, JR 2005, 48; Soergel/Krause, § 840 Rz 1; BamR/Gehrlein, § 420 Rz 1. 74 MüKo/Wagner, § 830 Rz 1. 75 Oben, 592 f. 76 Motive zum VorE Unerlaubte Handlungen, 50 (Schubert, SR I, 706). 77 Ebenso Winter, Teilschuld, 171 Fn. 6. 78 VorlE These I und § 1; TeilE § 1; E I § 320. 79 Oben, 106 f.
3. Die Rolle der Teilschuldregel
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der Regel Teilschuldner waren80. Dies sollte sowohl bei rechtsgeschäftlichen als auch bei gesetzlichen Verbindlichkeiten gelten. Eine entsprechende Vorschrift findet sich auch in der Mehrheit der Regelwerke81. Diese Teilschuldregel betraf aber nur Fälle eines gemeinsamen, einheitlichen Verpflichtungstatbestands, also Fälle, in denen sich – untechnisch gesprochen – eine einzige Verbindlichkeit auf mehrere verteilte82. Gemeint war damit, dass ein schuldbegründender Tatbestand nicht, wie im Regelfall, von nur einer Person, sondern von einer Personenmehrheit ausgefüllt wurde: Mehrere verpflichten sich gemeinsam in einem Vertrag; mehrere werden durch einen gemeinsamen Stellvertreter verpflichtet; mehrere werden gemeinsam in einem Vermächtnis beschwert; eine Einzelschuld des Erblassers geht auf mehrere Erben über; das schadenstiftende Tier hat nicht nur einen, sondern mehrere Eigentümer. Es handelt sich also um Fälle, in denen eine einzige Verbindlichkeit eines Einzelschuldners vorliegen würde, wenn nicht gleichsam zufällig eine Personenmehrheit auf der Tatbestandsseite bestände. In den Regelwerken wurde diese Voraussetzung teilweise damit umschrieben, dass die Schuldner „gemeinschaftlich“ oder „zusammen“ verpflichtet seien83 oder dass es sich um ein und dieselbe Verbindlichkeit handeln84 müsse. Nach dem Vorbild des Bayerischen und Dresdener Entwurfs85 hieß es im Ersten Entwurf und in den Beschlüssen der Zweiten Kommission, dass Teilschulden entstehen, wenn mehrere Schuldner an „einem Schuldverhältnisse“ beteiligt waren86. Dieses Tatbestandsmerkmal fiel in der Formulierung des Zweiten Entwurfs weg87, ohne dass damit eine inhaltliche Änderung beabsichtigt war. Die unklare Fassung des heutigen § 420 rief aber in der Literatur zum BGB immer wieder den Eindruck hervor, dass Teilschulden auch dann entstehen sollten, wenn mehrere aus ganz verschiedenen Verpflichtungstatbeständen „eine teilbare Leistung“ schuldeten88. In dieser Auslegung kamen Teilschulden auch dann in Frage, wenn mehrere sich durch getrennte Verträge zur selben Leistung ver80
Etwa Höpfner, Commentar, § 812; Glück, Pandecten IV, 511; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 88; Koch, Forderungen II, 2; Christiansen, Institutionen, § 3; Burchardi, Obligationenrecht, § 247 bei Fn. 2; Göschen, Obligationenrecht, § 373; Savigny, Obligationenrecht I, 137; Seuffert, Pandekten, § 228 bei Fn. 1 a; Mühlenbruch, Pandekten, § 323; Windscheid, Pandekten, § 292; Wächter, Pandekten, § 176. 81 ABGB §§ 888, 889; CMBC-RevE 1811, IV 1 § 27 Nr. 1; SächsE §§ 588, 589; HessE IV 1 Art. 6 I, 34 II; BayE II Art. 220; SächsGB § 663; DresdE Art. 12. 82 Ebenso A. Guhl, Passive Korrealität, 179 f., 193 f.; Winter, Teilschuld, 23 f. Nicht richtig insoweit Erman/Ehmann, § 421 Rz 5 (die Teilschuldregel sei nie praktisch geltendes Recht gewesen). 83 CMBC-RevE 1811, IV 1 § 27 Nr. 1; VorlE These I und § 1; TeilE § 1. 84 SächsE § 588; HessE IV 1 Art. 6 I, 34 II; Motive zum SächsGB, 739 (zu § 680 des Entwurfs). 85 BayE II Art. 220 I; DresdE Art. 12; ebenso Motive zum HessE IV 1, 19. 86 E I § 320; E-RJA § 320; VorlZust § 320; ZustRedKom § 320 (Jakobs/Schubert, SR I, 915, 916). 87 E II § 363. 88 Hruza, SächsArch 5 (1895), 196 f., 300 ff.; Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 161 VI; Kremer, Mitbürgschaft, 63; Kreß, SR AT, § 24, 2 a (S. 603); Thiele, JuS 1968, 151; Goette, Gesamtschuldbegriff, 71 ff.; Jürgens, Teilschuld, 11 ff., 19; Staud/Kaduk, § 420 Rz 38 ff.; Wernecke, Gesamtschuld, 109 ff., 126 ff., 164 ff.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
pflichteten, wenn mehrere unabhängig voneinander eine Bürgschaft für dieselbe Schuld übernahmen, wenn neben dem Schuldner ein Vermögensübernehmer (§ 419 BGB a.F.) oder durch Schuldbeitritt ein weiterer Verpflichteter trat und schließlich auch, wenn ein Schaden von mehreren aus unterschiedlichen Gründen zu ersetzen war. Soweit in diesen Fällen eine ausdrückliche Gesamtschuldvorschrift im BGB fehlte, musste man sich dann fragen, ob hier nach dem Willen des BGB-Gesetzgebers ein Teilschuldverhältnis vorliegen sollte. Zuweilen wurde sogar behauptet, dass mehrere, die sich unabhängig voneinander für dieselbe Schuld verbürgen, ohne die Vorschrift des § 769 Teilschuldner wären89. Dieses Fehlverständnis der Teilschuldregel hat schließlich zur Vorstellung geführt, dass die im BGB geregelte Gesamtschuld eine Ausnahme vom Teilschuldverhältnis bilde90. Sowohl nach Gemeinem Recht als auch nach der Vorstellung des BGB-Gesetzgebers war die Gesamtschuld bzw. Korreal- oder Solidarobligation in manchen Fällen eine „Ausnahme“ zur Teilschuld, nämlich dann, wenn die Teilschuldregel galt. Sowohl die gemeinrechtliche Teilschuldregel als auch § 420 betrafen gleichermaßen vertragliche und gesetzliche Verbindlichkeiten91. Sie waren aber nur dann anwendbar, wenn die Schuldner durch einen gemeinsamen einheitlichen Entstehungstatbestand verpflichtet waren, etwa bei gemeinsamem Vertragsschluss oder als Miterben. Nach Gemeinem Recht bedurfte es bei gemeinsamem Vertragsschluss einer besonderen Parteiabrede, um ein Teilschuldverhältnis zugunsten einer Solidarhaftung auszuschließen. Im BGB stellt § 427 eine Durchbrechung der Regel des § 420 dar. Miterben waren nach Gemeinem Recht Teilschuldner, während im BGB die Gesamtschuldanordnung des § 2058 eine Ausnahme zur Teilschuldregel des § 420 darstellt. Auch die Gesamtschuldanordnungen in § 1108 II BGB oder § 100 IV ZPO können als Ausnahme zu § 420 begriffen werden. Die Regel des § 420 sollte hingegen nicht anwendbar sein, wenn die Verpflichtungen der Schuldner auf verschiedenen Tatbeständen beruhen. Die Vorschrift des § 769 war ursprünglich nur deshalb ins Gesetz aufgenommen worden, um die so89
Unten, 1041 ff. So Goette, Gesamtschuldbegriff, 71, 77, 86, 101; Wernecke, Gesamtschuld, 25 ff., 36, 80, 126 ff., 157, 164 ff.; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 49; Costede, JR 2005, 45; Schims, Forderungsübergang, 138 f. 91 Anders Winter (Teilschuld, 177), nach dem § 420 bei gesetzlichen Verbindlichkeiten von vornherein nicht anwendbar sein soll. Bei den Vorberatungen der Ersten Kommission wurde das Gegenteil ausdrücklich beschlossen, Jakobs/Schubert, SR I, 894. Der Wortlaut des § 420, wonach Teilschulden nur im Zweifel eintreten, passt zwar nicht zu gesetzlichen Verbindlichkeiten, vgl. Staud/Noack, § 420 Rz 26. Gerade deswegen hatte es in E I § 320 noch geheißen: wenn nicht durch Gesetz oder Rechtsgeschäft ein Anderes bestimmt ist. Nach Ansicht der Ersten Kommission waren die Worte im Zweifel als Hinweis auf entgegenstehende gesetzliche Regelungen nicht geeignet, Jakobs/Schubert, SR I, 913 f. Aus demselben Grund kritisch gegenüber der heutigen Fassung Hruza, SächsArch 5 (1895), 196. Diese beruht auf einer redaktionellen Straffung durch die Reichsjustizamtskommission, mit der keine inhaltlichen Änderungen beabsichtigt waren, Jakobs/Schubert, SR I, 915 f.; Prot. 865 f. (Mugdan II, 603). 90
3. Die Rolle der Teilschuldregel
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lidarische Haftung derjenigen Mitbürgen anzuordnen, die sich gemeinschaftlich verpflichtet hatten. Dies war erforderlich, weil der Erste Entwurf bei gemeinschaftlichem Vertragsschluss noch von einer Teilschuldvermutung ausgegangen war. Hatten sich die Mitbürgen dagegen unabhängig voneinander verbürgt, war die Ganzhaftung jedes Mitbürgen und damit das Gesamtschuldverhältnis in den Augen des Gesetzgebers selbstverständlich92. Bei den Beratungen zur Vorschrift des § 427 überlegte die Zweite Kommission, ob man ihren Tatbestand auf einen gemeinsam geschlossenen Vertrag beschränken sollte. Dem lag die Überlegung zugrunde, dass die Ganzhaftung jedes Schuldners sich schon aus allgemeinen Regeln ergebe, wenn mehrere sich durch unabhängige Verträge zur selben Leistung verpflichten. Dass die Kommission sich für die heutige Fassung des § 427 entschied, beruhte allein auf der Befürchtung, die ausdrückliche Erwähnung des gemeinsamen Vertragsschlusses könne den verfehlten Umkehrschluss hervorrufen, dass ohne gemeinsamen Vertragsschluss eine Gesamtschuldvermutung nicht gelten könne93. Die Vorstellung aber, dass bei unabhängig voneinander eingegangenen Verbindlichkeiten die Teilschuldregel des § 420 gelten sollte, lag dem Gesetzgeber völlig fern. Bei vom BGB ungeregelten Schuldnermehrheiten wie dem Fall des nachträglichen Schuldbeitritts oder der doppelten Schadensversicherung mag man sich darüber streiten, ob der Gesetzgeber von einem Gesamtschuldverhältnis i.S.d. § 421 ausging, doch an Teilschulden hatte niemand gedacht. Die Vorschrift des § 420 betrifft, wie ein Teil der Literatur zu Recht betont, nur Verbindlichkeiten, die auf einem gemeinsamen Schuldverhältnis, verstanden als einheitlichen und gemeinsamen Entstehungstatbestand, beruhen94. In einer Reihe von Fallgestaltungen hat der Gesetzgeber ein Gesamtschuldverhältnis entweder angeordnet oder für selbstverständlich gehalten, obwohl die Teilschuldregel von vornherein nicht galt. Hierzu zählen nicht nur die Verbindlichkeiten unabhängiger Mitbürgen, sondern auch die Fälle, in denen mehrere Personen, die kein vor dem Schadenseintritt bestehendes gemeinsames Schuldverhältnis verband, mehrere Verursachungsbeiträge zur Entstehung eines zu ersetzenden Schadens geleistet hatten95. Bei jedem Täter musste, notfalls mit Hilfe 92 Jakobs/Schubert, SR III, 479 f.; Mot. II, 666 f. (Mugdan II, 372 f.). Die insofern missverständliche Fassung des § 769 geht erst auf die Redaktionskommission des Zweiten Entwurfs zurück (Jakobs/Schubert, SR III, 480 f.) und war der inzwischen beschlossenen Gesamtschuldvermutung des § 427 geschuldet, nach der nun gerade bei gemeinschaftlicher Mitbürgschaft die Solidarhaft auch ohne § 769 feststand. 93 Prot. 870 (Mugdan II, 604). 94 Stammler, Schuldverhältnisse, 253 f.; Crome, Schuldverhältnisse, § 206 Fn. 44; R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 46 ff.; Planck/Siber, § 420 Anm. 1; Lischka, Gesamtschuld, 19; Rippich, Anwendungsgebiet, 30; Esser, SR AT, § 57 III; Winter, Teilschuld, 23 ff., 99 f., 175 ff., 205 f.; MüKo/P. Bydlinski, § 420 Rz 3; Erman/Ehmann, vor § 420 Rz 15, § 420 Rz 2; Staud/Noack, § 420 Rz 6; Zerres, Jura 2008, 726. 95 Teilweise noch anders HKK/Meier, §§ 420–432 I, Rz 203. Irreführend ist insofern ein Hinweis in den Motiven, wonach der Erste Entwurf Ausnahmen von der Teilschuldregel nur in Ansehung der zivilrechtlichen Haftung aus Delikten mache, Mot. II, 154 (Mugdan II, 84). Hier handelt es sich um eine zu pauschale Anmerkung, die in den Beratungsprotokollen keine Grundlage findet; wie hier Winter, Teilschuld, 91 f.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
der Regeln des § 830, ermittelt werden, ob ihn eine Verbindlichkeit zum Schadensersatz traf. Die Tatsache, dass der Ersatz eines bestimmten Schadens gleich durch mehrere geschuldet wurde, reichte für die Annahme eines gemeinsamen Schuldverhältnisses, in dessen Rahmen die Leistungspflicht aufgeteilt werden konnte, nicht aus. Diese Gesamtschuldverhältnisse können nicht als Ausnahmen zur Teilschuldregel begriffen werden96.
4. Gemeinschaftliche Haftung aufgrund einer bestimmten Position Unter Haftung aufgrund einer Position wird hier eine Haftung ohne Verschuldensnachweis verstanden, die an eine bestimmte Stellung des Schuldners anknüpft, etwa als Eigentümer der schädigenden Sache, und zwar gleichermaßen, ob der Schuldner sich durch einen Nachweis fehlenden Verschuldens entlasten kann oder nicht. Eine solche Haftung kann mehrere treffen, wenn der Schaden auf verschiedenen Verursachungsbeiträgen beruht, für die jeweils ein anderer aufkommen muss, etwa wenn Hunde verschiedener Halter eine Sache beschädigen. Eine gemeinschaftliche Positions-Haftung liegt dagegen vor, wenn der Schaden nur auf einer Ursache beruht und mehrere Personen, etwa als Miteigentümer des schadenstiftenden Tieres, für diese Ursache haftungsrechtlich verantwortlich sind. Hier stellt sich nicht die Frage, ob überhaupt gehaftet wird. Gibt es eine Regel, wonach der Eigentümer eines Tieres für den vom Tier verursachten Schaden haftet, dann muss selbstverständlich auch gehaftet werden, wenn das Tier mehrere Eigentümer hat. Zweifelhaft ist allein, ob der einzelne Miteigentümer für den Schaden in voller Höhe oder nur anteilig, etwa nach Kopfteilen oder in Höhe seines Miteigentumsanteils, aufkommen muss. Eine anteilige Haftung liegt in diesen Fällen der gemeinschaftlichen Positions-Haftung näher als in den bislang behandelten Fällen, weil sie keine Aufteilung nach Verursachungsbeiträgen verlangt. Vielmehr steht die einzige Schadensursache fest, und für diese werden mehrere nur deswegen haftbar gemacht, weil sie eine bestimmte Stellung innehaben. Dann aber drängt sich der Gedanke auf, ob deswegen, weil die haftungsbegründende Stellung von mehreren geteilt wird, nicht auch die Schadensersatzpflicht aufgeteilt werden soll. Den römischen Juristen lag dieser Gedanke nicht fern, wie sich an der nachbarrechtlichen Haftung aus der Regenwasserklage zeigt: Hier mussten Miteigentümer für eine Anlage auf ihrem Grundstück haften, durch die zu viel Regenwasser auf das Nachbargrundstück geleitet wurde. Ob der einzelne Miteigentümer in voller Höhe oder nur anteilig haften muss, wird in den Quellen unterschiedlich beurteilt und war offenbar umstritten97. Doch in denjenigen Fällen, die später im Gemeinen Recht als deliktische oder quasideliktische Haftung aufgefasst wurden, entschieden sich die Römer zumeist für die Ganzhaftung. 96 97
Ebenso Winter, Teilschuld, 170 f., 175. Paulus D.39,3,11; oben, 504.
4. Gemeinschaftliche Haftung aufgrund einer bestimmten Position
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Dies betrifft zunächst die Haftung aus der actio de effusis vel deiectis, die gegen jeden Bewohner des Stockwerks gerichtet werden konnte, aus dem etwas herausgeworfen oder -geschüttet worden war. Mehrere Bewohner desselben Stockwerks hafteten solidarisch98. Im Gemeinen Recht wurde die Klage rezipiert und richtete sich nun auf den Ersatz des Schadens, der durch das Hinauswerfen oder -schütten verursacht worden war. Die solidarische Haftung jedes Stockwerkbewohners war, weil auf den Quellen beruhend, selbstverständlich99. Im 19. Jahrhundert stufte man sie, wegen der in den Quellen erwähnten Solutionskonkurrenz, als Solidarobligation i.e.S. ein100. Die verschuldensunabhängige Haftung für aus einem Haus herausgeworfene bzw. -geschüttete Gegenstände wurde in eine Reihe von Kodifikationen und Entwürfen aufgenommen101. Die deutschen Regelwerke des 19. Jahrhunderts ordneten in diesem Zusammenhang ausdrücklich an, dass mehrere Inhaber des Gebäudes oder der Wohnung gesamtschuldnerisch hafteten102. Auch der Erste Entwurf nahm die Haftung nach der actio de effusis auf. Mehrere Wohnungsinhaber sollten mit Rücksicht auf den Geschädigten103 Gesamtschuldner sein104. Bei den Beratungen der Zweiten Kommission aber wurden die Vorschriften zur actio de effusis vollständig gestrichen105 und sind daher im BGB nicht mehr enthalten. Ein zweites Beispiel bildet die römische Noxalhaftung, mittels welcher der Eigentümer sich unabhängig von einem Verschulden (dafür mit Auslieferungsmöglichkeit) für Delikte verantworten musste, die sein Sklave begangen hatte. Mitei98
Ulpian/Gaius/Paulus, D.9,3,1,10 – 9,3,4; oben, 500. Etwa Voet, Commentarius, zu D.9,3, § 1; Domat, Loix civiles, § 1551; Kreittmayr, Anmerkungen IV, 663; Höpfner, Commentar, § 1079; Glück, Pandecten X, 398; Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, § 345; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 731; Thibaut, Pandekten, § 977; Burchardi, Obligationenrecht, § 247 Fn. 16; Koch, Recht der Forderungen III, 1218 (§ 405); Sintenis, Civilrecht, § 89 bei Fn. 34, § 125 bei Fn. 34; Arndts, Pandekten, § 326 Anm. 1; Unger, JhJb 22 (1884), 288 ff.; Dernburg, Pandekten II, § 134. Nach Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 60, wäre eine Teilung der Haftung willkürlich: Da sie Folge des Innehabens der Wohnung sei, müsse sie für jeden ganz eintreten. 100 von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 414; Vangerow, Pandekten, § 573 Anm. 2 a.E.; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap. III/1, Fn. 2 (S. 91); Kuntze, Singularsuccession, 231; Windscheid, Pandekten, § 298 Fn. 17; Wächter, Pandekten, § 216, Beilage I Nr. 2; Baron, Pandekten, § 246 I 1. Dagegen Eisele, AcP 77 (1891), 434 f.; Binder, Korrealobligationen, 371 f. Die in Paulus D.9,3,4 in Widerspruch zu Ulpian D.9,3,3 erwähnte Solutionskonkurrenz ist wohl nicht klassisch, oben, 508 ff. 101 CMBC IV 16 § 8; ABGB § 1318; SächsE § 804; HessE IV 2 Art. 676; BayE II Art. 951; ZürGB § 1864; BadLR Art. 1384 a; SächsGB § 1554; DresdE Art. 1020. Das ALR sah eine Haftung des Hauswirts vor, der die Unvorsichtigkeit seiner Mieter kannte, ALR I 6 §§ 66–68. Keine Regelung enthalten der CC und das OR. 102 HessE IV 2 Art. 676 II; BayE II Art. 951 II; SächsGB § 1556; DresdE Art. 1021; ebenso ZürGB § 1865. 103 So Mot. II, 807 (Mugdan II, 451). 104 E I § 731. 105 Jakobs/Schubert, SR III, 964 f.; Prot. 2863 ff. (Mugdan II, 1123). Ein letzter Antrag, die Hausbewohnerhaftung aufzunehmen (wieder mit einer Gesamtschuldanordnung bei mehreren Bewohnern), scheiterte in den Reichstagsberatungen, Kommissionsbericht zur Reichstagsberatung, 112 f. (Mugdan II, 1303); Jakobs/Schubert, SR III, 967 f. 99
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
gentümer hafteten solidarisch106. Dieselben Regeln galten für die actio de pauperie, nach welcher der Eigentümer eines Nutztieres den Schaden ersetzen musste, den das Tier contra naturam angerichtet hatte: Mehrere Tiereigentümer waren Gesamtschuldner107. Gemeinrechtlich überlebte nur die Tierhalterhaftung108 und mit ihr die Solidarhaft der Miteigentümer109. Wegen der überlieferten Klagenkonkurrenz sah man sie im 19. Jahrhundert entweder als Korrealobligation110, oder, insbesondere wenn man diese auf vertragliche Verpflichtungen beschränkte, als korrealschuldähnliches Verhältnis111 an. Die Kodifikationen und Entwürfe regelten die Haftung für Tierschäden sehr unterschiedlich. Der Tierhalter haftete häufig ohne Verschuldensnachweis, manchmal mit112 und manchmal ohne113 Entlastungsmöglichkeit, gelegentlich aber auch nur bei nachgewiesenem Verschulden114; häufig wurde auch zwischen Nutztieren und sonstigen Tieren unterschieden115. Eine Gesamtschuldanordnung für gemeinschaftliche Tierhalter findet sich im Sächsischen BGB und im Dresdener Entwurf116. Im Ersten Entwurf zum BGB war die Tierhalterhaftung als echte Verschuldenshaftung ausgestaltet117. Daher verzichtete man auf eine besondere Gesamtschuldanordnung: Es sollte nur derjenige Tierhalter haften, dem eine verschuldete Pflichtverletzung zur Last fiel. Traf dies aber auf mehrere zu, ging man von einer Gesamtschuld aus118, die man offenbar aus der Vorgängerregelung des heutigen § 830 I 2 106
Ulpian D.5,4,5 pr., D.9,4,8; Paulus D.11,3,14,2; Julian bei Paulus D.39,3,11,3; hierzu oben,
504 f. 107
Ulpian D.9,1,1,14. Grundlage war neben der Nutztiere betreffenden actio de pauperie auch ein ädilizisches Edikt über die Haftung des Halters für von wilden Tieren verursachte Schäden, siehe Ulpian/Paulus D.21,1,40–42; Inst. 4,9,1; sowie die actio de pastu bei Abweiden eines fremden Grundstücks (vgl. Ulpian D.19,5,14,3). Zu allem Zimmermann, Obligations, 1095 ff. 109 Etwa Voet, Commentarius, zu D.9,1, § 7; Kreittmayr, Anmerkungen IV, 759; Glück, Pandecten X, 291; Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, § 344 Fn. t; Brinz, Pandekten, § 341 bei Fn. 17; Sintenis, Civilrecht, § 89 bei Fn. 35, § 127 bei Fn. 38; Unger, JhJb 22 (1884), 289 Fn. 193; Dernburg, Pandekten II, § 133 Fn. 9. 110 Etwa Ribbentrop, Correal-Obligationen, 243 ff.; Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 2 Nr. 4 (S. 75); von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap. III/1, Fn. 2 (S. 91); Brinz, Pandekten, § 258 a.E.; E.Zimmermann, KritZ 5 (1859), 158 f.; Samhaber, Correalobligation, 152, 178; Windscheid, Pandekten, § 297 bei Fn. 7; Eisele, AcP 77 (1891), 389, 426 f.; Binder, Korrealobligationen, 381 ff. 111 Bekker, Consumption, 230 ff.; Brinz, KritBl 4 (1853), 24 f.; von Helmolt, Correal-Obligationen, 24 ff., 59 ff.; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 268 ff.; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 119; hierzu oben, 525. 112 DresdE Art. 1025; OR 1881 Art. 65 (OR 1911 Art. 56). 113 CC Art. 1385. 114 ABGB a.F. § 1320. Nach der heute geltenden Fassung muss sich der Tierhalter entlasten. 115 Etwa: Verschuldenshaftung für Nutztiere, strikte Haftung für sonstige Tiere, so ALR I 6 §§ 70 ff.; SächsE §§ 808 ff.; HessE IV 2 Art. 670; oder: Haftung ohne Verschuldensnachweis, aber Entlastungsmöglichkeit bei Nutztieren, so BayE II Art. 948; SächsGB §§ 1560 f.; s.a. ZürGB §§ 1875 ff. 116 SächsGB § 1564; DresdE Art. 1027. 117 E I § 734. 118 Jakobs/Schubert, SR III, 959. 108
4. Gemeinschaftliche Haftung aufgrund einer bestimmten Position
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herleitete119. Die heute geltende strikte Haftung bei Luxustieren und die Beweislastumkehr bei Nutztieren wurden auf Initiative der Reichsjustizamtskommission von der Zweiten Kommission vorgeschlagen120. Wegen der veränderten Haftungsgrundlage fügte man nun eine besondere Gesamtschuldanordnung für gemeinschaftliche Tierhalter hinzu121. Gemeinrechtlich überliefert und auch in den früheren Regelwerken zu finden war die Haftung des Eigentümers für Schäden, die durch den Einsturz eines Gebäudes verursacht worden waren. Sie beruht auf dem römischen Institut der cautio damni infecti122. Bei baufälligen Gebäuden konnte ein Nachbar, der Schäden durch den Einsturz befürchtete, vom Eigentümer eine Sicherheit verlangen. Diese bestand darin, dass der Eigentümer mittels Stipulation versprach, für zukünftige Schäden aus dem Einsturz des Gebäudes aufkommen zu wollen. Trat dann wirklich ein Schaden ein, konnte der Nachbar aus der Stipulation klagen. Verweigerte der Eigentümer das Versprechen, konnte der Nachbar sich in den Mitbesitz und zuletzt auch in das Alleineigentum am Gebäude einweisen lassen. Die an sich strikte Schadensersatzpflicht des Eigentümers konnte also, funktional ähnlich wie bei der Noxalhaftung, durch Aufgabe des Eigentums vermieden werden; im Unterschied zur Noxalhaftung aber trat sie erst mit geleistetem Versprechen ein, so dass der Eigentümer gewarnt war. Im Gemeinen Recht wurde die Haftung des Eigentümers bei Einsturz des Gebäudes rezipiert, wobei umstritten war, ob sie nach wie vor ein Schadloshaltungsversprechen oder zumindest eine vorherige Benachrichtigung über den drohenden Schaden verlangte123. Die Mehrheit124 der Regelwerke entschied sich für eine deliktische Schadensersatzhaftung des Eigentümers, wenn der Einsturz auf einer fehlerhaften Konstruktion oder mangelhafter Unterhaltung beruhte, wobei vereinzelt zusätzlich ein Verschulden verlangt wurde125. Hatte das baufällige Haus mehrere Eigentümer, musste nach römischem Recht jeder nur für seinen Anteil die Schadloshaltung versprechen und damit auch ei119
So die Kommissionsvorlage, Schubert, SR III, 953; und Mot. II, 814 (Mugdan II, 454). Jakobs/Schubert, SR III, 963 f., 966; Prot. 2864 ff. (Mugdan II, 1123 ff.). In den Reichstagsberatungen wurde die Entlastungsmöglichkeit bei Nutztieren gestrichen, so dass ursprünglich nur § 833 Satz 1 ins BGB gelangte. Satz 2 wurde dann 1908 wieder dazugefügt. Siehe Jakobs/Schubert, SR III, 967 f. 121 E I-RJA § 734 II; VorlZust § 734 II; ZustRedKom § 714 a II; abgedruckt bei Jakobs/Schubert, SR III, 964, 966 f. 122 D.39,2; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 98 III 7. 123 Vgl. Voet, Commentarius, zu D.39,3, § 15; Kreittmayr, Anmerkungen IV, 774 f.; Sintenis, Civilrecht, § 127 Fn. 47; Glück/Burckhard, Pandecten LVI, zu D.39,2, § 1682 m.w.N.; Beratungsvorlage zu § 836 BGB, Schubert, SR III, 953 ff. 124 Das ABGB, § 343, sah einen Anspruch auf Sicherstellung, der SächsE, § 382, einen Anspruch auf Abtragung oder Herstellung vor. Überblick in der Beratungsvorlage zu § 836 BGB, Schubert, SR III, 964 ff. 125 CC Art. 1386; HessE IV 2 Art. 672; BayE II Art. 950; ZürGB § 1885 (s.a. § 1888); SächsGB § 351 (hier im Nachbarrecht); DresdE Art. 1028; OR 1881 Art. 67 (OR 1911 Art. 58). Das ALR regelte die Instandhaltungspflicht mittels Polizeivorschriften und gewährte bei ihrer schuldhaften Verletzung einen Schadensersatzanspruch, ALR I 6 § 26 i.V.m. I 8 §§ 37 ff., II 20, §§ 765 ff. 120
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
nen später eingetretenen Schaden nur anteilig ersetzen126. Gemeinrechtlich nahm man daher Teilschulden nicht nur bei der Pflicht zur Versprechensleistung an127, sondern teilweise auch dann, wenn man eine direkte Schadensersatzpflicht des Eigentümers bejahte128. Die Regelwerke enthalten hierüber keine Vorschriften. Im Ersten Entwurf war die Haftung, die nun nicht den Eigentümer, sondern den Eigenbesitzer traf, als echte Verschuldenshaftung ausgestaltet129, so dass man bei einer Mehrheit von Besitzern vermutlich an eine Anwendung der Vorgängerregelung zu § 830 dachte. Die heute geltende Haftung ohne Verschuldensnachweis, aber mit Entlastungsmöglichkeit (§ 836), wurde auf Grund entsprechender Vorschläge der Reichsjustizamtskommission durch die Zweite Kommission beschlossen130. Wegen der veränderten Haftungsgrundlage hielt man die Regeln zur Haftung von Teilnehmern und Beteiligten offenbar nicht mehr für anwendbar, weil man bei allen Entwurfsfassungen stets eine besondere Gesamtschuldanordnung für den Fall mehrerer Besitzer vorsah131. Schließlich führte die Zweite Kommission mit § 835 auch eine strikte Haftung des Jagdberechtigten für Wildschäden ein132. Es bestand Einigkeit darüber, dass mehrere, die gemeinsam das Jagdrecht an einem Grundstück ausübten, als Gesamtschuldner haften sollten133. Alle Anträge und Entwürfe enthielten eine entsprechende Regelung134. Insgesamt zeigt sich, dass die gemeinrechtlichen Schriftsteller sich bei der Frage, ob die Haftung mehrerer aufgrund einer gemeinschaftlichen Position solidarisch oder anteilig war, grundsätzlich an die römischen Quellen hielten, die für die in Frage stehende Klage überliefert waren. Eine eigene Lösung musste nur dann entwickelt werden, wenn es im konkreten Fall keine einschlägigen Quellen gab. Zwar galt gemeinrechtlich eine allgemeine Teilschuldvermutung. Es ist aber unwahrscheinlich, dass man diese als feste Regel ansah, die nur durch ausdrückliche Gesetzesbestimmung verdrängt werden konnte. Eine strikte Haftung ordnete das Reichshaftpflichtgesetz von 1871 für Eisenbahnunternehmer an, wenn beim Betrieb der Eisenbahn ein Schaden entstanden war. Bei der Frage, in welcher Höhe zwei Mitunternehmer hafteten, die gemeinschaftlich die scha126
Paulus D.39,2,27, D.3,5,39, D.39,2,5,1; Ulpian D.39,2,40,3, D.10,3,6,7. Etwa Voet, Commentarius, zu D.39,2, § 7; von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT, Kap. 30/ 3, Anm. 2 (S. 994); Vangerow, Pandekten, § 678, Anm. III; Sintenis, Civilrecht, § 127 bei Fn. 62; Arndts, Pandekten, § 328 Anm. 3. 128 So Domat, Loix civiles, § 1579; Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, § 286 bei Fn. o. 129 E I § 735. 130 Jakobs/Schubert, SR III, 990 ff.; Prot. 2874 ff. (Mugdan II, 1148 ff.). 131 EI-RJA § 735 II; VorlZust § 735 III; ZustRedKom § 714 c; abgedruckt bei Jakobs/Schubert, SR III, 991, 995 f. 132 Prot. 3192 ff. (Mugdan II, 1125 ff.). Die Vorschrift wurde durch das Reichsjagdgesetz von 1934 aufgehoben, nach 1948 wieder in Kraft gesetzt und 1952 durch das Bundesjagdgesetz endgültig aufgehoben. 133 Prot. 3245, 3251 f. (Mugdan II, 1141, 1142). 134 Die Anträge sind abgedruckt bei Jakobs/Schubert, SR III, 969 ff. Ferner VorlZust § 734 d; ZustRedKom § 714 b1 III (a.a.O., 975 f.). 127
5. Nebentäter
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denstiftende Eisenbahn betrieben, entschied das Reichsgericht sich gegen Teilschulden und für Solidarschulden. Es erwog eine analoge Anwendung der Regeln zur actio de effusis und leitete das Ergebnis schließlich aus einer Auslegung des Gesetzes ab135. Bei den Kodifikationen und Entwürfen vor dem BGB fällt auf, dass die Art der Schuldnermehrheit nur manchmal geregelt wird, dann aber stets im Sinne von Solidarschulden. Bei denjenigen Regelwerken, die eine allgemeine Teilschuldregel enthielten, könnte man auf den Gedanken kommen, dass eine Haftung aufgrund gemeinschaftlicher Position anteilig sein sollte, soweit nichts Besonderes angeordnet wurde. Dies ist aber nicht sicher. Es ist gut möglich, dass die im jeweiligen Gesetz nicht geregelten Einzelfragen im Rückgriff auf das Gemeine Recht beantwortet wurden. So nahm etwa Kreittmayr in das bayerische Landrecht keine Vorschriften zur Schuldnermehrheit bei der Tierhalterhaftung und der actio de effusis auf, hielt die solidarische Haftung der gemeinschaftlichen Tierhalter bzw. Hausbewohner aber für selbstverständlich136. Eine solche Lückenfüllung mit Hilfe der gemeinrechtlichen Regeln würde bedeuten, dass im Rahmen der Tierhalterhaftung und actio de effusis solidarisch, im Rahmen der Haftung für einen Gebäudeeinsturz vielleicht nur anteilig gehaftet werden sollte. Der Gesetzgeber des BGB aber wollte angesichts der Teilschuldregel des § 420 nichts dem Zufall überlassen. Bei jeder Art von Positions-Haftung (sei es mit oder ohne Entlastungsmöglichkeit), die in die Kodifikation aufgenommen wurde, fügte man zunächst eine besondere Vorschrift hinzu, wonach mehrere, die gemeinschaftlich die Haftungsvoraussetzungen erfüllten, Gesamtschuldner sein sollten. Dies betraf im Ersten Entwurf die Haftung aus der actio de effusis, im Zweiten Entwurf die Haftung gemeinschaftlicher Tierhalter, Gebäudebesitzer und Jagdberechtigter. Erst im letzten Stadium der Gesetzesberatungen ersetzte man die drei letzten besonderen Gesamtschuldanordnungen durch die Regel des heutigen § 840 I137.
5. Nebentäter Nebentäter handeln unabhängig voneinander, häufig ohne gegenseitige Kenntnis. Sie können einen Erfolg derart verursachen, dass schon der Beitrag jedes einzelnen Täters ausgereicht hätte (alternative Verursachung), oder derart, dass der Erfolg nur im Zusammenwirken aller Kausalbeiträge entstehen konnte (hier kumulative Verursachung genannt). Die gesamtschuldnerische Haftung beider Formen von Nebentätern ist heute zumindest im deliktischen Bereich allgemein aner-
135
RGZ 52, 144 (10.7.1902, noch zum Gemeinen Recht). Kreittmayr, Anmerkungen IV, 663, 759. 137 E II § 764 I ersetzte ZustRedKom §§ 714 a II (Tierhalter), 714 b1 III (Jagdberechtigte) und § 714 c III (Gebäudebesitzer); vgl. Jakobs/Schubert, SR III, 967, 976, 996. 136
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
kannt138. Überwiegend wird sie auf § 840 I gestützt139, doch besteht keine Einigkeit darüber, ob die Nebentäterhaftung von der Vorschrift überhaupt direkt erfasst wird140 und ob § 840 I die Solidarhaft der Nebentäter erst konstitutiv anordnet141 oder lediglich Selbstverständliches vorsieht und daher nur klarstellende Funktion hat142. Diese Unsicherheit beruht darauf, dass nicht unmittelbar klar ist, welche Haltung der BGB-Gesetzgeber zu Nebentätern einnahm143. Auch in den Lehrbüchern zum Gemeinen Recht wird die Frage, ob diejenigen solidarisch haften, die unabhängig voneinander einen einheitlichen Schaden verursachen, nicht eigens angesprochen. Fest steht zunächst einmal, dass die heutige Vorschrift des § 840 I nach Auffassung des Gesetzgebers nicht dazu bestimmt war, die Solidarhaftung der Nebentäter besonders anzuordnen144. Diese Vorschrift ist erst sehr spät ins Gesetz aufgenommen worden. Nach den Beratungen der Zweiten Kommission erstellte man eine „Vorläufige Zusammenstellung“, die von der Redaktionskommission überarbeitet wurde. Die so entstandene „Zusammenstellung der Redaktionskommission“ enthält noch keine der Vorschrift des § 840 I vergleichbare Regelung, sondern ein Gewimmel zahlreicher besonderer Gesamtschuldanordnungen. Diese betrafen nicht nur die bislang dargestellte Gesamtschuld zwischen Mittätern und Beteiligten sowie die Gesamtschuld gemeinschaftlicher Tierhalter, Jagdberechtigter und Gebäudebesitzer. Besondere Gesamtschuldanordnungen gab es auch für mehrere pflichtverletzende Beamte, im Verhältnis zwischen Geschäftsherrn und Verrichtungsgehilfen, zwischen Täter und Aufsichtspflichti138 Das gilt auch im Ausland, siehe von Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht I, Rz 51, 317; Rogers, Tortfeasors, 277 f.; Winiger/Koziol/Koch/Zimmermann, Digest, 350 f.; PETL Art. 9:101 I b, und die Erläuterungen in European Group of Tort Law, Principles, 143 ff.; DCFR Art. VI-6:105. Überwiegend, aber nicht überall, werden Nebentäter ebenso wie Mittäter behandelt, vgl. die Länderberichte in Rogers, Tortfeasors, jeweils unter Punkt A 1–2. 139 Etwa BGHZ 17, 214, 221 (13.5.1955); BGHZ 30, 203, 208 (16.6.1959); BGH VersR 1966, 524, 525 (22.2.1966); BGHZ 59, 97, 101 (29.6.1972); BGH NJW 1994, 932, 934 (11.1.1994); BGH NJW 2006, 896 (13.12.2005); Larenz, Schuldrecht AT, § 37 I bei Fn. 13; Selb, Mehrheiten, 56; E. Wolf, SR AT, 539; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 11 II 1; Deutsch, Haftungsrecht, Rz 501; Staud/Eberl-Borges, § 830 Rz 6; Ries, AcP 177 (1977), 545, 551; RGRK/Weber, § 420 Rz 6, § 421 Rz 15; Erman/Ehmann, § 421 Rz 6. In der älteren Literatur begründete man die Gesamtschuld der Nebentäter teilweise mit § 830 I 1, etwa Schollmeyer, Schuldverhältnisse, 227; Oertmann, Schuldverhältnisse BT, § 833 Anm. 4 c; Leonhard, SR BT, 621; dagegen BGHZ 30, 203, 206. 140 Verneinend Esser, SR BT, § 112 I 1 a; für eine nur analoge Anwendung Thiele, JuS 1968, 152; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rz 773. 141 So (ohne § 840 Teilschulden) Keuk, AcP 168 (1968), 186; Weckerle, Verantwortlichkeit, 93 ff., 96; Jürgens, Teilschuld, 27; Wernecke, Gesamtschuld, 26 Fn. 14, 113 Fn. 18, 181 f.; Bentele, Gesamtschuld, 144 Fn. 155; wieder anders (ohne § 840 nur unechte Gesamtschuld) Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 458 Fn. 9. 142 So RGRK/Nüßgens, § 840 Rz 5; MüKo/Wagner, § 840 Rz 2; Staud/Vieweg, § 840 Rz 3; Erman/Schiemann, § 840 Rz 1; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 82 III 1; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 77; Kreutzinger, Haftung, 133 ff. 143 Vgl. insbesondere Keuk, AcP 168 (1968), 183 ff.; Ries, AcP 177 (1977), 543. 144 So zu Recht Ries, AcP 177 (1977), 547.
5. Nebentäter
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gem, zwischen dem Geschäftsherrn, Aufsichtspflichtigen, Tierhalter oder Gebäudebesitzer einerseits und dem, der für diese die Überwachung, Aufsicht oder Unterhaltung vertraglich übernommen hat, andererseits, zwischen einem Schadensverursacher und dem aufsichtspflichtigen Beamten und schließlich zwischen einem Schadensverursacher und demjenigen, der für den Schaden aufgrund seiner Position (etwa als Tierhalter oder Gebäudebesitzer) haftet145. Im Zweiten Entwurf findet sich dann anstelle dieser zwölf besonderen Gesamtschuldanordnungen die Vorschrift des E II § 764, die § 840 BGB entspricht. Wenn sich auch in den Materialien keine Erläuterungen finden, ist doch anzunehmen, dass mit der neuen Vorschrift nichts anderes als eine redaktionelle Vereinfachung des Gesetzestextes beabsichtigt war und nicht etwa die Regelung einer bislang ungeregelten Fallgruppe. Die solidarische Haftung der Nebentäter war nach Vorstellung des Gesetzgebers bei Einführung des § 840 I also entweder schon vorausgesetzt, oder sie war ungeregelt und sollte dann auch nicht durch § 840 I geregelt werden. Zur Enträtselung der Nebentäterhaftung vor Einführung des BGB müssen die Fragen auseinandergehalten werden, ob a) ein einzelner Nebentäter auf Ersatz des gesamten Schadens haftete und ob b), falls dies der Fall war, Gesamtschulden im Sinne der gemeinrechtlichen Korreal- oder Solidarobligationen entstanden.
a) Die Haftung für den gesamten Schaden Über den Fall der Alternativverursachung, in dem der Erfolg auch dann eingetreten wäre, wenn nur einer der Nebentäter gehandelt hätte, finden sich nur wenige Zeugnisse. Eine Anwendung der conditio sine qua non-Formel würde hier dazu führen, dass keiner der Täter haftet, was aber rechtspolitisch unerwünscht ist. Offenbar war die Ganzhaftung jedes Täters in diesem Fall gemeinrechtlich anerkannt146; zum selben Ergebnis kam die Rechtsprechung des Reichsgerichts147. Umstritten war dagegen ein Sonderfall der sog. überholenden Kausalität148: Der Nebentäter A versetzt dem Opfer eine tödliche Wunde. Bevor aber das Opfer an dieser Wunde stirbt, wird es von B getötet. Hier stellte sich die Frage, ob nicht nur B, sondern auch A wegen des Todes haftete. Grund der Diskussion war, 145 ZustRedKomm §§ 709 c III, 710 II 2, 713, 714 b S. 2, 714 e S. 2, 714 f, 714 g S. 3, 714 h; siehe Jakobs/Schubert, SR III, 946 f., 967, 996, 1011 f., 1027. 146 So jedenfalls Windscheid, Pandekten, § 258 Fn. 15 bei b; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 219; Crome, JhJb 35 (1896), 110 f. 147 RGZ 14, 144, 147 f. (9.7.1886): Zwei Gesellschaften leiteten unabhängig voneinander schädliches Abwasser in einen Fluss. Das Abwasser jeder Gesellschaft allein hätte gereicht, das Wasser zum Gemeingebrauch untauglich zu machen. Die Gesellschaften hafteten solidarisch. Ferner RGZ 28, 166 (11.12.1891): A und B hatten unabhängig voneinander X zur Brandstiftung angestiftet. Das Urteil bejaht eine Haftung von A auf den gesamten Schaden auch für den Fall, dass jede Anstiftung allein schon ausgereicht hätte, den Tatentschluss hervorzubringen. 148 Auch heute finden sich in den europäischen Rechtsordnungen hierzu unterschiedliche Lösungen, siehe Winiger/Koziol/Koch/Zimmermann, Digest, 479 ff.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
dass der Fall schon in den römischen Quellen kontrovers diskutiert wurde. Nach einer Celsus, Marcellus und Ulpian zugeschriebenen Ansicht sollte nur B wegen Tötung haften, während A nur wegen der Verletzung belangt werden konnte149. Ein Fragment von Julian sprach sich hingegen dafür aus, dass beide wegen der Tötung hafteten, so dass jeder unabhängig vom anderen die gesetzlich vorgesehene Bußzahlung schuldete150. In der gemeinrechtlichen Diskussion bestand keine Einigkeit darüber, ob diese sich offenbar widersprechenden Quellen unterschiedliche Fallkonstellationen im Auge hatten (etwa weil im erstgenannten Fragment die von A beigebrachte Wunde nicht mit Sicherheit tödlich war, im zweiten dagegen schon)151 oder einen Meinungsstreit unter den römischen Juristen widerspiegelten152. Das Zurechnungsproblem beschäftigte auch die Gesetzgeber. Der Bayerische Entwurf sah eine solidarische Haftung vor, wenn mehrere dem Opfer tödliche Verletzungen beigebracht hatten, unabhängig davon, an welcher Verletzung das Opfer schließlich gestorben war153. In der Dresdener Kommission wurde ausführlich darüber debattiert, ob man eine Vorschrift aufnehmen sollte, wonach in den Fällen der überholenden Kausalität nicht nur B, sondern auch A haftet154. Zeitweise war eine allgemeine deliktische Zurechnungsregel dieses Inhalts geplant155, die aber unter den Kommissionsmitgliedern so umstritten war, dass man sich schließlich darauf einigte, die Regel nur für den Fall der Haftung wegen Tötung aufzunehmen156. Von Kübel als Mitglied der Dresdener Kommission hatte offenbar zu den Befürwortern der Vorschrift gezählt, denn er plante auch für das Deliktsrecht des BGB eine allgemeine Zurechnungsregel, wonach in diesen Fällen der überholenden Kausalität beide Nebentäter solidarisch haften sollten157. Die Erste Kommission aber nahm diesen Vorschlag nicht auf: Die Regel entspreche weder den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, noch sei sie durch ein praktisches Bedürfnis gerechtfertigt158. Nebentäter können einen Erfolg auch kumulativ verursachen, so dass keine Handlung hinweggedacht werden könnte, ohne dass der Schaden entfiele. Wie
149
Ulpian D.9,2,11,3; Ulpian D.9,2,15,1. Julian D.9,2,51 pr.-2. Zum Problem ausführlich Schindler, SZ RA 74 (1957), 201; von Lübtow, Lex Aquilia, 59 ff. (der den Widerspruch mit Interpolationsannahmen beseitigt); Ankum, FS von Lübtow (1980), 325; Kruse, Kausalität, 24 ff. 151 Etwa Voet, Commentarius, zu D.9,2, § 9; weitere Nachweise, auch zur Gegenansicht, bei Vangerow, Pandekten, § 681 Anm. 2 (zu dessen eigener Ansicht unten, Fn. 176); Gruchot, Gruch 3 (1859), 490 ff.; Schindler, SZ 74 (1957), 205 ff. 152 Etwa Glück, Pandecten X, 347 ff.; Mommsen, Interesse, 142 Fn. 7; Windscheid, Pandekten, § 258 Fn. 15, Anm. a. 153 BayE II Art. 941 III; hierzu Motive zum BayE, 286; vgl. zur Körperverletzung auch BayE II Art. 946 II. 154 Dresd. Prot. 3597 ff. 155 Anlage E, Art. 224 a, abgedruckt in Dresd. Prot. 3746; Entwurf 1. Lesung, Art. 233. 156 Dresd. Prot. 4121 ff., 4626 f. Ergebnis: DresdE Art. 1007. 157 Vorentwurf Unerlaubte Handlungen, § 12, S. 53 ff. (Schubert, SR I, 655, 709 ff.). 158 Jakobs/Schubert, SR III, 931. 150
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schon berichtet findet sich in der Literatur die These, dass solche Nebentäter „an sich“ nur auf einen Anteil des Schadensersatzes hafteten, der ihrem Kausalbeitrag entspricht, und dass es Sache des positiven Rechts sei, diese Einzelschulden zum Schutz des Geschädigten zu einem Gesamtschuldverhältnis zusammenzufassen159. Dass Aussagen darüber, wie hoch „eigentlich“ oder „an sich“ gehaftet wird, zweifelhaft sind, wurde schon gesagt. Im vorliegenden Zusammenhang geht es allein um die historische Fragestellung. Bei den gemeinrechtlichen Autoren fällt auf, dass sie in ihren Darstellungen der Korreal- oder Solidarobligationen die gemeinsam verursachenden Nebentäter nicht erwähnen160. Nimmt man hinzu, dass nach gemeinrechtlicher Vorstellung auch bei gesetzlichen Verbindlichkeiten eine allgemeine Teilschuldvermutung bestand, könnte man auf den Gedanken kommen, dass bei mitverursachenden Nebentätern die Verbindlichkeit zum Schadensersatz auf die Täter (nach Kopfteilen oder Kausalbeiträgen) aufgeteilt wurde. Dies aber wäre ein unrichtiger Schluss. Eine Aufteilung des Schadenersatzes nach Tatbeiträgen war gemeinrechtlich unbekannt. Für das römische Recht ist eine Aufteilung der insgesamt geschuldeten Geldsumme (sei es eine Buße oder Schadensersatz) unter mehrere Täter im Verhältnis ihrer Tatbeiträge nicht überliefert. Das römische Recht kannte selbst im Falle der Mitverursachung des Geschädigten keine Schadensaufteilung nach Verursachungsbeiträgen oder Verschuldensgraden161. Im Rahmen der aquilischen Haftung wäre sie zudem ein Fremdkörper. Grundlage der Buße war zwar der (großzügig berechnete und im Fall des Leugnens verdoppelte) Schaden. Weil es sich aber um eine Strafklage handelte, hafteten mehrere Täter kumulativ. Die ermittelte Summe bildete also keine Maximalsumme, die unter mehrere Täter aufgeteilt werden konnte. Ein Nebentäter, der einen Erfolg im Zusammenwirken mit einem anderen verursacht hatte, haftete also nach römischem Recht entweder in voller Höhe oder gar nicht. Eine eigene Theorie der Kausalität wurde im römischen Haftungsrecht nicht entwickelt162. Bei der aquilischen Haftung kam es darauf an, ob jemand eine im Gesetz beschriebene Tötungs- oder Verletzungshandlung oder zumindest eine vergleichbare Handlung begangen hatte und ob ihm trotz des fremden Tatbeitrags dolus oder culpa vorgeworfen werden konnte. Hierzu gibt es nur wenige Quellen. In einem Fragment von Ulpian haben mehrere einen Balken herabgeworfen und hierdurch einen Sklaven zerquetscht. Hier soll schon seit alters her gegolten haben, dass jeder nach der lex Aquilia haftet163. Im Ergebnis schuldet also jeder kumuliert die gesetzlich vorgesehene Buße. Wenn auch das Verb „herabwerfen“ 159 Insbes. Keuk, AcP 168 (1968), 183 ff., 187; dies., JZ 1972, 529 f.; vgl. Ehmann, Gesamtschuld, 215 f.; Erman/Ehmann (11. Aufl. 2004), § 421 Rz 12; Bentele, Gesamtschuld, 146; oben, 546 ff. 160 Näheres im folgenden Abschnitt, 727 f. 161 Stellvertretend Zimmermann, Obligations, 1010 ff. 162 Zimmermann, Obligations, 991 f.; Jansen, in Winiger/Koziol/Koch/Zimmermann, Digest, Rz 1/4, 1/6, 5/3, 5/6 f.; Kruse, Kausalität, 6 ff.; jew. m.w.N. 163 Ulpian D.9,2,11,4.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
(deicere) für ein geplantes Zusammenwirken bei einer vorsätzlichen Tötung oder Verletzung sprechen könnte, handelt es sich wohl eher um einen Fall, in dem mehrere Arbeiter auf einer Baustelle fahrlässig einen Balken fallen ließen164. In diesem Fall läge lediglich eine „fahrlässige Mittäterschaft“ vor, also ein Fall, in dem mehrere in Hinblick auf ein erlaubtes Ziel zusammenwirken und hierbei einen unerlaubten Erfolg verursachen, für den jeden der Vorwurf der Fahrlässigkeit trifft. Die aquilische Haftung des einzelnen Arbeiters wäre dann nicht durch den Umstand ausgeschlossen, dass auch ein anderer sich fahrlässig verhalten hat. Anders mag es sich verhalten haben, wenn der fremde Tatbeitrag zeitlich nachfolgend geleistet wurde und nicht vorhersehbar war. Ein Beispiel bildet der Fall, dass A einen Sklaven verwundet und dieser durch das Verschulden des Arztes B so unzureichend behandelt wird, dass er an der Verletzung stirbt. Hier wurde die Haftung des A für den Tod verneint165. Von Nebentätern handelt schließlich ein Ulpian zugeschriebenes Fragment zum Interdikt quod vi aut clam, mit dessen Hilfe ein Grundstückseigentümer Wiederherstellung verlangen konnte, wenn jemand am Grundstück gewaltsam oder heimlich Veränderungen vorgenommen hatte. Es bespricht den Fall, dass mehrere Erde auf ein fremdes Grabmal schütten166. Nachdem zuerst die Ganzhaftung jedes Mittäters im Fall des geplanten Zusammenwirkens ausgesprochen wird, geht es um den Fall, dass verschiedene Nebentäter unabhängig voneinander handeln. Unklar ist hier nicht nur der genaue Sachverhalt, insbesondere, ob noch feststellbar ist, wer welches Erdreich oder zumindest wer wie viel Erdreich aufgeschüttet hat, sondern auch die Rechtsfolge, zu der es heißt: si tamen proprio quis eorum consilio hoc fecerit, cum omnibus esse agendum, scilicet in solidum167. Das insgesamt schwer verständliche und wohl auch nachklassisch veränderte Fragment wurde gemeinrechtlich unterschiedlich ausgelegt. Wahrscheinlich sollte die Stelle in ihrer ursprünglichen Gestalt lediglich aussagen, dass jeder Nebentäter zur Beseitigung desjenigen Erdreichs verpflichtet war, das er selbst aufgeschüttet hatte168; nicht ausgeschlossen werden kann aber auch eine Auslegung, wonach jeder Nebentäter auf das Ganze haftete, dies womöglich, weil sich die Tatbeiträge der Einzelnen nicht mehr aufklären ließen169. 164
So von Lübtow, Lex Aquilia, 65 ff.; Jansen, in Winiger/Koziol/Koch/Zimmermann, Digest, Rz 5/4. 165 So Paulus D.9,2,30,4 und der Umkehrschluss aus Alfenus D.9,2,52 pr. 166 Ulpian D.43,24,15,2. Zu dieser Stelle schon oben, 511. 167 Auf den zitierten Satz folgt: itaque alter conventus alterum non liberabit, quinimmo perceptio ab altero. 168 So Ribbentrop, Correal-Obligationen, 98 ff.; Eisele, AcP 77 (1891), 429 f.; Binder, Korrealobligationen, 358 ff. m.w.N.; Liebs, Klagenkonkurrenz, 181 f.; ähnlich Levy, Konkurrenz I, 302 f. Hierfür spricht cum omnibus esse agendum, was bei solidarischer Haftung nicht notwendig war. In solidum könnte eine spätere Glosse sein oder zum Ausdruck bringen, dass jeder seinen eigenen Beitrag ungeteilt beseitigen muss, oder dass der Kläger, um die Wiederherstellung des Ganzen zu erreichen, jeden (auf seinen Beitrag) in Anspruch nehmen muss. Falls sich der Folgesatz auf die Nebentäter bezieht, wäre die fehlende Klagekonsumption konsequent, während die danach erwähnte Solutionskonkurrenz nur durch eine nachträgliche Glosse erklärt werden könnte.
5. Nebentäter
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Nachdem das Gemeine Recht keine Straffunktion der Deliktsklagen mehr anerkannte und den Geschädigten auf den Ersatz seines Schadens beschränkte, wäre eine Aufteilung des insgesamt zu leistenden Schadensersatzes auf mehrere Mitverursacher zumindest denkbar. Doch auch in der gemeinrechtlichen Wissenschaft war eine Aufteilung der geschuldeten Schadensersatzsumme nach Tatbeiträgen mit dem Ergebnis der Entstehung von Teilschulden unbekannt. Bei der aquilischen Haftung überlieferten die Quellen Ganzhaftung und Kumulation; nach Beseitigung der Strafnatur blieb dann die Ganzhaftung über. In Frage kam allenfalls die Anwendung der primär für vertragliche Gesamtschulden geltenden Teilungseinrede, die allerdings nicht zu Teilschulden, sondern nur zu einer subsidiären Haftung für die Anteile der Mitschuldner führte170. Bei deliktischen Gesamtschulden aber war die Teilungseinrede zumindest in der Theorie grundsätzlich nicht anerkannt171. In der Praxis mag sie in Einzelfällen gewährt worden sein172, doch dann vermutlich kopfteilig. Eine Aufteilung nach Verursachungsbeiträgen, sei es im Sinne von Teilschulden oder im Sinne der Teilungseinrede, war dem Gemeinen Recht ohnehin grundsätzlich fremd. Wie berichtet hielt man eine solche Aufteilung selbst im Rahmen des Innenregresses für unpraktisch und bevorzugte daher einen Regress nach Kopfteilen oder (zumeist) einen völligen Ausschluss des Regresses173. Auch im Gemeinen Recht haftete also ein Nebentäter entweder ganz oder gar nicht. Es stellte sich dann lediglich die Frage, ob die Tatsache, dass ein Handeln nur wegen des Hinzukommens einer weiteren rechtswidrigen Tat zu einem bestimmten Erfolg führen konnte, die Zurechnung dieses Erfolgs an den Handelnden ausschloss. Dies war offenbar nicht der Fall. Auch die bloße Mitverursachung des Erfolgs konnte zu einer Schadensersatzhaftung im Sinne der lex Aquilia führen174. Ins Gewicht fällt auch, dass einige gemeinrechtliche Schriftsteller die Ganzhaftung für Teilnehmer damit begründeten, dass jeder Teilnehmer den Schaden mitverursacht habe175. Soweit dies bedeuten soll, dass sich die Ganzhaftung schon aus allgemeinen Regeln ergibt, hieße das, dass auch mitverursachende Nebentäter auf das Ganze haften müssten. An eher versteckter Stelle findet sich diese Aussage bei Vangerows Erörterungen über die römischen Quellen zum hier schon angesprochenen Problem, dass A einen Sklaven tödlich verwundet, der aber, bevor er an der Wunde stirbt, von B getötet wird. Nach Vangerow soll die Julian-Stelle, die eine Haftung sowohl von A als auch von B bejaht, von dem Fall handeln, dass die von A beigebrachte Wunde nicht notwendig tödlich war, aber 169
So Ziebarth, JhJb 12 (1873), 402 ff.; weitere Nachweise bei Ribbentrop, Correal-Obligationen, 99. Für Kumulation Pernice, ZHR 33 (1887), 439 f. 170 Oben, 234 ff. 171 Oben, 557 ff. 172 Kaufmann, Rezeption, 92 f. 173 Oben, 591 f. 174 Hierfür sprechen Grotius, Inleiding III, 32, §§ 12–14; Voet, Commentarius, zu D.9,2, § 12; Domat, Loix civiles, § 1825; ferner Mommsen, Interesse, 160–162. 175 Etwa Glück, Pandecten X, 385; Christiansen, Institutionen, § 3; vgl. oben, 697.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
durch das Zusammenwirken mit der anschließenden Verletzung durch B zum Tode führte. Danach mussten beide Verwundungen zusammentreffen, um den Tod herbeizuführen, so dass jeder wegen der Tötung haftete176. Die Ganzhaftung jedes mitverursachenden Nebentäters war für Vangerow also offenbar selbstverständlich. Die Rechtsprechung des späten 19. Jahrhunderts ging ohne weiteres davon aus, dass jeder Nebentäter, der einen Erfolg zurechenbar mitverursacht hatte, für den gesamten Schaden haftete. Echte Nebentäterfälle gab es etwa bei Unfällen mit Eisenbahnen, für die allerdings nicht die gemeinrechtliche aquilische Haftung, sondern die strikte Haftung nach dem Reichshaftpflichtgesetz galt. Wurde jemand beim Betrieb mehrerer Eisenbahnen (etwa durch einen Zusammenstoß) verletzt, die durch unterschiedliche Gesellschaften betrieben wurden, stellte sich die im Gesetz nicht geregelte Frage nach der Haftung der einzelnen Eisenbahngesellschaft. Nach der Rechtsprechung des Reichsoberhandelsgerichts und des Reichsgerichts haftete jede Gesellschaft, weil jede den gesetzlichen Tatbestand erfüllt hatte, und zwar selbstverständlich auf den gesamten Schaden177. Auch bei der gewöhnlichen Haftung für schuldhafte Verursachung war die Ganzhaftung jedes Mitverursachers anerkannt. In den Schlägereifällen, in denen es auch um die Julian/Ulpian’sche Kausalitätsvermutung ging, argumentierte das Reichsgericht, dass ein Teilnehmer an der Schlägerei auch ohne bewusstes Zusammenwirken für den von einem anderen verursachten Tod des Opfers dann haftete, wenn er das Opfer durch seine Handlung an der Gegenwehr gehindert und so eine Mitursache für dessen Tod gesetzt hatte: „Aus der Kette der Ursachen, die den Tod herbeiführten, lässt sich die Mitwirkung [des Beklagten] nicht wegdenken; auch diese hat, wenngleich sie nur zur fremden Straftat hinzutrat, den Eintritt des Erfolgs mitverursacht“178. Wer an einer Schlägerei teilnahm, haftete auch ohne Zusammenwirken mit den übrigen für den Tod des Opfers, wenn seine Handlung für den Tod mitursächlich geworden war179. Es „ist gewiß möglich“, so das Reichsgericht im schon erwähnten Fall, dass mehrere Jäger auf einen Hasen schossen und ein Schuss einen Passanten traf, „daß der Schaden auf mehrere selbständige fahrlässige Handlungen verschiedener Personen als Ursache zurückzuführen (…) ist; dann haften allerdings die Mehreren solidarisch, aber nicht deshalb, weil der Eine für die Handlungen des Anderen haftet, sondern trotzdem dies nicht der Fall ist, seine eigene fahrlässige Handlung aber causal war für den Eintritt des Schadens.“180 Demzufolge bejahte die Rechtsprechung eine solidarische Haftung, wenn zwei Schiffe zusammenstießen und dadurch ein drittes beschädigt wurde und die Besatzungen beider kollidierender Schiffe ein Verschul-
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Vangerow, Pandekten, § 681 Anm. 2; ebenso Gruchot, Gruch 3 (1859), 490 ff. ROHGE 21, 361 (23.1.1877); ROHGE 23, 1 (29.10.1877); RG SächsArch 10, 617 (12.1.1900). 178 RGZ 23, 158, 161 (7.5.1889). 179 RGZ 1, 89, 91 f. (2.12.1879); ebenso BayObLG, SeuffA 40 Nr. 109 (5.11.1884). 180 RG SeuffA 47 Nr. 12 (19.6.1891). 177
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den traf181, wenn jemand von zwei Personen unabhängig voneinander zu einer Tat angestiftet wurde und sein Tatentschluss erst durch das Zusammenwirken beider Anstiftungen hervorgebracht wurde182, wenn der Schaden nur dadurch entstehen konnte, dass der Gerichtsschreiber einen Fehler gemacht und der Gerichtsvollzieher diesen Fehler bei seiner Prüfung nicht bemerkt hatte183 oder weil zwei Amtsträger unabhängig voneinander ihre Amtspflicht verletzt hatten184. Ein Sonderproblem betraf die Haftung desjenigen, der lediglich eine Ursache dafür gesetzt hatte, dass ein anderer eine rechtswidrige Tat begehen konnte. Gemeinrechtlich wurde aber auch in diesem Fall die Haftung des nur mittelbaren Verursachers wohl überwiegend bejaht185. Das Sächsische BGB und der Dresdener Entwurf sahen eine besondere Vorschrift vor, wonach es für die Schadensersatzpflicht keinen Unterschied machen sollte, „ob die Handlung unmittelbar den Schaden verursacht, oder ob sie bewirkt, (…) daß ein Dritter den Schaden widerrechtlich zufügt“186. Gedacht war etwa an den Fall, dass A eine Sache unbefugt an einen Ort bringt, wo sie leicht entwendet werden kann, und B sie dort entwendet. Nach Ansicht der Dresdener Kommission war die Haftung auch desjenigen, der die erste Ursache setzte, selbstverständlich; die Vorschrift sollte nur zur Klarstellung dienen187. Von Kübel hielt die Schadensersatzpflicht desjenigen, der eine Ursache dafür setzte, dass ein anderer eine rechtswidrige Tat begehen konnte, für so selbstverständlich, dass er auf eine besondere Vorschrift dieses Inhalts in seinem Vorentwurf verzichtete188. Nach gemeinrechtlicher und auch vom BGB-Gesetzgeber geteilter Vorstellung haftete also ein Nebentäter, der den Erfolg nur mitverursachte, für den gesamten Schaden, falls ihm der Erfolg trotz des fremden Tatbeitrags zurechenbar war. Eine Aufteilung der Schadensersatzsumme unter die Nebentäter wurde
181
OLG Hamburg (1.4.1895), bestätigt durch RG (28.9.1895), SeuffA 52 Nr. 7. RGZ 28, 166, 168 f. (11.12.1891). Dabei gehe es, so das Urteil, nicht um eine Zurechnung fremder Taten; vielmehr hafte jeder nur für seine eigene Tat, die für den Erfolg kausal geworden sei, „auch dann, wenn dieser Erfolg durch Handlungen dritter Personen mit beeinflußt und mit herbeigeführt wurde“. Ob im entschiedenen Fall tatsächlich das Zusammenwirken beider Anstiftungen erforderlich war oder schon jede Anstiftung allein ausgereicht hätte, ließ das Gericht offen, weil es auch im zweiten Fall der alternativen Kausalität eine Haftung beider Anstifter bejahte, vgl. oben, Fn. 147. 183 RG SeuffA 50 Nr. 249 (26.2.1895); vgl. zum Recht des BGB RGZ 51, 258, 262 (1.5.1902). 184 RG JW 1886, 403 Nr. 23. Hier wurde zwar badisches Landrecht, also französisches Recht, angewendet. Der Zweite Senat berief sich aber für seine Annahme, dass unabhängige Nebentäter solidarisch haften, auf die Natur der Sache und das römische Recht. Der Sache nach ebenso für das Gemeine Recht Juristische Fakultät Berlin für OAG Jena, SeuffA 23 Nr. 138 (1868). 185 So ausdrücklich Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 674. 186 So SächsGB § 1484. Nach DresdE Art. 212 I machte es keinen Unterschied, ob die widerrechtliche Handlung den Schaden unmittelbar bewirkt hat, oder ob sie nur die Ursache gewesen ist, daß ein Dritter (…) den Schaden bewirkt hat. Dabei war selbstverständlich, dass auch rechtswidrige Handlungen Dritter umfasst werden sollten (so noch eine frühere Fassung), siehe Dresd. Prot. 3745 f. 187 Dresd. Prot. 3594 ff. 188 Vorentwurf Unerlaubte Handlungen, Motive zu §§ 1–3, S. 12 (Schubert, SR I, 668). 182
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
nicht erwogen. Eine hiervon abweichende Vorstellung findet sich allerdings in einem 1896 erschienen Aufsatz von Crome189. Dieser ging davon aus, dass es für Mittäter, Teilnehmer und Nebentäter keine unterschiedlichen Regeln geben müsse: Stets zähle nur, ob der Einzelne den Gesamterfolg verursacht habe, was der Fall sei, wenn er einen Tatbeitrag geleistet und mit den Tatbeiträgen der anderen gerechnet habe190. Von diesem Ausgangspunkt aus musste ihm die Vorschrift des heutigen § 830 mit ihrer Differenzierung zwischen Teilnehmern und Beteiligten unrichtig erscheinen191. Hatten die (Mit- oder Neben-)Täter gemeinsam einen Gesamterfolg verursacht, stellte Crome darauf ab, ob die Tatbeiträge messbar waren. Ging etwa der Fischbestand eines Gewässers ein, weil zwei Fabriken Abwasser einleiteten, und wäre der Erfolg beim Einleiten durch nur eine Fabrik nicht eingetreten, dann sollte nach Crome jede Fabrik für den Teil des Schadens haften, der ihrem Anteil an der insgesamt eingeleiteten Abwassermenge entspricht. Dies sollte nicht nur für Nebentäter, sondern auch dann gelten, wenn die Abwassereinleitung auf einem gemeinsamen Plan der zusammenarbeitenden Fabriken beruhte192. Waren die Tatbeiträge hingegen nicht messbar, sollte die allgemeine Regel gelten, wonach es darauf ankam, ob der Handelnde den Gesamterfolg mitverursacht hatte193. Für die behauptete Regel, wonach die Schadensersatzverpflichtung nach messbaren Tatbeiträgen verteilt werden kann, fehlt ein klarer gemeinrechtlicher Nachweis194. Crome beruft sich auf die Vorgängerregelung des § 830 I 2 im Ersten Entwurf, nach der bei der Verursachung durch mehrere jeder seinen Anteil am Schaden ersetzen muss195. Diese Regel betraf aber nur Fälle, in denen Teilschäden einzeln zuordenbar waren196. Die Skepsis wird dadurch verstärkt, dass die Regel selbst bei Mittätern gelten soll. Zwar ist Cromes fehlende Differenzierung zwischen Mit- und Nebentätern gemeinrechtlich nicht unbekannt. Doch zum einen wird das bloße Abstellen auf die Kausalität weder der Tragweite der Julian/Ul189
Crome, JhJb 35 (1896), 100. A.a.O., 103, 107, 111, 112 f., 118. Ähnlich Binder, Korrealobligationen, 593 f. 191 A.a.O., 105 ff. Crome verstand unter gemeinschaftlich begangener unerlaubter Handlung i.S.d. heutigen § 830 I 1 nicht die Teilnahme, sondern jedes Zusammentreffen von Handlungen. Dann musste die Vorschrift natürlich als zu weit erscheinen. Auch die Regel des heutigen § 830 I 2 erschien ihm zu weitgehend (anders dann ders., System II, § 338 Fn. 16). Daran ist richtig, dass sie über das Gemeine Recht und die Mehrheit der früheren Regelwerke hinausging, oben, 706 f. Nach der Auslegung Binders, Korrealobligationen, 593 f., sollte § 830 I Satz 1 und Satz 2 gleichermaßen von Teilnehmern handeln. Wer gemeinschaftlich mit anderen handelte, war für einen Erfolg dann verantwortlich, wenn er ihn entweder selbst verursacht hatte (Satz 1) oder wenn sich der Verursacher nicht ermitteln ließ (Satz 2). 192 A.a.O., 108 ff., 120. 193 A.a.O., 112. 194 In diese Richtung geht allerdings auch ein später ergangenes Reichsgerichtsurteil zum ALR, RGZ 51, 248 (30.4.1902). Ähnliches wie für Crome gilt für Binder, nach dem unabhängige Nebentäter bei Nichtermittelbarkeit der Anteile zu gleichen Teilen haften sollen, Korrealobligationen, 499. Auch für diese Behauptung fehlt ein Beleg. 195 A.a.O., 108. 196 Oben, 704 f. 190
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pian’schen Regel zur Kausalitätsvermutung noch der Rechtsprechung zur Mittäterhaftung gerecht. Zum anderen ist auch bei einer reinen Kausalitätsprüfung unklar, warum diejenige Fabrik, die 40% des Abwassers eingeleitet hat, gerade 40% des Schadens ersetzen soll, denn sie hat nicht 40% des Schadens, sondern den gesamten Schaden verursacht197. Doch auch unabhängig von der gemeinrechtlichen Fundierung ist Cromes Ansatz jedenfalls mit der gesetzlichen Regelung nicht vereinbar. Dass § 830 sowohl für Teilnehmer als auch für Beteiligte eine Haftung auch ohne nachgewiesene Kausalität begründen kann, war Crome fremd. Dennoch hat sein kurz vor Inkrafttreten des BGB erschienener Aufsatz offenbar Einfluss auf die Literatur zum BGB ausgeübt198. Für die These, dass gemeinsam verursachende Nebentäter „an sich“ nur anteilig haften, kann er allerdings nicht als Kronzeuge dienen. Eine Anteilshaftung sollte nicht nur bei Neben-, sondern auch bei Mittätern möglich sein, in beiden Fällen aber nur bei messbaren Tatbeiträgen, also nicht etwa im Schulbeispiel, dass zwei Jäger unabhängig voneinander den Treiber treffen und beide Verletzungen zusammen den Tod verursachen.
b) Die Frage nach dem Korreal- bzw. Solidarschuldverhältnis Ein Nebentäter, der den Schaden nur mitverursacht hatte, haftete nach Gemeinem Recht und auch nach der Vorstellung des BGB-Gesetzgebers für den gesamten Schaden, sofern dieser ihm zurechenbar war. Bei mehreren Nebentätern, die für das Ganze einstehen mussten, konnte der Gläubiger damit wählen. Weil er nach dem Fortfall der Straffunktion der Deliktsklagen nicht mehrfach entschädigt werden durfte, konnte er den Ersatz seines Schadens insgesamt nur einmal verlangen. Doch damit ist noch nicht gesagt, ob in diesen Fällen auch ein „Gesamtschuldverhältnis“ angenommen wurde. Auffällig ist, dass die Mehrheit199 der gemeinrechtlichen Schriftsteller bei ihrer Aufzählung der Anwendungsfälle der Korreal- oder Solidarobligation nur den Fall erwähnen, dass mehrere „gemeinschaftlich“ bzw. „gemeinsam“200 oder „zusammen“201 den Schaden verursachen 197
Zur Kritik schon oben, 546 f. Vgl. Ries, AcP 177 (1977), 549. 199 Zu abweichenden Darstellungen weiter unten im Text. 200 Glück, Pandecten IV, 517; Pothier, Obligations, § 268; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 89 IX; Appelius, AcP 16 (1833), 285; Ribbentrop, Correal-Obligationen, 90; von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 413, 414 f.; Savigny, Obligationenrecht I, 141, 199; ders., System V, 221; Christiansen, Institutionen, § 3; Burchardi, Obligationenrecht, § 247 bei Fn. 15; Göschen, Obligationenrecht, § 373; von Holzschuher, Theorie II/2, OR AT, Kap. III/1, Fn. 2 (S. 91); Mühlenbruch, Pandekten, § 491; von Scheurl, Institutionen, § 110; Müller, Institutionen, § 97 Fn. 5; Bekker, Consumption, 217; Brinz, KritBl 4 (1853), 45; ders., Pandekten, § 233 I 2; Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 18; Fritz, ZCRPr nF 22 (1865), 491, 495; Wächter, Pandekten, § 178 II 1; Unger, JhJb 22 (1884), 285 ff. Von einer societas delicti spricht Koch, Forderungen II, 16 ff. (§ 63); von vereint Delinquierenden Brackenhoeft, Identität, 154 Fn. 31. 201 Glück, Pandecten X, 385; Vangerow, Pandekten, § 573 Anm. 2 a.E. bei Nr. 1; Puchta, Pandekten, § 233; von Helmolt, Correal-Obligationen, 44; Sintenis, Civilrecht, § 89 bei Fn. 33; Wächter, Pandekten, § 215 II. 198
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
oder das Delikt begehen bzw. „Miturheber“202 des Delikts sind. Hierunter werden teilweise auch die Beteiligten im Sinne der Julian/Ulpian-Regel gefasst; zusätzlich erwähnt werden manchmal die gemeinschaftlich strikt Haftenden wie die Hausbewohner bei der actio de effusis oder die Miteigentümer des schadenstiftenden Tieres. Die Nebentäter als solche aber bleiben unerwähnt. Dieser Befund kann verschiedene Ursachen haben. Eine mögliche Erklärung wäre, dass man nur diejenigen Fallgruppen aufzählte, in denen die Ganzhaftung des Einzelnen nicht selbstverständlich war. Bei gemeinschaftlich begangenen Delikten etwa stand keinesfalls fest, dass jeder Teilnehmer den Gesamterfolg verursacht hatte, der vielleicht auch ohne sein Zutun eingetreten wäre, so dass die Ganzhaftung hier eine Zurechnungsregel auf Grund des gemeinsamen Tatwillens bedeuten konnte, ohne die ein Teilnehmer vielleicht gar nicht haften musste. Erst recht nicht selbstverständlich war die Ganzhaftung jedes Beteiligten im Rahmen der Julian/Ulpian-Regel, nach der jeder für einen Erfolg einstehen musste, den möglicherweise nur einer verursacht hatte. Bei gemeinschaftlich aufgrund ihrer Position Haftenden, etwa den Hausbewohnern bei der actio de effusis oder den Miteigentümern des schädigenden Tieres, stand zwar nicht das Ob der Haftung zur Debatte, aber der Umfang: Da es sich beim haftungsauslösenden Faktor in Gestalt des Hinausgießens oder Tierschadens um ein einziges Ereignis handelte, die haftungsbegründende Position aber von mehreren eingenommen wurde, kam eine Anwendung der gemeinrechtlichen Teilschuldregel in Betracht, so dass die Ganzhaftung jedes Einzelnen besonders betont werden musste. Anders verhielt es sich bei Nebentätern, die für einen einheitlichen Erfolg kausal geworden waren. Die gemeinrechtliche Teilschuldregel galt für diese Fälle von vornherein nicht203. Für jeden einzelnen Nebentäter musste gefragt werden, ob ihm der eingetretene Erfolg derart zurechenbar war, dass ihn eine Schadensersatzverbindlichkeit traf. War dies der Fall, dann schuldete er aus einer eigenen Obligation, und die Anwendung einer Teilschuldvermutung kam überhaupt nicht in Betracht. Die Tatsache, dass beide Nebentäter für einen einzigen, dem Gläubiger nur einmal zu ersetzenden Schaden hafteten, bildete aus gemeinrechtlicher Sicht keinen rechtlichen Zusammenhang zwischen ihren Schadensersatzverbindlichkeiten, der eine Zusammenfügung zu einer gemeinsamen Obligation ermöglicht hätte, die dann unter die Nebentäter aufgeteilt werden könnte. Wenn also die gemeinrechtlichen Schriftsteller bei ihrer Aufzählung der Fallgruppen der Korreal- und Solidarobligationen die Nebentäter aussparten, dann kann das darauf zurückzuführen sein, dass die Ganzhaftung jedes Nebentäters 202 Thibaut, Pandekten (1834), § 136 (Mitverbrecher, ähnlich schon 1805, § 225: vereintes Begehen eines Verbrechens); Seuffert, Pandekten, § 228 Fn. 5; Puchta, Institutionen, § 263; Arndts, Pandekten, § 214; Sintenis, Civilrecht, § 125 bei Fn. 24 (Mitschuldige); Wendt, Pandekten, § 275 (Mittäter). 203 So auch Crome, JhJb 35 (1896), 116 f.
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ohnehin selbstverständlich war. Diese Erklärung ist aber unvollständig. Denn es steht damit noch nicht fest, ob ein gemeinrechtlicher Schriftsteller, hätte man ihn danach gefragt, die Haftung der Nebentäter als Korreal- bzw. Solidarschuld bezeichnet hätte oder nicht: War die Ganzhaftung der Nebentäter selbstverständlich, und damit unausgesprochen, eine Korreal- oder Solidarobligation, oder handelte es sich um ein anders geartetes Rechtsverhältnis? An dieser Stelle könnte man darauf zurückgreifen, dass die Gesamtschuld, zumindest in Gestalt der Korrealobligation, von den gemeinrechtlichen Schriftstellern häufig als Ausnahme zur Teilschuldvermutung dargestellt wird204. Wenn aber für Nebentäter die Teilschuldvermutung nicht galt, dann könnte dies bedeuten, dass es sich zumindest nicht um eine Korrealobligation handeln konnte. Dieser Schluss ist aber unsicher. Nicht alle Fälle, welche die frühen gemeinrechtlichen Schriftsteller Korrealschuld bzw. die späteren Autoren Korreal- oder Solidarschuld genannt haben, lassen sich als Ausnahme zur Teilschuldregel begreifen. Bei Teilnehmern und im Sinne der Julian/Ulpian-Regel Beteiligten ging es in erster Linie um die Frage, ob sie überhaupt hafteten, nicht darum, ob eine schon feststehende Schadensersatzverbindlichkeit aufgeteilt wurde oder nicht. Auch die Solidarschuld unter unabhängigen Mitbürgen oder Kreditauftraggebern lässt sich nicht als Ausnahme zu einer eigentlich vorgesehenen Teilhaftung verstehen205. Sicheren Grund gewinnt man statt dessen, wenn man darauf abstellt, was in einer bestimmten Rechtsordnung unter dem Begriff der Korreal- oder Solidarschuld verstanden wurde, insbesondere welche konkreten Rechtsfolgen damit verbunden waren. Gemeinrechtlich gab es bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts nur ein einziges der heutigen Gesamtschuld vergleichbares Institut. Die Korrealobligation im weiteren Sinne umfasste sowohl vertragliche als auch gesetzliche Gesamtschulden206. Sie war durch einen im Vergleich zum heutigen Recht wesentlich engeren Zusammenhang der Verbindlichkeiten geprägt: Nach herrschender Lehre hatten nicht nur die Verjährungsunterbrechung, sondern auch das Verschulden und das Urteil Gesamtwirkung. Es handelte sich also um eine spezifische, enge Verknüpfung mehrerer Verbindlichkeiten, was auch in der gemeinrechtlichen Vorstellung einer einzigen Obligation mit mehreren Schuldnern zum Ausdruck kam. Zudem nahm man häufig ein auf eine actio utilis gestütztes Regressrecht an, wenn auch nicht bei Schuldnern, die ein eigenes deliktisches Verschulden traf, was aber häufig als Ausnahme bewertet wurde. Insgesamt präsentiert sich die frühe gemeinrechtliche Korrealität als ein besonderes Institut der spezifischen Verbindung 204 Für die ältere Korrealobligation Höpfner, Commentar, § 812; Glück, Pandecten IV, 512; Burchardi, Obligationenrecht, § 247 bei Fn. 2; Thibaut, Pandekten (1805), § 224; für die Korrealobligation i.e.S. Savigny, Obligationenrecht I, 138; Bekker, Consumption, 216; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 226 ff.; Unger, JhJb 22 (1884), 211 ff.; für Korreal- und Solidarobligationen Thibaut, Pandekten (1834), § 135; von Helmolt, Correal-Obligationen, 8 ff.; Wächter, Pandekten, § 177. 205 Hierzu unten, 1034 ff. 206 Hierzu oben, 47 f., 53 f.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
mehrerer Verbindlichkeiten, das nicht ohne weiteres in allen Fällen der Solutionskonkurrenz angenommen werden kann. Insbesondere Donellus ging daher so weit, Mitvormünder und deliktische Mittäter aus seinem Begriff der duo rei ganz auszuschließen207. Die im 17. und 18. Jahrhundert wohl herrschende Lehre jedoch entwickelte einen Begriff der Korrealobligation, der außer rechtsgeschäftlichen Gesamtschuldnern auch Mitvormünder und deliktische Mittäter und Teilnehmer umfasste208. Die Gesamtwirkung etwa der Verjährungsunterbrechung oder eines zwischen dem Gläubiger und nur einem Schuldner ergangenen Urteils mochte bei Mittätern, die sich zur gemeinschaftlichen Begehung des Delikts zusammengetan hatten, noch gerechtfertigt sein. Bei unabhängigen Nebentätern aber bestand kein Grund für eine derartige Verbindung. Wahrscheinlich ist es daher, dass man bei Nebentätern keine Korrealobligation annahm, was die gerade in der frühen gemeinrechtlichen Literatur zu findende Beschränkung auf Mittäter erklären kann209. Jeder Nebentäter haftete zwar auf das Ganze und wurde frei, wenn ein anderer den Schadensersatz an den Gläubiger leistete. Eine Korrealobligation aber setzte mehr voraus als das, was heute unter einem Gesamtschuldtatbestand verstanden wird. So gesehen war die gemeinrechtliche Korrealobligation nach heutigen Begriffen lediglich eine besonders enge Form der gesamtschuldnerischen Verknüpfung, die nur in manchen Fällen der Solutionskonkurrenz zur Anwendung kam. Nebentäter waren damit trotz Solutionskonkurrenz keine Korrealschuldner. Mit der Keller/Ribbentrop’schen Wende aber änderte sich das Gesamtschuldverständnis grundlegend. Nun gab es in Gestalt der Korrealobligationen i.e.S. und der Solidarobligationen i.e.S. zwei Gesamtschuldformen210. Der Gedanke der Obligationseinheit und die Annahme verschiedener Gesamtwirkungen wurden auf die Korrealobligation beschränkt, die in erster Linie vertraglich vereinbarte Gesamtschulden betraf. Die Mittäter und Teilnehmer eines Delikts fanden sich nun auf der Seite der Solidarobligationen wieder, bei der es sich um eine Mehrheit von Obligationen handelte, die außer der Gesamtwirkung der Erfüllung und ihrer Surrogate nichts weiter verband. Jeder Täter schuldete schon nach allgemeinen Regeln den gesamten Schadensersatz211; zugleich durfte der Gläubi207
Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,39, cap. 12, § 4; ähnlich Appelius, AcP 16 (1833), 285 f.; vgl. oben, 516 f. 208 Etwa Domat, Loix civiles, § 1825; Pothier, Obligations, § 264; Kreittmayr, Anmerkungen IV, 78; Höpfner, Commentar, § 814; Glück, Pandecten IV, 517; später noch Bucher, Forderungen, § 117; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 89; Christiansen, Institutionen, § 3; Koch, Forderungen II, § 63, S. 16 ff. 209 Eine ausdrückliche Bestätigung findet sich nur selten, etwa bei Gruchot, Gruch 3 (1859), 492. 210 Oben, 53 ff., 518 ff. 211 Ein Vorbehalt muss, wie schon erwähnt (526 f.), nur für Savigny gemacht werden, für den die Ganzhaftung jedes deliktischen Mittäters nicht aus allgemeinen Regeln folgte (weil nicht jeder notwendig als Verursacher des von allen mitverursachten Gesamtschadens angesehen werden könne), sondern dem Schutz des Verletzten dienen sollte, Obligationenrecht I, 219 (dagegen eher im Sinne der herrschenden Lehre 200 f.); ähnlich Samhaber, Correalobligation, 149. Es ist insofern nicht si-
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ger den Schaden nicht mehrfach liquidieren, so dass die Leistung des einen Täters die Obligation des anderen gegenstandslos machte212. Hieraus entwickelte sich die Vorstellung, dass die Korrealobligation künstlich geschaffen wurde, während sich die Ganzhaftung und die Solutionskonkurrenz bei Solidarobligationen schon von selbst aus allgemeinen Regeln ergeben sollten213. Bei den Solidarobligationen handelte es sich, so gesehen, nicht um ein spezifisches Rechtsinstitut mit genau festgelegtem Anwendungsbereich, sondern lediglich um einen Sammelbegriff für Obligationsmehrheiten mit einer sich aus allgemeinen Regeln ergebenden Solutionskonkurrenz214. Bei einem solchen „offenen“ Begriff der Solidarobligation besteht aber kein Grund, die Verbindlichkeiten von Nebentätern auf Ersatz desselben Schadens auszuschließen. Insofern erstaunt es nicht, dass zumindest ein Teil derjenigen, die eine grundlegende Unterscheidung zwischen Korreal- und Solidarobligationen annahmen, als Anwendungsfall der letzteren schlicht den Fall nannte, dass mehrere den Ersatz desselben Schadens schulden215. Nach Windscheid sollte in diesem Fall auch die Verschiedenheit der Haftungsgründe nicht schaden, so dass auch die Verbindlichkeiten von Schädiger und Schadensversicherer Solidarobligationen sein sollten216. Für andere Autoren sollte auch die doppelte Schadensversicherung ein Anwendungsfall sein, weil der Versicherte den Ersatz seines Schadens nur in einfacher Höhe erlangen konnte217. Ein besonderer Zusammenhang der einzelnen Obligationen oder irgendeine Art von Gemeinschaftlichkeit war danach nicht erforderlich.
212 cher, ob auch Savigny die Nebentäter zu den Solidarschuldnern gezählt hätte; tatsächlich spricht seine Einordnung der unabhängigen Mitbürgen (weder Korreal- noch Solidarobligation) eher dagegen. 212 Ribbentrop, Correal-Obligationen, 90 f.; von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 413 f.; Liebe, Stipulation, 165 ff.; Savigny, Obligationenrecht I, 200 f.; Puchta, Institutionen, § 263; Fitting, Correalobligationen, 148, 229 f.; Brinz, KritBl 4 (1853), 57; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 218 ff.; Römer, ZHR 18 (1873), 15 ff.; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 60 ff.; Unger, JhJb 22 (1884), 233 f.; Hölder, AcP 69 (1886), 234 f.; Hartmann, ZSchwR 28 (1887), 133; Windscheid, Pandekten, § 299 a.E.; Dernburg, Pandekten II, § 71. 213 Oben, 526. 214 Deutlich Fitting, Correalobligationen, 148, 229 ff., 252 ff.; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 218 ff.; Römer, ZHR 18 (1873), 3 f., 17 f., 24 Fn. 27; Unger, JhJb 22 (1884), 233 f., 240 ff.; Windscheid, Pandekten, § 299; Dernburg, Pandekten II, § 71; wohl auch Puchta, Institutionen, § 263; ders., Pandekten, § 233; Bekker, Consumption, 217 f.; Brinz, KritBl 4 (1853), 53 ff.; Arndts, Pandekten, § 214; Wächter, Pandekten, § 178; Wendt, Pandekten, § 209; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 60 ff., 137 ff.; Hölder, AcP 69 (1886), 235; Hartmann, ZSchwR 28 (1887), 128, 130 f., 133, 145 f. 215 Windscheid, Pandekten, § 298 bei Fn. 15 (vgl. § 455 Nr. 6); Dernburg, Pandekten II, § 71 Nr. 2 a; Römer, ZHR 18 (1873), 17 f., 27 Fn. 24; Hölder, AcP 69 (1886), 235; ähnlich Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 137 (bei mehreren Delinquenten); vgl. Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 218 ff. (wenn mehrere an einer schuldhaften Handlung konkurrieren). 216 Windscheid, Pandekten, § 298 Fn. 17; Randa, KritVj 16 (1874), 530 Fn. **; s.a. Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 73 f. 217 Fitting, Correalobligationen, 253; Samhaber, Correalobligation, 179; Dernburg, Pandekten II, § 71 a.E.; Randa, KritVj 16 (1874), 531 Fn. *; Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 75.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
Das Blatt wendete sich wiederum, als man dazu überging, den von der herrschenden Lehre propagierten grundlegenden Unterschied zwischen Korreal- und Solidarobligationen in Frage zu stellen. So gingen Kuntze, von Helmolt, Fritz, Sintenis und Mitteis davon aus, dass es keine strukturellen Unterschiede gab. Bei den deliktischen Mittätern sollte es sich um modifizierte oder sogar gewöhnliche Korrealobligationen handeln, bei denen lediglich die römische Klagenkonkurrenz nicht gegolten hatte218. Wenn aber die Korrealschuld ein spezifisches, im Anwendungsbereich begrenztes Rechtsinstitut war und die Solidarobligation sich davon nicht grundsätzlich unterschied, so musste dies bedeuten, dass nicht jede Art der Schuldnermehrheit eine Solidarobligation war, nur weil die Erfüllung durch einen Schuldner den anderen befreite. Es spricht daher viel dafür, dass bei den Befürwortern einer Einheitsbetrachtung die Erwähnung der deliktischen Mittäter als Anwendungsfall der Solidarobligation abschließend gemeint war219. Eine deutliche Trennung zwischen Mit- und Nebentätern fand bei Unger und Eisele statt. Für Unger war die Korrealobligation eine besonders konstruierte Kollektivobligation, die eine Schuldgemeinschaft begründete220. Solidarobligationen sah er wie die herrschende Lehre als unabhängige Obligationen an, bei denen die Erfüllung durch einen Schuldner die übrigen nur mittelbar befreite221. Anders als die herrschende Lehre aber bezog er die deliktischen Mittäter in die Korrealobligation ein, weil ein gemeinschaftliches Delikt ein gemeinschaftliches Haften in Form einer Schuldgemeinschaft begründen sollte222. Zum selben Ergebnis kam Eisele durch die Annahme, dass Korrealobligationen durch eine gemeinsame causa geprägt seien, die aus moderner Sicht auch bei deliktischen Mittätern, nicht aber bei Nebentätern angenommen werden müsse223. Damit waren Mittäter und Nebentäter geschieden. Bei Mittätern entstand das besondere Rechtsinstitut der Korrealschuld, mit allen damit zusammenhängenden Folgen, wozu nach Eisele auch die Gesamtwirkung des Verschuldens zählte. Bei Nebentätern wurden lediglich unechte Gesamtschulden begründet, die kein eigenes Rechtsinstitut darstellten, sondern lediglich unabhängige Obligationen mit Solutionskonkurrenz waren und nach Eisele auch nicht unter die Gesamtschuldregeln des gerade geschaffenen BGB fielen. 218
Kuntze, Singularsuccession, 177, 229 ff.; ders., Ius extraordinarium, 168 ff.; von Helmolt, Correal-Obligationen, 44 ff.; Fritz, ZCRPr nF 22 (1865), 490 ff.; Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 10; Mitteis, Individualisirung, 58, 61 ff., 84, 100 ff.; ders., GrünZ 14 (1887), 421, 426 f., 474 ff. 219 Besonders deutlich wird diese Entwicklung bei Binder, der eine Unterscheidung zwischen Korreal- und Solidarobligationen ablehnte, weil für beide Gesamtschuldformen im römischen Recht Klagenkonkurrenz gegolten habe. Die Schadensersatzverbindlichkeiten von Nebentätern waren für ihn weder Korreal- noch Solidarschulden: Korrealobligationen, 499. 220 Unger, JhJb 22 (1884), 207; dazu oben, 63. 221 JhJb 22, 231, 233 f., 239 ff. 222 JhJb 22, 285 ff., 290; hierzu schon oben, 532 f. Im Ergebnis ebenso schon Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 39 ff., 92; dagegen Randa, KritVj 16 (1874), 524 f., 526. 223 Eisele, AcP 77 (1891), 374, 464 ff., insbes. 473 f. Nicht richtig insoweit die Darstellung bei Goette, Gesamtschuldbegriff, 27. Ebenso wie Eisele dann A. Guhl, Passive Korrealität (1908), 50 ff., 207 ff.
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Damit war Eisele, was die Nebentäter angeht, wieder zum Ausgangspunkt des frühen Gemeinen Rechts zurückgekehrt. Die historische Erfahrung spiegelt zwei unterschiedliche Gesamtschuldkonzeptionen wider, die auch noch die heutige Diskussion prägen. Entweder sieht man die Gesamtschuld als geschlossenes Rechtsinstitut mit spezifischen Regeln an, die über die bloße Solutionskonkurrenz hinausgehen. Möglich ist dann auch die Annahme schuldnerbelastender Gesamtwirkungen. Dann müssen aber bestimmte Fälle der Solutionskonkurrenz ausgeschlossen werden, in denen es unter den Schuldnern keinerlei Verbindung gibt, etwa die Nebentäter. Diese Vorstellung liegt der älteren gemeinrechtlichen Korrealobligation sowie der „echten“ Gesamtschuld bei Eisele zugrunde. Oder man verwendet einen offenen Gesamtschuldbegriff, wonach Schuldnermehrheiten mit Solutionskonkurrenz grundsätzlich (vielleicht mit bestimmten Ausnahmen wie der Akzessorietät) ein Gesamtschuldverhältnis bilden. Besondere Rechtsfolgen außerhalb der Gesamtwirkung der Erfüllung und ihrer Surrogate sind mit einem solchen Gesamtschuldbegriff grundsätzlich nicht verbunden, so dass es möglich ist, auch Verbindlichkeiten von Schuldnern einzubeziehen, die ganz unabhängig voneinander verpflichtet sind. Eine Begrenzung auf bestimmte Fallgruppen ist dann nicht erforderlich. Diese Konzeption lag der gemeinrechtlichen Solidarobligation nach der im späteren 19. Jahrhundert wohl herrschenden Lehre zugrunde. Besonders ausgeprägt findet sie sich noch heute bei der französischen obligation in solidum. Im Gegensatz zur gesetzlich geregelten solidarité, mit der eine Reihe schuldnerbelastender Gesamtwirkungen verbunden ist und die nur dann entstehen soll, wenn das Gesetz oder der Parteiwille es so vorsehen, soll es sich bei ihnen um unabhängige Obligationen auf Schadensersatz handeln, die nur gleichsam zufällig dadurch verbunden werden, dass jeder nach allgemeinen Regeln den Ersatz des gesamten Schadens schuldet und der Gläubiger seinen Schaden nur in einfacher Höhe liquidieren kann, so dass die Leistung durch einen Schuldner die übrigen befreit224. Schuldnerbelastende Gesamtwirkungen gibt es hier nicht. Der Regress, ob anteilig oder einseitig, findet grundsätzlich mittels Subrogation statt225. Auf dieser Grundlage hat die Rechtsprechung der Figur einen äußerst weiten Anwendungsbereich geschaffen. Obligations in solidum liegen stets dann vor, wenn der Ersatz eines bestimmten Schadens von mehreren geschuldet wird, auch bei Nebentätern, wobei es keine Rolle spielt, ob gleichzeitig oder nacheinander gehandelt wurde, ob strikt oder wegen Verschuldens gehaftet wird und ob die Verbindlichkeiten auf Vertrag oder Gesetz beruhen, wobei auch Fälle „gestufter Schadensersatzverbindlichkeiten“ einbezogen werden, in denen ein Schuldner für den vom anderen verursachten Schaden einstehen muss226. 224
Oben, 533 ff. Oben, 579 ff. 226 Einzelheiten bei Mazeaud, Rev crit 50 (1930), 141, §§ 11–14; Vincent, RTD civ 38 (1939), 601, §§ 22 ff.; Mestre/Tian-Pancrazi, Obligation in solidum, §§ 42 ff.; Le Tourneau/Julien, Solidarité, §§ 173 ff.; Terré/Simler/Lequette, Obligations, § 1262. Daher bestehen obligations in solidum 225
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
Sowohl die engere als auch die weitere Gesamtschuldkonzeption sind in sich schlüssig und theoretisch möglich. Es fragt sich allein, welches Konzept dem BGB-Gesetzgeber vor Augen stand. Die Einheitsbetrachtung der Korreal- und Solidarschulden war in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts nicht herrschende Lehre. Es dominierte die Unterscheidung zwischen dem begrenzten Institut der Korrealschuld und dem offenen Begriff der Solidarobligation. Der von Unger (1884) und insbesondere Eisele (1896) entwickelte Begriff der Korrealobligation bzw. echten Gesamtschuld, der nicht nur vertragliche Gesamtschuldner, sondern auch deliktische Mittäter umfasste und Nebentäter außen vor ließ, konnte von Kübel bei der Ausarbeitung seines ersten Vorentwurfs von 1881 nicht mehr beeinflussen. Auch die Rechtsprechung verwendete zu dieser Zeit einen eher weiten Begriff der Solidarität. Eine solidarische Haftung sollte auch bei Nebentätern bestehen können, die völlig unabhängig vom anderen gehandelt hatten227, so etwa, wenn zwei Eisenbahnen zusammenstießen, dadurch ein Dritten schädigten und hierfür nach dem Reichshaftpflichtgesetz haften mussten228, wenn zwei Schiffe durch das Verschulden ihrer jeweiligen Besatzung kollidierten und dabei ein drittes beschädigten229 oder wenn zwei Fabriken unabhängig voneinander schädliches Abwasser in den Fluss leiteten und dadurch einen Schaden verursachten230. Im zu schaffenden BGB sollten die gemeinrechtlichen Solidarobligationen zusammen mit den Korrealobligationen zu einem einheitlichen Institut der Gesamtschuld zusammengefasst werden. Bei der Ausarbeitung der Vorentwürfe zum Gesamtschuldrecht lehnte sich von Kübel besonders eng an das Sächsische BGB und insbesondere an den Dresdener Entwurf an. Deren Verfasser (zu denen auch von Kübel selbst gehörte) entschieden sich bewusst dafür, die Gesamt-
227 auch beim Zusammentreffen unabhängiger vertraglicher Schadensersatzansprüche, etwa Cass 1 civ (9.11.1960), Gaz Pal 1961 I 83; (18.4.1989) Gaz Pal 1990, somm ann 10. Schon seit den 1950er Jahren anerkannt sind sie insbesondere bei den Schadensersatzpflichten von Bauunternehmer und Architekt, etwa Cass 1 civ (14.10.1958), Bull civ I Nr. 426 und 430; (25.1.1960) Bull civ I Nr. 49; (30.3.1960) Bull civ I Nr. 189; (20.10.1965) Bull civ I Nr. 558; Cass 3 civ (17.7.1968), JCP 1969 II 15932; (20.2.1969) JCP 1969 IV 84; (29.4.1974) Bull civ III Nr. 174; (18.6.1980) Bull civ III Nr. 121; (5.12.1984) Bull civ III Nr. 206; (6.10.1993) Bull civ III Nr. 119; (3.7.1996) JCP 1997 II 22757; vgl. Raynaud, D 1974, 118. Zur entsprechenden deutschen Diskussion unten, 932 ff. 227 So obiter RG SeuffA 47 Nr. 12 (19.6.1891). Auch in den Schlägereifällen sprachen die Gerichte von solidarischer Haftung, etwa ObTr Stuttgart, SeuffA 13 Nr. 144/2 (15.1.1859); RGZ 1, 89, 93 (2.12.1879); BayObLG SeuffA 40 Nr. 109 (5.11.1884); RGZ 23, 158, 161 (7.5.1889); BayObLG SeuffA 51 Nr. 263 (13.2.1896). Dies hat aber nur eingeschränkten Aussagewert, weil man hier zum Teil Teilnahmeregeln anwendetete und auch dort, wo man die Haftung lediglich auf die Mitverursachung stützte, zumindest ein zeitgleiches Handeln aller in Kenntnis des Handelns der übrigen vorlag. 228 ROHGE 21, 361, 364 (23.1.1877); RG SächsArch 10, 617 (12.1.1900). 229 OLG Hamburg, SeuffA 52 Nr. 7 (1.4.1895). 230 RGZ 16, 144, 147 f. (9.7.1886). Hier ging es um einen Fall der Alternativverursachung, aber im vorliegenden Zusammenhang interessant ist die Annahme einer solidarischen Haftung unter völlig unabhängig voneinander handelnden und sich gegenseitig nicht zur Kenntnis nehmenden Nebentätern.
5. Nebentäter
735
schuldverhältnisse nach dem Modell der gemeinrechtlichen Solidarobligationen zu formen231. Vorbild war dabei offenbar der von der herrschenden Lehre verwendete offene Begriff der Solidarschuld. Bis auf die Erfüllung und ihre Surrogate gab es in beiden Regelwerken keinerlei Gesamtwirkungen; und auch ein Regress war nicht vorgesehen. Nichts sprach also dagegen, auch Fälle völlig unabhängiger Verpflichtungen, die nur durch die Solutionskonkurrenz verbunden waren, als Gesamtschuldverhältnisse im gesetzlichen Sinne anzusehen. Diese Einschätzung wird dadurch bestätigt, dass man in den Beratungen zum Dresdener Entwurf zwar darüber diskutierte, unter welchen Umständen ein Schaden mehreren unabhängig voneinander Handelnden derart zugerechnet werden konnte, dass jeder für den gesamten Schadensersatz haftete, aber Einigkeit darüber bestand, dass im Falle einer solchen Ganzhaftung mehrerer zugleich ein Gesamtschuldverhältnis entstand. So war es etwa, wie berichtet232, in der Kommission umstritten, ob im Fall der „überholenden Kausalität“ derjenige, dessen Handlung zum Tod des Opfers geführt hätte, wenn nicht ein anderer das Opfer zuvor getötet hätte, neben dem anderen ebenfalls wegen der Tötung haften sollte; soweit man dies aber bejahte, hielt man die gesamtschuldnerische Haftung beider Handelnder für selbstverständlich233, auch wenn sie völlig unabhängig zu unterschiedlichen Zeiten und ohne gegenseitige Kenntnis gehandelt hatten. Bei den Beratungen zur Beteiligtenregel bestand in der Dresdener Kommission Einigkeit darüber, dass ein Gesamtschuldverhältnis entsteht, wenn „durch zufälliges Zusammentreffen mehrerer von verschiedenen Personen ausgehenden Handlungen ein Schaden verursacht wurde, der sich als gemeinsamer Erfolg aller dieser Handlungen darstelle“234. Bezeichnend ist ferner, dass in beiden Regelwerken ein Gesamtschuldverhältnis auch dann entstehen sollte, wenn mehrere nicht gleichzeitig, sondern nacheinander gehandelt hatten. Die Dresdener Kommission war zwar der Ansicht, dass die Zeitpunkte der sukzessiven Handlungen nicht allzu weit auseinanderliegen dürften, um die Einheit des Ereignisses nicht aufzuheben235. Diese Beschränkung betraf aber die Frage, inwieweit Erfolge bei unklarem Kausalverlauf zugerechnet werden können, nicht die Voraussetzungen der Solidarität als Rechtsverhältnis unter den Handelnden. Sofern die Zeitpunkte nicht allzu weit auseinander lagen, konnte ein Gesamtschuldverhältnis nach beiden Regelwerken auch unter völlig unabhängig voneinander und zu verschiedenen Zeiten handelnden Personen begründet werden. Das Gleiche galt im Übrigen schon für den Bayerischen Entwurf, der eine solidarische Haftung vorsah, wenn dem Opfer durch mehrere Personen tödliche Verletzungen zugefügt worden waren, ohne dass es einen Zusammenhang zwischen den Handlungen geben 231
Oben, 70 f. Oben, 720. 233 Dresd. Prot. 3601 f. Die zunächst geplante Vorschrift enthielt eine ausdrückliche Gesamtschuldanordnung (Anlage E, Art. 224 a Abs. 2, abgedruckt in Dresd. Prot. 3746) und wurde nur wegen Zweifeln an der Richtigkeit der Ganzhaftung beider Handelnder wieder geändert. 234 Dresd. Prot. 715. 235 Dresd. Prot. 715. 232
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
musste236. Kam es nach einer Körperverletzung durch den ersten Nebentäter zu einer weiteren Körperverletzung durch einen zweiten Nebentäter, hafteten nach dem Bayerischen Entwurf beide solidarisch, falls sich die Verletzungsfolgen schon aus der ersten Verletzung allein ergeben hätten237. Eine irgendwie geartete Gemeinschaftlichkeit, und sei es nur in der Form, dass jeder das Handeln des anderen zur Kenntnis nimmt, war nach allen drei Regelwerken für ein Gesamtschuldverhältnis nicht erforderlich. Die wohl nach älterem Gemeinen Recht bestehende Beschränkung, dass ein Gesamtschuldverhältnis eine irgendwie geartete Gemeinschaftlichkeit unter den Schuldnern voraussetzte, und sei es nur ein Handeln in Kenntnis des zeitgleichen Handelns des anderen, galt also spätestens für den Gesetzgeber des Sächsischen BGB und des Bayerischen und Dresdener Entwurfs nicht mehr. Derselben Ansicht war von Kübel. Auch für ihn sollte die Regelung des Gesamtschuldverhältnisses dem „Mehrheitsprinzip“ folgen, also dem Modell mehrerer unabhängiger Obligationen, die außer der Gesamtwirkung der Erfüllung und des Gesamterlasses nichts verbindet238. Einen Regress sah er ursprünglich nicht vor239. Daher war auch für ihn die gesamtschuldnerische Verbindung der Obligationen die passende Rechtsfolge, sofern jeder Täter den gesamten Schadensersatz schuldete und die Leistung des einen den anderen befreite. Zur kumulativen Kausalität schlug er eine Regel vor, nach der beide Handelnde für den eingetretenen Schaden haften sollten, und dies als Gesamtschuldner, auch wenn sie völlig unabhängig voneinander gehandelt hatten240. Eine Gesamtschuld wegen Nichtermittelbarkeit der Anteile sollte entstehen, „wenn der Schaden durch das Zusammentreffen widerrechtlicher Handlungen Mehrerer, welche nicht gemeinsam gehandelt haben, verursacht worden ist“241. Gemeint war ein „zufälliges“ Zusammenwirken242. Die Erste Kommission sprach sich gegen die legislative Anerkennung des Mehrheitsprinzips aus, weil sie die Frage nach Einheit oder Mehrheit der Obligationen der Wissenschaft überlassen wollte243. Zugleich führte sie gegen von Kübels Willen einen allgemeinen Gesamtschuldregress ein244. Dies wäre Anlass gewesen, den Gesamtschuldbegriff noch einmal zu überdenken. Eine Regelung des Gesamtschuldverhältnisses, die nichts anderes als die Gesamtwirkung der Erfüllung und ihrer Surrogate vorsieht, ohne einen Regress anzuordnen, hat Platz für alle möglichen Arten von Obligationsmehrheiten, bei denen der Gläubiger die Leistung im Ergebnis nur einmal bekommen soll. Ist aber ein Regress vorgesehen, müssen sich die vom Gesetz erfassten Fälle auf diejenigen beschränken, in 236 237 238 239 240 241 242 243 244
BayE II Art. 941 III. BayE II Art. 946 II. Oben, 71. Oben, 275, 584 f. Vorentwurf Unerlaubte Handlungen, § 12 (Schubert, SR I, 655, 711). Vorentwurf Unerlaubte Handlungen, § 10 (Schubert, SR I, 654). Motive zum VorE Unerlaubte Handlungen, 50 (Schubert, SR I, 706). Oben, 71. Oben, 279 ff., 585 ff.
5. Nebentäter
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denen ein solcher Regress auch gewünscht wird. Erst recht gilt dies, wenn, wie von der heutigen Lehre behauptet, der Regress in Form einer Schuldgemeinschaft mit von Anfang an bestehenden und vom Außenverhältnis unabhängigen Mitwirkungs- und Rückgriffsansprüchen ausgestaltet werden sollte. Doch es ist nicht erkennbar, dass die Erste oder auch die Zweite Kommission den weiten Gesamtschuldbegriff von Kübels in irgendeiner Weise einschränken wollte. Mitglied der Ersten Kommission war immerhin auch Windscheid als Verfechter eines besonders weiten Begriffs der Solidarobligation. Wie sich insbesondere an den Beratungen zu den „gestuften“ deliktischen Gesamtschulden zeigt245, waren beide Kommissionen wie von Kübel der Ansicht, dass ein deliktisches Gesamtschuldverhältnis auch unter Schuldnern bestehen konnte, die völlig unabhängig voneinander gehandelt hatten. Damit ergibt sich folgendes Gesamtbild: Für den BGB-Gesetzgeber stand fest, dass jemand auch dann zurechenbar einen Schaden verursacht haben konnte und daher Schadensersatz schuldete, der den Schaden nur im kausalen Zusammenwirken mit einer anderen rechtswidrigen Tat verursacht hatte. Eine Aufteilung des insgesamt geschuldeten Schadensersatzes war unbekannt. Jeder Mitverursacher schuldete also das Ganze, wurde aber frei, wenn ein anderer den Schadensersatz leistete. Zugleich war für das Bestehen eines Gesamtschuldverhältnisses, anders als im frühen Gemeinen Recht, nicht erforderlich, dass die Schuldner gemeinsam oder zumindest zeitgleich in gegenseitiger Kenntnis gehandelt hatten. Aus alldem folgt, dass die solidarische Haftung von deliktischen Nebentätern für den BGB-Gesetzgeber feststand.
c) Die Rolle der Beteiligtenregel Es bleibt nur die Frage, ob und wo diese Solidarhaft im Gesetz angeordnet werden sollte. Hierfür kam die Beteiligtenregel in der Fassung der älteren Regelwerke in Frage, die sich noch im Ersten Entwurf fand. Nach E I § 714 entstanden Gesamtschulden, „wenn im Falle eines von Mehreren verschuldeten Schadens von den Mehreren nicht gemeinsam gehandelt, der Antheil des Einzelnen an dem Schaden aber nicht zu ermitteln ist“. Ähnliche Regeln finden sich,wie berichtet im ALR, im ABGB, im Revisionsentwurf zum CMBC, im Sächsischen, Bayerischen und Dresdener Entwurf sowie in von Kübels Vorentwurf246. Tatbestandsmerkmal ist stets, dass mehrere zur Entstehung des Schadens beigetragen bzw. an ihm mitgewirkt haben. Eine Solidarschuld soll dann eintreten, wenn sich der Anteil des Einzelnen am Schaden, an der Beschädigung oder am Erfolg nicht ermitteln lässt. Insofern kommen diese Vorschriften auch als gesetzliche Grundlagen für eine Solidarhaftung zumindest kumulativ verursachender Nebentäter in Frage. Dazu wäre zunächst erforderlich, dass sich die „Nichtermittelbarkeit“ 245 246
Dazu sogleich unten, 742 ff. Vgl. oben, 703 ff., wo auch der Wortlaut der Vorschriften abgedruckt ist.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
nicht auf tatsächliche Sachverhaltszweifel beschränkt, sondern auch den Fall erfasst, in dem feststeht, dass alle Täter bestimmte Verursachungsbeiträge geleistet haben, die in ihrer Kombination den Erfolg verursachten. Eine Auslegung der Beteiligtenregeln der Kodifikationen und Entwürfe muss vor dem Hintergrund der Julian/Ulpian-Regel und ihre gemeinrechtliche Anwendung etwa in den Schlägereifällen erfolgen247. Wenn mehrere auf das Opfer einschlugen und der Tod des Opfers nicht gemeinsamer Tatplan war (in diesem Fall galten wohl echte Teilnahmeregeln), waren die Handelnden dann entlastet, wenn klar war, dass nur einer die Todesursache gesetzt hatte und wer diese Person war. Ansonsten galt Solidarhaftung. Anzunehmen ist daher, dass auch dann, wenn feststand, dass der Tod durch das Zusammenwirken aller Verletzungen verursacht worden war, alle solidarisch hafteten. Für eine abweichende Behandlung der feststehenden kumulativen Kausalität gegenüber dem Fall der Ursachenunklarheit besteht kein rechtspolitischer Grund. Insofern dürften die Beteiligtenregeln auch Fälle kumulativer Kausalität erfasst haben248. Zugleich aber deutet der gemeinrechtliche Hintergrund darauf hin, dass die Beteiligtenregeln nicht jeden Fall der Verursachung eines Schadens durch mehrere im Auge hatten. Die Julian/Ulpian-Regel wurde gemeinrechtlich teilweise als Fall der Teilnehmerhaftung gedeutet: Wer sich an einer rechtswidrigen Tat (der Verletzung) beteiligt, haftet auch für ungeplante, möglicherweise nur von einem verursachte Folgen, sofern nur der Verursacher nicht feststeht. In den Schlägereifällen beruhte nicht der Tod des Opfers, wohl aber die Gewalttätigkeit selbst auf einem gemeinsamen Willen; zumindest wusste jeder Handelnde vom gleichzeitigen Handeln des anderen, so dass ein vom Willen der Handelnden getragenes tatsächliches Zusammenwirken vorlag. Ein solches zumindest bewusst gemeinsames Handeln ist aber in Nebentäterfällen häufig nicht gegeben. Wie weit der Anwendungsbereich der Beteiligtenregel in den einzelnen Regelwerken tatsächlich war, lässt sich nur schwer aufklären. Eine Parallele zum gemeinrechtlichen Hintergrund könnte dafür sprechen, dass er je nach Regelwerk unterschiedlich aufgefasst wurde. Denn nicht nur das Gemeine Recht, sondern auch die Kodifikationen und Entwürfe arbeiteten mit unterschiedlichen Gesamtschuldbegriffen. Die älteren Regelwerke entstanden vor dem Hintergrund der älteren gemeinrechtlichen Einheits-Korrealschuld, deren Anwendungsbereich begrenzt war. Das ALR und das ABGB sahen zwar nahezu keine schuldnerbelastende Gesamtwirkungen vor249, aber zumindest ein regressbegründendes Innenverhältnis250. Insofern ist es wahrscheinlich, dass Fälle völlig unabhängig voneinander handelnder Nebentäter vom Gesetzgeber gar nicht als Gesamtschuldver-
247
Dazu oben, 701 ff. Hierfür sprechen zum preußischen Recht die Bemerkungen von Förster/Eccius (Preußisches Privatrecht I, § 63 bei Fn. 59, S. 402) und Gruchot (Gruch 3 [1859], 486), dass die Nichtermittelbarkeit der Anteile in der Praxis die Regel sei. 249 Oben, 69. 250 Oben, 577 f. 248
5. Nebentäter
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hältnisse im gesetzlichen Sinne angesehen wurden, ganz unabhängig davon, ob es sich um kumulative oder alternative Verursachung handelte251. Ein Nebentäter haftete dann zwar auf das Ganze und wurde frei, wenn ein anderer Nebentäter den Schadensersatz leistete, aber dies musste nicht dazu führen, dass das Sonderverhältnis der Korrealität begründet wurde. Die jüngeren Regelwerke entstanden dagegen vor dem Hintergrund der Keller/Ribbentrop’schen Differenzierung zwischen Korreal- und Solidarobligationen. Beide Gesamtschuldformen wurden zu Einheits-Gesamtschulden zusammengefasst, allerdings sehr unterschiedlich252. Der Hessische Entwurf etwa sah nach französischem Vorbild nicht nur einen Regress, sondern auch eine Reihe schuldnerbelastender Gesamtwirkungen vor. Insofern ist es wohl kein Zufall, dass sich eine Beteiligtenregel im Entwurf gar nicht findet, eine Gesamtschuld vielmehr nur bei „gemeinschaftlicher Schadenszufügung“ angeordnet wird253. Nebentäter sollten hier offenbar von vornherein nicht den Gesamtschuldregeln unterworfen werden. Die nachfolgenden Regelwerke dagegen hielten sich mit der Annahme von Gesamtwirkungen mehr und mehr zurück, bis schließlich das Sächsische BGB und der Dresdener Entwurf außer der Erfüllung und ihrer Surrogate gar keine Gesamtwirkungen und auch keinen Regress vorsahen. Wenn die Beteiligtenregeln des Bayerischen und des Dresdener Entwurfs lediglich verlangten, dass mehrere nicht gemeinschaftlich bzw. gemeinsam gehandelt hatten, sollte damit möglicherweise der Kreis der durch die Beteiligtenregel erfassten Fälle erweitert werden. Einen ähnlichen Wortlaut verwendete von Kübels Vorentwurf und § 714 des Ersten Entwurfs. Insofern war E I § 714, der in erster Linie Kausalitätsprobleme zugunsten des Geschädigten überwinden sollte, zumindest theoretisch in der Lage, nebenher auch den Fall der feststehenden kumulativen Kausalität bei Nebentätern zu regeln. Tatsächlich wurde die Vorschrift bei den Beratungen der Ersten Kommission offenbar so verstanden. Die Tierhalterhaftung erforderte im Ersten Entwurf ein Verschulden. Eine Sonderregel für den Fall, dass mehrere Tierhalter fahrlässig ihre Aufsichtspflicht verletzt hatten, hielt die Erste Kommission für entbehrlich, weil die Tierhalter „unbedenklich“ als Gesamtschuldner hafteten254, was man offenbar aus E I § 714 herleitete255. Zur Haftung für einen Gebäudeeinsturz (heute § 836) erläuterte die Kommissionsvorlage, dass schon nach allgemeinen Regeln
251 So zum preußischen Recht dezidiert Gruchot, Gruch 3 (1859), 486 ff. (der die deliktische Solidarobligation mit Kuntze lediglich als modifizierte Korrealobligation ansah, 485 Fn. 21); zum ABGB Stubenrauch, ABGB, §§ 1301–1302, Anm. B II (bei unabhängigen Nebentätern stets Teilschulden); ähnlich Motive zum Sächsischen Entwurf, 168. Im ABGB, im CMBC-RevE 1811 sowie im Sächsischen Entwurf spricht hierfür auch der Wortlaut der entsprechenden Vorschriften, der auch für die Gesamtschuld wegen Nichtermittelbarkeit der Anteile eine Gemeinschaftlichkeit der Schadensverursachung verlangt. Der CMBC (IV 16 § 4 Nr. 5) regelte nur die Complices Delicti. 252 Oben, 542 f. 253 HessE IV 1 Art. 214. 254 Jakobs/Schubert, SR III, 959. 255 So die Beratungsvorlage, Schubert, SR III, 953; und Mot. II, 814 (Mugdan II, 454).
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
derjenige, der das Gebäude schuldhaft fehlerhaft errichtet habe, einem Schadensersatzanspruch ausgesetzt sei. Sofern die fehlerhafte Errichtung auf der Tätigkeit mehrerer beruhe, entstehe eine Gesamtschuld nach E I § 714 auch dann, wenn fahrlässige, voneinander unabhängige Handlungen Ursache des Einsturzes seien256. Die Erste Kommission schuf eine verschuldensabhängige Haftung des Eigenbesitzers und verzichtete auf eine Regel für den Fall mehrerer Eigenbesitzer, vermutlich weil sich ihre gesamtschuldnerische Haftung schon aus E I § 714 ergeben sollte. Ebenso verzichtete man auf eine Gesamtschuldanordnung für den Fall, dass mehrere Beamte ihre Amtspflicht verletzten und dadurch einen Schaden verursachten. Nach den Motiven ergab sie sich schon aus E I § 714257. Im Ersten Entwurf konnte die Solidarhaft der kumulativ verursachenden Nebentäter also auf E I § 714 gestützt werden258. Doch diese Vorschrift wurde im Zweiten Entwurf durch die heute geltende Regel ersetzt, dass ein Gesamtschuldverhältnis entsteht, „wenn sich nicht ermitteln lässt, wer von mehreren Beteiligten den Schaden durch seine Handlung verursacht hat“ (§ 830 I 2 BGB). Mit dieser neuen Fassung der Beteiligtenregel war der Fall der unklaren Kausalität präziser gefasst, doch die kumulativ verursachenden Nebentäter waren nun ausgeschlossen. Dennoch findet sich kein Anzeichen dafür, dass man die Solidarhaftung der deliktischen Nebentäter nun in Frage stellte. Nur bei der Beamtenhaftung fügte die Zweite Kommission für den Fall, dass ein Schaden durch die Amtspflichtverletzung mehrerer verursacht worden war, nun eine besondere Gesamtschuldanordnung hinzu259 (die später in § 840 I BGB aufging). Ob diese Neuerung der Veränderung der Beteiligtenregel geschuldet war, ist unklar. Die Kommission berief sich auf ihre Beschlüsse zur Solidarhaft mehrerer Tierhalter und Gebäudebesitzer260 und erwog, ohne eine solche Vorschrift könne der irrtümliche Schluss möglich sein, dass nach der Regel des heutigen § 420 Teilschulden entstünden261. Möglicherweise dachte sie hier – da die Teilschuldregel nie im Falle unabhängiger Verursacher angewendet worden war – an ein Beamtenkollegium. In jedem Fall ist ein Meinungswandel der Zweiten Kommission im Bereich der allgemeinen deliktischen Nebentäterhaftung nicht erkennbar. Trotzdem wurde bei den Beratungen nie die Einführung einer besonderen Gesamtschuldanordnung für Nebentäter erwogen. Dieser Befund lässt darauf schließen, dass die Solidarhaftung der Nebentäter auch ohne die Vorschrift des E I § 714 selbstverständlich war. Die im Zweiten Entwurf gewählte moderne Fassung der Beteiligtenregel hatte schließlich schon
256
Schubert, SR III, 971. Vgl. E I § 736 und Mot. II, 826 (Mugdan II, 462). 258 So Keuk, AcP 168 (1968), 185 f.; Ries, AcP 177 (1977), 548, wonach gerade diese Vorschrift die Solidarhaft der Nebentäter anordnete. 259 Jakobs/Schubert, SR III, 1009; Ergebnis: VorlZust § 736 I, ZustRedKom § 714 g I (Jakobs/ Schubert, SR III, 1010 f.). 260 Oben, 715 f. 261 Prot. 2900 (Mugdan II, 1155). 257
5. Nebentäter
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das Sächsische BGB gekannt262, ohne dass es irgendeinen Anhaltspunkt dafür gegeben hätte, dass für kumulativ verursachende Nebentäter nach dem Recht des Sächsischen BGB etwas grundsätzlich anderes gelten sollte als in den anderen Regelwerken. Die Ganzhaftung jedes zurechenbar mitverursachenden Nebentäters war nach Gemeinem Recht und nach den Regelwerken selbstverständlich. Nach der im späteren 19. Jahrhundert herrschenden Lehre und nach dem Sächsischen BGB und Dresdener Entwurf bedeutete die Ganzhaftung mehrerer mit Solutionskonkurrenz zugleich ein Gesamtschuldverhältnis. Die Beteiligtenregeln der Kodifikationen und Entwürfe hatten in erster Linie Zurechnungsfragen bei ungeklärter Kausalität im Auge; ob sie nebenher auch den Fall der kumulativ verursachenden Nebentäter regeln konnten, war zweitrangig. Dafür spricht auch, dass die Ganzhaftung bzw. das Gesamtschuldverhältnis auch bei alternativ verursachenden Nebentätern anerkannt war, obwohl es keine besonderen Vorschriften dazu gab und der Fall offenbar nicht unter die Beteiligtenregeln subsumiert werden konnte. Für das BGB bedeutet dies, dass die gesamtschuldnerische Haftung der kumulativ verursachenden Nebentäter zwar im Ersten Entwurf unter E I § 714 subsumiert werden konnte, dass es aber darauf im Ergebnis nicht ankam, weil die Ganzhaftung jedes Nebentäters und das hieraus folgende Gesamtschuldverhältnis ohnehin selbstverständlich waren. So ist es zu erklären, dass der Wegfall von E I § 714 im Zweiten Entwurf für die Haftung der Nebentäter im Ergebnis keine Rolle spielte. Mitverursachende Nebentäter waren auch ohne besondere gesetzliche Anordnung Gesamtschuldner. Hiergegen spricht nicht, dass der Gesetzgeber für zahlreiche andere Fälle der deliktischen Personenmehrheiten ausdrückliche Gesamtschuldordnungen vorsah. In den Fällen des heutigen § 830 I 2 musste die Ganzhaftung des Beteiligten besonders angeordnet werden, da er sonst mangels erwiesenen Kausalzusammenhangs überhaupt nicht haftete. Bei Teilnehmern im Sinne des § 830 I 1, II war die Kausalität des Tatbeitrags für den Erfolg, der möglicherweise auch ohne diesen Tatbeitrag eingetreten wäre, ebenfalls zweifelhaft. Die auf dem gemeinsamen Tatplan beruhende Erfolgszurechnung ist keinesfalls selbstverständlich und kann nicht schon durch eine Anwendung allgemeiner Kausalitätsregeln erklärt werden263. Bei „gestuften“ Schadensersatzverbindlichkeiten musste durch die Gesamtschuldanordnung in erster Linie klargestellt werden, dass der „ferner Stehende“ nicht nur subsidiär haftet264. Im Falle der Haftung aufgrund einer gemeinschaftlichen Position, etwa der Miteigentümer des schädigenden Tieres oder der gemeinsam Jagdberechtigten, musste 262 SächsGB § 1495 S. 2: Läßt sich, wenn Mehrere gleichzeitig oder nach einander gehandelt haben, nicht ermitteln, wessen Handlung den Schaden verursacht hat, so haften sie als Gesammtschuldner. 263 So aber Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, § 247 I 1; Keuk, AcP 168 (1968), 184; Ries, AcP 177 (1977), 545 f., 547. Dagegen grundlegend F. Bydlinski, AcP 158 (1959/60), 410. Bei § 830 I 1 handelt es sich daher entweder um eine Kausalitätsvermutung oder um eine Zurechnungsnorm, oben, 698. 264 Hierzu der folgende Abschnitt, 742 ff.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
schließlich die Teilschuldregel des heutigen § 420 ausgeschaltet werden; auch bei der Beamtenhaftung diente die Gesamtschuldanordnung der Klarstellung, dass § 420 nicht anwendbar war. All diese Gründe für eine besondere Gesamtschuldanordnung liegen bei unabhängigen Nebentätern nicht vor. Insbesondere stand wegen der Unabhängigkeit der auf verschiedenen Gründen beruhenden Verpflichtungen eine Anwendung der Teilschuldregel hier nie zur Debatte. Die Vorschrift des heutigen § 840 I sollte die bis dahin bestehenden besonderen Gesamtschuldanordnungen zusammenfassen, nicht die Nebentäterhaftung regeln. Nichts spricht aber dagegen, die vom Gesetzgeber gewollte Solidarhaft der Nebentäter heute auf diese Vorschrift zu stützen. Es muss lediglich im Auge behalten werden, dass sich hinter § 840 I ganz unterschiedliche Gesamtschuldanordnungen mit unterschiedlichen Hintergründen verbergen. Zu pauschal und insofern unrichtig ist daher die Behauptung, die Regel des § 840 I müsse schon deswegen eine konstitutive Bedeutung haben, weil sie eine Ausnahme zur Teilschuldregel des § 420 bilde265. Nach Vorstellung des historischen Gesetzgebers kam die Teilschuldregel nur in manchen Fallgruppen deliktischer Personenmehrheiten zum Tragen; die unabhängig voneinander handelnden Nebentäter gehörten nicht dazu.
6. „Gestufte“ gesetzliche Schadensersatzverbindlichkeiten Eine Schuldnermehrheit kann auch dadurch entstehen, dass der Täter A durch eine unerlaubte Handlung einen Schaden verursacht, für den auch ein anderer (B) haften muss. Die Verantwortlichkeit des B kann sich entweder daraus ergeben, dass er gerade für die Handlungen von A (etwa als Aufsichtspflichtiger) einstehen muss, oder daraus, dass er für den von A verursachten Schaden wegen seiner besonderen Stellung, etwa als Tierhalter oder Wohnungsinhaber, haftet. Sofern sowohl A als auch B haften, kann die entstehende Schuldnermehrheit unterschiedlich geregelt werden. Möglich, aber historisch kaum bekannt ist eine im Verhältnis zu A’s Verbindlichkeit akzessorische Haftung des B. Im Vordergrund steht der Gedanke, dass der unmittelbare Verursacher A im Regelfall für den Schaden erstrangig haften soll. Diese Abstufung kann im Außenverhältnis dadurch erzielt werden, dass B nur subsidiär haftet, im Innenverhältnis durch die Zulassung eines Rückgriffs des B gegen A auf das Ganze.
265 So Jürgens, Teilschuld, 27 f.; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 30; Bentele, Gesamtschuld, 144 Fn. 155; ähnlich Wernecke, Gesamtschuld, 181 f. Zwar kann sich diese Ansicht auf eine Bemerkung in den Motiven zu E I § 320 (§ 420 BGB) stützen, wonach die gesamtschuldnerische Haftung aus Delikten, etwa aus E I § 714 (§ 830 BGB), eine Ausnahme zur Teilschuldregel bildet, Mot. II, 154 (Mugdan II, 84). Doch auch diese Bemerkung in den (nicht amtlichen) Motiven ist zu pauschal. Eine Anwendung des § 420 erwägt auch Ries, AcP 177 (1977), 550.
6. „Gestufte“ gesetzliche Schadensersatzverbindlichkeiten
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a) Die Haftung für einen anderen: Täter und Aufsichtspflichtiger Im Bereich der Haftung für einen anderen bot das römische Recht kaum Anknüpfungspunkte, weil es grundsätzlich nur die Noxalhaftung für Sklaven und Hauskinder kannte und damit keinen Raum für Schuldnermehrheiten zuließ: Auch wenn von einer Deliktsfähigkeit selbst der Sklaven gesprochen wurde266 und die Haftung für die Sklaventat bei einem Eigentümerwechsel dem Sklaven folgte, blieb es doch dabei, dass der Geschädigte den Täter selbst nicht gerichtlich belangen konnte: Klagen gegen Sklaven und Deliktsklagen gegen Hauskinder waren ursprünglich nicht möglich267. Als spätestens im nachklassischen Recht deliktische Klagen zumindest gegen Haussöhne zugelassen wurden268, bedeutete dies, dass für sie die Noxalhaftung des Hausvaters nicht mehr bestand. Es haftete also stets der eine oder der andere, nicht beide269. Das Gemeine Recht kannte keine Noxalhaftung für Personen mehr. Das Einstehenmüssen für Delikte von Familienangehörigen und Angestellten richtete sich nach allgemeinen Regeln, was bedeutete, dass dem Hausvater bzw. Geschäftsherrn ein eigenes Verschulden nachgewiesen werden musste, und zwar in Gestalt eines Auswahl- oder Überwachungsverschuldens. Zwar kannte man auf Grund der einheimischen Rechtstradition und der Verallgemeinerung römischer Regeln auch Fälle einer verschuldensunabhängigen Einstandshaftung270, doch das 19. Jahrhundert stellte den Grundsatz in den Vordergrund, dass deliktische Haf-
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Ulpian D.44,7,14. Kaser, Römisches Privatrecht I, §§ 42 I, 147; Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht, § 28 II 1–2. Überliefert sind allerdings quasideliktische Klagen gegen Haussöhne; Ulpian D.9,3,17; Gaius D.44,7,5,5; Inst. 4,5,2. Sofern diese möglich waren, entfiel die Noxalhaftung. 268 Kaser, Römisches Privatrecht II, §§ 229 I, 271 III 1; Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht, § 28 II 2; vgl. Ulpian D.5,1,57; Gaius D.44,7,39. Möglicherweise konnte schon im klassischen Recht ein Haussohn selbst als Beklagter auftreten, wenn ihn keiner verteidigte, siehe Pomponius/Julian D.9,4,33–34; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 83 IV 2. Im justinianischen Recht gab es offenbar auch Strafklagen gegen Sklaven, vgl. Ulpian D.47,8,4,15, D.47,9,1 pr., D.47,12,3,11; Kaser, Römisches Privatrecht II, § 271 III 2. In diesem Fall entfiel die Noxalhaftung. 269 Möglich war eine Personenkonkurrenz zwischen Herrn und Sklaven allerdings dann, wenn der Herr nach der Tat den Sklaven freigelassen hatte, um seiner Noxalhaftung zu entgehen. Dann haftete der Herr wegen der arglistigen Besitzaufgabe trotz Eigentumsverlusts weiterhin aus der Sklaventat, und der Freigelassene haftete nun selbst. In diesem Fall herrschte offenbar Klagenkonkurrenz, Paulus D.9,4,24 und l. 26 pr., D.47,2,42,1, D.47,8,3; Levy, Konkurrenz I, 356 ff. Im 19. Jahrhundert sah man die Noxalhaftung teilweise als akzessorische Schuld im Verhältnis zur Sklavenverbindlichkeit an, hierzu Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 262 ff.; von Helmolt, Correal-Obligationen, 46 ff.; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 101 ff.; kritisch E.Zimmermann, KritZ 5 (1859), 158 f. Für eine Korrealobligation Brinz, KritBl 4 (1853), 24 f.; ders., Pandekten, § 258 (konsequent, weil er die Besonderheit der Korrealobligation in der gegenseitigen Vertretung sah); Binder, Korrealobligationen, 124 ff. 270 Hierzu stellvertretend HKK/Schermaier, §§ 276–278 Rz 39, 46 f., 51; ferner Kaufmann, Rezeption, 75 f.; zum römisch-holländischen Recht auch Wicke, Respondeat Superior, 117 ff., insbes. 134 ff. 267
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
tung Verschulden voraussetzte271. Besondere Vorschriften zur Haftung für Kinder, Dienstboten, Gehilfen, Mietern und andere Personengruppen finden sich in den Regelwerken. Sofern der unmittelbare Täter selbst deliktsrechtlich belangbar war, stellte sich dann die Frage nach dem Verhältnis beider Verbindlichkeiten. Hierzu finden sich, unabhängig davon, ob man für die Haftung des Aufsichtspflichtigen den Nachweis eines Auswahl- oder Überwachungsverschuldens verlangte272 oder ob sich der Haftende entlasten musste273, zwei Lösungswege. Im preußischen Landrecht war die Haftung des Aufsichtspflichtigen bzw. Geschäftsherrn (sofern er die Tat nicht wissentlich geschehen ließ) subsidiär zur Haftung des Täters274. Diese Beschränkung wurde in den nachfolgenden Regelwerken bewusst nicht übernommen275. Statt dessen sahen das ABGB, der Sächsische Entwurf, das Sächsische BGB, das Züricher Gesetzbuch und das Schweizer Obligationenrecht eine Vorschrift vor, wonach derjenige, der für einen anderen haften musste, ein Rückgriffsrecht gegen diesen anderen auf das Ganze hatte276. Wenn aber der Gläubiger danach wählen konnte, ob er den Täter oder den für den Täter Haftenden belangte, und wenn nicht nur die Leistung des Täters den anderen befreite, sondern auch die Leistung des anderen den Täter (wofür das Rückgriffsrecht sprach), handelte es sich dann nicht um Solidarobligationen? Dieser Schluss wurde im 19. Jahrhundert teilweise gezogen277. Der Bayerische und der Dresdener Entwurf sahen dann das Gesamtschuldverhältnis zwischen Täter und Aufsichtspflichtigem bzw. Geschäftsherrn ausdrücklich vor278. Die
271 Hierzu Seiler, JZ 1967, 525; Ogorek, Gefährdungshaftung, 68 ff.; HKK/Schermaier, §§ 276– 278 Rz 71 ff. Siehe etwa Windscheid, Pandekten, §§ 401, 455 Fn. 27 a; Sintenis, Civilrecht, § 102 I B; aus der Rechtsprechung etwa OAG Wiesbaden, SeuffA 17 Nr. 34 (23.4.1847); OAG Jena, SeuffA 4 Nr. 35 (1848); OAG Celle, SeuffA 13 Nr. 140 (20.4.1855), SeuffA 15 Nr. 226 (19.5.1861); OAG München, SeuffA 14 Nr. 35 (22.10.1860) und SeuffA 30 Nr. 144 (7.2.1868); ROHG, SeuffA 34 Nr. 17 (11.1.1877); RGZ 32, 144 (19.12.1893). 272 ALR I 6 §§ 53, 57, 59–66, II 2 §§ 140–145; ABGB §§ 1309, 1313–1315; SächsE §§ 787, 802 f.; ZürGB §§ 1872 f.; SächsGB § 779; DresdE Art. 216; E I §§ 710–712. 273 HessE IV 1 Art. 211; BayE II Art. 62 f., 66 (hier offenbar strikte Haftung); OR 1881 Art. 61 f. (heute OR 1911 Art. 55 I; ZGB Art. 333 I); s.a. die strikte Haftung des CC Art. 1384. Der CC wird im Folgenden nicht weiter erwähnt, weil er durchgehend keine Regeln zum Verhältnis mehrerer gesetzlich Haftender enthält. 274 ALR I 6 §§ 53, 67 f. Eine Subsidiaritätsregel fehlt allerdings bei der Haftung für (deliktsfähige) Kinder, vgl. ALR I 6 §§ 41–42, II 2 § 146. Nach Koch, ALR, zu I 6 § 57, Anm. 37, besteht daher Solidarhaftung zwischen Kindern und Eltern; differenzierend Bornemann, Preußisches Civilrecht II, 339. Für eine subsidiäre Haftung auch der spätere Gegenentwurf zum Ersten Entwurf von Rocholl, §§ 710, 712. 275 Zum ABGB Ofner, Ur-Entwurf II, 191, 439, 440. 276 ABGB § 1313; SächsE § 807; ZürGB § 1874; SächsGB § 779; OR 1881 Art. 63 (OR 1911 Art. 55 II). Der Hessische Entwurf begnügt sich mit einer Anordnung, wann der Rückgriff gegen den Täter nicht stattfindet, HessE IV 1 Art. 211 IV. 277 Zum ABGB Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 96 f.; zum Sächsischen BGB Siebenhaar/ Pöschmann, SächsGB, Anm. zu § 779; zum Schweizer Recht Hartmann, ZSchwR 28 (1887), 117 (allerdings akzessorischer Natur, a.a.O., 130, 145). Heute sieht man die Haftung von Geschäftsherrn und Verrichtungsgehilfen hier als Fall der „unechten“ Solidarität i.S.d. Art. 51 OR an. 278 BayE II Art. 64 II, 66 I; DresdE Art. 217.
6. „Gestufte“ gesetzliche Schadensersatzverbindlichkeiten
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bloße Anordnung eines Rückgriffsrechts, die im Dresdener Entwurf ursprünglich vorgesehen war279, wurde als unzureichend empfunden, weil sie offen lasse, ob beide Gesamtschuldner seien oder einer subsidiär zum anderen hafte280. Beide Entwürfe fügten das Regressrecht auf das Ganze gegen den Täter hinzu, der Bayerische Entwurf, weil ansonsten der kopfteilige Gesamtschuldregress gelten konnte, der Dresdener Entwurf, weil er keinen allgemeinen Gesamtschuldregress kannte281. Dem schlossen sich von Kübel und die BGB-Kommissionen an. Sämtliche Entwürfe enthielten eine Vorschrift, wonach dann, wenn neben dem Aufsichtspflichtigen bzw. Geschäftsherrn auch der Beaufsichtigte bzw. Gehilfe haftete, ein Gesamtschuldverhältnis entstand, bei dem intern allein der letztere verpflichtet sein sollte; im Ersten Entwurf war es E I § 713282. Die Gesamtschuldanordnung sollte deutlich machen, dass der Aufsichtspflichtige bzw. Geschäftsherr im Außenverhältnis nicht nur subsidiär haftete283. Die Anordnung der internen Alleinhaftung des Beaufsichtigten bzw. Gehilfen sollte die Kopfteilregel beim allgemeinen Gesamtschuldregress ausschalten284. Der Kreis der Personen, die für einen anderen haften mussten, wurde im Lauf der Beratungen immer weiter präzisiert285. Nachdem man neben der Haftung des gesetzlich Aufsichtspflichtigen und des Geschäftsherrn auch eine Haftung desjenigen, der für diese die Aufsichtspflicht übernommen hatte (heute §§ 831 II, 832 II), vorsah, fügte man schließlich noch Gesamtschuldanordnungen zwischen dem Übernehmer und dem Aufsichtspflichtigen bzw. Geschäftsherrn hinzu286. Die Regeln der Gehilfenhaftung sollten auch für das Verhältnis der Haftung des Tierhalters und der des Tieraufsehers, der für den Tierhalter die Aufsicht übernommen hatte (heute § 834), sowie für das Verhältnis der Haftung des Gebäudebesitzers und desjenigen, der für ihn die Unterhaltungspflicht übernommen hatte (heute § 838), gelten. Im Ersten Entwurf setzte die Haftung des Tierhalters bzw. Gebäudebesitzers eine nachgewiesene Pflichtverletzung voraus. Sowohl der Tierhalter/Gebäudebesitzer als auch der Übernehmer konnten folglich 279
Anlage B Art. 240, Anlage E Art. 224, abgedruckt in Dresd. Prot. 701, 838. Dresd. Prot. 834. 281 BayE II Art. 72 I; DresdE Art. 16. 282 VorE Unerlaubte Handlungen, § 9 (Schubert, SR I, 654); ZustOR § 155 und KE § 707 (abgedruckt bei Jakobs/Schubert, SR III, 939); E I § 713; ferner § 713 des E-RJA, der VorlZust und der ZustRedKom; abgedruckt bei Jakobs/Schubert, SR III, 942, 946 f. 283 Motive zum VorE Unerlaubte Handlungen, 48 (Schubert, SR I, 704); Mot. II, 737 (Mugdan II, 412). Die Erste Kommission billigte die Gesamtschuldanordnung, nachdem sie einen Antrag zur subsidiären Haftung des Aufsichtspflichtigen abgelehnt hatte, Jakobs/Schubert, SR III, 938. 284 Mot. zum VorE U.H., 48 (Schubert, SR I, 704); Mot. II, 737 (Mugdan II, 412); vgl. oben, 592 f. Weil der Gesamtschuldregress im Ersten Entwurf bei Vorsatztaten ausgeschlossen war (oben, 585 f.), enthielten die Vorschriften bis zum Ersten Entwurf eine entsprechende Einschränkung für den Fall des Vorsatzes des Aufsichtspflichtigen. 285 § 9 des Vorentwurfs war noch sehr unbestimmt. Zum Prozess der Präzisierung Jakobs/ Schubert, SR III, 932 ff., 940 ff.; Prot. 2766 ff. (Mugdan II, 1088 ff.). 286 ZustRedKom §§ 709 c III, 710 II (abgedruckt bei Jakobs/Schubert, SR III, 946). 280
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
haften, wenn der Übernehmer seine Sorgfaltspflicht verletzt hatte und den Tierhalter/Gebäudebesitzer ein Verschulden hinsichtlich der Auswahl oder Überwachung des Übernehmers traf. Das Gesamtschuldverhältnis und die erwünschte interne Alleinhaftung des Übernehmenden ergaben sich im Ersten Entwurf daher schon aus E I § 713287. Nachdem auf Initiative der Reichsjustizamtskommission im Zweiten Entwurf eine Haftung ohne Verschuldensnachweis, aber mit Entlastungsmöglichkeit, des Tierhalters und Gebäudebesitzers eingeführt wurde, hielt man die Vorschrift des E I § 713 nicht mehr für einschlägig und ordnete das Gesamtschuldverhältnis zwischen Haftendem und Übernehmer ausdrücklich an288. Nach dem Vorbild des E I § 713 gestaltete man schließlich auch das Verhältnis zwischen der Haftung des Beamten, der einen anderen zu einer Geschäftsführung zu bestellen oder ihn dabei zu beaufsichtigen hatte, und der Haftung dieses anderen. Gedacht war ursprünglich nur an das Verhältnis der Haftung des Vormundschaftsrichters zu der des Vormunds. Nach den Beratungen zu E I § 713 nahm Planck in seinen Teilentwurf zum Familienrecht eine Vorschrift auf, wonach Vormundschaftsrichter und Vormund Gesamtschuldner waren, intern aber allein der Vormund verpflichtet sein sollte289. Die Erste Kommission erweiterte den Tatbestand und fügte die Regel ins Deliktsrecht ein, wo sie verblieb290. Auch hier sollte durch die Gesamtschuldanordnung klargestellt werden, dass der Richter bzw. Beamte im Außenverhältnis nicht nur subsidiär haftete (wie es in den früheren Gesetzbüchern häufig vorgesehen war291), während die interne Haftungsfreistellung des Beamten den Kopfteilregress des heutigen § 426 ausschalten sollte292. In einem Sonderfall hatte übrigens schon das römische Recht eine nichtvertragliche Haftung für gewaltfreie Personen vorgesehen. Die Haftung der Schiffer, 287 Zur Tierhalterhaftung Jakobs/Schubert, SR III, 958; ebenso dann Mot. II, 812 f. (Mugdan II, 454). Zur Haftung für einen Gebäudeeinsturz Jakobs/Schubert, SR III, 987; Mot. II, 819 (Mugdan II, 457). 288 So E-RJA §§ 734 a, 735 a; VorlZust §§ 734 a, 735 a; ZustRedKom §§ 714 b, 714 e (Jakobs/ Schubert, SR III, 965–967, 991, 996). 289 Siehe die Änderungsanträge von Planck zum TeilE FamR, § 533 a (Schubert, FamR III, 342). Zu weiteren inhaltlich ähnlichen Anträgen Jakobs/Schubert, FamR II, 909; dies, SR III, 1004. 290 Jakobs/Schubert, SR III, 1005; zur Zweiten Kommission a.a.O., 1009; Prot. 8502 (Mugdan II, 1157). Ergebnis: E I § 736 II; E-RJA § 736 a; VorlZust § 736 a; ZustRedKom § 714 h. Die Gesamtschuldanordnung wurde zu E II § 764 I, BGB § 840 I. Die interne Freistellung des Beamten fand sich zunächst in E II § 764 III, während in den Reichstagsberatungen mit E III § 825 a die Vorschrift des heutigen § 841 BGB eingeführt wurde; hierzu Jakobs/Schubert, SR III, 1022, 1024; Kommissionsbericht, 122 (Mugdan II, 1309). 291 CMBC I 7 § 29; ALR II 18 §§ 302–303; ABGB § 265; ZürGB § 409; SächsE § 1651. Gegen die Subsidiarität der Haftung des Richters nach Gemeinem Recht Juristische Fakultät Berlin für OAG Jena (1868), SeuffA 23 Nr. 138. 292 Begründung Plancks zu seinen Änderungsanträgen, 187 ff. (Schubert, FamR III, 545 ff.); zur Ersten Kommission Jakobs/Schubert, SR III, 1005 f.; Mot. II, 825 f. (Mugdan II, 461). Gemeinrechtlich war selbstverständlich, dass umgekehrt der Vormund beim Vormundschaftsrichter keinen Regress nehmen konnte, OLG Braunschweig (13.11.1888), SeuffA 45 Nr. 194.
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Gast- und Stallwirte war gleich durch zwei Rechtsinstitute gegenüber den gewöhnlichen Haftungsregeln verschärft. Zum einen entwickelten die Prätoren die sog. receptum-Haftung293, die durch Einbringung von Sachen auf das Schiff bzw. in das Gasthaus begründet wurde und zu einer verschuldensunabhängigen Haftung des Schiffers bzw. Gastwirts bei Verlust, Beschädigung oder Zerstörung der eingebrachten Sache führte, die nur im Falle höherer Gewalt ausgeschlossen war und insofern der vertraglichen custodia-Haftung gleichkam. Neben dieser zumindest vertragsähnlichen receptum-Haftung gab es zum anderen aber auch eine quasideliktische Haftung der Schiffer, Gast- und Stallwirte: Bei Diebstählen oder Beschädigungen, die durch ihre Angestellten oder Dauergäste verursacht wurden, hafteten sie aus der actio furti/damni in factum auf das duplum294. Im Unterschied zur receptum-Haftung setzte die quasideliktische keine „Einbringung“ von Sachen voraus; auf der anderen Seite haftete der Schiffer oder Wirt nicht für jeden Diebstahl oder Schaden, sondern nur für die Handlungen seiner Angestellten bzw. Dauergäste, dies aber strikt. Stand also fest, dass ein bestimmter Angestellter die Tat, etwa eine Sachbeschädigung, begangen hatte, dann konnte der Geschädigte den Schiffer aus der actio damni, aber auch den Täter, etwa aus der lex Aquilia, belangen. Er musste sich aber für eine Klage entscheiden295. Wurde seine Klage gegen den Schiffer abgewiesen und verklagte er nun den Täter, stand diesem eine Einrede zu, wahrscheinlich wegen rechtskräftig entschiedener Sache296. Ebenso stand dem Schiffer eine Einrede zu, wenn zuerst der Täter verklagt wurde. War aber die Klage gegen den Schiffer erfolgreich, dann musste der Kläger dem Schiffer seine Klagen gegen den Täter abtreten297. Nachdem das Gemeine Recht nur noch eine Haftung auf einfachen Schadensersatz kannte, brachte die quasideliktische Haftung gegenüber der aus receptum nur wenig Vorteile und wurde häufig von ihr verdrängt298. Die Regelwerke übernahmen die receptum-Haftung und formten sie unter anderem zur heutigen Gastwirtshaftung299. Einige ältere von ihnen sahen aber auch, in der Tradition des
293 D.4,9; hierzu Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. I, § 136 III 3, Bd. II, § 266 III; Zimmermann, Obligations, 514 ff.; ders., FS Luig, 274 ff.; Wicke, Respondeat Superior, 81 ff. 294 Ulpian D.47,5,1, Ulpian/Paulus D.4,9,6–7; ferner Ulpian D.14,1,1,2; Gaius D.44,7,5,6; Inst.4,5,3. Hierzu Kaser, a.a.O. und § 271 II 2; Zimmermann, Obligations, 16 f., 517; Wicke, Respondeat Superior, 85 ff. 295 Ulpian D.47,5,1,3. 296 Zweifelnd Levy, Nachträge, 23 ff. 297 Paulus D.4,9,6,4. Näheres zu diesem Abtretungsrecht, das offenbar auch im Rahmen der receptum-Haftung bestand, unten, 783 ff. 298 Zimmermann, Obligations, 520 ff.; ausführlich ders., FS Luig, 282 ff. Siehe etwa Voet, Commentarius, zu D.4,9, §§ 2–3; Kreittmayr, Anmerkungen IV, 656 f.; Glück, Pandecten VI, 106 ff., 143 f.; Goldschmidt, ZHR 3 (1860), 58. 299 ALR II 8 §§ 444 ff., 1528, 2452 ff.; CC Art. 1782 ff., 1952 ff.; ABGB § 970; CMBC-RevE 1811 IV 14 § 11; SächsE § 1206; HessE IV 2 Art. 343; BayE II Art. 679; ZürGB §§ 1149 f.; ADHGB Art. 395, 421, 607, 674; SächsGB §§ 1280 ff.; DresdE Art. 750 f.; OR 1881 Art. 486 (OR 1911 Art. 487); BGB §§ 701 ff.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
Quasidelikts, deliktische Sonderregeln zur Haftung des Schiffers für seine Leute vor300. Hinsichtlich des Verhältnisses der Haftung des Täters und der des Schiffers übernahm man aber nicht die römische Abtretungsregel, sondern wendete die eben genannten Regeln zur Haftung für andere an, was zur Anordnung eines Rückgriffsrechts führte301. Eine beschränkte Haftung des Reeders für durch die Schiffsbesatzung verübte Delikte wurde schließlich in das ADHGB und dann auch in das HGB aufgenommen302. Das Verhältnis der Verbindlichkeiten untereinander blieb offen; nach heutiger Ansicht handelt es sich um Gesamtschulden303. Soweit diese Vorschrift keinen Ersatz gewährt, kommt es nach dem BGB darauf an, ob der Schiffer oder Wirt der Verrichtungsgehilfenhaftung unterliegt304; ist dies der Fall, bestehen Gesamtschulden mit einseitigem Regress.
b) Verursacher und aufgrund seiner Position Haftender Zum Verhältnis von Positions- und Verursachungshaftung bot das römische Recht zumindest im Bereich der actio de effusis vel deiectis einen Anknüpfungspunkt, weil ein Fragment von Ulpian ein Rückgriffsrecht des haftenden Wohnungsinhabers gegen den unmittelbaren Täter mittels einer actio in factum erwähnte. War der Täter Mieter des Wohnungsinhabers, sollte zudem eine Klage aus dem Mietvertrag möglich sein305. In den gemeinrechtlichen Darstellungen zur actio de effusis findet sich daher stets der Hinweis, dass der Wohnungsinhaber gegen den Täter Rückgriff auf das Ganze nehmen könne306. Auch hier konnte 300
CMBC IV 13 § 10; ABGB § 1316; SächsE § 805. ABGB § 1313; SächsE § 807. Siehe auch Windscheid (Pandekten, § 298 Fn. 17) und Römer (ZHR 18 [1873], 8), nach denen es sich bei der Haftung des Täters und der quasideliktischen Haftung des Schiffers bzw. Wirtes um Solidarobligationen mit einseitigem Regress handelte. 302 ADHGB Art. 451; HGB § 485; ebenso BinSchG § 3. 303 BGHZ 26, 152, 158 (12.12.1957). 304 Bei seiner recht allgemein gehaltenen Vorschrift zur Haftung des Aufsichtspflichtigen (§ 9 VorE Unerlaubte Handlungen) erwog von Kübel auch eine Anwendung auf die Haftung der Schiffer und Gastwirte für ihre Angestellten, Motive zum VorE U.H., 45 (Schubert, SR I, 701). Die Haftung des Aufsichtspflichtigen (heute § 832) wurde von der Ersten Kommission auf gesetzlich Aufsichtspflichtige (Jakobs/Schubert, SR III, 932 ff.; Ergebnis: E I § 710) und von der Reichsjustizamtskommission auf eine Haftung für Beaufsichtigungsbedürftige (Jakobs/Schubert, SR III, 940 ff.; Prot. 2767 ff. [Mugdan II, 1089]) beschränkt, so dass eine Anwendung auf Schiffer nicht mehr in Frage kam. Ein Antrag, die Haftung für Schiffsmannschaften im heutigen § 832 besonders vorzusehen, wurde in der Zweiten Kommission abgelehnt, Prot. 2768 f. (Mugdan II, 1089). Statt dessen kommt jetzt aber eine Anwendung des erstmals durch die Erste Kommission vorgesehenen (E I §§ 711 f.) § 831 in Betracht. 305 Ulpian D.9,3,5,4. Das Fragment hat Fragen aufgeworfen, weil von einer Haftung des Wohnungsinhabers aus der lex Aquilia die Rede ist; vgl. hierzu Pernice, Sachbeschädigungen, 227 f. 306 Höpfner, Commentar, § 1078; Glück, Pandecten X, 392 f.; Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, § 345; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 731 Nr. 9; Thibaut, Pandekten, § 977; Koch, Forderungen III, 1218 (§ 405); Brinz, Pandekten, § 341 bei Fn. 28; Windscheid, Pandekten, § 457 Nr. 1; Arndts, Pandekten, § 326 Anm. 1; Wächter, Pandekten, § 216 Beilage I; Wendt, Pandekten, § 277; Baron, Pandekten, § 314 Nr. 2; Dernburg, Pandekten II, § 134 a.E.; Sintenis, Civilrecht, § 125 Fn. 36. 301
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aber die Frage gestellt werden, ob nicht zwischen Wohnungsinhaber und Täter ein Gesamtschuldverhältnis bestand, da beide gegenüber dem Geschädigten unmittelbar hafteten (der Täter aquilisch) und der Gläubiger nach Gemeinem Recht lediglich den Ersatz seines Schadens in einfacher Höhe verlangen konnte, so dass die Leistung eines Haftenden den anderen offenbar befreite. Zumindest Unger und Windscheid zogen diese Konsequenz und sprachen von Solidarobligationen307. Die Regeln zur actio de effusis wurden mit Ausnahme des Code Civil und des Schweizer Obligationenrechts in sämtliche Kodifikationen und Entwürfe bis zum Ersten Entwurf des BGB aufgenommen, wobei wie berichtet308 die deutschen Regelwerke des 19. Jahrhunderts ein Gesamtschuldverhältnis unter mehreren Wohnungsinhabern vorsahen. Was aber das Verhältnis zwischen Wohnungsinhaber und Täter betraf, beschränkten sich alle Regelwerke, auch der Erste Entwurf, auf die Anordnung eines Regressrechts des Inhabers gegen den Täter309. Die Anordnung einer Gesamtschuld wurde nie erwogen. Der Grund hierfür liegt offenbar in der näheren Ausgestaltung der Haftung des Wohnungsinhabers. Nach dem CMBC und dem ABGB haftete er, im Anschluss an das Gemeine Recht, stets unmittelbar310, nach dem ALR subsidiär zum Täter, falls dieser bekannt war311. Sämtliche jüngeren Regelwerke aber sahen einen völligen Ausschluss der Haftung vor, wenn der Wohnungsinhaber die Person des Täters nachweisen konnte312. Dies bedeutete aber, dass dann, wenn die Person des Täters feststand und der Wohnungsinhaber nicht nach allgemeinen Regeln für ihn haften musste, der Gläubiger sich nur an den Täter wenden konnte; der Inhaber haftete dann nicht einmal subsidiär. Wenn aber einer der beiden potentiellen Schuldner in bestimmten Fällen überhaupt nicht haftete, wollte man selbst im späteren 19. Jahrhundert ein Gesamtschuldverhältnis nicht annehmen. Dagegen stellte in der Zweiten Kommission Jacubezky den Antrag, ein Gesamtschuldverhältnis zwischen Täter und Inhaber anzuordnen, falls beide gegenüber dem 307 Unger, JhJb 22 (1884), 290 Fn. 196; Windscheid, Pandekten, § 298 Fn. 17; ebenso Römer, ZHR 18 (1873), 24 Fn. 27; Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 97. 308 Oben, 713. 309 CMBC IV 16 § 8 Nr. 2; ABGB § 1313; SächsE § 807; ZürGB § 1868; SächsGB § 1555; DresdE Art. 1020 II; E I § 730. Der Wortlaut des Hessischen (HessE IV 2 Art. 676 II) und des Bayerischen Entwurfs (BayE II Art. 951 II) gewähren ein Regressrecht gegen den Täter nur im Fall mehrerer Wohnungsinhaber; vermutlich war diese Beschränkung nicht beabsichtigt, denn der Regress sollte nach den Motiven zu HessE IV 2, S. 263, selbstverständlich sein. Auch im Dresdener Entwurf war ursprünglich eine solche Vorschrift vorgesehen (Anlage B Art. 1085, abgedruckt in Dresd. Prot. 3656); dies wurde aber korrigiert, Dresd. Prot. 3646 f. Im ALR findet sich keine Regressnorm; hier haftete der Hausherr aber auch nur für seine Mieter. Mit denen verband ihn ein Vertragsverhältnis, aus dem er Regress nehmen konnte. 310 CMBC IV 16 § 8; ABGB § 1318. Kreittmayr war der Auffassung, dass der Geschädigte sich nach Naturrecht primär an den Täter halten sollte, doch abweichend hiervon sehe das Zivilrecht vor, dass er die Wahl habe, Anmerkungen IV, 764. 311 ALR I 6 §§ 66–68. Zu den Gründen Bornemann, Preußisches Civilrecht II, 341 ff. 312 SächsE § 804; HessE IV 2 Art. 676 I; BayE II Art. 951 I; ZürGB § 1864; SächsGB § 1554; DresdE Art. 1020 I; E I § 729.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
Geschädigten verpflichtet sind313. Da die Kommission die Vorschriften zur actio de effusis aber in ihrer Gesamtheit strich314, kam es hierüber zu keiner Beschlussfassung. Die Gesamtschuldfrage stellt sich auch bei der Tierhalterhaftung, wenn das Tier den Schaden nur deswegen verursacht hat, weil es von einem Dritten gereizt worden ist, oder wenn der Tierschaden in anderer Art auf das Verschulden eines Dritten zurückgeht. Im Rahmen der römischen actio de pauperie haftete in diesen Fällen nur der schuldhafte Dritte, nicht der Tierhalter315, so dass eine Schuldnermehrheit nicht entstand316. Dies war auch, zumindest im 19. Jahrhundert, herrschende Lehre zum Gemeinen Recht317, während nach einer älteren Ansicht der Tierhalter in diesen Fällen zumindest subsidiär zum Dritten haften sollte318. Der Grundsatz der Alleinhaftung des Drittverursachers findet sich auch in einigen Regelwerken319. Die Mehrheit aber kannte Konstellationen, in denen sowohl der Tierhalter als auch der Dritte hafteten. Dies lag daran, dass die Regelwerke die Tierhalterhaftung, anders als das Gemeine Recht, zumeist als Haftung für ein Verschulden des Tierhalters in Form einer Aufsichtspflichtverletzung gestalteten, die entweder nachgewiesen werden musste oder mit Entlastungsbeweis vermutet wurde. Traf den Tierhalter also kein Verschulden, haftete er von vornherein nicht, unabhängig davon, ob ein Dritter im Spiel war; hatte der Eigentümer dagegen eine Aufsichtspflicht verletzt, lag eine Alleinhaftung des Dritten nicht nahe. In einigen Regelwerken, auch im Ersten Entwurf, haftete ein Tierhalter neben demjenigen, der das Tier gereizt oder den Tierschaden anders verursacht hatte, nur dann, wenn ihm eine konkrete Aufsichtspflichtverletzung nachgewiesen werden konnte320. In diesem Fall entstand eine Nebentätersituation: Ein Schaden 313
Jakobs/Schubert, SR III, 965; Prot. 2857 f. (Mugdan II, 1121); Antrag 3 b. Prot. 2855 ff. (Mugdan II, 1121 ff.). 315 Insbes. Ulpian D.9,1,1,7; ferner Ulpian D.9,1,1,4–5 und § 8; Alfensus D.9,2,52,2. Der Dritte haftete in der Regel aus der actio legis Aquiliae oder einer ihr nachgebildeten Klage, Ulpian D.9,1,1,4–5; Gaius D.9,2,8,1; Alfensus D.9,2,52,2. 316 Einen Sonderfall behandelt das Fragment Ulpian D.4,3,7,6, in dem der Tierschaden auf der Arglist eines Dritten beruhte. Hier soll der Dritte aus der actio de dolo haften, dies aber subsidiär zur Noxalhaftung des Eigentümers (die actio de dolo war grundsätzlich subsidiär). Offenbar ging es hier um einen Fall, in dem der Dritte den Geschädigten arglistig dazu veranlasst hatte, sich dem Tier zu nähern, vgl. Pernice, Sachbeschädigungen, 223 f. Hätte der Dritte dagegen das Tier zur Beschädigung veranlasst, würde er aus der actio legis Aquiliae und der Tiereigentümer gar nicht haften. 317 Kreittmayr, Anmerkungen IV, 760; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 682 I 2 und II B; Koch, Forderungen III, 1179 (§ 396 I); Sintenis, Civilrecht, § 127 Fn. 26; Wächter, Pandekten, § 216 Beilage II; Baron, Pandekten, § 314 Nr. 3; Dernburg, Pandekten II, § 133; OG Wolfenbüttel, SeuffA 31 Nr. 235 (29.6.1875). 318 So Glück, Pandecten X, 274; Thibaut, Pandekten, § 979. 319 CMBC IV 16 § 7 Nr. 7; HessE IV 2 Art. 671, mit Motiven zu HessE IV 2, 259. 320 Allgemein ABGB § 1320; E I § 734. Als Sonderregel für den Fall der Drittverursachung ZürGB § 1880; BayE II Art. 949; DresdE Art. 1026; in diesen Fällen sollte also eine sonst geltende strikte Haftung oder Verschuldensvermutung nicht eingreifen, vgl. Dresd. Prot. 3604 f., 3661 ff., 3742 f. 314
6. „Gestufte“ gesetzliche Schadensersatzverbindlichkeiten
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ist durch das Zusammentreffen mehrerer unabhängiger rechtswidriger Handlungen entstanden. Während das Züricher Gesetzbuch sich noch darauf beschränkte, für diesen Fall die Ganzhaftung beider anzuordnen321, sahen der Bayerische und der Dresdener Entwurf, ganz im Sinne des offenen Solidarschuldbegriffs des späteren 19. Jahrhunderts, ausdrücklich ein Gesamtschuldverhältnis vor322. Auch die Erste Kommission ging hier von einem Gesamtschuldverhältnis aus, verzichtete aber auf eine besondere Anordnung, weil sich die Gesamtschuld ihrer Ansicht nach schon aus der Beteiligtenregel des E I § 714 ergab. Zur Anordnung eines den Kopfteilregress durchbrechenden Totalregresses zugunsten des Tierhalters wollte man sich angesichts der Tatsache, dass auch diesen ein Verschulden traf, nicht entschließen323. Andere Regelwerke sahen eine Konkurrenz der Haftung des Dritten und der Tierhalterhaftung auch in Konstellationen vor, in denen der Tierhalter verschuldensunabhängig oder auf Grund vermuteten Verschuldens mit Entlastungsbeweis haftete. Das ALR ordnete, offenbar unabhängig davon, ob der Tierhalter strikt oder wegen Verschuldens haftete, die Anwendung der Regeln über Mittäter und Beteiligte (und damit auch über den Innenregress) an324. Der Sächsische Entwurf beschränkte sich darauf, das Wahlrecht des Gläubigers und eine verschuldensabhängige Regresspflicht anzuordnen325. Auch das Schweizer OR, das eine allgemeine Tierhalterhaftung mit Entlastungsmöglichkeit vorsah, ordnete nur einen Rückgriff des Tierhalters gegen den Dritten an326. Denkbar ist, dass von Gesamtschulden deshalb nicht die Rede ist, weil man die Verbindlichkeiten des Tierhalters und des Dritten nicht als gleichartig empfand. Doch insbesondere bei den Gesetzgebern des späten 19. Jahrhunderts ist es auch möglich, dass man wegen der Ganzhaftung beider und der nur einmaligen Berechtigung des Gläubigers ohne weiteres auch unabhängig von einer gesetzlichen Regel von Solidarschulden ausging. Dies gilt zumindest für den Gesetzgeber des Sächsischen BGB, der für wilde Tiere eine strikte Halterhaftung anordnete, ohne eine Sonderregel für den Fall vorzusehen, dass der Schaden von einem Dritten mitverur-
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ZürGB § 1880. BayE II Art. 949 II, nach den Motiven, 288, handelte es sich nur um eine spezielle Anwendung allgemeiner Grundsätze; DresdE Art. 1026 II. In den Dresdener Beratungen ging es nur um die Frage, ob der Eigentümer angesichts seiner nur „mittelbaren“ Verursachung ebenfalls haften sollte; sofern er aber haftete, war das Gesamtschuldverhältnis offenbar selbstverständlich, Dresd. Prot. 3604 f. 323 Jakobs/Schubert, SR III, 958 f.; ebenso dann Mot. II, 813 (Mugdan II, 454). 324 ALR I 6, § 70: Der schuldige Eigenthümer und der, welcher das Thier gereizt hat, haften dafür als Mitschuldige (§§ 30 ff.). Die Vorschrift bezieht sich nur auf „unschädliche“ oder mit Erlaubnis gehaltene wilde Tiere. Im letzten Fall sowie bei unschädlichen Nutztieren haftete der Halter nur bei Verschulden (I 6 §§ 71, 73), doch bei unschädlichen Luxustieren strikt (§ 72). Die Auslegung im Text trifft allerdings nur zu, wenn man das Wort „schuldig“ im Sinne von „schuldend“ versteht (wie es etwa in I 5 §§ 276, 279 gemeint ist), nicht im Sinne von „wegen eigenen Verschuldens haftend“. 325 SächsE § 812. 326 OR 1881 Art. 65 (ähnlich OR 1911 Art. 56 I, II). 322
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
sacht wurde327. Nach den Motiven sollten Eigentümer und Dritter in diesem Fall Gesamtschuldner sein328. Dies fand der Gesetzgeber offenbar so selbstverständlich, dass er das Gesamtschuldverhältnis nicht extra anordnete. Im BGB beruht die von einem Verschuldensnachweis unabhängige Haftung des Tierhalters auf dem in der Zweiten Kommission gebilligten Vorschlag der Reichsjustizamtskommission329. Eine Gesamtschuldanordnung im Verhältnis zwischen Tierhalter und Drittem, verbunden mit einem Totalregress des Tierhalters, wurde erst330 in der Zweiten Kommission auf Antrag von Jacubezky331 beschlossen332. Nach Ansicht der Kommission sprachen für diese Bestimmung die gleichen Gründe wie im Fall der Haftung von Geschäftsherrn und Gehilfen bzw. Aufsichtspflichtigem und Beaufsichtigtem333. Dies musste bedeuten, dass die Gesamtschuldanordnung in erster Linie der Klarstellung dienen sollte, dass der Tierhalter nicht nur subsidiär haftete. Dieselben Beobachtungen wie bei der Tierhalterhaftung können auch bei der Haftung des Eigentümers oder Besitzers für Schäden durch einen Gebäudeeinsturz gemacht werden. Hier ist es möglich, dass der Einsturz auf einer durch den Bauunternehmer U verschuldeten fehlerhaften Errichtung beruht. Hieraus kann eine direkte deliktsrechtliche Haftung des U gegenüber dem Geschädigten nach allgemeinen Regeln (lex Aquilia bzw. § 823 I) folgen. Zum Verhältnis zur Haftung des Eigentümers oder Besitzers B finden sich die schon bekannten Lösungswege: Manche Regelwerke ließen in diesem Fall nur U haften334. Eine zweite Gruppe, zu der auch der Erste Entwurf gehört, gestaltete die Haftung des B als echte Verschuldenshaftung und sah daher eine Haftung des U und des B vor, wenn beide eine konkrete Pflichtverletzung traf335. Der Bayerische Entwurf sprach hier ausdrücklich von einem Gesamtschuldverhältnis336, während für die
327 SächsGB § 1560. Bei Haustieren haftete der Dritte in diesem Fall allein, § 1563. Im Umkehrschluss haftete bei Wildtieren auch der Eigentümer. 328 Motive zum Sächsischen Entwurf 1860, 847. 329 Jakobs/Schubert, SR III, 963 ff.; Prot. 2864 ff. (Mugdan II, 1123 ff.). Der von beiden Kommissionen vorgesehene Entlastungsbeweis bei Nutztieren wurde in den Reichstagsberatungen gestrichen (Jakobs/Schubert, SR III, 967 f.) und erst 1908 ins BGB eingefügt. 330 Die Reichsjustizamtskommission sah in ihrem Entwurf ein Gesamtschuldverhältnis nur zwischen Tierhalter und Tieraufseher vor, während sie im Verhältnis zwischen Tierhalter und Drittverursacher lediglich ein Rückgriffsrecht des Tierhalters anordnete, E-RJA § 734 III (Jakobs/ Schubert, SR III, 964), wobei nicht klar ist, ob sie im letzten Fall die Solidarhaft als wegen Ungleichartigkeit ausgeschlossen oder im Gegenteil als selbstverständlich ansah. 331 Jakobs/Schubert, SR III, 966, Antrag Nr. 3 a. Auch in der Ersten Kommission enthielten die Anträge durch Planck und von Weber, die eine Tierhalterhaftung mit Entlastungsbeweis vorsahen, eine Gesamtschuldanordnung im Verhältnis zwischen Tierhalter und Drittem, Jakobs/Schubert, SR III, 955 f. 332 Ergebnis: VorlZust § 734 III; ZustRedKom § 714 f (Jakobs/Schubert, SR III, 966, 1027). 333 Prot. 2868 (Mugdan II, 1125). 334 ALR I 8 §§ 37 ff., II 20, § 765; HessE IV 2 Art. 672 II. 335 BayE II Art. 950; DresdE Art. 1028; E I § 735. 336 BayE II Art. 950 III. Nach den Motiven zu BayE II, 289, ergab sich die solidarische Verpflichtung aber schon aus allgemeinen Grundsätzen.
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Verfasser des Dresdener337 und des Ersten Entwurfs338 die Gesamtschuld schon aus allgemeinen (Nebentäter-)Regeln folgte und nicht besonders erwähnt werden musste. Eine dritte Gruppe verzichtete auf ein Verschuldenserfordernis bei B339, so dass dieser auch ohne nachgewiesenes Verschulden für eine fehlerhafte Errichtung durch U haften musste. Das Schweizer Obligationenrecht und der Entwurf der Reichsjustizamtskommission sahen hier ein Rückgriffsrecht gegen U vor, ohne sich ausdrücklich zur Frage zu äußern, ob Solidarität vorliegt340. In der Zweiten Kommission hingegen wurde unter Verweis auf die Beschlüsse zur Tierhalterhaftung ausdrücklich ein Gesamtschuldverhältnis mit interner Alleinhaftung des U angeordnet341. Eine gleiche Regel wurde von der Zweiten Kommission schließlich bei der strikten Haftung des Jagdberechtigten für Wildschäden aufgenommen342. Hier war denkbar, dass der Schaden zugleich auf das Verschulden eines Dritten zurückging, etwa wenn ein Wilderer das Wild in das Feld des Geschädigten getrieben hatte. Eine Minderheit wandte sich gegen die Einführung einer besonderen Vorschrift, sowohl aus „theoretischen Gründen“ als auch wegen der Seltenheit des Falls. Offenbar war sie der Ansicht, dass sich die Ganzhaftung des Jagdberechtigten und des Dritten von selbst verstand, denn die Mehrheit argumentierte, dass sich die Ganzhaftung beider vielleicht auch ohne Sonderregel herleiten lasse, nicht aber die gewünschte interne Alleinhaftung des Dritten. Immerhin sei dieser Konkurrenzfall bei der Tierhalter- und Gebäudehaftung ausdrücklich geregelt worden, so dass das Fehlen einer Regel bei der Wildschadenshaftung den auch von der Minderheit nicht gewünschten Eindruck verschaffen könne, die Haftung werde, wenn nicht im Außenverhältnis, so doch im Innenverhältnis geteilt343. Vielleicht hatte sich die Minderheit auch daran gestört, dass das Deliktsrecht des BGB nach den Beschlüssen der Zweiten Kommission nun nicht weniger als zwölf Gesamtschuldanordnungen vorsah, davon fünf für gleichrangige Gesamt-
337 Nach Ansicht der Dresdener Kommission ergab sich die Haftung des U schon aus allgemeinen Regeln und musste daher nicht besonders angeordnet werden. Es sollte auch der Eindruck vermieden werden, dass allein U haftete; Dresd. Prot. 3665 ff., 4630 f. Dass die Kommission hier von einem Gesamtschuldverhältnis ausging, lässt sich aus den Protokollen nicht belegen, folgt aber aus dem allgemein weiten Solidarschuldbegriff der Dresdener Kommission. 338 Jakobs/Schubert, SR III, 988; Mot II, 818 (Mugdan II, 457). 339 CC Art. 1386; ZürGB § 1885; SächsGB § 351; OR 1881 Art. 67 (OR 1911 Art. 58). 340 OR 1881 Art. 67 (ähnlich OR 1911 Art. 58 II; heute nimmt man hier eine „unechte Solidarität“ i.S.d. Art. 51 OR an); E-RJA § 735 IV (Jakobs/Schubert, SR III, 991). 341 So die Anträge von Struckmann (Nr. 2) und Jacubezky (Nr. 9), Jakobs/Schubert, SR III, 993 f. (ebenso schon in der Ersten Kommission der Antrag von Derscheid [Nr. 3], Jakobs/Schubert, SR III, 986); zum Kommissionsbeschluss Jakobs/Schubert, SR III, 994 = Prot. 2886 (Mugdan II, 1152). Ergebnis: VorlZust § 735 IV, ZustRedKom § 714 f (Jakobs/Schubert, SR III, 995 f., 1027). 342 Antrag Jacubezky, Jakobs/Schubert, SR III, 971; VorlZust § 734 d II (a.a.O., 975); ZustRedKom § 714 f (a.a.O., 1027). 343 Prot. 3252 f. (Mugdan II, 1142 f.).
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schuldner344, vier zum Verhältnis zwischen Täter und Aufsichtspflichtigem im weiteren Sinne345 und drei zum Verhältnis zwischen Täter und aufgrund seiner Position Haftenden346. Die Redaktionskommission wurde beauftragt, wenigstens die letzteren zusammenfassen347. In der von ihr gefertigten Zusammenstellung war daher die Gesamtschuld zwischen dem Täter einerseits und dem Tierhalter, Gebäudebesitzer und Jagdberechtigten andererseits mit interner Alleinhaftung des Täters in einer Vorschrift zusammengefasst348, wegen anderer redaktioneller Veränderungen blieb es aber immer noch bei zwölf Gesamtschuldanordnungen insgesamt349. Im Zweiten Entwurf aber wurde dieses Vorschriftengewimmel durch E II § 764 ersetzt, der den §§ 840, 841 BGB entspricht. Alle zwölf Gesamtschuldanordnungen wurden zum heutigen § 840 I zusammengefasst. Die interne Alleinhaftung des Täters im Verhältnis zum Aufsichtspflichtigen findet sich nun in §§ 840 II, 841, die Alleinhaftung im Verhältnis zum aufgrund seiner Position Haftenden in § 840 III.
c) Schlussfolgerungen Aus der Gesetzgebungsgeschichte zu den „gestuften“ gesetzlichen Schadensersatzverbindlichkeiten lassen sich eine Reihe von Schlüssen ziehen. Zunächst einmal wird das zu den Nebentäterfällen gewonnene Ergebnis bestätigt, wonach der Gesetzgeber die Anordnung eines Gesamtschuldverhältnisses auch in solchen Konstellationen für angemessen hielt, in denen die Schuldner nicht gemeinschaftlich handeln und nicht einmal Kenntnis voneinander haben müssen, wie der Tierhalter und derjenige, der das Tier zum schädigenden Verhalten gereizt hat, oder der Jagdberechtigte und der Wilderer, der das Wild in das Feld des Geschädigten getrieben hat. Der Anordnung eines Gesamtschuldverhältnisses stand auch nicht entgegen, dass es sich um „gestufte“ Verbindlichkeiten handelt. Damit ist gemeint, dass die Verbindlichkeiten auf unterschiedlichen Gründen beruhen, dass einer der Schuldner (S1) als Direktverursacher „näher“ am Schaden ist und der andere (S2) für den von S1 verursachten Schaden nur wegen seiner Aufsichtspflicht oder seiner Position einstehen muss, dass S1 im Innenverhältnis in der Regel allein belastet und dass die Abstufung der Verbindlichkeiten auch im Außenverhältnis ohne 344 VorlZust §§ 714 (Teilnehmer und Beteiligte), 734 II (mehrere Tierhalter), 734 d I (mehrere Jagdberechtigte), 735 III (mehrere Gebäudebesitzer), 736 (mehrere Beamte). 345 VorlZust §§ 713 (Täter und Geschäftsherr bzw. Aufsichtspflichtiger), 734 a (Tierhalter und Übernehmer), 735 a (Gebäudebesitzer und Übernehmer), 736 a (Täter und aufsichtsführender Beamter). 346 VorlZust §§ 734 III (Täter mit Tierhalter), 734 d II (mit Jagdberechtigtem), 735 IV (mit Gebäudebesitzer). 347 Prot. 3253 (Mugdan II, 1143) 348 ZustRedKom § 714 lit f. 349 ZustRedKom §§ 709 b, 709 c III, 710 II, 713, 714 a II, 714 b, 714 b1 III, 714 c III, 714 e, 714 f, 714 g, 714 h.
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weiteres erkennbar ist. Immerhin hätten ein Wahlrecht des Gläubigers und eine interne Alleinhaftung von S1 auch so erreicht werden können, dass die Leistung durch S2 die Verbindlichkeit des S1 gar nicht zum Erlöschen bringt, diese vielmehr durch gesetzliche oder gewillkürte Zession zu Regresszwecken auf S2 übergeht. An diese Konstruktion einer nur einseitigen Solutionskonkurrenz mit echtem Zessionsregress hat der Gesetzgeber hier ersichtlich nicht gedacht. Mit der Einbeziehung „gestufter“ Schadensersatzverbindlichkeiten in den Begriff der Gesamtschuldverhältnisse betrat der Gesetzgeber auch kein Neuland, sondern arbeitete mit dem von der herrschenden zeitgenössischen Lehre entwickelten offenen Begriff der Solidarobligation. Wenn diese allein dadurch gekennzeichnet war, dass die Erfüllung durch einen Schuldner nach allgemeinen Regeln die Verbindlichkeit des anderen gegenstandslos machte und damit erlöschen ließ, bestand kein Grund, nicht auch diejenigen Fälle miteinzubeziehen, in denen die Verbindlichkeiten auf verschiedenen Rechtsgründen beruhten, solange sie nur auf Ersatz desselben Schadens gerichtet waren. Windscheid und Unger hoben daher ausdrücklich hervor, dass es sich bei den Verbindlichkeiten des Deliktstäters und desjenigen, der für diese Tat ohne eigenes Verschulden quasideliktisch einstehen musste (der Wohnungsinhaber aus der actio de effusis bzw. der Schiffer aus der actio in damno), um Solidarobligationen handelte350. Besonders deutlich zeigt sich diese Haltung in einem 1873 erschienenen Aufsatz von Römer351. Gegenstand war die durch das Reichshaftpflichtgesetz von 1871 angeordnete strikte Haftung des Betriebsunternehmers für Schäden, die beim Betrieb einer Eisenbahn entstanden352. Römer stellte die Frage, welche Form von Schuldnermehrheit vorliege, wenn ein Schaden, für den der Unternehmer strikt haften musste, auf das deliktische Verschulden eines Dritten zurückging. Ein Korrealschuldverhältnis, so Römer, scheide aus, weil weder eine Einheit der causa noch die typischen mit der Korrealobligation verbundenen Gesamtwirkungen vorlägen. Doch der Unternehmer und der Dritte schuldeten den Ersatz desselben Schadens. Die Leistung des einen befreie daher den anderen. Folglich handle es sich um Solidarobligationen, allerdings mit interner Alleinhaftung des Dritten353. Die Verschiedenartigkeit der Schuldgründe sei hierfür belanglos; mehr als eine Solutionskonkurrenz sei zum Begriff des Solidarschuldverhältnisses nicht erforderlich354. Hätte der Gesetzgeber die strikte Haftung des Betriebsunternehmers ins BGB aufgenommen, hätte er vermutlich ebenso ein Gesamtschuldverhältnis zwischen dem Unternehmer und dem deliktsrechtlich haftenden Dritten mit interner Alleinbelastung des Dritten angeordnet. 350
Windscheid, Pandekten, § 298 Fn. 17; Unger, JhJb 22 (1884), 290 Fn. 196. Römer, ZHR 18 (1873), 1. 352 Reichshaftpflichtgesetz v. 7.6.1871, § 1; hierzu etwa Ogorek, Gefährdungshaftung, 98 ff.; der Sache nach ebenso schon vorher die entsprechenden Gesetze der deutschen Staaten, insbes. § 25 des (von Savigny verfassten) Preußischen Gesetzes über die Eisenbahn-Unternehmungen vom 3.11.1838; ähnlich heute Haftpflichtgesetz (in der Neubekanntmachung v. 4.1.1978), § 1. 353 Römer, ZHR 18 (1873), 16 ff. 354 A.a.O., 3 f., 24 Fn. 27. 351
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Weiterhin ist deutlich geworden, dass die Alternative zu Gesamtschulden in den Augen des Gesetzgebers nicht die Teilschulden waren. An ein Teilschuldverhältnis im Falle dieser gestuften Verbindlichkeiten hatte im Gemeinen Recht, in den früheren Regelwerken sowie bei den Beratungen zum BGB keiner gedacht. Das Gesamtschuldverhältnis ist also auch hier keine Ausnahme zum Teilschuldverhältnis. Vielmehr ordnete der Gesetzgeber die Gesamtschuld stets deswegen an, um klarzustellen, dass der „ferner stehende“ Schuldner S2 nicht nur subsidiär haftet. Dies ist bemerkenswert. Schon allein die Tatsache, dass jeder Schuldner den Ersatz des gesamten Schadens schuldet und der Gläubiger auf jeden Schuldner ohne weiteres zugreifen kann, war offenbar Grund genug, ein Gesamtschuldverhältnis anzuordnen. Nur auf den Kopfteilregress in § 426 wurde Rücksicht genommen, indem der Gesetzgeber es nie versäumte, die interne Alleinbelastung des „näher stehenden“ Schuldners S1 ausdrücklich vorzusehen. Folgt man aber der herrschenden Lehre von der Schuldgemeinschaft als von Anfang an bestehendem gesetzlichen Schuldverhältnis mit vom Fortbestand der Außenhaftung unabhängigen Mitwirkungs- und Regresspflichten, dann hätte sich an diesem Punkt der Gesetzgebung auch die Frage stellen können, ob diese Schuldgemeinschaft in den genannten Konstellationen tatsächlich die geeignete Rechtsfolge ist oder ob das gewünschte Ziel des freien Gläubigerzugriffs mit einseitigem Regress nicht auch auf andere Weise erzielt werden kann. Diese Frage wurde aber nicht gestellt. Das Gesamtschuldverhältnis war für den Gesetzgeber offenbar nicht lediglich eine von mehreren Möglichkeiten, Fälle der Schuldnermehrheit mit Gläubigerwahlrecht und Regress zu regeln. Vielmehr galt: Sofern der Gläubiger für den Ersatz seines Schadens, den er im Ergebnis nur einmal erhalten konnte, auf mehrere Schuldner unmittelbar zugreifen konnte, war ein Gesamtschuldverhältnis anzuordnen, bei „gestuften“ Verbindlichkeiten aber nur, wenn zugleich die interne Alleinhaftung des näher Stehenden geregelt wurde.
7. Die Bedeutung der gesetzlichen Gesamtschuldanordnungen a) Zwischenbilanz zu den bisherigen Ergebnissen im Deliktsrecht Die Zusammenfassung der von der Zweiten Kommission beschlossenen zwölf Gesamtschuldanordnungen zum heutigen § 840 I war lediglich redaktioneller Natur. Sie hat den Abschnitt zu den Unerlaubten Handlungen erfolgreich verschlankt, zugleich aber die Absichten des historischen Gesetzgebers für die nachfolgenden Rechtsanwender verdunkelt. Seine klare Entscheidung zugunsten eines Gesamtschuldverhältnisses in verschiedenen Konstellationen auch ungleichartiger Verbindlichkeiten ist heute nicht mehr ohne weiteres erkennbar. Zugleich ist die Vorschrift des § 840 I, wonach mehrere, die nebeneinander für den aus einer unerlaubten Handlung entstehenden Schaden verantwortlich sind, als Gesamtschuldner haften, für heutige Rechtsanwender nicht mehr unmittelbar ver-
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ständlich. Auf Fragen wie diejenige, welchen Regelungszweck die Vorschrift verfolgt, ob sie konstitutiv ist und ob es sich um eine Ausnahme zur Teilschuldregel handelt, kann es keine sinnvolle Antwort geben, solange man nicht die in § 840 I aufgegangenen Einzelregelungen ins Auge fasst. Der heutige Wortlaut aber erweckt den Eindruck einer allgemeinen Regel mit einheitlichem Regelungsziel. Wenn mehrere für den „aus einer unerlaubten Handlung“ entstehenden Schaden verantwortlich sein müssen, damit Gesamtschulden entstehen, kann der Schluss naheliegen, dass für Schäden, die nicht aus unerlaubten Handlungen entstehen, etwas anderes gelten soll. Noch allgemeiner kann darauf geschlossen werden, dass nach Ansicht des Gesetzgebers ein Gesamtschuldverhältnis nur bei besonderer gesetzlicher Anordnung entstehen soll. Dieser Schluss aber wäre unzutreffend. Der Gesetzgeber betrachtete es als seine Aufgabe, zu entscheiden, wann und in welcher Höhe jemand für einen eingetretenen Schaden haftet, ob also bei unklarem Kausalverlauf ein Erfolg einem Beteiligten überhaupt zugerechnet wird und ob der Ersatz eines Schadens unter mehreren gemeinschaftlich Haftenden aufgeteilt wird oder nicht. Ebenso musste er sich im Falle einer Schuldnermehrheit dazu äußern, ob der Gläubiger auf jeden Schuldner unmittelbar oder erst nach erfolgloser Inanspruchnahme eines anderen zugreifen konnte. Sofern aber feststand, dass der Ersatz des Schadens von mehreren in voller Höhe und ohne Subsidiarität geschuldet wurde, gab es nach Ansicht des Gesetzgebers offenbar nichts mehr zu entscheiden: Es entstand ein Gesamtschuldverhältnis. Eine sachliche Alternativregelung für diese Art von Schuldnermehrheiten (etwa wechselseitige Solutionskonkurrenz mit bereicherungsrechtlichem Regress oder einseitige Solutionskonkurrenz mit echtem Zessionsregress) stand dem Gesetzgeber nicht vor Augen. Seiner Ansicht nach folgte also das Gesamtschuldverhältnis bei der unmittelbaren Haftung mehrerer in voller Höhe gewissermaßen von selbst. Wenn der Gesetzgeber in so vielen Einzelfällen ein Gesamtschuldschuldverhältnis ausdrücklich anordnete, dann geschah dies zumeist, um einen Schritt zuvor die Weichen zu stellen: In manchen Fällen musste klargestellt werden, dass mehrere überhaupt hafteten, in anderen, dass jeder für das Ganze und nicht nur für einen Teil haftete, in wieder anderen, dass einer nicht nur subsidiär haftete. Sofern aber die unmittelbare Haftung jedes Schuldners in Höhe des gesamten Schadens klar war, musste ein Gesamtschuldverhältnis auch nicht besonders angeordnet werden. Dies erklärt das Fehlen einer solchen Anordnung für mitverursachende Nebentäter. Besonders deutlich wird die gesetzgeberische Haltung bei den Beratungen zum Wildschaden. Hier überlegte die Zweite Kommission, ob dann, wenn neben dem Jagdberechtigten ein Dritter haftete, sich die Ganzhaftung jedes Schuldners nicht schon aus allgemeinen Regeln ergebe. Diese „Ganzhaftung aus allgemeinen Regeln“ wurde offenbar nicht als etwas vom Gesamtschuldverhältnis Abweichendes angesehen. Der Kommissionsmehrheit ging es hier in erster Linie um die Anordnung der internen Alleinhaftung des Dritten. Sie befürchtete also, dass ohne jede Regelung der Rechtsanwender von einem Gesamtschuldverhältnis und
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damit auch nach § 426 von einem Kopfteilregress ausgehen würde. Die zweite, nicht die erste Schlussfolgerung musste aber vermieden werden. Die Entstehungsgeschichte des § 840 wirft auch Licht auf die Haltung des Gesetzgebers zur Frage, unter welchen Umständen ein Gesamtschuldverhältnis außerhalb der Vorschriften des BGB entstehen kann. Bei § 840 handelt es sich lediglich um eine redaktionelle Zusammenfassung zahlreicher Einzel-Gesamtschuldanordnungen, nicht um eine vom Gesetzgeber geplante allgemeine deliktische Grundregel. Dem Gesetzgeber lag es fern, sämtliche Fälle, in denen ein Gesamtschuldverhältnis entstehen kann, aufzuzählen oder durch eine Generalnorm abschließend zu regeln. Er äußerte sich zur Art der Schuldnermehrheit nur dann, wenn eine konkrete Vorschrift ihm dazu einen Anlass gab. So regelte der Gesetzgeber nicht die Schuldnermehrheitsformen im Rahmen des Reichshaftpflichtgesetzes. Wie berichtet war die solidarische Haftung mehrerer Unternehmer in der Rechtsprechung nicht nur dann anerkannt, wenn sie gemeinsam die Eisenbahn betrieben355, sondern auch in der „Nebentäterkonstellation“, dass ein Schaden beim Betrieb mehrerer Eisenbahnen entstanden war356; auch das Solidarschuldverhältnis zwischen Unternehmer und deliktischem Schadensverursacher entsprach zeitgenössischer Lehre357. Heute kann das Gesamtschuldverhältnis in all diesen Konstellationen zwar aus § 840 I gefolgert werden, wenn man das Tatbestandsmerkmal der unerlaubten Handlung weit auslegt; doch die von der Zweiten Kommission vorgesehenen zwölf deliktischen Gesamtschuldanordnungen umfassten diese Fälle eindeutig nicht. Dennoch ging der Gesetzgeber nicht davon aus, dass in diesen Fällen etwas anderes, etwa ein Teilschuldverhältnis, eine gegenseitige Solutionskonkurrenz mit Bereicherungsregress oder eine einseitige Solutionskonkurrenz mit echtem Zessionsregress gelten sollte. Vielmehr beschränkte er sich darauf, die ins BGB aufgenommenen Deliktsansprüche näher auszugestalten.
b) Die Bedeutung der Anordnungsregeln im Vorlage- und Teilentwurf In der heutigen Diskussion um den Anwendungsbereich der Gesamtschuldregeln ist demgegenüber die These vertreten worden, dass nach Ansicht des BGBGesetzgebers ein Gesamtschuldverhältnis nur durch Rechtsgeschäft oder gesetzliche Anordnung entstehen konnte358. Soweit man sich hierfür auf die Vorschrift des § 420 stützt359, kann dies aus den schon oben dargelegten360 Gründen nicht 355
RGZ 52, 144 (10.7.1902); oben, 716 f. ROHGE 21, 361, 364 (23.1.1877); RG SächsArch 10, 617 (12.1.1900); oben, 734. 357 Römer, ZHR 18 (1873), 16 ff. 358 Frotz, JZ 1964, 668; Goette, Gesamtschuldbegriff, 72; Winter, Teilschuld, 178 ff.; Schims, Forderungsübergang, 130 ff. 359 So Goette, Gesamtschuldbegriff, 71 ff.; Schims, Forderungsübergang, 138 ff.; vgl. auch Wernecke, Gesamtschuld, 28 ff. 360 Oben, 708 ff. 356
7. Die Bedeutung der gesetzlichen Gesamtschuldanordnungen
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überzeugen: Die Gesamtschuld ist nur dann eine Ausnahme zum Teilschuldverhältnis, wenn die Teilschuldregel eingreift, also bei gemeinsamen Schuldverhältnissen im Sinne eines gemeinsamen einheitlichen Entstehungstatbestands. In diesen Fällen ist der Gesetzgeber in der Tat davon ausgegangen, dass mangels einer abweichenden Parteiabrede (die bei gemeinschaftlicher Verpflichtung vermutet wird, § 427) und mangels anderer gesetzlicher Regelung Teilschulden entstehen sollten. Im Falle einer Haftung aufgrund gemeinschaftlicher Position, etwa derjenigen der Miteigentümer des schädigenden Tieres oder der gemeinsam Jagdberechtigten, musste die Teilschuldregel daher durch besondere Gesamtschuldanordnungen ausgeschaltet werden. Doch die Vorschrift des § 420 sollte nicht schon immer dann eingreifen, wenn eine Leistung, die der Gläubiger im Ergebnis in einfacher Höhe erhalten sollte, in irgendeiner Weise von mehreren geschuldet wurde. Wenn die Verbindlichkeit jedes Schuldners auf einem eigenen Grund beruhte, und sei es nur deshalb, weil jeder Schuldner einen eigenen Beitrag bei der Entstehung des Schadens geleistet hatte, stand die Abgrenzung zwischen Gesamt- und Teilschulden nicht zur Debatte. Die Vorschrift des § 420 sollte in diesen Fällen nicht anwendbar sein und konnte daher auch kein Erfordernis einer gesetzlichen Gesamtschuldanordnung begründen. Stärker ist das von Goette und Winter vorgebrachte Argument, dass der Anwendungsbereich der Gesamtschuldregeln in den früheren Regelwerken abschließend bestimmt worden sei und dies nach einer ausdrücklichen Regel in von Kübels Vorentwürfen auch für das BGB gegolten haben soll361. Tatsächlich gibt es eine Reihe von Indizien für ein restriktives Gesamtschuldverständnis sowohl in den früheren Regelwerken als auch im BGB. Nach dem preußischen ALR, dem österreichischen ABGB und dem Züricher Gesetzbuch beziehen sich die Gesamtschuldvorschriften nur auf vertraglich vereinbarte Gesamtschuldverhältnisse362. Bei den Teilnehmern einer deliktischen Tat wird die solidarische Haftung, zum Teil mit Verweis auf die vertraglichen Gesamtschuldregeln, besonders ausgesprochen363. Ein direkter Anknüpfungspunkt, auch ungeregelte Fälle den vertraglichen Gesamtschuldregeln zu unterstellen, findet sich daher nicht. In den übrigen Regelwerken gelten die Gesamtschuldregeln gleichermaßen für vertragliche und gesetzliche Verbindlichkeiten. Jedoch finden sich im Code Civil, in den deutschen Partikularentwürfen, im Sächsischen BGB, im Dresdener Entwurf sowie im Schweizer Obligationenrecht Vorschriften, wonach Gesamtschulden nur durch Parteivereinbarung oder gesetzliche Bestimmung entstehen können364. Auf diese Vorschriften bezog sich von Kübel, als er in seinen Vorlageentwurf 1878 und seinen Teilentwurf 1882 folgende Regel 361 Goette, Gesamtschuldbegriff, 73 ff.; Winter, Teilschuld, 92 ff., 179, 192 f.; s.a. Schims, Forderungsübergang, 131 f.; Wernecke, Gesamtschuld, 28 f. (die von einer irrigen Auffassung des Gesetzgebers ausgeht). 362 ALR I 5 § 424; ABGB § 891; ZürGB § 935. 363 ALR I 6 §§ 29–33; ABGB § 1302; ZürGB §§ 1828, 1850. 364 CC Art. 1202; SächsE § 592; HessE IV 1 Art. 6; BayE II Art. 222 II; SächsGB §§ 1021 f.; DresdE Art. 13; OR 1881 Art. 162 (OR 1911 Art. 143); s.a. CMBC IV 1 § 21 Nr. 7.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
aufnahm: „Ein Gesammtschuldverhältnis (…) kann [im Teilentwurf: nur] durch Rechtsgeschäft unter Lebenden oder von Todes wegen, oder unmittelbar durch gesetzliche Bestimmung begründet werden“365. In den Hauptberatungen der Ersten Kommission wurde diese Regel zwar gestrichen, doch nur deshalb, weil man auch das (konstitutive) Urteil als möglichen Entstehungsgrund nicht ausschließen wollte366. In den Motiven blieb sie, mit dem Hinweis auf das Urteil als weiteren möglichen Entstehungsgrund, erhalten367. Bei den älteren Kodifikationen, die vor der Keller/Ribbentrop’schen Wende entstanden, ist es tatsächlich denkbar, dass der Gesetzgeber von einem restriktiven Gesamtschuldbegriff ausging368. Gemeinrechtlich kannte man zu dieser Zeit nur die Korrealobligation im weiteren Sinne, die zwar nicht auf rechtsgeschäftliche Gesamtschuldverhältnisse begrenzt war, sich aber durch eine besonders enge Verknüpfung der Verbindlichkeiten in Form bestimmter Gesamtwirkungen auszeichnete, wozu nach herrschender Lehre auch die Gesamtwirkung des Verschuldens und des freisprechenden Urteils gehörte. Das ALR und das ABGB übernahmen zwar den Großteil der überlieferten Gesamtwirkungen nicht, doch ist es möglich, dass ihre Verfasser die Gesamtschuldregeln auf die gemeinrechtlich überlieferten Fälle der Korrealobligation beschränken wollten, wozu neben rechtsgeschäftlichen Gesamtschulden in erster Linie die Verbindlichkeiten deliktischer Mittäter und der Mitbürgen gehörten. Ob aber die im Code Civil und in den Regelwerken des späteren 19. Jahrhunderts zu findenden Vorschriften, wonach Gesamtschuldverhältnisse nur durch Rechtsgeschäft und Gesetz entstehen können, tatsächlich den Sinn hatten, die Anwendung der Gesamtschuldregeln auf Fälle gesetzlicher Gesamtschuldanordnungen zu beschränken, ist zweifelhaft. Der Gesetzgeber des Code Civil ging von einer Einheits-Gesamtschuld aus, die, in der Tradition von Pothier, auch Fälle deliktischer Mittäter umfassen sollte369. Trotzdem sieht das Gesetz bei Zivildelikten keine Gesamtschuldanordnungen vor: Sie wurden im Gesetzgebungsverfahren als überflüssige Detailregelungen weggelassen. Hiermit ist das Verständnis von Art. 1202 CC als Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage für Gesamtschuldverhältnisse nicht vereinbar. Die Vorschrift kann auch anders verstanden werden. Ihr Absatz 1 („la solidarité ne se présume point; il faut qu’elle soit expressément stipulée“) bezieht sich offenbar auf die gemeinrechtliche Teilschuldregel370: Bei Rechtsgeschäften gibt es keine Gesamtschuldvermutung, vielmehr muss die Absicht der Parteien, ein Gesamtschuldverhältnis zu begründen, klar zum Ausdruck kommen. Wenn es danach in Absatz 2 heißt, „cette règle ne 365 VorlE und TeilE § 2; ebenso VorlE These III; hierzu Motive zum VorlE, 21 (Schubert, SR III, 1233), Motive zum TeilE, 14 f. (Schubert, SR I, 66 f.). 366 Jakobs/Schubert, SR III, 918. Auch in den Vorberatungen hatte man nur über das Urteil als weiteren Entstehungsgrund debattiert, a.a.O., 895. 367 Mot II, 156 (Mugdan II, 86). 368 Hierzu schon oben, 738 f. 369 Hierzu und zum Folgenden oben, 534 ff. 370 Oben, 11, 13 f.
7. Die Bedeutung der gesetzlichen Gesamtschuldanordnungen
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cesse que dans le cas où la solidarité a lieu de plein droit, en vertu d’une disposition de la loi“, dann kann dies bedeuten, dass in manchen Fällen gemeinsame Verträge auch ohne besondere Abrede zu Gesamtschulden führen, nämlich dann, wenn das Gesetz es vorsieht. Beispiele sind die Gesamtschuldanordnungen für gemeinsame Entleiher (Art. 1887 CC) oder Auftraggeber (Art. 2002 CC). So gesehen regelt Art. 1202 CC nur die Frage, wann rechtsgeschäftliche Gesamtschulden angenommen werden können. Auch die entsprechenden Vorschriften im Sächsischen und im Hessischen Entwurf sind ersichtlich von der Fragestellung bestimmt, wann Gesamt- und wann Teilschulden vorliegen. In beiden Regelwerken heißt es, dass die allgemeine Teilschuldregel dann nicht gelten soll, wenn durch Rechtsgeschäft oder ausdrückliche gesetzliche Anordnung ein Gesamtschuldverhältnis begründet wird371. Hier muss die Gesamtschuld also nur dann besonders vereinbart bzw. angeordnet werden, wenn sie Ausnahme zur Teilschuld sein soll. Ein Teilschuldverhältnis kommt aber von vornherein nur bei „derselben Verbindlichkeit“ bzw. „demselben Schuldverhältnis“ in Betracht372. So gesehen erfassen die Vorschriften gar nicht den Fall, in dem mangels einheitlichen Schuldverhältnisses Teilschulden überhaupt nicht in Frage kommen, etwa weil aus unterschiedlichen Gründen geschuldet wird und die Ganzhaftung jedes Schuldners sich schon aus allgemeinen Regeln ergibt. Im Bayerischen und im Dresdener Entwurf, im Sächsischen Gesetzbuch sowie in von Kübels Vorentwürfen finden sich die allgemeine Teilschuldregel und das Erfordernis einer gesetzlichen Gesamtschuldanordnung in verschiedenen Vorschriften373. Doch auch bei diesen Regelwerken liegt die Annahme nahe, dass ein sachlicher Zusammenhang besteht. Mit Ausnahme des Sächsischen Gesetzbuchs findet sich das Erfordernis der ausdrücklichen Gesamtschuldanordnung direkt hinter der Teilschuldregel. Vor allem aber gingen die Verfasser des Sächsischen Gesetzbuchs und des Dresdener Entwurfs sowie von Kübel vom offenen Solidarschuldbegriff aus, der Lehre und Rechtsprechung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägte. Danach waren die Fälle der Korrealobligation begrenzt. Als rechtsgeschäftliche Gesamtschulden mochten Korrealobligationen auch Ausnahmen zur Teilschuldregel bilden. Anders verhielt es sich aber bei Solidarobligationen, die schon nach allgemeinen Regeln entstanden, wenn die Leistung eines Schuldners die Verbindlichkeit des anderen gegenstandslos machte, und die insofern keinem numerus clausus unterlagen. Wie oben mehrfach gezeigt wurde, hielten die Verfasser des Sächsischen Gesetzbuchs und des Dresdener Entwurfs ebenso wie von Kübel bei konkurrierenden Schadensersatzansprüchen ein Gesamtschuldverhältnis auch in den Fallkonstellationen für selbstverständlich, in denen vielleicht die Ganzhaftung jedes Schuldners, nicht aber die Solidarität 371
SächsE § 592; HessE IV 1 Art. 6. SächsE § 588; HessE IV 1 Art. 5 I. 373 BayE II Art. 221, 222 II; SächsGB §§ 663, 1020 f.; DresdE Art. 12, 13; VorlE und TeilE, §§ 1, 2. 372
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
selbst im Gesetz ausgesprochen war. Diese offene Haltung zum Gesamtschuldbegriff ist nur dann mit den genannten restriktiven Vorschriften vereinbar, wenn man davon ausgeht, dass die Vorschriften auch in diesen Regelwerken die Abgrenzung zwischen Teilschulden und Gesamtschulden zum Gegenstand hatten: Sofern die allgemeine Teilschuldregel anwendbar war, konnten Gesamtschulden nur bei besonderer Vereinbarung oder Anordnung entstehen. Das Erfordernis der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung schützte den Schuldner vor einer Ganzhaftung in Fällen, in denen auch eine Teilhaftung nahe lag, hatte aber keine Bedeutung, wenn er ohnehin das Ganze schuldete. In dieser Weise wurde die Vorschrift im Sächsischen Gesetzbuch offenbar auch in der Praxis ausgelegt: Hafteten mehrere aus unterschiedlichen Gründen auf das Ganze, konnte ein Gesamtschuldverhältnis auch ohne besondere Anordnung entstehen374. Aus heutiger Sicht liegt eine Auslegung, wonach die Regel „Gesamtschuldverhältnisse können nur durch gesetzliche Anordnung entstehen“ nur die Abgrenzung zwischen Gesamt- und Teilschulden betrifft, eher fern. Die heutige Sicht ist aber geprägt von der Diskussion um die unterschiedlichen Regresswege bei Schuldnermehrheiten. Haften mehrere Schuldner gegenüber dem Gläubiger auf das Ganze, kommen statt eines Gesamtschuldverhältnisses i.S.d. § 421 BGB auch „unechte Gesamtschulden“, Fälle der bloßen Legalzession und/oder Fälle der einseitigen Solutionskonkurrenz mit Zessionsregress in Betracht. Unter diesem Blickwinkel liest sich die Regel so, als habe der Gesetzgeber nur in bestimmten Fällen einen Regress über § 426 vorgesehen und für andere Fallgruppen auf andere Abwicklungsmöglichkeiten verwiesen. Doch die Diskussion über die unterschiedlichen Regresswege wurde im 19. Jahrhundert nicht geführt. Da mit der Gesamtschuld in Gestalt der Korreal- oder Solidarobligation kein bestimmter Regress verbunden und die Regressfrage ohnehin streitig war, konnte die Vorstellung, einen spezifischen Gesamtschuldregress anderen Abwicklungsmöglichkeiten bei der Ganzhaftung mehrerer Schuldner gegenüberzustellen, überhaupt nicht aufkommen. Dies ist wohl der Grund für die aus heutiger Sicht schwer verständliche Beobachtung, dass bei der Entstehung der Gesamtschuldvorschriften des BGB kein Wort über die heute so zentrale Frage des Anwendungsbereichs der §§ 421 ff. verloren wurde. Aus der Sicht des 19. Jahrhunderts war allein wichtig, ob der einzelne Schuldner für einen Teil oder für das Ganze haftete. Diese Frage sollten die genannten Vorschriften beantworten. Die Ganzhaftung war belastend und verlangte daher eine Parteivereinbarung oder eine gesetzliche Grundlage. Doch in den Fällen, in denen Teilschulden von vornherein nicht in Frage kamen, war eine ausdrückliche Gesamtschuldanordnung nicht erforderlich. Die Ganzhaftung jedes Schuldners ergab sich dann schon aus anderen Regeln. Hatten etwa mehrere durch ihr Zusammenwirken einen Schaden verursacht, ergab sich die Pflicht jedes Schuldners, den gesamten Schaden zu ersetzen, in den Augen des Gesetzgebers aus der konkreten Schadensersatzvorschrift, im Code Civil aus Art. 1382, im BGB etwa aus 374
Vgl. Hoffmann, SächsGB, Anm. zu § 1019 und zu § 1020.
8. Das Zusammentreffen von Schadensersatzansprüchen außerhalb des Deliktsrechts
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§ 823 I. Die genannten Vorschriften, nach denen Gesamtschuldverhältnisse nur durch gesetzliche Anordnung entstehen konnten, können danach auch so verstanden werden: Die Haftung mehrerer Schuldner auf das Ganze bedarf einer gesetzlichen Grundlage. Manchmal, etwa bei Nebentätern, ist schon die gesetzliche Schadensersatzpflicht selbst die Grundlage. Gilt aber bei einheitlichem Schuldverhältnis die Teilschuldregel (etwa bei gemeinschaftlichen Tierhaltern), dann ist zusätzlich eine explizite Gesamtschuldanordnung notwendig, um die Ganzhaftung jedes Schuldners zu legitimieren.
8. Das Zusammentreffen von Schadensersatzansprüchen außerhalb des Deliktsrechts Aus alldem ergibt sich, dass ein Gesamtschuldverhältnis zwischen Schadensersatzansprüchen nach Ansicht des Gesetzgebers nicht nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung entstehen sollte. Vielmehr war eine solche Anordnung nur dann erforderlich, wenn unklar war, ob die Schuldner überhaupt hafteten, ob jeder nur anteilig haften sollte oder ob ein Schuldner nur subsidiär haftete. Wenn sich im BGB außerhalb des Deliktsrechts kaum Gesamtschuldvorschriften finden, bedeutet dies also nicht, dass nach Ansicht des Gesetzgebers hier keine Gesamtschulden entstehen konnten. Dennoch nahm das Deliktsrecht, zumindest nach Ansicht der Ersten Kommission, in einem Teilbereich eine gewisse Sonderstellung ein, nämlich in den Fällen, in den die Anwendung der gemeinrechtlichen Teilschuldregel in Betracht kam. Im Deliktsrecht betrifft dies insbesondere die Fälle der Haftung aufgrund einer gemeinschaftlichen Position. Die Schadensersatzpflicht der Wohnungsinhaber bei der actio de effusis oder die der gemeinschaftlichen Tierhalter beruhte nach gemeinrechtlicher Ansicht auf einem einheitlichen Entstehungstatbestand bzw. einem einheitlichen Schuldverhältnis. Daher war an sich die gemeinrechtliche Regel einschlägig, wonach die Schuld im Außenverhältnis geteilt wurde. Weil die römischen Quellen aber die Ganzhaftung jedes Schuldners überlieferten, konnte man diese als Ausnahme zur Teilschuldregel begreifen. Da es sich um deliktische Verbindlichkeiten handelte und da man auch Analogien zu anderen Fällen gemeinschaftlicher Haftung ohne Verschuldensnachweis zog, etwa bei der Haftung der Mitunternehmer nach dem Haftpflichtgesetz375, konnte man den Schluss ziehen, dass es gerade die deliktische Natur der Haftung war, die eine Ausnahme zur Teilschuldregel gebot. Dies musste bedeuten, dass außerhalb des Deliktsrechts diese Ausnahme nicht ohne weiteres zu machen war. Diese Auffassung bestimmte die Erste Kommission bei der Regelung der Schadensersatzhaftung einer Mehrheit von Vereinsvorständen, Liquidatoren, Vormündern und Testamentsvollstreckern. Diese Personengruppen traf eine gemein375
RGZ 52, 144 (10.7.1902); oben, 716 f.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
schaftliche Pflicht zur Vermögensverwaltung oder -abwicklung, vergleichbar mit der rechtsgeschäftlichen Verpflichtung mehrerer gemeinschaftlich Beauftragter. Zum besseren Verständnis des Folgenden sei hier an die Lehre von den unteilbaren Obligationen erinnert376. Nach Gemeinem Recht und (mit Ausnahme des ALR) den Regelwerken bis zum Ersten Entwurf des BGB galt bei der anfänglichen Beteiligung mehrerer an einem Vertrag eine Teilschuldvermutung. Solange keine Gesamtschulden vereinbart waren, schuldete also jeder nur einen Kopfteil und haftete auch nur für diesen Kopfteil. Eine Teilung war aber nicht möglich, wenn die Leistungspflicht unteilbar war. Um dem gewünschten Zustand der Teilschuld möglichst nahe zu kommen, nahm die herrschende gemeinrechtliche Lehre an, dass zumindest dann, wenn die unteilbare Primärleistungspflicht sich in eine Interesseleistungspflicht „verwandle“, Teilschulden entstehen. Eine solche Vorschrift wurde in die Mehrheit der Regelwerke und dann auch in den Ersten Entwurf aufgenommen. Die Verpflichtung mehrerer gemeinsam Beauftragter, Vermögen zu verwalten, war auf eine unteilbare Leistung gerichtet. Demnach hätten ohne Gesamtschuldabrede unteilbare Obligationen entstehen müssen. Weil aber die römischen Quellen auf eine gesamtschuldnerische Haftung hindeuteten (was im Dogmengerüst des 19. Jahrhunderts nur mühsam erklärt werden konnte), ordnete eine Reihe von Kodifikationen und Entwürfen eine Gesamtschuld bei einer Mehrheit von Beauftragten ausdrücklich an. Die Erste Kommission aber hielt sich an die reine Lehre: Ohne Gesamtschuldverabredung sollten keine Gesamtschulden entstehen; vielmehr galten für Beauftragte ebenso wie für auftragslose Geschäftsführer die Regeln über unteilbare Leistungspflichten. Dies bedeutete vor allem, dass die Pflicht zur Schadensersatzleistung nach E I § 341 unter den Beauftragten im Außenverhältnis aufgeteilt wurde377. Weil aber die Vorschriften über unteilbare Leistungspflichten auch für gesetzliche Schuldverhältnisse galten, betrafen sie ebenso die Verbindlichkeiten gemeinschaftlicher Vormünder, Testamentsvollstrecker, Vereinsvorstände und Liquidatoren. Nach der gemeinrechtlichen Sicht, die auch die Erste Kommission teilte, beruhte ihre Pflicht, fremdes Vermögen zu verwalten, auf einem einheitlichen Entstehungstatbestand bzw. einheitlichem Schuldverhältnis, womit an sich Teilschulden entstünden, wären die Verpflichtungen nicht auf unteilbare Handlungen gerichtet. Damit galt, dass eine durch eine Pflichtverletzung entstehende Schadensersatzschuld sich auf die verantwortlichen Schuldner aufteilte – falls nicht gesetzlich eine solidarische Haftung angeordnet wurde. Einigkeit über eine solche Gesamtschuldanordnung bestand bei der Haftung von Mitvormündern gegenüber dem Mündel378. Sie war nicht nur in den römischen Quellen, sondern auch im Gemeinen Recht und in einigen früheren Regel-
376 377 378
Oben, 106 ff. Jakobs/Schubert, SR III, 66 f., 140. Der hier zitierte § 31 ZustOR wurde zu E I § 341. TeilE FamR § 504; E I § 1696; BGB § 1833.
8. Das Zusammentreffen von Schadensersatzansprüchen außerhalb des Deliktsrechts
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werken379 anerkannt380. Im Einklang mit den Regelwerken schaffte man aber die gemeinrechtlich anerkannte „unpraktische“ Teilungseinrede ab, nach der ein Vormund allein für seinen Kopfteil unmittelbar und für die übrigen Anteile nur subsidiär haftete381. Ebenso wenig hielt man von der gemeinrechtlichen Einrede der Vorausklage, wonach ein Vormund, der wegen der durch einen anderen Vormund begangenen Pflichtverletzung haften musste, etwa wegen Überwachungsverschuldens, im Außenverhältnis erst nachrangig zu dem anderen Vormund in Anspruch genommen werden konnte382. Nach Ansicht des Gesetzgebers sollte die Besonderheit des „gestuften“ Pflichtenverhältnisses zwischen Vormund und Gegenvormund wie im Deliktsrecht nur im Innenverhältnis berücksichtigt werden, indem dem Gegenvormund entgegen der Kopfteilregel des § 426 ein Regress auf das Ganze gewährt wurde383. Anders aber verhielt es sich bei der Haftung mehrerer Testamentsvollstrecker gegenüber Erben und Vermächtnisnehmern. Im Teilentwurf Erbrecht von 1879 hatte der Redaktor Gottfried von Schmitt zunächst eine gesamtschuldnerische Haftung vorgesehen384. Doch in einem geänderten Entwurf von 1886 entschloss er sich, für das Verhältnis zwischen Testamentsvollstrecker und Erben die Anwendungen der Vorschriften zum Auftragsrecht vorzusehen385. Hier hatte die Erste Kommission eine Gesamtschuldanordnung aber gerade abgelehnt. Weil der Kommissionsentwurf über die Haftung mehrerer Beauftragter schwieg, werde, so von Schmitt, auch „von der gesammtverbindlichen Haftung mehrerer Vollstrecker zu schweigen sein“386. Damit war die Erste Kommission einverstanden387. Was dieses Schweigen bedeuten sollte, ergibt sich aus dem oben Gesagten: Mehrere Testamentsvollstrecker schuldeten mit der Vermögensverwaltung eine unteilbare Leistung, so dass mangels Gesamtschuldanordnung eine hieraus entstehende Schadensersatzpflicht nach E I § 341 unter sie aufgeteilt werden sollte. 379
ALR II 18 § 288; ABGB § 210; SächsE § 1648; SächsGB § 1958. Vgl. Planck, Motive zum TeilE FamR, 2083 ff. (Schubert, FamR II, 1097 ff.). 381 Motive zum TeilE FamR, 2084 (Schubert, FamR II, 1098); Mot. IV, 1178 (Mugdan IV, 625). Zur Teilungseinrede oben, 557 ff. Eine solche Einrede kannten noch der CMBC (I 7 § 31 Nr. 5–8, § 34 Nr. 7) und das ZürGB (§ 410). 382 Keine Einigkeit aber bestand darüber, ob diese subsidiäre Haftung bei ungeteilter Verwaltung galt, im Rahmen derer ein Vormund für die Pflichtverletzung des Mitvormunds haftete, oder dann, wenn die Verwaltung geteilt war, einen Vormund hinsichtlich der Verwaltung eines anderen aber eine Überwachungspflichtverletzung traf, vgl. etwa Voet, Commentarius, zu D.27,8, § 6; Domat, Loix civiles, § 1339; Glück, Pandecten XXX, 387; Fritz, ZCRPr nF 22 (1865), 484 ff.; Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 37; Windscheid, Pandekten, § 298, § 443 bei Fn. 6 und 10. Anordnungen einer subsidiären Haftung finden sich in CMBC I 7 § 31 Nr. 6–7, § 32 Nr. 10; und ALR II 18 § 287. Nach dem SächsGB haftete der Ehrenvormund subsidiär, § 1961. 383 Planck, Motive zum TeilE FamR, 2084 f. (Schubert, FamR II, 1098 f.); Jakobs/Schubert, FamR II, 907 f.; Mot IV, 1178 f. (Mugdan IV, 625). 384 Vorentwurf Erbrecht, § 159 I 2 (abgedruckt in Schubert, ErbR I, 35). 385 Änderungsvorschläge zum TeilE ErbR (Schubert, ErbR II, 551 ff.), § 159 II; siehe BGB § 2218 I. 386 Begründung der Änderungsvorschläge, 94 (Schubert, ErbR II, 748). 387 Jakobs/Schubert, ErbR II, 1428. Ergebnis: E I § 1908. 380
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
Eine Verweisung auf die Regeln zum Auftragsrecht beschloss die Erste Kommission auch im Verhältnis zwischen Vereinsvorstand und Verein388. Mit dieser Verweisung, so die Kommission, werde aber eine Solidarhaft mehrerer Vorstandsmitglieder gegenüber dem Verein (die beantragt worden war389) verneint. Ein besonderer Schutz des Vereins sei nicht erforderlich; zudem „würde die Anerkennung der solidarischen Verhaftung mit dem bisher festgehaltenen Grundsatze schwer zu vereinbaren sein, daß diese Verhaftung im allgemeinen nur im Falle eines Delikts einzutreten habe.“390 Auch hier erschließt sich erst vor dem Hintergrund der Lehre von den unteilbaren Leistungspflichten, auf welche Weise die Vorstandsmitglieder nach Ansicht der Kommission haften sollten: Wie bei mehreren Beauftragten lag eine unteilbare Leistungspflicht mit automatischer Teilung der Schadensersatzpflicht vor. Anders entschied die Erste Kommission dagegen bei der Haftung des Vorstands wegen unterlassener Konkursanmeldung391 sowie bei der Haftung der Liquidatoren wegen Verletzung ihrer gesetzlichen Pflichten392. Beide Haftungen galten nicht im Innenverhältnis zum Verein, sondern gegenüber außenstehenden Vereinsgläubigern; sie setzten also kein bestehendes Schuldverhältnis voraus. Nach Ansicht der Kommission waren die betreffenden Pflichtverletzungen daher wie ein zivilrechtliches Delikt aufzufassen. Dieser Gesichtspunkt rechtfertigte die Anordnung einer solidarischen Haftung393. Diese auch in den Motiven wiedergegebenen Äußerungen der Ersten Kommission konnten im Verbund mit der Regel des § 840 I nach 1900 den Eindruck erwecken, dass eine gesamtschuldnerische Schadensersatzhaftung nach Absicht des Gesetzgebers grundsätzlich nur im Deliktsrecht gelten sollte. Außerhalb des Deliktsrechts musste in Ermangelung einer besonderen gesetzlichen Gesamtschuldanordnung die Konkurrenz mehrerer Verbindlichkeiten auf Ersatz desselben Schadens dann entweder zu Teilschulden oder zu einer anderen Form der Ganzhaftung, etwa in Gestalt einer „unechten“ Gesamtschuld, führen. Dieser Eindruck wäre aber unzutreffend. Die unterschiedliche Behandlung von deliktischen und sonstigen Schadensersatzansprüchen betraf nach Ansicht der Ersten Kommission nur diejenigen Schuldnermehrheiten, bei denen die Anwendung der gemeinrechtlichen Teilschuldregel bzw. ihr Äquivalent für unteilbare Leistungspflichten, nämlich die Teilung des Interesses, in Betracht kam. Dies war aber nur dann der Fall, wenn die Schuldner gemeinsam und in gleicher Weise die 388 E I § 44 II; BGB § 27 II. Gebhards Teilentwurf zur Juristischen Person hatte noch keine Regeln zum Innenverhältnis zwischen Vorstand und Verein enthalten. 389 Jakobs/Schubert, AT I, 189 f. (Anträge von Weber). 390 Jakobs/Schubert, AT I, 191 f.; ähnlich Mot. I, 96 (Mugdan I, 405). 391 Gebhards Vorentwurf regelte diese Haftung noch nicht. 392 Hier hatte schon der Vorentwurf Gebhards eine gesamtschuldnerische Haftung vorgesehen, TeilE AT, § 80/21 III, sowie TE-JP, § 22 II (abgedruckt bei Schubert, AT I, 506, 513). 393 Zur Haftung der Vorstände Jakobs/Schubert, AT I, 193; Mot. I, 105 (Mugdan I, 410); zur Haftung der Liquidatoren Jakobs/Schubert, AT I, 194 f. Ergebnis: E I §§ 47 S.2, 56; BGB §§ 42 II 2, 53.
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Voraussetzungen einer Positions-Haftung erfüllten (gemeinsame Tierhalter) oder wenn sich die Schadensersatzpflicht aus der Verletzung einer Verbindlichkeit ergab, welche die Schuldner gemeinsam traf (Vormünder, Testamentsvollstrecker, Vereinsvorstände und Liquidatoren). Wenn hier die Entscheidung zwischen Gesamtschulden und Teilschulden zu treffen war, entschied sich die Erste Kommission bei deliktischen Pflichten grundsätzlich für Gesamtschulden, bei nichtdeliktischen (mit Ausnahme der Vormünder) für eine Teilung der Schadensersatzpflicht. Damit setzte sie sich bewusst394 vom ADHGB ab, das bei der gesetzlichen Schadensersatzhaftung aus gemeinsamen Verpflichtungen stets Solidarschulden angeordnet hatte395. Sofern die Haftung der Schuldner dagegen darauf beruhte, dass jeder für sich ein Delikt begangen oder eine gerade ihn treffende Pflicht verletzt hatte, kam eine Anwendung der Teilschuldregel und damit auch die Geltung der Regeln zu unteilbaren Leistungspflichten von vornherein nicht in Betracht. Jeder Schuldner schuldete den Ersatz des gesamten Schadens. Weil derselbe Schaden von mehreren ersetzt werden musste, sollte hier auch nach Ansicht der Ersten Kommission ein Solidarschuldverhältnis eintreten. Bei vertraglichen Schadensersatzverbindlichkeiten kam es daher sowohl nach Gemeinem Recht als auch nach dem Ersten Entwurf darauf an, ob die verletzte Vertragspflicht die Schuldner gemeinsam traf. Hatten sich die Schuldner gemeinsam vertraglich verpflichtet und dabei Gesamtschulden vereinbart, konnte sich bei Vertragsverletzungen die Frage stellen, ob die womöglich nur von einem verschuldete Leistungsstörung auch den anderen zuzurechnen war. Hierüber herrschte im Gemeinen Recht Streit396. Sofern man aber eine Haftung aller bejahte, handelte es sich um eine solidarische Interessehaftung. Hatten die Schuldner sich ohne Gesamtschuldabrede verpflichtet, kam es auf die Teilbarkeit an: Bei teilbaren Leistungen schuldete jeder ohnehin nur seinen Teil. Unteilbare Leistungspflichten wurden insbesondere durch einen gemeinsamen Werkvertrag begründet. Sofern hier eine Vertragsverletzung eintrat und sofern diese mehreren Schuldnern zuzurechnen war, wurde die Schadensersatzpflicht geteilt. Anders aber konstruierte man im 19. Jahrhundert die Haftung von mehreren Entleihern und Verwahrern wegen Nichtrückgabe der Sache397. Die Quellen sahen für diesen Fall eine Haftung auf das ganze Interesse vor. Daher nahm man an, dass der gemeinsame Leih- oder Verwahrungsvertrag gar keine gemeinsame Rückgabepflicht begründete (weil sich dann die Interesseleistung hätte teilen müssen), sondern dass jeden Schuldner für sich eine Rückgabepflicht traf, bei deren zu vertretender Verletzung er als Einzelner Schadensersatz schuldete. Hatten aber mehrere die Nichtrückgabe verschuldet, dann trafen nach diesem Modell verschiedengründige vertragliche Verbindlichkeiten auf den Ersatz desselben Scha394 Bei der Vorstandshaftung gegenüber dem Verein, Jakobs/Schubert, AT I, 192; Mot. I, 96 (Mugdan I, 405). 395 ADHGB Art. 173 III 2, 204, 241 II, 245 IV, 247 II Nr. 3, 248 III. 396 Oben, 48 f. 397 Oben, 119 ff.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
dens zusammen. Damit lagen nach allgemeinen Regeln Solidarobligationen auf Schadensersatz vor398. Die Teilung des Interesses wurde also durch den Kunstgriff verhindert, dass man nicht eine gemeinsame, sondern mehrere, jeden Schuldner einzeln treffende, Rückgabepflichten annahm. Ein Solidarschuldverhältnis war daher selbstverständlich, wenn die Schadensersatzverbindlichkeiten der Schuldner auf verschiedenen Verträgen beruhten399. Überliefert ist ein vom Reichsgericht bestätigtes Urteil des OLG Kiel400. Beim Kauf eines Grundstücks hatten sowohl der Verkäufer als auch der vom Käufer zugezogene Makler dem Käufer schuldhaft eine falsche Grundstücksgröße angegeben. Der Verkäufer war wegen seiner Zusicherung zur Minderung verpflichtet. Der Makler haftete aus der schuldhaften Verletzung des Auftragsvertrags auf das Interesse des Käufers, hier in Gestalt des Minderwerts des tatsächlichen Grundstücks. Nach Ansicht des OLG haftete der Makler auch nicht nur subsidiär. Der Umstand, dass der Verkäufer ebenfalls auf das Interesse hafte, führe lediglich zu einer solidarischen Haftung. Ebenso entschied das Reichsgericht: Wenn feststehe, dass der Makler durch sein Verschulden dem Käufer einen Schaden zugefügt habe, könne der Umstand, dass der Schaden zugleich durch den Verkäufer verursacht worden sei, mangels positiver Gesetzesregel nicht zur Subsidiarität führen. Da der Käufer dieselbe Forderung aber nur einmal liquidieren könne, seien Verkäufer und Makler solidarisch verpflichtet. Von einer Teilung des Schadensersatzes war in diesem Fall selbstverständlich nicht die Rede. Diese Unterscheidung danach, ob die Schadensersatzpflicht die Schuldner „gemeinsam“ traf bzw. auf der Verletzung einer „gemeinsamen“ Primärleistungspflicht beruhte, mag aus heutiger Sicht befremdlich und letztlich vielleicht auch gar nicht durchführbar erscheinen. Völlig konstruiert und nur den vermeintlich unterschiedlichen Quellenaussagen geschuldet war die gemeinrechtliche Differenzierung zwischen Werkunternehmern auf der einen Seite, bei denen wegen der gemeinsamen Leistungspflicht das Interesse geteilt wurde, und Rückgabepflichtigen und Beauftragten auf der anderen Seite, bei denen jeden eine Einzelpflicht traf, so dass der Schadensersatz solidarisch geschuldet wurde. Die Erste Kommission folgte dem auch nicht, sondern unterstellte die Haftung der Rückgabepflichtigen und Beauftragten den allgemeinen Regeln zu unteilbaren Leistungen, so dass die Schadensersatzpflicht geteilt wurde. All dies kann aber nichts am historischen Befund ändern, dass sowohl nach Gemeinem Recht als auch für die Erste Kommission eine Teilung der Schadensersatzpflicht überhaupt nur 398 Savigny, Obligationenrecht I, 203 ff.; Brinz, KritBl 4 (1853), 44 f.; Vangerow, Pandekten III (1863), § 573 Anm. 2 (S. 76 f.); Windscheid, Pandekten, § 298 Fn. 15 b (221); Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 207 ff.; Czyhlarz, GrünhZ 3 (1876), 61–63, 90 ff., 138 f.; Kuntze, Singularsuccession, 170; Müller, Institutionen, § 97 I 3; Hartmann, AcP 73 (1888), 395. 399 Windscheid erklärte die in den Quellen überlieferte Solidarhaftung unabhängiger Kreditauftraggeber damit, dass sie aus Vertrag (also aus ihren jeweiligen Verträgen) den Ersatz desselben Schadens schuldeten, Pandekten, § 298 bei Fn. 16. 400 OLG Kiel (1.4.1886), bestätigt durch RG (30.11.1886), SeuffA 42 Nr. 106.
8. Das Zusammentreffen von Schadensersatzansprüchen außerhalb des Deliktsrechts
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dann in Betracht kam, wenn diese die Schuldner von vornherein gemeinschaftlich traf oder aber auf der Verletzung einer gemeinschaftlichen Pflicht beruhte. Die hier geschilderten Regeln wurden durch die Zweiten Kommission in einem wichtigen Punkt geändert. Bei der Haftung mehrerer Testamentsvollstrecker, für die nach dem Ersten Entwurf Auftragsrecht und damit eine Teilung der Schadensersatzpflicht gegolten hatte, beschloss man eine gesetzliche Gesamtschuldanordnung, welche die Haftung der Testamentsvollstrecker erweitern und derjenigen der Vormünder und Liquidatoren annähern sollte401. Tatsächlich aber war dieser Schritt wohl unnötig. Denn die Zweite Kommission hatte inzwischen die Regel des E I § 341, wonach sich die Schadensersatzpflicht bei unteilbaren Leistungen unter die Schuldner aufteilt, ersatzlos gestrichen402. Jeden verantwortlichen Schuldner sollte die Schadensersatzverpflichtung ungeteilt und solidarisch treffen403. Nach der Vorschrift des heutigen § 431 begründet die Verpflichtung mehrerer zu einer unteilbaren Leistung nun ein Gesamtschuldverhältnis. Demnach müsste es sich nicht nur bei der Schadensersatzhaftung mehrerer schuldhafter Testamentsvollstrecker404, sondern auch bei derjenigen mehrerer Vorstände gegenüber dem Verein auch ohne eine besondere Gesamtschuldanordnung um ein Solidarschuldverhältnis handeln. Auch außerhalb des Deliktsrechts gilt also, dass der Gesetzgeber in Form beider Kommissionen ein Gesamtschuldverhältnis nur dann ausdrücklich anordnete, wenn die unmittelbare Ganzhaftung jedes Schuldners zweifelhaft war. Eine Teilung der Schadensersatzpflicht kam aber nur in zwei Fallgestaltungen in Betracht. Beruhte die Schadensersatzpflicht auf der Verletzung einer gemeinsamen vertraglichen oder gesetzlichen Verbindlichkeit, galt im Ersten Entwurf noch die Regel der Interesseteilung bei unteilbaren Leistungspflichten, so dass eine gewünschte solidarische Haftung ausdrücklich anzuordnen war. Nach Streichung der Regel im Zweiten Entwurf müsste diese Besonderheit entfallen sein. Die zweite Fallgruppe war dadurch gekennzeichnet, dass mehrere hafteten, weil sie gemeinsam und in gleicher Weise eine Position innehatten. Hier griff die mit § 420 nach wie vor bestehende gemeinrechtliche Teilschuldregel ein, so dass die Solidarhaftung nach Ansicht des Gesetzgebers besonders angeordnet werden musste. Weder die Teilschuldregel noch die Regeln über unteilbare Leistungspflichten waren anwendbar, wenn Schadensersatzverbindlichkeiten aus unterschiedlichen 401 Prot. 7147 f. (Mugdan V, 687); Jakobs/Schubert, ErbR II, 1490 f. Ergebnis: E II § 2088, BGB § 2219. 402 Oben, 123 ff. 403 Prot. 897 (Mugdan II, 612). 404 Erst recht gilt dies, wenn zwei sukzessiv tätige Testamentsvollstrecker für einen einheitlichen Schaden verantwortlich sind. Eine ausdrückliche Gesamtschuldanordnung war hier selbst nach Ansicht der Ersten Kommission nicht erforderlich, weil mangels gemeinschaftlicher Pflicht keine Aufteilung des Schadensersatzes in Betracht kam. Weil dieser Hintergrund heute nicht mehr bekannt ist, muss die Gesamtschuld (§ 2219 ist nach h.L. auf gemeinschaftliche Testamentsvollstrecker beschränkt) heute besonders begründet werden, vgl. Reimann, ZEV 2004, 234.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
Gründen oder wegen Verletzung individueller Pflichten konkurrierten, etwa wenn jeder Schuldner einen anderen Vertrag verletzt hatte. Jeder schuldete nach allgemeinen Regeln den Ersatz des gesamten Schadens. Soweit kein Subsidiaritätsverhältnis galt, jeder also unmittelbar haftete, entstand dann nach allgemeinen Regeln ein Gesamtschuldverhältnis. Einer besonderen gesetzlichen Anordnung bedurfte es nicht. Aus ihrem Fehlen darf daher grundsätzlich nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber sich gegen eine Anwendung der §§ 421 ff. ausgesprochen hätte. In den Fällen des Zusammentreffens ungleichartiger Schadensersatzverbindlichkeiten, etwa aus Vertrag und aus Delikt, kam eine Teilung des Schadensersatzes von vornherein nicht in Frage. Hier konnte allenfalls zweifelhaft sein, ob die Verbindlichkeiten derart ungleichstufig waren, dass ein Schuldner im Außenverhältnis nur nachrangig zum anderen haften sollte. Ein Gesamtschuldverhältnis konnte dann besonders angeordnet werden, wenn die unmittelbare Haftung auch des „ferner stehenden“ Schuldners nicht sicher war. Sofern es zu einer solchen Anordnung kam, musste zugleich wegen § 426 I eine Vorschrift zum einseitigen Regress des „ferner Stehenden“ beigefügt werden. War dagegen die unmittelbare Haftung jedes Schuldners in den Augen des Gesetzgebers nicht zweifelhaft, bedurfte es auch keiner besonderen Gesamtschuldanordnung. In diesem Fall entfiel auch die Notwendigkeit einer besonderen Regressregelung405. Wenn trotzdem die Anwendung der Gesamtschuldvorschriften auf Fälle „gestufter“ Verbindlichkeiten nach 1900 Gegenstand wissenschaftlichen Streits geworden ist, dann lag das daran, dass es noch eine andere gemeinrechtliche Tradition gab, nämlich den Zessionsregress bei der Haftung für Entwendungen und Sachbeschädigungen durch andere.
9. Die vertragliche Haftung für Sachentziehungen und -beschädigungen durch Dritte Ein Schulbeispiel des Zusammentreffens von ungleichartigen, „gestuften“ Schadensersatzverbindlichkeiten ist der Fall, dass der Eigentümer G seine Sache an den Schuldner S verleiht und dieser es schuldhaft ermöglicht, dass ein Dritter D die Sache stiehlt und/oder zerstört. G kann Schadensersatz nicht nur von D aus Delikt, sondern auch von S aus Vertrag verlangen, insgesamt aber nur einmal. Einigkeit besteht darüber, dass im Verhältnis zwischen D und S im Regelfall D den Schaden endgültig tragen soll. Strittig ist aber, ob hier ein Gesamtschuldverhältnis mit interner Alleinhaftung des D vorliegt. Denkbar ist auch das Modell der einseitigen Solutionskonkurrenz: Eine Leistung durch D befreit S. Leistet dage405
Anders Winter, Teilschuld, 182 f., nach dem aus der Kopfteilregel des § 426 I folgt, dass ungeregelte ungleichstufige Schuldnermehrheiten nach Ansicht des Gesetzgebers keine Gesamtschuldverhältnisse sein konnten; meine Zustimmung in HKK/Meier, §§ 420–432 I, Rz 209, halte ich nicht mehr aufrecht.
9. Die vertragliche Haftung für Sachentziehungen und -beschädigungen durch Dritte
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gen S an G, bleibt G’s Anspruch gegen D erhalten und kann zu Regresszwecken, etwa mittels § 255, auf S übergeleitet werden. Fälle dieser Art beschäftigten schon das Gemeine Recht. Im Mittelpunkt stand hier zumeist die Frage, was gelten soll, wenn die Sache in den Händen des D noch vorhanden ist: Stand das Eigentum dem ursprünglichen Eigentümer G zu, oder war es in irgendeiner Weise auf den Schadensersatz leistenden Vertragsschuldner S übergegangen? Gemeinrechtlich stützte man sich auf die römischen Quellen. Doch der römischrechtliche Hintergrund war ein anderer als heute.
a) Die Aktivlegitimation für Ansprüche gegen den Dritten vor Leistung an den Geschädigten Nach heutigem Recht steht dem Eigentümer einer gestohlenen Sache, die er nicht vindizieren kann, grundsätzlich nur einfacher Schadensersatz zu. Er kann sowohl vertragliche als auch deliktische Schadensersatzansprüche haben; im Ergebnis aber kann er nicht mehr als sein Interesse verlangen. Anders verhielt es sich nach römischem Recht, das eine Reihe von Klagen mit unterschiedlichen Klagezielen und unterschiedlichen Konkurrenzregeln zur Verfügung stellte. Wie heute kam zunächst einmal die Vindikation gegen den Besitzer in Betracht. Gegen den Dieb konnte ferner die condictio furtiva geltend gemacht werden, die sich auf den Sachwert richtete406. Gegen den Vertragspartner kam eine Klage aus dem betreffenden Vertrag in Frage, etwa aus dem Leih-, Miet- oder Verwahrungsvertrag, die auf die Leistung des Interesses gerichtet war. All diese Klagen waren sachverfolgend und konnten, waren sie in einer Hand, im Ergebnis nicht kumuliert werden. Besonders attraktiv war daneben die actio furti gegen den Dieb als reine Strafklage, die sich auf den doppelten oder vierfachen Sachwert richtete und neben den sachverfolgenden Klagen erhoben werden konnte. Diese actio furti aber stand in vielen Fällen nicht dem bestohlenen Eigentümer zu, sondern einem Dritten. Dies war etwa dann der Fall, wenn der Dritte die Sache vom Eigentümer entliehen hatte und sie ihm dann gestohlen wurde407. Den Entleiher traf gegenüber dem Eigentümer nach klassischem Recht eine vertragliche custodia-Haftung408. Diese „Behütungs-Haftung“ verpflichtete ihn dazu,
406 Die condictio furtiva bestand neben der Vindikation und der actio furti, Ulpian D.13,1,7,1. Sie setzte nicht voraus, dass die Sache noch in den Händen des Diebes war, Ulpian D.13,1,10 pr., war aber ausgeschlossen, wenn der Dieb die Rückgabe anbot, Ulpian D.13,1,8 pr. 407 Gai. 3,206; Inst. 4,1,16; Afrikan D.13,6,21,1; Ulpian D.13,6,10,1, D.47,2,14,16; Paulus D.47,2,54,1; Justinian C.6,2,22; zur Raubklage Ulpian D.47,8,2,22. In Ulpian-Pomponius D.13,6,5,15 – 13,6,7 wird eine Sache gestohlen, die zwei Personen geliehen war. Beiden Entleihern steht die actio furti zu, doch in Klagenkonkurrenz, so dass bei der Klage des Entleihers S1 das Klagerecht des Entleihers S2 wegfällt. Nach Celsus kann daher S2, wird er vom Eigentümer belangt, diesen gegen Sicherheitsleistung auf eine Klage gegen S1 verweisen. 408 Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. I, § 125 II, Bd. II, § 262 II 1–2; Zimmermann, Obligations, 192 ff.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
für bestimmte Ereignisse verschuldensunabhängig einzutreten, insbesondere für Diebstähle409. Der Entleiher trug also die Gefahr des Diebstahls, in den Worten der römischen Juristen hatte er das Interesse, dass die Sache nicht gestohlen wurde410. Als Ausgleich stand ihm die actio furti zu, und zwar von Anfang an, schon bevor er dem Eigentümer Schadensersatz geleistet hatte. Nur dann, wenn er insolvent und eine Leistung an den Eigentümer daher nicht zu erwarten war, stand die actio furti dem Eigentümer zu411. Aus heutiger Sicht ist das bemerkenswert. War der Entleiher solvent und wurde er des Diebes habhaft, konnte er mit Hilfe der actio furti ein Vielfaches des Sachwerts einklagen, während der Eigentümer auf die sachverfolgenden Klagen beschränkt war, die sich auf das einfache Interesse richteten. Der Entleiher war offenbar auch nicht verpflichtet, den vom Dieb erhaltenen überschießenden Betrag an den Eigentümer weiterzuleiten412. Aus heutiger Sicht kommt die Gewährung der actio furti also einer Risikoprämie gleich413. Im Regelfall wird der Dieb der Sache nicht zu ermitteln gewesen sein. Der Entleiher musste dann dem Eigentümer sein Interesse ersetzen und trug den Schaden. Im Ausnahmefall, dass der Dieb gefunden wurde und solvent war, stand dafür dem Entleiher und nicht dem Eigentümer die lukrative Möglichkeit zu, aus der actio furti zu klagen414. Erst Justinian änderte diesen Rechtszustand, indem er dem Eigentümer ein Wahlrecht gab. Entschied sich der Eigentümer, selbst gegen den Dieb aus der actio furti vorzugehen, wurde der Entleiher frei. Klagte er dagegen trotz Kenntnis des Diebstahls gegen den Entleiher, stand diesem die actio furti zu415. Das Klagerecht des Entleihers war keine Ausnahme. Die actio furti wurde grundsätzlich auch anderen gewährt, die ein Interesse daran hatten, dass die Sache nicht gestohlen wurde, sei es als dinglich Berechtigte416 oder gutgläubige Besitzer417, sei es, dass sie wie den Entleiher eine vertragliche Haftung traf. Klageberechtigt waren etwa auch der Schneider und der Kleiderreiniger, denen die Kleidung des Kunden gestohlen worden war418. Als Werkunternehmer traf sie 409
Kaser, Römisches Privatrecht I, § 118 III 2. Grundsätzlich zur Aktivlegitimation bei der actio furti Gai. 3,203; Inst. 4,1,13; Ulpian D.47,2,10, D.47,2,14,16; Paulus D.47,2,11; Justinian C.6,2,22 pr. 411 Gai. 3,205 f.; Inst. 4,1,15 f.; Ulpian D.47,2,12 pr.; Paulus D.4,9,4 pr., D.47,2,54,1; Justinian C.6,2,22 pr. 412 Vgl. Justinian C.6,2,22,3, nach dem die Frage strittig gewesen sein soll. 413 Kaser, SZ 96 (1979), 101; ders., FS von Lübtow (1980), 292. 414 Möglicherweise konnte der Eigentümer aber die actio furti dadurch an sich ziehen, dass er die Vertragsklage fallen ließ. Hierfür Paulus D.47,2,54,1, allerdings in einem Fall, in dem die actio furti sich (als Noxalklage) gegen den Eigentümer selbst richtete; und bezüglich eines custodiapflichtigen Kleiderreinigers Javolen D.47,2,91. Für eine solche Befugnis Mommsen, Commodum, 91 ff.; hinsichtlich der receptum-Haftung auch Goldschmidt, ZHR 3 (1860), 78; Römer, ZHR 18 (1873), 6 Fn. 4. 415 Justinian C.6,2,22,1–2; Inst. 4,1,16. 416 Etwa Ulpian D.7,1,12,5, D.47,2,46,1–3. 417 Dieser musste aber ein besonderes Interesse haben, etwa in Gestalt eines Zurückbehaltungsrechts, Ulpian D.47,2,52,10; Paulus D.47,2,54,4; Javolen D.47,2,75; Inst. 4,1,15. 418 Gai. 3,205; Inst. 4,1,15; Javolen D.47,2,91; Gaius D.19,2,6; Ulpian D.47,2,12 pr., D.47,2,48,4. 410
9. Die vertragliche Haftung für Sachentziehungen und -beschädigungen durch Dritte
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hinsichtlich der vom Besteller anvertrauten Sachen eine custodia-Haftung419. Weiterhin stand die actio furti auch dem Schiffer, Gastwirt oder Stallwirt zu, falls er aus der receptum-Haftung wegen des Diebstahls der eingebrachten Sache in Anspruch genommen werden konnte420. Überliefert ist ferner die Klageberechtigung des Mieters421, obwohl unsicher ist, ob er nach klassischem Recht für custodia oder nur für eigenes Verschulden einstehen musste422, sowie des Boten, der für den anvertrauten Brief eine custodia-Haftung übernahm423. Eine Sonderrolle nimmt schließlich der Pfandgläubiger ein, für den die custodia-Haftung nach klassischem Recht ebenfalls zweifelhaft ist424. Die Quellen treffen unterschiedliche Aussagen darüber, ob ihm die actio furti wegen seines dinglichen Rechts in Höhe seines Sicherungsinteresses zusteht oder ob er die Klage deshalb erheben kann, weil er das Pfand in seinem Besitz hatte und nun gegenüber dem Schuldner für den Verlust einstehen muss425. Doch nicht jeder, der gegenüber dem Eigentümer für den Diebstahl haften musste, konnte aus der actio furti klagen. Einleuchtend ist dies im Falle des Verwahrers426, weil er nur für dolus eintreten musste427. Sofern er nicht arglistig handelte, trug er also kein Risiko. Haftete er aber, etwa weil er die Sache selbst unterschlug oder beim Diebstahl half, sollte ihm seine Arglist nicht zu einem 419 Kaser, Römisches Privatrecht I, § 132 V 2; Zimmermann, Obligations, 398 f. Auch die Reiniger und Schneider mussten das vom Dieb Empfangene nicht an den Eigentümer weiterleiten, Gaius D.19,2,6. 420 Paulus D.4,9,4 pr.; Ulpian D.47,2,14,17, D.47,5,1,4. Mit der in Ulpian D.4,9,3,5 erwähnten actio furti, die hier dem Geschädigten zusteht, ist wohl die quasideliktische Klage gegen den Schiffer gemeint, nicht die Deliktsklage gegen den Dieb; so Hartmann, AcP 50 (1867), 125 ff.; Weis, ArchPrRW nF 5 (1868), 285; Römer, ZHR 18 (1873), 5 (Fn. 4), 9; Schulz, SZ 32 (1911), 68 ff.; anders Goldschmidt, ZHR 3 (1860), 78, nach dem die actio furti gegen den Dieb gemeint ist, die der Gläubiger durch Verzicht auf die receptum-Haftung an sich zog. Die Haftung aus dem receptum war sachlich eine custodia-Haftung, Ulpian D.4,9,3; Gaius D.4,9,5. Haftete der Schiffer nicht aus dem receptum, sondern nur quasideliktisch für Diebstähle seiner Angestellten, stand die actio furti dem Eigentümer zu, Paulus D.4,9,6,4; Ulpian D.47,5,1,3. 421 Gaius D.19,2,6; Ulpian D.13,6,5,15. Zur Klagebefugnis des Pächters etwa Ulpian D.47,2,14,2, D.47,8,2,22; Paulus D.47,2,86. Diese kann auf seine Haftung gegenüber dem Eigentümer gestützt werden, so Ulpian D.47,2,14,12 und § 16. Das Klagerecht konnte sich aber auch auf das Aneignungsrecht des Pächters stützen, falls Früchte gepflückt und gestohlen wurden, vgl. Ulpian D.47,2,26,1; Paulus D.47,2,83,1; zum Nießbraucher Ulpian D.7,1,12,5; anders Ulpian D.47,2,52,8. 422 Vgl. Kaser, Römisches Privatrecht I, § 132 III 3; Zimmermann, Obligations, 375 f. 423 Ulpian D.47,2,14,17. Die Verneinung der Klagebefugnis in eod., § 9, bezieht sich wohl auf einen Fall, in dem der Beauftragte sich Arglist vorwerfen musste. 424 Kaser, Römisches Privatrecht I, § 127 I 2; Zimmermann, Obligations, 226 f. 425 Vgl. Gai. 3,204; Inst. 4,1,14–15; Gaius D.47,2,50 pr.; Ulpian D.47,2,12,2, D.47,2,14,5–7 und § 16; Paulus D.47,2,88. Hier wird häufig angenommen, dass der Pfandgläubiger das vom Dieb aus der actio furti Erhaltene auf die Schuld anrechnen muss, so Ulpian D.13,7,22 pr., D.20,1,21,3, D.47,2,46,4; Paulus D.47,2,15 pr. Zum Problem Kaser, Römisches Privatrecht I, § 143 II 2 b; ders., SZ 96 (1979), 102; Zimmermann, Obligations, 933 f. 426 Gai. 3,207; Inst. 4,1,17; Ulpian D.47,2,14,3. Haftete der Verwahrer dagegen ausnahmsweise für Verschulden, stand ihm die Klage offenbar zu, Ulpian D.47,8,2,22–23. 427 Kaser, Römisches Privatrecht I, § 126 I 2; Zimmermann, Obligations, 205, 208 ff.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
Klagerecht verhelfen428. Auch der Entleiher war im Fall der Arglist von der Klageberechtigung ausgeschlossen429. Aus demselben Grund konnte auch der Dieb nicht aus der actio furti vorgehen, wenn nun ihm die Sache gestohlen wurde, obwohl er gegenüber dem Eigentümer (aus der actio furti und der condictio furtiva) haftete430. Verneint wird in den Quellen aber auch die Aktivlegitimation des auftraglosen Geschäftsführers, des Scheinvormunds sowie des Vormunds, selbst wenn die Sache des Eigentümers durch ihre Schuld verloren ging431. Auch dem Bürgen eines Entleihers kam die Klage nicht zugute432. Diese Beschränkungen könnten damit erklärt werden, dass nur diejenigen aus der actio furti vorgehen konnten, die eine custodia-Haftung traf433, was bei Vormündern, Scheinvormündern und Geschäftsführern nicht der Fall war. Möglich ist aber auch, dass schon eine Haftung wegen culpa zur Klage berechtigte und die Ablehnung der Klagebefugnis hier auf anderen Gründen beruhte, etwa dem Umstand, dass der Geschäftsführer die Obhut ungebeten übernommen hatte und der Vormund das Klagerecht des Mündels ausüben konnte. Die Einzelheiten sind nicht sicher434. In jedem Fall konnte nicht jeder, der gegenüber dem Eigentümer für einen fremden Diebstahl haften musste, die actio furti geltend machen. Anders als die actio furti stand die condictio furtiva grundsätzlich nur dem Eigentümer zu435. Möglicherweise wurde der Kreis auf bestimmte dinglich Berechtigte erweitert436. Doch der bloße Umstand, dass jemand für einen Diebstahl gegenüber dem Eigentümer haften musste, etwa als Entleiher oder Kleiderreiniger, berechtigte ihn nicht dazu, aus der condictio zu klagen437. Dasselbe galt von vornherein für die Vindikation. Ebenso wie die condictio furtiva war sie nur sachverfolgend. Dass bei der actio furti die Klagebefugnis anders geregelt war, hängt mit ihrer Natur als reiner Strafklage zusammen. Wenn ihr Gegenstand eine Geldbuße war, die über den Schaden hinausging und insbesondere neben der Interesseleistung einforderbar war, konnte das Klagerecht auch anderen Personen gewährt werden als dem Eigentümer, der auch ohne die actio furti schon entschädigt 428 Vgl. Paulus D.47,2,11, wonach das Interesse an der actio furti auf einer honesta causa beruhen musste. 429 Ulpian D.47,2,14,8. 430 Pomponius D.47,2,77,1; ähnlich Paulus D.4,9,4 pr.; Julian D.47,2,14,4; ferner Ulpian D.47,2,12,1 zum bösgläubigen Besitzer. 431 Paulus D.47,2,54,3, D.47,2,86. 432 Ulpian D.47,2,14,10; Paulus D.47,2,86. 433 Vgl. Gai. 3,206; Inst. 4,1,16; Ulpian D.13,6,5,15, D.13,6,10,1, D.47,2,12 pr., D.47,2,14,17, D.47,2,48,4. 434 Vgl. Kaser, FS von Lübtow (1980), 314 ff.; ferner Schulz, SZ 32 (1911), 23; Rosenthal, SZ 68 (1951), 217, 244 ff.; Kaser, SZ 96 (1979), 101 ff.; ders., Römisches Privatrecht I, § 143 II 2 b. 435 Ulpian D.13,1,1, D.47,2,14,16, D.7,1,12,5; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 143 III; Pika, Causa furtiva, 35 ff. 436 Zum Pfandgläubiger Ulpian D.13,1,12,2, D.13,7,22 pr.; Pika, Causa furtiva, 71 ff. Zur Frage, ob der aneignungsberechtigte Nießbraucher gestohlene Früchte kondizieren kann, Labeo D.19,2,60,5; Ulpian D.7,1,12,5. Zur Besitzkondiktion Ulpian D.13,3,2, D.47,2,25,1. 437 Gaius D.19,2,25,8; Ulpian D.47,2,14,16; Pika, Causa furtiva, 49 f.
9. Die vertragliche Haftung für Sachentziehungen und -beschädigungen durch Dritte
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wurde (durch die Vertragsklage gegenüber dem Bewacher oder durch die condictio furtiva gegenüber dem Dieb). Diese Rahmenbedingungen änderten sich, nachdem das Gemeine Recht Strafklagen nicht mehr anerkannte. Wurde eine dem Eigentümer gestohlene Sache nicht vindiziert, dann gab es kein kumulatives Nebeneinander von actio furti und condictio furtiva mehr. Vielmehr konnte der Eigentümer nur noch einfachen Schadensersatz verlangen, unabhängig davon, ob man sich hierfür auf die condictio furtiva, eine nun nur noch sachverfolgende actio furti oder eine allgemeine deliktische Schadensersatzklage stützte. Hieraus konnte man die Konsequenz ziehen, dass die Sonderregeln zur Klagebefugnis bei der actio furti nun obsolet waren438. Ob der Entleiher eine Schadensersatzklage gegen den Dieb hatte, richtete sich dann danach, ob die aquilische Schadensersatzklage auch den Ersatz reiner Vermögensschäden umfasste439. Im 19. Jahrhundert wurde dies häufig verneint, dennoch wollte man dem Entleiher und anderen obligatorisch für Diebstahl Haftenden die Klagemöglichkeit gegen den Dieb erhalten. Zu diesem Zweck wurden zwei unterschiedliche Wege eingeschlagen. Entweder sagte man, dass nur die Straffunktion der actio furti außer Gebrauch gekommen sei, nicht aber die Klage selbst und damit auch nicht die Regeln zur Klagebefugnis440. Dem Entleiher und den anderen Haftenden stand damit gegen den Dieb eine actio furti auf einfachen Schadensersatz zu. Oder man erklärte die actio furti insgesamt für obsolet und konstatierte dann eine Haftungslücke, weil dem Entleiher nun kein Rechtsbehelf gegen den Dieb mehr zustand. Diese Lücke wurde dadurch gefüllt, dass dem Haftenden gemeinrechtlich nun die Klagebefugnis aus der condictio furtiva gewährt wurde, die sich auf den Sachwert richtete441. Es ist nicht sicher, ob diese Lösungen dazu führen sollten, dass der Eigentümer selbst nun, anders als im römischen Recht, gar keine Schadensersatzklage gegen den Dieb mehr hatte. Gab man dem Entleiher die actio furti, konnte man dem Eigentümer noch die condictio furtiva belassen; gab man diese dem Entleiher, kam vielleicht eine allgemeine Schadensersatzklage des Eigentümers in Betracht. Doch selbst wenn der Eigentümer nach diesen Ansätzen eine eigene Klage hatte, musste diese spätestens dann wegfallen, wenn der Entleiher vom Dieb Ersatz erhalten hatte, weil der Dieb nach Wegfall der Strafklagen nicht mehr als einmaligen Ersatz schuldete. War der Entleiher solvent, konnte der Eigentümer die Klage gegen den Dieb also verlieren, bevor er Ersatz vom Entleiher erhalten hatte oder überhaupt an den Entleiher herangetreten war. Der Eigentümer hatte kein 438
So wohl Glück, der lediglich die Regeln zum römischen Recht referiert (Pandecten, Bd. 13, 218 ff., 224 f., 462 f., Bd. 14, 146 ff.); Thibaut, Pandekten, § 965; Brinz, Pandekten, § 339. 439 Hierzu Näheres weiter unten in diesem Abschnitt. 440 So Voet, Commentarius, zu D.47,2, § 15 (der von einer actio in factum auf einfachen Schadensersatz spricht); Sintenis, Civilrecht, § 124 bei Fn. 23; Dernburg, Pandekten II, § 130 a.E.; Wächter, Pandekten, § 214 II (der eine deliktische Ersatzklage etwa in Gestalt der actio doli gewähren will); Baron, Pandekten, § 238 II; wohl auch Mommsen, Commodum, 87, 89 ff. 441 So Voet, Commentarius, zu D.13,1, § 3; Windscheid, Pandekten, § 453 Nr. 1 mit Fn. 11; Sintenis, Civilrecht, § 109 Fn. 125; Arndts, Pandekten, § 323.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
Wahlrecht, zumindest kein uneingeschränktes. Die propagierte Lösung war also eine andere als bei Anwendung der Gesamtschuldregeln oder auch nur der des einfachen Zessionsregresses. Die vermeintliche Lücke bestand aber der Sache nach nicht: Wer wie Windscheid stets von einem Regressrecht des Solidarschuldners ausging, der wegen des Verschuldens des anderen Solidarschuldners haftete442, konnte den Fall auch mit Gesamtschuldregeln lösen. Wer einen Gesamtschuldregress bei Schadensersatzverbindlichkeiten nicht anerkannte, konnte zumindest ein Recht des leistenden Entleihers auf Zession der Klage gegen den Dieb annehmen. Offenbar übte hier die römische Tradition großen Einfluss aus, die dem vertraglich Haftenden die actio furti schon vor seiner Leistung an den Eigentümer gewährt hatte. Die Frage nach der Aktivlegitimation stellte sich auch dann, wenn die Sache des Eigentümers beim Entleiher nicht gestohlen, sondern von einem Dritten beschädigt oder zerstört wurde. Nach römischem Recht kamen hier nur zwei Klagen in Betracht: eine Vertragsklage gegen den Entleiher und die aquilische Klage gegen den Dritten. Klagebefugt nach der lex Aquilia war in erster Linie der Eigentümer der beschädigten oder zerstörten Sache443. Daneben gewähren die Quellen auch bestimmten dinglich Berechtigten eine analoge Klage444. Nicht überliefert ist aber ein auf die Haftung gegenüber dem Eigentümer gestütztes Klagerecht. Die Klagebefugnis des Entleihers wird ausdrücklich abgelehnt445. Im auffälligen Gegensatz dazu steht ein Fragment, nach dem die actio de pauperie wegen Tierschadens dem Entleiher und dem Kleiderreiniger zusteht, weil diese gegenüber dem Eigentümer haften446. Warum der Entleiher nicht aus der lex Aquilia klagen konnte, ist bis heute nicht sicher. Eine mögliche Erklärung ist, dass er gegenüber dem Eigentümer für Sachbeschädigungen durch Dritte nicht einstehen musste und daher kein Bedürfnis für eine Klage gegen den Täter hatte. Die custodia-Haftung wäre, so gesehen, nicht als allgemeiner Haftungsmaßstab anzusehen, nach dem der Schuldner für jedes Ereignis mit Ausnahme höherer Gewalt verschuldensunabhängig einstehen muss, sondern als eine Verpflichtung zur Bewachung, die nicht Sachbeschädigungen, sondern Diebstähle verhindern soll und daher nur im Fall des Diebstahls einer strikten Haftung gleichkäme447. Hierfür spricht ein Fragment von Julian, nach dem der Entleiher nicht für Schäden haften soll, die von Dritten zugefügt 442
Oben, 575. Ulpian D.9,2,11,6. Zum Folgenden Pernice, Sachbeschädigungen, 183 ff., 207, 213; Haymann, SZ 40 (1919), 194 ff., 198 f.; von Lübtow, Lex Aquilia, 169 ff.; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 144 III 2; Zimmermann, Obligations, 994 f.; Hausmaninger, Lex Aquilia, C1. 444 Etwa Nießbrauchern und Gebrauchsberechtigten (Ulpian D.4,3,7,4, D.7,1,17,3, D.9,2,11,10; Paulus D.9,2,12), Pfandgläubigern (Ulpian D.9,2,17; Paulus D.9,2,30,1; Marcellus D.20,1,27); gutgläubigen Besitzern (Ulpian D.9,2,17) und aneignungsberechtigten Pächtern hinsichtlich der Saat (Ulpian D.9,2,27,14). 445 Ulpian D.9,2,11,9, D.13,6,7,1. 446 Paulus D.9,1,2 pr. 447 Zu dieser Frage stellvertretend Kaser, Römisches Privatrecht I, § 118 III 2; Zimmermann, Obligations, 193 ff.; jew. m.w.N. 443
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werden, weil diese sich auch durch Sorgfalt nicht verhindern ließen448. Die Klagebefugnis für die actio de pauperie könnte dann damit erklärt werden, dass die custodia-Haftung zwar nicht Sachbeschädigungen durch Menschen, wohl aber von Tieren zugefügte Schäden als gewöhnliches Alltagsrisiko umfasste. Allerdings waren Marcellus und Ulpian der Ansicht, dass eine Klage gegen den Entleiher dann möglich sei, wenn die Sachbeschädigung durch eine Bewachung der Sache hätte verhindert werden können449. Die Frage war wahrscheinlich umstritten. Hieraus können unterschiedliche Schlüsse gezogen werden. Möglicherweise gab man dem Entleiher und anderen Vertragspartnern, welche eine custodia-Haftung traf, dann die Klagebefugnis aus der lex Aquilia, wenn sie gegenüber dem Eigentümer haften mussten450. Hierfür spricht, dass die Ansicht, wonach dem Entleiher das Klagerecht nicht zustehe, gerade von Julian überliefert ist, der eine Haftung des Entleihers ablehnte451. Möglich ist aber auch, dass der Obhutspflichtige selbst im Haftungsfall nicht gegen den Beschädiger klagen konnte. Hierfür spricht zum einen ein Fragment von Ulpian: Einer von zwei Entleihern hat an der Sache einen Schaden verursacht, für den auch der andere Entleiher vertraglich einstehen muss; trotzdem steht das Klagerecht aus der lex Aquilia dem Eigentümer zu452. Zum anderen bezog sich vielleicht nicht die allgemeine custodia-Haftung, wohl aber zumindest die besondere receptum-Haftung der Schiffer auch auf Sachbeschädigungen durch Dritte453. Dennoch überliefern die Quellen nur das Klagerecht des Schiffers aus der actio furti454. Möglich ist also, dass ganz unabhängig von der Haftungsfrage die Klagebefugnis nach der lex Aquilia anderen Regeln folgte als die aus der actio furti. Dafür könnte sprechen, dass nur die actio furti eine reine Strafklage war und ihre Überleitung auf den Entleiher die sachverfolgenden Klagen des Eigentümers unberührt ließ. Die aquilische als gemischte Strafklage vereinigte demgegenüber Buß- und Entschädigungsfunktion. Könnte der Entleiher wegen des Sachwerts gegen den Dieb klagen, stünde dem Eigentümer gegen den Dieb vielleicht gar keine Klage mehr zu. Die zugleich entschädigende Funktion der aquilischen Klage könnte also der Grund dafür gewesen sein, dass sie nur dem Eigentümer zustand. Bei den gemeinrechtlichen Schriftstellern bestand keine Einigkeit darüber, ob der Entleiher oder andere Vertragsschuldner, die gegenüber dem Eigentümer für die Sachbeschädigung durch einen Dritten haften mussten, mit der aquilischen
448
Julian D.13,6,19. Ulpian D.19,2,41. 450 So von Lübtow, Lex Aquilia, 169 Fn. 180; Hausmaninger, Lex Aquilia, C1; wohl auch Kaser, Römisches Privatrecht I, § 144 III 2. 451 Julian, zitiert von Ulpian D.9,2,11,9. 452 Ulpian D.13,6,7,1. Dies kann allerdings auch damit erklärt werden, dass die Beschädigung nicht durch einen außenstehenden Dritten, sondern von einem der Vertragspartner verübt wurde. 453 Gaius D.4,9,5,1. 454 Das Fragment Paulus D.4,9,6,4, nach dem der Geschädigte gegen den Täter wegen Sachbeschädigung klagen kann, ist nicht aussagekräftig, da hier der Schiffer offenbar keine receptum-Haftung übernommen hat (so dass dem Geschädigten auch die actio furti zusteht). 449
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
Klage gegen den Dritten vorgehen konnten. Während frühere Autoren ein Klagerecht oft bejahten455, findet sich im 19. Jahrhundert eine restriktivere Einstellung, wonach die Klage nur dinglich Berechtigten zustehen sollte456. Die Streitfrage muss vor dem Hintergrund der Wandlungen der aquilischen Schadensersatzklage gesehen werden, die sich zur Zeit des usus modernus zu einer deliktischen Generalklausel entwickelte, mit der auch der Ersatz reiner Vermögensschäden verlangt werden konnte457. Wer von einer solchen allgemeinen Schadensersatzpflicht ausging, konnte auch einen Anspruch desjenigen bejahen, der nur deswegen einen Schaden erlitten hatte, weil er gegenüber dem Eigentümer haften musste458. Dies galt im Übrigen nicht nur für die Fälle der Sachbeschädigung, sondern auch für die zuvor dargestellten des Diebstahls. Demgegenüber wandte man sich im 19. Jahrhundert wieder mehr den römischen Quellen zu und beschränkte die deliktischen Ansprüche auf die überlieferten römischen Tatbestände459. Dieser Gesichtspunkt spielt auch bei den Kodifikationen und Entwürfen eine Rolle, die keine besonderen Regeln zur Klagebefugnis des Entleihers oder anderer Vertragsschuldner enthielten, die gegenüber dem Eigentümer für einen Diebstahl oder eine Sachbeschädigung durch Dritte einstehen mussten. Soweit sie, wie das ALR, der CC oder das ABGB, eine deliktische Generalklausel enthielten460, bestand die Möglichkeit, dass der haftende Vertragsschuldner aus dieser gegenüber dem Dieb oder Schädiger klagen konnte461. Im BGB ist demgegenüber die deliktische Haftung auf die Tatbestände der §§ 823, 826 begrenzt. Der gegenüber dem Eigentümer haftende Vertragsschuldner kann daher grundsätzlich nicht aus Delikt gegen den Dieb oder Schädiger vorgehen. Das Nebeneinander von deliktischer Haftung und vertraglicher Einstandspflicht für denselben Schaden wurde also gemeinrechtlich und unter Geltung der 455 So wohl Voet, Commentarius, zu D.9,2, § 10; ferner Glück, Pandecten X, 374 ff.; Thibaut, Pandekten, § 964; ebenso wohl später Dernburg, Pandekten II, § 131 Fn. 15; ders., Preußisches Privatrecht II, § 295 Nr. 4. 456 So Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 676; Koch, Forderungen III, 1175; Vangerow, Pandekten, § 681 Anm. 1, unter II 1; Brinz, Pandekten, § 340; Windscheid, Pandekten, § 455 Nr. 4; Sintenis, Civilrecht, § 125 Fn. 16; Mommsen, Commodum, 87; unklar Baron, Pandekten (gegen ein Klagerecht § 313 II 4; anders offenbar § 238). Gegen ein Klagerecht des Haftenden auch RGZ 9, 158, 165 f. (wonach es sich beim Klagerecht des Entleihers wegen Tierschadens um eine nicht verallgemeinerungsfähige Sondervorschrift handeln soll, 10.2.1883); ebenso obiter RGZ 20, 199, 201 (1.12.1887). 457 Stellvertretend Kaufmann, Rezeption, 46 ff.; Zimmermann, Obligations, 1022 ff.; Jansen, Haftungsrecht, 293 f. 458 Dennoch wurde dieser Schluss nicht immer gezogen, siehe Kaufmann, Rezeption, 79 ff. 459 Stellvertretend Zimmermann, Obligations, 1036 f.; Jansen, Haftungsrecht, 361 f. m.w.N. Aus der Rechtsprechung etwa OAG Berlin, SeuffA 30 Nr. 146 (19.1.1874); RGZ 9, 158, 163 ff. (10.2.1883); OLG Stuttgart, SeuffA 43 Nr. 189 (19.11.1886). 460 Das war, zumindest nach dem Wortlaut, die große Mehrheit: ALR I 6 § 12; CC Art. 1382; ABGB § 1295; SächsE § 776; HessE IV 1 Art. 206; BayE II Art. 52; SächsGB § 773; DresdE Art. 212; OR 1881 Art. 50 (OR 1911 Art. 41). 461 So Koch, Forderungen III, 1177 f. (zum preußischen Recht).
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früheren Regelwerke zumindest teilweise dadurch gelöst, dass der Vertragsschuldner schon mit Zeitpunkt des Schadenseintritts einen eigenen Schadensersatzanspruch gegen den deliktischen Schuldner hatte. Im System des BGB wäre eine solche Lösung nur in Gestalt einer Drittschadensliquidation denkbar: Danach hätte der Eigentümer, weil er vom Vertragsschuldner entschädigt wird, keinen eigenen Schaden, könnte aber gegenüber dem Deliktstäter den Haftungsschaden des Vertragsschuldners geltend machen und müsste den Anspruch an diesen abtreten. Eine Pflicht zur Abtretung würde sich aber erst ergeben, wenn der Vertragsschuldner den Eigentümer entschädigt. Das erscheint auch sinnvoll. Das Regressinteresse des Vertragsschuldners verlangt es nicht, ihm schon vor seiner Leistung an den Eigentümer einen Anspruch gegen den Deliktstäter zu gewähren. Auch zum Schutz des Eigentümers erscheint es sinnvoller, den Regressanspruch erst mit der Leistung des Schadensersatzes entstehen zu lassen. Dies kann sowohl mit Gesamtschuldregeln als auch mit einem Zessionsregress erreicht werden. Gemeinrechtlich bekannt war in diesen Fällen der Zessionsregress, den man aus den römischen Quellen ableitete.
b) Die Abtretungslösung des römischen Rechts Ausgangspunkt ist der römische Grundsatz der Geldkondemnation, wonach zumindest im klassischen Recht der Schuldner nicht gezwungen werden konnte, in Natur zu erfüllen462. Dies galt selbst dann, wenn der Schuldner eine Sache herausgeben sollte, die dem Gläubiger gehörte, insbesondere also im Vindikationsprozess. Weigerte sich der beklagte Besitzer, die Sache an den Eigentümer herauszugeben, wurde er in Höhe eines Geldbetrags verurteilt, den der Kläger zuvor als Wert seines Interesses eidlich geschätzt hatte, die sogenannte litis aestimatio463. Mit Leistung dieser Schätzsumme erlangte der Besitzer die Stellung eines Käufers464. Dass er die Sache im Besitz hatte, kam einer traditio gleich, so dass er Eigentümer wurde465. Zumindest bei res mancipi, also Sklaven und anderen wertvollen Sachen466, wurde er allerdings nur bonitarischer Eigentümer, weil es an einem Formalgeschäft der Eigentumsübertragung fehlte. Praktisch war dies allerdings kaum von Belang, da er gegenüber einem Herausgabeanspruch des Eigentümers eine Einrede hatte, mittels der actio Publiciana auch gegen Dritte geschützt war und nach Ablauf der kurzen Ersitzungszeit quiritischer Eigentümer wurde467.
462
Kaser, Römisches Privatrecht I, § 117 I; Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht, § 54 IV 1. Hierzu Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht, § 48 IV. 464 Julian D.25,2,22; Gaius D.41,4,1; Paulus D.6,1,35,2 und l. 46; Ulpian D.6,2,7,1, D.41,4,3; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 103 I 6; Kaser/Hackl, a.a.O., § 55 II 2. 465 Paulus D.6,1,46; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 103 I 6; Kaser/Hackl, a.a.O., § 55 II 2. 466 Hierzu Kaser, Römisches Privatrecht I, § 31 III 2, § 93 I 2. 467 Julian D.25,2,22; Ulpian D.6,2,7,1; siehe Kaser, Römisches Privatrecht I, § 97 III. 463
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In bestimmten Fällen haftete der Beklagte im Vindikationsprozess aber auch dann, wenn er den Besitz an der Sache nach Klageerhebung verloren hatte. Wann dies genau der Fall war, wurde von den römischen Juristen unterschiedlich beurteilt. Wahrscheinlich wurde die prokulianische Ansicht, dass selbst der gutgläubige Besitzer für den zufälligen Besitzverlust einstehen musste, von der sabinianischen Meinung verdrängt, dass er nur für dolus oder für dolus und culpa, in Ausnahmefällen auch für custodia haftete468. Rechtsfolge der Haftung war die Pflicht zur Leistung einer Schadensersatzsumme, deren Höhe aber, solange der Beklagte den Besitz nicht vorsätzlich aufgegeben hatte, nicht auf einem Eid des Klägers beruhte, sondern vom Richter festgesetzt wurde469. Ebenso wie der besitzende Beklagte erlangte auch der nicht besitzende mit seiner Leistung die Stellung eines Käufers. Die Sache wurde also im Verhältnis zwischen Kläger und Beklagtem dem letzteren zugewiesen. Ähnlich verhielt es sich, wenn der Beklagte vertraglich zur Rückgabe einer Sache verpflichtet war, etwa als Entleiher oder als Werkunternehmer (der Schneider, dem die Kleidung des Kunden gestohlen worden war). Konnte er die Sache aus einem Grund, für den er vertraglich einstehen musste, nicht zurückgeben, musste er dem Kläger eine Schätzsumme zahlen, die auf dessen Eid beruhte, falls der Beklagte den Besitz vorsätzlich verloren hatte; ansonsten wurde die Summe vom Richter festgelegt470. In beiden Fällen erlangte der Schuldner mit Zahlung die Stellung eines Käufers471. Doch wenn der Beklagte, sei es im Vindikationsprozess, sei es bei einer vertraglichen Klage, die Sache nicht mehr besaß, konnte er mit der Zahlung der Schätzsumme mangels Übertragungsakt kein Eigentum erwerben472. Vielmehr blieb der Kläger Eigentümer. Der Beklagte erwarb das Eigentum an der Sache erst dann, wenn er den Besitz erlangte473. Ob dies geschehen würde, war aber unsicher. In dieser Situation wurde dem Beklagten mit verschiedenen Mitteln geholfen474. Zunächst einmal konnte er (beim Vindikationsprozess aber nur dann, wenn er den Besitz nicht vorsätzlich verloren hatte475) vom Kläger die Abtretung der Vindikationsklage476 bzw. eine Sicherheitsleistung für die zukünftige Abtre-
468
Kaser, FS von Lübtow (1980), 296 ff.; s.a. Römisches Privatrecht I, § 103 I 5. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht, § 48 IV. 470 Kaser/Hackl, a.a.O., § 48 IV. 471 Kaser/Hackl, a.a.O., § 55 II 2. Zum Entleiher Ulpian D.13,6,5,1; Pomponius D.13,6,13 pr.; Paulus D.13,6,17,5; zum Schneider und Kleiderreiniger Gaius D.19,2,25,8. 472 Kaser, Römisches Privatrecht I, § 100. 473 Paulus D.6,1,47. 474 Zum Folgenden Selb, FS Larenz (1973), 527 ff.; s.a. Hauk, Abtretung, 2 ff. 475 Paulus D.6,1,69; Pomponius D.6,1,70; Papinian D.6,1,63; anders beim Vertragsschuldner, Marcellus D.42,1,12; zu diesem Unterschied Mühlenbruch, Cession, 413 f. m.w.N. zur gemeinrechtlichen Diskussion; Schmid, Cession I, 264 f.; Oertmann, Vorteilsausgleichung, 261 f.; Schulz, SZ 27 (1906), 98; Hauk, Abtretung, 6 ff. 476 Papinian D.6,1,63; Paulus D.6,1,21; Gaius D.19,2,25,8; Labeo D.19,2,60,2; Marcellus D.42,1,12. 469
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tung477 verlangen. Mit Hilfe dieses Anspruchs konnte er von einem Drittbesitzer vindizieren und, falls der Dritte die Sache herausgab, auch Eigentümer werden. Diese Abtretung (nach römischem Recht eine Ermächtigung, die Klage des Eigentümers geltend zu machen) half ihm aber nicht, falls die Sache aus irgendeinem Grund wieder in den Besitz des Eigentümers geraten war. Daher konnte der Beklagte vom Kläger die Leistung einer Sicherheit verlangen, die verfiel, falls der Eigentümer die Sache nicht herausgab oder in anderer Weise den Beklagten an der Erlangung des Besitzes hinderte478. Ob und wie dem Beklagten auch dann geholfen wurde, wenn er keine Sicherheit verlangt hatte und die Sache mittlerweile wieder in den Besitz des Eigentümers gelangt war, geht aus den Quellen nicht eindeutig hervor. Bei der Vindikation geht Papinian offenbar davon aus, dass auch in dieser Lage der Eigentümer nicht das Recht hatte, die Sache zu behalten und dafür die Schätzsumme zurückzugewähren479. Bei der Leihe findet sich ein Fragment von Paulus, wonach der Eigentümer aus dem Leihvertrag entweder die Sache herauszugeben oder die Schätzsumme zurückzuzahlen hat480, woraus geschlossen werden könnte, dass hier der Eigentümer ein Wahlrecht hatte. Schließlich gibt es auch ein Fragment von Ulpian, wonach der Kleiderreiniger, der die Schätzsumme für verlorene Kleidungsstücke gezahlt hat, die hinterher wieder in den Besitz des Eigentümers gelangt sind, aus dem Werkvertrag und aus einer condictio quasi sine causa vom Eigentümer die Rückerstattung der Schätzsumme verlangen kann481. Möglicherweise wollte hier der Reiniger von vornherein lieber die Rückzahlung als die Sache; vielleicht hatte aber auch der Eigentümer sich erfolgreich geweigert, die Sache herauszugeben482. Im Ergebnis wurde der Konflikt zwischen Eigentümer und Beklagtem zumindest dann zugunsten des Beklagten gelöst, wenn er auf irgendeine Weise den Besitz an der Sache erlangt hatte: Dann wurde er selbst Eigentümer, und dem früheren Eigentümer stand kein Rechtsbehelf zu, seine Sache gegen Geldzahlung zurückzuerlangen. Gelangte die Sache dagegen in den Besitz des Eigentümers, war die Rechtslage möglicherweise unter den römischen Juristen umstritten483. Offenbar konnte der Eigentümer zumindest im Falle des Leihvertrags nach Ansicht von Paulus eine Herausgabepflicht durch Rückzahlung der Schätzsumme vermeiden. Vor diesem sachenrechtlichen Hintergrund kann die Frage beantwortet werden, was gemeint ist, wenn in den römischen Quellen von einem Zessionsrecht desjenigen die Rede ist, der gegenüber dem Eigentümer für einen von einem 477
Paulus D.6,1,69. Paulus D.6,1,47; Pomponius D.13,6,13 pr. 479 Papinian D.6,1,63. Möglicherweise bekam der Vindikationsbeklagte trotz fehlenden Besitzes eine analoge actio Publiciana, vgl. Pomponius D.6,1,70; Oertmann, Vorteilsausgleichung, 258 ff. 480 Paulus D.13,6,17,5. 481 Ulpian D.12,7,2. 482 So Selb, FS Larenz, 531. 483 Vgl. Schulz, SZ 27 (1906), 98. 478
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Dritten verschuldeten Sachverlust einstehen muss. Ein solches Zessionsrecht findet sich nicht nur zugunsten des im Vindikationsprozess beklagten Besitzers484, des Entleihers, Verwahrers485 und Werkunternehmers486, sondern auch zugunsten des Beauftragten und des Vormunds, denen durch ihr Verschulden eine Sache des Auftraggebers bzw. Mündels gestohlen wurde487, sowie des quasideliktisch für den Diebstahl eines Angestellten haftenden Schiffers488. Zumeist ist von einer Abtretung der actiones, also mehrerer Klagen, die Rede489. Gemeint waren damit in erster Linie die Vindikation und die condictio furtiva490. Mit Leistung der Schätzsumme kaufte der Haftende dem Eigentümer die Sache ab. Die Abtretung der Vindikation führte zwar nicht selbst zu einem Eigentumsübergang, konnte dem Haftenden aber zur Erlangung des Eigentums verhelfen, falls er mit ihrer Hilfe von einem dritten Besitzer erfolgreich vindizierte. Gab der Dritte die Sache nicht heraus, erhielt der Haftende aus der Vindikation zumindest den Schätzwert. Die condictio furtiva wiederum wurde mitabgetreten, weil sie ähnliche Funktionen erfüllte wie die Vindikation. Sie stand einem bestohlenen Eigentümer als sachverfolgende Klage gegen den Dieb und seine Erben zu und richtete sich auf die Zahlung des Sachwerts, falls der Beklagte die Sache nicht zurückgab491. Standen dem Eigentümer beide Klagen zu, konnte er nicht doppelt liquidieren, sondern musste sich entscheiden, aus einer Klage die Leistung zu empfangen und die andere fallen zu lassen492. Eine Abtretung nur der Vindikation ohne condictio furtiva machte also keinen Sinn493, wenn dem Beklagten die Sache inter partes zugewiesen werden sollte. Die actio furti war demgegenüber eine reine Strafklage, die neben den sachverfolgenden Klagen kumulativ geltend gemacht werden konnte494. Wie berichtet stand sie in vielen Fällen schon von vornherein dem Schuldner zu, etwa dann, wenn er Entleiher, Mieter, Pächter, Pfandgläubiger, Kleiderreiniger oder aus receptum haftender Schiffer war und ihm keine Arglist vorgeworfen werden konnte. Fraglich ist also nur, ob diejenigen Schuldner, denen das Klagerecht nicht zukam, wenigstens bei ihrer Leistung an den Eigentümer die Abtretung verlangen konnten. Ein solches Zessionsrecht ist für Einzelfälle überliefert495. Der auf484
Papinian D.6,1,63; Paulus D.6,1,21. Marcellus D.42,1,12. 486 Gaius D.19,2,25,8; Labeo D.19,2,60,2. 487 Paulus D.47,2,54,3. 488 Paulus D.4,9,6,4. 489 Paulus D.4,9,6,4, D.6,1,21 und l. 69; Labeo D.19,2,60,2; Marcellus D.42,1,12. 490 Ausdrücklich Gaius D.19,2,25,8. 491 Paulus D.13,1,5; Ulpian D.13,1,7,2–10 pr. 492 Pomponius D.47,2,9,1; Pika, Causa furtiva, 109 ff. 493 Veräußerte der bestohlene Eigentümer die Sache, verlor er das Recht zu kondizieren, Ulpian D.13,1,10,2; Pomponius D.44,7,56. 494 Oben, 497, 771 ff. 495 Nicht ganz klar ist der Fall, dass die Sache dem gutgläubigen Besitzer nach Erhebung der Vindikationsklage gestohlen wird. Wie berichtet treffen die Quellen unterschiedliche Aussagen darüber, ob der Beklagte für einen Diebstahl stets, nur bei Verschulden oder nur im Fall des dolus 485
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traglose Geschäftsführer und der Vormund, denen die Sache des Eigentümers durch ihr Verschulden gestohlen wurde, hatten selbst kein Klagerecht aus der actio furti. Hafteten sie aber wegen des Diebstahls gegenüber dem Eigentümer, konnten sie nach einem Paulus-Fragment nur dann verurteilt werden, wenn der Eigentümer ihnen seine Klage abtrat496, womit offenbar die actio furti gemeint ist497. Ebenso erwähnt Paulus ein Abtretungsrecht zugunsten des haftenden Schiffers, der quasideliktisch für einen Diebstahl seines Angestellten haften muss498. In diesen Fällen stand die actio furti gegen den Dieb offenbar dann dem Eigentümer zu, wenn der Schiffer nicht zugleich eine receptum-Haftung übernommen hatte499. Bei der nach Paulus an den Schiffer abzutretende Klage handelt es sich wohl um diese actio furti des Eigentümers500. Mit einer Gesamtschuldkonstruktion, also dem Gedanken, dass der Dieb bei Leistung durch den Schuldner frei wird und der Schuldner Regress nehmen kann, hat das römische Recht in all diesen Fällen nicht gearbeitet. Das ist bei der actio furti unmittelbar einleuchtend, weil sie kumulativ neben den sachverfolgenden Klagen bestand und sich nur gegen den Dieb richtete. Aber auch im Verhältnis zwischen der Vertragsklage gegen den Schuldner und der condictio furtiva gegen den Dieb war eine Solutionskonkurrenz nicht vorgesehen. Hierfür waren beide Klagen offenbar zu unterschiedlich, auch wenn sie im Ergebnis dasselbe Interesse schützten501. Ein Zessionsregress passte auch besser zu der Vorstellung, dass der Schuldner dem Eigentümer mit seiner Ersatzleistung die Sache abkaufte und daher von diesem die Abtretung der mit der Sache verbundenen Klagen verlangen konnte. Nur wenige Quellen behandeln den Fall, dass die dem Eigentümer zurückzugebende Sache beim Schuldner nicht entwendet, sondern von einem Dritten beschädigt oder zerstört wird. In diesen Fällen kommen eine Klage gegen den Schuldner und eine Klage aus der lex Aquilia gegen den Dritten in Betracht. Ob und wann ein Schuldner aber für Beschädigungen durch Dritte überhaupt einstehen musste, ist unsicher. Wie berichtet gab es offenbar keine Einigkeit darüber, ob Entleiher oder andere custodia-Pflichtige für durch Dritte zugefügte Schäden hafteten502. Zumindest im Rahmen der Vindikation konnte Schadensersatz wegen 496 einstehen muss. Sofern er ohne Verschulden haftete, stand ihm die actio furti wahrscheinlich von vornherein zu. Die Quellen sagen nichts dazu, ob dann, wenn er wegen Verschuldens haftete, das Klagerecht ihm zustand oder vom Eigentümer an ihn abgetreten werden musste. Vgl. Schulz, SZ 32 (1911), 81 ff.; Kaser, FS von Lübtow (1980), 296 ff. 496 Paulus D.47,2,54,3. 497 Mommsen, Commodum, 94 f.; Oertmann, Vorteilsausgleichung, 265; Schulz, SZ 27 (1906), 98; ders., SZ 32 (1911), 32; Selb, FS Larenz, 534; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 19 f.; Kaser, FS von Lübtow (1980), 322; anders Levy, Nachträge, 22. 498 Paulus D.4,9,6,4. 499 Ulpian D.47,5,1,3–4. Beispiel für eine nur quasideliktische Haftung: Ulpian D.14,1,1,2. 500 Goldschmidt, ZHR 3 (1860), 78; Römer, ZHR 18 (1873), 11 f.; Schulz, SZ 27 (1906), 98; Selb, FS Larenz, 529; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 20. 501 Vgl. Levy, Nachträge, 18 f. 502 Vgl. Julian D.13,6,19; Ulpian D.19,2,41; oben, 776 f.
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der Beschädigung oder Zerstörung der Sache verlangt werden503. Eine Haftung für durch Dritte verursachte Schäden kam in Betracht, wenn der Beklagte die Zerstörung schuldhaft ermöglicht hatte504 oder für Zufall haften musste505. Überliefert ist eine Haftung für von Dritten verursachte Schäden auch bei der Haftung des Schiffers, sei es aus receptum für Schäden an der eingebrachten Sachen allgemein506, sei es aus Quasidelikt für Beschädigungen durch seine Angestellten507. Dann stellt sich die Frage, ob und durch wen die Klage aus der lex Aquilia neben der Klage gegen den Schuldner (aus Vertrag, Vindikation oder Quasidelikt) erhoben werden kann. Die Klage aus der lex Aquilia hatte als sogenannte gemischte Strafklage die Funktion sowohl einer Sanktionierung des Täters als auch der Wiedergutmachung beim Verletzten508. Daher weist sie eigentümliche Konkurrenzregeln auf. Hatte in einem reinen Zweipersonenfall der Schuldner selbst die herauszugebende Sache zerstört, konnte der Gläubiger/Eigentümer gegen ihn sowohl die aquilische als auch die rein sachverfolgende Vertragsklage erheben. Wegen der gläubigerfreundlichen Berechnungsmethode konnte sich die aquilische Klage im Einzelfall auf einen höheren Betrag richten als die vertragliche. Eine Kumulation fand aber nicht statt. Hatte der Gläubiger zuerst aquilisch geklagt, konnte er, da sein Sachverfolgungsinteresse befriedigt war, nun keinen Ersatz mehr aus der Vertragsklage fordern. Klagte er zuerst vertraglich, wurde mit prozessualen Mitteln dafür gesorgt, dass er die aquilische Klage nicht mehr oder nur noch auf die Differenz zwischen den Klagebeträgen erheben konnte509. Dagegen wurden aquilische Klagen gegen mehrere Deliktstäter kumuliert, obwohl der Gläubiger dadurch überentschädigt wurde. Wegen ihrer Straffunktion konnte die Klage gegen einen bislang nicht gestraften Täter erhoben werden, auch wenn ein Sachverfolgungsinteresse nicht mehr vorlag. Haftete ein Schuldner wegen einer durch einen Dritten verübten Beschädigung aus Vertrag, konkurrierte die sachverfolgende Vertragsklage mit der aquilischen gegen den Dritten. Hatte der Gläubiger vom Dritten Ersatz erhalten, schied die Vertragsklage gegen den Schuldner mangels Sachverfolgungsinteresses aus. Wenn aber der Gläubiger vom Schuldner aus Vertrag Ersatz erhalten hatte, konnte dies den Dritten nicht befreien, da die Straffunktion der aquilischen Klage ihm gegenüber noch nicht erfüllt war. Dann stellt sich die Frage, wem die aquilische Klage gegen den Dritten zustand. Vielleicht war das Klagerecht wie bei der actio furti in 503
Ulpian D.6,1,13; Paulus D.6,1,14; Gaius D.6,1,36,1; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 103 I 5. Vgl. Paulus D.6,1,16,1; Ulpian D.6,1,17,1. 505 Vgl. Paulus D.5,3,40 pr.; Kaser, FS von Lübtow (1908), 296 ff. 506 Gaius D.4,9,5,1. 507 Paulus D.4,9,6; Ulpian D.4,9,7, D.14,1,12. 508 Vgl. oben, 497 f. 509 Die Einzelheiten waren offenbar umstritten. Vgl. Gaius D.19,2,25,5, D.13,6,18,1; Paulus D.9,2,18, D.17,2,50, D.19,2,43, D.44,7,34,2; Ulpian D.9,2,27,11, D.13,6,7,1; Liebs, Klagenkonkurrenz, 205 ff., 241 f. Ähnlich zur Konkurrenz zwischen aquilischer Klage und Vindikation Ulpian D.6,1,13; Paulus D.6,1,14. 504
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manchen Fällen schon von vornherein dem Schuldner zugewiesen510. Sofern aber das Klagerecht dem Eigentümer zustand, galten offenbar ähnliche Grundsätze wie im Fall des Diebstahls. Die Leistung des Schätzwertes an den Eigentümer wurde auch bei Beschädigungen ähnlich wie ein Kauf behandelt511. Zwar gab es im Falle der vollständigen Zerstörung der Sache kein Kaufobjekt mehr, doch die mit der Sache verbundenen Ansprüche wurden inter partes demjenigen zugewiesen, der die Schätzsumme zahlte. Damit konnte er vom Eigentümer die Zession der aquilischen Klage verlangen. So wurde erreicht, dass die Sachbeschädigung sanktioniert wurde und der Schuldner Regress nehmen konnte, während das Interesse des Eigentümers schon durch die Leistung des Schuldners befriedigt war. Zumindest in zwei Quellen ist von einem solchen Zessionsrecht die Rede. Ein Ulpian-Fragment behandelt den Fall, dass eine von S1 und S2 entliehene Sache durch S1 zerstört wird512. Es geht davon aus, dass auch der andere Entleiher S2 aus dem Leihvertrag haftet. Der Grund dafür wird nicht genannt, er könnte in der custodia-Haftung von S2, in einem Überwachungsverschulden des S2 oder auch in dem Umstand liegen, dass S1 und S2 Gesamtschuldner sind. Ulpian wirft die Frage auf, ob der verleihende Eigentümer an S2, der ihm den Schaden ersetzt, die aquilische Klage gegen S1 abtreten muss. Hierfür zieht er den Fall heran, in dem S2 selbst den Schaden verursacht hat und der Gläubiger, klagt er aus Vertrag, aus der aquilischen Klage nichts mehr oder allenfalls die Buße unter Abzug des aus der Leihklage Erhaltenen verlangen kann. Eine ausdrückliche Lösung des Dreipersonenfalls fehlt. Die Erwägungen zum Zweipersonenfall sprechen aber dafür, dass der Gläubiger die Vertragsklage und die aquilische nicht kumuliert geltend machen kann, was auf eine Zessionspflicht hinweist513. Eine Paulus-Stelle behandelt die Haftung des Schiffers für einen Diebstahl oder eine Sachbeschädigung, die einer seiner Seemänner begangen hat514. Hier soll der Gläubiger/Eigentümer gegen den Seemann aus der actio furti bzw. legis Aquiliae vorgehen können. Die Klageberechtigung aus der actio furti spricht dafür, dass es in dem Fragment nicht um die receptum-Haftung geht (weil dann dem Schiffer die actio furti zusteht515), sondern um die quasideliktische Haftung des Schiffers für seine Angestellten. Angesichts der Tatsache, dass diese sich auf ein duplum richtete, wäre daran zu denken, dass der Gläubiger die Klagen gegen den Seemann und den Schiffer wegen ihres Sanktionscharakters kumulieren kann. Doch nach Paulus muss er, wenn er gegen den Schiffer klagt, diesem seine Klagen gegen den Seemann abtreten. Im Fall der Sachbeschädigung kann es sich bei der abzutretenden Klage nur um die aus der lex Aquilia handeln516. Hätte der Schiffer 510
Oben, 776 f. Vgl. Ulpian D.6,2,7,1, D.41,4,3; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 103 I 6; Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozeßrecht, § 55 II 2. 512 Ulpian D.13,6,7,1. 513 Ebenso Levy, Nachträge, 20 f. 514 Paulus D.4,9,6,4. 515 Oben, 773. 516 Römer, ZHR 18 (1873), 11 f.; s.a. Levy, Nachträge, 23 ff. 511
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
für den Schaden aus receptum gehaftet, würde vermutlich ebenso entschieden, falls ihm die aquilische Klage in diesem Fall nicht von vornherein zustand. Für den Fall der Sachbeschädigung oder -zerstörung galten damit offenbar ähnliche Regeln wie im Fall der Sachentziehung. Der Eigentümer konnte sich zumindest in bestimmten Fällen nicht nur an den unmittelbaren Schädiger, sondern auch an einen Dritten halten, sei es aus Vertrag, receptum oder Quasidelikt. In diesem Fall musste er dem leistenden Dritten seine Klage aus der lex Aquilia abtreten, falls diesem das Klagerecht nicht von vornherein zustand. Auch hier arbeitete das römische Recht nicht mit einer Gesamtschuldkonstruktion. Hierzu hätte anerkannt werden müssen, dass die Leistung des mittelbar Haftenden die aquilische Klage gegen den Schädiger zum Erlöschen bringt, was angesichts der Strafnatur dieser Klage, die gegen Mittäter kumuliert wurde, nicht nahelag.
c) Exkurs: Die Rechte an der verloren gegangenen Sache Die gemeinrechtlichen Autoren und auch die Regelwerke beschäftigten sich in erster Linie mit der Frage, wem das Recht an einer verlorenen Sache zustand, wenn derjenige, der gegenüber dem Eigentümer für den Verlust aus einem besonderen Grund verantwortlich war, diesen für den Verlust entschädigte. Allgemeine Regeln wurden vor dem 19. Jahrhundert nicht entwickelt. Vielmehr behandelte man die Frage in verschiedenen Sachzusammenhängen, insbesondere im Rahmen des Vindikationsanspruchs und beim Leihvertrag. Der Abschied vom Grundsatz der Geldkondemnation hätte die Möglichkeit eröffnet, die römische Vorstellung eines Kaufs der Sache durch die Ästimationsleistung über Bord zu werfen. Dennoch versuchte man, sich so weit wie möglich an die überlieferten Quellen zu halten. Da diese je nach Sachzusammenhang unterschiedliche Aussagen zu treffen schienen, gelangte man auch zu unterschiedlichen Lösungen. Im Ergebnis sah sich der BGB-Gesetzgeber drei, sich teilweise überschneidenden, Traditionssträngen gegenüber: einem zur Vindikation, einem zum Leihvertrag und schließlich einem im 19. Jahrhundert entwickelten Modell einer allgemeinen Zessionspflicht. (1) Rechte des Vindikationsbeklagten Besonders stark war die Stellung des Schadensersatzpflichtigen, wenn er Vindikationsbeklagter war. Zwar folgte das Gemeine Recht der römischen Tradition, demjenigen, der seinen Besitz bösgläubig aufgegeben hatte, ein Recht auf die Sache abzusprechen517. Hatte der Besitzer die Sache aber nur schuldhaft verloren, 517 Voet, Commentarius, zu D.6,1, § 32; Glück, Pandecten VIII, 209 ff.; Mühlenbruch, Cession, 411 f.; Vangerow, Pandekten, § 574 a.E., Nr. 4; Puchta, Pandekten, § 170; Windscheid, Pandekten, § 193; Sintenis, Civilrecht, § 52 Fn. 32; Arndts, Pandekten, § 167; Wächter, Pandekten, § 143, Beilage II, A I 1 a; Baron, Pandekten, § 152; Mommsen, Commodum, 96; Schmid, Cession I, 261; anders aber Thibaut, Pandekten, § 567.
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übernahm man die römische Vorstellung, dass die Schadensersatzleistung einem Kauf gleichkam518. Der Beklagte konnte dann vom Eigentümer die Abtretung der Vindikationsklage gegen mögliche Drittbesitzer verlangen519. Zusätzlich aber stützte man sich auf eine Papinian-Stelle zur Vindikation. Danach sollte dem Beklagten auch ohne Abtretung geholfen werden, selbst wenn der Eigentümer mittlerweile wieder in den Besitz der Sache gekommen war: Diesem stehe nicht das Recht zu, die Sache gegen Rückerstattung des Schätzwerts zu behalten520. Hieraus schlossen die gemeinrechtlichen Autoren, dass dem Beklagten auch ohne Abtretung ein Herausgabeanspruch in Gestalt einer actio Publiciana selbst gegen den Eigentümer zustand521. Das Eigentum selbst sollte der Beklagte aber nicht schon mit der Schadensersatzleistung oder Abtretung erwerben, sondern erst dann, wenn er den Besitz von einem Dritten oder vom Eigentümer erhalten hatte522. Die wenigen Regelwerke, die sich zu den Rechten des Vindikationsbeklagten hinsichtlich der verlorenen Sache äußerten, arbeiteten anders als das Gemeine Recht mit einem gesetzlichen Rechtsübergang. Der Bayerische Entwurf sah nicht nur zugunsten des gutgläubigen, sondern auch des bösgläubigen Vindikationsbeklagten vor, dass mit der Ersatzleistung „die Rechte des Klägers an der Sache wie durch Abtretung“ auf ihn übergehen523. Nicht sicher ist, ob ein Übergang nur der Ansprüche oder auch des Eigentums selbst gemeint war. Klarer war das Sächsische Gesetzbuch. Wer den Besitz bösgläubig verloren hatte, war darauf beschränkt, die Rückzahlung des Schadensersatzes verlangen zu können, falls der Eigentümer die Sache wieder erhalten hatte524. In allen anderen Fällen aber galt die Annahme, dass der Beklagte mit Leistung des Schadensersatzes „die Sache 518 Windscheid, Pandekten, § 193; Arndts, Pandekten, § 167; Wächter, Pandekten, § 143, Beilage II, A I 1 b; Baron, Pandekten, § 152; Sintenis, Civilrecht, § 52 bei Fn. 32. 519 Voet, Commentarius, zu D.6,1, § 33; Glück, Pandecten VIII, 211 f.; Thibaut, Pandekten, § 567; Mühlenbruch, Cession, 410; Vangerow, Pandekten, § 332 Anm. 3 III 1 b; Puchta, Pandekten, § 170; Windscheid, Pandekten, § 193; Sintenis, Civilrecht, § 52 Fn. 32; Wächter, Pandekten, § 143, Beilage II, A I 1 b, B II; Schmid, Cession I, 260; Bekker, JbGemR 4 (1861), 206. 520 Papinian D.6,1,43. 521 Voet, Commentarius, zu D.6,1, § 33; Glück, Pandecten VIII, 211 f.; Vangerow, Pandekten, § 332 Anm. 3 III 1 b; Windscheid, Pandekten, § 193; Sintenis, Civilrecht, § 52 Fn. 32; Wächter, Pandekten, § 143, Beilage II, A I 1 b, B II; Schmid, Cession I, 261 ff.; Bekker, JbGemR 4 (1861), 206 f. 522 Hierzu Bekker, JbGemR 4 (1861), 205 ff., 208. Die isolierte Abtretung der Vindikationsklage war gemeinrechtlich zulässig, etwa OAG Berlin, SeuffA 22 Nr. 229 (1868), SeuffA 27 Nr. 19 (29.5.1872); AG Celle, SeuffA 26 Nr. 25 (1.7.1871); OAG Dresden, SeuffA 30 Nr. 17 (14.2.1873); RG SeuffA 36 Nr. 25 (15.6.1880). Hatte die Abtretung eine Eigentumsübertragung bezweckt, wurde der Zessionar Eigentümer, wenn er den Besitz vom Dritten erlangt hatte; strittig war allerdings, ob zusätzlich erforderlich war, dass der Zedent zu diesem Zeitpunkt weiterhin den Willen zur Eigentumsübertragung hatte, bejahend etwa Windscheid, Pandekten, § 193. Hierzu und zu weiteren strittigen Einzelfragen der Überblick in Johows Teilentwurf Sachenrecht, 972 ff. (Schubert, SachR I, 1106 ff.). 523 BayE III § 160; vgl. Motive zu BayE III, 59 f.: Das Verbot der Bereicherung des Eigentümers wirke auch zugunsten des bösgläubigen Besitzers. 524 SächsGB § 304. Hierzu Motive zum Entwurf, 679 f. (zu § 315); Siebenhaar, Sächsisches Privatrecht, 340.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
vom Kläger durch Kauf und Übergabe erworben habe“525. Das Gesetz sah also einen gesetzlichen Eigentumsübergang vor. Dem folgte Johow in seinem Teilentwurf Sachenrecht für das BGB, und zwar wie im Bayerischen Entwurf zugunsten sämtlicher Vindikationsbeklagter. Mit Leistung des Schadensersatzes sollten nicht nur sämtliche Ansprüche bezüglich der Sache, sondern auch das Eigentum auf den Beklagten übergehen526. (2) Rechte des Entleihers und anderer schuldrechtlich zur Rückgabe Verpflichteter Im Rahmen von schuldrechtlichen Rückgabeansprüchen wurde der Interessenkonflikt zwischen Eigentümer und Schadensersatzpflichtigem zumeist anders gelöst. Da die einschlägigen römischen Quellen mehrheitlich aus dem Bereich des Leihvertrags stammten, behandelten die gemeinrechtlichen Autoren das Problem zumeist nur bei der Leihe. Dies führte dazu, dass auch die Regelwerke entsprechende Vorschriften zunächst nur im Bereich des Leihvertrags aufwiesen. Sowohl die gemeinrechtlichen Autoren als auch die Regelwerke konzentrierten sich auf die Fallgestaltung, dass eine verlorene Sache, für die Schadensersatz geleistet wurde, wieder in den Besitz des Verleihers gelangt. Die römischen Quellen sprachen zwar auch bei der Leihe vom Kauf der Sache durch Leistung des Schätzwerts und einer Pflicht zur Klagenabtretung oder Sicherheitsleistung527. Eine der genannten Papinian-Stelle vergleichbare Äußerung, wonach der Beklagte die Sache auch vom wieder besitzenden Eigentümer herausverlangen kann, findet sich hier aber nicht. Statt dessen stützte man sich gemeinrechtlich vor allem auf eine in einem Paulus-Fragment überlieferte Ansicht von Labeo, wonach der Verleiher, der die Sache nach Empfang des Schätzwerts wiedererlangt hatte, dem Entleiher entweder die Sache überlassen oder den Schätzbetrag zurückzahlen musste528. Demnach schien der Verleiher hier ein Wahlrecht zu haben. Zusätzlich zog man ein Ulpian-Zitat zum Werkvertrag heran, wonach der beklagte Werkunternehmer, wenn der Eigentümer die verlorene Sache wiedererlangt hatte, von diesem den geleisteten Schätzwert nicht nur aus Werkvertrag, sondern auch aus einer condictio quasi sine causa zurückverlangen konnte529. 525
SächsGB § 305. TeilE SachR, § 192, hierzu Motive zum TeilE SachR, 944 (Schubert, SachR I, 46 f., 1078). Zu Unrecht folgert Stamm, Regressfiguren, 92, aus dem Standort dieser Vorschrift innerhalb der Vindikationsregeln, dass es bei der Nachfolgeregelung des § 255 BGB allein um das sachenrechtliche Schicksal der verlorenen Sache gehen könne. § 192 TeilE SachR gehörte zum Eigentümer-BesitzerVerhältnis nicht deshalb, weil es um die Aktivlegitimation für den Herausgabeanspruch an der verlorenen Sache ging, sondern weil der Schuldner Schadensersatz als Vindikationsbeklagter zu leisten hatte. Die gleichen Sachfragen stellen sich auch bei schuldrechtlichen Rückgabepflichten; dass es in diesem Bereich in den Vorentwürfen nicht zu ähnlichen Vorschriften kam, hat historische Ursachen, die im Folgenden erklärt werden. 527 Ulpian D.13,6,5,1; Pomponius D.13,6,13 pr.; Marcellus D.42,1,12. 528 Paulus D.13,6,17,5. 529 Ulpian D.12,7,2. 526
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Letztere Klage wurde gemeinrechtlich zur condictio ob causam finitam, einer Kondiktion wegen nachträglichen Wegfalls des Rechtsgrunds. Bedeuteten diese Quellen, dass der Entleiher kein Recht mehr auf die Sache selbst hatte, wenn sie mittlerweile wieder in den Besitz des Verleihers gelangt war? Diesen Schluss zog man im Gemeinen Recht zunächst nicht. Der Verleiher mochte ein Wahlrecht haben, falls der Entleiher eine Klage aus dem Vertrag erhob. Der Entleiher konnte ihm aber das Wahlrecht dadurch entziehen, dass er entweder, wollte er die Sache selbst, aus einer analogen Vindikation, oder aber, wollte er die Rückzahlung des Schadensersatzes, aus der condictio ob causam finitam klagte530. Spätestens ab dem 19. Jahrhundert aber wies man das Wahlrecht dem Verleiher zu. Gelangte die Sache wieder in seinen Besitz, konnte er sich aussuchen, ob er dem Entleiher den Schadensersatz oder die Sache überließ531. Zusätzlich erwähnte zumindest ein Teil der gemeinrechtlichen Autoren ein Recht des Schadensersatz leistenden Entleihers auf Abtretung der Vindikationsklage532. Demnach galt gemeinrechtlich insgesamt offenbar Folgendes: Leistete der Entleiher Schadensersatz, wurde er dadurch nicht zum Eigentümer. Er konnte aber, zunächst mit Hilfe der analogen Vindikationsklage, später wohl nur mit Hilfe des vom Eigentümer abgetretenen Vindikationsanspruchs, den Besitz der Sache von einem Dritten herausverlangen. Mit Erlangung des Besitzes wurde er Eigentümer533. Gelangte die Sache aber in den Besitz des Verleihers, war der Entleiher spätestens ab dem 19. Jahrhundert auf ein Rückzahlungsrecht beschränkt, das man zunehmend auf die condictio ob causam finitam stützte534. Dem Verleiher stand es aber frei, die Rückzahlung durch Übereignung der Sache an den Entleiher zu vermeiden. Im CMBC, ALR und ABGB sowie im Sächsischen, Hessischen und Bayerischen Entwurf findet sich zu diesem Problem nur eine einzige Vorschrift: Taucht die Sache, für deren Verlust Schadensersatz geleistet wird, wieder auf, hat der Verleiher die Wahl, ob er dem Entleiher den Schadensersatz zurückgewährt oder die Sache überlässt535. Für die Rückforderung des Schadensersatzes stellten die 530 So Voet, Commentarius, zu D.13,6, § 8; Glück, Pandecten XIII, 474; Kreittmayr, Anmerkungen IV, 126, m.w.N. 531 Thibaut, Pandekten, § 890; Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, § 267 a.E.; von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT, Kap. IV, Anm. 13 (S. 503); Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 606 IV; Koch, Forderungen III, 423; Sintenis, Civilrecht, § 111 bei Fn. 26; Arndts, Pandekten, § 284; Dernburg, Pandekten II, § 44 Fn. 6; Schmid, Cession I, 266. 532 Im Rahmen der Leihe Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 606 III; Sintenis, Civilrecht, § 111 bei Fn. 26; Brinz, Pandekten, § 316 Nr. 4 bei Fn. 46; Arndts, Pandekten, § 284; allgemein Mühlenbruch, Cession, 410 f.; Schmid, Cession I, 265; Vangerow, Pandekten, § 574 a.E., Nr. 4; Windscheid, Pandekten, § 264 Nr. 2; Bekker, JbGemR 4 (1861), 206. 533 So ausdrücklich Koch, Forderungen III, 423; Schmid, Cession I, 265. 534 Oder condictio sine causa specialis. Vgl. Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 606 IV; Koch, Forderungen III, 423; Puchta, Pandekten, § 312; Vangerow, Pandekten, § 628, Anm. I B 7; Brinz, Pandekten, § 305 unter b); Sintenis, Civilrecht, § 109 bei Fn. 34; Arndts, Pandekten, § 345; Dernburg, Pandekten II, § 44 Fn. 6; Schmid, Cession I, 266; zweifelnd von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT, Kap. IV, Anm. 13 (S. 503 f.). 535 CMBC IV 2 § 5; ALR I 21 § 254 (kritisch hierzu Koch, Forderungen III, 423); ABGB § 980; SächsE § 1137; HessE IV 2 Art. 260; BayE II Art. 654.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
Regelwerke teilweise die condictio ob causam finitam zur Verfügung536. Vor dem gemeinrechtlichen Hintergrund ist anzunehmen, dass die Regelwerke nicht davon ausgingen, dass der Entleiher durch Leistung des Schadensersatzes Eigentümer wurde537. Den Verfassern ging es offenbar in erster Linie um die Vermeidung des gemeinrechtlich vor dem 19. Jahrhundert erzielten Ergebnisses, dass der Entleiher der Sache nach ein Zueignungsrecht auch gegen den Willen des besitzenden Verleihers hatte, was man als unbillig empfand538. Dabei gingen die Regelwerke zumeist noch über die spätere gemeinrechtliche Lösung hinaus, indem sie dem Verleiher ein Wahlrecht auch in dem Fall gewährten, in dem die Sache in den Besitz des Entleihers gelangt war539. Der Verleiher blieb hiernach also in jedem Fall Eigentümer, falls er nicht die Sache dem Entleiher zur Vermeidung einer Rückzahlungspflicht übereignete. Dennoch konnte der Entleiher ein Interesse daran haben, die Sache von einem Dritten herauszuverlangen, und sei es nur, um dadurch wenigstens eine Rückzahlung des Schadensersatzes zu erreichen. Von einer Zessionspflicht ist in den Regelwerken aber nicht die Rede. Mit wörtlicher Auslegung entstünde das sachwidrige Ergebnis, dass nur der wirtschaftlich gar nicht interessierte Verleiher Herausgabeansprüche gegen Dritte hätte. Doch es ist möglich, dass die Frage einer Abtretungspflicht vom Gesetz gar nicht geregelt und in der Praxis nach Gemeinem Recht (und somit bejahend) beurteilt werden sollte. Dass dem Entleiher insgesamt eine schwächere Position eingeräumt wurde als dem Vindikationsbeklagten nach Gemeinem Recht oder auch nach einigen Regelwerken, empfand man nicht als sachwidrig. Ebenso wenig sah man es offenbar als Problem an, dass es eine Regel nur beim Leihvertrag gab, obwohl sich die Frage auch bei allen anderen schuldrechtlichen Rückgabepflichten stellte. Im Bayerischen Entwurf wurde der Geltungsbereich der Regel zumindest auf die Verwahrung und den Faustpfandvertrag erweitert540. Auch der Dresdener Entwurf sollte ursprünglich eine entsprechende Vorschrift bei der Leihe541 und bei der Verwahrung542 enthalten. Im Laufe der Be-
536
ABGB § 1435; HessE IV 2 Art. 660; BayE II Art. 937. So die Mehrheit bei den Beratungen zum ABGB, Ofner, Ur-Entwurf II, 39; ähnlich Motive zu BayE II, 200. 538 So ausdrücklich Kreittmayr, Anmerkungen IV, 126, wonach die „hinterlistige Aneignung fremder Sachen“ verhindert werden sollte; ähnlich Motive zum SächsE, 242. 539 Zum ALR ausdrücklich Koch, ALR, zu I 21 § 254, Anm. 10. Im SächsE (§ 1137) beschränkt sich die Regel sogar auf den Fall, dass der Entleiher den Besitz wiedergewinnt. Eine Ausnahme bildete der Bayerische Entwurf, der in der gemeinrechtlichen Tradition dem Verleiher das Wahlrecht nur dann gewährte, wenn er selbst den Besitz wiedererlangt hatte (II Art. 654). 540 BayE II Art. 678 (Verwahrung), BayE III Art. 430 (Faustpfand). 541 Anlage B, Art. 644, Anlage E Art. 629 (Dresd. Prot. 2273, 2359), Anlage F, Art. 659, Entwurf erste Lesung, Art. 663 (abgedruckt in Dresd. Prot. Bd. 5). Entgegen ihrem Wortlaut sollte die Vorschrift offenbar auch dann anwendbar sein, wenn die Sache in den Besitz des Entleihers gekommen war, Dresd. Prot. 2267 f. 542 Anlage B, Art. 788, Anlage E, Art. 759 II (Dresd. Prot. 2678, 2734); Anlage F, Art. 788; Entwurf erste Lesung, Art. 799 II. 537
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ratungen kam man aber zum Schluss, dass das Problem besser bei der condictio ob causam finitam geregelt werden sollte543. Demnach nahm man eine allgemeine Vorschrift auf, wonach derjenige, der für eine ihm anvertraute und abhandengekommene Sache Schadensersatz geleistet hatte, das Geleistete zurückfordern konnte, soweit der Schaden weggefallen war544. Damit fiel offenbar das Recht des Eigentümers weg, die Rückzahlung durch eine Überlassung der Sache zu ersetzen. Ob und warum diese sachliche Änderung beabsichtigt war, lässt sich aus den Protokollen nicht entnehmen. Nicht ganz klar ist auch, wie die Dresdener Kommission den Fall regeln wollte, dass der Eigentümer Schadensersatz für eine Sache verlangte, die sich im Besitz eines Dritten befand. Ein Abtretungsrecht des Schadensersatzpflichtigen war nicht vorgesehen. Die condictio ob causam finitam war im Gemeinen Recht nur für den Fall gedacht, dass die Sache wieder in den Besitz des Eigentümers gelangt war. Musste also der Rückgabepflichtige den vollen Sachwert zahlen und auf das Wiederauftauchen der Sache warten, um einen Rückzahlungsanspruch erheben zu können? Oder schuldete er lediglich den Sachwert abzüglich des Wertes des dem Eigentümer verbliebenen Herausgabeanspruchs gegen den Dritten? In diesem Fall könnte die condictio auch dazu gedient haben, dem Rückgabepflichtigen, der den vollen Sachwert erstattet hatte, einen Rückzahlungsanspruch in Höhe des Wertes des Herausgabeanspruchs einzuräumen, wenn sich herausstellte, dass die verloren gegangene Sache sich im Besitz eines Dritten befand. So wurde die Funktion der condictio ob causam finitam zumindest bei den Beratungen zum BGB verstanden545. Es war die Regel des Dresdener Entwurfs, die von Kübel für das BGB vorschlug. Sein Vorentwurf zum Bereicherungsrecht enthielt eine Vorschrift zur condictio ob causam finitam, deren zweiter Satz lautete: „Insbesondere ist Derjenige, welcher für eine ihm anvertraute und ihm abhanden gekommene Sache einem Anderen Schadensersatz geleistet hat, insoweit, als der Schaden später weggefallen ist, Rückerstattung zu fordern berechtigt“546. Hiermit, so von Kübel in den Motiven, werde eine in den römischen Quellen zum Leihvertrag547 getroffene Entscheidung auf alle gleich liegenden Fälle ausgedehnt548. Die für alle Arten schuldrechtlicher Rückgabepflichten vorgeschlagene Regelung bestand also lediglich in einem Recht auf Rückforderung der Schadensersatzleistung. Wie im Gemeinen Recht war mit der Leistung des Schadensersatzes kein Eigentumsübergang verbunden. Wie im Dresdener Entwurf war auch kein Recht des Eigentümers vorgesehen, die Rückzahlungspflicht durch Überlassung der Sache zu 543
Vgl. Dresd. Prot. 3589, 4403, 4477, 4621. DresdE Art. 1002. Auch das Züricher Gesetzbuch stellte dem Schuldner lediglich diese condictio zur Verfügung, § 1234; vgl. die Anmerkung hierzu von Bluntschli. Dasselbe gilt nach dem Wortlaut des OR 1881, Art. 71 (OR 1911, Art. 62 II). 545 Jakobs/Schubert, SR I, 121; vgl. unten, 794. 546 Vorentwurf BereicherungsR (Schubert, SR III, 655 ff.), § 26. 547 Tatsächlich ging es in Ulpian D.12,7,2 um einen Werkvertrag. 548 Motive zum VorE BerR, 88 (Schubert, SR III, 748). 544
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vermeiden. Offen bleibt wie im Dresdener Entwurf, ob der Schadensersatzpflichtige dann, wenn sich die Sache im Besitz eines Dritten befand, den vollen Sachwert schuldete oder den Wert des Herausgabeanspruchs abziehen und ggf. mit der condictio zurückverlangen konnte. (3) Ein allgemeines Abtretungsrecht des Schadensersatzpflichtigen Wie berichtet gewährte das Gemeine Recht dem Entleiher zwei Arten von Rechten, zum einen das Abtretungsrecht bei der Leistung des Schadensersatzes, zum anderen das Recht auf Rückzahlung oder die Sache, falls diese wieder aufgefunden wurde. Die Mehrheit der Kodifikationen und Entwürfe regelte nur das zweite Recht, wobei der Dresdener Entwurf und von Kübels Vorentwurf den Entleiher auf das Rückzahlungsrecht beschränkten, zugleich aber diese Lösung auf alle schuldrechtlichen Rückgabepflichten verallgemeinerten. Es gab aber auch Ansätze, das Abtretungsrecht bei Leistung des Schadensersatzes zu verallgemeinern. Den Anfang machte offenbar Mühlenbruch, der in seiner erstmals 1817 erschienenen Monographie zur Zession die vom römischen Recht gewährten Abtretungsrechte des Vindikationsbeklagten, Entleihers, Verwahrers, Schiffers und Werkunternehmers zusammenstellte und als gemeinsamen Leitgedanken formulierte: „Wer jemandem zum Schadensersatz wegen abhanden gekommener oder beschädigter Sachen verpflichtet ist, der kann verlangen, dass ihm die diese Sache betreffenden Klagen zur Entschädigung abgetreten werden.“549 Im Laufe des 19. Jahrhunderts behandelten auch andere Autoren die Abtretungsfälle gemeinsam, etwa Schmid, ebenfalls im Zusammenhang mit der Zession550, oder Mommsen in einer Schrift zum stellvertretenden commodum551. Einige von ihnen nahmen das von Mühlenbruch formulierte Prinzip mit seinen römischen Anwendungsfällen in ihre Pandektenlehrbücher auf, etwa Vangerow und Sintenis bei der Zession552 und Windscheid bei der Unmöglichkeit der Leistung553. Diese Darstellungen standen Pate für eine Regel des Sächsischen Gesetzbuchs, in der es hieß: „Wer Schadensersatz zu leisten hat, kann von Demjenigen, welchem er Schadensersatz leistet, Abtretung der Forderungen verlangen, welche diesem auf Erlangung der Sache oder auf Schadensersatz gegen einen Dritten zustehen“554. Diese Regel galt für alle Arten schuldrechtlicher Rückgabeansprüche, nicht jedoch für die Vindikation, bei der das Gesetzbuch wie be549
Mühlenbruch, Cession (3.A.1836), 409 ff. Schmid, Cession I (1863), 259 ff. 551 Mommsen, Commodum (1859), 87 ff. 552 Vangerow, Pandekten, § 574 a.E., Nr. 4; Sintenis, Civilrecht, § 128 Fn. 11. 553 Windscheid, Pandekten, § 264 Nr. 2, s.a. § 327 Fn. 12; vgl. auch Dernburg, Pandekten II, § 44 Fn. 6; Baron, Pandekten, § 238. 554 SächsGB § 961. 550
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richtet mit einem gesetzlichen Eigentumsübergang zugunsten des Schadensersatz leistenden Beklagten arbeitete. Der schuldrechtlich Rückgabeverpflichtete hatte demgegenüber nur ein Abtretungsrecht. Gemeint war damit wie im Gemeinen Recht nicht eine erzwingbare Eigentumsübertragung, sondern lediglich die Abtretung der Vindikationsklage. Ob der Schadensersatz Leistende Eigentümer wurde, sollte sich nach den allgemeinen Regeln, insbesondere nach dem Traditionsprinzip, richten555. Er konnte also dann Eigentümer werden, wenn er die Sache vom Drittbesitzer erlangte. Sofern die Sache aber wieder in den Besitz des Gläubigers gelangte, konnte der Schadensersatz Leistende offenbar kein Recht auf sie geltend machen, weil ihm die abgetretene Vindikationsklage gegen den Abtretenden selbst nicht half. Zusätzlich stellte das Gesetz demjenigen, der „für eine ihm anvertraute und bei ihm verloren gegangene Sache dem anderen Schadensersatz geleistet hat“, die condictio ob causam finitam zur Verfügung556. Dieser Anspruch konnte dem Schadensersatz Leistenden dann zu einem Rückforderungsrecht verhelfen, wenn er eine Abtretung nicht verlangt oder wenn der Gläubiger die Sache inzwischen wiedererlangt hatte. (4) Die Lösung der Ersten Kommission Der Ersten Kommission lagen damit für den Fall der Schadensersatzleistung im Hinblick auf eine verloren gegangene Sache zwei völlig konträre Regelungsmodelle in zwei verschiedenen Vorentwürfen vor; ein drittes Modell bot das Sächsische Gesetzbuch. Für die Vindikation hatte schon das Gemeine Recht dem Schadensersatz leistenden Beklagten ein Recht auf die Sache, und zwar selbst gegenüber dem wieder besitzenden Eigentümer, eingeräumt; in seinem Vorentwurf Sachenrecht war Johow noch einen Schritt weitergegangen und hatte einen gesetzlichen Eigentumsübergang vorgeschlagen. Beim Leihvertrag war die Lehre des 19. Jahrhunderts dagegen zum einen von einem Abtretungsrecht des Entleihers, zum anderen von einem Wahlrecht des Verleihers ausgegangen, beim Wiederauftauchen der Sache entweder diese oder den Schadensersatz dem Entleiher zu überlassen. Im Dresdener Entwurf und in von Kübels Teilentwurf Bereicherungsrecht war davon nur ein für alle schuldrechtlichen Rückgabepflichten geltendes Recht des Schuldners auf Rückzahlung des Schadensersatzes geblieben. Im Sächsischen Gesetzbuch war demgegenüber das Abtretungsrecht bei Leistung des Schadensersatzes für schuldrechtliche Rückgabepflichten verallgemeinert worden. Zu Vorentwürfen über die Leihe oder andere schuldrechtliche Verträge mit Rückgabepflichten ist von Kübel nicht mehr gekommen. Die Erste Kommission war sich aber über den sachlichen Zusammenhang der durch von Kübel und Johow vorgeschlagenen Regelungen bewusst, wie aus der durch
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SächsGB § 967 S. 2; Siebenhaar/Pöschmann, SächsGB, Anm. zu § 967. SächsGB § 1548.
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Struckmann erstellten Redaktionsvorlage zum Leihvertrag557 und derjenigen zum Verwahrungsvertrag558 hervorgeht. Zunächst beriet die Erste Kommission über das Bereicherungsrecht. Hier nahm man die Kondiktion wegen nachträglich weggefallenen Rechtsgrundes auf. Darunter sollte auch von Kübels Regel fallen, also der Fall, „dass nach Entschädigung wegen einer abhanden gekommenen Sache die Nichterleidung eines Schadens später festgestellt ist“. Eine ausdrückliche Regelung dieses Anwendungsfalls im Gesetz hielt man allerdings für nicht erforderlich559. Bei den Beratungen zum Sachenrecht diskutierte man den Vorschlag von Johow, einen gesetzlichen Eigentumsübergang auf den Schadensersatz leistenden Vindikationsbeklagten vorzusehen560. Hier entschloss sich die Kommission zur Einführung einer allgemeinen Regel, die sowohl für die Vindikation als auch für schuldrechtliche Rückgabepflichten gelten und ins allgemeine Schuldrecht aufgenommen werden sollte. Dabei ging die Kommission davon aus, dass der Schadensersatzpflichtige ohne eine besondere Regel nicht den vollen Sachwert schuldete, falls die abhanden gekommene Sache sich im Besitz eines Dritten befand, sondern den Wert des Herausgabeanspruchs des Gläubigers abziehen könne. Stelle sich erst nach Leistung des Sachwerts heraus, dass die Sache nicht untergegangen, sondern im Besitz eines Dritten war, könne der Differenzbetrag dann mit der condictio ob causam finitam herausverlangt werden. Da die Ermittlung des Werts des Herausgabeanspruchs aber in der Praxis kaum durchführbar erschien, entschloss man sich, dem Gläubiger einen Anspruch auf den vollen Sachwert zu gewähren und dem Schuldner dafür ein Recht auf die Sache einzuräumen. Hierfür standen aber unterschiedliche Instrumente zur Auswahl. Sollten nur die Ansprüche auf die Sache oder aber das Eigentum selbst übergehen? Und sollte nur ein Anspruch auf den Rechtsübergang in Gestalt eines Zessionsrechts bestehen, oder sollte der Übergang gesetzlich bei Leistung des Schadensersatzes erfolgen? Man entschied sich gegen eine Zessionspflicht und für einen gesetzlichen Übergang, weil dieser einfacher erschien und ansonsten die Gefahr bestand, dass die Parteien in Unkenntnis der Tatsache, dass die Sache noch existierte, eine Zession unterlassen könnten. Einen Übergang des Eigentums selbst aber lehnte man angesichts des Traditionsprinzips ab. Mit Leistung des Schadensersatzes sollten nach E I § 223 also lediglich die Ansprüche auf die Sache, insbesondere der Vindikationsanspruch, übergehen561. 557 Struckmann erwähnt zum einen die gemeinrechtliche Lage (Zessionsrecht und bei Wiederauftauchen Wahlrecht des Entleihers), zum anderen die Kondiktionslösung sowie Johows Vorschlag, Redaktionsvorlage Leihe, 31, 32, 36 (Schubert, SR II, 497, 498, 502). 558 Zur Johow’schen Lösung des Eigentumsübergangs heißt es dort: „Es möchte zweifelhaft sein, ob sie von selbst für alle kontraktlichen Restitutionsverbindlichkeiten gilt. Daher kann es sich fragen, ob nicht doch allgemeine Bestimmungen über die obligationes restituendi erforderlich sind“, Redaktionsvorlage Verwahrungsvertrag, 34 (Schubert, SR II, 1034). 559 Jakobs/Schubert, SR III, 813; Mot. II, 846 (Mugdan II, 473); Ergebnis: E I § 745. 560 Zum Folgenden Jakobs/Schubert, SR I, 118 ff.; Mot. II, 24 f. (Mugdan II, 13 f.). 561 Ergebnis: E I § 223.
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Was hiermit gemeint war, erschließt sich vor dem Hintergrund der Beratungen zum rechtsgeschäftlichen Eigentumserwerb an beweglichen Sachen. Nach Johows Teilentwurf Sachenrecht verlangte die Eigentumsübertragung (ähnlich wie heute nach § 929) eine Einigung und eine Übergabe562. Die Übergabe musste nicht notwendig in Form eines Wechsels der tatsächlichen Gewalt erfolgen; möglich war auch eine bloße Einigung, falls der Erwerber die Sache schon in seiner Gewalt hatte, ein Besitzkonstitut oder (in heutiger Terminologie) die Abtretung des mittelbaren Besitzes in Form einer Anweisung an den Gewaltinhaber, fortan für den Erwerber zu besitzen563. Bestand aber kein Besitzmittlungsverhältnis zum dritten Gewalthaber, besaß dieser die Sache also als Eigenbesitzer oder für einen Vierten, dann war eine Eigentumsübertragung, etwa durch Abtretung des Vindikationsanspruchs, nicht möglich564. Die Folgen einer Abtretung der Vindikation regelte Johow in einer eigenen Vorschrift: Danach begründete die Abtretung kein gegen Dritte wirksames Recht auf Erlangung der Sache, sondern galt nur als Bevollmächtigung zur Geltendmachung des Anspruchs565. Wie die heute herrschende Lehre lehnte Johow die gemeinrechtlich für zulässig gehaltene isolierte Abtretung der Vindikation, also die Trennung zwischen Eigentum und dinglichem Herausgabeanspruch, ab566. Für eine solche komplizierte Gestaltung gab es seiner Ansicht nach kein Verkehrsbedürfnis. Sofern die Parteien eine Eigentumsübertragung beabsichtigten, reiche es aus, dass der Erwerber mit Besitzerlangung Eigentümer werde. Für den praktisch wichtigen Fall der Rechtsübertragung auf den Schadensersatz Leistenden kam es auf die Wirkung der Vindikationsabtretung ohnehin nicht an, weil Johow hier einen sofortigen gesetzlichen Eigentumsübergang vorgesehen hatte. Nachdem aber die Erste Kommission den gesetzlichen Eigentumsübergang durch einen gesetzlichen Forderungsübergang ersetzte, stellte sich nun die Frage, welche Wirkung die (hier gesetzliche) Zession der Vindikation hatte. Hinsichtlich der Regeln zur rechtsgeschäftlichen Eigentumsübertragung folgte die Kommission grundsätzlich Johows Teilentwurf: Erforderlich waren Einigung und Übergabe567, wobei die Übergabe auch in Form des Besitzkonstituts, einer Anweisung an den Besitzmittler oder, falls der Erwerber zur Gewaltausübung in der Lage war, durch bloße Einigung erfolgen konnte568. Die Abtretung des Herausgabeanspruchs als solche konnte die Übergabe dagegen nicht ersetzen569. Doch 562
TeilE SachR, § 132 (Schubert, SachR I, 35). TeilE SachR, §§ 60–62 (Schubert, SachR I, 24), Motive zum TeilE SachR, 756 f. (Schubert, SachR I, 890 f.). Im letzteren Fall war die Anweisung an den Gewaltinhaber nur dann eine Übergabe, wenn dieser ihr nicht widersprochen hatte. 564 So ausdrücklich Motive zum TeilE SachR, 391 (Schubert, SachR I, 515). 565 TeilE SachR, § 204 (Schubert, SachR I, 48). 566 TeilE SachR, 977 ff. (Schubert, SachR I, 1111 ff.). 567 E I § 874 (wobei die Vorschrift des heutigen § 929 S. 2 hinzukam). 568 E I §§ 803–805. 569 Jakobs/Schubert, SachR I, 590. 563
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bei der Frage nach der Wirkung einer Abtretung der Vindikation wich die Kommission von Johow ab570. Die isolierte Abtretung des dinglichen Herausgabeanspruchs sollte möglich sein und auch einem praktischen Bedürfnis dienen. Hierdurch erlange der Erwerber ein vom Eigentümer nicht mehr widerrufliches Recht, vom Dritten die Herausgabe zu verlangen. Sobald der Erwerber dann vom Dritten den Besitz erhalte, werde er zugleich Eigentümer. Ein Antrag von Planck, diese Rechtsfolge ausdrücklich im Gesetz vorzusehen571, lehnte man nur deshalb ab, weil eine Abtretung der Vindikation auch zu anderen Zwecken als zu einer Eigentumsübertragung erfolgen könne und die Regel dann nicht passe. Sofern aber die Abtretung den Eigentumsübergang bezwecke, sei der mit dem Besitzerwerb verbundene Eigentumserwerb selbstverständlich. Sofern dagegen nicht der Erwerber, sondern der Eigentümer den Besitz erlange, erlösche der abgetretene Herausgabeanspruch. All dies sollte auch für den gesetzlichen Übergang der Vindikation nach E I § 223 gelten. Für den Schadensersatz Leistenden galt nach Vorstellung der Ersten Kommission also Folgendes: Konnte er mit Hilfe des übergegangenen Vindikationsanspruchs die Sache erfolgreich vom Dritten herausverlangen, wurde er Eigentümer. Zu diesem Ergebnis passen die Beratungen zu E I § 223, in denen für den Fall der Besitzerlangung durch den Schadensersatzleistenden ein Recht des Gläubigers vorgeschlagen wurde, die Herausgabe der Sache gegen Rückzahlung des Schadensersatzes verlangen zu können572. Die Nichtberücksichtigung dieses Vorschlags durch die Kommission bedeutet nicht nur, dass der Schadensersatzleistende durch die Besitzerlangung Eigentümer wurde, sondern auch, dass dieser Rechtsübergang endgültig war und durch den bisherigen Eigentümer nicht mehr korrigiert werden konnte. Anders verhielt es sich, wenn die Sache in den Besitz des Gläubigers gelangte. Ein Zugriffsrecht des Gläubigers wurde in den Beratungen für diese Fallgestaltung gar nicht erst diskutiert, weil es überflüssig war: Der Gläubiger behielt sein Eigentum573, während der abgetretene Herausgabeanspruch dem Schadensersatz Leistenden gegen den Eigentümer selbst nicht weiterhalf und erlosch. Der Schuldner hatte nun kein Mittel mehr, an die Sache zu gelangen. In diesem Fall sollte offenbar die im Ersten Entwurf vorgesehene condictio ob causam finitam auf Rückzahlung des Schadensersatzes zur Anwendung kommen. Im Ergebnis war der von der Ersten Kommission vorgesehene gesetzliche Übergang der Vindikation also weder ein Eigentumsübergang noch eine bloße Ermächtigung zur Geltendmachung des Herausgabeanspruchs, sondern ein Instrument zur Vorbereitung oder ein Baustein zur Verwirklichung des Eigentums-
570
Zum Folgenden Jakobs/Schubert, SachR I, 868 f. Vgl. Jakobs/Schubert, SachR I, 583, 585, 589 f. (VorlZust § 1, Alternativregelung), 868. 572 Jakobs/Schubert, SR I, 119 (Antrag Nr. 4 von Planck). Ebenso, nach Veröffentlichung des Ersten Entwurfs, die Gegenentwürfe von Rocholl (§ 223) und Bähr (§ 218). 573 Hierauf bezieht sich die Kritik von Seuffert, zitiert in Zusammenstellung der gutachterlichen Äußerungen II, 24. 571
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übergangs. Ob dieser dann stattfand, hing vom manchmal zufälligen Umstand ab, ob der Schadensersatzpflichtige den Besitz erlangte oder der Eigentümer ihm dabei zuvorkam. (5) Die Lösung der Zweiten Kommission In der Zweiten Kommission wurde der gesetzliche Forderungsübergang gestrichen und durch ein Recht des Schadensersatz Leistenden ersetzt, die Abtretung der Ansprüche zu verlangen, die dem Gläubiger auf Grund des Eigentums gegen Dritte zustehen. Diese Fassung hatte schon die Kommission im Reichsjustizamt nach einem Antrag von Jacubezky vorgeschlagen574. Ergebnis war der heutige § 255 BGB. Das Recht des Schadensersatz leistenden Schuldners auf Abtretung der Ansprüche war nach den Beschlüssen der Reichsjustizamts- sowie der Zweiten Kommission als Anspruch formuliert; der Schuldner konnte die Abtretung „verlangen“575. Erst in der später erstellten vorläufigen Zusammenstellung der Kommissionsbeschlüsse wurde der Wortlaut der Vorschrift zum heute geltenden, wonach der Schuldner „nur gegen Abtretung der Ansprüche verpflichtet“ war576. Eine sachliche Änderung war hiermit offenbar nicht beabsichtigt, so dass anzunehmen ist, dass § 255 nach der Absicht des Gesetzgebers eine echte Anspruchsgrundlage sein und nicht nur ein Zurückbehaltungsrecht begründen sollte. Die Abtretungslösung hielt man für zweckmäßiger, weil damit die Tatsache, der Zeitpunkt und der Umfang des Übergangs der Ansprüche für Dritte erkennbar seien, ohne dass diese zu prüfen hätten, ob und in welcher Höhe Schadensersatz geleistet worden sei577. In den Protokollen findet sich hierzu eine aus heutiger Sicht nur schwer verständliche Passage: „Bei dinglichen Ansprüchen führe die kraft Gesetzes eintretende Uebertragung zu dem ganz unzweckmäßigen Ergebnisse, daß, wenn theilweise Ersatz geleistet sei, ein dingliches Gemeinschaftsverhältniß mit Antheilen bestehe, deren Größe sich nach dem Verhältnisse zwischen dem ersetzten und dem nicht ersetzten Theile des Schadens bestimme. Daß der Beschädigte, wenn er vom Ersatzpflichtigen nur theilweisen Ersatz verlange, seine Ansprüche gegen Dritte nur soweit, als Ersatz geleistet werde, abzutreten verpflichtet sei, dürfe für selbstverständlich erachtet werden. Aber wenn er sich mit dem Ersatzpflichtigen dahin einige, daß er sich mit einer den Schaden nicht vollständig deckenden Abfindung begnügen und gegen Leistung derselben seinen ganzen Anspruch gegen den Dritten abtreten wolle, so könne der Dritte daraus, daß der Cessionar nicht vollen Ersatz geleistet habe, einen Einwand nicht herleiten.“578 574
Jakobs/Schubert, SR I, 122 f. Jakobs/Schubert, SR I, 122 (Antrag Jacubezky), 123 (E-RJA § 223, der von der Zweiten Kommission angenommen wurde). 576 Jakobs/Schubert, SR I, 123 (VorlZust § 223). 577 Prot. 606 (Mugdan II, 519). Ebenso schon die Kritik zum Ersten Entwurf von Laband, AcP 73 (1888), 183 ff. 578 Prot. 606 (Mugdan II, 519 f.). 575
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Aus dem Hinweis auf das dingliche Gemeinschaftsverhältnis schließt ein Teil der heutigen Literatur, dass die Kommissionsmitglieder entgegen dem Wortlaut der von ihnen beschlossenen Vorschrift nicht an einen Übergang nur des Vindikationsanspruchs, sondern an eine Übertragung des Eigentums selbst gedacht haben579. Nach Ansicht von Stamm habe man den Gläubiger davor bewahren wollen, durch einen gesetzlichen Eigentumsübergang im Falle einer Teilleistung eine Miteigentumsgemeinschaft mit dem Schuldner bilden zu müssen580. Daher sollte der Gläubiger nur schuldrechtlich zur Eigentumsübertragung verpflichtet werden. Doch diese Auslegung ist bei näherem Hinsehen zweifelhaft. Die von Stamm angenommene Alternative zwischen erzwingbarem und gesetzlichem Eigentumsübergang ist nicht geeignet, die zitierte Stelle in den Protokollen zu erklären. Die Kommission dachte an den Fall, dass der Schuldner eine Leistung anbietet, die den Schaden des Gläubigers nicht deckt. Geht man von der Prämisse aus, dass die Protokollstelle von der Alternative zwischen erzwingbarem und gesetzlichem Eigentumsübergang handelt, sind drei Gestaltungen denkbar: (1) Der Gläubiger will wegen einer Teilleistung sein Eigentum nicht mit dem Schuldner teilen. In diesem Fall kann er sowohl bei gesetzlichem als auch bei erzwingbarem Eigentumsübergang die Teilleistung ablehnen, wozu er auch schon nach dem Ersten Entwurf ein Recht hatte581. Dann bleibt er Alleineigentümer. (2) Der Gläubiger will die Teilleistung als solche entgegennehmen. Dann kann er eine Miteigentumsgemeinschaft im Ergebnis nicht verhindern: Bei gesetzlichem Übergang entsteht die Gemeinschaft sofort, ansonsten ist er verpflichtet, dem Schuldner einen Teil des Eigentums zu übertragen. (3) Der Gläubiger gibt sich mit der Teilleistung zufrieden und verzichtet auf seine Rechte an der Sache. Bei einer Übertragungspflicht kann er dann das Alleineigentum übertragen. Bei einem gesetzlichen Eigentumsübergang könnte die Gefahr bestehen, dass der Schuldner nur Miteigentümer wird, was der Gläubiger aber durch einen besonderen Übertragungsakt verhindern kann. Bei Annahme der Alternative zwischen gesetzlichem und nur erzwingbarem Eigentumsübergang wäre die von der Kommission beschlossene Regel also nicht geeignet, den Gläubiger vor einer unerwünschten Miteigentumsgemeinschaft zu bewahren. Angesichts der nur lockeren Verbindung der Teilhaber einer gesetzlichen Bruchteilsgemeinschaft (§§ 741 ff., 1008 ff.) bestünde dazu auch wenig Bedürfnis. Von einem Schutz des Gläubigers ist in den Protokollen auch gar nicht die Rede, sondern von einem Schutz des Dritten, der nicht weiß, ob und in welcher Höhe Schadensersatz geleistet wurde. Ein gesetzlicher Rechtsübergang kann dazu führen, dass der Dritte nicht sicher weiß, wer in welcher Höhe sein Gläubiger ist.
579 580 581
Selb, FS Larenz, 525; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 108; Jürgens, Teilschuld, 165. Stamm, Regreßfiguren, 75, 85 f., 88 f., 90. E I § 228; BGB § 266.
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Geht man davon aus, dass die Abtretung des dinglichen Anspruchs in den Augen der Zweiten Kommission zu einem Eigentumsübergang führen sollte, dann entsteht im Falle der nur teilweisen Schadensersatzleistung eine Miteigentumsgemeinschaft zwischen Gläubiger und Schuldner, und zwar entweder gesetzlich oder gewillkürt. Für den Herausgabeanspruch würde dann die schon im Ersten Entwurf vorgesehene Regel gelten, dass jeder Miteigentümer die Herausgabe der Sache an beide verlangen kann582. Während bei einer Abtretungslösung der Besitzer sich Sicherheit darüber verschaffen kann, wer Eigentümer ist, bestünde bei einem gesetzlichen Eigentumsübergang die Gefahr, dass er nicht wüsste, ob er die Sache dem Gläubiger, dem Schuldner oder beiden zusammen herausgeben müsste. Noch größer wäre sein Problem, wenn er die Sache nach dem Rechtsübergang zerstört oder beschädigt hätte. Nach Ansicht des Gesetzgebers fielen Schadensersatzansprüche von Miteigentümern unter die Regel des heutigen § 420583, teilten sich also nach Eigentumsanteilen auf, so dass der Dritte nicht wüsste, wie viel er an wen leisten muss. Diese Gefahren könnten vermieden werden, wenn das (Mit-) Eigentum nicht gesetzlich, sondern durch Rechtsgeschäft übergeht. Doch das Argument der gewünschten Sicherheit über die Gläubigerstellung trifft ebenso zu, wenn es lediglich um die Alternative zwischen gesetzlichem oder rechtsgeschäftlichem Übergang des isolierten Herausgabeanspruchs geht. Die Erste Kommission hatte an einen gesetzlichen Forderungsübergang gedacht. Im Falle einer vom Gläubiger angenommenen Teilleistung stünde der Vindikationsanspruch nach dieser Regelung sowohl dem Gläubiger als auch dem Schuldner zu. Nach Ansicht des BGB-Gesetzgebers handelte es sich bei der Herausgabe einer Sache um eine unteilbare Leistung. In diesem Fall sollte jeder Gläubiger die Befugnis haben, die Leistung an alle zu verlangen (heute § 432)584. Sofern anstelle der unteilbaren Leistung eine teilbare, insbesondere eine Interesseforderung trat, sollten nach dem Ersten Entwurf Teilforderungen entstehen585. Im Falle einer nur teilweisen Schadensersatzleistung bestünden also in jedem Fall Unsicherheiten darüber, an wen der Dritte leisten muss, ganz unabhängig davon, ob man einen gesetzlichen Eigentumsübergang oder einen gesetzlichen Übergang nur des Vindikationsanspruchs annimmt: Auch im zweiten Fall ist für den Dritten nicht klar, ob er die Sache an den Gläubiger, den Schuldner oder an beide herausgeben und an wen er bei nachträglicher Zerstörung der Sache Schadensersatz leisten muss. Die Erwägungen der Zweiten Kommission für eine Abtretungslösung machen also auch dann Sinn, wenn sie anstelle des gesetzlichen Forderungsübergangs eine Pflicht zur isolierten Abtretung des Vindikationsanspruchs beschlossen hätten.
582
TeilE SachR § 217; E I § 951; BGB § 1011. Siehe etwa Jakobs/Schubert, SR III, 397; Mot. II, 885 (Mugdan II, 494); Mot. III, 445 (Mugdan III, 249). 584 E I § 339. 585 E I § 341. Die Vorschrift wurde auf Vorschlag der Reichsjustizamts-Kommission durch die Zweite Kommission gestrichen, Jakobs/Schubert, SR I, 963. 583
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Tatsächlich könnte mit dem in den Protokollen erwähnten „dinglichen Gemeinschaftsverhältnis“ etwas anderes gemeint sein als die Miteigentumsgemeinschaft, nämlich eine Gemeinschaft hinsichtlich des dinglichen Herausgabeanspruchs. Gemeinrechtlich war die Bruchteilsgemeinschaft an einer Forderung zwar unbekannt586. Konnten mehrere eine teilbare Leistung verlangen, entstanden Teilschulden. Bei unteilbaren Leistungen nahm man mehrere auf dieselbe Leistung gerichtete Forderungsrechte an, deren Ausübung durch die konkurrierenden Rechte eingeschränkt war. Das preußische ALR kannte demgegenüber schon eine Forderungsgemeinschaft587. Die Erste Kommission sah für Gläubigermehrheiten bei unteilbaren Leistungen die Vorschrift des heutigen § 432 vor, ließ aber offen, ob die Mitgläubigerschaft zugleich einen Fall der Bruchteilsgemeinschaft darstellt588. Es ist also möglich, dass die Zweite Kommission bei dem „dinglichen Gemeinschaftsverhältnis“ nicht an Miteigentum, sondern an eine Forderungsgemeinschaft hinsichtlich des Vindikationsanspruchs dachte. Insgesamt lässt sich aus den Beratungsprotokollen zu § 255 nicht der Schluss ziehen, die Zweite Kommission habe bei der „Abtretung der Ansprüche auf Grund des Eigentums“ an eine Eigentumsübertragung gedacht. Tatsächlich ist eine solche Auslegung unwahrscheinlich. Soweit ersichtlich, fanden die Beratungen zum Schuldrecht vor den Beratungen zum Sachenrecht statt589. Die Vorschrift des heutigen § 931 war noch nicht beschlossen, als die Zweite Kommission über § 255 beriet. Sie ging also von der nach dem Ersten Entwurf geltenden sachenrechtlichen Lage aus, wonach die Abtretung des Vindikationsanspruchs eine Übergabe nicht ersetzen, wohl aber dem Zessionar Eigentum verschaffen konnte, falls er den Besitz erhielt. Wenn die Kommission in dieser Lage eine Pflicht zur Abtretung der Ansprüche beschloss, dann war genau dies gemeint: Der Gläubiger sollte durch Abtretung des Vindikationsanspruchs dem Schuldner die Möglichkeit verschaffen, zukünftig Eigentum zu erwerben, allerdings nur für den Fall, dass er mit Hilfe des Herausgabeanspruchs den Besitz erlangte. Die Lage änderte sich aber, als die Zweite Kommission im Anschluss an die Schuldrechtsberatungen die Vorschriften zum Sachenrecht beriet und hier die Regeln des Ersten Entwurfs in einem wesentlichen Punkt umgestaltete. Nach wie vor verlangte der rechtsgeschäftliche Eigentumsübergang an beweglichen Sachen Einigung und Übergabe, wobei die Übergabe durch Surrogate wie das Besitzkonstitut ersetzt werden konnte (heute §§ 929, 930)590. Hatte aber ein Dritter die tatsächliche Gewalt über die Sache inne, ersetzte man für den Fall, dass der Dritte Besitzmittler für den Veräußerer war, die Anweisungslösung durch einen Eigen586
Hierzu und zum Folgenden HKK/Meier, §§ 420–432 II, Rz 38 ff. ALR I 5 §§ 450–453. 588 Jakobs/Schubert, SR I, 954, 957 f.; Mot. II, 172 (Mugdan II, 95). 589 Die Zweite Kommission beriet das Schuldrecht des Ersten Entwurfs vom Oktober 1891 bis zum Januar 1893, das Sachenrecht vom Januar 1893 bis zum November 1893, Jakobs/Schubert, SR I, 16; dies., SachR I, X. 590 Hierzu im Einzelnen Jakobs/Schubert, SachR I, 133 f., 592 ff.; Prot. 3332, 3345, 3444, 3675 ff. (Mugdan III, 502, 503, 505, 623 ff.) 587
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tumsübergang durch Anspruchsabtretung591. In diesem Zusammenhang kam der Vorschlag auf, auch dann die Abtretung des Herausgabeanspruchs als Übergabesurrogat zuzulassen, wenn der Dritte nicht Besitzmittler war, also die Sache als Eigenbesitzer oder für einen Vierten besaß592. Hiergegen wurde wie schon in den Beratungen der Ersten Kommission eingewandt, dass es für eine solche Übereignungsform kein praktisches Bedürfnis gebe, weil bei einer zum Zwecke der Eigentumsübertragung erfolgenden Abtretung des Vindikationsanspruchs der Erwerber auch ohne eine besondere Regel dann Eigentümer werde, wenn er den Besitz vom Dritten erhalte. Die Mehrheit aber hielt die Trennung von Eigentumsrecht und Vindikationsanspruch für praktisch nicht wünschenswert. Sofern die Abtretung eine Eigentumsübertragung bezwecke, bestehe kein Grund, die Wirkung eines sofortigen Übergangs den Parteien zu versagen593. Ergebnis war der heutige § 931. Nach den Beschlüssen der Zweiten Kommission zum Sachenrecht konnte damit die Abtretung des Vindikationsanspruchs zum sofortigen Eigentumsübergang führen, falls die Abtretung diesen Zweck verfolgte, falls also neben der Abtretung auch eine Einigung i.S.d. § 929 stattfand. Hiernach muss die Vorschrift des § 255 nun anders ausgelegt werden. Ein Teil der heutigen Literatur macht geltend, § 255 verpflichte den Schadensersatz-Gläubiger nur zur Abtretung, nicht aber zur Einigung und damit nicht zur Eigentumsübertragung. Dem Schuldner müsse lediglich die Möglichkeit gegeben werden, mittels des Herausgabeanspruchs den Besitz an der Sache zu erlangen, um dann eine endgültige Abwicklung mit dem Gläubiger treffen zu können594. Hierfür spricht zwar der Wortlaut des § 255, nicht aber die Entstehungsgeschichte. Sowohl nach Gemeinem Recht als auch nach dem Ersten Entwurf diente die (rechtsgeschäftliche oder gesetzliche) Zession des Herausgabeanspruchs nicht nur dem Zweck, dem Schuldner die Besitzerlangung zu ermöglichen, sondern bildete die Voraussetzung eines Eigentumserwerbs durch den Schuldner. Ob der Schuldner tatsächlich Eigentum erwarb, war zwar unsicher, weil der Erwerb davon abhing, ob er den Besitz erlangte und ob der Gläubiger ihm dabei nicht zuvorkam. Doch wenn der Schuldner tatsächlich Besitz erlangte, wurde er Eigentümer, ohne dass der Gläubiger dem noch widersprechen konnte. Der Gläubiger war also nach Gemeinem Recht verpflichtet, einen Eigentumserwerb durch den Schuldner zu ermöglichen. Technisch ausgedrückt sollte nach E I § 223 nicht nur der Herausgabeanspruch übergehen, sondern auch ein entsprechendes Einigungsangebot des Gläubigers fingiert werden. Ebenso sollte vor der Einführung des § 931 die Vorschrift des § 255 den Gläubiger verpflichten, einen Eigentumserwerb durch Anspruchsabtretung zu ermöglichen; verpflichtet wurde er also nicht nur zur Abtretung, sondern 591 Vgl. Prot. 3692 ff. (Mugdan III, 627 f.); zur Entstehung des § 870 BGB Prot. 3737 (Mugdan III, 517). 592 Jakobs/Schubert, SachR I, 595 (Antrag Achilles). 593 Prot. 3694 ff. (Mugdan III, 628). 594 Nachweise in Fn. 598.
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auch zum Einigungsangebot595. Der sofortige Eigentumserwerb durch den Schuldner scheiterte in diesem Stadium der Beratungen allein am Traditionsprinzip, also am Fehlen einer Vorschrift wie § 931. Nachdem dieses Hindernis in den Sachenrechtsberatungen wegfiel, bedeutete die Verpflichtung des Gläubigers aus § 255 eine Verpflichtung sowohl zur Abgabe eines Einigungsangebots als auch zur Abtretung des Herausgabeanspruchs und damit im Ergebnis eine Pflicht zur sofortigen Übereignung. Dass § 255 die Einigung nicht besonders erwähnt, liegt offenbar daran, dass man in der Abtretung des Vindikationsanspruchs in der Regel einen Willen zur Eigentumsübertragung596, also das erforderliche Einigungsangebot, sah. Ob den Kommissionsmitgliedern bei der Einführung des § 931 bewusst war, dass damit auch die Vorschrift des § 255 einen veränderten Inhalt erhielt, der aus ihrem Wortlaut nicht unmittelbar hervorging597, lässt sich den Protokollen nicht entnehmen. Darauf kommt es aber im Ergebnis nicht an. Als die Zweite Kommission § 255 beriet, scheiterte der sofortige Eigentumserwerb des Schuldners in ihren Augen allein an sachenrechtlichen Regeln, diese wurden aber anschließend geändert. Nach dem Willen des historischen Gesetzgebers ist der Gläubiger aus § 255 (selbstverständlich nur, wenn er Eigentümer ist) zur Übertragung des Eigentums nach §§ 929, 931 verpflichtet. (6) Die heutige Lehre Weil die Übereignungspflicht im Wortlaut des § 255 nicht zum Ausdruck kommt, ist die Auslegung der Vorschrift bis heute umstritten. Hinzu kommt, dass nach heute ganz überwiegender Ansicht eine isolierte Abtretung des Herausgabeanspruchs aus § 985 nicht möglich ist. Die Vindikation ist danach eine nur dem Eigentümer zustehende Klagebefugnis und kann nicht vom Eigentumsrecht selbst getrennt werden. Ein Teil der Literatur hält sich an den Wortlaut des § 255598. Der Gläubiger ist danach nur zur Abtretung, nicht aber zur Einigung verpflichtet. Sofern die isolierte Abtretung des Anspruchs aus § 985 nicht möglich sein sollte, ist der Gläubiger danach zumindest zur Gewährung einer Einziehungsermächtigung verpflichtet599. Das Eigentum geht nicht auf den Schuldner über. Diese Ansicht be595 Dies wird von Stamm nicht gesehen, so dass seine historische Auslegung des § 255 von unzutreffenden Prämissen ausgeht, Regressfiguren, 62, 75, 85 ff. 596 Vgl. Prot. 3695 (Mugdan III, 628). 597 Insofern ist die Kritik bei Stamm, Regressfiguren, 92, berechtigt. 598 Oertmann, Vorteilsausgleichung, 300 ff.; Crome, Schuldverhältnisse, § 151 II 5 b; Planck/Siber, § 255 Anm. 3; Klingmüller, JhJb 64 (1914), 80 f.; Ru.Schmidt, JhJb 72 (1922), 38 ff.; Hauk, Abtretung, 34 ff., 37 ff.; Heck, Schuldrecht, § 17 Nr. 1 b; Leonhard, SR AT, § 94, S. 213 f.; Zilz, Unechte Gesamtschuld, 28 f.; Selb, Mehrheiten, 152 f.; Staud/Selb (1995), § 255 Rz 14 f.; Soergel/ Re. Schmidt (1967), § 255 Rz 4 f.; MüKo/Oetker, § 255 Rz 14, 18; Erman/Ebert, § 255 Rz 5. 599 Larenz, SR AT, § 32 Fn. 6; Selb, Mehrheiten, 152 f.; Staud/Selb (1995), § 255 Rz 14; Wolf/ Niedenführ, JA 1985, 379; BamR/Unberath, § 255 Rz 10.
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ruft sich auf den Schutz des Gläubigers, dem bei Unauffindbarkeit der Sache nicht zugemutet werden könne, die Sache zu übereignen, um Schadensersatz zu erhalten. Daher dürfe es noch nicht zum endgültigen Rechtsverlust kommen. Erlangt der Schuldner mit Hilfe des Herausgabeanspruchs den Besitz an der Sache, kann er vom Gläubiger aus § 812 Rückzahlung des Schadensersatzes Zug um Zug gegen Herausgabe der Sache verlangen. Einige Autoren wollen dem Gläubiger hier, falls er inzwischen kein Interesse mehr an der Sache hat, ein Recht gewähren, den Schadensersatz gegen Übereignung der Sache an den Schuldner zu behalten600. Die heute herrschende Lehre sieht in § 255, im Einklang mit den Absichten des historischen Gesetzgebers, den Ausdruck einer Übereignungspflicht601. Danach verlangt die Vorschrift nicht nur die Abtretung, sondern auch die Einigungserklärung, also eine Übereignung nach § 931, die aber, nachdem man die isolierte Abtretung des Anspruchs aus § 985 nicht mehr für möglich hält, allein im Wege der Einigung erfolgt. Für diese Lösung spricht sachlich das Interesse des Gläubigers, des Schuldners und auch des Rechtsverkehrs an klaren Eigentumsverhältnissen. Der Gläubiger soll sich darauf einrichten können, über den geleisteten Schadensersatz disponieren zu können, etwa zum Erwerb einer Ersatzsache. Auch der Schuldner kann ein Interesse daran haben, über die aufgetauchte Sache als Eigentümer verfügen zu können, ohne dass er den Gläubiger ausfindig machen und seine Entschließung abwarten muss. Hat der Gläubiger ein spezifisches Interesse an einer bestimmten Sache, kann ihm auch dadurch geholfen werden, dass man ihm bei Auftauchen der Sache einen Rückübereignungsanspruch Zug um Zug gegen Rückzahlung des Schadensersatzes einräumt602. Entscheidend ist nur, dass es bis zur Erfüllung eines solchen Rückübereignungsanspruchs beim Eigentum des Schuldners bleibt, um ein für den Rechtsverkehr unsachgemäßes, eventuell dauerndes, Auseinanderfallen von Eigentum und Herausgabeanspruch zu vermeiden. 600 Oertmann, Vorteilsausgleichung, 302; Crome, Schuldverhältnisse, § 151 II 5 b; Planck/Siber, § 255 Anm. 3; Hauk, Abtretung, 34 ff., 38; Leonhard, SR AT, 214; dagegen aber R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 41 ff. 601 Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 34 II c; Fischer, Schaden, 255 Fn. 14; Endemann, BürgR I, § 129 Fn. 39; Schulz, Rückgriff, 107 f.; von Tuhr, KritVj 47 (1907), 86; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 237 II 2; Kreß, SR AT, 292; Staud/Werner (1930), § 255 Anm. 3 c; Henle, Schuldrecht, § 56 IV B; unklar Warneyer, BGB, § 255 Anm. III; aus der späteren Literatur von Caemmerer, JR 1959, 463; Weimar, JR 1959, 92; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 106 ff., 113 ff.; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 28 f.; Jürgens, Teilschuld, 164 ff.; Wernecke, Gesamtschuld, 49; H. Roth, FS Medicus (1999), 496 ff.; Stamm, Regreßfiguren, 89 ff.; Costede, JR 2005, 47; Schims, Forderungsübergang, 142; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 11 B I; Soergel/Mertens, § 255 Rz 9; Staud/Bittner, § 255 Rz 21 f., 43; jurisPK/Rüßmann, § 255 Rz 17; Palandt/Heinrichs, § 255 Rz 9. 602 So wohl schon Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 34 II g; aus der heutigen Lehre Weimar, JR 1959, 93; Soergel/Mertens, § 255 Rz 9; Staud/Bittner, § 255 Rz 22, 43; jurisPK/Rüßmann, § 255 Rz 18; Palandt/Heinrichs, § 255 Rz 9; bei besonderem Affektionsinteresse auch von Caemmerer, JR 1959, 463 f.; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 116; erwogen auch bei Jürgens, Teilschuld, 167.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
d) Die Abtretung von Schadensersatzansprüchen Die Frage, ob der Gläubiger demjenigen, der ihn für den Verlust oder die Beschädigung einer Sache entschädigte, Schadensersatzansprüche abtreten muss, wurde in der gemeinrechtlichen Literatur häufig nicht angesprochen. Bei der Leihe als Musterfall schuldrechtlicher Rückgabepflichten diskutierte ein Teil der Autoren, insbesondere bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, lediglich die Frage, wem das Recht an der verlorenen Sache zusteht, wenn sie wieder auftaucht603. Die Kodifikationen und Entwürfe enthielten mit Ausnahme des Sächsischen Gesetzbuchs überhaupt keine Regeln zum Regress eines Schuldners, der, sei es aus Vertrag oder im Rahmen der Vindikation, für die Sachentziehung, -beschädigung oder -zerstörung durch einen Dritten einstehen muss604. Wahrscheinlich war die Gewährung eines besonderen Regressrechts oder eines Rechts, vom Gläubiger die Zession der Schadensersatzklage zu verlangen, nicht notwendig, soweit eine deliktische Generalklausel existierte. Dies war im frühen Gemeinen Recht und in der Mehrheit der Regelwerke der Fall605. Der Entleiher, Vindikationsbeklagte oder sonstige Schuldner (im Folgenden allgemein als „Schuldner“ bezeichnet) hatte durch seine Haftung gegenüber dem Gläubiger oder spätestens dann, wenn er an den Gläubiger leistete, einen Schaden erlitten, den der Dritte rechtswidrig verursacht und daher zu ersetzen hatte. Dieser Hintergrund änderte sich aber im 19. Jahrhundert, als man sich von der deliktischen Generalklausel entfernte und die aquilische Schadensersatzklage dem Eigentümer vorbehielt. Musste der Schuldner wegen eines durch einen Dritten verübten Diebstahls haften, gewährte ihm ein Teil der Literatur schon von vornherein die Klagebefugnis aus der condictio furtiva oder aus der (sich nun auf einfachen Schadensersatz richtenden) actio furti606. Sofern ihm diese Klagebefugnis abgesprochen war, konnte er bei Leistung des Schadensersatzes vom Gläubiger die Abtretung „der Klagen“ verlangen607. Zu diesen Klagen zählte nicht nur die Vindikation, sondern auch die condictio furtiva608 und/oder eine Schadensersatzklage gegen den Dieb. 603 Voet, Commentarius, zu D.13,6, § 8; Kreittmayr, Anmerkungen IV, 126; Glück, Pandecten XIII, 474; Thibaut, Pandekten, § 890; Koch, Forderungen III, 423; von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT, Kap. IV, Anm. 13 (S. 503 f.); vgl. auch Dernburg, Pandekten II, § 44 Fn. 6. 604 Bei der Leihe gab es nur Regeln zum Fall des Auftauchens der verlorenen Sache, oben, 789 ff. Regeln zum Rechtsübergang auf den Schadensersatz leistenden Vindikationsbeklagten kannten nur der Bayerische Entwurf und das Sächsische BGB, oben, 787 f. 605 Oben, 778. 606 Oben, 775. 607 Vgl. Mühlenbruch, Cession (3.A.1836), 409 ff.; Thibaut, Pandekten, § 567; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 606 III; Vangerow, Pandekten, § 332 Anm. 3 III 1 b, § 574 a.E., Nr. 4; Puchta, Pandekten, § 170; Mommsen, Commodum (1859), 87 ff.; Windscheid, Pandekten, § 193, § 264 Nr. 2, § 327 Fn. 12, § 453 Fn. 11; Brinz, Pandekten, § 316 Nr. 4 bei Fn. 46; Sintenis, Civilrecht, § 52 Fn. 32, § 111 bei Fn. 26, § 128 Fn. 11; Arndts, Pandekten, § 284; Wächter, Pandekten, § 143, Beilage II, A I 1 b, B II; Schmid, Cession I, 259 ff.; Bekker, JbGemR 4 (1861), 206; Dernburg, Pandekten II, § 44 Fn. 6; Baron, Pandekten, § 238. 608 Ausdrücklich Wächter, Pandekten, § 143, Beilage II, A I 1 b; Windscheid, Pandekten, § 453 Fn. 11; Schmid, Cession I, 260.
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Mit Hilfe dieser Klagen konnte der Schuldner vom Dritten insbesondere dann Schadensersatz verlangen, wenn der Dritte die Sache dem Schuldner nicht herausgab oder wenn er sie inzwischen zerstört oder veräußert hatte. Möglich war aber auch, dass die Sache dem Schuldner nicht gestohlen, sondern von einem Dritten beschädigt oder zerstört worden war, wofür der Schuldner gegenüber dem Gläubiger einstehen musste. Ein Recht des Schuldners, bei Leistung des Schätzwerts vom Gläubiger die Abtretung der aquilischen Klage gegen den Dritten zu verlangen, war in den römischen Quellen nur vereinzelt überliefert609. Vielleicht aus diesem Grund beschränkte sich ein Teil der gemeinrechtlichen Literatur auf die Konstellation, dass die Sache dem Schuldner abhandengekommen war610. Ein anderer Teil aber gewährte dem Entleiher611 oder Vindikationsbeklagten612 ausdrücklich auch im Fall der Zerstörung oder Beschädigung der Sache das Recht, die Abtretung der aquilischen Schadensersatzklage zu verlangen. Wohl unstrittig war ein solcher Zessionsanspruch bei der Haftung der Schiffer und Gastwirte, die nicht nur Diebstähle, sondern auch Sachbeschädigungen umfasste613. Ein überliefertes Fragment von Paulus erwähnte das Recht des vom Gläubiger aus der quasideliktischen actio damni in factum belangten Schiffers auf Abtretung der actio legis Aquiliae gegen den Täter614. Dieses Abtretungsrecht wurde in der gemeinrechtlichen Literatur auch rezipiert und zumeist auch auf den Fall der receptum-Haftung ausgedehnt615. Hier handelte es sich um einen Fall, in dem es gerade um die Abtretung von Schadensersatzklagen ging und ein Verlust der Sache nicht Voraussetzung war. Eine Einbeziehung der Beschädigungsfälle findet sich insbesondere bei denjenigen Autoren, die nach dem Vorbild von Mühlenbruch alle Fälle eines Abtre609 Oben, 783 ff. Möglich, aber nicht überliefert, ist, dass in manchen Fällen das Klagerecht aus der lex Aquilia von vornherein dem Schuldner zustand. 610 Zum Vindikationsbeklagten Voet, Commentarius, zu D.6,1, § 33; Glück, Pandecten VIII, 211 f.; Vangerow, Pandekten, § 332 Anm. 3 III 1 b (zu seiner Ansicht aber der folgende Textabschnitt); Wächter, Pandekten, § 143, Beilage II, A I 1. 611 Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 606 III (wenn die Sache durch schlechte Beaufsichtigung des Entleihers verdorben ist, Recht auf Zession der Ansprüche gegen den Urheber der Verschlechterung); Brinz, Pandekten, § 316 Nr. 4 (Abtretung der aquilischen Klage, wenn der Entleiher wegen des vom Dritten verursachten Schadens belangbar ist); Sintenis, Civilrecht, § 111 bei Fn. 26 (Zessionsrecht, wenn der Entleiher wegen eines vom Dritten verursachten Schadens verantwortlich ist); ebenso Struckmann in der Redaktionsvorlage zum Leihvertrag, 31 (Schubert, SR II, 497: Zessionsrecht, wenn der Entleiher die Sache nicht oder nicht unversehrt zurückgeben kann). 612 Thibaut, Pandekten, § 567 (Zessionsrecht, wenn die Sache durch culpa des Besitzers zugrunde geht); wohl auch Puchta, Pandekten, § 170 (der allgemein vom Fall ausgeht, dass der Besitzer für die fehlende Rückgabe verantwortlich ist); ferner Windscheid, Pandekten, § 193 (der von einer Unmöglichkeit der Herausgabe spricht und die gleichen Regeln auch im Fall bloßer Beschädigung anwenden will); Sintenis, Civilrecht, § 52 bei Fn. 32 (der den Fall miteinschließt, dass die Sache nicht mehr existiert); Schmid, Cession I, 260 (Abtretung der aquilischen Klage). 613 Oben, 746 ff. 614 Paulus D.4,9,6,4; hierzu oben, 785 f. 615 Glück, Pandecten VI, 144; Unterholzner, Schuldverhältnisse, §§ 695 IV, 696 X; Sintenis, Civilrecht, § 120 bei Fn. 19; Goldschmidt, ZHR 3 (1860), 78; Weis, ArchPrRW nF 5 (1868), 401; Römer, ZHR 18 (1873), 28.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
tungsrechts des Haftenden zusammenstellten und unter einen gemeinsamen Leitgedanken brachten. Wer zum Schadensersatz wegen einer abhandengekommenen oder beschädigten Sache verpflichtet ist, so hieß es bei Mühlenbruch, Vangerow und Sintenis, kann die Abtretung der die Sache betreffenden Klagen verlangen616. Auch Mommsen617, Baron618 und Windscheid 619 bezogen das Zessionsrecht des Haftenden ausdrücklich auf den Fall der Beschädigung oder Zerstörung der Sache. In dieser Tradition stand das Sächsische Gesetzbuch: Wer Schadensersatz zu leisten hatte, konnte nach § 961 die Abtretung der Forderungen „auf Erlangung der Sache oder auf Schadensersatz gegen einen Dritten“ verlangen. Eine Einschränkung auf den Fall des Besitzverlusts gab es nicht. Demnach erscheint es, als ob sich die Lehre beim Zusammentreffen eines vertraglichen bzw. dinglichen Schadensersatzanspruchs mit einem deliktischen Schadensersatzanspruch für einen Regress mittels erzwingbarer Abtretung entschieden hat. Diese Lehre könnte dann auch dem heutigen § 255 BGB zugrunde liegen, wonach derjenige, der wegen des Verlusts einer Sache Schadensersatz zu leisten hat, zum Ersatz nur gegen Abtretung der Ansprüche auf Grund des Eigentums an der Sache verpflichtet ist. Die entscheidende Frage ist, ob und warum man in diesen Fällen nicht ein Solidarschuldverhältnis annahm. Für die ältere gemeinrechtliche Lehre vor dem 19. Jahrhundert ist die Antwort nicht allzu schwer. Sie kannte mit der Korrealobligation i.w.S. nur eine einzige Art von Gesamtschuldverhältnis, die durch eine besonders enge Verknüpfung der Verbindlichkeiten geprägt war und daher mehr als eine bloße Solutionskonkurrenz verlangte620. Zwar konnten Korrealschulden auch bei gesetzlichen Schadensersatzverbindlichkeiten entstehen, doch offenbar nur zwischen Teilnehmern an einer gemeinsamen deliktischen Tat, nicht zwischen unabhängigen Nebentätern. Erst recht wendete man die Korrealschuldregeln nicht auf den Fall an, dass jemand wegen der Zerstörung einer Sache gegenüber dem Eigentümer deliktisch haftet und daneben ein anderer für denselben Schaden vertraglich verantwortlich ist, etwa als Entleiher, der die Beschädigung schuldhaft nicht verhindert hat. 616 Mühlenbruch, Cession, 409; Vangerow, Pandekten, § 574 a.E., Nr. 4; Sintenis, Civilrecht, § 128 Fn. 11. 617 Mommsen, Commodum, 89 (macht der Gläubiger seinen Schadensersatzanspruch gegen den Schuldner geltend, muss er ihm die Klagen gegen den Dritten zedieren), 82 f. (die dahinter stehende Regel, dass das commodum dem die Gefahr tragenden Schuldner gebührt, gilt in allen Fällen der Unmöglichkeit und auch bei bloßer Verschlechterung der Sache). 618 Nach Baron, Pandekten, § 238 II, gebühren die Klagen wegen Sachbeschädigung dem Schuldner, wenn er gegenüber dem Gläubiger dafür aufkommen muss. Gemeint ist wahrscheinlich ein Zessionsrecht, weil die aquilische Klage an sich nur dem Eigentümer zustehen soll, § 313 II 4. 619 Windscheid, Pandekten, § 264 Nr. 2 (bei nachträglicher verschuldeter Unmöglichkeit kann der Schadensersatzleistende die Abtretung der entsprechenden Ansprüche verlangen), § 327 Fn. 12 (muss der Schuldner haften, wenn seine Leistung durch das Delikt eines Dritten unmöglich wird, stehen die Deliktsansprüche dem Schuldner von selbst [condictio furtiva] oder durch erzwungene Zession zu). 620 Zum Folgenden schon oben, 729 ff.
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Zu ähnlichen Ergebnissen wie das ältere Gemeine Recht kam Eisele gegen Ende des 19. Jahrhunderts, indem er mit der Keller/Ribbentrop’schen Lehre von einer Zweiteilung der Gesamtschulden in Korreal- und Solidarobligationen brach und nur noch eine Art von regelungsbedürftigen Gesamtschuldverhältnissen annahm, nämlich die bisherigen Korrealobligationen, die durch die Einheit der causa geprägt waren. Hierzu zählte er im Bereich der Schadensersatzverbindlichkeiten auch die deliktischen Mittäter. Schuldeten dagegen mehrere als Nebentäter unabhängig voneinander den Ersatz desselben Schadens, sollte lediglich ein Fall der zufälligen Solutionskonkurrenz vorliegen, der einer weiteren Regelung nicht bedurfte und insbesondere auch nicht von der geplanten Gesamtschuldregelung des BGB umfasst sein sollte. Zu diesen „unechten Gesamtschulden“ gehörte auch der Fall, dass ein Deliktstäter eine Sache deshalb zerstören kann, weil der Entleiher sie zuvor schuldhaft verloren hat: Zwar lag wegen des identischen Gläubigerinteresses Solutionskonkurrenz vor, doch die Verbindlichkeiten beruhten auf verschiedenen causae621. Doch die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts herrschende Lehre, die auch den BGB-Gesetzgeber prägte, war eine andere. Neben der Korrealobligation, die durch eine enge Verknüpfung der Verbindlichkeiten in Form verschiedener Gesamtwirkungen gekennzeichnet war und daher einen begrenzten Anwendungsbereich hatte, gab es danach die Solidarobligationen, die durch nichts anderes als die Gesamtwirkung der Erfüllung und ihrer Surrogate untereinander verbunden waren. Sie entstanden schon immer dann, wenn die Leistung eines Schuldners die Verbindlichkeit des anderen Schuldners gegenstandslos machte. Das Zusammentreffen mehrerer Schadensersatzpflichten war daher ein typisches Anwendungsfeld für Solidarobligationen. Demnach stellt sich die Frage, wie dieser offene Solidarschuldbegriff mit der Abtretungslösung in den Sachhaftungsfällen zu vereinbaren ist.
e) Die Doppelnatur des Zessionsregresses „Gestufte“ Verbindlichkeiten liegen nach der hier verwendeten Terminologie dann vor, wenn der Gläubiger G eine insgesamt nur einmal zu erbringende Leistung von mehreren Schuldnern auf Grund ungleicher Schuldgründe verlangen kann, wenn einer der Schuldner im Innenverhältnis primär zuständig ist und wenn diese ungleiche Zuständigkeit schon im Außenverhältnis gerade an den betreffenden Schuldgründen erkennbar ist. Leistet der primär zuständige Schuldner S1 an den Gläubiger, wird nicht nur er, sondern auch der nachrangig zuständige Schuldner S2 frei. Leistet umgekehrt S2 an den Gläubiger, muss auf irgendeine Weise erreicht werden, dass er gegenüber S1 Regress nehmen kann. Zur Erreichung dieses Ziels sind mehrere Gestaltungen denkbar.
621
Eisele, AcP 77 (1891), 464. Dem folgt A. Guhl, Passive Korrealität (1908), 202 ff.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
Möglich ist die Konstruktion, dass die Verbindlichkeit des primär zuständigen S1 durch die Leistung von S2 nicht berührt wird. G bleibt weiterhin Gläubiger von S1. Geht er nach Empfang der Leistung nun gegen S1 vor, könnte S1 mit Hilfe einer Arglisteinrede geschützt werden, weil G der Sache nach schon befriedigt wurde; zwingend ist dies aber nicht. Weil G aber die Forderung gegen S1 weiterhin zumindest formal zusteht, kann diese Forderung auf den leistenden S2 übergeleitet werden. Möglich ist ein Abtretungsrecht des S2 oder ein gesetzlicher Forderungsübergang. Nach der Zession kann S2 gegen S1 aus der Gläubigerforderung vorgehen. Ebenso möglich ist eine grundlegend andere Konstruktion, nach der die Leistung durch S2 die Verbindlichkeit von S1 zum Erlöschen bringt. S2 muss dann ein eigenes, auf Vertrag oder Gesetz beruhendes, Regressrecht gegen S1 eingeräumt werden. Bei diesem eigenen Regressrecht kann man es dann belassen. Man kann aber auch das eigene Regressrecht durch eine Subrogation verstärken. Die „eigentlich“ untergegangene Gläubigerforderung gegen S1 wird insoweit auf S2 übergeleitet, als es zur Absicherung seines Regressrechts erforderlich ist. Nach beiden Modellen findet am Ende ein Zessionsregress statt, doch es handelt sich um zwei unterschiedliche Arten. Nach dem ersten Modell wird die Forderung gegen S1 durch die Leistung des S2 nicht berührt und kann daher unproblematisch an S2 abgetreten werden bzw. auf ihn übergehen. Aus Sicht von S1 wechselt lediglich der Gläubiger. Im zweiten Modell steht der Zessionsregress dagegen vor einem konstruktiven Problem, weil die Forderung gegen S1 durch die Leistung von S2 „eigentlich“ zum Erlöschen gebracht wurde (was das eigene Regressrecht von S2 gegen S1 erklärt). Schon im römischen Recht finden sich beide Modelle des Zessionsregresses in funktional vergleichbaren Sachverhalten, nämlich bei der Bürgschaft und beim Kreditmandat. Das Verhältnis zwischen Bürge und Hauptschuldner entspricht dem zweiten Modell 622. Die Leistung des grundsätzlich sekundär zuständigen Bürgen befreite den Hauptschuldner. Der Regress des Bürgen fand zunächst nur mit Hilfe einer eigenen Klage statt, die sich auf Auftrags- oder Geschäftsführungsrecht stützte. Als man begann, dem Bürgen zusätzlich die Gläubigerklage gegen den Schuldner zu Regresszwecken zur Verfügung zu stellen, stand man vor dem konstruktiven Problem, dass die Gläubigerklage wegen der Bürgenleistung schon erloschen war. Zur Lösung bediente man sich der Fiktion des Klagenkaufs. Dies führte aber zu der Ansicht, dass der Bürge vor oder bei seiner Leistung an den Gläubiger die Abtretung der Klage gegen den Schuldner verlangen musste, um seiner Leistung die Gestalt einer Kaufpreiszahlung zu geben, welche die Klage gegen den Schuldner unberührt ließ. Versäumte er das Abtretungsverlangen, bestand die Gefahr, dass die Klage gegen den Schuldner als erloschen galt und nicht mehr auf den Bürgen übergehen konnte. Anders stand es beim Kreditmandat, das konstruktiv dem ersten Modell entsprach. Wenn der Kreditmandator K den Gläubiger beauftragte, dem Schuldner 622
Hierzu oben, 413 ff.
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S ein Darlehen zu gewähren, konnte der Gläubiger die Darlehensrückzahlung nicht nur von S, sondern in Form des Auslagenersatzes auch unmittelbar von K verlangen623. Leistete S, war K frei, weil es keine zu ersetzenden Auslagen des Gläubigers gab624. Leistete K, wurde S dagegen nicht befreit625. Nach Auftragsrecht konnte K vom Gläubiger die Abtretung der Darlehensklage gegen S verlangen626. Weil diese in der Hand des Gläubigers trotz Leistung des K noch existierte, benötigte man hier keine Fiktion eines Klagenkaufs. K konnte daher auch noch nach seiner Leistung an den Gläubiger die Abtretung der Klage gegen S verlangen. Im Verhältnis zwischen Kreditmandator und Schuldner bestand also nach heutigen Begriffen eine nur einseitige Solutionskonkurrenz mit einem Regress durch echten (hier rechtsgeschäftlichen) Forderungsübergang. Auch im heutigen Recht muss bei einem Zessionsregress danach unterschieden werden, welches Modell zugrunde liegt. Beim Gesamtschuldverhältnis und bei der Bürgschaft (hier zumindest dann, wenn der Bürge aus Auftrag oder berechtigter G.o.A. Regress nehmen kann) findet der Forderungsübergang nach dem zweiten Modell statt. Das eigene Regressrecht des Gesamtschuldners oder Bürgen S2 beruht darauf, dass der andere Gesamtschuldner oder Hauptschuldner S1 gegenüber dem Gläubiger befreit worden ist. Nach Leistung von S2 befindet sich in der Hand des Gläubigers also keine gewöhnliche, frei abtretbare Forderung gegen S1 mehr. Um aber den eigenen Regressanspruch von S2 abzusichern, lässt das Gesetz die an sich erloschene Forderung gegen S1 soweit auf S2 übergehen, als es zum Absicherungszweck erforderlich ist. Diese Zurverfügungstellung der Gläubigerforderung allein zu Regresszwecken wird hier als „Subrogation“ bezeichnet627. Sie unterscheidet sich von einem gewöhnlichen Forderungsübergang dadurch, dass allein das eigene Rückgriffsrecht über die Ausübung und den Umfang des Regresses entscheidet. Bei der Bürgschaft ergibt sich dies aus § 774 I 3, bei der Gesamtschuld aus § 426 II, wonach die Gläubigerforderung nur übergeht, soweit S1 Ausgleichung verlangen kann. Ist also das eigene Rückgriffsrecht erloschen, durch Vereinbarung eingeschränkt, verjährt oder rechtskräftig abgesprochen, kann auch mit Hilfe der Gläubigerforderung nicht mehr auf den Regresspflichtigen zugegriffen werden. Die Gläubigerforderung steht dann auch nicht etwa noch dem Gläubiger zu, sondern ist endgültig erloschen. Der einzige Zweck der Subrogation ist die Absicherung eines unabhängig von der Gläubigerforderung bestehenden Regressrechts. Wer heute § 255 direkt oder analog beim Zusammentreffen ungleichartiger Schadensersatzverbindlichkeiten anwendet, geht dagegen zumeist vom ersten Modell aus. Im Schulbeispiel des Entleihers S, der sorgfaltswidrig die Zerstörung der geliehenen Sache durch einen Dritten D nicht verhindert, bedeutet dies, dass 623 624 625 626 627
Papinian D.17,1,56 pr.; Diocletian C.8,40,23. Gaius D.17,1,27,5; Julian D.46,1,13; Papinian D.46,1,52,3; Paulus D.46,1,71 pr. Ulpian D.17,1,28; Papinian D.46,3,95,10. Gaius D.17,1,27,5; Ulpian D.17,1,28; Julian D.46,1,13; Papinian D.46,3,95,10. Ausführlich oben, 421 ff.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
der Gläubiger Ansprüche wahlweise gegen S und D hat. Leistet D, wird S frei. Leistet dagegen S, bleibt die Verbindlichkeit des D in der Hand des Gläubigers bestehen. S kann dann die Abtretung dieser Forderung verlangen und mit ihrer Hilfe Regress gegenüber D nehmen. Der Übergang der Gläubigerforderung auf S unterscheidet sich in seinen Rechtsfolgen nicht von einer gewöhnlichen Abtretung. Ein eigener Regressanspruch des S gegen D (der auch die Ausübung der Gläubigerrechte einschränken könnte) besteht hier nicht, weil D durch die Leistung des S nicht befreit wurde. Für D findet lediglich ein Gläubigerwechsel statt. Ist also von einem Zessionsregress, einem Forderungsübergang oder einem Recht auf Abtretung der Ansprüche die Rede, können zwei verschiedene Konstruktionen zugrunde liegen: entweder das Modell der wechselseitigen Solutionskonkurrenz mit einem durch Subrogation verstärkten eigenen Regressrecht oder das Modell der einseitigen Solutionskonkurrenz mit echtem Forderungsübergang. Diese Unterscheidung liegt heute auf der Hand628. Doch historisch wurde sie nicht immer in dieser Klarheit getroffen. Das römische Recht nahm nicht nur im Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner, sondern auch in bestimmten anderen Schuldnermehrheitsfällen eine Solutionskonkurrenz an. Diese werden hier, soweit keine Akzessorietät bestand, als „Gesamtschulden“ bezeichnet. Bei deliktischen Verbindlichkeiten herrschte oft Kumulation, insbesondere bei mehreren actiones furti oder legis Aquiliae. Eine Solutionskonkurrenz findet sich nur bei wenigen Deliktsklagen, hier zumeist ohne Regress629. Solutionskonkurrenz bestand aber auch bei den Verbindlichkeiten mehrerer Vormünder, bei denen ein Regress gewährt wurde. Der leistende Vormund konnte vom Gläubiger die Zession der Klagen gegen die verantwortlichen Mitvormünder verlangen630. Weil aber grundsätzlich Solutionskonkurrenz galt, benötigte man auch hier die Fiktion des Klagenkaufs631. Anders verhielt es sich demgegenüber beim Recht des Entleihers, Werkunternehmers, Schiffers oder Vindikationsbeklagten (hier als Schuldner bezeichnet), 628 Vgl. zum englischen Recht Mitchell, Contribution, Rz 2.33 ff., 14.13 ff., der zwischen „simple subrogation“ und „reviving subrogation“ unterscheidet. Anders aber von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 86 ff., die für sämtliche Legalzessionsfälle außerhalb der Gesamtschuld das zweite Modell der einseitigen Solutionskonkurrenz annimmt. Stets soll die Leistung des Legalzessionars die Schuld des Schuldners nicht zum Erlöschen bringen können. Vielmehr verbleibe der Schuldner in seiner formellen Pflichtenstellung gegenüber dem Gläubiger; die Legalzession schöpfe dann sowohl die Bereicherung des Gläubigers in Gestalt seiner formellen Gläubigerstellung als auch die des Schuldners in Gestalt seiner relativen Befreiung gegenüber dem Gläubiger ab. Dieses Modell ist für viele Legalzessionsfälle, etwa § 67 VVG, möglich, erfasst m.E. aber die Legalzession des § 774 nur ungenügend, weil es den selbständigen Regressanspruch des Bürgen aus Auftrag oder Geschäftsführungrecht nur schwer erklären kann (nach von Koppenfels-Spies könnte der Bürge nie Ansprüche aus G.o.A. haben, weil seine Leistung die Hauptschuld nicht tilgen kann, vgl. 128 ff., 153 f.). Erst recht gilt dies für die Legalzession aus § 426 II, die von Koppenfels-Spies daher auch als systemfremd ihrem Modell nicht unterstellt. Zur Kritik siehe schon oben, 403 ff. 629 Oben, 499 ff. 630 Oben, 561 ff. 631 Modestin D.46,3,76.
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die Zession der Klagen gegen den Dieb oder Sachbeschädiger zu verlangen. Gegenstand der Abtretung war nicht eine allgemeine Schadensersatzklage. Vielmehr musste der Gläubiger, je nach Fallgestaltung, eine oder mehrere besondere Klagen mit eigenen Regeln zedieren. Soweit es um die actio furti gegen einen Dritten ging, war eine Konstruktion der wechselseitigen Solutionskonkurrenz von vornherein ausgeschlossen, weil eine Befreiung des Diebs durch den Schuldner mit der Strafnatur der Klage nicht vereinbar war. Dasselbe galt aber auch für die actio legis Aquiliae. Auch bei ihr verhinderte schon ihr Strafzweck eine Konstruktion, wonach der Dritte durch die Leistung des Schuldners an den Gläubiger befreit und einem neu entstehenden Regressanspruch des Schuldners ausgesetzt wurde. Bei beiden Klagen galt also, dass der Dritte durch die Leistung des Schuldners an den Gläubiger nicht befreit wurde. Leistete dagegen umgekehrt der Dritte an den Gläubiger, konnte dieser mangels Interesse vom Schuldner in der Regel nichts mehr verlangen632. Es handelte sich also um das Modell der einseitigen Solutionskonkurrenz mit echtem Zessionsregress. Diese Konstruktion wurde auch auf die condictio furtiva angewandt, obwohl diese rein sachverfolgend war. Offenbar lag angesichts des Bündels der Klagen, die dem Gläubiger zustanden, eine einheitliche Lösung näher. Eine Solutionskonkurrenz hätte sich dann angeboten, wenn feststände, dass der Gläubiger insgesamt nur sein Interesse (bzw. den Ersatz seines Schadens) verlangen könnte, unabhängig von der „Anspruchsgrundlage“. Doch das war nach römischem Recht gerade nicht der Fall. Im Gemeinen Recht aber verloren die aquilische Schadensersatzklage und die actio furti ihre Straffunktion. Dem geschädigten oder bestohlenen Gläubiger stand nun nur noch einfacher Schadensersatz zu, der häufig auf eine allgemeine Schadensersatzklage gestützt wurde. Damit entstand zumindest theoretisch die Möglichkeit, das Dreipersonenverhältnis mit Hilfe einer Gesamtschuldkonstruktion zu lösen, wonach sowohl der Schuldner als auch der Dritte dem Gläubiger Schadensersatz schulden und die Leistung durch einen von ihnen den anderen befreit, ihn zugleich aber einem Regress aussetzt, wobei im Innenverhältnis der Dritte allein verpflichtet ist. Es ist daher möglich, dass diejenigen Autoren, die im 19. Jahrhundert mit einem weiten Begriff der Solidarobligation arbeiteten, auch die Schadensersatzverbindlichkeiten des Schuldners und des Dritten als Solidarschulden ansahen. Von ihrem theoretischen Ausgangspunkt aus lag diese Lösung nahe. Dem Gläubiger stand nur einfacher Schadensersatz zu, so dass er bei Leistung des Schuldners kein Interesse mehr an der Belangung des Dritten hatte. Um den Dritten nicht ungerechtfertigt zu begünstigen, musste dann lediglich sichergestellt werden, dass der Schuldner gegenüber dem Dritten Regress nehmen konnte. Die Regressfrage war bei den Solidarobligationen des 19. Jahr632 Besonderheiten galten allerdings, wenn die Haftung des Schuldners darauf beruhte, dass er als Schiffer oder Wirt quasideliktisch für ein Delikt seines Angestellten einstehen musste. Die Schadensersatzleistung durch den Angestellten führte hier nicht schon nach allgemeinen Regeln zur Befreiung des Schuldners. Das römische Recht gewährte dem Schuldner daher eine besondere Einrede, falls der Geschädigte schon gegen den Angestellten geklagt hatte, Paulus D.4,9,6,4.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
hunderts aber umstritten633. Ein Rückgriffsrecht wurde vereinzelt für alle Gesamtschulden, manchmal für Solidarobligationen i.e.S. und manchmal, noch enger, nur für solidarische Schadensersatzverbindlichkeiten angenommen. Davon ausgenommen waren zumeist nur deliktisch oder vorsätzlich Handelnde. Über die Ausgestaltung des Rückgriffs herrschte ebenfalls keine Einigkeit. Manche nahmen einen eigenen Regressanspruch, manche ein Recht gegen den Gläubiger auf Klageabtretung und manche ein durch einen Zessionsregress verstärktes eigenes Rückgriffsrecht an634. Wer ein Recht auf Klageabtretung annahm, sei es mit oder ohne eigenes Regressrecht, konnte aber die Zessionsrechte der Entleiher, Werkunternehmer, Schiffer und Vindikationsbeklagten als Form des Gesamtschuldregresses ansehen. Wenn die römischen Zessionsfälle im 19. Jahrhundert durch einige Autoren zusammengefasst und unter den Leitsatz gestellt wurden, dass derjenige, der wegen einer verlorenen oder beschädigten Sache zum Schadensersatz verpflichtet ist, vom Gläubiger die Abtretung der die Sache betreffenden Klagen verlangen kann, dann liest sich dieser Leitsatz vor dem heutigen Hintergrund des Streits, ob in diesen Fällen eine Gesamtschuld oder lediglich eine einseitige Solutionskonkurrenz mit echtem Zessionsregress nach § 255 vorliegt, wie eine Entscheidung zugunsten des echten Zessionsregresses und gegen die Gesamtschuldkonstruktion. Im 19. Jahrhundert aber ist dieser Streit wissenschaftlich nicht geführt worden. Zwar war den Schriftstellern der Unterschied zwischen der wechselseitigen und der nur einseitigen Solutionskonkurrenz vertraut. Die erste war Kennzeichen von Bürgschaft, Korreal- und Solidarobligationen, während sich die zweite im Verhältnis zwischen Kreditauftraggeber und Hauptschuldner fand, weil der Hauptschuldner durch die Leistung des Kreditauftraggebers nicht befreit wurde635. Es fand aber keine Diskussion darüber statt, nach welchen Kriterien ein Schuldnermehrheitsfall zur einen oder zur anderen Gruppe zu zählen war. Demnach ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Ansicht bildete, in den Zessionsfällen liege eine wechselseitige Solutionskonkurrenz vor, so dass das Abtretungsrecht dem bei den Solidarobligationen bekannten beneficium cedendarum actionum entsprach. Aus heutiger Sicht würden damit zwar die römischen Quellen, die in diesen Fällen gerade keine wechselseitige Solutionskonkurrenz annahmen, missverstanden. Nach römischem Recht handelte es sich um eine „echte“ Zession, weil der Dritte nicht befreit war. Sieht man die Fälle dagegen als Solidarobligationen an, handelt es sich um einen Zessionsregress wegen Befreiung des Dritten, der wie in 633
Oben, 573 ff. Oben, 392 ff. 635 Hierzu etwa Ribbentrop, Correal-Obligationen, 84 ff.; Brackenhoeft, Identität, 143 Fn. 18; Savigny, System V, 222; ders., Obligationenrecht I, 208 f.; Puchta, Institutionen, § 265; Brinz, KritBl 4 (1853), 20 f.; ders., Pandekten, § 257; Samhaber, Correalobligation, 172 f.; Wächter, Pandekten, § 202 Beilage II Nr. 1–2; Binder, Korrealobligationen, 159 ff. Ebenso schon früher Voet, Commentarius, zu D.2,14, § 14, zu D.46,1, § 30; Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst. 3,20(21),4, § 9; Pothier, Obligations, § 446. Anders Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 17, 30, 52. 634
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den übrigen Fällen der Solidarobligationen als Klagenkauf gedacht werden musste, um die an sich erloschene Klage des Gläubigers gegen den Dritten zu Regresszwecken am Leben zu erhalten. Das Ergebnis war auf den ersten Blick dasselbe, nämlich ein Recht gegen den Gläubiger, die Klageabtretung zu verlangen. Die Doppelnatur des Zessionsregresses könnte also der Grund dafür gewesen sein, dass die Zessionsfälle des römischen Rechts als Solidarobligationen umgedeutet werden konnten. Diese Umdeutung könnte unbewusst geschehen sein, weil man den verschiedenen Konstruktionsmöglichkeiten des Zessionsregresses wenig Aufmerksamkeit schenkte. Aber auch für eine bewusste Umdeutung gäbe es Gründe, weil nach der Abschaffung der Strafklagen, der Beschränkung der Gläubigerrechte auf einfachen Schadensersatz sowie der Erweiterung des Solidarschuldbegriffs die Gründe weggefallen waren, die gegen eine wechselseitige Solutionskonkurrenz sprachen. Ob und durch wen die Zessionsfälle tatsächlich als Solidarobligationen angesehen wurden, lässt sich angesichts der Tatsache, dass die Abgrenzung zwischen wechselseitiger und nur einseitiger Solutionskonkurrenz nicht Gegenstand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung war, nur schwer beurteilen. Zumindest in Einzelfällen lässt sich aber eine solche Haltung nachweisen. Die Juristische Fakultät in Berlin erstellte 1868 für das Oberappellationsgericht Jena ein Gutachten zu einem Fall, in dem ein vorgesetzter Beamter wegen eigener Aufsichtspflichtverletzung für eine Unterschlagung durch einen untergebenen Beamten haften sollte636. Nach Ansicht der Fakultät haftete der vorgesetzte Beamte nicht nur subsidiär. Werde ein Schaden durch das Zusammenwirken der culpa verschiedener Personen verursacht, dann habe der Geschädigte die Wahl, gegen wen er vorgehen wolle. Eine subsidiäre Haftung des nur mittelbar Verantwortlichen bestehe nur in bestimmten, gemeinrechtlich anerkannten Fallgruppen, etwa bei Mitvormündern637. Der Vorgesetzte könne sich auch nicht darauf berufen, dass kein Schaden des Klägers vorliege, solange dieser den Untergebenen belangen könne. Der Schaden sei schon mit der Unterschlagung selbst eingetreten. Im Ergebnis sollten daher beide Beamte solidarisch haften. Verklage aber der Gläubiger den nur mittelbar Schuldigen, könne dieser die Zession der Klage gegen den unmittelbaren Täter verlangen. Hierfür berief sich das Gutachten auf den Abschnitt der Monographie Mühlenbruchs, in dem er die Zessionsrechte wegen einer verlorenen oder beschädigten Sache zusammenfasste. Das Gutachten ging also von dem zu dieser Zeit wohl herrschenden offenen Begriff der Solidarobligation aus, indem schon aus der Tatsache, dass beide Beamte hafteten und keine Subsidiarität vorlag, eine solidarische Haftung geschlossen wurde. Bemerkenswert ist aber, dass das Zessionsrecht des mittelbar Verantwortlichen mit Mühlenbruchs Darstellung zu den Sachhaftungsfällen begründet wurde, obwohl Mühlenbruch im sofort darauf folgenden Abschnitt auch die Zessionsrechte der Korreal- und Solidarschuldner behandelte. Weil es im Fall um die 636 637
SeuffA 23 Nr. 138 (1868). Hierzu oben, 558 ff.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
Haftung wegen der Unterschlagung einer Sache ging und weil der vorgesetzte Beamte nur „mittelbar“ für das Delikt des untergebenen Beamten einstehen musste, hielt die Fakultät offenbar den Abschnitt über das Zessionsrecht der Entleiher und Vindikationsbeklagten für passender. Nichtsdestotrotz sollte aber Solidarität vorliegen. Zudem lehnte das Gutachten die häufig im Zusammenhang mit der Regel des § 255 zu findende Erwägung ab, dass der Schaden des Gläubigers angesichts des Anspruchs gegen den unmittelbaren Täter nicht den vollen Sachwert umfasse. Das Zessionsrecht desjenigen, der wegen des Diebstahls oder der Beschädigung durch einen Dritten haften musste, war damit nichts anderes als ein Sonderfall des Zessionsregresses im Solidarschuldverhältnis. Tatsächlich ist schon in Mühlenbruchs Monographie selbst das Verhältnis zwischen den überlieferten Zessionsfällen einerseits und den Korreal- und Solidarschulden andererseits unbestimmt. In § 37, dem Kapitel zu den „notwendigen Cessionsgründen“, stellt er die in den römischen Quellen zu findenden Fallgestaltungen, in denen jemand die Abtretung einer Klage verlangen kann, zusammen und ordnet sie nach Gruppen638. Unter den Abschnitten I-III finden sich „echte“ Zessionsfälle, etwa das Recht des Geschäftsherrn gegen den mittelbaren Stellvertreter auf Abtretung der durch das Drittgeschäft erlangten Forderung oder die Verpflichtung des Erben, dem Vermächtnisnehmer die vermachte Forderung abzutreten. Unter IV finden sich die Zessionsrechte des wegen des Verlustes oder der Beschädigung einer Sache Schadensersatz Leistenden. Unter V geht es schließlich um das Zessionsrecht desjenigen, der „nach der Strenge des Rechts eine Schuld bezahlen muss, die gar nicht oder nur zum Teil als die seinige zu betrachten ist“. Hier finden sich nicht nur Abtretungsrechte von Solidarschuldnern, sondern auch die Rechte des Bürgen und des Kreditmandators auf Abtretung der Klagen gegen den Hauptschuldner und gegen Mitbürgen bzw. weitere Kreditmandatoren. Dabei handelt es sich zumeist um Fälle der wechselseitigen Solutionskonkurrenz, in denen der Zessionsregress nach Gemeinem Recht durch einen Klagenkauf erklärt wurde; eine Ausnahme bildet aber das Recht des Kreditmandators auf Abtretung der Klage gegen den Hauptschuldner. Zudem erwähnt Mühlenbruch hier das Recht des Vormunds, der wegen unterlassener Eintreibung einer Forderung des Mündels von diesem auf Schadensersatz belangt wird, auf Abtretung der Klage gegen den Schuldner639 sowie das Recht des auftragslosen Geschäftsführers, der wegen des Verlusts einer Sache belangt wird, auf Abtretung der actio furti640. In beiden Fällen ging das römische Recht ebenfalls nicht von einer Solutionskonkurrenz aus. Bei seiner Darstellung der notwendigen Zessionsgründe macht Mühlenbruch also keinen Unterschied zwischen einseitiger und wechselseitiger Solutionskonkurrenz. Erst in einem Folgekapitel kommt er auf die Frage zu sprechen, ob die Abtretung der Forderung auch noch nach der Leistung an den Gläubiger verlangt wer638 639 640
Mühlenbruch, Cession, 402 ff. Cession, 415; die entsprechende Quelle ist Papinian D.46,3,95,10. Paulus D.47,2,54,3; hierzu oben, 782.
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den kann641. Im Einklang mit einem Teil der zeitgenössischen Literatur zur Bürgschaft und Gesamtschuld642 verneint Mühlenbruch die Frage: Eine einmal getilgte Forderung könne nicht mehr übergehen. Etwas anderes gelte aber in den Fällen, in denen „mehrere im Grunde verschiedene Klagen in Beziehung auf ein und dasselbe Objekt stattfinden und aus dem Wegfallen der einen noch nicht das Aufhören der anderen folgt“643, also in den Fällen ohne wechselseitige Solutionskonkurrenz. Im Rahmen dieser Fälle erwähnt Mühlenbruch aber nur die Verbindlichkeiten von Kreditmandator und Schuldner, den eben genannten Fall des nachlässigen Vormunds sowie einen ähnlichen Fall, nicht aber die Zessionsrechte der wegen des Verlusts oder der Beschädigung einer Sache Haftenden. Demnach erscheint es, als ob bei den Sachhaftungsfällen die allgemeine Regel gilt, wonach wegen der wechselseitigen Solutionskonkurrenz die Abtretung vor der Leistung verlangt werden müsste. Ob Mühlenbruch tatsächlich dieser Ansicht war, ist unklar. Doch seine Darstellung konnte zumindest so verstanden werden, als bestehe zwischen den Sachhaftungsfällen und den Zessionsrechten der Korreal- und Solidarschuldner kein grundlegender Unterschied. In Vangerows Pandektenlehrbuch wird diese Unklarheit teilweise beseitigt644. Vangerow übernimmt Mühlenbruchs Gruppenbildung der Zessionsansprüche, darunter auch die Sachhaftungsfälle in Gruppe IV und die Zessionsrechte derjenigen, die auf eine materiell fremde Schuld zahlen, in Gruppe V. Nur für Gruppe V findet sich dann der Satz, dass die Zession vor der Zahlung verlangt werden muss, weil ansonsten die zu zedierende Klage durch die Zahlung vernichtet wird. Für Vangerow herrschte also in Gruppe V wechselseitige Solutionskonkurrenz, nicht aber in den Sachhaftungsfällen der Gruppe IV. Allerdings findet sich innerhalb der Gruppe V auch das Recht des Kreditmandators auf Abtretung der Klage gegen den Schuldner, also ein Fall, in dem die Quellen von einer nur einseitigen Solutionskonkurrenz ausgehen. Eine genaue Abgrenzung der Fälle mit nur einseitiger und der mit wechselseitiger Solutionskonkurrenz stand im 19. Jahrhundert nicht im Vordergrund. Eine Ineinssetzung von Zessionsregress und Solidarobligation findet sich auch bei Römer, allerdings für den Sonderfall der receptum-Haftung der Schiffer und Wirte für Diebstähle und Beschädigungen an den eingebrachten Sachen. Bei dieser und auch bei der funktionsähnlichen quasideliktischen Haftung für Diebstähle und Sachbeschädigungen durch die Angestellten645 war das Verhältnis zwischen dem Anspruch gegen den Schiffer und dem gegen den Deliktstäter gemeinrechtlich umstritten646. Römer ging bei beiden Haftungen von einer wech641
Cession, 445 ff. Zu dieser Frage oben, 416 f. 643 Cession, 447 f. 644 Vangerow, Pandekten, § 574. 645 Zu beiden Haftungen oben, 746 ff. 646 Zur Konkurrenz dieser Klagen bei der receptum-Haftung treffen die Quellen offenbar überhaupt keine Aussage. Das Klagerecht aus der actio furti stand hier dem Schiffer zu, Paulus D.4,9,4 pr; Ulpian D.47,5,1,4, D.47,2,14,17. Die Aussage von Ulpian D.4,9,3,5, wonach sich der Gläubiger 642
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selseitigen Solutionskonkurrenz und damit einem Solidarschuldverhältnis zwischen dem Schiffer und dem Deliktstäter aus647. Das in den Quellen erwähnte Recht des in Anspruch genommenen Schiffers, die Abtretung der Ansprüche gegen den Täter zu verlangen, war damit nichts anderes als das allen Solidarschuldnern gewährte beneficium cedendarum actionum648. Eine Auslegung der Zessionsfälle als Solidarobligationen liegt vor allem bei Windscheid nahe, der einen besonders weiten Begriff der Solidarobligation verwendete. Seiner Ansicht nach stand einem Solidarschuldner, der für das Verschulden eines anderen Solidarschuldners einstehen musste, ein Rückgriff auf das Ganze zu. In diesem Fall sollte auch ein Anspruch gegen den Gläubiger auf die Abtretung der Klage gegen den Mitschuldner bestehen649. Der Zessionsregress auf das Ganze war also ein Kennzeichen „gestufter“ Solidarobligationen. Ein Solidarschuldverhältnis entstand für Windscheid dann, wenn mehrere Tatsachen unterschiedliche Forderungsrechte begründeten, die auf denselben Zweck gerichtet waren, insbesondere dann, wenn mehrere den Ersatz ein und desselben Schadens schuldeten. Hierbei sollte es keine Rolle spielen, ob die Schadensersatzverbindlichkeiten auf Delikt, sonstiger Pflichtverletzung, Vertrag oder Gesetz beruhten650 und ob die Haftungsgründe verschieden waren651. Solidarobligatio647 zwischen der receptum-Klage und der actio furti entscheiden muss, meint mit letzterer daher wahrscheinlich die quasideliktische actio furti in factum gegen den Schiffer und betrifft daher die Konkurrenz zur Klage gegen den Täter nicht. Wahrscheinlich wurde der Schiffer bei Leistung durch den Täter von der receptum-Haftung frei, weil der Gläubiger kein Interesse mehr zu verfolgen hatte. Umgekehrt aber beseitigte die Leistung des Schiffers offenbar nicht die Deliktsklagen gegen den Täter. Wahrscheinlich konnte der Schiffer die Abtretung verlangen, sofern ihm nicht die Klagebefugnis von vornherein zustand, oben, 773, 785 f. Mehr Aussagen finden sich in den Quellen zum Verhältnis der quasideliktischen Klage gegen den Schiffer und der Deliktsklage gegen den Täter. Hier musste der Gläubiger sich entscheiden, ob er gegen den Schiffer oder gegen den Täter vorging, Paulus D.4,9,6,4; Ulpian D.47,5,1,3. Klagte er zuerst gegen den Schiffer und wurde er abgewiesen, erlangte der Täter eine Einrede, offenbar wegen rechtlich entschiedener Sache, weil über dieselbe Tat nicht mehrfach prozessiert werden sollte, Paulus D.4,9,6,4. War die Klage gegen den Schiffer dagegen erfolgreich, musste der Gläubiger diesem die Klagen gegen den Täter abtreten, ebd. Es befreite also weder die Klage gegen den Schiffer als solche noch dessen Leistung den Deliktstäter. Belangte der Gläubiger zuerst den Täter, sollte dem Schiffer eine Einrede zustehen, doch möglicherweise nur im Fall der Klageabweisung, nicht ganz klar insoweit Paulus D.4,9,6,4. Ob die Leistung durch den Täter den Schiffer befreite, ist angesichts der quasideliktischen Natur seiner Haftung nicht sicher. Im Gemeinen Recht legte man die römischen Quellen aber bei beiden Haftungsformen häufig im Sinne einer Klagenkonkurrenz aus. Schon die Klage gegen den Täter sollte den Schiffer befreien. Klagte der Gläubiger gegen den Schiffer, sollte er nicht mehr gegen den Täter klagen können (sondern ggf. die Klagen gegen den Täter an den Schiffer abtreten). Vgl. Voet, Commentarius, zu D.4,9, § 5; Glück, Pandecten VI, 144; Unterholzner, Schuldverhältnisse, §§ 694 II, 695 IV, 696 X; Goldschmidt, ZHR 3 (1860), 76 ff. Von echter Klagenkonkurrenz sprach Savigny, System V, 258. Hiergegen zu Recht Hartmann, AcP 50 (1867), 124 ff.; Römer, ZHR 18 (1873), 5 (Fn. 4), 9 ff.; vgl. auch Levy, Nachträge, 23 ff. 647 Römer, ZHR 18 (1873), 8, 10 f., 15 ff.; ähnlich schon Weis, ArchPrRW nF 5 (1868), 285. 648 Römer, ZHR 18 (1873), 28. 649 Windscheid, Pandekten, § 298 bei Fn. 12–13. 650 Pandekten, § 298 bei Fn. 15–17. 651 Pandekten, § 298 Fn. 17.
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nen bestanden daher, wenn wegen der unerlaubten Handlung des einen ein anderer ohne eigenes Verschulden in Anspruch genommen werden konnte, etwa aus der quasideliktischen Haftung der Schiffer oder auch aus der receptum-Haftung (die er als realvertragliche Haftung einstufte652). Selbst die Verbindlichkeiten des Schadensversicherers und des Schädigers sollten Solidarobligationen sein. Für Windscheid bestand also beim Zusammentreffen eines vertraglichen und eines deliktischen Anspruchs auf Ersatz desselben Schadens ein Solidarschuldverhältnis. Bei dem in den Quellen erwähnten Zessionsrecht des Schiffers, der für ein fremdes Delikt einstehen musste, handelte es sich seiner Ansicht nach daher um das allen nur mittelbar verantwortlichen Solidarschuldnern gewährte Zessionsrecht653. Von diesem Ausgangspunkt aus wäre es schwer verständlich, wenn Windscheid nicht auch beim Recht etwa des Entleihers, die Zession des Schadensersatzanspruchs gegen den Deliktstäter zu verlangen, von einem Solidarschuldverhältnis ausgegangen wäre. Eine Aussage dieses Inhalts findet sich allerdings nicht. Im Rahmen des allgemeinen Schuldrechts findet sich statt dessen der Satz, dass der Schuldner, der wegen nachträglicher zu vertretender654 Unmöglichkeit das Interesse leisten muss, die Abtretung der den Gegenstand betreffenden Ansprüche verlangen kann655. Werde die Leistung des Schuldners durch das Delikt eines anderen unmöglich, so heißt es an anderer Stelle, gebührten die Deliktsansprüche dem Schuldner, falls er Schadensersatz leisten muss656. An beiden Stellen zitiert Windscheid die Quellen zum Zessionsrecht des Entleihers und Werkunternehmers. Von einem Solidarschuldverhältnis ist aber nicht die Rede. Wegen der Doppelnatur des Zessionsregresses besteht die Möglichkeit, dass Windscheid das Recht des Vertragsschuldners, die Abtretung der Schadensersatzklage gegen den Deliktstäter zu verlangen, als Solidarschuldregress ansah, ohne dies direkt auszusprechen, vielleicht weil er an den betreffenden Stellen lediglich die in den römischen Quellen zu findenden Sätze wiedergeben wollte. Zu denken gibt dabei aber Windscheids Ansicht, dass dem wegen eines Diebstahls haftenden Schuldner von Anfang an das Klagerecht aus der condictio furtiva zustehen soll, weil ansonsten wegen Wegfalls der actio furti eine Lücke entstehe657. Bei Annahme eines Solidarschuldverhältnisses aber hätte der Schuldner zumindest nach Leistung an den Gläubiger einen Regress gegen den Deliktstäter auf das Ganze. Möglicherweise sollte die konstatierte Lücke nur im Hinblick auf den Zeitraum vor Leistung an den Gläubiger bestehen, weil der Schuldner nach römischem Recht schon von Anfang an aus der actio furti klagen konnte, während nach Leistung an den Gläubiger der Regress gegen den Deliktstäter stets möglich war, sei es als Zessions-, sei es als Gesamtschuldregress. Doch abgesehen davon ist die 652
Pandekten, § 384 Fn. 7. Windscheid beruft sich ausdrücklich auf Römer, Pandekten, § 298 Fn. 17. 654 Windscheid spricht von „verschuldeter“ Unmöglichkeit, macht aber im nächsten Satz klar, dass der Schuldner in bestimmten Fällen auch ohne ein Verschulden verantwortlich ist. 655 Pandekten, § 264 Nr. 2. 656 Pandekten, § 327 Fn. 12. 657 Pandekten, § 453 Fn. 11; hierzu oben, 775 f. 653
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Windscheid’sche Konstruktion, einem von beiden Schuldnern schon von Anfang an einen Anspruch gegen den anderen einzuräumen, mit dem Modell des Solidarschuldverhältnisses, nach dem erst die Leistung an den Gläubiger einen Regressanspruch eröffnet, nur schwer vereinbar. Dies deutet darauf hin, dass Windscheid und vielleicht auch andere Autoren des 19. Jahrhunderts zwischen den Fällen des Diebstahls und denen der bloßen Beschädigung bzw. Zerstörung differenziert haben könnten. Zerstörte der Deliktstäter D die beim Schuldner S befindliche Sache, wäre die Abtretung der Vindikationsklage sinnlos, weil diese nicht mehr bestand. Dem Gläubiger G stand erkennbar nur ein vertraglicher Schadensersatzanspruch gegen S und ein deliktischer gegen D zu. Nach Windscheids eigenem Solidarschuldbegriff müsste hier ein Solidarschuldverhältnis zwischen S und D bestehen. Dasselbe galt, wenn D die Sache nur beschädigte. Eine Abtretung der Vindikation an S wäre hier ebenfalls sinnlos. Vorstellbar wäre allenfalls, dass G die Sache wegen ihrer Verschlechterung nicht mehr haben wollte und daher von S den vollen Sachwert gegen Abtretung des Eigentums verlangte. Ein solcher Abandon war nach römischem und Gemeinem Recht möglich658, hat aber mit den spezifischen Problemen einer Schuldnermehrheit nichts zu tun. Wollte G die Sache behalten und Schadensersatz nur für die Wertminderung verlangen, lagen lediglich zwei Ansprüche auf Ersatz desselben Schadens vor, bei denen nach Windscheid ebenfalls ein Solidarschuldverhältnis bestehen müsste. Anders verhielt es sich, wenn D die Sache gestohlen hatte. Nach der gemeinrechtlichen Überlieferung standen S spätestens nach der erzwingbaren Abtretung durch G die Klagerechte aus der Vindikation und aus der condictio furtiva, vielleicht auch aus einer auf einfachen Schadenersatz gerichteten actio furti zu. Die Vindikation konnte sich auf die Herausgabe richten. Zwischen einem Herausgabe- und einem Schadensersatzanspruch nahmen aber selbst die Vertreter eines offenen Solidarschuldbegriffs kein Gesamtschuldverhältnis an. S konnte mit Hilfe der abgetretenen Klagen aber auch einen Schadensersatzanspruch in Höhe des Sachwerts geltend machen, falls D die Sache nicht herausgab oder sie veräußert, verloren oder vernichtet hatte. Ob das der Fall war oder noch sein würde, stand aber nicht fest, wenn S an G wegen der verloren gegangenen Sache Schadensersatz geleistet hatte. Die Vorstellung, dass diese vielleicht bestehenden oder möglicherweise noch entstehenden Schadensersatzansprüche im Verhältnis der Solidarität zum Schadensersatzanspruch des G gegen S standen, nicht aber der Herausgabeanspruch selbst, ging im 19. Jahrhundert wohl zu weit. Die Vindikationsklage selbst hätte in einen solidarischen (Schadensersatz) und einen nicht solidarischen (Herausgabe) Teil aufgespalten werden müssen659. Insofern ist es möglich, dass man angesichts der Unklarheit, welche Ansprüche gegen D schon 658
Paulus D.11,3,14,9; Mühlenbruch, Cession, 410; Vangerow, Pandekten, § 574 Nr. 4. Vgl. R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 14 ff., der deswegen für das Recht des BGB in den Diebstahlsfällen auch hinsichtlich möglicher Schadensersatzansprüche kein Gesamtschuldverhältnis annimmt 659
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bestanden oder noch entstehen könnten, im Diebstahlsfall gar nicht an ein Solidarschuldverhältnis dachte. Wenn Windscheid also bei der Darstellung der gemeinrechtlichen Zessionsrechte des Schadensersatz leistenden Schuldners nicht von einem Solidarschuldverhältnis sprach, könnte das darauf zurückzuführen sein, dass er auch die Diebstahlsfälle im Auge hatte und hier Solidarobligationen verneinte. Bei der bloßen Sachzerstörung oder -beschädigung hingegen konkurrierten von Anfang an lediglich zwei auf Ersatz desselben Schadens gerichtete Ansprüche, so dass die Anwendung der Solidarschuldregeln unproblematisch erschien. Insofern ist es wohl kein Zufall, dass ein Solidarschuldverhältnis bei „gestuften“, ungleichgründigen Verbindlichkeiten von Windscheid und Römer gerade bei der Haftung des Schiffers aus der receptum-Haftung angenommen wurde, die Fälle der bloßen Sachbeschädigung und -zerstörung ohne Abhandenkommen erfasste660. Ein völlig sicheres Urteil über die gemeinrechtliche Lage gegen Ende des 19. Jahrhunderts ist wegen der Doppelnatur des Zessionsregresses nicht möglich. Zumindest beim Zusammentreffen reiner Schadensersatzansprüche konnten die im römischen Recht gewährten Zessionsrechte sowohl als Ausdruck nur einseitiger Solutionskonkurrenz als auch als Fall des Solidarschuldregresses angesehen werden. Während Vangerow noch von einer einseitigen Solutionskonkurrenz ausging, finden sich im späteren 19. Jahrhundert Stimmen, die beim Zusammentreffen von ungleichartigen Schadensersatzansprüchen eine wechselseitige Solutionskonkurrenz in Form eines Solidarschuldverhältnisses annahmen und das in den Quellen gewährte Zessionsrecht zum beneficium cedendarum actionum der Solidarschuldner umdeuteten. Dabei handelte es sich offenbar nicht um reine Außenseiter. Immerhin ging selbst Eisele bei den Schadensersatzpflichten von Entleiher und Deliktstäter von einer wechselseitigen Solutionskonkurrenz aus, wenn er auch daraus nur die Existenz „unechter“ Gesamtschulden folgerte661. Wer dagegen mit einem offenen Solidarschuldbegriff arbeitete und daher beim Zusammentreffen von Schadensersatzansprüchen ohne weiteres ein Solidarschuldverhältnis annahm, hat möglicherweise für die Diebstahlsfälle eine Ausnahme gemacht und hier wegen des dem Gläubiger gemeinrechtlich zustehenden Klagebündels und der Unklarheit, welche Ansprüche bestanden oder noch entstehen könnten, an ein Solidarschuldverhältnis nicht gedacht.
f) Die Haltung des BGB-Gesetzgebers Ausgangspunkt ist, dass nach Ansicht des BGB-Gesetzgebers im Falle mehrerer Verbindlichkeiten auf Ersatz desselben Schadens ein Gesamtschuldverhältnis nur 660
Bemerkenswert ist auch, dass Hartmann bei der in der Schweiz kodifizierten receptum-Haftung ohne weiteres von einem Solidarschuldverhältnis zwischen Gastwirt und Täter ausgeht, ZSchwR 28 (1887), 117. 661 Eisele, AcP 77 (1891), 464; s.a. Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 95 (Solidarobligation).
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dann angeordnet werden musste, wenn die unmittelbare Ganzhaftung jedes Schuldners nicht sicher war. Dies galt gleichermaßen innerhalb und außerhalb des Deliktsrechts. Beim Zusammentreffen ungleichartiger Schadensersatzansprüche, etwa aus Vertrag und aus Delikt, stand die Ganzhaftung jedes Schuldners nicht im Zweifel, weil die Teilschuldregel oder die Regeln über unteilbare Leistungspflichten nicht anwendbar waren. Da auch eine nur subsidiäre Haftung des „ferner stehenden“ Schuldners regelmäßig nicht in Betracht kam, müsste der Gesetzgeber bei „ungleichstufigen“ Schadensersatzverbindlichkeiten von Gesamtschulden ausgegangen sein. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis die Vorschrift des § 255 nach Ansicht des Gesetzgebers zu den §§ 421 ff. stehen sollte. § 255 geht auf eine im Teilentwurf Sachenrecht enthaltene Regel zur Vindikation zurück. Diese Regel hatte Johow mit Blick auf zwei Vorgängerregelungen im Bayerischen Entwurf und im Sächsischen Gesetzbuch entworfen. Dabei lässt der Wortlaut der Regel im Bayerischen Entwurf nicht erkennen, ob und in welchen Fällen der leistende Vindikationsbeklagte die Abtretung von Schadensersatzansprüchen verlangen konnte662. Im Sächsischen BGB war der Tatbestand der Regel auf den Fall des Besitzverlusts beschränkt. Rechtsfolge war allein der Eigentumsübergang; die Abtretung von Schadensersatzansprüchen war nicht umfasst663. Dies lag offenbar daran, dass es hierfür schon die Vorschrift des § 961 SächsGB im Schuldrecht gab, wonach derjenige, der Schadensersatz leisten musste, die Abtretung der Forderungen verlangen konnte, die dem Gläubiger auf Schadensersatz gegen einen Dritten zustanden. Angesichts des gemeinrechtlichen Hintergrunds dieser Vorschrift (der Mühlenbruch’sche Leitsatz)664 und ihrer allgemeinen Formulierung ist anzunehmen, dass sie nicht nur den Fall des Besitzverlusts betraf, sondern auch andere Fälle regeln wollte, in denen der Schuldner aus besonderem Grund, etwa aus Vertrag, für einen durch einen Dritten verursachten Schaden haften musste. Demnach betraf die Vorschrift offenbar auch Fälle der reinen Sachzerstörung oder -beschädigung, in denen lediglich zwei Schadensersatzansprüche konkurrieren. Angesichts der Doppelnatur des Zessionsregresses muss die gewählte Abtretungslösung aber nicht bedeuten, dass der Gesetzgeber hier nicht von einem Solidarschuldverhältnis ausging. Dem Sächsischen BGB lag ein offener Begriff der Solidarobligation zugrunde. Vor allem begründete das Solidarschuldverhältnis aus sich heraus noch keinen Regress. Es ist daher gut möglich, dass mit § 961 eine besondere Fallgruppe der Solidarität geregelt werden sollte, in der die gesetzliche Gewährung eines einseitigen Regressrechts, hier in Form des erzwing-
662 BayE III § 160: Mit der Ersatzleistung des Beklagten für die veräußerte oder zu Verlust gegangene bewegliche Sache gehen auf ihn die Rechte des Klägers an derselben wie durch Abtretung über. Unklar ist, ob unter „Verlust“ auch die Zerstörung fällt und ob es sich bei den „Rechten“ um das Eigentum selbst oder um Ansprüche gegen Dritte handelt. 663 SächsGB § 305; vgl. oben, 787 f. 664 Oben, 792 f.
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baren Zessionsregresses, erwünscht war. Tatsächlich ist die Vorschrift in der Rechtsprechung offenbar so ausgelegt worden: Musste der Gastwirt im Rahmen der gesetzlichen receptum-Haftung für den durch einen Dritten verursachten Schaden haften, konnte er nach § 961 die Abtretung der Deliktsklage gegen den Dritten verlangen; zugleich aber wurden Gastwirt und Dritter als Solidarschuldner angesehen665. Nach dieser Auslegung hatte die Vorschrift zwar einen weiten Anwendungsbereich, stand aber nicht in Konkurrenz zu den Gesamtschuldregeln. Anders als bei der Sächsischen Vindikationsregel sollten in Johows Teilentwurf Sachenrecht mit der Schadensersatzleistung des Vindikationsbeklagten nicht nur das Eigentum an der Sache, sondern auch „die dem Eigentümer in Betreff derselben gegen Dritte zustehenden Ansprüche“ übergehen666. Hiermit waren auch Schadensersatzansprüche wegen Zerstörung der Sache gemeint667. Ohne die vorgeschlagene Regel, so Johow, blieben die Schadensersatzansprüche im Vermögen des Eigentümers, womit er zu viel erhielte, falls ihm der volle Sachwert ersetzt würde. Ein Abzug des Werts der Schadensersatzansprüche vom Sachwert komme aber nicht in Frage, weil dieser Wert kaum zu ermitteln sei und sich vielleicht erst bei einer zukünftigen Realisierung der Ansprüche herausstelle668. Eine Bereicherung des Eigentümers könne zwar auch dadurch vermieden werden, dass die Ansprüche gegen Dritte für erloschen erklärt werden, doch dann würden diese ohne zureichenden Grund befreit669. Sachgerecht sei daher der Forderungsübergang. Ersichtlich geht Johow davon aus, dass der Schadensersatzanspruch gegen den Vindikationsbeklagten und der gegen den Dritten keine Solidarobligationen sind: Ohne die vorgeschlagene Regel soll der Anspruch gegen den Dritten trotz Leistung des Vindikationsbeklagten beim Eigentümer weiterbestehen und daher bei der Berechnung des Schadensersatzanspruchs gegen den Vindikationsbeklagten zu berücksichtigen sein. Bei Solidarobligationen dagegen wird der Schaden des Gläubigers, dessen Ersatz er von dem einen Schuldner verlangt, durch die Existenz des Anspruchs gegen den anderen Schuldner nicht gemindert. Johow erwägt aber der Sache nach die Anordnung eines solidarischen Verhältnisses, womit der Dritte durch Leistung des Beklagten befreit würde. Das Argument der ungerechtfertigten Befreiung des Dritten zeigt, dass Johow nicht an die Möglichkeit eines Solidarschuldregresses denkt. Dies kann daran liegen, dass das Sächsische Gesetzbuch, der Dresdener Entwurf und von Kübels Vorentwurf zur Gesamtschuld ein Regressrecht aus der Gesamtschuld verneinten. Eine regresslose Gesamtschuld wäre aber tatsächlich eine nicht sachgerechte Lösung.
665 Vgl. Hoffmann, SächsGB, § 1561 Anm. 7; Siebenhaar/Pöschmann, SächsGB, Anm. zu §§ 961 und 1285. 666 TeilE SachR, § 192. 667 Johow, Motive zum TeilE SachR, 942, 944 (Schubert, SachR I, 1076, 1078). 668 Motive TeilE SachR, 942 (Schubert, SachR I, 1076). 669 Motive TeilE SachR, 944 (Schubert, SachR I, 1078).
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
Johows Erwägungen passen grundsätzlich auch auf den Fall, dass ein Dritter die Sache beim Vindikationsbeklagten beschädigt oder zerstört: Dem Eigentümer steht ein Schadensersatzanspruch gegen den Dritten von zweifelhaftem Wert zu, der ohne Forderungsübergang in die Schadensberechnung einfließen müsste. Doch der Tatbestand der Vorschrift ist auf den Fall beschränkt, dass die Sache vom Vindikationsbeklagten veräußert worden oder sonst abhandengekommen ist. Der Fall, dass ein Dritter die Sache beim Vindikationsbeklagten lediglich beschädigt, kann ohnehin nicht gemeint sein, weil die Rechtsfolge des Eigentumsübergangs hier nicht sinnvoll wäre. Warum aber bei reinen Sachbeschädigungen oder -zerstörungen der Forderungsübergang nicht erforderlich sein soll, bleibt offen. Wenn Johow hier von einem Solidarschuldverhältnis ausginge, passte das nicht zu seiner Begründung des Forderungsübergangs beim Abhandenkommen. Vielleicht folgte er lediglich einer Tradition, in den Diebstahlsfällen ein Solidarschuldverhältnis hinsichtlich der Schadensersatzansprüche abzulehnen. Die Begründung aber erscheint unzureichend670. Die von der Ersten Kommission beschlossene und ins allgemeine Schuldrecht aufgenommene Regel des E I § 223 scheint hinsichtlich der Schadensersatzansprüche gegen Dritte denselben Regelungsgehalt zu haben wie Johows Vorschrift. Der Tatbestand ist auf die „Entziehung oder Vorenthaltung einer Sache“ beschränkt; Rechtsfolge ist der Übergang der Ansprüche, die dem Gläubiger auf Grund des Eigentums gegen Dritte zustehen. Doch die Begründung ist eine grundsätzlich andere. Die Kommission unterscheidet mehrere Fallgestaltungen. Ist die zurückzugebende Sache untergegangen, kann der Gläubiger ohne weiteres den vollen Sachwert als Schadensersatz verlangen. Dasselbe gilt, wenn ein Dritter die Sache stiehlt und danach zerstört. Ist dagegen die Rückgabe deswegen nicht möglich, weil ein Dritter die Sache besitzt, liegt nur subjektives Unvermögen vor. Der Gläubiger ist zunächst auf Ersatz seines Verzugsschadens beschränkt; den Sachwert kann er nicht verlangen. Wurde aber der Schuldner rechtskräftig verurteilt, kann der Gläubiger nach Ablauf einer Frist Schadensersatz in Form des vollen Sachwerts verlangen671. In diesem Fall sowie im Fall, dass in der fälschlichen Annahme einer objektiven Unmöglichkeit der volle Sachwert ersetzt wurde, kann sich herausstellen, dass die Sache nach wie vor in den Händen eines Dritten existiert und der Eigentümer auf sie zugreifen kann. Ohne besondere Regel müsste dann der Schadensersatzanspruch gegen den Schuldner nachträglich um den Wert des Herausgabeanspruchs vermindert werden. Dies soll der Forderungsübergang vermeiden672. Zwar wird der Forderungsübergang auch hier mit der Gefahr gerechtfertigt, dass der Gläubiger durch die Leistung des Sachwerts überentschädigt wird. Doch 670
Ähnlich Goette, Gesamtschuldbegriff, 158 f.; ders., VersR 1974, 528. KE § 241 = E I § 243, ähnlich BGB a.F. § 283. (Fn. 5 bei Jakobs/Schubert, SR I, 120, ist insofern unrichtig; vgl. a.a.O., 288; und Mot. II, 25 [Mugdan II, 15].) 672 Jakobs/Schubert, SR I, 120 f. Diese Differenzierung nach Fallgruppen fehlt in der Zusammenfassung der Motive, Mot. II, 24 f. (Mugdan II, 13 f.). 671
9. Die vertragliche Haftung für Sachentziehungen und -beschädigungen durch Dritte
823
anders als Johow sah die Erste Kommission nur die Weiterexistenz der Sache in den Händen eines Dritten als Grund dafür an, den Schaden des Gläubigers nicht in Höhe des Sachwerts zu veranschlagen. Die bloße Forderung auf Schadensersatz gegen einen Dritten, die bei Johow wegen ihres ungewissen Werts noch eine Rolle spielte, sollte dagegen bei der Ermittlung des Schadens nicht berücksichtigt werden: Bei einer offensichtlichen Zerstörung der Sache durch einen Dritten lag objektive Unmöglichkeit vor, die einen Anspruch auf den vollen Sachwert begründete. Für diesen Fall bedurfte es daher keiner Sonderregel. Dann stellt sich die Frage, was in diesem Fall nach Ansicht der Kommission aus dem Anspruch gegen den Dritten wurde bzw. ob und wie der Schuldner gegenüber dem Dritten Regress nehmen konnte. Die Antwort ist offenbar, dass die Erste Kommission in dieser Fallgestaltung ein Solidarschuldverhältnis annahm. Die Leistung des Schuldners befreite dann den Dritten, doch nach der schon im Ersten Entwurf geltenden Regressregelung hatte der Schuldner ein Rückgriffsrecht gegen den Dritten und konnte für diesen Zweck mittels Subrogation auch die „eigentlich“ erloschene Gläubigerforderung gegen den Dritten zu Hilfe nehmen. Dieses Ergebnis entspricht dem seinerzeit herrschenden offenen Solidarschuldbegriff, den insbesondere Windscheid als Mitglied der Ersten Kommission propagierte. Eine besondere gesetzliche Gesamtschuldanordnung erschien dem Gesetzgeber dann nicht nötig, wenn die unmittelbare Ganzhaftung jedes Schuldners klar war. Und wenn es keine gesetzliche Gesamtschuldanordnung gab, dann musste auch die interne Alleinhaftung des Dritten entgegen der Kopfteilregel des § 426 I 1 nicht besonders angeordnet werden. Nach Ansicht der Ersten Kommission lag also dann, wenn die herauszugebende Sache erkennbar von einem Dritten beschädigt oder zerstört worden war, kein Fall des E I § 223, sondern ein Gesamtschuldverhältnis vor. Dann stellt sich die Frage, welche Fälle die Kommission beim Übergang der „Ansprüche auf Grund des Eigentums“ im Auge hatte. Hätte sie allein an Herausgabeansprüche gedacht, wäre dies wohl in der Fassung der Vorschrift zum Ausdruck gekommen. Denkbar wäre ein Übergang von Schadensersatzansprüchen in folgender673 Fallgestaltung: Nach dem Abhandenkommen der Sache zahlt der Schuldner S dem Gläubiger G den Sachwert als Schadensersatz. Dafür geht auf ihn nach E I § 223 zumindest der Herausgabeanspruch über. Danach zerstört oder beschädigt der Besitzer D die Sache. Da S durch den Übergang (anders als im Teilentwurf Sa-
673
Es könnte auch der Fall in Betracht gezogen werden, dass der Dritte D die Sache nach ihrer Wegnahme zerstört hat, was der Schuldner S und der Gläubiger G bei Leistung des Schadensersatzes aber nicht wissen. Da nach Ansicht der Kommission in diesem Fall ein Forderungsübergang stattfinden soll, wären vielleicht auch Schadensersatzansprüche umfasst. Doch nimmt man die Ansicht der Kommission ernst, dass G beim Untergang der Sache Anspruch auf den vollen Sachwert hat, dann liegt in diesem Fall nichts anderes vor als ein den Parteien nicht bekanntes Gesamtschuldverhältnis. Eine Abtretung des Schadensersatzanspruchs durch G ginge ins Leere, weil D durch die Leistung des S befreit ist und S schon ohne Abtretung ein durch Subrogation verstärktes Rückgriffsrecht gegen D hat.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
chenrecht) mangels Besitzerwerb noch nicht Eigentümer geworden ist674, hat er womöglich keinen eigenen originären Schadensersatzanspruch. Ein Übergang der Schadensersatzansprüche des G wäre überflüssig, wenn hier ein Gesamtschuldverhältnis vorliegen würde. Doch es ist möglich, dass selbst der Ersten Kommission die Vorstellung, dass im Augenblick der Zerstörung durch D ein Gesamtschuldverhältnis eintritt, obwohl S den Schaden längst ersetzt hat, zu weit ging und sie hier die Gesamtschuldkonstruktion ablehnte. Dann wäre die Anordnung eines Übergangs der Schadensersatzansprüche tatsächlich erforderlich675. Im Ergebnis beschränkte die Erste Kommission die Regel des E I § 223 also auf den Fall, dass Schadensersatz wegen einer verlorenen, aber noch existierenden Sache geleistet wird, und hatte hier in erster Linie den Übergang des Herausgabeanspruchs im Auge676. Möglich ist, dass sie für den Fall der Beschädigung oder Zerstörung, die nach der Schadensersatzleistung des Schuldners, doch vor einem Eigentumserwerb geschah, auch einen Übergang der Schadensersatzansprüche anordnen wollte, weil sie für diesen Fall ein Gesamtschuldverhältnis ablehnte. In der Zweiten Kommission wurde der gesetzliche Forderungsübergang durch ein Abtretungsrecht ersetzt. Relevant im vorliegenden Zusammenhang ist aber nicht die technische Ausgestaltung des Forderungsübergangs, sondern die Frage, ob der Anwendungsbereich der Vorschrift und damit auch ihr Verhältnis zu den Gesamtschuldvorschriften gegenüber dem Ersten Entwurf geändert werden sollten. Eine sichere Antwort ist nicht möglich. Die Vorschrift des heutigen § 255 wurde schon in der Reichsjustizamtskommission beschlossen und dann in der Zweiten Kommission angenommen677. Die überlieferten Protokolle lassen erkennen, dass beide Kommissionen auch die Abtretung von Geldansprüchen im Auge hatten678. Vielleicht dachte man wie die Erste Kommission an Schäden, die erst nach der Abtretung eingetreten waren679. Möglicherweise dachte man auch an Bereicherungsansprüche, etwa den auf einen erzielten Veräußerungserlös (§ 816 I). Allerdings hatte sich der Tatbestand geändert. Statt von einer Entziehung oder Vorenthaltung war nun von einem Verlust der Sache die Rede. Diese Änderung war nicht nur redaktioneller Natur680. Das Erfordernis der Entziehung 674
Oben, 794 ff. Bei Bösgläubigkeit des D könnte S dann aus der abgetretenen Vindikation (die nun zum Schadensersatzanspruch geworden ist) vorgehen. In den übrigen Fällen könnte er einen im voraus abgetretenen aquilischen Schadensersatzanspruch des G geltend machen. 676 Ebenso Münchbach, Regreßkonstruktionen, 28. 677 Jakobs/Schubert, SR I, 122 f.; vgl. oben, 797. 678 Die Reichsjustizamtskommission war der Ansicht, dass Geldansprüche selbstverständlich nur im Umfang des geleisteten Schadensersatzes abzutreten waren, Jakobs/Schubert, SR I, 123. Die Zweite Kommission betrachtete dingliche Ansprüche nur als Sondergruppe innerhalb der abzutretenden Ansprüche, Prot. 606 (Mugdan II, 519). 679 Zur Zeit der Beratung des § 255 gingen beide Kommissionen noch davon aus, dass der Schuldner erst dann Eigentümer wird, wenn er den Besitz erhält, weil die Vorschrift des § 931 noch nicht beschlossen war, oben, 800. 680 So aber Münchbach, Regreßkonstruktionen, 28. 675
9. Die vertragliche Haftung für Sachentziehungen und -beschädigungen durch Dritte
825
oder Vorenthaltung war in der Reichsjustizamtskommission mit der Erwägung gestrichen worden, dass es den Anwendungsbereich der Vorschrift übermäßig einschränken würde681. Möglicherweise sollte damit der Anwendungsbereich der Vorschrift über die Fälle des bloßen Besitzverlusts auch auf die Fälle der Sachzerstörung erweitert werden. Das Tatbestandsmerkmal „Verlust einer Sache“ wäre dann als Versuch zu werten, einen gemeinsamen Begriff für die Fälle der Zerstörung und die des bloßen Besitzverlustes zu bilden. Wenn dies zuträfe, hätte sich die Zweite Kommission vom offenen Gesamtschuldbegriff des Ersten Entwurfs entfernt. Anders als die Parallelregelung im Sächsischen Gesetzbuch kann die Abtretungslösung des § 255 nicht als besondere Form des Gesamtschuldregresses interpretiert werden. Wenn eine Gesamtschuld vorliegt, führt die Leistung eines Schuldners nach § 422 grundsätzlich zum Erlöschen der Mitschuldnerforderung, die nach § 426 II allein zu Regresszwecken am Leben erhalten und durch gesetzliche Subrogation automatisch auf den Leistenden übergeleitet wird. Damit ist eine Pflicht des Gläubigers zur Abtretung nicht vereinbar. § 255 hat also keine Doppelnatur: Entweder liegen Gesamtschulden vor oder ein Fall des § 255. Wenn die Zweite Kommission daher den Fall der bloßen Sachzerstörung als von der Vorschrift umfasst ansah, bedeutet dies, dass im Fall der Haftung eines Vertragsschuldners für das Delikt eines Dritten kein Gesamtschuldverhältnis vorliegen sollte, aus welchen Gründen auch immer. Es gibt aber einige Indizien, die gegen diese Auslegung sprechen. Eine bewusste Abkehr vom offenen Gesamtschuldbegriff des Ersten Entwurfs hätte sich in den Beratungsprotokollen bemerkbar gemacht. Die Zweite Kommission arbeitete im Deliktsrecht selbst mit einem offenen Gesamtschuldbegriff. Zudem stammte der Antrag auf die Gesetz gewordene Fassung des § 255 von Jacubezky, der sich bei den Deliktsrechtsberatungen dadurch hervortat, dass er in allen möglichen Konstellationen ungleichartiger Schadensersatzverbindlichkeiten den Antrag stellte, ein Gesamtschuldverhältnis anzuordnen682. Ein sachliches Indiz bildet der Umstand, dass der Fall der bloßen Sachbeschädigung vom Wortlaut des Tatbestandsmerkmals „Verlust einer Sache“ offenbar nicht erfasst ist. Wenn bei der Sachbeschädigung ein Abtretungszwang aber nicht erforderlich erschien, dann ist dies wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass der Fall schon mit anderen Regeln gelöst werden konnte, nämlich mit den Gesamtschuldvorschriften. Wenn aber die Zweite Kommission im Fall, dass ein Schuldner für die Beschädigung durch einen Dritten haften musste, ein Gesamtschuldverhältnis annahm, dann musste sie auch bei der Sachzerstörung Gesamtschulden bejahen. Dann stellt sich die Frage, warum das Tatbestandsmerkmal der Entziehung oder Vorenthaltung als zu eng angesehen wurde. Wahrscheinlich dachten die Kommissionsmitglieder an Fälle des Besitzverlusts ohne bewusste Entziehung oder Vor-
681 682
Jakobs/Schubert, SR I, 123. Vgl. oben, 745 f., 752 f.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
enthaltung, etwa an den Fall, dass der Schuldner die Sache verliert und ein Dritter sie findet. Demnach kann nicht angenommen werden, dass die Zweite Kommission sich grundsätzlich von den Vorstellungen der Ersten Kommission entfernen wollte. Der Anwendungsbereich von § 255 war also nach Ansicht des Gesetzgebers auf Fälle beschränkt, in denen wegen einer verlorenen, aber noch existierende Sache Schadensersatz geleistet wird683. Der Gläubiger sollte in erster Linie seinen Herausgabeanspruch abtreten. Erfasst waren daneben auch andere Ansprüche, womit vielleicht Bereicherungsansprüche gemeint waren. Sollte die Zweite Kommission hier auch an Ersatzansprüche wegen Schäden gedacht haben, die nach der Abtretung eingetreten waren, dann hatte sich diese Erwägung durch die spätere Einführung des § 931 erledigt: Mit der Abtretung wird der Schuldner Eigentümer und kann nun eigene Schadensersatzansprüche geltend machen. Sofern es aber um Schäden ging, die vor der Abtretung eingetreten waren, sollte nach Ansicht des Gesetzgebers nicht die Vorschrift des § 255 einschlägig sein, sondern die Gesamtschuldvorschriften.
10. Gesamtergebnis Nach alldem lässt sich die Haltung des BGB-Gesetzgebers zum Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld folgendermaßen zusammenfassen. Zunächst musste festgestellt werden, ob bei einer Personenmehrheit überhaupt jeder für den Schaden haftete. Dies konnte nach allgemeinen Kausalitätsregeln bei Teilnehmern und Beteiligten unsicher sein, weil der Schaden vielleicht auch ohne das Handeln des Einzelnen eingetreten wäre. § 830 enthält daher bestimmte Zurechnungsregeln. Stand fest, dass, mit oder ohne eine Anwendung des § 830, mehrere Schuldner den Ersatz desselben Schadens schuldeten, kam in bestimmten Konstellationen eine Aufteilung der Schadensersatzsumme unter die Schuldner in Betracht. Nach Ansicht der Ersten Kommission war dies der Fall, wenn sämtliche Schuldner eine besondere schuldrechtliche Pflicht verletzt hatten, die sie gemeinsam traf, etwa als Mitschuldner einer unteilbaren Leistung aus einem gemeinsamen Vertrag ohne Gesamtschuldabrede, als Vormünder, Testamentsvollstrecker oder Vereinsvorstände. Sollten hier Gesamtschulden entstehen, musste dies besonders angeordnet werden, weil ansonsten die Regel des E I § 341 eingriff, wonach die Schadensersatzpflicht aus der Verletzung der unteilbaren Leistungspflicht sich unter die Schuldner aufteilte. Diese Regel entfiel aber im Zweiten Entwurf. Damit blieb nur noch eine Konstellation, in der die Aufteilung der Schadensersatzpflicht in Frage kam, nämlich dann, wenn die Schuldner gemeinschaftlich ein Tatbestands-
683 Im Ergebnis ebenso Münchbach, Regreßkonstruktionen, 16 ff., 27 ff.; Stamm, Regreßfiguren, 84 ff.; Schims, Forderungsübergang, 144 f., 149.
10. Gesamtergebnis
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merkmal erfüllten, das sie auch ohne nachgewiesenes Verschulden schadensersatzpflichtig machte. In diesem Fall kam wegen der die Schuldner gemeinschaftlich treffenden „einheitlichen“ Schadensersatzpflicht die Anwendung der Teilschuldregel des § 420 in Betracht, so dass eine gewünschte solidarische Haftung, etwa der gemeinschaftlichen Tierhalter oder Gebäudeeigentümer, im Gesetz besonders anzuordnen war. Sofern dagegen die Ersatzpflicht der Schuldner darauf beruhte, dass jeder einzelne für sich den Tatbestand einer Schadensersatzvorschrift erfüllt hatte, kam die Anwendung der Teilschuldregel nicht in Frage. Dies gilt gleichermaßen bei Mittätern, Teilnehmern, Beteiligten und Nebentätern. Sie hafteten von vornherein auf das Ganze, ohne dass dies im Gesetz klargestellt werden musste. In anderen Konstellationen war denkbar, dass ein Schuldner im Außenverhältnis nur nachrangig zum anderen haftete, weil dieser als unmittelbarer Verursacher in erster Linie verantwortlich war, während jener nur als Aufsichtspflichtiger, Geschäftsherr oder strikt Haftender einstehen musste. Um klarzustellen, dass hier keine Subsidiarität vorlag, ordnete man bei derartigen „ungleichstufigen“ deliktischen Haftungen das Gesamtschuldverhältnis besonders an. Die Kopfteilregel des § 426 I erforderte dann, die gewünschte interne Alleinhaftung des „näher Stehenden“ besonders vorzuschreiben. Musste dagegen ein Schuldner im Rahmen seiner vertraglichen Haftung dem Gläubiger gegenüber für ein Delikt eines Dritten einstehen, dann ließ sich eine nur subsidiäre Haftung des Vertragsschuldners aus allgemeinen Regeln nicht herleiten, so dass beide schon nach allgemeinen Regeln unmittelbar auf das Ganze hafteten. In allen Fällen, in denen mehrere unmittelbar den Ersatz des gesamten Schadens schuldeten, lag nach Ansicht des Gesetzgebers ein Gesamtschuldverhältnis vor. Eine besondere gesetzliche Gesamtschuldanordnung war nur dann erforderlich, wenn die unmittelbare Ganzhaftung jedes Schuldners nicht klar war. Ansonsten ergab sich die Solidarhaftung auch ohne gesetzliche Regel von selbst. Dies betrifft nicht nur deliktische Nebentäter, sondern auch das Zusammentreffen von Schadensersatzpflichten aus unterschiedlichen Rechtsgründen, etwa Vertrag und Delikt. Gerade in diesen Fällen war es möglich, dass im Innenverhältnis einer der Schuldner allein belastet war. Dies musste aber nur dann gesetzlich besonders klargestellt werden, wenn auch die Gesamtschuld selbst gesetzlich angeordnet war. Die Vorschrift des § 255 hatte demgegenüber nur einen eingeschränkten Anwendungsbereich. Sie betraf in erster Linie das Zusammentreffen von Schadensersatz- und Herausgabeansprüchen, vielleicht ursprünglich auch die Konkurrenz von Schadensersatzansprüchen im Fall des bloßen Besitzverlustes. Sofern dagegen ein Schuldner dafür einstehen musste, dass die von ihm zurückzugebende Sache von einem Dritten beschädigt oder zerstört worden war, sollte nicht § 255, sondern die Regelung der §§ 421 ff. zur Anwendung kommen.
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III. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld I: Historische Grundlagen
Zusammenfassung Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld wurde historisch unterschiedlich weit gefasst. Die Korrealobligation des frühen Gemeinen Rechts betraf, soweit sie überhaupt Schadensersatzverbindlichkeiten umfasste, ebenso wie die Gesamtschuld der älteren Regelwerke wohl nur Fälle des gemeinsamen Handelns. Die Trennung zwischen Korreal- und Solidarschulden im 19. Jahrhundert ermöglichte dagegen einen weiten Begriff der Solidarobligation, der lediglich verlangte, dass mehrere den Ersatz desselben Schadens schuldeten. Diesem von der herrschenden Lehre des späteren 19. Jahrhunderts verwendeten offenen Solidarschuldbegriff schloss sich der Gesetzgeber des BGB an. Ein Gesamtschuldverhältnis musste seiner Ansicht nach nur dann gesetzlich angeordnet werden, wenn die unmittelbare Ganzhaftung jedes Schadensersatzschuldners zweifelhaft war. Bei Mittätern oder Beteiligten stand nicht immer fest, dass jeder den gesamten Schaden verursacht hatte, weswegen es zu den Zurechnungsregeln des heutigen § 830 kam. Traf eine vom Nachweis eines Verschuldens unabhängige Schadensersatzpflicht die Schuldner gemeinsam, etwa als Miteigentümer eines schadenstiftenden Tieres, galt die Teilschuldregel des heutigen § 420, so dass eine Gesamtschuld besonders vorgesehen werden musste. Bei gestuften Schadensersatzverbindlichkeiten, etwa zwischen dem unmittelbaren Verursacher auf der einen Seite und dem Aufsichtspflichtigen oder einem aufgrund seiner Position haftenden Dritten auf der anderen Seite, wurde die Gesamtschuld angeordnet, um klarzustellen, dass der Aufsichtspflichtige oder Dritte nicht nur subsidiär haftete. Nebentäter aber hafteten schon nach allgemeinen Regeln unmittelbar auf den Ersatz des gesamten mitverursachten Schadens. Die Teilschuldregel betraf nur Fälle eines einheitlichen Schuldverhältnisses im Sinne eines gemeinsamen Entstehungstatbestandes und war auf Nebentäter von vornherein nicht anwendbar. Die Gesamtschuld zwischen Nebentätern war für den Gesetzgeber daher selbstverständlich und musste nicht besonders angeordnet werden. Die ursprünglich geplante Vorschrift, wonach Gesamtschulden nur durch Parteiwillen und Gesetz entstehen können, betraf lediglich die Abgrenzung zwischen Teil- und Gesamtschulden. Beim Zusammentreffen einer gesetzlichen und einer vertraglichen Schadensersatzschuld stand die unmittelbare Ganzhaftung jedes Schuldners für den Gesetzgeber fest, so dass er auf ausdrückliche Gesamtschuldanordnungen verzichtete. Das römische Recht hatte in solchen Fällen noch mit einer Zessionslösung gearbeitet. Dem Gläubiger stand hier gegen den deliktischen Schuldner häufig ein ganzes Bündel verschiedener Klagen zu, unter denen sich auch Strafklagen befanden. Daher lag eine Lösung, wonach der Vertragsschuldner durch seine Leistung den Deliktsschuldner von der Haftung gegenüber dem Gläubiger befreite, von vornherein fern. Vielmehr musste der Gläubiger seine Klagen gegenüber dem Deliktsschuldner an den Vertragsschuldner abtreten, soweit sie diesem nicht schon ohnehin zustanden. Nachdem das Gemeine Recht Strafklagen nicht mehr anerkannte und den Gläubiger auf den einmaligen Ersatz seines Schadens be-
Zusammenfassung
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schränkte, fielen die sachlichen Gründe für die Konstruktion einer nur einseitigen Solutionskonkurrenz mit Zessionsregress weg. Der offene Solidarschuldbegriff des 19. Jahrhunderts erlaubte es, statt dessen mit einer Gesamtschuldlösung zu arbeiten. Dazu musste der in den Quellen erwähnte Zessionsregress, der im römischen Recht auf der fehlenden Befreiung des Deliktsschuldners beruht hatte, zum Zessionsregress des Solidarschuldners umgedeutet werden, der trotz der Befreiung der regresspflichtigen Partei von der Gläubigerforderung mit Hilfe der Fiktion eines Klagenkaufs gewährt wurde. Zumindest ein Teil der Lehre hat diesen gedanklichen Schritt von der nur einseitigen zur wechselseitigen Solutionskonkurrenz vollzogen. Auch der Gesetzgeber des BGB nahm in allen Fällen des Zusammentreffens von gesetzlichen und vertraglichen Schadensersatzansprüchen Gesamtschulden an. Die Vorschrift des § 255 sollte dagegen die Konkurrenz von Schadensersatz- und Herausgabeansprüchen durch eine Übereignungspflicht des Gläubigers regeln.
IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht 1. Die Lehre von der unechten Schadensersatz-Gesamtschuld und ihre Kritiker a) Die Idee einer unechten Gesamtschuld Gesamtschulden auf Schadensersatz entstanden also nach Ansicht des Gesetzgebers immer dann, wenn mehrere unmittelbar den Ersatz desselben Schadens schuldeten, ohne dass eine besondere gesetzliche Anordnung erforderlich war. Spuren dieser Auffassung finden sich in der Rechtsprechung unmittelbar nach Inkrafttreten des BGB. In RGZ 53, 114 (1902) ging es um das Zusammentreffen der Haftung eines Tierhalters aus § 833 BGB und eines Eisenbahnunternehmers nach § 1 HPflG. Das Reichsgericht ging hier ohne weiteres davon aus, dass ein Gesamtschuldverhältnis nach § 421 BGB vorliege, ohne die Frage nach einer gesetzlichen Grundlage überhaupt zu erwähnen1. Erst im weiteren Verlauf der Entscheidung traf das Gericht dann die später immer wieder herangezogene Feststellung, dass es sich bei der Haftung nach dem HPflG um eine „unerlaubte Handlung“ im Sinne des BGB handle2. Diese Feststellung aber wurde allein dazu gebraucht, um eine Anwendung des § 840 III zugunsten des Tierhalters und damit eine interne Alleinbelastung des Unternehmers zu rechtfertigen (die heute für sachwidrig gehalten wird), nicht dazu, das Vorliegen eines Gesamtschuldverhältnisses zu begründen. Aus demselben Jahr stammt eine Entscheidung, in der es um einen Schaden einer Aktiengesellschaft ging, für den sowohl Vorstands- als auch Aufsichtsratsmitglieder wegen Verletzung ihrer Pflichten verantwortlich waren3. Das Reichsgericht bejahte eine solidarische Haftung aller Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder, ohne sich damit auseinanderzusetzen, dass das Aktiengesetz eine solidarische Haftung nur für Vorstandsmitglieder unter sich bzw. Aufsichtsratsmitglieder unter sich anordnete4. Doch ab 1905 lesen sich die Urteile zum Zusammentreffen von Schadensersatzverbindlichkeiten anders. Zunächst wird erwogen, ob bei Schadensersatzpflichten aus ungleichen Rechtsgründen nur eine von §§ 421 ff. nicht erfasste unechte Solidarität 1 2 3 4
RGZ 53, 114, 116 (VI, 24.11.1902). RGZ 53, 116 ff.; ebenso dann RGZ 58, 335 (VI, 27.6.1904). RG SächsArch 12, 723, 729 (I, 3.5.1902). AktG §§ 93 II, 116.
1. Die Lehre von der unechten Schadensersatz-Gesamtschuld und ihre Kritiker
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vorliege5; später ist von einer „Zweckgemeinschaft“6 oder von einem „inneren Zusammenhang“7 der Schadensersatzverbindlichkeiten die Rede. Was war geschehen? In der Literatur hatte sich die insbesondere von Oertmann und Crome begründete Lehre von den unechten Gesamtschulden etabliert8. Danach gab es neben den in den §§ 421 ff. geregelten echten Gesamtschulden auch Konstellationen, in denen sich mehrere Verbindlichkeiten zufällig auf denselben Leistungsinhalt oder denselben Zweck richteten, so dass bei Erfüllung der einen die übrigen von selbst gegenstandslos wurden und damit grundsätzlich erloschen. Eine ausdrückliche gesetzliche Gesamtschuldanordnung begründete echte Gesamtschulden. Schuldeten mehrere den Ersatz desselben Schadens, lagen daher zumindest dann echte Gesamtschulden vor, wenn der Tatbestand des § 840 erfüllt war. Ansonsten kamen unechte Gesamtschulden in Frage. Für diese galten die §§ 422 ff., wenn überhaupt, nur eingeschränkt. Insbesondere war § 426 nicht anwendbar. Dies musste aber nicht notwendig zu einer Regresslosigkeit führen. Im Schulbeispiel des Entleihers, der vertraglich für die Zerstörung der Sache durch einen Dritten einstehen musste9, war der Regress des Entleihers dadurch gewährleistet, dass er nach § 255 vom Verleiher die Abtretung des Schadensersatzanspruchs gegen den Dritten verlangen konnte10. Pate gestanden hatte für diese Lehre ersichtlich Eisele, auf den sich Oertmann auch ausdrücklich berief. Doch Eisele schrieb in erster Linie zum Gemeinen 5 RGZ 61, 56, 60 f. (VI, 29.5.1905); RG Gruch 54, 414, 418 f. (VI, 14.10.1909). Die Frage wird vom Fünften Senat bejaht in RGZ 67, 273, 274 f. (28.12.1907). 6 RGZ 77, 317, 323 (I, 25.11.1911); RGZ 82, 427, 430 (I, 18.6.1913); RGZ 92, 401, 408 (IV, 18.4.1918). 7 RG JW 1913, 859 Nr. 5 (VI, 3.5.1913); RGZ 82, 436, 439 (VI, 12.7.1913); RG Recht 1916 Nr. 418 (III, 28.1.1916); RGZ 92, 401, 408 (IV, 18.4.1918). 8 Oertmann, Vorteilsausgleichung (1901), 124, 277, 288 ff.; ders., Schuldverhältnisse AT (1928), vor § 420 Anm. 5 c; Crome, Schuldverhältnisse (1902), §§ 206 II 3, 338 I 4 und II 3; Stammler, Einrede (1900), 52 ff., 62; Fischer, Schaden (1903), 108; Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 161 V, 164 IV; Krückmann, Institutionen, § 57 IV; Last, Anspruchskonkurrenz, 110 f.; Klingmüller, JhJb 64 (1914), 31 ff., 41; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 313 II 3; Staud/Werner (1930), § 255 Anm. 3 a, vor § 420 Anm. 4, § 421 Anm. 1–2; Warneyer, BGB (1930), Anm. zu § 421, § 426 Anm. V; Henle, Schuldrecht, § 146 II; Schmitt, Solidarität (1927), 110 ff.; Lischka, Gesamtschuld (1932), 50 ff., 58 ff.; der Sache nach auch Larenz, Vertrag und Unrecht (1936), 200 f.; zum Schweizer Recht A. Guhl, Passive Korrealität (1908), 162 ff. 9 Diese Variante wird hier absichtlich gewählt. Wenn in der Literatur häufig das Beispiel erwähnt wird, dass die entliehene Sache von einem Dritten gestohlen wird, ist nicht immer klar, ob es um die Abtretung eines Herausgabe- und/oder eines Schadensersatzanspruchs geht und ob die Sache bei Inanspruchnahme des Entleihers noch vorhanden sein muss. Das Beispiel wird daher im Text eng gefasst: Es konkurrieren von Anfang an lediglich zwei Schadensersatzansprüche. Die in der folgenden Fußnote genannte Literatur nimmt ausdrücklich auch für diesen Fall eine Abwicklung nach § 255 an. 10 So Oertmann, Vorteilsausgleichung (1901), 277 ff.; ders., Schuldverhältnisse AT (1928), § 255 Anm. 4–5, 7 (zweifelnd aber ders., FS von Gierke [1911], 13); Fischer, Schaden, 250, 256; Crome, Schuldverhältnisse, § 151 II 5; Kohler, Schuldrecht, § 47 I 1; Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 34 II b; Krückmann, Institutionen, § 57 IV; Last, Anspruchskonkurrenz, 55 f.; Klingmüller, JhJb 64 (1914), 77 ff.; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 237 II 2; Warneyer, BGB, § 255 Anm. I, II, IV.
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
Recht. Ausgangspunkt war für ihn die römische Klagenkonsumption, die er auf die gemeinsame causa der konkurrierenden Verbindlichkeiten zurückführte11. Seine echte Gesamtschuld war aus der gemeinrechtlichen Korrealobligation hervorgegangen, zu der Eisele auch bestimmte Fälle der Schadensersatz-Gesamtschulden zählte, nämlich gemeinschaftlich aufgrund einer Position Haftende sowie die „gemeinschaftlichen“ Deliktstäter, also Mittäter und Teilnehmer, nicht aber die Nebentäter. Entscheidend war, ob ein gemeinsames oder ein getrenntes Handeln vorlag12. Mehrere Miteigentümer eines Sklaven, die dessen geplantes Delikt gekannt und nicht verhindert hatten, waren dann echte Gesamtschuldner, wenn sie das Wissen teilten und gemeinsam den Willen gebildet hatten, das Delikt nicht zu verhindern, nicht aber dann, wenn jeder für sich allein das Wissen erlangt und den Entschluss zur Nichthinderung getroffen hatte. Bei Schadensersatzverbindlichkeiten wegen Verschuldens setzte die echte Gesamtschuld für Eisele also ein bewusstes Zusammenwirken voraus. Zwar behauptete Eisele, dass sein Begriff der echten Solidarität auch der Gesamtschuldregelung des neuen BGB zugrunde liege13. Doch dies war gleich aus mehreren Gründen nicht der Fall. Das Phänomen der römischen Klagenkonkurrenz, das bei Eisele eine wichtige Rolle spielte, war für den BGB-Gesetzgeber gerade nicht ausschlaggebend; vielmehr wollte dieser die gemeinrechtlichen Korreal- und Solidarobligationen gleichermaßen durch die §§ 421 ff. regeln. Im Deliktsrecht sah der Gesetzgeber in Gestalt der Zweiten Kommission Gesamtschuldanordnungen auch in Fallkonstellationen vor, in denen die Schuldner weder zusammengewirkt noch sich überhaupt gekannt haben mussten, in denen also eine gemeinsame causa im Sinne Eiseles fehlte. Die Solidarhaft der Nebentäter war vom Gesetzgeber deswegen nicht ausdrücklich erwähnt worden, weil er sie für selbstverständlich hielt, nicht deshalb, weil mangels gemeinsamer causa kein Gesamtschuldverhältnis vorliegen sollte. Bei Eisele beruhte das Erfordernis des Zusammenwirkens sachlich auch darauf, dass seiner Ansicht nach bei Korrealobligationen bzw. echten Gesamtschulden eine gegenseitige Verschuldenszurechnung stattfand14, die außerhalb der Fälle des bewussten Zusammenwirkens unsachgemäß erschien. Der Gesetzgeber aber hatte sich mit § 425 gerade gegen eine solche Verschuldenszurechnung entschieden. Er folgte dem offenen Solidarschuldbegriff der zeitgenössischen herrschenden Lehre, nicht dem Korrealschuldbegriff Eiseles. Wenn aber Eiseles Lehre den Gesamtschuldvorschriften des BGB gar nicht zugrunde lag, warum baute dann die Literatur nach 1900 ausgerechnet auf seiner Lehre auf und führte eine vom Gesetzgeber nicht geplante Zweiteilung der Gesamtschuldverhältnisse in das neue Recht ein? Die Ursache hierfür war offenbar die nähere Ausgestaltung der Gesamtschuldregeln im BGB. Die gemeinrechtli11 12 13 14
Eisele, AcP 77 (1891), 374; hierzu oben, 529 ff. Eisele, AcP 77 (1891), 464 ff. Eisele, AcP 77 (1891), 481. Eisele, AcP 84 (1895), 295.
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che Solidarobligation war dadurch gekennzeichnet, dass im Außenverhältnis grundsätzlich nur die Erfüllung und ihre Surrogate Gesamtwirkung hatten. Die Regressfrage war umstritten, manche nahmen ein Rückgriffsrecht, manche einen reinen Zessionsregress und wieder andere eine Regresslosigkeit an. Der BGBGesetzgeber folgte dem Modell der Solidarobligation zwar in § 425, nach dem „Tatsachen“ grundsätzlich Einzelwirkungen haben sollten. Doch in §§ 423, 424 sah er die Gesamtwirkung des Gesamterlasses und des Annahmeverzugs vor. Letztere war für die aus dem 19. Jahrhundert stammenden Schriftsteller ungewohnt. Zugleich führte der Gesetzgeber mit § 426 einen durch Subrogation verstärkten allgemeinen Gesamtschuldregress ein. Die Motive sprachen von einer Schuldgemeinschaft mit Mitwirkungspflichten. Eine solche Schuldgemeinschaft hatte es aber selbst bei der Korrealobligation nicht gegeben. Insofern stellte man die – sachlich nicht unberechtigte – Frage, ob es eine solche ungewohnt enge Verbindung der Verpflichtungen zu einer Schuldgemeinschaft auch in den Fällen geben durfte, in denen die Schuldner nichts weiter verband, als dass sie „zufällig“ den Ersatz desselben Schadens schuldeten. Der Gedanke, in diesen Fällen eine Gesamtschuld ganz zu verneinen, lag aber fern, weil man gemeinrechtlich von Solidarobligationen mit wechselseitiger Solutionskonkurrenz ausgegangen war. In dieser Lage kam Eiseles Unterscheidung zwischen echten und unechten Gesamtschulden gerade gelegen: Wie im Gemeinen Recht konnte man bei der „zufälligen“ Konkurrenz von Schadensersatzpflichten die Solutionskonkurrenz bejahen und zugleich die unerwünschten weiteren Gesamtwirkungen ausschließen. Insofern gibt es eine bemerkenswerte Parallele zur Lage in Frankreich nach der Einführung des Code Civil. Der französische Gesetzgeber war von einer Einheits-Gesamtschuld ausgegangen. Die exzessiven Gesamtwirkungen der solidarité führten aber dazu, dass sich praeter legem eine zweite Art von Gesamtschuldverhältnis bildete, das diese Gesamtwirkungen nicht kannte und insbesondere beim Zusammentreffen von Schadensersatzverbindlichkeiten herangezogen wurde15. Das BGB führte in §§ 421 ff. zwar keine exzessiven Gesamtwirkungen im Außenverhältnis ein. Glaubte man aber den Ausführungen der Motive zur Schuldgemeinschaft, waren die Gesamtschuldner statt dessen im Innenverhältnis besonders eng miteinander verbunden. Die schon mit der Gesamtschuld selbst entstehende Schuldgemeinschaft legte nahe, dass ein Gesamtschuldregress auch gegenüber Gesamtschuldnern möglich war, die den Zugriff des Gläubigers wegen Erlass, Verjährung oder klageabweisenden Urteils nicht mehr befürchten mussten. Zusätzlich sollte es nach den Motiven Mitwirkungs- und Befreiungsansprüche geben. Ein solches gesetzliches Schuldverhältnis ist bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden sachlich weniger problematisch (wenn auch wegen des bestehenden vertraglichen Innenverhältnisses überflüssig), wohl aber bei gesetzlichen. Hatten sich die Schuldner bei der Schadensverursachung bewusst zusammengetan oder bildeten sie schon vor dem Schadenseintritt eine Gemein15 Oben, 533 ff. Oertmann war sich dieser Parallele bewusst, Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 5 c.
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schaft (Eiseles echte Gesamtschulden), konnten das eigenständige, vom Gläubigerzugriff losgelöste Regressrecht und die Mitwirkungspflichten vielleicht noch hingenommen werden. Doch wie konnte die Schuldgemeinschaft gerechtfertigt werden, wenn die Schuldner sich nicht zusammengetan hatten, wenn sie sich nicht kannten oder vielleicht gar nicht voneinander wussten? Scheinbar unbekümmert darum nahm der Gesetzgeber aber ein Gesamtschuldverhältnis immer dann an, wenn mehrere unmittelbar den Ersatz des gesamten Schadens schuldeten, verlangte also weder eine bewusste Gemeinschaftlichkeit noch sonst irgendeine Verbindung unter den Schuldnern. Beim Tatbestand folgte er dem offenen Solidarschuldbegriff des 19. Jahrhunderts, bei den Rechtsfolgen schien er er eine vertragsähnliche Schuldgemeinschaft eingeführt zu haben. Beides passte womöglich nicht zusammen; zumindest war die Anwendung von Schuldgemeinschaftsregeln auf Fälle zufälliger Schuldnerverbindungen bislang nicht bekannt und wurde vom Gesetzgeber auch nicht besonders gerechtfertigt. In gewissem Maße hatte sich der deutsche Gesetzgeber die nachfolgende Zweiteilung also selber zuzuschreiben, ebenso wie der französische 100 Jahre zuvor.
b) Die Suche nach dem Abgrenzungskriterium: Gesetzliche Anordnung und Schuldgrundtheorie Wenn man aber zwei Unterarten von Gesamtschuldverhältnissen unterschied, benötigte man ein sinnvolles Abgrenzungskriterium. Wie in Frankreich kamen hier grundsätzlich zwei Strategien in Frage. Entweder entwickelte man wie die Lehre von der solidarité parfaite und imparfaite ein eigenes, vom Gesetz unabhängiges, Abgrenzungskriterium. Oder man nahm wie die heutige französische Lehre von der obligation in solidum echte Gesamtschulden nur dann an, wenn sie vom Gesetz ausdrücklich angeordnet waren. Beide Strategien wurden in Deutschland zunächst verfolgt. Der Ansatz, echte Gesamtschulden von einer gesetzlichen Gesamtschuldanordnung abhängig zu machen16, konnte sich im deutschen Recht aber nicht lange halten. Er bietet zwar ein klares Abgrenzungskriterium, führt aber systematisch zu unbefriedigenden Ergebnissen, weil der Gesetzgeber selbst nicht von einer Zweiteilung ausgegangen ist. Das gilt nicht nur in Frankreich, wo die Lehre wegen der gesetzlichen Gesamtschuldanordnung im Strafrecht dazu ge16
So offenbar Crome, Schuldverhältnisse, § 206 II 2–3; Endemann, BürgR I, § 154 Nr. 3; wohl auch Last, Anspruchskonkurrenz, 101, 110 f. Der Sache nach gehört hierzu auch Klingmüller, JhJb 64 (1914), 31. Zwar arbeitet er mit dem Erfordernis eines gemeinsamen Zwecks der Verbindlichkeiten. Doch echte Gesamtschulden sollen nur dann vorliegen, wenn der gemeinsame Zweck den Parteien bewusst ist (gemeinsamer Vertrag und Schuldbeitritt) oder wenn ausnahmsweise das Gesetz die Schuldner zwangsweise zu einer Zweckgemeinschaft verbindet, a.a.O., 63. Im Ergebnis liegt also ein echtes Gesamtschuldverhältnis nur dann vor, wenn die Gesamtschuld von den Parteien gewollt oder vom Gesetz angeordnet ist. Wie Klingmüller Schmitt, Solidarität (1927), 113 f., 120, 127, 134 f.
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zwungen ist, bei deliktischen Mittätern darauf abzustellen, ob die gemeinsame Tat zufällig zugleich eine Straftat darstellt, sondern auch für das Recht des BGB. Die allgemeine deliktische Gesamtschuldanordnung des § 840 I ist aus historischer Sicht ein Zufallsprodukt, weil die Zweite Kommission ursprünglich zahlreiche spezielle Gesamtschuldanordnungen für Fallkonstellationen vorsah, in denen die unmittelbare Ganzhaftung jedes Schuldners nicht sicher war. Sowohl bei deliktischen Nebentätern als auch beim Zusammentreffen von vertraglichen und deliktischen Schadensersatzansprüchen hielt die Kommission ein Gesamtschuldverhältnis für selbstverständlich, so dass sich eine besondere Anordnung in ihren Augen erübrigte. Es war die Redaktionskommission, welche die Spezialanordnungen im Deliktsrecht auf eine Art verallgemeinerte, dass nun auch die Nebentäter umfasst waren, während es außerhalb des Deliktsrechts weiterhin keine allgemeine Gesamtschuldanordnung gab. Wenn der Gesetzgeber selbst eine besondere gesetzliche Anordnung für ein Gesamtschuldverhältnis für nicht erforderlich hält, führt das Abstellen auf eine solche Gesamtschuldanordnung zu Zufallsergebnissen. Dreh- und Angelpunkt für einen solchen Ansatz musste § 840 I sein. Danach war zunächst einmal eine „unerlaubte Handlung“ erforderlich. Dies führte zu Irritationen bei der Tierhalterhaftung, soweit sie ohne Entlastungsmöglichkeit ausgestaltet war17: Konnte bei dieser reinen Gefährdungshaftung überhaupt von einer unerlaubten Handlung gesprochen werden? Weil aber die Entstehungsgeschichte zeigte, dass der Gesetzgeber eine solidarische Haftung der Tierhalter gewollt hatte18, und weil § 833 unter den Gesetzestitel „Unerlaubte Handlungen“ fiel, kam man zum Schluss, dass das Tatbestandsmerkmal der unerlaubten Handlung in § 840 I weit ausgelegt werden müsse19. Hiermit konnte auch erklärt werden, warum Verbindlichkeiten aus dem Haftpflichtgesetz zusammen mit einer Deliktsverbindlichkeit20 oder unter sich21 ein Gesamtschuldverhältnis bildeten. Wie gezeigt, hielt das Reichsgericht die Solidarhaftung hier anfangs für nicht begründungsbedürftig. Nun aber stützte man sich auf § 840 I und die Feststellung des Reichsgerichts, wonach die Haftung nach dem HPflG eine unerlaubte Handlung i.S.d. § 840 darstelle. § 840 I bot aber keine Hilfe, wenn die Schadensersatzverbindlichkeiten auch in einem weiteren Sinne nicht mehr als unerlaubte Handlungen angesehen werden 17 Das war in der ursprünglichen Fassung von § 833 allgemein der Fall; die (von der Zweiten Kommission favorisierte) Entlastungsmöglichkeit für Nutztierhalter wurde erst 1908 eingeführt. 18 Oben, 714 f., 717. 19 Vgl. OLG Celle, OLGE 5, 250 (10.6.1902) (das sich zusätzlich auf die Solidarhaft der Tierhalter nach römisch-Gemeinem Recht stützte); RGZ 60, 313, 315 (VI, 23.3.1905); Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 396 Fn. 10. 20 RG Gruch 54, 414, 418 f. (VI, 14.10.1909); OLG Dresden, SeuffA 65 Nr. 214 (24.5.1910); RG Gruch 56, 104 (VI, 19.6.1911; Warn 1911 Nr. 394; JW 1911, 752); RG Warn 1912 Nr. 12 (VI, 9.11.1911); RG Gruch 56, 583 (VI, 27.11.1911; Warn 1912 Nr. 64, JW 1912, 190); RG JW 1913, 919 Nr. 6 (VI, 2.6.1913); RG Gruch 65, 477 (VI, 28.2.1921). 21 RGZ 61, 56, 58 (VI, 29.5.1905); RGZ 93, 96, 97 (VI, 30.5.1918); zum KfzG RG JW 1919, 104 Nr. 4 (VI, 7.11.1918; SeuffA 74 Nr. 68).
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konnten. Hatten die Schuldner hier gemeinsam eine sie gemeinschaftlich treffende Pflicht verletzt, bestand kein Grund, die Solidarhaftung anders zu qualifizieren als im Fall deliktischer Mittäter. Die Rechtsprechung nahm daher (echte) Gesamtschulden auch ohne gesetzliche Anordnung nicht nur weiterhin an, wenn Vorstandsmitglieder und Aufsichtsratsmitglieder durch Verletzung ihrer Pflichten die Gesellschaft geschädigt hatten22, sondern ohne weiteres auch dann, wenn mehrere Mitglieder eines Gläubigerausschusses gegenüber den Konkursbeteiligten23 oder wenn mehrere Beamten gegenüber dem Staat24 ihre Pflichten verletzt und dadurch einen einheitlichen Schaden verursacht hatten. Auch für den Fall, dass vertraglicher Schadensersatz von mehreren Schuldnern eines gemeinsamen Vertrags geschuldet wurde, fehlte es an einer ausdrücklichen Gesamtschuldanordnung, so dass man die (im Ergebnis nicht bestrittene) Schadensersatz-Gesamtschuld mit dem Parteiwillen erklären musste. Das Kriterium der gesetzlichen Gesamtschuldanordnung erwies sich als nicht brauchbar. Es galt also, ein vom Bestehen einer Gesamtschuldanordnung unabhängiges Abgrenzungskriterium zu finden. Hier bot es sich an, nicht nur die Unterscheidung zwischen echten und unechten Gesamtschulden, sondern auch das Abgrenzungskriterium selbst von Eisele zu übernehmen. Für die von Oertmann begründete „Schuldgrundlehre“ setzte das echte Gesamtschuldverhältnis daher eine Einheit der causa voraus, die bei Schadensersatzverbindlichkeiten aus unabhängigen Schuldverhältnissen nicht vorliegen sollte25. Doch wie schon im Abschnitt zu den gemeinrechtlichen Solidarobligationen gezeigt26, ist der Begriff der causa vieldeutig. Eiseles causa-Begriff knüpfte an die römische Klagenkonsumption an. Eine gemeinsame causa war etwa der gemeinschaftlich geschlossene Vertrag, wenn die Schuldner wegen einer Leistungsstörung hafteten, das gemeinsame Eigentum, wenn Miteigentümer noxal für die Tat ihres Sklaven einstehen mussten, das gemeinsame Wohnen bei der actio de effusis gegen mehrere Hausbewohner oder die gemeinsam übernommene Vormundschaft27. In all diesen Fällen war wegen des einheitlichen und gemeinsamen Entstehungstatbestandes an Teilschulden zu denken, welche durch die Gesamtschuld ausgeschlossen wurden28. Hinzu kam, zwar nicht nach römischem, aber nach Gemeinem Recht, der Fall des gemein22 Nach RG SächsArch 12, 723 (I, 3.5.1902, oben) etwa OLG Braunschweig, OLGE 18, 8 (14.5.1907); RGZ 159, 86, 89 (II, 17.12.1938). 23 RG LZ 1910, 159, 161 (VI, 16.9.1909); OLG Dresden, SeuffArch 71 Nr. 151, S. 254 (9.7.1914). Die Haftung beruhte auf § 89 KO (heute § 71 InsO). 24 RGZ 95, 344, 347 (III, 13.5.1919). 25 Oertmann, Vorteilsausgleichung (1901), 124, 291, 293; ders., FS von Gierke (1911), 12; ders., Schuldverhältnisse AT (1928), vor § 420 Anm. 5 c; Stammler, Einrede, 52 ff., 62; Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 161 V; Krückmann, Institutionen, § 57 IV; Henle, Schuldrecht, §§ 139 I 2, 146 II; zum Schweizer Recht A. Guhl, Passive Korrealität (1908), 171 ff., 177. 26 Oben, 528 ff. 27 Eisele, AcP 77 (1891), 425 ff. 28 Zu Recht stellte Eisele fest, dass bei einer Mehrheit von causae der Gedanke an eine Teilung nicht aufkommen konnte, AcP 77 (1891), 479; vgl. oben, 707 ff.
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schaftlich begangenen Delikts. Auch hier lag nach Ansicht Eiseles nur eine einzige causa in Form der gemeinsam begangenen Tat vor, die an sich eine Aufteilung des Schadensersatzes auf die Mitverursacher hätte rechtfertigen können29. Die causa Eiseles war also die gemeinsame Pflichtenstellung, die gemeinsame Erfüllung des Tatbestandes einer Haftung ohne Verschuldensnachweis oder die gemeinsame Tat. Keine gemeinsame causa lag vor, wenn der Schaden dadurch verursacht worden war, dass mehrere unabhängig voneinander ihre eigenen Pflichten verletzten oder eine bestimmte Handlung vornahmen. Der Sache nach bot dieser causa-Begriff den Vorteil, dass er es ermöglichte, Gesamtschuldverhältnisse danach zu unterscheiden, ob zwischen den Schuldnern irgendeine Art von Innenverhältnis vorlag. Die gemeinsame causa implizierte, dass die Schuldner Miteigentümer, Mitbewohner oder vertragliche Mitschuldner waren oder sich zur unerlaubten Handlung zusammengeschlossen hatten. Dies konnte es rechtfertigen, sie näher aneinander zu binden als Schuldner, die außer der Verantwortlichkeit für denselben Schaden keine Beziehung verband. Bei Eisele führte die gemeinsame causa daher zu den Gesamtwirkungen der Korrealobligation, insbesondere zur gegenseitigen Verschuldenszurechnung. Im Recht des BGB bot es sich statt dessen an, die ungewohnte besondere Schuldgemeinschaft auf die Fälle einer solchen einheitlichen causa zu begrenzen. Das Problem dabei war aber, dass das BGB nicht auf dem causa-Begriff Eiseles aufbaute. Oertmann und andere Vertreter der Schuldgrundlehre knüpften an Eiseles causa-Begriff an. Zugleich aber gingen sie davon aus, dass die Vorschrift des § 840 grundsätzlich ein echtes Gesamtschuldverhältnis begründe30. Doch nach dem Wortlaut des § 840 I (und auch nach dem Willen des Gesetzgebers) hafteten auch Nebentäter als Gesamtschuldner. Nach § 840 II konnte ein Gesamtschuldverhältnis auch zwischen dem Täter und dem Aufsichtspflichtigen, nach § 840 III zwischen einem haftenden Tierhalter oder Gebäudebesitzer und einem verantwortlichen Dritten vorliegen. Oertmann versuchte, § 840 und die causa-Lehre mit der Erwägung zu vereinigen, dass der Aufsichtspflichtige oder Tierhalter für die fremde Tat als solche und nicht für die Verletzung einer besonderen Pflicht hafte31. Doch die Haftung aus § 831 beruhte, anders als die römische Noxalhaftung, auf einer vermuteten Verletzung der eigenen Aufsichtspflicht. Der Tierhalter haftete dagegen strikt, doch wenn der Schaden durch das Verschulden eines Dritten mitverursacht worden war, dann haftete der Dritte wegen dieses Verschuldens und der Tierhalter wegen seiner Tierhalterstellung, so dass von einer gemeinsamen causa Eiseles auch hier nicht die Rede sein konnte. Vor allem aber passte die solidarische Nebentäterhaftung nicht zu Eiseles Lehre. In der Literatur 29
Eisele, AcP 77 (1891), 473 f. Oertmann, Vorteilsausgleichung, 288 ff.; ders., Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 5 c; Fischer, Schaden, 108, 253 f.; Krückmann, Institutionen, § 57 IV; anders aber Henle, Schuldrecht, § 146 II A 2, dessen Lehre Eiseles am nächsten kommt. 31 Oertmann, Vorteilsausgleichung, 291. 30
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wurde daher erwogen, ob es sich hier nicht trotz der gesetzlichen Gesamtschuldanordnung tatsächlich nur um unechte Gesamtschulden handele32. Zumeist aber hielt man daran fest, dass gesetzlich angeordnete Gesamtschulden stets echt sein müssten. Damit aber war eine Lehre nicht vereinbar, die auf einem gemeinschaftlichen Entstehungstatbestand aufbaute, der die Sonderverbindung der Gesamtschuldner zu einer Schuldgemeinschaft rechtfertigen konnte. Dieser Widerspruch wurde bei Oertmann nicht aufgelöst. Einerseits nahm er bei § 840 echte Gesamtschulden an und führte das unechte Gesamtschuldverhältnis etwa zwischen dem Entleiher und dem Zerstörer der Sache darauf zurück, dass der Entleiher vertraglich, der Zerstörer deliktisch haftete33. Andererseits aber sprach er von einem einheitlichen Entstehungsgrund der echten Gesamtschuld, der ein Verhältnis der Gesamtschuldner untereinander begründe34. Dies war wieder der causa-Begriff Eiseles. Doch der Umstand, dass zwei auf Ersatz desselben Schadens gerichtete Verbindlichkeiten beide auf einer deliktischen Haftung beruhten, führt als solcher nicht zu irgendeiner Art von Gemeinschaftlichkeit. Der Versuch, das Erfordernis einer gemeinsamen causa mit den Gesamtschuldanordnungen des BGB zu vereinigen, führte zur Konturlosigkeit des causa-Begriffs. Das echte Gesamtschuldverhältnis verlangte nun lediglich einen „gleichartigen“ Schuldgrund; hierfür war es schon ausreichend, dass beide Verbindlichkeiten auf Delikt beruhten35. Mit dem weiten Begriff der „unerlaubten Handlung“ konnte auch das Zusammentreffen von deliktischer und spezialgesetzlicher Haftung, etwa aus dem HPflG, als „gleichgründig“ angesehen werden36. Dagegen war das Zusammentreffen eines deliktischen/gesetzlichen mit einem vertraglichen Schadensersatzanspruch mangels Gleichgründigkeit ebenso wenig erfasst wie der Fall des Zusammentreffens von Schadensersatzansprüchen aus verschiedenen Verträgen. Doch mit der Entfernung vom causa-Begriff Eiseles verschwand auch die sachliche Rechtfertigung des Gleichgründigkeits-Erfordernisses. Warum sollte es für die Frage des Regresses gerade darauf ankommen, ob es sich um vertragliche oder deliktische Schadensersatzverbindlichkeiten handelte? Konnte es nicht auch bei „ungleichgründigen“ Verbindlichkeiten ein bewusstes Zusammenwirken geben, etwa bei der Verleitung zum Vertragsbruch? Warum gab es eine Pflichten begründende Schuldgemeinschaft unter Schuldnern, die nichts voneinander wissen mussten, sofern sie deliktisch, nicht aber, wenn sie vertraglich hafteten? Welches war der sachliche Zusammenhang zwischen der Grundlage des Schadensersatzanspruchs und den Modalitäten des Regresses? Es 32
Stammler, Einrede, 55; Oertmann, Schuldverhältnisse BT (1914), § 830 Anm. 2 b, § 840 Anm. 2; Klingmüller, JhJb 64 (1914), 41, 98; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 458 Fn. 9; Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, § 247 II; Henle, Schuldrecht, § 146 II A 2. 33 Oertmann, Vorteilsausgleichung, 291 f. 34 Oertmann, Vorteilsausgleichung, 293. Im Kommentar (Schuldverhältnisse AT, 1928), vor § 420, Anm. 5 c a.E. spricht er von der Rechtsgemeinschaft bei der echten Gesamtschuld, die den Rückgriff aus § 426 rechtfertigen soll. 35 Vgl. Oertmann, Schuldverhältnisse BT (1914), § 840 Anm. 1 und 3. 36 Oertmann, Schuldverhältnisse AT (1928), vor § 420 Anm. 5 c.
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ist bemerkenswert, dass das Erfordernis der Gleichgründigkeit von seinen Anhängern sachlich nie begründet wurde. In der Rechtsprechung wurde die Schuldgrundlehre nach 1900 zunächst teilweise aufgegriffen. Einige Urteile verneinten ein echtes Gesamtschuldverhältnis, wenn die Schadensersatzverbindlichkeiten der Schuldner auf verschiedenen Rechtsgründen beruhten, etwa wenn neben dem Deliktsschuldner ein anderer nichtdeliktisch aus Gesetz37 oder aus Vertrag38 haftete. Der für allgemeine Schadensersatzklagen zuständige Sechste Senat des Reichsgerichts aber war von Anfang an skeptisch. In einem 1905 entschiedenen Fall39 war der Passagier einer Straßenbahn A bei einem Zusammenstoß mit einer anderen Straßenbahn B verletzt worden. Beide Bahnen (also ihre Betreiber) hafteten aus dem HPflG, womit, da man diese Haftung zu den „unerlaubten Handlungen“ zählte, die Gesamtschuld nach § 840 I eigentlich unproblematisch war. Doch die befördernde Straßenbahn A haftete zusätzlich aus Vertrag. Das Berufungsgericht hatte sich mit der Erwägung geholfen, dass sämtliche Ersatzpflichten, seien sie vertraglich oder gesetzlich, auf demselben Ereignis beruhten und insofern ein gleicher Entstehungsgrund im Sinne einer gemeinsamen causa vorliege. In der Revision wurde aber zugunsten der Straßenbahn B argumentiert, dass sie die vertragliche Schadensersatzpflicht der Bahn A nichts angehe und sie hierfür nicht zum Ausgleich verpflichtet sei. Ein Gesamtschuldregress hinsichtlich der konkurrierenden gesetzlichen Verbindlichkeiten würde aber bedeuten, dass sie sich im Ergebnis auch an der vertraglichen Schuld beteiligen müsse, und sei daher abzulehnen. Gerade diese Art von Argumentation warf Zweifel auf, ob es wirklich richtig war, sich an der Natur der Anspruchsgrundlage zu orientieren. Der Senat referierte in diesem Urteil zwar, offenbar zustimmend, die Lehre, wonach bei zufälligem Zusammentreffen von ungleichgründigen Verpflichtungen auf dieselbe Leistung nur ein unechtes Gesamtschuldverhältnis vorliege, bei dem es die in den Motiven erwähnte Schuldgemeinschaft nicht gebe40. Zugleich aber stellte er in Frage, ob allein der 37 RGZ 67, 273, 274 f. (28.12.1907): Konkurrenz zwischen unerlaubter Handlung und gesetzlicher Haftung des Bergbaubetreibers. Die Erwägung des Fünften Senats, mangels gleicher Schuldgründe und mangels einer Anwendbarkeit des § 840 liege kein Gesamtschuldverhältnis vor, betraf hier die Frage, ob der Bergbaubetreiber in voller Höhe oder nur zum Teil für den Schaden des Klägers haften musste. Nicht ganz klar ist in dieser Entscheidung, ob der Gesamtschaden tatsächlich aufteilbar war und die Teile einzelnen Schuldnern zugeordnet werden konnten und ob, falls das nicht der Fall war, die abgelehnte Solidarhaft sich damit rechtfertigen lässt, dass es sich sachlich um eine Aufopferungshaftung des Bergbaubetreibers handelte, vgl. unten, 918. 38 OLG Hamburg, HansGZ 1911, 259 (14.7.1911). Hier leistete der Vertragsschuldner an den Gläubiger und ließ sich später von ihm seine Ansprüche gegen den Deliktsschuldner abtreten, um gegen diesen Regress zu nehmen. Nach Ansicht des Gerichts lag mangels gleicher Schuldgründe nur ein unechtes Gesamtschuldverhältnis vor, so dass die Leistung des Vertragsschuldners an den Gläubiger die Schuld des Deliktsschuldners zum Erlöschen gebracht habe und für eine spätere Abtretung kein Raum mehr sei. Mit dieser Konstruktion versagte das Gericht dem Vertragsschuldner den Regress gegen den unmittelbar verantwortlichen Deliktsschuldner und gelangte so zu einem evident unrichtigen Ergebnis. 39 RGZ 61, 56 (VI, 29.5.1905). 40 RGZ 61, 60.
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Umstand, dass ein Schuldner aus Vertrag und der andere aus Delikt haftet, zu einem unechten Gesamtschuldverhältnis führen müsse. Immerhin, so der Senat, kenne das BGB auch nach dem Wortlaut des § 421 nur eine Art von Gesamtschuldverhältnis, das die bisherigen Solidar- und Korrealschulden vereinigen sollte. Insofern spreche viel für die Annahme, dass es auf die Identität des Rechtsgrundes gar nicht ankomme. Im Ergebnis ließ der Senat die Frage hier noch offen, weil die konkurrierenden Verbindlichkeiten aus dem HPflG unzweifelhaft echte Gesamtschulden bildeten und die hinzutretende Vertragshaftung am gebotenen Gesamtschuldausgleich nach Ansicht des Gerichts nichts ändern konnte41. Der entscheidende Schlag gegen die Schuldgrundtheorie wurde 1911 vom Ersten Senat durch ein Urteil geführt, wonach ein (echtes) Gesamtschuldverhältnis auch zwischen einem vertraglich haftenden Schuldner und dessen deliktisch haftendem Erfüllungsgehilfen vorliegen könne42. Ebenso entschied dann der Sechste Senat in ständiger Rechtsprechung über Verkehrsunfälle, bei denen der Passagier eines Kraftfahrzeugs verletzt worden war. Als Insasse hatte er gegenüber dem Halter keine Ansprüche aus dem Kraftfahrzeuggesetz (heute StVG), wohl aber vertragliche Ansprüche aus dem Beförderungsvertrag. In diesen Fällen der Schadensverursachung durch das Zusammenwirken mehrerer Kausalbeiträge erschien es besonders sachwidrig, für den Innenausgleich danach zu unterscheiden, ob die Haftung eines Beteiligten aus Delikt, Gesetz oder Vertrag beruhte. Zwischen dem vertraglich haftenden Halter und einem gesetzlich haftenden Dritten sollte daher dann trotz ungleicher Schuldgründe ein echtes Gesamtschuldverhältnis vorliegen43. Auch die anderen Senate entschieden nun – oft gegen die Instanzgerichte, die noch am Erfordernis eines gleichartigen Schuldgrunds festhielten44 –, dass ein echtes Gesamtschuldverhältnis auch beim Zusammentreffen einer vertraglichen und einer deliktischen Schadensersatzpflicht entstehen könne45. Statt mit dem Erfordernis gleichartiger Schuldgründe arbeitete die höchstrichterliche Rechtsprechung nun mit dem Begriff der Zweckgemeinschaft. 41 RGZ 61, 61 f. Vgl. auch das Urteil RG Gruch 54, 414 (VI, 14.10.1909), in dem der Sechste Senat unter Verweis auf § 840 II und III feststellt, dass die Verschiedenartigkeit der Haftungsgründe ein Gesamtschuldverhältnis nicht verhindere. Es sei eine andere Frage, ob sich dann (vorliegend ging es um die Konkurrenz einer Haftung aus Delikt und einer aus dem HPflG) eine echte und nicht nur eine unechte Gesamtschuld ergebe. Sie könne hier offenbleiben, sei aber wohl zu bejahen (a.a.o., 418 f.). 42 RGZ 77, 317, 323 f. (I, 25.11.1911). Es handelt sich um den bekannten Schuten-Fall, in dem eine mit Waren des Gläubigers beladene Schute beim Transport durch den Spediteur unterging, weil der Gehilfe sie nicht gesichert hatte. Der Spediteur haftete vertraglich, der Gehilfe aus § 823 I. 43 RG JW 1913, 859 Nr. 5 (3.5.1913); RGZ 82, 436, 439 (12.7.1913); RGZ 84, 415, 430 (30.4.1914); RG Gruch 59, 354 (= JW 1915, 22 Nr. 7, 12.10.1914). 44 So OLG Dresden, SeuffA 71 Nr. 151 (9.7.1914: unechte Gesamtschuld zwischen Konkursverwalter und Mitglied des Gläubigerausschusses, die beide ihre Pflichten verletzt haben); OLG München, SeuffA 75 Nr. 71 (22.12.1919: unechte Gesamtschuld zwischen Schuldner und Erfüllungsgehilfen, Anwendbarkeit des § 423 trotzdem bejaht); sowie die Berufungsgerichte in RGZ 82, 436, RG Recht 1923 Nr. 330 und RG SeuffA 78 Nr. 76. 45 RG Recht 1916, Nr. 418 (III, 28.1.1916); RGZ 92, 401, 408 (IV, 18.4.1918); RG SeuffA 78 Nr. 76 (VII, 17.10.1922).
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c) Die Zweckgemeinschaft Die Lehre von der Zweckgemeinschaft als Kennzeichen des echten Gesamtschuldverhältnisses war in erster Linie von Enneccerus begründet worden46. Bei Eisele und Oertmann war es noch Kennzeichen der unechten Gesamtschuld gewesen, dass die Verbindlichkeiten denselben Zweck verfolgten und daher im Verhältnis wechselseitiger Solutionskonkurrenz standen47. Nun sollte die Zweckgemeinschaft nur bei den echten und gerade nicht bei den unechten Gesamtschulden zu finden sein. Die entscheidende Frage wurde daher, wann unter mehreren Schadensersatzverbindlichkeiten eine solche Zweckgemeinschaft vorlag. Enneccerus selbst prägte die Formel, dass die Schuldner durch ihren Willen oder das Recht zur Erreichung desselben Zwecks derart miteinander verbunden sein mussten, dass ihre Verpflichtungen als Mittel zur Erreichung des Gesamtzwecks erschienen, der in der Sicherung und Befriedigung des Gläubigers bestand48. Erfüllten danach nicht alle Verbindlichkeiten auf Ersatz desselben Schadens denselben Zweck? Doch dieser Schluss wurde von Enneccerus und anderen Vertretern der (hier so genannten) Zwecklehre im engeren Sinne49 nicht gezogen. Im Schulbeispiel des Zusammentreffens der vertraglichen Schadensersatzverbindlichkeit des Entleihers und der deliktischen Ersatzpflicht des Dritten, der die entliehene Sache zerstört hatte, sollte gerade keine Zweckgemeinschaft vorliegen. Für den Regress des Entleihers sollte nicht § 426, sondern § 255 gelten50. Die Verschiedenheit der Schuldgründe als solche sollte aber eine Zweckgemeinschaft nicht ausschließen. Erforderlich war nur ein „innerer Zusammenhang“ der Verbindlichkeiten51. Die Rechtsprechung nahm das neue Kriterium sogleich auf52. Im schon erwähnten Fall RGZ 77, 317, in dem der Schuldner die Waren des Gläubigers in einer Schute transportieren musste und sein Erfüllungsgehilfe den Untergang der Waren verschuldet hatte, bejahte der Erste Senat des Reichsgerichts das echte Gesamtschuldverhältnis zwischen Schuldner und Erfüllungsgehilfen mit Hinweis auf Enneccerus’ Zwecklehre: Der Transport der Waren, zu dem der Schuldner 46
Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 313 II. Eisele, AcP 77 (1891), 420 f., 458 f.; Oertmann, Vorteilsausgleichung, 277; ders., Schuldverhältnisse AT (1928), vor § 420 Anm. 5 c; Last, Anspruchskonkurrenz, 110 f. 48 Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 313 II 2. 49 Staud/Werner (1930), vor § 420 Anm. 4, § 421 Anm. 2; Warneyer, BGB, § 421, Anm., § 426 Anm. III und V; ebenso noch Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse (1958), § 90 II. 50 Enneccerus, Schuldverhältnisse, §§ 237 II 2, 313 II 3; Warneyer, BGB, § 255 Anm. I, II, IV. Ähnlich Staud/Werner, § 421 Anm. 2. Für ihn sollte § 255 im Falle des Untergangs der Sache aber nur zur Abtretung von Schadensersatzansprüchen aus §§ 989, 990 verpflichten. Für sonstige Schadensersatzansprüche (etwa aus § 823 gegen den Zerstörer) galten die Regeln zur unechten Gesamtschuld, Staud/Werner, § 255 Anm. 1 und 3 a. 51 Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 313 II 1; Staud/Werner, § 421 Anm. 2; Warneyer, BGB, Anm. zu § 421. 52 Neben den im Folgenden genannten Urteilen auch RGZ 79, 288, 290 f. (II, 26.4.1912); RGZ 92, 401, 408 (IV, 18.4.1918). 47
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den Gehilfen herangezogen hatte, bilde einen gemeinsamen Zweck53. Zwei Jahre später verneinte derselbe Senat in RGZ 82, 427 die Zweckgemeinschaft, obwohl der Fall ähnlich war: Auch hier wurden Waren des Gläubigers in einer Schute transportiert und gingen durch Verschulden des Schutenführers unter. Für dieses Verschulden mussten sowohl der Schuldner vertraglich nach § 278 als auch der Schiffseigentümer gesetzlich nach dem BinSchG54 einstehen. Wegen dieser unterschiedlichen Schuldgründe entstehe, so der Senat, keine Zweckgemeinschaft und daher auch kein Gesamtschuldregress55. Der Dritte Senat bejahte wiederum ein Gesamtschuldverhältnis in einem Fall, in dem der Gläubiger im Laden seines Schuldners durch eine einstürzende Treppe zu Schaden gekommen war, wofür sowohl der Schuldner aus Vertrag als auch der Hauseigentümer wegen Verletzung seiner Verkehrssicherungspflicht hafteten. Das Gericht hielt eine Rechtsgemeinschaft zwischen beiden Haftenden für gegeben, weil beide Beziehungen zur mangelhaften Treppe gehabt hätten und daher gemeinschaftlich für den Mangel verantwortlich seien56. Der Zweite Senat nahm eine Zweckgemeinschaft an, wenn eine Genossenschaft durch Pflichtverletzungen sowohl seitens des Vorstands als auch seitens des Aufsichtsrats geschädigt wurde, weil die Schadensersatzverbindlichkeiten sämtlicher Schuldner den gemeinsamen Zweck verfolgten, die Genossenschaft gegen pflichtwidriges Handeln ihrer Organe zu schützen57. Der Sechste Senat schließlich bejahte eine Zweckgemeinschaft der aus Delikt, Gesetz oder Vertrag haftenden Unfallbeteiligten, weil alle Verbindlichkeiten auf demselben materiellen Tatbestand beruhten58. Deutlich erkennbar ist, dass das Kriterium der Zweckgemeinschaft bzw. des inneren Zusammenhangs von der Rechtsprechung in ganz unterschiedlichem Sinne verwendet wurde. Gerade die Unbestimmtheit des Abgrenzungskriteriums machte die Zwecklehre für die Rechtsprechung attraktiv, indem sie es ermöglichte, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Anwendung der §§ 422 ff. gerechtfertigt erschien, und in diesem Fall die Zweckgemeinschaft zu bejahen, ohne Gefahr zu laufen, sich durch eine klarere Formel auch schon für zukünftige Fälle festlegen zu müssen. Für die Wissenschaft aber bestand die Aufgabe, die Rechtsprechung zu rationalisieren und den Begriff der Zweckgemeinschaft klarer zu fassen. Auch die Vertreter der Zwecklehre im engeren Sinne waren der Ansicht, dass echte Gesamtschulden bei den Verbindlichkeiten des Schuldners und des Erfüllungsgehilfen sowie in den Unfall-Konstellationen vorlie53
RGZ 77, 317, 323 f. (25.11.1911). Binnenschifffahrtsgesetz, § 3; vgl. oben, 746 ff. 55 RGZ 82, 427, 430 f. (18.6.1913); zu Recht kritisiert bei Rabel, RheinZ 10 (1919), 111, und Korintenberg, ArchRPfl 1931, 28 f. Es handelt sich offenbar um einen Rückfall in die überkommene Schuldgrundlehre. Der Ausschluss des Regresses kann im Fall nur dadurch erklärt werden, dass derjenige klagte, der im Innenverhältnis allein verpflichtet war (nämlich der Schuldner). 56 RG Recht 1916 Nr. 418 (28.1.1916). 57 RG JW 1938, 516, 518 f. (19.10.1937); RGZ 159, 86, 89 (17.12.1938). 58 RG JW 1913, 859 Nr. 5 (3.5.1913); RGZ 82, 436, 439 (12.7.1913); RG Gruch 59, 354 (JW 1915, 22 Nr. 7, 12.10.1914). 54
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gen sollten, bei denen ein Beteiligter deliktisch, ein anderer strikt gesetzlich und ein Dritter vertraglich haftete59. Was aber war das entscheidende Kriterium, das die Fälle echter und unechter Schadensersatz-Gesamtschulden unterschied? Offenbar kam es weniger auf den Zweck, sondern mehr auf die „Verbundenheit“ der Einzelverbindlichkeiten an. Im Fall des Schuldners und Erfüllungsgehilfen konnte man darauf abstellen, dass sie durch ein Innenverhältnis verbunden waren und dass der vertraglich haftende Schuldner die Sache dem Gehilfen bewusst anvertraut hatte60. Bei der Haftung mehrerer Unfallbeteiligter aber gab es kein Innenverhältnis. Wenn die Zweckgemeinschaft weder ein bewusstes Zusammenwirken noch eine gesetzliche Gesamtschuldanordnung verlangte, warum waren dann die Verbindlichkeiten der Unfallbeteiligten enger verbunden als die des Entleihers und des Zerstörers? Tatsächlich bestand unter den Vertretern der engeren Zwecklehre eine gewisse Unsicherheit, wie Fälle zu beurteilen waren, in denen mehrere „unabhängig voneinander“ einen einheitlichen Schaden verursacht hatten. Enneccerus bezweifelte hier die Zweckgemeinschaft, hielt sie aber schließlich wegen der Gesamtschuldanordnung des § 840 für gegeben61. Werner stellte auf die Existenz eines einheitlichen Entstehungs-Tatbestandes (wohl im tatsächlichen Sinne) ab62. Eine Zweckgemeinschaft schien danach, verkürzt gesagt, ein Innenverhältnis, eine gesetzliche Gesamtschuldanordnung und/oder eine gleichzeitige Mitverursachung zu verlangen. Warum aber kam es gerade darauf an? Offenbar bestand die Vorstellung, dass, wenn mehrere Kausalbeiträge in ihrem gleichzeitigen Zusammenwirken einen Schaden verursacht hatten, das Recht die Einzelbeiträge zu Gesamtschulden hinsichtlich des Gesamtschadens verknüpft. Im Gegensatz dazu wirkte die Ganzhaftung sowohl des Entleihers als auch des Zerstörers als „zufälliges“ Zusammentreffen von Verbindlichkeiten. Doch folgt man dem, gelangt man wieder zur (unrichtigen) Anknüpfung an gesetzliche Gesamtschuldanordnungen63, und es stellt sich die Frage, warum Schuldner durch eine besondere Schuldgemeinschaft verbunden werden müssen, bei denen die Ganzhaftung erst durch das Recht hergestellt wird, nicht aber diejenigen Schuldner, bei denen die Ganzhaftung selbstverständlich ist. Die Wer-
59 Enneccerus, Schuldverhältnisse, §§ 313 II 2, 468 I 3, 469 II; Staud/Werner, § 421 Anm. 2; Warneyer, BGB, § 421, Anm., § 426 Anm. III. 60 Danach hätte auch in RGZ 82, 427 eine Zweckgemeinschaft bejaht werden müssen, weil Schuldner und Schiffseigner durch einen Mietvertrag verbunden waren, der es dem Schuldner als Mieter gerade ermöglichen sollte, den Transport durchzuführen. Warneyer, BGB, Anm. zu § 421, nennt als Beispiel für eine echte Gesamtschuld auch den Fall, dass zwei unabhängige Vertragsschuldner aufgrund eines gemeinsamen Plans ihre jeweiligen Verträge verletzen und dadurch beim (identischen) Gläubiger einen Schaden verursachen. 61 Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 458 Fn. 9. 62 Vgl. Staud/Werner, vor § 420 Anm. 4, § 421 Anm. 2. 63 So Klingmüller, JhJb 64 (1914), 31, der zwar für die echte Gesamtschuld eine Identität des Schuldzwecks verlangt, diese aber offenbar nur im Fall einer gesetzlichen Gesamtschuldanordnung annehmen will (a.a.O., 60, 63).
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
tungsgrundlage dieser Zwecklehre im engeren Sinne blieb insgesamt auch in der Wissenschaft dunkel64. Zugrunde lag ihr offenbar eine diffuse Vorstellung, wonach die Schuldgemeinschaft des § 426 irgendeine Art von Zusammenhang der Schulden verlangen müsse, ohne dass klar wurde, welche Art von Zusammenhang dies sein sollte.
d) Die Zwecklehre im weiten Sinne und die Lehre von der einheitlichen Gesamtschuld Demgegenüber vermied die (hier so genannte) Zwecklehre im weiteren Sinne, zwischen echten und unechten Schadensersatz-Gesamtschulden je nach dem inneren Zusammenhang unterscheiden zu müssen. Siber war der erste Vertreter der Zwecklehre, der die Verbindlichkeiten des Entleihers und Sachzerstörers aus dem Anwendungsbereich des § 255 wieder herausnahm und den echten Gesamtschuldverhältnissen zuordnete65. Für ihn kam es auf die Einheit des rechtlichen Zwecks an, dem der Einzelanspruch und seine Erfüllung innerhalb des Schuldverhältnisses und seines Rechtsgrunds zu dienen hatten. Mehrere Verbindlichkeiten, die auf den Ersatz desselben Schadens gerichtet waren, verfolgten danach stets denselben Zweck, solange der Schadensersatz nicht (etwa durch den Schadensversicherer) als entgeltliche vertragliche Hauptleistung geschuldet wurde66. In ähnlicher Weise stellte Kreß auf die gesetzlichen Zweckbeziehungen innerhalb der Einzelschuldverhältnisse ab. Wenn sämtliche Verbindlichkeiten auf Schadensersatz gerichtet waren und es sich um denselben Schaden handelte, lagen Gesamtschulden i.S.d. §§ 421 ff. vor67. Unechte Gesamtschuldverhältnisse außer64 Dies ist in der späteren Literatur auch immer wieder kritisiert worden, etwa bei Larenz, Schuldrecht AT, § 37 I a.E. (S. 636 f.); Esser, SR AT, § 58 I; Fikentscher/Heinemann, SR, Rz 774; Tschernitschek, NJW 1963, 1133; Frotz, JZ 1964, 665; Raisch, JZ 1965, 704 f.; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 30 ff.; G. Dilcher, JZ 1967, 111 f.; ders., JZ 1973, 200; Lumm, Ausgleich, 209 ff.; Reeb, JuS 1970, 217 f.; Mirow, Unechte Gesamtschulden, 77 ff.; Finger, BB 1974, 1421; Goette, Gesamtschuldbegriff, 36 ff.; E. Wolf, SR AT, 534; Selb, Mehrheiten, 38; M.Wolf/Niedenführ, JA 1985, 370; Steinbach/Lang, WM 1987, 1240; Winter, Teilschuld, 195; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 22 f.; Jürgens, Teilschuld, 62 ff.; Schreiber, Jura 1989, 355; Wernecke, Gesamtschuld, 42 f.; Schims, Forderungsübergang, 122 f., 124; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 11; siehe aber Ehmann, Gesamtschuld, 50 ff. 65 Planck/Siber, § 255 Anm. 1–2. 66 Planck/Siber, § 421 Anm. 1 b; ebenso Mönch, Gesamtschulden (1932), 26 ff. Im Ergebnis ähnlich, aber von einem anderen Ausgangspunkt aus, Lischka, Gesamtschuld (1932), 50 ff. Danach soll das Zusammentreffen von (reinen) Schadensersatzverbindlichkeiten grundsätzlich echte Gesamtschulden begründen (55), mit der Ausnahme der §§ 989 ff. Das echte Gesamtschuldverhältnis verlange eine „Gleichartigkeit“ der Ansprüche, die bei obligatorischen und dinglichen Ansprüchen nicht gegeben sei (52 f.). Leistet im Schulbeispiel der Entleiher wegen Untergangs der Sache an den Verleiher Schadensersatz, soll zwar dessen deliktischer Anspruch gegen den Zerstörer erlöschen, nicht aber derjenige aus §§ 989 f., der als momentan nicht durchsetzbarer Anspruch dem Verleiher verbleibe und an den Entleiher nach § 255 abzutreten sei (64 f.). 67 Kreß, SR AT, 288, 292 Fn. 43, 604, 605, 607 ff.
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halb der §§ 421 ff., die Siber ursprünglich noch aufgeführt hatte, erkannten Kreß und später auch Siber68 nicht mehr an. Damit kamen die Vertreter der weiteren Zwecklehre im Bereich der Schadensersatzverbindlichkeiten zu demselben Ergebnis, zu dem auch diejenigen gelangt waren, welche die Unterscheidung zwischen echten und unechten Gesamtschuldverhältnissen von vornherein abgelehnt hatten. Autoren wie von Tuhr, Schulz, Reichel, Rudolf Schmidt, Heck, Leonhard und Korintenberg verwiesen darauf, dass das BGB nur eine Art von Gesamtschulden kannte. Zu diesen sollten auch die sogenannten unechten Gesamtschulden gehören69. Die Anwendung der Gesamtschuldregeln des BGB verlangte danach nichts weiter als die Erfüllung des Tatbestandes des § 421 bzw. eine wechselseitige Solutionskonkurrenz70. Der Übergang zur Zwecklehre im weiteren Sinne ist hier fließend; man konnte auch die Zweckgemeinschaft aus der wechselseitigen Solutionskonkurrenz folgern und daher eine solche Zweckgemeinschaft immer dann annehmen, wenn der Tatbestand des § 421 gegeben war71. Ob der Verweis auf die wechselseitige Solutionskonkurrenz oder den Tatbestand des § 421 die Frage nach dem Anwendungsbereich der BGB-Gesamtschuld befriedigend löst, kann freilich bezweifelt werden, denn es stellt sich dann einen Schritt vorher die Frage, wann eine solche Solutionskonkurrenz vorliegt bzw. der Tatbestand des § 421 erfüllt ist72. Im Bereich der Schadensersatzverbindlichkeiten, auf die es im vorliegenden Zusammenhang allein ankommen soll, war man sich jedenfalls darüber einig, dass stets Solutionskonkurrenz und damit ein Gesamtschuldverhältnis vorliegen soll, wenn mehrere den Ersatz desselben Schadens schulden. Die Fälle des Zusammentreffens mehrerer Schadensersatzverbindlichkeiten waren danach nie von § 255 erfasst, sondern fielen stets unter die §§ 421 ff.73 Diese Vorschriften, insbe-
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Siber, Grundriß II (1931), 160 f.; ebenso Mönch, Gesamtschulden, 31 ff., 48 ff., 59 ff. von Tuhr, KritVj 47 (1907), 84 ff. (s.a. ders., DJZ 1914, 337); Schulz, Rückgriff (1907), passim; Reichel, Schuldmitübernahme (1909), 49 ff.; R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 1; Heck, Schuldrecht (1929), §§ 76, 79; Leonhard, Schuldrecht AT (1929), §§ 366–368 (S. 732 ff.); Korintenberg, ArchRPfl 1931, 1; Zilz, Unechte Gesamtschuld (1933), 21 ff.; Kaßler, Gesamtschuld (1933), 55 ff.; Hagedorn, Verhältnis (1938), passim. Vgl. auch Rabel, RheinZ 10 (1919), 92, 106, 108 f., 112, der zwar von der Unterscheidung zwischen echten und unechten Gesamtschulden ausgeht, dann aber die Nichtanwendbarkeit der §§ 421 ff. auf unechte Gesamtschulden bezweifelt und für eine zumindest analoge Anwendung des § 426 plädiert. 70 Vgl. R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 103; Heck, Schuldrecht, § 76 Nr. 3, § 79 Nr. 1; Leonhard, SR AT, 733; Korintenberg, ArchRPfl 1931, 15 f.; Zilz, Unechte Gesamtschuld, 24 f. 71 Vgl. Reichel, Schuldmitübernahme, 33; R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 51; Heck, Schuldrecht, § 79 Nr. 4; Leonhard, SR AT, 735 f.; und insbesondere Korintenberg, ArchRPfl 1931, 8 f., 15 f., 19 ff. 72 Insoweit berechtigte Kritik bei Mirow, Unechte Gesamtschulden, 57 f. 73 von Tuhr, KritVj 47 (1907), 84 ff.; R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 17 ff.; Heck, Schuldrecht, § 17 Nr. 1, § 76 Nr. 3 a; Leonhard, SR AT, § 93, S. 212, § 368, S. 739; ders., SR BT, § 346, S. 623 f.; unrichtig insoweit die Darstellung bei Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 54, 65 f. Auf den ersten Blick konträr, aber der Sache nach nicht unähnlich war die Position von Schulz, wonach der Schulfall des vertraglich haftenden Entleihers und des deliktisch haftenden Dritten zwar mit § 255 gelöst werden konnte, diese Vorschrift aber keine andere Struktur aufweisen sollte 69
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sondere §§ 423, 424 und 426, erschienen nun nach näherer Prüfung als geeignet, auch Fälle zufälliger Schuldnermehrheiten zu regeln74. Insgesamt lassen sich in der Literatur nach 1900 drei Strömungen ausmachen. Nach Inkrafttreten des BGB reagierte ein Großteil der Lehre auf die ungewohnten Vorschriften der §§ 421 ff., insbesondere auf die bislang nicht bekannte Schuldgemeinschaft, die in § 426 zum Ausdruck kommen sollte, mit einer restriktiven Auslegung, indem er neben die in §§ 421 ff. geregelte echte Gesamtschuld eine unechte stellte, die in der Regel ebenso wie die echte durch eine wechselseitige Solutionskonkurrenz ausgezeichnet war, auf die aber insbesondere § 424 und § 426 keine Anwendung finden sollten. Das ursprünglich aufgestellte Erfordernis der Gleichgründigkeit fasste den Gesamtschuldtatbestand besonders eng. Dagegen bot das Kriterium der Zweckgemeinschaft das Potential zu einer substantiellen Erweiterung, so dass die Lehre vom gemeinsamen Zweck der Gesamtschuldverbindlichkeiten den Kreis der von §§ 421 ff. erfassten Schuldnermehrheiten nach und nach immer weiter zog. Eine dritte Strömung, die im Laufe der Zeit zunehmend Anhänger gewann, leitete das Gesamtschuldverhältnis unter Verzicht auf weitere besondere Erfordernisse allein aus dem Tatbestand des § 421 ab. Im Bereich der hier interessierenden Schadensersatzschulden führte dies dazu, dass die These, wonach mehrere Verbindlichkeiten auf den Ersatz desselben Schadens stets Gesamtschulden i.S.d. §§ 421 ff. sind und nicht unter § 255 fallen, um 1930 wohl herrschende Lehre war. Nach 1945 begann die wissenschaftliche Diskussion demgegenüber wieder mit einer restriktiven Auslegung des Gesamtschuldbegriffs. In der heutigen Lehre finden sich die drei dargestellten Strömungen in veränderter Form wieder.
2. Die Lehre nach 1945 a) Der engere Gesamtschuldbegriff: Abgrenzung zu gestuften Verbindlichkeiten mit nur einseitiger Solutionskonkurrenz Die Lehre von der unechten Gesamtschuld hatte angenommen, dass es neben den gesetzlich geregelten Gesamtschuldverhältnissen weitere Fälle der paritätischen als 74§ 426: In allen Fällen bestand eine wechselseitige Solutionskonkurrenz, und der Regress wurde als eigener bereicherungsrechtlicher Anspruch konstruiert, der inhaltlich dem untergegangenen Gläubigeranspruch glich. § 255 war, so gesehen, gegenüber § 426 nur ein besonderer Maßstab für die Bestimmung der internen Anteile, nicht etwa eine Vorschrift zur Regelung unechter Gesamtschulden. Vgl. Schulz, Rückgriff (1907), insbes. 29, 34 ff., 36, 55, 77. Zur Konstruktion des Gesamtschuldregresses durch Schulz Näheres oben, 425 f. 74 So insbesondere Reichel, Schuldmitübernahme, 51 ff.; R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 54 ff.; Leonhard, SR AT, § 367, S. 736 ff.; Korintenberg, ArchRPfl 1931, 29 ff.; Zilz, Unechte Gesamtschuld, 31 ff. Reichel lehnte zwar eine Unterscheidung der Gesamtschuldverhältnisse nach Gleichartigkeit oder Ungleichartigkeit der Entstehungsgründe nicht von vornherein ab, doch dieser Unterschied sollte nur bei der Anwendung der §§ 421 ff. eine Rolle spielen, etwa bei der Frage, ob im Sinne des § 425 oder § 426 etwas anderes bestimmt war, Schuldmitübernahme, 58 f.; ähnlich Heck, Schuldrecht, § 79 Nr. 5.
2. Die Lehre nach 1945
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Schuldnermehrheiten mit wechselseitiger Solutionskonkurrenz gab75. Die Leistung durch einen Schuldner sollte hier die Verbindlichkeit des anderen durch Zweckerreichung zum Erlöschen bringen. Dieser Gedanke wurde nach 1945 nur noch von Esser und Frotz verfolgt76. Bei Gesamtschulden i.S.d. §§ 421 ff., die insbesondere im Fall einer gesetzlichen Gesamtschuldanordnung entstanden, sollte aus § 422 folgen, dass die Leistung eines Schuldners zugleich die Verbindlichkeiten seiner Mitschuldner erfüllte. Daneben gab es aber Schuldnermehrheiten, bei denen die Leistung eines Schuldners die Verbindlichkeiten seiner Mitschuldner lediglich ihrer Anspruchsvoraussetzungen beraubte und sie damit zufällig mittilgte. Ein Beispiel bildete der Schulfall, in dem ein Dritter die beim Entleiher befindliche Sache zerstörte. Leistete hier der Entleiher im Rahmen seiner vertraglichen Schadensersatzpflicht an den Eigentümer, beseitigte er dessen Schaden und befreite damit zugleich den Deliktsschuldner. Solche Fälle der bloßen „Tilgungsgemeinschaft“, im Gegensatz zur „Erfüllungsgemeinschaft“ des § 422, sollten allerdings keine unechten, sondern gar keine Gesamtschulden sein. Gemeint war damit, dass auch eine analoge Anwendung einzelner Gesamtschuldvorschriften von vornherein ausgeschlossen war. Der Regress sollte mittels eines Bereicherungsanspruchs in Gestalt einer Rückgriffskondiktion stattfinden77. Eine wesentliche Neuerung stellte demgegenüber die von Larenz78 und Selb79 begründete Gleichstufigkeits-Lehre dar: Gesamtschulden waren danach durch wechselseitige Solutionskonkurrenz80 ausgezeichnet und standen den sog. abgestuften Pflichten gegenüber, bei denen nur einseitige Solutionskonkurrenz bestand. Ausgangspunkt für Selb war der sogenannte Wandel des Schadensbegriffs im 20. Jahrhundert81. Bei gestuften Verbindlichkeiten, wozu auch der Schulfall des Entleihers gehört, der für eine von einem Dritten zerstörte Sache haften muss, könne der primär Verantwortliche sich gegenüber dem Gläubiger nicht auf die Leistung des sekundär Verantwortlichen berufen. Verlange der Gläubiger also Schadensersatz vom Deliktstäter, könne dieser nicht einwenden, dass der Schaden des Gläubigers durch Leistung des Entleihers schon entfallen sei: Die 75 Dies gilt allerdings nur mit Einschränkungen. Soweit die Lehre von der unechten Gesamtschuld den Regress in manchen Fallgruppen auf § 255 stützte, gelangte sie zunehmend zur Ansicht, dass hier eine gegenseitige Solutionskonkurrenz nicht vorliegen könne, weil sonst keine abtretbare Forderung mehr vorhanden sei. Folglich nahm man an, dass die Frage der Solutionskonkurrenz bei unechten Gesamtschulden nicht einheitlich beantwortet werden könne, Näheres unten, 856 ff. 76 Esser, Schuldrecht (2.Aufl. 1960), §§ 97 Nr. 4, § 98 Nr. 4; ders., SR AT, §§ 58 I-II, 59 IV; Frotz, JZ 1964, 667 ff.; ders., VersR 1965, 212; ders., NJW 1965, 1257. 77 Frotz, JZ 1964, 670; ders., VersR 1965, 214, 217; Esser, SR AT, § 59 IV 4 (S. 447). 78 Larenz, Schuldrecht AT, § 33 III (1958/64) bzw. §§ 32 I, 37 I (1982/87). 79 Selb, Schadensbegriff (1963), 16 ff.; ders., Mehrheiten, 32 ff., 137 ff. 80 Selb sprach hier von „Erfüllungsgemeinschaft“. Anders als Frotz und Esser verstand er darunter aber nicht eine besondere Unterart der wechselseitigen Solutionskonkurrenz. Vielmehr waren für ihn Erfüllungsgemeinschaft und wechselseitige Solutionskonkurrenz identisch, weil es außerhalb der Gesamtschulden keine „Tilgungsgemeinschaft“ geben sollte, sondern nur Fälle der fehlenden oder einseitigen Solutionskonkurrenz; Selb, Schadensbegriff, 14 (Fn. 11), 17; ders., Mehrheiten, 35; vgl. oben, 256 f. 81 Zum Hintergrund und zur Kritik Mertens, Vermögensschaden, 50 ff., 80 ff.
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
Anrechnung dieser Leistung wäre eine Form des Vorteilsausgleichs, die das Recht dem Deliktstäter versage. Daher bleibe die Schuld des Deliktstäters auch nach der Leistung des Entleihers bestehen. Von Gesamtschulden könne daher keine Rede sein. Statt gegenseitiger bestehe nur einseitige Solutionskonkurrenz: Die Leistung des Deliktstäters befreie den Entleiher, nicht aber die Leistung des Entleihers den Deliktstäter. Ein Regress des Entleihers mittels Bereicherungsoder Geschäftsführungsanspruch scheide mangels Befreiung des Deliktstäters aus. Zentrale Regressnorm für Fälle der nur einseitigen Solutionskonkurrenz war für Larenz und Selb § 255: Weil der Anspruch gegen den primär Verpflichteten trotz der Leistung des sekundär Verpflichteten weiterbestehe, könne er vom Gläubiger zu Regresszwecken abgetreten werden. Außerhalb des Gesamtschuldverhältnisses gab es danach also keine wechselseitige Solutionskonkurrenz mehr. Die Gesamtschuld war abzugrenzen von den gestuften Pflichten mit nur einseitiger Solutionskonkurrenz sowie Zessionsregress und von den Kumulationsfällen ohne jede Solutionskonkurrenz. Für die Frage nach den Voraussetzungen eines Gesamtschuldverhältnisses griffen Larenz und Selb auf zwei Abgrenzungskriterien zurück, die auch Esser und Frotz verwendeten. Zunächst sollten Gesamtschulden durch Parteiwillen oder gesetzliche Anordnung entstehen können. Bei Schadensersatzschulden sollte es daher darauf ankommen, ob eine gesetzliche Gesamtschuldanordnung bestand oder ob eine Analogie zu einer solchen Gesamtschuldanordnung möglich war82. Soweit das Gesetz schwieg, sollte es auf das Kriterium der „Gleichstufigkeit“ ankommen83. Standen die Verbindlichkeiten derart auf verschiedenen Stufen, dass einer der primär Verpflichtete war, der die Last endgültig tragen sollte, während der andere als sekundär Verpflichteter lediglich zur Sicherung des Gläubigers eine Vorschussleistung erbringen musste, dann sollte nicht eine Gesamtschuld, sondern ein Fall gestufter Verbindlichkeiten vorliegen. Diese Lehre von der Abgrenzung des tatbestandlich eng verstandenen Gesamtschuldverhältnisses von den Fällen der nur einseitigen Solutionskonkurrenz fand in der Literatur zahlreiche Anhänger und ist noch heute zumindest in der Lehrbuchliteratur herrschend84. Auch wenn die Begründungen der einzelnen 82
So insbesondere Selb, Schadensbegriff, 12, 17; ders., Mehrheiten, 56; ferner Esser, SR AT, § 58 I (S. 433). Die gesetzliche Gesamtschuldanordnung war das zentrale Kriterium bei Frotz, JZ 1964, 667 f.; ders., VersR 1965, 212 f., 215 f.; ders., NJW 1965, 1259 f. 83 Larenz, Schuldrecht AT, § 33 III a.E. (1958/64) bzw. S. 559, 566, 634 ff. (1987); ders., Schuldrecht BT (1981), 671 f.; Selb, Schadensbegriff, 18 f.; ders., Mehrheiten, 40. Dieses Kriterium war in Gestalt der „Gleichrangigkeit“ auch von Esser vorgeschlagen worden, Schuldrecht (2. Aufl. 1960), § 97/4, SR AT (4. Aufl. 1970), § 58 II (S. 435). Von „Gleichstufigkeit“ hatte Larenz schon in Vertrag und Unrecht (1936), 201, gesprochen, hier zur Unterscheidung von echten und (der Sache nach) unechten Gesamtschulden, bei denen §§ 422 ff. nur eingeschränkt anwendbar sein sollten. 84 A. Blomeyer, SR AT, § 49 IV; Raisch, JZ 1965, 703; Grasnick, Unechte Gesamtschuld (1965), 165 ff.; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld (1966), passim; G. Dilcher, JZ 1967, 110; ders., JZ 1973, 199; Thiele, JuS 1968, 149; Kühne, JZ 1969, 565; Börnsen, Strukturen (1969), 102 ff., 183 ff.; Reeb, JuS 1970, 218; Mirow, Unechte Gesamtschulden (1970), passim; Hüffer, AcP 171 (1971), 475 ff.; Martens, BB 1971, 768 f.; Goette, Gesamtschuldbegriff (1974), 68 ff.; Finger, BB 1974, 1421;
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Ansichten teilweise weit auseinandergehen85, ist man sich doch über zentrale Punkte im Ergebnis weitgehend einig: Eine wechselseitige Solutionskonkurrenz im Sinne einer Tilgungsgemeinschaft gibt es nur im Gesamtschuldverhältnis. Insbesondere in den Fällen der Konkurrenz einer Schadensersatzverbindlichkeit mit einer „Versorgungsverbindlichkeit“ in Gestalt eines Privatversicherungs-, Sozialversicherungs-, Versorgungs-, Lohnfortzahlungs- oder Unterhaltsanspruchs liegt demgegenüber nur einseitige Solutionskonkurrenz vor: Der Schadensersatzleistende bringt zugleich die Verbindlichkeit des Versorgers zum Erlöschen, während die Leistung des Versorgers den Schadensersatzanspruch nicht berührt, der dann zu Regresszwecken auf den Versorger umgeleitet werden kann. Die zahlreichen gesetzlich angeordneten Legalzessionen sollen gerade diese einseitige Solutionskonkurrenz zum Ausdruck bringen. Auch soweit keine Legalzession angeordnet ist (etwa bei der Konkurrenz von Schadensersatz und Unterhalt oder im berühmten Fuldaer Dombrandfall), findet ein Zessionsregress statt, etwa mit Hilfe einer analogen Anwendung des § 25586. 85 Kaiser, BauR 1984, 32; Winter, Teilschuld (1985), 178 ff., 200; Steinbach/Lang, WM 1987, 1237; Preißer, JuS 1987, 210, 798 ff., 963 f.; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld (1988), 20 ff.; Jürgens, Teilschuld (1988), passim; Schreiber, Jura 1989, 355; Becker-Eberhard, Sicherungsrechte, 238; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften (1997), 45 ff., 51 f., 64, 73; Wendehorst, Jura 2004, 512; Schims, Forderungsübergang (2006), 127 ff., 130 ff.; von Koppenfels-Spies, Cessio legis (2006), 27, 48 f., 78, 94 f., 122, 373, 440; Zerres, Jura 2008, 728 f.; Fikentscher/Heinemann, SR, Rz 774; Medicus, Schuldrecht AT, Rz 798; Brox/Walker, SR AT, Rz 37/10; RGRK/Weber (1978), § 421 Rz 1, 6 ff.; Staud/Kaduk (1994), vor § 420 Rz 33, 92–94, § 421 Rz 3, 21, 28 ff., 48 ff. (mit etwas missverständlicher Terminologie); MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 14, 17, 60 ff.; MüKo/Oetker, § 255 Rz 2–5; Jauernig/Stürner, § 421 Rz 1 ff.; Palandt/Grüneberg, § 421 Rz 7 ff.; BamR/Gehrlein, § 421 Rz 8, 14 ff.; wohl auch Esser/Schmidt, SR AT 2, § 39 I i.V.m. § 33 V 2; ähnlich Mirow, Unechte Gesamtschulden, passim. 85 Uneins ist man sich etwa über die Rolle des § 421. Wer in dieser Vorschrift lediglich die Aussage erblickt, dass der Gläubiger die von mehreren geschuldete Leistung im Endergebnis nur einmal erhalten kann, muss § 421 entweder als Folge eines schon aus anderen Gründen bestehenden Gesamtschuldverhältnisses ansehen (so Esser, SR AT, § 58 I, S. 434; Mirow, Unechte Gesamtschulden, 18, 59; Goette, Gesamtschuldbegriff, 68 ff., 77; Schims, Forderungsübergang, 131) oder die Vorschrift als zu weit geraten ansehen und folglich einschränken (so Larenz, SR AT, 634; Frotz, NJW 1965, 1259; Grasnick, Unechte Gesamtschuld, 170; Börnsen, Strukturen, 102; Kaiser, BauR 1984, 34; Steinbach/Lang, WM 1987, 1239 f.; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 20 f.; Medicus, SR AT, Rz 798; Fikentscher/Heinemann, SR, Rz 774; Brox/Walker, SR AT, Rz 37/7; RGRK/Weber, § 421 Rz 1; Staud/Kaduk, § 421 Rz 3). Wer in § 421 mit Hilfe des § 422 die wechselseitige Tilgungswirkung hineinliest, kann § 421 als Tatbestand der Gesamtschuld auffassen und die Abgrenzung danach vornehmen, ob eine solche wechselseitige Tilgungswirkung besteht; so etwa Jürgens, Teilschuld, 67, 93 ff. 86 Vgl. Selb, Mehrheiten, 145; Staud/Selb (1995), § 255 Rz 43; Goette, Gesamtschuldbegriff, 169; Winter, Teilschuld, 189 f.; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 17, 63; Palandt/Grüneberg, § 421 Rz 9; BamR/Gehrlein, § 421 Rz 17 f.; für eine Zessionspflicht aus § 242 Larenz, SR AT, 536, 560, 561 f., 566 f., 634 f.; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 26; für einen Regress mittels Legalzession Thiele, JuS 1968, 154 f.; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 79, 108 ff., 124 ff., 374 ff.; Schims, Forderungsübergang, 153 ff.; MüKo/Oetker, § 255 Rz 20. Anders Jürgens, Teilschuld, 202 ff., und Fikentscher/Heinemann, SR, Rz 778, die § 426 analog anwenden wollen. Dann fragt es sich aber, welchem Zweck die ganze Abgrenzung dienen sollte. Zumindest bei Fikentscher/Heinemann geht es offenbar lediglich um die Ausschaltung des miss-
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Unterschiede zwischen den verschiedenen Ansichten finden sich vor allem in der Bestimmung der Tatbestandsmerkmale der Gesamtschuld, also bei den Abgrenzungskriterien, die teilweise einzeln, teilweise kumuliert herangezogen werden. Ein Teil der Autoren versucht, mittels materieller Kriterien die Gleich- oder Ungleichstufigkeit der Verbindlichkeiten zu ermitteln. Knüpfen die Verbindlichkeiten etwa an einen Schaden des Gläubigers an, bildet man ein Rangverhältnis unter den Schuldnern: Einer hat den Schaden unmittelbar, der andere nur mittelbar verursacht; einer ist am Schaden „näher dran“ als der andere; einer ist der „eigentliche“ Schuldner, während der andere lediglich eine Vorschussleistung erbringt bzw. das Liquidationsrisiko hinsichtlich der Forderung gegen den ersten trägt87. Manche nehmen eine Gesamtschuld immer dann an, wenn beide den Schaden (unmittelbar oder mittelbar) verursacht haben, nicht aber dann, wenn nur einer ihn verursacht hat88. Ein anderer Teil stellt dagegen allein auf die Tilgungswirkung und damit auf die Frage der Vorteilsausgleichung ab: Zu ermitteln ist danach, ob die Leistung des ferner Stehenden auf die Schadensersatzpflicht des näher Stehenden angerechnet wird oder ob sie ihm nicht zugutekommen darf; in letzterem Fall liegt mangels Tilgungsgemeinschaft nur einseitige Solutionskonkurrenz vor89. Einige Autoren verzichten auf die Suche nach einem einheitlichen Gesamtschuldkriterium und bilden pragmatisch Fallgruppen von Schuldnermehrheiten, die sie einer der drei im Gesetz zu findenden Formen zuordnen, nämlich Gesamtschuld, Legalzession und erzwingbarer Zessionsregress nach § 25590. Eine Sondergruppe innerhalb dieser Strömung bilden schließlich Goette 87 verstandenen § 424, dazu unten, 898 ff. Im Ergebnis ähnlich wie Fikentscher Lumm, Ausgleich, 225 ff. Wieder anders Mirow, Unechte Gesamtschulden, 124 ff., 145 ff., 155 ff., der den Regress mit Hilfe der Regeln zur Drittschadensliquidation erreichen will: Die Leistung etwa des Unterhaltspflichtigen an den Gläubiger führe zu einer Schadensverlagerung, weil der Schaden des Gläubigers beseitigt und zugleich dem Unterhaltspflichtigen ein Schaden entstanden sei. Der Schadensersatzanspruch des Gläubigers werde deshalb auf den Unterhaltspflichtigen übergeleitet; der Schädiger könne sich dagegen auf § 407 analog berufen (163 f.). Wenn aber diese, von den gewöhnlichen Regeln der Drittschadensliquidation abweichende, Konstruktion sich im Ergebnis nicht von einem Zessionsregress unterscheidet, wäre eine Analogie zu den Legalzessionsanordnungen sinnvoller. 87 Vgl. Selb, Schadensbegriff, 24; ders., Mehrheiten, 41, 137 f., 144 f., 150; Larenz, SR AT, § 32 I (S. 560), § 37 I (S. 634 ff.); Esser, Schuldrecht (2. Aufl. 1960), § 98 Nr. 4; Esser/Schmidt, SR AT 2, § 33 V 2; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 31, 36; Thiele, JuS 1968, 154 f.; Schreiber, Jura 1989, 355; Staud/Kaduk, vor § 420 Rz 33, § 421 Rz 28; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 17, 63; BamR/Gehrlein, § 421 Rz 8; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 6; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 67 ff., 76 f., 79. Bei Raisch, JZ 1965, 705, 707, scheint die Gleichstufigkeit davon abzuhängen, ob die Schuldner Kenntnis voneinander haben. 88 G. Dilcher, JZ 1967, 114; ders., JZ 1973, 200 ff.; A. Blomeyer, SR AT, § 49 IV 3; Mirow, Unechte Gesamtschulden, 104 ff.; Schims, Forderungsübergang, 136 ff.; BamR/Gehrlein, § 421 Rz 10. 89 So insbesondere Jürgens, Teilschuld, 60 f., 68, 70 f., 115 ff.; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 88 ff., 94 f., 97 f., 108 ff., 122, 371 ff.; ferner Grasnick, Unechte Gesamtschuld, 166 f., 170 ff.; wohl auch Fikentscher/Heinemann, SR, Rz 778; s.a. Goette, Gesamtschuldbegriff, 167 ff. 90 Raisch, JZ 1965, 703; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 114 ff.; G. Dilcher, JZ 1967, 113 ff.; Thiele, JuS 1968, 149; Kühne, JZ 1969, 565; Martens, BB 1971, 769; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 51 f., 73.
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und Winter, die unter Ablehnung des Stufenkriteriums auf den vermeintlichen Willen des historischen Gesetzgebers abstellen, wonach Gesamtschulden allein durch Parteivereinbarung oder durch besondere gesetzliche Gesamtschuldanordnung entstehen können91. Die Bestimmung des Gesamtschuldtatbestands hängt für sie daher von der Frage ab, inwieweit es zulässig ist, Analogien zu gesetzlichen Vorschriften wie § 840 zu bilden92. Im Vergleich zur früheren Lehre von den unechten Gesamtschulden weist die dargestellte Lehre einen grundsätzlichen konstruktiven Unterschied auf, indem sie „unechte Gesamtschulden“ in Gestalt von Schuldnermehrheiten mit wechselseitiger Solutionskonkurrenz außerhalb des Gesamtschuldverhältnisses nicht mehr anerkennt. Bei der Bestimmung des Gesamtschuldtatbestands aber gibt es bemerkenswerte Parallelen. Nicht alle Fälle, in denen der Gläubiger eine von mehreren geschuldete Leistung im Endergebnis nur einmal erhalten soll, werden den §§ 421 ff. unterstellt. Die Alternative lautet statt unechter Gesamtschuld nun einseitige Solutionskonkurrenz, führt aber hier wie dort zu einer Regressregelung, die sich von § 426 unterscheidet. Die Vorschriften der §§ 422 ff. werden für bestimmte Fälle der Schuldnermehrheit als unpassend empfunden. Für die hier interessierende Konkurrenz von Verbindlichkeiten auf Ersatz desselben Schadens kommt es bei dieser Lehre darauf an, ob auch außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle, insbesondere § 840, Gesamtschulden angenommen werden können, etwa durch eine Analogie zu § 840 oder durch die Annahme einer grundsätzlichen Gleichstufigkeit aller Schadensersatzverbindlichkeiten, oder ob es auch Fälle gibt, in denen mehrere Schadensersatzverbindlichkeiten keine Gesamtschuld bilden. Dies hängt insbesondere davon ab, wie die genannten Autoren die Vorschrift des § 255 als konkurrierende Regressregelung auslegen. Im Ergebnis ist die Mehrheit der Autoren der Ansicht, dass bestimmte Fälle der Konkurrenz von Schadensersatzverbindlichkeiten keine Gesamtschuld bilden,
91 Ohne Wert ist die Gruppenbildung bei Börnsen, Strukturen, 30, 95 ff. Verbindlichkeiten auf Ersatz desselben Schadens können hier aus verschiedenen Gründen zu Gesamtschulden werden: weil der zweite Schuldner das Vermögen des ersten gefährdet (Schuldner und Erfüllungsgehilfe, S. 130: Sicherungsgesamtschuld wie bei §§ 1108, 2058, 419), weil die Schuldner eine Gruppe bilden (Mittäter, Leistungsstörungen bei gemeinsamen Verträgen, S. 145, 162: Gruppen-Gesamtschuld wie die Leistungspflicht gemeinschaftlicher Vertragsschuldner) und schließlich weil die Schuldner eine unteilbare Handlung erbringen müssen (hierzu sollen grundsätzlich alle Schadensersatzverbindlichkeiten zählen, weil in erster Linie Naturalrestitution geschuldet wird, S. 159 ff.: Handlungs-Gesamtschuld wie im Fall des § 431). Die Unteilbarkeit einer von mehreren geschuldeten Leistung führt aber als solche nicht zu Gesamtschulden, oben, 106 ff. Insgesamt bleiben die Kriterien der Gruppenbildung unklar, weil nicht genau gesagt wird, wovon das Gesamtschuldverhältnis jeweils abgegrenzt werden soll. Bezeichnenderweise hält Börnsen die Rechtsfolgen des Gesamtschuldverhältnisses zur Bestimmung seines Anwendungsbereichs für bedeutungslos (76). 91 Goette, Gesamtschuldbegriff, 72 ff.; Winter, Teilschuld, 178 ff., 191; vgl. Lumm, Ausgleich, 230 ff.; Schims, Forderungsübergang, 130 ff. 92 So auch MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 17.
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sondern dem Zessionsregress nach oder analog § 255 unterfallen93. Eine Minderheit unterstellt dagegen sämtliche Fälle konkurrierender Schadensersatzverbindlichkeiten den Gesamtschuldregeln94.
b) Die moderne Zwecklehre Die Gesamtschuldlehre Ehmanns95 knüpft an die von Siber und vor allem von Kreß entwickelte Zwecklehre im weiteren Sinne an. Ausgangspunkt ist, dass den Gesamtschuldregeln kein einheitliches Prinzip zugrunde liegt und die Vorschrift des § 421 keine Auskunft darüber gibt, in welchen Fällen ein Gesamtschuldverhältnis vorliegen soll. Zur näheren Bestimmung nimmt Ehmann die von Kreß begründete, das gesamte Schuldrecht durchdringende, Zwecklehre zur Hilfe. Danach verfolgt jede Verfügung und jede Verpflichtung einen bestimmten rechtlichen Zweck, in der Regel einen Austausch-, Liberalitäts-, Erfüllungs-, Sicherungs- oder Schutzzweck, dessen Bestimmung nicht nur bei der Leistungskondiktion, sondern auch in der Erfüllungslehre, bei der Frage des Eigentumsübergangs und auch bei der Erfassung der Gesamtschuldverhältnisse eine Rolle spielt. Danach gibt es abschließend drei Gruppen von Gesamtschulden, in denen jeweils ein anderer Zweck die Ganzhaftung jedes Schuldners, den Ausschluss der Kumulation sowie den Umfang des Regresses erklärt. Bei gleichgründigen Gesamtschulden in der Form der gemeinsamen rechtsgeschäftlichen Verpflichtung verfolgen die Parteien einen identischen Zweck. Sicherungsgesamtschulden bestehen zwischen der Hauptschuld und den Verbindlichkeiten sämtlicher Sicherer, die den gemeinsamen Zweck der Sicherung der Hauptschuld verfolgen. Im vorliegenden Zusammenhang interessant ist die dritte Gruppe der SchutzzweckGesamtschulden, zu denen auch die Verbindlichkeiten mehrerer zum Ersatz desselben Schadens gehören96. Entscheidend ist für Ehmann hier, dass sämtliche Verpflichtungen einen gemeinsamen Schutzzweck aufweisen, der sich auf die Erhaltung oder Wiedergutmachung desselben Rechtsguts aufgrund desselben tat-
93 Selb, Schadensbegriff, 22 ff.; ders., Mehrheiten, 147 ff.; Larenz, SR AT, § 33 III (1958) bzw. §§ 32 I, 37 I (1987); Raisch, JZ 1965, 707; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 69 f. (anders aber S. 125); G. Dilcher, JZ 1967, 115 (anders aber in JZ 1973, 201); Thiele, JuS 1968, 153 f.; Reinicke/ Tiedtke, Gesamtschuld, 30 ff.; Wendehorst, Jura 2004, 510; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 147 f.; Staud/Kaduk, § 421 Rz 49; Jauernig/Stürner, § 421 Rz 7; MüKo/Oetker, § 255 Rz 2, 10, 15. Nach P. Bydlinski sollen konkurrierende Schadensersatzansprüche grundsätzlich ein Gesamtschuldverhältnis bilden, nicht aber dann, wenn einer der Schuldner sich zugleich bereichert hat, MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 53, 66. 94 Kühne, JZ 1969, 565; wohl auch Mirow, Unechte Gesamtschulden, 104 ff.; ferner Goette, Gesamtschuldbegriff, 85 ff., 158 f., 163; Jürgens, Teilschuld, 170 ff.; Fikentscher/Heinemann, SR, Rz 708 (unklar Rz 778); Schims, Forderungsübergang, 134 ff., 148 f. 95 Ehmann, Gesamtschuld (1972), insbes. 30, 56 f., 116, 125 ff., 130; Erman/Ehmann, vor § 420 Rz 12 ff., § 421 Rz 3 ff., 62. Dieser Lehre folgen Münchbach, Regreßkonstruktionen (1976), 13, 71 ff.; und Weitnauer, Personenmehrheit (1978), 382 ff. 96 Ehmann, Gesamtschuld, 127, 168 ff., 214 ff.; Erman/Ehmann, § 421 Rz 5 ff.
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sächlichen Verletzungstatbestandes richtet. Der Schutzzweck erklärt, warum der Gläubiger sich nicht mit Teilschulden zufriedengeben muss, zugleich aber auch nicht mehr als die einmalige Leistung erhält. Weil es auf den Schutzzweck und nicht auf die technische Rechtsfolge „Schadensersatz“ ankommt, können auch Ansprüche auf Nachbesserung oder Wandelung, Ansprüche aus § 816 I sowie Versicherungs-, Versorgungs- Unterhalts- und Lohnfortzahlungansprüche (bei denen dem Schutzzweck in der Regel noch ein weiterer Zweck angestaffelt ist) ohne weiteres in die Schutzzweck-Gesamtschuld einbezogen werden97.
c) Der weite Gesamtschuldbegriff in Anlehnung an § 421 Auch die Lehre vom weiten Gesamtschuldtatbestand wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder aufgegriffen. Nach dieser Ansicht, die in jüngerer Zeit zunehmend Anhänger gewinnt, bilden die §§ 421 ff. die zentrale Regelung für alle Schuldnermehrheiten, bei denen der Gläubiger eine von mehreren geschuldete Leistung nur einmal erhalten soll98. Hierfür beruft man sich teilweise auf die Absicht des historischen Gesetzgebers, die gemeinrechtlichen Korrealund Solidarobligationen einer gemeinsamen Regelung zu unterwerfen99. Eine Gesamtschuld liegt danach stets dann vor, wenn der Tatbestand des § 421 erfüllt ist. Dies soll insbesondere auch dann der Fall sein, wenn das Gesetz eine Legalzession vorsieht, weil auch hier durch den Forderungsübergang gewährleistet wird, dass der Gläubiger die Leistung nur einmal erhält. Die Abgrenzungskriterien, welche die Lehre vom engeren Gesamtschuldtatbestand zur Unterscheidung zwischen Gesamtschuld und gestuften Verbindlichkeiten entwickelt hat, werden als unbefriedigend verworfen. Das Gesamtschuldverhältnis ist lediglich abzugrenzen von den Kumulations- bzw. Teilschuldfällen, in denen der Gläubiger die von den einzelnen Schuldnern geschuldeten Leistungen kumuliert erhält, sowie von den Fällen des Abtretungsregresses wie nach § 255: Da hier der Gläu97
Ehmann, Gesamtschuld, 225, 230 ff.; Erman/Ehmann, vor § 420 Rz 24, § 421 Rz 8, 29 ff. Rüßmann, JuS 1974, 292; ders., AcP 175 (1975), 173; jurisPK/Rüßmann, § 421 Rz 2, 4, 7 ff.; M.Wolf/Niedenführ, JA 1985, 369; Soergel/M.Wolf (1990), § 421 Rz 10–16, 25, 43 f.; Wernecke, Gesamtschuld (1990), insbes. 23 ff., 68 ff., 99 ff.; Hasse, Regreß (1992), 34 ff.; Glaßer, Gesamtschuldnerausgleich (1995), 6 f.; Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 1; Stamm, Regreßfiguren (2000), 36 ff., 54 ff., 68; Schlechtriem/Schmidt-Kessel, SR AT (2005), Rz 839, 845; Schmidt-Kessel, Mehrheit, B II 3 a; Staud/Noack (2005), vor § 420 Rz 18–23, § 421 Rz 8 ff., insbes. 26 (der allerdings in Einzelfällen einen restriktiveren Gesamtschuldbegriff verwendet, vgl. § 421 Rz 32 und 80); siehe auch schon Rietschel, LM § 426 Nr. 25 (1966); tendenziell auch E. Wolf, Schuldrecht AT (1978), 528 ff., der aber § 255 auf die Abtretung von Schadensersatzansprüchen anwendet, a.a.O., 254. 99 Stamm, Regreßfiguren, 36; ders., Jura 2002, 732; ders., NJW 2003, 2942; ebenso schon Leonhard, SR AT, § 366; Zilz, Unechte Gesamtschuld, 30. Diese richtige historische Beobachtung kann allerdings nur dann zur Rechtfertigung des weiten Gesamtschuldbegriffs herangezogen werden, wenn der Nachweis erbracht wird, dass der Gesetzgeber die nach dieser Lehre von § 421 erfassten Fälle als Solidarobligationen ansah, was keineswegs feststeht. Hier ist lediglich der Nachweis erbracht worden, dass der Gesetzgeber die Konkurrenz von Schadensersatzansprüchen als Solidarobligation von der Gesamtschuldregelung erfassen wollte. 98
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biger, falls er seiner Abtretungspflicht nicht nachkommt, auch nach der Leistung des Abtretungsberechtigten Gläubiger der abzutretenden Forderung bleibt, fehlt es an der Solutionskonkurrenz i.S.d. § 421. Die Vorschrift des § 255 beschränkt sich dieser Ansicht nach aber auf die Abtretung von Herausgabeansprüchen. Nicht immer ganz klar wird bei dieser Lehre, wie Gesamtschulden von Kumulationsfällen abzugrenzen sind, wann also der Tatbestand des § 421 gegeben sein soll und wann nicht. Man beruft sich auf die Einheit oder Identität des Leistungsinteresses des Gläubigers100, doch bei der Antwort auf die Frage, wann eine solche Einheit oder Identität vorliegt, nennen die einzelnen Autoren verschiedene Kriterien und kommen auch zu unterschiedlichen Ergebnissen101. Für die hier interessierenden Schadensersatzverbindlichkeiten kommt diese Lehre aber, ebenso wie die Zwecklehre Ehmanns, zum Ergebnis, dass Verbindlichkeiten auf Ersatz desselben Schadens stets Gesamtschulden sind102.
d) Die Kriterien der Rechtsprechung Die Rechtsprechung geht wie die Lehre vom engeren Gesamtschuldbegriff davon aus, dass Gesamtschulden nicht schon allein dadurch entstehen, dass der Tatbestand des § 421 erfüllt ist bzw. eine dem Gläubiger insgesamt nur einmal zu erbringende Leistung von mehreren ganz geschuldet wird. So wird das Zusammentreffen eines Schadensersatzanspruchs mit einem Unterhalts- oder Lohnfortzahlungsanspruch nicht als Gesamtschuld angesehen103. Als Abgrenzungskriterium übernahm der BGH vom Reichsgericht das Merkmal der Zweckgemein-
100 Wernecke, Gesamtschuld, 23 f., 103 ff.; Stamm, Regreßfiguren, 68; Staud/Noack, § 421 Rz 32, 42. 101 Manfred Wolf stellt auf die Leistungszwecke und den Rechtsgrund der Forderungen ab und nähert sich hierbei der modernen Zwecklehre an, Soergel/Wolf, § 421 Rz 12. Noack spricht davon, dass mit Leistung eines Schuldners der Zweck der konkurrierenden Verbindlichkeit erledigt sein muss, Staud/Noack, § 421 Rz 42–44. Bei Wernecke kommt es darauf an, ob die Verbindlichkeiten dem Ausgleich desselben Nachteils oder der Abschöpfung oder Verschaffung desselben Vorteils dienen, Gesamtschuld, 25, 108. Dies ist der zentrale Unterschied zur Lehre Ehmanns, dessen drei Gesamtschuldtypen abschließend sein sollen. Beim Zusammentreffen von Schadensersatz- und Erfüllungs- oder Bereicherungsansprüchen (siehe etwa die bei Staud/Bittner, § 255 Rz 47 ff. aufgeführten Fälle) schließen Ehmann und Münchbach grundsätzlich mangels Zweckeinheit ein Gesamtschuldverhältnis aus, obwohl der Gläubiger auch hier im Ergebnis die Leistung nur einmal erhalten soll, vgl. Münchbach, Regreßkonstruktionen, 102 ff., mit Modifikationen nun Erman/Ehmann, § 421 Rz 62 ff.; ders., JZ 2004, 253. Die Vertreter der weiten Gesamtschuldlehre nehmen hier teilweise Gesamtschulden an; vgl. Soergel/Wolf, § 421 Rz 13; Wernecke, Gesamtschuld, 51 Fn. 77, vgl. auch 116 ff. (Gesamtschuld bei mehreren Erfüllungsansprüchen aus verschiedenen Verträgen). 102 So ausdrücklich Soergel/M.Wolf, § 421 Rz 44; Wernecke, Gesamtschuld, 185; Stamm, Regreßfiguren, 114. 103 Etwa BGHZ 13, 360 (GrS, 31.5.1954); BGHZ 21, 112 (VI, 22.6.1956); BGHZ 33, 243 (VII, 7.11.1960); BGH NJW 1979, 598 (VII, 21.12.1978); BGHZ 73, 190, 194 (VI, 16.1.1979); BGHZ 107, 325 (VI, 23.5.1989).
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schaft, das er bis in die 70er Jahre hinein verwendete104. In den Urteilen der Oberlandesgerichte findet sich dieses Merkmal bis heute105. Ebenso wie in der Rechtsprechung des Reichsgerichts hat es keine feststehende Bedeutung, sondern wird dazu verwendet, von Fall zu Fall über das Bestehen einer Gesamtschuld zu bestimmen und sich die Entscheidung über zukünftige, möglicherweise anders gelagerte, Fälle vorzubehalten. Etwa seit Ende der 1980er Jahre verwendet der BGH das Kriterium der Gleichstufigkeit106. Auch dieses Gesamtschuldmerkmal hat aber in den einzelnen Entscheidungen unterschiedliche Bedeutungen. Im Urteil BGHZ 108, 179 zum Ausgleich mehrerer persönlicher oder dinglicher Sicherer derselben Schuld analog § 426 war mit der vom Neunten Senat bejahten Gleichstufigkeit gemeint, dass kein Sicherer intern nachrangig zum anderen haftete; die Gleichstufigkeit bezog sich also auf die interne Lastenverteilung. In der ebenfalls vom Neunten Senat getroffenen Entscheidung BGHZ 120, 50 zum Gesamtschuldregress zwischen dem Steuer- und dem Haftungsschuldner sollte es deswegen an der Gleichstufigkeit fehlen, weil im Außenverhältnis der Haftungsschuldner nur subsidiär haftete. In BGHZ 137, 76 ging es um Rückgewähransprüche aus § 528 gegen mehrere Schuldner, die nebeneinander gleichzeitig beschenkt worden waren. Die vom Zehnten Senat angenommene Gleichstufigkeit der Rückgewährpflichten bezog sich hier darauf, dass jeder Beschenkte nicht nur anteilig die Rückgewähr des Empfangenen schuldete, sondern für den Unterhalt des Schenkers in voller Höhe haftete, soweit der Wert der Schenkung reichte, so dass die Gleichstufigkeit aus der „beiderseitigen Haftung für den Gesamtbedarf“ folgte. Damit war offenbar gemeint, dass trotz des verschiedenen Inhalts der jeweiligen Schenkungen eine identische Leistung i.S.d. § 421 vorliegen sollte. Nach der Stufenlehre kann eine Gleichstufigkeit demgegenüber auch dann vorliegen, wenn intern ein Schuldner allein belastet ist; zugleich führt die fehlende Subsidiarität im Außenverhältnis nicht notwendig zur gleichstufigen Haftung. Das Stufenkriterium wird in erster Linie in solchen Fällen relevant, in de104 Bei konkurrierenden Schadensersatzverbindlichkeiten etwa BGH VersR 1956, 160 (VI, 17.12.1955); BGH VersR 1964, 1048, 1050 (VII, 9.7.1964); BGHZ 43, 227, 229 f. (GrS, 1.2.1965); BGH VersR 1965, 804 (VII, 17.5.1965); BGHZ 51, 275, 278 f. (VII, 19.12.1968); s.a. BAG JZ 1973, 382 (23.1.1973). Zuletzt ließ der BGH es offen, ob ein Gesamtschuldverhältnis wirklich eine Zweckgemeinschaft verlangt, bejahte diese aber im zur Entscheidung stehenden Fall, etwa BGHZ 59, 97, 99 ff. (VII, 29.6.1972). Von einem notwendigen „inneren Zusammenhang“ spricht BGHZ 6, 3, 25 (III, 24.4.1952). 105 Bei konkurrierenden Schadensersatzverbindlichkeiten etwa OLG Karlsruhe, MDR 1969, 49, 50 (2.12.1966); OLG Karlsruhe, MDR 1971, 45, 46 (20.5.1970); OLG München, OLGZ 1983, 446, 447 f. (30.4.1982); OLG Hamburg, NJW-RR 1987, 915 (29.10.1986); OLG München, NJWRR 1988, 20 (3.7.1987); OLG Hamm, NJW-RR 1991, 730, 732 (9.11.1990); OLG Düsseldorf, BB 1998, 765 (19.6.1997); OLG Karlsruhe, NJW-RR 1998, 601 (11.12.1997); OLG München, MDR 1998, 968 (27.2.1998); OLG Karlsruhe, NJW-RR 2004, 815 (12.8.2003). 106 BGHZ 106, 313, 318 ff. (III, 26.1.1989); BGHZ 108, 179, 186 (IX, 29.6.1989); BGH WM 1991, 399, 400 (IX, 20.12.1990); BGHZ 120, 50, 56 (IX, 22.10.1992); BGHZ 137, 76, 82 (X, 28.10.1997); BGHZ 155, 265 (VII, 26.6.2003); BGHZ 159, 318, 320 f. (VI, 15.6.2004); BGH NJW 2007, 1208, §§ 17 ff. (28.11.2006); ebenso OLG Düsseldorf, NJW 1995, 2565 (11.11.1994).
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nen mehrere Schuldner eine gleiche Leistung schulden, im Außenverhältnis beide unmittelbar haften und intern nur einer belastet ist. Nach der Stufenlehre können in diesen Fällen sowohl Gesamtschulden als auch gestufte Verpflichtungen vorliegen, was anhand des Stufenkriteriums zu ermitteln ist. In diesem Sinne verwendete der BGH das Gleichstufigkeitskriterium in zumindest vier Entscheidungen. In BGHZ 106, 313 verneinte der Dritte Senat unter Berufung auf Larenz und Selb die Gleichstufigkeit zwischen einem Schadensersatzanspruch und einem gesetzlichen Entschädigungsanspruch wegen unberechtigter Freiheitsentziehung, obwohl beide Schuldner unmittelbar den Ersatz eines bestimmten Schadens schuldeten, den der Gläubiger im Ergebnis nur einmal liquidieren konnte. In BGHZ 159, 318 begründete der Sechste Senat seine ständige Rechtsprechung, dass zwischen einem Schadensersatz- und einem Unterhaltsschuldner keine Gesamtschuld bestehe, unter anderem auch mit der fehlenden Gleichstufigkeit der Verpflichtungen. In einem Urteil vom 28.11.2006 verneinte derselbe Senat eine Gleichstufigkeit und damit eine Gesamtschuld zwischen einem Pflichtversicherer (der nach § 3 Nr. 2 PflVG gegenüber dem Geschädigten gesamtschuldnerisch mit dem Versicherungsnehmer haftet) und einem außerhalb des Versicherungsverhältnisses stehenden Schädiger107. Umgekehrt begründete der Siebte Senat in BGHZ 155, 265 das Gesamtschuldverhältnis bei konkurrierenden Mängelbeseitigungsansprüchen gegen mehrere Bauunternehmer mit der Gleichstufigkeit ihrer Verpflichtungen. Die Verwendung des Begriffs der Gleichstufigkeit gibt über die erzielten Ergebnisse genauso wenig Auskunft wie das zuvor verwendete Kriterium der Zweckgemeinschaft. Die Haltung der Rechtsprechung zum Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld lässt sich nur anhand der im konkreten Fall gewonnenen Ergebnisse ermitteln, was in einem späteren Abschnitt erfolgen soll108.
3. Die Frage nach der Solutionskonkurrenz Nicht nur die heutige Stufenlehre, sondern auch schon die Lehre von der unechten Schadensersatzgesamtschuld war dadurch gekennzeichnet, dass sie bestimmte Fälle von „gestuften“ Schadensersatzverbindlichkeiten aus dem Anwendungsbereich der §§ 421 ff. herausnahm und dem § 255 unterstellte. Grundlage dieser Ansicht ist die verbreitete Annahme, dass zu den Ansprüchen, die der Gläubiger dem Schadensersatz Leistenden nach § 255 abtreten muss, auch Schadensersatzansprüche gegen primär Verpflichtete gehören109. Musterfall ist das 107
NJW 2007, 1208, §§ 16 ff. Unten, 916 ff. 109 So Oertmann, Vorteilsausgleichung, 286 ff.; ders., Schuldverhältnisse AT, § 255 Anm. 5 (zweifelnd aber ders., FS von Gierke, 13); Fischer, Schaden, 256; Crome, Schuldverhältnisse, § 151 II 5; Kohler, Schuldrecht, § 47 I 1; Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 34 II b; Last, Anspruchskonkurrenz, 55; Klingmüller, JhJb 64 (1914), 77 ff.; Warneyer, BGB, § 255 Anm. IV; obiter auch RG SächsArch 12 (1902), 723, 730; aus der späteren Literatur Selb, Schadensbegriff, 22 ff.; 108
3. Die Frage nach der Solutionskonkurrenz
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Zusammentreffen eines deliktischen Schadensersatzanspruchs gegen den unmittelbaren Verursacher mit einem vertraglichen Schadensersatzanspruch gegen einen Obhutspflichtigen, der für den durch den Dritten verursachten Schaden aufkommen muss. Im Folgenden soll davon ausgegangen werden, dass der Schuldner S eine Sache vom Eigentümer G entliehen und sorgfaltswidrig ermöglicht hat, dass der Dritte D die Sache zerstört. Diejenigen, die hier § 255 anwenden, sind sich darüber einig, dass eine Schadensersatzleistung durch D den Entleiher S befreit. Wenn dagegen S an G leistet, soll er die Abtretung des Schadensersatzanspruchs gegen D verlangen können. Damit entsteht die Frage, ob D durch die Leistung des S überhaupt befreit wird. Dass über diese Frage gerade zu Beginn des 20. Jahrhunderts Unsicherheit bestand, ist vor dem gemeinrechtlichen Hintergrund nicht erstaunlich. Wie geschildert hatte der gemeinrechtliche Zessionsregress eine Doppelnatur110. Er konnte vor dem Hintergrund stattfinden, dass die Leistung an den Gläubiger den Anspruch gegen den Regressverpflichteten gar nicht zum Erlöschen gebracht hatte, so wie es etwa beim Regress des Kreditmandators gegen den Schuldner der Fall war. Daneben wurde der Zessionsregress aber auch in Fällen anerkannter Solutionskonkurrenz eingesetzt, etwa beim Regress des Bürgen gegen den Hauptschuldner oder des Vormunds gegen den Mitvormund, wobei man zur Überwindung der konstruktiven Schwierigkeiten mit der Vorstellung eines Klagenkaufs arbeitete. Die im 19. Jahrhundert entwickelte allgemeine Regel, wonach derjenige, der wegen des Verlusts oder der Beschädigung einer Sache zu Schadensersatz verpflichtet ist, vom Gläubiger die Abtretung der die Sache betreffenden (Schadensersatz-)Klagen verlangen könne, wurde daher unterschiedlich verstanden: Entweder nahm man an, dass die Schadensersatzleistung an den Gläubiger die abzutretenden Klagen gar nicht zum Erlöschen gebracht hatte, oder man ging von Solidarobligationen mit wechselseitiger Solutionskon110 ders., Mehrheiten, 147 ff.; Staud/Selb (1995), § 255 Rz 3 ff., 6, 10, 13, 17 f.; Larenz, SR AT, § 33 III (1958) bzw. §§ 32 I, 37 I (1987); ders., Schuldrecht BT (1981), 671 f.; Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, §§ 17 II 2, 90 II 3; Molitor, SR AT, § 7 IV 3; A. Blomeyer, SR AT, § 32 III 5 d, § 49 IV 3; Wüst, Interessengemeinschaft, 82 f.; Weimar, JR 1959, 92; Raisch, JZ 1965, 707; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 69 f.; Reeb, JuS 1970, 214; Häsemeyer, MDR 1973, 210; E. Wolf, SR AT, 254; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 30 ff.; Preißer, JuS 1987, 798 ff.; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 64, 164; Wendehorst, Jura 2004, 510; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 147 f.; MüKo/Oetker, § 255 Rz 2, 10, 15; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 66 (nur für den Fall, dass ein Schadensersatzschuldner zugleich bereichert ist); RGRK/Alff, § 255 Rz 7; Jauernig/Stürner, § 421 Rz 7; Erman/Ebert, § 255 Rz 4, Jauernig/Teichmann, § 255 Rz 4 (vgl. aber Rz 1); Palandt/Heinrichs, § 255 Rz 2, 8; BamR/Grüneberg (2003), § 255 Rz 9; wohl auch BamR/Unberath (2007), § 255 Rz 1 f., 5, 9; aus der Rechtsprechung OLG Karlsruhe, NJW-RR 1998, 601 (11.12.1997). Für eine ausnahmsweise Anwendung des § 255 auf Schadensersatzansprüche, die nach einem Besitzverlust entstehen, R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 14 ff.; G. Dilcher, JZ 1967, 115; Thiele, JuS 1968, 153 f. Für eine Anwendung des § 255 nur auf Schadensersatzansprüche i.S.d. §§ 989 ff. Stammler, Einrede, 61; Staud/Werner, § 255 Anm. 3 a; Lischka, Gesamtschuld, 64 ff. Für eine Anwendung auf Schadensersatzansprüche i.S.d. §§ 989 f., solange die Sache selbst noch existiert, Staud/Bittner, § 255 Rz 23, 29. 110 Oben, 807 ff.
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
kurrenz aus und sah das Abtretungsrecht als Fall des Gesamtschuldregresses an. Hinzu kam, dass Eisele, der die Diskussion nach 1900 stark beeinflusste, das Zusammentreffen von Schadensersatzansprüchen gegen den Entleiher und den Deliktstäter als Fall der unechten Solidarität mit wechselseitiger Solutionskonkurrenz ansah111. Besonders deutlich wird die Unsicherheit über die Frage der Solutionskonkurrenz in Oertmanns Monographie zur Vorteilsausgleichung, in der er, je nach Zusammenhang, mal von wechselseitiger112, mal von nur einseitiger113 Solutionskonkurrenz ausgeht. Schließlich heißt es, dass die Leistung des S „eigentlich“ den Deliktsschuldner D befreien müsse, dies aber nicht mit § 255 vereinbar sei. Man müsse daher annehmen, dass eine befreiende Wirkung der Leistung des S durch § 255 ausgeschlossen werde, um die Forderung gegen D als Mittel des Regresses zu erhalten114. Ob es sich dabei um eine Subrogation wie nach § 426 II oder um etwas anderes handeln sollte, blieb offen. Die nachfolgende Literatur war sich nicht einig. Manche nahmen an, dass § 255 dieselbe Struktur aufweise wie § 426 II, indem die eigentlich erloschene Forderung gegen den Mitschuldner zu Regresszwecken am Leben erhalten werde115. Zunehmend gelangte die Lehre von der unechten Gesamtschuld (einschließlich Oertmann) aber zu der Auffassung, dass es sich bei § 255, anders als bei der echten Gesamtschuld, um einen Fall der nur einseitigen Solutionskonkurrenz handle, in dem die Leistung des Deliktsschuldners D den Vertragsschuldner S, nicht aber die Leistung des S den D befreie116. Damit schien aber die Ansicht nicht vereinbar, wonach die Fälle des § 255 zu den unechten Gesamtschulden gehörten, die ursprünglich gerade durch die wechselseitige Solutionskonkurrenz ausgezeichnet waren. Daher sagte man nun entweder, dass bei unechten Gesamtschulden die gesamtbefreiende Wirkung der Erfüllung kein notwendiges Merkmal sei117, oder dass es sich bei den Fällen des § 255 gar nicht um unechte Gesamtschulden handle118. 111
Eisele, AcP 77 (1891), 458 f., 464. Oertmann, Vorteilsausgleichung (1901), 277 (unechte Gesamtschuld zwischen S und D mit wechselseitiger Solutionskonkurrenz), 288 ff. (§ 426 als lex specialis zu § 255). 113 A.a.O., 277 (Anspruch G gegen D kann gegenüber S nicht angerechnet werden, weil sein Wert zu unsicher ist), 286 f. (Abtretungszwang, weil Anspruch gegen D nicht bei G bleiben kann) 114 A.a.O., 292–294. 115 Fischer, Schaden, 104, 108; Last, Anspruchskonkurrenz, 55; Schulz, Rückgriff, 28 f., 39 f., 77 (der in beiden Fällen von einem vollständigen Erlöschen der Gläubigerforderung ausgeht, vgl. oben, 425 f.); Reichel, Schuldmitübernahme, 52 f.; ähnlich Larenz, Vertrag und Unrecht (1936), 200 f. 116 Crome, Schuldverhältnisse, § 151 II 5 b, § 206 II 3, § 338 II 3; Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 161 V; Oertmann, Schuldverhältnisse AT, § 255 Anm. 7, vor § 420 Anm. 5 c; Klingmüller, JhJb 64 (1914), 77 ff.; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 313 II 3; Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, § 90 II 3; Staud/Werner, § 421 Anm. 2; Lischka, Gesamtschuld, 64 ff. 117 Vgl. Crome, Schuldverhältnisse, § 338 II 3; Klingmüller, JhJb 64, 77 ff.; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 313 II 3; Staud/Werner, § 422 Anm. 4. 118 Oertmann, Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 5 c; Lischka, Gesamtschuld, 64. In der FS von Gierke (1911), 8 ff., stellte Oertmann die These auf, dass unechte Gesamtschulden (etwa zwischen dem Deliktstäter und dem Unterhaltspflichtigen) durch wechselseitige Solutionskonkurrenz 112
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Besonders eindringlich hat dann Selb hervorgehoben, dass es sich in den Fällen des § 255 nur um eine einseitige Solutionskonkurrenz handelt und dass diese Konstruktion mit der Annahme eines Gesamtschuldverhältnisses nicht vereinbar ist119. Dies erscheint auch richtig120. Zwar ist auch in der nachfolgenden Literatur argumentiert worden, dass der erzwingbare Forderungsübergang nach § 255 sich nicht grundlegend vom gesetzlichen Forderungsübergang nach § 426 II unterscheide, da er in beiden Fällen in den Dienst des Regresses gestellt werde121. Daran ist richtig, dass die Vorschrift des § 255, sofern man sie auch auf die Abtretung von Schadensersatzansprüchen anwendet, funktionell mit § 426 vergleichbar ist. Doch die Regresstechnik ist eine grundlegend andere. Der Gesetzgeber hat bei § 255 in erster Linie an die Abtretung von Herausgabeansprüchen gedacht und ist hier im Ergebnis von einer nur einseitigen Solutionskonkurrenz ausgegangen: Die Leistung des Schadensersatzes sollte den Herausgabeanspruch nicht zum Erlöschen bringen122. Folgt man dem, sollte die einseitige Solutionskonkurrenz auch bei anderen Arten abzutretender Ansprüche angenommen werden, um nicht zwei verschiedene Konstruktionen in eine einheitliche Norm hineinzutragen. Hier könnte eingewendet werden, dass es sich um eine lediglich begriffliche Frage handelt, ob der Anspruch gegen den Regresspflichtigen untergeht oder nicht, und dass theoretisch auch die Annahme eines Gesamtschuldverhältnisses zwischen Herausgabe- und Schadensersatzanspruch möglich sei. Tatsächlich ist die Frage, ob eine Forderung untergeht oder auf einen anderen übergeht, als solche nicht sinnvoll zu beantworten, weil Forderungen keine empirisch wahrnehmbaren Gegenstände sind. Doch Begriffe wie einseitige oder wechselseitige Solutionskonkurrenz, Erlöschen einer Forderung, Forderungsübergang und Subrogation sind Zusammenfassungen für Rechtsregeln123. Diese Regeln unterscheiden sich, je nachdem ob man einen der Abtretung vergleichbaren Forderungsübergang oder lediglich eine Subrogation wie in § 426 II annimmt: Beim abtretungsähnlichen „echten“ Forderungsübergang geht der Regresssuchende allein mit Hilfe der Gläubigerforderung vor, welche den Umfang, die Modalitäten und die Verjährung des Regresses bestimmt. Bei der regresssichernden Subrogation hingegen bestimmt der eigene Rückgriffsanspruch, nicht die Gläubigerforde119 gekennzeichnet seien und dies wohl auch die bessere Lösung für den Schulfall des Verwahrers und Zerstörers sei, der daher besser aus dem Tatbestand des § 255, welcher eine nur einseitige Solutionskonkurrenz voraussetze, herauszunehmen sei. 119 Selb, Schadensbegriff, passim. 120 So schon Zilz, Unechte Gesamtschuld, 28; und auch die heute ganz überwiegende Lehre, etwa Larenz, SR AT, 559; Esser, SR AT, § 59 IV (S. 445); Grasnick, Unechte Gesamtschuld, 172 f.; Mirow, Unechte Gesamtschulden, 11; Wolf/Niedenführ, JA 1985, 373, 379; Jürgens, Teilschuld, 94; Soergel/Wolf, § 421 Rz 25; Staud/Kaduk, § 421 Rz 50 f.; Staud/Noack, § 421 Rz 24. 121 Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 56 ff., 77 f.; Ehmann, Gesamtschuld, 69, 71; Prediger, Auslegung, 188 ff.; Esser/Schmidt, SR AT 2, § 39 I (S. 342); Schlechtriem/Schmidt-Kessel, SR AT, Rz 859; s.a. R. Schmidt, AcP 163 (1963), 531; Soergel/Wolf, § 421 Rz 10. 122 Oben, 819 ff. 123 Hierzu und zum Folgenden ausführlich oben, 421 ff.
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rung, ob, in welchem Umfang und wie lange Regress genommen werden kann. Zweck der Gläubigerforderung ist hier allein, den nach anderen Regeln festgestellten Regress abzusichern. Die vom Gesetzgeber gewollte Technik des § 255 ist die des erzwingbaren abtretungsähnlichen „echten“ Forderungsübergangs, nicht die der regresssichernden Subrogation124. Eine ganz andere Frage ist es aber, ob § 255 überhaupt auf die Abtretung von Schadensersatzansprüchen anwendbar ist, ob es also Fälle des Zusammentreffens von Schadensersatzansprüchen gibt, bei denen die Leistung des erstrangigen Schuldners den zweitrangigen befreit, die Leistung des zweitrangigen aber nicht den erstrangigen. Soweit in der Literatur bestimmte Fälle, in denen mehrere den Ersatz desselben Schadens schulden, nicht den Gesamtschuldregeln, sondern der Vorschrift des § 255 unterstellt werden, handelt es sich zumeist um Zirkelargumentationen: § 255 zeige, dass die Forderung etwa gegen den Deliktsschuldner D nach der Leistung durch den Vertragsschuldner S noch bestehen müsse, da sonst eine Abtretung nicht möglich sei; da also S’ Leistung D nicht befreie, könne auch kein Gesamtschuldverhältnis vorliegen125. Das zu Beweisende, nämlich die Anwendbarkeit des § 255, wird schon vorausgesetzt. Aus dem Wortlaut folgt sie jedenfalls nicht: Zwar können Schadensersatzansprüche, sei es nach §§ 823 ff., sei es nach §§ 989 ff., theoretisch unter „Ansprüche auf Grund des Eigentums“ subsumiert werden; zwingend ist dies aber nicht. Eine wortlautgetreue Anwendung des § 255 ist ohnehin nicht möglich, wie auch diejenigen einräumen, welche die Vorschrift auf Schadensersatzansprüche anwenden wollen. Zugunsten einer solchen Anwendung des § 255 wird meist argumentiert, dass die Forderung des Gläubigers G gegen den erstrangig zuständigen Schuldner, im Beispielsfall also den Deliktstäter D, einen Vermögenswert darstellt, den G sich anrechnen lassen muss, wenn er den zweitrangigen Schuldner, im Beispielsfall also den Entleiher S, belangt. G dürfe sich nicht bereichern126. Eine Berechnung des Werts der Forderung gegen D, den sich G bei seinem Schadensersatzanspruch gegen S abziehen lassen müsse, sei praktisch nicht möglich. Der Vorteilsausgleich zwischen G und S könne also nur in der Art stattfinden, dass G seine Forderung gegen D an S abtrete127. Dieselbe Argumentation verwendete schon Johow bei der Vorgängerregelung des § 255 im Teilentwurf Sachenrecht, sie wurde aber bezeichnenderweise von der Ersten Kommission nicht übernommen128. Das Argument setzt das Entscheidende schon voraus, nämlich dass D 124 Ebenso G. Dilcher, JZ 1967, 114; Thiele, JuS 1968, 150; Mirow, Unechte Gesamtschulden, 62 f.; s.a. Jürgens, Teilschuld, 70 ff., 94 f. 125 Vgl. Oertmann, Vorteilsausgleichung, 294; Larenz, SR AT, 559; für Ansprüche nach §§ 989 ff. auch Lischka, Gesamtschuld, 64 f.; Thiele, JuS 1968, 152 ff. 126 So Warneyer, BGB, § 255 Anm. I; Lischka, Gesamtschuld, 64 f.; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 69; Reeb, JuS 1970, 214; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 148; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1998, 601, 602 (11.12.1997). 127 Oertmann, Vorteilsausgleichung, 277 f.; Crome, Schuldverhältnisse, § 151 II 5; Kohler, Schuldrecht, § 47 I 1; Selb, Schadensbegriff, 22; Larenz, SR AT, 558. 128 Oben, 821 ff.
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durch die Leistung des S nicht befreit wird. Würde er befreit, gäbe es keine Probleme der Anrechnung. Zu begründen ist also, warum D nach der Leistung des S weiterhin gegenüber G haften soll, obwohl G’s Schaden nicht mehr besteht. An dieser Stelle zieht Selb die Regeln zum versagten Vorteilsausgleich heran. Der erstrangig verpflichtete Deliktsschuldner D könne sich gegenüber dem Gläubiger nicht auf die Leistung des zweitrangig schuldenden S berufen, weil die Leistung des S dem D nicht zugutekommen dürfe129. Soweit damit begründet werden soll, dass die nur einseitige Solutionskonkurrenz zwingend ist, handelt es sich auch hier um eine zirkuläre Argumentation. Im Dreipersonenverhältnis zwischen G, S und D können die Regeln zum Vorteilsausgleich zwischen zwei Personen nicht ohne Rücksicht auf den Dritten angewendet werden130. Die Überlegung, dass die Leistung des S dem vorrangig zuständigen Schuldner D nicht zugutekommen sollte, macht Sinn, wenn S keinen Regress gegen D hat, etwa weil Gesamtschulden regresslos sind oder weil S und D keine Gesamtschuldner sind und ein Bereicherungsanspruch des S ebenfalls ausgeschlossen ist. Das ist aber gerade die Frage. Sind S und D Gesamtschuldner, dann kommt die Leistung des S dem D im Ergebnis nicht zugute, weil D zwar von G befreit wird, dafür aber einem durch Subrogation verstärkten Totalregress des S ausgesetzt wird. Tatsächlich kann die Lage des D bei Annahme eines Gesamtschuldverhältnisses durch die Leistung des S sogar verschlechtert werden, weil er nach herrschender Lehre auch dann noch einem Rückgriffsanspruch aus § 426 I ausgesetzt ist, wenn G wegen Erlass, Verjährung oder rechtskräftigen Urteils gar nicht mehr auf ihn zugreifen könnte. Die Gesamtschuldkonstruktion selbst sorgt also dafür, dass der Vorteil der Leistung des S dem Deliktstäter D nicht zugutekommt131. Daher wird 129 Selb, Schadensbegriff, 16 ff.; ders., Mehrheiten, 147 f.; Staud/Selb (1995), § 255 Rz 7; der Sache nach auch Fikentscher/Heinemann, SR, Rz 778; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 97 f. i.V.m. 149. Ebenso Jürgens, Teilschuld, 115 ff., allerdings nur für Fallkonstellationen, in denen mit dem Schadensersatzanspruch gegen D ein Versorgungs-, Versicherungs- oder Unterhaltsanspruch gegen S konkurriert; ähnlich Thiele, AcP 167 (1967), 213 ff. 130 So zu Recht Frotz, JZ 1964, 669 f.; Mirow, Unechte Gesamtschulden, 137; Hasse, Regreß, 34 ff.; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 50; Stamm, Regreßfiguren, 43; Schims, Forderungsübergang, 97 ff., 116, 127; aus rechtsvergleichender Sicht Marschall von Bieberstein, Reflexschäden, 195, 201 f.; Hüffer, Rückgriff, 111 ff., 152; Fleming, Collateral Benefits, §§ 19, 49; vgl. auch Hagen, Drittschadensliquidation, 159 f. 131 So zu Recht Ehmann, Gesamtschuld, 27. Der Sache nach wird dies auch von Selb nicht verkannt, vgl. NJW 1963, 2057 ff. Der Vorwurf von Jürgens, Teilschuld, 116, mit dieser Argumentation würden Innen- und Außenverhältnis nicht auseinandergehalten, beruht auf der Vorstellung, dass die Leistung des S in Gesamtschuldfällen die Forderung gegen D direkt tilgt, während bei gestuften Verpflichtungen die Forderung gegen D nicht getilgt wird, eine logische Sekunde bei G bleibt und danach gesetzlich oder rechtsgeschäftlich an S zediert wird. Richtig ist, dass die Konstruktion des Gesamtschuldverhältnisses mit wechselseitiger Solutionskonkurrenz eine grundsätzlich andere ist als die einer nur einseitigen Solutionskonkurrenz mit (echtem) Zessionsregress. Damit ist aber noch nicht gesagt, zu welcher Gruppe eine bestimmte Art von Schuldnermehrheit gehört. Die Aussage, dass die Leistung des Unterhalts- oder Versorgungsschuldners schon im Außenverhältnis dem Schadensersatzschuldner nicht zugutekomme und somit mangels Tilgungsgemeinschaft keine Gesamtschuld vorliegen könne, behauptet lediglich, dass in einer gegebenen Situation das eine und nicht das andere Modell gelte, ohne dies sachlich zu begründen. Denn auch bei
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auch in klassischen Gesamtschuldfällen, etwa bei deliktischen Mittätern, ohne weiteres angenommen, dass die Leistung eines Mittäters den anderen Mittäter gegenüber dem Gläubiger befreit, ohne dass die Frage aufgeworfen wird, ob dem nicht leistenden Mittäter dieser Vorteil zugutekommen sollte. Dass im Verhältnis zwischen Entleiher und Deliktstäter etwas anderes gelten soll, setzt also das zu Beweisende schon voraus, nämlich dass keine Gesamtschuld vorliegt; die Argumentation dreht sich im Kreis. Die Anwendung des § 255 auf Fälle der gestuften Schadensersatzpflichten ist also keinesfalls zwingend. Hinzu kommt, dass sie auch dem Willen des historischen Gesetzgebers zuwiderläuft. Wenn bei deliktischen Mit- und Nebentätern ein Gesamtschuldverhältnis, bei gestuften Schadensersatzpflichten aus Vertrag und Delikt hingegen unter Berufung auf den Gedanken der versagten Vorteilsausgleichung nur eine einseitige Solutionskonkurrenz angenommen wird, lässt sich dies auf die Vorstellung zurückführen, dass ein Gesamtschuldverhältnis in erster Linie dann vorliegt, wenn es gesetzlich angeordnet ist. Der Gesetzgeber aber hat Gesamtschulden nicht immer schon dann angeordnet, wenn er sie im Ergebnis für angemessen hielt, sondern nur dann, wenn die solidarische Haftung sich nicht von selbst verstand, weil zweifelhaft war, ob jemand überhaupt haftete (Teilnehmer und Beteiligte), ob die Teilschuldregel eingriff (Haftung aufgrund gemeinschaftlicher Position) oder ob ein Schuldner nur subsidiär schuldete (gestufte deliktische Pflichten). Ein Gesamtschuldverhältnis auf Schadensersatz setzte in den Augen des Gesetzgebers gerade keine besondere Anordnung voraus132. Nach Ansicht der Ersten Kommission waren die Gesamtschuldregeln und nicht § 255 anwendbar, wenn von vornherein mehrere Schadensersatzansprüche vorlagen, etwa im Fall, dass ein Dritter die entliehene Sache beschädigt oder zerstört. Die Vorschrift des § 255 sollte (soweit es um Sachen ging) von vornherein nur für die Fälle des Besitzverlusts gelten und hier in erster Linie Herausgabeansprüche umfassen. Es bestehen gute Gründe für die Annahme, dass die Zweite Kommission es nicht anders sah133.
132 echten Gesamtschuldverhältnissen ist anerkannt, dass die Leistung des intern nicht Verpflichteten dem Mitschuldner nicht zugutekommen darf. Die Leistung etwa des Aufsichtspflichtigen (§ 840 II) dient nicht dem Zweck, den unmittelbaren Täter zu entlasten. Warum aber bei der Frage des „Zugutekommens“ im Gesamtschuldverhältnis nur auf § 422 (sog. Außenverhältnis), nicht auch auf § 426 (sog. Innenverhältnis) abgestellt werden darf, bleibt offen. Gerade bei Wertungsfragen geht es nicht an, nur einen Teil der Gesamtschuldregeln in den Vergleich einzubeziehen. – Selbst in den Fällen, in denen das Gesetz einen Regress per Legalzession vorsieht, ist das Modell der nur einseitigen Solutionskonkurrenz zwar möglich, aber entgegen Jürgens (a.a.O., 115 f.) und von Koppenfels-Spies (Cessio legis, 86 ff.) nicht zwingend: Der Zessionsregress hat eine Doppelnatur, oben, 807 ff., so dass man die Legalzessionsregeln auch anders auslegen könnte, wie etwa Ehmann, Gesamtschuld, 233 ff., 292; Erman/Ehmann, § 421 Rz 30 u.a., § 426 Rz 10; Rüßmann, JuS 1974, 295, 298; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 80 ff.; Wernecke, Gesamtschuld, 68 ff.; Soergel/Wolf, § 421 Rz 10; Hasse, Regreß, 34 ff.; Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 5 f., 10; Staud/Noack, vor § 420 Rz 22 f., § 421 Rz 21. Wie hier Schims, Forderungsübergang, 100. 132 Oben, 756 ff. 133 Oben, 822 ff.
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Richtig ist zwar Selbs Hinweis darauf, dass das römische Recht in den Fallkonstellationen, die heute als gestufte Schadensersatzverbindlichkeiten angesehen werden würden, mit einem „echten“ Zessionsregress, also dem Gedanken einer nur einseitigen Solutionskonkurrenz arbeitete134. Diese Konstruktion geht aber auf spezifische Eigenheiten des römischen Rechts zurück, die das moderne Recht nicht mehr aufweist135. Eng verbunden mit dem ursprünglich geltenden Grundsatz der Geldkondemnation ist die römische, aber heute nicht mehr geteilte Vorstellung, dass der Schadensersatz Leistende die Sache dem Gläubiger abkauft. Vor allem aber war dem römischen Recht der Grundsatz fremd, dass die Rechte des Gläubigers sich unabhängig von der „Anspruchsgrundlage“ auf den Ersatz seines Schadens beschränken. Statt dessen gab es ein Bündel von Klagen mit verschiedenen Klagezielen, die hinsichtlich der Aktivlegitimation und der Konkurrenz unterschiedlichen Regeln folgten. Die actio furti als reine Strafklage, die manchen Schuldnern abgetreten werden musste, anderen von vornherein zustand, konnte durch eine Schadensersatzleistung in keinem Fall vernichtet werden. Die (teilweise) Strafnatur der actio legis Aquiliae hatte zur Konsequenz, dass sie auch dann weiterbestehen konnte, wenn der Schaden des Gläubigers schon ersetzt war, solange ihr Strafzweck hinsichtlich eines bestimmten Täters nicht erfüllt war. Damit war eine Konstruktion, wonach der Vertragsschuldner mit seiner Schadensersatzleistung den Deliktsschuldner befreite, nicht vereinbar, so dass es zum „echten“ Zessionsregress kam. Die condictio furtiva war zwar nur sachverfolgend, doch lag es angesichts der Zessionslösung bei den übrigen Klagen nicht nahe, ausgerechnet bei ihr von einer Solutionskonkurrenz auszugehen und einen Gesamtschuldregress zu gewähren. Das römische Recht arbeitete mangels umfassenden Gesamtschuldbegriffs nur in begrenzten Fällen von Klagen gleicher Art mit einer wechselseitigen Solutionskonkurrenz. All dies hat sich im modernen Recht geändert, das keine Strafklagen mehr kennt. Der Gläubiger ist auf den Ersatz seines Schadens beschränkt; hat er diesen erhalten, kann er andere Ansprüche nicht mehr geltend machen. Sämtliche Gründe für die Konstruktion einer nur einseitigen Solutionskonkurrenz sind weggefallen. Der Vergleich mit dem römischen Recht spricht daher gerade gegen eine solche Konstruktion im heutigen Recht.
4. Die Frage nach dem Regress Damit ist aber das Schicksal der Lehre von der einseitigen Solutionskonkurrenz im Bereich der Schadensersatzschulden noch nicht besiegelt. Der alleinige Verweis auf den Willen des historischen Gesetzgebers, sämtliche Fälle des Zusammentreffens von Verbindlichkeiten auf Ersatz desselben Schadens, auch wenn sie
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Selb, Schadensbegriff, 23; ähnlich schon Oertmann, Vorteilsausgleichung, 287. Zum Folgenden ausführlich oben, 779 ff.
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„ungleichstufig“ sind, den Gesamtschuldregeln zu unterwerfen, ist nicht letztentscheidend. Zudem ist der legislatorische Wille im Gesetz nur unvollkommen zum Ausdruck gelangt. Vielleicht gibt es gute sachliche Gründe, bestimmte Fälle des Zusammentreffens von Schadensersatzschulden nicht den Gesamtschuldregeln zuzuordnen. Entscheidend kann dann aber nicht die „Konstruktionsfrage“ sein, sondern nur die sich aus einer bestimmten Konstruktion ergebenden konkreten Rechtsfolge136. Soweit die Lehre von den unechten Gesamtschulden bestimmte Fälle, in denen der Gläubiger die von mehreren geschuldete Leistung im Ergebnis nur einmal bekommen sollte, aus dem Anwendungsbereich der §§ 421 ff. ausschloss, ging es ihr neben der Vorschrift des § 424 in erster Linie um die Ausschaltung des § 426: Dieser sollte auf unechte Gesamtschulden keine Anwendung finden137. Doch der Schluss, dass bei unechten Gesamtschulden dann gar kein Regress stattfand, wurde nur selten gezogen138. Dies ist aus historischer Sicht wenig erstaunlich. Zwar galt die Korrealobligation als neutral gegenüber der Regressfrage139, doch beim Zusammentreffen von Schadensersatzverbindlichkeiten waren gemeinrechtlich nicht Korreal-, sondern Solidarobligationen angenommen worden. Für diese war die Regressfrage umstritten, wurde aber im 19. Jahrhundert insbesondere bei Schadensersatzverbindlichkeiten häufig bejaht140. Auch der Lehre von der unechten Gesamtschuld ging es nicht um einen völligen Ausschluss des Regresses. Vielmehr nahm man an, dass es für die Regressfrage auf die konkrete Fallgestaltung ankommen sollte. Bei „gestuften“ Schadensersatzverbindlichkeiten sollte der Regress über § 255 stattfinden141. In sonstigen Fällen kam ein Rück136
Anders Börnsen, Strukturen, 76; Goette, Gesamtschuldbegriff, 70 f.; nach denen die gesetzlichen Rechtsfolgen der Gesamtschuld über ihren Anwendungsbereich nichts aussagen sollen. 137 Oertmann, Vorteilsausgleichung, 124; ders., Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 5 c; Crome, Schuldverhältnisse, § 206 II 3; Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 161 V; Klingmüller, JhJb 64 (1914), 96 ff.; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 313 II 3; Planck/Siber, § 426 Anm. 1; Staud/ Werner, vor § 420 Anm. 4, § 421 Anm. 2, § 426 Anm. B II; Warneyer, BGB, § 426 Anm. V; Lischka, Gesamtschuld, 21, 67; Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, §§ 90 II 3, 95 I 5. Anders aber Henle, Schuldrecht, § 146 II C, der §§ 840, 426 analog anwenden wollte. 138 Eisele selbst hielt einen Regress wohl zumindest in den Fällen unabhängiger vertraglicher Verbindlichkeiten (etwa der doppelten Schadensversicherung) für ausgeschlossen, vgl. AcP 77 (1891), 459 ff., 480 f. Soweit Oertmann (Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 5 c) den Regress bei unechten Gesamtschulden verneinte, hatte er offenbar solche Fälle vor Augen. Für das Zusammentreffen von Schadensersatzverbindlichkeiten findet sich kaum eine Ansicht, die einen Regress nicht gewähren will. So aber offenbar OLG Hamburg HansGZ 1911, 259 (14.7.1911): Die Leistung des vertraglichen Schadensersatzschuldners habe die Verbindlichkeit des deliktischen Schadensersatzschuldners zum Erlöschen gebracht, so dass nun ein Zessionsregress nicht mehr möglich sei; ebenso das Berufungsgericht in BGH VersR 1956, 160. 139 Oben, 270 ff. 140 Oben, 571 ff. 141 So Oertmann, Vorteilsausgleichung, 277 ff.; ders., Schuldverhältnisse AT, § 255 Anm. 7, vor § 420 Anm. 5 c; Fischer, Schaden, 108; Stammler, Einrede, 61; Crome, Schuldverhältnisse, §§ 151 II, 338 II 3; Klingmüller, JhJb 64 (1914), 77 ff.; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 313 II 3; Enneccerus/ Lehmann, Schuldverhältnisse, § 90 II 3; Staud/Werner, § 421 Anm. 2. Dagegen Lischka, Gesamtschuld, 64 (wechselseitige Solutionskonkurrenz, die von § 255 nicht erfasst werde).
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griff mittels Bereicherungs- oder Geschäftsführungsrecht in Frage142. Wenn aber ein Regress stattfinden sollte, warum zog man dann nicht die für den Rückgriff bei Schuldnermehrheiten zentrale Vorschrift des § 426 heran? Wie insbesondere Leonhard und Ehmann gezeigt haben, spielte hier die „Angst vor dem falschen Regress“ eine Rolle, die auf eine verfehlte Anwendung der Kopfteilregel des § 426 I 1 zurückgeht143. Ging man davon aus, dass nur dann i.S.d. § 426 I „etwas anderes bestimmt“ ist, wenn die Parteivereinbarung oder das Gesetz (etwa § 840 II, III) eine andere Innenverteilung vorsehen, dann führten die Gesamtschuldvorschriften bei ungeregelten ungleichstufigen Schuldnermehrheiten zum Regress in die falsche Richtung oder zu einer unrichtigen Höhe des Regresses: Leistete der primär Verpflichtete an den Gläubiger, könnte er die Hälfte vom sekundär Verpflichteten verlangen; leistete umgekehrt der sekundär Verpflichtete, führte § 426 I nur zum Regress auf die Hälfte. Diese Ansicht, so Ehmann, liege auch der Gleichstufigkeits-Lehre zugrunde. Sie übersehe, dass eine andere Bestimmung der Innenanteile auch ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung möglich sei, insbesondere auch die Innenverteilung 0% zu 100%. Damit verkenne sie das System der §§ 422, 426, das gerade auch für Fälle „ungleichstufiger“ Verbindlichkeiten eine befriedigende Regressordnung biete: Leiste der primär Verpflichtete, befreie er nach § 422 den sekundär Verpflichteten; leiste der sekundär Verpflichtete, gehe infolge seines Totalregresses aus § 426 I die Gläubigerforderung gegen den anderen nach § 426 II in vollem Umfang auf ihn über144. Aus historischer Sicht muss hier allerdings angemerkt werden, dass auch der Gesetzgeber davon ausging, dass die Kopfteilregel des § 426 I bei gesetzlichen Gesamtschuldverhältnissen nur durch eine gesetzliche Vorschrift ausgeschaltet werden konnte. Bei allen Fällen „ungleichstufiger“ Schadensersatzverbindlichkeiten achtete man darauf, die interne Alleinbelastung des primär Verpflichteten ausdrücklich anzuordnen, etwa in § 1833 II 2, § 841 sowie in den Absätzen 2 und 3 des § 840, die eine redaktionelle Zusammenfassung von sieben von der Zweiten Kommission beschlossenen Einzelvorschriften darstellen145. Soweit ein Gesamtschuldverhältnis ohne besondere Regel über die Innenanteile angeordnet war, sollte nach Ansicht des Gesetzgebers die Kopfteilregel des § 426 I gelten, insbesondere bei Teilnehmern und Beteiligten146.
142 So insbesondere Klingmüller, JhJb 64 (1914), 98 ff.; ferner Crome, Schuldverhältnisse, § 206 II 3; Oertmann, Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 5 c; ders., FS von Gierke, 14 f.; Lischka, Gesamtschuld, 63. 143 Leonhard, SR AT, § 368, S. 738; Ehmann, Gesamtschuld, 25 ff., 52 f., 64, 103 ff.; Erman/Ehmann, vor § 420 Rz 19 und 31; ebenso Rüßmann, JuS 1974, 295; jurisPK/Rüßmann, § 421 Rz 9; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 32 f.; Jürgens, Teilschuld, 51 ff.; Stamm, Regreßfiguren, 39 ff.; Schims, Forderungsübergang, 119 f.; Staud/Noack, vor § 420 Rz 20, 23. 144 Ehmann, Gesamtschuld, 25, 62, 103 ff.; Erman/Ehmann, vor § 420 Rz 33; ebenso Münchbach, Regreßkonstruktionen, 32 f.; Rüßmann, JuS 1974, 295; jurisPK/Rüßmann, § 421 Rz 9 f. 145 Oben, 745 f., 751 ff. 146 Oben, 592 ff.
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Hieraus kann aber nicht geschlossen werden, dass ungeregelte ungleichstufige Schuldnermehrheiten nach Ansicht des Gesetzgebers keine Gesamtschuldverhältnisse sein konnten. Die Kopfteilregel musste nämlich nur dann durch den Gesetzgeber ausgeschaltet werden, wenn das Gesamtschuldverhältnis selbst gesetzlich angeordnet war. In diesen Fällen befürchtete man, dass eine ausdrückliche Gesamtschuldanordnung ohne Bestimmung der Innenanteile automatisch zur Anwendung der Kopfteilregel führen würde. Etwas anderes galt aber für ungeregelte Gesamtschuldverhältnisse, etwa bei den Verbindlichkeiten des Schadensverursachers und des Eisenbahnunternehmers, der nach dem RHPflG für den verursachten Schaden strikt haftete. Hätte der Gesetzgeber die Eisenbahnhaftung in das BGB übernommen, hätte er vielleicht auch dieses Gesamtschuldverhältnis besonders angeordnet. In diesem Fall wäre er nach seinen Prämissen dazu gezwungen gewesen, die interne Alleinhaftung des Verursachers ausdrücklich vorzusehen. Doch die strikte Haftung der Eisenbahn verblieb außerhalb des BGB. Das Fehlen einer ausdrücklichen Gesamtschuldanordnung im RHPflG schloss in den Augen des Gesetzgebers nicht die Annahme eines Gesamtschuldverhältnisses aus, hier selbstverständlich mit interner Alleinbelastung des Verursachers. Ebenso bedurfte es keiner besonderen Vorschrift, wonach im Verhältnis zwischen dem vertraglichen haftenden Entleiher und dem Zerstörer der entliehenen Sache der Zerstörer intern allein haftet. Da die Ganzhaftung sowohl des Entleihers als auch des Zerstörers sich schon aus allgemeinen Regeln ergab und ein Subsidiaritätsverhältnis offensichtlich ausschied, bedurfte es keiner besonderen Gesamtschuldanordnung, womit auch die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung der Innenanteile entfiel147. Da aber die Ansicht des Gesetzgebers weder im Gesetz noch in den Motiven und Protokollen eindeutig zum Ausdruck gekommen war, ist es nicht erstaunlich, dass in der frühen Literatur die Nichtanwendbarkeit der §§ 421 ff. manchmal mit der Angst vor dem falschen Regress begründet wurde148. Doch spätestens 1910, als die Rechtsprechung begann, für die Bestimmung der internen Anteile § 254 analog heranzuziehen und damit einen anderen Verteilungsmaßstab auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regel anzuwenden149, war dieser Angst die sachliche Grundlage entzogen. Die Gegner der Lehre von der unechten Gesamtschuld wiesen von Anfang an immer wieder darauf hin, dass § 426 auch Fälle ungleichstufiger Verbindlichkeiten regeln könne, bei denen im Sinne der internen Alleinhaftung eines Schuldners „etwas anderes“ bestimmt sei150. Der „falsche Re147
Vgl. oben, 757 f., 766 ff. Meine gegenteilige Ansicht in HKK/Meier, §§ 420–432 I, Rz 209 und 226, halte ich nicht mehr aufrecht. 148 Etwa Crome, Schuldverhältnisse, § 338 II 3; Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 164 IV; Hauk, Abtretung, 25; Henle, Schuldrecht, § 139 Fn. 1, § 146 II C 2; s.a. Hruza, SächsArch 5 (1895), 305 f. 149 Oben, 593 f. 150 von Tuhr, KritVj 47 (1907), 84 f.; ders., DJZ 1914, 337; Reichel, Schuldmitübernahme, 51; Schulz, Rückgriff, 55; Rabel, RheinZ 10 (1919), 106, 112; R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 82 ff.; Kreß, SR AT, § 24 Nr. 4, S. 607 ff.; Leonhard, SR AT, § 367, S. 737 f.; Korintenberg, ArchRPfl 1931, 30;
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gress“ ist also spätestens ab 1910 als Argument gegen die Anwendung der Gesamtschuldregeln nicht mehr haltbar, auch wenn dieses Argument, worauf Ehmann und Münchbach zu Recht hinweisen, in der späteren Literatur immer wieder auftaucht151 und auch die Rechtsprechung bisweilen in die Falle des „falschen Regresses“ tappt152.
151 Mönch, Gesamtschulden, 36 f., 52; Zilz, Unechte Gesamtschuld, 36 ff.; Hagedorn, Verhältnis, 22 ff.; aus späterer Zeit neben den in Fn. 143 Genannten etwa Lumm, Ausgleich, 212 f.; Börnsen, Strukturen, 188 f.; Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 6 f.; Schlechtriem/Schmidt-Kessel, SR AT, Rz 858. 151 Etwa bei Tempel, JuS 1965, 267; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 25; Fikentscher/Heinemann, SR, Rz 778; Wendehorst, Jura 2004, 512; Schims, Forderungsübergang, 154. In einer neueren Variante findet sich die Angst vor dem falschen Regress in der Behauptung, dass § 254 nur dann eingreifen könne, wenn jeder Schuldner an der Schadensverursachung zumindest mitgewirkt habe, was beim Zusammentreffen von Schadensersatz- und Versorgungsansprüchen nicht der Fall sei, so dass die Anwendung der §§ 421 ff. hier wieder zum unerwünschten kopfteiligen Regress führen müsse, so Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 26 f.; Schims, Forderungsübergang, 128; vgl. auch Mirow, Unechte Gesamtschulden, 64, 115. Warum aber nur eine Kausalitätsabwägung nach § 254 die Kopfteilregel ausschalten können soll, bleibt im Dunkeln. Immerhin war die Anwendung des § 254 bei der Bestimmung der internen Anteile nach § 426 I vom Gesetzgeber nicht vorgesehen, sondern auf Anregung der Literatur von der Rechtsprechung eingeführt worden. Dann spricht aber nichts dagegen, auch andere Maßstäbe bei § 426 I heranzuziehen, etwa eine Regel, wonach im Verhältnis zwischen Schadensersatz- und Versorgungsschuldner letzterer intern freigestellt sein soll. Vgl. Ehmann, Gesamtschuld, 228 f.; Jürgens, Teilschuld, 52 f.; Boecken/ von Sonntag, Jura 1997, 10. 152 Etwa RGZ 82, 427 (18.6.1913): Im Rahmen eines Miet- und Dienstverschaffungsvertrags überließ V dem Mieter M sowohl sein Schiff als auch seinen Angestellten A. M verwendete das Schiff zur Erfüllung eines Frachtvertrags. Durch Verschulden des A wurde das Eigentum des Gläubigers des Frachtvertrags beschädigt, der gegenüber V und M ein Urteil auf gesamtschuldnerische Schadensersatzleistung erwirkte. M haftete aus dem Frachtvertrag, V gesetzlich aus § 2 BSchG (der modernen Form der gemeinrechtlichen Schiffer-Haftung). Der Erste Senat nahm entgegen der Vorinstanz an, dass im Innenverhältnis zwischen V und M der Angestellte A nicht als Erfüllungsgehilfe des V angesehen werden konnte, weil dieser nur die Bereitstellung schuldete. Einen Anspruch des M gegen V aus § 426 lehnte das Gericht ab, weil zwischen der gesetzlichen Haftung des V und der vertraglichen des M mangels Zweckgemeinschaft kein echtes Gesamtschuldverhältnis vorliege. Darauf konnte es sachlich aber gar nicht ankommen, weil zwischen V und M auch eine vertragliche Innenbeziehung bestand, die Regressansprüche hervorbringen konnte, so dass sich in jedem Fall die Frage der internen Verteilung stellte, vgl. Rabel, RheinZ 10 (1919), 111. Hier war M derjenige, der im Innenverhältnis allein belastet war, so dass ein Rückgriffsanspruch aus Vertrag oder § 426 aus diesem Grund abgewiesen werden musste; umgekehrt müsste V, hätte er den Schaden ersetzt, einen Regress auf das Ganze haben. Offenbar lehnte das Gericht das Gesamtschuldverhältnis deshalb ab, weil es einen falschen Regress, nämlich einen kopfteiligen Ausgleich, befürchtete. Ferner BAG JZ 1973, 382 (23.1.1973): Entgegen den Bestimmungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes beschäftigte der Tankstellenpächter S den 15-jährigen D, der am Wagen eines Kunden einen Schaden verursachte. S haftete aus Vertrag, D aus Delikt. S ersetzte den Schaden und wollte gegenüber D Regress nehmen. Das Gericht verneinte ein Gesamtschuldverhältnis zwischen S und D, weil eine Zweckgemeinschaft nur dann vorliegen könne, wenn sie vom Gesetz gebilligt werde, S aber mit der Beschäftigung des D gegen Bestimmungen verstoßen habe, die Jugendliche vor den Nachteilen einer verbotenen Beschäftigung schütze. Auch hier bestand also die Angst vor dem falschen Regress. Doch will man D schützen, darf man nicht das Gesamtschuldverhältnis verneinen, sondern muss im Innenverhältnis dem Pächter S die Last zuweisen, ebenso Soergel/Wolf, § 421
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Wenn sich dennoch die Ansicht hartnäckig hält, dass bestimmte Fälle der Verbindlichkeiten auf Ersatz desselben Schadens außerhalb der Gesamtschuldregeln anzusiedeln seien, dann kann dem nicht nur die Angst vor dem falschen Regress zugrunde liegen. Die Stufenlehre behauptet auch gar nicht mehr, dass § 426 mangels Sonderregelung zum kopfteiligen Regress führen müsse. Anerkannt wird auch von ihr das Gesamtschuldverhältnis zwischen Schuldner und deliktisch haftendem Erfüllungsgehilfen. Hier könnte sie die gewünschte interne Alleinhaftung des Gehilfen zwar mit einer Analogie zu § 840 II begründen153. Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass die Auslagerung bestimmter Fälle ungleichstufiger Verbindlichkeiten aus dem Gesamtschuldbereich gerade durch die Furcht vor einer falschen Innenverteilung motiviert wird. Findet sich für die gewünschte interne Alleinhaftung eines Schuldners keine passende Analogienorm, steht immer noch § 254 zur Verfügung. Es würde auch wenig einleuchten, wenn es beim das ganze 20. Jahrhundert durchziehenden Streit über den richtigen Gesamtschuldbegriff ausgerechnet um die Angst vor einem falschen Regress ginge, der schon durch eine flexible Anwendung des Tatbestandsmerkmals „etwas anderes bestimmt“ die Grundlage entzogen werden kann. Die Ablehnung des Regresses über § 426 durch einen Teil der Literatur könnte also auch andere Gründe haben, und zwar die konkrete Ausgestaltung des Regresses. Ehmanns und Münchbachs Argumentation baut auf der Prämisse auf, dass der Gesamtschuldregress nach § 426 gleichsam die höchste Entwicklungsstufe der Abwicklung von solidarischen Verbindlichkeiten sei, welche den Rückgriff auf überholte Regresstechniken wie den Zessions-, Bereicherungs- oder Geschäftsführungsregress überflüssig mache, was ein Teil der Literatur schlicht nicht zur Kenntnis nehme. Diese Aussage kann aber nur dann getroffen werden, wenn nachgewiesen wird, dass der Regress nach § 426 in seiner konkreten Ausgestaltung tatsächlich vorteilhafter ist als andere Regresswege. Für die Fälle des Zusammentreffens von Verbindlichkeiten auf Ersatz desselben Schadens besteht heute offenbar Einigkeit in Folgendem: Der Gläubiger darf (sofern nicht ausnahmsweise die Teilschuldregel eingreift154) von jedem SchuldRz153 17, § 426 Rz 23. Die Ablehnung der Gesamtschuld hätte dem Jugendlichen D nicht geholfen, wenn der Gläubiger zuerst ihn in Anspruch genommen hätte. Vgl. auch BGH NJW 2007, 1208 (28.11.2006), §§ 18 f.: Zwischen einem pflichtversicherten Schädiger S1 und einem nicht versicherten Mitschädiger S2 bestand ein Gesamtschuldverhältnis nach § 840, ebenso nach § 3 Nr. 2 PflVG zwischen S1 und dem Pflichtversicherer P. Der Sechste Senat verneinte eine Gesamtschuld zwischen P und S2 (hierzu oben, 609 ff.) mit der Begründung, andernfalls müssten bei Insolvenz des S1 P und S2 je die Hälfte tragen, obwohl richtigerweise P keinen Regress gegen S2 haben sollte. Dieses Ergebnis lässt sich aber unproblematisch mit der Annahme einer Haftungseinheit zwischen P und S1 (oben, 596) erreichen. 153 Vgl. Selb, Mehrheiten, 61; Schims, Forderungsübergang, 132. 154 Zu Unrecht reduziert Costede, JR 2005, 45, die Bedeutung der Gesamtschuld auf ihren Ausnahmecharakter zur Teilschuld. Nur ein Teil der anerkannten Gesamtschuldverhältnisse bilden Ausnahmen von der Teilschuldregel, oben, 707 ff. Costede erkennt selbst, dass bei der Konkurrenz von Verbindlichkeiten aus unterschiedlichen Schuldgründen, etwa der Schadensersatzhaftung von Architekt und Bauunternehmer, Teilschulden gar nicht in Betracht kommen, a.a.O., 49. Die Ganz-
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ner Ersatz des gesamten Schadens verlangen, aber im Endergebnis nicht doppelt entschädigt werden. Das Wahlrecht des Gläubigers verlangt einen Regress, und damit eine interne Verteilung der Last auf die Schuldner. In bestimmten Fällen gibt es eine interne Abstufung zwischen den Schuldnern: S ist intern vorrangig, R nachrangig verpflichtet. Anders ausgedrückt ist S intern allein verpflichtet und R intern freigestellt. Leistet S an den Gläubiger, ist R frei. Leistet R an den Gläubiger, muss auf irgendeine Weise erreicht werden, dass er gegenüber S einen Regress auf das Ganze nehmen kann. Zu diesem Zweck kommen theoretisch ein Gesamtschuldregress, ein Bereicherungsanspruch, ein Anspruch aus G.o.A. oder ein reiner Zessionsregress im Wege des gesetzlichen Forderungsübergangs oder eines Abtretungsrechts (§ 255) in Betracht.
5. Der Zessionsregress a) Der Regress über § 255 Der Weg über § 255 hat auf den ersten Blick den Nachteil, dass das Rückgriffsrecht nicht schon mit der Leistung des Regressberechtigten R an den Gläubiger entsteht, sondern von einer Abtretung abhängig ist. Anhänger eines Gesamtschuld-, Bereicherungs- oder Geschäftsführungsregresses verweisen darauf, dass dem Regressberechtigten ein zusätzlicher Prozess aufgebürdet werde und dass der Gläubiger nicht auffindbar oder in Insolvenz geraten sein könne155. Allerdings wird R zunächst einmal durch das in § 255 gewährte Zurückbehaltungsrecht geschützt, so dass er nicht gezwungen werden kann, ohne Abtretung zu leisten. Probleme entstehen also dann, wenn R versehentlich ohne Abtretungsverlangen geleistet hat. Zwar kann er nach heute wohl allgemeiner Ansicht auch noch nachträglich die Abtretung verlangen156, doch nun könnte der Gläubiger 155 haftung jedes Schuldners und der Ausschluss der Kumulation ergeben sich hier aus allgemeinen Regeln. Richtig ist auch, dass es bei der Frage, ob in solchen Fällen Gesamtschulden angenommen werden sollen, darum geht, ob den Schuldnern der privilegierte Gesamtschuldregress gewährt werden soll. Das ist aber entgegen Costede keine Randfrage, sondern gerade der Kern der Gesamtschulddebatte nach 1900: Es geht nicht um die Abgrenzung zur Teilschuld (die nur in manchen Fallgruppen vorgenommen werden muss und dogmatisch wenig Probleme bereitet), sondern um die Abgrenzung zu alternativen Regressformen. 155 von Caemmerer, JR 1959, 463; R. Schmidt, AcP 163 (1963), 534; Frotz, JZ 1964, 670; Mirow, Unechte Gesamtschulden, 153; BGHZ 59, 97, 102 f. (29.6.1972); Wollschläger, Geschäftsführung, 124 f.; Wolf/Niedenführ, JA 1985, 371; Jürgens, Teilschuld, 206; Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 8; Stamm, Regreßfiguren, 50 f.; ders., NJW 2003, 2943; Kuhlmann, Rückgriffsgrundlagen, 309 f.; Medicus, BürgR, Rz 927; Schlechtriem/Schmidt-Kessel, SR AT, Rz 858; jurisPK/Rüßmann, § 255 Rz 14. Frotz, VersR 1965, 215, weist zudem darauf hin, dass die Forderung gegen den Regresspflichtigen nicht abtretbar sein könne. Dieses Problem stellt sich aber auch bei der Legalzession, oben, 439 ff. 156 Dies ist schon seit 1900 weitgehend anerkannt, etwa Oertmann, Vorteilsausgleichung, 296 ff.; Fischer, Schaden, 258; Crome, Schuldverhältnisse, § 151 II 5 b; Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 34 II d; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 237 II 2; Planck/Siber, § 255 Anm. 4; Oert-
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unauffindbar, insolvent geworden oder zur Abtretung nicht bereit sein. Probleme bestehen aber auch dann, wenn der Gläubiger schon vor Inanspruchnahme des Schadensersatzpflichtigen insolvent ist. Da das Zurückbehaltungsrecht nicht insolvenzfest ist, entsteht die Gefahr, dass R gezwungen wird, an die Insolvenzmasse zu leisten, die Forderung gegen S dagegen nur zu einer Quote erhält157. Doch diese Argumente müssen vor dem Hintergrund gesehen werden, dass die beschriebenen Probleme auch im unumstrittenen Kernbereich des § 255 auftreten können, nämlich bei der Abtretung eines Herausgabeanspruchs. Insofern liegt es näher, eine Lösung innerhalb des § 255 zu suchen, als bestimmte Fälle nur wegen der praktischen Abwicklungsprobleme aus seinem Tatbestand auszuschließen. So ist es denkbar, in der Insolvenz des Gläubigers dem leistenden R ein Aussonderungsrecht hinsichtlich des Eigentums bzw. der Forderung gegen S zu gewähren, da diese nicht der Doppelbefriedigung des Gläubigers dienen sollen, sondern ein Äquivalent für die Haftung des R auf vollen Schadensersatz bilden und daher R zustehen158. Abgesehen davon stellt sich auch bei Herausgabeansprüchen die Frage, ob der lediglich erzwingbare Forderungsübergang tatsächlich die beste Lösung ist oder ob der Gesetzgeber nicht besser an der Lösung der Ersten Kommission festgehalten hätte, die einen gesetzlichen Forderungsübergang vorsah159. Sollten bestimmte Fälle von Schuldnermehrheiten daher sachlich zur Struktur des § 255 passen, sind die praktischen Abwicklungsprobleme nicht das entscheidende Moment. Wesentlich schwerwiegender ist ein anderer Einwand gegen eine Anwendung des § 255 auf die Konkurrenz von Schadensersatzansprüchen: Die Vorschrift bietet keinen brauchbaren Maßstab zur internen Lastenverteilung. Wendet man sie wörtlich an, könnten beide Schadensersatzschuldner die Abtretung des konkurrierenden Schadensersatzanspruchs verlangen, so dass derjenige Regress nähme, der zuerst an den Gläubiger leistet – ein Ergebnis, welches das Problem des Glücksspiels bzw. der Gläubigerwillkür gerade nicht beseitigt und daher allge-
157 mann, Schuldverhältnisse AT, § 255 Anm. 3; Klingmüller, JhJb 64 (1914), 81 f.; R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 37 f.; Hauk, Abtretung, 36 f.; Kreß, SR AT, § 16, S. 292; Leonhard, SR AT, § 94, S. 213; Staud/Werner, § 255 Anm. 3 b; Warneyer, BGB, § 255 Anm. III; RGZ 117, 335, 338 (28.6.1927, obiter); anders aber Endemann, BürgR I, § 129 Fn. 40. Aus späterer Zeit etwa BGHZ 52, 39, 42 (27.3.1969, obiter); BGH NJW 2001, 3190, 3192 (19.7.2001); OLG Bamberg, OLGZ 1976, 447, 452 (24.6.1976); Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 28; H. Roth, FS Medicus, 505; Soergel/Mertens, § 255 Rz 8; Staud/Bittner, § 255 Rz 12, 40; MüKo/ Oetker, § 255 Rz 12. 157 von Caemmerer, JR 1959, 463; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 132; Wollschläger, Geschäftsführung, 125 f. 158 Vgl. von Olshausen, Gläubigerrecht, 156 f. m.w.N.; Marschall von Bieberstein, Reflexschäden, 229; Selb, Mehrheiten, 181, 183 f.; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 67. 159 So Rüßmann, JuS 1974, 298; Selb, Mehrheiten, 186 f.; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 34; MüKo/Oetker, § 255 Rz 20; H. Roth, FS Medicus, 497 Fn. 17; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 149.
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mein unerwünscht ist160. Die frühe Literatur zum BGB verfiel daher auf den Ausweg, dass vertragliche Ansprüche keine nach § 255 abzutretenden „Ansprüche aus dem Eigentum“ seien161. Der Schulfall des Entleihers, der für eine von einem Dritten zerstörte Sache haften musste, erschien danach befriedigend gelöst: Der Entleiher kann Abtretung des Deliktsanspruchs gegen den Dritten, der Dritte aber nicht Abtretung des vertraglichen Schadensersatzanspruchs gegen den Entleiher verlangen. Doch schnell wurde erkannt, dass diese Strategie nicht weiterhalf. Sie erzielte keine Lösung, wenn der Entleiher auch deliktisch haftete, oder in denjenigen Fällen, in denen sämtliche Schuldner nichtvertraglich hafteten, etwa wenn der Vindikationsbeklagte es schuldhaft ermöglicht, dass ein Dritter die Sache zerstört162. Die Wertung, dass der Vertragsschuldner gegenüber dem gesetzlich Haftenden stets intern freizustellen sei, stimmte nicht; vielmehr waren Fälle vorstellbar, in denen die Schadensersatzlast zwischen Vertrags- und Deliktsschuldner verteilt werden musste, etwa wenn der Entleiher dem Dritten bei seiner Tat behilflich gewesen war oder wenn sowohl der Vertragsschuldner als auch der Deliktsschuldner lediglich fahrlässig gehandelt hatten163. Selb und die ihm folgende Literatur legten § 255 daher anders aus: Die Vorschrift bringe eine wertende Rangfolge zum Ausdruck, die auf einer stufenden Zuordnung der Schuldner zum Schaden beruhe164. Abtretungsberechtigt sei derjenige, der dem Schaden näher stehe, der lediglich mittelbar die Schadensursache gesetzt und die Schädigung durch den anderen nur ermöglicht habe. Ganz unabhängig vom Rechtsgrund der Ersatzpflicht sei im Schulfall nur der Entleiher abtretungsberechtigt, weil der Dritte die eigentliche Schadensursache gesetzt und 160
Planck/Siber, § 255 Anm. 2 („rechtspolitisches Unding“); Hauk, Abtretung, 24, 27 ff.; Leonhard, SR AT, § 93, S. 212; Mönch, Gesamtschulden, 50; Mirow, Unechte Gesamtschulden, 88, 120; Weitnauer, Personenmehrheit, 385. Anders aber Stammler, Einrede, 61: § 255 schaffe ein Regressrecht des Erstleistenden und biete damit eine Prämie für die rasche Gläubigerbefriedigung. 161 Oertmann, Vorteilsausgleichung, 286 ff., 292 („zum Glück“ beruhe der Vertragsanspruch nicht auf dem Eigentum); Fischer, Schaden, 253 ff.; Crome, Schuldverhältnisse, § 151 II 5 b; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 237 II 2; ähnlich heute Larenz, SR AT, 559; MüKo/Oetker, § 255 Rz 15 f. 162 Planck/Siber, § 255 Anm. 2; Hauk, Abtretung, 24, 27; Selb, Schadensbegriff, 23; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 68; Jürgens, Teilschuld, 171. Sofern beide Schuldner deliktisch hafteten, entstand für die frühe Lehre allerdings kein Problem, weil dann nach § 840 ein Gesamtschuldverhältnis entstehen sollte. 163 R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 83 ff.; Hauk, Abtretung, 31; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 38; Jürgens, Teilschuld, 171; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 11 A II 2. 164 Selb, Schadensbegriff, 23 f.; Staud/Selb (1995), § 255 Rz 6 ff.; Larenz, SR AT, § 32 I (S. 559 f.), § 37 I (S. 637) mit Fn. 12 a und 20; Reeb, JuS 1970, 215; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 30 f.; Esser/Schmidt, SR AT 2, § 33 V; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 64; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 62; MüKo/Oetker, § 255 Rz 2 f. (notwendige teleologische Reduktion des § 255, weil nur der ferner Stehende ein Abtretungsrecht haben soll); von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 148 f. (wie Oetker); Palandt/Heinrichs, § 255 Rz 2; BamR/Grüneberg (2003), § 255 Rz 1; vgl. BamR/Unberath (2007), § 255 Rz 1 f.; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1998, 601, 602 (11.12.1997); vgl. auch Esser, SR AT, § 59 IV 2; nicht ganz klar Staud/Bittner, § 255 Rz 9 f., 14 f., 23. So auch schon Schulz, Rückgriff, 34 ff., 55, der aber sachlich keinen Unterschied zwischen den Regresswegen nach § 255 und nach § 426 machte.
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der Entleiher durch unsorgfältige Bewachung den Schaden nur ermöglicht habe. Als Maßstab für die stufende Zuordnung sollen die auch bei § 254 relevanten Umstände dienen, insbesondere die Verursachungsbeiträge und Verschuldensgrade. Dagegen wurde zu Recht vorgebracht, dass die interne Verteilung nach Verursachungs- und Verschuldensgraden gerade Regelungsgegenstand des § 426 I i.V.m. § 254 ist, so dass sich die Frage stellt, warum die gleiche Wertung mal innerhalb § 426, mal innerhalb § 255 getroffen werden muss165. Verwiesen wurde darüber hinaus auf die größere Flexibilität des Gesamtschuldregresses, die eine interne Verteilung zu jedem Bruchteil zulässt und nicht auf die starre Lösung einer Verteilung von 100% zu 0% angewiesen ist166. Im Beispiel, dass der Entleiher dem Dritten bei seiner unerlaubten Handlung behilflich ist, ermögliche nur der Gesamtschuldregress die gebotene intern anteilige Haftung. Hiergegen hat Selb eingewandt, dass § 255 nur Fälle betreffe, in denen die Verbindlichkeiten derart abgestuft seien, dass die interne Vollhaftung eines Schuldners die einzig denkbare Lösung sei167. Dies sei nicht der Fall, wenn jeder einen Verursachungsbeitrag geleistet habe, so dass der genannte Beispielsfall gerade nicht unter § 255, sondern unter § 426 falle. § 255 setze voraus, dass ein Schuldner Schadensersatz schulde, während der andere lediglich verpflichtet sei, dem Gläubiger das Liquidationsrisiko bei der Rechtsverfolgung gegen den Schädiger abzunehmen168. Ob eine derartige Unterscheidung zwischen gleichstufigen und ungleichstufigen Schadensersatzverbindlichkeiten überhaupt durchführbar ist, kann für den Moment dahingestellt bleiben169. Denn selbst wenn dies der Fall wäre, kann § 255, wie schon Siber und später insbesondere Münchbach gezeigt haben, nicht als Regressregelung für gestufte Schadensersatzverbindlichkeiten herangezogen werden, weil die Vorschrift völlig anderen Wertungen folgt170. Die Vorschrift geht in ihrem unstreitigen Anwendungsbereich – der Abtretung von Herausgabeansprüchen – davon aus, dass zwischen dem Schadensersatz165 So von Tuhr, KritVj 47 (1907), 84 f.; Leonhard, SR AT, § 93, S. 212; R. Schmidt, AcP 163 (1963), 534; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 51 f.; jurisPK/Rüßmann, § 421 Rz 11. 166 Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 133; Ehmann, Gesamtschuld, 232 f.; Erman/Ehmann, vor § 420 Rz 26; G. Dilcher, JZ 1973, 201; Rüßmann, JuS 1974, 295; jurisPK/Rüßmann, § 255 Rz 6, § 421 Rz 11; Soergel/Mertens, § 255 Rz 4; H. Roth, FS Medicus, 500 f.; Stamm, Regreßfiguren, 49 f.; ders., NJW 2003, 2943; Kuhlmann, Rückgriffsgrundlagen, 310 f.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 11 A II 2; BGHZ 59, 97, 103 (29.6.1972); BGHZ 155, 265, 268 f. (26.6.2003). 167 Selb, Mehrheiten, 188. 168 Selb, Mehrheiten, 144 ff.; Staud/Selb (1995), § 255 Rz 3 f., 6 ff., 17, 20, 42 f.; ähnlich Larenz, SR AT, § 32 I, S. 559, § 37 II, S. 644 f. 169 Hierzu unten, 909 ff. 170 So schon Planck/Siber, § 255 Anm. 2; R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 17 ff.; Hauk, Abtretung, 27 ff.; Mönch, Gesamtschulden, 50 ff. Ausführlich zum Folgenden Münchbach, Regreßkonstruktionen, 39, 57 f., 87 ff., 93 ff., 124 ff.; H. Roth, FS Medicus (1999), 498 ff.; Stamm, Regreßfiguren, 56 ff.; ferner R. Schmidt, AcP 163 (1963), 532; Thiele, JuS 1968, 153 f.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 11 A II 2; Jürgens, Teilschuld, 82, 172 f.; Wernecke, Gesamtschuld, 64 ff.; Boecken/ von Sonntag, Jura 1997, 9; Staud/Noack, § 421 Rz 25; Costede, JR 2005, 47 f.; Schims, Forderungsübergang, 150 ff.; jurisPK/Rüßmann, § 255 Rz 6.
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und dem Herausgabeanspruch kein Gesamtschuldverhältnis besteht und die Leistung des Schadensersatzes das Eigentum und den Herausgabeanspruch des Gläubigers unberührt lässt. Daher entsteht das Problem der Überentschädigung des Gläubigers, wenn er Schadensersatz in Form des vollen Sachwerts erhält und trotzdem das Eigentum und den Herausgabeanspruch behält. Anstelle einer Verkürzung des Schadensersatzes hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, dem Schadensersatzschuldner als Ausgleich ein Recht auf Übereignung in Form der Abtretung des Herausgabeanspruchs einzuräumen171. Bei diesem spezifischen Interessenkonflikt zwischen Eigentümer und Schadensersatzschuldner kann es auf eine Wertung im Verhältnis des Schuldners zum Herausgabepflichtigen nicht ankommen. Für § 255 gilt, dass der Schadensersatz Leistende stets die Übereignung bzw. die Abtretung des Herausgabeanspruchs gegen den Besitzer verlangen kann, ohne dass eine weitere Wertung stattfindet. Daher hat der Schadensersatzschuldner auch dann ein Recht auf Abtretung des Herausgabeanspruchs, wenn er und der Dritte bei einer stufenden Wertung gleichrangig haften würden. Wird dem Dieb die Sache abermals gestohlen, kann er im Falle seiner Inanspruchnahme durch den Eigentümer auf Schadensersatz die Abtretung des Herausgabeanspruchs gegen den zweiten Dieb verlangen. Das Gleiche gilt, wenn eine wertende Betrachtung zugunsten des Dritten ausfallen würde: Der Dieb kann auch die Abtretung des Herausgabeanspruchs gegen einen gutgläubigen Abnehmer oder, hat er die Sache verloren, gegen einen Finder verlangen. Andere Regeln gelten demgegenüber, wenn es um die Konkurrenz von Schadensersatzansprüchen geht. Hat der zweite Dieb, der Finder oder der inzwischen bösgläubig gewordene Abnehmer die Sache versehentlich zerstört, dann ist seine interne Alleinhaftung keinesfalls selbstverständlich. Es ist nicht richtig, dass der Schadensersatzanspruch an die Stelle der Vindikation tritt und damit den gleichen Regeln unterliegt172. Zum einen muss der Schadensersatz nicht auf den Sachwert beschränkt sein. Dem Eigentümer kann ein wesentlich größerer Schaden entstanden sein, etwa wenn er die Sache sehr günstig weiterverkauft hatte oder zu einem anderen gewinnbringenden Zweck einsetzen wollte. Zum anderen zwingt die Vindikation lediglich zur Aufgabe des Besitzes, während der Schadensersatzschuldner eine Leistung aus seinem eigenen Vermögen erbringen muss und insofern einen Verlust erleidet. Gerade deswegen ermöglicht es ihm das Recht, seine Last intern zu mindern, falls es weitere Verantwortliche gibt, diese solvent sind und eine Abwägung nach § 254 auch den anderen einen Anteil zuweist. Es geht auch nicht an, § 255 allein für Schadensersatzansprüche in Höhe des Sachwerts anzuwenden mit der Erwägung, dass jeder Besitzer mit einer solchen Haftung rechnen muss, wenn er die Sache zerstört, und bei sonstigen Schadensersatzansprüchen eine Aufteilung nach §§ 426, 254 vorzunehmen. Schadensersatzansprüche können nicht in dieser Art zerlegt werden. 171 172
Oben, 797 ff. So aber Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 31; ähnlich Thiele, JuS 1968, 153 f.
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Eine Anwendung des § 255 kann daher auch nicht in den Fallkonstellationen gerechtfertigt werden, in denen ein Dritter die Sache zunächst in Besitz nimmt und später zerstört173. Ob der Dritte hier stets intern allein belastet ist, steht auch in diesen Fällen keineswegs von vornherein fest. Zwar kann zum Zeitpunkt der Schadensersatzleistung unsicher sein, ob die Sache noch existiert, ob also § 255 oder eine andere Regressregelung, etwa § 426, anwendbar ist174. Der Schadensersatzschuldner kann in diesem Fall aber die Übereignung bzw. Abtretung des Herausgabeanspruchs verlangen, die, sollte die Sache schon zerstört sein, lediglich ins Leere geht175. Eine Anwendung des § 255 allein auf Zerstörungen nach einem Besitzverlust würde zudem zu unnötigen Abgrenzungsproblemen führen176. Zerstört der Dritte die Sache schließlich erst nach der Abtretung an den Schadensersatzschuldner, dann liegt, folgt man der Ansicht, dass § 255 eine Übereignungspflicht vorsieht, lediglich ein gewöhnliches Zweipersonenverhältnis vor177. Der Dritte schuldet aus § 823 I dem Schadensersatzschuldner als neuem Eigentümer Schadensersatz. Hier ist dann aber der Schaden des neuen Eigentümers maßgebend, nicht mehr der (möglicherweise höhere) Schaden des Altgläubigers. Bei der Frage nach dem Recht des Schadensersatzschuldners aus § 255 auf Übereignung bzw. Abtretung des Herausgabeanspruchs werden also andere Maßstäbe herangezogen als bei der Frage, wie ein von mehreren geschuldeter Schadensersatz intern zu verteilen ist. Die Vorschrift des § 255 beruht weder auf einer „Ungleichstufigkeit“ der Verbindlichkeiten, noch setzt sie eine Abwägung nach mittelbarer oder unmittelbarer Verursachung oder Schadensnähe voraus. Es ist auch gar nicht ihr primäres Ziel, einen gerechten Ausgleich zwischen dem Schadensersatzschuldner und dem Dritten zu erreichen. Die Vorschrift beruht zwar auf einer spezifischen Wertung, doch ist diese häufig nur vorläufig, weil sie in einem zweiten Schritt auf der Basis eines rechtsgeschäftlichen Innenverhältnisses in Form eines endgültigen Ausgleichs korrigiert werden kann. Tritt der Gläubiger dem Dieb die Ansprüche gegen den gutgläubigen Abnehmer ab, der die Sa173 So Stammler, Einrede, 61; R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 14 ff.; Staud/Werner, § 255 Anm. 3 a; Lischka, Gesamtschuld, 64 ff.; G. Dilcher, JZ 1967, 115 (anders aber später in JZ 1973, 201); Thiele, JuS 1968, 153 f. 174 Hiermit begründen Larenz (SR AT, 558 Fn. 3) und Selb (Staud/Selb, 1995, § 255 Rz 10), die Notwendigkeit, § 255 anzuwenden. 175 Jürgens, Teilschuld, 176 f.; Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 8; H. Roth, FS Medicus, 502; Schims, Forderungsübergang, 149 f. 176 Stamm, Regreßfiguren, 64 f. 177 Geht man davon aus, dass aus § 255 nur eine Pflicht zur Abtretung des isolierten Herausgabeanspruchs folgt, wäre ein Gesamtschuldverhältnis auf Schadensersatz denkbar. Der Schaden, der durch die spätere Zerstörung entstand, ist vom Schadensersatzschuldner, etwa dem Entleiher, mitverursacht worden. Die Tatsache, dass der Entleiher leistet und den Dritten sozusagen schon mitbefreit, bevor das Gesamtschuldverhältnis überhaupt entsteht, dürfte heute kein dogmatisches Hindernis mehr bilden. Sie erklärt sich daraus, dass der Entleiher schon vor der Zerstörung dem Gläubiger mehr schuldete als dessen Vorenthaltungsschaden. Indem er die Sachsubstanz ersetzt, entschädigt er den Gläubiger schon von vornherein für den später eintretenden Substanzschaden. Diese Erwägungen zeigen aber, dass die Annahme einer aus § 255 folgenden Übereignungsverpflichtung im Vergleich zur bloßen Abtretungslösung die Abwicklung erheblich vereinfacht.
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che nach wie vor besitzt, dann steht dem Dieb in einem ersten Schritt zwar das Recht aus § 255 zu, doch kann er im Ergebnis vom Abnehmer nicht die Herausgabe verlangen, weil dieser durch die Übereignung an den Dieb über § 185 selbst Eigentümer geworden ist (bzw. dem isolierten Herausgabeanspruch eine Einrede aus dem Kaufvertrag entgegenhalten kann). Die Wertung des § 255 wird nur dann endgültig, wenn es kein Innenverhältnis gibt: Der Finder kann sich gegen einen Herausgabeanspruch des Diebs mangels Innenverhältnis nicht wehren, so dass es hier beim Ergebnis des § 255 bleibt. Der Unterschied zwischen § 255 und einem Regress in Form eines endgültigen Lastenausgleichs zeigt sich insbesondere in den Fällen, in denen beides zusammenspielt. Stehlen etwa zwei Diebe D1 und D2 gemeinsam die Sache des Gläubigers und nimmt dieser später D1 erfolgreich auf Schadensersatz in Anspruch, weil D2 mit der Sache verschwunden ist, dann kann D1 von G die Übereignung bzw. die Abtretung des Herausgabeanspruchs gegen D2 verlangen (obwohl von Ungleichstufigkeit hier keine Rede sein kann). Taucht D2 wieder auf, kann D1 die Sache von ihm vindizieren. Dies ist auch richtig, weil es D1 war, der den Schadensersatz geleistet hat. Nimmt D1 aber D2 aus § 426 I auf einen hälftigen Regress wegen des an den Gläubiger geleisteten Schadensersatzes in Anspruch, kann D2 aus § 255 die Einräumung hälftigen Miteigentums verlangen. Da § 255 also keine Wertung im Sinne des § 254, einer Schadensnähe oder einer Rangfolge trifft, sondern starr dem Schadensersatzleistenden im Ergebnis einen Herausgabeanspruch gegen sämtliche Besitzer einräumt, seien sie Diebe oder gutgläubige Abnehmer, ist er völlig ungeeignet zur Regelung konkurrierender Schadensersatzverbindlichkeiten178. Es ist auch nicht möglich, eine andere Wertung in § 255 hineinzutragen. Ob ein Schadensersatzleistender die Herausgabe der Sache von einem Dritten verlangen kann, richtet sich nach anderen Gesichtspunkten als die Frage, ob er anteiligen Ersatz des gezahlten Schadensersatzes verlangen kann. Angesichts dieser offenkundigen Ungeeignetheit der Vorschrift des § 255 ist es fast schon erstaunlich, dass ihre Anwendung auf konkurrierende Schadensersatzansprüche in der Literatur immer noch bejaht wird.
178 Im Ergebnis ebenso von Tuhr, KritVj 47 (1907), 84 f.; Planck/Siber, § 255 Anm. 1 f.; Hauk, Abtretung, 21 ff.; Heck, Schuldrecht, § 17 Nr. 1; Kreß, SR AT, § 16, S. 288 ff.; Leonhard, SR AT, § 93, S. 210 ff., § 368, S. 740; Mönch, Gesamtschulden, 50 ff.; Zilz, Unechte Gesamtschuld, 27 ff.; Henle, SR, § 56 IV B; Soergel/Re. Schmidt (1967), § 255 Rz 4; Börnsen, Strukturen, 187; Kühne, JZ 1969, 566 f.; Esser, SR AT, § 48 IV; Mirow, Unechte Gesamtschulden, 118 ff.; Ehmann, Gesamtschuld, 70, 232; Erman/Ehmann, § 421 Rz 20; G. Dilcher, JZ 1973, 199; Rüßmann, JuS 1974, 298; jurisPK/Rüßmann, § 255 Rz 4 ff., § 421 Rz 12; Goette, Gesamtschuldbegriff, 154 ff. (= VersR 1974, 526); Münchbach, Regreßkonstruktionen, 91 ff.; Weitnauer, Personenmehrheit, 385; Lange/ Schiemann, Schadensersatz, § 11 A II 2; Jürgens, Teilschuld, 170 ff.; Soergel/Mertens, § 255 Rz 3, 5; Hasse, Regreß, 35; Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 7 ff.; H. Roth, FS Medicus, 498 ff.; Stamm, Regreßfiguren, 56 ff., 76 ff.; ders., NJW 2003, 2942; Costede, JR 2005, 48; Kuhlmann, Rückgriffsgrundlagen, 52, 309 ff.; Schims, Forderungsübergang, 142 ff.; Fikentscher/Heinemann, SR, Rz 708; Staud/Noack, § 421 Rz 24; BGHZ 59, 97 (29.6.1972).
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b) Exkurs: Die Konkurrenz von Ansprüchen auf Schadensersatz und Erlösherausgabe Die unterschiedlichen Wertungen, je nachdem ob mit dem Schadensersatzanspruch ein Herausgabe- oder ein weiterer Schadensersatzanspruch konkurriert, können verdeutlicht werden durch den Vergleich mit einer dritten Fallgruppe, in denen der konkurrierende Anspruch auf § 816 I beruht. Entgegen einem Teil der Literatur und der Rechtsprechung des BGH, die von einem Gesamtschuldverhältnis ausgehen179, ist § 255 zur Regelung dieses Konkurrenzfalls geeignet180, weil die Wertungen hinsichtlich des Erlösherausgabeanspruchs denen der Vindikation entsprechen. Die sehr kontroverse Diskussion bezieht sich zumeist auf Fälle, in denen ein Dieb die Sache vom Eigentümer stiehlt und sie an einen gutgläubigen Abnehmer veräußert, der sie wiederum weiterveräußert, so dass, nachdem der Eigentümer die zweite Veräußerung genehmigt, der Schadensersatzanspruch gegen den Dieb mit dem Erlösherausgabeanspruch gegen den Abnehmer konkurriert181. In diesen Fällen besteht Einigkeit darüber, dass im Endergebnis der Dieb die Last tragen soll; zugleich gibt es ein Innenverhältnis zwischen Dieb und Abnehmer (den Kaufvertrag), mit dessen Hilfe dieses Ergebnis ganz unabhängig von der Einordnung der Schuldnermehrheit erreicht wird. Klarheit über die Wertungsfragen gewinnt man aber erst dann, wenn man von einem Fall ausgeht, in dem kein besonderes Innenverhältnis besteht. Es sei daher angenommen, dass der Dieb D die Sache vom Eigentümer E stiehlt und sie an X weiterveräußert. X verliert die Sache, Y findet sie und veräußert sie an den gutgläubigen A. In diesem Fall sind D und A durch kein Innenverhältnis verbunden. Besitzt A die Sache noch, kann E sie von A vindizieren. A hat dann einen vertraglichen Anspruch gegen seinen Verkäufer Y, kann ihn aber nicht verwirklichen, wenn dieser verschwunden oder insolvent ist. Er erleidet also einen Nachteil. Umgekehrt profitiert D, da E nach der Herausgabe durch A 179 Reichel, Schuldmitübernahme, 50 f., 53; von Caemmerer, JR 1959, 462; Kühne, JZ 1969, 565 ff.; Ehmann, Gesamtschuld, 70, 225, 232; ders., JZ 2004, 251; Erman/Ehmann, vor § 420 Rz 24, § 421 Rz 25; Rüßmann, JuS 1974, 298; jurisPK/Rüßmann, § 255 Rz 6; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 126 ff.; RGRK/Alff, § 255 Rz 8; Wolf/Niedenführ, JA 1985, 373 f.; Soergel/Wolf, § 421 Rz 13, 44; Soergel/Mertens, § 255 Rz 6; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 11 A II 2 d, B II; Wernecke, Gesamtschuld, 89 ff., 193 ff.; Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 8 f.; Stamm, Regreßfiguren, 65 f., 80; Medicus, BürgR, Rz 927; Staud/S.Lorenz, § 816 Rz 26; Jauernig/Stürner, § 421 Rz 4; Palandt/Grüneberg, § 421 Rz 11; BamR/Gehrlein, § 421 Rz 4; BGHZ 52, 39 (VII, 27.3.1969); BGH JZ 1984, 230 (VIII, 21.9.1983). 180 So auch Ru.Schmidt, JhJb 72 (1922), 21 ff.; Leonhard, SR AT, 211 f.; Soergel/Re. Schmidt (1967), § 255 Rz 3; Thiele, JZ 1970, 581; Goette, Gesamtschuldbegriff, 160 ff. (=VersR 1974, 528 f.); E. Wolf, Schuldrecht AT, 254 f., 532 f.; RGRK/Weber, § 421 Rz 21; Selb, Mehrheiten, 148, 153 ff.; Staud/Selb (1995), § 255 Rz 19; Reinicke/Tiedtke, JZ 1984, 232; dies., Gesamtschuld, 32 ff.; Jürgens, Teilschuld, 137, 177 ff.; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 64, 66; H. Roth, FS Medicus, 502 ff.; Costede, JR 2005, 48; Staud/Bittner, § 255 Rz 24; und früher der BGH, BGHZ 29, 157 (VII, 8.1.1959). 181 So verhielt es sich in den ersten beiden BGH-Entscheidungen, BGHZ 29, 157 und BGHZ 52, 39.
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keinen Schadensersatz (zumindest in Form des Sachwerts) mehr verlangen kann. Trotzdem gibt es keinen Ausgleichsmechanismus zwischen A und D. Für einen Schadensersatzanspruch A gegen D gibt es keine Grundlage. Nach wohl182 einhelliger Meinung bilden E’s Herausgabeanspruch gegen A und sein Schadensersatzanspruch gegen D kein Gesamtschuldverhältnis, so dass auch ein Regress nach § 426 entfällt. Dieses Ergebnis ist hinzunehmen. Zum einen ist es A’s eigenes Risiko, eine gestohlene Sache erworben zu haben, die er nun herausgeben muss. Zum anderen könnten X und Y später noch auftauchen, womit A sich vertraglich an Y und X sich an D halten könnte. A muss also die Sache an E herausgeben, ohne einen Ausgleich von D verlangen zu können. Wenn E sich nicht an A wendet, sondern von D Schadensersatz verlangt, muss er ihm nach § 255 die Sache übereignen bzw. den Herausgabeanspruch abtreten. D kann die Sache von A dann aus § 985 herausfordern, ohne dass A einen Ausgleich verlangen kann. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt man, wenn A die Sache an K veräußert, ohne dass es zu einer Genehmigung kommt. E kann die Sache von K vindizieren. Verlangt E stattdessen Schadensersatz von D, kann dieser von K vindizieren. In beiden Fällen wird K dann A vertraglich in Anspruch nehmen, so dass A den Erlös verliert183. Denkbar ist schließlich auch, dass D an E Schadensersatz leistet, E ihm die Sache übereignet und dann D die Veräußerung von A an K genehmigt. In diesem Fall kann er von A aus § 816 I den Erlös herausverlangen. Es ist nicht ersichtlich, auf welche Weise dieses Ergebnis zugunsten einer Aufteilung des Erlöses korrigiert werden könnte. Zu einer Konkurrenz von Ansprüchen aus § 823 und aus § 816 I ist es in allen genannten Fällen nicht gekommen. Dass A im Ergebnis den Erlös verliert, ohne sich deswegen an D halten zu können, entspricht den oben genannten Wertungen der Vindikation. Angesichts dieser Ergebnisse will es nicht einleuchten, warum gerade dann etwas anderes gelten soll, wenn E die Veräußerung von A an K genehmigt, so dass nun Ansprüche aus § 823 und § 816 I konkurrieren184. Wenn A ohne E’s Genehmigung den Erlös im Ergebnis nicht behalten konnte, ist es schwer erklärbar, warum die Genehmigung etwas daran geändert haben soll185. Anders gesagt: Das Ergebnis kann nicht davon abhängen, ob E vor D’s Schadensersatzleistung oder D danach genehmigt. Den Wertungen der zuvor genannten Fallgestaltungen entspricht allein ein Ergebnis, wonach A aus § 816 I die Herausgabe des Erlöses 182 Anders offenbar Wernecke, Gesamtschuld, 50 ff., 63, die § 255 lediglich als eine Spezialregel zu § 426 II versteht, die nur anwendbar ist, solange E besitzloser Eigentümer ist. Daher nimmt sie eine Gesamtschuld zwischen Schadensersatz- und Herausgabeanspruch zumindest dann an, wenn D und A durch ein Innenverhältnis verbunden sind und E die Sache von A zurückerhalten hat: Hatte D die Sache an A verkauft, soll auf A nun der Schadensersatzanspruch des E gegen D nach § 426 II übergehen, a.a.O., 50 Fn. 28, 53 Fn. 43. 183 Nach reformiertem Leistungsstörungsrecht kann K vom gutgläubigen A nicht mehr unbedingt Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen, § 311 a II, jedoch zumindest die Rückzahlung des Kaufpreises, §§ 326, 346. 184 Ähnlich Thiele, JZ 1970, 581; Reinicke/Tiedtke, JZ 1984, 233; dies., Gesamtschuld, 36 f.; Jürgens, Teilschuld, 179 f.; H. Roth, FS Medicus, 509. 185 So aber Münchbach, Regreßkonstruktionen, 135.
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schuldet und keinen Rückgriff gegen D nehmen kann186. Ein Anspruch aus § 816 I wird insofern anders behandelt als ein Schadensersatzanspruch. Zwar schützt § 816 I ebenso wie § 823 den Eigentümer187, doch dies im Rahmen einer bereicherungsrechtlichen Eingriffskondiktion. Hier gilt der bereicherungsrechtliche Grundsatz, dass der Anspruch aus § 816 I ebenso wie der Anspruch aus § 951 den Wertungen der Vindikation folgt188. Sofern der Schuldner mangels gutgläubigen Erwerbs einem Vindikationsanspruch ausgesetzt wäre, wird er durch einen Einbau, eine Verarbeitung oder eine Veräußerung nicht frei, sondern einem Wertersatzanspruch ausgesetzt, der an die Stelle der Vindikation tritt und daher den gleichen Regeln folgt189. Der Einbau, die Verarbeitung oder die wirksame Veräußerung ändern nur die dingliche Lage, sind aber bereicherungsrechtlich neutral, so dass die Stellung des Schuldners durch diese Ereignisse dem Wert nach nicht verbessert werden darf. Weder gegen die Vindikation noch gegen die Eingriffskondiktion kann der Schuldner den Einwand entgegensetzen, wegen eines an einen Dritten gezahlten Kaufpreises nicht bereichert zu sein190. Ebenso kann er weder bei der Vindikation noch bei der Eingriffskondiktion Ausgleich bei einem Dritten suchen, der auf irgendeine Weise die Lage schuldhaft mitverursacht hat. Schließlich muss der Schuldner sowohl bei der Vindikation als auch bei § 816 I lediglich etwas herausgeben, was er unberechtigt in seinen Händen hält191. Das unterscheidet ihn von einem Schadensersatzschuldner. Benachteiligt ist er lediglich darin, dass er für das später Herauszugebende einen Kaufpreis gezahlt hat. Hierfür bleibt ihm der Rückgriff gegen seinen Verkäufer, dessen Durchsetzbarkeit sein allgemeines Risiko ist. Wer in dieser Lage einen Ausgleich nach Verursachungs- und Verschuldenskriterien annimmt, verfolgt letztlich eine unbestimmte Billigkeitsjudikatur, die sich über die Grundsätze der bereicherungsrechtlichen Dreipersonenverhältnisse hinwegsetzt. Gibt es dagegen ein Innenverhältnis zwischen A und D, wird das durch § 255 erzielte Ergebnis beim Erlösherausgabeanspruch ebenso wie beim Vindikations186 Entgegen Reinicke/Tiedtke (JZ 1984, 233; Gesamtschuld, 36 f.), Selb (Mehrheiten, 154) und P. Bydlinski (MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 64, 66) ist es allerdings nicht entscheidend, dass D den Eigentumsverlust nur ermöglicht, A ihn aber verwirklicht hat oder dass D nur ein Liquidationsrisiko trägt. Zu Unrecht will auch Larenz, SR AT, § 37 I, Fn. 12 a, die Wahl zwischen § 426 und § 255 von einer stufenden Wertung abhängig machen. Entscheidend ist allein die Qualifizierung des Anspruchs aus § 816 I. 187 Darauf stellen ab von Caemmerer, JR 1959, 463; BGHZ 52, 39, 44; Kühne, JZ 1969, 566 f.; Ehmann, Gesamtschuld, 225, 232; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 128; BGH JZ 1984, 230, 231. 188 Goette, Gesamtschuldbegriff, 161 f.; ders., VersR 1974, 529; Jürgens, Teilschuld, 179 f., 182; H. Roth, FS Medicus, 504; ebenso früher der BGH: BGHZ 29, 157, 162 (8.1.1959). 189 von Caemmerer, FS Rabel I, 385 f.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 69 I 1 b (S. 170), § 70 III 2 b (S. 214). 190 BGHZ 9, 333 (7.5.1953); BGHZ 14, 7, 9 f. (3.6.1954); BGH NJW 1970, 2059 (30.9.1970); BGHZ 55, 176, 179 f. (11.1.1971); vgl. aber Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 621 ff. 191 So auch R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 25.
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anspruch in einem zweiten Schritt korrigiert192. In BGHZ 29, 157 und in BGHZ 52, 39 hatte D die gestohlene Sache direkt an A veräußert, dessen Weiterveräußerung an K von E genehmigt wurde. Verlangt E hier Schadensersatz von D, schuldet er ihm aus § 255 die Abtretung des Erlösherausgabeanspruchs. Diese führt dazu, dass A nicht mehr von E in Anspruch genommen werden kann. Macht D den abgetretenen Anspruch gegen A geltend, kann dieser eine Einrede aus dem Kaufvertrag entgegenhalten und mit seinem Schadensersatzanspruch gegen D aus § 311 a II aufrechnen, so dass er D im Ergebnis nichts schuldet. Wendet sich E dagegen an A, schuldet A ihm den Verkaufserlös, kann sich aber aus dem Kaufvertrag an D halten193. Verfechter einer Gesamtschuldlösung kommen hier zu gleichen Ergebnissen mit der Annahme, dass intern D verpflichtet und A freigestellt ist, so dass D’s Leistung A befreit, während A’s Leistung einen Regress gegen D aus § 426 eröffnet. Unterschiede ergeben sich zwischen beiden Lösungen hinsichtlich der Verteilung der Insolvenzrisiken, wenn zuerst D ohne Abtretung an E leistet und dieser sich dann an A wendet. Nach der Gesamtschuldlösung wäre A frei. Nach der Lösung über § 255 schuldet A weiterhin den Erlös an E und kann lediglich von D aus dem Kaufvertrag Schadensersatz verlangen, während D von E entweder aus §§ 255, 285 den von A gezahlten Erlös194 oder aus § 812 Rückzahlung des Schadensersatzes195 verlangen kann. Ist D insolvent, wird diese „Kreisel“-Lösung von den Gesamtschuldbefürwortern als unbillig empfunden, weil A an E leisten muss, der die Leistung im wirtschaftlichen Ergebnis an die Insolvenzmasse des D weiterleitet, ohne dass A seinen Anspruch gegen D durchsetzen kann196. Weil im Ergebnis nicht A, sondern D intern die Last tragen soll, scheint die Richtung des Anspruchs aus § 255 nicht zu stimmen197. 192 Nach OLG Hamm, WM 1999, 491 (17.8.1998), kann der Schuldner dem mittels § 255 Regress nehmenden Zessionar Ansprüche aus dem zwischen ihnen bestehenden Innenverhältnis sogar dann entgegenhalten, wenn diese Ansprüche verjährt sind und auch nicht nach § 389 aufgerechnet werden können. 193 Befürworter der Gesamtschuldlösung weisen auf die Möglichkeit hin, dass der Kaufvertrag zwischen D und A nichtig sein könnte; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 133; Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 9. Doch dann könnte A zumindest seinen an D gezahlten Kaufpreis kondizieren. Es ist nicht ersichtlich, warum A aus einem nichtigen Kaufvertrag ein Recht erwerben sollte, den Erlös aus einem Weiterverkauf behalten zu können. 194 So das Berufungsgericht in BGHZ 52, 39; R. Schmidt, AcP 163 (1963), 531; Reinicke/ Tiedtke, Gesamtschuld, 35; H. Roth, FS Medicus, 503, 507. Nach Jürgens, Teilschuld, 181, soll D Schadensersatz aus § 280 verlangen können. 195 So R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 22 Fn. 2; BGHZ 29, 157, 163 (8.1.1959); Reeb, JuS 1970, 215; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 64. 196 Rüßmann, JuS 1972, 45 f.; ähnlich BGHZ 52, 39, 43; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 131 f. Entsprechendes gilt, wenn erst D ohne Abtretung, dann A an G leistet: Nach der Lösung über § 255 könnte A sich nur an D halten, nach der Gesamtschuldlösung hätte er einen Bereicherungsanspruch gegen G wegen rechtsgrundloser Leistung. 197 Doppelt unrichtig erscheint aber die Lösung, den Anspruch aus § 255 hier dem A zu gewähren, so aber das Berufungsgericht in BGHZ 29, 157; Reeb, JuS 1970, 214; früher Rüßmann, JuS 1972, 46 (anders dann aber in JuS 1974, 298); G. Dilcher, JZ 1973, 201; Baumgärtel, GS Rödig, 321;
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Zu bedenken ist aber, dass dasselbe Problem auftaucht, wenn A die Sache noch in den Händen hält und der Vindikation des E ausgesetzt ist: A muss die Sache an E herausgeben; E leitet die Sache oder den von D gezahlten Schadensersatz an die Insolvenzmasse des D weiter, und A kann seinen vertraglichen Anspruch gegen D nicht durchsetzen. Diese Lösung ist auch nicht von vornherein unbillig, weil es grundsätzlich A’s Risiko ist, eine gestohlene Sache von einem insolventen Verkäufer erworben zu haben. Im vorliegenden Fall kommt lediglich die Besonderheit dazu, dass der Eigentümer die Leistung des A an den intern allein belasteten D weiterleitet und dieser insolvent ist. In dieser Lage kann A durch die Überlegung geholfen werden, dass seine Leistung im Vermögen des E nur einen Durchgangsposten bildet, weil „eigentlich“ D sein Gläubiger ist, der nur zufällig unterlassen hat, die Abtretung zu verlangen. E hat kein eigenes Interesse an der Erlösleistung durch A, während A durch die unterlassene Abtretung benachteiligt wird. Mit diesem Argument könnte A gegenüber G eine Einrede gewährt werden, so dass er auch bei einer Anwendung des § 255 im Ergebnis nicht schlechter gestellt wird als bei der Gesamtschuldlösung198. Ein ähnliches Problem stellt sich, wenn zuerst A und dann D an G leistet. Wendet man § 255 an, wurde D durch A’s Leistung befreit und hat daher eine Nichtschuld gezahlt, die er von E kondizieren kann. Auch diese Lage führt zu Unbilligkeiten, wenn D insolvent ist, weil E den von A erhaltenen Erlös (oder den von D erhaltenen Schadensersatz) an D’s Insolvenzmasse leisten müsste, A aber seine vertragliche Schadensersatzforderung nicht durchsetzen könnte. Interessengerechter könnte es daher sein, die Kondiktion gegen E nicht D, sondern A einzuräumen199. Die Befürworter einer Gesamtschuldlösung meinen, dieses Ergebnis mit Hilfe der Gesamtschuldregeln erzielen zu können: Nach A’s Leistung an E stünde ihm der Regress aus § 426 zu. Wenn D aber danach gutgläubig an E geleistet hat, kann er sich auf §§ 412, 407 berufen. A kann dann von G aus § 816 II die Herausgabe des von D an G Geleisteten verlangen200. Doch diese Lösung kann aus mehreren Gründen nicht überzeugen. Zunächst setzt sie sich darüber hinweg, dass der Gesamtschuldregress doppelspurig ist: D’s gutgläubige Leistung an seinen vermeintlichen Gläubiger G kann ihn nach §§ 407, 412 zwar vor dem Zessionsregress nach § 426 II bewahren, nicht aber vor dem Regress aus § 426 I, der nach herrschender Lehre als Ausdruck der solidarischen Schuldgemeinschaft unabhängig vom Schicksal der Gläubigerforderung 198 Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 307; Staud/Bittner, § 255 Rz 10; vgl. auch MüKo/Oetker, § 255 Rz 6 f., der dem Dieb wegen Gleichstufigkeit der Verbindlichkeiten das Abtretungsrecht versagen will. Für eine von Verursachungs-, Verschuldens- und Vertragserwägungen abhängige Regressgewährung ist die Vorschrift des § 255 ebenso wenig geeignet wie bei konkurrierenden Schadensersatzansprüchen; ebenso Thiele, JZ 1970, 581; H. Roth, FS Medicus, 504 f. 198 So H. Roth, FS Medicus, 505 f. 199 Siehe aber H. Roth, FS Medicus, 508, der die Insolvenzrisiken für richtig verteilt hält, wenn D kondizieren kann. 200 So Münchbach, Regreßkonstruktionen, 132 f.; Wernecke, Gesamtschuld, 195; Medicus, BürgR, Rz 927.
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ist201. Zudem bliebe, selbst wenn man § 407 auch auf den Regress aus § 426 I anwendet, immer noch A’s Anspruch gegen D aus dem Kaufvertrag, der durch D’s Leistung an G offenbar nicht untergegangen sein kann. Im Ergebnis steht A also weiterhin eine Forderung gegen D zu, so dass er gegen G keinen Anspruch aus § 816 II haben kann. Will man sich aber auch darüber hinwegsetzen, so verbleibt der Einwand, dass ein Schuldner sich nicht auf § 407 berufen muss202 und D’s Insolvenzverwalter geradezu pflichtwidrig handeln würde, wenn er es täte, weil er dann die Kondiktion gegen G verlieren würde. Das Problem ist also auch mit den bestehenden Gesamtschuldregeln nicht zu lösen. Es stellt sich auch bei gewöhnlichen Gesamtschulden immer dann, wenn der intern allein verpflichtete Schuldner als zweiter an den Gläubiger leistet und dann insolvent wird. Erwägungen zur Verteilung des Insolvenzrisikos sprechen also insgesamt nicht zwingend für eine Gesamtschuldlösung anstelle einer Anwendung von § 255. Soweit § 255 Probleme bereitet, bestehen diese Probleme ebenso in seinem Kernbereich in Form der Abtretung von Herausgabeansprüchen und gehen letztlich darauf zurück, dass die Vorschrift lediglich ein Abtretungs- bzw. Übereignungsrecht vorsieht statt eines gesetzlichen Forderungs- bzw. Rechtsübergangs, wie ihn die Erste Kommission noch vorgesehen hatte203. Dies könnte allerdings ein Argument dafür sein, § 255 auf Herausgabe- bzw. Übereignungsansprüche zu beschränken, um wenigstens in einem Teilbereich von der unbefriedigenden Abtretungslösung wegzukommen. Die Befürworter des Gesamtschuldregresses weisen darauf hin, dass bei der Konkurrenz von Schadensersatz- und Erlösherausgabeansprüchen die spezifischen sachenrechtlichen Probleme, die bei der Fassung der Vorschrift ausschlaggebend waren, nicht bestehen, so dass kein Grund dagegen spreche, § 426 anzuwenden204. In der Tat ist es technisch möglich, den Ausgleich zwischen Schadensersatzund Erlösherausgabeschuldner mit Hilfe der §§ 421 ff. zu verwirklichen. Doch was dabei nicht getan werden darf, ist, im Rahmen des Gesamtschuldregresses 201
Oben, 668 ff. So auch H. Roth, FS Medicus, 508. 203 Ebenso H. Roth, FS Medicus, 506. 204 Ehmann, Gesamtschuld, 70; Rüßmann, JuS 1974, 298; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 128 f.; Wolf/Niedenführ, JA 1985, 374, 380; Wernecke, Gesamtschuld, 54 ff.; Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 8; Stamm, Regreßfiguren, 45 f., 65 f., 80. Um ein ähnliches Argument handelt es sich, wenn darauf verwiesen wird, dass zwischen § 816 I und § 823 deswegen ein Gesamtschuldverhältnis bestehen müsse, weil diese Ansprüche auch beim Zusammentreffen in der Person nur eines Schuldners in wechselseitiger Solutionskonkurrenz stehen, soweit sie sich decken, so BGHZ 52, 39, 44; Wolf/Niedenführ, JA 1985, 373; Soergel/Wolf, § 421 Rz 13 Fn. 25; dagegen Jürgens, Teilschuld, 178, mit dem Hinweis, dass in diesem Fall, anders als bei der Schuldnermehrheit, die Leistung des Schadensersatzes zugleich die Bereicherung beendet. Tatsächlich können aus einer Solutionskonkurrenz bei Schuldnereinheit keine zwingenden Folgerungen für Schuldnermehrheiten gezogen werden. S kann G täuschen oder falsch beraten mit dem Ergebnis, dass G an S etwas leistet, was er ihm gar nicht schuldet. Zwischen dem Bereicherungs- und Schadensersatzanspruch besteht Solutionskonkurrenz, doch bei einer Schuldnermehrheit (S berät falsch, so dass G rechtsgrundlos an R leistet) wird ein Gesamtschuldverhältnis trotzdem von der wohl überwiegenden Ansicht ausgeschlossen. 202
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auf Verursachungs- und Verschuldensbeiträge abzustellen, solange einer der Schuldner allein die Erlösherausgabe schuldet205. Solche Erwägungen passen nur auf die Konkurrenz von Schadensersatzansprüchen. Bei fehlendem Innenverhältnis muss es dabei bleiben, dass der Veräußerer A den Erlös aus § 816 II schuldet, ohne einen Regress gegen den Schadensersatzschuldner D nehmen zu können. Eine solche Lösung wäre aber auch bei Anwendung des § 426 erreichbar. Die Bestimmung von Verursachungsbeiträgen und Verschuldensgraden nach § 254 ist schließlich nur einer von mehreren Maßstäben zur Ermittlung der internen Anteile nach § 426 I. Anerkannt werden müsste, dass eine solche Aufteilung nur dann vorgenommen werden kann, wenn im Gesamtschuldverhältnis mehrere Schadensersatzansprüche konkurrieren. Schuldet einer der Schuldner nur aus § 816 I, folgt aus der bereicherungsrechtlichen Wertung, dass er im Innenverhältnis allein verpflichtet ist. Besteht dagegen eine besondere Innenbeziehung unter den Schuldnern, richtet sich der Ausgleich nach den für dieses Verhältnis geltenden Regeln, nicht nach einer diffusen Gesamtabwägung206. Insgesamt könnte die Konkurrenz von Schadensersatz- und Erlösherausgabeansprüchen also statt mit Hilfe des § 255 auch mit Hilfe des § 426 erreicht werden, solange man an der Wertung festhält, dass ohne Innenverhältnis der Erlösherausgabeschuldner intern belastet ist. Die Frage, welcher Regressweg vorzuziehen ist, stellt sich dann ebenso wie bei der Konkurrenz mehrerer Schadensersatzverbindlichkeiten.
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So auch R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 25. Dies gilt etwa für den Fall BGH JZ 1984, 230. Hier hatte D einen Sattelzug an K unter Eigentumsvorbehalt verkauft. Zwischen D, K und A kam es zu einer Abmachung, wonach A dem Käufer ein Darlehen für den ausstehenden Kaufpreis gewährte, K an D zahlte und D im Gegenzug den Kraftfahrzeugbrief an A aushändigte. Anschließend kam es zu einer Sicherungsübereignung von K an A. Als K später insolvent wurde, veräußerte A den Sattelzug. Tatsächlich aber war mit Zahlung des Kaufpreises an D nicht K, sondern G Eigentümer geworden, weil K ihm zuvor sein Anwartschaftsrecht übertragen hatte. Dies hatten K und D auch gewusst. A konnte den Wagen wegen § 933 auch nicht gutgläubig von K erwerben. G stand daher gegen D ein Schadensersatzanspruch wegen schuldhafter Ermöglichung des Eigentumsverlusts und gegen A ein Anspruch aus § 816 I zu. Der BGH befürwortete eine Gesamtschuldlösung, bei der die internen Anteile nach § 254 bestimmt werden sollten, a.a.O., 232. Eine solche Abwägung ist dann richtig, wenn auch A dem Gläubiger Schadensersatz schuldet, was im Sachverhalt offenbar der Fall war, weil A bei seiner Veräußerung nicht mehr gutgläubig war. Abgesehen davon aber steht A hier ein eigener Schadensersatzanspruch gegen D zu: D hatte zusammen mit K dem A vorgespiegelt, dass K’s Anwartschaftsrecht noch bestand, so dass mit der von A finanzierten Restzahlung des Kaufpreises an D zuerst K und später A Eigentümer werden könnten. Die Täuschung bezweckte und verursachte, dass A ein nicht mehr einbringliches Darlehen an K gewährte, das er bei Kenntnis der wahren Lage nicht gewährt hätte. D schuldet A daher aus §§ 823 II BGB, 263 StGB Schadensersatz in Form der nicht einbringlichen Darlehenssumme. Eine Anwendung des § 255 würde also nicht zu unrichtigen Endergebnissen führen. Reinicke und Tiedtke, die ebenfalls von § 255 ausgehen, wollen A mit der Annahme helfen, dass die Durchsetzung des nun D zustehenden Anspruch aus § 816 I gegenüber A gegen Treu und Glauben verstoßen würde, JZ 1984, 234; Gesamtschuld, 38. 206
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c) Der Unterschied zwischen wechselseitiger und nur einseitiger Solutionskonkurrenz in der Ausgestaltung des Regresses Es hat sich gezeigt, dass die Vorschrift des § 255 zur Regelung der Konkurrenz mehrerer Schadensersatzansprüche nicht geeignet ist. Wer bei „gestuften“ Schadensersatzpflichten dem Modell der nur einseitigen Solutionskonkurrenz folgen will, muss sich daher nach einer anderen Regressgrundlage umsehen. In Frage käme eine Gesamtanalogie zu bestehenden Legalzessionsvorschriften wie § 67 VVG oder § 6 EFZG, sofern man diese als Ausdruck einer einseitigen Solutionskonkurrenz versteht207. Ein solches Vorgehen würde sich allerdings sogleich dem Einwand aussetzen, dass zumindest nach der Vorstellung des Gesetzgebers keine Lücke vorliegt, weil das Zusammentreffen von Schadensersatzverbindlichkeiten mit §§ 421 ff. geregelt werden sollte. Doch ganz unabhängig davon, wie man einen reinen Zessionsregress – sei es per Abtretungspflicht, sei es per gesetzlichem Forderungsübergang – im Gesetz verankern will, sind auch die Auswirkungen auf die Ausgestaltung des Regresses zu beachten. Die Unterscheidung zwischen einer wechselseitigen Solutionskonkurrenz, die einen eventuell durch Subrogation verstärkten eigenen Regress eröffnet, und einer nur einseitigen Solutionskonkurrenz mit „echtem“ Zessionsregress ist nicht lediglich eine Frage der dogmatischen Konstruktion, sondern kann sich praktisch in den Rechtsfolgen auswirken208. Grundlage des Regresses bei der Gesamtschuld ist trotz § 426 II der eigene Rückgriff aus § 426 I, der durch den Übergang der Gläubigerforderung lediglich gesichert wird. Dies bedeutet, dass die Höhe der Regressforderung sich allein nach § 426 I bzw. dem besonderen Innenverhältnis richtet, selbst wenn die Gläubigerforderung weiter geht. Stützt man den Regress dagegen auf den Gedanken, dass der Regressberechtigte mit seiner Leistung die Forderung gegen den Regressverpflichteten gar nicht zum Erlöschen gebracht hat und gegen diesen daher nicht aus einem eigenen Rückgriffsrecht, sondern nur aus der übergeleiteten Gläubigerforderung vorgeht, liegt es nahe, auch den Umfang und die Modalitäten des Regresses von der Gläubigerforderung abhängig zu machen. Bei einer Mehrheit von Regressverpflichteten ist der Gesamtschuldregress grundsätzlich nur als Teilschuld ausgestaltet. Der Regressberechtigte kann also von einem der Verpflichteten lediglich dessen eigenen Innenanteil verlangen und steht insofern schlechter da als der Gläubiger. Das Modell der einseitigen Solutionskonkurrenz kann hingegen dazu führen, dass der Regressberechtigte in die Stellung des Gläubigers als Gesamtschuldgläubiger einrückt. Gerade dies ist für Selb ein entscheidender Vorteil des Zessionsregresses über § 255, wenn es meh207 Vgl. Selb, Mehrheiten, 187; MüKo/Oetker, § 255 Rz 20; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 149; Schims, Forderungsübergang, 153 ff. Nicht in Frage kommen die Legalzessionen nach §§ 116 SGB X, 93 SGB XII, 87 a BBG und 52 BRRG, weil der Anspruch gegen den Regressschuldner hier schon vor der Leistung des Legalzessionars auf diesen übergeht. 208 Hierzu schon oben, 421 ff., 430 ff., 807 ff.
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rere vorrangige Schuldner gibt: Muss der Entleiher dem Gläubiger dafür einstehen, dass die entliehene Sache von zwei Mittätern zerstört wurde, dann führt der reine Zessionsregress dazu, dass der Entleiher die Mittäter ebenso solidarisch in Anspruch nehmen kann wie zuvor der Gläubiger209. Dieses Ergebnis lässt sich allerdings auch mit den Gesamtschuldregeln erreichen, wenn man zwischen den Mittätern eine Haftungseinheit annimmt, mit deren Hilfe der grundsätzlich nur anteilige Gesamtschuldregress durchbrochen werden kann210. Demnach sind offenbar auch die Gesamtschuldregeln geeignet, den Besonderheiten einer Mehrheit von Regresspflichtigen bei gestuften Verbindlichkeiten gerecht zu werden. Unterschiede ergeben sich aber bei der Frage, in welcher Höhe der an den Gläubiger Leistende insgesamt Regress nehmen kann. Bei der Gesamtschuld richtet sich die Höhe allein nach dem eigenen Rückgriffsanspruch aus dem Innenverhältnis bzw. aus § 426 I. Ist der eigene Regressanspruch nicht verzinslich, dann kann der leistende Gesamtschuldner richtiger Ansicht nach nicht von zukünftig anfallenden Zinsen der Gläubigerforderung profitieren211. Vielmehr ist die Gläubigerforderung als gewöhnliche, frei abtretbare Forderung nach § 422 I erloschen und wird nur zu Regresszwecken am Leben erhalten. Sie kann die selbständige Regressforderung, von deren Bestand sie abhängt, nicht erhöhen. Die Zinsforderung verbleibt auch nicht beim Gläubiger, sondern erlischt endgültig, soweit sie für den Regress nicht gebraucht wird. Hiervon profitiert der nicht leistende Gesamtschuldner. Geht man dagegen vom Modell einer nur einseitigen Solutionskonkurrenz aus, dann hat der sekundär Verpflichtete die verzinsliche Gläubigerforderung mit seiner Leistung überhaupt nicht zum Erlöschen gebracht. Die Verzinsung läuft also weiter und kommt nach einer Zession dem Regressberechtigten zugute212. Damit wird die grundsätzliche Frage aufgeworfen, ob der Regressberechtigte mit Hilfe des Regresses im Ergebnis mehr bekommen kann, als er selbst an den Gläubiger geleistet hat. Beim Gesamtschuldregress ist das ausgeschlossen: Abgerechnet wird nur nach dem, was der Regressberechtigte tatsächlich an den Gläubiger leistete. Hat er etwa mit Einverständnis des Gläubigers eine weniger wertvolle Leistung an Erfüllungs statt erbracht und damit seine Mitschuldner befreit (§ 422 I 2), dann richtet sich sein Regress nach wohl allgemeiner Ansicht nach dem Wert der erbrachten Leistung, nicht nach dem Wert der ursprünglichen Forderung213.
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Selb, Schadensbegriff, 26; ders., Mehrheiten, 187. Jürgens, Teilschuld, 208 f. Zu den Haftungseinheiten oben, 596. Diese Möglichkeit sieht natürlich auch Selb, der aber der Konstruktion von Haftungseinheiten bei Gesamtschuldverhältnissen kritisch gegenübersteht. 211 Oben, 436 ff. 212 Vgl. RGZ 53, 327 (21.1.1903). 213 Planck, BGB (1900), § 426 Anm. 4; Crome, Schuldverhältnisse, § 207 II 1; Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 164 V; Kremer, Mitbürgschaft, 177 ff.; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 318 Fn. 13; Planck/Siber, § 426 Anm. 4; Oertmann, Schuldverhältnisse AT, § 426 Anm. 1 a.E.; Kreß, SR AT, § 24 Fn. 32; Staud/Kaduk, § 426 Rz 41; Staud/Noack, § 426 Rz 34; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 146; anders nur Lippmann, AcP 111 (1914), 189 f. 210
5. Der Zessionsregress
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Nach dem Modell einer nur einseitigen Solutionskonkurrenz lässt die Leistung des Regressberechtigten die Forderung gegen den Regressverpflichteten in ihrer ursprünglichen Höhe unberührt. Demnach ist es auch möglich, dass diese Forderung in voller Höhe auf einen Regressberechtigten übergeht, der selbst Aufwendungen in geringerer Höhe erbracht hat. Der Regressberechtigte könnte sich auf diesem Wege bereichern. Ein solches Ergebnis ist beim Zusammentreffen von Schadensersatzverbindlichkeiten offenbar unerwünscht214. Zu einem anderen Ergebnis kommt man nur durch Annahme einer zusätzlichen Regel, wonach die Zession allein in der Höhe der an den Gläubiger erbrachten Leistung stattfindet. Dann verbleibt der Rest der Forderung gegen den Regressverpflichteten beim Gläubiger. Ob aber eine solche Regel bei reinen Zessionsregressen stets gilt, ist nicht sicher. Zumindest bei § 255 gilt sie nicht. Nach Ansicht des Gesetzgebers sollte der Dritte hier keine Einwendungen daraus ableiten können, in welcher Höhe der Schadensersatzpflichtige an den Gläubiger leistete, sofern nur der Gläubiger die Forderung an den Dritten vollständig abgetreten hat215. Nun ist es auch bei der Gesamtschuld möglich, dass der Gläubiger von einem Schuldner nur einen Teil der geschuldeten Leistung erhält und ihm die Restforderung abtritt. Dann kann der leistende Gesamtschuldner bei seinem Mitschuldner so Regress nehmen, als habe er die vollständige Leistung erbracht216. Dies setzt aber eine bewusste Abtretung und damit eine Kenntnis der Parteien voraus, dass die Leistung des Gesamtschuldners hinter der geschuldeten Leistung zurückblieb. Bei § 255 dagegen kommt es zum vollständigen Rechtsübergang auch dann, wenn die Parteien annahmen, dass der an den Gläubiger erbrachte Schadensersatz genau der geschuldete ist. Dies zeigt sich im klassischen Fall des Besitzverlustes. Der Schuldner leistet hier Schadensersatz auf der Basis des von den Parteien angenommenen Sachsubstanzwerts, der dem wahren Wert der verlorenen Sache wohl nur selten exakt entspricht. Der Gläubiger ist nach herrschender Lehre zur Übereignung verpflichtet217. Taucht die Sache wieder auf und stellt sich heraus, dass ihr Wert höher war als der geleistete Schadensersatz oder dass sie inzwischen im Wert gestiegen ist, dann kann der Schadensersatz Leistende sie trotzdem behalten. Nach überwiegender Ansicht steht dem Gläubiger, wenn überhaupt, ein Rückübereignungsrecht nur im Fall eines besonderen Affektionsinteresses zu. Diese Regelung erscheint auch sinnvoll. Bei besonders krassen Abweichungen könnte vielleicht unter Berufung auf § 242 oder § 313 eine Ausnahme gemacht werden. Ansonsten gilt aber, dass mit der Schadensersatzleistung und der Übereignung 214
Vgl. Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 8. Prot. 606 (Mugdan II, 519 f.); abgedruckt oben, 797. 216 Der Gläubiger kann durch Abtretung der Forderungen an einen Gesamtschuldner zwar nicht in den Innenausgleich nach § 426 eingreifen, etwa dem Zessionar einen Gesamtschuld- statt eines Teilregresses verschaffen, stellvertretend BGHZ 17, 214, 222 (13.5.1955); Staud/Noack, § 422 Rz 9, § 426 Rz 17, 124. Wohl aber kann er einen Gesamtschuldner mittels Abtretung so stellen, als ob er geleistet hätte. 217 Oben, 803. 215
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
eine endgültige Abwicklung stattfinden sollte, die nicht durch jede Wertdifferenz nachträglich wieder in Frage gestellt werden darf. Insofern darf sich der Schadensersatz Leistende bei § 255 also bereichern. Für die Konkurrenz von Schadensersatzansprüchen erscheint eine solche Rechtsfolge dagegen als unangemessen. Bei der Konkurrenz von Schadensersatz- und Erlösherausgabeanspruch hängt die Entscheidung zwischen § 426 und § 255 daher auch davon ab, wem man einen den Schadensersatz übersteigenden Erlösanteil zusprechen will. Diese Frage stellt sich vor allem dann, wenn man mit dem BGH218 aus § 816 I einen Anspruch nicht nur auf den Sachwert, sondern auf den erzielten Erlös gewähren will. Dann kann es vorkommen, dass der Schadensersatzschuldner S aus § 823 I die Summe von 1000, der Veräußerer V dagegen aus § 816 I die Summe von 1.200 schuldet. In der Literatur gehen nicht nur Befürworter eines Gesamtschuldregresses219, sondern auch diejenigen, die § 255 anwenden wollen220, davon aus, dass S im Ergebnis von V höchstens 1000 verlangen kann, während die Restforderung von 200 beim Gläubiger verbleibt. Bei Anwendung des § 426 ist diese Lösung selbstverständlich, weil eine Gesamtschuld dann nur in Höhe von 1000 vorliegt. Wer § 255 anwendet, geht davon aus, dass S ein Abtretungsrecht nur in der Höhe von 1000 hat. Eine solche Beschränkung des Abtretungsanspruchs passt aber nicht zur Struktur des § 255, so dass, will man S lediglich 1000 zubilligen, eine Anwendung der Gesamtschuldregeln sinnvoller erscheint. Es fragt sich allerdings, ob es tatsächlich gerechtfertigt ist, die Rechte des Schadensersatzschuldners auf die Höhe des an den Gläubiger Geleisteten zu beschränken. Der Fall, dass der Gläubiger G sowohl auf den solventen S als auch auf den solventen V zugreifen kann, die Veräußerung von V genehmigt und sich danach dennoch an S wendet, wird in der Praxis kaum vorkommen. Ist V greifbar und solvent, wird sich G an V halten. Vor allem braucht er die Genehmigung nach §§ 816 I, 185 nach herrschender Lehre nur Zug um Zug gegen Herausgabe des Erlöses zu erteilen221. G wird sich daher nur dann an S wenden, wenn V nicht greifbar oder vielleicht nicht zahlungsfähig ist. In diesem Fall wird G in der Regel die Veräußerung auch noch nicht genehmigt haben. Leistet S dann Schadensersatz, muss G ihm die Sache übereignen. Kann S dann V ausfindig machen und ist dieser solvent, kann S die Verfügung von V genehmigen und erhält den vollständigen Erlös, den er auch behalten kann. Dieses Ergebnis ist nicht sachwidrig, weil es bei der Schadensersatzleistung durch S keineswegs sicher war, dass S auf V zugreifen konnte. Wie nach römischem Recht erhält S eine Art Risikoprämie. Dann 218 BGHZ 29, 157, 159 ff. (8.1.1959); ebenso Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 313 ff.; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 72 I 2 (S. 267 ff.); MüKo/Lieb, § 816 Rz 28 ff.; dagegen Medicus, BürgR, Rz 723; Soergel/Mühl/Hadding, § 816 Rz 29; jew. m.w.N. 219 Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 9. 220 R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 28; Selb, Mehrheiten, 163 f. 221 Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 306; Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 69 II 2 c (S. 182); MüKo/Lieb, § 816 Rz 26; Staud/S.Lorenz, § 816 Rz 9; Soergel/Mühl/Hadding, § 816 Rz 8.
6. Der Bereicherungsregress
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fragt es sich aber, warum etwas anderes gelten soll, wenn G erst genehmigt und dann von S Schadensersatz verlangt. G hält sich schließlich nur deshalb an S, weil er nicht sicher ist, ob er von V den gesamten Erlös erlangen kann. Dieses Risiko bürdet er nun S auf. Insofern könnte man zur Lösung gelangen, dass S auch in dieser Lage einen Anspruch auf den Genuss der Eigentümerrechte haben sollte, der hier wegen der Genehmigung des G nur noch in Gestalt des Rechts auf den Verkaufserlös besteht. Folgt man dieser Auffassung, wäre § 426 eine ungeeignete Regelung, vielmehr müsste die Konkurrenz zwischen Schadensersatz- und Erlösherausgabeanspruch nach § 255 abgewickelt werden.
6. Der Bereicherungsregress Die Lösung, in bestimmten Schuldnermehrheitsfällen eine Gesamtschuld zu verneinen und statt dessen dem zweitrangig verpflichteten Schuldner R im Fall seiner Leistung einen Bereicherungsanspruch gegen den erstrangig verpflichteten Schuldner S zu gewähren, findet sich teilweise bei der Lehre von der unechten Gesamtschuld222 und später bei Esser und Frotz223, wird heute in der Literatur aber nicht mehr verfolgt. Die Rechtsprechung hat den Bereicherungsregress in vereinzelten Fallgruppen für möglich gehalten224, im Bereich der Schadensersatzschulden etwa bei der Haftung von Bauunternehmer und Architekt225, bevor der Große Senat des BGH sich hier für die Gesamtschuldlösung entschied226. Anhänger der Lehre, welche die Gesamtschuld den Fällen der nur einseitigen Solutionskonkurrenz gegenüberstellt, halten einen Bereicherungsregress von vornherein für ausgeschlossen. Bei gestuften Leistungspflichten werde der erstrangig zuständige Schuldner S durch die Leistung des R wegen des versagten Vorteilsausgleichs gar nicht befreit, so dass er nicht bereichert sei227. Einige Autoren machen darüber hinaus geltend, dass eine fremde Verbindlichkeit überhaupt nur dann zum Erlöschen gebracht werden könne, wenn entweder eine Gesamtschuld (§ 422) oder eine Drittleistung i.S.d. § 267 vorliege. Der nachrangig zu222 Oertmann, FS von Gierke, 14 f.; ders., Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 5 c; Klingmüller, JhJb 64 (1914), 96 ff. (insbesondere für Nebentäter); Lischka, Gesamtschuld, 63, s.a. Crome, Schuldverhältnisse, § 206 II 3. 223 Esser, SR AT, § 59 IV 4 (S. 447); Frotz, JZ 1964, 669 f.; ders., VersR 1965, 217 f. 224 RGZ 82, 206, 215 (26.4.1913, Dombrandfall); für Schadensersatz und Unterhalt RG Warn 1909 Nr. 80 (12.11.1908); RG JW 1909, 137 Nr. 15 (14.1.1909); RG JW 1910, 389 Nr. 6 (24.2.1910); RGZ 138, 1 (4.7.1932). 225 BGHZ 39, 261, 265 (2.5.1963). 226 BGHZ 43, 227 (1.2.1965). 227 Selb, Schadensbegriff, 35; ders., NJW 1963, 2057; ders., NJW 1964, 19; ders., Mehrheiten, 182; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 172; Jürgens, Teilschuld, 198; Wendlandt, Jura 2004, 332; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 153 f., 373; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 67; Staud/S.Lorenz, § 812 Rz 69; Palandt/Grüneberg, § 421 Rz 9; BamR/Gehrlein, § 421 Rz 16, 18; ebenso früher zum Regress des Architekten gegen den Bauunternehmer Ruhkopf, VersR 1963, 210; ähnlich Mirow, Unechte Gesamtschulden, 149.
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
ständige Schuldner R leiste aber auf seine eigene Verbindlichkeit, nicht auf die des erstrangig zuständigen Schuldners S228. Letzteres ist sicher richtig. Wer auf eine eigene Verbindlichkeit gegenüber dem Gläubiger leistet, kann nicht zugleich auf eine Verbindlichkeit leisten, die einen anderen gegenüber demselben Gläubiger trifft229. Schulden sowohl S als auch R, kann R zwar statt auf seine auf die Schuld des S leisten, womit er eine gewöhnliche Rückgriffskondiktion wegen Drittleistung hat230. Er kann aber nicht auf beide Verbindlichkeiten zugleich leisten. Erfüllt er seine eigene Verbindlichkeit gegenüber G (wovon hier ausgegangen wird), kommt also eine gewöhnliche Rückgriffskondiktion nach §§ 267, 812 nicht in Frage. Doch damit steht noch nicht fest, ob S nicht befreit werden kann. Wie gezeigt ist die These, dass die Leistung von R dem erstrangig zuständigen Schuldner S nicht zugutekommen dürfe, im Dreipersonenverhältnis keineswegs zwingend, solange es einen Regressmechanismus gibt, der sicherstellt, dass S im Ergebnis nicht profitiert. Auch der Satz, wonach die Tilgung einer fremden Verbindlichkeit grundsätzlich nur im Rahmen der § 422 oder § 267 möglich sein soll, ist nicht bewiesen. Immerhin lässt auch die Lehre von der einseitigen Solutionskonkurrenz die Tilgung einer fremden Verbindlichkeit zu, wenn der erstrangig zuständige Schuldner S leistet, verneint die Tilgungswirkung also nur bei der Leistung des zweitrangig zuständigen Schuldners R231. Damit ist sie zu überflüssigen Konstruktionen gezwungen, wenn R im Innenverhältnis ausnahmsweise belastet ist: Leistet etwa der Bürge, der nach Vereinbarung mit dem Hauptschuldner keinen Regressanspruch haben soll, muss angenommen werden, dass die Forderung gegen den Hauptschuldner nach § 774 auf den Bürgen übergeht, von diesem aber dauerhaft nicht geltend gemacht werden kann232. Einfacher erschiene es, den Forderungsübergang hier auszuschließen, was aber die Anerkennung einer Tilgungswirkung voraussetzt. 228
Stamm, Regressfiguren, 101 f., 110; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 128 ff., 133, 135, 153 f.; Ehmann, JZ 2004, 254 Fn. 36; ähnlich schon Schmalzl, MDR 1964, 363. 229 Gernhuber, Erfüllung, § 21 I 5 c; Jürgens, Teilschuld, 100; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 182; möglicherweise anders, dann aber zu Unrecht, BGHZ 70, 389, 396 f. (23.2.1978); BGHZ 72, 246, 249 (26.10.1978); BGHZ 137, 89, 95 (4.11.1997); Kuhlmann, Rückgriffsgrundlagen, 188 f. Gewiss ist es möglich, als Dritter auf eine fremde Schuld und zugleich auf eine eigene Verbindlichkeit gegenüber dem Schuldner zu leisten. 230 Auch das wird von Jürgens, Teilschuld, 101, und Esser/Schmidt, SR AT 1, § 17 III, ausgeschlossen. Dazu besteht aber kein Grund. Auch ein Gesamtschuldner kann statt auf seine eigene als Dritter auf die Schuld des Mitschuldners leisten, womit er gegenüber dem Mitschuldner eine Rückgriffskondiktion, dieser aber gegenüber dem Leistenden einen Gesamtschuldregress hat; ebenso Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 180 f. Leistet der Schädiger auf die Schuld des Schadensversicherers, erwirbt er zwar eine Rückgriffskondiktion gegen diesen, doch zugleich ist die Forderung des Gläubigers gegen den Schädiger nach § 67 VVG auf den Versicherer übergegangen. 231 Darauf macht auch Hasse, Regreß, 38, 42, aufmerksam. 232 Bürge und Hauptschuldner sind nach dieser Lehre keine Gesamtschuldner, so dass § 422 nicht anwendbar ist. Leistet der Hauptschuldner, wird der Bürge wegen des Akzessorietätsprinzips frei, so dass sich die Frage der Tilgungswirkung nur stellt, wenn der Bürge leistet. Vgl. hierzu unten, 1235 ff.
6. Der Bereicherungsregress
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Mit Recht kann aber gefragt werden, ob es eine wechselseitige Tilgungswirkung außerhalb des Gesamtschuldverhältnisses geben sollte. Wer dies verneint, geht im Ergebnis entweder von einem weiten Gesamtschuldbegriff oder von einer weiten Fallgruppe der nur einseitigen Solutionskonkurrenz aus. Damit ist das Ergebnis aber schon vorweggenommen. Es geht hier gerade um die Bestimmung des Gesamtschuldtatbestands und damit um die Frage, ob für bestimmte Fälle der Schuldnermehrheit alternative Regresswege nicht dem Gesamtschuldregress vorzuziehen sind. Diese Überlegung darf nicht von vornherein durch eine kategorische Verneinung der Tilgungswirkung ausgeschlossen werden233. Auch auf Basis der Annahme, dass S durch die Leistung von R befreit und damit möglicherweise bereichert worden ist, sind gewichtige Bedenken gegen die Konstruktion eines Bereicherungsregresses erhoben worden, die teilweise allerdings auf heute nicht mehr geteilten Vorstellungen zum System des Bereicherungsrechts beruhen234. Geht man von der heute herrschenden Wilburg/von Caemmerer’schen Trennungslehre aus, die verschiedene Kondiktionen unter dem Dach des allgemeinen Bereicherungsanspruchs unterscheidet, dann lassen sich die Bedenken folgendermaßen formulieren: R leistet an G auf seine eigene Verbindlichkeit, und zwar mit Rechtsgrund. Aus dieser Leistung kann dann nicht eine Nichtleistungskondiktion gegenüber S hervorgehen235. Ein Teil der Lehre würde hier mit der Subsidiarität der Nichtleistungskondiktion argumentieren236. Der Sache nach geht es aber darum, dass ein Bereicherungsanspruch in dieser Konstellation einer Versionsklage gleichkommt, die der BGB-Gesetzgeber grundsätzlich abgelehnt hat237: R beruft sich darauf, dass seine fehlerfreie Leistung an G zugleich einen Vorteil für den außenstehenden S gebracht hat. Doch vom Verbot der Versionsklage können Ausnahmen gemacht werden. Eine solche Ausnahme liegt nahe, wenn der Bereicherte kein Außenstehender, sondern Schuldner einer konkurrierenden Verbindlichkeit war. Dafür spricht, dass auch die Regel des § 426 selbst der Sache nach eine Ausnahme vom Verbot der Versionsklage ist238. Tatsächlich kann ein Bereicherungsregress bei Schuldnermehrheiten nicht befriedigend konstruiert werden, solange man auf das Außenverhältnis in Gestalt zweier Verbindlichkeiten auf das Ganze abstellt. Dann käme man zum Schluss, dass jeder der Schuldner durch seine Leistung den anderen in voller Höhe befreit,
233
Ebenso von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 82. R erfüllt nur seine eigene Pflicht; es fehlt an einer unmittelbaren Vermögensverschiebung; die Bereicherung von S findet nicht auf Kosten von R statt, weil er selbst befreit ist; S ist nicht rechtsgrundlos bereichert. Vgl. Rabel, RheinZ 10 (1919), 99 ff.; R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 73 ff.; von Tuhr, DJZ 1914, 337; Oertmann, Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 5 c; Zilz, Unechte Gesamtschuld, 36; Selb, NJW 1963, 2059; Ruhkopf, VersR 1963, 210. 235 So Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 65. 236 Vgl. Schims, Forderungsübergang, 109, 110; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 373; Lange/ Schiemann, Schadensersatz, § 11 C V. 237 So schon Rabel, RheinZ 10 (1919), 101 f. 238 So auch von Olshausen, Gläubigerrecht, 299. 234
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
so dass der Regress dem zuerst leistenden Schuldner zustände. Gäbe es mehr als zwei Schuldner, käme es zur wundersamen Vermehrung der Bereicherungsansprüche, weil der leistende Schuldner jeden seiner Mitschuldner in voller Höhe befreit hat. Der Bereicherungsregress funktioniert wie jede Regresstechnik bei Schuldnermehrheiten nur dann, wenn die dem Gläubiger insgesamt zustehende Leistung zunächst in einem ersten Schritt auf die Schuldner intern aufgeteilt wird239. Bei gestuften Verbindlichkeiten werden dem erstrangig zuständigen Schuldner S 100%, dem anderen Schuldner R 0% zugewiesen. Auf Grund dieser Zuweisung findet dann eine Rückgriffskondiktion ohne Rücksicht auf die Vollhaftung im Außenverhältnis statt. Leistet S an den Gläubiger, ist R nicht bereichert, weil er intern nichts schuldet. Leistet R, ist S in Höhe der gesamten Schuld bereichert, und dies auf Kosten von R, weil die Belastung ihm nicht zugewiesen war. Die Bereicherung fand mangels besonderen Innenverhältnisses dann ohne Rechtsgrund statt240. Stellt man nur auf die interne Verteilung ab, liegt auch keine Versionsklage mehr vor. Bei einem solchen Bereicherungsregress würde es sich dann nicht um eine gewöhnliche Rückgriffskondiktion wegen Drittleistung handeln. Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass das Bereicherungsrecht zur Lösung von Schuldnermehrheitsfällen grundsätzlich ungeeignet ist. Auch im Rahmen der anderen Kondiktionen arbeitet das Bereicherungsrecht mit Wertungen, die es aus anderen Rechtsgebieten übernimmt, sei es die Rechtsgrundlosigkeit bei der Leistungskondiktion oder der Zuweisungsgehalt bei der Eingriffskondiktion. Es ist daher grundsätzlich möglich, mit Hilfe einer ins Bereicherungsrecht hineingetragenen Wertung zur internen Aufteilung einer von mehreren geschuldeten Leistung eine spezielle, besonderen Regeln folgende Rückgriffskondiktion bei Schuldnermehrheiten zuzulassen241.
239 Kuhlmann, Rückgriffsgrundlagen, 184 ff., 193 ff., 388 f., will den nur anteiligen Bereicherungsrückgriff dadurch erreichen, dass er nicht auf die Befreiung des anderen Schuldners von seiner Außenhaftung gegenüber dem Gläubiger, sondern auf die Befreiung von seiner nur anteiligen Mitwirkungspflicht im Innenverhältnis abstellt. Im deutschen Recht ist aber eine Mitwirkungspflicht nur im Rahmen des Gesamtschuldverhältnisses anerkannt; nach der hier vertretenen Ansicht geht sogar dies zu weit (oben, 601 ff.). Wer schon aus der wechselseitigen Solutionskonkurrenz als solcher (bei Kuhlmann: Tilgungsverbund) Mitwirkungsansprüche folgert, nimmt das Ergebnis schon vorweg, ohne diesen Schritt sachlich zu begründen. 240 Voraussetzung wäre allerdings, dass keine Fremdgeschäftsführung vorliegt; hierzu der folgende Abschnitt, 892 ff. 241 Ebenso von Caemmerer, FS Rabel I (1954), 360 ff., 363 (der allerdings einen Bereicherungsregress auch in den Fällen der unterlassenen Abtretung nach § 255 zulassen will, was nicht zur dort geltenden nur einseitigen Solutionskonkurrenz passt); ders., NJW 1963, 1403; ders., ZfRV 9 (1968), 90 f.; Marschall von Bieberstein, Reflexschäden, 226; von Olshausen, Gläubigerrecht, 294 ff.; Erman/H.P.Westermann/Buck-Heeb, § 812 Rz 42; Kuhlmann, Rückgriffsgrundlagen, 183 ff.; wohl auch Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 69 III 2, S. 191. Vgl. auch Schanbacher, AcP 191 (1991), 96 ff., der nach ähnlichen Grundsätzen einen Bereicherungsausgleich unter mehreren Sicherern derselben Schuld vorschlägt.
6. Der Bereicherungsregress
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Auf dieser Grundlage wäre ein Bereicherungsregress auch bei gleichrangigen Schuldnermehrheiten möglich. Ist die Last intern gleichmäßig unter drei Schuldnern verteilt, führt die Leistung des ersten Schuldners dazu, dass der zweite und dritte jeweils in Höhe von einem Drittel rechtsgrundlos bereichert sind. Denkbar wäre sogar eine Bildung von Haftungseinheiten, etwa wenn zwei Mittäter die beim Entleiher befindliche Sache zerstören, so dass der Entleiher gegen jeden von ihnen einen Bereicherungsanspruch auf das Ganze nehmen könnte242, vielleicht sogar die entsprechende Anwendung der Insolvenzregel des § 426 I 2. Doch diese Überlegungen weisen zugleich auf den grundsätzlichen Einwand gegen den Bereicherungsregress bei Schuldnermehrheiten hin: Für die interne Aufteilung einer von mehreren geschuldeten Leistung ist § 426 I der vom Gesetzgeber geplante und geeignete Anknüpfungspunkt, der die im 19. Jahrhundert vorgeschlagenen Konstruktionen eines Bereicherungsregresses gerade überflüssig machen sollte243. Es müsste also gute Gründe dafür geben, den Regress mit Hilfe von im Gesetz nicht direkt zu findenden Regeln im Bereicherungsrecht zu verorten, statt die gerade für Schuldnermehrheiten gedachten Vorschriften anzuwenden. Nachdem die heute herrschende Lehre auf die Rückgriffskondiktion zum Schutz des Bereicherungsschuldners §§ 404 ff. analog anwendet, ähnelt der Bereicherungsregress in seinen Rechtsfolgen dem reinen Zessionsregress. Die Lage des regresspflichtigen Schuldners wird durch die Leistung des anderen Schuldners nicht verschlechtert, so dass ihm der Bereicherungsregress – ebenso wie ein Zessionsregress – grundsätzlich immer zugemutet werden kann244. Anders als beim Zessions- und Gesamtschuldregress kann der Regressberechtigte beim Bereicherungsregress aber nicht von den Sicherheiten der Gläubigerforderung profitieren. Hierbei handelt es sich wohl nicht um einen Vorteil, sondern eher um eine Schwäche des Bereicherungsregresses, da der Forderungsübergang nach § 426 II bei Gesamtschulden allgemein als sachgerecht empfunden wird. Insofern wäre es bedenklich, bestimmte Arten von Schuldnermehrheiten dem Bereicherungsregress zu unterstellen und damit die übrigen Gläubiger des regressverpflichteten Schuldners im Vergleich zu anderen Regresswegen besser zu stellen.
242 Zu Unrecht folgert Frotz, JZ 1964, 670, den Regress auf das Ganze hier aus dem Umstand, dass der Entleiher jeden Mittäter in voller Höhe befreit hat. Darauf darf es beim Bereicherungsregress gerade nicht ankommen. 243 R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 73 ff.; Leonhard, SR AT, 737; Zilz, Unechte Gesamtschuld, 36; Ehmann, Gesamtschuld, 95 f., 221; Finger, BB 1974, 1421; Stamm, Regreßfiguren, 106, 112 f.; jurisPK/Rüßmann, § 421 Rz 11; BGHZ 43, 227, 235 (1.2.1965). 244 Damit erledigen sich die Bedenken von Selb, NJW 1964, 20; ders., Schadensbegriff, 79 f.
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
7. Der Geschäftsführungsregress Die Lösung, den Rückgriff in Schuldnermehrheitsfällen auf die Vorschriften der §§ 677 ff. zu stützen, findet in der Literatur nur wenig Anhänger245. Die Rechtsprechung setzt den Geschäftsführungsregress heute beim Zusammentreffen von Schadensersatz- und Unterhaltspflicht ein246, grundsätzlich aber nicht bei der Konkurrenz mehrerer Schadensersatzpflichten247. Nur dann, wenn das Bestehen einer Gesamtschuld unsicher war, weil es nicht um Schadensersatz-, sondern um Mängelbeseitigungsansprüche ging, wich die Rechtsprechung zeitweise auf den Geschäftsführungsregress aus, so etwa der BGH beim Zusammentreffen des Schadensersatzanspruchs gegen den Architekten mit dem Mängelbeseitigungsanspruch gegen den Bauunternehmer248, bevor der Große Senat hier die Gesamtschuldlösung etablierte249. In gleicher Weise wurde der Geschäftsführungsregress dreißig Jahre später bei der Konkurrenz von Mängelbeseitigungsansprüchen gegen verschiedene Bauunternehmer eingesetzt250, bevor der BGH auch in dieser Fallkonstellation ein Gesamtschuldverhältnis annahm251. Der Regress nach G.o.A. ist auf der Vorstellung gegründet, dass der zweitrangig verpflichtete Schuldner R mit seiner Leistung an den Gläubiger ein Geschäft für den erstrangig verpflichteten Schuldner S führt, und eröffnet ihm, je nachdem ob das Geschäft dem Interesse und Willen von S entspricht, einen Rückgriff über §§ 683, 670 oder über §§ 684, 812. Ein originärer Bereicherungsregress wäre dann ausgeschlossen, weil die Vorschriften zur G.o.A. einen Rechtsgrund bilden. Ein Regress nach §§ 677 ff. kommt von vornherein nur dann in Betracht, wenn die Leistung des zweitrangig zuständigen Schuldners R auf seine eigene Verbindlichkeit auch den erstrangigen Schuldner S von seiner Verbindlichkeit befreit, was in der Literatur bestritten wird252. Insofern gilt das zum Bereicherungsregress Gesagte: Die Frage der wechselseitigen Solutionskonkurrenz hängt vom für 245
Wollschläger, Geschäftsführung (1976), 113 ff. (auch für das Zusammentreffen von Schadensersatzansprüchen); MüKo/Seiler, § 677 Rz 20, 29. 246 Etwa RGZ 53, 312 (19.1.1903); RG Warn 1909 Nr. 80 (12.11.1908); RG JW 1909, 137 Nr. 15 (14.1.1909); RG JW 1910, 389 Nr. 6 (24.2.1910); RGZ 75, 276, 283 (30.1.1911); RGZ 138, 1 (4.7.1932); BGH NJW 1979, 598 (21.12.1978); ebenso beim Zusammentreffen von Schadensersatz und Kirchenbaulast (Fuldaer Dombrandfall), RGZ 82, 206, 214 ff. (26.4.1913); ferner RG Gruch 54, 972, 976 (12.5.1910). 247 So ausdrücklich BGH VersR 1956, 160 (17.12.1955). 248 BGHZ 39, 261 (2.5.1963). 249 BGHZ 43, 227 (1.2.1965); unten, 937 ff. 250 OLG Hamm, NJW-RR 1991, 730 (9.11.1990); OLG Hamm, NJW-RR 1992, 849 (10.1.1992). 251 BGHZ 155, 265 (26.6.2003); unten, 958 ff. 252 Selb, Schadensbegriff, 31; ders., NJW 1963, 2057; ders., Mehrheiten, 178 f.; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 163 f.; Mirow, Unechte Gesamtschulden, 139 ff., 149; Jürgens, Teilschuld, 195 ff.; Medicus, BürgR, Rz 415; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 39; Stamm, Regressfiguren, 101 f.; ders., Jura 2002, 731; Wendlandt, Jura 2004, 331 f.; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 372; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 67; Staud/Wittmann (1995), vor § 677 Rz 39; Staud/Bergmann (2006), vor § 677 Rz 276.
7. Der Geschäftsführungsregress
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richtig gehaltenen Regressweg ab und sollte dieser Wahl nicht vorgreifen. Im Folgenden geht es daher um die Eignung des Geschäftsführungsregresses unter der Annahme, dass S durch die Leistung des R befreit wird. Die entscheidende Frage ist dann, ob R, der im Zuge der Erfüllung seiner eigenen Verbindlichkeit zugleich S befreit, für diesen i.S.d. § 677 ein Geschäft besorgt. Die ganz herrschende Lehre verneint diese Frage und schließt einen Geschäftsführungsregress damit aus: R besorge, indem er seine Schuld erfülle, allein ein eigenes Geschäft, bei dem die gleichzeitige Befreiung von S nur eine mittelbare Reflexwirkung darstelle. Zudem fehle es R am Fremdgeschäftsführungswillen253. Über diese Bedenken kann man sich nur dann hinwegsetzen, wenn man das Institut der Geschäftsführung ohne Auftrag als objektives Ausgleichsinstrument ansieht, in dem weniger der Wille, für einen anderen tätig zu werden, entscheidend ist als die Verwirklichung einer richtigen Güter- und Lastenverteilung. Dies ist der Ansatz Wollschlägers254. Ob ein Fremdgeschäft vorliegt, hängt für ihn davon ab, wer für die Geschäftsführung zuständig ist, bei Schuldnermehrheiten also davon, wem das Recht die materielle Pflicht zur endgültigen Lastentragung zuweist255. Bei gestuften Verpflichtungen ist die Schuldtilgung ein Geschäft des erstrangig verpflichteten S, nicht des zweitrangig verpflichteten R. Leistet also S an den Gläubiger, besorgt er sein eigenes Geschäft; leistet dagegen R, besorgt er das Geschäft des S256. Bei nicht gestuften Verpflichtungen kann die Zuständigkeit unter den Schuldnern auch geteilt sein. Nimmt man an, dass R und S intern je zur Hälfte zuständig sind, besorgt R mit seiner Leistung an den Gläubiger zur Hälfte ein eigenes, zur Hälfte ein Fremdgeschäft. Ebenso wie gegen den Bereicherungsregress kann auch gegen diese Konstruktion eingewendet werden, dass die interne Aufteilung einer von mehreren geschuldeten Leistung gerade Aufgabe des § 426 ist257. Doch selbst wenn man be253 Rabel, RheinZ 10 (1919), 93 ff.; Oertmann, FS von Gierke (1911), 4, 15; Josef, Gruch 59 (1915), 1004 ff.; Wahl, Vertragsansprüche Dritter (1935), 149 ff., 157; von Caemmerer, FS Rabel I (1954), 362 f.; ders., NJW 1963, 1403; Selb, Schadensbegriff, 30 ff.; ders., Mehrheiten, 177 ff.; Ruhkopf, VersR 1963, 210; Frotz, JZ 1964, 669; Schmalzl, MDR 1964, 363; Tempel, JuS 1965, 266; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 165 ff.; Marschall von Bieberstein, Reflexschäden, 196; Esser, SR AT, § 59 IV 3 (S. 446); Lumm, Ausgleich, 215 ff.; Ehmann, Gesamtschuld, 94, 300; Erman/Ehmann, § 677 Rz 12; Schubert, AcP 178 (1978), 447 ff.; Jürgens, Teilschuld, 195 f.; Wernecke, Gesamtschuld, 190–192; Staud/Wittmann (1995), vor § 677 Rz 39; Stamm, Regressfiguren, 100 f.; ders., Jura 2002, 730; Schims, Forderungsübergang, 103 ff.; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 372; Kuhlmann, Rückgriffsgrundlagen, 134 ff.; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 67; Staud/Bergmann, vor § 677 Rz 276. 254 Wollschläger, Geschäftsführung (1976), 59 ff., 64. 255 Wollschläger, Geschäftsführung, 61, 76 ff., 92 ff., 113 ff. 256 Ebenso MüKo/Seiler, § 677 Rz 29. 257 R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 71 ff.; Leonhard, SR AT, 737; Zilz, Unechte Gesamtschuld, 35; Ehmann, Gesamtschuld, 95 f., 221; Erman/Ehmann, § 677 Rz 12; Stamm, Regreßfiguren, 97 f., 103, 159; ders., Jura 2002, 730 ff.; jurisPK/Rüßmann, § 421 Rz 11. Demgegenüber will Kuhlmann, Rückgriffsgrundlagen, 125 f., 132 ff., den (im Ergebnis von ihm abgelehnten) anteiligen Geschäftsführungsrückgriff darauf stützen, dass S gegenüber R zur Mitwirkung verpflichtet sei und R durch Erbringung der Gesamtleistung an den Gläubiger in Höhe von S’ Anteil ein Geschäft des S, näm-
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
stimmte Fälle der Schuldnermehrheiten zur Vermeidung des Gesamtschuldregresses außerhalb der §§ 421 ff. verorten will, ist für die Verwirklichung der vom Recht gewollten richtigen Güter- und Lastenverteilung in erster Linie das Bereicherungsrecht zuständig. Dieses gewährt in Gestalt der Eingriffskondiktion einen Ausgleich, wenn erlangte Rechte oder erzielte Gewinne vom Recht einem anderen zugewiesen sind, kann aber auch in Gestalt der Rückgriffskondiktion zum Ausgleich herangezogen werden, wenn die Befreiung von einer Verbindlichkeit auf dem Vermögensopfer einer Person beruht, die für die Befriedigung des Gläubigers intern nur nachrangig zuständig war. Der Gedanke eines Ausgleichs, weil die Schuldtilgung durch den materiell Unzuständigen vorgenommen wurde, wird bei Wollschläger in das Geschäftsführungsrecht hineingetragen und damit unnötig verdoppelt. Das Institut der G.o.A. ist für den Ausgleich von zuweisungswidrigen Vermögenslagen auch gar nicht geeignet, wie ein Blick auf die Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen zeigt. Der Tatbestand des § 677 setzt auch für Wollschläger einen Fremdgeschäftsführungswillen voraus. Hierfür soll es aber schon ausreichen, dass der an den Gläubiger leistende Schuldner die vorrangige Verbindlichkeit des anderen kannte258. Andernfalls soll ihm nur ein (originärer) bereicherungsrechtlicher Regress zur Verfügung stehen. Unklar bleibt dabei die Wertung, warum es gerade auf diese Kenntnis ankommen soll. Das Erfordernis passt sachlich nicht zum Gedanken des Ausgleichs wegen Tilgung durch den Unzuständigen259. Ähnliches gilt für das Erfordernis, dass die Geschäftsführung dem Interesse und Willen des Geschäftsherrn entsprechen muss. Nur dann liegt eine berechtigte Geschäftsführung vor, die dem Geschäftsführer einen Aufwendungsersatzanspruch nach § 683 eröffnet; andernfalls verweist § 684 ins Bereicherungsrecht. Für Wollschläger liegt die Befreiung von einer Verbindlichkeit grundsätzlich im Interesse des Schuldners260. Doch auch er kommt nicht daran vorbei, dem intern erstrangig zuständigen Schuldner den Nachweis zu gestatten, dass die Befreiung nicht seinem Willen entspricht261. Damit liegt ein zweites Tatbestandsmerkmal vor, das nicht recht zum Gedanken der Herstellung einer richtigen Lastenzuordnung passen will262. Nach Wollschläger kommt es nur dann zum Regress über § 683, wenn sowohl der Tilgende die Verbindlichkeit des anderen kennt als auch der andere nicht einen entgegenstehenden Willen nachweist. Fehlt es an einem dieser Erforlich258die Erfüllung seiner Mitwirkungspflicht, führe. Diese Überlegung hilft aber bei der Beurteilung des Geschäftsführungsregresses als Alternative zum Gesamtschuldregress nicht weiter, weil Mitwirkungspflichten gerade nur im Gesamtschuldverhältnis anerkannt werden. 258 Wollschläger, Geschäftsführung, 73, 99 f., 122. 259 So zu Recht Selb, Schadensbegriff, 32; ders., Mehrheiten, 179 f.; Ehmann, Gesamtschuld, 94; Stamm, Regreßfiguren, 100 f. 260 Wollschläger, Geschäftsführung, 62, 116. Anders von Tuhr, DJZ 1914, 337; Tempel, JuS 1965, 266; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 168 f.; Selb, Schadensbegriff, 34; ders., Mehrheiten, 180; Lumm, Ausgleich, 218 f.; Staud/Wittmann (1995), vor § 677 Rz 48; vgl. hierzu MüKo/Seiler, § 683 Rz 6. 261 Wollschläger, Geschäftsführung, 87, 116 ff. 262 Ebenso Kuhlmann, Rückgriffsgrundlagen, 134 ff.
7. Der Geschäftsführungsregress
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dernisse, kommt es entweder direkt oder über § 684 zum Bereicherungsregress. Es stellt sich also die Frage, welcher Zusammenhang zwischen diesen beiden Erfordernissen und den unterschiedlichen Regresswegen besteht. Nach herrschender Lehre ist der Geschäftsführungsregress nach §§ 683, 670 gegenüber dem Bereicherungsregress privilegiert. Während der Bereicherungsanspruch nicht weiter reicht als der ursprüngliche Gläubigeranspruch, handelt es sich beim Aufwendungsersatzanspruch des Geschäftsführers um einen von der Gläubigerforderung unabhängigen Anspruch, der selbständig verjährt263. Insoweit ähnelt der Geschäftsführungsregress dem Gesamtschuldregress. Doch der Geschäftsführer wird auch dadurch privilegiert, dass er selbst dann Ersatz seiner Aufwendungen verlangen kann, wenn sie dem Geschäftsherrn im Ergebnis nicht zugutegekommen sind. Insofern kann der Geschäftsführungsregress etwa einen Anspruch auf den Ersatz von Prozesskosten umfassen, der dem Gesamtschuldner grundsätzlich nicht zusteht. Wenn aber der Geschäftsführungsregress derart gegenüber dem Bereicherungsregress privilegiert ist, dann kann die Abgrenzung zwischen diesen beiden Regresswegen nicht davon abhängig gemacht werden, ob der Tilgende zufällig die konkurrierende Verbindlichkeit kannte264 und ob der erstrangige Schuldner aus irgendeinem Grund darlegen kann, dass die Befreiung nicht seinem Willen entsprach265. Für eine derartige Differenzierung fehlt eine Wertungsgrundlage. Diesem Vorwurf setzt sich Wollschläger allerdings nicht aus, weil er den Geschäftsführungsregress anders versteht. Da der Aufwendungsersatzanspruch lediglich darauf beruht, dass der Unzuständige den Gläubiger befriedigt hat, setzt er nur die Pflichtenstellung des erstrangigen Schuldners fort und kann daher seinem Inhalt nach grundsätzlich nicht weiter reichen als die getilgte Gläubigerforderung. Insbesondere muss er derselben Verjährung wie die Gläubigerforderung unterliegen, um den Schuldner nicht dadurch schlechter zu stellen, dass ein anderer ihn befreit hat266. Damit wird der Geschäftsführungsregress nicht nur in seiner Begründung, sondern auch in seiner Ausgestaltung einem Bereicherungsregress gleichgestellt. Wenn es aber keine grundlegenden Unterschiede zwischen beiden Regresswegen gibt, dann ist auch die Abgrenzung zwischen ihnen praktisch ohne Sinn. Dies wird auch von Wollschläger nicht verkannt, der darauf hinweist, dass die Tatbestandsmerkmale des Geschäftsführungswillens und des Geschäftsherrnwillens praktisch bedeutungslos sind, weil ihr Fehlen zu einem Bereicherungsregress führt, der sich vom Geschäftsführungsregress im Ergebnis kaum unterscheidet267. 263 BGHZ 47, 370, 374 ff. (20.4.1967); BGHZ 115, 210, 211 (26.9.1991); OLG Hamm, NJW-RR 1992, 849, 850 (10.1.1992); MüKo/Seiler, § 683 Rz 28; Staud/Bergmann, vor § 677 Rz 253; Soergel/ Beuthien, § 683 Rz 18. 264 So auch Stamm, Regreßfiguren, 103 f.; ders., Jura 2002, 731. 265 So auch Selb, Schadensbegriff, 33 f.; ders., NJW 1964, 20; Esser, SR AT, § 59 IV 3 (S. 446); Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 169; Jürgens, Teilschuld, 196. 266 Wollschläger, Geschäftsführung, 81 ff., 85 f., 127. 267 Wollschläger, Geschäftsführung, 86 f. („Leerlauf der Subsumtion“), 101, 122, 126 f.
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
Wenn dem aber so ist, dann hat das ganze Institut der Geschäftsführung ohne Auftrag für den Regress bei Schuldnermehrheiten keine Bedeutung. Statt überflüssige Differenzierungen je nach Kenntnis des Tilgenden und Willen des erstrangig Zuständigen vorzunehmen, wäre es sinnvoller, den Regress insgesamt dem Bereicherungs- oder Gesamtschuldrecht zu überlassen und ihn aus dem Anwendungsbereich der §§ 677 ff. herauszunehmen. Soweit Wollschläger hier einwendet, dass eine solche Lösung vielleicht praktisch oder wünschenswert, aber nicht möglich sei268, kann dies nicht überzeugen. Richtig ist, dass der Regress bei Schuldnermehrheiten in der Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts (wie überhaupt im Gemeinen Recht) häufig über die actio negotiorum gestorum gewährt wurde. Dies muss aber zum einen vor dem Hintergrund gesehen werden, dass das Gemeine Recht keinen aus der Gesamtschuld selbst folgenden Regress kannte269. Zum anderen stand die Geschäftsführerklage gemeinrechtlich häufig funktional im Dienste des Bereicherungsrechts, weil die überlieferten römischen condictiones im Wesentlichen nur Leistungsbeziehungen umfassten und ein allgemeiner Bereicherungsanspruch nicht anerkannt war. Nach dem heutigen Stand des Bereicherungsrechts ist ein Rückgriff auf das Institut der Geschäftsführung ohne Auftrag überflüssig geworden. Wenn die Rechtsprechung es in einzelnen Fallgestaltungen trotzdem anwendet, muss die Wissenschaft ihr darin nicht folgen. Auch der Umstand, dass der Bürge, der den Gläubiger befriedigt hat, anerkanntermaßen einen Anspruch aus G.o.A. gegen den Hauptschuldner haben kann270, besagt nichts, weil der Anspruch hier nicht auf der bloßen Befreiung, sondern darauf beruht, dass der Bürge seine Verpflichtung im Interesse des Schuldners eingegangen ist. Bei Schuldnermehrheiten könnte allenfalls dann an eine Anwendung der §§ 677 ff. gedacht werden, wenn einer der Schuldner ganz unabhängig von seiner eigenen Verbindlichkeit für den anderen tätig werden will, etwa um eine von diesem gewährte Sicherheit auszulösen. Grundsätzlich aber ist die Geschäftsführung ohne Auftrag für den Regress bei konkurrierenden Verbindlichkeiten nicht geeignet, weil ihre Voraussetzungen und Rechtsfolgen für den Ausgleich nicht passen. Wer als nachrangig Verpflichteter im Zuge der Erfüllung seiner Verbindlichkeit auch den vorrangig Verpflichteten befreit, besorgt daher kein Geschäft für einen anderen im Sinne des § 677. Dazu bedarf es aber einer anderen Sicht auf das Institut der G.o.A, die deren Anwendungsbereich insbesondere bei der Abgrenzung zum Bereicherungsrecht wesentlich einschränkt, etwa auf Fälle der fremdnützigen Interessenwahrnehmung271.
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Wollschläger, Geschäftsführung, 76 f., 122 f., 128. So auch Rabel, RheinZ 10 (1919), 93 ff. 270 Wollschläger, Geschäftsführung, 92 f., 121; MüKo/Seiler, § 677 Rz 29. 271 Siehe etwa Schubert, AcP 178 (1978), 425; Gursky, AcP 185 (1985), 13; Staud/Wittmann (1995), vor § 677 Rz 35 ff.; Staud/Bergmann (2006), vor § 677 Rz 28 ff., 116 ff., 171 ff., 269 ff. Zur Diskussion Bergmann, a.a.O., Rz 10 ff.; MüKo/Seiler, § 677 Rz 16–24; jew. m.w.N. 269
8. Die Besonderheiten des Gesamtschuldregresses
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8. Die Besonderheiten des Gesamtschuldregresses Anders als die bislang dargestellten Regresswege ist § 426 eine Regelung, die der Gesetzgeber gerade für den Ausgleich bei Schuldnermehrheiten zur Verfügung gestellt hat. Es handelt sich auch um die einzige Vorschrift, die einen gesetzlichen Anknüpfungspunkt für die erforderliche Teilung der Belastung im Innenverhältnis bietet. Wie gezeigt verlangt jeder Regress unter Schuldnern, auf die der Gläubiger wegen eines nur einmal zu befriedigenden Leistungsinteresses zugreifen kann, eine interne Verteilung der insgesamt geschuldeten Leistung, und sei es im Verhältnis 100% zu 0%. Eine solche Verteilung könnte in Einzelfällen in bestimmte Vorschriften (etwa § 843 IV, nicht aber § 255) hineingelesen werden und müsste beim Bereicherungsregress ohne direkte gesetzliche Grundlage im Rahmen der Frage nach dem Vorliegen eines Rechtsgrunds vorgenommen werden, während sie sich beim Gesamtschuldregress direkt aus § 426 I 1 ergibt. Dem ersten Anschein nach spricht deshalb viel dafür, den Regress bei Schuldnermehrheiten, insbesondere bei konkurrierenden Schadensersatzpflichten, der Vorschrift des § 426 zu unterstellen, so dass es gute Gründe geben müsste, die Gesamtschuldvorschriften durch andere Regelungen zu ersetzen.
a) §§ 423 und 424 Die Lehre von der unechten Gesamtschuld nahm Anstoß nicht nur an der Vorschrift des § 426, sondern auch an § 423 und § 424. So sollte § 423 auf unechte Gesamtschulden keine Anwendung finden, um zu verhindern, dass der Gläubiger durch Vertrag mit dem sekundär Pflichtigen zugleich auch den primär Pflichtigen befreit272. Hiergegen wurde aber sofort eingewandt, dass § 423 die Gesamtwirkung des Erlasses nicht vermutet, sondern vom Parteiwillen abhängig macht und es keinen Grund gebe, den Gläubiger, wolle er wirklich auch den Primärschuldner befreien, daran zu hindern273. Tatsächlich spricht der Grundsatz der Parteiautonomie eher zugunsten einer Anwendung des § 423 bei allen Arten von Schuldnermehrheiten. In Betracht kommen allenfalls konstruktive Bedenken. § 423 erlaubt es einem Gesamtschuldner, durch Vertrag mit dem Gläubiger einen Erlass auch der Verbindlichkeiten seiner Mitschuldner zu bewirken, ohne diesen daran zu beteiligen. Damit stellt sich die Vorschrift als Ausnahme zu den Sätzen dar, dass ein Erlass einen Vertrag zwischen Gläubiger und Schuldner verlangt (§ 397) und dass eine Verfügung zugunsten Dritter nicht möglich ist (so die herr-
272 Crome, Schuldverhältnisse, § 206 II 3; Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 161 V; Krückmann, Institutionen, § 57 IV; Oertmann, Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 5 c; Planck/Siber, § 423 Anm. 1; Staud/Werner, vor § 420 Anm. 4; s.a. Lumm, Ausgleich, 225 f., 229, 238 ff. 273 Reichel, Schuldmitübernahme, 52; R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 58 ff.; im Ergebnis auch OLG München, SeuffA 75 Nr. 71 (22.12.1919); aus heutiger Zeit etwa Jürgens, Teilschuld, 46; Boecken/ von Sonntag, Jura 1997, 6.
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
schende Lehre274). Ausnahmevorschriften, so könnte argumentiert werden, müssen eng ausgelegt werden. Ein solches Argument setzt aber voraus, dass die Grundregel, von der abgewichen wird, sinnvoll ist und dass es gute Gründe gibt, gerade im Bereich der §§ 421 ff. eine Ausnahme zu machen. Beides steht nicht fest. Das Verfügungsverbot zugunsten Dritter ist schon de lege lata äußerst fragwürdig, das Vertragsprinzip des § 397 zumindest de lege ferenda angreifbar275. Dass § 423 ausgerechnet bei Gesamtschuldnern eine Ausnahme macht, hat rein historische Gründe, nämlich die Gesamtwirkung der acceptilatio (eines förmlichen Erlasses in Form einer fiktiven Quittung) im römischen Recht276. Sachlich gibt es keinen Grund, den Erlass zugunsten Dritter gerade bei Gesamtschuldverhältnissen zuzulassen und sonst nicht. Ein Interesse des am Erlass beteiligten Schuldners, vor Regressansprüchen Dritter geschützt zu werden, gibt es auch außerhalb von Gesamtschuldverhältnissen und kann zudem durch die Zulassung eines Erlasses mit beschränkter Gesamtwirkung (Reduzierung der Mitschuldnerverbindlichkeiten um den internen Anteil des Erlasspartners) geschützt werden. Ein echtes rechtspolitisches Problem durch einen aufgedrängten Erlass besteht aber offenbar gar nicht. Die durch § 423 zugelassene Gesamtwirkung des Erlasses ist, so gesehen, unproblematisch und könnte vom Gesetzgeber auch außerhalb von Gesamtschuldverhältnissen angeordnet werden. Einem weiten Gesamtschuldbegriff steht sie nicht im Wege. Zur Begründung eines eher restriktiven Gesamtschuldverständnisses wird vor allem § 424 herangezogen. Die Vorschrift sollte nach der älteren Lehre bei unechten Gesamtschuldverhältnissen nicht anwendbar sein277. Auch heute liest man noch, dass § 424 bei gestuften Verbindlichkeiten nicht passe278. Stets denkt man
274 Überblick zum Streitstand bei Gernhuber, Schuldverhältnis, § 20 I 6; Soergel/Hadding, § 328 Rz 106 ff.; Staudinger/Jagmann, vor § 328 Rz 49 ff.; Bayer, Vertrag zugunsten Dritter, 194 ff. Diese Funktion des § 423 wird nicht beachtet bei Schanbacher, WM 1998, 1807 Fn. 10, der einen Einzelerlass mit beschränkter Gesamtwirkung von der Beteiligung des nicht entlassenen Gesamtschuldners abhängig machen will, weil es keine Verfügungen zugunsten Dritter geben soll. Wenn aber § 423 eine vollständige Gesamtwirkung zulässt, muss auch eine beschränkte Gesamtwirkung vereinbart werden können. 275 Vgl. Walsmann, Verzicht, 188 ff.; Reichel, JhJb 85 (1935), 23 f.; Gernhuber, Erfüllung, § 16 I 4; Staudinger/Rieble, § 397 Rz 2 f.; Kleinschmidt, Verzicht, passim; HKK/Kleinschmidt, § 397 Rz 46; HKK/Meier, §§ 420–432 I, Rz 58. 276 Oben, 42, 47; hierzu HKK/Meier, §§ 420–432 I, Rz 55 ff. 277 Crome, Schuldverhältnisse, § 206 II 3; Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 161 V; Krückmann, Institutionen, § 57 IV; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 313 II 3; Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, § 90 II 3; Oertmann, Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 5 c; Klingmüller, JhJb 64 (1914), 91 ff.; Planck/Siber, § 424 Anm. 2; Staud/Werner, § 424 Anm. III; Schmitt, Solidarität, 113, 120; ähnlich Mönch, Gesamtschulden, 60 f.; Larenz, Vertrag und Unrecht, 201. Dagegen aber Reichel, Schuldmitübernahme, 53 ff., 59; Korintenberg, ArchRPfl 1931, 30. 278 Larenz, SR AT, § 37, S. 634, 635, 638; Esser, SR AT, § 58 II (S. 435); Thiele, JuS 1968, 149; Lumm, Ausgleich, 225 f., 229, 238 ff.; Mirow, Unechte Gesamtschulden, 11; Preißer, JuS 1987, 294, 964; Fikentscher/Heinemann, SR, Rz 778; RGRK/Weber, § 421 Rz 8, § 424 Rz 1; Staud/Kaduk, § 421 Rz 52, § 424 Rz 21; Palandt/Grüneberg, § 421 Rz 8; Schims, Forderungsübergang, 155.
8. Die Besonderheiten des Gesamtschuldregresses
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hier an das Verhältnis zwischen einem primär haftenden Schuldner S und einem nur nachrangig zuständigen Schuldner R. Der Annahmeverzug des Gläubigers gegenüber R, so heißt es, dürfe dem Primärschuldner S nicht zugutekommen. Teilweise wird angenommen, dass in der umgekehrten Situation § 424 anwendbar sei, der Annahmeverzug gegenüber S also dem nur nachrangig schuldenden R begünstige279. Ein Teil der Literatur ist zudem der Ansicht, dass das Problem, dass die günstigen Wirkungen des § 424 dem Falschen, also dem intern belasteten Schuldner, zugutekommen, sich auch bei echten Gesamtschuldverhältnissen stelle, so dass die Vorschrift eher teleologisch reduziert werden müsse, statt als Argument zur Ausgrenzung bestimmter Konstellationen aus dem Gesamtschuldtatbestand zu dienen280. Ein besonders bei Schadensersatzschulden praktischer Vorteil des Annahmeverzugs für den Schuldner ist der Wegfall der Zinspflicht, § 301. Diesen Vorteil gewährt das Gesetz sämtlichen Gesamtschuldnern, auch vorsätzlich handelnden deliktischen Mit- und Nebentätern i.S.d. § 840. Der Ausschluss von ungleichstufigen Verbindlichkeiten bedeutet daher eine zu begründende Schlechterstellung gegenüber Deliktstätern. Zudem ist die Sachwidrigkeit des § 424 auch bei gestuften Verbindlichkeiten keineswegs evident. Wer es als unbillig ansieht, dass die Zinspflicht des primär haftenden Schuldners S durch den Annahmeverzug gegenüber dem sekundär zuständigen Schuldner R endet, muss bedenken, dass ohne den Annahmeverzug Erfüllung eingetreten wäre, womit S ohnehin von der zukünftigen Zinsleistung befreit worden wäre. Insofern ist es nicht unbedingt einsichtig, dass S dadurch schlechter stehen soll, dass der Gläubiger die von R angebotene Leistung nicht annahm. In erster Linie aber wird der Fall diskutiert, dass die vom nachrangigen Schuldner R angebotene Gattungssache oder Geldsumme untergeht, womit R nach §§ 300, 275 gegenüber G vollständig befreit wird. Diese Befreiung soll dem erstrangig haftenden Schuldner S nicht zugutekommen. Dies wäre aber nur dann der Fall, wenn S keinen Regress des R befürchten müsste. Diese Ansicht vertritt Jürgens, für den der Gesamtschuldregress erst mit tatsächlicher Leistung an den Gläubiger eröffnet ist, nicht schon durch den Untergang der angebotenen Sache281. Liegt ein Gesamtschuldverhältnis vor, führt die Gesamtwirkung des Annahmeverzugs gegenüber R nach dieser Ansicht dazu, dass S bevorzugt (weil er ohne Opfer von seiner Leistungspflicht frei ist) und R benachteiligt (weil er trotz Opfers keinen Rückgriff hat) wird. Das kann aber nicht der Sinn einer Regelung sein, die Risiken im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner verteilen soll. 279 Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 313 II 3; Enneccerus/Lehmann, Schuldverhältnisse, § 90 II 3 (S. 363). 280 So Lippmann, AcP 111 (1914), 210 ff.; R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 63 ff.; ders., AcP 153 (1954), 92; Leonhard, SR AT, 722, 737; Hagedorn, Verhältnis, 21; A. Blomeyer, SR AT, § 49 IV 2; Grasnick, Unechte Gesamtschuld, 168 f., 178; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 133; Mirow, Unechte Gesamtschulden, 63; Jürgens, Teilschuld, 48; vgl. auch Zilz, Unechte Gesamtschuld, 32 f.; Wernecke, Gesamtschuld, 46 f.; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 52. 281 Jürgens, Teilschuld, 47.
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
Die ganz herrschende Lehre nimmt daher an, dass der Untergang der von R angebotenen Sache, der über § 424 auch S befreit, einen Gesamtschuldregress des R aus § 426 begründet282. Dann aber kommt der Annahmeverzug des G gegenüber R dem S auch nicht zugute. Vielmehr führt der Annahmeverzug zu den gleichen Risikoverschiebungen zwischen G und R wie im Fall eines Einzelschuldverhältnisses: G verliert durch den Untergang seinen Anspruch, und R wird so gestellt, als habe G angenommen. Wer § 424 in bestimmten Konstellationen für unpassend hält, muss also dieses Ergebnis mit demjenigen vergleichen, das bei Annahme einer Einzelwirkung erzielt wird. In diesem Fall könnte G nach Untergang der von R angebotenen Sache weiterhin auf S zugreifen. Da S im Ergebnis nicht doppelt belastet werden kann, muss R der Regress gegenüber S versagt werden. Der entscheidende Unterschied zur Gesamtwirkung besteht also nicht in der Stellung des S (er muss stets noch leisten), sondern darin, wer nun auf S zugreifen kann, G oder R. Im Fall der Einzelwirkung würde sich der Annahmeverzug praktisch nicht zulasten des G auswirken; vielmehr bestünde (sofern S solvent ist) im Ergebnis dieselbe Lage, wie wenn G sich zum Zeitpunkt des Untergangs nicht im Verzug befunden hätte. Nur bei angenommener Gesamtwirkung wird ein Ergebnis erzielt, das den Wertungen im Zweipersonenverhältnis entspricht. Zumindest in den UntergangsFällen erweist sich § 424 also als sachgerechte Regel, die nicht zu einer Einschränkung des Gesamtschuldtatbestands zwingt283, sondern eher umgekehrt auch für eine Anwendung über die unstreitigen Gesamtschuldfälle hinaus in Betracht kommt, etwa im Verhältnis zwischen Hauptschuldner und regressberechtigten Bürgen oder beim Versicherungsregress nach § 67 VVG284. Hiergegen wird aber eingewendet, dass bei gestuften Verpflichtungen die Einzelwirkung des Annahmeverzugs sachgerecht sei, auch wenn sie im Ergebnis dem nachrangig Haftenden seinen Regress wegnehme. Gehe etwa die Leistung der Schadensversicherung während des Annahmeverzugs des Versicherten unter, dann solle dieser weiterhin auf den Schädiger zugreifen können, während der Rückgriff der Versicherung nach § 67 VVG wegfalle. Dies sei gerechtfertigt, weil der Gläubiger durch den zusätzlichen Schuldner umfassend gesichert werden solle285. 282 Ehmann, Gesamtschuld, 251; Erman/Ehmann, § 424 Rz 1; Rüßmann, JuS 1974, 296; jurisPK/Rüßmann, § 424 Rz 6; Soergel/Wolf, § 424 Rz 2; Wernecke, Gesamtschuld, 45 f.; Boecken/ von Sonntag, Jura 1997, 6; Staud/Noack, § 424 Rz 16; MüKo/P. Bydlinski, § 424 Rz 2; BamR/ Gehrlein, § 424 Rz 1; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 114. 283 Ehmann, Gesamtschuld, 251 f.; Erman/Ehmann, § 424 Rz 1; Rüßmann, JuS 1974, 296; Wernecke, Gesamtschuld, 45 f.; Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 6; Staud/Noack, § 421 Rz 22 f., § 424 Rz 5, 17; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 14, 70, § 424 Rz 3. Ähnliches gilt im umgekehrten Fall, dass die vom intern verpflichteten Schuldner S angebotene Sache untergeht. Bei einer Gesamtwirkung des Annahmeverzugs ist der nachrangige Schuldner R frei. Bei einer Einzelwirkung könnte G noch auf R zugreifen, so dass man im Ergebnis entweder einen Regress des R zulassen und dadurch S doppelt belasten oder den Rückgriff des nur nachrangig haftenden R ausschließen muss. 284 MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 14, 70; Erman/Ehmann (11. Aufl. 2004), § 421 Rz 30. 285 Schims, Forderungsübergang, 155. Vgl. schon Schmitt, Solidarität, 113.
8. Die Besonderheiten des Gesamtschuldregresses
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Im Bereich des Versicherungsrechts erschiene eine solche Lösung tatsächlich denkbar, weil die Leistung der Versicherung durch Prämien erkauft und der Rückgriff gegen den Schädiger nur von sekundärer Bedeutung ist. Dann fragt es sich aber, ob das Problem hier die Gesamtwirkung des § 424 oder nicht vielmehr die Anwendung der Annahmeverzugsregeln im Verhältnis zwischen Geschädigtem und Versicherer ist. Will man dem Geschädigten trotz Untergang der Versicherungsleistung während des Annahmeverzugs seinen Anspruch gegen den Schädiger zulasten des Versicherers erhalten, könnte man auch einen Schritt weitergehen und auch im Zweipersonenverhältnis, wenn es also keinen Schädiger gibt, die Leistungsfreiheit des Versicherers verneinen, wenn die angebotene Leistung während des Verzugs des Geschädigten untergeht. Wer § 424 bei gestuften Verpflichtungen nicht anwenden will, sträubt sich im Ergebnis gegen die gläubigerbenachteiligende Wirkungen des Annahmeverzugs. Dies mag gerade bei Versicherungsverträgen erwogen werden. Fraglich ist aber schon, ob ein lohnfortzahlender Arbeitgeber, ein Unterhaltspflichtiger oder ein Bürge sich eine Regelung gefallen lassen müssten, nach der sie entgegen der allgemeinen Grundregel durch den Annahmeverzug des Gläubigers massiv benachteiligt werden. Zumindest im Bereich der Schadensersatzverbindlichkeiten lässt es sich nicht rechtfertigen, die Wertungen des Annahmeverzugs auszuschalten. § 424 ist damit nicht ein Argument gegen, sondern zugunsten der Anwendung der Gesamtschuldregeln.
b) Die Schuldgemeinschaft nach § 426 Insgesamt erweist sich die Regel des § 423 beim Vergleich der verschiedenen Regresswege als neutral. Die Vorschrift des § 424 spricht eher zugunsten des Gesamtschuldregresses, falls man sie nicht analog auf die alternativen Regresswege anwendet. In der Praxis hat sie aber offenbar bislang gar keine Rolle gespielt. Der entscheidende Unterschied zwischen dem Gesamtschuldregress auf der einen und dem Zessions- und Bereicherungsregress auf der anderen Seite ist vielmehr die Vorschrift des § 426 in ihrer Auslegung durch die herrschende Lehre. Die Privilegierungen des Gesamtschuldregresses sind oben ausführlich dargestellt worden. Sie entfallen, wenn der Rückgriff bereicherungsrechtlich begründet oder als reiner Zessionsregress ausgestaltet wird. Nur im Falle eines Gesamtschuldverhältnisses kann der regressberechtigte Schuldner R schon vor seiner Leistung an den Gläubiger eine Feststellungsklage gegen den regressverpflichteten Schuldner S erheben. Dies wird allgemein als Vorteil des Gesamtschuldregresses angesehen286. Darüber hinaus hat R nach herrschender Lehre schon vor seiner Leistung an den Gläubiger Mitwirkungs- und Befreiungsansprüche gegen S287. Bei einem Zessionsregress kommen Ansprüche 286 Selb, Schadensbegriff, 78 f. (anders aber ders., Mehrheiten, 187); Ehmann, Gesamtschuld, 321; Jürgens, Teilschuld, 206. 287 Oben, 319 ff., 601 ff.
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gegen S dagegen erst ab der Zession in Betracht, die in der Regel erst mit R’s Leistung an G stattfindet288. Auch der Bereicherungsregress eröffnet Rechte des R erst ab seiner Leistung an G289. Die Mitwirkungs- und Befreiungsansprüche werden häufig als Argument zugunsten einer Anwendung der Gesamtschuldregeln herangezogen290. Es finden sich aber auch Stimmen, wonach Befreiungsansprüche bei gestuften Verpflichtungen nicht passen291. Tatsächlich kann der Vorteil des Regressberechtigten durch den Befreiungsanspruch nicht ohne den Nachteil für den Regressverpflichteten gesehen werden, der, ohne vom Gläubiger in Anspruch genommen zu werden, von einem ihm möglicherweise fremden Mitschuldner, den er sich nicht ausgesucht hat, zur Leistung gedrängt wird und damit im Ergebnis ein doppeltes Prozessrisiko tragen muss. Auch bei der Wirkung eines zwischen dem Gläubiger und einem Schuldner vereinbarten Einzelerlasses gibt es wesentliche Unterschiede zwischen den Regresswegen. Bei der Gesamtschuld wird § 423 heute flexibel angewendet. Der zwischen G und S vereinbarte Einzelerlass kann auch R in Höhe von S’ Anteil befreien (beschränkte Gesamtwirkung). Möglich ist aber auch, dass im Außenverhältnis allein S befreit und dieser weiterhin einem Regress durch R ausgesetzt ist292. Dieses Ergebnis ist beim Zessions- und Bereicherungsregress ausgeschlossen. Ist die Schuld des S erlassen, gibt es weder eine Forderung, die auf R übergehen kann, noch eine Bereicherung des S durch Schuldbefreiung, wenn R anschließend an G leistet. Demnach ist denkbar, dass G auf R zugreifen kann, obwohl diesem kein Regress gegen S mehr zusteht. Doch auch eine entsprechende Kürzung des Gläubigeranspruchs gegen R im Außenverhältnis kann beim Bereicherungs- oder Zessionsregress erzielt werden. Beim Bereicherungsregress wurde vorgeschlagen, § 776 analog anzuwenden und damit G’s Anspruch gegen R um S’ internen Anteil zu kürzen, bei interner Alleinbelastung des S also ganz auszuschließen293. Beim Regress über § 255 käme man zum selben Ergebnis durch die Annahme, dass das Zurückbehaltungsrecht des R endgültig wird, soweit G ihm die Forderung gegen S nicht mehr abtreten kann294. Der Bereicherungs- oder Zessionsregress ermöglicht also Lösungen zulasten des G oder zulasten des R, 288 BGH VersR 1966, 875 (13.6.1966); BGH NJW-RR 1989, 918, 920 (25.4.1989); OLG Düsseldorf, VersR 1999, 1277 (26.5.1998). 289 RG JW 1920, 639 Nr. 4 (12.4.1920). 290 R. Schmidt, AcP 163 (1963), 535; Frotz, NJW 1965, 1257 f.; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 131 f.; Ehmann, Gesamtschuld, 321 f.; Jürgens, Teilschuld, 207; Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 2 f.; Stamm, Regressfiguren, 48, 105, 111; ders., Jura 2002, 733; ders., NJW 2003, 2942 f.; Kuhlmann, Rückgriffsgrundlagen, 309; Schims, Forderungsübergang, 154; Staud/Noack, § 421 Rz 19. 291 Wendehorst, Jura 2004, 512; Zerres, Jura 2008, 729; ähnlich schon RGRK/Weber, § 421 Rz 30. 292 Oben, 664 ff. 293 Frotz, VersR 1965, 217 f.; ders., NJW 1965, 1259. 294 So Oertmann, Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 5 c; Selb, Schadensbegriff, 79; i.E. auch Tempel, JuS 1965, 269; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1998, 601, 602 (11.12.1997); dagegen Klingmüller, JhJb 64 (1914), 90.
8. Die Besonderheiten des Gesamtschuldregresses
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nicht aber zulasten des S. Dies wird von Gegnern des Gesamtschuldregresses gerade als Vorteil des Bereicherungs- oder Zessionsregresses angesehen: Er vermeidet, dass der intern belastete Schuldner S die Vorteile des Erlasses dadurch verliert, dass ein anderer ebenfalls verpflichtet ist und an den Gläubiger leistet295. Gerade umgekehrt wird zugunsten des Gesamtschuldregresses vorgebracht, dass der erlassunabhängige Regress des R gerade ein Vorteil sei, weil er vermeide, dass der Gläubiger durch nachträgliche Vereinbarungen in das Ausgleichsverhältnis eingreifen könne296. Die Frage wurde aktuell bei den konkurrierenden Verpflichtungen eines Bauunternehmers und eines Architekten, die für denselben Baumangel verantwortlich waren. Die Entscheidung des Großen Senats in BGHZ 43, 227 zugunsten eines Gesamtschuldregresses war offenbar gerade durch die Besonderheit der Fallkonstellation geprägt, dass der Gläubiger mit dem Unternehmer U einen Vergleich geschlossen hatte und danach den Architekten A in Anspruch nahm. Dieser wehrte sich mit dem Argument, dass er wegen des Vergleichs keinen Regress gegen U ausüben könne297. Eine ähnliche Konstellation lag der Wolle-Entscheidung BGHZ 59, 97 zugrunde, in der es um die Abgrenzung des Gesamtschuldvom Zessionsregress nach § 255 ging. Der Gläubiger hatte mit dem Deliktsschuldner S einen Vergleich geschlossen und nahm danach den vertraglich haftenden Schuldner R in Anspruch. R verlangte vom Gläubiger Schadensersatz, weil dieser durch den Vergleich die geschuldete Abtretung nach § 255 unmöglich gemacht habe298. In beiden Fällen entschied sich der BGH für die Annahme einer Gesamtschuld. Entscheidender Vorteil des Gesamtschuldregresses war für das Gericht, dass die Regressfrage im Außenverhältnis keine Rolle spielte und dass der regressberechtigte Schuldner einen von Verfügungen des Gläubigers unabhängigen Rückgriffsanspruch erhielt299. Da der Vergleich den Regress nach § 426 I nicht zunichtegemacht hatte, konnte der Gläubiger unbeschränkt auf den regressberechtigten Schuldner zugreifen. Wenig beachtet wurde dabei der Schutz des regressverpflichteten Schuldners (U bzw. S), für den der Vergleich mit dem Gläubiger durch die Gesamtschuldkonstruktion praktisch wertlos war300. In der Verjährungsfrage gilt Ähnliches. Sowohl beim Zessionsregress als auch beim Bereicherungsregress (weil die herrschende Lehre hier §§ 404 ff. analog anwendet) stimmt die Verjährung des Rückgriffsanspruchs mit derjenigen der ursprünglichen Gläubigerforderung überein, während der Regress nach § 426 I ei295
Frotz, VersR 1965, 216 f.; ders., NJW 1965, 1258; Tempel, JuS 1965, 268 f. Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 132; Rietschel, LM § 426 Nr. 25; von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 92; G. Dilcher, JZ 1973, 199; Wollschläger, Geschäftsführung, 124 f. 297 BGHZ 43, 227 (1.2.1965); Vorlagebeschluss des 7. Senats in BGH VersR 1964, 1048 (9.7.1964); hierzu unten, 937 ff. 298 BGHZ 59, 97 (29.6.1972); hierzu unten, 926 f. 299 Zum Architektenfall BGH VersR 1964, 1048, 1049 f.; zum Wollefall BGHZ 59, 97, 102 f. 300 Daher wollten auch manche Anhänger des Gesamtschuldregresses U durch die Annahme einer beschränkten Gesamtwirkung des Erlasses schützen, etwa Raisch, JZ 1965, 706; Hönn, NJW 1965, 1701. 296
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genständig verjährt, mittlerweile zwar nicht mehr binnen 30 Jahren, sondern binnen drei Jahren, nachdem der Regressberechtigte sein Rückgriffsrecht und den Rückgriffsschuldner kennt301. Nur der Gesamtschuldregress ermöglicht einen Rückgriff auf einen Schuldner, der dem Zugriff des Gläubigers wegen Verjährung nicht mehr ausgesetzt wäre. Für Gegner des Gesamtschuldregresses ist gerade dies ein entscheidender Nachteil: Es sei unbillig, einen Schuldner dadurch zu belasten, dass „zufällig“ auch ein anderer dem Gläubiger gegenüber verpflichtet ist und an diesen leistet302. Es findet sich aber auch das umgekehrte Argument, dass die eigenständige Verjährung gerade ein Vorteil des Gesamtschuldregresses im Vergleich zum Zessions- und Bereicherungsregress sei303. Auch diese Frage wurde aktuell bei der Haftung des Bauunternehmers und des Architekten, weil die Verjährungsfrist gegenüber dem (oft intern allein belasteten) Unternehmer häufig wesentlich kürzer war als die gegenüber dem Architekten. Sollte der Unternehmer sich auf seine eigene Verjährungsfrist verlassen dürfen, was bei einem Bereicherungs- oder Zessionsregress sichergestellt wäre? Oder musste gerade umgekehrt der Architekt geschützt werden, der auch nach der Verjährung der Unternehmerschuld noch in Anspruch genommen werden konnte? Der BGH entschied sich für den Gesamtschuldregress und damit für eine eigene Verjährung des Rückgriffsanspruchs des Architekten304. Dem Bauunternehmer kam nicht einmal der Umstand zu Hilfe, dass er sich die kurze Verjährungsfrist mit dem Gläubiger (vertreten durch den Architekten) ausdrücklich ausbedungen hatte305. Weitere, den regresspflichtigen Schuldner S belastende, Besonderheiten des Gesamtschuldregresses wurden ebenfalls hier schon erwähnt306: Wird die Klage des Gläubigers gegen S abgewiesen, ist S auch vor einem Zessions- oder Bereicherungsregress sicher, nicht aber vor einem Gesamtschuldregress. Hat S eine zur Aufrechnung geeignete Gegenforderung gegen den Gläubiger inne, kann er diese nach § 406 gegenüber einem Regress über die zedierte Gläubigerforderung und nach § 406 analog auch gegen einen Bereicherungsregress einsetzen, nicht aber gegenüber einem Gesamtschuldregress aus § 426 I. Leistet S an den Gläubiger in 301
Oben, 639 ff. R. Schmidt, AcP 163 (1963), 535 f.; Selb, Schadensbegriff, 80; ders., NJW 1963, 2058; ders., NJW 1964, 20; ders., Mehrheiten, 186; Frotz, JZ 1964, 670; Tempel, JuS 1965, 267; Schims, Forderungsübergang, 112 f. Widersprüchlich Wendlandt, Jura 2004, 334: Einerseits soll der Regressverpflichtete bei Leistung des Regressberechtigten so gestellt werden, als stünde er weiterhin seinem Gläubiger gegenüber, so dass die Verjährung des Regresses sich an der Gläubigerforderung orientieren soll. Andererseits wird erwogen, das Gesamtschuldmerkmal der Gleichstufigkeit aufzugeben und nachrangig Verpflichtete nicht schlechter zu stellen als gleichrangige. 303 Hönn, NJW 1965, 1701; ders., NJW 1966, 2201; Wollschläger, Geschäftsführung, 127; Wolf/ Niedenführ, JA 1985, 371; Soergel/Wolf, § 421 Rz 10; Jürgens, Teilschuld, 211; Staud/Noack, § 421 Rz 20. 304 BGH WM 1971, 101, 103 (29.10.1970); BGHZ 58, 216 (9.3.1972). Umgekehrt schließt auch die Verjährung des Anspruchs gegen den Architekten einen Gesamtschuldregress des Unternehmers nicht aus, so in BGH VersR 1965, 804 (17.5.1965). 305 So in BGHZ 58, 216. 306 Oben, 659 ff. 302
9. Die Rolle der Schuldgemeinschaft bei der Bestimmung des Gesamtschuldtatbestands
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Unkenntnis der Tatsache, dass bereits R geleistet hat, ist er gegenüber einem Zessions- oder Bereicherungsregress nach § 407 geschützt, während er beim Gesamtschuldregress zumindest nach herrschender Lehre seinen internen Anteil nochmal an R leisten und versuchen muss, das an G Gezahlte von diesem zurückzufordern.
9. Folgerungen: Die Rolle der Schuldgemeinschaft bei der Bestimmung des Gesamtschuldtatbestands Die Regeln zur Geschäftsführung ohne Auftrag sind zur Regelung des Regresses bei konkurrierenden Schadensersatzpflichten nicht geeignet. Grundsätzlich in Frage kommen dagegen neben dem Gesamtschuldregress auch der Zessions- und der Bereicherungsregress, wenn auch ein direkter gesetzlicher Anknüpfungspunkt für einen Zessionsregress fehlt und der Bereicherungsregress eine in § 812 direkt nicht zu findende Aufteilung der insgesamt geschuldeten Leistung unter den Schuldnern voraussetzt. Bei den Rechtsfolgen der verschiedenen Regresswege ergeben sich zwei Hauptunterschiede. Zum einen kann der Regressberechtigte nur beim Zessions- und Gesamtschuldregress die Vorteile der Gläubigerforderung nutzen. Dieser Umstand kann gegen den Bereicherungsregress sprechen. Allerdings spielt die Frage nach dem Forderungsübergang bei der Konkurrenz von Schadensersatzansprüchen nur eine Nebenrolle, weil ersatzpflichtige Schuldner in der Regel keine Sicherheiten stellen307. Von größerer Bedeutung ist der zweite Unterschied: Nur beim Gesamtschuldregress gibt es nach herrschender Lehre eine von Anfang an bestehende Schuldgemeinschaft, die Mitwirkungspflichten eröffnet und einen Regress auch dann ermöglicht, wenn ein Zugriff über die Gläubigerforderung nicht mehr stattfinden kann. Diese Besonderheiten des Gesamtschuldregresses sind keineswegs Marginalien, welche die Entscheidung über den richtigen Regressweg nicht beeinflussen sollten308. Vielmehr handelt es sich bei ihnen um den zentralen Rechtsfolgenunterschied zwischen den diskutierten Regresswegen. Abgesehen von der Frage des Forderungsübergangs ist das Bestehen einer Schuldgemeinschaft mit Befreiungsansprüchen und privilegiertem Regress das einzige Kriterium, mit dessen Hilfe sinnvoll zwischen Gesamtschulden und anderen Schuldnermehrheiten, bei denen mehrere eine Leistung schulden, die der Gläubiger im Ergebnis nur einmal erhalten soll, abgegrenzt werden kann. Wer mit der herrschenden Lehre eine aus § 426 folgende Schuldgemeinschaft annimmt, muss die Frage beantworten, in welchen
307 Ausnahmen bestätigen die Regel, etwa RG JW 1938, 516 (19.10.1937). Auch auf den Vorteil, ein vom Gläubiger G gegen den Regresspflichtigen S erstrittenes Urteil verwenden zu können, wird es häufig nicht ankommen, weil er nur in der Fallkonstellation besteht, dass zuerst G ein Urteil gegen S erwirkt und dann R an G leistet. 308 In diese Richtung Ehmann, Gesamtschuld, 322; Weitnauer, Personenmehrheit, 386 f.; RGRK/Weber, § 421 Rz 11; Soergel/Wolf, § 426 Rz 10.
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Fällen konkurrierender Schadensersatzverbindlichkeiten eine solche Schuldgemeinschaft angenommen werden soll und in welchen nicht. Zwar wird die Literatur nicht müde zu betonen, dass die Schuldgemeinschaft nicht Tatbestand, sondern Rechtsfolge des § 426 ist309. Wenn aber der Tatbestand des Gesamtschuldverhältnisses unsicher und umstritten ist, dann kann das Abgrenzungsproblem sinnvoll nur mit Blick auf die Rechtsfolgen gelöst werden310. Die historische Erfahrung zeigt, dass die Schuldgemeinschaft nach § 426 neben der Vorschrift des § 424 der Grund war, warum die Literatur nach 1900 mit der unechten Gesamtschuld eine vom Gesetzgeber nicht geplante Zweiteilung der Gesamtschuldverhältnisse eingeführt hat. Der eigenständige Regress mit Mitwirkungspflichten wurde für „zufällig“ konkurrierende Verbindlichkeiten als unpassend empfunden. Der Regress als solcher war bei Solidarobligationen, zumindest bei solchen auf Schadensersatz, keineswegs unbekannt. Der Gesetzgeber aber sprach, zumindest nach den Motiven, von einer schon bei Entstehung der Gesamtschuld bestehenden Schuldgemeinschaft, welche Pflichten unter den Gesamtschuldnern hervorbringt. Das war für die bislang mit dem Gemeinen Recht arbeitenden Autoren ungewohnt. Die entscheidende Frage war nun, ob diese Schuldgemeinschaft auch bei zufällig konkurrierenden Schadensersatzverbindlichkeiten passt. Doch dieser Frage nach den Wertungsgrundlagen für einen gegenüber anderen Regressformen privilegierten Gesamtschuldregress wurde im Laufe der Gesamtschulddiskussion im 20. Jahrhundert nur unzureichend nachgegangen. Erst in den 1960er Jahren stellte man angesichts der Rechtsprechung zur Haftung von Architekt und Bauunternehmer die Frage, ob der intern verpflichtete Schuldner auch nach der Verjährung oder nach dem Erlass der gegen ihn gerichteten Gläubigerforderung in Anspruch genommen werden kann. Doch auch dann nahmen diese Fragen verhältnismäßig wenig Raum ein gegenüber ausführlicheren Erörterungen über das Wesen der Gesamtschuld oder die Frage der Solutionskonkurrenz. Erst spät wendete man dem privilegierten Gesamtschuldregress als solchem die wissenschaftliche Aufmerksamkeit zu. In diesem Zusammenhang werden häufig allein die Vorteile des Gesamtschuldregresses für den regressberechtigten Schuldner hervorgehoben311. Doch was des einen Freud’ ist, ist des anderen Leid. Eine Analyse, die nur auf die Interessen des Regressberechtigten unter Ausblendung der Nachteile für den Regressverpflichteten abstellt, ist unvollständig. Die Frage ist also, ob die Bevorzugung der Interessen des Regressberechtigten in allen Fällen konkurrierender Schadensersatzverbindlichkeiten gerechtfertigt ist und warum. Zwar ist der Gesetzgeber, wie dargestellt, davon ausgegangen, dass Gesamtschulden schon im309 Planck/Siber, § 421 Anm. 1 b; R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 69; Lischka, Gesamtschuld, 47; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 38 f.; Ehmann, Gesamtschuld, 80; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 25; Jürgens, Teilschuld, 44, 62, 204; Staud/Kaduk, § 426 Rz 9. 310 Ebenso Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 48. 311 Insbesondere Jürgens, Teilschuld, 206 ff.; ferner Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 131 f.; BGHZ 59, 97, 103 (29.6.1972); Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 2 f.; Soergel/Wolf, § 421 Rz 10; Staud/Noack, § 421 Rz 19 f.
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mer dann entstehen, wenn mehrere den Ersatz desselben Schadens schulden. Dieser Satz war für ihn offenbar so selbstverständlich, dass er ihn nicht in eine Regel fasste. Doch die Geschwindigkeit, mit der Literatur und Rechtsprechung sich von den gesetzgeberischen Vorstellungen entfernten, geht offenbar nicht nur auf die Uneindeutigkeit der gesetzlichen Regelung zurück. Die Materialien ergeben keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber sich Gedanken über das Nebeneinander von einem weiten Gesamtschuldtatbestand bei Schadensersatzverbindlichkeiten einerseits und der Einführung einer vertragsähnlichen Schuldgemeinschaft andererseits machte. Es ist daher kein Zufall, dass im Laufe des 20. Jahrhunderts immer wieder versucht wurde, bestimmte Konstellationen aus dem Anwendungsbereich der §§ 421 ff. auszuschließen, sei es mit der Annahme einer unechten Gesamtschuld, sei es mit der Annahme einer nur einseitigen Solutionskonkurrenz. Wer glaubte, dass der Fall konkurrierender vertraglicher Schadensersatzverbindlichkeiten durch die Entscheidung des Großen Senats in BGHZ 43, 227 zur Haftung von Bauunternehmer und Architekt endgültig gelöst sei, musste sich eines Besseren belehren lassen, als es um die Haftung mehrerer Unternehmer ging, die eine einheitliche Leistung zur Mängelbeseitigung schuldeten. Hier wurde die Gesamtschuld, nach Umwegen über den Geschäftsführungsregress, erst 2003 durch den BGH etabliert312. Solange die Wertungsgrundlagen für den Gesamtschuldregress nicht klargemacht werden, wird es immer umstrittene Konstellationen geben. Das Gesagte gilt im Übrigen auch für die Bestimmung des Gesamtschuldtatbestands außerhalb konkurrierender Schadensersatzverbindlichkeiten. Der entscheidende Unterschied zwischen der Gesamtschuld und konkurrierenden Konstruktionen, etwa der Annahme einer einseitigen Solutionskonkurrenz mit Zessionsregress, ist der privilegierte Gesamtschuldregress. Jeder Abgrenzungsvorschlag muss daher begründen, warum es in bestimmten Konstellationen zum Gesamtschuldregress kommen soll und in anderen nicht. Dieser Frage wird in der Literatur nach wie vor zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Wenn die Unterscheidung von Gesamtschulden und Zessionsfällen mit Erwägungen zur Erfüllungs- oder Tilgungsgemeinschaft, mit der fehlenden Anrechnung der Leistung des ferner Stehenden auf die Schuld des näher Stehenden, mit der fehlenden Verursachung des Schadens durch einen Schuldner, mit dem Versorgungscharakter einer der Verbindlichkeiten oder mit der Verpflichtung des einen Schuldners, nur ein Liquidationsrisiko zu tragen, begründet wird, handelt es sich um rein begriffliche Argumentationen, solange der Zusammenhang zum privilegierten Gesamtschuldregress nicht hergestellt wird. Wer annimmt, dass der Gesamtschuldregress weiter geht als der reine Zessionsregress, und zugleich Gesamtschulden von Zessionsregressfällen unterscheiden will, muss begründen, warum der Mittäter, der Mitbürge und der ungefragt Schuldbeitretende einen privilegierten Regress haben, nicht aber der auftragslose Bürge gegenüber dem Schuld-
312
BGHZ 155, 265 (26.6.2003); hierzu unten, 948 ff.
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
ner, der Unterhaltspflichtige oder die Schadensversicherung. Eine solche Begründung steht bislang aus. Die Abgrenzungsfrage verliert dann an Bedeutung, wenn der Gesamtschuldregress dem Regress in Legalzessionsfällen angenähert wird. Insbesondere in der praktisch wichtigen Verjährungsfrage finden sich Überlegungen in der Literatur, die Kluft zu überbrücken, indem auch der Rückgriffsanspruch aus § 426 I der Verjährung der Gläubigerforderung unterstellt wird313. Ganz auf die Abgrenzung verzichten kann man, wenn man die Regresswege völlig angleicht. Dies kann dadurch geschehen, dass man mit Hilfe eines weiten Gesamtschuldtatbestandes auch in den Legalzessionsfällen einen Ausgleichsanspruch aus § 426 I annimmt, unter anderem mit dem Ergebnis, dass auch der Schadensversicherer und der auftragslose Bürge, über den Tatbestand des § 775 hinaus, einen Befreiungsanspruch haben314. Möglich ist auch der umgekehrte Weg, den Regress aus § 426 I dem Zessions- oder Bereicherungsregress anzupassen, so dass Befreiungsansprüche entfallen und der Regressschuldner durch die §§ 404 ff. geschützt wird315. Solange man aber Unterschiede zwischen Gesamtschuld- und Zessionsregress annimmt, kommt man an der Frage der Wertungsgrundlage für die Abgrenzung nicht vorbei.
10. Die Abgrenzungskriterien: Gesetz, Analogiebildung und Stufenlehre Wer innerhalb der Fälle konkurrierender Schadensersatzverbindlichkeiten zwischen Gesamtschulden und anderen Schuldnermehrheitsformen unterscheiden will, muss Abgrenzungskriterien nennen, die nicht nur praktisch handhabbar, sondern auch in der Lage sind, die unterschiedlichen Folgen für die Ausgestaltung des Regresses sachlich zu begründen. Gerade an dieser letzteren Aufgabe scheitern die bislang vorgebrachten Differenzierungsversuche. Die Annahme, dass Gesamtschulden nur durch Parteivereinbarung oder ausdrückliche gesetzliche Anordnung entstehen können, führt zwar zu klaren Abgrenzungskriterien, hat sich aber schon früh als zu eng erwiesen. Vertreter eines 313 Ehmann, Gesamtschuld, 322; Rüßmann, JuS 1974, 296; Weitnauer, Personenmehrheit, 386 f. Allgemein wollen Schlechtriem/Schmidt-Kessel, SR AT, Rz 845, die notwendigen Differenzierungen bei den Rechtsfolgen der Gesamtschuld vornehmen. 314 So wohl Ehmann und die oben (853 f.) genannten Vertreter eines weiten Gesamtschuldbegriffs, wobei allerdings nicht immer klar ist, ob die Legalzessionsfälle als gewöhnliche Gesamtschulden mit einem Anspruch aus § 426 I verstanden werden (so ausdrücklich Ehmann, Gesamtschuld, 253; Erman/Ehmann, § 423 Rz 11, § 426 Rz 76; Soergel/Wolf, § 421 Rz 10; Wernecke, Gesamtschuld, 70, 138 Fn. 64; Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 10) oder als Sonderformen, bei denen der Regress nur über § 426 II möglich ist (so Hasse, Regreß, 41). 315 So Schulz, Rückgriff, 40 ff., 74 ff.; in diese Richtung auch von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 85 ff.; Stamm, Regressfiguren, 49 ff., und NJW 2004, 811(der allerdings die Befreiungsansprüche bei Gesamtschuldverhältnissen behalten will und daher weiterhin zur Abgrenzung gezwungen ist).
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am Gesetzeswortlaut orientierten Gesamtschuldtatbestandes316 sehen sich daher vor die Aufgabe gestellt, Analogien zu einzelnen gesetzlichen Gesamtschuldanordnungen zu bilden, insbesondere zu § 840. Doch so selbstverständlich die Annahme ist, dass Gesamtschulden dann bestehen, wenn sie gesetzlich angeordnet sind, so unrichtig ist zumindest aus historischer Sicht der Umkehrschluss, dass ohne eine solche Anordnung Gesamtschulden prima facie nicht entstehen. Vielmehr hat der Gesetzgeber Gesamtschulden gerade nur dann ausdrücklich angeordnet, wenn die unmittelbare Ganzhaftung jedes Schuldners zweifelhaft war, sei es, weil die Haftung jedes Schuldners sich nicht schon aus allgemeinen Regeln ergab, sei es, weil die Teilschuldregel eingreifen konnte, oder sei es, weil der Eindruck vermieden werden sollte, dass der ferner Stehende im Außenverhältnis nur subsidiär haftete. Wenn aber schon nach allgemeinen Regeln feststand, dass jeder Schuldner das Ganze schuldete und keine Subsidiarität bestand, dann war nach Ansicht des Gesetzgebers eine besondere Gesamtschuldanordnung nicht erforderlich. Das galt nicht nur für kumulativ verursachende deliktische Nebentäter, sondern auch für das Zusammentreffen von vertraglichen und deliktischen Schadensersatzansprüchen. Für das heutige Recht bedeutet das, dass eine sinnvolle Grundlage für eine Analogiebildung nicht gegeben ist. Diese setzt voraus, dass hinter der gesetzlichen Gesamtschuldanordnung eine spezifische gesetzgeberische Wertung steht, die Gesamtschuld gerade in diesem Fall vorzusehen. Dem Gesetzgeber lag aber eine Wertung fern, Gesamtschulden unter unabhängigen Verursachern gerade im Deliktsrecht (§ 840) und nicht im Vertragsrecht vorzusehen. Die Vorschrift des § 840 führt in die Irre, weil es sich um eine von der Redaktionskommission vorgenommene Zusammenstellung verschiedener Einzelregelungen handelt, die von der Zweiten Kommission beschlossen wurden. Wenn der Gesetzgeber Gesamtschulden nur in Fällen anordnete, die nach seiner Ansicht zweifelhaft sein konnten, dann kann aus den bestehenden Vorschriften kein System gebildet werden. Das Abstellen auf die Existenz gesetzlicher Anordnungen führt zu Zufallsergebnissen. Selbstverständlich ist es zulässig, Gesamtschulden dann zu bejahen, wenn es eine gesetzliche Anordnung gibt, und in den übrigen Fällen Gesamtschulden nicht ohne weiteres vorauszusetzen, sondern ihr Bestehen mit Hilfe systematischer und wertender Kriterien zu klären. Nur eine Analogiebildung im strengen Sinne kommt wegen der Ansicht des Gesetzgebers, dass die Entstehung von Gesamtschulden keiner ausdrücklichen Anordnung bedarf, nicht in Frage317. Nach wie vor verbreitet ist die von Larenz, Selb und Esser begründete Stufenlehre, die ein Gesamtschuldverhältnis nur bei „gleichstufigen“ Verbindlichkeiten 316 Insbesondere Frotz, JZ 1964, 665, 667 f.; ders., VersR 1965, 212 f., 215 f.; ders., NJW 1965, 1259; Goette, Gesamtschuldbegriff, 68 ff., 101; Winter, Teilschuld, 178, 200. In diese Richtung auch Selb, Schadensbegriff, 12, 17, 56 ff., 65 f.; Esser, SR AT, § 58 I, § 59 IV 1; Larenz, SR AT, 636; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 17. 317 Im Ergebnis ebenso Jürgens, Teilschuld, 34, 77, 91.
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annimmt318. Die nähere Bestimmung dieses Kriteriums hat stets Schwierigkeiten bereitet. Ursprünglich hieß es, dass bei gestuften Verbindlichkeiten einer der Schuldner „dem Schaden näher stehe“, weil er den Schaden unmittelbar herbeigeführt habe, während der andere Schuldner die Schadensverursachung nur ermöglicht habe319. Hierbei dachte man an den Schulfall des Entleihers, der fahrlässig die Zerstörung der Sache durch einen Dritten ermöglicht. Die Gegner der Stufenlehre wiesen demgegenüber darauf hin, dass eine Abwägung der Verursachungsbeiträge gerade Gegenstand des § 426 i.V.m. § 254 sei und hier auch eine interne Alleinbelastung eines Schuldners zum Ergebnis haben könne320. Die Stufenlehre messe dieser internen Frage der Lastenverteilung zu Unrecht Bedeutung im Außenverhältnis zu321. Hierauf entgegnete die Stufenlehre, Gleichstufigkeit sei nicht mit gleichmäßiger Innenbelastung zu verwechseln322. Sie könne auch dann vorliegen, wenn ein Schuldner intern freigestellt und der andere intern allein belastet sei. Ein Stufenverhältnis liege nur dann vor, wenn nicht erst bei einer Abwägung nach § 254, sondern von vornherein einer der Schuldner allein belastet sei323, wenn es prinzipiell und nicht nur ausnahmsweise einen primär Verpflichteten gebe324 bzw. wenn die Verbindlichkeiten derart abgestuft seien, dass die interne Vollhaftung eines Schuldners die einzig denkbare Lösung sei325. Bei der Gesamtschuld, so Larenz, hätten alle Schuldner prinzipiell letztlich irgendeinen Beitrag zu leisten, möge er in Ausnahmefällen auch bis auf 0 zurückgehen326. Wann aber die einseitige Belastung eines Schuldners das Prinzip darstellt und daher zur Ungleichstufigkeit führt und wann sie nur Ausnahme ist und daher eine Gesamtschuld nicht verhindert, konnte die Stufenlehre nie überzeugend er318
Larenz, Vertrag und Unrecht, 201; ders., SR AT (1958 und 1964), § 33 III; ders., SR AT (1987), § 37 I, S. 634; Wüst, Interessengemeinschaft, 80 ff.; Selb, Schadensbegriff, 18; ders., Mehrheiten, 40 ff., 137 ff.; Staud/Selb (1995), § 255 Rz 6; Esser, Schuldrecht (2. Aufl. 1960), § 97 Nr. 4; ders., SR AT (4. Aufl. 1970), § 58 II (S. 435); Medicus, SR AT, Rz 798; ders., BürgR, Rz 922; Fikentscher/Heinemann, SR, Rz 744; Raisch, JZ 1965, 705; Martens, BB 1971, 769; G. Dilcher, JZ 1973, 199; Finger, BB 1974, 1421; Steinbach/Lang, WM 1987, 1240 f.; Schreiber, Jura 1989, 355; Schürnbrand, Schuldbeitritt, 98 f.; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 27, 48 f., 67 ff., 78 f., 147 ff., 440, 442; Zerres, Jura 2008, 728 f.; Staud/Kaduk, vor § 420 Rz 33, 92, § 421 Rz 31; Palandt/Grüneberg, § 421 Rz 7; BamR/Gehrlein, § 421 Rz 8, 14. 319 Selb, Schadensbegriff, 24; ders., Mehrheiten, 150; Staud/Selb (1995), § 255 Rz 6, 10; Larenz, SR AT (1987), § 32 I, S. 559 f., einschränkend § 37 I, Fn. 12 a; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 147 ff.; i.E. ebenso Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 31, 36. 320 Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 74 ff.; Mirow, Unechte Gesamtschulden, 90 f.; Ehmann, Gesamtschuld, 62 ff.; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 51 f.; Bacher, Ausgleichsansprüche, 47 ff.; Stamm, Regreßfiguren, 40; Staud/Noack, § 421 Rz 19. 321 E. Wolf, SR AT, 535; Erman/Ehmann, vor § 420 Rz 33; Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 4; Costede, JR 2005, 46; Staud/Noack, vor § 420 Rz 21. 322 Selb, Schadensbegriff, 19, 39; ders., NJW 1975, 965. Überholt ist daher die Argumentation von Stamm, NJW 2003, 2941 f., der aus einer internen Verteilung von 1/4 zu 3/4 auf fehlende Gleichstufigkeit schließt. 323 Larenz, SR AT, 637. 324 Larenz, SR AT, 634, 635; Steinbach/Lang, WM 1987, 1240. 325 Selb, Mehrheiten, 140, 188. 326 Larenz, SR AT, 634.
10. Die Abgrenzungskriterien: Gesetz, Analogiebildung und Stufenlehre
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klären. Hauptargument der Gegner war stets die Vorschrift des § 840 Abs. 2 und 3. Sie bringe, so die Gegner, zum Ausdruck, dass das Gesetz auch ungleichstufige Gesamtschulden kenne327. Im Falle des § 840 II habe der Täter den Schaden unmittelbar verursacht, während der Geschäftsherr bzw. Aufsichtspflichtige die Schadenszufügung nur ermöglicht habe. Es sei nicht möglich, diesen Fall anders zu beurteilen als den des Entleihers und Zerstörers328. Über dieses Argument konnte sich die Stufenlehre, soweit sie sich auf konkurrierende Schadensersatzverbindlichkeiten bezog, trotz immer neuer Formulierungen des Stufenkriteriums letztlich nicht hinwegsetzen. Dies ist kein Zufall. Bei § 840 Abs. 2 und 3 handelt es sich nicht nur um eine unbedeutende Randbestimmung, sondern um eine Zusammenfassung von ursprünglich sieben Einzelvorschriften, in denen die Zweite Kommission ein Gesamtschuldverhältnis bei gestuften Verpflichtungen vorgesehen hatte329. Es ging um das Zusammentreffen der Verbindlichkeiten des Täters einerseits und des Aufsichtspflichtigen, des Geschäftsherrn oder des aufsichtsführenden Beamten andererseits, um das Verhältnis zwischen Tierhalter und Gebäudebesitzer einerseits und des Tieraufsehers und Gebäudeunterhaltspflichtigen andererseits sowie um das Verhältnis des Täters zum Tierhalter, Gebäudebesitzer oder Jagdberechtigten, die ohne Verschuldensnachweis für den verursachten Schaden haften mussten. In all diesen Fällen ging es rechtspolitisch um die Frage, ob der „ferner Stehende“ im Außenverhältnis nur subsidiär haften sollte, wie es teilweise noch das ALR vorgesehen hatte. Der Gesetzgeber entschied sich im Einklang mit den neueren Regelwerken dafür, dem Verletzten einen unmittelbaren Zugriff auf den „ferner Stehenden“ zu ermöglichen und das Stufenverhältnis nur im Innenverhältnis durch einen einseitigen Rückgriff zu berücksichtigen. Diese Entscheidung sollte durch die Anordnung des Gesamtschuldverhältnisses klargestellt werden. Wenn es sich hier nicht um gestufte Verbindlichkeiten handeln soll, dann ist nicht klar, was gestufte Schadensersatzverbindlichkeiten eigentlich sein sollen. Eine Abgrenzung der Fälle des § 840 II und III einerseits von gestuften Schadensersatzverbindlichkeiten andererseits ist daher nicht möglich. Im Verhältnis zum Geschäftsherrn oder Tierhalter ist der Täter typischerweise oder prinzipiell der primär Verpflichtete, der letztlich für den Schaden allein aufzukommen hat. 327 Frotz, JZ 1964, 668 f.; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 74 ff.; Mirow, Unechte Gesamtschulden, 91; Reeb, JuS 1970, 218; Wolf/Niedenführ, JA 1985, 370; Jürgens, Teilschuld, 81; Wernecke, Gesamtschuld, 48, 64; Glaßer, Gesamtschuldnerausgleich, 7; Esser/Schmidt, SR AT 2, § 39 I (S. 342 f.); Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 51 f.; Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 4, 6 f.; Stamm, Regreßfiguren, 42 f.; Erman/Ehmann (11. Aufl. 2004), vor § 420 Rz 44; Kuhlmann, Rückgriffsgrundlagen, 50 f. Larenz, SR AT, 560, und Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 31, weisen selbst darauf hin, dass die Abstufung zwischen Verursachung und bloßer Ermöglichung auch § 840 II und III zugrunde liegt. Aus einem Tatbestandsmerkmal einer bestimmten gesetzlichen Gesamtschuldanordnung kann aber gerade kein Abgrenzungskriterium zur Gesamtschuld gemacht werden. 328 Frotz, JZ 1964, 668 f.; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 74 ff.; Ehmann, Gesamtschuld, 232; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 55. 329 Oben, 742 ff.
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Hiergegen könnte man zwar einwenden, dass auch in diesen Fällen eine interne Aufteilung denkbar ist, wenn der Geschäftsherr oder Tierhalter einen Mitverursachungsbeitrag geleistet hat. Zudem zeigt das Haftungsprivileg des Arbeitnehmers, dass die interne Alleinbelastung des Gehilfen gegenüber dem Geschäftsherrn trotz § 840 II nicht die Regel sein muss. Diese Erwägungen treffen aber auf alle konkurrierenden Schadensersatzverbindlichkeiten zu. Die Möglichkeit einer internen Verteilung des Schadens wegen relevanter Kausalbeiträge beider Schuldner oder wegen des besonderen Innenverhältnisses unter den Schuldnern ist nie ausgeschlossen. Auch das Kriterium, dass das Stufenverhältnis schon im Außenverhältnis zum Gläubiger erkennbar sein müsse330, kann die Fälle des § 840 II, III nicht von sonstigen gestuften Verpflichtungen abgrenzen. Haften der Täter aus § 823 I und daneben der Tierhalter bzw. Gebäudebesitzer allein wegen seiner Stellung und ohne nachgewiesenes Verschulden, dann ist auch im Verhältnis zum Gläubiger klar, dass der Täter als der letztlich Verpflichtete erscheint. Auch die späteren Formulierungen der Stufenlehre ermöglichen keine klare Abgrenzung. Nun heißt es, dass bei gestuften Verbindlichkeiten der primär verpflichtete Schuldner S den Ersatz des Schadens schulde, während der nachrangig haftende Schuldner R nur eine Vorschussleistung zu erbringen habe, lediglich in Vorlage trete, also dem Gläubiger nur das Liquidationsrisiko bei der Rechtsverfolgung gegen den Schuldner abnehmen müsse331. R und S schuldeten daher, so Selb, gar nicht dieselbe Leistung, so dass schon aus diesem Grund ein Gesamtschuldverhältnis ausscheide332. Warum aber der Geschäftsherr nach § 831 Schadensersatz, der Entleiher bei der Zerstörung durch einen Dritten nur die Übernahme des Liquidationsrisikos schulden soll, ist unklar. Auch der intern freigestellte Geschäftsherr bzw. Tierhalter erbringt der Sache nach nur eine Vorschussleistung. Zwar fehlt es beim Entleiher an einer § 840 II vergleichbaren Vorschrift, die ausdrücklich anordnet, dass der Entleiher Schadensersatz schuldet, wenn Dritte die Sache zerstören. Will man aber darauf abstellen, gelangt man wieder zur oben abgelehnten Ansicht, wonach das Gesamtschuldverhältnis ausdrücklich angeordnet werden muss. Zudem sieht das Gesetz auch im Falle des Entleihers eine Haftung auf den vollen Schadensersatz vor333, nämlich in § 280 I. Richtig ist zwar, dass bei gestuften Verbindlichkeiten der nachrangig haftende Schuldner im wirtschaftlichen Sinne nur für das Liquidationsrisiko des Gläubigers eintreten muss. Das ist aber bei jedem Gesamtschuldner der Fall, der intern nicht allein belastet ist334. 330
Larenz, Schuldrecht AT (1964), § 33 III a.E. Selb, Mehrheiten, 41 f., 137, 144 ff.; Larenz, SR AT (1987), 559, 634; Esser, Schuldrecht (2. Aufl. 1960), § 98 Nr. 4; Staud/Kaduk, vor § 420 Rz 33, § 421 Rz 28; i.E. ebenso Reinicke/ Tiedtke, Gesamtschuld, 36. Dem folgt neuerdings der Sechste Senat des BGH, NJW 2007, 1208, §§ 17 f. (28.11.2006) 332 Selb, Mehrheiten, 42, 138, 144 ff.; ebenso dann Larenz, SR AT, 645. 333 So auch Jürgens, Teilschuld, 84; Staud/Bittner, § 255 Rz 7. 334 Wolf/Niedenführ, JA 1985, 373; Jürgens, Teilschuld, 85; Bacher, Ausgleichsansprüche, 48; Stamm, Regreßfiguren, 45 Fn. 53. 331
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Versuche der Stufenlehre, die Bedeutung der gesetzlich angeordneten gestuften Gesamtschulden i.S.d. § 840 II und III beiseitezuschieben, überzeugen nicht. Weder handelt es sich hier um scheinbare Gesamtschulden335 noch um atypische Fälle336. Das Problem kann auch nicht durch die These umgangen werden, dass bei ausdrücklicher gesetzlicher Gesamtschuldanordnung eine Gleichstufigkeit nicht erforderlich sei337. Wenn der Gesetzgeber bei den ihm vor Augen stehenden gestuften Schadensersatzverbindlichkeiten Gesamtschulden angeordnet hat, ist die Gleichstufigkeit kein Merkmal der gesetzlichen Gesamtschuld338. Die Kritik an der Stufenlehre, sie biete kein klares Abgrenzungskriterium zwischen Gesamtschulden mit interner Alleinhaftung eines Schuldners einerseits und gestuften Verbindlichkeiten andererseits339, ist also berechtigt. Insoweit ähnelt die Stufenlehre der von ihr abgelehnten alten Schuldgrundtheorie: Sie trägt ein vom Gesetzgeber nicht geplantes Abgrenzungskriterium ins Gesetz, das daher zu den gesetzlichen Gesamtschuldanordnungen nicht passt, was wiederum dazu führt, dass die Abgrenzung letztlich nicht möglich ist. Doch es gibt noch ein weiteres gemeinsames Merkmal: Ebenso wenig wie die Schuldgrundtheorie ist die Stufenlehre in der Lage, die von ihr vorgeschlagene Abgrenzung sachlich zu begründen. Wie die Literatur gegen Ende des 20. Jahrhunderts zunehmend erkannte, versagt die Stufenlehre im Ergebnis dem nachrangig haftenden Schuldner den Vorteil des privilegierten Gesamtschuldregresses340. Wer dem Schaden ferner steht, kann die Verbindlichkeit des näher Stehenden nicht zum Erlöschen bringen und ist daher auf den reinen Zessionsregress durch Abtretung oder Forderungsübergang angewiesen, dem der Regresspflichtige alle Einreden aus den §§ 404 ff. entgegenhalten kann. Anders als der deliktische Mittäter hat der nur nachrangig Haftende keine Befreiungsansprüche und kann seinen Regress nicht mehr ausüben, wenn der vorrangig Haftende dem Gläubigerzugriff nicht mehr ausgesetzt ist. Hier handelt es sich nicht nur um ein zufällig ungereimtes Ergebnis, sondern um das entscheidende Argument gegen die Stufenlehre, selbst für den Fall, dass sie das von ihr aufgeworfene Abgrenzungsproblem lösen könnte. Das Abstellen 335 336 337 338
So Esser, Schuldrecht (2. Aufl. 1960), § 98 Nr. 4. So Larenz, SR AT, 644 f. So wohl Larenz, SR AT, 635. Ehmann, Gesamtschuld, 75; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 48 f.; Jürgens, Teilschuld,
81. 339
Frotz, JZ 1964, 668 f.; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 64; G. Dilcher, JZ 1967, 112; Thiele, JuS 1968, 150; Börnsen, Strukturen, 18 (vgl. aber 170, 184); Mirow, Unechte Gesamtschulden, 87 ff.; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 52 ff.; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 24; Kaiser, BauR 1984, 35; Winter, Teilschuld, 198; Jürgens, Teilschuld, 82; Soergel/Wolf, § 421 Rz 10; Stamm, Regreßfiguren, 47; Kuhlmann, Rückgriffsgrundlagen, 50, 309. Kritik aus rechtsvergleichender Sicht auch bei Friedmann/Cohen, Adjustment, § 12. 340 Insbesondere Boecken/von Sonntag, Jura 1997, 1 ff., 6, 10; ferner Wolf/Niedenführ, JA 1985, 371; Soergel/Wolf, § 421 Rz 10; Jürgens, Teilschuld, 172, 209 ff.; Staud/Noack, § 421 Rz 19 f.; Zerres, Jura 2008, 729; ähnlich schon Ehmann, Gesamtschuld, 229.
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darauf, wer dem Schaden näher steht oder wer nur ein Liquidationsrisiko tragen muss, ist Konstruktionsjurisprudenz, sofern diese Abgrenzung ohne Rücksicht auf die Rechtsfolgen betrieben wird. Wer zuerst feststellt, dass die Schuldner ungleichstufig haften, weil einer von ihnen dem Schaden ferner steht und nur das Liquidationsrisiko tragen muss, um auf dieser Grundlage den Regress des nachrangig Haftenden im Vergleich zum gleichstufig Haftenden zu verschlechtern, beraubt die Abgrenzung ihres Sinnes. Es ist nahezu grotesk, wenn bei gestuften Verbindlichkeiten die nur einseitige Solutionskonkurrenz damit begründet wird, dass die Leistung des nachrangigen Schuldners dem vorrangigen Schuldner nicht zugutekommen dürfe, wenn sich daraus ergibt, dass der vorrangige Schuldner den Schutz der §§ 404 ff. genießt und den scharfen Gesamtschuldregress nicht zu fürchten braucht. Damit ist nicht gesagt, dass eine Gleichbehandlung aller Fälle konkurrierender Schadensersatzpflichten, sei es im Sinne einer Schuldgemeinschaft, sei es im Sinne eines Zessions- oder Bereicherungsregresses, zwingend ist. Wenn aber eine Differenzierung innerhalb dieser Fälle vorgenommen werden soll, dann ist die Stufenlehre der denkbar ungeeignetste Maßstab, nicht nur wegen ihrer Unklarheit, sondern vor allem deshalb, weil sie zu Ergebnissen führt, die konträr zu ihren Wertungskriterien sind. In ihrer modernsten Form verzichtet die Stufenlehre auf eine Differenzierung, wenn es um das Zusammentreffen mehrerer Schadensersatzverbindlichkeiten geht341. Diese sollen stets Gesamtschulden sein. Gestufte Verpflichtungen liegen nur noch vor, wenn ein Schadensersatzanspruch mit einem Unterhalts-, Versicherungs-, Versorgungs- oder Lohnfortzahlungsanspruch konkurriert. Besondere Abgrenzungsprobleme bestehen nach dieser Lehre nicht. Freilich bleibt auch hier unklar, warum der Schädiger Schadensersatz, der Unterhaltspflichtige, die Versicherung, der Versorger oder der Lohnfortzahler dagegen nur die Übernahme der Liquidationsrisikos schulden soll. Im Gesetz ist davon jedenfalls nicht die Rede. Dass der Zweck der Haftung des ferner Stehenden in der raschen Befriedigung des Gläubigers und nicht unbedingt in der endgültigen Verlusttragung liegt, ist auch bei Gesamtschulden häufig der Fall342. Vor allem aber muss sich auch die moderne Stufenlehre fragen lassen, mit welcher Begründung sie den Versorgungsschuldner schlechter stellt als den deliktischen Mitschädiger. Damit soll nicht gesagt werden, dass eine Gleichbehandlung zwingend ist. So könnte die
341 Schims, Forderungsübergang, 136; wohl auch Medicus, BürgR, Rz 920 ff.; in diese Richtung schon G. Dilcher, JZ 1967, 114; ders., JZ 1973, 200, 202; Thiele, JuS 1968, 154 f. 342 Wenig hilfreich ist auch die von Medicus, BürgR, Rz 922, vorgeschlagene Abgrenzung: Bei der Gesamtschuld dienten die Forderungen demselben Zweck, nämlich der Sicherung und Befriedigung des Gläubigers, während in den Legalzessionsfällen (zumindest den nicht akzessorischen) die Forderung gegen den ferner Stehenden den Gläubiger sichere, die gegen den näher Stehenden dagegen nur dem Regress diene. Dies bedeutet, dass die Schadensersatzforderung gegen den Schädiger, die normalerweise der Wiedergutmachung beim Gläubiger dient, ihren Zweck wechselt, wenn es zusätzlich einen Versicherer, Unterhaltsschuldner, Versorger etc. gibt. Eine derartige Bestimmung der Forderungszwecke kann offenbar erst vorgenommen werden, wenn man das zu erzielende Ergebnis schon kennt.
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Schlechterstellung des Schadensversicherers damit begründet werden, dass er das Risiko gegen Prämien übernommen hat, die Schlechterstellung des unbeauftragten Bürgen damit, dass er sich ungefragt in Angelegenheiten des Schuldners gemischt hat343. Eine Schlechterstellung des Unterhaltspflichtigen ist dagegen schwerer zu rechtfertigen. In jedem Fall kann das Ergebnis nicht mit einer stufenden Wertung, etwa der Erwägung, dass der Versorger den Schaden nicht verursacht hat344, begründet werden. Diese müsste gerade zum umgekehrten Ergebnis führen, dem Unterhaltspflichtigen/Versorger etc. den privilegierten Gesamtschuldregress zu gewähren und den Mitschädiger auf einen Bereicherungs- oder reinen Zessionsregress zu verweisen. Dieser Vorwurf muss auch der schon erwähnten Entscheidung des Dritten Senats in BGHZ 106, 313 gemacht werden345. Der Gläubiger hatte wegen einer Freiheitsentziehung, die sich später als unbegründet herausstellte, einen Schaden erlitten, weil seine Bank ihm wegen seiner Inhaftierung vertragswidrig sämtliche Kredite kündigte und dadurch seine Insolvenz verursachte. Die Bank schuldete vertraglichen Schadensersatz. Der Staat war gesetzlich verpflichtet, den Gläubiger für den durch die Inhaftierung verursachten Vermögensschaden zu entschädigen346. Er haftete auch nicht nur subsidiär; der Gläubiger konnte also für seinen Schaden sowohl die Bank als auch den Staat in Anspruch nehmen. Das Gericht entschied sich gegen eine Gesamtschuld und für eine entsprechende Anwendung des § 255 zugunsten des Staates, weil die Verpflichtungen nicht gleichstufig seien. Die Erwägung, die staatliche Entschädigung solle weder den Gläubiger bereichern noch den Dritten entlasten347, konnte das Ergebnis aber nicht begründen, weil dies auch bei der Annahme eines Gesamtschuldverhältnisses der Fall gewesen wäre348. Entscheidend für den Dritten Senat war die Überlegung, dass es sich beim Entschädigungsanspruch um einen besonderen Aufopferungsanspruch handelte, der weder Rechtswidrigkeit noch Verschulden voraussetzte349. Hiermit wurde ein Stufenverhältnis begründet: Die Bank als Schadensersatzschuldner stehe dem Schaden näher; der Staat trete nur in Vorlage und nehme dem Gläubiger das Risiko der Rechtsverfolgung gegen die Bank ab350. Mit dieser Begründung wurde dem Staat der privilegierte Gesamtschuldregress versagt. Weil er dem Schaden ferner stand, konnte er lediglich einen Zessionsregress mit den Be-
343 Ob der Bürge stets privilegiert werden muss, wie MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 14, annimmt, ist fraglich. Der beauftragte oder in berechtigter Geschäftsführung handelnde Bürge hat ohnehin einen unabhängigen Regressanspruch; es geht also nur um den unbeauftragten Bürgen, bei dem die Voraussetzungen der berechtigten G.o.A. nicht vorliegen. 344 So G. Dilcher, JZ 1967, 114; ders., JZ 1973, 202; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 67 ff.; Schims, Forderungsübergang, 136. 345 BGHZ 106, 313 (26.1.1989); vgl. oben, 856. 346 StrEG, §§ 2 I, 7 I. 347 BGHZ 106, 319. 348 Oben, 860 ff. 349 BGHZ 106, 318 f. 350 BGHZ 106, 321; zustimmend H. Roth, FS Medicus, 510.
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schränkungen der §§ 404 ff. geltend machen. Das Ergebnis stellt die Begründung auf den Kopf351. Das erzielte Ergebnis muss nicht notwendig falsch sein, aber es verlangt eine Begründung, warum der entschädigungspflichtige Staat schlechter gestellt wird als ein Mitschädiger. Hier könnte man vielleicht argumentieren, dass die öffentliche Hand weder auf Befreiungsansprüche noch darauf angewiesen ist, einen Regress auch dann nehmen zu können, wenn der Regresspflichtige vom Gläubigerzugriff befreit ist. Nicht aber kann die Schlechterstellung damit begründet werden, dass der Staat ohne Rechtswidrigkeit und Verschulden haftet und dem Schaden daher ferner steht. Hinter der Überlegung des Gerichts, vielleicht auch hinter der Stufenlehre überhaupt, steht offenbar das Gefühl, dass ein Ersatzpflichtiger, dem nichts vorgeworfen werden kann, nicht dadurch stigmatisiert werden sollte, dass er mit dem Schädiger auf eine Stufe gestellt wird. Dabei wird nicht beachtet, dass die Abstufung im Ergebnis zu einem Nachteil für denjenigen führt, zugunsten dessen die Stufung vorgenommen wurde. Angesichts dieses Missverhältnisses von Begründung und erzielten Ergebnissen lässt sich der Eindruck kaum vermeiden, dass die Stufenlehre der Gesamtschulddogmatik mehr Schaden als Nutzen bereitet hat.
11. Ein Blick in die Rechtsprechung Die bisher vorgeschlagenen Kriterien zur Abgrenzung der Gesamtschulden von sonstigen Fällen konkurrierender Schadensersatzpflichten sind also nicht tauglich, weil sie keinen sachlichen Bezug zum zentralen Rechtsfolgenunterschied, dem privilegierten Gesamtschuldregress, aufweisen. Angesichts dessen wäre es denkbar, die Suche nach Abgrenzungskriterien aufzugeben und jeden Fall, in dem mehrere den Ersatz desselben Schadens schulden, zum Gesamtschuldverhältnis zu erklären. Doch damit ist die Frage nicht geklärt, ob die mit der Gesamtschuld verbundene Schuldgemeinschaft wirklich zu jedem Fall konkurrierender Schadensersatzverbindlichkeiten passt. Immerhin war es gerade das mit § 426 verbundene Gemeinschaftsverhältnis unter den Gesamtschuldnern, das nach 1900 zu einer restriktiven Auslegung des § 421 geführt hatte. Im Folgenden soll daher ein näherer Blick auf die von der Rechtsprechung entschiedenen Fälle geworfen werden. Dabei soll es vor allem um die Sachgründe gehen, warum in einem konkreten Fall eine Gesamtschuld bejaht oder verneint wurde. Stets stellt sich die Frage, ob der privilegierte Gesamtschuldregress in einer konkreten Fallgruppe sachlich angemessen ist. Sollte das nicht der Fall sein, müssten entweder
351
In der Literatur wird zumeist lediglich kritisiert, dass eine Legalzession passender gewesen wäre als ein Abtretungsrecht analog § 255, ohne auf das angesprochene Wertungsproblem einzugehen; H. Roth, FS Medicus, 510; Staud/Bittner, § 255 Rz 60; MüKo/Oetker, § 255 Rz 20; ähnlich wie hier aber jurisPK/Rüßmann, § 255 Rz 5 f., 12.
11. Ein Blick in die Rechtsprechung
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diese Fälle aus dem Gesamtschuldtatbestand herausgenommen oder die von der herrschenden Lehre angenommenen Regeln des Gesamtschuldregresses selbst modifiziert werden.
a) Konkurrenz gesetzlicher Schadensersatzpflichten Im Bereich der deliktischen Haftung nach §§ 823 ff. nimmt die Rechtsprechung Gesamtschulden auch unter Nebentätern an, die sämtlich für den Erfolg kausal geworden sind, auch wenn sie unabhängig voneinander zu verschiedenen Zeiten gehandelt haben und voneinander keine Kenntnis haben352. Vom Gesamtschuldverband erfasst sind auch nach § 833 haftende Tierhalter353 und nach § 839 haftende Beamte354. Nach Einführung des Art. 34 GG nahm der BGH Gesamtschulden an, wenn die Amtshaftungspflicht einer Körperschaft mit einer anderen Amtshaftungspflicht oder mit einer gewöhnlichen Schadensersatzhaftung konkurrierte355. All diese Ergebnisse sind positiv durch die Vorschrift des § 840 I gedeckt. Doch die Rechtsprechung ging von Anfang an auch dann von Gesamtschulden aus, wenn eine oder beide konkurrierenden Schadensersatzverbindlichkeiten auf einem Gefährdungshaftungstatbestand außerhalb des BGB beruhten und es keine direkte gesetzliche Gesamtschuldanordnung gab356. Wie berichtet wurde diese vom Reichgericht ursprünglich gar nicht näher begründete Solidarhaftung später damit gerechtfertigt, dass es sich bei der Gefährdungshaftung um eine unerlaubte Handlung i.S.d. § 840 I handle, um so einen gesetzlichen Anknüpfungspunkt herzustellen357. Der Sache nach wurde die Solidarschuld bei haftungsrechtlichen Schadensersatzverbindlichkeiten bis heute nie in Zweifel gezogen. Das gilt auch, wenn die Verbindlichkeiten nach dem Muster des § 840 II gestuft sind: 352
Etwa BGHZ 17, 214 (13.5.1955, Zuckerrübenfall); OLG Düsseldorf, NJW-RR 1991, 987 (20.12.1990: zwei nacheinander fehlerhaft operierende Ärzte); OLG Düsseldorf, NJW-RR 1999, 99 (23.4.1998: Unfallverursacher und fehlerhaft behandelnder Arzt). 353 Seit OLG Celle, OLGE 5, 250 (10.6.1902); RGZ 60, 313, 315 (23.3.1905). 354 RGZ 51, 258, 262 (1.5.1902). 355 BGHZ 9, 65, 67 (19.2.1953); BGHZ 85, 121, 125 f. (7.10.1982); BGHZ 118, 263, 267 (21.5.1992); BGH NJW 1993, 3065 (1.7.1993); wobei sich der BGH teilweise mit Billigung der Literatur über die rechtspolitisch bedenkliche Vorschrift des § 839 I 2 hinwegsetzte. 356 Zum Haftpflichtgesetz die Entscheidungen des Sechsten Senats in RGZ 53, 114, 116 (24.11.1902); RGZ 58, 335, 336 f. (27.6.1904); RGZ 61, 56, 58 (29.5.1905); Gruch 54, 414, 418 f. (14.10.1909); JW 1911, 752 Nr. 7 (= Gruch 56, 104 = Warn 1911 Nr. 394, 19.6.1911); Warn 1912 Nr. 12 (9.11.1911); JW 1912, 190 Nr. 7 (= Gruch 56, 583 = Warn 1912 Nr. 64, 27.11.1911); JW 1913, 919 Nr. 6 (2.6.1913); RGZ 93, 96, 97 (30.5.1918); Gruch 65, 477 (28.2.1921); ferner OLG Dresden, SeuffA 65 Nr. 214 (24.5.1910); BGHZ 11, 170 (VI, 21.11.1953); BGHZ 35, 317 (VI, 27.6.1961). Zum StVG etwa RG JW 1919, 104 Nr. 4 (= SeuffA 74 Nr. 68; VI, 7.11.1918); BGHZ 11, 170 (VI, 21.11.1953); BGH VersR 1957, 167, 168 (VI, 18.1.1957); zum WHG BGHZ 62, 351, 360 f. (III, 30.5.1974); vgl. auch BGHZ 57, 257 (III, 22.11.1971); zum ProdHG BGH NJW 1994, 932, 934 (VI, 11.1.1994); allgemein BGH NJW 2006, 896 (VI, 13.12.2005). 357 Oben, 835.
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
Haftet ein Schiffsbesatzungsmitglied deliktisch für ein von ihm schuldhaft verursachten Schaden und der Reeder für denselben Schaden aus § 485 HGB (der modernen Form der alten Schifferhaftung), nimmt der BGH Gesamtschulden an358, auch wenn der Deliktstäter dem Schaden als Verursacher „näher steht“ und der Anspruch gegen den Reeder den Geschädigten nur sichern soll. Allein bei Aufopferungsansprüchen ist man sich über die Art der Schuldnermehrheit nicht ganz einig; hier geht es aber um die Frage, in welcher Höhe die Schuldner im Außenverhältnis haften, nicht um die Frage der Konkurrenz verschiedener Regresswege359. Gesamtschulden nimmt die Rechtsprechung auch dann an, wenn mehrere gesetzlich zum Ersatz desselben Schadens verpflichtet sind, ohne dass eine deliktische Anspruchsgrundlage vorliegt, etwa wenn mehrere zeitlich nachfolgende Besitzer Schadensersatz aus §§ 989, 990 schulden360 oder mehrere Wohnungseigentümer ihre Pflichten gegenüber der (rechtsfähigen) Wohnungseigentümergemeinschaft verletzen361. Dasselbe gilt, wenn mehrere Beamte pflichtwidrig einen Schaden des Staates verursacht haben, und zwar auch dann, wenn einer der Beamten Vorgesetzter des anderen war und nur deswegen haftet, weil er dessen Vergehen nicht verhindert hat362, so dass man von einem Stufenverhältnis sprechen könnte. Ebenso bejahte die Rechtsprechung bei einem durch mehrere verursachten Schaden ein Gesamtschuldverhältnis zwischen Vorstandsmitglied und Aufsichtsratsmitglied gegenüber der Aktiengesellschaft bzw. Genossen-
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BGHZ 26, 152, 158 (II, 12.12.1957). Vgl. RGZ 67, 273 (V, 28.12.1907; oben, Fn. 37); BGHZ 66, 70 (V, 13.2.1976); BGHZ 72, 289, 297 f. (III, 26.10.1978); zur Diskussion stellvertretend Staud/Vieweg, § 840 Rz 11; MüKo/Wagner, § 840 Rz 11; Soergel/Baur, § 906 Rz 155 ff.; Staud/H. Roth, § 906 Rz 278 ff.; MüKo/Säcker, § 906 Rz 140. Sofern hier ein bestimmter Schaden nur durch das Zusammenwirken mehrerer Ursachenbeiträge entstehen konnte, haften beide Verursacher wie im Deliktsrecht solidarisch, BGHZ 66, 70, 76. Unter diesen Voraussetzungen nimmt der BGH auch eine Gesamtschuld bei der Konkurrenz eines deliktischen Schadensersatz- und eines nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs an, BGHZ 85, 375, 386 f. (V, 26.11.1982). Die Schwierigkeit besteht in diesen Fällen darin, zu bestimmen, ob einzelne Schadensteile einzelnen Verursachungsbeiträgen zugeordnet werden können; der Sachverhalt in RGZ 67, 273 war insoweit unklar. Vereinzelt wurde die solidarische Haftung auch mit § 431 gerechtfertigt, etwa OLG Dresden, SeuffA 67 Nr. 32 (13.6.1911), das Berufungsgericht in RGZ 67, 273, und Börnsen, Strukturen, 164 ff., 171 f. Das ist unrichtig, weil § 431 einen gemeinsamen Entstehungstatbestand der Verbindlichkeiten voraussetzt, oben, 106 ff. Schuldet bei unabhängigen Verpflichtungen jeder nur Wiederherstellung eines Teils, kann § 431 daran nichts ändern. Ergibt sich dagegen aus allgemeinen Regeln, dass jeder die Wiederherstellung des Ganzen schuldet, wird § 431 für die Begründung der Ganzhaftung nicht gebraucht. Zur Frage, ob bei beidseitiger Ganzhaftung ein Gesamtschuldverhältnis oder etwas anderes (etwa eine unechte Gesamtschuld oder einseitige Solutionskonkurrenz mit Zessionsregress) anzunehmen ist, kann § 431 nicht herangezogen werden. 360 So OLG Düsseldorf, WM 2003, 1167 (25.4.2003). Ob im zu entscheidenden Fall tatsächlich diese Voraussetzungen vorlagen und die Lösung in einem schadensrechtlichen Gesamtschuldausgleich lag, ist allerdings zweifelhaft und nach dem mitgeteilten Sachverhalt nicht sicher zu beurteilen. 361 BGHZ 163, 154, 175 f. (V, 2.6.2005). 362 RGZ 95, 344, 347 (III, 13.5.1919). 359
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schaft363, zwischen Geschäftsführer und Aufsichtsratsmitglied gegenüber einer GmbH364 oder zwischen Geschäftsführer und Vorstand gegenüber einer gesetzlichen Krankenkasse365. In all diesen Fällen fehlte es nicht nur an einer ausdrücklichen Gesamtschuldanordnung; vielmehr waren die Verpflichtungen auch gestuft, weil in der Regel einer der Schuldner den Schaden verursachte und die Pflichtwidrigkeit des anderen darin bestand, den Verursacher nicht hinreichend überwacht bzw. den durch diesen verursachten Schaden nicht verhindert zu haben366. Gesamtschulden wurden schließlich auch dann angenommen, wenn den Beteiligten eines Konkursverfahrens ein Schaden entstand, weil mehrere Mitglieder des Gläubigerausschusses ihre Pflichten verletzten367. Unsicherheit bestand lediglich dann, wenn neben diesen Mitgliedern auch der Konkursverwalter selbst haftete368. Das OLG Dresden ging 1914 nach der älteren Lehre nur von einer unechten Gesamtschuld zwischen den Mitgliedern und dem Konkursverwalter aus, was aber in der Entscheidung im Ergebnis keine Rolle spielte369. Eine unechte Gesamtschuld, sogar ohne jeden Regress, nahm 1956 auch das OLG Koblenz unter Berufung auf die überkommene Schuldgrundlehre an; allerdings ging es im zur Entscheidung stehenden Sachverhalt überhaupt nicht um die Haftung mehrerer gegenüber einem Dritten370. Es ist anzunehmen, dass die heutige Rechtsprechung ein „echtes“ Gesamtschuldverhältnis zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Mitglied des Gläubigerausschusses ohne weiteres bejahen würde. Die Annahme von Gesamtschulden bei der Konkurrenz gesetzlicher Schadensersatzpflichten ist in der Literatur nie kritisiert worden. Sämtliche Reformentwürfe zum Deliktsrecht schlugen eine Neuregelung des § 840 vor, wonach mehrere, die gesetzlich zum Ersatz desselben Schadens verpflichtet waren, als
363 RG SächsArch 12 (1902), 723, 729 (I, 3.5.1902); OLG Braunschweig, OLGE 18, 8 (14.5.1907); RG JW 1938, 516 (II, 19.10.1937); RGZ 159, 86, 89 ff. (II, 17.12.1938). 364 BGH NJW 1983, 1856 (II, 14.3.1983). 365 BGH NJW 1985, 2194, 2196 (IX, 14.2.1985). 366 S.a. RG JW 1938, 516, 518 f. (II, 19.10.1937): Gesamtschuld zwischen Kassenwart, der durch sorgfaltswidrige Verwaltung Fehlbestände verursacht, und Vorstandsmitgliedern der Genossenschaft, die ihn nicht genügend beaufsichtigen. Hier haftete der Kassenwart wohl vertraglich. 367 RG LZ 1910, 159, 161 (VI, 16.9.1909); OLG Dresden, SeuffA 71 Nr. 151, S. 254 (9.7.1914); RG JW 1937, 2776 (VI, 1.7.1937); OLG Koblenz, KTS 1956, 159, 160 (16.2.1956). Die Haftung der Mitglieder des Gläubigerausschusses beruhte auf § 89 KO (heute § 71 InsO); eine gesetzliche Gesamtschuldanordnung besteht nicht. 368 Aus § 82 KO, heute aus § 60 InsO. 369 OLG Dresden, SeuffA 71 Nr. 151, S. 253 (9.7.1914). 370 OLG Koblenz, KTS 1956, 159, 160 (16.2.1956). Ein Mitglied des Gläubigerausschusses hatte gegen den Konkursverwalter geklagt, weil ihm in seiner Eigenschaft als Konkursgläubiger durch das pflichtwidrige Verhalten des Konkursverwalters ein Schaden entstanden war. Eine direkte Haftung des Beklagten aus § 89 KO wurde wegen erheblichen Mitverschuldens des Klägers abgelehnt. Offenbar sollte dieses Ergebnis nicht durch die künstliche Konstruktion einer Gesamtschuld zwischen Kläger und Beklagten gegenüber dem Kläger mit Ausgleichspflicht unterlaufen werden. Wenn dies der Fall ist, beruht das Urteil auf der unbegründeten Angst vor dem falschen Regress, oben, 865 ff.
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Gesamtschuldner haften sollten371. Fälle konkurrierender gesetzlicher Verbindlichkeiten waren auch nie Gegenstand der Diskussion zum Gesamtschuldtatbestand. Das ist deswegen bemerkenswert, weil es sich häufig um Musterfälle gestufter Schadensersatzverbindlichkeiten handelt.
b) Zusammentreffen gesetzlicher mit vertraglichen Schadensersatzpflichten (1) Haftung für den Erfüllungsgehilfen Die erste Fallgruppe, in der die Rechtsprechung Gesamtschulden bei ungleichgründigen Schadensersatzverbindlichkeiten bejahte, war das Zusammentreffen der vertraglichen Haftung des Schuldners S mit der deliktischen Haftung seines Erfüllungsgehilfen D. S setzt D zur Erfüllung seiner vertraglichen Leistungspflicht gegenüber G ein, und D verletzt dabei das Eigentum oder die Person des G372. S mietet eine Sache von G und vertraut sie seinem Gehilfen D an, der sie beschädigt373. Hier haftet D aus § 823 I und S aus § 280 I i.V.m. § 278. Ähnlich sind Fälle, in denen S den Architekten oder Bauhandwerker D bei der Errichtung eines Hauses beschäftigt, das er später an G vermietet, und G’s Eigentum durch einen von D verschuldeten Baumangel beschädigt wird, wofür D deliktisch und S als Vermieter einstehen muss374. Stets geht es um eine einheitliche, von D gesetzte Ursache, für die nach dem Vertrag auch S haften muss. In diesen Fällen kann nicht gesagt werden, dass das Zusammentreffen der Verbindlichkeiten nur „zufällig“ war. D kann sich schlecht darauf berufen, dass der Vertrag zwischen G und S ihn nichts angeht, wenn er zur Erfüllung dieses Vertrages eingesetzt wurde. In der Regel besteht zwischen S und D auch ein Innenverhältnis in Form eines Vertrags. Dies war offenbar der Grund, warum die Rechtsprechung hier keine nur unechte Gesamtschuld annehmen wollte: Das geplante Zusammenwirken zwischen S und D bedeutete geradezu das Gegenteil einer zu371 So § 840 I des Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften von 1967 (ebenso schon der Vorentwurf, abgedruckt in Karlsruher Forum 1962, Beilage zu VersR 1962, 42 ff.); ebenso die Gutachten zur Schuldrechtsreform von Kötz (Gefährdungshaftung) und von Bar (Deliktsrecht), Gutachten und Vorschläge II, 1777 f. (von Bar), 1823 (Kötz). 372 RGZ 77, 317 (I, 25.11.1911); OLG München, SeuffA 75 Nr. 71 (22.12.1919, hier zwar nur unechte Gesamtschuld bejaht, im Ergebnis aber wie echte behandelt); RG SeuffA 78 Nr. 76 (= Recht 1923 Nr. 330, VII, 17.10.1922); BGH VersR 1957, 806 (VI, 22.10.1957); BGH VersR 1969, 1039 (VII, 22.9.1969); BAG JZ 1973, 382 (23.1.1973); BAG NJW 1986, 3104 (24.4.1986); ähnlich OLG Düsseldorf NJW 1995, 2565 (11.11.1994: S verspricht G vertraglich, für Eigentumsschäden, die sein Angestellter D verschuldet, aufzukommen). 373 BGH VersR 1956, 160 (VI, 17.12.1955); OLG Frankfurt, NJW-RR 1992, 608 (9.7.1991). 374 BGH NJW 1987, 1013 (VI, 28.10.1986, nicht ganz klar war hier allerdings, ob der Architekt vom Vermieter beauftragt gewesen war); BGH NJW 1994, 2231 (VII, 28.4.1994); ähnlich RG Recht 1916 Nr. 418 (III, 28.1.1916): G erleidet einen Unfall auf einer fehlerhaften Treppe in den Räumen seines Vertragspartners S, der deswegen vertraglich haftet; zusätzlich haftet der Vermieter und Eigentümer D deliktisch wegen Verletzung seiner Verkehrssicherungspflicht.
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fälligen Schuldnerkonkurrenz und schien die Verbindung der Haftenden zu einer gesetzlichen Schuldgemeinschaft zu rechtfertigen. Die „Zweckgemeinschaft“, mit der die Rechtsprechung die Gesamtschuld gerade in dieser Fallgruppe rechtfertigte, sollte wohl gerade diese Erwägung zum Ausdruck bringen375. Die Gesamtschuld zwischen Schuldner und Erfüllungsgehilfen wird auch in der Literatur einhellig bejaht. Die Stufenlehre gerät hier allerdings in Argumentationsschwierigkeiten, weil, solange die privilegierte Arbeitnehmerhaftung nicht eingreift, typischerweise der Erfüllungsgehilfe der letztlich Verpflichtete ist, der den Schaden unmittelbar verursacht hat, während der Schuldner in Vorlage tritt, was auch im Außenverhältnis erkennbar ist, so dass man von gestuften Verbindlichkeiten sprechen kann376. Soweit die Stufenlehre das Gesamtschuldverhältnis demgegenüber mit einer Analogie zu § 840 II begründet377, erkennt sie selbst an, dass es sich bei § 840 II und III nicht um atypische oder Ausnahmefälle handelt, und untergräbt damit ihr eigenes Fundament. Nach der hier vertretenen Ansicht kommt es nicht auf das Stufenverhältnis, sondern auf die Modalitäten des Regresses an. Die Besonderheiten des privilegierten Gesamtschuldregresses gegenüber einem Zessions- oder Bereicherungsregress sind die Mitwirkungspflichten und der vom Außenverhältnis unabhängige Rückgriffsanspruch. Sind aber Schuldner und Erfüllungsgehilfe durch ein vertragliches Innenverhältnis verbunden, führt schon dieses Innenverhältnis selbst zu einem privilegierten Regress. Kann der Gehilfe D sich gegenüber dem Geschäftsherrn S auf die Privilegierung der Arbeitnehmerhaftung berufen, ist im Innenverhältnis der Geschäftsherr S regresspflichtig. In diesem Fall steht D ein arbeitsrechtlicher Freistellungsanspruch zu, ohne dass auf einen Befreiungsanspruch aus § 426 I zurückgegriffen werden muss. Der Freistellungs- oder Rückgriffsanspruch des D folgt aus dem Arbeitsvertrag und ist daher unabhängig davon, ob S im Außenverhältnis gegenüber G haftet. Er besteht daher auch, wenn S sich gegenüber G freigezeichnet hat. Gerade deswegen werden vertragliche Haftungsbeschränkungen manchmal so ausgelegt, dass sie auch den Arbeitnehmern des Schuldners zugutekommen. Außerhalb der privilegierten Arbeitnehmerhaftung ist in der Regel der Verursacher D allein oder zumindest anteilig belastet. Ein vom Außenverhältnis unabhängiger Rückgriff des S folgt hier aus dem Vertragsverhältnis zwischen S und D, sei es ein Werk- oder Dienstvertrag oder ein Auftrag. Die von D zu verantwortende Schadensverursachung bei G, die zur Vertragshaftung des S gegenüber G führt, ist gegenüber S eine von D zu vertretende, zum Schadensersatz führende 375 RGZ 77, 317, 323 (S zog D als Gehilfen heran; der vertraglich geschuldete Transport bildete den gemeinsamen Zweck); RG Recht 1916 Nr. 418 (Rechtsgemeinschaft, weil beide Beziehungen zur mangelhaften Sache haben und gemeinschaftlich für den Mangel verantwortlich sind); BGH VersR 1956, 160 (Zweckgemeinschaft, weil D Erfüllungsgehilfe von S war); BAG JZ 1973, 382 (Zweckgemeinschaft, wenn zwischen den Schuldnern rechtliche Beziehungen bestehen und sie aus einem einheitlichen Vorgang Schadensersatz schulden). 376 Frotz, JZ 1964, 668 f.; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 92 f.; Jürgens, Teilschuld, 83. 377 Etwa Selb, Schadensbegriff, 18; ders., Mehrheiten, 61.
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Vertragsverletzung378. Im Ergebnis zu Recht maß das Reichsgericht im Grundfall RGZ 77, 317 der Verjährung der Gläubigerforderung gegen D keine Bedeutung für den Regress des S gegen D zu379; dieses Ergebnis folgte aber schon aus dem Vertrag zwischen S und D. Nach § 249 kann S darüber hinaus im Rahmen seines Schadensersatzanspruchs verlangen, von der Haftung gegenüber G (ggf. anteilig) freigestellt zu werden380. Die Herleitung dieses Befreiungsanspruchs aus § 426 in zwei Urteilen des BGH war insofern überflüssig381. Sofern die Schuldner S und D durch ein vertragliches Innenverhältnis verbunden sind, sollte dieses auch abschließend über die Modalitäten des Regresses entscheiden. Das Reichsgericht nahm im Grundfall RGZ 77, 317 an, dass der Vertragsschuldner S auch dann einen Rückgriff aus § 426 I gegen D geltend machen könne, wenn seine Vertragsansprüche gegen D verjährt sind382. Es erscheint aber nicht richtig, sich mit Hilfe einer aus § 426 hergeleiteten Schuldgemeinschaft über die Vertragsvereinbarungen zwischen den Schuldnern hinwegzusetzen. Hatte etwa S den Gehilfen D von der Haftung für einfache Fahrlässigkeit freigestellt, wird insoweit auch ein Gesamtschuldregress ausgeschlossen, der ohne diese Privilegierung bestehen würde. Vereinbart S mit D statt einer Haftungsmilderung eine kurze Verjährungsfrist, sollte es nicht anders sein. Richtiger erscheint daher ein 1986 ergangenes Urteil des BAG, wonach vertragliche Ausschlussfristen auch für den Rückgriff aus § 426 I gelten383. Im Ergebnis relevant wird die Entscheidung für oder gegen den privilegierten Gesamtschuldregress nur dann, wenn zwischen Schuldner und Erfüllungsgehilfen kein vertragliches Innenverhältnis besteht. In einer vom BGH 1990 sowie vom OLG Frankfurt 1995 entschiedenen Fallkonstellation setzte der Schuldner S zur Erfüllung seiner Vertragspflichten den Subunternehmer X ein, der wiederum den Arbeiter D beschäftigte, welcher das Eigentum des Gläubigers beschädigte384. Beide Gerichte nahmen eine Schadensersatz-Gesamtschuld zwischen dem Vertragsschuldner S und dem Deliktsschuldner D an. Nach Ansicht des BGH sollte der Rückgriffsanspruch des S gegen D aus § 426 I in der regelmäßigen Frist (damals noch 30 Jahre) verjähren. Für den Arbeiter D bedeutet dies, dass er selbst dann, wenn der deliktische Anspruch des Gläubigers sowie der vertragliche Anspruch seines Arbeitgebers X gegen ihn verjährt sind, immer noch von S zum Regress herangezogen werden kann, und zwar nur deshalb, weil S einen Vertrag mit G, möglicherweise unter Vereinbarung einer längeren Verjährungsfrist, geschlossen hat. Der Gesamtschuldausgleich springt hier über die einzelnen Vertragsbeziehungen hinweg. Nach der Vertragskette sollte eigentlich S, falls er von G in Anspruch 378 379 380 381 382 383 384
So zu Recht BGH VersR 1969, 1039. RGZ 77, 317, 322. Vgl. BGH VersR 1969, 1039; OLG Hamburg, NJW-RR 1995, 673 (25.2.1994). BGH VersR 1957, 806, 807; BGH NJW 1994, 2231, 2232; hierzu schon oben, 333 f. RGZ 77, 317, 322. BAG NJW 1986, 3104; zu diesem Problem schon oben, 297 ff. BGH NJW 1991, 1683 (I, 29.11.1990); OLG Frankfurt, VersR 1996, 1403, 1405 (5.7.1995).
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genommen wird, Rückgriff bei seinem Vertragspartner X nehmen und dieser sich wiederum mit seinem Arbeitnehmer D auseinandersetzen. Denkt man sich D’s Außenhaftung gegenüber G weg, wäre D vor einem Regress geschützt, falls S’ Vertragsansprüche gegen X verjährt wären, falls X’ Ansprüche gegen D verjährt wären oder falls für D die Privilegien der Arbeitnehmerhaftung gälten. Wegen D’s Außenhaftung gegenüber G muss D in allen drei Lagen aber einen Regress durch S fürchten. Ist X insolvent, hilft D dann auch das Arbeitnehmerprivileg nicht mehr. Diese Ergebnisse sind aber richtig, wenn und solange D gegenüber G haftet, weil er dann stets mit einer Zahlungsverpflichtung rechnen muss, sei es gegenüber G, gegenüber S oder gegenüber einem Dritten, der nach § 267 seine Schuld tilgte. Haftet D gegenüber G aber nicht mehr, sei es wegen Verjährung oder wegen eines klageabweisenden Urteils, dann bedeutet die Zulassung eines Gesamtschuldregresses zugunsten des S im Ergebnis eine Verschlechterung der Lage des D durch den zwischen S und G geschlossenen Vertrag. Ob S der Privilegien des Gesamtschuldregresses hier wirklich bedarf, ist fraglich. Sein Vertragspartner, den er sich ausgesucht hat und an den er sich grundsätzlich halten kann, ist X. Ist der Rückgriff gegenüber X wegen Verjährung oder Insolvenz des X nicht durchsetzbar, ist dies ein gewöhnliches Risiko des Unternehmers, der einen Subunternehmer einsetzt. Dass auch der von X eingesetzte Arbeiter D haftet, ist aus S’ Sicht ein glücklicher Umstand. Mit den bislang besprochenen Fällen verwandt ist eine Fallgruppe, in der die vertragliche Haftung des Schuldners nicht mit der des Erfüllungsgehilfen, sondern mit der eines Dritten konkurriert, der aus bestimmten Gründen gesetzlich für das Handeln des Erfüllungsgehilfen einstehen muss. Das Reichsgericht hatte 1913 nur eine unechte Gesamtschuld in einem Fall angenommen, in dem der Dritte aus § 3 I BinSchG haftete, weil er Eigner eines Schiffes war, zu dessen Besatzung der für den Schuldner tätige Gehilfe gehörte385. Die heutige Rechtsprechung würde in einem solchen Fall von gewöhnlichen Gesamtschulden ausgehen. Zu diesem Ergebnis kam der BGH etwa in einem Fall, in dem der Erfüllungsgehilfe des Schuldners Zivildienstleistender war, für dessen schädigende Handlung nicht nur der Schuldner, sondern nach Amtshaftungsregeln auch der Staat einzutreten hatte386. In beiden Fällen bestand zwischen Schuldner und Drittem ein besonderes Innenverhältnis, das nach dem oben Gesagten abschließend über die Modalitäten des Regresses bestimmen sollte. (2) Nebentäterfälle Ein Schaden des G kann auch durch das Zusammenwirken zweier Ursachenbeiträge entstehen, die den Schuldnern D und S zugerechnet werden, wobei D für seinen Ursachenbeitrag gesetzlich, S aber für seinen nur vertraglich haften muss. 385 RGZ 82, 427 (I, 18.6.1913); hierzu schon oben, Fn. 152. Goette, Gesamtschuldbegriff, 29, bezweifelt wegen § 2 I BinSchG, ob der Dritte hier überhaupt haftete. 386 BGHZ 152, 380 (III, 14.11.2002). § 839 I 2 sollte hier nicht anwendbar sein.
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Die Rechtsprechung hatte sich mit Fällen zu beschäftigen, in denen der Geschädigte G Insasse des Fahrzeugs von S war und bei einem Unfall verletzt wurde. Der Unfall wurde von D mitverursacht, weil S’ Fahrzeug mit dem von D zusammenstieß387 oder weil D als Gemeinde ihre Streupflicht verletzt hatte388. D haftete aus § 7 StVG, aus § 1 HPflG oder aus § 823 I. S haftete gesetzlich nicht, weil ihn kein eigenes Verschulden traf und die Halterhaftung daran scheiterte, dass G Insasse war. In den Reichsgerichtsfällen war G von S entgeltlich befördert worden, was nach damaliger Rechtslage den gesetzlichen Ausschluss der Halterhaftung gegenüber Insassen nicht hinderte. G haftete aber wegen Verletzung des Beförderungsvertrags i.V.m. § 278. In den vom BGH entschiedenen Fällen war S’ Halterhaftung deswegen ausgeschlossen, weil G sich als Beamter auf einer Dienstfahrt befand. S haftete als Dienstherr aber vertragsähnlich aus der Verletzung der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht, weil er für das Verschulden des Fahrers nach § 278 einstehen musste389. In diesen Fällen wurde stets eine Gesamtschuld zwischen S und D bejaht. Weil sie der Sache nach Nebentäter waren, deren Kausalbeiträge durch zufälliges Zusammenwirken den Schaden verursacht hatten, beriefen sich das Reichsgericht und der BGH hier nicht auf eine Zweckgemeinschaft, sondern auf einen „inneren Zusammenhang“ der Verbindlichkeiten, der dadurch entstehen sollte, dass diese auf demselben materiellen Tatbestand beruhten390. Für die Stufenlehre liegen gleichstufige Verbindlichkeiten vor. Der Sache nach beruht dieses Ergebnis wohl auf der Nähe der Fälle zur deliktischen Nebentäterhaftung. Wenn G durch das Zusammenwirken der von D und S gesetzten Ursachenbeiträge geschädigt wird, scheint es nicht erheblich zu sein, ob die Schadensersatzpflicht der einzelnen Schuldner auf Gesetz oder Vertrag beruht. Die Gesamtschuldlösung hat hier den Vorteil, dass die insgesamt geschuldete Ersatzleistung ohne weiteres mittels § 254 nach Verursachungsbeiträgen und Verschuldensgraden auf die Schuldner intern verteilt werden kann. Fraglich ist allerdings, ob auch in dieser Fallgruppe die Zusammenfassung der Mitverursacher zu einer Schuldgemeinschaft mit privilegiertem Regress sachgemäß ist. Die Rechtsprechung musste darüber nicht entscheiden, weil beide Schuldner nach wie vor hafteten, als einer von ihnen an den Gläubiger leistete, so dass es im Ergebnis nicht darauf ankam, auf welche Grundlage der Regress gestellt wurde. Die Frage wäre aber aktuell geworden, wenn der Vertragsschuldner S mit dem bei ihm mitfahrenden Gläubiger eine Haftungsbeschränkung oder eine kurze Verjährung vereinbart hätte und aus diesem Grund nicht (mehr) haftet, wenn der Deliktsschuldner D in Anspruch genommen wird. Anders als bei deliktischen Nebentätern entsteht die konkurrierende Haftung hier nur deshalb, 387 So in RGZ 82, 436 (12.7.1913); RGZ 84, 415 (30.4.1914); RG JW 1915, 22 Nr. 7 (= Gruch 59, 354, 12.10.1914); BGHZ 43, 178 (9.3.1965); stets VI. Senat. 388 So in RG JW 1913, 859 Nr. 5 (VI, 3.5.1913); BGHZ 6, 3 (III, 24.4.1952). 389 BGHZ 6, 3, 24 f.; BGHZ 43, 178, 187. 390 RG JW 1913, 859 Nr. 5; RGZ 82, 436, 439; BGHZ 6, 3, 19, 25.
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weil S mit G einen Vertrag geschlossen hat, so dass es zweifelhaft ist, ob man sich beim Regress über die Modalitäten der Vertragshaftung hinwegsetzen kann. Immerhin würde D von vornherein allein für den gesamten Schaden haften, wenn S den Vertrag nicht abgeschlossen hätte. Im heutigen Recht ist dem entgeltlichen Beförderer das Privileg des § 8 a StVG entzogen. Er haftet gesetzlich aus § 7 StVG und wird daher in die unter deliktischen Nebentätern bestehende Schadens- und Schuldgemeinschaft einbezogen, ohne seine Ausgleichspflicht durch die Vertragsgestaltung beeinflussen zu können. Die vom Reichsgericht entschiedenen Fälle wären daher heute gewöhnliche gesetzliche Schadensersatz-Gesamtschulden. In den vom BGH entschiedenen Fällen war S demgegenüber G’s Dienstherr, der wegen Verletzung seiner beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht haftete. Weil diese Pflicht, auch wenn sie vertragsähnlich ist, letztlich doch auf dem Gesetz beruht und von den Parteien nicht abgedungen wird, entstehen in dieser Fallgruppe wohl auch keine Störungsprobleme. Vertraglich-deliktische Nebentäterkonstellationen können aber nach wie vor dann auftreten, wenn der Schaden verursacht wird durch das Zusammenwirken einerseits des Deliktstäters D, andererseits des deliktisch handelnden Gehilfen des S, wobei S sich deliktisch nach § 831 entlasten kann, aber wegen eines Vertrags mit G nach § 278 haftet391: Der von S eingesetzte Erfüllungsgehilfe X beschädigt zusammen mit dem Dritten D das Eigentum des G. D und X sind selbstverständlich deliktische Gesamtschuldner. Nimmt man aber auch eine Gesamtschuld zwischen D und S an und bejaht hier den privilegierten Gesamtschuldregress, würde dies bedeuten, dass S auch dann gegenüber G regresspflichtig ist, wenn er inzwischen wegen einer kurzen Verjährungs- oder Ausschlussfrist nicht mehr haftet, und vielleicht sogar dann, wenn er seine Haftung gegenüber G von vornherein abgedungen hat. Im Verhältnis zwischen D und X könnte man vielleicht sagen, dass D als bloßer Mitverursacher ein Recht auf eine Beteiligung des X hat, ob das aber ebenso für den Vertragsschuldner S zutrifft, ist fraglich. Zwar haftet D nur, weil auch X den Schaden mitverursacht hat, und X ist S’ Gehilfe. Im Verhältnis zwischen S und D gilt aber nicht § 278, sondern § 831. Hätte X D’s Eigentum beschädigt, würde S dafür nicht haften. Dann fragt es sich aber, warum D bei einer Fremdschädigung besser gestellt werden soll, indem er gegenüber S auch dann Regress nehmen kann, wenn S gegenüber seinem Vertragsgläubiger G nicht (mehr) haftet. 391 Vgl. BAG NJW 1990, 3228 (10.5.1990). Wird durch eine unterbrochene Stromzufuhr Eigentum des Gläubigers beschädigt und haftet hierfür ein Dritter deliktisch, etwa weil er das Kabel beschädigt hat, und das Energieversorgungsunternehmen (EVU) vertraglich, etwa weil seinen Angestellten ein Mitverschulden traf, entstehen Regressprobleme, soweit die Haftung des EVU durch Rechtsverordnung ausgeschlossen ist. Hierzu Riedel, Haftungsausschluss, 70 ff. (Lösung zulasten des D, der ohne Regress voll haftet); Taupitz, VersR 1982, 321 f. (Kürzungslösung). Das OLG Hamburg, NJW 1991, 849 lehnte unter Annahme einer Haftungsbefreiung des EVU eine Kürzung gegenüber D ab und neigte offenbar der Regresslösung zu; ob im entschiedenen Fall die Haftung des EVU tatsächlich ausgeschlossen war, ist allerdings nicht sicher, vgl. Riedel, a.a.O., 14 ff.; Taupitz, VersR 1982, 315.
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
(3) Vertragliche Haftung des Obhutspflichtigen für einen vom Dritten verursachten Schaden Die einzige Fallgruppe bei der Konkurrenz vertraglicher und gesetzlicher Verbindlichkeiten, die kontrovers diskutiert wurde, betrifft den Schuldner S, der im Rahmen seiner Vertragshaftung dem Gläubiger G gegenüber für den durch einen außenstehenden Dritten D deliktisch verursachten Schaden einstehen muss. Der Schulfall des Entleihers, der für die Zerstörung der entliehenen Sache durch einen Dritten haftet, war für die ältere Lehre nach 1900 der Musterfall einer unechten Gesamtschuld, für die spätere Stufenlehre nach Selb und Larenz Beispiel eines Zusammentreffens gestufter Verbindlichkeiten mit Zessionsregress. Das Reichsgericht bezweifelte 1905, ob im Schulfall des Entleihers und Zerstörers eine echte Gesamtschuld vorlag; ließ die Frage aber offen392. Das OLG Hamburg urteilte 1911 in einem Fall, in dem ein von S geschlepptes Schiff des G von D’s Schiff gerammt worden war. D schuldete deswegen Schadensersatz aus Delikt, S aus dem Schleppvertrag. Das Gericht nahm eine unechte Gesamtschuld mit wechselseitiger Solutionskonkurrenz an und damit die für den regresssuchenden S ungünstigste Konstruktion: Da § 426 nicht anwendbar war, hatte er kein eigenes Rückgriffsrecht; da aber G’s Forderung gegen D durch S’ Leistung erloschen war, konnte S sich auch nicht mehr diese Forderung abtreten lassen393. Der BGH hatte über einen vergleichbaren Sachverhalt wohl erstmals 1972 im „Wollefall“ BGHZ 59, 97 zu entscheiden. S verkaufte im Auftrag des G einen Posten Wolle unter Eigentumsvorbehalt. S war gegenüber G vertraglich verpflichtet, dessen Sicherungsinteressen bei diesem Kreditgeschäft zu wahren. Im Ergebnis aber wurde die Wolle weiterveräußert, ohne dass der Erlös bei G ankam. Für den verursachten Schaden bei G haftete die Bank D, welche die Verfügungsgewalt über die Wolle gehabt und den Großteil des Erlöses vereinnahmt hatte, aus § 823 I; zugleich haftete S, der die Bank nicht überwacht hatte, aus der Verletzung des Auftragsvertrags. Nach ganz herrschender Ansicht sind hier sowohl S als auch D verpflichtet, G den gesamten Schaden zu ersetzen394. Eine Gesamtschuld nehmen diejenigen Autoren an, die beim Zusammentreffen von Schadensersatzverbindlichkeiten stets von Gesamtschulden ausgehen und die Vorschrift des § 255 auf Herausgabeansprüche beschränken395. Die Stufenlehre ist sich über die richtige Lösung des Wollefalls demgegenüber nicht einig, was auch daran liegt, dass der veröffent392
RGZ 61, 56, 61 (VI, 29.5.1905). OLG Hamburg, HansGZ 1911, 259 (14.7.1911). 394 Anders nur Häsemeyer, MDR 1973, 210, nach dem sich G gegenüber der Bank das Verschulden seines Bewahrungsgehilfen S nach §§ 254, 278 anrechnen lassen muss. Nach Rechtsprechung und herrschender Lehre haftet der Geschädigte demgegenüber für Hilfspersonen nach § 278 nur dann, wenn eine Sonderverbindung zwischen Schädiger und Geschädigtem besteht (Nachweise bei Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 10 XI 4; Staud/Schiemann, § 254 Rz 96 ff.; MüKo/Oetker, § 254 Rz 127 ff.). Unabhängig davon kann ein Einwand aus § 254 in der Regel nicht darauf gestützt werden, dass der Geschädigte den Schädiger besser hätte überwachen müssen. 395 Etwa Rüßmann, JuS 1974, 292; Goette, Gesamtschuldbegriff, 163; ders., VersR 1974, 529. 393
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lichte Sachverhalt keinen genauen Aufschluss darüber gibt, wie der Schaden des G im Einzelnen entstand. Nach einer Ansicht hat die Bank D den Schaden unmittelbar verursacht, während S lediglich deswegen haften muss, weil er den Schaden nicht verhindert oder D nicht genügend überwacht hat. Folglich bestehen gestufte Verbindlichkeiten mit nur einseitiger Solutionskonkurrenz, und S kann im Fall seiner Inanspruchnahme von G aus § 255 Abtretung des Schadensersatzanspruchs gegen D verlangen396. Selb nimmt demgegenüber eine umgekehrte Stufung an, weil er davon ausgeht, dass der Erlös hauptsächlich von S veruntreut wurde und die Bank das nicht verhindert habe397. Eine dritte Ansicht nimmt Gleichstufigkeit und damit Gesamtschulden an, weil beide Schuldner den Schaden mitverursacht haben398. Der Siebte Senat entschied sich gegen eine Anwendung des § 255 und für die Gesamtschuldlösung399. Der Wollefall unterschied sich vom Schulfall des Entleihers und Zerstörers allerdings dadurch, dass die Bank D kein zufällig erscheinender Dritter, sondern in die Abwicklung des Geschäfts eingebunden und es die Aufgabe von S gerade gewesen war, die Bank zu überwachen. Aus der Begründung des Senats geht nicht klar hervor, ob dieser Umstand eine Rolle spielte. Einerseits bejahte er eine Zweckgemeinschaft im Gegensatz zur nur zufälligen Zweckgleichheit, weil die vertragliche Verpflichtung des S von den Parteien bewusst neben die gesetzliche Sorgfaltspflicht der Bank gestellt worden sei, und verglich die Stellung der Bank, die von S beaufsichtigt werden sollte, mit der eines Erfüllungsgehilfen des S400. Andererseits stellte er pauschal darauf ab, dass sowohl die vertragliche Verpflichtung des S als auch die Haftung des D aus § 823 I dem Schutz des Eigentums dienten, und verglich die Schuldner mit Nebentätern401. Mit dieser Begründung wäre auch der Schulfall des Entleihers erfasst, womit das Urteil als grundsätzliche Absage an die Stufenlehre im Bereich der Schadensersatzverbindlichkeiten verstanden werden könnte. In letzterem Sinne können einige höchstrichterliche Entscheidungen aus den 80er Jahren verstanden werden, die ein Gesamtschuldverhältnis annahmen, wenn das von S gemietete Auto von D im Straßenverkehr beschädigt wurde402. S, den kein nachgewiesenes Verschulden und gegenüber dem Eigentümer und Halter G auch keine Gefährdungshaftung traf, haftete hier vertraglich, D aus § 823 und/ oder nach dem StVG. Von einem Stufenverhältnis zwischen dem deliktischen Verursacher D und dem nur vertraglich für D’s Schädigung haftenden S war hier nicht die Rede. Die Gesamtschuld verlangte hier weder irgendeine Art von Zu396
Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 30 f.; Häsemeyer, MDR 1973, 210. Selb, Mehrheiten, 158 f.; Staud/Selb (1995), § 255 Rz 27. 398 G. Dilcher, JZ 1973, 200. 399 BGHZ 59, 97 (VII, 29.6.1972). Ebenso später der Neunte Senat in einem vergleichbaren Sachverhalt, BGH NJW 1997, 1014 (19.12.1996). 400 BGHZ 59, 97, 101 f. 401 BGHZ 59, 97, 100, 101; ebenso der amtliche Leitsatz. 402 BGH NJW 1981, 750, 751 (VI, 18.11.1980); BayObLG, VersR 1982, 371 (20.8.1981); s.a. BGH NJW 1983, 1492, 1493 (22.3.1983). 397
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sammenwirken von S und D noch, dass S’ vertragliche Pflicht sich gerade auf D bezog. Ein Grenzfall wurde 1990 vom OLG Frankfurt entschieden403. Der Werkunternehmer U hatte schuldhaft Mängel an seinem Bauwerk verursacht, verweigerte aber die Nachbesserung. Der vom Gläubiger G beauftragte Sachverständige S hielt zu Unrecht bestimmte Abstützungsmaßnahmen für erforderlich, die G dann durchführen ließ. Das Gericht entschied, dass G im Rahmen seines vertraglichen Schadensersatzanspruchs gegen U auch die Kosten der tatsächlich nicht erforderlichen Abstützung verlangen konnte, weil diese aus seiner damaligen verständigen Sicht erforderlich gewesen war. Doch auch S schuldete Schadensersatz, und zwar deliktisch, weil er die Abstützung aus grober Fahrlässigkeit für erforderlich gehalten hatte. Nach Ansicht des Gerichts folgte aus § 255 und den Regeln der Vorteilsausgleichung, dass U den Schadensersatz nur gegen Abtretung der Schadensersatzansprüche gegen S schuldete. Eine Gesamtschuld zwischen U und S404 wurde nicht erwogen, vielleicht deswegen, weil U schon Schadensersatz schuldete, bevor S das falsche Gutachten abgab, und dieses Gutachten im Ergebnis zu einer Erweiterung der Schadensersatzschuld des U führte. Insofern käme nicht nur ein Gesamtschuldverhältnis oder ein Zessionsregress im Sinne der Stufenlehre in Betracht, sondern auch eine Anwendung der Regeln zur Drittschadensliquidation, sofern man sich auf den Standpunkt stellt, der Schaden durch S’ unrichtigen Rat sei nicht bei G, sondern bei U entstanden. Der Fall zeigt die dünne Linie zwischen Drittschadensliquidation, Zessionsregress und Gesamtschuldregress. Weil auch eine Anwendung der Regeln zur Drittschadensliquidation im Ergebnis zu einem Zessionsregress führt, geht es sachlich um die Frage, ob S nur dem an U abgetretenen Schadensersatzanspruch des G oder aber einem eigenständigen Rückgriff des U aus § 426 I ausgesetzt ist. Der von der Stufenlehre favorisierte Zessionsregress und der Gesamtschuldregress unterscheiden sich dadurch, dass der Gesamtschuldregress nicht nur Mitwirkungsansprüche hervorbringt, sondern auch unabhängig davon verwirklicht werden kann, ob der Regresspflichtige noch dem Zugriff des Gläubigers ausgesetzt ist. Gerade deswegen hatte sich der BGH im Wollefall für den Gesamtschuldregress entschieden: Der Gläubiger G hatte mit der deliktisch haftenden Bank einen Vergleich geschlossen, wonach die Bank etwa ein Viertel des Schadens ersetzte und von weiteren Ansprüchen frei sein sollte. Ihr interner Anteil im Verhältnis zum Vertragsschuldner S lag aber wesentlich höher. Anschließend belangte G S erfolgreich auf den Ersatz des restlichen Schadens. Gäbe es nur einen Zessionsregress, könnte S nun keinen Rückgriff gegenüber D nehmen, weil es nach dem Vergleich keine Forderung mehr gegen D gibt, die an S abgetreten werden kann. S verlangte von G daher Schadensersatz, weil G die S geschuldete Forderungsabtretung schuldhaft unmöglich gemacht habe. Dieser Weg war, unterstellt man die Anwendung des § 255, umständlich; richtige Strategie des S wäre es 403 404
OLG Frankfurt, NJW-RR 1992, 602 (28.12.1990). So Erman/Ehmann (11. Aufl. 2004), § 421 Rz 22.
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gewesen, unter Hinweis auf sein Zurückbehaltungsrecht die Leistung an G von vornherein zu verweigern, soweit sie über seinen internen Anteil hinausging405. Im Ergebnis jedenfalls fällt bei Anwendung des § 255 der interne Anteil des D, soweit er durch D’s Zahlung noch nicht beglichen ist, zu Lasten des G. Der vom BGH angenommene privilegierte Gesamtschuldregress hingegen führte dazu, dass S nach wie vor Regress gegenüber D nehmen konnte, so dass diesem der Vergleich im Ergebnis nicht zugutekam. Auch eine Verjährung des Gläubigeranspruchs gegen D sollte, so der BGH, den Gesamtschuldregress des S nicht verhindern406. Doch die Annahme eines privilegierten Gesamtschuldregresses des Vertragsschuldners in Fällen, in denen dieser für einen von einem Dritten verursachten Schaden haften muss, begegnet Bedenken. Die Frage ist, ob ein Deliktstäter D, der einen Schaden verursacht hat und daher einem gesetzlichen Ersatzanspruch des Geschädigten ausgesetzt ist, dadurch schlechter gestellt werden kann, dass ein Dritter S einen Vertrag mit dem Geschädigten geschlossen hat und wegen dieses Vertrags ebenfalls haftet. Der Deliktstäter, der in der Regel intern allein belastet ist, wird insbesondere dadurch schlechter gestellt, dass er nach einem Erlass, einer Verjährung oder einer rechtskräftigen Klageabweisung der Gläubigerforderung nach wie vor einem Regress des Vertragsschuldners ausgesetzt sein kann. Diese Schlechterstellung beruht auf nichts anderem als auf dem Vertrag des S mit G, an dem D nicht beteiligt war, so dass sich die Frage stellt, ob dieser Vertrag, führt er zu einer Schuldgemeinschaft zwischen S und D, nicht als ein Vertrag zulasten Dritter angesehen werden muss. Zu merkwürdigen Ergebnissen führt die Schuldgemeinschaft auch dann, wenn D als vermeintlicher Alleintäter den Schaden mit G reguliert und sich anschließend herausstellt, dass der Entleiher oder Wachmann S, von dessen Existenz D nichts wusste, schon zu einem früheren Zeitpunkt Schadensersatz an G geleistet hat. Nach herrschender Lehre kann D sich gegenüber S’Anspruch aus § 426 I nicht auf § 407 berufen407. Er muss daher noch einmal an S leisten und versuchen, seine erste Leistung von G zurückzufordern, der möglicherweise inzwischen insolvent ist. Zwar besteht stets ein Risiko, an einen Nichtberechtigten zu leisten und dadurch nicht befreit zu werden. Der Schadensersatzschuldner wird aber in gewissem Umfang geschützt, etwa durch § 851, wonach er frei wird, wenn er gutgläubig an den Besitzer der beschädigten Sache geleistet hat. Nimmt man die These einer gesetzlichen Schuldgemeinschaft mit von Anfang an bestehenden, vom Fortbestand des Gläubigeranspruchs unabhängigen Ausgleichsansprüchen ernst, dann könnte sich D gegenüber S nicht einmal auf diese Vorschrift berufen, weil sie lediglich zur Befreiung von der Gläubigerforderung führt. Es kann aber nicht richtig sein, ob innerhalb oder außerhalb des Tatbestands des § 851, dass eine Leistung an einen an sich Berechtigten nur deshalb zu einer nicht befreien405 406 407
Vgl. oben, 902. BGHZ 59, 97, 102 f. Oben, 668 ff.
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den Leistung an einen Nichtberechtigten wird, weil der Gläubiger mit einem Dritten einen Vertrag geschlossen hat. Es ist offenbar auch dieses Unbehagen, das hinter der Lehre von der unechten Gesamtschuld und der Stufenlehre steht, die beide dem Vertragsschuldner S nur einen Zessionsregress bewilligen wollen. Der Sache nach geht es aber nicht um eine Stufung oder um eine Privilegierung des Vertragsschuldners S, sondern umgekehrt um einen Schutz des Deliktsschuldners D vor Ansprüchen Dritter, die ihre Grundlage in einem zwischen Gläubiger und Drittem geschlossenen Vertrag haben. Besonders augenfällig ist dieser Missstand, wenn der Deliktstäter D von der Existenz des Vertragsschuldners S, der den Schaden verhüten sollte, nichts weiß. Wenn der BGH im Wollefall den privilegierten Gesamtschuldregress für sachgerechter hielt als den Zessionsregress, kann das auch mit den Besonderheiten des Sachverhalts zusammenhängen. S’ Aufgabe war es gerade gewesen, die Bank D bei den Verfügungen über die Wolle zu überwachen, was allen Parteien bekannt war. D musste also wissen, dass für ihre Veruntreuungen auch S haften würde.
c) Konkurrenz vertraglicher Schadensersatzansprüche (1) Verbundene Schuldner In einer Fallgruppe des Zusammentreffens mehrerer vertraglicher Ansprüche auf Ersatz desselben Schadens ist das Gesamtschuldverhältnis zwischen den Schuldnern nie bezweifelt worden, nämlich dann, wenn die Ansprüche auf einem gemeinsamen Vertrag beruhen408. Genaugenommen fehlt es hier an einer ausdrücklichen gesetzlichen Gesamtschuldanordnung. Ergibt sich aus dem Vertrag oder aus § 427, dass die Primärleistung solidarisch geschuldet wird, wandelt sich bei einer Leistungsstörung nicht eine Gesamtschuld auf die Primärleistung in eine Gesamtschuld auf Schadensersatz um409. Vielmehr ist zunächst festzustellen, ob wirklich jeder Schuldner den Ersatz des gesamten Schadens schuldet, sei es, weil er die Störung verschuldet hat, sei es, weil ihm ein Verschulden seines Mitschuldners entgegen § 425 II zugerechnet wird. Diese Feststellung setzt auch nicht voraus, dass die Primärleistung solidarisch geschuldet wird. Auch mehrere Teilschuldner können verpflichtet sein, einen Schaden des Gläubigers, der jedem von 408 In den entschiedenen Fällen entsteht die von den Gerichten bejahte gesamtschuldnerische Schadensersatzhaftung zumeist daraus, dass das Verschulden eines Schuldners den Mitschuldnern entgegen § 425 II zugerechnet wird, etwa in RZ 85, 306 (III, 6.10.1914), RG Warn 1916 Nr. 247 (III, 27.6.1916), OLG Hamm, NJW 1970, 1791 (13.5.1970), BGHZ 56, 355 (VI, 6.7.1971): gemeinsam praktizierende Rechtsanwälte, gesamtschuldnerische Haftung nun ausdrücklich vorgesehen in § 51 a II BRAO; BGHZ 97, 273 (VI, 25.3.1986): gemeinsam praktizierende Ärzte; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1987, 911 (15.1.1987), OLG Celle, MDR 1998, 896 (18.2.1998): mehrere Mieter; OLG Braunschweig, NJW-RR 1997, 1038 (12.12.1996): mehrere Verkäufer; OLG Düsseldorf, WM 1998, 663, 664 (24.9.1997): mehrere Beauftragte. 409 Oben, 123 f.
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ihnen in voller Höhe zugerechnet werden kann, vollständig zu ersetzen. Sofern es aber mehrere Verbindlichkeiten auf den Ersatz desselben Schadens gibt, gilt die gesamtschuldnerische Verknüpfung dieser Verbindlichkeiten als selbstverständlich. Die Schuldner sind im Falle eines gemeinsamen Vertrags durch ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis verbunden, das die Annahme einer Schuldgemeinschaft als unproblematisch erscheinen lässt. In einigen von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen, etwa zur gesamtschuldnerischen Schadensersatzhaftung von Anwälten oder Ärzten, die gemeinsam praktizieren, nimmt man heute auf der Schuldnerseite eine rechtsfähige Außengesellschaft an410. Die solidarische Schadensersatzhaftung ergibt sich in diesem Fall daraus, dass die Gesellschaft selbst (weil ihr das Verschulden eines Gesellschafters zugerechnet wird) Schadensersatz schuldet und die Gesellschafter für diese Gesellschaftsverbindlichkeit analog § 128 HGB solidarisch haften. Ähnlich wie beim gemeinsamen Vertrag verhält es sich, wenn zwar der Gläubiger mit jedem Schuldner einen eigenen Vertrag schließt, die Verträge aber dadurch verbunden sind, dass die Schuldner gemeinsam ihre aufeinander abgestimmten Leistungen dem Gläubiger angeboten hatten. So verhielt es sich in einem vom BGH 1957 entschiedenen Fall, in dem der Patient einen Vertrag mit dem Krankenhaus und einen anderen mit dem Belegarzt schloss und die Krankenschwester den Patienten in ihrer Eigenschaft als Erfüllungsgehilfin sowohl des Arztes als auch des Krankenhauses verletzte. Der BGH bejahte trotz unterschiedlicher Primärleistungspflichten eine Gesamtschuld auf Schadensersatz zwischen Arzt und Krankenhaus411. In all diesen Fällen besteht ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis unter den Schuldnern, das nicht nur Befreiungsansprüche eröffnen kann412, sondern auch Grundlage eines von der Außenhaftung unabhängigen Regressrechts ist. Für die Annahme einer daneben bestehenden gesetzlichen Schuldgemeinschaft gibt es keinen Bedarf. Gewährt das Innenverhältnis keinen Regress, und sei es deshalb, weil alle Ansprüche aus dem Innenverhältnis verjährt sind, dann sollte dieses Ergebnis nicht durch die Annahme einer eigenen gesetzlichen Schuldgemeinschaft unterlaufen werden. Schon früh hat das Reichsgericht auch dann ein Gesamtschuldverhältnis auf Schadensersatz bejaht, wenn die Schuldner verschiedene, voneinander unabhängige Verträge mit demselben Gläubiger verletzten, dies aber in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken413. Dem lag wohl die Ähnlichkeit zu den Fällen deliktischer Mittäter zugrunde. Ein Zusammenwirken der Schuldner liegt auch in denjenigen Fällen vor, in denen eine Schadensersatz-Gesamtschuld bejaht wurde, einer oder beide Schuldner aber nicht vertraglich, sondern vertragsähnlich aus 410
Oben, 81 ff. BGH VersR 1957, 806, 808 (VI, 22.10.1957). 412 So in BGH VersR 1957, 806, 807. Der BGH stützte das Ergebnis allerdings direkt auf die Gesamtschuld, vgl. oben, 602. 413 RG Warn 1909 Nr. 197 (III, 2.2.1909). 411
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culpa in contrahendo hafteten (§ 311 II-III), etwa wenn sie gemeinschaftlich Gesellschafter für eine Kommanditgesellschaft warben und aus Prospekthaftung in Anspruch genommen wurden414 oder wenn der Verkäufer eines Gebrauchtwagens Schadensersatz wegen des Verschweigens von Mängeln schuldete und neben ihm nach § 311 III auch der vermittelnde Händler haftete, weil er als Sachwalter Vertrauen in Anspruch genommen und ebenfalls die Mängel verschwiegen hatte415. (2) Zusammenarbeit unabhängiger Vertragsschuldner, insbesondere Bauunternehmer und Architekt Besonders häufig ist die Rechtsprechung mit Fällen befasst, in denen der Gläubiger mit mehreren Schuldnern voneinander unabhängige Verträge schließt, die Schuldner untereinander in gewisser Weise zusammenarbeiten und ein einheitlicher Schaden des Gläubigers dadurch entsteht, dass mehrere Schuldner ihre Vertragspflichten verletzten. In der Regel besteht hier kumulative Kausalität derart, dass der Schaden nicht eingetreten wäre, wenn nur ein Schuldner seine Pflichten nicht verletzt hätte. Sofern die Schuldner ihre den Schaden mitverursachende Leistungsstörung zu vertreten haben, schulden sie nach allgemeinen Regeln (§ 280 I) Schadensersatz. Typische Fälle sind das Zusammenwirken mehrerer Rechtsanwälte (etwa ein Verkehrs- und ein Prozessanwalt), die beide eine Frist übersehen, oder die besonders in den 60er Jahren diskutierte Zusammenarbeit von Architekten, Bauunternehmern und sonstigen Fachleuten bei der Errichtung eines Bauwerks. Für die Frage, ob unter diesen Vertragsschuldnern eine Schadensersatz-Gesamtschuld besteht, muss zunächst geklärt werden, ob der einzelne Schuldner überhaupt für den von ihm mitverursachten Schaden in voller Höhe einstehen muss. Dies ist gerade bei zusammenarbeitenden Vertragsschuldnern nicht ohne weiteres der Fall. Zwar gilt selbstverständlich nicht die Teilschuldregel des § 420, da jeder Schuldner aufgrund eines eigenen Schuldverhältnisses haftet. Die grundsätzlich gegebene Haftung des Einzelnen auf den vollen Schadensersatz kann aber dadurch beschränkt sein, dass die Mitverursachung durch einen anderen Schuldner dem Gläubiger als Mitverschulden angerechnet wird und den Schadensersatzanspruch daher mindert. Die Vorschrift des § 254 II 2 zur Anwendung des § 278 zulasten des Gläubigers gilt nach wohl einhelliger Meinung auch für die Fälle des § 254 I, also der Mitverursachung auf Gläubigerseite416. Haben also S1 und S2 den Schaden verursacht und nimmt der Gläubiger S1 auf Schadensersatz in Anspruch, stellt sich die Frage, ob er sich gegenüber S1 die Mitverursachung durch S2 nach §§ 254, 278 zurechnen lassen muss. 414
BGHZ 71, 284 (II, 24.4.1978). OLG Koblenz, NJW-RR 1988, 1137 (1.7.1987). 416 Soergel/Mertens, § 254 Rz 89; MüKo/Oetker, § 254 Rz 126; Staud/Schiemann, § 254 Rz 95; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 10 XI 2. 415
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Diese Frage kann nicht pauschal beantwortet werden. Die Tatsache, dass den Gläubiger und den in Anspruch genommenen Schuldner S1 ein vertragliches Schuldverhältnis verbindet, eröffnet zwar unstrittig den Anwendungsbereich des § 278, führt aber nicht zu einem Einstehenmüssen des Gläubigers für jeden weiteren Schuldner, der mit dem in Anspruch genommenen Schuldner in irgendeiner Weise zusammenarbeitet. Die Rechtsprechung differenziert danach, ob der Gläubiger den mitverursachenden Schuldner S2 in Erfüllung einer Pflicht oder Obliegenheit eingesetzt hat, die ihn gerade gegenüber dem belangten Schuldner S1 trifft. So kann sich ein vom Gläubiger wegen einer Pflichtverletzung in Anspruch genommener Rechtsanwalt grundsätzlich nicht darauf berufen, dass der Schaden nicht eingetreten wäre, wenn ein weiterer hinzugezogener Anwalt seiner Sorgfaltspflicht genügt417 oder wenn der beurkundende Notar den Fehler des Rechtsanwalts nicht sorgfaltswidrig übersehen hätte418. Der mangelhaft leistende Bauunternehmer kann sich gegenüber dem Bauherrn nicht darauf berufen, dass der Architekt seine Bauaufsichtspflicht verletzt hat, weil den Bauherrn keine Obliegenheit gegenüber dem Unternehmer trifft, diesen zu beaufsichtigen419. Wohl aber treffen den Bauherrn gegenüber Bauunternehmern Obliegenheiten zur Bereitstellung brauchbarer Pläne und zur Koordinierung, zu deren Erfüllung er in der Regel einen Architekten einsetzt. Beruht ein Baumangel auf Planungs- oder Koordinierungsfehlern des Architekten, trifft aber auch den Unternehmer ein Verschulden, etwa weil er den Planungsfehler hätte erkennen können, dann schuldet der Architekt vollen Schadensersatz, während der Unternehmer wegen §§ 254, 278 nur einen Teil des Schadens ersetzen muss420. Der bauleitende Archi-
417 RGZ 115, 185 (2.11.1926); BGH NJW 1993, 1779 (18.3.1993); OLG Düsseldorf, BB 1998, 765 (19.6.1997); OLG München, MDR 1998, 968 (27.2.1998); BGH NJW 2001, 3477 (19.7.2001). Anders aber BGH NJW 1994, 1211 (20.1.1994), wonach G sich gegenüber dem Anwalt A1 das Verschulden des Anwalts A2 dann zurechnen lassen muss, wenn er A2 damit beauftragt hatte, einen Schadensersatzanspruch gegen A1 zu prüfen. 418 BGH NJW 1990, 2882 (10.5.1990). 419 BGH NJW 1972, 447, 448 (29.11.1972); BGHZ 95, 128, 131 (27.6.1985); BGH NJW-RR 1989, 86, 89 (29.9.1988); BGH NJW-RR 2002, 1175 (18.4.2002); Staud/Peters/Jacoby, Anh II zu § 638 Rz 51; MüKo/Busche, § 634 Rz 133; Beck’scher VOB-Komm/Zahn, B vor § 13 Rz 38; Zerr, NZBau 2002, 243; Volze, DS 2005, 129. Soweit nicht anders angegeben, wurden die hier und im Folgenden angeführten baurechtlichen Entscheidungen des BGH vom Siebten Senat entschieden. 420 BGH WM 1970, 354, 356 (15.12.1969); BGH VersR 1971, 667, 669 (4.3.1971); BGH WM 1971, 1372, 1374 (12.7.1971); BGH NJW 1972, 447 (29.11.1971); BGH NJW 1984, 1676, 1677 (22.3.1984); BGHZ 95, 128, 131 (27.6.1985); BGH NJW-RR 1991, 276 (11.10.1990); BGH WM 2003, 29, 32 (7.3.2002); BGH NJW-RR 2002, 1175 (18.4.2002); Staud/Peters/Jacoby, Anh II zu § 638 Rz 51; MüKo/Busche, § 634 Rz 79 f., 133; Ingenstau/Korbion, VOB, § 13 VOB/B Rz 33; Beck’scher VOB-Komm/Zahn, B vor § 13 Rz 32 ff.; Diehl, FS Heiermann, 45; Zerr, NZBau 2002, 242; Volze, DS 2005, 129; vgl. OLG Frankfurt, NJW 1974, 62 (9.3.1973); OLG Düsseldorf, NJWRR 1994, 1240 (23.11.1993). Etwas anderes gilt nur, wenn der Unternehmer den Planungsfehler erkennt und trotzdem baut, ohne dem Bauherrn einen ausreichenden Hinweis zu geben, BGH NJW 1973, 518 (18.1.1973); BGH NJW-RR 1991, 276 (11.10.1990); OLG Hamm, NJW-RR 1996, 273, 274 (30.3.1995).
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
tekt kann sich dagegen nicht auf Planungsfehler durch den planenden Architekten berufen421; ebenso wenig sind hinzugezogene Sonderfachleute Erfüllungsgehilfen des Bauherrn gegenüber dem Architekten422. Nur soweit der Ersatz eines Schadens gleichzeitig von mehreren Vertragsparteien geschuldet wird, stellt sich angesichts dessen, dass der Gläubiger den Ersatz nur einmal liquidieren kann, die Frage der gesamtschuldnerischen Verbindung. Das Reichsgericht hielt schon 1926 eine Gesamtschuld auf Schadensersatz im Falle zweier pflichtverletzender Rechtsanwälte für selbstverständlich und berief sich dabei lediglich auf § 421423. Auch heute bejaht die Rechtsprechung Schadensersatz-Gesamtschulden bei Pflichtverletzungen zusammenwirkender Rechtsanwälte, Notare oder Steuerberater, ohne dass diese Lösung jemals in Frage gestellt worden wäre424. Auf dem Gebiet des Baurechts nahm der Siebte Senat des BGH 1956 unter Berufung auf § 421 ohne weiteres eine Gesamtschuld zwischen einem Architekten und einem Bauunternehmer an, die den Ersatz eines Schadens schuldeten, den beide pflichtwidrig mitverursacht hatten425. Erst Anfang der 1960er Jahre kam es seitens des Senats zu Zweifeln über das Gesamtschuldverhältnis zwischen Architekten und Bauunternehmer, allerdings in Fällen, in denen der Unternehmer nicht Schadensersatz, sondern Mängelbeseitigung schuldete426. Spätestens nachdem für diese Fälle die Gesamtschuld vom Großen Senat in BGHZ 43, 227 bejaht wurde, ist in der Rechtsprechung die gesamtschuldnerische Schadensersatzhaftung selbstverständlich, sei es zwischen Architekten und Bauunternehmer427, zwischen planendem und bauleitendem Architekten428 oder zwischen Architekten und anderen Sonderfachleuten429. Schuldet wegen Planungsfehlern des Architekten der Bauunternehmer nach §§ 254, 278 nur anteiligen Schadensersatz, besteht eine Gesamtschuld zwischen Architekten und Unternehmer nur in dieser Höhe, während der Rest allein vom Architekten ge421 OLG Bamberg, NJW-RR 1992, 91 (8.7.1991); OLG Köln, NJW-RR 1997, 597 (12.9.1996); OLG Karlsruhe, NJW-RR 2004, 815 (12.8.2003); OLG Celle, NJOZ 2006, 2300, 2302 (28.3.2006); siehe aber Kleine-Möller/Merl, Baurecht, Rz 12/1010. 422 BGH NJW-RR 2003, 1454 (10.7.2003). 423 RGZ 115, 185, 189 (III, 2.11.1926). 424 BGH NJW 1990, 2882, 2883 f. (IX, 10.5.1990); BGH NJW 1993, 1779, 1781 (IX, 18.3.1993); OLG Düsseldorf, BB 1998, 765 (19.6.1997); OLG München, MDR 1998, 968 (27.2.1998); BGH NJW 2001, 3477, 3478 (IX, 19.7.2001). 425 BGH VersR 1957, 29 (22.11.1956); s.a. BGH VersR 1960, 738 (25.4.1960). 426 BGH NJW 1962, 1499 (7.5.1962); BGHZ 39, 261, 264 (2.5.1963); BGH VersR 1964, 1048 (9.7.1964). 427 BGHZ 43, 227 (GrS, 1.2.1965); BGH VersR 1965, 803 und 804 (2 Urteile vom 17.5.1965); BGH WM 1971, 101, 103 (29.10.1970); BGHZ 58, 216 (9.3.1972); BGH WM 2003, 29, 32 (7.3.2002); OLG Düsseldorf, NJW-RR 1995, 339 (28.10.1994); OLG Naumburg, NJW-RR 2003, 595 (14.1.2003); OLG Celle, NJOZ 2006, 2300 (28.3.2006). 428 BGH NJW-RR 1989, 86, 89 (29.9.1988); OLG Köln, NJW-RR 1997, 597 (12.9.1996); OLG Karlsruhe, NJW-RR 2004, 815 (12.8.2003). 429 OLG Karlsruhe, MDR 1969, 49 (2.12.1966) und MDR 1971, 45 (20.5.1970); BGH VersR 1971, 667 (4.3.1971); OLG Koblenz, NJW-RR 1997, 595 (17.12.1996); BGH NJW-RR 2003, 1454 (10.7.2003).
11. Ein Blick in die Rechtsprechung
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schuldet wird430. Unter Berufung auf BGHZ 43, 227 nimmt die Rechtsprechung mittlerweile auch in anderen Fällen Gesamtschulden an, wenn mehrere unabhängige Schuldner, die auf irgendeine Weise im Interesse des Gläubigers zusammenwirken, den Ersatz eines einheitlichen, von beiden verursachten Schadens schulden431. Der Grund, warum der Siebte Senat die Schadensersatz-Gesamtschuld zwischen Architekten und Unternehmer zunächst angezweifelt hatte, war, dass die Haftung der Schuldner auf verschiedenen Verträgen beruhte, die sie ursprünglich zu unterschiedlichen Leistungen verpflichtet hatten, den Unternehmer zur Errichtung des Bauwerks, den Architekten zur Planung und/oder Bauleitung432. Diese Bedenken wurden in der Literatur verworfen: Es gehe nicht um eine gesamtschuldnerische Primärleistungspflicht, die selbstverständlich nach wie vor nicht bestehe, sondern lediglich um die Verpflichtung zum Ersatz eines bestimmten Schadens, die beide Schuldner in gleicher Weise treffe. Darauf, dass diese Schadensersatzverbindlichkeiten auf verschiedenen Verträgen beruhen, könne es nicht ankommen433. Ob tatsächlich zwischen Architekten und Unternehmer eine Gesamtschuld bestand, wurde allerdings zunächst unterschiedlich beurteilt. Maßgeblich war der Standpunkt des jeweiligen Autors zum Gesamtschuldbegriff. Man konnte darauf abstellen, dass eine ausdrückliche gesetzliche Gesamtschuldanordnung für diesen Fall fehlte, und daher statt einer Gesamtschuld eine wechselseitige Solutionskonkurrenz mit Bereicherungsregress annehmen434. Man konnte aber auch darauf abstellen, dass in den kontroversen BGH-Fällen der Architekt nur wegen der Verletzung seiner Aufsichtspflicht haftete. Vereinzelt wurde daher angenommen, der Architekt hafte nur subsidiär435. Die Stufenlehre verneinte eine Subsidiarität, nahm aber zunächst gestufte Verpflichtungen und einen Zessionsregress zugunsten des Architekten an, weil der Unternehmer den Schaden unmittelbar verursacht hatte und der Architekt dem Schaden ferner stand436. Der Großteil der Literatur aber stimmte der Gesamtschuldlösung des Großen Senats zu und begründete sie zumeist mit einer
430 BGH WM 1970, 354, 356 (15.12.1969); BGH VersR 1971, 667, 669 (4.3.1971); BGH WM 2003, 29, 32 (7.3.2002); Hönn, NJW 1966, 2200; Wussow, NJW 1974, 14; Kaiser, Mängelhaftungsrecht, Rz 324; Staud/Kaduk, § 421 Rz 17; Ingenstau/Korbion, VOB, § 13 VOB/B Rz 36; Werner/ Pastor, Bauprozess, Rz 1978 ff.; MüKo/Busche, § 634 Rz 140; Kleine-Möller/Merl, Baurecht, Rz 12/1004; Beck’scher VOB-Komm/Zahn, B vor § 13 Rz 107. 431 OLG München, OLGZ 1983, 446 (30.4.1982: Schadensersatz-Gesamtschuld gegenüber Leasinggeber zwischen Leasingnehmer, der Kaskoversicherungsprämien nicht zahlt, und Kaskoversicherung, die Nichtzahlung dem Leasinggeber vertragswidrig nicht mitteilt); OLG Hamburg, NJW-RR 1987, 915 (29.10.1986: Gesamtschuld zwischen für Bauherrengemeinschaft agierendem Treuhänder und Baubetreuer); OLG Düsseldorf, NJW-RR 1992, 914 (13.6.1991: ebenso). 432 BGH NJW 1962, 1499; BGH VersR 1964, 1048, 1049; vgl. Menard, NJW 1966, 1699. 433 Selb, NJW 1964, 19; Larenz, Schuldrecht AT, 7. Aufl. 1964, § 33 Fn. 1. 434 Frotz, VersR 1965, 212 f. 435 Tempel, JuS 1965, 265. 436 Selb, NJW 1964, 18 ff.; vgl. auch Larenz, SR AT (1987), § 37 Fn. 6.
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
Analogie zu § 840437. Dem folgte schließlich auch die Stufenlehre438. Denn ansonsten wäre sie gezwungen, den Regressweg von den Einzelheiten des Falls abhängig zu machen: Im Fall, in dem der Architekt fehlerhaft plant und der Unternehmer den Fehler pflichtwidrig übersieht, müsste ein Zessionsregress zugunsten des Unternehmers, im Fall des Zusammentreffens von Planungs- und Ausführungsverschulden eine Gesamtschuld angenommen werden. Nun hieß es seitens der Stufenlehre, dass die Schadensersatzpflichten von Architekt und Unternehmer stets gleichstufig seien, weil sie beide den Schaden verursacht hatten439. Nach der hier vertretenen Ansicht ist entscheidend, ob die Annahme einer Schuldgemeinschaft mit privilegiertem Regress sachgemäß ist. In diesem Zusammenhang ist das ursprüngliche Bedenken des Siebten Senats, dass die Haftung der Schuldner auf verschiedenen Verträgen beruht, nicht abwegig. Im Unterschied zu den im vorigen Abschnitt dargestellten Fällen haben sich die Vertragsschuldner hier nicht schon unabhängig vom Gläubiger zusammengetan und sind auch keine Mittäter eines vorsätzlichen Vertragsbruchs, sondern nur dadurch verbunden, dass sie aufgrund unterschiedlicher Vertragsbeziehungen im Rahmen des Gesamtinteresses des Gläubigers praktisch zusammenarbeiten. Bemerkenswert ist insofern, dass nicht nur der Große Senat, sondern auch die nachfolgende Rechtsprechung des BGH und der Oberlandesgerichte das Gesamtschuldverhältnis mit einer „Zweckgemeinschaft“ begründeten. Mit dieser Zweckgemeinschaft war nicht gemeint, dass beide Schuldner dasselbe Leistungsinteresse zu befriedigen oder denselben Schaden zu ersetzen hatten, sondern dass die Schuldner in Erfüllung ihrer vertraglichen Primärleistungspflichten im Rahmen eines vom Gläubiger erstrebten Gesamterfolgs praktisch zusammenarbeiten440. Diese
437 R. Schmidt, AcP 163 (1963), 534; Schmalzl, MDR 1964, 363; Tempel, JuS 1965, 268; s.a. Frotz, VersR 1965, 216; ferner Hönn, NJW 1965, 1701; G. Dilcher, JZ 1967, 115; Thiele, JuS 1968, 152; Ludewig, Gesamtschuldnerausgleich, 212 f.; Börnsen, Strukturen, 172; Ganten, NJW 1970, 691; Mirow, Unechte Gesamtschulden, 112; Ehmann, Gesamtschuld, 223 f.; Erman/Ehmann, § 421 Rz 21; Wussow, NJW 1974, 9; Brügmann, BauR 1976, 383; RGRK/Weber, § 421 Rz 31; Kaiser, BauR 1984, 36 ff.; Wolf/Niedenführ, JA 1985, 373; Soergel/Wolf, § 421 Rz 34, 44; Reinicke/ Tiedtke, Gesamtschuld, 2; Jürgens, Teilschuld, 35; Kaiser, Mängelhaftungsrecht, Rz 327; Wernecke, Gesamtschuld, 185; Ingenstau/Korbion, VOB, § 13 VOB/B Rz 28 f.; Locher, Baurecht, Rz 287; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 73; Schlechtriem/Schmidt-Kessel, SR AT, Rz 843; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 5; Staud/Peters/Jacoby, Anh II zu § 638 Rz 52, 54; MüKo/Soergel (1997), § 635 Rz 79; MüKo/Busche (2005), § 634 Rz 137 f.; Beck’scher VOB-Komm/Zahn, B vor § 13 Rz 99; Zerr, NZBau 2002, 242 f. 438 Raisch, JZ 1965, 707; G. Dilcher, JZ 1967, 115; ders., JZ 1973, 200; Esser, SR AT, § 58 I (S. 434); Selb, Mehrheiten, 58 ff.; Medicus, SR AT, Rz 799; Fikentscher/Heinemann, SR, Rz 774; Palandt/Grüneberg, § 421 Rz 11; BamR/Gehrlein, § 421 Rz 5, 10. 439 G. Dilcher, JZ 1973, 200; MüKo/Busche, § 634 Rz 138. 440 Bei der Haftung von zusammenarbeitenden Architekten, Bauunternehmern und sonstigen Fachleuten BGH VersR 1964, 1048, 1050; BGHZ 43, 227, 229 (Zweckgemeinschaft, weil Architekt und Unternehmer eng zusammenarbeiten); BGH VersR 1965, 804; OLG Karlsruhe, MDR 1969, 49, 50 (notwendige enge Zusammenarbeit); BGHZ 51, 275, 278 f.; OLG Karlsruhe, MDR 1971, 45, 46 (Zweckgemeinschaft, weil Schuldner Leistungen für dasselbe Bauvorhaben erbringen); OLG Karlsruhe, NJW-RR 2004, 815.
11. Ein Blick in die Rechtsprechung
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Erwägung mag nur auf den ersten Blick für die Frage der Qualifizierung der Schadensersatzverbindlichkeiten unerheblich erscheinen441. Der Sache nach stellt die Rechtsprechung mit diesem Kriterium offenbar darauf ab, dass die besondere Schuldgemeinschaft mit Mitwirkungsansprüchen und von der Gläubigerforderung losgelösten Regressrechten eher gerechtfertigt werden kann, wenn die Schuldner von den Vertragsverbindlichkeiten ihrer Mitschuldner Kenntnis haben und mit einem gegen sie gerichteten privilegierten Gesamtschuldregress rechnen müssen442. (3) Zusammentreffen von Schadensersatz- mit Mängelbeseitigungs- oder anderen Gewährleistungsansprüchen Stellen sich nach Abnahme eines Bauwerks Mängel heraus, die vom Bauunternehmer zu verantworten, aber auch vom Architekten mitverschuldet worden sind, hat der Bauherr je nach Schuldner unterschiedliche Ansprüche. Vom Unternehmer kann der Bauherr nach Werkvertragsrecht zunächst nur die Beseitigung des Mangels verlangen, dies allerdings verschuldensunabhängig, §§ 634 Nr. 1, 635 (§ 633 II aF). Nach reformiertem Recht kann der Bauherr den Mangel nur dann selbst beseitigen und hierfür die Kosten verlangen, wenn er dem Unternehmer eine Frist zur Beseitigung gesetzt hat und diese erfolglos abgelaufen ist oder wenn der Unternehmer die Beseitigung verweigert, §§ 634 Nr. 2, 637, 323 II. Nach früherem Recht war die Selbstvornahme dann möglich, wenn der Unternehmer mit der Beseitigung im Verzug war, § 633 III aF. Auch das Recht zum Rücktritt, zur Minderung und, bei Vertretenmüssen, auf Schadensersatz steht dem Bauherrn erst nach erfolglosem Ablauf der Beseitigungsfrist zu, §§ 634, 638, 323, 281 (§§ 634, 635 aF). Grundsätzlich dasselbe müsste zunächst einmal gegenüber dem Architekten gelten, nachdem der BGH den Architektenvertrag als Werkvertrag qualifiziert. Nachbessern kann der Architekt aber nur seine Pläne als solche, nicht das fertiggestellte Bauwerk443. Weil auch ein Rücktritt nicht sinnvoll ist, bleibt dem Bauherrn in der Regel nur die Möglichkeit, bei Baumängeln, die vom Architekten zu verantworten sind, Schadensersatz aus §§ 634 Nr. 4, 280 zu verlangen, was voraussetzt, dass der Architekt die Leistungsstörung zu vertreten hat. Ist dies der Fall, schuldet der Architekt Schadens441 Ferner OLG München, OLGZ 1983, 446, 447; OLG Hamburg, NJW-RR 1987, 915 (Bauherrenmodell mit Verflechtung der Pflichten der Beteiligten Beispiel für Zweckgemeinschaft); OLG Düsseldorf, NJW-RR 1992, 914 (Gesamtschuld wegen enger Verzahnung der Aufgaben der Schuldner, die im Interesse des Gläubigers zusammenwirken); OLG Düsseldorf, BB 1998, 765 (Zweckgemeinschaft zwischen Anwälten, die zur Erwirkung einer einstweiligen Verfügung zusammenarbeiten); OLG München, MDR 1998, 968 (Zweckgemeinschaft zwischen Verkehrs- und Prozessanwalt). 441 So Frotz, NJW 1965, 1260; Wernecke, Gesamtschuld, 42. 442 So offenbar auch Raisch, JZ 1965, 705, 707; Brügmann, BauR 1976, 384, 390; MüKo/Soergel (1997), § 635 Rz 79. 443 Anders noch BGH VersR 1960, 738 (25.4.1960), und der Lösungsvorschlag von Ganten, NJW 1970, 687.
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
ersatz, während der Unternehmer zunächst einmal die Pflicht, aber auch das Recht, zur Nachbesserung hat. Einigkeit besteht darüber, dass der Bauherr in dieser Lage nicht doppelt liquidieren kann. Hat der Unternehmer den Mangel beseitigt, entfällt der Schaden und damit der Schadensersatzanspruch gegen den Architekten. Leistet umgekehrt der Architekt Schadensersatz, soll der Bauherr den Unternehmer im Ergebnis nicht mehr in Anspruch nehmen können. Damit stellt sich die Regressfrage. Der Siebte Senat des BGH entschied sich zunächst für die Regresslosigkeit. Der Architekt sollte aber dadurch geschützt werden, dass den Bauherrn aus Treu und Glauben die Pflicht traf, zunächst einen Nachbesserungsanspruch gegen den Unternehmer geltend zu machen, falls dies ohne größere Schwierigkeiten möglich war444. Dieses Ergebnis wurde in der Literatur kritisiert. Zum einen führte es praktisch zu einer Subsidiärhaftung des Architekten, die zumindest ein Teil der Literatur angesichts seines Mitverschuldens ablehnte445. Zum anderen half die Subsidiarität nicht weiter, wenn der Architekt wegen Problemen bei der Realisierung des Nachbesserungsanspruchs vom Bauherrn zu Recht in Anspruch genommen wurde und nun gegenüber dem Unternehmer Regress nehmen wollte446. Die Regresslosigkeit wurde als unbillig empfunden447. Daraufhin nahm der Senat ein Rückgriffsrecht des Schadensersatz leistenden Architekten aus G.o.A. an: Weil er durch seine Leistung im Ergebnis auch den Unternehmer befreie, führe er zugleich dessen Geschäft und könne, falls die Befreiung dem Willen des Unternehmers entsprach, Aufwendungsersatz aus § 683 verlangen, andernfalls stehe ihm aus §§ 684, 812 ein Bereicherungsanspruch zu448. Ein solcher Regress half dem Architekten aber nicht weiter, wenn die Schuld des Unternehmers zuvor schon im Wege des Vergleichs erlassen worden war. Als er ein Jahr nach der G.o.A-Entscheidung mit einer solchen Fallkonstellation befasst war, legte der Siebte Senat dem Großen Senat die Frage vor, ob man nicht den privilegierten Gesamtschuldregress des § 426 zumindest analog anwenden könne449. In der bekannten Architektenentscheidung BGH 43, 227 bejahte der Große Senat ein Gesamtschuldverhältnis zwischen dem schadensersatzpflichtigen Architekten und dem Beseitigung schuldenden Unternehmer, eine Lösung, der sich schließlich auch der Großteil der Literatur anschloss450. 444 BGH NJW 1962, 1499 (7.5.1962). Möglicherweise noch anders das Urteil BGH VersR 1960, 738 (25.4.1960), in dem der Siebte Senat einen von einer Inanspruchnahme des Unternehmers unabhängigen Kostenerstattungsanspruch gegen den Architekten bejahte; nicht ganz klar war hier allerdings, ob dem Unternehmer sein Mängelbeseitigungsrecht noch zustand. 445 Schmalzl, MDR 1964, 362 f.; Selb, NJW 1964, 18. 446 Ruhkopf, VersR 1963, 210. 447 Staud/Peters/Jacoby, Anh II zu § 638 Rz 54. 448 BGHZ 39, 261 (2.5.1963). 449 BGH VersR 1964, 1048 (9.7.1964). 450 BGHZ 43, 227 (GrS, 1.2.1965); ebenso dann etwa BGHZ 51, 275, 277 (19.12.1968); BGH WM 1971, 1372, 1373 (2.7.1971); OLG Zweibrücken, NJW-RR 1993, 1237, 1238 (30.3.1993); BGH NJW-RR 2001, 380 (21.12.2000); BGH WM 2003, 29, 32 (7.3.2002); BGH NJW-RR 2008, 176 (26.7.2007); Schmalzl, MDR 1964, 363; ders., Haftung, Rz 237 ff.; Frotz, NJW 1965, 1260; Raisch,
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Wie beim Zusammentreffen von vertraglichen Schadensersatzansprüchen sind Architekt und Unternehmer hier aufgrund verschiedener, unabhängiger Verträge zu unterschiedlichen Primärleistungen verpflichtet. Anders als in der zuvor besprochenen Fallgruppe sind hier aber auch die konkreten vertraglichen Pflichten, die aufgrund der Leistungsstörung entstehen und um deren solidarische Verknüpfung es geht, unterschiedlich: Der Architekt schuldet Schadensersatz, der Unternehmer Mängelbeseitigung. Dies war der Grund, warum der Siebte Senat das Gesamtschuldverhältnis zunächst ablehnte und auch in seinem Vorlagebeschluss zum Großen Senat nur eine analoge Anwendung des § 426 I vorschlug451. Demnach stellt sich die Frage, ob es Gesamtschulden geben kann, obwohl die Verbindlichkeiten einen unterschiedlichen Inhalt aufweisen. Ein kleinerer Teil der Literatur verneint diese Frage452. Doch der Verweis auf das Tatbestandsmerkmal der „einen Leistung“, die mehrere nach § 421 schulden, ist wenig aussagekräftig, solange man nicht klarmacht, was darunter zu verstehen sein soll und wie ein Erfordernis der Inhaltsgleichheit sachlich begründet werden kann. Dieses Erfordernis hat gemeinrechtliche Wurzeln. Nach römischem Recht setzte eine durch Stipulation begründete Gesamtschuld oder Gesamtgläubigerschaft eadem res voraus, worunter ein gleicher Leistungsgegenstand verstanden werden kann453. Eine Gesamtgläubigerschaft konnte nicht entstehen, wenn einem Gläubiger 10, dem anderen 10 oder der Sklave Stichus geschuldet wurde, ferner auch dann nicht, wenn sich die Gläubiger ein höchstpersönliches Recht wie einen Nießbrauch stipulierten454, offenbar deshalb, weil ein Nießbrauchsrecht des Gläubigers A einen anderen Inhalt hatte als ein Nießbrauchsrecht des Gläubigers B. Eine Stipulations-Gesamtschuld war möglich, wenn zwei Handwerker gleiche Leistungen versprachen455, nicht aber dann, wenn von Anfang an ein Verwahrer nur für Arglist, der andere für jedes Verschulden haften sollte, weil dann die VerJZ 451 1965, 707 f.; Hönn, NJW 1965, 1701; ders., NJW 1966, 2200; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 47 f.; Börnsen, Strukturen, 172; Lumm, Ausgleich, 70 f.; Ganten, NJW 1970, 692; Esser, SR AT, § 58 I (S. 434); Ehmann, Gesamtschuld, 223 f.; Erman/Ehmann, § 421 Rz 21; G. Dilcher, JZ 1973, 200 f.; Wussow, NJW 1974, 9; Larenz, SR AT, § 37 I; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 2; Wolf/Niedenführ, JA 1985, 373; Soergel/Wolf, § 421 Rz 18; Preißer, JuS 1987, 212; Jürgens, Teilschuld, 17; Kaiser, Mängelhaftungsrecht, Rz 327; Wernecke, Gesamtschuld, 186; Ingenstau/Korbion, VOB, § 13 VOB/B Rz 32; Fikentscher/Heinemann, SR, Rz 774; Diehl, FS Heiermann, 43 f.; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 53 ff.; Zerr, NZBau 2002, 242 f.; Kuß, VOB, § 13 VOB/B Rz 8; Staud/Kaduk, § 421 Rz 16, 25; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 5; jurisPK/Rüßmann, § 421 Rz 18; Staud/Peters/Jacoby, Anh II zu § 638 Rz 52, 54; MüKo/Soergel (1997), § 635 Rz 79 f.; MüKo/Busche, § 634 Rz 138; Beck’scher VOB-Komm/Zahn, B vor § 13 Rz 99. 451 BGH NJW 1962, 1499; BGHZ 39, 261, 264; BGH VersR 1964, 1048, 1049 f. 452 Menard, NJW 1966, 1699; E. Wolf, SR AT, 530 f.; zunächst auch Larenz, Schuldrecht AT, 7. Aufl. 1964, § 33 Fn. 1; skeptisch auch Soergel/Teichmann, § 635 Rz 62 f. G. Dilcher, JZ 1967, 115, wollte wegen der Inhaltsverschiedenheit die Gesamtschuldvorschriften zunächst nur analog anwenden; anders dann aber ders., JZ 1973, 200. 453 Hierzu Schmieder, Duo rei, 36 ff., 172 f. 454 Gaius D.45,2,15. 455 Julian D.45,2,5.
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bindlichkeiten ungleich waren456. Zugleich betonen die Quellen, dass bestimmte Modifikationen, etwa unterschiedliche Leistungsfristen, der Entstehung einer Stipulations-Gesamtschuld nicht im Wege stehen457. Die gemeinrechtlichen Autoren, die den römischen Quellen zur Stipulations-Gesamtschuld Aussagen über die Korrealobligation als solche entnahmen, stellten den Satz auf, dass ein Korrealschuldverhältnis nur bei Inhaltsgleichheit der Leistungsgegenstände entstehen kann458. Über die sachliche Rechtfertigung dieser Regel nach Fortfall der Prozesskonsumption wurde ebenso wenig diskutiert wie über die Frage, ob das Erfordernis auch für die im 19. Jahrhundert von den Korrealobligationen geschiedenen Solidarobligationen gelten sollte459. Tatsächlich ist ein Erfordernis der Inhaltsgleichheit der geschuldeten Leistungen460 zumindest nach dem Recht des BGB sachlich nicht begründbar461. Im Regelfall des Gesamtschuldverhältnisses mögen die Leistungspflichten zwar inhaltsgleich sein, doch dies folgt nicht aus einer vermeintlichen Natur der Sache. Sind sich die Parteien über die Rechtsfolgen der §§ 421 ff. einig, besteht kein Grund, ein Gesamtschuldverhältnis abzulehnen, nur weil inhaltlich unterschiedliche Leistungen geschuldet werden. Verspricht der Schuldner A ein Maultier und der Schuldner B einen Esel und besteht Einigkeit darüber, dass der Gläubiger nur eines dieser Tiere erhalten soll, dann kann statt eines Wahlschuldverhältnisses auch eine Gesamtschuld vereinbart werden. Der Gläubiger kann dann, solange er noch nichts erhalten hat, gegen jeden Schuldner vorgehen; zugleich hat jeder
456
Papinian D.45,2,9,1. Florentin D.45,2,7; Papinian D.45,2,9,2; Inst. 3,16,2. 458 Cujas, Commentaria in libros quaestionum Papiniani, lib. 27, zu D.45,2,9,1; Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,39, Kap. IV, § 2; Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 2; Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst.3,16(17),2, § 1; Domat, Loix civiles, §§ 1824, 1833; Pothier, Obligations, § 263; Glück, Pandecten IV, 512; Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, § 207 Fn. i; Gruchot, Gruch 3 (1859), 309; Mühlenbruch, Pandekten, § 490; Puchta, Pandekten, § 234; Kuntze, Singularsuccession, 148; ders., Jus extraordinarium, 182; Samhaber, Correalobligation, 188 ff.; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 275 ff.; Fritz, ZCRPr nF 19 (1862), 55; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 72 ff.; Windscheid, Pandekten, § 293 Fn. 11; ähnlich Dernburg, Pandekten II, § 71 Fn. 7; anders Brackenhoeft, Identität, 153 Fn. 31. 459 Bejahend Brackenhoeft, Identität, 153 Fn. 31; Mühlenbruch, Pandekten, § 490 bei Fn. 7. 460 So noch Larenz, Schuldrecht AT, 7. Aufl. 1964, § 33 I (S. 380); Esser, Schuldrecht (2. Aufl. 1960), § 97 Nr. 2; ferner Lischka, Gesamtschuld, 56; E. Wolf, SR AT, 530 f.; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 1; der Sache nach auch von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 56 Fn. 41; ähnlich RGRK/ Weber, § 421 Rz 6; zweifelnd MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 5. Für eine nur analoge Anwendung der §§ 421 ff. bei verschiedenen Leistungsinhalten G. Dilcher, JZ 1967, 115 f. (anders dann in JZ 1973, 200 f.). 461 So auch Westerkamp, Bürgschaft, 236; Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 314 II; Kreß, SR AT, § 24, 4 a (S. 608); Zilz, Unechte Gesamtschuld, 9 f., 25 f.; Raisch, JZ 1965, 703 f.; Frotz, VersR 1965, 213; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 41 ff.; Lumm, Ausgleich, 55 ff.; Mirow, Unechte Gesamtschulden, 24; Hüffer, AcP 171 (1971), 481; Wolf/Niedenführ, JA 1985, 373; Soergel/Wolf, § 421 Rz 18; Steinbach/Lang, WM 1987, 1239; Jürgens, Teilschuld, 14 f.; Wernecke, Gesamtschuld, 104 f.; Brox/Walker, SR AT, Rz 37/8; Staud/Noack, § 421 Rz 32; Erman/Ehmann, § 421 Rz 21, 76; jurisPK/Rüßmann, § 421 Rz 18; später auch Larenz, SR AT (1987), § 37 I (S. 632 f.); Esser, SR AT, § 58 I (S. 434). 457
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Schuldner das Recht, das von ihm geschuldete Tier zu leisten; mit dieser Leistung wird der andere frei. Das einzige Problem ist die Berechnung des Regresses, und auch nur dann, wenn die Tiere unterschiedlich viel wert sind; hier können die Schuldner sich aber im Innenverhältnis auf eine Summe einigen, so dass der Anwendung der §§ 421 ff. nichts im Wege steht. Dasselbe gilt, wenn zwei Winzer dem Gläubiger 100 Liter Wein derart schulden, dass der Gläubiger von jedem Winzer aus dessen eigenen Vorrat 100 Liter solange verlangen kann, bis er insgesamt 100 Liter Wein erhalten hat. Der Inhalt der beiden Verpflichtungen ist hier unterschiedlich, weil jeder Schuldner nur Wein aus seiner eigenen Herstellung schuldet, doch es ist nicht ersichtlich, was gegen eine Anwendung der §§ 421 ff. sprechen könnte. Auch außerhalb rechtsgeschäftlich vereinbarter Gesamtschulden ist die Inhaltsgleichheit der geschuldeten Leistungen nicht zwingend. Wenn das BGB der subjektiven Unmöglichkeit in § 425 Einzelwirkung zuschreibt, geht es selbst von einer solchen Möglichkeit aus: Wird die Leistung nur für den Schuldner A unmöglich und hat dieser es zu vertreten, dann schuldet er Schadensersatz und der Schuldner B weiterhin Erfüllung; leistet A Schadensersatz oder erfüllt B, wird auch der jeweilige Mitschuldner frei. Im Architektenfall schließt der Umstand, dass der Unternehmer Mängelbeseitigung und der Architekt Schadensersatz schuldet, die Anwendung der §§ 421 ff. also nicht von vornherein aus. Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, ob tatsächlich Gesamtschulden vorliegen bzw. ob der Fall hinreichende Ähnlichkeiten zum Fall konkurrierender Schadensersatzansprüche aufweist. Häufig wird argumentiert, trotz unterschiedlichen Leistungsinhalts liege hier kein Fall verschiedener Leistungen vor, weil beide Verbindlichkeiten dasselbe Leistungsinteresse des Gläubigers befriedigen sollen und die Leistung des einen Schuldners dem anderen zugutekommt462. Der Hinweis auf das identische Leistungsinteresse des Gläubigers kann erklären, warum er die geschuldeten Leistungen nicht kumuliert erhalten kann, warum also der Gläubiger nach der Leistung durch den einen Schuldner vom anderen nichts mehr verlangen kann. Doch zumindest nach noch herrschender Lehre ist der Ausschluss der Kumulation wegen eines einheitlichen Gläubigerinteresses kein zwingendes Indiz für ein Gesamtschuldverhältnis, sondern kann auch dann vorliegen, wenn konkurrierende Regressmodelle angenommen werden, etwa eine Legalzession: Auch die Verbindlichkeit des Schädigers und des Schadensversicherers betreffen dasselbe Leistungsinteresse, und die Leistung eines der Schuldner kommt hier dem anderen insoweit zugute, als er vom Gläubiger nicht mehr belangt werden kann; dennoch verneint die wohl herrschende Lehre eine Gesamtschuld. Lässt der Rechtsanwalt R die Forderung des Gläubigers gegen den Schuldner S schuldhaft verjähren, lehnt die ganz überwiegenden Lehre ein Gesamtschuldverhältnis zwischen S und dem 462
BGHZ 43, 227, 233 f.; Larenz, SR AT, § 37 I; Raisch, JZ 1965, 704; Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 47 f.; Selb, Mehrheiten, 32; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 2 f.; Jürgens, Teilschuld, 18; Staud/Kaduk, § 421 Rz 25; Preißer, JuS 1987, 212; Wendehorst, Jura 2004, 511; Beck’scher VOB-Komm/Zahn, B vor § 13 Rz 96, 99.
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schadensersatzpflichtigen R ab; dennoch könnte man auch hier sagen, dass beide Forderungen dasselbe Leistungsinteresse betreffen. Tatsächlich verbergen sich hinter der Gesamtschuldfrage beim Zusammentreffen von Schadensersatz- und Nachbesserungsanspruch ein dogmatisches und ein sachliches Problem. Dogmatisch kann das Gesamtschuldverhältnis bezweifelt werden, wenn man den Nacherfüllungsanspruch aus § 635 bzw. den Mängelbeseitigungsanspruch aus § 633 II aF als modifizierten Erfüllungsanspruch ansieht463. Ein Gesamtschuldverhältnis zwischen Schadensersatz- und Erfüllungsanspruch ist alles andere als selbstverständlich, auch wenn dasselbe Leistungsinteresse des Gläubigers betroffen ist464. So könnte man schon einen Schaden des Gläubigers verneinen, solange er noch den Nacherfüllungsanspruch gegen den Unternehmer hat, und damit zu einer Subsidiärhaftung des Architekten gelangen465. Im Schulfall des Versendungskaufs, bei dem die Sache auf dem Transport durch das Verschulden der Transportperson untergeht, arbeitet ein Teil der Literatur mit der Drittschadensliquidation, weil sie davon ausgeht, dass ein Schaden des Verkäufers nicht besteht, wenn er wegen § 447 weiterhin einen Gegenleistungsanspruch gegen den Käufer hat. Nur beim Zusammentreffen von Schadensersatzansprüchen ist allgemein anerkannt, dass die Existenz eines weiteren Anspruchs den Schaden des Gläubigers nicht beseitigt. Aber auch wenn ein Schaden des Bauherrn trotz des Nacherfüllungsanspruchs bejaht wird, ist es fraglich, ob der Architekt durch seine Schadensersatzleistung den Unternehmer überhaupt von seiner Verbindlichkeit befreien kann. Qualifiziert man diese als Erfüllungsanspruch, läge ein echter Zessionsregress (im Sinne der Stufenlehre) näher: Die Leistung des Architekten kann den Unternehmer von seiner Erfüllungspflicht nicht befreien, führt aber zu einer Pflicht des Bauherrn, den fortbestehenden Anspruch gegen den Unternehmer an den Architekten abzutreten466. Um ein Gesamtschuldverhältnis zu begründen, muss man also zeigen, dass der Mängelbeseitigungsanspruch nicht wie ein Erfüllungsanspruch, sondern ähnlich wie ein Schadensersatzanspruch zu behandeln ist. Dies kann etwa dadurch geschehen, dass man ihn im Sinne der Lehre Ehmanns als Schutzanspruch qualifiziert, der denselben Schutzzweck wie der Schadensersatzanspruch gegen den Architekten verfolgt467. Für eine solche Qualifikation spre463 Zur Rechtsnatur des Anspruchs aus § 633 II a.F. Staud/Peters (1994), § 633 Rz 159–161; zum Anspruch aus § 635 n.F. Staud/Peters/Jacoby (2008), § 634 Rz 11, 13, 27; MüKo/Busche, § 634 Rz 2, 13, § 635 Rz 2 f. 464 Vgl. Selb, Mehrheiten, 60; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 54 f.; Erman/Ehmann, § 421 Rz 62; Ehmann, JZ 2004, 253; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 73 a.E. 465 So Tschernitschek, NJW 1963, 1135 m.w.N.; Tempel, JuS 1965, 264; Rietschel, LM § 426 Nr. 25 (1966). 466 So Ruhkopf, VersR 1963, 211; Selb, NJW 1964, 20; Tempel, JuS 1965, 267; s.a. Costede, JR 2005, 49. 467 So Ehmann, Gesamtschuld, 223 f.; Erman/Ehmann (11. Aufl. 2004), § 421 Rz 22. In JZ 2004, 253, schränkt er die These aber offenbar ein, indem er davon ausgeht, dass der Nachbesserungsanspruch als modifizierter Erfüllungsanspruch höchstens dann als Schutzanspruch qualifiziert werden kann, wenn er mit einem Schadensersatzanspruch konkurriert, nicht aber, wenn er
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chen mehrere Gründe. Erstens führt der Mängelbeseitigungsanspruch dazu, dass der Unternehmer nach Abnahme seines Werks und damit nach dem Gefahrübergang von Neuem leisten muss, ohne eine weitere Gegenleistung zu erhalten. Zweitens wendet die Rechtsprechung die Regel des § 254 der Sache nach auch beim Mängelbeseitigungsanspruch an. Wurde der Baumangel durch den Bauherrn oder den Architekten als Erfüllungsgehilfen des Bauherrn, etwa durch eine Fehlplanung, mitverursacht, muss der Bauherr einen Teil der Mängelbeseitigungskosten nach § 242 selbst tragen468. Dies zeigt, dass es sich beim Mängelbeseitigungsanspruch nicht um einen gewöhnlichen, durch die Gegenleistung abgegoltenen, Leistungsanspruch handelt, sondern dass er ein Vermögensopfer erfordert, das vom Schuldner nur im Falle seiner Verantwortlichkeit verlangt werden kann und bei Mitverantwortung des Gläubigers entsprechend gemindert wird469. Drittens wendet die Rechtsprechung beim Mängelbeseitigungsanspruch auch die Regeln zur Vorteilsausgleichung an, etwa dann, wenn die Beseitigung im Ergebnis dazu führt, dass der Gläubiger ein wesentlich wertvolleres Werk erhält als das, was er nach dem Vertragspreis erwarten konnte470. Dies zeigt, dass der Mängelbeseitigungsanspruch, auch wenn er kein Schadensersatzanspruch ist, einen Vermögensnachteil des Gläubigers ausgleichen soll und durch diesen Zweck beschränkt wird. All dies spricht dafür, den Nacherfüllungsanspruch als einen dem Schadensersatzanspruch ähnlichen Schutzanspruch zu qualifizieren, der einen Nachteil beim Gläubiger ausgleichen soll. Nichts anderes ist gemeint, wenn das Gesamtschuldverhältnis zwischen Architekten und nachbesserungspflichtigem Unternehmer in der Literatur damit begründet wird, dass beide Verpflichtungen sich auf die Beseitigung desselben Nachteils richten471. Aus den gleichen Gründen erscheint es sinnvoll, bejaht man ein Gesamtschuldverhältnis beim Zusammentreffen von Schadensersatzansprüchen wegen desselben Baumangels, zum selben Ergebnis auch dann zu kommen, wenn der Bauherr wegen eines Baumangels, für den der Architekt Schadensersatz schuldet, gegenüber dem Unternehmer zurücktritt (wandelt) oder mindert, wie es der Siebte Senat in BGHZ 51, 275 mit Billigung durch die Literatur angenommen
mit468einem anderen Nachbesserungsanspruch zusammentrifft (hierzu der folgende Abschnitt, 948 ff.). Für diese Einschränkung gibt es m.E. keinen überzeugenden Grund. Der Nachbesserungsanspruch kann durchwegs als Schutzanspruch begriffen werden, weil für ihn andere Regeln gelten als für den Erfüllungsanspruch. 468 BGH NJW 1972, 447 (29.11.1971); OLG Frankfurt, NJW 1974, 62 (9.3.1973); BGH NJW 1984, 1676, 1677 (22.3.1984); Staud/Peters/Jacoby, § 633 Rz 194, § 634 Rz 17, 27, Anh II zu § 638 Rz 51; MüKo/Busche, § 634 Rz 79, 132; Kaiser, Mängelhaftungsrecht, Rz 146 a; Zerr, NZBau 2002, 242. 469 So auch Ehmann, JZ 2004, 253. 470 BGHZ 91, 206, 209 ff. (17.5.1984); Staud/Peters/Jacoby, § 634 Rz 23; MüKo/Busche, § 635 Rz 21; Kaiser, Mängelhaftungsrecht, Rz 203. 471 Vgl. Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 47 f.; Esser, SR AT, § 58 I (S. 434); G. Dilcher, JZ 1973, 200; Staud/Kaduk, § 421 Rz 25; ähnlich Soergel/Teichmann, § 635 Rz 64.
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hat472. Den Unternehmer trifft hier zwar keine direkte Leistungspflicht473, doch funktional leistet er durch Verlust seines Werklohnanspruchs oder eines Teils davon474. Auch diese Gewährleistungsrechte sind nicht unabhängig von einem Mitverschulden des Gläubigers (vgl. § 323 VI) und dienen wie der Nacherfüllungsanspruch dem Ausgleich eines Nachteils des Bauherrn, können also als Schutzansprüche angesehen werden475. Die Rechtsprechung drückt diesen Zusammenhang mit der Formel aus, dass beim Zusammentreffen eines Schadensersatzanspruchs mit Gewährleistungsrechten jeder Schuldner auf seine Art für die Beseitigung desselben Schadens einstehen muss, den der Gläubiger dadurch erlitt, dass jeder seine Vertragspflichten mangelhaft erfüllte476. Beim Zusammentreffen eines Schadensersatz- und eines Nacherfüllungsanspruchs führt die Annahme eines Gesamtschuldverhältnisses aber auch zu einem sachlichen Problem. Da Gesamtschulden mit einem Regress verbunden sind, müsste der Architekt nach seiner Schadensersatzleistung ein Rückgriffsrecht gegen den Unternehmer haben. Ein solcher Regress kann aber das Nachbesse-
472 BGHZ 51, 275 (19.12.1968); OLG Zweibrücken, NJW-RR 1993, 1237, 1238 (30.3.1993); BGH NJW-RR 2008, 176 (26.7.2007); zustimmend die Literatur, etwa Ehmann, Gesamtschuld, 226; G. Dilcher, JZ 1973, 200; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 2 f.; Wolf/Niedenführ, JA 1985, 373; Soergel/Wolf, § 421 Rz 18; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 5; Jürgens, Teilschuld, 17; Ingenstau/ Korbion, VOB, § 13 VOB/B Rz 32; Fikentscher/Heinemann, SR, Rz 774. 473 Daher gegen eine Gesamtschuld Tschernitschek, NJW 1963, 1134; Tempel, JuS 1965, 265; Ganten, NJW 1970, 691. 474 Die Entscheidung des Siebten Senats in NJW 1996, 2370 (9.5.1996) bedeutet entgegen den Befürchtungen von Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 54 ff., nicht eine Aufgabe seiner Gesamtschuldrechtsprechung. Für einen Baumangel waren sowohl der Architekt A als auch der Bauunternehmer U verantwortlich. Der Bauherr behielt deswegen einen Anteil des Werklohns des U ein und verklagte A auf Schadensersatz. Das Berufungsgericht war der Ansicht, dass A in Höhe des einbehaltenen Werklohnanteils nicht hafte, da U die Ansprüche insoweit erfüllt habe. Der Senat entschied, dass der den Mangel mitverursachende Architekt dem Bauherrn insoweit keinen Schadensersatz leisten müsse, als endgültig feststehe, dass der Bauherr wegen dieses Mangels an den Unternehmer keinen Werklohn entrichten müsse, weil dann der Bauherr insoweit keinen Schaden mehr habe. Das Berufungsgericht habe aber nicht festgestellt, ob der Bauherr den Werklohn tatsächlich endgültig nicht bezahlen müsse. Nach Ansicht von Glöckner (a.a.O., 55) und Stamm (Regreßfiguren, 116 Fn. 2) ist der Hinweis auf den entfallenden Schaden des Bauherrn, wenn dieser keinen Werklohn zahlen muss, unvereinbar mit der Annahme eines Gesamtschuldverhältnisses, weil der Architekt nur durch Leistung des Unternehmers nach § 422, nicht wegen Wegfall des Schadens, frei werden könne. Diese Unterscheidung zwischen Wegfall des Schadens durch Leistung des Mitschuldners einerseits und Freiwerden nach § 422 andererseits wird vom BGH aber offenbar nicht getroffen. Der endgültige Wegfall der Zahlungspflicht gegenüber dem Unternehmer, etwa im Wege der Minderung oder der Wandelung bzw. des Rücktritts, bedeutete für ihn offenbar beides zugleich und sollte nicht einen Regress des Unternehmers gegenüber dem Architekten ausschließen. So nun auch der Siebte Senat selbst, BGH NJW-RR 2008, 176, § 19 (26.7.2007). Im Übrigen erscheint die strenge Differenzierung zwischen Tilgungswirkung nach § 422 und Schadenswegfall auch nicht als zwingend. Bei der Solidarobligation des 19. Jahrhunderts wurde beides gleichgesetzt. Es ist nicht ersichtlich, welche sachlichen Gründe es verbieten, im Recht des BGB von einem Schadenswegfall durch Leistung des Mitschuldners nach § 422 zu sprechen. 475 Ehmann, Gesamtschuld, 226; ders., JZ 2004, 252. 476 So BGHZ 43, 227, 230; BGHZ 51, 275, 278 f.
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rungsrecht des Unternehmers aushöhlen477. Im Zweipersonenverhältnis schützt die Rechtsprechung das Recht des Unternehmers, nur dann zur Kostenerstattung für eine Nachbesserung durch den Bauherrn herangezogen zu werden, wenn ihm erfolglos eine Frist zur Nachbesserung gesetzt wurde bzw. wenn er mit der Mängelbeseitigung im Verzug war, rigoros: Bessert der Bauherr selbst nach, kann er seine Kosten weder aus Werkvertrag noch aus Bereicherungs- oder Geschäftsführungsrecht vom Unternehmer verlangen, auch wenn dieser durch die Selbstvornahme die Kosten der eigenen Nachbesserung erspart hat478. Mit dieser Regel, die zu einer nicht ausgleichspflichtigen Bereicherung des Unternehmers führt, will die Rechtsprechung vermeiden, dass der Bauherr eventuelle Mängel vorschnell selbst beseitigt und dadurch dem Unternehmer die Möglichkeit nimmt, die Berechtigung der Vorwürfe zu prüfen und bestehende Mängel mit geringeren Kosten selbst zu beseitigen. Bejaht man aber ein Regressrecht des Architekten, geht das Selbstbeseitigungsrecht des Unternehmers verloren. Nimmt man an, dass der Unternehmer durch die zusätzliche Haftung des Architekten nicht schlechter gestellt werden darf, als wenn er es nur mit dem Bauherrn zu tun hätte, müsste man ein Regressrecht des Architekten, der den Schaden im Wege der Naturalrestitution oder durch Geldzahlung ersetzt hat, verneinen. Dies würde bedeuten, dass die Willkür des Bauherrn darüber bestimmt, ob der Unternehmer den Mangel beseitigen oder ob der Architekt regresslos Schadensersatz leisten muss. Diese Gläubigerwillkür soll durch die Gesamtschuldannahme aber gerade vermieden werden. Ein Schutz des Nacherfüllungsrechts des Unternehmers und des Interesses des Architekten, nicht allein die Belastung tragen zu müssen, könnte nur erreicht werden, indem der Bauherr verpflichtet wird, den Architekten erst dann in Anspruch zu nehmen, wenn er zuvor erfolglos Nachbesserung vom Unternehmer verlangt hat479. Leistet der Architekt in dieser Lage, kann er unproblematisch Regress nehmen, weil das Nachbesserungsrecht des Unternehmers nicht mehr besteht. Doch diese Lösung bedeutet sachlich eine Subsidiärhaftung des Architekten, von welcher der Siebte Senat des BGH, mit Billigung durch die Literatur, gerade wegkommen wollte480.
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Ganten, NJW 1970, 691; Knacke, BauR 1985, 271; Diehl, FS Heiermann, 42; Werner/Pastor, Bauprozess, Rz 1974; ausführlich Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 22. 478 BGH NJW 1966, 39, 40 (11.10.1965); BGHZ 46, 242, 246 (8.12.1966); BGHZ 92, 123, 125 (12.7.1984); BGHZ 96, 221, 230 (7.11.1985); Staud/Peters/Jacoby, § 634 Rz 40 ff.; MüKo/Busche, § 634 Rz 8, § 637 Rz 7. Auch die neue Vorschrift des § 326 II hilft dem Besteller nicht weiter, BGH, NJW 2005, 1348, 1350 (VIII, 23.2.2005). 479 So Frotz, VersR 1965, 218; Tempel, JuS 1965, 265; Lumm, Ausgleich, 84 ff.; Soergel/Teichmann, § 635 Rz 66; hierzu Ganten, BauR 1975, 177. 480 BGHZ 43, 227, 231; und der Siebte Senat in BGH, VersR 1960, 738; BGH NJW 1962, 1499; BGHZ 39, 261, 263 f.; BGH VersR 1965, 803; BGH WM 1971, 101, 103; Ruhkopf, VersR 1963, 211; Schmalzl, MDR 1964, 362 f.; ders., Haftung, Rz 238 f.; Selb, NJW 1964, 18; Kaiser, Mängelhaftungsrecht, Rz 327; Ingenstau/Korbion, VOB, § 13 VOB/B Rz 28; Werner/Pastor, Bauprozess, Rz 1966; Staud/Peters/Jacoby, Anh II zu § 638 Rz 50; MüKo/Soergel (1997), § 635 Rz 82; MüKo/ Busche, § 634 Rz 146; Beck’scher VOB-Komm/Zahn, B vor § 13 Rz 111.
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Es fragt sich aber, ob das Selbstbeseitigungsrecht des Unternehmers auch in dieser Dreipersonenkonstellation so rigoros geschützt werden muss. Ein gewöhnlicher Schuldner hat kein Selbsterfüllungsrecht, sondern muss damit rechnen, dass ein Dritter nach § 267 für ihn leistet und dann eine Rückgriffskondiktion gegen ihn geltend macht, so dass der Schuldner zumindest für seine ersparten Aufwendungen in Anspruch genommen werden kann. Die Regel, dass der Bauherr bei unberechtigter Selbstvornahme nicht einmal einen Bereicherungsanspruch hat, bedeutet demgegenüber eine rechtspolitisch motivierte Privilegierung des Werkleistenden. Dieses bei eigenmächtiger Selbstvornahme gewährte Privileg könnte dort seine Grenze finden, wo der Bauherr nicht selbst nachbessert, sondern von seinem Recht Gebrauch macht, den mitverantwortlichen Architekten auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen. Hierfür könnte sprechen, dass den Interessen des Unternehmers berechtigte Interessen des Bauherrn gegenüberstehen und dass die möglichen Mängel zumindest vom Architekten geprüft werden. Will man aber dem Architekten ein Regressrecht gewähren, stellt sich die Frage nach der Berechnung. Die Mängelbeseitigung durch den Unternehmer ist in der Regel wesentlich weniger aufwendig. Geht man davon aus, dass bei interner Alleinbelastung des Unternehmers der Architekt zur Behebung des Mangels 50 000 aufgewendet hat, der Unternehmer selbst den Mangel aber schon für 30 000 hätte selbst beseitigen können, fragt es sich, ob der Architekt 30 000 oder 50 000 verlangen kann. Die Rechtsprechung geht offenbar davon aus, dass Berechnungsgrundlage die Kosten des Architekten sind, da die hypothetische Frage, wie viel der Unternehmer hätte aufwenden müssen, in den Urteilen nicht gestellt wird481. Tatsächlich handelt es sich um ein Sonderproblem der gestörten Gesamtschuld. Der Unternehmer schuldet vertraglich nichts anderes als die eigene Mängelbeseitigung, die ihn 30 000 kostet. Die (höheren) Kosten für eine Mängelbeseitigung durch andere Personen schuldet er gerade nicht, wenn die Voraussetzungen des Selbstvornahmerechts des Bauherrn nicht vorliegen. Dann fragt es sich, mit welcher Rechtfertigung diese vertragliche Leistungsbeschränkung aus den Angeln gehoben werden kann, nur weil neben dem Unternehmer auch der Architekt schuldet. Möglich erscheint es zwar, dem Unternehmer das Recht wegzunehmen, bei der Mängelbeseitigung durch einen anderen gar nichts zahlen zu müssen, weil er hierdurch nur gewöhnlichen Schuldnern gleichgestellt wird. Ein an den Kosten des Architekten orientiertes Regressrecht aber führt zu einer vertraglich nicht vereinbarten Ausweitung der 481 Ebenso offenbar Stamm, Regreßfiguren, 153, der dem regressberechtigten Gesamtschuldner (hier einem anderen Unternehmer) gegen den Nachbesserungsberechtigten einen nach § 426 II übergeleiteten Anspruch des Bauherrn auf Kostenerstattung aus § 633 III a.F. (§ 637 n.F.) geben will, obwohl dessen Tatbestand (Verzug bzw. Fristsetzung) nicht gegeben ist. Nach Stamm soll es sich um eine ausnahmsweise zulässige Eigennachbesserung ohne Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen handeln. Hierfür gibt er aber keine Begründung. Vor allem widerspricht das Ergebnis Stamms Ausgangsthese, dass das Gesamtschuldverhältnis nicht zum Verlust von Einwendungen des Regressschuldners führen dürfe, a.a.O., 51, 70 f. (hierzu oben, 679 ff.).
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Leistungspflicht. Dieser Eingriff in die Vertragsverpflichtungen des Bauunternehmers kann weder durch die Interessen des Architekten noch durch die des Bauherrn gerechtfertigt werden482. Der Schutz des Selbstbeseitigungsrechts des Unternehmers muss nicht zulasten des Architekten gehen. In der Literatur wird vorgeschlagen, zulasten des Bauherrn, der den Architekten auf Schadensersatz belangt, ohne den Unternehmer zur Nachbesserung aufgefordert zu haben, § 254 II 1 anzuwenden483. Eine Anwendung dieser Vorschrift käme im Übrigen auch dann in Betracht, wenn der Architekt Regress auf der Grundlage seiner Kosten nehmen kann, weil eine Nachbesserung durch den Unternehmer in jedem Fall günstiger ist: Kostet die Mängelbeseitigung durch den Unternehmer 30 000 und durch den Architekten 50 000 und sind die internen Anteile der Schuldner gleich, bedeutet eine Inanspruchnahme des Architekten, dass dieser im Ergebnis 25 000 aufwenden müsste (50 000 minus 25 000 Regress), während er bei Inanspruchnahme des Unternehmers im Ergebnis nur mit 15 000 (Regress des Unternehmers) belastet würde484. Für eine Anwendung des § 254 spricht, dass es schwer zu rechtfertigen wäre, die Höhe der Belastung des Architekten und vielleicht auch des Unternehmers davon abhängig zu machen, wen der Bauherr in Anspruch nimmt. Die Vorschrift würde auch nicht im Ergebnis zu einer unerwünschten Subsidiarität der Architektenhaftung führen, weil sie den Schadensersatzanspruch nicht ausschließt, sondern nur der Höhe nach mindert485, und zwar in beiden genannten Beispielsfällen auf 30 000, die Kosten der Nachbesserung durch den Unternehmer. In seinem 1963 ergangenen Urteil, in dem er den Regress noch auf die G.o.A. gestützt hatte, war der Siebte Senat der Ansicht, der Bauherr müsse sich nach §§ 254, 242 dann zuerst an den Unternehmer halten, wenn die Mängelbeseitigung durch diesen wesentlich günstiger erfolgen könne486. In einem 1971 ergangenen Urteil hat er sogar eine Berufung des Unternehmers auf § 254 II in einem Fall zugelassen, in dem der Architekt dem Bauherrn ein detailliertes Angebot zur günstigen Mängelbeseitigung unterbreitet hatte. Obwohl der Architekt weder ein Mängelbeseitigungsrecht noch eine entsprechende Pflicht hat, hielt der Senat den Tatbestand des § 254 II für gegeben, falls dem Bauherrn die Annahme des günstigen Beseitigungsangebots zumutbar war487. Erst recht müsste dieser Gedanke für eine günstige Nachbesserung durch den hierzu verpflichteten Unternehmer gelten. Doch in der Regel gewährt der BGH den Schadensersatzan482
Im Ergebnis ebenso Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 236; Kuß, VOB, § 13 VOB/B
Rz 20. 483 Ganten, NJW 1970, 691; Soergel/Mertens, § 254 Rz 81; Weise, BauR 1992, 692; Diehl, FS Heiermann, 42; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 237 ff.; für den Fall der Ablehnung einer vom Unternehmer angebotenen Nachbesserung auch Kleine-Möller/Merl, Baurecht, Rz 12/1005. 484 Beispiel nach Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 237 f. 485 Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 238 ff. 486 BGHZ 39, 261, 265 f. 487 BGH WM 1971, 1372, 1373 f. (12.7.1971).
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spruch gegen den Architekten ohne Beschränkungen und hat in einem 2000 ergangenen Urteil ausdrücklich bekräftigt, dass der Architekt sich nicht auf § 254 II berufen kann, wenn der Bauherr von ihm Schadensersatz verlangt, ohne gegen den Unternehmer einen Nachbesserungsanspruch geltend gemacht zu haben488. Dies erscheint zumindest dann unrichtig, wenn die Nachbesserung durch den Unternehmer geringere Kosten verursacht als die durch den Architekten. Offenbar will der Senat das durch die Gesamtschuldkonstruktion gebotene Wahlrecht des Gläubigers nicht einschränken. Im Ergebnis führt der Ausschluss des § 254 aber dazu, dass es von der Willkür des Gläubigers abhängt, in welcher Höhe die Gesamtschuldner belastet werden, ein Ergebnis, das durch die Einführung des Gesamtschuldregresses gerade vermieden werden sollte. Es ist auch nicht ersichtlich, warum es dem Bauherrn nicht zumutbar sein sollte, vor Inanspruchnahme des Architekten dem Bauunternehmer eine Nachbesserungsfrist zu setzen. Im Ergebnis kann dem Unternehmer also durch die Mitschuldnerstellung des Architekten sein gegenüber dem Bauherrn bestehendes Recht, bei einer Nachbesserung durch einen anderen gar keinem Anspruch ausgesetzt zu sein, genommen werden. Es verbleibt ihm aber das jedem Vertragsschuldner zustehende Recht, nur das zu schulden, was vertraglich vereinbart ist, und bei Vornahme durch einen anderen nur die ersparten Kosten zu schulden. Sofern also die Nachbesserung durch den Unternehmer geringere Kosten verursacht als die durch den Architekten oder Bauherrn, kann der vom Bauherrn in Anspruch genommene Architekt Regress höchstens in Höhe der Kosten nehmen, die der Unternehmer hätte aufwenden müssen. Nimmt der Bauherr den Architekten auf Schadensersatz in Anspruch, ohne von seinem Nachbesserungsrecht gegenüber dem Unternehmer Gebrauch zu machen, obwohl die Nachbesserung durch den Unternehmer günstiger wäre und dem Bauherrn zumutbar ist, wird sein Schadensersatzanspruch nach § 254 II 1 gemindert. (4) Mängelbeseitigungsrechte gegen Vor- und Nachunternehmer Während die Gesamtschuldlösung zwischen Architekten und nachbesserungspflichtigem Unternehmer seit Ende der 60er Jahre anerkannt war, herrschte große Unsicherheit in Fallgestaltungen, in denen der Bauherr wegen Baumängeln Nachbesserungsansprüche gegen mehrere Bauunternehmer haben konnte. In Literatur und Rechtsprechung konkurrierten ganz unterschiedliche Lösungen, seien es unabhängige Verpflichtungen zu verschiedenen Teilleistungen489, sei es eine mehrfache Ganzhaftung mit Regresslosigkeit490 oder mit Geschäfts488
BGH NJW-RR 2001, 380 = NZBau 2001, 195 (21.12.2000). Vgl. Ganten, NJW 1970, 690 f.; Werner/Pastor, Bauprozess, Rz 1528; Ehmann, JZ 2004, 253; OLG München, NJW-RR 1988, 20 (3.7.1987); OLG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 527 (12.12.1997), NZBau 2000, 331 (12.11.1999). 490 Kaiser, BauR 1981, 316 f.; ders., Mängelhaftungsrecht, Rz 54 l; MüKo/Busche, § 634 Rz 131. 489
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führungs491-, Bereicherungs492-, Zessions493- oder Gesamtschuldregress494, bis der BGH sich 2003 für die Gesamtschuldlösung entschied495. Diese auf den ersten Blick erstaunliche Unsicherheit ging auch darauf zurück, dass die baurechtliche Literatur mit der Gesamtschulddiskussion wenig vertraut war und die Gesamtschuldliteratur die Besonderheiten der baurechtlichen Fallgestaltungen nicht immer zur Kenntnis nahm. Die häufig anzutreffende These, zwischen den gewährleistungspflichtigen Vor- und Nachunternehmern bestehe kein Gesamtschuldverhältnis496, war wenig weiterführend, weil sie weder die genaue Fallgestaltung nannte noch stets angab, was anstelle der Gesamtschuldlösung gelten sollte. Voraussetzung einer gesamtschuldnerischen Haftung von Vor- und Nachunternehmer ist zunächst einmal, dass beide gegenüber dem Bauherrn gewährleistungspflichtig sind. Ob dies zutrifft, ist keine Gesamtschuld-, sondern eine baurechtliche Frage. Ausgangsfall soll hier die Konstellation sein, dass der Vorunternehmer den Estrich legt und der Nachunternehmer anschließend auf diesem Estrich Fliesen verlegt. Nach der Abnahme zeigen sich Mängel, etwa Sprünge in den Fliesen. Dieser Fall ist nicht nur für baurechtliche Laien verständlich, sondern war auch häufig Gegenstand der Rechtsprechung. War das Werk des Estrichlegers in Ordnung und resultieren die Sprünge an den Fliesen allein daraus, dass der Fliesenleger unsorgfältig arbeitete, ist selbstverständlich nur der Fliesenleger gewährleistungspflichtig. Schwieriger ist es, wenn die Sprünge in den Fliesen darauf zurückgehen, dass der Estrich mangelhaft gelegt wurde. Auf den ersten Blick könnte man annehmen, dass der Fliesenleger wegen Sprüngen in den von ihm verlegten Fliesen stets gewährleistungspflichtig ist, weil die werkvertragliche Mängelhaftung kein Vertretenmüssen verlangt497. Diese Annahme wäre aber unzutreffend. 491 OLG Hamm, NJW-RR 1991, 730 (9.11.1990), NJW-RR 1992, 849 (10.1.1992); Ingenstau/ Korbion, VOB, § 4 VOB/B Rz 244; MüKo/Busche, § 634 Rz 91. 492 Ingenstau/Korbion, § 4 VOB/B Rz 244; Siegburg, Gewährleistung, Rz 1581. 493 Diehl, FS Heiermann (1995), 47; Ingenstau/Korbion, § 4 VOB/B Rz 244; Locher, Baurecht, Rz 102; Siegburg, Gewährleistung, Rz 1534, 1577. 494 Staud/Peters/Jacoby (2008), § 633 Rz 78, § 634 Rz 16 (ebenso schon Staud/Peters [1994], § 633 Rz 114); MüKo/Soergel (1997), § 633 Rz 95, § 635 Rz 90 f.; Brügmann, BauR 1976, 387 f.; Ganten, BauR 1978, 188; Weise, BauR 1992, 690; Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, § 4 VOB/B Rz 63; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 65 ff.; Siegburg, Gewährleistung, Rz 1503 ff., 1576; Kleine-Möller/Merl, Baurecht (1997), Rz 12/812; Stamm, Regreßfiguren, 151 ff.; Erman/Ehmann, § 421 Rz 21; MüKo/Busche, § 634 Rz 131; Kuhlmann, Rückgriffsgrundlagen, 138; OLG Hamm, NJW-RR 1996, 273 (30.3.1995). 495 BGHZ 155, 265 (26.6.2003) = NJW 2003, 2980 m. Anm. Stamm (S. 2940) = JZ 2004, 248 m. Anm. Ehmann. 496 Kaiser, Mängelhaftungsrecht, Rz 54 k; Schmalzl, Haftung, Rz 236; Diehl, FS Heiermann, 43; Ingenstau/Korbion, § 4 VOB/B Rz 244; Locher, Baurecht, Rz 102; Werner/Pastor, Bauprozess, Rz 1527, 1969 f.; Zerr, NZBau 2002, 242; MüKo/Busche, § 631 Rz 40, § 634 Rz 91, § 634 Rz 130; vgl. auch Ganten, NJW 1970, 691; MüKo/Soergel (1997), § 635 Rz 90; OLG München, NJW-RR 1988, 20 (3.7.1987); OLG Hamm, NJW-RR 1991, 730 (9.11.1990), NJW-RR 1992, 849, 850 (10.1.1992); OLG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 527, 528 (12.12.1997), NZBau 2000, 331 (12.11.1999). 497 So Ehmann, JZ 2004, 253.
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Nach Werkvertragsrecht haftet der Unternehmer nicht für Mängel, die nicht in seinen Verantwortungsbereich fallen, sondern dem Verantwortungsbereich des Bauherrn zuzuordnen sind498. Beruhen die Sprünge der Fliesen allein auf der mangelhaften Vorleistung des Estrichlegers, dann haftet der Fliesenleger nur dann, wenn er den Mangel am Estrich erkennen konnte. Eine ausdrückliche Regelung findet sich in der VOB/B, die in § 4 Nr. 3 eine Hinweispflicht des Nachunternehmers auf Mängel der Vorleistung vorsieht und in § 13 Nr. 3 anordnet, dass der Nachunternehmer wegen Mängeln des Gesamtwerks, die auf eine fehlerhafte Leistung des Vorunternehmers zurückgehen, nur dann haftet, wenn er seine Hinweispflicht verletzt hat499. Dasselbe gilt nach der Rechtsprechung auch für das Recht des BGB. Ein sorgfaltswidrig nicht erkannter Mangel am Werk des Vorunternehmers oder eine unterlassene Benachrichtigung des Bauherrn führen dazu, dass das Werk des Nachunternehmers selbst mangelhaft wird und dieser nach den §§ 633 ff. haftet. War aber der Mangel der Vorleistung für den Nachunternehmer nicht erkennbar und wies auch seine eigene Leistung keinen Fehler auf, dann ist er nicht gewährleistungspflichtig, selbst wenn das von ihm mitgeschaffene Produkt Fehler aufweist500. Insoweit ist es selbstverständlich, dass Vor- und Nachunternehmer nicht für jeden Mangel am Gesamtwerk solidarisch haften501. Weisen die auf dem Estrich gelegten Fliesen Sprünge auf, sind Vor- und Nachunternehmer dann beide gewährleistungspflichtig, wenn der Fehler entweder darauf zurückgeht, dass beide in ihrem Bereich mangelhaft arbeiteten, oder darauf, dass die Leistung des Estrichlegers mangelhaft war und der Fliesenleger dies hätte erkennen können502. 498
Staud/Peters/Jacoby, § 633 Rz 167, 193, § 634 Rz 16; MüKo/Soergel (1997), § 633 Rz 56; MüKo/Busche, § 634 Rz 79. 499 In der seit 2002 geltenden Fassung von § 13 Nr. 5 VOB/B ist die Beweislast umgedreht: Der Nachunternehmer haftet, es sei denn, er habe seine Hinweispflicht beachtet. 500 BGHZ 95, 128, 133 (27.6.1985); BGH NJW 1987, 643 (23.10.1986); BGH NZBau 2001, 495 (7.6.2001); OLG München, NJW-RR 1987, 854 (20.2.1987), NJW-RR 1988, 20 (3.7.1987); OLG Düsseldorf, NJW-RR 1993, 405 (13.11.1992), NJW-RR 1999, 1543 (29.6.1999); OLG Hamm, NJW-RR 1996, 273 (30.3.1995), NZBau 2001, 502 (13.12.2000); OLG Karlsruhe, NJW-RR 2003, 963 (28.10.2002); Soergel/Teichmann, vor § 633 Rz 31; MüKo/Soergel (1997), § 633 Rz 57 f., 74– 76, 79, 83; MüKo/Busche, § 634 Rz 80; Staud/Peters/Jacoby, § 633 Rz 64, 194; Schmalzl, Haftung, Rz 134; Ingenstau/Korbion, § 13 VOB/B Rz 179; Werner/Pastor, Bauprozess, Rz 1526; KleineMöller/Merl, Baurecht, § 12 Rz 116 f., 126 ff., 321 ff. Beispielsfall für eine fehlende Haftung: OLG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 20 (15.4.1997). Der Grundsatz gilt trotz der Gefahrtragung des Unternehmers nach § 644 offenbar selbst für Mängel, die sich schon vor der Abnahme zeigen, so etwa Kleine-Möller/Merl, Baurecht, Rz 12/ 117; Werner/Pastor, Bauprozess, Rz 1550; Kaiser, Mängelhaftungsrecht, Rz 20, 48; Ingenstau/Korbion, § 4 VOB/B, Rz 342 f.; Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, § 4 VOB/B Rz 82; Siegburg, Gewährleistung, Rz 1461. 501 So auch BGH, BauR 1975, 130, 131 (16.5.1974). 502 Denkbar ist auch, dass beide Leistungen für sich genommen in Ordnung waren und die Sprünge deshalb entstehen, weil die Art des Estrichs und die Art der Fliesen nicht zusammenpassen. Hier kommt es darauf an, welche Pflichten die Unternehmer im Einzelnen treffen. Während der Nachunternehmer sich grundsätzlich über die Beschaffenheit der Vorleistung informieren muss, trifft den Vorunternehmer keine Erkundigungspflicht darüber, welche Materialien der Nach-
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Soweit die Unternehmer danach gewährleistungspflichtig sind, stellt sich wie bei der Haftung von Architekt und Bauunternehmer die Frage nach einem Mitverschulden des Bauherrn. Geht der Mangel am Gesamtwerk auch auf eine unzureichende Koordinierung beider Werkleistungen durch den Architekten zurück, muss sich der Bauherr, den eine Planungs- und Koordinierungspflicht trifft, nach §§ 254, 278 das Verschulden seines Architekten anrechnen lassen503. Darüber hinaus stellt sich aber die Frage, ob sich der Nachunternehmer auch auf die mangelhafte Leistung des Vorunternehmers als solche berufen kann. Verletzt der Bauherr eine Pflicht oder Obliegenheit nach § 254, wenn er dem Nachunternehmer eine fehlerhafte Vorleistung zur Verfügung stellt? Im Urteil BGHZ 95, 128 verneinte der Siebte Senat diese Frage. Im Fall ging es allerdings nicht um die Haftung für einen Werkmangel. Vielmehr hatte die Schlechtleistung des Vorunternehmers dazu geführt, dass der Nachunternehmer seine Arbeit erst mit erheblicher Verzögerung aufnehmen konnte und dadurch einen Schaden erlitt, dessen Ersatz er vom Bauherrn verlangte. Der Senat betonte, dass der Bauherr gegenüber dem Nachunternehmer zwar zur Planung und Koordinierung verpflichtet sei, nicht aber zur Erbringung der Vorleistung selbst. Der Vorunternehmer könne daher nicht als Erfüllungsgehilfe des Bauherrn gegenüber dem Nachunternehmer angesehen werden504. Das vom BGH erzielte Ergebnis, dass der Nachunternehmer wegen der allein vom Vorunternehmer zu verantwortenden Verzögerung keinerlei Anspruch gegen den Bauherrn hatte, erschien aber unbillig505. Das OLG Düsseldorf verweigerte dem BGH in einem 1999 ergangenen Urteil daher die Gefolgschaft und nahm an, dass nicht nur der Architekt, sondern auch der Vorunternehmer als Erfüllungsgehilfe des Bauherrn angesehen werden müsse506. Gehe ein vom Nachunternehmer mit zu verantwortender Baumangel auch auf eine Pflichtverletzung des Vorunternehmers zurück, müsse der Gewährleistungsanspruch des Bauherrn gegenüber dem Nachunternehmer daher nach §§ 254, 278 gekürzt werden. Dieser sei für seine Leistung auf eine ordnungsgemäße Vorleistung angewiesen, habe auf den Vorunternehmer aber selbst keinen Einfluss. Nur der Bauherr selbst könne auf den Vorunternehmer einwirken und müsse sich daher dessen Schlechtleistung zurechnen lassen.
503 unternehmer im Einzelnen verwenden will. Er muss aber sein Werk so gestalten, dass eine im Bauplan vorgesehene Aufbauleistung grundsätzlich möglich ist, BGH WM 1970, 354, 355 (15.12.1969). Sprechen Vor- und Nachunternehmer sich ab, haftet der Vorunternehmer nicht, wenn der Nachunternehmer eigenmächtig von der Abrede abweicht, OLG Frankfurt/M., NJW-RR 1995, 1488 (20.9.1995). 503 BGH WM 1970, 354, 356 (15.12.1969); OLG Düsseldorf, NJW-RR 1999, 1543, 1544 (29.6.1999); Staud/Peters/Jacoby, § 634 Rz 16; MüKo/Soergel (1997), § 633 Rz 75; Kleine-Möller/ Merl, Baurecht, Rz 12/130. Nach Ansicht des OLG Düsseldorf, NZBau 2002, 331 (12.11.1999), kann sich der Nachunternehmer aber dann nicht auf § 254 berufen, wenn er die Vorleistung überhaupt nicht geprüft hat. 504 BGHZ 95, 128 (27.6.1985); hierzu Stamm, Regreßfiguren, 119 ff. 505 Hierzu ausführlich Stamm, Regreßfiguren, 122 ff. m.w.N. 506 OLG Düsseldorf, NJW-RR 1999, 1543, 1544 f. (29.6.1999).
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Doch das Problem der Entscheidung BGHZ 95, 128 war nicht, dass der Senat dem Vorunternehmer die Eigenschaft als Erfüllungsgehilfe abgesprochen hatte. Um dem durch die Verzögerung geschädigten Nachunternehmer zu helfen, musste man nicht eine vertragliche Pflicht des Bauherrn zur mangelfreien Vorleistung annehmen. Vielmehr lag, wenn der Nachunternehmer zum vereinbarten Termin seine Arbeit wegen einer Bauverzögerung nicht aufnehmen konnte, der Tatbestand des § 642 als Sonderregel des Annahmeverzugs vor507. Dem Nachunternehmer hätte daher ein Anspruch auf eine verschuldensunabhängige Entschädigung i.S.d. § 642 zugesprochen werden müssen. Ein Anspruch auf den Ersatz seines gesamten Schadens wegen der Verzögerung wäre dagegen genauso unbegründet wie in sonstigen Fällen, in denen ein Schuldner wegen eines von einem Dritten verschuldeten Gläubigerverzugs nicht leisten kann508. Entsprechendes gilt auch im Sachverhalt des vom OLG Düsseldorf entschiedenen Falls. Der Nachunternehmer muss die Vorleistung prüfen. Erkennt er Mängel, muss er den Bauherrn benachrichtigen, so dass dieser Gewährleistungsrechte gegen den Vorunternehmer geltend macht oder den Mangel der Vorleistung selbst behebt. Soweit der Nachunternehmer durch die damit verbundene Verzögerung einen Schaden erleidet, schützt das Gesetz seine Interessen durch § 642. Der Fehler des Urteils BGHZ 95, 128 war also, dass der Senat auch einen Anspruch des Nachunternehmers aus § 642 abgelehnt hatte. Seine Begründung, dass die Herstellung der Vorleistung nicht in den Verantwortungsbereich des Bauherrn falle, dieser vielmehr nur zur Beauftragung eines qualifizierten Vorunternehmers verpflichtet sei509, widerspricht der Grundregel, dass ein Gläubiger, der das zu bearbeitende Leistungsobjekt nicht zur Verfügung stellt, sich auch ohne besondere Verantwortlichkeit im Annahmeverzug befindet. Im Urteil BGHZ 143, 32 hat der Siebte Senat diesen Fehler korrigiert und angenommen, dass die nicht rechtzeitige Zurverfügungstellung des Baugrundstücks eine Obliegenheitsverletzung durch den Bauherrn darstellt, die einen Anspruch aus § 642 begründen könne510. Eine echte Verpflichtung des Bauherrn zur Erbringung der Vorleistung bestehe dagegen mangels besonderer Abrede nicht. Es bleibe daher dabei, dass der Vorunternehmer nicht als Erfüllungsgehilfe des Bauherrn gegenüber dem Nachunternehmer angesehen werden könne. Dies gilt nach der Rechtsprechung des BGH nicht nur für Ansprüche wegen einer Bauverzögerung, sondern auch im Rahmen des Gewährleistungsanspruchs gegen den Nachunternehmer. Der Bauherr ist gegenüber diesem weder zur eigenen Erbringung der Vorleistung noch zur Beaufsichtigung des Vorunternehmers verpflichtet, so dass der Nach-
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So zu Recht Stamm, Regreßfiguren, 127 ff. Ebenso Stamm, Regreßfiguren, 142 ff. 509 BGHZ 95, 128, 134. 510 BGHZ 143, 32, 39 ff. (21.10.1999). Der Senat stellte klar, dass § 642 auch dann gilt, wenn die Parteien die Geltung der VOB/B vereinbaren, die einen solchen Anspruch nicht enthielt, hierzu Stamm, Regreßfiguren, 281 ff. m.w.N.; Kuß, VOB, § 10 VOB/B Rz 49 ff. Inzwischen wird der Anspruch aus § 642 in § 6 Nr. 6 VOB/B ausdrücklich erwähnt. 508
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unternehmer sich wegen der Schlechtleistung des Vorunternehmers nicht auf § 254 berufen kann511. Steht nach alldem fest, dass für einen Mangel im Gesamtwerk sowohl Vor- als auch Nachunternehmer gewährleistungspflichtig sind, stellt sich die Frage nach der gesamtschuldnerischen Verknüpfung ihrer Verbindlichkeiten. Auf den ersten Blick fragt es sich, inwieweit sich diese Fälle überhaupt von den zuvor erörterten der Haftung von Bauunternehmer und Architekt unterscheiden. Das OLG Stettin hatte schon 1906 ohne weiteres eine Gesamtschuld in einem Fall angenommen, in dem der Bauherr einen Schaden erlitten hatte, dessen Ersatz er sowohl vom Vor- als auch vom Nachunternehmer verlangen konnte512. Tatsächlich müsste die gesamtschuldnerische Schadensersatzhaftung mehrerer Bauunternehmer spätestens ab der Entscheidung BGHZ 43, 227 in der Rechtsprechung selbstverständlich sein513. Doch in den hier erörterten Fallgestaltungen geht es nicht um einen Schaden, den beide Unternehmer in zu vertretender Weise mitverursacht haben und dessen Ersatz sie daher nach §§ 634 Nr. 4, 280 schulden. Vielmehr schuldet jeder Unternehmer nur Nacherfüllung nach §§ 634 Nr. 1, 635 (§ 633 a.F.), und zwar die Nachbesserung seiner eigenen Werkleistung. Demnach erscheint es, als ob hier nicht Gesamtschulden, sondern unabhängige kumulierte Verpflichtungen vorliegen: Der Estrichleger schuldet einen neuen Estrich, und der Fliesenleger schuldet die Neuverlegung der Fliesen514. Es ist offenbar dieser Umstand, der die baurechtliche Literatur zu der Annahme bewegt, dass es sich bei den Gewährleistungspflichten von Vor- und Nachunternehmer nicht um Gesamtschulden handle, weil die Unternehmer aufgrund unterschiedlicher Verträge verschiedene Leistungen schuldeten515. Auf die unterschiedlichen Verträge und die unterschiedlichen Primärleistungspflichten kann es zwar nach BGHZ 43, 227 nicht mehr ankommen. Doch in den Architektenfällen betrafen die konkreten Verpflichtungen, um deren gesamtschuldnerische Verknüpfung es ging, nämlich Mängelbeseitigung einerseits und Schadensersatz andererseits, dasselbe Leistungsinteresse des Gläubigers, der, hatte der Unternehmer den Mangel beseitigt, vom Architekten keinen Schadensersatz mehr verlangen konnte und umgekehrt. Nimmt man hier dagegen an, dass ein Schuld511
BGHZ 95, 128, 131; BGHZ 143, 32, 37 f.; BGH NJW-RR 2002, 1175 (18.4.2002); OLG Hamm, NJW-RR 1998, 163 (12.6.1997); Soergel/Teichmann, vor § 633 Rz 31; MüKo/Soergel (1997), § 633 Rz 75, 83 f.; MüKo/Busche, § 631 Rz 42, § 634 Rz 80, 133; Kaiser, Mängelhaftungsrecht, Rz 145; Weise, BauR 1992, 686 f.; Stamm, Regreßfiguren, 262 ff.; Kleine-Möller/Merl, Baurecht, Rz 12/130; teilweise abweichend Siegburg, Gewährleistung, Rz 1490 ff. 512 OLG Stettin, Recht 1906, Nr. 1758 (1.6.1906). 513 Nur auf solche Konstellationen bezieht sich die Gesamtschuldlösung bei Brügmann, BauR 1976, 387 f. 514 So offenbar Ehmann, JZ 2004, 253. 515 Kaiser, BauR 1981, 316 f.; ders., Mängelhaftungsrecht, Rz 54 k; Schmalzl, Haftung, Rz 236; Diehl, FS Heiermann, 38 ff., 43, 47; Ingenstau/Korbion, VOB, § 4 VOB/B Rz 244; Locher, Baurecht, Rz 102; Werner/Pastor, Bauprozess, Rz 1527 f., 1969 f.; Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, § 4 VOB/B Rz 63; Zerr, NZBau 2002, 242; Kuß, VOB, § 10 VOB/B Rz 17; Volze, DS 2005, 128; MüKo/Busche, § 631 Rz 40, § 634 Rz 91, § 634 Rz 130; vgl. MüKo/Soergel (1997), § 635 Rz 90.
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
ner die Neuanfertigung des Estrichs, der andere die Neuverlegung der Fliesen schuldet, dann geht es um unterschiedliche Leistungsinteressen des Gläubigers und damit um kumulierte Verbindlichkeiten. Doch die Annahme, dass jeder Unternehmer im Rahmen des Nachbesserungsanspruchs nur eine erneute Erbringung seiner eigenen Werkleistung schuldet, trifft nicht immer zu. Nach der Rechtsprechung bezieht sich die Nachbesserungspflicht eines Werkunternehmers auch auf die zur Nachbesserung erforderlichen Vor- und Nacharbeiten516. Hat etwa ein Unternehmer ein in die Wand eingebautes Rohr falsch verlegt, so darf er nicht vom Bauherrn erwarten, dass dieser die Wand aufbricht und nach der Neuverlegung des Rohrs wieder zumauert. Vielmehr ist das Aufbrechen und Zumauern Sache des Rohrverlegers, auch wenn seine ursprüngliche Primärleistungspflicht die Vermauerung gar nicht umfasst hatte. Entsprechendes gilt im Beispiel des Estrich- und Fliesenlegers. Ist das Werk des Fliesenlegers mangelhaft, kann dieser sich im Rahmen der Nachbesserung häufig darauf beschränken, die Fliesen abzunehmen und neu zu verlegen. Der Estrichleger dagegen kann sein Werk nicht nachbessern, ohne die Fliesen herauszureißen. Nach der Rechtsprechung des BGH umfasst der Nachbesserungsanspruch gegen den Estrichleger daher auch das Herausreißen und Neuverlegen der Fliesen. Dies ist aber eine Arbeit, die auch der nachbesserungspflichtige Fliesenleger schuldet. Ob sich die Nachbesserungsansprüche gegen Vor- und Nachunternehmer inhaltlich überschneiden, richtet sich nach der tatsächlichen Gestaltung des Sachverhalts. In einem vom OLG München 1987 entschiedenen Fall waren sowohl der Estrich mangelhaft aufgebracht als auch die Fliesen darauf mangelhaft verlegt517. Der Estrichleger war insolvent. Der Bauherr nahm den Fliesenleger auf Nachbesserung in Anspruch. Nach Ansicht des Gerichts umfasste der Nachbesserungsanspruch gegen den Fliesenleger lediglich die Erneuerung der Fliesen, nicht die Neuverlegung des Estrichs. Zwischen Estrich- und Fliesenleger bestehe insoweit keine Gesamtschuld. Dies ist im Ergebnis richtig, sofern eine Neuverlegung der Fliesen tatsächlich ohne Beschädigung des Estrichs möglich war518. Die Argumentation des Gerichts, es habe sich um unterschiedliche Aufträge gehandelt und jeder schulde nur die Beseitigung der Mängel an seiner eigenen Werkleistung, war allerdings missverständlich. Selbstverständlich ist ein Unternehmer im Rahmen seiner Mängelbeseitigung nicht zugleich zur Beseitigung aller Mängel an verbundenen Werkleistungen verpflichtet, doch aufgrund der tatsächlichen Fallgestaltung kann die Nachbesserung eigener Mängel auch verbundene Werkleistungen betreffen. Wäre der Fliesenleger insolvent und Estrichleger 516 BGHZ 96, 221, 224 f. (7.11.1985) m.w.N.; BGH NZBau 2001, 495 (7.6.2001); OLG Hamm, NJW-RR 1991, 730 (9.11.1990), NJW-RR 1992, 849 (10.1.1992), NJW-RR 1996, 273, 274 (30.3.1995), NJW-RR 1998, 163 (12.6.1997); Staud/Peters/Jacoby, § 634 Rz 27, 34; MüKo/Busche, § 635 Rz 12, 14; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 61; Kleine-Möller/Merl, Baurecht, Rz 12/ 327 ff. 517 OLG München, NJW-RR 1988, 20 (3.7.1987). 518 Ebenso Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 61.
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auf Mängelbeseitigung in Anspruch genommen worden, würde er nach der Rechtsprechung des BGH auch die Neuverlegung der Fliesen schulden, weil er anders sein eigenes mangelhaftes Werk nicht nachbessern kann. Ein solcher Anspruch war aber nicht Gegenstand der Entscheidung. Zu Unrecht wird sie daher für die These, gewährleistungspflichtige Vor- und Nachunternehmer seien keine Gesamtschuldner, in Anspruch genommen519. Das Ergebnis, dass der Fliesenleger nur die Neuverlegung der Fliesen, der Estrichleger dagegen die Neuverlegung sowohl des Estrichs als auch der Fliesen schuldet, könnte auf den ersten Blick damit erklärt werden, dass der Mangel am Estrich zugleich zu einem Mangel am Werk des Fliesenlegers führt, während der Fliesenleger lediglich den Mangel seiner eigenen Werkleistung verursacht hat, weil der Mangel am Estrich schon zuvor bestand520. Doch darauf kommt es nicht an. Entscheidend ist nicht, ob ein Unternehmer einen Mangel am Werk des anderen verursacht hat, sondern ob die von ihm geschuldete Nachbesserung aus rein tatsächlichen Gründen auch ein Tätigwerden am Werk des anderen erfordert. Hat ein Unternehmer durch einen Mangel an seiner Werkleistung zugleich einen Mangel an einer von einem anderen erbrachten Nachbarwerkleistung verursacht, kann er aber den Mangel an seinem Werk beheben, ohne auf die Nachbarwerkleistung einzuwirken, dann schuldet er im Rahmen seiner Nachbesserungspflicht auch nur die Nachbesserung seines eigenen Werks. Für den Mangel am Nachbarwerk kann er nur im Rahmen einer Schadensersatzverbindlichkeit in Anspruch genommen werden, die aber ein Vertretenmüssen verlangt521. Dies kann am folgenden Beispiel illustriert werden. Der Bauherr G beauftragt den Unternehmer U1 mit der Errichtung der linken Hälfte seiner Terrasse und den Unternehmer U2 mit der rechten. Vereinbart wird zum einen eine bestimmte Terrassenhöhe, zum anderen, dass zuerst U1 seinen Teil verlegen soll und dann U2 die von ihm geschuldete Leistung an die des U1 passend anschließen soll. U1 errichtet seine Hälfte vereinbarungswidrig auf falscher Höhe. U2 übersieht dies pflichtwidrig und schließt seinen Teil in derselben Höhe an. Nimmt man an, dass jeder Terrassenteil ohne Beeinträchtigung des jeweils anderen eigenständig verlegt werden kann, dann schuldet jeder Unternehmer nur die Nachbesserung sei519 So Stamm, Regreßfiguren, 160 ff.; MüKo/Busche, § 634 Rz 91; OLG Düsseldorf, NZBau 2000, 331 (12.11.1999); BGHZ 155, 265, 268 (26.6.2003). 520 Vgl. Brügmann, BauR 1976, 388; und Siegburg, Gewährleistung, Rz 1504, 1507 f., der eine Gewährleistungspflicht wegen Mitverursachung des Mangels am fremden Werk annimmt, weil der Unternehmer in der Regel zugleich schadensersatzpflichtig sei. Im Fall des OLG München sei der Fliesenleger auch für den Estrich gewährleistungspflichtig. Hätte er nämlich den Bauherrn vom Mangel beim Estrich in Kenntnis gesetzt, hätte dieser noch den Estrichleger in Anspruch nehmen können, was nun wegen dessen Insolvenz nicht mehr möglich war. Diese Erwägung vermischt m.E. unzulässig Schadensersatzansprüche wegen Nebenpflichtverletzung (unterlassener Hinweis, der zu Insolvenzausfall führt), Schadensersatzansprüche wegen Mitverursachung eines Mangels am fremden Werk und verschuldensunabhängige Nachbesserungsansprüche, die sich nur auf die eigene Werkleistung beziehen. 521 BGHZ 96, 221, 225 ff. (7.11.1985); Kleine-Möller/Merl, Baurecht, Rz 12/336.
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
ner eigenen Hälfte. Dass U1 den Mangel an der Leistung des U2 mitverursacht hat, führt nicht zu einer Erweiterung seiner Nachbesserungspflicht, sondern kann nur einen Schadensersatzanspruch begründen, der aber nicht besteht, wenn U1 den Mangel an seinem Werk aus irgendeinem Grund nicht zu vertreten hat. Umgekehrt bedeutet dies im Fall des Estrichlegers, dass er im Rahmen seiner Nachbesserungspflicht auch dann die Fliesen neu verlegen muss, wenn diese einen Mangel aufweisen, der mit seiner Werkleistung nichts zu tun hat, etwa wenn der Fliesenleger falsche Fliesen verwendet hatte. Auch der Fliesenleger kann zur Neuverlegung des Estrichs verpflichtet sein, unabhängig von der Mängelursache, nämlich dann, wenn das Abschlagen der Fliesen nicht ohne eine Beschädigung des Estrichs möglich ist522. Die Entscheidung über den Umfang der Nachbesserungsansprüche gegen Vor- und Nachunternehmer hängt also allein von der rein tatsächlichen Frage ab, ob das eigene Werk ohne Berührung des anderen Werks nachgebessert werden kann. Ob dies im Einzelfall zutrifft, geht aus den Tatbeständen der veröffentlichten Entscheidungen nicht immer klar hervor. Seitens des OLG Hamm gibt es eine Reihe von Urteilen, die eine Überschneidung der Nachbesserungspflichten von Vor- und Nachunternehmer bejahen523. Das OLG Düsseldorf ist dagegen mehrmals davon ausgegangen, dass jeder Unternehmer nur die Nachbesserung an seiner eigenen Werkleistung schuldet und mangels Überschneidungen dieser Pflichten eine Gesamtschuld nicht in Frage komme524. Ob dies immer der BGH-Rechtsprechung entspricht, ist zweifelhaft und im Einzelfall schwer zu beurteilen525. Besonders eindeutig Stellung bezogen hat der Siebte Senat in der Gesamtschuld-Entscheidung BGHZ 155, 265. U1 hatte die Rohbauarbeiten, U2 die anschließenden Putzarbeiten übernommen. Nach der Abnahme zeigten sich Risse im Putz, die, soweit aus dem Sachverhalt ersichtlich, teilweise auf die fehlerhafte Leistung des U1, teilweise auf die fehlerhafte Arbeit von U2 und teilweise auf die Fehler beider Unternehmer zurückgingen. Die Beseitigung eines einzelnen Ris522
So ausdrücklich BGH NZBau 2001, 495 f. (7.6.2001). OLG Hamm, NJW-RR 1991, 730 (9.11.1990); NJW-RR 1992, 849 (10.1.1992); NJW-RR 1996, 273 (30.3.1995). Zu diesen Urteilen Näheres unten im Text. 524 Vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 527 (12.12.1997), NZBau 2000, 331 (12.11.1999). 525 In OLG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 527 (12.12.1997), verfüllte U1 einen Hohlraum mangelhaft, darüber legte U2 eine mangelhafte Pflasterung. Da beide Unternehmer die Nachbesserung verweigerten, beauftragte der Bauherr den Dritten X, der den Hohlraum ordnungsgemäß verfüllte, aber die Pflasterung wieder falsch verlegte. Das OLG entschied zu Recht, dass die Kosten der Verfüllung nur U1 zur Last fielen. Doch sein weiteres Ergebnis, dass U1 die Kosten der Pflasterung durch X nicht schuldete, ist zweifelhaft. Geht man davon aus, dass der Hohlraum nur neu verfüllt werden konnte, wenn das Pflaster aufgerissen wird, dann schuldet U1 im Rahmen der Mängelbeseitigung auch die Neupflasterung. Die Erwägung des Gerichts, dass die Neupflasterung fehlerhaft war und ein Gläubiger für eine fehlgeschlagene Nachbesserung nichts verlangen kann, berücksichtigt nicht, dass U1 nicht die Nachbesserung der Pflasterung schuldete, sondern diese nur zur Nachbesserung seines Werks aufreißen und wieder verlegen musste. Unabhängig von der Qualität der Neupflasterung war das Werk des X also zur Mängelbeseitigung bei U1 erforderlich und insoweit auch erfolgreich, so dass die Kosten der Pflasterung offenbar von U1 geschuldet werden, nicht aber von U2, weil dieser die Pflasterung nachbessern musste und X dies nicht gelang. 523
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ses war nur durch eine völlige Neuverputzung möglich, die zugleich alle übrigen Risse beseitigte. Nach Ansicht des Siebten Senats schuldete jeder Unternehmer im Rahmen seiner Nacherfüllungspflicht als Gesamtschuldner die vollständige Neuverputzung526. Dieses Ergebnis könnte dadurch gerechtfertigt werden, das man jeden Unternehmer für jeden Riss verantwortlich macht, etwa mit der Erwägung, dass unklar sei, welcher Riss auf wen zurückging, und zum Schutz des Bauherrn daher § 830 I 2 analog angewendet werden müsse527. Doch dies war nicht die Begründung des Senats, der zumindest bestimmte einzelne Risse eindeutig dem Verantwortungsbereich eines bestimmten Unternehmers zuschrieb. Die Pflicht zur vollständigen Neuverputzung folgte für ihn daraus, dass die Beseitigung eines Risses nur durch die Neuverputzung möglich war528. Könnte jeder Riss einzeln, etwa durch Verfüllung, beseitigt werden, hätte jeder Unternehmer nur diejenigen Risse beseitigen müssen, die er entweder allein oder zusammen mit dem anderen verursacht hatte, nicht aber diejenigen, welche der andere allein verschuldet hatte. Es lag also ein Fall vor, in dem ein Unternehmer zur Mängelbeseitigung seiner eigenen Werkleistung verpflichtet war, eine Erfüllung dieser Pflicht aber die Mängelbeseitigungspflicht des anderen Unternehmers gegenstandslos machte. Offenbar wäre der Senat zum selben Ergebnis gekommen, wenn es nur zwei Risse gegeben hätte und der eine allein auf die mangelhafte Arbeit von U1, der andere allein auf die des U2 zurückzuführen wäre: Auch hier erfordert die Beseitigung eines Risses eine Neuverputzung, die auch den anderen Riss beseitigt. Diese Besonderheiten der Überschneidung von Nachbesserungsansprüchen sind in der Literatur nicht immer klar zum Ausdruck gekommen. Die Fragestellung, ob Vor- und Nachunternehmer, die gemeinsam eine Leistungsstörung verursachen, als Gesamtschuldner haften529, stellt das Problem nicht ganz richtig dar. Es geht nicht um eine gemeinsame Verursachung eines Mangels oder eines Schadens, sondern um den „zufälligen“ Umstand, dass die Erfüllung der Nachbesserungspflicht eines Unternehmers aus rein tatsächlichen Gründen auch einen Mangel an einer anderen Werkleistung beseitigt, den der Unternehmer nicht ver526
BGHZ 155, 265, 268 (26.6.2003). Vgl. Ehmann, JZ 2004, 252. 528 Vgl. BGHZ 155, 265, 269, 273. Zuzugeben ist allerdings, dass der Senat sich mehrdeutig ausdrückte und dass der Sachverhalt nur unzureichend wiedergegeben wurde. Unklar ist etwa der Grund, warum die Gewährleistungspflicht des Rohbauunternehmers die Neuverputzung umfasste. Im Ergebnis nahm der Senat dies aber an. Nach Kleine-Möller/Merl, Baurecht, Rz 12/1002, soll der Rohbauunternehmer hier auf Schadensersatz gehaftet haben. Träfe dies zu, würde sich der Fall grundsätzlich nicht von BGHZ 43, 227 unterscheiden, wie auch Merl annimmt. 529 So insbesondere Stamm, Regreßfiguren, 150 ff.; Ehmann, JZ 2004, 252; vgl. auch Weise, BauR 1992, 685, 688, 690; Diehl, FS Heiermann, 39, 43; Siegburg, Gewährleistung, Rz 1507; Kleine-Möller/Merl, Baurecht, Rz 12/812; Zerr, NZBau 2002, 242; MüKo/Soergel (1997), § 635 Rz 90; MüKo/Busche, § 634 Rz 131. Entgegen MüKo/Busche, § 634 Rz 91, beruhte die Gesamtschuldannahme in den entschiedenen Fällen auch nicht darauf, dass sich Vor- und Nachunternehmer zur Herstellung eines einheitlichen Erfolgs verpflichtet hatten. Das war durchwegs nicht der Fall. 527
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ursacht hat530. Gerade dieser Hintergrund erklärt, warum sich die Gesamtschuldlösung in diesem Bereich so spät durchgesetzt hat. Verständlich wird so die Ansicht, dass es im Falle überschneidender Nachbesserungspflichten keinen Regress des leistenden Unternehmers gegen den anderen gebe, weil es sich um (wenn auch modifizierte) unterschiedliche Erfüllungsansprüche handle531. Denn anders als im Fall des Bauunternehmers und Architekts, so könnte argumentiert werden, beziehen sich die konkurrierenden Ansprüche hier auf unterschiedliche Mängel. „An sich“ wird die Neuverlegung der Fliesen nur vom Fliesenleger geschuldet; nur der tatsächliche Umstand, dass der Estrich nicht ohne Abschlagen der Fliesen neu gelegt werden kann, führt dazu, dass auch der Estrichleger die Fliesen neu verlegen muss. „An sich“ schuldet im Risse-Fall jeder Unternehmer nur die Beseitigung „seiner“ Risse; nur weil die Beseitigung eine Neuverputzung erfordert, umfasst die Pflicht rein tatsächlich auch die Beseitigung der anderen Risse. Die bloße Inhaltsgleichheit mehrerer Pflichten führt aber nicht zum Gesamtschuldverhältnis, wie sich am Beispiel zeigt, dass der Bauherr zwei Unternehmer unabhängig voneinander zur Verputzung derselben Wand beauftragt532. Doch wie zu den Architektenfällen gezeigt, ist der Nacherfüllungsanspruch mehr einem Schadensersatzanspruch als einem Erfüllungsanspruch ähnlich und kann insoweit als Schutzanspruch angesehen werden. Der Unterschied zum Erfüllungsanspruch zeigt sich gerade in Fällen, in denen der Nachbesserungsanspruch auch fremde Werkleistungen umfasst533. Eine Regresslosigkeit kann bei der unabhängigen Beauftragung mehrerer mit derselben Leistung eher gerechtfertigt werden als bei der Konkurrenz mehrerer Schutzansprüche. Weil sie zur Gefahr der Gläubigerwillkür führt, wird sie in der Literatur überwiegend abgelehnt534. Wenn es aber zu einem Regress des leistenden Unternehmers kommen soll, konkurrieren mit der Gesamtschuldlösung die altbekannten alternativen Regresswege. Die Diskussion zum Regress zwischen Vor- und Nachunternehmer in den 90er Jahren ähnelte insoweit der Jahrzehnte zuvor geführten Diskussion zum Regress bei konkurrierenden Schadensersatzpflichten. Einige Autoren erwogen einen Zessionsregress analog § 255: Sofern der Nachunternehmer im 530
So zu Recht Ganten, BauR 1978, 188; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 60 ff.; richtig auch Kleine-Möller/Merl, Baurecht (2005), § 12 Rz 322, 1002; Beck’scher VOB-Komm/Zahn, B vor § 13 Rz 102. Diehl, FS Heiermann, 43, spricht davon, dass die Mängelbeseitigungspflicht des Vorunternehmers es erforderlich machen könne, die mangelhafte Leistung des Nachunternehmers nachzubessern, ohne dass der Vorunternehmer hierzu verpflichtet sei. Genaugenommen muss man sich allerdings entscheiden: Entweder schuldet ein Unternehmer im Rahmen seiner Nachbesserungspflicht einen bestimmten Erfolg, oder er schuldet ihn nicht. 531 Kaiser, BauR 1981, 317; ders., Mängelhaftungsrecht, Rz 54 l-m. 532 Ehmann, JZ 2004, 250. 533 So auch Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 62. 534 Ausdrücklich MüKo/Busche, § 634 Rz 91; Locher, Baurecht, Rz 102; Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, § 4 VOB/B Rz 63; Weise, BauR 1992, 688; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 63; Siegburg, Gewährleistung, Rz 1534; Kleine-Möller/Merl, Baurecht, Rz 12/812; Stamm, Regreßfiguren, 161; ders., NJW 2003, 2941; Kuß, VOB, § 13 VOB/B Rz 80.
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Zuge der Nachbesserung seines Werks aus technischen Gründen auch die Mängel am Werk des Vorunternehmers beseitige, trete er nur vorläufig ein und könne die Abtretung der Gewährleistungsansprüche gegen den Vorunternehmer verlangen535. Die Richtung des Zessionsregresses sollte hier offenbar davon abhängen, wessen Werkleistung betroffen war: Muss der Estrichleger auch die Fliesen neu verlegen, kann er vom Fliesenleger vollständigen Regress nehmen. Doch das Werk des Fliesenlegers kann gerade deswegen mangelhaft sein, weil er die mangelhafte Vorleistung des Estrichlegers übersehen hat. Ein Totalregress wäre hier unbillig. Unklar wäre auch, wer im Risse-Fall Regress nehmen könnte. Eine Abstufung der Pflichten ist, wie in der Literatur zu Recht betont wurde, nicht sinnvoll536. Gegen den Regressweg des Bereicherungsrechts537 wiederum werden dieselben Einwände vorgebracht wie bei Schadensersatzpflichten: Der nachbessernde Unternehmer erfülle nur seine eigene Schuld und leiste mit Rechtsgrund an den Bauherrn, so dass für eine Nichtleistungskondiktion kein Platz sei538. Der 26. Senat des OLG Hamm hat in mehreren Fällen sein Heil im Geschäftsführungsregress gesucht539. In einem 1990 entschiedenen Fall540 sollte ein Zimmermeister Bretter grundieren und an einer Wand anbringen, ein Maler sollte sie streichen. Die Bretter lösten sich, weil beide Unternehmer fehlerhaft gearbeitet hatten. Der Zimmermeister brachte die Bretter neu an. Hierzu wäre nach Ansicht des OLG auch der Maler verpflichtet gewesen. Ein anderer, 1992 entschiedener, Fall541 betraf einen Estrichleger, der im Zuge seiner Nachbesserung auch die Fliesen neu verlegen musste. Hierzu wäre auch der Fliesenleger wegen Mängel seines Werks verpflichtet gewesen. Der jeweils leistende Unternehmer verlangte vom anderen, der seinerseits die Nachbesserung gegenüber dem Bauherrn verweigert hatte, eine Beteiligung an den Nachbesserungskosten. Das Urteil von 1992 verwendet Argumente, die aus der Gesamtschulddiskussion altvertraut sind542: Eine Teilschuldlösung, wonach jeder Unternehmer nur in seinem Arbeitsbereich nachbessert, sei unbefriedigend, weil sie dem Bauherrn zumute, Prozesse gegen beide Unternehmer zu führen. Die Ganzhaftung jedes Unternehmers befriedige 535 Diehl, FS Heiermann, 47; Ingenstau/Korbion, VOB, § 4 VOB/B Rz 244; Locher, Baurecht, Rz 102; Siegburg, Gewährleistung, Rz 1534, 1577. 536 Weise, BauR 1992, 689; Staud/Peters (1994), § 633 Rz 114; Heiermann/Riedl/Rusam, § 4 VOB/B Rz 63; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 64; Stamm, Regreßfiguren, 162; s.a. Diehl selbst, FS Heiermann, 41, 43. Überholt ist allerdings die Erwägung von Stamm, NJW 2003, 2941 f., der im Risse-Fall wegen der vom Gericht angenommenen internen Verteilung von 1/4 zu 3/4 eine Ungleichstufigkeit annimmt und daraus schließt, die Gleichstufigkeit könne kein Erfordernis der Gesamtschuld sein. Die Stufenlehre hat nie behauptet, dass Gleichstufigkeit nur bei gleicher interner Belastung vorliegt. 537 Ingenstau/Korbion, VOB, § 4 VOB/B Rz 244; Siegburg, Gewährleistung, Rz 1581. 538 Vgl. Staud/Peters (1994), § 633 Rz 114; Weise, BauR 1992, 688 f.; Diehl, FS Heiermann, 47; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 65; OLG Hamm, NJW-RR 1998, 163 a.E. (12.6.1997). 539 Für diesen Regressweg auch Ingenstau/Korbion, § 4 VOB/B Rz 244; vgl. auch Siegburg, Gewährleistung, Rz 1580. 540 OLG Hamm, NJW-RR 1991, 730 (9.11.1990). 541 OLG Hamm, NJW-RR 1992, 849 (10.1.1992). 542 OLG Hamm, NJW-RR 1992, 850.
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den Gläubiger dagegen besser und schneller, weil er sich nicht um den Innenausgleich kümmern müsse. Dies ist nichts anderes als Savignys „Sicherheit und Bequemlichkeit“ für den Gläubiger, die bei Savigny allerdings die Vorteile der Gesamtschuldlösung bezeichnet543. Eine Ganzhaftung jedes Unternehmers ohne Regress, so der Senat weiter, sei ebenfalls unbefriedigend, weil sie zu Zufallsergebnissen führe. Hier handelt es sich um das Argument der Gläubigerwillkür, das gewöhnlich zur Rechtfertigung des Gesamtschuldregresses verwendet wird544. Nach Ansicht des Senats lag aber in beiden Fällen eine Gesamtschuld mangels Zweckgemeinschaft nicht vor, weil die Unternehmer nicht dieselbe Bauleistung erbringen mussten. Der Regress sollte daher nach den Regeln der G.o.A. erfolgen. Soweit der leistende Unternehmer im Rahmen der Erfüllung Arbeiten vorgenommen habe, zu denen auch der andere verpflichtet gewesen sei, habe er ein Geschäft des anderen Unternehmers geführt. Beide Urteile545 zeigen exemplarisch die schon dargestellten546 Schwächen des Geschäftsführungsregresses547. Unpassend für einen Innenausgleich bei konkurrierenden Verbindlichkeiten ist hier zunächst einmal das Erfordernis eines Fremdgeschäftsführungswillens. Der Senat stellte darauf ab, dass sich die Unternehmer über die Verantwortlichkeit für die aufgetretenen Mängel gestritten hatten, und folgerte daraus, dass der leistende Unternehmer von einer Mängelverantwortlichkeit des anderen ausging und daher ein fremdes Geschäft führen wollte. Hätte der Estrichleger also an eine Verantwortlichkeit des Fliesenlegers gar nicht gedacht, müsste ein anderer Regressweg gefunden werden. Zudem stellte sich das Problem, dass der Ausgleich nur anteilig erfolgen sollte, der Estrichleger also die Fliesenlegerkosten nur zum Teil erhalten sollte, weil auch er verantwortlich war. Hier behalf sich das Gericht mit einer Fiktion in Form der Feststellung, ein Wille zur Fremdgeschäftsführung könne nur in Höhe des Innenanteils des anderen Unternehmers angenommen werden. Schließlich gab es das Erfordernis, dass die Geschäftsführung dem Interesse und Willen des Geschäftsherrn entsprechen musste. Nach Ansicht des Senats war das Interesse-Erfordernis gewahrt, nicht aber das Willenserfordernis, weil der nicht leistende Unternehmer seine Verantwortung für die Mängel bestritten hatte. Im Ergebnis gelangte das Gericht daher über § 684 zu einem Bereicherungsanspruch in Höhe eines bestimmten Kostenanteils. Angesichts dieser Probleme fragt es sich, bejaht man eine Ganzhaftung beider Unternehmer, was eigentlich gegen die Annahme eines Gesamtschuldverhältnisses und damit eine Anwendung der Vorschrift des § 426 sprechen soll. Von einem kleineren Teil der Literatur wurde die Gesamtschuldlösung von Anfang an be543
Oben, 231. Oben, 259. 545 OLG Hamm, NJW-RR 1991, 731 f.; NJW-RR 1992, 850. 546 Oben, 892 ff. 547 Zum Folgenden auch Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 65; Stamm, Regreßfiguren, 157 ff.; Kuhlmann, Rückgriffsgrundlagen, 137 f. Kritik auch bei Weise, BauR 1992, 688; Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, § 4 VOB/B Rz 63. 544
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jaht548. In diese Richtung ging dann auch ein 1995 ergangenes Urteil des 17. Senats des OLG Hamm, wonach der Bauherr „ausnahmsweise“ dann beide Unternehmer als Gesamtschuldner für die Mängelbeseitigung in Anspruch nehmen könne, wenn sie eine Zweckgemeinschaft bildeten, die darauf gerichtet sei, eine einheitliche Bauleistung zu erbringen549. Hier wiesen Balkonböden Feuchtigkeitsschäden auf, weil der Dachdecker die Böden unzureichend abgedichtet hatte und der Fliesenleger die Fliesen auf den erkennbar nicht isolierten Boden gelegt hatte. Nach Ansicht des Senats schuldeten beide in nicht exakt trennbaren Arbeitsabläufen die Herstellung eines mangelfreien Balkonbodens. Die Beseitigung des Mangels am eigenen Werk betreffe zugleich das andere Werk, weil der Dachdecker auch die Fliesen neu legen und der Fliesenleger auch den Boden neu herstellen müsse. Worin sich diese Fallgestaltung von den 1990 und 1992 vom 26. Senat entschiedenen Fällen unterschied, ist schwer ersichtlich550. Endgültig etabliert wurde die Gesamtschuldlösung dann in der 2003 ergangenen Risse-Entscheidung BGHZ 155, 265. Hier bejahte der Siebte Senat die Ganzhaftung beider Unternehmer und lehnte zugleich eine Regresslosigkeit als unbillig ab. Das Gesamtschuldverhältnis folgte für ihn aus der „gleichstufigen(n) Verbundenheit beider Unternehmer im Rahmen der Gewährleistungspflicht, gemeinsam und in vollem Umfang für die von ihnen mitverursachten Mängel einstehen zu müssen, sofern nur eine Sanierungsmaßnahme in Betracht kommt. In diesem Fall ist ein einheitlicher Erfolg geschuldet“551. Angesichts dieser sehr späten Anerkennung der Gesamtschuldlösung fragt es sich, ob die Rechtsentwicklung hier nicht lediglich einen überflüssigen Umweg eingeschlagen hatte, weil die Gesamtschuld schon seit BGHZ 43, 227 hätte selbstverständlich sein sollen und nur Missverständnisse dazu geführt haben, die Regeln der Haftung von Architekt und Unternehmer nicht zugleich auf die Haftung mehrerer Bauunternehmer zu übertragen552. Mit der Bejahung des Gesamtschuldverhältnisses zwischen Schadensersatz- und Nacherfüllungsanspruch wurde der Sache nach schon 1965 anerkannt, dass es sich beim Mängelbeseitigungs- oder 548 Ganten, BauR 1978, 188; Weise, BauR 1992, 690; Staud/Peters (1994), § 633 Rz 114 (vgl. jetzt Staud/Peters/Jacoby [2008], § 633 Rz 78, § 634 Rz 16); Heiermann/Riedl/Rusam, § 4 VOB/B Rz 63 (analog); Siegburg, Gewährleistung, Rz 1503 ff., 1576; Erman/Ehmann (10. Aufl. 2000), § 421 Rz 22; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 65 ff.; Stamm, Regreßfiguren, 151 ff.; wohl auch MüKo/Soergel (1997), § 633 Rz 95, § 635 Rz 90 f. 549 OLG Hamm, NJW-RR 1996, 273, 274 (30.3.1995). 550 Ebenso Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 67; Stamm, Regreßfiguren, 156. 551 BGHZ 155, 265, 268 (26.6.2003). Mit „Gleichstufigkeit“ ist hier offenbar gemeint, dass beide Schuldner gleichermaßen im Rahmen ihrer Nacherfüllungspflicht haften. Entgegen MüKo/Busche, § 634 Rz 91, 131, geht es nicht darum, dass die Schuldner ihrer Gewährleistungspflicht nur gemeinsam nachkommen können. Wäre das der Fall, würde die h.L. Gesamtschulden gerade ausschließen, vgl. oben, 135 ff. Vielmehr war jeder Schuldner allein in der Lage, im Rahmen seiner Nachbesserungspflicht sämtliche Mängel zu beseitigen. 552 In diese Richtung Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 65 ff.; Stamm, NJW 2003, 2941; Ehmann, JZ 2004, 250 ff. Der Siebte Senat selbst ging in BGHZ 155, 265 allerdings nicht davon aus, dass er Selbstverständliches judizierte, weil er darauf hinwies, der Fall sich überschneidender Mängelbeseitigungspflichten sei bislang noch nicht entschieden worden (a.a.O., 268).
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
Nacherfüllungsanspruch um einen Schutzanspruch handelt. Bei sich überschneidenden Mängelbeseitigungsansprüchen gegen mehrere Unternehmer konkurrieren also, so könnte argumentiert werden, mehrere Schutzansprüche, die sich auf dasselbe Leistungsinteresse des Gläubigers richten, so dass auch hier dem Gesamtschuldverhältnis nichts im Wege zu stehen scheint553. Das besondere Problem im Risse-Fall BGHZ 155, 265 und in den anderen Fällen der Haftung mehrerer Bauunternehmer ist aber offenbar nicht die Qualifikation der konkurrierenden Ansprüche als Nacherfüllungsansprüche. Die spezifische Konstellation im Risse-Fall wäre auch bei deliktischen Schadensersatzansprüchen vorstellbar: S1 verursacht durch rechtswidrige Beschädigung der Mauer einen Riss, S2 einen anderen. S1 und S2 haben zeitgleich, aber ohne Kenntnis voneinander gehandelt. Ein Riss lässt sich nur durch eine Neuverputzung beseitigen, die zugleich den anderen Riss beseitigt. Denkbar ist auch, dass S1 und S2 unabhängig voneinander Steine in die Fensterscheibe des G werfen und jeder ein Loch verursacht. Der Schaden kann nur durch den Einsatz einer neuen Scheibe beseitigt werden. Selbst der Fall des Estrich- und Fliesenlegers könnte zum Deliktsfall umgewandelt werden. S1 beschädigt die Fliesen und schuldet als Schadensersatz die Neuverlegung der Fliesen; S2 beschädigt den Estrich und schuldet dessen Neuverlegung, was aber zugleich die Neuverlegung der Fliesen erfordert, so dass sich fragt, ob hinsichtlich der Fliesenlegung eine Gesamtschuld nach § 840 besteht. Es geht also um die Frage, ob eine Gesamtschuld entsteht, wenn jeder Schuldner einen anderen Mangel oder Schaden verursacht hat, beide Mängel oder Schäden aber nur einheitlich beseitigt werden können. Auf den ersten Blick könnte man die Frage bejahen: Wenn im Risse-Beispiel die Beseitigung eines Risses die Neuverputzung erfordert, dann liegen mit den zwei Rissen nicht zwei verschiedene Schäden vor, sondern ein einheitlicher Schaden an der Mauer, den beide Schuldner als Nebentäter mitverursacht haben. Es stellt sich allerdings die Frage, warum in diesem Fall nicht die Regeln der Vorteilsausgleichung554 (bzw. des Abzugs „neu für alt“555) angewendet werden. 553 Nach Ehmann, JZ 2004, 253, soll allerdings eine Gesamtschuld nur bei der Konkurrenz eines Nacherfüllungsanspruchs mit einem Wandelungs-, Minderungs- oder Schadensersatzanspruch entstehen können, nicht bei der Konkurrenz mehrerer Nacherfüllungsansprüche. Diese Ansicht beruht wahrscheinlich auf Ehmanns unrichtigem Ausgangspunkt, dass sich die Nacherfüllungspflichten nicht überschneiden können. 554 Vgl. Siegburg, Gewährleistung, Rz 1511; Beck’scher VOB-Komm/Zahn, B vor § 13 Rz 52. Die Rechtsprechung wendet die Regeln zur Vorteilsausgleichung auch bei Nacherfüllungsansprüchen an, oben, 943. 555 Nach einem Teil der Literatur gelten die Regeln der Vorteilsausgleichung nicht für Vorteile, die nicht durch das schadenstiftende Ereignis, sondern erst durch die Schadensbeseitigung verursacht werden. Bei solchen Vorteilen kommt aber ein Abzug „neu für alt“ in Frage, der im Ergebnis ebenso zu einer Reduzierung des Schadensersatzanspruchs führt, der eine Bereicherung des Gläubigers verhindern soll. Vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 6 V; Staud/Schiemann, § 249 Rz 175 f.; MüKo/Oetker, § 249 Rz 333. Im Folgenden soll der Einfachheit halber von Vorteilsausgleichung gesprochen werden, ohne zur dogmatischen Einordnung Stellung zu beziehen.
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Nimmt man an, dass die Mauer des G seit Jahren einen Riss hat, dessen Ursache nicht bekannt ist, und dass S nun einen zweiten Riss verursacht, dann kann G von S nach §§ 823 I, 249 die Beseitigung des Schadens verlangen, die hier nur durch eine Neuverputzung möglich ist. Da G nach der Schadensbeseitigung aber besser steht als zuvor, weil nun auch der andere Riss mitbeseitigt ist, müsste dieser Vorteil auf den Schadensersatzanspruch angerechnet werden. Könnte dann nicht, wenn zwei Schuldner je einen Riss verursachen, jeder gegenüber dem Gläubiger einwenden, dass die Mauer auch einen anderen Riss hat und der Gläubiger durch die Beseitigung des Schadens in Form der Neuverputzung einen ausgleichspflichtigen Vorteil erlangt? Im Ergebnis wären die Verursacher dann Teilschuldner. Wenn der BGH in dieser Konstellation eine Gesamtschuld annimmt, dann versagt er jedem Schuldner, sich auf die Vorteilsausgleichung in Form der Mitbeseitigung des vom anderen verursachten Mangels zu berufen. Ausdrücklich ausgesprochen wurde diese Frage in einem 1997 ergangenen Urteil des OLG Hamm556. Hier erfüllte der Unternehmer U1 seine Nachbesserungspflicht und beseitigte dabei auch Mängel am Werk des anderen Unternehmers U2. Hierfür verlangte er eine Kostenbeteiligung vom Bauherrn. Das OLG verneinte einen Anspruch aus G.o.A., weil der Bauherr selbst nicht zur Beseitigung der Mängel am Werk des U2 verpflichtet gewesen sei. Auch einen Vorteilsausgleich lehnte es ab: Zwar war das von U2 hergestellte Werk nun mangelfrei. Doch der Bauherr habe keinen ausgleichspflichtigen Vermögensvorteil erlangt, weil er hinsichtlich dieses Werks einen Gewährleistungsanspruch gegen U2 gehabt habe. Übertragen auf das Risse-Beispiel bedeutet das: Zwar führt die Neuverputzung durch S1, der den Riss1 verursacht hat, auch zur Beseitigung von Riss2, doch der Gläubiger hat dadurch keinen ausgleichspflichtigen Vorteil erlangt, weil er die Beseitigung von Riss2 von S2 hätte verlangen können. Nach allgemeinen Regeln ist aber ein Anspruch auf eine Leistung häufig weniger wert als die Leistung selbst. Ist S2 insolvent, ist G’s Anspruch gegen ihn nichts wert. Beseitigt S1 dann den zweiten Riss, kann ein Vorteil des G nicht geleugnet werden. Wenn der BGH unter diesen Umständen eine Gesamtschuld annimmt, dann dient diese Annahme also dem Schutz des Gläubigers. Insoweit kann eine Parallele zu mitverursachenden Nebentätern gezogen werden. Wie dargestellt, schuldet ein solcher Nebentäter weder „an sich“ den Ersatz des gesamten Schadens noch „an sich“ nur einen seinem Verursachungsbeitrag entsprechenden Anteil am Schadensersatz557. Vielmehr handelt es sich um eine wertende Zurechnungsfrage, die das Gesetz zugunsten des Geschädigten mit einer Ganzhaftung jedes Mitverursachers beantwortet hat. In ähnlicher Weise wird hier zum Schutz des Geschädigten die Regel aufgestellt, dass ein Schädiger, der durch die Beseitigung des Schadens einen Vorteil des Gläubigers verursacht, sich auf diesen Vorteil nicht berufen kann, wenn der Gläubiger die Herstellung dieses Vorteils von ei556 557
OLG Hamm, NJW-RR 1998, 163 (12.6.1997). Oben, 546 f.
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
nem weiteren Schädiger hätte verlangen können. Es handelt sich aber nicht um dieselbe Regel558. Bei den Mitverursachern wird der Einwand abgeschnitten, dass der Schaden nur durch das Hinzutreten einer weiteren Ursache entstehen konnte; hier wird dagegen der Einwand der Vorteilsausgleichung versagt. Beide Regeln können auch nicht mit der Erwägung assimiliert werden, dass im RisseFall eine Mitverursachung eines einheitlichen Schadens in Gestalt zweier Risse vorliegt. Der eine Schuldner hat den jeweils anderen Riss nicht mitverursacht. Dies führt zu Unterschieden, wenn der Gläubiger wegen des fremden Kausalbeitrags keinen Anspruch hat. Die Regel, dass ein nur mitverursachender Täter den gesamten Schaden ersetzen muss, gilt unabhängig davon, ob es sich bei der Fremdursache um eine Naturgewalt oder um ein menschliches Verhalten handelt und ob der Geschädigte gegen den anderen Verursacher einen Schadensersatzanspruch hat. Solange dem Gläubiger kein Mitverschulden i.S.d. § 254 anzulasten ist, haftet der Mitverursacher im Außenverhältnis ganz. Bei der Versagung der Vorteilsausgleichung für mitbeseitigte weitere Schäden verhält es sich offenbar anders. Hat ein Blitz zu einem Riss in der Mauer geführt und verursacht anschließend der Deliktstäter einen zweiten Riss, der nur durch Neuverputzung beseitigt werden kann, dann muss dem Deliktstäter nach allgemeinen Regeln der Einwand gestattet werden, dass der Gläubiger durch die Neuverputzung einen ausgleichspflichtigen Vorteil erlangt. Ähnliches ist im Estrich-Beispiel denkbar. Der Handwerker verlegt den Estrich falsch, was aber nicht erkennbar ist. Der Bauherr legt die Fliesen selbst, und zwar ordnungsgemäß. Anschließend werden die Fliesen von einem nicht vorhersehbaren Unwetter beschädigt. Der Bauherr entdeckt den Mangel am Estrich und verlangt eine Nachbesserung, die auch eine Neuverlegung der Fliesen erfordert. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund der Handwerker, der die beschädigten Fliesen abschlägt, den Estrich neu legt und darauf unbeschädigte Fliesen legt, vom Gläubiger nicht die Anrechnung dieses Vorteils verlangen können soll. Vorstellbar ist auch, dass der zweite Kausalbeitrag auf einer rechtswidrigen Handlung beruht, der Gläubiger aber gegen diesen Verursacher keinen Anspruch durchsetzen kann. Als Beispiel einer Mitverursachung eines einheitlichen Schadens kann der Fall dienen, dass G’s Mauer durch S1 beschädigt wird und 50 Jahre später durch S2. Beide Beschädigungen führen in ihrem Zusammenwirken zum Einsturz der Mauer, wodurch G einen Schaden erleidet. G kann von S2 Ersatz seines gesamten Schadens verlangen. Ein Regress von S2 gegen S1 aus § 426 I wäre hier wohl selbst nach der herrschenden Lehre von der Schuldgemeinschaft der Gesamtschuldner nicht vorstellbar. Da es nach dieser Lehre nicht darauf ankommen kann, dass G’s Anspruch gegen S1 nach § 199 längst verjährt ist, müsste sie den Regressausschluss wohl damit erklären, dass es keine solidarische Schuldgemeinschaft geben kann, wenn die Gesamtschuld erst zu einem Zeitpunkt (Ein-
558
So aber offenbar Schopp, VersR 1990, 836.
11. Ein Blick in die Rechtsprechung
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sturz der Mauer) entsteht, in dem der Gläubiger auf einen der Schuldner nicht mehr zugreifen kann. S2 kann also keinen Regress gegenüber S1 nehmen, schuldet G aber trotzdem das Ganze. Anders verhält es sich offenbar in den Fällen der Mitbeseitigung eines Fremdschadens. Weist G’s Mauer einen Riss auf, den S1 vor 50 Jahren rechtswidrig verursacht hat, und verschuldet nun S2 einen zweiten Riss, dann kann G von S2 Schadensersatz in Form der Beseitigung des Risses verlangen, auch wenn diese nur durch eine Neuverputzung möglich ist. Hier muss S2 aber offenbar der Einwand des Vorteilsausgleichs gestattet werden, so dass der Anspruch gegen ihn im Ergebnis gemindert wird. Ähnliches würde gelten, wenn der Fliesenleger Fliesen auf einem vor 20 Jahren gelegten Estrich verlegt (falls dies technisch möglich wäre). Wegen mangelhafter Arbeit muss er die Fliesen neu legen, was aber ohne Beschädigung des Estrichs nicht möglich ist. Der Estrich wies wegen eines falschen Gefälles Mängel auf, die der Fliesenleger bei der Neuverlegung des Estrichs mitbeseitigt. Auch hier müsste der Fliesenleger sich nach allgemeinen Regeln auf einen Vorteilsausgleich berufen können. Die unterschiedlichen Ergebnisse erklären sich daraus, dass derjenige, der einen Schaden mitverursacht hat, ihn im Außenverhältnis ganz ersetzen muss, unabhängig von der Art der Fremdursache. Diese Regel mag dem Schutz des Geschädigten dienen, aber sie gilt allgemein, nicht nur bei mitverursachenden Nebentätern. Wer aber einen Schaden verursacht hat, dessen Beseitigung zugleich einen Fremdschaden beseitigt, hat den Fremdschaden nicht mitverursacht. Er haftet also nicht nach allgemeinen Regeln für den Fremdschaden. Daher kann er, beseitigt er den Fremdschaden, sich grundsätzlich auf die Regeln der Vorteilsausgleichung berufen. Diese Regel wird vom BGH in bestimmten Fällen zugunsten des Gläubigers eingeschränkt, nämlich dann, wenn der Gläubiger wegen des Fremdschadens einen durchsetzbaren Anspruch gegen einen anderen hat und beide Schäden in zeitlicher Nähe verursacht wurden. In diesem Fall kann sich der eine Schädiger nicht auf die Vorteilsausgleichung berufen, hat dafür aber einen anteiligen Rückgriffsanspruch gegen den Fremdschädiger. Entsprechendes gilt, wenn es sich nicht um Schadensersatz-, sondern um Mängelbeseitigungsansprüche handelt. Sachlich geht es um einen Fall der versagten Vorteilsausgleichung. Der genaue Anwendungsbereich dieser Regel ist noch offen. Unklar ist etwa, ob der Schädiger S1, der einen Riss in G’s Mauer verursacht hat, sich auf eine Vorteilsausgleichung berufen kann, wenn er zugleich einen zweiten Riss beseitigt, der eine Woche zuvor von einem Unbekannten verursacht wurde, oder ob auch hier die in BGHZ 155, 265 aufgestellte Regel gilt, wonach S1 ungekürzt haftet und versuchen muss, für seinen Regress die Identität des Unbekannten zu ermitteln. Dies hängt von der noch offenen Frage ab, ob der Vorteilsausgleich schon dann versagt wird, wenn der Gläubiger einen Anspruch gegen den Fremdverursacher hat, oder erst dann, wenn der Anspruch rechtlich oder auch tatsächlich durchsetzbar ist. In jedem Fall kann die in BGHZ 155, 265 postulierte Regel des versagten Vorteilsausgleichs nicht mit derjenigen der Ganzhaftung des Mitverursachers gleichgesetzt werden.
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
(5) Völlig unabhängige vertragliche Schadensersatzansprüche Eine Konkurrenz vertraglicher Schadensersatzansprüche ist schließlich auch in Fällen denkbar, in denen die Vertragsbeziehungen des Gläubigers zu jedem Schuldner auch in tatsächlicher Hinsicht völlig unabhängig voneinander sind, die Schuldner also in keiner Weise zusammenwirken und insoweit keine Zweckgemeinschaft im Sinne der Rechtsprechung bilden. Weil diese Konstellation aber selten ist, gibt es kaum Rechtsprechung, nur Grenzfälle. Das OLG Düsseldorf nahm obiter ein Gesamtschuldverhältnis an zwischen dem Verwalter einer Wohnungseigentümergemeinschaft, der ihre Gelder veruntreute, den Mitgliedern des Verwaltungsbeirats, die ihn nicht kontrollierten, und der kontoführenden Bank, welche die Veruntreuung durch eine Pflichtverletzung ermöglichte559. In einem 1997 vom OLG Karlsruhe entschiedenen Fall verkaufte V ein Auto an G und verschwieg arglistig einen Unfallschaden. Der vom Käufer beauftragte Sachverständige S hatte den Schaden fahrlässig übersehen. G verlangte von beiden Schadensersatz in Höhe des gezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Wagens. Das Gericht ließ offen, ob zwischen dem Schadensersatzanspruch gegen V und dem gegen S (aus pVV) ein Gesamtschuldverhältnis vorlag oder ob es sich um ein Stufenverhältnis derart handle, dass S nur vorläufig eintreten muss und daher Schadensersatz nur gegen Abtretung des Anspruchs gegen V schuldet560. Für die Literatur, die das Kriterium der Zweckgemeinschaft ohnehin ablehnt, kann es bei der Gesamtschuldfrage nicht darauf ankommen, ob die Schuldner im Rahmen ihrer Primärleistungspflicht zusammenwirken. Vielmehr besteht heute weitgehende Einigkeit darüber, dass es keinen Unterschied machen kann, ob die Verbindlichkeiten auf Gesetz oder auf Vertrag beruhen. Sind daher mehrere vertraglich zum Ersatz desselben Schadens verpflichtet, sollen grundsätzlich Gesamtschulden entstehen561. Während die ältere Stufenlehre hier noch einen Vorbehalt für gestufte Verbindlichkeiten machte, gilt nach heute herrschender Lehre die Gesamtschuldlösung bei konkurrierenden Schadensersatzverbindlichkeiten 559
OLG Düsseldorf, WM 1998, 663, 666 f. (24.9.1997). OLG Karlsruhe, NJW-RR 1998, 601 (11.12.1997). Gegen eine Gesamtschuld sollte sprechen, dass keine Zweckgemeinschaft vorlag und V Ersatz des positiven, S des negativen Interesses schulde. Bejaht man aber mit dem Gericht einen Anspruch gegen S in Höhe des gezahlten Kaufpreises, decken sich die Verpflichtungen. Für Gesamtschulden Palandt/Grüneberg, § 421 Rz 11. 561 So schon Kreß, SR AT, 604; Heck, Schuldrecht, § 76 Nr. 3 a; Korintenberg, ArchRPfl 1931, 15; Kreller, AcP 146 (1941), 139, 154 (Regel H II 3); aus der heutigen Literatur Hillenkamp, Unechte Gesamtschuld, 122, 125; G. Dilcher, JZ 1967, 114 f.; ders., JZ 1973, 200; Thiele, JuS 1968, 152; Ludewig, Gesamtschuldnerausgleich, 212 f., 220 f.; Börnsen, Strukturen, 172; Ehmann, Gesamtschuld, 222 ff., 231 f.; Erman/Ehmann, vor § 420 Rz 23, § 421 Rz 5, 12; Goette, Gesamtschuldbegriff, 86 f.; E. Wolf, SR AT, 531; Selb, Mehrheiten, 57 ff.; Jürgens, Teilschuld, 34 f.; Wernecke, Gesamtschuld, 184 ff.; Soergel/Wolf, § 421 Rz 44; Schlechtriem/Schmidt-Kessel, SR AT, Rz 842 f.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 11 A II 2; Schims, Forderungsübergang, 136; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 73; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 49, 53; jurisPK/Rüßmann, § 421 Rz 15; Palandt/Grüneberg, § 421 Rz 11; BamR/Gehrlein, § 421 Rz 10. Skeptisch aber Staud/Noack, § 421 Rz 80. Gegen eine analoge Anwendung des § 840 Staud/Vieweg, § 840 Rz 15. 560
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allgemein. Im selben Sinne können eine Reihe neuerer Urteile des BGH und der Oberlandesgerichte verstanden werden, in denen obiter festgestellt wurde, dass ein Gesamtschuldverhältnis schon immer dann entsteht, wenn mehrere, auch unabhängig voneinander, ein und denselben Schaden verursacht haben562.
12. Die Besonderheiten vertraglicher Schadensersatzansprüche Der Überblick hat gezeigt, dass die Anwendung der Gesamtschuldregeln in denjenigen Fällen umstritten war und Probleme aufgeworfen hat, in denen einer oder sogar beide Schuldner allein aus Vertrag haften563. Dies kann auf den ersten Blick damit erklärt werden, dass im Musterfall der Konkurrenz gesetzlicher Verbindlichkeiten, nämlich der deliktischen Haftung mehrerer, in Gestalt des § 840 eine ausdrückliche Gesamtschuldanordnung besteht, die im Vertragsrecht fehlt. Doch die Anwendung der Gesamtschuldregeln wurde bei der Konkurrenz gesetzlicher Verbindlichkeiten auch außerhalb des Tatbestands des § 840 von Anfang an als unproblematisch angesehen. Tatsächlich verbirgt sich hinter der zunächst nur zögerlich verfolgten Ausweitung des Gesamtschuldtatbestands auf Vertragsverpflichtungen ein sachliches Problem. Das Gesamtschuldverhältnis unterscheidet sich von den alternativen Regresstechniken des Zessions- und Bereicherungsregresses dadurch, dass nach herrschender Lehre eine Schuldgemeinschaft mit gegenseitigen Mitwirkungspflichten entsteht, die Regressansprüche unabhängig vom Fortbestand der Gläubigerforderung eröffnet. Beruht aber die Haftung des regressberechtigten Schuldners allein auf einem Vertrag, dann stellt sich die Frage, ob der Regressverpflichtete allein wegen dieses für ihn fremden Vertrags den besonderen Pflichten der Schuldgemeinschaft ausgesetzt werden kann. Ist umgekehrt der Vertragsschuldner der Regresspflichtige, dann kann die von der herrschender Lehre angenommene Schuldgemeinschaft ihm diejenigen Privilegien wegnehmen, die er sich gegenüber dem Gläubiger ausbedungen hat, etwa eine kurze Verjährungsfrist. Wenn aber ein Schuldner überhaupt nur deswegen haftet, weil er sich vertraglich band, dann muss dieser Vertrag, so könnte argumentiert werden, auch die Grundlage und die Grenze des Regresses bilden. Die Probleme treten besonders deutlich hervor, wenn beide Schuldner vertraglich haften. Es ist daher kein Zufall, dass die Gesamtschuldlösung gerade bei der 562 So BayObLG, VersR 1982, 371 (20.8.1981); BGH NJW 1990, 2882, 2883 (IX, 10.5.1990); BGH NJW 1993, 1779, 1781 (IX, 18.3.1993); OLG Düsseldorf, NJW 1995, 2565 (11.11.1994); OLG Frankfurt, VersR 1996, 1403, 1405 (5.7.1995); OLG Düsseldorf, BB 1998, 765, 766 (19.6.1997); BGHZ 163, 154, 176 (V, 2.6.2005). 563 Die Frage, ob der Gesamtschuldregress auch bei rein vertraglichen Schadensersatzpflichten anwendbar ist, wird in anderen Rechtsordnungen überwiegend, aber nicht immer, bejaht, siehe die Länderberichte in Rogers, Tortfeasors, jew. unter B 3 (S. 17, 44, 57, 73, 108 f., 125, 143, 157 f., 169, 180, 201, 224, 244, 264), und Überblick, S. 293. Die Frage hängt sachlich von der Ausgestaltung des Gesamtschuldregresses in der jeweiligen nationalen Rechtsordnung ab. Im Folgenden kann es daher nur um das deutsche Recht gehen.
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
Konkurrenz rein vertraglicher Verbindlichkeiten, sei es von Architekt und Bauunternehmer, sei es von Vor- und Nachunternehmer, umstritten gewesen ist. Es ist ferner kein Zufall, dass die zwei Dissertationen, die nicht lediglich die Gesamtschuld als solche behandeln, sondern sich konkret mit der Konkurrenz vertraglicher Gewährleistungspflichten im Baurecht auseinandersetzen, die herrschende Lehre von der Schuldgemeinschaft mit privilegiertem Regress ablehnen oder Modifikationen unterwerfen564. Die Frage ist, ob die Schuldgemeinschaftslehre diejenigen Grenzen überschreitet, welche durch die vertragliche Parteiautonomie gesetzt werden.
a) Ein Rückblick auf die Störung des Gesamtschuldausgleichs durch anfänglichen Haftungsverzicht Die Literatur trifft beim Gesamtschuldregress grundsätzlich keine Unterscheidung zwischen vertraglichen und gesetzlichen Ansprüchen. Sucht man eine Grundlage für eine solche Differenzierung, könnte man aber im Bereich der sogenannten gestörten Gesamtschuld fündig werden. Soweit mit dieser Rechtsfigur ein Gesamtschuldregress ohne Gesamtschuld gewährt wird, bringt sie besonders deutlich die zugrunde liegenden Wertungsfragen ans Licht565. Ausgangspunkt soll der Fall sein, dass mehrere gesetzlich zu Schadensersatz verpflichtet wären, wenn nicht der Gläubiger vor Schadenseintritt mit einem der potentiellen Schuldner einen Haftungsausschluss vereinbart hätte: S nimmt G unter Vereinbarung eines Haftungsausschlusses im Auto mit, und es kommt zu einem von S und R verschuldeten Unfall, bei dem G verletzt wird. R haftet gegenüber G als Halter nach dem StVG, bei Verschulden auch aus § 823. Weil S gegenüber G nicht haftet, kommt es zu keinem Gesamtschuldverhältnis. Das Reichsgericht hatte unter diesen Umständen einen Gesamtschuldregress abgelehnt: § 426 könne nicht angewendet werden, wenn einer der Schädiger von der Haftung freigestellt worden sei und daher keinen Schadensersatz schulde566. Im Ergebnis musste R danach vollen Schadensersatz leisten, ohne Regress gegenüber S nehmen zu können. Nur dann, wenn der Haftungsverzicht allein für den Fall vereinbart wurde, dass auch ein Dritter ersatzpflichtig war, hielt das Reichsgericht die Verzichtsvereinbarung für unwirksam, wobei es sich auf § 138 stützte567. Demgegenüber entschied der BGH in seinem Grundsatzurteil BGHZ 12, 213 aus dem Jahre 1954, dass der vertragliche Haftungsverzicht einen Innenaus564
Glöckner, Gesamtschuldvorschriften (1997); Stamm, Regreßfiguren (2000); zu beiden oben,
676 ff. 565 Die sachliche Verbindung zwischen den Problemkreisen des privilegierten Gesamtschuldregresses und der gestörten Gesamtschuld wurde vor allem von Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 93 ff., 217 ff., herausgearbeitet. 566 RG JW 1910, 952 Nr. 36 (I, 24.9.1910, Kurzfassung in Warn 1910 Nr. 375). Der privilegierte Schuldner hätte hier ohne die Freistellung sowohl aus Vertrag als auch aus Gesetz (§ 3 BinSchG) gehaftet. Wie das RG auch OLG Naumburg, JW 1938, 2355 (29.3.1938). 567 RG DR 1939, 1318 (13.5.1939).
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gleich analog § 426 zwischen S und R nicht verhindern kann: S schuldet zwar nichts gegenüber G, wird aber gegenüber R so gestellt, als habe der Haftungsausschluss nicht stattgefunden. R kann gegenüber S Regress in Höhe von S’ internem Anteil nehmen568. In der Literatur ist man sich nicht darüber einig, ob der Regress-Lösung des BGH zuzustimmen ist569 oder ob, so die herrschende Lehre, R dadurch geschützt werden soll, dass G von vornherein nur ein gekürzter Schadensersatzanspruch in Höhe von R’s internem Anteil zustehen soll (Kürzungslösung)570. Für die Kürzungslösung spricht, dass die Belastung mit dem Innenanteil des S dann der „richtigen“ Partei zugeordnet wird, nämlich G, der auf S’ Haftung verzichtet hat. Dieses Ergebnis kann allerdings auch mit der Regress-Lösung erreicht werden, wenn man durch Auslegung des Haftungsverzichts S bei Inanspruchnahme durch R einen vertraglichen Anspruch gegen G einräumt, ihn von der Haftung gegenüber R freizustellen. Die Kürzungslösung vermeidet einen Anspruchskreisel, birgt aber die Gefahr des Regressverlusts für R, wenn in einem Prozess zwischen G und R der Haftungsverzicht nicht zur Sprache kommt und R zu vollem Schadensersatz verurteilt wird. Teile der herrschenden Lehre wollen daher neben der Kürzungslösung hilfsweise auch die Regresslösung zulassen. Um diese Abwicklungsprobleme soll es im Folgenden aber nicht gehen. Für die hier verfolgte Fragestellung bedeutsam ist der Umstand, dass die heutige Literatur mit dem BGH in einem Punkt nahezu571 einhellig übereinstimmt, nämlich in der Ablehnung einer Lösung zulasten des R. Die-
568
BGHZ 12, 213, 216 ff. (VI, 3.2.1954); bestätigt in BGHZ 58, 216, 219 (VII, 9.3.1972). So Esser, Schuldrecht (2. Aufl. 1960), § 98, 2 III; Grasnick, Gesamtschuld, 193 ff., 206 ff.; Soergel/Re. Schmidt (1967), § 426 Rz 7; Hanau, VersR 1967, 518 ff., 524; von Caemmerer, ZfRV 9 (1968), 94; Mirow, Unechte Gesamtschulden, 51 f.; Martens, AcP 177 (1977), 125; Selb, Mehrheiten, 126 ff.; Muscheler, JR 1994, 443 ff.; Soergel/Wolf, § 426 Rz 42–44; Erman/Ehmann, § 426 Rz 67; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 11, 55; Staud/Noack, § 426 Rz 165 ff.; Staud/Vieweg, § 840 Rz 71; jurisPK/Rüßmann, § 426 Rz 31 f.; ebenso schon Carl, DR 1939, 259; Booß, DR 1939, 1319. So auch die Lösung des Referentenentwurfs 1967, hierzu Weitnauer, Karlsruher Forum 1962, Beilage zu VersR 1962, 8. 570 So G. und D. Reinicke, NJW 1954, 1641; Stoll, FamRZ 1962, 66; Prölss, JuS 1966, 402; Medicus, JZ 1967, 398; ders., SR AT, Rz 807; Keuk, AcP 168 (1968), 181, 189; dies., JZ 1972, 528; Böhmer, MDR 1968, 13; Thiele, JuS 1968, 156 f.; Ludewig, Gesamtschuldnerausgleich, 132 ff., 148 ff., 161 f., 196 f.; Lumm, Ausgleich, 180 ff., 194 ff.; Gemtos, Haftungsausschluß, 37 ff.; Wacke, AcP 170 (1970), 67 ff.; Goette, Gesamtschuldbegriff, 138 ff.; RGRK/Weber, § 426 Rz 39 f.; Reinicke/ Tiedtke, Gesamtschuld, 77 f.; von Bar, Gutachten Deliktsrecht, 1760; Preißer, JuS 1987, 710 f.; Hager, NJW 1989, 1643; Lange, JZ 1989, 49; Schreiber, Jura 1989, 358; Glaßer, Gesamtschuldnerausgleich, 190 f.; Stamm, NJW 2004, 812 f.; Larenz, SR AT, § 37 III (S. 647); Esser, SR AT, § 59 II 3 (S. 443); Esser/Schmidt, SR AT 2, § 39 II (S. 347); Fikentscher/Heinemann, SR, Rz 780; Schlechtriem/Schmidt-Kessel, SR AT, Rz 863; Brox/Walker, SR AT, Rz 37/24; Looschelders, SR AT, Rz 1213; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 206, 214; MüKo/Wagner, § 840 Rz 29; zum Schweizer Recht Jung, FS Tercier (2008), 286 ff. 571 Anders nur Geigel, JZ 1954, 508; und wohl auch E. Wolf, SR AT, 544; für den Fall des Haftungsausschlusses durch Rechtsverordnung (Energieversorger) auch Riedel, Haftungsausschluss, 70 ff.; aus rechtsvergleichender Sicht Weir, Complex Liabilities, § 92. Teilweise abweichend auch Schröder, JR 1970, 41; Steinbeis, Haftungsausschluß, 147 ff., 150 f., 155; hierzu weiter unten im Text, 994. 569
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
ses Teilergebnis wird als so selbstverständlich hingenommen, dass es oft gar nicht näher begründet wird. Gerade diese Begründung ist aber interessant, weil sie Aufschluss darüber geben könnte, ob die Regeln zur gestörten Gesamtschuld im Falle des Haftungsverzichts auch dann gelten sollen, wenn eine oder beide Verbindlichkeiten allein auf Vertrag beruhen. Es ist bemerkenswert, dass in der Literatur, welche das Problem gewöhnlich nur für Fälle konkurrierender gesetzlicher Verbindlichkeiten diskutiert, diese Frage zumeist gar nicht angesprochen wird. Der BGH begründete seine Ablehnung einer Lösung zulasten R damit, dass die Möglichkeit freier Vertragsgestaltung dort ihre Grenze finden müsse, wo die Abrede in die Interessen eines unbeteiligten Dritten eingreife, die das Gesetz durch die Ausgleichsvorschriften schütze572. Ähnlich argumentiert die Literatur: Der Haftungsausschluss habe zur Folge, dass R, der anderenfalls einen Regressanspruch erworben hätte, diesen nun nicht erwirbt, und wirke sich daher zum Nachteil von R aus, obwohl dieser an der Abrede nicht beteiligt sei. Der Haftungsausschluss zwischen S und G stellt sich unter diesem Blickwinkel als grundsätzlich unzulässiger Vertrag zulasten Dritter dar573. An dieser Stelle ist es wichtig, sich klarzumachen, dass der bloße Umstand, dass infolge der Vereinbarung ein Regressanspruch des R nicht entsteht, der ohne diese Vereinbarung entstanden wäre, die Vereinbarung noch nicht zu einem unzulässigen Vertrag zulasten Dritter macht574. Ein Anspruch des R gegen S, in den die Vereinbarung unzulässig eingreifen könnte, ist noch nicht entstanden. Es gibt auch kein allgemeines Recht auf Beibehaltung möglicher Mitschuldner. Versichert G seine Sache sowohl bei V1 als auch bei V2 gegen Schäden, werden die Versicherer V1 und V2 im Schadensfall Gesamtschuldner, § 59 VVG. Vereinbaren G und V1, den zwischen ihnen bestehenden Versicherungsvertrag zu beenden, und tritt nach Beendigung dieses Vertrags ein Schaden ein, haftet V2 allein. Ohne die Vereinbarung zwischen G und V1 hätte V2 einen anteiligen Gesamtschuldregress gegen V1 gehabt. Dennoch ist die Vertragsauflösung kein unzulässiger Vertrag zulasten Dritter. Die Aussicht, im Haftungsfall einen zweiten Schuldner neben sich zu sehen, ist grundsätzlich kein vor Eingriffen geschütztes Recht. 572
BGHZ 12, 213, 218; BGHZ 58, 216, 219. So ausdrücklich Medicus, JZ 1967, 398; Wacke, AcP 170 (1970), 68; Martens, AcP 177 (1977), 124; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 77; von Bar, Gutachten Deliktsrecht, 1760; Denck, NZA 1988, 265; Hager, NJW 1989, 1643; Lange, JZ 1989, 49; Muscheler, JR 1994, 444; Glaßer, Gesamtschuldnerausgleich, 191; Fikentscher/Heinemann, SR, Rz 780; Schlechtriem/Schmidt-Kessel, SR AT, Rz 863; Looschelders, SR AT, Rz 1213; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 206, 214; RGRK/Weber, § 426 Rz 39; Soergel/Wolf, § 426 Rz 42; Staud/Noack, § 426 Rz 159; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 11; jurisPK/Rüßmann, § 426 Rz 32; MüKo/Wagner, § 840 Rz 29; Staud/Vieweg, § 840 Rz 56, 60, 71; Jung, FS Tercier, 288; BGHZ 58, 216, 220; ähnlich Larenz, SR AT, 647; Böhmer, MDR 1968, 13; Goette, Gesamtschuldbegriff, 138 f.; Schreiber, Jura 1989, 358; Schmieder, JZ 2009, 191; kritisch aber Ludewig, Gesamtschuldnerausgleich, 24 f.; Steinbeis, Haftungsausschluß, 81; Stamm, NJW 2004, 812 Fn. 12; Zerres, Jura 2008, 732. 574 Ebenso Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 127 ff. 573
12. Die Besonderheiten vertraglicher Schadensersatzansprüche
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Die kategorische Ablehnung einer Lösung zulasten des nicht privilegierten Schuldners R kann daher nicht allein mit der bloßen Benachteiligung des R durch die Vereinbarung zwischen S und G erklärt werden. Dem Schadensersatzschuldner R muss eine im Vergleich zum Versicherer V2 besonders geschützte Rechtsposition zugewiesen werden, in die S und G durch Vereinbarung nicht eingreifen können. Die Literatur stellt also, teils mehr, teils weniger ausgesprochen, den Satz auf, dass R, der zusammen mit S einen Schaden verursacht, ein Recht darauf hat, zumindest bei Solvenz des S im Ergebnis nur mit seinem internen Anteil belastet zu werden. Wie insbesondere Hanau gezeigt hat575, handelt es sich dabei um eine Erwägung, die mit der ursprünglichen Rechtfertigung des Gesamtschuldregresses nichts mehr gemein hat. Zweck des Regresses war die Verhinderung der Gläubigerwillkür; daher setzte der Regress die gemeinsame Haftung voraus. Interner Anteil und Verursachungsbeitrag waren ursprünglich nur lose verknüpft: Der Gesetzgeber sah bei der Haftung von Teilnehmern, Beteiligten und Nebentätern Kopfteile vor576. Im Vordergrund stand der Gedanke, dass die interne Belastung nicht von der Wahl des Gläubigers abhängen sollte, nicht das Recht eines Mitschuldners auf eine verursachungsadäquate Höhe seines Innenanteils. Haftete einer der möglichen Schuldner im Außenverhältnis nicht, dann gab es kein Problem der Gläubigerwillkür, dem ein Regress hätte abhelfen müssen. Die Lage änderte sich, als die Rechtsprechung dazu überging, § 254 bei der Bestimmung der internen Anteile heranzuziehen. Die Höhe des vom einzelnen Schuldner endgültig zu tragenden Anteils hing nun von seinem Verursachungsbeitrag und Verschuldensgrad ab. Hieraus konnte sich dann aber die Vorstellung entwickeln, dass der einzelne Mitverursacher auch ein Recht darauf hat, bei Solvenz seiner Mitschuldner nur diesen ihm zurechenbaren Anteil erbringen zu müssen, und dass der Gesamtschuldregress der Verwirklichung dieses Rechts dient. Zum Schutz des verbleibenden Schuldners bei der Haftungsfreistellung des Mitverursachers sind in der Literatur dann zwei verschiedene Wege eingeschlagen worden. Die – hier so genannte – Theorie der Schadensgemeinschaft, die insbesondere von Hanau, Selb und Peter Bydlinski vertreten wird, geht davon aus, dass der Innenausgleich zwischen mehreren Schädigern nicht an der gemeinsamen Haftung gegenüber dem Geschädigten anknüpft, sondern schon eine Stufe zuvor an der von allen zu verantwortenden Schädigung selbst577. § 426 ist so gesehen nur ein besonderer Anwendungsfall eines ungeschriebenen Obersatzes, wonach ein mehreren zurechenbarer Schaden sich im Innenverhältnis unter die Schädiger nach dem Verhältnis ihrer Tatbeiträge verteilt. Ob die Schädiger im Außenver575
Hanau, VersR 1967, 518. Hierzu oben, 592 ff. 577 Zum Folgenden Hanau, VersR 1967, 518 ff.; Selb, Mehrheiten, 90 f., 129 ff.; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 2 f., 11, 55 f., 62; Soergel/Wolf, § 426 Rz 5, 42; ähnlich Carl, DR 1939, 259; Booß, DR 1939, 1319; Ehmann, Gesamtschuld, 245; Muscheler, JR 1994, 447; ablehnend Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 163 ff. 576
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
hältnis zum Geschädigten tatsächlich haften, ist sekundär. Schon die gemeinsam zu verantwortende Schädigung lässt ein gesetzliches Gemeinschaftsverhältnis entstehen, das auf eine Art „horizontale Culpakompensation“578 gerichtet ist. Der Geschädigte kann zwar einen der Schädiger im Außenverhältnis von der Haftung freistellen, nicht aber in den gesetzlich vorgesehenen Schadensausgleich eingreifen. Die These einer gesetzlichen Schadensgemeinschaft, die vom Außenverhältnis unabhängige Ausgleichsansprüche hervorbringt, wird nicht immer so explizit vertreten, aber sie liegt der Sache nach allen Ansichten zugrunde, welche sich für den Fall des anfänglichen Haftungsverzichts für die Regresslösung entscheiden, also auch der Rechtsprechung579. Da der Ausgleichsanspruch des verbleibenden Schädigers R sich nicht auf eine Gesamtschuld stützen kann, muss er auf etwas anderes gestützt werden. Dieses andere kann nur ein durch die gemeinsame Schädigung hervorgehendes gesetzliches Schuldverhältnis sein. Im Ausgangsfall BGHZ 12, 213, in dem es um die Haftung mehrerer Halter im Straßenverkehr ging, beriefen sich Befürworter der Regresslösung auf § 17 StVG, der einen Innenausgleich nach Verursachungsbeiträgen vorsieht, wenn mehrere „einem Dritten kraft Gesetzes zum Ersatz des Schadens verpflichtet“ sind. Der vertragliche Haftungsverzicht, so wurde argumentiert, könne zwar in das Außenverhältnis, nicht aber in das gesetzliche Ausgleichsverhältnis i.S.d. § 17 StVG eingreifen, das nicht auf der tatsächlichen Außenhaftung mehrerer beruhe, sondern schon darauf, dass die gesetzlichen Haftungsvoraussetzungen bei mehreren erfüllt seien580. Demgegenüber lehnt die – hier so genannte – Theorie der materiellen Teilschuld die Annahme einer von der Außenhaftung unabhängigen Schadensgemeinschaft ab. Ist einer der Verursacher von der Haftung befreit, ist er nicht Gesamtschuldner und daher auch nicht regresspflichtig. Zur Lösung der Dreieckskonstellation wird statt dessen auf den hier schon mehrfach erwähnten581 Gedanken zurückgegriffen, dass der Mitverursacher eines Schadens „an sich“ nur Ersatz desjenigen Schadensanteils schuldet, der seinem Verursachungsbeitrag entspricht582. Die gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Mitverursacher wird 578 So Hanau, VersR 1967, 518. Diese steht der vertikalen Culpakompensation nach § 254 gegenüber. Für culpa muss selbstverständlich nicht nur Verschulden, sondern in erster Linie Höhe des Kausalbeitrags eingesetzt werden. 579 Anders Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 163 ff., nach dem der Rückgriff gegen den nicht Haftenden nicht mit einem Gemeinschaftsverhältnis, wohl aber mit einer Analogie zu § 426 begründet werden kann. Ob es sich dabei tatsächlich um verschiedene Sachbegründungen handelt, ist fraglich, weil auch die analoge Anwendung des § 426 bzw. die relative Unwirksamkeit der Haftungsbeschränkung einer Begründung bedarf. 580 So Carl, DR 1939, 258; Booß, DR 1939, 1319 f.; Hanau, VersR 1967, 519. 581 Oben, 546 ff., 645 ff., 721 ff. 582 G. und D. Reinicke, NJW 1954, 1641; Esser, SR AT, § 59 II 3 (S. 443); Prölss, JuS 1966, 402; Keuk, AcP 168 (1968), 177 ff.; dies., JZ 1972, 528 f.; Gemtos, Haftungsausschluß, 38 ff.; Goette, Gesamtschuldbegriff, 140 ff.; Esser/Schmidt, SR AT 2, § 39 II (S. 347); Costede, JR 2005, 46; für Haftungsfreistellungen nach § 636 RVO (§ 104 SGB VII) auch Selb, JZ 1990, 387; ders., FS Lorenz, 249 f.
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vom Gesetz allein zum Schutz des Geschädigten angeordnet, um diesem die Ermittlung der internen Anteile und die Mühe mehrfacher Rechtsverfolgung zu ersparen. Haftet aber einer der Schuldner nicht, fallen die Gründe für die Solidarhaftung fort: Der Verantwortungsbeitrag des verbleibenden Schuldners R kann nicht mit dem Verantwortungsbeitrag des Privilegierten S verbunden werden583. Eine Haftung des R für das Insolvenzrisiko des S ist sinnlos, wenn S gar nicht haftet584. R haftet also nur dann für den gesamten Schaden, wenn er einen Regressanspruch gegen S hat585. Teilweise wird darauf abgestellt, dass der Gläubiger die Nichthaftung des S durch die Freistellung selbst verursachte: Stört er den Ausgleichsmechanismus586, zerschneidet er das zu seinen Gunsten geknüpfte Solidarband587, nimmt er S’ Anteil aus der gesamtschuldnerischen Verklammerung heraus588, kann er die Vorteile der Solidarhaftung nicht in Anspruch nehmen. R haftet also im Außenverhältnis nur auf seinen internen Anteil. Diese Teilhaftung ist weniger Ausdruck eines nach außen gewendeten Innenverhältnisses als eine Rückführung der Lage von der künstlichen gläubigerschützenden Gesamtschuld zur „natürlichen“ Teilschuld. Sowohl die Vorstellung einer gesetzlichen Ausgleichsgemeinschaft als auch die der Gesamtschuld als gläubigerschützender Verknüpfung materieller Teilschulden spielen auch außerhalb der gestörten Gesamtschuld für die Ausgestaltung des Regresses eine Rolle. Die der Sache nach auch von der Rechtsprechung angenommene Schadensgemeinschaft kann nicht nur den Rückgriff bei anfänglicher Haftungsfreistellung, sondern auch den privilegierten Gesamtschuldregress als solchen erklären. Geht man davon aus, dass der Geschädigte durch einen vertraglichen Haftungsausschluss die gesetzliche Ausgleichsordnung nicht stören kann, dann müssen nachträgliche Befreiungen im Außenverhältnis erst recht unbeachtlich sein: Der Erlass, die Verjährung oder die rechtskräftige Abweisung der Gläubigerforderung lassen das gesetzliche Ausgleichsverhältnis unberührt. Auch das Bestehen von Mitwirkungs- und Befreiungsansprüchen lässt sich aus der gesetzlichen Schadensgemeinschaft zwanglos erklären. Die Theorie der materiellen Teilschuld wiederum wird von einer Minderheit auch für den Ausgleich bei nachträglichen Haftungsbefreiungen herangezogen. Wie berichtet hat sich generell Keuk und beim Einzelerlass auch Goette dagegen gewandt, dass derjenige Schuldner, der vom Gläubigerzugriff befreit ist, noch zum Regress herangezogen wird589. Vielmehr soll mit Befreiung eines Schuldners die solidarische Verknüpfung der materiellen Teilschulden fortfallen. Der verbleibende Schuldner haftet dann auch im Außenverhältnis nur noch für seinen internen Anteil. Die herrschende Lehre wechselt dagegen die Modelle, je nach583 584 585 586 587 588 589
Keuk, AcP 168, 188. Prölss, JuS 1966, 402. G. und D. Reinicke, NJW 1954, 1641. Esser, SR AT, § 59 II 3 (S. 443). Esser/Schmidt, SR AT 2, § 39 II (S. 347); ähnlich Gemtos, Haftungsausschluß, 40. Goette, Gesamtschuldbegriff, 141; Keuk, AcP 168, 189. Oben, 675 f.
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
dem ob es sich um anfängliche oder nachträgliche Befreiungen handelt: Wird einer der möglichen Gesamtschuldner schon von Anfang an von der Haftung freigestellt, ist er nicht regresspflichtig; vielmehr haftet nach dem Modell der materiellen Teilschuld der verbleibende Schuldner nur noch in Höhe seines Innenanteils. Bei nachträglichen Befreiungen dagegen gilt das Modell der Schuldgemeinschaft, die gesetzliche, vom Schicksal der Gläubigerforderung unabhängige, Ausgleichsansprüche hervorbringt590. Im vorliegenden Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Wertungen, welche diesen beiden Modellen zugrunde liegen, auch auf Fälle übertragen werden können, in denen einer oder alle möglichen Schuldner nur vertraglich haften. Hier stellen sich zwei Fragen. a) Können rein vertragliche Verbindlichkeiten eine von der Außenhaftung unabhängige Schadens- oder Schuldgemeinschaft begründen? b) Gilt die von beiden Modellen geteilte Prämisse, dass der verbleibende Schuldner ein Recht darauf hat, zumindest bei Solvenz des Befreiten im Ergebnis nur für seinen internen Anteil in Anspruch genommen zu werden, auch dann, wenn die Schuldner lediglich vertraglich haften?
b) Das Modell der Schuldgemeinschaft bei vertraglich begründeten Ansprüchen (1) Regress gegen den Vertragsschuldner trotz fehlender Haftung? S und R verursachen einen Schaden des G. S haftet nicht gesetzlich, würde aber vertraglich haften, wäre er nicht im konkreten Fall von der Vertragshaftung gegenüber G freigestellt, sei es wegen eines wirksamen Haftungsausschlusses oder wegen eines milderen Haftungsmaßstabes. Leistet der andere Schuldner R an G, stellt sich die Rückgriffsfrage. Ist die Haftung des S gegenüber G nur beschränkt, etwa durch eine vereinbarte Haftungshöchstsumme, fragt es sich, ob der Rückgriff des R über diese Begrenzung hinausgehen kann. Die Rechtsprechung hat einen solchen Fall, soweit ersichtlich, bislang nicht entschieden. Wer im Grundfall der gestörten Gesamtschuld die Regresslösung ablehnt, wird auch in diesem Fall einen Regress gegen S nicht zulassen. Bei dem Teil der Literatur, der die Regresslösung befürwortet, ist dagegen nicht immer klar, ob er an dieser Lösung auch dann festhält, wenn der Privilegierte ohne die Privilegierung nur vertraglich schulden würde. Dies hängt davon ab, unter welchen Umständen eine Schadensgemeinschaft entsteht, die einen Regress auch ohne Außenhaftung eröffnet. Die von der Rechtsprechung und einem Teil der Literatur angenommene Schadensgemeinschaft entsteht nicht schon dadurch, dass mehrere einen Schaden verursachen. Wer wegen fehlender Rechtswidrigkeit oder fehlender Schuld nicht haftet, wird auch zu Ausgleichsansprüchen nicht herangezogen. Dasselbe gilt nach der Rechtsprechung des BGH inzwischen auch für Mitverursacher, die sich 590
Besonders deutlich bei Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 81 f.
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auf eine gesetzliche Haftungsmilderung wie § 1664 berufen können591. Die Schadensgemeinschaft entsteht nur zwischen solchen Mitverursachern, die haftungsrechtlich mitverantwortlich sind, die also bei Ausblendung einer vertraglichen Haftungsfreistellung zum Schadensersatz verpflichtet wären. Wenn aber eine vertragliche Haftungsbefreiung die gesetzliche Ausgleichsgemeinschaft nicht beeinflussen kann, dann müsste umgekehrt, wenn gesetzlich keine solche Gemeinschaft entsteht, eine rein vertraglich vereinbarte Haftung daran nichts ändern können: Maßstab ist dann allein das Gesetz, während vertragliche Abreden die Stellung eines Verursachers hinsichtlich der Schadensgemeinschaft weder verbessern noch verschlechtern können. Tatsächlich soll die vom Außenverhältnis unabhängige Schadensgemeinschaft zumindest nach einem Teil ihrer Befürworter nur unter Schuldnern entstehen können, die, wären sie nicht vertraglich befreit, aufgrund Gesetzes haften würden592. Im Musterfall der vertraglichen Haftungsfreistellung im Straßenverkehr wird auf § 17 StVG verwiesen, der einen Innenausgleich nur unter gesetzlich Haftenden vorsieht593. Auch das vom BGH verwendete Argument der haftungsrechtlichen Gleichbehandlung der Teilnehmer im Straßenverkehr594 spricht eher gegen eine Einbeziehung desjenigen, der dem Geschädigten allein aufgrund einer besonderen Abrede verpflichtet ist. Hanau ging von einer autonomen Ordnung des Innenverhältnisses in der Schadensgemeinschaft aus, die durch vertragliche Abreden in keine Richtung hin verändert werden könne. Rein vertragliche Schadensersatzansprüche hätten daher beim Ausgleich nach dem Maß des Tatbeitrags außer Acht zu bleiben595. Auch der Referentenentwurf von 1967 erfasste mit seiner Regresslösung nur die Befreiung von einer gesetzlichen Schadensersatzpflicht596. Angesprochen wird die Frage der „gestörten vertraglichen Gesamtschuld“ für den Fall, dass sowohl der Bauunternehmer als auch der Architekt gegenüber dem Bauherrn für einen Schaden oder Mangel haften würden, eine Partei aber vertraglich von der Haftung freigestellt wird. Während die wohl herrschende Lehre den Rückgriff gegen einen Vertragsschuldner ausschließt, soweit dieser von Anfang an gegenüber dem Gläubiger nicht haftet597, will ein anderer Teil der Literatur den Gesamtschuldregress ungeachtet der Haftungsbeschränkung ohne weiteres 591 BGHZ 103, 338, 347 (1.3.1988) unter Aufgabe von BGHZ 35, 317, 323 ff. (27.6.1961); OLG Hamm, NJW-RR 1994, 415 (17.8.1993); BGH NJW 2004, 2892, 2893 f. (15.6.2004); ebenso Stoll, FamRZ 1962, 65; Christensen, MDR 1989, 950 f. 592 Raisch, JZ 1965, 706; wohl auch Mirow, Unechte Gesamtschulden, 52; Muscheler, JR 1994, 447. 593 Carl, DR 1939, 259; Booß, DR 1939, 1319; Hanau, VersR 1967, 519. 594 BGHZ 35, 317, 324 (27.6.1961). 595 Hanau, VersR 1967, 519 f., 523. 596 Referentenentwurf § 840 II 1, Vorentwurf in Karlsruher Forum 1962 (Beilage VersR 1962). 597 Ludewig, Gesamtschuldnerausgleich, 214 ff.; Kaiser, Mängelhaftungsrecht, Rz 359; Werner/ Pastor, Bauprozess, Rz 2010 f.; Soergel/Teichmann, § 635 Rz 68, 71; Weise, BauR 1992, 691; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 96, 123, 222, 231; wohl auch Kuß, VOB, § 13 VOB/B Rz 24; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 50; s.a. Wussow, NJW 1974, 13.
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zulassen598. Nach Selb soll die von der Außenhaftung unabhängige Schadensgemeinschaft auch rein vertragliche Verbindlichkeiten umfassen können, und zwar dann, wenn die vertragliche Primärleistungspflicht mehrere treffe599. Selb nennt das Beispiel, dass der Bauherr G sowohl den Architekten A als auch einen Unternehmer U (offenbar unabhängig voneinander) damit beauftragt, die Werkleistung des Dritten D zu beaufsichtigen. Dem Bauherrn entsteht ein Schaden, weil A und U leicht fahrlässig ihre Aufsichtspflicht verletzen. Der Vertrag mit A sieht einen Haftungsausschluss bei leichter Fahrlässigkeit vor. Hier sei A trotz fehlender Vertragshaftung gegenüber U anteilig regresspflichtig. Unklar ist, warum es auf den gleichen Inhalt der vertraglichen Primärleistungspflicht ankommen soll. Nimmt man an, auch D treffe ein Verschulden, dann müsste die Schadensgemeinschaft nach Selb nur zwischen A und U entstehen, weil beide verpflichtet waren, D zu überwachen, nicht aber zwischen A und D, weil D die Werkleistung, A die Überwachung schuldete. Der BGH, auf den Selb sich beruht, hat den Ausgleich zwischen Architekten und Unternehmer jedenfalls nicht davon abhängig gemacht, dass beide dieselbe Primärleistung schulden600. Doch auch abgesehen davon ist es nicht stimmig, denjenigen in eine Ausgleichsgemeinschaft einzubeziehen, der allein aufgrund eines Vertrags haften würde, von dieser Vertragshaftung im konkreten Fall aber gerade freigestellt ist. Eine solche Konstruktion wäre in sich nicht schlüssig: Einerseits wird der Vertrag zwischen dem Gläubiger und einem Schuldner beachtet, um den Schuldner in die Gemeinschaft einzubeziehen; andererseits wird er gerade nicht beachtet, wenn eine Haftungsfreistellung oder -beschränkung den Innenausgleich nicht stören soll. Es ist aber nicht zulässig, den Vertrag nur halb heranzuziehen, um zum gewünschten Regress zu kommen. Kann die Einbeziehung des Schuldners in die Schadensgemeinschaft nur mit seiner vertraglichen Vereinbarung gerechtfertigt werden, dann muss diese Vereinbarung auch durchwegs beachtet werden. Stellt der Vertrag den Schuldner im konkreten Fall haftungsfrei, dann kann nicht mit demselben Vertrag eine Regresshaftung begründet werden. Zudem ergäben sich zahllose Abgrenzungsprobleme, weil bei jeder Modalität der Vertragshaftung gefragt werden müsste, ob sie nur eine für den Innenausgleich unbeachtliche Begrenzung im Außenverhältnis darstellt oder ob sie von vornherein die Einbeziehung des Schuldners in die Schadensgemeinschaft verhindert. Nach Selb soll 598 Selb, Mehrheiten, 126 ff.; Schmalzl, Haftung, Rz 244; Locher, Baurecht, Rz 289; Knacke, BauR 1985, 276 ff.; Zerr, NZBau 2002, 243 f.; Volze, DS 2005, 130. 599 Selb, Mehrheiten, 126 ff. Auch Carl, DR 1939, 259, wollte vertragliche Verbindlichkeiten einbeziehen, sofern sie gesetzlich ausgestaltet sind, etwa die Haftung aus einem Beförderungsvertrag. Bei P. Bydlinski wird nicht ganz klar, unter welchen Voraussetzungen ein Gemeinschaftsverhältnis entstehen soll, vgl. MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 2 f., 10 f., 55 f., 62. Unklar bleibt dieser Punkt auch bei Muscheler, der ein Gemeinschaftsverhältnis bei Nebentätern verneint und trotzdem eine Gesamtschuld fingieren will, JR 1994, 447. Der Verweis auf die Fiktion beantwortet nicht die Frage, warum und wann fingiert wird. 600 Oben, 934 f.
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etwa eine Haftungsmilderung für den Regress unbeachtlich, eine vereinbarte Haftungshöchstsumme dagegen beachtlich sein601; die Grundlage für diese Unterscheidung ist aber nicht klar. Kommt als Grundlage für einen Schadensersatz- oder Mängelbeseitigungsanspruch des Gläubigers G gegen den Vertragsschuldner S nur der Vertrag zwischen G und S in Betracht, dann kann sich auch das Regressrecht des Mitschuldners R nur auf diesen Vertrag stützen und entsteht daher nicht, wenn der Vertrag im konkreten Fall S’ Haftung gerade ausschloss. Das Argument, die vertragliche Haftungsbeschränkung zwischen G und S könne nur Wirkung inter partes haben und die Rechtstellung Dritter nicht beeinflussen602, kann dann nicht gelten, wenn der Dritte sich für seinen Regress gerade auf diesen Vertrag zwischen G und S beruft. Will man also überhaupt eine Schadensgemeinschaft unter Einbeziehung von Personen anerkennen, die im Außenverhältnis nicht schulden, so muss diese Schadensgemeinschaft auf Fälle beschränkt werden, in denen von einer gesetzlichen Verpflichtung freigestellt wurde. Hier zeigen sich bedeutende Unterschiede zwischen vertraglicher und gesetzlicher Haftung. Über die sachliche Berechtigung einer Schadensgemeinschaft bei gesetzlichen Verbindlichkeiten kann man sich streiten, sie ist aber dogmatisch nicht von vornherein ausgeschlossen. Zumindest der Gesetzgeber ist frei, vertragliche Befreiungen von gesetzlichen Verbindlichkeiten für unwirksam zu erklären, sei es ganz, oder sei es nur in Hinsicht auf das interne Ausgleichsverhältnis. (2) Einbeziehung des Vertragsschuldners in eine Schuldgemeinschaft? Diese Freiheit des Gesetzgebers zur Ausgestaltung gesetzlicher Verbindlichkeiten ist aber nicht nur der Grund für die Zulässigkeit eines Regresses bei vertraglicher Freistellung von einer gesetzlichen Verbindlichkeit, sondern auch für die Zulässigkeit der von der herrschenden Lehre angenommene Schuldgemeinschaft unter deliktischen Gesamtschuldnern. Diese Schuldgemeinschaft führt im Ergebnis dazu, dass der deliktische Schädiger nicht nur dem Schadensersatzanspruch des Geschädigten ausgesetzt ist, sondern auch Befreiungs- und Regressansprüchen von Mitschädigern, und zwar auch dann, wenn er dem Gläubigerzugriff nicht mehr unterliegt. Auch hier lässt sich über die Angemessenheit dieser Lösung sachlich streiten. Der Gesetzgeber ist aber frei, bei gesetzlichen Schadensersatzansprüchen eine Schuldgemeinschaft vorzusehen, welche die Haftung eines Schädigers im Ergebnis über die von § 823 gezogenen Grenzen hinaus erweitert603. Ein funktional ähnliches Ergebnis könnte statt mit einer Schuldgemeinschaft auch mit der alternativen Konstruktion erreicht werden, Mitverursa601
Selb, Mehrheiten, 130 f.; vgl. auch MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 58–60; Soergel/Wolf, § 426
Rz 43. 602 603
So Zerr, NZBau 2002, 244. Oben, 691 f.
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
chern untereinander deliktische Schadensersatzansprüche wegen reiner Vermögensschäden zu gewähren. Zumindest im Falle kumulativer Kausalität könnte der Regress dann die Gestalt eines Schadensersatzanspruchs wegen der vom Mitschädiger mitverursachten Haftungspflicht annehmen, wäre von der Außenhaftung gegenüber dem Gläubigeranspruch unabhängig und käme daher auch bei anfänglichen Haftungsfreistellungen zum Einsatz. Diese Lösung steht insbesondere Rechtsordnungen mit deliktischer Generalklausel offen604. Im deutschen Recht hat man versucht, auf diesem Weg einen Regress bei anfänglicher vertraglicher Haftungsbefreiung zu erreichen605. Es besteht aber heute Einigkeit darüber, dass etwa die Vorschriften zur Regelung des Straßenverkehrs oder zur Strafbarkeit der Brandstiftung nicht dazu dienen, Beteiligte vor Haftungsrisiken zu schützen, und damit keine Schutzgesetze i.S.d. § 823 II sind, auf die der Regressberechtigte seinen Anspruch stützen kann606. Statt dessen leitet die Rechtsprechung den Regressanspruch aus einer durch die gemeinsame Schadensverursachung hervorgehenden gesetzlichen Schuldgemeinschaft her. Hierbei handelt es sich um eine dogmatisch andere, aber funktional ähnliche Konstruktion. Ebenso wie der Gesetzgeber frei ist, deliktische Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung reiner Vermögensschäden anzuordnen, ist er frei, eine gesetzliche Schuldgemeinschaft unter deliktischen Mitschädigern vorzusehen. Zweifelhaft ist dagegen, ob eine gesetzliche Schuldgemeinschaft auch solche Schuldner umfassen kann, deren Haftung allein auf einem Vertrag beruht. Der BGH und die herrschende Lehre nehmen dies ohne weiteres an, wie sich am Beispiel der Verjährung zeigt. Nach Ansicht des Siebten Senats kann der Architekt gegenüber dem Unternehmer aus § 426 I auch dann Regress nehmen, wenn die Gewährleistungsansprüche des Bauherrn gegen den Unternehmer schon verjährt sind607. In BGHZ 58, 216 hatten der Bauherr (vertreten durch den Architekten) und der Unternehmer die Geltung der VOB/B und damit eine zweijährige Verjährungsfrist ab Abnahme608 vereinbart. Vier Jahre nach Abnahme zeigten sich Mängel, für die der Bauherr den Architekten erfolgreich in Anspruch nahm.
604
Zur Regressbegründung durch Art. 1382 CC im französischen Recht oben, 581 f. So die Lösung in KG, DR 1939, 256 (9.11.1938). 606 RGZ 82, 206, 213 f. (26.4.1913, Dombrandfall); BGHZ 12, 213, 217; siehe auch die Kritik bei Gemtos, Haftungsausschluß, 18 f. 607 BGH WM 1971, 101, 103 (29.10.1970); ebenso zum Regress des Unternehmers gegen den Architekten BGH VersR 1965, 804 (17.5.1965). Im Ergebnis ebenso für die Haftung mehrerer Unternehmer bei sich überschneidenden Mängelbeseitigungsansprüchen obiter OLG Hamm, NJWRR 1992, 849, 850 (10.1.1992), hier auf der Grundlage der Konstruktion, der leistende Unternehmer führe ein Geschäft des anderen und habe daher Ansprüche aus G.o.A., die in der regelmäßigen Frist verjähren. Doch das Gericht gelangte, weil das Geschäft nicht dem Willen des anderen Unternehmers als Geschäftsherrn entsprach, über § 684 zum Bereicherungsregress und hätte sich hier mit der von der ganz h.L. angenommenen Regel auseinandersetzen müssen, dass der Schuldner einer Rückgriffskondiktion seine Einwendungen gegenüber dem ursprünglichen Gläubiger auch dem Bereicherungsgläubiger entgegenhalten kann, hierzu oben, 599. 608 § 13 Nr. 4 VOB/B in der bis 2001 geltenden Fassung. In der seit 2002 geltenden Fassung beträgt die Verjährungsfrist bei Bauwerken vier Jahre ab Abnahme. 605
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Nach Ansicht des Siebten Senats stand einem Rückgriffsanspruch des Architekten gegen den Unternehmer nichts im Wege609. Die herrschende Lehre stimmt dem zu610. Nach Tiedtke handelt es sich bei der Verjährung um ein Ereignis, das den Zugriff des Gläubigers erst zu einem späteren Zeitpunkt ausschließt und nicht verhindert, dass zunächst einmal ein Gesamtschuldverhältnis entsteht, das nach § 426 I unabhängige, eigenständig verjährende, Ausgleichsansprüche hervorbringt. Der Fall einer vertraglich vereinbarten kurzen Verjährung sei daher kein Fall der gestörten Gesamtschuld (in dem das Kürzungsmodell gelte), sondern schlicht ein Anwendungsfall der Regel, dass der Regress aus § 426 I unabhängig vom Fortbestehen der Gläubigerforderung ist611. Damit wertet die herrschende Lehre völlig verschieden, je nachdem ob es um anfängliche oder um nachträgliche Haftungsbefreiungen geht. Dadurch ist sie aber zu sachlich nicht überzeugenden Differenzierungen gezwungen612. Wer anfänglich von der Haftung freigestellt wird, soll zum Regress nicht herangezogen werden können. Vertragliche Vereinbarungen werden also auch bei der Regressfrage beachtet, wenn sie verhindern, dass der Vertragsschuldner im konkreten Fall überhaupt haftet. Sobald aber die Lage eintritt, dass der Vertragsschuldner zu irgendeinem Zeitpunkt gemeinsam mit einem Dritten schuldet, entsteht mit den Mithaftenden eine vom weiteren Gläubigerzugriff losgelöste Schuldgemeinschaft, deren Regeln an die Stelle der Vertragsvereinbarungen treten. Der Vertrag wird beachtet, wenn es um die Frage geht, ob der Vertragsschuldner überhaupt in die Ausgleichsgemeinschaft einbezogen wird. Sobald dies aber der Fall ist, spielen die vertraglichen Vereinbarungen keine Rolle mehr. Hat der Unternehmer vereinbart, dass er nur unter der Bedingung haftet, dass ihm der Mangel binnen zwei Monaten mitgeteilt wird, und stellt sich der Mangel erst nach drei Monaten heraus, dürfte ein Regress des mithaftenden Architekten nicht mehr möglich sein, weil der Unternehmer mangels Bedingungseintritt nie haftete. Hat der Unternehmer dagegen eine Ausschlussfrist von zwei Monaten ab Abnahme vereinbart, soll der Architekt noch nach zwei Jahren Regress nehmen können. Für eine solche Unterscheidung gibt es keinen Grund. Kurze Verjäh609
BGHZ 58, 216 (9.3.1972). Hönn, NJW 1965, 1701; ders, NJW 1966, 2201; Wussow, NJW 1974, 14; Brügmann, BauR 1976, 390 f.; Knacke, BauR 1985, 276 f.; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 81 f.; Kaiser, Mängelhaftungsrecht, Rz 341; Schmalzl, Haftung, Rz 244; Ingenstau/Korbion, VOB, § 13 VOB/B Rz 47 f.; Beck’scher VOB-Komm/Zahn, B vor § 13 Rz 130; Locher, Baurecht, Rz 290; Zerr, NZBau 2002, 243 f.; Volze, DS 2005, 130; Kleine-Möller/Merl, Baurecht, Rz 12/1020; Staud/Noack, § 426 Rz 168; Erman/Ehmann, § 421 Rz 81; Staud/Peters/Jacoby, Anh II zu § 638 Rz 56; MüKo/Soergel (1997), § 635 Rz 87; MüKo/Busche, § 634 Rz 144; kritisch aber RGRK/Weber, § 426 Rz 7. 611 Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 81 f. 612 Ebenso Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 92 ff., 217 ff. Vgl. zum Schweizer Recht BGE 130 III 289, 369 ff. (23.2.2004), wonach der Bauunternehmer zumindest dann keinen Regress mehr gegen den Architekten nehmen kann, wenn der Mangel, für den beide verantwortlich sind, sich erst gezeigt hat, nachdem die Ansprüche des Bauherrn gegen den Architekten verjährt waren. Der BGH würde vermutlich den Rücksgriffsanspruch bejahen. 610
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rungs- oder Ausschlussfristen sind ebenso vertragliche Haftungsbegrenzungen, und damit Kalkulationsgrundlagen für den Schuldner, wie Milderungen des Haftungsmaßstabs oder Vereinbarungen über Haftungshöchstsummen. Die herrschende Lehre kann keinen sachlichen Grund dafür nennen, warum manche vertragliche Vereinbarungen beachtet werden und andere nicht. Ebenso wie die Lehre von der Schadensgemeinschaft muss sich auch die Lehre von der Schuldgemeinschaft fragen lassen, ob sie aus dem Vertrag des Schuldners nicht nur diejenigen Rosinen herauspickt, die zur gewünschten Regressbegründung dienen: Wenn der Regress sich auf nichts anderes stützen kann als auf die vertraglich eingegangene Verbindlichkeit des Schuldners gegenüber dem Gläubiger, dann sollten auch die Modalitäten dieser Vertragshaftung beachtet werden. Nach Ansicht Glöckners bildet eine vertragliche Verjährungsfrist, sei sie vertraglich vereinbart oder ergebe sie sich aus dem Gesetz, ein allgemeines Haftungsprivileg, das durch die Zulassung eines Gesamtschuldregresses nicht zunichtegemacht werden kann613. Dem ist zuzustimmen, soweit der Regressschuldner S allein aus Vertrag haftet. Der Rückgriffsanspruch des anderen Schuldners R entsteht in diesem Fall überhaupt nur deswegen, weil S eine vertragliche Pflicht gegenüber dem Gläubiger G übernahm. Es ist nicht zulässig, sich für die Begründung des Regresses allein auf die vertragliche Vereinbarung zwischen S und G zu stützen, bei der Ausgestaltung des Regresses diese Vereinbarung aber außer Acht zu lassen. Das Argument des BGH, die Vereinbarung zwischen S und G über eine Kürzung der Verjährungsfrist könne nur die Vertragsparteien betreffen und dürfe keine Auswirkungen auf den Regress eines Dritten haben, weil sie ansonsten ein Vertrag zulasten Dritter sei614, beachtet nicht, dass sich hier der Dritte des fremden Vertrags zur Begründung seines Regressrechts bedient. Von einem Vertrag zulasten Dritter kann, wenn überhaupt, nur dann gesprochen werden, wenn S ohne den Vertrag gesetzlich gegenüber G haften würde, also in den Fällen des Verzichts auf einen deliktischen Anspruch. Hier schuldet S aber allein aufgrund des Vertrags. Nimmt man den Gedanken ernst, dass Vereinbarungen zwischen S und G Dritte nicht betreffen, dann dürfte der Dritte überhaupt keinen Regress haben, weil ihm die vertragliche Verpflichtung des S gegen G nichts angeht. Erlaubt man dem Dritten aber, sich auf den fremden Vertrag zu berufen, dann greift man nicht in seine Rechte ein, wenn er die Modifikationen dieser Vertragshaftung gegen sich gelten lassen muss. (3) Der Vertragsschuldner als Regressgläubiger: Belastung des Regressschuldners durch fremde Verträge? Sofern der nur vertraglich Haftende nicht der Regresspflichtige, sondern der Regressberechtigte R ist, stellt sich das Problem, dass durch die Annahme einer Ge613 Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 99, 220 f., 223 f., 227, 231 f.; der Sache nach auch schon Schulz, Rückgriff, 76, 78 f.; ebenso Stamm, Regreßfiguren, 49, 70 f.; ders., NJW 2004, 812. 614 BGHZ 58, 216, 219 f.; ebenso Zerr, NZBau 2002, 244.
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samtschuld mit privilegiertem Regress die Stellung des anderen Schuldners S nur deshalb verschlechtert wird, weil R einen Vertrag mit dem Gläubiger geschlossen hat. Dieses Problem wurde hier schon bei der Frage des Gesamtschuldverhältnisses zwischen dem Deliktstäter und dem vertraglich Obhutspflichtigem angesprochen615. Hier ist in der Regel der Deliktstäter intern allein verpflichtet, so dass ihm die zusätzliche Vertragshaftung des R im Endergebnis nicht zugutekommt. Hätte R in diesen Fällen nur einen Zessions- oder Bereicherungsregress, könnte S ihm alle Einwendungen entgegenhalten, die er gegenüber dem Gläubiger hatte, so dass seine Stellung sich wie bei einer Abtretung im Ergebnis kaum verändert. Der Gesamtschuldregress führt hingegen dazu, dass S gegenüber R auch dann noch haftet, wenn er vom Zugriff des Gläubigers befreit ist. Beschädigt S als Alleintäter aus Fahrlässigkeit das Eigentum des G und erhebt dieser trotz Kenntnis des Schädigers innerhalb dreier Jahre keine Klage, ist S nach allgemeinen Regeln von einer durchsetzbaren Forderung frei. Nach der Lehre von der Schuldgemeinschaft ist es nun aber möglich, dass nach fünf Jahren der ihm unbekannte R auftaucht mit der Behauptung, er sei gegenüber G vertraglich dazu verpflichtet gewesen, G’s Eigentum vor Beschädigungen Dritter zu schützen. Weil er nun von G wegen S’ Beschädigung in Anspruch genommen worden sei, verlange er Regress, und zwar in voller Höhe, weil ihn nur eine Überwachungspflichtsverletztung treffe. Wem das Ergebnis, dass R Regress gegenüber S nehmen kann, noch nicht unerträglich genug erscheint, könnte den Fall so abwandeln, dass R 20 Jahre nach der Beschädigung bei S auftaucht, weil G mit R eine entsprechend lange Verjährungsfrist vereinbart hatte. Spätestens bei dieser Fallvariante müsste klar werden, dass bei unmodifizierter Anwendung der Regeln zum privilegierten Gesamtschuldregress der Vertrag zwischen G und R tatsächlich einem Vertrag zulasten Dritter gleichkommen kann. Zwar muss sich ein Schädiger in gewissem Umfang gefallen lassen, dass seine Stellung durch einen für ihn fremden Vertrag verschlechtert wird. Hatte der Gläubiger die Sache, die der Schädiger zerstört hat, an K mit hoher Gewinnspanne weiterverkauft, dann schuldet der Schädiger nach § 252 den entgangenen Gewinn, so dass sich der zwischen G und K geschlossene Kaufvertrag ungünstig auf ihn auswirkt. Hier geht es aber um ein Problem der Schadensberechnung bei schon feststehender Haftung des Schädigers. Denkbar ist auch, dass die Kenntnis der vertraglichen Mithaftung eines anderen die Stellung eines Schuldners insoweit verschlechtern kann, als es ihm versagt wird, sich auf nachträgliche Rechtsgeschäfte mit dem Gläubiger zu berufen616. Doch der Umfang und die Modalitäten der ursprünglich gegenüber dem Gläubiger bestehenden Haftung können sich durch einen Vertrag, an dem der Schuldner nicht beteiligt ist, nicht ändern. Profitiert der Schuldner von einem gesetzlichen Haftungsprivileg und haftet daher gegenüber dem Gläubiger nicht, dann kann nicht der Vertrag zwischen dem Gläubiger und einem Dritten dazu führen, dass der Schuldner im Wege der Re615 616
Oben, 929 f. Hierzu unten, 1008 ff.
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gresspflicht sein Haftungsprivileg verliert. Ebenso wenig kann ein fremder Vertrag dazu führen, dass die Verjährung im Wege der Regresspflicht nach Gusto des Gläubigers auf ein Vielfaches ausgeweitet wird. Die Lehre von der Schuldgemeinschaft führt dazu, dass die Haftung des Schuldners im Ergebnis nicht vom Gesetz oder vom Vertrag des Schuldners mit dem Gläubiger abhängig ist, sondern vom Vertrag des Gläubigers mit einem Dritten. Das verstößt gegen die Privatautonomie. (4) Ausnahmen bei praktischer Zusammenarbeit der Vertragsschuldner? Allenfalls könnte die Frage gestellt werden, ob nicht dann ausnahmsweise etwas anderes gelten soll, wenn die Schuldner bei der Erfüllung ihrer vertraglichen Primärleistungspflichten zusammenwirken, wie bei der Verursachung eines Mangels oder Schadens durch Bauunternehmer und Architekt. In BGHZ 58, 216 argumentierte der Siebte Senat, der Unternehmer könne nicht darauf vertrauen, zwei Jahre nach Abnahme keinen Ansprüchen mehr ausgesetzt zu sein, weil er auch mit deliktischen Ansprüchen, etwa im Fall der Beschädigung des Eigentums des Bauherrn, rechnen müsse, die erst drei Jahre nach Kenntniserlangung durch den Bauherrn verjähren617. Dass der Unternehmer mit Deliktsansprüchen rechnen muss, ist richtig, aber geradezu ein Totschlagsargument, weil es impliziert, dass Vereinbarungen über vertragliche Verjährungsfristen bedeutungslos und damit überflüssig sind. Das ist nicht der Standpunkt des BGB. Der Unternehmer haftete hier gerade nicht deliktisch, sondern nur vertraglich, und zwar auf Grundlage der vereinbarten VOB mit zweijähriger Verjährung. Der Siebte Senat argumentierte weiter, der Unternehmer könne nicht damit rechnen, dass auch die Verjährungsfristen gegen andere am Bau Beteiligte entsprechend gekürzt sind, so dass er mit einer später erhobenen Regressforderung rechnen und diese Möglichkeit bei seiner Kalkulation berücksichtigen müsse618. An dieser Stelle wird deutlich, warum die Rechtsprechung das Gesamtschuldverhältnis zwischen zusammenwirkenden Vertragsschuldnern mit einer Zweckgemeinschaft begründet, die sich aus der Zusammenarbeit bei der Erfüllung der Primärleistungspflichten ergeben soll. Diese Zweckgemeinschaft begründet nicht, dass der Gläubiger die (Schadensersatz- oder Mängelbeseitigungs-)Leistung nur einmal, aber von jedem Schuldner im Ganzen fordern kann, sondern sie dient der Rechtfertigung des privilegierten Gesamtschuldregresses. Die praktische Zusammenarbeit in gegenseitiger Kenntnis begründet eine Schuldgemeinschaft, bei der jeder Beteiligte damit rechnen muss, auch dann, wenn er vom Gläubiger nicht mehr in Anspruch genommen werden kann, einem Regressanspruch der übrigen Schuldner ausgesetzt zu werden. 617 618
BGHZ 58, 216, 222. BGHZ 58, 216, 222.
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Doch die bloße Kenntnis, dass Leistungsstörungen sich mittelbar auf die Rechtsstellung Dritter auswirken können, kann nicht zu einer Erweiterung der eigenen vertraglichen Haftung führen. Die Haftung des Architekten gegenüber dem Bauherrn ist ein reiner Vermögensschaden, für den der Unternehmer deliktsrechtlich nicht haftet. Die Zusammenarbeit auf dem Bau führt auch nicht zu einer Sonderbeziehung, die es rechtfertigen könnte, den Unternehmer ausnahmsweise eine Haftpflicht für reine Vermögensschäden aufzuerlegen. Dies erkennt die herrschende Lehre auch in dem Fall an, in dem ein Vorunternehmer das in Arbeit befindliche Werk des Nachunternehmers vor Abnahme beschädigt619. Weil der Nachunternehmer nach § 644 die Gefahr trägt, bleibt er zur Erfüllung verpflichtet, hat aber keinen deliktischen Anspruch gegen den Vorunternehmer, wenn das beschädigte Werk im Eigentum des Bauherrn stand. Die herrschende Lehre hilft, indem sie dem Bauherrn entweder nach den Regeln der Drittschadensliquidation oder mit Hilfe eines normativen Schadensbegriffs einen (deliktischen und/oder vertraglichen) Anspruch gegen den Vorunternehmer gewährt, der bei Leistung des Nachunternehmers an den Gläubiger gewillkürt oder gesetzlich auf den Nachunternehmer übergeht. Maßgeblich ist also die Ausgestaltung der Haftung des Vorunternehmers gegenüber dem Bauherrn. Auch im Fall der konkurrierenden Schadensersatz- und Mängelbeseitigungsansprüche rechtfertigt der Haftungsschaden des Architekten nicht einen Anspruch des Architekten gegenüber dem Unternehmer, der über dessen Haftung gegenüber dem Gläubiger hinausgeht. Stets muss man sich vor Augen halten, dass bei gewöhnlichen Baumängeln sämtliche Baubeteiligte nur deshalb gegenüber dem Gläubiger haften, weil sie mit ihm einen Vertrag geschlossen haben. Jeder Beteiligte kalkuliert seinen Vertragspreis nach den konkreten vertraglichen Vereinbarungen. Im Falle eines von mehreren zu verantwortenden Baumangels kommt es zu Regressstörungen, weil die verschiedenen Vertragsbeziehungen nicht aufeinander abgestimmt sind. So kann es unbefriedigend erscheinen, wenn für den Architekten die fünfjährige Verjährungsfrist nach § 634 a I Nr. 2 gilt und mit dem Unternehmer die Geltung der VOB und damit (bis 2001) eine zweijährige Frist vereinbart wird. Es erscheint aber nicht gerechtfertigt, dieses Problem auf dem Rücken des regresspflichtigen Vertragsschuldners zu lösen. Dasselbe gilt für einen vom OLG Hamburg 1986 entschiedenen Fall, in dem eine Bauherrengemeinschaft von einem Treuhänder vertreten wurde, der in ihrem Namen Verträge unter anderem mit einem Baubetreuer schloss. Nach dessen AGB sollten alle Ansprüche gegen ihn 12 Monate nach Rechnungslegung verjähren. Den Bauherren entstand ein Schaden, weil sowohl der Treuhänder als auch der Baubetreuer ihre Pflichten verletzt hatten. Bei der Regressklage des 619
Zu diesem Problem ausführlich und m.w.N. Stamm, Regreßfiguren, 172 ff. (dessen eigene Lösung, dem Nachunternehmer gegen den Vorunternehmer einen direkten deliktischen Ersatzanspruch analog § 844 zu gewähren, der hier verfolgten Argumentation allerdings fundamental entgegensteht).
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in Anspruch genommenen Treuhänders gegen den Baubetreuer ließ das Gericht offen, ob die Verjährungsklausel wirksam war, weil sie einem Gesamtschuldregress des Treuhänders ohnehin nicht im Wege stehe620. Auch hier greift die angenommene Schuldgemeinschaft zwischen Treuhänder und Baubetreuer, die das Gericht mit der engen Verflechtung ihrer Pflichten begründete, unzulässig in die privatautonomen Vertragsbeziehungen ein. Hält man die Klausel des Baubetreuers für unbillig, muss man sie einer AGB-Kontrolle unterwerfen. Sofern die Klausel aber Bestand hat und danach gegenüber einer Klage der Bauherren selbst wirken würde, darf sie nicht dadurch umgangen werden, dass die Bauherren ihren Treuhänder in Anspruch nehmen und dieser Regress nimmt. Der Baubetreuer hat nur mit den Bauherren (vertreten durch den Treuhänder) kontrahiert; eine Pflichtverletzung des Treuhänders gegenüber den Bauherren geht ihn nichts an und darf seine vertraglich vereinbarte Rechtsposition nicht schmälern. Die vom BGH vorgeschlagene Lösung, dass jeder Baubeteiligte die Verjährungsfristen gegenüber den anderen Beteiligten mit einkalkulieren soll, weil er mit Regressansprüchen rechnen muss, erscheint auch ökonomisch nicht sinnvoll. Die genaue Kalkulationsgrundlage ist für den einzelnen Baubeteiligten, der die Anzahl der übrigen Beteiligten, geschweige denn ihre Verträge, nicht kennt, schwer zu ermitteln. Nach der Lösung des BGH hätte es der Bauherr sogar in der Hand, mit dem Architekten eine 30jährige Verjährungsfrist zu vereinbaren und damit auch die übrigen Baubeteiligten, die vom Architekten beaufsichtigt werden, 30 Jahre lang potentiellen Regressansprüchen auszusetzen, ohne ihnen diesen Umstand mitteilen zu müssen. Demgegenüber erscheint es sinnvoller, an der allgemeinen Regel festzuhalten, dass die Voraussetzungen und Grenzen eines vertraglichen Anspruchs durch den Vertrag mit dem Schuldner bestimmt werden, nicht durch Drittverträge.
c) Das Modell der materiellen Teilschuld bei vertraglichen Ansprüchen Die Schuldgemeinschaftslehre lässt zum einen den Regress gegen einen Vertragsschuldner in Fällen zu, in denen der Gläubiger nach der vertraglichen Vereinbarung gar nicht auf ihn zugreifen könnte, obwohl diese Vereinbarung den einzigen Grund für den Regressanspruch bildet. Zum anderen lässt sie eine Verschlechterung der Rechtsstellung eines Schuldners zu, nur weil ein Dritter einen Vertrag mit dem Gläubiger geschlossen hat. Beides geschieht offenbar, um ein in ihren Augen noch unbefriedigenderes Ergebnis zu vermeiden, nämlich eine Alleinhaftung des anderen, vom Gläubiger in Anspruch genommenen Schuldners ohne Regressmöglichkeit. Diesen Ausgangspunkt teilt sie mit der Lehre von der materiellen Teilschuld. Diese will den anderen Gesamtschuldner ebenfalls schützen,
620
OLG Hamburg, NJW-RR 1987, 915 (29.10.1986).
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aber nicht durch einen Regress trotz fehlender Außenhaftung des Regressschuldners, sondern schon im Außenverhältnis durch eine Anspruchskürzung zulasten des Gläubigers. Das Teilschuldmodell wird bei anfänglichen Haftungsbefreiungen von einem Großteil der Lehre herangezogen, in Fällen eines nachträglichen Wegfalls der Haftung dagegen nur vereinzelt verwendet. Sowohl die Lehre von der Schuldgemeinschaft als auch die Lehre von der materiellen Teilschuld gehen also davon aus, dass ein Gesamtschuldner das Recht hat, zumindest bei Solvenz des Mitschuldners im Ergebnis nur mit einem bestimmten Innenanteil belastet zu werden. Fraglich ist aber, ob es ein solches Recht im Rahmen vertraglicher Verbindlichkeiten überhaupt gibt. Wie bereits dargelegt, ist die Vorstellung, dass ein deliktischer Mitverursacher „an sich“ nur zum Ersatz eines Teils des Schadens verpflichtet ist, der seinem Verursachungsbeitrag entspricht, nicht zwingend621. Dem Gesetzgeber lag sie fern. Gegenüber der materiellen Teilschuld-Theorie ist daher eingewandt worden, dass der Grundsatz der Totalreparation eine Haftung des Nebentäters für den gesamten Schaden gebiete und ein Recht, bei Haftungsfreistellung des Mitverursachers nur anteilig zu haften, der deutschen Rechtsordnung fremd sei622. Diese Beobachtung ist historisch zutreffend623. Dennoch hat sich die Vorstellung einer materiellen Anteilsschuld im Laufe des 20. Jahrhunderts in Rechtsprechung und Literatur zunehmend durchgesetzt. Diese Art von Rechtsfortbildung, die sich von den Vorstellungen des Gesetzgebers entfernt, erscheint auch nicht von vornherein unzulässig. Wer aber mit einem Modell der zur Gesamtschuld zusammengefassten Teilschulden arbeitet, muss die Grundlagen und Grenzen dieses Modells nennen. Beim anfänglichen Haftungsverzicht bezieht sich die Lehre von der materiellen Teilschuld gewöhnlich auf Fälle der Mitverursachung eines Unfalls im Straßenverkehr. Die möglichen Schuldner sind Nebentäter, die den Schaden nur im Zusammenwirken ihrer Ursachenbeiträge herbeiführen konnten. Die Vorstellung, dass hier zwei Kausalbeiträge zur Gesamtschuld verknüpft werden, beruht darauf, dass die Haftung des einen ohne den Beitrag des anderen gar nicht eingetreten wäre. Bei Keuk ist das Teilschuld-Modell daher auf kumulativ verursachende Nebentäter begrenzt624. Mittäter und Teilnehmer schulden danach offenbar auch „an sich“ schon den Ersatz des gesamten Schadens und haben kein Recht darauf, bei Haftungsfreistellung der anderen nur für einen Innenanteil belangt zu werden. Ähnliches müsste im Fall der alternativen Verursachung gelten. Wenn schon das Handeln des einen Täters allein den Schaden verursacht hätte, ist zweifelhaft, auf welcher Grundlage von einem Recht dieses Täters gesprochen werden kann, bei Existenz eines weiteren, von der Haftung aber freigestellten, Verursachers nur für die Hälfte und bei neun weiteren, aber 621 622 623 624
Oben, 546 ff. Schröder, JR 1970, 43 f.; Riedel, Haftungsausschluss, 85 ff.; Christensen, MDR 1989, 950. Oben, 721 ff. Keuk, AcP 168 (1968), 183 ff., 187.
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freigestellten, Verursachern nur für ein Zehntel des Schadens in Anspruch genommen zu werden625. Die Frage, ob das Modell der materiellen Teilschuld auch für rein vertragliche Schadensersatzansprüche gilt, wird nur vereinzelt angesprochen. Keuk bezog das Teilschuldmodell ursprünglich nur auf deliktische Nebentäter626, wendete es dann aber ebenso wie Goette ohne weiteres auch auf die Haftungen von Bauunternehmer und Architekt an, die vertraglich für denselben Baumangel haften627. Im Fall BGHZ 58, 216, in dem der Bauherr mit dem Unternehmer eine kürzere Verjährungsfrist vereinbart hatte, führt dies zu der Lösung, dass nach der Verjährung der Unternehmerschuld der Anspruch des Bauherrn gegen den Architekten auf seinen Innenanteil (bei reinem Aufsichtsverschulden des Architekten also auf Null) gekürzt wird, weil der Bauherr den Anteil des Unternehmers aus dem gesamtschuldnerischen Haftungsverband herausgelöst habe und der Architekt daher für diesen Anteil nicht mehr einstehen müsse628. Costede schließt demgegenüber die Haftung von Bauunternehmer und Architekt aus dem Teilschuldmodell aus: Anders als der deliktische Nebentäter, der „an sich“ nur anteilig schulde, sollen Unternehmer und Architekt jeweils schon nach allgemeinen Regeln auf das Ganze haften629. Ein Recht des Architekten, im Ergebnis nur für seinen Innenanteil in Anspruch genommen zu werden, gibt es danach offenbar nicht. Tatsächlich ist es zweifelhaft, ob ein Modell, wonach Verbindlichkeiten, die eigentlich Teilschulden wären, durch das Gesetz zum Schutz des Gläubigers zur Gesamtschuld verknüpft werden, überhaupt zu Verbindlichkeiten passt, die vertraglich begründet sind. Bei der Kürzungslösung im Fall der gestörten Gesamtschuld sind Rechtsprechung und Literatur mittlerweile der Ansicht, dass die Höhe der Innenanteile allein durch das Gesetz, genauer gesagt, durch das Ergebnis der Abwägung nach § 254, bestimmt wird und vertraglicher Disponibilität nicht unterliegt: Ergibt die Abwägung, dass der Anteil des nicht privilegierten Schuldners R nach § 254 die Hälfte beträgt, dann haftet R im Außenverhältnis auf diese Hälfte selbst dann, wenn R und der privilegierte Schuldner S eine Vereinbarung getroffen haben, wonach im Innenverhältnis S allein die Belastung tragen soll630. Ist R nach der gesetzlichen Regel des § 840 II intern ganz freigestellt, weil 625
Vgl. Christensen, MDR 1989, 951. Keuk, AcP 168 (1968), 175. 627 Keuk, JZ 1972, 528; Goette, Gesamtschuldbegriff, 140 f.; i.E. ebenso schon Ludewig, Gesamtschuldnerausgleich, 214 ff. 628 Keuk, JZ 1972, 528 ff.; Goette, Gesamtschuldbegriff, 140 f.; ebenso Werner/Pastor, Bauprozess, Rz 2004 ff., 2010; Soergel/Teichmann, § 635 Rz 68; Weise, BauR 1992, 691 f. Demgegenüber will Haase, JR 1972, 376, mit einer Gesamtwirkung der Verjährungsverkürzung zugunsten des Architekten helfen. 629 Costede, JR 2005, 49. 630 BGHZ 110, 114 (23.1.1990); Burkert/Kirchdörfer, JuS 1988, 343 f.; Denck, NZA 1988, 267 f.; Selb, FS Lorenz, 246 ff.; Soergel/Wolf, § 426 Rz 47; Staud/Vieweg, § 840 Rz 75. Diese Diskussion zur sog. „doppelt gestörten Gesamtschuld“ betrifft Haftungsfreistellungen des Arbeitgebers oder Kollegen nach §§ 104 f. SGB VII (früher §§ 636 f. RVO). Streitig ist nach wie vor, ob R und S die für das Außenverhältnis maßgeblichen Innenanteile dadurch ändern können, dass R seine Ver626
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der privilegierte Schuldner S sein Verrichtungsgehilfe ist, dann haftet R im Außenverhältnis gar nicht, selbst wenn S als Arbeitnehmer einen vertraglichen Freistellungsanspruch gegen R hätte, im vertraglichen Innenverhältnis also R belastet ist631. Der BGH begründet beide Ergebnisse mit der Erwägung, dass vertragliche Abreden unter den Schädigern keine Auswirkungen auf das Außenverhältnis zum Geschädigten haben sollen. Die Höhe des Anteils, für den der nicht privilegierte Schuldner im Außenverhältnis haftet, wird also allein durch Gesetz bestimmt und entspricht nicht dem Anteil, den dieser Schuldner im Falle eines Gesamtschuldausgleichs tragen müsste, wenn es keine Privilegierung gäbe. Dann fragt es sich aber, ob solche gesetzlich bestimmten Innenanteile, die bei der Kürzungslösung die Haftung im Außenverhältnis bestimmen, vom Inhalt der Verträge abhängig sein können, die der Geschädigte mit den einzelnen Verursachern geschlossen hatte. Beruht die Haftung des regresspflichtigen Schuldners S auf einem Vertrag, dann stellt sich die Frage, ob der interne Anteil, den der andere Schuldner R „eigentlich“ schulden würde, davon abhängen kann, dass G einen Vertrag mit S schloss. Dies kann an den schon dargestellten Reichsgerichtsfällen illustriert werden, in denen der Gläubiger G als Insasse im Wagen des S durch einen Unfall zwischen S’ und R’s Wagen verletzt wurde, an dem weder S noch R ein eigenes Verschulden traf632. R haftete gesetzlich aus § 7 des heutigen StVG. S haftete gegenüber G vertraglich, weil er ihn entgeltlich befördert hatte, nicht aber gesetzlich, weil nach damaliger Rechtslage auch der entgeltliche Beförderer das Privileg des § 8 a StVG genoss. Es konkurrierten also die gesetzliche Haftung des R und die vertragliche des S. Auf den ersten Blick könnte man hier annehmen, dass R, der den Unfall nur mitverursachte, ein Recht darauf haben muss, bei Solvenz des S im Ergebnis nur anteilig belastet zu werden. Dies hätte zur Folge, dass dann, wenn S’ Haftung gegenüber G ausgeschlossen oder beschränkt wäre, entweder trotzdem eine Schadensgemeinschaft mit Regressrecht zwischen R und S konstruiert werden oder aber der Anspruch des G gegen R gekürzt werden müsste. Doch diese Annahme berücksichtigt nicht das Haftungsprivileg des S nach § 8 a StVG: Besteht zwischen G und S kein Vertrag und trifft S kein Verschulden, dann haftet er im Außenverhältnis nicht. Nach ganz herrschender Ansicht kann in diesem Fall weder S zum Ausgleich herangezogen werden, noch hat R ein Recht darauf, von G nur anteilig in Anspruch genommen zu werden633. Im Ergebnis 631 kehrssicherungspflicht an S delegiert; dafür BGH NJW 1987, 2669 (17.2.1987); BGHZ 110, 114; Burkert/Kirchdörfer, JuS 1988, 344; Soergel/Wolf, § 426 Rz 47; kritisch Selb, FS Lorenz, 248; ablehnend Staud/Vieweg, § 840 Rz 75 f. 631 BGHZ 157, 9, 16 ff. (11.11.2003); BGH NJW 2005, 2309 (10.5.2005). 632 Oben, 924 f. 633 RGZ 84, 415, 431 (30.4.1914); RGZ 138, 1, 3 f. (4.7.1932); RGZ 146, 97, 102 f. (29.11.1934); BGH NJW 1955, 178 (VI, 27.10.1954); BGH NJW 1962, 1394 (VI, 4.5.1962); BGH VersR 1965, 811 (VI, 11.6.1965); Prölss, JuS 1965, 402 f.; Steinbeis, Haftungsausschluss, 151 ff.; weitere Nachweise bei Ludewig, Gesamtschuldnerausgleich, 56 ff.; a.A. Hanau, VersR 1967, 521; Ludewig, a.a.O., 132 ff., 148 f., 161 f.
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trägt R den gesamten Schaden allein. Dann fragt sich aber, mit welcher Begründung und in welchem Ausmaß ein Vertrag zwischen G und S die Stellung des R verbessern kann. Weil R kein Recht auf einen Vertrag zwischen S und G hat, muss es S möglich sein, mit G einen Vertrag zu schließen und dabei seine Haftung auch mit Wirkung gegenüber R zu beschränken. Insofern verhält es sich anders als im Grundfall der gestörten Gesamtschuld BGHZ 12, 213, in dem der Halter und Fahrer sich von einer gesetzlichen Schadensersatzpflicht freizeichnete. Dort kann argumentiert werden, dass der andere Verursacher nach der Gesetzeslage im Ergebnis nur anteilig haften müsste, was durch den Vertrag zwischen Fahrer und Insassen nicht geändert werden dürfe. Hier hat R aber kein Recht auf eine Mitbeteiligung des S. Nimmt S den G gefälligkeitshalber in seinem Wagen mit, der von S’ stets zuverlässigem Angestellten A gesteuert wird, und kommt es durch Verschulden des A und des R zum Unfall, haften nur A und R, weil S sich hinsichtlich § 831 entlasten kann; ist A vermögenslos, trägt R den Schaden allein. Ändert man den Fall so ab, dass G von S unentgeltlich, aber auf der Basis eines Vertrags befördert wird und S zugleich seine Haftung für A wirksam ausgeschlossen hat, dann kann sich im Ergebnis nichts ändern. Die Regeln zur gestörten Gesamtschuld können hier nicht gelten. Es ist nicht zulässig, S nur wegen des mit G geschlossenen Vertrags in eine Schadensgemeinschaft mit R zu ziehen, wenn er seine Vertragshaftung gerade ausgeschlossen hat. Ebenso wenig kann hier aber von einem Recht des R gesprochen werden, im Außenverhältnis zu G nur anteilig zu haften, weil er kein Recht darauf hatte, dass S sich unbeschränkt gegenüber G verpflichtet. Sofern es unbillig erscheint, dass das Regressrecht des R vom Bestehen und von der Ausgestaltung des Vertrags zwischen G und S abhängig ist, liegt das an der Vorschrift des § 8 a StVG selbst, die den Halter des den Insassen befördernden Fahrzeugs zu Lasten der übrigen Verkehrsteilnehmer privilegiert. Diese Privilegierung erscheint gerade bei entgeltlichen Personenbeförderern wenig sachgerecht. Diesem Missstand hat aber der Gesetzgeber mittlerweile dadurch abgeholfen, dass er dem entgeltlichen Beförderer das Privileg des § 8 a StVG entzogen hat. Beruht umgekehrt die Haftung des regressberechtigten Schuldners R auf Vertrag, dann ist schon zweifelhaft, ob eine vertraglich vereinbarte Schadensersatzpflicht darauf gerichtet ist, im Falle möglicher Mitschädiger nur einen Anteil am entstandenen Schaden ersetzen zu müssen. Diese Frage kann offenbar nicht pauschal beantwortet werden, sondern hängt vom Inhalt und von der Auslegung des zwischen G und R geschlossenen Vertrags ab. In manchen Fällen wird der Anteil des Mitschädigers S direkt dem Gläubiger G zugerechnet, nämlich dann, wenn S Erfüllungsgehilfe des G bei seinen Vertragsobliegenheiten gegenüber R ist. Dies ist etwa der Fall, wenn S Architekt ist, dessen Planungsfehler sich der Bauherr G gegenüber dem Unternehmer U zurechnen lassen muss634. Dann wird der Scha-
634
Oben, 932 f.
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densersatzanspruch gegen R nach §§ 254, 278 gekürzt. Ist S aber nicht Erfüllungsgehilfe des G, dann fragt es sich, ob R nicht vertraglich das Risiko übernommen hat, bei Nichthaftung des S den gesamten Schaden im Ergebnis allein zu ersetzen. Nicht immer wird R durch Vertrag verpflichtet, mit dem Schuldner S zusammenzuarbeiten. Vielmehr kann die Beteiligung des S aus R’s Sicht auch Zufall sein. Diese Erwägungen können an einem Beispielsfall illustriert werden: Der Galerist G befürchtet den Diebstahl eines wertvollen Gemäldes und engagiert daher den Wachmann R, der sich ins Publikum mischen und unauffällig das Bild bewachen soll. Weil G besonders sicher gehen will, beauftragt er in der derselben Weise auch den Wachmann S. Dessen Vergütung beträgt aber nur ein Viertel derjenigen von R, weil S sich eine Haftungsbeschränkung auf grobe Fahrlässigkeit ausbedungen hat. R und S mischen sich ins Publikum, ohne voneinander zu wissen. Das Bild wird gestohlen, weil sowohl R als auch S leicht fahrlässig ihre Bewachungspflicht verletzten; hätte nur einer sich pflichtgemäß verhalten, hätte er den Diebstahl verhindert. Nach Selb müsste eine Schuldgemeinschaft entstehen, weil beide die gleiche vertragliche Primärleistungspflicht traf, nämlich die Bewachung des Bildes. Das Ergebnis, wonach S gegenüber R anteilig regresspflichtig ist, überzeugt nicht. Aber auch die Lösung der Lehre von der materiellen Teilschuld, den Anspruch gegen den Wachmann R zu kürzen, erscheint fragwürdig. Zweifelhaft ist hier, ob R überhaupt ein Recht darauf hat, nur einen Teil des Schadens tragen zu müssen. R könnte sich zwar darauf berufen, dass der Diebstahl und damit seine eigene Haftung nicht entstanden wäre, wenn S sich pflichtgemäß verhalten hätte. S war aber gegenüber R zu nichts verpflichtet. Im Ergebnis will R sich auf den zwischen G und S geschlossenen Vertrag berufen, der ihn nichts angeht. Nimmt man an, dass G und R sich darüber einig waren, dass R allein das Bild bewachen sollte, G also keine Mitüberwachungsobliegenheit hatte, dann hat R auch kein Recht darauf, dass G einen weiteren Bewacher beauftragt, der die Haftung dann gegebenenfalls mit R teilen könnte. Wenn G dennoch „freiwillig“ einen zusätzlichen Bewacher einstellt, dann kann er dies auch mit völliger Haftungsfreistellung tun. Ohne die Beauftragung von S hätte R allein den gesamten Schaden tragen müssen. Dann kann er sich nicht darüber beklagen, dass G zusätzlich S, aber mit Haftungsausschluss, beauftragte. Er hat kein Recht auf die Beauftragung des S ohne Haftungsausschluss und damit auch kein Recht auf eine Teilhaftung. Ähnliches gilt, wenn der Bauherr G den Schuldner R mit der Lieferung eines bestimmten Baumaterials an einem bestimmten Termin beauftragt. Weil er besonders sicher gehen will, bestellt er das gleiche Material für denselben Termin auch bei S (wobei er bereit ist, notfalls beide Lieferungen zu bezahlen)635. S ist schon sehr ausgelastet und vereinbart mit G eine Haftungsbegrenzung auf grobe Fahrlässigkeit. Am vereinbarten Termin kommt es wegen einfacher Fahrlässig-
635
Selbstverständlich entsteht hierdurch noch keine Gesamtschuld.
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keit beider Schuldner zu keiner Lieferung, wodurch der Bau verzögert wird und G einen Schaden erleidet. Auch hier ist nicht einzusehen, warum S, der die Bestellung nur unter Vereinbarung der Haftungsbegrenzung annahm, dadurch schlechter gestellt werden sollte, dass G noch einen anderen Vertrag geschlossen hatte. R hatte kein Recht darauf, dass G noch einen zweiten Schuldner ohne Haftungsbegrenzung hinzuzieht. In beiden Fällen ist daher sowohl eine Regresspflicht des freigestellten Schuldners S als auch eine Kürzung des Anspruchs gegen den nicht privilegierten Schuldner R nicht sachgerecht. Damit ist nicht gesagt, dass ohne Haftungsausschluss nicht ein Innenausgleich zwischen den beiden Schuldnern stattfinden kann. Zwar geht den einzelnen Schuldner der Vertrag mit dem jeweils anderen nichts an, doch kommt es einmal zur Situation konkurrierender Haftungen, lässt sich der Ausgleich mit dem Argument der Gläubigerwillkür rechtfertigen. In den Beispielsfällen aber haftet einer der Schuldner von vornherein nicht, so dass die Gefahr der Gläubigerwillkür nicht besteht. Es gibt keine überzeugenden Gründe dafür, den nicht haftenden Schuldner in ein gesetzliches Ausgleichsverhältnis einzubeziehen. Richtigerweise trägt hier der haftende Schuldner den Schaden im Ergebnis allein. Die Beispielsfälle zeigen, dass die Regeln der ganz herrschenden Lehre zur gestörten Gesamtschuld durch anfängliche Haftungsfreistellungen, die in erster Linie für den Fall kumulativ verursachender deliktischer Nebentäter entwickelt wurden, nicht unmodifiziert auf vertraglich begründete Verbindlichkeiten übertragen werden können. Zumindest in manchen Fallkonstellationen ist weder die Regresslösung noch die Kürzungslösung sachgerecht, sondern die Alleinhaftung des verbleibenden Vertragsschuldners R, gegen die keine grundsätzlichen dogmatischen Bedenken sprechen. Erkennt man dies aber an, dann kann man noch einen Schritt weitergehen und fragen, warum ein Vertragsschuldner R, der kein Recht auf eine Innenbeteiligung eines anderen Schuldners S hat, im Fall der konkurrierenden Haftung des S das Recht auf die besonderen Privilegien des Gesamtschuldregresses haben soll. Wenn im Wachmannfall keine Haftungsmilderung mit S vereinbart wurde und S daher ebenfalls haftet, dann erscheint ein Innenausgleich sachgerecht, um die Gefahr der Gläubigerwillkür zu vermeiden. Eine andere Frage ist aber, ob R schon vor seiner Leistung an G ein Befreiungsanspruch gegen S zustehen soll. Ein solcher Anspruch würde bedeuten, dass R sich auf einen fremden Vertrag berufen dürfte, auf dessen Abschluss er keinen Anspruch hat. Die herrschende Lehre würde auch den Befreiungsanspruch mit der Gefahr der Gläubigerwillkür begründen, weil es ohne diesen Anspruch von G’s Entscheidung abhängen würde, wer an G leisten und damit für den internen Anteil des anderen eine Vorleistung erbringen muss636. Dieser unbedingte Schutz auch vor einem Rest an Gläubigerwillkür geht aber zu weit, wenn es sich um ein Nebeneinander ver-
636
Vgl. oben, 603.
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schiedener Verträge handelt. Verkauft V dieselbe Speziessache sowohl an K1 als auch an K2, hängt es von seiner Willkür ab, gegenüber wem er erfüllt und wem er nur Schadensersatz leistet. K1 hat in dieser Lage keine Ansprüche gegen K2. Ebenso wenig ist ein Gläubiger davor geschützt, dass sein Schuldner sein letztes Vermögen dazu verwendet, den Vertrag mit einem anderen Gläubiger zu erfüllen. Erst die Insolvenz führt zur Gleichbehandlung der Gläubiger. Im Gesamtschuldrecht dagegen soll eine perfekte Gleichbehandlung der Schuldner erzielt werden637. Der Preis, der dafür gezahlt wird, ist der Eingriff in die Relativität der Vertragsverhältnisse: R kann sich auf einen für ihn fremden Vertrag berufen, und S, der nur mit G kontrahiert hat, sieht sich einem zusätzlichen Gläubiger gegenüber. Dieser Preis ist nicht gerechtfertigt. Ebenso fragt es sich, mit welcher Begründung ein Gesamtschuldregress des R gegen S gerechtfertigt werden kann, wenn S dem Zugriff des Gläubigers nicht mehr unterliegt. Im Wachmannfall verpflichtete sich R vertraglich gegenüber G, den gesamten Schaden durch den nicht verhinderten Diebstahl zu tragen. Er hatte auf den Vertragsschluss mit S, der zur Gesamtschuld führte, keinen Anspruch. Muss R daher damit rechnen, dass es mangels Vertrag mit S keinen Mitschuldner gibt, dann muss er auch damit rechnen, dass es zwar einen Mitschuldner gibt, dessen Haftung aber wegen einer kurzen Verjährungs- oder Ausschlussfrist zeitlich begrenzt ist. Gegen diese Argumentation könnte eingewandt werden, dass es sich bei den genannten Beispielen um Extremfälle handele, in denen der Gläubiger für ein einfaches Leistungsinteresse im Ergebnis doppelt kontrahiert, die vertraglichen Verbindlichkeiten völlig unabhängig voneinander geschlossen wurden und die Schuldner nichts voneinander wissen. Anders müsse es sich etwa in den von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen zur Haftung von Architekt und Bauunternehmer verhalten, weil diese im Rahmen eines einheitlichen Leistungsinteresses planmäßig zusammenwirken und der Vertrag mit dem Bauunternehmer aus Sicht des Architekten ebenso wenig zufällig sei wie der Vertrag mit dem Architekten aus Sicht des Bauunternehmers. Hier sei die Annahme gerechtfertigt, dass der Architekt oder Unternehmer tatsächlich das Recht habe, im Ergebnis nur mit einem seinem Verursachungsanteil entsprechenden Innenanteil belastet zu werden. Mit der Frage, welcher Partei im gestörten Gesamtschuldverhältnis die Belastung zuzuweisen ist, hat sich insbesondere Glöckner beschäftigt638. Die zwischen dem Bauherrn G und dem Unternehmer U vereinbarte anfängliche Haftungsfreistellung oder -beschränkung sieht er zu Recht als ein allgemeines Haftungsprivileg an, das durch die Zulassung eines Gesamtschuldregresses nicht unterlaufen werden darf. Bei der Entscheidung zwischen den verbleibenden Möglichkeiten der Alleinbelastung des Architekten A und der Kürzungslösung zulasten des G zieht er das Kriterium der Doppelbegünstigung heran: Weicht die zwischen G
637 638
Vgl. die kritische Bilanz bei Weir, Complex Liabilities, § 141. Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 123 ff., 142 ff., 154 ff., 231 ff.
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und U vereinbarte Haftung zugunsten des U von der Haftung nach dispositivem Recht ab, ist zu vermuten, dass G als Ausgleich zu dieser Privilegierung des U einen anderen Vorteil erhält, etwa in Gestalt eines geringeren Preises für U’s Leistung. Könnte er dennoch von A in voller Höhe Regress nehmen, wäre er doppelt begünstigt, was zu vermeiden ist, so dass er im Ergebnis nur einen Anspruch in Höhe der Innenbeteiligung des A hat. Dasselbe soll gelten, wenn der Unternehmer nicht mehr in Anspruch genommen werden kann, weil seine Schuld gegenüber dem Bauherrn verjährt ist. Beruht die Verjährung auf dem Ablauf einer gesetzlichen Verjährungsfrist, soll im Ergebnis der Architekt die Belastung tragen, also regresslos haften639. Vereinbart der Bauherr dagegen mit dem Unternehmer eine gegenüber dem dispositiven Recht kürzere Verjährung, ist zu vermuten, dass er im Gegenzug einen Vorteil etwa in Gestalt eines günstigen Preises erhält, so dass er die Verkürzung nicht auf den Architekten abwälzen darf und im Ergebnis von diesem nur anteilig Schadensersatz verlangen kann. In BGHZ 58, 216 habe der Bauherr mit dem Unternehmer die Geltung der VOB/B und damit eine gegenüber dem dispositiven Recht kürzere Verjährung vereinbart. Daher müsse sein Anspruch gegen den Architekten gekürzt werden640. Ob aber, wie Glöckner annimmt, auch schon die Vereinbarung der VOB im Ergebnis dem Bauherrn zu Last fallen soll, weil es sich bei der VOB um AGB handelt641, ist angesichts der Üblichkeit ihrer Anwendung zweifelhaft. Vor allem aber kann Glöckners Kriterium der Doppelbegünstigung nicht ohne weiteres auf alle Fälle konkurrierender Schadensersatzverbindlichkeiten übertragen werden. Wenn im Wachmannfall der Gläubiger frei ist, ob er neben dem ersten noch einen zweiten Wachmann beauftragt, dann muss er auch das Recht haben, den zweiten Wachmann unter Vereinbarung einer Haftungsbeschränkung zum günstigen Preis zu beauftragen, ohne seine Rechte gegenüber dem ersten damit einzubüßen. Eine Doppelbegünstigung findet hier schon deswegen nicht statt, weil der Gläubiger auch doppelt zahlt. Wenn im Architektenfall anders gewertet werden soll, wenn es hier also ein Recht des Architekten geben soll, zumindest bei Solvenz des Unternehmers im Ergebnis nur mit seinem Innenanteil belastet zu werden, dann muss hierfür ein Grund genannt werden. So könnte man argumentieren, dass der überwachende Architekt nur deswegen gegenüber dem Bauherrn verantwortlich ist, weil der Unternehmer einen Mangel verursacht hat. Der Unternehmer hat sozusagen die Haftung des Architekten „mitverschuldet“. Doch stellt man auf die Kausalität zwischen Pflichtwidrigkeit und Schaden ab, besteht im Architektenfall kein Unterschied zum Wachmannfall: In beiden Fällen besteht eine kumulative Kausalität derart, dass der Schaden des Gläubigers nicht eingetreten wäre, wenn eine der beiden Parteien sich vertragsgemäß verhalten hätte. Will man zwischen dem Wachmannfall und 639 640 641
Glöckner, a.a.O., 223 f. Glöckner, a.a.O., 227. Glöckner, a.a.O., 232 f.
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dem Architektenfall differenzieren, müsste man darauf abstellen, ob der Schaden auch dann eingetreten wäre, wenn man sich die Beteiligung und den Vertrag mit dem anderen Schuldner insgesamt hinwegdenkt642. Für den Wachmann, so könnte argumentiert werden, ist es im Ergebnis gleichgültig, ob der Gläubiger noch einen zusätzlichen Vertrag mit einem zweiten Wachmann geschlossen hat. Der Architekt wird demgegenüber vom Gläubiger verpflichtet, gerade mit dem Unternehmer zusammenzuarbeiten und ihn zu überwachen. Wenn aber das Recht des Architekten auf Teilhaftung mit seiner vertraglichen Pflicht zur Zusammenarbeit mit dem Unternehmer begründet wird, dann folgt es nicht aus seiner Gesamtschuldnerstellung, sondern aus seinem Vertrag mit dem Bauherrn. Ob aber dieser Vertrag so ausgelegt werden kann, dass der Bauherr den Architekten nach Ablauf der Verjährungsfrist gegen den Unternehmer nur eingeschränkt in Anspruch nehmen kann, ist fraglich. Richtig ist zwar, dass bis 2001 für den Architekten die gesetzliche fünfjährige Verjährungsfrist galt, während im Verhältnis zum Unternehmer in der Regel die VOB/B und damit eine nur zweijährige Frist vereinbart wurde. Diesen Unterschied der Verjährungsfristen mag man als unbillig ansehen. In erster Linie hat es aber der Normgeber in der Hand, sollte es offensichtliche Missstände geben, diese zu beheben, etwa durch zwingende Verjährungsfristen oder durch Sondervorschriften wie § 479 II. Ein wichtiger Schritt war insoweit die Neufassung der Verjährungsregeln der VOB/B im Zuge der Schuldrechtsmodernisierung. Die bislang zweijährige Verjährungsfrist gegen den Werkunternehmer bei Mängeln an Bauwerken ist seit 2002 durch eine vierjährige ersetzt worden643, so dass das Problem des regresslos haftenden Architekten zu einem großen Teil entschärft worden ist. Vor allem aber ist es Sache des einzelnen Vertragsschuldners, im Rahmen seiner Vereinbarung mit dem Gläubiger auf die Regresslage zu achten. Der Architekt, der einer gesetzlichen Verjährungsfrist von fünf Jahren ab Abnahme (§ 634 a I Nr. 2) ausgesetzt ist, muss damit rechnen, den Unternehmer vier Jahre nach Abnahme nicht mehr in Anspruch nehmen zu können (insbesondere dann, wenn er wie in BGHZ 58, 216 den Vertrag, und damit die Geltung der VOB, mit dem Unternehmer selbst ausgehandelt hat). Will er das Risiko nicht tragen, muss er entweder auf eine Verlängerung der Verjährungsfrist des Unternehmers oder auf eine Verkürzung seiner eigenen Verjährungsfrist dringen. Wenn sich der Bauherr darauf nicht einlässt und der Architekt sich dennoch vertraglich bindet, spricht viel für eine regresslose Alleinbelastung des Architekten. Aus dem Vertrag mit dem Bauherrn kann ein Recht, im Fall der Verjährung von Regressansprüchen nur anteilig zu haften, jedenfalls nicht entnommen werden. Eine nur anteilige Haftung des Architekten käme aber dann in Frage, wenn der Bauherr mit dem Bauunternehmer eine besondere Vereinbarung getroffen hat, 642
Vgl. Christensen, MDR 1989, 951, der eine solche Kausalitätsbetrachtung im Bereich konkurrierender deliktischer Haftungen vornimmt; kritisch Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 140 f. 643 VOB/B, § 13 Nr. 4.
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die von den üblichen Vertragsgestaltungen abweicht, etwa indem er ihn von der Haftung freistellt, seine Haftung beschränkt oder mit ihm eine Verjährungsfrist vereinbart, welche die gesetzliche oder die nach der VOB/B deutlich unterschreitet. Der Bauherr, der den Architekten mit der Überwachung des Unternehmers beauftragt und ihn damit einer Haftung aussetzt, wenn er die Fehler des Unternehmers übersieht, verhält sich möglicherweise nicht vertragskonform, wenn er die Haftung des Unternehmers in dieser Weise beschränkt. Daher könnte man an eine Kürzung des Schadensersatzanspruchs gegen den Architekten analog § 254 II denken644. Bei der Diskussion zur gestörten Gesamtschuld hat sich Schröder entgegen der herrschenden Lehre gegen ein Recht des Mitverursachers ausgesprochen, grundsätzlich nur für einen Innenanteil in Anspruch genommen werden zu können645. Die grundsätzlich gebotene volle Haftung eines Mitverursachers kann für ihn nur auf dem Weg des § 254 eingeschränkt werden. Zur Lösung der Fälle der gestörten Gesamtschuld hat Schröder daher vorgeschlagen, die Vorschrift des § 254 II 2 weit auszulegen: Wer die Beobachtung der ihm obliegenden Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten einem Dritten überlasse, hafte im Rahmen des § 254 auch für dessen Verschulden. Der Geschädigte müsse sich daher auch ein Verschulden des Arztes anrechnen lassen, den er mit seiner Behandlung beauftrage, oder eines Fahrers, von dem er sich transportieren lasse646. Bei diesem Ansatz, Probleme des gestörten Gesamtschuldregresses mit Hilfe des § 254 zu bewältigen, könnte aber noch weitergehend differenziert werden. Nach Schröder gibt es nur die Alternative zwischen zwei Möglichkeiten: Ist der privilegierte Täter S nicht Gehilfe des Geschädigten G, haftet der andere Täter R regresslos für das Ganze. Ist S dagegen als Gehilfe i.S.d. § 254 zu betrachten, dann wird der Anspruch gegen R nach § 254 unabhängig davon gekürzt, ob S gegenüber G haftet. Denkbar wäre aber auch eine dritte Möglichkeit: Der privilegierte Täter S ist kein Gehilfe des G, so dass R zunächst einmal voll in Anspruch genommen werden kann, doch die Haftungsprivilegierung des S durch G, die R den Regress abschneidet, bedeutet ein anspruchskürzendes Mitverschulden des G. Im Architektenfall könnte dies bedeuten, dass U’s fehlerhafte Leistung allein noch nicht zu einer Kürzung gegenüber A führt, weil U nicht Erfüllungsgehilfe des G gegenüber A ist, doch eine Haftungsprivilegierung des U durch G ein Mitverschulden des G i.S.d. § 254 II darstellt. Ob diese Lösung den Parteiinteressen gerecht wird, ist in erster Linie eine Frage der Vertragsauslegung im Verhältnis zwischen G und A. Sofern man aber mit einer solchen Begründung zu einer Kürzung des Anspruchs gegen den Architekten kommt, kann diese Lösung jedenfalls nicht mehr pauschal mit dem Gesamtschuldverhältnis zwischen Architekten und Unternehmer gerechtfertigt werden. Wer im Wachmannfall der hier vertretenen Lösung einer Alleinhaftung des nicht privilegierten Schuldners zustimmt und im 644 645 646
Vgl. Siegburg, Gewährleistung, Rz 1536 f. Schröder, JR 1970, 41; ähnlich Steinbeis, Haftungsausschluß, 147 ff., 155. Schröder, JR 1970, 45 ff.; s.a. Steinbeis, Haftungsausschluß, 150 f.
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Architektenfall ein allgemeines Recht des Architekten auf eine Teilhaftung annimmt, verlässt die Grundlage, auf der die herrschende Lehre ihre Ergebnisse begründet. Der bloße Umstand, dass zu irgendeinem Zeitpunkt mehrere Vertragsschuldner den Ersatz desselben Schadens schuldeten, rechtfertigt nicht eine Einheitslösung, die sich über den Inhalt der vertraglichen Vereinbarungen hinwegsetzt. Ein Recht des Vertragsschuldners, nur einen Teil des von ihm zu verantwortenden Schadens ersetzen zu müssen, gibt es in der von der herrschenden Lehre behaupteten Allgemeinheit nicht. Das Nebeneinander vertraglicher Verpflichtungen, deren Verletzung zu einem einheitlichen Schaden des Gläubigers führen kann, verlangt differenzierende Lösungen, welche die vereinbarten Modalitäten der Vertragshaftungen beachtet und auch Rücksicht darauf nimmt, inwieweit das eine Vertragsverhältnis zum Inhalt des anderen gemacht wurde. Jede Einheitslösung bei Haftungsgesamtschulden, sei es die von der Außenhaftung unabhängige Schuldgemeinschaft oder sei es das Modell der materiellen Teilschuld, ist ein Holzhammer, welcher der Komplexität der vertraglichen Mehrpersonenverhältnisse nicht gerecht wird.
d) Folgerungen: Die Maßgeblichkeit der vertraglichen Haftungsausgestaltung Haften bei konkurrierenden Schadensersatz- oder Gewährleistungspflichten der regressberechtigte oder der regressverpflichtete Schuldner oder beide allein aufgrund eines Vertrags, kann die Regresspflicht nicht über den Umfang hinausgehen, in dem sich der Regressverpflichtete ursprünglich gegenüber dem Gläubiger verpflichtet hatte. Soweit der Regressberechtigte Vertragsschuldner ist, folgt dies daraus, dass die Rechtsstellung eines Schuldners durch Vereinbarungen, an denen er nicht beteiligt ist, nicht verschlechtert werden kann. Soweit der Regressverpflichtete Vertragsschuldner ist, folgt dies daraus, dass Grundlage des Regresses allein seine Vertragspflicht gegenüber dem Gläubiger ist, deren Modalitäten und Grenzen daher beachtet werden müssen. Haftet daher einer der Schuldner von vornherein nicht gegenüber dem Gläubiger, etwa wegen einer Haftungsfreistellung oder wegen eines milderen Haftungsmaßstabes, kann er auch nicht zum Regress herangezogen werden. Haftet ein Schuldner nur beschränkt, bildet diese Beschränkung die Höchstsumme, für die er im Wege des Regresses in Anspruch genommen werden kann, nicht etwa die Berechnungsgrundlage des Regresses. Haben der Unternehmer U und der Architekt A den Schaden des Gläubigers in Höhe von 10 000 intern zu gleichen Teilen mitverschuldet und haftet U nur bis zur Höhe von 4000, dann kann A Regress nicht nur in Höhe von 2000 (4000 : 2), sondern in Höhe von 4000 nehmen647. Steht U ein Mängelbeseitigungsrecht zu und kostet eine Mängelbeseitigung 647 Im Ergebnis wohl ebenso Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 85, 99 ff.; Weir, Complex Liabilities, § 128.
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
durch U 30 000 und durch A 50 000, dann kann A im Wege des Regresses von U 25 000, nicht nur 15 000 verlangen648. U hat ein Recht darauf, im Wege des Regresses nicht über seine Haftung gegenüber dem Gläubiger hinaus in Anspruch genommen zu werden, nicht aber ein Recht darauf, die vertraglich vereinbarte Haftungssumme nur zur Hälfte tragen zu müssen, wenn es einen Mitverursacher gibt. Entgegen der herrschenden Lehre müssen auch andere Haftungsmodifikationen beachtet werden. Zu diesen gehört das Nachbesserungsrecht des Bauunternehmers. Zwar kann der mithaftende Architekt, anders als der Gläubiger, den Unternehmer trotz dieses Rechts auf eine Kostenbeteiligung in Anspruch nehmen, doch nicht über den Betrag hinaus, den die eigene Nachbesserung den Unternehmer kosten würde. Kurze Verjährungsfristen, die von Anfang an gegenüber dem Gläubiger gelten, sind auch beim Regress zu beachten. War bei der Leistung des einen Gesamtschuldners die Schuld des anderen schon verjährt, kann auch gegen den Gesamtschuldregress aus § 426 I die Einrede der Verjährung erhoben werden. BGHZ 58, 216 ist daher im Ergebnis unrichtig entschieden worden. Denkbar wäre allenfalls, einen eigenständig verjährenden Gesamtschuldregress dann zuzulassen, wenn die Schuld des regresspflichtigen Gesamtschuldners zum Leistungszeitpunkt noch nicht verjährt war. Hierfür kann ins Feld geführt werden, dass eine Leistung des Gesamtschuldners R den Gläubiger in der Praxis davon abhält, den Gesamtschuldner S zu belangen. Im Gegensatz zu dem Fall, in dem R nach der Verjährung der Forderung gegen S leistete, verschafft die Leistung S in diesem Fall einen Vorteil, den er ausgleichen sollte. Wenn aber für den Gesamtschuldregress des R die Verjährungsfrist der Gläubigerforderung gegen S maßgeblich ist, kann es geschehen, dass R seinen Regress praktisch nicht mehr durchsetzen kann. Möglich ist etwa, dass G zwei Wochen vor Ende der Verjährungsfristen gegenüber R und S plant, gerichtliche Schritte gegen S einzuleiten, und dann durch R’s Leistung davon abgehalten wird. R hätte dann nur noch zwei Wochen, um gegenüber S die Verjährung zu unterbrechen. Insbesondere wenn er zu diesem Zeitpunkt noch nichts von der Haftung des S erfahren hätte, bestünde die Gefahr, dass er keinen durchsetzbaren Regress mehr hätte, obwohl S ohne die Leistung des R selbst hätte leisten müssen (und hinsichtlich seines Regresses gegen R denselben Verjährungsproblemen gegenüberstände). Nun kann allerdings auch die Leistung durch einen Dritten i.S.d. § 267 dazu führen, dass der Gläubiger den Schuldner nicht mehr belangt. Dennoch hat der Dritte nach heutiger Lehre grundsätzlich nur eine Rückgriffskondiktion, deren Verjährung an der Gläubigerforderung ausgerichtet wird. Allerdings kann der Dritte sich frei entscheiden, ob er leisten will oder nicht. Der Gesamtschuldner R ist hingegen gezwungen zu leisten. Hinzu kommt, dass der Dritte nach herrschender Lehre dann einen eigenständig verjährenden Regressanspruch hätte,
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Im Ergebnis ebenso Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 236 f.
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wenn er in berechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag handeln würde. Plant etwa der Gläubiger kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist eine Klage gegen seinen Schuldner S, welcher der sachlich nicht bestrittenen Forderung allein wegen Geldmangels nicht nachkommt, und leistet dann D, um S die Kosten eines verlorenen Prozesses zu ersparen, kann er nach §§ 683, 670 Aufwendungsersatz verlangen, und zwar nach herrschender Lehre auch dann noch, wenn die Gläubigerforderung gegen S ohne D’s Leistung inzwischen verjährt wäre. S kann also nach Verjährung seiner Schuld ohnehin nicht ganz sicher sein, von einer durchsetzbaren Forderung befreit zu sein. Dies könnte dafür sprechen, den Gesamtschuldner dem in berechtigter Fremdgeschäftsführung leistenden Dritten gleichzustellen und ihm einen eigenständig verjährenden Regressanspruch zu gewähren, wenn er den Mitschuldner von einer noch nicht verjährten Schuld befreit hat. Wendet man aber dann auf den Gesamtschuldregress des R die allgemeine Verjährungsfrist von drei Jahren ab Kenntnis an, wird die Stellung des S durch die Existenz des Mitschuldners R und damit durch den fremden Vertrag erheblich verschlechtert. Leistet R kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist, würde diese sich praktisch verdoppeln; weiß R zu diesem Zeitpunkt nichts von S’ Haftung, wird S im Ergebnis nur durch die kenntnisunabhängige Höchstfrist geschützt. Besonders unbillig erscheint ein nach allgemeinen Regeln verjährender Gesamtschuldregress, wenn S sich eine kurze Verjährungs- oder Ausschlussfrist, etwa von zwei Monaten, ausbedungen hatte und R noch vor Ende dieser Frist an G leistet. Eine eigenständige Verjährung des Gesamtschuldregresses kann daher von vornherein nur dann gerechtfertigt werden, wenn die für die Gläubigerforderung geltende kurze Frist auch für den Regress gilt. Im Beispiel hätte R, der kurz vor Ablauf der zweimonatigen Frist leistet, noch weitere zwei Monate, um seinen Regress durchzusetzen. Dieses Ergebnis kann dadurch gerechtfertigt werden, dass R nicht besser stehen muss als der Gläubiger selbst. Hatte R den Gläubiger tatsächlich von einer rechtzeitigen Rechtsverfolgung gegenüber S abgehalten, ist dem Gläubiger die Kürze der Frist auch bekannt. Teilt er sie dem leistenden R nicht mit und verliert dieser deswegen seinen Regress, kommt eine Kürzung der Gläubigerforderung gegenüber R nach § 254 in Betracht. Einerseits hat S sich nur gegenüber seinem Vertragspartner G verpflichtet und sollte durch fremde Verträge nicht belastet werden. Anderseits hat R, wenn die Forderung gegen S zum Leistungszeitpunkt noch durchsetzbar war, S einen tatsächlichen Vorteil verschafft, so dass R eine Chance haben sollte, seinen Regress durchzusetzen. Angesichts dieses Interessenkonflikts wäre eine Lösung sinnvoll, die R einen eigenständigen Regress gewährt, die Frist aber gegenüber der allgemeinen Verjährungsfrist verkürzt, sei es nach dem Modell der Schuldrechtskommission durch Einführung einer sechsmonatigen Frist für alle Regressansprüche, sei es nach Schweizer Vorbild durch eine kurze Verwirkungsfrist649. In diesem Fall wäre der vertragliche Schuldner S nur geringfügig dadurch belastet, dass es
649
Hierzu oben, 651.
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einen weiteren Schuldner gibt, der rechtzeitig an den Gläubiger leistet. Eine eigenständige Verjährung des Gesamtschuldregresses bei Befreiung von einer noch durchsetzbaren Schuld ließe sich dann rechtfertigen. War dagegen die Forderung gegen S schon zur Zeit der Leistung des R verjährt, muss auch der Gesamtschuldregress des R von vornherein der Verjährungseinrede unterliegen.
e) Subsidiaritätsklauseln Schwierigkeiten bereiten in diesem Zusammenhang auch Vereinbarungen, wonach ein Schuldner für einen Schaden oder Mangel nur dann haften soll, wenn der Gläubiger Ersatzansprüche gegen wegen desselben Schadens oder Mangels haftende Dritte nicht durchsetzen kann. Zur Auswirkung solcher Klauseln auf den Regress gibt es kaum Rechtsprechung. In der Praxis wurden Subsidiaritätsklauseln früher offenbar zumeist für Fälle verwendet, in denen der von der Klausel begünstigte Schuldner im Innenverhältnis, gäbe es eine Gesamtschuld, ohnehin nicht haften würde, etwa wenn der Architekt vereinbarte, dass er im Falle eines reinen Aufsichtsverschuldens nur subsidiär zum Unternehmer haften sollte650. Heute sind in allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarte Subsidiaritätsklauseln häufig nach § 309 Nr. 7 und 8 unwirksam, so dass sich das Problem in erster Linie bei Individualvereinbarungen stellt. Im Folgenden soll angenommen werden, dass ein Schuldner seine subsidiäre Haftung wirksam und auch für Fälle vereinbart, in denen er im Innenverhältnis anteilig oder sogar ganz ausgleichspflichtig wäre, etwa wenn der Unternehmer nur subsidiär haften soll, falls der Architekt wegen eines Aufsichtsverschuldens ebenfalls haftet. Dann stellt sich die Frage, ob der Regress des anderen Schuldners, hier des Architekten, durch eine solche Klausel ausgeschlossen werden kann. Die Literatur ist gespalten. Ein Teil will den Regress trotz Klausel zulassen651, ein anderer Teil will ihn ausschließen652. Eine weitergehende Diskussion findet nicht statt. Relevant wurde die Frage in einem 1986 vom OLG Hamburg entschieden Fall, in dem eine Bauherrengemeinschaft einen Schaden erlitten hatte, für den sowohl eine Pflichtverletzung des Treuhänders als auch eine solche des Baubetreuers verantwortlich war653. Das Gericht nahm ein Gesamtschuldverhältnis mit anteiliger Innenhaftung der Schuldner an. Der Vertrag mit dem Baubetreuer aber sah vor, dass dieser nur dann haften sollte, wenn Ersatzansprüche gegen wegen desselben Schadens haftende Dritte nicht durchgesetzt werden können. Diese Klausel änderte nach Ansicht des Gerichts nichts an der Ausgleichspflicht des Baubetreuers aus § 426 I. 650
Schmalzl, Haftung, Rz 247; ebenso Ruhkopf, VersR 1963, 209; Wussow, NJW 1974, 9. Selb, Mehrheiten, 130; Soergel/Wolf, § 426 Rz 43; Staud/Noack, § 426 Rz 169; Knacke, BauR 1985, 276 f. 652 Wussow, NJW 1974, 14; Werner/Pastor, Bauprozess, Rz 2013; wohl auch Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 130 f. 653 OLG Hamburg, NJW-RR 1987, 915 (29.10.1986). 651
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Auf den ersten Blick handelt es sich bei der Subsidiaritätsklausel um eine anfängliche vertragliche Haftungsbeschränkung, die den Schuldner auch vor Regressansprüchen schützen sollte. Vereinbart der Schuldner S eine solche Klausel und ist der Mitschuldner R zahlungsfähig, dann haftet S von vornherein nicht gegenüber dem Gläubiger. Ein Gesamtschuldverhältnis, so könnte argumentiert werden, entsteht nicht. Für eine Schuldgemeinschaft, die einen Rückgriffsanspruch des R auch ohne Außenhaftung des S begründen kann, fehlt es an einer Grundlage: R kann sich für seinen Rückgriff auf nichts anderes stützen als auf die Vertragshaftung des S; diese ist aber vertraglich für diesen Fall gerade ausgeschlossen. Nach Ansicht des OLG Hamburg betraf jedoch die Subsidiaritätsklausel nur das Außenverhältnis zum Gläubiger. Eine solche Auslegung der Subsidiaritätsklausel erscheint grundsätzlich möglich. Sie hätte dann lediglich die Bedeutung, bei bestehender Haftung des S den Zugriff des Gläubigers einzuschränken, indem er zunächst zur Inanspruchnahme des Mitschuldners R verpflichtet wird. Da S aber grundsätzlich haftet, entsteht ein Gesamtschuldverhältnis mit Ausgleichspflicht. Gegen eine solche Klausel könnte der Mitschuldner R nichts einwenden: Wenn der Gläubiger die Wahl hat, auf welchen Schuldner er zugreift, kann er sich auch vertraglich binden, zunächst auf einen bestimmten Schuldner zuzugreifen. R muss damit rechnen, stets als Erster in Anspruch genommen zu werden, hat aber den Regress gegen S. Ob aber eine derartige Auslegung stets möglich ist, erscheint fraglich, insbesondere dann, wenn die Klausel als echte Bedingung formuliert ist. Schuldet S nur unter der Bedingung, dass Ansprüche gegen den anderen nicht durchgesetzt werden können, dann schuldet er mangels Bedingungseintritt gar nicht, und dem Regress des R wird die Grundlage entzogen. Es ist auch zweifelhaft, ob ein Gericht zur Erzielung einer vermeintlich gerechten Lösung die Klausel auch gegen den Willen der Vertragsparteien so auslegen kann, dass sie die Schuld des S nicht berührt und nur Auswirkungen auf den Zugriff des Gläubigers hat. Eine solche Argumentation birgt die Gefahr, dass sie sämtliche vertragliche Haftungsbeschränkungen aushebeln kann, indem man annimmt, dass ein Haftungsausschluss oder eine Haftungsmilderung, Höchstsummenvereinbarung oder Verjährungsfrist nur für den Zugriff des Gläubigers gilt und an der „an sich“ bestehenden Schuld nichts ändert. Dass die Gleichsetzung vertraglicher Subsidiaritätsklauseln mit sonstigen Haftungsbeschränkungen dennoch ein gewisses Unbehagen hervorruft, liegt daran, dass die Klausel die Haftung des Schuldners nicht von vornherein, sondern nur für den Fall der Existenz zahlungsfähiger Mitschuldner ausschließt. Würde die Haftung ganz ausgeschlossen, könnte der begünstigte Schuldner nach dem hier vertretenen Ansatz sich darauf berufen, dass eine vertragliche Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger nicht besteht und auch nie bestehen würde, dass er sich also von vornherein nur beschränkt verpflichtet hat und es daher unzulässig ist, einen Regressanspruch allein auf diese Verpflichtung zu stützten, ohne ihre Beschränkungen zu beachten. Im Fall der Subsidiaritätsklausel ist eine Haftung ge-
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genüber dem Gläubiger dagegen möglich, je nach Solvenz der Mitschuldner. Anders als bei sonstigen Haftungsbeschränkungen hat hier der Gläubiger auch im Ergebnis auf nichts verzichtet; er verpflichtet sich zwar zur vorherigen Inanspruchnahme anderer Schuldner, kann aber sicher sein, seine Leistung ebenso zu erhalten, wie wenn die Klausel nicht bestände, weil er im Ergebnis stets nur das Risiko trägt, dass alle Schuldner zahlungsunfähig sind. Eine Subsidiaritätsklausel, die sich nur auf den Zugriff des Gläubigers im Außenverhältnis bezieht, ist, wie gezeigt, unproblematisch möglich. Hat die Klausel aber darüber hinaus noch den Inhalt, die Schuld des Begünstigten bei Solvenz der Mitschuldner ganz auszuschließen, dann unterscheidet sie sich von einer nur im Außenverhältnis geltenden Subsidiaritätsklausel allein dadurch, dass sie den Regress der anderen Schuldner im Innenverhältnis ausschließt. Der Gläubiger, so könnte man argumentieren, kann zwar mit dem Schuldner eine „echte“ Haftungsbeschränkung vereinbaren, die den Schuldner auch vor Regressansprüchen schützt, aber er kann nicht eine Vereinbarung schließen, deren alleiniger materieller Inhalt die Verhinderung des Innenregresses eines Dritten ist. Es war dieser Gedanke, der das Reichsgericht in einer 1939 ergangenen Entscheidung dazu bewog, eine zwischen dem Gläubiger und einem Schuldner vereinbarte Subsidiaritätsklausel für sittenwidrig i.S.d. § 138 und damit für nichtig zu erklären654. Der Fall bezog sich allerdings auf die Einschränkung einer gesetzlichen Haftung, um die es vorliegend nicht geht655. Auch der Gedanke der Sittenwidrigkeit passt nicht recht, weil es nicht um ein anstößiges Ergebnis im Verhältnis unter den Vertragspartnern geht, sondern um die Beschränkung der Rechte Dritter. Erfolgversprechender wäre daher die Argumentation, dass es schlichtweg nicht in der Macht zweier Vertragspartner liegt, einen Vereinbarung zu treffen, die im Ergebnis nicht den Anspruch des Gläubigers, sondern allein die Ansprüche Dritter zunichtemacht. An dieser Stelle ist allerdings zu bedenken, dass außerhalb der Konkurrenz von Schadensersatzansprüchen Vereinbarungen für zulässig gehalten werden, die der Sache nach eine subsidiäre Haftung im Verhältnis zu anderen Schuldnern begründen und einen Regress der anderen Schuldner ausschließen, nämlich bei Bürgenmehrheiten656. Hat sich B1 gegenüber G für die Schuld des S verbürgt, kann B2 sich ebenfalls für S verbürgen und wird damit Mitbürge des B1 mit entsprechender Regresspflicht (§ 769). B2 kann aber statt dessen auch eine Nach654 RG DR 1939, 1318, 1319 (13.5.1939): Der Gläubiger habe mit der Klausel nicht die Gefahr auf sich genommen, sondern lediglich dem Dritten den Ausgleichsanspruch entzogen. Ein vollständiger Haftungsausschluss, der nicht nur den Regress-, sondern auch den Gläubigeranspruch selbst betreffe, sei dagegen unbedenklich. 655 Hier nimmt der BGH eine durch Haftungsbeschränkungen nicht berührte Schadensgemeinschaft unter den Mitverursachern an, was wegen der ohne die Vereinbarung bestehenden gesetzlichen Haftung der Beteiligten im Ergebnis als zumindest vertretbar erscheint, oben, 977 f. Bei den hier behandelten Vertragsansprüchen gäbe es hingegen ohne Vereinbarung gar keine Schuldnermehrheit, so dass der Regress nur auf die Vereinbarung selbst gestützt werden kann. 656 So auch Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 131.
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bürgschaft eingehen, sich also für B1 verbürgen. In diesem Fall kann der Gläubiger auf B2 zugreifen, wenn neben S auch B1 ausfällt. Leistet aber B1 an G, hat er keinen Regress gegenüber B2. Eine weitere Möglichkeit für B2 ist, sich für die Verbindlichkeit des S als Ausfall- oder Schadlosbürge zu verpflichten. Auch dann haftet er im Verhältnis zu B1 subsidiär und ist nach ganz herrschender Lehre keinem Regressanspruch des B1 ausgesetzt657. Die Vereinbarung einer Nach- oder Ausfall- statt einer Mitbürgschaft bedeutet für G im Ergebnis keinen Sicherheitsverlust, weil er befriedigt wird, wenn nur einer aus der Gruppe S, B1 und B2 solvent ist. Sie führt aber dazu, dass B1 keinen Regress hat. Trotzdem ist sie nach ganz herrschender Lehre zulässig. Es kann also nicht argumentiert werden, dass eine Vereinbarung, in der sich ein Schuldner gegenüber dem Gläubiger derart verpflichtet, dass er im Verhältnis zu anderen Schuldnern nur subsidiär haftet und auch keinem Regressanspruch ausgesetzt werden soll, ein grundsätzlich unzulässiger Vertrag zulasten Dritter ist. Denkbar wäre nur eine Differenzierung danach, ob es sich bei der durch die Subsidiaritätsklausel verhinderten Gesamtschuld um eine Mitbürgschaft oder um eine Schadensersatz-Gesamtschuld handelt. Ein Bürge, so könnte argumentiert werden, hat kein Recht darauf, dass sich auch ein anderer verbürgt und damit als Regressschuldner zur Verfügung steht, während im Fall der Schadensersatzgesamtschuld ein Schaden oder Mangel gemeinsam verursacht wurde. Doch wie dargestellt hat auch ein Schadensersatzschuldner kein unbedingtes Recht auf die Mithaftung eines anderen. Wenn im Wachmann-Fall der Gläubiger frei war, einen zweiten Wachmann zu beauftragen und jede Haftung mit ihm auszuschließen, so dass der erste keinen Regress nehmen kann, warum sollte er nicht ebenso einen zweiten Wachmann mit Subsidiaritätsklausel beauftragen können? Wenn dies aber der Fall ist, dann fragt es sich, ob für den Fall des Bauunternehmers und Architekten etwas anderes gelten kann. Der Bauunternehmer, mit dem die Klausel vereinbart wurde, hat zwar den Haftungsschaden des Architekten mitverursacht. Wie gezeigt gibt es aber keine Sonderverbindung zwischen den am Bau Beteiligten, die eine Haftung rechtfertigen könnte, die über die Haftung gegenüber dem Gläubiger hinausgeht. Es bleibt daher offenbar nichts anderes übrig, als Subsidiaritätsklauseln ebenso zu behandeln wie andere vertragliche Haftungsbeschränkungen. Ist eine Auslegung, wonach die Klausel nur den Zugriff des Gläubigers im Außenverhältnis regeln soll, nicht möglich, ist ein Regress gegenüber dem durch die Klausel Begünstigten ausgeschlossen. Ein Schutz des verbleibenden Schuldners muss dann, sofern gewünscht, im Verhältnis zum Gläubiger erfolgen. Der Bauherr, der mit dem Unternehmer eine Subsidiaritätsklausel vereinbart hat und dann den Architekten wegen eines Überwachungsverschuldens in Anspruch nimmt, muss dann ebenso behandelt werden, als habe er den Unternehmer völlig von der Haftung freigestellt, so dass er gegebenenfalls eine Kürzung seines Schadensersatzanspruchs gegenüber dem Architekten nach § 254 II hinnehmen muss. 657
Unten, 1213 ff.
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f) Erlass, Vergleich und andere nachträgliche „Tatsachen“ (1) Regress trotz Erlass? Auf den ersten Blick könnte der hier skizzierte Schutz des Vertragsschuldners vor Regressansprüchen auch nachträgliche Vereinbarungen mit dem Gläubiger betreffen, etwa einen Erlass oder einen Teilerlass im Rahmen eines Vergleichs. Wer nur wegen eines Vertrags Schadensersatz schuldet, so könnte argumentiert werden, kann auch nur wegen dieser vertraglichen Verpflichtung zum Regress herangezogen werden; erlischt die vertragliche Verbindlichkeit durch einen Erlass, entfällt auch die Regressgrundlage. Der Gläubiger hat vielleicht kein Recht, einen Schuldner zulasten weiterer Haftender von einer gesetzlichen Haftung zu befreien. Hier betrifft der Erlass aber eine vertragliche Verbindlichkeit, auf deren Bestehen Mitschuldner keinen Anspruch haben. Demnach würde ein zwischen dem Bauherrn und dem Bauunternehmer vereinbarter Erlass auch Regressansprüche des haftenden Architekten ausschließen. Ähnliches könnte gelten, wenn der Schuldner durch Erlass von einer gesetzlichen Schadensersatzpflicht befreit wird, der regresssuchende Mitschuldner aber rein vertraglich haftet, wie etwa im Wollefall BGHZ 59, 97658. Hier kann argumentiert werden, dass ein Schuldner grundsätzlich das Recht hat, bei einem mit seinem Gläubiger vereinbarten Erlass von jeder Haftung frei zu sein, und dass sich daran nichts ändern darf, nur weil ein Dritter mit dem Gläubiger einen Vertrag geschlossen hatte, aufgrund dessen er ebenfalls haftet. Die Rechtsprechung wertet aber gerade umgekehrt. Die Gesamtschuldlösung im Falle des haftenden Bauunternehmers und Architekten hat sich gerade in einem Fall durchgesetzt, in dem der Bauherr einen Erlass mit dem Bauunternehmer geschlossen hatte und nun den Architekten in Anspruch nahm. Im Innenverhältnis war der Unternehmer überwiegend verantwortlich. Die vom Großen Senat in BGHZ 43, 227 eingeführte Gesamtschuldlösung hatte schon der Siebte Senat in seinem Vorlagebeschluss vorgeschlagen, und zwar gerade zu dem Zweck, einen Ausgleichsanspruch des Architekten gegen den Unternehmer zu ermöglichen659. Ähnlich verhielt es sich im Wollefall BGHZ 59, 97. Das Vorbehaltseigentum des Gläubigers war von der Bank veruntreut worden. Der vom Gläubiger mit der Überwachung der Bank beauftragte Schuldner hatte seine Vertragspflichten verletzt. Im Innenverhältnis war hier offenbar die Bank für den Schaden überwiegend verantwortlich. Der Gläubiger schloss mit der deliktisch haftenden Bank einen Vergleich, in dem er ihr den Großteil seiner Schadensersatzforderung erließ. Dann wandte er sich an den Vertragsschuldner. Der Siebte Senat entschied sich gerade deswegen für die Annahme eines Gesamtschuldverhältnisses, um dem Vertragsschuldner trotz des Erlasses einen Ausgleichsanspruch nach § 426 I gegen die Bank zu ermöglichen. 658 659
Oben, 903 und 926 f. BGH VersR 1964, 1048 (9.7.1964).
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An dieser Stelle sollen noch einmal die Auswirkungen des zwischen dem Gläubiger G und dem Schuldner S vereinbarten Einzelerlasses auf den Rückgriff des ebenfalls haftenden Schuldners R nach den verschiedenen Regresskonstruktionen in Erinnerung gerufen werden660. Grundsätzlich sind drei Lösungen denkbar. Die Lösung zulasten des R, wonach R voll, aber regresslos haftet, wird als unbillig empfunden, weil dann die Gläubigerwillkür über den Träger der Belastung entscheidet und Manipulationen Tür und Tor geöffnet wird. Danach verbleiben die Lösung zulasten des S, wonach S trotz Erlass ausgleichspflichtig ist (Einzelwirkung), und die Lösung zulasten G, wonach G auf R nur noch in Höhe von dessen internem Anteil zugreifen kann (beschränkte Gesamtwirkung). Der Zessions- und der Bereicherungsregress führen dazu, dass S nach dem Erlass nichts mehr schuldet, so dass es weder eine Forderung gibt, die auf R übergehen kann, noch eine Bereicherung des S, wenn R nun an G leistet. Ein Regress gegen S scheidet also aus. Dies muss aber nicht notwendig zur verpönten Lösung zulasten des R führen. Bei einer Anwendung des § 255 kommt ein Zurückbehaltungsrecht des R gegenüber G in Frage, weil G nach dem Erlass nichts mehr abtreten kann; denkbar wäre auch ein Schadensersatzanspruch, weil G seine Abtretungspflicht verletzt hat. Ansonsten könnte R mit einer analogen Anwendung des § 776661 oder, im Falle eines Schadensersatzanspruchs, mit einer Anwendung des § 254 II geholfen werden662. All diese Wege führen im Ergebnis zu einer beschränkten Gesamtwirkung des Erlasses mit S. Die mit der Gesamtschuld konkurrierenden Regresswege lassen also Lösungen zulasten des R und zulasten des G zu, nicht aber eine Lösung zulasten des S. Wird dagegen eine Gesamtschuld angenommen, kann der Einzelerlass nach heutiger Rechtsprechung und Lehre sowohl Einzelwirkung als auch beschränkte Gesamtwirkung haben663. Maßgeblich ist die Auslegung der Vereinbarung. Die Gesamtschuldkonstruktion ist also der einzige Weg, der eine Lösung zulasten des S (Einzelwirkung) überhaupt zulässt. Gerade diese Lösung war im Architekten- und im Wollefall gewünscht. In der Literatur wird die Zulassung eines Regresses trotz Einzelerlass ganz überwiegend gutgeheißen, auch in Fällen konkurrierender vertraglicher Pflichten. Die Lösung des BGH im Architektenfall wird von der herrschenden baurechtlichen Lehre gebilligt664. In der Gesamtschuldliteratur, die nicht nach unter660
Vgl. oben, 902 f. So Frotz, VersR 1965, 217, und NJW 1965, 1259, zum Bereicherungsregress. 662 In BGH VersR 1964, 1048, 1049 erwog der Siebte Senat für den Fall, dass der Architekt wegen des mit dem Unternehmer vereinbarten Erlasses keinen Regress nehmen könnte, die Verletzung einer gegenüber dem Architekten bestehenden vertraglichen Treuepflicht durch den Gläubiger, die diesen nach Treu und Glauben daran hindere, Schadensersatz vom Architekten zu verlangen. Frotz, VersR 1965, 217, erwägt ebenfalls eine Rücksichtspflicht aus § 242 sowie eine Anwendung des § 254 II. 663 Oben, 664 f. 664 Staud/Peters/Jacoby, Anh II zu § 638, Rz 53, 56; MüKo/Busche, § 634 Rz 141; Soergel/ Teichmann, § 635 Rz 67; Kaiser, Mängelhaftungsrecht, Rz 358; Ingenstau/Korbion, VOB, § 13 VOB/B, Rz 40; Locher, Baurecht, Rz 288; Zerr, NZBau 2002, 243 f.; Beck’scher VOB-Komm/ 661
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schiedlichen Fallgruppen von Gesamtschuldverhältnissen differenziert, ist nur eine kleine Minderheit der Ansicht, dass ein Gesamtschuldregress nach einem Erlass nicht mehr möglich sein soll. Nach ihr hat jeder Einzelerlass notwendig eine beschränkte Gesamtwirkung. Für Keuk und Goette folgt dies daraus, dass der Gläubiger den Haftungsanteil des Entlassenen aus der Gesamtschuldverknüpfung herausgelöst hat und daher den verbleibenden Schuldner nur noch für dessen eigenen Haftungsanteil in Anspruch nehmen kann665. Stamm gelangt zu dieser Lösung über eine analoge Anwendung des § 404: Der Einzelerlass begründet eine Einwendung gegen den Gläubiger, die der Schuldner auch dem regresssuchenden Mitschuldner entgegenhalten kann666. Demgegenüber hält die ganz herrschende Lehre einen Gesamtschuldregress trotz Einzelerlasses für zulässig667. Selbst Fritz Schulz, der den Gesamtschuldregress bereicherungsrechtlich verstand und dem Regressschuldner alle Einwendungen erhalten wollte, die er gegenüber dem Gläubiger hatte, machte eine Ausnahme für den Fall des Erlasses668. Auch Glöckner will den Fall des Erlasses anders behandeln als den der anfänglichen Haftungsbeschränkung. Bei einer nachträglichen Erlassvereinbarung handle es sich nicht um ein allgemeines Haftungsprivileg, das dem Gesamtschuldregress im Wege stehen könne669. Zugunsten des vom Erlass nicht berührten Gesamtschuldregresses wird in Rechtsprechung und Literatur angeführt, dem Gläubiger solle es verwehrt werden, durch Vereinbarung mit nur einem Schuldner in die Regresslage unter den Schuldner einzugreifen670. Die Gefahr der Gläubigermanipulation würde allerdings auch dann gebannt, wenn dem Erlass eine beschränkte Gesamtwirkung zugeschrieben würde. Dies hätte aber zur Folge, dass der Gläubiger mit einem der Gesamtschuldner nur dann einen Vergleich vereinbaren kann, wenn er zugleich auf seine Ansprüche gegen den anderen teilweise (nämlich in Höhe des Innenanteils des Entlassenen) verzichtet. Im Architektenfall, in dem der Unternehmer überwiegend verantwortlich war, könnte der Bauherr sich nur unter nahezu völligem Verzicht auf die Architektenhaftung mit dem Unternehmer vergleichen. Dies wird aber als unbillig angesehen. Weil der Gläubiger durch die Gesamtschuld begünstigt und nicht belastet werden soll und weil er ein freies Wahlrecht hat, auf welchen Schuldner er zugreift, soll er auch die Freiheit haben, sich mit einem Schuldner zu vergleichen
665 Zahn, B vor § 13 Rz 125 ff.; für die Konkurrenz von Schadensersatzansprüchen auch Tempel, JuS 1965, 269 (nicht aber bei Nachbesserungspflicht des Unternehmers); anders aber Hönn, NJW 1966, 1701; und wohl Kuß, VOB, § 13 VOB/B Rz 24 (Kürzungslösung). 665 Keuk, AcP 168 (1968), 193 ff.; dies., JZ 1972, 530; Goette, Gesamtschuldbegriff, 138 ff.; ähnlich Wacke, AcP 170 (1970), 55. 666 Stamm, Regreßfiguren, 70 f.; ders., NJW 2004, 812. 667 Nachweise oben, 664. 668 Schulz, Rückgriff, 78; vgl. oben, 674. 669 Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 97 f. 670 BGH VersR 1964, 1048, 1050; BGHZ 59, 97, 102; OLG Hamburg, NJW 1991, 849 (17.7.1990); Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 98, 221 f.
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oder einen Schuldner zu entlassen, ohne dadurch seine Ansprüche gegen den anderen zu verlieren671. Dieses Anliegen erscheint berechtigt. Insbesondere wenn die Insolvenz oder das Untertauchen eines Gesamtschuldners droht, spricht viel dafür, dem Gläubiger die Möglichkeit eines Vergleichsschlusses mit Teilerlass einzuräumen, ohne dass er Gefahr läuft, Rechte gegen andere Gesamtschuldner zu verlieren. Es fragt sich nur, ob einer solchen Lösung das Recht des entlassenen Schuldners entgegensteht, nach dem Erlass mit seinem Gläubiger nicht mehr von Dritten in Anspruch genommen zu werden. Tatsächlich sträubt sich das Rechtsgefühl im Architekten- und im Wollefall nicht von vornherein gegen die Regresslösung. In BGHZ 43, 227 schuldete der später entlassene Bauunternehmer zwar allein aufgrund eines mit dem Gläubiger abgeschlossenen Vertrags, aber er arbeitete mit dem bauüberwachenden Architekten zusammen und konnte wissen, dass im Falle eines Mangels seiner Bauleistung auch eine Haftung des Architekten drohte. Im Wollefall BGHZ 59, 103 wusste die später entlassene Bank, dass der andere Schuldner R vom Gläubiger mit der Überwachung der Transaktion beauftragt war. Aus dem Sachverhalt ergibt sich, dass ein besorgtes Schreiben des Gläubigers an die Bank von R beantwortet worden war. Es fand also eine gewisse Zusammenarbeit zwischen der Bank und R statt. Zwar geht aus dem Sachverhalt nicht genau hervor, welche Rolle R bei der Veruntreuung durch die Bank spielte, doch zumindest ist klar, dass die Bank auch mit einer Haftung des R rechnen musste. In beiden Fällen fand also eine praktische Zusammenarbeit der Schuldner statt, die dazu führte, dass der entlassene Schuldner mit der Mithaftung des anderen rechnen musste. Dann aber, so könnte argumentiert werden, genießt sein Vertrauen darauf, im Fall eines Einzelerlasses keinerlei Regressansprüchen ausgesetzt zu sein, keinen Schutz672. Dieser Gedanke steht offenbar hinter der „Zweckgemeinschaft“, die der BGH in beiden Fällen unter den Schuldnern angenommen hatte. In BGHZ 43, 227 betonte er die praktische Zusammenarbeit von Unternehmer und Architekt673. In BGHZ 59, 103 sollte die Zweckgemeinschaft sich daraus ergeben, dass die Bank und R nicht nur zufällig beide für den Schaden des Gläubigers hafteten, sondern die vertragliche Schutzpflicht des R von den Parteien bewusst neben die gesetzliche Sorgfaltspflicht der Bank gestellt worden war674. Die Zweckgemeinschaft hatte in beiden Entscheidungen offenbar die Funktion, den vom Außenverhältnis unabhängigen Regressanspruch zu rechtfertigen. Arbeiten die Schuldner zusammen, so könnte argumentiert werden, müssen sie mit der Mithaftung des anderen rechnen und können im Fall eines Erlasses nicht darauf vertrauen, von Regress671
BGH VersR 1964, 1048, 1049. So Ingenstau/Korbion, VOB, § 13 VOB/B Rz 40: Der sich zwecks Erbringung einer ordnungsgemäßen Bauleistung auf eine objektive Zweckgemeinschaft Einlassende weiß, dass er nicht nur in eigener Verantwortung haftet, sondern über den eigenen Anteil hinaus für andere mithaften kann. In diese Richtung auch Raisch, JZ 1965, 705. 673 BGHZ 43, 227, 229. 674 BGHZ 59, 97, 101 f. 672
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ansprüchen frei zu sein. Die Begründung des privilegierten Gesamtschuldregresses mit der praktischen Zusammenarbeit der Schuldner ist oben allerdings für den Fall der vertraglichen Haftungsbeschränkung kritisiert worden, weil diese Art von Zweckgemeinschaft keine Sonderverbindung begründet und die Kenntnis möglicher Mithaftender eine Verschärfung der vertraglich vereinbarten Haftung nicht rechtfertigen kann. Demnach fragt es sich, ob für den Fall des Erlasses nicht etwas anderes gelten muss und wie eine abweichende Behandlung des Erlasses dogmatisch gerechtfertigt und in das bestehende Rechtssystem eingefügt werden könnte. Nach Glöckner ist der Erlass deswegen kein allgemeines, auch beim Gesamtschuldregress zu beachtendes Haftungsprivileg, weil es sich um eine nachträgliche, erst nach dem Entstehen des Gesamtschuldverhältnisses entstandene, Einwendung handelt. Ein Schutz des entlassenen Schuldners S sei hier nicht notwendig. Kenne S den Mitschuldner R, müsse er mit einem Regress rechnen. Notfalls könne er sich dann an den Gläubiger im Wege des Weitergriffs halten. Grundsätzlich müsse jeder Haftende wissen, dass nachträgliche Umstände seine Regresspflicht gegen Dritte unberührt ließen675. Richtig ist, dass derjenige, der trotz eines Erlasses Regressansprüchen ausgesetzt ist, grundsätzlich die Möglichkeit hat, gegen den Gläubiger aus der schuldrechtlichen Abrede vorzugehen, die dem Erlass zugrunde lag. Voraussetzung ist aber, dass sich aus dieser Abrede eine Verpflichtung des Gläubigers ergibt, den Schuldner von jeglichen Ansprüchen wegen des geltend gemachten Schadens freizustellen. Eine solche Vereinbarung wird nicht immer vorliegen. Zudem würde sie den Schuldner nicht schützen, wenn der Gläubiger mittlerweile insolvent ist. Vor allem aber ist die Frage, ob der Schuldner überhaupt regresspflichtig ist, der Weitergriffsfrage vorgelagert. Unabhängig davon, ob der Entlassene wegen seiner enttäuschten Erwartung schuldrechtlich gegen den Gläubiger vorgehen kann, stellt sich die Frage, warum der Schuldner, der einen verfügenden Erlass mit dem Gläubiger schloss, Regressansprüchen Dritter überhaupt ausgesetzt werden soll. Die Erwägung Glöckners, der Schuldner müsse bei Kenntnis von Mithaftenden mit einem Regress rechnen, kann möglicherweise die Urteile im Architekten- und im Wollefall rechtfertigen. Sie begründet aber nicht seine These, dass der Erlass einen Regress grundsätzlich nie verhindern könne, weil der Entlassene nicht immer weiß, dass es überhaupt Mithaftende gibt. Der Satz, jeder Haftende müsse wissen, dass nachträgliche Umstände seine Regresspflicht unberührt ließen, ist ein Scheinargument, weil er das Ergebnis schon voraussetzt. Die bei Glöckner entscheidende Erwägung ist vielmehr, dass der Erlass keine anfängliche, sondern nur eine nachträglich entstandene Einwendung bildet. Dann stellt sich aber die Frage, warum es auf den Zeitpunkt der Entstehung ankommen soll. Die zeitliche Differenzierung bei Glöckner ist eine andere als die der herrschenden Lehre. Nach dieser ist ein Gesamtschuldregress ausgeschlossen, soweit
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Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 97, 221.
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der Schuldner gegenüber dem Gläubiger von Anfang an nicht haftete. Insofern wird der schuldbegründende Vertrag beachtet. Sobald aber zu irgendeinem Zeitpunkt mehrere dasselbe schulden und ein Gesamtschuldverhältnis entsteht, soll es unabhängige Regressansprüche nach § 426 I geben, für welche die vertraglichen Beschränkungen nicht mehr gelten. Eine von Anfang an geltende kurze Verjährung ist für den Regress belanglos. Diese unterschiedliche Beachtung vertraglicher Vereinbarungen, je nachdem ob sie das Entstehen oder die Ausgestaltung der Haftung betreffen, wird bei Glöckner zu Recht kritisiert. Für ihn kommt es darauf an, zu welchem Zeitpunkt die Einwendung begründet wurde. Eine von Anfang an vereinbarte kurze Verjährung ist danach ein allgemeines Haftungsprivileg, das auch beim Regress zu beachten ist, nicht aber ein nachträglicher Erlass, und wohl auch nicht eine nachträgliche Verjährungsverkürzung. Doch auch für diese Differenzierung muss eine Grundlage gefunden werden. Für Glöckner folgt sie aus seiner These, dass § 426 im Sinne der Schuldgemeinschaft der herrschenden Lehre nur dann unmittelbar anwendbar sein soll, wenn die Verbindlichkeiten einen gleichen Leistungsinhalt aufweisen. Haftet einer der Schuldner von vornherein nur beschränkt oder mit kürzerer Verjährungsfrist als der andere, ist der Inhalt nicht gleich, und § 426 kann nur analog angewendet werden676. Im Rahmen dieser analogen Anwendung setzt sich das anfänglich bestehende allgemeine Haftungsprivileg auch beim Regress durch. Nachträglich entstehende Einwendungen bleiben dagegen, ganz unabhängig davon, ob die Leistungsinhalte anfänglich gleich sind, stets unbeachtet. Nach Ansicht des Gesetzgebers sollten die Gesamtschuldregeln allerdings auch bei unterschiedlichen Leistungsmodalitäten, etwa in Gestalt verschiedener Verjährungsfristen, anwendbar sein. Will man sich aber darüber hinwegsetzen und das Tatbestandsmerkmal der „einen Leistung“ in § 421 im Sinne Glöckners auslegen, so steht noch nicht fest, was bei unterschiedlichen Leistungsinhalten gelten soll, wohin also die analoge Anwendung führt. Für eine Unterscheidung danach, zu welchem Zeitpunkt die Einwendung entstand, fehlt es im Gesetz an einem direkten Anhaltspunkt. Offenbar liegt ihr die Überlegung zugrunde, dass im Fall der anfänglichen Haftungsbeschränkung der Schuldner auch nur mit dieser Beschränkung in die Schuldgemeinschaft eintritt. Verjährt seine Schuld in drei Monaten, haben die anderen Schuldner auch von Anfang an nur in diesem Rahmen ein Ausgleichsrecht. Haftete er dagegen bei Entstehung des Gesamtschuldverhältnisses mit der gesetzlichen Verjährungsfrist, entsteht ein entsprechendes Ausgleichsrecht der Mitschuldner, das durch eine nachträgliche Verjährungsverkürzung nicht mehr zunichtegemacht werden kann. Ebenso kann ein Erlass in die schon entstandene Ausgleichsgemeinschaft nicht mehr eingreifen. Damit steht Glöckner der herrschenden Lehre von der Schuldgemeinschaft näher, als es zunächst den Anschein hat. Anders als nach dieser werden Haftungsbeschränkungen beim Eintritt in die Schuldgemeinschaft streng beachtet. Sobald
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Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 96, 219 ff.
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aber einmal ein Ausgleichsrecht des Mitschuldners, das sich am Umfang und den Modalitäten der ursprünglichen Haftung orientiert, entstanden ist, kann es durch nachträgliche Ereignisse, insbesondere Abreden zwischen dem Gläubiger und dem Regressschuldner, nicht mehr zunichtegemacht oder beschränkt werden. Für die Konkurrenz gesetzlicher Verbindlichkeiten bietet dieses Modell eine erwägenswerte Alternative zur herrschenden Lehre. Es fragt sich aber, ob es auch dann überzeugend ist, wenn zumindest eine der konkurrierenden Verbindlichkeiten allein auf Vertrag beruht. Haftet der regresspflichtige Schuldner S aus Vertrag, dann entsteht das Gesamtschuldverhältnis und damit das nach Glöckner nicht mehr beschränkbare Regressrecht des Mitschuldners R nur aufgrund dieses Vertrags. S hat durch seinen mit G eingegangenen Vertrag dem R also eine Rechtsposition verschafft, die er ihm nachträglich nicht wieder wegnehmen können soll. Genaugenommen würde es sich beim Vertrag zwischen S und G um einen Vertrag zugunsten Dritter handeln, weil er dem R einen nicht mehr entziehbaren Anspruch verschafft, den dieser ohne den Vertrag nicht hätte. Die Drittwirkung wird hier aber anders als im Fall des § 328 nicht vom Parteiwillen getragen. Beruht umgekehrt die Haftung des regresssuchenden Schuldners R auf einem Vertrag, entsteht das – von S und G nicht mehr beschränkbare – Regressrecht des R allein aufgrund seines mit G geschlossenen Vertrags. Es ist aber zweifelhaft, ob R durch Vertrag mit G einen nicht mehr entziehbaren Anspruch gegen den am Vertrag unbeteiligten S begründen kann. Eine Schuldgemeinschaft mit nicht mehr beschränkbaren Regressansprüchen ist stets fragwürdig, wenn eine der Verbindlichkeiten nur auf Vertrag beruht. Deshalb leuchten auch die mit diesem Modell erzielten Ergebnisse nicht ohne weiteres ein. Hat S als Alleintäter eine Sache des Gläubigers beschädigt und anschließend im Zuge eines Vergleichs mit G diesem einen Teil des Schadens ersetzt, erscheint es nicht gerechtfertigt, wenn er später von dem ihm unbekannten R auf den Restbetrag in Anspruch genommen wird mit der Begründung, R habe G vertraglich den Schutz der von S beschädigten Sache geschuldet, diese Schutzpflicht aber verletzt und daher G entschädigt. Im Ergebnis würde die Zulassung des Regresses hier bedeuten, dass S’ deliktische Haftung wegen des zwischen G und R geschlossenen Vertrags erweitert wird. (2) Vorschlag: Modifizierte Anwendung der Abtretungsregeln Angesichts dieser Schwierigkeiten bietet es sich an, von der Rechtsposition des (möglichen) Regressschuldners S auszugehen. S schuldet G Schadensersatz, sei es auf gesetzlicher oder vertraglicher Grundlage. Weil R einen Vertrag mit G geschlossen hat, haftet auch er für den Schaden. S ist also allein wegen des zwischen G und R abgechlossenen Rechtsgeschäfts einem möglichen Regressanspruch des R ausgesetzt. Ein zwischen Dritten abgeschlossenes Rechtsgeschäft kann nach allgemeinen Regeln aber nur in begrenztem Umfang in die Rechtsstellung des Schuldners eingreifen. Einen gesetzlichen Anhaltspunkt und zugleich eine Wertungsgrundlage bietet das Abtretungsrecht. Wäre R nicht Mithaftender, sondern
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hätte ihm G den Anspruch gegen S abgetreten, dann kann S nach § 404 gegenüber R nicht in stärkerem Maße haften als gegenüber G. Die ohne Beteiligung des S zwischen R und G vereinbarte Abtretung kann S nicht seiner Einwendungen gegenüber G berauben. Andernfalls würde es sich um einen unzulässigen Vertrag zulasten Dritter handeln. Eine gleiche Wertung kann aber erfolgen, wenn R nicht Zessionar ist, sondern ein Mitschuldner, der nur aufgrund eines zwischen ihm und G vereinbarten Vertrags haftet. Auch hier kann der Vertrag zwischen R und G dem Schuldner S nicht im Ergebnis um seine Einwendungen bringen. Mit G vereinbarte Haftungsbeschränkungen sowie gegenüber G geltende Verjährungsfristen müssen daher auch gegenüber einem Gesamtschuldregress des R gelten. Doch das Gesetz schützt den Schuldner nicht vor jeder durch ein fremdes Rechtsgeschäft verursachten Veränderung seiner Rechtsstellung. Die zwischen G und R vereinbarte Abtretung hat zur Folge, dass S sich einem neuen Gläubiger gegenübersieht. Er hat daher (sofern er kein Abtretungsverbot vereinbart) kein Recht, seinen Gläubiger zu behalten, und auch kein Recht darauf, dass alle nach Entstehung seiner Schuld mit dem Gläubiger vereinbarten Rechtsgeschäfte auch gegenüber R gelten. Nach der Abtretung an R kann S sich daher nach § 407 I nur dann auf ein mit G abgeschlossenes Rechtsgeschäft berufen, wenn er die Abtretung nicht gekannt hatte, als er das Rechtsgeschäft schloss. Während die zur Zeit der Abtretung bestehenden Einwendungen also absolut geschützt werden, wird hinsichtlich nachträglich vereinbarter Haftungsbeschränkungen nur der gute Glaube des S geschützt. Überträgt man diese Wertung auf den Mitschuldnerregress, ergibt sich zunächst einmal das selbstverständliche Ergebnis, dass S sich dann nicht auf einen Erlass mit G berufen kann, wenn R zuvor schon an G gezahlt hat und S dies weiß. Diese Konstellation lag der Risse-Entscheidung in BGHZ 155, 265 zugrunde. In vereinfachten Zahlen ausgedrückt, konnte G hier wegen Mängelbeseitigungsansprüchen insgesamt 100 sowohl von R als auch von S verlangen. Wegen dieser Schuld wurde R’s Werklohnklage gegen G in Höhe von 80 abgewiesen. R hatte durch Verlust seines Anspruchs also 80 an G geleistet. Dies war S bekannt. Anschließend schlossen G und S einen Vergleich, wonach S an G 10 zahlte und damit von weiteren Ansprüchen wegen des Mangels frei sein sollte. Als R wegen der gezahlten 80 Regress von S nehmen wollte, berief sich S auf diesen Vergleich. Der BGH prüfte, ob der im Vergleich enthaltene Erlass Einzelwirkung oder beschränkte Gesamtwirkung hatte677. Doch darauf kam es für den Regressanspruch hinsichtlich der von R gezahlten 80 nicht an678. Geht man von einem Gesamtschuldverhältnis aus, dann hatte R in dieser Höhe seine Schuld erfüllt und damit nach § 422 auch S befreit, so dass G die 80 gar nicht mehr zustanden. Er konnte durch den Vergleich nur noch über die Restforderung in Höhe von 20 disponieren. R konnte daher wegen der gezahlten 80 Regress nehmen. Nimmt man der Einfachheit halber eine hälftige Innenverteilung an, konnte R von S 40 verlangen, 677 678
BGHZ 155, 265, 271 f. So auch Ehmann, JZ 2004, 254 f.; Stamm, NJW 2003, 2943 f.
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zugleich konnte S wegen der an G gezahlten 10 von R 5 verlangen, so dass R insgesamt 35 zustanden. Die Frage, ob der zwischen G und S vereinbarte Teilerlass Gesamt-, Einzel- oder beschränkte Gesamtwirkung hatte, wäre nur relevant, wenn G wegen der noch fehlenden 10 R in Anspruch nehmen würde679. Das Ergebnis, wonach der Erlass den Regress des R nicht zunichtemachen konnte, wäre auch bei Annahme eines Regresses durch Legalzession oder durch einen Bereicherungsanspruch erzielt worden. Im Fall der Legalzession wäre G’s Forderung in Höhe von 80 nach R’s Zahlung auf R übergegangen. G war daher insoweit nicht mehr Gläubiger des S. Für S bliebe nur der Schutz des § 407, der hier aber ausscheidet, weil er von R’s Leistung, die den Forderungsübergang begründete, Kenntnis hatte. Entsprechendes gilt beim Bereicherungsregress: Die Forderung des G wäre in Höhe von 80 schon vor dem Erlass vollständig erloschen, und R stünde eine Rückgriffskondiktion zu, gegen die sich S nur auf § 407 analog stützen könnte, was hier aber wegen seiner Kenntnis ausscheidet. Nur bei der Regresskonstruktion über § 255 könnte S sich gegenüber R auf den Vergleich berufen, nämlich dann, wenn G trotz Leistung des R die fortbestehende Forderung gegen S nicht an R abgetreten hat. S hätte dann den Vergleich mit seinem wahren Gläubiger und damit wirksam geschlossen. Dieses Ergebnis zeigt nicht nur die unpraktischen Folgen des Abtretungsregresses, sondern auch, dass die von der Stufenlehre befürwortete Anwendung des § 255 zur grundlosen Privilegierung des erstrangig Haftenden führen kann. Im Architektenfall BGHZ 43, 227 und im Wollefall BGHZ 59, 97 hatte aber zum Zeitpunkt des Teilerlasses mit dem regresspflichtigen Schuldner S der regressberechtigte Schuldner R noch nichts an den Gläubiger geleistet. Eine direkte Übertragung der Abtretungsregeln würde zum Ergebnis führen, dass S den Erlass mit seinem aktuellen Gläubiger geschlossen hat und sich daher auch gegenüber R auf den Erlass berufen kann. Dies ist die Lösung Stamms680. Denkbar ist aber, der Rechtsprechung und der ganz herrschenden Lehre, die hier einen Regress befürworten, insoweit entgegenzukommen, als man für die Kenntnis des S nicht auf die Leistung des R, sondern auf das Gesamtschuldverhältnis selbst abstellt. Nach diesem Ansatz könnte ein Schuldner sich gegenüber dem Regressanspruch nicht auf einen Erlass berufen, den er mit dem Gläubiger in Kenntnis möglicher Mitschuldner vereinbart hat. BGHZ 43, 227 und BGHZ 59, 97 wären danach richtig entschieden. Die Abweichung gegenüber den Abtretungsregeln kann damit gerechtfertigt werden, dass Gesamtschuldverhältnis und Abtretung nicht in eins gesetzt werden können. Im Fall der Abtretung ist der Dritte R zuerst ein völlig Außenstehender und danach Gläubiger des S. Beim Gesamtschuldverhältnis gibt es zeitlich drei Stufen. Vor Entstehung der Gesamtschuld ist R ein völlig Außenstehender. Mit Entstehen der Gesamtschuld ist R mit S zumindest insoweit verbunden, 679 Im Fall der Gesamtwirkung könnte G von R nichts, im Fall der Einzelwirkung 10 und im Fall der beschränkten Gesamtwirkung 5 verlangen. 680 Oben, 679.
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als er ebenso wie S Schuldner des G ist und jeder den anderen befreien kann. Leistet R dann an G, verliert G seine Gläubigerstellung gegenüber S, und R hat einen durch Subrogation verstärkten Regressanspruch gegen S. Es erscheint nicht von vornherein unzulässig, beim Gesamtschuldverhältnis für die Kenntnis des S nicht an die Zahlung durch R, sondern an das Gesamtschuldverhältnis selbst anzuknüpfen. Das Abtretungsrecht ist aber insofern relevant, als es die Wertungsgrundlage für eine Unterscheidung zwischen dem Schutz anfänglicher und dem Schutz nachträglicher Einwendungen bietet. Anfänglich bestehende Einwendungen unterliegen nach § 404 absolutem Schutz. Einwendungen, die sich aus nachträglichen Rechtsgeschäften mit dem Gläubiger ergeben, werden dagegen nicht immer geschützt. Es ist möglich, dass der Gläubiger seine Forderung schon vor dem Rechtsgeschäft an einen Dritten abgetreten hat. Der Schuldner kann sich auf das Rechtsgeschäft in diesem Fall nur dann berufen, wenn er gutgläubig ist. Diese Wertung kann auf den Gesamtschuldregress des vertraglich Haftenden übertragen werden. Von vornherein bestehende Haftungsbeschränkungen und -modifikationen müssen auch beim Regress beachtet werden. Schließt der mögliche Regressschuldner dagegen in Ansehung seiner Forderung Rechtsgeschäfte mit dem Gläubiger, wird er nur bei Gutgläubigkeit geschützt. Die Kenntnis, welche die Gutgläubigkeit ausschließt, bezieht sich hier aber nicht erst auf die Leistung, sondern schon auf die Existenz möglicher Mitschuldner. Hat der Schuldner dagegen keine Kenntnis von der Existenz weiterer Personen, die als Gesamtschuldner in Frage kommen, dann muss ihn ein mit dem Gläubiger vereinbarter Erlass vor einem Regressanspruch eines vertraglich haftenden Mitschuldners schützen. Hier erscheint die Wertung des Abtretungsrechts zwingend. Ein Alleinschuldner, der einen Erlass mit dem Gläubiger geschlossen hat, ist frei. Diese Rechtsposition kann durch den Vertrag eines Dritten mit dem Gläubiger, der den Dritten zum Mitschuldner macht, grundsätzlich nicht beeinträchtigt werden. Wie aber der einen Erlass vereinbarende Schuldner der Möglichkeit gewahr sein muss, dass der Gläubiger die Forderung schon abgetreten hat, muss auch der vermeintliche Alleinschuldner mit der Möglichkeit eines Gesamtschuldverhältnisses rechnen, aber nur dann, wenn er Kenntnis entsprechender Tatsachen hat. Das Recht aber, bei einer Erlassvereinbarung ohne Kenntnis etwaiger Abtretungen oder Mitschuldner von Ansprüchen endgültig frei zu sein, kann dem Schuldner durch einen Vertrag des Gläubigers mit einem Dritten nicht genommen werden. Die hier vorgeschlagene Lösung hat den Vorteil, von der starren Alternative zwischen Beachtlichkeit und Unbeachtlichkeit des Erlasses wegzukommen und in den unterschiedlichen Fällen billige Ergebnisse zu erzielen. Der Unternehmer im Architektenfall und die Bank im Wollefall, die wissen, dass es weitere mögliche Haftungsschuldner gibt, können sich wegen dieser Kenntnis nicht darauf berufen, nach der Erlassvereinbarung mit dem Gläubiger auch vor Regressansprüchen geschützt zu sein. Anders verhält es sich etwa im Wachmann-Fall: Bewacht S als vermeintlich Einziger das wertvolle Bild, dass wegen seiner Sorgfaltswidrig-
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keit gestohlen wird, und schließt er im Zuge der Schadensregulierung einen Vergleich mit dem Gläubiger, dann schützt ihn dieser Vergleich, wenn unversehens ein zweiter ihm unbekannter Wachmann auftaucht und Regress verlangt mit der Begründung, auch er habe das Bild bewachen müssen. Ebenso wird ein Lieferant, der wegen einer unterbliebenen Lieferung Schadensersatz schuldet und sich mit dem Gläubiger vergleicht, geschützt, wenn später ein anderer Lieferant Regress verlangt, weil der Gläubiger zur Sicherheit zwei gleiche Verträge geschlossen hatte und auch der andere Lieferant nicht lieferte. Was aus dem Abtretungsrecht übernommen werden soll, ist eine Wertung, nämlich die Unterscheidung zwischen dem absoluten Schutz anfänglicher Einreden und dem nur relativen Schutz der Erwartung, dass der Gläubiger im Falle nachträglicher Rechtsgeschäfte weiterhin (allein-)zuständig ist. Nicht etwa geht es um eine unmittelbare Übertragung der Regeln der §§ 404 ff. mit vorgelagertem Kenntniszeitpunkt: Selbstverständlich kann der Schuldner auch dann an seinen Gläubiger befreiend leisten, wenn er weiß, dass es ein Gesamtschuldverhältnis gibt. Anders als in der Abtretungslage hat der Schuldner S bei der Gesamtschuld sozusagen zwei Gläubiger gleichzeitig: seinen aktuellen Gläubiger G und einen potentiellen Regress-Gläubiger in Gestalt des Mitschuldners R. Solange G der aktuelle Gläubiger ist, kann S ganz unabhängig von der Kenntnis des Gesamtschuldverhältnisses befreiend an G leisten oder aufrechnen. Er kann auch trotz Kenntnis des Gesamtschuldverhältnisses Rechtsgeschäfte mit G schließen, doch wirken diese sich allein auf seine Rechtsbeziehung zu G aus: Vereinbart S in Kenntnis des Gesamtschuldverhältnisses mit G einen Erlass, kann zumindest G nicht mehr auf S zugreifen. Die Kenntnis des Gesamtschuldverhältnisses seitens S wirkt sich nur auf den Regressanspruch des R aus. Dieser kann als unabhängig vom Fortbestehen der Gläubigerforderung bestehender Anspruch nur geltend gemacht werden, wenn S nicht gutgläubig war, wenn er also beim Rechtsgeschäft, das seine Haftung ausschloss oder modifizierte, das Gesamtschuldverhältnis kannte. All dies gilt für den Ausgleichsanspruch nach § 426 I, der nach diesem Ansatz seinen Charakter als grundsätzlich eigenständiger, von der Gläubigerforderung unabhängiger Anspruch behält und im Vergleich zur herrschenden Lehre nur bestimmten Restriktionen unterworfen wird. Die Regresswege des § 426 I und des § 426 II bleiben getrennt. Für die Subrogation nach § 426 II (die selbstverständlich nur im Rahmen des eigenen Regressanspruchs möglich ist) gelten gemäß § 412 die Regeln der §§ 404 ff. unmodifiziert. Der Gutglaubensschutz des regresspflichtigen Gesamtschuldners wird hier für Fälle vorgeschlagen, in denen der regressberechtigte Gesamtschuldner allein aufgrund eines Vertrags Schadensersatz schuldet (bzw. gewährleistungspflichtig ist). Hier liegt die Parallele zum Abtretungsrecht besonders nahe: Ein Rechtsgeschäft des Gläubigers mit einem Dritten kann nicht das Recht des Schuldners beseitigen, sich weiterhin auf den Bestand von Rechtsgeschäften mit dem Gläubiger zu verlassen, solange er nicht gewarnt ist, sei es durch Kenntnis der Abtretung, sei es durch Kenntnis des Gesamtschuldverhältnisses.
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Darüber hinaus empfiehlt sich ein entsprechender Schutz des regresspflichtigen Schuldners auch in Fällen, in denen zwar der Mitschuldner gesetzlich haftet, der regresspflichtige Schuldner selbst aber nur aufgrund eines Vertrages schuldet. Die Begründung ist für diese Fallgruppe allerdings schwieriger. Ausgangspunkt muss sein, dass es einen erheblichen Eingriff in die Privatautonomie bedeutet, wenn ein vermeintlicher Alleinschuldner, der mit seinem Gläubiger einen Erlass oder Vergleich geschlossen hat, später mit Regressansprüchen durch ihm unbekannte Mitschuldner konfrontiert wird. Wenn die Rechtsprechung dennoch solche Regressansprüche zulässt, tut sie das auf der Basis einer Schuldgemeinschaft, die gesetzliche Ansprüche unter den Schuldner hervorbringt, ohne dass diese Kenntnis davon haben müssen. Ein zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger geschlossener Vertrag, so müsste argumentiert werden, kann aber keine Basis dafür bilden, den Vertragsschuldner in eine solche Schuldgemeinschaft mit Dritten einzubeziehen. Der Vertragsschuldner schuldet nur, weil er sich selbst privatautonom verpflichtet hat. Hierdurch kann ein Anspruch eines Dritten, der ohne Kenntnis des Vertragsschuldners entsteht und dem Dritten auch nicht wieder entzogen werden kann, nicht begründet werden. Wie jeder andere Schuldner auch muss aber der Vertragsschuldner damit rechnen, sich auf den Bestand nachträglicher Rechtsgeschäfte mit dem Gläubiger nicht verlassen zu können, wenn er entsprechend – hier durch Kenntnis des Gesamtschuldverhältnisses – gewarnt ist. (3) Auswirkungen auf andere „Tatsachen“ Ein Rückgriff auf die Wertungen des Abtretungsrechts kann auch einen Maßstab dafür bieten, die Auswirkungen sonstiger schuldmodifizierender Umstände auf die Regresslage zu beurteilen. Ebenso wie im Falle des Erlasses werden damit differenzierende Lösungen möglich, deren Basis aber nicht nur in Billigkeitserwägungen, sondern in gesetzlichen Wertungen gefunden werden kann. Für Gesamtschuldverhältnisse, bei denen zumindest eine der Parteien im Regressverhältnis dem Gläubiger rein vertraglich Schadensersatz oder Gewährleistung schuldet und bei denen zwischen den Gesamtschuldnern kein besonderes Innenverhältnis besteht, soll hier daher Folgendes vorgeschlagen werden: a) Eine eigenständige Verjährung der Regressforderung ist überhaupt nur dann denkbar, wenn der Schuldner R an den Gläubiger zu einem Zeitpunkt leistet, an dem die Forderung des Gläubigers gegen S noch nicht verjährt ist. Ansonsten gilt, dass die ursprünglichen Verjährungsfristen der Gläubigerforderung auch für die Regressforderung gelten. Eine nachträgliche zwischen dem Gläubiger und dem regresspflichtigen Gesamtschuldner S vereinbarte Verkürzung der Verjährungsfrist gilt nur dann auch für den Regressanspruch, wenn S bei dieser Vereinbarung die Existenz möglicher Mitschuldner nicht kannte. Nicht nur die Frist, sondern auch der Beginn der Verjährung der Regressforderung richtet sich nach dem Verjährungsbeginn bei der Gläubigerforderung. Weil aber ein Schuldner nicht davor geschützt ist, dass der Gläubiger die Forderung abtritt und der
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Zessionar die Verjährung unterbricht, kann auch der regressberechtigte Gesamtschuldner R die Verjährung unterbrechen, und zwar schon vor seiner Leistung. Er ist also nicht gezwungen, zur Vermeidung der Verjährung der Regressforderung schnell an den Gläubiger zu leisten. Weil es außerhalb eines besonderen vertraglichen Innenverhältnisses zwischen R und S keine Befreiungsansprüche gibt, unterbricht R die Verjährung durch Erhebung einer Feststellungsklage. Anders als beim reinen Zessionsregress, etwa durch eine isolierte Anwendung des § 426 II, bestehen nach dem hier vertretenen Modell Rechtsbeziehungen unter den Schuldnern auch schon, bevor einer an den Gläubiger leistet; sie beschränken sich aber auf regresssichernde Rechte. b) Wird die Klage des Gläubigers gegen den intern verpflichteten Schuldner S abgewiesen, soll der Mitschuldner R nach Rechtsprechung und herrschender Lehre trotzdem Regress nehmen können681. Auch für Glöckner ist die rechtskräftige Klageabweisung kein allgemeines Haftungsprivileg, sondern eine für den Regress unerhebliche nachträgliche Einwendung682. Nur wenige Autoren sind der Ansicht, dass die Klageabweisung einem Regress entgegensteht683. Nach dem hier vorgeschlagenen Modell sind die Wertungen des § 407 II zu beachten. Ein Regress trotz Klageabweisung ist nur dann möglich, wenn der Regressschuldner bei Klageerhebung durch den Gläubiger das Gesamtschuldverhältnis gekannt hatte. Wer als vermeintlicher Alleinschuldner verklagt wird, kann sich demgegenüber darauf verlassen, bei Klageabweisung endgültig frei zu sein. c) Hatte S schon bei Entstehung seiner Schuld gegenüber G eine aufrechenbare Gegenforderung, handelt es sich für Glöckner um ein allgemeines Haftungsprivileg684. Dagegen soll eine erst nach Entstehung der Schuld eintretende Aufrechnungslage den Regress des Mitschuldners offenbar nicht behindern. Das hier vorgeschlagene Modell greift auf die Wertungen des § 406 zurück. Hatte S beim Erwerb seiner Gegenforderung Kenntnis vom Gesamtschuldverhältnis, kann er sich gegenüber der Regressforderung des R nicht auf die Aufrechnungslage berufen. Sofern der Gläubiger G nicht eine sonstige Forderung gegen S hat, kann S damit nach R’s Leistung an G überhaupt nicht mehr aufrechnen, sondern muss seine Forderung gegen G eintreiben. Dasselbe gilt, wenn S seine Gegenforderung ohne Kenntnis des Gesamtschuldverhältnisses erwarb, diese aber noch nicht fällig ist, wenn R Regress verlangt. Hat S dagegen eine fällige, ohne Kenntnis des Gesamtschuldverhältnisses erworbene, Forderung gegen G, kann er sich gegenüber R’s Regressanspruch auf seine Aufrechnungslage berufen. Selbstverständlich kann S nicht gegenüber G aufrechnen, wenn R zuvor schon an G geleistet 681 Oben, 659 ff., wobei nicht zwischen vertraglichen und gesetzlichen Verbindlichkeiten differenziert wird. Für das Verhältnis zwischen Architekt und Unternehmer obiter der Siebte Senat in BGH VersR 1964, 1048, 1049. 682 Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 98, 223. 683 Schulz, Rückgriff, 79; Keuk, AcP 168 (1968), 196 f.; dies, JZ 1972, 529; Stamm, Regreßfiguren, 70 f.; ders., NJW 2004, 812. 684 Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 226 f.; der Sache nach ebenso schon Schulz, Rückgriff, 76; Denck, JZ 1976, 674.
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hat: Der Bestand der fehlerfreien Leistung durch R an G bleibt unberührt685. Vielmehr führt S’ Berufung auf seine Aufrechnungslage dazu, dass R in dieser Höhe seine Regressforderung verliert und im Gegenzug entweder von S die Abtretung der Forderung gegen G verlangen oder einen Anspruch gegen G aus § 816 II analog in Höhe der Forderung des S erheben kann. d) Leistet S an G, nachdem schon zuvor R an G geleistet hat, dann kann S sich gegenüber der Regressforderung des R nach der Wertung des § 407 I dann auf seine Leistung an G berufen, wenn er zum Zeitpunkt der Leistung das Gesamtschuldverhältnis nicht kannte. R verliert seinen Regress, kann aber entweder von S die Abtretung von S’ Forderung gegen G aus § 812 verlangen oder analog § 816 II einen Direktanspruch gegen G in Höhe des von S Geleisteten erheben. Wusste S hingegen bei seiner Leistung, dass mögliche Mithaftende existieren, und hatte er lediglich von R’s Leistung keine Kenntnis, wird er nicht geschützt, sondern muss seine Leistung an G von diesem aus § 812 zurückfordern. Dasselbe gilt für Rechtsgeschäfte, die S nach R’s Leistung an G mit G vornimmt. (4) Schutz des regressberechtigten Schuldners? Soweit der Schuldner S danach wegen eines gutgläubig geschlossenen Erlasses, einer gutgläubig vereinbarten nachträglichen Verjährungsverkürzung oder einer Klageabweisung vor Regressansprüchen des Mitschuldners R geschützt wird, stellt sich die Frage, ob dies dazu führt, dass der verbleibende Schuldner R die Gesamtbelastung allein tragen muss. Ein allgemeines Recht des Gesamtschuldners, bei Solvenz des Mitschuldners nur anteilig in Anspruch genommen zu werden, gibt es bei vertraglichen Verbindlichkeiten nicht. Soweit R geschützt werden soll, muss daher eine andere Grundlage gefunden werden. Hier bietet sich zunächst einmal, wie im Falle schon anfänglich bestehender Privilegierungen des S, ein Schutz auf der Basis des zwischen G und R geschlossenen Vertrags an. Wenn der Bauherr sich gegenüber dem Architekten vertragswidrig verhält, wenn er diesen mit der Überwachung des Unternehmers beauftragt, den er von jeder Haftung freigestellt hat, dann gilt dies auch, wenn er den Unternehmer nachträglich befreit. Allerdings wird in diesem Fall der Unternehmer in der Regel gar nicht geschützt sein, weil er die Mithaftung des Architekten kennt. Denkbar wäre aber der Fall, dass der Gläubiger den Schuldner S als Alleinschuldner zu einer Werkleistung beauftragt und hinter dessen Rücken einen anderen Schuldner R dazu verpflichtet, S zu überwachen. Weiß S nichts von R, wäre er nach einem Erlass frei von Regressansprüchen; der Gläubiger aber hätte eine Vertragspflicht gegenüber R verletzt und wäre daher gehindert, von diesem den Ersatz des gesamten Schadens zu verlangen. Eine solche Anspruchskürzung würde den Gläubiger nicht unangemessen benachteiligen. Will er sicher gehen, dass ein mit dem Schuldner S vereinbarter Ein685
Hierzu oben, 667.
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zelerlass nicht zu einer Kürzung seiner Ansprüche gegen den anderen Schuldner R führt, muss er lediglich dafür sorgen, dass S vom Bestehen des Gesamtschuldverhältnisses Kenntnis hat. Eine solche Information gebieten schon Transparenz und Fairness: Insbesondere wenn S im Rahmen eines Vergleichs eine Gegenleistung für den (Teil-)Erlass erbringt, sollte er wissen, dass ihn der Erlass nicht vor möglichen Regressansprüchen Dritter schützt. Ein Gläubiger, der mit dem Schuldner S unter Verschweigen des möglichen Gesamtschuldverhältnisses einen Vergleich schließt, in dem S seine Gegenleistung in der Erwartung der völligen Haftungsfreiheit kalkuliert, kann sich nicht beschweren, wenn sein Anspruch gegen den verbleibenden Mitschuldner R gekürzt werden sollte. Doch ein Schutz des verbleibenden Schuldners R muss über den durch einen Vertrag mit G gewährten Schutz hinausgehen. R muss auch vor Akten der Gläubigerwillkür geschützt werden. Dies folgt aus der Prämisse, dass unter Gesamtschuldnern überhaupt ein Regress stattfindet, wie immer man diesen auch konstruiert, und dass dieser Regress der Vermeidung der Gläubigerwillkür dient. Wenn dem Gläubiger nicht gestattet ist, einen Schuldner herauszugreifen und endgültig zu belasten, dann kann ihm auch nicht erlaubt sein, dieses Ergebnis mittelbar dadurch zu erreichen, dass er mit einem Schuldner grundlos einen Erlass vereinbart, die Forderung gegen ihn mit Absicht verjähren lässt oder den Prozess absichtlich schlecht führt. Doch nicht jeder verlorene Zugriff auf den regresspflichtigen Schuldner S beruht auf einem Akt der Gläubigerwillkür. Ein Prozess gegen S kann auch ohne Verschulden des G verloren gehen, etwa weil das erkennende Gericht eine andere Rechtsauffassung vertritt. Hat S mit G eine kurze, kenntnisunabhängige Verjährungsfrist vereinbart, ist es denkbar, dass G den Schaden erst erkennt, nachdem die Forderung gegen S verjährt ist. Droht die Insolvenz eines Schuldners, kann es gute Gründe für den Gläubiger geben, mit diesem einen vergleichsweisen Teilerlass abzuschließen, um wenigstens einen Teil seiner Forderung zu retten. Eine Anspruchskürzung zugunsten des verbleibenden Schuldners wäre hier nicht sachgerecht und ist auch nicht wegen einer Gefahr der Gläubigerwillkür geboten. Wenn R daher nur vor bestimmten Eingriffen des Gläubigers ins Regressverhältnis geschützt werden soll, bietet sich eine Anwendung des § 254 II an, dessen Tatbestand ein – wie immer auch definiertes – Verschulden des Gläubigers voraussetzt. Der Schadensersatz- oder Gewährleistungsanspruch des Gläubigers wird danach gekürzt, wenn er es zu verantworten hat, dass ein weiterer ursprünglich Mithaftender mittlerweile nicht nur vom Gläubigerzugriff, sondern auch von Regressverpflichtungen befreit ist. Diese Befreiung muss aber dem Gläubiger in irgendeiner Weise vorwerfbar sein. Der bloße Wegfall eines Mithaftenden als solcher begründet danach noch keine Kürzung. Dies folgt aus der Prämisse, dass es ein unbedingtes Recht des Gesamtschuldners, allein mit seinem internen Anteil belastet zu werden, zumindest bei vertraglichen Verbindlichkeiten nicht gibt.
13. Schluss
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13. Schluss Nach Ansicht des historischen Gesetzgebers sollte ein Gesamtschuldverhältnis immer dann entstehen, wenn mehrere unmittelbar den vollständigen Ersatz desselben Schadens schulden, sei es aus Gesetz oder Vertrag. Eine besondere Gesamtschuldanordnung war für ihn nicht erforderlich. Nach 1900 wurde aber der Gesamtschuldtatbestand durch Rechtsprechung und Literatur eingeschränkt. Der Grund für diese Einschränkung war weniger die Ablehnung des Rückgriffs als solchen. Der Regress war schon bei den Solidarobligationen des 19. Jahrhunderts nicht unbekannt. Nur eine Teilrolle spielte auch die Angst vor dem falschen Regress, also die Vorstellung, dass es mangels besonderer Regelung zum nicht immer erwünschten Kopfteilregress kommen würde. Die Ablehnung eines weiten Gesamtschuldtatbestands beruhte vielmehr in erster Linie auf der mit § 426 verbundenen Schuldgemeinschaft, die Mitwirkungsansprüche und vom Fortbestand der Gläubigerforderung unabhängige Rückgriffsansprüche hervorzubringen schien und die es bislang in dieser Form nicht gegeben hatte. Dieser Aspekt wird in der bis heute anhaltenden Diskussion zum Gesamtschuldtatbestand vernachlässigt. Konstruktiv ist anstelle des Gesamtschuldregresses auch die Annahme einer wechselseitigen Solutionskonkurrenz mit Bereicherungsregress oder, bei gestuften Verpflichtungen, einer einseitigen Solutionskonkurrenz mit Zessionsregress möglich (wenn auch § 255 als Grundlage hierfür nicht geeignet ist). Die Bestimmung des Gesamtschuldtatbestands darf aber nicht davon abhängen, ob man eine Miterfüllung oder zumindest eine Mittilgung der konkurrierenden Verbindlichkeiten annehmen will oder diese mit dem Gedanken der versagten Vorteilsausgleichung ausschließt. Vielmehr kann eine sachgerechte Bestimmung des Gesamtschuldtatbestandes nur von den Rechtsfolgen abhängen, die mit einer bestimmten Regresskonstruktion verbunden sind. Eine besondere Rolle spielt hierbei, dass der Regressschuldner bei Annahme eines Bereicherungs- oder Zessionsregresses durch §§ 404 ff. geschützt wird und durch die Leistung des anderen Schuldners insoweit keinen Nachteil erleidet. Mit dem Gesamtschuldverhältnis verbindet die herrschende Lehre dagegen Befreiungsansprüche und eigenständige, von der Gläubigerforderung unabhängige Regressansprüche, im Fall der gestörten Gesamtschuld sogar Regressansprüche ohne Außenhaftung. So vorteilhaft der privilegierte Gesamtschuldregress für den regressberechtigten Schuldner ist, so nachteilig ist er für den Regressverpflichteten. Die Frage stellt sich daher, ob es Fälle konkurrierender Schadensersatz(oder Gewährleistungs-) pflichten gibt, in denen der privilegierte Regress nicht sachgerecht ist. Das von der Stufenlehre angebotene Kriterium ist zur Differenzierung aber völlig ungeeignet, weil es dazu führt, dass der nur nachrangig Haftende und daher eigentlich zu privilegierende Schuldner benachteiligt wird, indem er die Vorteile des Gesamtschuldregresses verliert. Statt dessen erweist sich die von der herrschenden Lehre angenommene Schuldgemeinschaft in den Fällen als nicht sachgerecht, in denen entweder der Regressberechtigte oder der Regressverpflichtete oder beide allein aufgrund eines
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Vertrags Schadensersatz oder Gewährleistung schulden. Die Annahme einer gesetzlichen Schuldgemeinschaft ohne Rücksicht auf den Inhalt der mit dem Gläubiger geschlossenen Verträge greift hier unzulässig in die Privatautonomie ein. Angesichts dieses Befundes kommen zwei Strategien in Frage. Entweder löst man die Fälle, in denen mindestens eine der Parteien des Regressverhältnisses nur vertraglich haftet, aus dem Gesamtschuldtatbestand heraus. Oder man modifiziert die von der herrschenden Lehre angenommenen Regeln des Gesamtschuldregresses. Zugunsten der zweiten Lösung, also eines weiten Gesamtschuldtatbestands mit modifizierten Regressregeln, sprechen gleich mehrere Gründe: (1) Der Gesetzgeber selbst ging von einem weiten Gesamtschuldtatbestand aus. (2) Auch wenn der Regress bei Schuldnermehrheiten konstruktiv über eine Rückgriffskondiktion oder einen Zessionsregress möglich ist, fehlt es doch an einem direkten gesetzlichen Anhaltspunkt. Dagegen ist § 426 I eine Vorschrift, die gerade für Schuldnermehrheiten gedacht ist und eine direkte gesetzliche Grundlage für die Aufteilung der insgesamt geschuldeten Leistung unter den Schuldnern bietet. (3) Die Annahme eines Gesamtschuldverhältnisses eröffnet die Anwendung des § 424, was zu sachgerechten Ergebnissen führt. (4) Der Weg, bei den Rechtsfolgen der Gesamtschuld anzusetzen und nicht beim Tatbestand, ermöglicht differenzierte Lösungen. Beim Bereicherungs- und Zessionsregress wird der regressverpflichtete Schuldner stets durch die §§ 404 ff. geschützt, was selbst bei vertraglichen Verpflichtungen nicht in vollem Umfang erforderlich erscheint. Das von der Rechtsprechung und ganz herrschenden Lehre und mit Einschränkungen auch nach diesem Ansatz befürwortete Ergebnis, dass ein Einzelerlass den Regress nicht (immer) zunichtemacht, kann mit einem Zessions- oder Bereicherungsregress nicht erreicht werden. (5) Schließlich hat der Überblick über die von der Rechtsprechung entschiedenen Fälle gezeigt, dass die anfangs restriktive Haltung der Gerichte einem zunehmend weiter verstandenen Anwendungsbereich der §§ 421 ff. gewichen ist, so dass die Gesamtschuldlösung heute wohl in grundsätzlich allen Fällen der Konkurrenz von Schadensersatzansprüchen und in weitem Umfang auch bei der Konkurrenz von Gewährleistungsansprüchen anerkannt ist. Auch von diesem Ergebnis sollte man sich nicht ohne Not entfernen. Vorgeschlagen werden hier daher folgende Gesamtschuldregeln für den Fall, dass mindestens eine der Parteien im Regressverhältnis nur vertraglich haftet: 1. Der Rückgriff nach § 426 I und die Subrogation nach § 426 II bleiben getrennte Regresswege. Schon mit Entstehung des Gesamtschuldverhältnisses gibt es ein Rechtsverhältnis unter den Schuldnern, das aber keine Mitwirkungs- oder Befreiungsansprüche eröffnet, sondern nur Befugnisse zur Regresssicherung, insbesondere zur Unterbrechung der Verjährung gegenüber dem Mitschuldner durch Streitverkündung oder Erhebung einer Feststellungsklage. 2. Der Rückgriffsanspruch kann nicht weiter reichen als die ursprüngliche Haftung des Regressschuldners gegenüber dem Gläubiger. Dies gilt nicht nur für
13. Schluss
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Abreden oder gesetzliche Privilegierungen, welche die Haftung des Schuldners im konkreten Fall von vornherein ausschließen oder beschränken, sondern auch für sonstige Modalitäten der Haftung, insbesondere für Ausschluss- oder Verjährungsfristen und für eine von vornherein bestehende Aufrechnungslage. Hat aber der regressberechtigte Gesamtschuldner vor Eintritt der Verjährung gegenüber dem Mitschuldner geleistet und diesen dadurch von einer durchsetzbaren Forderung befreit, ist auch eine eigenständige Verjährung des Gesamtschuldregresses denkbar; in diesem Fall empfiehlt sich aber eine Verkürzung der allgemeinen Verjährungsfrist. Nachträgliche Rechtsgeschäfte des Schuldners mit dem Gläubiger sind für den Regress dann unbeachtlich, wenn der Schuldner zum Zeitpunkt des Rechtsgeschäfts Kenntnis von Tatsachen hat, aus denen sich ein (mögliches) Gesamtschuldverhältnis ergibt. Insoweit werden die Wertungen des Abtretungsrechts herangezogen, wobei anstelle der Kenntnis der Abtretung die Kenntnis der möglichen Mithaftung des regressberechtigten Schuldners tritt. In dieser Weise können die Wertungen der §§ 406, 407 II bei der Frage herangezogen werden, ob ein Regress trotz späterer Aufrechnungslage oder klageabweisenden Urteils möglich ist. Leistet ein Schuldner an den Gläubiger oder schließt er mit diesem ein Rechtsgeschäft in Unkenntnis der Tatsache, dass schon der Mitschuldner geleistet hat, wird er nur dann vor einem Rückgriffsanspruch geschützt, wenn er auch das Gesamtschuldverhältnis nicht kannte. Soweit ein Schuldner danach nicht regresspflichtig ist, führt dies nicht automatisch zu einer nur anteiligen Haftung des anderen Schuldners, weil es zumindest bei vertraglichen Verbindlichkeiten kein allgemeines Recht des Gesamtschuldners auf eine Anteilshaftung gibt. Eine regresslose Alleinhaftung kann in bestimmten Fällen, etwa bei unterschiedlichen Verjährungsfristen, hingenommen werden. Sofern der Gläubiger die Haftung eines Gesamtschuldners durch besondere Vereinbarung ausschließt oder beschränkt, kann dies aber eine Vertragsverletzung gegenüber dem anderen Gesamtschuldner bedeuten, die zu einer Anspruchskürzung führt. Maßgeblich ist die Auslegung des Vertrags. Entfällt bei gegebenem Gesamtschuldverhältnis aufgrund nachträglicher Umstände nicht nur die Außenhaftung, sondern auch die Regresspflicht eines Gesamtschuldners, dann muss der verbleibende Gesamtschuldner dann geschützt werden, wenn die Befreiung auf einem Akt der Gläubigerwillkür beruhte. Ein solcher Schutz kann durch eine Kürzung des Gläubigeranspruchs nach § 254 II verwirklicht werden.
Es bietet sich an, die skizzierten Regeln auch im Falle der Konkurrenz gesetzlicher Schadensersatzverbindlichkeiten anzuwenden. Die Rechtsprechung entscheidet sich aber, mit Billigung durch die Literatur, dagegen und nimmt eine gesetzliche Schuldgemeinschaft mit Regressansprüchen an, die von der Außenhaf-
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IV. Der Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld II: Heutiges Recht
tung gegenüber dem Gläubiger völlig abgelöst sind. Dies ist hinzunehmen, da zumindest der Gesetzgeber bei der Konkurrenz gesetzlicher Pflichten frei ist, eine Schuldgemeinschaft mit gegenseitigen eigenständigen Ansprüchen vorzusehen. Nur dann, wenn mindestens eine der Verbindlichkeiten allein auf Vertrag beruht, überschreitet das Schuldgemeinschaftsmodell die Grenzen der Privatautonomie. Erkennt man aber die Beschränkungen des Gesamtschuldregresses im Fall vertraglicher Verbindlichkeiten grundsätzlich an, steht einem weiten Gesamtschuldbegriff nichts im Wege. Die hier vorgestellten Regeln verstehen sich im Einzelnen als verbesserungsfähige Vorschläge. Wichtig ist in erster Linie, anzuerkennen, dass die Regressproblematik nicht bei allen Arten von Gesamtschuldverhältnissen in gleicher Weise gelöst werden muss. Daher käme auch bei der hier bislang offen gelassenen Frage, ob ein Gesamtschuldner durch Vereinbarung eines Abtretungsverbots den Zessionsregress blockieren kann686, eine entsprechende Differenzierung in Betracht, indem man zumindest dem rein vertraglich verpflichteten Schuldner diese Möglichkeit einräumt. Die allgemeine Frage, ob „der Gesamtschuldregress“ auch beim Fortfall der Gläubigerforderung noch besteht oder „der Gesamtschuldner“ ein Recht darauf hat, nur mit seinem Innenanteil belastet zu werden, führt nicht weiter, weil sich hinter dem abstrakten Rechtsbegriff der Gesamtschuld völlig heterogene Fallgestaltungen verbergen und jede Einheitslösung Gefahr läuft, den Parteiinteressen und den Regeln der Privatautonomie nicht gerecht zu werden.
Zusammenfassung Nach 1900 schränkten herrschende Lehre und Rechtsprechung den weiten Gesamtschuldbegriff des Gesetzgebers ein. Fehlte es an einer gesetzlichen Gesamtschuldanordnung, an einem gemeinsamen Schuldgrund oder an einer Zweckgemeinschaft, sollten nur unechte Gesamtschulden vorliegen, bei denen zwar eine wechselseitige Solutionskonkurrenz gelten mochte, jedoch insbesondere § 426 nicht anwendbar war. Die heute wohl noch herrschende Lehre unterscheidet zwischen Gesamtschulden mit wechselseitiger Solutionskonkurrenz einerseits und gestuften Verbindlichkeiten mit nur einseitiger Solutionskonkurrenz und Zessionsregress andererseits. Die jeweiligen Versuche, geeignete Abgrenzungskriterien zu finden, können aber nicht zum Erfolg führen, weil der Gesetzgeber selbst nicht von einem beschränkten Gesamtschuldbegriff ausgegangen war. Eine Analogiebildung zu gesetzlichen Gesamtschuldanordnungen scheitert daran, dass der Gesetzgeber Gesamtschulden nur in zweifelhaften Fällen anordnete. Das von Eisele übernommene Schuldgrundkriterium passt nicht zu den bestehenden Gesamtschuldanordnungen. Das Stufenkriterium ist mit § 840 II und III nicht vereinbar und 686
Oben, 439 ff.
Zusammenfassung
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letztlich auch nicht handhabbar. Die Erwägung, dass die Leistung eines zweitrangig zustehenden Schuldners dem erstrangig zuständigen nicht zugutekommen und ihn daher nicht befreien dürfe, ist im Rahmen von Dreipersonenverhältnissen nicht zwingend. Grund für die Einschränkung des Gesamtschuldtatbestands war nicht die Ablehnung eines Rückgriffs als solchen und auch nur zum Teil die Angst vor dem falschen, nämlich stets kopfteiligen, Regress. Unbehagen bereitet vielmehr die von der herrschenden Lehre angenommene Ausgestaltung des Regresses nach § 426 I im Sinne einer Schuldgemeinschaft. Als Alternative bieten sich bei Annahme einer fehlenden Befreiung des regresspflichtigen Schuldners ein Zessionsregress und bei Annahme einer gegenseitigen Befreiung ein Geschäftsführungsoder Bereicherungsregress an. Die Vorschrift des § 255 ist aber als Regressregelung für konkurrierende Schadensersatzpflichten ungeeignet, weil sie völlig anderen Wertungen folgt und das mit ihr erzielte Ergebnis häufig in einem zweiten Schritt korrigiert wird. Auch die Tatbestandsmerkmale des Geschäftsführungsregresses passen nicht zum Gedanken, einen Ausgleich unter intern unterschiedlich zuständigen Schuldnern zu schaffen. In Frage kommen nur ein Bereicherungsregress oder ein nicht auf § 255 gestützter Zessionsregress, wobei der Bereicherungsregress den Nachteil hat, dass er dem Regressberechtigten die Sicherheiten der Gläubigerforderung vorenthält. Im Vergleich mit den eben genannten Regresswegen weist der Gesamtschuldregress die Besonderheiten der §§ 423 und 424 auf, wobei § 423 neutral ist und § 424 eher zugunsten des Gesamtschuldregresses spricht. Als wesentliches Unterscheidungsmerkmal bleibt nur die in § 426 hineingelesene Schuldgemeinschaft, die als einziger Regressweg Mitwirkungs- und Befreiungsansprüche eröffnet und einen Rückgriff auch dann ermöglicht, wenn der intern belastete Schuldner dem Zugriff des Gläubigers nicht mehr ausgesetzt ist. Die Frage nach der Abgrenzung von Gesamtschuldverhältnissen von anderen Formen der Schuldnermehrheit mit Gläubigerwahlrecht ist daher in erster Linie eine Frage nach der Ausgestaltung des Regresses. Wer eine Schuldgemeinschaft unter Gesamtschuldnern annimmt, muss begründen, warum in bestimmten Fällen konkurrierender Verbindlichkeiten ein privilegierter Regress gewährt wird und in anderen Fällen nur eine Legalzession. Eine solche Begründung steht bislang aus. Die Stufenlehre ist schon in sich nicht schlüssig, weil sie den intern freigestellten Schuldner mit der Begründung, er stehe nicht auf derselben Stufe wie der unmittelbare Verursacher, die Vorteile des privilegierten Gesamtschuldregresses versagt und ihn damit schlechter stellt als einen deliktischen Mittäter. Bei der Rechtsprechung zu konkurrierenden Schadensersatzverbindlichkeiten fällt auf, dass die Gesamtschuldlösung immer dann umstritten war, wenn eine oder alle Verbindlichkeiten allein auf einem Vertrag beruhten. Dies ist kein Zufall, weil das Schuldgemeinschaftsmodell bei rein vertraglichen Verbindlichkeiten die Grenzen der Privatautonomie überschreitet. Der insbesondere bei der Lösung von Fällen der gestörten Gesamtschuld zu findende Gedanke einer Schadens- oder Schuldgemeinschaft, die schon durch die Mitverursachung des Scha-
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dens entsteht, kann auf vertragliche Schadensersatzverbindlichkeiten nicht übertragen werden; ebenso wenig gibt es hier ein Recht des Schadensverursachers, bei Solvenz des Mitverursachers nur anteilig in Anspruch genommen zu werden. Wird ein Schuldner nur deswegen einem Rückgriff ausgesetzt, der über die Verpflichtung des Schuldners zum Gläubiger hinausgeht, weil ein anderer einen Vertrag mit dem Gläubiger schloss, dann kommt dieser Vertrag einem Vertrag zulasten Dritter gleich. Beruht umgekehrt die Verbindlichkeit des regresspflichtigen Schuldners auf einem Vertrag, so kann auch ein Rückgriffsrecht eines anderen Schuldners nur auf diese vertragliche Verpflichtung gestützt werden, deren Modalitäten und Beschränkungen deswegen durchwegs beachtet werden müssen. Schuldet daher zumindest einer der Schuldner im Regressverhältnis aus Vertrag, kann ein Rückgriffsrecht aus § 426 I nicht weiter reichen als die ursprünglich gegenüber dem Gläubiger bestehende Verbindlichkeit des Regresspflichtigen. Mit der Privatautonomie noch vereinbar ist es aber, nachträglichen Vereinbarungen mit dem Gläubiger oder sonstigen nachträglichen Ereignissen eine Auswirkung auf den Regress dann zu versagen, wenn der regresspflichtige Schuldner das Gesamtschuldverhältnis kennt. Das Recht der Forderungsabtretung zeigt, dass dem Schuldner durch ein Fremdgeschäft seine bestehenden Einwendungen nicht genommen werden dürfen, während es hinsichtlich nachträglich entstehender Einwendungen nur einen Schutz des guten Glaubens gibt. Überträgt man die Wertungen der §§ 404 ff. auf den Gesamtschuldregress und ersetzt man dabei die Kenntnis der Abtretung durch die Kenntnis des Gesamtschuldverhältnisses, steht einem weiten Gesamtschuldbegriff, der sämtliche Fälle konkurrierender Schadensersatzverbindlichkeiten umfasst, nichts im Wege.
Teil C
Mitbürgen
I. Unterschiedliche Regelungsprobleme Eine Mitbürgschaft liegt nach § 769 dann vor, wenn sich mehrere für dieselbe Verbindlichkeit verbürgen. Die Vorschrift sieht ein Gesamtschuldverhältnis unter den Mitbürgen vor, unabhängig davon, ob die Bürgschaft gemeinschaftlich übernommen wurde. Die Einheitslösung verdeckt, dass die Regelungsprobleme der Mitbürgschaft unterschiedlich sind, je nachdem ob sich die Bürgen gemeinschaftlich oder unabhängig voneinander verpflichteten. Im Falle einer gemeinschaftlichen Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger bestehen grundsätzlich dieselben Regelungsprobleme wie bei sonstigen vertraglichen Schuldnermehrheiten, sieht man von der Besonderheit ab, dass neben den Bürgen auch der Hauptschuldner für den Zugriff des Gläubigers sowie für einen möglichen Rückgriff zur Verfügung steht. Versprechen zwei Bürgen gemeinsam gegenüber dem Gläubiger, für eine Schuld in Höhe von 100 einzustehen, dann stellt sich ebenso wie bei sonstigen gemeinschaftlichen Verpflichtungen die Frage, ob jeder Bürge als Teilschuldner nur für 50 oder als Gesamtschuldner für 100 einstehen will. Hier handelt es sich in erster Linie um eine Frage der Vertragsauslegung. Zur Beseitigung von Unklarheiten kann das Recht aber Auslegungsregelungen vorsehen. Bei gewöhnlichen vertraglichen Verbindlichkeiten galt gemeinrechtlich eine Teilschuldvermutung, während das BGB mit einer Gesamtschuldvermutung arbeitet. Damit stellt sich die Frage, ob für gemeinschaftliche Mitbürgen dieselben oder besondere Regelungen gelten sollen. Hat ein Mitbürge an den Gläubiger geleistet, kann er wie jeder Bürge einen Rückgriff beim Hauptschuldner versuchen. Dieser wird jedoch häufig zahlungsunfähig sein. Neben dem Hauptschuldnerregress kommt daher auch ein Regress gegenüber den übrigen Bürgen in Frage. Für gemeinschaftliche Mitbürgen gilt hier das zu vertraglich vereinbarten Gesamtschulden Gesagte: Da die Verpflichtung gemeinschaftlich übernommen wurde, besteht unter den Mitbürgen grundsätzlich immer ein Innenverhältnis, das Grundlage eines vertraglichen Anspruchs auf Auslagenersatz bilden kann. Auch wenn die gemeinschaftlichen Mitbürgen untereinander keine ausdrückliche Regressvereinbarung getroffen haben, sind sie sich jedoch über den Anlass der Bürgschaft und die Lastenverteilung in der Regel einig. Der Mitbürgschaft kann ein Gesellschaftsverhältnis, im Einzelfall auch ein Auftrag zugrunde liegen. Wie bei sonstigen vertraglichen Gesamtschulden kann das Recht dem Regresssuchenden aber dadurch helfen, dass es ihm durch eine Vermutung den Nachweis einer vertraglichen Ausgleichsverpflichtung erspart. Zusätzlich kann es dem Regresssuchenden die Gläubigerforderung gegen den Regresspflichtigen zur Verfügung stellen. Die Grundlage des Regresses bleibt
I. Unterschiedliche Regelungsprobleme
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aber, solange das Innenverhältnis nicht ausnahmsweise unwirksam ist, rechtsgeschäftlich. Dies wird wie bei sonstigen vertraglich vereinbarten Gesamtschulden durch den vorschnellen Zugriff auf § 426 verdeckt. Gäbe es jedoch keinen gesetzlichen Gesamtschuldregress, würde die Rechtsprechung den Ausgleich unter gemeinschaftlichen Mitbürgen selbstverständlich auf rechtsgeschäftlicher Grundlage gewähren. Völlig anders verhält es sich, wenn die Mitbürgen sich unabhängig voneinander für dieselbe Hauptschuld verbürgt haben und unter Umständen gar nichts voneinander wissen. Diese Mitbürgen werden hier Nebenbürgen genannt. Schon im Außenverhältnis zum Gläubiger liegt eine Teilhaftung weniger nahe. Wer sich als Einzelschuldner unbeschränkt verbürgt, haftet für die gesamte Forderung. Die Teilschuldlösung würde bedeuten, dass die Haftung eines Bürgen sich im nachhinein ermäßigt, weil der Gläubiger einen zweiten Bürgen angenommen hat, also durch ein fremdes Rechtsgeschäft, von dem der erste Bürge keine Kenntnis haben muss. Gewöhnlich werden vertraglich übernommene Verbindlichkeiten durch Fremdgeschäfte aber nicht gemindert. Dies bedeutet zwar nicht, dass eine Rechtsordnung eine solche Teilhaftung von Nebenbürgen nicht vorsehen kann; sie liegt aber zumindest nicht derart auf der Hand wie bei gemeinschaftlichen Mitbürgen. Der Ausgleich unter gesamthaftenden Nebenbürgen kann sich nicht auf ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis stützen und muss, soll er überhaupt stattfinden, gesetzlich angeordnet werden. Ein Regress unter Nebenbürgen ist aber alles andere als selbstverständlich. Jeder Nebenbürge hat sich rechtsgeschäftlich verpflichtet, für die Hauptforderung in vollem Umfang einzustehen. Ist der Hauptschuldner zahlungsunfähig, verwirklicht sich gerade das vom Nebenbürgen übernommene Risiko. Für ihn ist es sozusagen Zufall, dass auch ein anderer eine gleiche rechtsgeschäftliche Verpflichtung eingegangen ist. In der Regel findet ein Ausgleich unter Schuldnern, die sich unabhängig voneinander vertraglich zu gleichen Leistungen verpflichtet haben, nicht statt. Auf der anderen Seite droht die Gefahr der Gläubigerwillkür und der rechtsgeschäftlichen Manipulationen. Gibt es keinen gesetzlichen Ausgleich, könnte ein einzelner Nebenbürge sich von vornherein gegenüber dem Gläubiger die vollständige Abtretung der Forderungen gegen weitere Bürgen ausbedingen. Dann stellt sich die Frage, was geschieht, wenn sämtliche Nebenbürgen ein solches Recht vereinbaren. Es kann also gute Gründe geben, die Belastungsverteilung unter mehreren Sicherern durch das Recht selbst vorzunehmen. Gibt es einen gesetzlichen Ausgleich unter Nebenbürgen, stellt sich die Frage nach dem Aufteilungsmaßstab. Haben sich zwei Nebenbürgen ohne Beschränkungen für dieselbe Verbindlichkeit verbürgt, kommt nicht nur eine kopfteilige Innenbelastung in Frage. Denkbar wäre auch, demjenigen, der sich später verbürgt hat, gegen den früheren Bürgen einen Rückgriff auf das Ganze zu gewähren. Immerhin haftete der erste Bürge zunächst allein und hätte auch weiterhin die Belastung allein tragen müssen, wenn sich nicht später der zweite ebenfalls verpflichtet hätte. Neben dem Maßstab ist auch die Art des Regresses von Rele-
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I. Unterschiedliche Regelungsprobleme
vanz. Ein reiner Derivativregress wirkt gegenüber dem Regressverpflichteten wie eine Abtretung und kann ihm daher grundsätzlich immer zugemutet werden. Demgegenüber erscheint der von der herrschenden Lehre in Deutschland angenommene privilegierte Gesamtschuldregress bei Nebenbürgen in besonderem Maße problematisch, weil er eine gesetzliche Schuldgemeinschaft zwischen mehreren unabhängig voneinander eingegangenen rechtsgeschäftlichen Verbindlichkeiten annimmt. Neben gemeinschaftlichen Mitbürgen und Nebenbürgen ist auch eine dritte Art als Mischform denkbar. Die Mitbürgen vereinbaren unter sich die Übernahme der Bürgschaft, treten aber gegenüber dem Gläubiger unabhängig voneinander auf. Für das Außenverhältnis gilt dann wie bei Nebenbürgen, dass eine Teilhaftung der Mitbürgen, die aus Sicht des Gläubigers einzeln auftraten, fern liegt. Im Innenverhältnis aber besteht wie bei gemeinschaftlichen Bürgen ein Vertrag, der die Grundlage des Innenausgleichs bildet. Trotz der unterschiedlichen Regelungsprobleme wurden gemeinschaftliche Mitbürgen und Nebenbürgen historisch zumeist, aber nicht immer, gleich behandelt. Eine bestimmte gesetzliche Regel kann allerdings bei gemeinschaftlichen Mitbürgen einen ganz anderen Hintergrund und eine ganz andere Bedeutung aufweisen als bei Nebenbürgen.
II. Die Höhe der Haftung im Außenverhältnis 1. Die römischen Grundlagen Das römische Recht kannte mehrere Arten von Bürgschaftsgeschäften. Von zwei älteren Formen berichtet hauptsächlich Gaius’ Institutionenlehrbuch1. Mit der sponsio konnte eine Stipulationsschuld gesichert werden. Der sponsor verpflichtete sich ursprünglich im unmittelbaren Anschluss an den Hauptschuldner, indem er, ebenfalls durch Stipulation, dem Gläubiger versprach, dasselbe zu leisten2. Später konnte eine sponsio offenbar auch nachträglich und in Abwesenheit des Hauptschuldners vereinbart werden3. Als Eidesakt stand sie nur römischen Bürgern offen. Nichtrömer konnten eine fremde Schuld durch fidepromissio sichern, deren Regeln weitgehend denen der sponsio entsprachen. Die Haftung der sponsores und fidepromissores war zeitlich begrenzt und ging nicht auf ihre Erben über. Eine jüngere Bürgschaftsform ist demgegenüber die fideiussio. Mit ihr konnten alle Arten von Obligationen gesichert werden. Das Verbürgungsgeschäft selbst erfolgte in Form einer Stipulation4, stand auch Nichtrömern offen und musste nicht in zeitlichem Zusammenhang mit der Entstehung der Hauptschuld erfolgen. Die Haftung des fideiussor war vererblich und unbefristet. Die zwei älteren Bürgschaftsformen verschwanden im nachklassischen Recht. In Justinians Kompilation wird nur noch die fideiussio erwähnt, wobei einige Stellen sich in ihrer ursprünglichen Form wohl auf die sponsio oder fidepromissio bezogen hatten. Die fideiussio bildet damit die Grundlage der gemeinrechtlichen Bürgschaft. Eine Verbürgung durch mehrere war offenbar häufig. Sponsores und fidepromissores wurden hier durch besondere Gesetze geschützt. Nach der lex Appuleia wurde die geschuldete Summe im Innenverhältnis unter den Mitbürgen aufgeteilt, so dass derjenige, der mehr als seinen Anteil gezahlt hatte, einen Rückgriff gegen die übrigen hatte5. Die später erlassene lex Furia ging darüber hinaus, indem sie die Schuld schon im Außenverhältnis unter den zur Zeit der Fälligkeit lebenden Bürgen nach Köpfen aufteilte: Mitbürgen waren damit nur Teilschuld-
1 Zum Folgenden Gai. 3,115 ff.; Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. I, § 155 II 3, Bd. II, § 278 I; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 108 II; Zimmermann, Law of Obligations, 117 ff.; jew. m.w.N. 2 Idem dari spondes? spondeo; Gai. 3,116. 3 Zu dieser Streitfrage stellvertretend Schmieder, Duo rei, 222 ff. m.w.N. 4 Etwa: Id fide tua esse iubes? fideiubeo; vgl. Gai. 3,116; Ulpian D.45,1,75,6. 5 Gai. 3,122.
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II. Die Höhe der Haftung im Außenverhältnis
ner6. Schließlich sah die lex Cicereia vor, dass ein Gläubiger, der seine Forderung durch sponsores oder fidepromissores sichern wollte, öffentlich bekannt machen musste, wie hoch die Verbindlichkeit war und durch wie viele Mitbürgen sie gesichert werden sollte7. Zumindest in Italien, dem Geltungsbereich der lex Furia8, waren also mehrere sponsores oder fidepromissores, die sich für dieselbe Schuld verbürgt hatten, Teilschuldner. Bei gemeinschaftlicher Verbürgung könnte man dies als Ausdruck einer allgemeinen Teilschuldvermutung deuten. Doch die lex Furia galt offenbar auch für Nebenbürgen. Zum einen differenzieren die Quellen grundsätzlich nicht zwischen gemeinschaftlichen und Nebenbürgen9. Zum anderen bestand der Sinn der lex Cicereia offenbar gerade darin, dem einzelnen Bürgen eine sichere Kenntnis über die Anzahl der Nebenbürgen und damit über die Höhe seiner eigenen Haftung zu verschaffen. Die Teilhaftung der Nebenbürgen ist aus heutiger Sicht erstaunlich. Durch Annahme eines weiteren Bürgen wurde die Sicherheit des Gläubigers im Ergebnis nicht vergrößert, sondern die Haftung des ersten Bürgen reduziert. Diese Regel muss aber vor dem Hintergrund der Rolle der persönlichen Kreditsicherung im klassischen römischen Recht gesehen werden. Schon die Annahme eines Einzelbürgen führte, anders als heute, nicht einfach zur einer Vergrößerung der haftenden Vermögensmassen. Zwar konnte der Gläubiger frei wählen, ob er den Hauptschuldner oder den Bürgen verklagen wollte; die Bürgenhaftung war nicht subsidiär. Doch für alle drei genannten Bürgschaftsformen galt, dass die Klage gegen den Hauptschuldner und die gegen den Bürgen denselben Streitgegenstand (eadem res) betrafen, wegen dessen insgesamt nur einmal geklagt werden konnte10. War der Gläubiger also trotz Verklagung des Hauptschuldners nicht befriedigt worden, konnte er nicht mehr auf den Bürgen zugreifen. Über diese Klagekonsumption wurde hier schon im Zusammenhang mit Stipulations-Gesamtschuldnern berichtet11. Weil die Vollstreckung nach klassischem römischen Recht stets Gesamtvollstreckung war, die zur Einziehung des gesamten Vermögens zugunsten der Gläubiger führte, war es zwar möglich, aber wenig wahrscheinlich, dass ein vom Gläubiger erstrittenes Urteil nicht vom Beklagten oder einer ihm nahestehenden Person befriedigt wurde. Wenn aber die Klagen gegen Hauptschuldner und Bürgen denselben Streitgegenstand betrafen, dann galt dies auch im Verhältnis mehrerer Mitbürgen12. Au6
Gai. 3,121, s.a. 4, 22. Gai. 3,123. 8 Gai. 3,121 a und 122. 9 Vgl. Schmieder, Duo rei, 254. 10 Justinian C.8,40,28; interpoliert insoweit Alexander C.5,57,2; Gordian C.8,40,15; vgl. Levy, Konkurrenz I, 190 ff.; Liebs, Klagenkonkurrenz, 40 f., 60 ff., 184, 250; Kaser, Römisches Privatrecht I, § 155 II 4 c; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 108 II 3; Zimmermann, Obligations, 125 f.; Schmieder, Duo rei, 230 ff. m.w.N. 11 Oben, 43 ff., 242 ff. 12 Levy, Konkurrenz I, 193; Liebs, Klagenkonkurrenz, 250 f. 7
1. Die römischen Grundlagen
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ßerhalb des Anwendungsbereichs der lex Furia musste sich der Gläubiger also ohnehin entscheiden, gegen wen er seine Klage richten wollte. Er konnte die insgesamt geschuldete Summe aufteilen und für diese Teilbeträge unterschiedliche Schuldner in Anspruch nehmen13. Wollte er aber das Ganze einklagen, konnte er nur entweder gegen den Hauptschuldner oder gegen einen der Bürgen vorgehen. Eine Vollstreckung wegen desselben geschuldeten Leistungsgegenstandes in mehrere Schuldnervermögen war also von vornherein nicht möglich. Die Mehrheit der Bürgen hatte für den Gläubiger daher ohnehin nur einen begrenzten Wert. Die Teilschuldregel der lex Furia war für ihn deswegen weniger einschneidend, als es zuerst den Anschein hat. Er hatte nun keine freie Wahl mehr, wie er von seinem ihm insgesamt nur einmal zustehenden Klagerecht Gebrauch machen wollte. Nach der lex Cicereia musste er sich vielmehr von Anfang an entscheiden, ob er seine Forderung durch einen Bürgen ganz, durch zwei Bürgen je zur Hälfte oder durch zehn Bürgen je zu einem Zehntel sichern wollte. Es verblieb lediglich das Wahlrecht, ob er dann gegen den Hauptschuldner oder die Bürgen vorging. Für die jüngere Bürgschaftsform der fideiussio galten die genannten drei Schutzgesetze nicht. Tatsächlich ist es möglich, dass sich die fideiussio als alternative Bürgschaftsform gerade zu dem Zweck entwickelt hatte, die älteren Bürgengesetze zu umgehen. Hatten sich für dieselbe Schuld mehrere verbürgt, haftete jeder fideiussor auf das Ganze14. Weil der Gläubiger die geschuldete Leistung insgesamt nur einmal bekommen sollte, können Mitbürgen bei der fideiussio als Gesamtschuldner bezeichnet werden. Der für Stipulations-Gesamtschuldner geltende Ausdruck duo rei wurde auf sie allerdings nicht angewandt15. Wie berichtet gab es im römischen Recht offenbar keinen allgemeinen Gesamtschuldbegriff, sondern nur verschiedene, sich teilweise überschneidende Gruppen von Gesamthaftenden, für die im Einzelnen unterschiedliche Regeln galten16. Eine eingeschränkte Form des Mitbürgenschutzes fand dann aber auch bei den fideiussores statt. Nach einem Schreiben des Kaisers Hadrian stand mehreren dieselbe Schuld sichernden fideiussores ein beneficium divisionis zu17. Wie schon berichtet, handelt es sich bei dieser Einrede der Teilung nicht um eine Teilschuldanordnung18. Vielmehr konnte der Gläubiger von einem einzelnen Mitbürgen das 13
Oben, 245 f. Gai. 3,121; Inst. 3,20,4; Modestin D.46,1,39; Severus C.8,40,3; Gordian C.8,40,16; Diocletian C.8,40,21. Etwas anderes galt, wenn sich die Bürgen als Teilschuldner verpflichtet hatten, Papinian D.46,1,51 pr. 15 Eine deutliche Unterscheidung von confideiussores und rei promittendi findet sich etwa bei Paulus D.2,14,23–26. Weitere Nachweise bei Schmieder, Duo rei, 304. 16 Oben, 508 ff. 17 Gai. 3,121; Inst. 3,20,4; Gaius D.46,1,26; Papinian D.27,7,7, D.46,1,49,1, D.46,1,51, D.46,1,52,1; Ulpian D.46,1,10 pr.-1 und l. 27; Paulus D.46,1,28; Severus C.8,40,3; Alexander C.8,40,10,1; Justinian C.4,18,3. Siehe Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. I, § 155 II 4 b, Bd. II, § 278 I 2 d; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 108 II 4; Zimmermann, Obligations, 131 f. Eine Ausnahme galt für Bürgen, welche die Forderungen des Mündels gegen den Vormund sicherten, Papinian D.46,6,12. 18 Oben, 235 f. 14
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II. Die Höhe der Haftung im Außenverhältnis
Ganze verlangen. Leistete dieser, ohne die Einrede zu erheben, konnte er das Geleistete vom Gläubiger nicht zurückfordern. Erhob er aber die Teilungseinrede, konnte er vom Gläubiger verlangen, den noch offenen geschuldeten Betrag unter allen derzeit solventen Mitbürgen gleichmäßig aufzuteilen. Waren einzelne Mitbürgen zu dieser Zeit insolvent, wurden die Anteile der übrigen entsprechend erhöht. Soweit es aber mehrere solvente Mitbürgen gab, führte die Einrede zur einer ex nunc wirkenden Umwandlung des noch nicht gezahlten Gesamtschuldbetrags in Teilschulden. Die erst später eintretende Insolvenz eines Mitbürgen fiel dann dem Gläubiger zur Last. Ebenso wie die Teilschuldanordnung der lex Furia galt das beneficium divisionis der fideiussores offenbar auch für Nebenbürgen19. Auch hier muss der prozessrechtliche Hintergrund beachtet werden: Nach den Regeln der Prozesskonsumption konnte der Gläubiger eine durch mehrere fideiussores gesicherte Schuld ohnehin insgesamt nur einmal einklagen, sei es vom Hauptschuldner, sei es von einem der Bürgen. Hatte er sich für einen Bürgen entschieden und erhob dieser die Teilungseinrede, musste der Gläubiger sämtliche solvente Bürgen auf Teilbeträge verklagen, was nach den Regeln der Prozesskonsumption zulässig war und wohl in der Regel auch zur Befriedigung des Gläubigers führte. Die Klagekonsumption im Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner sowie zwischen mehreren Mitbürgen wurde von Justinian 531 abgeschafft20. Durch die 535 erlassene Novelle 4,1 führte er die Einrede der Vorausklage (beneficium excussionis oder ordinis) ein, die den Gläubiger verpflichtete, zuerst den Hauptschuldner zu verklagen und einen Vollstreckungsversuch zu unternehmen, bevor er den Bürgen belangen konnte. Diese Einrede hat funktionale Ähnlichkeit mit der Teilungseinrede der Mitbürgen. Der Gläubiger soll sich zuerst an denjenigen halten, der intern für die Begleichung der Schuld primär zuständig ist. Im Verhältnis des Bürgen zum Hauptschuldner ist letzterer für die gesamte Schuld primär zuständig. Im Verhältnis unter den Mitbürgen wird die Schuld aufgeteilt, so dass jeder für seinen Kopfteil primär und für den Rest nur sekundär zuständig ist. Die Regelungstechnik ist aber unterschiedlich: Der Bürge konnte noch nach erfolgloser Belangung des Hauptschuldners in Anspruch genommen werden, während die erfolgreiche Erhebung der Teilungseinrede zur endgültigen Aufteilung der Schuld unter den Mitbürgen führte. Nach Wegfall der Klagekonsumption lag diese Rechtsfolge wesentlich weniger nahe und bedeutete im Ergebnis eine erhebliche Beschränkung der Gläubigerrechte. Neben den genannten drei Bürgschaftsformen kannte das römische Recht weitere Arten persönlicher Sicherungsgeschäfte. Bei der Indemnitäts- oder Ausfallbürgschaft21 versprach der Bürge dem Gläubiger, dasjenige zu leisten, was dieser vom Schuldner nicht erhalten konnte. Eine Klage gegen den Ausfallbür19
Ebenso Schmieder, Duo rei, 254 Fn. 1130. Justinian C.8,40,28, oben, 45 f. 21 Vgl. Kaser, Römisches Privatrecht I, § 155 Fn. 56; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 108 II 3. 20
1. Die römischen Grundlagen
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gen war überhaupt nur dann möglich, wenn zuvor eine Klage und eine Vollstreckung gegen den Hauptschuldner stattgefunden hatten, und richtete sich dann auf den noch offenen Betrag. Eine Klagekonsumption im Verhältnis zwischen Hauptschuldner und Ausfallbürgen konnte in diesem Verhältnis von vornherein nicht stattfinden22. Mittels des Kreditmandats23 beauftragte ein Dritter den Gläubiger, dem Schuldner ein Darlehen zu gewähren. Der Gläubiger hatte dann nicht nur eine Darlehensklage gegen den Schuldner, sondern konnte die Kreditsumme auch nach Auftragsrecht vom Kreditauftraggeber verlangen, und zwar als Auslagenersatz mittels der actio mandati contraria. Es galten also die Regeln des Auftrags, der ein Vertrag bonae fidei war. Daher konnte der Kreditauftrag formlos zustande kommen. Die Darlehensklage gegen den Schuldner und die Auftragsklage gegen den Kreditmandator bildeten nicht denselben Streitgegenstand und schlossen sich daher nicht gegenseitig aus24. Wahrscheinlich wurde der Kreditauftrag ebenso wie die Ausfallbürgschaft gerade zur Vermeidung der Klagenkonsumption eingesetzt. Bei einem constitutum25 handelte es sich um eine formlose Zusage, eine bestehende Verbindlichkeit an einem bestimmten Termin zu erfüllen. Ihre Einhaltung wurde durch eine prätorische Klage geschützt. War die Erfüllung einer fremden Schuld versprochen26, sprach man von einem constitutum debiti alieni, das zumindest funktional einer Bürgschaft gleichkam27. Mehrere Ausfallbürgen, Kreditmandatoren oder Constituenten für dieselbe Verbindlichkeit hafteten auf das Ganze28, so dass man aus heutiger Sicht von Gesamtschuldnern sprechen kann. Zumindest bei einer Mehrheit von Kreditmandatoren galt, dass zwischen ihren Verbindlichkeiten, anders als bei Mitbürgen, keine Klagen-, sondern nur Solutionskonkurrenz bestand29. Wie berichtet wurde die Klagenkonsumption bei Verträgen bonae fidei offenbar von vornher22
Celsus, D.12,1,42 pr.; Papinian D.45,1,116; Paulus, D.46,3,21; Alexander C.5,57,2. Gai. 3,156; Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. I, § 134 II, § 155 III, Bd. II, § 278 II; Zimmermann, Obligations, 139 ff. 24 Gaius D.17,1,27,5; Scaevola D.17,1,60 pr.; Julian D.46,1,13; Papinian D.46,3,95,10; Paulus D.46,1,71 pr.; Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. I, § 155 III, Bd. II, § 278 II. Tatsächlich fand hier nicht einmal Solutionskonkurrenz statt, so dass eine Abtretung der Klage gegen den Hauptschuldner an den zahlenden Kreditauftraggeber unproblematisch möglich war; vgl. oben, 414. 25 D.13,5; Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. I, § 136 II, Bd. II, § 278 III; Zimmermann, Obligations, 511 f. 26 Vgl. Scaevola D.13,5,26; Gaius D.13,5,28; Ulpian D.13,5,5,2–4, D.13,5,27. 27 Die Frage der Klagenkonsumption soll hier seit alters her umstritten gewesen sein, Ulpian D.13,5,18,3; vgl. Kaser, Römisches Privatrecht I, § 155 Fn. 68. 28 Kreditmandatoren: Paulus D.15,4,5,1, D.17,1,59,3; Ulpian D.17,1,21; Modestin D.46,1,41,1; Papinian D.46,1,52,3; Diocletian C.8,40,23; Eisele, AcP 77 (1891), 459 ff.; Binder, Korrealobligationen, 351 ff.; Levy, Konkurrenz I, 194 ff.; Schmieder, Duo rei, 201 ff. Konstituenten: Ulpian D.13,5,16 pr. (si duo quasi duo rei constuerimus). 29 Papinian D.46,1,52,3; Modestin D.46,1,41,1; Diocletian C.8,40,23; Justinian C.8,40,28 pr.; Liebs, Klagenkonkurrenz, 42 f., 64, 185; Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. I, § 154 IV 4, Bd. II, § 278 II; Schmieder, Duo rei, 205 ff. Anders Eisele, AcP 77 (1891), 459 ff.; Binder, Korrealobligationen, 351 ff.; Levy, Konkurrenz I, 199 ff. 23
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II. Die Höhe der Haftung im Außenverhältnis
ein nicht angewandt. Bei allen drei bürgschaftsähnlichen Sicherungsgeschäften stellte sich die Frage, ob mehrere Sicherer derselben Schuld ebenso wie fideiussores von der Teilungseinrede Gebrauch machen konnten. Die Quellen sind nicht einheitlich. Ausfallbürgen konnten offenbar das beneficium divisionis geltend machen30. Für mehrere Kreditmandatoren wird die Teilungseinrede in einigen Quellen bejaht31, während andere nur von der Ganzhaftung jedes Schuldners sprechen, ohne die Teilungseinrede zu erwähnen32. Dies könnte damit erklärt werden, dass die Einrede für sie erst im justinianischen Recht gewährt wurde; möglicherweise handelt es sich aber schon um eine Kontroverse im klassischen Recht33. Für Konstituenten wurde das benficium divisionis wohl erst durch Justinian eingeführt34.
2. Formen der Mitbürgschaft im einheimischen Recht Auch vor der Rezeption des römischen Rechts war die Verbürgung einer Schuld durch mehrere in Europa bekannt35. Die Quellen ab dem späten Mittelalter erwähnen sowohl die Gesamtbürgschaft, bei der jeder Mitbürge für die gesamte Schuld haftet, als auch die Teilbürgschaft, bei welcher der geschuldete Betrag unter den Mitbürgen nach Quoten oder Beträgen aufgeteilt wird36. Insbesondere im deutschsprachigen Raum findet sich daneben auch die Form der Subsidiär-Gesamtschuld, bei der jeder Mitbürge zunächst allein für seinen Anteil und nur subsidiär auch für die Anteile der übrigen Bürgen einstehen muss37. Ob es sich hierbei um eine originär einheimische Form der Mitbürgschaft handelt, ist nicht sicher. Möglicherweise stellte sie schon eine Umsetzung der gemeinrechtlichen Teilungseinrede dar. Bei dieser war die Teilung nach herrschender Ansicht allerdings endgültig38, während der Bürge bei der Subsidiär-Gesamtschuld stets damit 30
Papinian D.27,7,7; Justinian C.4,18,3; Liebs, Klagenkonkurrenz, 187. Papinian D.27,7,7; Justinian C.4,18,3. 32 Paulus D.15,4,5,1, D.17,1,59,3; Diocletian C.8,40,23. 33 So Liebs, Klagenkonkurrenz, 64, 187 f.; vgl. Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. I, § 155 III, Bd. II, § 278 II. 34 Justinian C.4,18,3; Liebs, Klagenkonkurrenz, 188; Kaser, Römisches Privatrecht II, § 278 III. 35 Zur Bürgschaft im späten Mittelalter stellvertretend HKK/Haferkamp, §§ 765–778 Rz 8 ff. 36 Hierzu die Referate in Société Jean Bodin, Les Sûretés personelles II, durch Timbal, 54 f. (Zentralfrankreich), Coudert, 210 f. (Lothringen), Yver, 248 f. (Normandie), Godding, 271 ff., 338 ff. (Niederlande), Poudret/Partsch, 628 ff. (Schweiz), Wesener, 675, 682 (Österreich); zum deutschen Recht Stobbe, Geschichte (1855), 138 ff., 145 ff.; von Gierke, Deutsches Privatrecht III (1917), § 206 IX; Maier, Bürgschaft (1980), 185 ff. (Süddeutschland und Schweiz); Mückenheim, Bürgschaft (1964), 42, 117 ff. (Lübeck); Hoppe, Bürgschaft (1997), 143 ff. (Hamburg). Maier, Bürgschaft, 188 f., berichtet auch von einer Gesamtbürgschaft mit der Besonderheit, dass der Gläubiger nur gegen alle Bürgen zusammen vorgehen konnte. 37 Vgl. die Referate von Yver, 248 f. (Normandie); Wesener, 675 (Österreich); ferner Stobbe, Geschichte, 157 ff. (Deutschland); Caroni, ZBJV 103 (1967), 303 f. (Schweiz); Hoppe, Bürgschaft, 149 (Hamburg). 38 Unten, 1036 f. 31
3. Die gemeinrechtliche Mitbürgschaft
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rechnen musste, bei Erfolglosigkeit der Beitreibung gegen die Mitbürgen für den Ausfall in Anspruch genommen zu werden. Die römische Teilungseinrede war dem einheimischen Recht im deutschsprachigen, französischen und niederländischen Raum zunächst unbekannt gewesen39. Ab dem späten Mittelalter finden sich aber die Spuren römischen Einflusses in Form von Klauseln in Verbürgungsurkunden, mit denen auf das beneficium divisionis verzichtet wurde. Dies bedeutet nicht, dass die Teilungseinrede zu dieser Zeit schon allgemein rezipiert war, sondern bezeugt zunächst einmal nur die Beurkundungspraxis römischrechtlich ausgebildeter Juristen, die sich in der Praxis nicht unbedingt ausgewirkt haben muss. Spätestens im 16. Jahrhundert aber drang die Teilungseinrede auch ins allgemeine Recht ein. Über die Frage, ob bei der Verbürgung mehrerer im Zweifel von einer Gesamtschuld, einer Teilschuld oder einer Subsidiär-Gesamtschuld auszugehen war, gab es offenbar keine allgemeine Lösung40. Im deutschsprachigen Raum wurde eine Gesamtbürgschaft häufig nur bei Verwendung typischer Formeln wie „in solidum“, „zur gesamten Hand“ oder „einer für alle“ angenommen41. Ohne diese Formeln begründete die gemeinsame Verbürgung danach offenbar nur Teilschulden42. Ob es aber eine allgemeine Teilschuldvermutung gab, die sich auch auf Nebenbürgen erstreckte, ist zweifelhaft43. Die einheimischen Regeln hatten offenbar in erster Linie den in der Praxis vorherrschenden Fall der gemeinsamen Verbürgung vor Augen, sei es in Form eines gemeinsamen Verbürgungsakts, sei es in Form mehrerer Rechtsgeschäfte in Kenntnis der übrigen Verbürgungen. Es kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass bei unabhängiger Verbürgung ohne gegenseitige Kenntnis echte Teilschulden eintraten; wahrscheinlich ist dies aber nicht. Schließlich setzten sich überall die Regeln der römisch-gemeinrechtlichen Mitbürgschaft durch. Im Zweifel haftete danach jeder Mitbürge für das Ganze, vorbehaltlich der Teilungseinrede44.
3. Die gemeinrechtliche Mitbürgschaft Grundlage der gemeinrechtlichen Bürgschaft waren in erster Linie die rezipierten römischen Regeln zur fideiussio. Dies bedeutete zunächst einmal, dass jeder 39 Zum Folgenden die Referate (Fn. 36) von Timbal, 54 f.; Coudert, 212 ff.; Yver, 250; Godding, 274 f., 338 ff.; Poudret/Partsch, 628 ff.; Wesener, 682 f.; ferner von Gierke, Deutsches Privatrecht III, § 206 IX; Maier, Bürgschaft, 189, 191 ff., 194 ff. 40 Von einer Ganzhaftung jedes Mitbürgen, wenn nicht Teilbeträge vereinbart wurden, berichten Timbal, 54 f. (Zentralfrankreich); Godding, 272, 275, 338 ff. (Niederlande); Poudret/Partsch, 630 f. (Schweiz). 41 Stobbe, Geschichte, 145 ff.; Maier, Bürgschaft, 189; Mückenheim, Bürgschaft, 42. 42 Vgl. das Referat von Wesener (Fn. 36), 675, 682; Stobbe, Geschichte, 138 ff.; Mückenheim, Bürgschaft, 42, 118, 120. 43 So offenbar Stobbe, Geschichte, 138 ff.; wie hier Maier, Bürgschaft, 187. 44 Vgl. die Referate (Fn. 36) von Timbal, 55; Coudert, 216 f.; Yver, 249; Godding, 340; ferner Maier, Bürgschaft, 194 ff.; Hoppe, Bürgschaft, 143.
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II. Die Höhe der Haftung im Außenverhältnis
Mitbürge in solidum, also für das Ganze haftete45. Er mochte zwar bei seiner Inanspruchnahme die Einrede der Teilung erheben, die zu einer ex nunc-Aufteilung der insgesamt geschuldeten Summe unter den solventen Mitbürgen führte. Diese Einrede wirkte sich aber nur dann praktisch aus, wenn sie erhoben wurde und wenn es solvente Mitbürgen gab. Der einzelne Mitbürge war also kein Teilschuldner. Die Teilhaftung nach der lex Furia hatte für die fideiussio, die Vorbild der gemeinrechtlichen Bürgschaft war, gerade nicht gegolten. Bei Nebenbürgen war die Ganzhaftung jedes Bürgen für die gemeinrechtlichen Schriftsteller selbstverständlich46. Die gemeinrechtliche Teilschuldregel war in diesem Fall von vornherein nicht anwendbar, weil jeder Bürge aus einem eigenen Grund schuldete47. Anders verhielt es sich aber bei den gemeinschaftlichen Mitbürgen. Zunächst einmal war auch gemeinrechtlich anerkannt, dass dann Teilschulden entstanden, wenn die Teilhaftung mit dem Gläubiger vereinbart war48. Die Ganzhaftung der Mitbürgen war also nach heutigen Begriffen nur dispositives Recht. Was aber galt, wenn die Art der Schuldnermehrheit nicht besonders vereinbart war? Verpflichteten sich mehrere gemeinschaftlich zu einer Leistung, galt nach Gemeinem Recht grundsätzlich eine Teilschuldvermutung49. Versprachen also S1 und S2, dem Gläubiger einen Kaufpreis in Höhe von 100 zu zahlen oder ein Darlehen in Höhe von 100 zurückzuzahlen, waren sie mangels weiterer Vereinbarungen Teilschuldner in der Höhe von 50. Dann stellte sich die Frage, ob etwas anderes gelten sollte, wenn S1 und S2 gemeinsam versprachen, für eine fremde Schuld in Höhe von 100 als Bürgen einzustehen. Ein kleinerer Teil der Schriftsteller wollte auch in diesem Fall die allgemeine Teilschuldvermutung anwenden50. Nach klassischem römischen Recht, so argumentierte man, möge es sich noch anders verhalten haben, doch die Novelle 99 habe eine Teilschuldvermutung für alle sich gemeinschaftlich verpflichtenden Schuldner eingeführt und müsse daher nach Gemeinem Recht auch auf den Fall 45 So etwa Domat, Loix civiles, § 1871; Höpfner, Commentar, §§ 814, 841; Glück, Pandecten IV, 518; Thibaut, Pandekten, § 952; Bucher, Forderungen, § 39; Göschen, Obligationenrecht, § 373; Knorr, AcP 28 (1846), 173; Mühlenbruch, Pandekten, § 491 Fn. 1; Windscheid, Pandekten, § 479; Dernburg, Pandekten II, § 81 I; Hasenbalg, Bürgschaft, 468. 46 So ausdrücklich Ribbentrop, Correal-Obligationen, 108 f.; Huschke, ZCRPr nF 4 (1847), 418; vgl. auch Appelius, AcP 16 (1833), 287, der die Ganzhaftung nur bei gemeinschaftlichen Mitbürgen besonders erwähnt. Für Liebe, Stipulation, 224 ff., war die Ganzhaftung der Nebenbürgen so selbstverständlich, dass er annahm, die lex Furia könne nur für gemeinschaftliche sponsores und fidepromissores gegolten haben, denn die Ganzhaftung eines Bürgen könne nicht nachträglich durch die Verbürgung eines anderen zur Teilhaftung reduziert werden. 47 Zum Geltungsbereich der Teilschuldregel oben, 708 ff. 48 Ausdrücklich etwa Pothier, Obligations, § 415; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 750, Nr. 10; von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT, Kap. 18/1, Nr. 14 (S. 878); Huschke, ZCRPr nF 4 (1847), 418; Arndts, Pandekten, § 354. 49 Oben, 13 f. 50 Aus dem 19. Jahrhundert Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 750, Nr. 10; Koch, Recht der Forderungen III, § 369 IV, S. 1044; von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT, Kap. 18/1, Nr. 14 (S. 854, 878 f.); ähnlich Huschke, ZCRPr nF 4 (1847), 417 f.
3. Die gemeinrechtliche Mitbürgschaft
1035
der gemeinschaftlichen Bürgschaft angewandt werden51. Nach herrschender Lehre hafteten demgegenüber auch gemeinschaftliche Mitbürgen in solidum52. Die Novelle 99 bezog sich danach nur auf Verpflichtungen mehrerer als Hauptschuldner. Im Ergebnis bedeutete dies, dass die allgemeine Teilschuldvermutung bei gemeinschaftlicher Verpflichtung für Mitbürgen nicht galt. Zur sachlichen Rechtfertigung dieser Sonderbehandlung berief man sich darauf, dass es einen Zweifel über die Art der Schuldnermehrheit, den die Teilschuldvermutung ausräumen wolle, bei Mitbürgen nicht gebe: Auch wenn sie sich gemeinsam verpflichteten, verspreche doch jeder, für das einzustehen, was der Hauptschuldner schulde; jeder verspreche somit das Ganze53. Aus heutiger Sicht mag diese besondere Auslegung gerade der Bürgenversprechen sachlich weniger einleuchtend sein: Warum verspricht derjenige das Ganze, der mit anderen für eine Schuld einstehen will, nicht aber derjenige, der sich mit anderen für die Rückzahlung eines Darlehens verpflichtet? Offenbar ging man von der Vorstellung aus, dass bei einer gemeinsamen Darlehensaufnahme oder einem gemeinsamen Kauf die Darlehenssumme bzw. die Kaufsache den Schuldnern anteilig zugutekam und somit jeder auch nur anteilig haften wollte. Bei einer gemeinschaftlichen Bürgschaft gab es aber von vornherein keine aufteilbare Gegenleistung, so dass ein Versprechen, das Ganze zu schulden, näher lag. Eine ähnliche Streitfrage bestand beim Kreditauftrag. Auch hier rezipierte man im Gemeinen Recht die in den römischen Quellen zu findende Regel, dass mehrere Kreditauftraggeber in solidum hafteten54. Für den Fall, dass mehrere den Kreditauftrag gemeinschaftlich erteilt hatten, kollidierte diese Ganzhaftung aber mit der allgemeinen Teilschuldvermutung. Insbesondere Savigny nahm daher an, dass die überlieferte Ganzhaftung der Kreditauftraggeber sich nur auf den Fall bezog, in dem mehrere unabhängig voneinander denselben Kreditauftrag erteilt hatten55. Die herrschende Lehre betonte demgegenüber, dass nach 51
Diese Novelle enthielt zwei Regelungen, zum einen eine Teilschuldvermutung (oben, 13) und zum anderen eine Teilungseinrede bei vereinbarter Gesamthaftung (oben, 236 ff.). Für gemeinschaftliche Mitbürgen würde dies bedeuten: Im Zweifel waren sie Teilschuldner nach Kopfteilen; hatten sie aber eine Gesamthaftung vereinbart, galt die Teilungseinrede der Novelle, welche das Hadrian’sche beneficium divisionis ersetzte. 52 So Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,40(41),3, § 1; Voet, Commentarius, zu D.46,1, § 24; Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst. 3,20(21),4, §§ 1, 5; Pothier, Obligations, § 415; Ribbentrop, Correal-Obligationen, 108 f.; Appelius, AcP 16 (1833), 287; Seuffert, Pandekten, § 384; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 269 f.; Arndts, Pandekten, § 354; OAG Kiel, SeuffA 11 Nr. 40 (7.8.1855). 53 Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,40(41),3, § 1; Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst.3,20(21),4, § 1; Domat, Loix civiles, § 1871; Pothier, Obligations, § 415; ähnlich Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 269 f. 54 Etwa Voet, Commentarius, zu D.17,1, § 10; Pothier, Mandat, § 82; Glück, Pandecten XV, 317; Vangerow, Pandekten, § 573 Anm. 2 a.E.; Puchta, Pandekten, §§ 233, 324; Müller, Institutionen, § 97 Fn. 5; Girtanner, Bürgschaft, 71; Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 39; Brinz, Pandekten, § 334; Arndts, Pandekten, § 293; Dernburg, Pandekten II, § 116 a.E.; OAG Wiesbaden, SeuffA 1 Nr. 53 (1.6.1838); ObTr Stuttgart, SeuffA 4 Nr. 258 (22.7.1851). 55 Savigny, Obligationenrecht I, 208 f.; ebenso Thibaut, Pandekten, § 868.
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II. Die Höhe der Haftung im Außenverhältnis
den Quellen56 auch gemeinschaftliche Kreditauftraggeber in solidum hafteten57. Darüber, warum hier die Teilschuldvermutung nicht gelten sollte, bestand allerdings keine Einigkeit. Man berief sich auf die Unteilbarkeit des Kreditauftrags58, zog eine Parallele zur solidarischen Haftung der Schadensverursacher, indem man die Auslagen des Gläubigers wie einen von jedem ganz zu ersetzenden Schaden ansah59, oder führte an, dass der gemeinschaftliche Kreditauftrag vom Recht wie mehrere getrennte angesehen werde60. Wie bei der Mitbürgschaft war die Ganzhaftung also bei getrennten Geschäften selbstverständlich und bei gemeinsamen Verträgen eine begründungsbedürftige Ausnahme. Neben der Ganzhaftung jedes Mitbürgen wurde auch die römische Teilungseinrede im Gemeinen Recht rezipiert61. Die herrschende Lehre stützte sie nicht auf die Novelle 99, sondern direkt auf das Hadrian’sche beneficium divisionis. Dies hatte Auswirkungen auf die Rechtsfolgen62. Die Teilungseinrede der Novelle 99 wurde häufig ähnlich wie eine Einrede der Vorausklage angesehen: Zwar konnte der belangte Schuldner vom Gläubiger verlangen, wegen des 56
In erster Linie Paulus D.17,1,59,3, wo von einer Ganzhaftung gesprochen wird, etiamsi non sit concessum in mandato. 57 Ribbentrop, Correal-Obligationen, 90 Fn. 1, 231 Fn. 9; von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT, Kap. VIII/1 a, Anm. 15 (S. 554); Seuffert, Pandekten, § 337 a.E.; Brinz, KritBl 4 (1853), 43; ders., Pandekten II/1, § 233 I 2 (S. 75); Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 221 f.; ders., Pandekten, § 246 I 1 c; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 61 f., 138; Unger, JhJb 22 (1884), 296 f.; Eisele, AcP 77 (1891), 459 f.; Binder, Korrealobligationen, 351; OAG Dresden, SeuffA 9 Nr. 328 (1854). 58 Brinz, KritBl 4 (1853), 43, 56 f.; ders., Pandekten, § 334 bei Fn. 46; Müller, Institutionen, § 97 Fn. 5. 59 Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 221 ff. 60 Ribbentrop, Correal-Obligationen, 90 Fn. 1, 231 Fn. 9; Baron, Pandekten, § 246 I 1 c; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 138. 61 Zum Folgenden insbesondere Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,40(41),3, §§ 2 ff.; Voet, Commentarius, zu D.46,1, §§ 21 ff.; Kreittmayr, Anmerkungen IV, 569 ff.; Pothier, Obligations, §§ 415 ff.; Unterholzner, Schuldverhältnisse, §§ 176, 750; Appelius, AcP 16 (1833), 292 ff.; Girtanner, Bürgschaft, 457 ff.; Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 47, § 129 bei Fn. 59; Hasenbalg, Bürgschaft, 466 ff.; ferner Grotius, Inleiding III, 3, §§ 28–29; Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst. 3,20(21),4, § 2; Höpfner, Commentar, § 843; Domat, Loix civiles, § 1871; Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, § 353 bei Fn. o; Thibaut, Pandekten, § 953; Bucher, Forderungen, § 119; von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT, Kap. 18/1, Nr. 14 (S. 878 f.); Puchta, Pandekten, § 405; Knorr, AcP 28 (1846), 173 f.; Mühlenbruch, Pandekten, § 486; Seuffert, Pandekten, § 385; Windscheid, Pandekten, § 293 bei Fn. 9, § 479; Arndts, Pandekten, §§ 215, 355; Wächter, Pandekten, § 222 A III 4; Brinz, Pandekten, § 236 Nr. 5, § 256 Nr. 1; Dernburg, Pandekten II, § 78 Nr. 3, § 81 II 1; OAG Wiesbaden, SeuffA 17 Nr. 37 (1862). Auch für Kreditauftraggeber war die Teilungseinrede anerkannt, Voet, Commentarius, zu D.17,1, § 10; Vinnius, a.a.O.; Pothier, Mandat, § 82; Kreittmayr, Anmerkungen IV, 583; Glück, Pandecten XV, 317; Unterholzner, Schuldverhältnisse, §§ 176, 760 IV; von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT, Kap. 8/1 a, Anm. 15 (S. 554); von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 438; Puchta, Institutionen, § 265; Mühlenbruch, a.a.O.; Seuffert, Pandekten, § 387; Girtanner, Bürgschaft, 542; Brinz, Pandekten, § 236 Nr. 5, § 257 bei Fn. 15; Sintenis, Civilrecht, § 129 bei Fn. 77; Dernburg, Pandekten II, § 81 II 1; Geib, Bürgschaftsrecht, 161; OAG Wiesbaden, SeuffA 1 Nr. 53 (1.6.1838). 62 Zur streitigen Frage nach der Beweislast vgl. einerseits OAG Darmstadt, SeuffA 13 Nr. 95 (21.1.1859); andererseits OAG Wolfenbüttel, SeuffA 23 Nr. 28 (1847), OAG Lübeck, SeuffA 25 Nr. 25 (12.3.1870).
3. Die gemeinrechtliche Mitbürgschaft
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Anteils des Mitschuldners sich zunächst an diesen zu halten; dem Gläubiger stand es aber frei, sich wieder an den ersten Schuldner zu halten, wenn er vom Mitschuldner nichts erlangen konnte63. Beim beneficium divisionis der Mitbürgen nahm man demgegenüber überwiegend an, dass die Teilung unter den zur Teilungszeit solventen Mitbürgen endgültig war und zu echten Teilschulden führte64. Bei gemeinschaftlichen Mitbürgen war diese Teilungseinrede nichts Ungewöhnliches. Immerhin wären sie, hätten sie sich nicht als Bürgen, sondern als Hauptschuldner verpflichtet, mangels entgegenstehender Abrede von Anfang an echte Teilschuldner gewesen. Die Teilungseinrede bedeutete für sie eine abgeschwächte Form der Teilhaftung und näherte ihr Verhältnis an das von gewöhnlichen gemeinschaftlichen Schuldnern an. Unbehagen bereitete die Teilungseinrede aber bei Nebenbürgen65. Ihre Anwendung führte dazu, dass ein Einzelbürge, der für die gesamte Schuld haftete, im nachhinein eine Einrede erlangte, wenn der Gläubiger einen zweiten Bürgen annahm. Nach allgemeinen Regeln, so einige Schriftsteller, könne aber der Vertrag des Gläubigers mit dem Zweitbürgen keine Rechte für den Erstbürgen begründen, der am Vertrag nicht beteiligt sei. Hiergegen wurde eingewandt, dass die Einrede des Erstbürgen nicht auf dem Vertrag des Gläubigers mit dem Zweitbürgen beruhe, sondern auf dem Gesetz. Der fremde Vertrag sei lediglich Voraussetzung der gesetzlichen Einrede. Auch der Anspruch des Bürgen auf Abtretung der Klage gegen den Mitbürgen setze einen Vertrag des Gläubigers mit dem Mitbürgen voraus, beruhe aber nicht auf diesem, sondern auf dem Gesetz. Doch auch abgesehen von dem Argument des unzulässigen Vertrags zugunsten Dritter bestand das Problem, dass der Gläubiger, der seine Sicherheit durch Annahme eines zweiten Bürgen erhöhen wollte, im Ergebnis schlechter gestellt wurde, weil er seine Klage nun aufteilen musste. Diese Regel musste im Gemeinen Recht befremdlich erscheinen. Nach Fortfall der Klagenkonkurrenz zwischen Hauptschuldner und Bürgen hatte sich die praktische Funktion der Bürgschaft gewandelt. Der Gläubiger musste zwar zunächst den Hauptschuldner ausklagen, konnte aber danach alles, was er vom Hauptschuldner nicht erlangte, beim Bürgen eintreiben. Die Annahme eines Bürgen bedeutete eine Vergrößerung der Haftungsmasse. Zugleich war nach Fortfall der Gesamtvollstreckung die Gefahr, trotz eines Urteils keine Befriedigung zu erlangen, gestiegen, so dass die Vergrößerung der Haftungsmasse für den Gläubiger eine wesentliche Bedeutung hatte. Hiermit passte es nicht recht zusammen, dass die Annahme eines
63
Oben, 240 f. Stellvertretend Girtanner, Bürgschaft, 457 ff. m.w.N.; Hasenbalg, Bürgschaft, 502 ff. Anders aber Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 176 X; Sintenis, Civilrecht, § 89 bei Fn. 48, nach denen die Endgültigkeit der Teilung allein auf der überkommenen Klagenkonkurrenz beruht habe. 65 Zum Folgenden insbesondere Hasenbalg, Bürgschaft, 474 ff.; ferner Girtanner, AcP 43 (1860), 292 ff.; Gruchot, Gruch 16 (1872), 765; Hoppe, Bürgschaft in Hamburg, 146 ff. 64
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II. Die Höhe der Haftung im Außenverhältnis
zweiten Bürgen für den Gläubiger ein zweischneidiges Rechtsgeschäft war. Einerseits stieg seine Sicherheit, weil er sich im Fall der Insolvenz eines Bürgen immer noch an den anderen für die gesamte Schuld halten konnte. Andererseits führte die Annahme des Zweitbürgen zu einem Nachteil, wenn beide Bürgen solvent waren. Der Gläubiger musste seine Forderung aufteilen und notfalls mehrere Prozesse führen. Belangte er nach erfolgreicher Erhebung der Teilungseinrede durch einen Bürgen nicht sofort den anderen, lief er sogar Gefahr, mit einem Teil der – eigentlich doppelt gesicherten – Forderung auszufallen. Es gab daher immer wieder einzelne gemeinrechtliche Stimmen, welche die Teilungseinrede auf Mitbürgen beschränken wollten, die sich gemeinschaftlich verpflichtet hatten66. Doch die ganz überwiegende Lehre lehnte eine solche Beschränkung ab67. Hierfür führte man keine Sachgründe an, sondern stützte sich allein auf die überlieferten Quellen68, die für die Teilungseinrede ein Einstehenmüssen für dieselbe Schuld und denselben Schuldner verlangten, aber darüber hinaus keine weiteren Erfordernisse wie eine Gleichzeitigkeit oder Gemeinschaftlichkeit der Verbürgung erwähnten69. Die Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts war gespalten: Einige Gerichte gewährten die Teilungseinrede nur gemeinschaft-
66 Aus dem 19. Jahrhundert Seuffert, Pandekten, § 395 Fn. 17; ders., SeuffA 6 (1853), Anm. 2 zu Nr. 43; Nachweise zum früheren Gemeinen Recht bei Girtanner, AcP 43 (1860), 275 ff.; vgl. auch Nürnberger Reformation 1564 II, Tit. XIX, 2, Gesetz, abgedruckt bei Maier, Bürgschaft, 197 Fn. 571. Wohl aus dem gleichen Grund beschränkte Eisele, AcP 77 (1891), 460 f., die Teilungseinrede der Kreditmandatoren auf den Fall des gemeinschaftlichen Kreditauftrags. 67 Voet, Commentarius, zu D.46,1, §§ 22, 39; Kreittmayr, Anmerkungen IV, 569; Liebe, Stipulation, 228; Windscheid, Pandekten, § 479 Fn. 2; Girtanner, Bürgschaft, 466; ders., AcP 43 (1860), 275 ff.; Brinz, Pandekten, § 256 Nr. 1; Sintenis, Civilrecht, § 129 bei Fn. 59; Baron, Pandekten, § 259 III 3; Arndts, Pandekten, § 355 Anm. 6; Dernburg, Pandekten II, § 81 II 1 mit Fn. 5; Hasenbalg, Bürgschaft, 478; Goldschmidt, JhJb 26 (1888), 350 f.; weitere Nachweise bei Girtanner, AcP 43 (1860), 297 ff. Nicht richtig insoweit Soergel/Pecher, § 769 Rz 2. 68 Hierzu Girtanner, AcP 43 (1860), 275 ff.; Hasenbalg, Bürgschaft, 482 ff.; Goldschmidt, JhJb 26 (1888), 354 ff. Diskutiert wurden insbesondere drei Fragmente: Nach Papinian D.46,1,51,2 ist die Teilungseinrede nicht anwendbar, wenn von zwei vertraglichen Gesamtschuldnern jeder gesondert einen Bürgen stellt, sondern nur dann, wenn beide Bürgen für denselben Schuldner eintreten. Hieraus schloss man, dass es weitere Erfordernisse nicht gebe. In Julian D.46,1,15,1 bürgen A und B für eine Schuld in Höhe von 20. A gibt dem Gläubiger 5 im Gegenzug für einen Klageverzicht. Der Gläubiger kann danach von B noch 15 (und nicht etwa nur 10) fordern. Nach der Mindermeinung handelte es sich hier um Nebenbürgen, denen die Teilungseinrede nicht zustand. Die herrschende Lehre berief sich darauf, dass a) die Stelle nicht angab, ob es sich um Nebenbürgen handelte, b) die Stelle nur klarstellen wollte, dass B nicht von der exceptio pacti aus der Vereinbarung zwischen G und S Gebrauch machen konnte, oder c) dass die Teilungseinrede nur anwendbar war, wenn der Mitbürge, auf den der belangte Bürge verwies, noch haftete, was hier nicht der Fall war. In Papinian D.46,1,48 pr.-1 geht es um Fälle, in denen die Verpflichtung eines (Neben-)Bürgen unwirksam ist; der andere Bürge schuldet hier in bestimmten Konstellationen nur einen Anteil. Diese Anteilshaftung eines Nebenbürgen konnte auf die Teilungseinrede zurückgeführt werden, sofern man nicht annahm, dass die Stelle in ihrer ursprünglichen Form von sponsores bzw. fidepromissores handelte (die Teilschuldner waren). 69 Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,40(41),3, § 3; Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst. 3,20(21),4, § 6; Pothier, Obligations, § 419.
4. Die Regelwerke und die Entscheidungen des BGB-Gesetzgebers
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lichen Mitbürgen70, während andere sie im Sinne der herrschenden Lehre auch auf Nebenbürgen erstreckten71. Ein Verzicht auf die Teilungseinrede war zulässig72 und, wegen ihrer unpraktischen Folgen für den Gläubiger, offenbar häufig73. Streitig war nur, ob schon eine Verbürgung etwa als Selbstschuldner oder in solidum einen solchen Verzicht bedeutete74. Mitbürgen schuldeten also nach Gemeinem Recht das Ganze, konnten aber bei ihrer Inanspruchnahme die Einrede der Teilung geltend machen. Während die Ganzhaftung bei gemeinschaftlichen Mitbürgen eine Ausnahme von der allgemeinen Teilschuldvermutung bildete, bedeutete die Teilungseinrede umgekehrt bei Nebenbürgen ein nach Wegfall der Klagenkonsumption schwer zu rechtfertigendes Privileg.
4. Die Regelwerke und die Entscheidungen des BGB-Gesetzgebers a) Die grundsätzliche Ganzhaftung jedes Mitbürgen In einem Punkt folgten sämtliche Regelwerke dem Gemeinen Recht, nämlich in der grundsätzlichen Haftung jedes Mitbürgen für die gesamte verbürgte Schuld75. Unterschiedlich geregelt war lediglich die Frage, ob der einzelne Mitbürge un70 ObHG Mannheim, SeuffA 3 Nr. 263 (ohne Datum); OAG Wiesbaden, SeuffA 13 Nr. 27 (8.3.1854); OAG Darmstadt, SeuffA 14 Nr. 234 (8.1.1841); offen gelassen in OAG Kiel, SeuffA 11 Nr. 40 (7.8.1855). 71 ObTr Stuttgart, SeuffA 6 Nr. 43 (18.5.1852); OAG Lübeck, SeuffA 25 Nr. 25 (12.3.1870); OAG Kiel, SeuffA 40 Nr. 19 (8.2.1884); ROHGE 4, 325, 329 (19.12.1871, SeuffA 26 Nr. 241). 72 Grotius, Inleiding III, 3, § 29; Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst. 3,20(21),4, § 9; Voet, Commentarius, zu D.46,1, § 24; Kreittmayr, Anmerkungen IV, 570; Pothier, Obligations, § 416; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 176 VII; Windscheid, Pandekten, § 479 bei Fn. 7 a; Girtanner, Bürgschaft, 466; Arndts, Pandekten, § 355; Dernburg, Pandekten II, § 81 II 1. 73 So Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst. 3,20(21),4, § 10; Girtanner, Bürgschaft, 204 f.; Goldschmidt, JhJb 26 (1888), 376; Motive zum SächsE, zu § 875; Timbal, in Société Jean Bodin, Les Sûretés personelles II, 55; Hoppe, Bürgschaft, 153. Aus der Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts etwa OAG Jena, SeuffA 17 Nr. 144 (12.5.1854); OAG Kiel, SeuffA 11 Nr. 40 (7.8.1855); OAG Celle, SeuffA 12 Nr. 12 (3.10.1856) und SeuffA 20 Nr. 36 (1865); AG Flensburg, SeuffA 20 Nr. 132 (15.2.1867); OAG München, SeuffA 22 Nr. 237 (22.5.1868); ObTr Stuttgart, SeuffA 32 Nr. 235 (1.12.1876); OAG Kiel, SeuffA 40 Nr. 19 (8.2.1884). 74 Vgl. Godding, 340, und Wesener, 682 f., in Société Jean Bodin, Les Sûretés personelles II; Hoppe, Bürgschaft, 154. Die deutsche Rechtsprechung im 19. Jahrhundert bejahte die Frage zumeist, etwa AG Flensburg, SeuffA 20 Nr. 132 (15.2.1867); OAG München, SeuffA 22 Nr. 237 (22.5.1868); OAG Kiel, SeuffA 40 Nr. 19 (8.2.1884). Nach Ansicht des OAG Lübeck, SeuffA 8 Nr. 134 (8.11.1838) und SeuffA 25 Nr. 25 (12.3.1870), sollte mit einer solchen Abrede eine gewöhnliche vertragliche Gesamtschuld entstehen und damit die Novelle 99 (oben, 236 ff.) anwendbar sein, so dass es im Ergebnis doch zu einer Teilungseinrede kam. 75 CMBC IV 10 § 9 Nr. 6; ALR, I 14 §§ 374, 378, I 5 § 424; CC Art. 2025 (ab 2006 Art. 2302); ABGB § 1359; SächsE § 875 I; HessE IV 2 Art. 598; BayE II Art. 873; ZürGB §§ 1797 f.; SächsGB § 1458; DresdE Art. 933; OR 1881 Art. 496; OR 1911 und 1941, Art. 497; ebenso Codice Civile, Art. 1946; BW Art. 7:850 III.
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II. Die Höhe der Haftung im Außenverhältnis
mittelbar oder nur subsidiär für das Ganze in Anspruch genommen werden konnte. Eine echte Teilschuldlösung aber, wonach jeder Mitbürge nur für seinen Anteil haftet und für die übrigen Anteile überhaupt nicht belangt werden kann, findet sich in keinem der Regelwerke. Selbstverständlich konnten überall die Mitbürgen mit dem Gläubiger echte Teilschulden vereinbaren76. Dazu bedurfte es aber einer besonderen Abrede. Für gemeinschaftliche Mitbürgen bedeutete die vorgesehene Ganzhaftung also eine Ausnahme von der allgemeinen Teilschuldvermutung, sofern es eine solche gab. Das war im CMBC, im CC, im ABGB, im Sächsischen BGB, im Schweizer OR sowie in sämtlichen deutschen Entwürfen der Fall77. Die Abweichung von der allgemeinen Regel bei gemeinschaftlichen Mitbürgen wurde teilweise wie im Gemeinen Recht damit gerechtfertigt, dass jeder Mitbürge die Haftung für die gesamte Schuld übernommen habe78. Anders verhielt es sich nur beim Züricher Gesetzbuch und beim preußischen ALR. Das ZürGB sah nicht nur bei Mitbürgen, sondern auch bei Schuldnermehrheiten allgemein eine Vermutung der (Subsidiär-)Gesamtschuld vor79. Das ALR enthielt wie heute das BGB eine Gesamtschuldvermutung bei gemeinschaftlichem Vertragsschluss80. Im Bürgschaftsrecht brauchte es daher für den Fall der gemeinschaftlichen Mitbürgschaft lediglich auf die Regeln zur vertraglichen Gesamtschuld zu verweisen, ohne die Ganzhaftung noch einmal besonders zu erwähnen81. Bei Nebenbürgen war die Haftung jedes einzelnen auf das Ganze für die Verfasser der Kodifikationen und Entwürfe wohl selbstverständlich. Wenn sie trotzdem eigens ausgesprochen wurde, lag das zumeist daran, dass es einheitliche Regeln für gemeinschaftliche Mitbürgen und Nebenbürgen gab, bei ersteren aber eine Regelung der Ganzhaftung erforderlich war82. Das ALR ordnete die Ganzhaftung der Nebenbürgen demgegenüber in einer eigenen Vorschrift ausdrücklich an83, vielleicht um klarzustellen, dass es für sie keine Teilungseinrede gab. Der Hessische Entwurf, das Sächsische BGB und das Schweizer Obligationenrecht enthielten dagegen gar keine Regeln zur Neben-
76 So ausdrücklich ALR I 14 § 373 f. und I 5 § 425; Motive zum SächsE, zu Art. 875; BayE II Art. 873; ZürGB § 1799; zum französischen Recht Marcadé/Pont, Explication IX, § 187; Schmid, Mehrheit, 8; zum Schweizer Recht Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 497 OR Rz 19; BernK/Giovanoli, Art. 497 OR Rz 4 f.; BasK/Pestalozzi, Art. 497 OR Rz 2. 77 CMBC IV 1 § 21 Nr. 6; CC Art. 1202; ABGB § 889; SächsGB § 663; OR 1881 Art. 162 II (OR 1911 Art. 143 II); SächsE §§ 588–589; HessE IV 1 Art. 6 I; BayE II Art. 220; DresdE Art. 12. 78 Vgl. Motive zum HessE IV 2, S. 229; zu Frankreich Marcadé/Pont, Explication IX, §§ 190 f.; Demante/Colmet, Cours VIII, § 256; Schmid, Mehrheit, 8; zu Österreich Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 84; zur Schweiz Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 36 f.; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 497 OR Rz 25. 79 ZürGB §§ 935, 936, 948, 1797. 80 ALR I 5 § 424; hierzu oben, 14. 81 ALR I 14 § 374. 82 So CMBC IV 10 § 9 Nr. 6; CC Art. 2025 (ab 2006 Art. 2302); ABGB § 1359; SächsE § 875 I; BayE II Art. 873; ZürGB §§ 1797 f.; DresdE Art. 933. 83 ALR I 14 § 378.
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bürgschaft84. Hier verstand sich die Ganzhaftung der einzelnen Nebenbürgen offenbar von selbst85. Dasselbe galt für die österreichische Literatur und Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts, welche die Mitbürgschaftsregeln des ABGB nur auf gemeinschaftliche Mitbürgen anwenden wollte. Die Haftung der Nebenbürgen sollte danach vom Gesetz nicht geregelt sein, aber selbstverständlich auf das Ganze gehen86. Die Frage, ob mehrere Bürgen solidarisch oder anteilig haften, stelle sich, so wurde argumentiert, nur bei gemeinschaftlichen Mitbürgen, weswegen die Gesamtschuldanordnung des § 1359 ABGB nur bei diesen sinnvoll sei87. Auch bei den Beratungen zum BGB stand die grundsätzliche Ganzhaftung jedes Mitbürgen außer Zweifel. Die Vorentwürfe von Kübels und der Erste Entwurf enthielten aber wie die Mehrheit der Regelwerke eine allgemeine Teilschuldvermutung, die auch für den Fall des gemeinsamen Vertragsschlusses gelten sollte88. Schon für von Kübel war daher klar, dass es für Mitbürgen eine Ausnahme von der Teilschuldvermutung geben müsse89. Dies galt aber nur für gemeinschaftliche Mitbürgen, wie die Erste Kommission in ihren Beratungen zum heutigen § 769 BGB deutlich machte90. Gäbe es keine besondere Gesamtschuldanordnung für Mitbürgen, so die Kommission, so hafteten gemeinschaftliche Mitbürgen gemäß der Regel des heutigen § 420 als Teilschuldner nach Kopfteilen. Ein Nebenbürge schulde dagegen aufgrund seines Versprechens von vornherein das Ganze. Die von der Kommission beschlossene Gesamtschuldanordnung für alle Arten von Mitbürgen stellte daher in ihren Augen nur im Fall der gemeinschaftlichen Mitbürgen eine Abweichung von den allgemeinen Regeln dar. Im Ersten Entwurf hieß es dann, dass es für die Ganzhaftung der Mitbürgen keinen Unterschied mache, ob die Verbürgung gemeinsam oder nicht gemeinsam geschehen sei91. Gemeint war, dass eine Ganzhaftung entgegen der Regel des heutigen § 420 auch dann eintreten sollte, wenn sich die Mitbürgen gemeinschaftlich verpflichtet hatten92. 84 Vgl. HessE IV 2 Art. 584 (Mitbürgschaft nur, wenn mehrere sich „zugleich“ verbürgen; nach den Motiven, S. 223, bedeutet dies „miteinander“); SächsGB § 1458 (nur „gemeinschaftliche“ Bürgen; vgl. Siebenhaar, Sächsisches Privatrecht, 705 f.); OR 1881 Art. 496 („gemeinsam“); OR 1911 Art. 497. Eine Regelung zu Nebenbürgen wurde erst in der Reform von 1941 eingefügt, OR 1941, Art. 497 IV. 85 Zum Schweizer Recht Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft (1926), 34; T.Guhl, Obligationenrecht (1936), § 57 II f). 86 Nippel, ABGB, § 1359 Anm. 3; Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 84; Winiwarter, Bürgerliches Recht V, § 15; Stubenrauch, ABGB, § 1359 Anm. 2; OGH, GlU Nr. 8353 (30.3.1881). 87 So Nippel, ABGB, § 1359 Anm. 3; und die zweite Instanz in OGH, GlU Nr. 8353. 88 VorlE und TeilE, § 1; E I, § 320; hierzu oben, 14. 89 Motive zum VorlE, 21 (Schubert, SR III, 1233). 90 Jakobs/Schubert, SR III, 479; ebenso Mot. II, 667 (Mugdan II, 372). 91 E I § 673. 92 Im Gegenentwurf von Bähr, § 711, sollten gemeinschaftliche Mitbürgen dagegen (ohne historisches Vorbild!) im Zweifel als echte Teilschuldner haften, um eine Übereinstimmung mit der allgemeinen Teilschuldvermutung zu erreichen. Für Nebenbürgen lag die Ganzhaftung auch für Bähr „in der Natur der Sache“, Anm. zu § 711.
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Die Lage änderte sich, nachdem die Zweite Kommission die Gesamtschuldvermutung des heutigen § 427 beschlossen hatte. Nach dem Vorbild des ALR hätte man nun für gemeinschaftliche Mitbürgen schlicht auf § 427 verweisen können oder, nachdem die Ganzhaftung bei Nebenbürgen ohnehin selbstverständlich war, eine Regel zur Ganzhaftung völlig weglassen können. Die Zweite Kommission hielt trotzdem an der Regel des Ersten Entwurfs fest93. Die Vorschrift, dass eine Ganzhaftung sowohl bei gemeinsamer als auch bei getrennter Verbürgung eintrete, sollte in erster Linie der Verdeutlichung dienen. Wenig ratsam erschien es der Kommission auch, den Fall der getrennten Verbürgung wegen seiner Selbstverständlichkeit wegzulassen. Ebenso wie bei der Vorschrift des § 427 befürchtete man bei einer Regel, wonach gemeinsame Mitbürgen solidarisch haften, den falschen e contrario-Schluss, dass Nebenbürgen nicht auf das Ganze haften94. Man beließ es also bei der Vorschrift, dass es keinen Unterschied mache, ob die Verbürgung gemeinsam oder getrennt erfolgte95. Erst durch die Redaktionskommission wurde die heute geltende Fassung des § 769 geschaffen, wonach die Mitbürgen auch dann solidarisch haften, wenn sie die Bürgschaft nicht gemeinschaftlich übernehmen96. Diese Fassung stellt das historische Regel-Ausnahme-Verhältnis auf den Kopf, wonach die Solidarhaft gerade bei gemeinschaftlicher Verbürgung eine begründungsbedürftige Ausnahme war. Wahrscheinlich war die Entscheidung der Redaktionskommission dadurch motiviert, dass die Ganzhaftung bei gemeinschaftlichen Mitbürgen nun schon aus der Regel des § 427 folgte, während die Ganzhaftung der Nebenbürgen zwar selbstverständlich war, sich aber nicht schon aus einer anderen positiven Vorschrift ergab. Die Vorschrift des § 769 erfüllt also ganz unterschiedliche Funktionen, je nachdem, ob es sich um gemeinschaftliche Mitbürgen oder um Nebenbürgen handelt. Für gemeinschaftliche Mitbürgen wiederholt sie lediglich die Gesamtschuldvermutung des § 427. Auch wenn in § 769 die Worte „im Zweifel“ fehlen, ist es doch völlig selbstverständlich, dass gemeinschaftliche Bürgen mit dem Gläubiger auch Teilschulden vereinbaren können, so dass es sich zumindest funktional ebenso wie bei § 427 um eine Vermutung des auf die Ganzhaftung gerichteten Parteiwillens handelt97. Bei Nebenbürgen wiederum drückt § 769 eine Rechtsregel aus, die sich zumindest nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch von selbst ergeben hätte. Die Teilschuldregel des § 420 erfasst nur Fälle des gemeinsamen Verpflichtungstatbestands und ist auf Nebenbürgen von vornherein nicht anwendbar. Der Nebenbürge, der für eine bestimmte Schuld eintritt, schuldet nach allgemeinen Regeln das, was er versprochen hat, also das Ganze. Die
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372).
Jakobs/Schubert, SR III, 480. Prot. 2512 (Mugdan II, 1023); zur Beratung bei § 427 oben, 22. VorlZust § 673 (Jakobs/Schubert, SR III, 481). ZustRedKom § 673 (Jakobs/Schubert, SR III, 481). So ausdrücklich die Erste Kommission, Jakobs/Schubert, SR I, 479; Mot. II, 667 (Mugdan II,
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Ganzhaftung sowohl von gemeinschaftlichen als auch von Nebenbürgen bestände also auch dann, wenn es die Regel des § 769 nicht gäbe. Dies war der Literatur nach Inkrafttreten des BGB zunächst auch völlig klar98. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verlor man – auch wegen der nicht geglückten Fassung des § 420 – den historischen Hintergrund der Teilschuldvermutung aus den Augen, was einzelne Autoren zur Ansicht bewog, dass Nebenbürgen nach § 420 Teilschuldner wären, wenn es § 769 nicht gäbe99. Dies ist nicht nur nach der Vorstellung des historischen Gesetzgebers abwegig. Zwar wäre eine Rechtsordnung nicht daran gehindert, ein Teilschuldverhältnis unter sämtlichen für eine Hauptschuld irgendwann eingetretenen Nebenbürgen anzuordnen. Dazu bedarf es aber einer besonderen Vorschrift. § 420 kann diese Funktion nicht erfüllen, weil er sich nur auf gemeinschaftliche Verpflichtungen bezieht. Damit verbleibt es auch ohne § 769 für Nebenbürgen bei der allgemeinen Regel der Ganzhaftung100.
b) Die Frage nach der Teilungseinrede Eine Teilungseinrede oder ein funktionales Äquivalent wurde in den bayerischen CMBC, in den französischen CC, ins Züricher Gesetzbuch und ins Schweizer Obligationenrecht aufgenommen. Der CMBC gewährte die Teilungseinrede in Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre zum Gemeinen Recht ausdrücklich auch den Nebenbürgen101. Eng ans Gemeine Recht hält sich auch bis heute der französische Code Civil. Jeder Mitbürge kann bei seiner Inanspruchnahme die Aufteilung der Schuld unter alle derzeit solventen Mitbürgen verlangen; die 98 Hruza, SächsArch 5 (1895), 301; Planck, BGB (1900), Anm. zu § 769; Crome, Schuldverhältnisse (1902), § 295 Nr. 4, Fn. 42; Enneccerus, Schuldverhältnisse (1920), § 315 II 1 b, § 412 Fn. 20; Planck/Oegg (1928), § 769 Anm. 2; Mönch, Unechte Gesamtschulden (1932), 37 f.; Lischka, Gesamtschuld (1932), 20; Henle, Schuldrecht (1934), § 143 I a; Weiß, Ausgleich (1937), 39 f.; Staud/ Brändl (1959), § 769 Rz 1. Nicht ganz klar Kremer, Mitbürgschaft (1902), 63 f.: Die Ganzhaftung der Nebenbürgen bestehe auch ohne § 769 (richtig), sei aber eine Ausnahme zu § 420 (unrichtig). 99 Goette, Gesamtschuldbegriff (1976), 80; Jürgens, Teilschuld (1988), 29 f.; nicht ganz klar auch Glöckner, ZIP 1999, 823; Bacher, Ausgleichsansprüche, 59. Nach Goette, a.a.O., 81, wird die gesetzgeberische Entscheidung für die Ganzhaftung der Nebenbürgen dadurch gerechtfertigt, dass die Abgrenzung zwischen gemeinschaftlichen und Nebenbürgen oft schwierig ist; ähnlich Wernecke, Gesamtschuld, 143 Fn. 89; Meyer, JuS 1993, 561. Tatsächlich war dies eine Erwägung des Gesetzgebers, aber nicht, um auch für Nebenbürgen die Ganzhaftung vorzusehen, sondern um umgekehrt auch bei gemeinschaftlichen Mitbürgen Solidarhaft vorzusehen, vgl. unten, 1051. Weil Goette vom umgekehrten Ausgangspunkt ausgeht, versteht er nicht, warum § 769 nach den Motiven eine Abweichung von der Teilschuldregel sein kann und zugleich die Ganzhaftung der Nebenbürgen selbstverständlich sein soll, und hält deshalb die Ausführungen der Motive für widersprüchlich. Unklar auch Ehmann, Gesamtschuld, 355, der Teilschuld und Teilungseinrede in eins setzt. 100 So auch Börnsen, Strukturen (1969), 176; Ehmann, Gesamtschuld (1972), 355; Erman/Ehmann, 11. Aufl. 2004, § 421 Rz 46 (unklar demgegenüber 12. Aufl. 2008, vor § 420 Rz 15, § 421 Rz 42); Sitzmann, BB 1991, 1812; Soergel/Pecher, § 769 Rz 1. 101 CMBC IV 10 §§ 12–13.
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später eintretende Insolvenz eines Mitbürgen fällt dann dem Gläubiger zur Last102. Im Falle gemeinschaftlicher Mitbürgen wird so eine Annäherung an die teilschuldnerische Haftung erzielt, welche die Bürgen nach allgemeinen Regeln eigentlich treffen müsste103. Doch die Teilungseinrede gilt nach allgemeiner Ansicht auch für Nebenbürgen104. Zwar, so die Literatur, habe der einzelne Nebenbürge nicht auf eine nur anteilige Belastung vertraut und sei daher weniger schutzbedürftig. Die Teilungseinrede habe hier jedoch immerhin den Vorteil, dass Regressprozesse unter den Nebenbürgen vermieden würden105. Ob dieses Ziel es aber rechtfertigt, den Gläubiger, der seine Forderung durch Annahme zweier Nebenbürgen gleich mehrfach gesichert hat, mit einem Teil seiner Forderung ganz ausfallen zu lassen, wenn der erste Büge die Teilungseinrede erhebt und der zweite danach insolvent wird, ist zweifelhaft. Ein Ausfall des Gläubigers trotz solventer Mitbürgen wird in der Schweiz vermieden. Das Züricher Gesetzbuch sah für Mitbürgen eine Subsidiär-Gesamtschuld vor, bei der jeder Mitbürge für seinen Kopfteil unmittelbar und für die Anteile der übrigen nur subsidiär haftet106. Wiederum eine andere Konstruktion verwendet bis heute das Schweizer Obligationenrecht: Der einzelne Mitbürge schuldet seinen Kopfteil und wird zugleich als Nachbürge der übrigen Mitbürgen angesehen107. Die Schweizer Literatur spricht hier von einer Einrede der Teilung108. Tatsächlich muss der einzelne Mitbürge die Teilung mittels Einrede geltend machen; es handelt sich allerdings, weil er Nachbürge ist, um die Einrede der Vorausklage. Ebenso wie nach dem Züricher Gesetzbuch haftet jeder Mitbürge bis zur gänzlichen Befriedigung des Gläubigers. Die Konstruktion einer Nachbürgschaft unterscheidet sich aber auch dadurch von der gemeinrechtlichen Teilungseinrede, dass der einzelne Mitbürge für die Anteile der übrigen akzessorisch haftet. Ein solches Akzessorietätsverhältnis unter den Schuldnern war der gemeinrechtlichen Gesamtschuld und Mitbürgschaft unbekannt. Es führt nicht nur dazu, dass der Einzelerlass oder die Verjährung bei nur einem Mitbürgen die übrigen anteilig befreit, sondern auch zu einer anteiligen Haftung jedes Mitbür-
102
CC Art. 2026 (ab 2006 Art. 2303). Hierzu aus rechtsvergleichender Sicht Schmid, Mehrheit,
9 ff. 103
Colin/Capitant, Cours II, 740. Dies war im 19. Jahrhundert noch strittig, vgl. Marcadé/Pont, Explication IX, § 210 m.w.N.; Demante/Colmet, Cours VIII, § 257 bis IV. 105 Marcadé/Pont, Explication IX, § 210; Demante/Colmet, Cours VIII, § 257 bis IV. Anders aber Colin/Capitant, Cours II, 738, wonach es eine allgemeine Teilschuldvermutung auch für Nebenbürgen geben soll. 106 ZürGB § 1797 i.V.m. §§ 935, 948. 107 OR 1881, Art. 496 I i.V.m. Art. 497; OR 1911 und 1942, Art. 497 I i.V.m. Art. 498. 108 A. Guhl, Passive Korrealität (1908), 212 f.; ZürK/Oser (1915), Art. 497 Anm. 2; BernK/Becker (1934), Art. 497 OR Rz 5; Lerch/Tuason, Bürgschaft (1936), 32; Beck, Bürgschaftsrecht (1942), Art. 497 OR Rz 16; ZürK/Oser/Schönenberger (1945), Art. 497 OR Rz 6, 18, 22; BernK/ Giovanoli (1978), Art. 497 OR Rz 4; Scyboz, Bürgschaft (1979), 426; Bucher, OR BT (1988), § 17 VII 3 a; Honsell, OR BT (2006), § 31 V 6 a; BasK/Pestalozzi (2007), Art. 497 OR Rz 2; kritisch Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft (1926), 37. 104
4. Die Regelwerke und die Entscheidungen des BGB-Gesetzgebers
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gen für den Verzug und das Verschulden durch einen von ihnen, auch wenn dieser Umstand in der Schweizer Literatur nur selten angesprochen wird109. Die Schweizer Regelung unterscheidet sich auch dadurch von der gemeinrechtlichen und französischen, dass die Teilungseinrede nur Mitbürgen gewährt wird, die sich „gemeinsam“ verpflichten. Damit stellt sich das Problem, wie dieses Tatbestandsmerkmal auszulegen ist. Nach Rechtsprechung und ganz herrschender Lehre werden Nebenbürgen von der Teilungseinrede ausgeschlossen110. Auf der anderen Seite ist eine gleichzeitige Verpflichtung nicht erforderlich, es soll genügen, wenn sich jeder Mitbürge in Kenntnis des Umstands verpflichtet, dass auch die anderen sich für dieselbe Schuld verbürgen111. Strittig ist aber der Fall, dass B1 zunächst Alleinbürge ist und später B2 sich im Vertrauen auf die Bürgschaft von B1 ebenfalls verpflichtet. Zumindest ein Teil der Literatur will hier nicht B1, wohl aber B2 die Teilungseinrede gewähren112. Der Sache nach kommt es auf den Zweck der Teilungseinrede an. Soll sie eine abgeschwächte Form der gemeinrechtlichen, ins OR aufgenommenen, Teilschuldvermutung bei gemeinsamem Verpflichtungsgrund sein, müsste man B2 die Einrede mangels gemeinschaftlicher Verpflichtung absprechen. Auf der anderen Seite handelt es sich bei der Teilungseinrede insofern um dispositives Recht, als nicht nur gemeinschaftliche Bürgen auf sie verzichten können, sondern auch Nebenbürgen mit dem Gläubiger vereinbaren können, im Falle weiterer Bürgschaften für dieselbe Schuld nur anteilig und als Nachbürge für die übrigen zu haften. Die den „gemeinsamen“ Bürgen gewährte Teilungseinrede spiegelt, so gesehen, eine vom Gesetzgeber angenommene Interessenbewertung für den Fall fehlender Abreden wider. Hier könnte aber argumentiert werden, dass auch derjenige, der sich im Vertrauen auf eine bestehende andere Bürgschaft verpflichtet, typischerweise das Interesse hat, zunächst nur für seinen Anteil in Anspruch genommen zu werden. Unklar ist in der Schweiz auch, was gelten soll, wenn die Hauptschuld sich auf eine unteilbare Leistung richtet. Die Teilungseinrede wird vom Gesetz nur für eine teilbare Hauptschuld gewährt. Ein Teil der Literatur nimmt bei unteilbarer Leistung einen mutmaßlichen Parteiwillen an, eine Solidarmitbürgschaft (also eine Mitbürgschaft ohne Teilungseinrede) zu übernehmen113. Ist ein solcher Parteiwille ausgeschlossen, wollen manche die gesetzlichen Regeln zu unteilbaren Leistungspflichten anwenden, wonach jeder Schuldner das Ganze 109
Offenbar nur bei A. Guhl, Passive Korrealität, 213; Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 38 ff. Grundlegend BGE 27 II 58 (22.2.1901) mit Hinweisen zur Entstehungsgeschichte. 111 BGE 23 II 1685, 1689 (9.10.1897); A. Guhl, Passive Korrealität, 211 f.; ZürK/Oser, Art. 497 Anm. 2 a; Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 34 ff.; BernK/Becker, Art. 497 OR Rz 3; Lerch/Tuason, Bürgschaft, 30 f.; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 497 OR Rz 15; von Büren, OR BT, 298; BernK/Giovanoli, Art. 497 OR Rz 3; Scyboz, Bürgschaft, 424; BasK/Pestalozzi, Art. 497 OR Rz 1; Honsell, OR BT, § 31 V 6. 112 A. Guhl, Passive Korrealität, 216; Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 497 OR Rz 9; ZürK/Oser/ Schönenberger, Art. 497 OR Rz 15; vgl. auch Bucher, OR BT, § 17 VII 3; dagegen Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 34 ff. 113 Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 497 OR Rz 14; BernK/Giovanoli, Art. 497 OR Rz 2; Scyboz, Bürgschaft, 423. 110
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II. Die Höhe der Haftung im Außenverhältnis
schuldet (Art. 70 II OR)114. Andere gehen davon aus, dass der Bürge nur das Interesse, nicht die Erfüllung selbst schuldet, und kommen so stets zur Anwendung der Teilungseinrede115. Bei der Frage des Aufteilungsmaßstabes gilt sowohl in Frankreich als auch in der Schweiz grundsätzlich das Kopfteilprinzip. Dies macht aber nur dann keine weiteren Schwierigkeiten, wenn sich die Bürgen unbeschränkt verpflichtet haben, was zunehmend seltener wird. Für den praktisch häufigsten Fall der Verbürgung mit (unterschiedlichen) Höchstbeträgen kann der Anteil des einzelnen Bürgen schwer zu ermitteln sein116. Schließlich stellt sich die Frage, ob der Ausfall bei einem Mitbürgen von einem beliebigen anderen zu tragen ist oder proportional auf sämtliche übrige Bürgen aufgeteilt wird. Der CC sieht eine proportionale Aufteilung vor117. Dasselbe müsste in der Schweiz gelten: Fällt bei drei Mitbürgen B1 aus, sind B2 und B3 dessen gemeinschaftliche Bürgen, so dass sie wiederum die Teilungseinrede erheben können. Diese Regelung kann bei einer größeren Bürgenmehrheit freilich zu einer Multiplikation der Prozesse führen, wenn bei der Klage des Gläubigers gegen einen der Bürgen die Solvenz der Mitbürgen nicht feststeht, weil es dann bei jedem Ausfall eines weiteren Bürgen zu Nachforderungsklagen kommen kann. Aus diesem Grund ist in der Schweiz vorgeschlagen worden, die Mitbürgen für den Ausfall solidarisch haften zu lassen118; die herrschende Lehre hält aber an der proportionalen Aufteilung fest119. Die Einrede der Teilung (bzw. die Sondergestaltung als Subsidiär-Gesamtschuld oder Teilschuld mit Nachbürgschaft) ist überall abdingbar120. Die mit der Einrede verbundenen Erschwerungen der Rechtsverfolgung haben dazu geführt, dass ein Verzicht auf sie sowohl in Frankreich als auch in der Schweiz praktisch die Regel ist121. Sofern nicht ausdrücklich auf die Teilung verzichtet wird, sondern lediglich der Ausdruck „solidarisch“ gebraucht wird, entstehen neue Auslegungsprobleme. Hintergrund ist, dass sämtliche Regelwerke in unterschiedlichen 114 Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 497 OR Rz 14; Scyboz, Bürgschaft, 423; BasK/Pestalozzi, Art. 497 OR Rz 1. 115 ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 497 OR Rz 16. 116 Hierzu Simler, Cautionnement, § 537. 117 CC Art. 2303 II (bis 2006 Art. 2026 II). 118 Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 42 ff., mit Fallbeispielen. 119 Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 497 OR Rz 18; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 497 OR Rz 28; Scyboz, Bürgschaft, 426; Bucher, OR BT, § 17 VII 3 a. 120 CMBC IV 14 § 13; CC Art. 2026 (ab 2006 Art. 2303); ZürGB § 1797 f.; OR 1881, Art. 496 II, OR 1911, Art. 497 II, OR 1941, Art. 497 II 1. 121 Zur Lage in Frankreich Marcadé/Pont, Explication IX, § 204; Colin/Capitant, Cours II, 738 f.; Aynès/Crocq, Sûretés, § 146; Farge, Sûretés, Rz 72; Simler, Cautionnement, §§ 85, 532, 537; Cabrillac/Mouly, Sûretés, § 374; Ferid/Sonnenberger, Französisches Zivilrecht II, Rz 2 M; zur Lage in der Schweiz Lerch/Tuason, Bürgschaft, 32. Bei handelsrechtlichen Bürgschaften wird in Frankreich von vornherein eine Solidarbürgschaft vermutet, Planiol/Ripert/Savatier, Droit civil XI, § 1539; Aynès/Crocq, Sûretés, § 147; Farge, Sûretés, Rz 72; Simler, Cautionnement, § 532; Cabrillac/Mouly, Sûretés, § 374; ausführlich Schmid, Mehrheit, 74 ff.
4. Die Regelwerke und die Entscheidungen des BGB-Gesetzgebers
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Ausgestaltungen die gemeinrechtliche Einrede der Vorausklage aufgenommen haben, wonach der Bürge die vorherige Belangung des Hauptschuldners verlangen kann122. Diese Einrede war gemeinrechtlich abdingbar. Ein Verzicht auf das beneficium excussionis war nach herrschender Lehre schon dann anzunehmen, wenn sich der Bürge „als Selbstschuldner“ oder „solidarisch“ verpflichtete. Demzufolge legen auch die Regelwerke diesen Ausdrücken die Bedeutung als Verzicht auf die Einrede der Vorausklage bei. Doch das Versprechen des Bürgen, solidarisch einzustehen, kann auch einen Verzicht auf die Einrede der Teilung bedeuten, so dass unklar ist, auf welche Einrede der Bürge verzichten will123. Nach dem CC fällt die Einrede der Vorausklage weg, wenn der Bürge sich solidarisch mit dem Hauptschuldner verpflichtet hat124. Die Literatur unterschied zunächst danach, ob die Solidarität zwischen dem Hauptschuldner und sämtlichen Bürgen oder nur im Verhältnis unter den Bürgen bestand. Im ersten Fall hatte der Mitbürge auf die Einreden der Vorausklage und der Teilung verzichtet, während er im zweiten Fall zumindest die der Vorausklage behielt125. Inzwischen kennt die Literatur noch die dritte Form, dass der einzelne Bürge solidarisch mit dem Hauptschuldner, aber ohne Solidarität mit den Mitbürgen haftet, womit er die Einrede der Teilung, nicht aber die der Vorausklage hat126. Im Zweifel soll Solidarität unter sämtlichen Schuldnern bestehen127. Bei Nebenbürgen ist dies allerdings strittig. Verbürgt sich ein Nebenbürge, der von anderen nichts weiß, solidarisch mit dem Hauptschuldner, besteht Unsicherheit darüber, ob dann auch im Verhältnis zu den unbekannten Nebenbürgen Solidarität besteht oder ob er die Teilungseinrede erheben kann128. Dieses Problem wird zumeist mit der Frage vermischt, in welchem Umfang einem Höchstbetragsbürgen die Leistung eines anderen Höchstbetragsbürgen zugutekommt. In der Schweiz ist die Rechtslage insofern etwas einfacher, als die Teilungseinrede von vornherein bei Nebenbürgen nicht gilt und zudem das OR selbst eine Regel vorsieht, wonach die Teilungseinrede wegfällt, wenn die Bürgen mit dem
122 CMBC IV 4 § 11; ALR I 14 §§ 283 ff.; CC Art. 2021 (ab 2006 Art. 2298); ABGB § 1355 (hier reicht schon die außergerichtliche Mahnung); SächsE § 869; HessE IV 2 Art. 599; BayE II Art. 874; SächsGB § 1461; DresdE Art. 934; ZürGB § 1792; OR 1881, Art. 493; OR 1911 und 1942, Art. 495. 123 Nach dem CMBC IV 14 § 12 bedeutete die Verbürgung als Selbstzahler keinen Verzicht auf die Teilungseinrede, während nach § 1798 des ZürGB Mitbürgen, die sich als Selbstzahler verbürgten, echte Solidarschuldner waren. 124 CC Art. 2021 (ab 2006 Art. 2298). Zum Folgenden ausführlich Schmid, Mehrheit, 29 ff. 125 Aubry/Rau, Droit Civil III, § 426, S. 501; Marcadé/Pont, Explication IX, §§ 205 f. 126 Aynès/Crocq, Sûretés, § 146; Farge, Sûretés, Rz 78; Simler, Cautionnement, §§ 89–91, 539, 552 f.; Terré/Simler/Lequette, Obligations, Rz 1249; Dumortier, JCP G 1993 II 22134 § 1. 127 Cass 1 civ (27.6.1984), Bull civ I Nr. 213, JCP 1986 II 20689 mit zustimmender Anmerkung Dumortier; Simler, Cautionnement, § 89. 128 Vgl. Cass com (18.10.1983), Bull civ IV Nr. 266; CA Paris (19.7.1985), Gaz Pal 1986 I somm 23; Cass 1 civ (23.6.1992), Bull civ I Nr. 192; Dumortier, JCP 1986 II 20689; ders., JCP G 1993 II 22134 §§ 16 ff.; Aynès/Crocq, Sûretés, § 146; Simler, Cautionnement, §§ 91, 553; Cabrillac/Mouly, Sûretés, § 378; Mestre/Tian, Solidarité passive, § 12; Schmid, Mehrheit, 70 ff.
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II. Die Höhe der Haftung im Außenverhältnis
Hauptschuldner oder unter sich Solidarhaft übernommen haben129. Hieraus schließt die herrschende Lehre, dass die in Frankreich behandelte dritte Form – Solidarität nur im Verhältnis Bürge-Hauptschuldner, nicht unter den Bürgen – gesetzlich ausgeschlossen ist130. Ob eine derartige Einschränkung der Privatautonomie sachlich gerechtfertigt werden kann, ist fraglich; die Bestimmung des OR könnte auch als Auslegungsregel verstanden werden, wonach die Solidarhaft mit dem Hauptschuldner im Zweifel auch die Mitbürgen umfasst. Die Regel lässt offen, was gelten soll, wenn sich mehrere ohne nähere Bestimmung solidarisch verbürgen; nach herrschender Lehre soll die Solidarität hier im Zweifel auch den Hauptschuldner einschließen, so dass neben der Teilungseinrede auch die der Vorausklage wegfällt131. Die Teilungseinrede (bzw. ihre funktionalen Äquivalente) erschwert also die Rechtsverfolgung für den Gläubiger, der seine Sicherheit durch die Annahme mehrerer Bürgen eigentlich vergrößern will. Daher wird sie in der Praxis regelmäßig abgedungen, so dass die Regeln häufig nur auf dem Gesetzespapier stehen. Dieser Verzicht kann wiederum zu Auslegungsproblemen führen. All dies spricht dafür, dass ein Gesetzgeber die Teilungseinrede der Mitbürgen besser ganz weglässt. Dies war die Lösung der Mehrheit der Regelwerke. Das preußische ALR, das österreichische ABGB, das ADHGB, das Sächsische BGB sowie sämtliche deutschen Entwürfe nahmen die gemeinrechtliche Teilungseinrede gerade wegen ihrer in der Praxis umständlichen Folgen bewusst nicht auf132. Auch in der Schweiz wurde die Teilungseinrede der Mitbürgen vereinzelt kritisiert. Eine Dissertation aus dem Jahre 1926 prognostizierte ihr Wegfallen bei der nächsten legislativen Reform des Bürgschaftsrechts133. Das Gegenteil ist eingetreten. 1941 wurde das Bürgschaftsrecht des OR grundlegend umgestaltet. Nach wie vor gilt, dass gemeinsamen Mitbürgen die Teilungseinrede zusteht, wenn sie sich nicht als Solidarbürgen verpflichtet haben134. Verändert wurden aber die Regeln zur Haftung der gemeinschaftlichen Solidarbürgen. Nach altem Recht konnte der Gläubiger jeden Solidarbürgen (gegebenenfalls
129
OR 1881, Art. 496 II; OR 1911, Art. 497 II; OR 1941, Art. 497 II 1. ZürK/Oser, Art. 497 OR Anm. 2 b; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 497 OR Rz 33; Scyboz, Bürgschaft, 426; a.A. Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 497 OR Rz 25; von Büren, OR BT, 299. 131 Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 496 OR Rz 12 m.w.N.; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 497 OR Rz 33; BernK/Giovanoli, Art. 496 OR Rz 14 m.w.N.; Scyboz, Bürgschaft, 419 Fn. 18; BasK/ Pestalozzi, Art. 497 OR Rz 6; a.A. Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 51 f. 132 Vgl. zum ALR Dernburg, Preußisches Privatrecht II, § 246; zum ABGB die bei Ofner, UrEntwurf II, 220 f., dokumentierten Beratungen; ferner Motive zum SächsE, zu § 875; Motive zum BayE II, 263; Motive zum SächsGB, 836; Siebenhaar, Sächsisches Privatrecht, 706 Fn. 1; ADHGB Art. 281 (für Bürgschaften im kaufmännischen Verkehr); Hamburger EG zum ADHGB, § 30 (für alle Bürgschaften); s.a. Codice Civile, Art. 1947 (Teilungseinrede nur bei besonderer Vereinbarung). 133 Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 46 ff., 92. Dagegen Caroni, ZBJV 103 (1967), 319 f., wonach es sich bei der Schweizer Regelung um genuin einheimisches, praxistaugliches Gedankengut handelt. 134 OR 1941, Art. 497 I. 130
4. Die Regelwerke und die Entscheidungen des BGB-Gesetzgebers
1049
nach Belangung des Hauptschuldners) unmittelbar für das Ganze in Anspruch nehmen135. Nun können auch gemeinschaftliche Solidarbürgen die Leistung über ihren Kopfteil hinaus verweigern, solange der Gläubiger nicht gegen sämtliche Solidarbürgen, die sich mit oder vor dem belangten verpflichtet haben und die in der Schweiz belangt werden können, die Beitreibung eingeleitet hat136. Bei drei Solidarmitbürgen bedeutet dies, dass der Gläubiger von B1 zunächst einmal nur ein Drittel verlangen kann. Eine darüber hinausgehende Haftung von B1 erfordert, anders als bei den einfachen Mitbürgen, keinen Ausfall des Gläubigers bei der Eintreibung seiner Forderung gegen die Mitbürgen; vielmehr muss er ihnen lediglich einen Zahlungsbefehl zustellen. Strittig ist dabei, ob schon die Zustellung oder erst der Ablauf einer angemessenen Zahlungsfrist den Gläubiger dazu berechtigt, den Anteil bei den Mitbürgen einzufordern137. Bei offenkundiger Insolvenz eines Mitbürgen soll nach der Literatur auch der Zahlungsbefehl nicht erforderlich sein138. Hat der Gläubiger allen drei Mitbürgen einen Zahlungsbefehl zugestellt, kann er B1 offenbar unabhängig von der Solvenz der übrigen auf das Ganze belangen; ein Ausfall des Mitbürgen B3 muss also nicht verteilt werden139. Fällt dagegen B3 von vornherein aus, weil er in der Schweiz nicht belangbar ist, soll nach der Literatur der Ausfall verteilt werden, so dass B1 auf die Hälfte belangt werden kann140. All das erscheint unnötig kompliziert. Weiterhin ist die Belangung eines Solidarmitbürgen B1 für den Anteil des Solidarbürgen B2 auch dann unzulässig, wenn B2 für seinen Anteil eine dingliche Sicherheit gestellt hat141. Nicht ganz klar ist zumindest aus deutscher Sicht, welche Bürgen zu denen zählen, deren Belangung der Solidarbürge verlangen kann und die offenbar auch für die Berechnung der Höhe des Kopfteils ausschlaggebend sind, für den der Solidarbürge stets unmittelbar haftet. Geht man vom Wortlaut142 aus, gilt Art. 497 II 135
OR 1881, Art. 496 II, OR 1911, Art. 497 II. OR 1941, Art. 497 II. 137 Im ersteren Sinne Gut, Solidarbürgschaft, 82; BernK/Giovanoli, Art. 497 OR Rz 18–18 a; BasK/Pestalozzi, Art. 497 OR Rz 5; im zweiteren Sinne Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 497 OR Rz 33; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 497 OR Rz 41. 138 Gut, Solidarbürgschaft, 82; BernK/Giovanoli, Art. 497 OR Rz 21. 139 Gut, Solidarbürgschaft, 82. 140 Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 497 OR Rz 30; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 497 OR Rz 40, 43. 141 Art. 497 II 3 OR 1941. 142 Art. 497 (1): Mehrere Bürgen, die gemeinsam die nämliche teilbare Hauptschuld verbürgt haben, haften für ihre Anteile als einfache Bürgen und für die Anteile der übrigen als Nachbürgen. (2) Haben sie mit dem Hauptschuldner oder unter sich Solidarhaft übernommen, so haftet jeder für die ganze Schuld. Der Bürge kann jedoch die Leistung des über seinen Kopfanteil hinausgehenden Betrages verweigern, solange nicht gegen alle solidarisch neben ihn haftenden Mitbürgen, welche die Bürgschaft vor oder mit ihm eingegangen haben und für diese Schuld in der Schweiz belangt werden können, Beitreibung eingeleitet worden ist. Das gleiche Recht steht ihm zu, soweit seine Mitbürgen für den auf sie entfallenden Teil Zahlung geleistet oder Realsicherheit gestellt haben. (…) (4) Haben mehrere Bürgen sich unabhängig voneinander für die gleiche Hauptschuld verbürgt, so haftet jeder für den ganzen von ihm verbürgten Betrag. (…) 136
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II. Die Höhe der Haftung im Außenverhältnis
nur für „sie“ i.S.d. Art. 497 II 1, also für gemeinsame Solidarbürgen i.S.d. Abs. 1. Hierzu passt es aber nicht recht, dass der Solidarbürge auch die Belangung von solchen Solidarbürgen verlangen kann, die sich vor ihm verpflichtet haben143. Zugleich soll ein Nebenbürge nach Abs. 4 stets unmittelbar für das Ganze haften. Gemeint ist offenbar, dass, wenn sich zuerst B1 als Einzelbürge und dann B2 im Vertrauen auf B1 verpflichtet, B2 nur hälftig haftet, solange B1 nicht belangt wurde, während B1 die Belangung von B2 nicht verlangen, sondern aufs Ganze in Anspruch genommen werden kann. Unklar ist ferner, warum das Gesetz Mitbürgen nur berücksichtigt, wenn sie Solidarbürgen sind. Haben bei vier gemeinsamen Mitbürgen B1–4 alle auf die Teilungseinrede verzichtet, könnte B1 die Belangung von B2–4 verlangen, haben dagegen nur B1–2 auf die Teilungseinrede verzichtet, könnte B1 offenbar nur die Belangung von B2 verlangen. Ob und warum dieses Ergebnis gewollt ist, geht weder aus dem Gesetz noch aus der Schweizer Literatur hervor. Im Ergebnis hat der Reformgesetzgeber den Solidarbürgen, wie die Literatur hervorhebt, hier eine beschränkte Teilungseinrede gewährt144. Diese erscheint zumindest aus deutscher Sicht in ihrer Anwendung allerdings noch komplizierter als die Teilungseinrede der einfachen Mitbürgen. Doch anders als diese kann die beschränkte Teilungseinrede in der Praxis nicht umgangen werden, weil es sich bei ihr um zwingendes Recht handelt145. Bei der gemeinschaftlichen Verbürgung mehrerer kann die unmittelbare Ganzhaftung jedes Mitbürgen also nicht einmal durch besondere Vereinbarung erreicht werden. Diese aus deutscher Sicht erstaunliche Rigorosität muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass die Bürgschaft in der Schweiz bevorzugtes Kreditsicherungsmittel und die Verbürgung durch mehrere besonders häufig war, was in der sog. „Bürgenkrise“ der 1930er Jahre offenbar zur existenzbedrohenden Haftung ganzer Dorfgemeinschaften geführt hat, so dass sich der Gesetzgeber aus sozialen Gründen zum Eingreifen verpflichtet sah146. Das 1942 in Kraft getretene neue Bürgschaftsrecht sieht daher eine ganze Reihe zusätzlicher Vorschriften zum Bürgenschutz vor, die grundsätzlich zwingend sind und von denen die dargestellten Mitbürgenregelungen nur ein Teil sind. Eine wichtige Rolle spielt hier wohl, dass es in der Schweiz kein Gesetz zur AGB-Kontrolle gibt. Vielleicht hätte es schon ausgereicht, die Bürgenschutzvorschriften dispositiv, aber AGBfest zu gestalten. Angesichts der zahlreichen Schutzvorschriften zwingenden 143 Denkbar wäre eine Auslegung, wonach nur ein Solidarbürge, der sich zusammen mit einem anderen verpflichtet hat, die Belangung eines früheren Solidar-Nebenbürgen verlangen kann. Eine solche Auslegung ergibt aber keinen Sinn: Verbürgt sich zuerst B1 und dann B2, kann es für die Frage, ob B2 die Belangung von B1 verlangen kann, nicht darauf ankommen, ob B2 sich zusammen mit B3 verpflichtete oder nicht. 144 Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 497 OR Rz 26; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 497 OR Rz 7, 10, 37; BernK/Giovanoli, Art. 497 OR Rz 11; Scyboz, Bürgschaft, 427; BasK/Pestalozzi, Art. 497 OR Rz 4. 145 OR 1941, Art. 492 IV. 146 Zum Hintergrund aus deutscher Sicht Borst, Bürgschaft, 14 ff.
4. Die Regelwerke und die Entscheidungen des BGB-Gesetzgebers
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Charakters wäre zu erwarten, dass Kreditgeber nach der Reform die Bürgschaft meiden und ihr Heil in der Garantie oder anderen Sicherheiten suchen147. Doch dies ist offenbar nur in begrenztem Maße geschehen. Allerdings sind persönliche Gefälligkeitsbürgschaften seltener geworden und werden durch die in der Schweiz übliche Verpflichtung einer Bürgschaftsgenossenschaft ersetzt148. Auch bei der Entstehung des BGB wurde mit der Schweizer Teilungseinrede geliebäugelt. In den Beratungen der Ersten Kommission zum Bürgschaftsrecht149 stellte Windscheid einen Antrag, wonach bei gemeinsamer Verbürgung jeder für seinen Anteil als Bürge und für die Anteile der anderen als Nachbürge haften sollte150. Dies entspricht der Schweizer Regelung in Art. 496 I OR. Doch der Antrag wurde abgelehnt. Die Kommission argumentierte, dass auch bei gemeinsamer Verbürgung der Parteiwille sich in der Regel auf die unmittelbare Ganzhaftung jedes Bürgen richte. Vor allem aber entstünden kaum lösbare Abgrenzungsprobleme bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der gemeinsamen Verbürgung. Auf die Gleichzeitigkeit könne es nicht ankommen. Unklar seien etwa die Fälle, in denen B2 sich nicht zusammen mit B1 verbürgt, aber erkennbar auf die schon bestehende Bürgschaft des B1 vertraut, oder in denen sich Nebenbürgen in einer einheitlichen Urkunde verpflichten. Der Verzicht auf jegliche Teilungseinrede schneide alle Streitigkeiten ab und schaffe einfaches und klares Recht151. Aus historisch-rechtsvergleichender Sicht war die Entscheidung der Ersten Kommission richtig. Die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der gemeinsamen Verbürgung bereitet im Schweizer Recht bis heute Probleme; der von der Kommission zuerst genannte Fall ist hier offenbar nach wie vor strittig. Hinzufügen kann man, dass die Teilungseinrede in der Schweiz zu Problemen bei der Verteilung des Ausfalls eines Mitbürgen und bei unteilbaren Leistungen führt und den Gläubiger vor die Aufgabe stellt, bei Höchstbetragsbürgen mit unterschiedlichen Höchstbeträgen die Höhe der internen Anteile zu ermitteln. Vor allem aber nützt jede noch so gut gemeinte Regelung nichts, wenn sie in der Praxis nicht akzeptiert wird, was bei der Teilungseinrede der Fall ist, weil sie in der Regel abgedungen wird. Dem kann man zwar begegnen, indem man mittels eines bedenklichen Eingriffs in die Privatautonomie die Teilungseinrede zwingend ausgestaltet, wie es das Schweizer Recht bei der beschränkten Teilungseinrede der Solidarmitbürgen getan hat. Dann aber kommt der Auslegung des strittigen Tatbestandsmerk147
Vgl. ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 497 OR Rz 10. Zu den Auswirkungen der Reform Borst, Bürgschaft (1966), 66 ff., 145; BasK/Pestalozzi (2007), vor Art. 492 OR Rz 5 f. 149 Bei den Beratungen zur Gesamtschuld hatte die Kommission eine allgemeine Teilungseinrede für alle Gesamtschuldner abgelehnt, aber noch offen gelassen, ob man für bestimmte Gruppen von Solidarschuldnern Ausnahmen machen sollte, Jakobs/Schubert, SR I, 896. 150 Jakobs/Schubert, SR III, 479. Vgl. auch Bähr, Gegenentwurf, § 711, nach dem gemeinschaftliche Mitbürgen wegen der Gefährlichkeit der Bürgschaft sogar als echte Teilschuldner haften sollten. 151 Jakobs/Schubert, SR III, 479 f.; ebenso dann Mot. II, 667 (Mugdan II, 372 f.). 148
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II. Die Höhe der Haftung im Außenverhältnis
mals der Gemeinsamkeit der Verbürgung zentrale Bedeutung zu. Klare Verhältnisse schafft man, wenn man die Teilungseinrede ähnlich wie die gemeinrechtliche Teilschuldvermutung auf den Fall der gemeinschaftlichen Verpflichtung im Sinne eines einheitlichen Rechtsgeschäfts zwischen dem Gläubiger und sämtlichen Bürgen beschränkt. Doch dann kann der Gläubiger selbst eine als zwingendes Recht ausgestaltete Teilungseinrede leicht dadurch umgehen, dass er mit jedem Bürgen einen eigenen selbständigen Vertrag schließt. Ein Bürgenschutz lässt sich offenbar nur dann erreichen, wenn man Fälle einbezieht, in denen ein Bürge sich im Vertrauen auf einen anderen verpflichtete und dies dem Gläubiger bekannt war. Doch ein solches Tatbestandsmerkmal lässt sich in der Praxis häufig nur schwer feststellen oder beweisen, so dass Streitigkeiten Tür und Tor geöffnet sind und der Gläubiger, der einzelne Verträge mit einzelnen Bürgen geschlossen hat, stets damit rechnen muss, den Bürgen nicht unmittelbar auf das Ganze in Anspruch nehmen zu können. Zu Recht folgte das BGB daher mit dem Verzicht auf die Teilungseinrede der Mehrheit der europäischen Rechtsordnungen152. Will man den Bürgen vor übermäßigen Belastungen schützen, muss man andere Instrumente einsetzen.
5. Zur Abdingbarkeit des § 769 und zur Haftung von Höchstbetragsbürgen Nach Ansicht des Neunten Senats des BGH ist es möglich, die Vorschrift des § 769 durch Vereinbarung zwischen dem Gläubiger und sämtlichen Bürgen derart abzudingen, dass im Außenverhältnis keine Gesamtschuld besteht, die gesamtschuldnerische Ausgleichspflicht im Innenverhältnis aber bestehen bleibt153. Diese Ansicht ist aber offenbar nicht haltbar. Die erste Frage ist, ob eine Abdingung des § 769 möglich ist und welche Rechtsfolgen sie haben soll. Nach § 769 haften Mitbürgen als Gesamtschuldner. Eine Gesamtschuld bedeutet zum einen, dass jeder Schuldner die gesamte Leistung schuldet, womit eine Teilhaftung ausgeschlossen wird, zum anderen, dass die Leistung eines Schuldners den anderen im Verhältnis zum Gläubiger befreit, also einen Ausschluss der Kumulation. Verbürgen sich mehrere ohne beschränkende Abreden für dieselbe Schuld, wird die Kumulation genau genommen nicht erst durch § 769 ausgeschlossen, sondern schon durch den Sicherungszweck der Bürgschaft: Der Gläubiger soll nicht mehr erhalten als den Betrag der verbürgten Hauptschuld. Die Bedeutung des § 769 liegt damit im Ausschluss der Teilhaftung. 152 Auch die PEL Personal Security (Art. 1:107 I) und der DCFR (Art. IV.G-1:105) haben die Teilungseinrede nicht aufgenommen. 153 BGHZ 88, 185, 189 (14.7.1983); BGH NJW 1986, 928, 930 (7.11.1985); BGH NJW 1986, 3131, 3132 (15.5.1986); BGH NJW 1987, 374, 375 (23.10.1986); BGH NJW 1987, 3126, 3127 (4.6.1987); BGH NJW 1992, 2286, 2287 (11.6.1992).
5. Zur Abdingbarkeit des § 769 und zur Haftung von Höchstbetragsbürgen
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In dieser Funktion kann die Vorschrift zugunsten der Bürgen abgedungen werden, mit dem Ergebnis, dass sie nur anteilig haften154. Bei dieser Art von Abdingung des § 769 wird selbstverständlich zugleich der Regress nach § 426 abgedungen. Entsprechen die Haftungsanteile im Außenverhältnis den internen Belastungsquoten, wird ein Regress nicht benötigt. Denkbar ist aber auch, dass Außen- und Innenverhältnis nicht übereinstimmen, etwa wenn die Bürgen nach außen kopfteilig und intern nach Gesellschaftsanteilen haften. Hier wird ein Regress benötigt, der sich aber nicht aus § 426, sondern aus dem Innenverhältnis ergibt155. Bei der Abdingung des § 769 zugunsten der Bürgen wird also auch § 426 mitabgedungen. Die These des BGH bezieht sich auch nicht auf diese Art der Abdingung, sondern auf eine zulasten der Bürgen. Bei Bürgen, die sich ohne Betragsbeschränkung für eine bestimmte Hauptschuld verbürgen, wäre eine Abdingung des § 769 zugunsten des Gläubigers in Gestalt einer Abdingung des § 422 denkbar, so dass der Gläubiger den Betrag der Hauptschuld kumulativ erhält. Tatsächlich würde es sich dann gar nicht mehr um Bürgschaften handeln, was aber nicht heißt, dass ein solches Geschäft von vornherein unzulässig ist, sofern sich die Parteien über seine wirtschaftliche Bedeutung im Klaren waren. Wenn aber ein derartiger Ausschluss des Gesamtschuldverhältnisses vereinbart wird, dann ist zugleich ein Gesamtschuldregress ausgeschlossen. Wenn jeder Schuldner einen bestimmten Betrag schuldet, ohne durch die Leistung des Mitschuldners befreit zu werden, gibt es nichts, was ausgeglichen werden könnte156. Es ist gerade die für das Gesamtschuldverhältnis kennzeichnende Kombination von Ganzhaftung und Solutionskonkurrenz, die den Gesamtschuldregress sinnvoll macht. Möglich ist eine Ganzhaftung mit Solutionskonkurrenz ohne Innenausgleich (die regresslose Ge154 Dies könnte man mit dem Argument bestreiten, dass teilhaftende Mitbürgen sich nicht für dieselbe Schuld verbürgen, sondern für verschiedene Teile der Hauptschuld; in diese Richtung Kremer, Mitbürgschaft, 65, 104 ff. Das ist sicher richtig, wenn der Gläubiger die Hauptschuld in identifizierbare Teile aufteilt, für die verschiedene Bürgen einzeln haften sollen, aber schon dann zweifelhaft, wenn der Gläubiger mit zwei Bürgen vereinbart, sie sollten im Außenverhältnis je zur Hälfte für die Hauptschuld einstehen, weil hier die Hauptschuld nicht in Einzelschulden, sondern nach Quoten geteilt wird. Wer hier zwei Einzelbürgschaften für zwei verschiedene Teile der Hauptschuld annimmt, muss zugleich annehmen, dass ein Verschulden oder Verzug des Hauptschuldners jede Teil-Hauptschuld und damit jede Einzelbürgschaft anteilig erhöht. Zahlt der Hauptschuldner einen Teilbetrag an den Gläubiger, muss überlegt werden, auf welchen Teil der Hauptschuld er leistete. Demgegenüber erscheint die Annahme einfacher, dass beide Bürgen sich anteilig für dieselbe Hauptschuld verbürgt haben und für ihren jeweiligen Bestand quotal haften, insbesondere dann, wenn die genaue Aufteilung zum Verpflichtungszeitpunkt nicht klar ist, etwa wenn sich Gesellschafter quotal nach ihren möglicherweise veränderlichen Gesellschaftsanteilen für die Schuld einer Kommanditgesellschaft verbürgen (vgl. dazu Erman/Ehmann, § 426 Rz 93; K. Schmidt, NJW 1997, 2201). 155 Vgl. oben, 260 f. 156 Denkbar wäre nur die Vereinbarung eines vorläufigen Ausgleichs: S1 und S2 schulden kumuliert jeweils 100; zahlt S1 100 an G, bekommt er vorläufig 50 von S2; muss dann auch S2 seine 100 an G zahlen, kann er wieder 50 von S1 verlangen. Ein solches Innenverhältnis, das lediglich die Folgen der zeitlich unterschiedlichen Inanspruchnahme vorläufig ausgleicht, hatte der BGH aber bei seiner These nicht vor Augen.
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II. Die Höhe der Haftung im Außenverhältnis
samtschuld), nicht aber eine kumulative Haftung mit Ausgleichspflicht. Eine Abdingung des § 422 ist daher zugleich eine Abdingung des § 426. Dies gilt, mit Modifikationen, auch für den Fall mehrerer Höchstbetragsbürgen, was aber nicht ohne weiteres ersichtlich ist, weil schon Unsicherheit darüber besteht, wie mehrere Höchstbetragsbürgen im Außenverhältnis überhaupt haften. Als Beispiel soll der Fall dienen, dass eine Hauptschuld in Höhe von 1000 durch zwei unabhängige Bürgen gesichert wird. B1 verbürgt sich mit einem Höchstbetrag von 400, B2 mit einem von 800. Hierzu findet sich die Ansicht, dass mangels besonderer Vereinbarungen dann eine Gesamtschuld in Höhe desjenigen Betrags vorliegt, in dem sich die Höchstbeträge decken, hier also in Höhe von 400157. Dies soll zur Folge haben, dass eine Leistung von 400 durch B1 auch B2 anteilig befreit, so dass B2 nur noch in Höhe von 400 haftet; leistet statt dessen B2 400, wird B1 ganz frei. Die Hauptschuld von 1000 wird, so gesehen, in Höhe von 400 doppelt, in Höhe weiterer 400 einfach und in Höhe der übrigen 200 gar nicht gesichert. Dieser Gefahr müsse der Gläubiger vorbeugen, indem er mit den Bürgen sog. Neben- oder Wahlbürgschaften vereinbare und dadurch § 769 abdinge. Dadurch erreiche er, dass jeder Bürge unabhängig vom anderen auf seinen Betrag hafte und die Leistung eines Bürgen den anderen nicht befreie, wobei der Gläubiger wegen der Akzessorietät der Bürgenhaftung insgesamt nie mehr als den Betrag der Hauptschuld erlangen könne158. Offenbar infolge dieser Äußerungen sind Banken dazu übergegangen, in ihren AGB eine sogenannte „Nebenbürgenklausel“ vorzusehen, wonach mehrere Bürgen, die sich in unterschiedlichen Urkunden verbürgen, keine Mitbürgen sind und § 769 keine Anwendung finden soll. Es ist offenkundig, dass die Annahme einer Gesamtschuld in Höhe der sich deckenden Höchstbeträge dem Willen der eine Höchstbetragsbürgschaft vereinbarenden Parteien widerspricht. Die Beiträge der Höchstbetragsbürgen sollen dem Gläubiger bis zur Höhe der Hauptschuld kumuliert zustehen. Dies wird besonders in Fallgestaltungen deutlich, in denen die Summe der einzelnen Höchstbeträge der Hauptschuld entspricht: Der Gläubiger, der für eine Hauptschuld von 1000 eine Bürgschaft über 400 und eine andere Bürgschaft über 600 annimmt, will die gesamte Hauptschuld sichern. Dasselbe gilt aber auch, wenn die Summe der Höchstbeträge größer ist. Im Beispielsfall ist gewollt, dass nach Leistung von 400 durch B1 der Gläubiger von B2 weitere 600 verlangen kann; zahlt B2 800, schuldet B1 noch 200. Für dieses sachgerechte Ergebnis ist aber nach ganz überwiegender Ansicht eine besondere Abdingung des § 769 gar nicht erforderlich159. Die Vorschrift be157 So auch Staub/Koenige/Pinner/Bondi, HGB (1921), § 349 Anm. 49, und RGRK/Mormann, § 769 Rz 1, ohne aber die im Folgenden genannte Schlussfolgerung zu ziehen. 158 Beeser, BB 1958, 970; Weber, JuS 1971, 558; ders., JuS 1972, 10; ders., Kreditsicherheiten, § 3 III 3, § 4 II; Hadding/Häuser/Welter, Bürgschaft und Garantie (1983), 630; Lwowski, Kreditsicherung, Rz 353, 355, 357; wohl auch LG Augsburg, WM 1984, 223 (7.2.1983). 159 RGZ 81, 414, 421 (27.2.1913); OLG Hamburg, HRR 1933 Nr. 1841 (5.5.1933); BGH WM 1983, 993, 994 (5.5.1983); OLG Stuttgart, ZIP 1990, 445, 446 (28.11.1989); Adler, LZ 6 (1912), 505;
5. Zur Abdingbarkeit des § 769 und zur Haftung von Höchstbetragsbürgen
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gründet ein Gesamtschuldverhältnis unter Bürgen, die sich für dieselbe Schuld verbürgen, und nicht ein Gesamtschuldverhältnis in Höhe der sich deckenden Höchstbeträge. Schon das Reichsgericht war daher der Ansicht, dass unter Höchstbetragsbürgen ein Gesamtschuldverhältnis in Höhe der gesicherten Hauptschuld besteht, die Gesamtschuld aber die Besonderheit hat, dass kein Bürge für eine höhere Summe als seinen Höchstbetrag in Anspruch genommen werden kann160. Dem folgt ein Teil der Rechtsprechung und Literatur161. Im Beispielsfall liegt danach ein Gesamtschuldverhältnis in Höhe von 1000 vor, wobei B1 insgesamt für höchstens 400, B2 insgesamt für höchstens 800 in Anspruch genommen werden kann. Leistet B1 400 an den Gläubiger, wird § 422 so angewendet, dass dieser Betrag auf die Höhe der Gesamtschuld (die mit der Höhe der Hauptschuld identisch ist) angerechnet wird, so dass sie nur noch 600 statt 1000 beträgt162. B1 kann nun nicht mehr in Anspruch genommen werden, weil er seinen Höchstbetrag schon geleistet hat, während B2 noch 600 schuldet, was seinen Höchstbetrag von 800 nicht überschreitet. Gegen diese Konstruktion wendet ein anderer Teil der Literatur ein, dass ein Gesamtschuldverhältnis in Höhe der Hauptschuld nicht bestehen könne, weil der Tatbestand des § 421 nicht vorliege: Der Gläubiger könne nicht von jedem Höchstbetragsbürgen eine Leistung in Höhe der Hauptschuld verlangen. Im Beispielsfall schulde nicht jeder Bürge 1000. Zudem komme eine Leistung des B1 in Höhe von 400 dem Bürgen B2 nur in Höhe von 200 zugute, was § 422 widerspreche163. In Wahrheit liege nicht ein Gesamtschuldverhältnis in Höhe der Hauptschuld, sondern in Höhe desjenigen Betrags vor, der mehrfach gesichert ist. Bei zwei Höchstbetragsbürgen sei das der Betrag, um den die Summe der Höchstbe160 Kanka, JhJb 87 (1938), 142; Reinicke/Tiedtke, JZ 1983, 898; dies., Bürgschaftsrecht, Rz 567; dies., Kreditsicherung, Rz 574; Tiedtke, JZ 1987, 491; Weitzel, JZ 1985, 824; MüKo/Pecher (1986), § 769 Rz 2; Bayer, ZIP 1990, 1526; Ehlscheid, BB 1992, 1291; Horn, DZWir 1997, 267; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 99 ff.; ders., ZIP 1999, 824. 160 RGZ 81, 414, 419 ff. (VI, 27.2.1913). 161 Reinicke/Tiedtke, JZ 1983, 898; dies., Bürgschaftsrecht, Rz 567; dies., Kreditsicherung, Rz 574; Tiedtke, JZ 1987, 491; Selb, Mehrheiten, 96; ders., EWiR § 769 BGB 2/90, 1079; Weitzel, JZ 1985, 824; MüKo/Pecher (1986), § 769 Rz 2; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 32; Jauernig/Stadler, § 769 Rz 3; Meyer, JuS 1993, 561; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 101; ders., ZIP 1999, 824; OLG Stuttgart, ZIP 1990, 445, 446 (28.11.1989); OLG Hamm, NJW 1991, 297 (25.4.1990); wohl auch BGHZ 137, 292, 295 (IX, 11.12.1997); zum österreichischen Recht OGH ÖBA 2007, 316, 317 f. (27.9.2006); nicht ganz klar Staud/Brändl (1959), § 769 Rz 4, und OLG Hamm, WM 1984, 829 (Mitbürgschaft „bis zur gemeinsamen Haftungsgrenze“, 8.3.1984); schwer verständlich MüKo/Habersack, § 769 Rz 2. 162 Widersprüchlich Ehlscheid, BB 1992, 1291, nach dem einerseits die Höchstbetragsbürgen die gesamte Hauptschuld i.S.d. § 769 sichern, andererseits § 422 teleologisch reduziert werden muss, um das Ergebnis der zuerst genannten Ansicht zu vermeiden. Nimmt man eine Gesamtschuld in Höhe der Hauptschuld an, muss § 422 gerade nicht eingeschränkt werden. 163 Bis hierher ebenso M.Wolf, NJW 1987, 2472 ff., der dann aber ein eigenes Modell entwickelt, wonach Höchstbetragsbürgen verschiedene Teile der Hauptschuld sichern, es aber erst von der Entscheidung des Gläubigers abhängt, welcher Teil welchem Bürgen zugeordnet wird. Übereinstimmend mit der im Folgenden genannten Literatur werden hier Höchstbeträge mit Teilforderungen gleichgesetzt.
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II. Die Höhe der Haftung im Außenverhältnis
träge die Hauptschuld überschreite164. Im Beispielsfall liegt danach eine Gesamtschuld in Höhe von 200 vor, verbunden mit einer Einzelschuld von B1 über 200 und von B2 über 600165. Bildlich gesprochen kann der Gläubiger, wenn er 200 von B1 und 600 von B2, also 800, erhalten hat, wählen, von wem er die letzten 200 verlangt: Dieser Betrag ist doppelt abgesichert und bildet daher den Betrag der Gesamtschuld. Dieses Modell besticht auf den ersten Blick durch eine vermeintlich genauere Angabe des Gesamtschuldbetrags im Sinne einer mehrfach gesicherten Summe. Richtig ist auch, dass ein gewöhnliches Gesamtschuldverhältnis in Höhe der Hauptschuld nicht vorliegen kann, wenn der Gläubiger nicht jeden Bürgen in dieser Höhe in Anspruch nehmen kann. Dieser Konsequenz kann man auch nicht durch die Annahme ausweichen, der Höchstbetragsbürge schulde in Höhe der Hauptschuld, hafte aber nur in Höhe des Höchstbetrags. Vielmehr schuldet der Höchstbetragsbürge auch nicht mehr als den Höchstbetrag. Doch die Annahme einer Gesamtschuld in Höhe der Hauptforderung geht auch nicht von einem gewöhnlichen, sondern von einem modifizierten Gesamtschuldverhältnis aus. Genau genommen handelt es sich um eine Hybridform zwischen Gesamt- und Teilschulden, bei der jeder Schuldner einen bestimmten Betrag schuldet und der Gläubiger insgesamt einen Betrag verlangen kann, der weder dem Betrag jeder einzelnen Schuld entspricht (Gesamtschulden), noch der Summe der Schuldnerbeträge (Teilschulden), sondern in der Regel dazwischen liegt. Solche modifizierten Gesamtschuldverhältnisse gibt es auch außerhalb des Bürgschaftsrechts, etwa wenn der Gläubiger den Ersatz seines Schadens von mehreren Schuldnern verlangen kann, die lediglich nach dem StVG und damit nur mit den in § 12 StVG genannten Höchstbeträgen haften, oder wenn den Geschädigten bei einer Mehrheit von Nebentätern ein Mitverschulden trifft166. Der Unterschied zwischen der ersten Ansicht (modifizierte Gesamtschuld in Höhe der Hauptschuld) und der zweiten Ansicht (Gesamtschuld in Höhe des mehrfach gesicherten Hauptschuldbetrags) ist in erster Linie eine Frage der Darstellung. Für die erste Ansicht spricht hier, dass sie bei einer Vielzahl von Bürgen
164 Adler, LZ 6 (1912), 497 ff., 505; E. Wolf, SR BT, 370; Weitnauer, Personenmehrheit, 379 Fn. 23; Soergel/Mühl (1985), § 769 Rz 3; Staud/Horn, § 769 Rz 13; Horn, DZWir 1997, 267; Wernecke, Gesamtschuld, 143 ff.; Bayer, EWiR § 769 BGB 1/90, 147; ders., ZIP 1990, 1525 ff. (wonach, soweit die Summe der Höchstbeträge die Höhe der Hauptschuld überschreitet, nicht eine Gesamtschuld, sondern nur ein gesamtschuldähnliches Verhältnis vorliegt und § 426 dann nur analog anwendbar ist). Entspricht die Höhe der Hauptschuld der Summe der Höchstbeträge, liegen danach unabhängige nebeneinander bestehende Einzel- oder Teilbürgschaften vor; so auch OLG Braunschweig, SeuffA 61 Nr. 132 (16.6.1904); OLG Hamburg, HRR 1933 Nr. 1841 (5.5.1933); Muermann, Konkurrenz (1932), 27 f.; Staud/Brändl (1959), § 769 Rz 4. 165 Die Höhe der Einzelschulden wird ermittelt, indem der Betrag der Gesamtschuld von den jeweiligen Höchstbeträgen abgezogen wird. 166 So auch Weitnauer, Personenmehrheit, 379 Fn. 23. Hierzu HKK/Meier, §§ 420–432 I Rz 139 m.w.N.
5. Zur Abdingbarkeit des § 769 und zur Haftung von Höchstbetragsbürgen
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mit unterschiedlichen Höchstbeträgen einfacher zu handhaben ist167 und keine Regeln darüber entwickeln muss, auf welche der verschiedenen Gesamt- und Einzelschulden eine Teilleistung des Schuldners oder eine Bürgenleistung angerechnet wird. Doch gegen die zweite Ansicht gibt es auch sachliche Bedenken. Sie verwischt den Unterschied zwischen einer unbeschränkten Verbürgung für eine Hauptschuld in bestimmter Höhe und einer Höchstbetragsverbürgung. Ein Höchstbetragsbürge sichert eine oder mehrere Hauptschulden mit der Modifikation, dass seine Haftung einen bestimmten Betrag nicht überschreiten darf, der geringer als der Betrag der Hauptschuld sein kann. Seine Lage wird damit durch zwei Faktoren bestimmt: zum einen durch die Höhe des Höchstbetrags, zum anderen durch die Höhe der Hauptschuld. Ein Bürge, der eine Hauptschuld von 2000 mit einem Höchstbetrag von 1000 sichert, befindet sich von vornherein in einer anderen Lage als ein Bürge, der eine Hauptschuld von 1000 verbürgt. Im zweiten Fall befreit jede Teilleistung des Hauptschuldners auch den Bürgen. Im ersten Fall werden Leistungen des Hauptschuldners, bildlich gesprochen, zunächst auf den nicht gesicherten Teil angerechnet, so dass erst Leistungen, die über 1000 hinausgehen, dem Bürgen zugutekommen168. Tatsächlich aber handelt es sich hier nicht um die Frage, auf welche „Teilforderung“ eine Leistung des Schuldners angerechnet wird, weil der Höchstbetragsbürge nicht eine bestimmte Teilforderung sichert, sondern die gesamte Hauptschuld mit einer Betragsbegrenzung. Die zweite Ansicht behandelt den Höchstbetragsbürgen aber ähnlich wie einen Teilbürgen. Wird eine Hauptschuld von 100 durch B1 mit einem Höchstbetrag von 50 und durch B2 mit einem Höchstbetrag von 100 gesichert, dann ist das von B2 übernommene Risiko nicht doppelt so groß wie das von B1. Teilleistungen des Hauptschuldners kommen im Außenverhältnis von Anfang an B2 zugute, während B1 erst dann profitieren kann, wenn die Teilleistungen die Summe von 50 überschreiten. Die zweite Ansicht behandelt den Fall aber so, als ob es zwei Hauptschulden in Höhe von 50 gibt, wobei die eine solidarisch und die andere nur von B2 gesichert wird. Dieser Fall liegt aber nicht vor. Die Höhe der durch einen Höchstbetragsbürgen gesicherten Hauptschuld wird von der zweiten Ansicht überhaupt nicht berücksichtigt, obwohl sie wesentlich für das von ihm übernommene Risiko ist169. Der Ansatz, Höchstbeträge wie Teilschulden zu be167 Die Beträge der Gesamtschuld und der Einzelschulden sind bei mehr als zwei Bürgen schwierig zu berechnen, vgl. die Beispiele bei Wernecke, Gesamtschuld, 143 ff. 168 RG Warn 1910 Nr. 115 (17.1.1910); LG Düsseldorf, JW 1928, 1888 Nr. 9 (4.1.1928). 169 Wie wichtig trotz Höchstbetrag die Höhe der verbürgten Hauptschuld ist, zeigt der Fall OLG München, ZIP 1998, 731 (10.12.1997): Drei Bürgen bürgten mit Höchstbeträgen zu je 200 000 für eine Kontokorrent-Hauptschuld in Höhe von 200 000. Später gewährte der Gläubiger dem Hauptschuldner weiteren Kredit, so dass dieser dem Gläubiger insgesamt 300 000 schuldete. Nach einem Urteil des OLG Köln (ZIP 1998, 465) haftet ein Höchstbetragsbürge, der sich für einen Kontokorrentkredit verbürgt hat, im Rahmen des Höchstbetrags auch für eine spätere Erhöhung der Kreditlinie. Das OLG München schloss sich dagegen der herrschenden Lehre an, wonach
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II. Die Höhe der Haftung im Außenverhältnis
handeln, wirkt sich daher auch auf die Ausgleichsberechnung aus, indem ein Stufenmodell zugrunde gelegt wird. Im eben genannten Fall werden danach 50 solidarisch gesichert und gleichmäßig verteilt, während es für die übrigen 50 keinen Regress gibt. Im Ergebnis trägt B1 25, B2 75. Dieses Ergebnis entspricht aber nicht dem übernommenen Risiko: Selbst wenn man nicht vom ursprünglich übernommenen Risiko, sondern vom verwirklichten Risiko in Gestalt des Totalausfalls des Hauptschuldners ausgeht, hat B2 lediglich das doppelte Risiko von B1 übernommen, so dass er nicht 3/4 der Summe tragen sollte. Das Modell der Gesamtschuld in Höhe der Hauptschuld führt hingegen zu einem Quotenausgleich, wonach der von den Bürgen zu zahlende Betrag im Verhältnis der übernommenen Höchstbeträge (1:2) verteilt wird, so dass im eben genannten Fall B1 33,3 und B2 66,6 zu tragen hat. Im erstgenannten Beispiel (Hauptschuld 1000, B1 400, B2 800) führt das Stufenmodell dazu, dass B1 300 und B2 700 tragen muss; nach dem Quotenmodell wird B1 mit 333,3 und B2 mit 666,6 belastet. Die Frage, nach welchem Modell der Ausgleich unter Höchstbetragsbürgen stattfinden soll, ist umstritten170; in Lehre und Rechtsprechung setzt sich aber das Quotenmodell durch171. Im Ergebnis besteht jedenfalls zumindest in der Literatur weitgehende Einigkeit, dass der Gläubiger im Außenverhältnis jeden Höchstbetragsbürgen im Rahmen seines Höchstbetrags so lange in Anspruch nehmen kann, bis er wegen der 170 auch ein Höchstbetragsbürge nur für die Hauptschuld haftet, die er gesichert hat (hierzu Tiedtke, ZIP 1998, 449; BGH NJW 1998, 2815 [2.7.1998]; BGH ZIP 1998, 2145 [10.11.1998]). Dies führte im Fall dazu, dass die von den drei Bürgen gesicherte Hauptschuld nur 200 000 betrug. Die Leistung von 200 000 durch einen der drei Höchstbetragsbürgen befreite daher die anderen. Folgt man dagegen dem OLG Köln oder hätten sich die Bürgen schon anfänglich mit gleichbleibenden Höchstbeträgen für eine Hauptschuld bis zu 300 000 verbürgt, könnte der Gläubiger die ausstehenden 100 000 noch von den zwei anderen Höchstbetragsbürgen verlangen. 170 Für einen Stufen-Ausgleich Planck/Oegg, § 774 Anm. 7 e; Staub/Koenige/Pinner/Bondi, HGB (1921), § 349 Anm. 49; Staud/Brändl (1959), § 774 Rz 16; Graf Lambsdorff/Skora, Bürgschaftsrecht, Rz 309; Bayer, EWiR § 769 BGB 1/90, 147; Lwowski, Kreditsicherung, Rz 355, 403 (anders offenbar Rz 354); früher Horn (Staud/Horn, 12. Aufl. 1986, § 774 Rz 31), der nun aber zum Quotenmodell tendiert, Staud/Horn (1997), § 774 Rz 55 f. In Frage kommt auch das Kopfteilmodell, wonach der Hauptschuldbetrag gleichmäßig aufgeteilt wird, soweit es die Höchstbetragsgrenzen zulassen, so RGZ 81, 414, 421 (VI, 27.2.1913); in diese Richtung Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rz 401 f.; dies., Kreditsicherung, Rz 420 f.; Tiedtke, EWiR § 765 BGB 6/98, 347. Im ersten Beispiel trägt dann B1 400 und B2 600, im zweiten jeder 50. Der Bürge mit dem geringeren Höchstbetrag profitiert dann gar nicht von der Existenz des Mitbürgen. 171 Kanka, JhJb 87 (1938), 167; Schlechtriem, FS von Caemmerer (1978), 1039 ff.; Selb, Mehrheiten, 96 f.; Weitzel, JZ 1985, 828 f.; MüKo/Pecher (1986), § 774 Rz 21; Wernecke, Gesamtschuld, 145 Fn. 99; Selb, EWiR § 769 BGB 2/90, 1079; Glöckner, ZIP 1999, 825 ff.; MüKo/Habersack, § 774 Rz 23; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 52; Soergel/Pecher, § 769 Rz 18; Jauernig/Stadler, § 774 Rz 9; BamR/Rohe, § 774 Rz 12; OLG Stuttgart, ZIP 1990, 445, 446 (28.11.1989); OLG Köln, NJW 1991, 298, 299 (8.3.1990); OLG Hamm, NJW 1991, 297 (25.4.1990) und WM 1997, 710, 717 (29.10.1996); BGHZ 137, 292 (IX, 11.12.1997); BGH NJW 2009, 437 (9.12.2008); zum österreichischen Recht Mader, JBl 1988, 288 f., und ausführlich Bacher, Ausgleichsansprüche, 182 ff. Für diese Lösung entschieden sich auch die PEL Personal Security (Art. 1:108) und der DCFR (Art. IV.G-1:106); hierzu PEL Personal Security, Art. 1:108, Comments, §§ 2 ff., Notes, §§ 22 ff. (Seidel/Hauck).
5. Zur Abdingbarkeit des § 769 und zur Haftung von Höchstbetragsbürgen
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Hauptschuld befriedigt ist, und dass es hierzu keiner besonderen Abdingung des § 769 bedarf. Das zuallererst genannte Modell, wonach eine Gesamtschuld nur in Höhe der sich deckenden Höchstbeträge besteht, kann aber selbstverständlich durch die Parteien besonders vereinbart werden und wird vielleicht in der Praxis in Sonderkonstellationen auch gewollt172. Denkbar ist etwa, dass sich zwei miteinander verheiratete Gesellschafter für die Gesellschaftsschuld derart mit einem gemeinsamen Höchstbetrag verbürgen, dass der Gläubiger den Höchstbetrag von beiden Schuldnern insgesamt nur in einfacher Höhe erhalten kann. Verbürgen sich etwa B1 und B2 auf diese Art mit einem gemeinsamen Höchstbetrag von 200 für eine Schuld über 1000, und verbürgt sich unabhängig davon B3 in Höhe von 200, führt eine Leistung von 200 durch B1 dazu, dass B2 frei wird, während B3 nicht entlastet wird, solange die restliche Hauptschuld mehr als 200 beträgt. Vielleicht ist diese Fallgestaltung gemeint, wenn Banken ihre Nebenbürgenklauseln auf Fälle von Verbürgungen in getrennten Urkunden beschränken. Aus Sicht der Banken wird hier § 769 im Verhältnis zwischen B1 und B2 auf der einen und B3 auf der anderen Seite abgedungen, nicht aber zwischen B1 und B2. Tatsächlich aber sind alle drei Bürgen nicht Teilschuldner, sondern sichern dieselbe Hauptschuld, womit sie nach § 769 Mitbürgen sind. Diese Vorschrift wird missverstanden, wenn man sie auf Höchstbeträge bezieht. Sie sagt aus, dass die insgesamt von allen Bürgen geschuldete Summe nicht aufgeteilt wird; das trifft im Beispiel zu. Es besteht lediglich zum einen die Modifikation, dass kein Bürge für mehr als seinen Höchstbetrag in Anspruch genommen werden kann. Hierzu sagt § 769 genau genommen nichts. Zum anderen haften B1 und B2 für ihren Höchstbetrag untereinander solidarisch. Dies ist eine weitere Modifikation, die ebenfalls mit § 769 nichts zu tun hat; es handelt sich insbesondere nicht um eine Gesamtschuld i.S.d. § 769, sondern um ein besonderes rechtsgeschäftlich vereinbartes Gesamtschuldverhältnis neben dem allgemeinen modifizierten Gesamtschuldverhältnis aller drei Bürgen. § 769 regelt die Haftung mehrerer Schuldner, welche dieselbe Forderung sichern, nicht die gemeinsame Haftung für einen Höchstbetrag. Vor diesem Hintergrund kann nun der Frage nachgegangen werden, was der Neunte Senat des BGH damit meint, wenn er sagt, dass die Banken mit einer Nebenbürgenklausel zwar die Gesamtschuld im Außenverhältnis, nicht aber den Gesamtschuldregress ausschließen173. Diese Ansicht entwickelte er in einem Fall, 172 Soergel/Pecher, § 769 Rz 18. So verhielt es sich wahrscheinlich im Fall OLG Hamm, WM 1999, 1969 (13.5.1998). Zwei Gesellschafter bürgten mit einem Höchstbetrag von 180 000 für eine Schuld der GmbH in Höhe von 1, 7 Mio. Einer von ihnen wurde später vom Gläubiger entlassen. Die Ausführungen des Urteils über die Auswirkung dieser Entlassung auf den verbleibenden Bürgen wären wesentlich verständlicher gewesen, wenn das Gericht deutlich gemacht hätte, ob der Gläubiger vor der Entlassung die 180 000 von den Bürgen insgesamt einmal oder zweimal verlangen konnte. Nach den Urteilsgründen ging das Gericht wohl von einer einfachen Höhe aus. 173 BGH NJW 1986, 928, 930 (7.11.1985); BGH NJW 1986, 3131, 3132 (15.5.1986); BGH NJW 1987, 374, 375 (23.10.1986); BGH NJW 1987, 3126, 3127 (4.6.1987); BGH NJW 1992, 2286, 2287 (11.6.1992).
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II. Die Höhe der Haftung im Außenverhältnis
in dem eine Hauptschuld von 120 000 durch B1 mit einem Höchstbetrag von 100 000 und durch B2 mit einem Betrag von 20 000 gesichert wurde, wobei in den AGB der Bank eine Nebenbürgenklausel enthalten war174. Später wurde die Hauptschuld offenbar durch Teilleistungen des Hauptschuldners auf 100 000 reduziert. B1 zahlte 100 000 und verlangte anteiligen Regress von B2. Nach der hier vertretenen Ansicht des Reichsgerichts lag ursprünglich eine (modifizierte) Gesamtschuld von 120 000 vor. Leistet in dieser Lage B1 100 000, besteht zwar noch eine Schuld von 20 000. B1 kann aber nicht von B2 Regress nehmen, weil B2 in Höhe von 20 000 dem Zugriff des Gläubigers ausgesetzt ist und mehr als diesen Höchstbetrag in keinem Fall leisten muss175. Leistet dagegen der Hauptschuldner 20 000 und B1 100 000, kann B1 von B2 in Höhe von 16 667 (1/6 von 100 000) Regress nehmen176. Nach dem Stufenmodell lag ursprünglich gar keine Gesamtschuld vor, so dass B1, hätte er seine 100 000 geleistet, keinen Regress hätte. Nachdem der Hauptschuldner 20 000 leistete, bestand eine Gesamtschuld in Höhe von 20 000, für deren Tilgung B1 von B2 10 000 verlangen kann. Auch der BGH bejahte im Ergebnis einen Ausgleichsanspruch von B1 gegen B2. Die Bank habe durch die Nebenbürgenklausel lediglich die Anwendung der §§ 422 ff. abbedungen, nicht die Anwendung des § 426177. Leider ließ der Neunte Senat dabei offen, was es mit der Abdingung der §§ 422 ff. auf sich hatte. Auch derjenige Teil der Literatur, welcher der These von der Abdingung nur im Außenverhältnis zustimmt178, verrät dabei nicht, was eine solche Abdingung bedeuten soll, welche Lage also ohne die Nebenbürgenklausel bestanden hätte. Nach Ansicht des Reichsgerichts und eines Großteils der Literatur war die Lage auch ohne Nebenbürgenklausel so wie beschrieben: Anfangs konnte der Gläubiger von B1 100 000 und von B2 20 000 verlangen, ohne dass es zum Regress kam; nach Leistung von 20 000 durch den Hauptschuldner kann G von B1 und B2 insgesamt nur noch 100 000 verlangen; leistet diese B1, hat er einen Ausgleichsanspruch gegen B2. Wenn dies so ist, dann wurden durch die Nebenbürgenklausel § 769 bzw. §§ 422 ff. im Außenverhältnis gar nicht abgedungen: Je nach Sichtweise bestand auch mit Nebenbürgenklausel ein Gesamtschuldverhältnis von zunächst 120 000, später 100 000, wobei jede Bürgenleis174
BGHZ 88, 185 (IX, 14.7.1983). So explizit Reinicke/Tiedtke, JZ 1983, 897 f.; Tiedtke, JZ 1987, 493. Für dieses Ergebnis muss nicht die allgemeine Regel abgeschafft werden, dass Mitbürgen auch bei Teilleistungen Regress nehmen können, so aber Weitzel, JZ 1985, 829 f.; Mader, JBl 1988, 290. Für Habersack ist dieses Ergebnis offenbar nur mit Hilfe der Nebenbürgenklausel erreichbar, MüKo/Habersack, § 769 Rz 7, § 774 Rz 26. 176 Reinicke/Tiedtke, JZ 1983, 898 kommen auf einen Betrag von 20 000. Hier scheint ein Rechenfehler vorzuliegen: Von der Summe der Höchstbeträge in Höhe von 120 000 bildete der Höchstbetrag von B1 5/6, der Höchstbetrag von B2 1/6. Dementsprechend müssen dann die 100 000 aufgeteilt werden. 177 BGHZ 88, 185, 188 ff. 178 Soergel/Mühl (1985), § 769 Rz 6, § 774 Rz 10; Weber, Kreditsicherheiten, § 4 II; Lwowski, Kreditsicherung, Rz 353, 359; Meyer, JuS 1993, 562; Staud/Horn, § 769 Rz 9; Staud/Noack, § 426 Rz 232, 239; BamR/Rohe, § 769 Rz 5; nicht ganz klar auch MüKo/Habersack, § 769 Rz 6 f. 175
5. Zur Abdingbarkeit des § 769 und zur Haftung von Höchstbetragsbürgen
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tung nach § 422 die Höhe der Gesamtschuld minderte (erste Ansicht), oder § 769 war ohnehin nicht anwendbar, und es bestand auch ohne Nebenbürgenklausel zunächst gar keine und später eine Gesamtschuld von 20 000 (zweite Ansicht). Die Klausel hat nach beiden Modellen im Außenverhältnis keine Wirkung. Nach Reinicke und Tiedtke soll die Nebenbürgen-Klausel, so wirkungslos sie im Außenverhältnis ist, aber den Innenregress ausschließen. B1 hätte im BGHFall, in dem er 100 000 bei einer Hauptschuld von 100 000 geleistet hat, wegen der Klausel keinen Regress gegen B2. Weil damit im Ergebnis die Gläubigerwillkür über die Belastungsverteilung entscheide, benachteilige die Klausel die Bürgen unangemessen und sei deshalb nach § 307 unwirksam. Daher könne B2 im Ergebnis doch Regress nehmen179. Eine solche Auslegung der Klausel im Sinne einer regresslosen Gesamtschuld ist denkbar, entspricht aber offenbar nicht dem Parteiwillen. Der Bank ging es ersichtlich nur um das Außenverhältnis, also um ihren Schutz im Falle einer nicht vollständigen Befriedigung (insofern ist dem BGH zuzustimmen), nicht aber darum, nach ihrer Befriedigung einen Gesamtschuldausgleich auszuschließen. Eine solche Auslegung ist auch durch den Wortlaut der Klausel nicht geboten. Angesichts der Unsicherheit über die Haftung von Höchstbetragsbürgen kann ein Ausschluss des § 769 nicht für bare Münze genommen werden; zudem hätte nach Reinickes und Tiedtkes Auslegung die Klausel nur Wirkung im Innenverhältnis, nicht im Außenverhältnis, was zu einem Ausschluss des § 769 ebenfalls nicht recht passen will. Tatsächlich wollen die Banken mit der Klausel erreichen, dass sie jeden Höchstbetragsbürgen bis zu ihrer vollständigen Befriedigung bis zu seinem Höchstbetrag in Anspruch nehmen können. Weil sie das auch schon nach geltendem Recht können, ist die Klausel nach richtiger Auslegung wirkungslos180. Ausgeschlossen wird die Gesamtschuld weder im Innen- noch im Außenverhältnis. Eine Wirkung der Klausel auf die Haftung im Außenverhältnis, wie sie der BGH annimmt, wäre nur denkbar, wenn man der zuallererst genannten Ansicht folgt, dass ohne Klausel eine Gesamtschuld in Höhe der sich deckenden Höchstbeträge besteht. Im BGH-Fall bestände dann ohne Klausel eine Gesamtschuld in Höhe von 20 000 und eine Einzelschuld des B1 in Höhe von 80 000. Die Klausel hätte diese Gesamtschuld dann ausgeschlossen. Wenn dies aber so ist, dann muss die Klausel, um Wirkung zu entfalten, das mit der Gesamtschuld verbundene Innenverhältnis ebenfalls ausschließen. Andernfalls könnte, wenn die Hauptschuld 120 000 beträgt, B1 100 000 zahlen und dann wegen der getilgten Gesamtschuld von 20 000 von B2 hälftigen Regress in Höhe von 10 000 nehmen. Weil B2 179 Reinicke/Tiedtke, JZ 1983, 896; dies., Bürgschaftsrecht, Rz 568; dies., Kreditsicherung, Rz 575; Tiedtke, JZ 1987, 491f.; ebenso Graf Lambsdorff/Skora, Bürgschaftsrecht, Rz 224. Ähnlich Knütel, JR 1985, 8 f., nach dem der Gläubiger selbst durch Individualvereinbarungen mit den Höchstbetragsbürgen den gesetzlichen Gesamtschuldregress nicht ausschließen kann. 180 Im Ergebnis ebenso Weitzel, JZ 1985, 829 f. Habersack vermutet, die Nebenbürgenklausel könne den Ausschluss des § 424 bezwecken, MüKo/Habersack, § 769 Rz 6. Dies ist möglich, allerdings gibt es keine Anhaltspunkte, dass es den Banken bei der Klausel ausgerechnet um den seltenen Fall des Annahmeverzugs geht.
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II. Die Höhe der Haftung im Außenverhältnis
Höchstbetragsbürge ist, darf er in keinem Fall mehr leisten als 20 000. Er haftet dem Gläubiger gegenüber daher dann nur noch in Höhe von 10 000. Die Zulassung des Gesamtschuldregresses würde daher dazu führen, dass die Hauptschuld nur in Höhe von 110 000 gesichert ist, ein Ergebnis, das die Klausel gerade ausschließen sollte181. Vor allem würde der Regress dazu führen, dass die vermeintliche Gesamtschuld über 20 000 im Außenverhältnis durch die Klausel gar nicht ausgeschlossen, sondern nur halbiert wird, weil G insgesamt nur 110 000 statt 120 000 verlangen kann. Auch auf dem Boden des Betragsdeckungsmodells ist daher ein Ausschluss der Gesamtschuld unter Aufrechterhaltung des Innenverhältnisses nicht möglich. Es ist bedauerlich, dass der BGH nie klargestellt hat, in welcher Höhe Höchstbetragsbürgen ohne Nebenbürgenklausel haften. Solange er sich dazu nicht äußert, werden die Banken die Klauseln zur Sicherheit weiter verwenden, wobei niemand wirklich weiß, welche Wirkung diese Klauseln eigentlich haben. Sicher ist aber, dass ein Ausschluss des Gesamtschuldverhältnisses im Außenverhältnis unter Beibehaltung des Innenverhältnisses sinnlos ist182.
Zusammenfassung Nach Gemeinem Recht und sämtlichen Regelwerken haftet jeder Mitbürge auf das Ganze. Diese Ganzhaftung wurde aber gemeinrechtlich und wird heute noch in Frankreich und in der Schweiz durch eine Einrede der Teilung abgemildert, wonach der in Anspruch genommene Mitbürge eine Aufteilung der geschuldeten Summe auf sämtliche zahlungsfähigen Mitbürgen verlangen kann. In das BGB wurde die Teilungseinrede mit gutem Grund nicht aufgenommen. Die, gegebenenfalls durch die Teilungseinrede abgemilderte, Ganzhaftung für gemeinschaftliche Mitbürgen bedeutete nach Gemeinem Recht und in den Nachbarrechtsordnungen eine Ausnahme zur Teilschuldvermutung, während sie sich nach dem Recht des BGB schon aus § 427 ergibt. Für Nebenbürgen hat die Teilschuldvermutung dagegen nie gegolten. Nach allgemeinen Regeln schuldet jeder Nebenbürge das, was er dem Gläubiger versprochen hat, also die Sicherung der Hauptschuld im Ganzen. Die gemeinrechtlich auch Nebenbürgen gewährte Teilungseinrede war daher eine sachlich schwer zu begründende Sonderregel. Nach dem Recht des BGB ist die Ganzhaftung jedes Nebenbürgen selbstverständlich; die Vorschrift des § 769 hat nur klarstellende Bedeutung. Sie kann abgedungen werden mit dem Ergebnis, dass die Mitbürgen entweder als Teilschuldner oder kumuliert (womit keine Bürgschaften mehr vorliegen würden) schulden; nicht möglich ist aber eine Abdingung der Gesamtschuld nur im Außenverhältnis unter Aufrechterhaltung des Gesamtschuldregresses. Bei 181 So zu Recht Reinicke/Tiedtke, JZ 1983, 897; M.Wolf, NJW 1987, 2473; MüKo/Pecher (1986), § 769 Rz 5; kritisch auch Soergel/Pecher, § 769 Rz 15. 182 Im Ergebnis ebenso M.Wolf, NJW 1987, 2473; Jürgens, Teilschuld, 30.
Zusammenfassung
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mehreren Höchstbetragsbürgen muss § 769 nicht ausgeschlossen werden, um ein Ergebnis zu vermeiden, wonach jede Bürgenzahlung die geschuldeten Höchstbeträge der Mitbürgen herabsetzt. § 769 sieht keine Gesamtschuld in Höhe der sich deckenden Höchstbeträge vor. Vielmehr besteht eine Gesamtschuld in Höhe der gesicherten Hauptschuld, die lediglich dadurch modifiziert ist, dass kein Bürge vom Gläubiger oder im Wege des Regresses über seinen Höchstbetrag hinaus in Anspruch genommen werden kann.
III. Das Verhältnis der Mitbürgschaft zu sonstigen Gruppen von Solidarschuldnern Sowohl nach Gemeinem Recht als auch nach den Regelwerken schuldete jeder Mitbürge (notfalls nur subsidiär) das Ganze. Zugleich befreite die Leistung eines Bürgen an den Gläubiger auch die Mitbürgen; die Verbindlichkeiten standen also im Verhältnis der Solutionskonkurrenz zueinander. Dies musste aber nicht notwendig bedeuten, dass unter Mitbürgen ein „Gesamtschuldverhältnis“ bestand. Hier kam es darauf an, was ein bestimmtes Recht unter einem Gesamtschuld-, Korreal- oder Solidarschuldverhältnis verstand. Bei den Regelwerken stellte sich die Frage, ob die jeweiligen allgemeinen Gesamtschuldvorschriften, die in erster Linie vertraglich vereinbarte Gesamtschuldverhältnisse und zumeist auch deliktische Tätermehrheiten regelten, auch auf Mitbürgen anwendbar sein sollten. Gemeinrechtlich ging die Frage dahin, ob es sich bei den Verbindlichkeiten von Mitbürgen um Korreal- oder Solidarobligationen oder um eine dritte Gruppe von Schuldnermehrheiten handelte.
1. Gemeines Recht a) Die Ausgangslage Die gemeinrechtlichen Schriftsteller stellten diese Frage zumeist nicht gesondert für Mitbürgen, sondern im Rahmen der umfassenderen Frage, ob die Verbindlichkeiten zwischen dem Bürgen und dem Hauptschuldner als Korrealschuld angesehen werden konnten. Dabei war stets selbstverständlich, dass man das Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner und das zwischen gewöhnlichen vertraglichen Gesamtschuldnern nicht gleichsetzen konnte. Die römischen Quellen unterschieden deutlich zwischen Bürgen und Hauptschuldner einerseits und duo rei, also Stipulationsgesamtschuldnern, andererseits1. Dem unterschiedlichen Sprachgebrauch entsprachen unterschiedliche Regeln. Schon die römische Bürgschaft war in bestimmtem Maße von dem Bestand, der Wirksamkeit und dem Fortbestehen der gesicherten Hauptschuld abhängig. Hierauf aufbauend entwickelte sich im Gemeinen Recht der Grundsatz der Akzessorietät der Bür1 Etwa Julian D.12,6,20; Marcian D.22,1,32,4–5; Scaevola D.46,3,93,1–3; Ulpian D.45,2,3,1, D.46,1,5; Paulus D.2,14,21,5 und l. 23–26, D.4,8,34, D.46,1,71 pr.
1. Gemeines Recht
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genhaftung (der allerdings nicht unbeschränkt galt). Wegen seiner besonderen Stellung genoss der Bürge bestimmte Vorteile, die dem gewöhnlichen Vertragsgesamtschuldner nicht ohne weiteres zustanden2. So konnte er grundsätzlich die Einreden des Hauptschuldners geltend machen3, etwa sich darauf berufen, dass die Hauptschuld auf einer Drohung oder einer Arglist des Gläubigers beruhte oder ohne Rechtsgrund zustande gekommen war4. Der Vergleich des Hauptschuldners mit dem Gläubiger befreite auch den Bürgen5. Dasselbe galt für einen nichtpersönlichen schuldrechtlichen Klageverzicht (pactum de non petendo in rem)6, sofern nicht ausnahmsweise der Bürge im Innenverhältnis verpflichtet war7. Umgekehrt kamen die Einreden des Bürgen dem Hauptschuldner in der Regel nicht zugute8. Auf einen zwischen dem Gläubiger und dem Bürgen vereinbarten Klageverzicht konnte er sich grundsätzlich nicht berufen9. Bei gewöhnlichen Vertragsgesamtschuldnern gab es dagegen kein derartiges Abhängigkeitsverhältnis. Zwar war es auch bei ihnen nicht ausgeschlossen, dass bestimmte Einreden auch dem Mitschuldner zugutekommen konnten. So befreite ein mit einem Stipulationsgesamtschuldner vereinbarter Klageverzicht auch den Mitschuldner, sofern unter den Gesamtschuldnern ein Gesellschaftsverhältnis bestand10. Anders als der Bürge im Verhältnis zum Hauptschuldner konnte sich der Stipulationsgesamtschuldner aber nur ausnahmsweise auf Einreden seines Mitschuldners berufen. Der Bürge wurde befreit, wenn dem Hauptschuldner gegenüber dem Gläubiger eine aufrechenbare Gegenforderung zustand11. Bei Stipulationsgesamtschuldnern galt dies nur, wenn unter ihnen ein Gesellschaftsverhältnis bestand12. Privilegiert wurde der Bürge auch in den Fällen der Konfusion. Vereinigten sich (durch Erbfall) die Personen des Gläubigers und des Hauptschuldners, wurde der Bürge frei, weil es keine zu sichernde Schuld mehr gab13. Beerbte der Gläubiger dagegen einen Stipulationsgesamtschuldner, blieb der andere verhaftet14. Ähnliches galt bei einer Konfusion unter den Schuldnern: Beerbte der Bürge den Hauptschuldner, haftete er nur 2
Zum Folgenden ausführlich Schmieder, Duo rei, 229 ff. Inst. 4,14,4; Ulpian D.17,1,10,12, D.46,1,32, D.46,3,43; Paulus D.44,1,19; Diocletian C.8,35,11. 4 Ulpian D.4,2,14,6; Paulus D.44,1,7,1; Julian D.46,1,15 pr.; Papinian D.46,1,49 pr. 5 Ulpian D.2,15,7,1; Paulus D.46,1,68,2. 6 Paulus D.2,14,21,5, D.44,1,7,1; Inst. 4,14,4. 7 Paulus D.2,14,32. 8 Ulpian D.4,2,14,6, D.17,1,10,12. 9 Paulus D.2,14,23; Julian D.12,6,32,1. Auch hier galt etwas anderes, wenn der Bürge im Innenverhältnis verpflichtet war, Paulus D.2,14,24. Im Ausnahmefall konnte der Hauptschuldner durch eine exceptio doli geschützt werden, Paulus D.2,14,25,2 – l. 26. 10 Paulus D.2,14,25 pr. Ausführlich Schmieder, Duo rei, 129 ff. 11 Paulus D.16,2,4; Gaius D.16,2,5. 12 Papinian D.45,2,10. 13 Afrikan D.46,1,21,3–4; Paulus D.46,1,71 pr.; Julian D.46,3,34,8; Alexander C.8,42,2. Im Fall der Konfusion zwischen Gläubiger und Bürge wurde der Schuldner dagegen nicht frei, Afrikan D.46,1,21,5; Paulus D.46,1,71 pr.; Ulpian D.46,3,43. 14 Paulus D.46,1,71 pr. 3
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III. Verhältnis der Mitbürgschaft zu sonstigen Gruppen von Solidarschuldnern
noch aus der Hauptschuld, während die Bürgenschuld wegfiel15. Beerbte ein Stipulationsgesamtschuldner den anderen, haftete er aus beiden Verbindlichkeiten16. Diese besonderen Privilegien des Bürgen mussten eine Gleichsetzung des Verhältnisses zwischen Bürgen und Hauptschuldner einerseits und des gewöhnlichen Gesamtschuldverhältnisses andererseits von vornherein verhindern. Im Verhältnis von Mitbürgen untereinander wirkten sie sich dagegen nicht aus. Die genannten Vorteile der Bürgenhaftung beruhten der Sache nach auf ihrer Akzessorietät. Ein Befreiungsgrund beim Hauptschuldner erstreckte sich auf den Bürgen, nicht umgekehrt. Eine Einrede, die nur die Schuld eines Bürgen betraf, kam daher weder dem Hauptschuldner noch den Mitbürgen zugute. So konnte sich ein Bürge grundsätzlich nicht auf einen Klageverzicht des Gläubigers gegenüber einem Mitbürgen berufen17. Beerbte ein Mitbürge den anderen, haftete er fortan wie bei der Stipulationsgesamtschuld aus beiden Verbindlichkeiten18. Die Verbindlichkeiten der Mitbürgen waren untereinander nur insofern verbunden, als sie von derselben Hauptschuld abhingen. Von den Einreden des Hauptschuldners profitierten alle Mitbürgen; nicht aber kam die Einrede eines Bürgen dem Mitbürgen zugute. Die Akzessorietät der Bürgenhaftung als solche stand also einer Gleichsetzung der Mitbürgen mit anderen Arten von Solidarschuldnern nicht im Wege. Während die Akzessorietät das Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner von gewöhnlichen Gesamtschuldverhältnissen unterschied, gab es auch eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Dies betraf nicht nur die Solutionskonkurrenz, die im Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner sowie im Verhältnis der Mitbürgen untereinander ebenso galt wie bei gewöhnlichen Gesamtschuldnern. Die gemeinrechtlichen Schriftsteller nahmen auch zur Kenntnis, dass die Klagenkonsumption des klassischen römischen Rechts außer bei Stipulationsgesamtschuldnern auch im Verhältnis zwischen Hauptschuldner und Bürge und damit auch unter Mitbürgen gegolten hatte. Es hatte also nicht nur die Klage gegen den Hauptschuldner die Bürgen befreit (was man noch mit der Akzessorietät der Bürgenhaftung hätte erklären können), sondern die Klage gegen einen Bürgen auch den Hauptschuldner und sämtliche Mitbürgen. Die Verbindlichkeiten der Mitbürgen erschienen unter diesem Blickwinkel enger verknüpft als die der deliktischen Mittäter, für welche die Quellen eine Klagekonkurrenz nicht überlieferten. Zudem bezeugten die Quellen auch andere Fälle der wechselseitigen Gesamtwirkung: Der förmliche schuldaufhebende Erlass (acceptilatio) gegenüber dem Hauptschuldner befreite den Bürgen19, aber die acceptilatio gegenüber dem Bür15 Venuleius D.45,2,13; Ulpian D.46,1,5; Julian D.46,1,14; Afrikan D.46,1,21,2–4, D.46,3,38,5; Papinian D.46,1,50, D.46,3,95,3; Scaevola D.46,3,93,2; Diocletian C.8,40,24. 16 Venuleius D.45,2,13; Ulpian D.46,1,5; Scaevola D.46,3,93,1. 17 Paulus D.2,14,23. Zum ausnahmsweisen Schutz durch die Arglisteinrede Paulus D.2,14,25,2– 26. 18 Afrikan D.46,1,21,1. 19 Gaius D.4,2,10,1, D.4,4,27,2; Ulpian D.34,3,5 pr.
1. Gemeines Recht
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gen befreite auch den Hauptschuldner20. Der Eid, mit dem der Hauptschuldner das Bestehen der Schuld abschwor, befreite den Bürgen21; umgekehrt befreite ein solcher Eid des Bürgen aber auch den Hauptschuldner22. Beide Gesamtwirkungen galten auch im Verhältnis unter Stipulationsgesamtschuldnern23. Sie beruhten offenbar darauf, dass die acceptilatio und der abschwörende Eid als Erfüllungssurrogat behandelt wurden24. Für die Novation überliefern die Quellen nur, dass die Novation mit dem Hauptschuldner den Bürgen befreit25. Die gemeinrechtliche Lehre ging aber davon aus, dass auch die mit einem Bürgen oder Vertragsgesamtschuldner vereinbarte Novation sämtliche Mitschuldner befreite. Ebenso nahm man überwiegend an, dass ein klageabweisendes Urteil sowohl im Verhältnis zwischen Bürgen, Hauptschuldner und Mitbürgen als auch im Verhältnis zwischen Vertragsgesamtschuldnern Gesamtwirkung hatte, also sämtliche Mithaftenden befreite26. Die Gesamtwirkung dieser Ereignisse (der schuldaufhebende Erlass, der abschwörende Eid, nach klassischem römischen Recht die Klageerhebung, nach gemeinrechtlicher Lehre die Novation und das klageabweisende Urteil) konnte nicht mit der Akzessorietät der Bürgenhaftung erklärt werden, weil sie auch in umgekehrter Richtung eintrat. Der Eintritt eines solchen Befreiungsgrunds in der Person eines Bürgen befreite nicht nur den Hauptschuldner, sondern auch sämtliche Mitbürgen. Es gab danach zwischen sämtlichen Mitbürgen und dem Hauptschuldner eine besondere rechtliche Verbindung, die auch unter Vertragsgesamtschuldnern bestand. Unter diesem Blickwinkel lag es nahe, die Bürgenverhältnisse mit den vertraglichen Gesamtschuldverhältnissen unter einem gemeinsamen Oberbegriff zusammenzufassen. Vertragliche Gesamtschuldverhältnisse waren der Kernbereich der gemeinrechtlichen Korrealobligation. In Betracht kam also, die Bürgenverhältnisse als besondere Formen der Korrealobligation anzusehen, die sich von gewöhnlichen Korrealobligationen durch die Akzessorietät der Bürgenhaftung unterschieden. Es gab jedoch auch einen gewichtigen Umstand, der gegen eine Qualifizierung der Bürgenverhältnisse als Korrealobligationen sprach. Nach gemeinrechtlicher Lehre wies die Korrealobligation nicht nur schuldnerbegünstigende, sondern auch schuldnerbelastende Gesamtwirkungen auf. Hierzu gehörte in erster Linie die Gesamtwirkung des Verschuldens: Hatte einer der Schuldner die verspro-
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Ulpian D.34,3,5,1, D.46,4,13,7 und l. 16,1; Gaius D.46,1,72. Paulus D.12,2,28,1, D.44,1,7,1; Pomponius D.12,2,42 pr. und § 3. 22 Paulus D.12,2,28,1; Pomponius D.12,2,42,1; Ulpian D. 44,5,1,3. 23 acceptilatio: Gaius D.4,4,27,2; Modestin D.5,2,12,3; Julian D.30,82,5; Ulpian D.34,3,3,3, D.46,4,16 pr.; Paulus D.34,3,29; Javolen D.45,2,2. Eid: Paulus D.12,2,28,3. 24 acceptilatio: Inst.3,29,1; Ulpian D.46,4,16 pr. Eid: Gaius D.12,2,27; Paulus D.12,2,28,1. 25 Scaevola D.46,1,60; Antoninus C.8,40,4. 26 Man stützte sich auf Pomponius D.12,2,42,3, wonach das klageabweisende Urteil gegenüber dem Hauptschuldner oder Bürgen jeweils auch den anderen befreit. Die Stelle ist offenbar verändert worden, denn nach klassischem Recht befreite wegen der Klagenkonkurrenz schon die Klageerhebung gegen den Hauptschuldner oder Bürgen den jeweils anderen. 21
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III. Verhältnis der Mitbürgschaft zu sonstigen Gruppen von Solidarschuldnern
chene Sache schuldhaft beschädigt oder zerstört, sollten nach herrschender Lehre auch die Mitschuldner Schadensersatz oder wenigstens den Sachwert schulden27. Demgegenüber sollte der Verzug eines Korrealschuldners zumindest im deutschsprachigen Rechtsraum die Mitschuldner nicht berühren28. Im Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner überlieferten die Quellen andere Regeln. Der Bürge haftete für den Verzug und wohl auch für das Verschulden des Hauptschuldners29. Umgekehrt musste aber der Hauptschuldner nicht für Leistungsstörungen durch den Bürgen einstehen. Zerstörte der Bürge schuldhaft die versprochene Sache, wurde der Hauptschuldner frei, während der Bürge aus seiner Bürgschaftsverbindlichkeit oder einer analogen Klage haften musste30. Beim Verzug haftete der Bürge also strenger als ein gewöhnlicher Korrealschuldner, was man mit der Akzessorietät der Bürgenhaftung erklären konnte. Mitbürgen mussten untereinander wie gewöhnliche Korrealschuldner nicht für den Verzug des anderen einstehen. Bei der Verschuldenshaftung waren die Bürgenverhältnisse demgegenüber im Vergleich zu gewöhnlichen Korrealobligationen privilegiert. Der Hauptschuldner haftete nicht für das Verschulden des Bürgen. Dies bedeutete zugleich, dass auch ein Mitbürge nicht für das Verschulden des anderen Mitbürgen einstehen musste. Zerstörte also einer der Bürgen die geschuldete Sache, wurden Hauptschuldner und Mitbürgen frei. Diese Regel war gemeinrechtlich unstrittig und auch sachlich angemessen, weil der Hauptschuldner bzw. Mitbürge den Hinzutritt eines weiteren Bürgen, den er sich nicht ausgesucht hatte, nicht verhindern konnte. Bei gewöhnlichen Korrealobligationen ging es demgegenüber in erster Linie um vertraglich vereinbarte Gesamtschuldverhältnisse, bei denen sich die Schuldner zur gemeinsamen Leistung zusammengetan hatten, so dass eine wechselseitige Verschuldenszurechnung eher gerechtfertigt werden konnte. Ein weiteres Hindernis bildete zumindest aus heutiger Sicht die Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung, die man nach Justinians Gesetz31 einhellig mit der Korrealobligation verband. Eine solche Gesamtwirkung mag zwar im Verhältnis zwischen Schuldner und Auftragsbürgen oder im Verhältnis unter gemeinschaftlichen Mitbürgen zu rechtfertigen sein, weil sich die Schuldner hier bewusst zusammengetan haben. Wenig sachgerecht erscheint es aber, die Verjährung gegenüber einem Bürgen dadurch unterbrechen zu lassen, dass der Gläubiger gegenüber einem Nebenbürgen, den sich der Bürge nicht ausgesucht hat und von dessen Existenz er gar nichts wissen muss, Klage erhebt oder ein Anerkenntnis entgegennimmt. Entsprechendes gilt im Verhältnis zwischen dem Hauptschuldner und dem unbeauftragten Bürgen, der sich ohne Kenntnis des Schuld27
Oben, 43, 48 f. Man stützte sich auf Pomponius D.45,2,18. So auch die Quellen: Marcian D.22,1,32,4; Paulus D.50,17,173,2. 29 Paulus D.19,2,54 pr., D.22,1,24,1, D.45,1,88 und l. 91,4–5, D.46,1,58,1; Scaevola D.38,1,44, D.45,1,127; Afrikan D.46,6,10. 30 Papinian D.4,3,19, D.46,3,95,1; Marcian D.22,1,32,5; Paulus D.45,1,88 und l. 91,4; Afrikan D.46,3,38,4. 31 Justinian C.8,39,5. 28
1. Gemeines Recht
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ners verpflichtet hat. Wer also die Bürgenverhältnisse zu den Korrealobligationen zählen wollte, musste nicht nur die Modifikationen der Bürgenhaftung durch das Akzessorietätsprinzip betonen, sondern sich auch mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit die schuldnerbelastenden Gesamtwirkungen der Korrealobligation auf Bürgenverhältnisse angewendet werden konnten.
b) Die gemeinrechtlichen Ansichten Ältere gemeinrechtliche Autoren wie Donellus, Cujas, Voet und Vinnius arbeiteten im Einklang mit dem Sprachgebrauch der römischen Quellen mit dem Begriff der duo rei, der vertraglich vereinbarte und testamentarische Gesamtschuldverhältnisse umfasste32. Für diese Gesamtschuldgruppen konnten auch die gemeinrechtlich angenommenen belastenden Gesamtwirkungen wie die des Verschuldens und der Verjährungsunterbrechung gerechtfertigt werden. Deliktische Mittäter waren danach keine duo rei, auch wenn sie mit diesen die Solidarhaft jedes Schuldners gemein hatten33. Auch das Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner sowie das Verhältnis mehrerer Mitbürgen wurde vom Begriff der duo rei ausgeschlossen. Hierfür berief man sich in erster Linie auf die Akzessorietät der Bürgenhaftung und die damit verbundenen Rechtsfolgenunterschiede im Vergleich zu gewöhnlichen Vertragsgesamtschuldnern34. Nach Donellus und Vinnius konnten duo rei durch Vertrag nur dann entstehen, wenn die Schuldner sich gemeinsam als Hauptschuldner verpflichteten35. Demnach waren offenbar selbst Mitbürgen, die sich gemeinschaftlich verpflichtet hatten, trotz der sachlichen Nähe zu gewöhnlichen Vertragsgesamtschuldnern keine duo rei. Später entwickelte sich ein weiterer Gesamtschuldbegriff, der neben vertraglichen auch gesetzliche Gesamtschuldverhältnisse umfasste. In Frankreich gilt dies für die Lehren von Domat und Pothier. Bei ihren Darstellungen der solidité erwähnen sie nicht nur vertraglich vereinbarte und testamentarische Gesamtschulden, sondern auch die solidarisch haftenden deliktischen Mittäter36. Mitbürgen aber werden hier nicht genannt. Die Ganzhaftung jedes Mitbürgen wird erst im Rahmen des Bürgschaftsrechts angesprochen, wo von einer solidité keine Rede ist37. Mitbürgen fielen also, anders als deliktische Mittäter, nicht unter den Ge32 Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,39(40), cap. 4, § 9, cap. 12, insbes. § 4; Cujas, Observationum, lib. 26, cap. 26; Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 3; Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst. 3,16(17),2, § 2. 33 Vgl. oben, 516 f. 34 Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,39(40), cap. 11, § 1; Cujas, Observationum, lib. 26, cap. 26; Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 1; Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst.3,16(17) pr., § 2. 35 Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,39(40), cap. 4, § 9; Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst.3,16(17) pr., § 2. 36 Domat, Loix civiles, §§ 1824 ff.; Pothier, Obligations, §§ 265 ff. 37 Domat, Loix civiles, § 1871; Pothier, Obligations, § 415 (der den Unterschied zur Mehrheit von Hauptschuldnern hervorhebt).
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III. Verhältnis der Mitbürgschaft zu sonstigen Gruppen von Solidarschuldnern
samtschuldbegriff. Dies kann mit der Akzessorietät der Bürgenhaftung, vielleicht auch mit der nur den Mitbürgen gewährten Teilungseinrede erklärt werden. Pothier rezipierte überdies die Lehre von Dumoulin, wonach bei einem durch das Verschulden oder während des Verzugs eines Gesamtschuldners eingetretenen Untergang der geschuldeten Sache sämtliche Mitschuldner in voller Höhe für den Wert dieser Sache einstehen müssen38. Diese Werthaftung und andere mit der solidité verbundenen belastenden Gesamtwirkungen (etwa die der Verjährungsunterbrechung) ließen sich außerhalb vereinbarter Gesamtschuldverhältnisse nur schwer rechtfertigen. Zwar umfasste Pothiers Gesamtschuldbegriff auch Schadensersatz-Schuldner, doch möglicherweise waren nur Mittäter gemeint, die sich freiwillig zusammengetan hatten; zudem spielte die Werthaftung bei Schadensersatzschulden praktisch keine Rolle. Zu den Mitbürgen aber gehörten unstrittig auch die Nebenbürgen, auf deren Rechtsverhältnis die genannten Gesamtwirkungen nicht erstreckt werden durften. Mit einem weiten Gesamtschuldbegriff arbeiteten im 18. Jahrhundert auch Kreittmayr, Höpfner und Glück. Die Korrealobligation umfasste bei ihnen vertragliche, testamentarische, deliktische und gesetzliche Gesamtschulden. Anders als bei Domat und Pothier wurde auch das Verhältnis unter Mitbürgen dazugezählt39. Ob für diese auch belastende Gesamtwirkungen der Korrealobligationen gelten sollten, ist nicht ganz klar. Die Gesamtwirkung des Verschuldens findet sich ohnehin nur bei Kreittmayr40, nicht bei Höpfner und Glück. Glück erwähnt aber die Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung41. Möglicherweise bildeten Mitbürgen innerhalb der Korrealobligation eine Sondergruppe, auf die nicht alle Regeln der Korrealität angewendet wurden. Nach der Keller/Ribbentrop’schen Wende im 19. Jahrhundert wandte man der Einordnung der Verhältnisse zwischen Bürge und Hauptschuldner und zwischen Mitbürgen innerhalb der Gesamtschulddogmatik besondere Aufmerksamkeit zu. Nun gab es zwei Gesamtschuldgruppen: Die Korrealobligationen, in erster Linie vertraglich vereinbarte Gesamtschulden, bildeten ein besonderes Rechtsinstitut und waren durch zahlreiche Gesamtwirkungen gekennzeichnet, wozu nach herrschender Lehre auch die des Verschuldens gehörte. Die Solidarobligationen, zu denen in erster Linie Gesamtschulden auf Schadensersatz zählten, hingen demgegenüber nur zufällig dadurch zusammen, dass die Leistung eines Schuldners die Obligationen der Mitschuldner gegenstandslos machte, so dass nur die Erfüllung und ihre Surrogate Gesamtwirkung hatten. Aus heutiger Sicht wären damit zumindest die Verbindlichkeiten der Nebenbürgen ideale Kandidaten für die Solidarobligationen gewesen: Unter ihnen gibt es keine durch Parteiwillen geschaffene Verbindung, sondern lediglich den Zusammenhang, dass nach 38
Oben, 51 f. Kreittmayr, Anmerkungen IV, 78 f. (anders das Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner, a.a.O., 555); Höpfner, Commentar, § 814; Glück, Pandecten IV, 510, 518. 40 Kreittmayr, Anmerkungen IV, 81. 41 Glück, Pandecten IV, 529. 39
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Leistung eines Nebenbürgen der Hauptschuldner und damit die übrigen Nebenbürgen frei werden. Dieser Einschätzung entspricht die gemeinrechtliche Einordnung des Verhältnisses mehrerer Kreditauftraggeber, die man im 19. Jahrhundert von den Bürgen unterschied. Da die Quellen für sie keine Klage-, sondern Solutionskonkurrenz überlieferten, wurden die Verbindlichkeiten mehrerer Kreditauftraggeber als Solidarobligationen angesehen42. Hierbei dachte man in erster Linie an den Fall, dass der Gläubiger dem Schuldner aufgrund voneinander unabhängiger Aufträge einen Kredit gewährt hatte. Jeder Kreditauftraggeber schuldete dann aus seinem Auftragsverhältnis das Ganze, doch weil der Gläubiger seine Auslagen insgesamt nur einmal erstattet bekommen konnte, wurden durch die Leistung eines Auftraggebers gewissermaßen zufällig auch die anderen frei43. Die Einordnung als Solidarobligationen entspricht dem von der herrschenden Lehre verwendeten offenen Begriff der Solidarschuld, der nichts weiter verlangte, als dass die Erfüllung eines Schuldners die Verbindlichkeiten der übrigen gegenstandslos machte44. Als Eisele und Binder aufgrund zahlreicher Interpolationsannahmen den Großteil der bisherigen Solidarobligationen zu den Korrealobligationen zählten und damit zu einem einheitlichen Gesamtschuldbegriff gelangten, der einen gewissen Zusammenhang der Verbindlichkeiten erforderte, blieben die Obligationen der unabhängigen Kreditauftraggeber außen vor: Dass die Erfüllung einer Obligation eine andere zufällig gegenstandslos machte, konnte kein rechtlich anerkanntes Gesamtschuldverhältnis begründen45. Die herrschende Lehre im 19. Jahrhundert aber ging einhellig von Solidarobligationen aus. Nicht ganz einig war man sich nur im Fall gemeinschaftlicher Kreditauftraggeber: Teilweise nahm man hier eine Korrealobligation an46, teilweise ging man wegen der überlieferten Solutionskonkurrenz auch hier von Solidarobligationen aus und begründete dies damit, dass das Recht den gemeinsamen Auftrag wie mehrere behandle47.
42 Ribbentrop, Correal-Obligationen, 90 Fn. 1; Thibaut, Pandekten (1834), § 136 Fn. 1; Savigny, Obligationenrecht I, 208 f.; Göschen, Obligationenrecht, § 373; Puchta, Institutionen, § 265; ders., Pandekten, § 233; Vangerow, Pandekten, § 573 Anm. 2 a.E.; Müller, Institutionen, § 97 Fn. 5; Girtanner, Bürgschaft, 71; Fitting, Correalobligationen, 148, 198; Brinz, KritBl 4 (1853), 42 f.; ders., Pandekten, § 257 bei Fn. 14; Samhaber, Correalobligation, 173, 176; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 221 f.; Windscheid, Pandekten, § 298 Fn. 16; Arndts, Pandekten, § 214; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 61 f., 138; Unger, JhJb 22 (1884), 296 f. Anders von Helmolt, Correal-Obligationen, 97 ff., und Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 39, nach denen Kreditauftraggeber zusammen mit Mitbürgen in eine Sonderkategorie der Nebenschuldner fielen. 43 Vgl. Fitting, Correalobligationen, 148; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 221 f.; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 61 f. 44 Oben, 730 f. 45 Eisele, AcP 77 (1891), 458 ff.; Binder, Korrealobligationen, 353. 46 Brinz, Pandekten, § 257 bei Fn. 14; Vangerow, Leitfaden III, 76; Eisele, AcP 77 (1891), 459 f.; Binder, Korrealobligationen, 351 ff. 47 Ribbentrop, Correal-Obligationen, 90 Fn. 1; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 138; Unger, JhJb 22 (1884), 296 f.
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III. Verhältnis der Mitbürgschaft zu sonstigen Gruppen von Solidarschuldnern
Bei Mitbürgen war die Einordnung demgegenüber nicht so einfach, weil einer Qualifikation als Solidarobligationen die überlieferte Klagenkonkurrenz im Wege stand, die das Fundament der Keller/Ribbentrop’schen Zweiteilung war. Die Bürgenverhältnisse mussten daher auf irgendeine Weise in die Gruppe oder zumindest in die Nähe der Korrealobligationen eingereiht werden. Nach der Keller/Ribbentrop’schen Lehre selbst waren sowohl Bürge und Hauptschuldner als auch Mitbürgen untereinander Korrealschuldner48. Aus der überlieferten Klagenkonkurrenz sollte hervorgehen, dass es nur eine einzige gemeinsame Obligation war, die den Hauptschuldner und sämtliche Bürgen verband49. Diese Obligationseinheit, welche die Korrealobligation charakterisierte, sollte auch der Grund sein für die Gesamtwirkung der acceptilatio, der Novation, des Eides und des klageabweisenden Urteils, die man für die Solidarobligationen ablehnte. Wegen der Akzessorietät der Bürgenhaftung sollte es sich aber um besondere, modifizierte Korrealobligationen handeln. Für gewöhnliche Korrealobligationen galt die Gesamtwirkung des Verschuldens, während der Hauptschuldner nach der eindeutigen Quellenlage nicht für das Verschulden des Bürgen (und der Bürge damit auch nicht für das Verschulden des Mitbürgen) eintreten musste. Diese Abweichung erklärte man mit der Akzessorietät der Bürgenhaftung: Der Bürge haftete, anders als der gewöhnliche Korrealschuldner, auch für den Verzug des Hauptschuldners, während der Hauptschuldner umgekehrt überhaupt nicht für den Bürgen haftete. Die überlieferte Klagenkonkurrenz bei den Bürgenverhältnissen führte also dazu, dass sie in die sachlich nicht recht passende Gruppe der Korrealobligationen eingeordnet wurden. Die unpassenden Rechtsfolgen im Leistungsstörungsbereich schob man dann mit dem Hinweis auf die Akzessorietät beiseite. Dies war freilich wenig überzeugend, wie zeitgenössische Kritiker monierten50: Die Akzessorietät konnte erklären, warum der Bürge auch für den Verzug des Hauptschuldners einstehen musste, nicht aber, warum der Hauptschuldner nicht für den Bürgen haften musste. Die Gesamtwirkung des Verschuldens beruhte nach der Keller/Ribbentrop’schen Lehre schließlich auf der Obligationseinheit, die auch im Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner bestehen sollte. Trotz dieser Schwäche war die Einordnung der Bürgenverhältnisse als akzessorische Korrealobligationen herrschende Lehre im 19. Jahrhundert. Sie findet sich nicht nur bei Vertretern der Keller/Ribbentrop’schen Einheitstheorie51, son48 Ribbentrop, Correal-Obligationen, 26 Fn. 5, 32 Fn. 13, 88 f., 106 ff.; ausführlich Samhaber, Correalobligation, 105 f., 169 ff. 49 Hierfür berief man sich auch auf Gaius D.44,7,1,8 (eadem obligatione). 50 Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 23; Kuntze, Singularsuccession, 153 f. 51 Appelius, AcP 16 (1833), 287; von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 412; Burchardi, Obligationenrecht, § 247; Thibaut, Pandekten (1834), § 136; von Scheurl, Institutionen, 3. u. 4. Aufl., § 140; Puchta, Institutionen, § 264; ders., Vorlesungen, § 234; Vangerow, Pandekten, § 573, Anm. 1, Nr. I 1, Anm. 2, Nr. 1, § 578, Anm. 2 I; Mühlenbruch, Pandekten, §§ 323, 482, 491; Göschen, Obligationenrecht, §§ 372, 374; Windscheid, KritÜb 6 (1859), 212, 228; ders., Pandekten, § 293 bei Fn. 9, § 297 Fn. 3, § 476 Nr. 1; E.Zimmermann, KritZ 5 (1859), 154 ff.; Müller, Institutionen, § 97; Wächter, Pandekten, § 177 II A 2, § 222 A III 2–3; Hasenbalg, Bürgschaft, 399 f., 521, 536, 632 f., 646.
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dern teilweise auch bei Autoren, welche die Korrealobligation anders konstruierten, sei es als Wahlschuldverhältnis (Girtanner, Fitting), als Obligationsmehrheit mit gemeinsamem Vermögensstoff (Kuntze) oder als eine aus Einzelobligationen bestehende Kollektivobligation (Unger)52. Die jeweilige besondere juristische Konstruktion sollte auch im Verhältnis zwischen Hauptschuldner und sämtlichen Bürgen bestehen. (Die Wahlschuldtheorie, wonach erst die Auswahl durch den Gläubiger festlegt, wer überhaupt Schuldner der einheitlichen Obligation wird, erwies sich bei ihrer Übertragung auf Bürgenverhältnisse freilich als besonders schwach: Trat der Bürge für eine schon bestehende Schuld ein, so musste dieses Rechtsgeschäft nach der Wahltheorie dazu führen, dass die zuvor bestehende gewöhnliche Schuld des Hauptschuldners zu einer bedingten oder schwebenden Schuld wurde53.) Die Gesamtwirkung des Verschuldens bei Korrealobligationen wurde von den namentlich genannten Autoren abgelehnt54, so dass die fehlende Verschuldenszurechnung bei den Bürgenverhältnissen kein dogmatisches Problem mehr darstellte. Allerdings verblieb die für Korrealobligationen unstrittige Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung. Es ist nicht klar, ob diejenigen, welche die Bürgenverhältnisse als akzessorische Korrealobligationen ansahen, der Meinung waren, dass die Verjährung gegenüber einem Bürgen durch ein Anerkenntnis eines Nebenbürgen unterbrochen werden konnte oder ob insoweit Sonderregeln für Bürgenverhältnisse gelten sollten. Eine zumindest vom Standpunkt der Einheitslehre aus ungewöhnliche Position vertrat Savigny. Bürge und Hauptschuldner waren im Sinne der Keller/Ribbentrop’schen Lehre durch eine gemeinsame Obligation verbunden; es handelte sich also um eine akzessorische Korrealobligation55. Mitbürgen waren dagegen nur mittelbar dadurch verbunden, dass jeder Mitbürge im Korrealschuldverhältnis zum selben Hauptschuldner stand, so dass die Leistung eines Bürgen, vermittelt durch den gemeinsamen Hauptschuldner, sämtliche Mitbürgen befreite. Ein unmittelbares Rechtsverhältnis sollte aber unter Mitbürgen, insbesondere unter Nebenbürgen, die voneinander nichts wissen mussten, nicht bestehen. Daher waren Mitbürgen untereinander für Savigny keine Korrealschuldner56. Derselben Ansicht war Brinz, für den die Einheit der Korrealobligation auf einer Vertretung in der Obligation beruhte. Der Bürge vertrat den Hauptschuldner und haftete daher korreal mit diesem, doch Mitbürgen vertraten sich gegenseitig nicht und waren daher untereinander keine Korrealschuldner57. Doch Savigny und Brinz 52 Girtanner, Bürgschaft, 39 ff., 74 ff., 79 ff., 396 ff.; ders., Stipulation, 253; Fitting, Correalobligationen, 144 Fn. 172, 188, 228 Fn. 252; Kuntze, Singularsuccession, 152 ff., 235 ff.; ders., Ius extraordinarium, 179, 181 f.; Unger, JhJb 22 (1884), 213 Fn. 10. 53 So ausdrücklich Fitting, Correalobligationen, 144 Fn. 172. 54 Girtanner, Bürgschaft, 404 ff.; ders., Stipulation, 265 Fn. 217; Fitting, Correalobligationen, 78 ff.; Kuntze, Singularsuccession, 150 ff.; Unger, JhJb 22 (1884), 247 ff.; ebenso vom Standpunkt der Einheitstheorie Windscheid, Pandekten, § 295 a.E. 55 Savigny, Obligationenrecht I, 147 f. 56 A.a.O., 278. 57 Brinz, KritBl 4 (1853), 19 f., 25; ders., Pandekten, §§ 237, 252 Nr. 4, 253, 255, 257.
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III. Verhältnis der Mitbürgschaft zu sonstigen Gruppen von Solidarschuldnern
blieben mit dieser Ansicht allein. Vom Standpunkt der Einheitslehre aus erschien sie nicht erklärlich. Wenn die Obligation des Bürgen dieselbe wie die des Hauptschuldners war, musste sie auch dieselbe wie die des Mitbürgen sein, und die so konstruierte Einheit der Obligation begründete gerade das Korrealschuldverhältnis58. Savigny selbst war zu seiner ungewöhnlichen Position offenbar nur deswegen gelangt, weil er bei Korrealobligationen einen Regress mittels fingierter Zession bejahte, bei Mitbürgen aber ein solches Regressrecht in den Quellen gerade abgelehnt wurde59. Eine Gruppe von Autoren schloss schließlich sowohl das Verhältnis zwischen Hauptschuldner und Bürgen als auch das unter Mitbürgen vom Begriff der Korrealobligation aus60. Sie verwies auf den Sprachgebrauch der Quellen, die zwischen duo rei und Mitbürgen unterschieden, sowie auf die besonderen Rechtsfolgen der Bürgenhaftung, die sich von gewöhnlichen Korrealobligationen unterschied. Gegen die Einheitstheorie wurde geltend gemacht, dass schon nach römischem Recht keine Obligationseinheit bestanden haben könne, wenn sich der Bürge mittels Stipulation (Verbalschuld) für eine Verbindlichkeit aus Realoder Konsensualvertrag verpflichtet habe. Über das genaue Abgrenzungskriterium bestand keine Einigkeit. Zunächst argumentierte man, die Korrealobligation setze einen einheitlichen Entstehungstatbestand voraus, der bei einer hinzutretenden Bürgschaft oder bei Nebenbürgen fehle61. Das Erfordernis eines einheitlichen Entstehungstatbestandes war sachlich nicht abwegig, weil es verhinderte, dass durch späteren Hinzutritt ein Korrealschuldverhältnis mit belastenden Gesamtwirkungen ohne Mitwirkung des Erstschuldners entstehen konnte. Zudem ermöglichte es, das Verhältnis unter gemeinschaftlichen Mitbürgen als Korrealschuldverhältnis anzusehen62. Die herrschende Lehre des 19. Jahrhunderts aber lehnte das Erfordernis ab. Insbesondere seitens der Mehrheitstheorie berief man sich, um die Bürgenverhältnisse aus der Korrealobligation auszuschließen, daher auf die Akzessorietät: Eine Korrealobligation könne nur unter prinzipalen Schuldnern entstehen63. Sachlich gerechtfertigt wurde dieses Erfordernis, abgesehen von der Terminologie der Quellen, allerdings nicht. Gemeinschaftliche Mitbürgen konnten danach nie Korrealschuldner sein, obwohl ihr 58
So Vangerow, Pandekten III, § 573, Anm. 3 a.E. (S. 85 f.); vgl. auch Kuntze, Singularsuccession, 238. 59 Hierzu unten, 1096. 60 Liebe, Stipulation, 214 ff., 221 ff.; Unterholzner, Schuldverhältnisse, §§ 86, 88, 179 Fn. k; Huschke, ZCRPr nF 4 (1847), 413 ff.; Bekker, Consumption, 221 ff.; ders., Aktionen, 317; von Helmolt, Correal-Obligationen, 19 ff., 33 ff., 37 ff., 97, 100 ff., 126 ff.; Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 12–13; Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 262 ff., 268 ff.; Dernburg, Pandekten II, § 76 Nr. 4; ebenso ohne Erwähnung der Mitbürgen Dworzak, KritÜ 4 (1857), 62, 69; Arndts, Pandekten, § 350 Anm. 4; Wendt, Pandekten, § 208 Nr. 2; Geib, Bürgschaftsrecht, 36 ff., 59 ff., 66 f., 75 f. 61 Liebe, Stipulation, 214 ff., 222 f.; Unterholzner, Schuldverhältnisse, §§ 86, 88 II; Huschke, ZCRPr nF 4 (1847), 413 ff. 62 So ausdrücklich Liebe, Stipulation, 223; Huschke, ZCRPr nF 4 (1847), 416 f. 63 von Helmolt, Correal-Obligationen, 37 ff., 97, 127 f.; Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 12–13; Bekker, Aktionen II, 317.
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Rechtsverhältnis im Wesentlichen dem unter gewöhnlichen Vertragsschuldnern entsprach. Vereinzelt näherte man das Verhältnis unter Mitbürgen auch trotz der Klagenkonkurrenz den Solidarobligationen an: Ebenso wie ein entstandener Schaden nur einmal ersetzt werden konnte, was zur Solidarhaft mehrere Schadensersatzschuldner führte, mussten Mitbürgen für einen Ausfall des Gläubigers einstehen, der nur einmal ersetzt werden konnte64. Schließlich rückte die prozessuale Seite der Klagenkonsumption in den Vordergrund. Der einheitliche Streitgegenstand (eadem res) sollte bei Stipulationsgesamtschuldnern auf einer einheitlichen causa in Gestalt des einheitlichen Versprechensakts, im Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner dagegen auf dem Eintritt für die fremde Schuld beruhen65. Den Begriff der Korrealobligation konnte man auf die durch eadem res verursachte Klagenkonkurrenz beziehen, so dass er sämtliche Bürgenverhältnisse umfasste66. Insbesondere wenn man an der Gesamtwirkung des Verschuldens bei der Korrealobligation festhielt, konnte man den Begriff aber auch auf Fälle der Klagenkonkurrenz wegen einheitlicher causa beschränken und die Bürgenverhältnisse damit ausschließen67. Insgesamt wurde über die Einordnung der Mitbürgen ins System der Gesamtschuldverhältnisse gemeinrechtlich keine Einigkeit erzielt68. Die auf die Klagenkonkurrenz aufbauende Zweiteilung der Gesamtschuldverhältnisse im 19. Jahrhundert eignete sich zwar, um vertragliche Gesamtschuldverhältnisse mit zahlreichen Gesamtwirkungen und deliktische Gesamtschuldverhältnisse mit wenigen Gesamtwirkungen zu unterscheiden, doch das Verhältnis unter Mitbürgen fügte sich in dieses System nicht ein. Dies lag in erster Linie an der überlieferten Klagenkonkurrenz. Überwiegend versuchte man, alle Bürgenverhältnisse, also das zwischen Hauptschuldner und Bürgen, das unter gemein-
64
Baron, Gesammtrechtsverhältnisse, 268 ff.; ähnlich Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 17, 30 f.,
52. 65
Bekker, Consumption, 182 ff., 221 ff.; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 112 ff.; Eisele, AcP 77 (1891), 423, 462. 66 So Binder, Korrealobligationen, 131 ff., 154 f. (wobei eine Gesamtwirkung des Verschuldens bei der Korrealobligation abgelehnt wurde, a.a.O., 263 ff.). 67 So Bekker, Consumption, 221 ff.; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 77 ff., 101 ff., 110 ff., 125; Dernburg, Pandekten II, §§ 70, 73 Nr. 2, 76 Nr. 4; und wohl auch Eisele trotz unklarer Terminologie, vgl. AcP 77 (1891), 374 f., 462, AcP 84 (1895), 297. 68 Dies gilt auch für die Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts. Vereinzelt hieß es, Hauptschuldner und Bürgen seien keine Korrealschuldner, etwa OGH Cassel, SeuffA 5 Nr. 265 (16.2.1852). Andere Gerichte bejahten im Sinne der herrschenden Lehre ein Korrealschuldverhältnis zwischen Hauptschuldner und sämtlichen Bürgen, mit der Folge der Gesamtwirkung des freisprechenden Urteils und des abschwörenden Eides, etwa OAG Celle, SeuffA 12 Nr. 12 (3.10.1856) und SeuffA 20 Nr. 129 (17.9.1866); ObG Wolfenbüttel, SeuffA 19 Nr. 22 (20.10. und 4.11.1864). Manche sprachen von einer Korrealobligationen unter Mitbürgen, etwa OAG Darmstadt, SeuffA 13 Nr. 95 (21.1.1859); OAG Jena, SeuffA 17 Nr. 144 (12.5.1854); manche nur für den Fall der gemeinschaftlichen Mitbürgschaft, etwa OAG Darmstadt, SeuffA 14 Nr. 234 (8.1.1841). Da die Gerichte lediglich den ihnen vorliegenden Fall entscheiden mussten, ohne ein weitergehendes System zu bilden, ist die Bedeutung der Qualifikation eines Gesamtschuldverhältnisses als Korrealobligation schwer einschätzbar.
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III. Verhältnis der Mitbürgschaft zu sonstigen Gruppen von Solidarschuldnern
schaftlichen Bürgen und das unter Nebenbürgen, einheitlich zu qualifizieren. Doch das Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner war durch die Akzessorietät der Bürgenhaftung geprägt, was umfassende, aber nur in eine Richtung gehende, Gesamtwirkungen, zur Folge hatte. Bei Nebenbürgen erschienen Gesamtwirkungen demgegenüber sachlich nicht angemessen, während sich das Verhältnis der gemeinschaftlichen Mitbürgen nicht grundlegend von sonstigen Vertragsgesamtschuldnern unterschied. Eine sachgerechte Qualifizierung gelang solange nicht, wie man an der Klagenkonkurrenz als Einordnungsmerkmal festhielt. Sachlich bestand das Problem in erster Linie in der Frage, ob die belastenden Gesamtwirkungen der Korrealobligation auch für Bürgenverhältnisse gelten sollten. Im Leistungsstörungsbereich war die Sonderrolle der Bürgen anerkannt, während es bei der Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung bis zuletzt unklar blieb, ob und warum sie auch im Verhältnis unter Nebenbürgen gelten sollte.
2. Die früheren Regelwerke Die Kodifikationen und Entwürfe enthielten ausführliche Vorschriften zum Gesamtschuldverhältnis, die unter anderem die Frage regelten, ob eine bestimmte „Tatsache“, etwa ein Erlass, ein Urteil oder eine Verjährungsunterbrechung, im Außenverhältnis Gesamt- oder nur Einzelwirkung hatte. Aus heutiger Sicht stellt sich damit für den Gesetzgeber die Frage, ob für Mitbürgen auf diese Gesamtschuldregeln verwiesen werden soll. Soweit eine Gesamtschuldregel die Einzelwirkung einer Tatsache vorsieht, ist es im Ergebnis ohne Belang, ob ihre Geltung für Mitbürgen angeordnet wird, da auch ohne eine gesetzliche Regelung die Gesamtwirkung von Tatsachen nicht vermutet wird. Ordnet aber eine Gesamtschuldregel die Gesamtwirkung einer Tatsache an, muss aus heutiger Sicht entschieden werden, ob diese Gesamtwirkung auch bei Mitbürgen gelten soll. Hier bietet es sich an, zwischen gemeinschaftlichen Mitbürgen und Nebenbürgen zu differenzieren. Haben sich die Bürgen gemeinschaftlich verpflichtet, spricht viel dafür, die für gemeinschaftliche vertragliche Verpflichtungen geltenden Gesamtschuldregeln auch auf sie anzuwenden. Bei Nebenbürgen, die nichts voneinander wissen müssen, können Gesamtwirkungen dagegen sachwidrig sein. Bei schuldnerbegünstigenden Gesamtwirkungen, etwa der gesamtbefreienden Wirkung der Novation oder des Erlasses, stellt sich die Frage, ob die Befreiung von Nebenbürgen, an die der Gläubiger vielleicht gar nicht gedacht hat, gerechtfertigt ist. Besonders problematisch aber sind für Nebenbürgen schuldnerbelastende Gesamtwirkungen, wie die des Verschuldens oder der Verjährungsunterbrechung, weil sie zur Benachteiligung eines Bürgen durch eine weitere Bürgschaft führen können, die er nicht verhindern konnte und von der er nichts wissen muss. Aus heutiger Sicht könnte ein Regelwerk sich also entweder dafür entscheiden, die Regeln der Vertragsgesamtschuld nur auf gemeinschaftliche Mitbürgen anzuwenden, oder dafür, ein Einheitsregime für alle Arten von Mitbürgen vorzuse-
2. Die früheren Regelwerke
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hen, wobei zu prüfen wäre, ob die einzelnen Gesamtschuldregeln auch für Nebenbürgen passen. Tatsächlich hat man der Frage, inwieweit die Gesamtschuldregeln zur Einzeloder Gesamtwirkung von Tatsachen auch auf Mitbürgen anwendbar sein sollen, offenbar nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Selbst dort, wo ein Regelwerk Mitbürgen zu Gesamtschuldnern erklärt, ist es nicht sicher, ob damit auch eine Geltung sämtlicher Gesamtschuldregeln verbunden war, wie man aus heutiger Sicht erwarten würde. Ein sicheres Ergebnis ist häufig nicht möglich. Vielleicht war die Antwort auf die Frage, ob eine bestimmte Gesamtschuldregel für Mitbürgen anwendbar ist, damals selbstverständlich und ist nur aus heutiger Sicht unklar. Möglich ist aber auch, dass die Geltung der Gesamtschuldregeln für Mitbürgen nie ganz geklärt war, so dass sich in den Regelwerken die geschilderte gemeinrechtliche Unsicherheit über der Qualifikation der Mitbürgschaft widerspiegeln würde.
a) Unterscheidung zwischen gemeinschaftlichen Mitbürgen und Nebenbürgen Ein Teil der Regelwerke unterscheidet zwischen gemeinschaftlichen Mitbürgen und Nebenbürgen. Deutlich ist das preußische ALR, das für gemeinschaftliche Mitbürgen auf seine Vorschriften zur Vertragsgesamtschuld verweist69. Für Nebenbürgen fehlt dieser Verweis; unter ihnen soll weder eine „gemeinsame Verbindlichkeit“ noch eine „gegenseitige Vertretung“ stattfinden70. Dies bedeutet offenbar, dass die für Vertragsgesamtschulden vorgesehene Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung und der Novation71 nur für gemeinschaftliche Mitbürgen, nicht für Nebenbürgen gilt72. Nach dem sächsischen BGB haften gemeinschaftliche Mitbürgen als Gesamtschuldner73, während es für Nebenbürgen keine Regeln gibt74. Da die Gesamtschuld des sächsischen BGB keinen Regress und fast keine Gesamtwirkungen kennt, beschränkt sich der Unterschied zwischen beiden Mitbürgenarten offenbar darauf, dass nur für gemeinschaftliche Mitbürgen die Gesamtwirkung der Novation75 gilt.
69
ALR I 14 § 374. ALR I 14 §§ 378–379. Danach gilt für Nebenbürgen lediglich die Ganzhaftung und die Solutionskonkurrenz; hierzu RGZ 7, 184 (3.3.1882). 71 ALR I 5 § 440, I 16 § 458. 72 Die preußische Literatur sieht den Unterschied zwischen gemeinschaftlichen und unabhängigen Mitbürgen allerdings nur im fehlenden Regressrecht der Nebenbürgen, ohne auf das Außenverhältnis näher einzugehen, vgl. Koch, ALR, zu I 5 § 378, Anm. 76; Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht I, § 63 bei Fn. 52 (S. 401); Gruchot, Gruch 3 (1858), 89. 73 SächsGB § 1458. 74 Nach Siebenhaar, Sächsisches Privatrecht, 706 Fn. 1, stehen Nebenbürgen in keinem Rechtsverhältnis zueinander. 75 SächsGB § 1028. 70
1078
III. Verhältnis der Mitbürgschaft zu sonstigen Gruppen von Solidarschuldnern
Auch der Hessische Entwurf regelt nur den Fall der gemeinschaftlichen Mitbürgen, die „sammtverbindlich“ haften sollen76. Ob dies aber eine allgemeine Verweisung auf die Gesamtschuldregeln (und damit auf die Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung77 und die Werthaftung der Mitschuldner im Falle der von einem verschuldeten Unmöglichkeit78) bedeuten soll, ist nicht sicher79. Der Sächsische Entwurf kennt beide Arten der Mitbürgschaft, sieht aber für gemeinschaftliche Mitbürgen Sonderregeln in Gestalt eines Regressrechts vor, das auch gegenüber einem Entlassenen besteht80. Nach den Motiven wurde das Rechtsverhältnis unter gemeinschaftlichen Mitbürgen nach dem Vorbild der Korrealobligation entwickelt, während es unter Nebenbürgen keine Korrealschuld geben soll81. An eine direkte Anwendung der Gesamtschuldregeln bei gemeinschaftlichen Mitbürgen, etwa der Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung und der Kündigung82, haben die Verfasser aber offenbar nicht gedacht, so dass die Unterscheidung zwischen gemeinschaftlichen und Nebenbürgen sich auf das Innenverhältnis beschränkt. Unterschiedliche Regeln für gemeinschaftliche Mitbürgen und Nebenbürgen kennt auch das Schweizer Obligationenrecht. Einfache gemeinschaftliche Mitbürgen haften für ihren Kopfteil unmittelbar und für die Anteile der übrigen als Nachbürgen83. Diese Konstruktion ist mit der Annahme eines gewöhnlichen Solidarschuldverhältnisses nicht vereinbar84. Über die Gesamt- und Einzelwirkungen von Tatsachen entscheidet hier das Akzessorietätsprinzip: Die Verjährung der Schuld oder die Entlassung eines Mitbürgen kommt den übrigen in Höhe seines Anteils zugute; umgekehrt müssen die Mitbürgen für den Verzug und das Verschulden eines Bürgen in Höhe seines Anteils einstehen. Einfache Mitbürgen sind daher Teilschuldner, die sich gegenseitig verbürgen85. Sie wären nur von einem besonders weiten Gesamtschuldbegriff umfasst, der auch das Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner einschließt. Die Frage nach der Solidarität stellt sich aber bei gemeinschaftlichen Solidarbürgen. Für sie wird die Anwendbarkeit der Solidarschuldvorschriften der Art. 143 ff. OR wohl überwiegend bejaht86. Teilweise ist aber nur von einer An76
HessE IV 2 Art. 598 i.V.m. Art. 584. Hess. Verjährungsgesetz, Art. 28. 78 HessE IV 1 Art. 240. 79 Dagegen spricht, dass die beschränkte Gesamtwirkung des Einzelerlasses für Mitbürgen besonders geregelt wird (HessE IV 1 Art. 350), obwohl sie sich schon aus den Gesamtschuldvorschriften ergeben würde (HessE IV 1 Art. 346). Nach den Motiven zum HessE IV 2, S. 229, soll aus der Natur der Solidarverbindlichkeit der gemeinschaftlichen Mitbürgen lediglich die Solutionskonkurrenz und die beschränkte Gesamtwirkung des Einzelerlasses folgen. 80 SächsE §§ 875, 881. 81 Motive zu SächsE § 875. 82 SächsE § 601. 83 OR 1881, Art. 496 I i.V.m. Art. 497; OR 1911 und OR 1941, Art. 497 I i.V.m. Art. 498. 84 A. Guhl, Passive Korrealität, 213; Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 37 ff.; ungenau Vischer, ZSchwR 29 (1888), 57. 85 Zur Abgrenzung dieser Schuldenmehrheit vom Gesamtschuldverhältnis oben, 550 f., 647 f. 86 Vischer, ZSchwR 29 (1888), 57; A. Guhl, Passive Korrealität, 215; ZürK/Oser, Art. 497 OR Anm. 2; Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 50, 52, 71; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 497 OR Rz 35; Scyboz, Bürgschaft, 454 f.; Bucher, OR BT, § 17 XI 6; ObG Luzern, SJZ 37, 236 (27.6.1939). 77
2. Die früheren Regelwerke
1079
wendung der Regressvorschriften der Art. 148 f. OR die Rede87; teils wird die Solidarität deswegen in Zweifel gezogen, weil der Solidarmitbürge nach der Reform von 1941 nur noch dann auf das Ganze haftet, wenn der Gläubiger auch die anderen Solidarmitbürgen belangt88. Für das Außenverhältnis relevant ist wohl nur, ob die in Art. 136 OR angeordnete Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung auch für Solidarmitbürgen gilt. Diese Vorschrift wird heute vielfach als unbefriedigend empfunden; allerdings besteht wenig Grund, sie bei gewöhnlichen gemeinschaftlichen Vertragsverpflichtungen, nicht aber bei der gemeinschaftlich eingegangenen Solidarbürgschaftsverpflichtung anzuwenden. Das Rechtsverhältnis der Nebenbürgen wurde bis zur Reform von 1941 überhaupt nicht geregelt. Seitdem findet sich eine Vorschrift, wonach Nebenbürgen auf das Ganze haften und einen anteiligen Regress haben89. Die Frage, ob Nebenbürgen Solidarschuldner i.S.d. Art. 143 ff. OR sind, wird überwiegend verneint; es soll sich um eine bloße Anspruchskonkurrenz handeln90, wie sie auch bei Art. 51 OR angenommen wird91. Auch hier ist im Außenverhältnis praktisch wohl nur die Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung von Bedeutung, die bei Nebenbürgen sachwidrig erscheint. Die Trennung zwischen gemeinschaftlichen Mitbürgen und Nebenbürgen ermöglicht es also, bestimmte für die Vertragsgesamtschuld vorgesehene Gesamtwirkungen auf den Fall der gemeinschaftlichen Mitbürgschaft zu beschränken und damit zu sachgerechten Differenzierungen zu gelangen. Auf der anderen Seite führt dieser Weg zu Abgrenzungsproblemen bei der Frage, wann genau eine gemeinschaftliche Mitbürgschaft vorliegt. So könnte man entweder auf einen gemeinschaftlichen Vertragswillen oder lediglich auf die Kenntnis der anderen Bürgschaft abstellen und zudem danach unterscheiden, ob der Gläubiger die Gemeinschaftlichkeit mitvereinbart, erkennt oder erkennen muss. Über die Abgrenzungsfrage im Schweizer Recht wurde schon berichtet92; ähnliche Probleme stellten sich im preußischen Recht93. Ein Teil der Regelwerke vermied das Problem durch einheitliche Regeln für gemeinschaftliche Mitbürgen und Nebenbürgen. Unter ihnen nimmt der französische Code Civil eine Sonderstellung ein.
87 Lerch/Tuason, Bürgschaft, 32; T. Guhl, Obligationenrecht, § 57 II f; BernK/Giovanoli, Art. 497 OR Rz 25; BGE 53 II 25 (24.1.1927). 88 Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 497 OR Rz 26. Zur eingeschränkten Teilungseinrede des Solidarbürgen nach Art. 497 II OR 1941 oben, 1048 ff. 89 OR 1941, Art. 497 IV. 90 A. Guhl, Passive Korrealität, 215 f.; ZürK/Oser, Art. 497 OR Anm. 2 a; Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 497 OR Rz 67; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 497 OR Rz 75; dagegen ausführlich Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 34, 53 ff., 71, 73 ff. 91 Oben, 545, 687 f. 92 Oben, 1045. 93 Vgl. Gruchot, Gruch 3 (1858), 89; Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht I, § 63 bei Fn. 101 (S. 411); Dernburg, Preußisches Privatrecht II, § 246 a.E.; ROHGE 2, 349, 353 (3.6.1871); ROHGE 18, 171, 173 (18.9.1875).
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III. Verhältnis der Mitbürgschaft zu sonstigen Gruppen von Solidarschuldnern
b) Die Regelung des Code Civil Für Mitbürgen, die sich ohne besondere Abreden verpflichten (einfache Mitbürgen), sieht der CC im Einklang mit den Darstellungen bei Domat und Pothier eine Sonderregelung außerhalb der allgemeinen Gesamtschuldvorschriften vor94. Die Literatur betont, dass einfachen Mitbürgen anders als gewöhnlichen Gesamtschuldnern die Teilungseinrede zusteht95. Nach der gemeinrechtlichen Erfahrung muss allerdings das Bestehen einer Teilungseinrede die Qualifikation als Gesamtschuldverhältnis nicht notwendig ausschließen. Das Sonderregime für Mitbürgen erklärt sich vor allem auch durch die exzessiven Nebenwirkungen der gesetzlich geregelten Gesamtschuld (solidarité): Hier begründet der Untergang der geschuldeten Sache infolge des Verschuldens oder während des Verzugs eines Gesamtschuldners für die Mitschuldner eine Werthaftung, und die verzugsbegründende Mahnung, die Verjährungsunterbrechung und nach der Rechtsprechung auch das Urteil wirken für und gegen alle Gesamtschuldner96. Bei einfachen Mitbürgen ist eine solidarité und damit auch eine Geltung dieser Gesamtwirkungen nach heute allgemeiner Ansicht ausgeschlossen97. Dies gilt nicht nur für Nebenbürgen, bei denen die Gesamtwirkungen von vornherein als unsachgemäß erscheinen, sondern auch für gemeinschaftliche Mitbürgen. Hier kann der Ausschluss der Gesamtwirkungen damit gerechtfertigt werden, dass für Vertragsschuldner, die sich gemeinsam verpflichten, grundsätzlich die Teilschuldvermutung gilt, so dass es zur solidarité und ihren Nebenwirkungen ohnehin nur bei besonderer Abrede kommt, während die (teilweise subsidiäre) Ganzhaftung der gemeinschaftlichen Mitbürgen auch ohne besondere Vereinbarung eintritt. Weil die Haftung einfacher Mitbürgen die Nebenwirkungen der solidarité nicht kennt, sprechen einzelne Autoren von einer solidarité imparfaite98 bzw. von einer obligation in solidum99. Mehrheitlich wird aber auch diese Einordnung vermieden, offenbar deswegen, weil wegen der Teilungseinrede keine unmittelbare, sondern nur eine subsidiäre Ganzhaftung besteht. In der Praxis dominiert allerdings nicht die einfache, sondern die Solidarbürgschaft. Hier sorgt Art. 2298 (Art. 2021 a.F.) CC für Probleme, wonach für einen Bürgen, der sich solidarisch mit dem Hauptschuldner verpflichtet, nicht die Einrede der Vorausklage, sondern die Regeln der solidarité gelten sollen. Der Umfang dieser Verweisung auf die Art. 1200 ff. CC ist bis heute nicht ganz ge94
CC Art. 2302 ff. (vor 2006: Art. 2025 ff.). Colin/Capitant, Cours II, 738, 749; Aynès/Crocq, Sûretés, vor § 144; Dumortier, JCP 1986 II 20689, II B. 96 CC Art. 1205–1207 und Art. 2245 (a.F. Art. 2249); hierzu oben, 51 ff. 97 Aubry/Rau, Droit Civil III, § 426 Fn. 17; Marcadé/Pont, Explication IX, § 192; Demante/ Colmet, Cours VIII, § 256; Aynès/Crocq, Sûretés, vor § 144. Dies war im 19. Jahrhundert noch strittig, siehe Marcadé/Pont, a.a.O., m.w.N. 98 Marcadé/Pont, Explication IX, § 192. 99 Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1089; Ferid, Französisches Zivilrecht I (1971), Rz 2 E 93. Zu diesen Figuren oben, 533 ff. 95
2. Die früheren Regelwerke
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klärt100. Die herrschende Lehre betont, dass auch für den Solidarbürgen die allgemeinen Bürgschaftsregeln, insbesondere die Akzessorietät seiner Haftung, gälten, so dass er von den Einreden (Art. 2313 [aF Art. 2036] CC) und von einer aufrechenbaren Gegenforderung des Hauptschuldners (Art. 1294 I CC) Gebrauch machen könne101. Zugleich aber sollen im Verhältnis zwischen Solidarbürgen und Hauptschuldner zumindest nach der Rechtsprechung die wechselseitigen Nebenwirkungen der solidarité gelten, etwa die Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung und des Urteils102. Entsprechend verhält es sich bei der Bürgenmehrheit103. Verpflichten sich die Bürgen mit dem Hauptschuldner und untereinander solidarisch, sollen nicht nur die Einreden der Vorausklage und Teilung ausgeschlossen sein, sondern auch die Nebenwirkungen der solidarité gelten; verpflichten sich die Bürgen nur untereinander solidarisch, fällt lediglich die Teilungseinrede weg, und die solidarité mit ihren Nebenwirkungen besteht nur unter den Bürgen104. Nach einem Teil der Literatur soll der Verweis des Art. 2298 lediglich zu einer Anwendung der gesetzlich vorgesehenen Nebenwirkungen, also der Art. 1205–1207 CC führen, nicht aber zur Annahme einer wechselseitigen Vertretung und damit nicht zur Gesamtwirkung eines Urteils105. Verpflichten sich Nebenbürgen als Solidarschuldner, erscheint die Annahme von belastenden Gesamtwirkungen im Verhältnis der Bürgen untereinander besonders unsachgemäß. Rechtsprechung und Literatur nehmen daher an, jeder Bürge habe sich lediglich solidarisch mit dem Hauptschuldner verpflichtet, so dass keine solidarité unter den Bürgen bestehe106. Demgemäß sollen die Sekundärwirkungen nur im Verhältnis des jeweiligen Bürgen mit dem Hauptschuldner gelten. Dies bedeutet offenbar, dass die Klage gegen einen Bürgen nur die Verjährung gegen ihn und gegen den Hauptschuldner unterbricht107, die Klage gegen
100 Hierzu ausführlich Dumortier, JCP 1986 II 20576, Teil I; Schmid, Mehrheit, 31 ff. Zur Anwendung der schuldnerbegünstigenden Gesamtwirkung des Erlasses (Art. 1285 I CC) und der Novation (Art. 1287 I CC) auf Mitbürgen unten, 1114 ff. 101 Aubry, DP 1882, 441; Donnedieu de Varres, DP 1913 II 65; Colin/Capitant, Cours II, 741, 749; Planiol/Ripert/Savatier, Droit civil XI, § 1539; Simler, Cautionnement, §§ 86, 88; Cabrillac/ Mouly, Sûretés, § 374; Farge, Sûretés, §§ 77 f. 102 Simler, Cautionnement, §§ 87, 539 ff.; Schmid, Mehrheit, 59 ff.; s.a. Colin/Capitant, Cours II, 741, 749; Planiol/Ripert/Savatier, Droit civil XI, § 1539. 103 Strittig war hier etwa, ob bei einem Verzicht des Gläubigers auf die Ganzhaftung Art. 1215 oder, wie nun angenommen, Art. 2304 (vor 2006: Art. 2027) gelten sollte, vgl. Cass civ (7.6.1882), DP 1882,441; Donnedieu de Varres, DP 1913 II 65; Colin/Capitant, Cours II, 741; Simler, Cautionnement, § 540. 104 Ausführlich Simler, Cautionnement, §§ 89 f., 538 ff.; ferner Aynès/Crocq, Sûretés, §§ 146, 148; Farge, Sûretés, §§ 78 f. 105 Cabrillac/Mouly, Sûretés, § 380; s.a. Simler, Cautionnement, § 543; Veaux/Veaux-Fournerie, FS Weill, 547, §§ 4, 8 ff. 106 Cass 1 civ (23.6.1992), Bull civ I Nr. 192; Dumortier, JCP 1986 II 20689, II B; Aynès/Crocq, Sûretés, § 146; Simler, Cautionnement, §§ 91, 553; Cabrillac/Mouly, Sûretés, § 378; Mestre/Tian, Solidarité, § 12; Schmid, Mehrheit, 85 f. 107 Dies könnte allerdings wegen des Akzessorietätsprinzips auch den zweiten Bürgen betreffen, so Schmid, Mehrheit, 72.
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III. Verhältnis der Mitbürgschaft zu sonstigen Gruppen von Solidarschuldnern
den Hauptschuldner dagegen die Verjährung gegen sämtliche Schuldner. Nicht geklärt ist, ob der Ausschluss der solidarité wieder zur Einrede der Teilung führt oder ob jeder Mitbürge ganz, aber ohne Gesamtwirkungen schuldet108. Zumindest aus deutscher Sicht ist die Rechtslage wenig übersichtlich. Dies liegt nicht nur daran, dass die Bedeutung einer „solidarischen“ Verpflichtung bei Bürgen unklar ist, sondern auch daran, dass Art. 2298 CC ohne Not zwei unterschiedliche Fragen miteinander verbindet: Die Frage, ob auf die Einreden der Vorausklage und/oder der Teilung verzichtet wird, ist eine andere als die, ob damit auch besondere Gesamtwirkungen im Verhältnis des Bürgen zum Hauptschuldner und/oder zu den Mitbürgen gewollt sind. Da der Wortlaut des Art. 2298 Mitbürgen nicht erwähnt, wäre es angesichts der umfassenden Sekundärwirkungen der solidarité wohl vorzuziehen, für ihr Verhältnis untereinander Art. 1202 anzuwenden und eine solidarité unter den Mitbürgen nur dann anzunehmen, wenn sie gemeinschaftlich vereinbart wurde.
c) Mitbürgen als Gesamtschuldner In den übrigen Regelwerken wird die Mitbürgschaft dagegen zu den Gesamtschuldverhältnissen gezählt, doch der Umfang der Verweisung auf die Gesamtschuldvorschriften ist nicht immer klar. Nach § 1359 des österreichischen ABGB haften Mitbürgen auf das Ganze und haben „gleich dem Mitschuldner (§ 896)“ ein anteiliges Regressrecht. Nach Ansicht des Gesetzgebers waren Mitbürgen, nachdem man sich gegen die Teilungseinrede entschieden hatte, Korrealschuldner109. Auch heute wird § 1359 ABGB in Österreich einhellig als Gesamtschuldanordnung verstanden, so dass die §§ 891 ff. ABGB anwendbar sind110. Die Vorschrift sollte nach der gesetzgeberischen Absicht gleichermaßen gemeinschaftliche Mitbürgen und Nebenbürgen umfassen111. Im 19. Jahrhundert beschränkte man den Tatbestand jedoch zumeist auf gemeinschaftliche Mitbürgen. Nebenbürgen sollten durch kein Rechtsverhältnis miteinander verbunden sein112. Für 108 Im ersteren Sinne Aynès/Crocq, Sûretés, § 146; im zweiteren Sinne Cass com (18.10.1983), Bull civ IV Nr. 266; Cass 1 civ (23.6.1992), Bull civ I Nr. 192; Dumortier, JCP 1986 II 20689, II B; Simler, Cautionnement, §§ 91, 553; vgl. Schmid, Mehrheit, 70 ff.; und oben, 1047. Simler und Dumortier sprechen hier folgerichtig von einer obligation in solidum; gegen diesen Ausdruck aber Cass com (18.10.1983), Bull civ IV § 266. 109 Ofner, Ur-Entwurf II, 220 f. 110 Zeiller, ABGB, § 891 Anm. 1; Nippel, ABGB, § 891 Anm. 1; Stubenrauch, ABGB, § 891 Anm. II 3 d; Klang/Gschnitzer, ABGB, § 891 Anm. I 2 a; Gschnitzer, SR AT, Kap. 27 C I; Ehrenzweig/Mayrhofer, System II/1, § 14 VI 1 a; Rummel/Gamerith, ABGB, § 891 Rz 8, § 1359 Rz 1; KBB/P. Bydlinski, § 889 ABGB Rz 4; Schwimann/Apathy/Riedler, ABGB, § 889 Rz 5; Rudolf, Schuldnermehrheiten, 127; Klang/Perner, ABGB, § 891 Rz 7. 111 Ofner, Ur-Entwurf II, 444. 112 Nippel, ABGB, § 1359 Anm. 3; Winiwarter, Bürgerliches Recht V, § 15; Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 84 f.; Stubenrauch, ABGB, § 1359 Anm. 2; OGH, GlU Nr. 8353 und 13114 (30.3.1881 und 22.1.1890).
2. Die früheren Regelwerke
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das Außenverhältnis spielt es an sich keine Rolle, ob ein Gesamtschuldverhältnis i.S.d. §§ 891 ff. ABGB angenommen wird oder nicht, weil das ABGB bei der Gesamtschuld keine Gesamtwirkungen kennt. Soweit man aber im 19. Jahrhundert eine Gesamtwirkung des Verschuldens annahm113, erscheint die Herausnahme der Nebenbürgen aus dem Gesamtschuldtatbestand konsequent. Heute ist man sich aber darüber einig, dass § 1359 für alle Arten von Mitbürgen gilt114. Im CMBC, im Züricher Gesetzbuch und im Bayrischen Entwurf gibt es ebenfalls einheitliche Regeln für gemeinschaftliche Mitbürgen und Nebenbürgen. Der bayerische CMBC nennt Mitbürgen als einen Fall gesetzlicher Korrealität115; unklar ist aber, ob die für Korrealschulden angeordnete Gesamtwirkung von Tatsachen, insbesondere die des Verschuldens116, auch für Nebenbürgen gelten soll. Das Züricher Gesetzbuch ordnet für einfache Mitbürgen eine Subsidiär-Gesamtschuld und für Solidarbürgen eine Solidarschuld an117. Ob damit auch die für Subsidiär-Gesamtschulden und Solidarschulden geltende Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung118 insbesondere auf Nebenbürgen Anwendung findet, ist nicht sicher119. Nach dem Bayerischen Entwurf haften Mitbürgen, zu denen auch Nebenbürgen gehören, als Gesamtschuldner120. Die Motive rechtfertigen diese Regel mit der unmittelbaren Ganzhaftung jedes Mitbürgen121. Ob aber auch die für Gesamtschulden geltende Gesamtwirkung der Verjährungsunterbrechung und der Novation122 insbesondere auf Nebenbürgen anwendbar sein soll, wird nicht gesagt. Schließlich sieht auch der Dresdener Entwurf, der den Bürgschaftsberatungen des BGB zugrunde lag, für sämtliche Mitbürgen eine Haftung als Gesamtschuldner vor123. Die Anwendung der allgemeinen Gesamtschuldregeln auf Nebenbürgen ist hier unschädlich, weil der Dresdener Entwurf keine schuldnerbelastenden 113
So Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 121 f.; vgl. noch Ehrenzweig/Mayrhofer, System II/1,
§ 15 I. 114 Pfaff, GrünZ 2 (1875), 315; Hasenöhrl, Obligationenrecht II, § 80 III 2; OGH GlUNF Nr. 1958, 5696 und 7414 (24.6.1902, 10.2.1909 und 27.4.1915); Klang/Ohmeyer, ABGB, § 1359 Anm. 1; Ehrenzweig/Mayrhofer, System II/1, § 22 III; Schwimann/Mader/Faber, ABGB, § 1359 Rz 6; KBB/P. Bydlinski, § 1359 ABGB Rz 1; Rudolf, Schuldnermehrheiten, 127; Klang/Perner, ABGB, § 891 Rz 7. 115 CMBC IV 1 § 21 Nr. 7 i.V.m. IV 10 § 9 Nr. 6; hierzu Kreittmayr, Anmerkungen IV, 78 f. Zur Einbeziehung der Nebenbürgen vgl. CMBC IV 10, §§ 12–13. Ebenso CMBC-RevE 1811, IV 1 § 27 Nr. 2 i.V.m. IV 10. 116 CMBC IV 1 § 21 Nr. 4; ähnlich CMBC-RevE 1811, IV 1 § 27 Nr. 7 (Verschulden), § 29 Nr. 5 (Verjährungsunterbrechung). 117 ZürGB §§ 1797–1798 i.V.m. § 935; vgl. Bluntschli, ZürGB, zu § 935, Anm. b. Zur Einbeziehung der Nebenbürgen Bluntschli, ZürGB, Anm. zu § 1805. 118 ZürGB § 1071. 119 Dagegen spricht, dass Regress und Forderungsübergang bei Mitbürgen in besonderen Vorschriften geregelt sind (ZürGB §§ 1801, 1805), obwohl sie sich eigentlich schon aus den Regeln zur Subsidiär-Gesamtschuld und Solidarschuld (ZürGB §§ 942, 948, 1027) ergeben müssten. 120 BayE II Art. 873. Zur Einbeziehung der Nebenbürgen Motive zum BayE II, 263. 121 Motive zu BayE II, 263. 122 BayE II Art. 231 III, 238 II. 123 DresdE Art. 933.
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III. Verhältnis der Mitbürgschaft zu sonstigen Gruppen von Solidarschuldnern
Gesamtwirkungen kennt, so dass allenfalls überlegt werden müsste, ob die für die Gesamtschuld vorgesehene Gesamtwirkung der Schuldübernahme und des Erlasses in Form einer Quittung124 für Nebenbürgen immer sachgerecht ist.
3. Die Lage nach dem BGB a) Die Haltung des Gesetzgebers Bei den Beratungen zum BGB war es von Anfang an selbstverständlich, dass Mitbürgen Gesamtschuldner i.S.d. heutigen §§ 421 ff. sein sollten. Von Kübel bezeichnete sogar das Verhältnis zwischen Bürge und Hauptschuldner als akzessorisches Gesamtschuldverhältnis125 und fügte in seinem Vorlageentwurf von 1879 der Regel, dass ein Gesamtschuldner nicht mit der Forderung eines anderen Gesamtschuldners aufrechnen kann126, eine Sonderbestimmung bei, wonach dem Bürgen die Aufrechnung mit einer Forderung des Hauptschuldners gestattet war127. Die Vorschrift ist in von Kübels Teilentwurf von 1882 nicht mehr enthalten. Die Regeln zur Einzelbürgschaft wollte man nun wohl geschlossen dem Bürgschaftsrecht überlassen. Dass aber Mitbürgen durch ein Gesamtschuldverhältnis verbunden waren, stand sowohl für von Kübel als auch für die Erste Kommission schon bei den Gesamtschuldberatungen fest128. Bei den Bürgschaftsberatungen billigte die Erste Kommission dann die Vorschrift des Dresdener Entwurfs, wonach Mitbürgen Gesamtschuldner sein sollten129. Beraten wurde hier nur darüber, ob man bei gemeinschaftlicher Verbürgung die Schweizer Konstruktion von Teilschulden mit gegenseitiger Verbürgung übernehmen sollte130. Soweit die Mitbürgen aber unmittelbar auf das Ganze hafteten, wie es für Nebenbürgen unstrittig war und dann auch für gemeinschaftliche Mitbürgen beschlossen wurde, bestand Einigkeit darüber, dass die Gesamtschuldregeln anwendbar sein sollten. Die Alternative, wie insbesondere im französischen Recht eigene Regeln für Mitbürgen außerhalb der Gesamtschuldvorschriften vorzusehen, wurde nicht einmal diskutiert. 124 125
DresdE Art. 342, 381. Motive zu § 4 VorlE, 25 (Schubert, SR III, 1237); Motive zu § 4 TeilE, 18 (Schubert, SR I,
70). 126
VorlE § 11; BGB § 422 II. VorlE § 12. 128 In den Motiven zur Erlassregelung im Vorlage- und Teilentwurf zitiert von Kübel auch die Sondervorschriften in den Regelwerken, die nur den Einzelerlass bei Mitbürgen behandeln, etwa CC Art. 1287, HessE IV 1 Art. 349 oder ABGB § 1363, Motive zum VorlE, 41 f. (Schubert, SR III, 1253 f.); Motive zum TeilE, 37 f. (Schubert, SR I, 89 f.). Vor allem bei der Regelung der Regressfrage dachte von Kübel auch an den Fall der Mitbürgen; hierzu unten, 1136 f. Die Erste Kommission ließ offen, ob für Mitbürgen eine Ausnahme von der Regel gemacht werden sollte, dass es keine Teilungseinrede gab, Jakobs/Schubert, SR I, 896. 129 Jakobs/Schubert, SR III, 479 f. 130 Hierzu oben, 1051. 127
3. Die Lage nach dem BGB
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Dem Gesetzgeber ging es gerade darum, eine Einheits-Gesamtschuld zu schaffen, welche die bisherigen Korreal- und Solidarobligationen unter einem Dach vereinigte und alle Abgrenzungsstreitigkeiten überflüssig machen sollte. Diese Einheits-Gesamtschuld sollte daher auch die Mitbürgen einschließlich der Nebenbürgen umfassen. Hierfür war es aber erforderlich, die Gesamtschuldregeln im Außenverhältnis möglichst neutral zu gestalten131. Die Vorentwürfe und der Erste Entwurf kannten lediglich die Gesamtwirkung des Erlasses bei entsprechendem Parteiwillen132, die bei Nebenbürgen unproblematisch erschien. Die Gesamtwirkung des Annahmeverzugs wurde erst durch die Zweite Kommission hinzugefügt; sie ist dann sachgerecht, wenn es einen Gesamtschuldregress gibt133. Weitere Gesamtwirkungen kennt das BGB nicht, so dass zumindest die Regeln zum Außenverhältnis einer Einbeziehung von Nebenbürgen nicht im Wege stehen. Bemerkenswert ist, dass Nebenbürgen nach Ansicht der Ersten Kommission auch ohne besondere gesetzliche Anordnung Gesamtschuldner waren. Gäbe es die Regel des heutigen § 769 nicht, so die Kommission, hafteten Nebenbürgen auf das Ganze, wodurch nach der Regel des heutigen § 421 ein Gesamtschuldverhältnis i.S.d. heutigen §§ 421 ff. entstehe134. Die Vorschrift des heutigen § 769 sollte für Nebenbürgen nur etwas klarstellen, was ohnehin galt. Schon die Ganzhaftung jedes Schuldners, verbunden mit der Solutionskonkurrenz, eröffnete also den Anwendungsbereich der Gesamtschuldvorschriften, nicht etwa erst eine besondere gesetzliche Anordnung135. Zwar hatte es im Vorlageentwurf und im Teilentwurf eine Regel gegeben, wonach Gesamtschuldverhältnisse (nur) durch Parteiwillen oder gesetzliche Vorschrift entstanden136. Ein durch Gesetz entstehendes Gesamtschuldverhältnis sollte nach einer Anmerkung von Kübels im Vorlageentwurf etwa unter Mitbürgen bestehen137. Doch hier ging es offenbar in erster Linie um gemeinschaftliche Mitbürgen, deren Ganzhaftung wegen der Regel des heutigen § 420 durch Gesetz besonders angeordnet werden musste138. Sobald aber jeder Schuldner auf das Ganze haftete, entstand ein Gesamtschuldverhältnis. Hier handelt es sich um einen weiteren Beleg für den schon bei der Schadensersatz-Gesamtschuld dargestellten offenen Gesamtschuldbegriff des Gesetzgebers139. Nach dem dort Gesagten ist es auch kaum wahrscheinlich, dass die Ansicht der Ersten Kommission, wonach ganzhaftende Mitbürgen auch 131 132 133 134 135 136 137 138
Hierzu schon oben im Zusammenhang mit Schadensersatz-Gesamtschulden, 543 ff. VorlE §§ 14–15; TeilE §§ 13–14; E I § 332; BGB § 423. Hierzu oben, 898 ff. Jakobs/Schubert, SR III, 479; ähnlich Mot. II, 667 (Mugdan II, 372). So auch Sitzmann, BB 1991, 1812. VorlE und TeilE, § 2; gebilligt von der Ersten Kommission, Jakobs/Schubert, SR I, 895. Motive zum VorlE, 21, Fußnote (Schubert, SR III, 1233). Vgl. oben, 759 ff., zur entsprechenden Argumentation bei Schadensersatz-Gesamtschul-
den. 139
Oben, 756 ff., 826 ff.
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III. Verhältnis der Mitbürgschaft zu sonstigen Gruppen von Solidarschuldnern
ohne gesetzliche Regel Gesamtschuldner waren, nicht seitens von Kübel und der Zweiten Kommission geteilt wurde. Die Vorschrift des heutigen § 421 ist vom Gesetzgeber offenbar tatsächlich als Gesamtschuldtatbestand verstanden worden.
b) Nebenbürgen als Gesamtschuldner Die Absicht des Gesetzgebers wurde aber durch die Fassung verdunkelt, die § 769 durch die Redaktionskommission erhielt. Ursprünglich sah die Vorschrift ein Gesamtschuldverhältnis gleichermaßen für gemeinschaftliche und Nebenbürgen vor. Gemeint war, dass die Gesamtschuld nicht nur bei Nebenbürgen eintrat, was selbstverständlich war, sondern auch, trotz der Teilschuldregel, bei gemeinschaftlichen Mitbürgen. Nun heißt es, dass Mitbürgen als Gesamtschuldner haften, „auch wenn sie die Bürgschaft nicht gemeinschaftlich übernehmen“. Diese auf der Einführung des § 427 beruhende Fassung hat in der Literatur zum BGB immer wieder die Vorstellung hervorgerufen, dass die Gesamtschuld bei Nebenbürgen eine Besonderheit sei, die erst durch § 769 angeordnet werde140. Der Schluss, dass Nebenbürgen ohne § 769 Teilschuldner seien, wurde allerdings nur vereinzelt gezogen141. Häufiger findet sich die Vorstellung, dass Nebenbürgen zwar auch ohne die Vorschrift auf das Ganze haften würden, aber nicht als Gesamtschuldner i.S.d. §§ 421 ff.142 Ein Gesamtschuldverhältnis bedeutet danach mehr als die Ganzhaftung mehrerer mit Solutionskonkurrenz. Nebenbürgen wären eigentlich nur „unechte Gesamtschuldner“143, wobei der „innere Zusammenhang“ zwischen ihren Verbindlichkeiten erst durch den Gesetzgeber angeordnet wird144. Diese Reaktion entspricht der schon geschilderten Haltung gerade der frühen Literatur zum Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld145. Der Gesetzgeber war von einem offenen Gesamtschuldbegriff ausgegangen und hatte aus der Kombination von Ganzhaftung und Solutionskonkurrenz ohne weiteres auf ein Gesamtschuldverhältnis geschlossen. In der Literatur nach 1900 herrschte demgegenüber ein restriktiver Gesamtschuldbegriff. Die Vorschriften der §§ 423, 424 und 426 waren danach Besonderheiten, die nur bei besonders qualifizierten Schuldnerverbindungen Anwendung finden konnten. Die Verbindlichkeiten der 140 Lischka, Gesamtschuld (1932), 20, 57; Molitor, SR AT (1963), § 34 III; Börnsen, Strukturen (1969), 176; Goette, Gesamtschuldbegriff (1976), 80; Winter, Teilschuld (1985), 183 f.; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften (1997), 226 (der zu Unrecht annimmt, dass Nebenbürgen im Gemeinen Recht keine Korrealschuldner gewesen seien); MüKo/Habersack (2004), § 769 Rz 1. 141 Hierzu oben, 1043. 142 So insbesondere Lischka, Gesamtschuld, 20; Börnsen, Strukturen, 176; Winter, Teilschuld, 183 f. (regresslose Ganzhaftung). 143 So ausdrücklich Kanka, JhJb 87 (1938), 189 Fn. 61; Molitor, SR AT, § 34 III. 144 So Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 226. 145 Oben, 830 ff.
3. Die Lage nach dem BGB
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Nebenbürgen gehörten, so gesehen, eigentlich nicht dazu. Jeder Nebenbürge schuldete aus der von ihm allein vertraglich übernommenen Verpflichtung. Der Umstand, dass ein anderer Bürge ebenfalls eine vertragliche Verpflichtung zur Sicherung derselben Hauptschuld übernommen hatte, war sozusagen Zufall. Eine Verbindung von unabhängigen vertraglich übernommenen Verpflichtungen zu einem Gesamtschuldverhältnis i.S.d. §§ 421 ff. konnte danach nur durch den Gesetzgeber vorgenommen werden146. Demgegenüber hat insbesondere Ehmann betont, dass die Solutionskonkurrenz unter Nebenbürgen kein Zufall ist. Vielmehr werden ihre Verpflichtungen durch den gemeinsamen Zweck verbunden, dieselbe Hauptschuld zu sichern. Dieser Sicherungszweck erklärt, warum zwar jeder Nebenbürge das ganze von ihm Versprochene leisten muss, der Gläubiger aber die von den Nebenbürgen geschuldete Leistung insgesamt nur einmal erhalten kann. Der gemeinsame Zweck unterscheidet Nebenbürgen von gewöhnlichen vertraglichen Schuldnern, die unabhängig voneinander dem Gläubiger denselben Leistungsgegenstand versprechen, etwa im Schulfall, dass der Gläubiger zwei Kaufverträge über dieselbe Speziessache abschließt. Er gebietet einen Innenausgleich und bildet zugleich einen Maßstab für die interne Aufteilung der Belastung. Weil eine Verbindlichkeit stets zweckgerichtet ist und die Verbindlichkeiten der Nebenbürgen sich auf denselben rechtlichen Zweck richten, entsteht unter ihnen ein Gesamtschuldverhältnis. Die Vorschrift des § 769 hat danach nur deklaratorische Bedeutung147. Diese Zwecklehre kommt zumindest im Ergebnis der Ansicht des historischen Gesetzgebers nahe148. Sie ist eine der wenigen Lehren, vielleicht sogar die einzige, die ein Kriterium dafür bietet, wann mehrere unabhängig voneinander eingegangene vertragliche Verbindlichkeiten zu einem Gesamtschuldverhältnis verbunden werden können. Die Gesamtschuld wird entweder durch einen gemeinsamen Sicherungszweck begründet wie bei Nebenbürgen oder sonstigen unabhängigen Sicherern derselben Schuld oder durch einen gemeinsamen Schutzzweck wie im Fall der doppelten Schadensversicherung (§ 59 VVG). Fehlt es an einem gemeinsamen Zweck, entsteht auch keine Gesamtschuld, wie etwa in dem Fall, dass der Schuldner S dem Gläubiger G eine Forderung gegen seinen Drittschuldner D in gleicher Höhe zur Sicherheit abtritt: Auch wenn der Gläubiger die von beiden geschuldeten Leistungen im Ergebnis nicht kumuliert erhalten soll, sind S und D keine Gesamtschuldner; eine Leistung von S an G befreit D nicht. Die Zwecklehre erklärt aber nicht (und das ist vielleicht auch nicht ihr Ziel) die spezifische Verknüpfung von gemeinsamem Zweck und der konkreten Ausgestaltung des Gesamtschuldverhältnisses. Die historische und vergleichende Er146
So Lischka, Gesamtschuld, 55, 57. Ehmann, Gesamtschuld (1972), 322 ff., insbes. 355; Erman/Ehmann 11. Aufl. 2004, § 421 Rz 46, vgl. 12. Aufl. 2008, vor § 420 Rz 15, 25; siehe auch schon Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft (1926), 54 ff., 63 ff.; Kreß, SR AT (1929), § 24, 2 b (S. 603); Mönch, Unechte Gesamtschulden (1932), 37 f. 148 Das wird von Ehmann (Gesamtschuld, 355) allerdings geleugnet, der dem Gesetzgeber zu Unrecht unterstellt, dem restriktiven Gesamtschuldbegriff Eiseles zu folgen. 147
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III. Verhältnis der Mitbürgschaft zu sonstigen Gruppen von Solidarschuldnern
fahrung zeigt, dass die mit einem Solidarschuldverhältnis verbundenen Einzelregelungen verschieden sein können. Die Zwecklehre legt sich insofern fest, als sie einen Gesamtschuldregress für notwendig hält; hieraus geht aber noch nicht hervor, welche Ausgestaltung dieser Regress haben soll. Es war aber gerade die konkrete Ausgestaltung des Gesamtschuldverhältnisses im BGB, welche die Literatur nach 1900 zur Einschränkung des Gesamtschuldtatbestandes bewog. Hierüber wurde schon im Zusammenhang mit Schadensersatz-Gesamtschulden berichtet: Die Literatur störte sich vor allem an den Vorschriften der §§ 423, 424 und § 426149. Während das Unbehagen an §§ 423 und 424 unbegründet ist150, stellt sich hinsichtlich des Innenausgleichs die Frage, ob der Doppelregress nach § 426 und die nach herrschender Lehre bestehende Schuldgemeinschaft bei unabhängigen Nebenbürgen tatsächlich angemessen sind151. Die Frage, ob Nebenbürgen sonstigen Gesamtschuldnern gleichgestellt werden können, ist nach dem Recht des BGB eine Frage nach der konkreten Ausgestaltung des Regresses.
Zusammenfassung Die Frage, ob das Außenverhältnis der Mitbürgen zum Gläubiger, insbesondere die Gesamt- oder Einzelwirkung bestimmter Ereignisse, ebenso geregelt werden sollte wie bei sonstigen Gesamtschuldverhältnissen, stellt sich bei gemeinschaftlichen Mitbürgen in anderer Weise als bei Nebenbürgen. Die gemeinschaftliche Mitbürgschaft kann grundsätzlich ebenso geregelt werden wie sonstige vertragliche Gesamtschuldverhältnisse. Bei Nebenbürgen aber sind Gesamtwirkungen grundsätzlich nicht angemessen. Die gemeinrechtliche Lehre des 19. Jahrhunderts stellte allein auf das römische Phänomen der Klagenkonkurrenz ab und versuchte, die Rechtsverhältnisse der gemeinschaftlichen Mitbürgen und Nebenbürgen sowie das durch den Akzessorietätsgrundsatz geprägte Verhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner einer einheitlichen Kategorie zuzuführen, was nicht gelingen konnte. In den Kodifikationen kommt es auf die Ausgestaltung der Gesamtschuldvorschriften an. Sehen diese, wie in Frankreich, schuldnerbelastende Gesamtwirkungen vor, muss das Rechtsverhältnis der Nebenbürgen in besonderen Vorschriften geregelt werden. Die im Außenverhältnis neutral gestaltete Einheitsgesamtschuld des BGB kann demgegenüber auch die Nebenbürgschaft umfassen. Für den Gesetzgeber war das Gesamtschuldverhältnis unter Nebenbürgen auch ohne besondere gesetzliche Anordnung selbstverständlich. Diese Haltung bildet ein weiteres Indiz für den weiten Gesamtschuldbegriff des Gesetzgebers, der die Vorschrift des § 421 offenbar als allgemeinen Gesamtschuldtatbestand ansah.
149 150 151
Oben, 833 f. Oben, 897 ff. Vgl. oben, 901 ff.
IV. Regress und Regressvereitelung 1. Römisches und Gemeines Recht a) Die Frage nach dem Regress Die Frage, ob Mitbürgen untereinander Regress nehmen konnten, hatte im Gemeinen Recht trotz der anerkannten Teilungseinrede eine praktische Bedeutung. Zum einen war der Verzicht eines Bürgen auf die Teilungseinrede offenbar häufig. Zum anderen war es möglich, dass eine Teilung wegen Insolvenz der Mitbürgen nicht gewährt wurde, diese aber später wieder solvent wurden. Als Rückgriffsschuldner des zahlenden Bürgen kam zwar in erster Linie der Hauptschuldner in Frage, doch dieser konnte insolvent oder nicht greifbar sein. Sofern danach ein Rückgriff gegen Mitbürgen in Betracht kam, konnte dieser rechtstechnisch verschieden ausgestaltet sein. Möglich war ein Derivativregress, der sich auf die Gläubigerforderung stützte, aber auch ein eigenes Rückgriffsrecht. Bei den älteren römischen Bürgschaftsgeschäften gab es besondere gesetzlich geregelte Rückgriffsrechte. Der Rückgriff des sponsor gegenüber dem Hauptschuldner wurde durch die lex Publilia geschützt, die ihm eine actio depensi auf den doppelten Betrag gewährte, falls ihn der Hauptschuldner nicht binnen sechs Monaten entschädigte1. Bevor im Verhältnis mehrerer sponsores und fidepromissores untereinander durch die lex Furia Teilschulden angeordnet wurden, sah die lex Appuleia ein anteiliges Rückgriffsrecht desjenigen Mitbürgen vor, der mehr als seinen Kopfteil an den Gläubiger geleistet hatte2. Dieses Regressrecht war auch nach Erlass der lex Furia für die Gebiete außerhalb Italiens wichtig, in denen die sponsores und fidepromissores mangels Geltung der lex Furia auf das Ganze hafteten. Das Rückgriffsrecht der lex Appuleia war offenbar gerade für den Fall der Nebenbürgen gedacht, die kein besonderes Innenverhältnis verband. Unter ihnen wurde damit, so Gaius, eine Art gesetzlicher Gesellschaft eingeführt3. Für die fideiussio galten die genannten Gesetze nicht. Für sie blieb es bei der allgemeinen römischen Regel, dass sich ein eigenes Regressrecht nur auf ein be1 Gai. 3,127; Gai. 4,22. Hierzu Kaser, Römisches Privatrecht I, § 45 II, § 155 II 5; Honsell/ Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, § 108 II 5; Zimmermann, Law of Obligations, 132 f., jew. m.w.N. 2 Gai. 3,122 f.; hierzu Schmieder, Duo rei, 258 f., m.w.N. 3 Gai. 3,122 (quandam societatem).
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IV. Regress und Regressvereitelung
sonderes Innenverhältnis stützen konnte4. Der fideiussor hatte dann ein eigenes Rückgriffsrecht gegen den Hauptschuldner, wenn er sich in dessen Auftrag verbürgt hatte oder wenn die Voraussetzungen einer Geschäftsführung ohne Auftrag vorlagen5. Bei Mitbürgen ist der Fall denkbar, dass sie die Bürgschaft auf der Basis eines besonderen Innenverhältnisses, etwa einer societas, gemeinschaftlich übernahmen und dann ein eigenes rechtsgeschäftliches Rückgriffsrecht hatten, auch wenn die Quellen diesen Fall nicht erwähnen. Ohne rechtsgeschäftliches Innenverhältnis, also insbesondere für Nebenbürgen, galt aber der in den Quellen mehrfach und ausdrücklich genannte Satz, dass der Bürge wegen seiner Leistung an den Gläubiger kein eigenes Rückgriffsrecht gegen die Mitbürgen hatte6. Die gemeinrechtliche Bürgschaft orientierte sich an den zur fideiussio überlieferten Regeln. Der Bürge konnte gegen den Hauptschuldner Regress unter den Voraussetzungen eines Auftrags oder einer Geschäftsführung ohne Auftrag nehmen7. Mitbürgen hatten untereinander Rückgriffsrechte, wenn sie durch ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis verbunden waren8. Ohne ein solches Innenverhältnis aber war allgemein anerkannt, dass der leistende Bürge kein eigenes Regressrecht gegen die Mitbürgen hatte9. Anders als im Verhältnis zum Haupt4
Oben, 263 ff. Etwa Gai. 3,127; Inst.3,20,6 und 4,14,4; Julian D.17,1,33; Papinian D.17,1,53; Paulus D.2,14,32, D.17,1,20,1 und l. 40; Ulpian D.17,1,6,2 und l. 21, D.46,1,4 pr. Ein Regress gegen den Hauptschuldner schied danach aus, wenn der Bürge sich gegen das Verbot des Hauptschuldners oder im Auftrag eines Dritten verbürgt hatte. Vgl. Kaser, Römisches Privatrecht I, § 155 II 5; Wesener, Labeo 11 (1965), 343 ff.; Seiler, Negotiorum gestio, 120 ff.; Zimmermann, Obligations, 133, 136; Schmieder, Duo rei, 251. 6 Gai. 3,122; Inst. 3,20,4; Modestin D.46,1,39; Alexander C.8,40,11; indirekt auch Paulus D.2,14,23. 7 Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,40(41),14, § 3; Voet, Commentarius, zu D.46,1, §§ 31, 33; Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst.3,20(21),6; Domat, Loix civiles, § 187; Pothier, Obligations, § 429; Kreittmayr, Anmerkungen IV, 580 (anders aber 572); Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 745; Thibaut, Pandekten, § 943; Mühlenbruch, Pandekten, § 487; Seuffert, Pandekten, § 386; Windscheid, Pandekten, § 481 Nr. 1; Girtanner, Bürgschaft, 216, 529 ff.; Sintenis, Civilrecht, § 129 bei Fn. 16 und nach Fn. 62; Hasenbalg, Bürgschaft, 692 ff.; Arndts, Pandekten, § 356; Wächter, Pandekten, § 222 A III 1; Baron, Pandekten, § 260 I; Dernburg, Pandekten II, § 80 II 1; für die Rechtsprechung stellvertretend RGZ 1, 344, 345 (27.4.1880). 8 Dies war selbstverständlich. Ausdrücklich etwa Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 747; Koch, Recht der Forderungen III, § 369 IV, S. 1044; Brinz, Pandekten, § 256 Nr. 2; Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 52 (S. 149); Goldschmidt, JhJb 26 (1888), 375; OAG München, SeuffA 22 Nr. 237 (22.5.1868); OAG Oldenburg, SeuffA 28 Nr. 225 (7.3.1873); RGZ 18, 235, 236 f. (9.11.1886). Aus diesem Grund nahmen das OAG Dresden (SeuffA 17 Nr. 39, 4.10.1862) und das AG Flensburg (SeuffA 20 Nr. 132, 15.2.1867) ein Regressrecht für den Fall der gemeinschaftlichen Verbürgung an. 9 Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,40(41),11, §§ 1 ff.; Voet, Commentarius, zu D.46,1, § 28; Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst. 3,20(21),4, § 8; Domat, Loix civiles, § 1887; Sell, ZCRPr 4 (1831), 17 ff.; von Schröter, ZCRPr 6 (1833), 424; Savigny, Obligationenrecht I, 273 ff.; Unterholzner, Schuldverhältnisse, §§ 534 II, 747; Bucher, Forderungen, §§ 24, 119; Koch, Forderungen III, § 369 IV, S. 1044; Seuffert, Pandekten, § 386; Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 3 (S. 85); Brinkmann, Verhältnis, 152; Brinz, Pandekten, § 256 Nr. 2; Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 52 (S. 149); Windscheid, Pandekten, § 294 a.E., § 481 Nr. 3; Baron, Pandekten, § 260 II; 5
1. Römisches und Gemeines Recht
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schuldner kam ein Regress im Wege der Geschäftsführung ohne Auftrag nicht in Betracht. Der Bürge, so wurde argumentiert, führe zwar in der Regel ein Geschäft des Hauptschuldners, nicht aber das seiner Mitbürgen, die er durch seine Leistung lediglich mittelbar mitbefreie10. Die Ablehnung eines Regressrechts unter Mitbürgen mag aus heutiger Sicht befremdlich erscheinen, weil die Mitbürgen durch die Bürgenleistung von ihrer Haftung befreit wurden und damit auf Kosten des leistenden Bürgen einen Vorteil erlangten. Doch der in Anspruch genommene Bürge war nicht schutzlos. Zum einen stand es ihm offen, gegenüber dem Gläubiger die Teilungseinrede zu erheben und eine Leistung des Ganzen von vornherein zu vermeiden11. Zum anderen wurde ihm gemeinrechtlich ein Derivativregress gewährt, mit dessen Hilfe er auch gegen Mitbürgen vorgehen konnte. Schon nach klassischem römischen Recht war es möglich, dass der Gläubiger dem in Anspruch genommenen Bürgen seine Klagen gegen den Hauptschuldner und die Mitbürgen abtrat12. Der zahlende Bürge konnte hierdurch Regress nicht nur gegen den Hauptschuldner, sondern auch gegen die Mitbürgen nehmen. Wegen der gegenseitigen Solutionskonkurrenz war es allerdings zumindest ursprünglich erforderlich, dass die Abtretung vor der Leistung des Bürgen vereinbart war, um der Leistung die Erfüllungswirkung zu nehmen und sie zur Kaufpreiszahlung umzudeuten13. Die Abtretung durch den Gläubiger konnte freiwillig erfolgen. Doch schon Julian bejahte einen Abtretungszwang zugunsten des in Anspruch genommenen Mitbürgen14. In der Folgezeit wurde das Recht des Bürgen, vom Gläubiger die Abtretung der Klagen gegen Mitverpflichtete zu verlangen, zumindest fallweise anerkannt15. Der Kreditauftraggeber konnte nach Auftragsrecht die Abtretung zumindest der Klage gegen den Hauptschuldner verlan-
10 Dernburg, Pandekten II, § 81 I; Jhering, JhJb 10 (1871), 344; Unger, JhJb 22 (1884), 272; Kohler, JhJb 25 (1887), 120. Aus der Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts OAG Dresden, SeuffA 17 Nr. 39 (4.10.1862); OAG München, SeuffA 22 Nr. 237 (22.5.1868); OAG Oldenburg, SeuffA 28 Nr. 225 (7.3.1873); RGZ 18, 235, 236 f. („unzweifelhaft“, 9.11.1886). 10 Etwa Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,40(41),11, §§ 1–2; Voet, Commentarius, zu D.46,1, § 28; Sell, ZCRPr 4 (1831), 22 ff. 11 So Gai. 3,122; Inst. 3,20,4. 12 Julian D.46,1,17; Paulus D.46,1,36 und l. 59; Modestin D.46,1,39; Papinian D.46,6,12; Alexander C.8,40,11; Gordian C.8,40,14. Vgl. Kaser, Römisches Privatrecht I, § 155 II 5; Zimmermann, Obligations, 134 ff.; Dieckmann, Derivativregreß, 41 ff.; Schmieder, Duo rei, 252 f. 13 Modestin D.46,1,39; hierzu oben, 413 ff. 14 Julian D.46,1,17 (Fideiussoribus succuri solet, ut stipulator compellatur ei, qui solidum solvere paratus est, vendere ceterorum nomina). Die Worte paratus est deuten offenbar nicht darauf hin, dass der belangte Mitbürge freiwillig zahlte, etwa weil er als sponsor nur Teilschuldner war oder weil ihm die Teilungseinrede zugestanden hätte, vgl. Medicus, FS Kaser, 395 f.; Schmieder, Duo rei, 259 ff. 15 Severus C.8,40,2; Alexander C.8,40,11; Diocletian C.8,40,21; zugunsten der Vormundsbürgen (denen die Teilungseinrede nicht zustand) Papinian D.46,6,12. Vgl. aber Schmieder, duo rei, 252 f.
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IV. Regress und Regressvereitelung
gen16. Eine Stelle spricht aber auch von einem Recht auf Abtretung der Klagen gegen weitere Kreditauftraggeber17. In der Novelle 4,1 von 535, mit der Justinian die Einrede der Vorausklage einführte, wurde zugleich den Bürgen und Kreditauftraggebern das Recht gewährt, an den Gläubiger nur gegen Klagenabtretung leisten zu müssen. Gemeinrechtlich war nahezu18 allgemein anerkannt, dass der zahlende Bürge mit Hilfe eines beneficium cedendarum actionum vom Gläubiger die Abtretung nicht nur der Klage gegen den Hauptschuldner, sondern auch der Klagen gegen die Mitbürgen verlangen konnte19. Gegenüber dem Hauptschuldner hatte der Bürge zwar in der Regel schon ein eigenes Rückgriffsrecht, doch der Derivativregress verschaffte ihm den Vorteil der für die Gläubigerforderung bestellten Sicherheiten und Vorzugsrechte und wirkte insoweit regressbestärkend20. Zudem wurde überwiegend angenommen, dass der Bürge auch dann mittels der abgetretenen Gläubigerforderung Regress nehmen konnte, wenn ihm ein eigenes Rückgriffsrecht gegen den Hauptschuldner ausnahmsweise nicht zustand, etwa wenn er sich gegen den Willen des Schuldners verbürgt hatte21. Gegenüber den Mitbürgen kam dem Abtretungsrecht dagegen in der Regel eine regressbegründende Funktion zu. Auch der Kreditauftraggeber konnte nach gemeinrechtlicher Lehre 16
Gaius D.17,1,27,5; Ulpian D.17,1,28; Julian D.46,1,13; Papinian D.46,3,95,10. Modestin D.46,1,41,1. 18 Eine Ausnahme bildete Savigny, dazu weiter unten im Text. 19 Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,40(41),2, § 2, zu C.8,40(41),11, § 5; Grotius, Inleiding III, 3, § 31; Voet, Commentarius, zu D.46,1, §§ 27–28; Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst. 3,20(21),4, § 9; Domat, Loix civiles, § 1887; Pothier, Obligations, §§ 427, 429, 445, 556; Höpfner, Commentar, § 845; Mühlenbruch, Cession, § 37 V 1, S. 412; ders., Pandekten, § 486; Girtanner, Bürgschaft, 216, 533 ff., 537 ff.; Hasenbalg, Bürgschaft, 401 ff., 428 ff.; Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, § 352 bei Fn. d; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 180 III 1 C-D, §§ 534 II, 745, 747, 750 Nr. 12; Thibaut, Pandekten, § 943; Bucher, Forderungen, § 119; Puchta, Pandekten, § 405; Vangerow, Pandekten III, § 573 Anm. 3 (S. 85); von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT, Kap. 18/1, Nr. 15 (S. 880); Seuffert, Pandekten, § 385; Brinz, Pandekten, § 256 Nr. 3; Sintenis, Civilrecht, § 129 bei Fn. 55; Windscheid, Pandekten, § 294 a.E., § 481 Nr. 2–3; Arndts, Pandekten, §§ 355 f.; Wendt, Pandekten, §§ 268 f.; Goldschmidt, ZHR 14 (1870), 415 ff.; Unger, JhJb 22 (1884), 273; Baron, Pandekten, § 259 III 2, § 260 II; Dernburg, Pandekten II, § 78 Nr. 3, § 80 II 2; Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht II, § 144 bei Fn. 99 (S. 433); Geib, Bürgschaftsrecht, 157; hierzu Dieckmann, Derivativregreß, 78 ff. Aus der Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts OAG Celle, SeuffA 12 Nr. 12 (3.10.1856), SeuffA 20 Nr. 36 (11.3.1865); ObTr Stuttgart, SeuffA 12 Nr. 117 (5.6.1857), SeuffA 31 Nr. 140 (1.10.1874), SeuffA 32 Nr. 235 (1.12.1876); OAG Oldenburg, SeuffA 28 Nr. 225 (7.3.1873); ROHGE 4, 325, 328 (19.12.1871, SeuffA 26 Nr. 241); ROHGE 19, 383, 386 (26.2.1876, SeuffA 32 Nr. 138); RGZ 18, 235, 237 (9.11.1886). Anders nur OAG Dresden, SeuffA 17 Nr. 39 (4.10.1862); offen gelassen in RG SeuffA 54 Nr. 150 (1.2.1899). 20 Voet, Commentarius, zu D.46,1, § 28; von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT, Kap. 18/1, Nr. 15 (S. 880); Girtanner, Bürgschaft, 533; Sintenis, Civilrecht, § 129 bei Fn. 55; Wendt, Pandekten, § 268; Hasenbalg, Bürgschaft, 443; Vischer, ZSchwR 29 (1881), 5. 21 Voet, Commentarius, zu D.46,1, § 28; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 745; Sintenis, Civilrecht, § 129 bei Fn. 67; Brinz, Pandekten, § 253 a.E.; anders Windscheid, Pandekten, § 481 Nr. 2 mit Fn. 7, und Geib, Bürgschaftsrecht, 158, wonach dem Bürgen das Zessionsrecht nur im Falle eines eigenen Rückgriffs zustehen sollte. 17
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die Abtretung der Klagen gegen den Hauptschuldner und gegen weitere Kreditauftraggeber verlangen22. Ein gesetzlicher Mitbürgenregress war nach Gemeinem Recht also im Ergebnis möglich, doch nur mittels Zession. Im Gegensatz dazu kannten die einheimischen Rechte insbesondere im deutschsprachigen Raum häufig ein eigenes, zessionsunabhängiges anteiliges Regressrecht unter Mitbürgen23. Dieses bezog sich allerdings in erster Linie auf gemeinschaftliche Mitbürgen; ob es auch einen Regress unter Nebenbürgen gab, ist zweifelhaft. Der Einfluss des römischen Rechts führte schließlich zumeist dazu, dass man den Mitbürgenregress von einer Abtretung durch den Gläubiger abhängig machte, zugleich aber dem leistenden Mitbürgen ein Recht auf diese Abtretung zusprach24. Beim gemeinrechtlichen Zessionsregress stellte sich die Frage, in welcher Höhe der leistende Bürge die Abtretung verlangen konnte bzw., falls die Abtretung sämtliche Klagen umfasste, in welcher Höhe er von den Mitbürgen mit Hilfe der zedierten Gläubigerklage Regress nehmen konnte25. Denkbar war, dass der Gläubiger die Klagen in voller Höhe abtrat und der leistende Bürge damit einen Totalregress gegen einen Mitbürgen nehmen konnte, so dass im Ergebnis die Last bei demjenigen Mitbürgen hängen blieb, der zuletzt in Anspruch genommen wurde. Dieses Ergebnis wurde in der gemeinrechtlichen Literatur und Rechtsprechung aber einhellig abgelehnt: Es sollte nur zu einem anteiligen Zessionsregress kommen, mit dem Ergebnis, dass zuletzt jeder Mitbürge nur mit seinem Kopfteil endgültig belastet war26. Dieses Ergebnis konnte auf zwei Wegen erreicht werden. Bei einem Kaskadenregress zieht der Regresssuchende lediglich seinen eigenen Anteil ab: B1, der das Ganze an den Gläubiger geleistet hat, erhält 22 Donellus, Commentarii in Codicem, zu C.8,40(41),11, § 6; Voet, Commentarius, zu D.2,14, § 14, zu D.46,1, § 30; Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst.3,20(21),4, § 9; Pothier, Obligations, § 446; Mühlenbruch, Cession, § 37 V 1 (S. 412); Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 180 III 1 C-D, § 760; Brinz, Pandekten, § 236 Nr. 6, § 257 bei Fn. 16; Sintenis, Civilrecht, § 129 bei Fn. 77; Geib, Bürgschaftsrecht, 156 f. 23 Stobbe, Geschichte, 171 ff.; von Gierke, Deutsches Privatrecht III, § 206 IX; Maier, Bürgschaft, 190, 194 ff. (Süddeutschland und Schweiz); Mückenheim, Bürgschaft, 160 ff. (Lübeck); ferner die Referate in Société Jean Bodin, Les Sûretés personelles II: Godding, 350 ff. (Niederlande); Wesener, 684 (Österreich); anders (Regress nur bei Zession oder Subrogation) Timbal, 54 f. (Zentralfrankreich); Poudret/Partsch, 631 f. (Schweiz). 24 Vgl. Godding, a.a.O., 351 f.; Maier, Bürgschaft, 194 ff.; Hoppe, Bürgschaft, 143, 146 ff., 155 ff., 185 ff. 25 Zu dieser Frage im Gesamtschuldzusammenhang schon oben, 408 ff. 26 Grotius, Inleiding III, 3, § 21; Voet, Commentarius, zu D.46,1, § 29; Domat, Loix civiles, § 1887; Pothier, Obligations, § 559; Höpfner, Commentar, § 845; Mühlenbruch, Cession, § 37 V 1, S. 413; Wening-Ingenheim, Lehrbuch I, § 352 bei Fn. d; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 180 III 1 D, § 534 II 6; Thibaut, Pandekten, § 943; Sintenis, Civilrecht, § 129 bei Fn. 68; Wendt, Pandekten, § 269; Hasenbalg, Bürgschaft, 429, 438 ff.; s.a. Godding, in Société Jean Bodin, Les Sûretés personelles II, 352; Mückenheim, Bürgschaft, 162 f.; Hoppe, Bürgschaft, 187 f. Aus der Rechtsprechung OAG Jena, SeuffA 17 Nr. 144 (12.5.1854); OAG Celle, SeuffA 20 Nr. 36 (1865); AG Flensburg, SeuffA 20 Nr. 132 (15.2.1867); ObTr Stuttgart, SeuffA 31 Nr. 140 (1.10.1874); OAG Kiel, SeuffA 40 Nr. 19 (8.2.1884); ROHGE 4, 325, 328 f. (19.12.1871). Bei der Insolvenz eines Mitbürgen wurden die Anteile der übrigen wie nach § 426 I 2 entsprechend erhöht.
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IV. Regress und Regressvereitelung
von B2 zwei Drittel; B2 erhält dann von B3 ein Drittel. Beim Anteilsregress kann von jedem Mitbürgen von vornherein nur dessen Innenanteil verlangt werden: B1 erhält von B2 und B3 je ein Drittel. Nur ein Anteilsregress kam in Frage, wenn den als Regressschuldner in Anspruch genommenen Mitbürgen die Einrede der Teilung zustand27: Da es sich um einen Zessionsregress handelte, konnte der leistende Bürge nicht mehr Rechte geltend machen als der Gläubiger; dieser hätte aber bei Solvenz der Mitbürgen nur den jeweiligen Innenanteil verlangen können. Unklar war dagegen die Lage, wenn die Teilungseinrede, etwa wegen Verzichts, nicht anwendbar war. Ob mit dem in der Literatur genannten Regress pro rata ein Anteils- oder ein Kaskadenregress gemeint war, lässt sich nicht immer feststellen; zumindest bei den Autoren des 17. Jahrhunderts ist offenbar Letzteres anzunehmen28. Klare Stellungnahmen finden sich bei Voet zugunsten eines Kaskadenregresses29 und bei Pothier zugunsten eines Anteilsregresses30. In jedem Fall aber sollte im Endergebnis jeder Mitbürge nur mit seinem Innenanteil belastet werden, auch wenn die Teilungseinrede nicht anwendbar war. Dies ist bemerkenswert angesichts dessen, dass die Mitbürgen durch kein Rechtsverhältnis miteinander verbunden waren. Offenbar führte schon die bloße Existenz der Teilungseinrede für Mitbürgen zu der allgemein geteilten Vorstellung, dass sich die Schuld unter den Mitbürgen gleichmäßig aufteilt und jeder letztlich nur für seinen Anteil zuständig ist31. Nach ganz herrschender gemeinrechtlicher Lehre kam es deshalb auch nicht darauf an, zu welchen Zeitpunkten sich die Mitbürgen verpflichtet hatten und ob der einzelne mit dem Eintreten der übrigen gerechnet hatte. Singulär blieb die entgegenstehende Ansicht, der Bürge könne nur die Zession der Klagen gegen diejenigen Mitbürgen verlangen, mit denen er bei seiner Verbürgung gerechnet habe. Ein Zessionsrecht hinsichtlich später eingetretener Mitbürgen sollte es danach nicht geben, weil das Fremdgeschäft zwischen dem Gläubiger und dem zweiten Bürgen dem ersten kein Recht verschaffen könne32. Dem widersprach die herrschende Lehre33. Die Quellen differenzierten nicht in dieser Weise. Ähnlich wie in der Diskussion um die Teilungseinrede bei Nebenbürgen argumen27
So ausdrücklich Voet, Commentarius, zu D.46,1, § 29; Knorr, AcP 28 (1846), 174; Hasenbalg, Bürgschaft, 438 f. 28 Zimmermann, SZ GA 102 (1985), 193 f. Diese Frage wurde noch 1955 zum römisch-holländisch geprägten südafrikanischen Recht in der Entscheidung Gerber v. Wolson, 1955 (1) South African Law Reports 158, kontrovers diskutiert; hierzu Zimmermann, a.a.O., und ders., Law of Obligations, 143 f. 29 Voet, Commentarius, zu D.46,1, § 29; ebenso wohl Mühlenbruch, Cession, § 37 V 1, S. 413; Sintenis, Civilrecht, § 129 bei Fn. 68. In diesem Sinne entschieden OAG Jena, SeuffA 17 Nr. 144 (12.5.1854); und OAG Kiel, SeuffA 40 Nr. 19 (8.2.1884). 30 Pothier, Obligations, § 281 i.V.m. § 560; ebenso wohl ObTr Stuttgart, SeuffA 31 Nr. 140 (1.10.1874). 31 Vgl. Goldschmidt, JhJb 26 (1888), 374 f. 32 Knorr, AcP 28 (1846), 170 f., 173. 33 Girtanner, Bürgschaft, 534 Fn. 6; Hasenbalg, Bürgschaft, 444–450.
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tierte man, das Zessionsrecht beruhe nicht auf dem Vertrag des Gläubigers mit dem zweiten Bürgen, sondern auf dem Gesetz. Der Bürge konnte folglich auch die Abtretung der Forderung gegen einen Mitbürgen verlangen, von dessen Existenz er gar nichts gewusst haben musste. Der gemeinrechtlich gewährte anteilige Derivativregress milderte die Regel, dass Mitbürgen untereinander keine eigenen Ausgleichsansprüche hatten, erheblich ab. Eine regresslose Alleinhaftung eines Mitbürgen trat nur dann ein, wenn er sowohl vom beneficium divisionis als auch vom beneficium cedendarum actionum keinen Gebrauch gemacht hatte. Doch das Abtretungsrecht wies gegenüber einem eigenen Rückgriffsrecht auch Nachteile auf34. Zwar wurde dem zahlenden Bürgen in der Regel nicht zugemutet, zunächst einen Prozess mit dem Gläubiger mit dem Ziel einer förmlichen Zession zu führen. Hatte er vor oder bei seiner Leistung an den Gläubiger die Abtretung verlangt, sah man in der Entgegennahme der Leistung durch den Gläubiger ein konkludentes Einverständnis mit der Abtretung und schließlich auch eine konkludente Abtretungserklärung selbst, so dass der Bürge sich ohne weiteres an den Hauptschuldner und die Mitbürgen halten konnte. Doch die Abtretung musste er nach herrschender Lehre spätestens bei seiner Leistung tatsächlich verlangen. Andernfalls wurde seine Leistung als gewöhnliche Erfüllung seiner Bürgenschuld angesehen, die zugleich den Hauptschuldner und die Mitbürgen befreite. Dasselbe Problem stellte sich beim Regress des Kreditauftraggebers gegen weitere Kreditauftraggeber, weil auch in diesem Verhältnis die Quellen Solutionskonkurrenz überlieferten. Nur der Regress des Kreditauftraggebers gegen den Hauptschuldner war von dem Problem unberührt: Weil der Kreditauftraggeber nach den Quellen den Schuldner durch seine Leistung nicht befreite, konnte er auch im nachhinein die Abtretung der fortbestehenden Klage vom Gläubiger verlangen. Soweit also ein Zessionsrecht des Bürgen wegen vorbehaltsloser Zahlung abgelehnt wurde, wirkte sich das fehlende eigene Rückgriffsrecht gegenüber den Mitbürgen praktisch aus. Bei der gewöhnlichen Gesamtschuld wurde ein eigenes, aus der Gesamtschuld selbst folgendes, Rückgriffsrecht von der herrschenden gemeinrechtlichen Lehre ebenfalls abgelehnt. Wie berichtet gab es hier jedoch immer wieder Stimmen, die einen allgemeinen Gesamtschuldregress bejahten oder zumindest befürworteten35. Damit stellt sich die Frage, ob sich diese Ansichten oder Vorschläge auch auf den Mitbürgenregress erstreckten. Einige Autoren bejahten einen allgemeinen Gesamtschuldregress, schlossen Mitbürgen aber davon aus, weil die Quellen sich eindeutig gegen ein eigenes Rückgriffsrecht unter Mitbürgen aussprachen36. Die Regresslosigkeit unter Mitbürgen war dann eine Ausnahme von der allgemeinen Regel37, die man damit rechtfertigen konnte, dass es sich lediglich um akzessorische Nebenschuldner 34 35 36 37
Zum Folgenden ausführlich oben, 415 ff. Oben, 268 ff., 276 ff. So etwa Domat, Loix civiles, §§ 1834, 1887; und die in den folgenden Fußnoten Genannten. Sell, ZCRPr 4 (1831), 17 ff.
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IV. Regress und Regressvereitelung
handelte38 oder dass Mitbürgen anders als gewöhnliche Gesamtschuldner ohnehin schon sowohl durch die Teilungseinrede als auch durch das Zessionsrecht geschützt waren39. Eine Extremposition nahm in diesem Zusammenhang Savigny ein. Seiner Ansicht nach gab es einen allgemeinen Gesamtschuldregress in Form einer fingierten Zession40. Jeder Korreal- oder Solidarschuldner habe das Recht, vom Gläubiger die Abtretung der Klagen gegen die Mitschuldner zu verlangen. Seit dem justinianischen Recht werde eine erzwingbare Zession vom Recht fingiert. Bei Mitbürgen jedoch betonten die Quellen, dass es ohne tatsächliche Zession keinen Regress gebe; von einer fingierten Zession konnte hier also keine Rede sein. Weil die fingierte Zession für Savigny aber aus dem Zessionsrecht selbst folgen sollte, konnte er seine These nur halten, indem er für Mitbürgen nicht nur die fingierte Zession, sondern auch das Zessionsrecht selbst verneinte41, womit er sich in Widerspruch zur allgemeinen gemeinrechtlichen Meinung setzte. Mitbürgen hatten danach überhaupt kein Regressrecht untereinander, auch nicht mittels Zession. Dies erklärte Savigny lakonisch damit, dass es unter Mitbürgen, die sich untereinander gar nicht kennen müssten, kein Rechtsverhältnis gebe, so dass sie weder Korreal- noch Solidarschuldner seien42. Savignys Ansicht traf auf entschiedenen Widerspruch, nicht nur deshalb, weil sie mit den Quellen unvereinbar erschien, die ein Zessionsrecht hinsichtlich Mitbürgen bejahten. Der Sache nach wandte man ein, gerade bei Mitbürgen bestehe im Vergleich zu sonstigen Gesamtschuldnern ein verstärktes Bedürfnis nach einem Zessionsregress. Weil sie in der Regel nicht durch ein regressbegründendes Innenverhältnis verbunden seien, drohe ohne Zessionsrecht die Gefahr der Gläubigerwillkür43. Tatsächlich hatte die Frage nach einem von Rechts wegen gewährten Regress bei Mitbürgen eine weitaus größere Bedeutung als bei sonstigen Gesamtschuldgruppen. Vertragliche Gesamtschuldner konnten in der Regel schon aus dem vertraglichen Innenverhältnis Regress nehmen, während ein Regress unter deliktischen Gesamtschuldnern häufig ohnehin ausgeschlossen oder nur in beschränktem Maße gewährt wurde. Es gab daher auch Versuche, die Regresslage bei Mitbürgen zu verstärken. Dies betraf in erster Linie die Regel, dass der Bürge nach vorbehaltsloser Zahlung an den Gläubiger keinen Regress mehr gegen die Mitbürgen nehmen konnte, weil ihre Verbindlichkeiten als erloschen galten. Angesichts dessen, dass der Bürge lediglich vor oder bei seiner Leistung die Abtretung hätte verlangen müssen, um Rückgriff gegen die Mitbürgen nehmen zu können, erschien der Regressausschluss als unbillig, weil er das Rückgriffsrecht von dem oft zufälligen Umstand des rechtzeitigen Abtretungsverlangens abhängig machte. Die ge38
Sintenis, Civilrecht, § 89 Fn. 52 (S. 149). Jhering, JhJb 10 (1871), 344 f. 40 Savigny, Obligationenrecht I, 226 ff.; hierzu oben, 276 f. 41 A.a.O., 274 ff. Dem folgte das OAG Dresden, SeuffA 17 Nr. 39 (4.10.1862). 42 A.a.O., 278. 43 Girtanner, Bürgschaft, 538 (Nr. 2) Fn. 9 (S. 537–538 gibt es zweimal); Hasenbalg, Bürgschaft, 428 ff.; Unger, JhJb 22 (1884), 276 Fn. 166; Goldschmidt, JhJb 26 (1888), 363 Fn. 31. 39
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meinrechtliche Praxis setzte sich daher häufig über das Erfordernis eines Abtretungsverlangens hinweg und ließ auch eine Zession nach vorbehaltsloser Zahlung oder sogar ein zessionsunabhängiges eigenes Rückgriffsrecht in Form einer analogen Geschäftsführungsklage zu44. Der praktische Unterschied zwischen beiden Regresswegen war minimal: Weil die zu Regresszwecken erfolgende Zession keine ausdrückliche Zessionserklärung des Gläubigers, sondern nur ein Abtretungsverlangen des Bürgen erforderte, unterschied sich der Regress über eine nachträglich verlangbare Zession von einem eigenen Geschäftsführungsregress lediglich dadurch, dass der Bürge gegenüber dem Gläubiger seinen Zessionswillen erklärt haben musste, bevor er gegen den Mitbürgen vorgehen konnte. Insbesondere kann der zessionsunabhängige eigene Regress über die actio negotiorum gestorum utilis nicht mit dem heutigen eigenen Rückgriffsrecht aus § 426 I BGB verglichen werden. Gemeinrechtlich ging es allein darum, das lästige Erfordernis des vorherigen Abtretungsverlangens auszuschalten, so dass der Regress funktional eher mit einem gesetzlichen Forderungsübergang vergleichbar ist. Die heutige Frage, ob ein eigenes Rückgriffsrecht auch dann gewährt werden sollte, wenn der Regresspflichtige dem Gläubigerzugriff nicht (mehr) unterliegt, stellte sich damals nicht. Voet und Pothier betrachteten die geschilderte Praxis mit Sympathie45, weil sie allen dogmatischen Schwierigkeiten zutrotz zumindest billige Ergebnisse erzielte. Auch im 19. Jahrhundert, als sich die Lehre wieder strenger auf die römischen Quellen besann, fand sich in der Literatur und insbesondere bei einem Teil der Rechtsprechung die Ansicht, dass ein Bürge auch noch nach seiner Zahlung an den Gläubiger die Abtretung der Klagen gegen die Mitbürgen verlangen konnte. Danach war die Absicht, die Forderungen gegen den Hauptschuldner und eventuelle Mitbürgen zu erwerben, bei jeder Bürgenleistung gesetzlich zu vermuten46. Ein Teil der Autoren, die sich für einen allgemeinen Gesamtschuldregress aussprachen, nahm davon auch die Mitbürgen nicht aus. Einige befürworteten für Mitbürgen einen Regress über eine fingierte Zession bzw. einen gesetzlichen Forderungsübergang47, während andere sich de lege 44 Zum römisch-holländischen Recht etwa Voet, Commentarius, zu D.46,1, § 30 a.E.; zum französischen Recht Pothier, Obligations, § 445; Mestre, Subrogation, § 17; ferner Hasenbalg, Bürgschaft, 416 f.; weitere Nachweise bei Girtanner, Bürgschaft, 254 ff.; Zimmermann, Obligations, 142; HKK/Haferkamp, §§ 765–778, Rz 82. 45 Voet, Commentarius, zu D.46,1, § 30 a.E.; Pothier, Obligations, § 445. 46 Hasenbalg, Bürgschaft, 417 ff., 428 ff.; OAG Kiel, SeuffA 7 Nr. 313 (9.3.1853); OAG Rostock, SeuffA 17 Nr. 40 (4.4.1863); OAG München, SeuffA 22 Nr. 142 (10.12.1867); RGZ 18, 235, 240 f. (9.11.1886). Dagegen aber ObTr Stuttgart, SeuffA 12 Nr. 117 (5.6.1857); OAG Dresden, SeuffA 17 Nr. 39 (4.10.1862); OAG Oldenburg, SeuffA 28 Nr. 225 (7.3.1873). 47 Zaun, ArchPrRW nF 1 (1864), 139 f.; Dernburg, Pandekten II, § 81 II 2. Im Ergebnis ebenso Girtanner, Bürgschaft, 538 (Nr. 2) f., allerdings nur für den Fall, dass der Bürge verklagt worden war. Dagegen OAG München, SeuffA 22 Nr. 237 (22.5.1868); OAG Oldenburg, SeuffA 28 Nr. 225 (7.3.1873). Puchtas Lehre von der fingierten Zession (Pandekten, § 108) bezog sich offenbar nicht auf den Bürgenregress, a.a.O., § 405 bei Fn. o.
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ferenda für ein zessionsunabhängiges eigenes Rückgriffsrecht der Mitbürgen aussprachen48.
b) Das Problem der Regressvereitelung Der Regress unter Mitbürgen fand also, sofern sie nicht durch ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis verbunden waren, nach herrschender Lehre lediglich mit Hilfe der zedierten Gläubigerforderung statt. Dies hatte neben dem eben geschilderten Problem des rechtzeitigen Abtretungsverlangens weitere Folgen. Da der leistende Mitbürge keine originär ihm zustehende, sondern die zedierte Gläubigerklage geltend machte, konnte der in Anspruch genommene Mitbürge alle Einreden erheben, die er gegen die Gläubigerklage gehabt hatte. Dies betraf etwa, wie schon erwähnt, die Einrede der Teilung, aber auch die Einrede der Vorausklage: Hatte etwa der Bürge B1, nicht aber der Bürge B2, auf diese Einrede verzichtet und nahm der Gläubiger B1 in Anspruch, ohne den Hauptschuldner belangt zu haben, dann konnte B2, wenn B1 Regress nehmen wollte, von B1 verlangen, zunächst den Hauptschuldner auszuklagen49. Vor allem aber war eine rechtsgeschäftliche oder fingierte Zession und damit ein Zessionsregress nicht mehr möglich, wenn die Forderung gegen den nicht leistenden Mitbürgen inzwischen nicht mehr bestand, insbesondere dann, wenn der Gläubiger diesem schon vor der Leistung einen Erlass gewährt hatte. Damit stellte sich die Frage, ob der leistende Bürge in irgendeiner Weise davor geschützt werden konnte, dass der Gläubiger den Zessionsregress vereitelte. Die Frage stellte sich auch beim Regress des Bürgen gegen den Hauptschuldner, allerdings in anderer Gestalt, weil der Bürge in der Regel einen eigenen Rückgriffsanspruch aus Auftrag oder G.o.A. gegen den Hauptschuldner hatte. Ein solches, auf dem Innenverhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner beruhendes, Regressrecht konnte durch eine Vereinbarung zwischen dem Gläubiger und dem Hauptschuldner, wonach der Gläubiger auf eine Klage verzichtete50, nicht zunichtegemacht werden51. Geschützt werden musste bei pacta de non petendo daher nicht der Bürge, sondern der Schuldner, dem der Klageverzicht wenig genützt hätte, wenn der Gläubiger den Bürgen und dieser wiederum den Schuldner belangen hätte können. Aus diesem Grund verschaffte ein sog. pactum de non petendo in rem – trotz der grundsätzlichen Unzulässigkeit von Verträgen zugunsten Dritter – auch dem regressberechtigten Bürgen eine exceptio pacti ge48
Unger, JhJb 22 (1884), 272 ff.; Kohler, JhJb 25 (1887), 122; Zaun, ArchPrRW nF 1 (1864),
139 f. 49
Ausdrücklich Hasenbalg, Bürgschaft, 437 Fn. 28. Vereinbarte der Gläubiger mit dem Hauptschuldner eine schuldaufhebende acceptilatio, wurde der Bürge ohnehin frei (oben, 1066 f.), so dass sich das Problem einer Regressvereitelung nicht stellte. 51 Vgl. Paulus D.46,1,71,1 zum Auftragsregress des vom Schuldner beauftragten Kreditmandators. 50
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genüber dem Gläubiger52. Die Vereinbarung konnte aber, als sog. pactum de non petendo in personam, auch den Inhalt haben, dass der Gläubiger lediglich auf eine Klage gegen den Schuldner selbst verzichtete. In diesem Fall stand dem Bürgen keine Einrede zu53. Anders als die Haftung des heutigen Bürgen war die Haftung des römischen fideiussor also nur beschränkt akzessorisch. Gemeinrechtlich bildete sich daraus die Regel, dass der Bürge zwar grundsätzlich die Einreden des Hauptschuldners geltend machen konnte, nicht aber persönliche Einreden wie die eines nur persönlich wirkenden Schulderlasses54. Eine Regressgefährdung für den Bürgen rief aber auch der persönliche Klageverzicht in der Regel nicht hervor. Zwar verhinderte das pactum, dass der Bürge mit Hilfe der abgetretenen Gläubigerklage gegen den Schuldner klagen konnte, weil er als procurator nicht mehr Rechte haben konnte als der Gläubiger selbst. Doch dem Bürgen verblieb sein eigener Rückgriffsanspruch. Der Zessionsregress verschaffte ihm nur den Vorteil, auf die Sicherheiten zugreifen zu können, die der Schuldner gestellt hatte. Dieser Vorteil blieb dem Bürgen aber erhalten. Die Regel, dass auf Dauer angelegte pacta de non petendo zum Untergang der Pfandrechte führten55, galt für den rein persönlich wirkenden Klageverzicht nicht56. Der Bürge konnte daher die Abtretung der Gläubigerrechte verlangen und, auch wenn ihm die Klage gegen den Schuldner verwehrt war, sich der Pfänder bedienen. Eine Vereitelung des Bürgenregresses durch einen persönlichen Klageverzicht kam nur dann in Betracht, wenn dem Bürgen, etwa weil er sich gegen den Willen des Schuldners verpflichtet hatte, kein eigener Rückgriffsanspruch zustand und die Hauptschuld nicht gesichert war, so dass der Bürge auf die Geltendmachung der Gläubigerklage angewiesen wäre. Dies setzt voraus, dass auch ein Bürge ohne eigenen Rückgriffsanspruch das Recht hätte, vom Gläubiger die Abtretung der Klage gegen den Schuldner zu verlangen, was für das römische Recht nicht sicher ist, gemeinrechtlich aber wohl überwiegend angenommen wurde57. Dann stellte sich die Frage, ob der Gläubiger überhaupt auf den Bürgen zugreifen konnte, wenn er zuvor dessen einzige Regressmöglichkeit zunichtegemacht hatte. Der Gläubiger konnte den Regress des Bürgen gegen den Hauptschuldner auch auf andere Weise gefährden oder vereiteln, etwa indem er den Hauptschuldner zu spät verklagte und dieser inzwischen insolvent war oder indem er ein Pfand freigab oder unwirtschaftlich verwertete. Die Frage, ob und wie der Bürge davor geschützt werden sollte, dass der Gläubiger den Regress gegen den Hauptschuldner oder gegen Mitbürgen vereitelte, 52
Paulus D.2,14,21,5 und l. 32, D.44,1,7,1; Inst. 4,14,4. Ulpian D.2,14,22. 54 Etwa Voet, Commentarius, zu D.2,14, § 14; Mühlenbruch, Cession, 437; Seuffert, Pandekten, § 385 Fn. 2; Hasenbalg, Bürgschaft, 334; Windscheid, Pandekten, § 477 Nr. 1 b; Baron, Pandekten, § 259 II 4 a; ObTr Stuttgart, SeuffA 4 Nr. 43 (18.12.1850). 55 Paulus D.2,14,17,2; Ulpian D.13,7,11,2. 56 Marcian D.20,6,5 pr. 57 Oben, 1092. 53
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wurde im Gemeinen Recht schon seit der Zeit der Glossatoren kontrovers diskutiert. Die römischen Quellen schienen eher gegen einen solchen Schutz zu sprechen, da sie ihn nur besonderen Gruppen persönlicher Kreditsicherer gewährten58. Der Ausfallbürge schuldete von vornherein nur das, was der Gläubiger nicht vom Hauptschuldner erlangen konnte. Hatte der Gläubiger eine tatsächlich bestehende Möglichkeit, die Forderung beim Hauptschuldner einzutreiben, schuldhaft versäumt, konnte er sich daher nicht mehr an den Ausfallbürgen halten59. Ähnlich verhielt es sich beim Kreditauftrag. Der Anspruch des Gläubigers gegen den Auftraggeber beruhte auf Auftragsrecht, also auf einem Vertrag bonae fidei, und korrespondierte mit der Pflicht des Gläubigers zur Abtretung der Klage gegen den Hauptschuldner. Der Gläubiger konnte daher nichts vom Kreditauftraggeber verlangen, wenn er die Klage durch eigenes Verschulden verloren hatte60. Der gewöhnliche Bürge konnte sich demgegenüber offenbar nicht auf eine schuldhafte Säumnis des Gläubigers bei der Rechtsverfolgung gegen den Hauptschuldner berufen61. Für Mitbürgen galt nach Paulus, dass der Klageverzicht gegenüber einem von ihnen die übrigen nicht befreite62. Zudem gab es ein Fragment von Julian, nach dem der Gläubiger, der einen Mitbürgen entlassen hatte, die gesamte offene Schuld vom verbleibenden Mitbürgen verlangen konnte63. Um trotz dieser Quellenlage einen Schutz des Bürgen zu erreichen, wurden gemeinrechtlich zwei sich teilweise überschneidende Wege eingeschlagen, einer über die Einrede der Vorausklage, ein anderer über das Zessionsrecht64. Die meisten gemeinrechtlichen Schriftsteller setzten eines dieser Instrumente zum Schutz des Bürgen gegen eine Regressvereitelung ein, manche auch beide. Der Schutz über die Einrede der Vorausklage beruhte auf folgendem Gedanken: Der Bürge konnte vom Gläubiger verlangen, zuerst den Hauptschuldner zu verklagen. Wäre aber der Gläubiger frei, den Hauptschuldner zu entlassen und dann ohne weiteres den Bürgen zu belangen, würde die Einrede der Vorausklage in das Belieben des Gläubigers gestellt. Aus diesem Grund sollte die Entlassung des Hauptschuldners dazu führen, dass das beneficium excussionis den Bürgen nun dauerhaft vor dem Zugriff des Gläubigers schützte65. Die Mehrheit der 58
Hierzu ausführlich Knütel, FS Flume I (1978), 566 ff. Modestin D.46,1,41 pr. 60 Papinian D.46,3,95,11. 61 So Scaevola D.46,1,62. Anders aber Philippus C.8,40,18, wonach der Bürge frei wird, soweit der Gläubiger das Pfand zu einem zu geringen Preis veräußert. Vielleicht handelt es sich hier um einen Ausfallbürgen, so Knütel, FS Flume I, 571 f.; vielleicht war die Frage auch umstritten. 62 Paulus D.2,14,23. 63 Julian D.46,1,15,1. 64 Zum Folgenden ausführlich Girtanner, Bürgschaft, 200 ff., 221 ff.; ferner Knütel, FS Flume I (1978), 560 f. 65 Zu dieser auf Baldus zurückgehenden Ansicht Girtanner, Bürgschaft, 213 f., 248 f.; ferner Voet, Commentarius, zu D.2,14, § 14; Pothier, Obligations, § 380; Mühlenbruch, Cession, 437 Fn. 438; ders., Pandekten, § 486 Fn. 12; Seuffert, Pandekten, § 385 Fn. 2; Hasenbalg, Bürgschaft, 554 ff.; Windscheid, Pandekten, § 478 Fn. 6; Arndts, Pandekten, § 357; Wächter, Pandekten, Beilage zu § 195, II 2; Baron, Pandekten, § 259 II 4 a; Dernburg, Pandekten II, § 82 Nr. 3. 59
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Schriftsteller ging darüber hinaus und gewährte dem Bürgen auch dann eine Einrede, wenn der Gläubiger aus einem anderen Grund durch sein Verschulden die Klage verloren hatte oder wenn seine Rechtsverfolgung gegen den Hauptschuldner durch sein Verschulden erfolglos geblieben war, etwa wenn er die Anmeldefrist im Konkurs versäumt hatte66. Die entgegenstehenden Quellenstellen erklärte man damit, dass die Einrede der Vorausklage erst im justinianischen Recht eingeführt worden war. Nach klassischem Recht sei nur der Ausfallbürge und Kreditmandator gegenüber einem Verschulden des Gläubigers bei seiner Rechtsverfolgung geschützt gewesen, doch die Novelle 4 habe den gewöhnlichen Bürgen dem Ausfallbürgen und dem Kreditmandator gleichgestellt. Der Bürge hafte also nur für das, was der Gläubiger ohne eigenes Verschulden vom Hauptschuldner nicht erlangen könne. Die römische Regel, wonach ein persönlicher Klageverzicht gegenüber dem Hauptschuldner den Bürgen nicht befreie, sei insofern obsolet geworden67. Dem Einwand der Gegenansicht68, die Bürgschaft sei ein einseitiger Vertrag zugunsten des Gläubigers und könne keine Diligenzpflichten des Gläubigers gegenüber dem Bürgen begründen, begegnete man mit dem Argument, es gehe nicht um Pflichten des Gläubigers, sondern um eine von vornherein nur bedingte Haftung des Bürgen69. Im 19. Jahrhundert war der Schutz des Bürgen über das beneficium excussionis bei einer Entlassung des Hauptschuldners und bei nachlässiger Rechtsverfolgung nicht nur in der herrschenden Lehre, sondern auch in der Rechtsprechung anerkannt, wobei man diese Einrede in der Regel davon abhängig machte, dass dem Bürgen tatsächlich ein Schaden entstanden war70. Der andere Weg zum Bürgenschutz führte über das beneficium cedendarum actionum, nach dem der Bürge nur gegen Abtretung der Klagen gegen den 66 Voet, Commentarius, zu D.46,1, § 38; von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT, Kap. 18/1, Nr. 10 m.w.N., Nr. 16 (S. 868 f., 881); Vangerow, Pandekten, § 578 Anm. 4; Puchta, Pandekten, § 405; Seuffert, Pandekten, § 385 Fn. 9; Sintenis, Civilrecht, § 129 bei Fn. 60; Windscheid, Pandekten, § 478 bei Fn. 10; Wächter, Pandekten, § 270; Wendt, Pandekten, § 270; Dernburg, Pandekten II, § 82 Nr. 3; Girtanner, Bürgschaft, 439, 483 ff.; Hasenbalg, Bürgschaft, 544 ff., 557 ff.; Geib, Bürgschaftsrecht, 31 ff.; dagegen aber Pothier, Obligations, § 414. 67 Mühlenbruch, Cession, 437 Fn. 438; Girtanner, Bürgschaft, 247 f., 514; Seuffert, Pandekten, § 385 Fn. 2; Windscheid, Pandekten, § 477 Fn. 15; Wächter, Pandekten, Beilage zu § 195, II 2; Baron, Pandekten, § 259 II 4 a; OAG Lübeck, SeuffA 6 Nr. 40 (13.9.1850). 68 Jäger, ZCRPr 5 (1832), 231 ff. 69 Vangerow, Pandekten, § 578 Anm. 4; Girtanner, Bürgschaft, 483; Geib, Bürgschaftsrecht, 180. 70 Zur Entlassung des Hauptschuldners OAG Lübeck, SeuffA 6 Nr. 40 (13.9.1850); zur nachlässigen Rechtsverfolgung ObTr Stuttgart, SeuffA 7 Nr. 312 (4.11.1853); ObTr Berlin, SeuffA 12 Nr. 240 (23.3.1858); ObG Wolfenbüttel, SeuffA 19 Nr. 22, S. 43 (20.10. und 4.11.1864); OAG Kiel, SeuffA 39 Nr. 43 (18.5.1883); RG SeuffA 36 Nr. 40 (III, 20.2.1880); RG SeuffA 39 Nr. 12 (III, 6.2.1883); RG JW 1891, 74 Nr. 21 (III, 28.11.1890). Ein Schutz des Bürgen gegen nachlässige Rechtsverfolgung wurde wegen des Verzichts auf die Einrede der Vorausklage verneint in OAG Cassel, SeuffA 20 Nr. 21 (25.8.1865); OLG Darmstadt, SeuffA 40 Nr. 107 (10.6.1884); RGZ 4, 185, 192 (I, 21.5.1881); RG SeuffA 51 Nr. 178 (VI, 14.3.1895). Gegen eine Diligenzpflicht OAG Celle, SeuffA 11 Nr. 243 (Urteile v. 18.12.1829 und 29.7.1843); unentschieden OAG Jena, SeuffA 16 Nr. 112 (20.6.1841).
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IV. Regress und Regressvereitelung
Hauptschuldner und die Mitbürgen leisten musste. Schon bei den Glossatoren fand sich die Ansicht, der Bürge werde frei, wenn der Gläubiger aus eigenem Verschulden nicht in der Lage zur Klagenzession sei, etwa weil er dem Hauptschuldner oder Mitbürgen einen Erlass gewährt habe71. Diese Auffassung vom beneficium cedendarum actionum als rechtsvernichtender Einrede findet sich bei einem Teil der gemeinrechtlichen Schriftsteller72. Auch hier konnte man die entgegenstehenden Quellenstellen damit erklären, dass ein allgemeines Recht zur Klagenabtretung erst durch Justinians Novelle 4 eingeführt worden sei. Eine Reihe von Urteilen aus dem 19. Jahrhundert hielt den Bürgen daher im Hinblick auf sein Zessionsrecht für befreit, wenn eine Abtretung der Hauptforderung oder ihrer Sicherheiten wegen eines Verschuldens des Gläubigers nicht mehr möglich war73. Das Verhältnis zwischen diesen beiden Schutzmechanismen war nicht immer klar. Der Schutz über ein rechtsvernichtendes beneficium cedendarum actionum wurde teilweise davon abhängig gemacht, dass der Bürge nicht auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hatte74. In der Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts wurde der Bürge oft vor einem durch den Gläubiger verschuldeten Verlust der Klage gegen den Hauptschuldner geschützt, ohne dass deutlich gemacht wurde, auf welcher Einrede dieser Schutz beruhte75. Doch in der Lehre wurde zu dieser Zeit deutlich zwischen den beiden Schutzmechanismen differenziert. Dies war zunächst einmal bedeutsam für die Fälle des Einredenverzichts. Ein Schutz über die Einrede der Vorausklage kam nur in Betracht, wenn der Bürge nicht durch eine Verbürgung als Selbstschuldner auf diese Einrede verzichtet hatte, was wohl häufig war76. Möglich und offenbar ebenfalls häufig77 war aber auch ein Verzicht auf das beneficium cedendarum actionum. Dieser führte nach herrschender Lehre 71 Siehe die Darstellungen bei Girtanner, Bürgschaft, 211 ff., 248; Hasenbalg, Bürgschaft, 404 ff. 72 Voet, Commentarius, zu D.2,14, § 14, zu D.46,1, § 29; Pothier, Obligations, §§ 557, 617; Chop, AcP 15 (1832), 68 ff.; Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 180 III 2; Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 36 f.; Puchta, Pandekten, § 405; Arndts, Pandekten, § 357 mit Anm. 2; Dernburg, Pandekten II, § 82 Nr. 3 mit Fn. 7; ähnlich Knorr, AcP 28 (1846), 175 ff. (der den Bürgen nur in Höhe seines tatsächlichen Ausfalls schützen will). In Bezug zumindest auf den Hauptschuldnerregress auch von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT, Kap. 18/1, Nr. 15 (S. 879); Seuffert, Pandekten, § 385 Fn. 26. 73 ObTr Stuttgart, SeuffA 7 Nr. 311 (21.2.1854), SeuffA 7 Nr. 312 (4.11.1853); ObG Wolfenbüttel, SeuffA 19 Nr. 22 a.E. (20.10. und 4.11.1864); OLG Celle, SeuffA 20 Nr. 36 (1865); ObTr Berlin, SeuffA 31 Nr. 33 (25.1.1875); RGZ 4, 185, 190 f. (I, 21.5.1881); für den Fall der bewussten Aufgabe einer Sicherheit OLG Hamburg und RG, SeuffA 52 Nr. 154 (28.1.1896 und VI, 6.7.1896); vgl. auch RGZ 28, 187, 192 f. (III, 5.1.1892). 74 Vgl. Girtanner, Bürgschaft, 248, 471; Hasenbalg, Bürgschaft, 404 ff. 75 OAG Dresden, SeuffA 4 Nr. 42 (15.5.1850); OAG Lübeck, SeuffA 6 Nr. 41 (20.7.1848); in beiden Urteilen wohl Einrede der Vorausklage; ObTr Stuttgart, SeuffA 7 Nr. 34 (15.7.1845) und Nr. 311 (21.2.1854), jew. wohl beide Einreden; OHG Mannheim, SeuffA 7 Nr. 315; vgl. auch RGZ 18, 235, 237 ff. (III, 9.11.1886). 76 Vgl. Girtanner, Bürgschaft, 203 f.; Hasenbalg, Bürgschaft, 604. 77 So Vinnius, Institutionenkommentar, zu Inst. 3,20(21),4, § 10; Girtanner, Bürgschaft, 200 ff., 250.
1. Römisches und Gemeines Recht
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nicht zur Verwirkung des Rechts auf Klageabtretung, sondern lediglich dazu, dass es nicht mehr im Wege der Einrede geltend gemacht werden konnte78. Der Bürge musste dann gegenüber dem Gläubiger unbedingt leisten und konnte eine Abtretung nur dann verlangen, wenn der Gläubiger die Klagen noch hatte. Verzichtete der Bürge nur auf eine von beiden Einreden, konnte die Frage, auf welcher Einrede der Schutz vor einer Regressvereitelung beruhte, unmittelbar relevant werden. Vor allem aber war die Art der schützenden Einrede bedeutsam, wenn der Gläubiger den Regress gegen einen Mitbürgen durch Erlass vereitelt hatte. Die Einrede der Vorausklage konnte hier nicht helfen, weil sie sich nur auf das Verhältnis des Bürgen zum Hauptschuldner bezog. Ein funktionales Äquivalent für Mitbürgen war die Einrede der Teilung. Demgemäß konnte man hier die Frage stellen, ob ein Bürge diese Einrede erheben konnte, obwohl der Gläubiger den Mitbürgen zuvor entlassen hatte. Diese Frage wurde aber selten angesprochen. Das genannte Fragment von Julian, nach dem der Gläubiger den verbleibenden Mitbürgen in voller Höhe in Anspruch nehmen kann79, schien einer solchen Ausdehnung der Teilungseinrede entgegenzustehen80. Hier konnte man auch nicht mit einer Reform im justinianischen Recht argumentieren, weil es das beneficium divsionis der Mitbürgen schon im klassischen Recht gegeben hatte. Ein Teil der Literatur bejahte trotzdem das Recht des Bürgen, eine Teilung auch dann verlangen zu können, wenn der (solvente) Mitbürge entlassen worden war81. In dieser Auslegung schützte also das beneficium divisionis den Mitbürgen vor einer Regressvereitelung. Anders als der Weg über die Einrede der Vorausklage schützte der Weg über das Zessionsrecht auch den Regress gegenüber Mitbürgen. Die Bejahung eines rechtsvernichtenden beneficium cedendarum actionum führte zu einer anteiligen Befreiung des verbleibenden Mitbürgen in Höhe des Innenanteils des entlassenen. Vereinzelt wurde der Schutz sogar auf den Mitbürgenregress beschränkt mit dem Argument, gegenüber dem Hauptschuldner stehe dem Bürgen ohnehin ein eigenes Regressrecht zu, während die Entlassung eines Mitbürgen den Regress vollständig zu vernichten drohe82. Teilweise beschränkte man den Schutz auch auf den Regress gegenüber demjenigen Mitbürgen, auf den sich der in Anspruch
78 Vgl. Girtanner, Bürgschaft, 250 f. m.w.N., 537 (Nr. 2); Hasenbalg, Bürgschaft, 461 ff.; OAG Jena, SeuffA 17 Nr. 144 (12.5.1854); anders Mühlenbruch, Cession, § 37 V 1, S. 413; hierzu HKK/ Haferkamp, §§ 765–778, Rz 84. 79 Julian D.46,1,15,1. 80 So ausdrücklich Girtanner, Bürgschaft, 461; Hasenbalg, Bürgschaft, 470, 487 ff. 81 Windscheid, Pandekten, § 479; Dernburg, Pandekten II, § 81 II 1, § 82 Nr. 3; Goldschmidt, JhJb 26 (1888), 367 ff. Das Fragment Julian D 46,1,15,1, das dem verbleibenden Mitbürgen eine Einrede abspricht, musste dann beiseite geschoben werden, etwa mit der Erwägung, es beziehe sich allein auf die exceptio pacti, die dem nicht kontrahierenden Mitbürgen selbstverständlich nicht zustehe, nicht auf das beneficium divisionis, oder mit dem Argument, im konkreten Fall sei die Teilungseinrede aus irgendeinem Grunde ausgeschlossen gewesen. 82 Voet, Commentarius, zu D.2,14, § 14.
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IV. Regress und Regressvereitelung
genommene Bürge bei Eingehung seiner Verpflichtung verlassen hatte83. Danach wurde ein Bürge nicht dadurch frei, dass der Gläubiger später einen zweiten Bürgen annahm und diesen wieder entließ. Es gab aber auch eine Reihe von Schriftstellern, die eine rechtsvernichtende Funktion des beneficium cedendarum actionum ganz ablehnten84. Das Zessionsrecht, so wurde argumentiert, beruhe auf der Arglisteinrede. Der Gläubiger verhalte sich arglistig, wenn er ein ihm zustehendes Recht nicht abtrete, obwohl die Abtretung für ihn keinerlei Nachteil bedeute. Hiermit sei es nicht vereinbar, die Einrede gegenüber einem Gläubiger geltend zu machen, der zur Zession nicht imstande sei. Der Gläubiger sei nicht zur Erhaltung der Klagen verpflichtet, sondern nur zur Abtretung in dem Fall, dass er sie noch habe. Über den Schutz des Mitbürgen vor einer Regressvereitelung bestand danach im 19. Jahrhundert keine Einigkeit. Manche schützten den Bürgen nur über die Einrede der Vorausklage und schlossen den Schutz des Mitbürgenregresses damit aus. Die Entlassung eines Mitbürgen berührte dann die Stellung der übrigen Mitbürgen nicht85. Andere bejahten einen Schutz über das beneficium cedendarum actionum, vereinzelt auch über die Teilungseinrede, und damit eine anteilige Befreiung des Bürgen bei der Entlassung des Mitbürgen86. Dasselbe Ergebnis erreichten diejenigen, die argumentierten, dass der Bürgschaftsvertrag nach modernem Recht ein Vertrag bonae fidei sei und der Gläubiger sich treuwidrig verhalte, wenn er vorsätzlich oder aus Nachlässigkeit die Einreden des Bürgen vereitele, wozu auch das Zessionsrecht gegen Mitbürgen gehörte87. Das geschilderte Problem entstand deshalb, weil der Mitbürgenregress als reiner Zessionsregress ausgestaltet war. Ein Zessionsregress gegen einen entlassenen Mitbürgen war nicht möglich, so dass nur die Lösungen übrig blieben, den verbleibenden Mitbürgen regresslos haften zu lassen oder diesen zulasten des Gläubigers anteilig zu befreien. Die heute als selbstverständlich angesehene dritte Lösung, trotz des Erlasses ein Regressrecht gegen den Entlassenen zu gewähren, kam den gemeinrechtlichen Autoren nicht in den Sinn. Die Mitbürgen, zumindest in Gestalt der Nebenbürgen, waren durch kein Rechtsverhältnis verbunden und mussten nichts voneinander wissen. Der Bürge, der mit dem Gläubiger einen Erlass vereinbart hatte, konnte sicher sein, endgültig, auch vor Ausgleichsansprüchen möglicher Nebenbürgen, befreit zu sein. 83 Pothier, Obligations, §§ 557, 617; von Holzschuher, Theorie II/2, OR BT, Kap. 18/1, Nr. 16 (S. 881); Knorr, AcP 28 (1846), 175 (der schon das Zessionsrecht davon abhängig macht); ObTr Stuttgart, SeuffA 7 Nr. 311 (21.2.1854); vgl. Girtanner, Bürgschaft, 213. 84 Insbesondere Girtanner, Bürgschaft, 468 ff.; ferner Kreittmayr, Anmerkungen IV, 578 m.w.N.; Mühlenbruch, Cession, 436 ff.; Hasenbalg, Bürgschaft, 402 ff., Sintenis, Civilrecht, § 129 Fn. 59. 85 So Mühlenbruch, Cession, 438; Girtanner, Bürgschaft, 472 ff.; Hasenbalg, Bürgschaft, 412, 489, 575 ff.; Sintenis, Civilrecht, § 129 Fn. 59. 86 Unterholzner, Schuldverhältnisse, § 180 III 2; Puchta, Pandekten, § 405; Rückert, ZCRPr nF 12 (1855), 36 f.; Windscheid, Pandekten, § 479 Fn. 7; OAG Celle, SeuffA 20 Nr. 36 (1865); ähnlich ObTr Stuttgart, SeuffA 31 Nr. 140 (1.10.1874). 87 Arndts, Pandekten, § 357, Anm. 2; Dernburg, Pandekten II, § 82 Nr. 3 mit Fn. 7.
2. Die Lösungen in den Regelwerken
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2. Die Lösungen in den Regelwerken Die große Mehrheit der Kodifikationen und Entwürfe kannte einen gesetzlichen Gesamtschuldregress. Den Kernbreich der jeweiligen Gesamtschuldregeln bildeten vertraglich vereinbarte Gesamtschuldverhältnisse. Demnach erschien es konsequent, auch für gemeinschaftliche Mitbürgen ein gesetzliches Rückgriffsrecht vorzusehen, um sie nicht schlechter zu stellen als sonstige gemeinschaftliche Vertragsgesamtschuldner. Hinzu kam die Tradition des einheimischen Rechts, das Mitbürgen oft ein eigenes Regressrecht gewährt hatte. Bei Nebenbürgen konnte man die Regressfrage dagegen unterschiedlich beantworten. Einerseits kannte das Gemeine Recht kein Regressrecht unter Nebenbürgen; und auch im einheimischen Recht hatte sich der Mitbürgenregress wohl auf gemeinschaftliche Mitbürgen beschränkt. Andererseits hatten Nebenbürgen gemeinrechtlich einen anteiligen Zessionsregress, so dass auch in Frage kam, das unpraktische Erfordernis des vorherigen Abtretungsverlangens gesetzlich abzuschaffen und damit im Ergebnis auch Nebenbürgen ein abtretungsunabhängiges Regressrecht zu gewähren. Daneben stellte sich die Frage nach der Rolle des Zessionsregresses. Sämtliche Regelwerke sahen einen Übergang der Gläubigerforderung auf den leistenden Bürgen vor; aber nicht immer war klar, ob dieser auch Forderungen gegen Mitbürgen betraf. Soweit diese nun ein eigenes Regressrecht hatten, konnte man den Forderungsübergang bei ihnen als überflüssig ansehen. Möglich war es aber auch, den Forderungsübergang bei Mitbürgen wegen seiner regresssichernden Funktion zu bejahen, womit Mitbürgen häufig eine bessere Position eingeräumt wurde als gewöhnlichen Gesamtschuldnern, denen die Mehrheit der Regelwerke keinen Zessionsregress gewährte. Hatten Nebenbürgen untereinander kein eigenes Rückgriffsrecht, fragte es sich, ob dann nicht zumindest der Forderungsübergang zugunsten des Bürgen zu einem Regress in anteiliger oder auch voller Höhe führte. Soweit gemeinschaftlichen Mitbürgen oder Nebenbürgen ein eigenes Rückgriffsrecht zustand, stellt sich zumindest aus heutiger Sicht die Frage nach dessen Ausgestaltung. Handelte es sich eher um einen bereicherungsrechtlich ausgestalteten subrogationsähnlichen Regress, der davon abhängig ist, dass der zahlende Bürge den Mitbürgen tatsächlich von einer Schuld gegenüber dem Gläubiger befreit hat, oder um ein Regressrecht, das mit Begründung der Mitbürgschaft entsteht und danach vom weiteren Schicksal der Gläubigerforderung unabhängig ist, so dass es auch gegen einen entlassenen Mitbürgen geltend gemacht werden kann? Die Verfasser der Regelwerke äußerten sich zumeist nicht direkt zu dieser Frage. Sie wurde aber bedeutsam für das Problem der Regressvereitelung. Die Regelwerke sahen in der gemeinrechtlichen Tradition Vorschriften vor, wonach der Bürge frei wurde, soweit der Gläubiger für die Hauptschuld bestellte Sicherheiten aufgab. Gehörten zu diesen Sicherheiten auch weitere Bürgschaften? War ein solcher Schutz des Bürgen angesichts dessen, dass er ein eigenes vertragliches oder gesetzliches Rückgriffsrecht gegen
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IV. Regress und Regressvereitelung
seine Mitbürgen hatte, überhaupt erforderlich? Führte die Entlassung eines Mitbürgen zum Fortfall des Mitbürgenregresses, vor dem man den verbleibenden Mitbürgen schützen wollte?
a) Preußen Das preußische ALR verwies bei gemeinschaftlichen Mitbürgen auf die Regeln zur Vertrags-Gesamtschuld, was bedeutete, dass der Regress sich nach dem Innenverhältnis richtete und im Zweifel kopfteilig war88. Unter Nebenbürgen sollte demgegenüber „keine gemeinsame Verbindlichkeit“ und damit „keine gegenseitige Vertretung“ stattfinden89, womit gemeint war, dass es keine Ausgleichspflichten gab90. Etwa anderes ergab sich nach herrschender Lehre auch nicht aus dem Eintrittsrecht des leistenden Bürgen in die Rechte des Gläubigers91. Zwar bezog sich dieses Eintrittsrecht entgegen seinem Wortlaut nicht nur auf die Rechte gegen den Hauptschuldner, sondern auch auf Drittsicherheiten92. Doch zum einen war das Rechtsverhältnis unter Mitbürgen besonders geregelt: Während es für vom Hauptschuldner bestellte Sicherheiten ein Aufgabeverbot gab, bei dessen Verletzung der Bürge frei wurde, sofern ihm ein Schaden entstanden war93, ließ die Entlassung eines Mitbürgen sowohl die Rechte des Gläubigers gegen die verbleibenden Mitbürgen als auch das Verhältnis der Bürgen unter sich unberührt94. Zum anderen erschien es wenig sachgerecht, die gesetzliche Entscheidung gegen einen Nebenbürgenregress durch Bejahung eines anteiligen oder sogar totalen Zessionsregresses zu unterlaufen. Nach herrschender Lehre umfasste daher das Eintrittsrecht des Bürgen nicht Rechte gegen weitere Bürgen95. Unter Nebenbürgen 88
ALR I 14 §§ 373–374 i.V.m. I 5 §§ 443–445. ALR I 14 §§ 378–379. 90 Koch, ALR, zu I 10 § 378, Anm. 76; Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht I, § 63 Fn. 52; Dernburg, Preußisches Privatrecht II, § 246 a.E.; Gruchot, Gruch 3 (1858), 89 ff.; ders., Gruch 16 (1872), 766 ff.; RGZ 7, 184 (3.3.1882). 91 ALR I 14 § 338. Daneben hatte der Bürge einen eigenen Aufwendungsersatzanspruch, I 14 § 351. Hatte er sich aber gegen den Willen des Schuldners verpflichtet, galten allein die Regeln zur unberechtigten G.o.A., I 14 § 341. Danach konnte der Bürge offenbar dann Ersatz seiner Aufwendungen verlangen, wenn der Hauptschuldner die Zahlung genehmigte, I 13 § 251. 92 So auch RGZ 3, 34, 45 ff. (24.11.1880); Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht II, § 144 bei Fn. 100 (S. 433); Dieckmann, Derivativregreß, 56. Für den Fall der Drittzahlung i.S.d. heutigen § 267 BGB traf das ALR eine Unterscheidung: Der Drittzahler trat zwar von selbst in die Rechte des Gläubigers gegen den Schuldner ein, konnte aber gegen Bürgen oder sonstige Sicherheitsgeber nur nach einer ausdrücklichen Zession vorgehen, I 16 §§ 46–48. Eine derartige Differenzierung wird beim Eintrittsrecht des Bürgen gerade nicht getroffen. Doch selbst wenn das Eintrittsrecht des Bürgen sich nicht auf Dritte bezöge, könnte der Bürge eine ausdrückliche Zession verlangen und damit gegen Drittsicherer vorgehen, I 14 § 339, I 11 § 442. 93 ALR I 14 §§ 331–333. 94 ALR I 14 § 390. 95 Ausführlich Bornemann, Preußisches Civilrecht III, 507 ff.; ferner Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht II, § 144 Fn. 100 (S. 433); Dernburg, Preußisches Privatrecht II, § 245 Fn. 6; Hasenbalg, Bürgschaft, 465; anders Dresd. Prot. 3457, 3459, 3544. 89
2. Die Lösungen in den Regelwerken
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fand danach gar kein Regress statt. Unter gemeinschaftlichen Mitbürgen bestand dagegen ein Ausgleichsverhältnis, das durch einen Erlass nicht beeinträchtigt werden konnte und im Folgenden als „Schuldgemeinschafts-Modell“ bezeichnet wird. Vereinzelt wurden die Vorschriften des ALR aber auch anders auslegt. Anlass hierfür war zum einen, dass man die Regresslosigkeit bei Nebenbürgen wegen der Gefahr der Gläubigerwillkür als unbefriedigend empfinden konnte96, zum anderen, dass das preußische Obertribunal die Regel zum Eintrittsrecht des Bürgen entgegen ihrem Wortlaut auf Sicherheiten beschränkte, die schon bei Eingehung der Bürgschaft bestanden97. Nach Koch sollte das Eintrittsrecht daher einerseits Ansprüche gegen gemeinschaftliche Mitbürgen (offenbar anteilig) und andererseits Ansprüche gegen solche Nebenbürgen, die sich vor dem zahlenden Bürgen verpflichtet hatten, umfassen98. Dieselbe Regelung war bei der (nicht umgesetzten) Preußischen Gesetzesrevision von 1831 geplant99. Nach Koch (de lege lata) und den Vorschlägen der Gesetzesrevision (de lege ferenda) betraf das Aufgabeverbot nur frühere Sicherheiten und damit frühere Nebenbürgen, während es für gemeinschaftliche Mitbürgen beim Schuldgemeinschaftsmodell blieb, also einem Ausgleichsverhältnis, das durch die Entlassung eines Bürgen nicht berührt wurde100. Unter Nebenbürgen sollte nach Koch und nach der preußischen Gesetzesrevision also ein Stufenregress stattfinden: Zahlte der spätere Nebenbürge B2, konnte er gegen den früheren Nebenbürgen B1 Regress nehmen, und zwar offenbar in voller Höhe; zahlte dagegen B1, hatte er keinen Regress. Entließ der Gläubiger B1, entzog er B2 sein Regressrecht, womit auch B2 frei wurde. Entließ der Gläubiger B2, blieb B1 verhaftet, weil er ohnehin keinen Regress hatte. Der zugrundeliegende Gedanke, dass ein Bürge sich im Vertrauen auf bereits bestehende Sicherheiten verpflichtet und daher auch von diesen Sicherheiten profitieren kann, während er keine Rechte hinsichtlich Sicherheiten hat, die nach seiner Bürgschaft dazugekommen sind101, wurde auch zum Gemeinen Recht geäußert102, fand dort aber wegen der entgegenstehenden Quellen keine Gefolgschaft. Im Rahmen des kodifizierten Rechts hingegen sollte er nicht nur in Preußen eine bedeutende Rolle spielen.
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Kritik an der preußischen Regelung daher bei Gruchot, Gruch 16 (1872), 766 ff. Nachweise bei Gruchot, Gruch 16 (1872), 727 f.; Dieckmann, Derivativregreß, 57, 59. 98 Koch, ALR, zu I 14 § 338, Anm. 54–55; ders., Forderungen III, § 369 III, S. 1043. Auch bei den Beratungen zum Dresdener Entwurf ging man davon aus, dass das preußische Eintrittsrecht Mitbürgen umfasste, Dresd. Prot. 3457, 3459, 3544. 99 ALR-RevE (abgedruckt in Schubert/Regge, Quellen II 3), §§ 313, 353. 100 Koch, ALR, zu I 14 § 331, Anm. 49, zu I 14 § 390, Anm. 82; ALR-RevE, §§ 304, 363, 364. 101 Preußische Gesetzesrevision, Schubert/Regge, Quellen II 3, 794 f. (Motive zu E § 304), 796 f. (Motive zu E §§ 311–313), 800 (Motive zu §§ 347 ff.). 102 Knorr, AcP 28 (1846), 170 f., 173; oben, 1094 f. 97
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IV. Regress und Regressvereitelung
b) Österreich Nach § 1359 ABGB findet unter Mitbürgen der Gesamtschuldregress nach § 896 ABGB statt. Zusätzlich sieht § 1358 ABGB ein Eintrittsrecht des leistenden Bürgen in die Gläubigerforderung mit sämtlichen Sicherheiten vor. § 1360 ABGB statuiert ein Aufgabeverbot hinsichtlich Pfändern, allerdings nur solchen, die zum Zeitpunkt der Bürgenverpflichtung schon bestanden. Dagegen befreit nach § 1363 S. 3 ABGB die Entlassung eines Mitbürgen diesen nicht vor Regressansprüchen der übrigen Mitbürgen. Eine entsprechende Regel für Gesamtschuldner findet sich schon in § 896 S. 3 ABGB. Ursprünglich wollte der Gesetzgeber sowohl Gesamtschuldnern als auch Mitbürgen ein Regressrecht nur im Fall eines besonderen Innenverhältnisses gewähren103. Bei Mitbürgen wurde die Ausgleichsfrage kontrovers diskutiert: Da man sich gegen die gemeinrechtliche Teilungseinrede entschieden hatte, bedeutete die geplante Regel, dass unter Nebenbürgen anders als nach Gemeinem Recht gar keine Lastenverteilung mehr stattfand und die Gefahr der Gläubigerwillkür drohte104. Bei der Revision 1807 hatte sich die Lage geändert, weil man sich bei der Gesamtschuld mittlerweile auf einen allgemeinen Gesamtschuldregress geeinigt hatte. Dieselbe Regel sollte nun auch für Mitbürgen gelten. Ebenso wie bei der Gesamtschuld sollte ein Regress auch gegen einen vom Gläubiger entlassenen Mitschuldner möglich sein. Kontrovers war aber, ob dieses SchuldgemeinschaftsModell auch für Nebenbürgen gelten sollte, die keine Kenntnis voneinander haben mussten. Die Mehrheit entschied sich zugunsten einer Einbeziehung der Nebenbürgen mit dem Argument, dass der leistende Bürge ohnehin mit Hilfe des Eintrittsrechts Rückgriff gegen weitere Bürgen nehmen könne105. Hieraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber gemeinschaftliche und Nebenbürgen gleich behandeln wollte. Unter Mitbürgen entstand dieselbe Schuldgemeinschaft wie unter gewöhnlichen Gesamtschuldnern. Zusätzlich sollte aber auch das Eintrittsrecht des § 1358 und damit ein (offenbar anteiliger) Zessionsregress stattfinden106. Das Aufgabeverbot wurde vom Gesetzgeber bewusst auf dingliche Sicherheiten beschränkt, weil die Entlassung eines Bürgen einen Regress des Mitbürgen nicht vereitelte107. Im 19. Jahrhundert wurden die Mitbürgenvorschriften des ABGB jedoch von der herrschenden Lehre, welcher der Oberste Gerichtshof folgte, anders ausgelegt. Weil ein eigenes Regressrecht, das noch dazu unabhängig von einer Entlassung des Regresspflichtigen bestand, bei Nebenbürgen ungewohnt war, beschränkte man den Tatbestand der Regressvorschrift des § 1359 ABGB auf ge-
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Zur Gesamtschuld Urentwurf III, § 38, und oben, 269; zur Mitbürgschaft Urentwurf III,
§ 512. 104 105 106 107
Ofner, Ur-Entwurf II, 220 f. Ofner, Ur-Entwurf II, 444. So auch Zeiller, ABGB, § 1358 Anm. 3; anders Hasenbalg, Bürgschaft, 465. Ofner, Ur-Entwurf II, 224 f.; unklar Zeiller, ABGB, § 1360 Anm. 2.
2. Die Lösungen in den Regelwerken
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meinschaftliche Mitbürgen108. § 1359, so wurde argumentiert, verweise auf die Regel des § 896 ABGB, die nur bei gemeinschaftlicher Verpflichtung anwendbar sei. Nebenbürgen hätten mangels Innenverhältnis kein eigenes Regressrecht. Unterschiedlich beurteilt wurde dabei, welche Rolle dann dem Eintrittsrecht des § 1358 ABGB bei Nebenbürgen zukam. Manche schlossen einen Regress offenbar ganz aus109 und verneinten damit ein Eintrittsrecht hinsichtlich Nebenbürgen. Andere bejahten ein Eintrittsrecht, bezogen es aber entgegen dem Wortlaut des § 1358 nur auf Sicherheiten, die schon zum Zeitpunkt der Bürgenverpflichtung bestanden110. Damit kamen sie zum selben Stufenregress, der auch zum preußischen Recht vorgeschlagen worden war: Verbürgt sich zuerst der Nebenbürge B1 und danach B2, soll B2 mit Hilfe des Eintrittsrechts Totalregress gegenüber B1 nehmen können, während B1 keinen Regress hat. Für Nebenbürgen sollte daher auch das eigentlich nur für Pfänder geltende Aufgabeverbot des § 1360 ABGB anwendbar sein: Entließ der Gläubiger B1, entzog er damit B2 den Regress, womit B2 frei wurde111. Das Blatt wendete sich wiederum zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Aus der mittlerweile allgemein zugänglichen Entstehungsgeschichte des § 1359 ABGB und aus seinem Wortlaut folgerten Rechtsprechung und Lehre nun seine Anwendbarkeit auch auf Nebenbürgen112. Eine völlige Regresslosigkeit, so argumentierte man nun, berge die Gefahr der Gläubigerwillkür und habe auch im Gemeinen Recht nicht bestanden, das zumindest einen Zessionsregress kannte. Nach heute wohl allgemeiner Ansicht gilt die in § 1359 angeordnete Ausgleichspflicht gleichermaßen für gemeinschaftliche Mitbürgen und für Nebenbürgen113. Neben § 1359 findet auch § 1358 Anwendung, so dass den Mitbürgen, anders als gewöhnlichen Gesamtschuldnern114, zwei Regresswege offenstehen, zum einen die Schuldgemeinschaft nach § 1359, zum anderen ein anteiliger Zessionsregress
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Nippel, ABGB, § 1359 Anm. 3; Winiwarter, Bürgerliches Recht V, § 15; Stubenrauch, ABGB, § 1359 Anm. 2; Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 84 f.; OGH GlU Nr. 8353 (30.3.1881); OGH GlU Nr. 13114 (22.1.1890). 109 Stubenrauch, ABGB, § 1358 Anm. 4, § 1359 Anm. 2; und wohl der OGH, a.a.O. (vorige Fußnote). 110 Nippel, ABGB, § 1358 Anm. 9–10 (der ein Eintrittsrecht aber nur bejahte, wenn B2 Kenntnis von B1 hatte; andernfalls sollte gar kein Regress stattfinden); Mages, Gesamtschuldverhältnisse, 185 f. 111 Nippel, ABGB, § 1360 Anm. 4; Winiwarter, BürgR V, § 16. 112 So schon im 19. Jahrhundert Pfaff, GrünZ 2 (1875), 315; ferner Hasenöhrl, Obligationenrecht II, § 80 III 2; Koban, Regress (1904), 139 ff., 161; OGH GlUNF Nr. 1958 (24.6.1902); OGH GlUNF Nr. 5696 (10.2.1909); OGH GlUNF Nr. 7414 (27.6.1915) mit ausführlicher Darstellung des Streitstands; OGH SZ 11/148 (26.6.1929). 113 OGH SZ 57/29, S. 148 (2.2.1984); OGH, ÖBA 2007, 316, 318 (27.9.2006); Klang/Ohmeyer, ABGB, § 1359 Anm. 1, 3 b; Ehrenzweig/Mayrhofer, System II/1, § 22 III; Schwimann/Mader/Faber, ABGB, § 1359 Rz 6; KBB/P. Bydlinski, § 1359 ABGB Rz 1; Bacher, Ausgleichsansprüche, 124 ff.; Hoyer, JBl 1987, 767; Mader, JBl 1988, 290. 114 Nach h.L. ist § 1358 auf gewöhnliche Gesamtschuldner nicht anwendbar, so dass diese nur den einfachen Regress aus § 896 haben; hierzu oben, 396 ff.
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IV. Regress und Regressvereitelung
nach § 1358115. Für den Fall der Entlassung eines Mitbürgen halten Rechtsprechung und Lehre daran fest, dass nicht das Aufgabeverbot des § 1360 ABGB gilt, die verbleibenden Mitbürgen also nicht frei werden, sondern dass § 1363 anwendbar ist, wonach ein Regress auch gegen den Entlassenen möglich ist116.
c) Frankreich In Frankreich ist die Lage insofern einfacher als nach preußischem und österreichischem Recht, als man sich grundsätzlich darüber einig ist, alle Arten von Mitbürgen gleich zu behandeln, seien es einfache Mitbürgen (bei denen sich die Regressfrage stellen kann, wenn der leistende Bürge die Teilungseinrede nicht erhoben hat oder wegen vorübergehender Insolvenz oder Abwesenheit des Mitbürgen nicht erheben konnte) oder Solidarbürgen, seien es gemeinschaftliche Mitbürgen oder Nebenbürgen. Unklarheit besteht hier aber über die konkrete Ausgestaltung des Regresses117. Nach Art. 2310 (vor 2006 Art. 2033) CC findet unter Mitbürgen ein anteiliger Regress statt. Die Vorschrift wird auch auf Solidarbürgen118 und Nebenbürgen119 angewendet. Zusätzlich sieht der CC aber auch eine Subrogation des leistenden Bürgen vor. Art. 2306 (vor 2006: Art. 2029) CC spricht zwar nur von einer Subrogation in die Rechte gegen den Hauptschuldner. Es gilt aber auch die allgemeine Subrogationsvorschrift des Art. 1251 Nr. 3 CC, wonach eine Subrogation zugunsten desjenigen stattfindet, der für einen anderen haftet, womit in erster Linie der Bürge gemeint ist. Nach Art. 1252 CC eröffnet die Subrogation auch Rechte gegen Bürgen der subrogierten Schuld. Es besteht daher Einigkeit, dass der leistende Bürge zumindest nach Art. 1251
115 Ausführlich Koban, Regress (1904), 169 ff.; ferner OGH SZ 9/94 (3.5.1927); OGH SZ 57/ 29, S. 148 (2.2.1984); OGH NZ 1994, 130, 131 (22.6.1993); Klang/Ohmeyer, ABGB, § 1358 Anm. III b, § 1359 Anm. 3 d; Ehrenzweig/Mayrhofer, System II/1, § 22 III; Mader, JBl 1988, 287 f.; Rummel/Gamerith, ABGB, § 1359 Rz 2–3; Schwimann/Mader/Faber, ABGB, § 1359 Rz 2; KBB/P. Bydlinski, ABGB, § 1358 Rz 12, § 1359 Rz 1. Missverständlich OGH SZ 58/132 (28.8.1985), S. 633, wonach der gesetzliche Forderungsübergang nach § 1358 den gesetzlichen Rückgriffsanspruch nach § 896 verdrängen soll. 116 OGH SZ 56/21, S. 95 f. (7.2.1983); OGH, ÖBA 1999, 154 (23.4.1998); OGH, ÖBA 2007, 316, 318 (27.9.2006); Klang/Ohmeyer, ABGB, § 1359 Anm. 3 a, § 1360 Anm. 3 b; Ehrenzweig/ Mayrhofer, System II/1, § 22 III; Rummel/Gamerith, ABGB, § 1360 Rz 1 a, § 1363 Rz 5; Schwimann/Mader/Faber, ABGB, § 1360 Rz 6, § 1363 Rz 4; kritisch gegenüber dieser Lösung Koban, Regress, 162; KBB/P. Bydlinski, § 1363 ABGB Rz 4. 117 Vgl. zum Folgenden die rechtsvergleichende Untersuchung von Schmid, Mehrheit von Sicherungsgebern (2000), 3 ff. 118 Stellvertretend Simler, Cautionnement, § 634; Cabrillac/Mouly, Sûretés, § 282; Cass 1 civ (27.10.1976), Bull civ I Nr. 311. 119 Marcadé/Pont, Explication IX, § 316; Demolombe, Cours XXVII, § 591; Cass 1 civ (3.10.1995), Bull civ I Nr. 338. Abgelehnt wird für Nebenbürgen daher ein Rangfolgenregress, nach dem der frühere Bürge gegen den späteren gar keinen Regress hat und der spätere vom früheren das Ganze verlangen kann, Cabrillac/Mouly, Sûretés, § 285; Aynès/Crocq, Sûretés, § 175; Simler, Cautionnement, § 634; Schmid, Mehrheit, 15 f.
2. Die Lösungen in den Regelwerken
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Nr. 3 CC in die Rechte des Gläubigers gegen Mitbürgen eintritt120. Der Subrogationsregress ist anteilig121. Dies folgert man aus der Regel des Art. 2310 (2033)122 und aus dem Erfordernis, einen Total- oder Kaskadenregress zu vermeiden123. Sowohl bei Art. 2310 (2033) als auch bei Art. 1251 Nr. 3 soll die Insolvenzregel gelten, wonach die Anteile insolventer Mitbürgen proportional auf die solventen aufgeteilt werden124. Keine Einigkeit besteht aber über das Verhältnis zwischen Art. 1251 und Art. 2310 (2033). Für die Verfasser des CC stand diese Frage wohl nicht im Vordergrund. Das Rückgriffsrecht der Mitbürgen beruht offenbar auf Pothier. Dieser hatte das in Frankreich schon gemeinrechtlich gewährte Rückgriffsrecht unter Mitbürgen damit gerechtfertigt, dass eine Regresslosigkeit bei unterbliebener Abtretung unbillig sei125. In erster Linie ging es also um die Ausschaltung des unpraktischen Erfordernisses, dass der Bürge vor seiner Leistung die Zession verlangt haben musste, um Regress nehmen zu können. Die Einführung der Subrogation zugunsten des Bürgen machte das Abtretungsverlangen überflüssig. Dann stellte sich aber die Frage, ob Art. 2310 (2033) eine über die Abschaffung des Abtretungserfordernisses hinausgehende Funktion hat. Nach einem Teil der Literatur ist mit dem Mitbürgenregress in Art. 2310 (2033) ein Subrogationsregress gemeint, so dass die Vorschrift lediglich eine Spezialregel zu Art. 1251 ist126. Demgegenüber geht die heute herrschende Lehre davon aus, dass Art. 2310 (2033) dem Mitbürgen ein eigenes Regressrecht verschafft, so dass ihm insgesamt zwei Regresswege zur Verfügung stehen127. Der ei120 Aubry/Rau, Droit Civil IV, § 321 Nr. 3 c, S. 184; Marcadé/Pont, Explication IV, §§ 712, 718 f.; Demante/Colmet, Cours V, § 197 bis I; Demolombe, Cours XXVII, § 591; Cass civ (13.6.1939), Gaz Pal 1939 II 290; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1228; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 398; Terré/Simler/Lequette, Obligations, § 1374; Mestre, Subrogation, § 465; Savaux, Subrogation, § 82; anders nur Hasenbalg, Bürgschaft, 465. 121 Demante/Colmet, Cours V, § 197 bis IV; dies., Cours VIII, § 266 bis X; Cass civ (13.6.1939), Gaz Pal 1939 II 290; Colin/Capitant, Cours II, 745; Terré/Simler/Lequette, Obligations, § 1374; Cabrillac/Mouly, Sûretés, § 283; Farge, Sûretés, § 147; Schmid, Mehrheit, 14. 122 Marcadé/Pont, Explication, Bd. IX, §§ 718 f., Bd. IX, § 323; Demolombe, Cours XXVII, § 616; Aubry/Rau, Droit Civil III, § 428; Terré/Simler/Lequette, Obligations, § 1387; Mestre, Subrogation, §§ 543, 546; ders., RTD civ 1981, 1, § 40; Savaux, Subrogation, § 165. 123 Vgl. Marcadé/Pont, Explication IX, § 323; Demolombe, Cours XXVII, § 616; Mestre, Subrogation, §§ 474, 547; ders., RTD civ 1981, 1, § 40; Simler, Cautionnement, § 653; Cabrillac/Mouly, Sûretés, § 282; Aynès/Crocq, Sûretés, § 168. 124 Marcadé/Pont, Explication IX, § 322; Demante/Colmet, Cours VIII, § 266 bis X; Planiol/ Ripert/Savatier, Droit civil XI, § 1544; Mestre, Subrogation, § 543; Simler, Cautionnement, §§ 651, 654; Cabrillac/Mouly, Sûretés, § 282; Aynès/Crocq, Sûretés, § 174; Schmid, Mehrheit, 28. 125 Pothier, Obligations, § 445; vgl. oben, 1097. 126 Aubry/Rau, Droit Civil III, § 428; Marcadé/Pont, Explication IX, § 309; Planiol/Ripert/Savatier, Droit civil XI, § 1544. 127 Demante/Colmet, Cours VIII, §§ 266 bis, 266 bis V; Colin/Capitant, Cours II, 745; Simler, Cautionnement, §§ 631 f.; Cabrillac/Mouly, Sûretés, § 283; Aynès/Crocq, Sûretés, § 167; Farge, Sûretés, § 146. Im Ergebnis ähnlich ist die Ansicht von Mestre, wonach Art. 2310 (2033) zwar einen Subrogationsregress meint, dem Bürgen aber daneben noch ein eigenes Regressrecht zusteht, Subrogation, § 144 mit Fn. 52, und RTD civ 1981, 1, § 40.
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IV. Regress und Regressvereitelung
gene Regressanspruch wird häufig auf den Gedanken der Geschäftsführung ohne Auftrag gestützt128, manchmal auch auf den Bereicherungsgedanken oder die Billigkeit129. Nicht ganz geklärt ist seine nähere Ausgestaltung, insbesondere inwiefern er sich vom Subrogationsregress unterscheidet. Selbstverständlich besteht insoweit ein Unterschied, als der eigene Rückgriffsanspruch keinen Zugriff auf die Sicherheiten der Forderung gegen den Regresspflichtigen eröffnet. Die entscheidende Frage ist aber, ob das eigene Rückgriffsrecht gegenüber dem Subrogationsregress vorteilhafter sein kann, indem es einen Regress in Fällen eröffnet, in denen die Subrogation nicht weiterhilft. Nach Art. 2310 (Art. 2033 a.F.) CC findet der Mitbürgenregress nur unter den in Art. 2309 (Art. 2032 a.F.) genannten Voraussetzungen statt. Art. 2309 (2032) betrifft den Sicherungsanspruch des Bürgen gegen den Hauptschuldner, welcher, der gemeinrechtlichen Tradition des Befreiungsanspruchs entsprechend, nur unter bestimmten Bedingungen gegeben ist, und zwar 1. wenn der Bürge vom Gläubiger verklagt wird, 2. wenn der Hauptschuldner insolvent ist, 3. wenn der Hauptschuldner dem Bürgen seine Befreiung zu einem bestimmten Zeitpunkt versprochen hat, 4. wenn die Hauptschuld fällig ist oder 5. wenn zehn Jahre vergangen sind, falls es sich nicht um ein Dauerschuldverhältnis handelt. Der Verweis in Art. 2310 (2033) auf die Voraussetzungen des Sicherungsanspruchs führt zu dem merkwürdigen Ergebnis, dass ein Mitbürgenregress auch schon vor Fälligkeit der Hauptschuld möglich ist. Insbesondere die Anwendung der Nummern 3 und 5 erscheint im Verhältnis der Mitbürgen untereinander verfehlt. Die herrschende Lehre nimmt sie aber angesichts des klaren Wortlauts des Art. 2310 (2033) hin. Im Ergebnis schränkt die Verweisung auf die Tatbestandsmerkmale des Art. 2309 (2032) den Mitbürgenregress also nicht ein, sondern erweitert ihn und lässt ihn auch in Fällen zu, in denen ein Subrogationsregress nicht durchsetzbar wäre130. Nach der Rechtsprechung soll der Rückgriffsanspruch aus Art. 2310 (2033) schon mit der Begründung des Mitbürgenverhältnisses entstehen. Hieraus werden aber, anders als nach deutschem Recht, keine Mitwirkungs- und Befreiungsansprüche gefolgert131, sondern lediglich, dass die Regressforderung in der Insolvenz eines Mitbürgen auch schon vor der Befriedigung des Gläubigers angemeldet werden muss132. Der vom Gläubiger in Anspruch genommene Bürge kann gegen den Mitbürgen zudem ein Urteil auf zukünftigen Regress erwirken, das
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Marcadé/Pont, Explication IX, § 309; Demante/Colmet, Cours VIII, § 266 bis; Colin/Capitant, Cours II, 745; Aynès/Crocq, Sûretés, § 167. 129 Demante/Colmet, Cours VIII, § 266; Überblick bei Simler, Cautionnement, §§ 632 f.; Mestre, Subrogation, § 144 Fn. 52. 130 Vgl. Demante/Colmet, Cours VIII, §§ 266 bis IV, VII-VIII; Simler, Cautionnement, § 642; Schmid, Mehrheit, 19 f. 131 Hierzu Simler, Cautionnement, § 640 m.w.N.; Schmid, Mehrheit, 19 f. 132 Cass com (16.6.2004), D 2004, act 2046; CA Lyon (15.9.2005), JCP 2006, 1753 Nr. 10 mit kritischer Anmerkung von Simler/Delebecque; kritisch auch Aynès/Crocq, Sûretés, § 177.
2. Die Lösungen in den Regelwerken
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aber erst mit der Leistung an den Gläubiger vollstreckbar wird133. Nach einem Teil der Literatur, nicht aber nach der Rechtsprechung, soll der Regress aus Art. 2310 (2033) auch aufgewendete Kosten und Zinsen umfassen134. Darüber hinaus soll er eigenständig verjähren, so dass die allgemeine Verjährungsfrist (früher dreißig, ab 2008 fünf Jahre135) anwendbar ist136. Dies bedeutet aber noch nicht, dass ein Regress auch gegen einen Mitbürgen möglich ist, dessen Schuld zum Zeitpunkt der Leistung des anderen Mitbürgen schon verjährt war. Vielmehr scheint Unsicherheit über die Frage zu herrschen, ob ein Regress gegen einen Mitbürgen möglich ist, der zur Zeit der Leistung vom Gläubiger nicht mehr in Anspruch genommen werden konnte137, und ob der regresspflichtige Mitbürge dem regressberechtigten seine Einreden und Einwendungen gegen den Gläubiger entgegenhalten kann138. Nach einem Urteil des Kassationshofs von 1855 scheidet ein Regress gegen einen Mitbürgen aus, wenn die Klage des Gläubigers gegen
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Cass 1 civ (15.6.2004), Bull civ I Nr. 169; Cabrillac/Mouly, Sûretés, § 284. Simler, Cautionnement, § 633 m.w.N.; anders Cass 1 civ (29.10.2002), D 2003, 1092. 135 CC a.F. Art. 2262, ab 2008 Art. 2254. 136 Demante/Colmet, Cours VIII, § 266 bis VI; Simler, Cautionnement, §§ 633, 639; Schmid, Mehrheit, 20 f. In diesem Zusammenhang wird häufig das Urteil Cass com (16.6.1981), Bull civ IV Nr. 274, genannt. Für die Schuld einer Gesellschaft hatten sich der Vorstand (B1) und ein Gesellschafter (B2) verbürgt. B2 trat aus der Gesellschaft aus. Sieben Jahre später zahlte B1 die Schuld und wollte gegen B2 anteiligen Mitbürgenregress nehmen. B2 berief sich auf das Statut, wonach ein ausgeschiedener Gesellschafter nur innerhalb von fünf Jahren gegenüber Gesellschaftern und Dritten wegen Gesellschaftsschulden haftete. Nach Ansicht des Gerichts war die Regressforderung nicht verjährt, weil B1 nicht Rechte der Gesellschaft, sondern eigene als Mitbürge geltend mache. Aus deutscher Sicht stellte sich dann aber die entscheidende Frage, ob der Bürgschaftsgläubiger noch gegen B2 hätte vorgehen können. Hierzu äußerte sich das Gericht nicht. Wäre das der Fall, besagt das Urteil zur Verjährung kaum etwas. Piedelièvre (Gaz Pal 1982 I pan 27) rechtfertigt das Ergebnis damit, dass für die solidarité, bei der die Schuldner als Prinzipale haften, und für die Mitbürgschaft, bei der die Schuldner akzessorisch haften, unterschiedliche Regeln gälten. Ob es aber gerade darauf ankommt, ist zumindest aus deutscher Sicht zweifelhaft. Piedelièvre beruft sich darauf, dass, hätten B1 und B2 nicht als Bürgen, sondern als Gesellschafter gehaftet, ein Regress gegen B2 wegen des Statuts nicht möglich gewesen wäre. Doch dieses Ergebnis beruht auf dem Statut, das auch für Regressforderungen galt, nicht auf der Natur der Haftung. Die Sachfrage im Fall war offenbar die, ob die Regeln zur Gesellschafterhaftung analog gelten, wenn die Gesellschafter die Gesellschaftsschuld verbürgen. Diese Frage wurde vom Gericht verneint. 137 Vgl. Simler, Cautionnement, § 637 m.w.N. 138 Siehe Cass 1 civ (18.10.2005), JCP 2006, 1753 Nr. 10 mit Anmerkung Simler/Delebecque: Gegen das Regressbegehren von B1 wendete B2 ein, dass die Hauptschuld und damit sämtliche Bürgschaften nichtig seien. Das Appellationsgericht hatte diese Einwendung nicht zugelassen, weil der Gläubiger am Rechtsstreit nicht beteiligt war. Nach Ansicht des Kassationshofs war das unrichtig: Weil es sich um einen Subrogationsregress handle, müsse B2 alle Einwendungen geltend machen können, die er gegenüber dem Gläubiger hatte. Nach Simler/Delebecque könnte man e contrario daraus folgern, dass die Einwendung des B2 gegenüber einem Regress aus Art. 2310 (2033) unerheblich sei. Das unterschiedliche Ergebnis bei den beiden Regresswegen sei aber schwer zu rechtfertigen. Nach Cabrillac/Mouly, Sûretés, § 284, sollte B2 die Einwendung auch gegen einen Regress aus Art. 2310 (2033) erheben können. Nach deutschem Recht ist dieses Ergebnis selbstverständlich, da bei Nichtigkeit der Hauptschuld gar keine Mitbürgschaft besteht. 134
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IV. Regress und Regressvereitelung
diesen zuvor abgewiesen worden ist: Gegenüber dem Subrogationsregress bestehe die Einrede der rechtskräftigen Entscheidung, und ein eigener Rückgriff nach den Regeln der G.o.A. scheitere daran, dass die Leistung an den Gläubiger nicht im Interesse des freigesprochenen Mitbürgen liege139. Ausführlich behandelt wird aus diesem Fragenkreis das Problem des Einzelerlasses gegenüber einem Mitbürgen. Einerseits kennt der CC zugunsten des Bürgen140 ein Aufgabeverbot in Art. 2314 (Art. 2037 a.F.). Danach ist der Bürge frei, soweit der Gläubiger die Subrogation in die Schuld oder in bestimmte Sicherheiten vereitelt141. Einigkeit besteht darüber, dass auch Rechte gegen Mitbürgen zu den Sicherheiten gehören, vor deren Aufgabe Art. 2314 (2037) schützt142. Doch der genaue Anwendungsbereich der Vorschrift ist schon seit dem 19. Jahrhundert umstritten. Die Rechtsprechung143 und ein Teil der Literatur144 schließen entgegen dem Wortlaut Sicherheiten aus, die erst nach der Bürgenverpflichtung bestellt wurden. Der Bürge habe bei seiner Verpflichtung nicht auf spätere Sicherheiten vertraut und könne daher den Gläubiger nicht an deren Aufgabe hindern145. Im Rahmen des Aufgabeverbots, nicht aber im Rahmen der Subrogation selbst, gilt danach also das Stufenprinzip: Wird die Sicherheit nach der Bürgschaft bestellt, kann der leistende Bürge mittels Subrogation auch von der Sicherheit profitieren; der Gläubiger ist aber frei, die Sicherheit vor der Bürgenleistung freizugeben und damit den Bürgenregress zu gefährden. Nach einem anderen Teil der Literatur sollte Art. 2314 (2037) CC auch vor einer Aufgabe nachträglich be-
139 Cass req (21.5.1855), S 1858 I 391. Im konkreten Fall kam allerdings hinzu, dass der Gläubiger beide Mitbürgen zusammen verklagt hatte. Während B1 sich erfolgreich auf die Unwirksamkeit seiner eigenen Bürgschaftsverpflichtung berief, erging gegen den nicht erschienenen B2 ein Versäumnisurteil. Das Gericht meinte, B2 habe die Frage, ob die Bürgschaft von B1 tatsächlich unwirksam war, schon im ersten Verfahren klären können. 140 Hierzu gehören nach heutiger Lehre auch Solidarbürgen, siehe Simler, Cautionnement, §§ 88, 802; Schmid, Mehrheit, 97 f.; jew. m.w.N.; ferner Donnedieu de Varres, DP 1913 II 65; Colin/Capitant, Cours II, 741; Cabrillac/Mouly, Sûretés, § 381; aus der Rechtsprechung etwa Cass civ (27.11.1861), D 1861,1,470; Cass civ (10.12.1866), DP 1866,1,425; Cass civ (13.6.1939), Gaz Pal 1939 II 290; Cass 1 civ (5.10.1964), Gaz Pal 1964 II 446; anders noch Goldschmidt, ZHR 14 (1870), 422 f. 141 La caution est déchargée, lorsque la subrogation aux droits, hypothèques et privilèges du créancier, ne peut plus, par le fait de ce créancier, s’opérer en faveur de la caution. 142 Marcadé/Pont, Explication IX, §§ 373, 375; Demante/Colmet, Cours VIII, § 270 bis VI; Colin/Capitant, Cours II, 748; Planiol/Ripert/Savatier, Droit civil XI, § 1561; Aynès/Crocq, Sûretés, § 283; Simler, Cautionnement, § 821; Cass civ (3.6.1939), Gaz Pal 1939 II 290. 143 Cass civ (27.11.1861), D 1861,1,470; Cass civ (10.12.1866), DP 1866,1,425; Cass civ (8.7.1913), D 1914,1,241; Cass 1 civ (5.10.1964), Gaz Pal 1964 II 446; Cass com (10.4.1967), Gaz Pal 1967 I 310; Cass com (21.2.1977), JCP 1977 IV 102; Cass com (25.1.1994), Bull civ IV Nr. 30; Cass 1 civ (17.10.1995), Bull civ I Nr. 366. 144 Aubry/Rau, Droit Civil III, § 429, S. 507; Marcadé/Pont, Explication IX, § 377; Planiol/Ripert/Savatier, Droit civil XI, § 1559; Aynès/Crocq, Sûretés, § 284; Farge, Sûretés, § 177; vgl. Schmid, Mehrheit, 99 ff. 145 So Cass civ (10.12.1866), DP 1866,1,425; Aubry/Rau, Droit Civil III, § 429 Fn. 7, S. 507; Marcadé/Pont, Explication IX, § 377.
2. Die Lösungen in den Regelwerken
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stellter Sicherheiten schützen146. Er beruft sich auf den Wortlaut und verweist darauf, dass die Subrogation auch nachträglich bestellte Sicherheiten umfasse. Der Bürge vertraue nicht auf bestimmte schon bestehende Sicherheiten, sondern abstrakt darauf, dass bestehende und zukünftige Sicherheiten auch ihm zugutekommen, insbesondere, wenn er einen Kontokorrentkredit oder sonstige längerfristige Schuldverhältnisse sichere. Schließlich drohe die Gefahr der Gläubigerwillkür, wenn der Gläubiger den Regress des Bürgen hinsichtlich nachträglich bestellter Sicherheiten beliebig gefährden könne. Andererseits sieht Art. 1287 III CC vor, dass der Einzelerlass eines Mitbürgen die übrigen Mitbürgen nicht befreit. Lediglich eine Leistung, die ein Mitbürge im Rahmen eines Vergleichs mit Erlasswirkung erbringt, soll nach Art. 1288 CC den Mitbürgen zugutekommen. Für die solidarité ordnet Art. 1285 CC demgegenüber die Gesamtwirkung des Einzelerlasses (Abs. 1) oder, falls der Gläubiger sich seine Rechte gegenüber den Mitschuldnern vorbehält, die beschränkte Gesamtwirkung (Abs. 2) an. Nach dem Wortlaut des Art. 1287 III scheinen bei einem unentgeltlichen Erlass die verbleibenden Mitbürgen demgegenüber auf das Ganze zu haften, so dass sich fragen würde, ob sie dann Regress gegenüber dem Entlassenen nehmen können oder regresslos haften und wie dies mit Art. 2314 (2037) vereinbar ist. Doch die Vorschrift wird nicht in diesem Sinne ausgelegt. Offenbar gingen die Verfasser des CC davon aus, dass einfache Mitbürgen nur auf ihren Anteil haften, so dass die Entlassung eines Mitbürgen ihre Rechtsstellung nicht berührt147. Diese Vorstellung trifft aber nach geltendem Recht weder auf Solidarbürgen zu noch auf einfache Mitbürgen, welche die Teilungseinrede nicht immer erheben können oder wollen. Rechtsprechung148 und Lehre149 nehmen daher gegen den Wortlaut des Art. 1287 III eine beschränkte Gesamtwirkung des Einzelerlasses an: Wird ein Mitbürge entlassen, reduziert sich die Schuld der übrigen um dessen Innenanteil (oder nach Art. 1288 um den Betrag des im Rahmen der Entlassung an den Gläubiger Geleisteten, falls dieser Betrag höher ist150). Eine regresslose Ganzhaftung der verbleibenden Mitbürgen, so
146 Demante/Colmet, Cours VIII, § 270 bis III; weitere Nachweise zum 19. Jahrhundert bei Marcadé/Pont, Explication IX, § 377; aus der heutigen Literatur Mestre, Subrogation, § 619; Simler, Cautionnement, § 824; Cabrillac/Mouly, Sûretés, § 309. 147 Näheres bei Marcadé/Pont, Explication IV, § 808. 148 Cass civ (13.6.1939), Gaz Pal 1939 II 290; Cass 1 civ (18.5.1978), Bull civ I Nr. 195; CA Paris (13.10.1980), D 1981 inf rap 350; Cass 1 civ (11.7.1984), Bull civ I Nr. 229, JCP 1986 II 20576; Cass 1 civ (26.5.1994), Bull civ I Nr. 187. 149 Marcadé/Pont, Explication IV, §§ 807 f. m.w.N. zum 19. Jahrhundert; Demante/Colmet, Cours V, § 237 bis II; Demolombe, Cours XXVIII, § 467; Aubry/Rau, Droit Civil III, § 323 Nr. 2, S. 143; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1312; Planiol/Ripert/Savatier, Droit civil XI, § 1555; Marty/Raynaud/Jestaz, Obligations II, § 315; Mazeaud/Chabas, Droit civil II/1, § 1200 Fn. 2; Dumortier, JCP 1986 II 20576, Teil II; ders., JCP G 1993 II 22134, §§ 4 ff.; Terré/Simler/Lequette, Obligations, § 1471; Simler, Cautionnement, §§ 748 f.; Cabrillac/Mouly, Sûretés, § 297; siehe Schmid, Mehrheit, 117 ff. 150 Zur Problematik der Anrechnung einer vergleichsweise geleisteten Zahlung auf die Mitschuldner Dumortier, JCP 1986 II 20576, Teil II B; Bentele, Gesamtschuld und Erlass, 102 ff.
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IV. Regress und Regressvereitelung
wird argumentiert, scheide aus, weil der Gläubiger nicht einseitig in das Regressverhältnis unter den Mitbürgen eingreifen könne151. Nicht ganz geklärt ist aber, wie das Ergebnis der beschränkten Gesamtwirkung des Einzelerlasses zu begründen ist. Bei einfachen Mitbürgen verweist die Literatur häufig auf die Teilungseinrede152. Sie nimmt also ohne weiteres an, dass bei der Teilung, die ein einfacher Mitbürge verlangen kann, entlassene Mitbürgen mitgezählt werden (was gemeinrechtlich strittig war153). Nur vereinzelt wird eingewandt, dass der Tatbestand der Teilungseinrede hier gar nicht eingreife oder dass sie den Mitbürgen zumindest dann nicht schützen könne, wenn er sie aus anderen Gründen nicht erheben wolle oder wegen (vorübergehender) Insolvenz des Entlassenen nicht erheben könne, so dass die beschränkte Gesamtwirkung durch die Existenz der Teilungseinrede nicht erklärbar sei154. Bei Solidarbürgen beruft man sich häufig auf Art. 2298 (Art. 2021 a.F.) CC, wonach die Regeln der solidarité und damit Art. 1285 II eingreifen sollen155. Doch eine direkte Anwendung der Solidaritätsregeln würde zu einer Vermutung der Gesamtwirkung (Art. 1285 I) führen, die man bei Mitbürgen nicht will; es käme also allenfalls eine Einzelanalogie zu Art. 1285 II in Frage156. Vereinzelt wird die beschränkte Gesamtwirkung auch mit dem Aufgabeverbot des Art. 2314 (2037) CC begründet157. Folgt man aber der dazu herrschenden Lehre, würde die Entlassung eines später eingetretenen Mitbürgen nicht erfasst sein, so dass ein verbleibender Mitbürge sich nur dann auf die beschränkte Gesamtwirkung berufen kann, wenn der entlassene sich vor oder mit ihm verpflichtet hat. Diese Ansicht wurde tatsächlich im 19. Jahrhundert vertreten158. Ob aber die heutige Literatur die beschränkte Gesamtwirkung des Einzelerlasses auf diese Fallgestaltungen beschränken will, ist zweifelhaft. Die Rechtsprechung geht ohne weiteres von der beschränkten Gesamtwirkung aus, ohne derartige Vorbehalte zu machen. Demnach wird der Bürge nach herrschender Lehre offenbar bei der Entlassung eines später eingetretenen Mitbürgen geschützt, nicht aber bei der Freigabe einer später bestellten 151 Marcadé/Pont, Explication IV, § 808; Demolombe, Cours XXVIII, § 467; Dumortier, JCP 1986 II 20576, Teil II A; ders., JCP G 1993 II 22134, § 5; Simler, Cautionnement, § 749; Cabrillac/ Mouly, Sûretés, § 297. Colmet erwähnt auch die Lösung, einen Regress gegen den Entlassenen zu gewähren. Diese sei aber unpraktisch, weil sich der Entlassene dann wieder an den Gläubiger halten könne und so ein Regresskreisel entstehe, Demante/Colmet, Cours V, § 237 bis II. 152 Marcadé/Pont, Explication IV, § 807; Demolombe, Cours XXVIII, § 467; Aubry/Rau, Droit Civil III, § 323 Fn. 21; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1312; Aynès/Crocq, Sûretés, § 264; Farge, Sûretés, Rz 166; ebenso Bentele, Gesamtschuld, 93. 153 Oben, 1103. 154 Simler, Cautionnement, § 748; Dumortier, JCP G 1993 II 22134, § 13; siehe Schmid, Mehrheit, 118 f. 155 Marcadé/Pont, Explication IV, § 807; Demolombe, Cours XXVIII, § 467; Aubry/Rau, Droit Civil III, § 323 Fn. 21; Planiol/Ripert, Droit civil VII, § 1312; Cass 1 civ (18.5.1978), Bull civ I Nr. 195; Cass 1 civ (11.7.1984), Bull civ I Nr. 229; vgl. oben, 1080 ff. 156 Simler, Cautionnement, §§ 748 f.; Dumortier, JCP G 1993 II 22134, § 6. 157 Marcadé/Pont, Explication IV, § 807; Cass civ (13.6.1939), Gaz Pal 1939 II 290; Planiol/Ripert/Savatier, Droit civil XI, § 1555; teilweise auch Cabrillac/Mouly, Sûretés, § 297. 158 Marcadé/Pont, Explication IV, § 809; Demolombe, Cours XXVIII, § 468.
2. Die Lösungen in den Regelwerken
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dinglichen Sicherheit. Das Verhältnis zwischen Art. 1287 und Art. 2314 (2037) erscheint insgesamt ungeklärt159. Hinzu kommt, dass die Rechtsprechung manchmal Ausnahmen von der Regel der beschränkten Gesamtwirkung macht, ohne die Gründe dafür immer überzeugend darzulegen160. Unsicherheit ist insbesondere durch ein 1992 ergangenes Urteil der Ersten Zivilkammer des Kassationshofs entstanden161. Eine Forderung war durch drei Solidar-Nebenbürgen gesichert. B1 haftete unbeschränkt, B2 und B3 mit einem Höchstbetrag von jeweils 150 000. Der Gläubiger G entließ B1. Als der Hauptschuldner insolvent wurde, betrug die Schuld 390 000. B2 zahlte 140 000. G verlangte 150 000 von B3, der sich auf die beschränkte Gesamtwirkung des mit B1 geschlossenen Erlasses berief. Doch nach Ansicht des Gerichts haftete B3 auf die gesamten 150 000. Die Bürgen hätten sich zwar jeweils solidarisch mit dem Hauptschuldner verpflichtet, aber unter ihnen bestehe keine solidarité. Daher habe der mit B1 vereinbarte Erlass keine Wirkung auf B3. Der Hinweis auf die fehlende solidarité verwirrt mehr, als er überzeugt, was letztlich auf die Doppeldeutigkeit des Begriffs der Solidarität im französischen Recht zurückgeht162. Nimmt man zu Argumentationszwecken drei unbeschränkt haftende Nebenbürgen an, die sich jeweils solidarisch mit dem Hauptschuldner verpflichtet haben, dann stellt sich zunächst einmal die Frage, ob unter ihnen die Teilungseinrede anwendbar ist oder ob sie trotz der Bürgenmehrheit „solidarisch“ für das Ganze in Anspruch genommen werden können. Geht man von Letzterem aus, fragt es sich, ob unter den Nebenbürgen eine solidarité i.S.d. Art. 1200 ff. CC mit sämtlichen Gesamtwirkungen besteht oder ob es sich, ähnlich wie bei der obligation in solidum, um eine Ganzhaftung ohne Gesamtwirkungen handelt. Nimmt man das Letztere an, besteht immer noch das Problem, dass die Entlassung eines Mitbürgen den Regress des verbleibenden verkürzt, und es ist noch keine Antwort auf die Frage gefunden, warum Mit-
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Ebenso aus deutscher Sicht Schmid, Mehrheit, 130 f. Vgl. etwa Cass 1 civ (27.10.1976), Bull civ I Nr. 311: Eine Forderung über 150 000 war durch zwei Solidarbürgen gesichert, die jeweils bis zum Höchstbetrag von 50 000 hafteten. Der Gläubiger zedierte eine Teilforderung von 50 000 an X, nahm aber davon die Rechte gegen B1 aus. Nach Ansicht des Gerichts konnte B2, der 50 000 an X zahlte, trotzdem gegenüber B1 Regress nehmen, weil der Ausschluss des Forderungsübergangs hinsichtlich B1 nur das Rechtsverhältnis zwischen dem Gläubiger und X betroffen habe. In der Literatur wird das Ergebnis damit erklärt, dass es sich nur um ein pactum de non petendo gehandelt habe, Terré/Simler/Lequette, Obligations, § 1471; Simler, Cautionnement, § 751; Schmid, Mehrheit, 120 f. Tatsächlich wies der Fall die Besonderheit auf, dass nur ein Teilbetrag zediert wurde und es sich um Höchstbetragsbürgen handelte. B1 war hier ohnehin nicht ganz entlassen, sondern haftete im Rahmen seines Höchstbetrags für den bei G verbleibenden Forderungsteil von 100 000. Im Ergebnis benachteiligt das Urteil G, der die Sicherheit durch B1 für seinen Forderungsteil behalten wollte: Nach Regressnahme durch B2 in Höhe von 25 000 haftet B1 gegenüber G nur noch für den hälftigen Höchstbetrag. 161 Cass 1 civ (23.6.1992), Bull civ I Nr. 192, JCP G 1993 II 22134. 162 Hierzu schon oben, 1080 ff. 160
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IV. Regress und Regressvereitelung
bürgen normalerweise gegen diese Regressverkürzung geschützt werden und hier nicht163. B3 zahlte an G 150 000 und versuchte, Regress gegenüber B1 und B2 zu nehmen. Diese Klage gelangte ebenfalls vor die Erste Zivilkammer, die einen Regress verneinte: B1 sei entlassen und werde daher nicht mitgezählt, so dass nur B2 und B3 mit ihren jeweiligen Höchstbeträgen zu 150 000 verblieben. Da B3 lediglich seinen Anteil geleistet habe, könne er keinen Regress nehmen164. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Entlassung von B1 zu einer regresslosen Alleinhaftung der verbleibenden Mitbürgen führte. Die Entlassung entzog B3 einen Regressanspruch in Höhe von mindestens 20 000. Warum hier der gewöhnliche bei Mitbürgen gewährte Schutz nicht eingreifen sollte, ist letztlich unklar. Insbesondere wurde kein Wort darüber verloren, warum das Aufgabeverbot des Art. 2314 (2037) CC nicht anwendbar sein sollte. B1 hatte sich offenbar schon vor B3 verpflichtet, so dass B3 mindestens in Höhe von 20 000 hätte befreit sein müssen165. Zumindest aus deutscher Sicht ist die Entscheidung nicht erklärbar. Vielleicht geht sie auf ein diffuses Unbehagen zurück, einen Nebenbürgen vor der Entzie-
163 Kritik an der Entscheidung auch bei Dumortier, JCP G 1993 II 22134, §§ 15 ff.; Simler, Cautionnement, § 749; Cabrillac/Mouly, Sûretés, § 297; Schmid, Mehrheit, 122 f. Dumortier (JCP G 1993 II 22134, §§ 8 ff.) rechtfertigt das Ergebnis aber mit der Erwägung, dass B2 und B3 Höchstbetragsbürgen waren. Weil die Summe ihrer Höchstbeträge kleiner sei als die der Hauptschuld, handele es sich gar nicht um eine Mitbürgschaft, bei der sich die Haftungen überlappen müssen. Doch diese Argumentation berücksichtigt offenbar nicht, dass der entlassene Nebenbürge B1 unbeschränkt haftete. Die rechtliche Konstruktion der Haftung mehrerer Höchstbetragsbürgen hat wie berichtet (oben, 1054 ff.) auch in Deutschland Probleme bereitet. Geht man wie in der französischen Literatur davon aus, dass B2 und B3, weil die Summe der Höchstbeträge die Schuld nicht deckt, verschiedene Teile der Hauptschuld verbürgen und daher nicht Mitbürgen sind (vgl. hierzu Schmid, Mehrheit, 17 ff.), bleibt immer noch der Umstand, dass B1 unbeschränkt bürgte und B3 für „seinen“ Teil von 150 000 mit B1 ursprünglich einen regresspflichtigen Mitbürgen hatte, den der Gläubiger entließ. Vorzugswürdig ist die Annahme, dass Höchstbetragsbürgen Mitbürgen für die gesamte gesicherte Hauptschuld sind und nur die Besonderheit besteht, dass der einzelne Höchstbetragsbürge weder vom Gläubiger noch im Wege des Regresses für mehr als seinen Höchstbetrag in Anspruch genommen werden kann. Demnach wären B1, B2 und B3 Mitbürgen für die gesamte Schuld gewesen. Zahlt B3 150 000, kann er B2 nicht in Anspruch nehmen (weil dieser weiterhin in Höhe von 10 000 gegenüber dem Gläubiger haftet und nicht doppelt zahlen muss), wohl aber B1. Die Ermittlung der Innenanteile bei unterschiedlichen Höchstbeträgen ist auch in Frankreich streitig, siehe etwa Mestre, RTD civ 1981, 1, §§ 42 ff.; Simler, Cautionnement, §§ 646 ff.; Schmid, Mehrheit, 24 ff. Selbst wenn man aber für B3 ungünstig rechnet, indem man gleiche Anteile annimmt und davon ausgeht, dass G die gesamte Schuld eintreiben will, würde jeder Nebenbürge einen Anteil von 130 000 tragen (ein Drittel der Hauptschuld in Höhe von 390 000), so dass B3 von B1 ohne Entlassung mindestens 20 000 hätte verlangen können. In einem vergleichbaren Fall in Österreich (OGH, ÖBA 2007, 316, 27.9.2006) lehnte der OGH die Ansicht, dass die Höchstbetragsbürgen Teilbürgen seien und die Entlassung eines Bürgen daher für den anderen unerheblich sei, mit der zutreffenden Erwägung ab, dass sämtliche Höchstbetragsbürgen dieselbe Schuld sicherten. Nach österreichischem Recht führt die Entlassung allerdings nicht zu einer anteiligen Befreiung des verbleibenden Bürgen, sondern lässt die Regresspflicht unberührt, § 1363 ABGB. 164 Cass 1 civ (3.10.1995), Bull civ I Nr. 338. 165 Ebenso Simler, Cautionnement, § 749.
2. Die Lösungen in den Regelwerken
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hung von Regressansprüchen zu schützen, auf welche der Nebenbürge nicht vertraut hatte und von denen er möglicherweise gar nichts wusste. Unklarheiten bestehen auch im Fall der mit nur einem Mitbürgen vereinbarten Novation, etwa wenn X gegenüber G die Schuld des Bürgen B1, aber nicht die von B2 befreiend übernimmt. Nach Art. 1281 befreit die Novation mit einem Solidarschuldner die übrigen; eine Regel zu Mitbürgen fehlt. Weil in Frankreich Unsicherheit darüber besteht, inwieweit die Regeln der solidarité bei Solidarbürgen anwendbar sind166, ist die Rechtsprechung gespalten: Die Anwendung des Art. 1281 auf Solidarmitbürgen wurde 1866 von der Zivilkammer des Kassationshofs abgelehnt167, 1984 von der Ersten Zivilkammer dagegen bejaht168 und 1999 von der Handelskammer wiederum verneint169. Für die verneinende Antwort spricht die Parallele zum Einzelerlass, bei dem die Anwendung des Art. 1285 I, der bei der Solidarschuld die Gesamtwirkung vermutet, allgemein abgelehnt wird170. Doch mit der Ablehnung einer Gesamtwirkung steht noch nicht fest, ob der verbleibende Mitbürge nicht mittels einer beschränkten Gesamtwirkung vor einer Vereitelung seines Mitbürgenregresses geschützt werden muss. Bei der 1866 ergangenen Entscheidung hatte sich dieses Problem nicht gestellt, weil der Schuldübernehmer bei der Novation dem Gläubiger einen Betrag gezahlt hatte, der über den Kopfteil des befreiten Mitbürgen hinausging. In der Entscheidung der Handelskammer von 1999 hatten sich fünf Gesellschafter ABCDE gegenüber G solidarisch für eine Gesellschaftsschuld verbürgt. A, B und C traten ihre Gesellschaftsanteile an X ab, der durch Vereinbarung mit G die Schulden von ABC befreiend übernahm. G verklagte E auf den Gesamtbetrag der Hauptschuld. E wandte ein, durch die Novation befreit worden zu sein. Das Gericht gab der Klage jedoch statt. Jeder Bürge habe sich eigenständig auf das Ganze verpflichtet und müsse mit der Verminderung seiner Rechte im Innenverhältnis rechnen171. Die Novation hatte also, anders als ein Erlass, nicht einmal beschränkte Gesamtwirkung. Der Grund für die Ungleichbehandlung ist zumindest aus deutscher Sicht unklar. Offenbar scheidet ein Regress von E gegenüber den entlassenen Bürgen ABC aus. Hätte E auch keinen Regress gegenüber X, würde das bedeuten, dass G durch die Novation den Regress des E vereitelt. Nicht geklärt wäre dann, warum G mittels Novation etwas erreichen kann, was ihm beim Erlass versagt ist172, und warum das Aufgabeverbot des Art. 2314 (2037) E nicht zur Hilfe kommt. Nimmt man dagegen an, dass E nun einen Regress gegen X in Höhe des Anteils 166
Oben, 1080 ff. Cass civ (18.7.1866), DP 1866,1,326. 168 Cass 1 civ (11.1.1984), JCP 1986 II Nr. 20647. 169 Cass com (7.12.1999), Bull civ IV Nr. 219 = D 2000 act 41. 170 Dumortier, JCP 1986 II 20647, Teil II; Faddoul, D 2000 act 42. 171 Cass com (7.12.1999), Bull civ IV Nr. 219 = D 2000 act 41. 172 Nach Aynès/Crocq, Sûretés, § 264, und Farge, Sûretés, § 166, könnte das Urteil der Handelskammer auch bedeuten, dass auch der Erlass bei Solidarbürgen keine beschränkte Gesamtwirkung mehr haben soll. Crocq stimmt dieser Lösung zu. 167
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IV. Regress und Regressvereitelung
von ABC hat, hätte G trotzdem eine Sicherheit i.S.d. Art. 2314 (2037) aufgegeben, so dass zu prüfen wäre, ob die Ersetzung einer Sicherheit durch eine andere den Tatbestand der Vorschrift ausschließt, wofür zumindest erforderlich wäre, dass X ebenso solvent ist wie A, B und C zusammen. Insgesamt sind die Einzelheiten des Mitbürgenregresses in Frankreich nicht abschließend geklärt. Neben dem anteiligen Subrogationsregress besteht nach überwiegender Ansicht auch ein eigenes Regressrecht, dessen nähere Ausgestaltung offen ist. Wird ein Mitbürge entlassen, nimmt man überwiegend eine beschränkte Gesamtwirkung des Einzelerlasses und nur sehr selten eine regresslose Alleinhaftung des verbleibenden Mitbürgen an. Der entlassene Mitbürge scheint in jedem Fall endgültig befreit zu sein. Das eigene Regressrecht des Mitbürgen unterscheidet sich in seinen Rechtsfolgen vom Subrogationsregress, scheint aber ebenso wie dieser nur gegen Mitbürgen gerichtet werden zu können, die zum Leistungszeitpunkt selbst dem Zugriff des Gläubigers unterlagen.
d) Schweiz Besonders kompliziert und zumindest aus deutscher Sicht schwer durchschaubar ist der Mitbürgenregress in der Schweiz ausgestaltet. Das liegt zum einen an der wenig übersichtlichen Regelung des OR, die zwischen einfachen Mitbürgen, Solidarmitbürgen und Nebenbürgen unterscheidet. Zum anderen besteht im Schweizer Recht eine starke Tendenz, den Subrogationsregress und den eigenen Rückgriffsanspruch zu einem einheitlichen Regressrecht mit einheitlichen Regeln zu verschmelzen. Unter Solidarmitbürgen versteht das Schweizer Recht Bürgen, die sich gemeinsam verpflichtet und mit dem Hauptschuldner oder unter sich Solidarhaft übernommen haben. Für sie sahen das OR von 1881 und das OR von 1911 einen „verhältnismäßigen Rückgriff“ vor173. Nach der Reform von 1941 spricht Art. 497 II vom Rückgriff des Solidarbürgen für geleistete Zahlungen gegen den Mitbürgen, soweit dieser seinen Innenanteil noch nicht an den Gläubiger geleistet hat. Mit der neuen Formulierung war gemeint, dass ein Bürge auch schon wegen einer Leistung unterhalb seines Innenanteils Regress nehmen kann: Sichern vier Bürgen eine Hauptschuld in Höhe von 100, soll ein Bürge, der 20 geleistet hat, gegen jeden Mitbürgen in Höhe von 5 Regress nehmen können174. Zur selben Regel ist man im deutschen Recht im Wege der Auslegung von Art. 426 I BGB gelangt175. Ferner 173
OR 1881 Art. 496 II; OR 1911 Art. 497 II. Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 497 OR Rz 42; BernK/Giovanoli, Art. 497 OR Rz 24. 175 BGHZ 23, 361, 363 f. (21.2.1957); oben, 350 ff., 633 f. In Österreich soll der Mitbürge dagegen erst dann Regress nehmen dürfen, wenn er mehr als seinen Innenanteil zahlt. Nach Ansicht des OGH, ÖBA 1999 (23.4.1998), schied daher ein Mitbürgenregress in einem Fall aus, in dem sich B1 und B2 für eine Schuld von 1,4 Millionen verbürgt hatten und der Gläubiger B1 gegen eine Zahlung von 500 000 und B2 gegen eine Zahlung von 200 000 aus der Haftung entließ. Das Ergebnis wird kritisiert von Bacher, ÖBA 1999, 155, und Rabl, ecolex 1999, 532, mit dem Argument, 174
2. Die Lösungen in den Regelwerken
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sieht das OR im heutigen Art. 507176 einen Forderungsübergang zugunsten des leistenden Bürgen vor. Ob dieser auch Rechte gegen weitere Bürgen umfasst, war zunächst nicht sicher177. Die Reform von 1941 fügte einen Absatz hinzu, wonach auch Sicherheiten übergehen, Drittsicherheiten aber nur, wenn sie bei der Eingehung der Bürgschaften schon vorhanden waren178. Die heutige Literatur ist sich einig darüber, dass zum einen zu den Sicherheiten i.S.d. Art. 507 auch weitere Bürgschaften gehören179 und zum anderen der Tatbestand schon dann erfüllt wird, wenn die Sicherheit gleichzeitig mit der Bürgenverpflichtung bestellt wurde180. Demnach müsste der Forderungsübergang auch Rechte gegen Solidarmitbürgen umfassen. Daneben gibt es noch die Regeln zur Solidarität, die ähnlich wie § 426 BGB einen anteiligen Regress (Art. 148 OR) und einen Forderungsübergang (Art. 149 OR) vorsehen. Ein Teil der Rechtsprechung181 und Literatur182 geht davon aus, dass diese Vorschriften auch auf Solidarmitbürgen anwendbar sind. Andere verweisen darauf, dass den Solidarmitbürgen nach der Reform von 1941 eine beschränkte Teilungseinrede zusteht, womit sie sich von gewöhnlichen Solidarschuldnern unterscheiden, und dass das in Art. 497 gewährte Regressrecht bei einer Leistung unterhalb des eigenen Innenanteils nicht zu Art. 148 passt183. Schließlich wird als Regress-
176 dass damit die Gläubigerwillkür, deren Vermeidung der Gesamtschuldregress dienen soll, über die Belastung entscheidet. Bei näherem Hinsehen aber erscheint das vom OGH erzielte Ergebnis richtig. Ohne die Erlassvereinbarungen hätte jeder Bürge intern bis zu einer Höhe von 700 000 belastet werden können. Hat ein Gläubiger zwei Teilschuldner, steht es ihm frei, den einen zu entlassen und den anderen nicht. Auch im Gesamtschuldverhältnis muss es ihm freistehen, einen der Schuldner zu begünstigen, solange dies zu seinen eigenen Lasten und nicht zu Lasten des Mitschuldners geschieht. Der Gläubiger hätte daher auch von einem Bürgen 700 000 verlangen und den anderen entlassen können. Die Forderung nach einem nachträglichen Ausgleich treibt das Gebot, Gesamtschuldner stets gleich zu behandeln, ohne sachlichen Grund auf die Spitze. 176 OR 1881, Art. 504; OR 1911, Art. 505. 177 Dafür BGE 45 III 107 (2.6.1919); BGE 54 III 299, 301 (27.9.1928); ZürK/Oser, Art. 505 OR Anm. 3 a; BernK/Becker, Art. 505 OR Rz 7; Lerch/Tuason, Bürgschaft, 78; dagegen Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 45 f.; ObG Luzern, SJZ 37, 236, 237 (27.6.1939). 178 OR 1941, Art. 507 II. 179 Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 497 OR Rz 40, Art. 507 OR Rz 11, 34; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 507 OR Rz 14, 33; BernK/Giovanoli, Art. 507 OR Rz 2, 6; Scyboz, Bürgschaft, 455; BasK/Pestalozzi, Art. 507 OR Rz 2, 7. 180 Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 507 OR Rz 37 i.V.m. Art. 503 OR Rz 21; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 507 OR Rz 38 i.V.m. Art. 503 OR Rz 14; BernK/Giovanoli, Art. 507 OR Rz 5 i.V.m. Art. 503 OR Rz 6; BasK/Pestalozzi, Art. 507 OR Rz 7 i.V.m. Art. 503 OR Rz 7. 181 BGE 53 II 25, 29 f. (24.1.1927); BGE 56 II 133, 139 (8.4.1930); ObG Luzern, SJZ 37, 236, 237 (27.6.1939). 182 Vischer, ZSchwR 29 (1888), 57 f. (hier: Art. 168 OR 1881); ZürK/Oser, Art. 497 OR Anm. 2 d; Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 81 ff.; Lerch/Tuason, Bürgschaft, 78; T.Guhl, Obligationenrecht, § 57 II f; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 497 OR Rz 51; BernK/Giovanoli, Art. 497 OR Rz 25; Bucher, OR BT, § 17 XI 6. 183 Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 497 OR Rz 26, 42; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 497 OR Rz 52; Scyboz, Bürgschaft, 454 f.
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IV. Regress und Regressvereitelung
grundlage auch ein Auftragsverhältnis oder eine Geschäftsführung ohne Auftrag genannt184. Die Fülle der in Frage kommenden Regresswege führt dazu, dass in Rechtsprechung und Literatur ganz unterschiedliche Grundlagen für den in Art. 497 erwähnten Mitbürgenregress genannt werden: der Forderungsübergang nach Art. 507185, Geschäftsführung ohne Auftrag sowie Art. 148 und/oder Art. 149186. Im Ergebnis ist man sich jedenfalls darüber einig, dass ein anteiliger Forderungsübergang stattfindet, den man entweder auf Art. 507 oder auf Art. 149 oder auf beides stützen kann. Der Umfang des Forderungsübergangs richtet sich danach, in welcher Höhe der Mitbürge gegen den anderen Regress nehmen kann, worüber in erster Linie das Innenverhältnis entscheidet187. Zugleich hat der Mitbürge einen anteiligen Rückgriffsanspruch aus Art. 497, aus G.o.A. oder aus Art. 148. Die aus deutscher Sicht entscheidende Frage ist, ob dieser Rückgriffsanspruch dem Subrogationsregress etwas hinzufügt, ob er also weiter gehen kann als ein Regress über die zedierte Gläubigerforderung. Einfache gemeinschaftliche Mitbürgen haften nach Art. 497 I für ihren eigenen Anteil als Bürgen und für die übrigen Anteile als Nachbürgen188. Eine Regressregelung fehlt. Muss ein einfacher Mitbürge B1 für den Anteil eines anderen (B2) zahlen, etwa weil dieser im Ausland und nicht erreichbar ist, dann hat er gegen B2 den gewöhnlichen Regress des Bürgen gegen den Hauptschuldner und profitiert insoweit direkt vom Forderungsübergang nach Art. 507. Ist B2 aber insolvent und will B1 wegen des geleisteten B2-Anteils anteiligen Regress bei einem weiteren Mitbürgen B3 nehmen, stellt sich die Regressfrage ebenso wie unter Solidarmitbürgen. Die Literatur nennt auch hier verschiedene Regressgrundlagen und will im Ergebnis trotz des Schweigens des OR für einfache Mitbürgen dieselben Regressregeln anwenden wie für Solidarmitbürgen189. Die Frage ist, ob Subrogations- und eigener Regress verschiedenen Regeln folgen oder ob sie zu einem einheitlichen Rückgriffsrecht verschmolzen sind, das
184 BGE 56 II 133, 139 (8.4.1930); BGE 66 II 123, 127 (5.6.1940); ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 497 OR Rz 51; Scyboz, Bürgschaft, 454 f. 185 So BGE 45 III 107 (2.6.1919); BGE 54 III 299, 301 (27.9.1928); BernK/Becker, Art. 505 OR Rz 7; Lerch/Tuason, Bürgschaft, 78; Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 497 OR Rz 40; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 497 OR Rz 51; Scyboz, Bürgschaft, 454 f.; BasK/Pestalozzi, Art. 497 OR Rz 9. 186 Nachweise in den vorigen Fußnoten. 187 BGE 45 III 107 (2.6.1919); BGE 53 II 25, 29 ff. (24.1.1927); ObG Luzern, SJZ 37, 236, 237 (27.6.1939); Reichel, ZSchwR 58 (1917), 213 ff.; Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 83; BernK/Becker, Art. 505 OR Rz 7; BasK/Pestalozzi, Art. 507 OR Rz 3. Teilweise wendet man hier Art. 507 III OR (Pendant zu § 774 I 3 BGB) analog an, etwa Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 507 OR Rz 34. 188 OR 1881: Art. 496 I; OR 1911: Art. 497 I. 189 Vischer, ZSchwR 29 (1888), 57 f.; ZürK/Oser, Art. 497 OR Anm. 2 d; Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 45 f.; Lerch/Tuason, Bürgschaft, 78; Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 497 OR Rz 20; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 497 OR Rz 50; Scyboz, Bürgschaft, 454; Bucher, OR BT, § 17 XI 6; BasK/Pestalozzi, Art. 497 OR Rz 8.
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durch die Sicherheiten der Hauptschuld gesichert wird190. Da ein Subrogationsregress ein von der Gläubigerforderung abgeleiteter Regress ist, kann er grundsätzlich nur in dem Maße geltend gemacht werden, wie der Gläubiger selbst gegen den Mitbürgen hätte vorgehen können, wäre er noch nicht befriedigt worden. Das Obligationenrecht nach der Reform von 1941 macht hiervon aber eine Ausnahme im Bereich der Verjährung: Nach Art. 507 V beginnt die Verjährung der Rückgriffsforderung mit der Leistung des Bürgen an den Gläubiger. Diese Vorschrift ist nach einhelliger Ansicht gerade für den Subrogationsregress bestimmt. Will man an der Grundidee festhalten, dass es sich dabei um einen Rückgriff mit Hilfe der Gläubigerforderung handelt, dann kann diese merkwürdige Vorschrift nur damit erklärt werden, dass die Zahlung des Bürgen an den Gläubiger die Verjährung der Hauptschuld unterbricht, so dass sie neu beginnt191. Damit kennt das Schweizer Recht einen Tatbestand der Verjährungsunterbrechung, der ohne Kenntnis des Schuldners eintreten kann. Die Vorschrift, die in der Literatur nur vereinzelt als systemfremd kritisiert wird192, soll auch für den Mitbürgenregress gelten193. Insoweit nähert sich der Subrogationsregress also einem eigenen Rückgriffsanspruch an. Abgesehen davon kann ein in Anspruch genommener Mitbürge nach allgemeinen Regeln gegenüber einem Subrogationsregress diejenigen Einreden erheben, die er gegen den Gläubiger gehabt hätte. Dann stellt sich die Frage, ob dasselbe gilt, wenn der leistende Mitbürge sich nicht auf die Subrogation, sondern auf Art. 497 II OR bzw. den Mitbürgenregress als solchen beruft. Steht eine Einrede sowohl B1 als auch B2 zu (etwa wenn die Hauptschuld verjährt ist oder der Hauptschuldner eine aufrechenbare Gegenforderung hat), will die Literatur entweder Art. 502 OR analog anwenden, wonach der Bürge nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist, dem Gläubiger gegenüber die Einreden des Hauptschuldners geltend zu machen194, oder Art. 145 II OR, wonach ein Solidarschuldner den anderen gegenüber verantwortlich ist, wenn er die gemeinsamen Einreden nicht geltend macht195. Beide Regeln führen zu einem Regressverlust, wenn der leistende Mitbürge B1 die gemeinsame Einrede schuldhaft nicht erhoben hat. Für den Fall dagegen, dass nur dem regresspflichtigen Mitbürgen B2 eine Einrede zusteht (etwa wenn nur seine Verbindlichkeit verjährt ist oder ihm eine aufrechenbare Gegenforderung zusteht), enthält das Gesetz keine Regeln. Gegenüber dem Gläubiger konnte B1 die Einrede des B2 nicht erheben. Ein Teil der Literatur will B2 dadurch schützen, dass er seine gegenüber dem Gläubiger 190 In diese Richtung insbesondere Vischer, ZSchwR 29 (1888), 55 ff., 58; Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 85 f. 191 Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 507 OR Rz 44; Honsell, OR BT, § 31 VIII 3. 192 Scyboz, Bürgschaft, 447; Spiro, Begrenzung I, § 40 bei Fn. 20, § 205 Fn. 5. 193 So Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 507 OR Rz 44; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 497 OR Rz 54; BasK/Pestalozzi, Art. 497 OR Rz 9. 194 So wohl schon Vischer, ZSchwR 29 (1888), 58; ferner Scyboz, Bürgschaft, 455. 195 So Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 85 f., 90; Lerch/Tuason, Bürgschaft, 79.
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IV. Regress und Regressvereitelung
bestehenden Einreden auch gegenüber der Regressforderung geltend machen kann196. Dasselbe Ergebnis ergibt sich möglicherweise, wenn man den Regress mit einem Teil der Literatur und Rechtsprechung auf die G.o.A. stützt, weil eine nützliche Geschäftsführung nicht vorliegt, wenn B2 gegenüber dem Gläubiger eine Einrede gehabt hätte. Sofern B2 gegenüber dem Gläubiger die Einrede der Vorausklage hat, konnte er sie nach altem Recht auch gegenüber der Regressforderung erheben197. Nach dem reformierten Recht steht die Einrede in beschränktem Maße auch Solidarbürgen zu. Zum einen können sie nach Art. 496 I nur belangt werden, wenn der Hauptschuldner im Verzug ist. Diese Einrede fällt beim Mitbürgenregress, der nach Art. 497 II 5 dem Rückgriff gegen den Hauptschuldner vorausgehen kann, offenbar weg. Zum anderen muss der Gläubiger nach Art. 497 II grundsätzlich zuerst die Mobiliarsicherheiten verwerten; diese Einrede besteht möglicherweise auch gegenüber dem Mitbürgenregress198. Zahlt B1 vor der Fälligkeit der Hauptschuld, kann er nach Art. 504 III OR gegenüber dem Hauptschuldner erst nach dem Eintritt der Fälligkeit Regress nehmen, was nach der Literatur auch für den Mitbürgenregress gelten soll199. Insgesamt ergibt sich das Bild, dass der Mitbürgenregress dem Subrogationsregress stark angenähert wird, ohne ihm aber notwendig zu gleichen. Wenn etwa die schuldhafte Nichterhebung einer gemeinsamen Einrede den Regress ausschließen soll, könnte dies bedeuten, dass ein Mitbürge Regress nehmen kann, obwohl die Haupt- und die Bürgenschulden bei seiner Leistung verjährt oder aufrechenbar waren, sofern er das schuldlos nicht gewusst hat. Wenn dies so ist, gibt es einen eigenen Mitbürgenregress, der auch in Fällen geltend gemacht werden kann, in denen ein Subrogationsregress nicht möglich wäre. Besonders geregelt ist der Fall, dass der Gläubiger einen Mitbürgen entlässt. Nach einem Teil der Literatur soll bei Mitbürgen ein Erlass mit Einzelwirkung möglich sein, der den Entlassenen nicht vor Regressforderungen schützt200. Ob aber eine solche Fallgestaltung bei gemeinschaftlichen Mitbürgen eintreten kann, ist zweifelhaft. Bei einfachen Mitbürgen müsste die Entlassung eines Bürgen schon nach dem Akzessorietätsprinzip dazu führen, dass auch die anderen Bürgen für den Anteil den Entlassenen nicht mehr haften201. Was Solidarmitbürgen betrifft, kennt das OR zunächst einmal mit dem heutigen Art. 503 OR202 ein Aufgabeverbot, wonach die Haftung des Bürgen gemindert wird, wenn der Gläubiger bestimmte für die Hauptschuld bestellte Sicherheiten aufgibt. Zu diesen Si196 Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 86 f., 91; Lerch/Tuason, Bürgschaft, 79; nicht ganz klar Scyboz, Bürgschaft, 455. 197 Vischer, ZSchwR 29 (1888), 58; Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 91. 198 So Scyboz, Bürgschaft, 455. 199 Gut, Solidarbürgschaft, 92; Beck, Bürgschaftsrecht, OR Art. 504 Rz 6; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 504 OR Rz 3. 200 Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 78 ff., 88 f.; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 497 OR Rz 57. 201 Ähnlich Tobler, Schutz des Bürgen, 127 f. (anteilige Befreiung durch Teilungseinrede). 202 OR 1881, Art. 508; OR 1911, Art. 509.
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cherheiten gehören auch weitere Bürgschaften203, nach reformiertem Recht zumindest dann, wenn die Bürgen sich gleichzeitig verpflichtet haben204. Die Entlassung eines Solidarmitbürgen kann nach dieser Vorschrift also, wie auch die Rechtsprechung anerkannt hat, zu einer anteiligen Befreiung der übrigen führen205. Im Ergebnis kommt es aber heute nicht mehr darauf an, weil die Entlassung eines gemeinschaftlichen Mitbürgen von der Sondervorschrift des Art. 497 III erfasst ist. Diese Vorschrift betraf ursprünglich den Fall, dass ein Bürge B1 sich in der für den Gläubiger erkennbaren Erwartung verpflichtet, dass auch ein anderer (B2) sich für die Hauptschuld verbürgt, es zu dieser weiteren Verbürgung aber nicht kommt. Die Frage war, ob B1 geschützt werden sollte, der mit einem anteiligen Regress gegenüber B2 rechnete, diesen aber nun unzweifelhaft nicht hat, weil B2 sich nie verpflichtete. Die frühe Rechtsprechung schützte B1, indem sie seine Verpflichtung um den geplanten Innenanteil von B2 reduzierte206. Das OR von 1911 führte dann eine Vorschrift ein207, wonach B1 nicht nur anteilig, sondern ganz frei wird, wenn es zur Verbürgung durch B2 nicht kommt, so dass er im Ergebnis besser gestellt wird als nach seiner Erwartung208. Diese extrem bürgenfreundliche Regel wurde von der Rechtsprechung auf den Fall ausgeweitet, dass sich B2 zwar verbürgt, seine Verpflichtung aber, etwa wegen Formmängeln oder einer fehlenden Zustimmung, unwirksam ist209. Der Reformgesetzgeber von 1941 kodifizierte diese Rechtsprechung und fügte den dritten Fall hinzu, dass B2 sich zwar wirksam verpflichtet, der Gläubiger ihn aber später entlässt. Im Fall gemeinschaftlicher Mitbürgen erwartet aber jeder Bürge erkennbar, dass sich auch die übrigen verpflichten210. Die Vorschrift des Art. 497 III führt also im Ergebnis 203 Stooss, ZBJV 47 (1911), 530; ZürK/Oser, Art. 509 OR Anm. 2 a; BernK/Becker, Art. 509 OR Rz 7; Tobler, Schutz des Bürgen, 127 f.; Lerch/Tuason, Bürgschaft, 66, 68; Gut, Solidarbürgschaft, 116; Scyboz, Bürgschaft, 408; a.A. Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, die aber statt dessen Art. 149 I OR anwendet. 204 Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 503 OR Rz 18, 21; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 503 OR Rz 12, 14; BernK/Giovanoli, Art. 503 OR Rz 6, 10; BasK/Pestalozzi, Art. 503 OR Rz 5, 7. 205 BGE 20, 612 (24.9.1894); BGE 26 II 248 (5.4.1900); Tobler, Schutz des Bürgen, 127 f.; Lerch/ Tuason, Bürgschaft, 68. 206 Siehe BGE 59 II 28, 33 ff. (31.1.1933); ZürK/Oser, Art. 497 OR Anm. 4; Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 99. 207 OR 1911, Art. 497 III. 208 Hierzu etwa BGE 59 II 28, 33 ff. (31.1.1933). Die Vorschrift wird auch angewandt, wenn einer der geplanten Mitbürgen durch einen anderen ersetzt wird, BGE 63 II 167 (23.6.1937); Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 497 OR Rz 58; BernK/Giovanoli, Art. 497 OR Rz 29; BasK/Pestalozzi, Art. 497 OR Rz 12. 209 BGE 59 II 28, 31 ff. (31.1.1933); BGE 60 II 231 (3.7.1934); anders noch BGE 42 II 652, 657 (29.12.1916): nur anteilige Befreiung. 210 Die Anwendung des Art. 497 III OR auf gemeinschaftliche Mitbürgen entspricht Schweizer Rechtsprechung und Lehre, etwa BGE 59 II 28 (31.1.1933); BGE 60 II 231 (3.7.1934); BGE 63 II 167 (23.6.1937); Lerch/Tuason, Bürgschaft, 33; Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 497 OR Rz 49, 54; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 497 OR Rz 59, 62; BernK/Giovanoli, Art. 497 OR Rz 26 ff.; BasK/Pestalozzi, Art. 497 OR Rz 12. Anders Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 93 ff., wonach Art. 497 III nur Nebenbürgen betreffen soll.
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IV. Regress und Regressvereitelung
zur Gesamtwirkung des Einzelerlasses bei gemeinsamer Mitbürgschaft, die noch dazu zwingendes Recht ist211. Der Schutz des Regressinteresses von B1, also die Erwartung, bei Solvenz der Mitbürgen die Last im Ergebnis nur anteilig tragen zu müssen, hätte auch durch Anordnung einer beschränkten Gesamtwirkung erreicht werden können, wonach die Verpflichtung von B1 sich um den Anteil von B2 vermindert. Wenn Art. 497 III OR demgegenüber die völlige Befreiung von B1 anordnet, geht es noch um etwas anderes. Die Vorschrift war 1911 offenbar deswegen eingeführt worden, um zu verhindern, dass der Gläubiger einen potentiellen Bürgen durch die Versicherung, es werde noch eine bestimmte andere Person bürgen, die womöglich besondere Reputation, Sachkenntnis und Solvenz aufwies, in Sicherheit wiegte und vielleicht die Erwartung hervorrief, dass es zum Haftungsfall gar nicht kommen würde. Die erweiternde Auslegung durch die Rechtsprechung war insofern nicht inkonsequent, weil der Gläubiger auch dadurch einen „Lockvogelbürgen“ einsetzen kann, dass er ihn unter Missachtung von Form- und Zustimmungserfordernissen verpflichtet. Eine ähnliche Gefahr kann bestehen, wenn der Gläubiger den „Lockvogelbürgen“ zwar zunächst wirksam verpflichtet, ihn aber danach entlässt212. Ob aber das Problem arglistig handelnder Gläubiger einen derart weitreichenden Schutz erfordert, ist zumindest zweifelhaft213. Gerade im Fall der Entlassung hätte auch die Möglichkeit bestanden, den Regress gegenüber dem Entlassenen aufrechtzuerhalten, womit der Anreiz, sich als „Lockvogelbürge“ zur Verfügung zu stellen, sinken würde. Vielleicht ging der Reformgesetzgeber davon aus, dass ein Regress gegenüber einem entlassenen Mitbürgen ausscheidet; sicher ist das aber nicht. Im Ergebnis wird der Einzelerlass gegenüber einem Mitbürgen als unerwünschter Eingriff des Gläubigers in das Innenverhältnis angesehen und durch ein völliges Freiwerden aller Mitbürgen sanktioniert. Beim Regress unter Nebenbürgen erscheint die Rechtslage zumindest aus deutscher Sicht noch unklarer. Das Obligationenrecht von 1881 und das von 1911 erwähnten Nebenbürgen gar nicht. Vereinzelt wurde die Ansicht vertreten, dass Nebenbürgen Solidarschuldner i.S.d. Art. 143 ff. seien, weil sie nicht nur dieselbe Leistung schuldeten, sondern auch, anders als bei der sog. unechten Solidarität i.S.d. Art. 51, durch eine gemeinsame causa verbunden seien, da jeder dieselbe Hauptschuld sichere214. Daher stehe Nebenbürgen untereinander der Solidarschuldregress nach Art. 148 f. zu215. Die herrschende Lehre aber zog aus 211
Art. 492 IV OR von 1941. Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 497 OR Rz 47; vgl. auch BernK/Giovanoli, Art. 497 OR Rz 26 f. 213 Kritik bei Honsell, OR BT, § 31 V 6 a; zur Regelung im OR 1911 auch schon Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 98 ff. 214 Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 34, 53 ff., 61, 63 ff. 215 Meyer-Wegenstein, a.a.O., 71 f.; i.E. vielleicht auch Vischer, ZSchwR 29 (1888), 55, 57 f. Nicht überzeugend Raaflaub, Solidarbürgschaft, 87 f., wonach Nebenbürgen dann Mitbürgen i.S.d. Art. 497 II OR 1911 sein und damit ein Regressrecht haben sollen, wenn sich jeder solida212
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dem Schweigen des Gesetzes den Schluss, dass zwar jeder Nebenbürge auf das Ganze haftet, ein Regress aber nicht stattfindet216. Offenbar sollte hier auch der Forderungsübergang zugunsten des leistenden Bürgen (heute Art. 507), der an sich auch die Sicherheiten der verbürgten Schuld umfasste, nicht zu einem Regress führen. Demnach war offenbar auch das Aufgabeverbot (heute Art. 503) nicht auf Nebenbürgen anwendbar. Zwar durfte der Gläubiger nach der Fassung von 1881 keine schon vor der Bürgenverpflichtung bestehenden217, nach der Fassung von 1911 weder frühere noch spätere218 anderweitige Sicherheiten aufgeben, doch die Vorschrift verlangte zusätzlich einen durch die Aufgabe verursachten Nachteil des Bürgen, der bei fehlendem Regressrecht offenbar nicht bestand. Die Reform von 1941 führte zu der Vorschrift des Art. 497 IV, wonach der leistende Nebenbürge ein anteiliges Rückgriffsrecht gegen die anderen Nebenbürgen hat. Die Literatur begründet das Regressrecht mit der Billigkeit219, ohne sich weiter zur Ausgestaltung des Nebenbürgenregresses zu äußern, so dass unklar ist, ob das oben zu gemeinschaftlichen Mitbürgen Gesagte auch für Nebenbürgen gilt, insbesondere ob ein Nebenbürge auch dann regresspflichtig sein kann, wenn der Gläubiger selbst nicht mehr auf ihn zugreifen könnte. Daneben stellt sich die Frage nach dem Subrogationsregress. Nach der Reform von 1941 stellt Art. 507 klar, dass der Forderungsübergang auch anderweitige Sicherheiten umfasst. Anders als nach dem OR von 1881/1911 gilt dies aber nur für Sicherheiten, die schon zur Zeit der Bürgenverpflichtung bestanden. Weil die Literatur auch anderweitige Bürgschaften zu den Sicherheiten i.S.d. Art. 507 zählt220, gilt für Nebenbürgen damit offenbar Folgendes: Bürgt zuerst B1, später B2 und leistet B2 dann an den Gläubiger, hat er gegen B1 ein Regressrecht nach Art. 497 IV und profitiert insoweit auch von der Subrogation nach Art. 507. Leistet dagegen B1, steht ihm nur den Mitbürgenregress, nicht die Subrogation zur Verfügung, so
216 risch mit dem Hauptschuldner verbürgt hat. Art. 497 II setzt sowohl in der Fassung von 1911 als auch heute voraus, dass „sie“ mit dem Hauptschuldner Solidarhaft übernommen haben, d.h. nach Abs. 1 Bürgen, die sich gemeinsam verbürgt haben. 216 A. Guhl, Passive Korrealität, 215 f.; Lerch/Tuason, Bürgschaft, 79; T.Guhl, Obligationenrecht, § 57 II f; wohl auch ZürK/Oser, Art. 497 OR Anm. 2 a. 217 OR 1881 Art. 508: Die Sicherheit musste bei Eingehung der Bürgschaft vorhanden oder vom Hauptschuldner nachträglich erlangt worden sein. Eine Bürgschaft ist keine vom Hauptschuldner erlangte Sicherheit, so dass i.E. nur frühere Bürgschaften in Frage kamen, Stooss, ZBJV 47 (1911), 531. 218 OR 1911 Art. 509. Sofern die Sicherheit nachträglich erlangt war, musste sie ausschließlich für die verbürgte Forderung bestimmt sein, womit vor allem Pfandrechte ausgeschlossen werden sollten, die sämtliche Forderungen des Gläubigers gegen den Hauptschuldner sicherten, hierzu Stooss, ZBJV 47 (1911), 536. 219 Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 497 OR Rz 69; Gut, Solidarbürgschaft, 116 Fn. 6; BernK/Giovanoli, Art. 497 OR Rz 30; Scyboz, Bürgschaft, 453; Guhl/Schnyder, OR, § 57 Rz 41; BasK/Pestalozzi, Art. 497 OR Rz 15. 220 Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 507 OR Rz 36 und 37 i.V.m. Art. 503 OR Rz 18; ZürK/Oser/ Schönenberger, Art. 507 OR Rz 38 i.V.m. Art. 503 OR Rz 12; BernK/Giovanoli, Art. 507 OR Rz 5 i.V.m. Art. 503 OR Rz 10; BasK/Pestalozzi, Art. 507 OR Rz 7 i.V.m. Art. 503 OR Rz 5.
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IV. Regress und Regressvereitelung
dass er nicht auf Sicherheiten zugreifen kann, die speziell für die Bürgenschuld des B2 bestellt wurden. Entlässt der Gläubiger einen Nebenbürgen, stellt sich zunächst die Frage, ob der oben erwähnte Art. 497 III auch auf Nebenbürgen angewendet werden kann. Nach dieser Vorschrift wird ein Bürge vollständig befreit, wenn er sich in der dem Gläubiger erkennbaren Voraussetzung verbürgt hat, „dass neben ihm für die gleiche Hauptschuld noch andere Bürgen sich verpflichten werden“, und der Gläubiger den anderen Bürgen später entlässt. Erfasst ist sicher der seltene Fall, dass B1 sich im Vertrauen auf die erwartete Bürgschaft durch B2 verpflichtet und B2 sich dann ohne Kenntnis von B1 verbürgt. Die Entlassung von B2 befreit dann B1 (nicht aber umgekehrt). Strittig ist aber der Fall, dass sich zunächst B1 verbürgt und dann B2 sich im erkennbaren Vertrauen auf diese Bürgschaft ebenfalls verpflichtet. Ein Teil der Literatur will hier B2 die Einrede des Art. 497 III geben, wenn der Gläubiger B1 entlässt, weil es keinen Unterschied machen dürfe, ob ein Bürge auf eine zukünftige oder schon bestehende weitere Bürgschaft vertraue221. Ein anderer Teil will dagegen am Wortlaut der Vorschrift festhalten und verweist darauf, dass sie wegen ihres Ausnahmecharakters restriktiv ausgelegt werden müsse222. Führt man die Vorschrift auf den (zweifelhaften) Zweck zurück, den Bürgen davor zu schützen, dass der Gläubiger „Lockvogelbürgen“ einsetzt, müsste man folgerichtig auch das Vertrauen auf eine schon bestehende Bürgschaft schützen, weil der Gläubiger andernfalls die Vorschrift dadurch umgehen könnte, dass er den „Lockvogelbürgen“ zuerst verpflichtet. Sofern ein Schutz über Art. 497 III abgelehnt wird, kommt ein Schutz über das Aufgabeverbot des Art. 503 in Betracht, das nach der Reform von 1941, ebenso wie die Subrogation selbst, nur Sicherheiten umfasst, die schon zum Zeitpunkt der Bürgenverpflichtung bestanden223. Da die Literatur auch die Verpflichtungen durch Nebenbürgen zu den Sicherheiten i.S.d. Art. 503 zählt224, gilt dann insgesamt für den Fall, dass sich zuerst B1 und dann B2 verbürgt, offenbar Folgendes: Entlässt der Gläubiger B2, kann sich B1 weder auf Art. 497 III noch auf Art. 503 berufen. Unklar ist, ob er dann regresslos allein haftet oder ob er Regress gegenüber dem entlassenen B2 nehmen kann225. Entlässt der Gläubiger 221
BernK/Becker, Art. 497 OR Rz 13; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 497 OR Rz 15, 60–62, 67; Bucher, OR BT, § 17 VII 3; vielleicht auch Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 497 OR Rz 9. 222 ZürK/Oser, Art. 497 OR Anm. 4 c; Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 36, 94 ff., 99 ff.; Lerch/Tuason, Bürgschaft, 33 f. 223 Nachträglich erlangte Sicherheiten fallen nur dann unter Art. 503, wenn sie vom Hauptschuldner erlangt sind und allein die Hauptschuld sichern. Eine Bürgschaft ist als Drittsicherheit nicht vom Hauptschuldner erlangt, so BernK/Giovanoli, Art. 503 OR Rz 16; Stooss, ZBJV 47 (1911), 531 zur Parallelvorschrift des Art. 508 OR 1881; unklar Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 503 OR Rz 18. 224 Gut, Solidarbürgschaft, 116; Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 503 OR Rz 18; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 503 OR Rz 12; BernK/Giovanoli, Art. 503 OR Rz 10; Scyboz, Bürgschaft, 408; BasK/Pestalozzi, Art. 503 OR Rz 5; a.A. Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 83, 89, die aber statt dessen die Parallelvorschrift des Art. 149 I anwendet. 225 Im letzteren Sinne Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 78 ff., 89.
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B1, wird B2 nach einer Ansicht vollständig frei, falls er auf B1 vertraut hatte. Andernfalls kommt eine anteilige Befreiung nach Art. 503 in Frage. Die Vorschrift wird allerdings, anders als die Parallelvorschrift des § 776 BGB, als Schadensersatzanspruch verstanden, der nicht nur ein (vermutetes) Verschulden des Gläubigers, sondern auch einen Schaden des verbleibenden Bürgen verlangt226. Die Reform von 1941 hat nur insofern eine Änderung gebracht, als nicht mehr der Bürge seinen Schaden, sondern der Gläubiger einen fehlenden Schaden beweisen muss. Nimmt man an, dass B2 gegen den entlassenen B1 keinen Regress mehr nehmen kann, der Hauptschuldner insolvent ist und auch sonst keine ausreichenden Sicherheiten bestehen, müsste B2 anteilig frei werden. Geht man dagegen davon aus, dass auch ein Regress gegen einen entlassenen Nebenbürgen möglich ist, dann könnte die Vorschrift des Art. 507 höchstens dann eingreifen, wenn der Hauptschuldner und B1 insolvent sind, die Schuld des B1 aber dinglich gesichert war, weil der Erlass dann den Zugriff durch B2 auf die Sicherheit vereitelt hätte227.
e) Die übrigen Regelwerke Die dargestellte Vielfalt von Lösungen für den Regress unter gemeinschaftlichen Mitbürgen und Nebenbürgen sowie für den Fall, dass der Gläubiger einen Mitbürgen entlässt, findet sich auch bei den übrigen Regelwerken, also dem CMBC, dem Züricher Gesetzbuch, dem Sächsischen BGB und den deutschen Entwürfen, die hier zusammenfassend dargestellt werden sollen. Für gemeinschaftliche Mitbürgen sah die Mehrheit ein anteiliges Regressrecht vor228. Während einige Regelwerke es bei diesem Regressrecht beließen229, verstärkten andere es durch ei-
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Vischer, ZSchwR 29 (1888), 62 ff., 65 (zu Art. 508 OR 1881); Stooss, ZBJV 47 (1911), 482 ff., 532 ff.; ZürK/Oser, Art. 509 OR Anm. 2 b; von Tuhr, ZSchwR 64 (1923), 114 f.; Tobler, Schutz des Bürgen, 134 f., 139 ff.; BernK/Becker, Art. 509 OR Rz 11; Lerch/Tuason, Bürgschaft, 67; BGE 66 II 123, 129 f. (zu Art. 509 OR 1911); Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 90 (zu Art. 149 II OR 1911); Gut, Solidarbürgschaft, 106 ff.; Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 503 OR Rz 30; ZürK/Oser/ Schönenberger, Art. 503 OR Rz 21; BernK/Giovanoli, Art. 503 OR Rz 13 f.; BasK/Pestalozzi, Art. 503 OR Rz 11 (zu Art. 503 OR 1941). 227 Für eine Anwendung des Art. 507 in diesem Fall Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 89; Gut, Solidarbürgschaft, 119; anders ohne Begründung ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 503 OR Rz 11. 228 CMBC IV 10 § 14 Nr. 1, 6; CMBC-RevE 1811, IV 10 § 15 Nr. 1; ZürGB § 1805; SächsE § 875 II; HessE IV 2 Art. 608 i.V.m. IV 1 Art. 12; BayE II Art. 886. 229 So der CMBC: Nach IV 10 § 14 Nr. 6 hatte der Bürge wegen seines unmittelbaren Regresses gegen Hauptschuldner und Mitbürgen das sog Beneficium cedendarum actionum als eine Römische Rechts-Subtilität heut zu Tag nicht mehr vonnöthen. Das eigene Regressrecht sollte wohl in erster Linie das Abtretungserfordernis beseitigen, Kreittmayr, Anmerkungen IV, 572. Weil aber ein bloßes Rückgriffsrecht nicht den Zugriff auf die dinglichen Sicherheiten der Hauptschuld ermöglicht, gewährte das Gesetz dem Bürgen noch ein besonderes Recht auf Abtretung der Pfänder und Hypotheken, IV 10 § 18 Nr. 1. Im Ergebnis ebenso der CMBC-RevE 1811, in dem das Eintrittsrecht des Bürgen nach IV 10 § 16 Nr. 2 nur Rechte gegen den Hauptschuldner betraf.
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IV. Regress und Regressvereitelung
nen anteiligen Forderungsübergang230. Eine Sonderrolle nahmen das Sächsische BGB und der Dresdener Entwurf ein, die schon bei gewöhnlichen Gesamtschuldnern kein automatisches Regressrecht kannten231. Auch bei Mitbürgen (die Gesamtschuldner waren232) wurde der Regress nicht besonders angeordnet; er sollte sich aus dem Innenverhältnis ergeben233. Im Dresdener Entwurf, nicht aber im Sächsischen BGB234, sollte ein solcher auf dem Innenverhältnis beruhender Regress durch einen anteiligen Forderungsübergang verstärkt werden235. Für Nebenbürgen gewährten der bayerische CMBC, das Züricher Gesetzbuch und der Bayerische Entwurf ein anteiliges Regressrecht236, das teilweise durch einen anteiligen Forderungsübergang verstärkt wurde237. Gegen einen solchen Ausgleich unter Nebenbürgen entschieden sich aber der Revisionsentwurf zum CMBC238, der Sächsische Entwurf239, der Hessische Entwurf240, das Sächsische Gesetzbuch und der Dresdener Entwurf241. Diese Regelwerke kannten zumeist auch keine die Nebenbürgen umfassende Subrogation zugunsten des leistenden 230 So etwa ZürGB § 1801 i.V.m. § 1027: Nach Bluntschli, Anm. zu § 1801, umfasste der Zessionsregress des Bürgen auch Rechte gegen andere Bürgen. Das Eintrittsrecht des leistenden Bürgen nach HessE IV 2 Art. 603 II sollte auch zu einem anteiligen Übergang der Forderungen gegen Mitbürgen führen, Motive zum HessE IV 2, S. 233. Nicht ganz klar ist, ob das Eintrittsrecht nach § 859 SächsE bzw. Art. 879 I BayE II auch Forderungen gegen Mitbürgen umfassen sollte; bejahend (zum BayE) Dresd. Prot. 3544; von Kübel, Motive zu VorlE, 55 (Schubert, SR III, 1267). 231 SächsGB § 1036; DresdE Art. 16; hierzu oben, 274 f. 232 SächsGB § 1458; DresdE Art. 933. 233 Zum SächsGB Motive zu § 1487 des Entwurfs, S. 836; Siebenhaar, Sächsisches Privatrecht, 705 f.; ebenso die bei Hoffmann, SächsGB, Anm. zu § 1458, zitierte Rechtsprechung; zum DresdE Dresd. Prot. 3455, 3458, 4304, 4310, 4591 ff. 234 Zwar fand zugunsten des leistenden Bürgen nach § 955 eine fingierte Zession statt, und eine Zession umfasste nach § 954 an sich auch Forderungen gegen Bürgen; B.Schmidt, Sächsisches Privatrecht, 397; Siebenhaar/Pöschmann, SächsGB, Anm. zu § 954. Der Verfasser Siebenhaar selbst war aber der Ansicht, dass die fingierte Zession nach § 955 die Mitbürgenforderungen nicht umfasse, diese vielmehr durch die Leistung eines Mitbürgen erloschen seien, Sächsisches Privatrecht, 540 Fn. 4 und 706 Fn. 1; ebenso die bei Hoffmann, SächsGB, § 1466 Anm. 2, aufgeführte Rechtsprechung. 235 Nach Ansicht der Verfasser umfasste der in Art. 940 vorgesehene Forderungsübergang zugunsten des leistenden Bürgen auch Rechte gegen Mitbürgen. Diese hatten aufgrund des Innenverhältnisses das Recht, nur anteilig in Anspruch genommen zu werden, Dresd. Prot. 3454 ff., 3543 f. 236 CMBC IV 10 § 14 Nr. 6 (der wohl auch für Nebenbürgen galt, vgl. § 12, wonach auch Nebenbürgen confideiussores waren); ZürGB § 1805; BayE II Art. 886 i.V.m. Art. 873. Nach Bluntschli, ZürGB, Anmerkung zu § 1805, sowie nach den Motiven zum BayE II, 268 f., beruhte der Regress bei Nebenbürgen auf der Billigkeit. 237 So ZürGB § 1801 i.V.m. § 1027; vielleicht auch BayE II Art. 879 I. 238 CMBC-RevE 1811, IV 10 § 15 Nr. 2. 239 SächsE § 875 gewährt ein Regressrecht nur für gemeinschaftliche Mitbürgen. Die Motive zu § 875 begründen den Regress mit dem Korrealschuldverhältnis; dieses soll unter Nebenbürgen nicht vorliegen. 240 Mitbürgen i.S.d. HessE waren nur gemeinschaftliche Mitbürgen, HessE IV 2 Art. 584 mit Motiven zum HessE IV 2, S. 223; anders Dresd. Prot. 3421. Das Verhältnis unter Nebenbürgen wurde gar nicht geregelt. 241 In beiden Regelwerken fand ein Mitbürgenregress nur auf der Basis eines besonderen Innenverhältnisses statt, oben Fn. 233.
2. Die Lösungen in den Regelwerken
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Bürgen, so dass es im Ergebnis dabei blieb, dass der leistende Nebenbürge keinerlei Rückgriffsrecht hatte242. Eine Ausnahme bildete der Dresdener Entwurf, nach dem auf den leistenden Bürgen zusammen mit der Hauptforderung auch die Forderungen gegen Nebenbürgen übergehen sollten243. Da es aber unter Nebenbürgen weder eine Teilungseinrede noch ein Regressrecht gab, führte der Forderungsübergang nach Ansicht der Verfasser dazu, dass der leistende Bürge die Forderung gegen den Nebenbürgen im Ganzen erwarb und damit einen Totalregress nehmen konnte244. Im Ergebnis sollte also der zuletzt in Anspruch genommene Nebenbürge die gesamte Last tragen, womit der Dresdener Entwurf ein umgekehrtes Ergebnis erzielte wie diejenigen Regelwerke, die jeglichen Rückgriff ablehnten, mit ihnen aber gemeinsam hatte, dass der Zufall und die Gläubigerwillkür über die endgültige Belastung entschieden245. Soweit die Regelwerke einen Mitbürgenregress vorsahen, stellt sich die Frage, wie es sich auswirken sollte, wenn der Gläubiger einen der Mitbürgen entlässt. Nach dem CMBC sollte eine solche Entlassung die übrigen Bürgen nicht befreien246. Vielleicht war damit nur gemeint, dass diese nicht vollständig befreit wurden. Einfache Mitbürgen konnten sich auf die Teilungseinrede berufen247. Unklar ist aber, ob verbleibende Solidarbürgen regresslos haften oder einen Rückgriffsanspruch gegen den Entlassenen haben sollten. Eine solche Schuldgemeinschaft nach österreichischem Vorbild, wonach Regressansprüche auch gegen Entlassene möglich sind, sahen der Sächsische Entwurf248 und wohl auch das Sächsische BGB249 für gemeinschaftliche Mitbürgen vor. In anderen Regelwerken wurde das Regressproblem dadurch vermieden, dass die Entlassung die übrigen Mitbürgen anteilig befreite, so der Bayerische Entwurf für alle Mitbürgen250, der Hessische Entwurf für gemeinschaftliche Mitbürgen251 und das Züricher Gesetzbuch für einfache Mitbürgen252. Ähnliche Probleme wie im französischen und 242 So der CMBC-RevE 1811 (Fn. 229) und das SächsGB (Fn. 234). Unklar ist dagegen, ob das Eintrittsrecht nach § 875 SächsE oder nach Art. 603 II HessE IV 2 auch Rechte gegen Nebenbürgen umfassen und was hieraus folgen sollte. 243 DresdE Art. 940. 244 Dresd. Prot. 3454 ff. (Zusammenfassung in der Redaktionsvorlage zum Bürgschaftsrecht, Schubert, SR III, 457). 245 Kritisch von Kübel, VorlageE, 56 (Schubert, SR III, 1268). 246 CMBC IV 10 § 17 Nr. 4. 247 CMBC IV 10 §§ 12–13. 248 SächsE § 881. Das Aufgabeverbot in § 873 umfasst folgerichtig wie im ABGB nur dingliche Sicherheiten. 249 Dies ergibt sich daraus, dass ein Rückgriffsanspruch nur auf der Grundlage eines vertraglichen Innenverhältnisses bestehen konnte und dann wohl unabhängig davon war, ob der andere Bürge entlassen wurde. 250 BayE II Art. 873 i.V.m. Art. 232. Das Aufgabeverbot in Art. 892 sollte offenbar nur dingliche Sicherheiten umfassen, siehe Motive zu BayE II, S. 271. 251 HessE IV 1 Art. 350. 252 ZürGB §§ 1797, 935 lit b, 948: Da der einzelne Mitbürge nur subsidiär für die Anteile der übrigen haftete, befreite die Entlassung eines Mitbürgen in Höhe seines Anteils offenbar die übrigen.
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IV. Regress und Regressvereitelung
schweizerischen Recht bestehen dagegen beim Dresdener Entwurf und, für Solidarbürgen, im Züricher Gesetzbuch. Beide Regelwerke kannten eine Vorschrift, wonach der Bürge (anteilig) frei wurde, wenn der Gläubiger eine Sicherheit aufgab, die schon zum Zeitpunkt der Bürgenverpflichtung bestanden hatte253. Im ZürGB umfasst die Vorschrift auch Sicherheiten, die gleichzeitig mit der Bürgschaft entstanden sind. Danach müsste die Entlassung eines gemeinschaftlichen Bürgen die übrigen stets anteilig befreien. Wendet man die Vorschriften auf Nebenbürgen an, bedeutet dies im Fall der sukzessiven Verbürgungen durch B1 und B2, dass die Entlassung von B1 B2 (ggf. anteilig) befreit, die Entlassung von B2 dagegen die Haftung von B1 unberührt lässt, so dass sich die Frage stellt, ob er gegen den entlassenen B2 Regress nehmen kann. Gerade im Dresdener Entwurf erscheint die Anwendung des Aufgabeverbots auf Nebenbürgen wenig sachgerecht: Wenn B2 nicht davor geschützt ist, dass der Gläubiger B1 in Anspruch nimmt und B1 dann einen Totalregress gegen B2 hat, fragt es sich, warum er dann bei einer Entlassung von B1 geschützt werden soll. Ein Aufgabeverbot, das die Regresserwartung des Bürgen schützt, passt nicht zu einer Regelung, welche die Lastenverteilung vom Zugriff des Gläubigers abhängig macht.
f) Fazit Diejenigen Regelwerke, die einen Gesamtschuldregress kannten, sahen auch für gemeinschaftliche Mitbürgen einen Rückgriffsanspruch vor. Dies erscheint konsequent, weil der Fall gemeinschaftlicher Mitbürgen sich nicht grundlegend vom Musterfall der gesetzlich geregelten Gesamtschuld, nämlich der gemeinschaftlich eingegangenen Verbindlichkeit, unterscheidet. Das Sächsische BGB und der Dresdener Entwurf, die den Gesamtschuldregress von einem vertraglichen Innenverhältnis abhängig machten, sahen die gleiche Regel für gemeinschaftliche Mitbürgen vor. Weil zumindest aus heutiger Sicht unter solchen Mitbürgen stets ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis besteht, unterscheiden sich die Lösungen nicht wesentlich voneinander; der schon aus der gemeinschaftlichen Mitbürgschaft selbst folgende Ausgleichsanspruch erspart es dem Regresssuchenden, das besondere Innenverhältnis zu beweisen, indem ohne weiteres eine kopfteilige Belastung vermutet wird. Die Frage, ob der Regress (auch) als Zessionsregress ausgestaltet werden und damit auch Sicherheiten umfassen soll, die der regresspflichtige Mitbürge gestellt hat, wurde unterschiedlich beantwortet: Einerseits entsprach der Zessionsregress dem Gemeinen Recht; andererseits konnte man auch der Ansicht sein, der gesetzlich gewährte Mitbürgenausgleich mache die Zessionskonstruktion überflüssig. Diejenigen Kodifikationen, die schon den Gesamtschuldregress durch Subrogation absicherten (CC, ZürGB, OR), sahen eine gleiche Regel für Mitbürgen 253 DresdE Art. 948; ZürGB § 1802 (vielleicht galt hier für Solidarbürgen aber auch schon allgemein eine beschränkte Gesamtwirkung des Einzelerlasses nach § 1798 i.V.m. § 944).
2. Die Lösungen in den Regelwerken
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vor. Andere Kodifikationen verzichteten sowohl bei der Gesamtschuld als auch bei der Mitbürgschaft auf einen Zessionsregress (ALR, CMBC, SächsBGB). Schließlich sicherten einige Regelwerke nur den Mitbürgenregress durch Subrogation und privilegierten Mitbürgen damit gegenüber gewöhnlichen Gesamtschuldnern (ABGB, HessE, DresdE). Bemerkenswert ist, dass ein Großteil der Regelwerke keinen Ausgleichsanspruch unter Nebenbürgen vorsah (ALR, CMBC-RevE, SächsE, HessE, SächsBGB, DresdE, OR 1881 und OR 1911). Hierfür sprach, dass Nebenbürgen durch kein Rechtsverhältnis miteinander verbunden waren und oft nicht einmal voneinander wissen mussten. Der an den Gläubiger leistende Nebenbürge hatte so gesehen lediglich die von ihm allein übernommene Verbindlichkeit erfüllt und sollte von fremden Verträgen in Gestalt weiterer Bürgschaften nicht profitieren. Auf der anderen Seite barg die Regresslosigkeit unter Nebenbürgen die Gefahr der Gläubigerwillkür. Schwierigkeiten ergaben sich zudem, wenn ein Regelwerk ohne Nebenbürgenregress zugleich eine Subrogation zugunsten des leistenden Bürgen vorsah, die nach allgemeinen Regeln eigentlich auch die Forderung gegen einen Nebenbürgen umfassen musste. Die Schweizer Lehre zum OR 1911 ging offenbar davon aus, dass das Eintrittsrecht sich nicht auf Nebenbürgen erstreckte. Umgekehrt nahmen die Verfasser des Dresdener Entwurfs an, dass der Forderungsübergang bei Nebenbürgen zu einem Totalregress des zuerst Leistenden führen müsse. Ein alternatives, im 19. Jahrhundert in Preußen und Österreich populäres und bei der preußischen Gesetzesrevision gewähltes Modell war der Stufenregress unter Nebenbürgen: Wer zuerst die Bürgschaft übernahm, haftete bei Ausfall des Hauptschuldners auf das Ganze und sollte nicht davon profitieren, dass sich später ein zweiter Bürge verpflichtete. Die Verpflichtung des zweiten Bürgen war dagegen von vornherein dadurch geprägt, dass schon der erste Bürge die Schuld sicherte. Daher sollte der erste Bürge keinen Regress gegen den zweiten, der zweite hingegen Regress auf das Ganze gegen den ersten nehmen können. Keine Einigkeit bestand aber darüber, ob dieses Stufenverhältnis auch dann bestehen sollte, wenn der zweite Bürge von der Verpflichtung des ersten nichts wusste. Bejaht man die Frage, steht man vor dem Problem, dass es nicht unbedingt sachgerecht ist, die Belastung bei zwei unabhängigen, sich ohne Rücksicht auf den anderen verpflichtenden, Nebenbürgen vom vielleicht zufälligen Umstand des Zeitpunkts der Verpflichtungen abhängig zu machen. Verlangt man für den Stufenregress dagegen, dass der zweite Bürge vom ersten wusste, können Beweisprobleme entstehen. Zudem kann ein Bürge, der von einer schon bestehenden Verpflichtung eines anderen Bürgen weiß, einen Stufenregress stets rechtsgeschäftlich dadurch herbeiführen, dass er eine Ausfall- oder eine Nachbürgschaft, gegebenenfalls unter Verzicht auf die Einrede der Vorausklage, übernimmt254.
254
Zum deutschen Recht unten, 1213 ff.
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IV. Regress und Regressvereitelung
Vielleicht aufgrund dieser Schwierigkeiten entschieden sich diejenigen Regelwerke, welche die Belastung der Nebenbürgen nicht von der Wahl des Gläubigers abhängig machen wollten, regelmäßig für einen anteiligen Regress, teilweise ohne (CMBC, ABGB), teilweise mit (CC, ZürGB, wohl auch BayE) anteiligem Forderungsübergang, wobei das OR 1941 eine Sonderrolle einnimmt, indem es nicht beim Regressrecht selbst, wohl aber beim Forderungsübergang auf den Zeitpunkt der Bürgenverpflichtung abstellt und insoweit dem Stufenmodell folgt. Der gesetzliche Ausgleich unter Nebenbürgen wurde überall schlicht mit der Billigkeit oder mit dem Gedanken der Geschäftsführung ohne Auftrag bzw. des Bereicherungsausgleichs gerechtfertigt. Wie der Regress unter Mitbürgen im Einzelnen ausgestaltet sein sollte, ist in den verschiedenen Regelwerken aus heutiger Sicht zumeist unklar, so wie überhaupt die Einzelheiten des allgemeinen Gesamtschuldregresses in den Regelwerken häufig im Dunkeln liegen. So fragt es sich, ob der regresspflichtige Bürge dem regressberechtigten seine Einwendungen und Einreden entgegenhalten kann, die er gegenüber dem Gläubiger hatte, insbesondere ob er im Falle der Verjährung, des Erlasses oder des klageabweisenden Urteils auch vor einem Regress des Mitbürgen geschützt ist oder ob der Mitbürgenregress weiter reichen sollte als ein reiner Zessionsregress. Näheres erfährt man in der Regel zum Fall, dass der Gläubiger einen Mitbürgen entlässt und sich dann an den anderen wendet. Eine Sonderstellung nimmt hier das OR 1941 ein, das den Bürgen vollständig befreit, wenn der Gläubiger einen gemeinschaftlichen Mitbürgen oder, nach einem Teil der Literatur, einen früher eingetretenen Mitbürgen entlässt, auf dessen Verpflichtung der verbleibende vertraut hatte. Eine solche Regelung findet sich, wohl zu Recht, sonst nirgendwo. Ein Teil der Regelwerke schützt die Mitbürgen durch die beschränkte Gesamtwirkung des Einzelerlasses (HessE, BayE, nach französischer Auslegung auch der CC), so dass der entlassene Mitbürge auch vor Regressansprüchen sicher ist. Andere folgen dem Modell der Schuldgemeinschaft: Die verbleibenden Mitbürgen haften unbeschränkt weiter, können aber gegen den entlassenen Regress nehmen (ALR, ABGB, SächsE, wohl auch sächs.BGB). Bei gemeinschaftlichen Mitbürgen erscheint die Regresshaftung des Entlassenen nicht unangemessen, da die Mitbürgen hier von vornherein durch ein Innenverhältnis verbunden sind, in dem sie auch untereinander eine bestimmte Lastenverteilung vereinbaren und in das durch einen Einzelerlass des Gläubigers nicht eingegriffen werden kann. Allein das ABGB sieht das Schuldgemeinschaftsmodell auch für Nebenbürgen vor. Hier ist es aber überhaupt nicht selbstverständlich, dass ein vermeintlicher Einzelbürge nach seiner Entlassung durch den Gläubiger Ausgleichsansprüchen seitens ihm unbekannter Mitbürgen ausgesetzt sein soll. Eine besondere Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Aufgabeverbot, das die Regelwerke aus dem Gemeinen Recht übernommen hatten. Sein Kernbereich betraf den Fall, dass der Gläubiger eine für die Hauptschuld gewährte dingliche Sicherheit freigab und damit den Regress des Bürgen gefährdete, der nun nicht mehr mittels des Zessionsregresses auf diese Sicherheit zugreifen
2. Die Lösungen in den Regelwerken
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konnte. In dieser Form findet sich das Aufgabeverbot in nahezu allen Kodifikationen und Entwürfen255, wobei es häufig auf Sicherheiten beschränkt wurde, die schon zum Zeitpunkt der Bürgenverpflichtung bestanden256. Die Frage war nun, ob auch weitere Bürgschaften zu den Sicherheiten gehören sollten, deren Freigabe seitens des Gläubigers zu einer anteiligen Befreiung des Bürgen führte. Dies hätte zur Folge, dass die Entlassung eines Mitbürgen beschränkte Gesamtwirkung hätte. Im Gemeinen Recht schützte zumindest ein Teil der Rechtsprechung und Literatur den Mitbürgenregress, indem er bei der Entlassung eines Mitbürgen dem verbleibenden anteilig ein rechtsvernichtendes beneficium cedendarum actionum oder divisionis gewährte. Dies war deswegen sinnvoll, weil der Mitbürgenregress als reiner Zessionsregress ausgestaltet war, die Entlassung eines Mitbürgen also den Regress des verbleibenden vollständig vereitelte. Soweit ein Regelwerk den Mitbürgenregress ebenfalls als reinen Zessionsregress ausgestaltete, wie für Nebenbürgen der Entwurf der preußischen Gesetzesrevision oder der Dresdener Entwurf, erfüllte das Aufgabeverbot dieselbe Funktion wie im Gemeinen Recht. Bei den Nebenbürgen im Dresdener Entwurf war der Schutz durch das Aufgabeverbot allerdings fragwürdig, weil der Gläubiger stets die Möglichkeit hatte, den favorisierten Nebenbürgen zuerst zu belangen, der dann einen Zessionsregress auf das Ganze gegen den verbleibenden geltend machen konnte. In der großen Mehrheit der Kodifikationen und Entwürfe war der Mitbürgenregress aber als eigener von einer Abtretung unabhängiger Ausgleichsanspruch ausgestaltet. Damit änderte sich der Hintergrund des Aufgabeverbots. Insbesondere bei gemeinschaftlichen Mitbürgen konnte man sich fragen, ob ihr internes Ausgleichsverhältnis nicht unberührt von einem Einzelerlass war, so dass eine Erstreckung des Aufgabeverbots auf Mitbürgen überflüssig, vielleicht sogar sachwidrig war. Die Rolle des Aufgabeverbots hing somit davon ab, ob der Mitbürgenregress „entlassungsfest“ ausgestaltet war. Diejenigen Regelwerke, welche entweder gar keinen Regress vorsahen oder nach dem Schuldgemeinschaftsmodell einen Regress auch gegen einen entlassenen Mitbürgen zuließen, beschränkten das Aufgabeverbot daher auf dingliche Sicherheiten257. Soweit ein Regelwerk für Mitbürgen schon nach allgemeinen Regeln die beschränkte Gesamtwirkung des Einzelerlasses vorsah, war für eine eigenständige Funktion des Aufgabever-
255 ALR I 14 §§ 331–333; CC Art. 2314 (vor 2006 Art. 2037); HessE IV 2 Art. 611; SächsGB § 1466 (hierzu Motive, zu § 1495 des Entwurfs, S. 837; Siebenhaar, Sächsisches Privatrecht, 708); OR 1911, Art. 509. 256 So ABGB § 1360 (hierzu kritisch Hoyer, JBl 1987, 773); ALR-RevE 1831, I 14 §§ 304–306; SächsE § 873; BayE II Art. 892; ZürGB § 1802; DresdE Art. 948; ebenso CC Art. 2314 (2037 a.F.) in der Auslegung durch die französische Rechtsprechung und herrschende Lehre. Nach Art. 508 OR 1881 und Art. 503 OR 1941 ist eine spätere Sicherheit nur dann umfasst, wenn sie vom Hauptschuldner gestellt wurde. 257 So das ALR (I 14 §§ 331–333 sprechen zwar allgemein von „Sicherheiten“, werden aber durch die Spezialvorschrift des § 390 zum Erlass eines Mitbürgen verdrängt); ferner ABGB § 1360; SächsE § 873; für gemeinschaftliche Mitbürgen ALR-RevE 1831, I 14 § 364.
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IV. Regress und Regressvereitelung
bots kein Platz mehr258. Im französischen Recht ist bis heute nicht ganz klar, ob die anteilige Befreiung der verbleibenden Mitbürgen auf einer allgemeinen Regel zur Erlasswirkung oder auf dem Aufgabeverbot in Art. 2314 (a.F. Art. 2037) CC beruht. Soweit ein Aufgabeverbot aber auch die Entlassung eines Mitbürgen umfasst, könnte daraus der Schluss gezogen werden, dass ein solcher Erlass nach Ansicht des Gesetzgebers den Regress der verbleibenden wie im Gemeinen Recht endgültig vereitelt. Denn ein Schutz des verbleibenden Mitbürgen, so könnte argumentiert werden, wäre überflüssig, wenn sein Ausgleichsanspruch durch den Erlass des anderen Bürgen gar nicht berührt wäre. Denkbar ist aber auch, dass das Aufgabeverbot zwar grundsätzlich auch Mitbürgen umfasst, aber nur zum Einsatz kommt, wenn der Regress des verbleibenden Mitbürgen im konkreten Fall tatsächlich vereitelt wurde. So wird das Aufgabeverbot des Art. 503 OR in der Schweiz als Schadensersatzanspruch verstanden. Der Bürge kann sich daher nicht auf Art. 503 OR berufen, wenn die verbleibenden Sicherheiten für seinen Regress ausreichen oder wenn der Hauptschuldner solvent ist. Möglich ist also für das Schweizer Recht eine Auslegung, wonach die Entlassung eines Mitbürgen den Ausgleichsanspruch grundsätzlich nicht berührt und das Aufgabeverbot nur im seltenen Fall zur Anwendung kommt, dass der entlassene Bürge insolvent ist, seine Schuld aber dinglich gesichert hatte, und der verbleibende Bürge seinen Rückgriff auch nicht anderweitig durchsetzen kann. Ist dagegen das Aufgabeverbot so ausgestaltet, dass schon die Aufgabe selbst den Bürgen anteilig befreit, scheidet eine solche Auslegung aus. Insgesamt war bei denjenigen Regelwerken, deren Aufgabeverbot auch die Entlassung von Mitbürgen umfasste, das Verhältnis dieser Vorschrift zum Mitbürgenregress oft unklar. Eine solche Unklarheit besteht auch beim BGB.
3. Der Mitbürgenregress im BGB Der Schuldrechtsredaktor von Kübel kam wegen seines frühen Todes nicht mehr dazu, einen Vorentwurf zum Bürgschaftsrecht anzufertigen. Was er über den Mitbürgenregress dachte, lässt sich aber seinen Entwürfen zum Gesamtschuldrecht entnehmen. Von Kübel teilte die Vorstellung des Sächsischen BGB und des Dresdener Entwurfs, dass das Gesamtschuldverhältnis als solches noch keinen Grund für einen Innenausgleich darstellte. Ein Regress sollte nur dann stattfinden, wenn er durch das Innenverhältnis unter den Gesamtschuldnern oder durch eine besondere gesetzliche Vorschrift vorgesehen war259. Bei der Ausarbeitung einer entsprechenden Regel für seinen Vorlageentwurf von 1879 dachte er vor allem an Mitbürgen. Er berief sich auf die Ablehnung des Mitbürgenre258 Daher beziehen sich die Aufgabeverbote in HessE IV 2 Art. 611 und in BayE II Art. 892 (hierzu Motive zu BayE II, 271) nur auf dingliche Sicherheiten; ebenso wohl SächGB § 1466. 259 VorlE, These XV und § 21.
3. Der Mitbürgenregress im BGB
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gresses im römisch-Gemeinen Recht und zitierte ausführlich die Vorschriften der Regelwerke zum Mitbürgenregress260. Ablehnend äußerte sich von Kübel zur Regelung des Dresdener Entwurfs, der kein Regressrecht unter Mitbürgen, wohl aber einen auch die Rechte gegen Mitbürgen umfassenden Forderungsübergang vorsah und damit im Fall von Nebenbürgen zum Totalregress des zuerst Leistenden kam. Es erschien ihm sachwidrig, dass gemeinschaftliche Mitbürgen wegen des zwischen ihnen bestehenden Innenverhältnisses nur anteiligen, ein Nebenbürge aber mit Hilfe des Forderungsübergangs vollständigen Regress nehmen konnte261. Ein Forderungsübergang sollte daher nach von Kübels Ansicht nur dann stattfinden, wenn er ein ohnehin schon bestehendes Regressrecht absicherte262. Für gemeinschaftliche Mitbürgen sollte damit dieselbe Regelung wie bei sonstigen vertraglich vereinbarten Gesamtschuldverhältnissen gelten, nämlich ein Regress, der auf der Grundlage des Innenverhältnisses stattfindet und durch einen anteiligen gesetzlichen Forderungsübergang abgesichert wird. Bei Nebenbürgen hingegen schied der rechtsgeschäftliche Regress aus, so dass sich die Frage stellte, ob ein Rückgriffsrecht durch eine besondere gesetzliche Vorschrift angeordnet werden sollte. Diese Entscheidung war für von Kübel erst im Rahmen des Bürgschaftsrechts zu treffen263. Aus seinen Äußerungen geht aber hervor, dass er im Einklang mit dem Sächsischen Gesetzbuch und anderen Regelwerken einen Regress unter Nebenbürgen ablehnte. Die Regelung des Dresdener Entwurfs erschien ihm nicht nur deshalb unrichtig, weil sie bei Nebenbürgen zu einem Totalregress führte, sondern auch deswegen, weil der Nebenbürgenregress eine nicht gerechtfertigte Abweichung vom allgemeinen Prinzip, also dem Grundsatz der regressneutralen Gesamtschuld, darstelle264. Er selbst, so von Kübel an anderer Stelle, würde entgegen dem Dresdener Entwurf bei Nebenbürgen an der Regresslosigkeit festhalten265. Seine Argumentation gegen den Gesamtschuldregress, dass es ohne Innenverhältnis schlichtweg keinen Grund zum Ausgleich gebe, weil der leistende Gesamtschuldner lediglich seine eigene Schuld erfüllt habe und auch die Billigkeit keinen Regress fordere, nur weil die Zahlung auch den anderen Schuldner befreit habe266, bezog sich wohl gerade auf den Fall der Nebenbürgen. Wie berichtet entschied sich die Erste Kommission schon in ihren Vorberatungen anders, nämlich im Sinne einer „Vermutung“ für das Bestehen einer Regress260 Motive zum VorlE, 52 ff. (Schubert, SR III, 1264 ff.); ebenso später Motive zum TeilE, 49 ff. (Schubert, SR I, 101 ff.). 261 Motive zum VorlE, 59 f. (Schubert, SR III, 1271 f.); ebenso Motive zum TeilE, 57 f. (Schubert, SR I, 109 f.). 262 VorlE, § 21 I 2; ebenso TeilE, § 20 I 2. 263 Motive zum VorlE, 4 (Schubert, SR III, 1216). 264 Motive zum VorlE, 55 f. (Schubert, SR III, 1267 f.); ebenso Motive zum TeilE, 53 (Schubert, SR I, 105); ebenso von Kübel, Württ. Gerichtsblatt 1879, 170 f. 265 Motive zum VorlE, 5 (Schubert, SR III, 1217). 266 Motive zum VorlE, 57 f. (Schubert, SR III, 1269 f.); ebenso Motive zum TeilE, 55 f. (Schubert, SR I, 107 f.); von Kübel, Württ. Gerichtsblatt 1879, 174 f.
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IV. Regress und Regressvereitelung
pflicht267. Von Kübels Teilentwurf von 1882 enthielt daher eine Regel, wonach der leistende Gesamtschuldner „im Zweifel“ anteiligen Regress nehmen konnte, sofern sich nicht aus dem Gesetz oder den Umständen etwas anderes ergab268; in den Hauptberatungen der Ersten Kommission 1882 wurde dann die heutige Fassung des § 426 beschlossen269. Von Kübel aber machte deutlich, dass er den allgemeinen Gesamtschuldregress weiterhin ablehnte. Die Tatsache, dass es in der Mehrheit der Fälle ohnehin zu einem Ausgleich unter den Schuldnern komme, so argumentierte er, könne eine allgemeine Regressanordnung nicht rechtfertigen, da die einzelnen Gesamtschuldkonstellationen zu verschieden seien270. Wahrscheinlich bezog sich auch dieses Argument auf den Fall der Nebenbürgen. Denn gerade hier kamen die Ansichten von Kübels und der Kommissionsmehrheit zu kollidierenden Ergebnissen. Bei vertraglich vereinbarten Gesamtschuldverhältnissen beschränkt sich die Bedeutung der Frage, ob der Regress aus dem Innenverhältnis hergeleitet wird oder sich schon aus dem Gesamtschuldverhältnis selbst ergibt, im Wesentlichen auf die Verteilung der Beweislast271. Dasselbe gilt für gemeinschaftliche Mitbürgen. Bei deliktischen Schadensersatz-Gesamtschulden wiederum hatte offenbar auch von Kübel nichts dagegen, für fahrlässige Täter oder im Fall der strikten Haftung einen Regress durch besondere Vorschrift anzuordnen272. Solche Vorschriften kannten schließlich auch das Sächsische BGB und der Dresdener Entwurf. Nur für vorsätzliche Täter wollte von Kübel den Rückgriff ausschließen; hierin folgte ihm die Erste Kommission, indem sie den Regressausschluss besonders anordnete. Im Ergebnis kam es also auch hier nicht wesentlich auf die grundsätzliche Haltung zur Regressfrage an. Bei Nebenbürgen aber lehnte von Kübel ein Regressrecht im Einklang mit dem Sächsischen BGB ab und musste befürchteten, dass der von der Kommissionsmehrheit favorisierte allgemeine Gesamtschuldregress sich auch auf diesen Fall beziehen würde. Zwar bestand auch nach den Gesamtschuldberatungen die Möglichkeit, im Bürgschaftsrecht den Regress unter Nebenbürgen durch eine besondere Vorschrift auszuschließen. Vielleicht hätte von Kübel, wäre er zu einem Vorentwurf zum Bürgschaftsrecht gekommen, eine solche Regelung sogar vorgeschlagen. Doch die Erste Kommission wäre ihm darin nicht gefolgt, wie die Beratung zum Bürgschaftsrecht zeigt. Als die Erste Kommission die Regel des heutigen § 769 beschloss, wonach Mitbürgen Gesamtschuldner sein sollten, war ihr klar, dass diese Entscheidung zugleich eine Entscheidung für die Anwendung des E I § 337, dem Vorläufer des heutigen § 426, darstellte273. Was bedeutete dies aber für Mitbürgen? In der Beratungsvorlage der Kommission hatte es noch geheißen, dass E I § 337 eine Vermu267 268 269 270 271 272 273
Jakobs/Schubert, SR I, 904. Allgemein zur Entstehungsgeschichte des § 426 oben, 279 ff. TeilE, § 20 I 1. Jakobs/Schubert, SR I, 947. Ergebnis: E I § 337; BGB § 426. Motive zum TeilE, 56, Fn. 1 (Schubert, SR I, 108). Oben, 262. Hierzu und zum Folgenden oben, 584 ff. Jakobs/Schubert, SR III, 479; ähnlich dann Mot. II, 667 (Mugdan II, 373).
3. Der Mitbürgenregress im BGB
1139
tung für eine regressbegründendes Rechtsverhältnis aufstelle und diese Vermutung bei unabhängigen Nebenbürgen vielleicht durchbrochen werde274. In der Tat kommt eine tatsächliche Vermutung für das Bestehen eines rechtsgeschäftlichen Innenverhältnisses nur bei einer gemeinschaftlichen Verpflichtung in Betracht, sei es als Hauptschuldner, sei es als Mitbürgen. Doch die Regressvorschrift des E I § 337 sollte nicht nur rechtsgeschäftliche, sondern auch gesetzliche Gesamtschuldverhältnisse, insbesondere deliktische Schadensersatz-Gesamtschulden, umfassen275. Hiermit sollten Sondervorschriften zum Rückgriff, etwa im Falle fahrlässiger Schadensverursacher, überflüssig gemacht werden. Bei ihren Beratungen zum Deliktsrecht war sowohl der Ersten als auch der Zweiten Kommission völlig klar, dass jede von ihnen beschlossene Gesamtschuldanordnung ohne weiteres zugleich eine Entscheidung zugunsten eines Gesamtschuldregresses bedeutete, unabhängig davon, ob sich die Schuldner kannten oder nicht276. Bei der Vorschrift des E I § 337 und ihren Nachfolgern handelte es sich also gar nicht (mehr) um eine schlichte tatsächliche Vermutung, sondern um dispositives Recht, das mangels anderer Abreden oder Bestimmungen ein Regressrecht auch unter Schuldnern gewährte, die zweifelsfrei durch kein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis verbunden waren. In den Bürgschaftsberatungen der Ersten Kommission tauchte der Gedanke, dass E I § 337 den Nebenbürgen vielleicht gar keinen Regress gewährte, auch nicht mehr auf. Wenn Nebenbürgen Gesamtschuldner waren, dann bedeutete dies in den Augen der Ersten Kommission, dass ihnen mangels abweichender Sonderregeln der Gesamtschuldregress zustand. Und eine abweichende Regel wurde nicht getroffen. Die Vorschriften der heutigen §§ 769, 426 I sollten nach Ansicht des Gesetzgebers also nicht lediglich eine tatsächliche Vermutung eines regressbegründenden Innenverhältnisses bei gemeinschaftlichen Mitbürgen zum Ausdruck bringen, sondern eine gesetzliche Ausgleichspflicht auch unter Nebenbürgen anordnen277. Die Grundlage der Beratungen der Ersten Kommission zum heutigen § 774 bildete Art. 940 des Dresdener Entwurfs, der einen Forderungsübergang zugunsten des leistenden Bürgen vorsah. Einigkeit bestand darüber, dass der Forderungsübergang nach der Regel des heutigen § 401 auch Rechte gegen weitere Bürgen umfasste, und zwar auch solche, die sich später als der leistende Bürge verpflichtet hatten278. Ein Stufenregress, wonach nur die Forderungen gegen frühere Mitbürgen übergehen, wäre mit der Grundentscheidung zugunsten des anteiligen Gesamtschuldregresses nicht vereinbar gewesen. Auf Antrag von Planck und Windscheid fügte man eine Bestimmung hinzu, wonach die Rechte gegen Mitbürgen nur anteilig übergehen sollten279. Ein Totalregress gegen Mitbürgen 274
Beratungsvorlage zum Bürgschaftsrecht, Schubert, SR III, 432 f. Oben, 584 ff. 276 Oben, 695 ff., insbes. 742 ff. 277 Anders Soergel/Pecher, § 769 Rz 1–3, der zu Unrecht davon ausgeht, dass der Nebenbürgenausgleich dem Gemeinen Recht und den früheren Regelwerken unbekannt war. 278 Jakobs/Schubert, SR III, 497. 279 Jakobs/Schubert, SR III, 496 f. 275
1140
IV. Regress und Regressvereitelung
mit Hilfe der übergegangenen Forderung, so wie es der Dresdener Entwurf zumindest für Nebenbürgen vorgesehen hatte, sollte vermieden werden. Die Beschränkung wurde dadurch zum Ausdruck gebracht, dass Forderungen gegen Mitbürgen nur nach Maßgabe des E I § 337 II und III übergehen sollten280. Der Verweis auf die Vorschriften des heutigen § 426 II und I 2 unter Weglassung des heutigen § 426 I 1 sollte nicht etwa bedeuten, dass der Regress unter Mitbürgen allein nach § 426 II als reiner Zessionsregress stattfinden sollte. Der Ersten Kommission ging es hier nicht um die Schaffung einer Regressgrundlage, sondern lediglich um eine Einschränkung des Forderungsübergangs nach § 774281. Der Regress selbst ergab sich schon aus der Kombination des heutigen § 769 mit dem heutigen § 426. Wenn es aber nur um eine Einschränkung des Forderungsübergangs ging, so war ein Verweis auf § 426 I 1, der ein eigenes Rückgriffsrecht gewährt, in den Augen der Ersten Kommission fehl am Platz. So wurde die Vorschrift auch von der Zweiten Kommission verstanden, für die es eine rein redaktionelle Frage war, ob man in § 774 II die Vorschrift des § 426 ganz oder nur teilweise zitierte, weil sich die Anwendbarkeit von § 426 I 1 ohnehin aus der Vorschrift des § 769 ergab282. Weil auch § 426 I 1 unter Mitbürgen anwendbar war, entschied sich die Zweite Kommission für die heutige Fassung des § 774 II, der pauschal auf § 426 verweist. Gemeint war aber nach wie vor dasselbe, nämlich eine Einschränkung des Forderungsübergangs, der im Ergebnis dazu führt, dass es für Mitbürgen (neben dem eigenen Regressrecht aus § 426 I) beim nur anteiligen Forderungsübergang nach § 426 II bleibt. Der Gesetzgeber war wohl der Ansicht, sich mit den Bestimmungen der §§ 769, 774 klar ausgedrückt zu haben. Doch über das Zusammenspiel der Vorschriften herrscht bis heute keine Einigkeit. So findet man in Rechtsprechung283 und Literatur284 immer wieder die Aussage, dass sich die Anwendbarkeit des § 426 für Mitbürgen aus der Vorschrift des § 774 II ergebe. Nur ein Teil der Li280
E I § 676 I. Die Kommission sprach von einer „Beschränkung“, Jakobs/Schubert, SR III, 479. 282 Jakobs/Schubert, SR III, 503; Prot. 2531 (Mugdan II, 1027). 283 Etwa RGZ 52, 220, 223 (1.10.1902); RG JW 1912, 746 Nr. 9 = Warn 1912 Nr. 296 (25.4.1912); OLG Frankfurt, SeuffA 69 Nr. 76, S. 137 (9.10.1913); RG Warn 1914 Nr. 247 (25.6.1914); BGH NJW 1986, 3131, 3132 (15.5.1986); LG Flensburg, NJW-RR 1987, 440, 441 (13.8.1986); BGH NJW 1987, 374, 376 (23.10.1986); BGH NJW-RR 1991, 682 (16.1.1991); OLG Hamm, WM 1997, 710, 716 (29.10.1996); BGH NJW 2009, 437 (9.12.2008). In einer Entscheidung spricht der Neunte BGH-Senat sogar nur von einer „entsprechenden“ Anwendung des § 426, NJW 1987, 3126, 3129 (4.6.1987). 284 Endemann, BürgR I, § 192 Fn. 6; Koban, Regress (1904), 174; Cohn, JW 1906, 413; Henle, Schuldrecht (1934), § 143 I 2 a; Kanka, JhJb 87 (1938), 138, 171 Fn. 50; Vahldiek, Ausgleich (1938), 9 ff.; Esser, Schuldrecht (1949), § 191 Nr. 4 („entsprechende“ Anwendung von § 426); Medicus, SR BT, Rz 533; Horn, DZWir 1997, 267; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 242 f.; Staud/Noack, § 426 Rz 232; MüKo/Pecher (1986), § 769 Rz 1, 4, § 774 Rz 21; BamR/Rohe, § 774 Rz 12; MüKo/Habersack, § 765 Rz 116, § 769 Rz 1; nicht ganz klar Habersack, AcP 198 (1998), 158 f. Besonders deutlich Kremer, Mitbürgschaft (1904), 172; R. Schmidt, JhJb 72 (1922), 69; Graf Lambsdorff/Skora, Bürgschaftsrecht, Rz 88, 306, nach denen sich die Anwendbarkeit des § 426 nicht schon aus § 769 ergibt. 281
3. Der Mitbürgenregress im BGB
1141
teratur stellt sich auf den Standpunkt des Gesetzgebers, dass schon § 769 auf § 426 verweist, während § 774 II lediglich die Einschränkung des Zessionsregresses zum Ausdruck bringt285. Im Ergebnis ist es freilich gleichgültig, auf welchem Wege man zur Vorschrift des § 426 I gelangt. Doch die These von der Anwendbarkeit des § 426 mit Hilfe von § 774 geht wohl nicht nur auf den Umstand zurück, dass man sich mit der Entstehungsgeschichte der gesetzlichen Regeln nur wenig beschäftigt, sondern kann auch Ausdruck einer gewandelten Einstellung sein: Der Gesamtschuldregress für Nebenbürgen ist demnach eine Besonderheit, die sich nicht schon aus der Gesamtschuldanordnung selbst ergibt, sondern erst durch eine besondere Vorschrift ausdrücklich angeordnet werden muss. Nicht ganz geklärt ist auch die Grundlage des Zessionsregresses. Zunächst vertrat Kremer in einer 1902 erschienenen Dissertation die Ansicht, dass auf den leistenden Bürgen die Forderungen gegen die Mitbürgen nach § 774 I in voller Höhe übergingen. Es sei begrifflich nicht möglich, dass die Hauptschuld vollständig auf den leistenden Bürgen übergehe, die akzessorischen Bürgenschulden dagegen teilweise erlöschen. Die Vorschrift des § 774 II sollte danach nur auf § 426 I verweisen. Dennoch könne der leistende Bürge gegen den Mitbürgen keinen Totalregress nehmen. Wegen § 426 I sei er schuldrechtlich gehindert, die auf ihn übergegangene Bürgenforderung im Ganzen geltend zu machen, so dass es im Ergebnis doch zum anteiligen Zessionsregress komme286. Diese Ansicht wurde in der Literatur ganz überwiegend zurückgewiesen287. Zu Recht verwies man darauf, dass sie mit der Entstehungsgeschichte der §§ 769, 774 nicht vereinbar war und dass der Vorstellung eines vollständigen Übergangs der Hauptschuld bei nur anteiligem Übergang der Bürgenschulden keine Hindernisse entgegenstehen. Die Akzessorietät der Bürgenhaftung steht einem Fortbestand der Bürgenschuld bei Untergang der Hauptschuld im Wege, nicht
285 Sternberg, Gruch 52 (1908), 546; Braun-Melchior, AcP 132 (1930), 188 f.; Muermann, Konkurrenz, 29; Becker, NJW 1971, 2152 f.; Weber, BB 1971, 335; ders., JuS 1971, 557; ders., JuS 1972, 10; Finger, BB 1974, 1416; RGRK/Mormann, § 774 Rz 7; Bülow, GS Schultz, 50; Steinbach/Lang, WM 1987, 1243; Tiedtke, JZ 1987, 491; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rz 388; dies., Kreditsicherung, Rz 408; Meyer, JuS 1993, 560; ebenso RG Warn 1913 Nr. 361 (19.3.1913). 286 Kremer, Mitbürgschaft, 151 f., 185 ff., 202 ff.; zustimmend Boethke, Gruch 47 (1903), 859; Koban, Regress (1904), 174 Fn. 2. Auch Lippmann ging davon aus, dass die Forderungen gegen die Mitbürgen auf den leistenden Bürgen nur vollständig übergehen könnten. Anders als Kremer nahm er an, dass der leistende Bürge B1 dann einen Totalregress gegen den Mitbürgen B2 haben müsse, der aber mit seiner Leistung an B1 wiederum die Forderung gegen B1 erwerbe. Um diesen Regresskreisel zu vermeiden, müsse man annehmen, dass es bei Mitbürgen, anders als bei gewöhnlichen Gesamtschuldnern, überhaupt nicht zum Forderungsübergang komme, § 774 I also durch § 774 II ausgeschlossen werde, der aber wiederum nur auf § 426 I verweise, AcP 111 (1914), 166 ff., 174 f. 287 Bendix, ArchBürgR 25 (1905), 86 ff.; Sternberg, Gruch 52 (1908), 546 f.; Oertmann, Schuldverhältnisse BT, § 774 Anm. 3 a; Braun-Melchior, AcP 132 (1930), 181, 188 f.; Muermann, Konkurrenz (1932), 30 f.; Weiß, Ausgleich (1937), 40 f.; Vahldiek, Ausgleich (1938), 7 ff.; Kanka, JhJb 87 (1938), 171; s.a. Reichel, ZSchwR 58 (1917), 213 f.
1142
IV. Regress und Regressvereitelung
aber dem (teilweisen) Untergang der Bürgenschuld bei Fortbestand der Hauptschuld288. Wenn es nun aber zum nur anteiligen Übergang der Forderungen gegen Mitbürgen kommt, könnte man die Frage stellen, ob es sich um einen eingeschränkten Übergang nach § 774 I289 oder um einen Übergang nach § 426 II290 handelt. Nach Habersack kann der Übergang nur auf den Vorschriften der §§ 774 I 1, 412, 401 beruhen, weil die Forderungen gegen die Mitbürgen akzessorisch zur Hauptschuld sind291. Daran ist richtig, dass ein Erwerb der Forderungen gegen die Mitbürgen nicht möglich ist, wenn die Hauptschuld selbst durch die Leistung des Bürgen aus irgendeinem Grund erlöschen sollte. Geht man davon aus, dass eine isolierte Abtretung der Forderung gegen einen Bürgen ohne Abtretung der Hauptschuld nicht möglich ist, dann kann eine Anwendung des § 426 II auch nicht dazu führen, dass die Forderungen gegen die Mitbürgen auf den leistenden Bürgen übergehen, die Hauptschuld aber beim Gläubiger verbleibt. Die übergegangene Bürgschaftsforderung ist doppelt akzessorisch, weil sie in der Hand des leistenden Bürgen sowohl von der Hauptschuld als auch von seinem eigenen Rückgriffsrecht abhängig ist. All dies spricht aber nicht gegen eine Anwendung des § 426 II. Nach allgemeinem Gesamtschuldrecht ist der Forderungsübergang nach § 426 II nicht nur davon abhängig, ob und in welchem Umfang der leistende Gesamtschuldner einen Rückgriffsanspruch nach § 426 I hat, sondern auch davon, ob die Gläubigerforderung nach ihren eigenen Regeln noch besteht292. War etwa die Forderung des Gläubigers gegen den Mitschuldner wegen einer Ausschlussfrist erloschen, kann sie nicht nach § 426 II übergehen, auch wenn ein Rückgriffsanspruch grundsätzlich gegeben ist. Jeder Regress mit Hilfe des § 426 II ist also doppelt beschränkt.
288 Der Sache nach ging es Kremer offenbar um zwei Punkte. Zum einen konnte der Umfang des Regressrechts gegen den Mitbürgen wegen § 426 I 2 zum Leistungszeitpunkt unklar sein, und ein Forderungsübergang mit unklarem Umfang war für ihn nicht vorstellbar. Zum anderen ging es ihm um die Sicherung des „Weiterregresses“ eines Mitbürgen, der dem leistenden Mitbürgen nicht nur seinen, sondern auch den Anteil eines dritten Mitbürgen zahlt. Beide Fragen stellen sich bei Gesamtschuldverhältnissen allgemein und wurden daher schon beim Zessionsregress erörtert, oben, 431 Fn. 198. 289 In diese Richtung OLG Braunschweig, SeuffA 61 Nr. 132 (16.6.1904); Strohal, DJZ 1903, 373; Sternberg, Gruch 52 (1908), 546; OLG Hamburg, OLGE 21, 209 (31.1.1910); Oertmann, Schuldverhältnisse BT, § 774 Anm. 3 a; Planck/Oegg, § 774 Anm. 7; Kanka, JhJb 87 (1938), 171; Staub/Ratz, HGB (1978), § 349 Anm. 69; Soergel/Mühl (1985), § 774 Rz 10; MüKo/Pecher (1986), § 774 Rz 21; Schmid, Mehrheit, 139; BGH NJW 1987, 374, 376 (23.10.1986). 290 So Bülow, Kreditsicherheiten, Rz 1010; in diese Richtung auch Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 289 II 1; Breit, Gruch 48 (1904), 285; Staub/Koenige/Pinner/Bondi, HGB (1921), § 349 Anm. 49; Planck/Oegg, § 774 Anm. 2 c, 7; Braun-Melchior, AcP 132 (1930), 180 f.; Weiß, Ausgleich, 40; Vahldiek, Ausgleich, 9; Esser, SR BT, § 87 IV 1 d; Becker, NJW 1971, 2152 f.; OLG Stuttgart, ZIP 1990, 445, 446 (28.11.1989); Esser/Weyers, SR BT 2, § 40 V 3; Horn, DZWir 1997, 267; Staud/Horn, § 774 Rz 43; Reiff, FS E.Lorenz (2004), 574; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 242. 291 Habersack, AcP 198 (1998), 158; MüKo/Habersack, § 774 Rz 22. 292 Oben, 600.
4. Die Vorschrift des § 776
1143
So ist ein einredefreier Zessionsregress nur dann möglich, wenn sowohl der eigene Rückgriffsanspruch nach § 426 I als auch die Gläubigerforderung gegen den Mitschuldner noch nicht verjährt sind. Nicht anders verhält es sich bei Mitbürgen: Die Gläubigerforderung gegen den Mitbürgen muss nach allgemeinen Regeln noch bestehen, um dem leistenden Bürgen über § 426 II zugutezukommen; besteht aber die Hauptschuld nicht oder geht sie nicht auf den leistenden Bürgen über, kann auch die Forderung gegen den Mitbürgen nicht übergehen, und es bleibt bei einem möglichen eigenen Regress nach § 426 I. Der Forderungsübergang gegen die Mitbürgen kann also sowohl auf eine eingeschränkte Anwendung des § 774 I als auch auf § 426 II gestützt werden293; unterschiedliche Ergebnisse entstehen nicht.
4. Die Vorschrift des § 776 a) Zur Entstehungsgeschichte Bei den Beratungen zum heutigen § 776 konzentrierte sich die Diskussion in der Ersten Kommission auf die Frage, ob das BGB Diligenzpflichten des Gläubigers gegenüber dem Bürgen aufnehmen sollte294. Solche Gläubigerpflichten kannten nicht nur der der Beratung zugrundeliegende Dresdener Entwurf, sondern auch eine Reihe anderer Regelwerke. Danach konnte es zur Befreiung des Bürgen nicht nur dann kommen, wenn eine andere für die Hauptschuld bestellte Sicherheit durch Verschulden des Gläubigers nicht mehr zur Verfügung stand, sondern teilweise auch dann, wenn der Gläubiger die Erfolglosigkeit der Rechtsverfolgung gegen den Hauptschuldner, etwa durch nicht rechtzeitige Forderungsanmeldung in der Insolvenz, verschuldet hatte295. Die Erste Kommission entschied sich gegen solche Diligenzpflichten. Auch ein vom Gläubiger verschuldeter Untergang einer weiteren Sicherheit sollte den Bürgen nicht befreien. Dem Gläubiger sollte es lediglich verwehrt sein, eine anderweitige Sicherheit vorsätzlich aufzugeben. Dieses Aufgabeverbot sollte aber im Gegensatz zu einigen anderen Regelwerken auch Sicherheiten betreffen, die erst nach der Bürgenverpflichtung bestellt wurden296.
293
So auch Finger, BB 1974, 1416. Jakobs/Schubert, SR III, 511 ff.; hierzu aus historischer Sicht Knütel, FS Flume I (1978), 559; s.a. Fontaine, Diligenzpflichten (1985), 13 ff. 295 Vgl. ALR I 14 §§ 304–305, 328, 331–333; CC a.F. Art. 2037 (ab 2006 Art. 2314); ABGB §§ 1360, 1364 S. 2; SächsE §§ 873, 882 II; HessE IV 2 Art. 611, 612; BayE II Art. 889, 892, 893; ZürGB §§ 1802, 1808; SächsGB § 1466; DresdE Art. 948, 949; OR 1881 Art. 493 I, 503, 508, 510 (OR 1911 Art. 495 I, 503, 509, 511). Ebenso nun PEL Personal Security und DCFR IV.G, jew. Art. 2:110. Während die PEL hier sogar eine verschuldensunabhängige Haftung vorsehen (vgl. Bisping/Böger, Comments zu Art. 2:110, §§ 3 ff.), verlangt der DCFR zumindest Fahrlässigkeit des Gläubigers. Moderne Rechtsvergleichung bei Bisping/Böger, a.a.O., Notes §§ 2 ff. zu Art. 2:110. 296 Jakobs/Schubert, SR III, 512. 294
1144
IV. Regress und Regressvereitelung
Mit den Sicherheiten, die der Gläubiger nicht aufgeben durfte, waren auch weitere Bürgschaften gemeint. Das Aufgabeverbot des Dresdener Entwurfs, das der Beratung zugrundelag, betraf auch Rechte gegen Mitbürgen297, wovon die Kommission nicht abweichen wollte. Der Antrag Plancks, auf den das Aufgabeverbot des heutigen § 776 zurückging, sprach zwar nur allgemein von „Nebenrechten“, hieraus wurden „zur Verstärkung dienende Nebenrechte“ 298; der Erste Entwurf sprach schließlich von „zur Sicherheit dienenden Nebenrechten“299. Von zur Verstärkung dienenden Nebenrechten war aber auch in E I § 297, der Vorläuferbestimmung zu § 401 BGB, die Rede; hier sollten diese Nebenrechte eindeutig Bürgschaften umfassen300. Auch die Motive zur Vorläuferbestimmung zu § 774 bezeichneten Rechte gegen Mitbürgen als Nebenrechte, die auf den leistenden Bürgen übergehen301. In der Zweiten Kommission wurde dann der Begriff der Nebenrechte durch die Aufzählung derjenigen Sicherheiten ersetzt, die man als Hauptfälle der Nebenrechte ansah, nämlich Pfandrechte und Rechte gegen andere Bürgen302. An der Entscheidung, das Aufgabeverbot auch auf nachträglich bestellte Sicherheiten zu erstrecken, hielt man trotz einer Reihe entgegenstehender Anträge fest303. Nach dem heutigen § 776 BGB wird also ein Bürge, wenn der Gläubiger das Recht gegen einen Mitbürgen aufgibt, insoweit frei, als er aus der aufgegebenen Bürgschaft nach § 774 hätte Ersatz verlangen können. Gibt es also zwei intern gleichmäßig belastete Bürgen B1 und B2 und gewährt der Gläubiger G B1 einen Erlass seiner Bürgenschuld, dann verhindert er, dass im Falle einer späteren Leistung durch B2 die Forderung gegen B1 nach §§ 774 II, 426 II zur Hälfte auf B2 übergeht. Nach § 776 müsste daher der Erlass gegenüber B1 zur Hälfte auch B2 befreien: Der Einzelerlass gegenüber einem Mitbürgen hat danach beschränkte Gesamtwirkung. Die Vorschrift des § 776 steht damit in einem merkwürdigen Gegensatz zur allgemeinen Vorschrift des § 423. Diese sollte nach Ansicht des Gesetzgebers zwei Regeln zum Ausdruck bringen. Zum einen sollte eine Gesamtwirkung des mit einem Gesamtschuldner vereinbarten Erlasses, also eine vollständige Befreiung aller Gesamtschuldner, nur bei einem entsprechenden Parteiwillen angenommen werden. Zum anderen sollte, wenn es an einem solchen Parteiwillen fehlt, der Erlass nur Einzelwirkung haben, also die Ansprüche gegen die übrigen Schuldner völlig unberührt lassen. In ihren Vorberatungen hatte die Erste Kommission noch eine Vorschrift vorgesehen, wonach der Einzelerlass im Falle einer Regresspflicht unter den Gesamtschuldnern beschränkte Gesamtwirkung hat,
297 298 299 300 301 302 303
Vgl. oben, 1131 f. Jakobs/Schubert, SR III, 511. E I § 679. Jakobs/Schubert, SR I, 781 ff.; Mot. II, 124 (Mugdan II, 68). Mot. II, 674 (Mugdan II, 376). Jakobs/Schubert, SR III, 515 f.; Prot. 2536 (Mugdan II, 1029). Hierzu Prot. 2538 (Mugdan II, 1029 f.).
4. Die Vorschrift des § 776
1145
die Mitschuldner also in Höhe des Innenanteils des Entlassenen befreit304. In den Hauptberatungen der Ersten Kommission wurde diese Vorschrift aber wieder gestrichen. Dabei ging man davon aus, dass der Einzelerlass eine Regresspflicht des Entlassenen gegenüber seinen Mitschuldnern unberührt lasse305. Wenn aber Mitbürgen nach § 769 Gesamtschuldner sind und ein Einzelerlass die Regresspflicht eines Gesamtschuldners unberührt lässt, dann stellt sich die Frage, welchem Zweck die Regel des § 776 in ihrer Anwendung auf die Aufgabe eines Rechts gegen einen Mitbürgen dienen soll. Die Vorschrift geht auf das Aufgabeverbot im Gemeinen Recht zurück, das zumindest nach einem Teil der Rechtsprechung und Lehre auch Rechte gegen Mitbürgen betraf. Der Regress unter Mitbürgen war gemeinrechtlich als reiner Zessionsregress ausgestaltet. Die Entlassung eines Mitbürgen vereitelte den Regress des verbleibenden Mitbürgen daher vollständig. Das Aufgabeverbot schützte den verbleibenden Mitbürgen davor, regresslos auf das Ganze haften zu müssen. Diese Funktion könnte auch § 776 ausüben, falls der Regress unter Nebenbürgen lediglich mittels §§ 774, 426 II stattfände, also als reiner Zessionsregress ausgestaltet wäre. Davon ging der historische Gesetzgeber in Gestalt der Ersten und Zweiten Kommission aber gerade nicht aus. Die Gesamtschuldanordnung des heutigen § 769 bedeutete für ihn, dass für Mitbürgen, seien es gemeinschaftliche Bürgen oder Nebenbürgen, auch die Vorschrift des § 426 Abs. 1 anwendbar war. Die Gefahr, vor der das gemeinrechtliche Aufgabeverbot den verbleibenden Mitbürgen schützen sollte, scheint nach dem Recht des BGB also gar nicht zu bestehen. Insofern fragt es sich, welchen Sinn § 776 nach Ansicht des historischen Gesetzgebers bei Mitbürgen haben sollte. Die Beratungsprotokolle aber schweigen hierzu. Denkbar ist, dass sich die Mitglieder der Ersten und Zweiten Kommission bei ihren Beratungen zu § 776 kaum Gedanken über die Fallgestaltung der Aufgabe eines Rechts gegen einen Mitbürgen machten. In erster Linie waren sie mit der Frage beschäftigt, ob es über das Aufgabeverbot hinaus Diligenzpflichten des Gläubigers gegen den Bürgen geben sollte. Das Aufgabeverbot selbst betraf nach Gemeinem Recht und dem der Beratung zugrunde liegenden Dresdener Entwurf zunächst einmal dingliche Sicherheiten, die für die Hauptschuld bestellt sind. Für sie ist das Aufgabeverbot auch nach dem Recht des BGB sinnvoll. Stammt die Sicherheit vom Hauptschuldner, verhindert die Aufgabe zwar nicht den Regress gegen den Hauptschuldner, wohl aber den Übergang der Sicherheit, so dass die Gefahr besteht, dass der Bürge seinen Regress bei Vermögenslosigkeit des Hauptschuldners nicht durchsetzen kann. Stammt die dingliche Sicherheit von einem Dritten, kann die Aufgabe den Regress sogar völlig vereiteln306. Ein weite304
Jakobs/Schubert, SR I, 901; Ergebnis: TeilE 1882, § 13 (Schubert, SR I, 50 f., 92 f.). Jakobs/Schubert, SR I, 937 f. 306 Etwas anderes gilt nur dann, wenn man wie heute der BGH auch dingliche Sicherer in ein Gesamtschuldverhältnis unter sämtlichen Sicherern miteinbezieht, das Regressrechte begründet, die durch eine Aufgabe der Sicherheit nicht berührt werden, BGH WM 1991, 399 (20.12.1990); 305
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IV. Regress und Regressvereitelung
rer Anwendungsfall des Regressvereitelungsverbots, nämlich die Entlassung des Hauptschuldners durch persönlichen Erlassvertrag, musste im BGB nicht mehr besonders geregelt werden, nachdem es – anders als das Gemeine Recht und frühere Regelwerke – für diesen Fall keine Ausnahme vom Akzessorietätsprinzip mehr zulässt307, so dass der Bürge ohnehin nach §§ 767 f. frei wird. Die Entlassung eines Mitbürgen als solche befreit den verbleibenden Bürgen dagegen nicht. Vielleicht übernahm man daher die Fallgestaltung der Entlassung eines Mitbürgen ohne weiteres nach der gemeinrechtlichen Tradition und dem Vorbild des Dresdener Entwurfs, ohne dabei zu berücksichtigen, dass es im BGB, anders als nach Gemeinem Recht und auch anders als nach dem Dresdener Entwurf, nun eine Ausgleichspflicht gab, die vom Erlass nicht berührt wird. Doch das Sachproblem, welche Ausgestaltung ein Aufgabeverbot angesichts der Regelungen zum Mitbürgenregress annehmen sollte, hatte sich wie berichtet schon in früheren Regelwerken gestellt. Die Regelung des Dresdener Entwurfs, wonach Nebenbürgen untereinander allein der Zessionsregress offen stand, den der Gläubiger durch Entlassung eines Nebenbürgen vereiteln konnte, bildete insofern eine Ausnahme. In den übrigen Regelwerken hatten Nebenbürgen manchmal gar keinen Regress untereinander, so dass der Gläubiger durch Entlassung eines Nebenbürgen auch keinen Regress vereiteln konnte. Teilweise folgten die Regelwerke aber auch dem Schuldgemeinschafts-Modell, wonach es eine Regresspflicht unter Mitbürgen gab, die durch eine Entlassung nicht berührt wird. Für Nebenbürgen sah insbesondere das ABGB eine solche Schuldgemeinschaft vor. Ein Schutz durch ein Aufgabeverbot erschien dann nicht notwendig. Schließlich sahen manche Regelwerke für Mitbürgen grundsätzlich die beschränkte Gesamtwirkung des Einzelerlasses vor, so dass es eines weiteren Schutzes durch ein Aufgabeverbot nicht mehr bedurfte. Diejenigen Regelwerke, die aus einem dieser drei Gründe ein Aufgabeverbot für Mitbürgen nicht benötigten, beschränkten es daher häufig auf die Aufgabe dinglicher Sicherheiten. Dies gilt insbesondere für die bedeutenden Kodifikationen des ALR und des ABGB. Es ist wenig wahrscheinlich, dass dem rechtsvergleichend arbeitenden BGB-Gesetzgeber diese unterschiedlichen Gestaltungen des Aufgabeverbots vollständig entgangen sind. Die Beratungsvorlage, die der Ersten Kommission anstelle eines Redaktorenentwurfs vorlag, ist zu diesem Punkt allerdings äußerst unvollständig308. Sie beschränkt sich im Wesentlichen auf die Darstellung des Problems der Diligenzpflichten, ohne auf die Rolle des Aufgabeverbots bei Mitbürgen einzugehen. Zi307 ebenso Selb, EWiR § 426 BGB 2/91, 347; MüKo/Eickmann, § 1143 Rz 21; Erman/Ehmann, § 426 Rz 94; Weber, WM 2001, 1235 f.; MüKo/Habersack, § 774 Rz 30 f.; dagegen wohl zu Recht Gursky, JZ 1997, 1165; Soergel/Habersack, § 1225 Rz 11. Dies war aber nicht die Ansicht des historischen Gesetzgebers. 307 Die Regel des DresdE Art. 937, wonach der Bürge persönliche Einreden des Hauptschuldners nicht geltend machen kann, wurde von der Ersten Kommission nicht übernommen, Jakobs/ Schubert, SR III, 471 f. 308 Schubert, SR III, 484 ff.
4. Die Vorschrift des § 776
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tiert werden zwar die Aufgabeverbote der Regelwerke, wobei zumindest im Fall des ABGB und des Hessischen Entwurfs die Beschränkung auf dingliche Sicherheiten sich schon aus dem Wortlaut ergibt. Nicht erwähnt werden aber ALR I 14 § 390 und ABGB § 1363, wonach die Entlassung eines Bürgen die Rechte der verbleibenden Mitbürgen gegen den Entlassenen unberührt lässt, obwohl gerade eine Vorschrift dieser Art auch für das BGB nahe gelegen hätte. Aus heutiger Sicht ist es schwer zu beurteilen, welche Rolle die unvollständige Beratungsvorlage gespielt hat und wie gut die Kommissionsmitglieder über die Regeln zum Mitbürgenregress in den Regelwerken informiert waren. Insgesamt erscheint es aber wenig wahrscheinlich, dass die Regel des § 776 auf ein Missverständnis der Kommissionsmitglieder zum Gesamtschuldregress zurückgeht. Erklärungsansätze, wonach scheinbare Widersprüche oder Unklarheiten der gesetzlichen Regelung darauf zurückgehen, dass der Gesetzgeber etwas übersehen oder nicht durchdacht hat, sind aller Erfahrung nach beim BGB nur selten zutreffend. Im Allgemeinen wurden die Vorschriften des BGB von den Redaktoren und Kommissionen sehr sorgfältig ausgearbeitet und aufeinander abgestimmt. Insbesondere den Vorschriften zur Gesamtschuld hatte man viel Aufmerksamkeit gewidmet. Die Erste Kommission hatte 1878 über von Kübels Vorlageentwurf und dann in den Hauptberatungen im März 1882 über von Kübels Teilentwurf beraten. Bei diesen Hauptberatungen war nach kontroverser Diskussion die Einzelwirkung des Einzelerlasses beschlossen worden. Achtzehn Monate später, im September 1883, beriet die Erste Kommission das Bürgschaftsrecht und beschloss die Vorschrift des heutigen § 776. Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Mitglieder zu dieser Zeit ihre eigenen Beschlüsse zum Gesamtschuldrecht vergessen hatten. Unwahrscheinlich erscheint es auch, dass derselbe Fehler dann auch der Zweiten Kommission unterlaufen wäre, die sowohl die Regel des heutigen § 423 als auch die des heutigen § 776 billigte. Es ist zwar gut möglich, dass das Verhältnis des Aufgabeverbots zum Mitbürgenregress bei den Gesetzesberatungen nicht im Vordergrund stand. Dennoch kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass die Regel des § 776 hinsichtlich Mitbürgen lediglich auf einer Nichtbeachtung des Gesamtschuldrechts beruht. Dann stellt sich aber die Frage, wie das Nebeneinander von § 423 und § 776 sinnvoll erklärt werden kann.
b) Schutz vor einer Regressgefährdung? Die Vorschrift des § 776 dient dem Schutz des Bürgen. Gibt der Gläubiger eine dingliche Sicherheit auf, soll der Bürge vor der Gefahr geschützt werden, gegenüber dem Gläubiger für die gesamte Hauptschuld einstehen zu müssen, ohne seinen Regressanspruch durchsetzen zu können. Im Fall der Aufgabe des Rechts gegen einen Mitbürgen dient § 776 also offenbar dem Schutz des verbleibenden Mitbürgen. Dann stellt sich die Frage, wovor er geschützt werden soll, wie also seine Lage ohne die Regel des § 776 wäre.
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IV. Regress und Regressvereitelung
Wenn, wie die Entstehungsgeschichte des § 423 nahe legt, ein Einzelerlass gegenüber einem Gesamtschuldner diesen nicht von Regressansprüchen der Mitschuldner befreit, kann die Entlassung eines Mitbürgen dem verbleibenden Mitbürgen seinen Rückgriffsanspruch nicht entziehen. Sie führt zwar dazu, dass die Inanspruchnahme des verbleibenden Mitbürgen wahrscheinlicher wird, was dieser angesichts seiner solidarischen Haftung und des Wahlrechts des Gläubigers hinnehmen muss. Wird er aber für das Ganze in Anspruch genommen, kann er unabhängig von der Entlassung nach § 426 I gegenüber dem anderen Bürgen Regress nehmen. Unter diesem Blickwinkel ist ein Schutz über § 776 nicht erforderlich. Doch trotz fortbestehender Ausgleichspflicht kann der Erlass gegenüber einem Gesamtschuldner die Stellung des verbleibenden Schuldners verschlechtern. Versteht man den Einzelerlass als echten Erlass i.S.d. § 397, dann vernichtet er die Forderung des Gläubigers gegen den entlassenen Gesamtschuldner. Der verbleibende Gesamtschuldner kann dann zwar nach § 426 I Regress nehmen, nicht mehr aber mittels § 426 II. Durch einen echten Einzelerlass vereitelt der Gläubiger den Zessionsregress. War die Forderung gegen den entlassenen Gesamtschuldner gesichert, kann der verbleibende von diesen Sicherheiten nicht mehr profitieren. Es besteht also die Gefahr, dass er seinen Regressanspruch nicht durchsetzen kann. Der Einzelerlass gegenüber einem Gesamtschuldner vereitelt danach nicht den Regress des anderen Gesamtschuldners, aber er gefährdet ihn. Aus diesem Grund ist ein Teil der Literatur zum Gesamtschuldrecht der Ansicht, dass es dem Gläubiger nicht möglich sei, mit einem Gesamtschuldner einen echten Einzelerlass zu vereinbaren, der die Ansprüche gegen die Mitschuldner unberührt lässt309. Soll nach dem Parteiwillen tatsächlich nur der Entlassene befreit werden, müsse die Vereinbarung als bloßer schuldrechtlicher Klageverzicht ausgelegt werden, der die Verbindlichkeit des Entlassenen nicht berührt, so dass sie nach wie vor zu Regresszwecken nach § 426 II auf den verbleibenden Gesamtschuldner übergehen könne310. Solle aber die Forderung des Gläubigers gegen den Entlassenen tatsächlich nach § 397 I aufgehoben werden, dann müsse dieser Erlass notwendig beschränkte Gesamtwirkung haben, die übrigen Gesamtschuldner also in Höhe des Innenanteils des Entlassenen befreien. Dem Gläubiger sei es verwehrt, durch Rechtsgeschäft mit einem Gesamtschuldner den Zessionsregress der Mitschuldner zunichtezumachen. Aus demselben Grund dürfe der Gläubiger auch nicht eine Sicherheit aufgeben, die ein regresspflichtiger Gesamtschuldner gestellt habe. Dem BGB liege insofern ein Regressvereite-
309 Wacke, AcP 170 (1970), 43 ff.; Ehmann, Gesamtschuld, 242 ff., 364 f.; Erman/Ehmann, § 421 Rz 74, § 423 Rz 2–5, § 426 Rz 33; Martens, AcP 177 (1977), 126; Gernhuber, Erfüllung, § 16 I 13; für den sichernden Schuldbeitritt auch Schürnbrand, Schuldbeitritt, 148 ff.; MüKo/Habersack, § 776 Rz 2. 310 Wegen § 404 müsste das pactum zudem so ausgelegt werden, dass der Klageverzicht Legalzessionare nicht beschränken soll, Wacke, AcP 170 (1970), 48.
4. Die Vorschrift des § 776
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lungsverbot zugunsten des zukünftigen Legalzessionars zugrunde, das seinen Ausdruck etwa in § 776 gefunden habe. Nach Rechtsprechung311 und herrschender Lehre312 ist der Zessionsregress des Gesamtschuldners demgegenüber nicht vor Eingriffen des Gläubigers geschützt. Danach kann der Gläubiger nicht nur Sicherheiten aufgeben, die ein Gesamtschuldner für seine Schuld gestellt hat, sondern auch mit einem Gesamtschuldner einen echten Einzelerlass vereinbaren, der zur Folge hat, dass der verbleibende Gesamtschuldner nur noch einen Regress nach § 426 I hat, nicht aber nach § 426 II. Eine Grenze bildet nur § 242. Auch der historische Gesetzgeber ging davon aus, dass ein Einzelerlass i.S.d. § 423, der sowohl die Haftung als auch die Ausgleichsansprüche der Mitschuldner unberührt lassen sollte, nicht nur ein pactum de non petendo, sondern ein echter schuldaufhebender Erlass i.S.d. § 397 I sein konnte. Dies müsste bedeuten, dass nach § 423 der verbleibende Mitschuldner trotz Verlust des Zessionsregresses in voller Höhe in Anspruch genommen werden kann. Folgt man dem, kann § 776 tatsächlich als eine besondere Schutzvorschrift zugunsten des verbleibenden Mitbürgen angesehen werden. Ohne diese Vorschrift würde die Entlassung des anderen Mitbürgen ihn zwar nicht seines Rückgriffsanspruchs berauben, wohl aber seines Zessionsregresses, so dass er Gefahr liefe, seinen Rückgriff nur wegen des Erlasses nicht durchsetzen zu können. § 776 schützt ihn durch die beschränkte Gesamtwirkung des Einzelerlasses. Danach ist § 776 ein besonderes Privileg für Mitbürgen, das der Gesetzgeber gewöhnlichen Gesamtschuldnern nicht gewährt hat. Dann würde sich die Frage stellen, ob nicht auch diese, trotz Fehlens einer Vorschrift wie § 776, vor einem durch den Gläubiger verursachten Verlust ihres Zessionsregresses geschützt werden sollten, wie ein Teil der Literatur annimmt. In dieser Auslegung hat § 776 also den Zweck, den verbleibenden Mitbürgen vor einer Regressgefährdung durch den Gläubiger zu schützen. Dann stellt sich aber die Frage, wann genau dieser Schutz eingreifen soll. Möglich ist, dass der verbleibende Mitbürge immer schon dann anteilig befreit wird, wenn der Gläubiger mit einem Mitbürgen einen echten Einzelerlass i.S.d. § 397 I vereinbart. Hierfür spricht der Wortlaut des § 776, der an die Aufgabe des Rechts gegen einen Mitbürgen anknüpft. Das aufgegebene Recht wäre danach die Gläubigerfor-
311 RG JW 1938, 516, 519 (19.10.1937); BGH WM 1962, 1293, 1294 (27.9.1962); BGH WM 1967, 397 (30.1.1967); BGHZ 59, 97, 103 (29.6.1972); BGH NJW 1983, 1423, 1424 (10.12.1982); OLG Hamm, ZIP 1983, 922 (24.6.1983); BGH NJW-RR 1989, 918, 920 (25.4.1989); BGH NJW 1992, 2286 (11.6.1992); OLG Hamm, NJW-RR 1993, 1071 (18.1.1993); BGH NJW 2000, 1034, 1035 (13.1.2000). 312 Crome, Schuldverhältnisse, § 207 I 3; Kohler, Schuldrecht, § 53 III 2; Reichel, JhJb 85 (1935), 45 f.; Frotz, NJW 1965, 1258; Lumm, Ausgleich, 187; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 83, 122; dies., Bürgschaftsrecht, Rz 240; dies., Kreditsicherung, Rz 73, 281; Selb, Mehrheiten, 73; Schanbacher, WM 1998, 1806 f.; Staud/Noack, § 421 Rz 115, § 423 Rz 13, § 426 Rz 134; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 45; Soergel/Wolf, § 423 Rz 7; Soergel/Mühl (1985), § 776 Rz 14; MüKo/Pecher (1986), § 776 Rz 3; Staud/Horn, § 776 Rz 23.
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IV. Regress und Regressvereitelung
derung gegen diesen Mitbürgen, die nun nicht mehr auf den verbleibenden Bürgen übergehen kann, so dass er aus ihr nicht mehr nach § 774 Ersatz verlangen kann. Sofern der entlassene Mitbürge für seine Verbindlichkeit eine Sicherheit gestellt hatte, kann die anteilige Befreiung des verbleibenden Mitbürgen damit gerechtfertigt werden, dass er nun nicht mehr auf diese Sicherheit für seinen Regress zugreifen kann. In vielen Fällen aber bestellt ein Bürge keine Sicherheit für seine eigene Verbindlichkeit. Wenn der Gläubiger mit einem solchen Bürgen einen Erlass vereinbart, beeinträchtigt er die Lage des verbleibenden Bürgen offenbar kaum. Mit und ohne Erlass hat der verbleibende Bürge einen ungesicherten Rückgriffsanspruch gegen den Entlassenen. Ein Übergang der Gläubigerforderung bietet ihm offenbar keine Vorteile, da für die Höhe des Regresses, die Verjährungsfrist, die Beweislast und den Zins allein sein eigener Rückgriffsanspruch nach § 426 I maßgeblich ist313. Denkbar wäre nur, dass er beim Forderungsübergang von einem Urteil profitieren könnte, das der Gläubiger schon gegen den anderen erstritten hatte. Doch wenn der Gläubiger kein Urteil erstritten hat und der entlassene Mitbürge keinerlei Sicherheiten gestellt hatte, ist es nicht ersichtlich, auf welche Weise der Erlass die Stellung des verbleibenden Mitbürgen beeinträchtigen könnte. Zwar verhindert der Erlass auch die Möglichkeit, dass der entlassene Mitbürge zukünftig Sicherheiten stellen wird. Aber darauf kann der verbleibende Mitbürge ohnehin nicht hoffen: Ist der Gläubiger zur Entlassung eines Mitbürgen bereit, wird er auch von diesem keine Sicherheiten mehr einfordern. Eine Anwendung des § 776 in einem solchen Fall würde dazu führen, dass der Gläubiger Einbußen erleidet, obwohl er durch den Erlass die Lage des verbleibenden Mitbürgen nicht verschlechtert hat. Dieser würde anteilig befreit, obwohl der Erlass zu keiner Gefahr führte, vor der er geschützt werden müsste. Die Lage, dass der entlassene Mitbürge keine Sicherheiten gestellt und der Gläubiger gegen ihn auch noch kein Urteil erstritten hat, ist aber offenbar häufig. Zur Zeit der Entstehung des BGB handelte es sich wahrscheinlich um die große Mehrheit der Fälle. Eine Anwendung des § 776 auf jeden Fall eines Erlasses eines Mitbürgen würde dann bedeuten, dass in einem Großteil der Fälle der verbleibende Mitbürge ohne einen überzeugenden Grund anteilig befreit wird. Der anteilige Verlust eines Mitbürgen ist für einen Gläubiger, der seine Sicherheit durch die Bürgenmehrheit erhöhen wollte, eine harte Sanktion. Die Vorschrift des § 776 würde zu Ergebnissen führen, die in keinem Verhältnis zu ihrem Schutzzweck stehen. Möglich wäre aber eine beschränkte Anwendung des § 776, wenn man in allen Fällen, in denen die Entlassung die Rechtsstellung des verbleibenden Mitbürgen praktisch nicht verändert, diese nicht als Erlass, sondern (mit der oben erwähnten Literaturansicht) als pactum de non petendo auslegen würde, das nicht unter § 776 fällt. Zum selben Ergebnis gelangt man, wenn der Tatbestand des § 776 von vornherein einschränkend ausgelegt wird: Eine Aufgabe eines Rechts gegen einen 313
Oben, 430 ff.
4. Die Vorschrift des § 776
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Mitbürgen, aus dem der verbleibende Bürge nach § 774 hätte Ersatz verlangen können, läge nur dann vor, wenn der verbleibende Mitbürge tatsächlich ein Recht verliert. Dies wäre nicht nur dann der Fall, wenn der Gläubiger eine vom Mitbürgen gestellte Sicherheit aufgibt, sondern auch im Falle eines Erlasses, aber nur, wenn die Forderung gegen den Entlassenen dinglich gesichert oder durch ein erstrittenes Urteil bestärkt wäre. Ohne eine besondere Sicherung der Mitbürgenschuld läge keine Rechtsaufgabe zulasten des verbleibenden Mitbürgen vor, weil er mit oder ohne Entlassung ein eigenes Rückgriffsrecht hat und eine Verstärkung dieses Regresses durch die übergegangene Gläubigerforderung sich praktisch nicht auswirkt. Auf diese Weise angewendet kann § 776 die Interessen des verbleibenden Mitbürgen in sachlich angemessener Weise schützen. Der Sache nach wird dann der Bürge in der Fallgestaltung „Aufgabe des Rechts gegen einen Mitbürgen“ in der gleichen Weise geschützt wie in den sonstigen Fallgestaltungen des § 776, nämlich im Wesentlichen dann, wenn der Gläubiger eine dingliche Sicherheit aufgibt. Doch es ist äußerst zweifelhaft, ob der Gesetzgeber eine derartige Auslegung des Aufgabeverbots vor Augen hatte. Gegen die Auslegung einer Entlassung als pactum de non petendo in allen Fällen, in denen die Schuld des Entlassenen nicht besonders gesichert ist, spricht, dass der Gesetzgeber im gewöhnlichen Gesamtschuldverhältnis einen Einzelerlass i.S.d. § 397 unter Aufrechterhaltung der Haftung der Mitschuldner ohne weiteres für möglich hielt, ohne dass es darauf ankommen sollte, ob die Forderung gegen den Entlassenen besonders gesichert war. Gegen eine Anwendung des § 776 nur auf Fälle, in denen die Schuld des entlassenen Mitbürgen besonders gesichert war, spricht der Wortlaut der Vorschrift, wonach der Gläubiger nicht „ein“, sondern „das“ Recht gegen einen Mitbürgen aufgibt. Hätte der Gesetzgeber die Vorschrift so beschränken wollen, hätte ein anderer Wortlaut nahe gelegen, etwa dass der Bürge anteilig frei wird, wenn der Gläubiger eine für die Schuld bestehende oder von einem Mitbürgen bestellte Sicherheit aufgibt.
c) § 776 als Schadensersatzvorschrift? Denkbar wäre aber, dass jede Entlassung eines Mitbürgen eine „Aufgabe“ i.S.d. § 776 bedeutet, der verbleibende Mitbürge aber nur dann und insoweit befreit wird, wie er durch die Entlassung einen konkreten Schaden erlitten hat. Ein Schaden läge vor, wenn die Schuld des entlassenen Mitbürgen dinglich gesichert war und der verbleibende Mitbürge wegen der Entlassung nicht mehr auf die Sicherheit zugreifen kann und bei seinem Rückgriff gegen den Entlassenen wegen dessen Insolvenz ausfällt. In dieser Auslegung würde es sich bei § 776 um einen Schadensersatzanspruch handeln, den der Bürge dem Gläubiger einredeweise entgegensetzen kann. Die Rechtsnatur von § 776 ist im deutschen Recht tatsächlich nicht vollständig geklärt. Auch in den Nachbarrechtsordnungen finden sich ganz unterschiedliche Lösungen zu der Frage, ob der Bürge, etwa bei der Auf-
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IV. Regress und Regressvereitelung
gabe einer vom Schuldner gestellten dinglichen Sicherheit, schon durch diese Aufgabe befreit wird oder erst dann, wenn er einen Schaden nachweisen kann314. Einigkeit besteht lediglich darüber, dass der Bürge sich nur dann auf die Aufgabe berufen kann, wenn er aus der aufgegebenen Sicherheit tatsächlich Ersatz hätte erlangen können. Die Aufgabe einer wertlosen Sicherheit befreit den Bürgen also in keiner Rechtsordnung. Das Schweizer Obligationenrecht gestaltete das Aufgabeverbot ursprünglich, wie schon zuvor das Züricher Gesetzbuch315, als echten Schadensersatzanspruch, den der Bürge einredeweise oder im Wege der Aufrechnung dem Gläubiger entgegenhalten kann316. Ebenso wird das Aufgabeverbot des ABGB in Österreich verstanden, wonach der Gläubiger nicht befugt ist, sich zum Nachteil des Bürgen des Pfandes zu begeben317. Für die Schadensersatzlösung entschieden sich jüngst auch die PEL Personal Security sowie der DCFR318. Ein Verschulden des Gläubigers muss nur nach dem DCFR nachgewiesen werden. In Österreich wird es nicht verlangt319 und in der Schweiz widerlegbar vermutet320. Beweisen muss der Bürge nach allgemeinen Regeln aber den Eintritt eines Schadens. Ein Schaden liegt nicht vor, wenn der Bürge trotz der Aufgabe seinen Ersatzanspruch gegen den Hauptschuldner durchsetzen kann, sei es, weil dieser ohnehin vermögend ist, sei es, weil es noch andere Sicherheiten für die Hauptschuld gibt321. Der Bürge muss daher nachweisen, dass er gerade wegen der Aufgabe mit seinem Regress ausfällt. Ein solcher Nachweis ist zum Zeitpunkt der Aufgabe aber nur dann möglich, wenn feststeht, dass der Hauptschuldner insolvent ist und es keine weiteren Sicherheiten gibt. Dies ist häufig nicht der Fall. Der Bürge müsste also zu314
Hierzu auch Bisping/Böger, in PEL Personal Security, Note § 1 zu Art. 2:110. ZürGB § 1802. 316 OR 1881, Art. 508, OR 1911, Art. 509. Hierzu Vischer, ZSchwR 29 (1888), 62 ff., 65; Stooss, ZBJV 47 (1911), 482 ff.; ZürK/Oser (1915), Art. 509 Anm. 2 a-b; von Tuhr, ZSchwR 64 (1923), 114 f.; Tobler, Schutz des Bürgen (1926), 134 f., 139 ff.; Lerch/Tuason, Bürgschaft (1936), 67; BGE 66 II 123, 128 ff. (5.6.1940). 317 ABGB § 1360. Vgl. Nippel, ABGB, § 1360 Anm. 3; Stubenrauch, ABGB, § 1360 Anm. 1; Klang/Ohmeyer, ABGB, § 1360 Anm. 4; Schwimann/Mader/Faber, ABGB, § 1360 Rz 4; Rummel/Gamerith, ABGB, § 1360 Rz 2; KBB/P. Bydlinski, ABGB, § 1360 Rz 3; OGH SZ 13/34 (11.2.1931); OGH SZ 68/245, insbes. S. 847 (21.12.1995); OGH GesRZ 2006, 318, zu 3.2 und 3.5 (9.8.2006); zweifelnd aber Hoyer, JBl 1987, 772. 318 PEL Personal Security, DCFR IV.G, jew. Art. 2:110. Nach dem PEL handelt es sich sogar um einen unlimitierten Schadensersatzanspruch, während der DCFR eine Minderung des Gläubigeranspruchs in Höhe des Schadens vorsieht. 319 SZ 68/245; Hoyer, JBl 1987, 772; Schwimann/Mader/Faber, ABGB, § 1360 Rz 4; Rummel/ Gamerith, ABGB, § 1360 Rz 2 m.w.N.; ebenso PEL Personal Security, Art. 2:110, vgl. Bisping/Böger, Comments zu Art. 2:110, §§ 3 ff. 320 Stooss, ZBJV 47 (1911), 482 ff.; Tobler, Schutz des Bürgen, 135; BernK/Becker (1934), Art. 509 OR Rz 11; Lerch/Tuason, Bürgschaft, 67; Gut, Solidarbürgschaft, 108; Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 503 OR Rz 30; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 503 OR Rz 21; BernK/Giovanoli, Art. 503 OR Rz 13; BasK/Pestalozzi, Art. 503 OR Rz 11. 321 So zum Schweizer Recht ausdrücklich Stooss, ZBJV 47 (1911), 485; von Tuhr, ZSchwR 64 (1923), 114 f.; Tobler, Schutz des Bürgen, 134, 139 ff.; BernK/Giovanoli, Art. 503 OR Rz 14; zum österreichischen Recht KBB/P. Bydlinski, ABGB, § 1360 Rz 3. 315
4. Die Vorschrift des § 776
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nächst den Hauptschuldner erfolglos ausklagen, bevor er sich an den Gläubiger wenden könnte. Dies würde bedeuten, dass der Bürge die Forderung des Gläubigers häufig zunächst einmal befriedigen muss, um dann später, nach einem erfolglosen Prozess gegen den Hauptschuldner, den gezahlten Betrag als Schadensersatz wieder zurückzuverlangen. Tatsächlich aber steht gar nicht fest, ob in Österreich ein solches Vorgehen vom Bürgen tatsächlich verlangt wird und welche Erfordernisse beim Beweis des Schadens im Einzelnen zu erfüllen sind322. Nach einer neueren Entscheidung des OGH soll bei der Aufgabe einer dinglichen Sicherheit ein Schaden schon durch den Verlust der Deckung vorliegen, nicht erst dann, wenn der Ausfall feststeht323. In der Schweiz wurde die Lage des Bürgen, der seinen Schaden nur schwer beweisen kann, als unbefriedigend empfunden324. Bei der Reform von 1941 änderte der Gesetzgeber daher die Beweislast. Nun muss der Gläubiger nachweisen, dass dem Bürgen durch die Aufgabe kein Schaden entstanden ist325. Die gleiche Regelung findet sich schon im preußischen ALR und im Hessischen Entwurf326. Doch dann stellt sich die Frage, wie der Gläubiger den Nachweis eines fehlenden Schadens erbringen kann. Selbst wenn der Hauptschuldner zur Zeit der Aufgabe solvent erscheint, muss dies nicht bedeuten, dass der Bürge seinen Regressanspruch später tatsächlich durchsetzen kann. In der Schweizer Literatur findet sich die Ansicht, dass der Gläubiger notfalls den Hauptschuldner erfolgreich ausklagen müsse, um den Nachweis zu erbringen327. Dann aber hat er die Bürgenhaftung nicht mehr nötig. Die Lösung eines Schadensersatzanspruchs mit Umkehr der Beweislast kann also in vielen Fällen dazu führen, dass der Bürge schon durch die Aufgabe selbst befreit wird. Schließlich findet sich in den Regelwerken auch eine dritte Lösung, wonach die Befreiung des Bürgen keinen Schaden erfordert. Der Bürge wird schon dann 322 Nach Koban, Regress (1904), 208, soll ein Schaden schon durch die Entziehung der Regressgrundlage entstehen und damit dasselbe Ergebnis erreicht werden wie nach § 776 BGB. Nach KBB/P. Bydlinski, ABGB, § 1360 Rz 3, muss der Gläubiger beweisen, dass der Bürge mit seinem Ersatzanspruch wegen der Aufgabe ausfällt. Im Fall SZ 13/34 gab der Gläubiger eine Sicherheit auf und belangte den Bürgen, wobei nicht feststand, ob der Hauptschuldner solvent war. Das Berufungsgericht war der Ansicht, schon durch die bloße Aufgabe werde der Bürge in seinem Regress benachteiligt und damit befreit. Es könne nicht von ihm verlangt werden, zuerst den Hauptschuldner auszuklagen, um seinen Ausfall nachzuweisen. Der OGH bestätigte das Urteil, behalf sich allerdings mit der Erwägung, dass die Behauptung des Bürgen, der Hauptschuldner sei insolvent, unwidersprochen geblieben sei. Im Urteil SZ 68/245 betonte der OGH den Unterschied des österreichischen Aufgabeverbots zu § 1165 BGB (S. 847); im Fall kam es aber darauf nicht an, weil gegen den Hauptschuldner das Konkursverfahren eröffnet war und der Schaden des Bürgen mangels anderer Sicherheiten damit feststand. 323 OGH GesRZ 2006, zu 3.3 (9.8.2006). 324 von Tuhr, ZSchwR 64 (1923), 114 f.; Tobler, Schutz des Bürgen (1926), 139 ff.; Lerch/Tuason, Bürgschaft (1936), 67. 325 OR 1941, Art. 503 I. 326 ALR I 14 §§ 331–33; HessE IV 2 Art. 611; ähnlich SächsE § 873, wonach der Gläubiger beweisen muss, dass die Nichtaufgabe dem Bürgen nichts genützt hätte. 327 BernK/Giovanoli, Art. 503 OR Rz 14.
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IV. Regress und Regressvereitelung
befreit, wenn ihm der Gläubiger durch die Aufgabe eine Sicherheit entzogen hat, mit deren Hilfe der Bürge seinen Regress tatsächlich hätte durchsetzen können. Schon zum Zeitpunkt der Aufgabe steht damit fest, ob und inwieweit der Bürge befreit ist. Eine solche Regel findet sich im Bayerischen und im Dresdener Entwurf328. Auch das Aufgabeverbot in Art. 2314 (Art. 2037 a.F.) des französischen Code Civil verlangt seinem Wortlaut nach lediglich, dass der Gläubiger die Subrogation des Bürgen in die Sicherheit durch sein Handeln verhindert hat329. Doch schon seit dem 19. Jahrhundert wird darüber gestritten, ob nicht zusätzlich ein Schaden des Bürgen erforderlich ist. Das Reichsgericht lehnte in einer Entscheidung zum badischen Recht ein solches Erfordernis ab, weil es dazu führe, dass der Bürge sofort nach der Aufgabe den Hauptschuldner ausklagen müsse, um gegenüber dem Gläubiger seinen Schaden nachweisen zu können330. Mittlerweile überwiegt aber die Ansicht, dass der Bürge nur dann befreit wird, wenn er einen Schaden erlitten hat331. Wann dies genau der Fall ist, geht aus der Literatur nicht immer klar hervor. Meistens heißt es, ein Schaden liege nicht vor, wenn die aufgegebene Sicherheit wertlos war332. In diesem Fall wird eine Befreiung des Bürgen aber überall abgelehnt. Einige Autoren verneinen auch dann einen Schaden, wenn es genügend andere Sicherheiten gibt333. Dagegen verweist ein kleinerer Teil der Literatur auf den Wortlaut des Art. 2314 und spricht sich dafür aus, die Befreiung des Bürgen nicht vom Nachweis eines Schadens abhängig zu machen334. Die Rechtsprechung verlangt zwar einen Schaden, bürdet aber dem Gläubiger den Nachweis auf, dass dem Bürgen kein Schaden entstanden ist335, und gelangt damit zur Lösung des Schweizer Rechts. Der BGB-Gesetzgeber übernahm mit der Vorschrift des heutigen § 776 die Lösung des Dresdener Entwurfs, also eine Befreiung des Bürgen schon durch die Aufgabe selbst. Voraussetzung ist lediglich, dass der Bürge aus dem aufgegebenen Recht nach § 774 hätte Ersatz verlangen können. Von einem Schaden des Bürgen ist nicht die Rede. Zwar enthalten die Beratungsprotokolle keinen Hinweis dar-
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BayE II Art. 892; DresdE Art. 948. Nicht ganz klar ist der Tatbestand in SächsGB § 1466. CC Art. 2314 Satz 1: La caution est déchargée, lorsque la subrogation aux droits, hypothèques et privilèges du créancier, ne peut plus, par le fait de ce créancier, s’opérer en faveur de la caution. 330 RGZ 3, 346 (4.1.1880); ebenso Marcadé/Pont, Explication IX, § 376. Auch in der Schweiz wurden sowohl Art. 2314 (2037 a.F.) CC als auch § 776 BGB so verstanden, dass ein Schaden des Bürgen nicht erforderlich ist, und der Schweizer Schadensersatzregel gegenübergestellt, etwa bei von Tuhr, ZSchwR 64 (1923), 114; Tobler, Schutz des Bürgen, 139; Lerch/Tuason, Bürgschaft (1936), 67; BGE 66 II 123, 129 (5.6.1940). 331 Ausführlich Mestre, Subrogation, §§ 629 ff.; ferner Colin/Capitant, Cours II, 748; Planiol/ Ripert/Savatier, Droit civil XI, § 1561; Aynès/Crocq, Sûretés, § 286; vgl. Schmid, Mehrheit, 108 f. 332 Colin/Capitant, Cours II, 748; Planiol/Ripert/Savatier, Droit civil XI, § 1561; Mestre, Subrogation, §§ 629, 632. 333 So Aynès/Crocq, Sûretés, § 286; s.a. Simler, Cautionnement, § 838. 334 Simler, Cautionnement, § 838; Cabrillac/Mouly, Sûretés, § 310. 335 Cass com (3.11.1975), Bull civ IV Nr. 247; Cass com (27.2.1996), Bull civ IV Nr. 68. 329
4. Die Vorschrift des § 776
1155
auf, dass über diese Frage besonders diskutiert wurde. Angesichts dessen, dass das Aufgabeverbot in den früheren Regelwerken unterschiedliche Gestaltungen aufwies – Schadensersatz, Schadensersatz mit umgekehrter Beweislast, Befreiung schon durch Aufgabe –, die auch in der Beratungsvorlage dokumentiert wurden, muss aber davon ausgegangen werden, dass er sich bewusst gegen eine Schadensersatzregelung entschied. Gibt also der Gläubiger ein Pfandrecht auf, dessen Wert die Hauptschuld deckt und das bei Leistung des Bürgen auf diesen übergegangen wäre, wird der Bürge allein durch diese Aufgabe frei, auch wenn der Hauptschuldner noch weiteres Vermögen hat, das zu diesem Zeitpunkt einen Rückgriffsanspruch des Bürgen decken würde. Damit wird erreicht, dass schon zum Zeitpunkt der Aufgabe eindeutig festgestellt werden kann, ob und in welcher Höhe der Bürge befreit wird, ohne dass es auf eine unsichere Prognose über eine Realisierbarkeit des Rückgriffsanspruchs ankommt. In der Literatur zum BGB wird diese Frage allerdings kaum angesprochen. Eine Aussage des Inhalts, dass § 776 keinen Schaden verlangt und daher auch eingreifen kann, wenn es zur Zeit der Aufgabe sonstiges Vermögen des Hauptschuldners oder andere Sicherheiten gibt, welche die Hauptschuld decken, findet sich nur selten336. Teilweise wird die Ansicht vertreten, dass § 776 einen Schadensersatzanspruch des Bürgen gegen den Gläubiger regele337, wobei aber nicht immer klar wird, ob und wie der Bürge den Schadenseintritt beweisen muss. Der Großteil der Literatur geht aber offenbar davon aus, dass ein Schaden des Bürgen nicht nachgewiesen werden muss. Die Befreiung nach § 776 soll lediglich voraussetzen, dass der Gläubiger eine Sicherheit aufgegeben hat und dass der Bürge aus dieser Sicherheit hätte Ersatz verlangen können, dass die Sicherheit also werthaltig war338. Ein Schadenserfordernis wird nicht erwähnt. Horn betont, dass es sich bei § 776 um einen Verwirkungstatbestand, nicht um eine Schadensersatzregel handle339, während Pecher zwar von Schadensersatz spricht, den Schaden aber unabhängig von sonstigen Rückgriffsmöglichkeiten des Bürgen feststellen will340. Ausdrücklich angesprochen wird das Problem demgegenüber bei der Parallelvorschrift des § 1165. Hier betont die Literatur, dass es allein darauf ankomme, ob und inwieweit sich der persönliche Schuldner aus der aufgegebenen Hypo-
336 Etwa bei Staub/Koenige/Pinner/Bondi, HGB (1921), § 349 Anm. 36; Staub/Ratz, HGB (1978), § 349 Anm. 52; Schanbacher, WM 1998, 1806. 337 OLG Stuttgart, Recht 1915 Nr. 1995 (26.1.1915); Staud/Brändl (1959), § 776 Rz 4; Knütel, FS Flume I (1978), 590; wohl auch Kohler, Schuldrecht, § 155 IV Nr. 2; in diese Richtung auch Graf Lambsdorff/Skora, Bürgschaftsrecht, Rz 259. 338 Vgl. Crome, Schuldverhältnisse, § 298 Nr. 3 b, Fn. 23; OLG Stuttgart, Recht 1919 Nr. 1411 (27.3.1919); Planck/Oegg, § 776 Anm. 5; Staud/Engelmann (1929), § 776 Anm. 2 c; MüKo/Pecher (1986), § 776 Rz 10, 13; Staud/Horn (1997), § 776 Rz 16; MüKo/Habersack (2004), § 776 Rz 11; Lwowski, Kreditsicherung, Rz 402. 339 Staud/Horn, § 776 Rz 17; ebenso schon Esser, Schuldrecht (2. Aufl. 1960), § 164 Nr. 3; so auch früher MüKo/Pecher (1986), § 776 Rz 10, 13. 340 Soergel/Pecher (2007), § 776 Rz 13, 20, 24.
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IV. Regress und Regressvereitelung
thek hätte befriedigen können. Unerheblich sei, ob er für seinen Rückgriff auf das sonstige Vermögen des Eigentümers zurückgreifen könne341. Dies ergebe sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift (der insoweit dem des § 776 gleicht). Nach Wolfsteiner muss die „fallbeilartige“ Rechtsfolge des § 1165, dass der Schuldner auch dann befreit wird, wenn der Gläubiger seine Rückgriffschancen womöglich gar nicht beeinträchtigt hat, hingenommen werden, weil nur so schon zum Zeitpunkt der Aufgabe festgestellt werden kann, ob und in welcher Höhe der Schuldner befreit wird342. Nur Eickmann erwägt für den Fall, dass das Vermögen des Eigentümers „eindeutig“ einen Rückgriffsanspruch des Schuldners deckt, eine teleologische Reduktion des § 1165343. Im Ergebnis kann man verschiedener Ansicht darüber sein, ob es richtig ist, dass der Bürge nach § 776 (bzw. der persönliche Schuldner nach § 1165) auch dann frei wird, wenn trotz der Aufgabe der dinglichen Sicherheit feststeht, dass er seinen Rückgriffsanspruch realisieren kann. Die Konstruktion einer Schadensersatzforderung mit umgekehrter Beweislast, so dass der Gläubiger den fehlenden Schaden nachweisen muss, will dieses Ergebnis gerade vermeiden. Ob es ein wirkliches Bedürfnis für eine derartige Einschränkung des Bürgenschutzes gibt, ist allerdings zweifelhaft. Stellt man auf einen fehlenden Schaden des Bürgen zur Zeit der Aufgabe ab, weil der Hauptschuldner zu dieser Zeit genug Vermögen hat oder es genug andere Sicherheiten gibt, dann zwingt man den Bürgen, den Gläubiger sofort zu befriedigen und beim Hauptschuldner Rückgriff zu nehmen, obwohl die Haupt- und die Bürgenschuld vielleicht noch gar nicht fällig waren und bevor er vom Gläubiger in Anspruch genommen wird. Stellt man dagegen darauf ab, ob es zur Zeit der Inanspruchnahme des Bürgen genug Schuldnervermögen gibt, wird der Gläubiger durch eine Anwendung des § 776 auch bei fehlendem Bürgenschaden kaum benachteiligt, weil er sich an den Hauptschuldner halten kann. In jedem Fall hat der Gesetzgeber sich bei § 776 gegen eine Schadensersatzpflicht entschieden. Für Mitbürgen bedeutet dies, dass der Gesetzgeber nicht an eine Auslegung gedacht hat, wonach jede Entlassung eines Mitbürgen eine „Aufgabe“ i.S.d. § 776 ist, die aber nur im Falle eines konkreten Schadens zur Befreiung führt. Nach der Konzeption des § 776 führt schon die Aufgabe selbst zur (gegebenenfalls anteiligen) Befreiung, sofern sich nur der verbleibende Bürge aus dem aufgegebenen Recht hätte befriedigen können. Demnach muss es nach Ansicht des Gesetzgebers möglich sein, dass schon die Entlassung eines Mitbürgen als solche eine Befreiung des verbleibenden Mitbürgen zur Folge hat. Wie gezeigt kann dem Gesetzgeber auch nicht unterstellt werden, dass er mit dem Tatbestandsmerkmal der Aufgabe eines Rechts nur diejenigen Fälle meinte, in denen die Schuld des entlassenen Mitbürgen besonders gesichert war. Es bleibt daher 341
Staud/Wolfsteiner, § 1165 Rz 9; Soergel/Konzen, § 1165 Rz 2; MüKo/Eickmann, § 1165 Rz 1, 11–13; A. Dieckmann, WM 1990, 1483. 342 Staud/Wolfsteiner, § 1165 Rz 1, 8 f. 343 MüKo/Eickmann, § 1165 Rz 12.
4. Die Vorschrift des § 776
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nur die Auslegung übrig, dass jede Entlassung eines Mitbürgen in Form eines Einzelerlasses zur anteiligen Befreiung des verbleibenden Mitbürgen führt. Geht man davon aus, dass die Ausgleichspflicht nach § 426 I durch die Entlassung eines Mitbürgen nicht berührt wird, dann kann § 776 nur so verstanden werden, dass er die verbleibenden Mitbürgen vor einer Regressgefährdung durch den Gläubiger schützt. Die Regressgefährdung besteht in der Vereitelung des Zessionsregresses. Diese wirkt sich aber nur in den Fällen praktisch aus, in denen die Schuld des Mitbürgen besonders gesichert ist. Dem Gesetzgeber müsste also unterstellt werden, dass er in sämtlichen Fällen des Mitbürgenerlasses eine beschränkte Gesamtwirkung anordnete, weil in einem Bruchteil der Fälle eine solche Entlassung den Regress gefährden kann. Ob der Gesetzgeber eine solche Regel aufstellen wollte, deren Auswirkungen in keinem Verhältnis zu ihrem Zweck stehen, ist fraglich. Darüber hinaus ist es grundsätzlich zweifelhaft, ob der Gesetzgeber mit dem Aufgabeverbot hinsichtlich Mitbürgen nur die wenigen Fälle im Auge hatte, in denen die Schuld des Mitbürgen besonders gesichert ist.
d) Schutz des entlassenen Mitbürgen? Dass der Gesetzgeber mit § 776 den verbleibenden Mitbürgen vor einer Gefährdung seines an sich fortbestehenden Rückgriffsanspruchs schützen wollte, kann nach alldem nicht völlig ausgeschlossen werden, ist aber nur wenig wahrscheinlich. Es stellt sich daher die Frage, ob § 776 nicht auch anders verstanden werden kann. Die Vorschrift ergibt wesentlich mehr Sinn, wenn nach Ansicht ihrer Verfasser die Entlassung eines Mitbürgen den Regress gegen ihn ganz ausschließt. Dem steht aber die heute ganz herrschende Lehre gegenüber, wonach der Einzelerlass gegenüber einem Gesamtschuldner Ausgleichsansprüche nach § 426 I unberührt lässt. Die entscheidende Frage ist aber, ob auch der Gesetzgeber der Ansicht war, dass es Regressansprüche gegen einen entlassenen Mitbürgen geben könne. Auskunft kann nur die Entstehungsgeschichte des § 423, verbunden mit der des § 425, geben. In seinem Vorlageentwurf von 1879 hatte von Kübel die Einzelwirkung des Einzelerlasses, der Verjährung und des klageabweisenden Urteils vorgeschlagen344. In den ebenfalls 1879 stattfindenden Vorberatungen war die Mehrheit der Ersten Kommission aber anderer Ansicht: Sofern zwischen den Gesamtschuldnern eine Regresspflicht bestehe, führe die Einzelwirkung dazu, dass der Schuldner, der durch Erlass, Verjährung oder Urteil vom Zugriff des Gläubigers befreit sei, dennoch für seinen internen Anteil Ausgleichsansprüchen seiner Mitschuldner ausgesetzt sei. Zumindest im Falle des Erlasses und des Urteils müsse aber sichergestellt werden, dass der Schuldner vollständig befreit werde. Einzelerlass und klageabweisendes Urteil müssten daher beschränkte Gesamt344 VorlE, § 9 (Urteil), § 20 (Verjährung). Zum Erlass § 14 und Motive zum VorlE, 44 (Schubert, SR III, 1256).
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IV. Regress und Regressvereitelung
wirkung haben, so dass die Haftung der übrigen Schuldner in Höhe des Anteils des Befreiten gemindert werde und Ausgleichsansprüche gegen den Befreiten nicht mehr entstehen können345. Eine ähnliche Regelung komme für die Verjährung in Betracht346. Doch in seinem Teilentwurf von 1882 setzte von Kübel den Kommissionsbeschluss zum klageabweisenden Urteil nicht um347. Nur die Einzelwirkung des Urteils, so argumentierte er, sei mit dem prozessrechtlichen Grundsatz vereinbar, dass Urteile nur Rechtskraft unter den am Streit beteiligten Parteien entfalten könnten. Eine beschränkte Gesamtwirkung führe zudem zur unerwünschten Folge, dass der Zugriff des Gläubigers auf die übrigen Schuldner von der Höhe der Anteile im Innenverhältnis abhängig sei, obwohl die Gesamtschuld den Gläubiger gerade davor bewahren solle, auf das Innenverhältnis unter den Schuldnern Rücksicht nehmen zu müssen. Ein klageabweisendes Urteil entscheide nur über den Anspruch des Gläubigers und lasse daher eine Regresspflicht des Schuldners unberührt348. Aus diesem Grund beließ er es auch bei der Einzelwirkung der Verjährung349. Nur beim Einzelerlass fügte er sich und sah im Teilentwurf für den Fall einer Regresspflicht die beschränkte Gesamtwirkung vor350. Zwar hielt er auch diese nicht für sachgerecht, war aber der Ansicht, dass es sich um eine Frage der Auslegung des mutmaßlichen Parteiwillens handle und er sich diesbezüglich dem Mehrheitsbeschluss beugen müsse351. In den Hauptberatungen von 1882 konnte von Kübel sich dann in allen drei Fragen durchsetzen. Die beschränkte Gesamtwirkung des Einzelerlasses wurde gestrichen und an ihre Stelle die Einzelwirkung gesetzt. Hierzu bemerkte man, dass der entlassene Schuldner, der Regressansprüche seiner Mitschuldner erfüllen müsse, sich gegebenenfalls an den Gläubiger halten könne, wenn dieser aus dem dem Erlass zugrundeliegenden Vertrag die völlige Befreiung des Schuldners versprochen habe352. Auch die Einzelwirkung des klageabweisenden Urteils und der Verjährung wurde nun von der Kommission akzeptiert353. Hierbei ist es dann geblieben354. Auf den ersten Blick bedeutet dies, dass die Erste Kommission der Ansicht war, dass der Gesamtschuldregress auch gegen einen Schuldner möglich ist, der durch Erlass, Urteil oder Verjährung vom Zugriff des Gläubigers befreit ist. Danach hat sie zwar erwogen, den befreiten Schuldner durch eine beschränkte Gesamtwirkung zu schützen, sich aber letztlich dagegen entschieden. Folgt man 345 346 347 348 349 350 351 352 353 354
Jakobs/Schubert, SR I, 899 (Urteil), 901 (Einzelerlass). Jakobs/Schubert, SR I, 903. TeilE, § 8. Motive zum TeilE, 29 ff. (Schubert, SR I, 81 ff.). TeilE § 19; Motive zum TeilE, 31 (Schubert, SR I, 83). TeilE, § 13 II. Motive zum TeilE, 31 Fn. 1, 41 Fn. 1 (Schubert, SR I, 83 und 93). Jakobs/Schubert, SR I, 937 f. Jakobs/Schubert, SR I, 929 (Urteil), 946 (Verjährung). E I § 327 (Urteil), § 332 (Erlass), § 336 (Verjährung); BGB §§ 423, 425.
4. Die Vorschrift des § 776
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dieser Annahme, käme für das Nebeneinanderbestehen zweier unterschiedlicher Vorschriften zur Wirkung des Einzelerlasses der folgende Erklärungsversuch in Betracht: Von Kübel und die Erste Kommission waren nicht nur uneins über die Wirkung befreiender Tatsachen, sondern auch über die Frage, ob schon das Gesamtschuldverhältnis selbst zu einem Regress führen soll. Zwischen diesen beiden Kontroversen könnte es einen Zusammenhang gegeben haben. Die Mehrheit in der Ersten Kommission war der Ansicht, dass ein Gesamtschuldverhältnis grundsätzlich mit einem internen Ausgleich verbunden war. Dieser Ausgleich musste bei der Frage nach der Wirkung von Befreiungsgründen im Außenverhältnis stets mitbedacht werden. Die Befreiung im Außenverhältnis war wenig wert, wenn der Schuldner nicht zugleich von den mit der Gesamtschuld verbundenen Regresspflichten befreit war. Von Kübel berief sich demgegenüber darauf, dass der Erlass, die Verjährung oder das Urteil nur die Schuld des betreffenden Gesamtschuldners gegenüber dem Gläubiger beträfen und das Ausgleichsverhältnis unberührt ließen. In seiner Vorstellung beruhte das Regressrecht schließlich gar nicht auf der Gesamtschuld selbst, sondern auf dem Innenverhältnis oder einer besonderen Anordnung. Ein Ausgleichsverhältnis bestand also ohnehin nur in manchen Fällen, dann aber war es autonom. Demnach nahm die Mehrheit der Ersten Kommission an, dass das Regressrecht stets mit der Gesamtschuld verbunden sei, plante aber, den einzelnen Schuldner in bestimmten Konstellationen vor einer Regresspflicht zu schützen. Von Kübel wollte demgegenüber eine Ausgleichspflicht, die nur im Falle einer besonderen Rechtfertigung besteht, dann aber auf eine andere Grundlage gestützt wird als auf das Gesamtschuldverhältnis und demzufolge vom Außenverhältnis unabhängig ist. Nebenbürgen sollte eine solche unabhängige Ausgleichspflicht seiner Ansicht nach gerade nicht treffen. Im Ergebnis aber setzte sich im einen Punkt die Kommission, im anderen von Kübel durch, so dass es schließlich zu einer Regelung kam, wonach das Gesamtschuldverhältnis stets mit einer Ausgleichspflicht verbunden ist, die wiederum unabhängig vom Fortbestand des Außenverhältnisses ist – eine Regelung, die vielleicht keiner der Beteiligten zunächst beabsichtigt hatte. Dies gilt gerade für den Erlass eines Nebenbürgen. Für von Kübel befreite ein Erlass zwar nicht von der Regresspflicht; eine solche sollte es aber unter Nebenbürgen nicht geben. Nach der ursprünglichen Konzeption der Ersten Kommission fielen Nebenbürgen zwar unter die Gesamtschuldregressregel, sollten aber durch eine beschränkte Gesamtwirkung vor einer trotz Erlass bestehenden Regresspflicht geschützt werden. Nach dem Ergebnis der Gesamtschuldberatungen aber galt für Nebenbürgen in Gestalt einer trotz Erlass bestehenden Regresspflicht ein Ergebnis, das keiner der Beteiligten im Auge gehabt hatte. Bei den Bürgschaftsberatungen, die schon ohne von Kübel stattfanden, kehrte die Erste Kommission daher zu ihrer ursprünglichen Konzeption zurück und ordnete mit § 776 die beschränkte Gesamtwirkung des Einzelerlasses an. Primäres Ziel der Vorschrift wäre nach dieser Erklärung dann gar nicht der Schutz des verbleiben-
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IV. Regress und Regressvereitelung
den Mitbürgen, sondern der Schutz des Entlassenen, der wegen § 776 nun keine Regressansprüche mehr befürchten muss. Gegen diese Erklärung spricht allerdings, dass die Entstehungsgeschichte des § 776 keinen Hinweis darauf gibt, dass die Vorschrift, die an sich den verbleibenden Mitbürgen schützt, in einem Sonderfall einem ganz anderen Zweck dienen sollte, nämlich dem Schutz des entlassenen Mitbürgen. Zudem könnte ein vom Gesetzgeber mittels § 776 bezweckter Schutz des Entlassenen dann ins Leere laufen, wenn der verbleibende Mitbürge gegenüber dem Gläubiger auf seine Rechte aus § 776 verzichtet hatte. Angesichts dieses Erklärungsnotstandes stellt sich die Frage, ob vielleicht nicht die Grundprämisse all dieser Auslegungen unrichtig ist. Vielleicht trifft es gar nicht zu, dass der historische Gesetzgeber beim Gesamtschuldverhältnis von Rückgriffsansprüchen ausgegangen ist, die von einem Erlass durch den Gläubiger nicht berührt werden.
e) Zur Vorstellung des Gesetzgebers über die Ausgestaltung des Gesamtschuldregresses Die Frage, welche Gestalt der Gesamtschuldregress des § 426 I nach Ansicht des historischen Gesetzgebers annehmen sollte, ist aus heutiger Sicht tatsächlich schwer zu beurteilen. Aus den Beratungen zur Vorschrift des heutigen § 426 ergibt sich lediglich, dass es auch unabhängig von einem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis und unabhängig von einer besonderen Regressanordnung eine Ausgleichspflicht geben sollte, und zwar auch im Falle gesetzlicher Gesamtschulden355. Unklar bleibt hier aber, ob ein Gesamtschuldner auch dann zum Ausgleich herangezogen werden kann, wenn er zum Zeitpunkt der Leistung des anderen Gesamtschuldners gegenüber dem Gläubiger nicht mehr haftet, etwa weil ihm der Gläubiger zuvor einen Erlass gewährt hat. Die heutige Sicht des Gesamtschuldregresses als gesetzliches Schuldverhältnis, das schon mit der Begründung der Gesamtschuld entsteht, wurde entscheidend von den Motiven zum Ersten Entwurf geprägt, die von einer Schuldgemeinschaft sprechen, bei der jeder Schuldner schon vor seiner Leistung an den Gläubiger Ansprüche gegen die Mitschuldner auf anteilige Mitwirkung hat356. Wenn es solche schon mit Begründung der Gesamtschuld entstehende Ansprüche gibt, liegt die Folgerung nahe, dass der Gläubiger durch einen späteren Einzelerlass in diese Ansprüche nicht mehr eingreifen kann. Doch die Schuldgemeinschaft der Motive ist nicht das Gedankengut der Ersten Kommission selbst. Wie die Beratungsprotokolle ergeben, bestand über die Frage der Mitwirkungspflichten keine Einigkeit357. Es ist auch nicht si355 356 357
Oben, 584 ff. Mot. II, 169 f. (Mugdan II, 93). Oben, 283 ff.
4. Die Vorschrift des § 776
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cher, ob die Zweite Kommission mit ihrem pauschalen Verweis auf die Motive zum Ersten Entwurf sich das Schuldgemeinschafts-Modell zu eigen gemacht hat. Die Entstehungsgeschichte des § 426 kann insgesamt zur Frage der Ausgestaltung des Gesamtschuldregresses nichts beitragen. Die These, dass der Gesamtschuldregress aus § 426 I nach Ansicht des Gesetzgebers schon mit Begründung der Gesamtschuld entsteht und durch spätere Ereignisse wie etwa einen Einzelerlass nicht mehr berührt wird, kann nur mit der Entstehungsgeschichte der §§ 423, 425 begründet werden. Diese scheint, wie oben dargestellt, tatsächlich für eine Ansicht des Gesetzgebers zu sprechen, dass der Gesamtschuldregress auch gegen einen Schuldner möglich ist, der durch Erlass, Urteil oder Verjährung vom Zugriff des Gläubigers befreit ist. Unterschiedliche Auffassungen hat es danach lediglich über die Frage gegeben, ob der befreite Gesamtschuldner durch die Annahme einer beschränkten Gesamtwirkung vor den Regressansprüchen der Mitschuldner aus § 426 I geschützt werden soll. Doch bei näherem Hinsehen ist es gar nicht sicher, ob dieser Schluss tatsächlich gezogen werden kann. Denn diese Lesart setzt voraus, dass es sich bei den Regressansprüchen der Mitschuldner, gegenüber denen ein Schutz des befreiten Schuldners erwogen wurde, um den Gesamtschuldregress aus § 426 I handelt. Dies ist aber keineswegs sicher. In seinem Vorlageentwurf von 1879 war von Kübel davon ausgegangen, dass ein Regress unter Gesamtschuldnern nur dann besteht, wenn er rechtsgeschäftlich vereinbart oder durch eine besondere gesetzliche Bestimmung angeordnet wird. Im Falle einer rechtsgeschäftlich vereinbarten Regressregelung ist es aber selbstverständlich, dass spätere Befreiungen vom Gläubigerzugriff auf den Ausgleich keinen Einfluss haben können. Wer sich zusammen mit einem anderen solidarisch verpflichtet und mit diesem vereinbart, dass die Last intern aufgeteilt werden soll, kann sich gegenüber dem Rückgriffsanspruch des leistenden Mitschuldners nicht darauf berufen, inzwischen durch Erlass, Verjährung oder Urteil vom Gläubigerzugriff befreit zu sein. Der Ausgleichsanspruch des Mitschuldners beruht hier nicht auf der fortdauernden Haftung beider Schuldner gegenüber dem Gläubiger, sondern auf der rechtsgeschäftlichen Abrede. Der Mitschuldner kann danach die anteilige Erstattung seiner Auslagen verlangen, wenn er diese für erforderlich halten durfte, also insbesondere dann, wenn er selbst gezwungen war, die gesamte Leistung an den Gläubiger zu erbringen. Ob zu diesem Zeitpunkt der andere Schuldner noch haftete, ist unerheblich. Wenn es in von Kübels Vorlageentwurf hieß, die Einzelwirkung des Erlasses müsse auch dann gelten, „wenn der befreite Gesammtschuldner mit dem nicht befreiten in einem Regreßverhältnisse steht“358, obwohl dem Entlassenen der Vorteil des Erlasses dann nur eingeschränkt zugutekomme, dann bezieht sich diese Äußerung offenbar in erster Linie auf rechtsgeschäftlich vereinbarte Aus-
358
Motive zum VorlE, 44 (Schubert, SR III, 1256).
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IV. Regress und Regressvereitelung
gleichspflichten359. Das Ausgleichsverhältnis unter den Schuldnern ist unabhängig von Verfügungen des Gläubigers, soll aber auch diesem nicht im Wege einer beschränkten Gesamtwirkung zum Nachteil gereichen. Ob es sich bei dem „Regreßverhältnis“ auch um einen gesetzlichen Gesamtschuldregress handeln konnte, der nach von Kübel im Falle einer besonderen Anordnung entstand, ist ungewiss. Wer diese Frage ohne weiteres deswegen bejaht, weil ein gesetzliches ebenso ein Regressverhältnis ist wie ein rechtsgeschäftliches, setzt das zu Beweisende schon voraus, nämlich dass auch ein gesetzlicher Gesamtschuldregress nach einem Erlass überhaupt noch möglich ist. Das ist aber gerade nicht sicher. Fest steht in von Kübels Vorlageentwurf allein die selbstverständliche Tatsache, dass ein Einzelerlass rechtsgeschäftliche Rückgriffsansprüche unberührt lässt. In den Vorberatungen der Ersten Kommission wurde die Regressfrage zum Schluss diskutiert. Die Beratungen zum Erlass, zum Urteil und zur Verjährung fanden also statt, bevor man eine allgemeine „im Zweifel“ bestehende Ausgleichspflicht unter den Gesamtschuldnern beschlossen hatte. In Bezug auf das klageabweisende Urteil wurde nach kontroverser Beratung zuerst beschlossen, der im Vorlageentwurf vorgeschlagenen Einzelwirkung zuzustimmen. Erst danach wandte man sich der Frage zu, ob im Falle einer Regresspflicht etwas anderes gelten sollte. Hier beschloss man eine beschränkte Gesamtwirkung, „wenn und soweit (…) die Gesammtschuldner zur Regreßleistung verpflichtet sind“360. Ebenso verhielt es sich beim Einzelerlass: Zuerst stimmte die Kommission der seitens von Kübel vorgeschlagenen Einzelwirkung zu. Erst dann wurde überlegt, ob dieser Beschluss für die Fälle modifiziert werden müsse, in denen eine Regressverpflichtung unter den Gesamtschuldnern besteht. Für diesen Fall beschloss man dann die beschränkte Gesamtwirkung361. Auch bei der Verjährung stimmte die Kommission der Einzelwirkung zu und überließ die Frage, ob dieser Beschluss für die Fälle modifiziert werden muss, in denen eine Regresspflicht besteht, dem Referenten von Kübel362. Die Kommission ging also davon aus, dass es sich bei den Fällen einer Regresspflicht nur um einen Teilbereich der Gesamtschuldkonstellationen handelte. Dies kann damit erklärt werden, dass zu diesem Zeitpunkt der allgemeine Gesamtschuldregress noch nicht beschlossen war. Doch auch nachdem dieser Beschluss gegen Ende der Vorberatungen gefasst worden war, gibt es Indizien dafür, dass das Problem des Fortbestehens von Regressansprüchen trotz Befreiung von der Gläubigerforderung nach Ansicht des Gesetzgebers nur in manchen Fällen auftrat. In den Motiven zu seinem Teilentwurf von 1882, in dem er den Kommissionsbeschluss zum Einzelerlass umsetzte, schrieb von Kübel, der Entwurf unter359 Bei der Begründung der Einzelwirkung der Konfusion heißt es, etwas anderes solle auch dann nicht gelten, wenn zwischen den Gesamtschuldnern „ein Gesellschafts- oder sonstiges Regreßverhältnis“ besteht, Motive zum VorlE, 47 (Schubert, SR III, 1259); ebenso Motive zum TeilE, 45 (Schubert, SR I, 97). 360 Jakobs/Schubert, SR I, 899. 361 Jakobs/Schubert, SR I, 901. 362 Jakobs/Schubert, SR I, 903.
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scheide danach, ob unter den Gesamtschuldnern eine Regressleistungspflicht bestehe (dann beschränkte Gesamtwirkung) oder nicht (dann Einzelwirkung)363. Zum klageabweisenden Urteil, bei dem von Kübel es bei der Einzelwirkung beließ, hieß es, es könne von der Einzelwirkung auch keine „Ausnahme“ für den Fall des Bestehens einer Regressleistungspflicht gemacht werden, also für den Fall, dass der freigesprochene Schuldner „vermöge des zwischen ihm und seinen Mitschuldnern bestehenden Verhältnisses“ seinen Anteil ersetzen muss364. In den Hauptberatungen begründete die Erste Kommission ihren Beschluss, dem Erlass nur Einzelwirkung zukommen zu lassen und den entlassenen Gesamtschuldner, der Regress gegenüber seinen Mitschuldnern leisten muss, auf den Gläubiger zu verweisen, auch mit der Erwägung, dass der Fall „selten“ sei365. Soll es sich bei diesen Regressansprüchen aber um den mit jeder Gesamtschuld gegebenen Rückgriff aus § 426 I handeln, wäre der Fall gar nicht so selten. An keiner Stelle wird erwähnt, dass es sich bei den Regressansprüchen, denen sich der durch Erlass, Urteil oder Verjährung befreite Gesamtschuldner ausgesetzt sieht, um den allgemeinen Gesamtschuldregress handelt. Zumindest rechtsgeschäftlich vereinbarte Rückgriffsansprüche werden, ganz unabhängig von der Ausgestaltung des Gesamtschuldregresses, von Befreiungen eines Schuldners im Verhältnis zum Gläubiger nicht berührt. Es ist demnach die Auslegung möglich, dass von Kübel und die Erste Kommission bei der Diskussion, ob der befreite Gesamtschuldner mittels der Annahme einer beschränkten Gesamtwirkung vor Regressansprüchen geschützt werden soll, nur solche Ansprüche im Auge hatten, die schon nach allgemeinen Regeln von Ereignissen im Außenverhältnis unberührt bleiben. Dies sind in erster Linie rechtsgeschäftliche Rückgriffsansprüche. Denkbar sind aber auch bestimmte Arten gesetzlicher Regressrechte, etwa in Form eines Schadensersatzanspruchs: Stellt ein Ereignis, das eine Gesamtschuld auf Schadensersatz begründet, zugleich eine Vertragsverletzung eines Schuldners gegenüber dem anderen dar, dann schuldet der erste dem zweiten als Schadensersatz Befreiung vom Gläubigeranspruch und nach Zahlung des anderen den Ersatz des Geleisteten, und zwar nach allgemeinen Regeln auch dann, wenn der erste Schuldner aus irgendeinem Grund von der Haftung gegenüber dem Gläubiger befreit ist. Möglich ist also, dass es nur um solche vom Außenverhältnis unabhängige Regressansprüche ging und nicht um den Gesamtschuldregress als solchen. Dies könnte bedeuten, dass der von der Ersten Kommission eingeführte allgemeine Gesamtschuldregress gar nicht Ausdruck eines schon mit der Entstehung des Gesamtschuldverhältnisses begründeten inneren Schuldverhältnisses, sondern wesentlich schwächer ausgestaltet sein sollte. In den Fällen, in denen sich der Rückgriff auf nichts anderes stützen kann als auf die gesamtschuldnerische Haftung selbst, wäre der Regress nur dann möglich, wenn zur Zeit der Leistung 363 364 365
Motive zum TeilE, 40 f. (Schubert, SR I, 92 f.). Motive zum TeilE, 29 f. (Schubert, SR I, 81 f.). Jakobs/Schubert, SR I, 938.
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IV. Regress und Regressvereitelung
an den Gläubiger auch noch ein wirksames Gesamtschuldverhältnis besteht. Dies wäre nicht der Fall, wenn der eigentlich regresspflichtige Schuldner zuvor vom Gläubiger entlassen worden wäre, und vielleicht auch dann nicht, wenn er wegen Verjährung oder wegen eines klageabweisenden Urteils dem Zugriff des Gläubigers nicht mehr unterläge. Ein sicheres Urteil darüber, wie der Gesetzgeber den Gesamtschuldregress des § 426 I ausgestalten wollte, ist nach dem heutigen Erkenntnisstand wahrscheinlich nicht möglich. In den überlieferten Materialien wird die Frage nicht direkt angesprochen. Es besteht aber zumindest die Möglichkeit, dass der Gesetzgeber von einem eher schwach ausgestalteten Gesamtschuldregress ausgegangen ist, der nicht schon als Schuldgemeinschaft mit der Gesamtschuldbegründung selbst entsteht, sondern voraussetzt, dass der an den Gläubiger leistende Schuldner seinen Mitschuldner tatsächlich von einer durchsetzbaren Forderung des Gläubigers befreit. Die Entstehungsgeschichte der §§ 423, 425 schließt eine solche Auslegung nicht aus. Naheliegend ist sie freilich nicht. Wenn es dort heißt, dass der Einzelerlass oder eine andere Art der Befreiung im Fall eines Regressverhältnisses die Regressansprüche der Mitschuldner unberührt lassen, dann scheint auf den ersten Blick von allen Arten von Regressansprüchen die Rede zu sein, also auch vom Gesamtschuldregress als solchen. Für die dargestellte Auslegung, wonach nur gesamtschuldunabhängige besondere Regressansprüche gemeint waren, gibt es nur wenig Indizien. Zudem enthalten auch die übrigen Materialien zur Entstehungsgeschichte der §§ 421 ff. keinen direkten Hinweis darauf, dass der Gesamtschuldregress eine fortdauernde Außenhaftung voraussetzt. Die dargestellte Auslegung hat aber den Vorteil, dass sie scheinbare Widersprüche der gesetzlichen Regelung erklären kann und Brüche in der gesetzlichen Gesamtschuldkonzeption vermeidet. Das gilt insbesondere für die Vorschrift des § 776. Wenn der Gesetzgeber davon ausging, dass ein Erlass den Gesamtschuldregress ausschließt, dann ist es sinnvoll, den verbleibenden Mitbürgen mit Hilfe einer beschränkten Gesamtwirkung vor einer regresslosen Alleinhaftung auf das Ganze zu schützen. Die Annahme einer mit der Gesamtschuld entstehenden Schuldgemeinschaft ist demgegenüber zu einer überzeugenden Erklärung des § 776 nicht in der Lage. Die Begrenzung des Gesamtschuldregresses auf den Fall einer fortbestehenden Außenhaftung könnte auch im Bereich der Schadensersatzhaftung den offenen Gesamtschuldbegriff des Gesetzgebers erklären. Wie berichtet hielt der Gesetzgeber das Gesamtschuldverhältnis unter unabhängigen Nebentätern für so selbstverständlich, dass er es nicht einmal ausdrücklich im Gesetz anordnete366. Schuldeten mehrere den Ersatz desselben Schadens, dann entstand ein Gesamtschuldverhältnis in seinen Augen von selbst, sofern nicht (in bestimmten Konstellationen gemeinsamer Haftung) die Teilschuldregel eingriff und sofern nicht ausnahmsweise einer der Schuldner im Außenverhältnis nur subsidiär haftete367. 366 367
Oben, 734 ff. Oben, 756 ff., 763 ff., 819 ff.
4. Die Vorschrift des § 776
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Im Falle der unmittelbaren Ganzhaftung mehrerer stellte sich für den Gesetzgeber nicht etwa die Frage, ob es zum Gesamtschuldregress nach § 426 I kommen sollte oder ob eine andere Abwicklungsform vorzuziehen war; vielmehr war das Bestehen einer Gesamtschuld selbstverständlich. Auch die solidarische Haftung der Nebenbürgen war für den Gesetzgeber selbstverständlich, obwohl ihm klar war, dass damit auch ein Gesamtschuldregress verbunden war. Diese Haltung ist der Sache nach nur schwer nachvollziehbar, wenn mit jeder Gesamtschuld eine von Anfang an bestehende Schuldgemeinschaft mit privilegiertem Regress verbunden wäre, kraft derer ein Schuldner auch im Fall der Befreiung vom Außenverhältnis noch ausgleichspflichtig wäre. Wird der Gesamtschuldregress dagegen auf eine fortbestehende Außenhaftung begrenzt, so dass er den regresspflichtigen Gesamtschuldner kaum belastet, steht auch einem weiten Gesamtschuldbegriff, wie er dem Gesetzgeber vorschwebte, nichts im Wege. Wenn dies zutrifft, dann beruht der seit 1900 geführte Streit um das „Wesen“ der Gesamtschuld und den Anwendungsbereich der §§ 421 ff. auch auf einem grundlegenden Missverständnis der Gesamtschuldkonzeption des Gesetzgebers. Dieser hatte mit § 426 zwar eine im Gemeinen Recht nicht bekannte allgemeine Regresspflicht unter den Gesamtschuldnern eingeführt. Doch ein solches Ausgleichsverhältnis kannte auch schon die große Mehrheit der früheren Regelwerke. Nur eine „Schuldgemeinschaft“ in Gestalt eines gesetzlichen Schuldverhältnisses, das mit der Gesamtschuldbegründung selbst entsteht, Mitwirkungspflichten hervorruft und die Ausgleichsverpflichtung auch im Falle einer Befreiung vom Gläubigerzugriff fortbestehen lässt, war historisch nicht bekannt. Eine solche Schuldgemeinschaft wollte aber auch der BGB-Gesetzgeber nicht einführen. Ein Rückgriffsanspruch setzte für ihn, entsprechend der gemeinrechtlichen Doktrin des 19. Jahrhunderts, voraus, dass die Leistung des einen Gesamtschuldners den anderen von seiner Haftung befreit hatte, und schied daher zumindest dann aus, wenn der andere zum Leistungszeitpunkt gar nicht mehr Gesamtschuldner war. Wegen der in den Motiven zum Ersten Entwurf propagierten Schuldgemeinschaft und wegen der missverständlichen Entstehungsgeschichte des § 423 bildete sich aber nach 1900 die Vorstellung einer von Anfang an bestehenden pflichtenbegründenden Schuldgemeinschaft. Ein solches gesetzliches Schuldverhältnis mit Mitwirkungs- und Regresspflichten, die vom Bestand der Außenhaftung unabhängig sind, konnte dann aber nicht in jedem Fall angenommen werden, in dem mehrere Schuldner eine Leistung schuldeten, die der Gläubiger insgesamt nur einmal erhalten konnte. Daher kam es zu zahlreichen Versuchen, den Tatbestand des § 421 zu beschränken. Für eine solche Beschränkung suchte man aber vergebens klare Leitlinien im Gesetz. Das war kein Zufall, weil der Gesetzgeber gar nicht von einer Schuldgemeinschaft ausgegangen war und daher mit einem offenen Gesamtschuldbegriff gearbeitet hatte, nach dem schon der Tatbestand des § 421 ein Gesamtschuldverhältnis eröffnete, ohne dass es einer besonderen gesetzlichen Anordnung bedurfte. Unter diesen Umständen konnte die Suche nach einem Gesamtschuldmerkmal anhand der vorhandenen gesetzlichen Einzelgesamtschuldanordnungen von vornherein nicht zum Erfolg
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IV. Regress und Regressvereitelung
führen, was letztlich erklärt, dass über den Anwendungsbereich der §§ 421 ff. bis heute keine Einigkeit herrscht. Bei dieser Darstellung kann es sich aber mangels genauerer Anhaltspunkte in den Materialien zur Entstehungsgeschichte nur um eine Hypothese handeln, die, überblickt man den historischen Gesamtzusammenhang insbesondere zur Regresspflicht der Gesamtschuldner und zum Tatbestand der Schadensersatz-Gesamtschuld, eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich in Anspruch nehmen kann.
f) Beschränkung des § 776 auf Nebenbürgen? Ein sicheres Ergebnis zum gesetzgeberischen Zweck des § 776 lässt sich nicht gewinnen. Wahrscheinlich beruht die Vorschrift darauf, dass ein Gesamtschuldregress aus § 426 I nach Ansicht des Gesetzgebers gegen einen entlassenen Mitbürgen nicht möglich war und dass der verbleibende Mitbürge davor geschützt werden musste, regresslos auf das Ganze zu haften. Möglich wäre aber zum Beispiel auch, dass lediglich die Erste Kommission annahm, dass ein Regress gegen einen Entlassenen ausscheidet, und daher die Regel des § 776 einführte, während die Zweite Kommission, die immerhin die Ausführungen der Motive über die Schuldgemeinschaft billigte368, davon ausging, dass der Gesamtschuldrückgriff von einem Erlass nicht berührt wird, und es dann versäumte, die Vorschrift des § 776 entsprechend anzupassen. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass beide Kommissionen dem Schuldgemeinschafts-Modell folgten und mit § 776 den verbleibenden Mitbürgen vor einer Regressgefährdung schützen wollten; dies ist allerdings nach dem oben Gesagten nur wenig wahrscheinlich. Es verbleibt lediglich der Befund, dass die Vorschrift im Falle der Entlassung eines Mitbürgen mittels Einzelerlasses die Haftung des verbleibenden Mitbürgen in Höhe des Innenanteils des Entlassenen vermindert und damit die beschränkte Gesamtwirkung des Einzelerlasses anordnen will. Hintergrund dieser Vorschrift ist wahrscheinlich nicht das Problem der Regressgefährdung, sondern der Ausschluss des Gesamtschuldregresses gegenüber dem entlassenen Mitbürgen. Damit aber stellt sich ein weiteres Problem. In einem Großteil der Fälle verpflichten Mitbürgen sich gemeinschaftlich gegenüber dem Gläubiger. Dann aber besteht nach heutiger Auffassung unter ihnen ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis, das die interne Lastenverteilung regelt. In einen solchen rechtsgeschäftlich vereinbarten Lastenausgleich kann aber der Gläubiger durch eine Erlassvereinbarung nicht eingreifen, ganz unabhängig davon, wie man sich die Ausgestaltung des gesetzlichen Gesamtschuldregresses nach § 426 I vorstellt. Es fragt sich somit, welche Rolle § 776 nach Ansicht des Gesetzgebers spielen sollte, wenn der verbleibende gegen den entlassenen Mitbürgen einen rechtsgeschäftlichen Ausgleichsanspruch hat, der auch nach der Entlassung fortbesteht.
368
Prot. 885 f. (Mugdan II, 608).
4. Die Vorschrift des § 776
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War die Schuld des Entlassenen nicht besonders gesichert, verändert der Gläubiger durch den Erlass die Lage des verbleibenden Mitbürgen im Ergebnis nicht. Dies könnte dafür sprechen, die Befreiung im Fall des Mitbürgenerlasses auf den Fall der Nebenbürgen zu beschränken, zumindest bei fehlender zusätzlicher Sicherung. Vielleicht ging der Gesetzgeber also davon aus, dass eine Aufgabe des Rechts gegen einen Mitbürgen nur dann vorliegt, wenn dem verbleibenden Mitbürgen das Regressrecht tatsächlich entzogen wurde. Es käme dann nicht etwa auf einen Schaden des verbleibenden Mitbürgen oder auf das Vorliegen einer dinglichen Sicherheit an, sondern allein darauf, dass dem verbleibenden Mitbürgen, ebenso wie bei der Aufgabe einer vom Hauptschuldner stammenden dinglichen Sicherheit, eine Regressgrundlage entzogen wurde, was nicht der Fall wäre, wenn es einen fortbestehenden rechtsgeschäftlichen Rückgriffsanspruch gibt. Der Gesetzgeber hätte dann unausgesprochen unter „Aufgabe des Rechts gegen einen weiteren Bürgen“ den Fall der Nebenbürgen vor Augen gehabt. Möglich ist aber auch, dass die Befreiung nach § 776 auch bei gemeinschaftlichen Mitbürgen eintreten sollte, obwohl die Entlassung sich hier praktisch in der Regel nicht auswirkt. Hierfür könnte der Wortlaut sprechen, wonach der Gläubiger auch in diesem Fall sein eigenes Recht gegen den Entlassenen aufgibt und den Regress des verbleibenden Bürgen nach § 774 vereitelt. Sachlich könnte man für diese Lösung anführen, dass das rechtsgeschäftliche Innenverhältnis der Mitbürgen den Gläubiger nichts angeht, dieser also in jedem Fall einen Einzelerlass gegenüber einem Mitbürgen vermeiden muss369, und dass in Fällen fehlender Regressgefährdung damit geholfen werden kann, dass man die Entlassung als einen nur den Gläubiger bindenden schuldrechtlichen Klageverzicht auslegt. Anders als im Falle von Nebenbürgen wäre eine solche Auslegung hier auch nicht von vornherein fernliegend, weil Gläubiger und Mitbürge wissen, dass es noch weitere Mitbürgen gibt, mit denen der Entlassene rechtsgeschäftlich verbunden ist. Auch bei dieser Frage erscheint es letztlich nicht möglich, den Willen des historischen Gesetzgebers zu ermitteln. Im Ergebnis wurden Rechtsprechung und Literatur nach 1900 mit einer wenn nicht gerade undurchsichtigen, so doch zumindest auslegungsbedürftigen Vorschrift konfrontiert. Die Befreiung des Bürgen im Fall des Einzelerlasses gegenüber einem Mitbürgen schien zum einen nicht zur Einzelwirkung des Einzelerlasses bei Gesamtschuldnern nach § 423 zu passen und war erst recht kaum verständlich, wenn man von einem gesetzlichen Ausgleichsverhältnis unter Nebenbürgen ausging, in das der Gläubiger nicht eingreifen konnte. Bei gemeinschaftlichen Mitbürgen, bei denen sich der Fortbestand des Rückgriffsanspruchs gegen den Entlassenen schon aus allgemeinen Regeln ergibt, war die Befreiungswirkung womöglich gar nicht gerechtfertigt. Es war wohl das Zusammenspiel dieser Auslegungsprobleme, das dazu führte, dass die Vorschrift des § 776 in ihrer Anwendung auf Mitbürgen nach 1900 häufig schlicht ignoriert wurde.
369
So offenbar Soergel/Pecher, § 776 Rz 20.
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IV. Regress und Regressvereitelung
5. Der Mitbürgenerlass nach Rechtsprechung und Literatur a) Die Lage bis 1991 Soweit sich die Literatur mit dem Unterschied der Regelungen in § 423 einerseits und in § 776 andererseits überhaupt beschäftigte, ging sie zumeist davon aus, dass die Grundregel im Gesamtschuldverhältnis nach § 423 der Schuldgemeinschaftregress ist, der durch einen Erlass nicht berührt wird. Ohne § 776 würde danach auch für Mitbürgen die Regresslösung gelten, wonach der verbleibende Mitbürge nach wie vor auf das Ganze haftet, aber Regress beim Entlassenen nehmen kann. § 776 modifizierte danach diese Regel für den Sonderfall der Mitbürgen, indem er an Stelle der Regresslösung die anteilige Befreiung des verbleibenden Mitbürgen vorsah370. Privilegiert wurde damit der verbleibende Mitbürge, der nun nicht mehr darauf angewiesen war, beim Gläubiger vorzuleisten und Regress zu nehmen371, oder auch der entlassene Mitbürge, der durch § 776 endgültig auch von Regressansprüchen frei war372. Diese Sicht teilte in einem Urteil von 1909 auch das OLG Hamburg, wonach es sich bei § 776 um eine Abweichung von der in § 423 angeordneten allgemeinen Regel handelte. Indem § 776 die anteilige Befreiung des verbleibenden Mitbürgen vorsehe, mache er die in § 423 vorgesehene Regresslösung überflüssig373. Koban verglich § 776 mit der österreichischen Parallelvorschrift des § 1363 ABGB, wonach die Entlassung eines Mitbürgen die Rückgriffsansprüche der verbleibenden Mitbürgen unberührt lässt. Beide Vorschriften dienten mit unterschiedlichen Lösungen demselben Ziel, das Regressverhältnis vor Eingriffen des Gläubigers zu schützen, indem sie eine regresslose Ganzhaftung des verbleibenden Mitbürgen ausschlössen. De lege ferenda sei aber die Lösung des § 776 BGB vorzuziehen, weil ein entlassener Mitbürge darauf vertraue, vollständig befreit zu sein374. Umgekehrt wertete Fritz Schulz. Richtig sei die in § 1363 ABGB und § 423 BGB angeordnete Lösung, dass ein vom Gläubiger gewährter Einzelerlass den Gesamtschuldregress unberührt lasse. Bei Mitbürgen aber bestimme das BGB „in ganz unmotivierter Weise“ etwas anderes. Die dort vorgesehene be-
370 Schulz, Rückgriff (1907), 79 f.; Reichel, Schuldmitübernahme (1909), 503 f.; Strohal, JhJb 61 (1912), 98; Braun-Melchior, AcP 132 (1930), 203; Janssen, BB 1953, 1039; Staud/Horn (1986), § 769 Rz 5 f., § 774 Rz 30, § 776 Rz 6. 371 So Strohal, JhJb 61 (1912), 98. 372 So Braun-Melchior, AcP 132 (1930), 203. 373 OLG Hamburg, HansGZ 1910, Beiblatt, Nr. 80, S. 106 (3.12.1909). In einer anderen Entscheidung lehnte das OLG die Anwendung des § 776 in einem Fall ab, in dem der Gläubiger durch Vereinbarung mit einem Mitbürgen dessen Bürgschaft in eine Ausfallbürgschaft umgewandelt hatte, aber nur deswegen, weil es (anders als die heutige Lehre, unten, 1213 ff.) annahm, dass der Ausfallbürge weiterhin regresspflichtig blieb, OLG Hamburg, OLGE 21, 209 (31.1.1910). 374 Koban, Regress (1904), 160 ff., 175 f.
5. Der Mitbürgenerlass nach Rechtsprechung und Literatur
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schränkte Gesamtwirkung des Einzelerlasses sei aber als geltendes Recht hinzunehmen375. Ein kleinerer Teil der Literatur ging demgegenüber davon aus, dass die Vorschrift des § 776 vor einem Regressverlust schützen sollte. Bei gemeinschaftlichen Mitbürgen bestand diese Gefahr freilich nicht, weil unter ihnen ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis bestand, in das der Gläubiger durch einen Einzelerlass nicht eingreifen konnte. Nebenbürgen aber waren lediglich dadurch verbunden, dass sie dieselbe Schuld sicherten. Daher schied ein Rückgriffsanspruch gegen einen Nebenbürgen aus, dem der Gläubiger die Schuld erlassen hatte. Die Vorschrift des § 776 war danach notwendig, um eine regresslose Alleinhaftung des verbleibenden Nebenbürgen zu vermeiden376. Für diejenigen Autoren schließlich, die im Gesamtschuldrecht einen schuldaufhebenden Einzelerlass unter Aufrechterhaltung der Haftung der Mitschuldner für konstruktiv nicht möglich hielten377, bedeutete die Vorschrift des § 776 eine Klarstellung, die richtigerweise auch schon im Gesamtschuldrecht galt: Wenn der Gläubiger sowohl bei gewöhnlichen Gesamtschuldnern als auch bei Mitbürgen einen Schuldner unter Aufrechterhaltung der Haftung und der Regressansprüche der Mitschuldner entließ, handelte es sich lediglich um einen schuldrechtlichen, nur den Gläubiger bindenden Klageverzicht. Vereinbarte der Gläubiger dagegen mit einem der Schuldner einen schuldaufhebenden Einzelerlass i.S.d. § 397, war ein Regress gegen den Entlassenen nicht mehr möglich. Die Mitschuldner wurden aber durch ein Regressvereitelungsverbot im Wege der beschränkten Gesamtwirkung des Einzelerlasses geschützt, das Ausdruck in § 776 gefunden hatte378. Soweit die Literatur also die Vorschrift des § 776 als besondere, von den allgemeinen Gesamtschuldregeln möglicherweise abweichende, Regelung zur Kenntnis nahm, gelangte sie zu ganz unterschiedlichen Auslegungen. Die wohl herrschende Lehre und die Rechtsprechung des Reichsgerichts aber ignorierten die Vorschrift in ihrer Anwendung auf Mitbürgen: Der Gläubiger, so hieß es, könne durch die Entlassung eines Mitbürgen nicht in das unter den Mitbürgen beste375 So Schulz, Rückgriff (1907), 78 ff.; ähnlich (Unklarheit des Gesetzes, weil der Entlassene regresspflichtig bleibe) Lippmann (der aber zu Unrecht den Zessionsregress bei Mitbürgen leugnete), AcP 111 (1914), 167 ff., 171 f. 376 So Kanka, JhJb 87 (1938), 128, 165, 168, 186, 194 ff.; MüKo/Pecher (1986), § 769 Rz 6, § 776 Rz 10; wohl auch Frotz, VersR 1965, 217. Bei gemeinschaftlicher Mitbürgschaft sollte nach Kanka, a.a.O., 196 f., der Erlass das Ausgleichsverhältnis unberührt lassen und zugleich beschränkte Gesamtwirkung eintreten, so dass sich die geminderte Schuld intern auf sämtliche Mitbürgen einschließlich des Entlassenen aufteilt: Bürgen B1 und B2 für 100 und entlässt G B1, schuldet B2 noch 50, die sich intern auf B1 und B2 zu je 25 aufteilen. Warum der Erlass bei B1 aber zu einer Minderung des internen Anteils von B2 führen muss, ist nicht ersichtlich. 377 Vgl. oben, 1148 f. 378 Wacke, AcP 170 (1970), 45 ff., 60 ff. (der von einem Widerspruch zwischen § 776 und § 423 spricht, der dem Gesetzgeber entgangen sei, 61); Ehmann, Gesamtschuld (1972), 364; ähnlich schon Stoll, FamRZ 1962, 66.
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IV. Regress und Regressvereitelung
hende gesetzliche Ausgleichsverhältnis eingreifen379. Wenn der Gläubiger aber in das Ausgleichsverhältnis nicht eingreifen kann, dann müsste der Regressanspruch gegen den entlassenen Mitbürgen weiterhin bestehen. Unklar bleibt dann, welche Rolle § 776 spielen soll, nach dessen Wortlaut es wegen der beschränkten Gesamtwirkung gerade keinen Regressanspruch gegen den Entlassenen mehr gibt. Hierüber herrschte in der Literatur offenbar Unsicherheit. Nach Oertmann und Brändl sollte die Stundung gegenüber einem Mitbürgen wegen § 776 während ihrer Dauer anteilig auch den anderen Mitbürgen zugutekommen380; nach Brändl sollte die Umwandlung einer Bürgschaft in eine Ausfallbürgschaft nach § 776 anteilig die Mitbürgen befreien381. Wenn aber der Gläubiger in das Ausgleichsverhältnis gar nicht eingreifen kann, dann dürfte eine Stundung gegenüber einem Mitbürgen nicht verhindern, dass er schon zuvor zum Regress herangezogen wird; ebenso könnte die Umwandlung einer Bürgschaft in eine Ausfallbürgschaft an den Rückgriffsansprüchen nichts ändern. § 776 würde also gar nicht gebraucht. Die Äußerung, dass der Gläubiger nicht in das gesetzliche Ausgleichsverhältnis eingreifen kann, könnte also so verstanden werden, dass nach einer Entlassung eigentlich der gesetzliche Regressanspruch fortbesteht, § 776 aber trotzdem die beschränkte Gesamtwirkung anordnet. Dann wäre die Äußerung aber genaugenommen überflüssig und ohne Inhalt, weil der Gläubiger dann doch in das Regressverhältnis eingreifen kann, nur nicht zum Schaden der übrigen Mitbürgen, weil auch die Außenhaftung reduziert wird. Die These kann aber auch so verstanden werden, dass wegen des vom Gläubiger nicht beeinflussbaren Innenverhältnisses § 776 gar nicht zum Einsatz kommt. Für diese Lösung hat sich in einem 1992 ergangenen Urteil der Neunte Senat des BGH entschieden; vorgezeichnet war sie aber schon in einigen zuvor ergangenen Entscheidungen.
b) Die Rechtsprechung des BGH, insbesondere die Mitbürgenentscheidung vom 11.6.1992 In einem 1963 vom Achten Senat des BGH entschiedenen Fall382 zahlte der Mitbürge B1 einen Teil der Schuld und wurde daraufhin vom Gläubiger entlassen. Später zahlten B2 und B3 einen Teil der noch offenen Schuld und wurden daraufhin ebenfalls entlassen. Nach Ansicht des Senats, der die Regressfrage beurteilen musste, konnte weder die Entlassung von B1 noch die von B2 und B3 an deren 379 Kremer, Mitbürgschaft (1902), 175; Oertmann, Schuldverhältnisse BT (1910), § 769 Anm. 3; RGZ 81, 414, 418 (VI, 27.2.1913, obiter); RG LZ 1915, 1511 Nr. 9 (VI, 17.6.1915, Sachverhalt unklar); Enneccerus, Schuldverhältnisse (1920), § 414 Fn. 9; Planck/Oegg (1928), § 769 Anm. 4, § 774 Anm. 7 d; Staud/Engelmann (1929), § 769 Anm. 2; Staud/Brändl (1959), § 769 Rz 3. 380 Oertmann, Schuldverhältnisse BT, § 776 Anm. 2 b; Staud/Brändl (1959), § 774 Rz 18, § 776 Rz 3 b. 381 Staud/Brändl, vor § 765 Rz 21, § 776 Rz 3 b. 382 BGH WM 1963, 1249 = LM § 774 BGB Nr. 6 (9.10.1963).
5. Der Mitbürgenerlass nach Rechtsprechung und Literatur
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Regresspflichten etwas ändern. Das ist bei B2 und B3 selbstverständlich: Sofern B1 mehr als seinen Innenanteil gezahlt hat, steht ihm mit dieser Zahlung ein Rückgriffsanspruch zu, in den der Gläubiger schon deswegen nicht mehr eingreifen kann, weil er in dieser Höhe nach § 774 II, 426 II gar nicht mehr Gläubiger von B2 und B3 ist. Bei B1 stellt sich hingegen die Frage, ob er nach seiner Entlassung noch möglichen Rückgriffsansprüchen ausgesetzt sein kann oder ob insoweit § 776 eingreift. Im entschiedenen Fall kam es darauf allerdings nicht an, weil B1 mehr als seinen internen Anteil gezahlt hatte, so dass B2 und B3 keinen Rückgriff hatten und daher auch bei einer Anwendung des § 776 durch die Entlassung von B1 nicht anteilig befreit worden wären. Obiter stellte der Senat aber fest, dass B2 und B3 auch nach der Entlassung von B1 Rückgriffsansprüche aus § 426 I gegen diesen hätten, falls er weniger als seinen Teil an den Gläubiger gezahlt hätte383. Dies würde bedeuten, dass die Vorschrift des § 776 (die der Senat im Urteil nicht einmal erwähnte) bei der Entlassung eines Mitbürgen nicht anwendbar wäre. Im entschiedenen Fall handelte es sich freilich um gemeinschaftliche Mitbürgen in Gestalt von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern einer Genossenschaft, die sich für deren Verbindlichkeit in einer gemeinsamen Urkunde verbürgt hatten. Demnach bestand unter den Mitbürgen offensichtlich ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis, nach dem auch ohne ausdrückliche Abrede angenommen werden kann, dass die gemeinsame Last bei Ausfall des Hauptschuldners intern, notfalls nach Köpfen, aufgeteilt werden sollte. In einen vertraglichen Rückgriffsanspruch kann der Gläubiger aber tatsächlich nach allgemeinen rechtsgeschäftlichen Regeln nicht eingreifen384. In einem solchen Fall, wenn der Gläubiger durch die Entlassung die Stellung der verbleibenden Mitbürgen praktisch nicht verändert, bestehen gute Gründe, die Anwendbarkeit des § 776 zu verneinen. Die Berufung des Senats auf ein gesetzliches Schuldverhältnis nach § 426 I, in das der Gläubiger nicht eingreifen kann, war für die Entscheidung daher unnötig. Dasselbe gilt für ein 1986 ergangenes Urteil des LG Flensburg385. Hier hatten sich die zwei Gründer einer GmbH & Co KG für eine Darlehensschuld dieser Gesellschaft verbürgt. Dass unter den beiden Geschäftspartnern ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis bestand, auf dessen Grundlage auch die Bürgschaften übernommen wurden, ist offenkundig. Die Berufung des zum Mitbürgenausgleich herangezogenen Bürgen, vom Gläubiger aus der Bürgschaft entlassen worden zu sein, konnte am vertraglichen Ausgleichsanspruch nichts ändern. Die Mitbürgen hatten hier auf ihre Rechte aus § 776 verzichtet. Dies aber, so das Gericht, bedeute nicht einen Ausschluss des Regressrechts gegen Entlassene. All dies folgt aber selbstverständlich schon aus der vertraglichen Natur des Rück383
WM 1963, 1250. Kanka, JhJb 87 (1938), 165; zum genannten Urteil auch MüKo/Pecher (1986), § 769 Rz 6; Soergel/Pecher (2007), § 769 Rz 8. 385 LG Flensburg, NJW-RR 1987, 440 (13.8.1986). 384
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IV. Regress und Regressvereitelung
griffsrechts386. Die Berufung des Gerichts auf ein gesetzliches, vom Außenverhältnis unabhängiges, Schuldverhältnis unter den Mitbürgen nach § 426 I war daher gar nicht erforderlich. Ähnliches gilt offenbar für ein 1989 ergangenes Urteil des OLG Stuttgart387. Der BGH baute seine These vom autonomen, unabhängig vom Außenverhältnis bestehenden, Innenverhältnis unter den Mitsicherern in der Folgezeit weiter aus. Nach einer 1989 ergangenen Entscheidung des Zweiten Senats sollte sogar eine anfängliche vertragliche Freistellung eines Mitbürgen gegenüber dem Gläubiger nichts an seiner Ausgleichspflicht gegenüber den übrigen Mitbürgen ändern, die mangels Außenhaftung auf eine „fingierte Gesamtschuld“ gestützt wurde388. Tatsächlich aber handelte es sich bei den Bürgen um Gesellschafter einer GmbH, die aufgrund eines gemeinsamen Planes die Gesellschaftsschuld sicherten und daher vertragliche Ausgleichsansprüche untereinander hatten, so dass es einer fingierten Gesamtschuld gar nicht bedurfte. Sollte der Gläubiger trotz der Haftungsfreistellung des Bürgen B1 tatsächlich das Recht haben, den Bürgen B2 in voller Höhe in Anspruch zu nehmen389, kann der Vertrag zwischen G und B1 selbstverständlich nicht die vertraglichen Ansprüche zwischen B1 und B2 ändern. Nach einem 1990 ergangenen Urteil des Neunten Senats soll ein gesetzliches, von Eingriffen durch den Gläubiger unabhängiges, Ausgleichsverhältnis auch unter mehreren dinglichen Sicherern derselben Schuld bestehen390. Gibt der Gläubiger eine Sicherheit frei, soll der Ausgleichsanspruch des anderen Sicheres, der sich bis dahin auf Befriedigung aus der Sicherheit richtete, zu einem Zahlungsanspruch werden. Wer also dem Gläubiger ohne persönliche Haftung ein Pfand gewährt hat, das der Gläubiger später wieder freigibt, kann sich danach unvermittelt persönlichen Zahlungsansprüchen anderer Sicherer ausgesetzt sehen. Verständlich wird das Ergebnis nur, wenn man berücksichtigt, dass auch in diesem Fall die Sicherer durch ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis verbunden waren. Für die Schuld einer GmbH & Co KG bestellte der Beklagte, der Kommanditist der KG und zugleich Alleingesellschafter der KomplementärGmbH war, eine Grundschuld an dem ihm persönlich gehörenden Betriebs386
Ebenso Soergel/Pecher, § 769 Rz 8. OLG Stuttgart, ZIP 1990, 445 (28.11.1989): Die Entlassung eines Mitbürgen soll das selbständige Ausgleichsverhältnis aus § 426 I nicht berühren. Bei den Mitbürgen (mehrere Banken) handelte es sich wahrscheinlich um gemeinschaftliche Bürgen. Zudem war unklar, ob der Gläubiger den Mitbürgen B1 nicht erst entlassen hatte, nachdem er B2 in Anspruch genommen hatte. In diesem Fall kann er (vorbehaltlich § 407) ohnehin nicht in das ihm gar nicht mehr zustehende Recht gegen B1 eingreifen. 388 BGH NJW 1989, 2386, 2387 (27.2.1989); zustimmend Bülow, EWiR § 769 BGB 1/89, 469. 389 Im Ergebnis kam der BGH dann doch zu einer beschränkten Gesamtwirkung der Haftungsfreistellung, weil sie auf einem Treuhandverhältnis zwischen dem Gläubiger und dem freigestellten Bürgen beruhte. Die Mitbürgen schuldeten daher aus ihren Bürgschaften dem Treugeber und konnten zugleich einen Ausgleich vom Treuhänder fordern, diese Forderung durften sie dann auch gegenüber dem Treugeber abziehen. 390 BGH WM 1991, 399 (20.12.1990, NJW-RR 1991, 499). 387
5. Der Mitbürgenerlass nach Rechtsprechung und Literatur
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grundstück. Zusätzlich hatte die Klägerin Wertpapiere verpfändet. Sie war Erbin des früheren Betriebsinhabers und hatte der KG den Betrieb und dem Beklagten zuvor das Grundstück verkauft. Warum sie die Sicherheit gewährte, geht aus dem Urteil nicht klar hervor; möglicherweise handelte es sich um eine im Zuge der Kaufverträge getroffene Abmachung. In jedem Fall ist es nicht vorstellbar, dass die Klägerin die fremde Schuld, die wirtschaftlich allein den Beklagten betraf, ohne Abstimmung mit diesem sicherte. Aufgrund dieser Abrede musste sie im Fall der Inanspruchnahme allein ihrer Sicherheiten aber vertragliche Ausgleichsansprüche gegen den Beklagten haben, die dadurch nicht untergehen konnten, dass der Gläubiger die Grundschuld freigab. Dieser Zusammenhang wurde durch die Annahme eines gesetzlichen Schuldverhältnisses unter dinglichen Mitsicherern unnötig verdunkelt. Schließlich kam es zur Mitbürgenentscheidung vom 11.6.1992, in welcher der Neunte Senat erstmals ausdrücklich Stellung zur Grundsatzfrage nach der Bedeutung des § 776 nahm391. Die Entlassung eines Mitbürgen habe, so der Senat, nicht „ohne weiteres“ seine Freistellung auch im Innenverhältnis zur Folge. Die Ausgleichspflicht der Gesamtschuldner entstehe zusammen mit der Gesamtschuld und bilde ein selbständiges Schuldverhältnis neben dem Gesamtschuldverhältnis. Die Ausgleichspflicht werde daher durch die Entlassung nicht berührt. Dies gelte trotz § 776 auch für Mitbürgen. Nach § 776 werde der verbleibende Mitbürge nur dann frei, wenn er seinen Ausgleichsanspruch wegen der Entlassung nicht durchsetzen könne. Auch im Falle von Nebenbürgen besage die Vorschrift nicht, dass die Entlassung eines Mitbürgen die Regresspflicht zum Erlöschen bringe. Der Gesetzgeber habe mit § 769 für gemeinschaftliche und für Nebenbürgen in gleicher Weise eine Gesamtschuld mit der Folge des § 426 angeordnet, so dass eine Unterscheidung zwischen beiden Mitbürgenarten nicht gerechtfertigt sei392. Nach Ansicht des BGH ist § 776 bei der Entlassung eines Mitbürgen also grundsätzlich nicht anwendbar, weil der Mitbürge trotz der Entlassung weiterhin zum Ausgleich verpflichtet ist. Dies hat zweierlei Folgen. Zum einen bleibt der verbleibende Bürge trotz der Entlassung seines Mitbürgen in voller Höhe verpflichtet, statt anteilig befreit zu werden. Zum anderen bleibt der entlassene Mitbürge weiterhin ausgleichspflichtig. Je nachdem, welche Funktion man der Vorschrift des § 776 zuschreibt, kann das Urteil von zwei Seiten her betrachtet werden. Geht man davon aus, dass die Regresspflicht eines Mitbürgen ohnehin durch eine Entlassung nicht berührt wird, dann kann die Vorschrift des § 776 nur den Sinn haben, den verbleibenden Mitbürgen vor einer Regressgefährdung zu schützen. Dieser Schutz wird durch das Urteil von 1992 eingeschränkt. Die Literatur wendet diesem Aspekt freilich nur wenig Aufmerksamkeit zu. Die Vorschrift des § 776, so heißt es häufig, setze voraus, dass dem verbleibenden Mitbürgen sein 391 392
BGH NJW 1992, 2286 = WM 1992, 1312 (11.6.1992). NJW 1992, 2287.
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IV. Regress und Regressvereitelung
Regressrecht entzogen werde, und sei daher nicht anwendbar, wenn der entlassene Mitbürge weiterhin ausgleichspflichtig sei393. Horn spricht sogar von einer „rechtlich wirkungslosen“ Aufgabehandlung394. Dies würde aber genaugenommen nur dann zutreffen, wenn es sich bei der Entlassung um einen lediglich den Gläubiger bindenden schuldrechtlichen Klageverzicht handeln würde. Auf diese Weise will ein Teil der Literatur das Urteil von 1992 verstehen395. Doch der Neunte Senat sprach hier von einem Erlass und prüfte, ob diesem wegen § 423 vielleicht (beschränkte) Gesamtwirkung zukam396. Nimmt man ihm beim Wort, so steht es, worauf auch ein kleiner Teil der Literatur hinweist, dem Gläubiger grundsätzlich frei, durch den mit einem Mitbürgen vereinbarten Einzelerlass den Zessionsregress des verbleibenden Mitbürgen zu vereiteln397. Damit wird der Regress des verbleibenden Mitbürgen gefährdet, falls die Schuld des Entlassenen dinglich gesichert war. Die Vorschrift des § 776 aber, so kann argumentiert werden, soll den verbleibenden Mitbürgen schon abstrakt vor einer Regressgefährdung schützen und befreit ihn schon dann anteilig, wenn der Gläubiger durch den Erlass einen Zessionsregress unmöglich macht. Unter diesem Blickwinkel handelt es sich beim Urteil von 1992 um eine teleologische Reduktion von § 776 zulasten des verbleibenden Mitbürgen, was in der Literatur auch vereinzelt kritisiert wird398. Demgegenüber kann die Ansicht vertreten werden, dass eine anteilige Befreiung des verbleibenden Mitbürgen in einem Fall, in dem die Schuld des Entlassenen gar nicht besonders gesichert war und in dem die schuldrechtliche Ausgleichspflicht unberührt bleibt, zu weit geht und § 776 daher nicht schon bei jedem Einzelerlass eingreifen solle. Auch im BGH-Fall hatte der Gläubiger, nimmt man eine fortbestehende Regresspflicht des entlassenen Mitbürgen an, die Lage des verbleibenden durch die Entlassung praktisch nicht verändert. Dann stellt sich die Frage, welche Schwelle von Regressgefährdung oder -vereitelung überschritten werden muss, damit die Vorschrift eingreift. Nach Ansicht des Neunten Senats kann der verbleibende Mitbürge sich nur dann auf § 776 berufen, wenn er wegen der Entlassung seinen Regress „nicht durchsetzen kann“399. Dem folgt die 393 Bülow, Kreditsicherheiten, Rz 1010; Staud/Horn (1997), § 774 Rz 50, § 776 Rz 9, 15; MüKo/Habersack, § 769 Rz 8, § 776 Rz 5; Erman/Ehmann, § 421 Rz 74, § 423 Rz 5; Staud/Noack, § 423 Rz 35, § 426 Rz 240; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 109; Schürnbrand, Schuldbeitritt, 148; Grunewald, LM § 774 BGB Nr. 24. Unklar ist, warum nach Habersack etwas anderes gelten soll, wenn der Gläubiger einen Mitbürgen nicht entlässt, sondern dessen Bürgschaft in eine Ausfallbürgschaft umwandelt: Hier soll § 776 eingreifen, MüKo/Habersack, § 769 Rz 3. Doch entweder kann der Gläubiger in das Ausgleichsverhältnis in beiden Fällen eingreifen oder in beiden Fällen nicht. 394 Staud/Horn, § 776 Rz 15. 395 Bayer, EWiR § 774 BGB 1/92, 869; Lwowski, Kreditsicherung, Rz 403. 396 NJW 1992, 2287. 397 Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rz 243; dies., Kreditsicherung, Rz 284; Schanbacher, WM 1998, 1807; Weber, WM 2001, 1234. 398 Schanbacher, WM 1998, 1807. 399 NJW 1992, 2287.
5. Der Mitbürgenerlass nach Rechtsprechung und Literatur
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Literatur zumeist ohne weiteres400. Ob der verbleibende Mitbürge seinen Regress durchsetzen wird, ist zum Zeitpunkt der Entlassung aber zumeist nicht ersichtlich. Der verbleibende Mitbürge müsste zunächst an den Gläubiger leisten und versuchen, beim Entlassenen Regress zu nehmen. In dieser Auslegung wird das Aufgabeverbot also zu einer Schadensersatzregelung. Das passt aber nicht zur Struktur der Vorschrift des § 776, die in ihrem sonstigen Anwendungsbereich, der Aufgabe dinglicher Sicherheiten, gerade nicht an einen Schaden des Bürgen anknüpft, sondern an die Aufgabe selbst, weil schon zu diesem Zeitpunkt feststehen soll, ob und in welcher Höhe der Bürge befreit ist401. Es gibt keinen sachlichen Grund, von dieser Ausrichtung des § 776 für den Fall der Aufgabe des Rechts gegen einen Mitbürgen abzuweichen. Wenn bei der Aufgabe einer dinglichen Sicherheit die Befreiung des Bürgen schon zum Aufgabezeitpunkt festgestellt werden kann, sollte bei Mitbürgen nichts anderes gelten. Nach Tiedtke und Habersack soll § 776 eingreifen, wenn der entlassene Mitbürge insolvent ist und die Schuld gesichert war402. Soll es dabei um die Insolvenz zum Zeitpunkt der versuchten Regressnahme gehen, wäre § 776 auch in dieser Lesart eine Schadensersatzvorschrift. Ist aber die Insolvenz zur Zeit der Aufgabe gemeint, bestünde eine Schutzlücke, wenn der Entlassene später insolvent wird. Im Parallelfall der Aufgabe einer vom Hauptschuldner gestellten Sicherheit befreit die Aufgabe den Bürgen ganz unabhängig davon, ob der Hauptschuldner zum Aufgabezeitpunkt, später oder gar nicht insolvent wird. Dann sollte aber bei Mitbürgen nichts anderes gelten. Mit der Struktur des § 776 vereinbar wäre daher nur eine einschränkende Auslegung dergestalt, dass der Erlass gegenüber einem Mitbürgen, der seine Regresspflicht nicht berührt, unabhängig von dessen Solvenz den verbleibenden Mitbürgen dann befreit, wenn die Schuld des Entlassenen dinglich gesichert war, und zwar in dem Umfang, in dem der verbleibende Mitbürge sich für seinen Regress aus der Sicherheit hätte befriedigen können. Die Rechtsfolgen eines Erlasses bei dinglich gesicherter Schuld entsprechen dann denen der Aufgabe einer von einem Mitbürgen gestellten dinglichen Sicherheit, in welchem Fall auch nach wohl herrschender Lehre eine anteilige Befreiung nach § 776 stattfindet403. Stellt man also unter Annahme einer fortbestehenden Regresspflicht des Entlassenen (die zumindest im Fall eines rechtsgeschäftlichen Innenverhältnisses besteht) auf den Schutz des verbleibenden Mitbürgen durch § 776 ab, dann hat der BGH in der Entscheidung von 1992 den Schutz derart eingeschränkt, dass nicht schon die Vereitelung des Zessionsregresses als solche zur anteiligen Befreiung führt. Für diese Einschränkung lassen sich sachliche Gründe anführen. Wenn der 400 Grunewald, LM § 774 BGB Nr. 24; Staud/Noack, § 423 Rz 35, § 426 Rz 240; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 109. 401 So auch Schanbacher, WM 1998, 1807; vgl. oben, 1154 ff. 402 Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rz 244; dies., Kreditsicherung, Rz 285; MüKo/Habersack, § 776 Rz 5. 403 Kanka, JhJb 87 (1938), 195; Staud/Brändl (1959), § 776 Rz 3 b; Staud/Horn, § 776 Rz 9; Weber, WM 2001, 1234.
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IV. Regress und Regressvereitelung
Neunte Senat aber die Vorschrift des § 776 erst im Fall der Undurchsetzbarkeit des Regresses anwenden will, gibt er ihr die Funktion einer Schadensersatzvorschrift, die sie in ihrem sonstigen Anwendungsbereich, der Aufgabe einer dinglichen Sicherheit, nicht hat. Konsistent wäre daher nur eine Befreiung, soweit die Schuld des Entlassenen dinglich gesichert war, unabhängig von der Frage der Regressdurchsetzung. Die andere Seite des Urteils betrifft die Lage des entlassenen Mitbürgen, der sich trotz der Entlassung Jahre später einem Regressbegehren des verbleibenden Mitbürgen gegenübersieht. Eine vom Gläubiger nicht beeinflussbare Regresspflicht ist selbstverständlich, wenn sie auf einem vertraglichen Innenverhältnis beruht. Das Urteil von 1992 ist deswegen von Bedeutung, weil unter den Mitbürgen im zugrundeliegenden Fall wahrscheinlich kein solches Innenverhältnis bestand. Die Bank G hatte L und K ein Darlehen gewährt, für dessen Rückzahlung auch B1, der Schwager von L, persönlich haftete. L und K gründeten die SGmbH und beabsichtigten, das ihnen gewährte Darlehen durch ein Darlehen an die S-GmbH zu ersetzen. B1 übernahm daher die Bürgschaft für sämtliche (zu dieser Zeit noch nicht entstandenen) Forderungen der G gegen die S-GmbH. K übertrug seine hälftige Beteiligung an der S-GmbH an die U-GmbH, an der B2 zu 10% beteiligt war. B2 wurde neben L Geschäftsführer der S-GmbH. Diese bat G, das Darlehen an K und L durch ein Darlehen an sie, gesichert durch die Bürgschaften von B1, L und B2, zu ersetzen. L und B2 verbürgten sich für das in Aussicht genommene Darlehen an die S-GmbH. Daraufhin bewilligte G das Darlehen im Wege der Schuldersetzung. Zu dieser Zeit gab es also drei Bürgen, B1, L und B2. Ein Jahr später veräußerte B2 seinen Anteil an der U-GmbH und beendete seine Geschäftsführertätigkeit für die S-GmbH. Auf Anraten des L bat er G um seine Entlassung. G erklärte B2 daraufhin, dass seine Bürgschaftsverpflichtung erloschen sei. Zwei Jahre später fiel die S-GmbH in Konkurs. L war vermögenslos. B1 wurde von G in Anspruch genommen und verlangte hälftigen Ausgleich von B2. Bei diesem Sachverhalt kann nicht ausgeschlossen werden, dass zwischen allen drei Mitbürgen eine rechtsgeschäftliche Abrede bestand. Zwar bürgte zunächst B1 allein. Die schuldende S-GmbH hatte aber, vertreten durch L oder B2, dem Gläubiger die Sicherung durch alle drei Bürgen angeboten. Möglich wäre daher, dass es zu einer Vereinbarung zwischen B1, L und B2 gekommen war, wonach jeder für die Schuld der S-GmbH bürgen sollte. Eine solche Vereinbarung würde gewöhnlich eine stillschweigende oder sogar ausdrückliche Abrede über die interne Lastenverteilung enthalten, wobei angesichts der mittelbaren Beteiligung und Geschäftsführerstellung des B2 eine interne Freistellung des B1 nahe läge. Wenn es eine solche Vereinbarung gab und beim Ausscheiden von B2 keine weiteren Vereinbarungen getroffen wurden, wäre die fortbestehende Ausgleichspflicht des B2 selbstverständlich. Es ist aber auch möglich, dass es keinerlei Abrede zwischen B1 und B2 gab: B1 verbürgte sich zunächst allein auf Bitten des L, und später vereinbarten L und B2,
5. Der Mitbürgenerlass nach Rechtsprechung und Literatur
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die Schuld ebenfalls zu sichern. Hierfür spricht, dass B2 sich bei seinem Ausscheiden offenbar nur mit L abgesprochen hatte. In diesem Fall wären B1 und B2 rechtsgeschäftlich lediglich jeweils mit dem Gesellschafter L verbunden, B1 als Schwager, der L helfen wollte, und B2 als Geschäftspartner. Der Neunte Senat prüfte die Frage eines rechtsgeschäftlichen Innenverhältnisses nicht weiter. Von seinem Standpunkt aus spielte es schließlich keine Rolle, ob B1 und B2 vertraglich verbunden waren oder nicht. Wie im Urteil hervorgehoben wurde, sollte die Lösung gerade auch für Nebenbürgen gelten. Dann stellt sich zunächst die Frage, wie die interne Last angesichts der Vermögenslosigkeit des L verteilt werden müsste, wenn B2 nicht aus seiner Bürgenverpflichtung entlassen worden wäre. Der Neunte Senat prüfte die internen Anteile unter der unrichtigen Fragestellung, ob B1 nach Treu und Glauben an einem Rückgriffsanspruch gehindert sei, weil er gegenüber B2 intern allein belastet sei404. Tatsächlich aber entstünde bei einer internen Alleinbelastung von B1 von vornherein kein Rückgriffsanspruch, weil im Sinne des § 426 I etwas anderes bestimmt wäre als die Kopfteilregel. § 242 wird nicht benötigt. Nach Ansicht des Senats konnte von einer internen Alleinhaftung des B1, der an der Gesellschaft nicht beteiligt war, ursprünglich keine Rede sein. Dies habe sich durch das Ausscheiden von B2 aus der Gesellschaft nicht geändert. Zwar habe B2 sich aufgrund eines von L erteilten Auftrags verbürgt, der weggefallen sei, als L gegenüber B2 das Entlassungsgesuch empfahl. Dies berühre aber nicht den Ausgleichsanspruch von B1. Nach Pecher müsste B2 demgegenüber mit seinem Ausscheiden intern frei geworden sein, weil ein ausscheidender Gesellschafter nach allgemeinen Regeln von seiner Haftung für Gesellschaftsverbindlichkeiten freigestellt wird405. Doch dies kann nur im Verhältnis zu L gelten. Sowohl B1 als völlig außenstehender Sicherer als auch B2 als ausgeschiedener Gesellschafter waren gegenüber L intern freigestellt406. Die Lage ist daher derjenigen ähnlich, dass ein Schuldner zwei Bürgen unabhängig voneinander beauftragt und ihnen jeweils verspricht, das an den Gläubiger Gezahlte zu erstatten. Jeder Bürge ist gegenüber dem Schuldner intern 404
NJW 1992, 2287 f. (unter § 3). Soergel/Pecher, § 769 Rz 6, Fn. 112. Zur Freistellung eines ausscheidenden Gesellschafters oben, 347 f. 406 Anders verhielt es sich etwa im Fall LG Stuttgart, BB 1999, 2474 (2.3.1999, NJW-RR 2000, 623). Von fünf Gesellschaftern einer GmbH, die sich für deren Schuld verbürgt hatten, schied einer aus der Gesellschaft aus und wurde vom Gläubiger aus der Bürgschaft entlassen. Die Regressklage der verbleibenden Gesellschafter, die später aus der Bürgschaft in Anspruch genommen worden waren, war erfolglos, weil der entlassene Gesellschafter mit seinem Ausscheiden auch intern, das heißt vertraglich, nicht mehr verpflichtet war. Vgl. demgegenüber den Fall BGH WM 1993, 1668 (IX, 17.6.1993, NJW-RR 1993, 1377): M1 und M2 waren Gesellschafter einer OHG, die ein Darlehen aufnahm, wofür sich die Ehefrauen der Gesellschafter, F1 und F2, verbürgten (M1 und M2 hafteten ohnehin nach § 128 HGB). Als M2 später aus der Gesellschaft ausschied, war M1 ihm im Innenverhältnis zur Freistellung von den Gesellschaftsverbindlichkeiten verpflichtet. Dennoch war die Klage von F1, die als Bürgin für die schon vor dem Ausscheiden bestehende Schuld der OHG in Anspruch genommen worden war, gegen M2 in Höhe der Hälfte der Summe erfolgreich. 405
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IV. Regress und Regressvereitelung
freigestellt. Ist aber der Schuldner insolvent, haften die Bürgen intern zu gleichen Teilen. Auch im vorliegenden Fall erscheint die vom BGH angenommene gleichmäßige Innenverteilung angesichts § 426 I 2 als zumindest vertretbar. Eine ganz andere Frage ist es aber, ob B2 auch noch zwei Jahre nach seiner Entlassung von B1 auf anteiligen Regress in Anspruch genommen werden kann, selbst wenn ihn mit B1 kein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis verbindet. Auf den ersten Blick erscheint das Ergebnis hinnehmbar, weil B2, auch wenn er nicht vertraglich mit B1 verbunden war, dennoch von der Bürgschaft des B1 offenbar gewusst hatte und die Geschäftsführer L und B2 das Darlehen für die S-GmbH gerade deswegen erlangt hatten, weil sie die Sicherung durch alle drei Bürgen angeboten hatten. Insofern, so könnte man argumentieren, müsse es B2 klar gewesen sein, dass er trotz seiner Entlassung mit Ausgleichsansprüchen zu rechnen habe. Wohl aus diesem Grund ist ein Teil der Literatur der Auffassung, bei der Entlassung von B2 habe es sich gar nicht um einen Erlass i.S.d. § 397, sondern lediglich um einen nur den Gläubiger bindenden Klageverzicht gehandelt407. Es besteht aber die Gefahr, dass man eine für richtig gehaltene Rechtsauffassung in den Willen der Parteien hineinliest. Die Bank hatte gegenüber B2 von einem Erlöschen seiner Bürgschaftsverpflichtung gesprochen und ihm die Bürgschaftsurkunde zurückgegeben. Über Ausgleichsansprüche wurde dabei nicht gesprochen. B2 war mit hoher Wahrscheinlichkeit der Auffassung, mit dieser Entlassung endgültig frei zu sein. Zwar wusste er wohl, dass B1 weiterhin aus seiner Bürgschaftsverpflichtung haftet. Aus Sicht des B2 war dies aber auch angemessen: Es handelte sich um Schulden einer Gesellschaft, an der er selbst nicht mehr beteiligt war, sondern nur noch L, dessen Schwager B1 war. Immerhin hatte B1 auch schon vor dem Eintreten des B2 für die Gesellschaftsschulden gebürgt. Aus dieser Sicht bestand für B2 auch kein Anlass, beim Gläubiger auf eine anteilige Mitbefreiung des B1 im Sinne einer beschränkten Gesamtwirkung des Erlasses hinzuwirken. B2 hatte sich für die Gesellschaftsschulden im Auftrag von L gegenüber der Bank G verbürgt. Das Auftragsverhältnis mit L endete beim Ausscheiden des B2. L stellte ihn intern frei. Im Außenverhältnis entließ ihn G aus seinen Verpflichtungen. Nach seinem Ausscheiden hatte B2 auch keine Möglichkeit mehr, auf die Belange der Gesellschaft und damit auf eine Schuldtilgung hinzuwirken. Dann fragt es sich, ob es tatsächlich angemessen ist, den Konflikt im Dreiecksverhältnis zwischen G, B1 und B2 ausgerechnet auf dem Rücken des B2 zu lösen, der mit einiger Berechtigung von seiner endgültigen Befreiung ausgehen durfte. Angesichts dessen, dass B1 sich für die Gesellschaftsschulden ohnehin schon vor dem Eintritt von B2 verbürgt hatte, läge es auch nahe, ihn nach der Entlassung von B2 regresslos allein haften zu lassen. Dem steht allerdings die klare Wertung des § 776 entgegen, nach dem der Bürge auch vor einem Verlust von Sicherheiten geschützt wird, die erst nach seiner Verpflichtung entstanden sind und von denen er nichts gewusst haben muss. Danach liegt es am Gläubiger, den Verlust durch 407
Bayer, EWiR § 774 BGB 1/92, 869; Lwowski, Kreditsicherung, Rz 403.
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die Aufgabe einer Sicherheit selbst zu tragen408. In der Literatur wird die Entscheidung des BGH damit verteidigt, dass die Bank nicht die Absicht hatte, mit B2 zugleich anteilig B1 zu befreien409. Das mag zutreffen, aber auch sonst wird bei § 776 nicht nach dem Willen des aufgebenden Gläubigers gefragt. Die Befreiung des Bürgen beruht nicht auf dem Parteiwillen des Gläubigers, sondern auf dem Gesetz. Man mag die Entscheidung, einen Bürgen zulasten des Gläubigers auch vor dem Verlust nachträglicher Sicherheiten zu schützen, auf die der Bürge nicht vertraut hatte, sachlich kritisieren, aber es ist die Entscheidung des Gesetzes. Eine Lösung des Dreieckskonflikts zulasten des Gläubigers wäre auch nicht von vornherein unbillig. Sie würde den Gläubiger lediglich dazu zwingen, den Erlass eines Mitbürgen abzulehnen oder diesem rechtsgeschäftlich klarzumachen, dass es sich nur um einen schuldrechtlichen Klageverzicht handelt, der Ausgleichsansprüche von Mitbürgen nicht berührt. In diesem Fall wäre B2 gewarnt. Er könnte versuchen, eine anteilige Mitbefreiung von B1 im Verhandlungswege durchzusetzen; andernfalls könnte er sich zumindest auf zukünftige Ausgleichsansprüche einstellen oder sein Ausscheiden aus der Gesellschaft angesichts seiner fortdauernden Haftung noch einmal überdenken. Der Neunte Senat bestätigte seine Rechtsprechung in einem 2000 ergangenen Urteil410. Diesem lag aber ein ganz anderer Sachverhalt zugrunde, der das Ergebnis gleich aus zwei Gründen rechtfertigte. Zum einen handelte es sich um gemeinschaftliche, rechtsgeschäftlich miteinander verbundene Mitbürgen in Gestalt von zwei Gründern und Gesellschaftern einer GmbH, die sich für deren Verbindlichkeiten gegenüber G verbürgten. Später vereinbarte einer von ihnen, B1, mit G die Begrenzung seiner Bürgenverpflichtung auf einen Höchstbetrag von 150 000. Angesichts des rechtsgeschäftlichen Innenverhältnisses unter den Gesellschaftern ist das erzielte Ergebnis selbstverständlich, dass allein durch eine solche Abrede zwischen B1 und G das Ausgleichsverhältnis zwischen B1 und B2 nicht berührt wird. Wie der Senat zu Recht feststellte, gälte etwas anderes nur dann, wenn neben der Bürgschaftsbegrenzung bei B1 eine korrespondierende Vereinbarung im Innenverhältnis zwischen den Bürgen bestände, wonach die interne Aufteilung zugunsten B1 und zulasten B2 abgeändert wurde. Zum anderen aber ging es im Fall gar nicht darum, dass B1 über seine Verpflichtung im Außenverhältnis hinaus in Anspruch genommen werden sollte. Vielmehr war B1 der Ansicht, dass er nach der Begrenzung seiner Haftung auf 150 000 das Recht hatte, intern nur die Hälfte, also 75 000 tragen zu müssen. Der Kläger war hier auch nicht B2, sondern B1, der 150 000 gezahlt hatte und von B2, der offenbar 236 000 gezahlt hatte, Regress in Höhe von 75 000 verlangte. Einen solchen Schutz, Begrenzungen in der Außenhaftung auch auf das interne Verhältnis zu beziehen, kann aber selbst ein Nebenbürge nicht beanspruchen. Wer von vornherein mit einem Höchstbetrag bürgt, kann unbestritten auch im Re408 409 410
Ebenso Soergel/Pecher, § 769 Rz 16. Grunewald, LM § 774 BGB Nr. 24; Bayer, EWiR § 774 BGB 1/92, 869. BGH NJW 2000, 1034 (13.1.2000).
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IV. Regress und Regressvereitelung
gressweg nicht für eine höhere Summe in Anspruch genommen werden411. Es bestehen gute Gründe, diese Regressbeschränkung auch zugunsten eines Nebenbürgen anzuwenden, der zuerst unbeschränkt bürgt und erst danach eine Höchstbetragsbegrenzung vereinbart. Ebenso wie im Fall des Erlasses kann er sich dann auf die Abmachung mit seinem Gläubiger verlassen und muss nicht damit rechnen, dass diese wegen der Existenz weiterer Bürgen in ihrer Wirkung beschränkt wird. Doch er kann nicht in seinem Vertrauen darauf geschützt werden, unter Zugrundelegung der ermäßigten Haftung nur anteilig zu haften412. Sinnvoll erscheint es, ihn nicht schlechter zu stellen als im Fall der Alleinbürgschaft; dann würde der nachträglich vereinbarte Höchstbetrag die Obergrenze seiner Haftung bilden. Die Existenz weiterer Bürgen soll ihn also nicht benachteiligen. Kein Grund besteht aber, sein Vertrauen in eine allein zwischen ihm und dem Gläubiger getroffene Abmachung auch in ihrer Auswirkung auf weitere Bürgen zu schützen. Schließlich berief sich auch das OLG Hamm in einer 1998 ergangenen Entscheidung auf das Mitbürgenurteil des BGH413. Für die Schuld einer GmbH in Höhe von 1, 7 Mio. hatten sich die Gesellschafter B1 und B2 in einer gemeinsamen Urkunde mit einem Höchstbetrag von 180 000 verbürgt. Der Gläubiger G war bereit, B1 aus der Bürgschaft zu entlassen, wenn dessen Ehefrau F 90 000 auf ein Festgeldkonto einzahlen und dieses an G für die Schuld der GmbH verpfänden würde. Dies geschah. G verlangte vom verbleibenden Mitbürgen B2 180 000, nach Ansicht des OLG zu Recht. B2 hatte hier auf sein Recht aus § 776 verzichtet. Das Geschäft zwischen B1, G und F sei für B2 aber auch nicht nachteilig gewesen, so das OLG, weil die Entlassung eines Mitbürgen den Ausgleichsanspruch aus § 426 I nicht berühre414. Hätte es sich bei B1 und B2 um gewöhnliche nebeneinanderstehende Höchstbetragsbürgen gehandelt, könnte G von jedem 180 000 verlangen, soweit die gesicherte Hauptschuld noch offen war415. Die Entlassung von B1 hätte B2 dann von vornherein nicht berührt, weil er keinen Ausgleichsanspruch gehabt hätte. Offenbar hatten B1 und B2 sich aber dergestalt verbürgt, dass G von beiden zusammen insgesamt nur 180 000 verlangen konnte, so dass B2 im Falle seiner Leistung grundsätzlich ein hälftiger Ausgleichsanspruch zustand. Dieser Ausgleichsanspruch war rechtsgeschäftlicher Natur, weil B1 und B2 die Bürgschaft gemeinsam übernommen hatten. Im Ergebnis zu Recht war das OLG daher der Ansicht, dass die Entlassung den Regress nicht berührte. Richtig war auch, dass die Verpfändung durch F B2 nicht zugutekommen konnte: F war gewöhnliche Mitsicherin der Hauptschuld in Höhe von 1,7 Mio., ohne dem speziellen Höchstbetrags-Haftungsverband zwischen B1 und B2 anzugehören. Eine Leis411 412 413 414 415
Oben, 1055, 1060. Vgl. Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 84 f., 99 f. OLG Hamm, WM 1999, 1969 (13.5.1998). WM 1999, 1971. Hierzu oben, 1054 ff.
5. Der Mitbürgenerlass nach Rechtsprechung und Literatur
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tung der F kam B1 daher nur insoweit zugute, wie sie die gesicherte Hauptschuld minderte, konnte aber nicht den Höchstbetrag beeinflussen. Das eigentliche Problem des Falls wurde vom OLG nicht angesprochen: B1 war offenbar der Ansicht gewesen, durch den Vertrag mit G seine Bürgenhaftung in Höhe von intern 90 000 durch eine Pfandhaftung seiner Ehefrau in Höhe von 90 000 abgelöst zu haben. In Wahrheit hatte er ein schlechtes Geschäft gemacht: Vorher haftete er in Höhe von 90 000 und bei Insolvenz des B2 auf 180 000. Nachher hafteten er und seine Frau in jedem Fall auf 180 000 (Pfand und Ausgleichspflicht). G wiederum profitierte, weil er ohne Gegenleistung nun nicht mehr nur in Höhe von 180 000, sondern in Höhe von 270 000 gesichert war. Dieses Ergebnis kann im Fall auch nicht durch die Versagung der Ausgleichspflicht von B1 korrigiert werden, weil es sich um einen rechtsgeschäftlichen Anspruch des B2 handelt, in den G und B1 nicht eingreifen können. Naheliegend wäre daher gewesen, den Erlassvertrag so auszulegen, dass der Erlass beschränkte Gesamtwirkung hatte oder dass G zumindest schuldrechtlich verpflichtet war, B1 von seiner Ausgleichspflicht freizustellen.
c) Ausgleichspflicht des entlassenen Nebenbürgen? Während also die Ergebnisse der beiden zuletzt genannten Urteile schon mit dem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis unter den Mitbürgen erklärt werden können, ging es im Urteil von 1992 offenbar um Nebenbürgen. Selbst wenn man das Ergebnis dieses Urteils angesichts dessen, dass B2 von der Bürgschaft des B1 wusste, für richtig hält (und dann mit der Annahme eines pactum de non petendo erklären kann), bleibt es dabei, dass nach den Entscheidungsgründen die Lösung der fortdauernden Ausgleichspflicht des entlassenen Mitbürgen ganz grundsätzlich für jeden Fall der Nebenbürgen gelten soll, also auch dann, wenn der entlassene Bürge gar nicht gewusst hatte, dass es weitere Bürgen gab. Wer sich also als vermeintlicher Einzelbürge verpflichtet, wird dadurch schlechter gestellt, dass es noch andere Bürgen derselben Schuld gibt. Der Erlass derjenigen Schuld, die allein er rechtsgeschäftlich übernommen hatte, kann ihn nicht mehr befreien. Aus historisch-vergleichender Sicht ist das ein bemerkenswertes Ergebnis. Nach Gemeinem Recht fand unter Nebenbürgen nur ein Zessionsregress statt, so dass ein Nebenbürge im Falle eines Erlasses vollständig befreit war. Ein Teil der früheren Regelwerke schloss den Regress unter Nebenbürgen ganz aus, so dass der Entlassene ohnehin zu nichts verpflichtet war. Ein anderer Teil der Regelwerke, insbesondere der CC, das ABGB und das OR, sehen dagegen ein Ausgleichsverhältnis auch unter Nebenbürgen vor. Nach französischem Recht ist aber ein Rückgriffsanspruch gegen einen entlassenen Bürgen grundsätzlich nicht möglich. In der Schweiz kann ein solcher Regress nicht ausgeschlossen werden; häufig wird aber der verbleibende Mitbürge durch das Aufgabeverbot oder durch die Sonderregel des Art. 497 III OR anteilig oder ganz befreit, so dass es zum Regress nicht kommt. Nur in Österreich wird der Rückgriff gegen einen entlasse-
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IV. Regress und Regressvereitelung
nen Nebenbürgen durch § 1363 ABGB ausdrücklich für zulässig erklärt416. Diese Vorschrift wird aber auch in ihrem Heimatland vereinzelt kritisiert417. Nach den PEL Personal Security sowie dem DCFR ist ein Regress gegen einen entlassenen Mitbürgen nicht möglich418. Auch der Sache nach ist die Regresslösung nicht so naheliegend, wie sie in der Lehrbuch- und Kommentarliteratur dargestellt wird. Stets muss man sich vor Augen halten, dass jeder Nebenbürge dem Gläubiger vertraglich die Sicherung der gesamten Hauptschuld (gegebenenfalls mit Höchstbetragsbeschränkung) versprochen hat. Die vertraglichen Verbindlichkeiten der Nebenbürgen sind allein dadurch verknüpft, dass sie dieselbe Hauptschuld sichern. Schon der Regress unter Nebenbürgen an sich ist daher nicht selbstverständlich; eine Rechtsordnung könnte sich auch auf den Standpunkt stellen, dass jede Vertragspartei ihre Pflicht gegenüber ihrem Vertragspartner erfüllen muss, ohne von Drittverträgen profitieren zu können. Es ist in erster Linie die Gefahr der Gläubigerwillkür, die für eine Ausgleichung spricht. Die Gläubigerwillkür sollte auch, erkennt man eine Ausgleichspflicht grundsätzlich an, nicht durch nachträgliche Erlassvereinbarungen einen Mitbürgen zulasten der übrigen bevorzugen können. Diese Gefahr wird aber gerade durch die Vorschrift des § 776 gebannt. Diese ist ein starkes Indiz dafür, dass auch der BGB-Gesetzgeber einen Gesamtschuldregress gegen einen entlassenen Mitbürgen ausschloss. Die Mitbürgenentscheidung des Neunten Senats hat die Gewichte verschoben, indem das Regressproblem bei der Entlassung eines Nebenbürgen nicht mehr, wie in § 776 vorgesehen, zulasten des Gläubigers, sondern zulasten des entlassenen Mitbürgen gelöst wird. Ob der Gläubiger tatsächlich in dieser Weise geschützt werden muss, ist zweifelhaft. Er ist nicht dazu gezwungen, einen Bürgen zu entlassen. Stets steht es ihm frei, statt eines Erlasses einen nur ihn selbst bin416 Vgl. hierzu OGH SZ 56/21 (7.2.1983); OGH, ÖBA 1999, 154 (23.4.1998); OGH, ÖBA 2007, 316 (27.9.2006). In der Entscheidung vom 7.2.1983 wandte der OGH die Vorschrift auch im Verhältnis zwischen einem Bürgen und einem Mitschuldner an, welcher der verbürgten Schuld zur Sicherung beigetreten war. Zwischen den Parteien bestand hier offenbar ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis. Der dem Urteil vom 27.9.2006 zugrunde liegende Fall ähnelt dagegen dem der Mitbürgenentscheidung des BGH von 1992, weil die Bürgen sich nicht gemeinschaftlich verpflichtet hatten. Der OGH stellte hier ausdrücklich klar, dass § 1363 auch unter Nebenbürgen gelte. Die Anwendung der Vorschrift führte hier dazu, dass der entlassene Bürge zehn Jahre nach dem Erlass vom verbleibenden Nebenbürgen in Anspruch genommen werden konnte. 417 Koban, Regress (1904), 162, 175 f.; KBB/P. Bydlinski, ABGB (2007), § 1363 Rz 4 (kein Regress gegen den Entlassenen, auf dessen Bürgschaft der verbleibende Mitbürge nicht vertraut hatte). 418 Nach dem Wortlaut der PEL Personal Security könnte man dieses Ergebnis daraus folgern, dass Art. 1:110 für Mitbürgen die Gesamtschuldvorschriften der PECL für subsidiär anwendbar erklärt und ein Einzelerlass nach Art. 10:108 I PECL beschränkte Gesamtwirkung hat. Nach Ansicht der Verfasser kommt es aber gar nicht zu dieser Anwendung, weil sich die Lösung schon aus dem Aufgabeverbot des Art. 2:110 PEL Pers. Sec. ergibt, Böger, Comment § 10 zu Art. 1:110. In DCFR Art. IV.G-1:108 wird daher auf Art. III-4:109 (Äquivalent zu Art. 10:108 PECL) nicht mehr verwiesen. Die Lösung aber ist offenbar die gleiche: Der verbleibende Bürge kann seinen Schaden beim Gläubiger geltend machen, während der entlassene endgültig frei ist.
6. Die Besonderheiten des Mitbürgenregresses
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denden schuldrechtlichen Klageverzicht zu vereinbaren. Hierfür muss er aber bei der Entlassung klarstellen, dass Ausgleichsansprüche weiterer Mitsicherer weiterhin bestehen. Der Entlassene kann dann entsprechend disponieren; ein Recht auf völlige Befreiung hat er nicht. Die BGH-Lösung aber kann dazu führen, dass auch ein Bürge zum Ausgleich herangezogen wird, der bei der Entlassung an andere Bürgen nicht dachte oder der von den Mitbürgen überhaupt keine Kenntnis hatte. Damit wird ihm ein Schutz entzogen, den im Abtretungsrecht jeder gewöhnliche Schuldner hat, nämlich das Recht, sich auf eine Erlassvereinbarung mit seinem vermeintlich einzigen Gläubiger verlassen zu können. Angesichts dessen ist es fast schon erstaunlich, dass die heutige Literatur nahezu419 geschlossen der Mitbürgenentscheidung mit dem Argument zustimmt, dass die Ausgleichspflicht eines Nebenbürgen durch seine Entlassung nicht berührt wird420. Diese Haltung kann vielleicht damit erklärt werden, dass man den Regelfall vor Augen hat, in dem sich die Mitbürgen gemeinschaftlich verpflichtet haben oder zumindest voneinander wissen. In rechtsgeschäftlich vereinbarte Ausgleichsansprüche kann der Gläubiger tatsächlich nicht eingreifen. Die pauschale Regresslösung für alle Arten von Mitbürgen erspart die Mühe, das Bestehen und den Inhalt der rechtsgeschäftlichen Abreden unter den Mitbürgen zu ermitteln. Wie neuerdings Pecher eindringlich hervorgehoben hat421, handelt es sich bei der Haltung von Rechtsprechung und Literatur zum Nebenbürgenregress aber auch um eine Auswirkung der Gesamtschulddogmatik. Hier hat sich die Ansicht von einem gesetzlichen Schuldverhältnis durchgesetzt, das schon mit der Gesamtschuld entsteht, Mitwirkungspflichten eröffnet und vom Fortbestehen der Außenhaftung unabhängig ist. Da Mitbürgen nach § 769 Gesamtschuldner sind, wird dieses Modell ohne weiteres auf Nebenbürgen übertragen. Gerade hier erweist sich das Schuldgemeinschafts-Modell aber als besonders fragwürdig.
6. Die Besonderheiten des Mitbürgenregresses Nach dem Schuldgemeinschafts-Modell besteht unter den Gesamtschuldnern schon mit der Entstehung einer Gesamtschuld ein gesetzliches Schuldverhältnis, das Pflichten hervorbringt, die über die gegenüber dem Gläubiger bestehenden 419 Ablehnend aber Soergel/Pecher, § 769 Rz 8, 16, § 774 Rz 29, § 776 Rz 20; kritisch Rimmelspacher, WuB I F 1 a-11.00; skeptisch offenbar auch Staud/Horn, vgl. § 769 Rz 6, 8, § 774 Rz 49–50, § 776 Rz 9, 15. 420 Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rz 243 f., 398; Graf Lambsdorff/Skora, Bürgschaftsrecht, Rz 308; Lwowski, Kreditsicherung, Rz 403; Bülow, Kreditsicherheiten, Rz 1010; MüKo/ Habersack, § 769 Rz 8, § 776 Rz 5; Staud/Kaduk (1994), § 423 Rz 11; Staud/Noack, § 423 Rz 35, § 426 Rz 240; Erman/Ehmann, § 421 Rz 74, § 423 Rz 5, § 426 Rz 13; MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 9; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 109; Grunewald, LM § 774 BGB Nr. 24; Bayer, EWiR § 774 BGB 1/92, 869; Schürnbrand, Schuldbeitritt, 148; BamR/Rohe, § 774 Rz 14, § 776 Rz 6. 421 Soergel/Pecher (2007), § 769 Rz 1, 3, 8.
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IV. Regress und Regressvereitelung
Verpflichtungen hinausgehen können. Im Abschnitt zu den Schadensersatz-Gesamtschulden wurde dargestellt, dass die Annahme einer solchen Schuldgemeinschaft der Privatautonomie widerspricht, wenn die Verbindlichkeiten der Schuldner gegenüber dem Gläubiger oder zumindest eine von ihnen allein auf einem Vertrag beruhen422. Schuldet der regresspflichtige Gesamtschuldner S vertraglich, dann stützt sich der Regressanspruch des Mitschuldners R auf diesen, für ihn fremden, Vertrag. Dann ist es aber nicht zulässig, bei der Ausgestaltung des Regresses die Modalitäten der Vertragshaftung zu ignorieren. Da S nur aufgrund seines Vertrags Gesamtschuldner ist, bestimmt die vertragliche Haftung auch seine Einbeziehung in ein Ausgleichsverhältnis. Beruht umgekehrt die Haftung des regresssuchenden Mitschuldners R auf einem Vertrag, dann bedeutet die Annahme einer von S’ Außenhaftung unabhängigen Schuldgemeinschaft, dass allein der für S fremde Vertrag zwischen R und dem Gläubiger Pflichten des S hervorbringt, die über dessen Verpflichtungen gegenüber dem Gläubiger hinausgehen. Auch das ist mit der Privatautonomie und dem Verbot von schuldrechtlichen Verträgen zulasten Dritter nicht vereinbar. All dies gilt in besonderem Maße auch für den Regress unter Nebenbürgen. Das Gesamtschuldverhältnis entsteht, weil jeder Nebenbürge sich unabhängig vom anderen zu einer vertraglichen Leistung verpflichtet hat und die vertraglichen Verbindlichkeiten dieselbe Hauptschuld sichern. Wer als Nebenbürge Regress begehrt, will also von seiner rechtsgeschäftlich gegenüber dem Gläubiger eingegangenen Pflicht anteilig entlastet werden und beruft sich hierfür auf einen fremden Vertrag. Der Nebenbürgenregress kommt daher der Zulassung einer Versionsklage nahe: Der leistende Nebenbürge, der allein seine eigene vertragliche Pflicht gegenüber seinem Gläubiger erfüllt hat, macht geltend, dass diese Vertragserfüllung einem Dritten (dem anderen Bürgen) einen Vorteil verschafft hat, den der Dritte ausgleichen soll. Im Bereicherungsrecht ist ein Anspruch desjenigen, der eine Leistung an einen Zweiten erbringt und dadurch einem Dritten einen Vermögensvorteil zuwendet, grundsätzlich nicht möglich. Dies bedeutet zwar nicht, dass der Nebenbürgenregress systemwidrig ist. Schließlich wird er nicht als Bereicherungsanspruch verstanden. Die grundsätzliche Zulassung des Regresses rechtfertigt sich durch die Gefahr der Gläubigerwillkür. Doch die Besonderheiten des Nebenbürgenregresses als eines rechtsgeschäftlich nicht begründeten Bandes zwischen zwei unabhängigen Vertragsverhältnissen müssen bei seiner Ausgestaltung im Auge behalten werden. Die herrschende Lehre, die ohne weiteres ein gesetzliches Schuldverhältnis mit einem Strauß von Pflichten annimmt, wird dem nicht gerecht. Eine weitere Besonderheit des Mitbürgenregresses ist, dass neben dem Gläubiger und den Gesamtschuldnern noch eine weitere Person im Spiel ist, nämlich der Hauptschuldner. Im Falle zweier Bürgen handelt es sich also nicht um ein Drei-, sondern um ein Vierpersonenverhältnis. Im Regelfall ist der Hauptschuldner primär zuständig, die Last zu tragen. Jeder Bürge hat daher auch einen möglichen 422
Oben, 967 ff.
6. Die Besonderheiten des Mitbürgenregresses
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Rückgriffsanspruch gegen den Hauptschuldner. Hieraus ergibt sich ein Ineinandergreifen ganz unterschiedlicher Regressansprüche. Im Folgenden soll G der Gläubiger sein, S der Hauptschuldner und B1 und B2 die Bürgen, wobei stets B1 der an den Gläubiger leistende, regresssuchende Mitbürge ist. Hat B1 an den Gläubiger geleistet, kann er versuchen, Regress beim Hauptschuldner zu nehmen. Im Regelfall ist der Regress zweispurig. Ist B1 durch einen Vertrag, etwa ein Auftragsverhältnis, mit S verbunden, hat er einen vertraglichen Aufwendungsersatzanspruch, etwa aus § 670. Zusätzlich stellt ihm § 774 I die Gläubigerforderung gegen S zur Verfügung. Wegen § 774 I 3 kann B1 im Ergebnis die Gläubigerforderung nur insoweit in Anspruch nehmen, wie er im Innenverhältnis berechtigt ist. Die Struktur des Regresses ähnelt in diesem Fall dem Gesamtschuldregress aus § 426 I und II, nur die Beweislast ist verschoben: B1 kann ohne Nachweis des Innenverhältnisses aus der Gläubigerforderung vorgehen; S muss beweisen, dass B1 nach dem Innenverhältnis weniger oder gar nichts zusteht. Der Zessionsregress ist vorteilhaft, wenn für die Gläubigerforderung Vorzugsrechte oder Sicherheiten bestehen. Er hat aber den Nachteil, dass S nur insoweit in Anspruch genommen werden kann, wie er auch gegenüber dem Gläubiger gehaftet hätte; nach § 412 gelten zugunsten des S die §§ 404 ff. Daher kann in manchen Fällen auch der vertragliche Aufwendungsersatzanspruch günstiger sein, weil er unabhängig vom Bestehen der Gläubigerforderung lediglich verlangt, dass B1 die Aufwendungen für erforderlich halten durfte. Hat etwa der Schuldner dem von ihm beauftragten Bürgen pflichtwidrig nicht mitgeteilt, dass die Hauptschuld inzwischen nicht mehr besteht, etwa weil er selbst die Schuld gezahlt hat, dann kann der leistende Bürge Aufwendungsersatz verlangen, auch wenn seine Zahlung dem Schuldner nicht zugutekam. Der vertraglichen Rückgriffsanspruch ist unabhängig vom Fortbestehen der Gläubigerforderung und verjährt daher auch eigenständig. Dieselbe Regressstruktur besteht, wenn der Bürge als berechtigter Geschäftsführer ohne Auftrag handelte. Neben der übergegangenen Gläubigerforderung steht ihm ein Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 683, 670 zu. Auch hier ist es zumindest denkbar, dass dem leistenden Bürgen ein Anspruch gegen den Schuldner zusteht, obwohl dieser vom Gläubigerzugriff ohnehin frei war. Der Aufwendungsersatzanspruch des berechtigten Geschäftsführers verlangt keine Bereicherung des Geschäftsherrn. Voraussetzung wäre dann aber, dass schon die Verbürgung selbst eine Fremdgeschäftsführung darstellt, die dem Interesse und dem Willen des Schuldners entspricht, und der Bürge dann zur Zahlung gezwungen war. Doch nicht jeder, der sich für einen anderen verbürgt und dann an den Gläubiger leistet, handelt als Beauftragter oder berechtigter Geschäftsführer. Die Vorschrift des Art. 939 des Dresdener Entwurfs, wonach der leistende Bürge vom Hauptschuldner Regress nach den Vorschriften zur Geschäftsführung mit oder ohne Auftrag nehmen kann, wurde von der Ersten Kommission bewusst nicht übernommen: Solle die Vorschrift bedeuten, dass der Bürge Regress nehmen
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IV. Regress und Regressvereitelung
könne, soweit der Tatbestand des Auftrags oder der G.o.A. vorliege, besage sie lediglich Selbstverständliches. Sei aber gemeint, dass jeder auftragslose Bürge stets als negotiorum gestor handle, sei sie unrichtig. So könne sich ein Bürge etwa ohne Wissen des Schuldners gegenüber dem Gläubiger gegen eine Prämie verbürgen; dann sei er weder Beauftragter noch Geschäftsführer423. Der Gesetzgeber ging also davon aus, dass es Bürgen ohne Innenverhältnis gibt. Gerade diesen Bürgen sollte aber die Legalzession nach § 774 I zugutekommen. Ein Antrag von Windscheid, wonach der Forderungsübergang nur stattfinden sollte, soweit der Bürge einen Ersatzanspruch gegen den Hauptschuldner hat, wurde in der Ersten Kommission abgelehnt, weil sie einen Regress des Bürgen, der nicht als Beauftragter oder Geschäftsführer handelte, ausgeschlossen hätte424. Der Bürge, der weder als Beauftragter noch als Geschäftsführer ohne Auftrag handelt, sollte also nach Ansicht des Gesetzgebers allein mit Hilfe des Forderungsübergangs nach § 774 I Regress gegen den Hauptschuldner nehmen können. Einen Bereicherungsanspruch des Bürgen gegen den Hauptschuldner hielt die Erste Kommission für ausgeschlossen425. Nach dem Ersten Entwurf wäre hier nur die condictio sine causa in Gestalt des E I § 748 in Betracht gekommen; diese erforderte aber, dass die Bereicherung nicht vom Willen des Klägers getragen war426. Seitdem hat sich die Dogmatik des Bereicherungsrechts aber weiterentwickelt. Aus heutiger Sicht käme eine Rückgriffskondiktion des Bürgen in Betracht, weil er den Hauptschuldner rechtsgrundlos von seiner Haftung gegenüber dem Gläubiger befreit hat. Ein Teil der Literatur verneint allerdings wegen des Forderungsübergangs eine Bereicherung des Hauptschuldners427. Wie gezeigt428 ist dies aber keine zwingende Schlussfolgerung: Soweit der Forderungsübergang einen bestehenden Rückgriffsanspruch absichert, wie bei der Gesamtschuld oder der beauftragten Bürgschaft, wird der Regress aus dem vertraglichen oder gesetzlichen Innenverhältnis auch nicht deswegen in Frage gestellt, weil für den Schuldner lediglich der Gläubiger gewechselt hat. Bei der regressbestärkenden Subrogation handelt es sich nicht um einen gewöhnlichen Forderungsübergang wie im Falle der Abtretung; vielmehr wird der Schuldner durch die Leistung des Anderen befreit, der deswegen einen Rückgriffsanspruch hat; die eigentlich erloschene Gläubigerforderung wird allein zum Zweck dieses Regresses am Leben erhalten. Dieses Modell ist auch beim nicht geschäftsführenden Bürgen möglich: Er befreit durch die Leistung auf seine Bürgenverpflichtung zugleich den Schuldner, weswegen er eine Rückgriffskondiktion hat, die durch die an sich er423
Jakobs/Schubert, SR III, 495 f. Jakobs/Schubert, SR III, 497. 425 Jakobs/Schubert, SR III, 497. 426 E I § 748 (ZustOR § 273), siehe Jakobs/Schubert, SR III, 824 ff. 427 Oertmann, Schuldverhältnisse BT, § 774 Anm. 1 c; Gernhuber, Erfüllung, § 21 II 5; Dieckmann, Derivativregreß, 38, 341; Schlechtriem, Restitution II, Rz 7/233; Schims, Forderungsübergang, 106, 113; Soergel/Mühl/Hadding, § 812 Rz 30; Jauernig/Stadler, § 812 Rz 73; Coester-Waltjen, Jura 1997, 609; Wendehorst, Jura 2004, 510. 428 Oben, 429 f. 424
6. Die Besonderheiten des Mitbürgenregresses
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loschene Gläubigerforderung gesichert wird429. Im Ergebnis freilich ist es gleichgültig, ob man diesem Modell folgt oder annimmt, dass der nicht geschäftsführende Bürge allein aus der übergegangenen Gläubigerforderung vorgehen kann. Weil die Rückgriffskondiktion nach heutiger Ansicht die Einreden und Einwendungen des Schuldners gegen die Gläubigerforderung analog §§ 404 ff. unberührt lässt, ist sie als schwacher Bereicherungsregress im Zessionsregress bereits enthalten430. Unabhängig von der Konstruktionsfrage gilt daher, dass der Schuldner gegenüber dem nicht geschäftsführenden Bürgen nur insoweit haftet, wie er auch gegenüber dem Gläubiger gehaftet hat. Der Regress des leistenden Bürgen B1 gegen den Hauptschuldner S richtet sich also danach, ob zwischen ihnen ein rechtsgeschäftliches oder rechtsgeschäftsähnliches Verhältnis besteht. Ist das der Fall, kann B1 sowohl aus dem Innenverhältnis als auch aus der übergegangenen Forderung vorgehen. Ansonsten verbleibt B1 im Ergebnis nur ein Zessionsregress, der S nicht schlechter stellt, als wenn B1 nicht an G geleistet hätte. Kann oder will B1 nicht Rückgriff gegenüber S nehmen, kommt ein (anteiliger) Mitbürgenregress gegen B2 in Betracht. Dieser ist nach §§ 769, 426 stets zweispurig. B1 hat nach § 426 I einen eigenen Rückgriffsanspruch gegen B2, der durch die (anteilig) auf B1 übergegangene Gläubigerforderung gegen B2 gesichert ist. Soweit B1 sich des Zessionsregresses bedient, haftet B2 nur in dem Rahmen, in dem er auch gegenüber dem Gläubiger gehaftet hätte. Nach herrschender Lehre verhält es sich aber völlig anders, wenn B1 sich auf § 426 I beruft. Nach dem Schuldgemeinschafts-Modell ist B2, sofern nur zu irgendeinem Zeitpunkt eine Mitbürgschaft bestand, unabhängig vom Fortbestand seiner Außenhaftung zum Ausgleich verpflichtet. Sofern B1 und B2 als gemeinschaftliche Mitbürgen durch ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis verbunden sind, trifft es in der Tat zu, dass das Ausgleichsverhältnis vom Bestand und von den Modalitäten der Außenhaftung grundsätzlich unberührt ist. Die Vereinbarung einer gemeinsamen Schuldsicherung enthält zumindest stillschweigend auch eine Vereinbarung dazu, wie der eventuelle Ausfall aufgeteilt wird. Ist B2 danach gegenüber B1 zur anteiligen Übernahme des Ausfalls verpflichtet, kann er sich nicht darauf berufen, durch eine Erlassvereinbarung mit dem Gläubiger inzwischen von der Außenhaftung befreit zu sein. Auch eine Verjährung der Gläubigerforderung gegen B2 spielt keine Rolle, solange B1 im Rahmen der gemeinsamen Abmachung an den Gläubiger gezahlt hat. Tatsächlich ist es nicht einmal erforderlich, dass die Außenhaftung von B2 überhaupt wirksam entsteht. Sofern nur die gemeinsame Verbürgung mit intern anteiliger Lastentragung vereinbart war, schuldet B2 auch dann Regress, wenn er abredewidrig mit G nur eine Ausfallbürgschaft vereinbart oder 429
So auch Crome, Schuldverhältnisse, § 201 Fn. 12; Reinicke, VersR 1967, 2; ders., DB 1967, 851; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 64; von Olshausen, Gläubigerrecht, 182 f.; Dörner, MDR 1976, 709; Kim, Zessionsregreß, 79 f.; OLG Köln, JZ 1990, 343, 344 (26.1.1989). 430 Hierzu oben, 598 f.
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IV. Regress und Regressvereitelung
sich gar nicht verbürgt431. In all diesen Fällen beruht der Ausgleichsanspruch von B1 auf dem zwischen B1 und B2 geschlossenen Vertrag. Eine Berufung auf § 426 I (sofern zugleich ein Gesamtschuldverhältnis besteht) ist nicht erforderlich. Die Vorschrift bietet B1 den Vorteil, das Innenverhältnis nicht beweisen zu müssen, wenn er kopfteiligen Regress verlangt. Sofern aber ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis nachgewiesen wird, erscheint eine Verdoppelung der Anspruchsgrundlage unnötig. Selbst wenn man aber einen neben dem vertraglichen Ausgleichsanspruch bestehenden Anspruch aus § 426 I annehmen will, kann dieser keinen anderen Inhalt und keine andere Ausgestaltung (etwa bei der Verjährung) haben als der vertragliche, weil rechtsgeschäftlich „etwas anderes bestimmt“ ist432. Möglich ist auch, dass ein Mitbürge Regress nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag nehmen kann, etwa wenn er sich neben dem ersten Mitbürgen nur deshalb verpflichtet hat, um dem Gläubiger zusätzliche Sicherheit zu verschaffen und ihn dadurch von einem schon geplanten Zugriff auf den ersten abzuhalten. Wenn aber nach Ansicht des Gesetzgebers nicht jede Bürgenleistung als Geschäftsführung für den Hauptschuldner angesehen werden kann, dann kann auch nicht jede Verbürgung oder Bürgenleistung in Kenntnis einer schon bestehenden Bürgschaft als Fremdgeschäftsführung für den Mitbürgen gelten. Im Regelfall ist eine Verbürgung oder eine Leistung an den Gläubiger daher keine Geschäftsführung für einen Mitbürgen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn man das Institut der G.o.A. mit Wollschläger als allgemeines Ausgleichsinstrument einsetzt433. Danach führt ein Bürge mit der Befriedigung des Gläubigers stets ein Geschäft des Mitbürgen, und zwar in Höhe von dessen internem Anteil. Die Leistung an den Gläubiger entspreche dem Interesse des Mitbürgen, sofern der Sicherungsfall eingetreten sei, sofern also der Gläubiger auch auf den Mitbürgen hätte zugreifen können. Der Wille, ein Geschäft des Mitbürgen zu führen, liege immer vor, auch wenn der leistende Bürge von der Existenz des Mitbürgen nichts wisse, weil es nach § 686 unerheblich sei, ob sich der Geschäftsführungswille auf den Hauptschuldner oder den Mitbürgen beziehe434. Doch die Vorschrift des § 686 erklärt lediglich einen Irrtum über die Identität des Geschäftsherrn für unschädlich; sie beseitigt nicht das Erfordernis des Fremdgeschäftsführungswillens selbst. Bejaht man einen solchen Willen bei einem Bürgen, der gar nicht weiß, ob es Mitbürgen gibt, allein aus dem allgemeinen Grund, dass Bürgenleistungen auch Mitbürgen befreien, sofern es solche gibt, dann verzichtet man im Bereich der Schuldnermehrheiten endgültig auf die Tatbestandsvoraussetzungen des § 677. Konsequenterweise müsste Wollschläger auch bei der Konkurrenz von Schadensersatzpflichten das hier von ihm noch aufrechterhaltene Erfordernis, dass der Leistende die Verbindlichkeit des 431 432 433 434
Oben, 356 f. Oben, 293 ff. Hierzu oben, 892 ff. Wollschläger, Geschäftsführung, 110 ff.
6. Die Besonderheiten des Mitbürgenregresses
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anderen Schuldners zumindest kennen muss435, ebenfalls aufgeben, denn bei jeder Schadensersatzleistung besteht abstrakt die Möglichkeit, dass der Schaden auch von einer weiteren Person zu ersetzen war. Zu einem allgemeinen Ausgleich zuweisungswidriger Vermögenslagen ist das Institut der G.o.A. auch, wie schon dargestellt436, gar nicht geeignet. Eine Unterscheidung danach, ob der leistende Mitschuldner die fremde Verbindlichkeit kennt und ob der intern verpflichtete Mitschuldner der Leistung widerspricht, ist hier nicht sinnvoll. Will man einen Ausgleich unter mehreren schuldrechtlichen oder dinglichen Sicherern außerhalb des Gesamtschuldregresses vornehmen, ist der richtige Ort das Bereicherungs-, nicht das Geschäftsführungsrecht. Nach herrschender Lehre besteht zwischen Nebenbürgen, die durch kein rechtsgeschäftliches oder rechtsgeschäftsähnliches Innenverhältnis verbunden sind, jedoch ein gesetzliches Schuldverhältnis nach § 426 I, das autonome, vom Fortbestand der Außenhaftung unabhängige, Ausgleichsansprüche hervorruft. Ein gewisser Verdacht gegen die Richtigkeit dieser These ergibt sich schon daraus, dass mit diesem Ansatz die Fälle der gemeinschaftlichen Mitbürgen und der Nebenbürgen über einen Kamm geschoren werden, obwohl sie sachlich nur wenig gemeinsam haben. Eine vertragliche Ausgleichsvereinbarung, die bei gemeinschaftlicher Mitbürgschaft notfalls vermutet werden kann, ist etwas ganz anderes als ein vom Recht vorgesehener Ausgleich unter Schuldnern, die sich unabhängig voneinander gegenüber dem Gläubiger zur Sicherung einer Schuld verpflichtet haben und nur dadurch verbunden sind, dass es dieselbe Hauptschuld ist, die sie sichern. Hinzu kommt, dass eine Gleichbehandlung der Fälle mit und ohne besonderes Innenverhältnis im Verhältnis zwischen Bürge und Hauptschuldner gerade nicht stattfindet: Ohne Innenverhältnis gibt es dort nur den Zessionsregress. Ist B1 also weder mit dem Hauptschuldner noch mit B2 durch einen Vertrag oder nach den Regeln der G.o.A. verbunden, hat er nach herrschender Lehre gegen den Hauptschuldner nur einen Zessionsregress, während er sich gegenüber B2 auf ein gesetzliches Schuldverhältnis mit unabhängigen autonomen Ausgleichsansprüchen berufen kann. Diese Wertung erscheint nicht stimmig. Hat B1 erfolgreich anteiligen Rückgriff gegenüber B2 genommen, ist dieser an einem Rückgriff gegenüber dem Hauptschuldner interessiert. Sofern es zwischen B2 und S ein besonderes Innenverhältnis gibt, kann B2 wegen der an B1 geleisteten Zahlung in der Regel Aufwendungsersatz verlangen. Da der Hauptschuldner in Fällen der Inanspruchnahme von Bürgen häufig insolvent ist, stellt sich die Frage, ob B2 von Sicherheiten profitieren kann, die für die Hauptschuld bestellt waren. Nach § 774 I gingen die Hauptschuld und ihre akzessorischen Sicherheiten zunächst auf B1 über, als dieser an G leistete. Geht B1 nun mit Hilfe der Gläubigerforderung gegen B2 vor, nimmt er ihn als Bürgen des S in Anspruch, so dass mit der Zahlung des B2 an B1 die Hauptschuld mit den Sicherheiten nach § 774 I anteilig auf B2 übergeht. Dasselbe muss aber auch gelten, wenn B1 nicht 435 436
A.a.O., 73, 99 f., 122. Oben, 894 ff.
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IV. Regress und Regressvereitelung
mit Hilfe der übergegangenen Gläubigerforderung, sondern unter Berufung auf § 426 I Regress nimmt. Die Sicherheiten können nicht vollständig bei B1 verbleiben. Dass der Mitbürgenrückgriff stets zu einem anteiligen Übergang der Hauptschuld und insbesondere ihrer Sicherheiten führt, ist auch in Österreich437 und der Schweiz438 anerkannt, wird im deutschen Recht aber nur selten ausdrücklich hervorgehoben439. Allein die PEL Personal Security und der DCFR enthalten eine ausdrückliche Regel dieses Inhalts440.
7. Das Schuldgemeinschaftsmodell im Einzelnen a) Mitwirkungs- und Befreiungsansprüche Nach herrschender Lehre begründet schon das Gesamtschuldverhältnis als solches Mitwirkungspflichten unter den Gesamtschuldnern, die auf § 426 I gestützt werden441. Insbesondere soll jeder Gesamtschuldner bei Fälligkeit der Schuld anteilige Befreiungsansprüche gegen seine Mitschuldner haben. Solche Mitwirkungspflichten werden in Rechtsprechung und Literatur pauschal auch bei Mitbürgen angenommen442. Gerade bei Mitbürgen erscheint die Annahme von Mitwirkungspflichten aber als besonders unangemessen, weil neben den Bürgen auch der Hauptschuldner schuldet, der intern vorrangig haftet. Nach einer von der Literatur gebilligten 437 Koban, Regress, 176 Fn. 1; Rummel/Gamerith, ABGB, § 1358 Rz 4, § 1359 Rz 2; Schwimann/Mader/Faber, ABGB, § 1359 Rz 8. Ebenso OGH RdW 1998, 14 (28.8.1997); im konkreten Fall wurde der anteilige Übergang der Hauptschuld allerdings verneint, weil B1 seinen Regressanspruch gegen B2 an K abtrat und dieser den Anspruch gegen B2 mittels einer Aufrechnung durchsetzte. Warum dieser Umstand den Übergang verhindern sollte, ist nicht verständlich. 438 BGE 66 II 123, 127 (5.6.1940); BGE 94 III 1, 3 (2.4.1968); Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 497 OR Rz 44; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 497 OR Rz 55; BernK/Giovanoli, Art. 497 OR Rz 24 a; BasK/Pestalozzi, Art. 497 OR Rz 10. 439 Kremer, Mitbürgschaft, 152, 184 f.; Koban, Regress, 176 Fn. 1; Kanka, JhJb 87 (1938), 161, 180; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rz 393; dies., Kreditsicherung, Rz 413; Wernecke, Gesamtschuld, 147 Fn. 107. 440 PEL Personal Security, Art. 1:109; DCFR Art. IV.G-1:107. Darüber hinaus ordnet Abs. 2 dieser Vorschriften an, dass ein Bürge das vom Hauptschuldner im Regresswege Erlangte mit den Mitbürgen teilen muss, wenn diese mit ihrem Regress gegen den Hauptschuldner ausfallen; vgl. Böger, Comment § 13 zu Art. 1:109 der PEL. 441 Nachweise oben, 319 f. 442 In Fällen der gemeinschaftlichen Mitbürgschaft BGH NJW 1986, 3131, 3132 (15.5.1986); BGH NJW 1987, 374, 376 (23.10.1986); LG Flensburg, NJW-RR 1987, 440, 441 (13.8.1986); zu diesen Entscheidungen schon oben, 355 ff. Obiter auch RGZ 81, 414, 418 (27.2.1913); OLG Frankfurt, SeuffA 69 Nr. 76, S. 138 (9.10.1913); BGH WM 1963, 1249, 1250 (9.10.1963); OLG Stuttgart, ZIP 1990, 445, 446. Aus der Literatur speziell zu Mitbürgen Kremer, Mitbürgschaft, 175 f.; A. Blomeyer, JZ 1957, 444; Tiedtke, BB 1984, 22; ders., JZ 1987, 494; Meyer, JuS 1993, 561; Horn, DZWir 1997, 267; Staud/Horn, § 774 Rz 48, 51; Weber, Kreditsicherheiten, § 4 II; Bülow, Kreditsicherheiten, Rz 1026; MüKo/Habersack, § 774 Rz 25; Staud/Noack, § 426 Rz 233; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 243.
7. Das Schuldgemeinschaftsmodell im Einzelnen
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Rechtsprechung des BGH kann ein Mitbürge grundsätzlich schon dann Regress nehmen, wenn er einen unterhalb seines internen Anteils liegenden Teilbetrag an den Gläubiger geleistet hat: Auch wenn die Bürgenverbindlichkeiten fällig seien, bleibe es ungewiss, ob und in welchem Ausmaß der Gläubiger die Bürgen tatsächlich in Anspruch nehme, so dass dem leistenden Mitbürgen nicht zugemutet werden könne, mit seinem Regress zu warten, bis diese Ungewissheit behoben sei443. Damit hat sich der BGH zugleich gegen die Lösung entschieden, dem teilzahlenden Mitbürgen statt eines Regresses Befreiungsansprüche gegen die Mitbürgen in Höhe ihrer internen Anteile zu gewähren. Dies ist im Ergebnis auch richtig. Es ist nicht die Aufgabe von Mitbürgen, sich gegenseitig zur Leistung an einen Gläubiger zu zwingen, der vielleicht zunächst einmal den Hauptschuldner in Anspruch nehmen will444. In einem Großteil der Mitbürgenfälle werden Befreiungsansprüche daher von vornherein nicht relevant445. Aber auch außerhalb des Anwendungsbereichs der vom BGH entwickelten Regel erscheint die Herleitung von Mitwirkungs- oder Befreiungsansprüchen aus dem unter den Mitbürgen bestehenden Gesamtschuldverhältnis als verfehlt. Die Frage nach den Mitwirkungspflichten unter gemeinschaftlichen Mitbürgen wurde schon im Abschnitt zu den vertraglich vereinbarten Gesamtschuldverhältnissen besprochen446. Danach können sich Mitwirkungs- und Befreiungsansprüche nicht aus der Art der Außenhaftung ergeben, sondern nur aus dem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis, das ein Auftrags- oder Gesellschaftsverhältnis sein kann. Sofort fällige Befreiungsansprüche nach §§ 257, 670, ggf. i.V.m. § 713, entstehen aber nicht, weil die Verbindlichkeit jedes Mitbürgen im Innenverhältnis gerade gewollt ist. Auch die Fälligkeit der Gläubigerforderungen führt nach allgemeinen Regeln noch nicht zu einem Befreiungsanspruch447. Dieser entsteht nach der grundlegenden Wertung des § 775 erst im Fall einer Risikoerhöhung, etwa wenn dem Befreiungsgläubiger die Vollstreckung durch den Gläubiger droht oder sich die Vermögensverhältnisse des Befreiungsschuldners verschlechtern. Ein weiterer Fall ist die Beendigung des schuldrechtlichen Innenverhältnisses. Verbürgen sich Gesellschafter einer GmbH für die Gesellschaftsschuld, kann ein ausscheidender Gesellschafter daher von der Gesellschaft448 und im Ausnahmefall auch von den Mitgesellschaftern449 Befreiung von der Bürgenschuld verlangen. Sofern sich danach ein Befreiungsanspruch aus dem Innenverhältnis ergibt, spielt die Art der Außenhaftung keine Rolle. Wird 443
BGHZ 23, 361 (21.2.1957); hierzu oben, 350 ff. Vgl. oben, 632 ff., zur entsprechenden Frage bei Schadensersatz-Gesamtschuldnern. 445 So auch MüKo/Habersack, § 774 Rz 25. 446 Oben, 329 ff. 447 Anders Kanka, JhJb 87 (1938), 159 Fn. 35. 448 OLG Hamburg, ZIP 1984, 707 (3.2.1984); OLG Köln, NJW-RR 1995, 549 (13.7.1994); ähnlich schon BGH WM 1974, 214, 215 (16.1.1974); vgl. auch BGH WM 1989, 406, 407 (19.12.1988); LG Stuttgart, BB 1999, 2474 = NJW-RR 2000, 623 (2.3.1999); Staud/Horn, § 775 Rz 3; MüKo/Habersack, § 774 Rz 24, § 775 Rz 4; Staud/Noack, § 426 Rz 198. 449 OLG Hamburg, ZIP 1984, 707. 444
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IV. Regress und Regressvereitelung
etwa eine gemeinschaftliche Mitbürgschaft mit interner Aufteilung des Ausfallrisikos vereinbart, dann kann ein Mitbürge, gegen den der Gläubiger einen vollstreckbaren Titel erwirkt hat, von einem anderen auch dann anteilige Befreiung verlangen, wenn dieser abredewidrig mit dem Gläubiger nur eine Ausfallbürgschaft vereinbart oder sich gar nicht verbürgt hat450. Die Annahme von Befreiungsansprüchen, die sich schon aus dem Gesamtschuldverhältnis als solchem ergeben und mit Fälligkeit der Gläubigerforderung fällig sind, läuft diesen Wertungen zuwider. Offenbar will auch der BGH einen Befreiungsanspruch nicht schon bei Fälligkeit der Gläubigerforderung, sondern erst dann gewähren, wenn der Befreiung verlangende Mitbürge tatsächlich vom Gläubiger in Anspruch genommen wird451. Damit ist die richtige Richtung eingeschlagen; erforderlich ist aber eine genaue Abstimmung mit der Vorschrift des § 775. Haben sich etwa der Hauptschuldner, B1 und B2 gemeinschaftlich gegenüber dem Gläubiger verpflichtet, dann hat B1 nach § 775 gegen S nicht schon im Fall seiner Inanspruchnahme einen Befreiungsanspruch, sondern erst dann, wenn der Gläubiger gegen B1 ein vollstreckbares Urteil erwirkt hat (solange die sonstigen Tatbestandsmerkmale des § 775 nicht erfüllt sind). Ein Ergebnis, wonach B1 im Falle seiner Inanspruchnahme Befreiung von den Mitbürgen, nicht aber vom intern erstrangig zuständigen Hauptschuldner verlangen könnte, wäre aber nicht begründbar. Die Befreiungsansprüche gegenüber den gemeinschaftlichen Mitbürgen müssen also mit dem gegenüber dem Hauptschuldner abgestimmt werden. Solange man gegenüber dem Hauptschuldner an der Wertung des § 775 festhält, kann die bloße Inanspruchnahme durch den Gläubiger als solche auch keinen Befreiungsanspruch gegen die Mitbürgen begründen. Erwirkt G gegenüber B1 ein vollstreckbares Urteil (§ 775 Nr. I Nr. 4), hat B1 Befreiungsansprüche gegenüber S und B2. Ist S im Verzug (Nr. 3), besteht auch nur ein Befreiungsanspruch gegen S, weil sich die Risikolage im Verhältnis unter den Mitbürgen nicht geändert hat. Dasselbe gilt, wenn S fortzieht (Nr. 2) oder sich seine Vermögensverhältnisse verschlechtern (Nr. 1). Dafür hat B1 gegen B2 einen anteiligen Befreiungsanspruch, wenn sich die Vermögensverhältnisse von B2 verschlechtern (§ 775 I Nr. 1 analog). Wohl keine einschlägige Rechtsprechung gibt es zu dem Fall, dass B1 und B2 Nebenbürgen sind. Angesichts des Umstands, dass B1 gegenüber G vertraglich versprochen hat, für die gesamte Hauptschuld einzustehen, fragt es sich hier von vornherein, mit welchem Recht er von B2 verlangen können soll, ihn von seiner Vertragserfüllung anteilig zu entlasten. Sofern B1 schon an G geleistet hat, kann der Regress gegenüber B2 mit der Gefahr der Gläubigerwillkür und damit gerechtfertigt werden, dass die Leistung B2 einen Vorteil in Gestalt der Befreiung gegenüber G gebracht hat. Hieraus folgt aber nicht, dass B2, der allein gegenüber G eine vertragliche Verpflichtung eingegangen ist, von einem ihm fremden Drit450 451
Vgl. BGH NJW 1986, 3131 (15.5.1986); hierzu oben, 355 ff. BGH NJW 1986, 3131, 3132 (15.5.1986); BGH NJW 1987, 374, 376 (23.10.1986).
7. Das Schuldgemeinschaftsmodell im Einzelnen
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ten in Gestalt von B1 dazu genötigt werden kann, seinen Vertrag zu erfüllen, und sich im Ergebnis gleich zwei Gläubigern gegenübersieht. Zwar vermeidet ein Befreiungsanspruch, dass der Zugriff des Gläubigers darüber bestimmt, welcher Gesamtschuldner vorleisten muss und welcher nicht. Indem die herrschende Lehre so auch den letzten Rest von Gläubigerwillkür beseitigen will, verfolgt sie aber ein Ideal der vollkommenen Gleichbehandlung aller Schuldner, das es im Recht so nicht gibt452. Der Umstand, dass ein Gläubiger nach seiner Wahl auf mehrere Schuldner zugreifen kann, führt als solcher noch nicht zu Mitwirkungsund Befreiungsansprüchen453. Warum es gerade im Verhältnis von Nebenbürgen, die sich unabhängig voneinander vertraglich verpflichten, eine derart perfekte Gerechtigkeit geben soll, bleibt im Dunkeln. Auch in den Nachbarrechtsordnungen und in den europäischen Regelwerken sind Mitwirkungs- und Befreiungsansprüche unter Nebenbürgen unbekannt. Bestätigt wird diese Skepsis durch die Vorschrift des § 775. Danach hat ein Bürge überhaupt nur dann einen Befreiungsanspruch gegen den Hauptschuldner, wenn er sich im Auftrag des Schuldners oder als berechtigter Geschäftsführer verbürgt hat. Der nicht geschäftsführende Bürge, der sich etwa gegenüber dem Gläubiger gegen eine Prämie oder gegen den Willen des Hauptschuldners verbürgt hat, ist zwar im Verhältnis zum Hauptschuldner nur nachrangig verpflichtet (und kann deswegen gegen diesen nach seiner Leistung mit Hilfe der übergegangenen Forderung Regress nehmen), hat aber keinen Befreiungsanspruch, auch wenn das dazu führt, dass die Willkür des Gläubigers darüber entscheidet, ob der Bürge für den Hauptschuldner vorleisten muss oder nicht. Dann ist es aber schwer verständlich, warum ein solcher Befreiungsanspruch gegenüber einem Nebenbürgen bestehen soll, ein Anspruch, den das Gesetz noch dazu nicht einmal erwähnt. Wenn der Hauptschuldner davor geschützt wird, einen Fremden von seiner Verbindlichkeit befreien zu müssen, mit dem ihn kein Vertrag verbindet und der auch nicht im Interesse des Schuldners tätig wurde, dann muss ein entsprechender Schutz auch einem Mitbürgen zukommen. Haben S als Hauptschuldner und B2 als Bürge sich gemeinschaftlich gegenüber G verpflichtet und verbürgt sich später auch B1 für die Schuld des S, ohne von S und B1 beauftragt zu sein und ohne ihre Geschäfte führen zu wollen, dann würde die herrschende Lehre zum Ergebnis kommen, dass B1 nicht von S, wohl aber von B2 (anteilige) Befreiung verlangen kann. Dieses Ergebnis kann aber sachlich nicht begründet werden. Der Schutz, den ein Hauptschuldner vor aufgedrängten Bürgschaften genießt, muss erst recht für einen Mitbürgen gelten. Mitwirkungspflichten und Befreiungsansprüche unter Mitbürgen können sich nur aus einem rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis ergeben und bestehen daher nicht im Verhältnis unter Nebenbürgen454.
452 453 454
Vgl. oben, 990 f. Oben, 601 ff. Ebenso Kanka, JhJb 87 (1938), 168 f.; Soergel/Pecher, § 769 Rz 8, § 774 Rz 26.
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IV. Regress und Regressvereitelung
b) Die Einrede der Vorausklage und die Fälligkeit des Regressanspruchs Nicht ganz geklärt ist, ob ein leistender Bürge zuerst versuchen muss, Regress beim Hauptschuldner zu nehmen, bevor er seinen Mitbürgen in Anspruch nimmt. Das Problem stellt sich insbesondere in Fällen, in denen dem Mitbürgen B2 gegenüber dem Gläubiger die Einrede der Vorausklage (§ 771) zusteht, der andere Mitbürge B1 aber an den Gläubiger leistet, weil er die Einrede nicht erhoben oder auf sie verzichtet hat, und nun Regress gegenüber B2 nehmen will. Der Revisionsentwurf zum CMBC, der Hessische und der Bayerische Entwurf stellten ausdrücklich klar, dass ein Bürge seinen Rückgriff zuerst gegenüber dem Hauptschuldner geltend machen muss und nur dann sofort gegen den Mitbürgen vorgehen kann, wenn ein Ausnahmetatbestand zur Einrede der Vorausklage (insbesondere Insolvenz oder Abwesenheit des Hauptschuldners, vgl. § 773 BGB) vorliegt455. Das ABGB, das lediglich eine Einrede der vorherigen Mahnung des Schuldners kennt (§§ 1355 f.), lässt offen, ob diese Einrede auch beim Mitbürgenregress gilt. Nach Koban ist das der Fall: Der Mitbürgenregress dürfe dem Regressschuldner keine schwerere Verpflichtung auferlegen als die gegenüber dem Gläubiger übernommene. Sofern also einem Bürgen die Einrede der Vorausklage oder der Vorausmahnung gegenüber dem Gläubiger zustehe, könne er sie auch gegenüber dem Mitbürgenregress geltend machen456. Nach dem französischen CC könnte die Einrede der Vorausklage (Art. 2298, Art. 2021 a.F.) unzweifelhaft gegenüber dem Mitbürgenrückgriff aus Art. 2310 (Art. 2033 a.F.) erhoben werden, wenn es sich bei diesem lediglich um eine Subrogation i.S.d. Art.1251 handeln würde, was heute aber mehrheitlich verneint wird457. Art. 2310 (2033) verweist für die Voraussetzungen des Mitbürgenregresses auf Art. 2309 (2032) und scheint damit den Regress auch in bestimmten Fällen zuzulassen, in denen die Hauptschuld noch nicht fällig war, etwa wenn der leistende Bürge vom Gläubiger verklagt wurde oder der Hauptschuldner dem leistenden Bürgen Befreiung versprochen hatte458. Wenn selbst in diesen Fällen Regress genommen werden kann, steht dem Mitbürgenrückgriff offenbar auch die Einrede der Vorausklage nicht entgegen459. Das Schweizer OR behandelte die Frage zunächst ebenfalls nicht explizit. Soweit sich die Literatur dazu äußerte, war sie der Ansicht, dass die Einrede der Vorausklage (heute Art. 495 OR) auch gegenüber dem Mitbürgenregress aus Art. 497 OR erhoben werden könne460. Die Reform von 1941 brachte die Vorschrift des Art. 497 II 5 OR mit sich, wonach der Mitbürgenregress dem Rückgriff gegen den Hauptschuldner vorausgehen kann. Vielleicht sollte damit auch 455 456 457 458 459 460
CMBC-RevE 1811, IV 10 § 15 Nr. 4; HessE IV 2 Art. 608; BayE II Art. 886. Koban, Regress, 151 ff. Oben, 1111 f. Hierzu noch weiter unten im Text. In diesem Sinne Mestre, RTD civ 1981, 1, § 39. Vischer, ZSchwR 29 (1888), 58; Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 91 f.
7. Das Schuldgemeinschaftsmodell im Einzelnen
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die Einrede der Vorausklage ausgeschlossen werden. Die Vorschrift des Art. 496 II, wonach sogar selbstschuldnerisch haftende Bürgen grundsätzlich erst nach der Verwertung der Faust- und Forderungspfandrechte belangt werden können, gilt dagegen wahrscheinlich auch beim Mitbürgenregress entsprechend461. Auch in der deutschen Literatur wird die Frage der Subsidiarität des Mitbürgenregresses gegenüber dem Hauptschuldnerregress kaum angesprochen. Vereinzelt findet sich die These, dass B1 zunächst versuchen muss, Rückgriff beim Hauptschuldner zu nehmen, bevor er B2 belangt462. Die Grundlage dieser Regressbeschränkung aber bleibt unklar. Geht B1 mit Hilfe der nach § 774 II, 426 II auf ihn übergegangenen Gläubigerforderung gegen B2 vor, kann B2 nach § 404 selbstverständlich die Einrede der Vorausklage erheben. Sofern B1 einen eigenen Regressanspruch geltend macht, kommt es darauf an, ob zwischen B1 und B2 ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis besteht. Ist das der Fall, ist es eine Frage der Vertragsauslegung, ob ein Bürge seinen Mitbürgen auch schon vor dem Hauptschuldner in Anspruch nehmen kann463. Für die Auslegung kann es eine Rolle spielen, ob B1 und B2 eine einfache oder eine selbstschuldnerische Bürgschaft vereinbarten. Ob B2 aber tatsächlich nach seiner Vereinbarung mit dem Gläubiger die Einrede der Vorausklage hat oder nicht, kann den vertraglichen Regress nicht beeinflussen464. Sind B1 und B2 Nebenbürgen, legt das Modell einer Schuldgemeinschaft mit vom Außenverhältnis unabhängigen Ausgleichsansprüchen eine Lösung nahe, wonach B2 seine Einrede der Vorausklage dem Rückgriffsanspruch von B1 aus § 426 I nicht entgegenhalten kann. Hiergegen hat Glöckner eingewandt, dass es sich bei der Einrede der Vorausklage um ein allgemeines Haftungsprivileg handle, das B2 nicht im Wege des Gesamtschuldregresses entzogen werden dürfe. B1 müsse daher zuerst den Hauptschuldner ausklagen, bevor er B2 in Anspruch nehmen könne465. Die gleiche Lösung ergibt sich vom hier vertretenen Standpunkt aus, wonach B1 den Mitbürgen B2 nur deshalb zum Regress heranziehen kann, weil dieser einen Vertrag mit dem Gläubiger geschlossen hat, und es unzulässig ist, sich zur Regressbegründung auf den fremden Vertrag zu berufen, ohne dessen Ausgestaltung zu beachten. Unter Nebenbürgen gilt die Einrede der Vorausklage daher auch gegenüber dem Anspruch aus § 426 I466. Ein verwandtes Problem besteht, wenn der Mitbürge B1 zu einem Zeitpunkt an den Gläubiger leistet, zu dem die Hauptschuld und die Bürgenverpflichtun461
So Scyboz, Bürgschaft, 455; offen gelassen in BGE 94 III 1, 3 f. (2.4.1968). Rudorff, AcP 101 (1907), 403; MüKo/Habersack, § 774 Rz 25; Bülow, Kreditsicherheiten, Rz 1024; früher auch MüKo/Pecher (1986), § 774 Rz 23 f. 463 Ebenso Kanka, JhJb 87 (1938), 161, 167 f., 179; Soergel/Pecher, § 769 Rz 8, § 774 Rz 24. 464 So zu Recht MüKo/Pecher (1986), § 774 Rz 23; Soergel/Pecher, § 769 Rz 8. 465 Glöckner, Gesamtschuldvorschriften, 88 f., 218, 225 f. 466 Im Ergebnis ebenso Kanka, JhJb 87 (1938), 179, und Soergel/Pecher, § 774 Rz 29, nach denen Nebenbürgen von vornherein nur Regress mit Hilfe der zedierten Gläubigerforderung nehmen können. 462
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IV. Regress und Regressvereitelung
gen zwar erfüllbar, aber noch nicht fällig sind, etwa wenn der Gläubiger dem Hauptschuldner Stundung gewährt hatte (§ 271 II). Eine Sonderrolle nimmt hierzu der Code Civil ein, der die Voraussetzungen des Mitbürgenregresses nach Art. 2310 (Art. 2033 a.F.) von den Voraussetzungen des Befreiungsanspruchs des Bürgen gegen den Hauptschuldner (Art. 2309, Art. 2032 a.F.) abhängig macht. Nach wörtlicher Auslegung ergibt sich die merkwürdige Regelung, dass ein Bürge in bestimmten Fällen auch schon vor Fälligkeit der Hauptschuld Regress gegen seine Mitbürgen nehmen kann, etwa wenn der Hauptschuldner insolvent ist, wenn er dem leistenden Bürgen Befreiung versprochen hatte oder wenn zehn Jahre seit der Verbürgung verstrichen sind. Diese Unstimmigkeit wird in der Literatur zwar zur Kenntnis genommen und kritisiert, aber zumeist als geltendes Recht hingenommen467. Das heutige Schweizer OR bestimmt, dass der Bürge, der den Gläubiger vor der Fälligkeit der Hauptschuld befriedigt, Rückgriff gegen den Hauptschuldner erst nach Eintritt der Fälligkeit nehmen kann468. Nach Ansicht der Literatur gilt die Vorschrift entsprechend für den Regress gegen weitere Bürgen, die ebenso wie der Hauptschuldner nicht zu einer Leistung vor Fälligkeit ihrer Schuld gezwungen werden sollen469. Eine Vorschrift dieses Inhalts hatte schon der bayerische CMBC enthalten470. Will B1 nach deutschem Recht mit Hilfe der auf ihn übergegangenen Gläubigerforderung Regress gegenüber dem Hauptschuldner S nehmen, kann S seine Einrede der mangelnden Fälligkeit nach § 404 auch gegenüber B1 geltend machen, so dass ein Regress erst zum Fälligkeitszeitpunkt durchsetzbar ist. Ein früherer Regress ist nur möglich, wenn B1 und S durch ein besonderes Innenverhältnis verbunden sind, weil der Aufwendungsersatzanspruch aus § 670 lediglich verlangt, dass der Beauftragte die Aufwendung für erforderlich halten durfte471. Dies wäre etwa dann denkbar, wenn S den von ihm beauftragten B1 pflichtwidrig in Unkenntnis über den hinausgeschobenen Fälligkeitstermin gelassen hätte. Ein Zessionsregress gegen den Mitbürgen B2 ist wie der Zessionsregress gegen S erst mit Fälligkeit der Hauptschuld durchsetzbar. Auch in diesem Verhältnis wäre ein früherer Regress auf der Basis eines rechtsgeschäftlichen Innenverhältnisses möglich. Sind B1 und B2 aber Nebenbürgen, muss es dabei bleiben, dass B2 erst zum Fälligkeitszeitpunkt zum Regress herangezogen werden kann, weil kein Grund dafür besteht, seine Stellung durch die vorzeitige Zahlung des B1 zu verschlechtern. Es wäre widersprüchlich, bei Fehlen jeglichen Innenverhältnisses B1 vor Fälligkeit einen Regress gegenüber S zu versagen, aber gegenüber B2 zu gewähren. Zur hier vertretenen Lösung kommt aber auch die herrschende Lehre,
467 Aus dem 19. Jahrhundert Demante/Colmet, Cours VIII, § 266 bis IV; aus heutiger Zeit Simler, Cautionnement, § 642. 468 OR 1941, Art. 504 III. 469 Gut, Solidarbürgschaft, 92; Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 504 OR Rz 6; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 504 OR Rz 3. 470 CMBC IV 10 § 15 Nr. 7. 471 I.E. ebenso Kanka, JhJb 87 (1938), 159 Fn. 35.
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soweit sie für den Ausgleichsanspruch aus § 426 I die Fälligkeit der Gläubigerforderung verlangt472. Gewährt der Gläubiger allein dem Bürgen B2 eine Stundung und nimmt dann den anderen Bürgen B1 in Anspruch, gilt grundsätzlich dasselbe wie im Fall der Entlassung eines Bürgen. Ein sofort fälliger Zessionsregress gegenüber B2 ist nicht möglich, weil B2 der Gläubigerforderung nach § 404 die Einrede der Stundung entgegenhalten kann473. Sofern zwischen den Bürgen ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis besteht, kommt es auf die Außenhaftung nicht an, so dass B2 gegenüber dem vertraglichen Ausgleichsanspruch von B1 nicht einwenden kann, inzwischen mit dem Gläubiger eine allein für ihn selbst geltende Stundung vereinbart zu haben. Handelt es sich aber um Nebenbürgen, müssen die Modalitäten der Außenhaftung auch beim Regress beachtet werden. Die herrschende Lehre würde dem vielleicht zustimmen, wenn die Stundung von Anfang an zwischen B2 und dem Gläubiger vereinbart war, weil sie anfängliche Haftungsbeschränkungen in der Regel auch beim Gesamtschuldregress berücksichtigt474. Wurde die Stundung dagegen erst nachträglich vereinbart, ist nach dem Schuldgemeinschaftsmodell zunächst einmal ein unbeschränktes gesetzliches Schuldverhältnis unter den Bürgen entstanden, in das der Gläubiger durch die Stundungseinrede nicht mehr eingreifen kann. Die ältere Literatur hatte freilich teilweise noch angenommen, dass der andere Mitbürge B1 sich nach § 776 auf die Stundung berufen und damit nur anteilig in Anspruch genommen werden kann475. Sie ging also davon aus, dass der Mitbürge B2, dessen Schuld gestundet wurde, vor der Fälligkeit seiner Verbindlichkeit auch nicht zum Regress herangezogen werden konnte. Folgt man aber dem Mitbürgenurteil des BGH von 1992476, kann die Stundungsvereinbarung am sofort fälligen Rückgriffsanspruch des anderen Bürgen B1 nichts ändern, so dass § 776 gar nicht zum Einsatz kommt477. Dem Mitbürgen B2 wird damit ein Recht genommen, das ein gewöhnlicher Schuldner immer hat, nämlich sich auf eine Vereinbarung mit seinem vermeintlich einzigen Gläubiger verlassen zu können. Die Schlechterstellung beruht allein auf der Tatsache, dass auch B1 eine Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger 472
So ausdrücklich insbesondere Selb, EWiR § 426 BGB 1/88, 140; Staud/Noack, § 426 Rz 22; Schwedhelm, Gesamtschuldverhältnis, Rz 142; OLG München, VersR 2008, 974 (2.4.2008); siehe auch MüKo/P. Bydlinski, § 426 Rz 23; Erman/Ehmann, § 426 Rz 17. Dieses Erfordernis müsste sich auch aus den Prämissen der herrschenden Lehre ergeben, dass ein Befreiungsanspruch aus § 426 I erst mit Fälligkeit der Gläubigerforderung fällig und der Rückgriffsanspruch ein „verwandelter“ Befreiungsanspruch ist. 473 Wohl nicht haltbar Staud/Horn (1986), § 776 Rz 6, wonach die Stundungsabrede wegen ihres persönlichen Charakters nicht nach § 774 II übergehen könne. 474 Oben, 969, 974, und unten, 1214 f. 475 Schulz, Rückgriff, 80; Oertmann, Schuldverhältnisse BT, § 776 Anm. 2 b; Kanka, JhJb 87 (1938), 195; Staud/Brändl (1959), § 774 Rz 18, § 776 Rz 3 b; anders aber schon vor 1992 Staud/ Horn (1986), § 776 Rz 6. 476 BGH NJW 1992, 2286 (11.6.1992), oben, 1173 ff. 477 Staud/Horn (1997), § 776 Rz 9.
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IV. Regress und Regressvereitelung
übernahm. Nur weil B1 von seiner vertraglich eingegangenen Verbindlichkeit anteilig entlastet werden will, soll für B2 das zwischen ihm und dem Gläubiger Vereinbarte im Ergebnis nicht mehr gelten. Da B1 sich für den geltend gemachten Gesamtschuldregress auf nichts anderes berufen kann als auf den Vertrag zwischen B2 und G, muss er auch die Modalitäten der Vertragshaftung des B2 gegen sich gelten lassen. Richtiger Ansicht nach kann B2, der mit dem Gläubiger eine Stundung vereinbart hatte, auch im Regressweg nicht vor Fälligkeit seiner Verbindlichkeit in Anspruch genommen werden. Die Gefahr der Willkür des Gläubigers, der auf diese Weise den Regress des anderen Mitbürgen auf unbestimmte Dauer aufschieben könnte, wird durch § 776 gebannt. Beruft sich B1 auf diese Vorschrift, wird er aber nicht in Höhe des Anteils von B2 endgültig befreit; vielmehr kann er für diesen Betrag erst ab dem in der Stundungsabrede vereinbarten Fälligkeitstermin in Anspruch genommen werden478.
c) Befreiungen von der Bürgenhaftung Nach dem Schuldgemeinschaftsmodell entsteht schon mit Begründung der Gesamtschuld ein gesetzliches Schuldverhältnis unter den Gesamtschuldnern, das von der fortdauernden Außenhaftung unberührt ist und in das der Gläubiger nicht mehr eingreifen kann. Für Mitbürgen trifft das aber in dieser Allgemeinheit nicht zu. Die Gesamtschuld entsteht nur deshalb, weil jeder Mitbürge sich gegenüber dem Gläubiger vertraglich als Bürge verpflichtet hat. Grundlage der Verbindlichkeit jedes Schuldners ist daher das Bürgschaftsrecht, dessen Wertungen nicht durch die Annahme eines gesetzlichen Schuldverhältnisses unterlaufen werden können. So wird der Bürge nach § 776 frei, wenn der Gläubiger eine vom Schuldner bestellte dingliche Sicherheit aufgibt, aus welcher der Bürge seinen Regressanspruch hätte befriedigen können. Die Bedeutung dieser Vorschrift hat in den letzten Jahren zugenommen, seit der BGH eine pauschale Abdingung durch AGB nicht mehr für zulässig hält479. Die Befreiung muss aber, um ihre Wirkung zu entfalten, auch gegenüber Regressansprüchen von Nebenbürgen gelten. Hat G eine von S bestellte Sicherheit aufgegeben und kann er trotzdem B1 belangen, weil dieser durch Individualabrede auf den Schutz des § 776 verzichtet oder der Aufgabe zugestimmt hat, dann wäre es mit der Wertung des § 776 nicht vereinbar, wenn B1 anteiligen Regress bei B2 nehmen könnte, obwohl B2 gegenüber G die Einrede aus § 776 gehabt hätte480. Sofern B1 gegenüber B2 die übergegangene Gläubigerforderung geltend macht, steht B2 die Einrede ohnehin nach § 404 zu. Im Ergebnis dasselbe muss aber gelten, wenn B1 sich auf § 426 I beruft.
478 479 480
So zu Recht Oertmann, Schuldverhältnisse BT, § 776 Anm. 2 b. BGHZ 144, 52 (IX, 2.3.2000). Im Ergebnis ebenso Kanka, JhJb 87 (1938), 181; Soergel/Pecher, § 774 Rz 29.
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Ähnlich verhält es sich bei der Vorschrift des § 777. Danach wird bei einer Zeitbürgschaft der Bürge frei, wenn der Gläubiger nach Ablauf der vereinbarten Zeit nicht unverzüglich die Einziehung gegenüber dem Hauptschuldner betreibt bzw. bei der selbstschuldnerischen Bürgschaft dem Bürgen anzeigt, dass er ihn in Anspruch nimmt. Bei Mitbürgen ist der Fall denkbar, dass G nach Ablauf der Zeit nur Schritte gegenüber B1 unternimmt, nicht gegenüber B2, oder dass nur B2 Zeitbürge ist. Einen solchen Fall hatte das Reichsgericht 1935 zu entscheiden481. G nahm B1 in Anspruch, der sich wegen der Befreiung von B2 nach § 777 seinerseits auf § 776 berief. Nach Ansicht des Gerichts hatte G sein Recht gegen B2 zwar verloren, aber nicht im Sinne des § 776 aufgegeben, so dass B1 der Einwand nicht zustand. Das Urteil legt nahe, dass B1 im Ergebnis nun regresslos auf das Ganze haften musste. Schließlich, so das Gericht, hätte B1 diesen Schaden abwenden können, indem er rechtzeitig G befriedigt und sogleich B2 in Anspruch genommen hätte. Im zu entscheidenden Fall handelte es sich freilich um gemeinschaftliche Mitbürgen in Gestalt von Gesellschaftern, die sich in gleicher Weise für die Schuld der GmbH verbürgt hatten. Ob B1 wirklich regresslos auf das Ganze haftete, ist daher zweifelhaft: Vereinbaren B1 und B2, sich gemeinsam auf eine bestimmte Zeit zu verbürgen, dann ist offenbar ein Lastenausgleich unabhängig davon vereinbart, ob der Gläubiger nach Ablauf der Zeit den einen oder den anderen belangt. Gerade weil sich die Bürgen gemeinschaftlich verpflichtet hatten, war es aus Sicht des Gläubigers auch nicht erforderlich, beiden die Anzeige nach § 777 zu machen. Seinen rechtsgeschäftlichen Rückgriffsanspruch hatte B1 daher offenbar gar nicht verloren, so dass seine Haftung auf das Ganze gerechtfertigt war. Anders würde es sich aber bei Nebenbürgen verhalten. Wer eine Bürgschaft auf Zeit eingeht, kann den Schutz des § 777 nicht dadurch verlieren, dass sich auch ein anderer für dieselbe Verbindlichkeit verbürgt hat. B1 hätte dann tatsächlich keinen Regress gegen B2. In diesem Fall fragt es sich aber, ob B1 nicht durch § 776 geschützt werden sollte, zumindest dann, wenn die unterlassene Rechtsverfolgung gegenüber B2 nicht auf Nachlässigkeit, sondern auf einer bewussten Entscheidung des Gläubigers beruht. Die Nichtbelangung von B2 kommt dann, so könnte argumentiert werden, einem Erlass gleich. Wie man sich hier auch entscheidet, in jedem Fall kann der Konflikt nicht zulasten des B2 gelöst werden, indem er trotz seiner Befreiung nach § 777 zum Ausgleich herangezogen wird. Eine gesetzliche Schuldgemeinschaft, die sich über die Grenzen des § 777 hinwegsetzt, wurde vom Reichsgericht zu Recht nicht erwogen. Die Befreiung nach § 776 oder § 777 bedeutet also auch eine Befreiung von gesetzlichen Regressansprüchen. Die Vorstellung einer von Anfang an bestehenden autonomen Schuldgemeinschaft, die von Ereignissen im Außenverhältnis unberührt bleibt, setzt sich über die spezifischen Wertungen des Bürgschaftsrechts hinweg. Stets ist im Auge zu behalten, dass das Ausgleichsverhältnis unter Nebenbürgen allein dadurch entsteht, dass jeder von ihnen sich gegenüber dem 481
RG Warn 1935 Nr. 178 = SeuffA 90 Nr. 41 (7.10.1935).
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IV. Regress und Regressvereitelung
Gläubiger vertraglich als Bürge verpflichtet hat. Daher müssen die Ausgestaltungen dieser Vertragshaftungen, insbesondere die Vorschriften des Bürgschaftsrechts, auch beim Regress beachtet werden. Schließlich stellt sich die Frage, ob das Aufgabeverbot des § 776 auch für den regressnehmenden Mitbürgen gilt. Leistet B1 an den Gläubiger, geht auf ihn nach § 774 I die Forderung gegen den Hauptschuldner und damit auch eine vom Schuldner bestellte dingliche Sicherheit über. Nimmt B1 dann anteilig Regress bei B2, gehen Hauptschuld und Sicherheit anteilig auf B2 über. Hat B1 aber die Sicherheit freigegeben, bevor er B2 belangte, kann sie nicht mehr auf B2 übergehen, so dass diesem die Gefahr droht, seinen Regress gegen den Hauptschuldner nicht durchsetzen zu können. Gegenüber einem Zessionsregress ist B2 geschützt, weil er gegen die Gläubigerforderung die Einwendung nach § 776 erheben kann. B1 könnte sich aber auf seinen eigenen Rückgriffsanspruch aus § 426 I berufen. Denkbar wäre auch, dass B1, nachdem er an den Gläubiger geleistet hat, den Hauptschuldner entlässt und damit einen späteren Zessionsregress des B2 gegenüber S vereitelt. Ein Zessionsregress durch B1 gegenüber B2 bestünde dann wegen der Akzessorietät der Bürgenhaftung nicht mehr, vielleicht aber ein Rückgriff aus § 426 I. Zum französischen Recht wird die Ansicht vertreten, das Aufgabeverbot des Art. 2314 (Art. 2037 a.F.) gelte nicht für den Mitbürgenregress aus Art. 2310 (Art. 2033 a.F.), weil der regressnehmende Mitbürge anders als beim Subrogationsregress nicht die Stellung des Gläubigers einnehme482. Dies ist aber eine rein formale Begründung, die nicht erklärt, warum der regressnehmende Mitbürge mehr Rechte haben soll als der Gläubiger. In der Schweiz hat sich das Bundesgericht zweimal mit dem Problem der Pfandaufgabe durch einen Mitbürgen beschäftigen müssen483. Nach Ansicht des Gerichts betrifft das heute in Art. 503 OR enthaltene Aufgabeverbot nur das Verhältnis zwischen Gläubiger und Bürge. Der an den Gläubiger leistende Mitbürge sei aber als Beauftragter oder, zahle er ohne Auftrag, als Geschäftsführer ohne Auftrag anzusehen. Er sei daher verpflichtet, die Interessen des Geschäftsherrn in Gestalt des anderen Mitbürgen zu bewahren und daher keine Sicherheiten aufzugeben, die er erhalten hat und die der Mitbürge für seinen Regress gegen den Hauptschuldner benötigt. Verstoße er durch Freigabe der Sicherheiten gegen diese Pflicht, sei er gegenüber dem Mitbürgen zum Schadensersatz in Höhe des Regressausfalls verpflichtet. Die Schweizer Literatur kommt zum selben Ergebnis, indem sie das Aufgabeverbot des Art. 503 OR analog auf den Mitbürgenregress anwendet484. Die PEL 482
Simler, Cautionnement, §§ 638, 806. BGE 66 II 123, 126 ff. (5.6.1940); BGE 94 III 1, 3 f. (2.4.1968). 484 So schon ZürK/Oser (1915), Art. 509 OR Anm. 2 c; siehe auch Vischer, ZSchwR 29 (1888), 55 ff.; zum heutigen Recht Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 497 OR Rz 44, Art. 503 OR Rz 11; ZürK/ Oser/Schönenberger, Art. 497 OR Rz 55, Art. 503 OR Rz 26; BernK/Giovanoli, Art. 497 OR Rz 24 a, Art. 503 OR Rz 17; BasK/Pestalozzi, Art. 497 OR Rz 10, Art. 503 OR Rz 12; Scyboz, Bürgschaft, 453; von Büren, OR BT, 300; Guhl/Schnyder, OR, § 57 Rz 64. Wie berichtet wird das Aufgabeverbot des Art. 503 OR als Schadensersatzanspruch verstanden, oben, 1152 f. 483
7. Das Schuldgemeinschaftsmodell im Einzelnen
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Personal Security und der DCFR kennen eine ausdrückliche Vorschrift dieses Inhalts485. Das Reichsgericht hatte 1905 einen Fall zu entscheiden, in dem der Hauptschuldner S dem Mitbürgen B1 zur Sicherung seiner Rückgriffsforderung gegen S eine Hypothek bestellt hatte. B1 leistete an den Gläubiger, bewilligte die Löschung der Hypothek und nahm B2 auf anteiligen Regress in Anspruch. Das Reichsgericht entschied, dass B2 dem Rückgriffsanspruch nicht die Aufgabe der Hypothek entgegenhalten könne. Ein Mitbürge dürfe eine ihm selbst vom Hauptschuldner bestellte besondere Sicherheit einseitig aufgeben486. Tatsächlich sicherte die Hypothek hier weder die Hauptschuld noch eine Bürgenverpflichtung, sondern den Rückgriffsanspruch von B1 gegen S. B2 hätte die Sicherheit daher weder durch Leistung an den Gläubiger noch durch eine Regressleistung an B1 erwerben können. Die Aufgabe vereitelte daher keinen Rechtsübergang nach § 774. Das Ergebnis der Entscheidung kann damit gerechtfertigt werden, dass die Sicherheit, die für den Rückgriff des B1 gegenüber dem Hauptschuldner bestellt wurde, den Mitbürgen B2 nichts angeht: Weil er nicht (als Rückbürge) den Rückgriffsanspruch des B1 gegen den Hauptschuldner sicherte, kann er auch die für diese Forderung bestellte Sicherheit nicht beanspruchen. Etwas anderes gälte nur, wenn B1 und B2 durch ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis verbunden wären und in diesem Rahmen vereinbart hätten, dass die Sicherung auch B2 zugutekommen sollte487. In der Literatur wird die Entscheidung des Reichsgerichts häufig für den Satz in Anspruch genommen, dass § 776 im Verhältnis unter den Mitbürgen nicht anwendbar sei488. In dieser Pauschalität ist die Behauptung aber unrichtig. Über Sicherheiten, die der Hauptschuldner für seine eigene Verbindlichkeit gegenüber dem Gläubiger bestellte, hat das Reichsgericht nicht entschieden. Eine Aufgabe solcher für die Hauptschuld bestellten Sicherheiten durch B1 verhindert den Sicherheitserwerb durch B2 und muss diesen daher, wie ein anderer Teil der Literatur zu Recht hervorhebt489, nach der Wertung des § 776 insoweit befreien, wie er sich aus der Sicherheit hätte befriedigen können. Bei gemeinschaftlicher Mitbürgschaft entscheidet das Innenverhältnis, ob B2 sich auf die Aufgabe berufen kann490. Bei einer Nebenbürgschaft aber muss B2 der Einwand aus § 776 auch gegenüber einem Rückgriffsanspruch aus § 426 I zustehen. Der Umstand, dass das Gesetz dem Mitbürgen nicht nur einen Zessionsregress, sondern auch einen eige485
PEL Personal Security, Art. 1:109 I 2; DCFR Art. IV.G-1:107 I 2. RG Gruch 50, 657 = JW 1905, 486 Nr. 3 (17.6.1905). 487 So auch das RG, a.a.O.; Planck/Oegg, § 776 Anm. 8; Soergel/Pecher, § 769 Rz 8. 488 Planck/Oegg, § 776 Anm. 8; Cohn, JW 1906, 411; Staud/Engelmann (1929), § 776 Anm. 2 h; Staud/Brändl (1959), § 776 Rz 6; RGRK/Mormann (1978), § 776 Rz 3; Soergel/Mühl (1985), § 776 Rz 13; Staud/Horn (1997), § 776 Rz 23. 489 Oertmann, Schuldverhältnisse BT, § 776 Anm. 4 b; Staub/Koenige/Pinner/Bondi, HGB (1921), § 349 Anm. 51; Kanka, JhJb 87 (1938), 181; MüKo/Pecher (1986), § 776 Rz 3. 490 Soergel/Pecher, § 769 Rz 8; vgl. auch Kremer, Mitbürgschaft, 184 f., nach dem hier ein Schadensersatzanspruch des B2 gegen B1 in Betracht kommt. 486
1202
IV. Regress und Regressvereitelung
nen Rückgriffsanspruch in Gestalt des § 426 I gewährt, kann nicht dazu führen, dass unter Berufung auf ein vermeintlich autonomes Ausgleichsverhältnis die Wertungen des Bürgschaftsrechts außer Kraft gesetzt werden.
d) Verjährungsfragen Verjährt die Hauptschuld, können auch die Bürgen B1 und B2 gegen eine Inanspruchnahme aus ihren Bürgschaftsverpflichtungen die Verjährungseinrede erheben. Leistet B1 nach Verjährung der Hauptschuld, leistet er also auf eine eigene einredebehaftete Verbindlichkeit. Nach § 214 II kann er das Geleistete nicht vom Gläubiger zurückfordern, auch wenn er in Unkenntnis der Verjährung leistete. Dann stellt sich die Frage, ob er Regress gegenüber dem Hauptschuldner S nehmen kann. Nach einer Reihe älterer Regelwerke sollte der Hauptschuldner, wenn der Bürge geleistet hatte, ohne ihn zu benachrichtigen, dem Bürgenregress alle Einwendungen entgegensetzen können, die er auch gegenüber dem Gläubiger gehabt hätte491. War die Hauptschuld verjährt, konnte der Hauptschuldner also entweder dem Bürgen die Leistung untersagen oder gegenüber dem Bürgenregress die Verjährungseinrede erheben. Nach Art. 502 III des Schweizer Obligationenrechts ist der Regress des Bürgen gegen den Hauptschuldner ausgeschlossen, soweit er es unterlassen hat, Einreden des Hauptschuldners geltend zu machen, durch die er sich hätte befreien können, sofern er nicht nachweist, die Einreden ohne Verschulden nicht gekannt zu haben. Die Vorschrift schließt offenbar sowohl einen Subrogationsregress als auch einen Aufwendungsersatzanspruch aus. Hatte der Bürge die Einrede ohne Verschulden nicht gekannt, dürfte nur ein Aufwendungsersatzanspruch durchsetzbar sein, weil der Schuldner wohl gegenüber dem Subrogationsregress die Einrede erheben kann. Nach den PEL Personal Security und dem DCFR kann der Bürge, der ohne Rücksprache mit dem Hauptschuldner leistete oder bekannte Einreden nicht erhob, zwar Regress vom Hauptschuldner verlangen, schuldet ihm aber zugleich Schadensersatz492. Das BGB unterscheidet dagegen zwischen Zessionsregress und Aufwendungsersatzanspruch. Ein Zessionsregress nach § 774 I bleibt immer möglich; nur kann S gegen die übergegangene Forderung nach § 404 die Verjährungseinrede erheben. Praktisch ist die Subrogation aber trotzdem nützlich, wenn der Hauptschuldner für seine Verbindlichkeit dingliche Sicherheiten bestellt hatte493. Der Gläubiger und damit dann auch der leistende Bürge B1 kann nach § 216 I weiterhin zu seiner Befriedigung auf die Sicherheit zugreifen. Dies ist im Ergebnis auch sachgerecht. Hatte der Schuldner Sicherheiten bestellt, bedeutet die Verjährung 491
ALR I 14 § 349; ABGB § 1361; SächsE § 874; ZürGB § 1803. PEL Personal Security, DCFR IV.G, jew. Art. 2:112; hierzu Böger, Comment § 20 zu Art. 1:110 PEL, Karpathakis/Hauck, Comment §§ 3 und 5 zu Art. 2:112 PEL. 493 Vgl. von Olshausen, Gläubigerrecht, 171 f. 492
7. Das Schuldgemeinschaftsmodell im Einzelnen
1203
für ihn wegen § 216 I praktisch kaum einen Vorteil; der Bürge hat ihn von einer Schuld befreit, die zwar verjährt, aber mittelbar über die Sicherheiten trotzdem durchsetzbar war. Ein persönlicher Aufwendungsersatzanspruch muss dagegen bei der Leistung auf eine verjährte Schuld besonders begründet werden. Auch wenn der Bürge Beauftragter oder Geschäftsführer ohne Auftrag war, durfte er seine Aufwendungen nicht i.S.d. § 670 für erforderlich halten, wenn er die Verjährung kennen musste. Ein Anspruch kommt aber in Betracht, wenn der Schuldner den beauftragten Bürgen pflichtwidrig von der Verjährung nicht in Kenntnis setzte. Hatte der Bürge weder als Beauftragter noch als berechtigter Geschäftsführer ohne Auftrag geleistet, ist ein Aufwendungsersatzanspruch von vornherein ausgeschlossen. Verbürgte er sich, ohne Schuldnerinteressen zu verfolgen, oder sogar gegen den Willen des Schuldners, dann leistet er bei Verjährung der Hauptschuld sozusagen auf eigene Gefahr. Ihm verbleibt höchstens eine Rückgriffskondiktion, die aber wegen der analogen Anwendung von § 404 im Vergleich zum Zessionsregress keinen Vorteil bringt. Leistet also der Bürge nach Verjährung der Hauptschuld, muss der Hauptschuldner im Ergebnis stets damit rechnen, dass der Bürge auf die Sicherheiten zugreift. Einen durchsetzbaren Regress des Bürgen braucht er aber nur dann zu fürchten, wenn er mit diesem durch ein besonderes Innenverhältnis verbunden ist und die Zahlung des Bürgen nach den im Innenverhältnis geltenden Regeln gerechtfertigt werden kann. Ist das nicht der Fall, kann sich der Schuldner gegenüber dem Bürgenregress (aus § 774) durch die Einrede der Verjährung schützen. Hiermit verglichen werden können die Regeln zum Mitbürgenregress. Die Verjährung der Hauptschuld bedeutet zugleich eine Verjährungseinrede für den Mitbürgen B2. Denkbar ist auch der Fall, dass zum Zeitpunkt der Leistung durch B1 die Hauptschuld durchsetzbar und nur die Verbindlichkeit von B2 verjährt war. Zum österreichischen Recht hat Koban die Ansicht vertreten, dass der Mitbürgenregress nach § 1359 ABGB ausscheidet, wenn die Verbindlichkeit von B2 zum Leistungszeitpunkt bereits verjährt ist. Die Vorschrift des § 1363, wonach die Entlassung eines Mitbürgen den Regress unberührt lässt, soll danach nur Befreiungen durch eine Gläubigerverfügung betreffen, nicht aber „natürliche“ Befreiungen wie Verjährung oder Zeitablauf494. Im französischen Recht ist es wie berichtet nicht sicher, ob ein Mitbürge seine Einreden gegen den Gläubiger auch gegenüber dem Mitbürgenregress geltend machen kann495. Stützt man den in Art. 2310 CC (Art. 2033 a.F.) angeordneten Mitbürgenregress auf den Gedanken der Subrogation, der Billigkeit oder der Geschäftsführung ohne Auftrag, wäre ein Regress nicht durchsetzbar, wenn die Schuld des Mitbürgen schon zum Leistungszeitpunkt verjährt war. In der Schweiz muss danach unterschieden werden, ob zum Leistungszeitpunkt nur die Forderung gegen B2 oder auch die gegen B1 verjährt war. Steht die Einrede allen Mitbürgen zu (etwa wenn die Hauptschuld 494 495
Koban, Regress, 167, 172 f. Oben, 1113.
1204
IV. Regress und Regressvereitelung
verjährt ist), scheidet ein Regress aus, wenn der leistende Mitbürge die gemeinsame Einrede schuldhaft nicht erhoben hat. Dies folgert man aus einer analogen Anwendung des oben genannten Art. 502 III OR496 oder aus der für Solidarschulden geltenden Vorschrift des Art. 145 II OR497, wonach jeder Solidarschuldner den anderen gegenüber verantwortlich ist, wenn er die gemeinsamen Einreden nicht geltend macht. Offenbar soll dann auch ein Subrogationsregress ausgeschlossen sein. Nicht ganz klar ist die Lage, wenn nur die Schuld von B2 verjährt war. Da der leistende B1 diese Einrede nicht geltend machen konnte, könnte man aus Art. 145 II, 502 III OR e contrario schließen, dass ein Regress dann möglich ist. Ein Teil der älteren Literatur schloss den Regress aber auch dann aus, wenn nur der in Anspruch genommene Mitbürge gegenüber dem Gläubiger die Einrede der Verjährung gehabt hätte498. Zum selben Ergebnis käme man wohl, wenn man den Mitbürgenregress auf den Gedanken der Geschäftsführung ohne Auftrag stützt499. Nach deutschem Recht steht B1, wenn die Verbindlichkeit von B2 zum Leistungszeitpunkt bereits verjährt war, in jedem Fall der Zessionsregress nach §§ 774 II, 426 II zu, so dass er von Sicherheiten profitieren kann, die B2 für seine Schuld stellte. Will B1 den Mitbürgen B2 aber persönlich in Anspruch nehmen, kann dieser gegenüber dem Zessionsregress nach § 404 die Einrede der Verjährung erheben. Ein durchsetzbarer Aufwendungsersatzanspruch kommt in Betracht, wenn ein vertragliches Innenverhältnis zwischen B1 und B2 besteht. Fraglich ist allein, ob auch unter Nebenbürgen ein durchsetzbarer Regress nach § 426 I möglich ist. Nach dem Schuldgemeinschaftsmodell der herrschenden Lehre entsteht der Ausgleichsanspruch in Form eines Mitwirkungsanspruchs schon mit Begründung der Mitbürgschaft. Die Tatsache, dass die Forderung gegen B2 zur Zeit der Leistung von B1 bereits verjährt war, kann den Rückgriffsanspruch dann nicht mehr berühren500. Damit stellt die herrschende Lehre den regresspflichtigen Mitbürgen ohne Grund schlechter als den Hauptschuldner. Ist die Forderung gegen den Hauptschuldner verjährt und leistet dann ein Bürge, muss der Hauptschuldner nur dann einen durchsetzbaren Regress fürchten, wenn ein besonderes Innenverhältnis zwischen ihm und dem Bürgen besteht, etwa weil er den Bürgen beauftragt hat und der Bürge die Verjährung nicht erkennen konnte. Ein Regress aus Geschäftsführung ohne Auftrag wird bei einer verjährten Hauptschuld in der Regel nicht in Frage kommen. Demgegenüber soll ein Nebenbürge auch nach Verjährung seiner Schuld stets zum durchsetzbaren Regress herangezogen werden können, nur weil ein anderer sich unabhängig von ihm gegenüber dem Gläubiger zur Sicherung derselben Schuld verpflichtet hatte. Im Fall, dass sich B1 und 496 497 498 499 500
So wohl schon Vischer, ZSchwR 29 (1888), 58; ferner Scyboz, Bürgschaft, 455. So Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft, 71, 85 f., 90; Lerch/Tuason, Bürgschaft, 79. Meyer-Wegenstein, Mitbürgschaft (1926), 91 f.; Lerch/Tuason, Bürgschaft (1936), 79. Vgl. oben, 1123 f. Vgl. oben, 640 f.
7. Das Schuldgemeinschaftsmodell im Einzelnen
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B2 unabhängig voneinander und auch ohne Absprache mit dem Hauptschuldner verpflichtet haben und B1 nach der Verjährung der Hauptschuld leistet, käme die herrschende Lehre zum Ergebnis, dass B1 gegenüber dem Hauptschuldner keinen durchsetzbaren Regress hat, wohl aber gegen B2. Das kann nicht richtig sein. Wenn der Hauptschuldner vor durchsetzbaren Regressansprüchen unbeauftragter Bürgen geschützt wird, die erst nach Verjährungseintritt zahlen, dann darf auch einem Mitbürgen der Vorteil der schon eingetretenen Verjährung seiner Verbindlichkeit nicht deshalb entzogen werden, weil ein anderer Bürge unabhängig von ihm dieselbe Schuld sicherte. B2 kann daher die Einrede der Verjährung auch gegenüber einem Gesamtschuldregress des Nebenbürgen B1 geltend machen501. Schließlich entsteht dieser Regress überhaupt nur deswegen, weil B2 eine vertragliche Verbindlichkeit gegenüber G eingegangen ist; diese ist aber nach ihren eigenen Regeln schon verjährt. Eine andere Wertung könnte vielleicht im verwandten Fall getroffen werden, dass die Verbindlichkeit des in Anspruch genommenen Bürgen bei der Leistung des Mitbürgen noch durchsetzbar bestand, aber vor dem Regressverlangen verjährte. Erlaubt man dem Nebenbürgen, seine Einreden gegen die Gläubigerforderung auch gegenüber dem Gesamtschuldregress geltend zu machen502, scheidet ein durchsetzbarer Regress freilich auch in diesem Fall aus. Die Nachbarrechtsordnungen werten hier aber anders. Sowohl in Österreich503 als auch nach herrschender Lehre in Frankreich504 soll der Mitbürgenregress eigenständig verjähren. Dasselbe gilt für die Schweiz. Hier unterliegt sogar der Subrogationsregress, sowohl gegen den Hauptschuldner als auch gegen die Mitbürgen, einer eigenen Verjährung, die erst mit Leistung des Bürgen an den Gläubiger zu laufen beginnt505. Letzteres ist aus deutscher Sicht systemwidrig: Das Schicksal der Gläubigerforderung und insbesondere auch der für sie bestellten Sicherheiten richtet sich allein nach den für die Gläubigerforderung geltenden Regeln. Eine Legalzession kann nach §§ 412, 404 ff. nicht dazu führen, dass der Schuldner gegenüber dem Zessionar weniger Rechte hat als gegenüber dem Zedenten. Die Verjährung der Gläubigerforderung kann daher aus deutscher Sicht nicht dadurch neu zu laufen beginnen, dass ein Dritter seine eigene Bürgenverbindlichkeit erfüllt. Nach deutschem Recht scheidet ein durchsetzbarer Zessionsregress sowohl gegen den Hauptschuldner als auch gegen Mitbürgen aus, wenn diese gegenüber dem Gläubiger die Einrede der Verjährung hätten erheben können.
501
Ebenso im Ergebnis Schulz, Rückgriff, 76; Kanka, JhJb 87 (1938), 168; Soergel/Pecher, § 774
Rz 29. 502
Schulz, Rückgriff, 76; Kanka, JhJb 87 (1938), 168; Soergel/Pecher, § 769 Rz 16, § 774 Rz 29. Koban, Regress, 146, 172 f. 504 Simler, Cautionnement, § 633. Anders verhält es sich nach denjenigen, für die der Mitbürgenregress nach Art. 2310 CC (Art. 2033 a.F.) ein Anwendungsfall der Subrogation ist. 505 So Art. 507 V OR (hierzu schon oben, 1123), der auch für den Mitbürgenregress gelten soll, Beck, Bürgschaftsrecht, Art. 507 OR Rz 44; ZürK/Oser/Schönenberger, Art. 497 OR Rz 54; BasK/ Pestalozzi, Art. 497 OR Rz 9. 503
1206
IV. Regress und Regressvereitelung
Eine eigenständige Verjährung ist aber bei einem eigenen, nicht von der Gläubigerforderung abgeleiteten, Regress denkbar. Nach österreichischem, französischem und Schweizer Recht mag ein Mitbürgenregress zwar ausscheiden, wenn die Forderung gegen den regresspflichtigen Mitbürgen schon zum Leistungszeitpunkt verjährt war. Leistet ein Bürge dagegen bei noch unverjährter Forderung gegen den Mitbürgen, entsteht ein eigenständig verjährender Rückgriffsanspruch, der unabhängig davon ist, ob nach der Leistung eine Verjährung der Mitbürgenverbindlichkeit eingetreten wäre. Eine solche Lösung wäre auch nach deutschem Recht denkbar. Schließlich hat der leistende Bürge B1 den Mitbürgen B2 von einer durchsetzbaren Forderung befreit und ihm daher einen tatsächlichen Vorteil verschafft. Die Leistung durch B1 kann den Gläubiger davon abgehalten haben, rechtzeitig gegenüber B2 die Verjährung zu unterbrechen. Hat B1 an G kurz vor Ablauf der Verjährung gegenüber B1 und B2 geleistet, kann es unbillig erscheinen, ihm für seine Rechtsverfolgung gegen B2 nur noch den geringen Rest der Verjährungsfrist zur Verfügung zu stellen506. Auch bei dieser Fallvariante lohnt sich ein Vergleich mit den Regeln zum Regress des Bürgen gegen den Hauptschuldner. Kann sich der Bürge weder auf einen auftragsrechtlichen Aufwendungsersatzanspruch noch auf die Regeln zur Geschäftsführung ohne Auftrag berufen, hat er gegenüber dem Hauptschuldner nur einen Zessionsregress und vielleicht eine Rückgriffskondiktion. Dies bedeutet, dass nach Verjährung der Hauptschuld dem Schuldner gegenüber dem Bürgenregress die Verjährungseinrede zusteht, selbst wenn die Schuld bei der Bürgenleistung noch nicht verjährt war. Wenn der Schuldner also nach Verjährung seiner Schuld einen durchsetzbaren Regressanspruch nur im Fall eines besonderen Innenverhältnisses befürchten muss, spricht viel dafür, auch den Nebenbürgen nach Verjährung seiner Schuld vor einem durchsetzbaren Regress eines anderen Bürgen zu schützen, mit dem ihn kein Innenverhältnis verbindet. Allerdings wird sich ein Bürge gegenüber einem Hauptschuldner, wenn er vor Verjährung der Hauptschuld geleistet hat, in der Regel auf ein besonderes Innenverhältnis berufen können. Anders als bei einer Leistung nach Verjährung hat er den Schuldner immerhin von einer durchsetzbaren Forderung befreit und vielleicht den Gläubiger von einer rechtzeitigen Rechtsverfolgung abgehalten. Auch wenn der Bürge nicht beauftragt war, wird er sich daher zumeist auf die Regeln zur berechtigten Fremdgeschäftsführung stützen können. Zwar handelt, wie oben dargestellt, nicht jeder Bürge als geschäftsführender Bürge. Da aber die Rechtsprechung ein „auch fremdes“ Geschäft genügen lässt und jeder Bürge die Verbindlichkeit des Hauptschuldners kennt, wird dem Bürgen in der Praxis wohl regelmäßig ein Aufwendungsersatzanspruch mit eigener Verjährung zugebilligt. Der Mitbürge B1 aber, der den anderen Mitbürgen B2 von einer durchsetzbaren Schuld befreit, muss die Verbindlichkeit von B2 nicht kennen, womit die Mindestvoraussetzung für eine Anwendung der Regeln zur G.o.A. entfällt. Hätte B1 an den Gläubiger geleistet, um ihn von einer geplanten Rechtsverfolgung gegen 506
Vgl. oben, 996 f.
7. Das Schuldgemeinschaftsmodell im Einzelnen
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B2 abzuhalten, würde ihm die herrschende Lehre einen eigenständig verjährenden Aufwendungsersatzanspruch aus §§ 683, 670 zubilligen. B2 kann daher nach Verjährung seiner Schuld ohnehin nicht sicher sein, von durchsetzbaren Ansprüchen befreit zu sein. Dann fragt es sich aber, ob der Nebenbürge B1, der wegen seiner eigenen Verbindlichkeit zur Leistung gezwungen wurde, durch die er B2 von einer durchsetzbaren Forderung befreite, nicht einem in berechtigter Geschäftsführung Handelnden gleichgestellt werden sollte. Vielleicht war dies auch die Absicht des historischen Gesetzgebers. Sollte es zutreffen, dass er einen Gesamtschuldregress dann verneinte, wenn die Forderung gegen den Regresspflichtigen schon zum Leistungszeitpunkt verjährt war507, bliebe der Regress möglich, wenn zum Leistungszeitpunkt noch keine Verjährung eingetreten war. Eine eigenständige Verjährung dieses Anspruchs könnte erklären, warum es der Gesetzgeber nicht beim Zessionsregress nach § 426 II beließ. Ein sicheres historisches Urteil erscheint allerdings nicht möglich. Will man dem Nebenbürgen aber einen eigenständig verjährenden Regressanspruch gewähren, empfiehlt sich eine Verkürzung der Verjährungsfrist, sei es durch eine kurze Sonderverjährung für Regressansprüche, wie sie die Schuldrechtskommission vorgeschlagen hatte, sei es durch eine Verwirkungslösung, wie sie in der Schweiz praktiziert wird508. Die allgemeine kenntnisabhängige Verjährungsfrist von drei Jahren erscheint für Regressansprüche unter Nebenbürgen als unangemessen lang.
e) Aufrechnungslagen Besteht zwischen dem Gläubiger und dem Hauptschuldner eine Aufrechnungslage, hat der Bürge ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 770 II. Leistet er dennoch, stellt sich die Frage, ob der Hauptschuldner eine Regressnahme des Bürgen dadurch verhindern kann, dass er gegen die auf den Bürgen nach § 774 I übergegangene Gläubigerforderung nach §§ 412, 406 aufrechnet. Ein Teil der Literatur hält eine solche Aufrechnung für schlechthin unzulässig509. Er befürchtet, dass die Aufrechnung wegen ihrer Rückwirkung dazu führt, dass der Gläubiger schon vor der Bürgenleistung vom Hauptschuldner befriedigt wurde, so dass die Leistung des Bürgen an den Gläubiger rechtsgrundlos wird510. Dadurch aber würde nicht nur der Bürge, sondern auch der Gläubiger benachteiligt, der das von seinem Bürgen Erhaltene nach § 812 I wieder herausgeben muss. Doch diese Befürchtung ist unbegründet. Ein Aufrechnungsrecht gegenüber dem Gläubiger besteht nach der Bürgenleistung nicht mehr. Der Gläubiger wurde wegen seiner 507
Oben, 1163 f. Hierzu oben, 651 f. 509 Staub/Koenige/Pinner/Bondi, HGB (1921), § 349 Anm. 45; Staud/Brändl (1959), § 770 Rz 8; Esser, Schuldrecht (2. Aufl. 1960), § 162 Nr. 3 e (S. 676); Tiedtke, Aufrechnungsfragen (1966), 79 ff., 102 f.; ders., DB 1970, 1721; Staud/Horn, § 770 Rz 15. 510 In diesem Sinne auch Kanka, JhJb 87 (1938), 182; Denck, JZ 1976, 669 ff. 508
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IV. Regress und Regressvereitelung
Forderung gegen den Schuldner vom Bürgen wirksam befriedigt und kann das Geleistete daher endgültig behalten. Die regressbestärkende Subrogation zugunsten des Bürgen ist kein gewöhnlicher Forderungsübergang wie im Fall der Abtretung. Eine Aufrechnung durch den Schuldner kann lediglich die Gläubigerforderung in der Hand des Bürgen vernichten511. Dies ist auch sinnvoll, weil der Schuldner nicht vor einem Verlust seines Aufrechnungsrechts gegenüber dem Gläubiger, sondern vor belastenden Regressansprüchen geschützt werden muss. Wenn die Aufrechnung also den Bestand der Bürgenleistung an den Gläubiger nicht in Frage stellt, besteht kein Grund, ihre Zulässigkeit von vornherein auszuschließen. Maßgeblich ist daher das Innenverhältnis zwischen dem Schuldner und dem Bürgen. Ein Aufwendungsersatzanspruch des Bürgen nach § 670 setzt voraus, dass er zur Leistung trotz der Aufrechnungslage berechtigt war. Dies trifft ohne weiteres zu, wenn der Schuldner den Bürgen nicht nur zur Übernahme der Bürgschaft, sondern auch zur Zahlung veranlasst hat, kann aber auch dann der Fall sein, wenn der Auftragsbürge die Aufrechnungslage nicht kennen musste und auch nicht verpflichtet war, vor seiner Leistung Rücksprache mit dem Schuldner zu nehmen. Sofern der Bürge einen eigenen Aufwendungsersatzanspruch gegen den Schuldner hat, ist eine Aufrechnung gegen die übergegangene Forderung in der Regel sinnlos, weil sie den Aufwendungsersatzanspruch unberührt lässt512. Ein Aufwendungsersatzanspruch nach Auftrags- oder Geschäftsführungsrecht besteht aber nicht, wenn der Bürge die Aufrechnungslage und den Aufrechnungswillen des Schuldners kannte oder kennen musste, wenn er gegen den Willen des Schuldners zahlte oder sich von vornherein gegen den Willen des Schuldners verbürgt hatte, und wohl auch dann nicht, wenn er sich ohne Wissen des Schuldners und ohne Fremdgeschäftsführungsabsicht verpflichtete. Nichts anderes gilt im Sonderfall, dass nur der Schuldner, nicht aber der Gläubiger zur Aufrechnung berechtigt war. Ein Teil der Literatur hält sich hier an den Wortlaut des § 770 II und versagt dem Bürgen die Einrede gegenüber dem Gläubiger513. Doch auch dann hat der Bürge in der Regel die Möglichkeit, Rücksprache mit dem Schuldner zu nehmen und ihm die Gelegenheit zur Aufrechnung zu geben. Ohne eigenen Aufwendungsersatzanspruch steht dem Bürgen (gegebenenfalls neben einer Rückgriffskondiktion, für die aber die gleichen Regeln gelten) nur ein Zessionsregress nach § 774 I zu, gegenüber dem das Gesetz dem Schuldner die Rechte nach §§ 404 ff. einräumt, darunter auch das Aufrechnungsrecht des 511 von Olshausen, Gläubigerrecht, 224 ff.; ebenso i.E. Selb, Mehrheiten, 114; Oertmann, Schuldverhältnisse BT, § 770 Anm. 3; vgl. oben, 666 f. 512 Denkbar wäre nur, dass es dem Schuldner mit der Aufrechnung darum geht, einen Übergang der für die Gläubigerforderung bestellten Sicherheiten auf den Bürgen zu verhindern. Für die Zulässigkeit dieses Vorgehens von Olshausen, Gläubigerrecht, 229 ff.; dagegen Kanka, JhJb 87 (1938), 154; MüKo/Pecher (1986), § 774 Rz 18. 513 Zu diesem Streit stellvertretend Staud/Horn, § 770 Rz 9; MüKo/Habersack, § 770 Rz 10; jew. m.w.N.
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§ 406514. Die Aufrechnung durch den Schuldner führt dazu, dass der Bürge seinen Regress verliert und der Gläubiger auf Kosten des Bürgen von seiner Verbindlichkeit gegenüber dem Schuldner befreit wird, so dass der Bürge gegen den Gläubiger einen Bereicherungsanspruch nach oder analog § 816 II hat, der dem untergegangenen Anspruch des Schuldners entspricht515. Der Gläubiger wird hierdurch nicht benachteiligt, weil der Sache nach für ihn nur ein Gläubigerwechsel stattfindet. Zum selben Ergebnis gelangt auf anderem Wege Tiedtke. Da er eine Aufrechnung des Schuldners gegenüber der übergegangenen Gläubigerforderung kategorisch ausschließt, nimmt er die Vorschrift des § 774 I 3 zur Hilfe: Bei einer aufgedrängten Bürgschaft oder einer nicht autorisierten Zahlung an den Gläubiger steht dem Bürgen gegenüber dem Schuldner im Innenverhältnis nur ein Bereicherungsanspruch zu. Der aufrechnungswillige Schuldner wird durch die Bürgenleistung nur dadurch bereichert, dass er nach wie vor seine Forderung gegen den Gläubiger hat, die er eigentlich zur Aufrechnung einsetzen wollte. Nur diese Bereicherung in Gestalt der Forderung gegen den Gläubiger muss er an den Bürgen herausgeben. Für den Zessionsregress gilt nach § 774 I 3 dasselbe516. Die gleichen Fragen stellen sich, wenn der Mitbürge B1 an den Gläubiger leistet, gegen den der Mitbürge B2 eine aufrechenbare Gegenforderung hat. Wie beim Hauptschuldnerregress spielt die Aufrechnungslage bei B2 im Ergebnis dann keine Rolle, wenn die Bürgen durch ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis verbunden sind, das B1 zur Leistung an den Gläubiger berechtigte. Dann steht ihm ein Aufwendungsersatzanspruch zu, gegen den B2 nicht aufrechnen kann. Ähnliches gilt, wenn B1 und B2 zwar Nebenbürgen sind, B1 aber B2 von seiner bevorstehenden Leistung in Kenntnis setzte und B2 keine Einwendungen erhob. Hier kann sich B2 im Ergebnis gegen den Mitbürgenregress nicht mit der Aufrechnungslage verteidigen. Dies kann dadurch erreicht werden, dass man wegen der Billigung durch B2 einen Aufwendungsersatzanspruch des B1 aus Auftrag oder G.o.A. annimmt. Möglich ist aber auch, dass es kein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis zwischen den Bürgen gibt und B1 an den Gläubiger leistet, ohne von B2 oder dessen Aufrechnungslage zu wissen, oder dass er ungeachtet dieser Aufrechnungslage leistet. Die herrschende Lehre von der Schuldgemeinschaft würde einen Mitbürgenregress in diesen Fällen zulassen: B2 kann zwar vielleicht gegen die nach §§ 774 II, 426 II übergegangene Gläubigerforderung aufrechnen, nicht jedoch gegen den Anspruch von B1 aus § 426 I517. Damit wird der Bürge gegenüber dem Mitbürgenregress ohne Not schlechter gestellt als der Hauptschuldner gegenüber dem Bürgenregress. Der Haupt514 So auch RGZ 59, 207 (17.10.1904); Kanka, JhJb 87 (1938), 154; MüKo/Pecher (1986), § 774 Rz 17; Soergel/Pecher (2007), § 774 Rz 20; von Olshausen, Gläubigerrecht, 231; Esser/Weyers, SR BT 2, § 40 IV 1; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 205 ff.; Jauernig/Stadler, § 774 Rz 6; BamR/ Rohe, § 774 Rz 8. 515 von Olshausen, Gläubigerrecht, 231 f.; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 206 f. 516 Tiedtke, Aufrechnungsfragen, 105 ff., 109 ff. 517 Vgl. oben, 668.
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IV. Regress und Regressvereitelung
schuldner, der eine aufrechenbare Gegenforderung gegen den Gläubiger hatte, wird im Ergebnis gegenüber einem Bürgenregress geschützt, wenn die Bürgenzahlung nicht durch ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis gerechtfertigt wird oder eine berechtigte Geschäftsführung darstellt. Der Schutz findet dergestalt statt, dass der Hauptschuldner keinen Regress leisten, sondern nur seine Gegenforderung gegen den Gläubiger opfern muss. Dies ist für ihn insbesondere dann von Bedeutung, wenn der Gläubiger insolvent ist. Dem Mitbürgen, der eine aufrechenbare Forderung gegen den Gläubiger hat, wird ein solcher Schutz von der Schuldgemeinschaftslehre hingegen versagt. Der eigene Anspruch des Regressnehmers, gegen den nicht aufgerechnet werden kann, ist hier nicht ein besonders zu rechtfertigender Aufwendungsersatzanspruch aus dem Innenverhältnis, sondern ein gesetzlicher Rückgriffsanspruch, der in jedem Fall besteht. Auch Tiedtke als ein Vertreter der herrschenden Lehre hielt dieses Ergebnis zumindest in bestimmten Fällen für unbillig. Seiner Ansicht nach war eine Aufrechnung des regresspflichtigen Gesamtschuldners gegen die nach § 426 II übergegangene Gläubigerforderung stets unzulässig. Dem leistenden Gesamtschuldner sollte grundsätzlich der Regress aus § 426 I zustehen518. Etwas anderes galt für ihn aber im Fall einer aufgedrängten Schuldmitübernahme. Ein Schuldner sollte die Vorteile einer bestehenden Aufrechnungslage nicht dadurch verlieren, dass ein Dritter ungebeten seiner Schuld beitrat und dann an den Gläubiger leistete. Hier half Tiedtke mit der gleichen Konstruktion wie beim Regress gegen den Hauptschuldner: Dem Beigetretenen sollte gegen den Urschuldner nur ein Bereicherungsanspruch nach § 812 auf das Ganze zustehen. Der Urschuldner war aber nur dadurch bereichert, dass er nach wie vor seine Forderung gegen den Gläubiger hatte, so dass er dem Beigetretenen auch nur diese Forderung übertragen musste519. Mit dieser Konstruktion hatte Tiedtke den Boden der herrschenden Lehre aber verlassen. Diese beruht gerade auf der Annahme, dass es sich bei § 426 I nicht um einen Bereicherungsanspruch, sondern um ein gesetzliches Schuldverhältnis handelt, das Ausgleichsansprüche unabhängig davon hervorbringt, ob und inwieweit der intern verpflichtete Gesamtschuldner von der Leistung an den Gläubiger profitiert. Wenn Tiedtke beim aufgedrängten Schuldbeitritt zu Recht eine andere Lösung vertrat, zeigt dies nur, dass die Grundannahme der herrschenden Lehre nicht richtig sein kann. Einem Schuldner können seine Einwendungen und Einreden gegenüber seinem Gläubiger nicht dadurch verloren gehen, dass ein Dritter ungefragt einen Vertrag mit dem Gläubiger schließt. Dieser Gedanke gilt aber nicht nur beim aufgedrängten Schuldbeitritt, sondern auch bei Nebenbürgen. Zwar drängt sich ein Nebenbürge nicht in dem Sinne auf, dass er sich ohne jeden Grund verpflichtet; vielmehr wird er in der Regel vom Hauptschuldner oder vom 518
Tiedtke, Aufrechnungsfragen (1966), 16 ff., 73 f.; ebenso Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld,
86 f. 519 Tiedtke, Aufrechnungsfragen, 74 ff. Diese Einschränkung findet sich in späteren Werken von Tiedtke nicht mehr.
7. Das Schuldgemeinschaftsmodell im Einzelnen
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Gläubiger gebeten worden sein. Aber auch derjenige, der ungefragt einer Schuld beitritt, kann vom Gläubiger beauftragt worden sein. Tatsächlich ist es für den Gesamtschuldner unerheblich, ob der Beitretende oder Nebenbürge sich aufgrund eines fremden Vertrages verpflichtete oder nicht, weil ihn die fremden Verträge nichts angehen und ihn auch nicht benachteiligen können. Entscheidend ist nur, dass er selbst die fremde Verpflichtung nicht hervorgerufen hat. Diejenigen Autoren, die sich außer Tiedtke näher mit der Frage beschäftigt haben, sind daher zu Recht der Ansicht, dass eine Aufrechnungslage gegenüber dem Gläubiger auch einem Regress des Nebenbürgen entgegengehalten werden kann520. Der in Anspruch genommene Bürge, so wird argumentiert, habe sich vielleicht nur im Vertrauen auf die Aufrechnungslage verbürgt und dürfe insbesondere in der Insolvenz des Gläubigers nicht dadurch schlechter gestellt werden, dass sich noch ein weiterer Bürge verpflichtet habe. Uneinigkeit besteht nur über die genauen Rechtsfolgen. Hier muss das Gleiche gelten wie beim Hauptschuldnerregress: Dem Gläubiger darf die durch B1 erbrachte Leistung nicht im Nachhinein wieder entzogen werden. Statt dessen verliert B1 durch die Aufrechnung von B2 seinen Mitbürgenregress und bekommt nur eine Forderung gegen G, die der ursprünglichen Forderung von B2 gegen G entspricht.
f) Mehrfachleistungen Ein Großteil der älteren Regelwerke widmete eine besondere Vorschrift dem Fall, dass der Bürge von seiner Leistung den Hauptschuldner nicht in Kenntnis setzt, so dass dieser ein weiteres Mal an den Gläubiger leistet521. Ein Regress des Bürgen gegen den Hauptschuldner sollte dann ausgeschlossen sein. Der Bürge konnte lediglich den Rückforderungsanspruch des Schuldners gegen den Gläubiger geltend machen, den der Schuldner ihm abtreten musste522 oder der im Wege der Legalzession auf den Bürgen überging523. Der BGB-Gesetzgeber aber nahm eine entsprechende Vorschrift für Bürgen, die sich im Auftrag oder in berechtigter Geschäftsführung verpflichtet hatten, bewusst nicht auf. Nach Ansicht der Ersten Kommission musste die zweite Zahlung durch den Hauptschuldner nicht in jedem Fall auf einem Verschulden des Bürgen beruhen. Sofern dies aber der Fall sei, ergebe sich die Lösung der Vorschriften schon aus allgemeinen Regeln: Der Hauptschuldner könne vom Bürgen Schadensersatz in Form der Rückerstattung des an den Gläubiger Gezahlten verlangen und daher im Ergebnis den Ersatzanspruch des Bürgen ablehnen; zugleich müsse er seinen Bereicherungsan520 Schulz, Rückgriff (1906), 74 ff., 76; Kanka, JhJb 87 (1938), 182 f.; Denck, JZ 1976, 673 f.; Glöckner, Gesamtschuldvorschriften (1997), 88 f., 226 f. 521 CC Art. 2031 I a.F. (jetzt Art. 2308 I); CMBC-RevE 1811, IV 10 § 17 Nr. 5; HessE IV 2 Art. 606; BayE II Art. 881 Nr. 4; SächsGB § 1473; DresdE Art. 942; OR 1881 Art. 506 (OR 1911 Art. 507, heute Art. 508). 522 So HessE IV 2 Art. 606; SächsGB § 1473. 523 So BayE II Art. 881 Nr. 4; DresdE Art. 942.
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IV. Regress und Regressvereitelung
spruch gegenüber dem Gläubiger an den Bürgen abtreten, da er sonst mehr als den Ersatz seines Schadens erhalten und damit auf Kosten des Bürgen ungerechtfertigt bereichert sein würde524. Danach kommt ein Regress gegen den Hauptschuldner nur dann in Frage, wenn der Bürge als Beauftragter oder berechtigter Geschäftsführer handelte und er es nicht zu vertreten hat, dass der Hauptschuldner ein zweites Mal zahlte, etwa weil der Schuldner nach dem Innenverhältnis verpflichtet war, vor einer Zahlung Rücksprache mit dem Bürgen zu nehmen. Im Regelfall dagegen, in dem der Bürge die zweite Zahlung pflichtwidrig durch Unterlassen der Benachrichtigung verursacht hat, steht dem Aufwendungsersatzanspruch ein Schadensersatzanspruch des Schuldners gegenüber. Auch ein Zessionsregress entfällt dann sowohl wegen § 774 I 3 als auch wegen § 407. Hatte sich der Bürge dagegen weder im Auftrag noch in berechtigter Geschäftsführung für den Schuldner verbürgt, kommt ein Aufwendungsersatzanspruch von vornherein nicht in Frage, lediglich ein Zessionsregress und vielleicht eine Rückgriffskondiktion, gegenüber denen sich der Schuldner aber auf § 407 berufen kann. Dem kann der Fall gegenübergestellt werden, dass zuerst der Mitbürge B1 und dann der Mitbürge B2 an den Gläubiger leistet. Die Leistung von B1 hat nach § 422 zugleich B2 befreit und zu einem Forderungsübergang nach §§ 774 II, 426 II geführt, während B2 auf eine nicht bestehende Verbindlichkeit leistete und daher nur einen Bereicherungsanspruch gegen den Gläubiger hat. Sofern zwischen den Bürgen ein besonderes Innenverhältnis besteht, gelten ähnliche Regeln wie beim Regress des beauftragten Bürgen gegen den Hauptschuldner. Es ist also festzustellen, ob B2 wegen der unterlassenen Benachrichtigung durch B1 einen Schadensersatzanspruch hat, den er dem Aufwendungsersatzanspruch des B1 entgegensetzen kann, oder ob vielleicht sogar auch B2 wegen seiner Leistung ein anteiliger Aufwendungsersatzanspruch gegen B1 zusteht. Sind B1 und B2 dagegen Nebenbürgen, kann B1 nach dem Schuldgemeinschaftsmodell grundsätzlich bei B2 Regress nehmen. Zwar kann B2 der auf B1 übergegangenen Gläubigerforderung die Einrede des § 407 entgegenhalten, nicht aber seinem Anspruch aus § 426 I, der nach herrschender Lehre vom Außenverhältnis unabhängig ist. B 2 müsste also ein zweites Mal an B1 leisten und versuchen, seine erste Leistung vom Gläubiger zurückzuerhalten, der möglicherweise inzwischen insolvent ist. Zwar versucht die herrschende Lehre, dieses Ergebnis durch die Annahme von Anzeigepflichten des leistenden Gesamtschuldners zu vermeiden525. Wussten die Nebenbürgen aber nichts voneinander, kann von B1 auch keine Mitteilung seiner Leistung verlangt werden. Auch hier wird der Nebenbürge B2 damit ohne Grund schlechter gestellt als der Hauptschuldner. Dieser kann sich wie jeder gewöhnliche Schuldner darauf verlassen, mit Leistung des Geschuldeten an seinen tatsächlichen oder vermeintlichen (§ 407) Gläubiger frei
524 525
Jakobs/Schubert, SR III, 500 f.; ähnlich Mot. II, 675 f. (Mugdan II, 377). Oben, 669.
8. Bürgen und Ausfallbürgen
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zu sein, solange ihn, etwa wegen der Beauftragung eines Bürgen, keine besonderen Erkundigungspflichten trafen. Ein Ergebnis, wonach B2, der sich als vermeintlicher Einzelbürge verpflichtet und seinem Gläubiger das vertraglich Geschuldete geleistet hat, trotzdem Regress an den ihm unbekannten Nebenbürgen B1 leisten muss, ist vom Standpunkt der Privatautonomie aus geradezu monströs. B2, der sich allein gegenüber dem Gläubiger zur Leistung eines bestimmten Betrags verpflichtet hatte, soll zur Leistung eines weiteren Betrags an B1 nur deshalb gezwungen werden, weil B1 den von ihm geschuldeten Betrag an G leistete, von dieser vertraglichen Verbindlichkeit aber anteilig entlastet werden möchte. Ein solches Ergebnis kann auch nicht durch das Gesamtschuldverhältnis zwischen den Bürgen gerechtfertigt werden. Der Regress soll die Gefahr der Gläubigerwillkür vermeiden, nicht zu neuer Willkür führen, die dadurch entsteht, dass auf den Zeitpunkt der Bürgenleistungen abgestellt wird. Eine Gleichbehandlung der Gesamtschuldner, die durch den Gesamtschuldregress gewöhnlich erstrebt wird, kann nur entweder dadurch erreicht werden, dass B2 auch gegenüber dem Rückgriff aus § 426 I die Einrede des § 407 erheben kann526, so dass B1 in Höhe seines Regresses ein Anspruch gegen den Gläubiger aus § 816 II zusteht, oder dadurch, dass B2 von vornherein gegenüber B1 keine Regresszahlung, sondern lediglich die anteilige Abtretung seines Bereicherungsanspruchs gegen den Gläubiger schuldet.
8. Bürgen und Ausfallbürgen Wird eine Hauptschuld allein vom Einzelbürgen B1 gesichert, muss dieser beim Ausfall des Hauptschuldners allein die gesamte Last tragen. Verbürgt sich danach B2, geschieht dies in der Regel allein zu dem Zweck, dem Gläubiger eine Sicherheit zu verschaffen, und nicht um B1 einen Vorteil zuzuwenden. Es könnte daher argumentiert werden, dass es keinen Grund gibt, B1 durch die zweite Bürgschaft von seiner vertraglich übernommenen Verpflichtung zu entlasten. Auf diesem Gedanken beruhte der Stufenregress unter Nebenbürgen, der zum preußischen und österreichischen Recht vorgeschlagen wurde527. Danach trug der erste Bürge B1 die interne Last allein; wurde er in Anspruch genommen, hatte er keinen Regress gegen den zweiten Bürgen B2, während B2 im Fall seiner Inanspruchnahme gegenüber B1 Regress auf das Ganze nehmen konnte. Nach dem Recht des BGB aber entsteht das Gesamtschuldverhältnis unter den Mitbürgen, das einen anteiligen Innenausgleich hervorruft, immer dann, wenn sich mehrere für dieselbe 526 Diese Lösung hält ein Teil der Literatur bei allen Gesamtschuldnern für selbstverständlich, ohne den Widerspruch zum Schuldgemeinschaftsmodell zu problematisieren; so Denck, JZ 1976, 671 f.; Medicus, BürgR, Rz 927; Münchbach, Regreßkonstruktionen, 132; Wernecke, Gesamtschuld, 88 Fn. 61, 195; wohl auch H. Roth, FS Medicus, 508; Stamm, NJW 2004, 812; ders., Regreßfiguren, 71. 527 Oben, 1107, 1109.
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IV. Regress und Regressvereitelung
Schuld verbürgen, unabhängig davon, in welcher Reihenfolge sie sich verpflichteten528. Durch seine Verbürgung entlastet B2 also B1, auch wenn dies nicht seine Absicht war. B2 hat aber die Möglichkeit, durch besondere Abrede mit dem Gläubiger den Anteilsregress zu vermeiden. Er kann sich statt für die Hauptschuld als Nachbürge für die Schuld von B1 verbürgen. Daneben besteht aber auch die Möglichkeit, zwar die Hauptschuld selbst zu sichern, aber in Form einer Ausfallbürgschaft. Der gewöhnliche Ausfallbürge haftet nur dann, wenn der Gläubiger weder vom Hauptschuldner noch aus den sonstigen Sicherheiten einschließlich Bürgschaften Befriedigung erhalten kann. Die Vertragsfreiheit erlaubt aber auch eine Abrede, wonach B2 sich selbstschuldnerisch verbürgt, aber nur unter der Bedingung, dass G von B1 oder von allen übrigen Bürgen nichts erlangen kann529. Damit kann er sich ohne Einverständnis des B1 im Außenverhältnis zum nachrangigen Bürgen machen. Hierzu ist die Ansicht vertreten worden, dass die Nachrangigkeit im Außenverhältnis nichts an der anteiligen Innenhaftung zwischen B1 und B2 ändern könne. Zwischen Außen- und Innenverhältnis müsse unterschieden werden. Da B1 und B2 dieselbe Schuld sicherten, seien sie nach § 769 Gesamtschuldner, womit nach § 426 ein Ausgleichsverhältnis entstehe. Eine Abrede allein zwischen B2 und G ohne Beteiligung von B1 könne diesem nicht das Recht auf einen anteiligen Ausgleich nehmen530. Die ganz herrschende Lehre und Rechtsprechung weist diese Ansicht jedoch zurück. Danach haftet der Ausfallbürge gegenüber dem Bürgen auch intern nachrangig, so dass ein Regress des Bürgen gegen den Ausfallbürgen ausgeschlossen ist531. Die genannte Ansicht übersehe, so heißt es, dass der Ausfallbürge sich gegenüber dem Gläubiger nur bedingt verpflichtet habe. Leiste der Bürge an den Gläubiger, sei die Verbindlichkeit des Ausfallbürgen überhaupt nicht entstanden, so dass es auch nicht zum Gesamtschuldregress kommen könne532. Dies ist im Ergebnis richtig. Der Bürge kann sich für seinen Regress nur auf die zweite Verbürgung und damit auf ein fremdes Rechtsgeschäft berufen, nach dessen Re-
528 Hierzu aus rechtsvergleichender Sicht Schlechtriem, FS von Caemmerer (1978), 1031 ff.; Friedmann/Cohen, Adjustment, § 71. 529 BGH NJW 1986, 3131, 3133 (15.5.1986); Schuler, NJW 1953, 1690 f.; Weber, BB 1971, 335; Tiedtke, ZIP 1990, 423; MüKo/Habersack, § 769 Rz 3. 530 Nörr, BB 1953, 1040; wohl auch OLG Hamburg, OLGE 21, 209 (31.1.1910). 531 RG JW 1912, 746 Nr. 9 (= Warn 1912 Nr. 296, 25.4.1912); BGH NJW 1979, 646 (18.10.1978); BGH NJW 1986, 3131, 3133 (15.5.1986); BGH NJW 1987, 374, 375 (23.10.1986); Koban, Regress, 150; Staud/Brändl (1959), § 769 Rz 4; Meyer, JuS 1993, 562; Staud/Horn (1997), § 771 Rz 17, § 774 Rz 59; Lwowski, Kreditsicherung, Rz 387; MüKo/Habersack, § 769 Rz 3; Soergel/ Häuser, vor § 765 Rz 38; Soergel/Pecher, § 769 Rz 11; Jauernig/Stadler, § 774 Rz 10; zweifelnd Horn, DZWir 1997, 267. Bei mehreren Ausfallbürgen kommt es dagegen zum anteiligen Gesamtschuldregress, Janssen, BB 1953, 1040; Weber, BB 1971, 335; Selb, Mehrheiten, 63; vgl. Soergel/Pecher, § 769 Rz 12. 532 Schuler, NJW 1953, 1691; ders., BB 1954, 551; Janssen, BB 1953, 1039; Auernhammer, BB 1958, 973; Staud/Brändl (1959), vor § 765 Rz 21; Weber, BB 1971, 336; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rz 399; dies., Kreditsicherung, Rz 418.
8. Bürgen und Ausfallbürgen
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geln aber die Verbindlichkeit des zweiten Bürgen nicht besteht. Bemerkenswert ist aber, dass die genannte Ansicht ihren Ausgangspunkt, nämlich die Trennung zwischen Außen- und Innenverhältnis, mit der herrschenden Lehre teilt und das Schuldgemeinschaftsmodell lediglich auf die Spitze treibt. Auch die herrschende Lehre beachtet die Haftung des regresspflichtigen Bürgen im Außenverhältnis nicht mehr, sobald einmal ein Gesamtschuldverhältnis entstanden ist. Wenn aber nachträgliche Befreiungen gegenüber dem Gläubiger für das Ausgleichsverhältnis irrelevant sein sollen, dann liegt es nicht fern, auch anfängliche Beschränkungen in der Außenhaftung zu ignorieren, sofern sich nur der zweite Bürge für dieselbe Schuld verbürgt hat. Die herrschende Lehre unterscheidet hier wie im Fall der Schadensersatz-Gesamtschulden533 zwischen anfänglichen und nachträglichen Haftungsbeschränkungen. Anfängliche Beschränkungen sind beachtlich, weil sie verhindern, dass es überhaupt zum Gesamtschuldverhältnis kommt. Sobald aber zu irgendeinem Zeitpunkt sowohl B1 als auch B2 aus ihren Bürgschaftsverträgen gegenüber dem Gläubiger verpflichtet sind, entsteht ein gesetzliches Ausgleichsverhältnis, das von Veränderungen in der Außenhaftung unberührt bleibt. Daher soll auch eine nachträgliche Umwandlung einer Bürgschaft in eine Ausfallbürgschaft an den Ausgleichspflichten des betroffenen Bürgen nichts ändern können. Während man früher in diesem Fall wie beim Einzelerlass eine anteilige Befreiung des anderen Bürgen nach § 776 annahm534, gilt spätestens nach dem Mitbürgenurteil des BGH von 1992, dass der andere Bürge seinen Regress nicht verliert und damit weiterhin in voller Höhe haftet535. Dies kann nach dem Ausgangspunkt der herrschenden Lehre aber nur schon entstandene Ausgleichsansprüche betreffen. Wird daher eine Bürgschaft zur Ausfallbürgschaft umgewandelt und verbürgt 533
Oben, 973 f., 979. Janssen, BB 1953, 1039; Schuler, BB 1954, 551; Staud/Brändl (1959), § 776 Rz 3 b; Weber, BB 1971, 336; Staud/Horn (1986), § 776 Rz 6; und trotz des Mitbürgenurteils von 1992 MüKo/Habersack, § 769 Rz 3; Erman/Herrmann, § 769 Rz 3. 535 So Schuler, NJW 1953, 1691; Tiedtke, ZIP 1990, 423; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rz 398; dies., Kreditsicherung, Rz 417; skeptisch Staud/Horn (1997), § 776 Rz 9. Einen Sonderfall betraf die österreichische Entscheidung OGH SZ 68/219 (21.11.1996). Ein Ehepaar nahm bei G ein Darlehen auf, wofür sich B selbstschuldnerisch verbürgte. Bei der Scheidung versprach der Ehemann M der Frau F die interne Freistellung. Daraufhin wurde durch einen Gerichtsbeschluss mit Wirkung gegenüber G der Mann M zum alleinigen Hauptschuldner und F zur Ausfallbürgin. Nach Ansicht des OGH durfte dies aber nicht dazu führen, dass der Bürge B gegen die Ausfallbürgin F jetzt nur noch anteiligen oder überhaupt keinen Regress (so das Berufungsgericht!) nehmen konnte, und gelangte daher zum Ergebnis, dass die Umwandlung der Haftung der F in eine Ausfallbürgschaft gegenüber B keine Wirkung entfalte. Dies ist im Ergebnis richtig, nicht nur, weil zwischen den Parteien ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis bestand, sondern vor allem deshalb, weil F Hauptschuldnerin gewesen war. Würde die Umwandlung dazu führen, dass F auch im Außenverhältnis nicht mehr als Hauptschuldnerin gelten würde, müsste B schon im Verhältnis zum Gläubiger befreit gewesen sein, weil ein Bürge als akzessorischer Schuldner nicht mehr haftet, wenn einer seiner Hauptschuldner befreit wird. Angemessen erscheint daher nur die Auslegung, dass die Umwandlung zu einem gestuften Bürgenverhältnis führte, wonach M Schuldner und F Ausfallbürgin war und B statt zweier Hauptschuldner nun diesen Haftungsverband absicherte. 534
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IV. Regress und Regressvereitelung
sich anschließend ein zweiter Bürge, hat er auch nach herrschender Lehre keinen Regress gegen den ersten536. Die Bedeutsamkeit der Reihenfolge erinnert an den preußisch-österreichischen Stufenregress und kann zu Schwierigkeiten führen, wenn es sowohl frühere als auch spätere Bürgschaften gibt. Denkbar ist etwa, dass sich für eine Schuld von 1.200 zuerst B1 und dann B2 verbürgt. Dann wird B2 zum Ausfallbürgen, anschließend verbürgt sich B3. Nach herrschender Lehre kann der Gläubiger G von B1 1.200 verlangen, der dann B2 und B3 für je 400 in Anspruch nimmt. Hält sich G dagegen für den Gesamtbetrag an B3, hat dieser offenbar keinen Regress gegenüber B2 und kann dann nur von B1 600 verlangen, der seinerseits dann von B2 300 verlangen kann. Die Höhe der von den einzelnen Bürgen zu tragenden Anteile hinge dann von der Willkür des Gläubigers ab. Als Alternative bliebe nur, dem späteren Bürgen B3 wegen der fortdauernden Haftung von B1 auch einen Mitbürgenregress gegenüber dem Ausfallbürgen B2 zu gewähren537. Gerade bei Nebenbürgen ist die von der herrschenden Lehre kategorisch getroffene Unterscheidung zwischen anfänglich und nachträglich vereinbarten Gestaltungen der Außenhaftung fragwürdig. Unzweifelhaft verschafft ein gewöhnlicher Bürgschaftsvertrag zwischen dem Gläubiger und B2 dem schon verpflichteten Bürgen B1 ein Recht in Gestalt eines Ausgleichsanspruchs, obwohl B1 an diesem Vertrag nicht beteiligt ist. Nach herrschender Lehre können G und B2 mittels einer besonderen Vertragsgestaltung (Ausfallbürgschaft) verhindern, dass B1 das Recht erwirbt. Sobald sie aber einmal einen gewöhnlichen Bürgschaftsvertrag geschlossen und B1 das Recht damit verschafft haben, können sie es B1 nicht mehr nachträglich entziehen. Doch beim Bürgschaftsvertrag zwischen G und B2 handelt es sich nicht um einen Vertrag zugunsten Dritter i.S.d. § 328, der dem Dritten eine gesicherte Rechtsposition einräumen kann. Nichts anderes aber nimmt die herrschende Lehre der Sache nach an, wenn sie, sobald der zweite Bürgschaftsvertrag wirksam ist, ein gesetzliches, nicht mehr einseitig veränderbares Schuldverhältnis konstruiert. Warum aber der Vertrag zwischen G und B2 dem Bürgen B1 solche nicht mehr entziehbaren Rechte verschaffen muss, bleibt unklar. Der Mitbürgenregress kann auch darauf gestützt werden, dass es zum Zeitpunkt der Leistung eines Bürgen, nicht irgendwann einmal, mehrere Bürgschaftsverpflichtungen gab. Die Gefahr der Gläubigerwillkür durch nachträgliche Veränderungen der Außenhaftung eines Bürgen wird dann durch § 776 gebannt. Beim Zusammentreffen einer Bürgschaft mit einer anfänglich vereinbarten Ausfallbürgschaft hat der Bürge also keinen Regress gegen den Ausfallbürgen. 536
Ausdrücklich Schuler, NJW 1953, 1691. Weniger Probleme entstehen, wenn man mit der herkömmlichen Ansicht § 776 anwendet. Nach der Umwandlung der Bürgschaft von B2 in eine Ausfallbürgschaft haftet B1 dann nur noch in Höhe von 600 und kann auch nicht dadurch auf mehr in Anspruch genommen werden, dass B3 sich zusätzlich verbürgt. G kann daher B1 für 600 in Anspruch nehmen und die restlichen 600 von B3 verlangen. Statt dessen kann G auch B3 in Höhe von 1.200 in Anspruch nehmen, der dann 600 von B1 verlangen kann. Das Endergebnis bleibt gleich. 537
8. Bürgen und Ausfallbürgen
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Muss dagegen der Ausfallbürge leisten, weil der Bürge verschwunden oder zahlungsunfähig ist, kann er gegen den Bürgen, falls dieser wieder greifbar und solvent ist, Rückgriff auf das Ganze nehmen538. Eine Mitbürgschaft und damit ein Gesamtschuldverhältnis soll aber nach herrschender Lehre zwischen ihnen nicht bestehen539. Einige Autoren gehen davon aus, dass der Ausfallbürge Nachbürge des Bürgen sei540. Das muss aber keineswegs der Fall sein. Bürgt B1, steht es B2 natürlich frei, als Nachbürge die Bürgenschuld von B1 zu sichern, auch ohne ihn zu fragen. Dann haftet er aber akzessorisch für die Schuld des B1, was unter anderem auch eine Haftung für Leistungsstörungen durch B1 bedeutetet. Der gewöhnliche Ausfallbürge will dagegen unabhängig vom schon vorhandenen Bürgen haften, also nicht dessen Schuld, sondern die Hauptschuld sichern541. Dann aber haben sich der Bürge und der Ausfallbürge für dieselbe Verbindlichkeit im Sinne des § 769 verbürgt542. Gegen ein Gesamtschuldverhältnis kann auch nicht die Subsidiarität der Ausfallbürgenhaftung ins Feld geführt werden543. Abgesehen davon, dass eine nur subsidiäre Haftung eines Schuldners ein Gesamtschuldverhältnis nicht zwingend ausschließen muss, haftet der Ausfallbürge nicht subsidiär, sondern bedingt. Solange die Bedingung nicht eintreten ist, wenn also der Bürge leisten kann, haftet der Ausfallbürge von vornherein nicht. Mit Eintritt der Bedingung aber wird die Verbindlichkeit des Ausfallbürgen wirksam. Zumindest nach Gemeinem Recht und nach der Auffassung des BGB-Gesetzgebers sollte ein Gesamtschuldverhältnis nicht dadurch ausgeschlossen sein, dass einer der Schuldner unter einer Bedingung schuldet544. Die Stufenlehre beruft sich darauf, dass Bürge und Ausfallbürge nicht gleichrangig schulden545, doch von einem Erfordernis der Gleichrangigkeit ist in § 769 nicht die Rede.
538 Auernhammer, BB 1958, 973; Staud/Brändl (1959), vor § 765 Rz 21; Weber, BB 1971, 336; Tiedtke, ZIP 1990, 423; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rz 399; dies., Kreditsicherung, Rz 418; Meyer, JuS 1993, 562; Staud/Horn, § 771 Rz 17, § 774 Rz 59; Lwowski, Kreditsicherung, Rz 387; MüKo/Habersack, § 769 Rz 3; Soergel/Häuser, vor § 765 Rz 38; Soergel/Pecher, § 769 Rz 11; Jauernig/Stadler, § 774 Rz 10. 539 Koban, Regress, 150; Schuler, BB 1954, 551; Auernhammer, BB 1958, 973; Staud/Brändl (1959), vor § 765 Rz 21; Weber, BB 1971, 336; Selb, Mehrheiten, 62 f.; BGHZ 88, 185, 188 (14.7.1983); Knütel, JR 1985, 8; Soergel/Mühl (1985), § 769 Rz 1; Lwowski, Kreditsicherung, Rz 387; MüKo/Habersack, § 769 Rz 6; Jauernig/Stadler, § 769 Rz 1; BamR/Rohe, § 769 Rz 3. 540 MüKo/Pecher (1986), § 769 Rz 4; MüKo/Habersack (2004), § 769 Rz 3; wohl auch Lwowski, Kreditsicherung, Rz 387. 541 Vgl. Staud/Horn, § 769 Rz 3; Horn, DZWir 1997, 265. 542 Nicht haltbar Weber, BB 1971, 336, wonach nicht dieselbe Verbindlichkeit verbürgt wird, weil der Bürge für die Hauptschuld und der Ausfallbürge für „den Ausfall“ haftet. 543 So Janssen, BB 1953, 1039; Auernhammer, BB 1958, 973; Staud/Brändl (1959), vor § 765 Rz 21; Knütel, JR 1985, 8. 544 Inst. 3,16,2; Florentin, D.45,2,7; Voet, Commentarius, zu D.45,2, § 1; Ribbentrop, CorrealObligationen, 15; Windscheid, Pandekten, § 293 a.E.; Fitting, Correalobligationen, 87 ff.; Fritz, ZCRPr nF 19 (1862), 59 f.; Sintenis, Civilrecht, § 89 bei Fn. 80 a; Czyhlarz, GrünZ 3 (1876), 76 f.; Dernburg, Pandekten II, § 72 Nr. 5; CC Art. 1201; HessE IV 1 Art. 5 IV; SächsGB § 1022; VorlE und TeilE, § 3; E I § 322 I; Jakobs/Schubert, SR I, 921. 545 Selb, Mehrheiten, 62 f.; BamR/Rohe, § 769 Rz 3.
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IV. Regress und Regressvereitelung
Überwiegend nimmt man daher an, dass die Rechtsfolgen des § 769 durch Parteivereinbarung abgedungen worden seien546. Demnach haben es der Gläubiger und der Ausfallbürge in der Hand, das Gesamtschuldverhältnis zwischen den Bürgen von vornherein auszuschließen. Der Regress des Ausfallbürgen soll sich dann nicht auf § 426 stützen, sondern auf § 774 I: Da keine Mitbürgschaft vorliegt, kann auch die Beschränkung durch § 774 II nicht gelten, so dass es zum gewünschten Totalregress des Ausfallbürgen kommt547. Konsequenterweise müsste die herrschende Lehre dann aber auch annehmen, dass es nur einen Zessionsregress gibt, keine Schuldgemeinschaft. Dies würde bedeuten, dass der Bürge gegenüber dem Regress des Ausfallbürgen eine Einrede hätte, wenn seine Verbindlichkeit inzwischen verjährt ist, wenn er gegen die gegen ihn gerichtete Gläubigerforderung aufrechnen kann oder wenn der Gläubiger von ihm deshalb nichts erlangen konnte, weil seine Klage rechtskräftig abgewiesen wurde. Warum der Ausfallbürge bei seinem Regress gegen den anderen Bürgen nach herrschender Lehre schlechter gestellt wird als ein gewöhnlicher Mitbürge, bleibt im Dunkeln. Die Notwendigkeit, eine Mitbürgschaft i.S.d. § 769 zwischen dem Bürgen und dem Ausfallbürgen zu verneinen, ergibt sich für die herrschende Lehre offenbar aus ihrer Annahme, dass § 426 I ein gesetzliches Schuldverhältnis eröffnet, dessen Ausgestaltung der einseitigen Parteidisposition entzogen ist. Läge ein Gesamtschuldverhältnis vor, könnte der Ausfallbürge nach der Kopfteilregel des § 426 I 1 nur die Hälfte vom Bürgen verlangen. „Etwas anderes“ kann dann nur durch eine Vereinbarung aller Parteien, nicht schon durch eine Abrede zwischen dem Ausfallbürgen und dem Gläubiger bestimmt werden. Um den gewünschten Totalregress zu retten, muss man das Gesamtschuldverhältnis ausschließen. Auch hier fragt es sich, mit welchem Grund aus dem Zusammentreffen mehrerer vertraglicher Verbindlichkeiten ein gesetzliches Schuldverhältnis mit starren Regeln werden muss, die nur im Einvernehmen aller Parteien geändert werden können. Führt man den Nebenbürgenregress auf die schlichte Tatsache zurück, dass dieselbe Hauptschuld durch mehrere jeweils privatautonom vereinbarte Bürgschaftsverpflichtungen gesichert ist, kann sich etwas anderes im Sinne des § 426 I auch daraus ergeben, dass einer der Bürgen nur eine Ausfallbürgschaft übernommen hat548.
546 Schuler, BB 1954, 551; Auernhammer, BB 1958, 973; Staud/Brändl (1959),§ 769 Rz 4; BGHZ 88, 185, 188 (14.7.1983); BGH NJW 1987, 374, 375 (23.10.1986); Horn, DZWir 1997, 266; Staud/ Horn, § 769 Rz 7; Bülow, Kreditsicherheiten, Rz 1027. 547 Ausdrücklich Auernhammer, BB 1958, 973; Weber, BB 1971, 336. 548 Vgl. Soergel/Pecher (2007), § 769 Rz 10 ff.
9. Mitbürgenregress bei fehlendem Regressrecht gegen den Hauptschuldner?
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9. Mitbürgenregress bei fehlendem Regressrecht gegen den Hauptschuldner? Schließlich stellt sich die Frage, ob ein Bürge Regress gegenüber seinem Mitbürgen nehmen kann, wenn er keinen Rückgriffsanspruch gegen den Hauptschuldner hat. Es ist bemerkenswert, dass diese Frage in der deutschen Literatur kaum angesprochen wird. Aus diesem Grund können auch hier mögliche Lösungswege nur skizziert werden. Die Vernachlässigung der Frage beruht offenbar auf der Dominanz der Gesamtschulddogmatik: Ein Gesamtschuldverhältnis im Sinne eines gesetzlichen Schuldverhältnisses besteht nach herrschender Lehre nur zwischen den Mitbürgen selbst; der Hauptschuldner bleibt außen vor. Doch die Regressrechte unter Mitbürgen können nicht isoliert von den jeweiligen Regressrechten gegenüber dem Hauptschuldner beurteilt werden, der im Regelfall gegenüber sämtlichen Mitbürgen intern primär zuständig ist. Indirekt angesprochen wird die Frage vereinzelt im Rahmen der Diskussion, ob es dann, wenn der Hauptschuldner gegenüber dem Bürgenregress eine rechtsvernichtende Einwendung i.S.d. § 774 I 3 hat, überhaupt zum Forderungsübergang nach § 774 I kommt. Nach dem Wortlaut des § 774 scheint auch dann, wenn der Bürge im Innenverhältnis zum Hauptschuldner verpflichtet ist, ein Forderungsübergang einzutreten, wobei aber der Hauptschuldner der übergegangenen Forderung seine Einwendung aus dem Innenverhältnis nach § 774 I 3 entgegensetzen kann. Nach einem Teil der Literatur, insbesondere Reinicke und Tiedtke, findet ein Forderungsübergang hier aber in Wahrheit nicht statt: Die Einwendung aus dem Innenverhältnis vernichtet die Gläubigerforderung nach § 774 I 3 schon mit ihrem Bestehen, nicht erst dann, wenn sie vom Hauptschuldner erhoben wird. In dem Augenblick, in dem die Gläubigerforderung auf den leistenden Bürgen übergeht, erlischt sie auch, so dass der Bürge die Forderung gegen den Hauptschuldner im Ergebnis nicht erwirbt549. Ein anderer Teil der Literatur ist demgegenüber der Ansicht, dass es auch dann zum Forderungsübergang kommt, wenn dem Hauptschuldner eine rechtsvernichtende Einwendung nach § 774 I 3 zusteht550. Für diese Konstruktion wird manchmal ins Feld geführt, dass nur sie einen Übergang von akzessorischen Drittsicherheiten auf den leistenden Bürgen ermögliche551. Dabei wird als selbstverständlich vorausgesetzt, dass ein Ausgleich unter den Sicherern auch dann stattfinden soll, wenn der leistende Bürge keinen Rückgriff gegen den Hauptschuldner hat552. 549
Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rz 353 ff.; dies., Kreditsicherung, Rz 388 ff.; von Olshausen, Gläubigerrecht, 161 ff., 164 ff.; ebenso schon Siber, Rechtszwang, 246; ders., Grundriß II, 168; Kreß, SR BT, 274; Hauk, Abtretung, 33. 550 RGRK/Mormann, § 774 Rz 2; Soergel/Mühl (1985), § 774 Rz 1; Staud/Horn, § 774 Rz 6, 40; wohl auch MüKo/Habersack, § 774 Rz 20; Soergel/Pecher, § 774 Rz 3; ausführlich J.Dieckmann, Derivativregreß, 333 ff. 551 So Staud/Horn, § 774 Rz 6; Dieckmann, Derivativregreß, 340, 344. 552 Hiervon gehen auch die Verfasser der PEL Personal Security aus, Art. 2:113, Comment § 8 (Lebon/Poulsen).
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IV. Regress und Regressvereitelung
Doch mit Hilfe des Forderungsübergangs ist ein solcher Ausgleich offenbar nicht möglich. Auch wenn man annimmt, dass der intern verpflichtete Bürge B1 mit seiner Leistung die Hauptschuld zunächst einmal erwirbt, bleibt es dabei, dass dem Hauptschuldner gegenüber seinem neuen Gläubiger B1 eine Einwendung zusteht. Die Forderung gegen B2 kann aber nur als Bürgenverpflichtung auf B1 übergehen. Wenn der Hauptschuldner gegenüber dem Gläubiger eine Einwendung erheben kann, steht diese wegen der Akzessorietät seiner Haftung nach §§ 767, 768 auch dem Bürgen zu. B2 kann sich gegenüber B1 also darauf berufen, dass der Hauptschuldner und damit auch er selbst gegenüber B1 nicht haften. Dieses Ergebnis kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass man den Forderungsübergang hinsichtlich B2 auf § 426 II stützt. Auch ein Zessionsregress nach § 426 II setzt voraus, dass die Gläubigerforderung nach ihren eigenen Regeln noch besteht553. Der Bürge haftet aber stets nur akzessorisch zum Hauptschuldner und kann daher von dessen Einwendungen Gebrauch machen. Steht also dem leistenden Bürgen B1 im Innenverhältnis kein Rückgriffsanspruch gegen den Hauptschuldner zu, scheitert ein Zessionsregress gegenüber dem Mitbürgen B2 am Akzessorietätsprinzip554. Es kann daher nur darum gehen, ob trotz des fehlenden Zessionsregresses ein Ausgleich unter den Mitbürgen nach dem Innenverhältnis oder nach § 426 I möglich ist. Hierbei kann zunächst an den Fall gedacht werden, dass B1 von vornherein im Innenverhältnis gegenüber dem Hauptschuldner verpflichtet war, die Last zu tragen, sei es, weil er sich schenkweise verbürgt hat, sei es, weil die Gegenleistung aus dem Grundgeschäft ihm zugutekam und er daher im wirtschaftlichen Sinne der Hauptschuldner ist, oder sei es, weil er gegenüber dem Hauptschuldner aus anderen Gründen dazu verpflichtet ist, die Erfüllung gegenüber dem Gläubiger zu übernehmen. Haben sich die Mitbürgen in dieser Art gemeinschaftlich verbürgt, ist ein vertraglicher Innenausgleich ebenso selbstverständlich wie in anderen Fällen, in denen sich mehrere gemeinschaftlich als Gesamtschuldner zu einer Leistung verpflichten. Sofern der Hauptschuldner von jedem Mitbürgen die interne Übernahme der Schuldenlast verlangen kann, ist hier sogar ein Zessionsregress nach § 426 II möglich. Die Forderung, die auf den leistenden Bürgen anteilig übergeht, ist dann aber nicht die Forderung des Gläubigers aus der Bürgschaft, sondern die Forderung des Hauptschuldners aus dem Grundgeschäft. Sind B1 und B2 aber Nebenbürgen, dann leuchtet es nicht von vornherein ein, warum B1 Ausgleich von B2 verlangen sollte, wenn er mit seiner Leistung an den Gläubiger lediglich das tat, wozu er dem Hauptschuldner gegenüber vertraglich verpflichtet war. Hatte B2 sich im Auftrag des Hauptschuldners verbürgt, ohne die interne Last zu übernehmen, dann führt ein anteiliger Ausgleichsanspruch von B1 gegen B2 dazu, dass B2 für das an B1 Geleistete seiner-
553 554
Vgl. oben, 1142 f. So zu Recht Kanka, JhJb 87 (1938), 188 f.
9. Mitbürgenregress bei fehlendem Regressrecht gegen den Hauptschuldner?
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seits Rückgriff beim Hauptschuldner nimmt. B1 würde so den Hauptschuldner, dem gegenüber er Freistellung versprochen hatte, indirekt doch in Anspruch nehmen, indem er seinen Auftragsbürgen belangt. Der Hauptschuldner könnte dann aus dem Innenverhältnis das an B2 Gezahlte wiederum von B1 verlangen. Damit entstünde ein überflüssiger Regresskreisel. Ist der Hauptschuldner S insolvent, kann dieser Kreisel zu unsachgemäßen Ergebnissen führen. B1 nimmt zur Hälfte Rückgriff bei B2, der seinen Regress gegen S nicht durchsetzen kann. B1 hat aber, indem er sich einen Teil seiner vertraglich geschuldeten Leistung von S’ Bürgen B2 wieder ersetzen ließ, seine Verpflichtung gegenüber S nur zum Teil erfüllt. S bzw. sein Insolvenzverwalter könnten daher gegen B1 einen vertraglichen Anspruch auf Rückzahlung der Gegenleistung oder Schadensersatz in Höhe der Hälfte von B2 geltend machen, so dass B1 im Ergebnis von seinem Rückgriffsrecht nicht profitiert. Auf Kosten von B2 begünstigt würde dann die Insolvenzmasse des S, die von der Hauptschuld vollständig befreit ist und trotzdem gegenüber B1 einen Anspruch hat, während B2 mit seinem Regress zum Teil ausfällt. Ähnliches gilt im Fall, dass B1 deswegen gegen S keinen durchsetzbaren Rückgriffsanspruch hat, weil er gegen S’ Willen den Gläubiger befriedigte, gegen den S eine aufrechenbare Gegenforderung zustand555, oder weil er es pflichtwidrig unterließ, S von der Zahlung in Kenntnis zu setzen und S ein zweites Mal leistete. Könnte B1 sich trotzdem an den Auftragsbürgen B2 halten, würde dieser wiederum für das an B1 Gezahlte Regress bei S nehmen, so dass die nicht gewünschte Zahlung des B1 an den Gläubiger bzw. die unterlassene Benachrichtigung den Hauptschuldner S doch mittelbar belasten würde. Nimmt man deswegen einen Schadensersatzanspruch des S gegen B1 an, entsteht wieder ein Regresskreisel, der im Falle der Insolvenz des S zu sachwidrigen Ergebnissen führen kann. Hatte sich aber B2 gegen den Willen von S verbürgt, so dass ihm kein Aufwendungsersatzanspruch zusteht, würde ein Ausgleichsanspruch von B1 gegen B2 dazu führen, dass B1 die Folgen seiner eigenen Entscheidung, die unerwünschte Leistung vorzunehmen, bzw. die Folgen seines Versäumnisses, den Hauptschuldner zu benachrichtigen, anteilig auf B2 abwälzen könnte, obwohl dieser, hätte ihn der Gläubiger belangt, dem Schuldner die Aufrechnung ermöglicht bzw. den Schuldner von seiner Zahlung benachrichtigt hätte. Zum französischen Recht hält Simler einen Mitbürgenregress unter diesen Umständen für ausgeschlossen: Der nicht leistende Mitbürge 555
Nach Kanka, JhJb 87 (1938), 177 mit Fn. 54, soll ein Bürge, der trotz einer Einrede aus § 770 II an den Gläubiger leistete, Regress bei den Mitbürgen nehmen können. Die Einrede aus § 770 II sei für die Bürgen ohnehin kein sicherer Behelf, weil die Aufrechnungslage zwischen Gläubiger und Hauptschuldner jederzeit etwa dadurch entfallen könne, dass der Hauptschuldner auf seine Forderung verzichtet oder der Gläubiger eine weitere Forderung gegen den Hauptschuldner hat und diese gegen dessen Forderung aufrechnet. Das ist richtig, aber dann besteht auch kein Problem beim Regress des leistenden Bürgen gegen den Hauptschuldner. Offenbar hat Kanka allein diejenigen Fälle vor Augen, in denen der Bürge, der trotz Aufrechnungslage leistete, dennoch Regress beim Hauptschuldner nehmen kann.
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IV. Regress und Regressvereitelung
dürfe nicht dazu gezwungen werden, sich an der unklugen Zahlung beteiligen zu müssen556. Es spricht daher viel für die Ansicht von Koban und Kanka, nach denen ein Bürge, der keinen Rückgriffsanspruch gegen den Hauptschuldner hat, grundsätzlich auch keinen Regress gegen Nebenbürgen geltend machen kann557. Im gewöhnlichen Gesamtschuldverhältnis dient der Ausgleichsanspruch dem Zweck, nicht die Gläubigerwillkür darüber entscheiden zu lassen, wer in Anspruch genommen wird und damit die Last allein tragen muss. Im Regelfall der Verbürgung durch mehrere ist zunächst aber der Hauptschuldner primär zur Lastentragung zuständig. Jeder leistende Nebenbürge hat daher einen Rückgriffsanspruch gegen den Hauptschuldner. Ein Ausgleich unter den Nebenbürgen kann aber dann gerechtfertigt werden, wenn der gemeinsame Hauptschuldner insolvent oder verschwunden ist. Ohne Regress würde die Gläubigerwillkür darüber entscheiden, wer die Last trägt, obwohl das Risiko des Ausfalls des Hauptschuldners von jedem Nebenbürgen in gleicher Weise übernommen wurde. Diese Rechtfertigung des Ausgleichs entfällt aber, wenn der leistende Nebenbürge zum Rückgriff gegen den Hauptschuldner nicht berechtigt ist. Dann ist ihm im Innenverhältnis zum Hauptschuldner die Last endgültig zugewiesen. Er trägt nicht mehr das gleiche Risiko wie die übrigen Nebenbürgen, welches einen Ausgleich rechtfertigen würde; vielmehr ist es das Recht und nicht die Gläubigerwillkür, das ihm die Last zugewiesen hat. Im Rahmen der herkömmlichen Gesamtschulddogmatik könnte ein solches Ergebnis durch die Annahme erreicht werden, dass dann, wenn einer der Nebenbürgen intern gegenüber dem Hauptschuldner verpflichtet ist, „etwas anders“ im Sinne des § 426 I 1 gilt, nämlich eine interne Alleinbelastung des gegenüber dem Schuldner verpflichteten Nebenbürgen. Eine Ausnahme will Koban, nicht aber Kanka, in dem Fall machen, in dem nicht nur der leistende Nebenbürge B1, sondern auch der andere Nebenbürge B2 gegenüber dem Hauptschuldner intern verpflichtet ist558. Denkbar ist der Fall, dass mehrere Bürgen sich unabhängig voneinander schenkweise verbürgen oder im Rahmen unterschiedlicher Verträge mit dem Hauptschuldner dazu verpflichtet sind, den Gläubiger regresslos zu befriedigen. Für einen Ausgleich unter den Nebenbürgen spricht hier auf den ersten Blick das Argument der Gläubigerwillkür: Ist jeder Bürge gegenüber dem Hauptschuldner intern verpflichtet, sollte nicht die Wahl des Gläubigers darüber entscheiden, wer von ihnen die Last tragen muss. Will man in diesem Fall aber einen Nebenbürgenregress zulassen, muss man sich darüber klar sein, dass damit ein Ausgleich nicht unter mehreren Sicherern
556 Simler, Cautionnement, § 642. Vgl. auch CMBC IV 10 § 15 Nr. 3, 5–6, wonach der Regress auch gegenüber den Mitbürgen ausgeschlossen ist, wenn sich der leistende Bürge in Schenkungsabsicht oder gegen den Willen des Hauptschuldners verbürgt oder trotz einer rechtsvernichtenden Einrede des Hauptschuldners geleistet hat. 557 Koban, Regress, 154 ff.; Kanka, JhJb 87 (1938), 188 f. 558 Koban, Regress, 156; anders Kanka, JhJb 87 (1938), 189 Fn. 61.
9. Mitbürgenregress bei fehlendem Regressrecht gegen den Hauptschuldner?
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stattfindet, die dasselbe Risiko übernommen haben, sondern zwischen mehreren Vertragsschuldnern, deren geschuldete Leistungen sich auf denselben Leistungsgegenstand beziehen. Dies wird sofort deutlich, wenn sich der Gläubiger dafür entscheidet, statt auf die Nebenbürgen auf den Hauptschuldner selbst zuzugreifen. In diesem Fall kann der Hauptschuldner von jedem Bürgen, der ihm gegenüber zur Befriedigung des Gläubigers verpflichtet war, aus dem Innenverhältnis Erstattung des Geleisteten verlangen. Das Argument der Gläubigerwillkür (hier der Hauptschuldnerwillkür) würde auch in diesem Fall für einen Regressanspruch des an den Hauptschuldner leistenden Nebenbürgen sprechen. Doch zumindest nach herkömmlicher Ansicht besteht zwischen den Vertragsverpflichtungen der Nebenbürgen gegenüber dem Hauptschuldner kein Gesamtschuldverhältnis. Es handelt sich um die Konkurrenz von unabhängigen vertraglichen Verpflichtungen, die sich zufällig auf denselben Leistungsgegenstand beziehen. Versprechen X und Y unabhängig voneinander wirksam dem Gläubiger G, seinen Zaun unentgeltlich zu reparieren, und kommt es dann zur Reparatur durch X, wird Y frei, weil er den Erfolg nicht mehr herbeiführen kann. Ein Ausgleich findet offenbar nicht statt. Sind X und Y hingegen Werkunternehmer, die G unabhängig voneinander zur Reparatur desselben Zauns beauftragt, führt die vertragliche Leistung durch X im Verhältnis zwischen G und Y zur Anwendung der Leistungsstörungsregeln, wobei zu klären ist, ob Y, der das Werk nun nicht mehr ausführen kann, trotzdem seinen Vergütungsanspruch behält, weil G für die Störung verantwortlich ist. Auch hier findet kein Gesamtschuldausgleich statt. Dann stellt sich die Frage, ob und warum etwas anderes gelten soll, wenn X und Y nicht gegenüber G die Reparatur des Zauns, sondern gegenüber dem Schuldner S die Freistellung gegenüber dem Anspruch seines Gläubigers versprechen, ohne gegenüber G die Außenhaftung zu übernehmen. Verneint man hier ein Gesamtschuldverhältnis, dann fragt es sich, ob nur deswegen etwas anderes gelten und ein Ausgleich stattfinden soll, weil X und Y sich noch zusätzlich im Außenverhältnis verbürgen. Die Zulassung eines Gesamtschuldregresses führt hier zu einer Aufteilung einer vertraglich geschuldeten Primärleistungspflicht, die mehrere Schuldner unabhängig voneinander unbedingt übernommen haben. Sofern X und Y für die interne Übernahme der Haftungslast jeweils einen Gegenleistungsanspruch gegen S hatten, würde sich die Frage stellen, ob und wie diese Ansprüche dadurch beeinflusst werden, dass jeder Bürge die von ihm versprochene Leistung im Ergebnis nur zur Hälfte erbringt. Diese Überlegung spricht nicht zwingend gegen einen Gesamtschuldregress, doch dieser würde dann nicht mehr auf dem Gedanken des Ausgleichs unter mehreren Sicherern beruhen. Im Ergebnis erscheint es daher gerechtfertigt, den Nebenbürgenregress nach §§ 426, 774 II in allen Fällen auszuschließen, in denen der leistende Mitbürge keinen Rückgriffsanspruch gegen den Hauptschuldner hat. Darüber hinaus wäre zumindest de lege ferenda zu erwägen, den Rückgriff gegen Nebenbürgen auf die Fälle zu beschränken, in denen der leistende Bürge seinen Regress gegen den Hauptschuldner wegen dessen Insolvenz oder Abwesenheit nicht durchsetzen kann. Nach dem oben Gesagten gilt dies zumindest für die Fälle, in denen dem
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IV. Regress und Regressvereitelung
regresspflichtigen Nebenbürgen die Einrede der Vorausklage zusteht559. Doch auch im Verhältnis unter selbstschuldnerischen Bürgen ist zu bedenken, dass der leistende Bürge nicht nur auf eine eigene vertraglich gegenüber dem Gläubiger eingegangene Verbindlichkeit leistet, sondern auch im Regelfall einen vertraglich begründeten Regress gegen den Hauptschuldner hat. Ist der Hauptschuldner solvent, gibt es kein Problem der Gläubigerwillkür, weil der in Anspruch genommene Bürge Regress bei demjenigen nehmen kann, mit dem er sich durch Übernahme der Bürgschaft verbunden hat. Es fehlt damit die Rechtfertigung, über die Vertragsgrenzen hinweg einen Dritten in Anspruch zu nehmen, der sich ebenfalls für die Hauptschuld verbürgt hat. Zumindest in bereicherungsrechtlichen Dreipersonenkonstellationen gilt der Grundsatz, dass sich der Leistende an denjenigen halten muss, mit dem ihn ein Vertrag oder ein sonstiges besonderes Innenverhältnis verbindet. Die Inanspruchnahme eines außenstehenden Dritten ist zwar in Ausnahmefällen möglich (§ 822), verlangt aber zumindest, dass der Anspruch gegen den Partner im Kausalverhältnis nicht durchsetzbar ist. In Fortführung dieses Gedankens könnte man auch dem Bürgen zumuten, sich zunächst an den Hauptschuldner zu halten, den er sich ausgesucht hat, bevor er fremde Nebenbürgen in Anspruch nimmt.
10. Die Grundlagen des Mitbürgenregresses Der pauschale Bezug auf die Gesamtschulddogmatik, in der die herrschende Lehre ein schon mit der Gesamtschuld entstehendes gesetzliches Schuldverhältnis unter den Gesamtschuldnern annimmt, hat der Lehre zum Mitbürgenregress mehr Schaden als Nutzen bereitet560. Vernachlässigt werden dabei die Besonderheiten der Bürgenhaftung, etwa die spezifischen Befreiungsgründe des Bürgen und der Umstand, dass der Haftungsverband unter den Bürgen auch den Hauptschuldner umfasst, der als Regressschuldner in erster Linie zuständig ist. Vor allem aber wird dabei aus den Augen verloren, dass ein grundlegender Unterschied besteht, je nachdem ob sich die Bürgen gemeinschaftlich verpflichten oder nur Nebenbürgen derselben Verbindlichkeit sind. Im Fall der gemeinschaftlichen Verbürgung besteht unter den Mitbürgen ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis. Dieses bestimmt, ob, wann und in welcher Höhe Regress genommen werden kann. Die Annahme eines daneben bestehenden gesetzlichen Schuldverhältnisses ist hier nicht nur überflüssig, sondern auch schädlich, weil sie sich über die vertraglichen Vereinbarungen oder über die Regeln des dispositiven Vertragsrechts hinwegsetzt. Ob Mitwirkungs- oder Befreiungsansprüche bestehen, richtet sich allein nach dem Innenverhältnis. Soweit nichts anderes vereinbart ist, gilt die Wertung des § 775 entsprechend: Ist die Übernahme einer Verbindlichkeit gerade Gegenstand einer vertraglichen Ver559 560
Oben, 1194 f. Ebenso Soergel/Pecher (2007), § 769 Rz 1, 3.
10. Die Grundlagen des Mitbürgenregresses
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pflichtung, entsteht ein Befreiungsanspruch (sofern das Innenverhältnis nicht beendet wird) grundsätzlich erst im Fall einer besonderen Risikoerhöhung, nicht schon mit der Fälligkeit der Hauptschuld. Dass der vertragliche Rückgriffsanspruch eigenständig verjährt, ist selbstverständlich; besondere vertragliche Verjährungsfristen gehen aber der allgemeinen Verjährungsfrist des § 195 vor und können nicht durch die Annahme eines zusätzlichen gesetzlichen Ausgleichsanspruchs umgangen werden561. Ebenso selbstverständlich ist, dass der Rückgriffsanspruch unabhängig vom Fortbestand der Außenhaftung ist und daher durch einen Erlass, eine Stundung, eine Verjährung oder sonstige Befreiungsgründe im Außenverhältnis grundsätzlich nicht berührt wird. Dies ergibt sich aber schon daraus, dass Grundlage des Regresses der Vertrag unter den Mitbürgen ist, und erfordert nicht die Konstruktion eines besonderen gesetzlichen Schuldverhältnisses. Tatsächlich kann es vertragliche Ausgleichsansprüche auch gegen einen Beteiligten geben, der sich gegenüber dem Gläubiger nicht oder nicht wirksam oder nur eingeschränkt verpflichtet hat, sofern nur die gemeinsame Übernahme und die interne Lastenteilung vereinbart waren. Sachgerecht erscheint es aber, den Anwendungsbereich der Vorschrift des § 776 zu reduzieren, wenn der nicht befreite Mitbürge einen vertraglichen Ausgleichsanspruch gegen den befreiten hat. Nach ihrer Struktur muss die Vorschrift allerdings zumindest in den Fällen eingreifen, in denen die Verbindlichkeit des Befreiten durch Vorzugsrechte oder dingliche Sicherheiten besonders gesichert war. Die Beschränkung auf Fälle, in denen der Regress nicht durchsetzbar ist, macht aus § 776 eine Schadensersatzvorschrift. Der Regress unter gemeinschaftlichen Mitbürgen findet also allein auf vertraglicher Grundlage statt. Dem steht nicht die Vorschrift des § 426 I entgegen. Sie gilt nur, soweit nichts anderes bestimmt ist, und sollte ursprünglich die Funktion haben, den Nachweis eines vertraglichen Innenverhältnisses zu ersparen. Auch heute erfüllt § 426 I den Zweck, einen Kopfteilregress zu vermuten, wenn der leistende Mitbürge das vertragliche Innenverhältnis nicht beweisen kann. Grundsätzlich anders verhält es sich, wenn die Mitbürgen als Nebenbürgen durch kein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis verbunden sind. Die Zulassung eines Nebenbürgenregresses kommt hier einer Versionsklage nahe. Der leistende Nebenbürge hat nichts anderes getan, als seine vertraglich gegenüber dem Gläubiger eingegangene Verbindlichkeit zu erfüllen, möchte aber hiervon anteilig entlastet werden, weil seine Leistung zugleich einen anderen Bürgen befreit hat. Unter diesem Blickwinkel ist die Entscheidung einer Reihe von älteren Regelwerken, einen Regress unter Nebenbürgen nicht zu gewähren, verständlich. Lässt man aber den Rückgriff unter Berufung auf das Argument der Gläubigerwillkür zu, dürfen die Vertragsbeziehungen im Gefüge zwischen Gläubiger, Schuldner und Bürgen nicht aus den Augen verloren werden. Ein leistender Nebenbürge hat in der Regel, häufig auf vertraglicher Grundlage, einen Rückgriffsanspruch gegen den Hauptschuldner. Soweit dieser Anspruch durchsetzbar ist, kann zu561
Oben, 295 ff.
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IV. Regress und Regressvereitelung
mindest das Argument der Gläubigerwillkür den Nebenbürgenregress nicht rechtfertigen. Auch dann, wenn aus besonderen Gründen ein Rückgriffsanspruch gegen den Hauptschuldner nicht gegeben ist, erscheint ein Regress gegen Nebenbürgen nicht sinnvoll. Viel spricht daher dafür, einen Nebenbürgenregress nur dann zuzulassen, wenn der leistende Nebenbürge einen Rückgriffsanspruch gegen den Hauptschuldner hat, diesen aber nicht durchsetzen kann. Die Lehre von der Schuldgemeinschaft unter Nebenbürgen berücksichtigt den Hauptschuldner nicht. Statt dessen nimmt sie ein schon mit der Mitbürgschaft entstehendes gesetzliches Schuldverhältnis an, das Mitwirkungspflichten und Regressansprüche eröffnet, die unabhängig vom Fortbestand der Verbindlichkeiten im Außenverhältnis sind. Damit setzt sie sich in unzulässiger Weise über die durch die Privatautonomie gezogenen Grenzen hinweg. Ein Erlass, eine Umwandlung zur Ausfallbürgschaft, eine Stundung, ein klageabweisendes Urteil oder eine gegenüber dem Gläubiger bestehende Aufrechnungslage verhindern danach nicht, dass der betroffene Nebenbürge einem fälligen Regressanspruch ausgesetzt wird. Er wird also allein dadurch benachteiligt, dass ein weiterer Bürge sich gegenüber dem Gläubiger für dieselbe Hauptschuld verbürgt hat, so dass der Vertrag des regressbegehrenden Nebenbürgen mit dem Gläubiger einem Vertrag zulasten Dritter gleichkommt. Der regressbegehrende Nebenbürge muss sich auf die Schuldnerstellung und damit der Sache nach auf eine fremde vertragliche Verpflichtung berufen, soll aber Änderungen in der fremden Vertragsbeziehung ignorieren dürfen. Damit wird der regresspflichtige Nebenbürge ohne jeden sachlichen Grund schlechter gestellt als der Hauptschuldner, der, sofern ihn mit dem Bürgen kein besonderes Innenverhältnis verbindet, lediglich einen Zessionsregress befürchten muss und damit durch die Bürgenleistung nicht benachteiligt wird. Der Schutz, den der Hauptschuldner im Fall von Fremdleistungen genießt, die ihm praktisch nicht zugutekommen, wird dem Nebenbürgen ohne Grund versagt. Warum aber der Vertrag zwischen einem Bürgen und dem Gläubiger einem anderen Bürgen eine Rechtsstellung einräumen muss, die ihm durch die Vertragsparteien nicht mehr entzogen werden kann, bleibt im Dunkeln. Vor Benachteiligungen durch Gläubigerwillkür schützt § 776. Die Notwendigkeit einer Schuldgemeinschaft ergibt sich auch nicht aus § 426 I. Die Vorschrift legt in Verbindung mit § 769 lediglich fest, dass ein Regress unter Nebenbürgen überhaupt stattfindet, sagt aber nichts über seine Ausgestaltung. Über Mitwirkungspflichten traf der Gesetzgeber keine Entscheidung. Tatsächlich ist es sogar möglich, dass der gesetzliche Gesamtschuldregress nach Ansicht des historischen Gesetzgebers nicht stattfinden sollte, wenn der andere Gesamtschuldner zur Zeit der Leistung gar nicht mehr dem Zugriff des Gläubigers ausgesetzt war, etwa nach einem Einzelerlass. Die Vorschrift des § 776 und der offene Gesamtschuldbegriff des Gesetzgebers lassen sich jedenfalls nur so überzeugend erklären. In den Nachbarrechtsordnungen ist ein umfassendes gesetzliches Schuldverhältnis unter Nebenbürgen unbekannt. Dies gilt selbst für das österreichische Recht, in dem § 1363 ABGB einen Regressanspruch gegen einen entlassenen Mit-
10. Die Grundlagen des Mitbürgenregresses
1227
bürgen ausdrücklich zulässt. Für Koban war der eigene Regressanspruch unter Nebenbürgen eine Errungenschaft, die den Ausgleich unter den Bürgen unabhängig vom Verhalten des Gläubigers machte562. Doch der Regress durfte seiner Ansicht nach nicht zu einer Verpflichtung führen, die über die Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger hinausging563. Für den Fall der Entlassung eines Mitbürgen hielt er die anteilige Befreiung des verbleibenden Mitbürgen nach § 776 BGB für sachgerechter als die durch § 1363 ABGB angeordnete fortdauernde Regresshaftung des Entlassenen564. Im Übrigen sollte die Regresslösung des § 1363 nur für absichtliche Verfügungen durch den Gläubiger gelten. Sofern ein Bürge zum Leistungszeitpunkt aus anderen Gründen vom Gläubigerzugriff befreit war, etwa wegen Verjährung, konnte er für Koban weder nach österreichischem noch nach deutschem Recht zum Nebenbürgenregress herangezogen werden565. In ähnlicher Weise geht eine jüngere Untersuchung von Bacher von dem Grundsatz aus, dass der Rückgriff gegen einen Mitbürgen nicht weiter reichen dürfe als die von diesem gegenüber dem Gläubiger eingegangene Verpflichtung. Der Regress unter Nebenbürgen muss sich für Bacher daher in seiner Ausgestaltung an die Gläubigerforderung anlehnen. Im Ergebnis soll es sich um einen Zessionsregress handeln, der gegenüber einem gewöhnlichen Forderungsübergang in Einzelpunkten, etwa in der Wirkung des Einzelerlasses nach § 1363 ABGB, modifiziert ist. Die Verjährung soll sich grundsätzlich an der Gläubigerforderung ausrichten; hat aber ein Mitbürge bei noch unverjährter Gläubigerforderung geleistet, soll ihm in jedem Fall eine kurze Frist zur Klageerhebung eingeräumt werden566. Auch zum deutschen Recht wird die herrschende Lehre von der Schuldgemeinschaft von denjenigen Autoren, die sich näher mit dem Regress unter Nebenbürgen befasst haben, abgelehnt. Für Fritz Schulz war der Regress bei gemeinschaftlicher Mitbürgschaft vertraglich begründet, während sich ein Rückgriff gegen einen Nebenbürgen nur auf dessen Befreiung von der Gläubigerforderung stützen und daher inhaltlich nicht weiter gehen konnte als die Gläubigerforderung selbst567. Ein Nebenbürge konnte daher seine gegenüber dem Gläubiger bestehenden Einreden, etwa die der Verjährung, oder eine gegenüber dem Gläubiger bestehende Aufrechnungslage auch gegenüber dem Regress des anderen Bürgen geltend machen568. Nur im Falle eines Einzelerlasses empfand Schulz die fortdauernde Regresshaftung als sachgerecht, nahm aber die entgegenstehende Vorschrift des § 776 als geltendes Recht hin569.
562 563 564 565 566 567 568 569
Koban, Regress (1904), 139 ff., 145, 160. A.a.O., 152, anders aber offenbar 172. A.a.O., 162, 167. A.a.O., 167, 175. Bacher, Ausgleichsansprüche (1994), 81 ff., 87, 90 ff., 104 ff., 108 f. Schulz, Rückgriff (1907), 39 ff., 45. A.a.O., 74 ff. A.a.O., 78 f.
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IV. Regress und Regressvereitelung
Kanka ging davon aus, dass es unter gemeinschaftlichen Mitbürgen ein vertragliches Innenverhältnis gibt, das die Grundlage des Regresses bildet und von § 426 I schon vorausgesetzt wird570. Diese vertraglichen Ausgleichsansprüche konnten dann auch nicht durch Vereinbarungen zwischen dem Gläubiger und einem Bürgen berührt werden571. Nebenbürgen aber waren für Kanka durch kein Rechtsverhältnis miteinander verbunden. Jeder Nebenbürge trete nur in eine Rechtsbeziehung zum Gläubiger. Es sei unbillig, ihn über seine gegenüber dem Gläubiger eingegangene Verpflichtung hinaus an einen ihm vielleicht unbekannten weiteren Bürgen zu binden. Der Regress unter Nebenbürgen könne daher nur im Wege des Forderungsübergangs nach § 426 II stattfinden. § 769 stehe dem nicht entgegen, weil er nur das Außenverhältnis der Mitbürgen zum Gläubiger regele. Nach § 404 könne ein Bürge seine gegen den Gläubiger bestehenden Einwendungen auch dem Rückgriff durch einen Nebenbürgen entgegenhalten. Vor Eingriffen durch den Gläubiger schütze § 776572. Zu einem ähnlichen Ergebnis ist neuerdings Pecher gekommen. Weil die Rechtsfolgen der Bürgschaft nur vertraglich begründet werden könnten, müssten auch die Rechtsfolgen der Mitbürgschaft vertraglich hergeleitet werden. Der Ausgleich unter den Mitbürgen könne daher nur auf vertraglicher Grundlage stattfinden573. Bei gemeinschaftlicher Mitbürgschaft beruhe er auf dem vertraglichen Innenverhältnis, das schon durch die Verabredung zur gemeinsamen Bürgschaftsübernahme entstehe, auch wenn über Regressfragen keine ausdrückliche Vereinbarung getroffen sei. In das vertraglich begründete Ausgleichsverhältnis könne der Gläubiger selbstverständlich nicht durch eine besondere Vereinbarung mit einem Mitbürgen eingreifen574. Bei Nebenbürgen aber könne rechtsbegründender Tatbestand nur der Vertrag jedes Nebenbürgen mit dem Gläubiger sein. Ein gesetzliches Schuldverhältnis, das durch ein Nebeneinander vertraglich eingegangener Beziehungen entstehe, sei nicht denkbar. Mangels rechtsgeschäftlicher Innenbeziehung könnten daher unmittelbare Ausgleichsansprüche nicht entstehen. Ein Regress gegen Nebenbürgen sei nur mit Hilfe der zedierten Gläubigerforderung möglich. Ob es zur Zession komme, bestimme nicht das Gesetz. Vielmehr regele der einzelne Sicherungsvertrag, ob der Bürge im Fall seiner Leistung Regress bei weiteren Sicherungsgebern nehmen und im Fall der Nichtleistung von einem anderen Sicherungsgeber in Anspruch genommen werden könne575. Typischer Vertragswille sei, dass der leistende Bürge ein Recht auf anteilige Zession gegen gleichrangige andere Sicherer habe. Das Gesetz gehe mit dem in §§ 774 II, 426 angeordneten Forderungsübergang von diesem typisierten Vertragswillen aus. Voraussetzung
570 571 572 573 574 575
Kanka, JhJb 87 (1938), 128, 158 ff. JhJb 87, 165. JhJb 87, 168 ff. Soergel/Pecher (2007), § 769 Rz 1, 3 f., § 774 Rz 25. Soergel/Pecher, § 769 Rz 5, 8, § 774 Rz 26. Soergel/Pecher, § 769 Rz 3, 8 a.E.
10. Die Grundlagen des Mitbürgenregresses
1229
eines Regresses sei aber nicht nur, dass der Sicherungsvertrag des leistenden Bürgen den Forderungserwerb ermögliche, sondern dass auch der Sicherungsvertrag des anderen Bürgen den Erwerb zulasse. So könne sich ein Bürge auch nachrangig (Ausfallbürgschaft) oder vorrangig verpflichten. Die Vorschriften der §§ 769, 774, 426 hätten bei Nebenbürgen die Funktion, einen Vertragsinhalt, der sich auf einen gleichrangigen Ausgleich richtet, widerlegbar zu vermuten576. Der Regress unter Nebenbürgen findet danach allein mit Hilfe der zedierten Gläubigerforderung statt, so dass ein Nebenbürge seine Einwendungen und Einreden gegen den Gläubiger auch gegenüber dem Regressverlangen geltend machen kann577. Es ist bemerkenswert, dass Pecher, Kanka und (abgesehen vom Erlass) Schulz übereinstimmend zum Ergebnis kommen, dass ein Nebenbürge nur insoweit zum Regress herangezogen werden kann, wie er auch gegenüber dem Gläubiger haftet. Schulz verstand die Vorschrift des § 426 I als einheitlichen Regressanspruch, der sich mangels Innenverhältnis nur auf die Bereicherung des anderen Schuldners in Form seiner Befreiung von der Gläubigerforderung stützen konnte, so dass diese für die Ausgestaltung des Regresses maßgeblich war. Noch weiter gehen Kanka und Pecher, wonach der Nebenbürgenausgleich allein in Form eines Zessionsregresses stattfindet. Zu dieser Lösung war auch schon das Gemeine Recht gelangt. Tatsächlich entspricht der reine Zessionsregress den Besonderheiten der Nebenbürgenhaftung und den Grundsätzen der Privatautonomie in idealer Weise. Der Nebenbürge, der sich rechtsgeschäftlich allein gegenüber dem Gläubiger verpflichtet hat, wird nicht über diese Verpflichtung hinaus in Anspruch genommen. Wie jeder gewöhnliche Schuldner muss er lediglich einen Gläubigerwechsel fürchten, wobei aber seine Einwendungen und Einreden unberührt bleiben. Er wird also nicht dadurch benachteiligt, dass ein anderer sich gegenüber dem Gläubiger für dieselbe Hauptschuld verbürgt. Der leistende Nebenbürge wiederum benötigt einen privilegierten doppelspurigen Regress nicht im selben Maße wie ein Vertragsgesamtschuldner, der auf die Mithaftung seiner Mitschuldner rechnet, oder ein Schadensersatzgesamtschuldner, der unfreiwillig haftet578. Weil das Gesamtschuldverhältnis unter Nebenbürgen allein durch die Konkurrenz mehrerer rechtsgeschäftlich übernommener Verbindlichkeiten entsteht, findet auch der Regress mittels der rechtsgeschäftlich begründeten Forderung statt. Der reine Zessionsregress ist aber nicht die Lösung des BGB. Zu Unrecht nahm Kanka an, dass sich die Vorschrift des § 769 allein auf das Außenverhältnis beziehe. Sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach der Absicht des historischen Gesetzgebers verweist sie auf die §§ 421 ff. insgesamt und damit auch auf die Vorschrift des § 426, die einen Kombinationsregress eröffnet, nämlich einen eigenen Rückgriffsanspruch, der durch den Übergang der Gläubigerforderung abgesichert wird. Pecher will sich darüber hinwegsetzen, weil seiner Ansicht nach der 576 577 578
Soergel/Pecher, § 769 Rz 10, 16 f., § 774 Rz 27. Soergel/Pecher, § 769 Rz 16, § 774 Rz 29. So auch Friedmann/Cohen, Adjustment, §§ 28, 30, 51, 64 a.E.
1230
IV. Regress und Regressvereitelung
Gesetzgeber bei der Anwendung des § 426 auf Mitbürgen in der gemeinrechtlichen Tradition nur an gemeinschaftliche Bürgen gedacht hat579. Dies ist historisch nicht richtig. Der Nebenbürgenregress mittels erzwingbarer Zession sowie die Teilungseinrede unter Nebenbürgen waren im Gemeinen Recht bekannt. Anders als einige Regelwerke, die den Nebenbürgenregress bewusst nicht zuließen, entschied sich der Gesetzgeber des BGB für eine Gleichbehandlung von gemeinschaftlichen und Nebenbürgen auch in der Regressfrage. Entgegen Pecher ist der Gesetzgeber auch nicht daran gehindert, im Fall der Konkurrenz rein vertraglicher Verbindlichkeiten einen gesetzlichen Ausgleichsanspruch vorzusehen, solange er dabei die Grundsätze der Privatautonomie beachtet. Wer sich allein vertraglich verpflichtet, kann sich dennoch auf Grundlage dieser Verpflichtung einem gesetzlich begründeten Rückgriffsanspruch gegenübersehen, etwa im Fall, dass ein Dritter seine Verbindlichkeit nach § 267 erfüllt und dann eine Rückgriffskondiktion geltend macht. Bei der Konkurrenz rein vertraglicher Schadensersatzansprüche, etwa gegenüber einem Architekten und einem Bauunternehmer, billigt auch Pecher den gesetzlichen Ausgleichsanspruch nach § 426 I580. Bei Nebenbürgen konkurrieren freilich keine Schadensersatz-, sondern Primärleistungsansprüche. Es ist aber nicht ersichtlich, warum es auf diesen Unterschied ankommen sollte, da auch die vertragliche Schadensersatzverbindlichkeit auf privatautonomer Grundlage beruht. Eine sachgerechte Lösung des Nebenbürgenregresses ist auch auf der Grundlage des § 426 I möglich. Die Vorschrift gebietet keine Schuldgemeinschaft im Sinne der herrschenden Lehre, sondern lässt die Ausgestaltung des Regresses offen. Für Nebenbürgen könnte der Gesamtschuldregress ähnlich wie bei Schulz auf den bereicherungsrechtlichen Gedanken der Befreiung des nichtleistenden Nebenbürgen von der Gläubigerforderung gestützt werden. Ebenso wie bei der Rückgriffskondiktion stünden dem in Anspruch genommenen Nebenbürgen alle Einwendungen und Einreden gegenüber der Gläubigerforderung auch gegen den Rückgriff aus § 426 I zu. Der Regress nach § 426 hätte dann die Gestalt einer durch den Übergang der Gläubigerforderung (§ 426 II) abgesicherten Rückgriffskondiktion (§ 426 I) und würde sich im Ergebnis nicht von einem reinen Zessionsregress unterscheiden. Dem steht nicht entgegen, dass nach diesem Modell der Rückgriff nach § 426 I keine eigenständige Rolle mehr spielt, weil er keine Vorteile bietet, die über den Zessionsregress nach § 426 II hinausgehen. Der Gesetzgeber hat nicht festgelegt, dass der Rückgriff nach § 426 I in allen Fällen Vorteile bieten muss, die der Zessionsregress nicht hat. Vielmehr bleibt auch nach diesem Modell § 426 I die Grundnorm: Sie legt fest, dass die insgesamt übernommene Verpflichtung unter den Gesamtschuldnern nach einem bestimmten Maßstab aufgeteilt wird und dass es bei einer Leistung über den eigenen Anteil hinaus ein Rückgriffsrecht gibt. Dieses Rückgriffsrecht nimmt in den unterschiedlichen Gesamtschuldfall579 580
Soergel/Pecher, § 769 Rz 1–3 und Fn. 282, § 774 Rz 24. Soergel/Pecher, § 769 Rz 3.
10. Die Grundlagen des Mitbürgenregresses
1231
gruppen unterschiedliche Gestaltungen an. Bei gemeinschaftlicher Mitbürgschaft begründet § 426 I die tatsächliche Vermutung für einen vertraglichen Ausgleichsanspruch, der autonom vom Fortbestand der Außenhaftung ist. Bei Nebenbürgen nimmt § 426 I dagegen die Gestalt einer Rückgriffskondiktion an. Unabhängig davon, welche Gestaltung der eigene Regress annimmt, wird er nach § 426 II durch den Übergang der Gläubigerforderung abgesichert, selbstverständlich aber nur in dem Maße, in dem die Gläubigerforderung nach ihren eigenen Regeln noch bestehen würde. Die Vorschrift des § 426 I ist dann keineswegs funktionslos. Denkbar wäre aber auch, den Anspruch aus § 426 I derart auszugestalten, dass er in gewissen Bereichen Vorteile gegenüber einem reinen Zessionsregress bietet. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn der Rückgriffsanspruch aus § 426 I zwar nur dann durchsetzbar ist, wenn der Regressschuldner von einer unverjährten Forderung befreit wurde, dann aber eigenständig verjährt. Hierfür könnte sprechen, dass dem leistenden Bürgen gegenüber dem Hauptschuldner praktisch stets ein eigenständig verjährender Regress gewährt wird, indem man einen Anspruch aus §§ 683, 670 annimmt, während diese Regressgrundlage für den Nebenbürgen zumindest dann versperrt ist, wenn er die Verbindlichkeiten der übrigen Bürgen nicht kannte. Auch die Nachbarrechtsordnungen gehen überwiegend von einem eigenständig verjährenden Mitbürgenregress aus. Vielleicht entspricht diese Lösung auch der Vorstellung des historischen Gesetzgebers. In Betracht käme ferner, im Fall eines vertraglichen Abtretungsverbots einen Regress nicht nach § 426 II, sondern nur nach § 426 I zuzulassen. Darüber hinaus wäre es zumindest denkbar, der herrschenden Lehre noch weiter entgegenzukommen und bestimmten nachträglichen Ereignissen ihre Wirkung auf den Regress zu versagen, sofern der regresspflichtige Nebenbürge von der Verbindlichkeit weiterer Nebenbürgen Kenntnis hatte. Eine solche Lösung wurde hier zum Regress unter vertraglichen Schadensersatz-Gesamtschuldnern vorgeschlagen581. Sie beruht auf dem Gedanken, dass ein Schuldner, der sich allein gegenüber seinem Gläubiger vertraglich verpflichtet hat, auch im Wege des Regresses nicht über die mit dem Gläubiger vereinbarten Modalitäten hinaus in Anspruch genommen werden kann, so dass ihm seine Einwendungen und Einreden gegen den Gläubiger nicht dadurch entzogen werden können, dass sich auch ein anderer gegenüber dem Gläubiger verpflichtet. Der Gläubiger kann seine Forderung aber abtreten. Der Schuldner kann sich also nicht darauf verlassen, dass nachträgliche Rechtsgeschäfte mit seinem ursprünglichen Gläubiger oder nachträglich entstehende Aufrechnungslagen oder ähnliche Ereignisse, die sein Verhältnis zum ursprünglichen Gläubiger betreffen, stets auch endgültig über das Schicksal seiner vertraglich übernommenen Verbindlichkeit entscheiden. Vielmehr schützt das Recht nach einer Abtretung nur noch den guten Glauben des Schuldners: Nur dann, wenn er von der Abtretung keine Kenntnis hatte, wirken
581
Oben, 1008 ff.
1232
IV. Regress und Regressvereitelung
sich Ereignisse zwischen ihm und seinem Altgläubiger auch auf seine Verbindlichkeit gegenüber dem neuen Gläubiger aus. Im Gesamtschuldverhältnis wäre eine Lösung denkbar, den Schuldner vor einem Regress nach § 426 I zwar ähnlich wie durch §§ 406 ff. zu schützen, aber die Kenntnis der Abtretung durch die Kenntnis des Gesamtschuldverhältnisses selbst zu ersetzen. Ein mit seinem Gläubiger vereinbarter Erlass würde ihn danach nicht von seiner Ausgleichspflicht befreien, wenn er von der Verbindlichkeit eines weiteren Bürgen Kenntnis hatte. Weil das Recht, sich auf Erlassvereinbarungen mit dem bisherigen Gläubiger verlassen zu dürfen, ohnehin nicht absolut vor dem Eingriff durch fremde Rechtsgeschäfte geschützt wird, sondern nur im Fall des guten Glaubens, wäre diese Lösung mit den Grundsätzen der Privatautonomie wohl noch vereinbar. Bei der Frage nach der Ausgestaltung des Nebenbürgenregresses gibt es also zunächst einmal einen gewissen Entscheidungsspielraum. Unzulässig, weil mit der Privatautonomie nicht vereinbar, erscheint nur das Schuldgemeinschaftsmodell der herrschenden Lehre. Besonders geeignet angesichts der Tatsache, dass mehrere vertraglich übernommene Verbindlichkeiten konkurrieren, ist ein Regress unter Aufrechterhaltung aller Einwendungen nach §§ 404 ff., der sachlich nicht über einen Zessionsregress hinausgeht. Denkbar wäre aber auch eine Lösung, die der herrschenden Lehre in Einzelfragen entgegenkommt, sei es durch eine eigenständige Verjährung des Rückgriffsanspruchs, sei es durch eine analoge Anwendung der Abtretungsregeln, bei der auf die Kenntnis des Gesamtschuldverhältnisses abgestellt wird. Doch die Frage nach der Ausgestaltung des Nebenbürgenregresses kann nicht isoliert beantwortet werden. Der Regress unter Nebenbürgen muss systematisch mit dem Regress des Bürgen gegen den Hauptschuldner abgestimmt werden. Die herrschende Lehre übersieht diesen Punkt, weil sie ein Gesamtschuldverhältnis zwischen Bürge und Hauptschuldner verneint.
11. Bürgschaft und Gesamtschuld Ob eine Gesamtschuld zwischen dem Hauptschuldner und dem Bürgen besteht, ist bekanntlich seit Inkrafttreten des BGB umstritten. Im 19. Jahrhundert nahm man überwiegend eine durch das Akzessorietätsprinzip modifizierte Korrealobligation an582. Auch der Gesetzgeber ging offenbar von einem akzessorischen Gesamtschuldverhältnis aus583, eine Einstellung, die noch Spuren in der frühen Rechtsprechung und Literatur hinterlassen hat584. Im Laufe des 20. Jahrhunderts hat sich in Lehre und Rechtsprechung weitgehend die Meinung durchgesetzt, dass Bürgschaft und Gesamtschuld Rechtsinstitute sind, die sich gegenseitig 582
Oben, 1072 ff. Oben, 1084. 584 RG JW 1906, 47 Nr. 7 (23.11.1906); RG Recht 1913 Nr. 1270 (20.2.1913); Crome, Schuldverhältnisse, § 206 II 5; Dernburg, Bürgerliches Recht II, § 161 IV 3. 583
11. Bürgschaft und Gesamtschuld
1233
ausschließen585. Nur ein kleiner Teil der Literatur hält die Bürgschaft für ein durch die Akzessorietät modifiziertes Gesamtschuldverhältnis586. Andere Autoren bejahen die strukturelle Gemeinsamkeit beider Institute und die theoretische Möglichkeit, die Bürgschaft als Gesamtschuldverhältnis aufzufassen, sind aber der Ansicht, dass die Bürgschaft in den §§ 765 ff. abschließend geregelt ist, so dass es zumindest im Recht des BGB eines Rückgriffs auf die §§ 421 ff. nicht bedarf587. Wie auch die Vertreter der herrschenden Lehre zunehmend anerkennen588, kann die Mehrheit der Argumente, mit denen ein Gesamtschuldverhältnis zwischen Hauptschuldner und Bürge abgelehnt wird, nicht überzeugen. Sowohl bei der Gesamtschuld als auch bei der Bürgschaft stehen dem Gläubiger mehrere Schuldner gegenüber, die jeweils aus ihrer eigenen Verbindlichkeit die Befriedigung desselben Leistungsinteresses des Gläubigers schulden. Der Gedanke, der Hauptschuldner müsse leisten, der Bürge aber nur für die Verbindlichkeit des Schuldners einstehen589, führt nicht weiter, weil auch der Bürge schuldet. Ob er den gleichen Leistungsgegenstand wie der Hauptschuldner oder nur eine Interesseleistung schuldet590, ist unerheblich, weil auch im Gesamtschuldverhältnis eine
585 RGZ 65, 134, 139 (31.1.1907); RGZ 96, 136, 139 f. (26.6.1919); RGZ 134, 126, 128 (5.11.1931); RGZ 148, 65, 66 (20.5.1935); BGH NJW 1955, 1398 (12.7.1955); BGH WM 1968, 916, 918 (25.3.1968); BGH WM 1984, 131, 132 (24.11.1983); Hruza, SächsArch 5 (1895), 297, 301; Sievers, Recht 1903, 251; Westerkamp, Bürgschaft (1908), 249 ff.; Planck/Siber, § 421 Anm. 1 a; Planck/Oegg, § 765 Anm. 6 b; Oertmann, Schuldverhältnisse AT, vor § 420 Anm. 5 a; ders., Schuldverhältnisse BT, vor § 765 Anm. 3 b; von Gierke, Deutsches Privatrecht I, § 182 I (S. 247); Warneyer, BGB, Anm. zu § 421; Staud/Werner (1930), vor § 420 Anm. 4; Staud/Brändl (1959), vor § 765 Rz 9; Soergel/Re. Schmidt (1967), § 421 Rz 6; Esser, Schuldrecht (2. Aufl. 1960), §§ 97 Nr. 4, 160 Nr. 1 c; Larenz, Schuldrecht AT, § 37 I bei Fn. 14; ders., Schuldrecht BT, § 64 I (S. 475); E. Wolf, SR AT, 539 Fn. 65; Medicus, SR AT, Rz 800; ders., SR BT, Rz 526; Selb, Mehrheiten, 10 f., 212 f.; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 14; Preißer, JuS 1987, 802; Jürgens, Teilschuld, 38; BeckerEberhard, Sicherungsrechte, 228 ff.; Lwowski, Kreditsicherung, Rz 344; Schürnbrand, Schuldbeitritt, 27 ff.; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 48 f., 439 ff.; Brox/Walker, SR AT, Rz 37/10; M.Wolf/Niedenführ, JA 1985, 371 f.; Soergel/M.Wolf, § 421 Rz 23; RGRK/Weber, § 421 Rz 38; Soergel/Mühl (1985), vor § 765 Rz 7; Staud/Horn, vor § 765 Rz 16; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 33; Soergel/Häuser, vor § 765 Rz 13; Jauernig/Stürner, vor § 420 Rz 5; Palandt/Grüneberg, vor § 420 Rz 10; BamR/Gehrlein, § 421 Rz 8; BamR/Rohe, § 765 Rz 91. 586 Heck, Schuldrecht, § 75 Nr. 8 a (S. 232), § 126 Nr. 3 (S. 380); Kreß, SR BT, 261; Henle, SR, §§ 138, 141; Ehmann, Gesamtschuld (1972), 332 ff.; Erman/Ehmann, § 421 Rz 48; Weitnauer, Personenmehrheit (1978), 383 Fn. 38; Wernecke, Gesamtschuld (1990), 134 ff.; Bacher, Ausgleichsansprüche (1994), 54 ff.; für die selbstschuldnerische Bürgschaft Lumm, Ausgleich (1968), 130 ff. 587 Enneccerus, Schuldverhältnisse, § 314 II 3, § 411 I 2 b; Reichel, Schuldmitübernahme (1909), 32, 40 ff., 74 ff., 86; Flume, Personengesellschaft (1977), 286 ff.; Staud/Noack, § 421 Rz 35 ff.; Bülow, Kreditsicherheiten, Rz 38–40; jurisPK/Rüßmann, § 421 Rz 20; in diese Richtung auch RGZ 53, 403, 404 (7.2.1903); für die selbstschuldnerische Bürgschaft auch Goette, Gesamtschuldbegriff, 91. 588 Vgl. Selb, Mehrheiten, 212 f.; Becker-Eberhard, Sicherungsrechte, 228 ff., 237. 589 Sievers, Recht 1903, 251; Westerkamp, Bürgschaft, 252; Reichel, Schuldmitübernahme, 74 ff., 81; RGRK/Weber, § 421 Rz 38. 590 Hierauf stellen ab Sievers, Recht 1903, 251; Reichel, Schuldmitübernahme, 74 ff., 83, 86; Planck/Oegg, § 765 Anm. 6 b; Staud/Brändl (1959), vor § 765 Rz 9.
1234
IV. Regress und Regressvereitelung
Inhaltsgleichheit nicht erforderlich ist, solange es um dasselbe Leistungsinteresse des Gläubigers geht591. Auch die sogenannte Ungleichstufigkeit der Verbindlichkeiten zwischen Hauptschuldner und Bürge592 ist nicht entscheidend593. Eine interne Alleinbelastung des einen mit interner Freistellung des anderen Schuldners ist auch bei Gesamtschuldverhältnissen bekannt. Soweit die Einrede der Vorausklage nicht ausgeschlossen ist, haftet der Bürge allerdings nur subsidiär, so dass es kein Wahlrecht des Gläubigers i.S.d. § 421 gibt594. Subsidiarität und Gesamtschuldverhältnis müssen sich aber nicht zwingend ausschließen. Haben etwa die Schuldner mit dem Gläubiger vereinbart, dass jeder die ganze Leistung selbständig im Sinne eines Ausschlusses der Akzessorietät schuldet, einer von ihnen aber nur subsidiär in Anspruch genommen werden soll, dann macht es offenbar Sinn, die Regeln der §§ 422 ff. anzuwenden und von einem modifizierten Gesamtschuldverhältnis zu sprechen595. Auch die Subsidiarität der Bürgenhaftung ist daher nicht entscheidend. Als grundlegender Unterschied zwischen Bürgschaften und gewöhnlichen Gesamtschuldverhältnissen verbleibt nur die Akzessorietät der Bürgenhaftung. Dieser Unterschied wird selbstverständlich auch von den Vertretern eines weiten Gesamtschuldbegriffs nicht geleugnet. Der Satz, dass auch ein selbstschuldnerischer Bürge kein Gesamtschuldner ist596, drückt insofern den richtigen Gedanken aus, dass auch der selbstschuldnerische Bürge, anders als der gewöhnliche Gesamtschuldner, akzessorisch im Sinne der §§ 767–770 haftet. Die Frage ist allein, ob die Akzessorietät der Bürgenhaftung ein Merkmal darstellt, das ein Gesamtschuldverhältnis zwingend ausschließt597, oder ob die Vorschriften der §§ 421 ff. so flexibel sind, dass sie auch akzessorisch verbundene Schuldnermehrheiten umfassen können598. Insbesondere Becker-Eberhard und Schürnbrand haben argumentiert, dass die Akzessorietät der Bürgenhaftung den Strukturmerkmalen der Gesamtschuld zwingend zuwiderlaufe. Ein Ereignis im Gesamtschuldverhältnis, so Becker-Eberhard, könne Einzel- oder Gesamtwirkung haben, dann aber jeweils unabhängig davon, in wessen Person es eingetreten ist. Bei der Bürgschaft müsse dagegen unterschieden werden: Veränderungen in der Bürgenhaftung berührten die Hauptschuld nicht, während Veränderungen der 591
Oben, 939 ff. Esser, Schuldrecht (2. Aufl. 1960), § 97 Nr. 4; Larenz, SR AT, § 37 I bei Fn. 14; Brox/Walker, SR AT, Rz 37/10; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 48 f. 593 Zur Kritik am Stufenkriterium oben, 909 ff. 594 Dies ist entscheidend für Lumm, Ausgleich, 138 ff.; Goette, Gesamtschuldbegriff, 91; Jürgens, Teilschuld, 38; Bülow, Kreditsicherheiten, Rz 39. 595 Ehmann, Gesamtschuld, 335; Erman/Ehmann, § 421 Rz 48; Wernecke, Gesamtschuld, 136. 596 OLG Dresden, Recht 1903 Nr. 778 (3.7.1903). 597 So Reichel, Schuldmitübernahme, 41 f.; Larenz, SR BT, § 64 I (S. 475); Selb, Mehrheiten, 10 f., 212 f.; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld, 14; Wolf/Niedenführ, JA 1985, 371 f.; Soergel/Wolf, § 421 Rz 23; Jürgens, Teilschuld, 38; Becker-Eberhard, Sicherungsrechte, 228, 232 ff., 237; Schürnbrand, Schuldbeitritt, 27 ff.; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 33. 598 So Ehmann, Gesamtschuld, 335; Erman/Ehmann, § 421 Rz 48; Staud/Noack, § 421 Rz 36 f.; Wernecke, Gesamtschuld, 137 f. 592
11. Bürgschaft und Gesamtschuld
1235
Hauptschuld allein durch das Akzessorietätsprinzip die Bürgenhaftung berührten. Nur im Gesamtschuldverhältnis lägen mehrere eigenständige unabhängige Forderungen vor; diese Eigenständigkeit sei nötig, um die Forderungen überhaupt zu einem Gesamtschuldverhältnis verbinden zu können599. Ähnlich heißt es bei Schürnbrand, dass die Gesamtschuld vom Grundsatz der Einzelwirkung geprägt sei, der mit der Akzessorietät nicht vereinbar sei. Bei Verbindlichkeiten im Akzessorietätsverhältnis könne nicht von selbständigen Schuldverhältnissen gesprochen werden. Auch die bei Gesamtschulden zu findende wechselseitige Gesamtwirkung bestimmter Ereignisse sei im Akzessorietätsverhältnis nicht denkbar600. Letzteres trifft zumindest aus historischer Sicht nicht zu: Die gemeinrechtliche Bürgschaft kannte auch bestimmte Ereignisse mit Gesamtwirkung. Diese umfassten neben der Erfüllung (und, nach klassischem römischen Recht, der Befreiung des Mitschuldners durch litis contestatio) auch den schuldaufhebenden Erlass, die Novation, den schuldabschwörenden Eid und das klageabweisende Urteil601. Doch auch wenn man allein auf das Recht des BGB abstellt, beschreiben Becker-Eberhard und Schürnbrand zwar zutreffend die Unterschiede zwischen der Bürgschaft und den nicht-akzessorischen Gesamtschuldverhältnissen, setzen dabei aber das zu Beweisende schon voraus, nämlich dass es akzessorische Gesamtschuldverhältnisse nicht geben kann. Dass das Gesamtschuldverhältnis nach dem BGB überhaupt nur selbständige Schuldverhältnisse miteinander verbinden kann, wird zwar eingehend beschrieben, letztlich aber nicht begründet und daher nur behauptet. Unzweifelhaft handelt es sich bei Bürgschaften und gewöhnlichen Gesamtschuldverhältnissen um Formen der Schuldnermehrheit, die Unterschiede, aber auch große strukturelle Gemeinsamkeiten aufweisen. Die kategorische Abgrenzung zwischen beiden Instituten läuft Gefahr, die Gemeinsamkeiten zu leugnen und im Konstruktionswege Unterschiede zu schaffen, die sachlich nicht geboten sind. So wird eine grundlegende Verschiedenheit beider Institute hinsichtlich der Erfüllung und des Zessionsregresses behauptet. Danach erfülle der leistende Gesamtschuldner für seine Mitschuldner mit. Der Hauptschuldner erfülle dagegen nicht die Bürgenschuld und der Bürge nicht die Hauptschuld602. § 422 sei hier nicht anwendbar603. Leiste der Hauptschuldner, werde der Bürge nur wegen der Akzessorietät seiner Haftung befreit. Leiste hingegen der Bürge, trete eine Tilgungswirkung wegen der Legalzession nicht ein. Dieser Forderungsübergang schließe den Regress nach § 426 aus604.
599
Becker-Eberhard, Sicherungsrechte, 232 ff. Schürnbrand, Schuldbeitritt, 29 f. 601 Oben, 1066 f. 602 Selb, Mehrheiten, 10 f., 212 f.; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 33; Schürnbrand, Schuldbeitritt, 29; von Koppenfels-Spies, Cessio legis, 88 ff., 93 ff., 442 ff. 603 RGZ 53, 403, 404 (7.2.1903); Sievers, Recht 1903, 251; Preißer, JuS 1987, 802. 604 Jürgens, Teilschuld, 38; Bülow, Kreditsicherheiten, Rz 39 f. 600
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IV. Regress und Regressvereitelung
Diese Unterscheidung überzeugt aber schon deshalb nicht, weil auch im Gesamtschuldverhältnis eine „Miterfüllung“ nicht stattfindet605. Der leistende Gesamtschuldner erfüllt wie der leistende Bürge allein seine eigene Verbindlichkeit. Ob die Forderung gegen den Mitschuldner übergeht oder endgültig erlischt, hängt davon ab, ob der Leistende einen Rückgriffsanspruch hat. Ist der leistende Gesamtschuldner intern gegenüber seinem Mitschuldner freigestellt, geht die Mitschuldnerforderung in voller Höhe auf ihn über. Nicht anders verhält es sich beim leistenden Bürgen. In der Regel hat er einen Regress auf das Ganze, und die Forderung gegen den Hauptschuldner geht auf ihn über. Hat er aber nach dem Innenverhältnis keinen Rückgriffsanspruch, kann er nach § 774 I 3 auch nicht von einem Forderungsübergang profitieren. Hat er nach dem Innenverhältnis nur einen anteiligen Regress, kann er auch nur in dieser Höhe die Hauptschuld geltend machen. Soweit der Bürge keinen Rückgriff hat, erlischt die Hauptschuld. Die Annahme, sie gehe trotz fehlenden Regressrechts auf den Bürgen über und könne lediglich nicht geltend gemacht werden, verkompliziert die Lage unnötig. Wenn der Bürge mangels Regressrecht endgültig keinen Gebrauch von der Hauptschuld machen kann, dann besteht auch keine wirksame Hauptschuld mehr. Nach Gemeinem Recht wurde im Verhältnis unter Gesamtschuldnern und im Verhältnis zwischen Bürge und Hauptschuldner gleichermaßen Solutionskonkurrenz angenommen. Daher bestand in beiden Fallgruppen die Schwierigkeit, den Zessionsregress zu erklären606. Im BGB wird für beide Fallgruppen ein gesetzlicher Forderungsübergang angeordnet. Die Struktur des Zessionsregresses ist aber, zumindest beim Regress des Auftragsbürgen, gleich: Der leistende Gesamtschuldner oder Bürge erwirbt die Forderung gegen den Mitschuldner bzw. Hauptschuldner nicht wie ein rechtsgeschäftlicher Zessionar, sondern er befriedigt den Gläubiger auch wegen der anderen Forderung und befreit den Mit- bzw. Hauptschuldner607. Nur deswegen hat er auch einen eigenen Rückgriffsanspruch. Die Forderung gegen den Mit- bzw. Hauptschuldner wechselt nicht, wie im Fall der Abtretung, einfach ihren Inhaber, sondern müsste eigentlich erlöschen und wird allein zu Regresszwecken aufrechterhalten und an den Leistenden übergeleitet. Soweit kein Regress besteht, erlischt sie endgültig. Dieser Zusammenhang wird im Gesamtschuldrecht durch §§ 422, 426 II ausgedrückt, bei der Bürgschaft durch § 774 I Satz 1 und 3. Weil hier eine besondere Vorschrift fehlt, die das Erlöschen der Hauptschuld im Fall des fehlenden Regressrechts des Bürgen anordnet, bestehen gegenüber einer Anwendung des § 422 keine Bedenken608. Nur dann, wenn zwischen dem Bürgen und dem Hauptschuldner keinerlei Innenverhältnis, auch nicht aus G.o.A., besteht, könnte man eine andere Konstruktion wählen und annehmen, dass der leistende Bürge den Hauptschuldner nicht 605 606 607 608
Oben, 254 ff. Oben, 413 ff. Hierzu oben, 421 ff. Ebenso Kreß, SR BT, 261; Wernecke, Gesamtschuld, 138.
11. Bürgschaft und Gesamtschuld
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befreit, daher keinen eigenen Rückgriffsanspruch hat und allein aus der Gläubigerforderung vorgeht, so dass er in derselben Lage ist wie ein rechtsgeschäftlicher Zessionar. Vorgezogen wird hier aber eine einheitliche Auslegung des § 774 für alle Arten von Bürgen. Der Bürge ohne Innenverhältnis hat dann wegen der Befreiung des Hauptschuldners einen Bereicherungsanspruch, der durch den Übergang der Gläubigerforderung abgesichert wird. Trotz der strukturellen Ähnlichkeit des Zessionsregresses bei Bürgschaft und Gesamtschuld gibt es auch Unterschiede, die darauf zurückgehen, dass der Gesetzgeber bei der Bürgschaft vom Regelfall der internen Alleinbelastung des Hauptschuldners ausging. Unterschiedlich geregelt ist daher die Beweislast. Der Bürge kann ohne Nachweis eines Innenverhältnisses einen Zessionsregress auf das Ganze nehmen, der Gesamtschuldner lediglich einen anteiligen Zessionsregress in Höhe des Kopfteils des Mitschuldners. Zudem hat der leistende Hauptschuldner, wenn er ausnahmsweise gegenüber dem Bürgen regressberechtigt ist, keinen Zessionsregress. Der Sache nach überzeugt diese Beschränkung allerdings nicht, weil der Hauptschuldner zur Leistung, mit der er den Bürgen befreite, gezwungen war und in solchen Konstellationen gewöhnlich ein Zessionsregress gewährt wird609. Es verbleibt der Befund, dass es strukturelle Gemeinsamkeiten zwischen Bürgschaft und Gesamtschuld gibt, der Gesetzgeber aber für die Bürgschaft eigene Regeln vorgesehen hat, die sich von den Gesamtschuldregeln teilweise unterscheiden. Die Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit akzessorischer Gesamtschuldverhältnisse mag daher vom selbstgewählten Gesamtschuldbegriff abhängen: So könnte man unter Gesamtschulden nur nicht-akzessorische Schuldnermehrheiten verstehen und diese den akzessorischen Bürgschaftsverhältnissen gegenüberstellen; wünschenswert wäre dann aber ein gemeinsamer Oberbegriff. Oder man verwendet einen weiten Gesamtschuldbegriff, unter dessen Dach man zwischen akzessorischen (Bürgschaften) und nichtakzessorischen (Gesamtschulden im engeren Sinne) Gesamtschuldverhältnissen unterscheidet. Relevant ist aber die Frage, ob es sich bei den §§ 421 ff. einerseits und den §§ 765 ff. andererseits um geschlossene, einander ausschließende, Regelungen handelt und ob die bestehenden Unterschiede sich allein auf die Akzessorietät der Bürgenhaftung zurückführen lassen610. Im Außenverhältnis betrifft dies, da 609
Vgl. oben, 402 f. Nur erwähnt werden sollen hier die prozessualen Folgen bei einer gemeinsamen Verurteilung von Hauptschuldner und Bürge. Lehnt man ein Gesamtschuldverhältnis ab, ergibt sich das Problem, wie im Urteilstenor ausgedrückt werden soll, dass der Gläubiger die Leistung von jedem, aber insgesamt nur einmal erhalten soll, vgl. OLG Celle, JZ 1956, 490 (18.5.1956); Schneider, MDR 1967, 353. Nach dem BGH müssen Bürge und Hauptschuldner für die Kosten mangels Gesamtschuldverhältnis nach § 100 I ZPO nur kopfteilig haften. Eine solidarische Kostenhaftung nach § 100 IV ZPO sei nicht gerechtfertigt, weil es keine Grundlage für eine Haftung des Schuldners für den Bürgen gebe, BGH NJW 1955, 1398 (12.7.1955); ebenso BGH WM 1984, 131, 132 (24.11.1983); Reichel, Schuldmitübernahme, 81. Es leuchtet allerdings nicht ein, warum die Kosten 610
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IV. Regress und Regressvereitelung
§ 425 von den Akzessorietätsregeln der Bürgschaft weitgehend verdrängt wird, die Vorschriften der § 423 und § 424. § 423 beruht auf der historischen Tradition der Gesamtwirkung der acceptilatio (eines förmlichen schuldaufhebenden Erlasses) im römischen Recht, die aber nicht nur unter Stipulationsgesamtschuldnern611, sondern auch (und zwar wechselseitig) im Verhältnis zwischen Hauptschuldner und Bürge galt612. Aus heutiger Sicht handelt es sich um eine Ausnahme vom Verbot der Verfügung zugunsten Dritter. Da aber sachlich kein überzeugender Grund für dieses Verbot besteht, ergäben sich keine ernsthaften Bedenken, die Vorschrift auch im Bürgschaftsverhältnis anzuwenden und damit eine Erlassvereinbarung zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger zuzulassen, die auch den Hauptschuldner befreit613. Bei § 424 wiederum handelt es sich um eine sachgerechte Vorschrift, deren Anwendung sich auch im Bürgschaftsrecht empfiehlt614. Ohne § 424 käme zwar der Annahmeverzug gegenüber dem Hauptschuldner wegen der Akzessorietät auch dem Bürgen zugute, nicht aber umgekehrt615. Geht die vom Bürgen aussortierte und angebotene Leistung während des Annahmeverzugs des Gläubigers unter, würde eine Einzelwirkung dazu führen, dass der Gläubiger nach wie vor auf den Hauptschuldner zugreifen kann. Hat der Bürge wegen seiner dem Hauptschuldner nicht zugutegekommenen Aufwendung einen Ersatzanspruch gegen den Schuldner, würde dieser doppelt belastet. Hat der Bürge mangels Innenverhältnis keinen solchen Anspruch, trägt im Ergebnis er den Verlust, obwohl er ohne den Annahmeverzug erfüllt und damit einen Rückgriff aus § 774 I gehabt hätte. Die Regeln der §§ 300, 275 sollen aber das Risiko des Untergangs während des Annahmeverzugs dem Gläubiger, nicht dem Schuldner zuweisen. Sinnvoll erscheint es daher, den Annahmeverzug auch dem Hauptschuldner zugutekommen zu lassen und dem Bürgen, der ein Opfer erbracht hat, einen Rückgriff wegen Schuldbefreiung zu gewähren. Die unterschiedliche Gestaltung des Außenverhältnisses bei den Gesamtschuld- und Bürgschaftsvorschriften erklärt sich also größtenteils durch die Akzessorietät der Bürgenhaftung, während die Vorschriften der §§ 423 und 424, die allein das Gesamtschuldrecht kennt, unbedenklich auch im Bürgschaftsverhältnis angewendet werden können. Damit richtet sich der Blick auf die unterschiedliche Ausgestaltung des Innenausgleichs. Die Regelungen zum Zessionsregress sind 611 beim Schuldbeitritt oder unter Nebenbürgen solidarisch, im Verhältnis zwischen Schuldner und Auftragsbürgen nur anteilig geschuldet werden sollen. Konsequent erscheint nur eine Anwendung von § 100 IV auch im Verhältnis zwischen Bürge und Hauptschuldner; ebenso OLG Celle, JZ 1956, 490 (18.5.1956); Schneider, MDR 1967, 356; Wernecke, Gesamtschuld, 139 Fn. 66. 611 Oben, 42. 612 Gaius D.4,2,10,1, D.4,4,27,2, D.46,1,72; Ulpian D.34,3,5 pr.-1, D.46,4,13,7 und l. 16,1; vgl. oben, 1066 f. 613 Vgl. oben, 897 f. Ebenso Kreß, SR BT, 261. 614 Ebenso Kreß, SR BT, 261; Erman/Ehmann, § 421 Rz 48; MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 14. 615 Anders Westerkamp, Bürgschaft, 385, der davon ausgeht, dass der Bürge als Dritter i.S.d. § 267 auf die Hauptschuld leistet, so dass der Annahmeverzug des Gläubigers dem Hauptschuldner zugutekommt.
12. Europäische Vereinheitlichungsprojekte
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strukturell ähnlich. Besteht ein besonderes Innenverhältnis, entscheidet allein die sich aus diesem Verhältnis ergebende Rückgriffsberechtigung über den Umfang des Forderungsübergangs. Ohne Nachweis eines besonderen Innenverhältnisses kann der Bürge einen Zessionsregress auf das Ganze, der Gesamtschuldner nur einen kopfteiligen Zessionsregress geltend machen. Der Hauptschuldner hat in keinem Fall einen Zessionsregress. Die an den Gläubiger leistende Partei kann aber ein Interesse daran haben, mehr zu verlangen. Soweit es um die Kosten der Erfüllung geht, muss in beiden Haftungsverbänden ein vertragliches oder quasivertragliches Innenverhältnis nachgewiesen werden. Unterschiedlich geregelt ist jedoch der Regressweg in den Fällen, in denen der leistende Schuldner A gegenüber dem anderen Schuldner B keinen Zessionsregress geltend machen kann. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn B sich gegenüber dem Gläubiger auf die Einrede der Verjährung oder der rechtskräftigen Klageabweisung berufen hätte können oder nach A’s Leistung gutgläubig ebenfalls an den Gläubiger leistete. In diesen Fällen ist B gegenüber einem Zessionsregress des A durch die Vorschriften der §§ 412, 404 ff. geschützt. Ist A Bürge des B, kommt es nun darauf an, ob die Voraussetzungen eines Aufwendungsersatzanspruchs aus einem vertraglichen Innenverhältnis oder aus Geschäftsführung ohne Auftrag vorliegen. A muss nicht nur das Bestehen eines solchen Innenverhältnisses beweisen, sondern auch, dass er die Aufwendung nach § 670 für erforderlich halten durfte. Sind A und B dagegen Gesamtschuldner, kommt ohne besonderen Nachweis ein gesetzlicher Rückgriffsanspruch aus § 426 I in Betracht. Die Ausgestaltung dieses Gesamtschuldregresses ist aber gesetzlich nicht vorgegeben. Angesichts der strukturellen Ähnlichkeiten zwischen Bürgschafts- und Gesamtschuldverhältnissen stellt sich daher die Frage, ob es gerechtfertigt werden kann, den Gesamtschuldregress im Sinne der herrschenden Lehre als autonome Schuldgemeinschaft zu begreifen, oder ob nicht die Wertungen des Bürgenregresses auch in die Ausgestaltung des Gesamtschuldregresses einfließen müssen.
12. Europäische Vereinheitlichungsprojekte Im Bürgschaftszusammenhang lautet die Frage, ob es gerechtfertigt werden kann, den Bürgenregress gegen den Hauptschuldner grundsätzlich anders zu gestalten als den gegen die Mitbürgen. Die Entscheidung des Gesetzgebers, hier unterschiedliche Regresswege vorzusehen, ist nicht selbstverständlich. In den Nachbarrechtsordnungen und älteren Regelwerken stellt das Gesetz häufig in beiden Konstellationen den gleichen Regressweg zur Verfügung, nämlich einen gesetzlichen Rückgriffsanspruch sowohl gegenüber dem Hauptschuldner als auch gegenüber den Mitbürgen616. Dieser gesetzlich gewährte Anspruch muss 616 CC Art. 2305, 2310 (a.F. Art. 2028, 2033); ABGB §§ 1358, 1359; OR Art. 497, 507; CMBC IV 10 § 14 Nr. 6; ZürGB §§ 1800, 1805; HessE IV 2 Art. 603, 608; BayE II Art. 880, 886.
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IV. Regress und Regressvereitelung
aber nicht als ein autonomes Schuldverhältnis verstanden werden, das Regressansprüche auch dann hervorbringt, wenn die Bürgenleistung dem Hauptschuldner oder Mitbürgen weder einen Vorteil brachte noch mit ihm abgesprochen war. Vielmehr handelt es sich in der Regel lediglich um einen Hinweis, dass ein Regress überhaupt stattfinden soll, der dann je nach Fallgestaltung mit einem Vertrag oder mit den Regeln zur Geschäftsführung ohne Auftrag begründet werden kann. Der gesetzliche Rückgriffsanspruch gegen den Hauptschuldner wird dabei durch Sondervorschriften für bestimmte Fälle ausgeschlossen, in denen auch ein Regress aus Auftrag oder G.o.A. ausscheiden würde, etwa wenn der Bürge ohne Absprache mit dem Hauptschuldner leistet und dessen Einreden nicht erhebt oder wenn er den Hauptschuldner von seiner Zahlung nicht benachrichtigt, so dass dieser ein zweites Mal leistet617. Die Frage, ob in vergleichbaren Fällen ein Regress gegenüber dem Mitbürgen besteht, kann häufig nicht ohne weiteres beantwortet werden. Diese Regelungstechnik liegt auch den Principles of European Law (PEL) über persönliche Kreditsicherheiten zugrunde, die mit bestimmten Modifikationen in den Entwurf eines europäischen Referenzrahmens (DCFR) eingegangen sind. Gegenüber dem Hauptschuldner wird hier dem Bürgen sowohl ein eigener Regressanspruch als auch eine Subrogation in die Gläubigerrechte zur Verfügung gestellt618. Die Grundlage des eigenen Rückgriffsrechts wird in den Erläuterungen zu den PEL bewusst offen gelassen. Sie soll im Rechtsverhältnis zwischen Bürge und Hauptschuldner liegen619. In der Regel, so heißt es an einer Stelle, beruhe der Regress auf einem Auftrag, in besonderen Fällen auf einer G.o.A. Handle der Bürge dagegen in Schenkungsabsicht, falle der Regress weg620. Eine andere Stelle betont, dass der eigene Bürgenregress voraussetze, dass keine Schenkung vorliege, sondern Bürge und Hauptschuldner sich über das Regressrecht einig waren621. Was gelten soll, wenn weder Auftrag noch Geschäftsführung noch Schenkung vorliegen (etwa wenn der Bürge sich allein im Auftrag des Gläubigers gegen Entgelt verpflichtet), ist nicht ganz klar. Die Frage nach der genauen Regressgrundlage, so die Verfasser, sei rein akademisch, denn auf jeden Fall müsse derjenige, der eine fremde Schuld zahle, ein Recht auf einen Rückgriff haben622. Die entscheidende Frage ist aber die Ausgestaltung dieses Rückgriffsrechts, und diese hängt wohl mit der Regressgrundlage zusammen.
617 CC Art. 2308 (a.F. Art. 2031); ABGB § 1361; OR Art. 502 III, 508 II; CMBC IV 10 § 15 Nr. 6; ZürGB § 1803; HessE IV 2, Art. 606 f.; BayE II Art. 881 Nr. 2 und 4. 618 PEL Personal Security, DCFR IV.G, jew. Art. 2:113 I. Eine Subrogation soll auch ohne eigenes Regressrecht stattfinden, etwa im Fall einer Schenkungsabsicht. In diesem Fall soll ein persönlicher Verzicht auf Regress und Subrogation gegenüber dem Hauptschuldner angenommen werden, der aber nicht Rechte gegen Dritte berührt, Comments §§ 5 und 8 (Comments und Notes zu Art. 2:113 von Lebon/Poulsen). 619 Note § 2 zu Art. 2:113. 620 Comment § 3 zu Art. 2:113. 621 Comment § 8 zu Art. 2:113. 622 Note § 2 zu Art. 2:113.
12. Europäische Vereinheitlichungsprojekte
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Insbesondere fragt es sich, ob der Hauptschuldner seine Einwendungen und Einreden gegen die Hauptschuld auch gegenüber dem eigenen Regressanspruch des Bürgen geltend machen kann. Die Erläuterungen sind in diesem Punkt nicht eindeutig623. Allerdings gibt es eine besondere Vorschrift zum Fall, dass der Bürge ohne Benachrichtigung des Hauptschuldners leistete oder ihm bekannte Einreden nicht erhob. Nach den PEL kann der Hauptschuldner dann Schadensersatz verlangen und mit diesem Anspruch gegen den Regress des Bürgen aufrechnen624. Nach dem DCFR wird der Regressanspruch des Bürgen gemindert, soweit es zur Schadensabwendung beim Hauptschuldner erforderlich ist625. Beim eigenen Rückgriffsanspruch des Bürgen (im DCFR: dem Anspruch vor der Minderung) handelt es sich danach offenbar um einen echten Aufwendungsersatzanspruch626. Im Ergebnis wird dieser Anspruch aber nur insoweit gewährt, wie aus deutscher Sicht die Voraussetzungen eines Ersatzanspruchs aus Auftrag oder G.o.A. vorliegen würden. Insbesondere durch das Benachrichtigungserfordernis kann der Hauptschuldner vor unerwünschten Fremdleistungen geschützt werden. Anders als der Rückgriffs- wird der Befreiungsanspruch von vornherein davon abhängig gemacht, dass sich der Bürge im Auftrag oder in Übereinstimmung mit dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Schuldners verpflichtet hatte627. Für (solidarisch haftende) Mitbürgen, einschließlich Nebenbürgen, ist ein Befreiungsanspruch nicht vorgesehen. Der Regress soll sich nach Art. 10:106 PECL (so die PEL) bzw. Art. III-4:107 DCFR richten628. Beide Vorschriften sehen einen anteiligen, durch Subrogation verstärkten gesetzlichen Ausgleichsanspruch unter Gesamtschuldnern vor. Welche Einwendungen der nicht leistende Mitbürge gegen diesen Regress hat, geht aus den Bürgschaftsregeln selbst nicht hervor. Nach den PEL sollten subsidiär die Gesamtschuldregeln der PECL anwendbar sein629. Nach Art. 10:108 PECL hat ein Einzelerlass beschränkte Gesamtwirkung. Diese Vorschrift, so die Erläuterungen zu den PEL, sei bei Mitbürgen aber gerade nicht anwendbar, weil der Fall schon durch das Aufgabeverbot geregelt sei, das einen Schadensersatzanspruch des verbleibenden Bürgen vorsieht630. Offenbar gehen die Verfasser also davon aus, dass der entlassene Mitbürge keinen Regress mehr schuldet. Anwendbar sein sollen aber Art. 10:109–110 PECL sein, wonach die Verjährung und ein Urteil zwischen dem Gläubiger und einem Gesamtschuldner die Ausgleichsansprüche nicht berühren. Demnach könnte offenbar auch ein Nebenbürge zum Regress herangezogen werden, dessen Schuld bei 623 Nach Comment § 6 zu Art. 2:113 kann der Hauptschuldner gegenüber dem Bürgenregress zwei Arten von Einwendungen erheben, zum einen die aus der Innenbeziehung zum Bürgen, zum anderen die gegen den Gläubiger; letzteres folge aus der Subrogation. 624 PEL Pers. Sec., Art. 2:112 II, mit Comment §§ 3 und 5 (Karpathakis/Hauck). 625 DCFR Art. IV.G-2:112 II. 626 So auch Comment § 20 zu Art. 1:110 PEL (Böger). 627 PEL Pers. Sec., DCFR IV.G, jew. Art. 2:111. 628 PEL Pers. Sec., Art. 1:107 I, 1:108 I; DCFR Art. IV.G-1:105 I, 1:106 I. 629 PEL Pers. Sec., Art. 1:110. 630 Comment § 10 zu Art. 1:110 (Böger).
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IV. Regress und Regressvereitelung
der Leistung schon verjährt war oder gegen den die Klage des Gläubigers rechtskräftig abgewiesen wurde. Zugleich soll aber auch Art. 10:111 II PECL anwendbar sein, wonach der Gesamtschuldner seine persönlichen Einwendungen gegenüber dem Gläubiger auch gegen den Regress geltend machen kann. Im DCFR findet sich nur noch ein Verweis auf die Parallelnorm zur zuletzt genannten Vorschrift631. Nimmt man diesen Verweis beim Wort, würde der Mitbürgenregress nicht weiter reichen als ein reiner Zessionsregress. Beide Regelwerke sehen also sowohl im Verhältnis zum Hauptschuldner als auch im Verhältnis zum Mitbürgen einen gesetzlichen Rückgriffsanspruch vor, unabhängig davon, ob die Parteien durch ein vertragliches Innenverhältnis verbunden sind oder ob der Leistende ein Geschäft des intern Verpflichteten führen wollte. Es handelt sich also je nach Fallgestaltung um dispositives Vertragsrecht oder um einen gesetzlich gewährten Ausgleich, wobei Sondervorschriften den Regressschuldner für den Fall schützen sollen, dass er die Leistung des anderen nicht veranlasste und diese ihm keinen Vorteil brachte. Aus systematischer Sicht mag es unbefriedigend erscheinen, einheitliche Regeln für den Bürgenregress vorzusehen unabhängig davon, ob sich der Bürge im Auftrag des Schuldners oder auftragslos in dessen Interesse oder sogar gegen den Schuldnerwillen verbürgte, so dass dieselben Regeln in einem Fall ein Ausdruck des mutmaßlichen Parteiwillens, im anderen Fall Ergebnis einer gesetzlichen Interessenabwägung sind. Dieses Vorgehen entspricht aber der Mehrheit der nationalen Regelwerke und wurde vielleicht auch deshalb gewählt, um handhabbare Regeln schaffen zu können. In jedem Fall kann die Technik, sowohl für den Regress gegen den Hauptschuldner als auch für den Mitbürgenregress einen Rückgriffsanspruch vorzusehen, der einmal als vertraglicher, ein anderes Mal als gesetzlicher Regress gedacht werden kann, dazu beitragen, Wertungswidersprüche zwischen Hauptschuldner- und Mitbürgenregress zu vermeiden.
13. Bürgen- und Mitbürgenregress im BGB Der Gesetzgeber des BGB hat sich bewusst gegen einen gesetzlichen eigenen Rückgriffsanspruch des Bürgen entschieden und diesen auf die Vorschriften zum Auftrags- und zum Geschäftsführungsrecht verwiesen632. Mitbürgen dagegen haben in Gestalt des § 426 I einen gesetzlichen Rückgriffsanspruch, der ebenso wie in den europäischen Regelwerken je nach Fallgestaltung dispositives Vertragsrecht (gemeinschaftliche Mitbürgen) oder gesetzlicher Ausgleichsanspruch (Nebenbürgen) ist. Sofern es einen Vertrag im Innenverhältnis gibt, unterscheidet sich der Regress gegen den Hauptschuldner und der gegen Mitbürgen nicht, weil in jedem Fall die Vertragsvereinbarung entscheidend ist. Ohne Vertrag aber muss der Bürge gegenüber dem Hauptschuldner, will er mehr als einen reinen Zessi631 632
DCFR Art. IV.G-1:108 (Verweis auf Art. III-4:112). Jakobs/Schubert, SR III, 495.
13. Bürgen- und Mitbürgenregress im BGB
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onsregress, den Tatbestand einer berechtigten Fremdgeschäftsführung nachweisen, während er sich gegenüber dem Mitbürgen nur auf § 426 I zu berufen braucht. Demnach stellt sich die Frage, ob es sachliche Gründe dafür gibt, den Regress unter Nebenbürgen anders auszugestalten als den Regress des unbeauftragten Bürgen gegen den Hauptschuldner. Die herrschende Lehre folgert aus § 426 I ein gesetzliches Schuldverhältnis, das schon mit der Gesamtschuld entsteht, vom Fortbestand der Außenhaftung unabhängig ist und Mitwirkungs- und Befreiungsansprüche hervorbringt. Damit gestaltet sie den Regress unter Nebenbürgen grundsätzlich anders als den Regress des Bürgen gegen den Hauptschuldner, wodurch die schon oben dargestellten Wertungswidersprüche entstehen. So überzeugt es nicht, dass der Bürge nur dann einen Befreiungsanspruch gegen den Hauptschuldner hat, wenn er als Beauftragter oder Geschäftsführer handelte, und auch dann nur unter den in § 775 aufgezählten Voraussetzungen, während er vom Nebenbürgen ohne Nachweis eines Innenverhältnisses schon dann anteilige Befreiung verlangen können soll, wenn die Verbindlichkeiten fällig sind. Der Gesetzgeber gewährte dem nicht als Geschäftsführer handelnden Bürgen bewusst überhaupt keinen Befreiungsanspruch. Dieser Grundentscheidung widerspricht es, einen Befreiungsanspruch gegenüber dem Nebenbürgen, von dem im Gesetz keine Rede ist, in § 426 I hineinzulesen. Hat der unbeauftragte Bürge geleistet, hat er gegen den Hauptschuldner nur dann einen eigenen Aufwendungsersatzanspruch, wenn der Tatbestand einer berechtigten Geschäftsführung vorliegt. Ansonsten kann er nur mit Hilfe der nach § 774 übergegangenen Gläubigerforderung vorgehen. Der Nebenbürge aber soll nach herrschender Lehre stets einen auf der Schuldgemeinschaft beruhenden Regress haben, dem die §§ 404 ff. nicht entgegenstehen, völlig unabhängig davon, ob er die Verpflichtung des anderen Bürgen kannte, ob er sich mit dessen Zustimmung oder gegen dessen Willen verpflichtete und ob er vom Mitbürgen, vom Hauptschuldner, vom Gläubiger oder von niemandem beauftragt wurde. Hier liegt ein fundamentaler Wertungswiderspruch vor633. Es kann auch dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass er einerseits den nicht geschäftsführenden Bürgen auf einen reinen Zessionsregress gegen den Hauptschuldner verwies, andererseits mit der auf § 426 I verweisenden Vorschrift des § 769 eine vom Außenverhältnis losgelöste Schuldgemeinschaft unter Nebenbürgen einführen wollte. Hier handelt es sich um ein weiteres Indiz dafür, dass der Nebenbürgenregress nach Absicht des historischen Gesetzgebers weitaus schwächer ausgestaltet sein sollte, als es die herrschende Lehre annimmt. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass der unbeauftragte Bürge zumindest weiß, dass es einen Hauptschuldner gibt, so dass der Regress gegen den Hauptschuldner anders als der Nebenbürgenregress stets auf die Vorschriften der G.o.A. gestützt werden kann. Nach Ansicht des historischen Gesetzgebers reichte diese Kenntnis nicht aus. Er verneinte einen Regress aus G.o.A., wenn 633
Bei MüKo/P. Bydlinski, § 421 Rz 14, wird dieser Widerspruch gesehen, aber hingenommen.
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IV. Regress und Regressvereitelung
sich der Bürge allein aufgrund eines Vertrags mit dem Gläubiger gegen eine Prämie verpflichtet hatte634. In diesem Fall sollte der Bürge nur einen reinen Zessionsregress haben, gegen den der Hauptschuldner nach §§ 404 ff. geschützt ist. Konsequent erscheint es daher allein, auch dem Nebenbürgen, der sich aufgrund eines Auftrags des Hauptschuldners oder vielleicht nur aufgrund eines mit dem Gläubiger geschlossenen Vertrags verpflichtete, gegen die anderen Bürgen kein Regressrecht zu gewähren, das im Ergebnis über einen Zessionsregress hinausgeht. Zu einem anderen Ergebnis könnte man nur dann kommen, wenn man sich über die Wertung des Gesetzgebers hinwegsetzt, die G.o.A. als reines Ausgleichsinstrument ansieht und für den Fremdgeschäftsführungswillen schon die Kenntnis ausreichen lässt, dass es einen Hauptschuldner gibt. Aber auch dann, wenn der Bürge für den Hauptschuldner handeln will, hat er nicht immer einen Aufwendungsersatzanspruch aus §§ 683, 670. Hierzu ist erforderlich, dass schon die Verbürgung als Geschäft für den Hauptschuldner dessen Interesse und Willen entsprach (§ 683) und dass der Bürge die Aufwendung in Form der Leistung an den Gläubiger für erforderlich halten durfte (§ 670). Auch die herrschende Lehre erkennt an, dass die erste Voraussetzung zumindest dann nicht erfüllt ist, wenn die Verbürgung gegen den Willen des Schuldners geschah. Zudem hat der Geschäftsführer die Pflichten aus § 681 zu beachten. Leistet der unbeauftragte Bürge ohne Rücksprache mit dem Schuldner an den Gläubiger und hätte der Schuldner gegen die Gläubigerforderung eine Einrede erheben oder aufrechnen können, hat der Bürge im Ergebnis keinen Anspruch auf den vollen Ersatz seiner Aufwendungen, sei es, weil man die Erforderlichkeit i.S.d. § 670 verneint, sei es, dass dem Schuldner ein Gegenanspruch auf Schadensersatz zusteht. Dasselbe gilt, wenn der Bürge von seiner Leistung den Schuldner nicht in Kenntnis setzt und dieser ein weiteres Mal leistet. Dem Bürgen bleibt in all diesen Fällen nur der Zessionsregress, gegen den der Schuldner eine Einrede nach § 404 oder § 406 entgegensetzen oder aufrechnen kann. Auf diese Weise wird der Schuldner im Fall von Leistungen unbeauftragter Bürgen geschützt, die ihm im Ergebnis nicht zugutekommen. Im auffälligen Kontrast dazu steht der Nebenbürgenregress nach dem Schuldgemeinschaftsmodell der herrschenden Lehre, der unabhängig davon bestehen soll, ob der nicht leistende Nebenbürge eine Einrede gegenüber dem Gläubiger gehabt hätte, ob er aufrechnen konnte und ob er mangels Kenntnis der Gläubigerbefriedigung selbst noch einmal leistete. Eine Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung könnte nur im Unterscheidungsmerkmal zwischen Bürgschaft und gewöhnlicher Gesamtschuld gefunden werden, nämlich in der Akzessorietät der Bürgenhaftung. Steht dem Hauptschuldner gegenüber dem Gläubiger eine Einrede zu, kann auch der Bürge von der Einrede Gebrauch machen. Besteht zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner eine Aufrechnungslage, kann der Bürge nach § 770 II die Leistung verweigern. Der Bürge, so kann argumentiert werden, muss in diesen Fällen nicht 634
Jakobs/Schubert, SR III, 495.
13. Bürgen- und Mitbürgenregress im BGB
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leisten. Leistet er dennoch ohne Einverständnis des Hauptschuldners, verdient er nicht einen privilegierten Regress, sondern muss sich mit der übergegangenen Gläubigerforderung begnügen. Der Nebenbürge aber kann die Leistung gegenüber dem Gläubiger nicht verweigern, wenn nur dem anderen Nebenbürgen eine Einrede zusteht oder dieser gegenüber dem Gläubiger aufrechnen kann. Weil er zur Leistung gezwungen ist, verdient er neben dem Zessionsregress, der ihm in diesen Fällen nichts nützt, noch einen eigenen Rückgriffsanspruch, gegen den der andere Nebenbürge nicht aufrechnen bzw. die Einrede erheben kann. Folgt man dem, ergibt sich unweigerlich die Konsequenz, den leistenden Nebenbürgen zumindest in denjenigen Fällen auf einen reinen Zessionsregress zu beschränken, in denen ihm selbst eine Einrede oder ein Leistungsverweigerungsrecht zustand. Dies kann der Fall sein, wenn die Hauptschuld verjährt ist oder zwischen Gläubiger und Hauptschuldner eine Aufrechnungslage besteht, aber auch dann, wenn nur dem leistenden Bürgen die Einrede zusteht, etwa weil nur seine Schuld verjährt ist. Der Nebenbürge muss in diesen Fällen nicht leisten und kann daher nicht besser gestellt werden als der Bürge beim Regress gegen den Hauptschuldner. Darüber hinaus trifft es nicht zu, dass die Akzessorietät der Bürgenhaftung den Bürgen in allen Fällen schützt, in denen er wegen seiner Leistung an den Gläubiger keinen Aufwendungsersatzanspruch gegen den Schuldner hätte. Entsprach die Verbürgung nicht dem Interesse und Willen des Schuldners, sind Fälle denkbar, in denen der Bürge vom Gläubiger zur Leistung gezwungen werden kann, ohne Ersatz vom Schuldner erhalten zu können635. Die Akzessorietät seiner Haftung schützt den ungebetenen Bürgen auch nicht in den Fällen, in denen er dem Hauptschuldner seine Zahlung nicht mitteilte, so dass dieser gegen den Zessionsregress eine Einrede nach § 406 hat, oder in denen die Hauptschuld kurz nach der Zahlung des Bürgen verjährte. Als einzig verbleibende Rechtfertigung für eine Privilegierung des Nebenbürgenregresses gegenüber dem Regress gegen den Hauptschuldner käme die Erwägung in Betracht, dass ein Bürge eine Lage, in der er gegen den Hauptschuldner lediglich einen Zessionsregress hat, vermeiden kann, indem er vor seiner Leistung an den Gläubiger Rücksprache mit dem Hauptschuldner hält, diesen von einer Zahlung benachrichtigt und überhaupt sich nicht ohne Auftrag oder zumindest nicht gegen den Willen des Schuldners verbürgt. Der Nebenbürge aber, so könnte argumentiert werden, weiß nicht, ob es außer ihm weitere Bürgen gibt, so dass er keine Veranlassung dazu hat, sich vor seiner Leistung mit anderen Bürgen abzusprechen oder diese von seiner Leistung in Kenntnis zu setzen. Der Schuld-
635 Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn der Hauptschuldner gegenüber dem Gläubiger aufrechnen kann, nicht aber der Gläubiger gegenüber dem Hauptschuldner. Folgt man der Ansicht, die sich an den Wortlaut des § 770 II hält, hat der Bürge hier kein Leistungsverweigerungsrecht. Selbstverständlich steht es ihm aber frei, den Hauptschuldner zu benachrichtigen und ihm die Gelegenheit zur Aufrechnung zu geben. Das hat aber mit der Akzessorietät der Bürgenhaftung nichts zu tun.
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IV. Regress und Regressvereitelung
gemeinschaftsregress ist so gesehen notwendig, weil andernfalls der Nebenbürge nur einen Zessionsregress hätte, der in Störungsfällen nicht weiterhilft, und der Nebenbürge diese Lage nicht vermeiden kann. Doch abgesehen davon, dass auch der Bürge gegenüber dem Hauptschuldner in eine Lage geraten kann, „unverschuldet“ nur einen Zessionsregress zur Verfügung zu haben, etwa wenn er nicht erkennen konnte, dass die Verbürgung dem Interesse und Wille des Schuldners nicht entsprach, würde eine derartige Argumentation die zugrunde liegenden Wertungen auf den Kopf stellen. Der unbeauftragte Bürge weiß, dass es einen Hauptschuldner gibt. Er verpflichtet sich nur gegenüber dem Gläubiger, hofft aber (sofern er nicht in Schenkungsabsicht handelte), vom Hauptschuldner entschädigt zu werden. Das Gesetz macht in diesem Fall seinen Aufwendungsersatzanspruch davon abhängig, dass die Voraussetzungen des §§ 677 ff. erfüllt sind, insbesondere dass die Verbürgung dem Interesse und Willen des Schuldners entsprach und dass der Bürge die Schuldnerinteressen auch bei der Zahlung wahrte. Auch der Nebenbürge verpflichtet sich in der Regel im Vertrauen darauf, vom Hauptschuldner entschädigt zu werden. Weiß er, dass es weitere Bürgen gibt, kann er sich mit ihnen absprechen, um Störungsfälle zu vermeiden. Kennt er die anderen Bürgen dagegen nicht, dann besteht auch kein Grund, ihm einen privilegierten Regress zu gewähren. Es ist zwar richtig, dass er dann keine Veranlassung hat, sich mit den anderen Bürgen abzusprechen; er hat dann aber auch keine Veranlassung, auf ein Regressrecht zu vertrauen, das über die Bereicherung der anderen Bürgen hinausgeht. Es bestehen daher keine sachlichen Gründe dafür, den Nebenbürgenregress gegenüber dem Regress des unbeauftragten Bürgen gegen den Hauptschuldner zu privilegieren. Im Ergebnis kann der Nebenbürgenregress daher nicht über einen reinen Zessionsregress hinausgehen, sofern nicht ausnahmsweise die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 677, 683, 670 erfüllt sind. Dies muss auch dann gelten, wenn der regresspflichtige Nebenbürge Kenntnis von den übrigen Bürgenverpflichtungen hat, weil auch die Ausgestaltung des Bürgenregresses gegen den Hauptschuldner nicht davon abhängt, ob der Hauptschuldner von der Verbürgung weiß. Im Ergebnis erscheint es auch nicht unbillig, dem Nebenbürgen einen nur schwach ausgestalteten Regress zu gewähren, weil er nicht unfreiwillig schuldet, sondern dem Gläubiger genau das leistet, was er ihm versprochen hat. Für seinen Regress steht ihm in erster Linie der Hauptschuldner zur Verfügung, mit dem ihn in der Regel ein vertragliches Innenverhältnis verbindet. Ein Regress gegen weitere Bürgen kommt einer Versionsklage gleich und kann nur durch die Gefahr der Gläubigerwillkür gerechtfertigt werden. Dieser Gefahr wird aber schon durch einen Regress begegnet, der die übrigen Nebenbürgen nur insoweit belastet, wie sie ihrerseits gegenüber dem Gläubiger verpflichtet waren. Vor Gläubigerverfügungen zulasten eines Nebenbürgen schützt § 776. Auf diese Weise wird der nichtleistende Nebenbürge nicht dadurch benachteiligt, dass ein anderer sich ebenfalls für dieselbe Hauptschuld verpflichtete und an den Gläubiger leistete. Ihm verbleiben seine Einwendungen und Einreden gegenüber dem Gläubiger und der Schutz, den jeder Schuldner im Fall eines Gläubigerwechsels
14. Schluss
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genießt. Der Anspruch aus § 426 I, der bei gemeinschaftlichen Mitbürgen die Vermutung eines rechtsgeschäftlichen Innenverhältnisses begründet, hat bei Nebenbürgen daher nur die Gestalt einer Rückgriffskondiktion unter analoger Anwendung der §§ 404 ff., die nach § 426 II durch den anteiligen Forderungsübergang abgesichert wird.
14. Schluss Die einheitliche Betrachtung von gemeinschaftlichen Mitbürgen und Nebenbürgen hat stets den Blick dafür verstellt, dass die Regelungsprobleme unterschiedlich sind und auch unterschiedliche Lösungen erfordern können. Im Außenverhältnis treten gemeinschaftliche Mitbürgen dem Gläubiger wie sonstige Schuldner gegenüber, die sich gemeinschaftlich verpflichten. Die Haftung jedes Mitbürgen auf das Ganze ist hier nicht selbstverständlich, sondern war im Gemeinen Recht und in vielen Regelwerken eine, manchmal durch die Einrede der Teilung abgemilderte, Ausnahme zur Teilschuldvermutung. Im BGB würde sich die Vermutung eines auf die Ganzhaftung gerichteten Parteiwillens dagegen schon unabhängig von § 769 aus § 427 ergeben. Nebenbürgen aber haften schon nach allgemeinen Regeln auf das Ganze, weil jeder dem Gläubiger im Rahmen eines eigenen Vertrags verspricht, für die gesicherte Hauptschuld einzustehen. Eine Rechtsordnung kann zwar auch für Nebenbürgen echte Teilschulden oder, wie im Gemeinen Recht, zumindest eine Teilungseinrede vorsehen. Weil damit einem Vertragsschuldner ermöglicht wird, sich auf einen fremden Vertrag zu berufen, um seine vertraglich versprochene Leistung gegenüber dem Gläubiger zu reduzieren, handelte es sich aber um eine Ausnahmeregel, deren sachliche Erklärung schon den Schriftstellern des Gemeinen Rechts schwerfiel. Auch die Frage, ob für Mitbürgen dieselben Regeln angewendet werden können wie für andere Arten von Gesamtschuldnern, stellt sich bei gemeinschaftlichen Mitbürgen und bei Nebenbürgen in unterschiedlichem Maße. Gemeinrechtlich ist eine befriedigende Einordnung der Mitbürgen in die bestehende Gesamtschulddogmatik nie gelungen, weil man in erster Linie auf das Phänomen der römischen Klagenkonkurrenz abstellte und gemeinschaftliche Mitbürgen, Nebenbürgen und oft auch das Verhältnis zwischen Hauptschuldner und Bürgen gemeinsam einer Kategorie zuordnen wollte. Bei gemeinschaftlichen Mitbürgen gibt es prinzipiell keinen Grund, das Außenverhältnis zum Gläubiger anders zu gestalten als bei sonstigen vertraglich vereinbarten Gesamtschuldverhältnissen. Sind hier Gesamtwirkungen, etwa des Erlasses, der Verjährungsunterbrechung oder des Verschuldens, vorgesehen, erscheinen sie auch bei gemeinschaftlichen Bürgen als angemessen. Bei Nebenbürgen hingegen geht es um die grundsätzliche Frage, ob eine Rechtsordnung vertragliche und gesetzliche Gesamtschuldverhältnisse unterschiedlich regeln oder eine Einheitsgesamtschuld vorsehen soll, die so neutral gestaltet ist, dass ihre Regeln auch auf eine Mehrheit von Schuldnern passen, die untereinander kein Rechts-
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IV. Regress und Regressvereitelung
verhältnis verbindet und die voneinander keine Kenntnis haben müssen. Letzteres ist bei den Gesamtschuldregeln des BGB der Fall, zumindest was das Außenverhältnis angeht. Der Regress unter gemeinschaftlichen Bürgen findet auf der Grundlage eines rechtsgeschäftlichen Innenverhältnisses statt. Die Verabredung zur gemeinschaftlichen Verbürgung einer Schuld ist grundsätzlich auch mit einer notfalls stillschweigenden Übereinkunft darüber verbunden, wer im Innenverhältnis welchen Anteil tragen soll. Weil Regressgrundlage ein Vertrag unter den Mitbürgen bildet, ist es selbstverständlich, dass der Gläubiger in die Rückgriffsansprüche nicht dadurch eingreifen kann, dass er einen Mitbürgen aus der Haftung entlässt. Der Regress unter Nebenbürgen beruht dagegen einzig und allein darauf, dass sich mehrere für dieselbe Schuld verbürgt haben und die Entscheidung über den endgültigen Träger der Belastung nicht der Willkür des Gläubigers überlassen werden soll. Er ermöglicht es dem leistenden Nebenbürgen, einen Teil seiner vertraglich übernommenen Verpflichtung auf einen Dritten abzuwälzen, und kommt insoweit einer Versionsklage nahe. Weil der Rückgriff nur damit begründet werden kann, dass sich sowohl der leistende als auch der nicht leistende Nebenbürge gegenüber dem Gläubiger vertraglich verpflichtet haben, und weil im strukturell ähnlichen Haftungsverband zwischen Bürgen und Hauptschuldner der Bürge mangels eines besonderen Innenverhältnisses nur einen Zessionsregress hat, kann auch der Nebenbürgenregress im Ergebnis nicht weiter reichen als ein reiner Zessionsregress, wie ihn schon das Gemeine Recht vorgesehen hatte. Die von der herrschenden Lehre angenommene Schuldgemeinschaft mit Mitwirkungspflichten und Regressrechten, die vom Fortbestehen des Außenverhältnisses unabhängig sind, geht nicht nur weit über die gemeinrechtliche Lösung hinaus, sondern ist in diesem Ausmaß auch den Nachbarrechtsordnungen nicht bekannt. Sie setzt sich in unzulässiger Weise über die Grenzen der Privatautonomie hinweg, misst der Frage, ob unter den Bürgen ein vertragliches Innenverhältnis besteht, zu Unrecht keine Bedeutung zu und gelangt zu schwerwiegenden Wertungswidersprüchen, indem sie den Nebenbürgenregress gegenüber dem Regress des nicht geschäftsführenden Bürgen gegen den Hauptschuldner ohne sachlichen Grund privilegiert. Erforderlich ist daher eine gedankliche Trennung zwischen gemeinschaftlichen Mitbürgen und Nebenbürgen, die allerdings nicht auf jeder Stufe der Rechtsfindung getroffen werden muss. Der Gesetzgeber hat sich mit § 769 im Hinblick auf die praktischen Abgrenzungsprobleme bewusst für eine Gleichbehandlung beider Mitbürgengruppen entschieden. Dies ist im Außenverhältnis nach dem Recht des BGB auch grundsätzlich gerechtfertigt, weil beide Arten von Mitbürgen dem Gläubiger auf das Ganze haften und die §§ 423–425 flexibel genug sind, alle Arten von Mitbürgenverhältnissen zu regeln. Beim Regress aber kommt man an der Frage nicht vorbei, ob die Mitbürgen durch ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis untereinander verbunden sind oder nicht. Diese Frage muss schließlich auch bei allen anderen Arten von Gesamtschuldverhältnissen gestellt werden, weil der selbstverständliche schuldrechtliche Grundsatz, dass die Rechtsbezie-
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hungen zwischen zwei Parteien sich in erster Linie nach einem zwischen ihnen bestehenden rechtsgeschäftlichen Innenverhältnis richten, nicht dadurch aufgehoben wird, dass es sich um Gesamtschuldner handelt. Bei gemeinsamer Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger besteht die Funktion des § 426 I aber darin, ein solches Innenverhältnis mit kopfteiliger Ausgleichspflicht widerleglich zu vermuten. Haben sich die Bürgen dagegen unabhängig voneinander verpflichtet, muss ein rechtsgeschäftliches Innenverhältnis besonders nachgewiesen werden; gelingt dies nicht, eröffnet § 426 I nur einen gesetzlichen Ausgleichsanspruch, der nicht weiter reicht als ein Zessionsregress.
Zusammenfassung Nach Gemeinem Recht fand ein Ausgleich unter Mitbürgen, sofern nicht ein besonderes Innenverhältnis nachgewiesen werden konnte, mit Hilfe der an den Leistenden abgetretenen Gläubigerforderung statt. Ein Zessionsregress war nicht möglich, wenn der regresspflichtige Mitbürge zuvor vom Gläubiger entlassen worden war. Ein Teil der Rechtsprechung und Literatur schützte den verbleibenden Mitbürgen dadurch, dass seine Haftung gegenüber dem Gläubiger um den Innenanteil des Entlassenen vermindert wurde. Während in den Kodifikationen und Entwürfen gemeinschaftlichen Mitbürgen in der Regel ein eigenes Rückgriffsrecht gewährt wurde, sah nur ein Teil der Regelwerke einen Ausgleich auch unter Nebenbürgen vor. Entließ der Gläubiger einen Nebenbürgen, wurde der verbleibende Bürge häufig entweder durch eine beschränkte Gesamtwirkung des Erlasses oder durch die Regel geschützt, dass der Gläubiger keine anderweitigen Sicherheiten zulasten des Bürgen aufgeben durfte. Das ABGB sieht demgegenüber eine fortdauernde Regresspflicht des Entlassenen vor und beschränkt sein Aufgabeverbot daher auf dingliche Sicherheiten. Im BGB findet der Mitbürgenregress ebenso zweispurig statt wie bei sonstigen Gesamtschuldverhältnissen. Entlässt der Gläubiger einen Mitbürgen, wird der verbleibende Bürge nach § 776 in Höhe des Anteils des Entlassenen befreit. Geht man wie die herrschende Lehre davon aus, dass ein Erlass die Ausgleichspflicht eines Gesamtschuldners unberührt lässt, ist eine befriedigende Erklärung der Vorschrift nicht möglich. Die Annahme, sie solle allein vor einer Regressgefährdung in Gestalt des Verlusts des Zessionsregresses schützen, würde bedeuten, dass der verbleibende Mitbürge stets anteilig befreit wird, obwohl sich der Verlust der Gläubigerforderung nur in den wenigen Fällen praktisch auswirkt, in denen der entlassene Mitbürge Sicherheiten gestellt hatte. § 776 ist auch, anders als Parallelvorschriften in den Nachbarrechtsordnungen, keine Schadensersatzvorschrift. Vielmehr soll sie den verbleibenden Mitbürgen offenbar vor einem Verlust seines Regressrechts selbst schützen, der nach Ansicht des Gesetzgebers mit der Entlassung eines Mitbürgen verbunden war. Tatsächlich ist es gut möglich, dass der gesetzliche Gesamtschuldregress nach Ansicht des Gesetzgebers ausgeschlossen war, wenn der intern verpflichtete Gesamtschuldner durch Erlass, Ver-
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jährung oder klageabweisendes Urteil vom Zugriff des Gläubigers befreit wurde. Eine solche gegenüber dem Schuldgemeinschaftsmodell wesentlich schwächere Ausgestaltung des Gesamtschuldregresses könnte auch den offenen Gesamtschuldbegriff des Gesetzgebers erklären. Der Widerspruch zwischen § 776 und dem herrschenden Schuldgemeinschaftsmodell wurde in der Literatur lange nicht zur Kenntnis genommen. Schließlich entschied der BGH mit Billigung durch die Literatur, dass die Entlassung eines Mitbürgen seine Regresspflicht unberührt lasse und eine Befreiung nach § 776 sich auf diejenigen Fälle beschränke, in denen der Regress des verbleibenden Mitbürgen nicht durchsetzbar sei. Diese Einschränkung erscheint bei gemeinschaftlichen Mitbürgen berechtigt, weil sich ihr Rückgriffsanspruch aus dem vertraglichen Innenverhältnis ergibt, in das der Gläubiger nach allgemeinen Regeln durch einen Erlass nicht eingreifen kann. Für Nebenbürgen aber bedeutet die Entscheidung, dass sich das herrschende Schuldgemeinschaftsmodell auch bei ihnen durchgesetzt hat. Die Annahme, dass die Verbürgung mehrerer für dieselbe Hauptschuld zu einem gesetzlichen Schuldverhältnis mit Mitwirkungspflichten und Regressrechten führt, die unabhängig von der Außenhaftung sind, wird den Besonderheiten der Nebenbürgenhaftung aber nicht gerecht. Befreiungsansprüche können nach der Grundentscheidung des § 775 von vornherein nur im Fall eines besonderen Innenverhältnisses entstehen. Befreiungen von der Bürgenhaftung, etwa nach § 776, sowie die Einrede der Vorausklage müssen sich auch gegenüber einem Nebenbürgenregress durchsetzen. Die herrschende Lehre erlaubt einen Rückgriff auch gegenüber einem Nebenbürgen, dessen Schuld verjährt ist, der gegenüber dem Gläubiger aufrechnen konnte oder der mangels Kenntnis der Leistung ein weiteres Mal an den Gläubiger leistete, obwohl der Hauptschuldner in vergleichbaren Fällen vor einem Regress des unbeauftragten Bürgen geschützt wird. Einem hinzutretenden Nebenbürgen wird erlaubt, seine Haftung durch Vereinbarung einer Ausfallbürgschaft auch intern subsidiär zu gestalten, nicht aber, seine Haftung nachträglich auch mit Wirkung auf den Regress zu beschränken. Warum aber die Verpflichtung als gewöhnlicher Bürge dem Nebenbürgen nicht mehr entziehbare Rechte verschaffen soll, obwohl es sich nicht um einen Vertrag zugunsten Dritter handelt, bleibt im Dunkeln. Vor Akten der Gläubigerwillkür schützt schon § 776. Durch die unreflektierte Übernahme des im Gesamtschuldrecht entwickelten Schuldgemeinschaftsmodells wird aus den Augen verloren, dass der Nebenbürgenregress einer Versionsklage gleichkommt, indem er erlaubt, die Belastung durch eine vertraglich versprochene Leistung teilweise auf einen Dritten abzuwälzen. Rückgriffschuldner des Bürgen ist in erster Linie der Hauptschuldner. Nur dann, wenn der Rückgriff gegenüber diesem nicht durchsetzbar ist, wird ein Ausgleich unter Nebenbürgen durch die Gefahr der Gläubigerwillkür gerechtfertigt. Weil er sich aber nur auf die vertraglich übernommene Verpflichtung des regresspflichtigen Nebenbürgen gegenüber dem Gläubiger stützt, kann er über diese Verpflichtung grundsätzlich nicht hinausgehen.
Zusammenfassung
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Vor allem muss der Nebenbürgenregress mit dem Regress des Bürgen gegenüber dem Hauptschuldner abgestimmt werden. Die herrschende Lehre sieht diese Notwendigkeit nicht, weil sie Bürgschaft und Gesamtschuld für miteinander nicht vereinbare Rechtsinstitute hält. Tatsächlich aber handelt es sich um strukturell gleichartige Haftungsverbände, die sich lediglich hinsichtlich der Akzessorietät unterscheiden. Die Akzessorietät der Bürgenhaftung kann aber nicht erklären, warum dem nicht geschäftsführenden Bürgen gegenüber dem Hauptschuldner nur ein Zessionsregress, gegenüber dem Nebenbürgen dagegen ein privilegierter Schuldgemeinschaftsregress zustehen soll. Das BGB gewährt dem Nebenbürgen zwar wie jedem Gesamtschuldner einen eigenen, durch den Übergang der Gläubigerforderung abgesicherten, Rückgriffsanspruch; den Wertungen des Bürgschaftsrechts aber entspricht allein die Lösung, den Anspruch aus § 426 I bei Nebenbürgen ähnlich wie eine Rückgriffskondiktion an der Gläubigerforderung auszurichten.
Ausblick Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Ausgestaltung des Gesamtschuldregresses unterschiedlichen Regeln folgt, je nachdem, um welche Art von Gesamtschuldverhältnis es sich handelt. Dabei ist die unterschiedliche Regressregelung bei vertraglich vereinbarten und gesetzlichen Gesamtschulden eine Selbstverständlichkeit, die durch die herrschende Gesamtschulddogmatik verdeckt wird. Verpflichten sich mehrere gemeinsam als Hauptschuldner oder als Mitbürgen gegenüber dem Gläubiger, besteht unter ihnen ein vertragliches Innenverhältnis, das Rückgriffsansprüche und nach allgemeinen Regeln manchmal auch Schadensersatz- und Befreiungsansprüche hervorbringt und in das der Gläubiger nicht durch Vereinbarungen mit nur einem Schuldner eingreifen kann. Beruht die gesamtschuldnerische Verbindung dagegen auf dem Gesetz, sind unterschiedliche Ausgestaltungen des Regresses denkbar. Unter Nebenbürgen kann der Regress nicht weiter reichen als die Verpflichtung, die der in Anspruch genommene Nebenbürge gegenüber dem Gläubiger übernommen hat. Bei der Konkurrenz vertraglicher Schadensersatzansprüche ist es darüber hinaus möglich, nachträglichen Vereinbarungen mit dem Gläubiger oder anderen nachträglichen Ereignissen die Wirkung auf den Regress zu versagen, wenn der betreffende Schuldner das Gesamtschuldverhältnis kannte. Konkurrieren rein gesetzliche Schadensersatzansprüche, ist sogar ein Schuldgemeinschaftsmodell möglich, wonach die Ausgleichsansprüche unabhängig von der Außenhaftung sind. Eine Einheitsregelung für alle Arten von Gesamtschuldverhältnissen kann nur dadurch erreicht werden, dass man bei vertraglich vereinbarten Gesamtschulden die Vorschrift des § 426 I als subsidiär zum vertraglichen Innenverhältnis ansieht und sie bei gesetzlichen Gesamtschulden auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert, so dass der Gesamtschuldregress, wie in der Literatur öfters vorgeschlagen, nicht weiter reichen kann als ein Zessionsregress. Dem würde die Rechtsprechung aber vermutlich nicht folgen. Für sie ist der eigenständige, von der Gläubigerforderung unabhängige Ausgleichsanspruch vor allem bei der Konkurrenz gesetzlicher Schadensersatzansprüche selbstverständlich. Ein Lösungsvorschlag, der in der Praxis nicht angenommen wird, führt aber nicht weiter. Erfolgversprechender erscheint es, sich vom Dogma zu lösen, wonach der gesetzliche Gesamtschuldregress in allen Fallgestaltungen den gleichen Regeln folgen muss. Macht man sich einmal von der hergebrachten Gesamtschulddogmatik frei, dann erscheint es von vornherein nicht überzeugend, völlig heterogene Fallgestaltungen des besonderen Schuldrechts nur deswegen einem Einheitsregime zu unterstellen, weil überall im Außenverhältnis eine solidarische Haftung vor-
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liegt. Zugleich werden andere Fallgestaltungen, bei denen der Tatbestand des § 421 ebenfalls gegeben ist, etwa das Verhältnis zwischen Schadensersatz- und Unterhaltsschuldner, Schädiger und Schadensversicherer oder Bürge und Hauptschuldner, von den Gesamtschuldregeln ausgeschlossen. Warum aber in den einen Fällen stets ein privilegierter Regress und in den anderen Fällen nur eine Legalzession gewährt werden soll, lässt sich sachlich nicht begründen. Die Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Gesamtschuldtatbestandes gehen auch darauf zurück, dass es für eine Schuldnermehrheitsform, die so verschiedenartige Fälle wie gemeinsam versprechende Schuldner, deliktische Mittäter, Urschuldner und Beitretenden beim Schuldbeitritt, Täter und Aufsichtspflichtigen, Nebentäter, Miterben und Nebenbürgen umfasst, dabei aber die zuvor genannten Schuldnermehrheiten ausschließt, kein sachliches Abgrenzungsmerkmal geben kann. Sachgerechte Gesamtschuldregeln können nicht am grünen Tisch, sondern nur im Hinblick auf das konkrete Gesamtschuldverhältnis entwickelt werden. Ebenso wie der allgemeine Bereicherungsanspruch erst durch eine Unterscheidung verschiedener Kondiktionen handhabbar wurde, erscheint auch im Gesamtschuldrecht eine Trennungslehre unumgänglich. Die notwendige Differenzierung muss dabei mit Rücksicht auf die Fragestellung entwickelt werden. Die Frage, ob mehrere Schuldner die dem Gläubiger insgesamt zukommende Leistung jeweils ganz oder nur anteilig schulden, stellt sich von vornherein nur in den Fällen eines gemeinsamen Entstehungstatbestandes. Hier muss für vertragliche Verbindlichkeiten die Wertung des § 427, für gesetzliche Verbindlichkeiten die Wertung des § 420 beachtet werden. Auf die Teilbarkeit des Leistungsgegenstandes kann es dabei nicht ankommen, weil jede Schuld in irgendeiner Weise zerlegt werden kann, notfalls durch Umwandlung einer Sach- oder Werkleistungsschuld in eine Geldschuld. Soll eine Leistung im Zusammenwirken der Schuldner erbracht werden, liegt die Annahme von Teilschulden nahe. Ist jeder Schuldner zur Bewirkung der gesamten Leistung verpflichtet, die dem Gläubiger insgesamt nur einmal zustehen soll, und findet unter den Schuldnern ein Regress statt, dann sind die Regeln der §§ 423 und 424 stets sachgerecht. Die in § 425 grundsätzlich vorgesehene Einzelwirkung von Tatsachen passt aber nur zu gesetzlichen Gesamtschulden ohne Innenverhältnis. Bei gemeinsamer vertraglicher Verpflichtung liegt die Annahme nahe, dass sich etwa hinsichtlich der Zurechnung von Leistungsstörungen oder der Wirkung von verjährungshemmenden Ereignissen aus dem Schuldverhältnis „ein anderes ergibt“. Das Schuldmodell der rechtsfähigen Außengesellschaft umfasst nur einen Teilbereich dieser Fälle. Notwendig ist daher die Entwicklung von Kriterien, die darüber Auskunft geben, in welchen Fällen vertraglich vereinbarter Gesamtschuldverhältnisse welche Gesamtwirkungen im Außenverhältnis vermutet werden können. Die Frage stellt sich allerdings nicht nur bei Gesamtschuldverhältnissen. Auch dann, wenn mehrere Schuldner im Rahmen eines einheitlichen Vertrags oder aufgrund verschiedener Verträge unterschiedliche Leistungen schulden, die sie gemeinsam erbringen sollen, kann eine Zurechnung von Leistungsstörungen oder eine Gesamtwirkung der Verjährungshemmung durch den Nachbesserungsversuch eines
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Schuldners sachgerecht sein. Erforderlich erscheint daher die Entwicklung einer Lehre von den vertraglichen Schuldnermehrheiten, die nicht nur über die Gesamt- und Einzelwirkung von Ereignissen, sondern auch über Zurückbehaltungs- und Leistungsverweigerungsrechte des Gläubigers sowie über die Berechtigung zur Ausübung von Gestaltungsrechten und deren Wirkungen Auskunft gibt. Bei der Regressfrage muss danach unterschieden werden, ob die Schuldner, unabhängig von ihrem Auftreten gegenüber dem Gläubiger, durch ein vertragliches oder besonderes gesetzliches Innenverhältnis miteinander verbunden sind. Ist das der Fall, entscheidet allein das Innenverhältnis über das Bestehen, den Umfang und die Modalitäten des Regresses. Die Funktion des § 426 I ist es, bei gemeinsamer rechtsgeschäftlicher Verpflichtung ein solches Innenverhältnis zu vermuten; die Funktion des § 426 II ist die Absicherung des besonderen Rückgriffsrechts durch die Gläubigerforderung. Fehlt es an einem Innenverhältnis, ergibt sich aus § 426 I zunächst einmal, dass ein Regress überhaupt stattfindet und dass zu diesem Zweck die geschuldete Leistung intern auf die Schuldner aufgeteilt wird, notfalls im Verhältnis von 100% zu 0%. Über die konkrete Ausgestaltung des nach § 426 II durch die Gläubigerforderung abgesicherten Regresses gibt § 426 I keine Auskunft. Hier kommt es darauf an, ob es sich um vertragliche oder gesetzliche Verbindlichkeiten handelt und ob sie sich auf den geschuldeten Leistungsgegenstand oder auf Schadensersatz richten. Ein Rückgriffsrecht, das wie ein Zessionsregress nicht über die Gläubigerforderung hinausgeht, ist stets gegeben. In bestimmten Fallgruppen kann der Regress aber darüber hinausgehen. Dies verlangt allerdings eine sachliche Begründung. Mit diesem Gerüst ist es möglich, in allen Fällen, in denen mehrere Schuldner dem Gläubiger eine Leistung schulden, die dieser insgesamt nur einmal bekommen kann, sachgerechte Regeln zu entwickeln, ohne durch rein begriffliche Konstruktionen behindert zu werden. Die herrschende Gesamtschulddogmatik ist demgegenüber eine verfehlte Abstraktionsleistung, die völlig heterogene Fallgestaltungen einem Einheitsregime unterwirft, zugleich aber ähnlich gelagerte Sachverhalte ohne überzeugenden Grund ausschließt.
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