Politisches Asyl Im 19. Jahrhundert: Die Deutschen Politischen Fluchtlinge Des Vormarz Und Der Revolution Von 1848/49 in Europa Und Den USA (Schriften Zum Offentlichen Recht,) (German Edition) 3428074076, 9783428074075


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German Pages 391 [392] Year 1992

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Politisches Asyl Im 19. Jahrhundert: Die Deutschen Politischen Fluchtlinge Des Vormarz Und Der Revolution Von 1848/49 in Europa Und Den USA (Schriften Zum Offentlichen Recht,) (German Edition)
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HERBERT REITER

Politisches Asyl im 19. Jahrhundert

Historische Forschungen Band 47

Politisches Asyl im 19. Jahrhundert Die deutschen politischen Flüchtlinge des Vormärz und der Revolution von 1848/49 in Europa und den USA

Von

Dr. Herbert Reiter

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Reiter, Herbert: Politisches Asyl im 19. Jahrhundert: die deutschen politischen Aüchtlinge des Vormärz und der Revolution von 1848/49 in Europa und den USA I von Herbert Reiter. - Berlin : Duncker und Humblot, 1992 (Historische Forschungen ; Bd. 47) Zug!.: Florenz, Univ., Diss., 1988 ISBN 3-428-07407-6 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0344-2012 ISBN 3-428-07407-6

In Erinnerung an meinen Vater und für meine Mutter

Vorwort Diese Arbeit wurde vom Fachbereich Geschichte und Kulturgeschichte des Europäischen Hochschulinstituts in Florenz am 24.6.1988 als Dissenationsschrift angenommen. Für die Drucklegung wurde sie überarbeitet und in Teilen erweitert. Vielen Kolleginnen und Kollegen, Bekannten und Verwandten, die mich in vielfaltiger Weise unterstützten, fühle ich mich verpflichtet Besonderen Dank schulde ich den Professoren Adams, Fohlen, Hertner und Moltmann, die mein Dissertationsprojekt zum Teil seit den ersten, damals noch in eine ganz andere Richtung gehenden Anfangen mit Rat und Anregungen begleitet und die verschiedenen Fassungen des Manuskripts kritisch gelesen haben. Den statistischen Teil der Arbeit hätte ich als Laie auf diesem Gebiet ohne den Rat und die Unterstützung durch Lieven de Winter, meinen Kollegen als Forschungsstudent am Fachbereich Politik in Florenz, nicht durchführen können. Die Interpretation der statistischen Ergebnisse verdankt viel den Diskussionen mit Donatella della Porta, die trotz italienischem Terrorismus und politischer Korruption die Zeit fand, sich deutschen Flüchtlingen zuzuwenden. Unterlassungen und Fehler bleiben selbstverständlich alleine meine Verantwortung. Mein herzlicher Dank gilt auch den zahlreichen Beamten/innen der Archive in den damals noch zwei deutschen Staaten und im europäischen Ausland, die mich mit wichtigen Hinweisen bereitwillig unterstützten, ebenso den Bibliothekaren/innen in Berlin und Florenz, vor allem denjenigen des Hochschulinstituts, die wichtige Literatur über Fernleihe beschafften. Der Fachbereich Geschichte und Kulturgeschichte des Europäischen Hochschulinstituts unterstützte meine Arbeit durch die Finanzierung zahlreicher Archivreisen. Trotzdem hätte ich ohne die Gastfreundschaft von Christina Baumeister in Stuttgart, der Familie Flieger in Leipzig und Airnut Harig in Wien einige dieser Forschungsaufenthalte nicht durchführen können. Eine Unterstützung aus dem persönlichen Fond des Präsidenten des Hochschulinstituts Emile Noel ermöglichte nach der Verteidigung meiner Dissertation eine weitere Archivreise nach Paris. Dem Institut sei auch gedankt für den Druckkostenzuschuß, der die Veröffentlichung meiner Arbeit ermöglichte. Finalmente, perehe non si vive soltanto di scienza e per Ia scienza, grazie a tutta "Ia farniglia" per ospitalita, feste, cene e canzoni, e soprattutto a Donatella, anche se non posso ringraziarla per aver battuto a macchina il manoscritto, ne dire ehe senza di Iei questo libro non sarebbe mai stato scritto - ma mi sarei trovato molto piu solo.

Inhalt ~ Einleituug

13

B. DJe recbtllcben Grundlagen des poUtbcben Asyls

19

I. Vorgeschichte: Vom "crimen laes.ae maiestatis" zum "politischen Delila"

19

n.

28 28

Die Durchsetzung des politischen Asyls DaCh den Revolutionen VOD 1830 1. Die Reform des Asylrechts und des politischen Strafrechts in Westeuropa 2

m.

Die asylfeindliche Hallllllg der deutschen Staaten

37

1. 2 3.

Die Nichtauslieferung bei politischen Delikten als Bestandteil des Völkerrechts Die Verschärfung des politischen Strafrechts in Deutschland und Frankreich Der Weg zur belgiseben • Attentatsklausel" von 1856: Definitionen des nicht

37 39

auslieferungswürdigen politischen Delikts Konservatives und liberales Asylverständnis im Deutschland der Reaktions-

41

4.

periode

48

5.

Radikale Forderungen an das Asylrecht

52

IV. Enwanderungsgesetzgebung, Auswanderungsfreiheit und Asylrecht

V.

34

Die Auseioaodersetzungen um das politische Asyl nach 1849

56

Definitionen des politischen FliichtliDgs

64

1.

Die Übertragbarkeit heutiger Definitionen Politische Flüchtlinge oder Auswanderer? Das Beispid der Gießener Auswan-

64

derungsgesellschaft von 1833

69

2

Zusammenfassung

78

C. Polltbrechen, in: Archiv des Criminalrechts, Neue Folge, Jg. 1851, Beilageheft, 1-7,24-27,32-45,62-68,70-116, 118-126, 129. Hier zitiert nach dem Abdruck in Friedrich-Christian Schroeder (Hrsg.), Texte zur Theorie des politischen Strafrechts Ende des 18. Jh./Mitte des 19. Jh., Darmstadt, 1974, 305-392. 112 Ebd., S. 310, 324ff. 113 Ebd., S. 333ff. 114 Ebd., S. 348. 115 Ebd., S. 348f.

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B. Die rechtlichen Gnmdlagen des politischen Asyls Da es nun nichts Verderblicheres für die menschliche Gesellschaft giebt, als die sociale Revolution, und da sie zugleich bei den gegenwärtigen Europäischen Vemältnissen, zumal in Folge der unseligen Mißgriffe der Remeher und der rnaaßlosen blutigen Reaction seit dem Ende des Jahres 1848, die Ruhe unsers Welttheils sehr ernstlich bedroht, so stellen sich die auf ihre Verwirklichung gerichteten Unternehmungen unstreitig als das strafbarste aller öffentlichen Verbrechen dar.116

Mit seinen Vorschlägen zur Bekämpfung so gearteter Straftaten setzte sich Schirach über liberale Grundpositionen hinweg. Da das soziale Verbrechen ohne Unterschied alle Staaten und Nationalitäten bedrohe, habe jeder Staat das Recht und die Pflicht die sozialen Verbrecher als Feinde des menschlichen Geschlechts zur Verantwortung zu ziehen. Hierbei spiele es keine Rolle, ob sie Inoder Ausländer seien oder im In- oder Ausland delinquiert hätten.I17 Nicht nur Gewalt per se bewirkte die rückläufige Entwicklung in Praxis und Theorie des politischen Strafrechts, von wem die Gewalt ausging war von ebensolcher Bedeutung. Auch der "normale" Hochverräter setzte nach Schirach per defmitionem gewalttätige Mittel ein (gewaltfreie Forderung nach einer Änderung der Verfassung könne in einer konstitutionellen Monarchie nicht strafbar sein), für ihn forderte er aber konsequent eine verbesserte Stellung im Strafrecht.118 Der Liberalismus war nicht bereit, die Privilegierung des politischen Straftäters einer linken Opposition zuzugestehen, die nach seiner Ansicht die gesamte Gesellschaftsordnung und nicht nur ein politisches Regime stürzen wollte. Die Verschärfung des politischen Strafrechts durch die nachrevolutionären Reaktionsregierungen konnte auf Tendenzen aufbauen, die schon im Vormärz gegen eine unbeschränkte Privilegierung politischer und konnexer Delikte wirkten, ohne sich allerdings in schärferen Gesetzen auszudrücken. Die innere Gesetzgebung der liberalen Staaten bot schon während des Vormärz die Möglichkeit, Gewaltdelikte von der Privilegierung politischer Straftaten auszuschließen.119 In Frankreich wurden sozialistische Konspirationen als gemeine Verbrechen behandelt. Die Anklageschrift des Gerichtshofs in Aix-enProvence vom 10.9.1841 wegen eines Komplotts und Attentats in den Departements Vaucluse und Bouches-du-Rhone feierte das liberale und offene System der französischen politischen Justiz als Zeichen der Stärke der Julimonarchie. Im vorliegenden Fall sei die Forderung, die Regierungsform zu ändern (d.h. die Republik einzuführen), aber nur ein Vorwand gewesen. In Wahrheit hätten die Angeklagten einen Krieg der Armen gegen die Reichen geplant.

116 Ebd., S. 348.

11? Ebd., S. 348,349. 118 Ebd., S. 363ff. 119 Vgl. oben, S. 31, Anm. 54.

ill. Die Auseinandersetzungen um das politische Asyl nach 1849

45

"II ne s'agit donc pas ici d'une affaire politique, mais d'un complot et d'un attentat contre l'ordre socia1."12o Die Diskussionen um das politische Strafrecht mußten sich auf das Asylrecht und die Praxis der Asylgewährung auswirken. In der ideologischen Auseinandersetzung mit den Staaten des Ancien Regime ist die Toleranz der westlichen Staaten gegenüber politischen Flüchtlingen ebenso als politisches wie als rechtliches Prinzip zu verstehen. Das Prinzip der Nichtauslieferung hatte eine klare politische Funktion, nämlich diejenigen zu beschützen, die für den bürgerlichen Liberalismus eintraten. Implizit existierte ebenso eine in den respektiven Gesetzestexten nicht ausgesprochene der Haltung gegenüber dem politischen Straftäter im eigenen Land analoge Beschränkung, nämlich dem Gegner des liberalen Staates keinen Schutz zu gewähren)21 Dies muß als Tendenz auch in den Ländern angenommen werden, in denen eine gesetzliche Regelung fehlte. In Amerika existierte das Konzept "politisches Delikt" nur in bezog auf Auslieferungsfragen.122 Der deutsche Reichsgesandte Friedrich von Roenne erwähnt in seinem Bericht vom 10.1.1849 die Rede des Senators und früheren und späteren Secretary of State Daniel Webster im Prozeß gegen die Teilnehmer an der Dorr-Rebellion. Sie verdiene gerade jetzt in Europa verbeilet zu werden: Die Macht des Volkes dürfe nur über ihre Repräsentanten und innerhalb der Schranken der bestehenden Gesetze ausgeübt werden. 123 Hier waren Mißtrauen und Ablehnung gegenüber Teilen der Revolutionäre von 1848/49 angelegt Am Beispiel Belgiens, dessen Definition asylwürdiger Delikte für die liberalen europäischen Staaten repräsentativ war, wird die zunehmende Verunsicherung gegenüber dieser Konzeption deutlich. Das Parlament hatte es bei der Formulierung der Verfassung von 1831 und des Auslieferungsgesetzes von 1833 absichtlich vermieden, den Begriff "politisches Delikt" zu definieren. Intention des Auslieferungsgesetzes war es aber eindeutig, jede politische Auslieferung für immer zu verhindern. Indem auch die "crimes connexes", d.h. die mit einem politischen Delikt verbundenen gemeinen Verbrechen, von der Auslieferung ausgenommen wurden, schufen die belgiseben Parlamentarier einen 120 AN Paris, BB/18/1472. 121 Wijngaert, S. 100. Ein Beispiel aus der Vormärzzeit ist die 1835 voo Frankreich geforderte Auslieferung Bardous wegen Mitschuld an Fieschis Attentat gegen Louis Philippe, die Preußen gewährte. Vgl. Heinrich Lammasch, Auslieferungspflicht und AsylrechL Eine Studie über Theorie und Praxis des internationalen Strafrechtes, Leipzig, 1887, S. 305. 122 Froncis A . Allen, The Crimes of Politics. Political Dimensions of Criminal Justice, Cambridge, Mass., 1974, S. 30ff. Hierbei muß allerdings bemerlct werden, daß der Tatbestand des Hochverrats von einer ganz anderen Qualität war als in Deutschland. Er ließ sich kaum zur Unterdrückung der inneren Opposition anwenden. 123 BA Frankfurt, DB 53/85, Heft 2, Bl. 14.

46

B. Die rechtlichen Gnmdlagen des politischen Asyls

weiten Schutz des ausländischen politischen Straftäters.124 Wie dieser Passus zu interpretieren sei, war aber seit den 1830er Jahren umstritten. Der Berichterstatter des Auslieferungsgesetzes von 1833 Antoine Nicolas Ernst sagte in der damaligen Parlamentsdebatte, damit eine Auslieferung stattfmden könne, müsse bewiesen werden, "que le fait est etranger a des opinions ou a des evenements politiques".l25 Damit hatte er eindeutig alle mit einem politischen Delikt zusammenhängenden gemeinen Verbrechen von der Auslieferung ausgeschlossen. Als Justizminister vertrat Ernst im Jahr 1836 in einer Debatte über im Ausland von Belgiern begangene Delikte den entgegengesetzten Standpunkt Zu keinem Zeitpunkt habe man die im Auslieferungsgesetz aufgezählten Delikte gegen Personen und Besitz mit politischen Verbrechen in Verbindung gebracht. 126 Die Aussage des Justizministers Ernst war angesichts seiner eigenen Parlamentsrede von 1833 und des Wortlauts des Auslieferungsgesetzes schlichtweg falsch. Alleine in der inneren Gesetzgebung Belgiens war die Privilegierung politischer Straftäter auf rein politische Delikte beschränkt127 Diese Regelung im Ionern konnte keine Gültigkeit für die Auslieferung beanspruchen.128 Seit der Vormärzzeit war aber unter den belgischen Parlamentariern (mit Ausnahme der Linksliberalen) die Tendenz vorhanden, die weitgefaSte Konzeption asylwürdiger Delikte einzuschränken. Mit der sogenannten "Attentatsklausel" wurde im Jahr 1856 die Unterscheidung zwischen schutzwürdigen rein politischen und mit gemeinen Verbrechen gleichzustellenden gemischten Delikten teilweise in das Auslieferungsgesetz übernommen. Nach einem gescheiterten Attentatsversuch gegen Louis Napoleon forderte die französische Regierung von Belgien die Auslieferung der Brüder Jacquin. Nachdem der Appellationshof von Brüssel zunächst gegen eine Auslieferung entschieden hatte, sprach sich in zweiter Instanz der Kassationshof dafür aus. Auf der Basis des belgischen Auslieferungsgesetzes von 1833 war diese Entscheidung nicht zu rechtfertigen.129 Die Regierung, bei der die letztendliche Entscheidung lag (die Gerichte hatten nach dem Auslieferungsgesetz nur beratende Funktion), wurde aus der peinlichen Lage dadurch befreit, daß Frankreich das Auslieferungsgesuch 124 Vgl. oben, S. 3lf. 125 Zitiert nach Rolin, 1884, S. 261. 126 Vgl. ebd., S. 263; l.Ammasch, Ausliefenmgspflicht und Asylrecht, S. 271. Zum Begriff des politischen Verbrechens in den Auslieferungsverträgen des 19. Jahrhunderts vgl. ebd., S. 247ff.; kritisch hierzu Marlilz, Bd. 2, S. 198ff. 127 Gesetzlich wurde dies aber erst 1867 festgelegt. Vgl. oben, S. 31, Anm. 54. 128 Lora L. Deere, Political Offenses in the Law and Practice of Extradition, in: American Journal oflntemational Law 27, 1933,247-270, S. 247f.; Ro/in, l883, S. 429ff.; 1884, S. 148ff. 129 Rolin, ebd., S. 264. Der Kassationshof berief sich auf die Parlamentsdebatte im Jahr 1836, in der der Justizminister Ernst die "crimes connexes" in restriktiver Weise interpretiert hatte. Vgl. Lammasch, Auslieferungspflicht und Asylrecht, S. 271, Anm. 6.

ill. Die Auseinandersetzungen um das politische Asyl nach 1849

47

zurückzog. Nunmehr brachte aber der belgisehe Justizminister, teilweise auf Druck Frankreichs, einen Gesetzentwurf ins Parlament ein, der Attentate gegen ein Staatsoberhaupt oder eines seiner Familienmitglieder weder als politisches Delikt noch als "crime connexe" anerkannte.130 Es wurde nach heftigen Debatten im März 1856 verabschiedet.131 Einige Staaten, so vor allem die Schweiz und England, weigerten sich, die Attentatsklausel zu übemehmen.132 Sie blieben aber in der Minderheit Frankreich fügte beim Abschluß neuer Auslieferungsverträge die Klausel ein. Das gewandelte Verständnis vom politischen Verbrechen wirkte sich auf das Gebiet der Auslieferung aus. Danach war Auslieferung zu befürworten, wenn es sich bei den "crimes connexes" um Delikte handelte, die zu allen Zeiten und überall als Verbrechen galten.133 Die neuen Defmitionen von politischen Straftaten setzten sich in einer Zeit durch, die nicht nur den gewalttätigen, sondern allen Flüchtlingen gegenüber zunehmend mißtrauisch eingestellt war. Das neue französische Fremdengesetz vom 2.12.1848 strich die bis dahin für die Ausweisung bestehende Voraussetzung, daß die Führung des Fremden die öffentliche Ruhe und Ordnung störe.134 Die erste Einschränkung des politischen Asyls durch die belgisehe Attentatsklausel war direkte Folge der Revolution von 1848/49, realisierte aber nur schon im Vormärz ausgesprochene Bedenken gegen eine weitgefaßte Definition von politischen Delikten. Mit ihr wurde die von Thomas Jefferson vertretene und später im belgiseben Auslieferungsgesetz von 1833 festgelegte Position, jede Möglichkeit der Auslieferung politischer Straftäter auszuschließen und dabei in Kauf zu nehmen, daß sich eventuell auch gemeine Verbrecher der Strafe entziehen konnten, aufgegeben. Direkte Betroffenheit durch Kapitalverbrechen politischen Charakters führte auch bei liberalen Staaten dazu, die Privilegierung des politischen Delikts in Frage zu stellen und eigene Rechtsnormen beiseite zu wischen. Die USA etwa verlangten aufgrund der Nachricht, ei130 Daß der Mord eines Staatsoberhauptes "crime connexe" eines politischen Deliktes sein kann, ist offenkundig. Thomas Jefferson wollte in seinem Entwurf eines spanisch-amerikanischen Auslieferungsvertrages Auslieferung bei Mord nur zulassen, wenn er nicht "of the nature of treason" sei. Vgl. oben, S. 23; MartiJz, Bd. 2, S. 301. Provo Kluit, der als erster Autor den Gnmdsatz der Nichtausliefenmg bei politischen Delikten aufstellte, machte allerdings hinsichtlich der meuchlerischen Ermordung eines Souveräns oder eines Mitglieds einer souveränen Familie eine Ausnahme. Vgl. Lammasch, Auslieferungspflicht und Asylrecht, S. 304f. 131 MartiJz, ebd., S. 367ff.; Wijngaert, S. 136ff. 132 Auch die USA schlossen erst Ende des 19. Jahrhundens Ausliefenmgsveruiige mit Einschluß der Attentatsklausel ab. Vgl. MartiJz, ebd., S. 500ff. 133 Dalloz, Repertoire, Bd. 42 (1861), S. 592ff. Hierbei wurde auf die Definition verwiesen, als asylwürdig könnten "crimes connexes" anerkannt werden, wenn es sich um Taten handele, die während eines normalen Kriegszustands erlaubt seien. 134 MartiJz, Bd. 1, S. 29, Anm. 26. Langhard, S. 121ff., charakterisiert die Regelung der Ausweisung in Frankreich als völlig arbiträr.

48

B. Die rechtlichen Gnmdlagen des politischen Asyls

ner der Mitschuldigen an der Ennordung Lincolns halte sich in Italien auf, dessen Auslieferung, obwohl damals kein Auslieferungsvertrag mit Italien bestand. Dies widersprach der amerikanischen Position, ohne Vertrag weder auszuliefern noch eine Auslieferung zu fordern.135 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam es angesichts anarchistischer und nihilistischer Attentate zu einer breiten Diskussion, in der die konsequente Trennung zwischen rein politischen und mit schweren gemeinen Verbrechen verbundenen Delikten für den Auslieferungsbereich gefordert wurde)36 Im Jahr 1894 lieferte England den eines Bombenanschlags in Paris beschuldigten Theodore Meunier mit der Begründung an Frankreich aus, anarchistische Taten seien keine politischen Delikte, da sie nicht die Ersetzung einer Regierung durch eine andere zum Ziel hätten, sondern auf die dauernde Beseitigung jeder gesellschaftlichen Ordnung gerichtet seien.l37 Nach der 48er Revolution lassen sich Ansätze einer harten Haltung gegenüber den Gegnern des liberalen Staates im Verhältnis westlicher Asylländer zu den gewalttätigeren Elementen der Revolutionäre und dem Arbeiterflügel feststellen. Diese Gruppen waren schon in der Vonnärzzeit am stärksten Verfolgungen durch ihre Asylländer ausgesetzt.l38 4. Konservatives und liberales Asylverständnis im Deutschland der Reaktionsperiode

Konsequent wurde das politische Asyl nach 1849 von konservativer Seite angegriffen. Unter verbaler Anerkennung des Prinzips der Privilegierung politischer Delikte wurden von Regierungsseite und der konservativen Presse bestimmte Straftaten und Straftäter depolitisiert und ausgeklammert, eine auch heute nicht unübliche Vorgehensweise. Die "Frankfurter Ober-Postamtszeitung" erklärte sich zwar für die Nichtauslieferung bei politischen Delikten, for135 Lammasch, Auslieferungspflicht und Asylrecht, S. 305; lohn Basset Moore, A Treatise on Extradition and Interstate Rendition, Boston, 1891, Bd. 1, S. l3ff., 41f. 136 Vgl. die in der Bibliographie von Mettgenberg angeführten Werke. Vgl. auch Joachim Wagner, Politischer Terrorismus und Strafrecht im Deutschen Kaiserreich von 1871, Heide1berg/Harnburg, 1981, S. 325ff. zur nationalen und S. 402ff. zur internationalen Bekämpfung des politischen Terrorismus. Nach Wagner kam es in diesen Jahren zu Ausliefenmgen unter rechtlich zweifelhaften Voraussetzungen, vor allem zwischen Rußland, Preußen und Östereich. 137 Bernard Porter, The British Govemment and Political Refugees, c. 1880-1914, in: Immigrants and Minorities 2, 1983, 23-45, S. 25. Auch Heinrich Lammasch, Über die Auslieferung wegen anarchistischer Verbrechen, in: Deutsche Juristen-Zeitung 4, 1899, 5-8, S. 7, forderte mit einer ähnlichen Argumentation, Anarchisten politisches Asyl zu verweigern. In seiner 12 Jahre vother erschienenen Studie "Auslieferungspflicht und Asylrecht" hatte er sich noch im entgegengesetzten Sinn ausgesprochen. 1877 entschied das Reichsgericht in einem Prozeß gegen Mitglieder anarchistischer Gruppen gegen eine Privilegierung, da nicht ideale Schwärmerei, sondern "Eigennutz und daneben Mißgunst und Haß gegen die besitzenden Klassen die Triebfeder ihrer Handlungen" gewesen seien. Eichholz, S. 96. 138 Vgl. unten, S. 108ff.

III. Die Auseinandersetzungen um das politische Asyl nach 1849

49

derte aber von England die Auslieferung von Kossuth und Mazzini, um sie wegen des vielfachen Mordes, für den sie verantwortlich seien, vor Gericht stellen zu können. Für die ihnen zu Last gelegten politischen Vergehen könne ihnen freies Geleit zugesichert werden.139 An von Mazzini und Kossuth persönlich verübte Morde kann man nicht gedacht haben, nur an Verantwortung für die Opfer der Revolution.140 Dies ist Zeichen der nur widerstrebenden Akzeptierung des politischen Asyls durch konservative Kreise. Mit einem Lippenbekenntnis zum Rechtjedes Staates, Asyl zu gewähren, wurden die bisher nur vage umschriebenen aber weitgefaßten Defmitionen des politischen Straftäters grundsätzlich attackiert Der schutzwürdige politische Straftäter wurde vom Berufsrevolutionär, der keine weltliche und göttliche Gewalt anerkenne, getrennt. Um die Asylgewährung an die letztere Gruppe zu verhindern, begann man, eine Revision des Asylrechts zu fordern. Jedenfalls ist ein ganz schrankenlos gewährtes Asylrecht, welches keine andere Begründung anerkennt, als die Thatsache der Verfolgung, mit der Idee des Rechtsstaates unvereinbar, und für den Staat, welcher solch exorbitante Zurnutbungen duldet, politisch gefährlich, da er die Verantwortlichkeit für den Gebrauch, welchen seine Schützlinge von dem Asylrecht machen, trägt und, wenn dieser auf die Bedrohung des Weltfriedens abziehlt, nachdrücklichen Zurechtweisungen ausgeset11 ist. Das politische Asylrecht sieht daher auch einer gründlichen Revision entgegen.l41 Die von Regierungen und der konservativen Presse verwandte Definition des politischen Delikts war so eng, daß sie in Revolutionszeiten bedeutungslos werden mußte. Nach diesem Verständnis disqualifizierte jegliches gemeine Verbrechen einen Asylbewerber. Das Konzept des "crime connexe", wie es im belgiseben Auslieferungsgesetz festgelegt war, wurde nicht anerkannt 142 In der zeitgenössischen juristischen Fachliteratur spiegelt sich der nach den Revolutionen von 1848/49 immer stärker werdende Trend, das politische Asyl einzuschränken, wider. Robert von Mohl stellte sich die Aufgabe, die in der Diskussion über das politische Asyl offensichtlich fehlende wissenschaftliche, d.h. völkerrechtliche Basis zu liefern.l43 Wie die Juristen vor ihm behandelt 139 So berichtet vom englischen Gesandten in Frankfurt a.M., PRO London, FO 30/161, Bericht Nr. 34 vom 7.3.1853. 140 Die Österreichische Regierung veröffentlichte eine Liste von Personen, die von der ungarischen Revolutionsregierung umgebracht worden seien. HHStA Wien, JB KaL 3, 1849-1851, 1371. Insgesamt sind 467 Fälle aufgeführt 141 HerrmaM Wagener, Staats- und Gesellschafts-Lexikon, Bd. 2, Berlin, 1859, S. 766, Artikel "Asyl". 142 Die unterschiedlichen Auffassungen zwischen Deutschland und den westeuropäischen Ländern in dieser Frage werden während der Verhandlungen über die Auslieferung der Mörder der beiden Reichstagsabgeordneten Iichnowski und Auerswald deutlich. Vgl. unten, S. 153ff. 143 Robert von Mohl, Revision der völkerrechtlichen Lehre vom Asyle, Tübingen, 1853. Auch erschienen in: Zeitschrift für die gesamten Staatswissenschaften 9, 1853. 4 Reiter

50

B. Die rechtlichen Grundlagen des politischen Asyls

Mahl das Asylrecht ausgehend von der Auslieferungsfrage. Mahl erkennt zwei Grundpositionen als in sich logisch an. Das kosmopolitische System gehe von einer die ganze Welt umfassenden Förderung der Rechtsordnung aus und gestehe somit jegliche Art von Auslieferung zu. Ein Nachteil bestehe in bezog auf Staatsverbrechen, da man gezwungen sein könne, entweder in unmoralischer Weise einen politischen Straftäter an ein Terrorregime auszuliefern, oder aber der die Auslieferung fordernden Regierung die Legitimität abzusprechen. Das selbstsüchtige System, das die Auslieferung in der Regel verweigere, stehe auf einer menschlich unterentwickelteren Stufe. Biete ein Staat, der sich nur um seine eigene Rechtssicherheit sorge, allen Flüchtlingen ein Asyl, so werde er bald die Herberge für jede Art von Verbrechern. Flüchtlinge könnten sich zu gefahrliehen Verbindungen organisieren. Ein besonderer Übelstand sei die Praxis der USA, solche Leute auch noch förmlich und ohne individuelle Entscheidung in ihr Staatsbürgerrecht aufzunehmen und so jede Kontrolle über sie aus der Hand zu geben.144 Mahl schlägt ein vermittelndes System vor, das bei wesentlicher Annahme des kosmopolitischen Systems dessen Nachteile vermeide.145 Diese träten nur bei der Frage der Auslieferung bei Staatsverbrechen auf. Eine Auslieferung eines zum Asylrecht Zugelassenen zur Bestrafung solcher Delikte müsse, trotz der schweren Nachteile, die eine solche Position mit sich bringe, ausgeschlossen werden.146 Von diesem Problem zu trennen sei die Frage der Aufnahme von Flüchtlingen. Alleine dem Staat sei das Recht der Aufnahme vorbehalten. Er erlcennt es ferner im Allgemeinen als eine sittliche Pflicht, solchen Flüchtlingen Aufenthalt Wld Schutz zu gewähren, zu deren Bestrafung mitzuwirlcen er nach den von ihm anerlcannten Grm1dsätzen nicht berufen ist. Dagegen anerlcennt der Staat kein förmliches Recht eines Ausländers, Schutz und Aufenthalt zu fordern, sondern er behält sich vielmehr in jedem einzelnen Falle die Nichtzulassung oder WiederausweisWlg vor. Ebenso hat ein geduldeter Ausländer nicht das Recht, die volle Wld ausnahmslose Anwendung der Landesgesetze auf seine Person in Anspruch zu nehmen.147

Nichtzulassung, ja sogar Auslieferung seien Grundsatz, wenn der Flüchtling auch einer groben Verletzung des "Privatrechtes" beschuldigt werde. Auf das Problem gemeiner Straftaten als "faits connexes" politischer Delikte geht Mahl bezeichnenderweise nicht ein. Sein Bedauern über die notwendige uneingeschränkte Nichtauslieferung bei politischen Delikten bezog sich jedenfalls nicht 144 Unter Bezugnahme auf die Koszta-Affäre (vgl. unten, S. 306ff.) schreibt Mohl: "... nur eine Verbindung von leidenschaftlicher Anmaßung Wld von gedankenloser Unwissenheit (kann) auf einen solchen Grundsatz verfallen. Dieses Urteil kann den Vereinigten Staaten nicht erspart werden." Ebd., S. 90, Anm. 145 Ebd., S. 97ff. 146 Zuweilen werde dadurch auch solchen zu Straflosigkeit verholfen, bei denen dies nach allen göttlichen und menschlichen Rechten zu bedauern sei. Ebd., S. 99. 147 Ebd., S. lOlf.

ill. Die Auseinandersetzungen um das politische Asyl nach 1849

51

auf die Verwicklung politischer Straftäter in schwere gemeine Verbrechen.148 Wiederausweisung trete regelmäßig und auch ohne Verlangen von außen ein, wenn Flüchtlinge weiter Rechtsverletzungen gegen fremde Staaten begingen bzw. vorbereiteten oder die für ihren Aufenthalt festgelegten Bedingungen nicht erfüllten. Für die einfache Ausweisung sah Mohl keinen Rechtsweg vor. Es reiche der Grad und die Art der Gewißheit hin, die überhaupt zu Verwaltungsmaßregeln berechtigten. Den Flüchtlingen seien generell keine Rechte zuzugestehen. Damit ernte man nur Undank von allen Seiten. "Entschieden ist also das System der völligen Unbeschränktheil der Staatsgewalt vorzuziehen."149 Es verstehe sich von selbst, daß damit keine Willkür und unbegründete Härte sanktioniert werden solle. Wo eine gesunde öffentliche Meinung sich geltend machen könne, werde die Regierung in bessere Bahnen gelenkt, wo dies nicht der Fall sei, könnten auch formelle Bestimmungen keinen Schutz gewähren. Mohl fordert eine allgemeine Einigung über das Problem der Asylgewährung, wenn möglich durch einen Staatenkongreß. Auch wenn Extrempositionen wie die Rußlands, das uneingeschränkt Auslieferung zugestehe, und der angelsächsischen Staaten, die mit der völligen Einwanderungsfreiheit ein Recht auf Aylgewährung akzeptierten, zunächst noch bestehen sollten, sei schon eine Einigung der übrigen Staaten ein großer Fortschritt, der viele Streitpunkte beseitigen könne. Für alle sei es besser, sich in einem Kompromiß zu treffen, der z.B. zwar die Asylgewährung an politische Flüchtlinge zugestehe, gleichzeitig aber festlege, daß sie nicht in einem unmittelbar an ihr Heimatland anstoßenden Land aufgenommen werden dürften. Gäben also die deutschen Staaten nach, müsse sich die Schweiz zu Vorbeugungsmaßregeln verstehen. So könne auch der Grundsatz der Asylberechtigung politischer Flüchtlinge zum allgemeinen europäischen Recht erklärt werden.150 Mohl hält also an der liberalen Idealvorstellung der Asylberechtigung theoretisch fest. Gerade die letzte Zuflucht politischer Flüchtlinge des 19. Jahrhunderts, die in der Einwanderungsfreiheit bestimmter Länder lag, wollte Mohl aber unterbinden.151 Seine praktischen Forderungen zu Asylrecht und Flüchtlingspolitik sind kaum mit seiner Zukunftsvision in Einklang zu bringen. Als Rechtsgrundsätze hält er fest das alleinige Recht des Staates Asyl zu gewähren oder zu verweigern; die Rechtlosigkeit des Flüchtlings in seinem Aufnahmeland; die Verpflichtung des Aufnahmelandes, auch vorbeugende Maßnahmen gegen eventuelle Umtriebe von Flüchtlingen zu ergreifen. Seine Vorschläge 148 Vgl. Arun. 146. 149 Mahl. Lehre vom Asyle, S. 139. 150 Ebd., S. 146ff. 151 Ebd., S. 137.

52

B. Die rechtlichen Gnmdlagen des politischen Asyls

zielen sämtlich auf eine weitere Stärkung der Position der Regierungen ab, um einem angeblich zutage getretenen Mißbrauch des Asylrechts nach den Revolutionen von 1848/49 abzuhelfen. Mohl wollte kein ausdrücklich politisches, sondern ein an Grotius erinnerndes humanitäres Asylrecht anerkannt sehen: Die ... versuchte Begründung eines A~ylrechtes soll nicht dazu dienen, solche, welche sich eine gerechte Strafe zugezogen haben, dieser zu entziehen; sondern nur dazu, unschuldig Verfolgten einen Zufluchtsort offen zu halten. I 52

5. Radikale Forderungen an das Asylrecht

Eine Mohl entgegengesetzte Position vertraten radikale politische Flüchtlinge. Ihre Gedanken sind vor dem Hintergrund der vormärzliehen liberalen Positionen zum politischen Asyl zu sehen. Für diese Positionen ist wie beim politischen Strafrecht von einem Mythos zu sprechen, der nicht mit der Realität übereinstimmte.t53 Im Rotteck/Welckerschen "Staatslexikon" heißt es zum Asyl: Von dem allgemeinen menschheitlichen und völkerrechtlichen Standpunkte aus gesehen ward es immer schwieriger zu bestimmen, was denn eigentlich ein politisches Verbrechen sei, so wie die früher üblichen Begriffe von Irrglauben und Ketzerei sich immer mehr und mehr durch ihren Gegensatz und ihre Wechselseitigkeit selbst zerstörten. So gestaltete sich denn auch die Idee von dem Asyl ganz um, und wie sie von der Heiligkeit des Orts ausging, verlclärte sie sich in die der Unverletzbarlceit menschlicher Persönlichkeit, insofern sie nicht durch gemeine Verbrechen entweiht und verwirtet würde.l 54

Diese Idealvorstellung eines auf der Unverletzbarkeit menschlicher Persönlichkeit beruhenden Asylrechts war weder 1835 noch ist sie heute Wirklichkeit Das "Staatslexikon" verklärte den politischen Straftäter, der ohne jede Diskussion des Problems der "faits connexes" als "reiner" Freiheitsheld idealisiert wurde, und umgab ihn mit einem religiösen Schein. Seine Sicht des politischen Asyls orientierte sich mehr an der liberalen Ideologie und sich aus ihr herleitenden Utopien als an der Wirklichkeit. Vorzüglich erlcannten republikanische Staaten, wie die Schweiz, nicht nur das Asylrecht, sondern auch die Asylpflicht, nicht nur für Gleichgesinnte, sondern auch für Andersdenkende und Anderswollende an, und es liegt im eigenen wohlverstandenen Interesse monarchischer und selbst absolutistischer Staaten, solch eine Freistätte zu ehren und zu schützen.I 55

Der Idealvorstellung der Republik mochte die Anerkennung einer Pflicht zur Asylgewährung entsprechen, keineswegs aber der schweizerischen Realität. Die Vorstellungen des "Staatslexikons" zum politischen Asyl, die als reprä152 Ebd., S. 74. Zu Grotius vgl. oben, S. 21.

153

Vgl. oben, S. 40.

154 Rollec/c/Welclcer, Bd. 2 (1835), Artikel "Asyl", S. 59. 155 Ebd. In Bd. 8 (1839), S. 229, spricht Rotteck im Artikel "Hochverrat (politisch)" von der "Ehrenpflicht der Asylgewähnmg".

ill. Die Auseinandersetzungen um das politische Asyl nach 1849

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sentativ für große Teile der bürgerlichen Öffentlichkeit nicht alleine in Deutschland, sondern in Europa gelten müssen, erhalten in dem schlecht definierten Bereich der politischen Straftat eine besondere BedeutWlg Wld müssen neben der tatsächlichen Rechtssituation berücksichtigt werden. Sie verdeutlichen, daß die Forderungen radikaler politischer Flüchtlinge zum politischen Asyl nicht isolierte Vorstöße individuell Betroffener waren, sondern (wenn auch extremer) Teil der großen BewegWlg für die Privilegierung des politischen Straftäters. Gerade die Probleme der Asylgewährung und der rechtlichen Situation als Exilanten, die nach dem "Staatslexikon" gelöst zu sein scheinen, beschäftigten die Flüchtlinge immer wieder, denn politisches Asyl beruhte im 19. Jahrhundert alleine auf dem Rechtsgrundsatz, wegen politischer Verbrechen nicht auszuliefern. Die Aufnahme von Flüchtlingen war ausschließlich von der EntscheidWlg des Gastlandes abhängig und konnte im Normalfall durch einen einfachen administrativen Akt, gegen den dem Flüchtling keinerlei Rechtsmittel zur Verfügung standen, wieder entzogen werden. Gegen diesen Zustand der Rechtlosigkeit protestierten politische Flüchtlinge seit dem Vormärz. Sie forderten ein Recht auf Asyl, allerdings nicht wie in unserem Jahrhundert auf der moralischen Basis der Menschenrechte, sondern, radikaler als das "Staatslexikon", auf ideologischer. Eine Republik sei verpflichtet, Republikanern Asyl zu gewähren. Ein erstes Beispiel hierfür ist der schon zitierte Artikel der jakobinischen Verfassung von 1793, in dem es heißt, das französische Volk gebe "asile aux etrangers bannis de leur pays pour Ia cause de Ia liberte. II refuse aux tyrans!"l56 Von diesem Verständnis ausgehend protestierte 1824 Karl Folien gegen seine AusweisWlg aus der Schweiz.l57 Die Position radikaler Flüchtlinge, eine Republik habe die Pflicht, Republikanern Asyl zu gewähren, war realitätsfremd. Ludwig Simon, nach dem badisch-pfälzischen Aufstand selbst politischer Flüchtling in der Schweiz, hielt ihnen vor, sie sollten besser nicht von den lichten Höhen der Humanität Wld der Universalrepublik antizipierend herabsteigen Wld Forderungen stellen, sondern auf dem Boden der Wirklichkeit verbleiben: Dadurch würde man sich vor dem Irrthume bewahren, als gegenwärtige Rechtspflicht zu anticipiren, was höchstens einmal als zukünftige Liebespflicht allgemeiner anerkarmt wird.l58

Auch heute ist kein Recht Verfolgter auf Asyl anerkannt Der Versuch, einen entsprechenden Paragraphen in die ON-Menschenrechtskonvention einzufügen, 156 Zitiert nach Wijngaert, S. 9. Ein ähnlich ideologisches Verständnis von politischem Asyl fmdet bzw. fand sich in den einschlägigen Bestimmungen sozialistischer Staaten. 157 Vgl. unten, S. 94. Schon 1819 nahm Joseph Goerres in einem offenen Brief von Straßburg aus die Gastfreundschaft Frankreichs nicht als eine Gunst, sondern als ein Recht für sich in Anspruch. Martitz, S. 148. 158 Ludwig Simon, Aus dem Exil, Gießen, 1855, Bd. 1, S. 108.

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B. Die rechtlichen Gnmdlagen des politischen Asyls

scheiterte. Man konnte sich nur auf die Fonnotierung einigen, jeder Verfolgte habe das Recht. Asyl zu genießen. Damit wurden zwar Angriffe der Herkunftsländer der Flüchtlinge auf die Gastländer wegen Asylgewährung als ungesetzlich bezeichnet. die grundsätzliche Frage aber, ob Asyl Teil der individuellen Menschenrechte sei, umgangen. Aus diesem Grund sprechen einige Völkerrechtler vom "so-called right of asylum" .159 Bei Konflikten mit dem Asylland erwies sich für den Flüchtling seine Rechtlosigkeit als besonderes Problem.l 60 Er besaß z.B. keine Handhabe, gegen die administrative Verfügung der Ausweisung vorzugehen, so arbiträr ihm die Entscheidung auch erscheinen mochte. Noch heute ist dieses Problem prinzipiell ungelöst ... das Flüchtlingsproblem lenkt das Bewußtsein auf die Tatsache, daß der Verlust der politischen Gemeinschaft zur Ausstoßung aus der Menschheit führen kann. Nach überlieferter Ansicht setzt nämlich die Anerkenmmg des Menschen als Rechtsperson eine nationale Gemeinschaft voraus. Solange aber die aufenthaltsrechtliche Frage des völkerrechtlichen Asylrechts nicht geregelt ist, kann die Flucht auch heute noch zur Ausstoßung aus der Menschheit führen.l6l Radikale Flüchtlinge des 19. Jahrhunderts argumentierten allerdings nicht auf der Basis der Menschenrechte, sondern forderten für sich als Republikaner von Republiken Rechte. Sie sprachen aber mit den Modalitäten der Asylgewährung und den Rechten politischer Flüchtlinge als Asylanten noch heute bestehende Probleme an. Aufgrund eigener Erfahrungen befaßte sich Karl Heinzen mit diesem Problemkreis. Ihm war als Bedingung für den Aufenthalt in Zürich auferlegt worden, keine Schriften von der Art der "Steckbriefe" zu verfassen. Nach seiner Ausweisung im Jahr 1847 wegen seiner literarischen Tätigkeitprangerteer die willkürlichen Entscheidungen an, denen Flüchtlinge angesichts einer solch schwammigen Festlegung der Aufenthaltsbedingungen ausgesetzt waren. Seine Forderung greift späteren Diskussionen um die Rechtsstellung politischer Flüchtlinge vor. Sie ist für große Teile der Emigration des 19. Jahrhunderts repräsentativ: 159 Wijngaerl, S. 67. 160 Der Flüchtling stand als Fremder ohne diplomatischen Schutz eines Heimatlandes außemalb des Prinzips der Gegenseitigkeit, das normalerweise in bezug auf Rechte von Bürgern anderer Staaten angewandt wurde. Vgl. Ollo Kimminich, Der internationale Rechtsstatus des Flüchtlings, Köln/Berlin/Bonn/München, 1962, S. 129ff. 161 Reinhard Marx, Eine menschenrechtliche Begründung des Asylrechts. Rechtstheoretische und ~ogmatische Untersuchungen zum Politikbegriff im Asylrecht, Baden-Baden, 1984, S. 152; vgl. auch Hannah Arendl, Es gibt nur ein einziges Menschenrecht, in: Die Wandlung. Eine Monatsschrift 4, 1949, 754-770. Besonders kraß trat das Problem der Rechtlosigkeit im 20. Iahthundert auf, als es keinen Staat mehr gab, der Flüchtlinge ohne Schwierigkeiten als potentielle Bürger aufnahm.

ill. Die Auseinandersetzungen um das politische Asyl nach 1849

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Meiner Ansicht nach gibt es keine haltbarere und vernünftigere Feststellung jener Bedingungen, als in dem Satz, daß der Schützling in strafgesetzlicher Beziehung thun dürfe, was den Bürgern des beschützenden Staates nach den Gesetzen desselben erlaubt isL ... Ist die Sicherheit des Asyls abhängig von den Ansichten und der persönlichen Disposition der Regierenden, so ist das Asylrecht aufgehoben.162

In der Rechtlosigkeit. in der sich der Flüchtling ansonsten befmde, könne ihm der Schutz wegen derselben Handlungen entzogen werden, welche ihn ihm verschafft hatten. Eine völkerrechtliche Verpflichtung des Gastlandes, Propaganda gegen das Heimatland des Flüchtlings zu unterbinden, erkannte Heinzen nicht an.163 Erst beim Krieg, beim Versuch eines bewaffneten Einfalles, komme der völkerrechtliche Punkt zur Sprache. Gegen verleumderische Schriften stünde der Gerichtsweg offen, der schon dafür sorgen werde, daß die Bäume nicht in den Himmel wüchsen. Die Ausweisung eines Flüchtlings aber sei irrational. Dies hieße, eine Person für die Freiheit büßen zu lassen, die sie benutze. Darüber hinaus könne man auch von Amerika aus Manuskripte zum Druck in die Schweiz schicken. Als einzigen möglichen Einwand gegen seine Ausführungen sah Heinzen die Behauptung, unter Asyl sei generell nur ein "stilles Asyl" {d.h. Verbotjeglicher politischer Aktivität) zu verstehen. Seine Entgegnung ist typisch für alle radikalen Republikaner seiner Zeit: Welche Beleidigung für die Republik; welche Beleidigung für die Freiheit! Wahrlich, keinem Republikaner kann es je einfallen, den fremden Schützling auf so schmale Freiheitskost setzen m wollen und ihm ein Asyl anzubieten in - einer pennsylvanischen Zelle.I64

In der Praxis fiel es selbstverständlich auch Republikanern ein, solche Aufenthaltsbedingungen zu stellen, ja das "stille Asyl" ist für das 19. Jahrhundert als Regel zu bezeichnen. Die kontinentaleuropäischen Asylländer gestatteten politischen Flüchtlingen im Normalfall nur unter strikten Bedingungen, d.h. vor allem unter Untersagung jeglicher politischer Tätigkeit. den Aufenthalt Sie führten in der Vormärzzeit neben der Ausweisung restriktive innenpolitische Maßnahmen (z.B. die Internierung) ein, um politische Flüchtlinge unter Kontrolle zu behalten_l65 Durch die Revolutionen von 1848/49 änderte sich hieran nichts. Im Sinne von Heinzens Vorhaltungen stellte Giuseppe Mazzini im Jahr 1854 in einem Brief an den schweizerischen Bundesrat die Frage, ob die 162 Kar/ HeifiZen, Meine Ausweisung aus Zürich, Bem, 1847, S. 10. 163 Dies stimmt mit der heutigen vökerrechtlichen Position überein. Zwar darf ein Staat selbst keine Propaganda gegen einen anderen Staat betreiben, er ist aber nicht verpflichtet, Propaganda von Privatpersonen, seien sie Bürger oder nicht, m unterdrücken. Ebensowenig ist die bloße Fortsetzung des politischen Lebens innerhalb von Exilgruppen vetbolen. Der Flüchtling hat aber auch keinen Anspruch auf Gestattung der politischen TätigkeiL Kimmillich, Rechtsstatus des Flüchtlings, S. 194ff.; ders., Völkerrechtsfragen der exilpolitischen Betätigung, in: Archiv des Völkerrechts 10, 1962, 132-165. 164 Heinzen, Ausweisung aus Zürich, S. 14. 165 Vgl. unten, vor allem S. 112.

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B. Die rechtlichen Grundlagen des politischen Asyls

Schweiz dem Menschen oder nur dem Körper Asyl geben wolle.l66 Auch er forderte, die Flüchtlinge vor dem Gesetz nicht anders zu behandeln als die Schweizer Bürger.l67

IV. Einwanderungsgesetzgebung, Auswanderungsfreiheit und Asylrecht England und Amerika sind bisher aus der Diskussion ausgeklammert worden, da in diesen beiden Ländern die Frage des politischen Asyls engstens mit der Einwanderungspolitik verknüpft war. 168 Während des 19. Jahrhunderts boten sie dem politischen Flüchtling das sicherste Asyl. England wies seit 1823 keinen einzigen Flüchtling aus, und die Regierung besaß dazu auch (bis auf einige Jahre nach den Revolutionen von 1789 und 1848) keine gesetzliche Handhabe)69 Es war die Abwesenheit von Gesetzen, die den Flüchtlingen ihre privilegierte Stellung verschafften.170 Nach dem in Großbritannien geltenden Grundsatz der Territorialität des Rechts war jeder Fremde, auch der politische Flüchtling, strafrechtlich dem eigenen Staatsbürger gleichgestellt. Die in England bestehende völlige Einwanderungs- und Niederlassungsfreiheit bedeutete praktisch das Recht des Flüchtlings auf Asylgewährung. Dies änderte sich erst mit der Beschränkung der Einwanderungsfreiheit im Jahr 1905.171 Eine gewichtige Rolle bei der Haltung Englands und Amerikas zur Auslieferung generell spielte ihre geographische Lage. Das kontinentaleuropäische Problem, die Flucht von Kriminellen in direkt benachbarte Staaten, schien schnelle und einfache Abhilfe zu fordern. Die angelsächsischen Länder wurden damit erst mit der Verbreitung moderner Verkehrstechniken konfrontiert. Sie neigten dazu, in allen Flüchtlingen Opfer tyrannischer Herrschaft zu vermuten, und standen der Auslieferung prinzipiell reserviert gegenüber.172 Die Tatsache, daß 166 Giuseppe Mazzini, Ai membri del consiglio federale, in: ders., Scritti editi ed inediti, Bd. U, Imola, 1928, 261-269. Mazzini wiederholte seine Vorwürfe in einem Brief an den führenden Politiker Genfs, James Fazy. Ebd., S. 281-288. Vgl. auch Simon, Aus dem Exil, Bd. l, S. 107. 167 Mazzini, ebd., S. 298, A Moos. le redacteur de Ia "Nouvelle Gazette de Zurich".

168 Das politische Strafrecht Großbritanniens unterschied sich durch das Besteheu von Schwurgerichten und Habeas Corpus traditionell vom Kontinent. Seit 1812 ist eine stetige Abnahme der Härte der verhängten Strafen festzustellen. Seit 1830 setzte sich bei den Verurteilungen eine (informelle) "policy of leniency" durch. Vgl. lngralwm, S. 117, 159ff. 169 Porter, Refugee Question, S. 1.

170 Wie die "Alien Acts" von selbstverständlich jederzeit möglich.

1789 und 1848 zeigen, blieben gesetzliche Regelungen

171 Der "Alien Act" von 1905 richtete sich gegen die vor allem jüdische Einwanderung aus Osteuropa. Furcht vor politischer Subversion war kein signifikantes Motiv. Porter, British Govemment aod Political Refugees, S. 26. 172 Ivan Anthony Shearer, Extradition in International Law, Manchester, 1971, S. 9.

IV. EinwanderungsgesetzgebiDlg, Auswanderungsfreiheit IDld Asylrecht

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es wegen Asylgewährung zu Spannungen zwischen England und den Vereinigten Staaten kam, die auf die gemeinsame Grenze Kanada - USA zurückzuführen sind, verdeutlicht die Bedeutung des geographischen Faktors.l73 Für die kontinentaleuropäischen Herlcunftsländer von Flüchtlingen war das trennende Meer ein Sicherheitsfaktor. Frankreich betonte in einer Note vom 19.7.1836 an die Schweiz, England könne wegen seiner Insellage ohne Gefahr für andere Staaten großzügig Asyl gewähren.l74 Die Flüchtlingsangelegenheit war aber in England auch eine ideologische Frage. Schon 1815, nachdem der Gouverneur von Gibraltar einige politische Flüchtlinge an Spanien ausgeliefert haue, proklamierte Sir James Mackintosh im Parlament das Prinzip, politisch Verfolgten das Asyl nicht zu verweigern, d.h. ein Recht des Flüchtlings auf Asylgewährung. Das englische Verständnis des politischen Delikts, das auch in den USA vorherrschte, ging über die belgische Konzeption der "faits connexes" hinaus. Es basierte auf der Defmition von John Stuart Mill, nach der als politische Straftat galt "any offence committed in the course of or furtherlog of civil war, insurrection or political commotion."l75 Diese Definition wurde noch 1890 im Fall Castioni, in dem es um den Mord an einem Schweizer Politiker ging, von einem englischen Gericht bestätigt.l76 Die belgisehe Attentatsklausel wurde in England nicht übernommen. Das englische Auslieferungsgesetz von 1870 hielt an dem traditionell weiten Schutz politischer Straftäter vor Auslieferung fest. Eine Auslieferung war unzulässig, wenn eine Straftat "of a political character" vorlag, oder wenn der Beschuldigte zufriedenstellend beweisen konnte, daß seine Auslieferung verlangt wurde, um ihn wegen eines politischen Delikts anzuklagen oder zu bestrafen.l77 Trotz wachsender Skepsis gegenüber politischen Straftätern wurde die traditionelle britische Haltung zum Asyl selbst durch die anarchistischen und nihilistischen Anschläge gegen Ende des 19. Jahrhunderts nicht erschüttert.l78 Von den Vereinigten Staaten wurde die Ausschließung politischer Straftäter von der Auslieferung nie durch ein Gesetz festgelegt.l79 Eine solche Klausel 173 Einige Beispiele fmden sich bei Moh/, Lehre vom Asyle, S. 25. Für Mohl war dies "ein Beweis der schreiendsten Folgewidrigkeit IDld Selbstsucht Englands." 174 v. Buchho/r, Über die rechtliche Behandlung der politischen Flüchtlinge. Ein Beitrag rum europäischen Völkerrecht, in: Europa. Chronik der gebildeten Welt 96, 1853, S. 761. 175 Zitiert nach Shearer, S. 170. 176 Porter, British Govemment and Political Refugees, S. 25. 177 E. L. de Hart, The Extradirion of Political Offenders, in: Law Quarterly Review 2, 1886, 177-187, S. 178. Vgl. Martilz, Bd. 2, S. 544ff. 178 Dies ist, trotzgelegentlichen gerichtlichen Vorgehens gegen Flüchtlinge und dem Aufbau des "Special Branch" von Scodand Yard, die Schlußfolgerung von Porter, British Govemment and Political Refugees, S. 38. 179 In der inneren Gesetzgebung der USA gab es keine Privilegierung politischer Straftäter. Allen, S. 30ff., sieht dies in der politischen Geschichte Nordamerikas, der blutige Revolutionen und

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B. Die rechtlichen Gnmdlagen des politischen Asyls

taucht erstmals in dem 1843 mit Frankreich abgeschlossenen Auslieferungsvertrag auf. Äußerungen zur speziellen Situation politischer Flüchtlinge fmden sich allerdings schon sehr früh in "executive Statements", so etwa 1792 durch Thomas Jefferson: "Treasons ... , taking the simulated with the real, are sufficiently punished by exile" .180 Es war amerikanische Praxis, Auslieferungsverträge, die politische Straftäter nicht ausdrücklich ausschlossen, trotzdem als nicht auf sie anwendbar anzusehen.181 Das einzige unser Thema betreffende Auslieferungsgesuch wurde im Jahr 1837 von Gouverneur Head von Oberkanada gestellt. Er forderte die Auslieferung von Lyon McKenzie wegen Mord, Brandstiftung und Raub. Da die McKenzie zur Last gelegten Verbrechen während eines Aufstandsversuchs verübt wurden, lehnte der Gouverneur von New York und spätere Außenminister der USA William L. Marcy das Gesuch ab.182 Als Land ohne Einwanderungsbeschränkungen ergaben sich in Amerika ebensowenig wie in England fremdengesetzliche Probleme bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Darüber hinaus war das Bild Amerikas als Asyl für die Unterdrückten der Welt Teil des nationalen Selbstverständnisses, Teil der Sicht der amerikanischen Revolution als eines Beitrags zu einem weltweiten Unterfangen)83 Als Zufluchtsort vor europäischer Unterdrückung konnte Amerika für die Freiheit wirken, ohne aktiv zu intervenieren. Thomas Paine schloß sein "Common Sense" mit dem Aufruf: 0 ye that Iove mankind! Ye that dare oppose not only the tyranny but the tyrant, stand fonhl Every spot of the Old World is overrun with oppression. Freedom has been hunted round the globe. Asia and Africa have long expelled her, Europe regards her like a stranger, and England has given her waming to depan. 01 receive the fugitive, and prepare in time an asylum for mankind.l84 Ein ähnliches Bewußtsein hatten auch die Engländer. Die "Times" schrieb am 19.1.1858: Every civilised people on the face of the eanh must be fully aware that this country is the asylum of nations, and that it will defend the asylum to the last ounce of its treasure, and the last drop of its blood. There is no point whatever on which we are prooder and more resolute.185

autokratische Regierungen unbekannt waren, und in der demolcratischen Struktur der Vereinigten Staaten begründeL 180 Vgl. oben, S. 22ff. 181 Samuel T. Spear, The Law of Extradition, Internationaland Inter-State, Albany, 1879, S. 44; Moore, Bd. 1, S. 214. 182 Moore, ebd., S. 313ff. 183 Han.s Jürgen Welldler, Universalität und Nativismus. Das nationale Selbstverständnis der USA im Spiegel der Einwanderungspolitik, Harnburg (Diss.), 1978, S. 25ff., 76ff. 184 Thomas Paille, Common Sense and other Political Writings (ed. by N. F. Adkins), Indianapolis, 1976, S. 34. 185 Zitiert nach Porter, Refugee Question, S. 7.

IV. EinwandenmgsgesetzgebiDig, Auswanderungsfreiheit IDid Asylrecht

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Im Unterschied zu den liberalen westeuropäischen Staaten entsprach die Rechtslage in den angelsächsischen Ländern diesem Selbstverständnis. 186 Als Staat und Nation durch eine Revolution begründet war es für Amerika nur natürlich, Revolutionen in Europa positiv zu beurteilen. Radikale Flüchtlinge, die in die Vereinigten Staaten kamen, wurden oft als Helden gefeiert. Daneben existierte aber auch eine skeptische Haltung gegenüber Revolutionären. Die amerikaDisehe Revolution hatte im Gegensatz zur französischen relativ wenige politische und soziale Veränderungen zur Folge. Es schien sich mehr um die Perfektionierung einer alten als um einen völligen Umsturz und den Aufbau einer fundamental neuen Gesellschaft zu handeln. Extreme waren die Ausnahme im politischen System der Vereinigten Staaten, dessen radikalste Kritiker oft gerade aus dem Ausland kamen. Der durchgängige Kontrast zwischen dem gemäßigten politischen Klima der USA und den häufig gewalttätigen und von starken Klassengegensätzen geprägten Auseinandersetzungen in Europa stärkte die Überzeugung, radikale politische Opposition sei typisch europäisch und völlig unamerikanisch. Antiradikale Bewegungen in Amerika waren ebenso wie antikatholische stark nationalistisch geprägt.187 Aus dieser Geisteshaltung entsprang der schwerwiegendste Angriff auf die Asyltradition Amerikas, die 1798 vom Kongreß verabschiedeten "Alien and Sedition Acts".1 88 Hierbei handelt es sich um ein Gesetzespaket ("Naturalization Act" vom 18.6.1798, "Act Conceming Aliens" vom 25.6.1798, "Act Respecting Alien Enemies" vom 6.7.1798, "Act for the Punishment of Certain Crimes" (Sedition Act) vom 14.7.1798), das als zusammengehöriger Komplex gesehen werden muß. An seinem Beispiel wird deutlich, daß Asylpolitik nur teilweise durch das politische System und die Rechtstradition eines Staates bestimmt wird. Ebenso maßgebend ist die innen- und außenpolitische Situation des Asyllandes. Im Jahr 1795 hatte sich das Klima zwischen den USA und Frankreich so verschlechtert, daß Krieg möglich schien. Die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten war schon infolge der Terrorherrschaft gegen die französische Republik umgeschlagen. Die Bevölkerung unterstützte in großem Ausmaß die Verteidigungsvorbereitungen der Regierung des Präsidenten Adams. Die amerikanische Regierungspartei der Föderalisten fürchtete aber nicht nur den äußeren, sondern auch den inneren Feind. Die Republikaner Jeffersons galten ihr als 186 Die inhaltlich ähnliche Äußerung des belgischen Justizministen Ernst (vgl. oben, S. 31) entsprach nicht der belgischen Realität 187 lohn Higham, Strangen in the Land. Patterns of American Nativism 1860-1925, New Yorlt, 1965, S. 8. 188 Zum folgenden vgl. lames Morton Smith, Freedom's Fetten. The Alien and Sedition Laws and American Civil Liberties, Ithaca, 1956; lohn C. Mil/er, Crisis in Freedom. The Alien and Sedition Acts, New York, 1951.

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B. Die rechtlichen Gnmdlagen des politischen Asyls

amerikaDisehe Jakobiner. Die Republikaner waren der Ansicht, Amerika müsse auf dem Weg der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit weiter vorangehen. Sie bezogen Stellung gegen die Kriegsmaßnahmen~ d.h. gegen ein stehendes Heer und den Aufbau einer Marine, die sie mit dem Beispiel Englands vor Augen, das angesichts der französischen Bedrohung sogar "Habeas Corpus" suspendiert hatte, als gellihrliehe Bedrohung der Freiheit ansahen. Die regierenden Föderalisten versuchten, nach dem für sie so vorteilhaften Umschwung der öffentlichen Meinung diesen innenpolitischen Gegner mit den "Alien and Sedition Acts" zu zerstören. Von dem Gesetzespaket der "Alien and Sedition Acts" waren zwei Maßnahmen klar gegen die Republikanisch-demokratische Partei Jeffersons gerichtet. Der "Naturalization Act", der die Wartezeit bis zur Erlangung des Bürgerrechts von 5 auf 14 Jahre heraufsetzte, sollte ihr Wählerstimmen entziehen. Der "Sedition Act" sollte die Republikaner durch Einschränkung der Pressefreiheit treffen. Von den Gesetzen war einzig der "Alien Enemies Act" das, was laut ihrer Urheber alle sein sollten: eine Maßnahme gegen äußere Bedrohung. Da sich das Mißtrauen der Föderalisten nicht nur gegen französische, sondern vor allem gegen englische und irische Radikale wandte, wurde darüber hinaus der "Alien Act" verabschiedet, der alle Ausländer völlig in die Hand des Präsidenten gab. Dieser konnte sie ausweisen, ohne daß ihnen die Möglichkeit eines Rechtsmittels gegen diese Entscheidung gelassen wurde. Man glich sich soweit an europäische Zustände an, daß jeder in Amerika wohnende Ausländer sich bei der Regierung melden mußte. Damit wurde, ganz abgesehen von der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes, die Konzeption Amerikas als Zufluchtsort der Unterdrückten und Verfolgten praktisch aufgehoben. Als die englische Regierung irische Rebellen unter der Bedingung der Auswanderung nach Amerika begnadigen wollte, teilte der amerikanische Botschafter mit, sie seien in den USA nicht erwünscht 189 Die Furcht vor einer echten Bedrohung war ebenso real wie das machtpolitische Kalkül. Sie offenbart typische Reaktionen konservativer Gruppen gegenüber einer Revolution und den inneren Gegnern, die dieser Revolution nahestehen. Die Föderalisten standen für eine Regierung durch die besitzenden und gebildeten Schichten und gegen die Demokratie, die für sie unvereinbar mit Sicherheit und Ordnung war.190 Bis hin zur Legende von der weltweiten Verschwörung der Illuminaten unterschieden sich ihre Ängste kaum von denen eu-

189 Smith, S. 25. 190 "To save the United States from the evils of unlimited democracy was to most Federalists one of the historic missions of their party." lohn C. Miller, S. 15.

IV. EinwanderungsgesetzgebiDig, Auswanderungsfreiheit IDid Asylrecht

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ropäischer Regierungskreise: 191 feste Verbindung und Zusammenarbeit der Revolutionäre aller Länder; fremde Emissäre und Spione; die Macht der Revolution, die über einen einzigen Mann ein ganzes Volk entflammen kann. Sie mißtrauten den Städten als Plätzen der Masse und der Verderbtheit. den Armen, deren verzweifelte Lage sie für revolutionäre Propaganda anfällig mache und den Fremden, den aus Irland, England und Frankreich kommenden vermeintlichen Revolutionären, die nicht die republikanische amerikaDisehe Freiheit verkörperten, sondern die demokratische europäische Mobherrschaft Wie die mit ihm zusammenhängenden Gesetze wurde der "Alien Act" infolge des politischen Machtwechsels zwei Jahre nach seiner Verabschiedung wieder aufgehoben, ohne je gegen einen Ausländer angewandt worden zu sein. Zwar verließen viele Franzosen Amerika, aber wohl vor allem, weil sich die Politik der französischen Regierung gegenüber den Emigres gewandelt hatte. Die englischen und irischen Radikalen blieben in den USA. Die ambivalente Haltung gegenüber Revolutionen im allgemeinen und die Furcht vor europäischem Radikalismus im besonderen waren allerdings eine Konstante im amerikanischen politischen Leben, mit der auch die deutschen Flüchtlinge des Vormärz und der Revolution von 1848/49 konfrontiert wurden. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts kamen aber nicht mehr auf gleiche Weise wie 1798 mehrere Faktoren so zwingend zusammen, daß sich diese Furcht in Gesetzen ausgedrückt hätte. Nach seinem Wahlsieg stellten Präsident Jefferson und die Kongreßmehrheit mit einem neuen Gesetz vom 14.4.1802 den alten Zustand von 1795 wieder her. Voraussetzung zur Erwerbung der amerikanischen Staatsbürgerschaft waren fünfjährige Ansässigkeil und die "Declaration of Intent" drei Jahre vor der Naturalisierung.192 Spezielle Regeln für die Aufnahme politischer Flüchtlinge wurden nicht eingeführt. Seit diesem Gesetz wurden Personen, die sich im Territorium der Vereinigten Staaten aufhielten, in Bürger, Einwanderer und Fremde eingeteilt. Eine spezielle Kategorie "Flüchtlinge" existierte nicht.193

191 Für die europäische Seite vgl. JohanN!s Rogalla von Bieberstein, Die These von der Verschwörung der Philosophen. Freimaurer, llimninaten, Juden und 'Geheimen Gesellschaften', Frankfurt a.M., 1976. 192 Vgl. James H. Kellner, The Deve1opment of American Citizenship, 1608-1870, Chapel Hili (N.C.), 1978, S. 213ff., 245ff. In seiner Jahresbotschaft an den Kongreß vom 8.12.1801 ging Jefferson explizit auf das Asyl ein. Seine Worte machen deutlich, daß er von einem sehr weitgefaßten humanitären IDid nicht von einem speziell politischen Asylbegriff ausging: "And shall we refuse to the unhappy fugitives from distress that hospitality which the savages of the wildemess extended to our fathers arriving in this land? Shall oppressed humanity flnd no asylum on this globe?" 1itiert nach Wend/er, S. 27, Anm. 43. 193 Atle GrahJ.Madsen, The European Tradition of Asylum and the Deve1opment of Refugee Law, in: Journal of Peace Research 3, 1966, 278-289, S. 279. Zu den speziellen BestimmiDigen in bemg auf politische Flüchtlinge in den die EinwandefiDigsfreiheit einschränkenden Gesetzen seit

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B. Die rechtlichen Gnmdlagen des politischen Asyls

Politisches Asyl in den USA ist somit untrennbar mit der Einwanderung verbunden. Politischen Flüchtlingen wurden, außer als Ausnahme von der Regel, keine besonderen Privilegien zugestanden. Waren sie im Land, so besaßen sie aber dieselben zivilen und politischen Rechte wie jeder normale Einwanderer.l94 Die absolute Rechtsgleichheit und die Möglichkeit vollständiger Integration waren für den Flüchtling nur in den Vereinigten Staaten gegeben.195 Die enge Verbindung zwischen politischem Asyl und Auswanderung, die in der Rechtssituation in den USA und im amerikanischen Selbstverständnis so klar zutage triu, läßt sich auch für Europa feststellen. Gewissensfreiheit und Auswanderungsfreiheit wurden gemeinsam in den Religionskriegen erkämpft196 Da man unter Gewissensfreiheit lediglich die Freiheit von Zwang zur Annahme oder Beibehaltung eines bestimmten Glaubens begriff, gewährte man um der Religionsausübung willen ein Auswanderungsrecht. Man kann die Auswanderungsfreiheit als eine - freilich passive - Form der Gegenwirkung mit dem Widerstandsrecht vergleichen.197 Als allgemeines individuelles Freiheitsrecht haue sich die Auswanderungsfreiheit Miue des 19. Jahrhunderts durchgesetzt.198 Die liberale Auffassung, wie sie im Rotteck/Welcker'schen Staatslexikon vertreten wurde, lehnte die lebenslängliche Verpflichtung zum Verbleib im staatlichen "Verein" ab.199 Danach gestand das natürliche Recht die Auswanderung zu und gerade diese Freiheit gewährleistete den Rechtszustand des Einzelnen. So wird auch im "Staatslexikon" die Auffassung vertreten, an die Stelle der religiösen sei nunmehr die politische Unterdrückung als Grund für Auswanderung getreten. 200 Diese Auffassung wurde von vielen Zeitgenossen geteilt, so etwa von Friedrich List, der als württembergischer Beamter die Aufgabe bekam, die Teilnehmer der ersten großen Auswanderungswelle Deutschlands 1816/17 in Heil1875 vgl. die entsprechenden Abschnitte bei Edward P . Hutchinson, Legislative History of American Immigration Policy 1798-1965, Philadelphia, 1981. 194 Harold Fields, The Refugee in the United States, New York, 1938, S. 3. 195 Zu den Schwierigkeiten der Naturalisation in England vgl. Porter, Refugee Question, S. 3; zur Schweiz Simon, Bd. II, S. 4f. Das französische Parlament lehnte am 15.12.1831 mit großer Mehrheit Lafayettes Antrag auf Naturalisierung der polnischen Flüchtlinge ab. Jerzy Jan Lerslci, A Polish Chapter in Jacksonian America. The United States and the Polish Exiles of 1831, Madison, 1958, s. 49. 196 Reinhard Mar:x, S. 165. 197 Ulrich Scheuner, Die Auswanderungsfreiheit in der Verfassungsgeschichte und im Verfassungsrecht Deutschlands, in: Festschrift Richard Thorna, Tübingen, 1950, 199-224, S. 200. 198 Zur Auswanderungsfreiheit in den Verfassungen der Staaten des Deutschen Bundes vgl. Rudolf Möhlenbrwch, "Freier Zug, Ius Emigrandi, Auswanderungsfreiheit". Eine Verfassungsrechtliche Studie, Bonn (Diss.), 1977, S. 14lff. 199 RotteckJWelc/c.er, Bd. 2, 1835, S. 73ff., Artikel "Auswanderung". 200 Ebd., S. 78. Vgl. auch Möhlenbrwch, S. 147ff.

IV. EinwanderungsgesetzgebiDlg, Auswanderungsfreiheit IDld Asylrecht

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bronn, Weinsberg und Neckarsulm nach ihrer Motivation zu befragen.201 In der Auswanderungsdiskussion der 1830er und 1840er Jahre wurde die Bedeutung der Auswanderung als soziales und politisches Sicherheitsventil betont 202 Außer Baden fand sich aber (aus prinzipiellen Gründen) keine deutsche Regierung bereit. die Auswanderung von staatlicher Seite her zu unterstützen. Der Vorschlag der bayerischen Regierung an König Ludwig 1., dem Radikalismus unter anderem durch kräftige Förderung der Auswanderung zu begegnen, zeigt allerdings, daß Überlegungen in diese Richtung angestellt wurden. 203 Die Massenauswanderung der 1850er Jahre wurde von den geflüchteten Führern der Revolution auf die einsetzende Reaktion zurückgeführt. Gustav Struve vertrat die Meinung, so wie früher religiöse Unduldsamkeit zur Auswanderung geführt habe, und die Auswanderung dort am größten gewesen sei, wo religiöse Intoleranz am stärksten ausgeprägt war, so könne für die Zeit nach 1848 das gleiche in bezugauf politische Unterdrückung gesagt werden: In den Jahren 1848 bis 1863 trieb z.B. die Reaktion in Baden nicht weniger als eine halbe Million Badener zum Lande hinaus, ganz natürlich, denn in keinem Lande wurden verhältnismäßig so viele Opfer an den Altären der Reaktion geschlachtet, nirgends wurden so viele politische Prozesse anhängig gemacht und so lange Zeit mit satanischer Folgerichtigkeit fortgesetzt.2M

Ganz ähnlich urteilte Friedeich Kapp: Die achtundvierziger Revolution ... schleuderte Hunderttausende von politisch Verfolgten und Mißvergnügten nach Amerika, welche durch ihre große Zahl ganze Staaten bevölkerten und deren Charakter bestimmten.205

Dies ist sicher eine extreme Position direkt Beteiligter. Die These, ein großer Teil der Massenauswanderung der 1850er Jahre sei auf die Reaktion in Deutschland zurückzuführen, findet sich aber auch in der Sekundärliteratur. So wird von 80.000 Badenern gesprochen, die durch die politischen Zustände aus dem Land vertrieben worden seien.206 201 Vgl. Günter Moltmann, Aufbruch nach Amerika. Friedrich list IDld die Auswanderung aus Baden und Württemberg 1816/17 -Dokumentation einer sozialen BewegiDlg, Tübingen, 1979. Zu dem gesamten Problemkreis vgl. thrs., German Emigration to the United States during the First Half of the Nineteenth Century as a Social Protest Movement, in: Hans L. Trefousse (Hrsg.), Germany and America: Essays on the Problems of International Relations and Immigration, New Yorlc, 1980, 103-110. 202 Vgl. Christine Hansen, Die deutsche Auswanderung im 19. Jahrhundert - ein Mittel zur Lösung sozialer IDld sozialpolitischer Probleme?, in: Günter Mollmann (Hrsg.), Deutsche Amerikaauswanderung im 19. Jahrhundert: Sozialgeschichtliche Beiträge (=Amerikastudien 44), Stungart, 1976,9-61, vor allem S. 23ff. 203 Siemann, "Deutschlands Ruhe, Sicherheit und OrdniDlg", S. 118. Zu den Auswanderungsaktionen deutscher Regierungen nach der Revolution von 1848/49, die teilweise zum Ziel hatten, politisch gefahrliehe Personen aus Deutschland zu entfernen, vgl. IDlten, S. 192ff. 204 Gustav Struve, Diesseits IDld jenseits des Ozeans, Coburg, 1863, S. 29. 205 Friedrich Kapp, Aus und über Amerika. Thatsachen IDld Erlebnisse, Berlin, 1876, S. 309. 206 Zuletzt bei Willi Real, Die Revolution in Baden, Stungart, 1983, S. 175.

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B. Die rechtlichen Gnmdlagen des politischen Asyls

Diese politische Interpretation der deutschen Auswanderung, schon unter Zeitgenossen umstritten, wurde von Marcus Lee Hartsen zurückgewiesen.1ff1 Er sah die Gründe für die Massenauswanderung in der wirtschaftlichen Situation, politisch bedingt nur durch die ökonomischen Folgen der durch die Revolution herbeigeführten Entfeudalisierung auf dem Lande. Wenn auch die Hervorhebung des wirtschaftlichen Momentes richtig und wichtig ist, so scheint doch auch Hansens Position zu einseitig. Politische und ökonomische Motive können wohl kaum so klar voneinander getrennt werden, wie die gerade in jüngster Zeit kontrovers geftihrte Diskussion zu diesem Punkt zeigt. Selbstverständlich läßt sich die Auswanderung des 19. Jahrhunderts keinesfalls alleine auf politische Gründe zurückführen. Es wird aber mit Recht davor gewarnt, den Kontext des sozialen Protestes, in dem diese Prozesse interpretiert werden sollten, zu ignorieren.208 Beispiele für den direkten Zusammenhang zwischen Auswanderung und in Teilen auch gewaltsamem Protest lassen sich aufführen. 209 Wie stark die Auswanderung auf politische Gründe zurückgeführt werden kann, ist natürlich kaum objektiv zu bestimmen. Die Sekundärliteratur, die sich direkt mit dem Problem politisch motivierter AuswandJrung und mit der Rolle politischer Flüchtlinge in Amerika beschäftigt, neigt dazu, diesen Aspekt zu betonen.2IO Die generelle Auswanderungsforschung hingegen lehnt es mehrheitlich ab, der politischen Motivation Bedeutung beizumessen. 211

V. Definitionen des politischen Flüchtlings 1. Die Übertragbarkeit heutiger Definitionen

Aus der engen Verbindung zwischen Flucht und Auswanderung ergibt sich die Aufgabe, den Begriff "Flüchtling" näher zu definieren.212 Im 19. Jahrhun207 Marcws Lee Hansen, The Revolutions of 1848 and German Emigration, in: Journal of Economic and Business History 2. 1929/30, S. 630.{)58. 208 Moltmann, German Emigration as a Social Protest Movement, S. 108. 209 Günter Moltmann urteilt: "Emigrants can be regarded as a potentially revolutionary group, as carriers of a social movement more or less aimed at revolutionary protest." Ebd., S. 106. 210 Vgl. etwa Carl Wittke, Refugees of Revolution. The German Forty-Eighters in America, Philadelphia, 1952, S. 43ff. 211 Vgl. etwa Maclr. Walker, Germany and the Emigration 1816-1885, Garnbridge (Mass.), 1964, S. 153ff.; Wolfgang v. Hippel, Auswandenmg aus Südwestdeutschland: Studien mr württembergischen Auswandenmg und Auswanderungspolitik im 18. IDld 19. Jahrhundert, Stuttgart, 1984, S. 125. Auch wenn man davon ausgeht, daß Auswanderer mit politischer Motivation eine völlige Minderheit darstellten, darf dies doch nicht dam verleiten, so wie Hippel, ebd., von der "Elite Emigration der "Forty-Eighters"" m sprechen. Zur Sozialstruktur der "Forty-Eighters" vgl. unten, S. 253. 212 Das Problem der Abgrenmng des Flüchtlings vom Auswanderer ist bis heute relevant. Vgl. Paul Tabori, Anatomy of Exile. A Semantic and Historital Study, London, 1972, passim.

V. Definitionen des politischen Flüchtlings

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dert findet sich der einzige Ansatz zu einer rechtlichen Defmition in dem französischen "Loi relative aux Etrangers refugies qui resideront en France" vom 21.4.1832. In der Debatte über dieses Gesetz wurden Flüchtlinge als Personen bezeichnet, die sich ohne Schutz ihrer Regierung, ohne Paß und ohne Verbindung zu einer diplomatischen Vertretung in Frankreich aufhielten. Hier liegt der Ursprung der Auffassung, Flüchtlinge seien Personen ohne diplomatischen Schutz.213 Eine allgemein anerkannte Defmition von "Flüchtling" existierte nicht. Bei der Aufnahme politischer Flüchtlinge bestanden unterschiedliche nationale Traditionen nebeneinander.214 Nach den Revolutionen von 1848/49 dominierte auf dem europäischen Kontinent die Auffassung, als politische Flüchtlinge seien nur Personen anzuerkennen, die direkter Verfolgung ausgesetzt waren und nicht ohne erhebliche Gefahr in ihre Heimat zurückkehren konnten.215 In unserem Jahrhundert wurden von internationalen Organisationen verschiedene Definitionen hervorgebracht. Im Jahr 1936 verabschiedete das "Institut de Droit International" folgende Resolution: ...le tenne "refugie" designe tout individu qui, en raison d'evenements politiques survenus sur le territoire de l'Etat dont il etait ressortissant, a quine volontairement ou non ce territoire ou en demeure eloigne, qui n'a acquis aucune nationalite nouvelle et ne jouit de Ia protection diplomatique d'aucun autre Etat.2[6

Die UN-Flüchtlingskonvention definiert den Flüchtling in ihrem Artikel 1 A (2) als: ... (a person who) owing to well-founded fear of being persecuted for reasons of race, religion, nationality, membership of a particular social group or political opinion, is outside the country of his nationality and is unable or, owing to such fear, is unwilling to avail hirnself of the protection of that country; or who, not having a nationality and being outside the country of his fonner habitual residence as a resu1t of such events, is unab1e or, owing to such fear is unwilling toreturn to it.217

"Persecution" wurde dahingehend interpretiert, daß darunter Gefahr für Leben, Gesundheit oder Freiheit, den Lebensunterhalt ernstlich gefährdender wirtschaftlicher Druck und Repressivmaßnahmen (z.B. Ausschluß von Ausbildungsmöglichkeiten aus politischen Gründen, Entzug des Rechtsschutzes, dauernde Verweigerung der Wiedereinreise in das Heimatland) zu verstehen

213 Grahi-Madsen, European Tradition of Asylum, S. 280. 214 Wijngaerl, S. 105ff. 215 Vgl. unten, S. 201,239. 216 Zitiert nach Alle Grah/-Madsen, The Status of Refugees in International Law, Bd. I, Refugee Character,l..eyden, 1966, S. 74. 217 Zitiert nach Sinha, S. 94. Zum Flüchtlingsstatus nach den UN-Regeln vgl. auch Palll Weis, The Concept of the Refugee in International Law, in: Journal du Droit International87 (4) 1960, S. 928-1000. 5 Reiter

B. Die rechtlichen Gnmdlagen des politischen Asyls

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seien.218 Zur Charakterisierung einer Situation, die das Verbleiben in dem Heimatland untragbar macht, führt Atle Grahl-Madson drei Kategorien auf: (1) factors connected with the establishment of the regime or govenunent ... (2) aCls commined or threatened by the govemment, i.e. political persecution in the strict sense ... (3) acts committed by the individual (political offences) ...219

Nicht nur politische Straftaten und direkte Verfolgung, sondern auch Ablehnung des bestehenden Regierungssystems sind anerkannte Fluchtgründe.

Im Gegensatz zu anderen im Ausland lebenden Bürgern seines Staates ist der Flüchtling ohne diplomatischen Schutz. Hierbei ist es ohne Bedeutung, ob ihm dieser Schutz entzogen wurde, oder er selbst "aus freien Stücken" darauf verzichtet, ihn in Anspruch zu nehmen. Allein ausschlaggebend ist, daß der Grund für seine Haltung in Furcht vor Verfolgung liegt. Es ist die Meinung vertreten worden, der Status als Flüchtling sei selbst dann nicht in Frage gestellt, wenn das Außenministerium des Heimatlandes in Fällen, die die Frage der Nationalität nicht berühren, um Hilfe angegangen wird. Nach den UN-Regeln ist der Flüchtling auch dann nicht disqualifiZiert, wenn er einen gültigen Paß seines Staates zur Reise vom Heimatland zum Asylland benutzt. Das gleiche gilt, wenn er sich einen nationalen Paß ausstellen läßt, um von den Behörden des Asyllandes eine Arbeits- oder Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, oder wenn die Regierung seines Heimatlandes von sich aus versucht, Schutz über ihn auszuüben. Ausschlaggebend ist alleine die aus begründeter Furcht vor Verfolgung resultierende Weigerung des Flüchtlings, den Schutz der Regierung seines Heimatlandes in Anspruch zu nehmen.220 Die UN-Flüchtlingskonvention von 1951 enthält auch Bestimmungen über das Erlöschen des Flüchtlingsstatus. Dies tritt ein, wenn der Flüchtling freiwillig wieder den Schutz seines Heimatlandes in Anspruch nimmt bzw. dorthin zurückkehrt oder eine neue Nationalität erworben hat und deren Schutz voll, d.h. effektiv unter internationalem Recht, genießt. Ein weiterer Grund wäre das Wegfallen der Umstände, die zur Flucht führten. Mit der letzten Bestimmung soll ein Verbleiben im Asylland aus rein wirtschaftlichen oder Bequemlichkeitsgründen ausgeschlossen werden. 221 Die UN-Regeln von 1951 können nur bedingt sinnvoll auf den politischen Flüchtling des 19. Jahrhunderts angewandt werden. Nach heutigem Verständnis endet z.B. der Flüchtlingsstatus mit der freiwilligen Rückkehr in das Heimatland (im Normalfall also mit einem individuellen Straferlaß oder einer allge218

Sinha, S. 102ff.

219 GrahJ-Madsen, Status ofRefugees, S. 79.

220 Sinha, S. 100, 103. 221 Ebd., S. 120ff.

V. Definitionen des politischen Flüchtlings

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meinen Amnestie) oder dem Erwerb einerneuen Staatsbürgerschaft Letzteres setzt als Bedingung voraus, daß der Flüchtling den Schutz dieser neuen Nationalität in vollem Umfang genießt. Im 19. Jahrhundert war die Naturalisierung in einem anderen Staat von großen Schwierigkeiten begleitet. Einige Länder, wie etwa England, gestatteten sie nur in Ausnahmefällen und mit Einschränkungen, während die internationale Anerkennung der leicht zu erwerbenden amerikanischen Staatsbürgerschaft ein Problem bildete, auf das noch zurückzukommen sein wird.222 Neben diesen formalen Kriterien wäre auch die rein individuelle Haltung der Flüchtlinge im Auge zu behalten. Während sich einige schon nach relativ kurzer Zeit weitgehend an ihre neue Umgebung assimilieren, leben andere bis zu ihrem Tod im Exil. Karl Heinzen behandelt bezeichnenderweise nur im letzten Kapitel seiner zweibändigen Autobiographie seine mehr als zwanzigjährige Exilzeit in den USA. Er schreibt Sich von der Idee der Revolution zu trennen, ist eine Aufgabe, die auch den Stärksten krank machen kann. ... Und findest du Niemanden, mit dem du gemeinsam dich ihr hingeben kannst, so verschliessest du sie in dich, du verkehrst mit ihr allein, du zehrst von ihr und sie zehrt von dir. Erst wenn du nach Amerika kommst IDld hier ein Paar Dutzend Jahre lang vergebens, vergebens, vergebens Alles, Alles, Alles versucht hast, für deine Idee Sympathien zu erregen oder dich bei dem Wirken für sie IDlabhängig von den Sympathien Anderer zu machen, erst dann lernst du vielleicht, nicht der Idee, aber der Hoffnung entsagen, sie verwirklicht zu sehen oder für ihre Verwirklichung noch etwas th1D1 zu können.223 Diesem individuellen Problem kann aber nur im Rahmen von biographischen Arbeiten nachgegangen werden. Bei der Behandlung der Flüchtlinge des 19. Jahrhunderts hebt die juristische Fachliteratur vor allem die Unterschiede zwischen früheren und heutigen Flüchtlingsströmen hervor. Die Bewegungen, die zur UN-Flüchtlingskonvention führten, waren durch chaotische Flucht und Massenexodus gekennzeichnet Menschen wurden verfolgt nicht für etwas, was sie getan hatten, sondern für das, was sie waren. Dies wird kontrastiert mit dem Prototyp des Asylsuchenden des 19. Jahrhunderts als Rebell und offener Widersacher der bestehenden Gewalten. Insoweit besteht Deckungsgleichheit mit den populären Vorstellungen der Zeitgenossen dieser Flüchtlinge. Die Frage ihrer Aufnahme oder Abweisung sei eine politische gewesen. Es mußte abgewogen werden, welchen Druck das Herkunftsland des Flüchtlings ausüben würde, ob es sicherer war, den Antragsteller abzulehnen, auszuweisen oder auszuliefern, oder ob nicht im Gegenteil die Gewährung politischen Asyls die innere und äußere Position der Regierung stärken würde. Darüber hinaus habe nur ein polizeiliches Problem existiert. Die Flüchtlinge mußten überwacht werden, um Attacken auf andere 222 Vgl. oben, S. 62, Anm. 195. Zur Anerkennung der amerikanischen Staatsbürgerschaft vgl. unten, S. 307ff. 223 Karl Heinzen, Erlebtes. Zweiter Theil: Nach meiner Exilierung, Boston, 1874, S. 357.

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8. Die rechtlichen Gnmdlagen des politischen Asyls

Staaten und unerwünschten Einfluß auf einheimische Gruppen zu verhindern. Ein soziales und administratives Problem wird in Abrede gestellt 224 Dem wird die Position des heutigen durchschnittlichen Flüchtlings gegenübergestellt: He is not usually an individual who has made a mark by bis ideas or deeds and so evoked a personalized hostile reaction on the part of the govemment of the country of origin. He is just one of hundreds of thousand or millions threatened by a policy directed against a social stratum or an ethnic group.225 Sein Abzug mag von seinem Heimatland noch nicht einmal ernsthaft behindert worden sein. Einmal außerhalb der Grenzen stellt er, im Gegensatz zum Rebellen des 19. Jahrhunderts, kein politisches Problem mehr dar. Das Ausreiseland wird gegen seine Aufnahme in anderen Staaten kaum Protest einlegen und sie nicht als feindlichen Akt ansehen. Es ist vielmehr, wenn diese Flüchtlinge massenhaft auftreten, das Einreiseland, das sich gegen diese Situation zu wehren suchen und die Politik, die einen solchen Exodus zur Folge hat, als gegen sich gerichteten feindlichen Akt ansehen wird. Diese Sicht des politischen Flüchtlings des 19. Jahrhunderts scheint zu restriktiv. Sicher sind die Unterschiede zwischen früheren und heutigen Flüchtlingsbewegungen bedeutend. Ein besonders krasses Beispiel sind die Massenverfolgung und der Völkermord aus rassischen Gründen im 20. Jahrhundert. Heutige Flüchtlinge erscheinen viel eher als passive Opfer denn als aktive Täter. Betrachtet man aber politische Straftäter und Opfer politischer Verfolgung im engeren Sinn, so ist eine klare Abgrenzung weit weniger deutlich zu treffen. Die Zahlenverhältnisse der politischen Emigration des 19. Jahrhunderts machen es unverständlich, ein soziales und administratives Problem auszuschließen. Nach der Niederschlagung des polnischen Aufstandes von 1830/31 gingen Tausende ins Exil. Zwar sind die genauenZahlen umstritten, man kann aber von mindestens 4.000 polnischen Flüchtlingen in Frankreich und 500 in England sprechen, die über Jahre hinweg von den Regierungen dieser Länder finanzielle Unterstützung erhielten.226 Während der Schweizer Bundesrat in den 30er und 40er Jahren dieses Jahrhunderts davon ausging, die Aufnahme von Flüchtlingen über eine gewisse Grenze (7 .000) hinaus widerspräche den Interessen der nationalen Verteidigung, fanden nach der Niederschlagung der letzten Aufstände des Jahres 1849 in Deutschland, Italien und Ungarn ca. 224 Otto KirchMimer, Asylum, in: American Political Science Review 53, 1959.2, 985-1016, S. 986f.; ders., Politische Justiz. Verwendung juristischer Verfahrensmöglichkeiten m politischen Zwecken, Neuwied/Berlin, 1965, S. 511ft. 225 Kirchheimer, Asylum, S. 987. 226 Vgl. etwa N . J. Gossman, British Aid to Polish, ltalian and Hungarian Exiles 1830-1870, in: South Atlantic Quarterly 68, 1969,231-245, S. 233.

V. Definitionen des politischen Aüchtlings

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12.000 Flüchtlinge eine erste Zuflucht in der Schweiz. Dies führte neben den dominierenden politischen auch zu erheblichen sozialen und administrativen Problemen, wie z.B. Unterhalt der Flüchtlinge und deren Verteilung auf die Kantone. Spezifische soziale Probleme und Spannungen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen existierten früher ebenso wie heute. 227 Die Aufnahme politischer Flüchtlinge brachte im 19. Jahrhundert innerhalb der Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Monarchie ohne Zweifel besondere außenpolitische Probleme mit sich. Ebenso unbestreitbar besteht ein qualitativer und vor allem quantitativer Unterschied zu den Flüchtlingsströmen des 20. Jahrhunderts. Eine zu enge und vor allem schematisierte, dem Mythos des 19. Jahrhunderts in bezug auf den politischen Flüchtling unreflektiert folgende Haltung läßt aber den Blick an wichtigen Problemen vorbeigehen. Nicht alleine die außenpolitischen Auseinandersetzungen mit den Herkunftsländern der Flüchtlinge und das polizeiliche Vorgehen gegen prominente Exilanten sind zu beachten, sondern ebenso die allgemeinen Prinzipien der Flüchtlingspolitik der einzelnen Asylländer. Sie sind ein wichtiger Faktor für die Wahl des Asyllandes durch den Flüchtling und bestimmen seine Möglichkeiten voraus, politisch zu wirken. Weiterhin muß berücksichtigt werden, daß das Fußvolk der politischen Emigrationen des letzten Jahrhunderts in den Darstellungen meist unter den Tisch fällt So entsteht der Eindruck, der typische Flüchtling sei ein Mazzini, Kossuth oder Marx gewesen, eben ein archetypischer Rebell. Die Abgrenzung heutiger und früherer politischer Flüchtlinge scheint vor allem deshalb so leicht möglich, da die Flüchtlinge im 19. Jahrhundert kaum jemals statistisch erfaßt wurde. Die Größe und vor allem die Zusammensetzung der Exilantengruppen bleibt meist im Dunkeln. Unter den Revolutionsflüchtlingen von 1848/49 waren viele, die nur aus ihnen unverständlichen Gründen von ihrem Heimatstaat oder aber aus eigener Furcht an der Heimkehr gehindert wurden, sich politisch nicht weiter engagierten und nur damit beschäftigt waren, ihren Lebensunterhalt, so gut es ging, zu verdienen. Als Rebellen können sie nicht bezeichnet werden, trotzdem war ihnen die Rückkehr in ihre Heimat verwehrt

2. Politische Flüchtlinge oder Auswanderer? Das Beispiel der Gießener Auswanderungsgesellschaft von 1833 Für die einfachen Flüchtlinge war ebenso wie für die Handvoll bis heute bekannter und berühmter Führer die Sicherstellung eines dauerhaften Asyls das dominierende Problem. Wenn Otto Kirchheimer feststellt, daß in jüngster Zeit das Herkunftsland der Flüchtlinge kaum gegen die Aufnahme derselben prote227 Beispiele bei Frei, S. 384ff., 393.

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B. Die rechtlichen Grundlagen des politischen Asyls

stieren werde, sondern eher das Aufnahmeland versuche, sich gegen diesen Exodus zu wehren, so kann daraus nicht rückwirkend auf Enthusiasmus bei der Aufnahme politischer Flüchtlinge im 19. Jahrhundert geschlossen werden. Die Verteidigung des politischen Asyls durch Ablehnung von Auslieferung oder Ausweisung bedeutete nicht, daß das Asylland nicht versuchte, sich auf andere Art und Weise der ungerufenen Gäste zu entledigen. Dieser Situation war der Flüchtling des 19. Jahrhunderts hilflos ausgeliefert, da ihm keinerlei Rechtsmittel zur Verfügung standen.228 Vom ersten Aufnahmeland eines Flüchtlings wurde deshalb oft eine weitere Auswanderung in das endgültige Asylland nötig. Hieraus ergibt sich für das 19. Jahrhundert eine besondere Stellung der USA als Asylland. Sie waren nicht nur Hauptziel der deutschen Auswanderung, sondern auch Hoffnungsträger der Demokratie. Stellt man diese Anziehungskraft der Vereinigten Staaten in Rechnung, so könnte die Wahl Amerikas als endgültiges Aufnahmeland als eine weitgehend freie Entscheidung des Flüchtlings interpretiert werden.229 Es ist aber im Gegenteil davon auszugehen, daß wiederum speziell gegen die Gruppe der Flüchtlinge gerichteter politischer Druck, mag er nun in Streichung von Unterstützung, Kasernierung in Flüchtlingslagern, Angebot freier Überfahrt oder ähnlichen Maßnahmen bestehen, letztendlich ausschlaggebend war. 230 Es ist dieser spezielle Druck, die Abwesenheit positiver Motive zur Auswanderung, die den politischen Flüchtling von allen anderen Migranten unterscheidet Weniger offenkundig und nur für Einzelfalle schlüssig zu beweisen ist ähnliches für Verfolgte, die von Deutschland aus auswanderten. Nach 1849 verließen Revolutionsteilnehmer Deutschland als normale Auswanderer. Von den 550 Personen etwa, die im Hanauer Turnerkorps am letzten Aufstand in Baden teilgenommen hatten, emigrierten nur 15 von der Schweiz, aber 48 nach ihrer Rückkehr von Deutschland aus nach Amefika.231 Die meisten wanderten aus, bevor sie von den Behörden vernommen werden konnten, einige auch unter 228 Alleine England und die USA bilden hier eine Ausnalune, da in diesen beiden Ländern der Fremde dem Staatsbürger rechtlich gleichgestellt war und keine speziellen Fremdengesetze existierten. Auch die englische Regienmg fördene allerdings die Auswanderung von Aüchtlingen nach Amerika. Vgl. unten, S. 27lff. 229 Dies wird in der SekiDidärliteratur impliziert. Vgl. etwa Wittke, Refugees of Revolution, S. 4. Auch im Falle Englands kann nach der Darstellung bei Ashlon der Eindruck aufkommen, als hätten die Aüchtlinge aus eigener freier Entscheidung gehandelt. AufS. 122 wird Peter Imandt, der vom BIBidesrat aus der Schweiz ausgewiesen wurde, als "refugee in Switzerland before going to England'' beschrieben. 230 Zu diesem Druck IDid der Förderung der Auswanderung als integralem Bestandteil europäischer Aüchtlingspolitik vgl. IDiten, vor allem S. 201ff., 221ff. 231 Diese Zahlen nach der Namensliste der Mitglieder des Tumerlcorps in Kar/ Geisel, Die Hanauer Tumerwehr. Ihr Einsatz in der badischen Mairevolution von 1849 und der Tumerprozeß, Hanau, 1974.

V. Definitionen des politischen Aüchtlings

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Bruch des Gelübdes, sich der Untersuchung nicht zu entziehen. Es handelt sich aber keinesfalls nur um illegale Auswanderung. Einige Hanauer Turner suchten völlig legal um die notwendige Erlaubnis zur Auswanderung nach, was sie aber nicht davor schützte, in dem später folgenden Prozeß gegen die Freischärler in Abwesenheit zu teilweise hohen Freiheitsstrafen verurteilt zu werden. 232 Der Flüchtling, der seine Heimat verläßt, bevor die politische Situation vollends untragbar wird und persönlich keiner direkten Verfolgung ausgesetzt war, ist von dem normalen Auswanderer, der sich wirtschaftlich verbessern will, kaum zu unterscheiden. 233 Dies trifft vor allem auf den Emigrantenstrom des 19. Jahrhunderts zu, der, wie gesehen, starke politische Untertöne hatte. Nur in den seltensten Fällen läßt sich, etwa auf der Basis persönlicher Zeugnisse, die politische Motivation der Auswanderung belegen. Friedrich Steines z.B. kündigte seine Stelle als Lehrer mit den Worten: As citizen and in my official and military relations to the state I have bad so many bitter experiences, which in my opinion an upright citizen of the Prussian state ought not to have been subjected to, that I fmd myself compelled to malce a change. Since I see no opportunity for a betterment of conditions here, I have resolved to migrate to North America.234

Die von Otto Kirchheimer vorgeschlagenen Defmitionen zeigen, daß der politisch motivierte Auswanderer des 19. Jahrhunderts nach heutigem Verständnis als politischer Flüchtling gilt Kirchheimer teilt die gesamte Gruppe der Flüchtlinge in drei Kategorien ein: "Politisch Verfolgter", d.h. "alle tatsächlichen und präsumptiven Opfer rassischer, nationaler, religiöser oder politischer Verfolgung und ... aktive politische Kämpfer"; "Politischer Flüchtling", d.h. "jeder, der aus politischen oder ideologischen Gründen seinen ständigen Wohnsitz verlassen hat, ohne notwendigerweise Verfolgungen erlitten zu haben"; "Sozialflüchtling", d.h. derjenige, "der "lediglich" dem Gesamtzustand der allgemeinen Unterdrückung und Hoffnungslosigkeit entrinnt und möglicher zukünftiger Entrechtung und Verfolgung aus dem Weg geht".235 Die letzte Kategorie ist für unser Thema nicht von Bedeutung. Gegenstand unserer Untersuchung ist die erste Gruppe, da sich nur ihr Schicksal als Asylsuchende anband 232 Auch Friedrich Kapp erhielt mit Genehmigung des preußischen Innenministeriums vom 4.4.1850 den Auswanderungskonsens von der königlichen Regierung in Amsberg und wanderte somit völlig legal in die USA aus. Trotzdem wurde er bei seinen späteren Reisen nach Deutschland und auch nach seiner endgültigen Rückkehr 1870 als Aüchtling und gefahrlieber Republikaner eingestuft und beobachtet. Vgl. StA Potsdom, LiL K, No. 612 (Nr. 11014), BI. 3ff. 233 Egon F. Kunz, The Refugee in Flight: Kinetic Models and Forms of Displacement, in: International Migration Review 7, 1970, 125-146, S. 131ff., unterscheidet zwischen "acute refugee movements" und "anticipatory refugee movements". 234 William G. Belr. (Hrsg. und Übers.), The Followers of Duden, in: Missouri Historical Review XIV, Apr.- Jul. 1920, 436-458, S. 457. Dies ist der dritte Artikel einer Serie, die neben biographischen Informationen Tagebuchaufzeichnungen und Briefe deutscher Auswanderer (Intellektueller mit vorwiegend politischer Motivation) in englischer Übersetzung bringL 235 KirchM~r. Politische Justiz, S. 518.

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B. Die rechtlichen Gnmdlagen des politischen Asyls

archivalischer Quellen verfolgen läßt und ihre Behandlung die Asylpolitik der Aufnahmeländer charakterisiert. Unter die Kategorie "politischer Flüchtling" fällt nach unserem Verständnis die politisch motivierte Auswanderung des 19. Jahrhunderts. Die enge persönliche und ideologische Verbindung zwischen dem Phänomen der politisch motivierten Auswanderung und der Opposition in Deutschland soll das Beispiel der Gießener Auswanderungsgesellschaft von 1833 demonstrieren. Zwar bestanden auch in der Schweiz, Frankreich und England bedeutende deutsche Kolonien, wichtigstes Zielland der Auswanderung waren aber die USA. Die von dem Rechtsanwalt Paul Follenius und dem Pfarrer Friedrich Münch (beide ehemalige Mitglieder der "Unbedingten", der radikalen Fraktion der Burschenschaften) geleitete Gießener Auswanderungsgesellschaft ist in ihrer Entstehungsgeschichte und ihren Statuten ein Paradebeispiel für die politisch motivierte Auswanderung in die Vereinigten Staaten und deren enge Verbindung mit der Oppositionsbewegung in Deutschland. Paul Follenius war innerhalb der Gießener Burschenschaft ganz im Sinne seines Bruders Karl Folien, der dominierenden Persönlichkeit der "Unbedingten", tätig.236 Auch nachdem er (scheinbar) seinen Frieden mit den Behörden geschlossen hatte, blieb er politisch aktiv. Nach den Untersuchungsberichten über die revolutionären Umtriebe in Hessen war Follenius einer der bedeutendsten älteren Demokraten zu Beginn der 1830er Jahre.237 Inwieweit er an den Vorbereitungen zum Frankfurter Wachensturm beteiligt war, ist schwer zu sagen. Offenbar nahm er an den ersten überregionalen Versammlungen der Verschwörer teii.238 Auch später scheint man noch auf ihn gerechnet zu haben.239 Follenius hatte zu 236 Paul Follenius war in das Auentat auf den Nassauischen Staatsrat !bell verwiekeiL Vgl. unten, S. 84, Anm. 16. Zu den Gießener "Schwarzen" oder "Unbedingten" und Pauls Bruder Karl vgl. S. 83ff. Im Gegensatz zu Karl Folien behielt Paul die latinisierte Form des Familiennamens bei. 237 Der Gießener Student G. Gladbach sagte aus: "Die drei Männer, welche wir gewissermaßen als die Seele des revolutionären Unternehmens in Gießen betrachteten und an welche sich für uns alles knüpfte, sind: der Prof. Hundeshagen, Vogt und Follenius." Reinhard Görisch{[hotNJS M. Mayer (Hrsg.), Untersuchungsberichte zur republikanischen Bewegung in Hessen 1831-1834, Frankfun a.M., 1982, S. 316. Don weitere Angaben zur politischen Tätigkeit von Follenius Anfang der 1830er Jahre. Friedrich Münch, Gesammelte Schriften, SL Louis, 1902, S. 98, nennt ihn "die Seele der revolutionären Umtriebe in Deutschland, so lange nur die entfernteste Möglichkeit des Erfolges vorhanden war". Diese Bewertung ist etwas übenrieben, vergleicht man seine Aktivitäten etwa mit denen des Pfarrers Weidig. 238 Vgl. Görisch/Mayer, S. 360ff. 239 Ebd., S. 365. Der Student August Becker sagte aus, Weidig sei vor dem 3. April bei Follenius gewesen, um ihn zur Teilnahme an der Revolution aufzufordern. Dieser habe ihm aber erldän, sich erst dann, wenn ein bedeutendes E!Jebnis von den Insurgenten ernmgen sei, der Revolution anschließen zu wollen. Ebd., S. 306. Ahnlieh die Aussage des Darmstädter Arztes Dr. Kühler, e.bd., S. 317. Münch und Follenius sahen für den Plan keine Erfolgschancen. Vgl. Friedrich Münch, Kritik der "Sagengeschichte einer deutschen Auswanderungs-Gesellschaft", in: Der Deutsche Pionier I, 1869no. 186-190, S. 186.

V. Definitionen des politischen Flüchtlings

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diesem Zeitpunkt aber schon resigniert. Das kürzere der beiden Pamphlete, in denen die Ziele der Gießener Auswanderungsgesellschaft niedergelegt sind, wurde im Januar 1833 verfaßt.240 Friedeich Münch berichtet, er selbst habe als erster die Idee der Auswanderung angeregt. Nicht wirtschaftlicher Druck, sondern "das Unwürdige der vaterländischen Zustände, die widerwärtige Bevormundung und der allgemeine Druck" bewegten ihn.241 Nach anfangliebem Zögern habe sich Follenius, dem Auswanderung zunächst als Verrat erschienen sei, überzeugen lassen. Er habe aber darauf bestanden, gleichzeitig mit der Auswanderung müsse ein nationaler Gedanke zur Ausführung gebracht werden. In einer im März 1833 in Gießen erschienenen Broschüre drückten Münch und Follenius klar aus, daß es keine wirtschaftlichen Gründe waren, die sie zur Auswanderung bewogen. Dieser Vorsatz erwachte in uns, seit wir nach unserer Einsicht die Überzeugung gewonnen haben, daß uns die Verhältnisse in Teutschland weder jetzt noch für die Zukunft gestatten, die Anforderungen, welche wir als Menschen und als Staatsbürger für uns und unsere Kinder an das Leben machen müssen, zu befriedigen; seit wir elkannt haben, daß nur ein Leben, wie es in den freien Staaten Nordamerika's möglich ist, uns und unsem Kindem genügen könne.242

Sie regten eine Vereinigung aller deutschen Auswanderer an mit dem Ziel, die deutsche Siedlung in einem Gebiet der Vereinigten Staaten zu konzentrieren. So könne ein "verjüngtes Teutschland in Nordamerika", d.h. ein deutscher Staat als Teil der USA, geschaffen und "teutscher Nationalität eine geachtete Stimme im Völkerbund" erworben werden.243 Der Aufbau der Gießener Gesellschaft verwirklichte die Vorstellungen des vormärzliehen Liberalismus.244 Alle Gewalt, so heißt es, ruhe alleine in der Gesamtheit aller stimmfähigen an Rechten und Pflichten völlig gleichen Familienhäupter.245 Einzelnen Gesellschaftsmitgliedern könne für ihre Person auch 240 Paul Follenius/Friedrich Münch, Aufforderung an teutsche Auswanderer zu einer größeren und gemeinschaftlichen Ansiedlung in den Freistaaten von Nordamerika, Gießen, 1833, (im folgenden Aufforderung) S. 13. 241 Münch, Gesammelte Schriften, S. 98. 242 Paul Follenius/Friedrich Münch, Aufforderung und Elklärung in Betreff einer Auswanderung im Großen aus Teutschland in die nordamerikanischen Freistaaten. Zweite, mit den Statuten der Giessener Auswanderungsgesellschaft vermehrte Auflage, Gießen, 1833, (im folgenden Erklärung) S. I. Ähnlich auch auf der ersten Seite der All/forderung. 243 Erklärung, S. 3. Vgl. auch Münch, Kritik der "Sagengeschichte", S. 188. Dieser Staat sollte eine Zuflucht für alle sein, die die Zustände in Deutschland unerträglich fanden, und ein Musterstaat innerhalb der USA. 244 Sozialistische Gedanken wurden abgelehnt Die Vereinigung führe in keiner Weise eine Vermögensgemeinschaft unter den Gesellschaftsmitgliedern ein. ErklärUIIg, S. 28. 245 Unter Familie wurden alle zu einem Hauswesen gehörigen Menschen verstanden, die unter einem mit der häuslichen Gewalt versehenen Oberhaupt vereinigt und demselben in diesem Sinne entweder nach Naturgesetzen oder durch Vertrag unterworfen seien. Mit der Volljährigkeit (Vollendung des 22. Jahres) und der Gründung eines eigenen Hauswesens hatte jedes bisher unter

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B. Die rechtlichen Gnmdlagen des politischen Asyls

nicht der unbedeutendste Teil der Gesellschaftsgewalt abgetreten werden. 246 In den USA erwarteten Follenius und Münch "ein bürgerliches Zusammenleben, in welchem jedes selbstständige Mitglied zu vollem Gefühle seiner Würde gelange", eine Gemeinschaft von "an allen Rechten ... gleichen, nicht durch Kastengeist, Standesdünkel oder Privilegien entfremdete(n) Mitbürger(n)". Dort wollten sie "nach eigener Ueberzeugung unser Leben gestalten, keiner Willkühr dienstbar sein, für keine, uns nicht von dem eigenen vernünftigen Bewußtsein gebotenen, Zwecke uns als bloße Mittel verwenden lassen".247 Die Gründer der Gießener Gesellschaft erwarteten ebenso "ein verjüngtes sittlich religiöses Leben". In voller Religionsfreiheit und Trennung von Staat und Kirche werde sich der wahre Geist des Christentums ("der Geist der Freiheit und Liebe") durchsetzen. Dadurch könne "ein würdiges öffentliches, ein veredeltes gesellschaftliches, ein reineres Familienleben" gestiftet und aufrecht erhalten werden. Dazu werde auch "ein in jeder Hinsicht einfacheres und naturgemäßeres Leben", "möglichste Entfernung alles Dessen, was die niederen Leidenschaften wecken und die Sittlichkeit untergraben könnte", sowie eine umfassende Bildung der Jugend beitragen. Nach den ersten Mühsalen der Ansiedlung werde in dem milden Klima und bei den großartigen Möglichkeiten in Amerika jede Sorge um den Lebensunterhalt schwinden. So bleibe jedem Zeit, sich auch höheren Interessen zu widmen. 248 Zum Schluß ihrer "Erklärung" beschworen Follenius und Münch die ersten Siedler in Amerika als Vorbilder. Auch ihnen, wie uns, leuchtete vor die Idee der Freiheit, vor welcher alle, zu damaliger Zeit wtgleich beträchtlicheren, Hindernisse schwinden mußten.... Vorzugsweise bewegte sie die Idee der religiösen Freiheit wie wts vorhemchend die gleich erhabene und begeisternde Idee der bürgerlichen Freiheit den Sporn gewährt, wtserer großen Vorgänger uns würdig m zeigen.249 Münch und Follenius versicherten, mit ihrer Aufforderung zur Auswanderung nicht gegen Gesetze zu verstoßen. Sie nähmen nur ein durch die Landesund Bundesgesetze anerkanntes heiliges Menschenrecht wahr.25o Von staatlicher Seite gab es auch keinen ernsthaften Widerstand und keine Repressionsmaßnahmen gegen die Gießener Gesellschaft.251 Im Gegensatz zu Flüchtlingen einem Familienoberhaupt stehende Mitglied zwingend die Aufnahme als stimmführendes Familienhaupt m beantragen. Ebd., S. 39. 246 Ebd., S. 28. 247 Ebd., S. 6f. 248 Ebd., S. 8. 249 Ebd., S. 15. 250 Ebd., S. 2. 251 Friedrich Miinch, Kritik der "Sagengeschichte", S. 189, bernerlct allerdings, die "Werlczeuge der Gewalt" hätten sich erbittert über den Plan ausgesprochen. Vor seiner Abreise wurde gegen ihn eine veraltete bis dahin nicht in Anwendung gebrachte Verordnung geltend gemacht, wodurch er gezWW1gen war, 10% seines Vermögens an die Staatskasse m zahlen, bevor er seinen Paß erhalten konnte. Der Kreisrat habe auch nicht gestattet, den Tag der Abreise (mr Nachricht für die Mitreisenden) in dem Bezirlcsblatt anmzeigen. Ders., Gesammelte Schriften, S. 113.

V. Definitionen des politischen Flüchtlings

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konnten Follenius und Münch ihre Auswanderung öffentlich und ungestört vorbereiten, für ihren Plan werben und ihre Anhänger als Gruppe organisieren. Starker Widerstand gegen die Pläne der Gießener Gesellschaft kam von den entschiedenen Oppositionellen, die es für Verrat hielten, Deutschland zu diesem Zeitpunkt zu verlassen. 252 Nach Follenius und Münch hielten ihre Einwände manchen von der Teilnahme ab. Obwohl man, sobald das Unternehmen gesichert sei, am hiesigen politischen Treiben keinen Anteil mehr nehmen werde, erwarte man von ihnen keine Angriffe, sondern hoffe, daß sie die Überzeugungen anderer achteten. Man sei übrigens der Ansicht, daß man sich mit diesen "ehrenhaften Widersachern" bald in den USA vereinigen werde.253 Der große Plan von Follenius und Münch scheiterte kläglich. Als Siedlungsgebiet haue man das Arkansas-Territorium ausgewählt, da es noch nicht als Bundesstaat organisiert und so "eine, unserer Nationalität entsprechende, Selbstgesetzgebung noch möglich" sei.254 Noch im Hafen von Bremen mußte das Unternehmen nach Missouri umdirigiert werden, da die (verspätet) eingetroffene Kommission, die man zur Erkundung vorausgeschickt haue, von dem ursprünglichen Plan abriet.255 Die Mitglieder der Gießener Gesellschaft gingen in St Louis teilweise im Streit auseinander. Die für ganz Deutschland konzipierte planmäßige Auswanderung kam nie zustande. In einem Brief vom 14.9.1834 warnte Paul Follenius persönlich Professor Vogt, der dem in Gießen bestehenden Vorstand der Gesellschaften, die sich in ganz Deutschland bilden sollten, angehörte, mit der Auswanderungsgeschichte fortzufahren. 256 252 Vor allem Pfarrer Weidig scheint gegen die Gesellschaft gearbeitet zu haben. Nach Aussage August Beckers nannte Weidig Follenius einen Vaterlandsverräter, weil er auswandern wollte. Görisch/Mayer, S. 274. Becker selbst, der als Lehrer mit der Auswanderungsgesellschaft nach Amerika gehen wollte, wurde von Weidig von seinem Vorhaben abgebrachL Vgl. das Schreiben Beckers an Münch, datiert Baltimore, 17.5.1857, abgedruckt in Friedrich Miinch, Zur Erinnerung an August Becker, in: Der Deutsche Pionier 4, 1872, 82-85, S. 82; vgl. auch (August Becker), Sagen-Geschichte einer deutschen Auswanderungs-Gesellschaft, in: Der Deutsche Pionier 1, 1869, 18-25,50-56, 89-93, s. 23. 253 "Ihnen werden alsdann, mögen sie uns jetzt im Kampfe oder im Frieden fahren lassen, unsere Herzen entgegenschlagen und unsere gastlichen Thüren geöffnet seyn." Erldärung, S. 19. 254 Ebd., S. 14. 255 Karl Folien, seit den 1820er Jahren in den USA, hatte seinen Bruder in einem Brief vom Juli 1833 vor Arkansas gewarnt. Auch dort sei Sklaverei gesetzlich erlaubt und das Klima sei m warm. Größere Vorteile böten Ohio, lndiana, lllinois und Michigan. HermaM Haupt (Hrsg.), Folien Briefe. Briefe Karl Follens und seiner Verwandten aus der Zeit seines Aufenthaltes in der Schweiz und in Nordamerika, in: Deutsch-amerikanische Geschichtsbläuer 14, 1914, 7-83, S. 68. Für die Statuten der nach dem Vorbild der Gießener in ganz Deutschland m bildenden Gesellschaften hauen Follenius und Münch nur die Voraussetzungen gemacht, daß keine Art von Aristokratie und keine Sklaverei erlaubt sei. Erldärung, S. 19. Der Par. 51 der Gießener Statuten sah als Strafe für Sklavenhaltung den Ausstoß aus der Gesellschaft und den Verlust des Grundeigentums innerhalb der Kolonie zum Besten der Gesellschaft vor. Ebd., S. 45. 256 Haupt, Follen Briefe, S. 80. Zunächst hatte man wohl noch die Hoffnung, den Plan auf die eine oder andere Weise realisieren m können. So soll Follenius Mitgliedern, die ihn besuchten,

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B. Die rechtlichen Grundlagen des politischen Asyls Nachlässigkeiten und Fehler der Führung (etwa bei Vertragsabschlüssen)

trugen zum Scheitern der Gesellschaft bei.257 Entscheidend waren aber die Unfähigkeit des deutschen liberalismus, als Ideologie auch in schwierigen Situationen die Auswanderer zusammenzuhalten, und falsche Vorstellungen über Amerika.258 Die Schilderung des Arkansas Territoriums als eines unendlich reichen Landes vom Klima des nördlichen Italien macht die Ausmaße der geographischen Desinformationen deutlich, auf denen der Gießener Plan basierte.259 Follenius und Münch hatten auch falsche Vorstellungen über die politischen Verhältnisse in Amerika. Sie scheinen wie Karl Folien im Jahr 1819 die USA als eine Art Vereinter Nationen angesehen zu haben.260 Sie waren sich nicht klar darüber, daß nicht nur die schon konstituierten Staaten, sondern auch die Territorien angelsächsischen Charakters waren. Sie machten sich keine Gedanken über die Reaktionen der amerikanischen Regierung und Bevölkerung auf die geplante deutsche Invasion. Amerikanische Zeitungen hatten

vorgeschlagen haben, sich in seiner Nähe einzukaufen. Im Umkreis von 60 Meilen seien schon größtenteils Deutsche und es werde sich hier bald ein förmlicher deutscher Staat bilden. Briefe von Deutschen aus Nord-Amerika mit besonderer Beziehung auf die Gießner Auswanderer-Gesellschaft vom Jahre 1834. Eine Schrift zur Belehrung über die wahren Verhältnisse der deutschen Einwanderer in den vereinigten Staaten; nebst Vorsichtsmaßregeln und auf Erfahrungen gegründete Rathschläge, Altenburg, 1836, S. 62 In späteren Jahren vertrat Münch konsequent die Meinung, was man erreichen wollte sei zwar nicht in der projektierten Form, aber in anderer Weise und nach viel größerem Maßstab zustande gebracht worden. Münch, Kritik der "Sagengeschichte", S. 190. 257 Vgl. Briefe von Deutschen, S. XIVff. 258 Friedrich Münch schrieb in einem Brief vom 10.4.1835, Aussicht auf Erfolg böte eine Koloniegründung in der ursprünglich geplanten Weise nur, wenn ein Bindeglied wie die religiöse Schwärmerei Rapps existiere. Deutscher Liberalismus könne dies nicht gewährleisten. Briefe von Deutschen, S. XXVf. Auch Jahrzehnte später vertrat Münch die gleiche Meinung. Vgl. Münch, Kritik der "Sagengeschichte", S. 189. 259 Auf S. 7f. spricht die Aufforderung von "äußerst reicher Jagd und Fischerei"; von billig zu kaufendem Zug- und Herdenvieh; von einem Boden "mit dessen Fruchtbarkeit sich Nichts in unsem Gegenden vergleichen kann"; von unerschöpflicher Naturkraft (Salz, Metalle, Kalk); davon, daß der Umsatz in Geld für die meisten Erzeugnisse des Bodens und das Schlachtvieh durch den ausgedehnten Handelsverkehr leicht sei, usw. Nur aus diesen Vorstellungen läßt sich die Selbstsicherheit von Follenius und Münch erklären, die sich in dem Satz ausdrückt: "Die eigne Schuld der Teilnehmer müßte es sein, wenn solche Erwartungen nicht in Erfüllung gehen sollten." Ebd Wie stark gerade die widrigen Verhältnisse und die harte körperliche Arbeit den Intellektuellen Paul Follenius belasteten, zeigt ein Brief vom 23.8.1844, in englischer Übersetzung abgedruckt bei Ralph Gregory, Paul Follenius, in: Missouri Historical Society Bulletin 33, 1967, 323-347, S. 341-347. 260 Zu Kar! Follens Amerikaplänen, die er nach den Karlsbader Beschlüssen entwickelte, vgl. unten, S. 86ff. Paul Follenius knüpfte mit der Gießerier Auswanderungsgesellschaft an die damaligen Pläne an, in die er vollständig eingeweiht war. ID einem Brief des Wiesbadener Kriminalrichters Snell heißt es: "Was hat Paul Folien wegen Amerika von Fries, Ocken, de Witte gehört?" GLA Karlsruhe, 233/1707, fol. 8; vgl. auch fol. 3. Nach Münch, Kritik der "Sagengeschichte", S. 188f., übte auch Wilhelm Dudens Buch "Bericht über eine Reise nach den westlichen Staaten Nordamerikas und einen mehrjährigen Aufenthalt am Missouri ..." (Elberfeld, 1829) einen großen Einfluß aus. Duden habe ihren Plan für praktikabel erklärt

V. Definitionen des politischen Flüchtlings

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von dem Gießener Plan aus der deutschen Presse Kenntnis genommen. Die Kommentare waren keineswegs positiv. "We shall bid them wellcome, when they arrive, but the idea of forming a state is chimerical and would be injurious on many accounts. "261 Es wurde u.a. darauf hingewiesen, daß zur Gründung eines Staates innerhalb der Union eine bestimmte Anzahl von Einwohnern nötig sei (60.000 freie Bürger über 25 Jahre) und das Gebiet vor der Gründung durch das Stadium des "Territorial Government" gehen müsse. Auch diesen Punkt hatten die Gießener nicht bedacht. Die Vorstellungen über Amerika, die Follenius und Münch in der "Aufforderung" und der "Erklärung" darlegten, geben ihrem gesamten Plan das Gepräge einer Utopie, den er auch in tieferem Sinn hat. In Amerika erwarteten sie die Verwirklichung des liberalen Programms. Ihre an das Schlaraffenland erinnernden Vorstellungen von Arkansas verbinden sich mit dessen Grundidee. Ausgangspunkt aller sozialpolitischen Vorstellungen der politischen Aufklärung und des frühen überalismus und zugleich Grundlage ihrer vehementen Kritik an der bestehenden sozialen Ordnung und an dem auf ihr aufruhenden wirtschaftlichen und politischen System war der Gedanke einer "natürlich" vorgegebenen und in geheimnisvoller Weise durch die sich ergänzenden Bedürfnisse und Fähigkeiten ihrer Mitglieder harmonisch prästabilierten gesellschaftlichen Ordnung.262 Die Initiatoren der Gießener Gesellschaft erwarteten von der Abwesenheit "unnatürlicher" Aspekte im Staatswesen der USA die Lösung aller politischen und sozialen Probleme. Für sie läßt sich somit nicht die Abwesenheit positiver Motive zur Auswanderung konstatieren, die wir als Unterscheidungskriterium des Flüchtlings von allen anderen Emigranten ausgemacht haben.263 Im Unterschied zu "normalen" Auswanderern sind aber diese positiven Motive völlig auf die politischen Überzeugungen zurückzuführen, deren Unterdrückung in Deutschland die Auswanderungsentscheidung bedingte. Die Idee einer Staatsgründung oder einer nationalen Kolonie innerhalb der Vereinigten Staaten als freiheitliches Gegenbild zum unterdrückten Heimatland war auch in anderen Völkern, vor allem unter politischen Flüchtlingen, verbreitet.264 Innerhalb der Auswanderungsdiskussion in Deutschland wurde des öfteren eine Staatsgründung erwogen, um so einerseits die Nationalität der

261 Niles Register. Zitien nach T. S. Ba/cer, America as the Political Utopia of Young Germany, in: Americana Germanica 1, 1897,62-102, S. 77. Jahre später hieß es im NorthAmerican Review 82, 1856, S. 262, zu diesen Plänen: "The most sanguine are forced to believe that it is utterly impossible; the prudent and sag~~cious are fully aware that it is entirely undesirable." 262 Lothar Gall, Liberalismus und "bürgerliche Gesellschaft". Zu Charakter und Entwicklung der liberalen Bewegung in Deutschland, in: Historische Zeitschrift 220, 1975, 324-356, S. 329. 263 Vgl. oben, S. 70. 264 Vgl. unten, S. 91, Anm. 33.

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B. Die rechtlichen Grundlagen des politischen Asyls

Auswanderer zu erhalten und andererseits die volkswirtschaftlichen Verluste gering zu halten.265 Gegenüber diesen Plänen muß der Charakter der Gießener Gesellschaft als einer bürgerlichen Selbstorganisation, die aus politischer Opposition erwuchs, hervorgehoben werden.266 Nach den Mißerfolgen der 1830er Jahre wurden die Koloniepläne immer seltener aufgegriffen. Amerika behielt aber seine Anziehungskraft für die politisch motivierte Auswanderung.267 Für das Deutschland des Vormärz und der nachrevolutionären Zeit muß von einer großen Dunkelziffer politischer Flüchtlinge im Sinne Otto Kirchheimers ausgegangen werden, die unter den allgemeinen Auswandererzahlen verborgen ist.

VI.Zusanunenfassung Von einer besonders großzügigen Interpretation des politischen Asyls, die über die Rechtsbasis (d.h. die Nichtauslieferung politischer Straftäter) hinausgegangen wäre, kann für den nachrevolutionären Zeitraum nicht gesprochen werden. Es ist vielmehr eine langsame Einschränkung der Konzeption des politischen Delikts und des politischen Asyls festzustellen, eine Entwicklung, die von Thomas Jeffersons Vertragsentwurf von 1792 zur belgiseben "Attentatsklausel" von 1856 führte. Die Vorstellung des politischen Straftäters als reinem Freiheitshelden, der das politische Asyl in den 1830er Jahren seine Durchsetzung zu verdanken hatte, wurde unter dem Eindruck einer links vom Liberalismus entstehenden teilweise gewalttätigen Opposition immer deutlicher attackiert. Die weitgefaßten Definitionen des politischen Delikts, so etwa die belgische, gerieten immer stärker in das Kreuzfeuer der Kritik. Das 19. Jahrhundert war kein goldenes Zeitalter des Asylrechts. Es formierten sich vielmehr

265 Vgl. etwa Robert von Mohl, Ueber Auswanderung, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 4, 1842, 320-348, bes. S. 332f., 343f. Zu dem gesamten Problemkreis vgl. Ewald Schnitzer, Der Nationalgedanke und die deutsche Auswanderung nach den Vereinigten Staaten von Amerika in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Leipzig (Diss.), 1935.

266 Zum Mainzer Adelsverein, der als winschaftliche Unternehmung geplant war, aber auch die feudale Ordnung nach Amerika exponieren sollte, vgl. Harald Winkel, Der Texasverein. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Auswanderung im 19. Jhd., in: Vierteljahrschrift für Sozialund Wirtschaftsgeschichte 55, 1968, 348-372. Nichtteilen kann kb dit Beuneilung von Karl-Ernst Jeismann, "Amerika, du hast es besser ... " Utopie - Mission- Kritik: Das Amerikabild als Spiegel politischer Positionen im 19. Jahrhunden. Ein Versuch, in: Helmuth Hopf/Jürgen Janning (Hrsg.), Freundschaftliche Begegnungen eines Magister Ludi. Festschrift für Eberhard Ter-Nedden, Münster, 1978, 128-148, S. 138, für den die Gießeuer Gesellschaft einem "Programm deutscher Mission und Expansion" folgte, hinter dem die freiheitlichen Elemente zurücktraten. 267 In einem Brief eines deutschen Auswanderers vom Sommer 1835 heißt es: "... ; sollte aber manches dem Auswandern das Won reden, so ist dies der Vorliebe und dem für Freiheit nur athmenden Geist der Nation, welcher auch mich erfüllt, zuzuschreiben." Briefe von Deutschen, S. 112.

V. Definitionen des politischen Flüchtlings

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die Positionen, die noch heute die Debatte um das politische Asyl bestimmen: Auf der einen Seite die Verteidiger der F1üchtlinge, die ein individuelles Recht auf Asylgewährung forderten, auf der anderen Seite die Regierungen, die die Asylgewährung als Privileg des Staates verteidigten. Aus den Auseinandersetzungen um das politische Asyl nach 1849 ging die letztere Position erheblich gestärkt hervor. Wichtige Aspekte des politischen Asyls, so vor allem das entscheidende Problem der Asylgewährung, daneben aber auch die Rechtsstellung des F1üchtlings und die Festlegung der Aufenthaltsbedingungen, waren im 19. Jahrhundert nicht gesetzlich geregelt. In diesen Bereichen hingen Wohl und Wehe des politischen F1üchtlings, vor allem des Asylsuchenden, völlig von den Entscheidungen von Regierungen und Verwaltungen ab. Um die konkrete Situation des politischen F1üchtlings im 19. Jahrhundert beschreiben zu können, muß im folgenden die Praxis der F1üchtlingspolitik, die die wichtigsten Aufnahmeländer deutscher Exilanten in einer gegenüber dem politischen Asyl zunehmend kritisch gewordenen Zeit betrieben, untersucht werden. Die Untersuchung wird zeigen, daß es in der "große(n) Zeit der politischen Emigration"268 von 1830 bis 1848 nach anfänglicher Großzügigkeit schon bald zu einer immer restriktiveren F1üchtlingspolitik von seiten der kontinentaleuropäischen Staaten kam. Diese Tendenz verstärkte sich nach 1849. Die überwältigende Mehrheit der Revolutionsflüchtlinge mußte, teilweise als Folge gezielter Maßnahmen ihrer ersten Zufluchtsländer, den europäischen Kontinent verlassen. In dieser Entwicklung spiegeln sich nicht nur das nachrevolutionäre Reaktionsklima, sondern ebenso die Charakteristika des Asylrechts des 19. Jahrhunderts wider, das über den Schutz vor Auslieferung nicht hinausging. Alleine Großbritannien und die USA erkannten über die Einwanderungsfreiheit ein Anrecht auf Asylgewährung an. In beiden Ländern war mit der zivilund strafrechtlichen Gleichstellung des Ausländers, d.h. eben auch des politischen F1üchtlings, mit dem Staatsbürger eine weitere grundsätzliche Forderung radikaler Kreise an das Asylrecht erfüllt. In den USA bestand über die Naturalisierung sogar die Möglichkeit der vollständigen Integration. Die Geschichte der Vereinigten Staaten als Aufnahmeland politischer F1üchtlinge zeigt die enge Verbindung zwischen Auswanderung und Flucht. Das Beispiel der Hanauer Turner, die am badisch-pfälzischen Aufstand von 1849 teilgenommen hatten, belegt, daß auch Personen, die unter Otto Kirchheimers Definition des politisch Verfolgten fielen, Deutschland formell als Auswanderer verließen. Die Gießener Auswanderungsgesellschaft verdeutlicht den engen persönlichen und ideologischen Zusammenhang zwischen innerer Opposition in Deutschland

268 So Mesmer, S. 220.

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B. Die rechtlichen Grundlagen des politischen Asyls

und politisch motivierten Auswanderern nach Amerika in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Diese Auswanderer sollten, wenn auch mit Einschränkungen, als politische Flüchtlinge betrachtet werden. Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind allerdings alleine politisch Verfolgte im Sinne Otto Kirchheimers.

C. Politisches Asyl im Vormärz I. Die politischen Flüchtlinge der 1820er Jahre 1. Die Kar/sbader Beschlüsse von 1819

In den Staaten des Deutschen Bundes waren zweifellos alle Ursachen, die Grahl-Madson für Flüchtlingsbewegungen aufführt, gegeben.1 Die Organisation Deutschlands in einem lockeren Staatenbund sowie die Verfassungen der einzelnen Länder entsprachen weder den von den deutschen Fürsten infolge der Befreiungskriege gemachten Versprechungen noch den Wünschen der bürgerlichen Öffentlichkeit. Innerhalb weniger Jahre wurde staatlicherseits ein System politischer Repression institutionalisiert, dem eine immer wieder aufflammende teilweise gewaltsame Opposition entgegenstand. Einen ersten Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen bilden die Ereignisse, die zu den Karlsbader Beschlüssen von 1819 führten. Diese Beschlüsse waren von so weitgehender langfristiger Bedeutung, daß sie als "säkulare Weichenstellung" bezeichnet wurden.2 Sie sind Ausdruck der nach den Befreiungskriegen in den Auseinandersetzungen mit der bürgerlichen Opposition und den Reformbewegungen entwickelten deutschen konservativen Theorie, in der im Gegensatz zum englischen Konservatismus Reformen perhorresziert wurden, "weil sie den Bazillus der Veränderung zur Parlamentsherrschaft und zur Anarchie" in sich trugen.3 Nach den Befreiungskriegen wurde in Deutschland die Forderung nach Verfassungen gestellt, wie sie etwa vom König von Preußen versprochen und durch die Bundesakte legitimiert waren. Diese Forderungen wurden von einem Liberalismus vorgetragen, der ausgesprochen gemäßigt war. Der dominierende "romantisch-organische" Flügel des deutschen liberalen Denkens lehnte in einer emotional antifranzösischen Haltung die rationale Denkweise generell ab, Vgl. oben, S. 66. 2 Hartwig BrandJ, Landständische Repräsentation im Deutschen Vormärz. Politisches Denken im Einflußfeld des monarchischen Prinzips, Neuwied, 1968, S. 197.

3 Eberhard Büssem, Die Karlsbader Beschlüsse von 1819. Die endgültige Stabilisierung der restaurativen Politik im Deutschen Bund nach dem Wiener Kongreß von 1814/15, Hildesheim, 1974, S. 413. Büssem urteilt, die deutsche konservative Theorie könne "daher reaktionär genannt werden". 6 Reiter

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C. Politisches Asyl im Vormärz

die sowohl für die Terrorherrschaft der Jakobiner als auch für den Bonapartismus verantwortlich gemacht wurde. Seinen Vertretern galten Verfassungen als Siegesprämien der Fürsten an das Volk und nicht als zu erkämpfendes bürgerliches Recht. Theoretisch wurden die Forderungen nach den bürgerlichen Freiheiten und nach Volksvertretungen nicht aus dem Naturrecht, sondern aus der deutschen bzw. germanischen Geschichte hergeleitel Diese politische Richtung hatte nichts Revolutionäres an sich, sondern versuchte im Gegenteil, die allgemeine Harmonie der Befreiungskriege zu bewahren. Ähnlich moderat stellt sich die zweite Linie des vormärzliehen liberalen Denkens dar. Sie entwickelte zwar ein repräsentativstaatliches Modell westlicher rationalistischer Prägung, damit über die durch die Bundesakte zugesagten landständischen Verfassungen hinausgehend, forderte aber nur in den seltensten Fällen eine parlamentarische Regierung und akzeptierte das monarchische Prinzip. Die gewaltsame Durchsetzung ihrer Forderungen durch eine Revolution lehnte sie grundsätzlich ab. 4 Hans Boldt spricht für die dominierenden Linien des deutschen liberalen Denkens von einer "merkwürdigen Konfliktscheu und Betonung einer Interessenidentität zwischen Monarch und Volk."5 In der liberalen Bewegung dominierte die bürgerliche Intelligenz, die fast ausschließlich auf den Staat als Arbeitgeber angewiesen und somit von ihm abhängig war. Demokratische Alternativen, die wie alle weitergehenden Forderungen kaum realisierbar gewesen wären, wurden vor 1830 beinahe ausschließlich von der nicht beamteten Intelligenz entwickelt.6 Die politische Praxis dieser Gruppe läßt sich aber kaum als revolutionär bezeichnen, wie das Beispiel der Studentenbewegung des frühen 19. Jahrhunderts zeigt. Die Gründung der Urburschenschaft in Jena im Jahr 1815 ist von herausragender Bedeutung. Sie war die erste in ganz Deutschland verbreitete parteiähnliche Bewegung, die sich für einen nationalen, bürgerlichen Einheitsstaat einsetzte. 1 In der inneren Struktur der Burschenschaft wurden die bürgerlich-freiheitlichen Vorstellungen konsequent durchgesetzt. Ein revolutionäres Programm läßt sich allerdings nicht 4 Büssem, S. SOff. 5 Hans Boldt, Deutsche Staatslehre im Vormärz, Düsseldorf, 1975, S. 290. Die im Vormärz entwickelten konstitutionellen Verfassungsmodelle sind ebd., S. 282ff., zusammengelaßt Boldt hebt aufS. 291 als charakteristisch für die deutschen Verhältnisse hervor, daß das "Pouvoir-neutre" Modell (d.h. der Monarch als neutrale Macht) und das Parlamentarische Modell weniger evolutionär als revolutionär in Frage gekommen seien. Die fordenmg nach Parlamentarismus wurde mit Demokratie und Republik gleichgesetzt, d.h. nach mehrheitlichem Verständnis mit Anarchie. 6 Büssem, S. 54. Kar/ Georg Faber, Student und Politik in der ersten deutschen Burschenschaft, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 21, 1970, 68-80, S. 73, stellt fest, diese Fordenmgen hätten zu sehr im Widerspruch nicht nur zum staatlichen Regionalismus ID!d zu den Interessen der ihn tragenden Führungsschichten, sondern auch zum politischen Bewußtsein der noch weitgehend in der altständischen Sozialordnung lebenden Bevölkerungsmehrheit gestanden. 1 Büssem, S. 51.

I. Die politischen fliichtlinge der 1820a- Jahren

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feststellen, und viele wenn nicht sogar die Mehrheit der Mitglieder lehnte eine Beschäftigung mit Politik ab. Der engere Kreis der politisch engagierten Studenten umfaßte wohl nur zwischen 100 und 200 Personen.S Als charakteristisches Merkmal der Burschenschaftsbewegung ist das Verbleiben in konventionellen Bahnen, trotz Aufgreifens revolutionärer Organisationsformen, fes tzuhalten.9 Die letztendlich gemäßigte Haltung der Burschenschaften illustriert das ausführliche politische Programm, das in Jena im Winter nach dem Wartburgfest ausgearbeitet wurde.lO Es enthielt alle liberalen Zeitforderungen wie deutsche Einheit, Repräsentativverfassungen und die Gewährung der bürgerlichen Freiheiten. Die Verfasser verehrten aber ebenso in naiver Weise die Fürstenwürde und forderten die Studenten eindringlich auf, keire geheimen Gesellschaften zu bilden, sich friedlich zu verhalten und in allen Staatsämtern mit Ausnahme der politischen Polizei und der Zensur treu zu dienen. Die Burschenschaften zielten nicht auf eine Revolution ab, sondern hofften auf Reformen. Trotz dieser Mäßigung lehnte die Mehrheit der Mitglieder das Programm ab, da sie um ihr berufliches Fortkommen fürchtete.ll Nur für eine kleine Minderheit innerhalb der Burschenschaft läßt sich der von der Reaktion erhobene Revolutionsvorwurf aufrechterhalten. Es handelt sich hierbei um den Kreis der "Schwarzen" oder "Unbedingten" in Gießen. Schwarze Tracht, Germanomanie und Tumerei prägten ihr äußeres Bild. Damit kontrastieren die politischen Zielvorstellungen der "Unbedingten", wie sie in den "Grundzügen für eine künftige Reicbsverfassung" niedergelegt wurden.12 Die dort erhobenen Forderungen richteten sich nach dem französischen Revolutionsmuster: unitarische Reichseinheit, Verwaltungseinteilung in Gaue analog

8 Fllher, S. 73. Die Zahl der Radikalen war verschwindend gering. Karl Folien hatte in seiner Jenaer Zeit6-8 Anhänger. Büssem, S. 64. Zu Intoleranz, Kulhlrfeindlichkeit und Antisemitismus in den Burschenschaften vgl. Fllher, S. 79. 9 Dies gilt auch für das Wanburgfest von 1817, dem Höbepunkt des Wirkens der Urburschenschaft Büssem, S. 68; zur Bücherverbrennung vgl. S. 64ff.

10 Die bedeutende Einflußoahme der Professoren Hegc-w'isch aus Kiel und Luden aus Jena macht die 35 Grundsätze und 12 Bescblüsse zu weit mdu als einer innerstudentischen An· gelegenheiL "& war das erste deutsche Paneiprogramm, das sich im Grunde bis 1848 und auch danach nicht mehr änderte. • Ebd., S. 60. 11 Ebd., S. 56. Bei der Diskussion des Dokuments durch die Bursdlenschafter in Jena genügte der Hinweis eines Mitglieds, eine Unterschrift würde die Chancen für eine spätere Anstellung zerstören, seine Kommilitonen von diesem Schritt abzuhalten. Wie sich aus einer Analyse der Teilnehmer am Wartburgfest ergJbl, kamen die Mitglieder der Burschenschaft in der Mehrzahl aus Familien der bürgerlieben Intelligenz. 75,5 % bereiteten sich auf ein Staats- oder Kirebenamt vor, so daß ihre Abhängigkeit vom Staat als nur geringfügig liDbedeutender als die des "politischen Professors" veranschlagt werden muß. Jede Opposition wurde zur Existenzfrage.

12 Abgedruckt in Hartwig BrandJ (Hrsg.), Restauration und Frühliberalismus 1814-1840, Darmstadt, 1979, S. 121-131.

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C. Politisches Asyl im Vonnärz

den französischen Departements, Reichsk:irche, rechtliche Gleichheit aller Deutschen, eine aus allgemeinen Wahlen hervorgehende Volksvertretung, Volksmiliz statt stehender Heere, im Schulwesen Einheitsschule für alle mit praktischer Arbeit neben der geistigen Ausbildung, um so die Trennung zwischen geistiger und körperlicher Arbeit zu überwinden. In der konsequenten Forderung nach einer demokratischen Republik sind die "Grundzüge" in der Turn- und Burschenschaftsbewegung einmalig. Gegenüber dem sichtbaren Einfluß deutscher Intellektueller wie Fichte, Amdt und Jahn dominieren die radikalen (und rationalen) Ideen der französischen Revolution.l3 Die von ihnen geforderte republikanische, nationale Einheit wollten die "Unbedingten" in letzter Konsequenz durch eine vom Volk unter Führung der Intelligenz zu verwirklichende Revolution erreichen. Nachdem sich die Hoffnung auf eine spontane Volkserhebung als irrealistisch erwiesen hatte, entwickelte Karl Follen, die dominierende Persönlichkeit der "Unbedingten", eine revolutionäre Ideologie, die ausgehend von der Überzeugungsmetaphysik des Jenaer Professors Fries den politischen Mord, den individuellen Terror, durch den das Volk aufgerüttelt werden sollte, rechtfertigte.I4 Nach Pollens Vorstellung waren überall dort, wo nach freiem Willen und eigener Erkenntnis eine sittliche Notwendigkeit vorlag, für den von dieser Notwendigkeit Überzeugten alle Mittel erlaubt, auch wenn diese normalerweise zu verurteilen wären.l5 Aus dieser Gedankenwelt heraus erklärt sich das Attentat Karl Ludwig Sands auf den Lustspielautor und russischen Staatsrat Kotzebue. Ob andere Mitglieder der "Unbedingten" und vor allem Karl Folien in Sands Pläne eingeweiht waren, ist zwar nicht gesichert, kann aber als wahrscheinlich angenommen werden. Das gleiche gilt für das wenig später folgende Attentat Karl Lönings auf den hessisch-nassauischen Staatsrat Ibell.l6 Gemeinsam mit dem Wartburgfest dienten diese beiden Vorfälle den restaurativen Kräften unter Führung Metter-

13 Waller Grab!Uwe Friesel, Noch ist Deutschland nicht verloren. Unterdrückte Lyrik von der Französischen Revolution bis mr Reichsgriindung. Texte und Analysen, Berlin, 1980 (3. Aufl.), S. 66ff., betonen stärleer die Widersprüchlichkeil der politischen Aussagen, die aber auch auf eine unterschiedliche Ausrichtung bei August und Kar! Folien. die beide an der Abfassung des Textes beteiligt waren, mrückmführen ist 14 Zur Entwicklung von Follens Gedanken aus der Fries·schen Philosophie vgl. Faber, S. 77. Münch. Gesammelte Schriften, S. 48, berichtet, diese Lehre sei entstanden, nachdem die mnächst erwartete Volksethebung nicht stattfand. 15 Vgl. Willi Schröder, Politische Ansichten und Aktionen der "Unbedingten" in der Burschenschaft. in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich Schiller Universität Jena, Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe 15 (2), 1966,223-246. 16 Friedrich Münch, "Unbedingter" und Familienfreund der Follens, der später mit dem jüngsten Folienbruder Paul die Gießener Auswanderungsgesellschaft leitete, bestätigt für Sand die direkte Mitwisserschaft Karl Follens, für Löning diejenige Paul Follens. MiUJch, Gesammelte Schriften. S. 56f., S. 95. Zur Frage der Mitwisserschaft vgl. Büssem, S. 143ff.

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Diebs als Vorwand, nicht nur gegen die "Unbedingten", sondern gegen jegliche Opposition vorzugehen. Die deutschen Regierungen, vor allem die österreichische, standen schon während der Befreiungskriege der bürgerlichen Selbstorganisation mißtrauisch und ablehnend gegenüber. Eine nationaldemokratische der Intention nach ganz Deutschland umfassende Organisation wie die Burschenschaft wurde schon ihrer Konzeption nach als gefahrliehe hochverräterische Verbindung angesehen. So führte das Wartburgfest zu heftigen Reaktionen bei den deutschen Regierungen, die eine revolutionäre Tendenz unter den Studenten festzustellen glaubten. Basis für diese Beurteilung waren meist bewußte Falschmeldungen, wie etwa jene sich hartnäckig haltende, bei der berühmt-berüchtigten Bücherverbrennung sei auch die Akte des Deutschen Bundes in den Flammen aufgegangen. Metternich war durch einen eigens veranlaßten Polizeibericht sehr wohl davon unterrichtet, daß von einer revolutionären Verschwörung keine Rede sein konnte.l7 Selbst nach dem Mord an Kotzebue war er von einer solchen nicht überzeugt, aber durchaus bereit, die herrschende Furcht für seine Ziele auszunutzen: Hier wird wahres Übel auch einiges Gute erzeugen.... Meine Sorge gebt dahin, der Sache die beste Folge zu geben, die möglichste Partie aus ihr zu ziehen, und in dieser Sorge werde ich nicht lau vorgehe:n.l 8

Neben einem Eindämmen der bürgerlichen Bewegung kam es Metternich vor allem darauf an, weitere Reformen wie etwa die preußischen Verfassungspläne zu verhindern, um die Österreichische Hegemonie innerhalb des Deutschen Bundes zu sichem.l9 Die Karlsbader Beschlüsse, die am 20.9.1819 vom Bundestag abgesegnet wurden, konnten sich auf Artikel 2 der Bundesakte von 1815 stützen, der als Zweck des Deutschen Bundes die "Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeil der einzelnen deutschen Staaten" bestimmte. Zur Unterdrückung der bürgerlichen Opposition fand man sich innerhalb des deutschen Staatenbundes zu einer integrierenden Bundesinnenpolitik bereit, einschließlich des Aufbaus zentraler Institutionen, wie sie auf keinem anderen Gebiet zustandek:amen. Sie richtete sich gegen alle liberalen, demokratischen und nationalen Strömungen. Die für unseren Zusammenhang wichtigen Bestimmungen von Karlsbad verboten geheime oder nicht autorisierte Verbindungen auf den Universitäten und ordneten an, revolutionäre Umtriebe und demagogische Verbindungen aufzudecken. Für Zeitun17 Zu diesem Bericht vgl. Büssem, S. 83ff. 18 Zitiert nach ebd., S. 99. Bürgerliebe Kreise wiesen den gegen sie erhobenen Revolutionsvorwurf empört zurück und behauptelen (nicht alme Berechtigung), die wahren Verschwörer seien die Regierungen. Vgl. ebd., S. 7&. 19 Vgl. ebd., S. 380ff., 452ff.

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C. Politisches Asyl im Vonnärz

gen, Zeitschriften und alle Druckschriften unter 20 Bogen wurde die Vorzensur eingeführt. Zur Überwachung der Universitäten setzte man außerordentliche landesherrliche Bevollmächtigte ein und schuf darüber hinaus die Mainzer Zentraluntersuchungskommission.20 Der Mainzer Zentraluntersuchungskommission war die Aufgabe gestellt, die gegen die bestehende Verfassung und innere Ruhe des Bundes gerichteten revolutionären Umtriebe und demagogischen Verbindungen zu untersuchen. Was unter "revolutionär" oder "demagogisch" zu verstehen sei, war ganz in das Ermessen der Kommission gestellt. Nicht ergreifen, inhaftieren, verurteilen, sondern ermitteln, ausforschen, überwachen alles dessen, was Züge politischer Organisiertheil in der Gesellschaft aufwies, waren Hauptaufgaben dieser erstmals bundesweit operierenden, büromäßig-behördlich organisierten lnstitution.21

Schon bald kam der Vorwurf auf, es würde nicht nach Tätern für bestimmte Verbrechen, sondern nach Verbrechen für einen bestimmten Täterkreis gesucht. In ihrem Schlußbericht mußte die Kommission selbst darauf eingehen, daß viele Punkte durchaus eine schuldlose Deutung zuließen. Der Kommission kam es aber ebensowenig wie den einzelstaatlichen Untersuchungsbehörden darauf an, bestimmte Verbrechen zu verfolgen. Sie hatte die bürgerliche Opposition möglichst lückenlos zu erfassen und unschädlich zu machen. In der Mainzer Verfolgtenkartei sind über 1.000 Personen verzeichnet, die in das Netz der Untersuchungen fielen.22 Die Effizienz der Verfolgungsmaßnahmen des Bundes und der einzelnen Staaten ist nicht zu verkennen: Die 1819 existierenden Ansätze liberaler und demokratischer Organisation wurden zerschlagen, die Führer, von denen nur eine Minderheit als revolutionär bezeichnet werden kann, ins Exil getrieben. 2. Kar/ Follens Amerikapläne: Die USA als revolutionärer Stützpunkt

In einer Denkschrift, von der angenommen werden muß, daß sie von Karl Folien stammt, ist die Einschätzung der Lage nach den Karlsbader Beschlüssen durch die entschiedendsten Oppositionellen überliefert. 23 Erwähnt wurde diese 20 Abgedruckt bei Huber, Dokumente, Bd. 1, S. lOlff. 21 SiemaM, "Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung", S. 81. Zur Mainzer Kommission vgl. ebd., S. 76ff. 22 Ebd., S. 86. 23 ZStA Merseburg, Rep 77, Tit. 25. 0, lit. S. 14, BI. 156-194. Die Denkschrift befand sich unter den Papieren, die Folien dem Wetzlarer Gymnasialdirektor Snell zur Aufbewahrung gegeben hatte und bei dessen Festnahme beschlagnahmt wurden. In den Akten führt sie den Titel "Schrift betr. die Revolutionierung Deutschlands von Nordamerika aus". Während seiner Vernehmung gab Snell an, von den Zwecken der Auswanderung nur denjenigen der Subsistenz gekannt zu haben. Ebd., Lit S. 13, Bd. I, S. 28. Zitate aus der Denkschrift werden im folgenden nicht einzeln belegL

I. Die politischen flilchtlinge der 1820er Jahren

Denkschrift bisher fast ausschließlich in der älteren burschenschaftlichen Literatur.24 Dort wird das Gewicht auf die deutschnationale Komponente gelegt, der revolutionäre Gehalt aber ausgeklammert. Ähnliches gilt für die deutschamerikanische Geschichtsschreibung, die in Follens Ideen ihren eigenen "Kulturkampf" zu erkennen vermeinte.25 In den Amerikaschriften des 19. Jahrhunderts ist aber ganz im Gegenteil oft die Projektion der eigenen Hoffnungen, Sorgen und Wünsche dominierend. Sie sind eher ein Indikator für die politischen Positionen in der Alten als eine Beschreibung der Neuen WeJt.26 Diebesondere Bedeutung der Denkschrift für unser Thema besteht darin, daß Kar! Folien nach den Karlsbader Beschlüssen, von der Unabwendbarkeit des Exils überzeugt. als ideales Asylland die USA herausgreift. Seine Konzeption Amerikas und die Hoffnungen, die er in die Vereinigten Staaten setzte, sind für radikale politische Flüchtlinge auf Jahrzehnte hinaus richtungweisend.27 Folleos Denkschrift dokumentiert den Ausnahmecharakter der von ihm verkörperten politischen Richtung innerhalb der Burschenschaft. Sie beginnt als schonungslose Abrechnung mit dem politischen System des Deutschen Bundes, das statt Volkseinheit und allgemeiner gleicher Freiheit Volkszerstückelung und allgemeine gleiche Knechtschaft gebracht habe. Auch nach den Karlsbader Beschlüssen fordert Folien unverändert die politische Aktion und lehnt die bloße Hoffnung auf die Einwirkung der Geschichte oder des "Zeitgeistes" ab: Allein der Geist der Zeit ist nichts, als die Richtung, welcher ihr die Geister, so sieb in ibr gellend machen, geben; auch durch die Geschichte wird und geschieht nichts, sondern nur dadurch, daß etwz geschieht, wird ... Geschichte; Gott aber hilft denen, die sieb selbst helfen.

Von den europäischen und deutschen Regierungen, die alleine dem monarchischen Interesse dienten, erwartet Folien keine positive Entwicklung. Eine Sie wurde zuletzt abgedruckt bei Helmut König, Deutsdle Nationalerziehungspläne aus der Zeit des Befreiungskrieges, Berlin (Ost), 1954, S . .306-317. 24 Vgl. Hermann Haupt, Karl Foßen und die Gießeuer Schwarzen. Beiträge zur Geschichte der politischen Gebeimbiinde und der Verfassungs-Entwicklung der deutseben Bursebenschaft in den Jahren 1815-1819, Gießen, 1907, S. 145ff.; ders., Die Geschichte einer geplanten deutseben Republik in Amerika, in: Mitteilungen des Deutschen Pionier Vereins von Philadelphia 25, 1912, 23-27; KaTI Pregizer, Die politischen Ideen Kar! Follens. Ein Beitrag zur Geschichte des Radikalismus in Deutschland, Tübingen, 1912, S. 91C.

25 Vgl. etwa Hermann Haupt, Zum Gedächtnis Kar! Follens, in: Deutseb-Amerikaniscbe Gescbichtsblätter Z2.{}3, 1924, 7-55, wo es auf S. 50 bei&: "Daher dürften die deutseben Auswandere~ nicht zum Kulturdiinger für das Ausland sieb hingeben, sondern sie müssen auch dort ihre deutsche Mission erfüllen. • ln gleichem Ton ist die Vorbemerkung Km/ Goebels gehalten, der als Herausgeber der ebd., S. 61-76, abgedruckten Denkschrift fungiert Deren revolutionärer Gehalt wird auch bei George W. Spindler, Tbe Life oC Kar! Foßen. A Study in German-American Cultural Relations, Chicago, 1917, S. 76f., nur angedeutet

26 So Jeismonn, S. 128. Jeismanns Bemerkungen zu Karl Follens Plan (S. 139) sind wenig ergiebig. 27 Hierauf verweist Günler Moünumn, Auswanderung als Revolutionsersatz?, in: Michael Salewsk:i (Hrsg.), Die Deutschen unddie Revolution, Göttingen, 1984, 272-Z97, S. 284.

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C. Politisches Asyl im Vormärz

solidarische Verbindung aller "Freigesinnten" Europas beurteilt er zwar sehr positiv, sieht aber angesichts der allgemein herrschenden Reaktion große Schwierigkeiten, solche Verbindungen anzuknüpfen und zu unterhalten. Pollen kommt zu dem Schluß: "... es bleibt nichts mehr, als das Vertrauen derjenigen, welche von Unten, vom Volke aus die bessere Zukunft erwarten." Eine die eigene Tat ausschließende Hoffnung auf das Volk lehnt er ab. In den bestehenden Institutionen wie Landständen und Landwehr ließe sich dem Volk ein Gefühl seiner Macht nicht mehr erhalten, da sie zu reinen Werkzeugen der Monarchen verkommen seien. In die Beeinflussung des Volkes durch Erziehung, Presse und persönliches vorbildliches Verhalten habe man bisher die größte Hoffnung gesetzt. 28 Nach den Karlsbader Beschlüssen sei ein offenes Wirken in diesem Sinne aber nicht mehr möglich. Folien kommt zu der Schlußfolgerung, daß von den bisher angewandten Mitteln wenig für den Fortgang eines Strebens nach Volkseinheit und allgemeiner gleicher Freiheit in Deutschland zu erwarten sei. Die passive Haltung des Volkes dürfe aber nicht in dem Glauben an es wankend machen. Seine Selbsttätigkeit sei durch die staatliche Zerrissenheit, die Ungleichheit der Bürger in Bildung und Rechten und die Reaktion niedergedrückt Aber auch in seiner Verknechtung sei das deutsche Volk der Freiheit so fähig und wert, als irgendein anderes. Demjenigen, der sich wahrhaft dem Dienste der Menschheit geweiht habe, biete kein anderes Land den sicheren Standpunkt für sein Wirken, welchen das Vaterland durch Gleichheit der Sprache, Erziehung, Sitte und Volksgesinnung böte. Erster Grundsatz für einen Rettungsplan der guten Sache müsse daher sein, daß das vereinte Streben auf Deutschland abziele. Als zweiten Grundsatz fordert Folien "eine von unseren Machthabern unabhängige Freistätte und Erwerbsquelle" und fahrt fort: "Diese zwei Voraussetzungen für ein durchgreifendes Wirken bietet uns mit voller Sicherheit fast allein Nordamerika dar." Folien sieht eine vaterländische Bewegung unter den Deutschen in den USA, die ihren Ausdruck etwa in der Gründung von deutschen Gesellschaften fande. Als ein bis jetzt noch fehlender Zentralpunkt solle eine alle Zweige des menschlichen Wissens umfassende deutsche Bildungsanstalt gegründet werden. Diese muß der Zufluchtsort der in Deutschland durch rohe Willkür IDiterdrückten Geistesfrei· heil, sowie für diejenigen werden, welche hier im Kampfe für dieselbe durch Verlust ihres Wir-

28 Folien setzt sich an dieser Stelle von deutschtümelnden Tendenzen ab. "Aber die Ziele des Handeins liegen nicht notwendig in der Geschichte, oder sind wenigstens mit fremdartigem und falschem so vermischt, daß ihre Erforschung einer richtigen AusbildiDig der Einsicht bedarf, welche die Geschichte allein nicht gewährt. Wie IDibestimmt und verkehrt durch blindes Anschmiegen an die Geschichte auch edelstes Streben wird, zeigt· namentlich bei IDIS das Streben Vieler, IDiseren gegenwärtigen Zustand rücksichtslos auf den des MitteWters zurückmführen." Vaterländische Emehung ist für Folien ein Mittel, abergläubische Ergebenheit in den hernebenden Gewaltzustand durch Aufdeckung seines Ursprunges und seiner Entwicklung zu bekämpfen.

I. Die politischen Flüchtlinge~ 1820er Jahren

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kungskreises Opfer jener Willkür geworden sind Sie soll zugleich, an die dortigen deutseben Gesellschaften sich anschließend, für die hilfsbedürftigen deutseben Auswanderer nach Kräften mitwirken.

Die Mittel zur selbständigen Unterhaltung der Anstalt und damit ihrer Unabhängigkeit müßten schon in Deutschland zusammengebracht werden, da in Amerika anfangs nicht auf Unterstützung zu rechnen sei. Durch ihren eigenen Wert werde die Institution bald überzeugen und sich durch Schriften, die durch Frankreich oder England den Weg nach Deutschland finden würden, einen umfassenden Einfluß sichern. Follens Pläne gingen weit über eine deutsche Universität hinaus. Der engeren Lehrgemeinde sollten sich Männer mit der Aufgabe anschließen, sich in den USA anzusiedeln und direkt unter dem dortigen Volk für die Zwecke der Anstalt tätig zu werden. Auf diese Weise kann es gelingen, die Teutscben in Nordamerika zu einem, auf dem Congress sieb vertretenden Staat (wozu auch viele äußere Umstände mitwirken) zu verbinden, welcher ein Vorbild für das Mutterland und in vielfacher Beziehung für seine Befreiung wichtig werden kann.

Solle aber der Zweck, in Amerika für Deutschland zu wirken, erreicht werden, so müsse ein allgemeiner Plan zugrunde liegen, der sowohl echtes wissenschaftliches Streben als auch die hohe weltgeschichtliche Bedeutung der USA berücksichtige. Die Vereinigten Staaten trügen, wenn auch noch unvollkommen, das Urbild eines den Anforderungen der Vernunft entsprechenden freien Staates in sich. Im Innerenjedoch seien sie eine Mischung fast aller Völker der Erde, die noch nicht zu einer wahren lebendigen Einheit, einem allen diesen Einflüssen Rechnung tragenden Volksstreben gefunden habe. Jedes Volk sei dazu bestimmt, das Urbild der Menschheit in sich, seiner Lage und Anlage gemäß, zu verwirklichen. Hiernach möchte die Bestimmung von Nordamerika die sein: das Heiligturn eines auf aUgemeine gleiche Freiheit gegründeten bürgerlieben Gemeinwesens, als eine Anforderung der Vernunft an alle MeliSdien und Völker nicht nur in sieb, sondern auf der ganzen Erde zu gründen, und aufrecht zu erhalten.

Von Deutschland als dem Mittelpunkt der ganzen neueren Bildung müsse auch für Amerika der tiefe geistige Gehalt ausgehen, der allein die Grundlage seines Weltstrebens ausmachen könne. Dies sei der letzte Zweck der zu gründenden Universität. Diese Bestimmung Nordamerikas, die im Volk und besonders in der Jugend erweckt werden müsse, bringe die dort lebenden Menschen unterschiedlichster Abkunft mit ihren Heimatländern in eine dem Gesamtstreben entsprechende Beziehung. So werde auch der erzieherische Zweck der Anstalt mit ihrem allgemeinen auf Amerika gerichteten verwebt:

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C. Politisches Asyl im Vonnärz

Denn nicht Aufhebung der Völker-Verschiedenheit dieser GnmdbedingiDlg aller GesiDldheit im Menschenleben kann der Zweck sein, sondern daß das allgemeine, rein menschliche in jedem Gnmd und Boden Wurzeln lasse und gedeihe.

Die Einheit aber, die jedes Volk in seiner Sprache besitze, könne dem amerikanischen nur in einer dreifachen Grundsprache werden: Jeder Amerikaner solle die drei Hauptsprachen (deutsch, englisch und französisch) beherrschen. Zum Schluß faßt Pollen die Hauptzwecke seiner geplanten Universität nochmals in drei Punkten zusammen. Sie solle sein: 1. eine Freistätte für bedrängte Teutsche, und eine Erwerbsquelle, um für das Freiheitswohl der Völker und ihres Volkes insbesondere (mittelbar IDld unmittelbar) tätig zu sein. 2. ein Mittelpunkt der Vereinigung aller Teutschen in Nordamerika zu einem Freistaate. 3. ein Mine! um im nordamerikanischen Volke das Bewu&sein seines Berufes, der Welt die Freiheit zu bringen, aufzuregen.

Folien fordert, die Gesellschaft nach festen Grundsätzen zu regeln, ihren Zweck und vor allem ihren "jetzt noch nicht zu bestimmenden Zusammenhang mit Teutschland" geheim zu halten. Aller Erwerb solle gemeinsam und der Verfügung aller unterworfen sein. Schon vor der Abfahrt sollten nicht nur alle nötigen fmanziellen Mittel zusammengebracht sein, sondern auch ein in allen Zweigen der Bildung fester Plan für die Anstalt bestehen, so daß sie gleich nach ihrem Auftreten tätig werden könne. Vor allem bemerkenswert an Pollens Denkschrift ist die Einbeziehung der Vereinigten Staaten in ein für Europa entworfenes revolutionäres Konzept29 Hier sei ein Rückgriff auf die Wirkung der amerikanischen Revolution auf Deutschland erlaubt Die amerikanische Revolution hatte nicht den Einfluß auf das deutsche politische Leben wie die französische. Eine besondere Bedeutung erlangte sie aber als Utopie, die erlaubte, den politischen Realitäten Europas zu entkommen. Die Vereinigten Staaten wurden als Asyl der unterdrückten Menschheit verstanden, da sie der bürgerlichen Vorstellung des idealen Staates entsprachen. Horst Dippel urteilt, deutsche bürgerliche Radikale und Liberale hätten sich nach der amerikanischen Utopie gesehnt, anstatt aktiv politischen Wandel zu verfolgen.30 Die Ereignisse in Amerika weckten nicht die Erwartung einer unabhängigen bürgerlichen Revolution, sondern steigerten die Hoffnungen auf Reformen. Die amerikaDisehe Revolution galt ihren deutschen Zeitgenossen als spirituelles Ereignis, als Verwirklichung der Ideale der Aufklärung. Indem sie nicht als Ausdruck konkreter Interessen, sondern als Sieg 29 Aus dem Umkreis der Burschenschaften sind ansonsten nur individuelle Auswandenmgswünsche bekannL Eine beabsichtigte RückwirleiDig auf Deutschland ist nicht erkennbar. Vgl. etwa das bei Haupt, Kar! Folien IDld die Gießener Schwarzen, S. 147f., abgedruckte, unter den Papieren eines "Unbedingten" beschlagnahmte Gedicht "Abschied von einem, der im Begriff ist, nach Amerika zu gehen". 30 Horst Dippel, Gennany and the American Revolution lTI0-1800. A Sociohistorical Investigation of Late 18th Century Political Thought, Chapel Hili, 1977, S. 341.

I. Die politischen flüchtlinge lb 1820er Jahren

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der Philosophie interpretiert wurde, blieben ihre radikalen Implikationen verdeckt.31 Diese Einschätzung änderte sich auch durch die französische Revolution nicht, ja das Bild Amerikas als Utopie wurde unter dem Eindruck der Jakobinerherrschaft noch verstärkt. Der utopische Inhalt von Follens Vorstellungen ist nicht zu verkennen. Er beruht allerdings nicht auf einer Fehleinschätzung des revolutionären Gehalts des Staates USA. sondern auf völliger Unkenntnis amerikanischer nationaler Gegebenheiten. Die Amerikaner werden nicht als eigenständige Nation gesehen. sondern als Abbild der europäischen Nationen, vereint durch die Verwirklichung eines auf allgemeiner gleicher Freiheit beruhenden politischen Systems, das damit allein Triebkraft des "Volksstrebens" sein könne. Wie auch später viele deutsche Radikale idealisiert Folien die Vereinigten Staaten als Kern der universalen Weltrepublik. Diese Utopie war aber keine zu Eskapismus führende geistige Verklärung einer radikalen politischen Umwälzung, sondern beinhaltete die konkrete Hoffnung, in Amerika und von Amerika aus für die deutsche Revolution zu wirken.32 Diese Hoffnung mußte lllusion bleiben. Sie konnte nur entstehen. da Follen in Europa keinen Ansatzpunkt zu revolutionärem Handeln sah. Die Vorstellung, in den USA einen Staat als revolutionäre Basis und Vorbild für das Mutterland zu gründen, existierte in den kommenden Jahrzehnten auch in französischen, polnischen und ungarischen F1üchtlingskreisen.33 In abgewandelter Form versuchte 1833 Paul Follenius die Vorstellungen seines Bruders Kar! zu verwirklichen.34 Alle diese Pläne entstanden in Zeiten, in denen in Europa die Reaktion dominierte und Handlungsspielraum für Revolutionäre kaum gegeben war. Bei Pollens Plan wie bei ähnlichen Konzepten späterer Flüchtlingsgenerationen handelt es sich daher weniger um die "Idee vom Export der nationalen deutschen Revolution nach AmeriJca"35 als um einen letzten Versuch, die revolutionäre Partei am Leben zu erhalten bzw. ihr eine Handlungsperspektive zu geben. Inwieweit Folien an die Durchführung revolutionärer Aktionen von Amerika aus gedacht hat, geht aus der Denkschrift nicht klar hervor. Der "jetzt noch 3! Ebd, s. 358. 32 Insofern ist der Interpretation von König, S. 45, zu widersprechen, der FoUen.s Plan in seineo erläuternden Bemerkungen als Kapitulieren vor den Verhältnissen und Sichzurückziehen in das Reich der Ideen charakterisiert. 33 Zu den Polen vgl. unten, S. 124fi., zur ungarischen Gründung "Nova Buda" S. 305f. Das Cabersche "lkaria" wurde auch als Gegen.swt zum Frankreich der Restauration konzipiert. Sally M. Müler, Tbe Radicallmmigraot, New York, 1974, S. 38.

34 Vgl. oben, S. 69fi. Paul wollte sich nach seiner Auswanderung aber nicht mehr in der deutschen Politik engagieren. 35 So Mollmann, Auswanderung als Revolution.sersatz, S. 284.

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nicht zu bestimmende Zusammenhang mit Teutschland" sollte geheim gehalten werden.36 Die von ihm vorgeschlagene Taktik blieb aber in ihren Grundzügen für radikale deutsche Flüchtlinge in Amerika für unseren gesamten Zeitraum dominierend: Organisation der deutschamerikanischen Bevölkerung, um erstens eine Basis zu revolutionärem Handeln zu schaffen, und zweitens die Außenpolitik der Vereinigten Staaten mit dem Endziel einer Intervention auf seiten der Demokratie in Europa zu beeinflussen. Hier tritt für Deutschland zum ersten Mal Amerika neben bzw. an die Stelle Frankreichs, auf das sich bisher die Hoffnungen der revolutionären Kräfte auf entscheidende Unterstützung einer deutschen Revolution richteten.

3. Politisches Asyl in den 1820er Jahren Der Plan Karl Pollens ist nie zur Ausführung gekommen. Zwar versuchten er und seine Freunde, genauere Informationen über Amerika zu erhalten und Verbindungen zu einflußreichen Amerikanern herzustellen, aber die Zentraluntersuchungskommission berichtet: ... es hätten mehrere der deutschen Demagogen den am Ende des Jahres 1819 gefaßten Plan, nach Amerika auszuwandern, sofort aufgegeben, und sich an der Grenze Deutschlands niedergelassen und dort mit den Ausländern politische Verbindungen geknüpft.37

Die Nähe zur Heimat und damit die konkrete Möglichkeit zu weiterer politischer Wirkung wurde der Utopie vorgezogen. Ebenso wie in den folgenden Jahrzehnten suchten die deutschen politischen Flüchtlinge nach 1819 zunächst in den europäischen Nachbarländern Zuflucht. Dort hatte sich allerdings das Prinzip des politischen Asyls noch nicht durchgesetzt. Durch das ganzEuropabeherrschende Reaktionsklima war die Asylsuche weiter erschwert. Nach dem "Massaker von Peterloo" wurde in England im Winter 1819 mit den "Six Acts" die Versammlungsfreiheit aufgehoben und die Pressefreiheit eingeschränkt. Nach der Ermordung des Herzogs von Berry kam es in Frankreich im Februar 1820 zu Repressivgesetzen, die, wie Mettemich feststellte, im Grunde nichts als die Nachahmung der Karlsbader Beschlüsse waren. Dies führte auch zu konsequenter Ausweisung der politischen Flüchtlinge (u.a. Karl Pollens) aus Frankreich.38 Die Vergnügungs- und Bildungsrei-

36 Folien spricht allerdings davon, die geplante Institution solle "mittelbar und unmittelbar" für die Befreiung Deutschlands tätig werden. 37 Leopold F. llse, Geschichte der politischen Untersuchungen, welche durch die neben der BundesversarnmliDlg errichteten Commissionen, der Central Untersuch~mgs-Commission zu Mainz und der Bundescentralbehörde zu Frankfurt in den Jahren 1819-1842 geführt worden sind, Frankfurt a.M., 1868, S. 121. 38 Vgl. SpiNiler, S. 78.

I. Die politischen Aücbtlinge der 1820er Jahren

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sen deutscher Studenten und Künstler nach Frankreich wurden überwacht.39 Grund für diese Maßnahmen war vor allem die Furcht, deutsche Radikale könnten mit der französischen Opposition zmammenarbeiten.40 Der größte Teil der in den 1820er Jahren nicht sehr zahlreichen deutschen Flüchtlinge ging zunächst in die Schweiz. 41 Dort lag die Fremdenpolizei und damit die Asylpolitik in den Händen der einzelnen Kantone. Unter dem Druck der Großmächte kam es aber 1823 zu dem erwähnten Fremdenkonk.lusum, das die politischen Flüchtlinge effektiv aus dem gesamten Gebiet der Eidgenossenschaft ausschloß.42 Erste gegen die Anwesenheit der Flüchtlingen in der Schweiz protestierende Noten hatten Österreich und Preußen schon im November 1820 von Troppau aus an die Eidgenossenschaft gerichtet. Einen Höhepunkt erreichten diese Forderungen 1824 mit den Auslieferungsbegehren zunächst bezüglich August Adolf Ludwig Folien, sodann gegen Kar! Folien, Wilhelm Snell, Wilhelm Wesselhöft und Karl Völker. Zwar kam es letztendlich nicht zu Auslieferungen, aber Kar! Pollen, Wesseihöft und Völker flohen aus der Schweiz und Snell und Adolf Folien waren vielfachen Schwierigkeiten ausgesetzt. In bezug auf den Fall Adolf Pollens spricht Ernst Brand von einer überängstlichen und kleinmütigen Haltung der Vorortsleitung und stellt fest, der Asylbegriff sei damals bei ihr verschüttet gewesen. 43 Deutlich wird dies in der Begründung, die die Vorortsleitung für ihre Unterstützung des zweiten Auslieferungsbegehrens gab. Sie führte zunächst aus, mit dem Fremdenkonk.lusum hätten sich alle Schweizer Stände bereitwillig gezeigt: ... die vorherrschende Tendenz der europäischen Politik: Erhaltung und Befestigung alles Be:;tebenden ge,p:n Neuerer und Neuerungen auch ihrerseits durch willfährige Maßregeln zu berücksichtigen.

Auf diese Weise die Reaktionspolitik der Großmächte unterstützend ging der Vorort sodann auf die Asyltradition der Schweiz ein. Opfer von Staatsumwälzungen habe man immer bereitwillig aufgenommen, aber im vorliegenden Fall 39 Vy).. AN Paris, F!7/6687, Doss. 37, 26; F!716688, Doss. 8, 14, 15.

40 Das Innenministerium ordnete die Überwachung der Verbindungen der deutseben Radikalen mit der französischen Oppositioo und Vorsichtsmaßnahmen für den Fall an, daß Folien oder einer seiner Freunde nach Frankreich reisen sollten. Vgl. ebd., F(l/6687, Doss. 19. 41 Zü den Schicksalen dieser Flüchtlinge vgl. etwa Klaus Umer, Die Deutseben in der Schweiz. Von den Anfängen der Kolonienbildung bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, Frauenfeld/ Stungart, 1976, S. 99ft:. Zur innenpolitischen Situation in der Schweiz während der Restaurationszeit vgl. Ulrich Im Hof u.a., Handbuch der Schweizer Geschichte, Zürich, 1977, Bd 2, s. 873lf. 42 Vgl. oben, S. 25; Ernst Brarul, Die Auswirkungen der deutseben Demagogenverfolgungen in der Schweiz, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 47, 1948, 137-208, S. 152. 43 Brand, S. 170. 44 Zitiert nach ebd., S. 171.

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C. Politisches Asyl im Vonnärz

handele es sich um Männer, von denen behauptet werde, sie hätten gegen ihre rechtmäßigen, in angestammter erblicher Würde anerkannten Souveräne revolutionäre Anschläge gestiftet. 45 Damit wurde allein humanitäres Asyl anerkannt, politisches hingegen abgelehnt. Darüber hinaus war man bereit, alleine aufgrundvon Vorwürfen fremder Regierungen ohne weitere Nachprüfung des Sachverltalts tätig zu werden. In für die Souveränität der Schweiz bedenklicher Weise wurde außerdem die 1815 zugestandene ewige Neutralität nicht nur als eine Vergünstigung, sondern auch als eine Bedingung verstanden. Einzelne Kantone wehrten sich zwar gegen diese Interpretation des Asyls, wie weit ihr Widerstand aber gegangen wäre, muß zweifelhaft bleiben, da eine endgültige grundsätzliche Auseinandersetzung nie stattfand. Die Enttäuschung radikaler Flüchtlinge über die Haltung der Schweiz drückte Karl Folien in einer Erklärung aus, die er nach seiner Flucht an die Kantonsregierung sandte. Da die Republik der Schweizer, welche so vielen Prinzen, Adeligen und Priestern Schutz verliehen hat, mich, der ich wie sie selbst ein Republikaner bin, nicht beschützen will, sehe ich mich genöthigt, in dem groBen Asyle der Freiheit, in den Ver. Staaten, eine Zuflucht zu suchen. Meine falschen Ankläger fordere ich vor das Tribunal Gottes und der öffentlichen Meinung. Gesetze habe ich niemals übertreten, aber das gräßliche Verorechen, mein Vaterland geliebt zu haben, hat mich in solchem Grade schuldig gemacht, daß ich der Verzeihung der heiligen Alliance mich völlig unwerth halte.46

Dem Sinn nach ganz ähnliche Vorhaltungen finden sich in den kommenden Jahrzehnten regelmäßig. Der lange Arm der reaktionären Mächte erreichte die Flüchtlinge auch in der Schweiz. Eine weitere Parallelle zu späteren Vorkommnissen ist darin zu sehen, daß in Europa alleine Großbritannien als sicheres Asyl in Frage kam, auch wenn 1819 noch der "Alien Act" in Kraft war, der die Ausweisung politischer Flüchtlinge erlaubte. Nach London begab sich Karl Völker, der später in die Schweiz zurückkehrte. Das Problem eines Aufenthalts in England war und blieb allerdings die Sicherung des Lebensunterhalts. Dies zeigt das Beispiel Franz Liebers, für den (wie für viele andere Flüchtlinge der 1820er Jahre) die Vereinigten Staaten zum letztendlichen Asylort wurden.47 Die amerikaDisehe Regierung hatte inzwischen in einer Auseinandersetzung um bonapartistische Flüchtlinge auch praktisch bewiesen, daß sie bereit war, eine weitgefaßte Konzeption des politischen Asyls zu verteidigen. 48

45 Ebd. 46 Zitiert nach Münch, Gesammelte Schriften, S. 64.

47 48

Vgl. FranlcFreidel, Francis Lieber. Nineteenth-Century Liberal, Baton Rouge,

1948.

Vgl. !esse S. Reeves, The Napoleonic Exiles in America. A Study in American Diplomatie History 1815-1819, Baltimore, 1905, vor allem S. 44ff., 63ff. Präsident Monroe weigerte sich, alleine aufgrund des Vorwurfs einer angeblich bestehenden Verschwörung gegen die Hüchtlinge vorzugehen.

li. Die politischen flücbtlinge der 1830er Jahren

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Die Flüchtlinge der 1820er Jahre kamen einzeln nach Amerika und fanden sich auch später nicht zu einer Gruppe zusammen. Dies ist schon alleine auf ihre geringe Zahl zurückzuführen. 49 Ihre Ankunft rief keine Reaktionen der Regierung der Vereinigten Staaten oder des Kongresses hervor, und sie zogen auch nicht die Aufmerksamkeit der amerikanischen Öffentlichkeit und der Presse auf sich.so Weder auf Amerika noch auf Deutschland bezogene politische Aktionen sind von ihnen als Flüchtlingsgruppe bekannt Selbst Kar! Folien führte, abgesehen von seiner späteren Tcitigkeit als Abolitionist, seinen politischen Aktionismus nicht fort. Er setzte sich allerdings über Lafayette für das Unterkommen anderer Flüchtlinge in Amerika ein.51 Auch scheint er zunächst noch die Hoffnung gehegt zu haben, im Sinne seiner Denkschrift wirken zu können. Er schrieb an Christian Sartorius, wenn nur mehrere gebildete Deutsche im amerikanischen Erziehungswesen angestellt seien, so könnten sie es in Verbindung mit gleichgesinnten Amerikanern nach ihren Vorstellungen lenken. Über den gewünschten Einfluß auf amerikaDisehe Bürger sagte Folien: Republikaner aus Interesse würden Republikaner aus Gruudsatz werden; sie würden ... die· Sache aller Republikaner in allen Ländern als die ihrige ansehen und unterstützen.52

Nach siebenjährigem Aufenthalt aber versicherte Kar! Folien, in Amerika, wo alleine das Gesetz herrsche, gäbe es keinen ruhigeren Untertan als ihn selbst. 53

II. Die politischen Flüchtlinge der 1830er Jahre 1. Deutschland nach der französischen Julirevolution Die Welle revolutionärer Unruhen, die durch die französische Julirevolution ausgelöst wurde, erfaßte in den Jahren 1830-32 ganz Europa. Im Vergleich zu den Vorgängen von 1817-21 war sie von größerer Intensität und stützte sich auf eine weitaus breitere soziale Basis. Das verbindende Element waren die Forderungen nach den bürgerlichen Freiheiten und nach Verfassungen bzw. nach

49 Einige Namen fmden sieb bei Ernest ßf1111Cken, German Political Refugees in tbe United States during tbe Period from 1815-1860, in: Deutsch-amerikanische Gescbicbtsbläner 3, l'Äl3, S. 45.

50 Dies nach einem Bericht des französischen Botschafters in Wasbington, der auf List, Folien und Beck aufmerksam gemacht wurde. Das französische Außenministerium teilte den Bericht dem Innenministerium am 7.9.1825 miL Der Botschafter vertrat die Meinung, bei den bekannten Neigungen dieser Personen und ihren ebenso bekannten Verbindungen zu geheime n Gesellschaften sei es zu begrüßen, daß sie sieb in den USA und nicht in Europa aufhielte:n: "Ce pays est leur asyle nature!." AN Paris, Fn/6688, Doss. 15.

22.

51

So FoUen in einem Brief an Sanorius vom 9.21825, abgedruckt in Haupt, Folien Briefe, S.

52 Ebd, S. 33.

53

Ebd, s. 43.

96

C. Politisches Asyl im Vonnärz

liberalisierenden Refonnen bestehender Einrichtungen. Wirtschaftliche Schwierigkeiten verstärkten das Klima der Unzufriedenheit Nach anfänglichen Erfolgen der liberalen Bewegung führten die Unruhen in den meisten europäischen Staaten letztendlich zu erneuter Repression. Auch in Frankreich kam es spätestens mit den Septembergesetzen von 1835 zu einem Kurswechsel. In Großbritannien und den kleineren europäischen Staaten wie Belgien und der Schweiz begann mit moderaten aber signifikanten Refonnen eine kontinuierliche Entwicklung zum modernen bürgerlichen Verfassungsstaat Endgültig zerstört wurde mit den Ereignissen von 1830-32 das restaurative Staatensystem des Wiener Kongresses. Den konservativen Ostmächten als Rest der Heiligen Allianz stand eine ideologisch konträre Front liberaler westlicher Staaten gegenüber. Darüber hinaus trat die Revolution wieder als reale Möglichkeit hervor, die nicht nur die Abwehrkraft der Reaktion, sondern auch die Tatkraft der Opposition mobilisierte. 54 In Deutschland blieben die Großmächte Österreich und Preußen von den Auswirkungen der französischen Julirevolution und des für die deutsche Opposition besonders wichtigen polnischen Aufstands weitgehend unberührt Während die Vorstöße der Liberalen im konstitutionellen Südwesten in den Kammern vorgetragen wurden, kam es in vielen der mittel- und norddeutschen Staaten zu gewaltsamem Protest. Dominierend in der liberalen Parlamentsopposition waren die Iegalistischen Kräfte, die nationale Ambitionen zurückstellten. 55 Das monarchische System wurde von den Liberalen nicht in Frage gestellt. Wie schon nach 1815 war die deutsche Opposition auch nach 1830 in ihrer überwiegenden Mehrheit ausgesprochen moderat. Die Anfangserfolge der Opposition waren nicht unbedeutend. In Bayern erzwang der Landtag den Rücktritt des Innenministers Schenk und die Aufhebung der restriktiven Preßverordnung. In Baden wurde ein Preßgesetz durchgesetzt, das die Zensur grundsätzlich aufhob. In Sachsen, Hannover und Kurhessen wurden nach gewaltsamen Unruhen neue Verfassungen gewährt.56 Die 54 Vgl. C/ive H. Church, Europe in 1830. Revolution and Political Change, London, 1983; Robert J. Goldstein, Political Repression in 19th Century Europe, l..ondon/Canberra/fotowa, NJ., 1983, s. 144ff. 55 Christoph Dahlrnann sagte in einer Rede über den Göttinger Aufstand: "Auflehnung gegen alles, was unter Menschen hochgehalten und würdig ist, Hintansetzung aller beschworenen Treue, das sind keine bewunderungswerten Taten.... Einen Liberalismus von unbedingtem Wert, das heißt: einerlei durch welche Minel er sich verwirklicht, kenne ich nichL" Zitiert nach Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. ll, Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830-1850, Stungart, 1960, 2. Auf!., S. 89. Der badische Politiker und Staatsdenker Karl von Rotteck erklärte: "Ich willlieber Freiheit ohne Einheit, als Einheit ohne FreiheiL" Zitiert nach ebd., Bd. I, Refonn und Restauration 1789 bis 1830, S. 376. 56 Die Bewegung von 1830 beschränkte sich nicht mehr auf die Intellektuellen, auch wenn die Beteiligung der unteren Schichten noch nicht die Quantität und Qualität von 1848/49 erreichte. Zur beruflichen Gliederung der an den gewaltsamen Protesten Beteiligten vgl. etwa Hans Gerhard

n. Die politischen Flüchtlinge der 1830er Jahren

97

Mäßigung der liberalen Führer, die bemüht waren, den legalen Weg nicht zu verlassen bzw. darüber hinausgehende Bewegungen wieder darauf zurückzuführen, zahlte sich aber nicht aus.57 Im Deutschen Bundestag hatte der partikularistische Liberalismus einen Gegner, dem er (vorhersehbarerweise) nicht gewachsen war. Er wandte sich nicht nur gegen die von den Landtagen und den Aufständischen den Fürsten abgerungenen Zugeständnisse, sondern war trotz des moderaten Charakters der Protestbewegung bemüht, das schon bestehende System der Repression weiter auszubauen. Schon im September 1830 trat der Bundestag zusammen, um in Reaktion auf die Unruhen in Nord- und Mitteldeutschland Abwehrmaßnahmen zu beraten. Das Ergebnis war der Bundesbeschluß vom 21.10.1830, der die militärische Intervention in vom Umsturz bedrohten Gliedstaaten vereinfachte.58 Verbote oppositioneller Zeitungen folgten. Österreich und Preußen sahen diese Maßnahmen nicht als ausreichend an und begannen im Winter 1831/32 geheime Sonderverhandlungen. Mettemich war bemüht, eine Gefahrdung seines seit den Karlsbader Beschlüssen so erfolgreich bestehenden Systems in Deutschland durch neue Landesverfassungen und die Aktivitäten der Stände, wie sie sich in dem badischen Preßgesetz (das nach dem Grundsatz Bundesrecht bricht Landesrecht wieder aufgehoben wurde) manifestierten, zu verhindern. Zu diesem Zweck schlug er keine Ergänzung des Bundesgrundgesetzes, sondern eine Interpretation des schon geltenden Rechts vor. Eine solche Verfassungsinterpretation bedurfte allerdings eines einstimmigen Beschlusses der Bundesversammlung, der im Winter 1831/32 kaum erreichbar schien. In dieser Situation fand das Harnbacher Fest statt, dessen sich die reaktionären Kräfte in ähnlicher Weise bedienten wie des Wartburgfests und des Sand'schen Attentats. Das Harnbacher Fest ist das politisch bedeutendste in einer Reihe von Volksfesten und Festessen, die organisiert wurden, um das Verbot politischer Versammlungen zu umgehen. Urheber und Träger war der von der Pfalz ausgehende deutsche Preß- und Vaterlandsverein, der zur Unterstützung oppositioneller Zeitungen und Redakteure gegründet wurde und durch Flugschriften, Volksfeste und Festessen in aufklärerischer Form zu wirken suchte. In seiner Husung, Protest und Repression im Vonnärz. Norddeutschland zwischen Restauration und Revolution, Göttingen, 1983, S. 215,219. 57 Zur Unterdrückung von Unterschichtenunruhen durch das Bürgertum vgl. Heinrich Vollcmann, Wirtschaftlicher Strukturwandel und sozialer Konflikt in der Frühindustrialisierung. Eine Fallstudie zmn Aachener Aufruhr von 1830, in: Peter Christian Ludz (Hrsg.), Soziologie und Sozialgeschichte. Aspekte und Probleme, Op1aden, 1973, 550-565. Vgl. auch tkrs., Protestträger und Protestfonneo in den Unruhen 1830-1832, in: ders./Jürgen Bergmann (Hrsg.), Sozialer Protest. Studien zu traditioneller Resistenz und kollektiver Gewalt in Deutschland vom Vonnärz bis zur Reichsgründung, Opladen, 1984, 56-75. 58 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 15lff. 7 Reiter

C. Politisches Asyl im Vormärz

98

entwickelten Organisationsfonn, seiner nur mit den Burschenschaften vergleichbaren geographischen Ausdehnung und seiner sozialen Reichweite bildet er den Höhepunkt des bürgerlichen Vereinswesens im deutschen Vormärz.59 Inhaltlich integrierte der Preßverein bis zu einem gewissen Grad den sozialen Protest kleinbürgerlicher Schichten in seine Argumentation, kanalisierte ihn in den Vereinsaktivitäten und lenkte ihn in kontrollierbare Bahnen, um ein Umschlagen in revolutionäre Aktionen zu verhindern.60 Einige Redner forderten auf dem Harnbacher Fest zwar die deutsche Republik, die sogenannten "Schießhausversammlung" der Führung zeigt aber deutlich, daß vom Preßverein keine Revolutionsgefahr ausging. In dieser Versammlung wurde gewaltsamen Unternehmungen eine klare Absage erteilt und ausdrücklich an der Strategie der langfristigen Agitation festgehalten. Dies bedeutete das Ende jeder koordinierten Aktion, soweit sie über die Presseunterstützung hinausging. 61 Trotz des ruhigen und prinzipiell gemäßigten Verlaufs des Harnbacher Festes wurden die Führer und Organisatoren auf Drängen des Bundes und vor allem Preußens und Österreichs verhaftet und vor Gericht gestellt Die auf dem Harnbacher Fest angeklungene Forderung nach der einen deutschen Republik bewog die einem gemäßigten Liberalismus zuneigenden Regierungen, den Sechs Artikeln vom 28.6.1832 zuzustimmen.62 Mit ihnen wurde das landständige Petitions-, Budget- und Gesetzgebungsrecht eingeschränkt und eine Kommission zur Überwachung der Parlamente eingerichtet Beschränkt wurde auch die Rede- und Berichtsfreiheit der Landstände. Der Bund behielt sich darüber hinaus das Recht zur Verfassungsauslegung alleine vor. Nur Tage später ging er mit den Zehn Artikeln gegen die außerparlamentari59 Als untere Grenze der Mitgliederzahl nimmt Cornelia Förster, Der Preß- und Vaterlandsverein von 1832/33. Sonalstruktur und Organisationsformen der bürgerlichen Bewegung in der Zeit des Harnbacher Festes, Trier, 1982, S. 150, ca. 5.000 an. Gut die Hälfte der feststellbaren Mitglieder (55,51% = 2.684) stammten aus der Pfalz, 37,99% (= 1.837) aus den übrigen bayerischen Landesteilen und anderen Staaten des Deutschen Bundes, konzentriert auf Südwestdeutschland mit Baden, Nassau und den beiden Hessen. Ebd., S. 15lff. Die meisten Mitglieder kamen aus den unteren Gesellschaftsschichten, 45.53 % waren Handwerker. Nach Cornelia Försters Schichteneinteilung, die nach der gestaffelten Beitragshöhe vorgenommen wurde, gehörten knapp über 70% der Mitglieder der unteren Miaelschicht und den kleinbürgerlichen Schichten an. Ebd., S. 156ff., 173. Sie waren aber unter den Funktionären des Vereins stark unterrepräsentiert Die Führungsrolle der bürgerlichen Liberalen war 1832 noch unumstritten. 60 Zum Verhalten der Preßvereinsmitglieder in den rheinpfälzischen Unruhen vgl. ebd., S. 126ff. 61

Ebd., S. 183.

62 Huber, Dokumente, S. 132ff. In dem allerdings eher halbherzig erfolgten Protest des englischen Außenministers Palmerston gegen die als Eingriff in die Souveränität der deutschen Einzelstaaten intelpretierten Sechs Artikel verdeutlicht sich die neu entstandene Spaltung Europas in konservative Ost- und liberale Westmächte. Vgl. etwa Charles Webster, The Foreign Policy of Palmerston 1830-1841. Britain, The Liberal Movernent and the Eastem Question, London. 1969, Bd. 1, S. 230ff.

II. Die politischen Flüchtlinge der 1830er Jahren

99

sehe Opposition vor.63 Ausländische Zeitschriften und Druckschriften durften nur mit vorheriger Genehmigung verbreitet werden. Alle politischen Vereine wurden verboten, ebenso außerordentliche Versammlungen und Volksfeste ohne Erlaubnis. Öffentliche Reden politischen Inhalts sowie das Vorschlagen gemeinsamer Adressen und Resolutionen waren auch bei erlaubten Festen nicht gestattet. Ebenso verboten wurde das Tragen von Abzeichen, Kokarden und Fahnen und die Errichtung von Freiheitsbäumen. Weiterhin vereinbarte der Bundestag die gegenseitige Unterrichtung über staatspolizeilich relevante Vorkommnisse und die Auslieferung politischer Straftäter. Mit diesen Maßnahmen war jede Möglichkeit legaler oppositioneller Tätigkeit innerhalb und außerhalb der Parlamente effektiv ausgeschaltet. Auch wenn der Preßverein zunächst noch weiterbestand, war eine über das Feld der finanziellen Unterstützung hinausgehende politische Wirkung unmöglich geworden. Wie nach den Karlsbader Beschlüssen wurde jede Opposition, so gemäßigt sie auch sein mochte, in die Illegalität gedrängt. Während die radikalen Kräfte bereit waren, ihre Tätigkeit im Untergrund fortzusetzen, beteiligten sich die Liberalen an solchen Aktionen nicht. Ihre Solidarität beschränkte sich auf Unterstützung der Verfolgten.64 Von der Pfalz verlagerte sich der Schwerpunkt der Bewegung nach Württemberg, Frankfurt und Oberhessen. Die radikale Agitation der Intellektuellen, wie etwa der von Büchner und Weidig verbreitete "Hessische Landbote", fand breite Resonanz. Hier deutet sich mit der sozialen Frage ein Spaltungspunkt der Opposition an, wie er bis dahin nur in unterschiedlichen Verfassungsvorstellungen und Differenzen in der politischen Taktik zutage trat. In den dreißiger Jahre kann innerhalb Deutschlands von einer echten Spaltung der Opposition aufgrund dieser Unterschiede aber noch nicht gesprochen werden. Zu weit verbreitet war die Überzeugung, alle (auch die sozialen) Mißstände und Probleme ließen sich auf das Fehlen einer liberalen Staatsverfassung zurückführen. In der Konspiration wurde der erste deutsche Revolutionsversuch, der Frankfurter Wachensturm vom April 1833, vorbereitet Diese von den Burschenschaften ausgehende Aktion (von den 50 namentlich bekannten Teilnehmern gehörten 40 den Burschenschaften an) wollte über den gewaltsamen Sturz der Bundesversammlung eine gesamtdeutsche Revolution entfachen. 65 63 Huber, ebd., S. 134ff.

64 Brandt, Restauration und Friihüberaüsmus, S. 75, spricht von einem "ungewollte(n) Erscheinungsbild institutioneller Rollenverteilung: hier Kammerliberalismus, dort demokratischer Untergrund." 65 An der Vorbereitung waren auch nicht-studentische Kreise maßgeblich beteiligL Auch in der Vorbereitung illegaler Aktionen behielten aber die bürgerlichen Demokraten die Führung fest in der Hand. Handwerker wurden erst nach Abschluß der Planung als Fußsoldaten der Revolution herangezogen. Vgl. Görisch/Mayer, S. 21. Eine direkte Beteiligung des Preßvereins an den Vorbereitungen des Wachensturms wird von Förster, S. 49ff., abgelehnt.

100

C. Politisches Asyl im Vormärz

Als Antwort auf den Wachenstunn richtete die Bundesversammlung im Juni 1833 die Bundeszentralkommission ein, nach der Mainzer Untersuchungskommission die zweite zentrale Einrichtung des Deutschen Bundes und wiederum eine polizeiliche.66 Auf Anregung Metternichs als Zentralbehörde zur Untersuchung des Frankfurter Wachenstunns eingerichtet, hatte sie nach dem konstitutiven Bundesbeschluß den Anschein einer koordinierenden obersten Justizbehörde. Darüber hinaus sollte sie aber wie die Mainzer Untersuchungskommission (auf deren Akten sie zurückgriff, und zu der auch teilweise personelle Kontinuität bestand) dem Austausch von Informationen über die revolutionären Umtriebe dienen und deren Ursprung und Verzweigung aufdecken. So wurde die Fmnkfurter Behörde über ihren eigentlichen Zweck hinaus zu einer politisch-polizeilichen Einrichtung, die mit dem Mittel der sogenannten "vertraulichen Notizen", die von dem Präsidium an die Länderbehörden weitergegeben wurden, etwa die lokale Unterdrückung oppositioneller Schriften auch ohne Bundesbeschluß auf ganz Deutschland ausdehnte. Man erweiterte den Geschäftsbereich auf die Untersuchung neuer Umtriebe wie der Flüchtlings- und Handwerkervereine in den europäischen Nachbarländern. Die Informationen wurden von Metternichs Agenten des Mainzer Informationsbüros geliefert, das damit eine bundesweite Wirkung erreichte. 67 2. Die politischen Flüchtlinge nach dem "Schwarzen Buch" der Bundeszentralkommission

Ebenso wie ihre Mainzer Vorgängerin, allerdings schon weitaus professioneller, sammelte die Bundeszentralkommission die Personaldaten der Verdächtigen. In dem 1838 vorgelegten sogenannten "Schwarzen Buch" sind 1.867 Personen aufgeführt, darunter 259 Flüchtige.68 Damit sind die Vormärzflüchtlinge sicher nur teilweise erfaßt In den gedruckten Listen der Bundeszentmikommission finden sich z.B. weitere Namen.69 Die folgenden Zahlen beziehen

66 Zur Bundeszentralkommission vgl. Siemann, "Deutschlands Ruhe, Sicherheit IDld Ordmmg", S. 93ff., und die dort angegebene Literatur. 67 Zwn Mainzer Informationsbüro vgl. Franie Thomas Jloefer. Pressepolitik IDld Polizeistaat Menemichs. Die Überwachung von Presse und politischer Öffentlichkeit in Deutschland und den Nachbarstaaten durch das Mainzer Informationsbüro (1833-1848), München/New York/ London/Paris, 1983. 68 In dem Exemplar im BA Frankfort, DB 8n, fmdet sich der in der Sekundärliteratur immer wieder genannte Nachtrag von 273 Namen nicht. Das "Schwarze Buch" wurde zwar 1842 auf den neuesten Stand gebracht, neue Namen wurden aber nicht aufgenonunen. 69 Die gedruckten Listen hat teilweise ausgewertet Alllje Ger/ach, Deutsche Literatur im Schweizer Exil. Die politische Propaganda der Vereine deutscher Rüchtlinge und Handwerksgesellen in der Schweiz von 1833-1845, Frankfun a.M., 1975, S. 32f.

101

II. Die politischen Flüchtlinge der 1830er Jahren

sich ausschließlich auf das "Schwarze Buch". Danach stammte über die Hälfte der politischen Flüchtlinge der 1830er Jahre aus den südwestdeutschen Staaten. Tabelle 1: Die Vormärzflüchtlinge nach dem "Schwarzen Buch" Staatsangehörigkeit Ghzt. Hessen Preußen

Pfalz

Frankfurt a.M. Bayern Baden mitteldeutsche Kleinstaaten Württemberg Kft. Hessen Hannover Braunschweig Sachsen Mecklenburg Nassau Holstein Polen Oldenburg Gesamt (ohne Angabe 4)

Anzahl

%

51 33 33 27 23 19 17 13 9 7 6 4 3 2 2 1

20.0 12.9 12.9 10.6 9.0 7.5 6.7 5.1 3.5 2.7 2.4 2.0 1.6 1.2 0.8 0.8 0.4

255

100

5

Tabelle 2: Berufsgruppen der VonnänJ'Iüchtlinge Berufsgruppen

Anzahl

%

Student freiber. Akademiker Handwerker70 kaufmännische Berufe Geselle Literat/]oumalist Soldat akademischer Beamter Frauen11 Offizier Landwirt Arbeiter

126 34 19 18 15 12 10 10 4 4 1

48.8 13.2 7.4 7.0 5.8 4.7 3.9 3.9 1.9 1.6 1.5 0.4

Gesamt (ohne Angabe 1)

258

100

5

10 D.h. alle Handwerksberufe, bei denen keine Einteilung in Geselle bzw. Meister vorgenommen wurde. 71

Als Berufe werden im "Schwarzen Buch" Ehefrau und Tochter angegeben.

C. Politisches Asyl im Vonnärz

102

In das "Schwarze Buch" scheinen vor allem die Führer und Teilnehmer der wichtigsten Aufstandsbewegungen aufgenommen worden zu sein. Darauf weist die Dominanz der Akademiker mit 65,9% hin (vgl. Tabelle 2). Für die einzelnen Staaten ist das Berufsbild allerdings recht unterschiedlich. Während in Hessen-Dannstadt und Preußen die Studenten mit 65.4% bzw. 58.5% klar dominieren, verteilen sich die pfalzischen Flüchtlinge weit stärker auf die einzelnen Berufsgruppen.72 Auch unter den Flüchtlingen aus Frankfurt und HessenKassel bilden die Studenten eine Minderheit Diese Zahlen könnten auf eine unterschiedliche soziale Struktur der Opposition in den einzelnen deutschen Ländern hinweisen, die Bedeutung einer möglicherweise unterschiedlichen Verfolgungspraxis darf aber nicht unterschätzt werden.

Einen Hinweis auf die Verfolgungspraxis in den einzelnen deutschen Ländern kann die Art des Verbrechens liefern, dessen die Flüchtlinge angeklagt wurden. Tabelle 3: Anklagepunkte nach dem "Schwarzen Buch" Anklage Burschenschaft direkte Aktion73 Hochverrat pol./rev. Umtriebe Presse/rev. Schriften Gefangenenbefreiung Tumult Inlandsvereine Auslandsvereine Gesamt

Anzahl

%

89 50 30 25 20 16 ll 9 9

34.4 19.3 11.6 9.7 7.7 6.2 4.2 3.5 3.5

259

100

Aufgegliedert nach einzelnen Ländern zeigen sich hier deutliche Unterschiede. 65.9% der preußischen Flüchtlinge wurden wegen Mitgliedschaft in einer Burschenschaft verfolgt, aber nur 34.6% der hessen-darmstädtischen, 13.9% der pfälzischen, 6.7% der Frankfurter, 29.2% aus den Kleinstaaten, 43.5% der Bayern und 36.8% der Badener.74 Hier sei nochmals an die Entscheidung des 72 Student: 29.4%; Handwericer: 17.6%; freiberufliche Akademiker: 14.7%; Geselle und Commis: je 8.8%; Kaufmann und akademischer Beamter: je 5.9%; Arbeiter, Iiterat und Ehefrau: je 2.9%. Da die absoluten Zahlen sehr niedrig sind, können dies selbstverständlich nur Hinweise sein. 73 Hierunter werden nicht nur Teilnalune an den Aufstandsversuchen. sondern auch Protest gegen die Reaktionsbeschlüsse des Bundestages u.ä. verstanden. 74 In Frankfurt wurden mehr Flüchtlinge wegen Teilnalune an direkten Aktionen (36.7 %), Mitarbeit in Vereinen (23.3 %) und Gefangenenbefreiung (13.3 %) verfolgt; ähnlich ist das Bild in den anderen Ländern, auch wenn Teilnahme an direkten Aktionen verständlicherweise weniger

n. Die politischen Flüchtlinge der 1830er Jahren

103

preußischen Kammergerichts erinnert, die Burschenschaften nicht nur als geheime, sondern auch als hochverräterische Verbindung einzustufen.75 Die Flüchtlinge der 1830er Jahre waren wie ihre Schicksalsgenossen nach den Karlsbader Beschlüssen zum großen Teil eher politisch Verfolgte als politische Straftäter. Trotz der teilweise gravierenden Anschuldigungen wurde gegen die meisten Flüchtlinge (108) nur ein Steckbrief erlassen, 49 wurden allerdings zu teilweise langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt, neun sogar zum Tode. Auch die vier Flüchtlinge, die bis 1842 nach Deutschland zurückgekehrt waren, wurden vor Gericht gestellt und zwei von ihnen verurteilt. Nach dem Berufsbild kann es nicht überraschen, daß die Vormärzflüchtlinge überwiegend den jüngeren Generationen angehörten. Knapp 75% standen in ihrem zweiten Lebensjahrzehnt Sie können aber keineswegs als Jugendliche beschrieben werden, vor allem stellt man die durchschnittliche Lebenserwartung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Rechnung. Tabelle 4: Alter der Vormärzflüchtlinge Alter bis20 21·25 26·30 31-35 36-40 41-45 56-50 über 50 Gesamt (ohne Angabe 44)

Anzahl

3 82 78 29 13 4 I

1.4 38.1 36.3 13.5 6.0 2.3 1.9 0.5

215

100

5

Die Zahlen des "Schwarzen Buchs" belegen eindeutig die überragende Bedeutung der europäischen Asylländer in den 1830er Jahre.76 Dreiviertel der deutschen Flüchtlinge fanden Zuflucht auf dem Alten Kontinent. stark vertreten ist. Nochmals sei betont, daß dies wegen der sehr niedrigen absoluten Zahlen nur Hinweise sein können. 15 Vgl. oben, S. 35f. 55 Flüchtlinge wurden eines zweiten Verbrechens beschuldigt, davon 30.9% Preßvergehen, 21.8% Teilnalune an einer direkten Aktion, 9.1% Mitgliedschaft in der Burschenschaft. Zahlenmäßig relevant ist hier nur die Verbindung Burschenschaft - direkte Aktion (Frankfurter Wachensturm I) und politische Umtriebe- Presse/rev. Schriften. 16 Friedrich Wilhelm Weilershaus, Verfolgte, Verurteilte und Verdächtige der Vormärzzeit in Oberbessen. Studenten, Bürger und Bauern gegen Reaktion und Restauration, in: Mitteilungen des Oberbessischen Geschichtsvereins NF 62, 1977, 171-220, kommt zu leicht verschobenen Ergebnissen. Von 336 Personen hielten sich auf: in Deutschland 251, in Amerika 33, in der Schweiz 21, in Frankreich 12, in England 5. Weitershaus berucksichtigt allerdings auch Auswanderung nach 1842.

C. Politisches Asyl im Vormärz

104

Tabelle 5: Asylländer der Vormärzflüchtlinge Asylland Frankreich Schweiz USA77 England Belgien Algier, Dänemarle Ostindien, Trinidad, Helgoland, Holland, Mexiko, Polen, Athen Gesamt (ohne Angabe/unbekannt 55)

Anzahl

%

68 68

8 3 je 2

33.3 33.3 22.5 3.9 1.5 je 1.0

je 1

je0.5

204

100

46

Auf die Wahl des Asyllandes könnte die soziale Stellung der einzelnen Flüchtlinge einen gewissen Einfluß ausgeübt haben. Während 47.6% der Flüchtlinge in Frankreich und sogar 62% in der Schweiz Studenten waren, waren es in den Vereinigten Staaten nur 38.6%. Handwerker hingegen waren in den USA stärker vertreten als in Europa. 78

3. Die politischen Flüchtlinge in Europa a) Asyl in der Schweiz: Der Einfluß der Außen- auf die Flüchtlingspolitik In der Schweiz hatte die liberale Bewegung auf kantonaler Ebene dauerhaften Erfolg: Elf Kantone, darunter alle drei Vororte, gaben sich neue Verfassungen auf dem Prinzip der Volkssouveränität. Die Konservativen wurden aus den Regierungen gedrängt. In der Revision des vom Wiener Kongreß stammenden Bundesvertrages, die die Liberalen ebenfalls in Angriff nahmen, leisteten allerdings die konservativen Kantone erbitterten Widerstand. Sie konnten sich darin der Unterstützung der Ostmächte sicher sein, die der Schweiz im Falle einer radikalen Neuordnung mit dem Verlust der Neutralität drohten. Die teilweise blutigen Auseinandersetzungen um eine neue Verfassung in Basel, Schwyz und Neuenburg waren dem Kampf um eine stärkere auf liberalen Grundsätzen beruhende Bundesmacht ebenfalls abträglich. Kantonale Sonderinteressen taten ein übriges. Ein im Juli 1833 vorgelegter Verfassungsentwurf wurde abgelehnt. 77 Acht dieser Flüchtlinge wurden in die Vereinigten Staaten verbannt, so daß nur 38 die USA als Asylland "wählten". Nur süddeutsche Staaten (Baden, Wüntemberg, Hessen-Darmstadt und Frankfun) griffen nach den Informationen des "Schwarzen Buchs" zu diesem Mittel. 78 14% Gesellen und 10.5% Handwerleer gegenüber 3.6% Gesellen und 8.3% Handwerleer in Frankreich sowie 3.8% Gesellen und 2.5% Handwerleer in der Schweiz.

II. Die politischen Flüchtlinge der 1830er Jahren

105

Damit blieb die Asylpolitik weiter den einzelnen Kantonen vorbehalten. Das sonderbündische Auseinanderrücken auf gesamtstaatlicher Ebene erschwerte die effektive Verteidigung einer liberalen Asylpolitik.79 Schon im Jahr 1830/31 hatte sich die Eidgenossenschaft mit Aktionen italienischer Flüchtlinge gegen Piemont auseinanderzusetzen. Krisenhaft spitzte sich die Situation nach 1833/34 zu. Im Frühling 1833 überschritten 380 teilweise bewaffnete polnische Flüchtlinge aus Frankreich kommend die Schweizer Grenze. Es wird angenommen, daß sie als Kern einer Revolutionsarmee zur Unterstützung des Frankfurter Wachensturms eigentlich auf dem Weg nach Deutschland waren und nach der Nachricht vom Scheitern des Aufstands in die Schweiz zogen. Ausweisungsforderungen des Vororts, der sich weigerte, für die Kosten dieser Flüchtlinge aufzukommen, lehnte der Kanton Bern zunächst ab. Der Vorort bemühte sich, in Verhandlungen mit Frankreich, dem Deutschen Bund und Holland einen Ausweg zu fmden.SO Schließlich erklärte sich Frankreich bereit, allen Polen, die eine Bittschrift an den König unterzeichneten, den Durchzug zu gestatten. Die meisten Polen weigerten sich aber entschieden, diesen Weg zu beschreiten. Zu Gewaltmaßnahmen wiederum konnte sich die Schweiz nicht verstehen, so daß die Sache zunächst ruhte. Erst ihre Teilnahme am sogenannten Savoyerzug wurde den Polen zum Verhängnis. Der bewaffnete (wenn auch kläglich gescheiterte) Einfall in ein Nachbarland von Schweizer Boden aus konnte von den Kantonen nicht toleriert werden.SI Im Mai 1834 wurden die Teilnehmer abgeschoben. Diese Abschiebungen wurden ebenso wie spätere mit Hilfe der französischen Regierung durchgeführt, die den Transport der Ausgewiesenen nach England übernahm. 82 Die Afnire der polnischen Flüchtlinge zeigt das Dilemma, in dem sich die Schweiz als Binnenland und Staatenbund befandß3 Waren Flüchtlinge erst einmal in das Land gelangt, so waren sie (gingen sie nicht freiwillig) nur mit Gewaltmitteln wieder zu entfernen. Selbst dies bereitete größte Schwierigkeiten, da die Nachbarländer oft sogar die Durchreise von Flüchtlingen verweigerten. Diese Zwangslage wurde der Schweiz von den gegen die Anwesenheit 79 Vgl.lmHof, Bd. 2, S. 918ff.; Frei, S. 41ff. 80 Heinrich Schmidt, Die deutschen Flüchtlinge in der Schweiz und die erste deutsche Arbeiterbewegung 1833-1836, Zürich, 1899, S. 32ff. Der Deutsche Bund wollte die Polen direkt nach Amerika schicken. 81 Ebd., S. 36ff. Im Frühjahr 1834 versuchte Mazzini, Savoyen durch einen bewaffneten Einfall aus der Schweiz und Frankreich zu revolutionieren. Neben Polen und Italienern waren auch ca. 20 Deutsche beteiligt. Der Plan scheint schon vor seiner Ausführung in weiten Kreisen bekannt geworden zu sein. 82 Vgl. Jacqlll!s Grandjonc, La France et !es emigres allemands expulses de Suisse (18341836), in: Cahiers d'Histoire 13, 1968,401-422. Im Jahr 1834 wurden zwischen ISOund 200 Polen, ca. ein dutzend Italiener und acht Deutsche nach England transportiert. Ebd., S. 411. 83 Vgl. oben, S. 32f.

106

C. Politisches Asyl im Vormärz

der Unruhestifter protestierenden Nachbarstaaten keineswegs zugute gehalten. Hinzu kam die prekäre Lage der 1830 an die Macht gelangten liberalen Schweizer Regierungen, vor allem der Vorortsleitung. Bemüht ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und gute Beziehungen zum benachbarten Ausland zu pflegen, sahen sie sich im Ionern einer mit den Flüchtlingen teilweise sympathisierenden Bevölkerung gegenüber. Einzelne Kantone ignorierten die Weisungen des Vororts. 84 Die schweizerische Flüchtlingspolitik der 1830er Jahre macht allerdings deutlich, daß man allgemein von einem engen Asylverständnis ausging. Nicht nur bewaffnete, sondern auch publizistische Angriffe gegen die Regierungen Europas wurden nicht toleriert. Damit sah sich das von deutschen Flüchtlingen unter dem Einfluß Giuseppe Mazzinis gegründete "Junge Deutschland" unmittelbar nach seiner Konstituierung im April 1834 konfrontiert. Es hatte zwei Flugblätter ("An die Unterdrückten Teutschlands" und "An die Teutschen Soldaten") im geheimen drucken lassen. Durch Verrat entdeckt wurden die Verfasser und Unterzeichner der Flugblätter am 18.6.1834 ausgewiesen. Das Berner Diplomatische Departement bewilligte dem Informanten am 1.7.1834 ein "Geschenk" von 50 Schweizerfranken. 85 Als Teil des "Jungen Europa" war das "Junge Deutschland" ursprünglich ganz als geheime Flüchtlingsorganisation konzipiert Erst mit dem Eintritt von Ernst Diefenbach und Ernst Schüler im Herbst 1834 erhielt der Verein eine neue Richtung. Beide hatten schon 1833/34 Handwerkervereine in Biel und Zürich gegründet und forderten, die politische Werbetätigkeit auf die in der Schweiz anwesenden deutschen Handwerksgesellen auszudehnen. Den geheimen jungdeutseben Verbindungen wurden öffentliche Handwerkervereine angegliedert. "Der deutsche patriotische Handwerker" erklärte Ernst Schüler, "ist eine Propaganda zu Fuß, das Felleisen auf dem Rücken, ein paar Batzen in der Hand, wandernd von Berlin nach Konstanz, von Wien nach Hamburg."86 Zum ersten Mal wurde von deutschen Flüchtlingen in ihrem Asylland zu revolutionären Zwecken eine größere Organisation aufgebaut. Die jungdeutseben Gründer der deutschen Handwerkervereine in der Schweiz sahen ebenso wie die Führer des Preßvereins und des Frankfurter Wachensturms die Gesellen nur in

84 Im Hof, Bd. 2, S. 933ff. 85 Schmidl, S. 55f. Die Ausgewiesenen wurden auf französische Kosten nach England transponiert. Vgl. Amn. 82. Zum "JIDigen Deutschland" und den deutschen Arbeitervereinen im europäischen Ausland vgl. Wolfgang Schieder, Anfänge der deutschen Arbeiterbewegung. Die Auslandsvereine im Jahrzehnt nach der Julirevolution von 1830, Stuttgart, 1963; Ernst Schräp/er, Handwerkerbünde IDid Arbeitervereine 1830-1853. Die politische Tätigkeit deutscher Sozialisten von Wilhelm Weitling bis KariMarx, Berlin/New York,l972. 86 Zitiert nach Schieder, S. 29, Amn. 2.

n. Die politischen Flüchtlinge der 1830er Jahren

107

der Rolle des Fußvolks.87 Das "Junge Deutschland" brachte die deutsche Arbeiterbewegung in der Schweiz allerdings nicht völlig unter seine Kontrolle. Lokale Sonderbewegungen bestanden weiter, und vor allem nach den ersten Verfolgungen kamen unter den Gesellen Ressentiments gegen die Flüchtlinge auf, da sie sich für deren Zwecke ausgenützt fühlten. 88 Anfang 1836 sollen ca. 260 Flüchtlinge und Gesellen im "Jungen Deutschland" und insgesamt ca. 500 in den öffentlichen Vereinen organisiert gewesen sein. 89 Das Zusammentreffen mit einer deutschen Kolonie (für die 1830er und 40er Jahre wird von ca. 10.000 deutschen Handwerksgesellen in der Schweiz ausgegangen)90 in einer zumindest anfangs freien Atmosphäre scheint für die ideologische Entwicklung der Flüchtlinge ebenso wichtig gewesen zu sein wie die Erfahrung des Exils. Die soziale Lage der Gesellen und ihre schlechten beruflichen Aussichten in der Heimat machten sie empfänglich für neue, radikale Ideen. Die Flüchtlinge selbst, wenn auch unter dem Einfluß Giuseppe Mazzinis politisch im Exil zunehmend radikalisiert, waren anfangs durchaus liberal in ihren sozialen und ökonomischen Ansichten. Bis zur "Flüchtlingshatz" von 1836 wurden nun in den Handwerkervereinen zunehmend sozialkritische Ideen aufgenommen.91 Ihren vorwiegend politischen Charakter verlor die deutsche Arbeiterbewegung in der Schweiz zwar nur sehr allmählich, am vorläufigen Ende ihrer ideologischen Entwicklung stand jedoch neben der Forderung nach Verfassungen das Drängen auf grundlegende gesellschaftliche Veränderungen. Im europäischen Exil kam es zu einer erheblichen Radikalisierung der Flüchtlinge. Diese Radikalisierung läßt nach den politische Aktionen der Flüchtlinge und den Reaktionen des Asyllands fragen. Die Statuten des "Jungen Deutschland", vor allem die Militärisches betreffenden Paragraphen, zeigen in der Selbstverständlichkeit, mit der von Bewaffnung u.ä. gesprochen wird, daß wohl gewisse revolutionäre Pläne in Flüchtlingskreisen gepflegt wurden. Konkretes ist aber nie an die Öffentlichkeit gedrungen, und praktische Auswirkungen hatten diese Pläne nicht Ebenso zeigen die Kampflieder, die unter den Handwerkern populär waren, deren Revolutionsbereitschaft Ein klares Konzept ist aber nicht sichtbar. In diesem spezifischen Sinn war das "Junge Deutschland" nicht revolutionär.92 87 In einem Brief Scribas an Rauschenplatt vom 19.1.1835 heißt es: "Die Handwerkervereine haben ... nur eine lokale Stellung und Bedeutung. Sie sind nur Mittel, um in Deutschland unsere Grundsätze und Vetbindung zu verbreiten." Zitiert nach Schräpler, S. 35. 88 Schieder, S. 128. 89 Ebd., S. 120f.

90

Ebd., S. 97. 1850 lebten insgesamt 28.316 Deutschein der Schweiz. Urner, S. 136.

91 Schieder, S. 203ff.

92

Ebd., S. 165.

108

C. Politisches Asyl im Vormärz

Dem Deutschen Bund und der Bundeszentralkommission entging die Organisationstätigkeit der deutschen Flüchtlinge nicht. Ein Ereignis, das für sich genommen solche Reaktionen nicht erwarten ließ, gab den Anlaß für eine Eskalation des Drucks der konservativen Mächte auf die Schweiz. Im Juli 1834 organisierten deutsche Flüchtlinge im Steinhölzli, einem Ausflugslokal in der Nähe Bems, eine Erinnerungsfeier an das Harnbacher Fest. Der Verlauf des Festes, bei dem ca. 150 Personen, meist Handwedcergesellen, anwesend waren, war allen Berichten nach ruhig und geordnet. Trotzdem sah sich die Bemer Regierung mit einer wahren Flut von Protesten konfrontiert, in deren Folge sich die Praxis der Schweizer Asylpolitik erweisen mußte. Einzelne Kantone ergriffen schon vor Beginn der Proteste der Mächte erste Maßnahmen gegen die Arbeitervereine und die Flüchtlinge. Zürich wies die "Rädelsführer" des dortigen Arbeitervereins ohne Anhörung der Flüchtlinge aus. Ähnliches ereignete sich in St. Gallen.93 Der von den Protesten direkt betroffene Kanton Bem wehrte allerdings die Angriffe (vor allem Österreichs) zunächst ab. Seinen guten Willen habe er mit der Ausweisung der Verfasser der Flugblätter des "Jungen Deutschland" bewiesen. Er sei nicht bereit, bloße Meinungsäußerungen oder Schritte, die weder die eigenen Landesgesetze verletzten, noch die Ruhe auswärtiger Staaten gefährdeten, zu unterdrücken.94 Die deutschen Regierungen wiesen daraufhin die deutschen Handwerksgesellen an, den Kanton Bem zu verlassen. Eine Änderung der Haltung Bems, das inzwischen Vorort geworden war, wurde durch den Kurswechsel der französischen Regierung in der Flüchtlingsangelegenheit bewirkt, der den dortigen innenpolitischen konservativen Trend widerspiegelte.95 Bekannte Teilnehmer am Steinhölzlifest und Führer des Arbeitervereins wurden ausgewiesen. In Abstimmungen des Bemer Rates über die Flüchtlingspolitik und die gegenüber den Protestnoten der Mächte einzunehmende Haltung unterlagen die Radikalen. Im Juni 1835 richtete der Vorort Bem ein Kreisschreiben an die Kantone mit der dringenden Aufforderung, alle Flüchtlinge auszuweisen, die auf irgendeine Weise die Verhältnisse der Schweiz zum Ausland gestört hätten bzw. noch stören könnten, oder die sich in die inneren Verhältnisse des Landes einmischten. Schon im Februar hatte Zürich beschlossen, alle Fremden, die politischen Vereinen beiträten, unverzüglich wegzuweisen.96 Im August 1836 kam es schließlich zu einem Tagsatzungskonklusum, nach dem Flüchtlinge, die das Asyl erwiesenermaßen mißbraucht hatten, aus dem Gebiet der ganzen Schweiz, also nicht nur des 93 Ebd., S. 36f. 94 Sc~. S. 79. 95 Vgl. Grandjonc, La France et les emigres allemands, S. 405ff. 96 Sc~. S. 113, 131.

li. Die politischen Flüchtlinge der 1830er Jahren

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asylgebenden Kantons, ausgewiesen werden sollten.97 Polizeiliche Untersuchungen wurden eingeleitet, die zwar keinerlei Beweise für eine subversive Tätigkeit der Flüchtlinge erbringen konnten, dennoch aber zu summarischen Ausweisungen führten, von denen auch politisch nicht aktive Flüchtlinge betroffen wurden.98 Mit dem wachsenden Druck von außen hatte sich die Haltung der regierenden Kreise Bems gegenüber den Flüchtlingen geändert. Man warf ihnen vor, sich in die inneren Angelegenheiten der Schweiz einzumischen.99 In dem offiziellen Bericht des Bemer Regierungsstatthalters Roschi über die Umtriebe der Flüchtlinge heißt es, die zuvorkommende Aufnahme, die angebliche und wirkliche Flüchtlinge gefunden hätten, habe sich auf die innere Entwicklung der Eidgenossenschaft nachteilig ausgewirkt, da ein großer Teil dieser "exotischen Pflanzen" nicht in das schweizerische Klima paßten. Sie begnügten sich nicht mit dem bescheidenen Genuß des Asyls, sondern verhielten sich: ... als ob sie eigentlich berufen seien, um in der ruhigen und freien Schweiz die Rolle politischer Reformatoren zu spielen, und die Schweizer über die wahren Begriffe von Freiheit, Völkerrecht und Staatshaushalt zu belehren.! 00

Sie richteten sich dabei vor allem an das Ausland, ohne Rücksicht auf die Schwierigkeiten, die das der Schweiz bereite. In diesem in seiner Tendenz fremdenfeindlichen Bericht wird eindeutig vom "stillen" Asyl als Norm ausgegangen. 97 Ebd., S. 131. Dieses Konklusum ging eindeutig auf französischen Druck mrück. Nach einem neuen Attentatsversuch auf Louis Philippe hatte man der Schweiz mit einer hermetischen Blockade gedroht. Vgl. Jean Charles Biaudet, La Suisse et Ia monarchie de Juillet 1830-1838, Lausanne, 1941, S. 332ff. Die Maßnahme hatte unbestreitbaren Erfolg. Der französische Gesandte mußte im März 1837 mgeben, daß sich in der Schweiz keine politischen Flüchtlinge mehr aufhielten. Ebd., S. 428. Im April 1838 wurde das Konklusum aufgehoben. Wie schon nach dem Konlusum von 1823 kam es auch 1836 aufgrundder Proteste der MächtemEingriffen in die Pressefreiheit Im Hof, S. 907f. 98 Schmidl, S. 137ff. Erst Anfang der 1840er Jahre erreichte die Schweiz mit dem wachsenden Einfluß Wilhelm Weitlings wieder eine größerer Bedeutung für die Flüchtlinge und die Arbeiterbewegung. Von besonderer Wichtigkeit ist sie über den gesamten Zeitraum hinweg als Zentrum der deutschen Exilpresse und -Iiteratur. Als ein Beispiel sei hier nur auf Julius Fröbels "literarisches Kornptoir" in Zürich verwiesen. Vgl. etwa KIITI Kosrylc, Deutsche Presse im 19. Jahrhundert. Geschichte der deutschen Presse Teil li, Berlin, 1966, S. 80ff.; Gerklch, Deutsche üteratur im Schweizer Exil. Für Frankreich vgl. Jacques Grandjonc, La presse de l'emigration allemands en France (1795-1848) et en Europe (1830-1848), in: Archiv für Sozialgeschichte 12, 1972, 487-531. 99 Schmidl, S. 88f. In diesen Zusammenhang fallen auch Kontroversen über die Neutralitätsfrage. Einige Flüchtlinge vertraten die Auffassung, im Falle von Revolutionen müsse die Schweiz den Aufständischen m Hilfe kommen. Ebd., S. 116. Auch Schweizer Radikale sprachen sich kritisch mr Neutralität aus. Vgl. Edgar BonjoUT, Geschichte der Schweizerische Neutralität. Vier Jahrhunderte eidgenössischer Außenpolitik, Bd. 1, Basel, 1975 (6. Aufl.), S. 251ff. 100 (Ja/cob Emanuel Rosch1), Bericht an den Regierungsrath der Republik Bem, betreffend die politischen Umtriebe, ab Seite politischer Flüchtlinge und andrer Fremden, in der Schweiz; mit besondrer Rücksicht auf den Canton Bem, Bem, 1836, S. 6.

C. Politisches Asyl im Vonnärz

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Der Spielraum für politische Flüchtlinge in der Schweiz in den 1830er Jahren war denkbar gering. Den Verpflichtungen des Völkerrechts gemäß ging die Schweiz gegen militärische Aktionen wie den Savoyerzug vor. Darüber hinaus versuchte sie auch, agressive Propaganda wie diejenige des "Jungen Deutschland" zu unterbinden. Dem Druck der Großmächte nicht gewachsen, wandte sie sich letztendlich gegen jegliche Organisationstätigkeit der Flüchtlinge. Das Bemer Kreisschreiben vom Juni 1835 forderte auch vorbeugende Ausweisungen, d.h. fremdenpolizeiliches Vorgehen gegen Flüchtlinge, die noch nicht gegen Asylbedingungen verstoßen hatten. Seine Geschichte macht deutlich, wie stark diese Entwicklung durch äußeren Druck bestimmt wurde. Faßt man sämtliche Einschränkungen zusammen, die den Flüchtlingen auferlegt waren, so konnte nur ein ruhiges, unpolitisches und unorganisiertes Leben das politische Asyl garantieren, vorausgesetzt der äußere Druck auf die Schweiz wurde nicht vollends übermächtig. Eine Fortsetzung der politischen Tätigkeit jedenfalls war nur in der Konspiration möglich. Darüber waren sich die Flüchtlinge, wie ihre Organisation in Geheimbünden zeigt, von Beginn an im klaren. Die Listen der 1836 von der Schweiz Ausgewiesenen bilden eine zweite Möglichkeit, die Gruppe der Flüchtlinge sozial und ihrer geographischen Herkunft nach zu beschreiben. Der Bericht des mit der polizeilichen Untersuchung beauftragten Bemer Regierungsstatthalters Roschi bezeichnet 136 Fremde als "mehr oder weniger verdächtig", von denen 43 sofort ausgewiesen wurden, die übrigen kurze Zeit später.lOl Das umfangreichere "Verzeichnis der aus der Schweiz fortgeschafften politischen Flüchtlinge, und solcher, die im Ausland arretiert worden sind, so wie der in mehreren polizeilichen Untersuchungen über die politischen Umtriebe in der Schweiz mehr oder weniger impliziert erscheinenden Fremden" umfaßt 156 Personen.102 Tabelle 6: Staatsangehörigkelt der Flüchtlinge in der Schweiz Bayern Ghzt. Hessen Preussen Baden Württemberg Ku messen Frankfurt Hannover Schleswig

25 12 11 11 9 9

7 7 3

Holstein Nassau Sachsen Braunschweig Sachsen Altenburg Sachsen Meiningen Sachsen Weimar Bremen Harnburg

3 3 3 2 1 1 1 1 1

Hinzu kommen 8 Polen und 12 Italiener. Von den Bayern sind lO als Rheinbayern gekennzeichnet.

101 Die Liste fmdet sich ebd., S. 92ff. Zur geographischen und sozialen Herkunft der Ausgewiesenen vgl. SchnUdt, S. 139.

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Il. Die politischen Flüchtlinge der 1830er Jahren

Tabelle 7: Berufsgruppen der Flüchtlinge ln der Schweiz Handwerleer Studenten Akademiker Militär Arbeiter Literaten Kaufleute Finanzmann 103 Judel04

77 13

9 6 4 3 2 2 1

Wie die Tabellen 6 und 7 zeigen, weichen die Schweizer Aüchtlingsdaten erheblich von den im "Schwarzen Buch" mitgeteilten ab. Sie machen deutlich, daß die 1836 ausgewiesenen "Aüchtlinge und Fremden" Repräsentanten einer Bewegung waren, die im Zusammentreffen der Aüchtlinge mit den radikalen Elementen der deutschen Kolonie in der Schweiz entstand. Es muß davon ausgegangen werden, daß ein Teil der hier Aufgeführten die Schweiz als einfacher Handwerksbursche betreten hatte, um sie als politischer Aüchtling zu verlassen. b) Asyl in Frankreich: Der Einfluß der Innen- auf die Aüchtlingspolitilc Frankreich war in der Vormärzzeit das wichtigste Asylland Europas. Unter den von Frankreich aufgenommenen Aüchtlingen waren die Deutschen eine Minderheit. Zahlenmäßig weit stärker vertreten waren Italiener, Spanier und vor allem Polen. Anfang der 1830er Jahre sollen sich 10.000 Aüchtlinge in Frankreich aufgehalten haben, darunter 6.000 Polen. lOS Die Tendenz war steigend. Obwohl die Anwesenheit so vieler Aüchtlinge der französischen Regierung nicht angenehm war, mußte sie sie aus Rücksicht auf die öffentliche Meinung aufnehmen und ihnen auch finanzielle Unterstützung gewähren. Im Laufe der 1830er Jahre verschärfte sich aber die Haltung der Regierung. Die Unterstützungsgelder, die 1832 ihren Höhepunkt erreicht hatten, gingen seit 1835 bei steigenden Aüchtlingszahlen erheblich zurück. Deutsche Aüchtlinge wurden

102 Die folgenden Zahlen nach der von der Schweiz an Belgien rr.ttgeteilten Liste. AG Brüssel, Administration de la Siireu: publique, Police des Etrangers, 33/248. 103 In der Liste heißt es "Patricien en fmance". 104 Soebd. 105 Schieder, S. llOff.

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C. Politisches Asyl im Vormärz

auffallend wenig unterstützt 1834 waren es drei Deutsche, 1837 (neben 580 Spaniern, 624 Italienern und 5.151 Polen) zwei und ein Jahr später vierzehn.106 Frankreich ging mit der Aufnahme tausender politischer Flüchtlinge über die Anerkennung des politischen Asyls, d.h. des Prinzips der Nichtauslieferung politischer Straftäter, hinaus. Schon wenige Monate nachdem die Regierung dieses Prinzip anerkannt hatte, verabschiedete die Nationalversammlung allerdings ein spezielles Flüchtlingsgesetz, das als erstes seiner Art restriktive interne Maßnahmen neben der Ausweisung einführte. Dieses Gesetz wurde bis zur Revolution von 1848 immer wieder verlängert. Auf seiner Grundlage konnten Flüchtlinge an bestimmten Orten interniert werden. Weiterhin sah es vor, diejenigen Flüchtlinge auszuweisen, die sich nicht an ihren Bestimmungsort begaben, oder deren Anwesenheit geeignet war, die öffentliche Ruhe zu stören. Wer der Ausweisung keine Folge leistete bzw. nach Frankreich zurückkehrte, konnte mit Gefangnis von 1-6 Monaten bestraft werden.107 Die Bestimmungen galten theoretisch nur für diejenigen Flüchtlinge, die von der französischen Regierung finanziell unterstützt wurden, auch die Nichtunterstützten wurden aber bei ihrer Ankunft aus den grenznahen Departements verwiesen.l08 Ebenso "flüchtlingsfrei" waren die größeren Städte im Ionern des Landes, so etwa Lyon, wo 1834 ein Arbeiteraufstand unter Beteiligung von Flüchtlingen ausgebrochen war. 109 Dies verdeutlicht, daß vor allem die innenpolitische Situation in Frankreich zu restriktiven Maßnahmen gegen Exilanten führte. Zwar betonte der Ministerpräsident 1838 den Zusammenhang des Flüchtlingsgesetzes mit der Außenpolitik, energisch vorgegangen wurde aber gegen Flüchtlinge, die gemeinsam mit der französischen Opposition gegen das Regime der Julimonarchie konspirierten. liD In Frankreich existierte ebenso wie in der Schweiz eine bedeutende deutsche Kolonie. Sie bestand vor allem aus Handwerksgesellen und war in Paris kon106 Ebd., S. 112. Zur fmanziellen Unterstüt:rung der polnischen Flüchtlinge vgl. Hans HeMing Die Organisationen der polnischen "Großen Emigration" 1831-1847, in: Theodor Schieder/Otto Dann, Nationale Bewegung und soziale Organisation, Bd. I, Vergleichende Studien mrnationalen Vereinsbewegung des l9. Jahrhunderts in Europa, München/Wien, 1978, S. 134ff. 107 Grahi-Madsen, European Tradition of Asylwn, S. 280; Wiltberger, S. 66f. 108 Willberg er, S. 68. 109 Schieder, S. 111. 110 Wiltberger, S. 67, Anm. 4; S. 73, Anm. 1. Die anfängliche Begünstigung deutscher Flüchtlinge aus außenpolitischen Gründen, d.h. als Gegenwirkung gegen den konservativen Osten, blieb Episode. Ebd., S. 70ff. Schon in einem dem Bundestag am 17.4.1834 vorgelegten Gutachten heißt es, es bestehe kein Anlaß, Frankreich in der Flüchtlingssache Vorhaltungen m machen. BA Frankfurt, Bund 120,28. Bundestagssitzung, Par. 364, S. 731. Auch das Vorgehen gegen polnische Flüchtlinge war weitgehend innenpolitisch begründet. Vgl. KeMeth P. Lewa/ski, Lelewel's Third Exile: Alternatives for Relocation, in: Polish Review 23, 1978, 31-39, S. 33; Hahn, Organisationen der "Großen Emigration", S. 144ff. Hahn,

II. Die politischen Flüchtlinge der 1830er Jahren

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zentriert, wo in den 1830er Jahren ca. 20.000 Deutsche gelebt haben sollen.111 Der Anfang des dortigen politischen deutschen Vereinswesens ist nicht auf Flüchtlinge zurückzuführen. Schon 1832 wurde ein "Deutscher Volksverein" als Filiale des pflUzischen Preßvereins gegründet. Nach der Unterdrückung der Presse in Deutschland wurden als Ziele u.a. die Unterstützung von Flüchtlingen und die Verbreitung von Flugschriften herausgestellt. Neben den zunächst führenden Kaufleuten und Intellektuellen zählte der Verein von Anfang an Handwerker zu seinen Mitgliedern, die schon Ende 1833 auch in der Führung dominierten.112 Das neue französische Vereinsgesetz vom März 1834, das alle Vereinsgründungen von einer behördlichen Genehmigung abhängig machte, zwang auch die Vereine der Ausländer in die Illegalität. Der "Deutsche Volksverein" wurde in den geheimen "Bund der Geächteten" umgewandelt, von dem sich später die Mehrheit der Mitglieder trennte und den "Bund der Gerechten" gründete.113 Die Mitgliederzahlen der deutschen Vereine in Frankreich waren vergleichsweise geringer als in der Schweiz. Für den "Bund der Geächteten" werden in Paris 100, in Deutschland 20 Mitglieder angegeben)14 Die dominierende Stellung der Handwerker innerhalb des Bundes ist eindeutig. Durch die Bundeszentralkommission wurden insgesamt 230 Mitglieder erfaßt, von denen 176 Handwerker und 34 Bauern, Angestellte und Gastwirte waren, aber nur 14 der Intelligenz angehörten.115 Stärker als in der Schweiz nahmen die deutschen Flüchtlings- und Handwerkerorganisationen in Frankreich sozialistische Gedanken auf.116 Am Wechsel des Tonfalls der ersten innerhalb weniger Monate vom "Deutschen Volksverein" verfaßten Flugschriften läßt sich diese Entwicklung dokumentieren. Während im August 1833 noch mit einem Rückgriff auf die Freiheitskriege die liberalen Verfassungsforderungen vertreten wurden, stand im November die die Geschichte durchziehende Klassenspaltung zwischen Produzenten und Schmarotzern im Mittelpunkt.117

111 Schieder, S. 99. Vgl. aber auch die bei Melzer. 1984, S. 374, zitierten wesentlich niedrigeren Zahlen von Jacques Grandjonc. 112 Schieder, S. 18. 113 Schon das Flüchtlingsgesetz von 1832 bot genügend Handhabe, gegen die politischen Flüchtlinge unter den Mitgliedern vorzugehen. Schon während des Bestehens des "Volksvereins" kam es zu Repressionen gegen seine Mitglieder. Vgl. ID!ten, S. 114. 114 Schieder, S. 120. 115 Ebd., S. 127. 116 Ebd., S. l77ff. 117 Vgl. die bei BrandJ, Restauration und Frühliberalismus, S. 450-459, abgedruckten Flugschriften. 8 Reiter

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C. Politisches Asyl im Vormärz

Die deutschen Handwerkerorganisationen in Frankreich wurden im Gegensatz zu denen in der Schweiz nicht von den Behörden zerschlagen. Die Existenz des "Bundes der Gerechten" scheint der französischen Polizei nicht bekannt gewesen zu sein.ll8 Unbehelligt blieben politisch aktive Aüchtlinge aber keineswegs. Schon die Frühzeit des "Deutschen Volksvereins" ist von Verhaftungen und Ausweisungen gekennzeichnet In einem Bericht des Mainzer Informationsbüros vom 10.9.1834 heißt es: Was in Paris den Eingeborenen nachgesehen wird, kann für die Fremden übel ausschlagen, und ein verdächtiger Deutscher, der sich über seinen Aufenthalt in der Hauptstadt nicht genügend rechtfertigen kann, wird unnachsichtlich in die Provinz oder wohl gar außer Landes gewiesen.ll9

Ein besonderer Grund für das rasche Einschreiten der französischen Behörden war das Zusammenwirken deutscher und französischer Radikaler. Aüchtlinge und Elsässer hatten am Harnbacher Fest teilgenommen und waren an der Vorbereitung des Frankfurter Wachensturms beteiligt Die Regierungen des Bürgerkönigs befürchteten ebenso das Ausbrechen einer französischen Revolution im Elsaß mit Unterstützung deutscher Radikaler wie umgekehrt die deutschen Behörden die Unterstützung von Aufstlinden in Südwestdeutschland aus Frankreich. Schon alleine aus dieser Furcht heraus wurden deutsche Flüchtlinge von den französischen Behörden genau beobachtet Nach dem Frankfurter Wachensturm wurde die gesamte Grenze am Oberrhein militärisch überwacht Die meisten Flüchtlinge wurden in die Schweiz abgeschoben. Nur wenige erhielten eine stark eingeschränkte Aufenthaltserlaubnis. l20 Nach den Attentatsversuchen etwa eines Fieschi fürchteten die Regierungen der Julimonarchie jede radikale politische Bewegung gleich welcher Nationalität.l21 Zusammenarbeit französischer Behörden mit der deutschen Polizei bei der Bekämpfung der radikalen Opposition ist bezeugt. Versuche Mettemichs, eine engere Verbindung seines Mainzer Informationsbüros mit der französischen Polizei anzubahnen, scheiterten allerdings. Das einzige Ergebnis war zunächst eine 1836 zustandegekommene Vereinbarung, Beobachtungsergebnisse auszutauschen. 1838 wurde die dauernde Entsendung eines Österreichischen Polizeibeamten nach Paris beschlossen, der direkt mit der französischen Polizei ver118 Schieder, S. 54. 119 Kar/ Glossy (Hrsg.), Literarische Geheimberichte aus dem Vormärz, Wien, 1912, Bd. 2, S. 917. 120 Paul Wentzcke, Straßburg als Zufluchtsort deutscher politischer Flüchtlinge in den Jahren 1819 bis 1850, in: Elsaß-Lothringisches Iahtbuch 12, 1933,229-248, S. 240f. 121 Zur Überwachung deutscher Flüchtlinge und Handwerker durch die französischen Behörden vgl. die Dokumentensammlung von Jacques Grandjonc, Les emigres allemands SOUS Ia monarchie de juillet Documents de surveillance polleiere 1833-Fevrier 1848, in: Etudes Germaniques. Publiestions universitaires de lettres et sciences humaines d'Aix-En-Provence 1, 1972, 115258.

II. Die politischen Aüchtlinge der 1830er Jahren

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kehren und mit dieser alle für beide Regierungen wichtigen Nachrichten austauschen sollte. Dieser Ansatz einer institutionalisierten Zusammenarbeit scheiterte allerdings am Widerstand des französischen Innenministers, der sich aus Souveränitätsbedenken einer direkten Zusammenarbeit der französischen Polizei mit einem ÖSterreichischen Beamten widersetzte.l22 Für deutsche Flüchtlinge unterschied sich die Situation in Frankreich nicht von der in der Schweiz. Politisch aktive Flüchtlinge mußten ständig mit Verhaftung und Ausweisung rechnen. Nur unauffälliges Leben und politische Abstinenz konnten das Asyl garantieren. Politische Arbeit war nur in der Konspiration möglich. Die Unterstützung der Flüchtlinge durch einzelne Beamte wie etwa den Straßburger Polizeikommissar Pfister, der die Anordnungen des Polizeipräfekten unterlief, kann hier nicht berücksichtigt werden.I23 Sie ändert an der uns hier interessierenden Flüchtlingspolitik Frankreichs, die in der Vormärzzeit die Instrumente zur Überwachung und Kontrolle der politischen Flüchtlinge entwickelte, ebensowenig wie die Tatsache, daß es einzelnen Flüchtlingen gelang, eine verfügte Ausweisung oder Internierung zu unterlaufen.I24 Was die französische Regierung betrifft, kann für die deutschen Flüchtlinge nicht von einer "Begünstigung der Exilpolitik durch die ideologische Blockbildung in der internationalen Politik" gesprochen werden.I2S Arbiträren Entscheidungen, wie sie in der Schweiz durch äußeren Druck herbeigeführt wurden, waren die Flüchtlinge in Frankreich anscheinend nicht ausgesetzt 126 Es wurden allerdings Maßnahmen getroffen, die die Flüchtlinge selbst als hart und ungerecht empfanden.I27 Schon im Sommer 1831 sollten die 122 Fritz Rei.nöhl, Die ÖSterreichischen Informationsbüros des Vonnärz, ihre Akten und Protokolle, in: Archivalische Zeitschrift38, 1929,261-288, S. 266f. 123 Vgl. dazu Carl Vogt, Aus meinem Leben. Erinnerungen und Rückblicke, Stungart, 1896, S. 152ff. 124 Vgl. Grandjonc, Emigres allemands sous la monarchie de juillet, S. 123f., der die Überwachung der politischen Aüchtlinge während der Julimonarchie als nicht effektiv bezeichnet, gleichzeitig aber deutlich macht, daß die notwendigen Instrumente für eine restriktive Aüchtlingspolitik in der Vormärzzeit vorhanden waren und die Regierung ihre Anwendung anordnete. 125 So Hahn, Möglichkeiten und Formen, S. 155ff. Für die polnische Emigration, an die Hahn wohl vor allem denkt, mag dies für den Vormärz berechtigt sein, für die deutsche mit Sicherheit nicht Ihr fehlte der "Charakter der "Potentialität"", d.h. des potentiellen Bundesgenossen für den Kriegsfall, von dem Hahn ebd., S. 159, spricht. Nach 1849 zeigt sich ganz deutlich, daß die deutschen Exilanten für keine Regierung als potentielle Bundesgenossen in Frage kamen. 126 Nochmals sei betont, daß dies nicht bedeutete, daß sich Aüchtlinge in ihrer politischen Tätigkeit frei fühlen konnten. Die französische Regierung weigerte sich aber z.B. im März 1846, als Preußen, Österreich und Rußland gegen angebliche Umtriebe der polnischen Aüchtlinge protestierten, ohne handfeste Beweise gegen die Aüchtlinge vorzugehen. Der preußische Botschafter Hatzfeld führte dies auf Furcht vor Angriffen der Presse zurück. ZStA Merseburg, 2.4.1., Abt. I, Nr. 8078 (AA Z.B. Nr. 1068), Bl. 3ff. 127 So im Oktober 1831, als die Regierung alle südeuropäischen Aüchtlinge aus Paris auswies und ihnen die fmanzielle Unterstützung strich, ein offensichtlicher Versuch, sie zum Verlassen des

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C. Politisches Asyl im Vormärz

in Marseille versammelten italienischen Aüchtlinge durch die dortigen Behörden zum Eintritt in die Fremdenlegion oder zur Rückkehr in die Heimat überredet werden.128 Nach 1834 ist außerdem ein Kurswechsel der französischen Regierung in der Aüchtlingspolitik festzustellen. Sie bemühte sich vor allem, nach dem ersten Ansturm keine weiteren Aüchtlinge ins Land zu lassen. Die 1836 aus der Schweiz ausgewiesenen deutschen Aüchtlinge wurden an der Grenze abgefangen und zum größten Teil direkt nach England geschafft. Nur einer kleinen Gruppe gelang es, in Frankreich Fuß zu fassen.129 Hierin spiegelt sich eine zunehmend asylfeindliche Haltung der französischen Regierung wider, die sich auch in wachsender Kritik an der Asylpolitik der Schweizer Kantone manifestierte.130 c) Belgisehe Aüchtlingspolitik im Vormärz Belgien besaß für deutsche Aüchtlinge in den 1830er Jahren keine Bedeutung, weshalb auf eine genauere Untersuchung der dortigen Situation verzichtet wurde.J31 Von Interesse ist allerdings ein kurzer Blick auf die Grundzüge der Aüchtlingspolitik dieses klassischen Asyllandes. Ebenso wie Frankreich nahm Belgien vor allem polnische Flüchtlinge auf. Bekanntester Exponent dieser Gruppe war der ehemalige Präsident des polnischen Nationalkomitees in Paris Joachim Lelewel, der nach seiner AusweisWig aus Frankreich Zuflucht in Belgien fand.132 Seit 1831 wurde arbeitslosen Aüchtlingen UnterstützWlg gewährt.

Landes zu bewegen. Vgl. Margaret A. Rees, Un refugiado agresivo: Nicolas Sanriago de Rotaide y el Gobiemo Frances de los aiios 1830, in: Hispania 42 (150), 1982,207-219. 128 AS Florenz, Ministero degli Esteri 2947, fase. "Profughi Italiani a Marsilia, 1831". Die Flüchtlinge beklagten die schlechte Behandlung durch die Franzosen ("mille umiliazioni e giomalieri insulti de Signori Francesi"). 129 Schieder, S. 44. Nach (Rosclu), S. 45, wurden die "gemein-gefährlichen, undankbaren Unruhestifter" auf Kosten der Regierung unter Polizeibewachung an die fran:Wsische Grenze geschafft, von wo aus sie auf Kosten Frankreichs nach England befördert wurden. Vgl. auch unten, S. 118, Anm. 145. 130 Vgl. GrandjoiiC, La France et !es emigres, S. 405, und die ebd., S. 418, abgedruckte Depesche Thiers an den fran:Wsischen Botschafter in der Schweiz Montebello vom 27.6.1836. Zu Montebello, einem Vener Louis Philipps, der als erbinerter Gegner der freiheitlichen Bewegung bekannt war, vgl. auch Schmidt, S. 128ff. 131 Generell war die deutsche Kolonie wesentlich kleiner als in Paris oder der Schweiz. 1846 lebten nach offJ.Ziellen Zahlen 1.588 Deutsche in Brüssel, die überwiegend den bürgerlichen Klassen angehörten. Francis Sartorius, Activites poliriques, economiques et sociales des allemands a Bruxelles 1842-1850. Premiere approche, in: Revue Beige d'histoire contemporaine 5, 1974, 167180, s. 167, l79f. 132 Vgl. Lewa/ski; CluJrles Merzbach, L'emigration polonaise en Belgique apres 1830 et 1864, in: LeFlambeau 16,1933, 317-334.

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Die Zahlungen wurden aber allem Anschein nach schon 1833 praktisch eingestellt t33 Nach einer großzügigen Anfangsphase ging die belgisehe Flüchtlingspolitik schon bald auf einen restriktiveren Kurs. Der Berichterstatter des Auslieferungsgesetzes Ernst hatte 1833 im Parlament Belgien noch als Zufluchtsort aller Unterdrückten und Proskribierten gefeiert 134 Schon 1832 und in weit stärkerem Ausmaß im April 1834 verfügte die belgisehe Regierung aber nach Unruhen in Brüssel auf der Basis des alten Paßgesetzes der französischen Revolutionszeit, das ihr weitestgehende Vollmachten gab, die Ausweisung zahlreicher kompromittierter Ausländer, vor allem Franzosen und Polen.t35 Teilweise wurden die Flüchtlinge völlig des Landes verwiesen, teilweise bekamen sie außerhalb der Hauptstadt feste Wahnsitze angewiesen, aus denen sie sich nicht entfernen durften.t36 In der Vormärzzeit scheint die Asylpolitik Belgiens vor allem von dem Bemühen gekennzeichnet, so wenig Flüchtlinge wie möglich in das Land zu lassen. Schon 1834 bestand die Ordre, aus Ländern, in denen Belgien akkreditierte Diplomaten hatte, keine Fremden ohne Visum dieser Agenten einreisen zu lassen.t37 Nach der Flucht politischer Gefangener aus dem französischen Gefängnis in St Pelagie erließ der Innenminister am 20.7.1835 ein Zirkular, das Flüchtlinge ohne weitere Überprüfung der Ausweisung unterwarf. 138 An dieses Zirkular erinnerte er im Sommer 1836 im Hinblick auf die aus der Schweiz ausgewiesenen Flüchtlinge: Le gouvemement persiste dans Ia ferme intention de n'admettre a resider en Belgique aucun des refugies qui, soit a raison de menees politiques ou de mauvaise conduite, auront ete recemment Oll seront a l'avenir forces de quitter !es pays etrangers ou ils s'etaient retires.139 Eine Liste der Ausgewiesenen wurde der belgiseben Regierung von der Schweiz mitgeteilt140 Generell scheint das Weiterreichen von Flüchtlingen an England belgisehe Praxis gewesen zu sein. Die lokalen Behörden, etwa in 133 Mario Ballistini, Esuli italiani in Belgio (1815-1861 ), Firenze, 1968, S. 280f. 134 "Dieses Land der Freiheit soll stets eine gesicherte Zufluchtsstätte sein der in der Fremde Verfolgten und Unterdrückten; das Vaterland aller Unglücklichen, aller Proskribierten." Zitiert nach Martitz, Bd. 2, S. 7. 135 Martilz, Bd. 2, S. 638. 136 Battistini, S. 283, vgl. auch S. 307ff. 137 AG Briissel, Administration de Ia Silrete publique, Police des Etrangers, 33/247. 138 Ebd., 33{243. Ohne genaue Spezifizierung wurde verfügt, jedem Flüchtling, dessen Anwesenheit bekannt werde, solle mitgeteilt werden, daß er Belgien verlassen müsse. Weigere sich der Flüchtling, selbst einen Grenzübergang zu nennen, solle er, wenn nötig mit Gewalt, nach Ostende geschafft werden. 139 Ebd., vom 5.7.1836. Vgl. auch 249. 140 Ebd., 248.

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C. Politisches Asyl im Vormärz

Ostende, bezahlten Flüchtlingen die Überfahrt Die ausgelegten Beträge wurden durch das Innenministerium zurückerstauet)41 Wenn auch Belgien die Nichtauslieferung politischer Straftäter schon 1833 gesetzlich festgeschrieben hatte, so kam es als Asylland kaum in Frage.l42 Gerade seine Politik macht deutlich, welch große Diskrepanz zwischen Anerkennung des Prinzips der Nichtauslieferung und der Praxis der Asylgewährung bestehen konnte. Die Politik der praktischen Ausschließung politischer Flüchtlinge aus Belgien scheint sich im Laufe der Jahre eher verstärkt zu haben. Am 2.5.1843 erließ das Innenministerium ein Zirkular "invitant les autorites a ne pas laisser penetrer en Belgique les refugies politiques" .143 d) Asyl in England: Grenzen liberaler Flüchtlingspolitik In England war die wirtschaftliche Lage sowohl der Handwerkern als auch der intellektuellen Flüchtlinge weit schwieriger als in den übrigen europäischen Aufnahmeländem. Vor allem in der Krisenzeit der 1830er Jahre sahen sich ausländische Handwerker mit fremdenfeindlichen Reaktionen ihrer englischen Kollegen konfrontiert. Ebenso hatten Intellektuelle Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden.l44 Aus diesem Grund war England, trotz seiner asylfreundlichen Haltung, meist die letzte Station von Flüchtlingen in Europa, nicht die erste Wahl. Vom Kontinent vertrieben kamen sie nach London. Was sie dort erwartete, war ihnen wohl bekannt. Schon 1834 heißt es in einem Bericht der Bundeszentralkommission: Die fünf Mitglieder des jungen Deutschlands, welche durch Frankreich nach England transportien wurden, machen eine klägliche Schilderung ihrer traurigen Lage daselbst. Ohne alle Unterstützung haben sie kaum Wasser und Brod. Drei von ihnen mußten ihre Röcke verkaufen, um den Mietzins zu bezahlen. Durch diese Nachrichten wurden mehrere abgehalten, ihnen nachzufolgen.l45 Öffentliche Unterstützung erhielten unter den Flüchtlingen alleine die Polen, denen Sir Dudley Stuart durch seinen persönlichen Einsatz im Parlament einen jährlichen Zuschuß verschaffen konnte. In geringem Umfang gab es auch pri141 Ebd., 247. 142 Battistini, S. 292, uneilt, Belgien sei gegenüber Aüchtlingen gastfreundlicher gewesen als Frankreich, berichtet aber schon auf der folgenden Seite, der größte Teil der italienischen Aüchtlinge habe Belgien schnellstmöglich durchquert und sich nach England begeben. Vgl. auch S. 313, wo für das Jahr 1835 als Grund für diese Handlungsweise Furcht vor der Härte und Willkür der belgiseben Polizei genannt wird. 143 AG Brüsse/, ebd., 249. 144 Schieder, S. 107, 115. 145 Beilage zu Par. 441 des Protokolls der 33. Sitzung der Bundesversammlung vorn 11. Sept. 1834. Bei den fünf Mitgliedern des "Jungen Deutschland" handelte es sich wohl um die wegen der beiden Flugblätter aus der Schweiz ausgewiesenen.

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vate Unterstützung, die allerdings meist für einige bekannte Aüchtlinge und spezifische Aktionen bestimmt war. Mazzini benutzte die ihm in den 1840er Jahren gespendeten Summen zur Gründung und Unterhaltung einer Schule für die Kinder italienischer Aüchtlinge.146 Die asylfreundliche Haltung der englischen Regierung darf nicht mit einer flüchtlingsfreundlichen verwechselt werden. Basis dieser Politik war, daß die Regierung keinerlei rechtliche Handhabe hatte, gegen Flüchtlinge auf fremdenpolizeilichem Weg vorzugehen. Maßnahmen wie Verhaftungen und Ausweisungen sind für England nicht nachzuweisen.147 Dies bedeutet aber nicht, daß auf eine Kontrolle der Aüchtlinge verzichtet wurde, wie die im Sommer 1844 erfolgte Überwachung von Mazzinis Postverkehr und die Mitteilung des Inhalts der Briefe an Österreich zeigt. Diese Aktion war allerdings für die englische Regierung in höchstem Maße unangenehm. Sie sah sich nach deren Bekanntwerden heftigen Angriffen in der Presse und im Parlament ausgesetzt. Daß nur dieser eine Fall überliefert ist, liegt aber eher daran, daß nichts Nennenswertes über die Aüchtlinge zu berichten war, und nicht am fehlenden Willen der englischen Regierung, den Kontinentalmächten solche Mitteilungen zu machen. Schon 1836 versicherte der englische Botschafter in Paris der französischen Regierung, England werde alle relevanten Informationen weitergeben.148 Eine zweite Episode macht deutlich, daß das Fehlen einer Handhabe zum Vorgehen gegen die Flüchtlinge mehr als alles andere deren Freiheit bedingte. Bis 1838 war die Verteilung der Unterstützungsgelder für die Polen über die "Literary Society of the Friends of Poland" erfolgt. Im Herbst dieses Jahres beschloß das Schatzamt, die Verwaltung an sich zu ziehen. Diejenigen polnischen Aüchtlinge, die sich an der englischen Reformbewegung der Chartisten beteiligt hatten, wurden von den Listen der Unterstützten gestrichen.149 Der polnischen Major Beniowski, der verdächtigt wurde, an der Vorbereitung des Newporter Aufstandes vom November 1839 beteiligt gewesen zu sein, wurde ebenfalls nicht weiter unterstützt.150 Als der Staat gegen radikale Aüchtlinge vorgehen konnte, tat er es auch. Eine politische Bewegung unter den Deutschen in London kam erst durch den Zustrom aus der Schweiz ausgewiesener "Jungdeutscher" in Gang. Sie 146 Zur öffentlichen und privaten Unterstützung der Flüchtlinge in England vgl. Gossman. 147 England protestierte allerdings bei den kontinentaleuropäischen Ländern gegen Abschiebungen von Flüchtlingen nach Großbritannien. Porter, Refugee Question, S. 52f. 148 Ebd., S. 53f. Grandjonc, Ernigres allemands sous la monarchie de juillet, S. 123, spricht von einer möglichen Zusammenarbeit der französischen und englischen Polizei. 149 Albert R. Schoyen, The Chartist Challenge. A Portrait of George Julian Hamey, London/Melboumefforonto, 1958, S. 51. 150 Peter Brock, Polish Democrats and English Radicals, 1832-1862. A Chapter in the Histoty of Anglo-Polish Relations, in: Journal of Modem Histoty 25, 1953, 139-156, S. 146.

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C. Politisches Asyl im Vormärz

gründeten im September 1836 einen geheimen Klub, dem wie in der Schweiz ein öffentlicher Handwerkerverein angeschlossen war. Eine besondere Aktivität scheint er allerdings nicht entfaltet zu haben. Das hauptsächliche Vorhaben des 1837 gegründeten "Vereins zur gegenseitigen Unterstützung und Belehrung", der von in London ansässigen deutschen Kaufleuten unterstützt wurde, verdeutlicht die schwierige wirtschaftliche Lage in England. Er organisierte die Auswanderung mittelloser deutscher Handwerker und Flüchtlinge nach Amerika, versuchte allerdings auch agitatorisch tätig zu werden. 1St Karl Schapper gelang es nach seiner Ankunft in London mit der 1840 gegründeten "Deutschen Bildungsgesellschaft für Arbeiter", die später öfter den Namen wechselte, die einzige dauerhafte politische Assoziation der Deutschen in London zu bilden.152 Nach außen gab sie sich unpolitisch, der geheime engere Zirkel aber war der Zentralbehörde des "Bundes der Gerechten" in Paris unterstellt. Die Zusammenarbeit europäischer Flüchtlinge mit der englischen Arbeiterbewegung ist das Besondere der Situation in London vor 1848. Das "Junge Deutschland" war zwar als Gründung des "Jungen Europa" theoretisch von Beginn an internationalistisch eingestellt. aber schon nach kurzer Zeit bemühte man sich um nationale EigenständigkeiL In den Handwerkervereinen waren die Deutschen unter sich, ja diese Vereine hatten "eindeutig den Charakter nationaler Sammlungsbewegungen" .153 Kontakte zu Gesinnungsgenossen anderer Nationen wurden fast ausschließlich von den Intellektuellen gepflegt154 In London machte der internationalistisch eingestellte Flügel der Chartisten (Hameys "Democratic Association") im September 1845 mit der Gründung der "Fratemal Democrats", an denen formal außerdem die französischen und deutschen Flüchtlings- bzw. Arbeiterorganisationen beteiligt waren, den Schritt zu einer Institutionalisierung der bestehenden Kontakte.J55 Neben der Errichtung demokratischer Republiken in Europa forderten die "Fratemal Democrats" soziale Reformen. Die zunächst zu beobachtende Vorsicht, ja Inaktivität des neuen Vereins scheint auf die Furcht der Flüchtlinge zurückzuführen zu sein, sich mit der Einmischung in englische Angelegenheiten, d.h. durch das Bünd151 Schietkr, S. 6lff. Gu.stav Körner, Das deutsche Element in den Vereinigten Staaten von Nordamerika 1818-1848, Cincinnati, 1880, S. 76, berichtet, 1836 sei in Philadelphia nach dem Vorbild in anderen Städten ein Verein zur Unterstützung der aus der Schweiz vertriebenen Flüchtlinge, die von London nach Amerika auswandern wollten, gegründet worden. 152 Schapper, Führer des "Bundes der Gerechten" in Paris, war in den Putschversuch Blanquis und Barbes verwickelt Er wurde 1839 verhaftet und nach mehrmonatiger Untersuchungshaft ausgewiesen. Trotz Beschlagnahmung seiner Papiere kam die französische Polizei dem Bund nicht auf die Spur. 153 Schieder, S. 156. 154 Ebd., S. 157f. 155 Vgl. Sclwyen, Chartist Challenge, S. 135ff.; Henry Weisser, Chartist Intemationalism, 1845-1848, in: Historical Joumal14, 1971,49-66.

li. Die politischen Flüchtlinge der 1830er Jahren

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nis mit englischen Radikalen, das Asyl zu verscherzen. Auf dem Kontinent hatte ein solches Verhalten auch unweigerlich die Ausweisung zur Folge, was die Vorsicht der Flüchtlinge erklärt. England war das einzige europäische Land, in dem diese Art politischer Arbeit möglich war. 4. Die politischen Flü.chtlinge in den Vereinigten Staaten

a) Verbannung und Abschiebung nach Amerika Nach den Angaben des "Schwarzen Buchs" der Bundeszentralkommission war die Anzahl der Flüchtlinge in Amerika im Vergleich zu Europa unbedeutend. Auch wenn diese Zahlen eher zu niedrig als zu hoch gegriffen sind, so ist die folgende Aussage des 48er~Flüchtlings Friedrich Kapp dennoch mit Skepsis zu betrachten: Die Unruhen der dreilliger Jahre zogen Tau.seude, die aus politischen Gründen Deu!schland ver· ließen, namentlich frühere Bürger der Pfalz, Nassau's, Hessens und überhaupt der Kleinstaaten auf diese Seite des Wassers und hatten ganze Niederlali$ungen im ferneren Westen bis an den Mississippi und Missouri zur Folge.156

Bei der schon angesprochenen Schwierigkeit, normale Auswanderer von politischen Emigranten und Flüchtlingen zu unterscheiden, sind genaue Zahlenangaben, ja selbst Schätzungen, kaum zu machen. Über das "Schwarze Buch" hinausgehende Flüchtlingslisten existieren für die 1830er Jahre nicht.

In Richtung Amerika gab es ebenso wie in die europäischen Nachbarländer direkte Flucht politisch Verfolgter. Der Gießener Student Ernst Reck floh vor Beginn der gegen ihn eingeleiteten Untersuchung wegen Teilnahme an revolutionären Unruhen in die USA. Ebenso handelte der Marburger Privatdozent Friedrich Ferdinand Heß, gegen den einen Monat nach seinem Weggang ein Steckbrief erlassen wurde.l57 Auch aus europäischen Asylländern wanderten Flüchtlinge nach Amerika aus. Gustav Körner, der am Frankfurter Wachensturm teilgenommen hatte, ging von Frankreich aus in die Vereinigten Staaten. Als Grund für seine Entscheidung nennt er die Sorge um seine persönliche Sicherheit. In Europa sei der Einfluß Preußens und Österreichs zu befürchten gewesen. Auch Ekel über die gesamte politische Situation auf dem Alten Kontinent habe eine Rolle gespielt, ebenso rein persönliche Motive.158 Von den europäischen Asylländern unterscheidet sich Amerika durch zwei Phänomene: Begnadigung politischer Straftäter unter der Bedingung, nach den USA auszuwandern, sowie eine starke politisch motivierte Auswanderung. Die 156 Kapp, Aus und über Amerika, S. 309. 157 Seide Beispiele nacb WeiJershaus, S. 203, 194. 158 Thomas J. McCormodc (Hrsg.), Memoirs of Gustave Koemer 1809-1896. üfe-sketches Written atthe Suggestion of His Children, Cedar Rappds, 1909, S. 253f., 262

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C. Politisches Asyl im Vonnärz

Begnadigungen zur Auswanderung kamen einer Verbannung gleich und werden in den Quellen auch meist so bezeichnet Die infolge des Frankfurter Wachensturrns zu teilweise lebenslangen Freiheitsstrafen Verurteilten saßen in der Bundesfestung Mainz in Haft. Ende der 1830er Jahre begann der Frankfurter Senat, diese Gefangenen zu begnadigen.159 Die Begnadigungen wurden vorn Mainzer Festungskornmandanten befürwortet, da die wenigen Gefangenen unverhältnismäßig viel Arbeit machten. Der Deutsche Bund erhob keine Einwände. 1838 wurden die beiden Studenten More und Silberrad, die beiden Büchsenschützen Bader und Fischer, die beiden Gürtlergesellen Müller und Knoche, sowie der Schreinergeselle Beringer zur Verbannung nach den Vereinigten Staaten begnadigt. Hinzu kam der in Baden einsitzende Student Eimer. Rückkehr in die Heimat ohne vorherige Erlaubnis war den Begnadigten unter der Androhung, ansonsten die Reststrafe absitzen zu müssen, untersagt Die Gefangenen wurden unter Polizeibedeckung nach Brernerhaven geschafft. Reisegeld und einen vorn amerikanischen Konsul visierten Paß bekamen sie erst auf dem Schiff ausgehändigt. Jedem Gefangenen sollte außerdem ein Zeugnis ausgestellt werden, das bestätigte, daß die abgesessene Zuchthausstrafe eine politische war. Die gleichen Vorkehrungen wurden anläßtich der 1840 auf eigenen Wunsch erfolgten Begnadigung des Schwertfegers Glauth getroffen. Der als einziger Häftling in der Festung Mainz verbliebene Franz Rottenstein wurde 1841 entlassen)60 Verbannung war eine in Europa übliche Strafe für politische Straftaten mit einer bis ins Alterturn zurückreichenden Tradition. Bis in unsere Tage wird bzw. wurde sie in der UdSSR oder Südafrika praktiziert. Im 19. Jahrhundert waren es vor allem Frankreich und England, die politische und gerneine Straftäter in ihre überseeischen Besitzungen verbannten. Deutschland hatte aber keine Kolonien, die demselben Zweck hätten dienen können.161 Man war auf 159 Bundestagsprotokolle, Par. 309,28. Sitmng 11.10.1838; Par. 327,29. Sitzung 23.11.1838; Par. 240,20. Sitzung 17.9.1840. 160 Auch die Führer des Göttinger Aufstands wurden zur Auswanderung nach Amerika begnadigt. Georg Friedrich Seidensticker, 1836 zu lebenslanger Haft verurteilt, durfte 1845, allerdings ohne seine Familie vorher sehen m können, nach Amerika ausreisen. Zu Seidenstickers Jahren in Amerika vgl. Carl Friedrich Huch, Georg Friedrich Seidensticker, in: Mitteilungen des deutschen Pionier-Vereins von Philadelphia 19, 1911,28-32. 161 In Rotteclc/Welc/cer, Bd. 4 (1837), S. 265, wird allerdings im Artikel "Deportation" vorgeschlagen, mit einer Kolonialmacht die Deportation von Verbrechern vertraglich zu vereinbaren. Verwiesen wird auf einen preußisch-russischen Vertrag aus dem Jahr 1802, der die Deportation preußischer Straftäter nach Sibirien vorsah, allerdings nie praktiziert worden sei. Nach Walter Grab, Ein Volk muß seine Freiheit selbst erobern. Zur Geschichte der deutschen Jakobiner, Frankfurt a.M., 1984, S. 459, wurde aber auf der Basis dieses Vertrags der Napoleonschwänner Dietrich von Bülow von Preußen an Rußland ausgeliefert. Nach einer Quelle starb er an Entbehrungen und schlechter Behandlung in Riga, nach einer anderen wurde er auf dem Weg in die sibirischen Bergwerke von Kosaken m Tode geprügelL Zu den badischen Deportationsplänen nach der Revolution von 1848/49 vgl. unten, S. 192ff.

n. Die politischen Flüchtlinge der 1830er Jahren

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ein überseeisches Land ohne Einwanderungsbeschränkungen angewiesen, bei dem die Verbannung nicht wie bei den europäischen Nachbarn zu diplomatischen Konflikten führen konnte. Die Wahl der Vereinigten Staaten bot sich hier selbstverständlich an. Sie ist insoweit signifikant, als die deutschen Behörden keinerlei von den Verbannten ausgehenden politischen Schwierigkeiten voraussahen, wie das sicher bei der Schweiz als Verbannungsort der Fall gewesen wäre. Die USA galten ihnen noch nicht als potentieller Verbündeter der deutschen Demokratie. So boten auch preußische Behörden Wilhelm Weitling nach dessen Landesverweisung an, seine Auswanderung nach Amerika zu finanzieren. Das notwendige Geld sollte ihm jeweils auf den Zwischenstationen seiner Reise ausgehändigt werden, um kontrollieren zu können, daß er Europa tatsächlich verlasse.162 Mit der Verbannung zu vergleichen ist die Abschiebung von Flüchtlingen aus europäischen Aufnahmeländern nach Amerika. Zu diesem Mittel griffen nach dem polnischen Aufstand die konservativen Ostmächte Preußen und Österreich. Die preußische Regierung fragte in New York (nicht bei der Regierung in Washington) an, ob die Flüchtlinge in Amerika aufgenommen würden. Die New Yorker Behörden bejahten. Im Strom der Einwanderer würden sie nicht weiter auffallen und ihren Lebensunterhalt könnten sie sich ohne große Schwierigkeiten verdienen. Im November 1833 berichtete der arnerikanische Konsul in Stettin nach Washington, 650 Polen würden von der preußischen Regierung nach Amerika geschickt Sie bekämen je 40 $ und würden zu der Erklärung gezwungen, sie wanderten aus freiem Willen aus. Die Schiffe mit den Flüchtlingen wurden durch widrige Winde gezwungen, in Frankreich bzw. in England zu landen, wo es zu Meutereien unter den Polen kam, die daraufhin die Erlaubnis erhielten, in den betreffenden Ländern zu bleiben.163 Die Vereinigten Staaten wurden von vielen Flüchtlingen nicht als akzeptables Asylland betrachtet In der polnischen Emigration herrschte die Meinung vor, wer nach Amerika auswandere, habe den revolutionären Kampf definitiv aufgegeben.164 Konservativen polnischen Führern im europäischen Exil und ihren französischen und englischen Freunden wurde vorgeworfen, die Auswanderung nach Amerika zu propagieren, um radikale Flüchtlinge aus Europa zu vertreiben. 165 162 Vgl. Wolfgang Hasse/, Dokwnente über Wilhelm Weitling im Staatsarchiv Magdeburg, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 25, 1983, 225-230. 163 Lerski, S. 89ff. 164 Ebd., S. 91. 165 Maria J. E. Copson-N~c/co, The Polish Political Emigration in the United States 18311864, in: Polish Review 19, 1974,45-82, S. 49, weist darauf hin, daß es starke ökonomische Motive zur Auswanderung in die USA gab und nicht nur die aristokratische Partei, sondern auch englische Arbeiterorganisationen den Flüchtlingen rieten, Europa zu verlassen. Die deutsche Arbeiterbewegung in England sprach sich gegen die Auswanderung aus. In dem Artikel "Die deutschen Auswanderer", in: Kommunistische Zeitschrift, Probeblatt, London im September 1847, S. 15, heißt

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C. Politisches Asyl im Vormärz

Unter polnischen Exilanten gab es aber auch Amerika-Sehnsüchte. Ende 1831 wurde ein Aufruf veröffentlicht. dessen Verfasser die ganze polnische Nation nach Amerika verpflanzen wollten. Poles! Let us leave that wretched country, now no more our own, though soaked with the best blood of her defenders • Iet us leave Europe, a heartless spectator of our struggle and our despair. Arnerica is the only country worthy of affording an asylum to men who have sacrificed every thing for freedom; there Poland will be enshrined in our hearts, and heaven will perhaps bless our devotion.l66

Diese Utopie mit ihrer resignativen Absage an Europa wurde in weiten Kreisen nicht geteilt Die meisten Flüchtlinge wollten ihrer Heimat so nahe wie möglich bleiben. Die polnische Exilführung zog Amerika nur als letzten Zufluchtsort in Betracht Joachim Lelewel, Präsident des polnischen Nationalkomitees in Paris, lehnte im April 1832 einen ihm vorgelegten detaillierten Plan zur Auswanderung von 152 polnischen Familien nach den Vereinigten Staaten mit der Begründung ab, die Entfernung zu Polen sei zu groß. Im seihen Monat richtete er aber zusammen mit anderen Mitgliedern des Nationalkomitees eine Petititon an Präsident Jackson und den Kongreß, in der er um Asyl für drei- oder viertausend Polen für den Fall bat, daß Frankreich unter dem Druck der Heiligen Allianz gegen die Flüchtlinge vorgehe.l67 Die Geschichte der polnischen Flüchtlinge in Amerika ist eine Geschichte der Abschiebung, nicht der freiwilligen Auswanderung. Im Sommer 1833 schickte Österreich die ersten Füchtlinge nach Amerika. Sie wurden vor die Wahl gestellt, entweder an Rußland ausgeliefert zu werden oder auszuwandem.l68 Ein Memorandum Metternichs und Briefe des Österreichischen Generalkonsuls in New York informierten die amerikanische Regierung über die Ankunft der Flüchtlinge. In einer ausweichenden Antwort des Staatssekretärs McLane vom 31.10.1833 wurde von amerikaDiseher Seite darauf verwiesen, es: "Apropos Kameraden! wie wäre es, wenn Ihr einmal, anstau nach der fernen Republik Amerika zu ziehen und Euch dabei auf der Reise herumhuntzen und ausbeuten zu lassen, in Deutschland ein wenig die Köpfe zusammenlegtet, dem "christlich-germanischen" Unsinn ein Ende machtet, Euren allergnädigsten Landesvätern entbieten ließet, nach mildern Himmelsstrichen zu reisen (etwa nach Texas oder Zentral-Afrika, wohin Euch die frommen Brüder so gerne schicken möchten), oder ein für ihre Konstitution passenderes Klima (etwa Rußland) auszusuchen und in Deutschland eine Republik errichtetet, in der jeder, der arbeiten will, seine Existenz findet" Zitiert nach Hans Fen.slce (Hrsg.), Vormärz und Revolution 1840-1849 (=Quellen zum politischen Denken der Deutschen im 19. und 20. Jahrhundert Bd. 4), Darmstadt, 1976, S. 239. 166 Zitiert nach Lersld, S. 77. 167 Elxl., S. 127. Als Lelewel im Juli 1833 aus Frankreich ausgewiesen wurde, faßte er die USA wegen der Entfernung zu Europa nie als ernsthafte Alternative ins Auge, obwohl er in Paris amerikanische Freunde hatte, die ihm zur Auswanderung rieten. Lewalsld, S. 37. 168 Nach Joseph W~czenak, Pre- and Proto-Ethnics. Poles in the United Swes Before the Immigration "Mter Bread", in: Polish Review 21, 1976, 7-38, S. 15f., lehnte Österreich den Transport der Polen nach Frankreich ab, da die französische Regierung dagegen protestiert hatte. Die Polen ihrerseits stellten in einem Brief klar, daß sie nicht freiwillig nach Amerika auswanderten.

II. Die politischen Flüchtlinge der 1830er Jahren

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die Einwanderung in die Vereinigten Staaten sei zwar unbegrenzt, aber lokalen Verordnungen unterworfen, in die die Zenttalregierung nicht eingreifen könne.169 Die polnischen politischen Flüchtlinge wurden ihrem Status nach nicht anders gesehen als "normale" Einwanderer. Ein zweiter inoffizieller Brief des Österreichischen Konsuls, in dem dieser vorschlug, den Flüchtlingen zu ihrer Unterstützung öffentliches Land zuzuweisen, wurde nicht beantwortet Genau in diese Richtung lief aber die weitere Entwicklung. Die Episode der polnischen Flüchtlinge von 1833 in Amerika bildet eines der wenigen Beispiele offiZieller Unterstützung politischer Flüchtlinge durch die Vereinigten Staaten.170 Den entscheidenden Schritt zur Gründung einer polnischen Kolonie in Amerika taten die Flüchtlinge selbst noch an Bord der ÖSterreichischen Schiffe im New Yorker Hafen. Sie beschlossen, eine Delegation mit einem Memorandum an den Kongreß nach Washington zu schicken. In einem späteren Rapport an Prinz Adam Czartoryski beschrieben sie ihre Hoffnungen für die Kolonie. Sie sollte ein Sammelpunkt für alle nach Amerika verschlagenen polnischen Flüchtlinge werden. Die gemeinsame Siedlung ermögliche die Beibehaltung polnischer Sprache und Sitte. Im Fall der polnischen Unabhängigkeit könne eine polnische Kolonie in Amerika für Handel und Gewerbe nützlich sein. Der letzte Punkt zeigt deutlich, daß die Flüchtlinge kaum noch Hoffnung auf einen baldigen Sieg der Revolution hatten und ihre persönliche Zukunft in Amerika sahen, das nicht als potentieller Verbündeter der polnischen Nationalbewegung galt. In dem an den Kongreß gerichteten Memorandum baten sie um die Zuweisung öffentlichen Landes, um ein zweites Polen als Zufluchtsort auch für weitere Flüchtlinge errichten zu können. Sie drückten die Hoffnung aus, dem Volk der Vereinigten Staaten nützlich werden zu können.171 Die Petition der Polen wurde dem Kongreß am 27.4.1834 von dem New Yorker Abgeordneten Cambreleng präsentiert. In seiner Rede wird die Haltung deutlich, die Amerika gegenüber europäischen Freiheitsbewegungen auch in Zukunft einnehmen sollte: Nichteinmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten, gleichzeitig aber Anteilnahme an den Entwicklungen und Anspruch auf moralische Parteilichkeit I trust, Sir, we shall never violate those rules of public 1aw, so necessary to protect the rights of nations, and to preserve the peace of the world, which prohibit us from interfering with the political affairs of other countries. But I know of no national obligation to prevent us from

169 Lerski, S. 94. 170 Erstmals wurde aus SL Domingo kommenden französischen Flüchtlingen nach Anträgen lokaler Behörden vom Kongreß Unterstützung gezahlL Diese Gelder (15.000 $) wurden allerdings gegen die Schulden an Frankreich aufgerechnet. Francis S. Childs, French Refugee Life in the United States, 1790-1800. An American Chapter of the French Revolution, Baltimore, 1940, S. 87. 171 Lerski, S. 128ff.

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C.

Politisches Asyl im Vonnärz

extending to those exiles our hospitality and our sympathy. Nor can the rigid rules of public law restrain the friends of freedom, in every land, from taking a deep inten:st in the stJUggles of patriots, when:ver they may occ:ur.112 In der Senatsdebatte einige Wochen später regte sich neben Zustimmung auch Widerstand. Die Senatoren Kane und Hendrick sprachen sich dagegen aus, Flüchtlinge den eigenen Bürgern vorzuziehen.l73 Im Endeffekt wurde aber ein großzügiges Gesetz beschlossen, das den Polen Land zuwies.l74 Erst nach Ablauf von 10 Jahren mußte der gesetzliche Mindestpreis gezahlt werden. Daran war allerdings die Bedingung geknüpft, daß das Land auch wirklich besiedelt wurde. Diese Bedingung charakterisiert den Unterschied, der zwischen den europäischen Staaten und den USA als Asylländern bestand. Die Vereinigten Staaten boten den Flüchtlingen die Chance zur dauerhaften Ansiedelung und damit zur Eingliederung in die amerikaDisehe Gesellschaft an, während in Europa durch finanzielle Zuschüsse das alltägliche Elend der Exilanten gelindert werden sollte. Die polnische Kolonie, an die so große Hoffnungen geknüpft wurden, kam nie zustande.l75 Dies lag zum Teil an wachsenden Spannungen und Streitigkeiten unter den Flüchtlingen. In ihren Beziehungen zu wichtigen Kongreßmitgliedern begingen ihre Repräsentanten grobe Fehler und verloren so an Einfluß. Von größerer Bedeutung war, daß amerikaDisehe "Squatter", die auf dem von den Polen in Illinois ausgewählten Land siedelten, erfolgreich auf den Kongreß einwirkten. 1842 beschloß der Kongreß unter Berufung auf rein formale Kriterien, die polnischen Flüchtlinge hätten ihren Anspruch auf das Land verloren. Für diese Niederlage der Flüchtlinge können aber letztendlich weder die Fehler der Polen noch der Widerstand der amerikanischen Siedler in Illinois alleine verantwortlich gemacht werden. Hier drückt sich die Grundhaltung der amerikanischen Gesellschaft gegenüber europäischen Radikalen aus, die über Sympathiebekundigungen normalerweise nicht hinausging und leicht in Desinteresse oder Mißtrauen umschlagen konnte.l76 Die Unterstützung der polnischen 172 Congressional Globe, 23rd Congn:ss, S. 334. Die Unterstützung der Aüchtlinge war auch eine Selbstbestätigung für das demokratische Amerika. "lt was the opinion of the committee (for Public Lands) thll by a favorable seulement of this petition the whole civilized world would be shown the diffen:nce between arbitrary rulers who persecute eminent defenders of liberty, and the chivalry of a free nation which receives them and supplies their first needs." Lerslci, S. 132. 173 Congressional Globe, 23rd Congress, 9.5.1834, S. 375. 114 Das Gesetz ("An act granting land to certain exiles from Poland") ist bei Lerslci, S. l35f. abgedruckt. 175 Eine von der polnischen Exilführung in der Türkei gegründete Kolonie hatte Bestand. Vgl. Andrew A. Urbanilc/Joseph 0. Baylen, Polish Exilesand the Turk.ish Empire, 1830-1876, in: Polish Review 26, 1981,43-53, S. 47. 176 Lerslci, S. 155, urteilt: "The great outhurst of American sympathy towards Poland was sincere but it could not be sustained indefmitely. The dynamic nationalism of the American Midwest and the general mistrust of strange exiles resisting assimilation into the great melting pol

n. Die politischen Flüchtlinge der 1830er Jahren

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Flüchtlinge durch den amerikanischen Kongreß blieb die Ausnahme von der Regel, daß politische Flüchtlinge in den USA normalen Einwanderern rechtlich völlig gleichgestellt waren, d.h. also auch keine Privilegien wie etwa finanzielle Zuschüsse zu erwarten hatten. b) Die deutschen politischen Flüchtlinge und die Deutschamerikaner Weit stärker als in den europäischen Asylländern sind die Aktionen der Flüchtlinge in den Vereinigten Staaten im Zusammenhang mit der dortigen deutschen Kolonie zu sehen. In der deutschamerikanischen Geschichtsschreibung gelten die 1830er Jahre als die Periode des erwachenden politischen Bewußtseins der Deutschamerikaner. Dies wird sowohl auf die inneramerikanische Politik als auch auf die Verbindung mit der Opposition in Deutschland bezogen. Trotz der Sorge um die eigene Existenz und der Aufmedcsamkeit, welche man dem neuen Vaterland mit Recht zuwandte, fmden wir von jetzt an allerwärts eine lebhafte Teilnahme der hiesigen Deutschen an allen deutschen Ereignissen, und ein Bestreben, auch nach außen m zeigen, daß man sein Vaterland und dessen Vorzüge nicht vergessen habe.177

Behauptung der ethnischen Identität in Amerika ist in dieser Literatur fest mit dem politischen Engagement für die deutsche Opposition in Deutschland verbunden.l78 Einerseits Beweis für die Verbundenheit mit der alten Heimat zeigte es zugleich die Tugenden eines amerikanischen Bürgers. In den 1830er Jahren wurden in den Vereinigten Staaten in der Tat häufig Vereine gebildet, deren Gründung durch die politischen Verhältnisse in Deutschland veranlaßt wurde. Oft waren Flüchtlinge und politische Emigranten führend beteiligt. Die meisten dieser Vereine waren ad hoc Gründungen, die sich auf Geldsammlungen für politische Gefangene und deren Familien beschränkten. So wurde etwa für die Familie des Pfarrers Weidig, für Sylvester Jordan und für Georg Friedeich Seidensticker gesammelt, unter anderem in

that Jacksonian America was becorning, were social forces too powerful to reverse." Nach Wieczerzak, S. 17f., empfanden die Polen Amerika als ungastlich. Die meisten sahen sich durch ihre Armut zum Bleiben gezwungen. Nach ihren Briefen zu urteilen war Amerika für diese Flüchtlinge eine "hell of loneliness and despair". 177 Körner, S. 74f. 178 Vgl. Conzen, S. 2f. Auch in der Praxis wurden Flüchtlingsideen zu deutschamerikanischen Initiativen. 1837 fand die sogenannte "Pinsburgh-Convention" zur Errichtung eines deutschen Lehrerseminars in den Vereinigten Staaten statt (vgl. etwa Körner, S. 47ff.). Diese Bewegung ging auf Aufrufe in der deutschamerikanischen Presse zurück, die stadc das Gepräge einer Flüchtlingsidee in Nachfolge der Denkschrift Karl Follens hatten. Heinz Kloss, Um die Einigung des Deutschamerikanertums: Die Geschichte einer unvollendeten Volksgruppe, Berlin, 1937, S. 195ff.

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C. Politisches Asyl im Vormärz

New York, Buffalo, Cincinnati und St. Louis,l79 In Philadelphia bildete sich wie in anderen Städten ein Verein zur Unterstützung der aus der Schweiz vertriebenen Flüchtlinge, die von London aus nach Amerika auswandern wollten.l80 Viele dieser Initiativen kamen nur durch individuellen Einsatz und auch durch reinen Zufall zustande. So bildete sich in Philadelphia ein Zweigverein des pfalzischen Preßvereins. Der politische Flüchtling Ludwig Wollenweber hatte vor seiner Flucht einige Aufrufe des Preßvereins erhalten, die er mit nach Amerika nahm. Nach der Veröffentlichung dieser Aufrufe in deutschamerikanischen Zeitungen kam es zu der Gründung des Vereins, der aber nach der Nachricht vom Scheitern des Frankfurter Wachensturms wieder zerfiel. Das gesammelte Geld wurde den Spendern zurückgegeben.l8l Diese Aktivitäten werden vor allem in der älteren deutschamerikanischen Geschichtsschreibung mehr als Engagement für eine deutsche Sache denn als Unterstützung der deutschen Opposition beschrieben. Gustav Körner zitiert einen Artikel der "Augsburger Allgemeinen Zeitung", der in der deutschamerikanischen Presse wiedergegeben wurde. Danach dürften wohl alle Parteien in Deutschland die Sammlungen für Professor Jordan erfreulich nennen. Die Deutschen in den USA könnten mit den Parteikämpfen in Deutschland keinerlei Interesse verknüpfen, so daß ihre Teilnahme ein um so unbefangenerer Ausdruck herzlicher Erinnerung an das einstige Vaterland sei. 182 Die deutschen Regierungen teilten diese Ansicht nicht In deutschen Polizeiakten tauchen deutschamerikanische politische Vereine erstmals 1835 auf. Am 24.1.1835 wurde in New York die Gesellschaft "Germania" gegründet. In den Statuten der Gesellschaft beklagte man den Mangel an "Nationalität" des deutschen Volkes,l83 Zwar könne man die Zerrissenheit und Unterdrückung in Deutschland als Entschuldigung für diesen Fehler anführen, ihn damit aber nicht rechtfertigen. Viel mehr als die Brüder im alten Vaterland treffe dieser Vorwurf die Deutschen in Amerika, die alle Freiheiten der Republik genössen und sich durch politisches Engagement keiner Gefahr aussetzten. Durch die Aufrechterhaltung seiner Nationalität gewänne der Deutsche in Amerika die 179 Körner, S. 147, 217, 348. Nach Robert Er11St, Immigrant Life in New Yorlc City, 18251863, Port Washington, N.Y., 1965 (1949), S. 123, wurden in New Yorlc 600 $ für Jordan gesammelt. 180 Körner, S. 76. Nach Robert E. Cazden, A Social History of the German Booktrade in America to the Civil War, Colwnbia, S.C., 1984, S. 586, wurden zu diesem Zwedc. 240 f. nach London geschickt. 181 (Ludwig Wollenweber), Aus den Aufzeichnungen von L A. Wollenweber über seine Erlebnisse in Amerika, namentlich in Philadelphia, in: Mittheilungen des Deutschen PionierVereins von Philadelphia 13, 1909, l-32, S. 14. 182 Körner, S. 348. 183 Teilweise abgedruckt in Carl Friedrich Huch, Die Gesellschaft Germania, in: Mittheilungen des deutschen Pionier-Vereins von Philadelphia 9, 1908,22-25.

II. Die politischen Flüchtlinge der 1830er Jahren

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erhöhte Achtung seinerneuen Mitbürger, da der selbständige Amerikaner nur selbständige Nationen zu achten gewöhnt sei. Bisher hätten die Deutschamerikaner aber weder den USA durch entschiedene Teilnahme am öffentlichen Leben den schuldigen Tribut gezollt, noch die Liebe zum alten Vaterland bewahrt. Dies habe sich erst in neuester Zeit geändert. Noch gäbe es aber zu viele Teilnahmslose und den Patrioten fehle ein Vereinigungspunkt Diesen wolle nunmehr die "Germania" bilden. Reicht euch brüderlich die Hand, von einem Ende der Union lliJil andem, auf dass ein Bund daraus hervorgehe, der die Volksfreiheit in den vereinigten Staaten erhalte, den Kampf der Freiheit in unsenn alten Vaterlande IDJterstütze, unser gesunkenes Nationalgefühl wieder belebe, IDid den Namen der Deutschen wieder zu Ehren bringe!l84 Im Gegensatz zu den europäischen Asylländern war in Amerika die Proklamation des politischen Engagements sowohl in bezog auf die USA als auch auf Deutschland möglich, ja diese Verbindung scheint den Gründem der "Germania" nur logisch gewesen zu sein. Die ersten Paragraphen der Konstitution, die den "Zweck der Gesellschaft" angeben, zeigen deutlich, daß die "Germania" nicht nur auf Deutschland wirken wollte. Sie setzte sich zwar zum Ziel, die Liebe und Anhänglichkeit zu Deutschland zu fördern und nach Kräften darauf hinzuarbeiten, daß dort ein den Vereinigten Staaten ähnlicher Zustand herbeigeführt werde, wollte aber ebenso alle in den USA lebenden Deutschen fester zusammenschließen und die Prinzipien einer reinen Demokratie im neuen Vaterland unterstützen. Den Mitgliedsvereinen wurden die Anschaffung politischer Zeitschriften, Verbreitung und Gründung demokratischer Zeit- und Augschriften, Unterstützung hilfsbedürftiger deutscher Aüchtlinge und wo möglich die Errichtung einer dem Zweck der Gesellschaft entsprechenden Bibliothek empfohlen. Erklärtes Ziel war es, die Gesellschaft über die ganzen Vereinigten Staaten zu verbreiten. Mitglieder mußten Deutsche sein oder von Deutschen abstammen, sich zu den demokratischen Grundsätzen bekennen und unbescholtenen Charakters sein.l85 Pranz Löher führt die Gründung der Gesellschaft auf Aüchtlinge zurück.186 Man wird wohl davon ausgehen können, daß sie führend beteiligt waren. Darauf weist schon der burschenschaftliche Name der Gesellschaft hin. Von den namentlich bekannten Mitgliedern tauchen einige im "Schwarzen Buch" der Bundeszentralkommission auf.187 Da aber die Konstitution der "Germania" den Kreis der Mitglieder nicht auf Deutsche beschränkte, sondern auch von Deut184 Ebd., S. 24. 185 Ebd. 186 Franz Löher, Geschichte und Zustände der Deutschen in Amerika, Cincinnati/Leipzig, 1847, s. 281. 187 So Wislizenus, Breitenstein, Diez, Heirnberg, Fr. Kempf, Paul Wilhelm Zeuner. Vgl. Cazden, S. 586. 9 Reiter

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C.

Politisches Asyl im Vormärz

sehen abstammende Amerikaner zuließ, kann als wahrscheinlich angenommen werden, daß auch Deutschamerikaner an der Gründung beteiligt waren. Ein reiner Flüchtlingsverein war die "Germania" jedenfalls nicht. Weit stärker als die Auslandsvereine in Europa besaß sie den Charakter einer nationalen Sammlungsbewegung. In Nachfolge der polnischen Flüchtlinge richtete die "Germania" eine Eingabe mit der Bitte um öffentliches Land an den Kongreß, die aber abgelehnt wurde.l88 Nunmehr schmiedete man selbst Pläne, einen deutschen Staat zu gründen, die aber nie realisiert wurden. 1836 erschien eine mit der Gesellschaft verbundene Zeitung, die Positionen der Locofoco Fraktion der demokratischen Partei vertrat189 Die Beteiligung an der amerikanischen Parteienpolitik wurde der "Germania" zum Verhängnis und sie zerbrach schon nach kurzer Zeit.190 In diesem Zusammenhang wurden in deutschamerikanischen New Yorker Zeitungen Artikel gegen die Flüchtlinge veröffentlicht, die sich im Ton kaum von späteren gegen die "Forty-Eighters" gerichteten unterschieden.l91 Die "Germania" ließ auch Flugblätter drucken, die für Deutschland bestimmt waren. Durch diese Pamphlete wurde die Gründung der Gesellschaft den deutschen Regierungen bekannt In einem Bericht vom 27.10.1835 wies der preußische Vertreter in Harnburg sein Innenministerium auf die Existenz der "Germania" und die Verbreitung der Flugschriften in Deutschland hin. 192 Zu diesem Zweck bediene man sich vertrauter, nach Königsberg, Stettin und Bremen gehender amerikanischer Schiffskapitäne. Ein Ungenannter habe sich erboten, gegen Geld die Kapitäne namhaft zu machen und die Pamphlete mitzuteilen. Einen Auszug aus einem Flugblatt gegen die Bundesbeschlüsse vom 15.1.1835 legte der Botschafter seinem Bericht bei.l93 Die Flugschrift beklagt, die Deutschen litten schon zu lange unter ihren Unterdrückem.l94 Einsicht könne von den Tyrannen nicht erwartet werden. Zu verkrüppelt und erschlafft seien ihre Geisteskräfte. Auch der große Auf188 Löher, ebd. 189 Ernst, S. 154. Die Zeitung nannte sich "Herold" und wurde von F. E. Zerrlaut herausgegeben, nach Carl Wittke, The German Language Press in America, Louisville, Ky., 1957, S. 46, ein radikaler badischer Flüchtling. Exemplare dieses Blattes sind nicht überliefen. Vgl. Kar/ J. R. Arndt/May E. Olson, The German Language Press of the Americas, Vol. I, History and Bibliography 1732-1968: United States of America, München, 1976 (3. verb. Aufl.), S. 369. 190 Kloss, S. 189ff. 191 Cazden, S. 587. 192 ZStA Merseburg, Rep. 77, Tit. 2, No. 73, BI. 1. 193 Am 29.10.1835 übersandte der Botschafter ein vollständiges Exemplar der Flugschrift, das aber nicht überliefen ist. Ebd., BI. 5. 194 Der Auszug aus der Flugschrift befmdet sich ebd., BI. 2-4. Im Text folgende Zitate werden nicht einzeln belegt

n. Die politischen Flüchtlinge der 1830er Jahren

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schwung der liberalen Bewegung zur Zeit des Harnbacher Festes sei noch einmal durch Waffengewalt unterdrückt worden)95 Doch Klagen hülfen nicht, Taten seien gefordert. Es ist kein andrer Weg: Deutschlands Befreiung kann nur aus dem Blute seiner Tyrannen gedeihlich ersprießen, das fühlt die Seele tief als geprüfte Überzeugung. Frey und offen sei es darum ausgesprochen: wir predigen Revolution, wir dringen auf Umsturz der bestehenden Verfassungen Deutschlands, wir hoffen auf die Tage der Entscheidung, an denen Deutschlands Fürsten vor dem Richterstuhle des Volkes werden erscheinen müssen, um Rechenschaf< 211 geben u. ihr Urteil 211 empfangen.... Die Menschen von Gottes Gnaden werden keine Gnade finden. Möchten wir diesen Tag recht bald begrüßen.

Da in Deutschland keine Möglichkeit bestehe, seine Gefühle und Überzeugungen durch Wort und Tat auszusprechen, hielten es die Mitglieder der Gesellschaft "Gennania" für ihre heilige Pflicht, auf Veranlassung der kürzlich publizierten Beschlüsse des Bundestages eine Erklärung vor dem Richterstuhl der öffentlichen Mainung förmlich niederzulegen. Wir die Mitglieder der Gesellschaft Germania, erklären als Söhne Deutschlands, dem Lande unserer oder unserer Väter Geburt, daß wir seiner auch diesseits des Ozeans in Liebe gedenken u. stolz sind, uns Deutsche nennen 211 können, u. daß wir es mit den Pflichten und der Würde eines nordamerikanischen Bürgers- der den Fürstenthronen, nicht dem Vaterlande abgeschworen hat - vollkommen verträglich erachten, diese Gefühle 211 hegen, die von den Banden der Natur selbst geheiligt sind.

Sozialistische Gedanken wie in den Augschriften der Aüchtlinge in den europäischen Asylländern finden sich nicht. Zwar wird die Revolution bejaht und gefordert, dominierend sind aber die Einflüsse deutschliberalen Denkens. Die Unrechtmäßigkeit der monarchischen Herrschaft wird zunächst aus der deutschen bzw. germanischen Geschichte abgeleitet und erst später festgestellt, jede monarchische Verfassung sei vemunftwidrig, unmoralisch und dem Völkerglück in höchstem Maße gefährlich. Die Augschrift endet in der Erklärung der Gesellschaft "Gennania": ... daß sie Deutschlands Fürsten nicht als verfassungsmäßige, nach völkerrechtlichen Gesetzen gültige Oberlterrn ihres Vaterlandes anerkenne, noch anerkennen werde; daß daher die Bundestagsbeschlüsse derselben von der Gesellschaft Germania nur mit gebührender Verachtung als willkürliche, gewaltsame Eingriffe in die Rechte freier Männer betrachtet werden, und daß die Gesellschaft Germania nach Kräften mit dahin wirken werde, daß auch in Deutschland die Macht der Tyrannen gestürzt u. daselbst ein freies Volksleben unter Institutionen hervorgerufen werde, denen ähnlich, deren wir uns hier in den Vereinigten Staaten erfreuen.

Die ganze Konzeption der Augschrift geht davon aus, in den in Amerika lebenden Deutschen den freien Teil Deutschlands zu sehen, als dessen Vertreter die Gesellschaft "Germania" auftritt. Dem preußischen Innenministerium schien diese Augschrift bedeutend genug, um auf das Angebot des Unbekannten, die Namen der amerikanischen 195 Die Flugschrift trug das Motto von Wirth: "Es blühe und gedeihe die deutsche Reform! Es erstehe in Kraft und Hoheit die Conföderation der Freistaaten Deutschlands!". Ebd., BI. 1.

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C. Politisches Asyl im Vonnärz

Kapitäne und die Texte der Flugschriften mitzuteilen, einzugehen. Zu entsprechender Bezahlung sei man bereit.196 Diese Aktion blieb aber allem Anschein nach ohne Ergebnis. Nach dem Gesandten in Harnburg hatte ein gewisser Liebert aus Berlin die Flugschrift verfaßt, der jetzt in New York ansässig und durch eine Heirat mit der Tochter eines H. Goldschmidt aus London finanziell unabhängig sei. Das Innenministerium machte daraufhin den Flüchtling der 1820er Jahre Pranz Lieber als den Schuldigen aus.197 Fast zur gleichen Zeit wie die preußische Regierung beschäftigte sich der Bundestag aufgrund einer Anzeige Kurhessens mit der Flugschrift 198 In einer von Bremen nach Eisenach gehenden Kiste mit Weinproben des Philadelphier Handlungshauses Krumbhaar war bei der Zollüberprüfung ein an einen gewissen Christian Baunert adressiertes Päckchen mit deutschamerikanischen Zeitungen gefunden worden, unter denen sich auch die Flugschrift der "Germania" befand. Nach Untersuchungen in Bremen und in Sachsen-Weimar stellte sich die ganze Sache als harmlos heraus.199 Festzuhalten ist, daß die deutschen Regierungen von den deutschamerikanischen Vereinsgründungen nicht nur Notiz nahmen, sondern auch ermittelnd tätig wurden und sich bemühten, einen möglichen Einfluß dieser Vereine in Deutschland zu unterbinden. Trotz des Auftauchens der Flugschrift der "Germania" in Hamburg, Kurhessen und Bayern ist ein solcher Einfluß aber wohl nie fühlbar geworden. Neben den Schwierigkeiten, eine kontinuierliche Kommunikation zwischen Deutschland und Amerika aufrechtzuerhalten, wurde dies schon alleine durch die kurze Lebensdauer der "Germania" unterbunden. 200 196 So am 3.11.1835 das Innenministerimn an das Außeruninisterimn. Ebd., BI. 6. 197 Ebd., BI. 5 und 6. Weitere Hinweise auf eine Autorenschaft Lieben finden sich weder in den Akten noch in der Sekundärliteratur. Nach Cazden, S. 585, war Wislizenus Verfasser von

Gennania-Augschriften. 198 26. Bundestagssitmng, 29.10.1835. Diese Vorgänge wurden in einer gesonderten Registratur festgehalten, die später dem gedruckten Protokoll beigefügt wurde (Exemplar BA Frankfurt). Das Präsidium bemerkte auf die Anzeige Kurhessens hin, schon in der 17. Sitmng vom 21. Juli letzten (sie) Jahres habe der bayerische Gesandte einen früheren Venuch zur Verbreitung der Schrift vertraulich mr Anzeige gebracht Schon damals sei verabredet worden, die Regierungen auf diese Schrift aufmerksam zu machen, damit deren Vertrieb verhindert werde. 199 Ebd. Das Päckchen stamme wohl von dem 1834 ausgewanderten Sohn Baunerts, der bei der Firma Krumbhaar angestellt sei. Baunert selbst sei ein geachteter Landmann, dem politische Umtriebe fern lägen. Der Sohn habe seinem Vater wohl nur einige Merkwürdigkeiten aus Amerika zukommen lassen wollen. Die Akten der Beschlagnahmung und folgenden polizeilichen Untenuchung befmden sich im SIA Marburg, 24c, No. 85. Dort auch eine offizielle Anzeige aus Würzburg mr Bugschrift vom 26.8.1835.

200 Löher, S. 281, spricht zwar von mehreren Augschriften, die die '"Gennania'" nach Deutschland geschickt habe, in den Archiven ließ sich aber keine weitere nachweisen. Zu der Schwierigkeit, eine kontinuierliche Korrespondenz nicht nur zwischen Amerika und Europa, sondern auch innerhalb Amerikas aufrechtzuerhalten vgl. Copson-Niecko, Polish Political Emigration,

S.51.

n. Die politischen Flüchtlinge der 1830er Jahren

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Mitte der 1840er Jahre bildeten sich unter dem Namen "Patriotische Vereine" Gesellschaften, die ähnliche Ziele verfolgten wie die "Germania". Ein Verein in Philadelphia entstand im Dezember 1846 aus einer Versammlung heraus, die der Unterstützung der Familie des Pfarres Weidig gewidmet war. Auf das Ende der Gesellschaft "Germania" hinweisend wurde die Einmischung in die amerilcanische Parteienpolitik abgelehnt. 201 In der Einleitung der Statuten des Vereins wurde betont, jeder freie Mann sei moralisch verpflichtet, die Segnungen der Freiheit überallhin auszubreiten. Auch die Freiheit im eigenen Land könne auf Dauer nur gesichert werden, wenn der mächtige Bund fremder Gewaltherrschaft gebrochen werde. Die Unterstützung von Freiheitsbewegungen verstieße weder gegen den Wortlaut noch den Geist der Gesetze der Vereinigten Staaten.202 Der Zweck des Vereins sei: ... die Freiheitsbestrebungen in Deutschland teils durch Unterstützung verfolgter deutscher Patrioten und ihrer Familien, teils durch die freie Presse zu fördern. In ersterer Beziehung wird die Gesellschaft unter andem denjenigen deutschen politischen Flüchtlingen, die nach den Vereinigten Staaten übersiedeln wollen, zu diesem Vorhaben nach Kräften behülflich sein.203

Jeder Unbescholtene, ob amerikanischer Bürger oder nicht, konnte Mitglied werden. Der Verein erhob einen monatlichen Beitrag von 12 1(2 Cents. Unter seinen Beamten befand sich Georg Friedeich Seidensticker. Die Tätigkeit des Vereins beschränkte sich auf Geldsammlungen. Neben den Kindem Weidigs, für die 143,18 $gespendet wurden, profitierte Karl Heinzen davon. Preußische Behörden erhielten durch die Gründung eines Vereins in St. Louis Kenntnis von dieser Bewegung. Am 27.5.1847 wies der Innenminister den Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg auf das Bestehen der Vereine hin. Es sei nicht zu bezweifeln, daß sie Verbindungen nach Deutschland anknüpfen würden, insbesondere zur Verbreitung revolutionärer Schriften und zu Geldsammlungen. Diesen Versuchen solle die volle Aufmerksamkeit der Behörden gewidmet werden. Es sei anzunehmen, daß die Mitglieder der Vereine über bestehende Handels- oder Verwandtschaftsbeziehungen Anknüpfungspunkte suchen würden. Darauf sollten sich die Polizeiuntersuchungen konzentrieren. 204 201 Carl Frredrich Hwch, Der patriotische Verein, in: Mittheilungen des Pionier-Vereins von Philadelphia 17, 1910,21-25, S. 22. Zum patriotischen Verein in Cincinnati vgl. Cazden, S. 591ff. 202 Diese Aussage, die sich ähnlich auch in den Statuten der "Gennania" fmdet, ist angesichts der Neutralitätsgesetze der USA schlicht unwahr zu nennen. Inwieweit die Betonung dieses Punktes auf diesbezügliche amerikanische Angriffe zurückzuführen ist, ließ sich nicht feststellen. Zu späteren Auseinandersetzungen überdiesen Punkt vgl. unten, S. 179, Anm. 160; S. 299, Anm. 209 203 Huch, Derpatrotische Verein, S. 22. 204 SIA Potsdam, Lit N, Nr. 138, BI. 1. Der Innenminister bemerkte weiter, daß bei den Untersuchungen diejenigen Rücksichten zu beachten seien, die Ehthaftigkeit und unbescholtener Ruf sowie die gesetzlichen Grenzen der polizeilichen Überwachung und die für dieselbe benutzten Mittel erforderten. Preußen informierte die übrigen deutschen Regierungen vom Bestehen dieser

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C. Politisches Asyl im Vormärz

Aus einem beiliegenden Bericht geht hervor, daß die Vereinsgründung auf einen Aufruf zurückging, den 21 Bürger deutscher Abkunft unterzeichnet hatten, und der im "Anzeiger des Westens" und der "Deutschen Tribüne" veröffentlicht wurde.20S Am 18.12.1846 fand eine erste Versammlung im Saal des deutschen Liebhaber-Theaters in St. Louis statt In der verabschiedeten Resolution heißt es: Unsere Liebe zu unsenn neuen, selbstgewählten Vaterlande hat in uns nicht die Erinnerung an das Land unserer Kindheit ertödtet, und verbietet uns nicht, zur Verbesserung des Looses unserer daheim gebliebenen Brüder, deren Elend und Schmach wir durch Vergleichung mit unserer eigenen Stellung als Bürger eines vernunftgemäß eingerichteten Staates besser zu erlcennen im Stande sind, als sie selbst, denen dieser Maaßstab der Vergleichung fehlt, alle die rechtlichen Mittel anzuwenden, die nicht in unserer Pflicht als Bürger der Ver. SL im Widerspruch stehen.

Hier wird weit deutlicher als in der Flugschrift der "Germania" die Stellung der Mitglieder als freier Bürger in der selbstgewählten neuen Heimat USA betont Sie sahen sich selbst nicht als durch Willkür Vertriebene. So scheint es unwahrscheinlich, daß die Gründer des Vereins in St. Louis politische Flüchtlinge waren. Als bestes Mittel zur Erreichung seiner Ziele sah der Verein die Belehrung des Volkes.206 Je stärker der Druck der Machthaber anwachse, desto größer werde auch die Hoffnung, daß das Volk zu der Überzeugung erwache, daß Selbsthilfe dort nicht nur Recht, sondern auch Pflicht sei, wo durch schrankenlose Willkür jede Garantie für Recht, Ordnung und Sicherheit im Staat aufgehoben sei. In Deutschland sei es dahin gekommen, daß jeder Volksfreund, der es wage, die Rechte des Volkes in Rede und Schrift zu vertreten, auf das schärfste verfolgt und seiner bürgerlichen Existenz beraubt werde. Diese Männer verdienten die Unterstützung aller Deutschen, vor allem aber jener Emigranten, die sich dadurch keinerlei Gefahr aussetzten. Als beispielhaft wurden Vereine. Am 29.6.1847 wurde der hessen-darmstädtische Konsul in New York beauftragt, die Vereine zu überwachen. StA Darmstadl, G 2 A, 52, 14. 205 StA Potsdam, ebd., BI. 3-7. Zitate aus dem Bericht werden im folgenden nicht einzeln belegt. Der "Anzeiger" unterstützte in aktivistischer, ethnozentrischer Weise die demokratische Partei. Die "Tribüne" war zunächst ein Whig-Blatt, schwenkte aber seit 1845 auf einen unabhängigen/moderat demokratischen Kurs um. Vgl. George Helmlllh Kellfler, The German Element on the Urban Frontier: St. Louis, 1830-1860, Columbia, Miss., 1973 (Diss.), S. 208ff. Den Initiatoren des Vereins in SL Louis ging es demnach darum, ohne Rücksicht auf Parteigrenzen alle Deutschen zur Beteiligung einzuladen. 206 Nach dem Bericht über die Versammlung wurde nur von einem gewissen Heinrich Koch das gesamte Unternehmen kritisierL Er habe sich im Gegensatz zu den ihm vorangegangenen Rednern über den Zweck der Versammlung und die vorgeschlagenen Mittel zur Erreichung desselben mißbilligend ausgesprochen. Seine Kritikpunkte und Argumente sind leider nicht wiedergegeben. Es ist anzunehmen, daß es sich um den Uhrmacher Heinrich Koch handelte, der in seinen Blättern "Antipfaff' und "Vorwärts" durch Fourier beeinflußte kommunistische Ideen vertrat und einen nicht unbedeutenden Einfluß auf die deutschen Arbeiter im Westen der USA hatte. Zu Koch vgl. Hermaflfl Schliiter, Die Anfänge der deutschen Arbeiterbewegung in Amerika, Stuttgart, 1907, S. 19; Cazde11, S. 139ff.

II. Die politischen Flüchtlinge der 1830er Jahren

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die Bemühungen Heinzens, Freiligraths und Herweghs erwähnt Durch die Darstellung der ewigen Rechte des Volkes könne dasselbe den Grad der Erkenntnis erreichen, der ihm ermögliche, sich von der Gewaltherrschaft zu befreien. Zur Unterstützung patriotischer Bestrebungen in Deutschland sollte von den Mitgliedern ein monatlicher Beitrag von 10 Cents erhoben werden. Die eingegangenen Summen sollten in der lokalen Presse veröffentlicht werden. Das verantwortliche Komitee war nicht verpflichtet, den Verwendungszweck anzugeben, falls durch die Veröffentlichung ein Nachteil entstehen könne. Abschriften der Verhandlungen sollten an alle bedeutenden Städte und jede deutsche Siedlung in den westlichen Staaten geschickt und zur Mitwirkung aufgefordert werden. Die "Deutsche Schnellpost" wurde gebeten, die Verhandlungen zu veröffentlichen.207

Im Vergleich mit der Flugschrift der "Germania" scheint die Haltung des Vereins in St. Louis nicht nur der Sprache nach gemäßigt. Sie spiegelt die Stimmungslage der bürgerlichen deutschen Opposition auch in Deutschland und im europäischen Exil vor Ausbruch der Revolution wider. Sogar der wahrhaft radikale KarI Heinzen glaubte 1847 nicht an einen baldigen Ausbruch der Revolution und sah einen langwierigen Prozeß der Aufklärung als einzige mögliche Strategie.208 Von den in dem Bericht über die Gründungsversammlung namentlich genannten Mitgliedern ausgehend versuchte die preußische Polizei, Verbindungen nach Deutschland aufzudecken.209 Im August 1847 hieß es in einem ersten Bericht an den Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg, die vorliegende Namensliste sei ungenügend, da sie nur die Namen und keine weiteren Informationen enthalte. Die Mitglieder seien auch eher in Süddeutschland zu vermuten. Für die Fahndung unabdingbar sei der letzte Heimatort in Deutschland.210 Im Februar und März 1848 wechselte daraufhin die Polizei ihre Taktik. Nunmehr sollten eventuelle Verwandte mit dem Köder einer angeblichen amerikanischen Erbschaft ausfindig gemacht werden. Erst der Ausbruch der Revolution beendete die Fahndung. 207 Die New Yoriter "Deutsche Sclmellpost" wurde von 1843 bis Ende 1847 von Wilhelm von Eichthai herausgegeben. ZWlächst demokratisch, wurde sie erst Wlter Rudolph Dowiat (ab Januar 1848) Wld Karl Heinzen (ab Februar 1848) radikal. Bis Januar 1848 führte sie den Untertitel "Für europäische Zustände, öffentliches Wld sociales Leben Deutschlands", später "Ein Organ der Zustände Wld Interessen der alten und neuen Heimat". Arndl!Oisofl, S. 354. Heinze11, Erlebtes, Bd. II, S. 135, erwälmt die Veröffentlichung in der Sclmellpost; sie habe kaum Resonanz gefunden. 208 Vgl. unten, S. 139ff. Für Heinzen war dies allerdings eine rein taktische Haltung. Er war jederzeit bereit, zu radikaleren Methoden überzugehen. 209 SIA Potsdam, LiL N, Nr. 138, Bl. 13ff. So wurden etwa Anfragen an alle Polizeidistrikte Berlins gerichteL 210 Ebd., Bl. 32-34.

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C. Politisches Asyl im Vormärz

Die auf Deutschland gerichteten und in Deutschland wahrgenommenen Vereinsgründungen in Amerika unterscheiden sich von denjenigen der Flüchtlinge anderer Nationen. Sie waren weder überwiegend Flüchtlingsvereine noch an europäischen Vorbildern orientiert. Die Italiener etwa gründeten 1841 einen Zweigverein von Mazzinis "Giovine Italia".211 Die Polen versuchten, mit mehreren Vereinsgründungen die offizielle Anerkennung der europäischen Exilführung zu gewinnen.212 Ohne Kontakt zu einer bedeutenden Einwanderergruppe verhielten sie sich kaum anders als ihre Schicksalsgenossen auf dem Alten Kontinent. Im Gegensatz dazu erinnern die deutschen Vereinsgründungen eher an den pHUzischen Preßverein als an die Flüchtlingsvereine im europäischen Exil. Sie waren weder revolutionäre Bünde noch reine Flüchtlingsorganisationen. Eine Radikalisierung ist im amerikanischen Exil nicht zu beobachten. In den USA wandten sich die Flüchtlinge der Gruppe der Deutschamerikaner zu, die ihrer sozialen und politischen Charakteristik nach nicht mit den deutschen Handwerkern zu vergleichen sind, auf die sie sich im europäischen Ausland konzentrierten. Die Kurzlebigkeit und der mangelnde Einfluß der deutschen Vereine zeigen die Schwäche der Flüchtlingsgruppe in den USA. Es kann nur überraschen, daß die preußische Polizei eine großangelegte Untersuchung begann, um Verbindungen des Patriotischen Vereins von St. Louis mit Deutschland aufzudecken. Auf den ersten Blick bildet die Arbeiterbewegung eine Ausnahme innerhalb der deutschen Emigration in Amerika. Hierbei muß aber hervorgehoben werden, daß sie im Gegensatz zum europäischen Exil keinen Kontakt zu bürgerlich-demokratischen Flüchtlingen hatte und eine ganz eigene Entwicklung nahm. Es war nur natürlich, daß durch ausgewanderte Handwerker die frühkommunistischen Ideen auch nach Amerika getragen wurden. Konkrete organisatorische Formen nahm dieser Einfluß im Oktober 1845 an. Hermann Kriege, der sich als Abgesandter des "Bundes der Gerechten" bezeichnete, gründete in New York eine Gemeinde dieses Bundes.213 Unter anderem wegen der zu jener Zeit herrschenden wirtschaftlichen Not hatte seine Agitation Erfolg. Analog zu den Organisationsformen in Europa bestand in New York neben der geheimen Bundesgemeinde ein öffentlicher Arbeiterverein. Im Gegensatz zu den europäischen Vereinen schloß sich Krieges Gemeinde aber einer amerikanischen Organisation, der Free Soil Bewegung, an. Versuche, auch bürgerliche deut211 Vgl. Ernst, S. 123; Salvatore Clllldido (Hrsg.), L'azione Mazziana nelle Arneriche e la Congrega di New York della "Giovine Italia" (1842-1852). Auraverso lettere inedite diE. F. Foresti e G. Albinola a G. Garibaldi e G. B. Cuneo, in: Bollettino Della Domus Mazziniana, 1972, 123175. 212 Vgl. Copson-Nieclw, Polish Political Emigration, passim. 213 Vgl. etwa Schliüer, S. 20ff.; David Herreshoff, American Disciples of Marx: From the Age

of Jackson to the Progressive Era, Detroit, 1967, S. 48ff.

II. Die politischen Flüchtlinge der 1830er Jahren

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sehe Kreise zu gewinnen, scheiterten.214 Die starke Hinwendung Krieges zur inneramerikanischen Politik wurde von Teilen der amerikanischen Öffentlichkeit negativ aufgenommen. Die nativistische Presse griff die abgehaltenen Versammlungen heftig an.215 In der Folgezeit brach Kriege sowohl mit der europäischen Zentrale des "Bundes der Gerechten" als auch mit seinen amerikanischen Verbündeten. Er sah in der Landverteilung ein Allheilmittel und wurde deshalb auf einer Brüsseler Versammlung des Kommunistenbundes, auf der ihn nur Weitling verteidigte, aus dem Bund ausgeschlossen.216 In seiner Zeitung verteidigte sich Kriege damit, in Amerika sei eine andere Linie zu verfolgen als in Europa.217 Seine anfängliche Strategie ändernd, schloß er sich der Demokratischen Partei an.218 Kriege verteidigte dies mit der Feststellung, die Theorie, durch Gründung kleiner Gemeinschaften die große herbeizuführen, habe sich für die USA als grundfalsch erwiesen.219 Die Demokraten, die schon wegen ihrer deutschen und irischen Mitglieder eine feindliche Haltung zu den europäischen Großmächten einnähmen, müßten unterwandert werden: "Von der demokratischen Partei allein können wir erwarten, daß sie auch über die Union hinaus den Kampf um die Unabhängigkeit unterstützen wird."220 Wenn man sich als amerikanischer Patriot bezeichne, falle man nicht in nationale Engherzigkeit zurück. Das amerikaDisehe Volk sei keine Nation im europäischen Sinne, son-

214 Schliüer, S. 21ff. Auch Harro Harring, Flüchtling der 1830er Jahre, lehnte für das "J~mge Europa" und das "Junge Südamerika" eine Zusammenarbeit mit Krieges "Jungem Amerika" ab. Er sprach sich generell skeptisch gegenüber dem Kommunismus aus und erinnerte an die Feindschaft der Kommunisten in Europa gegenüber dem "J~mgen Europa". Er forderte, die Kommunisten sollten zunächst die Gütergemeinschaft verwirklichen. Vgl. Der Vol/cstribWI, 7.2.1846, 14.2.1846, 28.2.1846. "Der Volkstribun" war Krieges Zeitung, die nur das Jahr 1846 über bestand. Zunächst trug sie den Untertitel "Organ der deutschen Sozialreform-Association in New Yorlt", später "Organ der Jugend Amerikas". Arndt/0/son, S. 405. 215 So schrieb das Whigblatt "Morning Express" am 11.4.1846: "Es ist in der Tat ziemlich weit gekommen, wenn Männer, die nicht die Sprache von Amerika sprechen können, darüber schwatzen, was die Politik der Amerikaner sein sollte, und wenn in deutscher Sprache zu Deutschen gesprochen wird über unsere Gesetzgebung, so halten wir das für eine grenzenlose Unverschämtheit. ... Mögen diese Reformer wenigstens zuerst unsere Sprache lernen, ehe sie unsere Gesetze zu ändern suchen." Zitiert nach Schliiter, S. 25. 216 Das Zirkular gegen Kriege ist abgedruckt in Mar~ Engels Werke, Bd. 4, Berlin (Ost), 1974, 3-17. 217 Der Vol/cstribWI, 27.6.1846. 218 Während die amerikaDisehe Reformbeweg1mg sich gegen den erwarteten Krieg mit England wegen Oregon aussprach, befürwortete Kriege ihn. Dieselben Unterschiede zeigen sich während des Krieges mit Mexiko. Mit seinem Parteiwechsel strich Kriege das Motto "Die Arbeit hoch! Nieder mit dem Kapital!" aus dem Titel des "Volkstribun". Schliüer, S. 40ff. 219 Vgl. den Artikel "An die Brüder der Gerechtigkeit in Europa" in Der Vol/cstribWI, 21.12.1846. Damit wandte sich Kriege gegen die Organisationsform des Geheimbundes, die sich auch tatsächlich als ~mgeeignet für die amerikanischen Verhältnisse erwies. 220 Ebd.

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C. Politisches Asyl im Vonnärz

dem die "Union der jungen Menschheit". Amerikanischer Patriotismus sei kein Nationalhaß, sondern Tyrannenhaß, und sein höchstes Ziel die Demokratisierung der Welt Die Republik sei bisher in den Händen des Kapitals, aber dies werde sich ändern. Die Befreiung des Bodens sei dazu ein erster Schritt. Abgesehen von dem letzten Punkt ist die Verwandtschaft zu Karl Pollens Amerikaverständnis unverkennbar. Indem Kriege sich zur Durchsetzung seiner Ziele an der amerikanischen Parteienpolitik beteiligte, begann er aber eine neue Taktik, die als Vorgängerio späterer Bemühungen zu gelten hat.221 Bürgerlich-demokratische Flüchtlinge sahen im Gegensatz zu Kriege Propaganda als einzig sinnvolle revolutionäre Tätigkeit.222 Zur gleichen Zeit wie die patriotischen Vereine beschäftigte eine von dem Bierbrauer C. Richter unterschriebene und New York, den 25.5.1847 datierte Flugschrift die deutschen Behörden.223 Zuerst wies der bayerische Bundestagsgesandte in einer Zirkularnote darauf hin. Von badischen Stellen wurde ein 1846 nach Amerika ausgewanderter Erhard Richter aus Achern als Verfasser ausfindig gemacht Das Justizministerium wies am 30.8.1847 den Staatsanwalt am Hofgericht des Mittelrheinkreises an, gegen Richter wegen versuchten Hochverrats und Majestätsbeleidigung Anklage zu erheben. Im März 1848 wurde diese Anklage wieder zurückgenommen. 224 Die Verbreitung der Flugschrift scheint nicht unbedeutend gewesen zu sein. Sie wurde auch in der deutschamerikanischen Presse, so im "New Yorker Demokrat", veröffentlicht An diejenigen, die den Aufruf nach Europa schicken oder dort verteilen wollten, sollen unentgeltlich Exemplare abgegeben worden 221 Vgl. unten, S. 309ff. 222 Dies gilt auch für Wilhelm Weitling, der 1846 auf Einladung Hennann Krieges nach Amerika kam und versuchte, dort eine kommunistische Organisation aufzubauen. Vgl. etwa Schlüter, S. 49ff. Sein "Befreiungsbund" ist insoweit bemerkenswert, als er die einzige in Amerika bestehende Organisation war, die (seit Weitlings Rückkehr nach Deutschland 1848) venuchte, nach Deutschland überzugreifen. Dies galt den deutschen Behörden als Beweis für engste revolutionäre Vetbindungen zwischen Amerika und Deutschland. Vgl. Kar/ Georg WermuJh/Wülulm Stieber, Die Communistenverschwörungen des neunzehnten Jahrhunderts, Theil 1-2, Berlin, 1853/54, S. 27ff. 223 Exemplare der Flugschrift fmden sich in mehreren deutschen Archiven. Abgedruckt ist sie in WermuJh/Stieber, S. 303ff. Richter fordert die Revolution und den Tod der "33 Räuberhäuptlinge" samt ihrer Diener. Zum Schluß stellt er für den Fall des Revolutionsausbruchs Hilfe aus Amerika in Aussicht. Dies ist einer der ersten Hinweise in dieser Richtung. 224 GLA Karimme 233!34893, BI. 4; 236/8511, BI. 10. Ob es sich bei Erhard Richter, nach badischen Infonnationen ein ehemaliger Rechtsanwalt, tatsächlich um den Verfasser der Flugschrift handelt, ist zweifelhaft. Erhard Richter kehrte während der Revolution nach Deutschland zurück. Laut eines Berichtes des französischen Innenministeriums schiffte er sich am 11.8.1849 wieder nach Amerika ein (ebd., 48/5202). 1853 hielt er sich im Elsaß auf, nach Angabe des Straßburger Präfekten in Familienangelegenheiten. Badische Behörden nahmen aber an, er veranstalte auch politische Treffen und mache Propaganda. Sollte Richter Baden betreten, solle er sofort festgenommen werden. Ebd., 313/2908, BI. 132-143; 385/8 Zug. 1923 Nr. 28, BI. 78; 236/8511, BI. 203.

II. Die politischen Flüchtlinge der 1830er ]ahren

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sein.225 In Deutschland tauchte sie zunächst als lithographische Handschrift auf, wurde dann aber mit dem Damm 25.3.1848 als "Zuruf eines Deutschen aus Amerika" von August Stritt in Frankfurt a.M. gedruckt und als Flugblatt verbreitet. 226 Auch Karl Heinzen, der Ende 1847 die Schweiz verlassen mußte, faßte als erstes Projekt in Amerika eine Flugschrift ins Auge. 227 Auf einem ihm zu Ehren abgehaltenen Bankett lancierte er im Januar 1848 in New York seinen Plan. In einer Rede erklärte er zunächst, es sei weder eine Unmöglichkeit noch ein Unrecht, Deutscher zu bleiben, wenn man Amerikaner geworden sei. Er halte es für eine Pflicht, Befreier zu werden, wenn man ein Freier geworden sei. Der Standpunkt eines entschiedenen Republikaners sei vor allem deshalb so schwierig, weil die Reaktion durch Verunglimpfung immer auch den lauen Teil der Opposition auf ihre Seite ziehen könne. Dadurch aber, daß Tausende dieselbe Ansicht aussprächen, ließe sich ein gewaltiger Einfluß erreichen. Eine mit Tausenden von Unterschriften versehene kräftige Adresse an das teutsche Volk, in welcher die nordamerikanischen Teutschen aller Stände und jedes Alters (vielleicht die Frauen nicht ausgeschlossen) den europäischen ihre Rechte und Pflichten auseinandersetzen, wird nach meiner Überzeugung mehr wirken, als hundert Schriften eines Einzelnen.228 Deutlich wird der Vorbildcharakter der USA betont.229 Die Adresse wurde in einer Massenversammlung in New York verlesen und angenommen. Heinzen berichtet, nach seiner Rückkehr nach Europa im März 1848 habe er sie in 6.000 Exemplaren drucken und in Deutschland verbreiten lassen, wo alle radikalen Blätter sie.nachdruckten.230 Die Bemühungen radikaler Flüchtlinge fanden unter Deutschamerikanern nicht nur Zuspruch. Heinzen berichtet, unter den "Aristokraten" New Yorks habe sich eine Opposition gegen das Einbeziehen Amerikas in eine revolutionäre Bewegung geregt, "wie sie unter den Bedienten der teutschen Fürsten nur 225 So die Aussage des Kaufmanns Theodor Bille!beck vom 16.8.1847, der sich ab Mai 1847 in New York aufgehalten hatte. SIA Potsdam, Lit. N, No. 138, BI. 35-37. 226 V eil Valenlin, Geschichte der deutschen Revolution von 1848-1849, Berlin 1930/31, Bd. 2, S.570. 227 Heinzen schreibt, abgesehen von den Verfolgungen sei die Auswanderung schon aus fmanziellen Gründen nötig gewesen. Den Plan, nach London zu gehen, habe ihm Freiligrath ausgeredet. London sei der beste Ort zum Vernungern für vermögenlose deutsche Liberale und Revolutionäre. "Es blieb mir also nur der Ausweg nach Amerika übrig." Heinun, Erlebtes, Bd. 2, S. 130f. Zu Heinzen vgl. vor allem Gar/ Will/ce, Against the Current. The Life of Karl Heinzen (18091880), Chicago, 1945. 228 Heinzen, ebd., S. 179. 229 Zur Zeit seines ersten Aufenthaltes in Amerika forderte Heinzen noch die Umbildung Deutschlands nach amerikanischem Muster. Will/ce, Against the Current, S. 5lf. In den 1850er Jahren sprach er sich für eine radikale Umwandhmg der amerikanischen Verfassung aus. Ebd., S. 199ff. 230 Heinzen, Erlebtes, Bd. 2, S. 182.

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C. Politisches Asyl im Vonnärz

gefunden werden konnte".231 Seine Pläne gingen auch über die Flugschrift, mit der er vor allem einen Überblick über seine potentielle Anhängerschaft gewinnen wollte, hinaus. In der "Schnellpost" regte er die Bildung von Vereinen an, die für eine deutsche Republik arbeiten sollten. Über die Position Krieges hinausgehend forderte er die Gründung einer echten radikalen Partei in den Vereinigten Staaten.232 Ein größerer Einfluß deutschamerikanischer Propaganda welcher Couleur auch immer ist für die Vormärzzeit auszuschließen. Zu gering sind dafür die Hinweise in deutschen Archiven. Für die deutsche Exilpresse des Vormärz waren die USA nur von untergeordneter Bedeutung. Deutschamerikanische Zeitungen fielen manchmal mißliebig auf, aber eher zufällig und aus kleinlichen Gründen. So geriet einem preußischen Regierungsrat auf einer Dienstreise in einem Gasthof in Sondershausen eine Nummer der Zeitschrift "Die alte und neue Welt" in die Hand. Er nahm an einem Korrespondenzartikel über Preußen Anstoß, der die Staatsverwaltung, besonders den deutschen Zoll- und Handelsvereins-Vertrag, "in nachteiligem gehässigem Lichte" darzustellen suche. 233 Nach den Bundesbeschlüssen von 1832 war für die Verbreitung aller in deutscher Sprache erscheinenden ausländischen Zeitungen in Deutschland eine behördliche Genehmigung nötig. Mißliebige Blätter konnten jederzeit aus dem Verkehr gezogen werden. Dem preußischen Innenminister schien die Sache allerdings so wichtig, daß er den Regierungspräsidenten in Magdeburg trotz Versicherungen der Schwarzburg-Sonderhausenschen Regierung anwies, von Preußen aus verdeckt zu überprüfen, ob die Zeitung weiter ausgelegt werde.234 Vereinzelte weitere Verbote deutschamerikanischer Zeitungen lassen sich feststellen. So untersagte Kurhessen den Vertrieb der in New York erscheinenden Zeitung "Der Deutsche in Amerika".235 Die einzige deutschamerikanische Zeitung, die allen deutschen Regierungen ein Dom im Auge war, war die New 231 Ebd. In der Opposition gegen Heinzen trat vor allem der Advokat Dr. Ludewig hervor. In der Beurteilung seiner Person spiegelt sich die Spaltung der liberalen Deutschamerikaner, die in den 1850er Jahren in den AuseinandersetZIDlgen zwischen den sogenannten "Grünen" und "Grauen" ihren Höhepunkt erreichte, wider. Von Heinzen angegriffen und verspottet, wird er von KörMr, S. 127, positiv dargestellt. Legt man eine revolutionäre Haltung als Maßstab an, so war Heinzens Ansicht sicher die richtige: Ludewig schrieb Anfang der 1850er Jahre Berichte über die deutschen Flüchtlinge für den preußischen Botschafter von GerolL Vgl. unten, S. 291, Anm. 176 232 Wittke, Against the Current, S. 56. 233 ZStA Merseburg, Rep. 77, Abt. II, No. 73, BI. !Off. "Die alte und neue Welt" war eine der wichtigsten deutschamerikanischen Zeitungen der Vonnärzzeit. Nach KörMr, S. 39, ging die Zeitung in ihrem Bestreben, alles Deutsche in den Vereinigten Staaten zu unterstützen, allerdings oft zu weit. Vgl. auch Wittke, Gennan Language Press, S. 42ff. 234 ZStA Merseburg, ebd., BI. 16. 235 StA Marburg, 100, Nr. 6560, Bd. II, Erlaß des Innenministeriums vom 15.3.1841. In Arndl!Oison läßt sich diese Zeitung nicht nachweisen. Dort ist nur eine 1842 gegründete Zeitung gleichen Namens erwähnL

n. Die politischen Flüchtlinge der 1830er Jahren

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Yorker "Deutsche Schnellpost". Das Mainzer Infonnationsbüro Metternichs berichtete am 21.10.1844, die Verbreitung der "Schnellpost" sei nicht zu verhindern. Sie werde namentlich am Rhein stark gelesen.236 Sowohl das Großherzogtum als auch das Kurfürstentum Hessen verboten im folgenden Jahr offiziell diese Zeitung.237 Trotz dieser sporadischen Verbote sollten weder Verbreitung noch Einfluß selbst der "Schnellpost" überschätzt werden. Ungleich wichtiger für die Opposition in Deutschland waren die Publikationen der Flüchtlinge im europäischen Exil, namentlich in der Schweiz. Von Amerika aus hatte wohl der nonnale Briefverkehr "zersetzendere" Wirkung als die politische Propaganda.238 Trotz der völligen Bewegungs- und Handlungsfreiheit der Flüchtlinge in Amerika entwickelten sich die USA nicht zu einem exilpolitischen Zentrum. Dies lag neben der zahlenmäßigen Schwäche der Flüchtlinge und der Entfernung zu Europa auch an mangelnder Unterstützung durch die Deutschamerikaner. Zwar sprach sich in Amerika im Gegensatz zu Europa und Deutschland niemand gegen die Republik und die Notwendigkeit einer Revolution aus, die gemäßigten Kräfte beschränkten sich aber darauf, diese Revolution verbal zu fordern. Ihre praktische Arbeit ging nicht über Geldsammlungen für verfolgte deutsche Patrioten hinaus. Insoweit wären sie innerhalb Deutschlands den gemäßigten Kräften, die den pflUzischen Preßverein beherrschten, zuzuordnen. Radikale Kreise wie (ansatzweise) die "Gennania", Kriege, Richter und Heinzen gingen davon aus, daß man auch in Amerika aktiv für die Revolution kämpfen könne. Die von ihnen beklagte "Laschheit" der Deutschamerikaner, denen vorgeworfen wurde, sich auf Fackelzüge zu Ehren deutscher Patrioten und kleine Geldsammlungen zu beschränken, ist somit eher als politische Aussage zu werten. Nur ein kleiner Teil der Deutschamerikaner war bereit, den radikalen Flüchtlingen bei weitergehenden Aktionen Hilfestellung zu leisten, während reine Sympathiedemonstrationen, bei denen der ethnische Aspekt nicht unterschätzt werden sollte, für die Mehrheit akzeptabel waren. Radikale Flüchtlinge entwickelten aber trotz ihrer Schwäche schon vor der Revolution die Strategien, die in den 1850er Jahren wieder aufgegriffen wurden, d.h. neben Mobilisierung der Deutschamerikaner vor allem Engagement in 236 Glossy, Bd. I, S. CXIXf., Bd. ß, S. 182f. Zur "Sclmellpost" vgl. oben, S. 135, Anrn. W7 237 SIA Marburg, 100, Nr. 6560, Bd. ill, Erlaß des Innenministeriums vom 28.6.1845; SIA Darmstadl, G 1, 155/17. Draufhin mußte auch der arnerikanische Konsul Graebe auf die "Schnellpost" verzichten. StA Marburg, 9a, Nr. 1007 (Rep. C, Kl. XIV, Nr. 6), BI. 128f., Briefwechsel vom Oktober 1845. 238 Vgl. Kellner, S. 66ff.; Cazden, S. 592. In den Briefen der Auswanderer dominierten allerdings private Nachrichten und praktische Ratschläge. Politische Äußenmgen, bei denen auch Kritik an den Zuständen in den USA nicht fehlte, traten dahinter mrück. Vgl. Wolfgang Helbich/Walter D . Kamphoefner/Ulrilce Sommer, Briefe aus Amerika. Deutsche Auswanderer schreiben aus derNeuen Welt1830-1930, München, 1988, S. 34f.

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C. Politisches Asyl im Vormärz

der amerikanischen Parteipolitik bis hin zur Gründung einer eigenen radikalen Partei, um die Vereinigten Staaten zu bewegen, aktiv auf der Seite der europäischen Demokratie einzugreifen. Diese Strategien unterscheiden sich grundlegend von den Geheimbund-Aktivitäten der Flüchtlinge in Europa und machen die Besonderheiten der Vereinigten Staaten als Asylland deutlich. Alleine in England lassen sich mit den "Fraternal Democrats" Ansätze in die gleiche Richtung feststellen. Während dort aber die Verbindung zur englischen Opposition gesucht wurde, richteten sich die Hoffnungen in Amerika auf den Staat USA. Da sich die Rechtslage der Flüchtlinge in den USA in nichts von der normaler Einwanderer unterschied, stand auch ihnen die Teilnahme am amerikanischen politischen Leben offen. Gerade ihre Aktivitäten unter Deutschamerikanern und in amerikanischen Parteien scheinen zu politischer Mäßigung geführt zu haben, die mit Assimilation Hand in Hand ging. Im Gegensatz zu den europäischen Asylländern kam es nicht zu einer Radikalisierung der Flüchtlinge.

D. Politisches Asyl während der Revolutionsjahre 1848 und 1849 I. Die Revolution im März und April1848 Der Ausbruch der Revolution in Deutschland im März 1848 kam für die Regierungen nicht unerwartet Schon in den Jahren vorher war er befürchtet, ja vorhergesehen worden.1 Dazu hatte vor allem die Wirtschaftskrise von 1845-48 beigetragen. In einzigartiger Weise fielen eine Subsistenzkrise alten und eine Wirtschaftskrise neuen Typs zusammen. Die sich auch in der Landwirtschaft durchsetzenden kapitalistischen Methoden (d.h. Verkauf an den Meistbietenden ohne die alten Rücksichten auf den "gerechten Preis" und die Verpflichtung gegenüber der eigenen Gemarkung) führten zu gezielten Angriffen auf das "System". Besonders intensiv waren die Hungerunruhen im Frühjahr 1847.2 Träger waren nicht die seit alters bekannten Pauper, sondern heruntergekommene kleinbürgerliche Schichten. Das Verhalten der Regierungen und Behörden in dieser Krisensituation muß als besonders bedeutungsvoll für den Revolutionsausbruch betrachtet werden. Ihre Zurückhaltung (die Berechtigung der Unruhen konnte nicht verleugnet werden) setzte Hemmschwellen herab. Ihre Unfähigkeit und Hilflosigkeit überzeugten viele, daß nur ein tiefgreifender Wandel Besserung bringen könne. Das Vertrauen in die Kompetenz des alten Systems wurde nachhaltig gestört 3 Neben diesem oft wenig artikulierten sozialen Protest nahm auch die spezifisch politische Gärung zu. In den 1840er Jahren bildete sich langsam eine über die partikularistischen Grenzen hinausgreifende gesamtdeutsche politische Bewegung heraus. In ihr wurden die künftigen Parteirichtungen schon deutlich. Die in den Kammern dominierenden bürgerlichen Liberalen forderten Reformen, wollten aber keine Revolution, die vor allem unter dem Eindruck der gewalttätigen Hungerproteste als Bedrohung angesehen wurde. Ihr politisches Programm formulierte diese Gruppe auf der Heppenheimer Versammlung im Die südwestdeutschen Staaten hatten sich schon 1847 zur Abwehr von Umsturzbestrebungen zu einem Polizeiverein zusammengeschlossen, der als Vorläufer des nachrevolutionären gesamtdeutschen Polizeivereins angesehen werden kann. Vgl. Siema1111, "Deutschlands Ruhe, Sicherneil und Ordnung", S. 108ff. 2 Vgl. Manfred Gailus, Soziale Protestbewegungen in Deutschland 1847-1849, in: Volkmann/Bergmann (Hrsg.), Sozialer Protest, S. 76-106. 3 SiemaM, Die deutsche Revolution, S. 48.

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D. Politisches Asyl während der Revolutionsjahre 1848 und 1849

Oktober 1847.4 In den Jahren vor der Revolution hatten sich (vor allem in Baden) die radikalen Demokraten von den bürgerlichen Liberalen getrennt Sie kamen noch vor der Heppenheimer Versammlung in Offenburg zusammen. Ihr Programm trug neben radikaldemokratischen auch sozialrevolutionäre Züge. 5 Deutlich war ihre Absicht, sich auf die kleinbürgerlichen und bäuerlichen Schichten als Massenbasis zu stützen. Die Revolution bezog ihre Anstöße auch aus der gesamteuropäischen Lage. Der deutsche Nationalismus als politische Kraft wurde nach der Rheinkrise vor allem durch die Situation in Schleswig-Holstein beflügelt In zahlreichen Sänger- und Turnerfesten drückte sich diese Bewegung aus.6 Für den deutschen Republikanismus war der Schweizer Sonderbundskrieg Ende 1847, durch den der Grundstein für eine neue gesamtschweizerische Verfassung gelegt wurde, von besonderer Bedeutung.? Das dem Deutschen Bund so ähnliche alte System verschwand. Auch in Italien wurden nach Aufständen im Januar und Februar 1848 neue Verfassungen gegeben. Die Februarrevolution in Frankreich war so nur der Kulminationspunkt einer schon in Gang geratenen Bewegung. Die Revolution in Deutschland war weniger durch Straßenkämpfe und Bürgerkrieg als durch Demonstrationen und Petitionen geprägt. In den meisten Fällen gaben die Regierungen den Märzforderungen (u.a. Volksbewaffnung, Pressefreiheit, Schwurgerichte, konstitutionelle Verfassungen in den Einzelstaaten und Berufung eines deutschen Parlaments) kampflos nach. Dieser relativ unblutige Verlauf und die aus dem Ausland kommenden Impulse überwanden die im deutschen Bürgertum eigentlich dominierende Revolutionsfurcht Die Märzbewegung ging aber weit über das politische und soziale Einzugsfeld des vormärzliehen Liberalismus hinaus. Am aktiven bewaffneten Widerstand beteiligten sich vor allem die unteren Schichten. Dies zeigen Analysen der in Berlin und Wien bei den Kämpfen Getöteten bzw. Verwundeten.8 Die Früchte des raschen Erfolges der ersten Revolutionswelle ernteten aber die Liberalen. Seit den Märztagen waren sie bemüht, die Revolution einzudämmen.9

4

5

Abgedruckt in Huber, Dokumente, Bd. ], S. 324ff. Abgedruckt ebd., S. 323f.

6 Dieter Düding, Organisierter gesellschaftlicher Nationalismus in Deutschland 1808-1847. Bedeutung und Funktion der Turner- und Sängervereine für die deutsche Nationalbewegung, München, 1984, S. 140ff., passim.

7 H. Müller, Der Widerball auf den Schweizer Sonderbundskrieg 1847 in den Staaten des Deutschen Bundes, in: Jahrbuch für Geschichte 7, 1972,211-241.

8 Rlllh Hoppe/Jürgen KuczyMJci, Eine Berufs- bzw. auch Klassen- und Schichtenanalyse der Märzgefallenen 1848 in Berlin, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 4, 1964, 200-276; Wolfgang Häusler, Von der Massenarmut zur Arbeiterbewegung. Demokratie und Soziale Frage in der Wiener Revolution von 1848, Wien, 1976, S.J49. 9

Langewiesche,liberalismus, S. 39.

I. Die Revolution im März und Apri11848

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Eine gemeinsame Forderung von Liberalen und Demokraten war die Einberufung eines gesamtdeutschen Parlaments. In dem am 31. März 1848 in Frankfurt zusammengetretenen Vorparlament zeigten sich die starken Gegensätze, die die beiden Gruppen trennten. Die Partei, die am meisten als Vertreter der Barrikadenkämpfer anzusehen wäre, unterlag. Der Antrag Gustav Struves auf Permanenzerklärung der Versammlung mit dem Ziel, Deutschland nach dem Vorbild Amerikas in eine föderalistische Republik umzuwandeln, wurde abgelehnt.lO Zwar gelang es im Gegenzug, die Verfassungsfestlegung alleine einem auf breiter Grundlage zu wählenden Parlament vorzubehalten und für die Übergangszeit einen Fünfzigerausschuß einzusetzen, dieser Ausschuß hatte aber nicht die Aufgabe, im Sinne des Struve'schen Antrags die Revolution voranzutreiben, sondern im Benehmen mit dem Bundestag Ruhe und Ordnung wiederherzustellen.11 In der Auseinandersetzung über diese Positionen haue sich die demokratische Linke gespalten. Sie zerfiel in einen Parlamentsflügel, der die Mehrheitsentscheidung akzeptierte und hoffte, nach den Wahlen zur Nationalversammlung eine bessere Ausgangsposition zu haben, und eine aktivistische Fraktion um Hecker und Struve, die durch Weiterführung der Revolution ihre Ziele erreichen wollte. Im Fünfzigerausschuß war die letztere Gruppierung nicht vertreten. Weder Hecker noch Struve erreichten die erforderliche StimmenzahL Mit den Beratungen des Vorparlaments war die Minderheitenposition der demokratischen Republikaner festgeschrieben und gleichzeitig deutlich geworden, daß ein Teil der Linken in der weiteren legalen Entwicklung keinen Platz hatte. Diese außerparlamentarische Position war nicht nur selbstgewählt, sondern auch, wie die Wahlen zum Fünfzigerausschuß zeigen, aufgezwungen.12 Das Vorparlament, das diese Ausgrenzung beschloß, hatte gleichzeitig mit der Ausschreibung der Wahlen zur Nationalversammlung den deutschen politischen Flüchtlingen ohne Einschränkung das Bürgerrecht und damit das aktive und passive Wahlrecht wieder zuerkannt 13 Dieser Beschluß wurde vom Bun-

Struves Antrag ist abgedruckt in Hwber, Dokumente, S. 332ff. 11 Hier bestand Gemeinsamkeit zwischen Liberalen und gemäßigten Demokraten wie Franz Raveaux. Vgl. /.ßngewiesche, Liberalismus, S. 43, 45. 12 Gibtter Wollstein, Das Vorparlament: Die Konterrevolution erhält ihre Chance, in: Michael Salewski (Hrsg.), Die Deutschen und die Revolution, Göttingen, 1984, 179-205, S. 204, spricht von einer "der Staatsgründung abträglichen Emotionalisierung. Eine angriffslustige Haltung des linken Aügels der Demokraten, der politisch chancenlos war, und ein bedenklicher Mangel an Selbstvertrauen und Souveränität bei den Liberalen waren die Ursachen." 13 "Die politischen Aüchtlinge, die nach Deutschland zurückkehren und ihr Staatsbürgerrecht wieder antreten, sind wahlberechtigt und wählbar." Hwber, Dokumente, S. 335. Zur späteren Haltung des Parlaments in dieser Frage vgl. unten, S. 152. 10

10 Reiter

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D. Politisches Asyl während der Revolutionsjahre 1848 und 1849

destag bestätigt1 4 Hier zeigt sich zum letzten Mal die vormärzliche Solidarität mit allen Opfern der Repression, die noch nicht zwischen Parteien unterschied. Einige der ehemaligen Verfolgten wurden in die Nationalversammlung gewählt Noch bevor die Nationalversammlung in Frankfurt zusammentrat, gab es wieder deutsche Flüchtlinge im benachbarten europäischen Ausland.lS Die süddeutschen Republikaner unter der Führung Heckers und Struves warteten nach ihrer Niederlage im Vorparlament auf den günstigen Zeitpunkt zur Weiterführung der Revolution. Als der badische Kammerabgeordnete Karl Mathy (ehemaliger politischer Flüchtling und Kampfgenosse Mazzinis) Anfang April den Redakteur J oseph Fickler gesetzwidrig und ohne jede Befugnis festnehmen ließ, entschloß sich Hecker, der weitere Zwangsmaßnahmen gegen die Linke fürchtete, zum Losschlagen.16 Angesichts seiner Popularität, der generellen Unzufriedenheit im Lande und des aktuellen Anlasses schienen die Voraussetzungen zum Erfolg gegeben. Die Kolonnen der Aufständischen wurden aber durch Bundesmilitär schnell zerschlagen. Das Scheitern der Hecker'schen Unternehmung zeigt, wie gering schon im April 1848 die Erfolgsaussichten der radikalen Kräfte waren. Die Demokraten hatten sich zwar nicht in der Zusammensetzung ihrer Anhänger, wohl aber in ihrer zahlenmäßigen Stärke getäuscht. Ihnen folgten Handwerksgesellen, Arbeiter, Bauern und Studenten, also die Kreise, die durch das Offenburger Programm angesprochen wurden. Die Freischaren waren aber nicht zahlreich genug und überdies in mehrere Kolonnen zersplittert. Darüber hinaus wurde deutlich, daß die alte Regel der Einigkeit der deutschen Regierungen zur Unterdrückung von Volksbewegungen auch nach der Revolution zutraf. Das Bundesmilitär war gegen die Aufständischen voll einsatzfähig und die konstitutionellen Liberalen waren bereit, diese Waffe gegen die drohende demokratische Revolution einzusetzen. Die süddeutschen Demokraten sahen sich einer vereinigten Front von Kammerliberalismus und alter Gewalt gegenüber, wäh14 Ebd., S. 338.

15 Nur verwiesen sei auf das Problem deljenigen, die vor der Revolution und nicht infolge ihres Scheiteros flohen. Günler Moltmann, Atlantische Blockpolitik im 19. Jhd. Die Vereinigten Staaten und der deutsche Liberalismus während der Revolution 1848/49, Düsseldorf, 1973, S. 61, berichtet von einem Ansturm auf die amerikanischen Konsulate von seiten konservativer wohlsituierter Bürger. Der amerikanische Botschafter in Frankreich und der amerikanische Konsul in Le Havre bemerkten einen starken Anstieg der Auswanderung aus diesen Kreisen. NA Washington, 34/34 (Dispatches Legation Paris), Nr. 42 vom 25.7.1848. Ein besonderes Problem bildet die Auswanderungswelle der Juden nach Amerika. Die antijüdischen Ausschreitungen während der Revolution überzeugten viele, daß sich ihre Situation auch unter einem neuen Regime nicht ändern würde. Vgl. Guido Kisch, The Revolution of 1848 and the Jewish "On to America" Movement, in: Publications of the American Jewish Historical Society 38, 1948/49, 185-234. 16 Wollstein, S. 201, sieht schon in der Nichtberücksichtigung Heckers im Fünfzigerausschuß den Anstoß zum Aufstandsversuch in Baden.

ll. Die Nationalversammlung und die Aüchtlingsfrage

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rend ihre Anhängerschaft sich als wesentlich weniger zahlreich herausstellte, als sie angenommen hatten. Die badische Regierung ahndete den Revolutionsversuch mit Belagerungszustand, mehr als 3.000 Hochverratsprozessen und unnachsichtig hohen Strafen. Mit der Auflösung der Volksausschüsse und der demokratischen Vereine ging sie gegen die Organisationen der Demokraten (d.h. auch der nicht am Heckeraufstand beteiligten) vor, wobei sie sich auf alte Reaktionsgesetze der 1830er Jahre berief. Auf die Flüchtlinge wurde mit dem Mittel der Vermögensbeschlagnahmung Druck ausgeübt 17

ll. Die Nationalversammlung und die Flüchtlingsfrage Die Wahlen zur Nationalversammlung und die in den Debatten folgende Klärung der Parteipositionen machten deutlich, daß die Demokraten ihre Position gegenüber dem Vorparlament nicht verbessern konnten. Die Rechte des Cafe Milani stellte 6 %. Die konstitutionell-liberal eingestellten Fraktionen des rechten Zentrums dominierten mit 34 %. Das parlamentarisch-liberale linke Zentrum kam auf 13 %. Die demokratische Linke war mit 15 % klar in der Minderheit 32 % der Abgeordneten schlossen sich keiner Fraktion an.18 Nach der beruflichen Stellung war die Nationalversammlung ein Beamtenparlament Von 812 Abgeordneten waren 436 Staatsdiener und 39 Geistliche. Der freiberuflichen Intelligenz gehörten 149, dem Wirtschaftsbürgertum 56 Abgeordnete an. Die unteren Schichten waren trotz des teilweise weitgefaßten Wahlrechts (mindestens 75 %der männlichen erwachsenen Deutschen waren wahlberechtigt) kaum vertreten: 3 Bauern und 4 Handwerker finden sich unter den Parlamentariern. Die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten besaß eine Universitätsausbildung, 491, d.h. 60 % aller Mitglieder, waren J uristen.19 Die vom konstitutionell-liberalen rechten Zentrum dominierte Paulskirchenmehrheit wollte Reformen unter Wahrung von Legalität und Rechtskontinuität durchführen. Ihre durch den Heckerzug noch bestärkte Furcht vor dem revolutionären Chaos, das sie mit "Republik" assoziierte, ließ sie Reformpolitik nur in engen Grenzen für verantwortlich halten. Zunehmend wandte sie sich 17 Siemann, Die deutsche Revolution, S. 15; GLA Karlsruh.e, 236/8526, BI. 3, Weisung des Innenministeriums vom 2.5.1848. Nur bei Aucht war nach badischem Gesetz die Vermögensbeschlagnahmung erlaubt. Gegen Scheinverkäufe an Verwandte oder Freunde wurde eingeschritten. Vgl. auch Real, Revolution in Baden, S. 78. Die 30.000 Mann Interventionstruppen wurden erst im September 1848 abgezogen. Ebd., S. 80. 18 Wolfram Siemann, Die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 zwischen demokratischem Liberalismus und konservativer Reform. Die Bedeutung der Juristendominanz in den Verfassungsverhandlungen des Paulskirchenparlaments, Frankfurt, 1976, S. 27. 19 Siemann, Die deutsche Revolution, S. 126f. Die Abhängigkeit der beamteten Abgeordneten zeigte sich im April/Mai 1849, als die Regierungen ihre Abgeordneten widerrechtlich abberiefen und mit Disziplinarstrafen und Dienstenthebung drohten.

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D. Politisches Asyl während der Revolutionsjahre 1848 und 1849

gegen alle, die der republikanischen Staatsform nicht grundsätzlich abschworen. Die erfolgreiche Eindämmung der Revolutionsbewegung, der die Märzregierungen, die Nationalversammlung und die Zentralgewalt ihr Dasein verdankten, war aber ein einseitiger Sieg der Liberalen. Je mehr diese Politik sich durchsetzte, desto größer mußte der Handlungsspielraum der alten Mächte werden, die sich nicht auf eine neue Verfassungsordnung festlegen ließen. 20 Die Politik der Paulskirchenmehrheit erklärt sich nicht alleine aus durch den Revolutionsablauf bestimmten Zugzwängen, sie hatte auch eine ideologische Basis. Wolfram Siemann hat die Bedeutung der überwiegend rechtshistorischen (im Gegensatz zu einer naturrechtlichen) Ausbildung der Juristen unter den Abgeordneten für ihre politische Einstellung herausgearbeitet. Von diesen Positionen hatte sich im Vonnärz Carl von Roneck in seinem Artikel über "Historisches Recht" im "Staatslexikon" abgegrenzt. Er vermutete in ihnen "blos verkappte Reactionsmänner" oder aber "zwar gutmüthige, aber schwache Menschen, die ... den schönen Versprechungen der schlauen Gegner trauen". 21 Nach Rottecks Verständnis stand der Liberalismus an der Seite des Radikalismus und trat für grundsätzliche Veränderungen ein.22 In der Paulskirche befand sich ein so verstandener radikaler Liberalismus in der Minderheit. Dominierende Kraft war die Fraktion Casino, deren Mitglieder sich selbst als (selbstverständlich reformerisch verstanden) konservativ definierten. 23 Diese Mehrheitsverhältnisse fanden ihren Niederschlag in den Verfassungsentscheidungen und der Tagespolitik von Parlament und Zentralgewalt 24 Die Mehrheitsverhältnisse in Deutschland mußten sich auf die Situation der Flüchtlinge auswirken, die der demokratischen Minderheit angehörten. Während der Revolutionsjahre dominierten unter ihnen die Kräfte, die schon vor der Konstituierung der Nationalversammlung aus der legalen Entwicklung ausgeschieden waren. Nach dem endgültigen Scheitern der Revolution sahen sich aus den parlamentarischen Gruppen fast ausschließlich Abgeordnete der demokrati20 Vgl. Langewiesche, Liberalismus, S. 44ff.; SiemtJnn, Die deutsche Revolution, S. TI. 21 Zitiert nach SiemtJM, Die Frankfurter Nationalversammlung, S. 278.

22 In dem Artikel des "Staatslexikons" schrieb Rotteck: "Das System der Reformen, als ein Zwittersystem, geeignet nicht zur Versöhnung, sondern nur zur Verschleierung der entgegengesetzten Tendenzen und an und für sich principlos, weil Recht mit Bestand, Vernunftmäßigkeit mit Lebenskraft verwechselnd, weisen wir entschieden zurück." Zitiert nach ebd. 23 Vgl. die ebd., S. 270ff., aufgeführten Beispiele. Hier fmdet einerseits die von Alexander von Soiron am 26.4.1848 in der Paulskirche ausgesprochene Überzeugung ihren Niederschlag, in der jetzigen Revolutionssituation müsse man konservativ handeln, um Anarchie zu verllindem. Vgl. l..allgewiesche, Liberalismus, S. 46. Den ideologischen Hintergrund verdeutlichen andererseits die politischen Prädispositionen historisch-rechtlich orientierter Abgeordneter vor ihrem Eintritt in das Parlament, sowie die teilweise schroffe Ablehnung, die sie gegenüber einem naturrechtliehen Liberalismus zeigten. SiemtJnn, ebd., S. 87ff., 279ff. 24 Zu den wichtigsten Verfassungsentscheidungen vgl. SiemtJnn, ebd., S. 282ff.

II. Die Nationalversammlung und die Flüchtlingsfrage

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sehen Linken gezwungen, ins Exil zu gehen. Die deutschen politischen Flüchtlinge von 1848/49 waren nicht Teil der Revolutionstradition, die durch die Kabinette Leiningen, Schmerling und Gagern bzw. die Märzregierungen repräsentiert wurde. Sie waren vielmehr entschiedene Gegner dieser politischen Richtung bzw. wurden von ihr als solche bekämpft. Diese nicht nur politische, sondern auch ideologische Gegnerschaft bestimmte das Verhalten von Nationalversammlung, Zentralgewalt und einzelstaatlichen Regierungen gegenüber den Flüchtlingen. Auf dem Höhepunkt ihres Einflusses und bald nach der Schaffung der Provisorischen Zentralgewalt befaßte sich das Frankfurter Parlament mit den deutschen Flüchtlingen. In einer Debatte am 8. August 1848 kam die Frage einer Amnestie zur Sprache. Ihr lagen zahlreiche Petitionen zugrunde, die vor allem aus Süddeutschland an das Parlament gerichtet worden waren, sowie ein Ende Mai gestellter Antrag des Abgeordneten Wiesner. Am 15. Juli hatte der Ausschuß für Gesetzgebung und Rechtspflege diese Petitionen abschlägig beschieden. Als Grund wurde angeführt, das Recht auf Amnestie stehe den Einzelstaaten zu. Die Nationalversammlung könne nur eingreifen, wenn ein solcher Eingriff sich ihr als ein durch die Macht der Verhältnisse gebotener politischer Akt zur Verwirklichung ihrer Aufgabe als unabweislich darstelle. Dies wurde entschieden abgelehnt Der Angriff Heckers habe sich gegen das Frankfurter Parlament und die neue Ordnung in Deutschland gerichtet Eine Amnestie könne erst nach vollständiger Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung politisch gerechtfertigt werden. Als weiteres juristisches Argument führte der Ausschuß an, keiner der politischen Straftäter selbst habe bisher ein Gesuch um Amnestie gestellt So sei keine Gewähr gegeben, daß sie nicht nach der Amnestie von neuem Bürgerkrieg säen würden, oder den Spruch eines Gerichtes vorzögen. 25 Die Debatte verlief in teilweise stürmischer Atmosphäre. Gegen Ende kam es zu tätlichen Angriffen auf den Abgeordneten Brentano von seiten der Rechten und zum Ausschluß des Publikums. Es standen einander Positionen gegenüber, die völlig entgegengesetzt waren und keinen Kompromiß zuließen. Dies beruhte auf dem unterschiedlichen Revolutions- und Selbstverständnis der Abgeordneten der verschiedenen Fraktionen. Aus den Beiträgen der Mehrheit spricht deutlich die Überzeugung, nicht nur als Vertreter der Mehrheit des deutschen Volkes, sondern als Regierung zu sprechen. Die Revolution galt ihr mit den Beschlüssen des Vorparlaments als beendet und Heckers Unternehmen demnach als Hochverrat, der um so schwerer zu werten war, da nach den

25 Franz Wigard (Hrsg.), Stenographischer Bericht über die Verbandlungen der deutschen constituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt a.M., Frankfurt a.M., 1848-50, Bd. 2, S. 1415ff.

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D. Politisches Asyl während der Revolutionsjahre 1848 und 1849

Märzunruhen die wichtigste Aufgabe nur sein konnte, Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, d.h. die Revolution zu schließen. Die Abgeordneten der Minderheit betonten hingegen, nicht nur Hecker, sondern auch die Paulskirchenversammlung stünde auf dem Boden der Revolution. Der Versuch, diese Revolution weiterzuführen, könne nicht als Hochverrat bezeichnet werden. Der Abgeordnete Sirnon aus Trier stellte fest: Ich gebe nur einen Gesichtspunkt zu, aus welchem Sie die Amnestie nicht zu gewähren vollständig berechtigt sein könnten, das ist der Trieb der Selbsterhaltung.26 Die Redner für die Amnestie versuchten darzulegen, daß Hecker keine Preisebarenzüge gegen Deutschland beabsichtige.27 Dies wurde von der Mehrheit nicht anerkannt. Ihr galten die Aufforderungen Heckers in seiner Exilzeitung "Der Volksfreund", sich für die Republik einzusetzen, als Beweis für seine fortbestehenden hochverräterischen Absichten. Auch Heckers Erklärung, für sich selbst fordere er keine Amnestie, bitte aber darum für die in den deutschen Gefangnissen Einsitzenden und die mittellosen Flüchtlinge in Schaffhausen, machte keinen Eindruck.28 Ebenso unbeachtet blieb das Gesuch der unter der Führung von August Willich in Besan~on internierten Flüchtlinge. 29 Die Parlamentsmehrheit sprach sich gegen die Amnestie aus, weil für sie die Revolution beendet war. Sie lehnte deren Weiterführung nicht nur ab, sondern fürchtete sie auch. Für sie war Revolution nur akzeptabel, wie sie sich im März 1848 abgespielt hatte: eine allgemeine Volksbewegung, der die Regierungen nachgaben.30 Aufstand mit Waffen in der Hand, um die Republik durchzusetzen, war Hochverrat. Die Grundfrage der Staatsform galt der Mehrheit mit den Beschlüssen des Vorparlaments als entschieden, was in der Praxis sicher stimmte. Daran änderten auch die Verwahrungen der Redner der Minderheit nichts.31 Indem die Mehrheit sich mit dem Übergang zur Tagesordnung generell gegen eine Amnestie aussprach und damit auch modifizierende Anträge, in denen für eine Amnestie der Minderbeteiligten geworben wurde, verwarf, bezog die Nationalversammlung eine unnachgiebige Frontstellung gegen die 26 Ebd., S. 1430. 27 Der Abgeordnete Sirnon verlas eine dahingehende Erklärung Heckers. Ebd., S. 1430. 28 Diese Erklärung wurde in der Debatte von dem Abgeordneten und persönlichen Freund Heckers Itzstein verlesen. Ebd., S. 1422. 29 Willichs Gesuch wurde während des Vonrags des Ausschußberichts verlesen. Ebd., S. 1418f. Seine Aufforderung, die Flüchtlinge gegen Verfolgungen wegen eines Unternehmens zu sichern, das die Nationalversamlung vielleicht nicht mehr lange einen Imum nennen werde, konnte die Entscheidung des Parlaments kaum positiv beeinflussen. 30 Der Abgeordnete Edel aus Würzburg nannte sie in der Debatte eine "glückliche, aber nothwendige und ehrenvolle Revolution". Heckers Unternehmung hingegen sei die Bewegung einer Minderheit gewesen, die außerdem "um Formen, nicht um die Sache gestritten" habe. Ebd., S. 1435. 31 So von Ludwig Sirnon aus Trier, ebd., S. 1429.

II. Die Nationalversammlung und die Flüchtlingsfrage

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außerparlamentarische republikanische Opposition. Sie unternahm keinen Versuch, Teile dieser Opposition zu integrieren. Sie billigte darüber hinaus das Vorgehen der badischen Regierung, das sich von vorrevolutionären Repressionsmaßnahmen weder in Form noch in Inhalt unterschied. Dies konnte nur zu weiterer Polarisierung und Radikalisierung führen, wie die Resolution, die die Flüchtlinge in Straßburg nach der Entscheidung der Paulskirche veröffentlichten, zeigt.32 In einer nur wenige Tage später folgenden zweiten Entscheidung bestätigte die Mehrheit des Parlaments ihre unversöhnliche Haltung. 33 Friedrich Hecker war am 7. Juni 1848 im Bezirk Thiengen mit absoluter Stimmenmehrheit in die Nationalversammlung gewählt worden. Nunmehr stellte sich die Frage, ob er zugelassen werden sollte oder nicht In gewisser Weise war mit der Amnestiedebatte eine Vorentscheidung gefallen, in diesem speziellen Fall traten aber Probleme auf, die noch stärker in das Selbstverständnis des Parlaments eingriffen. Formale Einwände gegen die Wahl konnten nicht geltend gemacht werden, und Hecker war von keinem Gericht rechtskräftig verurteilt. Nach dem maßgebenden badischen Wahlgesetz konnte ein Kandidat aber nur dann als nicht wählbar erklärt werden, wenn er rechtskräftig verurteilt war. Daß von einer Verurteilung Heckers keineswegs zwingend ausgegangen werden konnte, zeigt das Urteil im Prozeß gegen Gustav Struve. Struve, der nach seinem gescheiterten Aufstandsversuch vom September 1848 in Freiburg vor ein Schwurgericht kam, wurde in allen den Heckeraufstand betreffenden Anklagepunkten freigesprochen. Nach Meinung der Geschworenen war der badische Aprilaufstand Teil der Revolution. Damit wurde auch Hecker nachträglich freigesprochen. 34 Der zuständige Ausschuß der Nationalversammlung entschied, Heckers Wahl sei materiell ungültig, da er sich vor der Wahl des Hochverrats schuldig gemacht habe. Er ging allerdings nicht so weit, sich auf die Seite der badischen Regierung zu stellen, die den Vorschlag machte, den Verlierer der Wahl als Abgeordneten zuzulassen, oder den Wahlbezirk Thiengen, weil er sich durch die Mehrheit seiner Wahlmänner auf die Seite der Hochverräter gestellt habe, des Wahlrechts für verlustig zu erklären. Der Ausschuß stellte den Antrag, eine Neuwahl durchführen zu lassen. Die Parlamentsmehrheit folgte dem Ausschußantrag. Sie begründete ihr Recht, ohne bzw. gegen das Gesetz auf diese Weise zu entscheiden, mit ihrer Souveränität als verfassunggebender Versammlung. Die Mehrheit sprach klar aus, daß es sich um eine rein politische, nicht um eine juristische Frage handelte. Die von Hecker selbst vertretene radikale Ansicht, 32 Abgedruckt bei Wiltberger, S. 115ff. 33 Wigard, S. 1476ff. 34 JiiTgen Peiser, Gustav Sttuve als politischer Schriftsteller und Revolutionär, Frankfun a.M. (Diss.), 1973, S. 180.

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D. Politisches Asyl während der Revolutionsjahre 1848 und 1849

der Aufstand in Baden und die Konstituierung der Nationalversammlung unterschieden sich nur in der Wahl der Mittel, nicht aber in Hinsicht auf die Legitimation, aus der sie sich herleiteten, wurde abgelehnL 35 Heckers Unternehmung sei keine Revolution, sondern eine Rebellion gewesen. Auch in der zweiten Wahlrunde am 26.10.1848 wurde Friedrich Hecker gewählL Der Wahlkreis Thiengen war in der Paulskirche nicht mit einem Abgeordneten vertreten. Vergeblich warnte der Abgeordnete Vogt die Versammlung vor den möglichen Folgen ihrer Entscheidung, über die materielle Ungültigkeit einer Wahl zu entschließen: Wenn Sie das Primip anerkennen, daß wegen materieller Unfähigkeit Jemand ausgeschlossen werden köMe, so erkennen Sie sich auch das Recht an zu beschließen über den Antrag, der die italienischen Deputierten ausschließen will, weil sie für AbtreMung ihres Kreises von Deutschland gestimmt haben .... WeM Sie diesem Principe folgen, so kommen Sie consequenterweise dazu, daß Sie jeden, welcher der Ansicht der Majorität nicht folgt, für einen Rebellen an der Nationalversammlung erklären und ausschließen können.36

Vogts Antrag, die Wahl Heckers, da formal nicht anfechtbar, anzuerkennen, ebenso aber der badischen Regierung die Möglichkeit zu geben, die nötigen Anträge zur Einleitung eines Prozesses an die Nationalversammlung zu richten, kam nicht zur Abstimmung. Die beiden Debatten zeigen, daß die Mehrheit der Nationalversammlung nicht bereit war, gegenüber Flüchtlingen und politischen Straftätern eine großzügige Haltung einzunehmen. Es wurde kein Versuch unternommen, sie wenn nicht in ihrer Gesamtheit, so doch in Teilen zu integrieren. Die Teilnehmer an Heckers Freischarenzug wurden nicht als irregeleitete Minderheit, sondern als tödliche Gefahr gesehen. Hier muß für die Mehrheit in der Nationalversammlung von einem Mangel an Souveränität und Selbstbewußtsein gesprochen werden, der schon für das Vorparlament konstatiert wurde.37 Die Beratungen über das passive Wahlrecht bestätigen dies. Nur mit den Stimmen der linken Mitte konnte verhindert werden, daß (ehemaligen) politischen Straftätern das

35 Hecker vertrat seine Auffassung in einem Schreiben an das Präsidiwn der Nationalversammlung. Wigard, S. 1477. Der Mehmeitsabgeordnete Simson aus Königsberg sagte dazu: "Wenn man aber demnächst uns selbst die Revolution nennt - ... - wie meine Herren, darf man im Ernst behaupten, der Arzt der an das Krankenbett tritt, das Heilverfahren, das er einschlägt, die Heilmittel, die er anwendet, seien die Krankheit, die Fortsetzung der Krankheit selber? ... Ich frage, meine Herren, ob diese hohe Versammlung nicht die Neigung, ich wage es zu fragen, ob sie den Muth zu einer solchen Erklärung haben wird." Ebd., S. 1488. Unbeschadet der Analyse Simsons, eine solche Erklärung erfordere den Mut eines Selbstmörders, da sie von der Mehrlteit der Deutschen nicht akzeptiert werden könne, sagen diese Sätze sehr viel über das Selbstverständnis der Parlamentsmehrlteit aus. 36 Ebd., S. 1490.

37 Wollslein, S. 204.

m. Definitionen des politischen Delikts

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passive Wahlrecht verweigert wurde.38 Diese Haltung scheint nicht nur gegenüber den eigenen, sondern auch gegenüber ausländischen politischen Straftätern dominierend gewesen zu sein. Ein Dringlichkeitsantrag des Abgeordneten Jordan, durch Beschluß der Nationalversammlung die Auslieferung wegen politischer Delikte zu untersagen, kam nicht zur Debatte.39

m. Definitionen des politischen Delikts angesichts der sozialen Revolution: Die Auslieferung der Mörder Lichnowskis und Auerswalds Die Haltung der Reichsministerien in der Flüchtlingsfrage entsprach der Stimmung im Parlament. Sie ist Teil einer im Laufe des Jahres 1848 immer aktiver werdenden Repressionspolitik der Zentralgewalt, die sich gegen den innenpolitischen Gegner in Deutschland und im Exil richtete. Die Befürchtung, die politischen Flüchtlinge könnten vom europäischen Ausland aus einen erneuten Aufstand versuchen, war verständlich, die von diesen Versuchen ausgehende Gefahr wurde aber übertrieben.40 Der zweite Revolutionsschub hatte innerdeutsche Grunde und sein Ausbruch wurde direkt durch eine Entscheidung des Parlaments verursacht Im September 1848 entlud sich die Unzufriedenheit der unteren Schichten in zahlreichen Protesten. Der bewaffnete Aufstand in Frankfurt wurde schließlich durch die Anerkennung des Waffenstillstandes von Malmö ausgelöst. Er ist gemeinsam mit der Proklamierung der Republik durch den aus dem Schweizer Exil zurückkehrenden Gustav Struve in Lörrach und dem Aufruhr in Köln zu sehen. Soziale Enttäuschung, nationale

38 DoNJld J. Mattheisen, Liberal Constitutionalism in the Frankfurt Parliament of 1848. An Inquiry Basedon Roll-Call Analysis, in: Central European History 12, 1979, 124-142, S. 139. 39 Wigard, Bd. 2, S. 1253 (50. Sitmng, 28.7.1848). Der Antrag lautete: "Es darf kein wegen politischer Vergehungen verfolgter Ausländer, der sich nach Deutschland flüchtet, ausgeliefert werden." Der Antrag scheint sich somit nicht auf die "crimes connexes" erstreckt zu haben. Die Zentralgewalt sollte außerdem beauftragt werden, bei Österreich und Preußen die Gültigkeit des Gesetzes auch für ihre außerdeutschen Länder m erreichen. In der Frage der deutschen Staatsangehörigen, die wegen Teilnahme am Juniaufstand in Frankreich inhaftiert waren, gingen die Reichsministerien davon aus, die Reklamierung der Gefangenen bleibe den deutschen Einzelstaaten belassen. Vgl. ebd., Bd. 3, S. 2292; Bd. 4, S. 2371, 2586f., 2943ff. Nach einem Bericht des Reichsgesandten Schweitzer in Paris vom 1.9.1848 schritten die übrigen deutschen Gesandten wegen der Gefangenen nicht ein. Nach Schweitzer handelte es sich bei ihnen nicht um politische Schwärmer, sondern um Diebe und Mörder. BA Frankfurt, 53/64, Heft 2, BI. 21. Nach seinem Bericht vom 14.10.1848 (ebd., BI. 74) waren 11 Preußen, 8 Bayern, 4 Österreicher und 4 "sogenannte Deutsche" unter den Gefangenen. 40 Zur Tätigkeit der Flüchtlinge im Jahr 1848 vgl. etwa Kar/ Obermann (Hrsg.), Neue Dokmnente mr Tätigkeit der demokratischen deutschen Emigranten in der Schweiz und in Frankreich 1848, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 24, 1976, S. 1146-1165. Friedrich Hecker war an diesen Vorbereitungen wohl nicht mehr beteiligt. Ebd., S. 1148.

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D. Politisches Asyl während der Revolutioosjahre 1848 und 1849

Begeisterung und demokratische Furcht vor einem Sieg der Reaktion standen hinter dieser Bewegung, die durch Militär schnell niedergeschlagen wurde. Die Reaktion der Frankfurter Zentralgewalt wurde entscheidend dadurch geprägt, daß während der Kämpfe aber abseits der Barrikaden die beiden Abgeordneten Fürst Felix von Lichnowsky und General Hans von Auerswald ermordet wurden. Dieses Verbrechen hatte ähnliche politische Folgen wie der Mord an Kotzebue. In direktem Anschluß verhängte der Reichsverweser den Belagerungszustand über Frankfurt, hob alle Vereine auf und ließ Steckbriefe ausgehen. Die Langzeitwirkung griff weit tiefer. Im Oktober verabschiedete die Nationalversammlung ein "Verfassungsschutzgesetz".41 Neben den normalen Vorschriften zum Schutz des Parlamentes wie Bannmeile usw. verfügte es einen befremdend stark ausgeprägten Schutz der Versammlung, ihrer Mitglieder und der Beamten der Provisorischen Zentralgewalt vor Beleidigung.42 Die Reichsministerien begannen darüber hinaus mit dem Aufbau einer zentralen Staatspolizeibehörde. 43 Gemeinsame Zirkularerlasse des Reichsinnen- und justizministeTs forderten die Einzelstaaten zum Vorgehen gegen die Presse und die politischen Vereine auf.44 Einsatz von Reichstruppen und Reichsbevollmächtigten in unruhigen Gebieten vervollständigen das Bild. Mit dieser Politik näherte sich die Zentralgewalt der Funktion des alten Bundestages als "einer allgemeinen deutschen Polizeianstalt" und als solche wurde sie von den Einzelstaaten benutzt 45 Die Unterstützung, die sonst fehlte, wurde auf dem Gebiet der inneren Sicherheit gerne gegeben. Die verständlichen Bemühungen der Frankfurter Ministerien, sich vor Umsturz und Revolution zu schützen und die innere Ruhe in Deutschland wiederherzustellen, gingen bedenklich weit Spätestens seit dem Septemberaufstand von einem wahren Revolutionstrauma beherrscht, gestattete sich die Zentralgewalt Eingriffe in die eben erst gewährten Grundrechte.46 Vor diesem Hintergrund war eine uneinge41 So genannt von Huber, Dokumente, Bd. 1, abgedruckt S. 350f. 42 Schroeder, Schutz voo Staat und Verfassung, S. 72. 43 Vgl. Siema1111, "Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung", S. 224ff. 44 ZlDil Vorgehen der Frankfurter Zentralgewalt gegen die politischen Vereine, vgl. Siema1111, ebd., S. 226ff. In den Rundschreiben der Reichsministerien wird voo einem immer maßloser tDil sich greifenden Mißbrauch der Presse zu verbrecherischen Zwecken gesprochen. Ebenso dürfe nicht länger geduldet werden, daß in Vereinen und Volksvenammlungen Behörden und Beamte beschimpft, der Umsturz der bestehenden Verfassung proklamiert und das Volk mr gewaltsamen Empörung gegen die gesetzlichen Zustände aufgefordert werde. Angesichts so weitgefaSter Vontellungen voo "Mißbrauch" dieser Grundrechte fällt es schwer, die Venicherung, Presse-, Vereins- und Venammlungsfreiheit sollten voll erhalten bleiben, ernst zu nehmen. BA Fralllifurt, DB 54/8, Rundschreiben vorn 24.9.1848. 45 SiemaM, ebd., S. 240. 46 Der Abgeordnete Schluner wies den Reichsjustizminister auf die Unvereinbarkeit seines Erlasses betreffs der Vereine mit der eben erst als Grundrecht gewährten Koalitionsfreiheit hin. Die Erwiderung Mohls auf diese Kritik scheint unzureichend. Vgl. ebd., S. 236f.

m. Definitionen des politischen Delikts

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schränkte Anerkennung der Privilegierung politischer Delikte von ihr nicht zu erwarten. In der Frage der Auslieferung der Mörder der Abgeordneten Lichnowski und Auerswald hatte sich die Frankfurter Zentralgewalt in einem speziellen Fall mit dem Verständnis von politischen Verbrechen in Auslieferungsfragen auseinanderzusetzen, wie es sich in Westeuropa im Vormärz entwickelt hatte.47 Am 30.9.1848 teilte das Justizministerium dem Außenministerium die Steckbriefe von 21 Verdächtigen mit, die in Deutschland nicht auffindbar waren und von denen angenommen wurde, sie hielten sich in Frankreich, der Schweiz oder Belgien auf. Das Außenministerium sollte dort Fahndung und Auslieferung verlangen.48 Die Reichregierung ging von der Position aus, die Morde stünden in keinerlei Zusammenhang mit dem Septemberaufstand in Frankfurt. Das Verbrechen selbst ist seinem Charakter nach ein gemeines, und steht weder mit politischen Bewegungen, noch mit den in der Stadt Frankfurt arn 18. SepL v. J. ausgebrochenen tumultarischen Aufruhrseeneo in irgentwelchem direktem Zusarnmenhang.49 In demselben Schreiben betonte das Außenministerium, auch die in dem Zusammenhang verübten gewöhnlichen Diebstähle würden völlig abgesondert und ohne allen Zusammenhang mit anderen Untersuchungen politischer Art verhandelt. Hier ging man von einem Verständnis von "politisches Verbrechen" aus, das nicht mit dem der westlichen liberalen Staaten übereinstimmte. In Belgien waren nicht nur die politischen Delikte im engeren Sinn, sondern auch die "faits connexes" von der Auslieferung ausgenommen. Nach Meinung des renommierten französischen Juristen Paustin Helie war bei Auslieferungsfragen die Unterscheidung zwischen reinen und gemischten politischen Delikten nicht anzuwenden. SO Auch mit der angelsächsischen Haltung, die auf der Definition John Stuart Mills ("any offence committed in the course of or furtherlog of 47 Um Mißverständnissen vorzubeugen: Zur Debatte stand damals und steht in den folgenden Seiten nicht Befürwortung oder Verurteilung der Morde bzw. Sympathie mit den Tätern, sondern die Diskrepanz zwischen dem in Westeuropa vor 1848 entwickelten Verständnis des politischen Delikts im Auslieferungsbereich und der Position der Frankfurter Zentralgewalt. Zum Prozeß gegen die Mörder der Abgeordneten in Deutschland vgl. Reinhold C. Köstlin, Auerswald und Lichnowsky. Ein Zeitbild, nach den Akten des Appellations-Gerichtes zu Frankfurt a.M., Tübingen, 1853. 48 BA Frankfurt, DB 53/69, Heft 1. 49 So das Außenministerium an die Gesandtschaft in Paris arn 13.3.1849, BA Frankfwt, DB 60/Vl 2, BI. 18. Die ständigen Beteuerungen der deutschen Seite, die Morde stünden in keinem direkten Zusammenhang mit dem Septemberaufstand, ja sie stünden überhaupt in keinem politischen Zusammenhang, lassen sich nach dem Tathergang nicht aufrechterhalten. An zeitgenössischen Schilderungen vgl. diejenige Novers, der als hessischer Polizeioffizier mit der Untersuchung des Septemberaufstandes und der Abgeordnetenmorde betraut war, BA Frankfurt, F Sg In Nachlaß Nover 3, fol. 1-235, S. 117ff., sowie Carl Vogt, Der achtzehnte September in Frankfurt. Im Auftrage der Qubbs der Linken vom Deutschen Hofe und vom Donnersberge geschildert, Frankfurt a.M., 1848, S. 6lff. 50 Vgl. oben, S. 29.

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D. Politisches Asyl während der Revolutionsjahre 1848 und 1849

civil war, insurrection or political commotion")51 basierte, mußte die deutsche Interpretation kollidieren. Dies bestätigte sich in den Verhandlungen der folgenden Monate. Schon in einem ersten Gespräch mit dem belgiseben Außen- und Justizminister erhielt der Reichsgesandte in Brüssel den Bescheid, das Fehlen eines Auslieferungsvertrages sowohl mit Frankfurt als auch mit dem Reich stehe einer positiven Entscheidung im Wege. In bezog auf die Verbindung mit dem Frankfurter Aufstand wurde betont, politische Delikte seien nach dem belgiseben Gesetz nicht auslieferbar. Der Polizeipräsident Baron Hody teilte dem Gesandten in einem Gespräch mit, soweit ihm bekannt sei habe der Ministerrat bereits beschlossen, die Auslieferung zu verweigern. Einerseits fehle ein Auslieferungsvertrag, andererseits würden die Abgeordnetenmorde als "faits connexes" politischer Delikte eingeordnet 52 Der Gesandte von Drachenfels war zunächst, gestützt auf eine Äußerung des belgiseben Innenministers, es handele sich bei den Morden um keine politische Straftat, noch optimistisch, tatsächlich hatte die belgisehe Regierung aber schon nach dem schriftlichen Auslieferungsgesuch und noch vor der ersten Unterredung von Drachenfels' mit dem Außen- und Justizminister das Frankfurter Begehren abschlägig beschieden. Sie berief sich dabei auf das Fehlen eines Auslieferungsvertrages.53 Die steckbrieflich Verfolgten sollten, falls sie sich in Belgien aufhielten, ausgewiesen werden. 54 Die belgisehe Regierung begründete die Ablehnung der Auslieferung zwar formal, sah aber die Morde auch als politische Straftaten an. Gegen diese Ansicht seiner Regierung protestierte der belgisehe Polizeichef Hody in einem an den Justizminister gerichteten Schreiben, das er dem Reichsgesandten vertraulich zugehen ließ.55 Hody stellte die Frage, ob nicht gerade die Privilegierung der politischen Delikte deren Ausbreitung fördere. Aus diesem Grund müsse vor allem gegen politische Morde vorgegangen werden, die Hody nicht als politische Straftaten anerkannt sehen wollte. 56 Als man begann, von politischen Delikten zu sprechen, habe man darunter Pressvergehen, Aufrufe zum Aufruhr usw. verstanden, Delikte, die durch spezielle Gesetze der normalen Rechtsprechung entzogen und nicht gegen andere Personen gerichtet waren. Sei eine solche Haltung für die Regierung nach der bisherigen Rechtslage nicht akzeptabel, solle man eine Gesetzesänderung ins Auge fassen. Diese Überlegungen Hodys 51 Zitiert nach Shearer, S. 170. 52 Bericht des Reichsgesandten vom 5.11.1848,BA FrQII/rfurl, DB 53/60, Heft 2. 53 Nach belgisehern Recht konnte nur im Rahmen eines Vertrages ausgeliefert werden. Vgl.

oben, S. 3lf.

54 BA Frankfurt, DB 53/60, Heft 2. 55 Das Schreiben vom 1.12.1848 ist dem Bericht vom 18.12.1848 beigefügt Ebd.

56 Zur Anerkennung politischer Morde als politische Straftaten vgl. oben, S. 46.; FriJz FrQIIZ, Grenzfragen des Asylrechts: Derpolitische Mord, in: Juristische Rundschau 14, 1961,441-445.

m. Definitionen des politischen Delikts

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können als Vorläufer der 1856 dem belgiseben Auslieferungsgesetz beigefügten Attentatsklausel gesehen werden. Der Reichsgesandte von Drachenfels schlug vor, diese Gesichtspunkte bei einem eventuell abzuschließenden Auslieferungsvertrag zu berücksichtigen, wozu es allerdings nicht kam. 1848 ging die belgisehe Regierung, auch wenn sich schon Gegenstimmen meldeten, noch von der weitgefaSten vormärzliehen Defmition des politischen Delikts aus. Belgien verweigerte auch (trotz Bestehenseines Vertrages) die Auslieferung des an den Abgeordnetenmorden beteiligten Kurhessen Peter Ludwig, der, zu lebenslanger Haft verurteilt, 1850 aus dem Gefängnis entflohen war. Der Mord galt als "fait connexe" der politischen Delikte, die er in Frankfurt begangen hatte.57 Die Haltung der Frankfurter Zentralgewalt läßt kein Verständnis für dieses in den 1830er Jahren entwickelte Konzept des politischen Delikts in Auslieferungsfragen erkennen. Weit langwieriger als mit Belgien waren die Verhandlungen mit Frankreich. Am 2.10.1848 schickte das Reichsaußenministerium eine Liste mit den Namen von 21 Tatverdächtigen an die Gesandtschaft in Paris mit der Weisung, ein Gesuch nach Fahndung und eventueller Auslieferung zu stellen.58 In Straßburg waren sechs der Verdächtigen verhaftet worden.59 Der französischen Regierung reichten aber die vorgelegten Akten zur Auslieferung nicht aus. Ebenso wie die belgisehe wies sie auf den Zusammenhang der Morde mit dem Aufstand in Frankfurt hin. Der französische Innenminister forderte über seinen Außenminister neue Unterlagen. Weder der Tathergang noch die individuelle Schuld der Verdächtigen seien klar dargelegt. Weitere Informationen seien nötig, um den mehr oder weniger direkten Zusammenhang mit den politischen Vorgängen in Frankfurt beurteilen zu können. Alleine auf der Basis der vagen Beschuldigung des Mordes könne er nicht der Auslieferung von 18 Fremden zustimmen, die sich infolge eines Bürgerkriegs nach Frankreich geflüchtet hätten und die nichts sonst als Berufsverbrecher ausweise. 60 Später wurde von französischer Seite nochmals die Form der mitgeteilten Aktenstücke moniert. In Frankfurt sah man darin nur Verzögerungen und Ausflüchte. Sollte nach nochmaliger korrekter Ausführung der Aktenstücke wiederum eine ausweichende Antwort folgen, so habe dies als Beweis dafür zu gelten, daß die franzö57 58

StA Marburg, 9a 921 (Rep. C, Kl. VII, Nr. BA Frankfurt, DB 60/ VI 1, BI. 58.

10), BI. 19ff., 92ff.

59 BA Frankfurt, DB 53/69, Heft 6. Der Präfekt des Departements Bas Rhin bedauerte, die Steckbriefe nicht 24 Stunden vorher bekommen zu haben, da er glaube, ein Teil der Verdächtigen sei nach Metz und Antwerpen aufgebrochen. Er sicherte seine volle Unterstützung bei der Fahndung zu. Ebd., Heft 1. Die Steckbriefe waren dem Präfekten von Kehl aus zugegangen. AN Paris, BB/18/6505, Brief des Präfekten an den Innenministervom 2.10.1848. 60 BA Frankfurt, DB 60/VI 2, BI. 89, 20.10.1848. Von französischer Seite wollte man auch sichergestellt wissen, daß die eventuell Auszuliefemden nicht von einem Sondergericht abgeurteilt würden.

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D. Politisches Asyl während der Revolutionsjahre 1848 und 1849

sische Regierung aus anderen als aus rechtlichen Gründen die Auslieferung zu umgehen suche.61 Diese Interpretation war nicht korrekt. Es waren gerade juristische Bedenken, die eine im Sinne Frankfurts positive Entscheidung der französischen Regierung zunächst verhinderten. Politisch-atmosphärisch war die Stimmung für das Auslieferungsgesuch eher positiv. Der Gesandte Badens und des Reiches Schweitzer wies in einem Brief an das französische Außenministerium vorn 28.3.1849 darauf hin, daß die französische Regierung selbst es abgelehnt hatte, die Mörder des Generals Br~ (der während der Junikämpfe von Aufständischen getötet wurde) als politische Straftäter anzusehen. 62 Vor allem die Erinnerung an den Juniaufstand von 1848 dürfte die verantwortlichen französischen Politiker bewogen haben, dem Frankfurter Auslieferungsgesuch eher wohlwollend gegenüberzustehen. Der Außenminister sprach sich, als er arn 11.10.1848 das Auslieferungsgesuch an den Justizminister weiterleitete, dafür aus, die Abgeordnetenmorde als gerneine Verbrechen zu klassifizieren. Ebenso wie die Frankfurter Zentralgewalt und der Gesandte Schweitzer hob er besonders die Grausamkeit der Morde hervor.63 Die französische Regierung veranlaBte die Inhaftierung der in Straßburg festgehaltenen Verdächtigen in Verdun und lehnte ein von ihnen im Frühjahr 1849 gestelltes Gesuch, nach Amerika ausreisen zu dürfen, ab.64 Widerspruch gegen die Auslieferung kam von einem Fachmann und einer Autorität auf dem Gebiet des Auslieferungsrechts. Paustin Helie, der Verfasser der ersten grundlegenden Studie zur Auslieferung, schrieb als "Directeur des affaires crirninelles et de Gräce" des Justizministeriums einen Rapport für seinen Minister.65 Dieser Rapport dokumentiert die französische vormärzliche Rechtstheorie und -praxis bei der Auslieferung politisch motivierter Gewalttäter. Als Fakten hielt Helie zunächst fest, daß in Frankfurt zum Zeitpunkt der Morde Bürgerkrieg herrschte. Die Angeschuldigten hätten unzweifelhaft arn Barrikadenbau teilgenommen. Ebenso bekannte Tatsache sei der politische Haß gegen den Prinzen Lichnowski, der sich im Beisein des französischen Gesandten auch arn Tag des Aufstands manifestiert habe und sich zwangsläufig auf 61 So das Außenministerium in einem Schreiben vom 7.3.1849 an das Justimtinisterium, BA Fran/ifurt, DB 53/69, Heft 2. 62 AN Paris, BB/18/6505. Das vorliegende Attentat sei noch weit grauenvoller gewesen. Im Zusammenhang mit dem Septemberaufstand sprach Schweitzer von einem "mouvernent anarchique", eine Bezeichmmg, die die französische Regienmg zunehmend für ihren innenpolitischen Gegner verwandte und seit 1849 auch fast ausnahmslos für die deutschen Republikaner benutzte. Zu dem Mord an Brea vgl. oben, S. 42, Anm. 108. 63 Zitiert im Rapport Paustin Helies an den Justizministervom 17.2.1849, AN Paris, ebd. 64 Ebd.• Außenministerium an Justizministerium, 25.2.1849. 65 Vgl. Anrn. 63; oben, S. 29.

m. Defuli.tionen des politischen Delikts

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seinen Begleiter General Auerswald ausdehnen mußte. Andererseits hätten die beiden Abgeordneten nicht an den Kämpfen teilgenommen und seien unbewaffnet gewesen.66 Sie seien während eines Waffenstillstands und außerhalb der Stadt, d.h. weit ab vom Kampfgebiet, ermordet worden. Frankfurt begründe seine Auslieferungsforderung vor allem mit der Grausamkeit der Morde und betone, daß Straffreiheit in diesem Fall als "calamit.e general" angesehen werden müsse. Dieser Zusammenfassung der Fakten stellt Paustin Helie das im Vormärz unter anderem von ihm selbst entwickelte Verständnis des politischen Verbrechens in Auslieferungsfragen gegenüber. Seit der Februarrevolution verweigere Frankreich die Auslieferung bei politischen Delikten. Als Belege zitiert Helie unter besonderer Hervorhebung des Paragraphen über die "crimes connexes" den Auslieferungsvertrag mit Belgien aus dem Jahr 1834 und das Zirkular des Justizministers Martin du Nord von 1841.67 Dies sei die in Frankreich unbestritten anerkannte Regel.

Et Ia raison de ce principe est, qu'en geruSral, a 1'6gard des faits de cette nature qui n'ont qu'une crirninalit6 relative n6e de circonstances passageres, qui ne blessent qu'une seule nation, un seul Gouvernement et qui excitent trop les passions pour treuver une justice impartiale, il serait odieux de livrer a la vengeance des partis des hommes que les partis ont d6ja contraints de s'exiler.68

Nach den Umwälzungen der letzten Zeit sei dies eine generelle Regel des Völkerrechts geworden. Die in der inneren Gesetzgebung bestehende Unterscheidung zwischen reinen und gemischten politischen Delikten könne nicht als Grenze dieser Regel gelten.69 Die von gemischten Delikten ausgehende Gefahr ende an der Grenze, und das Delikt werde eines großen Teiles seiner Kriminalität entkleidet Vor allem aber treffe ein Grund, der für die Nichtauslieferung bei politischen Straftaten spreche, auch auf die gemischten Delikte zu. ... l'incertitude qui obscurat le v6ritable caractere des fa~'ls et la presomption qu'ils ne trouveront dans le pays qui les jugera que des juges prevenus et passionnes. n est difficile quand un crime

66 Hier sind die Informationen der Reichsministerien und des französischen Bevollmächtigten in Frankfurt, die Helie verarbeitete, nicht korrekt. Fürst Lichnowski beteiligte sich als Berater indirekt an den Kämpfen. Der Ausritt wurde von den beiden Abgeordneten allem Anschein nach nicht zum Vergnügen unternommen, sondern zur Erkundigung und um gegebenenfalls preußische und württembergische Truppen heranzuführen. Lichnowski war außerdem bewaffnet und schoß bei dem ersten Zusammentreffen mit den Aufständischen in die Menge. ValenJin, Bd. 2, S. 164f. 67 Vgl. oben, S. 29. 68 AN Paris, BB/18/6505, Rapport Paustin H6lie an den Justim1inister, 17.2.1849. 69 Helie übernimmt hier fast wörtlich die oben, S. 29, zitierte Passage aus seinem Buch "Trait6 de l'instruction criminelle ..." von 1845. Wie schon dort zählt er als gemischte Delikte Plünderung, Gewalttätigkeiten und Mord auf, die, "commis au milieu des dissensions civiles, peuvent invoquer une cause politique,l'int6r€t d'une opinion ou d'un parti." AN Paris, ebd. Auf den vom Reichsgesandten Schweitzer angesprochenen Fall der Ermordung des Generals Brea geht H6lie konsequenterweise nicht ein. Die in diesem Fall getroffene Entscheidung konnte für ihn auf einen Auslieferungsfall keine Anwendung finden. Vgl. oben, S. 42f.

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D. Politisches Asyl während der Revolutionsjahre 1848 und 1849

s'accornplit au milieu des troubles civils, d'apprecier de loin sa nature et sa moralite. n est difficile quand on Iivre ses auteurs au Gouvernement qui les reclame, d'etre usure qu'on les Iivre a une justice impartiale et non au parti qui a triom~.70

Deshalb dürfe auch bei gemischten Delikten keine Auslieferung zugestanden werden. Der Fall der Frankfurter Abgeordnetenmorde konnte nach Helie nur auf den ersten Blick als gemeines Verbrechen interpretiert werden. Zwar geschah die Tat weit ab vom Kampfgebiet, bei den Opfern handelte es sich aber um Politiker, die den Haß der gegnerischen Partei auf sich gezogen hatten und sich "avec Ia plus baute imprudence" zweimal in einen Haufen Aufständischer begaben. Daß die Tat außerhalb des Kampfgebiets und während des Waffenstillstands verübt wurde, bedeute zwar, daß es sich unzweifelhaft um Mord handele, diese Charakterisierung der Tat dürfe aber ebensowenig wie die Grausamkeit des Tathergangs Einfluß auf die Auslieferungsentscheidung haben.

TI s'agit seulement d'en dc'\terminer Je vrai caractere; il s'agit de savoir si le meurtre s'allie a un 1'\lc'\ment politique, s'il a ete l'oeuvre d'un parti ou de quelques malfaiteurs isoles, s'il a ete commis par l'effet de J'exaltation qui regnait dans les esprit, ou s'il est le resultat d'un guet-apens tendu par des brigands, en un mot si c'est un fait de guerre civile ou un fait de meurtre ordinaire.?1

Das französische Justizministerium habe immer die Auslieferung für Verbrechen abgelehnt "quelqu'odieux qu'ils fussent, qui renfermaient en eux-meme un element politique. "72 Hierfür gebe es zahlreiche Präzedenzfälle vor allem aus dem spanischen Bürgerkrieg. Die Regierung Louis Philipps habe auch die Auslieferung von Verbrechern abgelehnt, die unter Ausnutzung der Unruhen Raube und Morde begangen hatten. Sie sei davon ausgegangen, daß diese Verbrechen, da sie während des Bürgerkriegs begangen wurden, zu einem gewissen Grad an dem Charakter dieses Krieges teilhätten, und eine Auslieferung der Schuldigen an die spanischen Gerichte eine Auslieferung an politische Richter bedeute.73 Sei die Regierung der Meinung "nonostant les regles qui ont ete rappelees et les precedents qui les consacrent", sie müsse unter den gegenwärtigen Umständen einer Auslieferung zustimmen, so sollten folgende Bedingungen gestellt werden: Die Angeschuldigten dürften nicht wegen früherer politischer Delikte und nur wegen der Morde angeklagt und nicht zum Tode verurteilt werden. Diese Bedingungen seien notwendig

70 Ebd. 71 Ebd. 72 Ebd.

73 Danach wäre die französische Regierung in diesen Fällen von einer Defmition des politischen Verbrechens ausgegangen, die der englischen sehr nahekam. Vgl. oben, S. 57.

m. Defmitiooen des politischen Delikts

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... si le Gouvernement ne s'an€tait pas a la rqle que nous avoos exposu pour diminuer sa responsabilite et prevenir les cons~uences d'une extradition qui, bien que reclamee par une rigoureuse justice, n'en aurait pas moins un certain caractere politique, araisoo des evenements auxquels le crime se rattache.T4

Der französische Justizminister folgte in seinem Rapport an Präsident Louis Napoleon keinem einzigen der juristischen Argumente Helies. Dessen Argumentationslinie umkehrend meinte er, auf den ersten Blick hänge das Delikt offensichtlich mit den politischen Vorgängen in Frankfurt zusammen. Es sei aber während des Waffenstillstands verübt worden und die beiden Abgeordneten seien unbewaffnet gewesen und hätten keinerlei feindliche Absicht gezeigt. Die Morde seien verübt worden "avec un acharnement qui semble trahir Ia premeditation". Vor allem aber bewiesen die furchtbaren Begleitumstände, daß die Mörder nicht alleine von politischen Passionen getrieben wurden, sondern von einem "sentiment de lache vengeance, et un instinct de ferocite qu'on rencontrer trop souvent dans les masses populaires".75 Diesem gelte es, im Interesse der "Societe general" entgegenzutreten. Der Justizminister ging also nicht davon aus, daß Mord generell kein politisches oderkonnexesVerbrechen sein könne. Er befürwortete die Auslieferung wegen der Grausamkeit der Frankfurter Abgeordnetenmorde, vor allem aber mit dem Argument, die Gewalttätigkeiten der Volksmassen müßten unterbunden werden. Nicht alleine die Charakteristika der Tat, sondern vor allem die der Täter waren ausschlaggebend für die Entscheidung zur Auslieferung. 76 Nicht von ungefähr hieß der Präsident, der am 20.6.1849 der Auslieferung zustimmte, Louis Napoleon. Seine Entscheidung entsprach, wie der Rapport von Paustin Helie dokumentiert, nicht der von Frankreich bis 1848 geübten Praxis. Deutliche Parallelen lassen sich aber zu Louis Napoleons späterem Vorgehen gegen politische Flüchtlinge und vor allem die innere Opposition ziehen, in dessen Rahmen die Privilegierung der politischen Delikte durch neue Gesetze deutlich eingeschränkt wurde.77 Die französische Regierung folgte im Fall der Frankfurter Attentäter allerdings teilweise den Minimalforderungen Helies. An die Auslieferung war die Bedingung geknüpft, die Beschuldigten nur wegen der Morde vor Gericht zu stellen. Sollten einzelne auch wegen anderer Verbrechen verurteilt werden, seien sie wieder nach Frankreich abzuschieben. Dieser Bedingung stimmte die Zentralgewalt in Frankfurt zu. Die französische Regierung drückte darüber hinaus die Hoffnung aus, bei der Strafzumessung möge die seit der Tat vergangene Zeit berücksichtigt werden.78 Die in 74 AN Paris, BB/18/6505, Rapport Helle. 15 Ebd., Rapport vom 20.4.1849. 76 Vgl. oben, S. 43ff. 77 Vgl. oben, S. 41. 78 BA Frankfurt, DB 60/VI2, BI. 26. 11 Reiter

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D. Politisches Asyl während der Revolutionsjahre 1848 und 1849

Frankreich inhaftierten Beschuldigten flohen aber noch vor der Auslieferung. 79 Erst im Juli 1850 kam es nach einer weiteren Verhaftung zu einer Auslieferung. Der Bockenheimer Georg Andreas Nispel war unter falschem Namen in einer Fabrik in Paris entdeckt worden und wurde an Frankfurt ausgeliefert Er wurde zu 14 Jahren Zuchthaus verurteilt und erhängte sich am 21.3.1853.80

Im Verhältnis der Frankfurter Zentralgewalt zur Schweiz war die Auslieferungsangelegenheit kaum von Bedeutung. Der Reichsgesandte berichtete am 17.10.1848 nur, der Vorort habe den Kantonen das deutsche Auslieferungsgesuch und die Steckbriefe mitgeteilt, allerdings ohne (wie zuvor dem Gesandten versprochen) eine Empfehlung auszusprechen.81 Der Entwurf eines Schreibens des heroischen Justizdirektors, an den sich der Reichsgesandte zunächst gewandt hatte, zeigt, daß auch die Schweiz dazu neigte, in den Morden politische Straftaten zu sehen. Das Schreiben wurde nicht abgeschickt, da Bem schließlich davon ausging, der neu konstituierte Bundesrat sei schon zuständig. 82 Die Beziehungen der Zentralgewalt zu England und den Vereinigten Staaten wurden weder durch die Frage der Auslieferung der Abgeordnetenmörder noch durch das Flüchtlingsproblem im allgemeinen belastet Nover berichtet, die Auslieferungzweier der Teilnahme an den Morden Verdächtiger sei von England abgelehnt worden. 83 Als aufgrund einer Mitteilung französischer Stellen angenommen wurde, einer der Teilnehmer sei nach Amerika geflüchtet, versuchte man zunächst, ihn über den badischen Konsul noch in Le Havre abzufangen.S4 In den Akten des Reichsaußenministers findet sich weiter die Notiz, es sei mit dem amerikanischen Gesandten in Frankfurt wegen für eine Auslieferung eventuell zu ergreifender Schritte Rücksprache zu nehmen. 85 Die Möglichkeit einer Auslieferung war aber von vomeherein nicht gegeben, da die 19 In einem Brief an den Justi1n1inister vom 7.12.1849 sprach der Außenminister in berug auf die Flucht von einem "default de surveillance fort reprehensible." AN Paris, BB/18/6505. Schon im Mai 1849 war einem der Gefangenen die Flucht gelungen. Ebd., Außenministerium an Innenministerium, 1.6.1849. 80 BA Frankfurt, F Sg lfl, Nachlaß Nover 3 fol. 1-235, S. 166. Nach einem Schreiben des Reichsgesandten Schweitzer an das französische Außenministerium vom 28.3.1849 hatte der Gesandte der Freien Städte die französische Regienmg schon damals auf den Aufenthaltsort von Nispel hingewiesen. Nach einem Schreiben des französischen Außeruninisten an den Justizminister vom 7.12.1849 konnte er aber erst Anfang Dezember ausfmdig gemacht werden. AN Paris, BB/18/6505. 81 BA Frankfurt, DB 53fl9, Heft 2, Bericht und Weisung vom 30.8.1848. 82 Vgl. Hans von Greyerz, Franz Ravcaux in den Jahren 1848 bis 1851, in: Wemer Näf (Hrsg.), Deutschland und die Schweiz in ihren kulturellen und politischen Beziehungen während derersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Fünf Untersuchungen, Bem, 1936, S. 145-192, S. 167f. 83 BA Frankfurt, F Sg lfl, Nachlaß Nover 3, fol. 1-235, S. 166. 84 BA Frankfurt, DB 53/69, Heft 2, Weisung des Außeruninisteriums vom 8.1 0.1848. 85 Ebd. Das Justilministerium hatte am 6.10.1848 das Außenministerium ersucht, sich zwecks Auslieferung an die Regierung der Vereinigten Staaten zu wenden. Vgl. ebd.

m. Defmitionen des politischen Delikts

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angelsächsischen Staaten jedes in einer Situation des Umsturzes und Bürgerkriegs begangene Verbrechen als politisches ansahen. Die Abgeordnetenmorde fielen eindeutig unter diese Defmition. In diesem Sinn sprach sich auch der kurhessische Konsul in New York Faber aus, der im November 1850 den Auftrag erhielt, sich mit allen zu Gebote stehenden Mitteln für die Auslieferung eines der Mörder durch die Vereinigten Staaten einzusetzen. 86 Eine Auslieferung käme von vorneherein nicht in Frage, da kein Auslieferungsvertrag zwischen den USA und Kurhessen bestehe. Selbst im gegenteiligen Fall sei eine Auslieferung kaum möglich, da in den amerikanischen Auslieferungsverträgen politische Straftaten ausgeschlossen seien, für die Abgeordnetenmorde aber nur politische Motive zugrunde lagen. 87 In Deutschland setzte sich die westeuropäische Konzeption des politischen Delikts bei der Provisorischen Zentralgewalt und den Märzregierungen nicht in vollem Umfang durch. Dies verdeutlicht neben den Verhandlungen über die Auslieferung der Abgeordnetenmörder das strafrechtliche Vorgehen gegen die Opposition in Deutschland. Neben neuen Ansätzen (z.B. Zuständigkeit von Schwurgerichten für politische Delikte) ist deutliche Kontinuität zur vorrevolutionären Praxis festzustellen. 88 Nach dem Aufstand Heckers griff die badische Regierung zur Bekämpfung ihrer Gegner auf vorrevolutionäre Bundestagsbeschlüsse zurück. Die Strafverfolgung nach dem Septemberaufstand in Frankfurt ist kein Beispiel für die Privilegierung politischer Straftäter. 89 In Mannheim wurden am 6.3.1849 30 Odenwälder Bauern wegen Beteiligung an den Märzunruhen zu hohen Zuchthausstrafen einschließliehe der Kosten und 86 StA Marbwg, 9a 921 (Rep. C, Kl. Vll, Nr. 10), BI. 129 vom 28.11.1850. An einer Bestrafung müsse auch den USA "im Interesse der Gerechtigkeit und Humanität gelegen sein". Man solle nicht völlig unverdienten Schutz gewähren. 87 Ebd., BI. 143, Antwort Fabers vom 20.2.1851. Faber betonte, die Abgeordnetenmorde hätten in den USA nicht weniger Abscheu hervorgerufen als in Deutschland. 88 Die Nationalversammlung war nicht bereit, auf diesem Gebiet gesetzgeberisch tätig zu werden. Ein am 22.12.1848 gestellter Antrag des Abgeordneten Golz aus Brieg zeitigte keine Resultate. Er motivierte seinen Antrag mit der ständig steigenden Zahl politischer Prozesse und Untersuchungen, die abgewickelt würden, ohne daß die Begriffe der verschiedenen politischen Vetbrechen und Vergehen in den Gesetzbüchern umgeformt und die Strafen entsprechend verändert worden seien. Es solle schleunigst ein Gesetz über die Bestrafung politischer Vetbrechen in Deutschland vorgelegt werden. Wigard, Bd. 6, S. 4375. Zu den die politischen Delikte betreffenden Paragraphen der Reichsverfassung vgl. oben, S. 39, Anm. 92. 89 Die an den Barrikadenkämpfen Beteiligten wurden zu langen Zuchthausstrafen verurteilt. Im August 1856 begnadigte der Frankfurter Senat die geringer Belasteten. Die Hauptbeteiligten kamen erst durch eine erneute Amnestie im Juni 1861 frei. Vgl. BA Franlrfwt, F Sg tn, Nachlaß Nover 3, Fol. l-235, S. 152. Auch in Frankreich kam es nach dem Juniaufstand zu harter Repression. Über 11.000 Beteiligte wurden vorübergehend festgenommen. Von den 4.500 letztendlich Bestraften wurden 4.247 zur Deportation verurteilt Charles Tilly!Lynn H. Lees, The People of June, 1848, in: Roger Price (Hrsg.), Revolution and Reaction. 1848 and the Second French Republic, London, 1975, 170209, S. l87ff. Nur 500 der Verurteilten wurden aber tatsächlich nach Algerien transportiert./ngraham, S. 136, Anm. 68. Vgl. auch oben, S. 42, Anm. 108.

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D. Politisches Asyl während der Revolutioosjahre 1848 und 1849

Schadenersatzzahlungen verurteilt90 Unter diesen Vorzeichen waren Spannungen zwischen Deutschland und den Aufnahmeländern der Aüchtlinge des ersten und zweiten badischen Aufstands unausweichlich.

IV. Die deutschen Revolutionsregierungen und die Flüchtlingspolitik ihrer europäischen Nachbarn In der allgemeinen Aüchtlingsfrage gab es nach dem Heckerzug zunächst Mißstimmung zwischen den deutschen Staaten und der französischen Republik. Die deutschen Republikaner, vor allem der Zug von Herweghs "Deutscher Legion", waren zwar nicht offiziell, aber doch von untergeordneten Stellen unterstützt worden.91 Führende Politiker hatten teilweise falsche Vorstellungen über die Absichten der deutschen Republikaner, und Abgesandte der Regierung taten das Gegenteil dessen, was ihnen aufgetragen wurde. 92 Das Klima an der Grenze verschlechterte sich weiter, als eine Gruppe von Freischärlern kurz nach dem Heckerzug den badischen OffiZier Rayle in der Nähe von Straßburg festnahm. Rayle sollte zunächst als Geisel zur Freipressung von Bornstedt dienen, wurde dann aber freigelassen.93 Die badische Regierung und die Frankfurter Zentralgewalt forderten Frankreich auf, alle Aüchtlinge von der Grenze zu entfernen.94 Nur unter dieser Voraussetzung würden die am Heckerzug beteiligten Franzosen freigelassen. Die französische Regierung befahl daraufhin die Internierung der deutschen Aüchtlinge in grenzfernen Departements und 90 Peiser, S. 170. 91 Zu inoffizieller französischer Unterstützung für den Freischarenmg Herweghs vgl. Melzer. 1984, S. 390ff. Von offizieller Seite war diese Unterstützung nicht gegeben. Die provisorische Regierung in Paris hatte am 19.4.1848 ein Dekret erlassen, das befahl, die Ansammlungen von Deutschen an der Grenze aufzulösen. Der Kriegsminister hatte dem Befehlshaber der 9. und 5. Divisioo schoo am 9.4. den Befehl erteilt, die Ansammlungen von Flüchtlingen an der Grenze zu zerstreuen und einen Einfall in Baden zu verhindern. AMAE Paris, Bade, Cartoo 7, Doss. "1848, Ouvriers allemands a Ja frontiere de J'est", Commissaire Dep. Haut Rhin an den Außenminister, 28.4.1848. In demselben Briefberichtet der Commissaire, er habe Waffen, die von Straßburg aus an die Aufständischen gehen sollten, beschlagnahmen Jassen. 92 Der Außenminister schrieb in einem Brief vom 26.4.1848, die meisten Arbeiter wollten, von Nationalgefühl beflügelt, wohl nur friedlich in ihre Heimat zurückkehren. AMAE Paris, ebd. Der von der Regierung in das Departement Haut Rhin geschickte Ch. Meyer, der die aus Paris kommenden Deutschen zurückschicken sollte, a!beitete selbst im deutschen Komitee in Colmar mit. Er traf sich mit Aufständischen in Baden und forderte in einem Brief vom April 1848 den französischen Außenminister mehr oder weniger offen zur offiZiellen Unterstütmng des Aufstands auf. Ebd. 93 Schon am 29.5.1848 teilte das französische Außenministerium der badischen Regierung mit, die Geiselnehmer Ray1es würden in nächster Zukunft vor Gericht gestellt. GLA Karlsruhe, 49/1471, BI. 1-3; 49/1469, BI. 16. 94 Der preußische Gesandte in Karlsruhe sprach sich gegenüber der badischen Regierung für eine weitaus härtere Haltung aus. Von Frankreich sollte die Auslieferung der Freischärler oder deren Deportation nach Algier gefordert werden. Valentin, Bd. 1, S. 502.

IV. Die deutschen Regierungen und die Flüchtlingspolitik ihrer Nachbarn

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ließ das Flüchtlingskomitee, das in Straßburg gegründet worden war, auflösen und seine Mitglieder mit den übrigen Flüchtlingen nach Chalons-sur-Marne schaffen. Als Gegenleistung erwartete man die Freilassung der gefangenen französischen Bürger und eine Amnestie für die deutschen Flüchtlinge.95 Die französischen Teilnehmer am Aufstand kamen aber erst im August 1848 frei, und eine Amnestie wurde nicht zugestanden. Jeder Flüchtling mußte einzeln um Gnade ersuchen.96 Nach diesen Maßnahmen der französischen Regierung gegen die Flüchtlinge ließen die deutschen (vor allem badischen) Proteste zwar nach, sie gehörten aber weiterhin zum diplomatischen Alltag. Meistens entsprachen die Information, daß sich Flüchtlinge an der Grenze aufhielten und konspirierten, nicht der Wahrheit. In einem Bericht des Präfekten von Bas Rhin an den Innenminister vom 14.8.1848 heißt es:

Je crois a cette occasion pouvoir vous donner l'assurance plus formelle de l'exageration des rapports faits au gouvernement Badois, par les agens qu'il entretient en France. Presque tous les renseignemens foumis par eux sont, ou bien entierement controuves, ou tellement enfles, qu'ils ressemblent bien plus ii des mensonges qu'ii la verite, meme grossie par la peur.97

Die französische Regierung ging trotzdem auf alle badischen Proteste ein. Am 15.7.1848 berichtete der Innenminister dem Außenminister, er habe nicht nur alle deutschen, sondern auch alle polnischen Flüchtlinge von der Grenze entfernen lassen.98 Neben dem Wunsch, die gefangenen Franzosen zu befreien, dürfte der blutige Juniaufstand in Paris ein Grund für die Zuvorkommenheit Frankreichs gewesen sein. Der Außenminister informierte den Innenminister am 25.7.1848, die deutschen republikanischen Führer stünden in direktem

95 Nach einem Brief des Außenministeriums an die badische Gesandtschaft vom 24.5.1848, der diese Forderungen enthält, wurde die Internierung seit dem 5. Mai durchgeführt, das Straßburger Komitee am 6.5. aufgelöst. AMAE Paris, Bade, Carton 7, Doss. "1848, ouvriers alle· mands a la frontiere de l'est". Der Internierungsbefehl des Innenministers stammt vom 27.4.1848. Peiser, S. 132. Zu den gefangenen Franzosen vgl. AN Paris, BB/18/1521, Doss. 3385; AMAE Paris, Bade, Carton 8, Doss. "Leures du Ministre de l1nterieur", Korrespondenz Außenministerium- Justizministerium vom 18.8.1848 und 6.9.1848. Baden bestand auf einer Verurteilung der französischen Bürger in Frankreich, was nach geltendem Recht nicht möglich war, da es sich bei der Beteiligung am Heckerzug um ein im Ausland begangenes politisches Delikt handelte. Der Justizminister wandte sich auch gegen eine Untersuchungskommission. Der Außeruninister wies ihn darauf hin, daß Frankreich sich zwar in bezog auf die Anklageerhebung gegen französische Bürger nicht festgelegt, die Untersuchungskommission aber zugesagt habe. 96 AMAE Paris, Bade, Carton 7, Doss. "Renseignement sur les affaires d'Allemagne. Les Refugies", Verbalnote des badischen Außenministeriums vom 3.5.1848. Der französische Flüchtlingsbeauftragte Emest Gregoire bemühte sich bei einem Besuch in Karlsruhe vergeblich um die Zusage, daß Rückkehrer nicht strafrechtlich verfolgt würden. Ebd., Schreiben an das Außenministerium vom 3.5.1848. Im August 1848 wurden die ersten 400 in Baden gefangenen Freischärler freigelassen. Real, Revolution in Baden, S. 80. 97 AMAE Paris, Bade, Carton 8, Doss. "Lenres du Ministre de l1nterieur". 98 Ebd., Carton 7, Doss. "Renseignement sur les affaires d'Allemagne. l..es RCfugies." In diesem Dossier finden sich zahlreiche Proteste Badens aus den Monaten Mai/Juni 1848.

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D. Politisches Asyl während der Revolutioosjahre 1848 und 1849

Kontakt mit den Führern des Juniaufstands und warteten nur auf eine neue Möglichkeit zum Losschlagen. Er forderte "l'attention Ia plus serieuse du gouvernement et les mesures de repression les plus promptes."99 Wie in der Vormärzzeit ging Frankreich gegen die Flüchtlinge vor, da es in ihnen eine Gefahr der eigenen inneren Sicherheit sah. Das Verhalten der französischen Regierung bedeutete eine herbe Enttäuschung für die Flüchtlinge, die große Hoffnungen auf die Nachbarrepublik gesetzt hatten.1 00 Mit der Internierung in Chalons-sur-Mame wollte sich das ehemalige Straßburger Flüchtlingskomitee nicht abfinden. Nach vier Wochen ging Gustav Struve nach Paris, um gegen die seiner Meinung nach ungerechte Behandlung der Flüchtlinge zu protestieren. In einem Schreiben bat er die französische Nationalversammlung um Hilfe.101 Der Aufstand in Baden sei nicht an mangelnder Unterstützung durch die Bevölkerung, sondern am massiven Einsatz fremder (d.h. nichtbadischer) Truppen gescheitert, auch sei der Moment zum Losschlagen falsch gewählt worden. Man habe aber selbstverständlich im Exil weiter für die Republik gearbeitet. Die Auflösung des Straßburger Komitees und die Internierung werden als "mesure coercitive" kritisiert, durch die die Flüchtlinge aller eigenen Möglichkeiten zur Subsistenz beraubt worden seien. Sie hätten dem Flüchtlingskommissar dargelegt, daß sie nunmehr ganz alleine auf Unterstützung durch die französischen Regierung angewiesen seien. Der Kommissar habe Hilfe versprochen, seit nunmehr vier Wochen befiinden sie sich aber im "l'abandon le plus complet". Mehrere Protestschreiben an die Regierung seien unbeantwortet geblieben. Für Struve war die Internierung vor allem eine politische Katastrophe. Ihm sei es, so heißt es, nicht möglich gewesen, seine politischen Freunde zu kontaktieren, um sich wie Friedrich Hecker in die deutsche Nationalversammlung wählen zu lassen! Den internierten Flüchtlingen dürfte allerdings die Unterstützungsfrage wichtiger gewesen sein. Erst am 31.5.1848 regte der Außenminister beim Innenminister die Unterstützung der Flüchtlinge in Chalons-sur-Mame an. Ansonsten bestehe die Gefahr, daß sie nach Straßburg zurückkehrten.I02 99 Ebd. Namentlich werden Struve, Hecker Wld das Komitee in Straßburg genannt. Zumindest was Hecker betrifft waren die Informationen des Außenministeriums falsch. Er sprach sich immer und konsequent gegen eine Zusammenarbeit mit französischen Gruppen aus. Die Ablehnung der deutschen republikanischen Aüchtlinge durch die französische Regierung wurde aber nicht erst durch den Juniaufstand ausgelöst. Schon am 14.6.1848 bezeichnete der französische Außenminister in einem Schreiben an den Innenminister die deutschen Aüchtlinge als Anarchisten. Ebd. I 00 Auch die Hoffnung auf Unterstützung durch die elsässische Bevölkerung erfüllte sich nur teilweise. Diese Unterstütlllng ging nicht über Geldspenden und Solidaritätskundgebungen hinaus. Peiser, S. 139. 101 AMAE Paris, Bade, Cartoo 7, Doss. "Struve, Blind, Heinzen, Löwenfels", datiert 11.6.1848, unterzeichnet voo Struve, C. Bruhn und Löwenfels. Vgl. auch Peiser, S. 138. 102 Ebd., Doss. "1848, Ouvriers allemands aIa frontiere de l'Est".

IV. Die deutschen Regierungen und die Flüchtlingspolitik ihrer Nachbarn

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Die Flüchtlingspolitik der französischen Regierung und die Erfolglosigkeit seiner eigenen Mission veranlaßten Struve und mit ihm andere Aüchtlingsführer, in die Schweiz zu gehen.103 Von Basel aus richteten sie am 15.8.1848 eine erneute (selbstverständlich erfolglose) Petition an die französische Regierung, in der sie baten, eine bewaffnete Formation bilden zu dürfen, die überall dort eingesetzt werden sollte, wo die Freiheit eines Volkes in Gefahr sei.104 Das Vertrauen der Flüchtlinge auf französische Hilfe war aber nachhaltig gestört. Noch im August 1848 schrieb Gustav Struve in seinem "Deutschen Zuschauer", von Frankreich, auch von der dortigen republikanischen Partei, sei nichts zu erwarten, und forderte eine selbständige deutsche Revolution.105 Eine zweite Gruppe deutscher Flüchtlinge war in Besan~on interniert.106 Auch sie protestierten gegen die Maßnahmen der französischen Regierung. Sie wehrten sich dagegen, in kleinen Abteilungen in umliegende Departements abzugehen, da sie als Gruppe zusammenbleiben wollten. Am 13. Mai forderten sie vom Kommissar der Regierung, mit ihren an der französischen Grenze deponierten Waffen nach Deutschland zurückkehren zu dürfen, oder aber im Verweigerungsfall Unterstützung zu erhalten. Diese Unterstützung wurde zunächst nicht gewährt, und die Not der Flüchtlinge konnte nur durch private Spenden der Bevölkerung von Besan~on und aus der Heimat gelindert werden.l07 Erst am 22. Mai traf die Weisung des Innenministers ein, pro Tag jedem Flüchtling 50 Centimes Unterstützung zu zahlen.108 Nur einer kleinen Minderheit der Internierten gelang es, Arbeit zu finden. Trotz neuer Anordnungen des Innenministeriums, arbeitslose Flüchtlinge in andere Departements zu schicken, und die Heimkehr oder die Abwanderung in die Schweiz zu fördern,

103 In einem Rapport des französischen Innenministers an den Außenminister vom 17.8.1848 heißt es, die Führer der Flüchtlinge seien in die Schweiz gegangen und übten keinen Einfluß mehr auf die in Frankreich Internierten aus. AMAE Paris, Bade, Carton 7, Doss...Renseignement sur les affaires d'Allemagne. Les Refugies ... 104 AMAE Paris, Bade, Carton 8, Doss...Lettres du Ministre de 11nterieur... Die Petition ist unterschrieben von Struve, Lomme1, Heinzen, Löwenfels, Bruhn, Neff, Winkler und anderen. Lommel übergab sie am 24.8. in Colmar dem Präfekten. In einem vom ..Courier d'Alsace.. am 20.8. veröffentlichten Aufruf der Flüchtlinge heißt es, monatelang habe die französische Regierung die deutschen Fürsten der Volkspartei vorgerogen, jetzt aber glaube man, sie habe sich eines besseren belehren lassen. 105 Peiser, S. 147. 106 Am 10. Mai 1848 wurde mit 482 Flüchtlingen der Höchststand erreicht. Ferdinand Rude, Les refugies allemands a Besan~on SOUS la deuxieme Republique, in: Bulletin de Ia Societe d'Histoire de la Revolution de 1848 36, 1939/40, 110-131, 160-180; 37, 1946,24-34,36, S. 113. 107 Ebd., S. 118ff. Die Flüchtlinge selbst gründeten einen Chor, der in den Straßen von Besan~ sang und am 24. Mai ein Konzert gab. 108 Ebd., S. 120. Die erste Flüchtlingsgruppe traf am 4. Mai in Besan~on ein.

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D. Politisches Asyl während der Revolutionsjahre 1848 und 1849

waren Mitte Juni noch über 300 Flüchtlinge in terstützung erhielten.109

Besan~on.

von denen 200 Un-

Zusammengehalten wurden die Flüchtlinge von August Willich, der auf militärischer Ordnung bestand und regelmäßig exerzieren ließ. Man hielt sich bereit für einen neuen Aufstand in Deutschland.110 Als die Nachricht vom Struveputsch in Besan~on eintraf, machten sich die Flüchtlinge sofort auf den Weg zur Grenze. Sie wurden hierin auf direkte Weisung des französischen Innenministers weder gehindert noch unterstützt, d.h. sie konnten in Richtung Deutschland abreisen, aber ohne Reisepapiere oder sonstige Unterstützung durch die französischen Behörden zu erhalten.111 Struves Aufstandsversuch scheiterte allerdings, bevor die Flüchtlingskolonne aus Besan~on überhaupt eingreifen konnte.112 Am 28.9.1848 entschied der Innenminister, alle deutschen Flüchtlinge, die nicht in ihre Heimat zurückkehren konnten, in Besan~on zu intemieren.113 Hierbei handelte es sich um 260 Mann, zum Großteil dieselben, die am 24. September von Besan~on aufgebrochen waren, um Deutschland zu befreien. Am 23. Oktober kamen aus Paris neue Befehle. Dem Präfekten wurde erlaubt, die Flüchtlinge aus dem Departement zu entfernen. Unter keinen Umständen durften sie aber nach Paris oder in die Grenzdepartements geschickt werden.114 Vor allem wollte der Minister den militärischen Block, den Willichs Flüchtlingskolonne bildete, auflösen. Eine Depotbildung dürfe nicht geduldet werden_l15 Wie in den Monaten vor dem Struveputsch war aber genau dies in

109 Ebd., S. 122f. 110 Eine lokale Zeitung war der MeinWlg, die französische Regierung wolle die Aüchtlinge im Falle eines Krieges mit Deutschland als Stoßtruppe benutzen. Ebd., S. 120. 111 Ebd., S. 126, telegraphische Depesche vom 24.9.1848. Es ist unklar, ob der Minister die

Aüchtlinge nur loswerden wollte oder eine indirekte Unterstützung des Aufstandes bezweckte. Im Lichte des sonstigen Verltaltens gegenüber den Aüchtlingen scheint ersteres wahrscheinlicher. 112 Willich, der seiner Kolonne vorausgereist war, hane in Einschätrung dieses Ausgangs seinen Männem befohlen, nicht aus Besan~n abzureisen, sein Befehl kam aber zu späL Ebd., S.

128. 113 Ebd., S. 131. Teilweise gingen die Freischärler, die sich nach Frankreich geflüchtet hanen,

in die Schweiz. AMAE Paris, Bade Carton 7, Doss. "Renseignement sur les affaires d'Allemagne. Les Refugies", Innenminister an Außenminister, 11.10.1848. An den Internierungsbefehl erinnerte der Innenminister die Präfekten der Grenzdepartements in den folgenden Monaten mehrmals, so Anfang November 1848 die Präfekten von Bas und Haut Rhin, nachdem Baden den Rheinübergang zwischen Rheinau und Kappel mit der BegründWlg gesperrt hane, der Befehl werde von Wltergeordneten französischen Beamten nicht befolgt. Ebd., Innenminister an Außeruninister,

14.11.1848. 114 Ruck, S. 161. Der Präfekt hielt sich nicht konsequent an diesen Befehl Wld wurde deshalb

vom Minister gerügL Ebd., S. 165. 115 Ebd., S. 162.

IV. Die deutschen Regierungen und die Flüchtlingspolitik ihrer Nachbarn

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Besan~ron der Fall. Die Flüchtlinge argumentierten, nur so könnten sie bei der niedrigen Unterstützung, die ja auch nicht alle bekämen, überleben.

Die Flüchtlingskolonne in Besan~r0n löste sich erst auf, als die französische Regierung begann, die finanzielle Unterstützung einzuschränken und schließlich ganz einzustellen. Zunächst verfügte der Innenminister, Neuankömmlingen keine Unterstützung zu zahlen, es sei denn sie könnten beweisen, "que des causes politiques serieuses les ont contraints a ehereher un asile en France" ,116 Eine badische Amnestie, die nicht über die nach dem Heckeraufstand gewährte hinausging, diente ihm schließlich als Vorwand, die Unterstützung ganz einzustellen.117 Nach Meinung des Innenministers war es den deutschen Republikanern nunmehr möglich, in ihre Heimat zurückzukehren. Ihr weiterer Aufenthalt müsse als freiwillig angesehen werden.118 Die französische Regierung erkannte die Teilnehmer an Heckers und Struves Aufstand also nicht mehr als politische Flüchtlinge an. Nunmehr kam es zu zahlreichen Abreisen aus Besan~ron, u.a. verließ August Willich die Stadt119 Die Maßnahme des Innenministeriums richtete sich nicht alleine gegen deutsche Flüchtlinge. Am 31. März ging ein Zirkular an alle Präfekten, das bestimmte, daß ab dem 1. Mai keinem der politischen Flüchtlinge, die seit 1848 ins Land gekommen seien, mehr Unterstützung gezahlt werde.120 Die Flüchtlingspolitik Frankreichs wurde in Deutschland prinzipiell positiv aufgenommen. Die von der Regierung nach dem Heckeraufstand getroffenen Maßnahmen wurden in Baden mit Befriedigung zur Kenntnis genommen.121 Der nach dem Struveputsch ergangene Internierungsbefehl machte nach den Worten des französischen Gesandten den besten Eindruck auf die badische 116 Ebd., S. 165, Schreiben vom 11.1.1849. Schon Ende Mai 1848 hatte der Innenminister den Präfekten in Besan~ darauf hingewiesen, daß die Unterstützung wegen der angespannten Finanzlage nur in Fällen dringendster Not gezahlt werden könne. Ebd., S. 123. Nach einem Bericht aus Amiens waren die Einheimischen wegen der fmanziellen Unterstützung der Flüchtlinge verbittert. AN Paris, BB/18/1475, ProcureurGeneral an Justizminister, 3.2.1849. 117 Wie nach dem Heckeraufstand hatte jeder Flüchtling individuell um Gnade zu ersuchen und ein Versprechen für künftiges Wohlverhalten abzugeben. Ausgeschlossen von der Amnestie waren die Führer der Aufständischen und "les hommes dont les violences et les crimes sont tellement notoires que leur irnpwtite serait un scandale public." Innenminister an Präfekten, 10.1.1849, Rude, S. 166. In einer Deklaration vom 25. Januar lehnte die Flüchtlingskolonne von Besan~n die Amnestie ab. Ebd. 118 Schreiben des französischen Außenministers an den badischen Gesandten vom 11.4.1849. BA Frankfwt, DB 53/67, Heft 2; ebenso schon Anfang Februar an den Präfekten in Besan~on. Die Unterstützung endete offiziell am 1. Februar, zunächst wurden aber für Ausnahmeflil.l.e noch Gelder bereitgestellt. Rude, S. 167ff. 119 Rlllk, S. 168ff. 120 Ebd., S. 172. Begründet wurde die Maßnahme mit der schlechten Finanzlage. In einer Zeit, in der französische Bürger Not litten, könnten keine Ausländer unterstützt werden. 121 AMAE Paris, Bade Carton 7, Doss. "1848, Ouvriers allemands a la frontiere de l'est", badische Gesandtschaft an französisches Außenministerium, 29.5.1848.

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D. Politisches Asyl während der Revolutionsjahre 1848 und 1849

Regierung.122 Der Reichsaußenminister forderte zwar eine strengere Bewachung der Aüchtlinge, betonte aber gleichzeitig: Wir wissen, daß es der ernstliche Wille der Regierung der Republik ist, anarchische BewegiDlgen und gewaltsame, ja räuberische Angriffe gegen das befreundete Nachbarland nicht m dulden und wir haben bereits dankenswene Beweise dieses Willens erfahren.123 Gelegentliche Irritationen änderten nichts an der generellen deutschen Zufriedenheit mit der französischen Flüchtlingspolitik.124 Sicher ist hierbei zu berücksichtigen, daß gegenüber dem mächtigen Frankreich eine andere Sprache geführt wurde als etwa gegenüber der Schweiz. Nach der Revolutionswende in Frankreich im Sommer 1848 konnten die deutschen Regierungen aber zurecht davon ausgehen, daß ihr Kampf gegen ihre republikanischen Gegner bei der französischen Regierung auf Verständnis und Unterstützung stoßen werde. Komplizierter war das Verhältnis Deutschlands zur Schweiz. Das Aüchtlingsproblem führte zu einer Krise in den Beziehungen zwischen der Eidgenossenschaft und den deutschen Regierungen. Bei Ausbruch der europäischen Revolutionen war die Reform der schweizerischen Verfassung, die nach dem Sonderbundskrieg in Gang gekommen war, noch nicht abgeschlossen. Dies bedeutete, daß zunächst noch die Fremdenpolizei und damit die Asylpolitik völlig in den Händen der einzelnen Kantone lag. Die Tagsatzung und der Vorort hatten auf den Revolutionsausbruch in Frankreich allerdings mit einem Kreisschreiben reagiert. Darin wurde auf der einen Seite die Bereitschaft der Schweiz betont, politischen Flüchtlingen Asyl zu gewähren, auf der anderen Seite die absolute Notwendigkeit hervorgehoben, keinerlei Zweifel an der Schweizer Neutralität aufkommen zu lassen. Viele Schweizer sympathisierten aber offen mit der Revolution im Nachbarland und die in der Schweiz lebenden Deutschen schlossen sich zusammen und verabschiedeten prorevolutionäre Resolutionen.125 Diese Sympathie in der Bevölkerung schlug sich nicht in der Politik der Schweizer Kantone nieder. Sie ergriffen noch während des Heckeraufstands militärische Maßnahmen, um den Zuzug von Freischaren aus der Schweiz zu verhindem.126

122 Rude, S. 131. 123 BA Frankfurt, DB WNI I, BI. 53, Schreiben des Reichsaußenministers an die Gesandtschaft in Paris vom 1.1 0.1848. 124 Badische Proteste aus der Zeit nach dem Struveputsch finden sich in AMAE Paris, Bade, Canon 8, Doss. "Depeches de Ia Ugation de France a Carlsruhe", "Correspondence de Ia Ugation de Bade". 125 Vgl. Neilzke, S. 4ff. 126 Vgl. Frei, S. 253ff. Schon arn 30.3.1848 wurden in Bern die militärischen Organisationen der Deutschen ve!boten. Neitzke, S. !Off.

IV. Die deutschen Regierungen und die Flüchtlingspolitik ihrer Nachbarn

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Nach dem Zug Heckers war die Zahl der Aüchtlinge in der Schweiz nicht bedeutend.127 Ein Teil der Freischärler war in Frankreich interniert, die meisten aber waren sofort wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Allerdings hielten sich die wichtigsten Anführer der Republikaner, so vor allem Hecker, Struve und Sigel, in der Schweiz auf. In mehreren Noten Badens und des noch bestehenden Bundestages wurde von deutscher Seite gegen Umtriebe dieser Aüchtlinge protestiert. Sie verbreiteten revolutionäre Augschriften und zögen bewaffnete Freischaren zusammen. Der letzte Punkt bezog sich wohl auf die Aktivitäten des Aüchtlings der 1830er Jahre Johann Phitipp Becker, der inzwischen das Schweizer Bürgerrecht erworben hatte.128 Die badische Regierung forderte die Entfernung der Aüchtlinge aus den grenznahen Gebieten und drohte der Schweiz mit einer Grenzsperre. Sie stellte sich außerdem auf den Standpunkt, die Freischärler hätten ihr Heimatrecht verloren. Die Empfehlungen einer Schweizer Kommission wiesen alle badischen Angriffe zurück.129 Die Aberkennung des Heimatrechts wurde als überhartes der neuen Zeit nicht angemessenes Vorgehen scharf gerügt. Gegen Mißbrauch des Asyls werde von Kantonsseite angemessen eingeschritten. Eine Verlegung der Aüchtlinge von der Grenze weg sei nicht möglich. Nach der noch gültigen Bundesverfassung sei die Asylgewährung allein Sache der Kantone, so daß nur eine Verlegung innerhalb eines Kantons durchgeführt werden könne. Einiges Verständnis zeigte die Kommission gegenüber den Klagen wegen Mißbrauchs der Presse. Sie empfahl, Druck und Verbreitung von Zeitungen und Augschriften, die auswärtige Regierungen maßlos angriffen, zu verhindem und die Schuldigen zu bestrafen oder auszuweisen.130 Zur Androhung einer Grenzsperre wurde bemerkt, diese träfe die badische Bevölkerung ebenso hart wie die Schweizer. Eine echte Gefahr ginge von den Aüchtlingen nicht aus, und somit sei auch kein Grund zu einem Vorgehen gegen sie gegeben. Kurze Zeit später wurde dieser Kommissionsbericht durch den Struveaufstand allem Anschein nach widerlegt. Nicht von badischer Seite kamen nunmehr die deutschen Angriffe, sondern von der neu konstituierten Zentralgewalt. In einer unerhört scharf formulierten Note wurde betont, die jüngsten Ereignisse zeigten, wie berechtigt die früheren Vorwürfe gewesen seien. Der 127 Frei, S. 259. Nach einer Liste im GLA Karlsrw, 4813075, BI. 50, hielten sich im November 1848 129 badische Flüchtlinge in der Schweiz auf. 128 Zu Becker und seiner Tätigkeit während der Revolutionsjahre vgl. Rolf Dlubelc, Ein deutscher Revolutionsgenerat Johann Philipp Becker in der Reichsverfassungskarnpagne, in: Jahrbuch für Geschichte 7, 1973, 557-611. Zu den Berichten über Umtriebe und Rüstungen in der Schweiz vgl. BA Fran/ifllrt, OB 53!81, Heft 1. 129 Frei, S. 27lff. 130 Der Kanton Basel-Land wies Gustav Struve wegen der Schrift "Plan zur Revolutionierung und Republikanisierung Deutschlands" aus, die er gerneinsam mit Karl Heinzen verfaßt haue. Neitzlce, S. 17.

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D. Politisches Asyl während der Revolutionsjahre 1848 und 1849

Schweiz wurde eine flagrante Verletzung ihrer völkerrechtlichen Verpflichtungen vorgeworfen. Die Frankfurter Zentralgewalt forderte die Entfernung der Flüchtlinge von der Grenze und schärfste polizeiliche Überwachung, darüber hinaus aber auch die Bestrafung aller Schweizer Beamten und Behörden, die die Flüchtlinge unterstützt hätten. Über den Ton dieses Schreibens mußte der Vorort bemerken, es sei ein Aktenstück, das in den Archiven der Eidgenossenschaft ohne seinesgleichen sei. 131 Wenn die Schweiz ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen verletzt hatte, so nur deshalb, weil sie durch den Ausbruch des Aufstandes in Baden völlig überrascht wurde. Darin stand sie allerdings nicht alleine. Auch viele Flüchtlingsführer, so etwa Sigel und Becker, wurden von Struve so spät unterrichtet, daß sie nicht mehr eingreifen konnten. Vorbeugende Maßnahmen wie zur Zeit des Heckerzuges waren von der Schweiz also nicht ergriffen worden. Der Frontalangriff aus Frankfurt war allerdings nicht berechtigt. Der Schweizer Bundesrat verwahrte sich gegen die beleidigende Sprache der deutschen Note. Ein bewaffneter Einfall aus der Schweiz habe nicht stattgefunden, für die innere Unruhe in Deutschland, die den Aufstand verursacht habe, sei aber die Schweiz nicht verantwordich.132 Gegen Publikationen der Flüchtlinge könne nicht vorgegangen werden, da die Verfassung die Pressefreiheit gewähre. Der deutschen Seite stehe selbstverständlich der gerichtliche Weg einer Beleidigungsklage offen. Die beste Bürgschaft für Deutschland für die Zukunft liege in der offensichtlichen ruhigen Entwicklung und öffentlichen Ordnung der Schweiz. Die liberale Schweizer Haltung in der Asylfrage bot Deutschland genügend Sicherheit Schon vor dem Frankfurter Protest war den am Struveputsch beteiligten Flüchtlingen das Asyl entzogen worden, die übrigen wurden unter spezielle polizeiliche Aufsicht gestellt. Weitere deutsche Proteste und Angriffe in der deutschen Presse führten zu einer strengeren Asylpolitik von seiten des Schweizer Bundesrates)33 Gegen Johann Philipp Becker z.B. wurde ein Gerichtsverfahren wegen seiner Zeitschrift "Revolution" eingeleitet. Das Verfahren verlief zwar im Sand, dem beteiligten Flüchtling Alfred Michel aber wurde 131 Frei, S. 291ft. Die Note wurde am 4.10.1848 vom Reichsgesandten Raveaux überreicht. BA Frankfurt, DB 53{79, Heft 2, dort auch die Antwort der Schweiz. 132 Struve überschritt unbewaffnet und mit nur wenigen Begleitern die deutsch-schweizerische Grenze. Er erhielt allerdings Zuzug aus der Schweiz (und Frankreich). Man kann wohl nicht davon sprechen, daß der Aufstand in der Schweiz v01bereitet, wohl aber, wenn auch nur in schwachem Ausmaß, von dort unterstützt wurde. Diese Unterstützung ging aber nicht von Schweizer Behörden aus. 133 Frei, S. 294ff. Die meisten Vorgänge, an denen Anstoß genommen wurde, erwiesen sich als reine Erfindungen. Der Frankfurter Zentralgewalt wurden von badischen Stellen Kundschaftsnotizen über die Aüchtlinge in der Schweiz mitgeteilt, in denen häufig vor erneuten Einfi.llen gewarnt wurde. BA Frankfurt, DB 53/82, BI. 109ff. Auch die Reichsgesandtschaft in der Schweiz bemerkte aber das energische Vorgehen gegen die Aüchtlinge. Ebd., DB 53{79, Heft 6, Bericht vom 11.12.1848.

IV. Die deutschen Regierungen und die Flüchtlingspolitik ihrer Nachbarn

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das Asyl entzogen. Von den Führern des zweiten badischen Aufstands wies der Bundesrat am 3.12.1848 namentlich Neff, Thiebnann und Löwenfels aus.134 Den völkerrechtlichen Verpflichtungen eines neutralen Landes wurde nachgekommen. Wie auch der spätere Ausbruch des badisch-pfälzischen Aufstandes zeigt, waren nicht die Flüchtlinge, sondern interne Entwicklungen für die Unruhe in Deutschland verantwortlich. Der scharfe Ton der deutschen und der schweizerischen Note erklärt sich nur teilweise aus der Empfindlichkeit neugefundenen Nationalbewußtseins. Der entstandene Konflikt basierte auch auf ideologischen Differenzen, die z.B. die Art und Weise verdeutlichen, mit der die Schweiz die deutschen Regierungen auf die bei ihr bestehende republikanische Freiheit hinwies. Die Zentralgewalt in Frankfurt und die einzelstaatlichen Regierungen gingen von einem Verständnis von politischem Asyl aus, das in ähnlicher Weise eingeschränkt war wie ihr Verständnis von Presse- und Koalitionsfreiheit Nach dem Heckeraufstand verlangte Baden von den Kantonen Basel-Stadt und Thurgau unter Berufung auf den Vertrag von 1808, der politische Delikte einschloß, die Auslieferung Heckers und Struves wegen Hochverrats.l35 Nach dem Struveputsch forderte die badische Regierung die Auslieferung von Flüchtlingen, die öffentliche Kassen ausgeraubt hätten_l36 Auch dieses Gesuch, das vom Bundesrat abgelehnt wurde, zeigt in seiner gezwungenen Auseinanderdividierung von politischen und gemeinen Straftaten, wie wenig sich die westliche Konzeption des politischen Delikts in Deutschland durchgesetzt hatte. Auf die gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch anarchistische und nihilistische Attentate hervorgerufene und in ganz Europa geführte Diskussion über eine nötige Abgrenzung rein politischer von mit gemeinen Straftaten verbundenen Delikten ist schon hingewiesen worden.137 Seit den Auseinandersetzungen während der europäischen Revolutionswende im Sommer/Herbst 1848 war das Problem, die nach den relativ gewaltlosen Revolutionen von 1830 großzügig gefaßten Definitionen des politischen Delikts angesichts einer gewalttätigen politischen Opposition zu honorieren, präsent Die Zentralgewalt und die Märzregierungen suchten in dieser Konfrontation bei vorrevolutionären Konzepten Zuflucht. In der Flüchtlingsangelegenheit muß eine teilweise Kontinuität zur Praxis des Deutschen Bundes konstatiert werden. Die Schweiz und Frankreich folgten während der Revolutionsjahre ihren aus dem Vormärz überlieferten Traditionen der Asylgewährung. In beiden Staaten 134 Neitzlce, S. 36f. 135 Frei, S. 260ff. Aufgnmd dieses badischen Vorstoßes kündigte die Schweiz im Juli 1848 die Auslieferungsvertriige mit Baden und Österreich, die beide die Ausliefenmg wegen Aufruhr und Hochverrat vorsahen. Ebd., S. 266. 136 Ebd., S. 289f. 137 Vgl. oben, S. 47f.

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D. Politisches Asyl während der Revolutionsjahre 1848 und 1849

bestanden unter der Bevölkerung und (vor allem in Frankreich) unter den untergeordneten Behörden Bestrebungen, den deutschen Aufständischen zu Hilfe zu kommen. Diese Unterstützung, die nie besondere Ausmaße annahm, war aber keine offiZielle Politik. Die Regierungen beider Länder bemühten sich vielmehr, den Zuzug von Freischaren aus ihrem Territorium zu verhindern. Durch Internierung und polizeiliche Überwachung versuchten sie, Konspirationen und Aktionen der politischen Flüchtlinge zu unterbinden. Besonders in Frankreich ist seit dem Herbst 1848 eine zunehmend flüchtlingsfeindliche Politik festzustellen. Unter anderem durch Streichung der finanziellen Unterstützung versuchte die Regierung, die politischen Flüchtlinge aus dem Land zu drängen. Die durch die Verfassungsreform des Jahres 1848 gestärkte Schweiz trat gegenüber den Protesten der deutschen Staaten und der Frankfurter Zentralgewalt wesentlich entschiedener auf als im Vormärz.

V. Die Flüchtlinge und die USA während der Revolutionsjahre 1. Die USA und die revolutionäre Bewegung in Europa

In den 1830er Jahren waren die USA für politische Flüchtlinge nur von untergeordneter Bedeutung. Revolutionäre Aktionen und Organisationen lassen sich nur in schwachem Ausmaß feststellen. Die Wanderung von Flüchtlingen aus Europa nach Amerika ist vorzugsweise auf politische Resignation und wirtschaftliche Not zurückzuführen. Den europäischen Regierungen galten die Vereinigten Staaten als sicheres Aufnahmeland verbannter politischer Straftäter. Während und nach den Revolutionen von 1848/49 scheint sich diese Charakteristik der USA als Asylland geändert zu haben. Grundlage für diese Entwicklung war das Verhältnis Amerikas zur europäischen revolutionären Bewegung. Die Vereinigten Staaten begrüßten die europäischen Revolutionen mit Sympathie und unterstützten als einziges Land offen die Zentralgewalt in Frankfurt. In einer Grundsatzdirektive für das Verhalten amerikanischer Diplomaten bei europäischen Revolutionen hob der Secretary of State James Buchanan, hervor, seit ihrer Gründung sei es die Politik der Vereinigten Staaten gewesen, de facto Regierungen anzuerkennen. Gleichzeitig betonte er: Whilst this is our setded policy, it does not follow that we can ever be indifferent spectators to the progress of liberty throughout the world, and especially in France.138

Während der gesamten Revolutionszeit bewegte sich die Politik der Vereinigten Staaten zwischen diesen beiden Polen, dem Prinzip der Nichteinmischung

138 Abgedruckt bei MoltmaM, Atlantische Blockpolitik, S. 364-369, S. 365.

V. Die Flüchtlinge und die USA während der Revolutionsjahre

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auf der einen und dem Anspruch auf moralische Parteilichkeit auf der anderen Seite. 139 Die USA erkannten als einzige Großmacht die neue Zentralgewalt in Frankfurt an.l40 Welch große Hoffnungen man auf deutscher Seite in die Beziehungen zu Amerika setzte, zeigen die einleitenden Sätzen der Instruktionen für den neuen Reichsgesandten von Roenne: Es dürften sich schwerlich zwei Länder finden, bei welchen die politischen und commerziellen Verhältnisse so durchaus auf eine engere und innere Freundschaft und Verbündung hinweisen, als zwischen den Vereinigten Staaten und dem deutschen Bundesstaate. l41

Den Wünschen der Vereinigten Staaten sei entgegenzukommen, und soweit möglich solle ein übereinstimmendes Verhalten gegenüber Dritten gezeigt werden. Auf amerikanischer Seite spielten neben der Hoffnung, mit dem neuen Deutschland werde in Europa ein den Vereinigten Staaten ähnlicher föderalistischer Staat mit freien Institutionen entstehen, auch wirtschaftliche Interessen eine Rolle. 142 Mit den zunehmenden Schwierigkeiten von Zentralgewalt und Paulskirche wurde die amerikanische Haltung immer kritischer. l43 Diese Distanz ging Hand in Hand mit dem Wechsel von der demokratischen Administration des Präsidenten Polk zu der Whigregierung unter Zachary Taylor. Die Regierung Polk hatte in vielerlei Weise ihre Sympathie mit der Bewegung in Deutschland zum Ausdruck gebracht. Neben der diplomatischen Anerkennung unterstützte sie etwa die deutschen Bemühungen um den Aufbau einer Reichsmarine. Auch 139 Zu dem Prinzipienkonflikt amerikaDiseher Außenpolitik zwischen Neutralität und Intervention vgl. ebd., S. 328ff.; Merle E. Curti, The Impact of the Revolutions of 1848 on Ameri· can Thought, in: Proceedings of the American Philosophical Socicty 93, 1949, 209-215; unten, S. 294ff. 140 ZIDil Verhältnis der europäischen Mächte zur Zentralgewalt in Frankfurt vgl. Werner H . Mosse, The European Powers and the German Question 1848-71. With Special Reference to England and Russia, New Yorlt, 1969; Me/zer, 1984, S. 404f. 141 BA Frankfurt, DB 53/85, Heft I, BI. 15, Oktober 1848. 142 Außenminister Buchanan teilte dem Gesandten Donelson mit, die Erreichung eines niedrigeren Zolltarifs sei die wichtigste Aufgabe seiner Mission. Edd~ William Schodl, American Policy and Practice with Respect to European Liberal Movements 1848-1853, Boulder, Co!. (Diss.) 1951, S. 401. Moltmann, Atlantische Blockpolitik, S. 205, hebt allerdings hervor, daß im Gegensatz zum Vormärz, als das Interesse des offiziellen Amerikas an Deutschland primär wirtschaftlich war, während der Revolution das politisch-ideologisch-konstitutionelle Moment dominierte. 143 Über die Stimmung im Kongreß läßt sich nichts sagen, da er sich während der Revolutionsjahre mit Deutschland (im Gegensatz zu Frankreich und Ungarn) nicht auseinandersetzte. Zur Einschätzung der europäischen Revolutionen durch die amerikanischen Parteien vgl. Moltmann, Atlantische Blockpolitik, S . 264ff. Die Berichterstattung der amerikanischen Presse wurde mit dem zunehmenden Mißerfolg des Frankfurter Parlaments immer feindseeliger. Dies trifft auch auf Ungarn zu. Kossuth wurde nach den ersten Niederlagen der Ungarn heftig kritisiert. Arthur James May, Contemporary American Opinion of the Mid-Century Revolutions in Central Europe, Philadelphia, 1927, S. 22, 39. Zu Revolutionskritik in der amerikanischen Presse vgl. Moltmann, ebd., S. 279ff.

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D. Politisches Asyl während der Revolutionsjahre 1848 und 1849

in kleineren Gesten wurde diese generelle Linie deutlich.l44 Die Regierung Taylor verfolgte einen abwartenden Kurs. Die Entscheidung Polks, die Frankfurter Regierung anzuerkermen, wurde von dem neuen Außenminister Clayton implizit kritisiert_l45 Trotz dieser Unterschiede zwischen Whigs und Demokraten ist immer im Auge zu behalten, daß keine amerikanische Regierung über symbolische Unterstützung der liberalen Bewegung hinausging. Die Linke innerhalb der Paulskirche fand bei den amerikanischen Zuschauern keine Zustimmung und vollends abgelehnt wurde die außerparlamentarische revolutionäre Opposition. In offensichtlicher Verkermung ihrer politischen Positionen wurde ihr Kommunismus vorgeworfen. Die amerikanischen Diplomaten (neben dem Gesandten Donelson der Sekretär der Botschaft in Berlin Fay und der außerordentliche Gesandte Dudley Mann) gingen darüber hinaus, die republikanischen Aufstände aus taktischen Gründen oder wegen fehlenden Rückhalts in der Bevölkerung zu kritisieren. Mann nannte Heckers Aufstand nicht nur "ill-advised", sondern auch "ill-intentioned".146Nach den Septemberunruhen bemerkten Fay und Donelson beunruhigt den Zusammenbruch von Gesetz und Ordnung und warnten vor der Gefahr, die politische Macht könne in die Hände der unaufgeklärten Massen und der Kommunisten, Sozialisten, Atheisten etc. fallen_l47 Donelson war völlig gegen das Rumpfparlament und die badisch-pfalzische Bewegung eingestellt, denen er die alleinige Schuld am Zusammenbruch der Nationalversammlung und der Zentralgewalt gab.148 Die Haltung dieser Diplomaten spiegelt die in der amerikanischen Gesellschaft durchgängig vorhandene Skepsis gegenüber gewaltsamen (europäischen) Revolutionen nach französischem Muster und die Ablehnung der sozialrevolu144 So sprach sich Präsident Polle dagegen aus, einen unterschriftsreifen Auslieferungsvertrag mit Preußen zu unterzeichnen. Die weitere Entwicklung in Deutschland sei abmwarten und gegebenenfalls mit der Zentralgewalt in Frankfurt m verhandeln. Der amerikanische Gesandte Donelson führte mit der Zentralgewalt Vorverhandlungen für einen Handelsvertrag, um deren Position gegenüber den Einzelregierungen m stärken. Sclwdl, S. 410, 413. Die offizielle amerikanische Position war, mit der Zentralgewalt nicht m verhandeln, bis sie fest installiert sei und das Recht, Verträge für Deutschland m schließen, in vollem Umfang besaß. 145 May, S. 29. 146 SchodJ, S. 369. In diesem Zusammenhang sprach Mann von den Aufständischen als Kommunisten, "the rnost dangerous party to the welfare of any country that could exist". 147 SchodJ, S. 386f. Donelson sprach sich m dieser Zeit explizit gegen die Ausrufung einer Republik in Deutschland aus und vertrat die Position der Reichsregierung ("reason and patriotism are obtaining liberty and union and order"). Er bedauerte den Einsatz von Gewalt mr Unterdrückung der linken, verband dies aber mit der Hoffnung, die Verantwortlichen wünschten ernsthaft eine Reform des Regierungssystems. Ebd., S. 405ft. 148 Ebd., S. 417. Nach dem Reichsgesandten RoeMe war die Whig-Administration den radikalen Tendenzen in Deutschland durchaus nicht geneigt, wenn sich auch ihre Presseorgane, um bei den überwiegend republikanisch gesinnten Deutschamerikanern Anklang m fmden, hin und wieder in entgegengesetztem Sinne aussprächen. BA Frankfurt, DB 53/86, Heft 3, BI. 4, Bericht vom 9.7.1849.

V. Die Flüchtlinge ~md die USA während der Revolutionsjahre

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tionären Tendenzen der radikalen Demokraten, wie sie sich etwa im Antrag Struves fanden, wider. Ebensowenig erkannten sich die Vertreter der Vereinigten Staaten aber in der offiziellen Entwicklung wieder. Donelson äußerte sich enttäuscht über den Ausgang der Parlamentswahlen und kritisierte die weltfremde Gelehrtheit der Professoren und das Fehlen praktischer Politiker.149 Dudley Mann, der die republikanischen Aufstände verdammte, sprach sich ebenso scharf gegen die Entscheidung der Faulskirehe für die Erbmonarchie aus.150 Die amerikanischen Diplomaten zeigten zwar Übereinstimmung mit dem allgemeinen Ziel einer freiheitlichen Entwicklung in Deutschland, sie identifizierten sich aber nicht mit einer bestimmten Parteirichtung und deren Politik. In ihren Berichten werden, wie generell in amerikanischen Kommentaren zur Entwicklung in Deutschland, auch Mißverständnisse deutlich. Von amerikanischer Seite wurde vor allem verkannt, daß die die Nationalversammlung und die Zentralgewalt dominierenden Kreise keine Übernahme des demokratisch-republikanischen Systems der USA wünschten,l51 Auch die Amerikasicht deutscher Politiker war widersprüchlich und von Mißverständnissen geprägt 152 Die die Faulskirehe dominierenden Kräfte wollten aus der amerikanischen Verfassung vor allem das bundesstaatliche Prinzip und die Gewaltenteilung übernehmen, wehrten sich aber aus Furcht vor der sozialen Revolution entschieden gegen die Einführung des allgemeinen Wahlrechts und republikanischer Institutionen.153 Sie flüchteten in eine Staatsautorität, die dem demokratischen System Amerikas nicht entsprach.154 Die deutschen Demokraten verfolgten zwar ähnliche ideologischen Ziele, zumindest die radikalen unter ihnen waren aber in der Wahl ihrer Mittel und ihrem Dogmatismus weit von amerikanischer politischer Praxis entfernt.l55 Dies führte später bei denjenigen, die als Flüchtlinge nach Amerika kamen, teilweise 149 May, S. 13. 150 Marut bezeiclmete daraufhin die Nationalversammlung als "utterly unworthy of the sympathies of people so free, upright and magnanimous as those of America". SchodJ, S. 397. 151 Moltmann, Atlantische Blockpolitik, S. 360. 152 Zur Amerikarezeption in Deutschland im Vormärz und während der Revolution vgl. Eckhart G. Franz, Das Amerikabild der deutschen Revolution von 1848/49. Zum Problem der Übertragung gewachsener Verfassungsformen, Heidelberg, 1958. 153 Auch der Bundesstaatsgedanke wurde in Deutschland in unitarisch vergröberter Form aufgenommen. Erich Angermann, Der deutsche Frühkonstitutionalismus und das amerikanische Vorbild, in: Historische Zeitschrift 219, 1974, 1·32, S. 31, urteilt: "Indem die Paulskirche mit Erbmonarchie und hegemonialer Führung tragende Elemente aus dem amerikanischen Bundesstaatsmodell herausbrach, pa&e sie es nicht - wie vermeint -deutschen Gegebenheiten an; sie schuf vielmehr ein Verfassungsgebäude wesentlich andersartiger Struktur." 154 Moltmann, Atlantische Blockpolitik, S. 361. 155 Ebd. 12 Reiter

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zu scharfen Auseinandersetzungen mit dem Asylland. Die Selbstbestätigung, die Amerika und die europäischen Liberalen und Demokraten wechselseitig voneinander bezogen, basierte zwar auf einer allgemeinen ideologischen Übereinstimmung, die aber Mißverständnisse und Fehlbeurteilungen nicht ausschloß. Das deutscherseits bedeutendste Mißverständnis, daß nämlich die Vereinigten Staaten willens und fahig seien, die freiheitliche Bewegung in entscheidender Weise zu unterstützen, bildet den Hintergrund für die Verwicklung der USA in die Flüchtlingsangelegenheit nach der Revolution von 1848/49.156 Diese Überzeugung wurde von konstitutionell-liberalen Kreisen, radikalen Republikanern und Exponenten der späteren Reaktionsregierungen gleichermaßen geteilt. Objektiv betrachtet gab es für eine solche Überzeugung in der praktischen Politik der USA während der Revolutionsjahre gewisse Anzeichen, die moralische und symbolische Unterstützung der revolutionären Bewegung weckte aber überzogene Hoffnungen und Befürchtungen in Europa 2. Die Deutschamerikaner und die Revolution

Im Gegensatz zu den deutschen Kolonien im europäischen Ausland waren den Deutschamerikanern in ihrer Unterstützung der Revolution in Deutschland keine Grenzen gesetzt. Anders als in der Schweiz wurden Hilfsaktionen und propagandistische Tätigkeit weder überwacht noch gerichtlich verfolgt, auch wenn sie der offtziellen Regierungspolitik nicht entsprachen. Diese einmalige Situation bildet neben der Sympathie der amerikanischen Regierung für die revolutionäre Bewegung die Grundlage für die wachsende Bedeutung der USA sowohl für die demokratische Opposition als auch die konservative Reaktion in Europa. Die Nachricht vom Ausbruch der Revolution in Frankreich und wenig später in Deutschland wurde von den Deutschamerikanern begeistert begrüßt Sie gründeten Freiheits- und Revolutionsvereine und hielten Massenversammlungen ab, organisierten Geldsammlungen und waren bemüht, eine ganz Amerika umfassende Organisation aufzubauen.l57 Die Geldsammlungen gingen u.a. auf einen Aufruf Heckers an die deutschen Republikaner in Amerika zurück, in dem er von seinem Schweizer Exil aus um Unterstützung für die politischen Flüchtlinge warb.l58 Einzelne in den USA lebende radikale Deutsche kehrten 156 Vgl. MoltmaM, Atlantische Blockpolitik, passim, S. 358. 157 Carl Friedrich Hwch, Die Deutschamerikaner und die deutsche Revolution, in: Mittheilungen des Deutschen Pionier-Vereins von Philadelphia 17, 1910,25-33, S. 25. 158 Ebd., S. 26f. Der Philadelphier Freiheitsverein schickte 318.50$ über den amerikanischen Konsul in Basel G. H. Goundie an Hecker, Struve und Heinzen. Über diese Geldsammlungen und

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nach Europa zurück, so etwa Karl Heinzen, Wilhelm Weitling und Hermann Kriege. 159 Auch Aufrufe und Geldsammlungen zur Bildung von Freischaren sind überliefert. Wieviele Freiwillige tatsächlich nach Deutschland kamen, ist allerdings ungewiß.160 Nachrichten über diese Bewegung verstärkten das Mißtrauen der deutschen Regierungen gegenüber den Deutschamerikanern. Im Juli 1848 berichtete der Bürgermeister von Emmerich in der preußischen Rheinprovinz, Emissäre deutscher republikanischer Vereine in Nordamerika seien eingetroffen. Sie hätten zersetzend geredet und Aufrufe im Wirtshaus verteilt Daraufhin wurde von Berlin am 19.7.1848 die Weisung erteilt, RückkehreT aus Amerika zu überwachen.161 Die amerikanische Regierung wurde verdächtigt, die Revolutionäre zu unterstützen.162 Große Teile der deutschamerikanischen Bewegung unterstützten die außerparlamentarische revolutionäre Opposition der süddeutschen Demokraten und die Linke in der Paulskirche. Die Frage nach Republik oder Kaiserreich stellte sich nicht In Resolutionen wie der Gustav Körners, eines Flüchtlings der 1830er Jahre, oder des Philadelphier Heckervereins wurde Deutschland das Beispiel Amerikas vor Augen gehalten}63 Diese der Zentralgewalt intentioneil die Beteiligung des amerikanischen Konsuls waren auch die deutschen Regierungen unterrichtet. Vgl. BA Franlrfurt, DB 56142. 159 Wiltke, Refugees of Revolution, S. 3lf. Nach Alfred Vagts, Deutsch-amerikanische Rückwanderung. Probleme, Phänomene, Statistik, Politik, Soziologie, Heidelberg, 1960, S. 167 war die Rückkehrerquote unter diesen Vormärzlern allerdings nicht allzu hoch. 160 May, S. 23. Amerikanische Zeitungen besprachen diese Aktionen kritisch und warnten Iren und Deutsche, daß sie sich als amerikanische Bürger nicht an Komplotten gegen fremde Staaten beteiligen dürften. Wiltke, Refugees of Revolution, S. 33. Vgl. auch Moltmann, Atlantische Blockpolitik, S. 75ff. 161 StA Potsdam, LiL N, No. 138 (Nr. 11956), BI. 44ff. 162 Österreich teilte im Sommer 1849 mit, 2.000 wohlbewaffnete IDld mit Geld versehene Deutschamerikaner, die an dem badischen Aufstand hätten teilnehmen wollen, seien in London eingetroffen. Die amerikanische Regierung, die den Zweck der Reise gekannt habe, habe ihnen freie Überfahrt gewährt GLA Karlsrwhe, 233134893, BI. 20f. Die Meldung ist sicher in das Reich der Phantasie zu verweisen, Befürchtungen dieser Art waren aber nicht auf deutsche Regierungskreise beschränkt. Der Pariser Polizeipräfekt berichtete am 31.10.1850, Garibaldi kehre mit amerikanischer Unterstützung nach Europa zurück. GLA Karlsrwhe, 49!1471, BI. 16. In dem gleichen Bericht verdächtigte er die englische Regierung, die geplanten italienischen Aufstandsversuche zu unterstützen. 163 Hwch, Die Deutschamerikaner und die deutsche Revolution, S. 31; McCormack, S. 534ff. Die von Gustav Körner verfaßte Adresse ist insoweit interessant, als sie die Meinung eines als gemäßigt geltenden deutschamerikanischen Liberalen im Januar 1849 wiedergibt. Zu Beginn spricht er sich implizit für Intervention auf der Seite der Volksbewegung aus. Bis jetzt könne man allerdings nur als Individuum handeln: "The Brotherhood of Nations is still a matter of the future." Die Erwartungen auf ständige Erweiterung der Freiheiten in Deutschland seien getäuscht worden. Freiheit sei einer falschen Idee von Einheit geopfert worden. Nur durch Freiheit könne Deutschland aber die Einheit erreichen, die es brauche. Konstitutionelle Monarchie wird als Sackgasse verworfen und die Angst, eine Republik bringe Anarchie, mit dem Hinweis auf das amerikanische Beispiel und den deutschen Nationalcharakter abgetan. Seien die kämpfenden Republikaner auch zahlenmäßig unterlegen, so seien sie überlegen durch ihre Ideen, ihren Enthusiasmus und Opferwillen.

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feindliche Haltung führte unter anderem dazu, daß dem Reichsaußenministerium der Vorschlag gemacht wurde, in Amerika eine Zeitung zur Verbreitung der offiziellen deutschen Position zu gründen.l64 Einen Höhepunkt erreichten die Aktivitäten der Deutschamerikaner mit der Ankunft Heckers in Amerika im Oktober 1848. Ennutigt durch den enthusiastischen Empfang, der ihm bereitet wurde, wandte er sich mit einem Aufruf "an die amerikanischen Freunde einer deutschen Republik" .165 Seiner Meinung nach war Geldmangel die Hauptursache für das Scheitern des ersten badischen Aufstands gewesen. Es habe an Waffen, Pferden, generell an Kriegsmaterial gefehlt. Er schlug vor, einen "Fond für die deutsche Revolution" zu gründen. Das Geld war nicht zur Organisation eines militärischen Einfalls, sondern zur Unterstützung eines Aufstands in Deutschland selbst gedacht. Mit seinem Vorschlag wandte sich Hecker an alle Amerikaner. Wenigstens zum Teil sollten die Gelder bei in Deutschland wohnenden Amerikanern angelegt werden, damit sie bei Revolutionsausbruch sofort zugänglich seien. Nicht zur Unterstützung von Verfolgten sollte das Geld verwandt werden, sondern zum Waffenkauf, zum Aufbau eines Botendienstes und zur Finanzierung einer revolutionären Gegenregierung. Seiner ganzen Konzeption nach ist Heckers Plan ein Vorläufer der späteren Kinkel'schen und Kossuth'schen Revolutionsanleihen. Das Ergebnis der Sammlung war allerdings deprimierend.l66 Trotz der vielen Versammlungen und Adressen existierte in Amerika keine Massenbasis zur Unterstützung europäischer Revolutionen.l67 Amerika wurde aber während der Revolution in die Strategien und Pläne der deutschen Demokraten einbezogen. In Deutschland blieben die Aktivitäten der Deutschamerikaner nicht unbeachtet. Die deutschen Regierungen bis hin zur Provisorischen Zentralgewalt beschäftigte Anfang 1849 ein Aufruf im "Philadelphia Demokrat", der von dem schon erwähnten Ludwig A. Wollenweber herausgegeben wurde. Danach hatte Die Republik könne am besten durch das Schwert erreicht werden. Wo man unterlegen sei und die Haltung der Armee zu unsicher, solle man Volksversammlungen abhalten und ein Netz patriotischer Vereine organisieren. Auch zu Steuerverweigerung, Verhinderung von Rekrutierungen und Fratemisierung mit den Soldaten riet Körner. Nicht unter den Gelehrten solle man Repräsentanten suchen, sondern unter dem Volk und besonders der Jugend. Die Deutschamerikaner versprächen, mit Wort und Schrift, mit Geldsammlungen und Propaganda unter ihren Mitbürgern für Deutschlands Regeneration zu arbeiten. Diese Adresse wurde in einigen hundert Exemplaren an das Paulskirchenmitglied Kar! Vogt geschickt 164 BA Frankfurt, DB 54/8, BI. 100. 165 Huch, Die Deutschamerikaner und die deutsche Revolution, S. 28. 166 Von Oktober bis Dezember 1848 erzielte der Verein in Philadelphia mit mehreren Veranstaltungen einen Reinertrag von 19.61 $. Auch in anderen Städten war die Unterstützung für Heckers Revolutionsfonds mager. Huch, ebd., S. 30; Wittke, Refugees of Revolution, S. 37f.; cürs., German Language Press, S. 68. 167 Auch Cazden, S. 600f., betont die Bedeutungs- und Erfolglosigkeit der prorevolutionären deutschamerikanischen Vereinsgründungen und Geldsammlungen.

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sich in Amerika ein "Befreiungs-Verein" gebildet, der auf die Köpfe deutscher Fürsten Geldpreise ausgesetzt hatte. Das Geld sei durch Sammlungen, an denen sich auch Amerikaner prominent beteiligten, schon größtenteils zusammengekommen.168 Die Zentralgewalt wurde durch die württembergische Regierung auf den Aufruf aufmerksam gemacht 169 Dem Regierungschef von Gagern war die Nachricht so wichtig, daß er sie zum Gegenstand der Kabinettssitzung vom 14.4.1849 machte. In dieser Sitzung wurde das Außenministerium beauftragt, über die Gesandtschaft in Washington diejenigen Schritte einleiten zu lassen, die zur Verhinderung bzw. zur Ermittlung und gerichtlichen Verfolgung der Urheber solcher Aufreizungen dienlich seien. In seinem Schreiben an den Botschafter in Washington sprach sich das Außenministerium skeptisch darüber aus, daß eine solche Gesellschaft wirklich bestehe und ihr vor allem die nötigen Geldmittel zur Verfügung stünden.170 Der Reichsgesandte von Roenne hatte schon vor Erhalten dieser Anweisung in seinem Bericht vom 17.3.1849 Wollenwebers Aufruf erwähnt.l71 Kaum ein anständiges Blatt habe von der Proklamation Notiz genommen, nur einige der kleinen schmutzigen "Penny Papers" hätten sie, meist mißbilligend, wiedergegeben.172 In seiner Antwort auf den Erlaß des Ministeriums betonte Roenne, eine förmliche Gesellschaft existiere nicht Wollenweber sei ein ganz gemeiner Mann, mit dem jeder Anständige in Berührung zu kommen vermeide. Bei dem 168 Dieser Aufruf, den Wollenweber selbst unterzeichnete, ist zuletzt abgedruckt bei

Moltmann, Atlantische Blockpolitik, S. 401-402. Vgl. auch S. 74, ebenso Siemann, "Deutschlands

Ruhe Sicherheit und Ordnung", S. 239. In seinen autobiographischen Aufzeichn~mgen (vgl. oben, S. 128, Anm. 181) erwähnt Wollenweberdie Episode nicht. 169 Drei Adressaten der Schrift hatten sie bei der Polizei abgeliefert. Sie war außerdem der Stadtdirektion Stungart in einem von Peter Steinbach aus Philadelphia adressierten Schreiben vom 10.1.1849 zugekommen. StA StuJtgart, E 146 neu, 4828, 1. Ufasc. Auch das Polizeiamt in Karlsruhe erhielt von Steinbach einen ähnlichen Brief vom 12.1.1849. Darin bat er u.a. seinen Namen zu verschweigen, da ihm bei dem aufgeregten Volk leicht ein Unglück zustoßen könne. In New York, Saltimore 1md Philadelphia hätten sich ganz in der Stille Gesellschaften gebildet. An einem Abend seien in Philadelphia 2.500 $ gezeichnet 1md teils bezahlt worden. Er versicherte auf Ehre, hier werde kein leeres Stroh gedroschen und das nötige Geld käme zusammen. Trotz Nachforschungen konnte der badische Konsul in New York Schmidt nichts über Steinbach erfahren. GLA Karlsruhe, 233/34893, Bl. 12f. 170 BA Frankfurt, OB 60 VIII/2, Bl. 28. 171 BA Frankfurt, OB 53185, Bl. 29. 172 In Deutschland wurde die Nachricht von der Zeitung "Die Volkswehr" aus der "New Yorker Schnellpost" aufgenommen, ebenso von der "Karlsruher Zeitung" unter dem Zusatz, in Philadelphia seien an einem Abend 2.500 $ für diesen Zweck gezeichnet worden. StA StuJtgart, E 146 neu, 4828, I. Ufasc. Neben dem von Roenne in seinem Bericht genannten "Republikaner" aus Cincinnati verurteilten auch die "New Yorker Staatszeit~mg", der "Correspondent" in Baltimore, der "Freiheits-Freund" in Pittsburgh und der "Wahrheitsfreund" in Cincinnati die Proklamation. Auch "anständige" Zeitungen nahmen Notiz. So urteilte in Philadelphia der "Public l..edger" arn 9. März: "Dies mag ein guter Patriotismus sein, aber es ist gegen die Moral." Carl Friedrich Huch, Der Befrei~mgs-Verein, in: Mittheilungen des Deutschen Pionier-Vereins von Philadelphia 17, 1910, 34-37. s. 35.

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D. Politisches Asyl während der Revolutionsjahre 1848 und 1849

Ganzen handele es sich um einen gemeinen Bierhaus-Spaß, mit dem er sich nur wichtig machen wolle. Von einer gerichtlichen Verfolgung riet Roenne ab, da dieser Schritt nur zur nicht geringen Ergötzung des amerikanischen Publikums gereichen würde.173 Auch der badische Konsul Schmidt bestritt das Bestehen eines Vereins_l74 Inwieweit ein förmlicher Verein zur Beseitigung der deutschen Fürsten bestanden hat, muß fraglich bleiben. Wollenweber veröffentlichte aufgrund der durch seinen Aufruf verursachten Diskussion ein "Offenes Schreiben und freie Erklärung an meine Mitbürger in den Vereinigten Staaten", in dem er betonte, der Plan sei der seinige. "Ich teilte ihn meinen Freunden mit, er fand viel Anklang und so trat durch Unterschriften von Beiträgen der Verein ins Leben." Am 21.10.1878 gab Wollenweber eine andere Version. In einer Versammlung des Hecker-Vereins sei die Frage aufgeworfen worden, was man in Amerika tun könne, um den Gewalttätigkeiten der Fürsten Einhalt zu gebieten. Ein achtbarer Bürger, Eduard Vogt, habe daraufhin die Proklamation vorgeschlagen. Ein Komitee von Fünfen habe sie abgefaßt, woran er selbst aber nicht beteiligt gewesen sei, da man ihn zum korrespondierenden Sekretär ernannthabe.115 Die Einschätzung des Reichsgesandten, eine Gefahr ginge von dem Verein, falls er überhaupt bestehe, nicht aus, war sicher richtig.176 Ein so völlig obskurer Mann, wie er dem Außenministerium mitteilte, war Wollenweber als Herausgeber einer der wichtigsten deutschamerikanischen Zeitungen allerdings nicht. In einem Bericht des preußischen Konsuls in Philadelphia an den badischen (und preußischen) Generalkonsul in New York Schmidt heißt es, Wollenweber werde von allen als ein Ultra-Demokrat und Sozialist bezeichnet "und mag als solcher bei den zu gleichen Grundsätzen sich bekennenden hier ansässigen Deutschen wohl einigen Anhang haben."l77 Der Veröffentlichung des Aufrufes folgte eine durchaus ernst zu nehmende Diskussion in der deutsch- und englischsprachigen Presse Amerikas, die nicht nur Ablehnung hervorbrachte. Wollenweber erhielt auch zustimmende Zuschriften. Er verteidigte sich am 12. März im "Demokrat" damit, nur dadurch, daß die Tyrannen unschädlich gemacht würden, könnten die Völker frei werden. Das habe die Erfahrung gelehrt. Außerdem werde nur Gleiches mit Gleichem vergolten, da auch auf die Köpfe Heckers, Struves, Kossuths und anderer demokratischer

173 BA Fran/ifurt, DB 53185, Bl. 136 vom 19.5.1849. 174 GLA Karlsruhe, 233/34893, BI. 13, Bericht vom 19.4.1849. 175 Huch, Der Befreitmgs-Verein, S. 36f. 176 Nach einem Bericht Doneuons vom 27.4.1849 diente eine Notiz über den Verein in einer

Berliner Zeitung dem preußischen Innenminister allerdings als Anlaß, den Belagertmgszustand zu verlängern. May, S. 24. 177 GLA Karlsruhe, 233/34893, Bl. 18, Bericht vom 12.4.1849.

V. Die Aüchtlinge und die USA während der Revolutionsjahre

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Führer Preise ausgesetzt seien.178 Diese Haltung stand unter radikalen Deutschamerikanern nicht isoliert da Neben Wollenweber befürwortete auch Heinzen öffentlich den Tyrannenmord. Wenige Monate nach der Veröffentlichung der Proklamation tauchte ein ähnlicher Aufruf in den Spalten des "Demokraten" auf, diesmal unterzeichnet von dem schon erwähnten New Yorker Bierbrauer C. Richter.179 Während der Revolutionsjahre war Amerika weit tiefer in die deutsche Politik involviert als im Vormärz. Dies gilt sowohl auf Regierungsebene als auch für deutschamerikanische Kreise. Objektiv betrachtet waren aber weder die Unterstützung der Zentralgewalt in Frankfurt durch die Regierung in Washington noch die Aktionen der Deutschamerikaner von großer Bedeutung. In beiden Fällen handelte es sich weit mehr um Selbstbestätigung als um ernsthafte tatkräftige Hilfe. Der Aufruf Wollenwebers zum Fürstenmord und die von Gustav Körner verfaßte Resolution zeigen allerdings, daß das Spektrum öffentlicher Diskussion in den USA wesentlich breiter war als in Europa. 3. Die Abwanderung politischer Flüchtlinge in die USA Für die deutschen Flüchtlinge ist während der Revolutionsjahre 1848 und 1849 eine Verstärkung der Kontakte zu Amerika zu konstatieren.180 Hieraus ergibt sich die Frage, inwieweit die Abwanderung von Flüchtlingen in die USA weiter Resignationscharakter hatte. Prominentester Amerikaauswanderer unter den deutschen Flüchtlingen war Friedrich Hecker. Für seine Person ist eindeutig Resignation als Motivation festzustellen. Im Schweizer Asyl war er mehr und mehr isoliert, da er gegen ein Hereintragen der Revolution nach Deutschland und für Warten auf den Ausbruch einer neuen Volksbewegung stimmte.l81 Für ihn lag der Gedanke an eine Auswanderung, mit dem er sich schon vor der Revolution getragen hatte, nach der Aberkennung seines Abgeordnetenmandats durch die Paulskirche nahe. 182 178 Huch, Der Befreiungs-Verein, S. 35. Dieser Artikel fmdet sich auch im StA StuJtgart, E neu, 4828, 1. Ufasc.

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179 Zeitungsausriß vom 20.3.1849, Anlage zum Bericht des Generalkonsuls Schmidt vom 19.4.1849, GLA Karlsrwhe, 233/34893, BI. 13. 180 Dies trifft vor allem auf die Aüchtlinge in der Schweiz zu. Hecker hatte enge Kontakte mit

dem amerikanischen Konsul Goundie in Basel.

181 Vgl. Obermann, Neue Dokumente, S. 1148, 1163. 182 Schon zu Beginn seines Freischarenzuges sagte

Hecker zu Freunden, die ihn vor dem Unternehmen warnten, wenn die Erhebung keinen Erfolg habe, bleibe ihm immer noch Zeit genug, nach Amerika zu gehen. Real, Die Revolutioo in Baden, S. 63. Anfang Juni 1848 äußerte Hecker in einer Versammlung der Aüchtlinge in Schaffhausen den Wunsch auszuwandern, versprach aber seinen bestürzlen Freunden, den Plan zurückzustellen, bis wirldich keine Hoffnung mehr auf eine erneute Erhebung des Volkes vorhanden sei. Am 11.7.1848 schrieb Hecker erneut von seiner

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D. Politisches Asyl während der Revolutionsjahre 1848 und 1849

In einem Aufruf, in dem er nochmals seine politische Position darstellte, nahm Hecker Abschied vom deutschen Volk. 183 Vor Aufbau eines neuen Systems mußten die alten Gewalten völlig zerstört werden. Dies galt vor allem für Deutschland mit seiner territorialen Zersplitterung. Deshalb der Antrag auf Permanenzerklärung des Vorparlamentes, deshalb der erste Aufstand in Baden. Enttäuscht über die geringe Beteiligung greift Hecker die Tatenlosigkeit des Volkes an, das über die Reaktion klage und auf die Flüchtlinge hoffe. Dieser Hoffnung versagt er sich. Ohne schöpferische Wirksamkeit müsse er verkümmern. Dies trieb ihn zur Auswanderung, die nicht durch direkten Druck politischer oder wirtschaftlicher Art bedingt war. In seinem Aufruf spricht Hecker allerdings nur von einer Reise, die er nach Amerika unternehmen wolle, um dort zu lernen und für Deutschland wirken zu können. Erhebt sich Deutschlands Volk zur republikanischen That, ..., schnell ist der Ozean durchfurcht, zwei Wochen reichen hin, ID!d die Verbannten können unter euch sein, ..., reich an Etfahnmgen durch eigene Anschauung jenes großen Staatsverbandes von 30 Republiken, neue Kraft dem Vaterlande zubringen.184

Das Volk solle sich um die äußerste Linke der Paulskirche und die Führer der republikanischen Schilderhebung scharen. Heckers Verhalten in Amerika zeigt, daß er eine endgültige Entscheidung noch nicht getroffen hatte. Zwar kaufte er eine Farm in der Nähe von Belleville, Illinois, arbeitete aber mit seiner Anleihe weiter für die Revolution in Deutschland. Eine langsame Distanzierung von Europa wird aber deutlich. Nach seiner Ankunft hatte Hecker vor einer Massenversammlung in New York geäußert, er sei gekommen, um ein funktionierendes republikanisches System zu beobachten und sich auf eine zweite Revolution vorzubereiten. Im Januar 1849 hingegen sagte er, das deutsche Vaterland liege nunmehr im fernen Westen und nicht mehr in Europa.l85 Im Juni 1849 kehrte Hecker, vom revolutionären badischen Landesausschuß gerufen, nach Europa zurück, traf allerdings erst ein, als der Aufstand schon niedergeschlagen war. In einem zweiten Aufruf äußerte er sich völlig desillusioniert. Von Europa und Deutschland wandte er sich ab und übertrug alle Hoffnung auf Amerika. In dem Aufruf heißt es: Mit wahrer Sehnsucht schaue ich hinüber nach dem fernen Westen ... ekelerfüllt und bitter ent· täuscht, seit ich die Erde des altersschwach gewordenen Europas ID!ter meinen Füßen fühle. ... Meine RechniDig mit der alten Welt ist abgeschlossen.... Europa ist blasiert, hysterisch, matt, es Absicht, Europa zu verlassen. Am 5.9. traf er in Straßburg ein. Fr011z X. Vollmer, Der Traum von der Freiheit. Vormärz ID!d 48er Revolution in Süddeutschland in zeitgenössischen Bildern, Stungan, 1983, S. 152. 183 Als Faksimile gedruckt in Hans 8/um, Die deutsche Revolution 1848-49. Eine Jubiläumsgabe für das deutsche Volk, Aorenz/Leipzig, 1898. 184 Ebd. 185 Wittke, Refugees of Revolution, S. 37.

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bedarf eines gewaltigen, eines vulkanischen Verjüngungsprozesses, und wie einst (wie Montesquieu sagt) die Freiheit in die Wälder Gennaniens gereuet wurde vor romanischer Verderbnis, so wird aus den Wäldern des Westenstreu bewahrt das heilige Feuer demokratischer Freiheit aufstrahlen und erleuchten und erwännen den müden Körper der Alten Welt.l86

Schon vor Heckers Abreise sahen sich viele Flüchtlinge aus wirtschaftlicher Not gezwungen, vom europäischen Asyl aus nach Amerika auszuwandern. Seine Entscheidung soll weitere zu demselben Schritt bewogen haben.l87 Genaue Zahlenangaben lassen sich nicht machen. Bei diesen Flüchtlingen ist aber von einer ähnlichen Resignation wie bei Hecker auszugehen. Zwar verschärfte sich die Asylpolitik der europäischen Länder bis zum Sommer 1849, der administrative und politische Druck, der die Flüchtlinge zum Verlassen der Länder bewegen sollte (so die Kürzung der Unterstützung in Frankreich), hielt sich aber in Grenzen_l88 Trotz der prorevolutionären Aktionen der Deutschamerikaner scheinen die meisten deutschen Flüchtlinge während der Jahre 1848/49 keine Perspektive für die Fortsetzung ihres Kampfes von Amerika aus gesehen zu haben. Dies verdeutlicht das Scheitern der Aktion einiger Reichstagsabgeordneter des rechten Zentrums und der Linken Anfang 1849.189 Sie hatten im "Frankfurter Journal" einen Aufruf zur Sammlung von Beiträgen für die Übersiedlung der in Frankreich lebenden Flüchtlinge nach Amerika veröffentlicht. Dies betrachteten die Flüchtlinge als Beleidigung ihrer selbst und ihrer politischen Überzeugung. Besonderen Anstoß nahmen sie an der von den Abgeordneten gegebenen Versicherung, daß die Reisegelder nicht den Flüchtlingen selbst in die Hand gegeben werden sollten. Auch ein Brief Carl Vogts, in dem er schrieb, falls 186 Zitiert nach Vollmer, S. 438. 187 Dies nach Franz Sigel. Vgl. Wilhelm Blos (Hrsg.), Denkwürdigkeiten des Generals Franz Sigel aus den Jahren 1848 und 1849, Mannheim, 1902, S. 46ff. Nach einer Auskunft der Straßburger Polizeibehörde an den Kommandanten von Kehl im November 1848 war ein nicht unbedeutender Teil der dortigen Flüchtlinge nach Amerika ausgewandert. BA Franlifurt, DB 53!82, BI. 110, 125. Vgl. auch NeiJzke, Rüchtlinge in der Schweiz, S.48. 188 Die Haltung der Rüchtlinge zur Auswanderung war sicher nicht konstant, sondern von der jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Situation abhängig. Vgl. BA Frankfurt, DB 53/82, BI. 109. Aus Deutschland scheinen nur geringe Unterstützungen an die Rüchüinge gegangen zu sein. Der Zentralausschuß der deutschen Demokraten in Berlin schrieb am 23.9.1848 an den Nationalverein in Zürich, Versuche, die Rüchtlinge zu unterstützen, seien alle an fehlenden Mitteln gescheitert. Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Jg. II, Bd. I, No. 15 (Bericht über die deutschen Arbeitervereine) S. 204. 189 Es handelte sich um die Abgeordneten Gevekoht (Fraktion Casino), Merck (Cafe Milani), Rießer (Augsburger Hof), Simson (Casino), Tellkampf (Württemberger Hof), Veit (Casino) und Vogt (Deutscher Hof). Fünf Abgeordneten der Rechten und des Rechten Zentrums standen so zwei Abgeordnete des Linken Zentrums und der Linken gegenüber. Vgl. R. Fefldl, Von 1846 bis 1853. Erinnerungen aus Verlauf und Folgen einer akademischen 1md politischen Revolution. Von einem weiland Gießener Studenten und badischen Freischärler. Dannstadt, 1875, S. 129ff. Fendt war der Verfasser der an diese Abgeordneten gerichteten Protestnote der sich in Straßburg aufhaltenden Flüchtlinge.

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D. Politisches Asyl während der Revolutionsjahre 1848 und 1849

eine Revolution in Deutschland ausbrechen sollte, wozu keine Aussicht bestehe, bringe die Beteiligung der Flüchtlinge nur Schaden, erhitzte die Gemüter. Da die Mehrzahl der Initiatoren der Partei ihrer politischen Gegner angehörte, sahen die Flüchtlinge in dem Plan nur die Absicht, sich durch eine Massendeportation nach Amerika voraussichtliche Teilnehmer einer künftigen Revolution vom Halse zu schaffen. Gerade auf den Ausbruch dieser Revolution hofften die Flüchtlinge und waren so, auch wenn sie das untätige Flüchtlingsdasein belastete, (noch) nicht bereit auszuwandern. Diese Episode und die spärlichen gesicherten Nachrichten über Auswanderungen von Flüchtlingen nach Amerika machen deutlich, daß zu einem Zeitpunkt, als die meisten Revolutionäre die Hoffnung auf ihren letztendlichen Sieg noch nicht aufgegeben hatten, die Vereinigten Staaten keine große Attraktivität besaßen. Neben der eher symbolischen Unterstützung der Freiheitsbestrebungen durch die amerikanische Regierung liegt die Bedeutung Amerikas wie vor der Revolution in den Aktivitäten der Deutschamerikaner, d.h. in Propagandatätigkeit und Geldsarnmlungen. Auch diese Aktivitäten waren zu weit von einer revolutionären Tätigkeit entfernt, um als Anziehungspunkt auf Flüchtlinge zu wirken. Bis zur Reichsverfassungskampagne behielten die Vereinigten Staaten ihren bisherigen Charakter als Asylland. Sie waren letzte Station von Flüchtlingen, die die Hoffnung auf eine Revolution und die Rückkehr in die Heimat weitgehend aufgegeben hatten und sich eine neue Existenz aufbauen wollten.

E. Politisches Asyl in Kontinentaleuropa nach dem badisch-pfälzischen Aufstand I. Die Reichsverfassungskampagne Mit der Ablehnung der Kaiserkrone und der Reichsverfassung durch den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. war die Politik der Paulskirchenmehrheit gescheitert Sie mußte sich nunmehr entscheiden, ob und mit welchen Mitteln sie für die Durchsetzung der Verfassung kämpfen wollte. Die von Heinrich von Gagern geführten Kräfte konnten von ihrem ganzen Selbstverständnis her nicht über den legalen Weg hinausgehen, dessen Grenze die moralische Unterstützung von Volksbewegungen war, die mit gesetzlichen Mitteln die Annahme der Verfassung voranzutreiben suchten. Schon mit diesem Programm, das insoweit gegen die reaktionäre Politik der Fürsten, vor allem des preußischen Königs, gerichtet war, als es sich klar gegen militärische Intervention von ihrer Seite aussprach, fand Gagern nicht mehr die Zustimmung des Reichsverwesers. Gageros Rücktritt bedeutete das Ende der bisherigen Regierungsmehrheit In seiner Folge wurde die Brüchigkeit der Koalition, die sich auf die Erbmonarchie auf der einen und das demokratische Wahlrecht auf der anderen Seite geeinigt hatte, offenbar. I Die politische Einsicht, daß die Erhaltung des "status quo", d.h. die Anerkennung der Reichsverfassung, nur im gemeinsamen Kampf mit der Linken, die mehr wollte, zu erreichen war, fehlte in der Mehrheit des deutschen Bürgertums. Die konstitutionellen Liberalen hauen sich nicht so sehr aus ideologischer Starrheit, sondern aus Furcht vor der sozialen Revolution auf den preußischen König als Erbmonarchen versteift. Nur er bot ihnen die Garantie gegen den totalen Umsturz, an dessen Anfang für sie das demokratische Wahlrecht stand.2 Für die Demokraten hingegen war nur das demokratische

Vgl. Dieter I.Angewiesche, Republik, konstitutionelle Monarchie und "soziale Frage". Grundprobleme der deutschen Revolution von 1848/49, in: Historische Zeitschrift 230, 1980, 529548. Wiederabgedruckt in ders. (Hrsg.), Die deutsche Revolution von 1848/49 (=Wege der Forschung Bd. CI..XIV), Dannstadt, 1983,341-361. 2 Der Liberale Ludwig Häusser sagte im badischen Landtag zur Stell1mg des Kaisers: "Ich gebe Ihnen den Namen preis, nennen sie ihn wie sie wollen, aber nehmen sie ihm die Macht nicht ...,die Macht soll er haben, und das ist es, was wir durch die erbliche Monarchie erreichen wollen." Zitiert nach ebd., S. 358.

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E. Politisches Asyl in Kontinentaleuropa nach 1849

Kaisertum akzeptabel, das die Chance für eine evolutionäre Entwicklung beinhaltete.3 Weder die Zentralgewalt in Frankfurt noch das Rumpfparlament in Stuttgart und die von ihm gewählte Reichsregentschaft übten irgendeinen militärischen, politischen oder moralischen Einfluß auf die revolutionären Ereignisse im Mai/Juni 1849 aus. Die Zentralgewalt zog Reichstruppen zur Unterdrückung der Bewegung in der Pfalz und Baden zusammen, blieb aber gegenüber der Übermacht Preußens ohne jede Bedeutung. Die Nationalversammlung, nach Austritten und Abberufungen mehr und mehr durch die Linke beherrscht, versagte auf der anderen Seite in der Aufgabe, der Reichsverfassungskampagne ein politisches Zentrum zu bieten. Bezeichnend für die Stellung des Parlaments ist das Verhalten des Abgeordneten Karl Vogt, der als Abgesandter der Faulskirehe auf einer großen Volksversammlung bei Nürnberg nur zur Gesetzlichkeit zu ermahnen wußte und Steuerverweigerung als "ultima ratio" anbot.4 Die Reichsverfassungskampagne entwickelte sich als selbständige Volksbewegung unabhängig von den "offiziellen" Institutionen der Revolution. Sie erstreckte sich unkoordiniert über weite Teile Deutschlands (vor allem Sachsen, die preußische Rheinprovinz und Südwestdeutschland) und hatte unterschiedlich weit gefaßte Ziele. Die Anerkennung der Reichsverfassung war das erklärte Ziel in den Staaten, deren Monarchen sie abgelehnt hatten. Darüber hinausgehend versuchten starke Kräfte der Bewegung, die im März 1848 abgefangene demokratische Revolution nunmehr zu vollenden. Dies zeigt sich vor allem in der Pfalz und in Baden, die als einzige Länder kurzfristig von revolutionären Regierungen geführt wurden. Dadurch traten Spannungen zwischen radikalen und gemäßigteren Kreisen auf, die Friedrich Engels treffend mit den Worten beschrieb: ...denjenigen, denen es ernst war mit der Bewegung, war es nicht ernst mit der Reichsverfassung, und denen es ernst war mit der Reichsverfassung, war es nicht ernst mit der Bewegung.5

In der Pfalz war es zum Aufruhr gekommen, nachdem der bayerische König den Landtag, der sich für die Annahme der Reichsverfassung ausgesprochen 3 Der später im sächsischen Maiaufstand führende Advokat Samuel Tzschimer erldärt.e auf einer Volksversammlung in Leipzig arn 30. April, man müsse an der Reichsverfassung festhalten, "jedoch nicht um ihretwillen, sondern um einer künftigen, der demokratischen Staatsidee vollkommen entsprechenden willen." Zitiert nach Klessmann, S. 293. 4 Diese am 15.5.1849 parallel zur Offenburger Versammlung staufmdende Volksversammlung hätte durchaus der Ausgangspunkt für eine Ausweitung der Revolte nach Franken sein können. Klessmann, S. 315. Vgl. auch Gunther HildebrandJ, Die Stellung der Fraktion Donnersberg in der Frankfurter Nationalversammlung zur Reichsverfassungskampagne 1849, in: Jahrbuch für Geschichte 7, 1972,505-556. 5 Friedrich Engels, Die deutsche Reichsverfassungskampagne, in: Marx Engels Werke, Bd. 7, 109-197, s. 196.

I. Die Reichsverfassungskampagne

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hatte, aufgelöst hatte. Ein Landesverteidigungsausschuß wurde gebildet, der allem Anschein nach zunächst die Unterstützung breitester Schichten des Volkes hatte. Nach der Einsetzung einer provisorischen Regierung, für die sich nur eine knappe Mehrheit gefunden hatte, scheint sich die Bewegung gespalten zu haben.6 Nur noch eine Minderheit war bereit, die nunmehr folgende Politik mit Beschlüssen von teilweise deutlich revolutionärem Charakter (u.a. das Bündnis mit Baden, Beschlagnahmung öffentlicher Kassen, Zwangsanleihe für Vermögende) mitzutragen.1 Militärisch war die Pfalz zu schwach, um der eigenmächtig erfolgten preußischen Intervention Widerstand entgegensetzen zu können. 8 Baden hatte die Reichsverfassung zwar anerkannt, das Land war aber seit dem Heckerzug nicht zur Ruhe gekommen. Hier war demokratisch-republikanisches Gedankengut auch in radikaler Ausprägung am tiefsten verwurzelt. 9 Die Organisation der demokratischen Vereine war weit fortgeschritten. Von dem Ausbruch der Revolution wurde aber auch der Landesausschuß dieser Vereine unter Lorenz Brentano und Amand Goegg überrascht. Eine aus spontanen Einzelaktionen entstandene Meuterei der Garnisonen von Rastalt und Karlsruhe, die die Forderung nach Freilassung aller politischen Gefangenen zum Ausgangspunkt hatte, führte zur Flucht des Großherzogs und der Regie-

6 Klessmann, S. 304ff. Klessmann stützt sich in seiner Darstellung vor allem auf die Marburger Dissenation von HelmuJ ReMer, Die pfälzische Bewegung in den Jahren 1848/49 und ihre Voraussetzungen. Ein Beitrag zurpfälzischen Geschichte des 19. Jhds., 1955, der die Aufständischen negativ darstellL So urteilt Renner, nur dadurch, daß sie die Reichsverfassung als Köder benutzten, sei es den Republikanern gelungen, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen "und diese für ihre Zwecke ausmbeuten." (S. 209) Nach ihm waren die Männer der provisorischen Regierung mehr Geschobene als Schiebende: "Die Hintermänner, ausländische Agitatoren und Berufsrevolutionäre, landfremde Abenteurer, Vagabunden und radikal gesinnte Mitglieder der Arbeitervereine hielten die Fäden in der Hand." (S. 215) Die Freischaren bestanden danach aus "gewerbsmäßigen Revolutionsmännem" desertierten Soldaten der verschiedensten Armeen und "lichtscheuem Gesindel" aus aller Herren Länder (S. 218). Die von Renner selbst ausgewerteten Zahlen der heimkehrenden Freischärler weisen allerdings die Mehrzahl als Gesellen, Tagelöhner und Ackerer (und Pfälzer) aus. (S. 219). Die Ursachen des Abfalls der Pfalz von Bayern sieht Renner einseitig im pfälzischen Partikularismus. Inwieweit konkrete Aktionen der Provisorischen Regierung oder die sich rapide verschlechtemden Erfolgsaussichten dam führten, daß sich weite Bevölkerungskreise schon bald von der Bewegung abwandten, scheint einer weiteren Untersuchung zu bedürfen.

7

Es kam auch zu Zwangsrekrutierungen für das Revolutionsheer. Vgl. Me/zer, S. 421.

8 Die Gesamtzahl der bewaffneten Aufständischen betrug 12.821, wovon nur 3.586 mit Gewehren ausgerüstet waren. Klessmann, S. 309. Die militärische Führung unter dem ehemaligen Österreichischen Offizier Fenner von Fenneberg und dem Polen Smayda versagte. 9 Auf der Offenburger Volksversammlung am 13.5.1849 beschlossene Programmpunkte der demokratischen Vereine waren: Unentgeltliche Aufhebung aller Grundlasten, Errichtung einer Nationalbank für Gewerbe, Handel und Ackerbau zum Schutz gegen das Übergewicht der großen Kapitalisten, progressive Einkommensteuer und Gründung eines Pensionsfonds zur Unterstützung aller arbeitsunfähig gewordenen Bürger. Manfred BotzenluJrl, Deutscher Parlamentarismus in der Revolutionszeit 1848-1850, Düsseldorf, 1977, S. 711, Anm. 77.

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E. Politisches Asyl in Kontinentaleuropa nach 1849

rung.lO Lorenz Brentano und der Landesausschuß der demokratischen Vereine traten in das entstandene Vakuum. Zu nennenswertem Widerstand gegen diese Machtübernahme kam es weder in der Bevölkerung noch unter der Beamtenschaft und dem Militär. Es wäre verfehlt. die die Regierung und die badische Konstituante dominierenden Kräfte als radikale und entschlossene Revolutionäre zu bezeichnen.11 Lorenz Brentano hatte zwar in Frankfurt der Fraktion Donnersberg angehört, war aber alles andere als glücklich über die ihm zugefallene Führungsrolle. Er verhinderte die Ausrufung der Republik in Baden und war bestrebt. dem Großherzog so weit als möglich die Tür zur Rückkehr offenzuhalten. Während die Revolutionsarmeen noch kämpften, knüpfte er Geheimverhandlungen mit der alten Regierung an.12 Gegen die Übermacht des preußischen Expeditionskorps und der Reichstruppen konnte die im ganzen gut geführte Revolutionsarmee, die sich nach dem Besten ihrer Möglichkeiten verteidigte, nicht bestehen.13 Lag die Führung der Reichsverfassungskampagne in den Händen bürgerlicher Intellektueller, so wurde sie getragen von den unteren Schichten. Generalisierende Aussagen über die Träger der Bewegung sollten sicher vorsichtig getroffen werden. Eine genaue Zuordnung und saubere Abgrenzung in Kategorien wie Arbeiter, Kleinbürger und Bürger ist angesichts des vorhandenen Datenmaterials und der im Wandel begriffenen wirtschaftlichen und sozialen Strukturen Deutschlands problematisch.l4 Die auf diesem Gebiet vorliegenden 10 Direkte Ursachen der Meuterei lagen in den Folgen der Umstrukturierung der badischen Armee. Man hatte eine Art allgemeiner Wehrpflicht eingeführt, so daß im Sommer 1849 Soldaten in den Kasernen lagen, die im Jahr zuvor an der Revolution teilgenommen bzw. mit ihr sympathisiert hatten. Auch durch fmanzielle Einbußen waren Soldaten und vor allem Unteroffi. ziere, die sich an die Spitze der Bewegung stellten, aufgebrachL Othmm Hacld/Manfred MesserschmidJ (Hrsg.), Handbuch zur deutschen Militärgeschichte 1648-1939, Bd. 2, Abschnitt IV (2), München, 1976, S. 280. 11 Zur badischen Konstituante vgl. Botzenhart, S. 71lff. 12 Zur widersprüchlichen Rolle Brentanos während des Aufstandes vgl. Real, Revolution in Baden, S. 123ff. 13 HacJd/MesserschmidJ, S. 281. 14 Vgl. Klessmann, S. 288ff.; FroliNh Baiser, Sozial-Demokratie 1848/49-1863. Die erste deutsche Arbeiterorganisation "Allgemeine deutsche Arbeiterverbrüderung" nach der Revolution, Stuttgart, 1962, S. 47ff.; Werner Conze, Vom "Pöbel" zum "Proletariat". Sozialgeschichtliche Voraussetrungen für den Sozialismus in Deutschland, in: Vierteljahrschrift für Sozial· und Wirtschaftsgeschichte 41, 1954, 333-364 (Wiederabdruck in: H. U. Wehler (Hrsg.), Modeme deutsche Sozialgeschichte, Köln, 1968, 111-136). Deutlich sichtbar werden die Schwierigkeiten einer genauen Einteilung an der unterschiedlichen Beurteilung der Zusammensetmng der nach dem Dresdener Maiaufstand Angeklagten. Aufgrund der gleichen Datenbasis werden einmal der Mittelstand, ein anderes Mal die unteren Schichten als Träger des Aufstandes ausgemachL HermannJosef Rwpieper, Die Sozialstruktur der Trägerschichten der Revolution von 1848/49 am Beispiel Sachsen, in: Harald Kaelble u.a., Probleme der Modemisierung in Deutschland. Sozialhistorische Studien zum 19. und 20. Jhd., Opladen, 1978, 80-109, S. 86.

I. Die Reichsverfass~mgskampagne

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Arbeiten bestätigen aber eindeutig, daß die unteren Schichten das Gros der Beteiligten und die entschiedensten Kämpfer stellten.15 Die Gründe für das Scheitern der Reichsverfassungskampagne sind oft aufgezählt worden: Zurückgewonnenes Selbstvertrauen und Konsolidierung der reaktionären Kräfte, militärische Überlegenheit der Gegenrevolution, mangelhafte Koordination auf seiten der Aufständischen, das Fehlen qualifizierter revolutionärer Führungsgestalten und eines echten politischen Zentrums der Bewegung, regionale Beschränktheit und fehlender Rückhalt in der Bevölkerung)6 Die Erfolgsaussichten schienen allerdings vielen Zeitgenossen zu Beginn durchaus gegebenP Im Gegensatz dazu beurteilt die Forschung die Chancen mehrheitlich negativ.18 Die Möglichkeit, daß sich die Aufstandsbewegungen in der Pfalz und Baden gegen die preußische Armee und die Reichstruppen militärisch behaupten konnten, bestand sicher nicht Die militärischen und politischen Möglichkeiten der Bewegung wurden aber aufgrund der Unfähigkeit, der bis zum Verrat gehenden Unentschlossenheit und der Gespaltenheil der Führer der Reichsverfassungskampagne nie ausgeschöpft. Die Streitigkeiten innerhalb der politischen Führung, die sich fast geschlossen diskreditierte, die Zersplitterung des demokratischen Lagers in verschiedenste sich befehdende Fraktionen, und die weit verbreitete Überzeugung, ebenso verraten wie besiegt worden zu sein, sind für die folgende Emigrationszeit von besonderer Bedeutung. 15 Als Fallstudie vgl. Harald Rohlinger, Das Sozialprofil der Hanauer Turnerwehr 1849, in: Volkmann/Bergmann, Sozialer Protest, 107-127. Diese Untersuch~mg basiert auf den von Kar/ Geisel msammengetragenen Daten. Danach waren fast 70% der Mitglieder Handwerksgesellen. Rohtingers Analyse verstärlct das Bild der Reichsverfass~mgskampagne als eines dritten Revolutionsschubs. Vgl. auch Kar/ Obermann, Zur Zusammensetmng einiger Freischaren in der Revolution von 1848/49, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 4, 1973, 125-145. Hier muß angemerkt werden, daß man die 1850 aus der Schweiz ausgewiesenen Mitglieder der deutschen Arbeitervereine auf keinen Fall wie Obermann ohne weiteres unter die aktiven Revolutionsteilnehmer zählen kann. Zu dem Problem, Kausalmsammenhänge zwischen sozialer Herkunft 1md Revolutionsverhalten m belegen, vgl. Hermann-Joseph Rupieper, Probleme einer Sozialgeschichte der Revolution 1848/49 in Deutschland, in: Salewski, Die Deutschen und die Revolution, 157-178. 16 Vor allem das Bürgertum stand der Beweg~mg ablehnend gegenüber. Auch der fehlende Rückhalt 1mter den Bauern wird hervorgehoben, so von Reiner Koch, Die Agrarrevolution in Deutschland 1848, in: Langewiesche, Die deutsche Revolution, 362-394, S. 393f. Nach den von Helmut Renner ausgewerteten Zahlen waren allerdings bis m 30% der heimkehrenden pfälzischen Freischärler Ackerer. Renner, S. 219. Nach Rupieper, Probleme einer Sozialgeschichte der Revolution, S. 168, Anm. 31, war dies eine Ausnahme. Von den deutschen Flüchtlingen, die ab 1850 die Schweiz über Basel verließen, waren 9.4% in der Landwirtschaft tätig, von den badischen 14,5%. Vgl. unten, S. 250. 17 Vgl. Engels, Reichsverfassungskampagne, S. 113f.; ders., Revolution und Konterrevolution in Deutschland, in: Marx Engels Werke, Bd. 8, S. 95. Die Hoffnungen stützten sich vor allem auf die bevorstehenden französischen Wahlen und die bis dahin siegreiche ungarische Revolution. Ein allgemeiner europäischer Krieg der demokratischen gegen die reaktionären Kräfte schien bevormstehen. 18 So etwa Klessmann.

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E. Politisches Asyl in Kontinentaleuropa nach 1849

II. Staatlich geförderte Auswanderung politischer Straftäter als Deportationsersatz Nach der Niederschlagung des Aufstands war Baden ein von Preußen besetztes Land.l9 Mit Belagerungszustand, Stand- und Kriegsgerichten gingen die Behörden scharf gegen die demokratische Bewegung vor. Es war allerdings nicht daran zu denken, alle Belasteten vor Gericht zu stellen bzw. zu inhaftieren, da praktisch das ganze Land wegen Hochverrats zu verfolgen gewesen wäre. Das Justizministerium beschloß daher am 20.7.1849, eine Untersuchung nur gegen die schwer belasteten Revolutionsteilnehmer einzuleiten. 20 Selbst dies ließ sich aber kaum durchführen. Das Kriegsministerium schätzte die Zahl der direkt an dem Aufstand Beteiligten (einschließlich der ca. 9.000, die in die Schweiz geflohen seien) auf ca. 20.000.21 Nach seinem Vortrag über die Behandlung der gefangenen Revolutionäre sollten die Badener nach folgenden Grundsätzen behandelt werden: 1. die Hauptbeteiligten seien vor Standgerichte zu stellen und die ergangenen Urteile (die Anführer sollten zum Tode verurteilt werden) strengstens zu vollziehen; 2. die leicht Gravierten seien mit der Kriegsgefangenschaft hinreichend bestraft; 3. aus der immer noch zu großen Gruppe der schwer Gravierten seien durch einen Commissär die gefahrliebsten Subjekte auszuscheiden; 4. Lehrer und Beamte seien zu urkundlichem Verzicht auf ihre Stellen anzuhalten und unter dieser Bedingung von weiterer Verfolgung zu verschonen; 5. gegen alle wohlhabenden Teilnehmer sei namensder Staatskasse im Zivilweg auf Schadenersatz zu klagen.22 Die große Masse der gering belasteten Revolutionäre sollte aber nicht straffrei ausgehen. Schon kurz nach Niederschlagung des Aufstandes kam die Idee auf, sie zumindest teilweise in eine Strafkolonie zu transportieren. Aufgrund eines Vortrags des Innenministeriums vom 1.7.1849 wurde das Außenministerium beauftragt. mit Frankreich oder einer anderen Seemacht den Abschluß eines Übereinkommens wegen Deportation von Verbrechern zu versuchen bzw. in Kommunikation mit Preußen dahingehende gemeinsame Schritte zu unternehmen.23 Eine erste Fühlungnahme mit der französischen Regierung brachte für Baden kein befriedigendes Ergebnis. Sie wies darauf hin, daß Frankreich selbst zu dem Mittel der Deportation politischer Straftäter greifen werde, da die 19 In Baden standen 80.000 Mann Besatzungstruppen. Real, Revolution in Baden, S. 20 GLA Karlsr!IM, 23618526, BI. 20.

170.

21 Vortrag des Kriegsministeriwns vom 8.8.1849. GLA Karlsruhe, 233/34903, BI. 22. Trotz Verurteihmgen und Entlassungen waren Ende September 1849 immer noch ca. 4.000 Revolutionsteilnehmer in Haft, die fortwährend durch aus der Schweiz zurückkehrende Flüchtlinge ergänzt wurden. Ebd., BI. 35. 22 Ebd., BI. 23, Vortrag vom 8.8.1849. 23 Ebd., BI. 18.

ll. Staatlich geförderte Auswanderung als Deponationsersatz

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öffentliche Meinung die Todesstrafe bei solchen Delikten nicht mehr toleriere. Schon alleine deshalb ergäben sich politische und materielle Schwierigkeiten für den Abschluß eines förmlichen Abkommens mit Baden. Mit besonderem Nachdruck wurde der badische Gesandte auf das Problem der Gesetzlichkeit eines solchen Abkommens hingewiesen. Vor al:em bei politischen Straftaten könne sich eine Regierung nicht zur Vollstreckerio von in einem anderen Staat ergangenen Urteilen machen.24 Aus diesem Grund lehnten schließlich England und Frankreich den Abschluß eines Abkommens mit Baden ab, letzteres auch mit dem Hinweis, keine geeignete Strafkolonie zu besitzen. 25 In seinem Vortrag vom August 1849 hatte das badische Kriegsministerium in bezug auf die nicht-badischen Revolutionsteilnehmer eine der Deportation ähnliche Maßregel vorgeschlagen. Die große Zahl "ausländischen Gesindels" unter den Gefangenen solle nicht bestraft werden, da dadurch nur die Gefängnisse überfüllt und die Staatskasse belastet werde.26 Dem Kriegsministerium schien diesen "rohen und tatkräftigen Naturen" die Übernahme in die holländischen Kolonialtruppen einen angemessenen Wirkungskreis zu bieten. In diesem Sinne wurde eine Anfrage an die Niederlande gerichtet, die abschlägig beschieden wurde. 27 Die badische Regierung ließ den Plan aber nicht fallen. In einem erneuten Vorstoß fragte sie nunmehr an, ob Frankreich bereit sei, eine gewisse Anzahl badischer nicht verurteilter Soldaten, die sich freiwillig meldeten, in die Fremdenlegion in Algier aufzunehmen. Es sei aber zu gewährleisten, daß sie tatsächlich nach Afrika abgingen.28 Dem badischen Gesandten von Schweitzer gelang es, in Paris ein positives Resultat zu erreichen.29 Frankreich stimmte zu, badische Soldaten in die Fremdenlegion aufzunehmen, soweit es das Militärbudget erlaube. Jetzt sprach sich aber das badische Kriegsministerium gegen diese Maßnahme aus. Der ursprüngliche Plan sei vor allem für die ausländischen Revolutionsteilnehmer gedacht gewesen. Nach den anfangliehen negativen Antworten Hollands und Frankreichs seien die Inländer 24 GLA Karlsruhe, 233134903, BI. 30ff., Bericht vom 9.9.1849. 25 So das Außemninisterium in einem Vortrag an den Großherzog am 9.11.1849. Ebd., BI. 44ff. 26 Ebd.. BI. 24. Diese nichtbadischen Revolutionsteilnehmer werden beschrieben als "Auswürflinge aller Nationen, welche plünderungssüchtig nach allen Zonen pilgern, wo Verwirrung hemcht und Beute zu machen ist!" 27 GLA Karlsruhe, 233134903, BI. 29, 33f. In der niederländischen Antwort heißt es, die Kolonialtruppen seien zur Zeit kompleu, und die Klimaverhältnisse in den holländischen Kolonien erlaubten keine Ansiedlung von Nordeuropäem. 28 Schreiben des Außenministeriums an die Gesandtschaft in Paris vom 8.10.1849, ebd., BI. 42f. 29 Nach Schweitzen Bericht vom 24.11.1849 war dies mit einigen Schwierigkeiten verbunden, da auch andere Staaten, so vor allem Österreich für ungarische Soldaten, ähnliche Gesuche gestellt hatten. Ebd., BI. 48ff. 13 Reiter

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E. Politisches Asyl in Kontinentaleuropa nach 1849

inzwischen vor Gericht gestellt und die Ausländer zum Teil schon an ihre Heimatländer ausgeliefert worden. Staatsangehörige könnten ohne Urteil nicht in fremde Kriegsdienste abgegeben werden, um eine freiwillige Zustimmung könne aber, da die Soldaten inzwischen in ihre Heimat entlassen worden seien, nur mit unverhältnismäßigem Zeitaufwand und voraussichtlich ohne Erfolg nachgesucht werden. Bei dem gegenwärtigen Stand der Untersuchung habe man auch kein Interesse mehr an dieser Maßregel. 30 Das Kriegsministerium war aber in seinem Vortrag vom August 1849 auch davon ausgegangen, eine einfache Entlassung der nur gering an der Revolution Beteiligten liege nicht im Interesse des Staates. Wir entlassen mit der großen Masse der Minderbelasteten zugleich ein Heer unruhiger, nicht gebesserter IDld nicht zu bessernder Proletarier, welche im Vertrauen auf die Erfahrung, daß entfernter Beteiligte bei derartigen großen Bewegungen stets ungestraft durchkommen, IDld im Gefühl, daß sie in solchen Umwälzungen nur gewinnen, nie aber verlieren können, stets zu neuen Unternehmungen bereit sind.31

Zwar seien die Anführer strafbarer, die Verführten aber durch ihre Masse gefahrlicher. Dieser Masse gegenüber nachhaltigen Schutz zu gewähren, sei heilige Pflicht der Staatsregierung. Als wirksamstes ("vielleicht als einzig wirksames") Mittel hierzu bot sich dem Kriegsministerium die Auswanderung in großem Maßstab und unter Aufsicht der Regierung an.32 Zwar wäre es bedenklich, Staatsbürger zur Auswanderung zu zwingen, durch die Aussicht auf Straffreiheit ließen sich aber sicher viele zu diesem Schritt bewegen. Zur Deckung der beträchtlichen Kosten einer derartigen Aktion sollte, soweit die Mittel der Auswanderer nicht ausreichten, die Staatskasse gemeinschaftlich mit den Gemeinden herangezogen werden. Gegen eine Auswanderung der inhaftierten Revolutionsteilnehmer nach den Vereinigten Staaten erhoben sich aber innerhalb der badischen Regierung Bedenken. Ende September 1849 sprach sich das Außenministerium gegen diese Idee aus. Hierbei spielten nicht nur die zu erwartenden hohen Kosten eine Rolle. Eine AuswandefiDlg, auch der weniger Gravierten, nach Nordamerika zu befürworten, liegt nicht in unserem Interesse, weil sich dort leicht wieder eine gefährliche Verbindung bilden könnte IDld die Rückkehr zu leicht ist, .)3

Im Gegensatz zu den 1830er Jahren galten die USA dem badischen Außenministerium 1849 nicht mehr als sicherer Aufenthaltsort politischer Straftäter. Die Verbindungen zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland waren so 30 GLA Karlsruhe, 233134903, BI. 52 vom 4.12.1849. 31 Ebd., BI. 22, Vortrag Kriegsministerium, 8.8.1849. 32 Ebd., BI. 23. 33 Ebd., BI. 35, Schreiben des Außenministeriums an den badischen Bevollmächtigten in Berlin Frh. von Meysenbug vom 21.9.1849.

li. Staatlich geförderte Auswanderung als Deportationsenatz

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eng geworden, daß die Unterstützung, die die Revolutionsteilnehmer in Amerika erwarten konnten, durch die weite Entfernung nicht kompensiert wurde. Generalleutnant von Peucker brachte deshalb die Idee ins Spiel, die Revolutionäre entweder im Rahmen einer Deportation oder zum Zweck der Ansiedlung nach Brasilien zu schaffen.34 Auch dem Außenministeriwn schien Brasilien das geeignete Land zu sein, eine Strafkolonie zu ersetzen, da es genügend Sicherheit gegen eine Rückkehr der Gefangenen bot35 Der Plan einer Deportation nach oder Ansiedlung in Brasilien ließ sich aber nicht realisieren, und schließlich entschloß sich die badische Regierung trotz der geäußerten Bedenken, die Auswanderung nach Amerika zu fördern. Die Auswanderungswilligen unter den politischen Gefangenen sollten in Listen erfaßt werden, getrennt nach dem Kriteriwn, ob sie die nötigen Mittel besaßen oder nicht. In diesem Zusammenhang sollte auch die gerichtliche Gleichbehandlung der Gefangenen überprüft werden. Die Auswanderung habe möglichst noch im Jahr 1849 stattzufinden. Die Maßnahme war ausdrücklich auf die weniger stark belasteten Revolutionsteilnehmer beschränkt Die Möglichkeit der Auswanderung wurde nur eingeräumt, um die Schwierigkeiten des massenweisen Strafvollzugs zu umgehen. 36 Die erste Umfrage der badischen Regierung fand nur geringe Resonanz. In 22 Ämtern erklärte sich keiner der Gefangenen bereit, Deutschland zu verlassen. Das Justizministerium sah den Grund dafür einerseits im Vertrauen auf eine neue siegreiche Revolution, andererseits in der durch die Umfrage noch gesteigerten Hoffnung auf eine baldige Amnestie. 37 Insgesamt waren 285 Gefangene zur Auswanderung bereit, davon 36 Vermögende (darunter auch die meisten rechtskräftig Verurteilten), 48, die die nötigen Mittel nur teilweise besaßen, und 201 völlig Mittellose. Die meisten dieser Gefangenen waren ledig. Teilweise machten sie ihre Zustimmung zur Auswanderung von Bedingungen abhängig, für das Justizministerium ein Beweis dafür, daß es ihnen mit ihrer Absicht nicht ernst war.38 Überraschenderweise scheinen die Vereinigten

34 Ebd. 35 Ebd., Bl. 45. Material über die Möglichkeiten einer Auswanderung nach Brasilien wurde über die badische Vertretung in Berlin von Dr. Hermann Blumenau bezogen. Ebd., Bl. 47. Zu Blwnenau vgl. Allgemeine deutsche Biographie, Bd. 47, S. 23. 36 GLA Karlsruhe, 234/2056, BI. 1f., Bl. 10. Der Beschluß des Staatsministeriums stammt vom 3.10.1849. 37 Ebd., Bl. 12, Bericht vom 10.12.1849. 38 Nach den genannten Bedingungen (Einräumung einer Frist zur Ordnung der Vennögensverhältnisse, Zustimmung der Ehefrauen, Abreisetermin erst im Frühjahr 1850) kann

man diesem Schluß nicht unbedingt folgen. Daß sich Häftlinge nur zur Auswanderung entschließen konnten, falls sie zu einer langen Freiheitsstrafe verurteilt würden, scheint nur natürlich. Vgl. GLA Karlsruhe, 200/1928 d, Bl. 8.

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E. Politisches Asyl in Kontinentaleuropa nach 1849

Staaten für die inhaftierten Revolutionsteilnehmer keine große Anziehungskraft besessen zu haben. Das Justizministerium forderte, die gesamte Aktion in den Gesamtzusammenhang der Behandlung politischer Straftäter zu stellen. Es ging von der Position aus, daß sich die Milde nach den beiden ersten badischen Revolutionen nur negativ ausgewirkt habe, und sprach sich grundsätzlich gegen eine Amnestie aus. 39 Der bisherige Verlauf der Prozesse habe gezeigt, daß die Gerichte ihre Arbeit bewältigen könnten, ihre Entlastung also nicht notwendig sei. Innerhalb dieses Rahmens könne die Auswanderungserlaubnis nur den Zweck haben, gefährliche politische Verbrecher aus dem Land zu entfernen bzw. den Staat von den Kosten ihrer Verfolgung und Inhaftierung zu entlasten. Nach der Umfrage seien aber beide Zwecke nicht erreichbar, da einerseits vor allem Mittellose zur Auswanderung bereit seien, die auf Staatsunterstützung angewiesen wären, sich andererseits aber kaum gefährliche Verbrecher unter ihnen befänden, da ja schon von vomeherein nur die minder Belasteten befragt wurden. Deshalb schlug das Justizministerium vor, die Auswanderungserlaubnis erst nach gefälltem Urteil und auf dem Gnadenweg zu erteilen. Bei Rückkehr vor Ablauf der Verjährungsfrist sei die Strafe zu vollziehen. Den Vorschlägen des Justizministeriums wurde weitgehend gefolgt. Erst nach der Verurteilung konnte die Auswanderungserlaubnis beantragt werden.40 Die Auswanderung mittelloser Häftlinge wurde generell nicht gefördert. Nach den Bestimmungen über den Vollzug der im Gnadenweg gestatteten Auswanderung vom 23.3.1850 mußten die Verurteilten, soweit dies ohne Schmälerung der für die Überfahrt nach Amerika nötigen Mittel möglich war, die Gerichtskosten und ihren Beitrag zum Schadenersatz bezahlen. In dieser Hinsicht seien geeignete Sicherheitsmaßregeln anzuwenden.41 Ein späterer Vorstoß des Kriegsministeriums zur Bewilligung staatlicher Unterstützung der Auswanderung wurde vom Justizministerium abgelehnt.42 Der Transportvertrag war mit 39 Die Beschränkung der Untersuchung und Verfolgung auf die stärleer Belasteten wurde schon als schleichende Amnestie gesehen. Eine persönliche Begnadigung erlaube eine genaue Überprüfung, die bei einer Amnestie nicht möglich sei, so daß auch gefährliche Subjekte freikommen könnten. Gegen eine Amnestie spreche weiterltin, daß nach einigen Interpretationen dem Großherzog nach der badischen Verfassung das Recht auf Abolition nicht zustehe, sich bei einer Amnestie also die Kammern einmischen könnten. Die Behandlung der Revolutionsteilnehmer sollte aber ausschließlich in den Händen des Regenten liegen. Ebd., Bl.l3f. Auch die Amnestien nach dem ersten und zweiten badischen Aufstand waren keine vollen Amnestien und beruhten auf dem Prinzip der individuellen Überprüfung und Begnadigung. Vgl. oben, S. 165, 169. 40 GLA Karlsruhe, 234!2056, BI. 16, Beschluß des Staatsministeriums vom 29.12.1849. 41 Ebd., BI. 30. 42 Das Justizministerium traf im Fall des Soldaten Ludwig Gerhard diese generelle Entscheidung. Ebd., BI. 35, Bescheid vom 15.5.1851. Schon 1849 habe man, obwohl man die Vorteile einer Auswanderung politischer Verbrecher nicht verlc:annt habe, aus Kostengründen auf eine Unterstützung verzichtet. Nunmehr seien die Gründe für eine Förderung der Auswanderung viel

ll. Staatlich geförderte Auswanderung als Deponationsersatz

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dem badischen Verein für deutsche Auswanderung oder einem im Inland wohnenden konzessionierten Unternehmer abzuschließen, der über die erfolgte Abfahrt Bericht erstatten mußte. Diese BestimmWlgen wurden dahingehend ergänzt, daß die Gefangenen erst aus dem Gefängnis entlassen werden sollten, wenn alle Vorbereitungen zur Auswanderung getroffen waren. Nur in dringenden Fällen (u.a. Wiederherstellung der GesWldheit und Ordnung häuslicher Angelegenheiten) könne eine Ausnahme gemacht werden. Aus humanitären Gründen wurde später auf Antrag der Zuchthausverwaltung Bruchsal entschieden, die Häftlinge drei Tage vor der Auswanderung zu entlassen, sie aber polizeilich zu überwachen.43 Neben Baden griff Preußen zu dem Mittel der Begnadigung politischer Straftäter unter der Bedingung der Auswanderung.44 In einer größeren Aktion wurde 1851 auch die Auswanderung ehemaliger schleswig-holsteinischer Beamter und Offiziere unterstützt. Zwar stufte man diesen Personenkreis nicht von vomeherein als revolutionär ein, die Furcht, die Offiziere (bei denen es sich überwiegend um preußische Staatsbürger handelte) könnten für die Demokraten tätig werden, bestimmte aber das Handeln der preußischen RegieTWlg. 45 Sie sollten von den preußischen Staaten femgehalten, ihnen zugleich aber die Gelegenheit geboten werden, eine neue Karriere anzutreten.46 Das Außenministerium instruierte seinen Vertreter in Harnburg folgendermaßen: Es k&IUl nur erwünscht sein, wenn mit dieser Gelegenheit soviel Personen wie möglich beförden werden, da ein längeres Verweilen dieser unbeschäftigten Personen sowohl für sie selbst, wie in jeder anderen Beziehung nachteilig sein würde.47 weniger dringend. Die dazu vorhandenen Mine! sollten ehrlichen Auswanderern zugute kommen. Auch gäben die politischen Verhältnisse keine Gewähr dafür, daß sich die Entlassenen nicht wieder der Umsturzpanei anschlössen, die sogar vom fernen Ausland her arbeite. Ob Auswanderung oder Strafvollzug mehr oder weniger Kosten verursachten, sei von ganz untergeordneter Bedeunmg. So hat es wohl nur Befreiung von den Gerichtskosten und den Schadenersatzzahlungen als Formen finanzieller Unterstützung der Auswanderung gegeben. 43 GLA Karlsruhe, 234/2056, Bl. 34, 43, 46, Sommer 1851. 44 Vgl. die Nachweisungen politischer Flüchtlinge im ZStA Merseburg, 2.4.11., Nr. 493, Rep. 81 (Hamburg Bd. 1, Nr. 2). 45 Nach einem Bericht des preußischen Venreters in Harnburg von Kamptz vom 24.5.1851 würden diese OffiZiere, sobald ihre finanziellen Mittel zu Ende seien, der Demokratie in die Hände fallen und bei künftigen demokratischen Bewegungen sehr gefährliche Führer werden. ZStA Merseburg, 2.4.11. HisL AbL 11. Nr. 406, Bl. 64. Polizeimeldungen über demokratische Aktivitäten der Offiziere wies Kamptz als unwahr zurück. Das demokratisch gefari>te schleswigholsteinische Zentralkomitee sehe die Offiziere allerdings nur ungern Europa verlassen und habe mehreren eine Beihilfe zur Auswanderung verwehrL StA Potsdam, LiL H, No. 234 (Nr. 10450), BI. 34f., Bericht vom 6.11.1851. Vgl. auch ZStA Merseburg, ebd., BI. lOff. wonach die Offiziere, beeinflußt von der englischen Propaganda, sich weigenen, nach Amerika auszuwandern. Nach von Kamptz stimmte dies nicht, auch wenn das demokratische Komitee dagegen ari>eite, daß Offiziere Europa verließen. 46 ZStA Merseburg, ebd., BI. 3. 47 Ebd., BI. 40, Schreiben vom 22.9.1851.

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E. Politisches Asyl in Kontinentaleuropa nach 1849

Mit den bereitgestellten Mitteln wurden schließlich 75 Personen nach Amerika befördert bzw. bei der Auswanderung unterstützt 48 Die zweite deutsche Großmacht Österreich ergriff ähnliche Maßnahmen. Wie schon erwähnt richtete sie ein Gesuch an Frankreich, aufrührerische Soldaten in die Fremdenlegion aufzunehmen. 49 Sie versuchte auch, ungarische Revolutionsteilnehmer in Algerien anzusiedeln. Frankreich lehnte allerdings eine freie Ansiedlung ab. Entweder müßten die Ungarn in die Fremdenlegion eintreten oder ihre Ausgaben (2.000 Fr. pro Person, 3.000 Fr. für eine dreiköpfige Familie) selbst tragen.50 Österreich wies die ungarische Besatzung der Festung Komorn unter der Bedingung der Auswanderung nach England oder Amerika aus und griff auch später zu diesem Mittel. 51 So ist festzustellen, daß die Wegschaffung von Revolutionsteilnehmern vor allem nach Amerika nach 1849 eine in Deutschland allgemein übliche Maßnahme war. In Italien bemühte sich die Regierung des Ghzt. Toskana im Juni 1849, einen gesamtitalienischen Vertrag zum Transport politischer Straftäter und politisch Verdächtiger nach Amerika zustandezubringen. Der Vorschlag, dem Neapel und Rom zustimmten, scheiterte am Widerstand Sardiniens. In Turin vermutete man hinter dem toskanischen Vorschlag Österreichischen Einfluß.52 Die verschiedenen Auswanderungsaktionen hauen anilinglich das Ziel, als gefahrlieh eingestufte politische Straftäter aus Europa zu entfernen. Insoweit können sie in ihrer Intention mit der in Frankreich und England praktizierten Deportation politischer Straftäter verglichen werden. 53 In völligem Gegensatz 48 Ebd., BI. 3. Unter ihnen befanden sich 45 Preußen. Vgl. BI. 52ff. 49 Vgl. oben, S. 193, Anrn. 29.

50 HHStA Wien, A-Akten,JB KaL 4 A 1849-1851, 1204, Brief des französischen Botschafters an Schwarzenberg, 19.12.1849. Eine ähnliche Anfrage Preußens in bezog auf aus der Schweiz ausgewiesene Aüchtlinge lehnte Frankreich mit der Begründung ab, man wolle Algerien nicht mit politischen Aüchtlingen kolonisieren. Willy Real (Hrsg.), Das Ghzt. Baden zwischen Revolution und Restauration 1849-1851. Die deutsche Frage und die Ereignisse in Baden im Spiegel der Briefe und Aktenstücke aus dem Nachlaß des preußischen Diplomaten Karl Friedrich von Savigny, Stuttgart, 1983, S. 116, Bericht Hatzfeld, 10.7.1849. 51 ZStA Merseburg, 2.4.1. Abt. I, Nr. 8283 (A.A.ill. Rep. 16, Nr. 42), BI. 18ff. Harnburg führte Klage gegen Österreich, da die Ungarn zunächst in der Stadt liegenblieben. Preußen erwog deshalb, Pässe zur Durchreise nicht mehr zu visieren. Nach einer mündlichen Mitteilung Schwarzenbergs wanderten nur 45 Personen tatsächlich aus, der Rest zerstreute sich in Ungarn. Ebd., BI. 86 vom 21.11.1849. Auch später gab es Schwierigkeiten mit ungarischen Aüchtlingen, die ihr Auswanderungsversprechen nur widerwillig erfüllten. Vgl. ebd., BI. 184, 194,212,317 vom Frühjahr 1850. 52 Die sardische Regierung schlug aber im Februar 1850 vor, die politischen Aüchtlinge in der Schweiz mit einer konzertierten Aktion nach Amerika zu schaffen. AS Flortnz, Ministero degli Esteri 2947, fase. "Trattative con: Govemi di Torino di Roma e di Napoli ...". 53 Günter Mollmann grenzt die englische und französische Deportation als Strafmittel an sich von der deutschen Transportation, d.h. einer Fortschaffung über See, verbunden mit einem Rückkehrverbot und Erlassen der Reststrafe, ab. GiUiter Mo/lfiiQIIII, Die Transportalion von

ll. Staatlich geförderte Auswanderung als Deportationsenatz

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zu diesen Ländern beschränkte die badische Regierung diese Maßnahme im Endeffekt aber ausdrücklich auf die nur gering belasteten Revolutionsteilnehmer. Den Hauptbeteiligten wurde die Möglichkeit der Auswanderung verwehrt.54 So hat die letztlich praktizierte badische Politik relativ wenig mit einer Vorzugsbehandlung politischer Straftäter zu tun. Schon der vom Kriegsministerium konzipierte ursprüngliche Plan hatte die Intention, durch gezielt geförderte Auswanderung des Fußvolkes der Revolution eine künftige Erhebung unmöglich zu machen. Er wurde nicht prinzipiell abgelehnt, sondern scheiterte neben Kostengründen vor allem daran, daß die Vereinigten Staaten nicht mehr als sicherer Aufenthaltsort politischer Straftäter und politisch Verdächtiger galten. Dafür waren die Neue und die Alte Welt zu nahe aneinandergerückt 55 Die badische Regierung konnte sich letztendlich nur dazu verstehen, gering belastete Revolutionäre unter der Bedingung der Auswanderung zu begnadigen. Gerade sie hatten aber die wenigsten Gründe, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, vor allem da Mittellosen keine staatliche Unterstützung gewährt wurde. Die Zahl der Revolutionsteilnehmer, die infolge der badischen Maßnahmen und ähnlicher Aktionen der übrigen deutschen Regierungen nach Amerika kamen, muß daher als verhältnismäßig gering veranschlagt werden. 56 Sträflingen im Rahmen der deutschen Amerikaauswanderung des 19. Jahrhunderts, in: ders. (Hrsg.), Deutsche Amerikaauswanderung im 19. Jahrhundert, 147-196, S. 149f. Dieser Einteilung in bezug auf politische Straftäter zu folgen, wäre problematisch. Die Intention der englischen Regierung, die die wegen Hochverrats angeklagten Führer des irischen Aufstandsversuchs von 1848 zur Deportation begnadigte, war ebenso wie die der badischen, die Revolutionäre durch Entfernung aus Europa unschädlich zu machen. Vgl. Blanche M. TouJU/1, William Smith O'Brien and bis Irish Revolutionary Campanions in Penal Exile, Columbia/London, 1981. Wie von deutschen Behörden mit bewußtem Druck die Auswanderung politisch unbequemer Personen herbeigeführt wurde, zei. gendie Fälle von Arbeiterführem. Vgl. Baiser, Bd. 1, S. 164ff., vor allem die Fälle L Bisky, S. 174ff., und Th. B1enkner, S. 180ff., Bd. 2, S. 655ff. Der Berliner Arbeiterführer Bisky, der auf diese Weise zur Auswanderung getrieben wurde, ist in der auf der Münchner Polizeikonferenz 1858 vor· gelegten Liste als politischer Flüchtling aufgeführt. UIA Drestkn, Mdl 23, BI. 101. In diesem Zusammenhang muß die Begnadigung unter der Bedingung der Auswanderung gesehen werden. 54 So etwa Otto von Corvin, der während seiner langjährigen Festungshaft mehrere Auswanderungsgesuche stellte. Seiner Meinung nach war die Haltung der badischen Regierung in be:rug auf die Auswanderung diffus. Er nahm an, daß sich im Ministerium zwei Parteien gegenüberstanden. Otto von Corvin-Wiersbitzki, Erinnerungen aus meinem Leben, Leipzig, 1880, Bd. IV, S. 275, 285ff. 55 Dies wurde auch in einer Debatte im englischen Unterhaus (vgl. unten, S ...., Anm. ..) und vom Schweizer Bundesrat geäußert. In dessen Rechenschaftsbericht für das Jahr 1852 heißt es: "Es gibt heute keine hindemden Distanzen mehr; London oder Jersey, Brüssel oder Genua, Zürich oder Genf sind gleich weit von Frankreich und Deutschland entfernt. Und wohnten die Flüchtlinge selbst an den Ufern des Mississippi, so können ihre Korrespondenzen und andere Schriften eben so leicht an ihren Bestimmungsort gelangen, als von der Schweiz aus ..." Bundesblatt der schweizerischen Eidgenossenschaft, 1853, Bd. ll, Nr. 21, S. 41. 56 Mit Sicherheit zu niedrig gegriffen sind allerdings die bei Marcus Lee Hansen, The Atlantic Migration 1607-1860. A History of the Continuing Settlement of the United States, New Yorlc, 1961, S. 272f., genannten Zahlen. Hansen, der von ca. einem Dutzend auswandernder Gefangener spricht, stützt sich auf Zeitungsmeldungen vom November 1849.

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E. Politisches Asyl in Kontinentaleuropa nach 1849

m. Asyl in Frankreich: Restriktion der Asylgewährung im Zeichen der Reaktion Frankreich schlug spätestens nach dem Struveputsch eine Politik der Härte gegenüber den deutschen Flüchtlingen ein, die manches Lob von seiten der deutschen Regierungen einbrachte. 57 Dem französischen innenpolitischen Trend folgend verschärfte sich diese Politik nach der Wahl Louis Napoleons zum Präsidenten der Republik. Dies zeigt nicht nur die Entscheidung, die Mörder der Reichstagsabgeordnenten Lichnowski und Auerswald auszuliefern, sondern auch die generelle Haltung Frankreichs während und nach der Reichsverfassungskampagne. Die pfälzischen Aufständischen hatten große Hoffnungen in die Nachbarrepublik gesetzt. Sie sandten eine Mission nach Paris, die die Anerkennung der Bewegung durch die französische Regierung erreichen und sie im Notfall auffordern sollte, Baden und die Pfalz zu verteidigen, da die Bewohner lieber unter Frankreich als unter ihren Souveränen leben wollten.58 Die Abgesandten sollten sich als Botschafter der unabhängigen Pfalz vorstellen, wurden aber nicht einmal empfangen, geschweige denn als solche anerkannt Frankreich versprach im Gegenteil den deutschen Regierungen tätige Hilfe bei der Beschlagnahmung von Waffen, die die Aufständischen in Belgien gekauft haben sollten.59 Mit einer strengen Grenzüberwachung sollte der Zuzug von Freischaren aus Frankreich unterbunden werden.f)(l Versuche der Aufständischen, sich mit der Bitte um Unterstützung direkt an die französischen Bürger zu wenden, wurden von der Regierung in Paris höchst negativ kommentiert 61 Bewegungen 57 Vgl. oben, S. 168f. 58 GLA Karlsruhe, 49/1471, BI. 58f. Hoffnungen auf Unten;tützung aus Frankreich waren auch nach der Nieden;chlagung der Aufstände unter den Flüchtlingen verbreitet, obwohl sie sich schon nach dem Heckerzug und dem Struveputsch als irreal herausgestellt hatten und Einzelpen;onen wie Franz Raveaux davor warnten, sich IDusionen hinzugeben. Vgl. Frei, S. 402. Die Verbindungen der Flüchtlinge zur französischen Linken hat besonden; lmma Melzer herausgearbeitet.

59 BA Frankfurt, DB &JNI 1, Bericht des badischen Gesandten Schweitzer, der auch als Reichsgesandter fungierte, vom 26.5.1849. 60 Am 5.6.1849 meldete der Präfekt des Departements Moselle, die Grenze sei militärisch besetzt. AMAE Paris, Bade, Carton 7, Doss. "Expedition contre Je Grand Duche pardes ouvrien; badois". Es bestand außerdem die Order, polnische und deutsche Flüchtlinge nicht ohne reguläre Papiere für Deutschland über die Grenze zu lassen. Ebd., Carton 8, Doss. "Lenre du Ministre de l'interieur", Innenminister an Außenminister, 26.5.1849. Der Innenminister bemerkte allerdings, viele Flüchtlinge hänen die Grenze schon üben;chrinen, 1md ihre Rückkehr ließe sich kaum verhindern. Die badische Regierung, noch im Exil in Mainz, lobte die strenge Grenzkontrolle des französischen Militärs. GLA Karlsrwhe, 49/1471, BI. 4f. vom 18.6.1849. 61 Die pfälzischen Aufständischen wandten sich mit einer Proklamation an die Nationalgarde und die französische Armee, die an der Grenze abgefangen wurde. Der französische Justizminister kommentierte diese Aktion als "tentatives faites par les anarchistes etrangen; pour egarer l'arrnee et

ID. Asyl in Frankreich

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unter der Bevölkerung der Grenzdepartements, den Aufständischen zu Hilfe zu kommen, wurden unterbunden.62 Gegenüber den zur Grenze flüchtenden Revolutionsteilnehmern hielt Frankreich auf Distanz. Am 15.4.1849 traf der Innenminister eine generelle Anweisung über die Behandlung von an der Grenze ankommenden Flüchtlinge.63 Er betonte, Frankreich habe das Asylrecht immer in großzügigster Weise angewandt, und die Regierung werde dieser Tradition treu bleiben. Sie habe aber ebenso Verpflichtungen gegenüber der französischen Bevölkerung, und diese Verpflichtungen müßten in einer Zeit, in der große Teile der Arbeiterschaft Not litten, Vorrang haben. Asyl könne nur den Fremden gewährt werden, "qui sont incontestablement dans Ia categorie des refugies politiques."64 Echte politische Flüchtlinge müßten "en vertu du droit des gens auquel Ia France est fidele" aufgenommen werden. Pour etre considere comme refugie politique, il faut que l'etranger qui demande asile ne puisse pas renteerdans son pays sans s'exposer ii Ia vindicte des Jois ou sans encourir des poursuites ou des peines judiciaires.65

Der Innenminister führte zwar aus, alle diejenigen, die an bewaffneten Aufständen teilgenommen hätten, fielen unter diese Definition, er betonte aber gleichzeitig, die Zahl der echten politischen Flüchtlinge könne wegen der schon ergangenen Amnestien nur sehr gering sein. Er kann also nicht an eine Asylgewährung für die einfachen Freischärler, sondern nur für die Führer der Aufstände gedacht haben.66 Die den aufgenommenen Flüchtlinge zugedachte Behandlung legt den Schluß nahe, daß auch sie dazu gedrängt werden sollten, Frankreich zu verlassen. Sie sollten in grenzfernen Departements interniert werden.67 Die Präfekten hatten ihnen klarzumachen, daß sie von Frankreich keinerlei finanzielle Unterstützung zu erwarten hauen, und sollten sie aufforles populations de Ia France." AMAE Paris, Bade, Carton 7, Doss. "Expedition contre le Grand DucM pardes ouvriers badois", 26.6.1849. 62 AN Paris, BB/18/1478, Doss. 7557. In Colmar war eine Versammlung des demokratischen Komitees geplant, das den badischen Aufständischen zu Hilfe kommen wollte. Der Präfekt ließ ein Telegramm des Innenministers verlesen, in dem die Strafbarkeit eines solchen Verhaltens erklärt wurde. Es kam daraufhin nur zu einer Versammlung zur Unterstützung der Opfer. 63 AN Paris, BB/18/1477/A, Doss. 7311. Die an die Präfekten der an die Schweiz und Piemont grenzenden Departements gerichtete Anordnung wurde vor allem mit Blick auf die italienischen Flüchtlinge getroffen, deren Ankunft erwartet wurde, sie sollte aber auch für deutsche, polnische und ungarische Flüchtlinge gelten, haue also generelle Charakter.

64

Ebd.

65 Ebd. 66 Um den Flüchtlingscharakter der Emigranten festzustellen, sollten sich die Präfekten direkt mit französischen Diplomaten oder ausländischen Behörden in Vemindung setzen. Ebd. 67 Die Internierung in den innerfranzösischen Departements war gegenüber den deutschen Flüchtlinge eine effektive Maßnahme, um sie zum Verlassen Frankreichs zu bewegen. Die meisten sprachen kein Französisch und fanden deswegen keine Arbeit. Vgl. Metzer, 1985, S. 385.

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E. Politisches Asyl in Kontinentaleuropa nach 1849

dem, in die Fremdenlegion einzutreten. 68 Die übrigen Fremden seien, falls sie keine ausreichenden Mittel zu ihrem Unterhalt nachweisen konnten, in ihre Heimatländer zurückzuschicken. Zögen sie es vor, nach Belgien oder England zu gehen, sollten die Präfekten ihnen Pässe ausstellen und wenn nötig eine Reiseunterstützung gewähren. Diese generellen Richtlinien galten auch für die deutschen Flüchtlinge der Reichsverfassungskampagne. Sie sollten entwaffnet, in den westlichen Departements interniert und unter strikte Überwachung gestellt werden.69 Von Anfang an war Frankreich bemüht, durch restriktive Maßnahmen den Zustrom von Flüchtlingen zu begrenzen.70 Teilweise wurden Freischärler an der Grenze schlichtweg abgewiesen.?! Diese Strategie der Abschreckung war bewußte Politik der französischen Regierung mit dem Ziel, die politischen Flüchtlinge zur möglichst raschen Rückkehr in ihre Heimatländer oder zur Abwanderung in ein anderes Asylland zu bewegen.72 Sie hatte offensichtlichen Erfolg. Der französische Außenminister Tocqueville betonte gegenüber dem preußischen Gesandten, Frankreich wolle den Flüchtlingen der Reichsverfassungskampagne kein dauerhaftes Asyl gewähren. Sie würden interniert und müßten sich später entscheiden, in welche Richtung sie das Land verlassen wollten. Ergebnis der bisher getroffenen Maßnahmen sei, daß "infiniment peu de rUugies avaient

68 Die französische Regierung gewährte den Aüchtlingen der Reichsverfass~mgskampagne schließlich doch Unterstütmng, die aber schon bald empfindlich gekürzt wurde. Vgl. unten, S. 204, Anm. 82. 69 BA Franlcjiut, DB 54/43. BI. 167, Bericht Gesandtschaft Paris vom 1.7.1849; Me/zer, S. 372. Nach einem Brief des französischen Innenministers an den Außenminister vom 28.7.1849 war die angeordnete "surveillance la plus active" sehr schwierig, da die Bevölkerung im Elsaß 1md in Lothringen mit den Aüchtlingen sympathisierte und diese, da in den Grenzdepartements die gleiche Sprache gesprochen werde, der Überwach1mg leicht entgehen könnten. AMAE Paris, Bade, Carton 8, Doss. "Leures du Ministre de l'interieur". 70 Besonders beeindruckt zeigte sich die Regierung Badens von dem (wohl falschen) Gerücht, daß die an der Grenze ohne Legitimation aufgegriffenen 1md als badische Freischärler erkannten Personen nach Algier transportiert werden sollten. GLA Kar/sruhe, 49/1471, Bl. 4, 18.6.1849. Ein dahingehendes Gesuch Bayerns wurde von Frankreich abgelehnL Me/zer, S. 374. Die Anfrage Preußens, ob Frankreich bereit sei, Aüchtlinge, die die Schweiz ausweise, nach Algerien zu schaffen, wurde mit der Begründ~mg abgelehnt, man wolle Algerien nicht mit politischen Aüchtlingen kolonisieren. Bericht Haufeld, 10.7.1849. Real, Baden zwischen Revolution 1md Restauration, S. 116. 71 Frei, S. 331. Der preußische Gesandte in der Schweiz berichtete am 7.7.1849, Frankreich habe 130 Polen den Grenzübertritt verwehrt. Real, Baden zwischen Revolution und Restauration, S. 111. Nach der badischen Regier~mg hinderte Militär den Übertritt geschlagener Haufen auf französisches GebieL Gl.A Kar/sruhe, 49/1471, Bl. 4, 18.6.1849. 72 Schon am 5.7.1849 fragte die französische Regierung in München und Karlsruhe an, ob die Aüchtlinge mrückkehren könnten. Sie stellten eine finanzielle Belastung und eine Gefahr für die innere Ruhe und Sicherheit Frankreichs dar. AMAE Paris, Bade, Carton 7, Doss. "Renseignement surles affaires d'Allemagne. Les refugies".

m. Asyl in Frankreich

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persevere a ehereher un asile en France. "73 Nach einem Rapport des Präfekten von Bas Rhin vom 24.7.1849 kehrte der Großteil der Flüchtlinge (ca. 300), die bei Straßburg die Grenze überschritten hatten, in ihre Heimat zurück. 91 seien in die USA ausgewandert, 73 in die Schweiz weitergezogen und nur 32 ins Landesinnere gegangen.74 Der eidgenössische Vertreter in Paris sah in der französischen Haltung den Grund dafür, daß die meisten Flüchtlinge in die Schweiz gingen.75 Grundsätzlich lehnte es die französische Regierung ab, der weit stärker mit Flüchtlingen überlaufeneo Schweiz einen Teil ihrer Last abzunehmen.76 Selbst die Durchreise von Flüchtlingen wurde erst nach anfangliebem Zögern zugestanden.77 Frankreich versicherte sich u.a. in Deutschland, daß die Heimkehrer dort aufgenommen wurden und nicht etwa im Elsaß hängenblieben. 78 Die Praxis, darüber hinaus sogar Flüchtlinge in die Schweiz abzuschieben, wurde erst nach heftigen eidgenössischen Protesten eingestellt.79 Man war außerdem bemüht, durch Aufnahme in die Fremdenlegion und Auswanderung nach Amerika die Flüchtlingszahlen zu senken. 80 Die französischen Behörden stellten 73 Real, Baden zwischen Revolution und Restauration, S. 119, Bericht Hatzfeld vorn 10.7.1849. Nach Wiltberger, S. 82, ließ der Straßburger Präfekt den Ankömmlingen drei Möglich-

keiten: Die teilweise schon ausgesprochenen Amnestien in Anspruch m nehmen und nach Hause zurückzukehren, sich ins Landesinnere m begeben oder sich zur Fremdenlegion zu verpflichten. Ebenso Me/ur, S. 374. 74 AMAE Paris, Bade, Canon 8, Doss. "Lettres du Ministre de l'intmeur". Da Kehl am 2. Juli von den Preußen besetzt wurde, seien nur relativ wenig Flüchtlinge nach Straßburg gekommen. Fast alle Flüchtlinge (ca. 2.000), die zunächst in Weißenburg untergebracht waren, seien in ihre Heimat zuriickgekehn. Zwei seien in die USA ausgewanden, 54 hätten sich zur Fremdenlegion gemeldet 15 Bericht Hatzfeld, 10.7.1849. Real, Baden zwischen Revolution und Restauration, S. 117. 76 Am 22.12.1849 teilte das Außenministerium dem französischen Venreter in Bem mit, nur bei ganz außergewöhnlichen Motiven könne eine Erlaubnis zum Aufenthalt in Frankreich gegeben werden. AMAE Paris, Suisse, Canon 10, Doss. "Depeches a la Iegation a Beme". 77 Zunächst sollte die Durchreise nur im Ausnahmefall und bei vorheriger Erlaubnis durch das Ministerium genehmigt werden. AMAE Paris, ebd., Außenministerium an Gesandtschaft in Bem, 31.7.1849. Später wollte das Innenministerium eine lückenlose Überwachung der durchreisenden Flüchtlinge gesichen sehen. Ebd., Doss. "Lettres du Ministre de l'interieur et autres", Innenminister an Außenrninister, 21.9.1849. 78 ZStA Merseburg, 2.4.1. Abt. I, Nr. 82828 (A.A. ill. Rep. 16, Nr. 41), BI. 14 (Anfrage aus Paris vom 15.7.1849), BI. 17 (zustimmende Antwon Preußens vom 19.7.1849). Die Flüchtlinge sollten an einem On (am 22.7. wurde dazu Saarlouis bestimmt, ebd., BI. 27) übenreten. Damit die gerichtlich Verfolgten festgenommen werden konnten, fordene Preußenjeweils eine Namensliste. 19 Frei, S. 346, 383. Der Schweizer Venreterin Paris sprach in einem Protest vom 25.7.1849 von "detachements entiers et nombreux de refugies'', die mit französischen Pässen über die Grenze geschickt würden. AMAE Paris, Suisse, Canon 10, Doss. "Suisse 1849, refugies". 80 Wiltberger, S. 82. Frankreich bot auch der Schweiz an, Flüchtlinge aller Nationen in die Fremdenlegion aufzunehmen. Frei, S. 470. Schon Ende August 1849 meldete der Pariser Polizeipräfekt, der größte Teil der Flüchtlinge sei nach Amerika gegangen. GLA Karlsrulre, 49/1471, BI. 219. Auswanderung nach Amerika wurde auch von badischer Seite angeregt, so im Fall des

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E. Politisches Asyl in Kontinentaleuropa nach 1849

alleine im Sommer 1849 für so viele Flüchtlinge Pässe nach England aus, daß die britische Regierung in Paris protestierte. 81 Wie schon nach dem Aufstand Struves wurde durch Senkung der Unterstützung Druck auf die Flüchtlinge ausgeübt82 Im Gegensatz zu den 1830er Jahren wurde Frankreich nach 1849 nicht zu einem wichtigen Asylland. Der badische Geschäftsträger in Paris stellte schon Ende Juli 1849 fest: Die Ereignisse der letzten Jahre und die in Frankreich seither getroffenen Polizeimaßregeln werden wenigstens zum Teil die Verlegung der revolutionären Comittees vom Continente weg nach London zur Folge haben, wo sie sich nach dem Berichte der geheimen französischen Polizei daselbst im gegenwärtigen Augenblicke organisieren.83

Frankreich war bemüht, die Wünsche auswärtiger Regierungen in der Flüchtlingsfrage zu erfüllen. Das wird von deutscher Seite wiederholt und einstimmig festgestellt. 84 Im Gegensatz zur Schweiz stellte die französische Regierung keinerlei Bedingungen für die Rückgabe der bei den Aufständischen beschlagnahmten Waffen an Baden und Bayern. 85 Im Oktober 1849 gestattete sie Baden zur Überwachung der Flüchtlinge die Entsendung von Polizeibeamten nach Straßburg. 86 Bei dieser Entscheidung spielte der Wunsch eine Rolle, daß sich Baden selbst von der Haltlosigkeit seiner Proteste überzeugen werde.87 Sie ist aber Teil einer weit umfassenderen politisch-polizeilichen ZuRechtsanwaltes Joseph Reich aus Buchholz. Der badische Gesandte sollte bei der französischen Regierung erwirken, daß ihm der Aufenthalt in Frankreich nicht gestattet und er zur Auswanderung nach Amerika genötigt werde. Weisung des Außenministeriums vom 26.5.1851, GLA Karlsruhe, 49/1471, Bl. 97. 81 AMAE Paris, Suisse, Carton 10, Doss. "Depeches a Ia Iegation a Beme", Außenministerium an den französischen Gesandten in der Schweiz, 4.8.1849. 82 Vgl. oben, S. 169; Melzer, 1985, S. 384f. 83 BA Frankfurt, DB 54/43, Bl. 199. 84 So von Österreich, vgl. HHSIA Wien, A-Akten, 1849-1851, 1204-1499, Bericht Paris 7.4.1850; ebd., 7603-7788, Bericht Paris vom 9.12.1850; von Preußen, vgl. SIA Polsdam, lit. F, No. 134 (Nr. 9815), Bl. 19f., Gesandtschaftsbericht vom 3.9.1851. Die zuvorkommende franzö.. sische Haltung wird auch bei gelegentlichen Beschwerden hervorgehoben. Vgl. GLA Karlsruhe, 49/1471, Bl. 152f. vom 16.8.1851, vgl. auch Bl. 364,403.

85 AMAE Paris, Bade, Carton 7, Doss. "Armes saisier a Ia frontiere". Die Schweiz versuchte zunächst, mit einer Verzögerung der Rückgabe des Kriegsmaterials die deutschen Staaten zu einer Amnestie zu bewegen. Vgl. Frei, S. 405ff. 86 Nach der Genehmigung durch Frankreich schickte Baden im Dezember 1849 einen Polizeiwachtmeister, einen Grenadierbrigadier und einen Agenten nach Straßburg. GLA Karlsruhe, 49/1471, Bl. 358, 364.

87 AMAE Paris, Bade, Carton 8, Doss. "Lettres du Ministre de l'interieur", Innenminister an Außenminister, 5.12.1849. Die meisten badischen Proteste scheinen auf Fehlinformationen basiert zu haben. So protestierte Baden im Dezember 1849 gegen die Anwesenheit Brentanos im Elsaß, der jedoch schon im Oktober in die USA ausgewandert war. Ebd., Innenminister an Außenrninister, 18.12.1849. In diesem Dossier und in "Depeches du Departement" finden sich weitere ähnliche Proteste. Der Präfekt des Departements Bas Rhin war erstaunt darüber, in welchem Ausmaß Gerüchte über die Flüchtlinge in Deutschland geglaubt wurden. Auf einem von ihm veranstalteten

m. Asyl in Frankreich

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sammenarbeit zwischen Frankreich und den deutschen Staaten. 88 Auf Proteste Anfang des Jahres 1850 reagierte die französische Regierung mit der Einsetzung eines Flüchtlingskommissars und der Ablösung des Straßburger Präfekten.89 Für den Sommer 1849 läßt sich die Flüchtlingspolitik der französischen Regierung trotz aller Einschränkungen nicht als asylfeindlich bezeichnen. Sie lehnte etwa die Gesuche Badens ab, Flüchtlinge wegen "Plünderung öffentlicher Kassen" auszuliefem.90 Die Politik Frankreichs war aber davon bestimmt, den Aufständischen der Reichsverfassungskampagne kein dauerhaftes Asyl zu gewähren, und hatte zum Ziel, sie durch repressive Maßnahmen zum Abzug in andere Aufnahmeländer zu bewegen. Dieser Trend verstärkte sich noch während der Herbstmonate des Jahres 1849. Entscheidender Antrieb bei der immer rigider werdenden Flüchtlingspolitik der französischen Regierung war nicht so sehr außenpolitische Rücksichtnahme als vielmehr die Überzeugung, die Zusammenarbeit der politischen Flüchtlinge mit dem eigenen innenpolitischen Gegner müsse unterbunden werden. Frankreich ging ebenso wie die deutschen Staaten davon aus, es existiere eine ganz Europa umfassende Verschwörung mit dem Ziel, eine neue Revolution anzufachen. Aus diesem Grund wurden die Aktionen der deutschen Flüchtlinge als direkte Bedrohung der eigenen inneren Sicherheit angesehen. In einer Debatte in der Nationalversammlung am 25.6.1849 sagte der französische Außenminister Tocqueville, die Aufstände in der Pfalz und Baden seien angezettelt worden, "parce qu'ils (die Aufständischen) croient y trauver l'occasion, qu'ils cherchent de porter demier coup a I'ordre europeen et en particulier a I'ordre social actuel en France. "9 1 GegenBall hätten preußische Offiziere ernsthaft gefragt, ob man trotz der vielen Hüchtlinge gefahrlos in Straßburg spazierengehen könne. Ebd., Innenminister an Außenminister, 23.12.1850. 88 Ein mit den Franzosen zusammenarbeitendes Spitzelwesen im Elsaß hatte der badische Gesandte in Paris schon im Juni 1849 gefordert. BA Frankfurt, DB 54/43, BI. 136. Der Pariser Polizeipräfekt arbeitete informell mit dem preußischen Gesandten von Hatzfeldt zusammen. StA Potsdilm, Lit F, No. 134 (Nr. 9815), BI. 13, 19f. Bei Hüchtlingen beschlagnahmte Papiere wurden den deutschen Behörden zugänglich gemacht. Ebd.; GLA Karlsruhe, 49/1471, BI. 6f., 52ff., 62. Die deutschen Staaten revanchierten sich. Preußen übergab Frankreich die Korrespondenz zwischen den Führern des badisch-pfälzischen Aufstands und ihren Vertrauten in Paris. AMAE Paris, Bade, Carton 8, Doss. "Depeches du Departement", Außenminister an Hatzfeld, 6.9.1849. 89 Vgl. RMI, Baden zwischen Revolution und Restauration, S. 452f., 462f., Berichte Hatzfelds und Savignys. Metzer, S. 379ff., erwähnt diese Proteste gegen den Präfekten Chanat nicht, dessen Ablösung sie innenpolitisch begründet sieht. 90 AMAE Paris, Bade, Carton 7, Doss. "Achat d'armes pour le gouvemement insurrectionnel et fonds soustraits du tresor badois". Am 2.11.1849 teilte der Außenminister dem badischen Gesandten Schweitzer mit, die Auslieferung sei abzulehnen, da das Verbrechen als ein politisches anzusehen sei. Die französische Regierung hatte das Geld (183.000 Francs), das die badische revolutionäre Regierung nach Paris überwiesen hatte, durch den Polizeipräfekten beschlagnahmen lassen. 91 Zitiert nach Metzer, 1985, S. 371.

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E. Politisches Asyl in Kontinentaleuropa nach 1849

über dem badischen Gesandten hob Tocqueville hervor, Franiereich habe das gleiche Interesse wie die deutschen Staaten, diese Leute aus aller Herren Länder unschädlich zu machen.92 Insofern folgte Frankreich nach 1849 der vormärzlichen Tradition französischer Asylpolitik, deren flüchtlingsfeindliche Aspekte sich allerdings verstärkten.93 Für die Furcht der Regierung Louis Napoleons, deutsche Republikaner könnten in einer für sie gefährlichen Weise mit der französischen Opposition zusammenarbeiten, gab es in den Wochen des badisch-pflllzischen Aufstands direkte Anhaltspunkte. Schon während der Mission der Abgesandten der provisorischen pf0

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