Heinrich Mylius (1769-1854) und die deutsch-italienischen Verbindungen im Zeitalter der Revolution: Die Lombardei und das nordalpine Europa im frühen 19. Jahrhundert 9783515125970

Der Wahlmailänder Heinrich Mylius (1769-1854) machte als junger Mann eine beachtenswerte Karriere und wurde zu einem der

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German Pages 366 [370] Year 2021

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Table of contents :
INHALT
(Christiane Liermann Traniello und Viola Usselmann)
Einführende Gedanken
(Albrecht Graf von Kalnein)
Grußwort
(Magnus Ressel und Ellinor Schweighöfer)
Einleitung. Heinrich Mylius und deutsch-italienische
Netzwerke im Europa der „Sattelzeit“
1. DIE HANDELSBEZIEHUNGEN ZWISCHEN DEUTSCHLAND UND DER
LOMBARDEI VOM HOHEN MITTELALTER BIS INS 19. JAHRHUNDERT
(Magnus Ressel)
Volatilität und Innovativität. Die deutsch-lombardischen Handelsbeziehungen in der Langzeitperspektive vom 15. bis ins 19. Jahrhundert
(Ralf Banken)
Much more than just Oranges and Lemons! Italian Trading
Houses in the Rhine-Main Region during the 18th Century
(Giovanna Tonelli)
Il commercio fra lo Stato di Milano e i Paesi tedeschi nel Settecento
(Claudio Besana)
Imprenditori tedeschi a Milano e in Lombardia
tra fine Settecento e grande crisi agraria
2. DAS DEUTSCH-ITALIENISCHE WIRTSCHAFTSBÜRGERTUM DER
SATTELZEIT UND SEINE SCHLÜSSELAKTEURE ZWISCHEN MAILAND UND
FRANKFURT AM MAIN
(Stefano Levati)
Attività mercantile e prestigio sociale. Il fondamentale contributo
dei negozianti tedeschi nella Milano tra Sette e Ottocento
(Monika Poettinger)
Internationale Netzwerke im napoleonischen Mailand
(Ellinor Schweighöfer)
Heinrich Mylius als Mäzen. Lokales Wirken und
universelle Netzwerke in Frankfurt und Europa
(Wolfgang Bunzel)
Fremde Herkunft – deutsche Heimat. Die Brentanos und Italien
3. LITERATUR, KUNST UND WISSENSCHAFT ZWISCHEN TRANSALPINER
PHILANTHROPIE, POLITISCHEM AKTIVISMUS UND REGIONALER
VERANKERUNG
(Marina Cavallera)
Studi di agricoltura e dintorni. Scienza e pratica
tra la Milano asburgica e il mondo germanico
(Alexander Auf der Heyde)
Francesco, Franz, Ritter Franz von Hayez: Zur Rezeption des
Romanticismo Storico in der deutschsprachigen Publizistik
(Christiane Liermann Traniello)
Innovationen in Kunst und Politik: Exemplarische
Figuren aus Mylius’ lombardischem Umfeld
(Viola Usselmann)
„… ernste Musik liebend …“. Heinrich Mylius und die Musik. Ein Einblick
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Heinrich Mylius (1769-1854) und die deutsch-italienischen Verbindungen im Zeitalter der Revolution: Die Lombardei und das nordalpine Europa im frühen 19. Jahrhundert
 9783515125970

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Heinrich Mylius (1769–1854) und die deutsch-italienischen Verbindungen im Zeitalter der Revolution Die Lombardei und das nordalpine Europa im frühen 19. Jahrhundert Herausgegeben von Magnus Ressel und Ellinor Schweighöfer

B A ND 8

AURORA Schriften der Villa Vigoni gegründet von Gregor Vogt-Spira, fortgeführt von Immacolata Amodeo, herausgegeben von Christiane Liermann. Band 8

Heinrich Mylius (1769–1854) und die deutsch-italienischen Verbindungen im Zeitalter der Revolution Die Lombardei und das nordalpine Europa im frühen 19. Jahrhundert Herausgegeben von Magnus Ressel und Ellinor Schweighöfer

Franz Steiner Verlag

Mit freundlicher Unterstützung des Forschungszentrums Historische Geisteswissenschaften im Rahmen ihres Förderprogramms ProPostDoc, des Historischen Kollegs im Forschungskolleg Humanwissenschaften und der Werner Reimers Stiftung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2021 Druck: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12596-3 (Print) ISBN 978-3-515-12597-0 (E-Book)

INHALT Christiane Liermann Traniello und Viola Usselmann Einführende Gedanken ................................................................................................. 7 Albrecht Graf von Kalnein Grußwort ....................................................................................................................... 9 Magnus Ressel und Ellinor Schweighöfer Einleitung. Heinrich Mylius und deutsch-italienische Netzwerke im Europa der „Sattelzeit“ .......................................................................... 13 1. DIE HANDELSBEZIEHUNGEN ZWISCHEN DEUTSCHLAND UND DER LOMBARDEI VOM HOHEN MITTELALTER BIS INS 19. JAHRHUNDERT Magnus Ressel Volatilität und Innovativität. Die deutsch-lombardischen Handelsbeziehungen in der Langzeitperspektive vom 15. bis ins 19. Jahrhundert ............................ 29 Ralf Banken Much more than just Oranges and Lemons! Italian Trading Houses in the Rhine-Main Region during the 18th Century ......................................... 73 Giovanna Tonelli Il commercio fra lo Stato di Milano e i Paesi tedeschi nel Settecento.......................... 91 Claudio Besana Imprenditori tedeschi a Milano e in Lombardia tra fine Settecento e grande crisi agraria ....................................................................... 111 2. DAS DEUTSCH-ITALIENISCHE WIRTSCHAFTSBÜRGERTUM DER SATTELZEIT UND SEINE SCHLÜSSELAKTEURE ZWISCHEN MAILAND UND FRANKFURT AM MAIN Stefano Levati Attività mercantile e prestigio sociale. Il fondamentale contributo dei negozianti tedeschi nella Milano tra Sette e Ottocento ........................................... 133 Monika Poettinger Internationale Netzwerke im napoleonischen Mailand ................................................ 143

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Inhalt

Ellinor Schweighöfer Heinrich Mylius als Mäzen. Lokales Wirken und universelle Netzwerke in Frankfurt und Europa ........................................................... 189 Wolfgang Bunzel Fremde Herkunft – deutsche Heimat. Die Brentanos und Italien ................................. 219 3. LITERATUR, KUNST UND WISSENSCHAFT ZWISCHEN TRANSALPINER PHILANTHROPIE, POLITISCHEM AKTIVISMUS UND REGIONALER VERANKERUNG Marina Cavallera Studi di agricoltura e dintorni. Scienza e pratica tra la Milano asburgica e il mondo germanico ............................................................. 239 Alexander Auf der Heyde Francesco, Franz, Ritter Franz von Hayez: Zur Rezeption des Romanticismo Storico in der deutschsprachigen Publizistik ........................................ 271 Christiane Liermann Traniello Innovationen in Kunst und Politik: Exemplarische Figuren aus Mylius’ lombardischem Umfeld ............................................................... 299 Viola Usselmann „… ernste Musik liebend …“. Heinrich Mylius und die Musik. Ein Einblick ............. 325 Autorenverzeichnis ....................................................................................................... 353 Personenregister ............................................................................................................ 359 Ortsregister.................................................................................................................... 365

EINFÜHRENDE GEDANKEN Der vorliegende Band ist ein deutsch-italienisches Gemeinschaftsprodukt unter der Regie der Herausgeber Ellinor Schweighöfer und Magnus Ressel. In enger Abstimmung mit dem Deutsch-Italienischen Zentrum für den Europäischen Dialog Villa Vigoni und mit der Unterstützung der Werner Reimers Stiftung sowie des Forschungskollegs Humanwissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main haben sie 2017 ein wissenschaftliches Kolloquium konzipiert und organisiert, das in der Villa Vigoni am Comer See stattgefunden hat und dessen Ergebnisse hier publiziert werden. Das Deutsch-Italienische Zentrum für den Europäischen Dialog Villa Vigoni war bis 1983 der Landsitz einer lombardischen aristokratischen Familie. Ein Zweig dieser Familie besaß bürgerliche Wurzeln und stammte ursprünglich aus Frankfurt. Der letzte private Eigentümer der Villa Vigoni, Ignazio Vigoni (1905–1983), hinterließ testamentarisch der Bundesrepublik Deutschland den prächtigen Besitz seiner Familie am Comer See mit der Auflage, dort einen Ort für deutsch-italienischeuropäische Begegnungen und Gespräche zu schaffen. Die Bundesrepublik hat diese Herausforderung angenommen: Seit 1986 besteht die Villa Vigoni als öffentliche Einrichtung, die von Deutschland und Italien gemeinsam, paritätisch unterhalten und geführt wird und dem wissenschaftlichen, kulturellen und politischen Austausch dient. Die aktuelle bilaterale Mission der Villa Vigoni in europäischer Perspektive verdankt sich also der Vision des Privatmannes Ignazio Vigoni, der mit seiner testamentarischen Entscheidung seinem Vorfahren, dem Frankfurter Kaufmann Heinrich Mylius (1769–1854), der nach Mailand ausgewandert war, ein Denkmal setzen wollte. Von eben jenem Heinrich Mylius, seiner Epoche und seinem Umfeld handelt der vorliegende Band. Die Beiträge beleuchten Facetten der Biographie eines Mannes, der, wenngleich er nicht im Rampenlicht der ganz großen Historie stand, doch gewissermaßen „hinter den Kulissen“ eine bedeutende Rolle einnahm: als Pionier auf unternehmerischem und kaufmännischem Gebiet; als Philanthrop, den ein modernes „Caritas“-Bewusstsein antrieb; als zupackender, mutiger Bildungspolitiker; als Netzwerker im kulturellen Austausch zwischen seiner Geburtsstadt Frankfurt und Weimar, der Heimatstadt seiner Ehefrau Friederike, sowie Mailand, wo er zu Ansehen und Reichtum gelangte. Man kann Heinrich Mylius’ Biographie paradigmatisch lesen, das heißt, ihn als typische Gestalt seiner Zeit verstehen, beispielsweise in seiner Rolle als Unternehmer in der frühkapitalistischen Lombardei. Sein Weg steht dann stellvertretend für allgemeinere Entwicklungen und Transformationen der Epoche, in der er lebte –

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Christiane Liermann Traniello und Viola Usselmann

eine Epoche des allgemeinen Handelswachstums, in der es durchaus nicht ungewöhnlich war, dass deutsche Händler sich im Ausland ansiedelten und zu Wohlstand gelangten. Man kann aber auch die außergewöhnlichen Seiten betonen, die aus Mylius eine einzigartige, eindrucksvolle Persönlichkeit gemacht haben. Sein Pioniergeist in der Modernisierung des Seidengewerbes und der beruflichen Ausbildung, seine ausgeprägte Philanthropie und ein intensives Engagement im Bereich der schönen Künste stehen auch in ihrer Zeit einmalig, ja herausragend da. Zwischen beiden Anliegen muss sich nicht zwingend ein Dilemma ergeben, und der vorliegende Band bringt tatsächlich beide Seiten zur Sprache, indem er zeigt, dass Heinrich Mylius einerseits repräsentativ für bestimmte historische Prozesse, Erfahrungshorizonte und Handlungsoptionen war, dass er aber zugleich auf eine ganz persönliche Weise Phänomene und Trends seiner Zeit aufgegriffen und verarbeitet hat. Seine individuelle Lebensleistung ergibt sich dann zum einen daraus, wie er mit historisch geprägten Vorgaben umgegangen und wie er sie ausgestaltet hat; zum anderen ergibt sie sich aus der Bündelung seiner vielfältigen Interessen und Begabungen. Denn es war für Mylius charakteristisch, dass er auf ganz unterschiedlichen Feldern die Zeichen der Zeit erkannt und sie umgesetzt hat. Er war erfolgreicher Geschäftsmann, aber er hat auch das Potential der zeitgenössischen Kunst gesehen und gefördert. In der Sprache der Kunst schien es ihm möglich, den Sinn seines eigenen privaten Schicksals und des Verlaufs der Menschheit als Ganzer zu ergründen. Er war ein Mann zwischen Vision und Pragmatik, der an das Emanzipationspotential des modernen Arbeitsethos glaubte und sich für Arbeiterwohlfahrt, Bildungsreform und die Umsetzung des protestantischen „Self-helpModells“ einsetzte. War er also einerseits geprägt von der Vorstellung, ein jeder sei seines Glückes Schmied, war er sich doch andererseits der Überlegenheit der Macht des Schicksals bewusst. So sehr er (man denke an seine Napoleon-Verehrung) den Typus des „Machers“ und „self made man’s“ guthieß, so sehr erwartete er gerade von den Starken Engagement für das Gemeinwohl. Im Jahr 2019 jährte sich zum 250. Mal Heinrich Mylius’ Geburtstag – Höhepunkt der Feierlichkeiten war die Ausstellung „Heinrich Mylius (1769–1854): Ein europäischer Bürger zwischen Frankfurt am Main und Mailand“, eine Kooperation mit dem Frankfurter Museum Giersch der Goethe-Universität. Namens der Villa Vigoni danken wir der Herausgeberin und dem Herausgeber dafür, dass sie aus Anlass dieses Jubiläums einen Sammelband vorlegen, der auf breiter wissenschaftlicher Grundlage Heinrich Mylius und seine Zeit darstellt. Der vorliegende Band ergänzt auf ideale Weise die zweisprachige deutsch-italienische Monographie Enrico Mylius 1769–1854. Una biografia. Heinrich Mylius 1769–1854. Eine Biographie, die Giovanni Meda Riquier, Viola Usselmann und Christiane Liermann Traniello 2019 publiziert haben (Villa Vigoni Editore│Verlag). Christiane Liermann Traniello und Viola Usselmann Loveno di Menaggio, im Juni 2020

GRUSSWORT Europa beschäftigt die Gemüter seit Jahrhunderten; in Zeiten gesellschaftlicher Krisen und staatlicher Umbrüche erst recht. Das Ende des Sozialismus auf unserem Kontinent um 1989 wurde begleitet von intensiven Debatten über ein gemeinsames Haus Europa; nach dem blutigen Ende der Monarchien 1918 forderten Intellektuelle in Paris, Wien und Berlin ein vereintes Europa und eine Republik des Geistes für unseren Kontinent; und auf die Zerschlagung des Ancien Régimes und der reichsrechtlich – kirchlichen Ordnung Mitteleuropas durch Napoleon um 1806 antwortete ein Vordenker der Romantik mit dem Appell „Die Christenheit oder Europa“. Neben der Forderung nach Freiheit des Geistes zählte zu den Merkmalen des Alten Reiches dabei stets auch das Beharren auf Handel. Europa ist und war stets zunächst ein Projekt von Gelehrten und Kaufleuten. Das vorliegende Buch schlägt ein besonderes Kapitel jener jahrhundertelangen Erzählung auf: Es bietet Einblicke in Leben und Werk eines unerschrockenen Kaufmanns, eines tätigen Freundes von Kunst und Literatur, eines Vorreiters Europas – von Heinrich Mylius (Frankfurt a.M., 1769 – Mailand, 1854). Sein Leben spiegelt wesentliche Aspekte jener Umbruchszeit im Zeichen Napoleons: die rechtlichen Umstürze in der Lombardei nach den Siegen der Franzosen über die habsburgische Monarchie; gegenüber den Zwängen der Kontinentalsperre: internationale Familienbande und Hybridformen des Handels; wirtschaftlicher Aufstieg – Rückzug aufs Land und in die Kunst; nicht zuletzt: Reichtum, Bürgersinn und die Förderung von Handwerk und Gewerbe. Leben und Werk des Frankfurter Bürgersohnes Mylius muten noch heute erstaunlich und erzählenswert an. Als junger Mann gelangte er im Auftrag der elterlichen Handelsfirma nach Mailand, in einen für ihn neuen, fremden Wirtschaftsraum. Und während er sich dort zu behaupten, zu etablieren suchte, zerbrach die Handels- und Rechtsordnung des Ancien Regime im Sturm von Revolutionsarmeen und Code Napoleon. 1793 gründete Mylius, gestützt auf die internationalen Handelskontakte seiner Familie und Vaterstadt, ein eigenes Leinen- und Baumwollgeschäft; von den Drangsalierungen der Kontinentalsperre und französischen Zollmaßnahmen unbeirrt arbeitete er später an der Modernisierung der Seidenfabrikation, des wichtigsten Industriezweigs der Lombardei zu dieser Zeit. Er brachte es schließlich zu großem Vermögen, einem beeindruckenden Landsitz am Comer See, der heutigen Villa Vigoni, und mit der Gründung der „Gesellschaft zur Förderung von Handel und Kunstgewerbe“ 1838 zu einem Platz in den Herzen der Mailänder. Nicht minder setzte er sich für Kunst und Literatur ein, bestärkt vermutlich durch seine Ehe mit Friederike Schnauß (1771–1851) aus Weimar. Seiner Vermittlung verdankt sich die emphatische Aufnahme der Promessi Sposi (1827) des Alessandro Manzoni durch Goethe und damit im kulturellen Deutschland. Angeregt durch den dreißigsten Jahrestag der Gründung des Deutsch-Italienischen Zentrums für den Europäischen Dialog Villa Vigoni 2016 fanden sich auf

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Albrecht Graf von Kalnein

Initiative eben jenes Zentrums in Loveno di Menaggio, des Forschungskolleg Humanwissenschaften und der Werner Reimers Stiftung Fachleute verschiedener Fächer zusammen, um forschungsnahe Beiträge zu einer Geschichte transalpinen Austauschs in der „Sattelzeit“ der europäischen Geschichte um 1800 zusammenzutragen. Dabei achteten wir mit Blick auf den Zerfall des Ordnungsrahmens Heiliges Römisches Reich insbesondere auf Art und Grad von Netzwerken und Familienbanden als informellen Garanten für Fernhandel und Unternehmertum. Nicht mehr oder noch nicht einschlägig waren andere denkbare Ordnungsfaktoren und Orientierungsmuster wie Kirche, Konfession(en) oder (Kultur-) Nationalismus. Auch in diesem Fall zeigte sich, wie zäh Netzwerke politischen An- und Eingriffen widerstehen können, und einmal mehr wurde deutlich, dass trotz der Anstiege von Splügen- und San Bernardinopass die Alpen stets weniger Barriere als vielmehr Transitraum in und für Europa waren. Die Konferenz vom Oktober 2017, die Vortragsreihe des Folgejahres im Forschungskolleg Humanwissenschaften im Rahmen von dessen Programmlinie „Historisches Kolleg“ und nun der vorliegende Band konnten an eine Vielzahl von italienischen wie deutschen Einzelstudien über den Fernhandel anknüpfen, über die Mailänder Handelshäuser von H. Mylius und dessen Kollegen wie Adam Kramer oder Ludwig Seufferheld, über die aufgeklärte Landesherrschaft der Habsburger in der Lombardei. Andrerseits nahmen sie Maß an der gegenläufigen Geschichte der Brentanos, die es - ihrerseits freilich im Verlauf von mehreren Generationen – als Fernhändler vom Comer See erst zu Patriziern am Main, dann zu Protagonisten der Kunst brachten. Wesentlicher Ausgangs- und Bezugspunkt des Mylius-Projektes waren die einschlägigen Aktenbestände der Handelskammer in Mailand, der Kronarchive in Wien, der Familie Mylius – Vigoni in Loveno usf. Schnell wurde indes deutlich, dass noch manches an vergleichenden Studien wie an Archivarbeit zu bewältigen ist auf dem Weg zum Versuch einer, modernen Maßstäben entsprechenden, Biographie über jenen Fernkaufmann und Vermittler zwischen Frankfurt und Mailand, dem deutschen und dem (ober)italienischen Wirtschaftsraum, zwischen einem bürgerlich-protestantischen Kapitalismus und den Schönen Künsten. Die in Form dieses Bandes erreichte Etappe auf diesem Wege ließ sich nur im Verbund mit engagierten Partnern erreichen – in alphabetischer Reihenfolge: Deutsche Forschungsgemeinschaft, Deutsch-Italienische Vereinigung, Dolce Lauda Rechtsanwälte, Frankfurter Stiftung für Deutsch – Italienische Studien, Fondazione Cariplo, Goethe-Universität, Stiftung Polytechnische Gesellschaft. Ihnen allen wie selbstverständlich und insbesondere: der Villa Vigoni herzlichen Dank! Namentlich genannt seien PD Dr. Magnus Ressel und Dr. Ellinor Schweighöfer, die Vordenker, geduldigen Antreiber und inspirierenden Motivatoren des gesamten Projektes. In diesen Zeiten besonderer Herausforderung an Politik und Gesellschaft(en) wird oft nach Zusammenhalt und Gestaltungskraft des politischen Europa gefragt. An Grundsatzdebatten über politische Werte und darüber, was diese Union in der Welt heute „im Innersten zusammenhält“ (in den Worten eines anderen Patriziersohns aus Frankfurt) herrscht kein Mangel. Vielleicht schadet es da nicht, nach Vorreitern Europas in früherer Zeit zu forschen und nach den besonderen Beiträgen

Grußwort

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kunstsinniger Kaufleute und Mäzene für gelingenden Austausch über reale und imaginäre Grenzen hinweg. Albrecht Graf von Kalnein, Werner Reimers Stiftung Forschungskolleg Humanwissenschaften Bad Homburg, im September 2019

EINLEITUNG Heinrich Mylius und deutsch-italienische Netzwerke im Europa der „Sattelzeit“ Magnus Ressel und Ellinor Schweighöfer Abstract: The era of the Sattelzeit (Reinhart Koselleck) coincides almost completely with the life span of the Frankfurt merchant Heinrich Mylius (1769–1854), who as a young man made a remarkable career in his adopted home of Milan. The Protestant merchant from Frankfurt, who settled in Milan in the 1790s, soon achieved great prosperity in the silk trade and other enterprises. As a philanthropist, he used this wealth to promote scholars, scientists, artists and poets, but also for charitable and social purposes. The high esteem in which he earned himself in his host country enabled him as a foreigner of a different denomination to occupy a high rank within the Milanese state and society and thus to become a key figure in the German-Italian cultural contact and exchange. Mylius can be thus legitimately called a promotor and a symbol of a rapidly changing epoch especially in regards to the transalpine but also the Europe wide connections and dynamics. This anthology focuses on the German-Italian networks of the Age of Revolution (Eric Hobsbawm) that become visible via glances at Mylius’ life.

1. EINLEITUNG Die Epoche der „Sattelzeit“ deckt sich fast vollständig mit den Lebensdaten des in Frankfurt am Main gebürtigen Kaufmanns Heinrich Mylius (1769–1854), der als junger Mann in seiner Wahlheimat Mailand eine europaweit beachtete Karriere machte.1 Der noch nicht zwanzigjährige Heinrich Mylius schaffte es bald, seine Unternehmungen in Mailand zu beträchtlichem Erfolg zu führen.2 Mit dem Erfolg ergaben sich neue Möglichkeiten, die Mylius in einem Maße nutzte, welches ihn unter den Kaufleuten seiner Zeit herausstechen lässt. Er knüpfte in seiner zweiten Lebenshälfte von Mailand aus ein dichtes Netzwerk mit regionalen Künstlern sowie

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2

Zum europaweiten Erfolg der Unternehmungen Mylius’ siehe insb. M. Poettinger, Deutsche Unternehmer im Mailand des neunzehnten Jahrhunderts. Netzwerke, soziales Kapital und Industrialisierung, Lugano, 2012, S. 175–191. Zum Konzept der Koselleck’schen Sattelzeit von 1750–1850 und der Kritik an demselben siehe jüngst den Sammelband von: É. Décultot / D. Fulda (Hrsg.), Sattelzeit. Historiographiegeschichtliche Revisionen, Berlin 2016. Vgl. zum Jahr 1788 als Ankunftsjahr in Mailand und dem Erfolg der ursprünglich als Zweigstelle der Frankfurter Firma Mylius & Aldebert gedachten Niederlassung: A. Moioli, Enrico Mylius negoziante e banchiere, in: R. Pavoni (Hrsg.), ‚… rispettabilissimo Goethe… caro Hayez… adorato Thorvaldsen…‘. Gusto e cultura europea nelle raccolte d’arte di Enrico Mylius, Venedig 1999, S. 29–37.

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Magnus Ressel und Ellinor Schweighöfer

Wissenschaftlern und unterhielt enge Kontakte zu den bürgerlichen und aufklärerischen Kreisen seiner Geburtsstadt Frankfurt am Main.3 Er verstand es, die Dynamiken der Umbruchszeit, in der er lebte, als Unternehmer wie als Mäzen zu nutzen. Mylius selbst war Zeitzeuge und intensiv betroffen von Revolutionen oder Revolutionsbestrebungen von 1792 bis 1796, 1821, 1830 und 1848/49. Die erste brachte die französischen Armeen in die Lombardei und beendete dort die Herrschaft der Habsburger für fast zwei Jahrzehnte. Die zweite und dritte führten zu regionalen Aufständen in ganz Italien und zum Einsatz der österreichischen Armee vor allem in Mailand und der Lombardei zur Niederschlagung von schweren Unruhen. Die vierte schließlich hatte als ein Epizentrum just Mylius’ Mailand, welches für den Zeitraum vom 22. März bis zum 6. August 1848 die österreichische Herrschaft zwischenzeitlich abschüttelte. Diese Revolutionen und die sie jahrzehntelang begleitenden Unruhen erlebte Mylius aus nächster Nähe. Mehr noch: Er war ein anerkannter Gesprächspartner und bisweilen sogar Freund von bedeutenden Protagonisten des italienischen Risorgimento einerseits, jedoch andererseits auch der Österreicher und ihrer in der Lombardei eingesetzten Beamten und Militärs.4 Er kannte daher die Sehnsüchte und Wünsche, die hinter dem Aufbruch Italiens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts standen, sah aber auch die Perspektive des österreichischen Vielvölkerimperiums, das sich vom aufkommenden Nationalismus bedroht fühlen musste.5 Als Unternehmer hatte er an zentraler Stelle dabei mitgeholfen, die Industrialisierung mitsamt

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Das sahen schon die Zeitgenossen so, vgl. die intensiven Würdigungen die ihm von Frankfurt und von Mailand nach seinem Ableben zuteilwurden: „Heinrich Mylius“, Frankfurter Volksbote Nr. 18 v. 30. April 1854, S. 65; G. Sacchi, „Commemorazione di Enrico Mylius“, Crepuscolo 18 (1854), S. 280–283; F. Baasner, „Heinrich Mylius (1769–1854). Unternehmer, Mäzen, Patriarch“, in: ders. (Hrsg.), Die Mylius-Vigoni: Deutsche und Italiener im 19. und 20. Jahrhundert, Tübingen 1992, S. 5–20, 11–12. Siehe insb.: C. Lovett, Carlo Cattaneo and the Politics of the Risorgimento, 1820–1860, Den Haag 1972. Die Beziehungen Mylius’ zu Österreich sind bislang kaum in der Forschungsliteratur erfasst worden, sie scheinen aber einer tieferen Erforschung wert. Es sei darauf verwiesen, dass er zum königlich-kaiserlichen Rat ernannt wurde und das Ritterkreuz des Ordens der Eisernen Krone trug. Aus der Einsicht in den privaten, derzeit leider unzugänglichen Nachlass des österreichischen Generals und Militärgouverneurs in Mailand, Ludwig Georg Thedel Graf von Wallmoden(-Gimborn) (1769-1862) in Besitz der Familie Boessler von Eichenfeld hat Harald Lönnecker vor einigen Jahren interessante Erkenntnisse geschöpft, die er dankbarerweise kurz zusammengefasst hat: „Als Lieferant und Bankier für die österreichische Armee verdiente Mylius offenbar nicht schlecht, ein Grund, weshalb Wallmoden ihn nicht sehr geschätzt zu haben scheint. (...) Vielleicht verübelte der überaus adelsstolze Wallmoden Mylius den sozialen Aufstieg (...). Vielleicht empfand Wallmoden Mylius’ Mäzenatentum als ungerechtfertigte Konkurrenz eines Emporkömmlings. (...) Jedenfalls scheint Mylius demokratisch-liberale Ansichten hintangestellt zu haben, wenn es schlecht für das Geschäft war. Dem österreichischen Militär galt er vielfach als Kriegsgewinnler, das Mailänder Auditoriat verdächtigte ihn mehrfach entsprechender Manipulationen. Für ein Untersuchungsverfahren hat es jedoch wohl nie gereicht (...).“ E-Mail von Harald Lönnecker an Magnus Ressel am 4.10.2017.

Heinrich Mylius und deutsch-italienische Netzwerke

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ihren vielfältigen wirtschaftlichen wie sozialen Fernwirkungen nach Italien zu bringen. Somit war er nicht nur Zeuge der revolutionären Umwälzungen seiner Epoche, sondern in gewissem Sinne auch Teil ihrer Ursachen. Das Verhältnis von Mylius zu seiner Epoche, dem „Zeitalter der Revolution“6 (so Eric Hobsbawm über die Zeit von 1789 bis 1848), steht im Mittelpunkt des vorliegenden Sammelbandes. Die politischen und wirtschaftlich-sozialen Umwälzungen in der Abfolge von nur wenigen Jahrzehnten, bisweilen nur Jahren, zeigen die Lebenszeit von Mylius als einen entscheidenden Abschnitt der europäischen Geschichte. Das Leben von Mylius und sein Agieren in diesen Zeiten verdeutlichen dabei vor allem, dass die Sattelzeit auch und gerade als eine Epoche der neuen Möglichkeiten zu sehen ist, die es Akteuren aus den bis dato nicht privilegierten Schichten ermöglichte, bislang unbekannte Wege zu beschreiten und Erfolg zu finden. Als ein Erbe der Aufklärung, aber auch des technischen Fortschritts gerieten im späten 18. Jahrhundert die häufig festgefügt erscheinenden Bedingungen und Bedingtheiten der Sozialordnung Europas massiv ins Wanken. Bereits vor den revolutionären Umwälzungen in Frankreich war Europa geprägt von rasch wachsenden Produktions- und Handelsvolumina, der Aushöhlung von Privilegien und Entmachtung von Korporationen und einer allerorten voranschreitenden Toleranzgesetzgebung. Für die sich daraus resultierende Vervielfältigung der Möglichkeiten geben Leben, Wege und Wirken von Mylius ein herausragendes Beispiel. So wäre die Ansiedelung des Protestanten in Mailand vor 1781 kaum möglich gewesen und seine gewerblichen Innovationen hätten noch in der ersten Jahrhunderthälfte den schärfsten Widerspruch der Zünfte herausgefordert.7 Als solche Schranken beseitigt waren, waren die Chancen zur wirtschaftlichen Entfaltung gerade aufgrund ihrer langen künstlichen Hemmung besonders groß. Zeugnis davon legt das Beispiel von Mylius zur Genüge ab: Ein von Mailand ausgehendes Handelsnetz über ganz Europa mit seinen Schwerpunkten in Frankfurt und Liverpool und die Produktion von hochwertigen Textilien mit modernsten Anlagen in der Lombardei waren die Basis seines ungewöhnlichen Wohlstandes. In einem Standardwerk zu Genuas Seehandel in der Sattelzeit lesen wir zur Firma Mylius: Von großer Bedeutung im Handel mit Industrieerzeugnissen, namentlich Woll- und Baumwollgeweben, war die Firma Enrico Mylius & Co. Außerdem trat sie auch als Schiffsmakler hervor. Die Gesellschaft hatte 1836 und 1840 sehr lebhafte Beziehungen zu Liverpool. Neben dem Handel mit Geweben spielte Seide noch eine gewisse Rolle.8

6 7 8

E. Hobsbawm, The age of revolution. Europe 1789–1848, London 1962. Vgl. zur Macht der Zünfte in der Lombardei vor bedeutsamen Reformen in diesem Bereich zur Mitte der 1780er Jahre: E. Verga, „Le Corporazioni delle industrie tessili in Milano, loro rapporti e conflitti nei secoli XVI e XVIII“, Archivio Storico Lombardo 29 (1903), S. 64–125. H.-T. Niephaus, Genuas Seehandel von 1746–1848. Die Entwicklung der Handelsbeziehungen zur Iberischen Halbinsel, zu West- und Nordeuropa sowie den Überseegebieten, Köln 1975, S. 332.

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Magnus Ressel und Ellinor Schweighöfer

Mylius’ Firma verband Mailand über Genua mit dem Zentrum der Industrialisierung und handelte dabei vor allem mit dem Textilprodukt des Zeitalters schlechthin, der Baumwolle, und dem wichtigsten zeitgenössischen Erzeugnis Norditaliens, der Seide. Heinrich Mylius, der aus einer Frankfurter Handelsfamilie mit engen Kontakten zu England stammte, hatte die neuen Möglichkeiten in seiner Wahlheimat offenbar erkannt und gut genutzt. Dass er einige Summen des erworbenen Reichtums wiederum in mäzenatische Aktivitäten zwischen Deutschland und Italien investierte, zeigt, dass seine Netzwerke sich nicht auf den wirtschaftlichen Sektor beschränkten.9 Eine intensive Erforschung von Mylius im Kontext seiner Zeit und ihrer Möglichkeiten verspricht daher tiefgreifende Erkenntnisse zu den Grenzüberschreitungen der Sattelzeit, in geographischer, kultureller und sozialer Hinsicht. 2. FORSCHUNGSSTAND Trotz jahrelanger und substantieller Forschungen ist Mylius selbst bislang vor allem punktuell beleuchtet worden und eine umfassende Würdigung im Kontext seines Zeitalters steht noch aus.10 Damit sollen die in den letzten dreißig Jahren erzielten Forschungsergebnisse zu Mylius keineswegs relativiert werden. Bereits vor der Annahme des Erbes von Mylius’ Residenz, der Villa Vigoni am Comer See, durch die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1986 hat Heinrich Mylius in der einschlägigen Literatur vor allem zur lombardischen Wirtschaftsgeschichte um 1800 manche Erwähnung gefunden.11 Seit der Gründung des gemeinnützigen, binationalen Vereins Villa Vigoni e.V., getragen von Deutschland und Italien infolge der Übernahme der Villa durch die Bundesrepublik, hat sich die Forschung zu Mylius intensiviert, und

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Zu Mylius als Mäzen, vgl. T. Besing / G. Meda Riquier / S. Bertolucci, „‚L’eccellente uomo‘. Enrico Mylius: committenza, meccenatismo e mediazione culturale“, in: Pavoni (Hrsg.), ‚… rispettabilissimo Goethe… Caro Hayez… adorato Thorvaldsen…‘, S. 53–63. 10 In diesem Sinne auch: M. Romano, Alle origini dell’industria lombarda. Manifatture, tecnologie e cultura economica nell’età della Restaurazione, Mailand 2012, S. 72–73. 11 B. Caizzi, Industria, commercio e banca in Lombardia nel XVIII secolo, Mailand 1968, S. 67– 85; S. Chapman, „The international houses: the continental contribution to British commerce, 1800–1860“, The Journal of European Economic History 6 (1977), S. 5–48.

Heinrich Mylius und deutsch-italienische Netzwerke

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wir können inzwischen auf eine reichhaltige Menge an Aufsätzen und Sammelbänden explizit zu seinem Wirken blicken.12 Diese Literatur wird vor allem durch die vielfältigen Beiträge von Monika Poettinger zu Mylius’ Wirken sekundiert.13 Begleitend zur Ausstellung „Heinrich Mylius (1769–1854)“, die 2019 zum 250. Geburtstag des Unternehmers in Frankfurt am Main im Museum Giersch mit großem Erfolg gezeigt wurde, haben Giovanni Meda Riquier, Viola Usselmann und Christiane Liermann Traniello die erste eigentliche Mylius-Biographie vorgelegt.14 Diese biographische Studie liefert eine dichte Schilderung des Mylius’schen Lebensweges, seiner Errungenschaften sowie davon ausgehend viele weiterführende Hinweise auf relevante Geschehnisse und Zusammenhänge. Darüber hinaus enthält diese Publikation eine bisher nicht veröffentlichte zentrale Quelle – das edierte Testament des Ehepaares Mylius – und trägt damit einen wichtigen Baustein zur Mylius-Forschung bei. Eine umfassende wissenschaftliche Biographie und Studie des Mylius’schen Unternehmens sowie seiner Netzwerke bleibt auch weiterhin ein Desiderat, für sie müsste noch eine intensive und häufig auch mühevolle archivalische Arbeit an vielen europäischen Orten geleistet werden.15 Dieser Sammelband kann und soll eine solche Studie nicht ersetzen, sondern untersucht Mylius’ Wirken im Kontext seiner Zeit, dem Zeitalter der Revolution. In den einzelnen Aufsätzen bildet Mylius jeweils einen Bezugspunkt, der jedoch unterschiedlich gewichtet ist. Somit leistet der Band sowohl biographische Arbeit

12 Vgl. die unmittelbar nach der Übernahme entstandenen Überblicke von: H. Mylius / L. Mylius, „Auf den Spuren von Heinrich Mylius (1769–1854)“, in: ders. / dies. (Hrsg.), Nachrichten der Familie Mylius, Bd. 4, Freiburg i.Br. 1987, S. 1475–1525; P. Cottini, Der Park der MyliusVigoni in Loveno di Menaggio, Varese 1991. Bald folgten wichtige Sammelbände: F. Baasner (Hrsg.), Die Mylius-Vigoni, zwei Jahre später ins Italienische übersetzt: ders. (Hrsg.), I MyliusVigoni. Italiani e tedeschi nel XIX e XX secolo, Florenz 1994. Weitere wichtige Beiträge bieten, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: S. Levati, La nobiltà del lavoro. Negozianti e banchieri a Milano tra Ancien Régime e Restaurazione, Milano 1997; Pavoni (Hrsg.), ‚… rispettabilissimo Goethe… Caro Hayez… adorato Thorvaldsen…‘; S. Bertolucci / G. Meda Riquier, „Cultura tedesca e protestante, stimolo al cambiamento: la figura di Enrico Mylius“, in: C. Mozzarelli / R. Pavoni (Hrsg.), Milano 1848–1898. Ascesa e Trasformazione della Capitale Morale, Venedig 2000, S. 257–266; C. Martignone, Imprenditori protestanti a Milano, 1850–1900, Mailand 2001; A. Moioli, „La traiettoria di una “international house” tra ’700 e ’800: il caso della ditta milanese Enrico Mylius e Comp.“, in: A. Falchero (Hrsg.), La storia e l’economia. Miscellanea di studi in onore di Giorgio Mori, Varese 2003, S. 467–484; G. Oldrini / A. Venturelli (Hrsg.), La tradizione rinnovata. Da Enrico Mylius alla Sesto San Giovanni del futuro, Como 2006. 13 Anstelle einer Zusammenstellung ihrer Arbeiten zu Mylius sei auf ihren Beitrag in diesem Band verwiesen und auf eine Monographie zu deutschen Unternehmern in Mailand im 19. Jahrhundert, in dem Mylius häufig Erwähnung findet: M. Poettinger, Deutsche Unternehmer im Mailand des neunzehnten Jahrhunderts. Netzwerke, soziales Kapital und Industrialisierung, Lugano / Mailand 2012. 14 G. Meda Riquier / V. Usselmann / C. Liermann Traniello, Enrico Mylius 1769–1854. Una biografia. Heinrich Mylius 1769–1854. Eine Biographie, Loveno di Menaggio 2019. 15 Die bisherigen archivalischen Recherchen haben sich stark auf Mailand konzentriert, jedoch wäre es wohl möglich, durch intensive Recherchen in den Archiven von Wien oder Genua sowie weiteren, die internationalen Netzwerke von Mylius eingehender herauszuarbeiten.

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als auch einen Beitrag zur genaueren Erforschung einzelner mit der Biographie Mylius’ verknüpfter Felder, so zum Beispiel den deutsch-italienischen Transferbeziehungen, den transnationalen Netzwerken, Handel und Wirtschaftsbeziehungen, sowie Kunst, Kultur und Mäzenatentum. Methodisch und exemplarisch in Fallstudien sowie vertieft für einige Regionen besteht ein solider Grundstock in der Forschung zu transnationalen Handelsnetzwerken, auf dem aufgebaut werden kann.16 Die transnationale Dimension von Handelsnetzwerken wurde für den britischen bzw. deutsch-britischen Zusammenhang von Margrit Schulte Beerbühl – die auch bei der Erforschung der Handelstätigkeiten des Mylius’schen Familienunternehmens in England Pionierarbeit geleistet hat – und anderen gut erforscht, mit vielfältigen Befunden: Deutschstämmige Händler in Großbritannien sowie auch die mit ihnen in Zusammenhang stehenden Handelsnetzwerke erschienen als integraler Teil des British Empire. Die Studien zeigten ebenfalls klar, dass es sich hierbei keinesfalls zwingend um einen britischen oder deutsch-britischen ‚Sonderfall‘ handelt.17 Demnach erscheinen Forschungen mit ähnlicher Fokussierung, aber zu anderen Regionen erfolgversprechend. Der vorliegende Sammelband verfolgt für den deutsch-italienischen bzw. lombardisch-nordalpinen Kontext einen solchen Ansatz und legt dabei einen besonderen Fokus auf eine ganzheitliche, in Ansätzen bis zur Mikroebene reichende Betrachtung wirtschaftlicher Aspekte, des politischen Zeitgeschehens, geistesgeschichtlicher Strömungen sowie Kunst und Kultur. Somit kommt der Sammelband – einen wirtschaftshistorischen und kulturgeschichtlichen Ansatz integrierend und persönliche Lebenswege im ‚Zeitalter der Revolution‘ kontextualisierend – auch der vor über zehn Jahren formulierten Forderung nach, die europäische Dimension der Revolutionen seit dem späten 18. Jahrhundert in den Blick zu nehmen.18 Gleichzeitig schließt er an die Forschung an, die sich mit nordalpinen Migranten in Italien unter dem Blickwinkel von Konfession bzw. Religion auseinandergesetzt hat.19 In diesem Sammelband wird, wie bereits erwähnt, vor allem die deutsch-lombardische Geschichte in der Epoche der Sattelzeit in den Blick genommen. Mylius 16 Vgl. nur einige der jüngeren einschlägigen Sammelbände mit deutscher Beteiligung zum Thema der internationalen Händlernetze in der Frühen Neuzeit: M. Herrero Sánchez / K. Kaps, Merchants and Trade Networks in the Atlantic and the Mediterranean, 1550–1800, Connectors of commercial maritime systems, London / New York 2017; A. Gestrich / M. Schulte Beerbühl, Cosmopolitan Networks in Commerce and Society. 1660–1914, London 2011; M. Schulte Beerbühl / J. Vögele (Hrsg.), Spinning the Commercial Web. International Trade, Merchants, and Commercial Cities, c. 1640–1939, Frankfurt a.M. 2004. 17 M. Schulte Beerbühl, Deutsche Kaufleute in London. Welthandel und Einbürgerung (1600– 1818), München 2007; dies. / J.R. Davis / S. Manz (Hrsg.), Transnational Networks. German Migrants in the British Empire, 1670–1914, Leiden 2012; dies. / ders. /ders. (Hrsg.), Migration and Transfer from Germany to Britain 1660–1914, München 2007. 18 A. Bauerkämper, „Die Revolution von 1848/49. Gemeinsames Erleben und Scheitern in Europa?“, Themenportal Europäische Geschichte, 2006, URL: www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1313 [letzter Zugriff: 04.10.2019]. 19 Vgl. hierzu den Band von U. Israel / M. Matheus (Hrsg.), Protestanten zwischen Venedig und Rom in der Frühen Neuzeit, Berlin 2013.

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und sein Wirken dienen dabei als Leitsonde zur Exemplifizierung der geteilten Geschichte der Umwälzungen in Deutschland und Italien. Diese findet ihre Verbindungen nicht nur auf der Makroebene abstrakt geteilter Erfahrungen mit der französischen Besatzung und der folgenden Restaurationsepoche mit der beginnenden Industrialisierung. Sie findet diese vor allem auf der Mikro- und Mesoebene von Netzwerken zwischen Akteuren, also im aktiven Handeln von Menschen zwischen den Kulturen oder über die Alpen. Mylius kann hierbei als Brückenbauer gelten, was anhand von Zahlen zur Migration von Protestanten illustriert werden mag. Unter Napoleons Herrschaft lebten in Mailand nur sieben protestantische Unternehmer, unter ihnen auch Heinrich Mylius.20 Im Jahr 1850 dagegen fungieren bereits 53 protestantische Unternehmer als Unterzeichner einer „Liste der beitragenden Mitglieder“ der evangelischen Kirche.21 Dabei waren die zwei Angehörigen der Familie Mylius (Georg Mylius und Heinrich Mylius-Mennet) die beiden höchsten Beitragszahler, und die weiteren besonders stark einzahlenden Personen aus den Familien Seufferheld oder Kramer stammten aus deren engstem Netzwerk und gehörten ebenfalls zu den bereits relativ lange in Mailand ansässigen Protestanten.22 Es wäre verfehlt, würden wir im Falle Mylius’ und anderer Migranten von jenseits der Alpen nur eine starke Ausnutzung eines wirtschaftlichen Gunstverhältnisses konstatieren. Natürlich: Die wenig industrialisierte Lombardei bot den von Norden kommenden Protestanten eine wichtige Nische zur Einführung von Massenproduktionsmethoden, vor allem im Bereich des Seidengewerbes und der weiteren Textilindustrie, und die entsprechenden Profite waren dementsprechend hoch.23 Wir können hier einen mit dem Wirken von Mylius beginnenden Prozess vermerken, der aus bescheidenen Anfängen zu einer sich intensiv verstärkenden gegenseitigen Bindung von Italien und Deutschland durch diese Händlernetze im Verlauf des 19. Jahrhunderts führte. Doch würde eine einseitige Konzentration auf die wirtschaftlichen Vernetzungen zu einer historischen Verzerrung führen. Wirtschaftliche Motive waren zwar sicherlich die Grundbedingung von Migration und Vernetzung, doch darin erschöpften sich die Verbindungen über die Alpen nicht. Die meisten der deutschen Migranten führten von Anfang an kein abgekapseltes Leben in einer relativ speziellen Nische, wie es jüngst für die Schweizer Unternehmer im Süditalien des 19. Jahrhunderts herausgestellt wurde24 und auch für die Schweizer in Mailand wohl gegolten hat.25 Das Ziel der Deutschen hingegen war häufiger die dauerhafte Ansiedelung in der Gastgesellschaft, in die sie ihre Kinder konsequent 20 S. Levati, La nobiltà del lavoro, S. 64–67. 21 Zit. nach: C. Martignone, Imprenditori protestanti a Milano, S. 105–106. 22 Vgl. zu diesen M. Poettinger, „Imprenditori tedeschi nella lombardia del primo ottocento, spirito mercantile, capitale sociale ed industrializzazione“, Rivista di storia economica 23 (2007), S. 319–360. 23 Vgl. T. Pierenkemper, „L'industria tessile tedesca e la lavorazione della seta. Enrico Mylius e le relazioni economiche della sua epoca“, in: G. Oldrini / A. Venturelli (Hrsg.), La tradizione rinnovata, S. 39–47. 24 L. Caglioti, Vite Parallele. Una minoranza protestante nell'Italia dell'Ottocento, Bologna 2006. 25 Vgl. den Beitrag von Stefano Levati in diesem Band.

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integrierten. Abstrakter gesprochen: Die Netzwerke waren nicht endogen, sondern in höchstem Maße nach außen offen. Damit gewannen diese Zuwanderer auch die Anerkennung in ihrer neuen Wahlheimat. Einige übersetzte Zeilen des 1854 in Mailand publizierten Nekrologs auf Heinrich Mylius bringen die Anerkennung der Umgebungsgesellschaft für ihren über sechzig Jahre zuvor zugewanderten Mitbürger zum Ausdruck: Viele öffentliche Anstalten Mailands dürften über ihren Pforten den Namen dieses Wohlthäters einmeißeln lassen, denn die einen sind ihm verpflichtet für ihre Gründung, die anderen verdanken ihm ihr Wachstum und ihr fortschreitendes Gedeihen. Es gibt keine Zufluchtsstätte der Armuth, des Unglücks oder der gewerblichen Thätigkeit, in welche nicht seine helfende und reichlich spendende Hand gedrungen wäre. Die Künste besaßen an ihm einen einsichtsvollen Mäcen, insbesondere aber besaß die Musik an diesem Manne, den Mailand auf lange Zeit betrauern wird, einen warmen und kenntnißvollen Bewunderer.26

Doch nicht nur in der Lombardei interagierte Mylius intensiv mit herausragenden Mitgliedern der Umgebungsgesellschaft. Er pflegte zeitlebens auch vielfältige Beziehungen zu Deutschlands Dichtern, Künstlern und Musikern, was die multipolaren Verbindungen zwischen den zwei Ländern nördlich und südlich der Alpen zeigt. Die Intensivierung der deutsch-lombardischen Verflechtungen im Bereich von Wissenschaft, Literatur und Kunst im 19. Jahrhundert, auf die in diesem Band mehrere Beiträge eingehen, hat ein wichtiges Fundament in der Migration von deutschen Unternehmern nach Mailand. Mylius’ Netzwerke stehen so vor allem emblematisch für den Facettenreichtum der Kontaktverdichtungen zwischen Deutschland und Italien, insbesondere der Lombardei im Zeitalter der Revolution. Die transnationalen Netzwerke jenseits der kaufmännischen Verbindungen wiesen gerade in dieser Umbruchszeit eine reichhaltige Bandbreite an künstlerischen, politischen und diplomatischen Aspekten auf. Diese Netzwerke sind noch wenig Objekt von historischer Forschung in der transnationalen Perspektive gewesen.27 Dabei stellen sich vielfältige Fragen, die auch die deutsche Gemeinde in Mailand im Allgemeinen und Mylius im Speziellen hervortreten lassen: Welchen Widerhall fanden sardische, lombardische und neapolitanische demokratische und liberale Bestrebungen nördlich der Alpen und umgekehrt? Welche Mechanismen lassen sich im Kunsthandel zwischen Mailand und Frankfurt erkennen? Wie gestaltete sich der künstlerische und literarische Austausch? Welche Auswirkungen hatten konsularische und diplomatische Beziehungen zwischen italienischen Regionen und Frankfurt für europäische Debatten und Entwicklungen? Und nicht zuletzt: Waren es in einer Zeit, die rückblickend so oft allein in das Zeichen der Nationalstaatsbildung gestellt wird, nicht eher transnationale, europäische Identitäten, die politisch und wirtschaftlich entscheidend waren? 26 Eine deutsche Übersetzung des Nekrologs findet sich in: C. von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, Bd. 19, Wien 1868, S. 495. 27 Sammelbände in dieser Richtung liegen in der Epoche der Sattelzeit vor allem für das 18., weniger das 19. Jahrhundert vor: E. Tortarolo (Hrsg.), Diesseits und jenseits der Alpen. Deutsche und italienische Kultur im 18. Jahrhundert, Leipzig 2011; G. Cantarutti / S. Ferrari (Hrsg.), Traduzione e transfert nel XVIII secolo tra Francia, Italia e Germania, Milano 2013.

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3. GENESE DES PROJEKTES Zur Annäherung an diese Fragen und mit speziellem Fokus vor allem auf den transnationalen Netzwerken und Verbindungslinien um Heinrich Mylius im Zeitalter der Revolution fand vom 19. bis 21 Oktober 2017 eine Tagung unter dem Titel „Heinrich Mylius (1769–1854) und die deutsch-italienischen Verbindungen im Zeitalter der Revolution: Die Lombardei und das nordalpine Europa im frühen 19. Jahrhundert“ in der Villa Vigoni statt. Aus der Tagung ging eine öffentliche Vortragsreihe im Forschungskolleg Humanwissenschaften der Goethe-Universität in Kooperation mit der Werner Reimers Stiftung hervor. Sie warf mit Fokus auf Frankfurt und Mailand bzw. die Rhein Main-Region und die Lombardei Schlaglichter auf die lange Tradition deutsch-italienischer Verbindungen und nahm dabei besonders die Wirtschaftsbeziehungen in den Blick. Dabei ging sie sowohl von Heinrich Mylius als auch anderen Italienern und Deutschen aus, die im jeweils anderen Land beachtenswerte Wirtschafts-Karrieren gemacht hatten. Die Vorträge konnten aufzeigen, dass es ein generell fruchtbarer Boden war, auf den diese transalpinen Wirtschaftsbeziehungen fielen, die behandelten Biographien aber auch exzeptionelle Elemente aufwiesen, zumal hinsichtlich der doch scheinbar deutlich unterschiedlichen Entwicklungen der beiden Länder im 20. Jahrhundert. In diesem Sinne erschienen Heinrich Mylius sowie andere gut vernetzte Unternehmer und Wirtschaftsbürger durchaus schon vor dem 20. Jahrhundert als Vorreiter eines vereinten Europa. Elf aus der Tagung hervorgegangene Aufsätze und ein aus der Vortragsreihe resultierender Aufsatz haben Eingang in diesen Sammelband gefunden. Die Tagungsbeiträge umfassen neue, eigenständige Forschungsergebnisse und sind in Hinblick auf die Befunde der Tagung überarbeitet worden, sodass sie wichtige Erkenntnisse zu den Fragestellungen dieses Bandes liefern. Der aus der Vortragsreihe hervorgegangene Beitrag von Wolfgang Bunzel befasst sich mit den Brentanos, die sich – aus dem lombardischen Adel stammend – im Zuge mehrerer Generationen als Größe im Frankfurter Wirtschaftsbürgertum etabliert hatten, also einem gewissermaßen umgekehrten Pendant zu Mylius, und eignet sich damit ideal, um diesen Band zu komplementieren. 4. THEMENSCHWERPUNKTE Der vorliegende Band ist in drei Hauptteile untergliedert, die verschiedene Dimensionen des deutsch-italienischen Austausches im Zeitalter der Revolution mit einem besonderen Bezug zu Heinrich Mylius erfassen. Im ersten Abschnitt „Die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und der Lombardei vom hohen Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert“ werden vor allem die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen des verdichteten Kontakts um 1800 beschrieben. Magnus Ressel stellt die Migrationsbewegungen und den Handelsaustausch zwischen der Lombardei und Deutschland in den Jahrhunderten vom 15. bis ins 19. Jahrhundert in einer Synopse dar. Er zeigt, dass hier aus vielerlei Gründen eine besondere Beziehung herrschte,

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die durch ein hohes Potential an Gewinn gekennzeichnet, aber auch mit bedeutenden Schwierigkeiten und Risiken verknüpft war. Wer in diesem Handelssegment reüssieren wollte, musste mit einer besonders schweren Konkurrenz (auch zur See) mithalten und durch besonders hohe Innovativität eine Nische finden. Hier konnten Unternehmungen rasch aufkommen und auch bald wieder untergehen. Mylius’ Erfolg als Textilgroßhändler und Bankier in Mailand fügt sich gewissermaßen in eine jahrhundertealte Tradition. Er hatte vor allem die neuen Techniken der Industrialisierung und seine intensiven Vernetzungen nach England genutzt und damit eine höchst profitable Nische in der Lombardei aufgetan, die ihn rasch zu einem der reichsten Unternehmer der Lombardei machen sollte. Ähnliches war jedoch auch der sogenannten „Großen Ravensburger Handelsgesellschaft“ in der Mitte des 15. Jahrhunderts gelungen oder auch den seit dem frühen 17. Jahrhundert nach Deutschland eingewanderten Händlergruppen vom Comer See. Ralf Banken stellt die Migration von italienischsprachigen Händlern aus Norditalien seit dem frühen 17. Jahrhundert in einem Überblick dar, der sich vor allem auf das späte 18. Jahrhundert und Frankfurt am Main, die Heimatstadt Mylius’, fokussiert. Dabei zeigt sich deutlich die spezielle Bedeutung Frankfurts als zentralem Handelsknoten für die wichtigsten italienischen Händlerdynastien. Die Verbindungen Frankfurts nach Nordwestitalien wurden gerade durch diese Händler besonders eng, was eine zentrale Voraussetzung für die Migration von Deutschen aus dem Rhein-Main-Raum in die Lombardei um 1800 war. Giovanna Tonelli richtet den Fokus speziell auf das 18. Jahrhundert. Im Gefolge des Herrschaftswechsels von den spanischen zu den österreichischen Habsburgern setzte auch eine neue Handelspolitik ein, die deutlich markanter als zuvor auf eine Steigerung des Austausches mit den Nachbarstaaten und eine Verdichtung des Transithandels über Mailand abzielte. Entsprechende Ansätze, die bereits in der Regierung Karls VI. vorbereitet worden waren, gelangten unter dessen beiden Nachfolgern Maria Theresia und Joseph II. im Angesicht einer verschärften Konkurrenz des nach Osten expandierten Königreichs Sardinien-Piemont zu ihrer vollen Entfaltung. Die Habsburger Politik agierte auf drei Ebenen: Erstens wurden vielfältige Handelsverträge mit den Nachbarstaaten abgeschlossen, zweitens die Verkehrsinfrastruktur durch Kanal- und Straßenbauten verbessert und drittens eine Senkung der Zolltarife und eine Vereinfachung des diesbezüglichen Abgabeverfahrens durchgesetzt. Das Resultat war eine ungemeine Steigerung der Handelsintensität zwischen der Lombardei und Deutschland just in den Jahren, als Mylius sich in Mailand ansiedelte. Claudio Besana widmet sich der Migration von deutschen Unternehmern und technischen Experten in die Lombardei, vor allem nach Mailand im 19. Jahrhundert. Zwar war diese Migration quantitativ nie besonders herausragend, jedoch stießen diese gut qualifizierten und intensiv nach Mittel- und Nordeuropa vernetzten Eliten mit ihrer Übersiedelung bedeutsame Veränderungen in ihrer neuen Wahlheimat an. Die Deutschen hatten die Tendenz, sich dauerhaft in Italien niederzulassen und rasch intensive Verbindungen mit den einheimischen Wirtschaftsträgern aufzubauen. Die führende Stellung der Lombardei im italienischen Wirtschaftsgefüge

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um 1900 sieht Besana zu einem wesentlichen Teil den deutschen Migranten geschuldet, die, wie auch gerade Mylius, eine Umwälzung der wissenschaftlich-technischen Kultur der Lombardei brachten. Nachdem der wirtschaftliche Rahmen analysiert wurde, in dessen Kontext Mylius immigrierte, konzentriert sich der folgende Abschnitt „Das deutsch-italienische Wirtschaftsbürgertum der Sattelzeit und seine Schlüsselakteure zwischen Mailand und Frankfurt am Main“ auf den Kaufmann Mylius als Repräsentant eines in seinem Wertehorizont und Aktionsradius neuartigen und von bedeutenden Persönlichkeiten geprägten Wirtschaftsbürgertums zwischen Deutschland und Mailand in den Jahrzehnten um 1800. Stefano Levati fragt nach der Rolle deutscher Unternehmer in Mailand im frühen 19. Jahrhundert. Er sieht ihren Beitrag zum Wandel des Sozialprestiges, welches Händler in Mailand genossen, als fundamental an. Während noch im 18. Jahrhundert der Beruf des Kaufmanns in der Lombardei wenig Anerkennung genoss und die erfolgreichen Händler ihre Kinder mahnten, das Geld in Adelstitel und Land zu investieren, war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ein radikaler Wandel eingetreten. Nun hatte eine neue, bürgerliche Ethik den Mailänder Kaufmannsstand durchdrungen. Der Wert des hart erarbeiteten Geldes wurde hochgeschätzt, Sparsamkeit und Fleiß als Tugenden öffentlich propagiert. Dabei zeigt Levati vor allem die Aktivitäten von Mylius als Präsident der Mailänder Handelskammer und in seinen anderen öffentlichen Funktionen und Tätigkeiten auf, durch die er die Verbreitung einer bürgerlichen Ethik förderte. Monika Poettinger konzentriert sich auf die Aktivitäten von Mylius und Handelsfamilien aus seinem Netzwerk unter der napoleonischen Fremdherrschaft. Die deutschen Unternehmer konnten den mit den Franzosen kommenden Wandel mitgestalten und trotz mannigfaltiger Repressalien und Handelsverbote ihre Aktivitäten und Umsätze deutlich ausdehnen. Die Netzwerke der Deutschen und Schweizer mit einer weiten internationalen Ausdehnung beteiligten sich auch am profitablen, aber höchst riskanten Schmuggel. Indem sie diese Risiken wagten, nutzten sie die damit verknüpften Chancen des napoleonischen Zeitalters und legten die Basis für eine noch stärkere Expansion in der Nachkriegszeit seit 1815. Die napoleonischen Umwälzungen sieht Poettinger in Einklang mit den jüngsten Forschungsergebnissen28 nicht als ursächlich für eine Modernisierung der Lombardei an, wohl aber brachte diese veränderte Situation neue Möglichkeiten, die von den internationalen Händler- und Unternehmernetzwerken hauptsächlich nordalpiner Provenienz intensiv ausgenutzt wurden. Ellinor Schweighöfer behandelt Heinrich Mylius’ mäzenatisches Wirken in seiner Heimatstadt Frankfurt am Main und davon ausgehend seine transnationalen familiären, freundschaftlichen und geschäftlichen Netzwerke quer durch Europa. Vor dem Hintergrund der umfangreichen Wohltaten für Frankfurt scheint Mylius in der Historiographie vergleichsweise unbekannt zu sein. Eine Erklärung könnte sein besonders ‚subtiles‘ Wirken gewesen sein, zumal er sich für seine Aktivitäten in

28 M. Kopsidis / D. Bromley, „The French revolution and German industrialization: dubious models and doubtful causality“, Journal of Institutional Economics 12 (2016), S. 161–190.

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Frankfurt in der Regel seines Freundes Eduard Rüppell als Mittelsmann bediente. Mylius’ Mäzenatentum war eingebettet in sein weitreichendes europäisches Netzwerk. Dieses wiederum erlaubt Rückschlüsse auf Habitus, Strategien und Arbeitsweise der europäischen Wirtschaftselite. In ihrem Handeln erschienen Landesgrenzen, doch auch konfessionelle oder sprachliche Barrieren oftmals marginal. Vor diesem Kontext spürt der Aufsatz der These nach, dass Mylius und seinesgleichen als Vordenker des zusammenwachsenden Europa gelten können. Wolfgang Bunzel zeigt am Beispiel verschiedener Zweige der berühmten Kaufmanns- und Literatenfamilie Brentano in Frankfurt Mechanismen und Arten der Integration italienischstämmiger Migranten in deutschen Gesellschaften auf. Durch den Blick auf mehrere Generationen beleuchtet er zudem verschiedene Stufen der Integration, die auch auf einen generationellen Wandel dies- und jenseits der Alpen schließen lassen. Bunzel analysiert die Bedeutung, die Sprache, Kultur, Konfession, Eheschließungen und auch transnationale Interaktionen in Europa, wirtschaftlicher Erfolg sowie vor allem sozialer Status bei Integrationsprozessen hatten, und kann verschiedene, schubweise verlaufende Zyklen auch von ‚kultureller Assimilation‘ aufzeigen. Der letzte Abschnitt widmet sich dem Bereich „Literatur, Kunst und Wissenschaft zwischen transalpiner Philanthropie, politischem Aktivismus und regionaler Verankerung“, ein Feld, welches bedeutende Aktivitäten und ein hohes Engagement des im vorigen Teil intensiv beleuchteten transalpinen Wirtschaftsbürgertums aufzeigt. Marina Cavallera wirft den Blick auf einen bislang oft übersehenen Ideenund Kulturtransfer zwischen der deutsch- und der italienischsprachigen Welt mit den Habsburger Herrschern der Lombardei als Vermittlern: Die Wissenschaftskultur der Aufklärung, die im 18. Jahrhundert insbesondere in der Botanik und der Landwirtschaft ein wesentliches Studienobjekt vorfand, konnte vor allem durch Förderung der Habsburger Herrscher in die Lombardei Eingang und Aufnahme finden. Hier lässt sich eine besonders hohe Offenheit für die Anwendung und Erprobung der entsprechenden Anregungen aus dem Norden feststellen, die in Italien außergewöhnlich war. In der Lombardei lassen sich Elemente einer intensiv betriebenen und gewünschten Volksaufklärung durch wesentliche Teile der lokalen Eliten feststellen, die das Territorium als Feld für Experimente mit dem Ziel eines gewünschten Fortschritts sahen. Mylius’ erfolgreiches Wirken in Mailand ist auch und vor allem darin begründet, dass hier bereits vor seiner Ankunft eine in Nordwesteuropa und Deutschland geprägte Wissenschaftskultur Fuß gefasst hatte, die für Neuerungen sehr offen war. Alexander Auf der Heyde analysiert die Rezeption des Malers Francesco Hayez, eingedeutscht Franz Ritter von Hayez, in der deutschsprachigen Publizistik des 19. Jahrhunderts. Anhand der Rezeption vor allem im in Tübingen und Stuttgart publizierten „Kunst-Blatt“ kann Auf der Heyde zeigen, wie sich die Rezeption in Abhängigkeit von den politischen Rahmenbedingungen in ihren Nuancen veränderte. Mit der sich verstärkenden Bewegung des Risorgimento in der zweiten Jahrhunderthälfte vollzog sich schließlich eine Abwendung des deutschen Publikums von dem nun als „italienisch“ wahrgenommenen und vormals sehr bewunderten Künstler.

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Christiane Liermann Traniello beleuchtet die sich bei Mylius besonders stark zeigenden Verknüpfungen zwischen Kunst und Politik sowie ihren Schnittstellen. Mylius’ Verbindungen zu regionalen Künstlern und politischen Aktivisten in der Lombardei umfassten die bedeutendsten Geister des kommenden Risorgimento, obgleich er selbst als nordalpiner Zuwanderer aus dem deutschsprachigen Raum kaum ein Interesse an Umstürzen haben konnte. Als geschätzter Korrespondenzpartner nahm Mylius daher von den Entwürfen berühmter Bekannter und Freunde wie Alessandro Manzoni, Francesco Hayez und Carlo Cattaneo vor allem den Bezug auf kosmopolitische Ideale auf und verband dies mit einer demütigen Haltung vor der größeren, göttlichen Vorsehung. Die Verbindungen Heinrich Mylius’ zur Sphäre der Musik stellen bislang ein Forschungsdesiderat dar, dem sich Viola Usselmann widmet. Im Fokus stehen besonders die Beziehung Heinrich Mylius’ zu Felix Mendelssohn Bartholdy, auch im Hinblick auf die familiären und geschäftlichen Beziehungen der Souchay, Schunck und Mylius. Der Beitrag stellt zwei Klavierstücke, Kompositionen des böhmischen Kapellmeisters József Müller, vor. Des Weiteren geht es um die Bedeutung der anlässlich des Todes von Friederike und Heinrich Mylius’ Sohn Julius entstandenen Requiem-Komposition La pace dei santi, die deutlich macht, welch große Rolle Musik bei der familiären Trauerbewältigung spielte. Der Beitrag rekonstruiert das weitreichende musikkulturelle Netzwerk der Familie Mylius-Vigoni über vier Generationen hinweg und öffnet damit ein gänzlich neues Kapitel der Mylius-Forschung. 5. DANKSAGUNGEN Bei der am Beginn dieses Projektes stehenden Tagung, der daraus resultierenden Vortragsreihe sowie dem vorliegenden Sammelband handelt es sich um deutschitalienisch-europäische Unternehmungen in jeglicher Hinsicht: sprachlich, in Bezug auf Referentinnen und Referenten, Beiträgerinnen und Beiträger, Diskutanten, Veranstaltungsorte, Partner und Sponsoren sowie nicht zuletzt thematisch. In diesem Sinne ist ein dreisprachiger Band entstanden, mit Aufsätzen auf Deutsch, Italienisch und Englisch. Zur besseren Orientierung sind zudem allen Beiträgen englischsprachige Abstracts vorangestellt und auch die Kurzbiographien der Autoren sind auf Englisch. Allen Beiträgerinnen und Beiträgern gilt der herzlichste Dank beider Herausgeber, ebenso den Partnern und Sponsoren aller mit diesem Forschungsprojekt verbundenen Unternehmungen: der Villa Vigoni – Deutsch-Italienisches Zentrum für den Europäischen Dialog, der Werner Reimers Stiftung, dem Forschungskolleg Humanwissenschaften der Goethe-Universität, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Fondazione Cariplo, der Stiftung Polytechnische Gesellschaft, der Deutsch-Italienischen Vereinigung, der Frankfurter Stiftung für Deutsch-Italienische Studien, der Dolce Lauda Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft sowie dem Museum Giersch der Goethe-Universität. Die Drucklegung dieses Bandes wurde durch das Forschungszentrum Historische Geisteswissenschaften im Rahmen des

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Förderprogramms „ProPostDoc“ substantiell bezuschusst, hierfür sei herzlich gedankt. Unser großer Dank geht auch an die Personen und Institutionen, die die Verwendung der Abbildungen genehmigt haben. Nicht zuletzt sei den Mitarbeiterinnen des Franz Steiner Verlags sowie den studentischen Hilfskräften Elisa von Issendorff und Stefanie Mrozinski gedankt, die dieses Buchprojekt tatkräftig unterstützt haben.

I. DIE HANDELSBEZIEHUNGEN ZWISCHEN DEUTSCHLAND UND DER LOMBARDEI VOM HOHEN MITTELALTER BIS INS 19. JAHRHUNDERT

VOLATILITÄT UND INNOVATIVITÄT Die deutsch-lombardischen Handelsbeziehungen in der Langzeitperspektive vom 15. bis ins 19. Jahrhundert Magnus Ressel Abstract: The economic exchange structures between Germany and Lombardy (and thus also its defacto harbor Genoa) have often been neglected in historical research due to a preference for the German-Venetian relations. For centuries, the difficult western Alpine passes prevented an exchange of high volumes, and therefore long-distance trade gave much less stimulus for urbanization, especially in the German southwest; in contrast to the German southeast. However, even though the connections between Milan and Germany have certainly always been far less intense prior to 1800 than the ones between Venice and Central Europe, they are of particular historical significance. It is especially noticeable that the German–Lombard trade axis has always been marked by a high degree of specialization in terms of products and their quality and thus usually allowed for a substantial profit margin in certain niches. This is one of the reasons why the competition between Lombards and South German merchants was usually very intense and characterized by a strong fluctuation of actors. Flexibility was crucial in markets that were well known for a high volatility and always prone to getting superseded by exchange via the sea. Not by chance can we see many innovations in the economic sector of long-distance trading over land coming from actors who engaged in the exchanges between Genoa and Germany via the Alps. This began with the “Great Ravensburg trading company” of the late Middle Ages, continued with Italian trading companies that came to Germany with a substantial migration in the 17th century and did not come to an end with Henry Mylius and his intense activities to promote industrialization in Lombardy around 1800.

1. EINLEITUNG Im Folgenden soll versucht werden, eine Darstellung des deutsch-lombardischen Handels in der longue durée für einen Zeitraum von etwa 400 Jahren zu geben. Der Länge dieses Zeitabschnitts entsprechend können nur die großen Linien herausgearbeitet und viele Details des geschichtlichen Verlaufs bestenfalls gestreift werden. Dabei ist auch unvermeidlich, dass eine solche Darstellung hauptsächlich auf der einschlägigen Forschungsliteratur und kaum auf archivalischen Arbeiten basiert. Ein solcher Ansatz bedingt einige Schwierigkeiten. Es müssen heterogene Forschungsstände zu verschiedenen Themengebieten und Epochen des komplexen Gesamtphänomens in eine darstellende Linie eingearbeitet werden, die gerade aufgrund der eingenommenen Vogelperspektive keine Nacherzählung, sondern eine Analyse von Strukturelementen des Handelssystems zwischen der Lombardei und Deutschland sein soll. Selbst bei einer thematischen Konzentration nur auf die In-

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tensität des Handels, dessen hauptsächliche Produkte und seine prinzipiellen Akteure ist es dabei unvermeidlich, dass aufgrund von Forschungslücken häufig höchstens tentative Schlussfolgerungen möglich sind. Der Vorteil einer solchen Gesamtschau ist, dass hierbei die substantiellen Veränderungen, denen dieser Handelszug unterworfen war, deutlicher hervortreten und hierfür Begründungen vorgelegt werden können, die sich bei der Betrachtung kürzerer Zeitabschnitte nur selten zeigen. Auch ergeben sich in einer Synopse der Ergebnisse vieler Forschungsarbeiten zu unterschiedlichen Aspekten des Handels zwischen der Lombardei und Deutschland manche bedeutsamen neuen Erkenntnisse, da die einschlägigen Arbeiten meist über einige Zitationen hinaus nur wenig Bezug zueinander haben.1 An Darstellungen zur geteilten deutsch-italienischen Geschichte im späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit besteht kein Mangel. Allerdings fällt auf, dass die hier hervorgetretenen Historiker über die vergangenen Jahrzehnte hauptsächlich an Aspekten der politischen, religiösen oder kulturellen Austausch- und Verknüpfungsgeschichte im weitesten Sinne interessiert waren.2 Die Wirtschaftsgeschichte wurde zwar auch erforscht, jedoch hat sie insgesamt doch weniger Interesse wecken können.3 Innerhalb der wirtschaftsgeschichtlichen Arbeiten sticht eine Konzentration auf die deutsch-venezianischen Wirtschaftsbeziehungen ins Auge, wobei dem

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Die einzigen mir bekannten Arbeiten, die versuchen, mehrere Jahrhunderte laufende Querschnitte zur Orientierung und Bedeutung des Handels von Deutschland über die westlichen Alpen bis zur iberischen Halbinsel wenigstens teilweise nachzuzeichnen, sind: H. Hassinger, „Zur Verkehrsgeschichte der Alpenpässe in vorindustrieller Zeit“, Vierteljahrschrift für Sozialund Wirtschaftsgeschichte 66 (1979), S. 441–465; H. Kellenbenz, „Relaciones comerciales entre Alemania y la costa oriental de España (fines de la Edad Media hasta el siglo XVIII)“, Revista de història moderna 14 (1988), S. 245–261. Für beide Arbeiten wurde aus sehr unterschiedlichen Quellen geschöpft, und sie hatten andere Schwerpunkte, so dass auch hier bei ähnlichen Untersuchungszeiträumen und nicht fern voneinander liegenden Themen kaum inhaltliche Überschneidungen der Texte feststellbar waren. Es sei auf eine Reihe von Sammelbänden der letzten dreieinhalb Jahrzehnte mit einer klaren Titulatur zur deutsch-italienischen Geschichte in der Vormoderne verwiesen, diese enthalten meist nur wenige wirtschaftshistorische Aufsätze: G. Cozzi (Hrsg.), Venezia e la Germania. Arte, politica, commercio, due civiltà a confronto, Mailand 1986; B. Roeck (Hrsg.), Venedig und Oberdeutschland in der Renaissance. Beziehungen zwischen Kunst und Wirtschaft, Sigmaringen 1993; M. Scattola / H. Jaumann (Hrsg.), Italien und Deutschland. Austauschbeziehungen in der gemeinsamen Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit, Padua 2008; H.-M. Körner / F. Schuller (Hrsg.), Bayern und Italien. Kontinuität und Wandel ihrer traditionellen Bindungen, Lindenberg im Allgäu 2010; A. Schmid (Hrsg.), Von Bayern nach Italien. Transalpiner Transfer in der Frühen Neuzeit, München 2010. Man könnte hiergegen einwendend auf die bedeutende Forschung zur alpinen Geschichte und der Geschichte der Alpenpässe verweisen. Diese ist aber eher wenig am Fernhandel zwischen Deutschland und Italien in der Vormoderne interessiert, sondern hauptsächlich an dessen sichtbaren Auswirkungen im Alpenraum selbst, vgl. die Sammelbände: U. Lindgren (Hrsg.), Alpenübergänge von Bayern nach Italien 1500–1850. Landkarten, Straßen, Verkehr, München 1986; G. Fontana / A. Leonardi / L. Trezzi (Hrsg.), Mobilità imprenditoriale e del lavoro nelle Alpi in età moderna e contemporanea, Mailand 1998; A. Bonoldi / M. Denzel (Hrsg.), Bozen im

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Trentiner-Tiroler Raum als zentralem Durchzugsgebiet auch einige Aufmerksamkeit zuteilgeworden ist.4 Es ist bemerkenswert, wie wenig wir hingegen über den Verkehr über die Schweiz und Graubünden nach Westitalien während der Frühen Neuzeit wissen.5 Auch aus diesem Grund gilt die 1900 erschienene Geschichte des mittelalterlichen Handels und Verkehrs zwischen Westdeutschland und Italien mit Ausschluß von Venedig von Aloys Schulte bis heute als ein teilweise immer noch gültiges Standardwerk.6 Die im Titel markierte Aussparung von Venedig ließ die Rezipienten offenbar auf eine Arbeit hoffen, die grundlegend neue Informationen versprach, und sie wurden hierin nicht enttäuscht. Schulte erklärte zentrale Phänomene der hoch- und spätmittelalterlichen Geschichte neu. So sah er das Aufkommen von Mailand durch die Tatsache bedingt, dass dieser Ort der Kreuzungspunkt von vier Alpenpassausgängen sei. Auch entwickelte er die Idee, dass die Entstehung der mittelalterlichen Schweiz dem internationalen Verkehr über den Gotthard zu danken sei, da dieser den dortigen Einwohnern eine Perspektive weit über ihre Täler hinaus

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Messenetz Europas (17.–19. Jahrhundert). Bolzano nel sistema fieristico europeo (secc. XVII– XIX), Bozen 2007; A. Bonoldi / M. Denzel / A. Montenach / F. Vannotti (Hrsg.), Oeconomia Alpium I. Wirtschaftsgeschichte des Alpenraums in vorindustrieller Zeit. Forschungsaufriss, konzepte und -perspektiven, Berlin / Boston 2017. Siehe jüngst die Arbeiten zum Messeplatz Bozen in der Frühen Neuzeit von: A. Bonoldi, La fiera e il dazio economia e politica commerciale nel Tirolo del secondo Settecento, Trient 1999; M. Denzel, Die Bozner Messen und ihr Zahlungsverkehr (1633–1850), Bozen 2005. Substantielle Tiefenbohrungen zu einzelnen Handelssektoren oder einer bedeutenden Firma in diesem Raum lieferten: K. Occhi, Boschi e mercanti. Traffici di legname tra la contea di Tirolo e la repubblica di Venezia (secoli XVI–XVII), Bologna 2006; C. Lorandini, Famiglia e impresa. I Salvadori di Trento nei secoli XVII e XVIII, Bologna 2006. Dabei sei vor allem auf den Mangel an quantitativen Forschungen verwiesen. Ein Projekt zur systematischen Erfassung von statistischen Quellen der Schweizer Alpenpässe ist in den 1950/60er Jahren gar nicht erst begonnen worden, da der vorgesehene Bearbeiter, Hektor Ammann 1967 verstarb: H. Hassinger, Geschichte des Zollwesens, Handels und Verkehrs in den östlichen Alpenländern vom Spätmittelalter bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1987, XI–XIV. Bis heute bleiben die wesentlichen Arbeiten zur quantitativen Erfassung des Handels über den Gotthardpass und die Bündner Pässe die folgenden: S. Buć, Beiträge zur Verkehrsgeschichte Graubündens. Der Churer Gütertransit im 17. und 18. Jahrhundert, Chur 1917; W. Baumann, Der Güterverkehr über den St. Gotthardpaß vor Eröffnung der Gotthardbahn unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse im frühen 19. Jahrhundert, Zürich 1954; F. Glauser, „Der Gotthardtransit von 1500 bis 1660: seine Stellung im Alpentransit“, Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 29 (1979), S. 16–52. Zum heutigen Urteil über das Werk vgl. eher kritisch: J. Mathieu, „Cento anni di vita di un classico: l’opera di Aloys Schulte sul traffico commerciale transalpino“, Archivio storico ticinese 37 (2000), S. 207–216. Der Grundlagencharakter wird aber weiterhin betont: F. Glauser, „Handel und Verkehr zwischen Schwaben und Italien vom 10. bis 13. Jahrhundert“, in: H. Maurer (Hrsg.), Schwaben und Italien im Hochmittelalter, Stuttgart 2001, S. 229–293; M. Häberlein, „Safran, Kupfer, Textilien: Aktivitäten süddeutscher Handelshäuser im Alpenraum am Beispiel der Vöhlin und Welser (ca. 1490–1530)“, in: A. Bonoldi / M. Denzel / A. Montenach / F. Vannotti (Hrsg.), Oeconomia Alpium I. Wirtschaftsgeschichte des Alpenraums in vorindustrieller Zeit. Forschungsaufriss, -konzepte und -perspektiven, Berlin / Boston 2017, S. 215–231.

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gebracht habe. Die Schweiz und Graubünden sah er in diesem Sinne als „Passstaaten“, also politische Gebilde, die ihre Existenz dem blühenden Welthandel über ihre zentralen Alpenpässe verdankten.7 Die Ideen Schultes erhielten neben enthusiastischem Zuspruch auch bald deutlichen Widerspruch. Inzwischen ist klarer, wie autochthon der Prozess der Ablösung der Schweizer Gebiete aus dem habsburgischen Herrschaftsbereich im Mittelalter verlief und wie wenig dies mit dem Passhandel in Verknüpfung stand.8 Die immer wieder in der einschlägigen Literatur wiederholte Zurückweisung der Thesen Schultes mag jedoch auch bisweilen zu einer allgemein zu starken Abwertung der Bedeutung des deutsch-lombardischen Fernhandels über die Schweizer und Bündner Alpen in der Frühen Neuzeit geführt haben. So wurde betont, dass sich die Lage von Zentralorten auf den Zentral- und Westalpen kaum auf deren demographische Entwicklung ausgewirkt habe und damit implizit die Wichtigkeit des Fernhandels für diese Siedlungen als eher vernachlässigenswert eingeschätzt.9 Die folgenden Ausführungen sollen auch auf die grundsätzliche Frage nach der volkswirtschaftlichen Relevanz des Handels zwischen Deutschland und der Lombardei für alle seine Beteiligten eingehen. Dabei stehen allerdings weniger Quantitäten und Warengattungen im Mittelpunkt der Darstellung, sondern eher Hypothesen und Konzeptionen, die ein präziseres Forschungsthema, den frühneuzeitlichen deutsch-westitalienischen Handel, im großen Feld des mitteleuropäisch-mediterranen Austausches über die Alpen heuristisch umreißen. Dazu soll die besondere Systematik dieses Handelszuges herausgearbeitet werden, die ihn markant vom Ostalpenraum und Venedig abgrenzt. Im Sinne dieser Zielsetzung sei hier an einen Ansatz angeknüpft, der in den letzten Jahrzehnten häufiger zur Unterscheidung von Handel über die Ostalpen (Tiroler und Salzburger Routen mit Ausrichtung auf Venedig) und den Westalpen (Schweizer und Bündner Routen mit Ausrichtung auf Mailand und Genua) für das späte Mittelalter vorgelegt wurde. Die mit dem Thema befassten Historiker legten bei der Betrachtung der oberdeutschen Händler vom späten 14. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts dar, dass die risikofreudigeren Aufsteiger dieser Gruppe sich eher im Westalpenhandel mit Mailand und Genua als Zentralorten engagierten, während der Venedighandel eher in den Händen von Patrizierfamilien verblieb und hier ein statischeres, da klarer zwischen den Händlern aufgeteiltes System mit einer Limitierung auf den Landhandel zu erkennen sei. Als Begründung für diese Aufteilung wurde dargelegt, dass die über die Lombardei zu erreichenden ostspanischen

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A. Schulte, Geschichte des mittelalterlichen Handels und Verkehrs zwischen Westdeutschland und Italien mit Ausschluß von Venedig, I. Band, Darstellung, Leipzig 1900, S. 22–25, 173. B. Meyer, „Die Entstehung der Eidgenossenschaft. Der Stand der heutigen Anschauungen“, Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 2 (1952), S. 153–205; B. Stettler, Die Eidgenossenschaft im 15. Jahrhundert. Die Suche nach einem gemeinsamen Nenner, Zürich 2004, S. 22– 26. So beispielsweise: J. Mathieu, Geschichte der Alpen 1500–1900. Umwelt, Entwicklung und Gesellschaft, Wien 2001, S. 81–83.

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Märkte seit dem späten 14. Jahrhundert neue Profitmöglichkeiten anboten und daher zum Ziel der besonders expansions- und risikoorientierten Unternehmerschicht Oberdeutschlands avancierten.10 In diesem Aufsatz sei diese Idee bezüglich des westalpinen Fernhandels aufgegriffen. Dabei wird vor allem gefragt, ob sich für die besondere Innovativität auf den westlichen im Gegensatz zu den östlichen Alpenpässen neben den neuen Möglichkeiten auf dem spanischen Markt nicht noch weitere Ursachen in der topographisch-geographischen Bedingtheit und in weiteren Spezifika der Austauschstruktur finden lassen. Dies soll seine Bestätigung oder Falsifizierung in der Beobachtung finden, ob sich diese Besonderheit des Handels über die westlichen Alpen auch in den Jahrhunderten der Frühen Neuzeit nachweisen lässt. Dabei ist eine gewisse Unschärfe in den Ergebnissen unvermeidlich. „Innovativität“ in der Vormoderne lässt sich kaum messen, sondern nur anhand einer unsicheren Überlieferung und ihren Indizien anzeigen. Dennoch sind Aussagen in diese Richtung möglich, wenn in einem zeitgenössischen Vergleichshorizont besondere Formen und Institutionen des Handelsaustausches erkennbar werden und diese einem spezifischen Raum zuzuordnen sind.11 Um die skizzierten Ziele zu erreichen, ist der folgende Text in fünf Kapitel zur Heraushebung von Besonderheiten in Raum und Zeit unterteilt. Das erste Kapitel versucht, die handelsgeographischen Grundstrukturen der Schweizer und Bündner Pässe und damit die fundamentalen Bedingungen des vormodernen Handels entlang dieser Alpenrouten von mitteleuropäischen Gebieten zu den Nordküsten des westlichen Mittelmeeres und ihren Hinterländern zu erfassen. Die folgenden vier Kapitel sind chronologisch unterteilt, womit unterscheidbare Phasen des Handels in den untersuchten 400 Jahren herausgearbeitet werden sollen. Dabei geschieht nicht nur eine Teilung entlang von Konjunkturverläufen, sondern auch eine Gliederung nach Eigenheiten des Handels zu unterschiedlichen Zeitabschnitten. Diese Unterteilung wird dadurch angereichert, dass auch die Händler in den Blick kommen; allerdings weniger als Individuen, denn vielmehr als Gruppen verschiedener sprachlicher, kultureller und räumlicher Prägung. Die Gliederung entlang von Konjunkturverläufen und Migrationsverhalten ergibt relativ distinkte Zeitabschnitte des deutsch-lombardischen Handels; und in den markanten Brüchen zwischen diesen zeigt sich bereits ein wesentliches Spezifikum dieses Handelszuges.

10 Die Debatte und mitsamt den Angaben der einschlägigen Literatur zusammengefasst bei: M. Veronesi, Oberdeutsche Kaufleute in Genua, 1350–1490. Institutionen, Strategien, Kollektive, Stuttgart 2014, S. 6–16, 285–303. 11 Vgl. die Ausführungen zum Innovationsbegriff bei: C. Hesse / K. Oschema, „Aufbruch im Mittelalter – Innovationen in Gesellschaften der Vormoderne. Eine Einführung“, in: dies. (Hrsg.), Aufbruch im Mittelalter – Innovationen in Gesellschaften der Vormoderne: Studien zu Ehren von Rainer C. Schwinges, Ostfildern 2010, S. 9–33.

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2. RAUM UND AUSTAUSCHSTRUKTUR Wirtschaftshistoriker haben bereits häufiger festgestellt, dass es sinnvoll ist, eine Teilung des vormodernen italienischen Wirtschaftsraums in Ost und West vorzunehmen. Dies liegt zunächst an der Ähnlichkeit der erzeugten Produkte, die einen Binnenhandel zwischen Ost und Westküste nicht allzu profitabel machten, vor allem aber an den relativ niedrigen Kosten des See- im Gegensatz zum Landtransport.12 So handelten die Einwohner der Ost- und der Westküste häufig intensiver als über das italienische Binnenland mit auswärtigen Partnern jenseits des Meeres, wo höhere Gewinne lockten. Im Falle Norditaliens kommt noch die Nähe zu den zentraleuropäischen Märkten hinzu. So waren Genua und Venedig für Jahrhunderte die bevorzugten Ausfuhrhäfen für die süddeutschen und Schweizer Handelszentren.13 In Norditalien nun kann man, im Gegensatz zu Mittelitalien mit dem Appenin als natürlicher Trennlinie, die zwei Wirtschaftsräume nur ungefähr voneinander abgrenzen. Sicher ist, dass die zwei wesentlichen Wirtschaftszentren der lombardischen Ebene, Mailand und Verona, jeweils eine Präferenz für Genua und Venedig als Ausfuhrhäfen hatten.14 Die Räume um Brescia und Bergamo gravitierten ebenfalls stark nach Mailand und Genua. Die Republik Venedig ließ diesen ihr unterstehenden Provinzen zwar eine weitgehende Freiheit des Handels mit Deutschland, hinderte in der Tendenz aber ihre Untertanen auf der Terraferma an Fernhandelsbeziehungen über Mailand und Genua. Die Anziehungskraft des lombardischen Wirtschaftszentrums Mailand war jedoch in der Regel stärker als die Prohibitivmaßnahmen Venedigs, und Aus- und Einfuhr dieser Provinzen tendierte daher trotz der venezianischen Maßnahmen nach Genua.15 Dies zeigt deutlich, dass die Übergangszone zwischen dem nordwestitalienischen und nordostitalienischen Wirtschaftsraum am ehesten im Dreieck zwischen Mantua, Brescia und Modena zu verorten ist.

12 P. Lanaro, „At the Centre of the Old World. Reinterpreting Venetian Economic History“, in: dies. (Hrsg.), At the centre of the old world. Trade and manufacturing in Venice and the Venetian mainland, 1400–1800, Toronto 2006, S. 19–69. 13 Dies galt mindestens bis ins späte 18. Jahrhundert: L. Beutin, Der deutsche Seehandel im Mittelmeergebiet bis zu den Napoleonischen Kriegen, Neumünster 1933, S. 65. 14 Um die Bedeutung der Handelsströme von Mailand zu den beiden Häfen Genua und Venedig zu bestimmen, sei auf die Mailänder Handelsbilanz von 1752/53 verwiesen. Hier wird der Handel nach Genua mit 7.624 colli (ein collo entspricht ca. 80 kg) beziffert, derjenige nach „Bergamo, Brescia, Crema, Venedig“ mit 3.889 colli, vgl.: Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Finanz- und Hofkammerarchiv, Handschriften Zinzendorf, Nr. 301, fol. 63–64. 15 P. Lanaro, I mercati nella Repubblica veneta. Economie cittadine e stato territoriale (secoli XV–XVIII), Venedig 1999, S. 70–74, 110; E. Colombo, „Three Lombardies in the seventeenth century: some explanatory notes on a many-sided territory“, in: G. Luca / G. Sabatini (Hrsg.), Growing in the shadow of an empire, Mailand 2012, S. 333–341.

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Die so markierte westliche Lombardei war im Mittelalter und verstärkt noch in der Frühen Neuzeit als Handelszone vor allem auf Mailand und Genua ausgerichtet. Jenseits der Alpen lagen die Märkte Frankreichs und Deutschlands. Dabei war der Handel über die Westalpenpässe nach Frankreich wohl bis mindestens 1635, dem Jahr des Kriegsausbruchs zwischen den Habsburgern und der französischen Monarchie, deutlich größer als der Handel in der Nord-Süd-Richtung nach Deutschland.16 Die Anbindung an die mitteleuropäischen Märkte erfolgte weitgehend über die Schweizer und Bündner Alpen. Dabei fungierte Mailand als zentraler Knoten, über den sich ein Großteil dieses Handelsstroms bündelte. Zu einem unbekannten Zeitpunkt im späten 17. Jahrhundert überholte der Austausch zwischen Mailand und dem deutschsprachigen Mitteleuropa denjenigen mit Frankreich an Umfang und Wert.17 Es war ganz auf der Linie der um 1900 dominierenden Nationalökonomie, wenn Aloys Schulte in diesem Jahr, wie oben skizziert, die Bedeutung und vor allem die Größe Mailands aus ihrer Rolle im Fernhandel über die Alpen ableitete. Gegen eine solche Überbetonung des Einflusses des Fernhandels für das Städtewachstum im Mittelalter hat die Urbanisierungsforschung jedoch seit einigen Jahrzehnten Einspruch erhoben.18 Die einschlägigen Autoren heben stattdessen die Wichtigkeit von politischen und religiösen Herrschaftsfunktionen hervor, die bis ins 13. Jahrhundert für die urbane Entwicklung und vor allem das Städtewachstum in einem vom Lokalhandel dominierten Europa maßgeblich waren.19 Ein treffendes

16 Zur Bedeutung des Handelszugs von Mailand nach Lyon im 16. Jahrhundert vgl. insb.: M. Morineau, „Lyon l’italienne, Lyon la magnifique“, Annales: histoire, sciences sociales 29 (1974), S. 1537–1550. 17 Die relative Wichtigkeit der Warenströme ist zum ersten Mal statistisch fassbar in der Handelsbilanz Mailands von 1752/53. Hier wird der Transithandel über Mailand nach Deutschland mit 7.885 colli, nach Piemont und Frankreich mit 3.889 colli beziffert, vgl.: Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Finanz- und Hofkammerarchiv, Handschriften Zinzendorf, Nr. 301, fol. 63–64. Zur Spitzenstellung der Handelsachse Lyon – Mailand vor und vermutlich sogar noch während des Dreißigjährigen Kriegs vgl.: G. Tonelli, Affari e lussuosa sobrietà traffici e stili di vita dei negozianti milanesi nel XVII secolo (1600–1659), Mailand 2012, S. 111–117. Zum deutlichen Rückgang des Handels zwischen Lyon und Italien seit dem späten 17. Jahrhundert sind wir schlecht unterrichtet, vgl. derzeit insb.: P. Léon (Hrsg.), Papiers d’industriels et de commerçants lyonnais. Lyon et le grand commerce au 18e siècle, Lyon 1976, S. XXVI-XXVIII. 18 Die Kritik an einem bedeutenden Urbanisierungsstimulus im Hochmittelalter durch Fernhandel basiert explizit oder implizit auf den grundlegenden Ausführungen zur Stadtbildung durch W. Sombart, Der moderne Kapitalismus. Historisch-systematische Darstellung des gesamteuropäischen Wirtschaftslebens von seinen Anfängen bis zur Gegenwart, Bd. 1, München / Leipzig 1919, S. 134–159. 19 Zum Phänomen der Urbanisierung im Früh- und Hochmittelalter in Europa vgl. als Übersicht: M. Mitterauer, „Städte als Zentren im mittelalterlichen Europa“, in: ders. / P. Feldbauer / W. Schwentker (Hrsg.), Die vormoderne Stadt. Asien und Europa im Vergleich, Wien / München 2002, S. 60–78.

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Beispiel hierfür bietet Mailand selbst: Die politisch und religiös markante Zentralität der Stadt erklärt eher als der Fernhandel die hohe Bevölkerungszahl der Metropole im hochmittelalterlichen Europa.20 Dabei sei betont: Die Alpennähe war wohl für das Wachstum der Stadt wichtig, jedoch mehr in dem Sinne, dass sich hier der Seidenanbau, der Bergbau sowie weitere Gewerbe ansiedeln konnten, die der Stadt im Handel von wenigen hundert Kilometern Reichweite innerhalb Norditaliens eine Verteilerfunktion zuwiesen. Eine besondere Bedeutung des transalpinen oder überseeischen Fernhandels lässt sich im Falle der Lombardei erst im Spätmittelalter konstatieren.21 Die Urbanisierungsforschung hat jüngst allerdings auch die Hervorhebung von herrschaftlichen Institutionen als gegenüber dem Fernhandel maßgeblicheren Faktoren der Bevölkerungs- und Urbanitätsentwicklung im Mittelalter wieder leicht relativiert. Rolf Kießling hat anhand des exemplarischen Raumes Oberschwaben dargelegt, dass im späteren Mittelalter die wirtschaftlichen Funktionen, vor allem das Wirken eines örtlichen Marktes, in den Vordergrund des Urbanisierungsprozesses traten und für die städtische Entwicklung maßgeblicher als herrschaftliche Zentralinstanzen wurden.22 Dies lässt sich auch auf Mailand und die Lombardei übertragen. Im Verlauf des Mittelalters konzentrierte sich der Fernhandel über die Lombardei in immer stärkerem Maße auf diese Stadt und in diesem Prozess erfuhr die Stadt auch ein substantielles, immer weniger von der Anwesenheit der Herrschaftsinstanzen bedingtes Bevölkerungswachstum.23 Allerdings war dabei der Austausch mit Mitteleuropa für lange Jahrhunderte eher einer der bedeutungsärmeren Handelszweige der Lombardei. Dieser Fernhandelszug verwies von Mailand ausgehend faktisch ausschließlich auf die Routen über die Zentralschweiz und Graubünden.24 Während erstere über

20 Vgl. M. Gazzini, „Il decollo della città medievale“, in: D. Zardin (Hrsg.), Il cuore di Milano. Identità e storia di una capitale morale, Mailand 2012, S. 37–48. 21 Vgl. P. Mainoni, „The Economy of Renaissance Milan“, in: A. Gamberini (Hrsg.), A companion to late medieval and early modern Milan. The distinctive features of an Italian state, Leiden 2014, S. 118–141. Hierauf wird weiter unten noch genauer eingegangen. 22 R. Kießling, Die Stadt und ihr Land. Umlandpolitik, Bürgerbesitz und Wirtschaftsgefüge in Ostschwaben vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, Köln 1989, S. 6–9; R. Kießling, „Die Zentralitätstheorie und andere Modelle zum Stadt-Land-Verhältnis“, in: H.-J. Gilomen / M. Stercken (Hrsg.), Zentren. Ausstrahlung, Einzugsbereich und Anziehungskraft von Städten und Siedlungen zwischen Rhein und Alpen, Zürich 2001, S. 17–40. 23 Zum Bevölkerungswachstum Mailands und dessen Ursachen im Mittelalter vgl.: P. Grillo, „Il richiamo della metropoli: immigrazione e crescita demografica a Milano nel XIII secolo“, in: R. Comba / I. Naso (Hrsg.), Demografia e società nell’Italia medievale. Secoli IX–XIV, Cuneo 1994, S. 441–457; P. Grillo, Milano in età comunale (1183–1276). Istituzioni, società, economia, Spoleto 2001, S. 39–44. Zur wirtschaftlichen Entwicklung Mailands im Spätmittelalter und der beginnenden Frühen Neuzeit vgl.: G. Tonelli, „The Economy in the 16th and 17th Centuries“, in: Gamberini (Hrsg.), A companion, S. 142–165. 24 Die jüngsten Übersichten zum Fernhandel von Mailand mit dem transalpinen Mittel- und Nordeuropa bieten: A. Gamberini, „Il ducato di Milano e gli Svyceri: uno sguardo d’insieme“, Bollettino della società storica locarnese 16 (2013), S. 13–29; G. Scaramellini, „Die Porten in

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den Gotthardpass zum Vierwaldstättersee und dann nach Zürich und Basel führte, standen über Graubünden mehrere Pässe für den Fernhandel zur Verfügung. Historisch substantiellere Wirkmacht für den Fernhandel haben in Graubünden jedoch wohl nur der Septimer- und Splügenpass gehabt.25 Den Routen durch die Schweiz und Graubünden gemeinsam ist die Tatsache, dass sie bis ins 19. Jahrhundert topographisch ungemein schwierig zu bewältigen waren. Über diese Pässe lief bis ins späte 18. Jahrhundert der auf Transporttieren basierende Saumhandel auf teilweise recht engen Pfaden, während über den Brennerpass bereits seit 1314 eine durchgängig gebaute Straße existierte, die den ununterbrochenen Verkehr mit Transportwagen ermöglichte.26 Die Folgen dieser topographischen Gunst- bzw. Ungunstlage waren für Jahrhunderte höchst bedeutsam. Während des größeren Teils des Mittelalters und der Frühen Neuzeit war der Fernverkehr über die Tiroler Pässe umfangreicher als derjenige über alle anderen Pässe zusammen. Bisweilen dürfte der Verkehr über Tirol sogar das Doppelte des Volumens aller anderen Pässe betragen haben.27 Die damit ermöglichte Austauschintensität bedingte unter anderem die Blüte der oberdeutschen Reichsstädte Nürnberg und Augsburg, genauso wie diejenige Venedigs im späten Mittelalter und einem großen Teil der Frühen Neuzeit.28 Hingegen fand eine solche Metropolenbildung nicht in dem nordalpinen Raum statt, der auf die Schweizer und Bündner Pässe ausgerichtet war. Im Oberrheingebiet von Basel bis zum Bodensee entwickelte sich bis zum Ende der Frühen Neuzeit kein sehr großes urbanes Zentrum. Die größten Städte auf der Rhein-GotthardAchse, Zürich und Basel, blieben mit ihren jeweils etwa 7.000–10.000 Einwohnern um das Jahr 1600 deutlich hinter Augsburg und Ulm zurück, die um diese Zeit etwa

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der Valchiavenna seit dem Mittelalter: Fakten und Mutmassungen – I Porti della Valchiavenna dal Medioevo all'Età contemporanea: dati di fatto e congetture“, in: G. Jäger (Hrsg.), Der Splügenpass. Zur langen Geschichte einer kurzen Transitroute – Il Passo dello Spluga. La lunga storia di una breve via di transito, Chur 2016, S. 47–70. Geographisch-topographisch zum Gotthardpass: E. Baumann, Der Güterverkehr, S. 16–18; und zu den Bündner Pässen: W. Schnyder, Handel und Verkehr über die Bündner Pässe im Mittelalter zwischen Deutschland, der Schweiz und Oberitalien, Bd. 1, Zürich 1973, S. 16–22. Zur Notwendigkeit des Säumens in der Schweiz und Graubünden bis ins frühe 19. Jahrhundert vgl.: R. Furter, „Frühneuzeitlicher Transitverkehr in den Alpen“, Schweizerische Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialgeschichte 25 (2010), S. 109–119. Zur Brenner-Straße im Mittelalter: O. Stolz, Geschichte des Zollwesens, Verkehrs und Handels in Tirol und Vorarlberg. Von den Anfängen bis ins XX. Jahrhundert, Innsbruck 1953, S. 179. Vgl. die Zusammenstellung von Volumenangaben aus der Literatur bei: R. Furter, Urbanisierung, Transitverkehr, Bädertourismus, Alpinismus. Indikatoren zum Hintergrund des Alpendiskurses. 15. bis 19. Jahrhundert, Chur 2005, S. 27–53. Vgl. hierzu: H. Ammann, Die wirtschaftliche Stellung der Reichsstadt Nürnberg im Spätmittelalter, Nürnberg 1970, S. 223–224; R. Kießling, „Schwäbisch-tirolische Wirtschaftsbeziehungen 1350–1650“, in: W. Baer (Hrsg.), Schwaben, Tirol. Historische Beziehungen zwischen Schwaben und Tirol von der Römerzeit bis zur Gegenwart, Rosenheim 1989, S. 182–201.

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40.000–50.000 bzw. 20.000 Einwohner zählten.29 Selbst das alpenferne und am Rhein gelegene Straßburg mit einem bedeutenden (namensgebenden) Ost-WestHandel zählte um 1600 nur 18.000 Einwohner.30 Noch geringer machen sich die Städte am Bodensee aus, der Drehscheibe für den Handel auf den Bündner und teilweise sogar noch den Tiroler Pässen. Die hier größten Siedlungen, Konstanz und Lindau, waren während der Frühen Neuzeit immer vergleichsweise klein und reichten selbst bei großzügiger Zählung kaum an 6.000 Einwohner heran – einer partiell bedeutenden Position im Fernhandel zum Trotz.31 Die Literatur hat schon öfter den Unterschied zwischen den Urbanisierungstendenzen im mittelalterlichen Oberdeutschland und in Norditalien thematisiert, so dass hier Bekanntes zusammengefasst werden kann. In Oberdeutschland entstand angesichts der Agrarstruktur der sogenannten „Villikationsverfassung“ mit gestaffelten Ebenen der Grundherrschaft, aber auch aufgrund von preislich eher geringwertigen Erzeugnissen ein engmaschiges Netz an kleinen Ortschaften, die vor allem als Handwerkersiedlungen nur leicht aus der Agrarlandschaft herausragten. Die politische Zersplitterung wie auch die Tendenz des deutschen im Gegensatz zum italienischen Adel, sich nicht in den Städten anzusiedeln, verstärkte die Dislozierungstendenzen.32 Auch grundsätzlich waren die süddeutschen Städte gegenüber den norditalienischen dadurch benachteiligt, dass sie küstenfern waren und damit der strukturell über Land im Gegensatz zur See deutlich teurere Transport ein Hemmnis

29 Vgl. zu den Bevölkerungszahlen von Basel: H. Mauersberg, Wirtschafts- und Sozialgeschichte zentraleuropäischer Städte in neuerer Zeit. Dargestellt an den Beispielen von Basel, Frankfurt a.M., Hamburg, Hannover und München, Göttingen 1960, S. 24–26; von Zürich: W. Schnyder, Die Bevölkerung der Stadt und Landschaft Zürich vom 14.–17. Jahrhundert, Zürich 1925, S. 108–110; von Ulm: H. Grees, „Die Bevölkerungsentwicklung in den Städten Oberschwabens (einschließlich Ulms) unter besonderer Berücksichtigung der Wanderungsvorgänge“, Ulm und Oberschwaben 40/41 (1973), S. 123–198; von Augsburg: B. Roeck, Eine Stadt in Krieg und Frieden. Studien zur Geschichte der Reichsstadt Augsburg zwischen Kalenderstreit und Parität. Erster Teilband, Göttingen 1989, S. 301–308. 30 P. Hertner, Stadtwirtschaft zwischen Reich und Frankreich. Wirtschaft und Gesellschaft Straßburgs 1650–1714, Köln 1973, S. 11. 31 Zu Konstanz vgl.: H. Heuschen, Die Folgen des dreißigjährigen Krieges für das Wirtschaftsleben der Stadt Konstanz, Schramberg 1933, S. 5; zu Lindau: H. Kellenbenz, „Die Wirtschaft der schwäbischen Reichsstädte nach dem Dreißigjährigen Krieg in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts“, Esslinger Studien 11 (1965), S. 128–165; H. Stauder, „Lindau“, in: D. Hohrath / G. Weig / M. Wettengel (Hrsg.), Das Ende reichsstädtischer Freiheit 1802. Zum Übergang schwäbischer Reichsstädte vom Kaiser zum Landesherrn: Begleitband zur Ausstellung „Kronenwechsel“, das Ende reichsstädtischer Freiheit 1802, Stuttgart 2002, S. 126–131. 32 Zur Urbanisierung und ihren Faktoren im früh- und hochmittelalterlichen Deutschland und Italien vgl. als Auswahl die Überblicke von W. Sombart, Kapitalismus, S. 93–113, 150–154; die einschlägigen Beiträge in H. Patze (Hrsg.), Die Grundherrschaft im späten Mittelalter, Bd. 1– 2, Sigmaringen 1983; P. Malanima, La fine del primato. Crisi e riconversione nell'Italia del Seicento, Mailand 1998, S. 9–14; Mitterauer, „Städte als Zentren“; R. Kießling, „Zur Entstehung von Wirtschaftslandschaften im Spätmittelalter“, in: ders. / H. Flachenecker (Hrsg.), Wirtschaftslandschaften in Bayern. Studien zur Entstehung und Entwicklung ökonomischer Raumstrukturen vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert, München 2010, S. 15–54.

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ersten Rangs für einen intensiven Fernhandel darstellte; dieser war daher tendenziell als Element des urbanen Wachstums im Hochmittelalter schwächer ausgeprägt.33 William Petty schrieb im Jahr 1676 folgende grundsätzliche Zeilen zur Bedeutung des Wasser- im Gegensatz zum Landtransport in seiner Zeit: In Holland and Zealand, there is scarce any place of work, or business one Mile distant from a Navigable Water, and the charge of Water carriage is generally but 1/15 or part of Land carriage; Wherefore if there be as much Trade there as in France, then the Hollanders can out-sell the French 14/15 of all the expense, of all Travelling Postage and carriage whatsoever…34

Diese Preisverhältnisse sind natürlich nur als grobe Schätzung zu betrachten – und wahrscheinlich übertrieben. In der Literatur findet sich auch die Angabe, dass die Transportkosten auf Kanälen drei Mal und mit Fuhrwerken neun Mal so hoch gewesen wären wie zur See; doch auch das ist angesichts einer notwendigen Differenzierung nach Produktgattungen und verschiedenen Zeiten nautischer Technik sehr grob.35 Die Grundidee ist allerdings in dem Sinne richtig, dass der Fernhandel in der Vormoderne immer hin zu Fließgewässern oder dem Ozean tendierte. Die dichte Urbanisierung der Niederlande mit ihrer starken Nähe zu Kanälen und der damit ermöglichten Anbindung weiter Flächen an den Fernhandel findet eine Erklärung durch Pettys Modell. Die Analogie zur von Kanälen durchzogenen Lombardei, die nahe an den Alpenpässen und an der ligurischen Küste lag, bietet sich an. Von der allgemeinen Beobachtung der Hemmnisse einer starken Urbanisierung in Süddeutschland in der Vormoderne sei der Fokus nun auf die spezifischere urbane Konturierung gerichtet. Hierbei fällt auf, dass im Dreieck zwischen Basel, dem Bodensee und Stuttgart bedeutendere urbane Entwicklungen unterblieben. Hier fehlte eine Flussverbindung nach Norden, da der Neckar erst ab Cannstatt, nördlich von Stuttgart schiffbar war. Die Verstädterungstendenzen entlang des Rheins und im Raum zwischen Bodensee und Augsburg waren zwar markanter, blieben im Vergleich zu Italien jedoch immer noch recht schwach, und sie mögen eher dem Handel zwischen Frankreich und Deutschland als dem Nord-Süd-Handel über die Alpen geschuldet sein.36 33 Vgl. zur Urbanisierung im schwäbischen Raum seit dem späten Mittelalter: A. Koch, Märkte zwischen Iller und Lech als Element des Urbanisierungsprozesses im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, Augsburg 2007, zu den Bezügen von Urbanisierung und Verkehrsanbindung vgl. dort. insb. S. 19–30, 267–268. 34 W. Petty / C. Hull / J. Graunt, The economic writings of Sir William Petty, Bd. 1, Cambridge 1899, S. 256. 35 C. Sieber-Lehmann, „Alpenpässe und Alpentransit“, in: E. Hebeisen / P. Schubiger / D. Tonella (Hrsg.), Entstehung Schweiz. Unterwegs vom 12. ins 14. Jahrhundert, Baden 2011, S. 80–93. 36 Der vormoderne Fernhandel von Mittel- und Süddeutschland nach Südfrankreich bündelte sich am Bodensee und zog von hier entweder über den Schwarzwald nach Straßburg oder über den Oberrhein nach Basel oder schließlich über Zürich und Genf in Richtung Lyon. Quantitativ mögen die hier überführten Warenwerte im Hochmittelalter den Transit über die Alpen übertroffen haben, vgl.: A. Schulte, Geschichte des mittelalterlichen Handels, S. 30–31. Entlang dieser Routen lässt sich in der Tat eine Begünstigung von Urbanisierungstendenzen feststellen.

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Aus den skizzierten Beobachtungen zur Urbanisierung in der Vormoderne kann die Bedeutung des Fernhandels im alpinen und subalpinen Raum in dieser Epoche auf einer allgemeinen Ebene abgeleitet werden. Auf die Tendenzen der Urbanisierung auf beiden Seiten der Alpen hat hauptsächlich der Fernhandel über die Tiroler Alpenpässe einen wesentlichen Einfluss gehabt, der Handelszug über die West- und Zentralalpen war hiergegen mangels Volumen von untergeordneter Wichtigkeit. Das Bild erfährt noch eine Ergänzung durch eine Betrachtung der alpinen Transitzone selbst. Dieser fehlte, abgesehen vom Fernhandel, fast jeglicher Stimulus zu einer urbanen Entwicklung, also konkret die vielen kleinen Märkte um einen großen Marktort und eine nahgelegene Region mit agrarischen Überschüssen. Im alpinen Kernraum konnte die Siedlungsbildung daher kaum in Form von zentralörtlicher urbaner Verdichtung stattfinden. Stattdessen erzeugten die Transitstraßen eine stärkere Gemeindebildung vor allem entlang der Routen.37 Gegen diese Ausführungen zum Zusammenhang von Fernhandel und Urbanisierungsprozessen könnte man einwenden, dass die Agrar- und Gewerbegeschichte zu wenig Berücksichtigung finden.38 Die Bedeutung dieser Faktoren war natürlich hoch, es soll jedoch die tendenziell im Spätmittelalter steigende Wichtigkeit des Fernhandels für den Urbanisierungsprozess betont werden.39 Eine Gewerbelandschaft muss sich ja gerade dadurch auszeichnen, dass sie von einem Produkt einen Überschuss erzeugt, den sie andernorts absetzen kann. Historisch zeichnen sich alle bekannten Gewerbelandschaften der Vormoderne durch eine Nähe zu günstigen Transportrouten aus.40 Das oberschwäbische Textilrevier als hier besonders passendes Beispiel liegt relativ genau in der Kreuzzungszone der Einzugstrichter der Bündner und Tiroler Alpenpässe, während schlechter angebundene Regionen wie

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Da dieser Handelszug jedoch die gesamte Zone von Leipzig–Prag–Wien bis Lyon erfasst, lässt sich der Kontrast der relativ markanten Urbanisierung im fränkischen und oberschwäbischen im Gegensatz zum oberrheinischen Gebiet hieraus nicht begründen. J. Simonett, Verkehrserneuerung und Verkehrsverlagerung in Graubünden. Die "Untere Straße" im 19. Jahrhundert, Chur 1986, S. 16–30. Kritisch hierzu: J. Mathieu, Geschichte der Alpen, S. 81–83. Zum Konnex von alpinem Handelsverkehr und Siedlungsgeschichte in Graubünden vgl. auch: M. Bundi, Zur Besiedlungs- und Wirtschaftsgeschichte Graubündens im Mittelalter, Chur 1989, S. 607–641. Vgl. die Betonung beider Faktoren für die Geschichte der Urbanisierung im Alten Reich im 16. Jahrhundert bei: F. Mathis, Die deutsche Wirtschaft im 16. Jahrhundert, München 1992. Besonders scharf gegen eine Hervorhebung des Fernhandels als Urbanisierungsfaktor wendet sich: S. Ogilvie, Institutions and European Trade. Merchant guilds, 1000–1800, Cambridge 2011, S. 199–202. Vgl. zur Diskussion der Rolle von Fernhandel und Konsum in einzelnen nordeuropäischen Städten im Urbanisierungsprozess des Hochmittelalters: S. Rabeler, „Konsumenten, Märkte, Städte. Konsumbeziehungen als Faktor der Urbanisierung im norddeutschen Raum während des 12. und 13. Jahrhunderts“, in: S. Selzer (Hrsg.), Die Konsumentenstadt. Konsumenten in der Stadt des Mittelalters, Köln 2018, S. 87–115. K.-H. Kaufhold, „Gewerbelandschaften in der frühen Neuzeit (1650–1800)“, in: H. Pohl (Hrsg.), Gewerbe- und Industrielandschaften vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Stuttgart 1986, S. 112–202.

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das Hegau im deutschen Südwesten eher zu einem Agrargebiet mit Versorgungsfunktion für nahe Gebiete wurden.41 Dass eine gute Transportanbindung nicht notwendigerweise eine gewerbliche Verdichtung nach sich ziehen musste, zeigt allerdings auch das Beispiel des in der Vormoderne immer relativ gewerbearmen Tirols; hier wirkte offenbar die Topographie nachteilig.42 Es sei festgehalten: Der Fernhandel hatte im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit einige Bedeutung für die Wirtschaftskraft und die damit einhergehende Tragfähigkeit einer größeren Bevölkerung auf den Routen und Zentralorten, die er berührte.43 Die Annahme scheint berechtigt, dass mit dem markanten Wachstum des Fernhandels seit dem ausgehenden Hochmittelalter eine neue Phase der Urbanisierungsgeschichte begann, in der herrschaftliche Zentralität an relativer Wichtigkeit als Urbanisierungsfaktor verlor und stattdessen die Rolle der Orte im überregionalen Gewerbe- und Handelssystem für die Bevölkerungsentwicklung stärker wurde. In diesem System war der deutsch-lombardische Austausch immer im Vergleich zum deutsch-venezianischen benachteiligt. Dies lag primär an der Topographie der Alpen, die auf den Tiroler Routen für jeglichen Handel in der Vormoderne besser als auf den Schweizer und Bündner Routen geeignet war. Die deutsch-lombardischen Handelsachsen trugen in der Vormoderne immer ‚nur‘ den zweit- oder drittstärksten Alpentransit. Die Lombardei und ihr Zentrum Mailand sowie ihr Hafen Genua, der in das weite Mittelmeer und den Atlantik wies, waren bis zum Ende des Ancien Régime sicherlich ein wichtiger Fixpunkt für den deutschen Fernhandel. Insgesamt jedoch stand die Bedeutung dieser Transitachse bis weit in das 19. Jahrhundert hinein hinter derjenigen über Tirol zurück, und ein Resultat dieses Faktums ist in der Struktur der Urbanisierung im süddeutschen vormodernen Raum zu erkennen.

41 F. Göttmann / H. Rabe / J. Sieglerschmidt, „Regionale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Forschungen und Berichte zum wirtschaftlichen und sozialen Wandel am Bodensee vornehmlich in der frühen Neuzeit“, Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung 102 (1984), S. 115–130. 42 F. Mathis, „Die wirtschaftliche Entwicklung in der frühen Neuzeit (1519–1740)“, in: Chronik der Tiroler Wirtschaft mit Sonderteil Südtirol, Wien 1992, S. 75–113. 43 Diese Ansicht einer relativen Bedeutungsarmut des Fernhandels für die urbane Entwicklung wird auch in der internationalen einschlägigen Literatur zurückgewiesen, vgl. die Zusammenfassung der Diskussion bei: K. Kaps / M. Herrero Sánchez, „Connectors, networks and commercial systems: approaches to the study of early modern maritime commercial history“, in: dies. (Hrsg.), Merchants and trade networks in the Atlantic and the Mediterranean, 1550–1800. Connectors of commercial maritime systems, London / New York 2017, S. 1–36.

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3. 1400–1500: DER AUSTAUSCH IM ZEICHEN DER GROSSEN RAVENSBURGER HANDELSGESELLSCHAFT Der in Schriftquellen nachweisbare Beginn des Handels zwischen Deutschland und der Lombardei liegt recht genau um das Jahr 1200 und damit über zwei Jahrhunderte später als auf der Ostalpenseite.44 In den folgenden hundert Jahren werden deutsche Händler und Produkte, vor allem Leinwand, in den Genueser Notariatsakten häufig erwähnt. Um 1300 brach diese Verbindung relativ unvermittelt ab und verschwand erneut für fast ein Jahrhundert. Die zwei wesentlichen Begründungen, die die Literatur hierfür bereithält, bringen sogleich wichtige Hinweise, weshalb die deutschen Händler in der Lombardei immer besonders innovativ sein mussten. Der erste Grund ist das massive Auftreten italienischer Händler aus der Lombardei im Westalpenraum und entlang des Rheins seit dem späten 13. Jahrhundert.45 Diese traten in direkte Konkurrenz zu den deutschen Händlern in Genua und Mailand; just in demselben Jahrhundert, in dem die Republik Venedig die einheimischen Händler ihrer Hauptstadt zunehmend daran hinderte, sich im Landhandel nach Deutschland zu engagieren.46 Die für deutsche Händler resultierende höhere Bequemlichkeit des Handels von und nach Italien über Venedig bedingte es wohl auch, dass die Oberdeutschen sich gegenüber den steigenden Aktivitäten der Lombarden in Mitteleuropa weniger auf eine direkte Konkurrenz verlegten, sondern noch stärker auf den Handelszug in Richtung Adria besannen.47

44 G. Rösch, Venedig und das Reich. Handels- und verkehrspolitische Beziehungen in der deutschen Kaiserzeit, Tübingen 1982, S. 97–101; M. Veronesi, Oberdeutsche Kaufleute, S. 29–30. Es sei dabei natürlich betont, dass der Handel über die Alpen auch in den Jahrhunderten nach dem Zusammenbruch des weströmischen Imperiums sicher weiter vonstattengegangen war, jedoch deutet der Hiat von einigen Jahrhunderten in der Überlieferung größerer diesbezüglicher Quellenmengen auf eine deutlich unterschiedliche Intensität des Austausches über die Westund Ostalpen. 45 F. Glauser, „Handel und Verkehr“, S. 246–248; R. Sablonier, Gründungszeit ohne Eidgenossen. Politik und Gesellschaft in der Innerschweiz um 1300, Baden 2008, S. 91–97. 46 W. von Stromer, Oberdeutsche Hochfinanz 1350–1450, Wiesbaden 1970, S. 101–102. 47 P. Mainoni, „La nazione che non c’è: i tedeschi a Milano e a Como fra Tre e Quattrocento“, in: G. Petti Balbi (Hrsg.), Comunità forestiere e „nationes“ nell’Europa dei secoli XIII–XVI, Neapel 2001, S. 201–228. Es sei dabei noch angefügt, dass die italienischen Händler entlang des Rheins wohl meistenteils als Kommissionäre oder in Partnerschaft zu residierenden Fernhandelskaufleuten in Italien operierten, so dass diese strukturell den noch auf dem Wanderhandel basierenden deutschen Kaufmannstechniken überlegen waren, vgl. zur Entwicklung des „sedentary merchant“ im hochmittelalterlichen Italien: S. Reinert / R. Fredona, „Merchants and the Origins of Capitalism“, Harvard Business School BGIE Unit Working Paper 18-021 (September 12, 2017). URL: https://ssrn.com/abstract=3037173 [21.8.2018]. Erst im Verlauf des 13. Jahrhunderts bürgerte es sich ein, dass auch der ‚typische‘ deutsche Fernhändler von einer festen Residenz aus operierte, vgl.: S. Jenks, „Von den archaischen Grundlagen bis zur Schwelle der Moderne (ca. 1000–1450)“, in: M. North (Hrsg.), Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Ein Jahrtausend im Überblick, München 2005, S. 15–106.

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Ein weiterer Grund war vor allem technisch-nautischer Natur. Die Konkurrenz von lombardischen Händlern nördlich der Alpen wäre wohl noch zu verkraften gewesen, auch da sich die als „Kawerschen“ bezeichneten Italiener in Deutschland einigen Diskriminierungen ausgesetzt sahen.48 Was den deutschen Händlern im Handel mit und über die Lombardei ihre Kompetitivität nahm, war der seit 1300 zunehmende Seehandel zwischen Genua und Brügge. In der flämischen Hafenstadt siedelten sich bedeutsame Kolonien an italienischen Händlern an, insbesondere aus Genua und Florenz.49 Die dadurch ermöglichte starke Position von norditalienischen Händlern an beiden Endzonen des Rheines war als Konkurrenz für die deutschen Händler vom Oberrhein und dem Bodensee zunächst unüberwindbar, und daher wurde der deutsch-lombardische Handel im 14. Jahrhundert weitgehend von italienischen Händlern dominiert. Wohl vor allem aus diesem Grund siedelten sich in den lombardischen Zentralorten des Handels mit Deutschland, Como, Mailand und Genua im Hoch- und Spätmittelalter kaum deutsche Zuwanderer an.50 In Korrelation zur unter der Regie italienischer Händler erzeugten Steigerung des Handelsvolumens im 14. Jahrhundert verfestigten sich in diesem Zeitraum im westlichen Alpenraum Transportorganisationen, die sogenannten Porten oder Rodgenossenschaften. Grob gesprochen hielten diese ein Transportmonopol zwischen verschiedenen Abschnitten der alpinen Routen und lieferten die Waren von einem Lagerhaus von einem Ende ihres Bezirks zum anderen. Üblicherweise betrieben Bauern oder Handwerker diese Transporte im Nebenbetrieb.51 Mit dem Aufkommen der Porten entstand auch die sogenannte ‚Strackfuhr‘, bei der durch einen einzigen Säumer (üblicherweise ein Einheimischer) die Waren über einen größeren Streckenabschnitt transportiert wurde. Hierfür musste die sogenannte ‚Fürleite‘ als eine zusätzliche Gebühr entrichtet werden.52 Dieses System war für die raschen und möglichst beschädigungsarmen Transporte teurerer Waren unabdingbar. Unabhängig von der gewählten Transportform hatten die Kaufleute durch das alpine Transportsystem den Vorteil, von der Organisation des Transports gerade auf den beschwerlichsten Etappen entbunden zu sein, wenngleich sie bis in die Frühe Neuzeit

48 F. Irsigler, „Juden und Lombarden am Niederrhein im 14. Jahrhundert“, in: A. Haverkamp (Hrsg.), Zur Geschichte der Juden im Deutschland des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, Stuttgart 1981, S. 122–162. 49 Im Detail ausgeführt bei: G. Petti Balbi, Mercanti e nationes nelle Fiandre. I genovesi in età bassomedievale, Pisa 1996; L. Galoppini, „Nationes toscane nelle Fiandre“, in: P. Balbi (Hrsg.), Comunità forestiere, S. 135–163; Veronesi, Oberdeutsche Kaufleute, S. 29–38. 50 P. Mainoni, „La nazione che non c’è“; U. Israel, Fremde aus dem Norden. Transalpine Zuwanderer im spätmittelalterlichen Italien, Tübingen 2005, S. 46–53. 51 Die Porten entstanden, so die jüngsten Forschungsergebnisse im Raum der Schweizer und Bündner Alpenpässe im 13. Jahrhundert: Scaramellini, „Die Porten“, S. 54–62; Bundi, Zur Besiedlungs- und Wirtschaftsgeschichte, S. 618–625. Das System ist bündig erklärt bei: W. Schnyder, Die Bevölkerung, S. 22–25; Simonett, Verkehrserneuerung, S. 8–15. 52 Zur Strackfuhr und der Fürleite vgl.: Glauser, „Handel und Verkehr“, S. 254–255; Scaramellini, „Die Porten“, S. 48–52.

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hinein die Gewohnheit beibehielten, die Waren durch Bedienstete begleiten zu lassen.53 Die partiellen Monopole der Einheimischen in der Rod- und Strackfuhr sollten bis ins frühe 18. Jahrhundert hinein kaum als ein Problem des Handels betrachtet werden. Vielmehr waren sie angesichts der schwierigen Topographie der Schweizer und Bündner Alpenpässe zumeist eine Notwendigkeit, um dort überhaupt Transporte in größeren Mengen bewältigen zu können. Das im Hoch- und Spätmittelalter weit höhere Handelsvolumen auf den Tiroler und Salzburger Routen brachte eine größere Freiheit für Frachtführer aus Deutschland und Italien, hier konnten die Rodgenossenschaften daher auch keine so weitreichende Bedeutung wie in den Westalpen erlangen.54 Seit der Mitte des 14. Jahrhundert versuchte Genua durch die Privilegierung von deutschen Händlern mittels der sogenannten Provisiones Januae eine stärkere Stimulierung des Austauschs anzuregen. Jüngst hat Marco Veronesi noch einmal die Hypothese unterstrichen, dass dies auf Initiative der europaweit tätigen Nürnberger Handelsfirma Stromer geschah, die offenbar über den Kaiserhof in diesem Sinne auf Genua eingewirkt hatte.55 Einen nachhaltigen Erfolg hatte dies aber nicht, die deutschen Händler mieden auch weiterhin weitgehend die Lombardei und Genua. Erst gegen Ende des 14. Jahrhunderts begann eine erneute Phase der Ansiedelung deutscher Händler in Genua und der Lombardei, die mit der Intensivierung des Handels korrespondierte.56 Die wesentliche Dynamisierung, die der Handel über die Schweizer und Bündner Alpen im 15. Jahrhundert erfuhr, ergab sich offenbar aus dem Fernhandel mit dem wachsenden Markt in Ostspanien. Da die Produkte Kastiliens, Aragons und Valencias gegenüber denjenigen Oberdeutschlands deutlich anders gelagert waren, bedingte dies eine besonders hohe Gewinnspanne. Bis etwa 1400 waren die Märkte Spaniens mit deutschen Waren vor allem über Avignon und über die Häfen des Languedoc beliefert worden, wobei die Deutschen ihre Produkte spätestens an diesen Orten an Händler anderer Nationalität übergaben. Es

53 F. Glauser, „Der internationale Gotthardtransit im Lichte des Luzerner Zentnerzolls von 1493 bis 1505“, Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 18 (1968), S. 177–245. 54 Zu Tirol: J. Müller, „Das Rodwesen Bayerns und Tirols im Spätmittelalter und zu Beginn der Neuzeit“, Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 3 (1905), S. 361–421, 555– 627; O. Stolz, Geschichte des Zollwesens, S. 240–259; K. Fischer, „Das Rodfuhrwesen zwischen Augsburg und Venedig vom 13. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts“, in: Baer (Hrsg.), Schwaben, Tirol, S. 240–250; zu Salzburg: H. Klein, „Der Saumhandel über die Tauern“, in: ders. / T. Mayer (Hrsg.), Beiträge zur Siedlungs-, Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte von Salzburg, Salzburg 1965, S. 427–503; G. Barth-Scalmani, Der Handelsstand in der Stadt Salzburg am Ende des 18. Jahrhunderts. Altständisches Bürgertum in Politik, Wirtschaft und Kultur [Ungedruckte Dissertation, Univ. Salzburg], Salzburg 1992, S. 87–88. 55 Veronesi, Oberdeutsche Kaufleute, S. 33–36, er bezieht sich dabei auf die ursprüngliche These von Stromer, Oberdeutsche Hochfinanz, S. 53–55, 439–440. 56 Stromer, Oberdeutsche Hochfinanz, S. 67–89.

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fehlten die personellen Strukturen der deutschen Firmen in Spanien oder der Lombardei, die einen Direkthandel bis zum Abnehmer ermöglicht hätten.57 Bei der Etablierung eines dauerhaften Direkthandels zeigten sich im folgenden Zeitabschnitt die Oberdeutschen als besonders initiativ, während Spanier faktisch gar nicht und Italiener nur in geringem Maße aktiv wurden.58 Das bedeutendste Beispiel für die im 15. Jahrhundert aufkommende neue Austauschstruktur bietet die von Ravensburg aus agierende Humpis-Gesellschaft, besser bekannt als „Große Ravensburger Handelsgesellschaft“. Diese wurde von Aloys Schulte in einem dreibändigen Monumentalwerk von 1923 als eine dominante Kraft des Handels zwischen Oberschwaben und Spanien dargestellt, die diesen Handelszweig weitgehend monopolisiert hätte. Schulte sah die Firma mit einem operativen Vorstand, Partnern aus verschiedensten Orten und Familien und vielfältigen Filialen in der fremdsprachigen Ferne, mit denen man im permanenten Informationsaustausch stand, als erstes deutsches Unternehmen mit relativ modernen Strukturen.59 Zu Schultes Schlussfolgerungen bezüglich der Ravensburger Firma gab es jüngst eine Fachkontroverse. Andreas Meyer hat 2001 eine Relativierung von Schultes Ansichten angemahnt und auf die Leistung weiterer Firmen im Bodenseeraum hingewiesen.60 Marco Veronesi kam hingegen nach Auswertung der Notariatsimbreviaturen im Staatsarchiv Genua zur Schlussfolgerung, dass Schulte im Wesentlichen zuzustimmen ist und hier eine außergewöhnlich große und innovative Firma zu erkennen ist.61 Merkmale für Innovativität fehlen bei der Firma in der Tat nicht. Sie war offenbar das erste Unternehmen, das eine fast vollständige Inventur an verschiedenen Orten Europas nach Warenwert vornahm.62 Auch gelang es der Firma, sich von einer Familienstruktur relativ stark zu emanzipieren und sich dabei von einer, so Veronesi, „in moderner Diktion, ‚Offenen Handelsgesellschaft‘ zu einer ‚Kommanditgesellschaft‘ [zu] wandeln“. Im Zuge dieses Wandels zog die Firma einen außergewöhnlich hohen Anteil an Fremdkapital an, im europäischen Vergleich war es seinerzeit ein Spitzenwert.63

57 Veronesi, Oberdeutsche Kaufleute, S. 125. 58 H. Ammann, „Deutsch-spanische Wirtschaftsbeziehungen bis zum Ende des 15. Jahrhunderts“, in: H. Kellenbenz (Hrsg.), Fremde Kaufleute auf der Iberischen Halbinsel, Köln 1970, S. 132– 155; W. von Stromer, „Oberdeutsche Unternehmen im Handel mit der Iberischen Halbinsel im 14. und 15. Jahrhundert“, in: H. Kellenbenz (Hrsg.), Fremde Kaufleute, S. 156–175; K. Weissen, „I mercanti italiani e le fiere in Europa centrale alla fine del Medioevo e agli inizi dell’età moderna“, in: P. Lanaro (Hrsg.), La pratica dello scambio. Sistemi di fiere, mercanti e città in Europa (1400–1700). Venedig 2003, S. 161–176. 59 A. Schulte, Geschichte der Grossen Ravensburger Handelsgesellschaft 1380–1530, Bd. 1–3, Stuttgart 1923. 60 A. Meyer, „Die Große Ravensburger Handelsgesellschaft in der Region. Von der ‚Bodenseehanse‘ zur Familiengesellschaft der Humpis“, in: C. Hoffmann / R. Kießling (Hrsg.), Kommunikation und Region, Konstanz 2001, S. 249–304. 61 Veronesi, Oberdeutsche Kaufleute, S. 163–185. 62 Schulte, Geschichte der Grossen Ravensburger, Bd. 1, S. 101–103. 63 Veronesi, Oberdeutsche Kaufleute, S. 182–185.

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Die Komplexität der Firma basierte auf der hohen Profitabilität des gewählten Handelssystems. Das Hauptgeschäft bestand im Austausch von Leinwand und Barchent aus Schwaben gegen Zucker, Seide, Wolle, Korallen, Safran und weiteren Produkten aus Ostspanien einerseits und Gewürzen, Metallwaren und Früchten aus Italien andererseits.64 Darin erschöpfte sich der Handel jedoch noch nicht. Um dieses zentrale Austauschdreieck herum bildeten sich vielfältige Verästelungen. Die Firma hatte mehrere „Gelieger“ (Auslandsfilialen) in Italien (Venedig, Mailand und Genua), im französischsprachigen Raum (Genf, Lyon und Avignon), im östlichen Iberien (Barcelona, Saragossa und Valencia), in den Niederlanden (Brügge, später Antwerpen), zudem in Ober- und Südostdeutschland (Nürnberg und Wien). Zu diesen, allerdings nie alle gleichzeitig aktiven und teilweise sehr unterschiedlich bedeutsamen Geliegern gesellten sich viele kleine und kurzfristige Vertretungen an vielen Handelsorten zwischen Spanien, England, Polen und Ungarn. Zwar waren die wichtigeren Auslandsposten sicher immer diejenigen in der Lombardei und Spanien, doch ermöglichte die flexible Firmenstruktur einen an die wirtschaftlich jeweils aktuelle Situation angepassten Austausch von Waren. Hierbei konnten die Textilprodukte des Bodenseeraums, eigentlich die Basis des Gesamtgeschäfts, zeitweise wohl sogar in den Hintergrund treten.65 So handelten die Gelieger auch intensiv miteinander oder versandten auswärts eingekaufte Produkte direkt an andere Märkte. Beispielsweise belieferte die Firma seit der Mitte des 15. Jahrhunderts Italien mit Fellen aus Spanien.66 Es zeigt sich ein verästeltes System des Handels, das vom Rhein-Maas-Delta bis Katalonien und der Lombardei sowie Ungarn und Schlesien reichte, dessen Kerngeschäft der Austausch zwischen Oberdeutschland, dem östlichen Iberien und Norditalien darstellte. Dabei war die Lombardei nicht nur ein wichtiger Markt für den gegenseitigen Handel. Seit der Errichtung eines Geliegers in Genua in den 1430er Jahren war sie darüber hinaus auch die zentrale Transitregion für die vielfältigen Aktivitäten der Firma im Mittelmeer.67 Der Einrichtung des Geliegers in Genua folgte die Notwendigkeit zur Nutzung der Alpenpässe, was beim Handel über Südfrankreich zuvor nicht erforderlich war. Die hohe Profitabilität bei gleichzeitiger großer Schwierigkeit des Transportes angesichts des Hindernisses der Alpen bedingte wahrscheinlich auch die Notwendigkeit einer komplexeren Organisa-

64 P. Eitel, „Die Calwer Zeughandlungskompagnie. Die große Ravensburger Handelsgesellschaft“, in: Historischer Atlas von Baden-Württemberg. XI,3: Erläuterungen, hrsg. von der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Stuttgart 1976, S. 1–8; A. Meyer, „Fernhandel mit Spanien im Spätmittelalter. Die Ravensburger Humpis-Gesellschaft“, in: D. Bauer / K. Herbers / E. Kuhn (Hrsg.), Oberschwaben und Spanien an der Schwelle zur Neuzeit. Einflüsse – Wirkungen – Beziehungen, Ostfildern 2006, S. 33–52. 65 Dies bedeutendsten Gelieger erkennen wir eindeutig aus vereinzelt überlieferten Bilanzen: Schulte, Geschichte der Grossen Ravensburger, Bd. 1, S. 58, 107. 66 Veronesi, Oberdeutsche Kaufleute, S. 152. 67 Schulte, Geschichte der Grossen Ravensburger, Bd. 1, S. 239–285; Veronesi, Oberdeutsche Kaufleute, S. 132–138, 151–157.

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tion der Firma, die in einer solchen Form im Handel über die Tiroler oder Salzburger Alpen nicht bekannt ist. In den östlicheren Alpenregionen war der Handel topographisch leichter zu bewerkstelligen und mit Venedig als gesetzlich festgeschriebenem Endpunkt der Beteiligung der deutschen Kaufleute auch in seiner Reichweite eingeschränkt.68 So mögen die höhere Profitabilität und die gleichzeitig markanteren Schwierigkeiten zu einer zukunftsweisenden Form der Firmenorganisation geführt haben. Die komplexe Struktur der Ravensburger Gesellschaft wurde ein Vorläufer von Firmenformen, die bald darauf häufiger in Oberdeutschland vorkamen.69 Auf die weiteren oberdeutschen Firmen, die den Austausch zwischen der Lombardei und Deutschland im 15. Jahrhundert belebten, kann hier nicht eingegangen werden. Es sei jedoch vermerkt, dass in diesem Jahrhundert das Engagement der Oberdeutschen im Handel nach Mailand und über Genua ins westliche Mittelmeer deutlich wuchs.70 Korrespondierend dazu schwächte sich die Präsenz italienischer Kaufleute im Rheinland, wo sie bis dato einige Bedeutung gehabt hatten, deutlich ab.71 Im 15. Jahrhundert konzentrierten norditalienische Kaufleute ihre Handelsaktivitäten in Nordeuropa insbesondere auf die Standorte Brügge und London, was auf ein Ausweichen auf den Seehandel angesichts der neuen Stärke der Oberdeutschen im Landhandel hindeutet.72 Es ist bezeichnend, dass eine maritim orientierte Stadt wie Genua im späten 15. Jahrhundert die Transitbevorzugungen der Deutschen abschaffte, während das vom Landhandel abhängige Mailand just denselben Gästen ihre Privilegien andauernd bestätigte und sogar erweiterte.73

68 Schulte, Geschichte der Grossen Ravensburger, Bd. 1, S. 351–356. 69 Auf die Inspiration der Form der Ravensburger Handelsgesellschaft durch die italienische Firmenform der ‚Compagnia‘ verweist: Meyer, Fernhandel, S. 33–43. 70 Grundsätzlich hierzu: Stromer, Oberdeutsche Hochfinanz, S. 87–89; Veronesi, Oberdeutsche Kaufleute, S. 287–298. 71 Ihre schwache Präsenz in Deutschland wird durch das fast gänzliche Fehlen einer italienischen Händlerkolonie in Frankfurt verdeutlicht: A. Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Bd. 4, Frankfurt a.M. 1925, S. 238–239. Selbst in Köln, dem Ort, an dem die Italiener seit dem Hochmittelalter eine starke Präsenz gezeigt hatten, schwand ihre Händlerkolonie im 15. Jahrhundert dahin: L. Beutin, „Italien und Köln”, in: G. Sapori (Hrsg.), Studi in onore di Armando Sapori, Bd. 1, Mailand 1957, S. 31–46. 72 Vgl. hierzu: E. Basso, „Note sulla comunità genovese a Londra nei secc. XIII–XVI“, in: P. Balbi (Hrsg.), Comunità forestiere, Neapel 2001, S. 249–268; L. Galoppini, „Nationes toscane“; R. Goldthwaite, The economy of Renaissance Florence, Baltimore 2009, S. 126–136. 73 H.V. Sauerland, „Zu den Mailänder Privilegien für die deutschen Kaufleute 1422–1522“, Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 5 (1903) S. 269–273; P. Mainoni, „Alcune osservazioni sulla politica economica di Milano fra Ludovico il Moro e il dominio francese“, in: L. Arcangeli (Hrsg.), Milano e Luigi XII. Ricerche sul primo dominio francese in Lombardia (1499–1512), Mailand 2002, S. 341–368, hier S. 351; Veronesi, Oberdeutsche Kaufleute, S. 83–86.

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4. 1500–1610: INTENSIVIERUNG DES AUSTAUSCHS IM ZEITALTER DER GLOBALEN ENTDECKUNGEN Das Nachlassen der Aktivität und das schließliche Ende der Ravensburger Gesellschaft im Jahr 1530 signalisierten keineswegs einen Rückgang des Austausches zwischen Deutschland und der Lombardei – im Gegenteil. Zwar begann seit 1494 eine langanhaltende Phase politischer Instabilität gerade im lombardischen Raum, die hier erst seit den 1530er Jahren einer dauerhafteren Ruhe wich. Die häufig labile politische und militärische Lage und die wechselnden Herrschaften waren für den risikoanfälligen und teuren Fernhandel sicherlich zeitweise schädlich, wenngleich die Hemmnisse und Verluste im Detail nur schwer abzuschätzen sind.74 Andererseits entstanden um diese Zeit auch substantielle Verbesserungen für den Handel, die die häufig eher kurzfristigen Unsicherheiten weit aufwogen. Bereits seit 1473 war die Viamala-Straße über den Splügenpass so weit verbessert worden, dass hier der Verkehr rasch einen Aufschwung nahm.75 Damit war eine strukturelle Konkurrenz von Septimer und Splügen etabliert, welche für den Handel sicherlich belebend gewirkt haben dürfte. Der Sieg der Schweiz im Schwabenkrieg von 1499 und die folgende faktische Unabhängigkeit der Republik der Drei Bünde waren für den Handel vorteilhaft, da hier relativ stabile Staatswesen die dauerhafte Macht über die westlichen Alpenpässe gewannen, die dem Warenaustausch nur wenig schwerwiegende Hindernisse im Sinne von Abgaben oder Zöllen in den Weg gelegt haben.76 Die Verbesserungen der Grundbedingungen des Transalpenhandels im Verlauf der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts verdichteten diesen spürbar. Der Landhandel zwischen den Niederlanden und der Lombardei entwickelte sich spätestens seit 1500 derart dynamisch, dass der Seehandel zwischen Italien und der Nordsee angesichts dieser Konkurrenz weitgehend eingestellt wurde.77 Über ein Jahrhundert, bis

74 Vgl. die Zeugnisse der Probleme aufgrund der instabilen politischen Lage just für die Ravensburger Gesellschaft: Schulte, Geschichte der Grossen Ravensburger, Bd. 2, S. 224–228; Eitel, „Die Calwer“, S. 7. 75 Schnyder, Die Bevölkerung, S. 18–21. 76 Schulte, Geschichte des mittelalterlichen Handels, S. 375–376; G. Bener, Studie zur Geschichte der Transitwege durch Graubünden, Chur 1908, S. 30. 77 W. Brulez, „L’Exportation des Pays-Bas vers l’Italie par voie de terre: au milieu du XVIe siècle“, Annales. Histoire, Sciences Sociales 14 (1959), S. 461–491; D. Gioffrè, „Il commercio di importazione genovese alla luce dei registri del dazio (1495–1537)“, in: Studi in onore di Amintore Fanfani. V. Evi moderno e contemporaneo, Mailand 1962, S. 113–242. John Munro verortet den Niedergang des Seehandels zwischen den Niederlanden und Italien zeitlich im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts, in diesem Zeitraum habe der Seehandel insbesondere für die im Fernhandel wichtigen Textilien seine Kompetitivität verloren: J. Munro, „The low countries’ export trade in textiles with the Mediterranean Basin, 1300–1600. A cost-benefit analysis of comparative advantages in overland and maritime trade routes“, International Journal of Maritime History 11 (1999), S. 1–30. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts noch scheint der Seeverkehr zwischen den Niederlanden und Genua recht stark gewesen zu sein: J. Heers,

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etwa 1610, behielt der Landhandel zwischen Oberdeutschland und Italien eine hohe Bedeutung und wuchs sogar kontinuierlich. Das jährliche Handelsvolumen über die Schweizer und Bündner Pässe stieg von einer kleinen Basis, da um 1500 kaum mehr als 170 t über den Gotthard und eine unbekannte, aber wohl nicht sehr viel höhere Menge über die Bündner Pässe transitierten, bis etwa 1600 auf etwa 5.000 t auf den Schweizer und Bündner Pässen zusammengenommen.78 Im Zuge dieses säkularen Wachstums professionalisierten sich auch die Transportsysteme über die Schweizer und Bündner Alpen, auf denen nun eigenständige Transportunternehmer auftauchten, die ihren Lebensunterhalt ausschließlich mit der Überführung von Gütern im Fernhandel über das Gebirge bestritten. Die Dominanz von zunächst genuesischen, später auch gesamtlombardischen Transportfirmen wuchs dabei vom frühen 16. Jahrhundert bis 1620 deutlich.79 Es spricht einiges dafür, dass der Wiederaufstieg der lombardischen Händler im Handel zwischen Genua und der Rheinachse seit dem späten 15. Jahrhundert die Bedeutung der Oberdeutschen im Handel über die Lombardei schwächte. Es mag sein, dass die vielfältigen Kriegszustände in Oberitalien 1494–1530 zum Rückzug deutscher Firmen aus diesem Gebiet geführt hatten und lombardische Händler die Lücke füllten. Mit diesen wollten auch die großen deutschen Firmen offenbar nicht in direkte Konkurrenz treten. Die Fugger zeigten zu Beginn des 16. Jahrhunderts eine gewisse Präsenz in der Lombardei, und von einer regelmäßigen Korrespondenz mit Mailand zeugt das bekannte Bild von Jakob Fugger mit seinem Buchhalter Matthäus Schwarz in der „Goldenen Schreibstube“ der Firma.80 Jedoch zogen sich die Fugger in den 1520er Jahren aus Mailand zurück und überließen im Folgenden die Handelsachse über die Lombardei anderen oberdeutschen und italienischen Firmen.81

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Gênes au XVe siècle. Civilisation méditerranéenne, grand capitalisme, et capitalisme populaire, Paris 1971, S. 430. Es sei betont, dass die Datenbasis hier sehr schwach ist und wir die Angaben nur als grobe Richtwerte ansehen sollten, vgl. die Zusammenstellung der Literaturangaben bei: Furter, Urbanisierung, S. 234–235. Bemerkenswert ist, dass wohl auf den Schweizer und Bündner Routen eher wertvollere Produkte transitiert wurden, vgl. die hier offenbar höhere Bedeutung der Seide im Gegensatz zum Handel über Tirol und das Erzstift Salzburg: Hassinger, „Zur Verkehrsgeschichte“, S. 453–457. Glauser, „Der Gotthardtransit“, S. 22–30. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts war die Dominanz der Italiener gegenüber Firmen aus der Schweiz und Süddeutschland noch nicht so stark, die Italiener bauten ihre Stellung aber sukzessive aus: Brulez, „L’exportation, S. 266–269; Glauser, „Der internationale Gotthardtransit“, S. 204–205. Zu dem Bild und dem Fuggerschen Buchhalter Matthäus Schwarz vgl.: V. Groebner, „Inside Out: Clothes, Dissimulation, and the Arts of Accounting in the Autobiography of Matthäus Schwarz, 1496–1574“, Representations 66 (1999), S. 100–121. H. Kellenbenz, „Wirtschaftsleben der Blütezeit“, in: G. Gottlieb / W. Baer (Hrsg.), Geschichte der Stadt Augsburg von der Römerzeit bis zur Gegenwart, Stuttgart 1984, S. 258–301. Es sei noch darauf verwiesen, dass zwischen den Fuggern und Mailand nur wenig Briefverkehr bestand: R. Dauser, Informationskultur und Beziehungswissen. Das Korrespondenznetz Hans Fuggers (1531–1598), Tübingen 2008, S. 78.

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Auch die Firma der Welser scheint seit den 1520er Jahren keinen intensiven Handel mit und über Mailand betrieben zu haben. In den ersten zwei Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts war dies noch völlig anders. Für diesen Zeitraum zeigt eine Reihe an überkommenen Rechnungsfragmenten, dass Mailand für die Firma ein wesentlicher Austauschknoten des Handels ins Mittelmeer, vor allem auf der Linie Augsburg – Bodensee – Mailand – Genua, aber auch ins weitere Italien und in der Gegenrichtung nach Antwerpen oder Leipzig war.82 In den Fragmenten der späteren 1520er Jahre und den folgenden Jahrzehnten wird Mailand hingegen nur noch selten erwähnt und in den 1540er Jahren vor allem auf einen italienischen Handelspartner aus Como namens Michael de la Porta verwiesen.83 Der Zustand des Quellenmaterials lässt keine weiterführenden Schlussfolgerungen zu, aber auch im Falle der Welser scheint ein Rückzug der deutschen Firma vom Eigenengagement im lombardischen Handelsraum stattgefunden zu haben – wohl nicht zufällig in den 1520er Jahren, also einem in der Lombardei besonders kriegerischen Jahrzehnt. Es mag einen weiteren Grund für den langsamen Rückzug der Deutschen aus dem Handel über die Lombardei gegeben haben: Die Welser wie auch die Fugger organisierten ihre Präsenz auf der iberischen Halbinsel vor allem über Antwerpen.84 Dies war ein fundamentaler Unterschied zur Ravensburger Handelsgesellschaft. Diese hatte den Handel über Genua nach der iberischen Halbinsel über die ostspanischen Häfen getätigt. Diese Häfen spielten für die großen oberdeutschen Fernhandelsfirmen des 16. Jahrhunderts nur noch eine untergeordnete Rolle.85 In dieser Hinsicht fügt sich das Verschwinden der Ravensburger Firma in einen sich wandelnden Gesamtrahmen. Bei einem insgesamt deutlich wachsenden Handelsvolumen verdichtete sich der Landhandel zwischen Mitteleuropa und der Lombardei im 16. Jahrhundert auf Kosten des Seehandels, und dabei dominierten in steigendem Maße lombardische

82 Vgl. z.B. die Fragmente: P. Geffcken / M. Häberlein, Rechnungsfragmente der Augsburger Welser-Gesellschaft. (1496–1551). Oberdeutscher Fernhandel am Beginn der neuzeitlichen Weltwirtschaft, Stuttgart 2014, S. 14, 21, 43, 46, 62–68. Als Einkaufsprodukte aus Mailand werden hier Safran, Samt oder Reis erwähnt. 83 Geffcken / Häberlein, Rechnungsfragmente, S. 157, 173, 189. Zu Michael della Porta, einem bedeutenden Händler aus Como, der in Mailand residierte: E. Motta, „Un codicetto riflettento Geno sul Lario“, Archivio Storico Lombardo 36 (1909), S. 260–263. Er war offenbar ein zentraler Vertrauensmann der Deutschen: A. Noto, Liber Datii Mercantie Communis Mediolani: registro del secolo XV, Mailand 1950. 84 H. Kellenbenz, Die Fugger in Spanien und Portugal bis 1560. Ein Großunternehmen des 16. Jahrhunderts. Teil 1, München 1990, S. 1–17; J. Denzer, „Die Welser in Venezuela – Das Scheitern ihrer wirtschaftlichen Ziele“, in: M. Häberlein / J. Burkhardt (Hrsg.), Die Welser. Neue Forschungen zur Geschichte und Kultur des oberdeutschen Handelshauses, Berlin 2002, S. 285–319. 85 Geffcken / Häberlein, Rechnungsfragmente, S. XCI–XCII; Kellenbenz, Die Fugger, S. 362– 363. Es findet sich in der Literatur auch die Angabe, dass Safran seit dem frühen 16. Jahrhundert leichter über die aufstrebenden Lyoner Messen zu beschaffen war und damit die Präsenz der Deutschen in Ostspanien weniger notwendig wurde: Kellenbenz, „Relaciones comerciales“, S. 251.

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Händler und Spediteure; insbesondere auf der Rheinachse. In Antwerpen, der wesentlichen europäischen Handelsdrehscheibe der ersten zwei Drittel des 16. Jahrhunderts, zeigten Händler aus Italien eine massive Präsenz, und ihre Bedeutung hier kann kaum überschätzt werden.86 Auch in Frankfurt am Main machte sich seit etwa 1520 eine deutlich steigende Anzahl lombardischer Kaufleute bemerkbar.87 Weiter östlich galt dies jedoch kaum mehr: Im Handel zwischen Oberdeutschland und Italien über die Tiroler Pässe waren oberschwäbische Kaufleute stärker aktiv und auch in Italien, vor allem in Venedig, präsent, was wiederum eine geringere Ansiedelung von Italienern in den schwäbischen Reichsstädten bedingte.88 Venedig hatte seine Kaufleute und die der Terraferma traditionell eher an Handelsaktivitäten jenseits der Alpen gehindert, was dazu führte, dass Händler aus Nordostitalien kaum mehr im Reich aktiv waren. So kann man grob eine „italienisch“ dominierte Handelsachse von Genua nach Antwerpen von einer „oberdeutsch“ dominierten Handelsachse von Venedig über Augsburg nach Antwerpen trennen. Die dazu ‚quer‘ liegende Handelslinie der Ravensburger Gesellschaft Oberschwaben – Mailand – Genua war dagegen angesichts der besseren Verbindung von Oberdeutschland nach Iberien über Antwerpen offenbar weniger profitabel. Hier engagierten sich zunehmend regional orientierte Firmen mit einem geringeren Rayon, welche die Forschung als „mittelständische“ Handelsunternehmen bezeichnet.89 1546 stammten nur 3,5 % der Zolleinkünfte des Staates Mailand vom Handel mit den süddeutschen Reichsstädten,90 was wahrscheinlich eine relative Reduktion im Vergleich zu frühe-

86 P. Subacchi, „Italians in Antwerp in the Second Half of the Sixteenth Century“, in: H. Soly (Hrsg.), Minderheden in Westeuropese steden. (16de–20ste eeuw), Brüssel 1995, S. 73–90. Derzeit bereitet Jeroen Puttevils einen Artikel mit dem Titel „Italian merchants in sixteenthcentury Antwerp: importing the Renaissance?“ vor, der neue Einsichten zur bedeutenden italienischen Händlerkolonie in Antwerpen zur Zeit der Blüte der Stadt verspricht. 87 A. Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Bd. 1, Frankfurt a.M. 1910, S. 64, 293–294; ders., Frankfurter Handelsgeschichte, Bd. 3, Frankfurt a.M. 1921, S. 284. 88 S. Backmann, „Italienische Kaufleute in Augsburg 1550–1650“, in: J. Burkhardt (Hrsg.), Augsburger Handelshäuser im Wandel des historischen Urteils, Berlin / Boston 1996, S. 224–240. 89 Vgl. z.B.: G. Seibold, Die Manlich: Geschichte einer Augsburger Kaufmannsfamilie, Augsburg 1995, S. 67; R. Kießling, „Wirtschaftlicher Strukturwandel in der Region: Die Welser-VöhlinGesellschaft im Kontext der Memminger Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 15. und frühen 16. Jahrhunderts“, in: Häberlein / Burkhardt (Hrsg.), Die Welser, S. 184–212. Die Reichweite dieser Firmen ging aber, so können wir aus einem aussagekräftigen Beispiel schlussfolgern, typischerweise nur bis Mailand, und die Bedeutung einer Niederlassung dort stand hinter denjenigen in Venedig zurück: A. Nutz, Unternehmensplanung und Geschäftspraxis im 16. Jahrhundert. Die Handelsgesellschaft Felix und Jakob Grimmel zwischen 1550 und 1560, St. Katharinen 1996, S. 118–121. Sicheres kann hier einstweilen kaum gesagt werden, die Forschungslage ist hierfür zu unergiebig, vgl. auch: Kellenbenz, „Relaciones comerciales“, S. 250–255; J. Zunckel, „Frischer Wind in alte Segel. Neue Perspektiven zur hansischen Mittelmeerfahrt (1590–1650)“, Hamburger Wirtschafts-Chronik 3 (2003), S. 7–43. 90 F. Chabod, Lo Stato e la vita religiosa a Milano nell’epoca di Carlo V, Mailand 1971, S. 305.

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ren Jahrhunderten bedeutet. Die „deutsche Nation“ in Mailand hielt bis zum Jahrhundertende aber weiterhin eine so hinreichende Präsenz aufrecht, dass ihre Privilegien noch 1600, dann allerdings zum letzten Mal, regelmäßig erneuert wurden.91 Seit dem Beginn des niederländischen Aufstandes 1566 strukturierten sich die europäischen Handelslinien wiederum um. In Reaktion auf die Gewalteskalation in den Niederlanden, das seither rasch zunehmende Kaperunwesen in Nordeuropa und die damit fallende Bedeutung Antwerpens sehen wir in Köln und in Nürnberg im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts eine markante Zunahme der Präsenz italienischer Firmen.92 Der dauerhafte Ausfall des Hauptortes zum Vertrieb der italienischen Waren nach Nordeuropa bedingte für die Norditaliener offenbar die Notwendigkeit, über die zwei genannten deutschen Handelszentren weiterhin den Landhandel nach Mittel- und Osteuropa aufrechtzuerhalten. Auch die oberdeutschen Kaufleute sahen sich gezwungen, ihre Handelswege zu verlagern. Mit dem Ausfall des bisherigen Haupthafens der Oberdeutschen93 mussten sich diese umorientieren, und sie fanden in Genua einen wenigstens teilweisen Ersatz. Um 1578/79 ist eine klarere Konturierung der offenbar jüngst gestiegenen oberdeutschen Präsenz in Genua anhand des Stammbuchs des Lindauers Erasmus Furtenbach (1554–1618) zu erkennen, in welchem 27 seiner meist jungen Freunde aus süddeutschen Händlerfamilien, überwiegend Augsburger, eingetragen sind.94 Die Gewinnspanne des Handels der Oberdeutschen über Mailand und Genua in den nächsten drei Jahrzehnten war offenbar hoch. Die Deutschen lieferten vor allem Kupfer und Leinwand auf den spanischen Markt und ins weitere Mittelmeer, in ihre Heimat schickten sie vor allem Safran, Samtstoffe und Seide zurück.95 Besonders einzelne Händler der Familie Furtenbach aus Lindau und der Familie Österreicher aus Augsburg taten sich hierbei hervor.96 Als 1590 ein erneuter, diesmal langfristiger und massiver Anstieg der Seehandelsverbindungen von Livorno und Genua

91 Biblioteca del Senato della Repubblica. Catalogo della raccolta di statuti, consuetudini, leggi, directi, ordini e privilegi dei comuni, delle associazioni e degli enti locali italiani, dal medioevo alla fine del secolo XVIII, L-M, Bd. 4, Rom 1958, S. 336. 92 Beutin, „Italien und Köln“, S. 42–43; G. Seibold, „Zur Situation der italienischen Kaufleute in Nürnberg während der zweiten Hälfte des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts“, Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 71 (1984), S. 121–171; L. Peters, Der Handel Nürnbergs am Anfang des Dreißigjährigen Krieges. Strukturkomponenten, Unternehmen und Unternehmer, Stuttgart 1994, S. 89–98. 93 D. Harreld, High Germans in the Low Countries. German merchants and commerce in golden age Antwerp, Leiden / Boston 2004, S. 178–183. 94 Zunckel, „Frischer Wind“, S. 22; G. Seibold, Stammbücher aus Schwaben, Alt-Bayern und der Oberpfalz. Fünf kommentierte Editionen. Augsburg 2017, S. 11–22. Vgl. auch H. Kellenbenz, „Mercanti tedeschi in Toscana nel Cinquecento“, in: Studi di storia economica toscana nel Medioevo e nel Rinascimento in memoria di Federigo Melis, Pisa 1987, S. 203–230; Seibold, Die Manlich, S. 126. 95 L. Beutin, Deutscher Leinenhandel in Genua im 17. und 18. Jahrhundert, Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 24 (1931), S. 157–168. 96 E. Grendi, „I nordici e il traffico del porto di Genova 1590–1666“, Rivista Storica Italiana 83 (1971), S. 23–71.

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nach Amsterdam einsetzte, was dies offenbar zunächst auch für die Oberdeutschen günstig.97 Ihr Handelsrayon erweiterte sich nun von Genua bis in den Ostseeraum, und damit öffneten sich neue Exportmärkte. In diesem Handelssegment trafen die Oberdeutschen jedoch auch auf eine harte Konkurrenz italienischsprachiger Kaufleute, die die neuen Möglichkeiten offenbar ähnlich nutzen wollten.98 Zwischen 1600 und 1605 erreichte der Handel zwischen Deutschland und der Lombardei eine bislang nicht gekannte Dichte. In den Jahren um 1600 erbrachten die Zölle in Chur, dem Knotenpunkt der Bündner Routen besonders hohe Einnahmen.99 Die Textilproduktion in Augsburg, die einen wichtigen Absatz über die Lombardei und Genua gefunden hatte, erreichte um 1605 ihren Spitzenwert in der Frühen Neuzeit.100 Jedoch folgte auf den Höhepunkt bald ein tiefer Fall. Seit Beginn des 17. Jahrhunderts kam ein neues Element zum Tragen, welches die Bedeutung des Transalpenhandels im gesamteuropäischen Kontext für die folgenden 150 Jahre stark reduzieren sollte. Dies war der Verlust vieler Märkte jenseits Italiens, da diese ihre Anbindung an die nord- und mitteleuropäischen Handelsräume künftighin stärker über die Nordsee als über Norditalien und die Alpenrouten finden sollten. 5. 1610–1740: UMWÄLZUNG DES AUSTAUSCHES IM ZEICHEN VON KRIEGEN, KRISEN UND ITALIENISCHER MIGRATION See- und Landhandel zeigen sich um 1600 einerseits als komplementär, sie standen andererseits aber auch in Konkurrenz. Regina Grafe hat diesen Wandel vor einigen Jahren folgendermaßen ausgedrückt: „the advantage of sea transport over landbased transport was not only huge but increased over time in the pre-railway, presteamship era“.101 Als daher seit 1590 in stetig steigendem Maße Handelsschiffe

97 R. Poppe, Die Augsburger Handelsgesellschaft Österreicher (1590–1618), Augsburg 1928, S. 31. 98 Zunckel, „Frischer Wind“, S. 34–41; J. Zunckel, „Esperienze e stratégie commerciali di mercanti tedeschi fra Milano e Genova nell’epoca delta controriforma“, in: A. Burkardt / G. Bertrand / Y. Krumenacker (Hrsg.), Commerce, voyage et expérience religieuse, 16ème–18ème siècles, Rennes 2007, S. 231–255. 99 Buć, Beiträge zur Verkehrsgeschichte, S. 70–72. 100 C.-P. Clasen, Textilherstellung in Augsburg in der frühen Neuzeit, Bd. 1: Weberei, Augsburg 1995, S. 608–609; R. Hildebrandt, „Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Oberdeutschland und Venedig um 1600. Konturen eines Gesamtbildes“, in: B. Roeck (Hrsg.), Venedig und Oberdeutschland in der Renaissance. Beziehungen zwischen Kunst und Wirtschaft, Sigmaringen 1993, S. 277–288. 101 R. Grafe, „Turning Maritime History into Global History: Some Conclusions from the Impact of Globalization in Early Modern Spain“, in: M. Fusaro / A. Polónia (Hrsg.), Maritime history as global history, St. John's, Nfld. 2011, S. 249–266. Ich teile diese Annahme nicht gänzlich und würde sie nur bis zum Beginn des massiven Chausseebaus seit den 1730er Jahren gelten lassen. Vgl. die Ausführungen hierzu bei: G. Zoepfl, Fränkische Handelspolitik im Zeitalter der Aufklärung. Ein Beitrag zur deutschen Staats- und Wirtschafts-Geschichte, Erlangen 1894, S. 270–285, 303–305.

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der nordeuropäischen Mächte im Mittelmeer auftauchten, war dies zunächst von Vorteil für den deutsch-lombardischen Handel über die Alpen gewesen, da man nun von Genua aus noch billiger in die Ferne exportieren und damit die Rolle der Lombardei als Transitzone für den Export von oberdeutschen Produkten noch stärker zunehmen konnte. Rasch jedoch trat ein weiterer Faktor hervor, der zum Nachteil des deutsch-lombardischen Handels wirken musste. Indem nun die Nordseehäfen, vor allem Amsterdam, seit 1590 immer mehr in einen Direktverkehr mit dem Mittelmeer traten, musste die Notwendigkeit des Fernhandels über Land zwischen Südund Nordeuropa allgemein verblassen. Das spürten die Venezianer als erstes. 1608 stellten die dortigen Seidenhändler fest: Man nimmt an, dass der Verlust an Zolleinnahmen beim Fondaco dei Tedeschi von der Seefahrt der Flamen, Engländer und Franzosen herrührt, da diese mit ihren eigenen Schiffen in die Levante fahren, um dort Seide, Gewürze, Baumwolle und andere Waren einzukaufen und dann nach Marseille, Flandern und England zu überführen, von wo aus sie auf die Messen von Frankfurt und anderen Orten Deutschlands gebracht werden, wo die Kaufleute [die Waren] zu 12 oder mehr Prozent günstiger anbieten können, als sie es könnten, wenn sie von Venedig aus gekommen wären, wie sie es zuvor taten.102

Die zunehmende Umfahrung der italienischen Häfen für den Vertrieb mediterraner Güter nach Mitteleuropa wurde seit Beginn des 17. Jahrhunderts eine Strukturbedingung des gesamteuropäischen Handels, die die Rolle der Alpen als Transitzone fundamental veränderte. Im Gegensatz zu den genuesischen und venezianischen Flandernfahrten des Spätmittelalters stärkte die nun erneuerte Direktfahrt zwischen dem Mittelmeer und der Nordsee nicht die italienischen Häfen als Umschlagsplätze, sondern ersetzte sie in vielerlei Hinsicht. Im Fall des deutsch-venezianischen Handels konnte die Krise noch abgemildert werden. Die breiten Tiroler Pässe hielten die Transportkosten über Land weiterhin niedrig, und die Republik entschloss sich, den oberdeutschen Händlern in den nächsten Jahrzehnten vielfältige Vergünstigungen zukommen zu lassen, um diesen eine weitere Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem Seehandel zu ermöglichen.103 Die Herrscher Mailands entschlossen sich 1611 unter dem Eindruck der neuen Vigorosität des Seeverkehrs zwischen der Levante und Nordeuropa, speziell den deutschen Kaufleuten oder dem nach Übersee ausgerichteten Transithandel Vergünstigungen zu gewähren – und Genua folgte mit ähnlichen Erleichterungen bereits vier Jahre später.104 Die Vergünstigungen von 1615 wurden in der Literatur hauptsächlich als gegen die Konkurrenz Livornos gerichtet interpretiert, doch im Gegensatz

102 D. Sella, Commerci e industrie a Venezia nel secolo XVII, Venedig 1961, S. 26. Übersetzung des Autors. 103 Vgl. hierzu meine kommende Habilitationsschrift „Deutsch-italienische Händlernetze im langen 18. Jahrhundert. Die deutschen Kaufmannsgruppierungen und ihre Korporationen in Venedig und Livorno von 1648 bis 1806“, Göttingen 2021 [in Vorbereitung]. 104 H. Sieveking, Genueser Finanzwesen mit besonderer Berücksichtigung der Casa di S. Giorgio, Freiburg i. B. 1898, S. 167; Tonelli, Affari, S. 33.

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zur toskanischen Stadt waren die Zollregulationen in Genua auch auf den bedeutenden Hinterlandhandel ausgerichtet.105 Livorno bot den Nordeuropäern vor allem einen Zwischenlagerort, keine besondere Verbindung ins Hinterland.106 Bedrohlicher als Livornos Erfolg war für Genua die Gefahr, gänzlich umfahren zu werden, also nicht mehr ein Schnittpunkt von Land- und Seehandel im Transitzug von Nordund Südeuropa zu sein. Die Abschwungtendenz des Landhandels über die Alpen verschärfte sich durch den Ausbruch des Dreißigjährigen Kriegs.107 Obgleich der Krieg auch die Route über See stark verteuerte, hauptsächlich durch den schweren Blockade- und Korsarenkrieg zwischen den Niederlanden und Spanien, litten die oberdeutschen Produktionszentren bereits in den späten 1620er Jahren, um seit 1630 extreme Einbußen zu verzeichnen.108 Dabei beeinträchtigte der Abschwung besonders den deutschlombardischen Handel. Aus Genueser Zollbüchern geht ein rascher Rückgang der deutschen Leinwandexporte über den Hafen seit 1630 hervor.109 Gertrud S. Gramulla und Friedrich Blendinger konnten zeigen, dass sich der Italienhandel Kölns und Augsburgs im Dreißigjährigen Krieg von Mailand weg vor allem nach Venedig, also auf die seit 1631 kriegsferneren Tiroler Routen, verlagerte.110 Dank der Forschungen von Giovanna Tonelli in den Notariatsarchiven und ihrer Durchsicht von Wechselprotesten in Mailand ist es möglich, über die Lage der lombardischen Händlerkolonien in Deutschland und der deutschen in der Lombardei vor und während des Dreißigjährigen Kriegs relativ detaillierte Angaben zu machen. Aus Tonellis Forschungen geht hervor, dass Mailands Handelsverbindungen jenseits der Alpen vor allem in die Niederlande und nach Lyon führten, deutlich weniger jedoch nach Deutschland. Die hauptsächliche Präsenz lombardischer Kaufleute fand sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts eindeutig in Lyon und Antwerpen. Es gab auch nur wenige deutsche Händler in Mailand, kaum mehr als ein Dutzend, wenngleich ihre Umsätze deutlich überdurchschnittlich waren. Diese ohnehin schon geringe Zahl deutscher Kaufleute in Mailand ging während des Kriegs noch

105 Die Interpretation von Beutin, hier nur eine Maßnahme gegen Livorno zu sehen (Beutin, Der deutsche Seehandel, S. 16) findet keine Stütze bei: C. Mioli, La consulta dei mercanti genovesi. Rassegna storica sulla Camera di commercio e industria, Genua 1928, S. 28–32. 106 G. Pagano De Divitiis, „Livorno, porto della Toscana?“, in: A. Prosperi / U. Allemandi (Hrsg.), Livorno. 1606–1806: Luogo di incontro tra popoli e culture, Turin 2009, S. 341–349. 107 M.-C. Engels, Merchants, Interlopers, Seamen and Corsairs: the ‘Flemish’ Community in Livorno and Genoa (1615–1635), Hilversum 1997, S. 119. 108 Anstelle einer umfangreichen Literatur sei auf exemplarische Zahlenangaben zu Augsburg verwiesen: C.-P. Clasen, Die Augsburger Weber. Leistungen und Krisen des Textilgewerbes um 1600, Augsburg 1981, S. 427; Roeck, Eine Stadt, S. 882. 109 Beutin, „Deutscher Leinenhandel“, S. 162–163. 110 S. Gramulla, Handelsbeziehungen Kölner Kaufleute zwischen 1500 und 1650, Köln 1972, S. 273–277; F. Blendinger, „Augsburger Handel im Dreißigjährigen Krieg nach Konzepten von Fedi di Sanità, Politen, Attesten u.ä.“, in: J. Schneider (Hrsg.), Wirtschaftskräfte und Wirtschaftswege, Bd. 2, Wirtschaftskräfte in der europäischen Expansion, Stuttgart 1978, S. 287– 323.

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zurück. In der Gegenrichtung sah es leicht günstiger aus, eine gewisse Präsenz von Händlern aus dem Herzogtum Mailand kann in Ulm, Nürnberg und Köln nachgewiesen werden, weiterhin ein regelmäßiger Besuch der Messen in Leipzig und Frankfurt am Main und schließlich sogar ein leichter Kontakt nach Hamburg. Jedoch ist der Eindruck aus den Notariatsarchiven auch in diesem Falle der eines deutlichen Rückganges, spätestens seit den 1630er Jahren.111 Es ist kein Zufall, dass lombardische Plätze auf den Frankfurter Kurszetteln seit ihrem erstmaligen Erscheinen 1625 nur bis 1630 eine Nennung fanden und dann dauerhaft, wohl mangels eines intensiveren Handelsaustausches von diesen verschwanden.112 So sehr es naheliegt, die Krise auf den Dreißigjährigen Krieg zurückzuführen, so würde dies wohl den langfristig eher weniger bedeutsamen Faktor des Niedergangs der deutsch-lombardischen Handelsverbindung in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts betonen. Schon Ludwig Beutin hat 1931 und 1933 festgehalten, dass sich das endgültige Verschwinden der deutschen Händlerkolonie in Genua in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts vollzog.113 Auch für den Verkehr über den Gotthardpass konnte Fritz Glauser feststellen, dass auf einen kräftigen Nachkriegsaufschwung ein tiefer Niedergang erst in den 1650ern folgte.114 Der zentrale Grund für den Niedergang des deutsch-lombardischen Austauschs ist in der rapide steigenden Vigorosität der Nordseehäfen seit Kriegsende zu sehen. Diese wurden nun die hauptsächlichen Import- und Exportplattformen für weite Gebiete Mitteldeutschlands. Während sächsische Kaufleute noch in den 1650ern eher ihre Leinwand nach Nürnberg für den weiteren Versand in den südeuropäischen Raum geschickt hatten, waren sie bald darauf dazu übergegangen, ihre Produkte vermehrt über Hamburg in den europäischen und atlantischen Fernhandel einzuspeisen.115 Der deutsch-lombardische Handel verlor damit in der Mitte des 17. Jahrhunderts für einige Jahrzehnte zu einem guten Teil jenes Element, welches ihm zuvor seine wesentliche Dynamik verliehen hatte: seine Funktion als Transitscharnier im Handel zwischen Mitteleuropa und dem Mittelmeer. Zwar wurden angesichts der verstärkten Seekriege bereits in den 1680er Jahren wieder ähnliche und bald auch wieder höhere Quantitäten an Leinwand aus Deutschland über Genua in den Welt-

111 G. Tonelli, „’Mercanti che hanno negotio grosso’ fra Milano e i Paesi riformati nel primo Seicento”, Storia economica 17 (2014), S. 101–142; T. Stolterfoht, Die Südfrüchtehändler vom Comer See im Südwesten Deutschlands im 17. und 18. Jahrhundert. Untersuchungen zu ihrem Handel und ihrer Handlungsorganisation, Hamburg 2017, S. 112–113. 112 Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Bd. 3, S. 233. 113 Beutin, „Deutscher Leinenhandel“, S. 163–164; Beutin, Der deutsche Seehandel, S. 46–48. 114 Glauser, „Der Gotthardtransit“, S. 47–48. 115 G. Fischer, Aus zwei Jahrhunderten Leipziger Handelsgeschichte, 1470–1650. Die kaufmännische Einwanderung und ihre Auswirkungen, Leipzig 1929, S. 335–336; G. Aubin / A. Kunze, Leinenerzeugung und Leinenabsatz im östlichen Mitteldeutschland zur Zeit der Zunftkäufe. Ein Beitrag zur industriellen Kolonisation des deutschen Ostens, Stuttgart 1940, 211–217, S. 285– 289.

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markt überführt als in den Anfangsjahren des Jahrhunderts, jedoch hatte die Leinwandtransitkrise im Alpenraum von etwa drei Jahrzehnten zwischen 1650 und 1680 zur Ersetzung der alten deutschen und italienischen Großhändler in Oberitalien und Oberdeutschland geführt.116 Beide Gruppen waren durch italienischsprachige Konkurrenten aus dem Gebiet des Comer Sees und des Lago Maggiore aus dem Feld geschlagen worden. Das Phänomen gehört zu den bemerkenswerteren der europäischen Wirtschaftsgeschichte: Seit ca. 1620 war es Wanderhändlern aus dem Norden des Herzogtums Mailand gelungen, sich vor allem durch Engagement zunächst im Direktund kaum im Transithandel eine erfolgreiche Nische zu erobern. Sie handelten in der Anfangsphase insbesondere mit Südfrüchten.117 Zwar hatte auch schon die Ravensburger Gesellschaft Früchte von Italien nach Deutschland überführt, doch erst mit dem massenhaften Import durch italienische Saisonhändler wurden diese Waren ein weitverbreitetes Konsumgut in ganz Deutschland.118 Im Verlauf des 17. Jahrhunderts nahm der Saisonhandel den Charakter einer Massenmigration an, als immer mehr Wanderhändler dazu übergingen, nicht mehr als Hausierer zu handeln, sondern sich fest im oberdeutschen Raum und dem Rheinland anzusiedeln und komplementär Niederlassungen in Genua zu errichten oder auf dort bestehende Vertriebssysteme zurückzugreifen.119 Damit entwickelte sich aus dem saisonalen Wanderhandel mit Früchten rasch ein stabiles Vertriebssystem mit Reichweite von Genua bis nach Schlesien und Köln. Gegenüber dieser neuen Konkurrenz konnten sich die oberdeutschen Handelshäuser in der Lombardei nicht halten, genauso wenig wie die italienischen Großhändler, die sich im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts in Oberdeutschland angesiedelt hatten.120 Aus der großen Zahl

116 Beutin, „Deutscher Leinenhandel“, S. 168. 117 Die Literatur zu diesem Migrationszug ist inzwischen recht umfangreich geworden, siehe u.a.: J. Augel, Italienische Einwanderung und Wirtschaftstätigkeit in rheinischen Städten des 17. und 18. Jahrhunderts, Bonn 1971; M. Zürn, „‚Damit man des unnützen Volks abkomme.‘ Savoyer und andere Welsche in Süddeutschland zwischen Sesshaftigkeit und Vagantentum“, in: M. Häberlein / M. Zürn (Hrsg.), Minderheiten, Obrigkeit und Gesellschaft in der frühen Neuzeit. Integrations- und Abgrenzungsprocesse im süddeutschen Raum, St. Katharinen 2001, S. 141–181; M. Zürn, „Savoyarden in Oberdeutschland. Zur Integration einer ethnischen Minderheit in Augsburg, Freiburg und Konstanz“, in: C. Hoffmann / R. Kießling (Hrsg.), Kommunikation und Region, Konstanz 2001, S. 381–419; C. Reves, Vom Pomeranzengängler zum Großhändler? Netzwerke und Migrationsverhalten der Brentano-Familien im 17. und 18. Jahrhundert, Paderborn 2012; T. Stolterfoht, „Italienische Kaufleute in der Reichsstadt Heilbronn in der Frühen Neuzeit (1670–1773)“, in: C. Schrenk / P. Wanner (Hrsg.), heilbronnica 3. Beiträge zur Stadtgeschichte, Heilbronn 2006, S. 119–204; R. Banken, „Viel mehr als nur Pomeranzen und Zitronen. Italienische Handelshäuser im Rhein-Main-Gebiet des 18. Jahrhunderts“, in: B. Heidenreich / E. Brockhoff / A. Bohnenkamp / W. Bunzel (Hrsg.), Die Brentanos. Eine romantische Familie?, Frankfurt a.M. 2016, S. 33–57; Stolterfoht, Die Südfrüchtehändler. 118 Stolterfoht, Die Südfrüchtehändler, S. 112–113. 119 Ebd., S. 92–98. 120 Zur Diskontinuität der Migrationsbewegungen von Lombarden nach Deutschland vor und nach ca. 1620 vgl.: C. Jeggle, „Coping with the Crisis. Italian Merchants in Seventeenth Century

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Saisonhandel betreibender Italiener entwickelten sich seit dem späten 17. Jahrhundert neue Großhändlerdynastien, die sich insbesondere in Frankfurt und dem südwestdeutschen Raum dauerhaft ansiedelten.121 In der Reaktion trat manche protestantische Reichsstadt mit einer anti-italienischen Legislation hervor, die teilweise xenophobe und konfessionelle Gründe hatte, hauptsächlich aber wohl dem Konkurrenzneid geschuldet war. Die Wirkung dieser Gesetzgebung war nicht marginal, und sie hat die Ansiedelung der Italiener in einigen Reichsstädten unmöglich gemacht oder verzögert.122 Letztendlich konnte sie aber nicht verhindern, dass im Verlauf des 17. und noch im 18. Jahrhundert eine Migration von Lombarden und, in geringerem Ausmaße, Savoyarden nach Oberdeutschlands stattfand, an deren Ende in fast jeder etwas größeren Ortschaft dieses Raumes italienische Händler angesiedelt waren.123 Die Forschung unterscheidet zwischen drei Wanderungswellen. Die erste stammte vor allem vom Comer See und begann in den 1620er Jahren, die zweite, etwa 1710 beginnende war eher von Piemontesen und Savoyarden geprägt und die letzte um 1750 hatte wiederum einen lombardischen Einschlag.124 Diese Unterscheidungen sind aber mit einiger Unschärfe behaftet und sie gelten hauptsächlich für die besonders sichtbaren Händlerfamilien. Zu allen Zeiten der zwei Jahrhunderte zwischen 1600 und 1800 wanderten viele Savoyarden und Lombarden als Hausierer und Krämer, aber auch als Kaminkehrer, Bauarbeiter oder sonstige Wanderarbeiter, auf den deutschen Landstraßen und nur ein kleiner, aber doch bedeutender Teil davon wurde auch dauerhaft sesshaft. Es ist bemerkenswert, dass Südfrüchte ausgerechnet während des Dreißigjährigen Kriegs und in den krisenhaften Nachkriegsjahrzehnten zu einem Massengut in Deutschland wurden. Ähnliches galt auch für Kolonialprodukte, allen voran für Zucker, die ebenfalls in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts auf eine steigende Nachfrage in Mitteleuropa trafen.125 Die Bewohner des Alten Reiches entwickelten

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Nuremberg”, in: A. Bonoldi / M. Denzel / A. Leonardi / C. Lorandini (Hrsg.), Merchants in times of crises (16th to mid-19th century), Stuttgart 2015, S. 51–78; Stolterfoht, Die Südfrüchtehändler, S. 43–44. Banken, „Viel mehr als nur Pomeranzen“, S. 39–52. Vgl. für das Beispiel Frankfurts: C. Reves, „‚Ich erzählte ihm von den sämtlichen italienischen Familien…‘. Die Präsenz von Händlern vom Comer See in Frankfurt im 17. und 18. Jahrhundert“, Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 68 (2002), S. 309–326; S. Wustmann, „Die Einbürgerung der italienischen Kaufmannfamilie Bolongaro in Frankfurt am Main. Studie zur wirtschaftlichen Rivalität zwischen der Reichsstadt Frankfurt und dem Kurfürstentum Mainz im 18. Jahrhundert“, Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 68 (2002), S. 327–374. Zu Nürnberg vgl.: Jeggle, „Coping with the Crisis“, S. 63–74. Augel, Italienische Einwanderung, S. 201–203; Stolterfoht, Die Südfrüchtehändler, S. 401– 404. Zu den verschiedenen Wellen und weiterführender Literatur siehe: Banken, „Viel mehr als nur Pomeranzen“, S. 34. J. Ludwig, Amerikanische Kolonialwaren in Sachsen 1700–1850, Leipzig 1998, S. 10–13; A. Petersson, Zuckersiedergewerbe und Zuckerhandel in Hamburg im Zeitraum von 1814 bis

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eine immer größere Vorliebe für süße Produkte, und das mag auch die besondere Empfänglichkeit für Südfrüchte erhöht haben.126 Die Nachfrage nach den Früchten war dermaßen hoch, dass sie sogar aus Süditalien und Sizilien importiert wurden.127 Angesichts der stetig fallenden Transportkosten zur See nimmt es auch wenig Wunder, dass gegen Ende des 17. und insbesondere in den ersten Dekaden des 18. Jahrhunderts eine Reihe der neuen Großhändlerfamilien begannen, in Amsterdam Niederlassungen zu gründen, von denen aus sie direkt italienische Früchte, aber auch zunehmend Kolonialwaren bezogen, um diese dann in Deutschland zu vertreiben.128 Diese Struktur bedingte es wohl auch, dass im 18. Jahrhundert die Einfuhr von Kolonialwaren nach Deutschland über italienische Häfen eher bescheiden blieb.129 Ulrich Pfister hat jüngst die These aufgestellt, dass es im 18. Jahrhundert vor allem Zucker und Kaffee waren, die als besonders nachgefragte Produkte die Erzeuger in Deutschland zu einer Intensivierung der Arbeitsleistung, vor allem in Form von verlängerter Arbeitszeit, angeregt hätten.130 Es darf wohl ergänzt werden, dass das in nicht unähnlichem Ausmaß auch für den landgestützten Import, gerade von Früchten aus Südeuropa, gilt.131 Die Kaufkraft für solche Produkte konnte in Deutschland im Wesentlichen nur über die Erzeugung von Leinwand als wichtigstem Fernhandelsexportgut des Alten Reiches kommen. Dazu passt, dass angesichts

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1834. Entwicklung und Struktur zweier wichtiger Hamburger Wirtschaftszweige des vorindustriellen Zeitalters, Stuttgart 1998, S. 42–46. Es muss an dieser Stelle dahingestellt bleiben, ob es evtl. insbesondere die Kombination von Zucker und Früchten war, in Konfitüren oder zur Konservierung und Geschmacksverfeinerung, die die Nachfrage antrieb. In England mag es so gewesen sein, vgl.: S. Mintz, Sweetness and power. The place of sugar in modern history, New York 1985, S. 120–126. Einstweilen kann nur wiederholt werden, dass wir zur Konsumgeschichte der Früchte im frühneuzeitlichen Europa recht wenig wissen: Jeggle, „Coping with the Crisis“, S. 55–57. Zur Herkunftsregion der Früchte vgl.: Stolterfoht, Die Südfrüchtehändler, S. 92, 113–114. Banken, „Viel mehr als nur Pomeranzen“, S. 41–52; Stolterfoht, Die Südfrüchtehändler, S. 117–136. So machten Kolonialwaren auf der Süd-Nord-Richtung des Alpenverkehrs in der Frühen Neuzeit meist nur einen geringen Anteil an der gesamten Gütermenge aus: Buć, Beiträge zur Verkehrsgeschichte, S. 65–67; Baumann, Der Güterverkehr, S. 167. Die Italiener selbst versorgten sich im Normalfall über ihre eigenen Häfen mit Kolonialwaren: B. Hendrich, Ein Wirtschaftsbild Genuas–Venedigs–Livornos um die Mitte des 18. Jahrhunderts nach den Reiseschilderungen des Grafen Karl von Zinzendorf [Ungedruckte Dissertation, Univ. Wien], Wien 1964, S. 48–53, 151–152. U. Pfister, „Great divergence, consumer revolution and the reorganization of textile markets: Evidence from Hamburg’s import trade, eighteenth century“, Economic History Working Papers. London School of Economics and Political Science, 266 (2017), S. 1–73. URL: http://www.lse.ac.uk/Economic-History/Assets/Documents/WorkingPapers/Economic-History/2017/WP266.pdf [21.8.2018]. Eine offenbar stetig steigender Konsum von Früchten in Deutschland im 17. Jahrhundert ergibt sich aus: Buć, Beiträge zur Verkehrsgeschichte, S. 38, 58–60; Hassinger, „Zur Verkehrsgeschichte“, S. 454–459.

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der verstärkten Leinwandproduktion in Deutschland bereits vor Ende des 17. Jahrhunderts wieder höhere Quantitäten als zu Jahrhundertbeginn über Genua exportiert wurden – nun aber wohl zunehmend in den kolonialen Raum. Als organisatorische Kräfte standen jedoch hinter diesem neuen Aufschwung des Transitverkehrs über die Lombardei hauptsächlich italienische Händler, die wohl zu einem guten Teil Verwandte und Nachfahren der Einwanderer nach Deutschland aus dem frühen 17. Jahrhundert waren.132 Der Handel zwischen der Lombardei und dem Alten Reich in den etwa 150 Jahren vom Beginn des 17. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts war, auf einen Nenner gebracht, eine Epoche der Dominanz der Nordwestitaliener. In der Zeit einer schweren wirtschaftlichen Krise auf beiden Seiten der Alpen, die durch die kriegerischen Ereignisse und einen zeitweise für Jahrzehnte nachlassenden Transithandel gekennzeichnet war, verschwanden ältere Händlerdynastien und -strukturen des deutsch-lombardischen Austausches. Sie wurden ersetzt durch die italienischsprachigen Saisonhändler des nordwestalpinen Raumes sowie durch deren Nachfahren. Diese hatten es geschafft, nördlich der Alpen ein großes Distributionsnetzwerk für ihre Südfrüchte aufzubauen und sich dann auch in steigendem Maße sesshaft gemacht.133 Jüngst fand in der Literatur eine kleine Debatte dazu statt, ob man bei der großen Migration der Italiener nach Deutschland seit 1620 spezielle netzwerkartige Strukturen erkennen könne und die Effizienz der Händler vom Comer See auch auf einer besonderen Dichte ihrer sozialen Verbindungen basiere.134 Manches spricht dafür: So bestanden zwischen den Händlern vom Comer See etwas engere Verwandtschafts- und Vertrauensverhältnisse, und die Kompagnie-Verträge, auf denen ihre Handelstätigkeit in Deutschland oft fußte, bedingten ja geradezu Partner in Deutschland und in Italien. Dagegen wurde vorgebracht, dass die Integration in Deutschland meist nach zwei Generationen gelang, sich die Bindungen in die Heimat abschwächten und die Konflikte von italienischstämmigen Händlern in Deutschland intensiv waren.135 Angesichts neuer Studien können jedoch diese Gegenargumente weitgehend zurückgewiesen werden: Die Netzwerke der Italiener in die Heimat der oberitalienischen Seen zeigen sich über viele Generationen als stabil und belastbar.136

132 Beutin, „Deutscher Leinenhandel“, S. 164–166. 133 Damit seien andere Wanderhandelgruppen wie die Tiroler nicht vergessen, doch diese waren eher wenig im Austausch zwischen der Lombardei und dem östlichen Deutschland aktiv, vgl.: R. Büchner, Tiroler Wanderhändler. Die Welt der Marktfahrer, Straßenhändler und Hausierer, Innsbruck 2011, S. 125–126. 134 Im Sinne der These von besonderen Netzwerkstrukturen argumentiert Reves‚ „‚Ich erzählte ihm“. Hiergegen wurde vor allem Einspruch erhoben von Stolterfoht, Die Südfrüchtehändler. 135 Die entsprechenden Argumente bündelt Banken, „Viel mehr als nur Pomeranzen“, S. 45–49. 136 Vgl. F. Chiesi Ermotti, „Mobilité et appartenance dans les parcours d’une famille de marchands migrants originaires des Alpes suisses (XVIIIe siècle)“, in: A. Caracausi / N. Rolla / M. Schnyder (Hrsg.), Travail et mobilité en Europe (XVIe–XIXe siècles), Lille 2018, S. 165–186.

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Die Effizienz der Händler aus Norditalien im Handel mit dem Alten Reich von 1600 bis 1750 erklärt sich wohl am besten durch das Konzept der „strength of weak ties“. Dieses Modell wurde in der Soziologie in den 1970er Jahren entwickelt, es betont insbesondere den Erfolg größerer Gruppen, bei denen nur schwache Bindungen zwischen den Mitgliedern bestehen.137 Ein solches Modell findet in der Empirie der Italienerwanderung vom 17. und 18. Jahrhundert eine weitgehende Bestätigung.138 Es sei noch als wesentliches Element hinzugefügt, dass die Kaufleute vom Comer See in einer jahrhundertealten Tradition des Fernhandels standen, als sie seit 1620 eine besondere Marktlücke entdeckten, die durch die stetig steigende Nachfrage nach Südfrüchten entstand. Die Ausnutzung dieser Marktchance gelang den Händlern vom Comer See und dem Lago Maggiore eindeutig am besten, obwohl auch am Gardasee tendenziell ähnlich günstige geographische und handelsräumliche Voraussetzungen bestanden hätten. Der Comer See war jedoch ein Zentralabschnitt des deutsch-lombardischen Handelsaustausches, welcher seit Jahrhunderten einer besonders starken Volatilität bei gleichzeitigem hohem Profitpotential unterlag. Es spricht vieles dafür, dass gerade die Instabilität des Handelszuges hier einer Verfestigung traditioneller Handelsstrukturen entgegenwirkte und die Kaufleute am Comer See in besonderem Maße nach Marktlücken suchten und zu Wagnissen bereit waren.139 Dies mag eine Wurzel des beeindruckenden Erfolges der nordwestitalienischen Händler in den eineinhalb betrachteten Jahrhunderten sein. 6. 1740–1800: DER DURCHBRUCH ZUM MASSENHANDEL UND DIE VON NORDEN STIMULIERTE INDUSTRIALISIERUNG DER LOMBARDEI Laut der einschlägigen Literatur verlor der Import von Früchten nach Deutschland, der noch um die Mitte des 17. Jahrhunderts die Migration der norditalienischen Wanderhändler stimuliert hatte, gegen Mitte des 18. Jahrhunderts an Bedeutung.140 Den zur Verfügung stehenden inzidentellen Daten nach blieb jedoch der Handel mit Früchten im gesamten Jahrhundert ein bedeutender Teil des Handels von Süden nach Norden über die Alpen, und er schwankte auf den Tiroler Routen zwischen

137 Der ursprüngliche Aufsatz hierzu ist: M. Granovetter, „The Strength of Weak Ties“, American Journal of Sociology 78 (1973), S. 1360–1380. Eine eingehendere Diskussion des Konzeptes kann hier nicht geleistet werden, eine erneute Präsentation und Diskussion einiger vorgebrachter Einwände findet sich bei: M. Granovetter, Society and economy. Framework and principles, Cambridge 2017. 138 Stolterfoht, Die Südfrüchtehändler, S. 98. 139 In der Forschung kaum beachtet wurde bislang die korporative Organisation der Händler vom Comer See, hier mag noch eine Überraschung für eine mögliche Netzwerkanalyse bereitliegen. Zu dieser Korporation vgl.: B. Caizzi, Il Comasco sotto il dominio spagnolo, Como 1955, S. 83–112; B. Caizzi, Il Comasco sotto il dominio austriaco. Fino all redazione del catasto teresiano, Como 1955, S. 31–35, 81. 140 In diesem Sinne: Stolterfoht, Die Südfrüchtehändler, S. 143–154, 405.

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10.000 und 16.000 Zentnern jährlich, was meist über 5 % des gesamten Handelsvolumens ausmachte.141 Vor allem wertmäßig trat jedoch ein anderes Produkt aus Italien gegenüber den Früchten im 18. Jahrhundert nach einer schweren Krise im vorhergehenden Säkulum massiv in den Vordergrund. Die Seidenerzeugung und verarbeitung in Norditalien hatte gegen Ende des 16. Jahrhunderts eine Spitzenstellung erreicht, als über 25.000 Webstühle in Italien im Einsatz waren. Diese Zahl war bis Ende des 17. Jahrhunderts auf 15.000 gefallen, einerseits kriegsbedingt durch Beeinträchtigungen der Erzeugungs- und Abnehmerregionen, andererseits aufgrund der zunehmenden Konkurrenz durch asiatische Seide, die über Amsterdam nach Mitteleuropa eingeführt wurde.142 Zwar intensivierte sich in Mitteleuropa seit dem späten 17. Jahrhundert die Nachfrage nach roher Seide oder Seidengarn, da im Zuge der Emigration von Hugenotten nach Deutschland auch Seidenmanufakturen stärker aufgekommen waren und diese eine besondere Förderung durch die territorialen Obrigkeiten in Deutschland erfuhren.143 Jedoch behinderte im frühen 18. Jahrhundert eine Reihe an Zöllen im Alpenraum eine stärkere Entfaltung des Exports von Rohseide und Seidengarn aus der Lombardei nach Norden.144 Begünstigt hiervon wurden insbesondere die Republik Venedig und die Grafschaft Tirol als zentrale Erzeugungs- und Transitregionen zwischen Nordostitalien und dem Alten Reich, da die sogenannte „Bozner Partei“ eine zu starke Belastung des Handels über die Tiroler Alpen zu verhindern wusste.145 141 Hassinger, „Zur Verkehrsgeschichte“, S. 459; Bonoldi, La fiera e il dazio, S. 389. Ob die Zollstatistiken über Tirol wirklich alle Früchte erfassen, kann angesichts der Dominanz des Hausiererhandels, der von Zollbeamten schwerer kontrollierbar war, bezweifelt werden, vgl. dazu: Bonoldi, La fiera e il dazio, S. 270–272. 142 Vgl. als Übersichtsdarstellungen: S. Ciriacono, „Silk Manufacturing in France and Italy in the XVIIth Century: Two Models Compared“, The Journal of European Economic History 10 (1981), S. 167–199; F. Battistini, L'industria della seta in Italia nell'età moderna, Bologna 2004, S. 165–223. 143 Eine Überblicksdarstellung zur Geschichte der Seidenverarbeitung im Alten Reich fehlt. Eine gewisse Übersicht bietet: P. Kriedte, Taufgesinnte und großes Kapital. Die niederrheinischbergischen Mennoniten und der Aufstieg des Krefelder Seidengewerbes (Mitte des 17. Jahrhunderts–1815), Göttingen 2007, S. 180–184. 144 Zur Behinderung des Rohseidenexports aus dem Herzogtum Mailand unter der Regierung Karls VI. (1709–1740) vgl.: L. Trezzi, Ristabilire e restaurare il mercimonio. Pubblici poteri e attività manifatturiere a Milano negli anni di Carlo VI, Mailand 1986, S. 105–145. Die Habsburger belasteten die Seidenausfuhr von Mailand dem Reich auch an ihrer Zollstation in Feldkirch in Vorarlberg, vgl.: Stadtarchiv Lindau, A III, 100-2, Concept Schreibens an die geheimbe Räth zu Innsprugg de dato 8. Juny 1696; H. Weiss, „Über die Verlagerung von Transit-Handelswegen zwischen Süddeutschland und Oberitalien um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Nach einer zeitgenössischen österreichischen Wirtschaftsstudie des Freiherrn Karl Hieronymus Cristiani v. Rall“, in: W. Abel / K. Borchardt / H. Kellenbenz / W. Zorn (Hrsg.), Wirtschaft, Geschichte und Wirtschaftsgeschichte. Festschrift zum 65. Geburtstag von Friedrich Lütge, Stuttgart 1966, S. 206–226. 145 A. Beer, Die österreichische Handelspolitik unter Maria Theresia und Josef II., Archiv für österreichische Geschichte 86, 1899, 1–204; U. Schaaf, Die Tätigkeit und der Einfluss der tiroler

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In der Lombardei gelang es den Produzenten und Händlern seit den 1720er Jahren, die neue Regierung zu einer Lockerung der rigiden Zollbestimmungen zu bewegen und dabei auch alle Ansätze zu einer Umlenkung des Handels der Lombardei nach Österreich zu blockieren.146 Die wesentlichen Handelsverbindungen der Lombardei nach Deutschland in diesen Jahren basierten auf Importen aus dem Rheinland, Oberdeutschland und Sachsen, während die wirtschaftlichen Verbindungen nach Österreich minimal blieben.147 In den 1720/30er Jahren wurde die Verbindung der Lombardei zum Rheinland sogar noch gestärkt, als die Franzosen begannen, auf der linken Seite des Rheins zwischen Landau und Basel moderne Chausseen anzulegen. Die dadurch ausgelöste Präferenz von Kaufleuten des Reiches für die linke Rheinseite wiederum führte zur Notwendigkeit von Zollsenkungen und Infrastrukturverbesserungen auf der rechten Rheinseite und damit hier zu fallenden Transportkosten.148 Ein ähnliches Muster zeigte sich bald auf der Ebene des über die Bündner Pässe gerichteten Handels der Lombardei. Seitdem 1713, 1738 und schließlich 1743 durch verschiedene Friedensverträge insgesamt faktisch die westliche Hälfe des Herzogtums an das Königreich Sardinien-Piemont abgetreten worden war, hatte dieser Staat einen direkten Zugang zu den wesentlichen Alpenpässen der Schweiz und Graubündens erhalten. Sardinien-Piemont nutzte dies konsequent, um durch eine geradezu radikale Zoll- und Infrastrukturpolitik den Transitzug über diese Routen weg von Mailand und über den Lago Maggiore mit seinem faktischen Handelszentrum, der Kleinstadt Intra, zu ziehen. Die Vereinfachung der Zölle und der Ausbau des Straßenwesens wurden durch die Turiner Politik mit Verve betrieben und hierbei auch durch die faktische Förderung Genuas zulasten Nizzas ein altes Prinzip der eigenen Handelspolitik hintangestellt. Die Erfolge waren nach kurzer Zeit beeindruckend und zwangen den Mailänder Staat seit etwa 1760 dazu, ebenfalls mit ähnlichen Maßnahmen nachzuziehen. Auch hier wurden die Zölle immer weiter gesenkt und vereinfacht sowie durch massive Investitionen in Straßen- und Kanalbau die Infrastruktur deutlich verbessert.149

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Landstände in der Regierungszeit Kaiser Karls VI (1714–40) [Ungedruckte Dissertation, Univ. Innsbruck], Innsbruck 1953, S. 263–264; G. Panjek, „Una “commercial officina” fra vie di mare e di terra“, in: R. Finzi / G. Borruso (Hrsg.), Storia economica e sociale di Trieste. La città dei traffici. 1719–1918, Triest 2003, S. 235–348. B. Caizzi, Industria, commercio e banca in Lombardia nel XVIII secolo, Mailand 1968, S. 38– 40; Trezzi, Ristabilire e restaurare, S. 67–81. Vgl. den Beitrag von Giovanna Tonelli in diesem Band. Hierzu verweise ich auf meine kommende Habilitationsschrift, derzeit vgl. insb.: Weiss, „Über die Verlagerung“, S. 218–219; N. Röthlin, „Das österreichische Zollwesen : ein wichtiger Gegenstand in den politischen Beziehungen zwischen Österreich und der alten Eidgenossenschaft“, Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 88 (1988) S. 21–51. Auch hierzu führe ich in der Habilitation mehr aus. Derzeit vgl. insb.: C. Vianello, „Itinerari economici, costi di trasporto e dazi del Settecento lombardo. (con una consulta inedita di P. Verri)“, Atti e memorie del terzo Congresso Storico Lombardo, Mailand 1939, S. 419–454; M.

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Infolge der schweren Konkurrenz um den Transitverkehr zwischen der Lombardei und Deutschland sehen wir seit den späten 1760er Jahren eine veritable Explosion des Transalpenverkehrs über die Schweizer und Bündner Routen. Diese wurde hauptsächlich von Seidenprodukten getragen, die nun etwa 70 % des Exportwertes des Staates Mailand ausmachte.150 Ähnliche Exportwerte erzielte auch das Piemont.151 Aus der Gegenrichtung empfing die Lombardei vor allem Leinwand und Baumwolle, weiterhin Metall- und Lederprodukte sowie vielfältige Drogen und Kolonialwaren, die nun in einem substantiellen Umfang auch über die Alpen kamen.152 Eine Aufstellung des explizit nur lombardisch-deutschen Handelsaustausches über die Alpen aus dem Jahr 1763 nennt folgende Waren: Waaren, welche aus Franckfurt über Hailbronn, Ulm, und den Bodensee nach Chur und Italien geschickt werden. Englische Tücher, Wollene Zeüge, Fischbein, Nadeln, Mouselin, Englischer Cotton, Porcellain, Niederländische Spitzen, Holländisch und Niederländische Leinwand, Baumwoll, und Wollene Waaren, Castor-Hüte, Camlot, Niederländisch Nähgarn, Verschiedene Kircher-Waaren, Englische Manufacturen Von Stahl, Eisen, und Messing, Rauch- und Schnupf-Tabac, Zinn, Cameelhaare, und zu Zeiten etwas Pelzwerck, etwas Tobac, Satler-Nägel, Messingene Stecknadeln, Leinene Bündel, Wollene, und Baumwollene Kappen, Nähnadeln, und leinene Schnüren etc. etc. Aus Hanau über Hailbronn Wollene Strümpfe Aus Nürnberg Nadeln, sogenannter Leonischer Kupferdrath, Messing, und unterschiedliche kleine Eisen-, und Stahl-Waaren, Juchten, und anderes Leder, auch Leder-Waaren, gemeine Krämerey- und Farbe-Waaren, Wachs, Honig, und weisser Zwirn. Aus Leipzig und Sachsen über Nürnberg Schlesisch und Sächsische Leinwand, Schlesinger Damast zu Bett- und Tischzeug, weisse Hals-Tücher, weissgestreiffte Barchet, gemodelte und façonirte wollene Zeüge aus Gera, Schürzen, unterschiedliche Sächsische Tücher, und Zeüge, auch wollene, und Pelz-Waaren, Sächsische Farben-Waaren, gemeine rohe, gebleichte und gefärbte Leinwand, Sächsische Spizen, nicht weniger auch etwas von Sächsischen Porcellain. Aus Nördlingen und Heidenheim über Ulm und aus Ulm selbst Ordinari Leinwand, geraucherte Zungen, ordinari wollene Waaren, Ulmer Gersten, und Ulmer Brod.

Battistoni, Franchigie. Dazi, transiti e territori negli stati sabaudi del secolo XVIII, Alessandria 2009, S. 214–229. 150 Daten dazu finden sich bei: K. Biedermann, „Das Rod- und Fuhrwesen im Fürstentum Liechtenstein. Eine verkehrsgeschichtliche Studie mit besonderer Berücksichtigung des späten 18. Jahrhunderts“, Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein 97 (1999), S. 7–183; M. Poettinger, Deutsche Unternehmer im Mailand des neunzehnten Jahrhunderts. Netzwerke, soziales Kapital und Industrialisierung, Lugano / Mailand 2012, S. 215. 151 Hier waren die Exporte von Seide sogar so hoch, dass sie zu einer positiven Handelsbilanz des Staates führten: L. Bulferetti, Agricoltura, industria e commercio in Piemonte nel secolo XVIII, Turin 1963, S. 300–330. 152 Caizzi, Industria, S. 217–218. „Drogen“ bedeutet hier insbesondere Grundstoffe für Apotheker.

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Aus Straßburg Allerhand Gallanterie-Waaren, insonders nach Graubündten der Straßburger Tabac. Aus Italien hingegen gehen an diese Orte Baumwolle, Verschiedene Früchten, Baumoel, Seide, und einige Seiden-Waaren, als Sammet, Strümpfe, Schnupftücher, Seidene Handtuch, rothtürckisch Garn, Parmesan-Käß, Neapolitanische und Romanische Wolle, Confituren, venetianischer Theriac, Strazza-Garn, Bleywiß, Saiffen, auch etwas Wein, und vieler Reis.153

Bei der Liste fällt die Relevanz von Waren aus Nordwesteuropa auf und der hohe Anteil an Produkten aus dem protoindustriellen und gewerblichen Sektor. Das Handelssystem zog seine Dynamik hauptsächlich aus dem Textilbereich, dieser stimulierte aber auch den bedeutenden Handel weiterer, besonders hochwertiger und daher im Landtransport nicht zu teurer Waren. Über die Übersiedelung von Italienern nach Deutschland in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist nicht viel bekannt, sie scheint aber in nur geringem Umfang stattgefunden zu haben.154 Bemerkenswert ist die Tatsache, dass einer der größten Seidenhändler Italiens, Antonio Greppi, zwei seiner Söhne in den 1760er Jahren direkt nach Amsterdam und Hamburg entsandte, um dort die für Deutschland wesentlichen Auslandsfilialen zu lenken. Der Erfolg vor allem der Hamburger Filiale zeugt von der gestiegenen Bedeutung der Hansestadt im europäischen Handelssystem.155 In der zweiten Jahrhunderthälfte ließen sich nun wieder verstärkt Deutsche in Nordwestitalien nieder. Bereits seit Anfang des Jahrhunderts siedelten sich vornehmlich Genfer Händler in Turin und Genua an, während es eine gewisse Präsenz von Graubündnern in Bergamo gab. Seit den 1720er Jahren stieg auch die Anzahl an Schweizern und Hamburgern in Livorno, die ein besonders starkes Engagement im Hinterlandhandel, also dem Handel von Livorno in Richtung der Alpen, zeigten.156 In Genua waren seit der Jahrhundertmitte wieder Schweizer und deutsche

153 Österreichisches Staatsarchiv, Handschriften 1160, Beilage Nr. 1. 154 Vgl. hierzu Beutin, „Deutscher Leinenhandel“; Stolterfoht, Die Südfrüchtehändler, S. 77–89. 155 G. Liva, „Le ‘aziende Greppi’ in Europa: Amburgo e Amsterdam“, Archivio Storico Lombardo 122 (1996), S. 189–234. 156 Eine Übersicht zur noch deutlich zu wenig erforschten Migration von Schweizer und Graubündner Händlern nach Nordwestitalien im 18. Jahrhundert bieten: S. Honegger, Gli Svizzeri di Bergamo storia della comunità svizzera di Bergamo dal Cinquecento all’inizio del Novecento, Bergamo 1997, S. 49–68; P. Cozzo / F. de Pieri / A. Merlotti (Hrsg.), Valdesi e protestanti a Torino, XVIII–XX secolo. Convegno per i 150 anni del Tempio valdese, Turin 2005; L. Codignola / E. Tonizzi, „The Swiss community in Genoa from the Old Regime to the late nineteenth century“, Journal of Modern Italian Studies 13 (2008), S. 152–170; A. Poinsignon, „Geschichte der protestantischen Kirchengemeinde zu Livorno“, Deutsch-evangelische Blätter 24 (1899), S. 16–26; C. Adorni, Dalle Alpe al Mare. Emigrazioni e comunità svizzere a Livorno, Livorno 2012.

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Händler anzutreffen.157 Am Zentralort des mitteleuropäisch-lombardischen Handels, in Mailand, glänzten jedoch auch Schweizer durch Abwesenheit.158 Dies können wir neben der etablierten Dominanz von lombardischen Händlern in Mitteleuropa auch auf die fortdauernde Illegalität der protestantischen Konfessionen im Herzogtum Mailand zurückführen. Es war für Kaufleute aus der Fremde, die sich langfristiger an einem auswärtigen Handelsplatz ansiedeln wollten, offenbar ein wichtiges Anliegen, die eigene religiöse Überzeugung frei ausleben zu dürfen. Da die katholischen Händler im Alten Reich des 18. Jahrhunderts stark gegenüber den Protestanten ins Hintertreffen geraten waren,159 konnte nur eine verstärkte Toleranzpolitik die besonders einflussreichen Kaufleute des Alten Reiches nach Italien locken. Einzelne Fälle punktueller Duldung von individuellen Protestanten in Mailand im 17. Jahrhundert dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier strukturell ein wichtiger Hinderungsgrund für die Ansiedelung von Protestanten bestand.160 In Venedig, Livorno und seit den 1760er Jahren auch in Triest war man auf dem Weg einer faktischen, bisweilen sogar in Gesetzesnormen gegossenen Toleranzpolitik bereits länger fortgeschritten, als sich die Habsburger Politik schließlich auch in Mailand hierzu bereitfand.161

157 Beutin, „Deutscher Leinenhandel“, S. 165–168. 158 In der „Jetztlebenden Kaufmannschaft“, einem internationalen Händlerverzeichnis der Jahre 1743 und 1745, finden sich als bedeutende Mailänder Kaufleute nur Personen mit italienisch klingenden Namen: Jetzt lebende Kauffmannschafft in und außer Deutschland. Erster Versuch, Leipzig 1743, S. 219–221; Jetzt lebende Kauffmannschafft in und außer Deutschland. Zweyter Versuch, Leipzig 1745, S. 158–159. Seit den 1750er Jahren wurden bisweilen Privilegien an auswärtige Unternehmer vergeben, so auch an einen Unternehmer aus der protestantischen Schweiz, vgl. Caizzi, Industria, S. 67–85. 159 Diesbezüglich sei auf den exemplarischen Fall der bikonfessionellen Stadt Augsburg verwiesen: P. Fassl, Konfession, Wirtschaft und Politik. Von der Reichsstadt zur Industriestadt, Augsburg 1750–1850, Sigmaringen 1988, S. 119–122. 160 Vgl. hierzu den Beitrag von Giovanna Tonelli in diesem Band. Einzelne Ausnahmen von protestantischen Unternehmern und Händlern hat es auch in Mailand vor dem Toleranzpatent gegeben, sie waren aber offenbar sehr selten, vgl. den Fall des Schweizer Textilunternehmers Franz Tieffen, der von der bourbonischen Regierung 1703 mit großen Privilegien nach Mailand eingeladen worden war, hier über 300.000 Lire investierte, aber doch angesichts der Widerstände der Zünfte gegen seine Modernisierungen langfristig nicht erfolgreich blieb: E. Verga, „Le Corporazioni delle industrie tessili in Milano, loro rapporti e conflitti nei secoli XVI– XVIII“, Archivio storico lombardo, 37 (1903) S. 64–125; Trezzi, Ristabilire e restaurare, S. 163–167. 161 Zur Entwicklung der lutherischen Gemeinde in Triest, die bereits in den 1750er Jahren obrigkeitliche Signale einer taziten Duldung erhielt vgl.: G. Klingenstein, Europäische Aufklärung zwischen Wien und Triest. Die Tagebücher des Gouverneurs Karl Graf Zinzendorf. 1776–1782, Bd. 1: Karl Graf Zinzendorf. Erster Gouverneur von Triest, 1776–1782. Einführung in seine Tagebücher, Wien / Köln / Weimar 2009, S. 129–145. Zum Falle Venedigs vgl.: S. Oswald, Die Inquisition, die Lebenden und die Toten. Venedigs deutsche Protestanten, Sigmaringen 1989.

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Als 1781/82 das Josephinische Toleranzpatent auch in der Lombardei erlassen wurde, galt es paradoxerweise zunächst für kaum jemanden der hier Ansässigen.162 Dies änderte sich jedoch im Anschluss an das Edikt recht bald. Der lutherische Adam Kramer aus Essenheim in der Pfalz siedelte sich 1782 im Auftrag der in Mailand seit 1754/55 tätigen Textilfirma Rho in Mailand an, allerdings auch in Reaktion auf ein neues Zollgesetz, welches die lokalen Manufakturen durch hohe Einfuhrzölle schützte und damit den Aufbau von Industrien hier vor Ort besonders attraktiv machte.163 Auf Kramer folgte 1785 der calvinistische François Louis Blondel aus der Schweiz.164 Um 1790 schloss sich die Übersiedelung von Heinrich Mylius aus Frankfurt an, und bald darauf kamen weitere Unternehmer aus Deutschland.165 Diese Migration einer zwar zahlenmäßig kleinen, jedoch sehr wirkmächtigen Elite von Industriellen fügt sich in das Bild einer erneut gewandelten Handelsstruktur ein, die neue Chancen eröffnet hatte. Die Ansiedelung von bedeutenden Exponenten deutscher Handelshäuser, die hohe Gewinne in Mailand erzielten, erfolgte vor allem in einem Kontext der seit 1770 feststellbaren raschen Dynamisierung des Handels zwischen der Lombardei und Deutschland. Dabei nutzten die Deutschen Nischen, die im Prozess der Industrialisierung entstanden. Einerseits brachten sie moderne Fertigungsmethoden von Textilien in die Lombardei und konnten dadurch sehr hohe Produktionssteigerungen erzielen.166 Andererseits verknüpften sie ihren Handel von Anfang an europaweit. So handelte insbesondere Mylius intensiv über

162 Zur Toleranzgesetzgebung und ihren Folgen in der Lombardei vgl.: A. Moioli, „Assetti manifatturieri nella Lombardia politicamente divisa della seconda metà del Settecento“, in: S. Zaninelli (Hrgs.), Storia dell’industria lombarda. Vol. 1: Un sistema manifatturiero aperto al mercato, Mailand 1988, S. 1–102, hier S. 85; E. Brambilla, „Statuto delle minoranze religiose e secolarizzazione della cittadinananza (da Giuseppe II all’età francese)“, in: M. Formica (Hrsg.), Diversità e minoranze nel Settecento, Rom 2006, S. 173–202. 163 Vgl. hierzu: S. Zaninelli, L’industria del cotone in Lombardia dalla fine del settecento all unificazione del paese, Turin 1967, S. 11–22; Poettinger, Deutsche Unternehmer, S. 31. 164 Zu diesem vgl.: S. Agazzi, „François Louis Blondel imprenditore svizzero a Bergamo (1749– 1812)“, Museo & storia, annuario del Museo storico della città di Bergamo 3 (2001), S. 33– 49. 165 Zur auf Mylius folgenden weiteren Migration von Protestanten nach Mailand vgl.: S. Levati, La nobiltà del lavoro. Negozianti e banchieri a Milano tra Ancien Régime e Restaurazione, Mailand 1997, S. 65; C. Martignone, Imprenditori protestanti a Milano 1850–1900, Mailand 2001, S. 1–45. 166 T. Pierenkemper, „L’industria tessile tedesca e la lavorazione della seta. Enrico Mylius e le relazioni economiche della sua epoca“, in: G. Oldrini / A. Venturelli (Hrsg.), La tradizione rinnovata. Da Enrico Mylius alla Sesto San Giovanni del futuro. Loveno di Menaggio 2006, S. 39–47; Poettinger, Deutsche Unternehmer, S. 51–53; G. Meda Riquier / V. Usselmann / C. Liermann Traniello, Enrico Mylius 1769–1854. Una biografia. Heinrich Mylius 1769–1854. Eine Biographie, Loveno di Menaggio 2019, S. 89–98.

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See nach England mit den dortigen Industriezentren und nutzte damit eine Handelslinie, die bis dato eher schwach entwickelt gewesen war.167 Insgesamt sollte die Unternehmermigration des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts noch einmal eine deutliche Intensivierung des deutsch-lombardischen Austausches in wirtschaftlicher wie kultureller Hinsicht bringen. Die schweren Turbulenzen des Napoleonischen Zeitalters gerade in Norditalien und in Deutschland konnten diesen Austausch nicht substantiell schädigen. Nach dem Wiener Kongress konnte der Handel rasch wieder an sein bereits im späten 18. Jahrhundert erreichtes Niveau anknüpfen und dies bald auch übertreffen.168 7. ERGEBNIS Die aus Deutschland stammenden Unternehmer, die sich im späten 18. Jahrhundert in Mailand ansiedelten, taten dies nicht nur in Reaktion auf die augenblicklichen neuen Möglichkeiten im Zeitalter der beginnenden Industrialisierung. Obwohl sich fast im gesamten 18. Jahrhundert kaum deutsche Händler in Mailand etabliert hatten, so handelten Kramer, Mylius und die weiteren ihnen folgenden Unternehmer in einer weit zurückreichenden Tradition. Oberdeutsche Händler hatten bereits im Mittelalter eine bedeutende Präsenz in der Lombardei gezeigt und spätestens seit dem Ende des 14. Jahrhunderts intensiv begonnen, diese Region als Durchzugsgebiet für den Handel ins westliche Mittelmeer zu nutzen. Nach einer Abschwächung der deutschen Händlernationen in der Lombardei waren bedeutsame Aktivitäten von lombardischen Kaufleuten in den Handelszentren des Rhein-Maas-Deltas vom späten 15. Jahrhundert bis mindestens 1570 feststellbar. Nach Ausbruch des niederländischen Aufstandes folgte eine etwa 50-jährige Phase einer markanten lombardischen Präsenz in Köln und Oberdeutschland und eine erneute stärkere Ansiedelung von Oberdeutschen in Nordwestitalien. Einer langanhaltenden Blüte des deutsch-lombardischen Handelszuges bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts folgte mit der raschen Verbilligung des Seehandels zwischen Genua und Nordeuropa ein Niedergang des Austausches. Die resultierende Bedeutungsreduktion des landbasierten Transithandels über die Alpen führte zu einem langsamen Rückzug von deutschen Kaufleuten aus den Handelszentren Nordwestitaliens und auch von italienischen Großhändlern aus Oberdeutschland. In die entstehende Lücke stießen lombardische Wanderhändler vor allem aus der Gegend des Comer Sees. Diese

167 Zur Verbindung von Mylius mit den sich industrialisierenden Regionen Englands vgl.: H.-T. Niephaus, Genuas Seehandel von 1746–1848. Die Entwicklung der Handelsbeziehungen zur Iberischen Halbinsel, zu West- und Nordeuropa sowie den Überseegebieten, Köln 1975, S. 332–333; M. Poettinger, „German Entrepreneurial Networks and the Industrialization of Milan“, in: A. Gestrich / M. Schulte Beerbühl (Hrsg.), Cosmopolitan Networks in Commerce and Society 1660–1914, London 2011, S. 249–292. 168 Zur Veränderung der Wirtschaftsstruktur der Lombardei durch deutsche und Schweizer Unternehmer im 19. Jahrhundert vgl. die Beiträge von Stefano Levati und Claudio Besana in diesem Band.

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Kaufleute mit ihrer Expertise im Detailhandel waren von Veränderungen im Transithandel kaum betroffen, und ihr bedeutenderes Auftreten in Süddeutschland seit 1620 kann daher als eine Teilfolge des umfassenden säkularen Wandels der Handelslinien in dieser Zeit angesehen werden. Der Direkthandel auf Detailebene überlagerte den traditionellen Transithandel für Großmärkte und bedingte eine Migration auf zahlenmäßig hohem Niveau, die wiederum langfristig die Basis für einen erneuten Aufschwung des Transithandels legte. Der deutsch-lombardische Handel über die Alpen begann im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts – nicht zufällig dem Beginn einer Zeit vieler Seekriege und einer damit einhergehenden Verteuerung des Seehandels – bereits wieder Anzeichen einer Erholung zu zeigen. Im folgenden Jahrhundert waren es vor allem Textilien, die den Austausch bedingten. Dieser wurde nun in zunehmendem Maße ein Geschäft von Seidenprodukten und Rohseide gegen Leinwand. Die Träger dieses Handels waren wohl hauptsächlich Verwandte und Nachfahren der erfolgreichen Wanderhändler aus dem Gebiet der norditalienischen Seen, von wo aus bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts immer wieder Migranten nach Deutschland zogen. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts kam es aus verschiedenen Gründen zu einer erneuten Dynamisierung des Handels zwischen der Lombardei und Deutschland. Diese bedingte im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts eine Elitenmigration von deutschen Unternehmern nach Mailand. Diese Migration war bereits ein Teilphänomen der beginnenden Industrialisierung, die eine dauerhafte Dynamisierung des deutschitalienischen Handels mit sich brachte. In der Gesamtschau fällt vor allem auf, dass der deutsch-lombardische Austausch in den betrachteten 400 Jahren quantitativ erst spät im Mittelalter bedeutsam wurde, aber qualitativ seither immer eine hohe Spezialisierung und damit auch punktuell eine besondere Profitmarge ermöglichte. Die schwierigen Alpenpässe verhinderten über Jahrhunderte einen Austausch von hohen Volumina, und daher gab es hier auch nur deutlich weniger Stimulus für eine Urbanisierung – vor allem nördlich der Alpen. Die Struktur des über Jahrhunderte quantitativ immer eher geringen Austauschvolumens von Produkten von typischerweise hohem Wert bedingte aber noch mehr. Es konnte sich zwischen Genua und Oberdeutschland bis ins 19. Jahrhundert kaum je eine stabile Struktur des Handels etablieren, die gegenüber Schwankungen eher unempfindlich gewesen wäre. Auf dieser Austauschachse wurden Modewechsel, neue Produktangebote oder Änderungen der Transportkosten für den Seeverkehr besonders stark empfunden. Die Händler hier konnten sich nur selten für längere Zeit etablieren, und sie wurden häufig von Neueinsteigern bedrängt und verdrängt. Auf der Handelsachse von der Lombardei nach Oberdeutschland war kaum eine Firma für mehr als 50 Jahre aktiv.169 In Venedig, das über die weiten Tiroler Alpenpässe an Oberschwaben angebunden war, waren die Kaufleute und ihre Erben 169 Auch für die Familie Brentano galt diese „Regel“: Stolterfoht, Die Südfrüchtehändler, S. 240. Eine Ausnahme stellt das Handelshaus der Bianchi in Heilbronn dar, welches vom frühen 18. Jahrhundert an über 60 Jahre bestehen konnte: Stolterfoht, „Italienische Händler“.

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über Jahrhunderte hinweg präsent. Die Fugger hatten im Fondaco dei Tedeschi für mindestens 200 Jahre Räumlichkeiten gemietet, vom Beginn des 15. Jahrhunderts an bis mindestens 1647; und viele andere Händlerfamilien waren auch oft über ein Jahrhundert in Venedig präsent.170 Das wäre in Genua oder Mailand für die Deutschen undenkbar gewesen, hier konnte man bestenfalls für einige Jahrzehnte in einer Nische reüssieren, bevor man von einer schärferen Konkurrenz verdrängt wurde.171 Kurzum: Im Austausch zwischen der Lombardei und Deutschland herrschte im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit ein besonders hoher Innovationsdruck und infolgedessen kam eine „schöpferische Zerstörung“ im Schumpeter’schen Sinne besonders häufig vor.172 Hier konnte kein Markt aufgeteilt werden, hier sicherten kaum Privilegien die auswärtigen Händler, und hier konnte sich kein Kartell etablieren. Die Konkurrenz war hier allgegenwärtig – und das auf vielen Ebenen. Die Deutschen standen in Konkurrenz zu den Schweizern und Italienern und natürlich bestand eine Konkurrenzsituation auch innerhalb der jeweiligen Händlernationen. Die Gotthardroute stand mit den Bündner Routen in Konkurrenz und beide wiederum mit den Alpenstraßen über Tirol.173 Genua stand in Konkurrenz zu Livorno, und Mailand litt, wenn der Seehandel zwischen Nord- und Südeuropa den Landhandel zu ersetzten drohte.174 Die Reaktion von allen Seiten war zumeist ein besonders ausgeprägtes Maß an wirtschaftlichem ‚Liberalismus‘.175 Infolgedessen

170 Zu den Fuggern: H. Simonsfeld, Der Fondaco dei Tedeschi in Venedig und die deutsch-venetianischen Handelsbeziehungen, Bd. 2, Stuttgart 1887, S. 61, 177. Weitere Beispiele langlebiger deutscher Familienfirmen in Venedig bietet: T. Elze, Geschichte der Protestantischen Bewegungen und der deutschen Evangelischen Gemeinde in Venedig, Bielefeld 1883, S. 60, 74. 171 Eine der längsten Präsenzen in Genua wies die Ravensburger Gesellschaft auf, die aber hier auch nur von etwa 1435 bis 1527, mit Unterbrechungen, ihr Gelieger aufrechterhielt: Schulte, Geschichte der Grossen Ravensburger, Bd. 1, S. 259–285; Veronesi, Oberdeutsche Kaufleute, S. 132–138. 172 Zu diesem Konzept vgl. die Diskussion bei: T. Brockmeier, Wettbewerb und Unternehmertum in der Systemtransformation. Das Problem des institutionellen Interregnums im Prozess des Wandels von Wirtschaftssystemen, Stuttgart 2016, S. 176–182. 173 Vgl. zur Konkurrenz der Routen im 18. Jahrhundert: A. Moioli, „Aspetti del commercio di transito nel Tirolo della seconda metà del Settecento“, in: G. Olmi / C. Mozzarelli (Hrsg.), Il Trentino nel settecento fra Sacro Romano Impero e antichi stati italiani, Bologna 1985, S. 805– 899. 174 Vgl. verschiedene Äußerungen von Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts in diesem Sinne: E. Verga, La Camera dei mercanti di Milano nei secoli passati, Mailand 1914, 176; Hendrich, Ein Wirtschaftsbild, S. 68. 175 Vgl. den Beitrag von Giovanna Tonelli in diesem Band. Als Gegenbeispiel könnte man auf die Graubündner Alpentransportsysteme verweisen, die bis ins frühe 19. Jahrhundert an das System der Rodfuhr und der Porten gebunden blieben. Jüngere Forschungen konnten jedoch zeigen, wie flexibel die Porten in der Frühen Neuzeit waren und wie deutlich die Systeme des sogenannten „freien Wettbewerbs“ im 19. Jahrhundert dem alten System ähnelten, vgl. B. Riedi, Die Porten der Unteren Strasse, ihr Ladungsrecht und der Strassenunterhalt. Rechtshistorische Betrachtungen zur Verkehrs- und Wirtschaftsgeschichte Graubündens, Frankfurt a.M. 2009, S. 429–435.

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bestand hier immer eine relativ große Offenheit für Neueinsteiger auf dem Markt und die Möglichkeit für ein ‚Ausprobieren‘neuer Methoden. Bezüglich der aus Deutschland stammenden Händler im Genua des 15. Jahrhunderts wurde bereits festgestellt, dass hier der „kreative, innovative Teil des oberdeutschen Unternehmertums“ anzutreffen war.176 Dieses Fazit sei hier erweitert: Dasselbe galt auch in der Gegenrichtung, und es galt bis an das Ende des 18. Jahrhunderts.

176 Veronesi, Oberdeutsche Kaufleute, S. 303.

MUCH MORE THAN JUST ORANGES AND LEMONS! Italian Trading Houses in the Rhine-Main Region during the 18th Century Ralf Banken Abstract: Initially, the northern Italian pedlars and merchants from Lake Como, who immigrated to southwest Germany in the 17th century, only dealt in Italian goods. They considerably expanded their production range after 1650 and additionally dealt in colonial goods such as coffee and tobacco. Furthermore, some Italian trading companies turned into wholesalers. They not only longer received their goods by truckage via the Alps, but mostly by shipment from Amsterdam. There, the mostly family-owned trading houses established branch offices, which allowed them to purchase goods – also stemming from Northern Italy – cheaply. This essay describes this long-term development process using the example of the Frankfurt trading house owned by the Brentanos and other examples of Italian merchants from Frankfurt am Main. In addition, it points to the importance of economic relations between the cities of Frankfurt and Amsterdam for the Italian merchant families’ success, as well as the consumption revolution in southwestern Germany.

1. INTRODUCTION In contrast to other immigrant populations, the history of Italians in west and southwest Germany is comparatively well explored. Several studies have enabled us to piece together a comprehensive picture of the development of their migration since the early 17th century. Those works, which form the main basis for the following outline, not only focus on that migration, but also deal increasingly with the commercial activities of these populations, most recently, for example, Christiane Reves on the developing trade activities of Italian merchants in Frankfurt.1 Although these studies do explore the economic success of these Italian merchant families, it is the socio-historical aspects that come to the fore in both these and other pieces of research, such as how the integration of Italian immigrants successfully came about or how marriage helped to shape the changing face of this group. This contribution touches only briefly on these questions in the following because the article looks in greater depth at the economic aspect of their development. In addition, this contribution will more closely examine the success story of

1

C. Reves, Vom Pomeranzengängler zum Großhändler? Netzwerke und Migrationsverhalten der Brentano-Familien im 17. und 18. Jahrhundert, Paderborn 2012. See also a summary of the monograph in C. Reves, „‚Ich erzählte ihm von den sämtlichen italienischen Familien…‘. Die Präsenz von Händlern vom Comer See in Frankfurt im 17. und 18. Jahrhundert”, Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 68, 2002, pp. 309–326.

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the Italian merchant families within the general context of west and southwest Germany’s economic history. The best-documented examples of Italian trading houses in Frankfurt will take centre stage in the study, and a brief comparison with the development of German trading houses will also be made. 2. ITALIAN MERCHANTS IN GERMANY PRIOR TO 1800 Since the late Middle Ages, and particularly during the 16th century, a large number of Italian merchants arrived in German trading towns such as Nuremberg, Augsburg and indeed Frankfurt. These wholesale merchants, often referred to at the time as Lombards, were most active in long-distance trade and associated dealings with Upper German cities, Venice and other large cities in northern Italy. However, they began to leave Germany towards the end of the 16th century as the economic landscape began to deteriorate, and the advent of new sea routes to Asia and America meant that long-distance trade shifted from the Mediterranean to the Atlantic, with Antwerp (and from 1585 Amsterdam) replacing Venice as the centre of European international trade.2 Notably, there were no connections between these early Italian wholesalers and the waves of Italian immigrants who followed after 1600. The latter replaced the former in supplying Italian goods to western and southwestern Germany.3 From the beginning of the 17th century onwards, Italian traders arrived in three waves of immigration. The first came from Savoy, having built larger trade networks in Upper Germany since 1550,4 and were followed after 1600 by those from the northern Italian lakes, notably Lake Como.5 After the hawkers and merchants of Lake Como (Brentano, Guaita, Bellini, Cetto, Carli, Mainoni), resident in Frankfurt from the 1620s and selling spices and tropical fruit, merchants from Savoyard and Piedmont (including the Allesinas, Bolongaros, Borgnis and the Bertinas) followed from 1710, travelling to Frankfurt to trade silk and haberdashery. A final

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3

4 5

A. Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Vol. 4, Frankfurt a.M. 1910, p. 30; M. Rothmann, Die Frankfurter Messen im Mittelalter, Stuttgart 1998, pp. 55–56, 165–166, 415–416, 487; Reves, „‚Ich erzählte ihm“, pp. 310–312; A. Schindling, “Bei Hofe und als Pomeranzenhändler: Italiener im Deutschland der frühen Neuzeit”, in: K.J. Bade (ed.), Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte und Gegenwart, München 1992, pp. 287– 293; A. Thiel, “Der Italienhandel”, in: R. Koch (ed.), Brücke zwischen den Völkern – Zur Geschichte der Frankfurter Messe, Vol. 2, Frankfurt a.M. 1991, pp. 72–76. J. Augel, Italienische Einwanderung und Wirtschaftstätigkeit in rheinischen Städten des 17. und 18. Jahrhunderts, Bonn 1971, pp. 203–205; Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Vol. 4, pp. 29–32, 49; F. Braudel, Sozialgeschichte des 15.–18. Jahrhunderts, Vol. 3: Aufbruch zur Weltwirtschaft, München 1986, pp. 187–189. Augel, Italienische Einwanderung, p. 107; Schindling, “Bei Hofe und als Pomeranzenhändler”, pp. 287–293. For details on the origins of Italian merchants, see: Augel, Italienische Einwanderung, pp. 42– 72, 85–106.

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wave of immigration in 1750 brought with it Italian traders (such as the Mattis, Minoprios, de Giorgis and the Milanis) mainly from Lombardy.6 Those from Lake Como initially supplied the Swiss markets and fairs. As unregulated peddlers, they furnished households throughout the year with Italian goods – mostly tropical fruits, nuts, olive oil, spices and haberdashery, as well as trinkets from Venice.7 These traders joined together to form small companies – usually comprising several relatives or friends who, among them, managed the purchase of the goods and their subsequent delivery and sales inside Germany. These patriarchally organized groups were not permanent fixtures, existing only for a single trading season or a few years at most. At the end of each period, profits would be split and a new company formed, consisting either of new members or previous ones.8

Figure 1: Italian immigration across southwest and west Germany before 18009

From 1600 onwards, these Italian migrant traders, considered comparatively wealthy in their homeland thanks to property and other assets,10 flocked from the

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For this periodisation, see: Reves, Pomeranzengängler, pp. 235–236; Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Vol. 4, pp. 238, 240–246. Compare also with: Augel, Italienische Einwanderung, pp. 106–110. 7 Augel, Italienische Einwanderung, pp. 189–196. 8 Reves, Vom Pomeranzengängler, pp. 199–203; Reves, „‚Ich erzählte ihm”, pp. 312–315. 9 Augel, Italienische Einwanderung, p. 122. 10 Ibid., pp. 238–244; Reves, Vom Pomeranzengängler, pp. 93–126.

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northern Italian lakes to south and west Germany, with just a small number heading to the north and east of the country, (see Figure and Table 1).11

Mainz Cologne Frankfurt Bingen Bonn Trier Koblenz Mannheim Heidelberg Bruchsal Düsseldorf Rottenburg am Neckar Homburg/Saar St. Wendel St. Goar Germersheim All other cities with fewer than 20 Italian inhabitants Total

inhabitants 314 256 146 89 82 79 58 57 50 44 30 29 23 23 21 20 526 1847

as in % 17 13.9 7.9 4.8 4.4 4.3 3.1 3.1 2.7 2.4 1.6 1.6 1.2 1.2 1.1 1.1 28.5 100

Table 1: The Italian population of west and southwestern cities in Germany by 180012

Individuals tended to settle in specific cities, often initially as so-called tolerated ‘Permissionisten’, taking lodgings in local inns. Later, they brought with them other family members and compatriots, many of whom were successful in gaining ‘Beisasse’ status – a city resident without full civil rights – or even obtaining citizenship. Both, however, depended on a number of conditions – as a Beisasse one had to declare one’s assets, pay taxes and fulfil the same civic duties as any other citizen.13 To obtain full citizenship, one had to be in possession of a greater fortune, pay an entry fee, have wed a native or be of an appropriate religious denomination. The latter in particular proved pivotal in Protestant cities, where Catholic Italians retaining their denomination, and despite commercial success, faced considerable backlash. The same was true in Frankfurt.14 Of course, this posed little problem in

11 12 13 14

Augel, Italienische Einwanderung, pp. 110–130. Ibid., pp. 117–121. Reves, Vom Pomeranzengängler, pp. 295–320. For example, the daughters of the Frankfurt Lindt family of craftspeople married numerous Italian men, thus enabling them to become citizens, e.g. Joseph Belli. Several members of the

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Catholic cities, such as Mainz or Cologne, nor indeed in smaller Protestant towns or rural areas; Italians who had established communities there after the Thirty Years’ War enjoyed not only full citizen rights, but could also become members of their local councils and even ascend to the position of mayor.15

Construction workers Plasterers Architects, artists Chimney sweeps Tinsmiths Craftsmen and workers Soldiers Innkeepers Chandlers Merchants Factory workers Bankers Officials, servants Doctors, academics Ministers Total

Number 73 5 19 56 17 117 9 20 273 452 57 7 105 24 7 1241

as in % 5.9 0.4 1.5 4.5 1.4 9.4 0.7 1.6 22 36.4 4.6 0.6 8.5 1.9 0.6 100.0

Table. 2: Italian merchants by 180016

Guaita family changed denomination and converted to Lutheranism. Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Vol. 4, p. 159; Reves, Vom Pomeranzengängler, p. 283, 323. For general discussion on the slow pace of integration in southwestern Germany see: Augel, Italienische Einwanderung, pp. 282–285, 296–307. 15 See at a glance Italian immigration in other southwestern and western German cities: ibid., pp. 134–155. For individual cities, see: ibid., pp. 110–130, 139–140 on Düsseldorf, p. 145 on Koblenz, pp. 145–147 on Köln and pp. 148–149 on Mannheim; A. Künzel, Fremde in Köln. Integration und Ausgrenzung zwischen 1750 und 1814, Cologne 2008, pp. 76–86; H. Kellenbenz, Köln und Italien vom ausgehenden Mittelalter bis zum Beginn des 19. Jahrhundert, Cologne 1962, pp. 71–82; M. Koelges, “Handel und Gewerbe in der frühen Neuzeit”, in: Energieversorgung Mittelrhein GmbH (ed.), Geschichte der Stadt Koblenz. Von den Anfängen bis zum Ende der kurfürstlichen Zeit, Stuttgart 1992, pp. 333–347; T.E. Stolterfoht, Italienische Kaufleute in der Reichsstadt Heilbronn in der Frühen Neuzeit (1670–1773), in: C. Schrenk / P. Wanner (eds.), heilbronnica 3. Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte, Heilbronn 2006. For Mainz specifically, see: C. Reves, “Von Kaufleuten, Stuckateuren und Perückenmachern. Die Präsenz von Italienern in Mainz im 17. und 18. Jahrhundert”, in: M. Matheus / W.G. Rödel (eds.), Bausteine zur Mainzer Stadtgeschichte, Stuttgart 2002, pp. 135–159; Reves, Vom Pomeranzengängler, pp. 287–293; Augel, Italienische Einwanderung, pp. 159–166, 147–148. 16 Augel, Italienische Einwanderung, pp. 169–170, 187–205.

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As a group, merchants represented the largest number of Italians gradually starting to settle in Germany; often they brought with them their wives, but remained in close contact with their northern Italian roots. By the 17th century, those travelling to Germany were not arriving completely penniless, but were bringing with them ready-made capital for trading thanks to a respectable family heritage and extensive land and property interests back in their homeland.17 More important still was the way in which they steadily continued to accumulate yet more capital, adapting business models and expanding their range of goods to include items of non-Italian origin. In addition to tropical fruit, they sold colonial products such as coffee and tobacco but also fish, fabric, paper, medicines and much more. Those in larger cities faced, in particular, immediate and fierce opposition from local shopkeepers, who were still operating in accordance with the 17th century guild system and often specialising in a single one of these items. As a result of such grievances, the Italians were often restricted by the municipal or regional authorities to selling Italian goods alone. Yet not restrained by any other form of regulation, they distributed their wares not only in the markets but also peddled them to inns. It was exactly this refusal to abide by the trade laws in Protestant towns and cities that often saw them denied full civil rights, despite considerable wealth and tax contributions.18 In addition to the way in which the Italians both disregarded trade laws and expanded their product ranges (dealt with here in detail owing to the resulting conflicts in the research), their activities changed significantly in other respects. Firstly, the temporary companies gradually became permanent trading companies, with articles of association running longer-term and without end. Leaving

17 For the development of the trading companies of the extended Brentano family, see Rainer Niebergall on Peter Anton Brentano and Michael Grus on Franz Dominicus Maria Brentano in: B. Heidenreich / A. Bohnenkamp-Renken / E. Brockhoff / W. Bunzel (eds.), Die Brentanos. Eine romantische Familie?, Frankfurt a.M. 2016, pp. 61–92, 93–112: Compare also: Reves, Vom Pomeranzengängler, pp. 138–156, 242–248, 252–264; Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Vol. 4, pp. 246–253; A. Engelmann, “Die Brentano vom Comersee. Zu ihrer Soziallage und -entwicklung als Familie”, in: K. Feilchenfeldt / L. Zagari (eds.), Die Brentano. Eine europäische Familie, Tübingen 1992, pp. 17–28; R. Koch, “Peter Anton Brentano (1735– 1797). Italienischer Kaufmann und Bürger der Freien Reichsstadt Frankfurt”, in: B. Heidenreich (ed.), Geist und Macht. Die Brentanos, Wiesbaden 2000, pp. 19–44; A. Dietz, Frankfurter Bürgerbuch, Geschichtliche Mittheilungen über 600 bekannte Frankfurter Familien aus der Zeit vor 1806, Frankfurt a.M. 1922, p. 15. See also the most recently published study of: T.E. Stolterfoht, Die Südfrüchtehändler vom Comer See im Südwesten Deutschlands im 17. and 18. Jahrhundert, Hamburg 2017. 18 For general information on the spice and grocery trades, see: F. Lerner, Die Frankfurter Pfeffersäcke. Ein Kapitel aus der Historia der Spezereien und Gewürze, Frankfurt a.M. 1969; Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Vol. 4, pp. 49–56, 211–258.

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shareholders were bought out, with new trading companies often transformed into family-run trading houses boasting tighter institutional structures.19 The closure of single businesses was closely linked to both this change and the expansion of product ranges. After 1700, barely any new trading companies were established out of the original migrant companies. Instead, the only new trading companies emerged as result of divisions within existing companies. Immigration amongst Italian merchants and traders also came to an end; young Italians now only came to Germany to work as peddlers or agents for, or within, existing trading houses.20 The many Italian trading companies and houses enjoyed close commercial relationships with each other, albeit of an increasingly less personal nature. These quick and secure financial transactions undoubtedly contributed further to the success of Italian trading houses – particularly the larger ones, which enjoyed international business relations and benefited from extensive trade networks (see Table 3).21 Vienna, Genoa, Ingolstadt, Obersdorf, Olomouc, Markdorf, Zurich, Frankfurt am Main, Pfullendorf, Corenno, Munich, Stuttgart, Wroclaw, Nördlingen, Prague, Nuremberg, Leipzig, Venice, Cologne, Amsterdam, Ehingen, Liverno/Leghorn, Strasburg, Lindau Table 3: The trade links enjoyed by Domenico Andrea Brentano-Griante, Augsburg22

Moreover, Italian trade in west Germany continued to change in relation to supply chains, owing also to those expanding product ranges now being offered by Italian trading houses. Although Italian traders sourced a large proportion of their goods directly from Italy – previously transporting them across the western alpine passes of Gotthardt, Bernhardt and as far as Splügen and Zurich, Basel and Lindau down to southern Germany (see Figure 2) – the purchase of goods from Holland brought with it new significance.23

19 Reves, Vom Pomeranzengängler, pp. 189–222. Compare also with A. Amend-Traut, Brentano, Fugger und Konsorten – Handelsgesellschaften vor dem Reichskammergericht. Zu den gerichtlichen Auseinandersetzungen der Brentanos, Wetzlar 2009. Also: I. Kaltwasser, Inventar der Akten des Reichskammergerichts 1495–1806, Frankfurt a.M. 2000, pp. 44–46, 51–52, 185– 189. 20 Reves, Vom Pomeranzengängler, pp. 182–187. 21 For information on Italian trading cooperatives, and later trading companies, see: Augel, Italienische Einwanderung, pp. 196–199; Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Vol. 4, p. 240; Reves, Vom Pomeranzengängler, pp. 222–229. 22 Ibid., p. 226. 23 Thiel, “Der Italienhandel”, p. 74.

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Figure 2: The most important trade routes from northern Italy to Frankfurt and Upper Germany24

This diagram details not only the distribution of North Sea fish, such as herring and cod, but also the establishment of numerous agencies in Amsterdam, facilitating the simple onward transportation of goods to the western and southern regions of Germany. Date 20.01 07.02 23.04 18.06

Goods 2 barrels of long raisins and 3 barrels of figs 4 barrels of raisins 12 boxes of fresh Genoese limes 24 boxes of fresh limes

07.09

capers

16.10

6 boxes of fresh limes

10.11

6 boxes of fresh limes

Recipient Innocentia Guaita Martino Bellino Innocentia Guaita Martino Bellini & Carlos Brentano Martino Bellini & Carlos Brentano Martino Bellini & Carlos Brentano Bellini, Brentano & Forno

Table 4: Deliveries made by Burlamacci trading company in Amsterdam to Italian trading companies in Frankfurt am Main in 167125

The Dutch branches of the Italian trading houses in Germany played a major role in their success, no longer restricted by foreign traders – such as the Burlamacci

24 Ibid., p. 74. 25 Reves, Vom Pomeranzengängler, p. 251.

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trading company (see Table 4) – and able to tap into the profits to be made from this part of the value chain. In addition to the establishment of trading branches, notably in Amsterdam, the entry of some Italian trading houses into manufacturing provided an added arm to their business. The Farinas in Cologne, for example, broke into perfumery alongside other pioneers of eau de cologne production.26 In Frankfurt, the Bolongaros turned their hand to the extremely lucrative production of snuff tobacco.27 In these and other cases, Italian entrepreneurs were frequently involved in new types of industry, often consumer goods production, largely unrestricted by guilds or state regulations. Many Italian trading houses still enjoyed a great degree of economic success without entering into commercial production themselves, amassing real estate and rising socially as a result, provided they belonged to the right religious denomination. That said, not all trading families were able to acquire the same scale of assets as the Bolongaros, Brentanos or Allesinas, which was usually only possible in wholesale trade and the larger towns and cities. 3. ITALIAN IMMIGRANTS TO FRANKFURT PRIOR TO 1800 Many of the same characteristics seen in west and southwest Germany also apply to Italian trading companies operating notably in the Rhine-Main-Region. Hence-

26 On the Farinas, see: Augel, Italienische Einwanderung, p. 233; G. Agosta, Johann Maria Farina Gegenüber dem Jülichs-Platz GmbH seit 1709, Solingen 2012; M. Eckstein, Eau de Cologne: 300 Jahre Farina, Cologne 2009; H. Sinz, Kölnisch Wasser: Geschichte und Geheimtipp, Pulheim 1985; E. Rosenbohm, Kölnisch Wasser. Ein Beitrag zur europäischen Kulturgeschichte, Berlin 1951, pp. 324–363; W. Mönckmeier, Die Geschichte des Hauses Johann Maria Farina gegenüber dem Jülichsplatz in Köln gegründet 1709, Berlin 1934. 27 On the development of the Bolongaro trading house and its tobacco production, see: S. Wustmann, “Die Einbürgerung der italienischen Kaufmannsfamilie Bolongaro in Frankfurt am Main”, Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 68 (2002), pp. 327–374; S. Wustmann, Die Familie Bolongaro in Frankfurt am Main und Höchst. Der Werdegang einer italienischen Kaufmannsfamilie vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Rivalität zwischen der Reichsstadt Frankfurt und dem Kurfürstentum Mainz im 18. Jahrhundert [unpublished M.A.-thesis], Offenbach am Main 1994; H. Wang, Der Bolongaro-Palast zu Höchst a. Main, Frankfurt 1904. Compare also: Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Vol. 4, p. 210, 212, 248; Augel, Italienische Einwanderung, pp. 48, 92, 100, 233–234; J. van Heel, “Bolongaro Crevenna. Een italiaans koopman en bibliofiel in Amsterdam”, Jaarboek voor Nederlandse boekgeschiedenis 5 (1998), pp. 73–93; J. Hembus, Der Bolongaro Palast in Emmerichstadt, d.h. Frankfurt am Main-Höchst, Frankfurt a.M. 1960; Dietz, Frankfurter Bürgerbuch, p. 13. On other Italian tobacco manufacturers (Maggi, Minoprio) in Frankfurt, see: Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Vol. 4, pp. 601–609; Augel, Italienische Einwanderung, pp. 233–234; F. Lerner, Das tätige Frankfurt im Wirtschaftsleben dreier Jahrhunderte (1648–1955), Frankfurt a.M. 1955, p. 113, 237.

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forth, this study examines the well-researched example of Frankfurt in closer detail.28 Particularly significant in the case of Frankfurt is the fact that Italian trading companies operating there recorded the greatest degree of economic success – much more than in Mainz, for example, where there was a higher concentration of Italians – despite the fact that they faced a greater number of obstacles to integration and citizenship in Frankfurt than in the Electorate of Mainz.29 The first Italian merchants arrived in Frankfurt in the late 1620s. From the 1640s, individual Italian traders could apply for Beisasse status, spending the best part of the year in the trade fair town on the Main. From 1670, they faced hostility from the condiments traders and confectioners, who accused the Italians of failing to abide by market regulations. The Germans criticized the Italians for trading more often than on the two market days permitted, as well as for peddling their wares. They also argued that the Italians were trading in the inns where they were lodging and selling items of non-Italian origin.30

Domenico Brentano Joseph Brentano Antoni Brentano Deus u. Sohn Johann Dwerhagen Gg. u I. Lothigius Joseph Angelo

Herring

Buckling

Dried Cod

Cod

in t

in t

81

36.5

in Roll 2.5

in baskets 1

79.7 5 27.5

8.5

423. 5 233 52.7 5 12

3

3

44 23.5

2

Labberdan (salted cod) in t

Bolch

Oysters

in t

in t

6.5

1

4.25

8

3.5

2

0.75 31

10

30

9

6 4

5

0.75

Table 5: Sales of fish by Frankfurt merchants from the autumn fair 1717 to the Easter fair 171831

28 29 30 31

Reves, „‚Ich erzählte ihm”. Reves, Vom Pomeranzengängler, pp. 287–293; Reves, “Von Kaufleuten”. Reves, Vom Pomeranzengängler, pp. 265–275. G. Schnapper-Arndt, Studien zur Geschichte der Lebenshaltung in Frankfurt am Main, Bd. 1, Frankfurt a.M. 1915, p. 78. Labberdan is referred to as salted cod, and Bolch as Blaufelchen, cod, white fish or Beluga sturgeon (European companies).

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These allegations – as self-serving as they were – were indeed accurate, as Tables 5 and 6 demonstrate. And so the complaints lodged by their German competitors forced the Frankfurt city council to restrict Italian traders to the sale of Italian goods only and to demand that they abide by the city’s trade laws. But their initial pledge of compliance did not last for long, resulting in an ongoing dispute with the Frankfurt traders, typically those specialising in specific goods.32 Inventory warehouse and household goods for Steffano Brentano Frankfurt am Main died 30.9.1769 Various types of sugar, coffee and tea, almonds, caraway, cocoa, mustard, aniseed, coriander, ginger, bay leaves, cotton, paper, tobacco, gum, pepper, pasta, citronate, dry bitter orange peel, glue, bergamot, raisins, nutmeg , saffron, cinnamon, staghorn, olive oil, olives, figs, candles, vanilla, chocolate, powder, sealing wax, anchovies, lemons, Spanish soap, Parmesan cheese, Spanish wine, vinegar, rapeseed oil, limes, brooms, Native American bird nests and much more Antonio Brentano Nürnberger Hof 1692 and 1703 1692: sugarloaf, herrings, salted cod, salmon, beef tongues, Edam, Parmesan cheese, plums, tobacco 1703: coffee, tea, potatoes, tree oil, sugar candy, Dutch tobacco, Spanish tobacco, cotton, paper, Spanish soap, cheese, Spanish wine, Rhine wine Carl Brentano & Forno 1703 Capers, figs, salted limes, laurel, almonds, nuts, olives, sloes, pine nuts, raisins, rice, citron, tree oil, chocolate, potatoes, Parmesan, Spanish wine, Canari Sec, pipes, Brazilian tobacco, Spanish snuff, gum, indigo, cochineal, blue and redwood, cotton, soap Table 6: The product range of the Brentano trading house from 1692–176933

Other arguments circled around the selling of fake goods and the transfer of money to Italy, or that fact that only one shareholder had Beisasse status, meaning the others could not legitimately trade in Frankfurt.34 The Italian traders refuted the allegations, pointing out that the price of Italian goods had been significantly reduced as a result of their activities, breaking up the old traditional monopolies, and making it possible to buy lemons for three or four Kreuzer instead of 20 to 30. They threatened to quit the country, demanded free trade on all products and called for full citizenship. Despite some noteworthy support from the Electorate of Mainz and regional sovereigns, this proved largely unsuccessful. Rather, these interventions served only to reinforce the attitude of the Frankfurt city council, which

32 On the expansion of Italian traders’ product ranges, see: Augel, Italienische Einwanderung, pp. 205–212, 216–218, 223–224; Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Vol. 4, pp. 244–250. 33 Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Vol. 4, p. 244; Reves, Vom Pomeranzengängler, p. 250; Reves, “‘Ich erzählte ihm”, p. 316. 34 C. Reves, Pomeranzengängler, pp. 265–275.

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regarded the traders as an interference in their sovereignty. Ultimately, the status quo remained unchanged because Italian trading companies still required approval from the Frankfurt city council to appoint a new Beisasse in the event of the death of the often single status holder.35 Regardless of these disputes, Italian traders did not fundamentally change their commercial practices. Rather, they continued to expand their range of goods for sale. At that same time, and from 1700 onwards, the slow change from older, larger, family-run companies to trading houses owned by smaller nuclear families coincided with a shift towards wholesale retailing. Seven Frankfurt-based trading houses were formed out of existing companies dealing mainly in spices. The Italian families in question were the Brentanos, Guaitas, d’Angelos, Maionis, Andreolis, Pencos and Bernays.36 After 1700, fewer and fewer Italian traders employed younger relatives as peddler boys. Instead, they hired young men of no relation. They increasingly sold to independent retailers – mainly of German origin – in the Rhine-Main area and beyond with both specialist and colonial items. Consequently, Frankfurt’s wholesalers – and not just its Italian ones – supplied almost all of southern Germany with coffee.37 The Italian import merchants mainly took receipt of their goods from Amsterdam or German ports on the North Sea.38 Consequently, in the early 18th century, they established branches in Amsterdam, cutting out the intermediary Dutch traders. A contemporary accurately described the city of Frankfurt in 1770 as “nothing more than a large warehouse run by the Dutch.”39 The Mattij brothers and their successors, the Bolongaros, who also dealt in colonial tobacco, coffee, wine and spices, arrived in 1734, following the well-established trade routes of the Main. Migrating from Stresa in Italy and opening a first branch in Amsterdam, they soon established an office (which later became their headquarters) in Frankfurt, capitalising on snuff production. Owing to their original base in Amsterdam, the Bolongaros challenged the Frankfurt city council, presenting themselves as naturalised Dutchmen in order to obtain citizenship more easily than their Italian competitors.

35 For details on the disputes among Italian traders, their German competitors and the Frankfurt city council, see: Reves, Vom Pomeranzengängler, pp. 252–286. Compare also with Augel, Italienische Einwanderung, pp. 212–223 and pp. 260–278; Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Vol. 4, p. 151, 240. 36 Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Vol. 4, p. 58. 37 Ibid., pp. 210–211. 38 For example, Italian trading houses owned by the Bolongaros, Guaitas and the Brentanos had branches in Amsterdam: Reves, Vom Pomeranzengängler, p. 234 39 J. Accarias de Sérionne / C.F. Jünger, Die Handlung von Holland oder Abriss der holländischen Handlung in den vier Theilen der Welt. Frankfurt a.M. 1770, p. 252, cited after: L. Beutin, “Nordwestdeutschland und die Niederlande seit dem Dreißigjährigen Kriege”, Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 32,2 (1939), pp. 105–147, here p. 120.

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The shift by Italian traders towards wholesale activities and their abandonment of their own migrant trade was, then, one of the reasons why the Italian spice traders (despite their difficulties) did not leave Frankfurt, rather sticking steadfastly to the city, able as they were to operate their wholesale business openly (unlike in Mainz) with Frankfurt a centre of importance for European trade. Here alone there were two trade fairs, countless year-round opportunities for business, and a wealth of knowledge on pricing, banking and the economy, as well as the ability to easily transport goods on to further destinations. Crucially, Frankfurt’s merchant bankers also enjoyed direct links to the most important financial trading centres in Europe.40 By contrast, Mainz – where the Electorate had tried in vain since 1700 to transform their city into a regional hub for trade, pitching itself as a competitor to Frankfurt – had only the advantage of being an important residential city with an affluent upper class of consumers.41 On the other hand, Frankfurt's connections to many European trading centers were of greater importance to the Italian merchants, as they purchased and transported by sea more and more goods from across western and southern Europe. Only from Frankfurt was it possible to import good quality stock quickly, safely and at a reasonable cost via Amsterdam. It is hardly surprising that they were staunch supporters of free trade.42 The growing importance of Frankfurt in long-distance trade throughout western and central Europe became ever-more prevalent during the 18th century and brought with it the second influx of Italian merchant families to the city. From 1700, traders from Savoy, such as the Allesinas, moved to Frankfurt. From here, they traded largely in silk and haberdashery and almost always forged close links with Amsterdam. Importantly, several of the newly formed Italian trading companies also had branches in the Dutch metropolis.43 From the 1720s onwards, members of every Italian trading house gradually integrated into Frankfurt society, usually by marriage to the daughters of Catholic citizens or by conversion to Protestantism. In doing so, connections to their northern Italian homeland were impacted, if not completely obliterated, and this led to a

40 R. Banken, “Die Frankfurter Banken in der Goethezeit. Der Frankfurter Bankplatz in der Goethezeit 1750–1830”, Geschichte für heute. Zeitschrift für historisch-politische Bildung 8,1 (2015), pp. 14–34. 41 Reves, “Von Kaufleuten”. 42 Reves, Vom Pomeranzengängler, p. 279. 43 On the silk, wine and jewellery traders of Savoy and Piedmont (Allesina, Schweitzer/Suaizer, Simonetta, Minoprio, Bernay, Piautaz, Berna, Jordis and others) arriving in Frankfurt after 1700 following the emergence of the German silk industry on the Lower Rhine (Krefeld), see: H. Voelcker, Die Stadt Goethes. Frankfurt am Main im 18. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1932, pp. 94–95, pp. 109–111, 118; Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Vol. 4, pp. 357–360. See also the list of other Italian silk traders (Borasca, Negroni, Carli, Mainoni Peter, de Giorgi, Matti, Baptista & Pensa).

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much reduced sense of community among Frankfurt’s Italian merchant families.44 This is underlined by a number of disputes regarding the settlement of estates, such as the decades-long inheritance battle for shares in Domenico Brentano & Sons, which went all the way to the Imperial Court in the second half of the 18th century.45 1773 100 large trading houses in Frankfurt Including: 33 wine shops

1792

100 grocers 90 spice merchants (of them 10 Italian) 26 specialist wholesalers (of them 9 Ital- 14 material goods and pharmaceutiian) cals 26 wool merchants 35 tobacco manufacturers and sellers 19 jewelery, gold and silver shops 25 banking houses 18 book stores and printers 16 tobacco shops and manufacturers 11 silk merchants 11 material goods and manufacturers 9 leather merchants 9 ironmongers Table 7: The number of merchant houses in Frankfurt am Main in 1773 and 179246

Interestingly, nearly all of the Italian trading companies remained loyal to their traditional trading markets from 1700 onwards (see Table 7). None of the Italian families expanded into other trades, such as iron. With the exception of the Bolongaros and Minoprios, barely any Frankfurt-based traders moved into manufacturing prior to 1800. And even as the banking industry erupted after 1750, neither the Schweitzer Allesinas nor the Bolongaros and Brentanos – despite their close relations with the some 44 banks in Frankfurt and their own banking activities – moved into the booming (and extremely lucrative) business of government bonds since the 1770s.47 Nonetheless, as shown in Table 8, several of the Italian trading houses built up large assets by trading solely in specific markets such as colonial or luxury goods as well as silk:

44 On the unyielding connection to their Italian homeland, see: Augel, Italienische Einwanderung, pp. 290–296; Reves, Vom Pomeranzengängler, pp. 56–59. 45 Kaltwasser, Inventar der Akten, pp. 186–188. 46 Reves, Vom Pomeranzengängler, pp. 233–234; Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Vol. 4, p. 213. 47 On the Schweitzer-Allesina trading company, see: Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Vol. 4, pp. 357–360; F. Koch, “Schweitzer, Franz Maria von”, in: W. Klötzer (ed.), Frankfurter Biographien, Frankfurt a.M. 1996, p. 365; Dietz, Frankfurter Bürgerbuch, p. 85.

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1707 1723 1744 1748 1755 1770

Schweitzer, Johann Sebastian Brentano, Domenico, the elder, Italian spice merchant Guaita Innocentius, Italian spice merchant Brentano, Karl, Italian spice merchant, Liebfrauenberg Brentano, Domenico Martino, Italian spice merchant, Schweitzer von Wiederhold, Johann Georg, Kaiserlicher Rat u. Schöffe 1776 Allesina, Johann Maria, silk merchant 1780 Bolongaro, Josef, to Emmerichstadt near Hoechst u. Bolongaro, Jakob, Frankfurt, snuff manufacturers 1802 Bolongaro Simonetta, Victor, banker

fl 106.269 116.000 80.000 130.000 120.000 200.000 500.000 2.000.000 1.000.000

th

Table 8: The increase in wealth among the great 18 century Italian merchants in Frankfurt am Main48

So the Brentanos and Guaitas,49 as well as the Schweitzer-Allesinas, became some of the richest families in Frankfurt during the second half of the century. They remained, however, in the shadow of the Bolongaros, whose wealth increased thanks not only to their trade activities, but also to their venture into tobacco production. As Tables 9 and 10 demonstrate, a large part of these assets stemmed from the value of their stock, as well as from claims against customers and other creditors: Assets Including

in total Parisian goods Blonda & Robba di Pariggi Parisian goods (Lyon, Nimes & Puy) Parisian goods from Holland and Italy Rhine wines Depots, available cash and change Arrears Other Liabilities in total

461.760 fl. 27.963 fl. 45.131 fl. 18.740 fl. 45.742 fl. 142.778 fl. 170.772 fl. 10.604 fl. 30.000 fl.

Table 9: The estate of Franz Schweitzer in 177450

48 Specific data according to: Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Vol. 4, pp. 737–747. 49 On the Guaitas, see: Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Vol. 4, pp. 253–258; N.N., “Guaita, Familie”, in: Klötzer (ed.), Frankfurter Biographie, pp. 282–283; Dietz, Frankfurter Bürgerbuch, pp. 33–34; S. Koellreuter, Die Geschichte der katholischen Frankfurter Familien, Frankfurt a.M. 1920, pp. 9–10. 50 Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Vol. 4, p. 356.

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In contrast to Franz Schweitzer (Table 9), the assets of Anton Peter Brentano (who died in 1797 having handed the business down to his son years earlier), mainly consisted of securities worth 282,600 guilders.

Golden Head House (Haus zum goldenen Kopf in der großen Sandgasse,), together with a shop on the Römerberg Available cash Change Goods Estate, valuables and silver 231 bonds, (188 Austrian K.K. bonds at 4.5% and 34 at 5%) Stakes – good and bad Other Sum Debt

in fl 45.000 21.486 26.000 134.473 8.784 282.600 647.464 26.892 1.192.699 154.004

Table 10: The estate of Anton Peter Brentano around 180051

The wealth of Italian merchant families would later reveal itself in the form of several endowments or in the construction of innumerable, magnificent houses, including the Palais Schweitzer-Allesina (see Abb. 1), which Goethe praised highly on a visit in 1797: I have seen much these last few days; I have ridden around the city and passed by, inside and out, one building after another, noting as I went those with better and greater taste – though here and there some take a backward step. Yesterday I visited the Schweitzer House, which also contains a lot of good.52

As well as the Schweitzer-Allesinas, other wealthy Italian merchant families also built great townhouses, such as the Palazzo Belli at the Rossmarkt, or large garden houses such as the Guaita at the at the banks of the Main river, near a place that today is called “Nice on the Main” (see Abb. 2).53 However, the most well-known remains the Bolongaro Palace, which still exists today. Owing to the hostility between the Bolongaros and the Frankfurt city 51 Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Vol. 4, p. 251. Compare also H. Schultz, “‘Zum Kaufmann taugst du nichts...‘. Die Frankfurter Brentano-Familie und ihre Auseinandersetzungen mit Clemens”, in: C. Jamme / O. Pöggeler (eds.): Frankfurt aber ist der Nabel dieser Erde. Das Schicksal einer Generation der Goethezeit, Tübingen 1992, pp. 243–257, here pp. 243–244; K. Güntzel, Die Brentanos. Eine deutsche Familiengeschichte, Düsseldorf / Zürich 1998, pp. 56– 60. 52 J.W. von Goethe, Goethes Werke, Ed. On behalf of the Grand Duchess Sophie von Sachsen, Abt. IV, Vol. 12, Weimar 1887–1919, p. 213. Compare also to: Banken, “Die Frankfurter Banken”, pp. 14–34; Lerner, Das tätige Frankfurt, p. 76. 53 The so-called Palazzo Belli was built in 1755 by wine merchant Josef Maria Belli.

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council, the house was not built within the confines of Frankfurt, but rather in the Mainz-inspired Höchster Neustadt between 1772 and 1774. Here, the Mainz Elector Emmerich Josef aimed to establish a new area of urbanisation, which he named Emmerichstadt, as a centre for trade and business through the granting of freedoms and privileges and/or (as in the case of the Bolongaros) civil rights (see Abb. 3).54 The huge wealth of some of the large Italian merchant families in Frankfurt, such as the Bolongaros, Brentanos or Guaitas, masks the fact, however, that not all Italian merchant families secured the same scale of fortune, despite their commercial successes. For this reason, some long-standing Italian trading companies, such as the Milano, Minoprios, Simonettas or d’Angelos, are known only in academic circles.55 4. CONCLUSION: THE IMPORTANCE OF ITALIAN TRADING HOUSES FOR THE WEST GERMAN ECONOMY DURING THE 18TH CENTURY Italian trading companies active in the Rhine-Main area from 1600 onwards owe their success in part to business strategy. Unlike the stationary retailers selling a limited range at high prices, the Italians targeted consumers directly with a wider range of new and less expensive goods. Like other travelling merchants, such as the Westphalian Töddens from the Tecklenburger Land, out of which emerged large, 20th century retailers like Hettlage, Peek & Cloppenburg or C & A,56 trading companies from the northern Italian lakes also played their part, disseminating new consumer goods and trends to the less affluent and rural population. They were implicit in eroding the guild system long before industrialisation through their disregard for trade regulations and calls for largely free trade.57 The Italians benefited from family networks and flexible social structures, affording them significant cost savings. The emerging trend away from seasonal fairs and those earlier forms of commission trade towards self-governed wholesale,

54 Wustmann, “Die Einbürgerung”, pp. 346–363. 55 As well as those already mentioned in the article and notes, herewith a list of Italian traders and trading families only operating in Frankfurt: Maggi, Minoprio, Mainoni, Matti, d'Angelo, Andrioli, Penco, Bernay, Bellini, Cetto, Carli, Borgnis , Bertina, de Giorgi, Milani / Milano, Baroggio Andrioli, Negroni, de Villani, Simonetta, Tognie. For commentary on them, see: Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Vol. 4, pp. 159, 211, 258, 297, 609–611; Reves, Vom Pomeranzengängler, p. 236; Augel, Italienische Einwanderung, pp. 166–167, 235; Dietz, Frankfurter Bürgerbuch, p. 8, 14, 30, 57, 60, 134; H. Voelcker, „Die Stadt Goethes“, p. 109–111; N.N., Belli. in: Klötzer (ed.), Frankfurter Biographien, p. 57; B.C. Fuchs, Die Sollicitatur am Reichskammergericht, Cologne 2002, p. 202; Lerner, Das tätige Frankfurt, p. 113, 237; S. Koellreuter, Die Geschichte, pp. 10–12; A. Engelmann, “Zwei oberitalienische Belli-Linien in Südwestdeutschland”, Genealogie 42 (1993), p. 721. 56 Augel, Italienische Einwanderung, pp. 226–228. 57 Ibid.

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which saw traders increasingly purchase goods from across Europe in large quantities and disseminate them via a network of agents and pattern books throughout Germany, had given the Italians an edge by the end of the 17th century. Furthermore, an improved trade infrastructure for Frankfurt, which ultimately brought family networks to an end, saw them stand their ground in the city despite the many obstacles they faced and the opportunities to better integrate elsewhere. They were, however, also able to establish branches in Amsterdam or other important locations for sea trade.58 The movement by Italian trading companies towards wholesale trading and their participation in the worldwide Atlantic economy via the ports of Amsterdam, Bremen and Hamburg was no less successful for numerous German traders and later for Jewish traders like the Rothschilds. A good example of this is the Staedels trading house. Founded in Frankfurt in 1718, it traded spices and boasted a branch in Amsterdam.59 It was Frankfurt that offered German, Italian (and later Jewish) merchants the excellent opportunities for long-distance trade, whereas success came for retailers in other cities in the Rhine-Main area through their continued focus on local and regional markets.

58 For a comparison with Mainz, see: R. Matheus, “‘Die sogenannten hiesigen Kaufleuthe ... sind im Grunde nur Krämer’. Mainzer Großhändler in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert.”, in: M. Matheus / W.G. Rödel (eds.), Bausteine zur Mainzer Stadtgeschichte, Stuttgart 2002, pp. 171–196; Reves, “Von Kaufleuten”, pp. 135–160. 59 Dietz, Frankfurter Bürgerbuch, p. 89; R. Jung, „Staedel, Johann Friedrich“, in: Allgemeine deutsche Biographie, Vol. 35. (1893), p. 358; C. Meyer, Die Geburt des bürgerlichen Kunstmuseums – Johann Friedrich Städel und sein Kunstinstitut in Frankfurt am Main, Berlin 2013, pp. 21–35.

IL COMMERCIO FRA LO STATO DI MILANO E I PAESI TEDESCHI NEL SETTECENTO1 Giovanna Tonelli Abstract: This essay focuses on the trade between the State of Milan and the German states during the 18th century. In order to gain a more profound understanding of this still understudied epoch and segment of transalpine trade, it is divided into two parts. The first focuses on the trades between the two areas in the 17th century in order to understand with what mentality the Milanese business elites entered the Age of Enlightenment. It can be shown in detail how intense the trading relations of Milan were especially with the German-speaking territories north of the Alps and how much these were defended by the Milanese elites against initiatives in other directions from their Habsburg rulers. The second part focuses on the commercial reforms of the eighteenth century before Henry Mylius arrived in Milan around 1790. These reforms were necessary when, after the middle of the century, the strong competition with the Piedmontese state for transalpine trade made itself ever more present. The reforms which achieved a solidification of the pre-eminence of Milan as a hub for most transalpine trade via Switzerland were in line with the traditional Lombard commercial tradition: the capital of a state, which was aware of not being able to enjoy the advantages of a port city where it was necessary that local and foreign goods and merchants had to stop. It was a city and a state that was therefore always ready to facilitate international trade and foreign economic operators.

1. DURANTE IL SEICENTO In questo contributo che, in linea con il tema del convegno, ha come obiettivo la ricostruzione dei rapporti commerciali fra lo Stato di Milano e i Paesi tedeschi quando Enrico Mylius giunse nella capitale lombarda alla fine del Settecento, ho ritenuto di dover introdurre l’argomento dedicando una parte iniziale al XVII secolo, in modo da comprendere con quale mentalità la Milano degli affari giunse all’età dei Lumi. Nel corso del XVII secolo il ruolo dello Stato di Milano nel mercato internazionale mutò rispetto ai secoli precedenti: da esportatore di prodotti di lusso realizzati in loco a fornitore in prevalenza di grani e seta (greggia e filata).2 L’area giunse quindi al Settecento con un apparato manifatturiero indebolito rispetto alla prima età moderna, soprattutto per quanto riguarda il settore tessile. Già dallo scadere del 1 2

Questo contributo è dedicato a Chi nutre Amore Profondo nei confronti della Cultura d'Oltralpe. A. Moioli, “La deindustrializzazione della Lombardia nel secolo XVII”, Archivio storico lombardo CXII (1986), pp. 167–203; id., “Il mutato ruolo delle corporazioni nella riorganizzazione dell’economia milanese del XVII secolo”, in: A. Guenzi / P. Massa / A. Moioli (a cura di), Corporazioni e gruppi professionali nell’Italia moderna, Milano 1999, pp. 51–52.

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Medioevo aveva perso il primato nella produzione di fustagni a favore dell’area germanica.3 Durante il dominio spagnolo decadde anche il lanificio e il setificio francese si impose in Europa.4 Soltanto un ristretto gruppo di beni di pregio continuò ad essere prodotto nelle botteghe lombarde e a godere dell’apprezzamento delle clientele più raffinate residenti sia nello Stato sia all’estero: calzetterie e accessori in seta (nastri, pizzi, fiori), manufatti in seta impreziosita con metalli preziosi, filato di seta con oro e argento, strumenti musicali e maioliche.5 Nonostante l’offerta di manufatti di qualità elevata si fosse ridotta, il commercio fioriva: nel 1675 i mercanti milanesi erano giudicati “ricchi”.6 La Lombardia spagnola aveva infatti cereali e semilavorato serico da offrire,7 si trovava in una posizione strategica per gli scambi commerciali intrattenuti dalle aree centrali del Continente con la Penisola e viceversa, ed era al centro di un reticolo di collegamenti stradali, sia via terra sia via acqua. Basti pensare che da nord si poteva accedere al Ducato da diversi valichi. Attraversate le Alpi, ci si trovava in presenza di laghi, di fiumi e pure di canali navigabili, scavati fin dall’età medievale: i “Navigli”.8 Milano era inoltre depositaria di una cultura improntata all’apertura nei confronti dell’estero e degli scambi commerciali con l’estero, calcolata e coerente. Ne è esempio eloquente la motivazione – che ho già messo in evidenza in altri lavori9 – al mancato placet espresso nel 1621 dalla massima autorità cittadina in fatto di approvvigionamento all’adozione di un provvedimento che avrebbe messo al riparo dalla concorrenza estera il tessile locale dopo due anni di una crisi che non era stata

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L. Frangioni, “Le merci di Lombardia. Produzioni artigianali di grande serie e produzioni pregiate”, in: G. Taborelli (a cura di), Commercio in Lombardia, Cinisello Balsamo 1987, p. 64. G. Vigo, “Manovre monetarie e crisi economica nello Stato di Milano (1619–1622)”, Studi storici 17 (1976), pp. 106–108; S. D’Amico, “Immigrazione e ripresa economica a Milano dopo la peste del 1630”, in: E. Brambilla / G. Muto (a cura di), La Lombardia spagnola. Nuovi indirizzi di ricerca, Milano 1997, p. 80. G. Tonelli, Investire con profitto e stile. Strategie imprenditoriali e familiari a Milano tra Sei e Settecento, Milano 2015, p. 69 e la bibliografia citata nella nota n. 29. G. Gualdo Priorato, Relatione della Città, e Stato di Milano sotto il governo dell’Eccellentissimo Sig. Don Luigi de Guzman Ponze di Leone, Milano 1675, p. 131. Sulla decadenza manifatturiera della regione: D. Sella, L’economia lombarda durante la dominazione spagnola, Bologna 1982, e le riflessioni condotte sulla tesi di Sella da A. Moioli, “La deindustrializzazione”. C. Tangari (a cura di), Cinquecento anni di Naviglio Martesana (1497–1997), Novate Milanese 1998; G. Tonelli, Affari e lussuosa sobrietà. Traffici e stili di vita dei negozianti milanesi nel XVII secolo (1600–1650), Milano 2012, p. 26, nota n. 41. G. Tonelli, “Percorsi di integrazione commerciale e finanziaria tra Milano e i Paesi d’Oltralpe nel primo Seicento”, in: L. Mocarelli (a cura di), Tra identità e integrazione. La Lombardia nella macroregione alpina dello sviluppo economico europeo (secoli XVII–XX), Milano 2002, p. 151; ead., Affari e lussuosa sobrietà, p. 16.

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ancora superata e che aveva già provato duramente le manifatture milanesi.10 Fulcro del ragionamento era la constatazione di un dato di fatto: la città non era un porto di mare al quale il mercante accorre per rifornirsi, data la quantità e la varietà di prodotti che vi può reperire. Milano doveva quindi fare in modo che gli operatori economici continuassero a frequentarla, senza cercare alternative.11 La coerenza con questo modo di pensare è ravvisabile nel modus operandi del vertice della Universitas Mercatorum. Composta da banchieri, cambisti e da negozianti attivi su scala internazionale, anche nei decenni iniziali del Seicento, un periodo contrassegnato dai primi segnali di una “crisi” che avrebbe imposto nei decenni successivi una svolta all’economia della città,12 ammise fra i propri componenti anche forestieri e stranieri;13 e va tenuto presente che fra tutti gli ascritti potevano essere scelti i membri del Consilium, l’organo direttivo che eleggeva gli abati, vigilava sulle contrattazioni, aggiornava la normativa commerciale, giudicava le cause mercantili e finanziarie tramite un proprio foro.14 L’apertura verso l’estero dello Stato e della capitale, emporio per i suoi abitanti e per i sudditi degli Stati adiacenti,15 era inoltre ben manifesta nella gestione del sistema daziario, che prevedeva esazioni di entità contenuta per il commercio praticato da professionisti del settore. I dazi effettivamente riscossi sull’import-export erano infatti il frutto di trattative fra il mercante e gli appaltatori che avevano vinto l’asta indetta per la gestione delle operazioni di prelievo dei tributi.16 Anche il transito beneficiava di tariffe agevolate sulla base dei cosiddetti “patti reali”.17 Erano concessi ai negozianti che organizzavano le spedizioni di merci su scala internazionale e che si impegnavano a far percorrere alle carovane vie specifiche fissate dagli organi di governo. Queste strade, dette “reali”, toccavano Milano e le città dello

10 Cfr. Vigo, “Manovre monetarie e crisi economica”, pp. 104–105, con la “Relatione fatta da i Signori Delegati da S.E. a consultar il modo di proveder al sostenimento de i poveri Operari…”, conservata a Milano, Archivio storico civico (= ASCM), Materie, cart. 267. 11 Si veda il documento “Quelle considerazioni, che mossero il passato Tribunale di Provvisione…”, datato 16 febbraio 1623 (ivi, cart. 571). 12 Moioli, “Il mutato ruolo delle corporazioni”, pp. 51–52. 13 Si vedano le fedi di ammissione alla Universitas mercatorum per il periodo 1610–1629, conservate a Milano, Archivio Storico della Camera di Commercio (= ASCCM), Appendice, scatt. 24–25; e G. Tonelli, “Negozianti dei laghi fra Milano e l'Europa (XVII secolo)”, in: A. Dattero (a cura di), Milano, città d’acqua e di ferro. Una metropoli europea fra XVI e XIX secolo, Roma 2019, pp. 65–80. 14 Tonelli, Affari e lussuosa sobrietà, pp. 60–69. 15 Ibid., p. 17; G. Tonelli, “La Milano degli Asburgo: ‘città emporio’, sovrana nell'organizzazione del commercio internazionale”, in: R. Cancila (a cura di), Capitali senza re nella Monarchia spagnola. Identità, relazioni, immagini (secc. XVI-XVIII), Vol. 1, Palermo 2020, pp. 187–204. 16 A. Moioli, “Pietro Verri e la questione della riforma daziaria nello Stato di Milano”, in: C. Capra (a cura di), Pietro Verri e il suo tempo, Vol. 2, Bologna 1999, pp. 857–859. 17 G. Tonelli, “Commercio di transito e dazi di confine nello Stato di Milano fra Sei e Settecento”, in: A. Torre (a cura di), Per vie di terra. Movimenti di uomini e di cose nelle società di antico regime, Milano 2007, pp. 89–91.

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Stato, alle porte delle quali erano riscossi i dazi sul commercio speciale, e quei centri dove erano dislocati altri caselli doganali.18 Ad esempio, con riferimento alle merci indirizzate dall’area germanica alla Penisola, l’operatore che organizzava la spedizione poteva richiedere due patti a seconda della località capolinea meridionale dei suoi traffici. Se si trattava di Genova, i convogli dovevano giungere a Como, passare quindi da Milano, Pavia, Alessandria o Tortona. Le stesse città dovevano essere attraversate se le merci erano spedite dallo scalo ligure verso il cuore del Continente. Se invece i prodotti dell’”Alemagna” erano diretti verso centro-sud della Penisola (Firenze, Roma e Napoli), e viaggiavano con merci delle “Fiandre” (termine che nel lessico milanese del tempo si riferiva a un’area più vasta rispetto alla regione attuale, estensibile oltre i confini del Belgio), fino a Milano il percorso era comune a quello previsto per i beni provenienti dall’”Alemagna” e diretti al porto ligure. Dovevano poi proseguire per Lodi e per Piacenza; al ritorno dovevano passare per Chiavenna.19 Da quanto esposto sinora una conclusione appare evidente: durante il Seicento il commercio lombardo beneficiò di una sostanziale libertà; e ciò appare con chiarezza qualora si focalizzi l’attenzione sugli scambi intrattenuti dalla regione anche con quei territori d’oltralpe che si staccarono dalla chiesa cattolica. Sono numerose infatti le testimonianze di rapporti economici con città non più sottoposte, in fatto di fede, all’autorità del Papa.20 È attestata pure la presenza a Milano di negozianti e di case commerciali provenienti da territori non più cattolici e di operatori milanesi nelle località di provenienza dei colleghi transalpini.21 Infine, in una supplica avanzata allo scadere del XVII secolo i negozianti ginevrini chiedevano di essere equiparati agli altri riformati.22 Una disparità, quella nei confronti degli operatori commerciali della città di Calvino, che risulta essere stata sanata qualche anno più tardi, agli inizi del Settecento, quando è datato fra l’altro un documento che non lascia dubbi sul fatto che le questioni di fede non incidevano ormai più sui rapporti

18 Sull’evoluzione di tale obbligo cfr. “Capitoli del dazio della Mercanzia” che recano la data del 26 giugno 1572 (ASCM, Belgiojoso, cart. 246) con l’atto, segnato “D”, allegato al documento “Con dispachio de 30 maggio prossimo scorso» del giorno 1°luglio 1688 (conservato a Milano, Archivio di Stato (= ASM), Commercio, p.a., cart. 28) che fa riferimento ai capitolati per la locazione 1637–’39, con i Capitoli tra la Reg. Cam. et li Datiari della Mercantia per gli anni 1670, 1671, & 1672, Milano s.d. [1669], pp. 32–36 (una copia dei quali è conservata a Milano, Biblioteca Nazionale Braidense (= BNBM), segnatura ZD VII 21). Per una sintesi: G. Tonelli, Affari e lussuosa sobrietà, p. 44. 19 Capitoli tra la Reg. Cam. et li Datiari della Mercantia per gli anni 1670, 1671, & 1672, p. 33. 20 G. Tonelli, “’Mercanti che hanno negotio grosso’ fra Milano e i Paesi riformati nel primo Seicento”, in: G. Maifreda (a cura di), Mercanti, eresia e Inquisizione nell’Italia moderna, numero monografico della rivista Storia economica, XVII (2014), pp. 120–131, tabella 1: “Trattari presenti a Milano e traenti d'Oltralpe (1610–1649)”. 21 Ibid., pp. 134–142, tabella 2: “Mercanti, società e case commerciali d'Oltralpe presenti a Milano (prima metà del XVII secolo)”; tabella 3: “Mercanti, società e case commerciali milanesi o a partecipazione milanese presenti Oltralpe (prima metà del XVII secolo)”. 22 Cfr. la richiesta datata 9 ottobre 1678 (ASM, Commercio, p.a., cart. 26).

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di Milano con i Paesi d’oltralpe.23 Sfogliando il tariffario daziario in vigore nel secondo decennio del XVIII secolo, si legge infatti che “Tedeschi [senza distinzione fra cattolici e protestanti], e Savoiardi nat[i] ne’ Paesi Oltramontani” al pari degli “Spagnoli” erano esonerati dal pagamento del “Datio della Riva”, un tributo imposto a tutti coloro che non erano in possesso della cittadinanza milanese.24 Alla base dell’apertura delle autorità di governo nei confronti degli operatori di confessione protestante vi era una serie di motivi. Il primo era di ordine strategicomilitare. Non era infatti conveniente alterare i rapporti con Paesi che, posti al di là delle Alpi, controllavano vie di comunicazione indispensabili agli eserciti delle loro Maestà Cattoliche per raggiungere i Paesi Bassi Spagnoli come alternativa all’utilizzo della rotta marittima. Di non secondaria importanza era poi il fattore finanziario. Al pagamento delle milizie concorreva infatti l’intermediazione di quell’alta finanza milanese, oltre che genovese, che esercitava anche attività commerciali a livello internazionale e non sarebbe stato quindi saggio ledere gli interessi di chi evitava l’ammutinamento delle truppe in caso di mancato pagamento del dovuto.25 Non solo; l’appalto dei dazi riscossi sul commercio estero, dopo la “gabella del sale”, era il cespite di entrata più redditizio per le casse dello Stato di Milano, e contribuiva quindi a sostenere le necessità finanziarie di una Monarchia continuamente in guerra.26 Inoltre va ricordato che le istituzioni milanesi, sia laiche sia ecclesiastiche, erano rette da un’aristocrazia la cui ricchezza dipendeva anche dalla valorizzazione sul mercato dei prodotti delle proprie tenute,27 e che lo stesso Arcivescovado era impegnato in commerci internazionali tramite intermediari.28 Mantenere buoni rapporti con i riformati era dunque una questione di convenienza. Se ne ha la riprova nel contenimento, più o meno esplicito, dell’attività dell’inquisitore messo in atto nel Seicento non soltanto dalle autorità civili, con le quali fin dal Cinquecento c’erano state “rivalità”,29 ma anche da quelle ecclesiastiche e da famiglie che intrattenevano rapporti d’affari con gli “eretici”, oltre che da autorità non soltanto locali. Mi riferisco alla nota vicenda dei fratelli Schobinger, mercanti di

23 Tonelli, Investire con profitto e stile, p. 175. Si vedano anche le riflessioni che ho svolto sulle possibili cause della mancata equiparazione dei negozianti ginevrini ai colleghi riformati sulla piazza milanese in Tonelli, “’Mercanti che hanno negotio grosso’”, pp. 118–119. 24 Dato del datio della Mercantia della città di Milano et altre città del Stato a quella unite…, Milano 1713, p. 168 (copia in ASM, Finanze, p.a., cart. 5). 25 Tonelli, Affari e lussuosa sobrietà, pp. 128–130. 26 S. Pugliese, Condizioni economiche e finanziarie della Lombardia nella prima metà del secolo XVIII, Torino 1924, pp. 186–200. 27 G. De Luca, “Mercanti imprenditori, élite artigiane e organizzazioni produttive: la definizione del sistema corporativo milanese (1568–1627)”, in: Guenzi / Massa / Moioli (a cura di), Corporazioni e gruppi professionali, p. 99. 28 Nel 1627 i “fondegari de drogheria” Alessandro Desio e Januario Bonetti nel richiedere l’ammissione ai ‘mercanti di strada’, una fra le principali corporazioni milanesi del tempo, dichiararono di lavorare per l’Arcivescovado (ASCCM, Appendice, cart. 25, fasc. 7). 29 M. Bendiscioli, “Politica, amministrazione e religione nell’età dei Borromei”, Storia di Milano, X, L’età della Riforma Cattolica (1559–1630), Roma 1957, p. 265.

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San Gallo attivi ad Alessandria, che negli anni ’30 del Seicento avevano avuto problemi con l’Inquisizione. In quell’occasione l’inquisitore non fu supportato dalle istituzioni governative e neppure da quelle religiose, e a favore di una risoluzione assolutoria del caso intervennero anche i Cantoni elvetici cattolici e l’Abate di San Gallo.30 Recenti ricerche hanno messo in luce, inoltre, come alla metà del Seicento parte della “milizia d’onore” dell’inquisitore fosse composta da esponenti di famiglie della grande mercatura e dell’alta finanza che fondavano la loro ricchezza anche su traffici con Paesi riformati.31 Pertanto, se si volesse tracciare una mappa delle relazioni commerciali e finanziarie intrattenute da Milano con i Paesi tedeschi tra la fine del Seicento e gli inizi del XVIII secolo, si vedrebbero confermati innanzi tutto i rapporti con le località elvetiche poste lungo le rotte che conducevano a nord, vale a dire Lugano, Bellinzona, Friburgo, Altdorf, Coira, Lucerna, Basilea, Zurigo e San Gallo. Si noterebbe poi che, oltrepassati i confini dei Cantoni svizzeri, le carovane dei milanesi erano indirizzate verso Francoforte e Colonia per raggiungere quindi i porti di Ostenda (che fungeva da ponte verso Londra), Anversa e Amsterdam; oppure viaggiavano alla volta di Ulma, Augusta, Norimberga, Lipsia e Amburgo; più a oriente avevano come mete Vienna e Praga.32 2. NEL CORSO DEL SETTECENTO Come è noto, al contrario di quanto era avvenuto sotto la Spagna, la volontà di intervento di Vienna nell’economia lombarda fu ben evidente fin dai primi anni del passaggio dello Stato di Milano alla Casa d’Austria. Sotto il profilo dell’organizzazione degli scambi commerciali il primo e più significativo progetto di riforma data al 1723 e fu redatto dal cancelliere di corte, il conte Philipp Ludwig von Sinzendorf, su incarico di Carlo VI. Era stato constatato infatti che l’area tedesca degli Asburgo dipendeva dall’estero per merci di pregio, e quindi costose (stoffe in lana e in seta, come pure galloni in oro e in argento), con la conseguente fuoriuscita di denaro,

30 M. Savoja, “Aspetti del commercio nello Stato di Milano in epoca spagnola”, Aspetti della società lombarda in età spagnola, Vol. 2, Como 1985, p. 53. 31 Tonelli, “’Mercanti che hanno negotio grosso’”, pp. 114–118. Sulla “milizia d’onore”: E. Brambilla, “La polizia dei tribunali ecclesiastici e le riforme della giustizia penale”, in: L. Antonielli / C. Donati (a cura di), Corpi armati e ordine pubblico in Italia (XVI–XIX sec.), Soveria Mannelli 2003, p. 75. 32 Per una mappa dei traffici di Milano con i Paesi d’oltralpe tedeschi cfr. l’atto del 26 gennaio 1671, le conventiones datate 7 aprile 1677 e il bilancio allegato all’atto notarile del 7 settembre 1780, rogati dal notaio Giulio Cesare Besozzi q. Giovanni Tommaso (ASM, Notarile, 33198, 33201, 33204); vari atti conservati ivi, 33320–33322, notaio Francesco Isola q. Giovanni Giacomo; atti diversi reperibili ivi, 30876–30879, notaio Francesco Pusterla q. Zanoto; il tariffario del 1691 della ditta Marc’Antonio e Carlo Francesco Olivieri custodito a Milano, Archivio Perego di Cremnago (= APC), cart. 17, fasc. 1; e le fonti citate in Tonelli, Investire con profitto e stile, p. 108.

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aborrita dalla dottrina mercantilistica allora dominante. L’imperatore si era mostrato dunque favorevole all’adozione di misure che mettessero al riparo le produzioni locali dalla concorrenza estera, proibendo l’importazione di beni simili a quelli realizzati in loco. La Commissione della Corte per gli affari di commercio, guidata dal conte di Sinzendorf, era andata oltre, comprendendo nel progetto anche la Lombardia: le merci qui prodotte dovevano essere considerate al pari di quelle austriache. Secondo la Commissione, i territori d’oltralpe avevano dunque teso la mano a chi stava al di là della catena alpina e, di conseguenza, bisognava fare in maniera acciochè le mercanzie che li Paesi d’Alemagna di Sua Maestà producono e che non si trovano nelle Provincie d’Italia consistenti particolarmente in tele, panni ordinarj differenti sorti di stoffe di lana, del ferro crudo e travagliato, rame, cera vi possano ancora essere spacciate e vendute più presto che le mercanzie straniere che sono della meddesima sorte.33

La reciprocità auspicata da Vienna non era però conveniente alla Lombardia austriaca, perché dal cuore dell’impero provenivano merci di basso valore che i lombardi comperavano negli Stati adiacenti, e un approvvigionamento più lontano avrebbe provocato un rincaro eccessivo dei prodotti. Per questo motivo la proposta non fu accolta con entusiasmo e, come è stato autorevolmente scritto, “il piano, malgrado l’impegno regio, finì perso fra gli incarti della burocrazia, e per la Lombardia non fu un male”.34 Nonostante l’esito fallimentare, è d’obbligo il richiamo al progetto del conte di Sinzendorf in una riflessione volta a delineare lo status dei rapporti commerciali dello Stato di Milano con i Paesi tedeschi quando Mylius si stabilì nella capitale lombarda, per due motivi. Innanzi tutto perché si tratta del primo atto di un programma di unione economica fra territori governati da Vienna, comprese quindi le province lombarde, perseguito dall’Austria per tutto il Settecento e che diede frutti proprio negli anni in cui Mylius giunse a Milano e in un settore al quale l’imprenditore di Francoforte dedicò parte della propria attività: il setificio. Come è già stato messo in evidenza dalla storiografia, le agevolazioni daziarie concesse alle merci lombarde sui mercati asburgici costituirono, infatti, un fattore di prim’ordine per il buon andamento della manifattura serica durante gli ultimi decenni del Settecento, e in particolar modo per la tessitura milanese e comasca.35 Il cosiddetto “piano Sinzendorf” va inoltre richiamato perché fu la prima occasione per gli organi di governo lombardi di qualificare gli scambi intrattenuti dalla regione con le diverse aree di quell’”Alemagna” non sottoposta al dominio della casa d’Austria sino ad allora considerata, sotto il profilo commerciale, un corpus unico. Infatti, dal momento che, secondo il progetto del conte, “tele, pannine, stoffe di lana, ferramenti e cere” di importazione si sarebbero potute smerciare in Lombardia soltanto se inoltrate dai territori governati da 33 Il parere della Commissione dal quale è tratta la citazione, il pensiero di Carlo VI sulle misure da adottare per evitare l’acquisto di manufatti all’estero, il piano del conte di Sinzendorf e i pareri dei lombardi sul progetto sono conservati presso l’ASM, Commercio, p.a., cart. 15. 34 B. Caizzi, Industria, commercio e banca in Lombardia nel XVIII secolo, Milano 1968, p. 40. 35 Ibid., p. 233; A. Moioli, “Assetti manifatturieri nella Lombardia politicamente divisa della seconda metà del Settecento”, in: S. Zaninelli (a cura di), Storia dell’industria lombarda, Vol. 1: Dal Settecento all’unità politica, Milano 1988, p. 83.

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Carlo VI, poiché erano indirizzate invece nella regione da diverse aree dell’”Alemagna”, fu indispensabile capire da dove provenissero. La mancata conoscenza della mappa degli scambi fra l’area tedesca non austriaca e lo Stato di Milano era dovuta al fatto che l’amministrazione pubblica non disponeva ancora di personale competente in materia di commercio internazionale. Erano, infatti, le Camere dei mercanti a sovrintendere all’organizzazione degli scambi e presso gli organi di governo non erano depositati neppure i registri di dogana, dai quali si sarebbe potuto estrapolare qualche informazione, perché l’esazione dei dazi di confine – come è stato detto – era appaltata. Di conseguenza, quando la Giunta milanese deputata a valutare il progetto del conte di Sinzendorf si trovò a dover esprimere un parere circostanziato dovette rivolgersi a “varj de’ principali Negozianti […] molto pratici in questa materia”.36 Costoro contribuirono a mettere a punto documenti che, mutuando da quanto fu scritto dai componenti della Giunta, ci “rend[ono] pienamente informati da quali Paesi ven[iva] provista simil sorte di Mercanzie che si consuma[va]no [nella] città [di Milano] e [nello] Stato”.37 I prodotti di fabbricazione tedesca, di quell’”Alemagna” non soggetta a Carlo VI, giungevano in Lombardia da tre poli distinti. La Sassonia riforniva lo Stato di Milano di tessuti in lana di diversa qualità, dai “camelotti” e “camellottini” sia lisci sia rigati, a stoffe meno pregiate, come i “barracani” e le “mezze lane”, oltre a panni dozzinali provenienti da Lipsia, ma in grado comunque di sopportare i costi della distanza. Quindi il polo renano, dal quale Milano importava oro e argento (da Colonia) e “panni fini d’Aquisgrana all’uso d’Olanda”. Infine un terzo polo, individuabile nel triangolo immaginario compreso fra Norimberga, Amstetten e Zurigo: il polo delle tele, a sua volta suddiviso in aree differenti a seconda della qualità delle produzioni. Tessuti di maggiore pregio provenivano da Ulma: telerie bianche e una varietà “fina” detta “renso”. Oltre ai “rensi”, Memmingen e Arbon, al pari di Amstetten e San Gallo, rifornivano la Lombardia di raffinate tele “costanze” e “cambraglie”, Augusta di tele stampate di filo di lino anche misto a cotone e, con Norimberga (città dalla quale Milano importava pure “ferri lavorati” e cere), di tessuti in cotone e lino detti “terlisetti”. Più a sud, Monaco e Zurigo inoltravano nelle province lombarde stoffe miste (lino e cotone) dette “terlisi”. Parte integrante delle importazioni di prodotti dall’”Alemagna” erano infine diversi altri beni dei quali le fonti non rivelano l’area di provenienza: panni leggeri di lana, detti “saglie” o “sarze”, pellami, tessuti misti in lino e cotone, chiamati “bombasine”, e diversi metalli (stagno, ottone, rame).38

36 Consulta a stampa datata Milano 14 giugno 1723, f. [4] (ASM, Commercio, p.a., cart. 15). 37 Ibid. 38 Il quadro delle importazioni nello Stato di Milano di merci dalla Germania è stato delineato sulla base dei seguenti documenti: “Ragguaglio delle qualità di tele, pannine, stoffe di lana, ferramenti e cere che si consumano nella presente Città e Stato di Milano con la notizia de Paesi da’ quali vengano proviste esse mercanzie”, datato Milano 31 maggio 1723 (ASM, Commercio, p.a., cart. 15); atto redatto a Milano il 14 giugno 1723 (ivi); “Informazione di quanto sia l’importo de datij delle mercantie provenienti dalla Germania espresse in un raguaglio d’alcuni

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I documenti predisposti in quell’occasione consentono di ricostruire un altro capitolo dei rapporti commerciali fra la Germania e la Lombardia, quello dei transiti lungo i percorsi tedeschi di tessili prodotti altrove e smerciati nel Milanese. Un tragitto senza possibilità di alternative per le telerie per materassi e per le tele che imitavano quelle d’Olanda e di Fiandra, senza però raggiungere la stessa perfezione, fabbricate a Breslavia. Con l’alternativa via mare per le pregiate tele tessute in Olanda (ad Haarlem e ad Amsterdam), a Courtrai e in altre località delle Fiandre, e per i panni in lana prodotti a Leiden, Bruxelles e a Londra.39 Ed è proprio sul fronte dei transiti che l’intervento di Vienna in Lombardia fu molto incisivo. Acquisiti, infatti, nella prima metà del XVIII secolo i territori dell’alto Novarese, l’Alessandrino e il Tortonese, fino ad allora lombardi, Torino favorì il passaggio delle merci provenienti da oltralpe ribassando i dazi riscossi lungo il percorso piemontese e avocando alla Camera sabauda alcune “onoranze” (vale a dire: compensi agli addetti per il servizio svolto), agevolazioni che contribuirono a far deviare verso occidente le carovane che un tempo battevano la via del Pavese. A destabilizzare la situazione del transito più lucroso per l’erario milanese, quello di tele tedesche e svizzere destinate allo scalo ligure e alla Spagna, concorse in seguito l’intervento di negozianti verbanesi. Riattando il percorso fra Bellinzona e Magadino, contenendo l’entità del balzello che riscuotevano per l’utilizzo del via, e provvedendo a far sbiancare le tele a Intra (che giungevano quindi a Genova dotate di maggiore valore aggiunto rispetto a quelle che battevano gli itinerari lombardi) fecero deviare verso il Piemonte anche i traffici del Gottardo e dello Spluga.40 Un duro colpo per l’erario milanese; e così pure per la “felicità” di quei sudditi di Maria Teresa che vivevano del commercio di transito. Negozianti, dunque, spedizionieri, carovanieri, ma anche chi traeva sostentamento dall’indotto che il transito generava, come avrebbe messo bene in evidenza uno dei funzionari più competenti in materia commerciale e daziaria in servizio presso gli organi di governo milanesi negli ultimi decenni del Settecento, Baldassarre Scorza:

mercanti segnato “G”, datata 3 luglio 1724; Dato del datio della Mercantia della città di Milano ed altre dello Stato con le loro rispettive provincie…, Milano 1725 (copie ivi, Finanze, p.a., cart. 5; BNBM, segnatura ZD VII 24). Per la comprensione dei termini tessili richiamati in questo lavoro, e per il valore dei prodotti tessili nel Milanese, cfr. G. Tonelli, Un filo di voci fra le pagine di Pietro Verri. Merci e “prezzi” del tessile nello Stato di Milano (anni sessanta del XVIII secolo), Milano 2018. 39 “Ragguaglio delle qualità”. 40 Cfr. la consulta del Presidente e dei Questori del Magistrato Camerale di Milano, datata 1764 e segnata “D” (ASM, Finanze, p.a., cart. 1107); C.A. Vianello, Itinerarii economici, costi di trasporto e dazii nel Settecento Lombardo (con una consulta inedita di Pietro Verri). Estratto da Atti e Memorie del Terzo Congresso Storico Lombardo, Milano 1939, pp. 1–7; G. Caligaris, “Alla ricerca di un mercato. Progetti commerciali in Piemonte nei secc. XVII–XVIII”, in: Mercati e consumi. Organizzazione e qualificazione del commercio in Italia dal XII al XX secolo, Bologna 1986, p. 100.

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Giovanna Tonelli Le utilità del transito sono indicibili. Apre corrispondenze, l’amicizia e la speculazione in ogni genere fra mercanti e mercanti. Ne guadagna la finanza, s’impiega gente e bestiame nello scarico e ricarico, nelle vetture, nelle navigazioni. […] Profittano gli spedizionieri colla provvigione dell’opera che vi prestano, i cambisti col ricavo dei crediti. Promuove l’agricoltura collo spaccio dei foraggi e delle derrate necessarie alli consumi nel passaggio de’ vetturini. Sostenta gli albergatori col guadagno che ne fanno nel somministrarli. E le arti che sono inerenti alla cura del bestiame di trasporto, alla manutenzione delle strade, delle navi, degli attiragli e tutte le altre convenienze che dipendono dal popolo messo in movimento per servire il transito.41

Vienna, a sua volta, si attivò per favorire i transiti lungo gli itinerari lombardi, un intervento che si articolò in tre fasi, non limitate soltanto agli scambi fra la Germania e lo scalo ligure. L’obiettivo era più ampio: scongiurare il pericolo dell’utilizzo di vie alternative a quelle lombarde, anche al di là dell’itinerario piemontese del Lago Maggiore. La Serenissima, ad esempio, progettava da tempo di collegare lo Spluga con il passo di San Marco nel Bergamasco per convogliare sul suolo veneziano i traffici provenienti dal cuore del Continente diretti nella Penisola.42 Inoltre, dopo la creazione del porto franco di Trieste, Vienna voleva incrementare l’utilizzo del Po per i collegamenti fra l’Adriatico e Torino, un itinerario costoso per i dazi onerosi riscossi sulle merci dirette in Piemonte dagli Stati lambiti dalle acque del fiume.43 Per raggiungere questi obiettivi all’indomani della Pace di Aquisgrana fu avviata un’intensa azione diplomatica, che portò alla definizione di sei trattati fra il 1751 e il 1767, due dei quali siglati per favorire i transiti fra la Germania e la Dominante: nel 1762 con i Grigioni e nel 1767 la Repubblica di Genova.44 Esito di primo piano dei negoziati fu l’eliminazione di inefficienze e vessazioni anche abusive. Furono abolite ad esempio le “onoranze” per ottenere le fedi di sanità dai commissari di Como, Malgrate e Gera di Como (oggi Gera Lario), documenti peraltro inutili in un’età in cui la peste era ormai un lontano, oscuro, ricordo per lo Stato di Milano.45 Fu proibito inoltre al comandante militare di Lecco e a quello del forte di Fuentes di riscuotere una serie di balzelli, giudicati, nel corso delle trattative condotte a Coira fra Milano e le Leghe Grigie, “senza fondamento di ragione”.46 La

41 La citazione è stata pubblicata da Vianello, Itinerarii economici, pp. 5–6. Sulla politica del transito da parte del corte di Torino vedi anche: M. Battistoni, Franchigie. Dazi, transiti e territori negli stati sabaudi del secolo XVIII, Alessandria 2009, pp. 214–229. 42 G. Cozzi, “La strada di S. Marco”, Archivio storico lombardo, LXXXIV (1957), pp. 114–148; M. Berengo, “La via dei Grigioni’ e la politica riformatrice austriaca”, Archivio storico lombardo, LXXXV (1958), pp. 5–111; A. Pastore, “’Ertissimi monti’. Note sul transito di passi alpini fra Lombardia e Svizzera nella prima età moderna”, in: F. Cazzola (a cura di), Nei cantieri della ricerca. Incontri con Lucio Gambi, Bologna 1997, pp. 103–108. 43 Cfr. il documento “Ristretto”, allegato al “Piano generale…” s.d. [1764?] (ASM, Commercio, p.a., cart. 15). 44 Caizzi, Industria, commercio e banca, pp. 213–217, 237–242. 45 Lettera inoltrata a Kaunitz in data 12 giugno 1762 (ASM, Trattati, cart. 80, fasc. 1). 46 “Osservazioni al così detto protocollo delle conferenze tenutesi nella città di Coira fra il Sig. Barone Lodolfo Ant.o de Buol, inviato cesareo regio, e li tre SS.ri Deputati della Repubblica Grigiona”, s.d. [1762] (ivi).

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Lombardia austrica vide inoltre scongiurato il pericolo di perdere i traffici che gravitavano sullo Spluga, data la decisione dei Grigioni di respingere il progetto veneziano di utilizzare la via di San Marco.47 I transiti da e per Genova beneficiarono a più riprese di agevolazioni: fu decretata la riduzione dei costi delle condotte, furono abolite le “onoranze” sulle esazioni di dogana e ribassati i dazi sui transiti “reali” e sulla via di Chiavenna.48 Artefici degli interventi sui dazi non furono gli uomini di governo, ma i fermieri. Nel XVIII secolo il sistema daziario lombardo fu infatti appaltato fino al 1771, a parte il triennio 1724–1726, quando le gare per la concessione registrarono offerte non vantaggiose e per volontà del conte di Colloredo la gestione fu condotta in economia.49 Ogni manovra sui dazi doveva quindi essere approvata dagli “impresari della Mercanzia”, perché un eventuale decremento del gettito dovuto a un intervento governativo sarebbe stato motivo di rivendicazioni da parte dei concessionari. Anzi, le trattative con Genova furono condotte esclusivamente da uomini della Ferma e siglati dagli appaltatori; e riportarono risultati più che soddisfacenti, visto che furono rinnovati non soltanto dagli stessi impresari nel 1770, ma anche nel 1776, quando ormai da un lustro lo Stato aveva avocato a sé le competenze sui dazi riscossi sul commercio estero.50 Al capo dei fermieri, Antonio Greppi (personaggio di primaria importanza nelle questioni economiche del Milanese, entrato a far parte degli organi di governo, al pari dei suoi soci e di buona parte dei suoi dipendenti, dopo lo scioglimento della Ferma),51 va riconosciuto inoltre di essere stato uno strenuo sostenitore, anche con capitali propri,52 di un progetto che ebbe riscontri più che positivi, riconducibile a quella che possiamo individuare come la seconda fase dell’intervento pubblico a favore dei transiti. Attuata nel corso degli anni ’70, fu finalizzata al miglioramento delle infrastrutture viarie per favorire il commercio, secondo il significato del tempo, vale a dire scambio, ma anche manifattura.53 47 Caizzi, Industria, commercio e banca, pp. 240–241. Sui transiti attraverso lo Spluga nel XVIII secolo: L. Maffi, “L’itinerario dello Spluga nel Settecento. Sistemi di trasporto, spedizioni di merci e relazioni commerciali tra Lombardia ed Europa”, Histoire des Alpes, Storia delle Alpi, Geschichte der Alpen XXI (2016), pp. 143–158. 48 Ibid., pp. 237–242. 49 L. Trezzi, Ristabilire e restaurare il mercimonio. Pubblici poteri e attività manifatturiere a Milano negli anni di Carlo VI, Milano 1986, pp. 202–203; Moioli, “Pietro Verri e la questione della riforma daziaria”, p. 860. 50 Cfr. l’atto del Magistrato Camerale datato 10 marzo 1775 (ASM, Commercio, p.a., cart. 26); la lettera sottoscritta da Giuseppe Bologna datata Genova 18 marzo 1776 (ivi); G. Tonelli, “Baldassarre Scorza e la riforma daziaria nella Lombardia asburgica”, Nuova economia e storia, III (1997), pp. 33–34. 51 C. Capra, “Il Settecento”, in: D. Sella / C. Capra (a cura di), Il Ducato di Milano dal 1535 al 1796, Torino 1984, p. 440. Su Antonio Greppi: E. Greppi, “ Il conte Antonio Greppi (1722–1799), imprenditore, finanziere, diplomatico nella Lombardia austriaca del Settecento”, Archivio storico lombardo CXXII (1996), pp. 399–430. 52 Caizzi, Industria, commercio e banca, p. 243. 53 C. Capra, I progressi della ragione. Vita di Pietro Verri, Bologna 2002, p. 166.

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Fin dall’età di Carlo VI Vienna si era infatti adoperata per promuovere una ripresa della manifattura lombarda,54 un’azione che si dispiegò appieno con l’avvento di Maria Teresa. Nel corso degli anni ’60 si procedette secondo la tradizionale via del sostegno economico e del conferimento di “privilegi” e “privative”, che però non diede gli esiti sperati.55 Nel decennio successivo gli sforzi furono concentrati invece sul miglioramento delle comunicazioni. Si procedette alla redenzione delle cosiddette “regalie”, un’operazione che incise positivamente anche sulla viabilità. Passarono infatti allo Stato non soltanto dazi sui generi di consumo e “privative” su alcuni esercizi, ma anche pedaggi su ponti e attracchi lungo fiumi e laghi, che furono dunque sottratti alla gestione frammentata ed eterogenea dei singoli proprietari.56 Sul fronte delle infrastrutture stradali, mentre fu deludente l’esito della riapertura nel 1773 del passo San Jorio, che collega il Luganese con il Comasco,57 qualche risultato si registrò invece con gli interventi di miglioramento dell’itinerario Engadina-Maloia, ultimati nel 1777, con il concorso di capitali privati e pubblici, milanesi i primi, austriaci i secondi. Il tragitto fra Augusta e lo Stato di Milano si ridusse a quasi la metà, un vantaggio in parte vanificato dai dazi riscossi in Tirolo, molto più gravosi rispetto a quello di Feldkirch, che tuttavia non furono di ostacolo all’utilizzo di quella via: 21.000 colli vi transitarono nell’anno di apertura e aumentarono entro la fine di quel decennio.58 Per rendere concorrenziale questo percorso rispetto all’itinerario piemontese era poi auspicabile un collegamento via acqua fra il lago di Como e Pavia. Fu realizzato fino a Milano sotto la casa d’Austria per poi essere completato durante l’età francese.59 Gli sforzi compiuti fra Vienna e Milano portarono a un miglioramento nei tempi di percorrenza e nei costi dei transiti fra la Germania e lo scalo ligure lungo l’itinerario Coira-Chiavenna-Como, ma tuttavia non tali da scalzare la concorrenza della rotta che da Coira proseguiva verso sud in direzione di Intra.60 Il terzo capitolo dell’azione del governo a sostegno del commercio di transito riguardò il settore daziario. Anche in questo caso l’intervento di Vienna deve essere ricondotto nell’ambito di un progetto più ampio, quello della riforma della struttura delle esazioni degli oneri di dogana che, prevedendo sino ad allora prelievi sulle merci in entrata e in uscita da ogni singola provincia dello Stato, rendeva più conveniente commerciare con le aree adiacenti, anche se appartenevano a Stati esteri, piuttosto che con le province non confinanti della Lombardia austriaca.61 Il progetto 54 Trezzi, Ristabilire e restaurare il mercimonio. 55 Cfr. la sintesi di Capra, Il Settecento, pp. 473–476; e l’analisi di Moioli, “Assetti manifatturieri”, pp. 88–100. 56 Capra, Il Settecento, pp. 451–455. 57 Caizzi, Industria, commercio e banca, p. 242. 58 Ibid., pp. 243–244. 59 Capra, Il Settecento, p. 478. 60 Caizzi, Industria, commercio e banca, p. 251. 61 A. Moioli, Pietro Verri e la questione della riforma daziaria nello Stato di Milano, pp. 853– 856; G. Tonelli, Baldassarre Scorza e la riforma daziaria, p. 55; Riflessi sopra il Progetto proposto di unire il Commercio tra li Dominij di S.M. nell’Alemagna, e lo Stato di Milano […]

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di una riforma fu avviato nel primo lustro degli anni ’60 del Settecento con l’obiettivo palese di dare impulso ai traffici internazionali e ai transiti. Ciò appare con evidenza nella decisione di Vienna di inserire nella Giunta milanese preposta alla revisione dei dazi un rappresentante della mercatura di più alto profilo, della Camera dei mercanti di Milano e, con riferimento ai “patti reali”, risulta che fu accolto un ricorso presentato da un gruppo di negozianti che non si riconosceva nelle proposte avanzate dall’istituzione.62 Non solo; la bozza del documento finale fu sottoposta al giudizio sia della Camera dei mercanti sia dei negozianti dissidenti. Ne derivò una riforma tesa a sgravare il commercio da oneri abusivi pretesi sino ad allora dal personale della Ferma addetto alle riscossioni daziarie e dai comandanti militari di stanza lungo i fiumi. Fu stabilito inoltre di calcolare l’entità delle esazioni sulle merci in transito non più a peso lordo ma a peso netto, e furono ribassate le tariffe sulla rotta Germania-Genova, oltre che sugli itinerari da e per la Repubblica di Venezia, la Toscana e lo Stato Pontificio.63 Alla metà degli anni ’60 entravano dunque in vigore i nove tariffari,64 applicati alle merci che sarebbero state fatte transitare dai “realisti” lungo nove itinerari milanesi, ben cinque dei quali riservati alle merci provenienti dall’”Alemagna” e dirette verso diverse aree della Penisola, vale a dire: – Alemagna per Genova e viceversa (patto n. 1); – Alemagna per Toscana e viceversa (patto n. 2); – Alemagna per Torino, Piemonte e Lione e viceversa (patto n. 3); – Alemagna per Ferrara, Ancona e parti inferiori della Romagna per via di Cremona e per le merci procedenti da suddetti luoghi di Ferrara, Ancona e parti inferiori della Romagna o dalle parti bergamasche, Stato veneto e Mantova per Alemagna, passando però per Milano (patto n. 4); – Alemagna per Bergamo, Crema, Brescia e Verona via Milano e viceversa (patto n. 5). Ciascun tariffario presentava un elenco di beni specifico, tranne i patti n. 2–4 per i quali era stata adottata la stessa “nomenclatura”. Si andava dalle 31 merci, o raggruppamenti di merci, del patto n. 1 alle due sole classi del patto n. 7. Oneri differenti erano previsti inoltre per gli stessi beni a seconda che il percorso seguito subisse o meno la concorrenza di itinerari stranieri, ad esempio:

relativi all’essere in cui ora si ritrova il Mercimonio della Città di Cremona, s.d. [1724], (ASM, Commercio, p.a., cart. 15). 62 Ved. il documento redatto a Milano il 21 luglio 1764 all’interno di una lettera sottoscritta dal questore Ottolini, conservato presso l’ASM, Finanze, p.a., cart. 1107. Per quanto riguarda la presenza di un negoziante afferente alla Camera dei Mercanti di Milano all’interno della Giunta daziaria cfr. il decreto di istituzione di tale organismo pubblicato da C.A. Vianello (a cura di), La riforma finanziaria nella Lombardia austriaca nel XVIII secolo, Milano 1940, pp. 3–4. 63 Decreto datato 29 ottobre 1764 (ASM, Dispacci reali, cart. 237). 64 I nove tariffari sono conservati nella cit. raccolta: “1772. Elenco de’ patti reali, semireali ed altri di transito” (ibid., Finanze, p.a., cart. 1107).

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Giovanna Tonelli per le cere lavorate di transito da Genova per i Grigioni e più oltre pagano soli soldi 4. 2 2/5 al rubbo perchè un dazio maggiore le farebbe deviare dallo Stato e passare dalla parte d’Intra sul Lago Maggiore. Che le stesse cere venendo dallo Stato veneto per transitare alli stessi Grigioni pagano soldi 13.6 per rubo per il trattato con le tre Leghe Grigie, perchè un dazio maggiore può farle deviare da noi e tenere lo stradone di S.n Marco. Che le stesse cere venete per gli Svizzeri pagano lire 2.5 al rubo perchè non hanno una strada così facile al deviamento. Che ciò posto era visibile che volendo per esempio adottare quest’ultimo dazio di lire 2.5 per tutti i transiti indistintamente non si sarebbe fatto altro che perdere i succennati due primi transiti. Viceversa, volendo per esempio adottare l’altro più mite dazio di soli soldi 4.2. 2/5 al rubo, non si sarebbe fatto altro che sacrificare senza necessità quel tanto di più che riceve pel transito dallo Stato veneto alli Griggioni e Svizzeri.65

Anche per l’import-export fu dato alle stampe un nuovo tariffario,66 ma su ordine della Corte67 non fu modificata la struttura del sistema daziario lombardo, fondato su giurisdizioni daziarie differenti, corrispondenti – come si è detto – alle province che componevano lo Stato. I tempi non erano maturi: i dazi erano ancora appaltati e non era quindi prudente varare una manovra se non si riusciva a calcolare quanto l’intervento avrebbe inciso sul gettito e quindi sulle previsioni di guadagno in base alle quali i concessionari avevano fatto l’offerta. E fu proprio per la necessità di fondare la riforma su dati certi che prese avvio anche a Milano la consuetudine di stilare bilanci di commercio.68 Alla metà degli anni ’60 del Settecento l’amministrazione pubblica non aveva però nei propri uffici i registri di dogana dai quali ricavare i dati per la compilazione di stime dell’andamento commerciale. Erano presso gli appaltatori e, dopo i controlli, venivano buttati o meglio, stando a testimonianze coeve, “passa[va]no alle mani de’ pescivendoli”.69 Non gestendo il servizio, gli organi di governo milanesi non avevano neppure il personale in grado di lavorare sui libri delle dogane. Come è noto, fu Pietro Verri, esponente di spicco del patriziato locale e uomo di cultura, a cimentarsi in un’operazione del genere quando ancora non era un funzionario pubblico. Per ottenere un posto nell’amministrazione statale doveva infatti dimostrare di possedere competenze nel settore nel quale aspirava ad essere incardinato. A tal fine, secondo la consuetudine del tempo, redasse un trattato che ultimò nei primi anni ‘60 e che intitolò Considerazioni sul Commercio dello Stato di Milano

65 Cfr. il documento “1781 10 aprile. Storia degli atti della R.C. de’ Conti sulla riforma del dazio di transito” (ivi). 66 Dato, o sia tariffa per la regalia della Mercanzia dello Stato di Milano…, Milano 1765 (copie ivi, cart. 6; BNBM, segnatura: AO I 7/5). 67 Ved. la missiva inoltrata da Giacomo Mellerio ad Antonio Greppi il 1° maggio 1764 (ASM, Greppi, cart. 276). 68 Sulla compilazione dei bilanci di commercio in antico regime, sulla relativa struttura e sulla disponibilità di tali fonti in diversi contesti statuali: L. Charles / G. Daudin (eds.) EighteenthCentury International Trade Statistics. Sources and Methods, Puteaux 2015. 69 P. Verri, “Considerazioni sul commercio dello Stato di Milano. 1763”, in: G. Bognetti / A. Moioli / P.L. Porta / G. Tonelli (a cura di), Edizione Nazionale delle opere di Pietro Verri, Vol. 2,1: Scritti di economia, finanza e amministrazione, Roma 2006, p. 221, § 55.

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del Conte Pietro Verri Ciambellano Attuale delle Maestà I.A.R. MLCCLXIII.70 Vi svolse riflessioni sulla situazione economica della regione dall’età ducale ai suoi giorni, fondate su documenti d’archivio, su una qualificata letteratura e su una stima del commercio che egli stesso mise a punto elaborando dati già raccolti negli anni ’50 del Settecento, avvalendosi in gran segreto della collaborazione di uno degli impiegati degli appaltatori per imparare a gestire simili dati.71 Da questo lavoro possiamo trarre qualche indicazione sui rapporti commerciali intrattenuti dallo Stato di Milano con la Germania alla metà del XVIII secolo. Innanzi tutto l’area d’oltralpe risulta essere stata ricettiva di “fazzoletti, calze e stoffe lisce” di seta lombardi72 e in una minuta autografa delle Considerazioni sul commercio, risalente al 1762, si legge come fosse terra di esportazione di eccellenza per i drappi di seta tessuti in uno degli opifici più attivi del periodo: “la fabbrica del Bonanomi di Como”.73 In direzione opposta, per due prodotti realizzati nelle regioni germanofone, i “buratti” di Zurigo e le tele definite “di Germania”, abbiamo dati relativi ai quantitativi importati dallo Stato di Milano nel 1752 e la provincia lombarda di destinazione. Più di 19.800 metri di “buratti” prodotti nella regione lacustre elvetica raggiungevano la Lombardia ed erano richiesti per oltre il 60% dal Milanese.74 Per le tele, invece, non si può fare una stima in metri, perché erano daziate a peso, e neppure scorporare quelle “di Germania” da altre dette “di Renso”, perché nella fonte costituiscono una sola voce. Sappiamo però che cumulativamente lo Stato di Milano ne importava oltre 238 quintali, destinati, per più di un terzo, alla capitale.75 La considerazione che Verri conquistò presso gli uomini di governo con quest’opera gli valse l’assunzione nel pubblico impiego;76 la capacità di gestire i dati dei libri di dogana, e di elaborarli in una stima commerciale, l’incarico, nel 1765, di predisporre il primo bilancio di commercio dello Stato di Milano voluto

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Ibid., p. 107–345. Ibid., p. 222, § 57. Ibid., p. 207, § 12. Ved. lo zibaldone intitolato Miei scritti del 1762 sullo stato attuale del commercio di Milano, c. 79 v, conservato a Milano, Fondazione Raffaele Mattioli per la Storia del Pensiero Economico (= FRM), Archivio Verri, cart. 376, fasc. 1. 74 Su un totale di 29.565 braccia, il Milanese ne importava infatti 18.225, il Lodigiano 5.175, il Pavese 2.970, il Comasco 2.070 e il Cremonese 1.125 (Verri, “Considerazioni sul commercio”, p. 324). Sulle differenti lunghezze del “braccio” milanese: G. Tonelli, Un filo di voci fra le pagine di Pietro Verri, pp. 47–48. 75 Su 2.911 rubbi, 1.033 raggiungevano il Milanese, 691 il Pavese, 580 il Cremonese, 392 il Lodigiano, 215 il Comasco (Verri, “Considerazioni sul commercio”, p. 325). Per quanto riguarda il rubbo, si veda Tonelli, Un filo di voci fra le pagine di Pietro Verri, p. 49. 76 Come è ben noto, la pubblicazione dei dati del ’52 portò anche a sferzanti critiche e a risposte altrettanto accese da parte di Pietro Verri (Capra, I progressi della ragione, pp. 238–242; Bognetti / Moioli / Porta / Tonelli (a cura di), Scritti di economia, finanza e amministrazione, pp. 457–539).

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da Vienna.77 Ne risultò una valutazione delle importazioni e delle esportazioni costruita con riferimento al 1762 (perché i fermieri misero a disposizione i registri di dogana di quell’anno),78 senza distinzioni fra i Paesi di provenienza o di destinazione delle merci e senza alcuna rilevazione dei dati dei transiti.79 Questo perché nell’ottica mercantilistica da un bilancio di commercio doveva emergere ciò che comportava la fuoriuscita di denaro dallo Stato, mentre il transito – come sosteneva lo stesso Verri – non contribuiva dunque a dare alcuna “idea, alla formazion del bilancio”.80 In una ricostruzione dei rapporti commerciali con gli Stati tedeschi il “Bilancio generale del commercio dello Stato di Milano” ultimato nel 1765 va comunque richiamato perché dai documenti preparatori è possibile estrapolare le merci importate in Lombardia qualificate “d’Alemagna”, “di Germania” o “tedesche”.81 Si è consapevoli di avere a disposizione dati in difetto, perché è presumibile che non tutti i dazieri avessero specificato nei registri di dogana l’origine della merce soggetta ad esazione per noncuranza, per incompetenza e anche perché alle operazioni di dogana non era dedicato il tempo necessario su sollecitazione, con ogni probabilità non gratuita, di mulattieri e carovanieri gente rozza per lo più ignorante e poco curante, che viaggia[va]no d’ordinario attruppati, […] che [avevano] in una sola condotta varie merci di diversa provenienza e spettanza, […] sempre frettolosi […], sovente essi stessi confusi, e rend[eva]no talora tali anche li ufficiali di finanza.82

Ciò posto, ho elaborato i dati relativi alle merci d’”Alemagna” importate nello Stato di Milano in quantitativi rilevanti per verificare quale fosse l’incidenza sulla categoria merceologica all’interno della quale furono classificate. Come emerge dalla tabella posta in calce a queste pagine, le tele “mezzo-fin[i]”, quella “sorta di tela molto rada”83 detta “terliso” o “terlisetto”, e le calze di lana di qualità “mezzo-fine”, se provenienti dai Paesi tedeschi non appartenenti ai domini di Maria Teresa, costituivano rispettivamente il 62%, il 55% e il 43% di quelle importate dallo Stato. Quasi un quarto delle “mezzelane alte” (panni di lana mista con filo) giunte in Lombardia nel 1762 era stato realizzato in quelle stesse aree, come pure il 18% delle

77 Sul contributo di Verri alla redazione dei bilanci di commercio dello Stato di Milano e per un commento ai risultati di tali stime: A. Moioli, “Introduzione” [alla sezione II], ibid., pp. 457– 486. 78 Sulla scelta dell’anno al quale riferire la rilevazione, cfr. ibid., p. 550, § 35. 79 “Bilancio generale del commercio dello Stato di Milano”, ibid., pp. 542–610. 80 Ibid., p. 551, § 36. 81 “Ricapitolazione generale de’ generi entrati e usciti nello Stato di Milano l’anno 1762” (FRM, Archivio Verri, cart. 383); G. Tonelli, “Urban Network and Economic Policy: The Milanese Case During the Spanish and Austrian Ages”, in: G. Favero / M.-W. Serruys / M. Sugiura (a cura di), The Urban Logistic Network. Cities, Transport and Distribution in Europe from the Middle Ages to Modern Times, London 2019, pp. 151–154, tabella 7.2 “Countries and localities of origin and/or of the “style” of textile products present on the Milanese market in the 1760s”. 82 Documento a firma Lottinger datato 22 dicembre 1781 (ASM, Finanze, p.a., cart.1107). 83 F. Cherubini, Vocabolario milanese-italiano, Milano 1839–1843, ad vocem.

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calze di lana fine, il 13% dei “drappi di lana e filo ordinarj” e il 12% dei panni “mezzo-fin[i]”.84 Per quanto riguarda i transiti, per avere una stima che consenta di qualificare i flussi di merci non sdoganate che percorrevano gli itinerari milanesi si deve giungere ai primi anni ‘80, quando fu ultimato il bilancio di commercio stilato sui dati dei registri di dogana del 1778.85 Come in passato, lungo la direttrice GermaniaGenova le carovane degli spedizionieri erano cariche soprattutto di tele: nel 1778 attraverso lo Stato di Milano ne transitarono 642 quintali. Di molto inferiore i quantitativi di drappi di lana che dall’”Alemagna” raggiungevano lo scalo ligure (55 quintali), come pure di manufatti in acciaio (42 quintali); poi merci non qualificate, ma che le fonti rivelano essere state di un certo pregio e per questo definite “fini” (17 quintali), e drappi in cotone e seta (10 quintali). In direzione opposta, nei convogli che lasciavano Genova alla volta di territori tedeschi non sottoposti alla sovranità asburgica percorrendo itinerari lombardi era stipato cotone in lana (959 quintali) con merci non precisate, che la fonte definisce di qualità “ordinari[a]” (304 quintali), e drappi di seta (21 quintali); e poi prodotti “coloniali”, zucchero (212 quintali) e tabacco (74 quintali), e generi alimentari in abbondanza: frutta (433 quintali), confetture (111 quintali), salumi (103 quintali) e olio di oliva (82 quintali), utilizzato non soltanto come condimento o conservante, ma anche nelle attività manifatturiere – nel lanificio, per esempio, e nella tintoria - e per l’illuminazione. A qualche anno dal completamento del bilancio di commercio del ‘78 nella Lombardia austriaca furono portate a compimento le riforme dei dazi sui transiti “reali” e sul commercio estero speciale, rispettivamente nel 1785 e nel 1786. Si trattò di riforme che, estese anche al Mantovano, comportarono, in generale, una semplificazione delle riscossioni. Per quanto riguarda i transiti a “patto reale”, furono ridotti da nove a sei e la “nomenclatura” fu sintetizzata in sole quattro voci. Le merci sarebbero state daziate a peso lordo anziché netto e sottoposte al pagamento di tariffe molto ridotte rispetto a quanto transitava nello Stato ma non beneficiava delle agevolazioni previste per i “realisti”: le merci classificate come “sottili” (vale a dire le seterie anche con oro e argento, i manufatti in oro e argento, le pietre preziose, i pizzi di refe, i coralli e i manufatti in cristallo di rocca) e gli agrumi pagavano un quarto rispetto alla tariffa fissa, la “grossa di prima specie” (“tintorie, drogherie e spezierie”, la porcellana, il refe, i manufatti in oro e argento falso, in cascami di seta, in lana, cotone, pelli e pellicce) o “in genere” (tutto quanto non rientrava nelle prime due categorie), un terzo. Furono fissati “luoghi di entrata e uscita” dallo Stato per le merci estere che raggiungevano realtà statuali al di fuori dei confini della Lombardia austriaca senza essere sdoganate. Con riferimento ai

84 “Ricapitolazione generale de’ generi entrati e usciti nello Stato di Milano l’anno 1762”. 85 “Elementi del commercio pratico di transito per lo Stato di Milano raccolti dai libri della finanza per l’anno MDCCLXXVIII. Parte prima del Bilancio di commercio. Vol. 3”, codice conservato a Vienna, Österreichische Nationalbibliothek di Vienna (= ÖNBW), alla segnatura cod. SN 12325.

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beni in transito da e per la Germania lungo la direttrice più battuta, vale a dire l’itinerario che aveva come capolinea meridionale Genova, per godere del trattamento di favore previsto dai “patti reali” sarebbero dovuti entrare nello Stato di Milano da Gera di Como e da Ponte Chiasso, in direzione opposta da Spessa, Pavia e Bereguardo.86 La riforma dei “patti reali” del 1785 fu accolta con favore per la riduzione tariffaria che comportava, tanto da essere reclamata dagli operatori commerciali bergamaschi quando le terre al di là dell’Adda furono aggregate alla Repubblica Cisalpina;87 al contrario dell’esito sortito dalla riforma dei dazi riscossi sul commercio speciale. Nel 1787 caddero le barriere doganali fra le province della Lombardia austriaca, ma a parte l’indiscutibile sostegno al ruolo di Milano come città emporio per i residenti più facoltosi dello Stato e delle aree statuali confinanti, dati i dazi più che tollerabili previsti per i prodotti di lusso,88 il tariffario entrato in vigore in quell’anno suscitò non poche contestazioni. Furono reclamate modifiche, tanto da indurre il governo a istituire nel 1791 una Giunta per l’esame delle rimostranze avanzate e per lo studio di accomodamenti soddisfacenti.89 Da quanto esposto sinora mi sembra possibile concludere che il quadro degli interventi istituzionali varati dal governo asburgico per favorire il commercio lombardo al momento dell’arrivo del Mylius a Milano sia stato delineato. Resta invece molto da indagare sugli operatori attivi sul mercato internazionale, l’ambiente nel quale il giovane di Francoforte si inserì, e nello specifico sui rapporti fra la capitale della Lombardia austriaca e i Paesi tedeschi in una prospettiva, dunque, “micro”. A studi su singoli imprenditori o famiglie mercantili emigrate, o che impiantarono filiali della propria impresa all’estero,90 dovrebbero essere affiancate ricerche volte a delineare le articolate e fitte reti di relazioni instaurate dai grandi operatori economici attraverso l’attività di intermediazione commerciale e finanziaria. Un modo di organizzare il lavoro che li portava ad agire su scala internazionale anche soltanto dalle località di residenza per conto di clienti e di colleghi sia locali sia stranieri, e

86 Tariffa e regolamento de’ transiti reali esercibili nelle dogane di Milano, Milano 178[5] (copia in ASM, Finanze, p.a., cart. 1107). 87 Tonelli, “Commercio di transito”, p. 102. 88 G. Tonelli, “’Considerazioni sul lusso’ nella riforma daziaria dello Stato di Milano (seconda metà del XVIII secolo)”, in: A. Alimento (a cura di), Modelli d’oltre confine. Prospettive economiche e sociali negli antichi Stati italiani, Roma 2009, pp. 271–293. 89 Il decreto di istituzione della Giunta e le “Istruzioni per la Deputazione daziaria…” sono reperibili presso l’ASM, Finanze, p.a., cart. 10. 90 Come quelli sulla filiale di Amburgo della ditta Greppi e sulla famiglia Brentano trapiantata in Germania (G. Liva, “Le ‘aziende Greppi’ in Europa: Amburgo e Amsterdam”, Archivio storico lombardo CXXII (1996), pp. 189–234; C. Reves, Vom Pomeranzengängler zum Großhändler? Netzwerke und Migrationsverhalten der Brentano-Familien im 17. und 18. Jahrhundert, Paderborn 2012), oppure sullo stesso Mylius, che ne delineano il profilo anche al di là dell’attività imprenditoriale: F. Baasner (a cura di), I Mylius-Vigoni italiani e tedeschi nel XIX e XX secolo, Firenze 1994; R. Pavoni (a cura di), ‘… rispettabilissimo Goethe… caro Hayez… adorato Thorvaldsen… ’. Gusto e cultura europea nelle raccolte d’arte di Enrico Mylius, Venezia 1999.

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consentiva loro di essere a loro volta rappresentati all’estero secondo lo stesso modus operandi. Studi, dunque, basati sullo spoglio degli atti notarili, una modalità di indagine imposta se si vuole gettare luce sul mondo degli affari anche in mancanza degli archivi delle famiglie mercantili; oppure, qualora esistano, dalla non abbondanza di carte che attestano i traffici del casato precedenti al traguardo più alto da raggiungere per una famiglia della grande mercatura e/o dell’alta finanza: la nobilitazione. Sono documenti preziosissimi, ma limitati talvolta a nuclei di carte che servivano a dimostrare come gli avi fossero stati impegnati in affari su ampia scala, e a ricondurre quindi l’origine della ricchezza del casato a un’arte non “vile”, “ripugnante a [quella] chiarezza del sangue” propria del ceto nobiliare.91 Si tratta di una modalità di ricerca che per Milano ha già dato risultati92 e che lascia dunque ben sperare per ulteriori studi di storia delle relazioni commerciali e finanziarie internazionali.

91 Sul decreto del 1593 dei Giureconsulti milanesi, sull’incompatibilità fra commercio e nobiltà, sul dibattito che ne seguì e sull’abolizione si veda: Verri, “Considerazioni sul commercio”, pp. 124–125, §§ 31–32 (citazione al § 32); A. Verri, “Alcune riflessioni sulla opinione che il commercio deroghi alla nobiltà”, in: G. Francioni / S. Romagnoli (a cura di), Il Caffè 1764–1766, Torino 1993, pp. 256–274; G. Vismara, “Le istituzioni del patriziato”, in: Storia di Milano, vol. 11: Il declino spagnolo 1630–1707, Roma 1958, pp. 252–256; S. Levati, La nobiltà del lavoro. Negozianti e banchieri a Milano tra Ancien Régime e Restaurazione, Milano 1997, pp. 39–48. 92 Gli atti notarili hanno costituito infatti fonti di prim’ordine per lo studio della grande mercatura e dell’alta finanza milanese in età moderna, sia per lavori finalizzati a ricostruirne le attività e a definirne il prestigio sociale (M.P. Bortolotti, “Uomini, capitali e mercanzie: le società commerciali a Milano nel secolo XVII”, in: Aspetti della società lombarda in età spagnola, Vol. 1, Como 1985, pp. 117–142; P. Curatolo, Struttura, crisi e trasformazione di un sistema produttivo urbano: le corporazioni auroseriche milanesi (1570–1720), Milano 1996; G. De Luca, Commercio del denaro e crescita economica a Milano tra Cinque e Seicento, Milano 1996; S. Levati, La nobiltà del lavoro; S.D’Amico, “Immigrazione e ripresa economica”; G. Tonelli, “Il ‘Notarile’ come fonte per la storia del commercio e della finanza a Milano (1615–1650)”, Mélanges de l’École Française de Rome. Italie et Méditerranée 112 (2000), n. 1, pp. 79–104; ead., “Percorsi di integrazione”; ead., “’Mercanti che hanno negotio grosso’”) sia per ricerche che hanno avuto come obiettivo anche la comprensione degli stili di vita dei grandi operatori economici del passato (S. Levati, “Negozianti e cambiamenti nello standard di vita nella Milano napoleonica. Note sulla base di alcuni inventari”, in: G.G. Merlo (a cura di), Libri, e altro. Nel passato e nel presente. Per Enrico Decleva, Milano 2006, pp. 579–611; G. Tonelli, “The Annoni and the Carenna in seventeenth-century Milan”, in: D. Jaffé (a cura di), Rubens’s Massacre of the Innocents. The Thomson Collection at the Art Gallery of Ontario, Toronto 2009, pp. 154–182, 182–192; ead., Affari e lussuosa sobrietà; ead., Investire con profitto e stile).

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Prodotto tessile Importazioni (lire milanesi) tela del Settanta d’Alemagna, teleria grossa d’Alemagna, fazzoletti di tela d’Alemagna, tovaglie d’Alemagna, tela bianca ordinaria d’Alemagna, tela tinta d’Alemagna, tela diversa di Germania, tela Sangallo d’Alemagna terliso tedesco da matterazzi, terliso tedesco, terliso d’Alemagna, tela da matterazzi di Alemagna, terlisetti ordinarj di Alemagna calze d’Alemagna, calze di lana d’Alemagna mezza-lana alta d’Alemagna, mezza-lana d’Alemagna forestiera calze di stame d’Alemagna mezza-lana bassa di Alemagna, mezza-lana tedesca, baraccano d’Alemagna, baracanello di filo e lana d’Alemagna, stametto di Germania panno alto d’Alemagna, panno d’Alemagna, panno fino d’Alemagna

Categoria Inmerceologica cidenza Importazioni % (lire milanesi)

411.422

tela mezzofina

661.443

62

15.252

terliso e terlisetti

27.576

55

153.456

43

86.575

24

80.447

18

103.255

13

139.669

12

calze di 65.284 lana mezzo-fine drappi di filo e lana 20.528 [con prevalenza di lana] calze di 14.234 lana fine drappi di lana e filo ordinarj 13.315 [con prevalenza di lana] 16.085

panno mezzo-fino

Tabella: Incidenza di alcuni prodotti tessili “d’Alemagna”, “di Germania” e “tedesc[hi]” sulle importazioni delle relative categorie merceologiche (Stato di Milano, 1762). Fonte: Elaborazione dell’autrice di dati contenuti nella “Ricapitolazione generale de’ generi entrati e usciti nello Stato di Milano l’anno 1762”.

IMPRENDITORI TEDESCHI A MILANO E IN LOMBARDIA TRA FINE SETTECENTO E GRANDE CRISI AGRARIA Claudio Besana Abstract: This contribution examines the presence of German entrepreneurs in Lombardy between the end of the eighteenth century and the Northern Italian agricultural crisis of the 1880s, with particular reference to the city of Milan and its province. As is well known, the German presence in Milan and Lombardy assumed great importance, both on an industrial and financial level, at the end of the 19th century. In that period the process of industrialization of the Milanese area developed at a previously unknown pace, and the city of Milan became the seat of many German companies, which wanted to operate on Italian territory. In previous decades, the role of entrepreneurs from Germany was quantitatively insignificant, especially when compared to the contemporary presence of their Swiss competitors. On the other hand, the German "colony" in Milan made an important contribution to the modernization of the economic, social and cultural life of the Lombard capital and its territory. This shall be documented via the reconstruction of the initiatives and innovations that were carried out in that period of time by entrepreneurs from different social backgrounds, such as Enrico Mylius, Adamo Kramer and his son Giovanni Antonio, Eraldo and Andreas Krumm.

1.QUALCHE NOTA INTRODUTTIVA La vittoria prussiana a Sedan ebbe un effetto importante non solo sul piano politico e culturale, ma anche su quello economico. Come bene evidenziato da Duccio Bigazzi,1 nacque in quel frangente non solo il mito della invincibilità tedesca sul piano militare, ma anche l’idea di una possibile e auspicabile via “germanica” nel processo di completamento dell’unità politica della penisola italiana e di modernizzazione del sistema economico e sociale della nazione. L’attenzione al “modello tedesco” crebbe proprio in quegli anni, anche grazie all’interesse per una serie di iniziative di carattere sociale, che, in quel torno di tempo, si venivano sviluppando in Germania in parallelo al processo di rapida e intensa trasformazione in senso industriale dell’economia di quel paese. Fu soprattutto Luigi Luzzatti, economista e statista dell’Italia liberale,2 a guardare con attenzione a quanto si andava realizzando in area tedesca in materia di mutuo soccorso, di credito popolare, di intervento pubblico a favore delle classi operaie.

1 2

D. Bigazzi, “Il contributo tedesco all’industrializzazione”, in: G. Cusatelli / C. Magris (a cura di), I tedeschi e l’Italia, Milano 1996, pp. 75–86. Per un sintetico ed efficace profilo biografico di Luigi Luzzatti, che negli anni Sessanta del XIX secolo ebbe incarichi di docenza all’Istituto tecnico superiore di Milano, poi diventato Politecnico, si veda P. Pecorari / L. Ballini, “Luzzatti, Luigi”, in: Dizionario biografico degli italiani, Vol. 66, Roma 2006, pp. 724–732.

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Negli anni Settanta si cominciò a credere che anche un paese agricolo ed arretrato come l’Italia avrebbe potuto avviarsi sulla strada dell’industrializzazione e ascendere al grado di potenza europea, potendo sviluppare in contemporanea strumenti di attenuazione e gestione del conflitto sociale. Nei decenni precedenti, invece, proprio il timore dello scontro di classe, che era insito nei nuovi assetti economici indotti dallo sviluppo industriale, aveva suscitato grandi apprensioni nelle classi dirigenti del nuovo Regno, provocando atteggiamenti di rifiuto verso la moderna industria e vagheggiamenti di un progresso economico unicamente fondato sulle tradizionali attività agricole e sulle industrie “naturali”, prima fra tutte il setificio. Nell’incontro con il mondo tedesco nuove prospettive si affermarono e nuove consapevolezze cominciarono a radicarsi nel mondo culturale, politico ed economico italiano. Per quanto poi riguarda la presenza significativa di imprese e imprenditori tedeschi in Lombardia e in Italia, sappiamo che si dovette attendere gli anni Ottanta del XIX secolo per avere un mutamento di scenario. Nel penultimo decennio dell’Ottocento la grande crisi agraria e il ribaltamento delle politiche doganali misero in crisi i tradizionali equilibri del sistema economico nazionale e determinarono una forte accelerazione dei processi di industrializzazione che, a fatica, si erano affacciati nell’Italia nord-occidentale e in alcune aree del versante tirrenico della penisola nei precedenti decenni. A partire da quegli anni, la trasformazione economica divenne un fenomeno irreversibile nel cosiddetto triangolo industriale e in altre limitate aree del paese. Nel nuovo contesto le aziende tedesche avviarono una presenza sempre più rilevante in Italia, facendo di Milano la base della loro azione.3 Il rapporto con la Germania, che ebbe anche risvolti finanziari di assoluto rilievo a partire dagli anni Novanta del XIX secolo,4 fu certamente favorito dal radicale cambiamento dei tempi e delle forme di collegamento tra i versanti settentrionali e meridionali delle Alpi, reso possibile dall’apertura nel 1882 del tunnel ferroviario del Gottardo.5

3

4

5

Sugli investimenti tedeschi in Italia negli ultimi decenni dell’Ottocento e nei primi anni del Novecento fondamentali restano gli studi di Peter Hertner; per un quadro completo di questi lavori ved. M. Doria / R. Petri, “Scritti di Peter Hertner”, in: id. (a cura di), Banche, multinazionali e capitale umano. Studi in onore di Peter Hertner, Milano 2007, pp. 61–68. Non rientra nell’economia di questo lavoro occuparsi delle relazioni finanziarie tra Italia e Germania, che si intensificarono dopo la firma della triplice alleanza e ebbero un peso rilevantissimo nell’evoluzione economica lombarda e nazionale con la fondazione della Banca commerciale italiana; al riguardo A. Confalonieri, Banca e industria in Italia (1894–1906), Vol. 3: L’esperienza della Banca commerciale italiana, Bologna 1980; P. Hertner, Il capitale tedesco in Italia dall’Unità alla Prima guerra mondiale, Bologna 1984. Come è stato ricordato, l’apertura del traforo ferroviario del San Gottardo fece “di Milano il baricentro della penetrazione commerciale tedesca nella penisola e la sede di uffici e filiali di importanti imprese costruttrici di macchine”: G. Bigatti, “Vedere per apprendere. Tra istruzione e affari: imprenditori in viaggio (secolo XIX)”, in: C.G. Lacaita (a cura di), Le vie dell’innovazione. Viaggi tra scienza, tecnica ed economia (secoli XVIII-XX), Lugano / Milano 2009, pp. 277–311, qui p. 300.

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2. LA PRESENZA TEDESCA A MILANO E IN LOMBARDIA NEGLI ANNI DELLA MATURITÀ DELL’EQUILIBRIO AGRICOLO-COMMERCIALE Prima della svolta degli anni Ottanta la presenza di imprese e imprenditori tedeschi in Lombardia e, più in generale in Italia, non è certo rilevante sul piano quantitativo. Marco Doria, nel capitolo dedicato al ruolo degli imprenditori stranieri nella diffusione delle conoscenze tecnologiche e delle competenze gestionali nell’industria italiana,6 ricorda le iniziative degli operatori economici della Svizzera tedesca, della Francia e dell’Inghilterra, parlando del periodo compreso tra la fine del Settecento e l’unificazione della Penisola. Cita anche qualche esempio di operatori delle diverse regioni della Germania, attivi in campo serico e cotoniero; ma la sua attenzione si concentra sulle importanti iniziative promosse in precise aree del Nord e del Sud dell’Italia dai cotonieri svizzeri, sulla multiforme e variegata presenza di operatori francesi, attivi nel tessile, ma anche in altri comparti, sulle imprese promosse in campo siderurgico e meccanico da ingegneri e industriali provenienti dalla Gran Bretagna nelle due città sedi dei maggiori porti italiani di quel tempo, Napoli e Genova. Nel periodo in cui l’agricoltura rimase l’asse centrale della vita economica locale e tale era ritenuta da larga parte della classe dirigente, anche dalle menti più aperte nelle regioni più avanzate del paese,7 secondo Duccio Bigazzi “l’apporto tedesco alla modernizzazione dell’economia italiana era passato soprattutto per un travaso di capitale umano che possiamo ‘stilizzare’ in tre componenti: giovani esponenti di case commerciali d’oltralpe che cercavano l’occasione di aprirsi una strada autonoma rispetto alle proprie famiglie di origine; oppure tecnici, spesso privi di risorse finanziarie, che mettevano a frutto il proprio saper fare in un paese nel quale l’industria muoveva i primi passi; infine operai specializzati, ansiosamente ricercati dagli imprenditori italiani nei loro viaggi di istruzione all’estero, montatori inviati dalle loro case madri a installare macchinari e impianti, convinti all’emigrazione dai salari e dalle condizioni eccezionalmente favorevoli loro offerte”.8

6

7 8

Il capitolo è parte del volume dedicato alla genesi ed ai caratteri del mondo imprenditoriale italiano tra unificazione nazionale ed anni del grande sviluppo; ved. M. Doria, L’imprenditoria industriale italiana dall’Unità al “miracolo economico”. Capitani d’industria, padroni, innovatori, Torino 1998, pp. 118–122. È noto che anche intellettuali aperti e ben consapevoli delle trasformazioni in atto in Europa, come Cavour e Cattaneo non fossero certo degli “industrialisti”. Al riguardo ved. M. Romani, Storia economica d’Italia nel secolo XIX, Milano 1970, pp. 95–108. Bigazzi, “Il contributo tedesco”, p. 75.

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3. I RAPPRESENTANTI DI FAMIGLIE IMPRENDITORIALI TEDESCHE A MILANO TRA FINE SETTECENTO E METÀ OTTOCENTO: I MYLIUS E I KRAMER Tredicesimo figlio di un solido commerciante di Francoforte sul Meno di origine austriaca, Enrico (Heinrich) Mylius iniziò a frequentare la piazza commerciale milanese nel 1789, quando aveva vent’anni.9 Nel capoluogo lombardo gli venne affidato, qualche anno dopo, il compito di gestire una succursale della “Milius & Aldebert”, creata a Francoforte nel 1787 da Johann Jakob Mylius, fratello di Enrico, e da Isaac Aldebert, cognato di Johann Jakob.10 Come la casa madre tedesca, la filiale milanese si dedicava alla commercializzazione di tessuti di provenienza inglese; il mercato di vendita non era solo quello milanese, dal momento che si ha notizia di viaggi compiuti da Enrico a Torino, Bologna, Genova e Livorno tra il 1797 e il 1798. Pur operando in anni difficili, contrassegnati dal continuo passaggio di eserciti sul territorio milanese e lombardo, l’impresa commerciale guidata dal giovane imprenditore tedesco dovette avere un rapido consolidamento, visto che venne chiamata a contribuire, con una cifra di tutto rispetto, 10.000 lire milanesi, al prestito forzoso di 1.307.812 lire milanesi imposto a 70 ditte commerciali dalla Seconda Repubblica Cisalpina.11

9

È stato ricordato che l’arrivo di imprenditori stranieri a Milano fu favorito dalle decisioni adottate dal governo viennese per favorire l’immigrazione di tecnici e operatori economici stranieri nei propri stati; in particolare si fa menzione della “sovrana determinazione riguardante la facoltà di esercitare il culto della loro religione per gli acattolici del 17 ottobre 1781” (M. Poettinger, “Innovazione e network internazionali nella Lombardia ottocentesca: gli imprenditori tedeschi”, in: Lacaita (a cura di), Le vie dell’innovazione, pp. 99–136, qui p. 99). Enrico Mylius era nato il 14 marzo 1769, giunse a Milano dopo una serie di viaggi di apprendistato in Inghilterra, ved. S. Morosini, “Enrico (Heinrich) Mylius”, in: id. / S. Levati / G. Paletta (a cura di), Le élite camerali 1786–1926. Il contributo della Camera di commercio alla formazione della classe dirigente milanese, Soveria Mannelli 2011, p. 27. In un recente lavoro biografico si anticipa di un anno l’arrivo di Enrico Mylius a Milano, un arrivo favorito dal sostegno di una importante famiglia di imprenditori milanesi, quella dei Pensa (G.M. Riquier / V. Usselmann / C. Liermann Traniello, Enrico Mylius 1769–1854. Una biografia. Heinrich Mylius 1769–1854. Eine Biographie, Loveno di Menaggio 2019, p. 34). 10 A. Moioli, “Enrico Mylius negoziante e banchiere”, in: R. Pavoni (a cura di), ‘… rispettabilissimo Goethe… caro Hayez… adorato Thorvaldsen… ’. Gusto e cultura europea nelle raccolte d’arte di Enrico Mylius, Venezia 1999, pp. 29–38, qui p. 29. La Mylius & Aldebert era un’“impresa di commissione, spedizione e vendita all’ingrosso di articoli di lino”, ved. Morosini, “Enrico (Heinrich) Mylius”, p. 27. 11 Certo la contribuzione imposta alla ditta di Enrico Mylius era decisamente inferiore a quella richiesta a grandi operatori del settore serico e di quello bancario attivi sulla piazza di Milano in quel periodo; alla ditta Ballabio e Besana e alla ditta Ciani, ad esempio, furono richieste 120.000 lire milanesi. D’altro canto, scorrendo l’elenco dei tassati, si notano molte aziende commerciali già affermate chiamate a sottoscrive quote comprese tra le 10.000 e le 20.000 lire milanesi; ved. F. Arese, “Patrizi, nobili e ricchi borghesi del Dipartimento d’Olona secondo il

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La documentazione conservata nei fondi archivistici della Camera di commercio di Milano ci documenta, almeno in parte le variazioni dell’oggetto sociale dell’impresa gestita nel capoluogo lombardo da Enrico Mylius e ci dà conto dei soci in affari dell’imprenditore tedesco.12 Del 1803 è una notifica, nella quale la casa Mylius & Aldebert comunicava all’ente camerale milanese l’attività di “commercio di pannine e cotonine”, di cui Enrico era certamente responsabile. Nel 1811 l’oggetto sociale dell’azienda cambiò in “negozio di manifatture” e la denominazione in Enrico Mylius. Sciolti i legami con i vecchi soci con la creazione di una ditta individuale, il Mylius concentrò i suoi affari nell’importazione di tessuti francesi, in sostituzione dei manufatti inglesi oggetto delle politiche proibitive del governo napoleonico in attuazione del “blocco continentale”, e di prodotti coloniali.13 Il buon andamento degli affari, reso possibile dall’appartenenza della casa commerciale di Enrico Mylius a un network internazionale,14 fondato su legami di parentela e di collaborazione commerciale di lunga data, spiega gli acquisti di immobili degli anni in 1804–1808. Con due successive operazioni vennero acquistati, tra il 1804 e il 1806, case e terreni a Sesto San Giovanni, a quel tempo borgo rurale sulla strada che da Milano conduceva a Monza e alla sua Villa Reale, con un esborso di 80.000 lire milanesi.15 Nel 1808 fu acquistato a Milano, in contrada Clerici un palazzo “destinato a diventare, oltre che la sua nuova dimora cittadina, anche la centrale operativa dei suoi affari”.16 Negli ultimi anni del dominio francese sulla Lombardia, gli interessi del Mylius si spostarono sulle attività finanziarie con la compravendita di titoli pubblici e su quelle seriche. Tra il 1813 ed il 1814 perfezionò infatti l’acquisto di una filanda e di un filatoio a Boffalora Ticino, nel Pavese con un esborso di 90.000 lire italiane.17 Questo ampliamento dei settori di interesse dell’impresa fu sancito, nel gennaio del 1818, dalla trasformazione della ditta individuale fondata nel 1811 in una società, la Enrico Mylius e C. Nell’impresa entrarono nuovi soci; a quella data risultavano accomandatari della società il figlio Giulio, il nipote Georg Melchior, Georg Friedrich Doerr e Johann Hector Steinhauser.18 Nel momento di avvio della nuova iniziativa imprenditoriale si precisava che gli affari ora si estendevano al “ramo seta”,

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fisco della I Repubblica Cisalpina 1797–1799”, Archivio storico lombardo CI (1975), pp. 158– 160. Al riguardo ved. S. Licini, “Mylius”, in: Dizionario biografico degli italiani, Vol. 77, Roma 2012, pp. 647–650. Moioli, “Enrico Mylius”, p. 32. Sul network internazionale Mylius-Aldebert ved. Poettinger, “Innovazione e network”, pp. 106–110. Ibid., p. 31; la proprietà sestese raggiunse le 250 pertiche, oltre 16 ettari, diventando il nucleo della casa di campagna del Mylius. Ibid. L’esborso fu ancora più elevato, 148.000 lire, ma in questo caso il pagamento fu diluito nel tempo. Ibid. Morosini, “Enrico (Heinrich) Mylius”, p. 27.

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comparto in ulteriore fortissima espansione dopo il ritorno degli austriaci a Milano.19 L’ampliamento degli interessi dell’impresa non comportò l’abbandono delle tradizionali attività di importazione di pannine e cotonate straniere da destinare, in questa fase, ai mercati dell’Italia meridionale e del Levante. Quando poi questi commerci incontrarono difficoltà per la progressiva attuazione dei decreti viennesi che proibivano l’importazione di tessuti di cotone e di lana stranieri, egli aprì a Genova una succursale della sua ditta.20 Operando sull’emporio genovese e sul suo porto il Mylius poté continuare nei tradizionali commerci di transito, facendo nel contempo della sua filiale ligure la base di partenza verso Londra delle sete milanesi e lombarde di sua proprietà o vendute per commissione. L’azienda si trovò così a lucrare sia sulle importazioni di manufatti tessili di produzione inglese, sia sulla vendita di sete lombarde sulla piazza di Londra.21 Pur continuando i suoi tradizionali traffici, il Mylius, a partire dagli anni venti del XIX, si inserì pienamente in quel gruppo, relativamente folto, di negozianti di seta e di banchieri,22 formato da imprenditori lombardi e da un nucleo robusto di operatori svizzeri, che in quel torno di tempo fecero di Milano la principale piazza europea del semilavorato serico. Negli anni dell’apogeo del filato serico italiano, interrotto, come è noto, dal manifestarsi dell’epidemia della pebrina nei primi anni Cinquanta, a Milano si faceva contrattazione di bozzoli; nella zona di Brera era attivo un mercato informale nel quale si scambiavano importanti partite di sete tratte, di trame e di organzini, prodotti nelle innumerevoli filande e nei numerosi torcitoi diffusi in quasi tutti i centri della Lombardia pedemontana. Ai vertici di questi traffici vi erano i negozianti o i negozianti-banchieri, che, come Enrico Mylius, potevano gestire impianti produttivi, ma soprattutto fornivano anticipazioni, compravano e vendevano gallette e, in particolare, filati serici, che erano in grado di collocare su tutte le principali piazze europee.23 Si facevano affari con Londra,

19 Licini, “Mylius”. Angelo Moioli documenta, grazie a un’accurata ricerca, come la nuova iniziativa di Enrico Mylius fosse un tassello della costruzione di una international house con basi a Londra e Francoforte, costruita dal già ricordato Isaac Aldebert e dal suo socio di vecchia data Carl Cornelius Souchay; di questo network la ditta milanese era componente importante, anche se non centrale, (Moioli, “Enrico Mylius”, p. 32). 20 La filiale genovese fu gestita per un decennio da Johann Hector Steinhausser, un altro negoziante di Francoforte che, nel 1798, si era trasferito a Milano per collaborare con la Mylius & Aldebert (Poettinger, “Innovazione e network”, p. 111, n. 59). 21 Moioli, “Enrico Mylius”, p. 35. 22 In una lista degli eleggibili al Consiglio della Camera di commercio di Milano, pubblicata nel 1857, sono elencati 16 banchieri e oltre 70 negozianti e commissionari in seta e cascami; in questo elenco la casa Mylius Enrico e C. figura nella colonna degli elettori, senza avere un rappresentate eleggibile, del resto sappiamo che Enrico Mylius morì a Milano nell’aprile del 1854. Ved. Elenco delle persone appartenenti al ceto commerciale che hanno diritto di essere elettori ed eleggibili per la Camera di commercio e d’industria della provincia di Milano di conformità alla legge provvisoria 18 marzo 1850, Milano 1857, pp. 1–7. 23 Per le caratteristiche del settore serico della Lombardia e dell’Italia di quegli anni, che era concentrato sulla produzione dei filati, la funzione commerciale era centrale. La materia prima era costosa e andava pagata in tempi rapidi in moneta d’oro e d’argento, i produttori di filo erano

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con Lione, con le principali piazze svizzere e tedesche dove erano attive tessiture seriche; arrivando a Varsavia, si entrava nel mercato russo. Le successive denunce presso la Camera di commercio di Milano documentano questo allargamento degli interessi verso il settore serico; nel 1828 la Mylius e C. fu censita in una guida cittadina come impegnata nella produzione e commercio di seta e cascami, si trattava di un allargamento che pare una presa di distanza dagli antichi commerci in tessuti forestieri e in coloniali, visto che nel 1833 la casa Mylius richiese alla Camera di commercio la cancellazione come “negoziante in manifatture” e l’iscrizione come “negoziante in banca e seta”.24 In realtà, come ricorda Angelo Moioli, le iniziali attività del Mylius vennero concentrate sulla sede di Genova. I cambiamenti riguardarono i rapporti con la rete internazionale in cui la società era inserita e il diretto coinvolgimento nella Enrico Mylius e C del nipote Heinrich nel dicembre del 1837.25 Sul finire degli anni trenta Enrico Mylius iniziò a coltivare l’idea di cedere la condotta degli affari ai nipoti, contando soprattutto sul nipote Enrico Mylius Mennet, persona “di grandi possibilità e provata esperienza”.26 Il fine era quello di garantire la continuità dell’impresa, gestendo anche gli inevitabili passaggi ereditari; ma il distacco fu graduale; per non mettere in discussione la solidità del "negozio". Enrico non chiese di liquidare la sua posizione agli eredi e mantenne il diritto di firma, facendosi garante degli ulteriori sviluppi della casa di banca e seta, sempre

molto numerosi, soprattutto i gestori delle filande, e i margini, per i trasformatori, erano ristretti. In questa situazione i negozianti, che disponevano di capitali, potevano fare anticipazioni e gestivano relazioni commerciali molto ampie, dominavano il mercato, godendo “di margini di reddito assai superiori a quelli dei produttori" (S. Angeli, Proprietari, commercianti e filandieri a Milano nel primo Ottocento. Il mercato delle sete, Milano 1982, p. 101). Sulla centralità dei negozianti nel settore serico italiano della prima metà dell’Ottocento e anche oltre insiste anche Marco Doria "Per raggiungere il successo in un settore in cui la materia prima rappresenta l’80– 90% dei costi di produzione totali, l’imprenditore serico deve avere uno spiccato senso commerciale: è essenziale saper acquistare a condizioni convenienti la materia prima per trasformarla direttamente o farla lavorare a terzi e poter collocare con buona sicurezza il prodotto sul mercato. [...] Negozianti in banca e seta, negozianti in seta e cascami, spedizionieri e commissionari: così vengono definiti i titolari di quelle case di commercio che costituiscono a Milano una vera e propria "aristocrazia mercantile". Compiendo frequenti viaggi all’estero, dove si avvalgono di fidati interlocutori, possono esitare la merce alle migliori condizioni; i grandi capitali di cui dispongono, propri o frutto di apporti di familiari o di persone appartenenti a una ristretta cerchia di conoscenti, permettono loro di condurre le trattative per l’acquisto del prodotto da posizioni di forza. [...] I loro interessi non si esauriscono nel commercio della seta, il cui andamento congiunturale è soggetto a fluttuazioni, ma si rivolgono all’intermediazione di altri beni e a operazioni di magazzinaggio e assicurative” (Doria, L’imprenditoria industriale italiana, pp. 113–114). 24 Licini, “Mylius”. 25 Moioli, “Enrico Mylius”, pp. 35–36. Nel 1825 nell’azienda erano stati inseriti, come soci, il già ricordato nipote Georg Melchior ed il figlio Julius. Quest’ultimo, però morì precocente nel 1830 a Trieste, all’indomani delle sue nozze con Luigia Vitali, “appartenente ad una delle più blasonate famiglie ambrosiane” (ibid., p. 35). 26 Ibid., p. 36.

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più coinvolta nel settore serico e in attività finanziarie. Al riguardo si può ricordare l’intervento sulla filanda di Boffalora, dove grazie al contributo di Giovanni Antonio De Kramer, di cui parleremo in seguito, venne introdotto l’uso del vapore per lo svolgimento delle diverse operazioni connesse alla trattura dei bozzoli e furono applicate innovative tecniche di tintura.27 Per quando riguarda le operazioni di carattere finanziario, il ruolo, sempre più rilevante di questo imprenditore è testimoniato dalla partecipazione, nel 1825, alla costituzione, a Milano, della “Compagnia di assicurazione contro i danni degli incendi, sulla vita dell’uomo e per le rendite vitalizie”. La prima società anonima attiva in questo settore nel capoluogo lombardo fu il frutto dell’intesa tra otto delle maggiori case di banca e seta di Milano.28 Nel 1844 la sede genovese della Enrico Mylius e C. era presentata come “tra le più accreditate ditte straniere che avevano chiesto la sottoscrizione di azioni dell’istituenda Banca di sconto, depositi e conti correnti di Genova”.29 Va infine ricordato che, nel 1846, sempre con il concorso dell’impresa creata e per lungo tempo gestita da Enrico Mylius venne creata la

27 L’impianto di Boffalora era stato oggetto di un primo intervento di razionalizzazione dei processi produttivi nella seconda metà degli anni venti, al quale aveva contribuito Julius Mylius. L’opera del figlio di Enrico era stata sorretta dagli studi di ingegneria che il giovane erede aveva in precedenza compiuto. La rinnovata filanda di Boffalora era stata portata ad esempio da un tecnologo di notevole competenza in campo serico, come Francesco Gera, e aveva suscitato interesse negli ambienti tedeschi, tanto che a Potsdam era stata realizzata una filanda analoga dal punto di vista tecnico; ibid., pp. 35–36. Sul contributo di Julius Mylius all’attività imprenditoriale del padre si veda Meda Riquier / Usselmann / Liermann Traniello, Enrico Mylius, pp. 39–41. Va ricordato che, in quel torno di tempo, la filanda di Boffalora era “divenuta celebre per la rappresentazione pittorica che ne fece, nel 1828, l’artista piemontese Giovanni Migliara” (Licini, “Mylius”). Le innovazioni introdotte negli anni Trenta nell’impianto pavese ebbero motivazioni diverse, tra le quali Moioli ricorda la "volontà di tutelare il ricordo del figlio di fronte ai risultati fallimentari registrati nel frattempo" (Moioli, “Enrico Mylius”, p. 36). Va peraltro osservato che era consuetudine di molti negozianti possedere filande, che, a seconda della convenienza e delle condizioni del mercato, venivano gestite direttamente o affidate alle cure di operatori specializzati. Al riguardo, mi permetto il rimando a un mio lavoro sulla realtà bergamasca, dove la produzione di filati serici era molte rilevante e dove erano attivi negozianti serici, alcuni dei quali provenienti dalla Svizzera, che avevano un ruolo non secondario nel sistema serico lombardo; ved. C. Besana, “Esperienze imprenditoriali nel Bergamasco tra Restaurazione e primi decenni postunitari”, in: A. Cova (a cura di), Storia economica e sociale di Bergamo, Vol. 4: Dalla fine del Settecento all’avvento dello Stato unitario, Bergamo 1994, pp. 179–189. 28 L’accordo prevedeva che ogni socio si impegnasse a sottoscrivere azioni per un ammontare di 195.000 lire austriache (S. Levati, La nobiltà del lavoro. Negozianti e banchieri a Milano tra Ancien Régime e Restaurazione, Milano 1997, p. 202). Grazie anche alla mediazione del Mylius, molte case straniere di commercio e banca sottoscrissero le azioni della compagnia di assicurazioni poco dopo la sua fondazione (Poettinger, “Innovazione e network”, p. 115). 29 Moioli, “Enrico Mylius”, p. 36.

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“prima grande fabbrica metalmeccanica milanese, quell’Elvetica che nel 1886 sarebbe diventata la Breda”.30 Non rientra nell’economia di questo lavoro ricordare l’opera di mecenatismo culturale svolta dall’imprenditore tedesco. Come è noto, la sua villa di Loveno sul lago di Como, “luogo deputato a celebrare il ricordo del figlio”, fu uno spazio aperto, voluto per “favorire incontri e scambi tra intellettuali italiani e tedeschi: Goethe, Manzoni, Cattaneo, d’Azeglio, Hayez sono alcuni dei personaggi che lì furono ospitati”.31 Non si può però dimenticare, anche ai fini di una comprensione del processo di modernizzazione dell’economia milanese e lombarda nel secondo Ottocento, il contributo offerto dal Mylius nel campo del giornalismo, della formazione e della promozione del progresso tecnico-scientifico. La fama guadagnata con la pratica degli affari,32 inserirono il Mylius a pieno titolo nella ristretta cerchia dell’élite commerciale e finanziaria milanese.33 All’interno di questa composita classe dirigente il Mylius sostenne gli interessi dei setaioli anche attraverso iniziative in campo giornalistico; in particolare con il suo contributo finanziario venne creato, nel 1835, il “Foglio commerciale”, periodico diretto da Ludovico Hartmann, “già uomo di fiducia del Mylius all’interno della sua azienda”.34 Sempre negli anni Trenta egli fu chiamato ad assumere ruoli rilevanti

30 Bigazzi, “Il contributo tedesco”, p. 76. Nel panorama milanese, dominato da società di persone con uno o più soci, l’Elvetica costituì un’eccezione interessante. A questa accomandita, creata con un capitale di 600.000 lire austriache, parteciparono infatti banchieri privati e imprenditori industriali, uomini legati alla Camera di commercio di Milano e alla società ferroviaria della Ferdinandea (S. Licini, “Dall’Elvetica alla Breda: alle origini di una grande impresa milanese (1846–1918)”, Società e Storia LXIII (1994), pp. 91–97). Esempio di industria "eretica" e "moderna" a quel tempo estranea all’ambiente milanese, questa società venne costituita, come ricordato, grazie all'interessamento di alcuni capitalisti attivi in città; tra questi si distinse Enrico Mylius, che “versando una quota di 135.000 lire austriache divenne il maggiore azionista dell’impresa” (Levati, La nobiltà del lavoro, p. 182). 31 Licini, “Mylius”. Su questo aspetto rilevantissimo dell’opera di Enrico Mylius si vedano i diversi saggi raccolti in: Pavoni (a cura di), ‘…rispettabilissimo Goethe… Caro Hayez… adorato Thorvaldsen…’. 32 Operatori del tempo presentavano il Mylius come “il più ricco negoziante di Milano” (Moioli, “Enrico Mylius”, p. 36) 33 Attraverso il matrimonio del figlio Julius con Luigia Vitali, celebrato nel 1830, la famiglia Mylius stabilì legami con l’aristocrazia milanese. Al riguardo va ricordato che nei primi decenni dell’Ottocento si ebbero a Milano solo quattro matrimoni “tra esponenti del mondo degli affari e membri di famiglie titolate“ (Levati, La nobiltà del lavoro, p. 258). 34 S. Levati, Giornalismo e tutela degli interessi mercantili. Michele Battaglia (1800–1870), Soveria Mannelli 1999, p. 125.

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in organismi consultivi del governo del Lombardo Veneto35 e nella Camera di commercio di Milano, della quale divenne vicepresidente nel 1839.36 Da questa posizione si fece promotore, per poi diventarne presidente e munifico animatore, della Società di incoraggiamento di arti e mestieri della provincia di Milano, attivata nel centro cittadino in piazza dei Mercanti. Stefania Licini la presenta, con fondate ragioni, come la più "significativa e progressiva tra le istituzioni milanesi" del tempo,37 Carlo Lacaita parla di "primaria espressione della società civile lombarda".38 Nata grazie al sostegno del locale ceto imprenditoriale e alla collaborazione di scienziati e intellettuali, tra i quali Carlo Cattaneo, questa istituzione ricalcava i modelli delle istituzioni politecniche che all’epoca stavano nascendo nei più avanzati paesi europei. Inizialmente essa ebbe l’obiettivo di diffondere le conoscenze tecniche per migliorare le attività manifatturiere e quelle agricole a Milano e nei centri della sua provincia. Il suo scopo era quello di superare pratiche ormai obsolete, di formare operai specializzati e tecnici per le botteghe artigiane, ma anche per le nascenti industrie dell’operosa città di Milano. Come ebbe a ribadire lo stesso Mylius in alcuni suoi pubblici interventi, lo scopo dell’istituzione era anche di carattere sociale. L’intendimento dei promotori dell’iniziativa era quello di promuovere, in ogni campo, la conoscenza e il progresso tecnico, soprattutto si puntava ad educare le future maestranze con lo scopo di aumentare la ricchezza del paese e di generare un benessere “diffuso a tutti gli strati della popolazione”.39 La prima attività della nuova istituzione formativa, della quale il Mylius fu presidente dal 1841 al 1854, anno della sua morte, fu quella di assegnare premi e riconoscimenti ad artigiani, inventori e imprenditori che si erano distinti nell’introduzione di procedimenti innovativi. Una svolta si ebbe, nel 1844, con l’apertura della Scuola di chimica industriale, generosamente finanziata dallo stesso Mylius ed affidata al già ricordato Giovanni Antonio Kramer, che trasferì nell’Istituto il suo laboratorio personale, avviando un lavoro di divulgazione scientifica di notevole rilievo.40 Dopo la creazione della scuola di chimica, vennero aperti al pubblico corsi

35 Nei primi anni Trenta il Mylius entrò a far parte della “Commissione per l’esame preliminare degli oggetti di commercio, industria e agricoltura”, istituita per raccogliere dati statistici sulle attività economiche e per individuare gli ostacoli allo sviluppo delle stesse; in questo organismo consultivo, il Mylius rappresentava la Camera di commercio di Milano; ved. R. Pichler, L’economia lombarda e l’Austria. Politica commerciale e sviluppo industriale, Milano 2001, pp. 134–135. 36 Nella Camera il Mylius fu rappresentante degli interessi del settore serico, assumendo posizione contrarie ad una politica di eccessivo protezionismo. Come ricordato, larga parte del filato serico prodotto o intermediato dagli operatori lombardi era collocato sui mercati esteri, in tale contesto la chiusura dei mercati del Lombardo-Veneto avrebbe potuto portare a ritorsioni, specie da parte degli inglesi (ibid., p. 147). 37 Licini, “Mylius”. 38 C.G. Lacaita, L’intelligenza produttiva. Imprenditori tecnici e operai nella Società di incoraggiamento d’arti e Mestieri di Milano (1838–1988), Milano 1990, p. 5. 39 Poettinger, “Innovazione e network”, p. 120. 40 Ibid.

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gratuiti di fisica industriale, di geometria meccanica e di tessitura serica. Solo le iniziative in campo tessile, che vennero sviluppate anche nella città di Como, corrisposero pienamente all’intento di arricchire la preparazione professionale di operai e artigiani. Gli altri corsi furono frequentati dagli esponenti delle classi più elevate della società lombarda. I risultati conseguiti furono comunque importanti perché la Società, con le sue iniziative e i suoi momenti di pubblico dibattito, diventò non solo uno dei più interessanti centri di aggregazione della città, ma “il punto di riferimento dei più moderni ambienti economici e culturali italiani”. Questi ultimi dedicarono una crescente attenzione ai programmi e alle attività dell’istituzione di piazza dei Mercanti, cercando di replicare l’iniziativa milanese “nel proprio ambito territoriale, con istituzioni dello stesso tipo, quali la Società industriale bergamasca e le Società di incoraggiamento di Padova, di Biella, di Siena e di Lucca”.41 Dopo la sospensione delle attività, dovuta ai fatti del 1848, la Società d’Incoraggiamento poté riprendere le sue attività a partire dal 1851, dopo un paziente lavoro di mediazione del suo presidente con le autorità austriache. L’azione di sostegno alla modernizzazione della vita economica e alla diffusione del progresso scientifico, promossa dalla Società, non venne meno con la morte, nel 1853, di Antonio De Kramer e, nell’aprile del 1854, dello stesso Mylius.42 Scomparso lo storico presidente non mancarono divergenze sul futuro dell’istituzione. Quello che qui conta ricordare è che, nella seconda metà, degli anni cinquanta la Società tornò a occuparsi di un tema che da sempre era stato coltivato, quello delle tecnologie industriali. In tale contesto vennero attivate nuove scuole di meccanica e di disegno e, soprattutto, venne chiamato a svolgere compiti di docenza un brillante laureato dell’Università di Pavia, il giovane Giuseppe Colombo. “Iniziava così una collaborazione che doveva durare oltre un quarto di secolo e doveva rivelarsi di estrema importanza sia per l’istituzione che per il tecnologo milanese. Fu nell’ambiente di piazza dei Mercanti, infatti, che il Colombo maturò definitivamente il suo indirizzo intellettuale e professionale”.43 Se si pone attenzione al fatto che il Colombo, nel 1865, sarebbe diventato ordinario di meccanica e costruzione di macchine nell’Istituto tecnico superiore di Milano, fondato due anni prima dal Brioschi con la collaborazione di enti e istituzioni fra cui proprio la Società di incoraggiamento, si comprende ancora di più quale fu il contributo di Enrico Mylius e dell’istituzione for-

41 Lacaita, L’intelligenza produttiva, pp. 78–79. 42 Al momento della sua uscita di scena, il Mylius lasciò la rendita di un capitale di 100.000 lire per garantire una solida base finanziaria alla Scuola di chimica, da lui voluta dieci anni prima (ibid., p. 79, n. 23). I funerali del Mylius videro un grande concorso di popolo, numerosi erano stati i suoi interventi a favore di istituzioni di utilità sociale, come gli asili d’infanzia, i ricoveri per i lattanti, l’Istituto dei ciechi, il patronato per i carcerati e le società di mutuo soccorso (ibid., p. 87). 43 Ibid., p.108.

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mativa da lui fortemente voluta alla trasformazione di Milano da capitale di un Regno, governato da principi stranieri, a capitale industriale ed economica del nuovo Regno d’Italia.44 Una seconda famiglia di origine tedesca, legata a network internazionali commerciali e finanziari, offrì un contributo importante alla crescita produttiva, culturale e scientifica di Milano e della Lombardia tra settecento e Ottocento, i Kramer. La presenza a Milano di questi imprenditori tedeschi, ebbe inizio con l’arrivo a Milano, nel 1782, di Giovanni Adamo Kramer.45 Originario di Essenheim, cittadina della Renania Palatinato non lontana da Francoforte, dove suo padre aveva attivato iniziative produttive e commerciali, il Kramer giunse nel capoluogo lombardo grazie agli incentivi governativi ottenuti “per subentrare nell’attività di stampa delle tele indiane e calancà allora cessata da Carlo Rho e [per] introdurre in parallelo la fabbricazione di tessuti necessari alla stessa”.46 Il Kramer si presenta così come uno degli imprenditori stranieri che, tra la fine del Settecento e i primi anni dell’Ottocento, arrivarono in Italia cogliendo le opportunità offerte dalle politiche di sostegno alla manifattura, poste in essere dai diversi governi della Penisola in quel torno di tempo.47 Fra questi operatori, fu uno dei più capaci. Mettendo a frutto le sue doti tecniche e imprenditoriali, utilizzò i vantaggi ottenuti dalle pubbliche autorità48 per “fare della propria manifattura cotoniera il primo nucleo di una nuova specializzazione tessile sul piano interzonale”.49 Come ricorda Sergio Zaninelli, l’obiettivo del Kramer, e dei suoi finanziatori, era quello di sviluppare la produzione meccanizzata di filati e tessuti di cotone, di fatto ancora assente nella Milano e nella Lombardia 44 Nell’Istituto tecnico superiore di Milano, il Politecnico, il Colombo “divenne l’animatore della sezione per ingegneri meccanici, che costituiva una novità e rimase unica in Italia fino al 1879” (R. Cambria, “Colombo, Giuseppe”, in: Dizionario biografico degli italiani, Vol. 27, Roma 1982, pp. 213–228). 45 Quando giunse a Milano, il Kramer aveva quasi trent’anni, essendo nato nel 1753 (S. Morosini, “Giovanni Adamo Kramer”, in: Levati / Morosini / Paletta (a cura di), Le élite camerali, p. 21. 46 A. Moioli, “Assetti manifatturieri nella Lombardia politicamente divisa della seconda metà del Settecento”, in: id. / A. Cova / A. Carera / L. Trezzi, Storia dell’industria lombarda, Vol. 1: Un sistema manifatturiero aperto al mercato, Milano 1988, pp. 1–102, qui p. 98. 47 Monica Poettinger ricorda come il Kramer sia stato affiancato nella sua attività, fino al 1807, dal socio Johann Paul Hartmann (Poettinger, “Innovazione e network”, pp. 122–123). 48 Tra questi anche la disponibilità di locali di soppresse istituzioni religiose; ved, “Elenco dei locali appartenenti a corporazioni religiose soppresse e destinati ad attività economiche. Situazione all’aprile 1808”, in A. Cova, “Tradizione e innovazione nel mutato contesto politico e territoriale dell’età francese”, in: id. / Moioli / Carera / Trezzi, Storia dell’industria lombarda, pp. 103–197, qui p. 181. Secondo Silvia Conca Messina, la politica attuata dalle autorità austriache e francesi, fondata su concessioni di esenzioni, privative, uso gratuito di locali, non produsse, tra la fine del Settecento e l’avvio del secolo successivo, i risultati sperati e non contribuì a dar vita a solide iniziative imprenditoriali nel settore del cotone, con l’eccezione proprio del Kramer e di Federico Schmutz (S. Conca Messina, Cotone e imprese. Commerci, credito e tecnologie nell’età dei mercanti-industriali. Valle Olona 1815–1860, Venezia 2004, p. 216). 49 Moioli, “Assetti manifatturieri”, p. 99. Moioli ricorda che i lusinghieri risultati ottenuti, in breve tempo, dal Kramer furono favoriti anche da “abbondanti disponibilità di capitali”; i suoi finanziatori erano le case Frey e Pestalozza di Zurigo e Hartmann di Augusta (ibid., n. 1).

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di quel tempo.50 Per raggiungere questo fine, dopo aver riattivato la fabbrica del Rho alla periferia di Milano e aver ottenuto la concessione imperiale per l’importazione di macchine, il Kramer aprì stabilimenti di filatura del cotone a Lonate Pozzolo (Varese) e a Monza, dove fece affluire maestranze provenienti dalla Svizzera.51 La scelta era strategica, dal momento che si avviavano opifici moderni nelle aree lombarde in cui era più vivace la tessitura del cotone secondo il tradizionale metodo del lavoro a domicilio organizzato da mercanti imprenditori locali, quali erano in quel tempo le pievi che facevano capo alla cittadina di Busto Arsizio e la Brianza monzese. I risultati non si fecero attendere e l’impresa del Kramer fu in grado di darsi solide basi. Non incontrò così grandi difficoltà nell’affrontare la difficile congiuntura di fine Settecento, quando tutte le attività manifatturiere milanesi e lombarde dovettero fare i conti con le vicende belliche che portarono al dominio napoleonico su Milano. In età francese abbiamo notizie di nuove iniziative nel settore della stampa delle tele di cotone e della filatura meccanica della stessa fibra; l’impresa continuò a consolidare la sua posizione in un contesto non certo facile per il settore secondario, esposto alla concorrenza dei produttori d’Oltralpe.52 Il successo imprenditoriale, che si legò anche alla partecipazione al sistema degli appalti militari53 e alle speculazioni nel settore immobiliare,54 gli conquistò "la stima e la fiducia dell’amministrazione napoleonica che gli affidò più di un incarico: nel 1806 venne chiamato a far parte della commissione per la revisione del progetto di Codice commerciale, mentre nel 1812 entrò nel Consiglio generale di commercio, arti e manifatture. Inoltre fu membro del Collegio dei negozianti e della locale Camera di commercio, e occupò il posto di presidente del Tribunale di commercio. Nel 1811, infine, quasi a suggellare la sua brillante carriera, venne insignito del merito dell’Ordine della Corona ferrea per meriti professionali".55 Anche per il ruolo pubblico svolto, si può dire che, tra la fine del Settecento e il 1815, anno della sua morte, il Kramer fu uno dei punti di riferimento per i cittadini svizzeri e tedeschi intenzionati ad investire a Milano.56 50 S. Zaninelli, L’industria del cotone in Lombardia dalla fine del Settecento alla unificazione del paese, Torino 1967, p. 14. 51 Anche per l’apertura degli impianti di Monza e Lonate Pozzolo il Kramer si avvalse dei vantaggi concessi dalle pubbliche autorità agli stranieri che avviavano nuove imprese nella Lombardia austriaca. Nel 1785 ottenne infatti la concessione gratuita di due conventi appartenuti a corporazioni religiose soppresse nelle due cittadine dell’Alto Milanese (ibid., p. 20, n. 3). 52 Anche in questa fase il Kramer poté contare su appoggi internazionali, stringendo rapporti d’affari con case cotoniere della Svizzera tedesca e dell’Alsazia; a Milano si avvalse del sostegno di una casa di banca e seta di primaria importanza, la Ballabio (Poettinger, “Innovazione e network”, pp. 123–124). 53 Levati, La nobiltà del lavoro, pp. 123–125. 54 Nel 1814 il Kramer, in società con l’avvocato Giuseppe De Vecchi, acquistò circa 900 pertiche nei dintorni di Palazzolo, per il "modico prezzo" di 218.128 lire. Venditori furono i fratelli Arnaboldi, costretti a cedere questi terreni per ripianare i loro debiti, Nel giro di venti mesi la proprietà venne venduta "a ritaglio" con un utile di oltre 62.500 lire (ibid., p. 129). 55 Ibid., p. 224. 56 Poettinger, “Innovazione e network”, p. 125.

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Gli utili ottenuti dalla sua attività di industriale del cotone, di commerciante e di intermediario finanziario, furono investiti in nuove iniziative imprenditoriali e in immobili.57 Nel 1797 acquistò i terreni adiacenti alla sua fabbrica milanese di tessitura e stampa delle tele di cotone, al fine di realizzare la sua dimora cittadina secondo stili propri delle dimore nobiliari. A Cremella, in Brianza, dove aveva un altro impianto di filatura, fece costruire una casa di villeggiatura. Investì i propri capitali anche nell’acquisto di beni agricoli a Lodi, diventando proprietario di oltre 260 ettari di terreni coltivati. A Tremezzo, sul Lago di Como, acquistò una casa nobiliare.58 Nelle sue disposizioni testamentarie il Kramer chiese espressamente ai suoi quattro figli maschi di continuare la sua attività in campo industriale e commerciale.59 Del resto il primogenito Carlo (1793–1844) era già stato formato e inserito nel “negozio” di famiglia, mentre per Francesco (1797–1866) e Giovanni Antonio (1806–1855) erano stati previsti percorsi di studi che potevano essere utili allo sviluppo dell’impresa fondata e a lungo diretta da Giovanni Adamo.60 La ditta continuò la sua attività in campo cotoniero sotto il nome di Kramer e C. Nell’età della Restaurazione l’azienda ottenne dalle pubbliche autorità la possibilità di aprire un fondaco a Vienna per smerciare i suoi prodotti, continuando poi ad operare in Lombardia anche oltre il 1844, anno della morte di Carlo.61 Nel 1822 i figli di Adamo Kramer ottennero il diploma di nobiltà, vincendo la resistenza alla loro nomina da parte di esponenti del patriziato milanese in sede di Commissione araldica. “Contestualmente ampliarono l’attività ai settori assicurativo, finanziario, zuccheriero, serico e metallurgico, con la produzione di tubi in piombo per il trasporto del gas illuminante. I fratelli Kramer riuscirono pertanto a conciliare in modo armonico una vocazione imprenditoriale tipicamente borghese a una distinzione sociale e culturale di stampo nobiliare”.62 Aperti alle relazioni con la borghesia imprenditoriale e professionale della città di Milano, anche grazie a scelte di politica matrimoniale non condizionate da motivazioni religiose, i De Kramer offrirono un importante contributo alla vita sociale della capitale lombarda. Il primogenito di Giovanni Adamo, Carlo si inserì, con una

57 Ibid. 58 Al momento della sua morte “Giovanni Adamo lasciò agli eredi un patrimonio quanto mai solido e ben equilibrato negli investimenti tra beni immobili e mobili, ammontante a circa tre milioni di lire” (Levati, La nobiltà del lavoro, p. 225). 59 Ibid., p. 226. 60 Francesco sarebbe diventato un ingegnere e Giovanni Antonio, come già ricordato, un valente chimico; poco si sa del quarto figlio maschio Ferdinando (1810–1858). 61 Sulla strategia adottata dai fratelli Kramer per garantire la continuità dell’impresa di famiglia nel momento in cui si approssimava la morte di Carlo, ibid., p. 176. 62 Morosini, “Giovanni Adamo Kramer”. Del resto, nell’avanzare richiesta di essere nobilitati, i Kramer sottolinearono, come loro merito precipuo, “il loro costante vivissimo impegno per promuovere e far prosperare il commercio e l’industria nazionale, avendo sempre avuto principalmente di mira il vantaggio dello stato della popolazione e della classe degli operai che essi specialmente proteggono”, citato in Levati, La nobiltà del lavoro, p. 227.

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sua pubblicazione, nel dibattito sulla creazione di una rete ferroviaria al servizio di Milano e del territorio lombardo;63 suo fratello Francesco fu consigliere della Camera di commercio di Milano dal 1851 al 1862. Ancor più significativo il ruolo svolto da Giovanni Antonio De Kramer. Dopo le prime esperienze formative a Elberfeld e Ginevra, Giovanni Antonio completò la sua preparazione a Parigi presso la Scuola di perfezionamento e il laboratorio chimico del Collegio di Francia.64 Rientrato a Milano, mise a frutto e si preoccupò di diffondere le conoscenze acquisite, mantenendo contatti con gli ambienti europei e compiendo viaggi di studio soprattutto in Francia, dove si interessò ai processi di stampa delle tele di cotone e all’attività di estrazione dello zucchero dalla barbabietola. Dopo aver svolto attività professionali con consulenze nei campi della tintura di filati e tessuti e in quello della produzione dello zucchero, nel 1844, a 38 anni, iniziò a tenere corsi di chimica dalla cattedra creata per lui da Enrico Mylius presso la Società d’incoraggiamento di arti e mestieri.65 L’attivazione dei corsi fu immediatamente seguita dalla costituzione di un laboratorio di chimica al quale cominciarono a collaborare alcuni allievi praticanti.66 I Kramer contribuirono anche indirettamente allo sviluppo dell’industria milanese. Al riguardo non possiamo dimenticare il “Premio Kramer”, voluto nel 1869 da Teresa Berra, vedova di Carlo De Kramer,67 e destinato ai migliori studenti del Politecnico. Il Premio permetteva ai vincitori di perfezionare i propri studi con un viaggio di istruzione nei paesi europei più avanzati e nel 1870 fu attribuito a Giovanni Battista Pirelli, il quale ebbe modo di conoscere i progressi dell’industria di produzione della gomma all’estero”.68 Grazie al mecenatismo di una famiglia di imprenditori tedeschi, il figlio del panettiere di Varenna, cittadina della sponda lecchese del Lago di Como, poté acquisire le competenze necessarie per fondare e sviluppare una delle più importanti e innovative imprese milanesi, protagonista della trasformazione di Milano da grande centro commerciale e finanziario a capitale dell’industria italiana.

63 C. de Kramer, Dell’importanza di ben scegliere le linee per le strade ferrate in Lombardia, Milano 1841. 64 Lacaita, L’intelligenza produttiva, p. 41. 65 Giovanni Antonio fu consigliere comunale, a Milano, e collaborò attivamente a “Il Politecnico” di Carlo Cattaneo; ved. Levati, Giornalismo e tutela degli interessi mercantili, p. 127. Continuò ad insegnare chimica presso la Società di incoraggiamento fino al settembre del 1853, il 25 di quel mese si spense nella sua villa di Tremezzo, sul Lago di Como, a soli 47 anni (Lacaita, L’intelligenza produttiva, p. 87). 66 Il laboratorio venne creato grazie alla scelta dello stesso Kramer di trasferire presso i locali della Società il suo laboratorio personale, considerato tra i più attrezzati tra quelli attivi in quel periodo in Italia. La struttura di ricerca venne in seguito arricchita da una serie di donazione anche di operatori economici milanesi (ibid., p. 45). 67 Teresa Berra, figlia dell’avvocato Domenico, portò in dote una somma pari a 250.000 lire, che venne depositata “in negozio” dal marito, ved. Levati, La nobiltà del lavoro, p. 110. 68 Morosini, “Giovanni Adamo Kramer”.

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4. TECNICI E OPERAI TEDESCHI NELL’AVVIO DELL’INDUSTRIALIZZAZIONE LOMBARDA Nella seconda categoria individuata da Duccio Bigazzi, quella dei tecnici privi di risorse finanziarie, ma capaci di costruire un percorso imprenditoriale di successo tra la fine del Settecento e il primo decennio postunitario, incontriamo altri esponenti della comunità tedesca di Milano, i fratelli Eraldo e Andrea Krumm e August Stigler. Eraldo Krumm era originario di Esslingen, cittadina del Baden Württemberg nei pressi di Stoccarda, ed era giunto a Milano con la qualifica di fabbro ferraio. Nel 1821, quando aveva 23 anni, lo ritroviamo occupato nella filatura meccanizzata di cotone che Karl Martin aveva impiantato a Legnano, dove erano occupati anche altri operai d’Oltralpe, soprattutto svizzeri.69 L’esperienza acquisita presso la filatura Martin e le competenze apprese con la pratica del commercio di cotone a Gallarate e a Milano,70 consentirono al Krumm di avviare una propria attività di filatura, alla quale associò anche il fratello Andrea. Alla metà degli anni quaranta Eraldo gestiva a Legnano una filatura meccanizzata dotata di 8.168 fusi, alla stessa data il fratello Andrea era responsabile di una filanda dotata di 1.500 fusi nella stessa cittadina dell’Alto Milanese; sotto la ragione Andrea Krumm, infine, era attivo un altro impianto impegnato nella preparazione del filo di cotone ubicato a Carate nella Brianza monzese.71 I fratelli Krumm possedevano le competenze tecniche necessarie per gestire questi primi impianti moderni sorti in Lombardia per la filatura meccanica del cotone. Erano anche aperti all’utilizzo delle nuove tecnologie, tanto che furono tra i primi ad utilizzare l’energia del vapore per “sussidiare” quella fornita dall’acqua del fiume Olona allo stabilimento di Legnano.72 La ditta che faceva capo ad Eraldo, nel 1856, era la seconda in Lombardia per quantità di filato prodotto.73 La loro modesta origine, peraltro, li faceva privi di risorse finanziarie e di collegamenti con case commerciali e bancarie milanesi o straniere. Il loro successo come imprenditori fu l’esito dello strettissimo rapporto che instaurarono con un facoltoso operatore del comparto cotoniero di Busto Arsizio, Francesco Turati. Era quest’ultimo a

69 Poettinger, “Innovazione e network”, p. 126. 70 Zaninelli, L’industria del cotone in Lombardia, p. 26, n. 10. 71 I fusi installati in questa fabbrica erano 3.600 (ibid., p. 27). L’impianto di Carate fu ceduto ai Krumm nel 1845 da Domenico Bazzoni e Giuseppe Sperati al prezzo di 282.000 lire, ved. Levati, La nobiltà del lavoro, p. 194. 72 L’istallazione della macchina di fabbricazione inglese e della potenza di 12 cavalli avvenne nel 1837 "nello stabilimento Krumm già di proprietà Martin" (Zaninelli, L’industria del cotone in Lombardia, p. 61, n. 3). 73 A quella data l’azienda più importante era quella di Andrea Ponti che produceva, ogni anno, circa 4.500 quintali di filati di cotone; l’azienda del Krumm metteva sul mercato poco più di 2.000 quintali (ibid., p. 131).

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fornire ai Krumm la materia prima da filare, che poi ritirava al fine di "alimentare" i telai della sua azienda di tessuti74 o di rifornire altri operatori del settore.75 La collaborazione con Francesco Turati permise ai Krumm di accumulare capitale proprio, potendo così riscattarsi dal ruolo di semplici gerenti.76 Fu Eraldo Krumm in particolare a raggiungere, dopo l’Unità nazionale, ricchezza e riconoscimento sociale. Il figlio Luigi, avviato dal padre alla gestione di impianti di filatura sin dagli anni cinquanta, poté così avere un ruolo di rilievo in alcune importanti iniziative imprenditoriali del periodo. “Nel 1872 partecipava, infatti, alla fondazione del Cotonificio Cantoni, di cui sarebbe stato nominato presidente e, l’anno seguente del Lanificio Rossi.”77 Nel 1876 con Eugenio Cantoni dette vita alla Cantoni Krumm, “un’azienda meccanica che si poneva l’obiettivo di fabbricare in Italia macchinario tessile fino ad allora importato. Se in questo caso l’impresa, sorta ‘con spirito forse più audace che positivo’, ebbe vita poco fortunata, rappresentò peraltro il nucleo iniziale della Franco Tosi”,78 una delle più importanti industrie meccaniche lombarde del Novecento. Altro tecnico di grande valore, che seppe creare una sua impresa, fu Augusto Stigler, giunto a Milano dalla Germania intorno al 1860. Ingegnere tedesco, laureato al Politecnico di Zurigo, per oltre un quarto di secolo lo Stigler si dedicò, con tutta probabilità, alla consulenza tecnica per diverse imprese. Successivamente fu in grado di attivare una sua società, che, grazie alla valorizzazione di numerosi brevetti, riuscì a conquistare “una posizione di assoluto predominio nella costruzione di ascensori”, un prodotto assolutamente nuovo per la realtà milanese e nazionale.79 5. IL CONTRIBUTO DEGLI OPERATORI TEDESCHI ALLE NUOVE INIZIATIVE IMPRENDITORIALI DEGLI ANNI SETTANTA Va sicuramente riconosciuto a Stefania Licini il merito di aver sottolineato l’importanza degli anni Settanta nel processo di industrializzazione di Milano e della Lombardia.80 Non si vuole negare che il pieno successo delle imprese industriali, anche in questa parte della Penisola, fu conseguenza del superamento dell’equilibrio agricolo commerciale nell’ultimo ventennio dell’Ottocento, superamento indotto dalla crisi del primario, prodotta dalla concorrenza dei prodotti d’Oltreoceano sui mercati europei, e dall’adozione di un più accentuato protezionismo con la tariffa del 1887. 74 Nel 1839 la Turati e Radice, che faceva capo a Francesco Turati, "aveva 1.250 telai battenti, che nel 1844 erano già saliti a 1.400" (ibid., pp. 38–39). Sulla lavorazione nell’Alto Milanese nella prima metà dell’Ottocento e sui rapporti tra Francesco Turati ed i fratelli Krumm vedi anche Messina, Cotone e imprese. 75 Poettinger, “Innovazione e network”, p.126–127. 76 Ibid., p. 129. 77 Bigazzi, “Il contributo tedesco”, p. 78. 78 Ibid. 79 Ibid. Passata ai figli August e Massimo, la Stigler fu trasformata in società per azioni nel 1907. 80 S. Licini, “Finanza e industria a Milano nel triennio 1870–73: azionisti e “nuove” imprese”, Rivista di storia economica, N.S. XI,2 (1994), pp. 212–252.

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Nel caso di Milano e della Lombardia il peso di questi fattori esogeni, fu favorito dall’azione di fattori endogeni, in particolare da un crescente interesse di operatori economici e uomini di finanza per le iniziative in campo industriale nei settori più diversi già negli anni settanta. Si ebbe in quel periodo non solo una forte meccanizzazione di attività tradizionali come la prima e la seconda lavorazione della seta o un decisivo consolidamento di un comparto da decenni impegnato a superare gli antichi assetti, basati sul lavoro a domicilio, come quello cotoniero. A dieci anni dall’unificazione nazionale, si affacciarono iniziative industriali nel comparto alimentare, specie nella lavorazione del latte; nuove esperienze, destinate a un duraturo successo, vennero avviate nei settori della carta e della gomma. Nei maggiori centri urbani, specie a Milano, comparvero moderne imprese meccaniche e chimiche. Le indagini della Licini in precedenza ricordate escludono un ruolo rilevante di imprenditori stranieri in questa seconda fase della crescita del settore secondario in terra lombarda. Anche in questo caso peraltro non mancarono iniziative di un qualche rilievo promosse da imprenditori tedeschi. Si ricorda in particolare la Fabbrica lombarda di prodotti chimici, nata a Milano sotto la presidenza del rettore dell’Istituto tecnico superiore Francesco Brioschi e la direzione di Alexander Böhringer.81 Nata per operare in un comparto nel quale il ritardo italiano era evidente, quello della “fabbricazione dei prodotti chimici a uso delle farmacie e delle industrie”, l’anonima crebbe con sorprendente rapidità, specializzandosi nella produzione del chinino e di sali derivati. Celebrata all’esposizione industriale del 1881, a metà degli anni ottanta copriva il 50% della produzione nazionale di chinino e una quota assolutamente rilevante di quella di solfato, arrivando ad esportare una parte dei suoi prodotti all’estero, in particolare in Russia. Primo esempio in Italia di grande industria chimica la società fu vittima della megalomania e della gestione poco corretta del suo direttore, tanto da essere costretta a “entrare in fallimento concordato con la Banca di Torino”.82 Alexander Böhringer, celebrato per aver attivato a Milano una fabbrica chimica di “credito europeo”, contribuì al sorgere di una seconda iniziativa imprenditoriale, anch’essa degna di nota. Nel 1879, in società con Enrico Mylius Mennet dette vita alla Böhringer, Mylius e C. una società attiva nella produzione del latte condensato. Nella cittadina di Locate Triulzi, grosso borgo alla periferia meridionale del capoluogo lombardo sulla strada che conduceva a Pavia, i due soci di origine tedesca gestivano, all’inizio del decennio ottanta, un impianto moderno nel quale, ogni anno, si confezionavano oltre un milione di scatole di latta, contenente una libbra inglese di latte condensato con zucchero. L’impianto utilizzava processi tecnologici

81 Ibid., p. 218. 82 Il fallimento del 1885 non segnò peraltro la fine di questa iniziativa imprenditoriale. Allontanato il direttore Alexander Böhringer, l’anonima venne ricostituita nel 1887 “sotto la ragione sociale di S.A. Italiana Fabbrica lombarda per i prodotti chimici”, mentre la gestione tecnica veniva affidata all’ingegner Carlo Frost (ibid.).

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di origine svizzera, riuscendo a trasformare, ogni giorno, 100 quintali di latte provenienti da 18 stalle della zona con lo scopo di preparare prodotti destinati, quasi esclusivamente, all’esportazione.83 6. UNA PRIMA CONCLUSIONE Tracciando un bilancio di queste esperienze, non si può non confermare il giudizio di Marco Doria sull’inserimento degli imprenditori stranieri nell’Italia settentrionale.84 Anche per gli operatori tedeschi attivi a Milano e in Lombardia tra la fine del Settecento e gli ultimi decenni del secolo successivo si può parlare di un’integrazione riuscita. Avviando diverse attività commerciali e manifatturiere di maggiore o minore successo, questi imprenditori trovarono un humus favorevole, specie in alcuni territori, e, con le loro iniziative, contribuirono a un ulteriore sviluppo del sistema produttivo locale. Nel loro operare, infatti, questi uomini d’affari, sia pure non numerosi, svolsero l’importante funzione di “collegare lo spazio economico dove andavano a insediarsi con le zone più avanzate d’Europa, agendo all’interno di reti internazionali in grado di veicolare innovazioni, capitale, capitale umano e finanche capitale sociale nella ‘periferia’”.85

83 C. Besana, Tra agricoltura e industria. Il settore caseario nella Lombardia dell’Ottocento, Milano 2012, pp. 190–191. 84 Doria, L’imprenditoria industriale italiana, p. 127. 85 Poettinger, “Innovazione e network”, p. 100.

II. DAS DEUTSCH-ITALIENISCHE WIRTSCHAFTSBÜRGERTUM DER SATTELZEIT UND SEINE SCHLÜSSELAKTEURE ZWISCHEN MAILAND UND FRANKFURT AM MAIN

ATTIVITÀ MERCANTILE E PRESTIGIO SOCIALE Il fondamentale contributo dei negozianti tedeschi nella Milano tra sette e ottocento Stefano Levati Abstract: This article focuses on the contribution made by German merchants, and in particular by John Adam Kramer and Henry Mylius, on the change in the behaviour of the Milanese mercantile class. These, as along with other German migrants, helped to bring about a profound change in the value system in Lombardy already before, but especially in, the revolutionary age. While social values were mostly associated with the behaviour of nobility and their ethics before the arrival of these Germans, this was completely reversed in the decades around 1800. Before, the normal goal of any businessman would have been to abstain from gaining too much profit, withdraw as soon as possible with some of the profit acquired from business and then seek a patent of nobility. Now, success in business and an accumulation of capital became values in themselves and education, as well as identification with entrepreneurial ethics, rose rapidly in public esteem. The bourgeois ethics, the exaltation of work and sobriety, the pride for the companies created from nothing and for the commercial houses that pass from generation to generation, the desire to link Lombardy to what the Milanese revolutionary Carlo Cattaneo called “living Europe”; the Lombard elites continued to seek as much as they could get. This article shows the important influence that the behaviour of the German migrants had in profoundly changing the value system in Milano and its state, which, not by chance, was to become the home to the most entrepreneurial class of businessmen throughout all of Italy in the 19th century.

1. LA CONDIZIONE DEL NEGOZIANTE NELLA MILANO DI ANTICO REGIME Durante il secolo che intercorre tra l’attivazione del catasto carolino-teresiano e la caduta dell’egemonia asburgica in Lombardia, e il conseguente avvento del Regno d’Italia, la fisionomia e la considerazione sociale che caratterizzavano i ceti mercantili ambrosiani mutarono profondamente e irreversibilmente. Ancora alla metà del XVIII secolo l’attività mercantile, anche se esercitata all’ingrosso sui mercati internazionali, continuava ad essere guardata con disprezzo dai ceti dirigenti della città di Milano e in parte anche di Vienna, tanto da alimentare la volontà dei negozianti che avessero ottenuto un buon successo economico di abbandonare l’attività imprenditoriale per trasformarsi – secondo un percorso consolidatosi nel corso dell’antico regime – in rentier, ed avviare i propri figli verso attività ritenute socialmente più stimate e prestigiose. Le testimonianze del persistere ancora sul finire del settecento di questi pregiudizi sono diverse: dagli atti testamentari, che prescrivevano agli eredi di rinunciare all’esercizio della mercatura, ai commenti dei viaggiatori stranieri di passaggio in città, dalla natura delle richieste

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di nobilitazione ad alcuni clamorosi progetti matrimoniali di mésalliance, che provocarono vere e proprie sollevazioni di buona parte delle famiglie patrizie milanesi.1 A distanza di un secolo poco o nulla di quel mondo sembra essere sopravvissuto: i ceti mercantili dimostrano di aver maturato una considerazione sociale e un’autostima tali da riconoscersi pienamente in una serie di valori propri, “borghesi” appunto, di cui si fecero convinti sostenitori senza dover più mascherare le loro origini sociali e tanto meno abbandonare le attività imprenditoriali che ne avevano decretato il successo economico e il riconoscimento sociale.2 2. UN MONDO IN CAMBIAMENTO Tale processo fu la logica conseguenza di alcuni eventi concomitanti, che portarono a rimodellare totalmente la struttura e le gerarchie della società milanese e a smantellare i pregiudizi atavici ad esse sottese. Sul piano politico l’arrivo delle armate francesi nel 1796 fece letteralmente crollare la secolare società cetuale, con tutte le sue rigidità e i suoi steccati. A questa si sostituì una società per classi, in cui la componente censitaria assunse subito una preponderanza assoluta. Il nuovo notabilato napoleonico, vera colonna portante dell’intera società meneghina, venne infatti profilandosi come un’élite patrimoniale che riuniva in un medesimo corpo vecchi aristocratici e uomini nuovi e che aveva come elemento fondante e caratterizzante la proprietà fondiaria. Tuttavia se il notabilato napoleonico si identificò rapidamente con la figura del ricco proprietario terriero, ruolo non secondario venne anche riconosciuto agli uomini d’affari, che si videro assegnati precipui spazi istituzionali tanto a livello comunale che nazionale. I posti riservati agli uomini d’affari nelle nuove municipalità e la realizzazione di un apposito collegio elettorale dei commercianti, al fianco di quello dei possidenti e a quello dei dotti, come ambito unico di rappresentanza “nazionale”, molto dicono del nuovo clima politico e sociale ottocentesco. Un clima che ovviamente consentì agli imprenditori meneghini di imporsi anche sul palcoscenico sociale: dal teatro alla Scala alle rituali passeggiate in carrozza lungo il corso, dalla vita associativa fino alla corte reale di Monza, la presenza delle più rinomate famiglie di mercanti e imprenditori iniziò ad apparire cospicua e continuativa. Parallelamente a questo processo di “emersione” sociale, l’età napoleonica offrì a coloro che fossero dotati di risorse finanziarie una grande quantità di occasioni

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Sul tema mi permetto di rinviare a S. Levati, La nobiltà del lavoro. Negozianti e banchieri a Milano tra ancien régime e restaurazione, Milano 1997; id., “Negoziazione e nobiltà tra dibattito culturale e prassi comportamentale: il caso lombardo”, in: A. Alimento (a cura di), Modelli d’oltre confine. Prospettive economiche e sociali negli antichi stati italiani, Roma 2009, pp. 249–270. S. Levati, “Il mondo degli affari nella Milano di Carlo Cattaneo (1815–1848)”, in: L. Cafagna / N. Crepax (a cura di), Atti di intelligenza e sviluppo economico. Saggi per il bicentenario della nascita di Carlo Cattaneo, Bologna 2001, pp. 285–320.

Attività mercantile e prestigio sociale

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allettanti per investire e quindi arricchirsi ulteriormente: dalla vendita dei beni nazionali, di cui i negozianti – forti delle loro disponibilità di denaro liquido – furono tra i maggiori acquirenti, ai lucrosi appalti, soprattutto per gli approvvigionamenti all’esercito, fino al finanziamento del debito pubblico. Un arricchimento, repentino, consistente e diffuso, che consentì di consolidare il prestigio e la considerazione sociale degli uomini d’affari ambrosiani. Tutto ciò contribuì, nel volgere di qualche lustro, a far maturare nell’alta borghesia milanese degli affari una tale consapevolezza del proprio ruolo e della dignità della propria professione da indurre alcuni suoi membri ad operare scelte e strategie individuali e collettive volte a perpetuare la presenza delle loro aziende sul mercato e non invece, come spesso avveniva in passato, ad abbandonarle non appena raggiunta una condizione di sufficiente agiatezza. Sintetizzando, possiamo concludere che iniziò ad affermarsi anche in Lombardia un’etica del lavoro e un orgoglio di categoria che si sarebbero rapidamente diffusi nel corso dell’ottocento. Il contributo offerto da alcuni negozianti tedeschi alla maturazione di questa consapevolezza borghese è stato di grande rilevanza e forse non debitamente colto dalla storiografia, che ha prestato maggior attenzione ad altri seppur rilevanti aspetti del loro operato. Mi riferisco alle indagini condotte da Sergio Zaninelli, Cinzia Martignone, Frank Baasner, Angelo Moioli e Monika Poettinger sull’importanza rivestita da Enrico Mylius e Adamo Kramer nella modernizzazione dei sistemi commerciali e produttivi lombardi3 o a quelle di Carlo Lacaita rivolte all’analisi e alla comprensione dell’innovativo progetto formativo promosso dalla Società di incoraggiamento d’arti e mestieri fondata da Enrico Mylius a partire dal 1841.4

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S. Zaninelli, L’industria del cotone in Lombardia dalla fine del settecento all’unificazione del paese, Torino 1967; C. Martignone, Imprenditori protestanti a Milano 1850–1900, Milano 2001; F. Baasner, “Enrico Mylius (1769–1854): imprenditore, mecenate, patriarca”, in: F. Baasner (a cura di), I Mylius-Vigoni. Italiani e tedeschi nel XIX e XX secolo, Firenze 1994, pp. 9– 28; A. Moioli, “Enrico Mylius negoziante e banchiere”, in: R. Pavoni (a cura di), ‘… rispettabilissimo Goethe… caro Hayez… adorato Thorvaldsen… ’. Gusto e cultura europea nelle raccolte d’arte di Enrico Mylius, Venezia 1999, pp. 29–37; id., “La traiettoria di una “international house” tra ’700 e ’800: il caso della ditta milanese Enrico Mylius e comp.”, in: A.M. Falchero / A. Giuntini / G. Nigro / L. Segreto (a cura di), La storia e l’economia. Miscellanea in onore di Giorgio Mori, Vol. 1,Varese 2000, pp. 46–484; M. Poettinger, “Lo sviluppo economico lombardo nelle attività degli imprenditori tedeschi”, in: G. Oldrini / A. Venturelli (a cura di), La tradizione rinnovata: da Enrico Mylius alla Sesto San Giovanni del futuro, Loveno di Menaggio, 2006, pp. 49–103; ead., “Internazionalizzazione ed innovazione tecnologica nella Milano ottocentesca, gli imprenditori tedeschi Kramer e Mylius”, in: G. Alfani (a cura di), Il ruolo economico della famiglia, Roma 2007, pp. 303–357; ead., “Imprenditori tedeschi nella Lombardia del primo ottocento, spirito mercantile, capitale sociale ed industrializzazione”, Rivista di Storia Economica XXIII (2007), pp. 319–360. C.G. Lacaita, L’intelligenza produttiva. Imprenditori, tecnici e operai nella Società d’incoraggiamento d’arti e mestieri di Milano (1838–1988), Milano 1990.

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È appunto sul piano dei comportamenti sociali degli operatori mercantili tedeschi a Milano che vorrei invece concentrare la mia attenzione, forte del convincimento che costoro rappresentarono un importante esempio per far crollare definitivamente i pregiudizi del passato nei confronti degli uomini di negozio. Prima di procedere è però necessario esplicitare una premessa sul profondo radicamento – a differenza di quanto avvenne per i negozianti svizzeri – degli imprenditori tedeschi nel tessuto sociale oltre che produttivo di Milano, tale da renderne così rilevanti le vicende.5 I secolari e profondi legami della Lombardia con il mondo tedesco si intensificarono nel corso del XVIII secolo – come le relazioni di Magnus Ressel, Giovanna Tonelli e Ralf Banken hanno brillantemente ribadito – anche a seguito del passaggio dello stato di Milano dagli Asburgo di Spagna a quelli d’Austria. A questo proposito è d’obbligo ricordare che alla fine degli anni sessanta del Settecento il più grande uomo d’affari della Milano dell’epoca, e forse dell’intera penisola, Antonio Greppi, volle affiancare alle filiali della sua impresa aperte ad Amsterdam (emporio delle merci provenienti dalle Indie Orientali) e a Cadice (porto di accoglienza delle merci “americane”), affidate ai figli Marco e Paolo, anche una succursale ad Amburgo, che venne assegnata all’altro figlio Giacomo, a conferma dell’importanza che i traffici e le relazioni commerciali con il mondo tedesco continuavano a rappresentare per gli operatori milanesi.6 A partire dagli anni ottanta del Settecento, anche in conseguenza dell’emanazione della patente di tolleranza di Giuseppe II e delle facilitazioni commerciali volute dall’imperatore asburgico, le relazioni tra le due aree si intensificarono ulteriormente:7 imprenditori tedeschi iniziarono a trasferirsi a Milano in maniera stabile, integrandosi rapidamente nel tessuto sociale della città. Solo a partire da questa constatazione è possibile comprendere a pieno l’effetto emulativo che i loro comportamenti dovettero suscitare sulla comunità mercantile indigena.

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Sugli elevati tassi di endogamia delle famiglie imprenditoriali svizzere cfr. C. Besana, “L'associazionismo imprenditoriale tra crisi agraria e prima guerra mondiale”, in: V. Zamagni / S. Zaninelli (a cura di), Storia economica e sociale di Bergamo, Vol. 5,1: Fra Ottocento e Novecento. Tradizione e modernizzazione, Bergamo 1996, pp. 225–264 e C. Martignone, “La comunità dei commercianti. Imprenditori evangelici a Bergamo nell’ottocento”, in: D. Bigazzi (a cura di), Storie di imprenditori, Bologna 1996, pp. 53–96. G. Liva, “Le aziende Greppi in Europa: Amburgo e Amsterdam”, Archivio storico lombardo CXXIII (1996), pp. 189–238; S. Levati / G. Liva, 'Viaggio di quasi tutta Europa colle viste del commercio dell’istruzione e della salute': lettere di Giacomo e Paolo Greppi al padre (1777– 1781), Milano 2006. Cfr. C. Peter, “Operatori prealpini all’estero: negozianti comaschi a Francoforte nel Settecento”, in: L. Mocarelli (a cura di), Tra identità e integrazione. La Lombardia nella macroregione alpina dello sviluppo economico europeo (secoli XVII–XX), Milano 2002, pp. 195–210; mentre un’attenzione anche alla dimensione “turistica” e culturale è fornita dai saggi raccolti in: G. Bigatti (a cura di), Quando l’Europa ci ammirava. Viaggiatori, artisti, tecnici e agronomi stranieri nell’Italia del ’700 e ’800, Truccazzano 2016.

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Il caso di Giovanni Adamo Kramer, originario di Essenheim, vicino a Francoforte sul Meno, è quanto mai significativo. Giunto in città nel 1782, allettato da una serie di agevolazioni economiche garantitegli dalle autorità asburgiche, rilevò la liquidata ditta “Fratelli Rho” nella gestione di un complesso manifatturiero per la filatura, tessitura e stampa di indiane e calancà.8 Nel giro di pochi lustri la sua attività manifatturiera si arricchì di nuove e fortunate iniziative, che lo imposero all’attenzione sia delle autorità dello stato che della comunità mercantile. Tangibile testimonianza del credito che seppe guadagnarsi sono i numerosi incarichi pubblici affidatigli dalle autorità napoleoniche (nel 1806: membro della Commissione chiamata a revisionare un progetto di Codice commerciale; nel 1812: membro del Consiglio generale di commercio), i riconoscimenti onorifici ottenuti (dal 1802 fu membro del Collegio dei commercianti; nel 1811 fu insignito dell’ordine della Corona ferrea) e l’attiva partecipazione alla vita della Camera di commercio cittadina, di cui divenne presto membro e che nel 1813 lo propose quale presidente del Tribunale di commercio.9 Tale percorso di integrazione raggiunse il suo culmine nel 1819 con il matrimonio della figlia Amalia con il figlio primogenito del rinomato banchiere Pietro Balabio, all’epoca presidente della Camera di Commercio e poco dopo della Borsa, Giovanni.10 I Kramer risultano essere quindi sì una famiglia tedesca e di religione protestante, ma perfettamente integrata nella comunità. Per questa ragione le scelte operate da Giovanni Adamo assumono per noi un significato di grande rilevanza, poiché esprimono un sentire comune e condiviso e non una posizione “stravagante”. Il 13 giugno del 1814 Giovanni Adamo, sentendosi avvicinare il momento della morte, depositò presso il notaio Giorgio Sacchi il proprio testamento nuncupativo con cui lasciava in via di prelegato e di antiparte ai quattro figli maschi, Carlo Andrea, Francesco, Ferdinando e Antonio, la porzione disponibile [ossia] la casa sul lago di Como [a Tremezzo] con suo giardino, il locale e fabbricato della Cavalchina, quello della Pace, le mercanzie, crediti e utensigli e quant’altro appartiene allo stabilimento della mia fabbrica ed i fondi di Cremella;

quindi ordinava loro di continuare la fabbrica e la negoziazione sul piede da me praticato nonostante che alcuni di essi si potessero trovare in minore età, mentre intendo che la sostanza dei detti minori abbia a essere

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Sui mercanti Rho cfr. S. Zaninelli, L'industria del cotone in Lombardia dalla fine del settecento all unificazione del paese, Torino 1967, pp. 11–22; M. Poettinger, Deutsche Unternehmer im Mailand des neunzehnten Jahrhunderts, Lugano 2012, p. 31. 9 Cfr. S. Levati, La nobiltà del lavoro, passim. A questi incarichi si deve poi aggiungere anche la presenza all’interno del Consiglio comunale della città di Milano segnalata da E. Pagano, Il Comune di Milano nell’età napoleonica (1800–1814), Milano 1994, p. 121. 10 Una prima disamina dei comportamenti sociali di Giovanni Adamo Kramer e della sua famiglia è stata da me avviata nell’articolo S. Levati, “Negozianti e società a Milano tra ancien régime e restaurazione”, Società e storia 61 (1993), pp. 503–550.

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Stefano Levati sottoposta alle vicende della negoziazione, ritenuto che l’indole e natura della mia negoziazione non può portare grossi e rilevanti sbilanci.11

In questo modo Giovanni Adamo intendeva evidentemente garantire la continuità patrimoniale e simbolica della propria famiglia, continuità che ai suoi occhi passava anche, se non esclusivamente, attraverso la prosecuzione dell’attività commerciale e manifatturiera con cui ormai il suo cognome si identificava. L’orgoglio per la propria attività e la consapevolezza che questa non solo non dovesse essere più di intralcio per un’ulteriore ascesa sociale, ma che anzi ne costituisse la molla, si colgono chiaramente nella supplica avanzata dal figlio Carlo Andrea all’imperatore il 31 dicembre 1819 al fine di ottenere il titolo nobiliare per sé e la sua famiglia. Dopo essersi dichiarato “umilissimo e fedelissimo suddito” e aver espresso “la somma sua divozione e l’attaccamento da essi [fratelli] succhiato col latte per l’augustissima casa d’Austria”, elencava i meriti in base ai quali, insieme ai fratelli, ambiva ad ottenere la nobiltà: le laboriose loro cure e il loro costante vivissimo impegno per promuovere e far prosperare il commercio e l’industria nazionale, avendo sempre avuto principalmente di mira il vantaggio dello stato della popolazione e della classe degli operai che essi specialmente proteggono.12

Proseguiva poi rimarcando orgogliosamente le origini della famiglia: L’umile ricorrente discende da padre di onorata e benemerita memoria e da madre di nobile origine essendo figlia del defunto capo commissario de Spech cui S.M. l’Augustissima Maria Teresa si degnò nel 1754 di conferire la nobiltà ungherese. Il di lui padre semplicemente a motivo di essersi distinto nel commercio, cui egli e tutta la sua famiglia sempre ed esclusivamente attesero, ottenne sotto il cessato governo la decorazione della Corona ferrea. Fra gli altri stabilimenti di commercio e di industria qui eretti dal defunto padre del ricorrente deve farsi speciale menzione della fabbrica di tessitura di cotone e stamperie con macchine inglesi unica in quel modo in tutto il Regno Lombardo-Veneto.13

L’ostentazione dei propri meriti manifatturieri e mercantili quale unica ragione per l’elevazione alla nobiltà molto dice della consapevolezza maturata dalla famiglia e dalla intera categoria riguardo al ruolo e al peso dei nuovi valori borghesi all’interno della società ottocentesca. La reazione scomposta della Commissione araldica milanese, presieduta dal “patrizissimo” Giberto Borromeo, rende al contrario manifesto da un lato il permanere di pregiudizi anti mercantili, rinnovatisi nel clima di revanche aristocratica imperante nei primi anni della Restaurazione, e dall’altro la fiera convinzione dei vertici del mondo del negozio di non essere da meno rispetto alle tradizionali gerarchie sociali.

11 Archivio di Stato di Milano (ASMi), fondo notarile, ultimi versamenti, notaio G. Sacchi, cart. n. 553, 1° maggio 1815. 12 ASMi, fondo araldica, p.m. cart. 122, fasc. 50, petizione di Carlo Andrea Kramer del 31 dicembre 1819. 13 Ibid.

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Infatti il 6 aprile 1820 la Commissione araldica inviò al Regio governo le sue osservazioni in merito alla supplica inoltrata da Carlo Kramer, etichettato immediatamente come “di origine estera e di religione protestante”. Dopo aver riconosciuto la “buona opinione” di cui godono i fratelli Kramer “per la loro onestà nella classe dei negozianti e fabbricatori” e aver accennato all’esistenza della florida fabbrica di Cremella, la Commissione entrava nel merito delle argomentazioni: Che poi questo basti perché siano da Sua Maestà graziati della richiesta nobiltà non è la Commissione in diritto di giudicarne, giacché se la introduzione di fabbriche e l’onestà del carattere fossero motivi sufficienti per domandare di essere ammessi alla nobiltà, vi sarebbero nella sola città di Milano moltissimi altri che vi avrebbero lo stesso e forse maggior diritto essendovi tra i nostri negozianti delle persone ricchissime e fra i fabbricatori di quelli che introdussero da noi o perfezionarono delle arti che prima non erano conosciute.

Riguardo poi ai negozianti bergamaschi Camozzi e Piazzoni, recentemente nobilitati e citati come precedenti da Carlo Kramer nella supplica, si trattava di famiglie già da secoli stabilite in quella provincia [e che] si sono poi anche meritata una tale particolare distinzione per aver servito gratuitamente nelle pubbliche incombenze e per aver sborsate grosse somme, tanto date a imprestito senza interesse alla città, quanto in elemosine dispensate ai poveri, pei quali atti di pubblica beneficienza si resero benemeriti così della loro Patria, come del Sovrano.14

Insomma, in loro si erano riconosciute le benemerenze dei benefattori, non certo le qualità di abili imprenditori! La Commissione araldica infine concluse il proprio parere con alcune considerazioni volte a dissuadere il sovrano dall’accogliere la petizione: Si fa poi la Commissione un dovere di riflettere che con tutt’altro mezzo si possono eccitare i fabbricanti a perfezionare le loro manifatture piuttosto che con quello di aggregarli alla Nobiltà, sì perché accomunandosi questa ad una quantità di persone contribuirebbe in aggiunta alle passate circostanze politiche ad accrescerne la disistima, sì perché alla perfine questi fabbricatori sono già abbastanza ed ampiamente compensati delle spese che fanno nell’erezione della fabbrica col guadagno che ne ritraggono dalle loro manifatture quando queste siano utili allo Stato e quando non lo siano è certamente più utile che dannoso allo Stato stesso che vadano a terminare.15

Nonostante la contrarietà della Commissione araldica, del procuratore generale barone Fortis e le resistenze di una parte del Consiglio di Governo, che ribadì come il titolo nobiliare fosse “una distinzione con cui si premiano le azioni più nobili di quelli che nella carriera civile e militare dedicano la loro vita al Sovrano o allo Stato oppure con tratti di generosità si rendano benemeriti verso il medesimo”, il diploma di nobiltà venne egualmente concesso il 9 febbraio 1822.16

14 ASMi, fondo aradica, p.m., cart. 122, fasc. 50. Milano, 6 aprile 1820, l’Imperial Regia Commissione araldica all’Imperial Regio Governo. 15 Ibid. 16 ASMi, fondo aradica, p.m., cart. 122, fasc. 50.

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La vicenda della nobilitazione della famiglia Kramer dimostra emblematicamente il persistere della diffidenza con cui i vertici della società milanese guardavano gli uomini d’affari, soprattutto se non disposti ad adeguarsi minimamente alle consuetudini (almeno un po’ di beneficenza!); allo stesso tempo evidenzia l’ostinazione e la volontà della famiglia “tedesca” di veder riconosciuta la propria rilevanza sociale solo ed esclusivamente sulla base della propria attività manifatturiera, considerata socialmente degna e rilevante. Difficile credere che si sia trattato di una mossa azzardata o un’azione isolata. Certamente Carlo aveva preventivamente sentito il parere del suocero della sorella, nonché presidente della Camera di commercio cittadina, Pietro Balabio, a cui si rivolse anche la Delegazione provinciale per verificare la correttezza del quadro tracciato da Carlo Kramer. 3. UNA NUOVA ETICA DEL LAVORO Non è un caso che, a distanza di una decina di anni, lo stesso Pietro Balabio abbia avanzato analoga supplica, insistendo sulla “distinzione” e sul “decoro” con cui la sua famiglia aveva “esercitato nella … Regia città di Milano il commercio di banca da oltre due secoli”, affermazione volta a dimostrare l’antichità e la solidità dell’azienda paterna nel contesto ambrosiano, per quanto suoni decisamente improbabile, essendo il padre di Pietro ancora analfabeta. In realtà questa “forzatura” testimonia come la continuità professionale venisse ora interpretata quale elemento positivo e distintivo e non un aspetto da occultare e rimuovere. Al contempo, forte delle obiezioni mosse a suo tempo ai Kramer, Pietro Balabio volle affiancare a questi meriti anche i servizi prestati alla corona in qualità di membro di varie istituzioni e l’attività di beneficenza.17 Dunque il caso Kramer aveva fatto scuola e dopo la seconda decade del XIX secolo l’esercizio dell’attività mercantile non dovette più essere avvertito come incompatibile con la condizione di nobile ma addirittura poteva esserne la ragione. Dietro a questi sviluppi si profilano con valori di presupposti il mutato clima politico e sociale e il diverso ruolo attribuito all’economia capitalistica e ai suoi protagonisti. Tuttavia ancora per qualche tempo tali cambiamenti non si sarebbero apertamente manifestati. Solo sul finire degli anni trenta del XIX secolo gli uomini d’affari milanesi sentirono la necessità di rendere pubblici la propria filosofia di vita e il proprio progetto per il futuro della città e del Regno tramite la realizzazione di due iniziative: la pubblicazione di un giornale di categoria18 e la erezione di una

17 ASMi, fondo araldica, p.m., cart. 81. 18 In questo contesto non va poi dimenticata un’altra importante iniziativa editoriale realizzata da un altro milanese di Germania, ossia la fondazione, sempre nel 1836, del “Foglio commerciale di Milano” da parte di Lodovico Hartmann, figlio di quel Giovanni Paolo di Augsburg, che era stato tra i soci della prima ditta Kramer. Cfr. F. Della Peruta / E. Cantarella (a cura di), Bibliografia dei periodici economici lombardi 1815–1848, Vol. 1, Milano 2005, pp. 510–512.

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Società di programma, ossia, rispettivamente, l’“Eco della borsa” nel 1836 e la Società di incoraggiamento d’arti e mestieri (Siam) nel 1838. Ispiratore e protagonista di queste due innovative e interessanti iniziative fu un altro milanese di Germania, anch’egli ormai saldamente inserito nel tessuto sociale cittadino grazie anche al pur contrastato matrimonio del figlio Giulio:19 Enrico Mylius. Costui fu primo presidente della Siam e sostenitore, in qualità di vicepresidente della Camera di commercio meneghina, della fondazione dell’“Eco della borsa” che di quella istituzione fu emanazione diretta. Che le due fortunate iniziative fossero, almeno inizialmente, strettamente connesse ed espressione di un medesimo sentire è confermato dalla scelta operata da Enrico Mylius di affidare a Michele Battaglia, già segretario della Camera di commercio e poi direttore dell’“Eco della borsa”, anche l’incarico di “primo relatore”, ossia segretario generale, della Siam.20 Molto sappiamo oggi della Società d’incoraggiamento d’arti e mestieri, grazie soprattutto agli studi decennali condotti da Carlo G. Lacaita, che ne ha valorizzato l’importanza come laboratorio di una modernità economica e produttiva che si sarebbe compiutamente realizzata soltanto nella seconda metà del secolo. Tuttavia, la Società d’incoraggiamento fu anche altro: come ha scritto Marco Meriggi nel suo brillante studio sull’associazionismo milanese, la Società d’incoraggiamento divenne “la modalità attraverso la quale la borghesia mercantil-industriale della città agli albori degli anni quaranta si presenta in pubblico per rivendicare la propria dignità di gruppo, la legittimità e la virtù dei propri progetti”.21 Quelli che per molti decenni erano stati i valori distintivi del mondo degli affari e intorno ai quali si era andata forgiando una nuova identità di gruppo, in contrapposizione ai modelli allora predominanti di matrice aristocratica, vengono ora esplicitati e proposti all’opinione pubblica come elementi fondanti di un nuovo ordine di società da condividere e a cui riconoscere piena legittimità. L’etica borghese, l’esaltazione del lavoro e della sobrietà, l’orgoglio per le aziende create dal nulla e per le case di commercio che passano di generazione in generazione, la volontà di agganciare la Lombardia a quella che Cattaneo avrebbe definito “l’Europa vivente” sono temi ricorrenti che è facile ritrovare tanto nei verbali delle adunanze della Società d’incoraggiamento come nelle colonne dell’Eco della borsa. Così, a titolo di esempio, nel secondo Rapporto all’adunanza generale della Società d’incoraggiamento d’arti e mestieri del 14 settembre 1844 si sosteneva: “Il

19 Il riferimento è al contrastato matrimonio del figlio di Enrico, Giulio, con Luigia Vitali, “una giovane nobildonna di antica famiglia lombarda”. Le resistenze della madre di Luigia per un matrimonio “sconveniente” possono essere interpretate come un retaggio dell’antica ostilità del mondo nobiliare ambrosiano nei confronti degli uomini di negozio; la scelta di Giulio e della sposa di adire alle vie legali per ottenere il consenso sono a loro volta la testimonianza dell’ormai mutato contesto sociale e giuridico ottocentesco. Cfr. F. Baasner, Enrico Mylius, p. 22 20 Sulla figura di Michele Battaglia rinvio a S. Levati, Giornalismo e tutela degli interessi mercantili. Michele Battaglia (1800–1870), Soveria Mannelli 1999. 21 M. Meriggi, Milano borghese. Circoli ed élites nell’ottocento, Venezia 1992, p. 123.

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lavoro è l’unica, legittima fonte della considerazione, degli onori e della ricchezza. Perfezionarlo, nobilitarlo, tale scopo la Società vuol raggiungere con uno zelo sempre maggiore”.22 Sulla stessa lunghezza d’onda l’“Eco della borsa” che il 2 luglio 1837 ospitava un articolo dal titolo già di per sé eloquente Conquistatori in commercio, in cui si esaltavano, al pari delle gesta dei grandi condottieri, le scelte operate dagli ambiziosi negozianti, mai paghi dei risultati ottenuti: Quale viltà di ritirarsi da quel centro di prosperità che egli creò con tanti sudori, per aprire il varco ad inabili successori! Ad una mente così meschina non conviene il gran commercio. Nella società commerciale le tradizioni passano dal padre ai figli, a' nipoti, senza cambiamento di nome, che sta quale onorevole memoria per una casa altera di presentare una stirpe di uomini industriosi.23

In un editoriale del 10 novembre del 1855, dopo aver ripercorso le recenti vicende politiche che avevano portato alla nascita di una ricca classe borghese, il giornale di Battaglia chiosava: questo stato di cose creò una classe facoltosa, dominata dall'ambizione di imitare il contegno delle illustri famiglie, e studiosa di camminare sulle loro tracce: ma nel medesimo tempo economa e meticolosa nelle spese, accortissima nel circondarsi di splendide apparenze, senza mai dimenticarsi dell'utile che i capitali sono chiamati a rendere nelle mani industriose».24

Al momento della pubblicazione di questo articolo Enrico Mylius era ormai scomparso da un anno, ma l’eredità del progetto politico-culturale di cui si era fatto interprete e portavoce, insieme agli esponenti di spicco della Camera di commercio milanese, si era dunque non solo compiuta, ma profondamente radicata nella opinione pubblica ambrosiana con esiti decisamente irreversibili.25

22 M. Battaglia, “Rapporto all’adunanza generale della Società d’incoraggiamento d’arti e mestieri del 14 settembre 1844”, in: C. Bernardoni / C. Rebeschini, Atti della Società d’incoraggiamento delle arti e de’ mestieri, Milano 1844, pp. 19–25, riprodotto in Levati, Giornalismo e tutela degli interessi, pp. 175–190, citazione a p. 189. 23 “Conquistatori in commercio”, Eco della borsa 26 (2 luglio 1837), ora in appendice a S. Levati, Giornalismo e tutela degli interessi, pp. 150–152. 24 “Cronaca settimanale”, Eco della borsa 135 foglio della sera (10 novembre 1855). 25 Il ruolo dei mercanti tedeschi nel promuovere il nuovo ethos di lavoro a Milano all’inizio del ottocento è anche sottolineato da Poettinger, Deutsche Unternehmer, p. 96–98.

INTERNATIONALE NETZWERKE IM NAPOLEONISCHEN MAILAND Monika Poettinger Abstract: As Napoleon swept up the continent, European societies faced alternative paths of modernization depending on the elite capable of directing the change. In Lombardy, a region deprived of an own nation state and of independence, the only viable way to modernization was that of economic changes guided by the merchant elite. Not a nobility based on political participation, patriotism and civil rights but a nobility of work could substitute in Lombardy ancien regime values. Attracted, as Napoleon soldiers, by the richness and the entrepreneurial opportunities of northern Italy, many merchants crossed the Alps to settle down in Lombardy. They did not bring warfare or pillages along with them. Through their international networks, they channelled into the Lombardy capital skilled workers and entrepreneurial capabilities. However, their influence on the Italian region was not limited to manufacturing, organizational or financial innovation. Through their economic and social ascent, an example was set as to how, through hard work, economic if not political independence could be achieved. Even governments respected this wealthy elite, being dependent on their availability to finance their growing public debt, on their intermediation to supply the necessary wares in a specializing and globalised Europe, and on their capability to employ the population in new manufactures. The reforms to make this elite politically represented were not unique to the French government. The Austrian rule that preceded and followed Napoleon in Lombardy followed the same path. Such political recognition reinforced the influence of the cosmopolitan merchant elite on Lombardy’s intellectuals and nobility. Around it rapidly coalesced a social grouping prone to innovation, liberalism, religious tolerance and favourable to federative aggregations. Beginning with the Napoleonic age, such aggregation was capable of directing Lombardy’s modernization well before Italy’s political independence.

1. EINLEITUNG Die napoleonische Eroberung des Kontinents und der Niedergang des Ancien Régime eröffneten den Eliten der europäischen Gesellschaften neue Möglichkeiten der Entfaltung. In der Lombardei konnte angesichts des politischen Status als beherrschte Provinz ein Wandel nur im Bereich des Wirtschaftlichen und unter Führung der kaufmännischen Elite ablaufen. Der Anspruch, den Adel ersetzen zu können, konnte hier eben nicht auf politischer Mitwirkung, Patriotismus und Bürgerrechten basieren, er musste auf dem Ethos der Arbeit und auf Wirtschaftswachstum aufbauen. Viele Kaufleute, angezogen von den neuen unternehmerischen Möglichkeiten der reichen Poebene, überquerten die Alpen, Napoleon und seinen Truppen nicht unähnlich, um sich in der Lombardei niederzulassen. Doch sie brachten keine Gewalt, sie kamen nicht zum Plündern. Durch ihre internationalen Netzwerke lenkten sie Facharbeiter und unternehmerische Expertise in die lombardische Hauptstadt und modernisierten die dortigen Manufakturen. Imposante Dampfkessel, mechanische Spinnereien und Haspelanstalten, Walzendruckmaschinen fanden mit

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ihnen Eingang in die Wirtschaftsgeschichte der Lombardei. Der Einfluss von Großkaufleuten und ihren Netzwerken beschränkte sich aber nicht auf Gewerbe und Finanzen, in denen sie innovationsfördernd wirkten. Durch ihren wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg gaben sie ein Beispiel dafür, wie man durch harte Arbeit wirtschaftliche, wenngleich nicht politische Unabhängigkeit erreichen konnte. Selbst die Regierung, sei es die österreichische oder die französische, respektierte diese wohlhabende Kaufmannschaft, da sie von ihr abhängig war, sowohl um die wachsende Staatsverschuldung zu finanzieren, als auch um notwendige Waren verfügbar zu machen und um Arbeitsplätze zu schaffen. Die Reformen, die diesen Kaufleuten politische Repräsentation ermöglichten, waren nicht nur ein Vermächtnis Napoleons. Die österreichische Herrschaft, die Napoleon in der Lombardei vorausging und folgte, half der Kaufmannschaft, wo immer sie konnte. Die politische Anerkennung verstärkte den Einfluss der kosmopolitisch orientierten Kaufleute auf die Intellektuellen und Adligen der Lombardei. Ihr Wirken trug dazu bei, eine soziale Gruppierung zu schaffen, die zugunsten von Innovation, Liberalismus, religiöser Toleranz und politischer Föderationen wirkte. Beginnend mit der napoleonischen Zeit war diese neue Elite in der Lage, die Lombardei zu modernisieren, lange bevor Italien seine politische Unabhängigkeit erlangte. 2. MAILAND IN DER ZEIT NAPOLEONS Pauci bona libertatis in cassum disserere, plures bellum pavescere, alii cupere. Pars multo maxima inminentis dominos variis rumoribus differebant.1

In der Lombardei begann das Zeitalter Napoleons2 früher als in Frankreich und im restlichen Europa, denn General Bonaparte wurde vom Direktorium beauftragt, die Revolution nach Norditalien zu tragen. Der Erfolg übertraf alle Erwartungen: Bereits am 10. Mai 1796 erreichte Napoleon die Kleinstadt Lodi und somit die Tore Mailands.3 Genau so umfassend wie seine militärischen Siege über die piemontesi-

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Zit. aus Tacitus Annalen, Bd. 1, Paragraph 4, nach: Lodovico Valeriani, Tacito Volgarizzato, Florenz 1818, S. 9. Melchiorre Gioja (1767–1829), Philosoph und Nationalökonom, stellte dieses Zitat an den Anfang seines Pamphlets über den Sinn des Patriotismus, den er inmitten der französischen Besetzung schrieb: M. Gioia, Cos'è patriotismo? Appendice al Quadro politico di Milano, Lugano 1833. Zur Wirtschaftsgeschichte Mailands in der unruhigen Zeit der französischen Besetzung siehe: A. Frumento, Le repubbliche cisalpina e italiana, Mailand 1985; A. Cova, „Tradizione e innovazione nel mutato contesto politico e territoriale dell’Etá Francese“, in: S. Zaninelli (Hrsg.), Storia dell’Industria Lombarda, Mailand 1988, S. 105–200. „Lodi – schrieb der Agronom Arthur Young auf seiner Reise in 1789 – is a little insignificant place, without trade, and without manufactures. It is part of a dominion that may be said to have

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schen und österreichischen Truppen war auch Napoleons Verständnis für die sozialen und psychologischen Aspekte seiner Eroberung. Mit revolutionären Werten wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit konnte der Eroberer die Mailänder Bevölkerung nicht für sich gewinnen. Das einzige Versprechen, das die Herzen der Mailänder für Frankreich einzunehmen vermocht hätte, war die Aussicht auf Unabhängigkeit. „Wenn die Bevölkerung mich fragen sollte, ob sie eine Republik gründen können, soll ich ihnen meine Zustimmung geben?“4 Diese kühne Frage stellte Napoleon dem Direktorium in den ersten Tagen der Besatzung. Anstatt eine Antwort zu geben, verlangte das Direktorium bereits am 19. Mai eine Abgabe von 20 Millionen Franken (25 Millionen Lire Milanesi) von ihren neuen Untertanen. Die propagierte Verbreitung der Revolution und ihrer Werte war nur Augenwischerei. Die französische Eroberung war notwendig, um Armeen zu bezahlen, die in Frankreich nicht unterhalten werden konnten. Eine Befreiung der lombardischen Bürger hatte hingegen keine Priorität. Napoleon hatte vom Direktorium klare Anweisungen bekommen: „Zunächst muss die mailändische Region erobert werden, selbst wenn wir sie später den Österreichern für einen Friedensschluss zurückgeben müssen, oder den Piemontesern im Austausch gegen irgendeine Hilfe in diesem Feldzug oder für die Vereinigung der Republik mit dem Mont Blanc oder für die maritimen Alpen anbieten werden“.5 Die Anweisungen des Direktoriums waren ein Echo des österreichischen Wunsches nach 1740 die Gebiete in Norditalien „als sicheres Pfand für mehrere geplante Provinztäusche zu nutzen“.6 Doch die österreichische Regierung hatte schnell verstanden, dass es sich lohnte, den immensen Reichtum der lombardischen Landwirtschaft direkt zu nutzen. Die gleiche Erfahrung machten die späteren französischen Eroberer: Sie sahen in der Plünderung der fruchtbaren Ebenen eine unerschöpfliche Einnahmequelle. Stendhal7 beschrieb den

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neither, and cut off from all connection with the sea: yet there is not a town in France or England, of double the population, that ever exhibited a theatre so built, decorated, filled, and furnished as this of Lodi. Not all the pride and luxury of commerce and manufactures, not all the iron and steel, the woollen or linen, the silk, glasses, pots or porcelain of such a town as Lodi, ever yet equalled this exhibition of butter and cheese” (A. Young, Travels, during the years 1787,1788 and 1789, Bury St. Edmund’s 1792, S. 205). Über die Wirtschaftsgeschichte von Lodi: A. Cova, „L'economia“, in: ders. (Hrsg.), Lodi. La storia dalle origini al 1945, Bd. 3, Lodi 1989, S. 55–246. Zitiert in S. Nutini, „Il trienno rivoluzionario a Milano (1796–1799)”, in: F. della Peruta (Hrsg.), Storia Illustrata di Milano, Bd. 5: Milano Moderna, Mailand 1993, S. 1541–1558, hier S. 1541. Brief des Direktoriums an Napoleon vom 7. Mai 1796. Zitiert in A. Frumento, Le Repubbliche Cisalpina e Italiana, Mailand 1985, S. 35. Hier wie im Nachstehenden stammt die Übersetzung der Autorin, wenn nicht anders angegeben. Zitiert nach E. Riva, „La Corte dell’Arciduca Ferdinando d’Asburgo Lorena Governatore di Milano (1771–1796)“, in: A. Cascetta / G. Zanlonghi (Hrsg.), Il teatro a Milano nel Settecento, Bd. 1, Mailand 2008, S. 71–93, hier S. 77. Über Stendhal und seinen Aufenthalt in Italien während der napoleonischen Zeit siehe: G.P. Bagetti / A. Thiers / X. Salmon, Napoléon en Italie à travers les aquarelles de Guiseppe Pietro Bagetti et les chroniques de Stendhal et d'Adolphe Thiers, Mailand 2001.

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Reichtum seiner Wahlheimat mit folgenden Worten: „Chaque métairie, en Lombardie, produit du riz, du fromage et de la soie, dont on vend pour des sommes considérables; outre cela, elles ont toutes les productions des nôtres; c’est un pays inruinable, et tout y est pour rien“.8 Der Agrarwissenschaftler Arthur Young9 konnte im Jahr 1789 bei einem Blick auf die Ebenen zwischen Turin und Mailand seinen Enthusiasmus nicht unterdrücken. Er schrieb in sein Tagebuch: „Water, clover, cows, cheese, money and music! (…) These are the combinations, that string Italian nerves to enjoyment, and give lessons of government to northern politicians”.10 Die Lombardei war sogar „the finest farmer’s prospect in Europe“!11 Doch gerade deswegen waren die lombardischen Ebenen auch verlockend für eine Vielzahl an Armeen. Französische Truppen hatten bei ihrem Italienfeldzug viel zu gewinnen, während die Lombardei, nach einem halben Jahrhundert des Friedens und der Reformen,12 bei erneuerten Invasionen und revolutionären Umstürzen nur verlieren konnte. Damit lässt sich die gedämpfte Stimmung des Großteils der lombardischen Bevölkerung erklären.13 Nur wenige, zumeist jüngere Intellektuelle mit erbärmlichen Lebensperspektiven oder Opportunisten, begrüßten den Jakobinismus in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.14 Doch auch diese wenigen Sympathisanten verloren ihren Enthusiasmus, als sie sich mit den Plünderungen der Truppen und den willkürlichen Handlungen der Regierung während der französischen Besetzung und der folgenden ersten Cisalpinischen Republik konfrontiert sahen. Die Patrioten und politisch verfolgten Intellektuellen, die nach Ausrufung der Republik aus ganz Italien in Mailand Zuflucht gesucht hatten, mussten der traurigen Wahrheit ins Auge sehen: Frankreich war eine Besatzungsmacht wie jede andere.15

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Stendhal, Rome, Naples et Florence, Paris 1865, S. 410. Über Arthur Young und sein lebenslanges Werk des Studiums der Landwirtschaft siehe: L. Brunt, „Rehabilitating Arthur Young“, The Economic History Review 56 (2003), S. 265–299. A. Young, Travels, during the years 1787, 1788 and 1789, Bury St. Edmund’s 1792, S. 205. Ebd., S. 197. Für eine Bibliographie über die Periode der österreichischen Herrschaft und Reformen in der Lombardei während des achtzehnten Jahrhunderts siehe: Riva, „La Corte Dell’Arciduca Ferdinando“, S. 74–75; und C. Capra, La Lombardia austriaca nell'età delle riforme. 1706–1796, Turin 1987. Über die Zusammenarbeit von eminenten lombardischen Intellektuellen und der österreichischen Regierung in der Reformierung der lokalen Gesetzgebung siehe auch die zeitgenössische Beurteilung von G. Pecchio, Storia della Economia pubblica in Italia: ossia Epilogo critico degli economisti italiani, Turin 1852, S. 241–43. Zur Wirtschaftsgeschichte der österreichischen Lombardei im achtzehnten Jahrhundert siehe: A. Moioli, „Assetti manifatturieri nella Lombardia politicamente divisa della seconda metà del Settecento“, in: S. Zaninelli (Hrsg.), Storia dell’industria lombarda, Mailand 1988, S. 3–102. M. Gioia, Quadro politico di Milano, Mailand 1798, S. 54. Für zeitgenössische Debatten siehe die wichtigste Zeitschrift Mailands: „Il Termometro politico”: Vittorio Criscuolo (Hrsg.), Termometro politico della Lombardia, Bd. 1–5., Rom 1989– 1996 (der 5. Band ist noch nicht veröffentlicht). M. Cerruti, „Da giacobini a napoleonici. La vicenda degli intellettuali“; in: A. Bezzola (Hrsg.), I cannoni al Sempione. Milano e la „Grande Nation“ (1796–1814), Mailand 1986, S. 317– 363.

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„Wird die Lombardei jemals frei sein? Diese ist die am häufigsten gestellte Frage“, so berichtete der Toskaner Filippo Pananti16 im Frühjahr 1797. Warum beantwortet Frankreich diese Frage nicht? (...) Warum musste die Lombardei stattdessen so viel gewähren? Man hat den Frankophilen Verwaltungsämter zugeteilt, einen Club und eine Magistratur errichtet, eine bürgerliche Garde gebildet; die Legionen wurden umgewandelt und in die französischen Truppen eingegliedert; Lombardier wurden ermahnt ihr Blut zur Verteidigung von sogenannten menschlichen Bürgerrechten (...) fließen zu lassen. Hundertzwanzig Millionen Lire mussten gezahlt werden, als man der Unbarmherzigkeit eines räuberischen und unmoralischen Verwalters der Sorte eines Despinoy und eines Pinsot, wahre Ungeheuer, grausam und gierig, ausgesetzt war. Wie sollte die Bevölkerung sehen, dass aus der neuen Staatsordnung etwas Gutes kommen könnte?17

Und doch behauptete Stendhal in Bezug auf Italien, „hundertmal schlimmere Plünderungen wären kein zu hoher Preis für die folgende Wiederbelebung aller Tugenden gewesen“.18 Aus seiner Sicht hatte die Ankunft Napoleons nicht weniger als eine neue Renaissance hervorgerufen: Der italienische Charakter hat sich – wie die Glut eines Vulkans – nur in der Musik und in der Liebe ausgewirkt. Von 1550 bis 1796 wurde er durch die Riesenlast der misstrauischsten, schwächsten, unversöhnlichen Tyrannei erdrückt. Die Religion kam der Staatsgewalt zu Hilfe und erstickte ihn vollends; daher das Misstrauen; alles, was er schien, war er nicht. Der 14. Mai 1796 wird in der Geschichte des Menschengeistes eine Epoche bilden. Der General Bonaparte rückte in Mailand ein; Italien erwachte, und für die Geschichte des menschlichen Geistes wird Italien stets die Hälfte Europas sein.19

Stendhal erwartete also von den Italienern, dass sie von Frankreich ihren patriotischen Sinn erlernten und dies mit hohen Steuerabgaben und kostbarer Seide bezahlen würden. Er, wie viele andere Ausländer auch, führte Italiens Unselbstständigkeit auf den Mangel an patriotischen Gefühlen, an militärischer Tugend und an Selbstlosigkeit bei den Italienern zurück.20 Das Erwachen Italiens musste ein Erwachen ihres politischen Selbstbewusstseins sein. Konnte aber solch ein Erwachen wirklich durch eine erneute Invasion hervorgebracht werden? Wäre dann der neu

16 Filippo Pananti (1766–1837), Poet und Patriot aus der Toskana, lebte lange Zeit im Exil. Über sein abenteuerliches Leben siehe: P. Ciampi, Il poeta e i pirati. Le straordinarie avventure di Filippo Pananti, schiavo ad Algeri, Florenz 2006; A. Agostini, „Filippo Pananti e gli avvenimenti toscani degli ultimi dieci anni del secolo XVIII“, Rassegna storica toscana, 19,2 (1973), S. 85–103. 17 Zitiert in S. Nutini, „Il trienno rivoluzionario a Milano (1796–99)“, in: Peruta (Hrsg.), Storia Illustrata di Milano, Bd. 5, S. 1541. 18 Zitiert von A. Frumento, Le repubbliche cisalpina e italiana, Mailand 1985, S. 498. Das gesamte Dokument ist zu finden in: S. Nutini, „Un ‘reportage’ di Filippo Pananti sulla Cispadania e la Cisalpina“, Il Risorgimento, 36,3 (1984), S. 261–275. 19 Stendhal, Reise in Italien, Berlin 1922, S. 355. 20 Über das Italienbild der ausländischen Besucher siehe: J. Luzzi, Italy without Italians: Literary Origins of a Romantic Myth, Mailand 2002, S. 48–83.

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erweckte Patriotismus genug, um Cisalpinien und Mailand, als seine Hauptstadt, aus dem Ancien Régime in die Moderne21 zu führen? Das Schwinden der alten sozialen und wirtschaftlichen Ordnung hinterließ eine Lücke, die geschlossen werden sollte, indem man die in den Dienst des Königs geborene Aristokratie durch einen allen zugänglichen Bürgerstand ersetzte, der sich zum Dienst am Vaterland verpflichtet sah. So war es in Frankreich geschehen. Es gab aber auch andere Möglichkeiten. Modernisierung und nationale Identität mussten nicht ein und dasselbe sein. Henri de Saint-Simon22 hatte einen sozialen Wandel, der wie in Frankreich von Juristen und Philosophen getragen wurde, von einem der unter der Leitung von Unternehmern und Wissenschaftlern vonstattenging, klar abgegrenzt. Les esprits un peu éclairs – schrieb Saint-Simon – reconnaissent bien aujourd’hui la nécessité d’un refonte générale du système social; ce besoin est devenu tellement imminent qu’il faut bien qu’il soit senti. Mais l’erreur capital, qui est généralement commise à cet égard, consiste à croire que le nouveau système à édifier doit avoir pour base les doctrines des légistes et des métaphysiciens.23 (…) Il était question d’organiser le système industriel et scientifique, appelé par l’état de la civilisation à le remplacer. C’étaient, par conséquent, les industriels et les savans qui devaient occuper la scène politique, chacun dans leurs rôles naturels.24

Staaten und Gesellschaften Europas hatten also mehrere Alternativen einer Modernisierung, zu denen sie jeweils von unterschiedlichen Eliten geführt werden mussten. Die Lombardei jedoch, eine Region, die nicht unabhängig sein oder einem Nationalstaat angehören konnte, hatte nur eine Möglichkeit der Modernisierung: eine

21 „Modernity in this sense is not a moment or age, but a set of relations that are constantly being made and unmade, contested and reconfigured, that nonetheless produce among their contemporaneous witnesses the conviction of historical difference. (…) modernity refers to the cultural practices and representations that produced certain kinds of subjects and objects of knowledge, upheld widely-shared notions of space and time, or facilitated the formation of cultural identities that resulted in pluralities and contradictions as well as unities and coherences“ (K. Wilson, „Citizenship, Empire, and Modernity in the English Provinces, c. 1720–1790“, EighteenthCentury Studies, 29 (1995), S. 69–96, hier S. 71). Über die langsame Einführung der Modernität in Italien, siehe: M. Cangiano, La nascita del modernismo italiano, Macerata 2018. 22 Über den Einfluss von Saint-Simon und seine Doktrinen auf dem italienischen Risorgimento siehe: R. Treves, La dottrina sansimoniana nel pensiero italiano del risorgimento: (Saint-Simon, Claude Henri Comte de) Contributo alla storia della filosofia sociale in Italia nella prima metà del secolo XIX, Turin 1931. 23 H. de Saint-Simon, Du système industriel, Paris 1821, S. IX. 24 H. Simon, Du système industriel, Paris 1821, S. XIII.

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von Unternehmern und Wissenschaftlern vorangetriebene wirtschaftliche Veränderung.25 Kein neuer Adel, der auf politischer Zugehörigkeit, Patriotismus und bürgerlichen Rechten fußte, sondern eine Ethik der Arbeit26 ersetzte dort das Wertesystem des Ancien Régime. Stendhal erkannte dies bereits in den Jahren der Italienischen Republik: Die Straßen – schrieb er – waren und sind zwanzigmal besser als in Frankreich. Alles organisierte sich, alles ging vorwärts, die Fabriken nahmen zu, die Arbeit kam zu Ehren, alles, was Intelligenz besaß, brachte es zu Wohlstand. Den geringsten Apothekergehilfen, der im Hinterstübchen seines Herrn arbeitete, erfüllte der Gedanke, dass er, wenn er eine große Entdeckung machte, das Kreuz (der Ehrenlegion) bekäme und Graf würde. Diese Triebfeder, die so gut zur Moderne passt, war gleich stark wie die, welche einst die Römer zur Eroberung der Welt trieb.27

Mit einer so tiefgreifenden Veränderung der Gesellschaft und ihrer Werte ging eine ebenso umfassende Veränderung der Zusammensetzung und der sozialen Wahrnehmung lokaler Eliten einher. All das konnte nicht während des Feldzugs durch französische Truppen herbeigeführt werden, auch nicht von Napoleon in etwas mehr als einem Jahrzehnt französischer Herrschaft. Dieser komplexe Prozess basierte auf dem Handel und den ihn tragenden internationalen Netzwerken.28 3. INTERNATIONALE KAUFMANNSCHAFT UND WIRTSCHAFTSENTWICKLUNG Mercatura autem si tenuis est sordida putanda est; sin magna et copiosa multa undique apportans multisque sine vanitate inpertiens non est admodum vituperanda.29

25 Italienische Intellektuelle und Patrioten, die von den österreichischen und französischen Regierungen gezwungen wurden, nicht offen über politische Fragen zu schreiben, widmeten ihre ganze Energie der Verbreitung wirtschaftlicher Innovation durch Zeitschriften, Artikel und Bücher über landwirtschaftlichen, mechanischen und chemischen Fragen und die Besprechung von Kanälen, Dampfschiffen und Eisenbahnen. Siehe hierzu: K.R. Greenfield, Economia e liberalismo, Bari 1940. 26 Über die Verbreitung des Wertes der Arbeit als Charakter eines neuen Adels in Mailand siehe: S. Levati, La nobiltà del lavoro. Negozianti e banchieri a Milano tra Ancien Régime e Restaurazione, Mailand 1997; ders., „Negozianti e società a Milano tra Ancien Règime e Restaurazione“, Società e storia 61 (1993), S. 503–550, hier S. 519. 27 Stendhal, Reise in Italien, S. 357. 28 Zur Bedeutung von Migrationen und damit internationalen Netzwerken bei der Bildung des kapitalistischen Geistes siehe: W. Sombart, Il Borghese. Contributo alla storia intellettuale e morale dell'uomo economico moderno, Parma 1994, S. 236–247. 29 H.A. Holden (ed.), M. Tvlli Ciceronis De Officiis. Libri Tres, Cambridge 1889, S. 54,. Werner Sombart erwähnt dies als eine viel zitierte Passage noch 1902. Nach mehr als anderthalb Jahrhunderten der französischen Debatte über die Noblesse commerçante war die Frage noch ungelöst (W. Sombart, Der Moderne Kapitalismus, Bd. 1: Die Genesis des Kapitalismus, Leipzig 1902, S. 190–191).

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Zwischen dem achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert zeichnete sich die neue, kosmopolitische Kaufmannschaft durch die Einführung wissenschaftlicher Methoden, wirtschaftlichem Kalkül und effizienzsteigernden Prozessen in die Manufakturen aus. Hinzu trat die wachsende Hochschätzung der Arbeit als ein moralischer Wert, würdig der Adelung, und eine Abneigung gegen jeglichen Nationalismus zugunsten lokalen politischen Engagements und föderativen politischen Strukturen. Im Gegensatz zur Bourgeoisie, einer Klasse, die in dieser Zeit weder homogen noch erkennbar oder überhaupt selbstbewusst war,30 waren internationale Kaufleute als eine einheitlich handelnde Gruppe anerkannt und weitgehend selbstbewusst. Schon im Jahre 1726 schrieb Daniel Defoe in seinem English Tradesman: But in England the word merchant is understood of none but such as carry on foreign correspondences, importing the goods and growth of other countries, and exporting the growth and manufacture of England to other countries; or, to use a vulgar expression, because I am speaking to and of those who use that expression, such as trade beyond sea. These in England, and these only, are called merchants, by way of honourable distinction.31

Defoe benannte die Aktivität solcher Kaufläute als „great foreign negoce“, aus dem lateinischen negotium.32 In Frankreich waren sie nègociants: Kaufleute, die ihre Geschäfte in einem Comptoir abwickelten und ihre Waren in Lagerhallen und nicht in Geschäften verkauften.33 Nègociants betrieben das big business ihrer Zeit: „commissions, speculations en marchandises, banque, assurance“.34 In Mailand35 kannte man sie als negozianti36 und Carlo Cattaneo37 definierte sie als eine eigenständige Klasse, einem wahrhaften Stamm gleichend, welche von „eine Art Initiation, eine Art von exklusiven Adel“38 charakterisiert wurde, misstrauisch gegen alle, die nicht

30 Über den Revisionismus in Bezug auf die Veränderungen der sozialen Klassen im Zuge der französischen Revolution siehe: J. Smith, „Social Categories, the Language of Patriotism, and the Origins of the French Revolution: The Debate over Noblesse Commerçante“, The Journal of Modern History 72,2 (2000), S. 339–374, hier S. 342. 31 D. Defoe, The complete English Tradesman, London 1726, S. 3. Jüngst hat der Historiker Stanley Chapman solche internationale Kaufleute so beschrieben: „entrepreneurs engaged in foreign (overseas) commerce as wholesale traders” (S. D. Chapman, Merchant Enterprise in Britain, New York 1992, S. 3). 32 Defoe, The complete, S. 4. 33 G.V. Taylor, „Some Business Partnerships at Lyon”, 1785–1793, The Journal of Economic History 23,1 (1963), S. 46–70, hier S. 46. 34 S. Ricard, Traité général du commerce, Paris 1781, S. 405. 35 Für eine moderne Geschichtsschreibung über die mailändische business elite siehe G. Piluso, L’arte dei banchieri, Mailand 1999, S. 38–57; und Levati, „Negozianti e società”. 36 C. Cattaneo, Lettera ai signori Corbellini, De Welz, A. G. e Compagni intorno alle Ricerche sul Monte-Sete, Mailand 1838, S. 98. 37 Über Carlo Cattaneo (1801–1869), Ökonom, Publizist, Unternehmer und Gründer der Zeitschrift „Il Politecnico”, siehe: C.G. Lacaita, „Introduction“, in: C. Cattaneo, Intelligence as a Principle of Public Economy: Del Pensiero Come Principio D'Economia Publica, Plymouth 2007. 38 Cattaneo, Lettera ai signori, S. 98.

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ihren Kreisen angehörten: „[S]ie mögen es nicht, wenn jemand, der nicht an ihre Sippe angehört, sich in ihre Geschäfte einmischt“.39 Großkaufleute, wie man sie in Deutschland nannte, waren auf lokaler Ebene sozial und wirtschaftlich integriert, doch gleichermaßen arbeiteten sie auch am Aufbau internationaler Netzwerke, die durch Migrationen, Ehen und gemeinsame Unternehmungen erweitert und untermauert wurden. Diese weitreichenden Verflechtungen waren unentbehrlich, als Kanäle für Informationen und Vertrauen und für den geordneten Verlauf des Handels über politische Grenzen hinweg. Entlang dieser Netzwerke wurden aber auch Innovationen40 und kaufmännische Werte in lokalen Gemeinschaften verbreitet und so die ökonomische und soziale Ordnung verändert.41 Dies galt besonders in Mailand, wo die ausländische Herrschaft die Entwicklung nationalistischer Gefühle und patriotischer Aktivitäten behinderte, wissenschaftliche Bestrebungen und Unternehmertum hingegen förderte. Eifrige und erfolgreiche Leistung hatte keine Probleme mit der Zensur und wurde stattdessen immer häufiger mit einem Adelstitel prämiert, wissenschaftliche Erkenntnisse gewannen die wohlwollende Aufmerksamkeit von Regierungen und innovative Unternehmer wurden mit Schutz und Subventionen unterstützt.42 Sobald sich ausländische Kaufleute oder Unternehmer in der Lombardei niederließen, fanden sie Gefolgschaft in allen Schichten der lokalen Gesellschaft. Rentiers, Notare, Bankiers und lokale Kaufleute traten internationalen Handelsnetzwerken bei und unterstützten deren Tätigkeiten. In einer Gesellschaft wie der lombardischen, wo auch der Fürst kommerzielle Unternehmungen finanzierte,43 wurde die Frage über die Möglichkeit einer Noblesse commerçante44 zu Gunsten von kaufmännischen Aktivitäten

39 Ebd. 40 Zur Verbreitung von Innovationen durch internationale Migrationen und Netzwerke im Prozess der Industrialisierung siehe: I. Inkster, „Mental Capital: Transfers of Knowledge and Technique in Eighteenth Century Europe“, The Journal of European Economic History 19 (1990), S. 403– 441. 41 Dazu: I. Baghdiantz McCabe / G. Harlaftis / I. Pepelasis Minoglou (Hrsg.), Diaspora Entrepreneurial Networks-Four Centuries of History, Oxford 2005. Insbesondere die Einführung, S. VI–XXII. 42 Dazu: M. Poettinger, „Imprenditori tedeschi nella lombardia del primo ottocento, spirito mercantile, capitale sociale ed industrializzazione“, Rivista di Storia Economica 23,3 (2007), S. 319–360; Levati, La nobiltà del lavoro. 43 Der Hinweis ist an Ferdinand Karl Anton Joseph Johann Stanislaus von Österreich (1754– 1806) gerichtet, vierzehnter Sohn Maria Theresias, der das Haus Habsburg in der Lombardei vor den Einmarsch Napoleons vertrat. Neuere Studien stellten heraus, dass er unter Anweisung des Prinzen Friedrich Kevenhüller an vielen Unternehmungen beteiligt war. Dazu: E. Riva, „La Corte dell’Arciduca Ferdinando d’Asburgo Lorena Governatore di Milano (1771–1796)“, in: A. Cascetta / G. Zanlonghi (Hrsg.), Il teatro a Milano nel Settecento, Bd. 1, Mailand 2008, S. 71–96. 44 Zur Debatte über die Möglichkeit für Adlige an kommerziellen Unternehmungen teilzunehmen siehe die zeitgenössische Einschätzung: A. Verri, „Alcune Riflessioni sulla opinione che il Commercio deroghi alla nobiltá“, Il Caffé 1 (1764/65), S. XXIII–XIV, 256–274.

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beantwortet, und viele unternehmungslustigste Patrizier und Adlige nahmen an wirtschaftlichen Unternehmungen teil. Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die von lokalen Bankiers und Adligen finanziert und von hoch qualifizierten ausländischen Unternehmern geleitet wurden, wurden somit für einen großen Teil des neunzehnten Jahrhunderts zu einem Markenzeichen der lombardischen Wirtschaft. Dank dieses circulus virtuosus verbreiteten sich die Innovationen in allen Bereichen der Wirtschaft, von der traditionellen und reichen Landwirtschaft bis in den neuesten Manufakturen. Der Einfluss ausländischer Kaufleute und Unternehmer auf die lombardische Wirtschaft beschränkte sich aber nicht auf produktive, organisatorische oder finanzielle Innovationen. Die Verkettung lokaler Eliten in internationale Handelsnetzwerke beschleunigte deren Umwandlung in eine innovationsfreudige Gruppe von ‚Unternehmern‘ und ‚Wissenschaftlern‘, die dazu fähig wurde, die Modernisierung der Lombardei lange vor ihrer politischen Unabhängigkeit herbeizuführen.45 4. NETZWERKE DES SEIDENHANDELS Seide ist das wichtigste und wertvollste Produkt des italienischen Reiches.46

Um innovationsfördernd zu sein und um die Wertevorstellungen einer Gesellschaft prägen zu können, mussten Handelsnetzwerke neben einem gewissen Radius und einer spezifischen Dichte auch ein entsprechendes Handelsvolumen aufweisen. In Mailand, dem Ort, an dem nord- und südeuropäische Märkte aufeinandertrafen, war dies vor allem ein Ergebnis des wachsenden Exports von Seide.47 Während des 18. Jahrhunderts wurde Mailand ein entrepôt für italienische Seide, die in den lombardischen Mühlen gehaspelt und dann nach London, Lyon und in die wichtigsten deutschen Märkte exportiert wurde. Die steigenden Preise von Seide und anderen lombardischen Exportprodukten wie Käse und Getreide kurbelten die lokale Landwirtschaft an: Die bebaute Fläche wurde erweitert und die Produktion intensiviert. Der von Besuchern anderer Länder beschriebene Reichtum, den sich die Eroberer erträumten, entsprang dieser Quelle. Arthur Young, begeistert von der Pracht des Teatro alla Scala, vermerkte in seinem Tagebuch: „It is the PLOUGH alone that can do it“!48

45 Zu diesem Thema: M. Poettinger, „Internazionalizzazione ed innovazione tecnologica nella Milano Ottocentesca. Gli imprenditori tedeschi Kramer e Mylius“, in: G. Alfani (Hrsg.), Il ruolo economico della famiglia, Rom 2007, S. 303–356. 46 A. Kramer, Rapporto al Consiglio di Commercio, Atti del Consiglio del Commercio, Archivio Storico di Milano (ASM), Parte Moderna, cart. 59. 47 G. Federico, Il filo d’oro. L’industria mondiale della seta dalla restaurazione alla grande crisi, Venedig 1994. 48 A. Young, Travels, during the years 1787, 1788 and 1789, Bury St. Edmund’s 1792, S. 200.

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In dem Maße, in dem sich die Monetarisierung der Wirtschaft verfestigte, wurden Vermittlung, Kreditgabe und Finanzkenntnisse immer wichtiger. Der Seidenzyklus erforderte raffinierte Kredittechniken und ein Maß an Liquidität, das man nur an ausländischen Schuldenmärkten finden konnte.49 Die boomenden Exporte bedingten somit die Ausweitung von internationalen Netzwerken von Handels- und Kreditzentren wie Augsburg, Genf, Basel, London und Frankfurt zu lombardischen Städten wie Bergamo, Brescia und Mailand. Die steigende interne Nachfrage seinerseits intensivierte die Einfuhr von Kolonialwaren und Luxusartikeln und wirkte sich somit auf die Entwicklung weitreichendender Handelsnetzwerke aus, die Mailand mit Mittelmeer Entrepots wie Lyon, Leghorn und Triest verband. Lokale Handelshäuser mussten ihre Fähigkeiten und Beziehungen erweitern, während fehlende Kompetenzen von ausländischen Händlern erfüllt wurden. Die Lombardei war somit seit Mitte des 18. Jahrhunderts in ein Netz internationaler Beziehungen eingebunden, das darauf angelegt war, sich durch unternehmerische Migration und internationale Kapitalanlagen zu verdichten. Die blühende Produktion von Seide stellt einen beispielhaften Fall einer solchen Netzwerkbildung und deren Einfluss auf internationale Migration und lokale Elitebildung dar. Die Kettenmigration folgte dem uralten Handelsweg, der von Bergamo durch die Val Brembana und Val Camonica und weiter entlang des Rheins nach Nordeuropa führte.50 Im 18. Jahrhundert wurde diese Route eine wichtige Straße für die Seidenprodukte, die die Lombardei verließen, besonders dann, wenn Seekriege den maritimen Handel zu einem riskanten Unterfangen machten. Entlang dieser Strecke gelangten außer Seide und Seidenprodukten auch Kapitalströme, Kaufleute und Unternehmer aus der Schweiz und Frankreich in die Lombardei. François Louis Blondel (1749–1812),51 geboren in Cully im Kanton Bern, gehörte zu den Ersten, die auf diesem Wege migrierten. In einer typischen kaufmännischen Karriere fungierte er zunächst als Beauftragter des Bankiers Louis Porta in Villette, um Handelstechniken zu erlernen. 1772 übersiedelte er nach Bergamo. Hier lernte er als Geschäftsführer im Haus Gherardi (ein privates Bankhaus, das mit Seide handelte) den lokalen Markt kennen. Blondel reiste auch nach London, dem damals wichtigsten Absatzmarkt für die Seide der Lombardei. Hier sammelte er Kontakte und Referenzen, die unerlässlich waren, um ein Profit bringendes Handelsnetz für Seide einzurichten. Nachdem es Blondel innerhalb weniger Monate gelang, genügend Wissen und Vertrauen seiner prospektiven Geschäftspartner zu gewinnen, eröffnete er eine eigene Bank für Seidengeschäfte. Die Richtung und die

49 Zu den finanziellen Aspekten des Seidenzyklus siehe G. Piluso, L’arte dei banchieri, Mailand 1999, S. 101. 50 G.M. da Ponte, Osservazioni sul dipartimento del Serio presentate all' ottimo vice-presidente della Repubblica Italiana F. Melzi d'Eril, Bergamo 1803 S. 22–25. 51 Zu diesem Schweizer Unternehmer siehe: D. Rota, I Blondel di Casirate: tra impresa e cultura, Mailand 2000; S. Agazzi, François Louis Blondel imprenditore svizzero a Bergamo (1749– 1812), Bergamo 2002.

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Geschwindigkeit, die Blondels Karriere annahm, verweist auf den wachsenden Kreditbedarf des lokalen Seidenzyklus,52 der nicht von lokalem Kapital befriedigt werden konnte: Solch eine Gelegenheit für Unternehmertum wusste Blondel zu nutzen. Blondels Tätigkeiten gingen aber auch über den Handel mit Seide hinaus. Für einige Jahre war er Teilhaber an einer Bücherei. Der internationale Handel mit Büchern war auch politisch bedingt. Blondel war Mitglied der Freimaurer sowohl in Bergamo als auch in Lausanne. Wie sein Partner und Nachfolger im Buchhandel, Vincenzo Antoine, führte Blondel viele aufklärerische und prärevolutionäre Texte nach Bergamo und in die Lombardei ein, obwohl sich damit nicht viel Gewinn machen ließ. Profitabler war Blondels Handel mit öffentlichen Gebäuden und dem Ankauf von Land in der fruchtbaren Tiefebene der Lombardei, wo Seidenwürmer gezüchtet wurden. Louis Blondel, der sich zum Zeitpunkt der napoleonischen Eroberung bereits gut etabliert hatte, wurde während der ersten und zweiten Zisalpinischen Republik zum Leiter des Corpo degli azionisti forzati del Dipartimento del Serio ernannt, und somit einer der wichtigsten Vermittler des Verkaufs von Staatsbesitz in Bergamo. Sein Schwager, Enrico Mariton, hatte in derselben Organisation das Amt des Kassierers inne. Da es an Blondel selbst lag, die zu verkaufende Ländereien und Immobilien zu begutachten und zu schätzen, bot Blondels Netzwerk die Möglichkeit vieler profitreicher Geschäfte. Die Bilanz, die Blondel 1802, am Ende der zweiten Zisalpinischen Republik, ziehen konnte, war beeindruckend: Er war nicht nur Teilhaber mehrerer Seidenbau- und Haspelanstalten,53 sondern nun auch Großgrundbesitzer in der Poebene. Seine Geschäfte dehnten sich soweit aus, dass Blondel die Leitung seiner Aktivitäten in Bergamo seinem Schwager überließ, während er sich im renommierten Palazzo Imbonati in Mailand niederließ.54 Die Karriere von Louis Blondel, beschleunigt durch die Umwälzungen der französischen Herrschaft, war typisch im Rahmen der internationalen Handelsnetzwerke des 18. und 19. Jahrhunderts. Sie begann mit einer individuellen Migration entlang kaufmännischer Routen, angetrieben von einem wachsenden Markt – für Seidenprodukte – und einer unternehmerischen Chance – gegeben durch die Rückständigkeit lokaler technologischer Kenntnisse. Zu Beginn seiner Karriere trat Blondel in ein bereits vorhandenes Netzwerk, das seines früheren Arbeitgebers und dessen Handelspartnern, ein. Als er sich niederließ, begann er an einem eigenen Netzwerk zu arbeiten und dieses durch vertraute Familienmitglieder zu erweitern. Blondels wachsender Erfolg löste eine Kettenmigration aus: Der Einwanderung seines Bruders folgte die der Brüder seiner zweiten Ehefrau französischer Herkunft.

52 B. Caizzi, Industria, commercio e banca in Lombardia nel XVIII secolo, Mailand 1968, S. 203– 204. 53 Seine Haspelanstalt in der Nähe der Villa in Casirate beschäftigte 74 Arbeiter und betrieb 92 Spindeln im Jahr 1806, 96 im Jahr 1808. 54 Palazzo Imbonati wurde an Louis Blondel von Giulia Beccaria, der Mutter Alessandro Manzonis, verkauft. Diese Bekanntschaft machte die spätere Hochzeit zwischen Alessandro Manzoni und Enrichetta Blondel, Tochter des Seidenbankiers, möglich.

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Alle Kaufleute des familiären Netzwerkes Blondels gründeten dann Handelsbanken für das Seidengeschäft in den Großmärkten von Brescia und Bergamo.55 In den letzten zehn Jahren vor der napoleonischen Invasion kamen aber auch andere Schweizer und französische Migranten über die Alpen, um an dem Seidengeschäft der Lombardei teilzuhaben. Viele von ihnen pflegten persönliche oder wirtschaftliche Beziehungen zu den Blondels.56 Gemeinsame Herkunft und religiöse Zugehörigkeit lassen sich als vertrauensgenerierende Faktoren für solche erweiterten Netzwerke feststellen. Die Einbettung in neue Umgebungen und lokale Gesellschaftsstrukturen eröffnete Netzwerkpartnern wiederum neue Bindungsmöglichkeiten. Ein Aspekt hiervon war die Heiratspolitik der Familie Blondel. Um lokale Beziehungen zu schaffen, scheute sich Louis Blondel nicht vor religiösen Tabus. Seine Tochter Enrichetta, die im Jahre 1791 in Casirate nominell katholisch getauft wurde, weil kein evangelischer Offiziant vorhanden war, heiratete, als sie siebzehn Jahre alt war, den adeligen Alessandro Manzoni.57 Die Heirat wurde zivil und evangelisch zelebriert und erst 1810 auch katholisch, dank der Einwilligung des Papstes Pius VII. Aufgrund des Ruhmes von Alessandro Manzoni ist die Geschichte dieser Heirat weitgehend bekannt:58 Enrichetta trat letztendlich zum Katholizismus über und wurde dennoch nicht aus ihrer Familie verstoßen. Gefestigt wurde die Allianz der Familien Blondel und Manzoni durch eine weitere Heirat. Der Politiker, Maler und Literat Massimo d’Azeglio (1798–1866), der in erster Ehe Giulia (1808–1834), die Tochter Alessandro Manzonis, geheiratet hatte, heiratete in zweiter Ehe die verwitwete Frau eines Bruders von Enrichetta Blondel, Louise Maumary (1806–1871) (cf. Abb. 4). D’Azeglio war katholisch, während Louise lebenslang beim evangelischen Glauben blieb. Durch solche gemischten Ehen und Bekehrungen fanden immigrierte Unternehmer protestantischer Glaubensgemeinschaften Zugang zu lokalen politischen und intellektuellen Eliten aristokratischer Herkunft. In der persönlichen Korrespondenz Massimo d’Azeglios und seiner zweiten Frau findet man neben den Skizzen der Ereignisse am piemontesischen Hof und im italienischen Parlament persönliche Andeutungen zum erweiterten Netzwerk der Familie Manzoni und der Familie Blondel. Bekannte Namen im Feld der deutsch-

55 S. Honegger, Gli Svizzeri di Bergamo dal Cinquecento all'inizio de Novocento. Bergamo 1997, S. 49–74. 56 Vgl. die Schweizer Familien Frizzoni, Zavaritt, Bonorandi, Stampa, Curó und Andreossi vom Kanton Graubünden und die französischen Familien Ginoulhiac, Cavalié, Mariton und Fuzier aus dem Cevenne. Über die evangelische Gemeinde in Bergamo siehe: C. Martignone, „La Comunitá Evangelica di Bergamo, 1807–1848, 1848–1880“, Archivio Storico Lombardo 120 (1994), S. 305–350; dies., „La comunità evangelica di Bergamo dal 1848 al 1880“, Annali della Facoltà di Studi Umanistici dell'Università degli Studi di Milano 2 (1996), S. 27–70. 57 Über Alessandro Manzoni und seine internationalen Geschäftsinteressen siehe: Ministero per i Beni Culturali e Ambientali, Manzoni scrittore e lettore europeo, Rom 2000. 58 Dazu: M. Boneschi, Quel che il cuore sapeva: Giulia Beccaria, i Verri, i Manzoni, Mailand 2005; N. Ginzburg, La famiglia Manzoni, Turin 1989.

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italienischen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen wie Seufferheld, Vigoni und Fuzier wurden immer wieder erwähnt.59 Blondels Netzwerk hatte also sowohl einen tiefgreifenden Einfluss auf die lokale Wirtschaft als auch auf die lokale Gesellschaft. Blondel schuf, dank seiner internationalen Verbindungen, einen Handelsweg, auf dem für fast ein Jahrhundert unternehmerisches und monetäres Kapital aus Frankreich und der Schweiz in die Lombardei im Austausch gegen Seide überführt werden konnte.60 Dieses Netzwerk und die evangelische business community, die daraus hervorging, trug maßgeblich zur verbesserten Effizienz der lombardischen Seidenproduktion bei,61 führte neue Geschäftspraktiken ein und dehnte die Exportmärkte für lombardische Seide aus.62 Louis Blondel war aber auch für lange Zeit Bürgermeister von Casirate, einer kleinen Stadt auf dem linken Ufer des Flusses Adda, wo er seine Haspelanstalt und seine prachtvolle Villa hatte. Aktives lokalpolitisches Engagement genau wie die Finanzierung lokaler technischer Schulen und wissenschaftlicher Gesellschaften galten als normaler Ausdruck der Idee des städtischen Bürgertums, welche Bestandteil des Wertsystems der Mitglieder internationaler Handelsnetzwerke war. Solche Aktivitäten verbreiteten rasch, in Casirate wie in Brescia, Bergamo und Mailand, die neuen kaufmännischen Werte innerhalb der lombardischen Elite. 5. EIN CIRCUIT DE L’INDIENNERIE Kattun[,] obwohl ein ausländisches Produkt, müsste einen speziellen Platz zwischen den interessantesten Objekten unserer Industrie einnehmen, und gut genutzt, wie andere Nationen es gemacht haben, eine Quelle von großem und unglaublichem Reichtum sein.63

Zehn Jahre nach Louis Blondels Ankunft in der Lombardei fand eine weitere Migration statt, die sich als wegweisend für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Region herausstellen sollte.64 Statt Seide war diesmal der Anlass der unternehmerischen Migration der jüngste Sektor der europäischen Wirtschaft: Das Baum-

59 G. Carcano, Lettere di Massimo d'Azeglio a sua moglie Luisa Blondel, Mailand 1870. 60 In den 1870ern, ein Jahrhundert nach der Migration von Louis Blondel, waren die Mitglieder der Familie Mariton und Fuzier neben den lombardischen Seiden-und Finanzsektoren noch in vielen anderen aktiv. Zu diesem Thema: Agazzi, François Louis Blondel. 61 S. Angeli, Proprietari, commercianti e filandieri a Milano nel primo Ottocento. Il mercato delle sete, Mailand 1982, S. 100–102. Siehe auch: L. Blondel, Relazione di un viaggio ad un certo numero di filande del lecchese (Archivio di Stato di Como, Dono Engelmann, 1846). 62 Siehe zum Beispiel den Artikel „Mayländer Seide“, in: J.G. Digler (Hrsg.), Polytechnisches Journal, Augsburg 1828, S. 136–137. Der Autor erklärt, dass die Gesamtheit der rund um Bergamo produzierten Seide nach Moskau exportiert wurde. Die Haspelanstalt der Blondel-Familie wurde in diesem Zusammenhang als eine der besten der ganzen Lombardei beschrieben. 63 A. Kramer, Rapporto al Consiglio di Commercio, in: ASM, Atti del Consiglio del Commercio, Fondo Commercio, Parte Moderna, cart. 59. 64 Zu diesem Thema: Poettinger, „Internazionalizzazione ed innovazione“.

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wollgewerbe. Das Netzwerk, das in Mailand unternehmerisches und monetäres Kapital bereitstellte, war erneut schweizerischen Ursprungs, doch während Blondels unternehmerischer Vorteil in seinen internationalen Beziehungen und seiner Marktkenntnis lag, war in diesem Fall Anlass für die Migration der technologische Vorsprung der Schweizer Wirtschaft. Dank einer nachhaltigen lokalen Tradition blühte in der Schweiz und vor allem rund um Zürich die Produktion der besten bedruckten Kattune Europas auf.65 Die Schweizer Städte waren lange Zeit die einzigen Orte in Europa, in denen die Produktion von indiennes erlaubt war. Daraus resultierte ihr entscheidender Vorteil: Für die Produktionsvorgänge stand bereits eine hochqualifizierte Arbeiterschaft bereit. Als Konsum und Produktion von Baumwollstoffen in den umliegenden Ländern liberalisiert wurden, exportierte die Schweiz ihre bedruckten Kattune, aber auch Kapital und unternehmerische Fähigkeiten. Als Ergebnis entstanden weitreichende Netzwerke, die in nur wenigen Jahren den ganzen Kontinent umfassten und die Produktion von gedruckten Baumwollstoffen dort etablierten, wo sie am meisten Profit brachte. Mailand wurde in diesen europäischen circuit de l’indiennerie66 in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts eingeschlossen. Als die örtliche Baumwolldruckerei aufgrund der Unfähigkeit des Managements schließen musste, griff die österreichische Regierung, auf der Suche nach einem neuen Eigentümer, auf Johann Adam Krämer (1753–1815).67 Giovanni Adamo Kramer – wie der Unternehmer in Italien benannt wurde – wurde in Essenheim geboren, doch seine unternehmerischen Unterfangen brachten ihn bald in die Schweiz, wo er einen Verlag der Baumwollproduktion für ein Kaufmannshaus leitete. Die von Kramer produzierten Stoffe wurden auch an die mailändische Kattundruckerei verkauft, die in Konkurs geraten war. Kramer war somit ein idealer Bewerber für die neue Leitung des mailändischen Unternehmens. Den lokalen Regierungsbeamten war nämlich bewusst, dass eine solche innovative Unternehmung nur dann erfolgreich sein konnte, wenn sie von einem ausländischen hochqualifizierten Unternehmer geleitet wurde, der durch sein internationales Netzwerk Anschluss an die fortschrittlichsten europäischen Produktionsstandorte hatte.68 Doch Kramer wollte nicht ohne Garantien in den lombardischen Markt eintreten. Die Regierung konnte ihn nur zur Migration bewegen, indem sie Schutzzölle auf die Einführung von gedruckten Stoffen erhob, die Anlagen für

65 U. Pfister, Die Zürcher Fabriques: Protoindustrielles Wachstum vom 16. zum 18. Jahrhundert, Zürich 1992. 66 Eine allgemeine Übersicht findet man bei: K. Fukasawa, Toilerie et commerce du Levant: d'Alep à Marseille, Paris 1987, S. 8–10. 67 Archivio Biblioteca Trivulziana (ABT), Rubrica del Ruolo generale della popolazione, Censimento 1811 Vol. 20 ad Nomen; und Censimento 1835 Vol. 28 ad Nomen. Über Kramers Leben und seine wirtschaftlichen Leistungen siehe: Poettinger, „Imprenditori tedeschi“. 68 Relazione del Regio Visitatore Bellerio del 16 Ottobre 1783, ASM, Commercio, parte antica, cart. 252.

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die Kattunproduktion bereitstellte und der neuen Firma Kredit gewährte.69 Also übersiedelte Adam Kramer nach Mailand, übernahm die lokale Druckerei und führte die mechanische Baumwollspinnerei in der Lombardei ein. Das Netzwerk von Kramer reichte bis nach Augsburg, das damals eine der innovativsten Produktionsstätten der Kattundruckerei war.70 Kramer nahm in sein Unternehmen, genannt Kramer & Compagni, den jungen Kaufmann Johann Paul Hartmann mit auf, dessen Familie ein Handelshaus und eine Druckerei in Augsburg leitete. Hartmann folgten zwei spezialisierte Arbeiter, die für eine erfolgreiche Kattundruckerei am wertvollsten waren: ein Kolorist und ein Zeichner. Mit Kramer kamen aus der Schweiz noch hoch qualifizierte Weber dazu und Lehrlinge für die administrative Arbeit im Comptoir der Firma. Finanziell wurde das Unternehmen von zwei Zürcher Handelshäusern und einer der katholischen Banken Augsburgs unterstützt.71 Für ein Europa ohne ein entwickeltes Bankensystem und einen entwickelten Finanzsektor mag solch ein internationales Unternehmen außergewöhnlich erscheinen, doch das Zusammenwirken von Handelsnetzwerken und unternehmerischer Migration schuf ein effizientes und international ausgedehntes venture capital System, das, auf der Basis von Vertrauen, Meritokratie und Innovation förderte, ohne exzessive Krisen und Konkursraten zu erleiden. Die Rechtsform der Kommanditgesellschaft gewährleistete dafür die Flexibilität, die für die Bewältigung kontinuierlicher technologischer und institutioneller Veränderungen erforderlich war. In der Regel waren solche Partnerschaften zeitlich begrenzt. Nach zwei, drei, fünf und bis zu fünfzehn Jahren wurde die Gesellschaft, gemäß den Wünschen von Leitern (Komplementär) und stillen Partnern (Kommanditisten), entweder aufgelöst oder verlängert.

69 Um diese unternehmerische Migration zu sichern, hatte die österreichische Regierung zunächst alle bestehenden Diskriminierungen gegenüber nicht Katholiken zu eliminieren (Sovrano Editto di Toleranza degli Acattolici, ABT, Fondo Materie, busta 850) und Zollschutz für die Baumwolltextilien, die von der neuen Manufaktur gedruckt werden sollten, zu gewährleisten, (Grida portante l’abolizione del dazio di circolazione interna“, and „Tariffa per il dazio di diversi generi di merci e manifatture, cioè pelletterie, pelliccerie, tele di cotone stampate e da stamparsi, ossiano mussoline“, 15 November 1781). Über die Kreditkonzession siehe: Moioli, „Assetti manifatturieri“, S. 98. 70 Der renommierte Textilunternehmer Johann Heinrich v. Schüle (1720–1811) entschied sich für Augsburg, um seine Manufaktur aufzustellen. Schüle wurde bald einer der besten europäischen Drucker dank seiner innovativen Muster und chemischen Kenntnisse. Siehe: S.D. Chapman / S. Chassagne, Europäische Textildruckereien im achtzehnten Jahrhundert, London 1981, S. 185–187. 71 Die Bank aus Augsburg war „Carli & Co“. Die beiden Schweizer Handelshäuser waren „Salomon Traxler“ und „Frey & Pestalozza“. Siehe: M. Poettinger, „Lo sviluppo economico lombardo nelle attività degli imprenditori tedeschi“, in: G. Oldrini / A.Venturelli (Hrsg.), La tradizione rinnovata, Menaggio 2006, S. 49–103, hier S. 59.

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Kramer & Compagni konnte nur dank dieser Anpassungsfähigkeit die schwierigen Jahre der napoleonischen Herrschaft mit Erfolg überwinden.72 Aufgrund der sich in diesen Jahrzehnten schnell verändernden Institutionen und Marktbedingungen waren rasche Entscheidungen und Solidität der Mittel erforderlich. Revolutionslustige Arbeiterschaften, die Zerstörung bewährter Lieferketten, schwere und willkürliche Besteuerung waren nur einige der Hindernisse, die Adam Kramer zu bewältigen hatte, um seinen Handel dennoch aufrechtzuerhalten. Doch nach den ersten Schwierigkeiten wurde er mit einem raschen Wachstum belohnt. Die Französische Revolution hatte auch eine Revolution in der Mode bewirkt: Nun waren die bunt bedruckten Baumwollstoffe, die Kramer produzierte, sei es als Möbel und Dekostoffe oder als Kleidungsstücke, bei den höheren Gesellschaftsschichten besonders en Vogue, dank Joséphine Bonaparte und dem von ihr lancierten Empire Stil.73 In Italien importierte man eifrig Modeströmungen aus Paris. Von den Grand Dames Mailands bis hin zu den Bäuerinnen der Poebene, alle wollten die bunten, freudigen und leichten Stoffe kaufen.74 Mailand, das zur Hauptstadt der Italienischen Republik – und dann auch des Königreichs Italien – ernannt wurde, gewann an Bevölkerung und Kaufkraft und schenkte so Kramer & Compagni einen sicheren und wachsenden Absatzmarkt. Napoleon garantierte seine Protektion und verbot durch die Dekrete vom 10. Juni 1806 und vom 28. Dezember 1807 alle Stoffe, die außerhalb des Imperiums produziert wurden.75 Die Baumwollproduktion blühte wie nie zuvor. Als die altmodische Drucktechnik mit Holzblöcken die wachsende Nachfrage nicht mehr befriedigen konnte, entschloss sich Kramer eine moderne Manufaktur, die mit Zylindern drucken sollte, aufzubauen. Die innovative Zylinderdruckmaschine, die bereits in England und Frankreich eingesetzt wurde, konnte die Produktivität eines Arbeiters um das 200-fache erhöhen. Doch die ausländischen Kommanditisten von Kramer & Compagni waren nicht bereit, weiteres Kapital zu investieren. Als die Gesellschaft ihre satzungsmäßige Lebensdauer im Jahr 1807 erreichte, entschieden sich die ehemaligen Partner, eigene Wege einzuschlagen. Hartmann beschloss, sich eine eigene Baumwollmanufaktur mit seinen Söhnen in Mailand zu gründen, und richtete hierfür einen neuen Handelsweg ein, über den die Baumwolle aus dem Nahen Osten nach Triest und in die Lombardei geliefert werden sollte. Die neue Firma handelte auch mit fertigen

72 Über die Schwierigkeiten und die unternehmerischen Möglichkeiten im Baumwollsektor unter napoleonischer Herrschaft, siehe: F. Crouzet, „Wars, blockade and economic change in Europe, 1792–1815“, Journal of Economic History 24,4 (1964), S. 567–588. 73 E. Morini, Storia della moda XVIII–XX secolo, Mailand 2006, S. 51–90. 74 Über den Einfluss der französischen Mode in der Lombardei bleibt die beste Quelle die erste Modezeitschrift Mailands, das „Corriere delle Dame“. Besonders zu Baumwolltextilien siehe: „Corriere delle Dame“, n. XII, 23. März 1806, S. 526; und „Corriere delle Dame“, n. XXI, 27. Mai 1809, S. 162. Siehe auch: S. Franchini, Editori, lettrici e stampa di moda, Mailand 2002, S. 40–50. 75 A. Moioli, „L’economia lombarda tra tradizione ed innovazione: le manifatture“, in: G.L. Fontana / A. Lazzarini (Hrsg.), Veneto e Lombardia tra rivoluzione giacobina ed etá napoleonica. Economia, territorio ed istituzioni, Mailand 1992, S. 179–224, hier S. 193.

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Baumwollstoffen, die von Schöppler & Hartmann in Augsburg meisterlich gedruckt wurden. Die Zusammensetzung der neugegründeten Kramer & Compagni spiegelte dagegen ein ganz anderes internationales Netzwerk wider. Kramer hatte mit Hartmann nicht nur einen Partner verloren, sondern auch seine Verbindung nach Augsburg und den Anschluss an die modernsten Technologien in der Baumwolldruckerei aufgegeben. Dieses Problem wurde auf demselben Weg gelöst wie das, einen neuen Investor zu aufzutreiben. Kramer fand neues Kapital und technologisches Wissen dank der Fréres Merian, einem internationalen Kaufmannshaus, das in Basel ansässig war und das sich bis zu der katastrophalen „Neuenburger Affäre“, also der scharfen Abschnürung der Schweiz vom internationalen Handel in der ersten Jahreshälfte 1806, stark an dem profitreichen Schmuggelhandel beteiligte.76 Nachdem Napoleon persönlich die Fréres Merian mit der Schließung und der Inhaftierung der Teilhaber drohte, musste diese Handelsfirma rasch neue Investitionsmöglichkeiten suchen. Die Schweizer Verlagsproduktion der Firma, die nun keinen Absatzmarkt mehr hatte, musste aufgrund des französischen Protektionismus aufgelöst und durch Direktinvestitionen ins Ausland verlegt werden. Die Fréres Merian investierten also einen Teil ihres Kapitals in Baumwolldruckereien außerhalb der Schweiz und innerhalb des Imperiums: die Dollfus Mieg & Cie in Mulhouse und die Kramer & Compagni in Mailand. Die Zusammensetzung der neuen Kramer & Compagni war daher vollkommen verändert. In der alten Gesellschaft hatten die drei Kommanditisten jeweils ein Drittel des Kapitals von 100,000 fl. besessen, während Kramer mit nur 7,5% und Hartmann mit 2,5% beteiligt gewesen waren.77 In der neuen Gesellschaft lieferte Kramer die Hälfte des Kapitals, während jeweils ein Viertel von der Fréres Merian und der Dollfus Mieg & Cie zur Verfügung gestellt wurde. Kramer gewann durch seine neuen Partner nicht nur Kapital, sondern konnte auch einen neuen Direktor für seine neue Fabrik in „La Pace“ ausfindig machen: Rodolphe Grossmann. Dieser war an mehreren Gesellschaften des Netzwerkes von Jean Dollfus in Mulhouse beteiligt gewesen,78 musste aber aufgrund von Schwierigkeiten seine Firmenanteile abgeben. Dem folgte der Entschluss nach Mailand auszuwandern, um die innovative Druckerei von Kramer mit einer Zylindermaschine auszustatten und um die Manufaktur in „La Pace“ zu leiten. Partner des Un-

76 N. Stettler / P. Haenger / R. Labhardt, Baumwolle, Sklaven und Kredite. Die Welthandelsfirma Christoph Burckhardt & Cie. in revolutionärer Zeit (1789–1815), Basel 2004, S. 153–163. 77 Die Gewinnverteilung entsprach nicht den Kapitalquoten. Kramer, als Prämie für sein Unternehmertum und die unbeschränkte Haftung, die er für die Firma trug, hatte das Recht 25% des Gewinns erteilt zu bekommen, Hartmann 15%. Jeder Kommanditist erhielt 20% des Gewinns. Eine solche Gewinnausschüttung belohnte – typisch für Kommanditgesellschaften – Innovation und Unternehmertum. Durch den Erfolg seines Unternehmens konnte Kramer in ein paar Jahren die Hälfte des erforderlichen Kapitals selbst einzahlen. 78 E. Albrecht-Mathey, The Fabrics of Mulhouse and Alsace 1750–1800, Leigh-on-Sea 1968, S. 19–20.

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ternehmens wollte er jedoch nicht werden. Er investierte aber, genauso wie die Fréres Merian und Dollfus, Mieg & Cie, 50.000 fl. auf einem festen Konto der Gesellschaft, während Kramer 150.000 fl. in einem solchen Konto anlegte.79 Durch diese festen Konten wurden bedeutende Summen investiert – im Falle der Kramer & Compagni dreimal höher als das angelegte Kapital – die aber von jeglichem Insolvenzverfahren gesichert waren. Gleichzeitig wurden solche Summen mit einem festgelegten Zinssatz, unabhängig von der Rentabilität des Unternehmens, belohnt: ein Buchungstrick, der eine risikofreie Investition ermöglichte. Die Mailänder Manufaktur war auf dem neuesten Stand der Technik: Voll mechanisiert konnte sie mit einem Minimum unqualifizierter Arbeiter 180 Baumwollstücke pro Tag bedrucken.80 Der Erfolg war so vielversprechend, dass die Mitgesellschafter von Kramer & Compagni beschlossen, eine weitere Baumwolldruckerei in Rom zu finanzieren. Doch bevor sie ihre Pläne umsetzen konnten, kam das napoleonische Zeitalter 1814 an sein Ende und damit das begünstigende protektionistische System. Adam Kramer starb ein Jahr danach. Das Netzwerk um Kramer & Compagni, deren Wert auf eine halbe Million fl. geschätzt wurde,81 löste sich auf. Die Erbgemeinschaft Kramers verwaltete weiter die Aktivitäten des Familienunternehmens, jedoch ohne Kapitalzuschüsse von externen Investoren. Der Einfluss, den Adam Kramer auf die Wirtschaft der Lombardei hatte, beschränkte sich aber nicht nur auf seine innovativen Manufakturen: die erste mechanischen Spinnerei in Monza und die erste mechanische Baumwolldruckerei in „La Pace“. Seit dem Tag seiner Ankunft in Mailand arbeitete Kramer auch an der Einrichtung eines weitreichenden lokalen Netzwerks, das ihm nicht nur ermöglichte, ein wirtschaftliches Imperium zu gründen, sondern ihm auch erlaubte, eine repräsentative Figur der örtlichen Kaufmannschaft zu werden. Das Netzwerk bestand zunächst aus Familienangehörigen und wurde durch Ehen gestärkt und erweitert.82 Kramer selbst, der elf Jahre nach seiner Migration verwitwet war, nutzte seine zweite Ehe, um seine bereits guten Verbindungen mit der lokalen Regierung zu untermauern. Er wählte seine zweite Frau aus einer angesehenen Familie der österreichischen Verwaltung. Durch Teresa de Spech erhielt Kramer Zugang zur lokalen Elite83 und dem folgend eine bevorzugte Behandlung bei öffentlichen Aufträgen sowie staatlichen Beihilfen, wie etwa Zollsenkungen. Bei der Ankunft Napoleons war seine Stellung bereits so etabliert, dass die neue Regierung ihm ebenfalls zur Hilfe kam. 79 ASM, Notarile, 49390. 80 Artikel der „Gazzetta di Milano“ 122 (1820) , Archivio della Camera di Commercio di Milano (ACCM), Atti della Camera di Commercio di Milano riguardanti le manifatture di cotone. 81 Im Vergleich dazu hatte die in 1810 in Frankfurt zwischen Mayer Amschel Rotschild und seinen Söhnen gegründete Partnerschaft ein Kapital von 800,000 fl. (A. Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Bd. 4, Frankfurt a.M. 1925, S. 735). 82 Ein Stammbaum der Familie Kramer in Mailand ist zu finden in: Levati, „Negozianti e Società”, S. 522. 83 Francesco Saverio de Spech (?–1828), Halbbruder von Teresa, war nach der Restauration Hofrat und Leiter der Hofkanzlei der österreichischen Regierung.

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Dank seinen Verbindungen konnte Adam Kramer, genauso wie Louis Blondel, überproportional von den unternehmerischen Möglichkeiten und den Spekulationen der schwierigen Jahre der französischen Herrschaft profitieren. Blondel verkaufte Eisen an der französischen Armee, Kramer lieferte Waffen. Kramer vermittelte und verwaltete auch Investitionen von Schweizer Handelshäusern,84 erkaufte von der Regierung eine Vielzahl an requirierten Ländereien85 und öffentliche Gebäude – zumeist Klöster – in Monza, Cremella und Mailand, in denen er seine Manufakturen unterbringen konnte.86 Wie der Großteil der europäischen Kaufmannschaft, beteiligte er sich am intensiven Schmuggelhandel.87 Zuletzt profitierte Kramer von der Verpachtung größerer Ländereien aus adeligem oder öffentlichem Besitz, in denen er Kapital für Neuerungen und Instandsetzungen investierte, um sie dann mit hohen Profit weiter zu vermieten.88 Dank all dieser Unternehmungen wurde Kramer einer der wohlhabendsten Bürger Mailands. 1805 schätzte man sein jährliches Einkommen auf 60.000 Lire. Nur noch 168 andere Familien in Mailand konnten zu diesem Zeitpunkt ein vergleichbares oder höheres Einkommen aufweisen.89 Zum Vergleich: das jährliche Gehalt eines Ministers des italienischen Königreiches betrug 50.000 Lire.90 Parallel zu Kramers wirtschaftlichen Aufstieg verlief die Erweiterung seines familiären Netzwerkes durch die Ehen seiner Kinder.91 1806, in den Jahren der französischen Herrschaft heiratete Maria Carolina (1789–1858), seine älteste Tochter aus erster Ehe, Francesco de Luigi, einen ehemaligen Kaufmann, der zur Zeit der

84 Beispielhaft ist der Fall des Brioschi Konkurses. Kramer vertrat im Konkursverfahren die Handelshäuser Salomone Traxler, Leonardo Gonzenbach, Giovanni Martino Morell, Giovanni Mertzen, Fratelli Seuffert, Pietro Mossi und Giovanna Zitta. (ASM, Notarile, 49390). 85 Levati, La nobiltà del lavoro, S. 161. 86 Kramers Immobilienbesitz wurde auf 1.811.150,000 fl. geschätzt. ASM, Commercio, Parte Moderna, cart. 59. 87 „Kramer & Compagni“ finanzierte den Brigg-Schoner, welcher die Strecke von Salonicco nach Triest befuhr. Das Schiff wurde 1808 wegen Schmuggels konfisziert (Levati, La nobiltà del lavoro, S. 130). 88 Kramer pachtete zum Beispiel die Länderei Rizzarda vom Ospedale Maggiore, um es dann einfach an Giovan Battista Negri weiter zu vermieten. Aus dieser Vermittlung erwirtschaftete Kramer einen Gewinn von 25% (ASM, Notarile, 49390). 89 Elenco delle famiglie benestanti la cui annua entrata oltrepassa le lire sessantamila, in: Levati, „Negozianti e Società”, S. 517. 90 G. Tonelli, „Ricchezza e consumo: il lusso di una famiglia nobile milanese nei primi anni dell’Ottocento“, Mediterranea Ricerche storiche 4 (2007), S. 491–516, hier S. 493. 91 M. Poettinger, Deutsche Unternehmer im Mailand des neunzehnten Jahrhunderts, Lugano 2012, S. 85. Über den Stammbaum der Familie von Adam Kramer: ABT, Rubrica del Ruolo generale della popolazione, Censimento 1811 Vol. 20 ad Nomen; und Censimento 1835 Vol. 28 ad Nomen.

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Heirat als Grundbesitzer und Edelmann registriert war. Vier Jahre später, 1810, heiratete seine Tochter Luigia den Baron Francesco Cornalia.92 Während der Restauration vermählten sich die jüngste Tochter von Kramer, Amalia (1799–1839), und der Bankierssohn Giovanni Balabio, während Carlo (1793–1844), der Erstgeborene, eine weitere Verwandte der Inhaber der Balabio, Besana & C, Teresa Berra, heiratete. Durch diese beiden Ehen verband sich die Familie Kramer gleich zweimal mit einem der reichsten und renommiertesten Bankhäuser Mailands.93 Zu diesem Zeitpunkt umfasste das Netzwerk Adam Kramers neben der mailändischen Kaufmannschaft auch die regierenden Eliten Österreichs und Frankreichs. Wie viel Einfluss konnte Adam Kramer durch dieses Netzwerk ausüben? Von 1802 bis 1812 wurde Kramer in den Handelsrat gewählt und zum Mitglied des Stadtrates ernannt.94 Hier wurde er in die Kommission für die Revision des Handelscodex und in den Generalrat für Handel, Kunst und Gewerbe berufen.95 Im Jahr 1805 wurde er zunächst Vizepräsident und dann Präsident der Handelskammer. 1812 wurde er schließlich zum Präsidenten des Handelsgerichtes gewählt.96 Es besteht kein Zweifel, dass Adam Kramer zu diesem Zeitpunkt in Mailand der führende Vertreter der negozianti geworden war. Der Stamm, den Carlo Cattaneo später so lebendig beschreiben würde, trat in der napoleonischen Zeit auch Dank der Führung von Adam Kramer erstmals als eine führende Elite in Erscheinung. Die negozianti sollten diese politische und ökonomische Führung für das ganze 19. Jahrhundert beibehalten und dazu nutzen die Lombardei zu modernisieren. Hiermit sollte also Adam Kramer einen viel wichtigeren Einfluss auf der Gesellschaft der Lombardei haben als sein Unternehmen und dessen Innovationsfähigkeit je auf die Wirtschaft der Region hatten.

92 Francesco Cornalia machte eine erfolgreiche Karriere in der französischen Regierung. Er wurde zum Vizepräfekt von Monza und dann zum Präfekten des Verwaltungsbezirk Tronto ernannt. Letztendlich wurde Cornalia zum Präfekten des Verwaltungsbezirk Serio befördert. Für seine Karriere wurde er mit dem Titel Baron ausgezeichnet. Dazu: E. Pagano, Il comune di Milano nell'età napoleonica: 1800–1814, Mailand 1994, S. 300. 93 S. Angeli, „Banchieri e commercianti di sete a Milano nel periodo della Restaurazione“, Studi Storici 3 (1980), S. 311–338. 94 Der Stadtrat war das erste politische Gremium in Mailand, das nicht auf Adel basierte und somit Ausdruck einer neuen Wirtschaftselite der Stadt wurde (E. Pagano, „Consiglio comunale e notabilato a Milano nell'età napoleonica“, in: G.L. Fontana / A. Lazzarini (Hrsg.), Veneto e Lombardia tra rivoluzione giacobina ed etá napoleonica. Economia, territorio ed istituzioni, Mailand 1992, S. 539–562, hier S. 544; Pagano, Il comune di Milano. 95 Dazu: A. Moioli, „I ceti mercantili e manifatturieri e la loro partecipazione all'attività di governo nell'Italia Napoleonica. Il caso del Consiglio Generale del Commercio“, Studi Trentini di Scienze Storiche 62 (1983), S. 381–424. 96 Über diese Karriere siehe: E. Pagano, „Consiglio comunale e notabilato”, S. 545; und Levati, „Negozianti e società”, S. 517.

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6. DEUTSCHES MERCHANT-BANKING RUND UM EUROPA Damals entwickelte sich unsere Stadt zur Hauptstadt von 24 Departementen, die bis nach Fermo und Macerata reichten, mit 2155 Gemeinden und 6,700,000 Einwohnern, mit einem prunkvollen Hof, einem jungen und militärischen Prinzen, einer Vize-Königin voll Grazie und Bescheidenheit (…). Zwischen Festen, Auftritten und Triumphzügen genoss man einen Reichtum, der die Freiheit vergessen ließ. Die vielen Angestellten, die Figuranten, die Unbeständigkeit der Mode, die Zerstückelung der Vermögen, fünfzigtausend Soldaten, die sich hier kleideten und ernährten, ließen die Produktion anwachsen.97

Zur gleichen Zeit, als Adam Kramer seine Manufakturen in Mailand gründete, boomte die britische Baumwollstoffproduktion. Kaufleute, die auf der Suche nach neuen und profitablen Unternehmungen waren, stellten bald fest, dass die Finanzierung der Baumwollverarbeitung an den neuen Standorten von Leeds und Manchester und darüber hinaus die Ausfuhr dieser Stoffe in der ganzen Welt eines der profitabelsten Geschäfte der Zeit war. Das Wachstum dieses neuen Sektors setzte – genau wie die Seidenproduktion der Lombardei – monetäres und unternehmerisches Kapital und internationale Kompetenzen voraus, die sich in den neuen Produktionsstätten nicht finden ließen. Unternehmerische Möglichkeiten boten sich Kaufleuten an, die über einen Zugang zu externen Kapitalquellen98 und das Wissen um die Nachfrage der Absatzmärkte verfügten. Einige deutsche Handelshäuser, die bereits international tätig waren, wie die der Rothschilds, der Gontards und der DuFays, eröffneten bald eigene Filialen in den englischen Städten der Baumwollproduktion.99 Um Prinzipal-Agenten Probleme zu vermeiden, musste aber Vertrauen generiert werden. Dies geschah zumeist durch die Erweiterung von Netzwerken durch Söhne der Familie oder jüngere Partner.100 Von den Rothschilds zum Beispiel war es Nathan, der seinen Geschäftssinn in Manchester beweisen sollte.101 Die Familie Mylius,102 die ein Netzwerk für den einst blühenden Handel mit Leinenprodukten zwischen Deutschland und England geschaffen hatte, sandte einen

97 C. Cantù, Grande Illustrazione del Lombardo Veneto, Bd. 1, Mailand 1858, S. 261. 98 Der wiederkehrende Mangel an Kapital im englischen Baumwollsektor ist klar dargestellt in: S.D. Chapman, „Financial restraints on the growth of firms in the cotton industry, 1790–1850“, The Economic History Review 32 (1979), S. 50–69, hier S. 66. 99 Zu diesem Thema: E. Jaffé, „Die englische Baumwollindustrie und die Organisation des Exporthandels“, Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, 24,3 (1900), S. 193–217; A. Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Bd. 4, Frankfurt a.M. 1925, S. 299–334; Chapman / Chassagne, European Textile Printers, S. 5; Chapman, Merchant Enterprise. 100 Poettinger, „Lo sviluppo economico lombardo“, S. 73–74. 101 Über die jüngsten Untersuchungen zu den ersten Jahren von Nathan Rothschild in Manchester siehe: M. Schulte Beerbühl, „Crossing the channel: Nathan Mayer Rothschild and his trade with the continent during the early years of the blockades (1803–1808)“, The Rothschild Archive 9 (2008), S. 41–49. 102 Über die Geschichte der Familie Mylius siehe: J.K. Mylius, Geschichte der Familien Mylius : Genealog.-biogr. Familienchronik der Mylius aller Zeiten u. Länder, Buttstädt 1895. Über den Frankfurter Zweig der Familie, insb. S.196.

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ehemaligen jungen Partner, Isaak Aldebert (1762–1817), der eine Tochter des Hauses, Katharina Elisabeth Mylius, geheiratet hatte, nach London. Nach dem Tod des Firmengründers Johann Christoph Mylius (1715–1791) war die Gesellschaft als „Mylius & Aldebert“ neu gegründet worden und, während Aldebert die britischen Geschäfte in London regelte, war die Leitung der Firma in Frankfurt von Johann Jakob Mylius (1756–1835), Sohn von Johann Christoph, und von Carl Cornelius Souchay (1768–1838)103 übernommen worden.104 Heinrich Mylius (1769–1854), der jüngste Sohn von Johann Christoph, musste also anderswo nach einer unternehmerischen Chance suchen und wurde von Isaak Aldebert nach Mailand geschickt, einem Markt, der sich bestens in die Wirtschaftszweige des familiären Netzwerks einfügte. In Mailand konnte Heinrich die Lieferungen von Seide für den Londoner und den rheinischen Markt organisieren und gleichzeitig wichtige Informationen über die besonders gefragten Artikel aus Leinen oder Baumwolle sammeln, die sich aus Deutschland und England importieren ließen. Seit spätestens 1793 war das neue Netzwerk der Familien Mylius, Aldebert und Souchay operativ und etabliert und Heinrich leitete sein eigenes negozio, einen Warenhandel mit Leinen- und Baumwollprodukten, im Geschäftsviertel von Mailand neben der Scala.105 Napoleon war dem Geschäft des jungen Kaufmanns jedoch nicht wohlgesonnen. Heinrich beklagte in einem Beschwerdebrief an die Gemeinde von Mailand aus dem Jahr 1796 die Unterbrechung aller Kreditlinien aus Frankfurt und die Plünderung der Warentransporte auf dem Splügen- und Gotthardpass.106 Sein Unterfangen war vergebens: er wurde verhaftet und musste hohe Geldstrafen ableisten. Nur der diplomatische Einfluss seines Bruders, Senator der Freistadt Frankfurt, konnte ihn aus dem Gefängnis retten.107

103 Eine Familien- und Firmengenealogie von Carl Cornelius Souchay ist zu finden in: G. Roth, „Heidelberg – London – Manchester. Zu Max Webers deutsch-englischer Familiengeschichte“, in: K. Sauerland / H. Treiber (Hrsg.), Heidelberg im Schnittpunkt intellektueller Kreise: Zur Topographie der „geistigen Geselligkeit“ eines „Weltdorfes“: 1850–1950, Opladen 2013, S. 204. 104 Die Geschichte der Partnerschaft der Familien Mylius, Souchay und Aldebert vor der Restrukturierung ist typisch für die Handelsnetzwerke der Zeit und doch bemerkenswert. Isaak Aldebert, Carl Cornelius Souchay und Franz Perret waren alle Lehrlinge des Frankfurter Kaufmanns Jonas Darfeldt, als er die junge Katherina Elisabeth Mylius (1753–1832) im Jahr 1776 heiratete. Der Heirat folgte im Jahr 1784 eine Handelspartnerschaft zwischen Aldebert und den Brüdern Katherinas, Peter Friedrich (1751–1787) und Johann Jakob Mylius. Doch Katharina verliebte sich in den jüngeren Isaak Aldebert. Darfeldt ließ sich scheiden und verließ auch das Geschäft, doch lebte weiter im Haus der nun Verheirateten, Isaak und Katherina, die auch seine Erben wurden. Durch den Tod von Peter Mylius im Jahr 1787 wurde die Frankfurter Firma erstmals als „Mylius und Aldebert“ gegründet. 1793 wurde Carl Cornelius Souchay Partner der Firma. Dazu: G. Roth, Max Webers deutsch-englische Familiengeschichte 1800–1950: mit Briefen und Dokumenten, Tübingen 2001, S. 67–68. 105 ACCM, Registro Ditte, ad nomen. 106 Brief von Kramer an die Gemeinde 21. Juli 1796 (ABT, Fondo Famiglie, cart. 815). 107 Brief von Heinrich Mylius 17. März 1800 (ABT, Fondo Famiglie, ad nomen).

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Auch wenn die französische Regierung einen Industriellen wie Adam Kramer tolerieren oder sogar begünstigen konnte, war ein Importeur von englischen Waren, wie Heinrich Mylius, ein Feind im napoleonischen Handelskrieg. Sogar Mailands meist gelesenes Damenjournal, Il Corriere delle Dame, folgte der französischen Propaganda und verurteilte 1805 den Handel mit englischen Waren als Kriegsakt: On l’a dit avec raison, c’est au commerce de l’Angleterre qu’il faut faire la guerre, bien plus qu’à ses vaisseaux. L’habilité de ses marins et la bravoure de ses soldats sont moins redoutables, sur tout pour les Européens, que les intrigues de ses spéculateurs et l’audace de ses commerçants.108

Die französische Nation konnte diesen Krieg gegen die mächtigste Handelsnation der Welt nicht allein gewinnen. So schrieb der Kolumnist des Il Corriere delle Dame: Le Gouvernement Français a seul le noble courage de résister á cet enchantement qui en seconde la circulation et les fait rechercher parmi les autres Nations du continent, au détriment de leur esprit comme de leur intérêt national. Mais tant que la France sera seule á repousser les marchandises Anglaises, ses efforts n’auront que des avantages incomplets, même par rapport á elle-même, parce que la cupidité de quelques particuliers chez les Nations voisines, calculant sur le penchant bizarre que certains hommes ont pour les choses défendues, trouvera toujours un grand profit dans l’introduction de ces marchandises chez les peuples où la sagesse de leur Gouvernement les a proscrites.109

Die Kontinentalsperre brachte jedoch nicht den gewünschten Erfolg.110 Zum Entsetzen Napoleons wurde die Sperre unaufhörlich durchdrungen und der Schmuggelhandel zu einem Geschäft, das sich auszahlte. Für die europäische Kaufmannschaft wurden die Jahre zwischen 1806 und 1813 zu einem unübertreffbaren goldenen Zeitalter. Dank ihrer geographischen Lage und einer langen Handelstradition übernahm die Schweiz die Rolle eines entrepôt für englische Waren, die in französische Territorien geschmuggelt werden sollten, wie im schon erwähnten Fall der Fréres Merian. Nach Deutschland schmuggelte die Firma Mylius & Aldebert englische Waren auf allen Wegen. Der Sohn von Cornelius Carl Souchay erinnerte sich so an seinem Vater: „er blieb mit England stets in Beziehung, selbst während der Zeit der Napoleonischen Kontinentalsperre, als die Niederlagen englischer Waren, die man nach Deutschland führen wollte, sich bald in Schweden, bald auf Helgoland, bald an den Küsten Albaniens oder auf der Insel Malta befanden“.111 Um die neuen Strecken nutzen zu können, musste das ursprüngliche Netzwerk ausgedehnt werden. Aldebert wurde zwischen 1800 und 1803 in Manchester sesshaft, um den Handel

108 A. Guillon, „Commerce Anglais“, Il Corriere delle Dame, XXI (26th of May 1805), S. 211. 109 Ebd., S. 210. 110 Dazu: P. Darmstädter, „Studien zur napoleonischen Wirtschaftspolitik. 2: Über die auswärtige Handelspolitik Napoleons I“, Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 3 (1905), S. 112–141. 111 Zitiert in: Roth, Max Webers deutsch-englische Familiengeschichte, S. 62.

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mit den zu schmuggelnden Kattunen besser zu organisieren. Die wegen der Napoleonischen Sperre in Konkurs geratenen englischen Produzenten verkauften dort ihre Ware zu günstigen Preisen, während ihr Wert auf dem Kontinent immer höher stieg. Cornelius Carl Souchay sandte also seine Schwager112 zu den wichtigsten Zentren des Schmuggelhandels in Europa. Philipp Schunck (1776–1843) wurde nach Leipzig geschickt, eine der wichtigsten Messen Deutschlands, wo während der Kontinentalsperre reichlich zu verdienen war, was die Fréres Merian auch zu schätzen wusste. Heinrich Schunck (1781–1840) wurde nach Triest gesandt, der Habsburgischer Hafen wodurch die meisten Schmuggelwaren aus dem Mittelmeer durch die Adria in den Kontinent eintrafen, während Martin Schunk (1788–1872) erstmals in Malta und dann ab 1808 in Manchester aktiv war.113 Auf diese Weise konnte das Netzwerk von allen Schmuggelrouten profitieren. Dass diese Geschäfte trotz des hohen Risikos profitbringend waren, bezeugte Edgar Jaffé, als er von einem deutschen Händler berichtete, der mit englischen Waren handelte, welcher sagte, dass wenn auch nur eines von fünf finanzierten Schiffen die Blockade bei Helgoland überwinden konnte, dies alle Verluste decken und auch noch einen stattlichen Profit erbringen würde.114 Am 26. August 1810, schrieb Napoleon, aufgebracht wegen der ineffizienten Kontrollen, an seinen Stiefsohn Eugene de Beauharnais: L’Italie est inondée de marchandises suisses; les toiles peintes et les cotonnades viennent toutes de Suisse, tandis que la France est encombrée de ces étoffes. Mon intention es, que les toiles peintees etc. d’Allemagne ou de Suisse ne soient point admises en Italie et ne puissent venir que de France.115

Durch den Ausschluss von deutschen und Schweizer Waren aus den französischen Territorien hoffte Napoleon alle Schmuggelrouten zu blockieren, die durch Schweizer Kantone und deutsche Staaten verliefen. Am 14. Oktober wurde das Edikt von Fontainebleau erlassen, welches die Beschlagnahme aller kolonialen und englischen Waren im französischen Reich anordnete. Diesmal zögerte Napoleon nicht, seine Armee zur Durchsetzung der administrativen Maßnahme einzusetzen. In

112 Carl Cornelius Souchay war mit Helene Elizabeth Schunck (1774–1851) verheiratet, und integrierte all ihre Brüder in das Handelsnetzwerk der Familie Mylius. Einer seiner Söhne, Johann Daniel (1798–1871), heiratete dann seine Cousine Thekla Schunck (1809–1876). Ein Stammbaum der Familie ist zu finden in: Roth, Max Webers deutsch-englische Familiengeschichte, S. 631. 113 G. Roth, „Weber the Would-Be Englishman“, in: Hartmut Lehmann / Guenther Roth (Hrsg.), Weber's Protestant Ethic: Origins, Evidence, Contexts, New York 1995, S. 114. 114 E. Jaffé, „Die englische Baumwollindustrie und die Organisation des Exporthandels“, Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung 24,3 (1900), S. 193–217, hier S. 200. Dazu: Roth, Max Webers deutsch-englische Familiengeschichte, S. 58–59. 115 Erwähnt in: H. Wartmann, Industrie und Handel des Kantons St. Gallen auf Ende 1866. In geschichtlicher Darstellung, St. Gallen 1875, S. 326.

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Frankfurt durchsuchten französische Truppen alle Handelsdepots und am 17. November verbrannten sie die beschlagnahmte Ware (cf. Abb. 5).116 Mayer Amschel Rothschild musste eine Geldstrafe von 20.000 Franken zahlen, Simon Moritz von Bethmann eine von 360.000 Franken.117 Mailand erging es genauso: englische Ware, die von Heinrich Mylius importiert wurde, wurde im November 1810 konfisziert und verbrannt.118 Die Preise für Zucker, Kaffee und Baumwollstoffe stiegen schlagartig. Während in Mailand die kostbaren Waren in Flammen aufgingen, machten satirische Flugblätter, die diesen „Kaiser und König, der in Zucker und Kaffee handelte“ schmähten, die Runde.119 In London notierte der italienische Flüchtling Pananti folgenden Witz: „Nach den Edikten von Berlin und Mailand überraschte Napoleon einen seiner Minister, der seinen geliebten Kaffee genoss. ‚Sie kennen‘, fragte er wütend, meine Edikte gegen Kolonialwaren, und Sie wagen es Kaffee zu trinken?‘ ‚Sire‘, war die Antwort, ‚er wurde verbrannt‘“.120 Satire war die Antwort der Unterdrückten, für die nun alles teurer wurde. Händler hatten hingegen nur ihre Investitionsstrategien und Handelsrouten zu verändern, um einen noch höheren Profit erwirtschaften zu können. Das riskante Schmuggelgeschäft wurde verlegt, vermindert oder aufgegeben, während die enormen Profite, die in so kurzer Zeit erwirtschaftet worden waren, in neuen Unternehmungen investiert werden konnten. Die Vermarktung der wachsenden Staatsschulden europäischer Staaten und die Finanzierung der kämpfenden Armeen zählten zu den lukrativsten Investitionsmöglichkeiten. Nathan Rothschild gründete seine Londoner Bank 1808 und verließ Manchester 1811. Zur gleichen Zeit wurde Mylius & Aldebert aufgelöst. An ihre Stelle traten eine Reihe neugegründeter Unternehmen, die durch ein informelles Netzwerk miteinander verbunden waren, das ähnlich funktionierte wie das der Rothschild-Häuser. Die Familien Souchay, Mylius und Schunk waren in allen neuen Gesellschaften, die sie in Leeds, Manchester, Mailand, Frankfurt und Neapel eröffneten, weiter aneinander gebunden. Die Verflechtung ihres Netzwerkes wurde, wie üblich, durch mehrere Eheschließungen gestärkt.121 Heinrich Mylius, der sich ein Vermögen122 und eine ausgezeichnete Position in der lokalen business elite erworben hatte, gründete also 1811 in Mailand Enrico

116 J.P. Freiherr von Bethmann (Hrsg.), Bankiers sind auch Menschen, Frankfurt a.M., 1973, S. 134. 117 N. Ferguson, The House of Rothschilds Money’s Prophets 1798–1848, London 1998, S. 58– 59. 118 A. Moioli, „Enrico Mylius Negoziante e Banchiere“, in: R. Pavoni (Hrsg.), ‚… rispettabilissimo Goethe… Caro Hayez… adorato Thorvaldsen…‘. Gusto e cultura europea nelle raccolte d’arte di Enrico Mylius, Venedig 1999, S. 31. 119 Cantù, Grande Illustrazione, S. 271. 120 F. Pananti, Opere in Versi E in Prosa Del Dottor Filippo Pananti, Florenz 1824, S. 357. 121 Poettinger, Deutsche Unternehmer, S. 55. 122 In wenigen Jahren hatte Mylius schon ein beachtliches Vermögen angehäuft. 1808 konnte er einen neuen Sitz für seine Firma in Via Clerici n. 1768, in der Mitte des Mailänder Handelsbezirks kaufen. Das Comptoir war im Erdgeschoss mit Büros, Verwaltungsräumen und einem

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Mylius e Compagni,123 sein eigenes Bankhaus für Seidenhandel. Trotz der napoleonischen Edikte blieb der Handel mit Seide eines der profitabelsten Geschäfte in der Lombardei. Auf dem Schwarzmarkt Londons bezahlte man für Seide aus Mailand das Zwei- bis Dreifache des Festlandspreises. Das Risiko war gering: Seidenschmuggel wurde nie wirklich verfolgt und der kostbare Faden nie verbrannt. Der französische Minister Montalivet bat Napoleon 1811 darum, den Seidenhandel zwischen der Lombardei und London zu legalisieren, denn das Geschäft war eine reguläre Aktivität der lokalen Kaufleute und der Gewinn, der diesem entsprang, die wichtigste Einnahmequelle der Region.124 Die Profitabilität des lombardischen Seidenhandels war so bedeutend, dass 1810 ein weiterer Sprössling einer Frankfurter Bankiersfamilie beschloss, nach Mailand umzusiedeln. Während der ältere Bruder, Marquard Georg Seufferheld (1781–1848), die Bank der Familie in Frankfurt weiterleitete, gründete Ludwig Franz Seufferheld (1792–1853) sein eigenes Haus für Seidenhandel und Bankgeschäfte in Mailand. In den nächsten 50 Jahren pflegten vor allem die Handelshäuser Mylius und Seufferheld Verbindungen von der Lombardei zum Finanz- und Wirtschaftsplatz Frankfurt. Sie begünstigten den Strom von Kapital in den Seidenzyklus und infolgedessen das Wachstum der Seidenverarbeitung in Deutschland durch die Lieferung von Rohseide und Seidenfäden. Während der Restauration waren ihre Investitionen entscheidend für den Modernisierungsprozess der Seidenproduktion in der Lombardei. Beide Unternehmer erlangten in Mailand einen hohen sozialen Status. Ihre Netzwerke umfassten die immigrierte protestantische Kaufmannschaft und die lokale Elite. Ludwig Seufferheld heiratete die Schwester von Louise Maumary, während Mylius die Heirat von Massimo d’Azeglio zu arrangieren verhalf. Die ‚Expertise‘ mit gemischten Hochzeiten hatte Mylius durch seinen eigenen Sohn erlangt. Giulio Mylius hatte in die Patrizierfamilie Arese, deren Vermögen von den Kramers verwaltet wurde,125 eingeheiratet.126 Die enge Freundschaft der Familien Kramer und Mylius war zwar nicht von Ehen untermauert, wurde aber von der engen Beziehung ihrer Söhne getragen. Antonio Kramer (1806–1853) und Giulio

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Fumoir mit 162 Gemälden. Die erste und die zweite Etage waren von Repräsentanzräumen und den privaten Apartements von Partnern und Angehörigen der Firma besetzt. Der Preis für dieses bemerkenswerte Gebäude betrug 148.000 italienischen Lire, eine Summe, die den Erfolg des Unternehmens in dieser turbulenten Zeit deutlich macht. Dazu: Protocollo di notifica 27 Settembre 1808, ACCM, registro ditte, ad nomen; und F. Baasner, „Enrico Mylius (1769– 1854): imprenditore, mecenate, patriarca, in I Mylius-Vigoni. Italiani e tedeschi nel XIX e XX secolo“, in: ders. (Hrsg.), I Mylius-Vigoni. Italiani e Tedeschi nel XIV e XX Secolo, Florenz 1994, S. 11. Circolare di notifica 1 Luglio 1811, ACCM, registro ditte, ad nomen. Zitiert in: S. Woolf, Napoleon’s Integration of Europe, London 1991, S. 154. R. Bonfadini, Vita di Francesco Arese, Turin / Rom 1894, S. 119. Über diese Ehe siehe: T. Besing / G. Meda / S. Bertolucci, „‚L’Eccellente uomo‘ Enrico Mylius: committenza, mecenatismo e mediazione culturale”, in: Pavoni (Hrsg.), ‚... rispettabilissimo Goethe… Caro Hayez… adorato Thorvaldsen…‘, S. 56.

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Mylius (1800–1830) besuchten zusammen die Schule in Elberfeld und waren später in eine Reihe gemeinsamer Projekte involviert. Die engen Verbindungen der Familien Kramer, Mylius, Seufferheld, Manzoni und d’Azeglio lässt sich auch anhand der in nächster Nachbarschaft gelegenen Villen am Comer See ablesen, die von den Familien erbaut oder gekauft wurden.127 In den Sommermonaten wurden täglich Besuche arrangiert und die Beziehungen gepflegt und befestigt. In diesen Kreisen war Mäzenatentum eine Selbstverständlichkeit und man schätzte neben wirtschaftlicher Innovation, politischem Engagement und wissenschaftlichen Bestrebungen auch Musik, Architektur und Literatur. Durch die Bemühungen der Angehörigen all dieser Familien wurde zwischen Frankfurt und Mailand eine dauerhafte kulturelle Verbindung geschaffen128 und Meisterwerke der Kunst genauso wie Neuigkeiten der Finanz, der Technik und der Wissenschaft bekannt gemacht und ausgetauscht.129 Dieser kosmopolitische Kreis umfasste mit Erfolg Angehörige mehrerer Nationalitäten, Religionen und Stände und wurde somit zu einen Vorbild für die fortschrittlichsten Gesellschaftsschichten in Mailand.130 In der Zeit der Restauration folgten viele Intellektuelle, Wissenschaftler und negozianti diesem Beispiel und Mylius konnte die führende Rolle übernehmen, die einst Adam Kramer innnehatte. Das Vertrauen der mailändischen Elite wurde nicht enttäuscht. Heinrich Mylius modernisierte nicht nur die lokale Seidenproduktion, wofür seine Haspelanstalt in Boffalora berühmt wurde, sondern investierte in die innovativsten Unternehmungen der Lombardei und unterstüzte die Ausbildung und Spezialisierung der lokalen Arbeiterschaft durch die Gesellschaft für die Förderung von Industrie, Kunst und Gewerbe, welche er mitgründete und lebenslang finanzierte und leitete.131 Indem seine Handelsbank Vertrauenskrisen vermied und für in Konkurs geratene Handelshäuser bürgte, wie im Falle des Handelshauses Simonetta, übte Mylius auch eine finanziell stabilisierende Rolle auf die Wirtschaft der Region aus.132 Die Lombardei verfügte zu der Zeit nicht über eine Zentralbank und es fehlten auch größere Kreditinstitute, denn die österreichische Regierung

127 Poettinger, Deutsche Unternehmer, S. 92–95. 128 S. Bertolucci / C. Liermann / G.i Meda Riquier / A. Venturelli (Hrsg.), Goethe, Cattaneo, Mylius, Menaggio 2004. 129 Es ist beispielsweise Heinrich Mylius zu verdanken, dass Alessandro Manzoni’s „Promessi Sposi“ Goethe zur Kenntnis gebracht wurde. Siehe: E.N. Girardi (Hrsg.), Goethe e Manzoni. Rapporti tra Italia e Germania intorno al 1800, Florenz 1992. 130 Beispielhaft ist der Fall der Kommanditgesellschaft „ Pasquale de Vecchi e C.“ für Seidenhandel, gegründet in Mailand in 1844, die von Ludwig Seufferheld, Protestant, seinem katholischen Schwager Massimo d’Azeglio und Sebastiano Mondolfo, jüdischer Herkunft, finanziert wurde (ACCM, registro Ditte, ad nomen). 131 Über die Rolle dieser Gesellschaft in der Industrialisierung und Modernisierung der lokalen Wirtschaft siehe: C.G. Lacaita, L'intelligenza Produttiva, Imprenditori, tecnici e operai nella Società d'Incoraggiamento d'Arti e Mestieri di Milano (1838–1988), Mailand 1990. 132 Poettinger, Deutsche Unternehmer, S. 189–191.

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hatte nie die Gründung einer Bank als Aktiengesellschaft genehmigt. Die Funktion der Marktstabilisierung wurde also von der Kaufmannschaft selbst ausgeübt. Wenn einer oder mehrere Konkurse die Stabilität des Systems gefährdeten, sprangen einige der kreditwürdigeren Privatbanken ein und garantierten ein kontrolliertes Liquidationsverfahren.133 Das Vertrauen des Marktes konnte auf diese Weise gewahrt und ein Dominoeffekt vermieden werden. Mylius & Co. war ein solches stabilisierendes Institut, wenn nicht sogar die solideste Bank Mailands, was sie nicht zuletzt ihrem Zugang zum Kapitalmarkt Frankfurts zu verdanken hatte. Innovationsfördernd auf der Seite der Manufaktur, doch auch als Garant der finanziellen Stabilität des Systems, trug das Handelshaus von Heinrich Mylius entscheidend zu der wirtschaftlichen Entwicklung der Lombardei bei. Aber das kosmopolitische Netzwerk, das Mylius zwischen Frankfurt und Mailand schuf, erleichterte der mailändischen Elite auch kulturell den Sprung in die Moderne. Eine solche führende Rolle wurde von der lokalen Kaufmannschaft und der österreichischen Regierung mit nicht minderen Ämtern und Anerkennungen als die von Adam Kramer gewürdigt.134 7. FAZIT Gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts wanderten Kaufleute und Unternehmer aus der Schweiz, Frankreich und den deutschen Staaten in die Lombardei ein, angetrieben von den unternehmerischen Möglichkeiten, die die Seiden- und Baumwollproduktion versprachen. Alle waren Teil der Ströme von Waren, Kapital und Menschen, die den Handelsrouten folgten und immer weitere Netzwerke bildeten. Durch ihren Erfolg und die politische Anerkennung, die ihnen gewährt wurde, setzten sie ein Beispiel dafür, wie politische Unterdrückung nicht durch Revolutionen, sondern durch Wohlstand und soziales Engagement umgangen werden konnte. Sie vereinten sich zu einer neuen Wirtschaftselite, die sich durch ihre Position zu Innovation, Liberalismus und Kosmopolitismus auszeichnete. Melchiorre Gioia, lombardischer Philosoph und Nationalökonom,135 beschrieb diesen sozialen Wandel mit besonderer Klarheit: In Italien hatte das 19. Jahrhundert gerade erst begonnen, als eine große Veränderung der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung eintrat: die Klasse, welche fast ein Fünftel des Territoriums besaß, war verschwunden und die Klasse mit dem Recht, Tausende von Bauern in Knechtschaft zu zwingen, verzichtete darauf. Spontan oder aus moralischer Notwendigkeit. Eine neue soziale Klasse mit weniger Reichtum als Intelligenz und Unternehmungslust tauchte stattdessen auf.

133 M. Poettinger, „Crises and Merchant Networks in the nineteenth century: The Case of German Networks in Lombardy“, The Historical Review / La Revue Historique 10 (2013), S. 11–32. 134 Siehe: Poettinger, „Imprenditori tedeschi“, S. 346. 135 Zu Melchiorre Gioia siehe: M. Paganella, Alle origini dell'unità d'Italia: il progetto politicocostituzionale di Melchiorre Gioia, Mailand 1999; P. Barucci, Il pensiero economico di Melchiorre Gioia, Mailand 1965.

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Monika Poettinger In Industrie und Handel vereinigte sie die entgegengesetzten Enden der sozialen Skala, Opulenz und Armut. Diese neue Klasse zersplitterte die alte, indem sie zwischen ihnen vermittelte, sie lehrte diejenigen, die alles besaßen, all die, die nichts besaßen, zu respektieren und nicht zu bemitleiden. Jeder Familienvater wollte seinen Mitmenschen nur eine bürgerliche Tugend zeigen: diese Liebe, die nützliches Handeln erregt, die oft auf grenzenlose Erwartungen setzt, nur Profit vorsieht und sich mit unsicheren Hoffnungen nährt. Die allgemeine Tendenz, sich selbst zum Wohlstand zu erheben, übte ihren erheblichen Einfluss auch auf die Klasse der Ärmeren aus: ergriffen von ihrer eigenen sozialen Bedeutungslosigkeit fragten sie nicht mehr nach Almosen, sondern nach Arbeit.136

Während der Restauration konnte die Saat, die unter der napoleonischen Herrschaft angerichtet worden war, in Versicherungsgesellschaften, Aktiengesellschaften, Mechanisierung von Seiden- und Baumwollproduktion, Zeitschriften, Verlegern und technischen Schulen gedeihen:137 Eine ökonomische Renaissance wurde entfacht, die fest im Glauben verankert war, dass harte Arbeit, Vertrauen, Verantwortung, wissenschaftliche und technische Kenntnisse nicht nur erfolgsbringend und vermögensbildend sein konnten, sondern vor allem die eigene Freiheit garantieren konnten.

136 M. Gioia, Sul commercio dei combustibili e caro prezzo del vitto, Mailand 1804, S. VI. 137 Siehe: Poettinger, „Imprenditori tedeschi“.

Abbildungen

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Abbildung 1: Das Palais Schweitzer‐Allesina (Rotes Haus) 1793, Ölgemälde von Johann Ludwig Ernst Morgenstern, in: Ferdinand Luthmer (Bearb.), Die Bau- und Kunstdenkmäler des östlichen Taunus. Im Auftrag des Bezirksverbandes Regierungsbezirkes Wiesbaden, Kommissionsverlag Heinrich Keller, Frankfurt a.M. 1905, S. 73.

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Abbildung 2: Das Gartenhaus der Guaitas am Main (vorne links). Ansicht der Stadt Frankfurt vom Untermain um 1847 am Main, gemalt von Carl Theodor Reiffenstein (1820–1893), in: C.T. Reiffenstein, Frankfurt am Main, die freie Stadt, in Bauwerken und Straßenbildern, Frankfurt/M. 1894.

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Abbildung 3: Der Bolongaro‐Palast in Höchst von der Mainseite um 1850 nach einer Lithographie von Philipp Jacob Bauer (1792–1838), in: O.V., Die Bau‐ und Kunstdenkmäler des östlichen Taunus. Landkreis Frankfurt, Kreis Höchst, Obertaunus‐ Kreis, Kreis Usingen, Wiesbaden 1973, S. 26.

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Abbildung 4: Luisa D’Azeglio Blondel Maumery von Eliseo Sala. Aus: Galleria d’Arte Moderna, Milano, Foto: Umberto Armiraglio.

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Abbildung 5: Öffentliche Verbrennung der englischen Waren auf dem Fischerfeld. Aus: Historisches Museum Frankfurt (Inventar‐Nummer HMF.B1426), Foto: Horst Ziegenfusz.

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Abbildung 6: Divina Commedia von Dante. Geschenk an die Frankfurter Stadtbibliothek von Herrn Heinrich Mylius in Mailand etablirtem hiesigen Bürger und Banquier. Eingegangen am 26. Juli 1834. Vergl. Senatsbeschluß vom 11. Aug. 1834. Aus: Universitätsbibliothek J.C. Senckenberg Frankfurt am Main, Ms. lat. qu.57.

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Abbildung 7: Vom Magistrat von Frankfurt am Main georderte Bronzemedaille auf Heinrich Mylius und seine Gemahlin Friderike Schnauß, Links: Büsten des Ehepaares, Rechts: Sitzende Barmherzigkeit reicht Bedürftigem Geldbörse, 1845, Luigi Cossa, Mailand. Aus: Auktionshaus Arnold in Frankfurt am Main, mit freundlicher Genehmigung.

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Abbildung 8: Francesco Hayez (inv.), Plafond‐Gemälde im Königlichen Schlosse zu Mayland, Kupferstich (?). Aus: Der Adler, 182, 11. September 1838, S. 851.

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Abbildung 9: Francesco Hayez, Die beiden Foscari. Autochrom (?). Aus: Romantici italiani provenienti dalla Casa d'Austria e Collezione Bolasco, Mailand 1928, Taf. IV.

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Abbildung 10: Francesco Hayez (inv.), A. Appiani (dis.), D. Gandini (inc.), Victor Pisani, délivré de prison, et porté par le peuple devant la Seigneurie. Kupferstich / Radierung. Aus: Album: Esposizione di Belle Arti in Milano 4 (1840), Taf. VI.

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Abbildung 11: Francesco Hayez, Valenza Gradenigo trifft auf die Inquisition unter Vorsitz ihres Vaters, Öl auf Leinwand. Aus: Auktionskatalog Christie’s „19th Century European Art Including Spanish Pictures“, 18. November 2004, Lotto 46.

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Abbildungen

Abbildung 12: Francesco Hayez (inv.), C. Raimondi (inc.), Francesco‐Giuseppe I. Imperatore d'Austria, d’Ungheria, Boemia, Lombardia, Venezia ecc. ecc. ecc, Venedig 1853, Stahlstich. Aus: Privatsammlung.

Abbildungen

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Abbildung 13: Francesco Hayez (inv.), De Maurizio (dis.), Barni (inc.), Ritratto del Professore Cavaliere Francesco Hayez, dipinto da lui medesimo Kupferstich (?). Aus: Album: Esposizione di Belle Arti in Milano ed in altre città d'Italia 12 (1850), Taf. I.

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Abbildung 14: Francesco Hayez, Bildnis des Feldmarschalls Radetzky. Historische Photographie des Radetzky‐Saals im neuen Militärkasino am Schwarzenbergplatz (Wien). Aus: Österreichische Illustrierte Zeitung 41, 9. Juli 1911, S. 1004.

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Abbildung 15: Pelagio Palagi (1775–1860), Heinrich Mylius, 1831, Öl auf Holz. Aus: Villa Vigoni, Loveno di Menaggio, Eigentum der Bundesrepublik Deutschland, Bundesministerium für Bildung und Forschung.

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Abbildungen

Abbildung 16: Francesco Hayez (1791–1882), Luigia Vitali, verw. Mylius, 1832, Öl auf Holz. Aus: Villa Vigoni, Loveno di Menaggio. Eigentum der Bundesrepublik Deutschland, Bundesministerium für Bildung und Forschung.

HEINRICH MYLIUS ALS MÄZEN Lokales Wirken und universelle Netzwerke in Frankfurt und Europa Ellinor Schweighöfer Abstract: Around the middle of the 19th century, Heinrich Mylius donated a substantial amount of money to his native city Frankfurt am Main. Yet, compared to other generous patrons, he is relatively unknown within the historiography of the city. One of the reasons for this was his ‘subtle’ patronage: he neither wanted any honours, nor did he appear in person when being charitably active in Frankfurt. Instead, his close friend Eduard Rüppell, a famous explorer and respected citizen of Frankfurt, carried out the transactions related to Mylius’ charity. Furthermore, the charitable work was deeply embedded in Mylius’ broad transnational European network of family members, friends and business partners. A close look at this network reveals Mylius as acting on a pan-European scale in the spheres of business, culture and politics. He might even seem to be a pioneer of an increasingly united Europe. Questions of national, cultural and confessional identity turn out to be relevant in the daily life, as well as the strategic planning of the 19th century European business elite. However, they seem marginal compared to the strength of those ties, which are shaped through socio-economic likeness. The networks connected by those ties and the individuals forming those networks transcended borders of various kinds: state borders, confessional boundaries, language barriers, geographical distances etc. Based on an examination of Mylius’ charitable activities in Frankfurt, this essay unfolds his transnational European networks and contextualises Heinrich Mylius within the historical research on transnational biographies and transnationality.

1. EINLEITUNG: TRANSNATIONALE NETZWERKE Kaum zwanzigjährig war der in Frankfurt am Main geborene Heinrich Mylius (1769–1854) in die Lombardei gezogen, um eine Filiale des Frankfurter Handelshauses seiner Familie in Mailand zu eröffnen. Zeitlebens blieb die Lombardei seine Wahlheimat.1 In der Spätphase seines Lebens, ab den 1840er Jahren, tat er sich auf vielfältige Weise als Mäzen für seine Geburtsstadt hervor. Bei den größeren Geldzuwendungen handelte es sich um folgende Beträge und Stiftungszwecke:

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Zur Biographie Heinrich Mylius’ vgl. F. Baasner, „Heinrich Mylius (1769–1854). Unternehmer, Mäzen, Patriarch“, in: ders. (Hrsg.), Die Mylius-Vigoni. Deutsche und Italiener im 19. und 20. Jahrhundert (Reihe der Villa Vigoni Bd. 8), Tübingen 1992, S. 5–20; zu der Familie Mylius und der mit ihr verbundenen Firmengeschichte vgl. auch detailliert M. Poettinger, Deutsche Unternehmer im Mailand des neunzehnten Jahrhunderts. Netzwerke, soziales Kapital und Industrialisierung, Lugano / Mailand 2012, S. 53–59, 61, 63.

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An das Versorgungshaus, eine Bürgerstiftung, die sich der Fürsorge für Alte, Schwache und chronisch Kranke widmete, gab er 30.000 fl. (Gulden) im Jahr 1840, 15.000 fl. im Jahr 1844 und 1.000 fl. im Jahr 1849; an die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft gab er 10.000 fl. im Jahr 1839 als Kapital, dessen Erträge die Stelle eines Museumskustos finanzierten, in den 1840er Jahren etwa 7.000 fl. für die Bibliothek und Mobiliar sowie in den 1850er Jahren 8.000 fl. als Kapital, dessen Erträge als Honorar für regelmäßige naturwissenschaftliche Vorträge dienen sollten; im Jahr 1842 gab er 20.000 fl. an die Frankfurter „Niederländische Gemeinde Augsburger Confession“; im Jahr 1845 gab er 20.000 fl. zur Errichtung einer dritten Kleinkinderschule in der Stadt.2

Die Summen waren hoch – die eben genannten Geldspenden belaufen sich auf insgesamt 110.000 fl., was zu dieser Zeit etwa 28 Jahresgehältern von Beamten im höheren Staatsdienst entsprach.3 Weitere Schenkungen, deren Höhe sich nicht so einfach beziffern lässt, die jedoch zweifellos einem hohen Gegenwert entsprachen, sind überliefert: so etwa ein Dante-Manuskript (siehe Abb. 6), das Mylius der Stadtbibliothek überließ, und seltene Medaillen, die ebenfalls an die Stadtbibliothek gingen. Weitere Empfänger von Mylius’ Zuwendungen waren polytechnischer Verein, Taubstummeninstitut, Witwenkasse und Pestalozzi-Stiftung.4 Mylius’ Zeitgenossen in Frankfurt sahen ihn als mildtätigen Stifter. Für sie war er nicht in erster Linie Handelsmann in Italien, sondern Frankfurter Mäzen. Unter den Männern, welche trotz dem, daß sie schon in ihrer Jugendzeit Frankfurt verließen und auswärts einen dauernden Aufenthalt nahmen, dennoch ihrer Vaterstadt nicht bloß ein

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Vgl. H.-O. Schembs, Versorgungshaus und Wiesenhüttenstift. Zum 75jährigen Bestehen des Stiftungsgebäudes in der Richard-Wagner-Straße, Frankfurt a.M. 1986, S. 25; Frankfurter Volksbote, Nr. 18, 30.4.1854, S. 73, Nr. 28, 9.6.1854, S. 115; Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt a.M. (im Folgenden: ISG FFM): Niederländische Gemeinde Augsburger Confession I, 477; ISG FFM: Nachlassakten, Signatur 1856/280; ISG FFM: Nachlassakten, 1845, 7.453; 7.455; ISG FFM: Dr. Senckenbergische Stiftung, V 48, 450; Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, V 176, 654; ISG FFM: Nachlassakten, Signatur 1845/7455. Eine Einschätzung darüber, welchen Wert eine bestimmte Summe zu einer bestimmten Zeit darstellte, kann freilich immer nur näherungsweise erfolgen. Der oben angestellte Vergleich orientiert sich an folgenden Eckdaten: Das durchschnittliche Jahresgehalt eines Geschäftsträgers oder Legationssekretärs (Diplomatischer Dienst) betrug um die Mitte des 19. Jahrhunderts 3.000 bis 5.000 fl. Gesandte verdienten deutlich mehr, vgl. E. Schweighöfer, Bismarcks erste Bühne. Frankfurt am Main und der Deutsche Bundestag, Nordstrand 2013, S. 116. Frankfurter Volksbote, Nr. 28, 9.6.1854, S. 115.

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treues Andenken bewahrten, sondern ihrer Liebe und Anhänglichkeit an dieselbe durch großartige Spenden an die heimathlichen Wohlthätigkeitsanstalten und wissenschaftlichen Institute in glänzender Weise beurkundeten, nimmt Heinrich Mylius eine fast einzige Stelle ein.5

Mit diesen Worten würdigte noch 1861 der vormalige Frankfurter Bürgermeister Eduard Heyden in seiner Biographie städtischer Berühmtheiten das mäzenatische Engagement Heinrich Mylius’. Aus heutiger Sicht muss es umso mehr verwundern, dass er trotz des beachtlichen Ausmaßes seines Mäzenatentums – in Frankfurt und an anderen Orten – vergleichsweise unbekannt ist.6 Bereits die Zeitgenossen Mylius’ lieferten eine Begründung hierfür: Mylius hatte seine guten Taten in „in bescheidener Verschwiegenheit“ vollbracht.7 Nach Mylius’ Tod gab es die Vermutung, dass gar nicht alle seine Wohltätigkeiten bekannt geworden seien und dass der Wert der unbekannten Zuwendungen den der bekannten sogar noch überstiegen habe.8 Im Vergleich zu anderen Mäzenen ist Heinrich Mylius vergleichsweise wenig erforscht und auch in den Forschungen der letzten Jahrzehnte zur Person Heinrich Mylius’ nahm sein Frankfurter Mäzenatentum keinen besonders hohen Stellenwert ein.9 In der aktuelleren Literatur, die sich mit der Geschichte des Mäzenatentums auseinandersetzt, findet sich eine These, die diese Begründung in einen größeren und weitreichenden Kontext stellt: Heinrich Mylius habe vor allem als Privatmann gewirkt. Als solcher habe er „politisch subtil“ und vor allem lokal agiert. Dass er trotzdem transnationale Zusammenhänge im Blick gehabt und sich auf einer pan-europäischen Ebene bewegt habe, lasse ihn als Vordenker des zusammenwachsenden Europa gelten.10 Auf den ersten Blick erscheint diese These gewagt, auf den zweiten Blick, durch die Korrelation der transnationalen Funktionsweise des verzweigten Familien- und Ge-

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E. Heyden, Gallerie berühmter und merkwürdiger Frankfurter. Eine biographische Sammlung, Frankfurt a.M. 1861, S. 594. Vgl. auch die Rezension zu dem Buch in: Theologisches Literaturblatt, Jg. 39, Nr. 41, 21.5.1862, Sp. 493–496. 6 Vgl. C. Pregla, „Maecenas Erben. Vom Mäzenatentum zum Sponsoring? Gründungsideen und heutige Organisationsformen“, Opusculum 38 (2009), S. 22. 7 Frankfurter Volksbote, Nr. 18, 30.4.1854, S. 73; Heyden, Gallerie, S. 597. 8 Frankfurter Volksbote, Nr. 18, 30.4.1854, S. 73. 9 Vgl. G. Meda Riquier / V. Usselmann / C. Liermann Traniello, Enrico Mylius 1769–1854. Una biografia. Heinrich Mylius 1769–1854. Eine Biographie, Loveno di Menaggio 2019, S. 73–78. 10 So lauten Thesen Corinna Preglas, die Heinrich Mylius und andere in die Geschichte des neuzeitlichen Mäzenatentums eingeordnet und dabei breite Linien bis in die Gegenwart gezogen hat. Vgl. Pregla, „Maecenas Erben“, S. 22. Auch Hinweise zu konkreteren Motiven finden sich jedoch in der Forschungsliteratur. So schreibt Carsten Kretschmann, dass Mylius die „Liebe zum naturwissenschaftlichen Studium im Allgemeinen“ verbreiten und somit die Popularisierung der Naturwissenschaften vorantreiben wollte. Die Stiftung von Vorlesungen der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft sei etwa daran gebunden gewesen, dass sie bestimmten Gymnasiasten und Lehrern kostenfrei zugänglich gemacht werden sollten. Vgl. C. Kretschmann, Räume öffnen sich. Naturhistorische Museen im Deutschland des 19. Jahrhunderts, Berlin 2006, S. 250.

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schäftswerkes und des persönlichen Netzwerkes von Mylius mit seinem Mäzenatentum, finden sich jedoch Hinweise, welche diese Annahme plausibilisieren und präzisieren können. Die familiären, freundschaftlichen und unternehmerischen Verbindungen von Heinrich Mylius waren sowohl für sein mäzenatisches Wirken als auch seine Positionierung als ‚Europäer‘ ausschlaggebend – so die Hypothese dieses Aufsatzes. Mylius war als Person und Akteur – bei seinen geschäftlichen wie auch seinen mäzenatischen Betätigungen – eingebettet in ein Netzwerk geschäftlicher, familiärer und freundschaftlicher Kontakte. Er war dabei ‚deutsch-italienischer‘ Grenzgänger, also durch seinen Lebenslauf verbunden mit beiden semantischen Räumen – von der deutschen oder der italienischen Nation im heutigen Sinne kann für den Untersuchungszeitraum freilich noch nicht gesprochen werden, sehr wohl aber im Sinne einer semantischen Konstruktion. Auch seine Unternehmungen und Handlungen sind zwischen diesen Räumen zu verorten.11 Kann Mylius damit als besonders europäischer Akteur, vielleicht sogar ‚Vorreiter Europas‘, angesehen werden und welche Rolle spielten dabei seine – mutmaßlich transnationalen – Netzwerke? Am Beispiel seiner mäzenatischen Betätigungen in Frankfurt am Main sollen diese Fragen geklärt werden. Damit soll der vorliegende Aufsatz einen Beitrag zu der in den letzten 10 bis 15 Jahren immer tiefergehenderen Forschung zu sogenannten „transnationalen Biographien“ leisten. Während sich die ‚klassische‘ Biographie oftmals stark an der Kategorie der Nation orientiert, nimmt sich die ‚transnationale Biographie‘ verstärkt der grenzüberschreitenden Mobilität in den verschiedenen Lebensbereichen, zum Beispiel Ehe und Familie, Ausbildung und Beruf, Ideen, Ideologien und Erfahrungen etc., an.12 Im Rahmen des „biographical turn“ der letzten zwei Jahrzehnte rückten Individuen in ihrer Einbettung in politische, soziale, kulturelle und situative Kontexte wie auch mit ihren individuellen Handlungs- und Gestaltungsspielräumen sowie ihrer Positionierung in diesen Kontexten in den Fokus des

11 Vgl. A. Fahrmeir, Die Deutschen und ihre Nation. Geschichte einer Idee, Stuttgart 2017, bes. S. 15–21. 12 Vgl. D. Deacon / P. Russell / A. Woollacott, „Introduction“, in: dies. (Hrsg.), Transnational Lives. Biographies of Global Modernity, 1700 – present, New York / Basingstoke 2010, S. 1– 14. Vgl. auch M. Weber, „Zur Aktualität geschichtswissenschaftlicher Erforschung grenzüberschreitender Biographien zwischen Mittel- und Osteuropa“, in: T. Weger (Hrsg.), Grenzüberschreitende Biographien zwischen Ost- und Mitteleuropa, Frankfurt a.M. / Berlin / Bern 2009, S. 67–76. Besonders einschlägig ist auch der Aufsatz von M.F. Fernández Chaves / M. Gamero Rojas, „Nations? What Nations? Business in the Shaping of international Trade Networks. Seville in the eighteenth Century“, in: M. Herrero Sànchez / K. Kaps (Hrsg.), Merchants and Trade Networks in the Atlantic and the Mediterranean, 1550–1800. Connectors of commercial maritime Systems, London / New York 2017, S. 143–168, der sich am Beispiel frühneuzeitlicher Händler in Sevilla mit der Orientierung an der Kategorie der „Nation“ durch die Geschichtswissenschaft bzw. die Transzendierung dieser Kategorie in der Forschung auseinandersetzt. Für eine disziplinär andere Perspektive vgl. auch den methodisch reflektierten Ansatz von N. Glick Schiller / A. Wimmer, „Methodological Nationalism and beyond. Nation-State Building, Migration and the Social Sciences“, Global Networks 2,4 (2002), S. 301–334.

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wissenschaftlichen Interesses.13 Ein weiteres Beispiel für aktuelle Forschungstendenzen, in die sich die hier vorliegende Studie ebenfalls einordnen lässt, ist die Auseinandersetzung mit größeren Familienverbünden, die über verschiedene geographische Standorte verstreut miteinander interagierten und agierten.14 Der transnationale Ansatz für die Analyse von individuellem Handeln sowie die Untersuchung transnationaler Akteure hat in den letzten Jahren große Bedeutung erlangt und trägt jeweils dazu bei, die Funktionsweisen grenzübergreifender Verbindungen, Interaktionen und Wechselwirkungen zu verstehen.15 Transnationalität bezeichnet Phänomene jeglicher Art, die nicht innerhalb von Nationsgrenzen verortbar, sondern grenzüberschreitend sind, ohne dabei jedoch die Kategorie der Nation ganz außer Acht zu lassen oder gar zu negieren.16 Auch die Biographie Heinrich Mylius’ sollte nicht nur als die eines deutschen Kaufmannes gelten, sondern hier die Möglichkeit einer ‚Mehrfachzugehörigkeit‘ eingeräumt werden. Auf dem Gebiet der Wirtschaftsgeschichte stehen transnationale Verbindungen und Wechselbeziehungen zudem schon länger im Fokus des Interesses.17 Monika 13 Vgl. M. Rolf, „Einführung: Imperiale Biographien. Lebenswege imperialer Akteure in Großund Kolonialreichen (1850–1918)“, Geschichte und Gesellschaft 40 (2014), S. 5–21. 14 Vgl. z.B. C. Drieënhuizen, „Social Careers Across Imperial Space. An Empire Family in the Dutch-British World, 1811–1933“, The Journal of Imperial and Commonwealth History 44,3 (2016), S. 397–422. 15 Vgl. N.L. Green, „The Trials of Transnationalism. It’s not as easy as it looks“, The Journal of Modern History 89 (2017), S. 851–874, hier bes. S. 857–861; A. Dietze / K. Naumann, „Revisiting transnational Actors from a spatial Perspective”, European Review of History. Revue Européenne d’Histoire 25 (2018), S. 415–430, hier v.a. S. 415–417. Mit dem Forschungsfeld deutscher Akteure im Ausland setzt sich auseinander D. Blackbourn, „Germans abroad and Auslandsdeutsche. Places, Networks and Experiences from the Sixteenth to the Twentieth Century“, Geschichte und Gesellschaft 41 (2015), S. 321–346. Vgl. auch den wegweisenden Aufsatz von H.G. Penny, „German Polycentrism and the Writing of History“, German History 30, 2 (2012), S. 265–282. 16 Vgl. H. Kaelble / M. Kirsch / A. Schmidt-Gernig, „Zur Entwicklung transnationaler Öffentlichkeiten und Identitäten im 20. Jahrhundert. Eine Einleitung“, in: dies. (Hrsg.), Transnationale Öffentlichkeiten und Identitäten im 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. / New York 2002, S. 7–33, hier S. 9; C. Leggewie, Die Globalisierung und ihre Gegner, München 2003, S. 17; J. Mittag / B. Unfried, „Transnationale Netzwerke. Annäherung an ein Medium des Transfers und der Machtausübung“, in: dies. / M. van der Linden (Hrsg.), Transnationale Netzwerke im 20. Jahrhundert. Historische Erkundungen zu Ideen und Praktiken, Individuen und Organisationen (ITH-Tagungsberichte Bd. 42), unter Mitarbeit von E. Himmelstoss, Wien 2008, S. 9–25, hier S. 10; Susan Zimmermann, „International – transnational. Forschungsfelder und Forschungsperspektiven“, in: Unfried / Mittag / van der Linden (Hrsg.), Transnationale Netzwerke, S. 27– 46. 17 Siehe z.B. H. Pohl (Hrsg.), Transnational Investment from the 19th Century to the Present, Stuttgart 1994; M. Schulte Beerbühl / J. Vögele (Hrsg.), Spinning the commercial Web. International Trade, Merchants, and Commercial Cities, c. 1640–1939, Frankfurt a.M. 2004; A. Gestrich / M. Schulte Beerbühl (Hrsg.), Cosmopolitan Network and Society 1660–1914, London 2011, und darin insbesondere den Beitrag von M. Poettinger, „German Entrepreneurial Networks and the Industrialization of Milan“, S. 268–292, der explizit auf das Mylius’sche Geschäftsnetzwerk eingeht. Vgl. als Beispiel auch M. Rieder, „Kosmopoliten an der Adria.

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Poettinger hat in den letzten Jahren eindrucksvoll dargelegt, dass die Frankfurter Handelsfamilien Mylius und Seufferheld, von denen in diesem Aufsatz noch genauer gehandelt wird, sowie zahlreiche weitere Handelshäuser aus vielen Regionen Europas in Geschäftsbeziehungen, aber auch persönlichen Verbindungen sehr eng vernetzt waren und dass dabei unter anderem der Standort Mailand eine große Rolle spielte.18 Die Forschung hat des Weiteren herausgestellt, wie verschiedene Akteure – individuell oder im Verbund von Netzwerken –, die Entstehung eines transnationalen Bewusstseins innerhalb der europäischen Eliten beförderten.19 Netzwerken sei dabei die Rolle eines Mediums zugekommen, über das sich Wissen, Normen, kulturelle Praktiken und Lebensstile grenzüberschreitend verbreitet hätten.20 Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund erscheint eine Untersuchung transnationaler Netzwerke auch vor allem im Hinblick auf kulturhistorische Aspekte geboten.21 2. FAMILIE, KONFESSION UND REGIONALE ZUGEHÖRIGKEIT Heinrich Mylius’ Vater Johann Christoph Mylius (1715–1791) stammte aus Wien, wo er als Handelsmann tätig gewesen war. 1745 ersuchte er die Stadt Frankfurt um das Bürgerrecht, das ihm gewährt wurde.22 Nach seiner Ankunft in Frankfurt hatte Johann Christoph Mylius eine Tätigkeit im Bankhaus Neufville aufgenommen.23 Die Familie de Neufville wiederum stammte ursprünglich aus der französischen Provinz Artois, ist in Frankfurt aber schon seit dem 16. Jahrhundert nachweisbar.

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Deutsche Kaufleute und Industrielle in Venedig und Triest“, in: M. Poettinger (Hrsg.), German Merchant and Entrepreneurial Migrations. Deutsche unternehmerische Migration. Migrazioni imprenditoriali tedesche (1750–1900), Lugano / Mailand 2012, S. 201–251. Vgl. für den deutsch-britischen Kontext v.a. auch M. Schulte Beerbühl, Deutsche Kaufleute in London. Welthandel und Einbürgerung (1600–1818), München 2007; J.R. Davies / S. Manz / M. Schulte Beerbühl, Transnational Networks. German Migrants in the British Empire, Leiden / Boston 2012. Vgl. Poettinger, Deutsche Unternehmer, S. 148. Für die Untersuchung kaufmännischer Netzwerke, hier im auch für den vorliegenden Sammelband relevanten Raum der Lombardei, vgl. auch M. Poettinger, „The Mercantile Network Economy and the Mechanization of Cotton Spinning and Printing in Milan (1760–1815)“, in: dies. (Hrsg.), German Merchant and Entrepreneurial Migrations, S. 253–308. Vgl. D. Rodogono / B. Sruck /J. Vogel, „Introduction“, in: dies. (Hrsg.), Shaping the Transnational Sphere. Experts, Networks and Issues from the 1840s to the 1930s, New York / Oxford 2015, S. 1–20. Mittag / Unfried, „Transnationale Netzwerke“, S. 10–11. Zu methodischen Überlegungen bezüglich historischer Netzwerkforschung vgl. z.B. ebd., S. 10, 17, und zwei weitere Aufsätze in demselben Sammelband: C. Boyer, „Netzwerke und Geschichte. Netzwerktheorien und Geschichtswissenschaften“, S. 47–58 sowie W. Neurath / L. Krempel, „Geschichtswissenschaft und Netzwerkanalyse. Potentiale und Beispiele“, in: B. Unfried (Hrsg.), Transnationale Netzwerke im 20. Jahrhundert, Leipzig 2008, S. 59–80. Vgl. ISG FFM: Ratssupplikationen, 1.745. Vgl. Baasner, „Heinrich Mylius“, S. 5.

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Zunächst war sie im Handel tätig, dann zusätzlich im Wechsel- und Speditionsgeschäft, schließlich begründete sie das Bankhaus. Im ausgehenden 18. Jahrhundert war die Familie längst als Teil des Frankfurter Wirtschaftsbürgertums etabliert.24 Johann Christoph Mylius und seine Frau Dorothea, geb. Kraus, bekamen 13 Kinder, von denen fünf das Kindesalter überlebten. Heinrich Mylius wurde 1869 als letztes Kind geboren. Den Grundstein des Mylius’schen Geschäftsimperiums legten die drei Ältesten: Katharina Elisabeth, Peter Friedrich und Johann Jakob, als Heinrich noch im Kindesalter war. 1776 heiratete die 23-jährige Katharina Elisabeth Mylius den 30 Jahre älteren Jonas Darfeldt, einen sehr erfolgreichen Frankfurter Kaufmann. Jonas Darfeldt gründete 1784, acht Jahre nach der Eheschließung, gemeinsam mit zwei seiner Schwäger, Peter Friedrich und Johann Jakob Mylius, die Firma „Darfeldt und Gebrüder Mylius“ für Leinengroßhandel und das Kommissions- sowie Speditionsgeschäft. Kurz darauf ließen sich Katharina Elisabeth und Jonas Darfeldt scheiden. Und um 1786, also zwei Jahre nach der Firmengründung, heiratete Katharina Elisabeth in zweiter Ehe den neun Jahre jüngeren Isaac Aldebert, der als Mitarbeiter in der Firma tätig war. Um das Geschäft zu erhalten, übergab Darfeldt seine Position in der Firma nach der Scheidung an Aldebert, der das Unternehmen unter dem Namen „Mylius & Aldebert“ gemeinsam mit Johann Jakob Mylius weiterführte. Der ursprüngliche dritte Geschäftspartner, Peter Friedrich Mylius, starb 1787. Kurz darauf expandierte die Firma nach Norden und Süden. Johann Jakob Mylius blieb in Frankfurt. Isaac Aldebert verlagerte den Schwerpunkt seiner Tätigkeit nach England. Ab 1788 wurde er in London tätig, ab 1802 auch in Manchester. Heinrich Mylius war mittlerweile zu einem jungen Mann herangewachsen und begann in die Geschäfte miteinbezogen zu werden. Es war wohl Isaac Aldebert, der seinen Schwager Heinrich knapp zwanzigjährig nach Mailand schickte, um eine Filiale des Frankfurter Handelshauses der Familie zu eröffnen, als er selbst – also Aldebert – nach England ging und das Leinengeschäft durch das Geschäft mit englischen Manufakturwaren ersetzte. Das Ehepaar Aldebert blieb kinderlos, zog bei sich in England aber zwei Kinder von Johann Jakob Mylius aus Frankfurt auf. Eines davon war Susanna Mylius, genannt „Nanny“, die zeitlebens in England blieb. Sie heiratete 1816 Martin Schunck (1788–1872).25 Auch dieser spielte eine relevante Rolle in dem transeuropäischen Mylius’schen Geschäftsnetzwerk und brachte durch seinen familiären Hintergrund wichtige Kontakte und Verbindungen in das Netzwerk ein. Seine Schwester Helene (1774–1851) war Ehefrau des Frankfurter Tuchhändlers Carl Cornelius Souchay (1768–1838) und hatte einen bedeutenden Salon in Frankfurt, in dem unter anderem Goethe und die Brentanos verkehrten. Der Sohn des Ehepaares, Eduard Souchay (1800–1872), spielte in der politischen Sphäre Frankfurts eine große Rolle. So war er 1832–1849 Mitglied des

24 Zur Familie de Neufville vgl. T. Picard, „Neufville, Familie de“, in: W. Klötzer (Hrsg.), Frankfurter Biographie, Bd. 2, Frankfurt a.M. 1994, S. 94–95. 25 Vgl. G. Roth, Max Webers deutsch-englische Familiengeschichte 1800–1950 mit Briefen und Dokumenten, Tübingen 2001, S. 70.

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Frankfurter Senats, 1838 Jüngerer Bürgermeister, 1832–1857 Mitglied der Gesetzgebenden Versammlung, 1848/49 Bevollmächtigter der Freien Stadt Frankfurt bei der Deutschen Nationalversammlung und ab 1868 Mitglied der Stadtverordnetenversammlung.26 Der Sohn von Martin Schunck und Nanny, Henry Edward Schunck, wiederum gilt als Schüler Justus Liebigs und wurde einer der bedeutendsten Chemiker Englands.27 Martin Schunck tat sich durch eine „werthvolle Bücherschenkung“ („in England publicirte naturhistorische Prachtwerke“) wie seine angeheiratete Familie als Förderer der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft hervor. Als Rüppell ihn bei einer Rede dankend erwähnte, verortete er ihn im familiären Kontext von Heinrich Mylius und legte auch Schuncks Bezug zu Frankfurt explizit dar: „Dieser Ehrenmann ist sogar nicht einmal ein geborener Frankfurter, sondern durch Verehelichung mit einer Nichte des edlen Heinrich Mylius […] in den hiesigen Bürgerverband getreten; auch hat er nie einen erheblichen Aufenthalt allhier gemacht.“28 Das Beispiel Schuncks zeuge davon, dass zu dem Unterstützerkreis der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft auch im Ausland ansässige Bürger gehörten.29 Carl Cornelius Souchay stieg 1793 als Partner bei Mylius & Aldebert in Manchester ein und etablierte gemeinsam mit Martin Schunck, dem Ehemann von Nanny Mylius, dort die Firma „Schunck, Mylius und Co.“30 Zudem arbeitete Souchay mit zwei der Mylius’schen Geschwister dritter Generation, Söhnen von Johann Jakob Mylius zusammen. Carl Mylius (1790–1870), der zusammen mit seiner Schwester Nanny in England von den Aldeberts erzogen worden war, war als junger Erwachsener nach Frankfurt zurückgekehrt und im dortigen Comptoir von Aldebert ausgebildet worden. Gemeinsam mit Souchay betrieb er in Frankfurt die Firma „Souchay & Co.“, die mit Kolonialwaren, englischen Waren und Garnen handelte sowie das Kommissionsgeschäft übernahm. Souchay übergab die Firma 1823 an Carl Mylius.31 Mit dessen Bruder Heinrich Mylius dem Jüngeren (1792– 1862) und einem weiteren der Schunck-Geschwister, Heinrich Schunck (1781– 1840), richtete Carl Cornelius Souchay den Zweig der Firma „Schunck, Mylius und Co.“ in London ein. Die Verbindung von Souchay und Heinrich Mylius dem Jüngeren war jedoch nicht von Dauer. Heinrich Mylius der Jüngere schied Mitte der 1830er Jahre aus der Firma aus und stellte dabei hohe Forderungen. Mit einem stattlichen, aus der Londoner Firma stammenden Kapital stieg er 1837 in das Mailänder

26 Vgl. T.C. Bringmann, Handbuch der Diplomatie 1815–1963. Auswärtige Missionschefs in Deutschland und deutsche Missionschefs im Ausland von Metternich bis Adenauer, München 2001, S. 180; Roth, Max Webers deutsch-englische Familiengeschichte, S. 167–195. 27 Vgl. Poettinger, Deutsche Unternehmer, S. 107. 28 Frankfurter Volksbote, Nr. 26, 25.6.1854, S. 107. 29 Vgl. ebd. 30 Vgl. Baasner, „Heinrich Mylius“, S. 5–20; Poettinger, Deutsche Unternehmer, S. 53–59, 61– 63; Roth, Max Webers deutsch-englische Familiengeschichte, S. 643–644. 31 Vgl. ebd., S. 72.

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Geschäft seines Onkels und Namenspatrons Heinrich Mylius ein.32 Ein Bruder des jüngeren Heinrich Mylius, Georg Melchior (1795–1857), wurde ebenfalls Teilhaber im Mailänder Unternehmen seines Onkels und ab 1825 zusammen mit seinem Cousin Julius, dem einzigen Sohn des älteren Heinrich Mylius, vollberechtigter Partner.33 Für einen weiteren Mylius der dritten Generation – einen Neffen von Heinrich Mylius und Bruder von Carl, Nanny und Heinrich dem Jüngeren –, Jonas Mylius (1787–1866), ist zwischenzeitlich ein Wohnsitz in Hamburg nachzuweisen, wobei er um Mitte des 19. Jahrhunderts wieder in Frankfurt beheimatet schien.34 Er hatte um 1815 ein Gesuch an die Stadt Frankfurt um Erlaubnis des Auswärtigen Aufenthaltes mit Beibehaltung des Bürgerrechts gestellt. Zu dieser Zeit war er bereits mit Cornelia Wilhelmina Souchay aus Lübeck verlobt.35 Sie entstammte dem Lübecker Zweig einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie hugenottischen Ursprungs und war mehr oder weniger weitläufig verwandt mit den Frankfurter Souchays, was wiederum von dem punktuell immer wieder auf bestimmte Familien rekurrierenden Charakter des geographisch weitgespannten Mylius’schen Netzwerks zeugt. Schnittmengen und Synergien bilden sich auch im Bereich des Mäzenatentums ab. Einige der Familienmitglieder und weitere genannte Personen taten sich als Stifter in Frankfurt am Main hervor. Ein Beispiel für einen generationenübergreifenden Stiftungszweck sind Stiftungen von Johann Jakob Mylius an die Blindenanstalt der Polytechnischen Gesellschaft 1811 und von Carl Mylius an die Augenheilanstalt der Polytechnischen Gesellschaft 1856.36 Ein besonders deutlicher Schwerpunkt lag auf Zuwendungen an die „Niederländische Gemeinde Augsburger Confession“. Heinrich Mylius bedachte sie in seinem Testament. Die in dem Dokument so genannten „Mylius’schen Geschwister“ der dritten Generation, die Neffen und Nichten von Heinrich Mylius, Kinder seines Bruders Johann Jakob, zeichneten namentlich in dem Testament für die Ausführung verantwortlich. Über ihre Namen hinaus werden auch ihre Wohnsitze genannt, wodurch sie die unterschiedlichen Standorte der Familie repräsentierten: Jonas Mylius, Frankfurt am Main; Carl Mylius und Heinrich Mylius (der Jüngere), Mailand; Susanna Dorothea Schunck, geb. Mylius, Manchester, sowie Georg Melchior Mylius, ebenfalls Mailand.37 Johann Jakob Mylius hatte die Niederländische Gemeinde auch bedacht.38 Eine feste Einbindung und das karitative Engagement mehrerer Mitglieder der Familie Mylius in der Niederländischen Gemeinde ist seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert nachweisbar. Hein-

32 Über die genaue Höhe des transferierten Kapitals gibt es unterschiedliche Angaben: Genannt werden 30 Prozent des Profits 660.000 fl. (= 51.115 Pfund), an anderer Stelle über 100.000 Pfund, an wieder anderer Stelle konkret 102.000 Pfund. Vgl. zu der Problematik Roth, Max Webers deutsch-englische Familiengeschichte, S. 82–85, 644, 654. 33 Vgl. Baasner, „Heinrich Mylius“, S. 7. 34 Vgl. Rüppell, „Schaumünzen“, S. 78. 35 Vgl. ISG FFM: Senatssupplikationen 3, Bd. 24. 36 Vgl. ISG FFM: W 2/4, Polytechn. Gesellsch., Nr. 483; Ebd. Nr. 768. 37 Vgl. ISG FFM: Nachlassakten, Signatur 1856/280. 38 Vgl. ISG FFM: Niederländische Gemeinde Augsburger Confession I, 476.

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rich Mylius’ älterer Bruder Johann Jakob gehörte in den 1790er Jahren dem Gemeindevorstand an. Johann Jakobs Frau Marie Eleonore engagierte sich zu dieser Zeit ebenfalls aktiv, indem sie beispielsweise Mädchen im Waisenhaus der gemeindeeigenen Stiftung Näh- und Strickunterricht gab.39 Die „Niederländische Gemeinde Augsburger Confession“ war 1585 als Zusammenschluss protestantischer Glaubensflüchtlinge aus den spanischen Niederlanden entstanden. Dabei hatte es sich meist um Patrizierfamilien gehandelt, die nach der Eroberung Antwerpens durch die spanischen Truppen in Frankfurt eine neue Heimat gefunden hatten. Nur Nachkommen der Flüchtlinge und ihre Ehegatten wurden als Mitglieder in die Gemeinde aufgenommen. Der Zusammenschluss war von Anfang an nicht nur Kirchengemeinde, sondern in erster Linie auch wohltätige Institution. Wohlhabende Angehörige der Gemeinde brachten regelmäßige Unterstützung für notleidende Mitglieder auf.40 Die Gemeinde hatte sich über die Zeit jedoch auch zu einem Netzwerk bedeutender Frankfurter entwickelt und sie war ein weiterer Schnittpunkt im Netzwerk der Familie Mylius. Nicht nur die Mylius, sondern auch etwa die de Neufvilles waren Mitglieder, neben weiteren bekannten Frankfurter Familien – es finden sich in diesem Kontext zum Beispiel die Namen Metzler, Koch, Bethmann, de Neufville oder Fellner, allesamt städtische Familien, die einen exponierten Stand in der wirtschaftlichen Elite innehatten und die – so wird durch ihre Zugehörigkeit zur Niederländischen Gemeinde deutlich – zudem eint, dass sie an mindestens einem Punkt ihrer Familiengeschichte einen Migrationshintergrund aufweisen.41 Alle diese Familien hatten somit familiäre Verbindungen, die in den Niederlanden wurzelten und die durch ihre Mitgliedschaft in der „Niederländischen Gemeinde Augsburger Confession“ in Frankfurt am Main deutlich wurden. Das familiäre Netzwerk weist also neben der genuin familiären und der geschäftlichen Dimension noch eine weitere auf: die konfessionelle.42 Die Sphären überschneiden sich und waren verästelt. Johann Jakobs Frau Maria Eleonore war eine geborene Ramadier und Knotenpunkt zu einer weiteren Frankfurter Verbindung, die gewissermaßen als Pendant zur Niederländischen Gemeinde gelten kann. Marie Eleonore Mylius war über ihre eigene familiäre Herkunft in die evangelische französisch-reformierte Gemeinde in Frankfurt eingebunden, die sich auf wallonische Glaubensflüchtlinge im 16. Jahrhundert zurückführen lässt. Genau wie die

39 Vgl. ISG FFM: Niederländische Gemeinde Augsburger Confession I, 793. 40 Vgl. B. Müller, Stiftungen in Frankfurt am Main. Geschichte und Wirkung. Neubearbeitet und fortgesetzt von Hans-Otto Schembs, Frankfurt a.M. 2006, S. 43. 41 Siehe H. Drummer, Findbuch zum Bestand Niederländische Gemeinde Augsburger Confession, 1585–1985, Frankfurt a.M. 1988; E. Karpf, Eine Stadt und ihre Einwanderer. 700 Jahre Migrationsgeschichte in Frankfurt am Main, Frankfurt a.M. / New York, S. 51–52. 42 Zur Frage der Bedeutung von Konfession für Händlernetzwerke vgl. z.B. den Aufsatz von M. Schulte Beerbühl, „Zwischen England, Deutschland und Italien. Protestantische Handels- und Familiennetze deutsch-britischer Kaufleute im 18. Jahrhundert, in: U. Israel / M. Matheus (Hrsg.), Protestanten zwischen Venedig und Rom in der Frühen Neuzeit, Berlin 2013, S. 203– 230, bei dem auch die Familie Mylius Erwähnung findet.

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Niederländische hatte auch die französisch-reformierte Gemeinde eine Funktion eines wirtschaftsbürgerlichen und zum Teil elitären Netzwerkes, wie die Liste ihrer Mitglieder zeigt, welche Namen wie d’Orville, Gontard, du Fay, Passavant oder de Neufville umfasst.43 Wie die de Neufville waren auch die Mylius – wenn auch Letztere nicht namentlich, sondern über einen angeheirateten Zweig – in beiden Gemeinden vertreten, was sowohl eine Integration in die Frankfurter Stadtgesellschaft als auch als eine verzweigte, europäische Herkunftsgeschichte anzeigt. Während also Vater Johann Christoph nach seiner Emigration aus Wien nach Frankfurt vor der Jahrhundertwende noch in relativ bescheidenen Verhältnissen gelebt hatte, gehörte die Familie Mitte des 19. Jahrhunderts längst zu einem Elitezirkel. Dieser bestand nicht zuletzt aus (ehemaligen) Migranten. In diesem spielte Religion beziehungsweise vor allem auch Konfession als Instrument der Identifikation eine größere Rolle als die Kategorien, die dem semantischen Gebilde der ‚Nation‘ zuzurechnen sind. Dennoch stellten konfessionelle Unterschiede nicht unbedingt Barrieren dar, oder sie wurden als Grenzen wahrgenommen, die aber auch bewusst überschritten werden konnten. Genau in diesem Sinne kann etwa die ‚Heiratspolitik‘ der Familie Mylius oder auch der befreundeten Familie Kramer, ebenfalls Protestanten in der Lombardei, als ‚transkonfessionell‘ beschrieben werden. Eine Heirat jenseits von Konfessionsgrenzen war für die protestantischen, aus dem deutschsprachigen Raum stammenden Wirtschaftsbürger kein Tabu, während sie bei ihren katholisch-italienisch-adligen Konterparts einen Eklat auslösen konnte.44 Dennoch spielte neben der Konfession auch der national-semantische Raum als Fixpunkt immer wieder eine Rolle. Julius Mylius, 1800 geborenes, einziges Kind von Friederike und Heinrich, war Schüler der „Privat-Lehranstalt für Kinder aus den höheren Ständen in Elberfeld“, die als eine der besten protestantischen Lehranstalten in Deutschland galt. Auch Antonio, ein Spross der eben erwähnten Familie Kramer, sowie viele andere Söhne aus transnational agierenden Handelsfamilien besuchten die Lehranstalt, die 1804 mit Finanzierung von Handelsleuten und Textilunternehmern gegründet worden war. Die Ausbildung umfasste Deutsch, Französisch, Englisch, Naturwissenschaften, Geschichte, Geographie, Mathematik und Zeichnen, auf Wunsch auch Italienisch und Buchhaltung.45 Zusätzliche Stationen der kaufmännischen Ausbildung von Julius waren London, Genua und Messina, was zeigt, dass die nächste Generation der Handelsfamilie das transnationale Agieren nicht nur in der Theorie lernen, sondern auch in der Praxis erproben sollte.46 Es gibt weitere Beispiele für ein Engagement im konfessionellen Kontext, die in der Mylius’schen Familiengeschichte zum Teil weit in die Anfangszeit in Frankfurt zurückreichen. Für Heinrich Mylius’ großen Bruder Johann Jakob, der rasch eine

43 Vgl. Services Religieux Célébrés. Vendredi 16 et le Dimanche 18 Septembre 1842. Par la Communautè Wallonne-Français de Francofort s/M en souvenier de L’inauguration de son temple, Frankfurt a.M. 1843, S. 6, 126–127. 44 Vgl. den Beitrag von Monika Poettinger in diesem Band. 45 Vgl. Poettinger, Deutsche Unternehmer, S. 158. 46 Vgl. Heyden, Gallerie, S. 595.

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beachtenswerte Karriere in der Frankfurter Stadtgesellschaft gemacht hatte, lässt sich spätestens für die 1790er für einige Jahre nachweisen, dass er das sogenannte „Hospitalpflegeamt“ innehatte.47 Damit verbunden war die Verwaltung der Stiftung Hospital zum Heiligen Geist. Die Institution, deren Gründung ins frühe 19. Jahrhundert datiert, war zunächst in kirchlicher Hand und ging nach einer Übergangszeit der dualen Verwaltung im 14. Jahrhundert gänzlich in die kommunale Verantwortung und Kontrolle über. Vom 16. Jahrhundert an bis Ende des ersten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts lag das Amt in den Händen von Ratsmitgliedern lutherischer Konfession. Das Pflegeamt galt als gleichsam besonders verantwortungsvolle als auch mildtätige Beschäftigung.48 Die Ratsherrenschaft wiederum, die Johann Jakob innehatte, war nicht nur ein wichtiges Amt in der Stadtgesellschaft, sondern Ermöglichungsbedingung des transnationalen wirtschaftlichen Handelns. 1796, just nachdem der Jüngste der Mylius-Geschwister der zweiten Generation, Heinrich, aufgebrochen war, um in Mailand das Familien-Geschäft aufzubauen, wurde er infolge der französischen Besatzung Oberitaliens verhaftet und – zumindest teilweise – enteignet. Die familiäre und geschäftliche Vernetzung gereichte ihm hier zum Nachteil: Es waren wohl Heinrich Mylius’ Verbindungen nach England, die ihn in das Visier der Franzosen geraten ließen. Es war, wie verschiedentlich überliefert ist, wiederum der in Frankfurt verankerte Einfluss des großen Bruders Johann Jakob, der den Ausweg bot. Johann Jakob befand sich gerade als Unterhändler der Stadt Frankfurt in Paris, um eine Milderung der Kriegskontributionen für die Stadt sowie die Freilassung von abgeführten Geiseln zu erwirken – er konnte sich daher auch für seinen Bruder einsetzen.49 Mylius’ Biographie war also ohne Zweifel transnational und dabei nicht nur in der Dichotomie von ‚Deutschland‘ und ‚Italien‘ verhaftet. Das unternehmerische und familiäre Band der Mylius’ nach England ist weiter oben bereits erwähnt worden, und auch ein Bezug zu Österreich setzte sich von der ersten in die zweite Generation fort: vom aus Wien nach Frankfurt ausgewanderten Vater Johann Christopher zum Sohn Heinrich. Er war als Vertrauensmann Mitglied eines Ausschusses, „dessen Teilnehmer allen Provinzen der Monarchie angehörten“ und der im Frühling des Jahres 1850 tagte, um „über Abhülfe der Finanznot“ Österreichs zu beraten.50 Das Habsburger Reich, zu dem die Lombardei – abgesehen von der Unterbrechung durch die Napoleonische Ära – die gesamte Lebenszeit Heinrich Mylius’ 47 Vgl. ISG FFM: Ratssupplikationen, 1.793, III. Vgl. ISG FFM: Heiliggeistspital, 1.318. 48 Vgl. Frankfurter Gemeinnützige Chronik Jg. 1, No. 5, 1841, S. 49–51. 49 Heyden, Gallerie, S. 594–595. Vgl. Roth, Max Webers deutsch-englische Familiengeschichte, S. 68. Zur Tradition deutscher Kaufleute in England, zumal unter dem Aspekt der Migration und Integration, vom 17. bis zum 19. Jahrhundert vgl. auch M. Schulte Beerbühl, „German Merchants in Eighteenth-Century England. Migration, integration and trade“, in: M. Poettinger (Hrsg.), German Merchant and Entrepreneurial Migrations, S. 75–99; sowie im selben Band J.R. Davies, „German Merchants in Britain. Political and international commerce. A case of transfer?“, S. 101–121. 50 Ergänzungs-Conversationslexikon, Ergänzungsblätter 6,2, Nr. 268, Leipzig / Meißen 1851, S. 406.

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gehörte, bildete somit den politischen Rahmen für sein Wirken. Seinem Pass nach blieb er sein ganzes Leben lang Frankfurter, aber durch die Wahl seiner neuen Heimat in der Lombardei aktualisierte sich die Zugehörigkeit zu Habsburg, die durch die Emigration des Vaters aus Wien und sein Ersuchen um das Frankfurter Bürgerrecht unterbrochen worden war. Die Zugehörigkeit hatte auch Heinrich Mylius, der auch die Funktion eines „Assessors beim Mercantil-Tribunale in Mailand“ ausfüllte und um das Jahr 1840 herum den Titel eines kaiserlich-königlichen Rates erhielt.51 Die Auszeichnungen, die Mylius im Laufe seines Lebens erhalten hatte, zeugen von seinem Wirken über staatliche Grenzen hinweg. Eduard Rüppell betonte dies in seinem Nachruf auf seinen Freund Mylius: Daß allgemeine Hochachtung ihm von allen Seiten zu Theil geworden, konnte nicht ermangeln. Schon im Jahr 1826 überschickte ihm der Großherzog Bernhard von Sachsen-Weimar, der ihn persönlich genau kannte, das Ordenskreuz des weißen Falken; Kaiser Ferdinand ernannte ihn im Jahr 1838 zum Ritter der eisernen Krone, zu jener Zeit eine höchst seltene Auszeichnung für einen Civilisten, der eigentlich nicht im Staatsdienste war. Er war übrigens bereits früher zum kaiserlichen Rath ernannt worden, welches jedoch nur ein Ehrentitel und keine remunierte Anstellung ist. Die Stadt Mailand erwählte ihn einstimmig zum Mitglied des Communalraths, wobei man geflissentlich hervorhob, daß es das erste Mal sei, daß für dieses Amt die Wahl auf einen Nichtkatholiken gefallen sei. Das kaiserlich lombardische Institut der Wissenschaft und Kunst beehrte ihn durch das Mitglieds-Diplom.52

Verbrieft ist also, dass Mylius’ unter anderem in beziehungsweise für Sachsen-Weimar, Österreich und Mailand gewirkt hat. Für die Frankfurter blieb er jedoch Frankfurter: Trotz sechzigjähriger Abwesenheit von seiner Geburtsstadt sei Mylius immer starker Patriot geblieben, wie der vormalige Frankfurter Bürgermeister Eduard Heyden in seiner Biographie berühmter Frankfurter konstatierte.53 Die Verbindung mit einer weiteren, wichtigen Stadt schmälerte diesen Patriotismus in Augen der Frankfurter nicht. Während Heinrich Mylius’ Mutter die Begründerin der familiären Verbindungen nach Weimar war, baute Heinrich Mylius sie durch seine Heirat mit Friedrika Schnauß weiter aus. Sie war wiederum eine Schülerin der Weimarer Zeichenschule, in der Heinrich Mylius’ Onkel Melchior Kraus, der Bruder von Dorothea Mylius als Direktor fungierte.54 Friederike Schnauß wiederum brachte ein eigenes, exklusives Netzwerk in das der Mylius’ ein. Sie stand in Kontakt mit Johann Gottfried Herder – der das Ehepaar Friederike und Heinrich Mylius traute –, Friedrich Schiller und Johann Wolfgang Goethe, zu dem sie auch nach ihrem Fortzug aus Weimar von Italien aus gute Beziehungen unterhielt. Friederike Mylius’ Verbindung zu Weimar blieb zeitlebens intensiv, auch durch ihre mäzenatische Betätigung. Großherzog Carl Friedrich von Sachsen-Weimar-Eisenach zeichnete sie

51 Zeitschrift für österreichische Rechtsgelehrsamkeit und politische Gesetzkunde 3 (1841), S. 530. 52 Frankfurter Volksbote, Nr. 29, 16.6.1854, S. 120. 53 Vgl. Heyden, Gallerie, S. 596. 54 Vgl. Baasner, „Heinrich Mylius“, S. 5, 12.

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in Anerkennung ihrer Schenkungen für das Karls-Stift in Weimar und den Frauenverein in Eisenach mit einer großen goldenen Verdienstmedaille aus, womit er auch „die Gesinnung ehrte, welche sie gegen ihr Geburtsland stets gehegt“.55 Kurz nach ihrem Tod traf ein Schreiben der regierenden Großherzogin aus Weimar ein, was von der Wertschätzung auch der Fürstin für Friederike Mylius zeugt.56 Auch in Korrespondenz des Großherzogs Carl August von Weimar (1757–1828) mit Goethe fand das Ehepaar Mylius Erwähnung.57 Auch in ihrer Wahlheimat in der Lombardei galt sie als Wohltäterin. Davon scheint die spontane, aufrichtig erscheinende Anteilnahme der lokalen Bevölkerung nach ihrem Tod zu zeugen. Ihr Leichenzug war gleichzeitig eine lokale, regionale, multi- und transnationale sowie transregionale Angelegenheit. Die Strecke des Leichenzuges führte von Mailand nach Varenna und von dort über den Comer See nach Menaggio. Er vereinte lokale Dorfmädchen, österreichische Protestanten, italienische Katholiken und Personen verschiedener sozialer Schichten. Zuerst der Musikchor, diesem schwarzgekleidete Landmädchen mit brennenden Kerzen folgend, dann der evangelische Geistliche, Konstistorialrath Dr. K. Taubner, Feldprediger der österreich’schen Armee in Italien, mit den Kirchenältesten aus Mailand, hierauf der mit Blumen und dem Krucifixe geschmückte Sarg von Landleuten wetteifernd getragen und zuletzt die Leidtragenden, treuen Diener und Ortsbewohner, gleichfalls mit brennenden Lichtern in der Hand. […] Als die irdischen Reste der Verewigten bei der Beförderung zu ihrer letzten Ruhestätte durch Sesto San Giovanni getragen wurden, jenem Flecken, in welchem das Landhaus liegt, wo sie während einer langen Reihe von Jahren einen großen Theil des Sommers zu verleben pflegte, da schlossen sich ganz aus eigenem Antriebe die Bewohner des Ortes dem Leichenzuge an und begleiteten ihn mit brennenden Fackeln den ganzen Weg durch’s Dorf, um die aufrichtige Theilnahme an dem Todesfall zu erkennen zu geben. Dieses Zeichen von Hochachtung war um so rührender und ehrender, weil es nicht etwas verabredetes war, sondern das freie Ergebniß der Dankgefühle wegen der vielen Wohlthaten, welche die Verewigte ihnen erwiesen.58

Der Leichenzug symbolisierte Elemente des Grenzübergreifenden, das für das Leben der Mylius’ charakteristisch war. Heinrich und Friederike Mylius waren aber auch Stadtbürger in jedem Sinne des Wortes. Friderike Schnauß war durch ihre Heirat mit Heinrich Mylius auch mit seiner Heimatstadt assoziiert, sie behielt jedoch gleichzeitig ihre eigene Herkunfts-Identität deutlich bei. Dies zeigt nicht zuletzt eine Ehrung, die das Ehepaar Mylius aus Frankfurt erhielt und die Friederike Schnauß nicht als erster Linie als Ehefrau, sondern als Bürgerin und Weimarerin zeigte.

55 Neuer Nekrolog der Deutschen 29, Bd. 2 (1853), S. 967. 56 Vgl. ebd. 57 Vgl. den Briefwechsel des Großherzogs Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach mit Goethe in den Jahren 1775 bis 1828, Bd. 2, Weimar 1863, S. 121. 58 Neuer Nekrolog der Deutschen 29, Bd. 2 (1853), S. 968–969.

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3. HEINRICH MYLIUS UND EDUARD RÜPPELL Als Heinrich Mylius in jungen Jahren aus Frankfurt am Main nach Mailand zog, um dort eine Filiale des Familienunternehmens zu etablieren, verlegte er auch seinen Lebensmittelpunkt dauerhaft in die Lombardei. In seiner Geburtsstadt trat er persönlich nicht mehr nennenswert in Erscheinung. Es ist nicht überliefert, dass er sich noch einmal längere Zeit in der Stadt am Main aufgehalten hätte. Trotz seiner physischen Abwesenheit war sein Wirken spätestens ab den 1840er Jahren in Frankfurt präsent. Er betätigte sich mit großem Engagement als Mäzen in der Stadt. Dies geschah in erster Linie über einen Mittelsmann: Eduard Rüppell (1794–1884). Seinen Frankfurter Mitbürgern galt Rüppell als Berater und ‚verlängerter Arm‘ von Mylius in Frankfurt.59 Rüppell selbst führt die Entscheidungen für einige der durch Mylius getätigten Zuwendungen in Frankfurt explizit auf seinen eigenen Einfluss auf Mylius zurück.60 Eduard Rüppell war ein bekannter Forschungsreisender und engagierte sich stark in der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft, einer 1817 von naturgeschichtlich interessierten Frankfurter Bürgern gegründeten wissenschaftlichen Gesellschaft. Rüppell stammte aus einer etablierten Frankfurter Familie. Der Vater, Simon Rüppell, war als Mitinhaber des Bankhauses „Rüppell und Harnier“ Teil des Frankfurter Wirtschaftsbürgertums. Dessen Partner, Louis Harnier, war Vater von Eduard Harnier (1800–1886), der zwischen Ende der 1830er und Anfang der 1860er Jahre wichtige Ämter bekleidete, unter anderem als Senator, Jüngerer Bürgermeister, Älterer Bürgermeister sowie Bundestagsgesandter der Stadt Frankfurt am Main.61 Die Beziehung zwischen Eduard Rüppell und dem 25 Jahre älteren Mylius konnte an eine Freundschaft Mylius’ mit Rüppells Eltern anknüpfen. Bei einer Italienreise Eduard Rüppells verfestigte sich eine persönliche, enge freundschaftliche Verbindung der beiden Männer, die lebenslang hielt und beide in vielerlei Hinsicht bereicherte. Rüppell beschrieb seine Verbindung zu Mylius nach dessen Tod wie folgt: Er war seit 39 Jahren mein wohlwollender, mich herzlich liebender Freund. Mein langer specieller Umgang mit ihm; indem ich bei meinen Reisen in Italien jedesmal in Mailand oder auf seinen verschiedenen Landsitzen bei ihm wohnte, in der übrigen Zeit, gleichviel ob ich in Europa oder in fremdem Welttheil mich aufhielt, mit ihm einen vertrauten lebhaften Briefwechsel unterhielt, befähigt mich ganz besonders, eine Skizze seines thatenreichen, rühmlichen Lebenslaufes zu geben, wozu ich aus Gefühl der Dankbarkeit gewissermaßen mich verpflichtet halte.62

59 Vgl. H. Schmidt, „Gedächtnisrede auf Dr. Eduard Rüppell gehalten bei dem Jahresfeste, den 31. Mai 1885“, Berichte der Senckenberg Naturforschenden Gesellschaft (1885), S. 95–160, hier S. 101. 60 Frankfurter Volksbote, Nr. 28, 9.6.1854, S. 115. 61 Vgl. W. Klötzer, Frankfurter Biographie, Bd. 1, Frankfurt a.M. 1994, S. 302. 62 Aus dem Nachruf Rüppells auf Mylius, abgedruckt in: Frankfurter Volksbote, Nr. 28, 9.6.1854, S. 114.

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Wenn er sich in Italien aufhielt, gab Rüppell die Mailänder Anschrift von Heinrich Mylius als Postadresse an und nutzte diese als Basis für die Erledigung seiner Korrespondenzen und geschäftlicher Dinge.63 Vor allem aber führte Mylius seinen jungen Freund in der Lombardei in Gelehrtenkreise ein.64 Rüppell lernte durch Mylius Professoren kennen, die ihm Universitätssammlungen und -bibliotheken zugänglich machten.65 Zum Beispiel kam er mit Gaetano Cattaneo zusammen, der als einer der „geachtetsten Gelehrten“ Mailands galt und Direktor des dortigen kaiserlich numismatischen Kabinetts war. Rüppell selbst leitete ab 1835 mit kurzer dreijähriger Unterbrechung die städtische Frankfurter Münzsammlung über 45 Jahre lang ehrenamtlich. Dabei konnte er von dem Erfahrungsschatz Gaetano Cattaneos profitieren, der ihn durch seine Expertise auch in seiner Münzsammlertätigkeit unterstützte.66 Heinrich Mylius selbst leistete in dieser Hinsicht zudem materielle Unterstützung und steuerte Münzen zu Rüppells Sammlung bei.67 Die Frankfurter Stadtgeschichtsschreibung zählt als eines der Verdienste Rüppells, dass sich der Bestand der städtischen Münzsammlung unter seiner Leitung um über 10.000 Münzen erweiterte, von denen Mylius viele finanziert habe.68 Möglicherweise hat Mylius die Münzen aber auch Rüppell privat zukommen lassen, und dieser wiederum mag sie der städtischen Sammlung zugeführt haben. Die Schenkungen an die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft brachten Heinrich Mylius – genauso wie Eduard Rüppell selbst sowie Heinrich Mylius’ Neffen Georg Melchior Mylius und Jonas Mylius – den Status eines ‚ewigen Mitgliedes‘ der Gesellschaft ein. Dass von den frühesten nachweisbaren und kontinuierlich fließenden Spenden Mylius’ vor allem die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft profitierte, hängt mit dem Einfluss Rüppells zusammen. Die Senckenberg Gesellschaft rechnete es Rüppell als großen Verdienst an, Mylius als Unterstützer für sie gewonnen zu haben.69 Rüppell selbst sah sich sogar als derjenige, der Mylius’ Mäzenatentum in Frankfurt gänzlich lenkte. In seinem Nachruf auf Mylius nahm Rüppell explizit Bezug darauf, wie es zu seiner Schlüsselrolle bei dessen mäzenatischem Handeln in Frankfurt kam: Bei einem seiner regelmäßigen herbstlichen Besuche bei Heinrich Mylius in Mailand habe dieser 1840 in Aussicht

63 R. Mertens, Eduard Rüppell. Leben und Werk eines Forschungsreisenden, Frankfurt a.M. 1949, S. 270, siehe auch S. 277, 296. 64 Ebd., S. 225, 229. 65 Vgl. Schmidt, „Gedächtnisrede“, S. 111–112. 66 Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 127, 7.5.1842, S. 512. Vgl. Schmidt, „Gedächtnisrede“, S. 108. 67 Vgl. E. Rüppell, „Schaumünzen, welche zum Andenken von Bewohnern Frankfurts oder in dieser Stadt geborenen Personen gefertigt wurden“, Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 7 (1855), S. I–VI, 1–82. 68 Vgl. U. Dotterweil / T. Richter, „Eduard Rüppell, ein Forschungsreisender und Sammler aus Frankfurt“, in: M. Herfort-Koch / U. Mandel / U. Schädler (Hrsg.), Begegnungen. Frankfurt und die Antike, Frankfurt a.M. 1994, S. 301–304, hier S. 301. 69 Vgl. Bericht über die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft in Frankfurt am Main. Von Juni 1868 bis Juni 1869, Frankfurt a.M. 1869, S. 18.

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gestellt, dass er mit seinem Tod Rüppell 50.000 fl. vermachen werde, die dieser dann nach seinem Ermessen an öffentliche Einrichtungen in Frankfurt spenden solle. Rüppell lehnte dieses in seinen Augen zwar sehr großzügige und ihn ehrende Angebot ab, weil er die damit verbundene große Verantwortung nicht tragen wollte. Er bot aber an, Mylius dahingehend zu beraten, wohin eine solche Geldsumme sinnvoll gespendet werden könnte. In der Folge habe Mylius die Summe schon zu seinen eigenen Lebzeiten an durch Rüppell vorgeschlagene Einrichtungen gespendet. Die Schenkungen durch Mylius, die Rüppell explizit auf seinen eigenen Einfluss zurückführte, waren im Einzelnen 15.000 fl. an das Versorgungshaus, das „Bibliotheks-Capital“ von 5.000 fl. an die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft, die Stiftung der Kleinkinderschule in Höhe von 20.000 fl., 20.000 fl. an die Niederländische Gemeinde, 1.800 fl. für Mobiliar im Senckenbergischen Museum sowie 8.000 fl. als Honorar für naturwissenschaftliche Vorträge bei der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft.70 Auch die zeitgenössisch wohl bedeutendste Schenkung Mylius’ für Frankfurt am Main, ein Goethe-Denkmal, war eng mit der Person Eduard Rüppells verknüpft. In seiner eigenen Darstellung erschien er gar als letztendlicher Initiator des ganzen Unterfangens:71 Bereits einige Jahre vor Goethes Tod habe sich in Frankfurt ein Komitee für die Errichtung eines Goethe-Denkmals zusammengefunden. Da es dafür keine ausreichende Finanzierung habe zusammentragen können, habe es seinen Spendenaufruf auf „das ganze gebildete Europa“ ausgeweitet. Die Bitte um finanzielle Zuwendungen sei in zahlreichen Tageszeitungen und durch Flugblätter veröffentlicht worden. Subskriptionslisten, in die sich diejenigen eintragen konnten, die sich zu einer Spende verpflichten wollten, hätten sich ebenfalls in Umlauf befunden, unter anderem in Wein- und Bierschenken. Das Unternehmen sei jedoch zum Scheitern verurteilt gewesen: Zum einen habe es aufgrund der Art und Weise der öffentlichen Spendenwerbung Goethes Missfallen erregt. Zum anderen sei ein nicht geringer Teil der eingeworbenen Zuwendungen durch Verwaltungsausgaben des Komitees verschlungen worden. Daraufhin habe sich der Frankfurter Kunstverein des Vorhabens annehmen wollen und einen Fonds zur Errichtung eines GoetheDenkmals eingerichtet. Dagegen habe sich jedoch Protest aus den eigenen Reihen geregt, da einige Mitglieder des Vereins Goethe keine solche Ehrung zukommen lassen wollten. Bei einem Besuch Rüppells in Mailand habe er diese Entwicklungen gemeinsam mit seinem Freund Mylius reflektiert. Mylius habe daraufhin eine Umsetzung der Pläne zu Errichtung einer Goethe-Statue aus privaten Mitteln einzelner Goethe-Verehrer angeregt. Er habe zudem Rüppell dazu bevollmächtigt, seine Bereitschaft, dafür bis zu 2.000 fl. zu spenden, publik zu machen. Rüppell habe dies nach seiner Rückkehr nach Frankfurt bei einem ihm zu Ehren veranstalteten Gastmahl getan, bei dem einige ihm zugetane Frankfurter ihm eröffnet hätten, die Ver-

70 Frankfurter Volksbote, Nr. 28, 9.6.1854, S. 115. 71 Für weitere Perspektiven auf den Vorgang vgl. z.B. Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik und Literatur 15,1 (1856), S. 320; Der Adler, Nr. 32, 6.2.1839, S. 134.

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öffentlichung seiner Forschungsergebnisse finanziell unterstützen zu wollen. Rüppell habe wenige Tage später angeregt, das ihm zugedachte Geld stattdessen der Errichtung der Goethe-Statue zu widmen. Der Vorschlag sei – zu Rüppells großem Erstaunen – auf Ablehnung gestoßen. Daraufhin hätten Rüppell und Mylius vereinbart, ihr Vorhaben im Alleingang zu finanzieren. Davon habe zufällig ein anderer Freund Rüppells, Marquard Georg Seufferheld (1781–1848), Kenntnis erlangt und angeboten, sich in derselben Höhe wie Mylius zu beteiligen. Noch Ende des Jahres 1834 hätten die Stifter Kontakt zu dem Bildhauer Pompeo Marchesi aufgenommen und das Vorhaben zur Umsetzung gebracht, das 1839 schließlich zum Abschluss kam.72 Marchesi (1789–1858) hatte eine Professur an der Mailänder Academia di Belle Arti inne und galt als der berühmteste Bildhauer Mailands.73 Auch er stand in engem Kontakt zu Mylius: Er hatte einige Kunstwerke für dessen Villa in Loveno am Comer See geschaffen.74 1852 schenkte Heinrich Mylius zudem dem Senckenberg-Museum eine Büste Rüppells von Marchesi. Sie wurde im Museum neben den Büsten anderer Persönlichkeiten – unter anderem auch einer Büste von Mylius selbst – aufgestellt.75 Ein weiterer Künstler, dessen Name im Zuge der Debatten um die Planung eines Goethe-Denkmals für Frankfurt häufig fiel, war der Kopenhagener Bildhauer Bertel Thorvaldsen (1770–1844). Es sind Gerüchte darüber überliefert, dass Thorvaldsen eine ähnliche Statue im Auftrag des „großen Goethevereins“ – gemeint ist damit das auch von Rüppell genannte Komitee – entworfen habe. Damit verknüpft war die Befürchtung, dies könne Redundanzen in der Frankfurter Kulturlandschaft erzeugen.76 Thorvaldsen war noch in einer anderen Hinsicht ein Pendant zu Marchesi: Auch er hatte Kunstwerke für Mylius’ Villa in Loveno geschaffen.77

72 Rüppell, „Schaumünzen“, S. 61. Auf diesen Bericht Rüppells bezieht sich auch die Darstellung der Angelegenheit in Didaskalia. Blätter für Geist, Gemüth und Publicität, Nr. 44, 20.1856, [S. 2–3/o.P.]. 73 Vgl. Kretschmann, Räume öffnen sich, S. 164. 74 Das imposanteste Beispiel ist vermutlich das Marmorrelief „Morte di Giulio Mylius (Julius Mylius’ Tod)“ von 1832, das sich in einem „Tempelchen“ auf dem weitläufigen Anwesen der Familie, der späteren „Villa Vigoni“ in Loveno am Comer See befand. Vgl. Meda Riquier / Usselmann / Liermann Traniello, Enrico Mylius, S. 104. 75 Vgl. Kretschmann, Räume öffnen sich, S. 164. 76 Vgl. L. von Jagemann, Deutsche Städte und Deutsche Männer. Nebst Betrachtungen über Kunst, Leben und Wissenschaft. Reiseskizzen aus den Jahren 1837–1840, Bd. 2, Leipzig 1842, S. 1–4. 77 Hier ist das wohl imposanteste Beispiel die „Nemesis“ von 1836. Genau wie Marchesis „Morte di Giulio Mylius (Julius Mylius’ Tod)“ wurde es für das „Tempelchen“ der Villa am Comer See geschaffen und stand im Kontext der Trauer um Julius Mylius. Vgl. Meda Riquier / Usselmann / Liermann Traniello, Enrico Mylius, S. 105.

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Abbildung: Die durch Mylius, Rüppell und Seufferheld gestiftete Goethe-Statue78

78 Illustrirte Zeitung 31.8.1867, S. 140.

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Das Goethe-Denkmal, mit dem Thorvaldsen für Frankfurt beauftragt worden war, blieb bis zu seinem Tod jedoch vermutlich unvollendet.79 Somit gingen allein Mylius, Rüppell und Seufferheld als Vorreiter in dieser Sache in die Frankfurter Stadtgeschichte ein. Erst vier Jahre später, 1844, wurde ein durch öffentliche Mittel finanziertes Goethe-Denkmal auf einem seither „Goetheplatz“ genannten Areal in der Stadt aufgestellt.80 Die Aufmerksamkeit, welche die Vorgänge um das erste Frankfurter GoetheDenkmal erregte, war entsprechend groß gewesen. Die Stiftung der Goethe-Statue habe als „Nationalangelegenheit“ gegolten, wie es die zeitgenössische Reiseliteratur fasste,81 und das von Rüppell, Mylius und Seufferheld gestiftete Kunstwerk war „das erste, welches trotz so vielen Geschreies, Sturmblasens und Journalgebettels bisher zu Stande kam“.82 Die vorangegangenen Bestrebungen hatten sich nicht auf die des von Rüppell beschriebenen Komitees beschränkt. Denn der bereits im Anschluss an Goethes 70. Geburtstag 1819 in der wohlhabenden Frankfurter Bürgerschaft gereifte Entschluss zu einem Goethe-Denkmal hatte weite Kreise gezogen, ohne final umgesetzt zu werden. Unter anderem hatte sich Bettine von Arnim in den frühen 1820er Jahren intensiv mit der Idee auseinandergesetzt und einen eigenen Entwurf angefertigt.83 Die Aufmerksamkeit für Mylius, Rüppell und Seufferheld war entsprechend groß. Besondere Erwähnung fand zeitgenössisch, dass die drei Stifter für die Kosten des Denkmals aus eigener Tasche und „ohne Collecte“ aufgekommen waren und dass sie, trotz der hohen Zuwendung ihre Namen nicht auf der Inschrift des Kunstwerks verzeichnen ließen. Stattdessen lautete die Inschrift: „J. W. Goethe, zu Frankfurt geboren am 28 August 1749[,] gestorben zu Weimar am 22 März 1832. Zu seinem Andenken[.] An dieser hierzu besonders würdig erachteten (!) Stelle [e]rrichtet durch drei seiner aufrichtigen Verehrer. 1840.“84 Die Statue wurde 1840 in der Vorhalle der Bibliothek zu Frankfurt aufgestellt. Bei der offiziellen Übergabe des Kunstwerkes durch die Stifter an die Büchereiinspektion der Stadt Frankfurt waren Rüppell und Seufferheld anwesend.

79 Zum Stand von Thorvaldsens Arbeiten an der Goethe-Statue vgl. Kunst-Blatt Nr. 61, 30.7.1839, S. 244; E.A. Hagen, A. von Thorwaldsen. Eine Vorlesung in der Königlich deutschen Gesellschaft am 11. April gehalten, Königsberg 1844, S. 26. 80 Vgl. W. Stricker, Goethe und Frankfurt am Main. Die Beziehungen des Dichters zu seiner Vaterstadt, Berlin 1876, S. 50. 81 Von Jagemann, Deutsche Städte, S. 4. 82 Ebd., S. 1. 83 Vgl. ebd.; U. Growe, Das Briefleben Bettine von Arnims – Vom Musenanruf zur Selbstreflexion. Studie zu „Goethe’s Briefwechsel mit einem Kinde“, „Die Günderode“ und „Clemens Brentano’s Frühlingskranz“, Würzburg 2003, S. 138–139; W. Bunzel, „Arnim, Bettine von, geb. Brentano“, in: Frankfurter Personenlexikon (Onlineausgabe), http://frankfurter-personenlexikon.de/node/660 [14.6.2020]; Isis Nr. 12, 16.1.1825, S. 46. 84 Von Jagemann, Deutsche Städte, S. 1–4.

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Heinrich Mylius kam nicht aus Italien angereist, sondern ließ sich durch seine beiden zu dieser Zeit in Frankfurt befindlichen Neffen Carl und Georg Mylius vertreten.85 Marquard Georg Seufferheld, neben Mylius und Rüppell der Dritte im Bunde, war Frankfurter Bankier und ebenfalls engagierter lokaler Mäzen.86 Er stand in enger Verbindung zu Rüppell, etwa über das Engagement bei der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft.87 Zudem wiesen die Familiengeschichten der Seufferhelds und der Mylius signifikante Parallelen und Verflechtungen auf. Während Marquard Seufferheld die Bank der Familie in Frankfurt leitete, war der jüngere Bruder Ludwig nach Mailand gegangen und zeichnete dort für die Gründung eines Hauses für Bankgeschäfte und Seidenhandel verantwortlich. Ludwig Seufferheld und Heinrich Mylius wiederum standen am Comer See in enger freundschaftlicher Beziehung zueinander. Ihre Familien und die weiterer Kaufleute bauten ihre Villen in Reichweite zueinander um den Comer See, intensivierten durch gegenseitige Besuche ihre Freundschaft und bildeten auch einen kulturellen Knotenpunkt, der nicht zuletzt durch Kontakte, Einflüsse und Besuche mit und aus Weimar gespeist wurde.88 4. WOHLTÄTIGKEIT UND STADTBÜRGERTUM Das prägnanteste bildliche Symbol und zugleich auch Echo des Mäzenatentums der Eheleute Mylius, das sich als bürgerschaftliches Engagement verstanden sieht, ist eine Münze, die 1845 im Auftrag des Frankfurter Senats geprägt wurde. Die Münze (siehe Abb. 7) war eine Form des Dankes für die Zuwendungen an Frankfurt, wobei nicht schlussendlich geklärt ist, auf welche Zuwendung sie sich spezifisch bezog. Mitunter wird es der Dankbarkeit für die Stiftung des Goethe-Denkmals zugeschrieben, dass die Stadt Frankfurt dem Ehepaar Mylius eine sogenannte „Senatsmedaille“ prägte. Es finden sich jedoch auch Hinweise darauf, dass dies auf Anregung des eingangs bereits kurz erwähnten Versorgungshauses geschah. Demnach wäre anzunehmen, dass das Versorgungshaus infolge einer größeren Zuwendung von Mylius in dieser Sache an die Stadt herantrat.89 Das Versorgungshaus, später nach einem weiteren bedeutenden Stifter Versorgungshaus Wiesenhüttenstift genannt, war Bürgerstiftung für die Versorgung von Alten und chronisch Kranken

85 Vgl. Serapeum. Zeitschrift für Bibliothekwissenschaft, Handschriftenkunde und ältere Litteratur 1 (1840), S. 128. 86 Vgl. S. Hock, „Stoltze, Friedrich“, in: NDB 25 (2013), S. 428–429. 87 Vgl. Mertens, Eduard Rüppell, S. 84–85, 157, 266, 284–287. 88 Vgl. Poettinger, Deutsche Unternehmer, S. 63–64, S. 92, S.180–181. 89 Vgl. D.F. Heynemann, „Die Medaillen-Sammlung der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft“, Bericht über die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft (1906), S. 91– 120, hier S. 104–106.

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und fungiert in diesem Sinne bis heute. Es handelt sich um die Frankfurter Institution, die nach Stand der hier ausgewerteten Quellen der gespendeten Geldsumme nach die höchste Zuwendung von Mylius erhielt. 1840 oder in den Jahren zuvor stiftete Mylius 30.000 fl. zum Ausbau des Hauses. 1844 wurde das Stiftungskapital um 15.000 fl. erhöht, 1849 nochmal um 1.000. 1854 gingen dem Versorgungshaus nach Mylius’ Tod testamentarisch 12.000 fl. zu.90 Es erscheint also, zumal in Betracht der zeitlichen Nähe, durchaus plausibel, die 1845 angestoßene Prägung der Dankesmünze im Zusammenhang mit den beiden Schenkungen von 1840 und 1844 in der Summe von insgesamt 45.000 fl. zu sehen. Ein halbes Jahrhundert später werden diese Ereignisse im Rahmen einer numismatischen Abhandlung jedenfalls in direkten Zusammenhang gebracht und die Münze als „Gegengeschenk des Versorgungshauses“ eingeordnet. 1844 habe es einen Bericht des Versorgungshauses an den Senat über eine bedeutende Geldschenkung durch Mylius gegeben. Die Repräsentanten des Versorgungshauses hätten in diesem Zuge um Erlaubnis für das Prägen einer Gedächtnismünze unter Verwendung des Wappens der Stadt sowie des Schriftzuges S.P.Q.F gebeten. Der Senat und die ständige Bürgerrepräsentation hätten zugestimmt und beschlossen, die Kosten zu übernehmen und selbst ein goldenes Exemplar der Münze Mylius zum Geschenk zu machen. Nachdem Mylius über diese Entschlüsse in Kenntnis gesetzt worden sei, hätte er diese zwar abgelehnt, sie seien trotzdem umgesetzt worden.91 Bei der Münze handelt es sich um eine Bronze-Medaille, von der auch eine goldene und drei silberne Ausgaben geprägt worden waren.92 Auf der Vorderseite der Münze befinden sich die Gesichter des Ehepaares Mylius im Profil. Die Umschrift der Vorderseite lautet: HENRICUS MYLIUS FRANCOFURTENSIS ET FRIDERICA SCHNAUSS VINARIENSIS CONIVGES (Dem Frankfurter Bürger Heinrich Mylius und der Weimarer Bürgerin Friederike Schnauß93). Wie zuvor bereits ausgeführt, zeigt auch die Münze – durch die Nennung ihres Geburtsnamens und ihrer Stadtbürgerschaft –, dass Friederike Mylius in den Augen ihrer Zeitgenossen nicht nur Ehefrau, sondern eigenständige Person war. Auf der Rückseite lautet die Umschrift: CIVIBVS BENIGNIS ET LIBERALIBVS S.P.Q.F. (Den gütigen und freigiebigen Bürgern. Der Senat und das Volk von Frankfurt). Kaum zufällig erinnert die Abkürzung S.P.Q.F. für Senatus Populusque Francofurtensis an den berühmten Schriftzug S.P.Q.R. für Senatus Populusque Romanus. Die Dankesmünze für das Ehepaar Mylius und andere Münzprägungen war freilich nicht die einzige Gelegenheit bei der S.P.Q.F. zum Einsatz kam. Die Stadt verwendete die

90 Vgl. ISG FFM: Vereinigungen Bestand: Versorgungshaus und Wiesenhüttenstift Signatur: V 54/1008Heinr. Mylius der Ältere; H.-O. Schembs, Versorgungshaus und Wiesenhüttenstift, S. 25. Zur Zuwendung nach seinem Tod vgl. auch Didaskalia. Blätter für Geist, Gemüth und Publicität, Nr. 21, 24.1.1856, [S. 4/o.P.]. 91 Heynemann, „Die Medaillen-Sammlung“, S. 103–106. 92 Ebd., S. 103–106. 93 Übersetzung der Autorin, wenn nicht anders angegeben.

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Abkürzung als Inschrift etwa auf Statuen, Bauwerken oder Glocken. Bei der sogenannten Senatsmedaille für die Mylius erinnerte aber noch viel mehr an Rom. Die Abbildung auf der Rückseite zeigt eine sitzende Frau im römisch anmutenden Gewand. Sie sitzt auf einem Stuhl, hinter dem sich ein Lorbeerstämmchen befindet, an dem ein Anker lehnt. In der einen Hand hält sie einen geflügelten Stab. In der anderen Hand hält sie ein Säckchen, das sie einer ihr gegenüber in einer leicht gebückten, kauernden Pose stehenden Frau in ebenfalls römisch anmutendem Gewand reicht, die das Säckchen von der Sitzendenden empfängt.94 Die Szene stellt ohne Zweifel das Geben eines Almosens dar. Die zentrale Gestalt auf der Münze kann, wie auf Rückseiten römischer Münzen üblich, als Gottheit oder noch eher als Personifikation angesehen werden, der üblicherweise Attribute zugeordnet wurden. Der geflügelte Stab ist eindeutig als Merkurstab zu identifizieren. Als Symbol des Handels passte er zur Profession des Kaufmanns Heinrich Mylius. Ein Geldsäckchen ging oftmals mit dem Merkurstab einher. Allerdings erscheint es hier weniger als Symbol des Handels als der Mildtätigkeit, als Almosen. Die Zuordnung zu möglichen römischen Vorbildern hierfür kann nicht mit Eindeutigkeit erfolgen. Liberalitas, die Personifikation der Freigebigkeit, hatte als wichtigstes Attribut das Füllhorn. Clementia, die Milde, meist Palmzweig und Opferschale. Auch der Anker lässt Interpretationsspielraum offen. Er steht manchmal als Symbol für Stabilität oder ist Attribut von Laetitia, der Personifikation der grundlosen Freude. Der symbolträchtige Lorbeer fügt sich wiederum gut ins Bild. Er kann für Ruhm, Sieghaftigkeit, Erfolg oder auch für Beständigkeit stehen. Die Münze für Mylius war zwischen 1845 und 1849 mehrfach ein im „Großen Rath“ der Stadt diskutiertes Thema. Personen, die eine zentrale Rolle bei der Vorbereitung der Prägung für Mylius spielten, waren – wieder einmal – Eduard Rüppell, aber des Weiteren zum Beispiel der städtische Senator Sebastian de Neufville, der ab 1847 auch jüngerer Bürgermeister war.95 Er war zudem der Sohn des Bankiers Johann Georg de Neufville, bei dem Heinrich Mylius’ Vater Johann Christoph angestellt war, nachdem er nach Frankfurt gekommen war.96 Heinrich Mylius wollte das für ihn gefertigte Exemplar der Münze zunächst – aus Bescheidenheit, wie die überlieferten Berichte sagen, – nicht annehmen. Eduard Rüppell konnte ihn bei einer Reise nach Mailand 1846 schließlich persönlich dazu überreden.97

94 Vgl. Rüppell, „Schaumünzen“, S. 77. 95 Vgl. z.B. ISG FFM: Rechnerei nach 1816, Nr. 909, Nr. 579. 96 Zur Person Sebastian de Neufvilles vgl. W. Klötzer, Frankfurter Biographie, Bd. 2, Frankfurt a.M. 1996, S. 95–96. 97 Vgl. D.F. Heynemann, „Die Medaillen-Sammlung“, S. 104–106.

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Weitere Schenkungen durch Mylius um die Jahrhundertmitte herum sind überliefert. Unter anderem stiftete er 1845 zur Errichtung einer dritten Kleinkinderschule in der Stadt 20.000 fl.98 Bestehende Kleinkinderschulen unterstützte er ebenfalls mit kleineren Beträgen.99 Am Beispiel der Kleinkinderschulen zeigt sich eine gewisse Parallelität, mit der Mylius in Frankfurt, seiner Geburtsstadt, deren Bürger er war, und Mailand bzw. der Lombardei, seiner Wahlheimat, wirkte. So hatte er in Mailand auch eine Kleinkinderschule gestiftet und förderte solche und ähnliche Einrichtungen durch großzügige finanzielle Zuwendungen.100 Die Liste seiner mäzenatischen Betätigung in seiner Wahlheimat ist lang und umfasst beispielsweise die Gründung der „Società d’Incoraggiamento d’Arti e Mestieri“ (SIAM) – eine Gesellschaft zur Förderung von Kunstgewerbe und Handwerk – oder Unterstützung für Wöchnerinnen in Sesto San Giovanni, wo die Familie Mylius einen Landsitz besaß.101 Genau wie aus Frankfurt erfuhr Mylius auch aus Mailand Dank für seine Wohltätigkeit in Form von künstlerischen Ehrungen. Ganz lokal, unmittelbar vor seiner Haustüre, wirkte Mylius ebenfalls wohltätig. In Loveno, oberhalb des Comer Sees, wo seine Villa – die spätere Villa Vigoni – stand, ließ er auf seine Kosten einen Kirchhof anlegen und eine befahrbare Straße von Loveno in den nächstgelegenen Ort Menaggio bauen. Die ortsansässige Bevölkerung zeigte ihre Dankbarkeit und gedachte seiner durch an der Straße aufgestellte Gedenktafeln.102 Die hauptsächliche Motivation für Mylius’ Wohltätigkeit auf beiden Seiten der Alpen sahen Rüppell, andere Zeitgenossen und Nachfolgende in dem frühen Tod des einzigen Sohnes Julius: „Der von gerechtem Schmerze tief gebeugte Vater hatte 98 Vgl. ISG FFM: Nachlassakten, 1845, 7.453; 7.455. Vgl. auch F. Baasner, „Heinrich Mylius“, S. 11–12. 99 Überliefert sind Schenkungen in den Jahren 1838, 1840, 1844, 1850, 1851, 1852 an die Kleinkinderschulen. Es handelte sich um Beträge von 500, 400, 300 und 200 fl. Vgl. Frankfurter Volksbote, Nr. 18, 30.4. 1854, S. 73. 100 Vgl. Heyden, Gallerie, S. 596; Meda Riquier / Usselmann / Liermann Traniello, Enrico Mylius, S. 116–117; vgl. ebd., S. 115–125 ausführlich zu Mylius’ Mäzenatentum in der Lombardei. 101 Ein Beispiel ist ein Denkmal, das die Stadt Mailand zu Ehren von Heinrich Mylius und Antonio Kramer – Sprössling einer aus der Schweiz stammenden Kaufmannsfamilie, die sich ebenfalls in der Lombardei angesiedelt hatte und mit den Mylius’ eng verbunden war – aus Dank für die tiefgreifende mäzenatische Betätigung der beiden, vor allem auf wissenschaftlichem Gebiet, aufstellte. Vgl. M. Poettinger, Deutsche Unternehmer, S. 32–33, 95. Ein weiteres, allerdings posthumes Beispiel ist eine Ausschreibung durch die kaiserlich königliche Akademie der bildenden Künste zu Mailand. Sie richtete sich an Künstler aus dem In- und Ausland und betraf ein Freskogemälde, das zum Andenken und zu Ehren Mylius’ angefertigt werden sollte. Die Höhe des dafür in Aussicht gestellten Honorars betrug 1.600 Lire. Vgl. Allgemeine Zeitung Nr. 307, 3.11.1858, S. 4955. Zu Details der Ausschreibung vgl. Meda Riquier / Usselmann / Liermann Traniello, Enrico Mylius, S. 115. 102 Vgl. Georg Leonhardi, Der Comersee und seine Umgebung, Leipzig 1862, S. 36. Vgl. auch I. Tschudi, Schweizerführer. Reisetaschenbuch für die Schweiz, die benachbarten italienischen Seen und Thäler, Mailand, das Chamounythal, die Umgebungen des Montblanc und des Monte Rosa, das angrenzende Tyrol, Montafun und Vorarlberg, fünfte, gänzlich umgearbeitete und stark vermehrte Auflage, St. Gallen 1863, S. 220–221.

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von nun an kein direktes Interesse, sein großartiges Vermögen durch Anhäufung zu vermehren und beschloss deshalb, einen namhaften Theil desselben schon bei Lebzeiten zu gemeinnützigen Zwecken zu verwenden.“103 In der Konsequenz schien es daher nicht verwunderlich, wenn sich der Schwerpunkt seines Mäzenatentums auf die junge Generation bezog. Als eines seiner Anliegen erschien die Nachwuchsförderung. Noch wenige Tage vor seinem Tod hat er 8.000 fl. als Kapital gestiftet, das jährlich 300 fl. an Zinsen abwerfen sollte, um Honorare für naturwissenschaftliche Vorlesungen zu finanzieren – wie es im Nachruf auf Mylius heißt. Die Vorlesungen sollten explizit durch „jüngere Gelehrte“ gehalten werden.104 Genauer noch identifizierte Eduard Rüppell in seinem Nachruf – und in Einklang mit ihm der vormalige Frankfurter Bürgermeister Heyden in seiner biographischen Notiz zu Mylius – drei Stiftungsziele: erstens die „primäre Erziehung der Kinder niederer Volksklassen“, zweitens „die Förderung und Begründung solcher wissenschaftlichen Anstalten, deren Unterricht im kräftigen Jünglingsalter einen direkten Nutzen für das ganze Leben bezweckt“ und drittens „die Unterstützung hilfsbedürftiger Leute, sobald ihnen die Kräfte fehlen, für ihren Unterhalt selbst Fürsorge zu tragen“.105 Während sich die Fokussierung auf Bedürftige in seinen wohltätigen Zuwendungen nach Frankfurt besonders deutlich widerspiegelt, sich die Bemühung um Jüngere ebenfalls bestätigt – vor allem durch das Beispiel der Kleinkinderschulen, das sein Pendant auch in Mailand hat –, zeichnet sich klar ein weiteres Feld ab: das Mäzenatentum im konfessionellen Kontext, wie die Zuwendungen durch Heinrich Mylius und weitere Familienmitglieder an die Niederländische Gemeinde zeigen. In der Lombardei und auch überregional trat das konfessionelle Motiv besonders klar hervor. So spendete er 1836 dem Fonds der evangelischen Hauptschule in Triest 2.000 fl.106 In Mailand war Mylius eine Zeit lang Vorstand der protestantischen Gemeinde, deren Mitgliederschaft sich aus deutsch- und französischstämmigen Immigranten zusammensetzte. Während die Gemeinde zunächst nur geduldet wurde, stand zu Beginn der 1860er Jahre in Aussicht, dass sie ein eigenes Kirchenregister erhielt. Das zeugt von einer immer höheren Akzeptanz der Gemeinde in der Stadt, was nicht zuletzt auf die gelungene Integration ihrer Gläubigen als gesellschaftlich und wirtschaftlich wichtige Mitglieder der Stadtgesellschaft zurückzuführen ist. Das korrespondiert damit, dass auch in materieller Hinsicht eine positive Entwicklung für die Gemeinde zu verzeichnen war. Die Gottesdienste waren zunächst in einem gemieteten Gebäude abgehalten worden. Nachdem Mylius Kirchenvorstand gewesen war, wollte die Gemeinde aus Spendengeldern von Mitgliedern ein eigenes Kirchengebäude bauen. Mylius selbst spendete eine hohe Geldsumme, und nach zeit-

103 Heyden, Gallerie, S. 595. Fast im selben Wortlaut auch schon bei Rüppell: Frankfurter Volksbote, Nr. 28, 9.6.1854, S. 114. 104 Frankfurter Volksbote, Nr. 18, 30.4. 1854, S. 73. 105 Heyden, Gallerie, S. 596. Vgl. auch Frankfurter Volksbote, Nr. 28, 9.6.1854, S. 114. 106 Vgl. Vereinigte Ofner Pester Zeitung, 21.6.1836, Nr. 58, S. 1(1059).

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genössischer Einschätzung handelte es sich um ein erfolgsversprechendes Vorhaben, da sich viele reiche Kaufleute unter den Gemeinde-mitgliedern befanden.107 Der Gemeinde gehörten viele Familien an, die ursprünglich aus deutschsprachigen Gebieten stammend eine Vorreiterrolle bei der Industrialisierung Mailands einnahmen. Somit war die Mailänder protestantische Gemeinde nicht nur Zusammenschluss Gläubiger, sondern gleichzeitig lokale Manifestation eines starken, transnationalen kaufmännischen Netzwerkes. Doch Mylius’ lokales Netzwerk war nicht allein eines von Immigranten. Denn zudem schaffte er es, sich in fest etablierte lokale Netzwerke, auch innerhalb des traditionellen Mailänder Adels, einzubinden.108 Das lokal gebündelte transnationale Netzwerk war auch für die geschäftlichen und mäzenatischen Aktivitäten Heinrich Mylius’ zentral. Er gründete eine Gesellschaft für die Förderung von Kunst und Gewerbe und spendete auch das Kapital für die Einrichtung einer chemischer Schule, deren Leitung er seinem Protegé Antonio Kramer übertrug, unter dem Dach dieser Gesellschaft.109 Nach Mylius’ Tod kam der Bedeutung seines Netzwerks explizit Beachtung zu: Die ganze Glanzperiode der deutschen Literatur verfolgte er mit lebhafter Theilnahme, mit Göthe, den er durch eine herrliche Bildsäule verherrlichen half, und mit dem größten Beschützer der deutschen Dichterkunst, mit Karl August von Weimar, stand er in freundschaftlicher Beziehung. Unter seine vertrauten Freunde rechnete er den Stifter des vortrefflichen Mailänder numismatischen Cabinets, K. Cattaneo; mit dem großen Thorwaldsen stand er in innigster Beziehung; Oriani der Astronom und der Dichter Vincenzo Monti waren seine Hausfreunde und regelmäßigen Besucher, wenn sie gleichzeitig mit ihm in Sesto sich des Landlebens erfreuten. Der in Sachsen gewiß unvergeßliche Staatsminister Bernhard von Lindenau schätzte ihn hoch und verweilte mehrmals bei ihm in Loveno.110

Die Verbindung zum bedeutenden Zeitgenossen Goethe stand bei der Erwähnung an erster Stelle und mit Bezugnahme auf die Stiftung der Frankfurter Goethe-Statue („herrliche Bildsäule“). Sowohl für Goethe als auch Großherzog Carl August von Weimar war das Ehepaar Mylius eine zentrale Anlaufstelle, wenn es darum ging, mit Personen in Italien in Kontakt zu treten.111 Carlo Cattaneo (1801–1869) war ein berühmter Ökonom und Publizist und fungierte zwischenzeitlich auch als hauptamtlicher Direktor der SIAM.112 Die Kontakte zu dem Astronomen Barnaba Oriani (1752–1832) und dem Dichter Vincenzo Monti (1754–1828) gingen vermutlich auf die Gesellschaftsdame Adelaide Calderara (1804–1883) zurück, die häufig in der Mylius’schen Villa in Sesto San Giovanni zu Gast war und dem Ehepaar Mylius verschiedene berühmte Persönlichkeiten vorstellte.113 Den sächsischen Liberalen

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Vgl. Neueste Nachrichten auf dem Gebiete der Politik Jg. 15, Nr. 114, 24.4.1862, S. 1504. Vgl. M. Poettinger, Deutsche Unternehmer, S. 97. Vgl. ebd., S. 163. Heyden, Gallerie, S. 597. Vergleichbar auch Frankfurter Volksbote, Nr. 18, 30.4.1854, S. 73. Frankfurter Volksbote, Nr. 29, 16.6.1854, S. 119. 111 Vgl. Meda Riquier / Usselmann / Liermann Traniello, Enrico Mylius, S. 73. 112 Vgl. Poettinger, Deutsche Unternehmer, S. 165–166; Meda Riquier / Usselmann / Liermann Traniello, Enrico Mylius, S. 119. 113 Vgl. ebd., S. 92.

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Bernhard von Lindenau hatte Mylius am Weimarer Hof kennengelernt und korrespondierte mit ihm bis 1848 vor allem auch über politische Themen, wobei die Informationen zur möglichen politischen Ausrichtung von Mylius insgesamt äußerst spärlich sind.114 Dies wiederum spricht für die eingangs referierte These zu seiner politischen Subtilität. Wie in obigem Zitat bereits ansatzweise zur Geltung kam, stellte Mylius’ Haus in Mailand einen wichtigen gesellschaftlichen Knotenpunkt dar. Die lokal manifestierten transnationalen Netzwerke fanden dabei auf verschiedene Weise transnationale Verankerung. Wie weiter oben schon im Zusammenhang mit den im konfessionellen Kontext stehenden Kontakten deutlich wurde, waren die lokalen wirtschaftlichen Netzwerke ebenfalls vor allem von Kaufmannsfamilien aus ähnlichen Herkunftsregionen geprägt. In fünf „deutschen“ Handelshäusern fanden abwechselnd wöchentliche „Donnerstagsbälle“ statt. Eines davon war das Haus der Familie Mylius, wo in diesem Rahmen einer der Neffen im Januar 1839 einen Ball mit 200 Gästen veranstaltete. Bei diesem Ereignis, das sicherlich beispielhaft für viele andere seiner Art stehen kann, kamen in den Augen der Zeitgenossen bedeutende Persönlichkeiten zusammen. Besondere Beachtung kam dabei jeweils einem deutschen und einem italienischen Gast zu. Bei dem deutschen handelte es sich um Eduard Rüppell, der zu diesem Zeitpunkt durch seine Expedition nach Abessinien bereits einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht hatte. Der italienische Gast war der Maler und Dichter Massimo d’Azeglio (1798–1866), der vor allem durch seinen 1833 veröffentlichten Roman „Ettore di Fieramosca“ berühmt geworden war.115 Anderthalb Jahrzehnte später sollte er für einige Jahre Ministerpräsident des Königreiches Sardinien-Piemont werden. Seine erste Frau Giulia (1808–1834), die einige Monate nach Geburt der gemeinsamen Tochter starb, war eine Tochter des berühmten Schriftstellers Alessandro Manzoni (1785–1873) und seiner Frau Enrichetta (1791– 1833), geb. Blondel.116 Mylius war zentraler Ankerpunkt für Manzoni und Goethe für die Kommunikation zwischen Mailand und Weimar.117 Die Händlerfamilie Blondel stammte aus der Schweiz und weist mit ihrem Erfolg in Norditalien viele Parallelen zu Mylius auf. Sie waren in ihrer Wahlheimat zur einigem Wohlstand gelangt und ebenfalls in ein gut funktionierendes lokales und transnationales Netzwerk eingebettet, zu dem auch die Mylius gehörten und mit deren Netzwerk es sich wiederum überschnitt.118 Vielmehr als ‚nur‘ als Mittler zwischen Goethe und Manzoni kann Mylius als kommunikativer Knotenpunkt für den Weimarer Hof insgesamt und Mailand betrachtet werden.119 Eine wichtige ‚höfische‘ Funktion lag also in bürgerlicher Hand. Mylius und andere transnational agierende Kaufleute,

114 Vgl. ebd., S. 124–125. 115 Vgl. Der Adler, Nr. 32, 6.2.1839, S. 134. 116 Vgl. W. Weidenbusch, Das Italienische in der Lombardei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Schriftliche und mündliche Varietäten im Alltag, Tübingen 2002, S. 208. 117 Vgl. Vgl. Meda Riquier / Usselmann / Liermann Traniello, Enrico Mylius, S. 78. 118 Vgl. hierzu den Aufsatz von Monika Poettinger in diesem Band. 119 Vgl. Meda Riquier / Usselmann / Liermann Traniello, Enrico Mylius, S. 73–75.

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etwa Mitglieder der Familie Kramer, sind damit Beispiele für Vertreter des Wirtschaftsbürgertums ihrer Zeit, die als neue ökonomische Eliten selbstbewusst nach politischer und gesellschaftlicher Anerkennung strebten.120 Mylius blieb in seinem Handeln zeitlebens vor allem auch Kind seiner Geburtsstadt. Diese war eine besonders bürgerliche Stadt: eine Stadt des Wirtschaftsbürgertums. Frankfurt war keine Residenzstadt, aber durch Sitz der Versammlung des Deutschen Bundes gewissermaßen deutsche Hauptstadt – Hauptstadt eines Staatenbundes. Und sie war dabei eine Bürgerstadt, deren Bürger durch Adaption höfischer Formen, aber auch mit ganz eigenen Formen gesellschaftlicher Interaktion einen Hof substituierten.121 Im Kontext der „Donnerstagsbälle“ findet Mylius, passend zu seinen deutschitalienischen Gästen, als bilokaler Akteur Erwähnung: zum einen als Vorstand der Mailänder Handelskammer und zum anderen als jemand, der sich mit der Stiftung der Frankfurter Goethe-Statue große Verdienste gemacht hat. Bei einem der „Donnerstagsbälle“ erfuhr Mylius durch Bregenzer Handlungsreisende, dass die Statue unbeschädigt in Frankfurt angekommen war.122 Die gesellschaftlichen Ereignisse in den Handelshäusern der deutschstämmigen Mailänder Kaufmannsfamilien dienten also auch als Orte von Informationsnetzwerken. Die Netzwerke der deutschstämmigen, in der Lombardei tätigen Unternehmer waren – in den Augen der Zeitgenossen – nicht zuletzt ausschlaggebend dafür, dass die Wirtschaft der Mailänder Region stabiler war als in anderen Gebieten Italiens oder gar Europas.123 5. SCHLUSS: TRANSNATIONALE BIOGRAPHIEN Heinrich Mylius war in großem Maßstab in seiner Geburtsstadt Frankfurt am Main als Mäzen tätig. Seinen Zeitgenossen und den unmittelbar Nachgeborenen waren diese Taten präsent. In der späteren Forschungsliteratur zu Mäzenatentum und Frankfurt ist Mylius vergleichsweise unterrepräsentiert. Mylius hinterließ Spuren bei seinem Wirken in Frankfurt, doch oftmals waren es mittelbare Spuren. Denn häufig agierte er durch seinen guten Freund, den bekannten Forschungsreisenden Eduard Rüppell, der einer der Pfeiler seines persönlichen Netzwerkes war. Die primär in Bezug auf sein Mäzenatentum in Italien herausgestellten Motive hatten auch in Frankfurt ihre Gültigkeit, nur dass der Einfluss Rüppells und Mylius’ konfessionelle Bindung ein mindestens so starkes Gewicht hatten wie die Förderung der Jugend. Mylius handelte also voll und ganz im Rahmen seines Netzwerks. Dieses bestand aus familiären, geschäftlichen und freundschaftlichen Verbindungen und erstreckte sich über Europa schwerpunktmäßig an einer sich von Nordwest nach

120 Vgl. M. Poettinger, „German Entrepreneurial Networks and the Industrialization of Milan“, in: A. Gestrich / M. Schulte Beerbühl (Hrsg.), Cosmopolitan Network and Society, S. 268–292, hier S. 282. 121 Vgl. Schweighöfer, Bismarcks erste Bühne, S. 144–145. 122 Vgl. Der Adler, Nr. 32, 6.2.1839, S. 134. 123 Vgl. Poettinger, Deutsche Unternehmer, S. 189–191.

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Südost ziehenden Achse von England über Frankfurt und Weimar bis in die Lombardei. Die Mitglieder des Netzwerks waren in der wirtschaftlichen Sphäre, in Politik oder Diplomatie sowie in Kunst und Wissenschaft zu verorten. Die wirtschaftliche Sphäre ist der Ausgangspunkt für die Mylius, die durch und durch als Kaufmannsfamilie bezeichnet werden können. Der wirtschaftliche Wohlstand war Grundlage für Mäzenatentum und dabei die Tuchfühlung mit Kunst und Kultur. Die Goethe-Statue beispielsweise war eine unmittelbare Manifestation der Handlung einzelner Akteure aus diesem Netzwerk. Vor diesem Hintergrund lässt sich die eingangs aufgestellte These, dass Heinrich Mylius’ Mäzenatentum sich nur im Kontext seiner transnationalen Netzwerke verstehen lässt, die ihn als pan-europäischen Akteur zeigen, bestätigen. Die zudem referierte These, dass er politisch subtil agiert habe, fügt sich in die Befunde, welche die Bürgertumsforschung herausgearbeitet hat. Das „Bürger-Sein“ Mitte des 19. Jahrhunderts konnte erst vollendet sein durch ein beständiges Engagement, also durch Spenden und Stiftungen, eben durch bürgerlichen Gemeinsinn und „Bürgertugend“.124 Demzufolge lässt sich Stiftertum als Teil eines spezifisch bürgerlichen Herrschaftskonzepts ansehen, als Modell der Selbstorganisation der bürgerlichen Gesellschaft, das sich – gestützt insbesondere auf die bürgerlich beherrschte Stadt – als Alternative zur bürokratischen Staatlichkeit verstand.125 Die dabei zu Tage tretende transnationale Handlungsweise Heinrich Mylius lässt sich wiederum, wie bereits erwähnt, nicht verstehen ohne den Blick auf sein transnationales Netzwerk, in das er eingebettet war. Die Bedeutung, die solche kaufmännischen Netzwerke, die aus komplexen Strukturen persönlicher Beziehungen bestanden, für die wirtschaftliche Entwicklung im 19. Jahrhundert hatten, wurde von der neueren Forschung herausgestellt.126 Heinrich Mylius kann hier als exemplarisches Beispiel gelten. Mit konkretem Bezug auf Mylius hat die Forschung zu künstlerisch kulturellen Verbindungen – hier konkret zwischen Mylius und Alessandro Manzoni – den hohen Grad der Transnationalität des kaufmännischen Akteurs Mylius bereits in den 1980er Jahren betont: Für diese Kaufleute waren Ländergrenzen, Staatsbürgerschaften, kleinbürgerliche Tabus und offenbar auch Sprachen keine Hindernisse. Ein kleines Dokument für diese Anpassungsfähigkeit findet sich im Mailänder Archivio Civico: ein Pass unseres (grossen) Heinrich Mylius, der, für den Dreissigjährigen 1798 von der Stadt Frankfurt in französischer Sprache ausgestellt, auf den Namen Henry Mylius lautet und auch so unterschrieben ist, zu einer Zeit, als Mylius sich schon seit zehn Jahren in Italien Enrico nannte.127

124 D. Hein, „Das Stiftungswesen als Instrument bürgerlichen Handelns im 19. Jahrhundert“, in: H.-P. Becht / B. Kirchgässner (Hrsg.), Stadt und Mäzenatentum, Sigmaringen 1997, S. 75–92, hier S. 84. 125 Vgl. ebd., S. 85. 126 Vgl. M. Poettinger, „Merchant and Entrepreneurial Migrations: Some Introductory Notes“, in: dies. (Hrsg.), German Merchant and Entrepreneurial Migrations, S. 9–30, hier S. 9. 127 Hugo Blank, Goethe und Manzoni. Weimar und Mailand, Heidelberg 1988, S. 17–18.

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Doch anders als hier impliziert, ist dieser Befund keineswegs etwas Exzeptionelles. Für Mylius und Seinesgleichen war das Überschreiten von Grenzen jeglicher Art vielmehr etwas Selbstverständliches. Das heißt jedoch nicht, dass Grenzen negiert wurden. Familiäre und freundschaftliche Beziehungen, Geschäftskontakte, vor allem auch Konfession und in einem geringeren Maße Nationalität im semantischen Sinne waren die Fixpunkte in Heinrich Mylius’ Leben. Grenzübergreifend pflegte der Wirtschaftsbürger Mylius dabei auch Austausch mit einer höfischen Personengruppe.128 Möglicherweise war also gerade die – innerhalb von zwei Generationen der Familie Mylius – erreichte Zugehörigkeit zur höheren Gesellschaft ein besonders starkes Bindeglied für den Zusammenhalt seines persönlichen Netzwerkes und könnte damit bedeutender gewesen sein als die Zugehörigkeit zur selben Konfession oder demselben Sprachraum.

128 Vgl. Meda Riquier / Usselmann / Liermann Traniello, Enrico Mylius, S. 78.

FREMDE HERKUNFT – DEUTSCHE HEIMAT Die Brentanos und Italien Wolfgang Bunzel Abstract: The Brentano family from Tremezzo on Lake Como has played a prominent role in German cultural history over the last 200 years. The present contribution explores the question of which factors were decisive for this phenomenon. It shall be shown that the process of cultural assimilation was not continuous but rather intermittent. While the immigrants initially, and for many decades remained strangers in their new environment, suddenly, and in a very short period of time there was a forced, almost complete integration of their own accord. A decisive precondition for this comparatively rapid integration was undoubtedly the fact that the members of the widely dispersed family belonged to the upper social class of their region of origin. Familiarity with the codes of the upper middle class and the nobility made it much easier for the emigrants to participate in the social structures of the Free Imperial City of Frankfurt, which had long been dominated by patricians. The decisive factor in the Brentanos’ exceptional status was probably the fact that they defined themselves not only by their success in trade and economics, but also – and very soon primarily – by their participation in the literature and culture of their new environment. In this way, the metropolis at the cultural interface between North and South, with its heterogeneous regional surroundings, became their permanent home within a relatively short time span.

1. SOZIALE UND KULTURELLE VORAUSSETZUNGEN Im Ensemble der aus Italien stammenden Handelsunternehmen, die sich im 17. und 18. Jahrhundert im Rhein/Main-Gebiet angesiedelt haben, nimmt die aus Tremezzo am Comer See stammende Familie Brentano zwar eine markante, aber keine dominierende Position ein. Auch wenn sie im Endeffekt etwas erfolgreicher war als die meisten ihrer Konkurrenten,1 verfolgte sie doch ähnliche Zwecke und Strategien. Aus einem vorwiegend ökonomiehistorischen Blickwinkel heraus erschließt sich also nicht, weshalb gerade dieser Familienverband eine besondere Rolle in der deutschen Kulturgeschichte der letzten 200 Jahre spielte. Es gilt deshalb, noch einmal neu nach der Bedeutung der Herkunft zu fragen und nach Faktoren zu suchen, die für die Eingliederung der Brentanos in ihr neues Lebensumfeld bedeutsam waren.

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Was den „Vermögensstand einzelner zugewanderter italienischer Familien im 18. Jahrhundert“ betrifft, befinden sich nicht weniger als fünf Mitglieder unter den 16 wohlhabendsten. Peter Anton Brentano rangiert – nach den Bolongaros und Franz Maria Suaitzer/Schweitzer – an fünfter Stelle; vgl. J. Rumpf-Fleck, Italienische Kultur in Frankfurt am Main im 18. Jahrhundert, Stuttgart 1936, S. 141.

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Auffällig ist in jedem Fall, dass sich der Prozess kultureller Assimilation nicht kontinuierlich, sondern eher schubweise vollzog. Während die Zuwanderer anfangs und über viele Jahrzehnte in ihrer neuen Umgebung Fremde blieben, kam es plötzlich und in sehr kurzer Zeit zu einer aus eigenem Antrieb forcierten nahezu vollständigen Integration. Zugespitzt gesagt: Blieben die Brentanos in der Freien Reichsstadt bis zum letzten Drittel des 18. Jahrhunderts Italiener, wurden sie binnen nur zweier Generationen Deutsche, genauer: Frankfurter.2 Eine wichtige Voraussetzung für die vergleichsweise rasche Integration war sicher der Umstand, dass die Angehörigen der weitverzweigten Familie „zu der sozialen Oberschicht ihrer Herkunftsorte am Comer See“3 gehörten. Die Vertrautheit mit den Codes des gehobenen Bürgertums und des Adels erleichterte den Auswanderern in ganz erheblichem Maß die Integration in die sozialen Strukturen der ja lange von Patriziern geprägten Freien Reichsstadt Frankfurt.4 Doch auch diese Besonderheit teilten die Brentanos mit anderen Familienclans aus Norditalien. Was sie gegenüber ihren Konkurrenten auszeichnete, waren vor allem zwei Faktoren. Zum einen die Hartnäckigkeit im Erreichen ihrer Ziele: „Nach beharrlichem und über mehrere Generationen andauerndem Ringen erlangten“ nämlich „vor allem zwei Clans aus der Riege der Spezereihändler Reichtum und Ansehen, die Brentano-Familien und die Guaita.“5 Entscheidend für die Ausnahmestellung der Brentanos war zum anderen der Umstand, dass sie sich nicht allein über ihren Erfolg in Handel und Ökonomie, sondern auch – und sehr bald vorrangig – über die Teilhabe an der Sprache und Kultur ihres neuen Lebensumfelds definierten. Auf diese Weise wurde ihnen die freie Reichsstadt Frankfurt mit ihrem regionalen Umfeld binnen relativ kurzer Zeit zur dauerhaften Heimat. Der weitverzweigte Familienclan steht in direkter Nachfolge der „nobiles de Brenta, dicti di Brentanis“,6 einem im späten 13. Jahrhundert erstmals urkundlich

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Vgl. W. Bunzel: „Welche Freude ein Frankfurter zu sein. Die Familie Brentano an Rhein und Main“, in: ders. / M. Hohmann / H. Sarkowicz (Hrsg.), Romantik an Rhein und Main. Eine Topographie, Darmstadt 2014, S. 236–254. C. Reves, Vom Pomeranzengängler zum Großhändler? Netzwerke und Migrationsverhalten der Brentano-Familien im 17. und 18. Jahrhundert, Paderborn 2012, S. 66. C. Liermann Traniello hat auf die „patrizische Wohn- und Lebenskultur in den Villen am Comer See“ hingewiesen; C. Liermann Traniello, „Die Ursprünge der Familien Brentano am Comer See. Von Wanderungen und Villen“, in: B. Heidenreich / E. Brockhoff / A. Bohnenkamp-Renken / W. Bunzel, Die Brentanos – eine romantische Familie?, Frankfurt a.M. 2016, S. 15–31, hier S. 24. Siehe hierzu vor allem die beiden grundlegenden Arbeiten von A. Hansert, den Ausstellungskatalog: A. Hansert, Aus auffrichtiger Lieb vor Franckfurt. Patriziat im alten Frankfurt, Frankfurt a.M. 2000 und die Monographie: A. Hansert, Geburtsaristokratie in Frankfurt am Main. Geschichte des reichsstädtischen Patriziats. Wien / Köln / Weimar 2014. C. Reves, „‚Ich erzählte ihm von den sämtlichen italienischen Familien…‘. Die Präsenz von Händlern vom Comer See in Frankfurt im 17. und 18. Jahrhundert“, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 68 (2002), S. 309–326, hier S. 312. M.E. Neuenhahn, „Kritische Anmerkungen zu Alfred Engelmanns Vortrag“. in: K. Feilchenfeldt / L. Zagari (Hrsg.), Die Brentano. Eine europäische Familie, Tübingen 1992, S. 297–312, hier S. 303. Als ‚nobili‘ wurden freie Grundbesitzer im ländlichen Raum bezeichnet, „denen

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erwähnten lombardischen Geschlecht, von dem zweifelhaft ist, ob es tatsächlich zum Adel gezählt werden darf.7 Da diese Sippe im Weinbaugebiet um den Comer See beheimatet war, führte sie in ihrem Familienwappen eine Brenta, also eine Weinbutte, außerdem den Lombardischen Löwen und die Schlange der Visconti, der Großherzöge der Lombardei. Auf dem sogenannten Schildhaupt des Wappens sieht man den Reichsadler, das Ehrenzeichen der Ghibellinen. Im 14. Jahrhundert teilte sich die Familie in insgesamt vier verschiedenen Linien, das Haus BrentanoCimaroli, das Haus Brentano-Gnosso, das Haus Brentano-Toccia und das Haus Brentano-Tremezzo.8 Alle Linien gründeten im Laufe des 17. Jahrhunderts Handelsdependancen in Frankfurt,9 das damals ein Zentrum des Fernhandels zwischen Italien und Deutschland war; viele Angehörige ließen sich dann dort dauerhaft nieder. Die Brentanos handelten vor allem mit italienischen und orientalischen Weinen, Gewürzen und Zitrusfrüchten, die besonders begehrt waren. Das erste in Frankfurt ansässige Familienmitglied war Martino Brentano aus der Linie Cimaroli, der sein Kontor ab 1649 zunächst im Schweizer Hof, später im Haus Stadt Antwerpen auf der Neuen Kräme führte.10 Die später über die Grenzen Frankfurts hinaus bekannt gewordenen Brentanos stammen jedoch allesamt aus der Linie Tremezzo. Hier spielt Dominico Brentano (*1651 in Tremezzo, †1723 in Tremezzo) eine entscheidende Rolle. Er hatte sich bereits zuvor, in den Jahren 1676–1680, vorübergehend in der Freien Reichsstadt aufgehalten und 1698 schließlich den Hauptsitz seines Unternehmens dorthin verlegt, das seine vier Söhnen und seine Enkel unter dem Namen Dominico Brentano & Söhne bis 1753 gemeinschaftlich weiterführten.11 Er siedelte sich im Nürnberger Hof an, dem zentralen Handelshof und Stapellager der – anfangs vornehmlich aus Nürnberg stammenden – Kaufleute in der Freien Reichs- und Messestadt Frankfurt

bestimmte Führungsfunktionen im Dorfverband zukamen“; Liermann Traniello, „Die Ursprünge“, S. 27. Diese oftmals durchaus wohlhabende soziale Gruppe gehörte allerdings „nicht zur aristokratischen städtischen Handelselite“: Reves, Vom Pomeranzengängler, S. 69. 7 Genauere Informationen liefern die einschlägigen Untersuchungen von A. Engelmann, Die Brentano am Comer See, München 1974; ders., „Adel oder Nichtadel der Familien vom Comer See“, in: 12. Internationaler Kongreß für genealogische und heraldische Wissenschaften. Kongreßbericht, Bd. 2, Stuttgart 1978, S. 295–303; ders., „Die Brentano vom Comersee. Zu ihrer Soziallage und -entwicklung als Familie“, in: Feilchenfeldt / Zagari (Hrsg.), Die Brentano, S. 17–28. 8 Vgl. P.A. von Brentano di Tremezzo, Stammreihen der Brentano mit Abriß der Familiengeschichte. Bad Reichenhall 1933; sowie P.A. von Brentano: Schattenzug der Ahnen, Regensburg 1940. 9 C. Reves weist zu Recht darauf hin, „dass Migration eine lange Tradition bei den BrentanoFamilien“, die aus der Gegend um den Comer See stammten, hatte: Reves, Vom Pomeranzengängler, S. 55. 10 Zur Präzisierung der genealogischen Verhältnisse vgl. Engelmann: Die Brentano am Comer See, S. 27, und Reves, Vom Pomeranzengängler, S. 243. 11 A. Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Bd. 4, Frankfurt a.M. 1925, S. 247.

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am Main.12 Seinem Sohn gab er mit Blick auf den im Erzbistum Mainz sehr beliebten Schutzpatron Martin bewusst den zweiten Vornamen Martino. Das Hauptziel der Einwanderer aus Norditalien bestand zunächst in der Vergrößerung ihrer Absatzmärkte. Der Handelskompanie Dominico Brentano & Söhne gelang es dabei zu ihrer Hauptniederlassung in Frankfurt mehrere Zweigniederlassungen zu unterhalten: Neben Tremezzo waren dies bereits ab 1698 Bingen, ab 1703 Mainz und ab 1733 Amsterdam. Damit konnten sie ihre Geschäftsverbindungen bis nach Holland ausdehnen. Das dortige Kontor war der gewinnbringendste aller Niederlassungen, zumal es dem Wareneinkauf bei der Ost- und Westindischen Kompagnie diente.13 Vor Ort waren die Möglichkeiten wirtschaftlicher Teilhabe wegen der konfessionellen Zugehörigkeit der italienischen Handelsfamilien anfangs stark eingeschränkt. Wie andere aus der Lombardei eingewanderte Kaufmannsfamilien, z.B. die Bolongaro und die Guaita, hielten auch die Brentanos an ihrer römisch-katholischen Konfession fest und konnten deshalb in der streng lutherischen Freien Reichsstadt Frankfurt zunächst nicht das Bürgerrecht erwerben. Versuche, es dennoch zu erlangen, hat es freilich gegeben. So wandte sich „am 8. Februar 1720 [...] Kurfürst Lothar Franz‚ in Unßeren und Unßers Reichs-Hoff-Vice-Canzlars Nahmen“ an die Stadt Frankfurt, um Domenico Martino Brentano, „‚unsers Burgers [Dominico Brentano] zu Bingen Sohn‘, zur Bürgeraufnahme vorzuschlagen“.14 Nachdem dieser Vorstoß abgelehnt worden war, ließ Domenico Martino Brentano (*1686 in Tremezzo, †1755 in Frankfurt a.M.) einige Zeit verstreichen und strengte dann einen Prozess gegen den Rat der Stadt Frankfurt an, den er schließlich auch gewann. 1740 konnte er als erster Katholik das Frankfurter Bürgerrecht erwerben. Bedingung dafür war die Zahlung der beachtlichen Summe von 1.000 Gulden.15 Dieser Akt der Selbstbehauptung zielte allerdings nicht auf soziale und kulturelle Teilhabe, sondern sollte lediglich ökonomische Nachteile gegenüber den Mitbewerbern ausgleichen. Als fremdsprachige Ausländer katholischer Konfession blieben die Brentanos in der protestantisch geprägten Freien Reichsstadt auch nach der Einbürgerung Außenseiter und heirateten vorwiegend familienintern. Noch für Domenico Martino gilt: Zwar lebte seine Familie schon über hundert Jahre in Frankfurt, war aber – wie die vielen anderen Familien der dortigen italienischen Kolonie [...] [,] der Guaita, Alessina, Bolongaro, Belli, Borgnis, Piautaz, Maggi, Milani, Minoprio [...] – am Main nicht heimisch geworden. Wie

12 Siehe H. Pehl, Hotels und Quartiere im alten Frankfurt. Die großen Höfe in der Freien Reichsstadt, Frankfurt a.M. 1979, S. 11–16 (Der Nürnberger Hof). 13 Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Bd. 4, S. 248. 14 J. Augel, Italienische Einwanderung und Wirtschaftstätigkeit in rheinischen Städten des 17. und 18. Jahrhunderts, Bonn 1971, S. 163: „Die ersten Suppliken um Bürgerrecht italienischer Händler liegen zwischen 1670 und 1689 vor“: Reves, Vom Pomeranzengängler, S. 297. 15 H. Schultz, Die Frankfurter Brentanos, Stuttgart / München 2001, S. 15.

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die Zugvögel zog es sie alljährlich über die Alpen in die Lombardei – dort [...] lagen ihre Landgüter, ragten ihre Palazzi, dort sprach man ihre Sprache, dort betete man in [...] der römischkatholischen Kirche, ihr in mittelalterlicher Frömmigkeit verbunden.16

Damit von diesem patriarchalisch geprägten17 Verhaltenskodex der Familiendynastie niemand abwich, wurde er nicht nur verschriftlicht, sondern fand sogar Eingang in die Gesellschafterverträge der Firmenteilhaber: „Mit Rücksicht darauf, daß gemeiniglich die auswärts etablierten Italiener ihre Frauen und Kinder in Italien zurücklassen, war es jedem Teilnehmer gestattet, alle Jahre eine Reise nach Italien zu machen. Zur Meßzeit mußte er dagegen hier [d.h. in Frankfurt] sein“.18 Man kann auch sagen: Die Brentanos „[...] waren reich geworden, ohne sich aber als Deutsche zu empfinden (Angehörige des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation [...] waren die Brentanos als Norditaliener sowieso). Geboren wurden sie in Italien, und zum Sterben kehrten sie dorthin zurück“.19 2. PARTNERWAHL UND HEIRATSVERHALTEN Der erste aus seiner Familie, der mit dieser Tradition brach und damit zum Ausdruck brachte, wo er sich mittlerweile heimisch fühlte, war Domenico Brentanos Sohn: Wie sehr die Brentanos sich [...] inzwischen mit Frankfurt verbunden hatten, wird daraus ersichtlich, daß [...] Domenico Martino 1755 einen Platz neben dem Josephsaltar in der Leonhardskirche zu seiner Grablege bestimmte, obgleich seine Frau in der Kirche S. Lorenzo in Tremezzo beigesetzt worden war.20

Damit begann ein fundamentaler Wandel in der Einstellung zum deutschen Lebensumfeld: Während man im 16. und 17. Jahrhundert eine intensive Verbindung zur Heimat am Comer See pflegte, wurde diese im Verlauf des 18. Jahrhunderts bei den als Händler tätigen Brentanos [...] immer schwächer. Auffällig ist dennoch, dass trotz verstärkter Migration, die sich anhand

16 F. Lübbecke, „Clemens Brentano und Frankfurt“, Frankfurter Zeitung 16.8.1942. „Die Verbundenheit italienischer Auswanderer mit ihrer Heimat zeigt sich auch in zahlreichen Stiftungen, welche diese in Italien gründeten.“ Augel, Italienische Einwanderung, S. 293. 17 Welche Bedeutung dem Anciennitätsprinzip in der Familienrangordnung zukam, verdeutlicht der Umstand, dass die „Ältesten oder Prinzipalen der Handlung [...] gegenüber den Jüngeren weitreichende Vorrechte und Disziplinarbefugnisse“ hatten. Die Generationenhierarchie war also durch „ein stark ausgeprägtes Respektsgefühl und strenge Unterordnungspflicht“ geprägt: Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Bd. 4, S. 248. 18 Ebd., S. 247. 19 H. Baumgart, Bettine Brentano und Achim von Arnim. Lehrjahre einer Liebe, Berlin 1999, S. 36. 20 R. Koch, „Peter Anton Brentano (1735–1797). Italienischer Kaufmann und Bürger der Freien Reichsstadt Frankfurt“, in: B. Heidenreich (Hrsg.), Geist und Macht. Die Brentanos, Wiesbaden 2000, S. 19–43, hier S. 26.

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Wolfgang Bunzel der Sterbeorte deutlich manifestierte, lange Zeit die Tendenz blieb, weiterhin Ehepartner am Comer See auszuwählen, auch wenn man bereits nördlich der Alpen etabliert war.21

Dies zeigt sich nachgerade mustergültig bei Domenico Martino Brentanos Sohn Pietro Antonio (*1735 in Tremezzo, †1797 in Frankfurt a.M.), der sich anfangs noch überwiegend in den gewohnten familiären Bahnen bewegte und mit Paula Maria Josepha Walpurga Brentano-Gnosso (1744–1770) die in Frankfurt geborene Tochter eines Teilhabers des väterlichen Unternehmens heiratete.22 Anders als sein Vater oder Großvater, die „ihre Frauen am Comer See“ „suchten und heirateten“, ehelichte er aber bereits eine in Frankfurt Geborene und ließ sich auch in der Freien Reichsstadt trauen, übertrug also „das bewährte Muster“ der claninternen Eheschließung „auf die Zielregion“23 der Migration. Als Paula Maria in jungen Jahren nach der Geburt des sechsten Kindes starb, richtete Pietro Antonio seinen Lebensentwurf noch einmal neu aus. Er, der bereits mit 18 Jahren zusammen mit zwei Brüdern neben dem Vater zum Teilhaber der Firma geworden war und 1762 nach Zahlung eines Betrags von 1.000 Gulden und Übernahme der Verfahrenskosten den Bürgereid geleistet hatte, koppelte sich von seinen Geschwistern ab und gründete 1771 seine eigene Handelsgesellschaft im Nürnberger Hof.24 Er setzte damit eine bereits erprobte Verhaltensstrategie fort. Zum Erfolg der familiären Handelstätigkeit trug nicht unerheblich bei, dass Nachkommen oft nicht im väterlichen Geschäft verblieben, sondern sich selbstständig machten, teilweise schon frühzeitig. Ende 1753 traten trotz der günstigen Konjunktur [...] die beiden Hauptbeteiligten Dominico Martino Brentano († 1755) mit seinem Geschäftsanteil von 48206 fl. und sein Vetter Stefan Franz Petrello mit einem Anteil von 36159 fl. aus, errichteten unter Übernahme der Mainzer und Amsterdamer Geschäfte eine neue Handlung unter der Firma Dominico Martino Brentano25

und behaupteten sich fortan neben ihren Verwandten. Nun machte es der Sohn ebenso wie der Vater: Als der jüngste von drei Brüdern hatte er mit diesen (Andreas & Dominico Martino) die seit November 1753 bestehende väterliche Handlung Dominico Martino Brentano mit Filialen in Mainz und Amsterdam gemeinschaftlich bis 1771 fortgeführt. In diesem Jahre trennte er sich von ihnen und betrieb im Hause zum goldnen Kopf in der großen Sandgasse, welches er am 30. September 1776 von Friedr. Wilhelm Wichelhausen für 27.000 fl. kaufte, seine Geschäfte unter eigener Firma mit glänzendem Erfolg.26

21 Reves, Vom Pomeranzengängler, S. 59. 22 Koch, „Peter Anton Brentano (1735–1797)“, S. 30. 23 R. Niebergall, „Peter Anton Brentano (1735–1797). Vom Nürnberger Hof zum Goldenen Kopf“, in: Heidenreich / Brockhoff / Bohnenkamp-Renken / Bunzel (Hrsg.), Die Brentanos, S. 61–92, hier S. 69. 24 Koch, „Peter Anton Brentano (1735–1797)“, S. 27. 25 Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Bd. 4, S. 248. 26 Ebd., S. 249.

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Pietro Antonio war freilich bewusst, dass wirtschaftliche Eigenständigkeit nur eine Voraussetzung des Aufstiegs war. Wollte er neben merkantiler Prosperität auch politischen Einfluss gewinnen und Zugang zur Frankfurter Stadtgesellschaft finden, musste er sich auch sozial verstärkt integrieren. Er tat dies zunächst, indem er seinen Namen eindeutschte und sich fortan Peter Anton nannte. Diese Anpassung war nichts Ungewöhnliches, denn die gesellschaftliche Eingliederung der italienischen Einwanderer und ihrer Nachkommen ließ sich in vielen Fällen an einer Angleichung an orthographische Gewohnheiten, Sprache und Aussprache des Einwanderungslandes ablesen. Dabei liegt eine Doppelbewegung vor, da diese Tendenz zur Angleichung nicht nur von den Eingewanderten, sondern auch von der einheimischen Bevölkerung ausgeht. Verglichen mit anderen Zweigen der Familie ereignete sich die Anpassung der Vornamen bei der Tremezziner Linie aber relativ spät: „Giuseppe Brentano unterzeichnete schon 1711 mit ‚Joseph Brentano‘, Giacomo Brentano sogar schon ab 1706 mit ‚Jacob Brendano‘.27 Peter Anton Brentano beließ es freilich nicht bei dieser Geste. Nach dem Tod seiner ersten Frau ließ er sich Zeit mit der Wahl einer neuen Partnerin und bemühte sich dann gezielt um die Eheschließung mit einer Deutschen, um Zugang zu den etablierten deutschen Eliten zu erhalten.28 Seine Wahl fiel auf die älteste Tochter des seit 1770 in Koblenz-Ehrenbreitstein lebenden Kurtrierischen Kanzlers Georg Michael Anton Frank de La Roche (1720–1788) und seiner Frau Sophie Gutermann von Gutershofen (1730–1807), die durch den Roman Die Geschichte des Fräulein von Sternheim (1771) als Schriftstellerin bekannt geworden war und mit Hilfe von Damian Friedrich Dumeiz (1729–1802), dem Dechanten des katholischen St. Leonhardstifts in Frankfurt, die Heirat angebahnt hatte.29 Peter Anton Brentano war 21 Jahre älter als seine Braut Maximiliane (1756–1793). Nach der Hochzeit, die am 9. Januar 1774 in der Hofkirche von Schloss Philippsburg in Ehrenbreitstein stattfand, zogen beide zunächst in das von Goethe als „düster gelegen“ beschriebene Handelshaus im Nürnberger Hof.30 Im Herbst 1776 erwarb Peter Anton Brentano für 27.000 Gulden das in der Großen Sandgasse gelegene Haus zum Goldnen Kopf, das nun als neuer und repräsentativer Sitz von Firma und Familie fungierte.31 Die Wahl dieses Domizils kann als im Stadtraum sichtbares Zeichen der Integration gedeutet werden. Man residierte nun nicht mehr in der Sphäre der Händler, sondern

27 Augel, Italienische Einwanderung, S. 286–287. 28 K. Günzel, Die Brentanos. Eine deutsche Familiengeschichte, Zürich 1993, S. 60. 29 Zu den Hintergründen der in kürzester Zeit arrangierten Ehe siehe Niebergall, „Peter Anton Brentano (1735–1797)“, S. 70–71. 30 A. Dominicus, Coblenz unter dem letzten Kurfürsten von Trier Clemens Wenzeslaus 1768 bis 1794. Koblenz 1869, S. 131; J.W. von Goethe, Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens, Bd. 16: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, hrsg. von P. Sprengel, München / Wien 1985, S. 620. 31 Schultz, Die Frankfurter Brentanos, S. 28.

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in einem großzügigen Stadtpalais, das erlaubte, geschäftliche Belange mit standesgemäßem Wohnen zu verbinden.32 Dem retrospektiven Blick mag die Heirat des mittlerweile reich gewordenen italienischen Großkaufmanns und der Tochter Sophie von La Roche wie eine symbolische Verbindung von „Geist und Macht“33 erscheinen. Dieser Eindruck täuscht allerdings, weil Peter Anton Brentano weniger einen Zugang zur intellektuellen Elite suchte als vielmehr bestrebt war, die Voraussetzungen zu schaffen, um eine angemessene soziale Stellung zu bekleiden sowie in Amt und Würden zu gelangen. Da ihm als Katholiken vergleichbare Positionen im Magistrat der Freien Reichsstadt verwehrt waren, suchte er nach Betätigungsmöglichkeiten außerhalb Frankfurts. Durch seine zweite Eheschließung gelangte er als Schwiegersohn des höchsten Kurtrierischen Beamten in eine Position, die ihm weiteres Ansehen verschaffte und einen gewissen politischen Einfluss eröffnete. Vom Trierer Kurfürsten Clemens Wenzeslaus von Sachsen34 wurde er erst zum Geheimen Rat und Residenten bei der Freien Reichsstadt Frankfurt und dann 1785 zum Generaleinnehmer der Finanzen des Kurrheinischen Kreises ernannt. Von da an lebte Peter Anton Brentano die meiste Zeit am Hofe des Kurfürsten und ließ die Geschäfte zunehmend von seinem zweitältesten Sohn Francesco Domenico Josef Maria (1765–1844), genannt Franz, führen. Nach dem Tod Maximilianes im Jahr 1793 zog er sich gänzlich nach Koblenz, in die kurtrierische Residenzstadt, zurück, heiratete erneut – Friederike von Rottenhof (1771–1817), eine adlige Deutsche – und übertrug die Leitung des Handelshauses vollständig Franz und dessen zehn Jahre jüngerem Halbbruder Georg(e) (1775–1851), dem Erstgeborenen aus zweiter Ehe. Peter Anton Brentano war damit das erste Familienmitglied, das die Handelswelt hinter sich ließ und in

32 Rumpf-Fleck hat schon früh darauf hingewiesen, welche Bedeutung diese Neuorientierung für die aus Italien eingewanderten Familien hatte: „An Stelle der gemieteten Läden und provisorischen Wohnungen im Nürnberger Hof, im Schweizerhof, am Dom und in den engen Gässchen der Innenstadt, die vor ihrer Einbürgerung für sie der übliche Lebensraum waren, sahen sie sich nach repräsentablen Dauerwohnungen um, erwarben bereits bestehende große Anlagen [korrigiert aus „Anliegen“] [...], bauten nach ihren Bedürfnissen um oder ließen sich [...] von namhaften Baumeistern und ‚Architekten‘ der Zeit Häuser errichten, die besser den Namen ‚Palazzi‘ verdienten, weil sie an die großen Paläste der italienischen Geschlechter im Süden erinnern. Diese Rieseneinfamilienbauten brachten gegen Ende des [18.] Jahrhunderts eine ganz neue Wohnkultur nach Frankfurt“: J. Rumpf-Fleck, Italienische Kultur, S. 38. 33 So ist – bewusst plakativ – ein wichtiger, auf eine Tagung der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung zurückgehender Sammelband zur Geschichte der Familie betitelt; vgl. Heidenreich (Hrsg.): Geist und Macht. 34 Vgl. hierzu W.U. Rapp, Stadtverfassung und Territorialverfassung. Koblenz und Trier unter Kurfürst Clemens Wenzeslaus (1768–1794), Frankfurt a.M. u.a. 1995; M. Embach / R. Bohlen (Hrsg.), Der Trierer Erzbischof und Kurfürst Clemens Wenzeslaus (1739–1812). Eine historische Bilanz nach 200 Jahren. Vorträge einer Tagung in der Stadtbibliothek Trier im November 2012, Trier 2014; P. Brommer / A. Krümmel, Höfisches Leben am Mittelrhein unter Kurfürst Clemens Wenzeslaus von Trier (1739–1812). Zum 200. Todesjahr des letzten Trierer Kurfürsten, Koblenz 2012.

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die Sphäre der Politik wechselte – eine Interessensverlagerung, die sich in unterschiedlichster Form dann bei mehreren seiner Kinder beobachten lässt. 3. PLURALISIERUNG DER EXISTENZFORMEN UND LEBENSENTWÜRFE Dass es für die Nachkommen möglich wurde, andere Lebenswege einzuschlagen, verdankt sich dem enormen Vermögen, das der Vater während seiner Zeit als Großkaufmann erwirtschaftet hatte. Überhaupt war der wirtschaftliche Aufstieg, der sich binnen nur drei Generationen vollzog, exorbitant: Dominico Brentano, der von seinem Vater 2.816 Gulden geerbt hatte, verfügte bei seinem Tod über ein Privatvermögen von 116.000 Gulden und diversen Immobilienbesitz. Peter Anton Brentano schließlich konnte seinen Kindern Vermögenswerte in Höhe von 1.192. 699 fl. hinterlassen. Am 5. Dezember 1801 wurde die zu teilende Masse des Erbes auf 943.766 fl. und 45 kr. beziffert und unter den dreizehn überlebenden Kindern und der Witwe aus dritter Ehe aufgeteilt, wobei den acht Kindern aus zweiter Ehe jeweils 77.318 fl. zugesprochen wurden, von denen sie jedoch nur rund 50.000 fl. erhielten.35 Dieses Erbe nun ermöglichte es den Dichtergeschwistern Clemens und Bettine, aber auch ihrem Bruder Christian, von den ‚Interessen‘ – also den Zinsen – ihres Vermögens zu leben, so dass sie zeitlebens nicht erwerbstätig zu werden brauchten und sich ihren Vorlieben widmen konnten. Zwar war Peter Anton Brentano in eindrucksvoller Form der soziale Aufstieg gelungen,36 die sprachlich-kulturelle Einwurzelung vollzog sich aber erst in der Folgegeneration. Das hängt auch damit zusammen, dass die in der Adelssphäre des Hofes bestehende Dominanz des Französischen eine vollständige Beherrschung der deutschen Sprache unnötig machte. Die Tochter Bettine erinnert sich später daran, der Vater habe bis zu seinem Tode nur „in gebrochenem Deutsch“37 gesprochen. Auch seine Briefe an die Söhne sind zumeist auf französisch oder auf italienisch geschrieben, also der lingua franca der feinen Welt bzw. der Sprache seiner Heimat. Peter Anton Brentano bewegte sich also vorwiegend innerhalb des tendenziell übernationalen Sonderbereichs höfischer Umgangsformen und kaum im Bereich der deutschen „Nationalkultur“. Die Worte, die Clemens Brentano im Roman Godwi einer seiner Figuren in den Mund legt, gelten daher auch für das Verhältnis zum eigenen Vater: „Wir standen in keinem Umgange mit ihm, und sahen ihn oft wo-

35 Dietz, Frankfurter Handelsgeschichte, Bd. 4, S. 251–252. 36 J. Rumpf-Fleck bemerkt zu Recht: „Seine drei Frauen [...] stammten aus den angesehensten Häusern“: Rumpf-Fleck, Italienische Kultur, S. 21. 37 B. von Arnim, Werke und Briefe in vier Bänden, Bd. 1, Clemens Brentano’s Frühlingskranz / Die Günderode, hrsg. von W. Schmitz, Frankfurt a.M. 1986, S. 89. Bekannt ist, dass die Familie im 18. Jahrhundert sog. Sprachmeister einstellte, die dem „Nachwuchs die deutsche Sprache“ vermittelten. „Der Sprachlehrer in der Handlung Dominico Brentano e figli erhielt im Jahre 1721 17,19 Gulden“: Reves, Vom Pomeranzengängler, S. 186.

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chenlang nicht, bis der Tod unserer vortrefflichen Mutter uns plötzlich in eine engere Verbindung mit ihm brachte, die um so drückender war, da die freundliche Mittlerin uns fehlte.“38 Diverse Quellen belegen, dass Peter Anton Brentanos Verhältnis zu seinen Nachkommen distanziert war. So erinnert sich einer seiner Söhne: „Mit seinen Kindern gab er sich wenig ab, sondern hielt sich nach der Sitte vornehmer Italiener in einer Ehrfrucht gebietenden Entfernung. Erschienen wir vor ihm, so küßten wir seine Hände, und war er dann freundlich, so küßte er unsere Stirn.“39 Aus Briefen geht hervor, dass die Kinder den Vater siezten – wie das höfischen Umgangsformen entsprach. Im späten 18. Jahrhundert freilich war diese Konvention zumindest in bürgerlichen Familien längst überholt und wirkte nicht mehr zeitgemäß. Überhaupt beginnt erst mit den Nachkommen Peter Anton Brentanos ein gänzlich neues Kapitel der Familiengeschichte. Das hängt vor allem mit zwei Faktoren zusammen: erstens der ungewöhnlich großen Zahl von Nachkommen40 – aus insgesamt drei Ehen gingen nicht weniger als 20 Kinder hervor, von denen einige allerdings bereits in jungen Jahren verstarben, – und zweitens dem vergleichsweise frühen Tod des Vaters. Als Peter Anton Brentano im Alter von 61 Jahren verschied, wurden die allermeisten Kinder schlagartig zu Vollwaisen, weil auch zwei der Mütter nicht mehr lebten. Und da er selbst erst spät als das zweitjüngste von elf Kindern zur Welt gekommen war – Domenico Martino war zu diesem Zeitpunkt bereits 49 Jahre alt – und sich von seinen Geschwistern mehr oder weniger vollständig abgenabelt hatte, gab es weder einen Großvater noch Teilhaber, welche die Geschicke des Handelshauses hätten beeinflussen können.41 Das Fehlen einer auf die Einhaltung von Normen wachenden Patriarchengestalt stellte für die Brentano-Familie eine einschneidende Zäsur dar. Die Verantwortung lag nun ganz in den Händen von Francesco, dem zweitältesten Sohn aus erster Ehe, der seinen Namen früh in „Franz“ eingedeutscht hatte und der nun als Vormund der noch nicht volljährigen Geschwister fungierte und seinem Halbbruder Georg, dem Ältesten aus zweiter Ehe. Franz wurde zwar von allen als neues Familienoberhaupt akzeptiert und als umsichtiger Sachwalter des väterlichen Erbes hoch geschätzt, von ihm ausgehenden Direktiven aber beugten sich die Jüngeren nur widerwillig oder gar nicht. Da zwischen ihm und seinen Geschwistern keine hierarchische Generationenbeziehung

38 C. Brentano, Sämtliche Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe veranstaltet vom Freien Deutschen Hochstift, Bd. 16: Prosa I (Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter). Text, Lesarten und Erläuterungen, hrsg. von W. Bellmann, Stuttgart u.a. 1978, S. 198. 39 L. Brentano, Mein Leben im Kampf um die soziale Entwicklung Deutschlands, Jena 1931, S. 11. 40 Schon Engelmann hat auf diesen familiendemographischen Aspekt hingewiesen: „Die Zahl der Brentano nimmt dank Kinderreichtum mit vergleichsweise geringer Kindersterblichkeit stark zu“: A. Engelmann, „Die Brentano vom Comersee“, S. 23. 41 Schultz, Die Frankfurter Brentanos, S. 25.

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bestand, verwandelte sich die angestammte patriarchalische Familienordnung faktisch in eine „republicanische Gemeinschaft.“42 Aus der ehemals autoritär geprägten Dynastie wurde so eine Familienrepublik, in der – zumindest nach Erreichen des Volljährigkeitsalters – jeder den anderen nach seiner Façon leben ließ. Der Umstand, dass gerade zum Zeitpunkt, als bei den Brentanos die Geltungskraft der Familientraditionen nachließ und die Einwurzelung in der Stadtgesellschaft und darüber hinaus in der deutschen Kultur sich in einer entscheidenden Phase befand, besonders viele Nachkommen präsent waren, verlieh dem Prozess der Assimilation noch einmal einen enormen Schub. Freigestellt vom Zwang, sich weiter in der Sphäre der ‚Krämer‘ bewegen zu müssen, konnten sich Vertreter der Folgegeneration erstmals in nennenswertem Umfang für individuelle Lebensverläufe entscheiden. Mehrere Kinder Peter Anton Brentanos verließen nun die Stadt, um sich andernorts niederzulassen, andere blieben in Frankfurt und nahmen dort wichtige Schlüsselpositionen ein, was die Verankerung der Familie im Sozialgefüge noch einmal entscheidend befestigte. Franz Brentano strebte, sobald dies Katholiken zugestanden wurde, politische Ämter an; 1816 wurde er auf Lebenszeit zum Senator gewählt und 1827 zusätzlich zum Schöffen ernannt.43 Sein Halbbruder Georg wiederum engagierte sich in wichtigen Institutionen der Stadt: Bereits 1802 rief er den Lesezirkel Casino-Gesellschaft ins Leben, 1816 war er eines der Gründungsmitglieder der Polytechnischen Gesellschaft, und in den zwanziger Jahren gehörte er dem Direktionskomitee des Frankfurter Nationaltheaters an. Die früher so wichtigen Beziehungen zu anderen Familienzweigen oder weiteren italienischen Zuwanderern spielten für diese Generation keine Rolle mehr. Mehr noch: Auch der Bezug zur Heimatregion der Vorfahren löste sich vollständig auf. Man reiste nicht mehr an den Comer See, erhielt keine Besuche von Verwandten aus Norditalien und korrespondierte auch mit diesen nicht mehr.44 Eine Verbindung, die noch in der Generation der Großeltern selbstverständlich war, riss einfach ab und hinterließ – da die Assimilation im deutschen Sprachraum nicht nur vehement bejaht wurde, sondern auch sehr weitgehend geglückt war – weder Trennungsschmerz noch Bedauern.

42 H. Grimm, „Bettina von Arnim“, Goethe-Jahrbuch 1 (1880), S. 1–16, hier S. 2. Möglicherweise greift Herman Grimm hier auf eine Formulierung Bettine von Arnims zurück, die Ende Oktober 1824 in einem Brief an ihre Nichten Claudine und Sophie – Töchter Georg Brentanos – geschrieben hatte: „wenn ich mir etwas wünschen sollte, so wärs daß ich unter den meinigen in meiner Vaterstadt wohnte, daß unsere Kinder mit einander aufwüchsen, und daß wir gegenseitig Antheil an ihnen nehmen es ruht ein besonderer Seegen auf unserer Nachkommenschaft daß sie gutgeartet ist, und sie würde ins Gesamt eine kleine Republick bilden“: B. von Arnim, Werke und Briefe in vier Bänden, Bd. 4, Briefe, hrsg. von H. Härtl / U. Landfester / S. von Steinsdorff, Frankfurt a.M. 2004, S. 244. 43 M. Grus, „Franz Dominicus Brentano (1765–1840)“, in: Heidenreich / Brockhoff / Bohnenkamp-Renken / Bunzel (Hrsg.), Die Brentanos, S. 93–111, hier S. 108. 44 Auf die „Schwächung der Bindung zu dieser Region“ hat bereits Reves hingewiesen: Reves, Vom Pomeranzengängler, S. 60.

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Nichts veranschaulicht die mittlerweile eingetretene Distanz zur früheren Heimat besser als die Bildungsreise durch Italien, die der sich um die Bankgeschäfte des Handelshauses kümmernde Kompagnon Georg Brentano 1816 in Begleitung von Ludwig Emil Grimm unternahm: Georg Brentano bereiste das Land nämlich so wie die deutschen Italien-Liebhaber und Kulturtouristen vor ihm.45 Für ihn war das Land der Vorväter kein Gegenstand der Ehrfurcht mehr, sondern anregendes Bildungsgut, von dem er sich Impulse für den eigenen Wissenshorizont und künstlerische Inspiration erhoffte. Bezeichnend ist auch, dass Georg Brentano seinen Namen bald mit dem Zusatz „La Roche“ bzw. „Laroche“ versah46 und damit auf den mütterlichen Teil seiner Genealogie verwies. Auch wenn der unmittelbare Grund dafür gewesen sein mag, Verwechslungen zu vermeiden, hätte dies doch auch durch andere Bezeichnungen erreicht werden können. Die Wahl des Mädchennamens der Mutter aber darf wohl als nach außen hin deutlich sichtbares Signal der Verbreiterung der eigenen Zugehörigkeit gedeutet werden. Georg verstand sich demnach in gleichem Maß als Nachkomme erfolgreicher italienischer Kaufleute als auch als Erstgeborener einer kulturell einflussreichen mütterlichen, deutschen Linie. Das einzige, was erhalten blieb und die Brentanos von den Menschen, mit denen sie Umgang hatten, unterschied, war ihr Äußeres. Eine stark südländisch anmutende Physiognomie prägt fast alle direkten Nachkommen Peter Anton Brentanos und hielt das Bewusstsein ihrer Herkunft wach. Dies ermunterte schon die Zeitgenossen, die so ungleiche Ehe zwischen der protestantisch getauften und bei ihrer Heirat noch sehr jungen Maximiliane von La Roche und dem 37 Jahre älteren Katholiken Peter Anton Brentano als Verbindung von Gegensätzen zu deuten. Der Primärgegensatz schien dabei die unterschiedliche Abstammung zu sein. So teilte Achim von Arnim seinem Freund Clemens Brentano am 9. Juli 1802 mit: „Ich habe [...] Dein ganzes Hauß aus der Verbindung von Feuer und Magnetismus construirt und Dich auch; Bettine ist die höhere Verbindung von beyden.“47 Was er damit meinte, geht aus einem wenig später verfassten Brief Arnims an seine Tante Louise von Schlitz hervor: Der Vater ein Südländer nach seiner ganzen Geistesrichtung, sehr klug für sich, sehr sinnlich für sich und nur dadurch, weil die Natur doch endlich alles in seinem Wirken zur Schönheit bringt, oft auf andre wirksam, was war natürliger als daß er ein ausgezeichneter Kauffmann und geizig werden muste. Die Mutter ganz Deutsche unendlich liebevoll über alles Umgebende ausströmend und dadurch vielmehr als der Vater zu sich hinziehend, mehr für sich als für andre

45 Ein Bericht von dieser Reise findet sich bei L.E. Grimm, Lebenserinnerungen des Malerbruders, hrsg. von H. Boehncke / H. Sarkowicz, Berlin 2015, S. 160–217. Siehe hierzu H. Schwinn, „Georg Brentano (1775–1851)“, in: Heidenreich / Brockhoff / Bohnenkamp-Renken / Bunzel (Hrsg.), Die Brentanos, S. 113–138, hier S. 123–126. 46 Mit dieser charakteristischen Namensform unterschrieb er nicht nur seine Briefe, er ließ sich auch Visitenkarten mit dem Doppelnamen anfertigen: „Mr. Geo. Brentano Laroche“. Eine solche hat sich im Hessischen Staatsarchiv Marburg erhalten (Signatur: HStAM Bestand 340, Nachlass Grimm, Anhang 1,2 Visitenkarten, Nr. 52). 47 L.A. von Arnim, Werke und Briefwechsel. Historisch-kritische Ausgabe, Bd. 31, Briefwechsel II (1802–1804), hrsg. von H. Härtl, Tübingen 2004, S. 66 („Dein“ korrigiert aus „Deine“).

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geschaffen. Vater und Mutter [bilden demnach] einen höchsten Gegensatz [...], die Verbindung beider Gegensätze geschah erst in den Kindern, daher das Ihnen ganz Eigenthümlige. Sie selbst sind [aber] eigentlich durch ihren Magnetismus in Streit, indem die gleichnamigen Pole zu oft an einander kommen und die ganzen Magnete in scheinbarere Abstossung sich von einander entfernen.48

Die Brentano-Kinder – darunter vor allem Clemens und Bettine – galten deshalb gemeinhin als Wesen, in denen sich italienische und deutsche Einflüsse zwar sehr produktiv mischten, zugleich aber auch eine lebenslange Zerrissenheit begründeten.49 So äußerte etwa Goethe einmal im Gespräch mit Karl August Varnhagen von Ense über Bettine Brentano/von Arnim: „Sie ist das wunderlichste Wesen von der Welt, unglücklich zwischen dem Italiänischen und dem Deutschen hin und her schwebend, ohne Boden fassen zu können“.50 4. ABSCHIED VON HANDEL UND ÖKONOMIE So einleuchtend die Deutungstradition der spannungsvollen Verbindung unterschiedlicher, von der jeweiligen nationalen Herkunft her rührenden Mentalitäten und Temperamente auf den ersten Blick auch sein mag, die eigentümliche Entwicklungsdynamik dieser Familie vermag sie nicht zu erklären. Blickt man auf den Zeitraum zwischen 1750 und 1850, so fällt vielmehr auf, dass die ursprüngliche Profession – nämlich der Handel – nach und nach in den Hintergrund rückt. Schon 1840 erlosch die Handelsgesellschaft, und auch die nachfolgenden Generationen unternahmen keine Versuche mehr, sie fortzuführen oder anderweitig neu zu begründen. Vorkämpfer dieser Entwicklung waren die Dichtergeschwister Clemens und Bettine Brentano. Der Erstgenannte entwickelte schon früh einen Unwillen, den Erwartungen der Familie zu entsprechen und in das väterliche Handelsunternehmen einzutreten. Als er sich nach dem Tod des Vaters dann doch dazu bereit erklärte, erkannten die älteren Brüder bald: „zum Kaufmann taugst Du nichts“51 und ließen zu, dass Clemens sich ganz der Schriftstellerei widmete. Bis zu seiner Volljährigkeit aber begrenzten sie seinen finanziellen Handlungsspielraum und vor allem

48 von Arnim, Werke und Briefwechsel, Bd. 31, S. 55. 49 Feilchenfeldt weist zu Recht darauf hin, dass sich „mit der Identität der Brentano die Vorstellung von Andersartigkeit“ verbindet, „die bald als Extravaganz und Exzentrik, bald als Originalität und Individualismus beliebig unterschiedliche Deutungen zuläßt“: K. Feilchenfeldt, „Einleitung“, in: ders. / Zagari (Hrsg.), Die Brentano, S. 1–11, hier S. 3. 50 K.A.V. von Ense, Aus dem Nachlaß Varnhagen’s von Ense. Briefe von Stägemann, Metternich, Heine und Bettina von Arnim, Leipzig 1865, S. 267. 51 Georg Brentano in einem Postskriptum zu Franz Brentanos Brief an Clemens vom 8. April 1797: C. Brentano, Sämtliche Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe, Bd. 38,1: Briefe I – Erläuterungen, hrsg. von U. Landfester, Stuttgart 2005, S. 151; Vgl. H. Schultz, „‚Zum Kaufmann taugst du nichts ...‘. Die Frankfurter Brentano-Familie und ihre Auseinandersetzungen mit Clemens“, in: C. Jamme / O. Pöggeler (Hrsg.), „Frankfurt aber ist der Nabel dieser Erde“. Das Schicksal einer Generation der Goethezeit, Stuttgart 1983, S. 243–257.

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seine Reisetätigkeit. Wie sehr ihm diese Beschränkungen zu schaffen machten, verrät ein Brief, den er am 30. April 1803 – also knapp fünf Monate vor Erreichen des Mündigkeitsalters von 25 Jahren – an Achim von Arnim schrieb: „Diese Bleikugel von Familie zieht meinen Geist nieder, und mein Muth zu dichten geht verloren.“52 Ähnlich ging es der Schwester Bettine, die sich dem Willen der älteren Brüder, möglichst bald zu heiraten und sich auf die Aufgaben einer Hausfrau und Mutter zu beschränken, widersetzte. Weil sie sich nicht fügte, wurden ihr Vorhaltungen gemacht, und sie wurde innerfamiliär isoliert. Verzweifelt lässt sie im November 1805 ihre Freundin Karoline von Günderode wissen: „Mein Gott! ich habe niemand, mit dem ich ernstlich sprechen könnte, ohne daß er mir gerade ins Gesicht sagen würde: Du sprichst Kinderei, du lügst, Du bist gespannt [also überspannt], Du extravagierst“. Bettine Brentano ging deshalb zunehmend auf Distanz zu den meisten Angehörigen ihrer Familie. Immerhin konnte sie 1806 erreichen, dass sie in Frankfurt Zeichen- und Musikunterricht nehmen durfte. Dennoch ist das zunehmende Ungenügen an ihrer bisherigen Existenz nicht zu übersehen. So schreibt sie im Januar 1807 an ihren Schwager Friedrich Carl von Savigny: Wenn ich aufrichtig mit Dir sprechen soll und kann, so muß ich Dir nur sagen, ich fühle täglich mehr den Drang meine Frankfurter Hülle zu sprengen. Es ist was Unerträgliches, in der Gemeinheit zu leben und zu fühlen, wie diese so viel Gutes in uns erstickt [...]. Das Leben fühlt sich so glänzend, so feurig; wer es recht versteht, muß einsehen, daß es der einzige höchste Stand ist, und dies herrliche Gut so schlampig zu verschwenden! 2 und zwanzig Jahr bin ich bald alt, und das Schicksal hat mich noch keines Blickes gewürdigt, geseufzt hab ich, gelacht hab ich, keine Spur ist davon zurückgeblieben.53

Mehrfach klagt sie in dieser Zeit über Eingeschlossensein, „Entbehrung“54 und Perspektivlosigkeit: „Frankfurt ist mir verhaßter als je und ich kann mir eine Zeit denken, wo ich mich mit Gewalt aus allen Verhältnissen reiße, wenn mir Gott nicht auf andre Weise Hülfe leistet.“55 Die anfangs strenge familiäre Kontrolle, die der Vormund Franz und sein Halbbruder Georg auf die jüngeren Geschwister ausübten, führte zu Verwerfungen. Clemens Brentano beklagte 1803 „die täglich wachsende Trennung in der Familie.“56 Doch der Geschwisterverband überstand diese Zerreißprobe. Sowohl Clemens als auch Bettine suchten sich dem Einzugsbereich der Älteren zu entziehen und flüchteten aus der Vaterstadt Frankfurt, wann immer sie konnten. Erst nach Erreichen der Mündigkeit entspannte sich das Verhältnis zu den Angehörigen wieder, weil beide dann ihren eigene Interessen folgen und individuelle Existenzformen entwickeln konnten. 52 Clemens Brentano an Achim von Arnim 30.4.1803: C. Brentano, Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 31: Briefe III (1803–1807), hrsg. von L. von Kinskofer, Stuttgart / Berlin / Köln 1991, S. 71. 53 W. Schellberg / F. Fuchs (Hrsg.), Die Andacht zum Menschenbild. Unbekannte Briefe von Bettine Brentano, Jena 1942, S. 59. 54 Ebd., S. 67. 55 Ebd., S. 66. 56 Clemens Brentano an Achim von Arnim 30.4.1803: Brentano, Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 31, S. 70.

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Dabei half ihnen die vorbehaltlose Identifikation mit der deutschen Kultur ganz entscheidend. Friedrich Wilhelm Gubitz weist denn auch damals kursierende kolportierte Behauptungen, wonach etwa Clemens Brentano besonders stolz auf seine Abkunft gewesen sei, mit Entschiedenheit zurück: Man sagt, er habe gern seiner altitalienischen Abkunft gedacht, und daß sein Familien-Name auf die Besitzungen seiner Vorfahren an der Brenta hindeute; mir ist keine Aeußerung der Art von ihm bekannt [...]. Seiner Gesinnung nach war er damals – unsre persönlichen Beziehungen umfassen die Jahre 1816 bis 1819 – durch und durch Deutscher.57

Auch bei seiner Schwester zeigt sich die Verwurzelung in der deutschen Sprache und Kultur in vielfacher Weise. So behielt sie lebenslang das ihr vertraute hessische Idiom bei, was um so erstaunlicher ist, als sie mit 26 Jahren nach der Heirat mit dem preußischen Protestanten Achim von Arnim nach Berlin übersiedelte. Während der Befreiungskriege entwickelte sie sich dann zu einer preußischen Patriotin. Ihre insgesamt vier Söhne taufte sie ganz in diesem Sinne mit sprechenden Namen, die jeweils Bezug auf die konkrete zeitgeschichtliche Situation nahmen oder diesbezügliche Hoffnungen ausdrückten: 1812 Freimund, 1813 Siegmund, 1815 Friedmund, 1817 Kühnemund. Während Clemens mit Entschlossenheit eine „poetische Existens“58 zu führen versuchte, entwickelte sich Bettine zu einem künstlerischen Multitalent, das selbst komponierte, malte und zeichnete, literarisch und publizistisch tätig war. Offensiv reklamierten beide ihr Recht auf eine eigene, selbstgewählte Lebensform und bahnten dabei – ohne es zu ahnen – den übrigen Geschwistern und den Nachkommen der Folgegenerationen einen Weg. Dass das Verhalten der beiden „enfant terribles“ kein extremer Sonderfall war, sondern nur in der Konsequenz, mit der beide ihre Existenzweise verteidigten und behaupteten, von der Handlungsweise der Geschwister abstach, zeigt sich sehr deutlich an den beiden Geschäftsführern des Unternehmens. Georg Brentano nämlich zog sich nach und nach aus dem einst von ihm erfolgreich begründeten Bankgeschäft zurück und verlagerte sein Interesse spätestens seit den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts weitgehend auf die Schaffung seines Gartenreichs im in der unmittelbaren Nähe Frankfurt gelegenen Ortes Rödelheim. Und auch Franz Brentano, der das Vermögen seiner jüngeren Geschwister verwaltete, führte das Handelshaus bald nur noch aus Pflichtbewusstsein fort. Nach dem Tod seines Schwiegervaters Melchior von Birkenstock gelangten seine Frau Antonia und er in den Besitz einer reichen und exquisiten Kunstsammlung, die fortan hingebungsvoll gepflegt und offenbar weiter ergänzt wurde. Die Ein Kunstabend bei Senator Brentano betitelte Zeichnung Ludwig Emil Grimms aus dem Jahr 1820 gibt einen

57 F.W. Gubitz, Erlebnisse. Nach Erinnerungen und Aufzeichnungen, Bd. 1, Berlin 1868, S. 143. 58 Clemens Brentano an Sophie Mereau, Februar 1803: Brentano, Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 31, S. 49.

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Einblick in die geselligen, der gemeinsamen Betrachtung und Erörterung von Werken der bildenden Kunst gewidmeten Runden, die regelmäßig in Georg Brentanos Haus stattfanden.59 Der von den Vorfahren, vor allem aber vom Vater geschaffene Reichtum enthob also tendenziell alle Nachkommen der Notwendigkeit, weiter in der Sphäre des Handels tätig zu sein, so dass sie neue Interessen entwickeln und anderen Beschäftigungen nachgehen konnten. Unter dieser Perspektive verblasst die durch die elterliche Abstammung begründete nationale Bipolarität. Die die Familie eigentliche prägende Spannung der Brentanos bestand dann zwischen der ursprünglichen Prägung durch die Traditionen einer Handelsdynastie und der durch die Arbeit der Vorfahren erworbenen materiellen Unabhängigkeit, die eine weitgehend freie Wahl des Betätigungsfeldes und damit die Hinwendung zu Kunst, Literatur und Politik ermöglichte. Der Gegensatz von Handel und Intellekt entstand dabei allererst durch die Abnabelung der Nachkommen Peter Anton Brentanos von ihrer Herkunft und die Neuausrichtung innerhalb der durch den erworbenen Sozialstatus möglich gewordenen Spielräume. Die gesellschaftliche Aufstiegs- und Distinktionsdynamik prägte diese Familie demnach weit stärker als der zunächst ins Auge stechende Migrationshintergrund.60 Gleichwohl überrascht es, dass sich kein Nachkomme aus der Familie Brentano die Geschäfte weiterführen wollte und konnte.61 Beide Geschäftsführer hofften anfangs noch, dass ihre Söhne in die Fußstapfen der Väter treten würden. So musste Georg Brentanos Sohn Louis sein Jurastudium abbrechen, um im Handelshaus zu arbeiten.62 Die Hoffnung, er würde die elterliche Tradition weiterführen, erfüllte sich bei ihm aber ebenso wenig wie bei Franz Brentanos Sohn Georg, der Teile des Vermögens durch Spekulationen verspielte verloren gingen.63 Bettine von Arnim berichtet am 1. September 1830 während eines Besuchs in Frankfurt ihrem Mann

59 Vgl. die URL: http://sammlung.staedelmuseum.de/de/werk/ein-kunstabend-bei-senator-franzbrentano [8.2.2020]. 60 In diese Richtung deutet bereits Heidenreichs Bemerkung: „Die Besonderheit der Brentanos gründet sich dabei nicht auf eine zufällige Kombination der Gene, sondern auf einen besonderen Geist dieses Hauses“; B. Heidenreich, „Vorwort des Herausgebers“, in: ders. (Hrsg.): Geist und Macht, S. 7–8, hier S. 7. Um Mythisierungen vorzubeugen, sollte freilich der unscharfe und weit ausdeutbare Begriff „Geist“ vermieden und durch die Benennung konkreter Einflussfaktoren und Prägewirkungen ersetzt werden. 61 Schultz: Die Frankfurter Brentanos, S. 295. 62 Ebd., S. 295. 63 Ebd., S. 295–296.

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Achim fassungslos vom Verhalten dieses Neffen: „[E]r thut nichts auf dem Comptoir, hält sich mehrere Maitressen“.64 Der Vater musste daher mit Bedauern feststellen, dass der Sohn „längst entschiedene Abneigung gegen Handl[ungs] Geschäffte hat“.65 Das abrupte Ende des Handelshauses und der starke Interessenwandel der Nachkommen hin zu anderen gesellschaftlichen Betätigungsfeldern ließ den Eindruck entstehen, die Brentanos seien so etwas wie die „Frankfurter Buddenbrooks“.66 So schreibt beispielsweise Hartwig Schultz: Die Geschichte der Frankfurter Kaufmannsfamilie ähnelt der Buddenbrooks-Saga, wie sie Thomas Mann schildert. Im Vergleich zur Lübecker Firma verläuft der Auf- und Abstieg in Frankfurt jedoch in Zeitraffer innerhalb von zwei Generationen mit gleichzeitiger Ausbildung eines poetischen Potentials. Denn bereits in der zweiten Ehe Peter Antons kommen – als Nachfahren von Michael und Sophie von La Roche – einige Kinder mit künstlerisch-genialen Fähigkeiten auf die Welt, die sich in der kommerziellen Welt nicht zurechtfinden.67

Bei Licht betrachtet führt diese Assoziation aber in die Irre. Im Gegensatz zum narrativen Konstrukt des Romans Buddenbrooks, in dem Thomas Mann unter klar erkennbarer Bezugnahme auf die naturwissenschaftlichen Postulate und den daran sich orientierenden Hereditätsdiskurs des späten 19. Jahrhunderts, also seiner Zeit den – wie der Untertitel des Textes verheißt – „Verfall einer Familie“ vor Augen führt, lässt sich die Geschichte der Familie Brentano nicht auf einen einheitlichen entwicklungsgeschichtlichen Nenner bringen. Die Abwendung der Nachkommen von der auf Absatz und Gewinn ausgerichteten Kaufmannsexistenz kann nur einem einseitig auf ökonomischen Erfolg ausgerichteten Blick als Abstieg erscheinen. Hier zeigt sich vielmehr exemplarisch, wie die Fesseln von Abstammung und Herkunft abgeschüttelt werden: Anstatt wie die italienischen Vorväter bei einer einzigen Profession zu bleiben und sich damit in den vorgezeichneten Bahnen zu bewegen, ermöglicht das neue Lebensumfeld in Deutschland den Folgegenerationen vielfältige Lebensentwürfe, die im Einzelfall natürlich auch zum Scheitern führen oder in Durchschnittsexistenzen münden können. Beschreiben lässt sich diese Ausdifferenzierung als doppelte Emanzipation, nämlich als Loslösung von familiären und als Loslösung von nationalen bzw. kulturellen Beschränkungen. Erst die damit verbundene Freiheit der Wahl hat es möglich gemacht, dass Angehörige der Familie Brentano zu „herausragenden Wissenschaftlern, Künstlern und Politikern in der deutschen Geschichte“68 geworden sind. Anders gesagt: „In den Nachfahren“ der

64 A. von Arnim / B. Brentano, verh. von Arnim, Briefwechsel, Bd. 3, vollständig nach den Autographen, hrsg. von R. Moering, Wiesbaden 2018, S. 271. 65 Freies Deutsches Hochstift/Frankfurter Goethe-Museum, Hs-13791; zitiert nach: Schultz, Die Frankfurter Brentanos, S. 296. 66 Diese – wohlweislich mit einem Fragezeichen versehene – Formel wählt Schultz als Überschrift für das letzte, als Fazit und Ausblick fungierende Kapitel seines Familienüberblicks; siehe Ebd., S. 295–298. 67 Ebd., S. 296. 68 Ebd., S. 298.

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Brentanos „haben sich italienische, reichsstädtische und hessische Elemente zu einem einzigartigen Stück europäischer Geistesgeschichte verdichtet, das gleichsam modellhaft vorführt, welche Früchte europäische Integration tragen kann.“69

69 Heidenreich, „Vorwort“, S. 7.

III. LITERATUR, KUNST, MUSIK UND WISSENSCHAFT ZWISCHEN TRANSALPINER PHILANTHROPIE, POLITISCHEM AKTIVISMUS UND REGIONALER VERANKERUNG

STUDI DI AGRICOLTURA E DINTORNI Scienza e pratica tra la Milano asburgica e il mondo germanico Marina Cavallera Abstract: The second half of the eighteenth century was characterized by the progressive intensification of relations between the German-speaking European world and the Italian one. From the beginning of the century onwards, the increasingly strong presence of the Austrian branch of the Habsburgs in the peninsula had contributed much to the promotion of such relations not only on the political but also on the economic and cultural level. We know that, in this context, Vienna played a central role as a filter to select and, at times, also restrict the communications from Milan to the German-speaking territories, many of which were Protestant. This article looks at the growth of contacts between the German-speaking world and the Italian one during the eighteenth century and on their differentiation and evolution. If focusses on those aspects of the scientific culture that had as their objective the dissemination of new knowledge in the field of nature and the search for possible benefits arising from their application in agriculture. The important and strategic economic function of agriculture at the height of the affirmation of physiocratic thought in Europe contributed a great deal to the choices made by the Habsburg monarchy in the Milan area. In an increasingly direct way, the monarchy aimed at making choices and imposing rules. The article highlights the importance of Viennese institutional interventions in research, the training of technicians and the dissemination of knowledge in the field of agriculture among landowners, farmers and clergy in the care of souls. It also looks at the circularity of European scientific culture, which was characterized by continuous exchanges in which the cultural elites of the Milan area also participated in a significant way. These could contribute to research with knowledge stemming from agricultural traditions already present for centuries in the rural world of the Po Valley, as well as with new insights deriving from the more recent progresses made in the area.

1. PER UN INQUADRAMENTO DEL TEMA Nel secolo dei Lumi l’eredità di plurisecolari e intensi rapporti fra il Milanese e il mondo tedesco continuava a costituire un importante bagaglio di esperienze per le attività economiche di molti mercanti originari dell’una come dell’altra area; lo fu anche per Heinrich Mylius quando da Francoforte iniziò ad estendere la propria attività nel Milanese.1 Ma all’epoca sua ulteriori elementi erano intervenuti: si era accresciuta nell’intera Europa anche la circolazione di una cultura scientifica la cui 1

Enrico Mylius nasceva a Francoforte nel 1769 e già nel 1788, seguendo le orme paterne, aveva iniziato a intraprendere “…quel cammino che lo avrebbe portato a far fortuna in Italia” cfr. T. Pierenkemper, “L’industria tessile tedesca e la lavorazione della seta. Enrico Mylius e le relazioni economiche della sua epoca”, in: G. Oldrini / A. Venturelli (a cura di), La tradizione rinnovata. Da Enrico Mylius alla Sesto San Giovanni del futuro, Como 2006, pp. 39–48, in particolare a p. 39; l’imprenditore, si sarebbe definitivamente trasferito nel Milanese nel 1795.

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importanza non poteva sfuggire ad un imprenditore di successo. Per quanto proiettato nel futuro, per quanto fosse un precursore nel campo commerciale e manifatturiero, anche Mylius doveva tuttavia confrontarsi con un mondo in cui la maggior parte della popolazione continuava ad essere impiegata in agricoltura e nel quale il pensiero fisiocratico orientava le politiche di molti Stati. Proprio per questo, nessun imprenditore poteva disinteressarsi ai temi dell’agricoltura e non considerarne le risorse, tanto in relazione alla produzione di materie prime, quanto in rapporto al suo potenziale umano. Il progresso delle scienze doveva incidere pure sulle trasformazioni agrarie, sui prezzi delle materie prime quanto sull’evoluzione dei processi produttivi. Le riflessioni che seguono guardano a tale settore, nel quale furono importanti i rapporti e gli scambi di conoscenze fra le due aree linguistiche in cui Heinrich Mylius ebbe a muoversi. Tuttavia il presente contributo potrebbe essere visto pure come una riconsiderazione attorno al vecchio e dibattuto quesito sul se e sul quanto gli illuministi lombardi – e si potrebbe qui aggiungere anche gli imprenditori locali – siano stati protagonisti nel processo riformatore milanese della seconda metà del Settecento.2 In che misura ciò che all’epoca si andò attivando in uno Stato di Milano divenuto austriaco, fu realmente il frutto di un fenomeno endogeno? Tutto ciò fu voluto dalle punte avanzate di un ceto dirigente locale attivo e intraprendente sul piano politico ed economico, o non piuttosto la conseguenza di sollecitazioni provenienti da Vienna, da imprenditori stranieri, soprattutto svizzeri e tedeschi? E ancora, quanto le logiche del processo riformatore asburgico potevano risentire a loro volta, dei variegati apporti di una realtà composita, quale era all’epoca quella di lingua tedesca, piuttosto che della cultura e del pensiero proveniente da altre e diverse aree europee? La circolazione dell’informazione nella cosmopolita realtà del secolo XVIII è nota: essa poteva percorrere strade diverse e disperdersi in mille rivoli, procedere a volte in modo carsico e le idee sviluppatesi in un luogo non trovarvi qui un riscontro immediato, ma poi ricomparire altrove. Sappiamo che soprattutto dalla Francia e dall’Inghilterra, ma anche dai Paesi Bassi provenivano orientamenti, modelli politici e logiche economiche, nonché costumi sociali che con le loro suggestioni orientarono le scelte dei sovrani, compresi quelli di lingua tedesca e i casi di Federico II di Prussia, piuttosto che quello della zarina Caterina di Russia, non diversamente dal caso asburgico bene lo dimostrano. Quanto alla realtà italiana del tempo, già lo storico dell’illuminismo Franco Venturi nella seconda metà dello scorso secolo aveva posto un forte accento sulla dimensione internazionale di gusti e mode, esperienze culturali e nuove conoscenze che coinvolgevano pure la Penisola.3 Il vasto affresco da lui delineato evidenziava, soprattutto nell’ultimo scorcio del secolo, l’intensificarsi dei rapporti politici, economici e culturali fra gli stati ed essi ormai andavano oltre il tradizionale quadro europeo: una grande attrattiva era esercitata anche dagli ambienti naturali di mondi

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Cfr. ad es. in G. Guderzo, Potere e territorio nella Lombardia teresiana, Fusi 1981. Cfr. F. Venturi, Settecento riformatore, 5 Vol., Torino 1969–1990.

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nuovi e lontani. La crescente mobilità degli uomini, la frequenza dei loro viaggi, fossero questi legati a esperienze politiche oppure culturali o a ragioni economiche, molto dovevano incidere sulla circolarità della cultura e sul moltiplicarsi delle conoscenze. In tale contesto vanno ascritte pure le figure di imprenditori quali quella di Enrico Mylius che poteva vantare una formazione di carattere internazionale risalente a tradizioni familiari consolidate e una conoscenza della realtà lombarda costruita anche attraverso contatti, diretti o indiretti, con quei molti “milanesi” che da lungo tempo conducevano i loro “traffici” a Francoforte. Fra costoro ricordiamo i Brentano,4 i Bolongaro,5i Greppi,6 tutti mercanti e imprenditori che si presentavano come le punte avanzate di flussi migratori lombardi diretti verso il Nord Europa; ma accanto a loro vi erano pure artigiani, piccoli rivenditori e maestranze, soprattutto nel campo dell’edilizia7 il cui “stile di vita” era condizionato dalla multipolarità dei loro campi di azione, fatto questo che determinava anche una loro plurilocazione in area italiana ed europea. Anche costoro erano parte di quella élite dell’emigrazione8 che, al pari di quella che si era sviluppata in ambito mercantile e bancario aveva sempre avuto non poco peso nei processi di lungo periodo9 e aveva

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Sui Brentano, ad es. C. Peter, “Operatori prealpini all’estero: negozianti comaschi a Francoforte nel Settecento”, in: L. Mocarelli (a cura di), Tra identità e integrazione: La Lombardia nella macroregione alpina dello sviluppo economico europeo (secoli XVII – XX), Milano 2002, pp. 195–209; recentemente B. Heidenreich / E. Brockhoff / A. Bohnenkamp-Renken / W. Bunzel (a cura di), Die Brentanos. Eine romantische Familie? Francoforte sul Meno 2016, in particolare il II paragrafo, “Die Frankfurter Brentanos”, pp. 61–214. Circa la famiglia Bolongaro, originaria di Stresa sul Lago Maggiore e presente anch’essa a Francoforte: V. De Vit, Il Lago Maggiore Stresa e le Isole Borromee. Notizie storiche, Vol. 1,2, Prato 1877, pp. 340–363. Su tale famiglia, E. Greppi, “Il conte Antonio Greppi (1722–1799) imprenditore, finanziere, diplomatico nella Lombardia austriaca del Settecento”, Archivio Storico Lombardo CXXI (1995), pp. 399–430; E. Puccinelli, “Il carteggio privato dei Greppi. Spunti per un’analisi delle relazioni familiari ed intime tra i membri della casa”, Acme: annali della Facoltà di lettere e filosofia dell’Università degli studi di Milano L,1 (1997), pp. 93–116; S. Levati / G. Liva (a cura di), Viaggio di quasi tutta l’Europa colle viste del commercio dell’istruzione e della salute. Lettere di Paolo e Giacomo Greppi al padre (1777–1781), Milano 2006. Già sulla mobilità dei mercanti tra il Milanese e il mondo tedesco H. Kellenbenz, “Commercio tra la Lombardia e l’Europa centrale e orientale”, in: A. Taborelli (a cura di), Commercio in Lombardia, Vol. 2, Milano 1987, pp. 95–102; sul fenomeno, inquadrato all’interno del paradigma migratorio dell’area alpina e prealpina, cfr. L. Trezzi (a cura di), Imprenditorialità nelle Alpi fra Età moderna e contemporanea, Trento 1997; G.L. Fontana / A. Leonardi / L. Trezzi (a cura di), Mobilità imprenditoriale e del lavoro nelle Alpi in età moderna e contemporanea, Milano 1998. Sul tema, riferendosi soprattutto al settore edile, cfr. R. Ceschi, “Artigiani migranti della Svizzera italiana (secoli XVI-XVIII)”, Itinera XIV (1993), pp. 21–31. Si veda L. Fontaine, Histoire du colportage en Europe Xve – XIXe siècle, Paris, 1993 e L.P. Moch, Moving Europeans Migration in Western Europe since 1650, Indianapolis 1992.

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dato vita ad una sorta di “repubblica internazionale del denaro”.10 Ad essa, nel secolo XVIII, si affiancavano ormai anche altre “repubbliche internazionali”, ad iniziare da quelle culturali e, per quanto qui ci concerne in particolare, quelle delle scienze naturali che molto avrebbero contribuito alla progressiva trasformazione del mondo rurale. Nella seconda metà del secolo XVIII le attività manifatturiere lombarde trassero vantaggio da una circolazione delle élite politiche, oltre che economiche, che non procedeva a senso unico: tutto ciò fungeva da stimolo per un network internazionale attento alle potenzialità del Milanese11 dove furono introdotti macchinari più moderni e nuove forme di organizzazione dei sistemi commerciali.12 Tali settori furono le punte avanzate di un processo più generale nel quale il mondo rurale non poteva rimanere estraneo: il secolo si era aperto con la pubblicazione di importanti studi di botanica cui si sarebbero progressivamente agganciati anche quegli elementi di agricoltura sui quali si vuole qui portare l’attenzione. L’approfondimento di casi studio significativi, non ultimo quello di Enrico Mylius e dei suoi discendenti13 evidenzia infatti il diffuso interesse per le scienze naturali di imprenditori e di mercanti, non diversamente da quanto si stava verificando presso le corti e fra gli esponenti della nobiltà e delle élite tradizionali. Possiamo chiederci se, ormai in pieno clima fisiocratico, la realtà agraria lombarda frutto di plurisecolari sperimentazioni, fosse altrettanto pronta a recepire nuove modalità di coltivazione. Soprattutto nella seconda metà del secolo, presso la corte asburgica, così come presso gran parte delle corti europee, cresceva l’attenzione per una cultura accademica “alta” che, percorrendo strade diverse, si stava avvicinando sempre più a questi temi. La fiducia nelle nuove scienze sollecitava la ricerca di una loro applicabilità concreta anche in agricoltura, secondo i nuovi orientamenti di politica economica. Molte proposte dovevano trasmigrare sul piano delle pratiche agricole partendo dalla cura dei giardini e dei parchi presso le corti: ma ormai non si trattava più soltanto del riflesso delle mode invalse in tali sedi o presso un’aristocrazia dall’affaccio internazionale che immaginava un mondo bucolico e 10 Cfr. A. De Maddalena / H. Kellenbenz (a cura di), La Repubblica internazionale del denaro tra XV e XVII secolo, Bologna 1986. 11 A. Moioli, “Assetti manifatturieri nella Lombardia politicamente divisa nella seconda metà del Settecento”, in: S. Zaninelli (a cura di), Storia dell’industria lombarda, Vol. 1: Un sistema manifatturiero aperto al mercato, Milano 1988, pp. 3–102 e S. Levati, La nobiltà del lavoro. Negozianti e banchieri a Milano tra Ancien Régime e Restaurazione, Milano 1997; sul loro inserirsi nel quadro della società milanese, C.G. Lacaita, L’intelligenza produttiva. Imprenditori tecnici operai nella Società d’Incoraggiamento d’Arti e Mestieri di Milano (1838–1988), Milano 1990. 12 A. Moioli, Assetti manifatturieri; C. Capra, Austriaci e francesi a Milano: il laboratorio della modernità, in Il laboratorio della modernità: Milano tra austriaci e francesi, Milano 2003, p. 14. Recentemente, M. Poettinger, “The Mercantile Network Economy and the Mechanisation of Cotton Spinning and Printing in Milan (1760–1815)”, in: Ead. (a cura di) German Merchant and Entrepreneurrial Migrations, Lugano 2012, pp. 253–308, in particolare p. 259 e seg. 13 Oldrini / Venturelli (a cura di), La tradizione rinnovata e Heidenreich / Brockhoff / Bohnenkamp-Renken / Bunzel (a cura di), Die Brentanos.

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idealizzava le realtà campestri. Variamente interpretato, il pensiero dell’illuminismo, assume comunque un ruolo emblematico: leggendo Rousseau e il progetto fisiocratico di Quesnay, ci si avvicinava anche agli studi di botanica di Buffon e alle catalogazioni del naturalista svedese Linneo, o ancora agli studi di Haller sull’ambiente alpino. Tutto ciò doveva sfociare nella produzione di una manualistica per gli agronomi alla quale appartiene anche la più tarda opera del Mitterpacher. Élite vecchie e nuove ora collezionavano piante, ricercavano quelle più rare e curiose o provenienti da altri continenti e di cui si studiavano le caratteristiche per un loro possibile utilizzo farmacologico e alimentare.14 Se inizialmente tale approccio alla natura aveva contribuito alla trasformazione del gusto delle élite nella realizzazione di parchi e giardini, presto esso avrebbe infatti interferito anche sulla evoluzione dell’originario paesaggio rurale circostante. Le considerazioni che qui fanno seguito guardano in tale prospettiva ai contatti fra il mondo di lingua tedesca e la realtà milanese. Anche lo studio della natura, le modalità di diffusione della sua conoscenza e gli effetti che tutto ciò produsse con la sua applicazione nelle pratiche agronomiche, sono temi che interessarono la circolarità degli scambi fra élite politiche, economiche e culturali europee; anche in tale contesto i reciproci influssi e le loro dinamiche furono parte di quel processo di disseminazione delle conoscenze che fu tipico del secolo dei lumi. In tale ambito, l’influenza della cultura germanica nel Milanese si evidenzia su diversi piani ed essa segue tempistiche in cui si riflettono tanto le scelte istituzionali della monarchia, quanto gli interessi specifici di una realtà lombarda fortemente segnata, anche in questo campo, dagli interessi economici. Inizialmente l’attenzione per le nuove scienze sembrava qui manifestarsi prevalentemente a titolo individuale e “privato” fra le élite locali. Infatti, soprattutto sullo studio della botanica s’innestavano problematiche più schiettamente agronomiche e di tutto questo bene se ne coglieva l’importanza anche sul piano economico. Tuttavia, quando l’intervento di Vienna anche in tale campo impose un proprio orientamento politico – istituzionale volto a conferire maggiore forza e organicità ai nuovi progetti, anche nelle campagne lombarde, si aprirono nuove prospettive.15

14 Nel caso pavese l’intervento istituzionale fu più consistente anche sotto il profilo economico, cfr. L. Erba, “L’orto botanico di Pavia negli ultimi decenni del Settecento”, in: E. Cappelletti – G. Cassina (a cura di), Orti botanici: passato, presente e futuro. Atti del Convegno internazionale celebrativo del 450° anniversario di fondazione dell’Orto Botanico di Padova, Padova 1997, pp. 253–262; V. Giacomini / R. Ciferri / A. Pirola, Storia e immagini dell’Orto botanico di Pavia, Pavia 2002. Quanto all’orto di Brera cfr. E. Banfi / A. Visconti, L’orto di Brera alla fine della dominazione asburgica e durante l’età napoleonica, in Atti della Società italiana di Scienze naturali e del Museo Civico di Storia naturale di Milano 154, 2 (2013), pp. 173–264; A. Visconti, “Nuovi strumenti per lo studio e l’insegnamento della botanica nella Lombardia dell’assolutismo asburgico: gli orti di Pavia e di Milano”, Storia in Lombardia XXXIII, 2/3 (2013), pp. 28–44. 15 Sempre fondamentale resta su questi temi M. Romani, L’agricoltura in Lombardia dal periodo delle Riforme al 1859. Struttura, organizzazione sociale e tecnica, Milano 1957, in particolare alla p. 130 e segg.

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Sappiamo infatti che nell’ultimo quarto del secolo XVIII, sulle proprietà fondiarie del Milanese si sperimentavano tecniche agricole , si introducevano nuove coltivazioni, come nel caso del tabacco,16 e di tutto ciò già se ne iniziavano a cogliere i primi frutti proprio quando, da Francoforte, Enrico Mylius qui andava trasferendo le sue attività. Come sappiamo, lo stesso imprenditore tedesco e i suoi discendenti dovevano rientrare nel novero di coloro che portarono interesse per tali questioni e stanno a testimoniarlo le loro ville contornate da sontuosi parchi ancor oggi visibili in area lombarda, non meno delle loro proprietà rurali.17Ormai la conoscenza di nuove tecniche agricole doveva iniziare a penetrare nella quotidianità del mondo rurale e si delineava quell’importante processo di rinnovamento già ampiamente indagato dagli storici dell’economia.18 Le dinamiche che si andavano allora attivando tra mondo di lingua tedesca e area lombarda, quei contatti e quei rapporti, formali e informali all’incrocio di esperienze diverse, si aprivano su nuove prospettive. La circolazione rapida delle informazioni fra scienziati, studiosi e cultori delle nuove discipline si dilatava verso spazi nei quali la ricerca doveva trovare applicazione pratica. Ormai, a fine secolo, al sevizio dello Stato e per la “pubblica felicità”, realtà agraria e rinnovamento della società, dimensione economica e imprenditorialità dovevano interagire con maggiore forza: l’utile e il bello erano considerati da molti come elementi complementari, tanto nella prospettiva delle politiche di governo, quanto in quelle di nuove élite che si andavano proprio allora affermando.

16 Cfr. ora S. Levati, Storia del tabacco nell’Italia moderna: secoli XVII–XIX, Roma 2017. 17 Anche le iniziative di G. Mylius, furono tese a favorire più efficaci tecniche produttive nel Milanese, contribuendo all’affermazione anche tra le famiglie facoltose di tale area di quel “mecenatismo produttivistico” che doveva caratterizzare l’Ottocento lombardo, cfr. C.G. Lacaita, L’intelligenza produttiva. Imprenditori tecnici operai nella Società d’Incoraggiamento d’Arti e Mestieri di Milano (1838–1988), Milano 1990. 18 Cfr. M. Romani, “L’economia milanese nel Settecento”, in: id. (a cura di) Aspetti e problemi di storia economica lombarda nei secoli XVIII–XIX, Milano 1977, pp. 122–206; id., L’agricoltura in Lombardia dal periodo delle riforme al 1859, Milano 1957 nonché i “Contributi di storia economica e sociale”, e qui soprattutto S. Zaninelli (a cura di), Questioni di storia agricola lombarda nei secoli XVIII–XIX. Le condizioni dei contadini, le produzioni e l’azione pubblica, Milano 1979 e id. (a cura di), La proprietà fondiaria in Lombardia dal catasto teresiano all’età napoleonica, Tomo I, Milano 1986; in particolare di L. Trezzi, “L’azione dei governanti a favore dell’agricoltura nello Stato di Milano nella seconda metà del Settecento”, in: S. Zaninelli, Questioni di storia agricola, pp. 219–299; anche L. Faccini, “La campagna: gli uomini, la terra e le sue rappresentazioni visive. Cabrei e catasti fra i secoli XVI e XIX. L'area lombarda”, in: R. Romano / C.Vivanti (a cura di), Storia d'Italia, Vol. 6: Atlante, Torino 1976, pp. 520–539 in particolare da p. 522 e segg.; id., La Lombardia fra ’600 e ’700. Riconversione economica e mutamenti sociali, Milano 1988.

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2. PARCHI E GIARDINI, NATURA E AGRICOLTURA NELLA LOMBARDIA ASBURGICA L’evoluzione di interessi e di approcci diversi al mondo naturale caratterizzano il secolo XVIII e la variegata articolazione politica che a Nord delle Alpi continuava a connotare i territori di lingua tedesca, molto contribuisce a rendere problematica la ricostruzione di dinamiche e rapporti fra questi e le altrettanto complesse realtà italiane. I rispettivi interessi non mancavano d’interferire anche sulla reciproca percezione e di ciò abbiamo testimonianza anche in due tra le più note e diffuse relazioni di viaggio in lingua tedesca, rispettivamente quella del Grand Tour del 1729 di Johann Georg Keyssler19 e quella di cinquant’anni successiva di Johann Jacob Volkmann risalente agli anni 1770–1771.20 Entrambe importanti per quanto distanti fra loro, tanto per provenienza e condizione del viaggiatore, quanto per i luoghi visitati, sappiamo che esse costituirono a lungo punti di riferimento importanti a cui il mondo tedesco avrebbe continuato a guardare per conoscere e comprendere la realtà italiana e da queste lo stesso Goethe, avrebbe in seguito tratto spunti per il suo Italienische Reise.21 Esse vengono qui evocate in quanto indicatori, nel corso del secolo, dell’evoluzione degli interessi delle élite e di conseguenza anche delle politiche economiche e culturali da loro promosse. Nel 1729, infatti, pur menzionando la fertilità della Pianura padana, era soprattutto lo splendore di palazzi e ville e delle architetture dei giardini a catturare l’attenzione di uomini di corte come Keyssler per i quali l’attrazione principale era data dalla magnificenza e dalle “invenzioni” dei Borromeo all’Isola Bella, dalle architetture di quel paesaggio e dalle essenze vegetali che componevano i giardini della nobiltà locale.22 Erano dunque le famose ville di delizia italiane che fin dal Cinquecento Bartolomeo Taegio aveva descritto23 ad interessare il visitatore, molto più delle caratteristiche gestionali delle proprietà fondiarie di cui pure esse erano parte. Tuttavia con quel “ritorno dell’Impero in Italia”24 di cui gli Asburgo del ramo austrico furono protagonisti agli inizi del secolo XVIII, le élite lombarde dovevano intrecciare più intensi rapporti e non soltanto sul piano politico. Nel passaggio dal

19 J.G. Keyssler, legato alla corte danese, accompagnava i figli del ministro Andreas Bernstorff, nel viaggio d’istruzione e scriveva il suo Neueste Reisen durch Deutschland, Böhmen, Ungarn, die Schweiz, Italien und Lothringen, Vol. 1, Hannover 1740, su di lui L. Schudt, Italienreisen im 17. und 18. Jahrhundert, Vienna / Monaco 1959, p. 68. 20 J.J. Volkmann, Historisch – kritische Nachrichten von Italien, 3 Vol., Lipsia 1770–1771. 21 J.W. von Goethe, Viaggio in Italia, Milano 2013. 22 M. Christadler, “Da Keyssler a Baedeker. Un Itinerario pittorico in Italia settentrionale”, in: G. Bigatti (a cura di), Quando l’Europa ci ammirava. Viaggiatori, artisti tecnici e agronomi stranieri nell’Italia del ’700 e ’800, Trucazzano 2016, pp. 33–46, in particolare alle pp. 34–36. 23 M.B. Taegio, “La villa […], della stampa di Francesco Moscheni” Milano 1559. L’opera è stata riedita da: C. Mozzarelli (a cura di), L’antico regime in villa, edizione dei testi di T. Lorini, Roma 2004, pp. 49–162. 24 Si veda ad es., M. Verga (a cura di), Dilatar l’Impero in Italia. Asburgo e Italia nel primo Settecento, Roma 1995, pp. 132–134.

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barocco al rococò ne dovevano condividere progressivamente aspetti culturali, mode e status simbol fra i quali va ricordata anche la composizione dei giardini. Il Belvedere di Eugenio di Savoia, i padiglioni orientaleggianti, le coffeehouses che ricordavano l’ultimo assedio di Vienna ne erano gli indicatori. Le continue contaminazioni fra i diversi modelli offerti dalle monarchie europee evidenziavano il crescente interesse proprio per la ricerca di essenze vegetali esotiche e rare, e parchi e giardini accoglievano una sorta di nuove wunderkammer immerse nella natura che nella Penisola si associavano alla moda della villeggiatura.25 Tutti questi elementi ebbero parte nel sempre più diffuso interesse per la botanica e le scienze della natura. Nella seconda metà del Settecento, anche l’attenzione asburgica per questi ultimi temi cresceva, prima nel quadro delle riforme e poi nella prospettiva di una ripresa economica. Si doveva puntare sulla ricerca in ambito naturalistico e supportare l’aggiornamento culturale delle élite sul piano scientifico. Uno dei primi segnali di tale orientamento della Monarchia si ebbe nel 1750, con la fondazione dell’“Accademia Roveretana degli Agiati”: Maria Teresa ne approvava lo statuto con Diploma Imperiale nel 1753;26 in modo analogo, a Mantova, veniva fondata nel 1767 l’”Accademia di Scienze, Lettere e Arti”.27 Nella vita culturale milanese del tempo sul tema dell’agricoltura sarebbero dovuti convergere gli interessi delle élite locali come quelli della Monarchia. Inizialmente a prevalere furono gli aspetti “alti” delle scienze naturali, noti erano, ad esempio, i rapporti epistolari fra Lazzaro Spallanzani e Albrecht von Haller28 medico e scienziato elvetico di lingua tedesca e ben noto anche in area lombarda29 per i suoi studi sulla farmacopea, la botanica e la biologia, la chimica e la zoologia. La stessa Vienna si muoveva, a sua volta, in tale direzione con interventi che furono inizialmente soprattutto a carattere istituzionale: come è noto, a inizio secolo la politica riformatrice asburgica ruotò attorno ai progetti di attivazione del nuovo sistema catastale e poi a quelli di riforma delle comunità.30 La costruzione di un più 25 Nel 1726 M.A. Dal Re pubblicava il primo volume delle, Ville di delizia o siano Palaggi camperecci nello Stato di Milano, e nel 1743 il secondo volume; una riedizione è stata fatta a Milano nell’anno 1963. 26 Sull “Accademia Roveretana degli Agiati”, che dal 1826 pubblica “Atti” cfr. ad es. C.A. Vianello, La riforma finanziaria nella Lombardia austriaca nel XVIII secolo, Milano 1940, p 144. 27 Cfr. soprattutto M.L. Baldi, Filosofia e cultura a Mantova nella seconda metà del Settecento. I manoscritti economici dell’Accademia Virgiliana, Firenze 1979. 28 Sul carteggio fra Albrecht von Haller e il naturalista Lazzaro Spallanzani (1729–1799) fra il 1765 e il 1777, cfr. l’Archivio Haller, Zürich, Korrespondenz von Haller; M.T. Monti, “Forma della scrittura e forma della comunicazione: dai ‘Memoires’ di Haller al ‘Prodromo’ di Spallanzani”, in: M. Galuzzi / G. Micheli / M.T. Monti (a cura di), Le forme della comunicazione scientifica, Milano 1998, pp. 277–311. 29 Su Albrecht von Haller vedi R. Toellner, Albrecht von Haller. Uber die Einheit im Denken des letzten Universalgelehrten, Wiesbaden 1971; di lui era noto anche il poemetto Die Alpen, pubblicato nel 1732. 30 Rimando rispettivamente a S. Zaninelli, Il nuovo censo dello Stato di Milano dall’editto del 1718 al 1733, Milano 1963 e a C. Mozzarelli, Sovrano, società e amministrazione locale nella

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efficiente apparato burocratico qui si saldava agli aspetti economici che pure recepivano nuove idee e richiedevano nuovi interventi,31 nonché alla formazione di un ceto dirigente capace, composto da tecnici che si dovevano preparare presso scuole superiori aggiornate e aprirsi alle novità che le scienze offrivano. La botanica era ancora considerata soprattutto come la base fondante della farmacopea del tempo e come supporto della medicina; in tale prospettiva si voleva pertanto riorientare anche la formazione di chimici e farmacisti.32 Vienna volle pertanto stimolare soprattutto la ricerca scientifica in ambito accademico e incentivare la formazione professionale ai livelli superiori: ma già se ne coglievano le aperture verso ulteriori finalità nella sua stessa subordinazione all’istituendo Supremo Consiglio di Economia.33 Tanto gli aspetti legati alla ricerca, quanto i suoi riflessi sulla didattica accademica prevedevano ora lo studio della botanica, considerata ormai quale disciplina autonoma. Nel 1763 fu infatti sempre Vienna a volere l’istituzione presso l’Università di Pavia, della prima cattedra di botanica, attribuita al padre vallombrosano di origine bavarese, Fulgenzio Vitman, grazie al quale avveniva il superamento della tradizionale lettura dei “semplici”. Se pur sempre funzionalmente subordinata alle esigenze della medicina, il governo asburgico non sottovalutava l’importanza di tale disciplina, tanto è vero che avrebbe in seguito acquistato la celebre collezione libraria di Albrecht von Haller per l’integrazione del patrimonio della erigenda biblioteca di Brera.34 Oramai in tale campo non ci si poteva più limitare ad un addestramento empirico e se nel passato gli orti ad uso della farmacopea erano stati soprattutto prerogativa di monasteri o di enti assistenziali quali l’Ospedale Maggiore di Milano, ora essi dovevano diventare luogo di sperimentazione e trasformarsi in “orto botanico”, un luogo concepito e organizzato secondo il metodo di Linneo, ed essere una sorta di laboratorio a cielo aperto, importante anche sul piano della didattica.

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Lombardia teresiana (1796–1758), Bologna 1982. Per un quadro generale cfr. C. Capra, “Il Settecento”, in: G. Galasso (a cura di), Storia d’Italia, Vol. 11: Il Ducato di Milano (1535– 1796), Torino 1984. Cfr. G. Klingestein, “Between Mercantilism and Physiocracy. Stages, Modes and Functions of Economic Theory in the Habsburg Monarchy. 1748–1763” in: C. Ingrao (a cura di), State and Society in Early Modern Austria, West Lafaiette 1994, pp. 181–215. Non recenti sono gli studi in proposito, cfr. A. Laghi, L’istruzione professionale degli alunni e dei maestri speziali di Milano nella seconda metà del Settecento, estratto da Atti dell’Ottavo Convegno culturale e professionale dei farmacisti dell’Alta Italia, Pavia 1956 e C. Masino, La farmacia milanese nel XVIII secolo, Milano 1970 (estratto da Atti e memorie dell’Accademia italiana di storia della Farmacia). Tali aspetti dipesero dalla nuova Deputazione agli studi della quale il plenipotenziario Carlo Firmian ebbe la supervisione, cfr. Capra, “Il Settecento”. Posta in vendita dagli eredi alla morte di Haller, la sua biblioteca venne acquisita da Vienna per l’istituenda Biblioteca Braidense di Milano. Ad es. cfr. G. Ricci, “Il luogo della cultura, dell’arte e della scienza: Brera”, in: F. Mazzocca / A. Morandotti (a cura di), La Milano del Giovin Signore. Le arti del Settecento di Parini, Milano 1999, pp. 172–184.

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Se tuttavia ancora prevalevano gli aspetti scientifici e teorici ad uso di chirurghi e medici, di speziali e agrimensori,35 i nuovi orti botanici voluti e finanziati da Vienna presso le scuole superiori di Brera36 e l’Università di Pavia, dovevano offrire ormai anche un valido supporto conoscitivo grazie al contatto diretto degli studenti con il mondo vegetale, con i suoi odori e sapori, secondo i nuovi orientamenti suggeriti dal sensismo e della ricerca empirica,37 favorendo lo slittamento degli studi da questi ambiti a quello dell’agronomia. Soprattutto a partire dagli anni Settanta si segnalano infatti ulteriori aperture in tale direzione anche da parte dei sovrani e si ebbero politiche economiche sempre più mirate, volte alla formazione di tecnici del settore. Si sollecitavano anche i proprietari terrieri a compiere sperimentazioni e ad applicare nuove tecniche di coltivazione. Gli orientamenti di un mondo scientifico in continua evoluzione avrebbero presto implicato pure la revisione delle tradizionali conoscenze in agricoltura, indotto a sperimentare nuove pratiche agronomiche con positivi effetti anche là dove pure, come nella pianura lombarda, vi era sempre stata grande attenzione per questi temi. Nel frattempo era avvenuta una profonda evoluzione nella mentalità e in generale nello sguardo del mondo tedesco verso la nostra penisola. Negli anni 1770– 1771, nel corso del suo viaggio in Italia un illuminista quale Volkmann non poteva più raccontare soltanto degli usi e dei costumi, delle forme di governo e dell’arte degli Stati che visitava, dei quali doveva ora cogliere sistematicamente gli aspetti dell’economia, del commercio e anche delle scienze38. Per quanto concerneva l’area lombarda egli si soffermava a considerare la produzione di cereali, riso e foraggi; osservava i metodi di allevamento del bestiame e la lavorazione del formaggio nella bassa pianura39. Tutto ciò riguardava la zona dell’irriguo dove la canalizzazione precoce delle acque, i ritmi e le logiche della domanda di mercato aveva determinato la crescita di tali produzioni e sappiamo che ciò, nel corso dei secoli, aveva sempre suscitato l’interesse degli agronomi di tutta Europa.40 35 Cfr. E. Brambilla, “Il ‘sistema letterario’ di Milano: professioni nobili e professioni borghesi dall’età spagnola alle riforme teresiane”, in, A. De Maddalena / E. Rotelli / G. Barbarisi (a cura di) in: Economia, Istituzioni, cultura in Lombardia nell’età di Maria Teresa, Vol. 3: Istituzioni e società, Bologna 1982, pp. 152–153. 36 A. Scotti, Brera 1776–1815. Nascita e sviluppo di una istituzione culturale milanese, Firenze 1979, M. Scazzoso, “Le scuole Palatine a Milano nell’età delle Riforme”, in: A. De Maddalena / Rotelli / G. Barbarisi (a cura di), Economia, istituzioni, cultura, Vol. 3, pp. 887–895 e, soprattutto sulle scuole palatine, E. Brambilla, Università e professioni in Italia da fine Seicento all’età napoleonica, Milano 2018, pp. 60–67. 37 Si veda ad es. il recente contributo di V. Ferrone, Il mondo dell’Illuminismo. Storia di una rivoluzione culturale, Torino 2019, in particolare alle pp. 3–55. 38 Ne sottolinea le caratteristiche A. von Müller, “La Lombardia nelle guide turistiche dei tedeschi (XVIII e XIX secolo)”, in: G. Bigatti, Quando l’Europa ci ammirava, pp. 25–32, in particolare alle pp. 28–30. 39 Rimando soprattutto a D. Sella, L’economia lombarda durante la dominazione spagnola, Bologna 1982. 40 Cfr. anche S. Ciriacono, Acque e agricoltura. Venezia, Olanda e la bonifica europea in età moderna, Milano 1994.

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Come nel passato, ancora nel Settecento il tessuto geo-antropico lombardo, base importante di tale sviluppo, si correlava infatti alla presenza di molte città, di una fitta rete di centri maggiori e minori densamente abitati che dovevano essere sistematicamente approvvigionati.41Ciò determinava l’articolazione delle attività agricole, così come le dinamiche dei movimenti di uomini e di merci, e già su tale questione Pietro Verri aveva colto l’opacità delle politiche economiche gestite dalle élite milanesi e sottoponeva all’attenzione di Vienna le dinamiche di un’economia in parte rimasta sommersa e strettamente legata alla produzione agricola.42 L’attenzione dei proprietari terrieri per l’incremento delle rese dei loro beni continuava per altro ad essere ben percepibile anche attraverso la stessa disseminazione nelle campagne di ville padronali che, con i loro orti, con la cura di giardini e parchi, sono non soltanto simbolo di potere e ricchezza, ma ancora oggi testimonianza di un loro interesse vivo e costante per la gestione imprenditoriale delle rispettive terre. Nella stessa opera di Volkmann, la descrizione del paesaggio lombardo si associava alle sue considerazioni a proposito di una nobiltà qui presente e attiva: egli ricordava gli interventi in campo agricolo dei Crivelli a Lainate e a Montello o quelli dei Casnedi a Birago; né qui mancavano osservazioni sull’importanza della gelsibachicoltura, sull’operosità dei mercanti e di quella degli imprenditori appartenenti alla borghesia milanese.43 Tale area continuava dunque ad essere considerata all’avanguardia sul piano agricolo, per i metodi di concimazione dei campi e per l’avvicendamento delle colture come per le tecniche di allevamento del bestiame. Tuttavia il mondo rurale lombardo non era soltanto questo: il suo forte differenziarsi in fasce climatiche, le diverse caratteristiche dei terreni presenti al di sopra della zona dei fontanili e a nord di Milano dove la pianura asciutta era caratterizzata dalla brughiera, presentava una realtà ben diversa; essa variava ulteriormente nell’area dei laghi prealpini e ancor più là dove a dominare era poi il paesaggio alpino. Le colture qui introdotte dall’uomo si erano dovute diversamente adeguare all’ambiente e la gestione delle proprietà fondiarie, le modalità di sfruttamento delle risorse erano tutt’altro che soddisfacenti agli occhi di Vienna, tanto che per queste zone essa sollecitò precocemente interventi. Va segnalato che ormai, negli anni Settanta, l’approccio alla realtà lombarda da parte di viaggiatori impregnati di idee illuministe quale il Volkmann, dava conto anche della diffusione delle scienze. La fiducia nel progresso stava investendo ogni campo. Già si era iniziato a cogliere come e quanto gli studi condotti nell’ambito delle scienze potessero contribuire anche allo sviluppo delle attività agricole e pure la divulgazione di quanto la ricerca aveva posto in luce era destinata ad avere un peso crescente. Nella Penisola Milano e Napoli furono all’avanguardia: si guardava al quadro internazionale e qui le scienze naturali suscitarono un interesse vivo e concreto anche all’interno della realtà locali. L’intrecciarsi parallelo delle iniziative

41 Sul rapporto popolazione risorse, J. Mathieu, Storia delle Alpi 1500–1900. Ambiente, sviluppo e società, Bellinzona 2000. 42 P. Verri, Bilancio del commercio dello Stato di Milano, Milano 1764. 43 Pure Müller, “La Lombardia nelle guide”.

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su entrambe i fronti, quello governativo e quello locale, determinò l’efficacia dei successivi interventi in agricoltura. 3. PUBBLICAZIONI SCIENTIFICHE AD USO DELLE ÉLITE MILANESI Fin dagli inizi del secolo XVIII a dominare la scena milanese erano state le prospettive aperte dal nuovo governo: l’avvio della riforma catastale, già negli anni Venti allargava il suo raggio d’azione e nell’ambito delle indagini sulle comunità rurali lombarde, iniziavano ad emergere informazioni anche sull’organizzazione del lavoro agricolo e sulle sue rese.44 Le autorità austriache erano dunque a conoscenza fin da quei tempi delle variegate condizioni presenti nel mondo rurale lombardo e non a caso proprio al processo riformatore da queste innescato è stato attribuito almeno in parte il merito di avere dato avvio ad una ulteriore evoluzione della realtà agraria. Ma fin da allora le élite lombarde avevano iniziato a considerare pure le conseguenze derivanti da tutto questo sul piano fiscale e la prospettiva stessa di un aumento degli oneri sulle proprietà fondiarie doveva contribuire all’avvio di una nuova riflessione sulla gestione dei beni rurali. A Milano ci si muoveva in modo autonomo: per taluni aspetti si anticiparono e per altri invece non si sarebbero poi necessariamente condivisi gli orientamenti promossi da Vienna. Tutt’altro che irrilevanti emergono infatti i rapporti delle élite locali con quelle di altre aree europee, soprattutto con Francia. Inghilterra e Olanda, ma anche con territori di lingua tedesca che si collocavano al di fuori del contesto asburgico. Come già Adam Wandruszka osservava, per quanto Maria Teresa d’Austria non intendesse apportare modifiche alle preesistenti gerarchie sociali, con lei la monarchia aveva dato comunque avvio ad “una grande trasformazione, la nascita di una classe, l’inizio della liberazione della popolazione agraria e i primi albori dell’età industriale”45 dando principio, nel Milanese, ad una nuova fase di modernizzazione in agricoltura. In parallelo con la riorganizzazione delle comunità e l’attivazione delle temute riforme fiscali, l’interesse per le scienze naturali, l’informazione sul progresso di queste, diveniva un’esigenza primaria per molti grandi proprietari. Tali nuove istanze, in qualche misura, erano già state recepite pure dalle accademie milanesi46 mentre a Napoli, in modo autonomo, Domenico Cirillo aveva 44 Cfr. Zaninelli, Il nuovo Censo. Si fa qui riferimento ai cosiddetti “Processetti del 1722” che si conservano in Archivio di Stato di Milano, Fondo Catasto. Indubbiamente, in tali sue fasi iniziali, le indagini si erano correlate a obiettivi diversi, legati soprattutto alla questione del rendimento dei terreni, nella prospettiva della riforma in campo fiscale e in tale ambito rientrava anche, ad esempio, la valutazione del costo della manodopera. 45 A. Wandruszka, “Cambiamenti sociali nel periodo teresiano in Austria”, in: A. De Maddalena / E. Rotelli / G. Barbarisi (a cura di), Economia, Istituzioni, Cultura in Lombardia nell’età di Maria Teresa, Vol. 1: Economia e società, Bologna 1982, pp. 43–50, la citazione a p. 49. 46 Cfr. U. Baldini, “L’attività scientifica nelle accademie lombarde del Settecento”, in: A. De Maddalena / E. Rotelli / G. Barbarisi (a cura di), Economia, Istituzioni, Cultura in Lombardia nell’età di Maria Teresa, Vol. 2: Cultura e società, Bologna 1982, pp. 503–532.

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dato alle stampe la sua opera di botanica già nel 1766.47 Ormai anche qui la scienza stava uscendo dalle tradizionali sedi accademiche e nel Milanese già si guardava a ciò che si andava elaborando a livello internazionale e a quanto potesse trovare applicazione in campo agronomico. Per i proprietari terrieri, sperimentazioni scientifiche e nuove conoscenze tecniche rappresentavano un importante punto di avvio per migliorare il livello qualitativo e quantitativo della produzione agricola. L’accentuazione di tali interessi fu anche alla base di precise scelte editoriali: il milanese Giuseppe Gallazzi, in sintonia con la prima generazione di illuministi milanesi48con i quali aveva iniziato ad interagire quantomeno dai tempi de “Il Caffè” (1764– 1766),49 dava alle stampe numerose opere di scienziati e studiosi stranieri. Lo stesso Pietro Verri pubblicava sul suo giornale un articolo sul vivere in villa50 nel quale non parlava delle mode del secolo e delle frivolezze dei tempi suoi, infatti quelle villeggiature, abitualmente viste solo nella loro dimensione bucolica, non erano più considerate solo come luoghi ideali per incontri mondani. Per l’élite milanese proprio questa continuava ad essere la sede ideale per un hotium proficuo, il luogo dove attendere agli studi, lontano dal clamore e dagli impegni della città. Qui la cerchia degli amici si doveva raccogliere in “accademie” informali in cui si poteva fare musica, discutere di letteratura e di scienza, impiantare laboratori e sperimentare. E proprio qui si coglie il crescente interesse dell’élite della cultura lombarda per le scienze naturali; essa in campagna trovava possibilità di una maggiore concentrazione nello studio e occasione di sperimentazioni pratiche. Gli stessi spazi esterni erano il prolungamento di queste ville dove l’impianto di giardini e parchi seguiva ormai modelli estetici di derivazione asburgica, evidenziando oltre all’allineamento politico dei loro proprietari, un sempre più accentuato interesse per la “natura ferace”,51 per le essenze vegetali esotiche e rare e per la sperimentazione; qui si creavano orti botanici, seguendo quel modello linneiano, che la stessa monarchia asburgica stava contribuendo a diffondere. Lo stesso Pietro Verri era un sostenitore del “giardino utile” dove, a suo avviso, si dovevano mettere a dimora solo “piante fruttifere”, senza sottrarre terreno alle coltivazioni.52 Non dovevano infatti essere soltanto la messa a coltura degli orti, l'introduzione di nuove essenze vegetali a valorizzare le bellezze dei luoghi, poiché al centro dell’interesse generale stava sempre la produzione agricola. Trait d’union fra il mondo della cultura “alta” presente in villa e le pratiche rurali nelle campagne 47 D. Cirillo, Ad Botanicas institutiones introductione, Napoli 1766. 48 C. Capra, “Il tipografo degli illuministi lombardi: Giuseppe Gallazzi”, in: A. Postigliola (a cura di), Libro editoria cultura nel Settecento italiano, Roma 1988, pp. 49–55. 49 Come è noto, “Il Caffè” venne dato alle stampe per soli 3 anni 50 P. Verri, “Le delizie della villa”, in: G. Francioni / S. Romagnoli (a cura di), “Il Caffè” 1764 1766, Torino 1993, pp.166–173. 51 Ibid., in particolare alle pp. 168–169. 52 Il tema è ripreso da P. Verri, in “Elementi del commercio”, in: G. Francioni / S. Romagnoli (a cura di), “Il Caffè”, pp. 30–38, a p.38 egli sostiene che “Il solo lusso veramente pernicioso in una nazione che abiti un suolo fecondo è quello che toglie alla coltura le terre, consacrandole alle caccie, ai parchi e ai giardini”.

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circostanti, giardini e parchi si dovevano identificare con gli spazi della sperimentazione attivata dai grandi proprietari terrieri; questo era il confine liquido in cui si potevano sviluppare esperienze per introdurre migliorie e incrementare la redditività dei beni fondiari. Un’utile traccia per noi è costituita dall’articolo di Sebastiano Franci che, sempre dalle pagine del Caffè dava conto dei progressi dell’agricoltura e dei più recenti studi condotti in tale ambito in Europa.53Egli citava gli Atti delle Accademie Reali “… di Francia, di Londra, di Svezia, di Berlino, di Pietroburgo” e, di particolare interesse per il Milanese, segnalava la messa a punto nell’Hannover, di “un metodo eccellente per rendere fruttifere le brughiere”,54sul quale, nella realtà milanese già si soffermavano anche le indagini di G Gallarati.55 Erano dunque gli stessi esponenti delle élite milanesi a sollecitare gli editori nella ricerca di un affaccio internazionale, per la pubblicazione di nuove opere su temi di avanguardia. La divulgazione era indubbiamente destinata ad un pubblico comunque colto, di cui si dovevano assecondare gli interessi e in tale prospettiva, a partire dagli anni Settanta, a Milano si sviluppava una più intensa attività editoriale. Tra il 1770 e il 1773, si pubblicavano, sempre per i tipi di Giuseppe Galeazzi, le maggiori opere scientifiche del tempo: la Storia naturale di Buffon, corredata da una prefazione dello scienziato elvetico Albert Haller,56 a cui avrebbe fatto eco, già nel 1772, anche un’edizione napoletana, quella dei fratelli Raimondi.57 A Milano il Gallazzi si specializzava proprio nella divulgazione di opere a carattere scientifico,58 un’attività per la quale, a partire dal 1775, si avvalse della collaborazione di Francesco Soave e di Carlo Amoretti, due figure – chiave che sembrano monopolizzare l’intero panorama milanese e che collaborarono anche con un

53 S. Franci, “Dell’agricoltura. Dialogo: Afranio e Cresippo”, in: G. Francioni / S. Romagnoli (a cura di), “Il Caffè”, pp. 60–63. 54 Ivi, rispettivamente alle pp. 63 e 62. 55 G. Gallarati, “Riflessioni sulle coltivazioni delle brughiere”, in: C.A. Vianello (a cura di), Economisti minori del Settecento lombardo, Milano 1942, pp. 173–195; P. Lavezzari, “Se vi siano de’ gravi difetti nell’Agricoltura Milanese: quali sien’essi, e quali esserne possano i rimedi”, in: Atti della Società Patriottica di Milano, 1 (1783), pp. 96–99. 56 Il Gallazzi a Milano partiva dall’edizione parigina dell’opera del conte G.L.L. de Buffon, Storia naturale, generale e particolare del sig. de’ Buffon … colla descrizione del gabinetto del Re del signor Daubenton, 31 Vol., Milano 1770–1773 con prefazione di A. Haller; usciva anche, in contemporanea, una edizione minor in 123 Vol. dove il “sig. de Buffon” era identificato come “Intendente del Giardino del Re”. Su queste tematiche si vedano P.M. Grinevald, “Les éditions dell’ “Histoire naturelle”” in: J. Gayon (a cura di), Buffon 88, Actes du Colloque International pour le bicentenaire de la mort de Buffon, Paris 1992, pp. 635; S. Caianiello, “Intorno alle prime edizioni italiane di Buffon”, in: G. Cantarutti / S. Ferrari (a cura di), Traduzione e transfert nel XVIII secolo tra Francia, Italia e Germania, Milano 2013, pp. 95–119. 57 Dalla prima edizione milanese sarebbe dipesa tanto quella napoletana dei fratelli Raimondi pubblicata tra il 1772 e il 1777 a cui collaborava pure l’incisore Benedetto Cimarelli, quanto quella successiva edita a Venezia tra il 1782 e il 1791 dai fratelli Bossaglia e da Antonio Zatta nella quale era compresa anche la storia dei minerali e degli uccelli e alla quale vennero aggiunte anche le edizioni delle opere di altri celebri naturalisti per un totale di 57 Vol. 58 Come è noto, “Il Caffè” venne dato alle stampe per soli 3 anni.

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altro stampatore locale, Giuseppe Marelli. Prendeva allora avvio la pubblicazione della “Scelta di opuscoli interessanti tradotti da varie lingue…” nonché degli “Opuscoli scelti sulle scienze e sulle arti tratte dagli Atti delle Accademie…”59 e in tale sede comparvero anche le prime traduzioni di opere tedesche, opere importanti, ma al tempo stesso di difficile resa in traduzione, soprattutto in merito alla descrizione degli animali.60 La circolazione di nuove opere sulle scienze naturali implicò una più intensa attività di traduzione in italiano di testi stranieri, soprattutto francesi e inglesi, lingue che furono anche utilizzate per la divulgazione di opere originariamente scritte in altri idiomi. Si possono attribuire proprio alla scarsa familiarità con il tedesco in Italia - persino fra gli esponenti della nobiltà milanese, per i quali essa sarebbe stata necessaria-, le lentezze nei tempi di diffusione delle conoscenze fra le due aree linguistiche, anche nel caso di opere importanti.61 Pure nel campo delle cosiddette “scienze sode”, come venivano definite quelle dell’area scientifica, soprattutto là dove le avanguardie della cultura del tempo esprimevano concetti nuovi per i traduttori, si presentavano aspetti tecnico – linguistici particolarmente complessi. In questi casi, in particolare, le traduzioni dovevano essere effettuate da esperti del settore poiché tra gli effetti dell’innovazione si annoveravano pure non poche ricadute anche sul piano lessicale. Non a caso, già attorno a quegli anni si discuteva in merito alle traduzioni e sull’importanza delle illustrazioni all’interno di trattazioni scientifiche per le quali esse erano in taluni casi risolutive per una migliore descrizione e comprensione dell’oggetto di cui si andava a trattare. Ricordiamo ad esempio le incisioni che corredavano la pubblicazione dell’abate Scopoli a proposito dell’Orto Botanico di Pavia o ancora, a Napoli, quelle del Boerhaare voluti dall’editore Raimondi o per la pubblicazione della Statistica de’ Vegetabili di Hales tradotta in italiano da una interessante figura femminile del tempo: Maria Angela Ardighelli.62 In quegli stessi anni parallele iniziative furono promosse pure sul piano istituzionale: le indagini già condotte nel Milanese dai Visitatori del Supremo Consiglio di Economia avevano dato frutti interessanti e già erano stati posti in essere temi e

59 C. Amoretti / F. Soave (a cura di), Scelta di opuscoli interessanti tradotti da varie lingue, 36 Vol., Milano 1775–1777; C. Amoretti / F. Soave (a cura di), Opuscoli scelti sulle Scienze e sulle arti; tratti dagli Atti delle Accademie, e dalle altre collezioni filosofiche, e letterarie, dalle opere più recenti inglesi, tedesche, francesi, latine e italiane e da manoscritti originali e inediti,16 Vol., Milano 1778–1803. 60 Tali pubblicazioni, in origine, erano quasi sempre prive di note al testo e, nei rarissimi casi in cui queste si presentavano, mantenevano quasi sempre un mero carattere esplicativo: cfr. anche ad es. S. Caianiello, “Intorno alle prime edizioni”, p. 102. 61 La conoscenza del tedesco non era contemplata nei programmi dei collegi nobiliari italiani, cfr. anche A. Cont, Giovin signori. Gli apprendisti del gran mondo nel Settecento italiano, Cerbara 2017, p. 54. 62 Ivi, ci si riferisce alla traduzione di M.A. Ardinghelli, Statistica de’ Vegetabili ed analisi dell’aria. Opera del signor Hales…Tradotta dall’inglese con varie annotazioni, Napoli 1756.

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problemi che rinnovavano anche la percezione del mondo agrario milanese.63 Tuttavia, inizialmente, la monarchia asburgica puntava soprattutto sulla formazione di tecnici, agrimensori e proprietari terrieri, tutti destinatari delle pubblicazioni scientifiche di botanica, di zoologia e di tutti quegli ambiti che in qualche misura potessero tornare utili al processo di rinnovamento culturale in area lombarda. Espressione delle prospettive governative fu lo studio di botanica del 1770 che lo stesso Vitman, dava alle stampe: il suo De medicatis herbarum facultatibus liber,64 che verrà adottato nel Milanese come testo universitario. Chiari indicatori dell’avanzamento della cultura scientifica in Italia,65 tali pubblicazioni precedettero quelle delle opere di Linneo,66 che pure meglio di altre si inserivano negli orientamenti di Vienna.67 Il processo di sistematizzazione delle conoscenze voluto e diffuso da questa definì e per molti aspetti condizionò anche in area lombarda i rapporti fra questo e il mondo di lingua tedesca nel suo insieme. Tutto doveva passare attraverso la mediazione asburgica anche per quanto concerneva gli orientamenti nel campo di un’agronomia che ora, come la botanica, si presentava nella veste di disciplina autonoma. La realtà agraria sempre più oggetto di variegati interessi, si avviava ormai a divenire campo di sperimentazioni con l’introduzione di nuove colture e di nuove tecniche.

63 Si veda C.A. Vianello (a cura di), Relazioni sull’industria il commercio e l’agricoltura lombardi nel ’700, Milano 1941. 64 F. Vitman, De medicatis herbarum facultatibus liber ex veteri medico rum fide, ex probata nuperorum observatione, ex privato quarundam gentium usu methodo botanica secundum alphabeti seriem ordinatus. Pars prima [altera], Faenza 1770. 65 La prima edizione italiana di Linneo fu quella di Napoli del 1777. Cfr. S. Caianiello, “Intorno alle prime edizioni”, p. 98: opera dalla mole imponente, essa apparve in una veste dimessa per ridurre il più possibile i costi dei volumi. 66 Sulle traduzioni italiane di Linneo, cfr. F. Tognoni, “The Italian édition of Linnaeus: Iconography Linnaeus: Iconography and Texts” in: M. Beretta / A. Tosi (a cura di). Linnaeus in Italy: the Spread of a Revolution in Science, Sagamore Beach (MA) 2007, p. 129. Però, forse anche perché quest’ultima, nella sua versione originaria era in latino, veniva data la preferenza alle opere di Buffon. Si vedano ad esempio le considerazioni del celebre medico milanese Pietro Moscati che, nonostante le inevitabili critiche a parte degli assunti, e malgrado non avesse in alcun modo contribuito alla pubblicazione delle sue opere in Italia, lo apprezzava comunque cfr. Caianiello, “Intorno alle prime edizioni”, p.106 67 Ma si trattava soltanto di un’opera minore: sulle traduzioni italiane di Linneo, cfr. F. Tognoni, “The Italian édition of Linnaeus: Iconography Linnaeus: Iconography and Texts”, in: M. Beretta / A. Tosi (a cura di), Linnaeus in Italy, pp. 129 e ss. Sappiamo come molti scienziati italiani del tempo si trovassero più in sintonia con le teorie di Buffon e con la sua concezione della natura, piuttosto che con quelle di Linneo, tanto da utilizzare i principi sostenuti dal primo anche quando era stata ormai asseverata anche in Italia l’importanza del metodo di quest’ultimo Cfr. L. Ciancio, ““Tuis impulsus consiliis”. Antonio Turra, the Vicenza Academy of agricolture, and the reception of Linnaeus’ thome in the Venetian Terraferma 1758–1797”, in: Beretta / Tosi (a cura di), Linnaeus in Italy, p. 315.

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Lo storico Antonio Trampus ha individuato la causa dei limiti nella comunicazione fra Milano e Vienna68 in un pregiudizio linguistico nei confronti del tedesco che era infatti ancora riscontrabile negli anni Settanta – Ottanta del Settecento; esso continuava a collegarsi alla questione delle differenze confessionali e all’esistenza di un giurisdizionalismo particolarmente segnato da quel pensiero riformato che in area cattolica doveva essere “depurato”. È indubbio, tuttavia, che proprio le ragioni di ordine politico oltre a quelle di carattere confessionale molto contribuissero a quei tempi all’affermarsi della mediazione culturale austriaca, dove affondavano le matrici cristiane dello stesso giusnaturalismo tedesco. A Vienna l’assolutismo illuminato promuoveva infatti una concezione dello Stato forte che sempre si associava alla religione e proprio a quest’ultima veniva attribuita una valenza strategica importante anche nella sfera del controllo sociale. Non a caso, in età giuseppina se ne coglieranno le conseguenze nell’attribuzione al clero di competenze didattiche: i suoi membri avrebbero dovuto conoscere le nuove tecniche agricole e divulgarle. Se, come è noto, nel corso degli Anni Settanta - Ottanta del secolo, anche a Vienna vi erano stati momenti di svolta importanti nei rapporti fra lo Stato e il clero e con la stessa Santa Sede, e se ancor prima, fin dal 1773, la soppressione della Compagnia di Gesù aveva comportato l’incameramento dei beni di quest’ultima, subito confluiti sul mercato immobiliare, non va tuttavia dimenticato che i suoi uomini rimanevano e che costoro con la loro esperienza anche in seguito avrebbero contribuito a vivacizzare la realtà culturale tedesca e a costruire un ponte ideale fra questa e quella italiana. La difesa della cattolicità era dunque ancora il perno su cui da lungo tempo si fondava l’azione asburgica di filtro nei rapporti tra le due culture, giustificandone la mediazione. È stato osservato come proprio gli interventi e i condizionamenti di questa mediazione avessero anche determinato nel Milanese una sorta di competizione fra Vienna e gli Stati tedeschi:69 è comunque indubbio che fino a quando le differenze confessionali impedirono l’immigrazione nei territori lombardi di mercanti stranieri e di tedeschi in particolare, l’attrattività della città ambrosiana ne venisse pesantemente condizionata. La presenza al di qua delle Alpi di imprenditori provenienti da territori germanici riformati non aveva avuto pertanto modo di consolidarsi. Ma all’epoca la pervasività della cultura illuministica aveva già prodotto i suoi frutti e proprio il mondo nuovo delle scienze, apparentemente più neutro rispetto ad altri campi del sapere, si doveva affermare trasversalmente fra aree diverse e lontane fra loro senza incontrare soverchie barriere. Furono proprio editori quali i milanesi Gallazzi e Marelli e i loro corrispondenti berlinesi e viennesi, i traduttori legati a quel mondo scientifico transnazionale, a definire orientamenti e linee di ricerca da privilegiare, superando se necessario eventuali problematiche linguistiche. Il mercato editoriale si andava dilatando e la diffusione dell’informazione 68 A. Trampus, “La cultura italiana e l’Aufklärung un confronto mancato?”, in: G. Cantarutti / S. Ferrari / P.M. Filippi (a cura di), Il Settecento tedesco in Italia. Gli italiani e l’immagine della cultura tedesca nel XVIII secolo, Bologna 2001, pp. 61–93, in particolare a p. 62. 69 Cfr. ad es. Trampus, “La cultura italiana”.

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scientifica suscitava interessi ed entusiasmi anche fra i non addetti ai lavori; si dovevano pertanto proporre contributi anche a livello divulgativo. Per avere un’idea di tale ultimo aspetto sarebbe utile poter analizzare la presenza di testi di agricoltura presso le biblioteche private.70 È accertata, ad esempio, la diffusione delle opere di Buffon in area veneta e la fortuna dell’autore è già stata segnalata da più parti.71Ma in una Milano ormai sollecitata ad adeguarsi ai nuovi indirizzi di governo viennesi, l’orientamento, nel campo delle scienze naturali doveva piuttosto guardare a Linneo. Per lungo tempo la mediazione di Vienna intese dunque fungere da intercapedine nei i rapporti tra il mondo germanico riformato, fortemente permeato da ben diversi orientamenti72 e la realtà italiana; essa aveva condizionato approcci culturali e politici, pesato in campo economico e continuerà a farlo fino alla fine del secolo XVIII. Solo in un quadro più aperto e dinamico anche sotto il profilo istituzionale, i margini delle fratture e delle diversità si sarebbero stemperati: nel 1781, quando infine i limiti posti all’immigrazione nel milanese per i mercanti non cattolici venne a cadere, anche la circolazione delle conoscenze se ne sarebbe meglio avvantaggiata.73 Sullo sfondo di questa evoluzione dei rapporti politici, economici e sociali che ormai tendevano a subordinare la dimensione confessionale a quella economica, si collocava il primo affacciarsi e poi il consolidarsi della presenza dei Mylius nella realtà Milanese. Era proprio quel loro mondo imprenditoriale dal carattere internazionale che guardava soprattutto al modello di sviluppo inglese a contribuire al trasferimento dalle conoscenze e a promuovere anche a Milano processi innovativi nei sistemi di produzione. Anche qui si doveva puntare sulla modernizzazione e sulle possibilità di applicazione pratica delle scoperte scientifiche, una via ormai universalmente reputata necessaria per compiere progressi nei più diversi campi delle attività umane.74 Sotto tale profilo gli obiettivi viennesi sembravano convergere con 70 Cfr. su tale aspetto R. Chartier, “L’Ancien Régime typographique, réflexion sur quelques traveaux récents”, Annales ESC XXXVI,2 (1981), pp. 191–209. 71 Anche in base a quei pochi sondaggi effettuati sugli inventari delle biblioteche settecentesche di area lombarda, emerge la diffusione delle pubblicazioni legate alle nuove correnti agronomiche europee. Si veda ad esempio R. Cassinelli / G. Guerci / C. Nenci (a cura di), Catalogo de’ Libri della Biblioteca Silva di Cinisello, di Ercole Silva, Monza 1996 o l’Inventario della Biblioteca di Villa Bozzolo a Casalzuigno (Varese), ora proprietà FAI. 72 Recenti studi di Magnus Ressel ben testimoniano la divaricazione degli obiettivi politici ed economici presenti rispettivamente nella politica asburgica e in quella tedesca: cfr. Il Seminario da questi tenuto a Milano “La lotta per il traffico transalpino tra Asburgo e Savoia (1743–1796) e le conseguenze sul commercio tedesco-italiano”, 8 maggio 2017, Università degli Studi di Milano. 73 Si veda ad esempio M. Poettinger, “Lo sviluppo economico lombardo nelle attività degli imprenditori tedeschi”, in: G. Oldrini / A. Venturelli (a cura di), La tradizione rinnovata. Da Enrico Mylius alla Sesto San Giovanni del futuro, Como 2006, pp, 49–104, in particolare a p. 57 dove si fa anche riferimento al “Sovrano editto di tolleranza degli acattolici” del 15 novembre 1781 conservato in Archivio di Stato di Milano (ASMi.), Fondo Commercio, p.a., cart. 252. 74 Ibid.

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quelli degli illuministi lombardi così come con quelli degli imprenditori stranieri che all’epoca si affacciavano sul panorama milanese. Parimenti, se pur con motivazioni e finalità diverse, nuove prospettive di carattere più generale stavano prendendo piede in tutta Europa, supportate anche dagli ideali massoni di filosofi quali Lessing o dello stesso economista tedesco al servizio degli Asburgo, il conte Karl Zinzendorf. Si diffondeva l’idea che la felicità del singolo suddito stesse alla base della positività e di uno Stato felice75 e pertanto, si dovevano migliorare le condizioni di vita della popolazione, anche di quella rurale sia per conseguire una pubblica felicità che pure aveva trovato seguito fra gli illuministi italiani,76 sia, in modo decisamente più strumentale, nella convinzione che una popolazione rurale più coinvolta e preparata, grazie anche ad un processo capillare di scolarizzazione, potesse meglio contribuire allo sviluppo economico dello Stato. Se è indubbio che il pensiero illuministico orientasse verso una prospettiva francofona e gli intrecci di questa con la molteplicità delle esperienze culturali allora presenti nel quadro europeo tendessero ad assumere un sempre più elevato livello di complessità, non si può tuttavia dimenticare che nel Milanese l’incisività dell’età delle riforme teresiane e giuseppine abbia rappresentato pur sempre la punta avanzata di un processo che apriva verso nuovi orientamenti. Un impatto forte della cultura tedesca in area lombarda era inevitabile ed esso dava avvio ad un processo culturale che tuttavia non risentiva soltanto dalle peculiari forme del giusnaturalismo di area asburgica. Anche in tale prospettiva infatti dobbiamo evocare la circolarità della cultura settecentesca e considerare come gli stessi orientamenti presenti nel mondo germanico a loro volta fossero improntati da forti e diretti condizionamenti dell’illuminismo francese. Esempio ne sia la posizione del sopra citato conte Karl Zinzendorf, illuminista sensibile al pensiero fisiocratico che provvide alla traduzione dal francese al tedesco di opere di tale orientamento e alla loro diffusione presso la corte di Vienna e in Germania.77 Sempre la circolarità dei contatti e delle conoscenze contribuiva alla diffusione di nuove prospettive, le cui suggestioni potevano declinarsi in modo differente da luogo a luogo, a seconda delle realtà in cui esse venivano calate. La complessità dei rapporti che si erano instaurati tra il Milanese e quel diversificato mondo germanico in cui operava Enrico Mylius ci obbliga pertanto a riflettere e a distinguere, dato che sussistevano considerevoli differenze fra la realtà da cui egli proveniva rispetto alle prospettive asburgiche. Secondo le logiche e le politiche economiche austriache, per la valorizzazione delle realtà territoriali lombarde erano necessari stimoli e intensi contatti con il mondo transalpino, con le esperienze agronomiche internazionali. Tuttavia, la prefigurazione viennese sui possibili sviluppi dell’economia milanese poneva in primo 75 M.C. Jacob, Massoneria illuminata. Politica e cultura nell’Europa del Settecento, Torino 1995, pp. 248–249. 76 Cfr. ad es. P. Verri, Meditazioni sulla felicità. Con un avviso e note critiche, Londra 1763. 77 Cfr. ad es. A. Moioli, “Lo spazio economico elvetico secondo i resoconti di viaggio di Karl von Zinzendorf (1764)”, in: F. Piola Caselli (a cura di), Regioni alpine e sviluppo economico. Dualismi e processi d’integrazione (sec. XVIII–XX), Milano 2003, pp. 137–151.

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piano modalità e obiettivi che non sempre coincidevano con quelli che le élite locali avrebbero preferito o voluto promuovere. 4. MILANO, LA SOCIETÀ PATRIOTICA E LE SCUOLE AGRARIE Le nuove prospettive che si erano aperte nell’ultimo quarto del secolo XVIII, riguardavano anche le scienze agronomiche soprattutto dal punto di vista tecnico e veniva sperimentata la coltivazione di nuovi prodotti. Al vertice, una medesima mente ordinatrice attenta ai contributi delle scienze, emanava disposizioni generali che dovevano essere valide per tutti i territori asburgici. Si era partiti dall’uniformità nei metodi d’insegnamento delle scienze naturali presso i maggiori centri universitari ed era ormai la volta dell’agronomia, un campo in cui pure si dovevano definire nuovi criteri generali d’intervento. Lo sguardo del conte Zinzendorf si soffermava su di un’originaria e positiva esperienza elvetica, quella della Naturforschende Gesellschaft di Zurigo, in merito alla quale egli sottolineava l’importante contributo dato della collaborazione: qui contadini preparati sapevano coniugare teoria e pratica producendo notevoli vantaggi e buoni risultati. Ciò portava il conte a considerare necessaria anche la scolarizzazione dei contadini dei territori asburgici, dando vita a “scuole di villaggio”.78 Dai suoi progetti prese infine avvio l’istituzione di Società Patriotiche79 promosse e in parte finanziate dalla stessa Vienna, che riservava a sé solo i compiti istituzionali e strutturali. Esse si presentavano legate al territorio e a loro si doveva demandare il compito di analizzare le problematiche specifiche di ciascuna area e di progettarne lo sviluppo. L’attività dei membri di tali società, ponte tra il piano teorico e culturale “alto” della ricerca e quello pragmatico e operativo dell’economia, aveva lo scopo di evidenziare le specificità locali. Il forte legame con il territorio doveva pertanto trovare supporto nelle competenze di quelle élite locali che ne conoscevano pratiche e caratteristiche. Ci si doveva appoggiare alle competenze e all’autorevolezza di quegli uomini di cultura che, godendo anche di un forte prestigio nelle rispettive regioni, potessero divenire gli interpreti della locale volontà di rinnovamento. Nella misura in cui lo Stato, decentrava e delegava a tali nuove strutture l’elaborazione di studi mirati e la gestione di quegli aspetti operativi che meglio potessero promuovere le diverse economie, si dava avvio anche ad un nuovo orientamento mediante il quale, proprio lo stato, assumendosi l’onere economico di sovvenzionare la ricerca degli esponenti delle élite politiche, economiche e culturali – e dunque anche scientifiche – locali, di fatto, ne intendeva anche controllare l’attività indirizzandone gli obiettivi. Ciò sottolineava la volontà asburgica di mantenere una posizione mediana in

78 Cfr. anche Moioli, “Lo spazio economico”, p. 133. 79 Per un quadro comparativo fra accademie di area tedesca e di area italiana cfr. L. Boehm / E. Raimondi (a cura di), Università, Accademie e Società scientifiche in Italia e in Germania dal Cinquecento al Settecento, Bologna 1981.

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cui, come già aveva auspicato il conte Zinzendorf, l’impianto istituzionale governativo doveva lasciare spazio all’azione autonoma delle realtà locali, il solo ambito in cui la conoscenza dei luoghi e delle loro problematiche, gli stessi interessi del proprietari terrieri e l’esperienza degli agricoltori fossero in grado di produrre risultati nel campo dell’innovazione.80 Tali logiche dovevano trovare applicazione, se pure tardivamente, nel 1776,81 quando veniva fondata anche a Milano una “Società patriotica per l’avanzamento dell’agricoltura, delle arti e delle manifatture”, della quale come è noto, Pietro Verri divenne il primo presidente.82 Istituzione qui voluta e fortemente sostenuta dal barone Carlo Firmian seguendo i preesistenti modelli mitteleuropei,83 essa avrebbe qui incontrato più resistenze che entusiasmi. Accanto ad alcuni fra i più bei nomi della nobiltà lombarda e ad esponenti della grande proprietà fondiaria, al suo interno furono originariamente inseriti soltanto quattro “soci originari” cooptati esclusivamente per le loro competenze di ricercatori in campo scientifico: Paolo Frisi, Marsilio Landriani, Pietro Moscati e Giuseppe Meghele. Come è stato ampiamente sottolineato dalla storiografia, il decollo della società si rivelò subito problematico soprattutto a fronte di uno scetticismo generale, condiviso dal suo stesso primo presidente.84 D’altro canto, quest’ultimo doveva essere al corrente degli scarsi risultati ottenuti nelle sedi già esistenti85 e il Verri, esponente di spicco di quella nobiltà lombarda da sempre attenta alle attività agricole sulle proprie terre, già nei suoi primi interventi ai tempi del Caffè aveva sostenuto come, in tale campo, soltanto i proprietari terrieri fossero realmente in grado di intervenire con progetti efficaci e ciò egli aveva nuovamente ripetuto nel discorso di apertura della prima riunione della Patriotica quando, elencati gli aspetti migliorabili nell’agricoltura lombarda, dichiarava di avere maggiore fiducia nell’iniziativa privata che non nell’intervento dello Stato.86 Malgrado tali poco entusiasmanti premesse e pur risentendo di quel diffuso scetticismo che rallentava i tempi di organizzazione interna della Patriotica, quest’ultima si rivelò comunque una sorta di contenitore istituzionale in grado di

80 Cfr. anche Moioli, “Lo spazio economico”. 81 Già P. Pecchiai, “La Società Patriotica istituita in Milano dall’Imperatrice Maria Teresa”, Archivio Storico Lombardo XLIV (1917), pp. 25–152; C.A. Vianello, “Tra le quinte della Società Patriotica”, in: id. (a cura di), Pagine di vita settecentesca, Milano 1935, pp. 131–152. Ne ha delineato le vicende, dando tuttavia dell’istituzione una lettura sostanzialmente negativa e complessivamente non accettabile anche alla luce degli studi posteriori, V. Molla Losito, “La società patriottica di Milano (1776–1796)”, in: A. De Maddalena / E. Rotelli / G. Barbarisi, Economia, istituzioni, cultura, Vol. 3, pp. 1039–1057. 82 Si accenna a tali aspetti in Visconti, Il ruolo dell’assolutismo asburgico. 83 C. Capra, I progressi della ragione. Vita di Pietro Verri, Bologna 2002, p. 426, soprattutto alla nota 57. 84 Già considerava tale aspetto Vianello, “Tra le quinte”, p. 133. 85 Capra, I progressi della ragione, pp. 426–428. 86 P. Verri, “Discorso recitato nella prima adunanza della Società Patriotica”, Milano 1778; riedito in: V. Salvagnoli (a cura di) Scritti vari di Pietro Verri, Vol. 1, Firenze 1854, pp. 561–568.

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dare spazio alle prime esperienze associazionistiche, di collaborazione fra élite locali, uomini di scienza e tecnici che operavano a livello pratico, nell’ambito dei “vili mestieri”. Qui già filtravano anche le prime assonanze pubbliche di quelle novità che la Massoneria andava allora diffondendo in tutta Europa.87 Pertanto, di fatto, i risultati non mancarono, a partire dal superamento delle tradizionali fratture fra la scienza “alta”, ancora in larga parte ancorata ad un modo elitario di intendere la cultura, e l’applicazione di ciò che questa poteva offrire sul piano tecnico e produttivo. Tuttavia, perché tale società divenisse operante, si dovette attendere fino al 1780: i suoi membri erano nel frattempo diventati 39 e fra questi comparivano uomini del mondo accademico e scientifico lombardo; si accresceva inoltre il novero dei membri corrispondenti.88 Si chiedeva loro di operare per “il bene dei sudditi”, per il raggiungimento di quella “pubblica felicità” che organicamente si doveva correlare con l’approccio paternalistico tipico dello statalismo austriaco. In tale sede l’aspetto filosofico-scientifico legato alla cultura illuministica89 doveva allinearsi con le scelte politiche della Monarchia e raccoglierne gli stimoli, cercare nuovi obiettivi sul piano pratico; ma proprio in questo ambito, nel Milanese le prospettive di governo e quelle più aderenti agli interessi milanesi si sarebbero progressivamente differenziate. D’altro canto, persino all’interno della Lombardia asburgica sussistevano disparità e vocazioni territoriali diverse a partire dallo stesso quadro geografico. Diverse restavano infatti le problematiche che interessavano la fertile pianura lombarda, rispetto a quelle funzionali alle esigenze delle aree collinari e alpine; tutte aree, queste ultime, sicuramente “deboli” sul piano dell’agricoltura. Esse richiedevano diverse modalità di approccio che tenessero conto delle risorse, della capacità occupazionale e dei beni qui disponibili: in tali aree si sarebbero potute meglio coordinare e integrare le attività agricole con quelle manifatturiere e sempre qui l’interesse di un’imprenditorialità straniera attenta a coniugare capacità della manodopera e costi del lavoro si sarebbe rivelato maggiore. Era ormai chiaro che le finalità della ricerca, attraverso la pratica della sperimentazione, andava orientata verso nuove forme di produzione se si volevano ottenere risultati concreti che sarebbero dovuti a loro volta fungere da modelli ed essere divulgati. Fu proprio quest’ultima esigenza a porre a sua volta in primo piano la questione del come diffondere le nuove conoscenze: ciò doveva essere fatto non solo fra i proprietari ma anche fra i contadini che era necessario coinvolgere direttamente e responsabilmente. Ne sarebbe derivato che alle questioni di carattere economico, alla diffusione delle nuove conoscenze dovevano fare ormai da sfondo anche i problemi di ordine sociale ad iniziare dalla scolarizzazione dei ceti rurali. Pertanto, la progettualità promossa dal governo asburgico in campo agricolo seguiva modalità solo apparentemente neutre ma che di fatto tali non erano, sia per le scelte 87 Rimando a Jacob, Massoneria illuminata. 88 L’elenco di questi ultimi negli Atti della Società Patriottica di Milano. 89 Rimando soprattutto alle prospettive aperte da V. Ferrone, Scienza natura religione: il mondo Newtoniano nella cultura italiana nel primo Settecento, Napoli 1982; id., Una scienza per l’uomo: Illuminismo e rivoluzione scientifica nell’Europa, Torino 2007.

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a cui veniva dato adito sul piano della produzione di beni in agricoltura, sia in ambito manifatturiero. Tuttavia le prospettive di Vienna non sempre potevano coincidere con quelle auspicate da larga parte dei ceti dirigenti locali, dal mondo della cultura e della politica milanese, aspetto questo che nell’ultimo scorcio del secolo XVIII si sarebbe sempre più evidenziato. Le stesse riforme istituzionali non avrebbero più trovato gli iniziali consensi nella realtà lombarda, ma anzi avrebbero contribuito a ridurne gli spazi. Rientrava in tali prospettive pure quella resistenza ad ogni cambiamento che si palesava nella società civile e che si rivelò particolarmente forte proprio nel mondo contadino, aspetto questo che molto ha contribuito a generare ambiguità interpretative soprattutto fra gli storici dell’economia.90 Anche la dimensione didattico-divulgativa implicava la messa a punto di progetti ulteriori e la ricerca di strumenti idonei per una più larga diffusione delle nuove conoscenze: sperimentazione e innovazione diventavano allora aspetti importanti anche per quanto riguardava l’individuazione dei mezzi più efficaci non più soltanto per raggiungere proprietari, amministratori e agrimensori, ma anche fittavoli e contadini che nel mondo rurale concretamente operavano. Poiché anche la realtà agraria doveva essere partecipe del processo di modernizzazione, era il sistema di governo a doverne combattere pregiudizi e resistenze, attaccamento a vecchie tradizioni superate, per convincere i contadini e i piccoli proprietari della bontà dei nuovi orientamenti. Proprio per questo la politica di Vienna appare ormai volta a promuovere la scolarizzazione a tutto campo. Ma sappiamo come questa esigenza sostenuta dai circoli degli illuministi viennesi, non fosse una novità assoluta neppure nella realtà italiana: la validità di tale orientamento era infatti sostenuta dalle punte più avanzate della cultura del tempo, così a Napoli come a Venezia, a Firenze, ed essa era condivisa anche da alcuni tra i maggiori esponenti dell’illuminismo lombardo. L’orientamento teorizzato da Gian Rinaldo Carli, ripreso nel foglio del Caffè da Sebastiano Franci,91 venne riproposto anche da Cesare Beccaria nel corso delle Lezioni di economia pubblica da lui tenute a Milano presso le Scuole Palatine tra il 1769 e il 177292 e già tutto questo era al centro di nuovi progetti stilati da esponenti del clero in cura d’anime nelle campagne, come nel caso del padre oblato Gianangelo Del Giudice, prevosto di Arcisate, che nel 1771 aveva sostenuto l’utilità dell’educazione dei contadini, rivendicando ai parroci un importante ruolo in tale campo: ciò non era in fondo estranea la tradizione borromaica delle “Scuole della Dottrina Cristiana”.93

90 Già in Romani, L’agricoltura in Lombardia, pp. 131–240. 91 Franci, “Dell’agricoltura”, pp. 60–72. 92 Anche in C.A. Vianello, “Prefazione”, in: id. (a cura di), Economisti minori, p. LXX; M. Romani, L’agricoltura in Lombardia, p. 139, alla nota 34. 93 G. Del Giudice, L’educazione del contadino, opera utile ai Parrochi e Signori di Ville e loro Castaldi, Milano 1771, pp. 56–57; 86. Già su tale figura Romani, L’agricoltura in Lombardia, pp. 132–134, 140.

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Dunque, il tema della scolarizzazione circolava da tempo e a Vienna ormai esso rientrava in un vasto progetto le cui basi erano state gettate a partire dal 1772 quando ai vertici della Pubblica Istruzione, Giovanni Felbiger, aveva varato il “metodo normale”: nuove modalità di apprendimento e frequenza obbligatoria furono introdotte nelle “scuole del popolo”. Del suo Regolamento Generale scolastico per le scuole tedesche normali, principali e comuni, a Milano Padre Soave ne aveva subito fatto una traduzione94 alla quale da lì a breve dovettero attingere i funzionari milanesi per il loro progetto di una scuola sperimentale.95 Aperta effettivamente nel 1775, essa prevedeva anche l’introduzione dell’insegnamento di due lingue straniere moderne: il tedesco e il francese. Se pur con un decennio di ritardo rispetto ai territori tedeschi della monarchia asburgica, nel Milanese le scuole “da popolo”, tra il 1783 e il 1786, portavano ad un rinnovamento dei metodi didattici:96 si era anche qui aperta l’epoca delle riforme scolastiche di cui fu in larga misura artefice l’abate Bovara.97 Per Milano, Vienna puntò sulle competenze di un noto agronomo e poligrafo veneziano, deciso sostenitore dell’orientamento che questa aveva fatto proprio: Francesco Grisellini.98 Già autore di testi quale la Nuova maniera di seminare e coltivare il frumento99 egli aveva acquisito notorietà nel corso degli anni Settanta con la pubblicazione del trattato Se convenga ai parroci di ammaestrare i contadini all’agricoltura, che, dato alle stampe anch’esso fin dal 1771 aveva suscitato molto interesse.100 La figura del parroco aveva dunque assunto un ruolo centrale ed essa, già tradizionale mediatrice di informazioni, di insegnamento e di cultura che da sempre spaziava ben oltre la dimensione religiosa, ora veniva ad assumere un profilo istituzionale al servizio dello Stato.

94 ASMi., Fondo Studi, p.a., cart. 210. La traduzione dal tedesco rimase manoscritta, cfr. anche X. Toscani, Scuole e alfabetismo nello Stato di Milano da Carlo Borromeo alla Rivoluzione, Brescia 1993, p. 200. 95 ASMi. Fondo Studi, cart. 238, relazione del Bovara al Firmian del 22 maggio 1775, s.n. 96 Sulla scolarizzazione del mondo contadino già M. Romani, L’agricoltura in Lombardia, p. 142 e passim; X. Toscani, Scuole e alfabetismo, pp. 200–212. 97 Studi sempre classici su questo tema sono quelli di E. Chinea, “Le scuole elementari del Ducato di Milano nel primo Settecento”, in Rivista Pedagogica XII (1928), pp. 321–343. 98 Cfr. S. Zaninelli, “Francesco Grisellini. Nota introduttiva” in: id. (a cura di), Scritti teorici e tecnici di agricoltura, Vol. 2: Dal Settecento agli inizi dell’Ottocento, Milano 1989, pp. 187– 193; inoltre, P. Preto, “Francesco Grisellini”, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Vol. 54, Roma 2002. 99 F. Grisellini, Nuova maniera di seminare e coltivare il frumento, Milano 1764; successivamente anche id., Metodo per coltivare il cavolo e farne l’olio, Firenze 1782. 100 F. Grisellini, Del debito che hanno i Parroci della Campagna di educare ed istruire i Contadini nelle migliori regole dell’agricoltura, Venezia 1773 e id., Ragionamento sul problema se convenga ai Parrochi e curati l’ammaestrare i contadini né buoni elementi dell’economia campestre, cui va aggiunto un piano da serbarsi nella composizione d’un opera inserviente a tale istruzione, Milano 1778: tale opera venne subito esaurita e immediatamente ristampata, se pur con titoli diversi già nel 1773 e poi nuovamente nel 1778. Su tutto ciò già C.A. Vianello, Prefazione, p. XLVIII.

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Non fu dunque un caso se proprio Francesco Grisellini diveniva il primo segretario della Patriotica in ragione delle sue tesi circa l’alfabetizzazione dei contadini per metterli nelle condizioni di conoscere le più recenti tecniche agricole e divenire più collaborativi. Ma anche se i principi che il primo segretario della Patriotica aveva sostenuto erano condivisi da Vienna ed erano considerati positivamente, egli aveva però il “torto” di essere uno “straniero” e questo comportò difficoltà e ostacoli nella sua attività di segretario: preconcetti e svalutazione dei risultati conseguiti nel corso del suo mandato ne sarebbero divenuti il principale appiglio per la destituzione. L’apprendimento del leggere, dello scrivere e del “far di conto” diveniva quindi una componente preliminare anche fra quei contadini che vivevano nelle aree della bassa pianura lombarda dove i lavori agricoli assorbivano in modo totale il loro tempo.101 Queste erano aree in cui permaneva un più alto tasso di analfabetismo a differenza di quanto si registrava invece nelle aree collinari e montuose, dove la presenza, se non il prevalere, di altre attività di carattere commerciale o artigianale, la diffusione di mestieri che tradizionalmente integravano le limitate risorse agricole si legavano a sistemi migratori che invece favorivano la scolarizzazione.102 Per i figli dei contadini, tuttavia, le proposte dovevano sempre tener conto del loro tradizionale e precocissimo avviamento al lavoro dei campi e in tal senso già erano state avanzate proposte per limitarne l’impegno scolastico ad una sola ora al giorno oppure concentrando l’insegnamento nei mesi invernali quando minore era l’esigenza di manodopera nelle campagne.103 5. GLI “ELEMENTI DI AGRICOLTURA” DI LODOVICO MITTERPACHER Gli intrecci fra le componenti sopra evocate pongono in evidenza non solamente le logiche che presiedettero al delinearsi degli orientamenti di politica economica del governo asburgico, ma anche le sue ricadute nel medio – lungo periodo. L’insegnamento e la divulgazione divennero all’epoca temi centrali. L’obiettivo di Vienna era anche quello di portare omogeneità nei propri stati e per una capillare diffusione dei più aggiornati sistemi agrari, vennero imposti anche in area lombarda gli Elementa rei rusticae di Ludwig Mitterpacher von Mitterburg (1734–1818).104 Il suo 101 Toscani, Scuole e alfabetismo. 102 O. Besomi / C. Caruso (a cura di), Cultura d’élite e cultura popolare nell’arco alpino fra Cinque e Seicento, Basilea / Boston / Berlino, 1995; M. Cavallera, “Imprenditori e maestranze: aspetti della mobilità nell’area prealpina del Verbano durante il secolo XVIII”, in: L. Fontana / A. Leonardi / L. Trezzi (a cura di), Mobilità imprenditoriale, pp. 75–116. 103 Cfr. ASMi., Fondo Studi, p.a., cart. 210, Milano, 29 luglio 1796, Verbale della riunione della Commissione della Deputazione per gli Studi. Cfr. anche X. Toscani, Scuole e alfabetismo, p. 201. 104 L. Mitterpacher, Elementa rei rusticae in usum Academiarum Regni Ungaria, Buda 1779 manuale di agricoltura nato per le Università del regno di Ungheria, ristampato nel 1794 e nel 1816 in Ungheria, sempre in latino.

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manuale di agricoltura godette a quei tempi di un’indubbia fama. L’autore, agronomo, fisico, botanico, zoologo, entomologo, nonché docente universitario a Buda, nel 1779 aveva pubblicato il testo in latino per i tipi della Regia Università d’Ungheria e in esso egli descriveva metodi e tecniche di intervento in campo agricolo. In origine la pubblicazione era destinata agli studenti delle Università ungheresi ma, per volontà sovrana, essa ebbe ben maggiore diffusione poiché bene s’inseriva in un progetto culturale volto a uniformare cognizioni teoriche, tecniche e pratiche di agricoltura. Nell’aprile del 1780 anche il conte Secco Comneno, conservatore anziano della Società Patriottica milanese, succeduto nella carica a Pietro Verri, riceveva infatti l’ordine di far tradurre in italiano dall’abate Giacomo Cattaneo gli Elementi d’Agricoltura.105 Si esplicitava che: … volendo la Real Corte estendere le cognizioni, così teoriche, come pratiche dell’Agricoltura, è venuta nel sentimento di ordinare, che si faccia la traduzione, e si stampino nella Tipografia Cistercense gli Elementi agronomici di Ludovico Mitterpacher, da esso pubblicati ad uso delle accademie dell’Ungheria. Siccome però si devono sostituire al testo termini tecnici, ed aggiungere quelle modificazioni, ed osservazioni, che siano consentanee alla Economia rurale di questo Stato; così V. S. Ill.ma si compiacerà di prevenire il Vice Segretario della Società patriotica, Abbate Cattaneo, affinché con impegno e zelo presti l’opera sua al traduttore…106

L’ordine di far tradurre il manuale dell’agronomo ungherese da un esperto locale rispondeva anche all’esigenza di rendere intellegibili termini e concetti formulati in un contesto tanto diverso rispetto a quello lombardo e di informare anche sulle più aggiornate tecniche agrarie presenti nelle realtà lombarde. A condurre a termine tale operazione, in realtà, fu poi Carlo Amoretti (1741–1816), successore del Grisellini nel ruolo di segretario della Patriottica. Autore anch’egli di numerose pubblicazioni di agronomia, scienziato e poligrafo,107 egli nel 1784 ne diede alle stampe una prima edizione italiana, suddivisa in due tomi108 e subito venne posta la questione di quali fossero le modalità più idonee per dare all’opera la più ampia diffusione possibile. Una delle maggiori difficoltà restava soprattutto quella di raggiungere la popolazione adulta nelle campagne e in tale contesto venivano riprese le proposte già avanzate dal Grisellini e alle quali si era allineato pure l’Amoretti. Proprio sotto questo aspetto diveniva particolarmente importante il ruolo del clero in cura d’anime. I

105 La lettera del ministro plenipotenziario conte di Firmian al conte Secco Comneno del 29 aprile del 1780 è stata edita da M. Romani, L’agricoltura in Lombardia, in appendice a p. 270. 106 Ibid. 107 Di C. Amoretti ricordiamo ad es. Istruzioni per avere una buona semente di bachi, Milano 1780; Istruzioni per la coltivazione della canapa in Lombardia, Milano 1790; Sulla coltivazione delle patate, Milano 1801; Sulle torbiere del Dipartimento dell’Olona, Milano 1807. Su tale autore S. Zaninelli, “Carlo Amoretti, nota introduttiva”, in: id. (a cura di), Scritti teorici e tecnici di agricoltura, Vol. 2: Dal Settecento agli inizi dell’Ottocento, Milano 1989; R. De Felice, “Carlo Amoretti”, in: Dizionario biografico degli italiani, Vol. 3, Roma 1961. 108 La prima edizione italiana di L. Mitterpacher, Elementi d’Agricoltura, vol. 1 e 2, Milano 1784; la seconda edizione, arricchita, e in 3 tomi, fu edita anch’essa a Milano, presso Galeazzi, nel 1794.

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parroci e i curati di campagna, cioè coloro che erano e restavano a più diretto contatto con il mondo popolare, dovevano assumersi il “dovere morale e civile” di insegnare non solamente i precetti religiosi, ma anche di contribuire a dare una più generale istruzione di base, considerata quest’ultima necessaria anche per chi lavorava nelle campagne. Per altro, come è noto, un nuovo clero si stava allora formando nel Milanese e questo doveva essere “istruito”, conoscere materie tecniche e l’agronomia.109 Partendo da tali presupposti si volle distribuire gratuitamente a parroci e curati di campagna lombardi la prima edizione l’opera del Mitterpaker per migliorare le loro competenze in agricoltura. La loro influenza sui contadini e nei villaggi, anche in quelli più sperduti, li rendeva i mediatori ideali per la trasmissione di conoscenze aggiornate, soprattutto nelle aree di pianura dove più elevato risultava essere il tasso di analfabetismo.110Tuttavia, lo scarto fra la progettualità sviluppatasi a Vienna e recepita fra i membri delle Patriotica e l’applicazione di questa fu subito evidente: era mancata infatti quella disposizione di legge già prefigurata dal Grisellini che avrebbe dovuto obbligare i parroci a svolgere attività di divulgazione. Pertanto la distribuzione gratuita del manuale ebbe un’efficacia solo parziale poiché tutto dipendeva sostanzialmente dalla discrezionalità del singolo sacerdote, dal suo soggettivo o personale interesse. Ѐ tuttavia indubbio che l’attuazione di tali interventi un qualche risultato lo abbiano prodotto, quantomeno in un periodo medio – lungo, quando un clero giuseppino sempre più coinvolto nella sfera sociale e in tutte le attività presenti nel mondo rurale si sarebbe progressivamente allineato alle prospettive di governo. E sempre al raggiungimento del medesimo obiettivo molto avrebbe contribuito pure la Riforma scolastica giuseppina del 1786. Su questo già molto è stato scritto, sulla suddivisione dei corsi di studio in due rami, quello classico e quello tecnico,111 con l’istituzione del “Corpo Normale di Milano” da tenersi a Brera; si ricalcava il modello scolastico già attivato negli altri “Stati Asburgici” dove si utilizzava il “metodo normale” e dove da tempo erano stati imposti gli Elementi di Agricoltura come manuale scolastico obbligatorio per la formazione degli operatori del settore agricolo. Rientrava in quella medesima politica d’intervento anche l’apertura di quelle scuole elementari che pervasivamente andarono diffondendosi in borghi e villaggi lombardi. Proprio qui la collaborazione dei parroci avrebbe contribuito ad affrancare il mondo rurale dall’analfabetismo. In tal modo il cerchio si chiudeva: ormai tutto doveva coordinarsi nel più vasto disegno di riorganizzazione della società puntando soprattutto sulla formazione

109 Tale aspetto verrà pure ricordato da C. Amoretti nella prefazione alla seconda edizione degli Elementi d’agricoltura da lui curata. 110 Toscani, Scuole e alfabetismo, p. 133 e segg. 111 E Chinea, “Dalle antiche botteghe d’Arti e Mestieri alle prime scuole industriali e commerciali in Lombardia”, in: Archivio Storico Lombardo, VI,4 (1932) p. 506. La scuola Capo Normale, istituita con la Riforma Scolastica Giuseppina del 1786 era suddivisa in due rami, classico e tecnico. Tale scuola veniva così chiamata perché il suo programma era identico al cosiddetto “metodo normale” in uso nelle scuole del Tirolo.

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delle nuove generazioni. Si andava costruendo un circolo virtuoso nel quale l’interesse economico e le esigenze dello Stato sembravano poter convergere con quelle dei grandi proprietari fondiari e tuttavia già si andavano delineando le prime divergenze sui metodi e sulle priorità. In Lombardia ci si scontrava con condizioni decisamente diverse rispetto alle più compatte realtà ambientali in cui si era sviluppato originariamente il progetto. Quanto alla prima edizione italiana degli Elementi d’Agricoltura, da subito si era evidenziata l’esigenza di chiarire concetti, descrivere macchinari, specificare problematiche. Nelle traduzioni e nelle ulteriori spiegazioni si manifestavano difficoltà: già si parlava della “intraducibilità” di alcuni vocaboli e per l’agronomia, come per la botanica tale aspetto era centrale.112 I problemi non si ponevano soltanto nel passaggio da una lingua all’altra, ma si moltiplicavano di fronte alla molteplicità delle forme vernacolari utilizzate localmente per indicare piante, modalità di lavoro e strumenti. Lo storico Peter Burke ha sottolineato la rilevanza delle questioni di metodo insite nel lavoro di traduzione: Quando si studia un fenomeno come la diffusione di una teoria innovativa in contesti dissimili in cui è stata concepita, è necessario adottare un modello elastico poiché teorie radicali possono elicitare un ampio raggio di azioni113

Si evidenziava già nel secolo XVIII la necessità di affrontare un complesso intervento di contestualizzazione e di de-contestualizzazione nel passaggio dal testo originale a quello tradotto. Già all’epoca i metodi di traduzione si stavano affinando, soprattutto in relazione alla traduzione di testi scientifici, utilizzando metodi e prospettive per molti aspetti anticipatori di ciò che attualmente gli specialisti del settore definiscono come “transfert culturale”114 Bene sappiamo infatti come si possano ottenere risultati diversi considerando solamente frammenti concettuali estrapolati dal loro contesto originario, alterandone in tal modo il significato.115 Tali problematiche, le nuove acquisizioni in ambito scientifico, le nuove logiche politiche ed economiche, nonché l’esigenza di una maggiore fruibilità del testo determinò, nel 1794 la comparsa di una seconda edizione degli Elementi d’Agricoltura.116 Sempre curata da Carlo Amoretti, distribuita in tre tomi e dunque ben più corposa della precedente, la nuova edizione doveva presentare cospicui interventi del traduttore sul testo originale. Si doveva tenere maggiormente conto non solo di

112 Anche L. Rega, “Testo scientifico e traduzione nel XVIII secolo”, in: G. Cantarutti / S. Ferrari (a cura di), Traduzione e transfert, pp. 41–65; H. Stammerjohann (a cura di), Italiano, lingua di cultura europea, Tubinga 1996; P. Matarrese, Il Settecento, Bologna 1993. 113 P. Burke, “Cultures of translation in early Modern Europe” in: id. / R. Po-chia Hsia (a cura di), Cultural translation in Early Modern Europe, Cambridge 2007, p. 7. 114 Cfr. Inoltre M. Espagne, “Il ruolo della traduzione nella genesi del Neoclassicismo” in: G. Cantarutti, Traduzione e traduttori del Neoclassicismo, Milano 2010; G. Cantarutti / S. Ferrari, “Introduzione”, in: G. Cantarutti / S. Ferrari (a cura di), Traduzione e transfert, p. 7. 115 Ciancio, ““Tuis impulsus consiliis””. 116 La seconda edizione italiana di L. Mitterpacher, Elementi d’Agricoltura, Milano 1794 in 3 vol., usciva arricchita di ulteriori aggiunte e commenti.

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una realtà geoambientale e soprattutto climatica più variegata, di una molteplicità di zone agrarie diverse che si succedevano a breve distanza fra loro117e se ormai le punte più avanzate dell’agricoltura europea venivano individuate in Inghilterra, Francia e Belgio, le condizioni della bassa pianura lombarda conservava tuttavia caratteri originali ancora validi, effetto di tradizioni di molto risalenti, a quando essa era stata protagonista di un importante processo di bonifica, della canalizzazione e dalla messa a coltura dei campi, nonché dell’introduzione di tecniche agrarie e di sistemi di rotazione delle colture a cui per secoli tutta l’Europa e non solo, ancora alla fine del secolo XVIII guardava.118 Nel corso del secolo, ad esempio, molto si era dibattuto attorno alla pratica del maggese; si iniziava allora a sollecitare l’introduzione del prato artificiale che avrebbe consentito un più efficace ripristino dell’originaria fertilità del terreno. L’avvicendamento dei foraggi consentiva a sua volta d’incrementare l’allevamento del bestiame e la produzione di carne, latte e concime. Ma come sappiamo, la pratica della “ruota dei terreni” era conosciuta da secoli in Lombardia, dove già in questo ambito si aveva un avanzamento tecnico tale da far considerare la regione padana ad un livello superiore rispetto a quella dei più avanzati paesi d’Oltralpe. Tali aspetti erano ben noti e celebrati dagli intellettuali milanesi dell’epoca e non minore interesse destavano i sistemi d’irrigazione che ormai da secoli qui si praticavano. In che cosa potevano allora consistere qui le novità? Ciò a cui ora si guardava era “la nuova agricoltura”: si trattava di applicare anche in area lombarda quei metodi che la recente ricerca scientifica e la sperimentazione di nuove colture suggerivano. Gli studi di Linneo con le sue catalogazioni avevano ormai contribuito alla diffusione di sementi, alla conoscenza di varietà vegetali che fino a quell’epoca erano state presenti soltanto in aree limitate; si rilevava l’esistenza di produzioni regionali che meritavano di essere maggiormente conosciute, di tecniche che potevano essere diffuse per migliorare la qualità delle raccolte anche in aree europee diverse e lontane. Il campo in cui i paesi del Nord Europa vantavano il loro primato era proprio quello di un progresso costruito sullo sviluppo delle scienze: della fisica, della chimica e della botanica fino alla zoologia e l’entomologia e ormai doveva essere proprio l’applicazione di queste scienze all’agricoltura che, nel corso dei secoli XIX e XX, avrebbero potuto rivoluzionare tecniche di coltivazione e metodi di allevamento del bestiame. Il cambiamento sarebbe stato di tale portata da consentire un aumento della produzione e dunque anche degli introiti per i proprietari dei fondi. 117 Zaninelli, La proprietà fondiaria. 118 Celebri sono le annotazioni a riguardo dell’inglese Arthur Young, che fu in Italia nel 1787, convinto sostenitore delle modalità di sviluppo dell’agricoltura praticate in area lombarda, cfr. il suo Travels, during the years 1787, 1788, and 1789. Undertaken more particularly with a View of ascertaining the cultivation, wealth, resources, and national prosperity of the kingdom of France, London, printed for J. Rackham; for W. Richardson, Royal-Exchange, 1792. D’oltre Oceano illustri personalità dei nuovi Stati Uniti d’America come Thomas Jefferson, in viaggio in Europa registrava con ammirazione le caratteristiche delle tecniche agricole cfr. M. Sioli, Viaggio nel Sud della Francia e nel Nord d’Italia di Thomas Jefferson, Como 1997.

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Ma come è noto questo purtroppo non avrebbe portato un analogo miglioramento delle condizioni dei contadini che anzi, andarono via, via peggiorando.119 6. CONCLUSIONE Sulla base delle più recenti conoscenze derivate dallo studio delle scienze naturali, a fine secolo XVIII si andavano ormai rapidamente affermando nuove metodiche e si era compresa che pure il confronto tra i diversi modelli agrari in uso in aree europee distanti fra loro molto potevano giovare al miglioramento delle tecniche. Ricordiamo inoltre che la fine del secolo vide la diffusione in Europa di prodotti esotici provenienti da altri continenti: patate, pomodori, tabacco e mais o animali quali il tacchino, per quanto noti ormai da secoli, solo nel corso del Settecento andarono acquistando una maggiore diffusione. Essi, non più considerati come una curiosità o soltanto come prodotti destinati alle sfere elitarie di una società ancora fortemente gerarchizzata, dovevano ormai entrare nell’alimentazione di sempre più larghe fasce della popolazione. Era evidente che l’esperienza derivante dalla conoscenza del territorio dovesse divenire l’elemento – guida per una progettualità e una sperimentazione funzionale alle necessità locali. Ciò si evidenzia, ad esempio nel campo della silvicoltura pensando ad una difesa responsabile del patrimonio boschivo. Sensibilità, già precocemente presente nel mondo tedesco fin dal 1763, quando veniva fondata una prima scuola forestale in Turingia, cui facevano seguito quelle di Berlino, Gottinga, Friburgo e poi altre ancora a seguire,120 nella Lombardia asburgica essa vedeva solo tardivi interventi di governo che non lasciavano spazio e libertà d’azione alle realtà locali. Indubbiamente fra i primi ad esprimersi in questo senso e a sperimentare in modo autonomo, furono alcuni membri della Patriotica. Tenendo conto delle esigenze e delle specificità locali, costoro auspicarono il bando di concorsi per dare soluzione a problemi concreti, e per lo sviluppo delle potenzialità ancora inespresse dal territorio. E in effetti, gli Atti della Società Patriottica rendono conto anche di tale attività tutt’altro che irrilevante dei suoi membri, significativa, malgrado i pochi anni in cui questa rimase operativa. Infatti costoro favorirono la messa a punto di progetti funzionali al progresso anche nel campo dell’agricoltura: considerando le problematiche del terreno, venivano infatti sperimentate nuove coltivazioni, selezionando le sementi e lottando contro i parassiti. Vennero dunque individuate le

119 Già su tali problematiche insistevano le osservazioni di Young: si vedano gli studi condotti da M. Romani e dalla sua scuola, in particolare cfr. P. Bresolin, “Contributo alla conoscenza delle condizioni di vita dei contadini lombardi tra Sette e Ottocento”, in: S. Zaninelli (a cura di), Questioni di storia agricola lombarda nei secoli XVIII–XIX. Le condizioni dei contadini, le produzioni e l’azione pubblica, Contributi di storia economica e sociale, Milano 1979, pp. 11– 96. 120 A. Zanzi Sulli, “La formazione del tecnico forestale fra Sette e Ottocento”, in: M.L. Betri / A. Pastore (a cura di), Avvocati medici ingegneri. Alle origini delle professioni moderne (secoli XVI–XIX), Bologna 1997, pp. 367–375 in particolare a p. 370.

Studi di agricoltura e dintorni

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potenzialità del territorio guardando alle specifiche realtà locali per tutto il tempo in cui la Società rimase in vita. La soppressione di quest’ultimo, avvenuta in parallelo all’arrivo delle truppe napoleoniche in Italia non vide tuttavia la cessazione dell’attività dei suoi membri. Una élite composita e sempre più orientata verso la nuova progettualità ormai avviata avrebbe comunque continuato le proprie ricerche lungo quella medesima via. La storiografia italiana ha a lungo dato giudizi non positivi su ciò che la Patriotica avesse effettivamente prodotto nell’arco di quei soli pochi anni in cui fu attiva a Milano. Tuttavia, anche soltanto da una lettura sommaria degli “Atti” che questa diede alle stampe si evince che molti furono gli studi condotti dai suoi membri e ad essi si aggiunsero quelli prodotti da soggetti esterni che con questa collaborarono: fra tali studi molti riguardavano questioni del mondo agrario. Proprio su tali basi l’età francese che avrebbe fatto seguito sarebbe stata in grado di contribuire con nuovi apporti alla costruzione di ulteriori progetti. In tale quadro anche i Mylius poterono cercare nuovi stimoli e nuove opportunità, contribuendo alla costruzione di un modello “germanico” di imprenditorialità che in qualche misura ormai rendeva liquido il confine tra il mondo della cattolicità e quello riformato, superando avvicendamenti politici e intervenendo sul piano sociale, … sempre sulla via del progresso.

FRANCESCO, FRANZ, RITTER FRANZ VON HAYEZ Zur Rezeption des Romanticismo Storico in der deutschsprachigen Publizistik Alexander Auf der Heyde Abstract: After Canova’s death (1822), Italian contemporary art, especially painting, suffered from the widespread topos that Italy as “terre des morts” had frozen in historical self-reflection and therefore did not meet the demands of modern “romantic” art. One of the few internationally recognized exceptions was Francesco Hayez (1791–1882), whose history painting virtuosically combined modern literary subjects with elements derived from the Venetian tradition, such as the gestures of Canova and the colorfulness of Venetian Quattro and Cinquecento painting. His images, which are relevant from a historical, literary but also political point of view, have achieved great success at the regular exhibitions held by the Milan Academy of Art, and they also enjoy the favour of a wide range of collectors belonging to different social classes, from the merchant bourgeoisie to the urban aristocracy to the imperial house. In recent decades research has focused particularly on the artist's relationship with his aristocratic and democratic supporters. By contrast, this article attempts to reposition the artist within European Romanticism by means of his German-language reception. The cornerstone of Hayez's critical Fortuna in Germany and Austria is laid by the “Kunst-Blatt”, published by Ludwig Schorn, which has devoted great attention to the artist for many years in the reports by Schorn, Antoine Louis François Sergent and Franz von Kühlen. But it was above all in Austria that Hayez - if only because of his nationality - celebrated important successes. This is shown on the one hand by the appreciation of his work by Carl von Czörnig, Heinrich Levitschnigg and his painter colleague Ferdinand Georg Waldmüller, and on the other hand by the purchase of his works by the imperial house and Austrian government officials. In addition to this success story, which has so far been only marginally investigated, this article also offers a glimpse into the process of alienation between the artist and his German-speaking public. While Hayez was perceived in Germany after 1848 only sporadically and if at all as an anachronistic theatre painter, the Austrian reception shows that, after the fall of Venice (1866) and the First World War, the once beloved painter was now perceived as a foreign element in the artistic life of the Habsburg Empire. The culmination of this development was an auction in 1928 at which the most important Italian paintings of the 19th century, once belonging to the Habsburg family and previously having been exhibited at the Belvedere (including Hayez's The Two Foscari), were sold and thus expatriated to Italy.

1. EINLEITUNG Wenn man Franz Kuglers 1847 in zweiter Auflage erschienenem Handbuch der Geschichte der Malerei Glauben schenkt, dann war die Malerei der Romantik ein nordeuropäisches Phänomen, das sich von Deutschland ausgehend in den Nachbarländern Frankreich, Belgien, Holland und England ausgebreitet hat, während Ita-

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lien, aufgrund des nachhaltigen Einflusses französischer Klassizisten, seit Jahrzehnten in einer Art ästhetischen Lethargie zu verweilen schien.1 Kuglers Freund und Mitarbeiter Jacob Burckhardt weigerte sich sogar, die italienische Gegenwartskunst in seinem Cicerone zu behandeln und zwar in der Überzeugung, dass sie mit dem revolutionsbedingten Ende der Förderung durch Kirche und Adel auch ihre historische Daseinsberechtigung verloren habe.2 Verständlicherweise rang die zeitgenössische italienische Publizistik mit diesem im deutschsprachigen Raum und Frankreich verbreiteten Dekadenztopos.3 Der ideologische Kopf des italienischen Risorgimento, Giuseppe Mazzini, bot in seiner 1841 veröffentlichten Schrift Modern Italian Painters die wohl überzeugendste Antwort auf diese Kritiken. Er sah die Malerei als politisch-revolutionäres Medium im Rahmen des zu gestaltenden Einheitsprozesses und Francesco Hayez, den Mazzini als „democratic genius” bezeichnete, war der Hauptvertreter einer politischen Romantik, deren bildkünstlerische Auseinandersetzung mit der Nationalgeschichte den Erwartungen und Wertvorstellungen der Patrioten entsprach.4 In der jüngsten Vergangenheit ist dieser politische Aspekt von Hayez' Werk im Rahmen verschiedener Jubiläumsinitiativen in den Vordergrund getreten, verdankt doch der Maler einen bedeutenden Teil seines Ruhms einem Netzwerk liberaler Kritiker und Sammler, deren anti-habsburgische Ideen er in politisch ambivalenten Historienbildern rund um das Thema Aufruhr gegen bzw. Unterdrückung durch Fremdherrschaft zum Ausdruck brachte.5 Zu kurz gekommen ist hingegen die aus schriftlichen und bildlichen Quellen rekonstruierbare Verortung des Künstlers im europäischen Romantikdiskurs seiner Zeit. Die im Folgenden untersuchten Reaktionen deutscher und österreichischer

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F. Kugler, Handbuch der Geschichte der Malerei seit Constantin dem Grossen, Bd. 2, Berlin 1847, S. 576–580, 585–591. „Seit 1796 wurde Italien in Weltschicksale hineingezogen, welche seinen Wohlstand vorläufig zernichteten und einen starken Riss in seine Geschichte machten. Wir versagen uns die Schilderung seiner Kunst im laufenden Jahrhundert”. J. Burckhardt, Der Cicerone: Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens, Basel 1855, S. 399. Zur französischen Kritik an der modernen italienischen Kunst, vgl. F. Mercey, „La peinture et la sculpture en Italie“, Revue des deux mondes, 4. Ser., 23 (1840), S. 256–278; die teils polemischen Entgegnungen der italienischen Kritik finden sich in P. Selvatico Estense, „La pittura e la scultura in Italia“, Rivista Europea, 4,2 (1841), S. 319–340; 3, S. 5–28. G. Mazzini, „Modern Italian Painters“, The Westminster Review, XXV, 1841, S. 363–390, hier S. 380. Vgl. dazu F. Mazzocca, „’Il genio democratico’ di Hayez: un grande pittore italiano interprete delle speranze e delle delusioni del Romanticismo“, in: F. Mazzocca / C. Ghibaudi / I. Marelli / F. Valli (Hrsg.), Francesco Hayez, Cinisello Balsamo (Mi) 2015, S. 15–43. In den letzten zwanzig Jahren ist Hayez' Rolle während des italienischen Risorgimento im Rahmen verschiedener Jubiläumsausstellungen (aus Anlass der Wiederkehr des Aufstands von 1848 und der Reichseinigung von 1861 sowie des zweihundertsten Geburtstags von Giuseppe Mazzini) zunehmend in den Vordergrund gerückt. Vgl. F. Della Peruta / F. Mazzocca (Hrsg.), Milano dalla Restaurazione alle Cinque Giornate: ‘Oh giornate del nostro riscatto’, Mailand 1998; F. Mazzocca (Hrsg.), Romantici e Macchiaioli: Giuseppe Mazzini e la grande pittura europea, Mailand 2005; F. Mazzocca / C. Sisi (Hrsg.), 1861: i pittori del Risorgimento, Mailand 2010.

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Journale auf Hayez' Werk belegen, dass der Maler trotz der bereits zitierten Bedenken von Kunsthistorikern wie Kugler oder Burckhardt eine gewichtige Rolle in Deutschland und Österreich spielte. Man könnte - salopp formuliert - behaupten, dass Hayez auf mehreren Hochzeiten tanzte: seine im Zeichen des Freiheitsbegriffs stehende Beschäftigung mit der italienischen Nationalgeschichte traf den Nerv der patrioti risorgimentali, gleichzeitig begeisterte er durch geschicktes Verknüpfen von lokalhistorischen und weltliterarischen Quellen das ausländische Publikum, welches die italienische Geschichte durch Vermittlung tragischer Autoren wie Shakespeare, Schiller und Byron kannte.6 Die im Folgenden skizzierte Rezeption seines Werks im deutschsprachigen Raum basiert auf der Lektüre von Tagespresse und einschlägigen Kunstpublikationen (Fachperiodika und Überblickswerken). Dabei zeigt sich, dass der Künstler nicht nur gut bekannt war, sondern dass er wichtige Impulse in der deutschen, ganz besonders der österreichischen Diskussion über die Erneuerung der Geschichtsmalerei gegeben hat. Ein weiterer, maßgeblicher Aspekt, der während der Quellenlektüre zum Tragen kommt, betrifft die mit der kritischen Rezeption des Künstlers verknüpfte sammlerische Fortuna des Malers: insofern wollen die folgenden Zeilen auch Anregungen liefern für zukünftige Provenienzforschungen, die diverse von den Quellen genannte aber bislang unentdeckte Arbeiten des Künstlers zu Tage fördern dürften. 2. HAYEZ IN SCHORNS KUNST-BLATT: VATERLÄNDISCHE THEMEN IN DER EUROPÄISCHEN ROMANTIK Francesco Hayez' internationale Künstlerkarriere wurde ganz entschieden durch den Redakteur des Kunst-Blattes Ludwig Schorn (1793–1842) und dessen aus Sammlern und Auslandskorrespondenten bestehendem Netzwerk gefördert. Es handelt sich bei dem Kunst-Blatt um die seit 1816 erschienene Kunstbeilage des Tübinger Morgenblattes für gebildete Stände, die in mehr als hundert Ausgaben jährlich dem deutschsprachigen Publikum die Entwicklungen der Gegenwartskunst vermittelte und seit 1820 von dem studierten Theologen und Archäologen Schorn redigiert wurde.7 In den Anfangsjahren betreute Schorn das Kunst-Blatt von Stutt-

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Zu Hayez’ Zusammenarbeit mit dem Sammler und Schiller-Übersetzer Andrea Maffei vgl. F. Mazzocca, „Andrea Maffei patrono delle arti e collezionista“, in: M. Botteri (Hrsg.), L’Ottocento di Andrea Maffei, Riva del Garda 1987, S. 96–130; zur Byron-Rezeption des Malers vgl. L.L. Watts, Francesco Hayez and the Byronic Influence on Italian Romantic Painting [Ungedruckte Dissertation, Temple-Univ.], Philadelphia (PA) 1999. Es finden sich im Kunst-Blatt Rezensionen von Kunstliteratur und Ausstellungen, sowie Besprechungen von Neuigkeiten im Bereiche der graphischen Künste und Korrespondenzen aus europäischen Metropolen, darüber hinaus richtete der Redakteur das Interesse auch auf bislang wenig beachtete Kunstgattungen und Stile, wie zum Beispiel orientalische Kunst und Architektur, sowie Bildschnitzerei des Mittelalters und der Renaissance. Vgl. I. Dahm, Das „Schorn-

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gart aus, mit seiner Berufung nach München (wo er von 1826 bis 1832 an der Kunstakademie sowie an der Universität Kunstgeschichte und Mythologie lehrte) und seinem späteren Umzug nach Weimar (wo er von 1833 bis zu seinem Tod im Jahre 1842 als Direktor des Museums und der Kunstschule wirkte) leitete er das Blatt in der schwierig zu organisierenden Fernredaktion.8 Seine Kenntnis der europäischen Gegenwartskunst speiste sich in erster Linie aus druckgraphischen Reproduktionen, aus Briefwechseln mit ausländischen Korrespondenten und Kontakten zu Sammlern: neben König Ludwig I. von Bayern waren das vor allem Franz Erwein Graf von Schönborn-Wiesentheid (1776–1840), dessen Galerie zeitgenössischer Meister wiederholt im Kunst-Blatt gewürdigt wurde,9 sowie Giovanni Battista Sommariva, dessen in Tremezzo und Paris befindliche Sammlung Schorn 1822 und 1823 besuchte.10 Als Begleiter seines Förderers Schönborn unternahm Schorn schließlich

sche” Kunstblatt: 1816–1849, Bd. 1–2. [ungedruckte Dissertation, Ludwig-Maximilians-Universität], München 1953; H. Karge, „Das Kunstblatt Ludwig Schorns als Forum der frühen deutschen Kunstgeschichtsschreibung“, in: C. Drude / H. Kohle (Hrsg.), 200 Jahre Kunstgeschichte in München: Positionen, Perspektiven, Polemik; 1780–1980, München / Berlin 2003, S. 44–56; A. Auf der Heyde, „Una storia dell'arte italiana a più mani? Dibattiti e forme di dissertazione storico-artistica sul „Kunstblatt” (Rumohr, Förster, Gaye e qualche anticipazione su Selvatico)“, Annali di critica d’arte 2 (2006), S. 425–451. 8 Vgl. E.Y. Dilk, „‚...die Sorge um das Kunstblatt ...‘: Wilhelm Hauffs und Ludwig Schorns Briefe aus den Jahren 1826/27 über die Fernredaktion des Cottaschen Journals; ein Beitrag zum 200. Geburtstag Wilhelm Hauffs“, Suevica 9 (2001–2002), S. 277–293. 9 Schönborns umfangreiche Sammlung stellt, so das Kunst-Blatt, den „Unterschied und Charakter der Kunst in Deutschland und Frankreich anschaulich dar”. G.C. Braun, „Gemälde im Besitz des Grafen von Schönborn zu Reichardtshausen am Rhein“, Kunst-Blatt, 49, 19. Juni 1820, S. 193–194, hier S. 193. In der Sammlung des Grafen sind die französischen Klassizisten und Romantiker bestens vertreten: so zählte er zu seinem Besitz Arbeiten von Gérard, Prud’hon, David (Telemach und Eucharis), Gros (Ariadne und Bacchus), Picot (Raphael und die Fornarina), Regnault, Hersent, Meynier, Joseph Vernet, Berré, Jaquotot, Lethière, Granet, Boguet und Chauvin. Ein im April 1821 aufgesetzter Vertrag über den Ankauf eines Gemäldes von Fleury Richard (Montaigne besucht Tasso im Gefängnis) kam nicht zum Abschluss, Arbeiten anderer Maler der Lyoner Schule (Garnerey und Bouton) fanden sich hingegen in seiner Sammlung. Die von Bott untersuchte Korrespondenz zeigt fernerhin, dass Schnetz Schönborn 1817 eine Grisailleskizze (Die Rückführung der Stadt Paris in die Gewalt König Karls VII) zusandte und ihm eine (nicht nachweisbare) Darstellung des Hugenottenführers Henri Fürst von Condé anbot. Während seines Romaufenthaltes 1822 erwarb Schönborn bei Léopold Robert einen heute im Kunstmuseum Basel befindlichen Sterbenden Räuber, außerdem bestellte er bei Navez ein Porträt von David. Vgl. K. Bott, Ein deutscher Kunstsammler zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Franz Erwein von Schönborn (1776–1840), Alfter 1993. 10 Einer Nachricht des Kunst-Blattes zufolge fand Sommarivas in Tremezzo und Paris befindliche Sammlung moderner Kunst lediglich in der Galerie des Herzogs von Orléans einen würdigen Konkurrenten. [Schweiger], „Paris. Ende September“, Kunst-Blatt 87, 31. Oktober 1822, S. 346–348. Vgl. F. Haskell, An Italian Patron of French Neo-Classic Art, Oxford 1972; F. Mazzocca, „G.B. Sommariva o il borghese mecenate: il “cabinet” neoclassico di Parigi, la galleria romantica di Tremezzo“, Itinerari 2 (1981), S. 145–293.

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im Herbst 1822 eine Reise nach Italien,11 die ihn zunächst an den Comer See in die Anwesen von Francesco Melzi d’Eril und Sommariva, schließlich nach Mailand führte.12 Während die Reise für Schönborn eine Art Einkaufstour zu sein schien, schrieb Schorn Studien und Berichte fürs Kunst-Blatt, pflegte die Kontakte zu den Künstlern und kümmerte sich um die praktischen Aspekte der Auftragserfüllung.13 Hayez’ erfolgreiches Debüt auf der Mailänder Akademieausstellung 1820, wo er unter großem Applaus eine Darstellung aus der italienischen Nationalgeschichte (Pietro Rossi) gezeigt hatte, war den Lesern des Kunst-Blatts zu diesem Zeitpunkt nur vom Hörensagen bekannt: die einzige verfügbare Quelle war ein ins Deutsche übertragener Artikel der Gazzetta di Milano.14 Von der eigentlichen Tragweite des Romanticismo storico überzeugte sich der Kunst-Blatt-Redakteur erst während eines Besuchs in der Accademia di Brera im Oktober 1822, wo er die kurz zuvor ausgestellten Arbeiten von Hayez und Pelagio Palagi sah und eingehend besprach:15 […] die beyden jetzigen Meister im historischen Fach, Palagi und Hayez, wählen ihre Gegenstände mehr aus der italienischen Geschichte des Mittelalters, und sind dadurch unmittelbar zum Studium historischer und individueller Charakteristik genöthigt, da Gemälde solcher Art nur durch einen gründlichen historischen Styl sich von den jetzt so häufigen und beliebten Genre-Gemälden absondern können. Der Theilnahme des vaterländischen Publicums sind diese Künstler auf ihrem Wege und mit dem, was sie erreichen, versichert, und es wäre zu wünschen, daß auch von unsern deutschen Künstlern die ältere vaterländische Geschichte häufiger bearbeitet würde.16

Bereits ein Jahr zuvor, in der Rezension des Ausstellungskatalogs der Akademie Ghent, hatte Schorn mit Wohlwollen das auch in Belgien einsetzende Interesse an Geschichtsmalerei zur Kenntnis genommen und vor dem Hintergrund dieser sich im europäischen Ausland immer stärker abzeichnenden Tendenz appellierte er an die deutschen Künstler, sich ebenfalls verstärkt dem Studium der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte zu widmen: Mag es an historischen Stoffen der mittleren und neueren Zeit auch zuweilen schwer seyn, allen höheren Forderungen der Kunst Genüge zu leisten, so ist doch gewiß, daß große Erinnerungen aus der Geschichte seines Volks den Künstler immer begeistern und seinen gelungenen Werken

11 Während der ersten Jahre seiner Redakteurstätigkeit unternahm Schorn weitere Studienreisen nach Frankreich (1823), in die Niederlande und nach England (1826). Vgl. P. Betthausen, „Schorn, Ludwig“, in: P. Betthausen / P.H. Feist / C. Fork (Hrsg.), Metzler Kunsthistoriker Lexikon, 2. aktualisierte und erweiterte Auflage, Stuttgart / Weimar 2007, S. 391–393. 12 Die weiteren Etappen dieser Reise sind beschrieben in L. Schorn, „Reise von Bologna über Ravenna und Loretto nach Rom“, in: F. Thiersch / L. Schorn / E. Gerhardt / L. von Klenze (Hrsg.), Reisen in Italien seit 1822, Leipzig 1826, S. 379–466. 13 Bott, Ein deutscher Kunstsammler, S. XLII–XLIII. 14 „Mailand“ (Artikel aus der Gazzetta di Milano, 4. September 1820), Kunst-Blatt 83, 16. Oktober 1820, S. 332. 15 [L. Schorn], „Nachrichten aus Mailand. October 1822“, Kunst-Blatt 97, 5. Dezember 1822, S. 385–388; 98, 9. Dezember 1822, S. 391–392. 16 Ebd., S. 385. Vgl. dazu K. Lankheit, Von der napoleonischen Epoche zum Risorgimento: Studien zur italienischen Kunst des 19. Jahrhunderts, München 1988, S. 135–150.

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Alexander Auf der Heyde eine glückliche Wirkung sichern. Fortdauernde Behandlung nationaler Gegenstände erwirbt auch nach und nach der Kunst eine größere Freyheit; regt an, das Gegebene nicht nur zu verarbeiten, sondern es in dem ihm eigenthümlichen Geiste weiter zu bilden, und gerade diese Aufforderung für Phantasie und Erfindung, einen nationalen Kreis ohne Zwang zu beherrschen, ist es, woran es unsrer neuern Kunst am meisten gebricht.17

Vor dem Hintergrund des scheinbar unaufhaltsamen Siegeszugs der Genremalerei sah Schorn in der Darstellung „nationaler Gegenstände” eine ästhetisch hochwertige Kompromisslösung: die Künstler gestalteten ihre Bilder nach literarischen Vorlagen innerhalb klar abgesteckter Gattungsgrenzen, sie konnten sich dabei aber der Gunst des patriotisch gesinnten Publikums sicher sein, schließlich kenne – so Schorn – „jeder Franzose seinen Heinrich IV., jeder Schweizer seinen Tell, jeder Deutsche Friedrich II. und Luther”.18 Es ist offensichtlich, dass Schorn mit ausgesprochen moderaten Mitteln versuchte, der überaus populären Geschichtsmalerei eine den mythologischen und religiösen Darstellungen ebenbürtige Position innerhalb der Gattungshierarchie zuzuweisen.19 Er schien dabei durchaus in Kauf zu nehmen, dass die klassizistische Theorie des Idealschönen durch diese Erweiterung des Themenkreises zugunsten populärer „historischer Typen” wenigstens partiell relativiert wurde und bewegte sich somit im (kunsttheoretischen) Fahrwasser der Ende des achtzehnten Jahrhunderts aufkommenden Ästhetik des Charakteristischen.20 Wie wir gesehen haben war Schorns Würdigung des Romanticismo storico die journalistische Variante eines Panoramablicks auf die europäische Gegenwartskunst, so wie er sich dem Betrachter bei Besuch von Schönborns Galerie in Pommersfelden darbot. Dass Mailand vor allem in den Zwanziger Jahren die Rolle eines der vitalsten europäischen Kunstzentren zufiel, lag aber auch an dem seit einigen Jahren intensivierten Kulturtransfer zwischen Weimar und der lombardischen Hauptstadt, dessen Hauptakteure neben Goethe und Manzoni vor allem Gaetano

17 S.[chorn], „Sammlungen. Annales du Salon de Gand ou Recueil des Productions des Artistes vivans de l’Ecole belgique, dédiées à l’Académie royale de Gand“, Kunst-Blatt 59, 23. Juli 1821, S. 233. 18 L. Schorn, „Dießjährige Pariser Kunstausstellung. Dritter Bericht. Paris, 14. Aug. 1821“, Kunst-Blatt 74, 16. September 1822, S. 295. Es handelt sich um einen Kommentar Schorns zu einem Artikel des Pariser Korrespondenten Pierre-Alexandre Coupin, dessen durch David und Girodet geprägte kunsttheoretische Perspektive er nur bedingt akzeptieren konnte. Vgl. S. Lemeux-Fraitot, „Coupin, Pierre-Alexandre“, in: P. Sénéchal / C. Barbillon (Hrsg.), Dictionnaire critique des historiens de l’art actifs en France de la Révolution à la Première Guerre mondiale. URL: https://www.inha.fr/fr/ressources/publications/publications-numeriques/dictionnaire-critique-des-historiens-de-l-art/coupin-pierre-alexandre.html, veröffentlicht am 26.10.2016 [25.4.2018]. 19 Schorn betonte in diesem Zusammenhang, dass er „keineswegs die Gegenstände der Mythologie aus unserer Kunstübung verbannen, noch weniger die oft so unglücklich aus der Bibel und Legende gewählten Gegenstände in Schutz nehmen, sondern nur die unbedingte und ausschließliche Empfehlung mythologischer Darstellungen bestreiten [will]”. Schorn, „Dießjährige Pariser Kunstausstellung“, S. 295. 20 Vgl. dazu J. Schönwälder, Ideal und Charakter: Untersuchungen zu Kunsttheorie und Kunstwissenschaft um 1800, München 1995.

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Cattaneo und Heinrich Mylius waren.21 Symptomatisch in diesem Sinne war die auf Vermittlung von Mylius und Cattaneo zustande gekommene Bestellung einer Replik von Hayez’ Carmagnola durch den Frankfurter Bankier Moritz von Bethmann (1822). Dies geschah zu einem Zeitpunkt, da die deutsche Öffentlichkeit - dank Goethes wohlwollender Besprechung von Manzonis gleichnamiger Tragödie in der Zeitschrift Kunst und Alterthum (1820) – mit dem Stoff und dem vom Autor betriebenen Hinterfragen der drei aristotelischen Einheiten vertraut war.22 Im Falle der Vespri siciliani – einem Bild, dem Schorn 1822 eine ausführliche, aber keinesfalls kritikfreie Beschreibung widmete – handelte es sich ebenfalls um einen Themenkomplex, den man auch im deutschsprachigen Raum in vielerlei Hinsicht als bekannt voraussetzen durfte:23 zum einen gab es Übersetzungen der historischen Übersichtswerke (Sismondi, Daru), aus denen Hayez seine Erfindungen schöpfte;24 darüber hinaus wurde das Thema der Verschwörung und des Volksaufstands gegen die angioinische Herrschaft in Sizilien bereits im späten achtzehnten Jahrhundert von Jacob Lenz (1782), Johann Gottfried Hagemeister (1791) und Gottfried Uhlich (1794) dramatisiert. Vor dem Hintergrund dieser vielfältigen kulturellen Konvergenzen erklärt sich auch der Erfolg der von Schorn, Schönborn und Mylius lancierten ‚Werbekampagne‘ zugunsten lombardischer Künstler (neben Hayez waren das vor allem Giovanni Battista Gigola, Pelagio Palagi, Giovanni

21 Vgl. dazu S. Bertolucci / C. Liermann (Hrsg.), Weimar 1818: Goethe, Cattaneo, Mylius, Manzoni, Lovenio di Menaggio 2004. 22 Vgl. F. Mazzocca, Francesco Hayez. Catalogo ragionato, Mailand 1994, S. 147–148; G. Meda Riquier, „All'origine della pittura civile in Italia: il contributo tedesco“, in: H. Meter / F. Brugnolo (Hrsg.), Vie lombarde e venete: circolazione e trasformazione dei saperi letterari nel Sette-Ottocento fra l'Italia settentrionale e l'Europa transalpina, Berlin 2011, S. 207–217, hier S. 214–215; sowie jüngst G. Meda Riquier / V. Usselmann / C. Liermann, Enrico Mylius 1769– 1854. Una biografia. Heinrich Mylius 1769–1854. Eine Biographie, Loveno di Menaggio 2019, S. 83–87. 23 Schorn urteilte über die Sizilianische Vesper folgendermaßen: „Das ganze Bild, mit seinen Contraposten, seiner kecken Behandlung, seinem kräftigen Colorit, erinnert zwar vollkommen an die älteren venetianischen Meister, trägt aber in seinen Vorzügen und Fehlern so sehr das Gepräge der Originalität, daß man nur bey längerer Betrachtung mit ihm vertraut werden kann. Kräftige Charaktere sprechend zu bezeichnen, ist dem Künstler fast immer gelungen; der Ausdruck ist hie und da übertrieben, die Bewegungen außerordentlich wahr und lebendig, aber die Gestalten meist nicht edel genug. Das Ganze ist Erguß lebendiger Empfindung, und Produkt schöpferischen Talents, so daß man Goethe’s Spruch darauf anwenden kann: und was ich tadle, muß ich gelten lassen”. [L. Schorn], „Nachrichten aus Mailand. October 1822“, Kunst-Blatt 97, 5. Dezember 1822, S. 387. Zu Hayez' Sizilianischer Vesper, vgl. Mazzocca, Francesco Hayez, S. 149–151. 24 Vgl. J.C.L. Simonde de Sismondi, Geschichte der italiänischen Freistaaten, Bd. 1–16, Zürich 1807–1824; P.A.N.B. Daru, Geschichte der Republik Venedig, Bd. 1–3, Leipzig 1824–1827; zuvor sind Roscoes Arbeiten über die Medici übersetzt worden: Wilhelm Roscoe’s Lorenz von Medici aus dem Italienischen übersetzt von Kurt Sprengel, Berlin 1797; W. Roscoe, Leben und Regierung des Papsts Leo des Zehnten, Bd. 1–3, Leipzig 1806–1808.

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Migliara und Pompeo Marchesi) im deutschsprachigen Raum.25 Während Mylius durch seine Kontakte nach Frankfurt und Weimar als Vermittler eher hinter den Kulissen agierte,26 sorgte der Redakteur des Kunst-Blattes durch ausführliche Berichterstattung über die Mailänder Kunstausstellungen dafür, dass seine Leser Hayez und ganz besonders seine von deutschen Auftraggebern (Schönborn,27 König Wilhelm I. von Württemberg,28 Moritz von Bethmann, Heinrich Mylius, Ludwig Seufferheld29) bestellten Arbeiten kennen und schätzen lernten. Zu diesem Zweck bemühte sich Schorn während seines Aufenthaltes in Mailand durch Kontaktaufnahme zu italienischen Gelehrten (Gaetano Cattaneo) und Verlegern (Vallardi) um einen kompetenten Mailand-Korrespondenten. Den fand er schließlich in dem französischen Kupferstecher Antoine Louis François Sergent genannt Sergeant-Marceau, einem Ex-Jakobiner, der seit Napoleons Staatsstreich im Jahr 1799 ein prekäres Exilantendasein fristete und sein bescheidenes Auskommen als Graphiker mit journalistischen Tätigkeiten aufzubessern suchte.30 Sergents erste Darstellung der lombardischen Kunstzustände begann allerdings mit einem für den 25 In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass die Biblioteca Italiana 1824 Auszüge von Schorns Text in italienischer Übersetzung abdruckte: L. Schorn, „Articolo estratto da n.° 97 del Giornale delle arti (Kunstblatt) che si pubblica a Stuttgart. Notizie di Milano, Ottobre 1822“, Biblioteca Italiana IX, 33, Gennaio-Marzo 1824, S. 167–175, hier S. 172–175. Seitdem wird Schorn von der italienischen Forschung fälschlicherweise Schörn genannt. Zu den deutschen Bestellungen bei Hayez, vgl. F. Mazzocca (Hrsg.), Hayez: dal mito al bacio, Mailand 1998, S. 22, 88–89, 138–139. 26 Zu Mylius' Rolle als Sammler und Förderer der italienischen Geschichtsmalerei, vgl. R. Pavoni (Hrsg.), ‚… rispettabilissimo Goethe… caro Hayez… adorato Thorvaldsen…‘. Gusto e cultura europea nelle raccolte d’arte di Enrico Mylius, Venedig 1999; G. Meda Riquier, „All’origine della pittura civile in Italia: il contributo tedesco“, in: H. Meter / F. Brugnolo (Hrsg.), Vie lombarde e venete: circolazione e trasformazione dei saperi letterari nel Sette-Ottocento fra l'Italia settentrionale e l’Europa transalpina, Berlin 2011, S. 207–217; G. Meda Riquier, „Hayez e Mylius, rapporti e commissioni“, in: E. Lissoni, L. Rampazzi (Hrsg.), La tavolozza di Francesco Hayez: storia, conservazione e scienza, Mailand 2015, S. 74–78; Meda Riquier / Usselmann / Liermann Traniello, Enrico Mylius, S. 84–87. 27 In Schönborns Sammlung befand sich nach wie vor Hayez’ Trauung von Romeo und Julia (andere Versionen kursierten bis vor kurzem auf dem Kunstmarkt, wie die vom Dorotheum versteigerte Replik des Gemäldes für den preußischen Adeligen Frédéric Pourtalès conte di Neuchâtel), bei Palagi bestellte er Sixtus V. vor seinen Familienangehörigen sowie Veturia und Coriolanus (1827), bei Giovanni Migliara eine Vedute des Hofes von St. Ambrogio. Vgl. Bott, Ein deutscher Kunstsammler, S. XLIV-XLVI, LVII-LIX. 28 Die von Wilhelm I. bei Hayez bestellte Bethsabea wurde 1827 in Brera ausgestellt. Vgl. Mazzocca, Francesco Hayez, S. 104. 29 Baron Ludwig von Seufferheld bestellte bei Hayez eine Version der Maria Stuart und eine nicht mehr nachweisbare Darstellung von Hektor und Paris. Von beiden Arbeiten zeigte der Künstler Skizzen auf der Mailänder Akademieausstellung 1829. Vgl. Mazzocca, Francesco Hayez, S. 176–178, 199; F. Mazzocca, L’ideale classico – Arte in Italia tra Neoclassicismo e Romanticismo, Vicenza 2002, S. 259. 30 Bereits im Jahr 1817 hatte Sergent eine für Maler und Kostümbildner gedachte Stichfolge von Costumi di popoli antichi e moderni (1817) publiziert und somit einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Genese des Romanticismo storico geliefert. Seine Artikel über die Mailänder

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Künstler und seinen Auftraggeber Schönborn ernüchternden Urteil, denn Hayez’ Umsetzung des Romeo und Julia-Stoffes schien nicht wirklich den Erwartungen des Publikums zu entsprechen: Wir bedauern, unsere Nachricht über diesen achtungswerthen Künstler nicht mit seinen zwey großen Gemälden haben beginnen zu können, die das Publicum mit Begierde aufsucht, da es gewohnt ist, sich bey jeder Ausstellung in Menge vor den patriotischen Bildern des Hrn. Hayez zu versammeln; aber dieß Jahr verließ es die Gemälde nicht, ohne Bemerkungen zu machen, die es sich bisher noch nicht erlaubt hatte.31

Schönborns Trauung von Romeo und Julia glänzte in der Nachahmung der historischen Kostüme, aber die Figuren waren durch einen geradezu „gemeinen” Ausdruck charakterisiert und ähnlich kritisch fiel Sergents Urteil über das von Sommariva bestellte Bild des letzten Kusses der Liebenden aus32: „Dieser Kuß ist nicht zarte Liebe einer reinen entzückten Seele, er ist wollüstig”.33 Im Gegensatz zu diesen eher verunglückten Arbeiten bestach der Künstler, so Sergent, in seiner Rolle als Porträtmaler.34 Dabei ist bemerkenswert, dass seine kritische Würdigung von Hayez’ Bildnismalerei sich keinesfalls auf mimetische Aspekte (Detailtreue und Fleischbehandlung) beschränkte, sondern durch Betonung der formal-ästhetischen Qualitäten dem traditionell als untergeordnete Gattung geltenden Porträt einen von der Abbildungsfunktion unabhängigen, eigenständigen Wert zuerkannte: Der größte Theil der Beschauer hält sich vorzüglich an die Bildnisse. Man glaubt sich leichter berufen über Aehnlichkeit einer Person, als über Erfindung eines historischen Gegenstandes zu urtheilen. Und doch gibt es Leute, die so schlecht sehen, daß sie ein Bildniß zum Feuer verdammen, während die größere Anzahl ihm eine Aehnlichkeit zum Erschrecken beylegt. Letztere ist allenfalls die Hauptsache für die, welche das Bildniß bestellt haben, aber dem Beschauer genügt sie nicht, der ein Porträt von Vandyk oder Tizian zu bewundern gewohnt ist, ohne zu wissen, ob es jemals ähnlich gewesen. Verlassen wir also diese Staatsmänner und Geistlichen, die da lächeln wie Sänger und Comödianten, diese Frauenköpfe, die alle mit ihrem kleinen Mund dieselbe gezierte Grimasse machen und kalt wie Wachsmasken aussehen. Lassen wir Töchter, Neffen und Nichten vor diesen Bildern in Begeisterung gerathen, wir wollen nichts von solchen Werken der Hh. Carlo Ruga, Luigi Corsetti, Giovanni Bignoli, der Frauen Anna Salvotti und Panigoni. Wir halten uns dieses Jahr nur vor dem Bildniß der Mdme Belloc, einer berühmten Sängerin auf, die der Professor Hayez in ganzer Figur, mit ihrer kleinen Tochter zur Seite, gemalt hat. Außer einer vollkommenen Aehnlichkeit, einer großen Einfachheit der Stellung und des Ausdrucks, zeichnet sich dieses Bild auch durch Schönheit und Wahrheit des

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Akademieausstellungen erschienen im Kunst-Blatt zwischen 1823 und 1830 unter dem Kürzel S.M. bzw. Sg-M. Erst gegen Ende seiner Zusammenarbeit firmierte er die Berichte mit seinem vollständigen Namen. Vgl. dazu Dahm, Das „Schornsche” Kunstblatt, Bd. 2, S. 92. Zur Biographie Sergents, vgl. auch N. Parfait, Notice biographique sur A.-F. Sergent, graveur en tailledouce, député de Paris à la Convention nationale, Paris 1848, S. 62. Sg. M. [Antoine Louis François Sergent, dit Sergent-Marceau], „Kunstausstellung in der Brera zu Mailand im Jahre 1823“, Kunst-Blatt 15, 19. Februar 1824, S. 59–60. Vgl. Mazzocca, Francesco Hayez, S. 159–160 (Der Abschied von Romeo und Julia), 161–162 (Die Trauung von Romeo und Julia). Sergent, „Kunstausstellung in der Brera zu Mailand im Jahre 1823“, S. 59–60. Ebd., S. 58–59.

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Alexander Auf der Heyde Fleisches und durch die vollkommene Nachahmung der Stoffe aus, die bekanntlich niemanden so gelingt, wie dem genannten Künstler. In diesem Bilde hat er eine Probe von seinem Talent und Geschmack abgelegt, denn sein Modell hatte schwarze Kleidung gewählt, an welcher er Sammt und Seide glänzen ließ, während dennoch Krepp und Spitzen auf solchem Grund ihre Leichtigkeit und Durchsichtigkeit behielten. Nichts war manieriert, die Beywerke geschmackvoll ohne verschwenderischen Reichthum, der oft die Armuth des Gemäldes verdecken soll. Alles, obgleich mit derselben Sorgfalt ausgeführt, war in Harmonie ohne dem Hauptgegenstand zu schaden. Hr. Hayez arbeitet seine Bildnisse für die Nachwelt, man wird sie immer in den Kabinetten suchen.35

Im Gegensatz zu der immerfort betonten Qualität des Porträtmalers fiel Sergents Urteil über Hayez’ religiöse und geschichtliche Darstellungen sehr viel kontrastreicher aus. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass Sergent, wenn er Hayez Missachtung von Proportionslehre und Perspektive sowie übertriebenen Realismus vorwarf, entscheidende Argumentationen der französischen Delacroix-Rezeption durch Étienne-Jean Delécluze in das Werk des Italieners hineinprojizierte.36 Dieser Standpunkt wird besonders deutlich, als er 1829 – aus Anlass der Ausstellung von Hayez’ Filippo Maria Visconti, der den Königen von Aragon und Navarra ihre Kronen zurückgibt – zu einer Art Rundumschlag gegen den „Romantismus” ausholte und dem Künstler vorwarf, er unterwandere durch ungefiltertes Naturstudium das Prinzip des Idealschönen und stelle letztendlich die eigentliche Aufgabe der Historienmalerei in Frage:37 Es ist augenscheinlich einer der Grundsätze des Romantismus, in die Malerei solche bizarre oder unedle Formen einzuführen, weil es in der Natur deren gibt. Man findet freilich verzerrte oder zurückstoßende Physiognomien, ist dieses aber ein Grund, sie ohne unumgängliche, historische Nothwendigkeit in ein historisches Bild aufzunehmen? – „Die Häßlichkeit der Formen,“ sagt Lessing in seinem Laokoon, „kann, weil die Empfindung welche sie erregt, unangenehm, und doch nicht von derjenigen Art unangenehmer Empfindungen ist, welche sich durch Nachahmung in angenehme verwandeln, an und vor sich selbst kein Vorwurf der Malerei, als schöner Kunst, seyn,“ und ferner: ... „In der Malerei hat die Häßlichkeit alle ihre Kräfte beisammen, und wirket nicht viel schwächer, als in der Natur selbst.“ Ein edler Genueser, bloß, mager, grün und gelb, wie ein Kranker, der aus dem Spitale kömmt, und ein anderer mit plattgedrückter Nase, eine lange und hagere Figur, und so roth wie eine Mohrrübe, müssen aus einem Gemälde verbannt seyn, wenn dies nicht zur Karrikatur herabsinken soll.38

35 Sg. M. [Antoine Louis François Sergent, dit Sergent-Marceau], „Kunstausstellung in der Brera zu Mailand, im Herbst 1824“, Kunst-Blatt 63, 8. August 1825, S. 250. 36 Zu Delécluze und dessen kritischer Rezeption von Delacroix, vgl. A. Gavoille, „Delécluze, Étienne-Jean“, in: Sénéchal / Barbillon (Hrsg.), Dictionnaire critique; M. MacNamidhe, „Delécluze's Response to Delacroix’s ‘Scenes from the Massacres at Chios’ (1824)“, The Art Bulletin 89,1 (2007), S. 63–81. 37 Vgl. die entsprechenden Angaben zu diesem Bild in Mazzocca, Francesco Hayez, S. 195–196. 38 Sg. M. [Antoine Louis François Sergent, dit Sergent-Marceau], „Kunstausstellung in Mailand im Jahr 1829“, Kunst-Blatt, 71, 7. September 1830, S. 281–282; 72, 9. September 1830, S. 285– 287; 87, 2. November 1830, S. 345–346, hier S. 282. Hayez' Bearbeitungen religiöser oder mythologischer Themen wurden von Sergent immer wieder aufs Heftigste kritisiert. So schrieb er über die 1827 ausgestellte Kreuzigung mit Maria Magdalena: „[...] dieser magere und abgezehrte Körper des Christus gehört eher einem lebensmüden Mönche aus irgend einem strengen

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Angesichts dieser wiederholt geäußerten Bedenken überrascht es nicht, dass Sergent – übrigens in Einklang mit der italienischen Presse – den Künstler heftig kritisierte, als dieser 1830 unter dem Titel Venus mit Tauben den Rückenakt der Tänzerin Carlotta Chabert in Brera präsentierte. Die überaus realistische Darstellungsweise des imposanten Leibes und das als Porträt charakterisierte Gesicht dieser Venus erschienen somit als eine Art Fehdehandschuh, den Sergent aufhob, indem er Hayez mit sarkastischen Bemerkungen und Belehrungen überschüttete: [...] um eine Venus zu malen muß man nicht seine eigene Küchenmagd zum Modell nehmen. Der Kopf ist von kleinlichem Charakter (vorausgesetzt, daß er nicht Porträt ist und daß man es uns nicht sagen will). Die Schultern und der Rücken häßlich, das was man an einer der griechischen Statuen der Venus, die auch aus dem Bade steigt, bewundert, könnte schon der Göttin angehören, aber was sollen diese schlecht gestellten Beine, wo man die Knie nicht ohne die Strumpfbänder erkennt. Mein lieber Hr. Hayez! um Nacktes und Venusbilder zu malen, muß man studiren, und die akademischen Professoren sind solcher Studien nicht überhoben oder sie laufen Gefahr Venusbilder zu malen, die alle, welche sie zu sehen bekommen, mit Abscheu erfüllen.39

Doch all diese zum Teil heftig kritisierten Verstöße gegen das Prinzip des Idealschönen änderten nichts an der Bewunderung, die Sergent Hayez’ malerischem Talent und seiner außerordentlichen kompositorischen Fähigkeit entgegenbrachte. In seinen Augen verfügte der Maler über die Gabe, komplexe historische Situationen allgemeinverständlich auszudrücken und beim Publikum wohlkalkulierte Gefühlsregungen auszulösen. Dabei erschien ihm Hayez als vollkommener Prosamaler, dem es nicht um die Darstellung eines „prägnanten” dramatischen Momentes geht. Vielmehr verkettete der Künstler geschichtliche Ereignisse geschickt mit romanzesker Anekdotik und erwies sich somit als treuer Gefolgsmann von Manzonis Romantheorie der „componimenti misti di storia e d’invenzione”. Besonders deutlich wurde dies am Beispiel von Sergents Besprechung des Einsiedlers Peter, der die Schweiz durchquert und den Aufbruch zum Kreuzzug predigt - einer Art Bildmanifest der pittura civile, das – ausgehend von Tommaso Grossis epischer Dichtung I

Orden, als dem menschgewordenen Gotte. Schwerlich ließe sich an den zwey perspektivisch gestellten Armen die gehörige Länge herausfinden. Wahrlich, die Verkürzungen sind für die meisten Maler, welche das Studium der Perspektive zu sehr vernachläßigen, ein großer Stein des Anstoßes”. Sg. M. [Antoine Louis François Sergent, dit Sergent-Marceau], „Ausstellung der Gemälde, Bildwerke und Zeichnungen in den Sälen der Akademie zu Mailand im Jahre 1827“, Kunst-Blatt, 54, 7. Juli 1828, S. 214; 55, 10. Juli 1828, S. 217, hier S. 214. Ausgesprochen sarkastisch war hingegen Sergents Urteil über die von Seufferfeld bestellte Darstellung des Hektor, welcher Paris seine Weichlichkeit vorwirft: „Armer Homer!”. Sergent, „Kunstausstellung in Mailand im Jahr 1829“, S. 286. 39 Antoine Louis François Sergent, dit Sergent-Marceau, „Kunstausstellung in Mailand 1830“, Kunst-Blatt, 50, 23. Juni 1831, S. 198–200, hier S. 198. Zur Reaktion der italienischen Kritik auf dieses Bild, vgl. Mazzocca, Francesco Hayez, S. 202–203; R. Pancheri, „La Venere di Trento: ricezione e mitografia di un capolavoro di Francesco Hayez“, in: E. Rollandini (Hrsg.), Sotto il cielo d'Egitto: un capolavoro ritrovato di Francesco Hayez, Trient 2018, S. 43–61.

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Lombardi alla prima Crociata (1826) – die auch im deutschsprachigen Raum beliebte Kreuzfahrerthematik zum Gegenstand hatte:40 Diese Komposition ist sehr malerisch; da ihr das Dramatische fehlt, weil es sich nur darum handelt, einem begeisterten Prediger zu Fuße nachzufolgen, hat ihr Herr Hayez auf eine geistreiche Weise durch Einführung glücklicher Episoden Interesse zu verschaffen gewußt. Dieß charakterisirt das Genie.41

Dass Hayez in seinen Historienbildern ein Werteschema (Familienband, Heiligkeit und Ehre) zum Ausdruck brachte, das dem Anliegen seines patriotisch gesinnten Publikums entsprach,42 ja häufig sogar auf die anti-österreichischen Ressentiments seiner Auftraggeberschaft anspielte, nahm Sergent sicherlich zur Kenntnis, es wurde aber im Kunst-Blatt nicht zur Sprache gebracht, eben weil der Künstler ja auch Teil einer von gemeinsamen Lektüren und historischen Interessen geprägten europäischen Romantik war. Dennoch ist bemerkenswert, wenn Sergent aus Anlass der Mailänder Ausstellung 1826 berichtete, der Künstler sei „auf höhern Befehl” an der Ausstellung seiner „Verschwörung von Genua” gehindert worden und habe daher beschlossen sämtliche anderen Arbeiten zurückzunehmen.43 In der italienischen Presse wurde dieser offensichtliche Fall von Kunstzensur überhaupt nicht erwähnt und vor diesem Hintergrund war es wirklich bemerkenswert, dass Sergent dieser konsequenten Geste im Kunst-Blatt seine volle Anerkennung zollte:44 „Die Geschichte der Kunst zeigt zu allen Zeiten ähnliche von Stolz und Unabhängigkeit beseelte Geister”.45 Bei dem Bild handelte es sich wohl um den Abschied des Fiesco von Leonore und das Bildthema - bestens bekannt im deutschsprachigen Raum dank Schillers Drama Die Verschwörung des Fiesco zu Genua – war vor dem Hintergrund des Aufstands der Carbonari und der im selben Jahr verabschiedeten Bulle Quo graviora Papst Leos XII. politisch brisant, vor allem weil der Auftraggeber Antonio Francesco Peloso - ein von den Habsburgern und vom Königreich Sardinien-Piemont mit Argwohn betrachteter Unterstützer aufrührerischer Gruppen war.46

40 Vgl. Mazzocca, Francesco Hayez, S. 196–199; sowie C. Sutter, Die Kreuzfahrerrezeption in der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts, Berlin 2012. 41 Sergent, „Kunstausstellung in Mailand im Jahr 1829“, S. 285–286. 42 Vgl. dazu A.M. Banti, La nazione del Risorgimento: Parentela, santità e onore alle origini dell'Italia unita, 2. Auflage, Torino 2006. 43 Sg. M. [Antoine Louis François Sergent, dit Sergent-Marceau], „Kunstausstellung in Mailand im Jahr 1826“, Kunst-Blatt 63, 6. August 1827, S. 252. 44 Der liberale Kritiker Defendente Sacchi berichtete ganz lapidar, dass Hayez dieses Jahr leider keine Arbeiten ausstellt und dass er soeben den Fiesco beendet habe. D. Sacchi, „Le Belle Arti in Milano nell'anno 1826“, Il Nuovo Ricoglitore 2 (1826), 21, S. 643–644. 45 Sergent, „Kunstausstellung in Mailand im Jahr 1829“, S. 252. 46 Vgl. dazu Mazzocca, Francesco Hayez, S. 175. Zur Biographie und Kunstsammlung des Auftraggebers, vgl. P.F. Peloso, „Peloso, Antonio Francesco“, in: Dizionario biografico degli italiani, Bd. 82, 2015. URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/antonio-francesco-peloso_(Dizionario-Biografico) [25.4.2018]; G.L. Mellini, „Francesco Peloso collezionista di contemporanei“, Labyrinthos 3 (1984), 5/6, S. 82–120; 6 (1987), 12, S. 72–73.

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Mit dem Ausscheiden Sergents fehlte dem Kunst-Blatt ab 1831 ein ständiger Korrespondent für die Lombardei und demzufolge erschienen Nachrichten über Hayez bzw. die Mailänder Ausstellungen nicht so regelmäßig wie bisher.47 Erst 1836 publizierte das Blatt einen mit F.K. signierten Aufsatz über „Franz Hayez”, in dem - anders als in den zuvor veröffentlichten Kritiken, die immerfort seine Meisterschaft im Bereich der Porträt- und Kostümmalerei betont haben, - diesmal vor allem Hayez’ malerische Methode im Vordergrund stand. Autor dieser Schrift war mit Franz von Kühlen (Düsseldorf 1794 - Rom 1877) ein ehemaliger preußischer Major, der bei Cornelius in München studiert und an dessen Fresken in der Glyptothek und Pinakothek mitgewirkt hatte, bevor er 1835 in Rom als Kunstberater des Prinzen Heinrich von Preußen wirkte und sporadisch im Kunst-Blatt (vor allem über ältere Kunst) publizierte.48 Kühlen griff ein bereits von Schorn und Sergent zur Sprache gebrachtes Thema auf, indem er Hayez als legitimen Nachfolger der großen venezianischen Renaissancemalerei bezeichnete und seine Malweise folgendermaßen charakterisierte: Im Gegensatz zu so vielen andern Malern entwirft er auch die größten Gemälde nach einer flüchtigen Oelskizze gleich auf die dazu bestimmte Leinwand. Er zersplittert Kraft, Zeit und das erste heilige Feuer der Begeisterung nicht an mühsam zusammengetragene Studien, oder an einen bis in’s Kleinste vorher ausgedachten Carton, sondern er gebraucht die Natur unmittelbar zur Ausführung, und überläßt sich dem freien und sichern Spiele seines geistreichen Pinsels. Er faßt das Leben im Fluge auf, und daher gelingt ihm gerade das, was dem redlichsten Fleiße in einer ängstlichen Behandlung unter den Händen entweicht. Wenn die Italiener, in so manchen Richtungen entartet, mehrere solcher großen Talente auf einem richtigen Wege aufzuweisen haben, so glaube ich, daß sie mehr als alle andern Nationen zur Wiederherstellung der Künste berufen sind.49

Äußerungen dieser Art waren zum Zeitpunkt ihrer Publikation ganz besonders aktuell, hatte doch die von Cornelius und seinen Schülern praktizierte zeichnerisch durchkomponierte Monumentalmalerei langsam ihren Zenit erreicht, während parallel dazu der internationale Erfolg der Düsseldorfer Malerschule zu einer Neubewertung der flämischen, niederländischen und venezianischen Malerei führte. Wenn Kühlen also Hayez’ „weise Benützung der Zufälligkeiten in der Behandlung”

47 Nach der Beendigung der Zusammenarbeit mit Sergent nahm die Berichterstattung des KunstBlattes über Mailänder Kunstausstellungen eine marginale Position ein und wurde nunmehr von verschiedenen Redakteuren oder Mitarbeitern erledigt: Ph. [C. Grüneisen], „Mailand“, Kunst-Blatt, 81, 11. Oktober 1842, S. 323 (berichtete über Hayez’ Darstellung der Caterina Cornaro, die von ihrem Bruder dazu bewogen wird, auf das Königreich Zypern zu verzichten); A. von Reumont, „Kunstnachrichten aus Mittel- und Oberitalien. Gesammelt in den Monaten Juni und Juli 1843“, Kunst-Blatt, 101, 19. Dezember 1843, S. 421 (erwähnte diverse nicht fertiggestellte Arbeiten: zwei Darstellungen des Foscari-Stoffes und Die Ankunft des ersten Kreuzheeres in Jerusalem). 48 Die Identifikation des Kürzels F.K. mit Kühlen sowie die Bibliographie seiner im Kunst-Blatt erschienenen Schriften entnehme ich Dahm, Das „Schornsche” Kunstblatt, Bd. 2, S. 55–56. 49 F.K. [Franz von Kühlen], „Mailand, 1835. Franz Hayez. Geboren zu Venedig 1791“, KunstBlatt, 28, 7. April 1836, S. 111–112, hier S. 111.

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würdigte und eben diese Verfahrensweise als Gegenpol zur Steifheit der bei deutschen Kollegen verbreiteten „alterthümliche[n] Manier” sah, dann darf man das auch als unverblümte Kritik an Cornelius und der nazarenischen Geschichtsmalerei deuten.50 Eine erste kunsthistorische Verortung des Künstlers bot hingegen Athanasius Raczynski im zweiten Band seiner Histoire de l’art moderne en Allemagne (1839). Der aus Polen stammende, in Berlin ansässige Diplomat und Sammler zeitgenössischer Kunst widmete dem Maler eine ausführliche, ausgesprochen interessante Passage innerhalb seines Exkurses über die als Bestandteil des österreichischen Kaiserreichs im weitesten Sinne zu Deutschland zugehörige Lombardei.51 Auch Raczynski sah Hayez in erster Linie als Venezianer, allerdings betonte er – im Gegensatz zu seinen Vorgängern, die immerfort Parallelen zu Tizian, Paolo Veronese oder Giovanni Bellini zogen – eine besondere Geistesverwandtschaft zwischen Hayez und Giovanni Battista Tiepolo. Diese absolut wertungsfreie Beobachtung Raczynskis ist bemerkenswert, denn in der Tat setzte sich Hayez vor allem in der Monumentalmalerei und im Bereich der Sakraldarstellungen intensiv mit dem in seiner Heimatstadt niemals in Vergessenheit geratenen Virtuosen auseinander.52 Ähnlich scharfsinnig sind die von Raczynski beobachteten Parallelen zwischen Hayez, Ary Scheffer und Charles-Auguste Wauters.53 Diese Bezüge zu zeitgenössischen französischen und belgischen Künstlern mögen insgesamt wenig präzise

50 Ebd., S. 111–112. Anhand des im Entstehen begriffenen Monumentalgemäldes der Dürstenden Kreuzfahrer vor den Stadtmauern Jerusalems (1833–50) schilderte Kühlen Hayez' Malweise, deren Frische auch an der wohlkalkulierten Improvisation und deren warmes Kolorit auf in Deutschland wenig gebräuchliche, aber in der venezianischen Tradition bestens verankerten Methoden (nämlich dem Gebrauch einer rötlich grundierten Leinwand) basierte. Hierbei sei erwähnt, dass kräftige und satte Farbgebung vor allem im Zuge der kontroversen Rezeption der belgischen Maler zu einer Grundforderung der progressiven Kunstkritik wurde. Vgl. dazu R. Schoch, „Die belgischen Bilder. Ein Beitrag zum deutschen Geschichtsbild des Vormärz“, Städel-Jahrbuch, 7 (1979), S. 171–186; R. Schoch, „Die «belgischen Bilder”. Zu einem Prinzipienstreit der Historienmalerei des 19. Jahrhunderts“, in: K. Möseneder (Hrsg.), Streit um Bilder. Von Byzanz bis Duchamp, Berlin 1997, S. 161–179; K. Scholl, Revisionen der Romantik: zur Rezeption der „neudeutschen Malerei”; 1817–1906, Berlin 2012, S. 154–162. 51 Vgl. F. Nerlich, „Raczynski, Athanase (comte)“, in: Sénéchal / Barbillon (Hrsg.), Dictionnaire critique; U. Kaiser, Sammler, Kenner, Kunstschriftsteller: Studien zur „Geschichte der neueren deutschen Kunst” (1836–1841) des Athanasius Graf Raczyński, Hildesheim / Zürich / New York 2017. 52 In den Schriften von Pietro Selvatico wurde diese Affinität des Künstlers zu Tiepolo ebenso hervorgehoben. Vgl. dazu A. Auf der Heyde, „Fonti, pentimenti e montaggio finale del 'Pittore storico'“, in: P. Selvatico, Sull'educazione del pittore storico odierno italiano. Pensieri (Padova 1842), kommentierte Faksimile-Edition hrsg. von A. Auf der Heyde, Pisa 2007, S. 576. 53 A. von Raczynski, Histoire de l'art moderne en Allemagne, Bd. 2, Paris 1839, S. 642–645. Hier zitiert nach der deutschen Ausgabe: Geschichte der neueren deutschen Kunst, Bd. 2: München, Stuttgart, Nürnberg, Augsburg, Karlsruhe, Prag und Wien. Mit einem Anhange: Ausflug nach Italien, Berlin 1840, S. 717–720. In einem Stich nach Wauters’ Darstellung des Ludwig von Bayern, der die Tötung seiner Frau Maria von Brabant anordnet (L. Alvin, Compte-rendu du

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erscheinen, sie sind aber umso bemerkenswerter, weil sie Hayez’ Werk aus seinem lokalen bzw. nationalen Kontext lösten und dem Künstler die ihm gebührende Position innerhalb der europäischen Romantik zuwiesen. 3. EIN LIEBLING DER HABSBURGER-ELITEN: HAYEZ UND DIE DISKUSSION ÜBER „DRAMATISCHE“ MALEREI IN DEN WIENER GAZETTEN Obwohl Hayez seit dem Wiener Kongress formell Untertan des österreichischen Kaisers war, nahm die Wiener Presse den Künstler und sein Werk erst zehn Jahre später, womöglich vermittelt durch die Berichterstattung im Kunst-Blatt, zur Kenntnis.54 Diese zeitlich verspätete Entdeckung des Künstlers seitens der österreichischen Eliten fiel in die mit Franz von Hartigs Gubernariat (1830–1840) einsetzende Politik der Entspannung zwischen Wien und Mailand, deren unmittelbare Folge ein merkbar gesteigertes Interesse der Wiener Eliten an der lombardischen Kultur war.55 Der seit 1831 in Mailand als Präsidialsekretär für den Gouverneur tätige Carl von Czoernig spielte in diesem Zusammenhang eine wichtige Vermittlerrolle, enthalten doch seine als Italienische Skizzen (1838) veröffentlichten Essays wichtige Schriften über Theater, Oper und bildende Kunst.56 Dabei ist es bezeichnend für die Rolle von Mylius’ bereits erwähntem Netzwerk von Kaufleuten und liberalen Adeligen, dass Czoernig 1832 in seiner Berichterstattung für die Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode vor allem auf die von Seufferheld und Mylius bestellten Gemälde (Maria Stuart vor Betreten des Schaffotts und das Porträt von Luigia Vitali-Mylius) einging.57 Deren Beispiel folgte mit Merkantilrat Sigmund („Sigismondo“) Karis ein in Mailand ansässiger Österreicher, der auf Anraten des

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Salon d'exposition de Bruxelles, Brüssel 1836, S. 371–374), sind diese Ähnlichkeiten zu Hayez recht deutlich zu erkennen. Erst 1831 erschien eine ausführliche Würdigung von Hayez' soeben mit großem Erfolg ausgestellten Monumentalgemälde der Bürger von Parga in der Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode. Bei dem anonymen Autoren dürfte es sich um den seit 1831 in der Lombardei ansässigen Carl von Czörnig handeln. Vgl. „Correspondenz-Nachrichten. Mailand, am 30. September 1831“, Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, 137, 15. November 1831, S. 1098. Vgl. „Hartig Franz Graf“, in: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Bd. 2, Wien 1959, S. 193; R. Blaas, „Hartig, Franz Graf von“, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 7, 1966, S. 713–714. URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd116490691.html [23. April 2018]. Vgl. „Czoernig von Czernhausen Karl Frh.“, in: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Bd. 1, Wien 1957, S. 164; L. Faccini, „Karl Czoernig e la statistica agraria in Lombardia“, Società e storia, 10 (1980), S. 931–950; R. Pichler, Die Wirtschaft der Lombardei als Teil Österreichs: Wirtschaftspolitik, Aussenhandel und industrielle Interessen; 1815–1859, Berlin 1996. C. von Czörnig, Italienische Skizzen, Bd. 2, Mailand 1838, S. 255–258.

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Schiller-Übersetzers Andrea Maffei 1835 bei Hayez einen Abschied Saladins bestellte und vier Jahre später im Ausstellungskatalog als Acquirent gleich zweier Werke des Künstlers (Griechische Freiheitskämpfer verschanzen sich in Patras und Der Genius der Frische) in Erscheinung trat.58 Mit dem aus Anlass der Krönung Ferdinands I. zum König von Lombardo-Venetien 1838 realisierten Deckenfresko im Mailänder Palazzo Reale (Abb. 8) begründete Hayez’ seinen Ruhm als österreichischer Maler italienischer Nationalität, darüber hinaus war es für den Künstler eine Art Visitenkarte, mittels derer er wichtige Aufträge seitens des habsburgischen Adels bekam.59 In den folgenden zehn Jahren gelangten daher gleich drei von ihm gemalte Darstellungen aus der venezianischen Geschichte nach Wien, wo sie aufgrund ihrer prominenten Auftraggeberschaft öffentliches Interesse genossen und somit maßgeblich die Reflexion über das romantische Historienbild im Wiener Vormärz prägten. Im Belvedere konnten die Wiener Kunstfreunde seit 1840 die für Ferdinand I. gemalte Darstellung des Jacopo Foscari, der, von seinem Vater, dem Dogen Francesco Foscari, zum Exil verurteilt wird und sich von seinen Familienangehörigen trennt (1838–1840) bewundern; aus der Sammlung des Innenministers Franz Anton von Kolowrat-Liebsteinsky stammte hingegen die im Wiener Kunstsalen 1841 und zehn Jahre später im Wiener Kunstverein (März 1851) ausgestellte Befreiung des Admirals Vittore Pisani, welcher unter dem Beifall des Volkes zum Dogen geführt wird; darüber hinaus sah das interessierte Publikum in der Wiener Kunstausstellung 1847 und im November 1851 während der Ausstellung des Kunstvereins Hayez’ Bild der Valenza Gradenigo, die nach dem erfolglosen Versuch der Befreiung ihres Geliebten der unter Vorsitz ihres Vaters stehenden Inquisition vorgeführt wird. In letzterem Falle handelte es sich um ein Thema, das Czoernig bereits 1833 besprach, und von dem es gleich zwei Varianten in Wiener Sammlungen gab: eine 1844 datierte Version für Metternichs Neffen, den Botschafter Rudolph von Lützow, und eine weitere Version aus dem Jahre 1845 für einen namentlich nicht bekannten Wiener Kaufmann.60 58 Vgl. „Bildende Künste“, Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, 123, 13. Oktober 1835, o. S.; „Mailand, 29. Mai“, Der Adler, 137, 10. Juni 1839, S. 459–460; und die jeweiligen Angaben bei Mazzocca, Francesco Hayez, S. 256, 258–259. 59 Vgl. dazu die ausführliche Berichterstattung von F.L. Groß, „Bericht über die Kunst-Erzeugnisse zur Verherrlichung der Krönungsfeier“, Der Adler 182, 11. September 1838, S. 851 (mit einem Kupferstich), sowie die Wiederveröffentlichung des Textes in Krönungs-Album. - Ausführliche Schilderung aller bei der Huldigung in Tirol und der Krönung in Mailand begangenen Feierlichkeiten; Beschreibung der eisernen Krone, des arco della pace ec. nebst einer Festrede von Dr. Groß-Hoffinger, Wien 1838, S. 63–64. Darüber hinaus berichtete das KunstBlatt („Medaillenkunde“, Kunst-Blatt, 100, 13. Dezember 1838, S. 408), dass der Künstler die Zeichnung zu der von Luigi Manfredini geprägten Krönungsmedaille angefertigt habe. Zu Hayez' im zweiten Weltkrieg zerstörten Deckengemälde, vgl. die entsprechenden Angaben in M.C. Gozzoli / F. Mazzocca (Hrsg.), Hayez, Mailand 1983, S. 203–210. 60 Das Bild, 1854 in der Sammlung Beroldingen nachweislich (vgl. A.R. von Perger, Die Kunstschätze Wien's in Stahlstich nebst erläuterndem Text, Triest 1854, S. 261–265), wurde bei Christie’s in Amsterdam am 13. Dezember 2011 versteigert. Vgl. auch Mazzocca, Francesco Hayez, S. 225. Eine erste Version des Bildes für Clara Maffei besprach Czoernig: Cz. [Carl von

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Die Aufstellung der beiden Foscari im Belvedere war ein für das Kunstleben des Wiener Vormärz einschneidendes Ereignis, das ein besonderes Publikumsinteresse hervorrief. Hayez musste sich bei dieser Gelegenheit dem Vorwurf erwehren, mit einem emotionslosen Kostümbild den eigentlich dramatischen Charakter der Quelle (Byrons The Two Foscari: An Historical Tragedy) verkannt zu haben. Darauf entgegnete der Wiener Journalist und erklärte Hayez-Verehrer Heinrich Levitschnigg (1810–1862), Hayez habe gerade „in diesem Bilde die Frage gelöst, was ein dramatisches Bild sei”. Dem Künstler – so Levitschnigg – gehe es nicht etwa um die Darstellung einer dramatischen Wendung, vielmehr wolle Hayez durch subtile Charakterisierung der Hauptfiguren den tragischen Epilog einer sich langsam abzeichnenden Entwicklung auf die Leinwand bannen: Gerade diese Ruhe ist die Seele des historischen Porträtes, der Geist des geschichtlichen Konterfeies. [...] Alle excentrischen Bewegungen wurden mit vollem Rechte vermieden, hinweggelassen, eben weil die Szene keine überraschende ist, weil sie nicht unverhofft kam, weil sämmtliche handelnde Personen des großen Trauerspieles durch den Justizproceß, durch den Urtheilsspruch auf dieselbe monatlang vorbereitet waren, und sohin der alte Stolz eines venetianischen Nobili [sic], die starre Anhänglichkeit an die Gesetze des Vaterlandes, das natürliche, hohen Seelen eigene Verlangen, sich in Gegenwart ihres Todfeindes - Lorentan - keine Blöße zu geben, Zeit genug hatte, die Wehmuth tief in das Herz zu drücken, und auf die Stirn einen Trotz zu hauchen, welcher lügt. Somit hat Hayez in diesem Bilde die Frage gelöst, was ein dramatisches Bild sei. Des dramatischen, unumstößlichen Gesetzes der Objektivität wegen, von welcher Objektivität, diesem am schwersten zu erreichenden Ziele in der Kunst, Hayez dem denkenden Beschauer hiermit einen richtigen Begriff lieferte, blieb die Komposition einfach, alle akademische, erkünstelte Regeln der Gruppirung wurden verworfen, und jede Figur stellt ein ganzes, in sich abgeschlossenes Individuum dar, auf daß es nicht zufällig, sondern aus innerer Nothwendigkeit in die Handlung eingreife, das heißt: bei Hayez sind die Figuren keine zufälligen Beigaben, welche so wie sie sind, oder auch anders hätten können vorgestellt werden, nein, seine Figuren sind, wie sie sein müssen, und doch gäbe jede Figur, schnitte man sie aus dem Bilde heraus, ein für sich allein Giltiges und rücksichtlich ihrer Vollendung vollkommen Befriedigendes.61

Ungeachtet der Diskussionen genoss das Bild eine bemerkenswerte Popularität im Kaiserreich und das lag in erster Linie daran, dass es trotz auffallend hoher Kosten im Mai 1845 nach einer Zeichnung von Ludwig Passini als Stahlstich (Abb. 9) in einer Auflage von 4.500 Exemplaren an die Mitglieder des Kunstvereins verteilt wurde.62 Wie stark das somit vervielfältigte Bild der Beiden Foscari das visuelle

Czörnig], „Die letzte Kunstausstellung in Mailand“, Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, 72, 15. Juni 1833, S. 593–594. 61 H. Levitschnigg Ritter von Glomberg, „Eine Stunde im Belvedere“, Der Humorist, IV, 257, 23. Dezember 1840, S. 1058; 258–259, 24. Dezember 1840, S. 1065–1066; 260, 28. Dezember 1840, S. 1070. 62 Vgl. dazu H. Grasberger, „Geschichte der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst 1871–1895. Nebst einem Rückblick auf den älteren Wiener Kunstverein“, Die Graphischen Künste, 18 (1895), 4–5, S. 69–108, hier S. 71–72. Darüber hinaus plante der Kunstverein im Januar 1848 die Herausgabe eines Albums, das unter anderem einen Stich nach Hayez' Familie des Leviten Ephraim enthalten sollte. Auf der Mailänder Kunstausstellung 1844 hatte der Künstler ein Ge-

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Gedächtnis einer Generation prägte, bezeugen die 1898 im Grazer Tageblatt erschienenen Kindheitserinnerungen eines anonymen Autors: Ja, das war damals ein großartiges Kunstwerk. Wie oft kletterte ich als Knabe auf den Waschkasten, über dem der Stich des biederen Hayez hieng, um mich an der antiken Gerechtigkeitsliebe des alten Foscari zu berauschen, und über das Unglück des jungen Foscari zu trauern!63

Ein weiteres Beispiel der sich über viele Jahre hinziehenden Popularisierung des Bildes liefert eine Nachricht Aus Prag in der Zeitschrift Der Humorist: im Rahmen einer von böhmischen Adeligen organisierten Wohltätigkeitsveranstaltung inszenierte der an der Prager Akademie lehrende Landschaftsmaler Max Haushofer im März 1853 die Beiden Foscari als Tableau vivant.64 Im Frühjahr 1841 wurde der Publikumserfolg der beiden Foscari durch die öffentliche Ausstellung des Vittore Pisani (Abb. 10) im Wiener Kunstsalon bestätigt, wenn nicht gar übertroffen. Das Bild - so das Österreichische Morgenblatt – ragt „wie eine Riesenpalme” inmitten der Masse der ausgestellten Bilder hervor.65 Hayez sei „vielleicht der einzige dramatische Maler, den unser Vaterland derzeit besitzt”, schrieb Levitschnigg, der sich nicht zu schade war dem Künstler (An Franz Hayez) und seinem Gemälde ein Sonett zu widmen.66 Das Thema - eine friedliche Volkserhebung, welche die Befreiung des eingekerkerten Admirals und dessen Rehabilitation durch den Dogen erzwingt - legte nahe, dass der Künstler hier eine Art bildkünstlerische Reflexion über frühdemokratische Tendenzen anregte. Allerdings wollte die Wiener Kunstkritik diese Lesart nicht zur Kenntnis nehmen und das mag daran liegen, dass der für seine liberalen Ansichten bekannte Auftraggeber, Innenminister Kolowrat, natürlich über jeden Verdacht erhaben war.67 Insofern betonte

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mälde mit diesem Titel gezeigt (vgl. Mazzocca, Francesco Hayez, S. 284). Bei dem Albumsblatt handelt es sich wahrscheinlich um die Lithografie Der Tod der Frau des Leviten Ephraim von Josef Adalbert Hellich (Österreichische Nationalbibliothek Wien: Inv. Pk 400, 128). E., „Wiener Kunsteindrücke“, Grazer Tagblatt, VIII, 838, 28. Dezember 1898, S. 1–2. Vgl. „Aus Prag“, Der Humorist, XVII, 61, 15. März 1853, S. 421. Athanasius, „Kunstausstellung eröffnet am 6. April im k.k. polytechnischen Gebäude“, Österreichisches Morgenblatt, VI, 71, 14. Juni 1841, S. 294–295, hier S. 295. „An Franz Hayez. // "Wie Paris tödtlich hass' ich Dich, Achilles, / Sprach zornerfüllt am Granikus Iskender, / Homer ist todt, der blinde Lorbernspender, / Und seine Harfe deckt ein Grab, ein stilles. // Was ich vollbracht, in Verse bringen will es / Mein Hofpoet, der feile Lobverschwender, / Gedankenräuber, freche Bildentwender, / Doch bleibt sein Sang ein Rabenlied, ein schrilles!" - // O wärst Du jetzt am Leben, starker König, / Du klagtest nicht, daß unbesungen starben / Seit Troja's Fall die kühnsten Kapitani. // Zwar hallt kein Lied aus Hellas wundertönig, / Doch schrieb ein Künstler griechisch klar mit Farben / Die neue schöne Ilias: Pisani!”. H. Levitschnigg Ritter von Glomberg, „Der Wiener Kunstsalon 1841“, Der Humorist, V, 77, 17. April 1841, S. 309–310; 78, 19. April 1841, S. 316–317; 111, 4. Juni 1841, S. 449– 450, hier S. 310, 449–450. Der Rezensent der Wiener Zeitung bemerkte zu dem Bild und seinem Auftraggeber: „Ein Bild des fluctuirenden Volkslebens zu liefern, wo die Massen wie Licht und Schatten unter die verschiedenartigsten Elemente vertheilt sind, und alle durch die Einheit der Potenz, die sich nach einem Puncte hinbewegen soll, das gemeinsame Staatswohl zu befördern, zu einem harmoni-

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die Wiener Zeitung, dass der Maler mit dem Vittore Pisani „kein[en] wüthende[n] Volksaufstand”, sondern „die Apotheose eines edlen großen Volkes, inbegriffen die Hochgestelltesten wie die Niedrigsten durch alle Geschlechter und Alter” darstellen wollte.68 Genau zehn Jahre später, als es im März 1851 diesmal im Wiener Kunstverein gezeigt wurde, erschien das Bild vor dem Hintergrund der niedergeschlagenen Erhebungen von Venedig und Mailand offensichtlich in einem anderen Lichte. So konstatierte ein Rezensent des Abendblattes der Wiener Zeitung, dass Hayez mit seinem Vittore Pisani „die Einheitsbestrebungen Italiens durch die Wahl des Stoffes trefflich illustrirt”.69 Womöglich erinnerte sich der Journalist sehr genau daran, dass eine ähnliche Begebenheit – die am 17. März 1848 auf Druck der venezianischen Bevölkerung vom Statthalter verordnete Entlassung der inhaftierten Patrioten Niccolò Tommaseo und Daniele Manin – in der Ausrufung der Republik von San Marco und somit im Aufstand Venedigs gegen die österreichische Herrschaft gemündet hatte.70 Die insgesamt positive Rezeption der beiden Foscari und des Vittore Pisani wurde durch die Vorbehalte einiger Kunstkritiker geschmälert, die sich ein stärkeres Anschließen der österreichischen Kunst an deutsche Vorbilder - in erster Linie die nazarenische Monumentalmalerei Julius Schnorrs von Carolsfeld - wünschten und der italienischen, französischen und belgischen Historienmalerei Materialismus und Theatralik vorwarfen. Auch Hayez sah sich folglich der (bereits im KunstBlatt geäußerten) Kritik ausgesetzt seinen Stoff „genrehaft” aufzufassen, weil er trotz aller maltechnischen Meisterschaft durch Modellstudium und theatralische Gesten den genuin malerischen Charakter der Historienmalerei verkenne. Dazu bemerkt ein Rezensent der Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode (1841): Indem er am Stofflichen allzu sehr haften blieb, hat er der historischen Würde abbruch gethan, und indem er jede seiner Gestalten mit der Individualität des Porträts ausstattete, hat er die historische Ganzheit in Stücke zerschlagen. Er hat Leute hergenommen, wie er sie vorfand, und in mittelalterliche Trachten gehüllt, sie spielen dort ihre Rollen wie Schauspieler, freylich wie ausgezeichnete, aber dennoch nur wie solche; sein Bild ist daher ein Schauspiel, nicht die Geschichte selbst, und wird einer wahrhaft historischen Conception nur so nahe kommen, als eine gut gespielte Theaterscene der geschichtlichen That selbst je gleichzukommen vermag. Bey all’ der Lebendigkeit der Erfindung haftet doch das sonntäglich Geputzte, das Vorbereitete, das sichtbarlich Bezweckte wie Bley an den Flügeln des geistigen Aufschwunges; man bewundert

schen Ganzen streben, trotz allem Gähren und Brausen der individuellen Neigungen und Begehren, ist die Aufgabe, die sich der Künstler in dem von ihm selbst aufgegriffenen, oder, wie es verlautet, von einem hochstehenden Staatsmanne angegebenen Thema gestellt [...]”. „Die Kunstausstellung im Jahre 1841“, Wiener Zeitung, 112, 23. April 1841, S. 830; 113, 24. April 1841, S. 834–835, hier S. 830. 68 Ebd., S. 835. 69 „Ausstellung des Oesterreichischen Kunst-Vereines“, Abendblatt der Wiener Zeitung 34, 6. März 1851, S. 214. 70 Daher findet sich das Motiv des von den Massen getragenen Vittore Pisani auch wieder in Napoleone Nanis dreißig Jahre später gemalter Darstellung der Befreiung von Tommaseo und Manin (1876; Fondazione Querini Stampalia, Venedig).

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Alexander Auf der Heyde das Bild, aber wohl niemand ist überzeugt, daß sich die Scene also werde zugetragen haben. Es wäre interessant, wenn Jemand, der sich von der Darstellung mit Recht hingerissen fühlte, es über sich zu bringen vermöchte, die Eindrücke zu verfolgen, woher sie ihren Ursprung ableiten. Überhaupt ist dieses merkwürdige, interessante Bild ein Fingerzeig in Betreff der Grenzen und Verhältnisse des Genre zur historischen Auffassung, welcher eine schärfere Hervorhebung verdiente.71

Dieser Vorwurf, Hayez sei ein talentierter Theatermaler mit Gefühl für Accessoires, dem aber der eigentliche Sinn für Historie fehle, fand sich auch in Rudolf Eitelbergers frühen kunstkritischen Journalartikeln. Er sah auf der Wiener Kunstausstellung im Jahr 1847 Hayez’ Valenzia Gradenigo (Abb. 11) und konnte trotz aller Vorwände nicht leugnen, dass dieses Gemälde aufgrund der hohen technischen Meisterschaft des Künstlers „[d]as beste unter allen historischen Bildern” der Ausstellung sei:72 Es fällt mit nicht bei, die französisch-theatralische Richtung zu rechtfertigen, der Hayez huldigt, oder einzelne Schwächen (die Nonne, den karikierten Kopf des Schreibers u.s.f.) zu bemänteln, aber es ist bei weitem mit dem größten Verstande komponirt, mit der größten Sicherheit des Pinsels und einer Wahrheit in Karakteristik und Farbe ausgeführt, daß die sichere Hand und das große Talent außer allen Zweifel gestellt wird.73

Eitelberger engagierte sich schon in seinen frühen Schriften zugunsten einer internationalen Öffnung des Wiener Kunstlebens. Gezieltes Sammeln und Ausstellen ausländischer Arbeiten wirke, so Eitelberger, auf die Geschmacksbildung des Wiener Publikums, vor allem aber rege das vergleichende Betrachten die einheimische Künstlerschaft an.74 Ein erstes Beispiel für diese nunmehr forcierte Internationalisierung des Wiener Kunstlebens ereignete sich im März 1851, als der Wiener Kunstverein bei der bereits erwähnten Märzausstellung Hayez’ Vittore Pisani zusammen mit Karl Friedrich Lessings Huß vor dem Konstanzer Konzil und Paul Delaroches 31. März 1814 in Fontainebleau zeigte. Die beiden Leihgaben des Leipziger Sammlers Adolf Heinrich Schletter waren natürlich Publikumsmagneten und stellten verständlicherweise Hayez’ bereits gezeigten Vittore Pisani in den Schatten. Dass Hayez’ Arbeit in diesem Zusammenhang „durch unzweckmäßiges Hängen in verkehrtes Licht gesetzt” wurde, bewog den Wiener Maler Ferdinand

71 „Wiener Kunstausstellung im Jahre 1841“, Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, 74, 10. Mai 1841, S. 586–588, hier S. 587. 72 Mazzocca, Francesco Hayez, S. 293. Es gibt, wie gesagt, zwei Versionen des Bildes in Wien: eine befand sich zu diesem Zeitpunkt in der Sammlung des Grafen Rudolph Lützow, die andere gehörte einem unbekannten Wiener Kaufmann. Es ist nicht klar, welche der beiden Wiener Versionen des Bildes Eitelberger 1847 gesehen hat. 73 R. Eitelberger von Edelberg, „Die Wiener Kunstausstellung im Jahre 1847“, Kunstblatt. Beilage zu den Sonntagsblättern, 13, 28. März 1847, S. 75. 74 Vgl. dazu C. Scholl, „Fortschritt durch Vergleichen: Rudolf von Eitelberger als Kunstkritiker“, in: E. Kernbauer / K. Pokorny-Nagel / R. Rosenberg, J. Rüdiger / P. Werkner / T. Jenni (Hrsg.), Rudolf Eitelberger von Edelberg. Netzwerker der Kunstwelt, Wien / Köln / Weimar 2019, S. 257–270.

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Georg Waldmüller zu einem polemischen Kommentar, den er in der Zeitschrift Der Oesterreichische Zuschauer veröffentlichte: Werden denn bei dem Arrangement keine Künstler zu Rathe gezogen, oder sollte es möglich sein, daß derlei Mißgriffe von solchen ausgingen? Wir müssen indessen bemerken, daß dieses Hayez’sche Bild dennoch den Glanzpunkt der dießmonatlichen Ausstellung bildet.75

Auch wenn es Waldmüller in diesem Fall ganz offensichtlich um eine öffentliche Maßregelung der seines Erachtens inkompetenten Organisatoren ging, zeigt ein weiterer Aufsatz des aufgrund seiner kunstpädagogischen Ansichten umstrittenen Malers, wie stark doch seine Bewunderung für den Italiener war. Nur einen Monat später war Hayez mit einer aquarellierten Tuschezeichnung zu dem vor kurzem erst fertiggestellten Turiner Monumentalgemälde der Dürstenden Kreuzfahrer vor den Mauern Jerusalems in der Aprilausstellung des Kunstvereins vertreten. Das Blatt, im Besitz des ehemaligen Hofbaurats Pietro Nobile, brachte Waldmüller zu einer bemerkenswerten Eloge: Die Harmonie in der Totalität läßt nichts zu wünschen übrig, der Einklang aller Episoden mit dem Geiste des Ganzen ist vollständig. Die schöne große Idee beherrscht die Gestaltung in allen Theilen, und wir sehen hier alle Anforderungen an ein Kunstwerk befriedigt. Oesterreich darf stolz auf diesen Künstler sein. Er wird von keinem fremdländischen übertroffen, er steht auf gleicher Linie mit den Größten und Besten. [...] Dieser Hayez im ersten, und Delaroche im letzten Salon gestatten keine Rechenschaft mehr über den Rest.76

Waldmüller sah in Hayez „den ersten und vorzüglichsten Künstler unsers Kaiserstaates” und die ihm gezollte Bewunderung bestätigte das freundschaftliche Verhältnis des Malers zu seinen östereichischen Kollegen und Landsleuten: neben der auch bildlich dokumentierten Künstlerfreundschaft mit Friedrich von Amerling,77

75 W--r [F.G. Waldmüller], „Bemerkungen über Kunst und Künstlerwesen“, Der Oesterreichische Zuschauer, 24, 22. März 1851, S. 373–375, hier S. 373. Auch im folgenden Artikel kommt Waldmüller noch einmal auf das Problem einer angemessenen Hängung zurück, wenn er schreibt: „Ich bemerke noch zum Schlusse, daß die Aufstellung des Gemäldes von Delaroche auf vollkommen entsprechende Weise geschehen. Wäre den Gemälden von Tidemann, Lessing und Hayez gleiches Recht widerfahren, hätte man dieselbe Sorge auf zweckmäßige Placirung derselben verwendet, so würden diese trefflichen Werke, welche mit vollem Recht strahlende Zierden der Kunst unserer Zeit genannt werden dürfen, ohne Zweifel noch viel größere Wirkung gemacht haben, während diese Wirkung durch solche Vernachlässigung wesentlich beeinträchtigt wurde”. F.G. Waldmüller, „Das Gemälde von Delaroche in der Kunstausstellung“, Der Oesterreichische Zuschauer, 26. 29. März 1851, S. 405–407, hier S. 407. 76 F.G. Waldmüller, „Die Zeichnung von F. Hayez in der Kunstausstellung“, Der Oesterreichische Zuschauer, 30, 12. April 1851, S. 467–469, hier S. 468. 77 Amerlings Porträt des Italieners (1836) befindet sich in Wiener Privatbesitz. L. Malvezzi, „Die Kunstausstellung zu Wien im Jahre 1844“, Wiener Zeitung, 146, 27. Mai 1844, S. 1135, wies auf den Parallelismus zwischen beiden Künstlern – Hayez und Amerling – hin und bemerkte, dass beide (leider) eine Heerschar von Nachahmern anziehen.

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gab es Kopien von Hayez Werken,78 die - wie man den Ausstellungsbesprechungen entnimmt – jüngere Maler wie Joseph Heicke oder Karl Blaas nachhaltig prägten.79 Aber Hayez machte sich in Österreich nicht nur als Künstler, sondern auch als treuer Staatsdiener beliebt und dieses privilegierte Verhältnis schien auch nach dem Beitritt der Lombardei (1859) und Venetiens (1866) zum Königreich Italien fortzubestehen. So berichtete die Presse im September 1850, dass er von Feldmarschall Radetzky zum „provisorischen Professor der Malerei an der k. k. Akademie der schönen Künste zu Mailand” ernannt worden ist.80 Ein Jahr später beteiligte sich der Künstler mit einer Zeichnung (Marco Visconti) an einem von dem Architekten Eduard van der Nüll gestalteten Portefeuille mit welthistorischen Darstellungen, das als Geschenk des Kaisers für Königin Victoria von England gedacht war.81 Im Oktober 1851 wurde Hayez vom Kaiser in die Villa Reale nach Monza gebeten, „um Allerhöchstdessen Porträt zu malen”:82 einer Mitteilung des Fremden-Blattes zufolge soll dieses Porträt „so ähnlich geworden sein, daß der Kaiser erklärte, es nicht der Akademie überlassen, sondern für Seine erlauchte Mutter behalten zu wollen. Hayez hat daher nach dessen Vollendung ein zweites für die Akademie anfertigen müssen”.83 Im Mai 1852 wurde der Künstler schließlich in Wien erwartet, um ein drittes Porträt des Monarchen zu malen, das Mitte Juni im Österreichischen Kunstverein ausgestellt wurde.84 Aus diesem Anlass und „in Anerkennung seiner unter allen Verhältnissen bewährten vorzüglichen Haltung” erhielt der nunmehr geadelte Hayez vom Kaiser am 5. Juni 1852 den Orden der eisernen Krone dritter Klasse.85 Doch all diese Ehrenbezeugungen änderten nichts an der Tatsache, dass „Franz Ritter v. Hayez” mit seinem Bildnis des Kaisers den Erwartungen des Wiener Kunstpublikums nicht entsprach. Beispielsweise urteilte Die Presse: Bei den wirklich ausgezeichneten Gemälden Hayez’s, die ihm mit Recht seinen Ruhm erwarben, kann das Mißlingen dieses Bildes nur zu jenen räthselhaften Erscheinungen gezählt werden, bei denen wir sonst große Talente, grade bei einer Aufgabe, wo wir von dem Aufgebot

78 Anton Reithofer malte 1846 eine Kopie der Beiden Foscari. Vgl. Mazzocca, Francesco Hayez, S. 261. 79 „Die öffentliche Kunstausstellung in Wien im Jahre 1846“, Wiener Zeitung, 187, 9. Juli 1846, S. 1518; 16. Juli 1846, S. 1571. 80 Fremden-Blatt, IV, 229, 26. September 1850, o.S. Wenige Monate zuvor erhielt Hayez von der kaiserlichen Regierung die Genehmigung „das Ritterkreuz des königl. sardinischen Mauritiusund Lazarusordens [...] annehmen und tragen zu dürfen”. „Offizielle Nachrichten“, Die Presse, II, 284, 29. November 1849, o.S. 81 „Das Geschenk Sr. Majestät des Kaisers von Oesterreich an Ihre Majestät die Königin Victoria“, Wiener Zeitung, 20. Juni 1851, S. 557–558. Carotti publiziert ein Dokument, aus dem hervorgeht, dass der Künstler 1851 für diese Zeichnung bezahlt worden ist. Vgl. F. Hayez, Le mie memorie, con un’appendice a cura di G. Carotti e un discorso di E. Visconti Venosta, Mailand 1890, S. 155, Dok. LXXII. 82 Fremden-Blatt, V, 233, 1. Oktober 1851, o.S. 83 Fremden-Blatt, V, 252, 23. Oktober 1851, o.S. 84 Fremden-Blatt, VI, 112, 11. Mai 1852, o.S. 85 Vgl. „Wien“, Fremden-Blatt, VI, 134, 5. Juni 1852, o.S.; „Amtlicher Theil, Wiener Zeitung, 139, 10. Juni 1852, S. 1605.

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aller ihrer Kräfte das Höchste erwarten, mit der Kraft hinter dem Willen, mit der Leistung hinter der Fähigkeit zurückbleiben sehen.86

Zwar wurde das Bildnis ein Jahr später von Carlo Raimondi 1853 gestochen (Abb. 12) und veröffentlicht, doch ganz offensichtlich war auch der Auftraggeber wenig erbaut über das Resultat, sodass er sein Bildnis regelrecht aus dem Verkehr zog, indem er es dem Wiener Invalidenhaus schenkte.87 4. EINE SCHEIDUNG IN BEIDERSEITIGEM EINVERNEHMEN: HAYEZ IN DER ÖSTERREICHISCHEN PRESSE NACH 1861 Trotz dieses Fauxpas mangelte es Hayez auch in den folgenden Jahren nicht an Ehrenbekundungen von offizieller Seite88 und wenn aus Anlass der Weltausstellung 1855 die bekanntesten Künstler der Monarchie ihre Arbeiten nach Paris sandten, dann betonte Rudolf Eitelberger - nunmehr kunstpolitisches Faktotum in Wien nochmals die herausragende Rolle der von Hayez angeführten lombardo-venetischen Künstlerschaft, die von österreichischen Sammlern und Kritikern nach wie vor als periphäres Phänomen wahrgenommen würden. Aus eben diesem Grund fragte sich Eitelberger: [...] steht Wien, steht dem Centralpunkt der Monarchie nicht Venedig und Mailand tausendmal näher, als Antwerpen, Brüssel oder Paris? Ist es nicht vor Allem nothwendig, eine Wechselseitigkeit geistiger Interessen zwischen den Oesterreichischen Künstlern herzustellen, bevor man daran denken kann, eine ähnliche mit anderen Künstlern zu versuchen?89

86 „Die Ausstellung des österreichischen Kunstvereines“, Die Presse, V, 167, 17. Juli 1852, o.S. Ähnlich geartete negative Reaktionen finden sich in Fremden-Blatt, VI, 141, 15. Juni 1852, o.S.; „Die permanente Ausstellung des Oesterreichischen Kunstvereins“, Abendblatt der Wiener Zeitung, 141, 22. Juni 1852, S. 561; „Kunst-Ausstellung im Monat Juli“, Der Humorist, XVI, 168, 18. Juli 1852, S. 678. 87 „Tagesneuigkeiten“, Die Presse, V, 248, 20. Oktober 1852, o.S. 88 Am 23. August 1855 besuchte Minister von Bach die Ateliers von Hayez, Fraccaroli und Molteni; am 27. Januar 1857 traf der Monarch im Rahmen seines Besuches in Mailand Hayez und eine Delegation der lombardischen Künstler. 89 R. Eitelberger von Edelberg, „Briefe über die moderne Kunst Frankreichs“, Oesterreichische Blätter für Literatur und Kunst 43, 22. Oktober 1855, S. 321–322, hier S. 322. In einem pseudonym erschienen Artikel betont Eitelberger nochmals die Bedeutung Hayez' für die italienische und österreichische Malerei: „Hayez ist als Maler das was man glänzend nennt. Seine Gemälde haben eine harmonische, angenehme Farbe, wenn sich [sic] auch nicht den kräftigen und gesättigten Ton der alten Venetianischen Schule erreichen; die Zeichnung ist, wenn auch nicht immer ganz korrekt doch meistens wohlgerundet, ja manchesmal allzu üppig in den Konturen, läßt aber den Meister erkennen; seine Kompositionen sind immer gut gewählt, sein Strich sicher, seine Technik ausgezeichnet. Hayez weiß seinen Gemälden etwas so Liebliches, so Bezauberndes zu geben, daß fast Jedermann von ihnen entzückt ist, ohne angeben zu können woran es eigentlich liegt; doch dürfte meiner Meinung nach, dieser unbeschreibliche Eindruck auf der noch nicht übertroffenen Harmonie seiner Darstellungsweise beruhen, die ihn, trotz seiner unläugbaren Fehler, lange Zeit hindurch für den ersten Historienmaler Ober-Italiens gelten

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Auf der Weltausstellung 1855 zeigte Hayez in der österreichischen Sektion insgesamt sieben Werke, unter denen besonders sein Selbstbildnis aus dem Jahr 1848 (Abb. 13) hervorstach:90 diese Arbeit, von der Kritik als „eins der vortrefflichsten Bildnisse, das die Ausstellung überhaupt zählt” gepriesen, konnte man aber auch als öffentliches Zeugnis der Entfremdung des Künstlers vom Habsburgerstaat deuten. Schließlich zeigte Hayez mit der gut lesbaren Signatur „Fran.co Hayez / Italiano della città di Venezia / dipinse 1848”, dass er sich als Italiener aus Venedig eigentlich einem anderen, noch zu bildenden Staate zugehörig fühlte.91 Dieser nunmehr offensichtliche Gewissenskonflikt eines Künstlers, der mit der italienischen Unabhängigkeitsbewegung sympathisierte, allerdings wenig geneigt war, seine guten Beziehungen nach Wien zu kompromittieren, dürfte sich noch einmal zugespitzt haben, als der Gouverneur des Lombardo-Venetischen Königreichs, Erzherzog Ferdinand Maximilian, beim Künstler für seine Mailänder Residenz ein Porträt des alten Feldmarschalls Radetzky bestellte.92 Dieses Bild ist auf historischen Aufnahmen des Radetzky-Saals im neuen Militärkasino am Schwarzenbergplatz zu sehen (Abb. 14). Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich um einen Kriegsverlust und man kann in diesem speziellen Fall davon ausgehen, dass der Künstler den Verlust mit Fassung getragen hätte, handelt es sich doch mit dem alten Feldmarschall um einen erklärten Gegner der italienischen Patrioten, dessen Porträt Hayez später in Erklärungsnot gebracht hätte.93 Mit der Annexion der Lombardei durch das Königreich Sardinien (1859), der Proklamation des Königreichs Italien (1861) und dem Beitritt Venetiens (1866) war Hayez auch formell kein österreichischer

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ließ“. D.D. [R. Eitelberger von Edelberg], „Die Kunstausstellung zu Venedig im Jahre 1857“, Oesterreichische Blätter für Literatur und Kunst, 43, 24. Oktober 1857, S. 357. Fünf der sieben Arbeiten, die Hayez 1855 zeigte, sind von Mazzocca ermittelt worden. Es handelt sich um das Selbstbildnis von 1848 (Mazzocca, Francesco Hayez, S. 297–298), die Porträts der Matilde Juva Branca (Ebd., S. 309–310) und Giuseppina Negroni Prati Morosini (Ebd., S. 322), die Historiengemälde Ezzelins Bruder Alberico II. unterwirft sich dem Marchese d'Este (Ebd., S. 304) und Venezianerinnen, die sich durch Verleumdung an einer Nebenbuhlerin rächen (Ebd., S. 317–318). „Aus dem Pariser Ausstellungspalast“, Deutsches Kunstblatt, 37, 13. September 1855, S. 324. In demselben Artikel ist die Rede von den „der österreichischen Schule beigeordneten Künstler[n] aus der Lombardei und Venedig“. „Mailand, 15. Jänner“, Wiener Zeitung, 14, 19. Januar 1858, S. 179. Dieses Porträt ist wahrscheinlich für eine Galerie der österreichischen Gouverneure bestimmt und zu diesem Zweck wurden Molteni und Induno mit Porträts von Prinz Karl Heinrich von Lothringen-Vaudémont und Prinz Eugen von Savoyen beauftragt. Mazzocca, Francesco Hayez, S. 294, nennt ein nicht mehr aufzufindendes Bildnis Radetzkis aus dem Jahr 1846, das bereits in älteren Quellen genannt wird. Vgl. Hayez, Le mie memorie, S. 279. Das Radetzkyporträt wird erwähnt in „Das neue Militärkasino“, Neue Freie Presse, 16819, 20. Juni 1911, S. 11; eine Abbildung zeigt der Artikel von Sp., „Das neue Militärkasino in Wien“, Österreichische Illustrierte Zeitung, 41, 9. Juli 1911, S. 1002–1007, hier S. 1004. An dieser Stelle danke ich Kalina Walter (Heeresgeschichtliches Museum Wien; Mitteilung vom 24. Mai 2018) und Oberst Matthias Schmidl (Offiziersgesellschaft Wien; Mitteilung vom 29. Mai 2018) für die freundliche Hilfe bei meinen Recherchen.

Francesco, Franz, Ritter von Hayez

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Maler mehr. Zwar brachen seine Kontakte zu Wiener Kunst- und Kulturinstitutionen offiziell nicht ab,94 dennoch zeichnete sich nunmehr auch von österreichischer Seite ein allmählich fortschreitender Prozess der Entfremdung ab. Dabei handelt es sich zunächst einmal um ein kunsthistorisches Generationenproblem, denn das in München (1869) und auf der Wiener Weltausstellung 1873 gezeigte Spätwerk des Künstlers (Vittore Pisani und Die letzten Augenblicke des Dogen Marin Faliero) entsprach einfach nicht mehr dem Zeitgeschmack und wurde demzufolge als anachronistische, pathetische Theatermalerei kritisiert.95 Ein Kommentar des Musikwissenschaftlers August Wilhelm Ambros ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, handelt es sich doch mit Ambros um den ersten deutschsprachigen Autoren, der ästhetische Affinitäten zwischen Hayez’ Malerei und der italienischen Oper erkannte, allerdings begegnete er dem Werk des Künstlers mit demselben herablassenden Ton, den die Verfechter des musikalischen Dramas wagnerscher Prägung gegenüber Verdi und Donizetti äußerten:96 Bei vielen dieser Bilder fühlt man sich unwillkürlich an Scenen aus irgend einer tragischen Oper von Donizetti erinnert. Dieselbe äußerliche Leidenschaftlichkeit bei innerer Hohlheit, dasselbe conventionelle Pathos - die gemalte Phrase hier, wie dort die gesungene - ja, diese hartherzigen Herzoge, diese eifersüchtigen Gatten erinnern uns unwillkürlich an diesen, jenen vortrefflichen Barytono, welchen wir in der italienischen Oper gehört, diese in Thränen gebadete oder heroisch aufgerichtete Leonora, Violante, Isabella, Bianca vergegenwärtigt uns die außerordentlichen dramatischen Leistungen einer Pasta, einer Ungher. Schon das bekannte Bild im Belvedere von Hayez „Die beiden Foscari“ hat diesen Zug; wir hören den schmelzenden Tenor Moriani’s in diesem knieenden Dogensohn, wir hören das schmetternde "al supplizio"

94 Im Jahr 1862 erschien ein ausführlicher Artikel in Constantin von Wurzbachs Biographischem Lexikon des Kaisertums Österreich (vgl. „Hayez, Francesco“, in: C. von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaisertums Österreich, Bd. 8, Wien 1862, S. 150–154) und am 31. Dezember 1868 ernannte Kaiser Franz Joseph Hayez zum ausländischen Ehrenmitglied der Wiener Kunstakademie. Vgl. Wiener Zeitung 4, 6. Januar 1869, S. 53. 95 Mazzocca, Francesco Hayez, S. 350–352 (Marin Faliero), 352–353 (Vittore Pisani). Vor dem Hintergrund der 1869 in München ausgestellten zweiten Version des Vittore Pisani urteilte die Wiener Presse, dass die 1869 versteigerte erste Version des Bildes „noch nicht die Entartung in Form und Farbe, welcher der Künstler in der Folge anheimgefallen” vorweise. „Kolowrat’sche Galerie“, Die Presse, XXII, 342, 12. Dezember 1869, o.S. Vgl. dazu auch „Die gräflich Kolowrat’sche Gemäldegalerie“, Wiener Zeitung 286, 14. Dezember 1869, S. 907. Die Presse berichtete, dass Vittore Pisani für 750 Gulden versteigert worden ist, allerdings erzielten die Höchstpreise Arbeiten österreichischer Künstler wie Fendi (1315 Gulden) und Bürckel (1105 Gulden). Am 16. November 1870 wurde ein weiteres, nicht näher genanntes Bild von Hayez aus der Galerie des Triester Sammlers Marcus Amodeo für 701 Gulden durch den Kunsthändler Friedrich Schwarz versteigert. Vgl. „Kunst-Auction“, Neue Freie Presse 2232, 13. November 1870, S. 9; „Kunstauction“, Neue Freie Presse 2238, 19. November 1870, S. 8. 96 Vgl. „Die internationale Kunstausstellung in München“, Illustrierte Zeitung, 1371, 9. Oktober 1869, S. 286 (über Marino Faliero); „Die internationale Kunst-Ausstellung zu München“, Die Dioskuren, XIV, 41, 7. November 1969, S. 326 (Vittore Pisani und Marino Faliero). In Wien stellte Hayez 1873 zwei Arbeiten aus seinem Spätwerk aus: Mailänder Konsuln treffen die Gesandten Friedrichs I. Barbarossa und Die letzten Augenblicke des Dogen Marino Faliero. Vgl. Mazzocca, Francesco Hayez, S. 339, 350–352.

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Alexander Auf der Heyde des Barytons; dieser schwärzlich-brünette Page oder junge Edle, der offenbar ein verkleidetes Weib ist, kann niemand Anderer sein als die Altistin der Oper u.s.f.97

Abgesehen von wenig glücklichen sporadischen Ausstellungen – wie im Falle der Maria Theresia, welche den ungarischen Landständen im Schlosse von Pressburg ihren Sohn Joseph II. vorstellt - verschwand der alternde Hayez auch aus dem Wiener Kunstleben.98 Und es war symptomatisch für die zunehmend nationalistisch geprägte öffentliche Meinung, dass bei der letzten nachweisbaren Ausstellung seiner Beiden Foscari – im Wiener Künstlerhaus 1898 – nicht mehr das Werk, sondern die Herkunft des Künstlers im Mittelpunkt stand: Hayez, der „Nestor der italienischen Maler”,99 wurde nunmehr von der österreichischen Presse verstoßen und stellvertretend in diesem Sinne ist eine Äußerung des Dichters und Kunstjournalisten Hans Grasberger, demzufolge Hayez „nie der österreichischen Kunst an[gehörte]; er und ein Grüppchen anderer Italiener bildeten eine zeitweilige österreichische Kunst-Enclave in Venedig; in der kaiserlichen Gemäldesammlung sind sie

97 A.W. Ambros, „Weltausstellung 1873. Bildende Kunst. Italien. III“, Wiener Zeitung 237, 11. Oktober 1873, S. 1875. Zu den beiden Arbeiten von Hayez bemerkte Ambros: „Zeichnung, Colorit, Gesammthaltung ist des alten Meisters werth, die tragische Kraft aber, selbst die tragische Stimmung stand ihm für seinen Falieri nicht mehr zu Gebote: der Gang zum Tode sieht aus wie ein ruhiger Ausgang des greisen Dogen die Riesentreppe hinab. Hayez hat hier aber endlich wirklich auch nach einem dankbaren und populären Stoffe gegriffen, denn wer kenne nicht das „hic est locus“ u.s.w.?” (Ebd., S. 1875). 98 Im Oktober 1869 zeigte der österreichischen Kunstverein das Bild der Maria Theresia, welche den ungarischen Landständen im Schlosse von Pressburg ihren Sohn Joseph II. vorstellt (dabei handelte es sich wohl um das 1838 in der Accademia di Brera ausgestellte Bild für den Grafen Ambrogio Uboldo. Vgl. Mazzocca, Francesco Hayez, S. 251). Die Reaktionen fielen allesamt sehr kritisch aus: vgl. „Aus dem österreichischen Kunstvereine“, Wiener Zeitung, 236, 13. Oktober 1869, S. 160; „Oesterreichischer Kunst-Verein. Oktober-Ausstellung“, Fremden-Blatt, XXIII, 294, 23. Oktober 1869, S. 5 („[...] geschlafen hat sie [i.e. die Muse] gleichfalls, einen eisernen Schlaf geschlafen, als Hayez in Mailand an dem Gemälde pinselte, das als "Kaiserin Maria Theresia vor den ungarischen Landständen im Schlosse zu Pressburg" ausgestellt ist. Wie schade für das verschwendete Material, wie schade für die vergeudete Zeit! Bekanntlich ist jene Anekdote, nach welcher die bedrängte Maria Theresia den Ungarn ihr Söhnlein Josef als argumentum ad hominem entgegenhielt, längst aus der Geschichte herauskritisirt; allein die Kunst kann wahr machen, was sich nie und nirgends hat begeben, nur muß sie just das Gegentheil von dem thun, was Hayez gethan hat. Diese enthusiastischen Magyaren, die da den Säbel ziehen und für ihre Königin sterben wollen, sind reine Karrikaturen von Menschen, mit einer Fähigkeit, sich zu bewegen, die weit über das Affenhafte hinausgeht; und bei Maria Theresia, was verräth die königliche Natur, die zärtlich besorgte Mutter? Ein Waldmüller’scher Bauernlümmel, der sich - ein Schweinpelz, wie er ist - in die Hand schneuzt, hat zehnmal mehr historische Größe, als irgend eine Figur dieses Bildes, das sich auf einer unendlichen Leinwand dehnt. Und dazu dieses bunte Kolorit, diese harte, materielle Farbe! Wahrlich, wir können nicht begreifen, wie man von diesem Werke je in einem anderen Ton, als dem der tiefsten Mißbilligung hat sprechen können ...”). 99 So bezeichnete ihn die Kunstchronik, XVII, 19, 23. Februar 1882, S. 303. In der Wiener Presse erschien die Todesnachricht mit einer biographischen Skizze: Neue Freie Presse, 6276, 15. Februar 1882, S. 6.

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noch vollständig vertreten.”100 Das letzte Kapitel der mittlerweile unter die Räder der nationalen Ressentiments geratenen Rezeption des Künstlers in Österreich betraf dann auch die Sammlung des Belvedere. Am 29. Dezember 1928 wurde Hayez’ Foscari – einst „gemma di tutti i quadri moderni” im Belvedere101 – von dem Galeristen Luigi Scopinich zusammen mit anderen ebenfalls aus Habsburger Besitz stammenden Arbeiten von Molteni, Passini, Appiani Jr., Induno, Bisi, Inganni und Bouvier in Mailand versteigert.102 Diese ‚Heimkehr‘ ist, wie wir gesehen haben, das Ergebnis einer einvernehmlichen Trennung: nach Ende des ersten Weltkriegs hatte der Künstler aufgrund seiner Staatsangehörigkeit den ihm gebührenden Platz in der österreichischen Kunstgeschichte eingebüßt, während in Italien – vor allem infolge der ihm gewidmeten Retrospektive auf der dreizehnten Kunstbiennale (1922) – das Interesse von Seiten des Publikums und des Kunstmarkts zunahm.103

100 H. Grasberger, „Ausstellung im Künstlerhause“, Wiener Abendpost, 253, 4. November 1898, S. 1. Auch E., „Wiener Kunsteindrücke“, Grazer Tagblatt, VIII, 838, 28. Dezember 1898, S. 1–2, erwähnt Die beiden Foscari „von dem damals als ‚Oesterreicher‘ geltenden Mailänder Francesco Hayez”. 101 Diese Worte über Hayez’ Foscari legte Giuseppe Rovani (1867) dem Direktor des Belvedere (Erasmus Engerth) in den Mund. Vgl. Mazzocca, Francesco Hayez, S. 262. 102 Vgl. Romantici italiani provenienti dalla Casa d'Austria e Collezione Bolasco, Mailand 1928, Taf. IV, n. 116. 103 Vgl. La Biennale di Venezia. Le Esposizioni Internazionali d’Arte 1895–1995: Artisti, Mostre, Partecipazioni Nazionali, Premi, Mailand 1996, S. 78–79.

INNOVATIONEN IN KUNST UND POLITIK: Exemplarische Figuren aus Mylius’ lombardischem Umfeld Christiane Liermann Traniello Abstract: This essay tries to take a closer look at Heinrich Mylius’ personality, his ethical convictions and his political ideas by investigating his relationship with three important contemporary figures: the famous writer and poet Alessando Manzoni (1785–1873); the enormously popular painter Francesco Hayez (1791–1882) and the liberal thinker Carlo Cattaneo (1801–1869), one of the most innovative intellectuals of the Italian 19th century. Since direct, explicit historical sources on Mylius’ moral and esthetical perceptions are rare, the article undertakes a kind of devious route, studying the work and the leading ideas of these three men whom Mylius admired. The hypothesis of the present article is that each of them represented or mirrored aspects of Heinrich Mylius’ own beliefs that combined a deep faith in the divine providence with a strong concept of active citizenship and social and cultural progress thanks to training and education.

1. EINLEITUNG Dieser Beitrag versucht, Heinrich Mylius’ kulturelles und gesellschaftliches Netzwerk in seinem italienischen Umfeld zu analysieren und ideengeschichtlich in den Kontext seiner Zeit einzuordnen, indem er drei prominente Persönlichkeiten vorstellt, mit denen der aus Frankfurt am Main stammende, in Mailand ansässige Kaufmann und Unternehmer Mylius in engem Kontakt stand: Alessandro Manzoni, Francesco Hayez und Carlo Cattaneo. So unterschiedlich diese Drei waren, so gab es doch zwischen ihnen einen gemeinsamen Nenner, der sie wiederum mit Mylius verband. Alle vier Männer besaßen einen aus Geschichtsbewusstsein gespeisten Reformgeist, der sich der Logik eng gefasster Utilität verweigerte. Auf den Gebieten, auf denen sie jeweils tätig waren (Literatur, Malerei, politische Publizistik, kaufmännisches Unternehmertum), strebten sie nach der (Wieder)-Entdeckung von Gemeinschaft und Gemeinwohl und nach einer Renaissance des durch die großen Revolutionen verunsicherten Gemeinwesens. Wenn im Folgenden der Dichter, Schriftsteller und Publizist Alessandro Manzoni (*1785 in Mailand, † 1873 ebenda), der Maler Francesco Hayez (*1791 in Venedig, †1882 in Mailand) und der gelehrte Intellektuelle Carlo Cattaneo (*1801 in Mailand, †1869 bei Lugano) mit ihren Hauptwerken und Leitideen knapp vorgestellt werden, so geschieht dies in der Verlegenheit, einem deutschen Publikum im günstigen Fall das eine oder andere Neue sagen, für die italienischen Leser jedoch lediglich überwiegend bekannte Informationen resümieren zu können. Es besteht zwischen Italien und Deutschland eine beträchtliche Differenz an Vertrautheit im Umgang mit den drei ausgewählten Gestalten. Dieser Umstand legitimiert

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aber vielleicht gerade im Rahmen der vorliegenden Publikation den Blick auf Mylius’ italienisches Umfeld und konkret auf die drei genannten italienischen Repräsentanten der europäischen Kultur des 19. Jahrhunderts. „Exemplarisch“ werden sie hier, bei all ihrer außerordentlichen Singularität, verstanden, insofern sie zeitgenössischen kulturellen Strömungen und Erwartungen, von denen sie selbst geprägt waren, ihrerseits Ausdruck verliehen. In einem Hegel’schen Sinne haben sie den ‚Geist ihrer Zeit‘ in Worte und Bilder gefasst. Ihre Werke haben bestimmte Facetten von Heinrich Mylius’ eigenen Weltanschauungen ebenso angeregt wie gespiegelt, soweit wir davon Kenntnis haben: in der Sprache der Kunst, aber auch auf dem Feld der historischen Deutungen, der religiös-moralischen Einstellungen, der politischen Visionen und Zukunftserwartungen. Eine Betrachtung der Kernanliegen von Mylius’ künstlerischen und politischen Gewährsleuten kann folglich, so lautet die Hypothese dieses Beitrags, Mylius’ eigenen kulturellen Horizont zu verstehen helfen, in dem sich Traditionsbewusstsein und Reformbereitschaft auf charakteristische Weise mischten. Tatsächlich waren auch die drei berühmten Zeitgenossen, die Mylius’ kulturelles Umfeld in Italien mitprägten, je auf ihrem Gebiet – wie Mylius selbst – außerordentlich innovativ, ja revolutionär, sowohl, was die künstlerischen Ausdrucksformen betraf, als auch hinsichtlich ihrer Absicht, zur radikalen Umgestaltung der italienischen Staatenwelt beizutragen. Wichtig ist aber in jedem Falle, festzuhalten, dass die folgenden Ausführungen nicht mehr bieten können als Versatzstücke zwecks Rekonstruktion eines kulturellen ‚Klimas‘, in dem sich Mylius bewegte und mit dem er vertraut war. Ein präziser Nachweis der Übereinstimmung zwischen ihm und seinen prominenten Zeitgenossen hinsichtlich konkreterer weltanschaulich-politischer Fragen lässt sich aufgrund der kargen Überlieferung nicht führen. Daher ist von Mylius selbst auch weniger die Rede als von seinen ‚Gesprächspartnern‘; vieles bleibt bloße Vermutung. Denn die Quellen (überwiegend in Briefform) geben selten direkte, explizite Auskunft zu seinen Überzeugungen und Ansichten. Sofern sie Werkaufträge und Mylius’ eigene Kunstsammlung betrafen, handelte es sich zumeist um praktische Angaben: zur Art und Weise des Zustandekommens des Kontakts mit dem Künstler, zum gewählten Sujet, zu den Kosten, zur Größe und Ausführung des Kunstwerks, dessen Transport und ähnliches mehr. Hier tritt dem Leser ein zupackender Pragmatiker entgegen, kein Theoretiker.1 Aber gerade dieser Umstand rechtfertigt den Versuch, durch die Einbeziehung der literarischen, malerischen und publizistischen Äußerungen seitens prominenter Persönlichkeiten aus seinem Umfeld Rückschlüsse auf Heinrich Mylius’ eigenen ethisch-politischen Horizont zu ziehen.

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Vgl. Mylius’ Korrespondenz im Dokumententeil von R. Pavoni (Hrsg.), ‚… rispettabilissimo Goethe… caro Hayez… adorato Thorvaldsen…‘. Gusto e cultura europea nelle raccolte d’arte di Enrico Mylius, Venedig 1999, ab S. 157.

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2. ALESSANDRO MANZONI: VON DEN GRENZEN MENSCHLICHER AUTONOMIE In diesem Sinne sei hier nun zunächst der Blick auf den Dichter und Denker Alessandro Manzoni gerichtet (den Mylius’ bevorzugter Maler Francesco Hayez in einem kanonisch gewordenen Portrait verewigt hat), wobei aus der Fülle der Aspekte, die man aus Manzonis gewaltigem Oeuvre herausgreifen könnte, hier lediglich einige wenige Leitmotive herausgehoben seien, die einen Gleichklang zu Mylius’ Denken aufweisen könnten.2 Manzonis frühe Schaffensphase stand ausdrücklich im Zeichen seiner Bewunderung für die Französische Revolution und für Napoleon, von dem ja auch Heinrich Mylius fasziniert war, wie die Napoleon-Darstellungen in seiner Villa am Comer See belegen. Die Drucke und Stiche in Mylius’ Besitz zeigen allerdings, dass es nicht allein der siegreiche Feldherr war, für den er sich interessierte. Er sah in Napoleon auch nicht nur den großen, lang ersehnten Anführer, der unter den Italienern endlich Einheit stiften würde – jenen ‚Steuermann‘, dessen Fehlen schon Dante als italienische Tragödie beklagt hatte. Vielmehr umgab sich Mylius mit Napoleon-Abbildungen, die von Aufstieg und Fall, von fortune und Absturz eines herausragenden und zugleich beispielhaften Menschenlebens erzählen sollten. In Mylius’ Galerie traf man auf den heldischen und den gescheiterten Napoleon, und sein Schicksal las sich wie ein Memento der Parabel vom glückhaften Aufstieg und vom Untergang eines von „Fortuna“ verlassenen Menschen. Hier zeigte sich ein Grundthema der myliusʼschen Weltanschauung: die Einsicht in die Allmacht der Vorsehung und die Begrenztheit der menschlichen Verfügungsgewalt über den Gang der Dinge – eine Einsicht, die die moralische Verpflichtung zu Anstrengung und Leistung nicht aufhob, aber an die Schranken erinnerte, die dem menschlichen Gestaltungsehrgeiz gesetzt waren. Von Manzoni wissen wir, wie gesagt, dass er als junger Mann ein überzeugter, begeisterter Anhänger der Französischen Revolution war. Er teilte ihre Forderung nach politischen Reformen, die das Ancien Régime überwinden und bürgerliche Freiheit und Gleichheit einführen sollten. Seine Kritik richtete sich gegen die Feudalgesellschaft, die absolute Monarchie und die katholische Kirche, insofern sie sich als Instrument von Unterdrückung und Tyrannei zur Verfügung stellte.3 Auf Dantes, Petrarcas und Machiavellis Spuren beklagte Manzoni die endemische Zwietracht unter den Italienern als Hauptgrund für deren Unfähigkeit zur sozialen und kulturellen Kohäsion und Regeneration sowie zum Anschluss Italiens zu den fortschrittlichen Nationen in Europa.4 Ähnliche Aussagen finden sich auch bei Heinrich Mylius. In einer Passage aus seinem Brief vom 21. Juli 1833 an Großherzog Carl August von Sachsen Weimar äußerte sich Mylius kritisch zum Mangel an 2 3 4

Vgl. insgesamt zu dem Dreieck Mylius-Goethe-Manzoni H. Blank, Weimar und Mailand.Briefe und Dokumente zu einem Austausch um Goethe und Manzoni, Heidelberg 1992. Vgl. M. D’Addio, Manzoni politico, Lungro di Cosenza 2005, S. 7. Vgl. A. Lübbers, Alfieri, Foscolo und Manzoni als Leser Machiavellis, Würzburg 2015, S. 215– 216.

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Berechenbarkeit und Stringenz der italienischen Reformabsichten im Geist der national-liberalen Bewegungen: […] es ist mir die Unruhe noch sehr gegenwärtig in welcher wir hier gerade zur Zeit schwebten, als ich die Ehre hatte, in Begleitung einiger Hefte der Biblioteca Italiana, Ewre Königlichen Hoheit zum letztenmahl zu schreiben - - es würde in jenen Tagen unsern westlichen Nachbarn ein leichtes gewesen seyn, zu uns herüber zu kommen, wo alles gewissermassen schon auf ihren Empfang vorbereitet war – der Feuer Eifer hielt aber nicht so lange, und alles hat sich seitdem auf eine Weise aufgelöst, wie solches selbst von denen die die geringste Idee von der Sache gefasst hatten, nicht erwartet wurde – es ist überhaupt – wenn wir einzelne sehr achtungswerthe Personen ausnehmen – mit dem Liberalismus in diesen Landen, sowohl in Worten als Handlungen nicht weit her, und was die Indipendenza anbelangt, die so gar viele im Munde führen, und um welcher sie die halbe Welt erstürmen zu wollen scheinen, so sollte das Streben nach einer Unabhängigkeit im äussern, sich wohl überall zuerst durch die Behauptung einer Unabhängigkeit an und über sich selbst, und in eigenen inneren Verhältnissen bewähren, zu welcher aber die Menschen in diesem Lande, bey dem Ueberfluss in dem sie leben, dem Egoismus der ihnen anklebt, und ihre Abneigung gegen irgend etwas was Opfer oder Anstrengung erfordert weniger als irgend wo anders sich eignen, daher uns andern die wir im eignen Vaterlande unter fremder Obermacht ganz anders haben leiden und erdulden müssen, nur lächerlich erscheinen kann, wenn wir so manche unberufene Apostel hier, so gut sie es übrigens im Grunde auch meynen mögen, sich in ihren Vergleichen doch meist auf Dinge berufen sehen, die schon darum keinen Vergleich aushalten, weil man anderwärts Entsagungen und Opfer nicht achtete deren hier nur wenige fähig sind, und zu deren Nothwendigkeit der gesegnete Boden Italiens auch lange noch nicht wird schreiten machen – Indessen spuken nun einmal die unreifen Ideen in den meisten Köpfen über die ganze Halbinsel hin und bey etwas besserer Haltung in dem letzten Kampfe, würden sie vielleicht auch etwas erlangt haben das wenigstens der Eitelkeit geschmeichelt hätte, und um welch schwache Befriedigung sie sich nun auch elend gebracht.5

Eine solche Einschätzung stellte natürlich keine isolierte Meinung dar, sondern entsprach einer weitverbreiteten Ansicht unter Europas Intellektuellen und Staatsmännern, die besagte, die Italiener seien strukturell unfähig zur politischen Einheit; Einheit und Einigkeit seien schlicht kein prioritäres Gut der italienischen Kultur, die vielmehr von permanenter, oftmals chaotischer Rivalität und Konkurrenz lebe. Eine maßgebliche Quelle solcher Parameter bildete sicherlich J.C.L. Simonde de Sismondis vierbändige Geschichte der italienischen mittelalterlichen Republiken, in der der Schweizer Autor und Haupt-Kontrahent für Manzoni unter der Kapitelüberschrift „Welches sind die Gründe, die den Charakter der Italiener seit der Unterwerfung ihrer Freistaaten verändert haben?“ eine kritische Bestandsaufnahme der kollektiven Eigenschaften des italienischen Volks vorlegte. Mylius wiederum flocht in die Skizze, die er Großherzog Carl August bot, zwei weitere gängige Topoi ein, die sich ebenfalls bei Vordenkern des italienischen Risorgimento fanden: die These, politische Autonomie/Unabhängigkeit könne nur das kollektive Produkt

5

Mylius’ Brief ist abgedruckt in Pavoni (Hrsg.), ‚… rispettabilissimo Goethe… Caro Hayez… adorato Thorvaldsen…‘, S. 165–166. Vgl. auch J.W. von Goethe, „Weimar und Mailand. Briefe und Dokumente zu einem Austausch um Goethe und Manzoni“., in: H. Blank (Hrsg.), Weimar und Mailand: Briefe und Dokumente zu einem Austausch um Goethe und Manzoni Beitragäge zur neuen Literaturgeschichte, Heidelberg 1992, S. 210.

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vorgängiger moralischer Selbstbeherrschung und innerer Freiheit der Individuen sein (und diese fehlten vielen Italienern); sowie zweitens: nationale Selbstregierung/Unabhängigkeit sei das Endresultat eines Reifungsprozesses und könne daher nicht undifferenziert von jedem beliebigen Sozialverband eingefordert werden. Metternich hatte dieses Urteil bekanntlich auf die medienwirksame Formel gebracht, Italien sei überhaupt kein politisch denkbarer Körper, sondern (so wie Deutschland!) nichts weiter als ein „nom géographique“.6 Für Manzoni handelte es sich bei den Konflikten und Kriegen auf italienischem Terrain hingegen tatsächlich um „Bruderkriege“, nicht um kriegerische Auseinandersetzungen zwischen unabhängigen Territorialstaaten. Er war überzeugt, dass die Italiener ein Volk mit einem gemeinsamen kulturellen Erbe bildeten und dass sie dieses Erbe als geeinte Nation entfalten und für die Zukunft fruchtbar machen müssten. Eines seiner berühmtesten lyrischen Stücke mit dem Titel März 1821 verkündete, die italienische Einheit bestehe doch bereits: als Waffengemeinschaft ebenso wie hinsichtlich der gemeinsamen Sprache, der Religion, der Geschichte, der Abstammung, der geteilten Erfahrungen von Leid und leidenschaftlicher Begeisterung. So entsprach es seiner Überzeugung, dass es gemeinschaftsstiftende, ‚patriotische‘ Werte gebe, die höher zu schätzen seien als der Nutzen von Einzelnen, Stämmen oder Kleingruppen. In Traktaten, aber auch in fiktionalen Werken hat Manzoni diese Idee immer wieder thematisiert und gerechtfertigt, und er hat speziell solche Konflikte erzählerisch und dramatisch inszeniert, wie sie aus widerstreitenden Normen und Loyalitäten gegenüber dem eigenen Gewissen, der Familie oder gegenüber dem politischen Gemeinwesen erwachsen konnten. Dabei vertrat er in seinen frühen lyrischen Arbeiten ein Deutungsparadigma der italienischen Geschichte, das von Niccolò Machiavelli stammte (den Manzoni zunächst nicht selbst gelesen, sondern vermittelt durch zeitgenössische Autoren kennengelernt hatte).7 In seinen Kommentaren zu Liviusʼ Römischer Geschichte (Discorsi) hatte Machiavelli behauptet, die Ursache für den Zerfall und Verfall Italiens liege in der besonderen Doppelrolle des Pontifex, der Landesherr und Kirchenoberhaupt zugleich war. Der junge Manzoni übernahm diese Lesart: Wie Machiavelli gab er der Konstruktion der Römischen Kirche, in welcher Territorialherrschaft und religiöse Führung in eins fielen, die Schuld nicht nur an der politischen Zersplitterung Italiens, sondern auch am moralischen Niedergang des italienischen Volkes.8 Die Tatsache, dass die römische Kirchenspitze nicht zwischen irdischen Machtinteressen und aufs Jenseits gerichteten Heilsinteressen unterschied, hatte die Religiosität der Italiener korrumpiert, auf den rein äußerlichen Ritualvollzug reduziert und einem zynischen Camouflage-Modus des Religiösen Vorschub geleistet.

6 7 8

Zitiert nach L. Malusa, Antonio Rosmini per l’unità d’Italia. Tra l’aspirazione nazionale e fede cristiana, Mailand 2011, S. 59. Vgl. dazu A. Lübbers, Alfieri, Foscolo und Manzoni, S. 223 und passim. Vgl. auch D’Addio, Manzoni politico, S. 9–12.

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Zu dieser klerus- und kirchenkritischen Sicht auf Machiavellis Spuren ging Manzoni jedoch auf Distanz, als er – nicht zuletzt durch die Verbindung zu Enrichetta Blondel, die eine gläubige Protestantin calvinistischer Observanz war – im Laufe seines dritten Lebensjahrzehnts die christliche Spiritualität für sich entdeckte. Die von Manzonis Zeitgenossen und in der Manzoni-Forschung vielfach diskutierte Frage nach den Gründen und genauen Umständen seiner ‚Konversion‘ zum katholischen Glauben (dem sich seine Frau anschloss) braucht im Zusammenhang dieses Aufsatzes nicht weiter vertieft zu werden. Festzuhalten bleibt, dass Manzoni sich der innerhalb der katholischen Kirche umstrittenen, als häretisch gebrandmarkten Frömmigkeit jansenistischer Prägung verbunden fühlte, die im Verdacht stand, implizit reformatorisches Gedankengut zu pflegen.9 Manzonis Nähe zu dieser besonderen Spielart des Katholischen, die als elitär und asketisch galt und die Innerlichkeit des Glaubens propagierte, während sie das äußere Zeremoniell, die institutionalisierte apostolische Sukzessionsgarantie und die öffentliche, politische Präsenz der katholischen Kirche abwertete, lässt sich als Indiz dafür lesen, dass er letztlich, trotz seiner neu entwickelten Hinwendung zum katholischen Credo, der Kritik aus seiner früheren Schaffensperiode an der Vermischung weltlich-staatlicher Interessen mit spirituell-religiösen Anliegen treu blieb. Er hatte eine Glaubensüberzeugung , die bezeichnende Ähnlichkeiten zu derjenigen von Heinrich Mylius aufwies, soweit wir letztere anhand seiner wenigen Selbstzeugnisse rekonstruieren können. Aufschlussreicher als die kargen Selbstaussagen sind vielleicht in diesem Zusammenhang die Kunstwerke, die Mylius nach 1830, nach dem Tod seines einzigen Sohnes, in Auftrag gab. Denn diese Werke (meist Skulpturen) waren ja nach Mylius’ Willen explizit als Träger von Botschaften gedacht: als Materialisierung und Bildgebung von Deutungen des eigenen, individuellen Schicksals und zugleich jener Gesetzmäßigkeiten, die Mylius’ Auffassung nach dem Gang der Menschheitsgeschichte insgesamt zugrundlagen. Da diese von Mylius angeregten religiösen Aussagen in der Sprache der Kunst, in gestaltetem Marmor, zeitlich auf Manzonis religiös inspirierte Literatur folgten, soll hier zunächst Manzonis gelehrte und künstlerische Bearbeitung des Religionsthemas mit ihren politischen und kulturellen Implikationen noch weiter entfaltet werden, wie sie in den Werken seiner intensiven Schaffensphase in den 1820er Jahren zum Ausdruck kam.10 Das persönlich entdeckte Christentum ließ Manzoni abrücken von den antiklerikalen Tönen seiner Frühzeit. Zwar übernahm er von den kirchenkritischen Aufklärern (man denke an die Polemiken eines Pietro Giannone) den Topos, der Konflikt zwischen Staat und Kirche bilde das Hauptmovens der geschichtlichen Entwicklung – im Allgemeinen und speziell in Italien –, aber er kehrte die daraus abgeleitete Anklage der Aufklärer um: Nicht die Kirche hatte die Einheit Italiens torpediert, sondern die Machtgier der zahlreichen kleineren und größeren „Signori“, 9

Vgl. M. Rosa, Il giansenismo nell’Italia del Settecento. Dalla riforma della Chiesa alla democrazia rivoluzionaria, Rom 2015. 10 Es sind die Betrachtungen zur katholischen Moral (1819), die Tragödien II Conte di Carmagnola (1820) und Adelchi (1822), der Traktat Diskurs zu einigen Punkten der langobardischen Geschichte in Italien (1822) sowie den ersten beiden Fassungen des Romans I Promessi Sposi.

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die sich zum Schaden des Volks, an dessen Seite die Kirche seelsorgerisch stand, in permanentem Kriegszustand befanden. Der augustinisch-jansenistisch gefärbte neue Glauben bestärkte Manzoni in seiner pessimistischen Überzeugung von der latenten Gewaltbereitschaft des Menschen. Die „Starken“, deren Konkurrenzdenken, Brutalität und Rücksichtslosigkeit in seinen Augen die Sphäre des Politischen charakterisierten, standen gemäß Manzonis Weltbild gegen die „Schwachen“, die kleinen Leute, denen doch dank der christlichen Verkündigung eine einmalige Würde zukam. Solche Dichotomien kennzeichneten sein Oeuvre, auch sein bekanntestes Werk, den Roman Die Verlobten.11 Er war überzeugt, die „Masse“ brauche einen Führer, ja, er beschwor poetisch die Ankunft eines solchen „großen Mannes“. Einheit, Ordnung und sozialer Zusammenschluss waren in seinen Augen niemals spontan-naturwüchsig, sondern konnten nur dank der Führung eines starken Einzelnen gelingen; ohne eine solche Kraft repräsentierten die Massen Unordnung und Chaos. Aber Manzoni misstraute andererseits dem Ausbeutungs- und Unterdrückungswillen, der jeder Form von Überlegenheit innezuwohnen schien. Trotz seiner religiösen Konversion blieb er Machiavellis gelehriger Schüler in der Frage von Einheit und Unabhängigkeit der Italiener. Tatsächlich war er neben Giuseppe Mazzini bis zur europäischen Revolution von 1848 der einzige Intellektuelle in Italien, der Unabhängigkeit und Einheit zusammendachte und als interdependent betrachtete (angesprochen beispielsweise in der Proclama di Rimini).12 Aber er war gleichfalls überzeugt, dass nicht jede beliebige flächendeckende Herrschaft schon eine echte „Einheit“ des Volkes erzeugte. Dieser Zweifel bildet den Leitfaden seiner Abhandlung „Diskurs zu einigen Punkten der langobardischen Geschichte in Italien“ (1822), die parallel zu der Tragödie Adelchi (ebenfalls 1822 publiziert) entstand. Deren historischen Hintergrund bildeten die Auseinandersetzungen zwischen Langobarden, Karolingern und angestammten Einwohnern in Italien im VIII. Jahrhundert. Welcher dieser Akteure, so lautete das Kernanliegen des Stücks, konnte für sich in Anspruch nehmen, mit seinen Interessen und Entscheidungen dem Gang der Historie und dem Plan der Vorsehung zu entsprechen, wenn man idealistische und moralische Kriterien zugrundlegte? Mit dem Traktat zur „langobardischen Geschichte in Italien“, der die Tragödie gewissermaßen aus der Perspektive des ethisch urteilenden Historikers kommentierte, nahm Manzoni Stellung in einer über Jahrhunderte intensiv geführten öffentlichen Auseinandersetzung, in der die großen historischen Fragen nach den Grundlagen einer möglichen „Kontinuität“ der europäischen Geschichte von römischer zu nachrömischer Zeit und nach der Identität der europäischen Völker angesichts der großen Migrationen verhandelt wurden. Die aufklärerischen Wortführer der Debatte hatten überwiegend, wiederum auf Machiavellis Spuren, die Vitalität der durch Europa wandernden „Barbaren“-Völker gepriesen und die These vertreten, in Bezug auf Italien müsse man von einer „Ver-

11 A. Manzoni, Die Verlobten. Eine Mailändische Geschichte aus dem 17. Jahrhundert, übers. v. E. Schröder, hrsg. v. K.M. Guth, Berlin 2016. 12 A. Manzoni, Poesie e tragedie. Introduzione e commento di Gaetano Trombatore, Mailand 1957, S. 120 (Proclama di Rimini, V. 34–36).

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mischung“ der lateinisch-italienischen Völkerschaften mit den langobardischen Immigranten und Eroberern ausgehen. Die Langobardenzeit sei eine Phase vielversprechender Einigungsversuche gewesen; aber die Päpste hätten diese frühen Bemühungen sabotiert durch Herbeirufung „ausländischer“ Mächte (der Karolinger) – ein fatales Muster, das sich dann um den Preis ewiger „nationaler“ Zerrissenheit perpetuiert habe. Manzoni entfaltete in seinem Traktat die Gegenthese: Es sei ein durchgängig europäisches Phänomen, dass in einem Land infolge von Wanderungsströmen und Eroberungen mehrere, kulturell unterschiedliche Völker lebten. Unterschiedliche Gemeinschaften bildeten sich heraus und blieben zunächst als solche erhalten. Welcher Grad an Integration im Laufe der Zeit möglich war, hing von kontingenten Umständen ab. In seinen Betrachtungen verwandte Manzoni ein Paradigma der nachrevolutionären Geschichtsschreibung vor allem französischer Provenienz, mit der er vertraut war, indem er forderte, der Historiker dürfe nicht nur auf die Aktionen der Hauptpersonen, der Könige und Heerführer, blicken, von denen die Quellen meistens berichteten.13 Man müsse vielmehr auf den Subtext schauen, auf das, was den Alltag der Gesellschaft, „des Volks“, bestimmt habe, aber meist nur implizit mitgeteilt werde, weil es für die Zeitgenossen so selbstverständlich war, dass es den Chronisten gar keiner eigenen Meldung wert schien. Eine Geschichte ‚von unten‘, die die Lebenswirklichkeit der namenlosen Vielen zu erfassen versuche, sei aber dem Geist der Zeit besser angemessen als die Konzentration auf einen exklusiven Kreis namhafter Figuren. Unterhalb der Ebene der Taten prominenter Protagonisten sollten auf diese Weise die tatsächlichen, effektiven Wirkkräfte im historischen Prozess sichtbar werden.14 Diese Auffassung korrespondierte bei Manzoni mit einer Überzeugung, die Heinrich Mylius teilte: dass sich die Dynamiken der Geschichte der Lenkung und Gestaltung durch den einzelnen weitgehend entzogen – wobei natürlich der tatsächliche Radius der möglichen Einflussnahme die entscheidende Inkognite bildete. Beide Männer hegten jedenfalls große Skepsis gegenüber dem Ideal von Machbarkeit und Beherrschbarkeit, wie es als Kennzeichen der ‚Moderne‘ galt. Sie stimmten darin überein, dass die Bereitschaft des modernen Menschen, die Selbstbestimmung und den eigenen Einfluss auf das Schicksal zu überschätzen, eine Form von Hybris war, die sich der Leugnung der sündhaften Menschennatur verdankte. Nur von der Anerkennung der Sündhaftigkeit, sprich: Begrenztheit her ließe sich die Balance zwischen moralischer Verpflichtung zum Handeln einerseits und Allmachtsphantasien andererseits finden. Die notwendig erachtete Einbeziehung der als erlösungsbedürftig verstandenen Menschennatur bildete die Basis für Manzonis und Mylius’ Kritik am Utilitarismus. Denn ohne metaphysischen Rahmen und ohne eine apriorische Werteskala ließe sich gar nicht bestimmen, was ‚Nutzen‘ bedeutete. Manzoni hat diese Kritik unter anderem in seinem Traktat „Betrachtungen zur katholischen Moral“ (1819) gegen 13 Nach wie vor überzeugend zum Paradigmenwechsel der nachrevolutionären Geschichtsschreibung B. Croce, „La scuola cattolico-liberale e la storia d’Italia e del mondo”, in: ders. (Hrsg.), Storia della storiografia italiana nel secolo decimonono, Bd. 1, Bari 1964, S. 122–154. 14 Vgl. R. Pezzimenti, „Manzoni e la Rivoluzione Italiana“, Res Publica 17 (2017), S. 61–77.

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Machiavelli vorgetragen: Sobald Machiavelli in seinen geschichtlichen Werken die ‚Utilität‘ als einziges Urteilskriterium heranziehe, versage er als Historiker, weil das Kriterium vom ‚Nutzen‘ leer und starr sei, keine Richtung des historischen Verlaufs angebe und keinen Erzählmodus für die Vielfalt der historischen Erscheinungen gestatte. Eine rein innerweltliche Definition von Nutzen musste willkürlich bleiben.15 Zugleich formulierte er gegen Machiavelli eine moderne Apologie des Katholizismus und der katholischen Kirche, insofern diese antiutilitaristisch handelte und das ‚einfache Volk‘ als eigentlichen Hauptakteur des historischen Geschehens ins Zentrum rückte. Manzoni ist als maßgeblicher Vorläufer einer Strömung in der italienischen Nationalstaatsbewegung des 19. Jahrhunderts angesehen worden, die erst abfällig, dann beifällig „neoguelfisch“ („neuwelfisch“) genannt wurde. Ihre Anhänger waren überzeugt, die patriotische Identität der Italiener als Nation sei durch die verbindende christliche Konfession, durch das gemeinsame KatholischSein garantiert, und der katholischen Kirche, konkret: Dem Papsttum komme eine spirituelle und kulturelle Leitfunktion in einem wie auch immer zu gestaltenden nationalen Einigungsprozess zu. Anders als der wichtigste Wortführer des Neoguelfismus, Vincenzo Gioberti, wollte Manzoni „das Katholische“ jedoch nicht im Sinne einer nationalen Bewegung politisch verstanden wissen oder funktionalisieren. Seine persönliche Glaubensgeschichte war, wie bereits erwähnt, geprägt durch die Begegnung mit dem Jansenismus. Sein Werk und seine Selbstzeugnisse dokumentieren seine Nähe zu Positionen dieser moralisch strengen, dem Calvinismus nahestehenden, vom Glauben an die Erbschuld durchdrungenen Lehre. Während jedoch im Jansenismus die Überzeugung von der irreparablen Beschädigung der Schöpfung und der Menschengeschichte dominierte, die aufgrund der menschlichen Sündhaftigkeit als Gewalt- und Unrechtsgeschichte verstanden werden musste, entfaltete Manzoni in seinen Traktaten, Dramen und in seinem berühmtesten Werk, dem Roman Die Verlobten, eine Vorstellung von der Verantwortlichkeit des Einzelnen, der sich, wenn er nur wollte, von der Sünde abwenden konnte. Gleichwohl blieben solche Entscheidungssituationen dramatisch und tragisch, so wie Manzoni jede Lebenswirklichkeit von der vernichtenden Macht der Irrationalität und Gewalt bedroht schien. Damit korrespondierte seine Idee von Kirche als der radikalen Opposition zu säkularen Werten und Ambitionen. Dieses Leitmotiv durchzog seine gelehrten Abhandlungen ebenso wie die Tragödien, in denen er den Konflikt zwischen Staatsraison, Familienloyalität und Humanitätsgebot, welchem der Einzelne moralisch zu folgen hatte, zuspitzte. Stellvertretend sei an das Stück Il Conte di Carmagnola erinnert (1820), in dem die Hauptfigur zwischen Staatszweck und Freundespflicht aufgerieben wird. Was mit Blick auf den Staatsnutzen ‚Verrat‘ bedeutete, war aus der Perspektive der Freundschaft moralisches Gebot.

15 1834 ergänzt Manzoni das III. Kapitel der Betrachtungen zur katholischen Moral um einen Essay mit dem Titel „Von dem System, das die Moral aus der Utilität herleitet“ („Del sistema che fonda la morale sull’utilità“).

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Der Held gehorchte seinem Gewissen und rettete die Freunde, wofür er mit dem Tod bezahlte.16 Die vom Christentum rehabilitierte Tugend der Humilitas erschien Manzoni als einzig wirksames Antidot gegen weltlichen Ehrgeiz und Präpotenz. Letztere entsprachen in seinen Augen einem antikisch-heroischen Tugendkanon, den er als unzeitgemäß, leer und verlogen zu entlarven suchte. Denn den großen Helden und den großen Schurken entging, dass sie nichts weiter waren als Werkzeuge der Vorsehung in einem umfassenden eschatologischen Sinn. Seine apologetische Schrift über die ‚katholische Moral‘ betonte als alternatives Normmodell die Würde der Leidensfähigkeit und des Beharrungsvermögens der Unterdrückten. Tatsächlich spielte sich für Manzoni das Wesentliche, der eigentliche Sinn der Geschichte sub specie aeternitatis nicht auf der Staatsebene, im Wechsel stets labiler Machtverhältnisse ab, sondern in der Unvergänglichkeit der Nationen. Dass es besser sei, zu leiden als Leid zuzufügen, erachtete er dabei als das maßgebliche Gebot der christlichen Lehre, welches allein die Nutzenmaxime zu brechen und in eine humane Dimension einzuordnen imstande war.17 Umgekehrt galt für ihn: Nur durch dieses Gebot, also auf indirektem Wege, ‚nutzte‘ das Christentum dem Gemeinwesen. Es hieß, die Religion zu verfremden, wollte man sie als Herrschaftsinstrument zur Herstellung von Gefolgschaft oder Gruppenidentität im Sinne von Machiavellis oder Rousseaus „Zivilreligion“ einsetzen.18 Manzonis Credo lautete demgegenüber, der Wert der Religion bestehe in der „innerlichen“ Bildung des Herzens, nicht in einer äußeren politisch-sozialen Funktion. Das Menschenschicksal, das er auf diese Weise zeichnete, war ein stetiges Balancieren auf schmalem Grat: Es gehörten dazu eine quietistische Fügsamkeit in den überlegenen Plan der göttlichen Providenz und die Einsicht in die menschliche Ohnmacht, durch die jedoch das Postulat von der Freiheit des menschlichen Willens nicht in Frage gestellt werden durfte. Die Anerkennung der Grenzen der menschlichen Verfügungsgewalt machte die Verantwortung des Einzelnen für die eigenen Entscheidungen nicht obsolet, und das Walten göttlicher Gnade im Gesamtverlauf der Geschichte enthob ihn nicht der individuellen Pflicht zur Rechenschaft für sein Handeln. Im günstigen Fall, so hat es Manzoni an den Figuren seines großen Romans vorgeführt, sorgte diese Konstellation für Demut und Caritas, die dann mittelbar durchaus auch soziale Wirkungen zeitigen konnten.19 Heinrich Mylius’ Biographie lässt sich vor diesem Hintergrund geradezu als die einer „Manzoni-Figur“

16 Vgl. A. Manzoni, Il conte di Carmagnola, a cura di Gilberto Lonardi, commento e note di Paola Azzolini, Venedig 2005. 17 Ich erlaube mir, für diesen Kontext auf meinen Aufsatz hinzuweisen: „‚Ehre‘ und ‚Würde‘ bei Alessando Manzoni und bei Antonio Rosmini“, in: V. Fiorillo / M. Kahlo (Hrsg.), Wege zur Menschenwürde, Münster 2015, S. 249–264. 18 A. Chiari / F. Ghisalberti (Hrsg.), Opere morali e filosofiche di Alessandro Manzoni, Mailand 1962, S. 537 (hier „Osservazioni“). 19 Vgl. D. Consoli, „Il ‚vero‘ manzoniano tra storia e metastoria”, Misure critiche, 19 (1976), S. 20–27.

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lesen, insofern er aus der demütigen Einsicht in die Überlegenheit der providentiellen Fügung die eigenen Handlungsmöglichkeiten auf dem Feld der Nächstenliebe und des sozialen Engagements entdeckte. 3. MYLIUS’ SKULPTURENSAMMLUNG: ZEITGENÖSSISCHE KUNST ZUR DEUTUNG DES MENSCHLICHEN GESCHICKS Manzonis Kritik an einer möglichen Funktionalisierung der Religion und seine Auffassung der Theodizee, gemäß welcher die göttliche Vorsehung und Gnade mit dem freien Willen des Menschen zusammengedacht werden mussten, entsprachen, wie angedeutet, Heinrich Mylius’ religiöser Sensibilität. Die Intimität des individuellen Seelenhaushalts bildete auch für Mylius den Raum des Religiösen, nicht die Öffentlichkeit, auf die der Glauben nur indirekt (dann allerdings machtvoll) einwirkte. Wie eng verwandt Mylius’ religiös-moralische Überzeugungen denjenigen Manzonis waren, soll im Folgenden anhand der Deutung einzelner Skulpturen der Kunstsammlung in seiner Villa am Comer See näher skizziert werden. Besonders aufschlussreich hinsichtlich ihrer theologisch-ethischen Botschaft erscheint in unserem Kontext die Skulptur der „Eva“, die Mylius für seine Statuensammlung in der Villa am Comer See erwarb. Sie war ein Werk des Bologneser Bildhauers Cincinnato Baruzzi (1796–1878) und entstand im Jahr 1840. Der zeitgenössische Kommentar des Frankfurter Wissenschaftlers Eduard Rüppell (1794– 1884) zu Mylius’ Kunstsammlung erläuterte, die Statue zeige Eva, wie sie über die „Verführung zur Sünde“ nachdenke, zu der die Schlange sie „verlocke“.20 Der Themenkonzeption lag weniger die biblische Genesis-Erzählung als vielmehr John Miltonʼs episches Gedicht Paradise Lost (1667) zugrunde, das Heinrich Mylius in diversen Ausgaben besaß.21 [Ein aparter twist of fate ist die Tatsache, dass sich wichtige Informationen zu Miltonʼs Biographie den Aufzeichnungen eines gewissen Hermann Mylius verdanken, der als Gesandter des Herzogs von Oldenburg 1651 Milton in London kennenlernte.] Wie wichtig für Heinrich Mylius gerade die Eva-Statue war, lässt sich auch daran ablesen, dass sie den Auftakt zu seinem Skulpturen-Park in der Villa in Loveno bildete.22 Tatsächlich war John Miltonʼs Kernthema, der Nachweis der Koexistenz von göttlicher Vorsehung und freiem Willen des Menschen, auch für Mylius das große Lebensthema seiner privaten Sinnsuche. In Paradise Lost fand er

20 Vgl. E. Rüppell, Erklärende Notizen zu einer Reihenfolge bildlicher Darstellungen der Villa Mylius zu Loveno am Comer See und der benachbarten Gegend. Von einem vieljährigen Freunde der Familie Mylius entworfen, Mailand 1852, S. 6. 21 Vgl. Artikel „Mylius, Hermann“, in: A Milton Encyclopedia 5 (1978) S. 153. Hermann Mylius (1600–1657) reiste im Juli 1651 im Auftrag des Herzogs von Oldenburg in diplomatischer Mission nach London, wo er Milton begegnete und mit ihm Freundschaft schloss. 22 Vgl. T. Besing, „Il patrimonio scultoreo di Villa Vigoni: il Salone delle statue“, Villa Vigoni Comunicazioni/Mitteilungen 1 (1997), S. 14–21.

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eine unorthodoxe, originelle Interpretation von Schöpfung und Geschichte, die seinem Weltbild entsprochen haben muss. Denn Milton ließ die Menschheitsgeschichte nicht erst mit der Vertreibung aus dem Paradies beginnen. Geschichte, Körperlichkeit, Liebe und Zeitlichkeit waren bei ihm nicht das Produkt von Sünde und Strafe, also einer Beschädigung der Schöpfung, sondern gehörten zum Paradies, das der Autor als Bühne der geradezu romantischen Beziehung zwischen Adam und Eva schilderte.23 Es scheint nicht abwegig, anzunehmen, dass Mylius in der Episode der Evadie tragenden Gedanken von Miltonʼs gesamtem Schaffen konzentriert sah, also nicht zuletzt dessen Überzeugung von der Toleranz und gnädigen Nachsicht des Schöpfers gegenüber den Verfehlungen seiner Geschöpfe. Miltons Plädoyers für religiöse Toleranz hatten ja mit der Analogie von göttlicher und weltlich-kirchlicher Autorität argumentiert. Danach ließ Gott Glaubensirrtümer und Fehler zu, damit Gerechtigkeit, Wahrheit und Standfestigkeit umso deutlicher hervorträten.24 Entsprechend sollten auch die menschlichen Institutionen von der Strafverfolgung abweichender Meinungen und Dogmen absehen. Denn die Wahrheit, so Milton, setze sich niemals durch Zwang, sondern stets nur in der freien, offenen Auseinandersetzung durch. Diese kühne Sinnstiftung, die darauf hinauslief, dass auch Denkfehler und moralische Irrtümer letztlich zum Erkenntnisfortschritt und zur Durchsetzung des Guten beitrugen, erstreckte sich in Miltonʼs Verlorenem Paradies sogar auf die ‚Urschuld‘ der Eva. Diese rechtfertigte in seinem Epos ihre Tat mit Vernunftgründen. Sie handelte aus freiem Willen, sie kannte das göttliche Gesetz, gegen das sie das Gesetz der Vernunft ins Feld führte. Das Verbot, die Frucht der Erkenntnis zu essen, verstieß aus ihrer Sicht gegen die Vernunft. Daher wurde sie bei Milton vom Satan, mit dem sie klug diskutierte, auch nicht ‚verführt‘; vielmehr folgte sie ihren eigenen Argumenten, die sie zuvor nüchtern gegen das göttliche Gebot vorgetragen hatte. Sie zeigte sich überzeugt: Gott konnte kein Interesse daran haben, das Erkenntnisbegehren des Menschen zu bestrafen. Bei Milton trat Eva als tatkräftige, reflektierte Heldin auf, die dank ihrer Intelligenz einsah, welche Konsequenzen ihr Handeln hatte. Selbsterkenntnis und Reue führten sie dann zur Demut, nicht zur Verzweiflung, denn sie durchschaute nun das Prinzip der „prevenient grace“, wie Milton diese zentrale Gott-Mensch-Beziehung nannte: Es war die durch menschliches Handeln nicht konditionierbare göttliche Gnade, die jeder menschlichen Entscheidung vorausging und dem Menschen dadurch zugleich Willensfreiheit einräumte. Das große Finale von ‚Paradise Lost‘ zielte auf den Nachweis, dass die Menschen mit dem Sündenfall erkannten, dass sie Hermeneutik-bedürftig geworden waren. Sie mussten zu deuten lernen, sagte Milton, denn sowohl das göttliche Buch der Gnade, als auch das Buch der Geschichte waren nun nicht (mehr) intuitiv verständlich. 23 Vgl. S. Greenblatt, Die Geschichte von Adam und Eva. Der mächtigste Mythos der Menschheit, München 2018. 24 Vgl. das große Milton-Kapitel in R.H. Bainton, The Travail of Religious Liberty, Philadelphia 1951, S. 198–210.

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Es scheint nicht abwegig, anzunehmen, dass Miltonʼs Auslegung der GenesisErzählung und ihre Übertragung in eine Skulptur Mylius’ eigenem „religiösen Gefühl“ entsprachen,25 – das heißt, seiner Grundüberzeugung von der Sinnhaftigkeit allen irdischen Geschehens, das letztlich – auch in Widersprüchlichkeit, Schmerz und Leid – dem Guten diente. Miltonʼs Verlorenes Paradies gewährte Mylius möglicherweise in dem dramatischsten Moment seines Lebens einen Anhaltspunkt zur gläubigen Annahme des eigenen Schicksals, insofern das Epos die „Erbsünde“ mit einer ganz eigenwilligen Nuance in Szene setzte: Schuldhaft waren demnach nicht so sehr die Allmachtsphantasien des Menschen mit dem Anspruch, „Gott gleich“ zu sein, als vielmehr seine Neigung zur Apostasie durch überhöhte Rationalisierung der eigenen, der menschlichen Entscheidungen. Die Materialisierung dieses Motivs der Gefährdung durch Skepsis, durch den Verlust des Glaubens fand ihre Fortsetzung in dem großen Marmor-Relief, das Mylius bei dem dänischen Bildhauer Bertel Thorvaldsen (1770–1844) in Auftrag gab. Mylius bat den Künstler, für ihn im Gedenken an den verstorbenen Sohn eine Nemesis anzufertigen. Er erläuterte, er verstehe die Nemesis gemäß Johann Gottfried Herders Exegese jedoch gerade nicht als Rachegöttin oder Plage-Gottheit, die strafend eingriff, wenn übergroßes Menschenglück die Götter neidisch werden ließ. Giulios plötzlicher Tod sollte nicht als „Strafe“ für eine bis dahin allzu erfolgreiche, allzu glückliche Existenz gedeutet werden. Sein Gewährsmann Herder hatte die Nemesis-Adrastea vielmehr als eine in der Geschichte wirkende Kraft apostrophiert, die für das „rechte Maß“ sorgte, als ein Attribut der Diké, der Gerechtigkeit, die auf Ausgleich zielte und letztlich im stetigen Wechsel von Überfluss und Mangel, von Glück und Unglück, den kontinuierlichen Fortgang der Geschichte antrieb.26 Herder habe, so erklärte Mylius Thorvaldsen, die Adrastea nicht als Abbild der „furchtbaren Athe“ verstanden, sondern als „die Göttin des Masses und Einhaltens; die Zähmerin der Begierden; die misbilligende Göttin des Uebermuthes; die unbestochene Richterin der Tugend und Wahrheit deren strenge zwar, doch lieblichen Züge mit Warnung auf Belehrung an die Sterblichen zu verbinden, und dem Nachdenkenden über des Lebens und der Menschen Schicksale Aufschlüsse über solche zu geben, und Beruhigung und Trost dabey einzuflösen weis […]“.27

Manzoni hatte in seinem großen Roman das Verhältnis von „Tugend“ („virtù“) und „Glück“ („fortuna“) mit Stoßrichtung gegen Machiavelli christlich gewendet: Die evangelische Tugend der Demut auf Menschenseite korrespondierte mit den Gnadenbeweisen der göttlichen Providenz. So erfuhren es gerade die schlichten, „anständigen“ Charaktere der Erzählung, allen voran das Mädchen aus dem „einfachen Volk“, die Heldin Lucia. Thorvaldsens künstlerische Übersetzung von Herders Nemesis-Adrastea verzichtete hingegen auf den transzendenten Kontext. Die Gottheit, 25 Vgl. „Mylius’ Brief vom 21. Juli 1833 an Bertel Thorvaldsen“, in: Pavoni (Hrsg.), ‚… rispettabilissimo Goethe… Caro Hayez… adorato Thorvaldsen…‘, S. 180. 26 Ich selbst habe versucht, die Herder’sche Nemesis-Adrastea zu interpretieren in C. Liermann „Die Nemesis der Geschichte“, in: T. Borsche (Hrsg.), Herder im Spiegel der Zeiten. Verwerfungen der Rezeptionsgeschichte und Chancen einer Relektüre, München 2006, S. 83–100. 27 Pavoni (Hrsg.), ‚… rispettabilissimo Goethe… Caro Hayez… adorato Thorvaldsen…‘, S. 180.

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die er darstellte, regierte ohne Verweis auf eine Belohnung oder Entschädigung im Jenseits, in einem rein innerweltlichen Horizont, in welchem sie für Gleichmaß und Ausgleich sorgte. Dies geschah nach einem geheimnisvollen Zuteilungsschlüssel, den der Mensch nicht im Einzelnen durchschaute. Er konnte und musste lediglich darauf vertrauen, dass eine gerechte Macht waltete, die der Geschichte als ganzer einen Sinn verlieh, indem sie alles Geschehen in erzieherischer Absicht nach dem Prinzip des ‚rechten Maßes‘ zu einem universalen Kontinuum zusammenfügte. Thorvaldsen gestaltete das Marmorrelief für Heinrich Mylius zwar nach klassizistischem Geschmack mit antikisch-heroischen Attributen, aber Herders ‚Sinnbild‘ stand für bürgerliche Tugenden: Die Nemesis-Adrastea seiner Interpretation verkörperte Maß und Mäßigung und eine demokratische Zuteilung von Strafe und Belohnung ohne Ansehen von Stand und Herkunft. Sie vermittelte eine Sinn-Gewissheit, die zwar im Detail rätselhaft bleiben mochte, der aber letztlich berechenbare Kriterien zugrunde lagen. Denn sie scheute die Extreme, sie ließ es nicht zu, dass radikale Situationen von Dauer waren, und sie forderte, dass der Mensch das, was ihm auf den ersten Blick als Glück oder Unglück erscheinen mochte, als Beitrag zu einer ausgeglichenen historischen Gesamtbilanz erkennen sollte. Man kann daher Herders Nemesis-Adrastea, in Thorvaldsens Ausführung, auch als liberal-bürgerliche Revolutionskritik lesen, als Absage an die revolutionäre Hoffnung, aus radikalem Wandel könnten stabile Verhältnisse erwachsen. Eine solche Kritik befand sich wiederum im Einklang mit Alessandro Manzoni, der, wie angedeutet, als junger Mann der Französischen Revolution applaudiert hatte, später aber Vorstellungen von der Realisierbarkeit revolutionärer Metamorphosen der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse als Utopie und Hybris verurteilte.28 In zwei posthum erschienenen historischen Untersuchungen argumentierte Manzoni gegen die Theorie von der Notwendigkeit und Unvermeidbarkeit von Revolutionen, speziell der Französischen Revolution. Er wies Deutungen zurück, die die ‚gute‘ erste Phase der Revolution rehabilitieren und von der nachfolgenden Terreur-Zeit grundsätzlich abtrennen wollten. In der Verabsolutierung des Willens der Nation erkannte er, ähnlich wie Edmund Burke und Alexis de Tocqueville, die Fortsetzung des monarchischen Willens „legibus absolutus“ des Ancien Régime. Dem vermeintlich revolutionären Dritten Stand war es nicht gelungen, die schrankenlose Macht selbst zu brechen. So innovativ Manzoni in ästhetischer Hinsicht und bezüglich der Wahl seiner Sujets war, so ablehnend zeigte er sich gegenüber Versuchen, radikale Veränderungen der politischen und sozialen Verhältnisse mit Gewalt herbeizuzwingen, sofern sie nicht langfristig schon als Reformprozess angelegt waren. In diesem Sinne verstand er die amerikanische Unabhängigkeit und die italienische nationalstaatliche Einigung als Endprodukte jeweils kohärenter, kontinuierlicher Entwicklungen (denen er daher auch stabile Dauer attestierte), während er die Französische Revolution als Selbstüberschätzung und Machtvergessenheit des bürgerlichen „Dritten Standes“ kritisierte, die zu einer langen Phase der Anarchie und politischen Instabilität mit permanentem Verfassungswechsel geführt hatten. Die gleichmäßig-zirkuläre

28 Vgl. Pezzimenti, „Manzoni e la Rivoluzione“, S. 69–72.

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Bewegung (das Rad der „Fortuna“) und die doch zugleich nach vorne drängende, in die Zukunft gerichtete Dynamik der Herderʾschen Nemesis-Adrastea in Thorvaldsens Marmorskulptur (der Streitwagen der Gottheit, der von zwei kraftvollen Pferden gezogen wird) erscheinen in dieser Perspektive wie eine Materialisierung von Heinrich Mylius’ innovativer, unternehmerischer Autorität, die es ihm gestattete, mit reformerisch-maßvollen Mitteln radikal Neues auszuprobieren und dafür Konsens und Anhänger zu mobilisieren. 4. FRANCESCO HAYEZ: HISTORISCHE GESTALTEN ALS MODELLE FÜR DIE GEGENWART Neben Thorvaldsen zählte Francesco Hayez zu Mylius’ bevorzugten Künstlern. Drei Portraits von Mitgliedern seiner Familie hat der wohlhabende Geschäftsmann bei dem zu seiner Zeit äußerst populären Maler in Auftrag gegeben, und diese Bildnisse versinnbildlichten über die durch den Tod des Sohnes verursachte Zäsur hinweg Kontinuität und Zukunftsperspektive der bürgerlichen Unternehmerdynastie. Denn drei Generationen waren vertreten. 1828 schuf Hayez das erste Portrait in Mylius’ Auftrag: Es zeigte Mylius’ Ehefrau Friederike. 1832 malte Hayez Mylius’ Schwiegertochter Luigia Vitali Arese, die Witwe seines Sohnes Giulio (siehe Abb. 16). Zehn Jahre später entstand das Portrait des kleinen Sohnes aus Luigias zweiter Ehe. Dieses Kind trug wieder den Namen des verstorbenen ersten Ehemannes: Giulio. Bereits einige Jahre vor dem Auftrag, seine Ehefrau zu portraitieren, hatte Mylius Hayez kennengelernt, der nicht zuletzt wegen seiner Illustrationen von Szenen aus zeitgenössischen Dramen und Romanen hoch angesehen wurde. So stammten von ihm Gemälde und Studien zur Figur des „Grafen von Carmagnola“, Manzonis erster Tragödie (1820), sowie Darstellungen von Personen aus dem Roman Die Verlobten. Mylius bat Hayez, eine Kopie auf Leinwand des berühmten Carmagnola-Portraits anzufertigen, die er seinem Frankfurter Freund, dem Bankier Simon Moritz von Bethmann (1768–1826) zum Geschenk machen wollte. Wie einleitend erörtert versucht der vorliegende Beitrag mit Hilfe der drei Persönlichkeiten Manzoni, Hayez und Cattaneo Mylius’ handlungsleitende ideelle und ethische Motive auszuleuchten. Was sagt es also über Mylius aus, dass er Hayez schätzte? Wie begründete sich seine Hinwendung gerade zu diesem Künstler? Immerhin hat Mylius über einen langen Zeitraum hinweg, mithin in ganz unterschiedlichen Phasen seines Lebens, drei Gemälde für seine Kunstsammlung bei Hayez bestellt, die gleichermaßen künstlerisch glanzvoll wie bedeutungsgeladen und sinnstiftend waren. Man ist hier weitgehend auf Vermutungen angewiesen. Plausibel erscheint zunächst die Annahme, dass Hayezʼ Malstil (der über die Jahrzehnte natürlich nicht statisch blieb) ihm schlicht gefiel und seinem ästhetischen Geschmack entgegenkam. Wichtiger noch war vermutlich, dass der Künstler seinen Werken starke Botschaften anvertraute und sie zu Trägern von (Be-)Deutungen machte, die für die Zeitgenossen unmittelbar dechiffrierbar waren. Zwei miteinander verknüpfte Aspekte gestatten es, so scheint mir, von Hayezʼ Gemälden auf Mylius’

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Wertehaushalt und Urteilskriterien zu schließen. Mylius traf bei Hayez, dem epochalen Portraitmaler, auf die Bereitschaft, das Individuum in seiner Einzigartigkeit und Würde ins Zentrum zu rücken und es zugleich in seiner historischen und sozialen Eingebundenheit und Angewiesenheit zu zeigen. Die Individualität trat in den grandiosen Portraits, die Hayez schuf, nachdrücklich ins Bild, aber der Maler inszenierte sie in einem geschichtlichen und gesellschaftlichen Kontext, der auch als Begrenztheit und Belastung gelesen werden konnte. Diese Gratwanderung zwischen freiem Ausdruck der Einzigartigkeit der Person und deren Verhaftetsein an reale, soziale und ethische Rahmenbedingungen bildete, so lautet mein Interpretationsvorschlag, vielleicht diejenige Qualität, die Mylius’ eigenen Überzeugungen am nächsten kam. Hayez war damals in einem Maß präsent und populär, dass man geneigt ist, von einer einzigartigen Fortuna zu sprechen, ganz gewiss bezogen auf Italien. Stendhal bezeichnete ihn 1828 als „le premier peintre vivant“.29 Es gab praktisch keine bedeutende Figur des italienischen 19. Jahrhunderts, die Hayez nicht portraitiert hätte. Die von ihm dargestellten Politiker, Künstler und Philosophen (willkürlich ausgewählt: Cavour, d’Azeglio, Manzoni, Rosmini, Verdi, Rossini) wurden Ikonen eines Jahrhunderts, das bei allem Wandel und aller Modernisierung doch die Würde und Haltung der alten Traditionen beizubehalten suchte. Als ‚demokratisches Genie‘ hat Giuseppe Mazzini den Maler bezeichnet, dem er in dem Essay Die moderne italienische Malerei (1841) den Verdienst zuschrieb, wie kein anderer die Hoffnungen und Erwartungen einer Epoche bildhaft anschaulich gemacht zu haben. Hayez sei der Meister der „Historischen Malerei“, wie die italienische Nationalbewegung sie gefordert habe, heißt es bei Mazzini weiter: Er mache sich das Denken seiner Zeit, das die Nation bewege, zu eigen, übersetze es symbolisch, lasse das Idealistische seiner Figuren aufscheinen, ohne sie zu verfälschen; er male historisch handelnde und leidende Personen, keine Tyrannen; er ermögliche starke Emotionen und tiefe Reflexionen. Tatsächlich war Hayez malerisch ungemein fleißig, und er war ein Alleskönner, der sich bis zur Nachahmung und stilistischen Anverwandlung an den großen Künstlern der Hoch- und Spätrenaissance (Raphael, Tizian) orientierte und über ein schier grenzenloses Repertoire an Themen verfügte, das historische Episoden und Akteure ebenso einschloss wie weibliche Akte, biblische Szenen und Figuren, historische und fiktive Liebespaare, dramatische Momente aus der Mythologie und Literatur aller Jahrhunderte und eben Portraits bekannter und weniger bekannter Zeitgenossen.30

29 Vgl. zu ‚Francesco Hayezʼ Leben und Werk, speziell mit Blick auf die politischen Implikationen von Hayez Gemälden, F. Mazzocca, „‚Il genio democratico‘ di Hayez. Un grande pittore italiano interprete delle speranze e delle delusioni del Romanticismo“, in: ders. (Hrsg), Francesco Hayez. Catalogo dell’esposizione alle Gallerie d’Italia, Milano, Cinisello Balsamo 2015, S. 15–43. 30 Vgl. G.B. Clemens, „Francesco Hayez - die nationale Ikone risorgimentaler Historienmalerei“, in: dies. / J. Späth (Hrsg.), 150 Jahre Risorgimento – geeintes Italien?, Trier 2014, S. 147–166.

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Als Heinrich Mylius den Maler kennenlernte, hatte sich dieser intensiver einer Richtung zugewandt, die als „pittura civile“ bezeichnet worden ist;31 gemeint war eine Malkunst, die nicht nur ästhetisch unterhalten und erfreuen, sondern erzieherisch wirken und patriotische, identitätsstiftende Werte vermitteln sollte. Diesen Aspekt des Zivilen und der „Civiltà“ (Begriffe, welche ja bekanntlich im Italienischen ein sehr breites semantisches Feld abdecken) muss Heinrich Mylius, so ist zu vermuten, geschätzt haben, entsprach er doch seinem eigenen Engagement zur Förderung des Gemeinwesens und des Gemeinwohls. „Civile“ sollte der politische Körper sein, human, öffentlich, bürgerlich, weltlich, weder sakral konnotiert, noch sakralisiert. Aber das politische Gemeinwesen, sprich: der Staat, sollte auch nicht (wie es bedeutende christliche Traditionen wollten) als bloßes Instrument zur Zähmung der sündigen Bosheit des Menschen (miss)verstanden werden. Blickt man auf Mylius’ Bereitschaft, sich für den „zivilen“ Fortschritt der politischen Gemeinschaft, in der er lebte, einzusetzen, dann liegt die Annahme nahe, dass er ein ausgesprochen positives Bild von dem politischen Verband hatte, der es in seinen Augen wert war, dass man sich mit ihm identifizierte und ihn unterstützte. Hayez setzte dieses neuartige, geradezu revolutionäre Identifikationsangebot mit hohem Pathos um. Er widmete sich zunehmend Sujets der „nationalen“ italienischen Geschichte, die sich als politische Gleichnisse für die Gegenwart lesen ließen. Er thematisierte solche historischen Momente, die unter den Vorzeichen einer stärker werdenden patriotischen Regenerationserwartung ‚national‘ gedeutet, verklärt und emotional aufgeladen werden konnten. Wie Manzoni griff er dabei Ereignisse und Personen des spätmittelalterlichen und ‚modernen‘, frühneuzeitlichen Italiens auf, während antik-neoklassische, mythologische Themen zurücktraten. Gegenüber dem unbeschwert-folkloristischen oder mittelalterseligen Italienbild zahlreicher ausländischen Künstler, die in Italien ansässig waren (man denke an die „Nazarener“), bot Francesco Hayez Darstellungen einer ernsten, tragischen Geschichte Italiens, die von Heldenmut, Rebellion gegen Unterdrückung und Opfertod, aber auch von inneritalienischer Zwietracht und (wie bei Manzoni) vom Konflikt zwischen Staatsraison und privater Familienloyalität erzählten. Er zeigte, wie ein Bewunderer schrieb, „das wahre Leben und die Wirklichkeit seiner Zeit“ im Spiegel historischer Episoden.32 Damit entsprach er jenem „romantischen“ Geschmack, der besonders in der Lombardei eine stark politische, nationalitalienische, antihabsburgische Konnotation besaß.33 Man kann hierzu beispielsweise das großformatige Gemälde „Pietro Rossi“ (1818–1820) anführen. Detailfreudig, mit starken, kontrastierenden Farben wird ein historisches Kapitel aus dem 14. Jahrhundert dargestellt, in dem sich der Held Pietro Rossi, der ‚Signore‘ von Parma, dafür entscheidet, im Auftrag des Dogen von Venedig den Kampf gegen die Unterdrückung durch die Scaliger anzuführen, obwohl seine Familie ihn unter Tränen anfleht, nicht 31 Vgl. Mazzocca, „‚Il genio democratico‘ di Hayez“, S. 16. 32 Zitiert bei ebd., S. 30. 33 Vgl. G. Meda Riquier, „Una battaglia per la modernità: il Romanticismo milanese visto da Goethe”, sowie ders., „Un romantico diventa classico: Goethe legge Manzoni”, in: ders. / M. Vangi (Hrsg.), Il bello, l’utile e l’onesto. Goethe e Mylius in Italia, Como 2016, S. 56–83.

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in den Krieg zu ziehen. 1826 entstand – um ein weiteres großformatiges Historienbild von Hayez zu zitieren – die Verschwörung der Lampugnani, welche eine historische Episode der Mailänder Geschichte des 15. Jahrhunderts mit großem theatralischen Gestus in Szene setzte. Auch hier ging es um eine Rebellion gegen Unterdrückung, und es war für Hayezʾ Zeitgenossen evident, dass die hochdramatische Darstellung einer geheimbündischen Verschwörung, die in ein mittelalterlich-gotisches Ambiente versetzt war, auf die Gegenwart der Carbonari-Zirkel verwies. Eine Fülle weiterer Hayez-Gemälde aus der Schaffensperiode seiner „pittura civile“ ließe sich in diesem Zusammenhang nennen. Der Maler übersetzte historische Sujets in eindeutig dechiffrierbare patriotische Botschaften für die eigene Zeit. Die Episoden, die er auswählte, stammten allerdings aus den Historien der kommunalen und regionalen Machtbereiche, eine national-italienische Dimension musste erst dazu erfunden werden. Aber die Zeit war günstig, das Publikum war bereit, die Helden der zahlreichen einzelnen „Vaterländer“ auf italienischem Terrain in nationale Tugend-Modelle zu verwandeln. Hayez gelang es, vom jeweiligen konkreten lokalen Kontext so weit zu abstrahieren und diesen so weit zu überhöhen, dass seine heroischen Figuren als Identifikationsangebote für „die“ Italiener auftraten und offensichtlich auch in dieser Weise rezipiert wurden. Das Motiv der „Vespri Siciliani“ bildete ein solches im nationalen Sinne erfolgreiches Sujet. Der Aufstand gegen die Anjou auf Sizilien im Jahr 1282 wurde bekanntlich im 19. Jahrhundert zu einem „Mythos“ des italienischen Risorgimento. Hayez und zahlreiche weitere Künstler (darunter bekanntlich auch Giuseppe Verdi) schrieben das historisch verbürgte Kapitel der mittelalterlichen Geschichte zu einer metahistorisch gültigen Metapher der Volkserhebung gegen Fremdherrschaft um. Heinrich Mylius besaß eine kleine Kopie des großformatigen Historienbildes von Hayez aus den Jahren 1821/22, das die erste Ausführung von insgesamt drei unterschiedlichen Versionen dieses Themas darstellte. Zur Popularität des Motivs der „Sizilianischen Vesper“ trug bei, dass sich darin der patriotische Anspruch auf nationale Autonomie und Unabhängigkeit vor der Folie des Anspruchs auf Respekt der Integrität von Weiblichkeit inszenieren ließ. Tatsächlich konzentrierte sich bei Hayez die Bilddramaturgie in allen drei Fassungen der „Vespri Siciliani“ auf den Moment der männlichen Empörung angesichts des sexuellen Übergriffs seitens „der Fremden“ auf die sizilianischen (lies: italienischen) Frauen. Aus der Kränkung der weiblichen Tugend wurde die Beleidigung der Nation. Es scheint für das Empfinden der Zeitgenossen plausibel gewesen zu sein, das, was als „Nation“ vorgestellt wurde, weiblich zu konnotieren und in einer einzelnen gedemütigten Frauengestalt das gedemütigte Kollektiv der Nation wiederzuerkennen.34 Hayez konnte davon ausgehen, dass eine solche Projektion gängigen Seh- und Deutungsparametern entsprach und dass die emotionale Mobilisierung, erst recht da, wo sie mit erotischen Signalen verstärkt wurde, im Sinne der politischen Mobilisierung funktionierte.

34 Vgl. A. Banti, La nazione del Risorgimento. Parentela, santità e onore alle origini dell'Italia unita, Turin 2011.

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Man sollte gleichwohl vorsichtig sein mit einer allzu einseitigen Betonung der „patriotischen“ Botschaft in Hayezʾ Werken. Sicherlich gleichrangig waren die Demonstrationen seiner schieren malerischen Virtuosität, die sich ja auch an nicht unmittelbar patriotischen Sujets erprobte – man denke beispielsweise an das Portrait von Kaiser Ferdinand I. von Österreich, der 1838 in Mailand zum König der Lombardei und Venetiens gekrönt wurde und den Zeitgenossen als Herrscher erschien, der bereit war, die harte restaurative Linie seines Vorgängers Franz I. hinter sich zu lassen. Gewiss: Eine Risorgimento-geneigte Lesart fand zweifellos in Hayezʾ Gemälden Geschichten von Heldenmut und Opferbereitschaft, die sich leicht auf die für den Moment lediglich in der Phantasie existierende Nation übertragen ließen. Aber speziell Hayezʾ Frauenportraits verschoben den moralischen Kodex: Sie wirkten auf die Betrachter wie Ikonen der italienischen Leidensgröße. Hier spielte zweifellos eine „Manzoni-Note“ hinein, die vermutlich auch Myliusʾ Weltbild entgegenkam: Heroisch war demnach nicht in erster Linie der siegreiche Held, sondern die schicksalsergebene, gerade in Unterwerfung, Resignation und Leid Würde beweisende Figur. Tatsächlich verkörperten die weiblichen Gestalten bei Hayez durchaus keinen patriotisch-optimistischen Furor, sondern suggerierten eine melancholische Ahnung von Vergeblichkeit und verpassten Chancen. Sofern sie als symbolisch aufgeladene Materialisierungen der weiblich verstandenen „Italia“ interpretiert wurden, legten sie ein tragisches Wissen um unerfüllte Hoffnungen und Scheitern nahe. Exemplarisch steht hierfür das außerordentlich populäre Gemälde von 1850/51, das den Titel „Meditation (zur Geschichte Italiens)“ trug, aber auch als „Melancholie“ bezeichnet wurde. Der verschleierte, umflorte Blick, den der Maler der weiblichen Gestalt verlieh, vermittelte die Botschaft von elegischer Entsagung, von Innerlichkeit und Innigkeit einer Trauerstimmung, die Hayez knapp zwanzig Jahre zuvor auch in den Ausdruck der jungen Luigia Mylius, geb. Vitali Arese, gelegt hatte, die er in Heinrich Mylius’ Auftrag portraitierte. Romantische Entsagung, idealistische Sublimierung und Abschied waren Hayez’ große Themen, die er sowohl als tragende Motive einer einzelnen Biographie, wie in Luigias Bildnis, als auch im Sinne der patriotischen Allegorie gestaltete. Tatsächlich bildeten „Abschiede“ ein wiederkehrendes Sujet in seinem Werk, sei es als subjektiv erlebter Übergang zwischen Vergangenheit und Zukunft (raffiniert in Szene gesetzt durch die Gestaltung des Raums im Portrait der Luigia, das sich in der Villa Vigoni befindet), sei es als Inszenierung der Überwindung der privaten, familiären Sphäre zugunsten des Öffentlichen, des Politischen, des Kriegerischen, wie man es aus Manzonis Stücken kannte und wie es die Rahmenerzählung eines der berühmtesten Hayez-Gemälde bildete, nämlich von Il Bacio (dem Kuss) aus dem Jahr 1859. Abschiede verwiesen zugleich auf die Ambiguität der Passage von „privat“ zu „öffentlich“; sie konnten den heroischen Verzicht auf das Familienidyll zugunsten höherer (patriotischer) Ideale feiern; sie konnten jedoch auch, wiederum wie bei Manzoni, die Bedrohung des familiär-privaten Schutzraums durch die brutale Staatsraison bezeichnen. Auch in dieser Perspektive, mit den Mitteln der Rhetorik vom Opfertod, hat Hayez das Abschiedsthema gestaltet.

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Bei dem Portrait der jungen Witwe Luigia, Heinrich Mylius’ Schwiegertochter, handelte es sich, wie erwähnt, um das zweite Bildnis eines Mitglieds der Familie Mylius, das Francesco Hayez anfertigte. Diesem Gemälde war das Portrait der Dame des Hauses Mylius vorausgegangen. Die junge Luigia wurde als eine „romantische“ Frauenfigur vorgestellt, einerseits große Dame mit allen Attributen aristokratischer Existenz, andererseits – im imaginierten und doch unmöglichen Zwiegespräch mit dem verstorbenen Geliebten – elegisch in dem Wissen um die Bedeutungslosigkeit menschlichen Planungsehrgeizes und materiellen Sicherheitsstrebens. Hingegen zeigte das Portrait von Friederike Mylius, geb. Schnauß, das Bildnis einer „matrona“ im lateinisch-römischen Sinn, der Herrin über Haus und Familie. Sie wurde inszeniert als die gleichberechtigte Gefährtin ihres Mannes und verkörperte die Würde und Haltung einer betagten, hoch angesehenen Frau. Der Künstler wählte für ihr Bildnis eine moderne Adaptation der antiken Frontalansicht, wie sie die Vollplastiken der Renaissance kennzeichneten, welche sich wiederum an den Büsten der römischen Antike orientierten, das heißt, er zog die Vorbilder der großen Traditionen heran, um etwas gewagt Neues in seiner Zeit zu schaffen. 5. CARLO CATTANEO: PROJEKTE DES INCIVILMENTO Knapp sei zum Schluss Heinrich Mylius’ freundschaftliche Beziehung zu Carlo Cattaneo skizziert. Er ist der dritte Gewährsmann für den hier unternommenen Versuch, Mylius’ politische Vorstellungen und seine Anschauungen von den gesellschaftlichen Dynamiken seiner Zeit aus einem allgemeineren kulturellen ‚Klima‘ heraus zu rekonstruieren, für das Manzoni, Hayez und Cattaneo stellvertretend herangezogen werden. Carlo Cattaneo war zweifellos eine der interessantesten Figuren des italienischen Risorgimento, ein immens fleißiger Publizist, ein lombardischer Patriot, Demokrat, prominentester Vordenker einer am Modell Schweiz orientierten föderal-föderalistischen Lösung des italienischen Nation Building.35 Zeitlebens galt sein Engagement politischen, wirtschaftlichen und sozialen Reformen, und in der Überzeugung von der Möglichkeit und Notwendigkeit solcher umfassender Reformen traf er sich mit Heinrich Mylius, den er im Jahr 1844 persönlich kennenlernte.36 Ein Jahr später wurde Cattaneo Sprecher der von Mylius mitgegründeten Mailänder „Gesellschaft zur Ermutigung von Kunstgewerbe und Handwerk“ (SIAM)37 – ein

35 Vgl. A. Bruch, „Munizipale Identität und bürgerliche Kultur im Risorgimento. Die Bedeutung der Stadt für Carlo Cattaneos föderal-demokratische Konzeption“, Jahrbuch zur LiberalismusForschung 22 (2010), S. 165–179. 36 Vgl. C.G. Lacaita, „Enrico Mylius e Carlo Cattaneo”, in: G. Oldrini / A. Venturalli (Hrsg.), La tradizione rinnovata. Da Enrico Mylius alla Sesto San Giovanni del futuro, Como 2006, S. 29– 37. 37 Vgl. C.G. Lacaita, „Enrico Mylius und die ‚Società d’Incoraggiamento d’Arti e Mestieri‘ in Mailand“, in: F. Baasner (Hrsg.), Die Mylius-Vigoni. Deutsche und Italiener im 19. und 20. Jahrhundert, Tübingen 1992, S. 21–35.

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Amt, das er bis zur Revolution 1848 innehatte. Ähnlich wie in Manzonis Fall erweist sich allerdings auch bei Cattaneo die Dichotomie ‚revolutionär‘ versus ‚reformerisch‘ als wenig hilfreiche Etikettierung, um nachzuvollziehen, in welchem Ausmaß Protagonisten wie er die eigene Zeit als „Kairos“ für grundstürzende Veränderungen begriffen, die gleichermaßen notwendig und möglich schienen. Dies galt für die Konstruktion eines neu zu schaffenden italienischen Staates in der Logik ‚nationaler‘ Souveränität, aber auch für die als erstrebenswert erachtete Transformation der sozialen und wirtschaftlichen Architektur der Gesellschaft. Seine Reformschriften waren nach Ansicht der habsburgischen Exekutive in Mailand derart subversiv, dass man plante, ihn festzusetzen und fortzuschaffen. Mylius intervenierte bei den Behörden, und so blieb Cattaneo die Verhaftung erspart.38 Cattaneo hatte die Revolution nicht herbeigeredet, aber als sie 1848 da war, wurde er in Mailand Mitglied der militärischen Revolutionsregierung. Nach der Niederschlagung der Aufstände verließ er die Lombardei und ging ins Exil in die Schweiz, nach Castagnola bei Lugano.39 In einer im Jahr 1844 gehaltenen Rede vor der SIAM (die häufig zitiert wird, weil sie zusammen mit seinem Testament eines der wenigen Zeugnisse darstellt, die einen unmittelbaren Aufschluss über Mylius’ Anschauungen und Ideale bietet) brachte der Unternehmer den Zweck ‚seiner‘ Institution auf die Formel, es sei deren Absicht, das Gemeinwohl zu fördern sowie Zustimmung und Anerkennung von all jenen zu gewinnen, die „das Schöne, Nützliche und Aufrichtige lieben“.40 Die Trias schön-nützlich-aufrichtig addierte dabei nicht bloß separate Komponenten, sondern sie formulierte ein Programm, in dem die ethisch-ästhetischen Kategorien interdependent auftraten und aufeinander verwiesen; und in dem die Notwendigkeit unterstrichen wurde, das Gemeinwohl nicht einfach paternalistisch zu diktieren, sondern sich für die neue Förderpolitik eines breiten Konsenses zu versichern. So entsprach es Cattaneos eigenen theoretischen Arbeiten und seinem praktischen Wirken. Er war von den hier vorgestellten „Gewährsleuten“ im Umfeld von Heinrich Mylius wohl derjenige, mit dem der Unternehmer am stärksten das Bewusstsein von der Opportunität des sozialen und ökonomischen Fortschritts teilte, den beide stets als zugleich kulturellen, ethischen und intellektuellen Fortschritt begriffen.41 1839 veröffentlichte Cattaneo ein „Manifest“, das den Auftakt zum „Politecnico“ bildete, einer seiner erfolgreichsten Publikationsreihen. Es verkündete, die „polytechnische“ Zeitschrift, die den Untertitel „angewandte Studien im Dienst von Fortschritt und sozialer Bildung“ trug, wolle einen Beitrag zur „gemeinsamen Prosperität und

38 Vgl. die Einführung von G. Armani zu C. Cattaneo, Notizie naturali e civili su la Lombardia. La città considerata come principio ideale delle istorie italiane, Mailand 1979, S. VII–LIX. 39 Ebd., S. X–XII. 40 Vgl. Pavoni (Hrsg.), ‚… rispettabilissimo Goethe… Caro Hayez… adorato Thorvaldsen…‘, S. 188. 41 Zum engen Austausch der Beiden vgl. auch C.G. Lacaita, „Cattaneo filosofo moderno“, in: B. Boneschi (Hrsg.), Psicologia delle menti associate. Le letture di Carlo Cattaneo all’Istituto Lombardo di Scienze e Lettere, Mailand 2016, S. 19–71

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zum bürgerlich-zivilen Zusammenleben“ leisten.42 Dies entsprach akkurat Mylius’ Zielsetzung, als er die „Gesellschaft zur Ermutigung von Kunstgewerbe und Handwerk“ (ital. Abkürzung SIAM) gründete. In Nuancen unterschieden sich allerdings Mylius’ und Cattaneos Beweggründe. Mylius’ Engagement speiste sich bekanntlich aus einem ausgeprägten philanthropischen Empfinden. Er pflegte eine moderne, anspruchsvolle, protestantische Form der ‚Caritas‘, die in erster Linie ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘ sein wollte. Seine ‚guten Werke‘ entsprangen dem Pflichtgefühl gegenüber der Allgemeinheit, die sich dank der Förderung und Verbesserung des Einzelnen weiterentwickeln sollte. Der soziale Fortschritt ihrer Zeit, so glaubten er und Cattaneo gleichermaßen, hing von gesteigerter „industria“ ab, wobei dieser italienische Begriff zunächst nicht bestimmte serielle Fertigungsweisen bezeichnete, sondern neue Werte wie Effizienz, Arbeitsmoral, Fleiß und Produktivität. Eine zeitgemäß verstandene Caritas sollte keine Almosen mehr verteilen, die traditionell (im katholischen Kontext) als Zeichen von Dankbarkeit für erfahrene Gnadenerweise, zur Selbst-Rechtfertigung und zwecks künftiger Gnädig-Stimmung der göttlichen Providenz funktioniert hatten. Nunmehr handelte es sich um die „Zivilisierung“ als der gemeinsamen Aufgabe des säkularen Gemeinwesens, wie Cattaneo auf den Spuren seines Lehrers, des aufklärerischen Intellektuellen Gian Domenico Romagnosi, forderte. Das überkommene Almosen-Wesen beurteilten Beide sehr kritisch: Es sei sozial schädlich, weil Bettelei, Rumtreiberei und Passivität gefördert würden. Jede echte Gabe müsse demgegenüber als „Lohn“ zugeteilt werden, als „Belohnung“ für ein sozial adäquates Verhalten, sprich: für die Anstrengung, sich durch Arbeit und Leistung aus Misere und Armut zu befreien (welche eben nicht mehr als lebendiger Aufruf zur Barmherzigkeit, sondern als zu überwindendes Laster verstanden wurden). Milde Gaben sollten nicht „ruhig stellen“, sondern Ansporn zur „Besserung“ sein. Hier war Mylius gewiss eine Spur nachsichtiger gestimmt und vielleicht auch durch das eigene Schicksal sensibler für die Grenzen des menschlichen Könnens und Wollens als der anspruchsvollere Cattaneo, dem es vor allem um die „bürgerlich-zivilisatorische“ Weiterentwicklung des Gemeinwesens ging. Höherwertige Arbeit sollte durch allgemeine Bildung, speziell durch Schulbildung des „Volkes“ erzielt werden und auf diese Weise zur „Verbesserung der armen Klassen“ beitragen. Beide teilten mit bedeutenden Denkschulen des 19. Jahrhunderts die Überzeugung, Arbeit sei keine Sündenstrafe (die besser den niedrigen Klassen überlassen sein sollte), sondern gereiche dem einzelnen Menschen und der menschlichen Gemeinschaft als Ganzer zur „Ehre“, während „Nichtstun“ schuldhaft sei. Beide Männer können vor diesem Hintergrund als repräsentativ für eine historische Entwicklung angesehen werden, die als „Erfindung der Leistung“ bezeichnet worden ist.43 Gemeint ist, dass „Leistung“ als sozialer Wert und Maßstab sozialer Ordnung ein historisches Produkt vor allem des 19. Jahrhunderts darstellte – ein Konstrukt, das sich einerseits als individuell zurechenbarer Verdienst etab-

42 Vgl. C. Cattaneo, “Il politecnico” 1839–1844, 2 Bde., Turin 1989. 43 Vgl. N. Verheyen, Die Erfindung der Leistung, Berlin 2018.

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lierte, andererseits in der Form von „Arbeitsleistung“ in ein soziales Koordinatensystem eingebunden blieb. So drückte es beispielsweise 1851 Meyers Konversationslexikon aus. Zum Stichwort „Arbeit“ hieß es dort, dass „vor allem durch das Bewusstseyn der Brüderlichkeit […] Jedem nach seiner geistigen Kraft ein Kapital geschaffen werde, das sich umso mehr steigert, je mehr man es allen gibt, das Kapital des Wissens, des Könnens, der Erkenntnis und der Geschicklichkeit“.44 Diese Worte klingen wie ein präzises Echo von Mylius’ Bildungs- und Professionalisierungsprogrammen, insofern auch darin die Reziprozität von individuellem und gemeinschaftlichem Fortschritt und die Komplementarität von individuellem Weiterkommen und gemeinschaftlichem Gewinn die tragende Säule bildeten. Denn entscheidend war für Mylius wie für Cattaneo das neuartige Verhältnis von Einzelnem und Allgemeinem: Die neu ausgerichtete, reformorientierte bürgerliche Gesellschaft, konzipiert nach der Logik eines Vereins, einer Sozietät, als voluntaristischer Zusammenschluss, der (insofern Gemeinschaft) stets mehr wert war als die Summe seiner Einzelteile, erschien ihnen als das schlechthin überlegene Modell zivilen Zusammenlebens. Enthusiasmus für alle möglichen Formen vertraglich geregelter Gemeinschaften und Gesellschaften, in denen der Einzelne seine Talente erst vollständig zur Geltung bringen konnte, hat vor allem Cattaneo in seinen zahlreichen Programmschriften immer wieder bewiesen. Hier zeigte er sich als ein liberal-demokratischer Denker, der sich das Individuum nicht als Einzelkämpfer in Hobbes’scher Manier vorstellte, sondern als freies und zugleich gemeinschaftsorientiertes Wesen, das sein ganzes Potential im Zusammenspiel mit anderen entfaltete. Ein aufschlussreiches Zeugnis dieser Anschauungen bietet Cattaneos Vorlesungsreihe am „Lombardischen Institut für Natur- und Geisteswissenschaften“ in Mailand in den späten 1850er und den 1860er Jahren. Er nannte als gemeinsames Thema der Vorlesungen die „Psychologie der Gesellschaft“ und später die „Psychologie der in Gemeinschaft vereinten Köpfe“.45 Denn genau das war sein großes Anliegen: den Nachweis führen zu können, dass sich der Prozess des „incivilimento“ dem kreativen Zusammenwirken von Einzeltalent und offener Gesellschaft verdankte. Als Mylius 1854 starb, zählte der Nekrolog in den „Annali universali di Statistica“ (April 1854) die von dem Unternehmer gesponserten Hilfswerke auf, die dem Unterhalt eines Armenhauses, eines Instituts für Taubstumme und der Einrichtung von Kindergärten und Grundschulen gegolten hatten. Seine prominenteste Schöpfung war aber zweifellos die „Gesellschaft zur Ermutigung von Kunstgewerbe und Handwerk“ (SIAM).46 Die Gründung solcher Institutionen entsprach bekanntlich dem Geist der Zeit, und Einrichtungen fast gleichen Namens gab es allenthalben,

44 Vgl. ebd., S.194. 45 Boneschi (Hrsg.), Psicologia delle menti associate, hier die Presentazione von Enrico Decleva, S. 7–8. 46 Vgl. G. Sacchi, „Necrologia Enrico Mylius“, Annali universali di statistica. Economia pubblica, legislazione, storia, viaggi e commercio (1854), S. 109–112.

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auch im Deutschen Reich; beispielsweise existierte seit 1765 in Hamburg eine „Patriotische Gesellschaft“ mit dem Namen „Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe“, die 1778 als Gründerin einer „Allgemeinen Versorgungs-Anstalt“ hervorgetreten war.47 In Frankfurt gründeten Bürger der Stadt 1816 den „Polytechnischen Verein zu Frankfurt a.M.“, der sich zunächst vor allem im Ausbau des Schulwesens hervortat. Solche Unterstützungs- und Fördergesellschaften, die oftmals zusätzlich mit der Schaffung von Spar- und Kredit-Instituten verbunden waren,48 bildeten Instrumente und Kanäle des sozialen Engagements der innovativen, reforminteressierten, fortschrittsbewussten Eliten, wie sich beispielsweise auch an dem Austausch zwischen Heinrich Mylius und dem sächsischen Politiker und Volksaufklärer Bernhard von Lindenau ablesen lässt.49 Auf diesem Feld stimmten Mylius’ Ansichten mit Cattaneos Programmen vollkommen überein. Beide wussten um die (auch) ökonomische Bedeutung konkreter, praktischer Kenntnisse, man denke an ihr Interesse an der Weiterentwicklung des ‚Know-how‘ auf so unterschiedlichen Gebieten wie Seidenproduktion, Weinkonservierung und Käselagerung. Dass die SIAM speziell ‚populärwissenschaftliche‘ Darstellungen prämierte, zeigt, welch zentrale Rolle die Vermittlung von praxisrelevantem Wissen und ‚nützlichen‘ Kenntnissen an die ‚breite Masse‘ in Mylius’ und Cattaneos volkspädagogischem Engagement spielte, wobei, wie erwähnt, ‚Nützlichkeit‘ einen weiten Radius von sozialethischen Werten abdeckte und keineswegs ausschließlich auf die Zielvorgabe des ökonomischen Gewinns gerichtet war. Cattaneos Hohes Lied auf die „Stadt“, die er als das „Idealprinzip der italienischen Geschichte“ bezeichnete,50 entfaltete diese Vision von ‚Nützlichkeit‘ in der Perspektive des gesamtgesellschaftlichen, ja gesamtmenschheitlichen Fortschritts: Die Stadt erschien ihm als Raum von Konkurrenz, Wettstreit und zugleich von Solidarität, von Vernetzung, gegenseitiger Anregung, Austausch, gebändigter Pluralität. Sie bildete einen Modellkosmos, wie er Mylius und Cattaneo für das Gemeinwesen der Zukunft vorschwebte, in dem der freiwillige Zusammenschluss von Personen eine Balance zwischen Freiheit und Ordnung ermöglichen würde. 6. SCHLUSSBETRACHTUNG Heinrich Mylius war ohne Frage in erster Linie Unternehmer: ein Geschäftsmann mit einem grandiosen Gespür für technische Innovationen und kommerzielle Chancen, der sich den politischen Zeitläuften anpasste und sie zu seinem ökonomischen

47 Vgl. P. Bormann / J. Scholtyseck, Der Bank- und Börsenplatz Essen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 2018, insb. S. 48–49. 48 Vgl. ebd., S. 33–34. 49 Dazu habe ich den Beitrag verfasst C. Liermann, „Coscienza culturale e imprenditorialità. Enrico Mylius e Bernhard von Lindenau“, in: Oldrini / Venturelli (Hrsg.), La tradizione rinnovata, S. 145–152. 50 Vgl. C. Cattaneo, Notizie naturali e civili su la Lombardia. La città considerata come principio ideale delle istorie italiane, Mailand 1979.

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Vorteil zu nutzen wusste. Das unternehmerische und kaufmännische Geschick, dank dessen aus seiner „Migrationsgeschichte“ in Mailand eine epochale Erfolgsgeschichte wurde, bildete aber nur ein Element seiner façettenreichen Persönlichkeit, zu der ebenso Philanthropie, Gemeinsinn und Fortschrittsbewusstsein gepaart mit Demut angesichts der Überlegenheit der göttlichen Vorsehung über alle menschliche Planung gehörten. Es wäre vermessen, alle diese Facetten aus einem Gemälde herauslesen zu wollen. Was man immerhin wird sagen können, ist, dass eines der bekanntesten Mylius-Portraits einen Eindruck von seiner Unbeugsamkeit und Menschenfreundlichkeit vermittelt. Oder liest man solche Züge in das Bild hinein, weil man aus anderen Quellen weiss, dass sie Mylius zueigen waren? Wie auch immer: Das Bild, um das es geht und das zur Kunstsammlung der Villa Vigoni gehört, stammt von Pelagio Palagi (1775–1860; siehe Abb. 15), einem zu seiner Zeit ausserordentlich populären Maler, der auch Myliusʼ Freund Gaetano Cattaneo portraitiert hatte. Die Beschäftigung mit Palagis Werk mag als ein weiterer Beleg für die tragende These meines Beitrags zählen: dass Mylius auf die einschneidende Erfahrung des Verlusts seines einzigen Sohnes durch die verstärkte Hinwendung zur bildenden Kunst reagierte, die er weniger um ihres ästhetischen Eigensinns willen, denn als Trägerin ethisch-religiöser Botschaften schätzte. Entsprechende Sinngebungen und Deutungen fand er, wie ich zu zeigen versucht habe, in den Werken der prominenten Zeitgenossen Alessandro Manzoni, Francesco Hayez und Carlo Cattaneo, denen er durch Bekanntschaft und Freundschaft verbunden war.

„… ERNSTE MUSIK LIEBEND …“ Heinrich Mylius und die Musik. Ein Einblick Viola Usselmann Abstract: While various aspects of Heinrich Mylius’ cultural network, particularly in the field of literature and arts, based on his international business activities and his political-social engagement in Milan, have been the subject of several studies in the last years, no research has been conducted on his links to the musical world so far. This article aims to open this still unwritten musical chapter through a brief presentation of two important aspects (“Heinrich Mylius and Felix Mendelssohn Bartholdy” and “Heinrich Mylius and the music in the context of grieving ceremonies”). At the same time, it represents the first introductory step towards discovering the musical-cultural heritage of the German-Italian Mylius-Vigoni family by reconstructing their extensive musical-cultural networks across four generations. Each of the five sections is dedicated to one specific connection between Heinrich Mylius and the musical cosmos: Following a short introduction, the first section of the essay illustrates facts concerning the presumed participation of Mylius in the first representation of the Mendelssohn oratorio Paulus at the Conservatory of Milan in April 1854. The second section reconstructs the relationship between F. Mendelssohn Bartholdy and H. Mylius focusing on the one hand on interconnecting aspects tracing August von Goethe’s and Mendelssohn Bartholdy’s stopovers at Milan during their ‘Italian Journeys’ in 1830/31; furthermore it reveals for the first time the complex kinship between Mylius and Mendelssohn Bartholdy by analysing the family- and business-cooperations between the Souchay, Schunck and Mylius families. The third section introduces two piano pieces (Marcie funebri, published by Ricordi) composed by the Bohemian Kapellmeister József Müller and contextualises details on the background of the performance and the dedication to Heinrich Mylius. The fourth section explains the significance of the requiem-composition La pace dei santi for the Mylius-family, based on an analysis of the last will of Heinrich Mylius and the funeral of his wife Friederike, focusing on the religious context, whilst the final section presents a libretto written on behalf of Heinrich by Antonio Piazza that is dedicated to his son Giulio Mylius, who died in 1830.

1. EINLEITUNG „Le arti l’ebbero sempre mecenate intelligente e benefico, e la musica singolarmente trovò in quest’uomo, che la città di Milano rimpiangerà per molto tempo, un caldo e solerte ammiratore“,1 heißt es in einem Nekrolog auf Heinrich Mylius, erschienen in der Gazzetta Musicale di Milano nur wenige Tage nach dessen Tod am 21. April 1854.

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„Enrico Mylius“, Gazzetta musicale di Milano XII 18 (1854), S. 138. „Die Künste hatten in ihm einen intelligenten und wohltätigen Mäzen und insbesondere fand die Musik in diesem

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Zu Recht stellt sich die Frage nach der Motivation dieses musikalischen Fachorgans, dem deutschstämmigen Kaufmann, Unternehmer und Bankier Heinrich Mylius einen Nachruf zu widmen – noch dazu prägnant platziert auf der Titelseite des wöchentlich erscheinenden, vornehmlich musikkritisch, -editorisch und -wissenschaftlich konnotierten Journals. Zugleich legt bereits die Existenz dieser Quelle die Vermutung nahe, dass der gebürtige Frankfurter Heinrich Mylius, dank ökonomischer Investitionen, technischer Innovationen, politischen2 wie sozialen Engagements angesehener Bürger seiner Wahlheimat Mailand, eine zentrale Rolle auch in diversen musikalischen Kontexten eingenommen hat. Diese auf profunder Kenntnis, intensiver Kontaktpflege und ideell motiviertem, mäzenatischem Agieren beruhende Wechselbeziehung ist bezüglich der bildenden Künste und Literatur bereits erforscht und nachgewiesen worden.3 Das Verhältnis des Heinrich Mylius zur Musik und deren Bedeutung für seine Person offenbaren sich bisher hingegen als terra incognita. Vorliegender Beitrag möchte sich ihr in zwei Themenkomplexen nähern: Erstens der Untersuchung von Mylius’ Beziehung zu Felix Mendelssohn Bartholdy und zweitens der Vorstellung dreier musikalischer Momente im Umfeld familiärer Trauerzeremonien. Erstmals sollen im Folgenden einige der vielseitigen Verflechtungen des Heinrich Mylius mit der deutsch-italienischen Musik(er)-Szene dargestellt werden. Durch diesen Einblick in musikalische Aspekte rund um den ‚Gründungsvater‘ Heinrich versteht sich der Aufsatz zugleich als einführender Baustein bei der Rekonstruktion der internationalen musikkulturellen Netzwerke der deutsch-italienischen Familie(n) Mylius-Vigoni zur Erforschung deren musikalischen Erbes.4

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Manne, den die Stadt Mailand für lange Zeit betrauern wird, einen leidenschaftlichen und beflissenen Bewunderer.“; (Übersetzung der Autorin = im Folgenden ÜdA). U.a. war Mylius von 1844–1846 erstes protestantisches Mitglied des Consiglio comunale (vgl. G. Bernardoni (Hrsg.), Utile Giornale ossia Guida di Milano per l’anno 1845, Mailand 1826, S. 184). Z.B.: F. Baasner (Hrsg.), Die Mylius-Vigoni. Deutsche und Italiener im 19. und 20. Jahrhundert, Tübingen 1992; G. Oldrini / A. Venturelli (Hrsg.), La tradizione rinnovata. Da Enrico Mylius alla Sesto San Giovanni del futuro, Loveno di Menaggio 2006. Erste Hinweise in V. Usselmann, „,Inspiriert von der romantischen Atmosphäre des Ortes…‘ Musik in der Villa Vigoni“, in: 30 Jahre Villa Vigoni, Loveno di Menaggio 2016, S. 127–131. Die Analyse der sich über mehrere Generationen entwickelnden musikkulturellen Verknüpfungen und Milieus der Familie(n) Mylius-Vigoni und der diesbezüglichen familiären Traditionsbildung im Sinne eines identitätsstiftenden Faktors sind Gegenstand meiner sich im Entstehungsprozess befindlichen Dissertation (Arbeitstitel: Das musikalische Erbe der Mylius-Vigoni – Musikkulturelle Kommunikation, Vernetzung und Profilierung einer deutsch-italienischen Familie im langen neunzehnten Jahrhundert).

„… Ernste Musik liebend …“

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2. HEINRICH MYLIUS UND FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY 2.1. „Mit Entzücken und Spannung folgte er jedem Tone…“ Begibt man sich auf historische Spurensuche nach den musikalischen Querverbindungen des Heinrich Mylius,5 lohnt zunächst der Ansatz am chronologisch betrachtet letzten Augenblick seines Lebens. In der Tat finden sich unter den zahlreichen Todesanzeigen, Nachrufen, biographischen Erinnerungen und Würdigungen, veröffentlicht in verschiedensten internationalen Printmedien, konkrete musikalische Hintergründe. So erschien in Mailand nicht nur die eingangs erwähnte Anzeige in der Gazzetta Musicale, sondern bereits einige Tage zuvor, ebenfalls auf dem Titelblatt, ein Nachruf in der Musik- und Kulturzeitschrift L’Italia Musicale; eine weitere ausführliche Würdigung entnimmt man der Mailänder Zeitschrift Crepuscolo, und zwei Monate später wird Mylius’ Tod im Corriere delle Dame erwähnt, einem Mode- und Kunstblatt nach Art des Weimarer Journals des Luxus und der Moden.6 Auch im deutschsprachigen Raum verbreitete sich die Nachricht über Mylius’ Ableben schnell, insbesondere in seiner Heimatstadt: Ebenfalls am 30. April ziert ein Nachruf auf den „verehrten Mitbürger“ die Titelseite des Frankfurter Volksboten, und nur wenige Tage später druckte diesen auch das Kunstblatt Didaskalia ab. Die vermutlich informativste Quelle in diesem Reigen, der sich noch um zahlreiche Titel erweitern ließe, ist schließlich die Veröffentlichung einer Rede des MyliusFreundes, Naturforschers und Mitbegründers der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft Eduard Rüppell; in drei Ausgaben des Frankfurter Volksboten wird diese biographische Beschreibung in Form eines wahren Lobeshymnus’ mit etlichen Details aus dem persönlichen Verhältnis zwischen Rüppell und Mylius als Beitrag mit mehreren Fortsetzungen fast vollständig wiedergegeben. Eine ähnlich ausführliche Quelle stellt vierzehn Jahre nach Mylius’ Tod ein entsprechender Artikel im Biographischen Lexikon des Kaisertums Österreich dar, und ein weiterer, familiär inspirierter Einblick findet sich schließlich in den Heinrich Mylius gewidmeten Seiten in der 1895 erschienenen Familienchronik Geschichte der Familien Mylius.

5

6

Es sei darauf hingewiesen, dass auch im historischen Archiv der Villa Vigoni (= ASVV) kaum autographe Materialien des H. Mylius erhalten geblieben sind, da dessen privates, in Mailand geführtes (Korrespondenz-) Archiv verloren gegangen ist. Sämtliche Forschungen waren und sind daher auf sekundäre zeitgenössische Quellen angewiesen. Bei einem der beiden Begründer des Journals, dem Künstler und Direktor der Weimarer Zeichenschule Georg Melchior Kraus, handelt es sich um einen Onkel H. Mylius’ mütterlicherseits, der ihn 1794 auf seiner ersten Reise nach Norditalien begleitete und mit den geistigen Größen Weimars sowie dessen Hof bekannt machte; vgl. z.B.: G. Meda Riquier / M. Vangi (Hrsg.), in Zusammenarbeit mit V. Usselmann, „Das Schöne, das Nützliche und das Aufrichtige“. Goethe und Mylius in Italien, Loveno di Menaggio 2016.

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1. Samstag, 22.4.1854 2. Montag, 24.4.1854 3. Mittwoch, 26.4.1854 4. Sonntag, 30.4.1854 5. Sonntag, 30.4.1854 6. April 1854 7. April 1854 8. Dienstag, 2.5.1854 9. Dienstag, 27.6.1854 10. Sonntag, 26.6.1854 11. Sonntag, 9.7.1854 12. Sonntag, 16.7.1854 13. 1868 14. 1895

Nachruf Todesanzeige Nachruf Nachruf Nachruf Commemorazione Nachruf Nachruf Erwähnung Biographie Biographie Biographie Biographie Biographie

Gazzetta di Milano7 Gazzetta di Milano8 L’Italia musicale9 Gazzetta musicale di Milano10 Frankfurter Volksbote11 Crepuscolo12 Annali Universali13 Didasklia14 Corriere delle Dame15 Frankf. Volksbote, Rüppell16 Frankf. Volksbote, Rüppell17 Frankf. Volksbote, Rüppell18 Biographisches Lexikon19 Geschichte der Fam. Mylius20

Auswahl: Nachrufe und biographische Notizen mit musikkulturellen Bezügen

7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

„Cenno necrologico“, Gazzetta di Milano 112 (1854), S.643. „Morti in Milano nel giorno 21 Aprile 1854“, Gazzetta di Milano 114 (1854). „Enrico Mylius“, L’Italia musicale. Giornale di letteratura, belle arti, teatri e varietà VI/33 (1854), Titelseite. „Enrico Mylius“, Gazzetta musicale di Milano XII/18 (1854), S. 137–138, Titelseite. „Heinrich Mylius“, Frankfurter Volksbote 18 (1854), S.73, Titelseite. A. Allievi, „Commemorazione. Enrico Mylius“, Crepuscolo. Rivista settimanale di scienze, lettere, arti, industria e commercio IV/18 (1854), o.S. G. Sacchi, „Necrologia. Enrico Mylius“, Annali universali di statistica, economia pubblica, legislazione, storia, viaggi e commercio II/4 (1854), S. 109–112. „Heinrich Mylius“, Didaskalia oder Blätter für Geist, Gemüth und Publizität 32/105 (1854). „Rivista di giornali“, Il corriere delle dame. Giornale di mode, letteratura, belle arte, teatri e notizie politiche LI/26 (1854), S. 208. E. Rüppell, „Die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft und Heinrich Mylius sen.“, Frankfurter Volksbote 26 (1854), S.106–108. Ebd., „Die Senckenbergische […]. Fortsetzung“, Frankfurter Volksbote 28 (1854), S.114–115. Ebd., „Die Senckenbergische […]. Fortsetzung“, Frankfurter Volksbote 29 (1854), S.119–120. Art. „Mylius, Heinrich“, C. Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaisertums Österreich, Bd. 19, Wien 1868, S. 495–497. J.C. Mylius, Geschichte der Familien Mylius. Genealogisch-biographische Familienchronik der Mylius aller Zeiten und Länder, Buttstädt 1895, S. 197–200. Eine Ausgabe dieser Chronik befindet sich in der historischen Familien-Bibliothek der Villa Vigoni, versehen mit der Widmung „A Don Giulio Vigoni / in segno d’affettuoso ricordo / Otto de Neufville / Novembre 1895“. Diverse handschriftliche Eintragungen zeugen von einem intensiven Studium der eigenen Vorfahren rund um Heinrich und sind zudem Erklärung dafür, weshalb sich in der Erzählung der Familiengeschichte der Name Heinrichs bis in die letzte Generation stets auch in Verbindung mit dem Namen Mendelssohn erhalten hat.

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All diese Publikationen haben gemein, dass sie vorrangig an ein (musik-)kulturell interessiertes Publikum adressiert sind, einigen von ihnen ist zudem der Hinweis auf einen konkreten musikbezogenen Moment in Mylius’ Leben zu entnehmen. So heißt es zunächst in der Mailänder Gazzetta musicale: Kurze Zeit bevor er aufgefordert werden sollte, seinen letzten Tribut auf Erden zu zollen, wohnte er einer Aufführung des Oratoriums Paulus von Mendelsshon [sic] bei, eines weiteren Freundes und Landsmannes, mit welchem er über lange Zeit einen liebevollen Briefwechsel aufrecht erhielt, und wurde während der Aufführung der Schüler unseres musikalischen Konservatoriums, ganz nach seiner Art bescheiden in sich gekehrt, beim Applaudieren gesehen.21

Am gleichen Tag schreibt der Frankfurter Volksbote: Durch gemeinsame Freunde mit Felix Mendelssohn verbunden und ernste Musik liebend, fühlte er einen unwiderstehlichen Trieb, die Aufführung des Paulus zu hören. Dort sah man den neunzigjährigen erblindeten Greis mit größter Spannung jedem Tone folgen und zu dem: Ich rufe dich! Ich rufe dich! sein Amen sagen. Denn in wenigen Tagen darauf starb er.22

Und schließlich nimmt auch Rüppell zu dieser Begebenheit in seiner Rede vom 28. Mai 1854, gehalten aus Anlass des Stiftungsfestes der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft, Stellung: Die letzte Zeit seines Lebens erblindete der edle Greis beinahe gänzlich, und bedauerte dabei unendlich auf seine langgewohnte Thätigkeit ganz verzichten zu müssen. Er blieb fortwährend im vollen Genus aller seiner anderen intellectuellen Kräfte. Am letztverflossenen 17. April, in seinem 86ten Jahre, ging er noch in Mailand in das musikalische Conservatorium, um der Aufführung der berühmten Mendelsohnschen Tonsetzung „Paulus“ beizuwohnen; das dabei empfundene Entzücken hat sichtlich sein Nervensystem angegriffen.23

Rüppell konstruiert hier einen konkreten kausalen Zusammenhang zwischen dem Erblinden Mylius’ und dessen Zuwendung zur Musik und beschreibt diese als letztes dem intellektuell und kulturell nach wie vor aktiven Hochbetagten zugänglich gebliebenes Kunstmedium. Noch 1868 finden die Freundschaft mit Mendelssohn Bartholdy und der Besuch des Paulus im Biographischen Lexikon des Kaisertums Österreich und, im Wortlaut fast identisch, auch in der 1895 veröffentlichten Geschichte der Familien Mylius Erwähnung.24 Zwar ist davon auszugehen, dass dieses Nachrichtendetail v.a. in den beiden letztgenannten, Jahrzehnte nach Mylius’ Tod erschienenen Quellen ohne weitere Verifizierungen immer wieder aufs Neue reproduziert wurde – allein

21 22 23 24

Gazzetta musicale XII/18 (1854), S. 138 (ÜdA). Frankfurter Volksbote 18 (1854), S. 73, bzw. Didaskalia 32/105 (1854). Frankfurter Volksbote 29 (1854), S. 120. Es handelte sich um den 10. oder 11. April. Vgl. FN 19 und 20. Mylius, Geschichte der Familien Mylius, S. 198: „Durch gemeinsame Freunde mit Felix Mendelssohn Bartholdy verbunden und ernste Musik liebend, fühlte er am 17. April 1854 einen unwiderstehlichen Trieb, der Aufführung des ‚Paulus‘ beizuwohnen. Mit Entzücken und Spannung folgte er jedem Tone und sprach zu dem ‚Ich rufe dich!‘ sein gläubiges ‚Amen‘.“.

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die Erwähnung des Namens Mendelssohn dürfte Garant für eine erhöhte Aufmerksamkeit sowohl der deutsch- als auch der italienischsprachigen Medien gewesen sein. Dennoch nimmt diese konkrete Episode eine Schlüsselrolle bei der Erkundung des musikalischen Milieus des Heinrich Mylius’, seiner diesbezüglichen Interessen, Präferenzen und Kontakte ein. Sowohl der Hinweis auf den Besuch der Aufführung des Oratoriums Paulus, als auch das Indiz auf eine bestehende, intensive Freundschaft mit dem Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy lohnen eine vertiefende Nachforschung. Dass Heinrich Mylius am 10. oder 11. April 1854 in Mailand einer der beiden Aufführungen des Mendelssohn’schen Werkes beigewohnt hat, kann als nahezu gesichert gelten und manifestiert sich wie folgt: Das Oratorium Paulus war zu diesem Zeitpunkt bereits in ganz Europa bekannt und erfreute sich auch in Italien großer Beliebtheit. Die Wahl des Conservatorio als Aufführungsort in Mailand lässt sich einerseits mit dessen doppelter mission (musikalische „Erziehung“ sowohl der Schüler als auch des Publikums25) und andererseits mit den enormen quantitativen und räumlichen Anforderungen der Komposition erklären. Es handelte sich um ein wahres ,Großevent‘, vermutlich sogar um die erste Darbietung des Werkes in der Stadt,26 verbunden mit einer entsprechend großen öffentlichen Aufmerksamkeit. Hinsichtlich der weit über die üblichen Maße eines lokalen Konzertereignisses hinausreichenden Dimensionen hebt die Gazzetta musicale die besondere klangliche Balance hervor, die man trotz, oder gerade wegen „einer Masse an über einhundertvierzig größtenteils junger, frischer und klangvoller Stimmen“27 erzielte. In der Tat waren die beteiligten Musiker vorrangig Schüler und Dozenten des Conservatorio sowie Berufsmusiker.28 Lobend heißt es in der Kritik, es sei „von Allem das Beste, was man aus den Mitteln, über welche die Stadt verfügt, erhalten konnte“.29 Im

25 Vgl. „a B. Malfatti“ [Rezension des Paulus in Briefform], Gazzetta musicale di Milano XII/16 (1854), S. 125: „[…] poi il Conservatorio non ha per solo scopo di formare degli abili esecutori, ma anche quello di raffinare il buon gusto coll’esecuzione di quegli acclamati lavori d’ogni tempo e nazione che difficilmente possono udirsi fuori delle pareti dei Conservatori.“. 26 Vgl. ebd. S. 123: „[…] vi pungerà desiderio di conoscere qual fosse l’esito del Paulus tra noi. Sarete impaziente di sapere se questa musica piacque ai milanesi.“. 27 Vgl. ebd. S. 124; (ÜdA). 28 Neben 17 als Solisten angeführten Studenten, Ehemaligen und Berufssängern ist die Rede von „Coro di N. 120 Allievi d’ambo i sessi dell’I.R. Conservatorio, oltre 10 Tenori e 10 Bassi estranei al medesimo, con N.60 Professori d’orchestra, dei quali 30 appartenenti all’Istituto“, vgl: „Esecutori dell’oratorio“, in: D. Capranica, La conversione di S. Paolo. Grande oratorio del maestro Felice Mendelssohn Bartoldy. Da eseguirsi per due volte consecutive nei giorni 10 ed 11 aprile 1854 nell'I.R. Conservatorio di musica in Milano, Mailand: Pirola 1854. Zu den Hintergründen der italienischen Fassung des Paulus vgl. z.B. P. Zappalà, „Business is War. Mendelssohn and His Italian Publishers“, in: N. Grimes / A.R. Mace (Hrsg.), Mendelssohn Perspectives, Farnham 2012, S. 314–316. 29 Gazzetta musicale XII/16 (1854), S. 124; (ÜdA). Auch die Italia Musicale spricht von einer „esecuzione modella“ (L’Italia Musicale VI/29 (1854), „La Conversione di S. Paolo […]“).

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Archiv des Conservatorio30 lassen sich noch konkretere Hinweise zu den Umständen der Veranstaltung finden, so z.B. in Form einer an den Curatore Governativo Galeazzo Manna gerichteten Mitteilung der Polizeidirektion, die zu „Aufsicht und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ einen Korporal samt sechsköpfiger Eskorte entsandte.31 Zudem verdeutlicht ein Beschluss des Direttore degli Studi Lauro Rossi, der für die Aufführung verantwortlich zeichnete, den erheblichen Aufwand der vollständig involvierten Institution: Da die Probearbeiten zu einer Unterbrechung des Unterrichts geführt hätten, kündigte Rossi zunächst an, die anstehenden Semesterprüfungen zu verschieben, und schließlich jene zu Gunsten der anstehenden Abschlussprüfungen gänzlich ausfallen zu lassen.32 Bereits auf Basis dieser Quellen, die auch ein den I.R. Consiglieri vorbehaltenes Kontingent an 44 Eintrittskarten erwähnen,33 kann eine Teilnahme von Mylius – stadtbekannt für sein Engagement in der Förderung von Kindern und Jugendlichen34 – an dem Konzert als sehr wahrscheinlich gelten. 2.2. „… und dann Erard und diesen Kaufleuten den Transport zu überlassen …“ Es bleibt die Frage nach der Existenz des mehrmals erwähnten persönlichen Kontakts zwischen Mylius und Felix Mendelssohn Bartholdy, nach dessen Rolle und seinen Dimensionen. Befindet sich auch unter den bisher bekannten Quellen kein autographes Dokument, das tatsächlich genannten „liebevollen Briefwechsel“ (Gazzetta musicale) der beiden bezeugen könnte, so lässt sich dennoch ein enges Netz an Indizien knüpfen, welches die These einer näheren Bekanntschaft zwischen Mylius und Mendelssohn stützt und sogar eine entfernte verwandtschaftliche Beziehung der beiden enthüllt. Zu diesem Zwecke lohnt eine detaillierte Analyse und Rekonstruktion des Zeitraums Mai 1830 bis Juli 1831 rund um die Hauptakteure Johann Wolfgang und August von Goethe, Heinrich Mylius und Felix Mendelssohn Bartholdy. Auf seiner gemeinsam mit Johann Peter Eckermann am 22. April 1830 in Weimar angetretenen Italienreise kam August von Goethe am 10. Mai in Mailand an. Einer seiner ersten Schritte in der Stadt musste ihn in das Haus Mylius geführt haben, denn in seinem Reisetagebuch hielt er noch am Ankunftstag fest: Ich gedenke 8–10 Tage hier zu bleiben, denn so viel wird wohl nöthig seyn um alles ruhig durchzusehen, zwei unangenehme Dinge treffen mich nämlich: daß della Scala geschlossen,

30 Gedankt sei an dieser Stelle Prof. Gianni Fidanza und Prof. Licia Sirch, die mir Zugang zu diversen, noch nicht katalogisierten Archivalien ermöglicht haben. 31 Vgl. A. Martinez, Mitteilung vom 9.4.1854 an den Curatore Governativo dell’I.R. Conservatorio. N.15521, Sez.1, I-Mc, Archivio della presidenza 70 (1854); (ÜdA). 32 Vgl. L. Rossi, Mitteilung vom 24.4.1854 an die Curatela Governativa dell’I.R. Conservatorio, I-Mc, Archivio della presidenza 74 (1854). 33 Vgl. G. Manna, Einladungsschreiben vom 4.4.1854 an Sua Eccellenza il Sig. Cav. Luogotenente della Lombardia, I-Mc, Archivio della presidenza 70 (1854). 34 Vgl. entsprechende Hinweise z.B. in Crepuscolo IV/18 (1854); L’Italia Musicale VI/33 (1854).

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Viola Usselmann und Myliussens einziger Sohn in Triest gestorben ist, die Eltern kommen heute an und ich will sehen ob ich in diesen Tagen meine Geldgeschäfte mit diesem Hause abmachen kann denn diese uns befreundete Familie geht bald auf ihre neu gekaufte Villa an den Comer See. Die Nachricht über diesen Trauerfall verstimmte mich sehr, da man einen Anhaltepunct für OberItalien doch theilweise verliert, und diese guten Menschen in so einem unabsehbaren Unglück sehen muß. Der junge Mann soll an einer Unterleibs-Entzündung gestorben seyn, hat sich aber noch im Sterben mit seiner Braut trauen lassen.35

In seinen ersten zwei Wochen in Mailand hatte August fast täglichen Kontakt mit der Familie Mylius und suchte diese sowohl in ihrem Mailänder Wohnsitz als auch in deren Landhaus in Sesto S. Giovanni auf. Heinrich Mylius und seine Familie waren dank der bereits bestehenden intensiven Bekannt- und Freundschaft mit Johann Wolfgang von Goethe36 ein sehr wichtiger „Anhaltepunct für Ober-Italien“, was zunächst bedeutete, dass August sich insbesondere wegen finanzieller Angelegenheiten an Mylius wandte und von dessen Handelstätigkeit profitierte, um verschiedene Versendungen abzuwickeln.37 Es klingen aber auch persönlichere Kontakte durch, so teilte er seinem Vater mit, dass das Mylius’sche Haus auch weiterhin seine Postadresse in Mailand sei, ließ Grüße der gesamten Familie Mylius an Goethe sen. und Ottilie ausrichten und berichtete, dass Heinrich Mylius ihn aufgesucht hätte, um sich zu verabschieden, da die Familie zu ihrer Residenz am Comer See (Menaggio) aufbräche.38 Gegen Ende Juni unternahm August einen Tagesausflug in Begleitung von Mylius’ Neffen Georg,39 mit welchem er u.a. die zum Verkauf stehende „Villa des verstorbenen Grafen Pationi“ besichtigte.40 Nach fast zweimonatigem Aufenthalt in Norditalien, rund um das ‚Basislager‘ Mailand, verabschiedete er sich von Heinrich Mylius am 4. Juli 1830.41 35 A. von Goethe, Tagebuch 1830. Auf einer Reise nach Süden, Erstdruck nach den Handschriften, hrsg. von A. Beyer / G. Radecke, München / Wien 1999, S. 24. 36 Näheres zum Verhältnis Goethe-Mylius z.B. in: S. Bertolucci / C. Liermann / G. Meda Riquier / A. Venturelli (Hrsg.), Weimar 1818. Goethe, Cattaneo, Mylius, Manzoni, Loveno di Menaggio 2004. 37 Vgl. Einträge vom 13.–24.5.1830, A. von Goethe, Tagebuch 1830, S. 28–43. Unter den diversen Kunstgegenständen, die er seinem Vater nach Weimar schickte, befand sich als wahre Kuriosität auch eine „große papierne Reiterfahne von Mailand“, welche die Weimarer „Betrachtenden in Erstaunen und Bewunderung [setzte]“ (Briefe an August von Goethe vom 5.7. und 9.8.1830, J.W. von Goethe, WWA 40, 4. Abth. 47. Band: Briefe 1830, S. 132, 169). 38 Vgl. Einträge vom 21., 18. und 27.5.1830, A. von Goethe, Tagebuch 1830, S. 39, 35, 48. Auch August hatte den Comer See bereits besucht – seine Exkursion hatte ihn über Lecco, Varenna, Villa Sommariva, Villa Melzi, Bellagio, Torno, Villa Pliniana nach Como geführt (vgl. Eintrag vom 19.5.1830, ebd., S. 35–38). 39 Georg Melchior Mylius (1795–1857) war bereits seit 1825 Teilhaber der Firma Enrico Mylius & Co. in Mailand und übernahm Ende 1837 gemeinsam mit seinem Bruder Heinrich Mylius d.J., dessen Tochter Sophie er 1833 heiratete, die Geschäfte des Onkels in Mailand. 40 Eintrag vom 28.6.1830, A. von Goethe, Tagebuch 1830, S. 91; es handelt sich vermutlich um die Villa des Grafen Anton Joseph Batthyany (1762–1828) in Gorla (Mailand), heute Villa Finzi (vgl. „Avviso d’Asta“, Gazzetta privilegiata di Milano 16 (1832), S. 64). Für diesen Hinweis danke ich meinem Kollegen Giovanni Meda Riquier. 41 Vgl. Eintrag vom 4.7.1830, ebd., S. 99; die definitive Abreise erfolgt erst einige Tage später.

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Zeitgleich zu Augusts Aufenthalt in Mailand und Oberitalien beherbergte sein Vater (J.W. von Goethe) in Weimar Felix Mendelssohn Bartholdy,42 der sich ebenfalls auf der Reise gen Italien befand und dessen lediglich als Zwischenhalt geplante Weimarer Etappe nicht zuletzt wegen der von Goethe in Auftrag gegebenen Anfertigung eines Portraits durch Johann Joseph Schmeller fast zwei Wochen andauerte (21.5–3.6.1830).43 Während dieser Zeit erhielt Goethe mehrmals Post von seinem Sohn, dessen Berichte aus Mailand in gesellschaftlicher Runde auch in Anwesenheit Mendelssohns zum Besten gegeben wurden: Augusts Tagebuch aus Mayland lebhaft und gut. […] Die jungen Leute versammelten sich in den vorderen Zimmern und musicierten. Mittags Fräulein von Froriep, Ulrike, Felix. Wurde Augusts Tagebuch produciert. Fräulein Froriep war auch in Ober-Italien gewesen und nahm daher vorzüglichen Antheil. Nach Tische las ich in Erhards Nachlaß. Felix spielte später gar lobenswürdige Stücke von seinen eigenen.44

Es kann davon ausgegangen werden, dass die Tage in Weimar der Moment waren, in dem Mendelssohn zum ersten Mal von Heinrich Mylius, dessen Familie sowie deren Verbindung mit Goethe erfuhr. Einige Tage später setzte er seine Reise in Richtung Italien fort, blieb mit Goethe weiterhin in brieflichem Kontakt und befand sich ebenfalls in Rom, als August dort am 26./27. Oktober 1830 starb; dieser Trauerfall intensivierte die Beziehung von Mylius und Goethe abermals. Das erste von Goethe an Mylius gerichtete Beileidsschreiben nach dem Tod dessen Sohnes Julius – Goethe hatte hiervon bereits vor der Mitteilung Augusts aus Mailand (s.o.) durch Heinrich Mylius’ Schwager, dem Weimarer Hofadvokat Carl August Constantin Schnauß erfahren – findet sich in Form eines relativ kurz gehaltenen Briefes.45 In der tragischen Lage des um den Sohn trauernden Vaters sah sich Goethe mit Mylius vereint („Sie betrauerten auf das schmerzlichste den Verlust eines blühenden hoffnungsvollen Sohnes, als Ihnen der meinige freundlichst anempfohlen wurde […]“) und nahm dies offensichtlich zum Anlass, sich in einem ausführlichen Schreiben an Mylius zu wenden, in welchem er auch explizit die Position erwähnte, die dieser für August in Italien eingenommen hatte („Ihr gütiger Empfang in der herrlichen Lombardei wirkte auf ihn höchst heilsam. […] Auf allen diesen seinen Wegen haben Ihre gütigen Empfehlungen ihn durchaus geleitet und begleitet, auch die Mittel angewiesen seine Zwecke durchzuführen.“46). Im weiteren Verlauf involvierte 42 Vgl. Brief an die Familie vom 24.5.1830, F. Mendelssohn Bartholdy, Sämtliche Briefe, Bd. 1, 1816 bis Juni 1830, hrsg. und kommentiert von J. Appold / R. Back, Kassel u.a. 2008, S. 530: „Der junge Goethe ist nicht hier; er reist in Italien, um seine Gesundheit, die sehr gelitten haben soll, wieder herzustellen; was ich von ihm hier gehört habe, will nicht recht erfreulich klingen, so daß ich es nicht allzu sehr bedaure ihn zu versäumen.“. 43 Vgl. Brief an die Familie vom 24.5.1830, ebd., S. 529–531. 44 Tagebucheintrag vom 2.6.1830, J.W. von Goethe, WWA 89, 3. Abth., 12. Band: Tagebücher 1829–1830, S. 250–251. 45 Vgl. Brief an Heinrich Mylius vom 14.5.1830, J.W. von Goethe, WWA 140, 4. Abth. 47. Band: Briefe 1830, S. 61–62. 46 Brief an Heinrich Mylius vom 3.2.1831, J.W. von Goethe, WWA 141, 4. Abth. 48. Band: Briefe 1830–1831, S. 107–108.

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Goethe Mylius schließlich in die vertrauliche Aufgabe des Rückversandes der Habseligkeiten seines Sohnes.47 Zeugnis des vertrauensvollen Verhältnisses Goethes zu Mendelssohn hingegen ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass er jenen 1831 nach dem Tod Augusts gar mit „mein lieber Sohn“48 anspricht. Aufgrund dieser engen Beziehung und der oben beschriebenen Berichterstattung Augusts aus Mailand während Mendelssohns Weimarer Aufenthalt ist demnach davon auszugehen, dass jenem der Name Heinrich Mylius bereits geläufig war, als er am 7. Juli 1831 auf dem Rückweg seiner Italienreise in Mailand eintraf. Einem entsprechenden Vermerk über Ankünfte/Abreisen und Unterkünfte der nach/von Mailand Reisenden in der Gazzetta privilegiata di Milano ist zu entnehmen, dass der als „proprietario“ klassifizierte Mendelssohn sich zudem im gleichen Hotel (Reichmann) niederließ wie ein Jahr zuvor August von Goethe.49 Laut seinen Reisebriefen verbrachte Mendelssohn sowohl einige Tage in Mailand (7.–19.7.),50 als auch am Comer See (ca. 19.–23.7.)51 und berichtete am 24. Juli 1831 vom Lago Maggiore aus: Jetzt habe ich historisch nachzutragen, wie ich hierher gekommen bin. Noch den letzten Augenblick in Mailand besuchten mich Ertmanns auf meiner Stube, und wir nahmen so herzlichen Abschied, wie ich lange nicht von Leuten genommen habe. […] Eine andere, sehr liebe Bekanntschaft, die ich dort gemacht habe, ist die des Herrn Mozart,52 der dort angestellt, eigentlich

47 Vgl. Briefe an Georg August Christian Kestner vom 11.6. und 29.7.1831, ebd., S. 232–233 und WWA 142, 4. Abth. 49. Band: Briefe 1831–1832, S. 23. 48 Brief an Felix Mendelssohn Bartholdy vom 9.9.1831 ebd., S. 66. Vgl. auch entsprechende Beobachtung von W. Seidel in F. Mendelssohn Bartholdy, Sämtliche Briefe, Bd. 2, Juli 1830 bis Juli 1832, hrsg. und kommentiert von A. Morgenstern / U. Wald, Kassel u.a. 2009, S. 16. 49 „Arrivi e partenze del giorno 7 luglio“, Gazzetta privilegiata di Milano 190 (1831), S. 748: „Rostagny, propriet., da Torino […] Mendelsohw Bartoldi [sic], idem, da Genova, al n.4203“. Die „n.[umero civico] 4203“ (heute: Corso di Porta Romana 3) steht für den zu Beginn des 17. Jahrhunderts generalrenovierten Palazzo Acerbi, ist zunächst als Hotel Armonia bekannt und wird gegen Ende des 18. Jahrhunderts von Friedrich Reichmann erworben. Das gleichnamige Hotel Reichmann zählt über ein Jahrhundert lang zu den ersten Adressen für deutsche Reisende in Mailand, unter ihnen z.B. im Jahr 1828 Heinrich Heine. Vgl. S.R. Ribaudo, Palazzo Acerbi http://www.lombardiabeniculturali.it/architetture/schede-complete/LMD80-00251 [15.04.2018] und G. Geronimo, Milano ospitale 1827–1914. Storia e storie di un secolo degli alberghi milanesi con cartografia storica e nuove tecnologie Web-GIS, Dissertation thesis, Alma Mater Studiorum Università di Bologna 2008, http://amsdottorato.unibo.it/1146 [15.04.2018], S. 130–133. 50 Vgl. Briefe vom 7.–19.7.1831, Mendelssohn Bartholdy, Sämtliche Briefe, Bd. 2, S. 308–329. 51 Vgl. Brief an die Familie vom 24.7.1831, ebd., S. 329–332. 52 Das Verhältnis zwischen dem in Mailand ansässigen Mozart-Sohn Carl Thomas und der Familie Mylius wird noch weiter erforscht. H. Mylius zählte zu den „Subscriventen“ der 1828 erschienen Biographie Mozarts: G.N. von Nissen / C. Mozart (Hrsg.), Biographie W.A. Mozart’s. Nach Originalbriefen, Sammlungen alles über ihn Geschriebenen, mit vielen neuen Beylagen, Steindrücken, Musikblättern und einem Facsimile, Leipzig: Breitkopf und Härtel 1828, S. XLI; zudem wird die Firma Enrico Mylius & Co. im Jahr 1856 in diversen internationalen Musikzeitschriften (vgl. Neue Berliner Musikzeitung 14 (1856), S. 109; Guide Musical 9 (1856), S. 2) als Adressat eines Spendenaufrufs für den in Armut geratenen C.T. Mozart genannt.

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aber ein Musiker ist, dem Sinn und Herzen nach. […] Er gab mir Briefe an Bekannte am Comersee mit, und da habe ich auch einmal in eine italienische Kleinstädterey hineingeguckt, und mich ein Paar Tage mit dem Doctor, dem Apotheker, dem Richter, und andern Leuten des Ortes ganz wohl unterhalten. […] Dann badete ich mich oft im See, zeichnete, ging mir die Füße durch, fuhr gestern über den Luganersee, der mit seinen Wasserfällen und den schwarzen Wolkenbergen ein böses Gesicht schnitt, dann über die Berge nach Luvino, dort ging ich wie gesagt in Pantoffeln spazieren und bin heut zu Dampf hier angekommen.53

Am 19. Juli 1831 war Mendelssohn von Mailand in Richtung Comer See aufgebrochen.54 Während des mehrtägigen Aufenthalts fertigte er in seinem Zeichenbuch55 u.a. eine Seeansicht aus Perspektive des Parks der heutigen Villa Carlotta (vormalig Sommariva) an, was einen Aufenthalt in Cadenabbia nahelegt.56 Sein Bericht an die Familie, für dessen verspätete Versendung er sich entschuldigte, da es „nicht möglich [sei], hier in den Bergen einen Brief sicher zu bestellen“ ,57 quillt über an ausführlichen, begeisterten Beschreibungen der Landschaft („Aber glaubt mir, die Italiänischen Seen sind nicht das Unbedeutendste im Lande, anzi. Schöneres hab ich noch nicht gesehen.“58) und der Verkehrsmittel auf dem See („Die Dampfboote sind prächtig; man fliegt und hat doch Zeit alles zu übersehen, kann aussteigen, wo man will, ist nirgends übereilt, sie gehen alle Tage und holen einen wieder ab, von wo man will […]“59), enthält allerdings keine weiteren Details zu konkreten Aufenthaltsorten; um von Cadenabbia aus über den Luganer See auf die Borromäischen Inseln zu gelangen, musste Mendelssohn zwar durch Menaggio gereist sein, vermutlich fand dort aber kein Treffen mit Mylius statt.60 Hingegen erlaubt der im Brief erwähnte Name Ertmann, eine direkte Brücke zu Heinrich Mylius und dessen Familie zu schlagen. Soeben in Mailand eingetroffen 53 Mendelssohn Bartholdy, Sämtliche Briefe, Bd. 2, S. 331–332. 54 Vgl. entsprechende Bemerkungen in den Briefen an Eduard Devrient und Aloys Fuchs vom 19.7.1831, ebd., S. 327 u. 329; vgl. ebenso Notizbucheintrag, GB-Ob, M.D.M. g.3, fol.30r. 55 Bereits in einem Brief an die Familie vom 14.7.1831 kündigte er an: „Ich will nämlich etwa 6– 8 Tage auf die drei Seen von Como, Lugano und den maggiore verwenden, um wieder einmal recht viel zu zeichnen, und die frische kühle Luft zu schnappen“, ebd., S. 322. 56 Auf Grundlage der am 22.7.1831 angefertigten Zeichnung (GB-Ob, M.D.M. d.3, fol.23) erstellte Mendelssohn sechs Jahre später, während seiner Hochzeitsreise, ein Aquarell (vgl. Eintrag vom 23.6.1837 in: Felix und Cécile Mendelssohn Bartholdy, Das Tagebuch der Hochzeitsreise nebst Briefen an die Familien, hrsg. von P. Ward Jones, übers. von T. SchmidtBeste, Zürich 1997, S. 82). Auf einem mir von Frau Cornelia Thierbach, Leiterin des Mendelssohn-Hauses in Leipzig, großzügiger Weise zur Verfügung gestellten Scan der Zeichnung (Vorlage Bildband: R. Koyanagi (Hrsg.), Mendelssohn, Tokyo 1992) sind zudem am oberen Bildrand diverse topographische Anmerkungen der gegenüberliegenden Seeseite zu entschlüsseln („Fiume Latte“, „Bellagio“, „villa Serbeloni“, „Cadenabia 22 Juli 31“, „Villa Melzi“). Gleicht man diese Angaben sowie den Blickwinkel vor Ort ab, so wird die Annahme bestätigt, dass Mendelssohn sich zur Anfertigung der Ansicht auf der kleinen Anhöhe in der Gartenanlage wenige hundert Meter nördlich hinter der Villa Sommariva befunden haben muss. 57 Brief an die Familie vom 24.7.1831, Mendelssohn Bartholdy, Sämtliche Briefe, Bd. 2, S. 329. 58 Brief an die Familie vom 24.7.1831, ebd., S. 330. 59 Brief an die Familie vom 24.7.1831, ebd., S. 332. 60 Mylius hält sich zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich in Mailand oder Sesto auf, vgl. FN 47.

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– das Mendelssohn als „Platanenstadt“61 wahrnimmt – erkundigte er sich nach dem habsburgischen Stadtkommandeur und wurde an General von Ertmann62 verwiesen, dessen Bekanntschaft er anschließend im Zuge eines „verrückten Streich[es]“63 macht, da er sich diesem spontan und ohne Empfehlungsschreiben präsentierte. Mit dem intellektuell versierten Ehepaar Ertmann, dessen Namen Mendelssohn sogleich mit der „adur Sonate von Beethoven mit ihrer Dedication“64 in Verbindung brachte und welchem wiederum sein Name bereits ein Begriff war, schloss er umgehend Freundschaft, ließ sich Mailand erklären und fand in der Baronin Dorothea von Ertmann65 eine herausragende Pianistin: […] und um 2 lernte ich nun die „Freyfrau Dorothea v. Ertmann“ kennen. Sie nahm mich sehr freundlich auf, war auch sehr gefällig, spielte mir gleich die cis moll Sonate von Beethoven vor, dann die aus dmoll, der alte General, der nun in seinem stattlichen Commandeurrock mit vielen Orden erschien, war ganz glücklich, weinte vor Freuden, weil er seine Frau so lange nicht hatte spielen hören, es sey in Mailand kein Mensch der so was anhören wolle, sie sprach von dem bdur Trio, dessen sie sich nicht entsinnen könne, ich spielte ihr es und sang die Stimmen dazu, das machte dem alten Ehepaar viel Freude und so war die Bekanntschaft geschlossen. Seitdem sind sie nun wirklich von einer Freundlichkeit gegen mich, die mich beschämt; der alte Generale zeigt mir die Merkwürdigkeiten von Mailand, Nachmittags holt sie mich im

61 Vgl. Brief an Eduard Devrient vom 13.7.1831, Mendelssohn Bartholdy, Sämtliche Briefe, Bd. 2, S. 325: „Mailand ist eigentlich eine Platanenstadt; das ganz Nest steckt tief in Baumalleen, Gärten, Reis und Maisfeldern, und um die Wälle innen und außen laufen doppelte Platanenalleen herum […]“. Diese und weitere Naturbeobachtungen sind insofern wichtig, als sie für Mendelssohn Erklärung und Rechtfertigung zugleich sind, das von ihm v.a. hinsichtlich des musikalischen Lebens sehr stark kritisierte Italien als Kunstnation zu definieren: „Aber es ist doch ein Land der Kunst, denn es ist das Land der Natur, und da lebt und webt es überall, im blauen Himmel, und im Meere und in den Bäumen giebt es genug Musik“, ebd., S. 326. 62 Stephan Leopold Freiherr von Ertmann (1769–1835) wurde Anfang 1814 zum Kommandant des Niederösterreichischen Infanterie-Regiments Nr. 4 ernannt, das bis 1815 in Mailand stationiert war. Nach diversen Zwischenstationen kehrten die Ertmanns infolge Stephans Ernennung zum Generalmajor und Stadtkommandeur im April 1824 dorthin zurück und blieben, ausgenommen von einem Wiener Aufenthalt 1825/26, bis zu seinem Tod im September 1835 in Mailand ansässig. Vgl. A. von Wrede, Geschichte der K. und K. Wehrmacht, Bd.1, Wien: Seidel & Sohn 1898, S. 138–144. 63 Brief an die Familie vom 14.7.1831, Mendelssohn Bartholdy, Sämtliche Briefe, Bd. 2, S. 319– 320. 64 Brief an die Familie vom 14.7.1831, ebd., S. 319; es handelt sich um die Dorothea Catharina von Ertmann gewidmete Klaviersonate op. 101. 65 Dorothea von Ertmann (1781–1849) entstammte der Frankfurter bzw. Offenbacher Gold- und Schmuckwarenfabrikanten-Dynastie Graumann, heiratete am 10.8.1798 in Frankfurt den österreichischen Offizier Stephan von Ertmann, war eine brillante Pianistin und wurde auch in Italien allerdings vorrangig in ihrer Eigenschaft als Beethoven-Schülerin und -Interpretin wahrgenommen. Vgl. K.M. Kopitz, Art. „Dorothea von Ertmann“, in: B. Borchard / N. Noeske (Hrsg.), MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung. Lexikon und multimediale Präsentationen, 2003 ff., http://mugi.hfmt-hamburg.de/artikel/Dorothea_von_Ertmann [15.04.2018]; A. Focher, „La baronessa Dorothea von Ertmann, Beethoven, e Mendelssohn. Momenti di vita musicale tra Vienna e la Milano asburgica“, Nuova Rivista Musicale Italiana 3 (2011), S. 335– 358.

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Wagen ab um auf den Corso zu fahren, die Abende bis 1 Uhr machen wir Musik, gestern früh führten sie mich in die Umgebung spazieren, Mittags mußte ich da essen, Abends war Gesellschaft da, und dazu sind es die angenehmsten und gebildetsten Leute, die man sich denken kann; […] Kurz mir ist wieder einmal so wohl zu Muthe geworden und so behaglich, und ich brauche so gar nicht zu schminken oder zu schweigen, sondern wir verstehen uns so prächtig über Alles.66

Dank ihrer profunden musikalischen Ausbildung und ihrer ausgeprägten Fähigkeiten einer kultivierten Salonnière spielte Dorothea von Ertmann wie bereits zuvor in Wien auch in Mailänder Kreisen eine bedeutende Rolle. Sie wandelte das Hause Ertmann in einen jener multifunktionalen salotti musicali,67 in denen bei Kammermusikabenden und musikalischen Akademien der musikkulturelle Austausch befördert und soziale Netzwerke geknüpft wurden.68 Zum Freundeskreis der Ertmanns gehörte auch die Familie Mylius, wie ein herzlicher Eintrag Dorotheas in das Album von Heinrichs Großnichte Sophie69 bekundet, dessen freundschaftlicher Ton über eine bereits länger andauernde Bekanntschaft sowie eine gewisse Intimität zwischen den beiden Familien Aufschluss gibt: Ihre liebenswürdige Bekanntschaft, meine schöne junge Freundin, / zähle ich, trotz des großen Unterschiedes unseres Alters, unter /die freundlichsten Begegnungen meines Lebens. / Durch die Schilderungen Ihres werthen Gatten schon mit allen / Ihren Vorzügen voraus bekannt, fand ich doch meine Erwartungen / in Ihnen bei weitem übertroffen. Als würdige Tochter einer /

66 Brief an die Familie vom 14.7.1831, Mendelssohn Bartholdy, Sämtliche Briefe, Bd. 2, S. 320– 321. 67 Ein diesbezüglicher Hinweis findet sich z.B. im Brief an die Familie vom 24.7.1831, ebd., S. 332: „[…] einen Abend bei Ertmanns, als viele Musik von Beethoven gemacht worden war […]“. Trotz der zahlreichen nachgewiesenen Querverbindungen bei Focher ist das Wirken Dorothea von Ertmanns in Mailand noch zu wenig erforscht. Eine Analyse erwiese sich, ausgehend von Ertmanns sozialem Kontext (gehobenes Wiener Bürgertum, Militär, Bankiers- und Verlagswesen) und ihrer musikalischen Prägung durch die Wiener Klassik, als aufschlussreich, nicht nur bzgl. der Verbreitung und Manifestierung eines entsprechenden Kammermusikrepertoires im habsburgischen Mailand (vgl. hierzu z.B.: L. Aversano, Die Wiener Klassik im Lande der Oper. Über die Verbreitung der deutsch-österreichischen Instrumentalmusik in Italien im frühen 19. Jahrhundert (1800–1830), Laaber 2004), sondern auch hinsichtlich der Wirkungsweisen eines lombardisch-österreichischen Sonderfalls sowie des frühen Entwicklungsstadiums der europäischen Einrichtung Musiksalon. Ähnliche Fallbeispiele, allerdings unter anderen zeitlichen und geographischen Prämissen, sind „Der Salon der Nadine Helbig in Rom (1866–1922). Musikalische Visionen der „Ewigen Stadt“, DFG-Forschungsprojekt 2009– 2012, (http://gepris.dfg.de/gepris/projekt/120114937/ergebnisse [15.04.2018]; Leitung: Prof. Dr. Sabine Meine) und C. Steffan, Il salotto di Vittoria Carandini Trivulzio e il suo album di autografi, Quaderni Estensi VI (2014), S. 105–125. 68 Verwiesen sei auf die detaillierte Studie von C. Steffan, Cantar per Salotti. La musica vocale italiana da camera (1800–1850): testi, contesti e consumo (= Musicalia. Annuario internazionale di studi musicologici, 2/2005), Pisa / Rom. 69 Sophie Elise Mylius (1817–1848), Tochter von Heinrich Mylius’ Neffen Heinrich d.J., wuchs in England auf und ließ sich nach der Heirat mit ihrem Onkel Georg (s. FN 39) am 15.7.1833 in Frankfurt definitiv in Mailand nieder.

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Viola Usselmann vortrefflichen Mutter, wird ihr Vorbild in Ihnen fortleben, und / Sie überall Freunde finden lassen, die Ihren inneren Werth / zu schätzen verstehen. Dieser ist es der bei allen übrigen / schönen Eigenschaften, die Sie schmücken, mich theilnehmend / zu Ihnen hinzog. Schenken Sie einstens, wenn mein / unstätes Geschicke mich von Ihnen trennen sollte, zuweilen / innige Augenblicke liebevoller Erinnerung / Ihrer alten Freundin / Dorothée von Ertmann / geborene Graumann / Mailand den 6ten Februar / 183570

Aus diesen Zeilen ist ersichtlich, dass Dorothea von Ertmann sowohl die Mutter Sophies (Sophie Mennet, 1796–1874), deren „werthen Gatten“ (Georg Mylius) als auch Sophie persönlich gut kannte. Felix Mendelssohn Bartholdy könnte folglich während einer der musikalischen Gesellschaften der Ertmanns im Juli 1831 auch Mitglieder der Familie Mylius kennen gelernt haben.71 Von einer ausdrücklichen Wertschätzung des Komponisten durch die Familie Mylius zeugt zudem die nicht unerhebliche Anzahl an Erst- und Frühdrucken Mendelssohn’scher Klavier- und Kammermusik im Musikalien-Archiv der Familien Mylius-Vigoni.72 Handelt es sich hierbei en gros um das Erbe mehrerer Generationen, so ist zumindest ein Teil davon Sophie Mylius zuzuordnen.73 Dies lässt den Rückschluss zu, dass es sich bei Sophie um eine zumindest gute Pianistin gehandelt haben muss, was wiederum Erklärung für das auf einer gemeinsamen musikalischen Sprachebene beruhende, innige Verhältnis zu Dorothea von Ertmann sein könnte. Betrachtet man eingehender die familiären und geschäftlichen Verflechtungen der Familie Mylius, so erschließt sich eine weitere Ebene des Verhältnisses zwischen Mylius und Mendelssohn: die verwandtschaftliche.74 Sechs Jahre nach seiner

70 S. Mylius, Album, ASVV, G.663, fol.46r /v. 71 Ein Brief an Goethe aus Mailand, in dem er eine entsprechende Bekanntschaft erwähnt haben könnte, ging wahrscheinlich verloren. Vgl. Brief an Felix Mendelssohn Bartholdy vom 9.9.1831, J.W. von Goethe, WWA 142, 4. Abth. 49. Band: Briefe 1831–1832, S. 66. 72 Darunter eine Erstausgabe des Scherzo für das Pianoforte, h-Moll (MWV U 69), Berlin: Schlesinger o.J., PN S. 1565 (ASVV, Sp. 106a). Anm.: Die Analyse und Kontextualisierung dieser und weiter unten folgender Dokumente des musikalischen Archivs der Mylius-Vigoni, aufbewahrt im ASVV, wird in meiner in FN 4 beschriebenen Promotionsarbeit erfolgen. 73 So ein mit Lederintarsien und Goldprägungen verzierter Deckenband diverser, u.a. Mendelssohn’scher Klavierwerke, bei dem es sich angesichts der frontalen Inschrift („Mrs George Mylius 1833“) und der handschriftlichen Eintragung auf dem Titelblatt („Sophia Eliza Mylius / Clapham Common / August 1833“) um ein Verlobungs- oder Hochzeitsgeschenk Georgs handeln könnte (ASVV, Sp. 099a-r). 74 Aufschlussreiche und detaillierte Quelle bezüglich der hochkomplexen Verwandtschaftsbeziehungen rund um die Familien Souchay, Schunck, Mylius, Bennecke und Mendelssohn ist G. Roths, Max Webers deutsch-englische Familiengeschichte 1800–1950, Tübingen 2001, hier insbesondere die Kapitel II.2., III und IV.4. Zu H. Mylius’ familiär-geschäftlichen Netzwerken in Mailand s. auch A. Moioli, „Enrico Mylius. Negoziante e banchiere“, in: R. Pavoni (Hrsg.), ‚… rispettabilissimo Goethe… caro Hayez… adorato Thorvaldsen…‘. Gusto e cultura europea nelle raccolte d’arte di Enrico Mylius, Venedig 1999, S. 29–37 und M. Poettinger, Deutsche Unternehmer im Mailand des neunzehnten Jahrhunderts. Netzwerke, soziales Kapital und Industrialisierung, Mailand 2012.

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Italienreise heiratete Mendelssohn am 28. März 1837 in Frankfurt Cécile Jeanrenaud; diese hatte er spätestens im Sommer 1836 kennengelernt, als er dort für einige Monate in Stellvertretung seines Freundes Johann Nepomuk Schelble die Leitung des renommierten Cäcilienvereins übernahm.75 Cécile entstammte einer der wichtigsten Frankfurter Kaufmannsdynastien und war Enkelin von Carl Cornelius Souchay, dem stadtbekannten Oberhaupt der Kaufmannsfamilie und erklärtem Musikliebhaber.76 Da Céciles Vater, der Frankfurter Prediger Franz August Jeanrenaud, bereits früh verstarb, war die 1817 in Lyon Geborene mit ihrer Mutter, Elisabeth „Lilly“ Souchay, 1819 ins Haus der Großeltern zurückgekehrt, wo auch der Empfang nach der Hochzeit mit Felix stattfand.77 Die Familienresidenz der Souchays, in der zahlreiche Künstler ein- und ausgingen und das musikalische Leben in Form von Hausmusik, Konzerten und Opernbesuchen hoch gehalten wurde, war das Haus am Fahrtor, in dessen unmittelbarer Reichweite sich auch das Elternhaus von Heinrich Mylius, vermutlich ein Hinterhaus des ‚Roten Männchens‘, befand.78 Die Familien Mylius und Souchay waren bereits ab den 1790er Jahren geschäftlich miteinander verbunden79 und bis in die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts blühten zwischen Mylius, Aldebert, Souchay und Schunck verschiedenste Kombinationen an Geschäftsmodellen und Teilhabervereinigungen im Textil-, Speditionsund Manufakturwarengeschäft mit besonderer Ausrichtung auf den englischen Markt.80 Diese ökonomischen Interessen der international agierenden und expandierenden Unternehmen versuchte man auch durch eheliche Verbindungen zu manifestieren, u.a. heiratete der Schwager C.C. Souchays, Martin Schunck, 1816 in

75 Im Mai 1836 hatte er beim 18. Niederrheinischen Musikfest in Düsseldorf die Uraufführung des Paulus dirigiert, der von Schelble 1831 für den Cäcilienverein in Auftrag gegeben worden war. Vgl. C. Schwingenstein, „Mendelssohn Bartholdy, Felix“, Deutsche Biographie 17 (1994), S. 53–58, http://www.deutsche-biographie.de/pnd118580779.html [15.04.2018]. 76 Vgl. Roth, Max Weber, S. 110, 114–116. 77 Vgl. z.B. C.H. Müller, „Felix Mendelssohn, Frankfurt a.M. und der Cäcilien-Verein. II“, Volk und Scholle. Heimatblätter für beide Hessen, Nassau und Frankfurt 11 (1925), S. 342. 78 Vgl. H.G. Mylius, Geschichte der Familien Mylius-Schleiz und Mylius-Ansbach 1375–1990, Freiburg 1992, S. 780; das Rote Männchen wurde später Wohnsitz des Bankiers J.J. Willemer. 79 1793 wurde C.C. Souchay Geschäftspartner von Mylius & Aldebert, geleitet von H. Mylius’ älterem Bruder Johann Jakob und dessen Schwager Isaac Aldebert (zweiter Ehemann von Katharina Elisabeth Mylius); zuvor war Souchay Kommis bei der Vorgängerfirma „Darfeldt & Gebrüder Mylius“ (Gründung durch Jonas Darfeldt, erster Ehemann von Katharina Elisabeth M., und den Brüdern Peter Friedrich und Johann Jakob). Um 1793 entsandte Isaac Aldebert seinen Schwager H. Mylius, mittlerweile Teilhaber von Mylius & Aldebert, nach Mailand. Vgl. Roth, Max Weber, S. 67–68. 80 1815 gründete C.C. Souchay mit seinen beiden Schwagern Heinrich und Martin Schunck sowie H. Mylius’ Neffen Heinrich d.J. die Firma „Schunck, Mylius und Co.“ mit Sitz in Frankfurt, London und Manchester; nach dem Fortgang Heinrichs d.J. nach Mailand (der am 18.12.1837 offizieller Partner von Enrico Mylius & Co. wurde) erfolgte die Umbenennung in Schunck, Souchay & Co.; zudem betrieb C.C. Souchay mit H. Mylius’ Neffen Carl in Frankfurt die Firma Souchay & Co., die er diesem 1823 überließ. Vgl. Roth, Max Weber, S. 70–72.

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Manchester Susanna „Nanny“ Mylius;81 das Ehepaar stand in engem Kontakt mit der Londoner Benecke-Verwandtschaft, wichtiger Bezugspunkt für Mendelssohn bei seinen zahlreichen England-Aufenthalten.82 Der internationale Geschäfts-Familienkosmos offenbart sich als eng verbundenes Netzwerk, in dem bereits die Kinder im Jugendalter jeweils zu den in anderen Ländern ansässigen Verwandten in die Lehre oder zu Besuch geschickt wurden. Diese zahlreichen Reisebewegungen der einzelnen Familienmitglieder lassen sich anschaulich in den von den Frauen der Familie geführten Alben rekonstruieren – so berichten Einträge in Sophie Mylius’ Album z.B. von einem Aufenthalt der Schuncks im September und November 1838 in Mailand.83 Möchte man das komplizierte, doppelte verwandtschaftliche Verhältnis zwischen Heinrich Mylius und Felix Mendelssohn Bartholdy in Worte fassen, so lauteten diese: Eine Schwägerin (Elisabeth „Lilly“ Jeanrenaud, geb. Souchay) von Heinrichs Nichte Susanna („Nanny“ Schunck, geb. Mylius) war Felix Mendelssohns Schwiegermutter (Mutter seiner Frau Cécile, geb. Jeanrenaud). Bei einer weiteren Schwägerin (Henriette Benecke, geb. Souchay) von Susanna handelte es sich zugleich um die Schwiegermutter von Felix Mendelssohns Tochter Marie (verh. Benecke). Angesichts dieser Verwandtschafts- und Geschäftsbeziehungen sowie dem engen brieflichen und direkten Austausch zwischen den einzelnen Familienangehörigen ist davon auszugehen, dass Heinrich spätestens bei der Hochzeit von Felix und Cécile – bereits die Nachricht der Verlobung sorgte sowohl in Frankfurt im Hause des musikaffinen Carl Cornelius Souchay als auch in England bei den Beneckes für Furore84 – von der Erweiterung der Familie um den bekannten Komponisten und Musiker erfuhr. Von einer Bekanntschaft Mendelssohns mit der in England ansässigen Familienfirma Mylius-Schunck und ihrer von ihm zugedachten Rolle zeugt ein an Klingemann in London adressierter Brief vom 26. Juni 1836: Ein guter Bekannter von mir, Herr Kyllmann, welcher in Wald nahe bei Elberfeld wohnt, wünscht sich einen Erardschen Flügel kommen zu lassen, er dachte, ich sollte ihn selbst aussuchen, weil er ihn gern so gut wie den meinigen haben möchte, da ich nun aber dieses Jahr nicht hinkomme, so bitte ich Dich, diese Gefälligkeit für mich und ihn zu haben, den besten (oder vielmehr einen vollkommen guten) Flügel bei Erard auszuwählen, […] ihn sogleich zu kaufen,

81 Susanna „Nanny“ Dorothea Mylius (1793–1884), Tochter von H. Mylius’ Bruder Johann Jakob, wuchs mit ihrem Bruder Carl bei Katharina Elisabeth und Isaac Aldebert in England auf. 82 In das in Denmark Hill befindliche Benecke-Haus, in dem die professionelle Hausmusik einen hohen Stellenwert einnahm, wurde Mendelssohn Bartholdy durch den gemeinsamen Freund, den Hannover’schen Legationsrat Carl Klingemann, eingeführt. Die Familien verbanden sich durch die Hochzeiten von Henriette (Tochter von C.C. Souchay) und Friedrich Wilhelm Benecke, Felix und Cécile (Tochter von Henriettes Schwester Lilly), sowie der Mendelssohn Tochter Marie und Victor (Sohn Beneckes). Auf diesen Familienzweig geht die in Oxford befindliche Mendelssohnsammlung zurück. Vgl. Roth, Max Weber, S. 127, 140–144. 83 S. Mylius, Album, ASVV, G.663, fol.50r/v, fol.54r; vgl. Anm. FN 72. 84 Vgl. Roth, Max Weber, S. 114–117.

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die Summe vom Hause Schunck und Mylius selbst zu erheben, an die Kyllmann deshalb geschrieben hat, und dann Erard und diesen Kaufleuten den Transport zu überlassen.85

Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass Heinrich Mylius bereits vor der Mailänder Aufführung des Paulus 1854 von dem verwandtschaftlichen Verhältnis zu Mendelssohn wusste, diesen eventuell persönlich 1831 in Mailand kennengelernt hatte, durch die Frankfurter und Londoner Familienzweige bestens über diverse (Haus-)Musikereignisse rund um Mendelssohn informiert war und zudem eine gewisse familiäre Vorliebe für dessen Kompositionen bestand. Die Pflege und Aufrechterhaltung eines direkten Kontakts zwischen den in Italien ansässigen MyliusVigoni und den Mendelssohns über mehrere Generationen hinweg bezeugt ein Eintrag im Gästebuch der Villa Vigoni, der einen Besuch von Felix’ Tochter Lili samt Ehemann Adolf Wach am 3. September 1906 dokumentiert.86 3. HEINRICH MYLIUS UND MUSIK IM UMFELD VON TRAUERZEREMONIEN 3.1. „… composte in morte del benemerito ed egregio Cavaliere Enrico Mylius …“ Ein zweiter Aspekt, der hier skizziert werden soll, widmet sich der Beobachtung von drei musikbezogenen Momenten bzw. Objekten im Kontext von Trauerfeierlichkeiten und basiert ebenso auf dem eingangs erwähnten medialen Echo bezüglich des Ablebens von Heinrich Mylius. Mit drastischen Worten beschrieben mehrere zeitgenössische Mailänder Journale den Moment des Leichenzugs des Heinrich Mylius. Die Straßen rund um sein Haus in der via Clerici seien laut Gazzetta musi-

85 F. Mendelssohn Bartholdy, Sämtliche Briefe, Bd. 4, August 1834 bis Juni 1836, hrsg. und kommentiert von L. Schiwietz / S. Schmideler, Kassel u.a. 2011, S. 255. Die Involvierung der Mylius in das Geschäft des internationalen Instrumentenhandels und -transports wäre ein weiterer, wirtschaftshistorisch betrachtet evtl. aufschlussreicher Aspekt. 86 Gästebuch. Villa Vigoni, Loveno [II, 1885–1913], ASVV, P.OSP.2, o.S. Die vier erhaltenen Gästebücher, welche in der Villa in Loveno im Zeitraum von ca. 1852–1974 auslagen, erweisen sich als reichhaltige Quelle bei der Erforschung der persönlichen Kontakte der Familie(n) Mylius-Vigoni. Über Jahrzehnte und Generationen hinweg tauchen in ihnen auch weitere Namen prominenter Musikerpersönlichkeiten auf. Gemeinsam mit diversen, den Frauen der Familie zuzuordnenden und bisher noch wenig beachteten Alben, Stamm-, Zeichen- und Tagebüchern, konstituieren sie einen vielseitigen Fundus: Die Kontextualisierung der hier überlieferten Informationen, die von persönlichen Eintragungen aus dem Verwandtschafts- und Freundeskreis bis hin zu Autogrammsammlungen bekannter Musiker reicht, erweist sich als fundamentale Basis bei der Rekonstruktion der soziokulturellen Netzwerke und musikalischen Querverbindungen der Mylius-Vigoni.

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cale „wortwörtlich überfüllt“ gewesen, um der „gesegneten Bahre unter einem heftigen Regenschauer das letzte Geleit zu erweisen“.87 Und auch der Crepuscolo berichtet „es schien, als sei die ganze Stadt auf einen Schlag im lebendigsten ihrer Gefühle getroffen, und reihe sich zum letzten Gruße schwermütig hinter der Bahre des geliebten Mannes auf“.88 Im Detail schilderte auch Giuseppe Sacchi in den Annali Universali di Statistica die Szene, nach der sich am 23. April in Mailand „tausende von Bürgern jeder Klasse in Trauerkleidung“ zum Haus des stadtbekannten Wohltäters bewegt hätten; nach einer Ansprache durch Antonio Allievi, Direktor der von Mylius mitbegründeten und -finanzierten SIAM,89 noch vor Mylius’ Haus, brach die große Menschenmenge in Richtung Friedhof auf, wo die Trauernden von dem Verstorbenen Abschied nahmen.90 Die Verbildlichung dieser sicherlich beeindruckenden Szenerie des Trauerzuges ermöglicht es, die nach bisherigem Kenntnisstand einzige Heinrich Mylius gewidmete und gedruckte Komposition zu kontextualisieren, wurde sie doch explizit aus Anlass seines Todes angefertigt. Die Rede ist von zwei Marcie funebri, deren Titelblatt die Widmung trägt: „Due / Marcie funebri / per / Pianoforte / composte / in morte del benemerito ed egregio / Cavaliere / Enrico Mylius / dal Maestro / Giuseppe Müller“.91 Die bei Ricordi92 erschienene Ausgabe der Fassung für Klavier ziert ein mit reicher Ornamentik an Todessymbolen versehenes Titelblatt und beinhaltet zwei kurze, jeweils zweiseitige Trauermärsche (Nr. 1 in b-Moll, Trio in Des-Dur; Nr. 2 in c-Moll, Trio in Es-Dur). Beim Komponisten „Giuseppe Müller“ handelt es sich um den böhmisch-stämmigen, weitestgehend unbekannten Militärmusikkapellmeister József Müller,93 der mit der Familie Mylius befreundet oder zumindest gut bekannt gewesen sein muss, beherbergt das familiäre Archiv doch die handschriftliche Fassung einer bis jetzt noch unveröffentlichten, Mylius gewidmeten Komposition;94 zudem scheint Müller

87 Gazzetta musicale XII/18 (1854), S. 138; (ÜdA). 88 Crepuscolo IV/18 (1854), [Einleitung]; (ÜdA). 89 In seiner Funktion als Vize-Präsident der Handelskammer hatte H. Mylius gemeinsam mit anderen Kaufleuten am 7.8.1838 die Società di Incoraggiamento d’Arti e Mestieri gegründet; vgl. C.G. Lacaita, L’Intelligenza produttiva. Imprenditori, technici e operai nella Società di Incoraggiamento d’Arti e Mestieri di Milano (1838–1988), Mailand 1999, S. 13. 90 Vgl. Sacchi, Annali Universali II/4 (1854), S. 109. 91 G. Müller, Due Marcie funebri per Pianoforte, Milano: Ricordi [1854], PN 26289. 92 Die Beziehung zur Familie Ricordi, mit der die Folgegenerationen der Mylius-Vigoni auch über gemeinsame Freunde wie Arrigo und Camillo Boito in engem Kontakt stand, und deren Bedeutung insbesondere für die kammermusikalische Szene Mailands werden Gegenstand weiterer Forschung sein. 93 József Müller (1821–1876), Kapellmeister im 39. Infanterieregiment (Joseph Habermann, Freiherr von Habersfeld; erste und letzte Station: 1841 Pest, 1867 Brünn). Nach 27 Dienstjahren wird er 1868 in Wien, auf eigenes finanzielles Risiko, Armee-Kapellmeister; vgl. J. Pavlis (Hrsg.), Schematismus sämtlicher Kapellmeister in der kais. kön. Armee für das Jahr 1870, Prag 1870, S. 5, 8; „Armee-Nachrichten. Oesterreich“, Militär-Zeitung XXI/1 (1868), S. 883; „Armee-Nachrichten“, Neue Militär-Zeitung XXIV/1 (1871) S. 222. 94 G. Müller, Mylius-Marcia per Pianoforte. Stile facile (D-Dur), MS [vmtl. Autograph], ASVV, A.EM.1; vgl. Anm. FN 72.

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ein habituée des Comer Sees bzw. des Ortes Menaggio gewesen zu sein, wo er am 7. November 1876 verstarb.95 Da die Tradition der militärischen Blaskapellen spätestens seit 181496 in der Musikszene des habsburgischen Mailand einen ausgeprägten Platz einnahm und Heinrich Mylius einer der raren zivilen Träger der militärischen Auszeichnung der Eisernen Krone III. Klasse war, ist anzunehmen, dass jenem Trauerzug auch militär-musikalische Ehren zuteilwurden. Im Jahr 1854 waren in Mailand sowohl das 49. Niederösterreichische Infanterie-Regiment als auch das 6. Feld-Bataillon des 2. Tyroler Kaiser-Jäger-Regiments stationiert;97 beide waren mit einer eigenen Musikabteilung ausgestattet, letzteres dank der 1851 durchgeführten strukturellen Reform der Militärmusik, die „bei allen Bataillonen der Jäger-Truppe die Bataillons-Musiken mit dem Stande von 24 Mann systemiert“ hatte.98 Die zwei Trauermärsche könnten demnach zweckgebundene Kompositionen sein, die anschließend als Zeichen der Ehrerbietung und Erinnerung für das Klavier transkribiert oder auch vollständig neu komponiert und gedruckt wurden, schließlich genoss Müller den Ruf eines guten Komponisten und Arrangeurs: Die Truppenkörper finden in dem genannten Herrn Kapellmeister einen sehr verläßlichen und praktischen Agenten für alle musikalischen Interessen und wir dürfen seinen reichen Verlag von vollkommen instrumentierten Partituren bestens empfehlen. Auch in das Ausland versendet Herr Müller sämmtliche in- und ausländische Kompositionen, durch ihn für Militär- und Streich-Musik arrangiert.99

3.2. „… cantato da un coro di almeno 15 donne …“ Unter musikalischen Gesichtspunkten entfaltet sich weiterhin die in mehreren Nachrufen erscheinende Attribuierung Mylius’ – „ernste Musik liebend“ – als aufschlussreiches Indiz. Der Aspekt der Frömmigkeit und Religiosität wird auch in den

95 Müller könnte eine entscheidende Rolle bei der Etablierung der banda musicale di Loveno gespielt haben, die, 1843 durch den österreichischen Immigranten Giuliano Tenzi gegründet, heute zu den ältesten Blaskapellen der Lombardei zählt. Zu dieser: V. Ortelli, Storia della Banda di Loveno nel 150 anniversario della fondazione. 1843–1993, Menaggio 1993. 96 Bezogen auf das sich seit 1814 in Mailand befindliche Deutschmeisterregiment unter dem Kommando Stephan von Ertmanns, desssen banda zu den besten im ganzen Reich gehörte (s. FN 62, vgl. auch Focher, La baronessa Dorothea von Ertmann, S. 341). 97 von Wrede, Geschichte der K. und K. Wehrmacht, S. 459, 657. 98 Ebd., S. 627. Zur Rolle des Kapellmeisters im österreichischen Militär heißt es 1898: „Seit der stetigen Vermehrung der Musiker und der Steigerung der an sie gestellten Anforderungen, wurden die Regimenter genöthigt, tüchtige Musiker zur Leitung derselben aufzunehmen und auf eigene Kosten zu unterhalten. Gegenwärtig müssen dieselben womöglich ein Conservatorium absolviert haben und befähigt sein, die Mannschaft sowohl auf Blas-Instrumenten auszubilden, als auch ein Streich-Orchester zu leiten.“, ebd., S. 79–80. 99 „Armee-Nachrichten“, Militär-Zeitung XXI/1 (1868), S. 883.

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musik-kulturellen Quellen zunächst in Zusammenhang mit dem tragischen Familienschicksal des H. Mylius’100 bzw. seinem weitreichenden wohltätigen Agieren erwähnt.101 Mylius’ Freund E. Rüppell sieht insbesondere in der Statuen-Sammlung der Villa am Comer See – ursprünglich als Rückzugsort der Familie gedacht, anschließend in einen polyedrischen Ort der Erinnerung an den Sohn transformiert – eine Allegorie Heinrichs profunder Gläubigkeit: Noch andere schöne Marmorbildwerke zieren die Säle des herrlichen Loveno, welche er von Baruzzi, Gandolfi, Imhof, Manfredini und Marchesi anfertigen ließ. Die Motive zu diesen Statuen – Eva, die Mutter Mosis, Ruth, David der Psalmensänger, Christus als Knabe im Tempel lehrend – sind sämtliche der heiligen Schrift entnommen, ein Ergebnis seines ächt christlichen edlen Sinnes, der einer wahren Gottesverehrung huldigte ohne den Bombast, welchen das Seelenschisma erzeugt hat. Er hörte eben so aufmerksam und erbauet den moralischen Predigten eines katholischen Kanzelredners zu, als er die vortrefflichen Stunden der Andacht regelmäßig seiner Gattin vorzulesen pflegte.102

Zutage tritt hier ferner die dem protestantischen Ehepaar Mylius eigene Charakteristik der gelebten Überwindung und Verschmelzung konfessioneller Grenzen – eine Überzeugung, der nicht zuletzt der Ortsteil Loveno seinen interkonfessionellen Friedhof verdankt, den Heinrich dort 1850 errichten ließ. An diesem abgelegenen Ort, inmitten der Stille der Natur, weitab vom geschäftigen Mailand und in unmittelbarer Nähe des Familiensitzes, ließ Mylius eine Familiengruft erbauen,103 dort wurde im Dezember 1851 seine Ehefrau beigesetzt, dort befand sich, ebenfalls seit 1851, der ursprünglich in Triest begrabene Leichnam des Sohnes und dort wünschte auch Heinrich selbst bestattet zu werden: Mein glühendstes Anliegen ist es, dass mein Leichnam, sowie der meiner verehrtesten Ehefrau, der ich noch ein langes Leben nach mir wünsche, in die Grabstätte gebracht werden, die ich zu eben diesem Zwecke im vergangenen Jahre auf dem Friedhof in Loveno habe errichten lassen; ich bitte meine Erben und das Ehepaar Vigoni, das ihnen Möglichste zu tun, damit dieser mein Wille in Erfüllung geht.104

100 Vgl. Gazzetta musicale XII/18 (1854), S. 137. 101 Vgl. Crepuscolo IV/18 (1854), o.S. 102 E. Rüppell, „Die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft und Heinrich Mylius sen. Fortsetzung“, Frankfurter Volksbote 29 (1854), S. 119. Vgl. auch seine ausführliche Beschreibung in [E. Rüppell], Erklärende Notizen zu einer Reihenfolge bildlicher Darstellungen der Villa Mylius zu Loveno am Comer See und der benachbarten Gegend, Mailand: Bernardoni 1852, S. 8–9. 103 Vgl. die italienische Fassung Rüppells Erklärender Notizen, Una cronaca ottocentesca. Chiarimenti su una serie di immagini di Villa Mylius a Loveno sul Lago di Como e sui dintorni, presentati da un vecchio amico di famiglia, hrsg., übers. und kommentiert von S. Bertolucci / G. Meda Riquier, Loveno di Menaggio 2000, S. 13, 63, 69. 104 G. Alberti [Notar], Estratto delle disposizioni riguardanti i Sig.ri Conjugi Vigoni, contenute nell’atto di ultima volontà del 9 aprile 1851 del defunto Sig.r Cavaliere Enrico Mylius, ASVV, A.EM.9, fol.1v, fol.2r; (ÜdA).

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So der übersetzte Wortlaut eines Auszugs des am 9. April 1851 in Mailand verfügten Testaments Heinrichs105; weiterhin lautet der italienische Originaltext: Inoltre desidero che in ciascuno dei giorni anniversari della morte di mio figlio Giuglio (26. aprile), di me, e di mia moglie sia data verso sera una Benedizione nella Chiesa Parrocchiale di Loveno in perpetuo chiudendo la sacra funzione coll’Inno da requie „La pace dei Santi“ che venne appreso dalle giovani di Loveno nell’occasione in cui fu benedetto il nuovo Cimitero, e che voglio sia cantato da un coro di almeno 15 donne, le quali dovranno tenersi in esercizio fra l’anno per conservarne la memoria. Per ciascuna delle dette tre funzioni assegno lire dodici =12= per l’elemosina al Parroco, consumo della cera ed onorario al Sagrista, lire diciotto =L18= al coro delle Cantanti, e lire venti =L20= ai Poveri della Parrocchia, e così lire cinquanta =L 50= per volta. Più voglio che in ciascun anno sia assegnata una dote di lire cinquanta =L50 = ad una giovane della detta Parrocchia, che sia bisognosa e di onesti costumi ed abbia pronta occasione di matrimonio.106

Anschließend erklärt Mylius, die Obhut über die Realisierung dieser Aufgaben seiner Schwiegertochter Luigia Vitali anzuvertrauen, und stellt einen detaillierten Finanzierungsplan auf, der zunächst ihr und anschließend dem jeweiligen Besitzer der heutigen Villa Vigoni („e dopo di essa dal possessore per tempo della mia casa di villeggiatura in Loveno“) die diesbezügliche „Bezahlung jener immerwährenden jährlichen zweihundert Lire sicherstellt, um „alles irgend Mögliche zu tun, diese jährliche Leistung nicht zu säumen“.107 In diesem Paragraphen wird deutlich, welch hohen Stellenwert der musikalische Aspekt im Rahmen des sakralen Gedenkkontextes für Mylius eingenommen hat und wie er parallel hierzu in einem Akt der Wohltätigkeit seine Verbundenheit gegenüber der örtlichen Bevölkerung dokumentieren und manifestieren wollte. Die Tradition dieses testamentarisch verfügten Willens des Abhaltens eines Requiems scheint bis ins 20. Jahrhundert, zur letzten Generation der Mylius-Vigoni in

105 Eine vollständige, kommentierte Transkription des Testaments habe ich veröffentlicht in: G. Meda Riquier / V. Usselmann / C. Liermann Traniello, Enrico Mylius 1769–1854. Una biografia. Heinrich Mylius 1769–1854. Eine Biographie, Loveno di Menaggio 2019, S. 139–179. 106 Alberti, Estratto delle disposizioni, ASVV, A.EM.9., fol.2r: „Des Weiteren wünsche ich, dass zu jedem Jahrestag des Todes meines Sohnes Julius (26. April), meines eigenen und dessen meiner Ehefrau in der Pfarrkirche von Loveno gegen Abend eine Segensandacht abgehalten wird, deren heilige Messe jeweils mit dem Requiem-Hymnus „La pace dei Santi“ schließt, den die jungen Frauen aus Loveno zur Weihung des neuen Friedhofs einstudiert hatten, und dieser soll von einem Chor von mindestens 15 Frauen gesungen werden, die im Laufe des Jahres üben müssen, um ihn im Gedächtnis zu behalten. / Für jede der drei genannten Ämter gewähre ich dem Pfarrer zwölf Lire = L12= für Almosen, den Wachskonsum und den Mesner, achtzehn Lire =L18= dem Chor der Sängerinnen, und zwanzig Lire =L20= den Bedürftigen der Pfarrei, und so demnach jedes Mal fünfzig Lire =L50=. Darüber hinaus möchte ich, dass jedes Jahr einem jungen Mädchen aus jener Pfarrei, das hilfsbedürftig und von guten Manieren ist und sich kurz vor der Heirat befindet, eine Mitgift von fünfzig Lire =L50= zugeteilt wird.“; (ÜdA). Der gesamte diesbezügliche Paragraph, dem obiger Auszug entnommen ist, wurde im handschriftlichen Dokument nachträglich am Rand mit einem roten Buntstift hervorgehoben. 107 Ebd., fol.2r; (ÜdA).

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Menaggio, aufrechterhalten worden zu sein. Im familiären Nachlass sind noch mehrere Fassungen der Komposition in Form von fünf handschriftlichen Dokumenten erhalten: A) zwei querformatige Partituren vermutlich aus der Mitte des 19. Jahrhunderts für zwei Sopran- und eine Altstimme, B) eine hochformatige Partitur für zwei Soprane, Alt und Orgelbegleitung sowie C) zwei identische (Chor-) Partituren für zwei Soprane und Alt.108 Doch worum handelt es sich konkret bei La pace dei Santi und wie kam es zur Wahl dieses Requiems? Als tiefgläubiges und in ökumenischen wie biblischen Belangen versiertes Ehepaar kannten Heinrich und Friederike vermutlich die sich seit 1833 in Italien im Umlauf befindlichen, ungemein populären Melodie sacre von Samuele Biava109 – vom Lateinischen ins Italienische übertragene liturgische Hymnen, Psalmen und Lobgesänge, deren spätere Editionen sogar Approbation und deren Autor Auszeichnung von päpstlicher Seite aus erhielten.110 Der Dichter, Lehrer und Übersetzer Biava dürfte den Mylius zudem über die gemeinsame freundschaftliche Beziehung mit Carlo Cattaneo ein Begriff gewesen sein.111 Die 1838 erschienene siebte Auflage von Biavas Melodie sacre112 enthielt zusätzlich Vertonungen von Giovanni Simone Mayr und Luigi Gambale, welche den Texten zu weiterer Bekanntheit verhalfen. Im Kapitel Preghiere pel sacrificio

108 Anon., La Pace dei Santi, ASVV, F.MUS.01: A)a) MS, S1/S2/A, g-Moll, Andante, 8 S.; A)b) MS, S1/S2/A, g-Moll, Anm.: „tastiera No 2 verso sinistra“; B) MS, S1/S2/A, g-Moll, „Andante“, 13 S., Anm.1: „un tono sotto“, Anm.2: „da ridurre un tono più basso“; C)a) MS, S1/S2/A, g-Moll, 5 S., Anm.1: „Ig. Vigoni / 709371“, Anm.2: „1959 / Polifonica / Ambros. / Dirett. Mons. / Biella“; C)b) MS, S1/S2/A, g-Moll, 5 S., Anm.: „in re min“; vgl. Anm. FN 72. 109 Samuele Biava (1792–1870), Kollege und Freund von Carlo Cattaneo, der Biavas zuvor anonym kritisiertes Werk in einem leidenschaftlichen Brief an die Herausgeber der Zeitschrift Eco verteidigt (erschienen im Supplement, Eco IV/1 am 2.1.1833; vgl. C. Cattaneo, Lettere di Cattaneo. Vol. 1: 1820–15 marzo 1848 (= Carteggi di Carlo Cattaneo, Bd.1), hrsg. von M.C. Petroboni / M. Fugazza, Florenz / Bellinzona 2001, S. 15–32). Bekannt für seine Übersetzungen aus dem Englischen (v.a. Walter Scott), war sein literarisches und poetisches Schaffen, dem Manzoni’schen Vorbild folgend, inspiriert von mittelalterlicher und christlicher Motivik sowie zudem musikalischen Aspekten verbunden (vgl. z.B. B. Prina, „Samuele Biava. Commemorazione“, Annali universali di statistica, economia pubblica, legislazione, storia, viaggi e commercio IV/44 (1870), S. 321–328). Zur Beziehung zwischen Biava, Manzoni, Rosmini, Tommaseo und dem Verleger der Letture Popolare, Lorenzo Valerio vgl. L. Valerio, Carteggio. I (1825–1841), hrsg. von L. Firpo, A. Viarengo, Turin 1991. 110 Vgl. Do[menico] B[uffa], „Della poesia popolare e di Samuele Biava“, Letture Popolare III/48 (30.11.1839), Turin: Eredi Botta 1839, S. 379: „Sua Santità medesima il sommo Pontefice con lettera patente del 20 ottobre 1836, e con altra del 27 luglio 1837, e con altra ancora di quest’anno [1839] accompagnata dal premio di due medaglie in argento, testificò ad esso la più alta soddisfazione per quelle fatiche […]“. 111 Vom besonderen Verhältnis zwischen C. Cattaneo und H. Mylius und dessen Engagement während der Cinque Giornate im März 1848 in Mailand berichtet Ersterer in „L’insurrection de Milan“, in: C. Cattaneo, Scritti dal 1848 al 1852, Mailand 1967, S. 537–538. 112 S. Biava, Melodie sacre o Inni, Cantici, Salmi popolari della Chiesa, aggiunte le preghiere pel sacrificio dell’altare secondo l’ordine liturgico del messale. Volgarizzamento di Samuele Biava. Settima Edizione, ricorretta e accompagnata dai concenti all’unisono e a più voci di originale composizione dei maestri G.S. Mayr e L. Gambale, Mailand: Sambrunico 1838.

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dell’altare finden sich unter La Requiem aeternam o il Suffragio dei defunti die Dichtung sowie zwei Vertonungen von La pace dei santi wieder.113 Einer im Vorwort – verfasst von Melchiade Gabba in Form einer Presseschau über die vorherigen Ausgaben des Werkes – erwähnten Quelle ist zu entnehmen, dass bereits vor 1838 auch andere mehrstimmige Versionen von La pace dei santi zirkulierten.114 In der Tat erschien z.B. bereits 1836 bei Pirandoli in Mailand eine Ausgabe der von Mayr und anderen vertonten Melodie sacre in zwei Bänden. Während Nr. I an die „fanciulli“ adressiert und den „Asili di carità per l’infanzia“ gewidmet ist, richtet sich Nr. II an die „adulti“ und trägt eine Widmung an die „classi delle scuole elementari, tecniche, ginnasiali“.115 Das Bestreben Biavas, hiermit einen aktiven Beitrag zur religiösen Erziehung der Jugend zu leisten, dürfte auch Resultat seiner langjährigen Lehrtätigkeit als Cattaneos Kollege am Gymnasium S. Marta gewesen sein. Über eine Aufführung durch Kinder in der Pfarrei S. Gottardo von Kompositionen vermutlich des ersten Bandes heißt es: Und in Mailand stellte bereits ein Chor von sechzig Jungen und Mädchen, die mit ihren zarten Stimmen Gott in unserer Väter Sprache anbeten, unter Beweis, wie gut es Biava und den beiden genannten Maestri [Mayr und Gambale] gelang, ihre Absicht zu erfüllen. Zahlreich kamen sie, um zu lauschen, wie viel Himmlisches in diesen Gesängen sei, und aus tiefstem Herzen lobpriesen sie die fromme Umsicht des Pfarrers der Kirche von S. Gottardo, dessen Verdienst die Formation jenes Chores war.116

Angesichts von H. Mylius’ vielseitigem Engagement in der Förderung und Gründung diverser Einrichtungen für Kinder und Jugendliche – vom Kindergarten über Waisenhäuser bis zur technischen Berufsschule (vgl. Fußnoten 34, 89) – seiner tiefen Religiosität sowie seines besonderen Verhältnisses zu C. Cattaneo,117 kann vermutet werden, dass auch das Ehepaar Mylius von jenem Konzert in Kenntnis, vielleicht sogar unter seiner Zuhörerschaft war. Bis ins 20. Jahrhundert entstanden verschiedenste Vertonungen auf Basis von Biavas Requiem-Version La pace dei santi. Die handschriftliche Anmerkung „1959 / Polifonica / Ambros. / Dirett. Mons. / Biella“ (vgl. Fußnote 107) auf einer der Partituren des Familienarchivs deutet darauf hin, dass es sich um Aufführungsma-

113 Ebd., Bd. 1 (Text) S. 36; Bd. 2 (Vertonungen) S. 56–57.: Nr. 16 [Mayr; Sopran, Orgel; As-Dur]; S. 249–252: Nr. 2 [Gambale: Chor (4St) oder Chor (unis.), Orgel; B-Dur], vgl. „Avvertimento“, [S. XXVIII]; nicht identisch mit den Versionen in ASVV (FN 107). 114 Vgl. R. Lambruschini, Guida dell’Educatore. Foglio Mensuale II, Florenz: Galileiana 1837, S. 149: „Fate in modo, lettori miei, di sentir cantare a coro La pace dei Santi […] e se non piangete di pietà, e d’amore, se un sacro entusiasmo non vi solleva da terra, stracciate quella musica e quegli inni, stracciate questo mio annunzio.“. 115 S. Biava, Melodie sacre ovvero Gl'inni, cantici e salmi popolari della chiesa, volgarizzati da Samuele Biava, Mailand: Luigi di Giacomo Pirola & Gio. Meiners e figlio 1836. 116 Buffa, Letture Popolare III/48 (30.11.1839), S. 379; (ÜdA). 117 Zu Mylius’ religiös-philosophischer Lebensauffassung sowie seiner Bekanntschaft mit Manzoni und Cattaneo vgl. den Beitrag von C. Liermann „Innovationen in Kunst und Politik: Exemplarische Figuren aus Mylius’ lombardischem Umfeld“ in vorliegender Publikation.

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terial des im Mailand der Nachkriegszeit aktiven Laien-Chores Polifonica Ambrosiana118 unter der Leitung von Don Giuseppe Biella handelt, dem mindestens eines der Familienmitglieder (wahrscheinlich Catulla Mylius-Vigoni) angehörte. Da diese Partitur allerdings in Loveno und zusammen mit weiteren Abschriften der Komposition aufbewahrt wurde, ist davon auszugehen, dass auch die letzte Generation der Mylius-Nachfahren noch um die Bedeutung und verpflichtende Aufrechterhaltung der Komposition wusste.119 An dieser Stelle lohnt ein zeitlicher Sprung zurück zur Bestattungszeremonie von Friederike Mylius, deren sterbliche Überreste am 24. Dezember 1851, drei Tage nach ihrem Tod, von Mailand nach Loveno gebracht und dort beigesetzt wurden. Der „Schwiegersohn“ Ignazio Vigoni fertigte eine emotionale Chronik des Geschehens an, aus der zwei musikalisch konnotierte Momente hervorragen: A Menaggio la banda musicale di quella borgata chiedeva di accompagnare gl’ultimi passi di quel feretro alla tomba quel montuoso sentiero era accalcato da una folla di contadini, che confondevansi insieme a congiunti ed amici venuti a rendere l’ultimo tributo […] E la salma scendeva nella tomba, ove le reliquie della madre inconsolata riposano colle ossa del figlio troppo dolorosamente innanzi a lei trapassato, e un coro di giovani contadine, invocando ad entrambi la pace dei Santi, la salutava della mesta armonia di quel Cantico, che in vita le piacque tanto come segno di fede pietosa, come espressione d’affetto, e di imperiture speranze […].120

Dass zunächst der Trauerzug nach Ankunft der Bahre in Menaggio durch die örtliche Blaskapelle, der habsburgisch-militärischen Tradition entstammend, zum hangaufwärts gelegenen Ortsteil Loveno begleitet wurde, bestätigt die oben ausgeführte These, dass sich auch nach Heinrichs Tod in Mailand Ähnliches, wenn auch in entsprechend größeren Dimensionen, vollzogen hatte. Darüber hinaus scheint die Wahl der Komposition La pace dei Santi als an den Todesjubiläen von Vater, Mutter und Sohn aufzuführendes Requiem auf eine im familiären Kreis bekannte Vorliebe Friederike Mylius’ zurück zu gehen, die in jenem „Lobgesang“ bereits zu Lebzeiten Trost und spirituelle Erbauung fand. Heinrichs diesbezüglich im Testament 118 Mehr zur Polifonica Ambrosiana und den wichtigen Beitrag Biellas bei der Wiederentdeckung der italienischen Musik des 14.–18. Jh.s, in: L. Aragona / C. Toscani (Hrsg.), La Polifonica Ambrosiana (1947–1980). Musica antica nell'Italia del secondo dopoguerra, Lucca 2017 und unter: http://www.polifonicaambrosiana.unimi.it/history.php [15.04.2018]. 119 Zeitzeugen des Kirchenchores von Loveno (Menaggio) berichten von jährlich mindestens einer Aufführung der Komposition in der von Heinrich testamentarisch festgelegten Weise (Frauenchor, auf dem Harmonium begleitet von Catulla) bis in die 1970’er Jahre. 120 I. Vigoni, Cronaca delle esequie di Federica Mylius-Schnauss a Menaggio, ASVV, A.EM.12, V/2, fol.1r/v: „In Menaggio wollte die banda musicale dieser Ortschaft die Bahre auf ihren letzten Schritten zum Grab begleiten, entlang dieses bergigen Weges, gerahmt von einer großen Menge an Bauern, die gemeinsam mit Verwandten und Freunden gekommen waren, um den letzten Tribut zu zollen […] Und der Leichnam sank hinab ins Grab, wo die Reliquien der untröstlichen Mutter nun an der Seite der Gebeine des Sohnes ruhen, der zu schmerzhaft vor ihr hinübergegangen war, und ein Chor junger Bäuerinnen stimmte für beide La pace dei Santi an, um sie mit dem wehmütigen Klange jenes Lobgesanges zu grüßen, der ihr zu Lebzeiten sehr gefallen hatte, als Zeichen frommen Glaubens, Ausdruck von Zuneigung und unvergänglicher Hoffnung […].“; (ÜdA).

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verfügter Wunsch ist also nicht nur Ausdruck der eigenen, sondern einer gemeinsamen Frömmigkeit und kann durchaus als letzte, sakral-musikalische Widmung an die Gattin interpretiert werden. 3.3. „Canto funebre“ Hinsichtlich der musikalischen Verbindungen des Heinrich Mylius erweist sich im thematischen Komplex von Religiosität und Tod abschließend noch ein drittes Dokument als aufschlussreich – ein dem Sohn Giulio Mylius gewidmeter Canto funebre.121 Nach dem Tod und der Beisetzung seines Sohnes 1830 in Triest hatte Mylius im Park der Villa in Loveno eine Gedenkstätte als Rückzugsort für die trauernden Familienangehörigen in Form eines kleinen Tempelchens errichten lassen.122 Mehrere Indizien deuten darauf hin, dass der Canto funebre aus Anlass einer Einweihungszeremonie jenes Kenotaphs erdacht und angefertigt wurde: Zunächst stimmt das Erscheinungsdatum des Librettos, 1832, mit demjenigen der Fertigstellung des tempietto überein. Weiterhin lässt der Umstand, dass Heinrich in seinem Testament von einem zur Segnung des neuen Friedhofs aufgeführten Requiem (La pace dei santi) berichtet, die Folgerung zu, dass analog auch die Feierlichkeiten um die Eröffnung des tempietto von Musik gerahmt waren und bereits zu diesem Anlass ein (vermutlich lokaler) Chor mobilisiert wurde, der die Komposition direkt vor Ort aufführte. Den prägnantesten Hinweis liefert jedoch ein Ausschnitt aus dem vierten Gesang der Dichtung: […] Io noto Vi farò il suo sepolcro. La paterna pietà commise all’Arti Il pensier d’abbellirlo, Ma più dell’Arti ha vanto Sopra le tombe degli amici il pianto.

[…] Ich werde euch Sein Grab bekannt machen. Des Vaters Zuneigung übertrug den Künsten Die Aufgabe, es zu schmücken, Doch mehr als die Künste rühmt Am Grabe die Klage der Freunde. [ÜdA]123

Tatsächlich hatte Heinrich Mylius verschiedenste Künstler (vgl. Fußnote 120) mit der Anfertigung des Kenotaphs betraut, welches hier mit dem halb-fiktiven „sepolcro“ zu assoziieren ist. Die Zeilen präsentieren sich als eine poetische Reflexion der Intention Heinrichs, das Andenken des Sohnes in Loveno zu bewahren: Diese reichte weit über die Errichtung des tempietto hinaus und spiegelt 121 A. Piazza, In morte di Giulio Mylius. Canto funebre di Antonio Piazza posto in musica dal maestro Vincenzo Schira, Mailand: A. Fontana 1832. 122 Zur Entstehungsgeschichte des tempietto: S. Bertolucci / G. Meda Riquier, Una cronaca ottocentesca und Pavoni (Hrsg.), ‚… rispettabilissimo Goethe… Caro Hayez… adorato Thorvaldsen…‘. In die Planung und Gestaltung waren u.a. der Freund Eduard Rüppell, der Architekt Gaetano Besia, Alessandro Manzoni und später auch Francesco Hayez und Berthel Thorwaldsen involviert. 123 Piazza, In morte di Giulio Mylius, S. 11. Das Werk gliedert sich in fünf Gesänge: 1. Le virtù teologali alla tomba di Giulio Mylius, 2. La Consolazione, 3. Il Lamento, 4. Una pia famiglia nel campo santo, 5. Il saluto alla croce; eine ausführliche Analyse folgt, vgl. Anm. FN 72.

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sich in diversen Kunstobjekten wieder, die in monate- und jahrelangem gedanklichen Austausch mit internationalen Künstlern Form annahmen. Gleichzeitig beziehen sich die „Arti“ ebenso autoreferenziell auf den Canto funebre bzw. dessen Librettisten sowie Komponisten.124 Gilt die Vertonung nach bisherigem Stand der Kenntnis leider als verschollen, so ist in der historischen Bibliothek der Mylius-Vigoni eine der vermutlich in geringer Druckauflage erschienenen Fassungen des Originallibrettos erhalten geblieben. Dessen Autor scheint bestens über die Details der Familiengeschichte und deren Angehörigen informiert gewesen zu sein. In der Tat handelte es sich bei Antonio Piazza (1795– 1872) um einen guten Bekannten der Familie Mylius und gleichzeitig einen ihrer direktesten Kontakte in die musikalische Szene Mailands und Norditaliens: Der aus Brescia stammende Piazza, heute zuvorderst als Librettist der ersten Verdi-Oper Conte di San Bonifacio bekannt,125 war als Angestellter am Gerichtshof Mailands tätig und gehörte, wie z.B. die oben erwähnten Samuele Biava und Domenico Buffa, jener mannigfaltigen Szene an ‚neben- bis hauptberuflichen‘ Schriftstellern, Poeten, Librettisten, Übersetzern und Herausgebern an, die entscheidend zur Entwicklung und Manifestierung des (Kultur-)Journalismus Mailands in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beitrugen – dies nicht zuletzt dank eines engen Netzwerks zur geistigen und finanziellen élite der Stadt. Darüber hinaus war Piazza in seinen letzten Lebensjahren engagierter consigliere des Istituto dei ciechi di Milano, zu dessen großzügigen Förderern bereits zu Lebzeiten der in späteren Jahren erblindende Heinrich Mylius zählte.126 Im Rahmen seiner journalistischen Tätigkeit schrieb Piazza u.a. für die Gazzetta privilegiata di Milano, die Gazzetta

124 Der Komponist Vincenzo Schira (1801–1857) war, anders als sein europaweit agierender und erfolgreicher Komponistenbruder Francesco, vorrangig für die Produktion von musica da Ballo bekannt (vgl. F. Regli, Dizionario biografico dei più celebri poeti ed artisti […], Turin: Enrico Dalmazzo 1860, S. 495). Ebenso wie H. Mylius, war auch Antonio Fontana, Inhaber der gleichnamigen tipografia, welche für den Druck des canto funebre verantwortlich zeichnete und u.a. von 1826–1830 das Exklusivrecht für die Libretti des Teatro alla Scala innehatte, unter den Mitgliedern der lombardischen Gründungskommission der Eisenbahnstrecke Mailand-Venedig 1836–1837 (vgl. A.G. Marchetti / M. Infelise / L.M. Migliorini / M.I. Palazzolo / G. Turi (Hrsg.), Editori italiani dell’Ottocento. Repertorio (1), Mailand 2004, S. 456; G. Milani, Memoria sulla costruzione di una strada a guide di ferro da Venezia a Milano, Verona: Libanti 1841, S. 26). 125 Vgl. hierzu A. Gerhard / V. Ottomano, „Ascesa e caduta di un apprendista librettista. Antonio Piazza tra Brescia e Milano all’ombra di Dante“, in: A. Gerhard (Hrsg.), verdiperspektiven 1 (2016), S. 165–182. 126 Vgl. M.G. Bascapè / M. Canella / S. Rebora (Hrsg.) Luce su Luce, l’impegno della solidarietà dalla carità alla scienza. Istituto dei Ciechi di Milano, la storia, gli uomini, il patrimonio, Mailand 2003, S. 441. Piazzas bekanntester Beitrag ist seine veröffentlichte Rede Per la solenne inaugurazione del busto in marmo del cav. Michele Barozzi, fondatore dell’Istituto dei ciechi in Milano, Mailand: Bernardoni 1868. Im Gebäude des Insituts befindet sich in der sogenannten „Gallerie der Wohltäter“ noch heute das von Francesco de Magistris 1855 angefertigte Portrait Mylius’.

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musicale und war zudem von 1834–1837 und dann nochmals in den ‘50er Jahren Herausgeber des Corriere delle Dame.127 Diese Aktivitäten sowie der gleichermaßen informierte wie anteilnehmende Ton des Autors des eingangs zitierten, am 30. April 1851 in der Gazzetta musicale erschienenen Nekrologs auf Heinrich Mylius, führen zu der Annahme, dass sich hinter dem unterzeichnenden Kürzel „P.“ Antonio Piazza verbirgt,128 der bereits 20 Jahre zuvor von Mylius mit der vertrauensvollen Aufgabe der Anfertigung einer dem verstorbenen Sohn Julius gewidmeten Dichtung, dem Libretto des canto funebre, bedacht worden war. 4. RESÜMEE Anhand einer punktuellen Betrachtung zweier thematischer Komplexe und der einführenden Vorstellung einiger Dokumente sollte hier auf den bis heute noch unbekannten, augenscheinlich sehr weiten, musikkulturellen Kosmos des Heinrich „Enrico“ Mylius und seiner diesbezüglichen Kontakte aufmerksam gemacht werden. Bereits in diesem Einblick kristallisiert sich heraus, dass in Heinrichs Person die Wurzeln einer deutsch-italienischen, musikkulturellen Traditionsbildung der Familie(n) Mylius-Vigoni zu finden sind; zugleich eröffnet sich eine erklärende Perspektive, weshalb mehrere Quellen Heinrich Mylius als „ernste Musik liebend“ definierten und Antonio Piazza ihn in seinem umfangreichen, in der Gazzetta musicale veröffentlichten Nachruf als „caldo e solerte ammiratore“ der Musik bezeichnete.

127 Näheres zum Wirken Piazzas in: G. Albergoni, I mestieri delle lettere tra istituzioni e mercato. Vivere e scrivere a Milano nella prima metà dell’Ottocento, Mailand 2006, S. 287–290; G. Sergio, Parole di moda. Il ‘Corriere delle dame’ e il lessico della moda nell’Ottocento, Mailand 2010; S. Franchini, Editori, lettrici e stampa di moda. Giornali di moda e di famiglia a Milano dal ‘Corriere delle dame’ agli editori dell’Italia unita, Mailand 2002. 128 1839 hatte Piazza seine Autorschaft für mit „P.“ firmierte, im Corriere delle Dame erschienene Artikel erklärt; vgl. M. Berengo, Intellettuali e librai nella Milano della Restaurazione, Turin 1980, Reprint Mailand 2012, S. 195.

AUTORENVERZEICHNIS Ralf Banken is professor extraordinarius at Goethe University Frankfurt. He studied History and Social Sciences at the University of Münster. Since 1990, he has researched and taught in the area of economic and social history at the universities of Münster, Frankfurt and Cologne, as well as at the Max Planck Institute for European Legal History in Frankfurt. He had fellowships at the Center for Advanced Holocaust Studies in Washington DC and, for Business History, at the University of Glasgow. Numerous publications on German and European industrialization as well as business and economic history of the 18th to 20th centuries, especially economic history of the Third Reich. Most recently, a study on tax policy in the Third Reich (2018) was published. Claudio Besana is associate professor of Economic History at the Università Cattolica del Sacro Cuore in Milan; at this university he holds courses in Economic History and Business History. For some time, he has dedicated himself to the reconstruction of aspects of Milanese and Lombard economic history between the eighteenth and twentieth centuries. Recent studies include several contributions on the history of the agri-food industry. Recent studies include several contributions on the history of the agri-food industry. Recent publications: [with A.M. Locatelli] „Eine Bergökonomie im Wandel. Merkmale der landwirtschaftlichen Produktionssysteme des Veltlins im 19. Jahrhundert“, in: L. Lorenzetti / Y. Decorzant / A.L. Head-König (ed.), Relire l'altitude. La terre et ses usages. Suisse et espaces avoisinants XIIe-XXIe siècles, Neuchâtel 2019; I. Suffia / A.M. Locatelli, „Cheese trademarks: Italian dairy firms’ practices during the 20th century“, Business History (2017), pp. 1–28; „The Italian Dairy Industry between 1930 and 1970. Production and Organizational Structure“, in: C. Besana, / R. D' Errico/ R. Ghezzi (ed.), Cheese Manufacturing in the Twentieth Century. The Italian Experience in an International Context, Brussels 2017, pp. 71–93; „Consistenza e impiego della ricchezza. Il patrimonio di Luigi e Raimondo Visconti di Modrone“, in: G. Fumi (ed.), I Visconti di Modrone. Nobiltà e modernità a Milano (secoli XIX–XX), Milan 2014, pp. 131– 178. Wolfgang Bunzel is Head of the Department of Romanticism Research at Frankfurt’s Goethe Haus/Freies Deutsches Hochstift and one of the two managing directors of the supporting company Brentano-Haus Oestrich-Winkel. He also holds a professorship for German Literature at Goethe University Frankfurt. His main area of research is the literature and culture of German Romanticism. He conducts the critical edition of Clemens Brentano’s works and letters, and is co-editor of the Internationales Jahrbuch der Bettina-von-Arnim-Gesellschaft. His publications in-

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clude: [with B. Heidenreich / E. Brockhoff / A. Bohnenkamp-Renken] Die Brentanos – eine romantische Familie?, Frankfurt 2016; [with M. Hohmann / H. Sarkowicz] Romantik an Rhein und Main. Eine Topographie, Darmstadt 2014; [with A. Leinweber / A. Harms] Hänsel und Gretel im Bilderwald. Illustrationen romantischer Märchen aus 200 Jahren, Darmstadt 2012; Romantik. Epoche – Autoren – Werke, Darmstadt 2010. Marina Cavallera is associate professor of Modern History at the University of Milan. In the past, she has taught History of the Ancient Italian States at the University of Lugano. She is a member of national and international bodies and institutions in her field of research. She is the author of numerous contributions on political, social, economic and religious history, especially in the Alps and Lombardy, and on the analysis of the formation of borders and transit systems. Recent publications include the anthology Lungo le antiche strade. Vie d'acqua e di terra: Stati, giurisdizioni e confini nella cartografia dell'età moderna, Busto Arsizio 2007, the article „Strategie di guerra e logiche economiche. Alcune considerazioni sul Monferrato gonzaghesco“, Nuova Rivista Storica (2017) pp. 33–63; the contribution „Il capano del lago nella Lombardia spagnola. Evoluzione e persististenza sul Verbano“, in: Livio Antonielli (ed.), La polizia nelle strade e nelle acque navigabili: dalla sicurezza alla regolazione del traffico, Soveria Mannelli 2018, pp. 219–252. Her most recent monograph is La società delle ville, la cultura del lavoro. Varese and its territory in the eighteenth century, Busto Arsizio 2017. Alexander Auf der Heyde is research assistant at the “Dipartimento Culture e Società of the University of Palermo”. He studied modern literature with a focus on art history at the University of Florence and also received his doctorate in art history from the Scuola Normale Superiore di Pisa. His main research interests are in the field of source research, the history of science and the theory of art of the 19th century. In his research, he also deals with aspects and actors of the German-Italian transfer of knowledge, with the history of the illustrated art book and – especially recently – with the political iconography of the Ottocento. Publications (selection): „Figurazioni dell’amor patrio - Esuli, profughi e migranti nelle arti visive del Risorgimento”, Artemisia 2 (2019); „«Die grosse Einheit der Kunst»: Rudolf Eitelbergers Vorlesungen über Theorie und Geschichte der bildenden Künste und die Quellen seines kunsttheoretischen Entwurfs”, in: E. Kernbauer et al. (ed.), Rudolf Eitelberger von Edelberg: Netzwerker der Kunstwelt, Tagungsakten, Vienna et al. 2019, pp. 69–113; Per l’«avvenire dell’arte in Italia»: Pietro Selvatico e l’estetica applicata alle arti del disegno nel secolo XIX, Pisa 2013. Stefano Levati graduated from the Scuola Normale Superiore of Pisa in 1995. From 2000 to 2010 he was research assistant at the Department of Historical Studies at the University of Milan, where he became full professor in 2019. Since January 1991 he has been an editor, and since January 2001 a member, of the Management Committee of the journal “Società e storia”. Since 2016 he has been in charge of the Bruno Caizzi research centre. Since 2019 he is director of the study centre “The

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Police and the Control of the Territory”. His research focuses on social dynamics in the transition phase between the end of the Ancien Régime and the Bourbon Restoration, as well as the study of military history and of governing territories. Recent publications include: Storia del tabacco in Italia. Secoli XVII-XIX, Rome 2017; „Vino, osti e osterie nell’Italia centro-settentrionale tra XVIII e XIX secolo“, in: M. Cavallera / S.A. Conca / B.A. Raviola (ed.), Le vie del cibo. Italia settentrionale (secc. XVI-XX), Rome 2019, pp. 235–247; „Al centro dello sviluppo economico-sociale e ai margini della ricerca storica: note sui fittavoli dell’Italia settentrionale (XVIII-XIX secolo)“, Società e storia 164 (2019), pp. 333–349; „Un grande uomo politico della stagione napoleonica: Giuseppe Prina“, in: E. Pagano/ E. Riva (ed.), Milano 1814. La fine di una capitale, Milan 2019, pp. 35–56; „Fo memoria: la memorabile quotidianità di un cittadino bresciano tra XVIII e XIX secolo“, in: G.B. Frugoni (ed.), Fo memoria. Diario di un bresciano al tempo di Napoleone, Roma 2018, pp. 9–36; „Fortune e clientela di un notaio tra Milano e Inzago: il caso di Ignazio Baroggi (1797–1841)“, in: P. Grillo/ S. Levati (ed.) Legittimazione e credito tra medioevo e ottocento. Notai e ceto notarile tra ruoli pubblici e vita privata, Milan 2017, pp. 231–244; La «buona azienda negli eserciti prepara la vittoria… e genera l’economia»: appalti, commissari e appaltatori nell’Italia napoleonica, Soveria Mannelli 2010. Christiane Liermann studied history, philosophy and Romance philology (Italian) in Bonn, Siena, Karlsruhe and Zurich. She received her doctorate from Bernd Roeck at the University of Zurich with a thesis on the political thought of the philosophertheologian Antonio Rosmini (1797–1855). She has also translated his “Philosophy of Politics” into German. The Konrad Adenauer Foundation supported the study with a doctoral scholarship. From December 1995 she worked as a research assistant at the German-Italian Centre for the European Dialogue, Villa Vigoni. Since October 2018 she has been Secretary General there. Together with scientists from Italy and Germany, she continues her research on Antonio Rosmini's philosophical work. A further focus of her work is the political and cultural relations between Italy and Germany, with special attention paid to religious and denominational issues, which she deals with at scientific conferences and in scientific publications. Dr. Liermann Traniello is a member of the editorial boards of the historical journal “Contemporanea. Rivista di storia dell'800 e del '900” (Il Mulino, Bologna) and the "Annali di storia dell'educazione e delle istituzioni scolastiche" (Editrice La Scuola, Brescia), and also a member of the board of “Res Publica, the Journal of international political and historical studies” (LUMSA, Rome). A recent publication of hers is: [with G. M. Riquier / V. Usselmann], Enrico Mylius 1769–1854. Una biografia Heinrich Mylius 1769–1854. Eine Biographie, Loveno di Menaggio 2019. Monika Poettinger teaches economic history and history of economic thought at Bocconi University and at the University of Florence. Her research comprises a decennial work on foreign entrepreneurship in Milan and its role in the industrialization of Lombardy, and on international merchant networks operating between the 18th and the 20th centuries. Recent studies include the experience of Florence as

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capital of the Kingdom of Italy and the economic thought in Italy under the fascist regime. Main publications include: Economic Thought and History: An Unresolved Relationship, Routledge 2016; Florence Capital of the Kingdom of Italy (1865– 1871), Bloomsbury 2017; Business Cycles in Economic Thought: A History, Routledge 2017. Magnus Ressel is a research fellow of the Gerda Henkel Foundation at the Chair of Early Modern History at the University of Frankfurt am Main. His PhD on the relations of the North African regencies to Northern Europe in the Early Modern age was defended in 2011 at the Ruhr-Universität Bochum and the Université Paris I - Sorbonne. In 2012 he was a Feodor Lynen fellow of the Alexander von Humboldt Foundation in Padua. He recently completed and submitted his second book on the German merchant community in Venice in the 18th century. For this, he received fellowships at the German Historical Institute in Rome and at the Institute for Advanced Study, Munich and won the Max Weber Award of the Max Weber Center for Advanced Cultural and Social Studies. Indicative publications are: Zwischen Sklavenkassen und Türkenpässen. Nordeuropa und die Barbaresken in der Frühen Neuzeit, Berlin / Boston 2012; Deutsch-italienische Händlernetze im langen 18. Jahrhundert. Die deutschen Kaufmannsgruppierungen und ihre Korporationen in Venedig und Livorno von 1648 bis 1806, Göttingen 2021 [forthcoming]. Ellinor Schweighöfer received her doctoral degree in 2015 from the University of Potsdam. From 2014 to 2018 she was research assistant and research consultant at the Forschungskolleg Humanwissenschaften (Institute for Advanced Studies in the Humanities) at Goethe University Frankfurt. Since 2018, she has been an advisor to the Faculty of Philosophy and History at Goethe University. Her research focuses on, for example, the history of science, media history, the cultural history of diplomacy and the history of Frankfurt in the 19th Century. Among her publications are two books and essays: „Vom Neandertal nach Afrika. Der Streit um den Ursprung der Menschheit im 19. und 20. Jahrhundert“, in: F. Bösch / M. Sabrow (ed.), Geschichte der Gegenwart, Bd. 17, Göttingen 2018; Bismarcks erste Bühne. Frankfurt am Main und der Deutsche Bundestag, Nordstrand 2013; „Die Konstruktion des ersten Menschen. Das Suchen und Aufsuchen des missing link 1850–1950“, in: T. Nanz / J. Pause (Hrsg.), Politiken des Ereignisses, Bielefeld 2015, pp. 125–141; „Kategorien der Weiblichkeit. Diplomatengattinnen und Bürgerinnen in Frankfurt am Main zur Zeit des Deutschen Bundes“, in: C. Bastian et al (ed.), Das Geschlecht der Diplomatie. Geschlechterrollen in den Außenbeziehungen vom Spätmittelalter bis zum 20. Jahrhundert, Vienna et al. 2014, pp. 163–180. Giovanna Tonelli received her doctoral degree in Economic and Social History at Bocconi University of Milan. She is Senior Researcher at the University of Milan, where she teaches Modern History in a degree course in cultural heritage. Together with other scholars, she won the ESHET Award for best scientific edition in the second volume of the Essays of Economics, Finance and Administration by Pietro Verri. Her research focuses on the social and economic history of the modern age,

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in particular on the history of commerce, luxury, lifestyles, consumption and material culture. She has published many essays, as well as the following monographs: Affari e lussuosa sobrietà. Traffici e stili di vita dei negozianti milanesi nel XVII secolo (1600–1650), Milano 2012; Investire con profitto e stile. Strategie imprenditoriali e familiari a Milano tra Sei e Settecento, Milan 2015; Un filo di voci fra le pagine di Pietro Verri. Merci e «prezzi» del tessile nello Stato di Milano (anni sessanta del Settecento), Milan 2018. Viola Usselmann is a research consultant at the German-Italian Centre for the European Dialogue, Villa Vigoni. She studied Musicology, Italian Literary Studies and Cultural Management at the University of Music Franz List Weimar, Friedrich Schiller University Jena and Università Ca‘Foscari at Venice. For her doctoral thesis she investigates the musical cultural networks of the Mylius-Vigoni family respectively families. She explores how the formation of tradition within a family worked as an instrument for the formation of identity in 19th century Europe. Her publications include: „Das Mylius-Vermächtnis – der letzte Wille von Heinrich Mylius und Friederika Schnauß“, in: G. Meda / V. Usselmann/ C. Liermann, Enrico Mylius 1769–1854. Una biografia Heinrich Mylius 1769–1854. Eine Biographie, Loveno di Menaggio 2019; „,Inspiriert von der romantischen Atmosphäre des Ortes...‘ Musik in der Villa Vigoni“, in: 30 Jahre Villa Vigoni, Como 2016, pp. 127– 131; „Hören + Sehen ≠ Verstehen? Zur Relevanz von Untertiteln im Musiktheater“, in: M. Brambilla / C. Crestani / F. Mollica (ed.), Untertitelung: interlinguale, intralinguale und intersemiotische Aspekte. Deutschland und Italien treffen sich, Frankfurt a.M. 2016, pp. 205–221; „,Das Gefühl, in Stille zu baden‘. Interview mit Salvatore Sciarrino“, Die Tonkunst (2013), pp. 519–521

PERSONENREGISTER Nicht in das Personenregister aufgenommen wurde Heinrich Mylius. Aldebert, Isaak/Isaac 114, 116, 164–165, 339 Aldebert, Isaak/Isaac d.J. 195, 340 Allesina, Johann Maria 87 Allesinas 74, 81, 85–88 Allievi, Antonio 342 Ambros, August Wilhelm 295 Amerling, Friedrich von 291 Amoretti, Carlo 253, 264–266 Angelo, Joseph 82 Antoine, Vincenzo 154 Appiani, Andreas 297 Ardighelli, Maria Angela 253 Arnim, Achim von 230, 232–233, 235 Arnim, Freimund von 233 Arnim, Kühnemund von 233 Arnim, Siegmund von 233 Baasner, Frank 135 Balabio, Giovanni 163 Balabio, Pietro 137, 140 Baron Francesco Cornelia 162 Bartholdy, Felix Mendelssohn 25, 325–328, 330–340 Baruzzi, Cincinnato 310, 345 Beauharnais, Eugene de 167 Beccaria, Cesare 262 Beccaria, Giulia 154 Beethoven, Ludwig van 336–337 Bellini, Giovanni 284 Benecke, Friedrich Wilhelm 340 Benecke, Henriette, geb. Souchay 340 Benecke, Marie 340 Bernay 84 Berra, Teresa 125, 163 Bertina 74, 89 Bethmann, Simon Moritz von 167, 267–278, 313 Beutin, Ludwig 55–56 Biava, Samuele 346–347, 350 Biella, Don Giuseppe 347 Bigazzi, Duccio 111, 113, 126 Birkenstock, Melchior von 233 Bisi 297

Blaas, Karl 292 Blendinger, Friedrich 55 Blondel, Enrichetta 154–155, 215, 304 Blondel, François Louis 67, 153–157, 162, 215 Böhringer, Alexander 128 Bolongaro, Josef 87 Bolongaro, Simonetta 87 Bonaparte/de Beauharnais, Joséphine 159 Bonaparte, Napoleon 8–9, 19, 23, 68, 115, 123, 134, 137, 143–147, 149, 152, 154– 155, 159–161, 163, 165–169, 172, 200, 269, 278, 301 Borromeo, Giberto 138 Bouvier, Pietro 297 Brentano, Andreas 224 Brentano, Antonio 83 Brentano, Carl 80, 83 Brentano, Christian 227 Brentano, Claudine 220 Brentano, Clemens 227, 230–233 Brentano, Domenico Martino 82, 86–87, 221–224, 228 Brentano, Dominico Martino 222–225, 227– 228 Brentano, Franz 229, 231, 233 Brentano, Georg 229–231, 233–234 Brentano, Jakob, Giacomo 225 Brentano, Joseph, Giuseppe 225 Brentano, Louis 234 Brentano, Martino 221 Brentano, Peter Anton, Pietro Antonio 78, 88, 219, 224–230, 234 Brentano, Sophie 229 Brentano, Steffano 83 Brentano/von Arnim, Bettina, Bettine 208, 227–228, 230–234 Brentano/von La Roche Maximiliane 225– 226, 230 Brentano–Griante, Domenico Andrea 79 Brentano–Gnosso, Paula Maria Josepha Walpurga 224 Brioschi, Francesco 121, 128, 162

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Personenregister

Buffa, Domenico 350 Burckhardt, Jacob Burckhardt 272–273 Burke, Edmund 312 Burke, Peter 266 Burlamacci 81 Byron, George Gordon 273, 287 Calderara, Adelaide 214 Cantoni, Eugenio 127 Carl August, Großherzog von Sachsen Weimar 202, 214, 301–302 Carli, Gian Rinaldo 262 Cattaneo, Carlo 25, 113, 119–120, 125, 133, 141, 150, 163, 214, 277, 299, 313, 318– 323, 346–347 Cattaneo, Gaetano 204, 276–278, 323 Chabert, Carlotta 281 Cirillo, Domenico 250 Colombo, Giuseppe 121 Cornalia, Francesco 163 Cornelius, Peter von 283–284 Czoernig, Carl von 285–286 D’Azeglio, Massimo 119, 155–156, 215 Defoe, Daniel 150 Dante, Alighieri 190, 301 Darfeldt, Jonas 165, 195, 339 Daru, Pierre Comte de 277 De Sismondi, Simonde 277, 302 Spech, Teresa de 161 Delacroix, Eugène 280 Delaroche, Paul 290 Delécluze, Etienne–Jean 280 Doerr, Georg Friedrich 115 Dollfus, Jean 161 Donizetti, Gaetano 295 Doria, Marco 113 129 Dumeiz, Damian Friedrich 225 Dwerhagen, Johann 82 Eckermann, Johann Peter 330 Eitelberger, Rudolf von Edelberg 289, 292 Josef, Emmerich von Breidbach zu Bürresheim 89 Ertmann, Dorothea von 334–338, 343 Ertmann, Stephan Leopold Freiherr von 336 Fam. Andreoli 84 Fam. Boessler von Eichfeld 14 Fam. Bolongaro 74, 81, 84, 86–87, 89, 219, 222, 241 Fam. Borgni 74, 89, 222 Fam. Brentano 10, 21, 24, 69, 73–74, 78, 81, 83–84, 86–87, 89, 108, 195, 219–221, 223, 228–230, 234–235 Fam. Brentano–Cimaroli 221

Fam. Brentano–Gnosso 221 Fam. Brentano–Toccia 221 Fam. Brentano–Tremezzo 221 Fam. Carli 74, 85, 89 Fam. Cetto 74, 89 Fam. D’Orville 198 Fam. DuFays 164 Fam. Fugger 49–50, 70 Fam. Furtenbach 52 Fam. Fuzier 155–156 Fam. Gontard 164, 198 Fam. Guaita 74, 77, 87–89, 220, 222 Fam. Kramer 19, 114, 140, 163, 169, 199, 216 Fam. Maioni 84 Fam. Manzoni 155–156, 169 Fam. Mariton 155–156 Fam. Mylius 10, 17, 25, 114, 164–166, 169, 189, 194, 197–202, 209–214, 309, 313, 325, 328–333, 338–347, 350 Fam. Neufville 194, 198–199 Fam. Rothschild 90, 164, 167–168 Fam. Pencos 84 Fam. Schunck 25, 339–340 Fam. Seufferheld 19, 209 Fam. Souchay 25, 165, 168, 197, 325, 338– 340 Fam. Vigoni 156, 341, 344, 351 Fam. Welser 50 Felbiger, Giovanni 261 Ferdinand Karl Anton Joseph Johann Stanislaus von Österreich 152 Ferdinand Maximilian, Erzherzog 294 Firmian, Carlo 247, 259, 262, 264 Fraccaroli, Innocenzo 293 Francesco Hayez 24, 25, 119, 271–273, 275, 277–297, 299, 301, 313–318, 323, 349 Franci, Sebastiano 251, 260 Franz Erwein, Graf von Schönborn–Wiesentheid 273–278 Franz Ferdinand I., Kaiser von Österreich 201, 295, 317 Friedrich II., Kaiser des HRR 276 Frisi, Paolo 259 Fugger, Jakob 49 Furtenbach, Erasmus 52 Gabba, Melchiade 347 Galeazzi, Giuseppe 252 Gambale, Luigi 346–347 Gera, Francesco 118 Giannone, Pietro 304 Gigola, Giovanni Battista 277

Personenregister Gioberti, Vincenzo 307 Gioia, Melchiorre 171 Giudice, Gioanangelo Del 261 Glauser, Fritz 56 Goethe, August von 331–334 Goethe, Johann Wolfgang von 9, 88, 119, 195, 201, 205–209, 214–215, 225, 231, 245, 276–277, 331–335 Gonzenbach, Leonardo 162 Grafe, Regina 53 Gramulla, Susanna 55 Grasberger, Hans 296 Greppi, Antonio 65, 101, 108, 136, 241 Grimm, Ludwig Emil 229–230 Grisellini, Francesco 262–265 Grossi, Tommasso 281 Grossmann, Rodolphe 160 Guaita, Innocentius 87 Gubitz, Friedrich Wilhelm 233 Günderode, Karoline von 232 Gutermann von Gutershofen/de La Roche Sophie 225 Hagemeister, Johann Gottfried Lucas 276 Haller, Albrecht von 243, 246–247, 252 Harnier, Eduard 203 Harnier, Louis 203 Hartig, Franz von 285 Hartmann, Johann Paul 122 Hartmann, Ludovico 119, 140, 158–160 Haushofer, Max 288 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 300 Heicke, Joseph 292 Heinrich IV., König von Frankreich 276 Heinrich, Prinz von Preußen 283 Herder, Johann Gottfried 201, 311–313 Heyden, Eduard 191, 213 Hobbes, Thomas 321 Hobsbawm, Eric 13, 15 Induno, Gerolamo 294, 297 Inganni, Angelo 297 Jaffé, Edgar 167 Jeanrenaud, Cecile 339–340 Jeanrenaud, Elisabeth „Lilly“, geb. Souchay 340 Jeanrenaud, Franz August 339 Joseph II., Kaiser des HRR 22, 296 Karis, Sigmund 286 Karl VI./Carlo VI, Kaiser des HRR 96–98, 102 Karl, Taubner 202 Katharina die Große, Zarin 240 Kevenhüller, Prinz Friedrich 152

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Keyssler, Johann Georg 245 Kießling, Rolf 36 Klingemann, Carl 340 Kolowrat–Liebsteinsky, Franz Anton von 286, 288 Kramer, Amalia 163 Kramer, Carlo 139–140 Kramer, Johann Anton/Giovanni Antonio 67–68, 111, 118, 120–125, 133, 135, 137, 139–140, 157–165, 170–171, 212, 214 Kramer, Maria Carolina 162 Krumm, Andreas 111, 126–127 Krumm, Eraldo 111, 126–127 Kühlen, Franz von 271, 283–284 Kugler, Franz 271–273 Lacaita, Carlo 120, 135, 141 Landriani, Marsilio 259 Lenz, Jacob 277 Leo XII., Papst 282 Lessing, Gotthold Ephraim 257, 280 Lessing, Karl Friedrich 290 Levitschnigg, Heinrich, Ritter von Glomberg 271, 287–288 Licini, Stefania 120, 127–128 Lindenau, Bernhard von 214–215, 322 Livius 303 Lothringen–Vaudémont Karl Heinrich von 294 Louise Maumary 155, 169 Ludwig I., König von Bayern 274 Lützow, Rudolph von 286, 290 Luigi, Francesco de 162 Luzzatti, Luigi 111 Machiavelli, Niccolo 301, 303–305, 307– 308, 311 Maffei, Andrea 273, 286 Manin, Daniele 289 Mann, Thomas 235 Manna, Galeazzo 331 Manzoni, Alessandro 9, 25, 119, 154–155, 170, 215, 217, 276–277, 281, 299, 301– 309, 311–315, 317–319, 323, 346–347, 349 Manzoni, Giulia 155 Marchesi, Pompeo 206, 278 Marelli, Giuseppe 253, 255 Maria Theresia, Kaiserin von Österreich 22, 296 Mariton, Enrico 154 Martignone, Cinzia 135 Martin Luther 276

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Personenregister

Maximilian, Ferdinand 294 Mayer, Giovanni Simone 346 Mazzini, Guiseppe 272, 305, 314 Meghele, Giuseppe 259 Melzi d’Eril, Francesco 275 Mertzen, Giovanni 162 Metternich, Klemens Wenzel Nepomuk Lothar von 286, 303 Meyer, Andreas 45 Migliara, Giovanni 118, 278 Milton, John 309–311 Mitterpacher von Mitterburg, Ludwig 243, 263–264 Moioli, Angelo 135 Molteni, Giuseppe 293, 295, 297 Monti, Vincenzo 214 Morell, Giovanni Martino 162 Moscati, Pietro 254, 259 Mossi, Pietro 162 Müller, József 25, 325, 342 Mylius, Carl 196–197, 209 Mylius, Dorothea 195, 201, 340 Mylius, Friederike, geb. Schnauß 7, 9, 201– 202, 210, 313, 318 Mylius, Georg Melchior 19, 115, 117, 197, 204, 209, 332, 338 Mylius, Giulio 115, 141, 149, 311, 313, 325, 349 Mylius, Johann Christoph 164–165, 194– 195, 199, 211 Mylius, Johann Jakob 114–115, 165, 195– 200, 339–340 Mylius, Jonas 197, 204 Mylius, Katharina Elisabeth 164–165, 195, 339–340 Mylius, Luigia, geb. Vitali Arese 117, 120, 141, 163, 285, 313, 317–318, 345 Mylius, Maria Eleonore 198 Mylius, Peter Friedrich 165, 195 Mylius, Sophie, geb. Mennet 333, 337–338, 340 Neufville, Johann Georg de 211 Neufville, Sebastian de 211 Nobile, Pietro 291 Nüll, Eduard von der 292 Oriani, Barnaba 214 Palagi, Pelagio 275, 277, 323 Pananti, Filippo 147 Passini, Ludwig 287, 297 Peloso, Antonio Francesco 282 Perret, Franz 165 Petrarca, Francesco 301

Petty, William 39 Pfister, Ulrich 59 Piazza, Antonio 321, 350–351 Pisani, Vittore 287, 289–292, 296 Pius VII., Papst 155 Porta, Louis 153 Porta, Michael de la 50 Pozzolo, Lonate 123 Pregla, Corinna 191 Raczynski, Athanasius 284 Radetzky, Johann Josef Wenzel Anton Franz 292, 294 Raimondi, Carlo 252–253, 293 Raphael 314 Reves, Christiane 73 Romagnosi, Gian Domenico 320 Rosmini, Antonio 314, 346 Rossi, Lanificio 127 Rossi, Lauro 331 Rossi, Pietro 275, 315 Rossini, Gioachino Antonio 314 Rothschild, Meyer Amschel 167 Rothschild, Nathan 164, 168 Rottenhof, Friederike von 226 Rousseau, Jean Jacques 243, 308 Rüppell, Eduard 189, 196, 201, 203–213, 215–216, 309, 327–329, 343–344, 349 Rüppell, Simon 203 Sacchi, Giorgio 137 Sacchi, Guiseppe 342 Saint–Simon, Henri de 148 Savigny, Friedrich Carl von 232 Savoia, Eugenio di 246 Scheffer, Ary 284 Schiller, Friedrich 201, 273, 282, 286 Schelble, Johann Nepomuk 339 Schletter, Adolf Heinrich 290 Schlitz, Louise von 230 Schmeller, Johann Joseph 333 Schnauß, Carl August Constantin 333 Schnoors von Carolsfeld, Julius 289 Schorn, Ludwig 271, 273–278, 283 Schüle, Johann Heinrich von 158 Schulte Beerbühl, Margit 18 Schulte, Aloys 31–32, 35, 45 Schultz, Hartwig 235 Schunck, Heinrich 167, 196 Schunck, Henry Edward 196 Schunck, Martin 195–196, 339, Schunck, Philipp 166 Schunck, Susanna, geb. Mylius, gen. „Nanny“ 195–197, 340

Personenregister Schwarz, Matthäus 49 Schweitzer von Wiederhold, Johann Georg 87 Schweitzer, Franz Maria von 87–88 Schweitzer, Johann Sebastian 87 Scopinich, Luigi 297 Sergent, Antoine Louis François 271, 278– 283 Seufferheld, Ludwig 10, 169–170, 209, 278, 285 Seufferheld, Marquard Georg 169, 206, 209 Shakespeare, William 273 Sinzendorf, Ludwig von 96–98 Sommariva, Giovanni 274–275, 279 Souchay, Cornelius Carl 116, 164–166, 195–196, 339–340 Souchay, Cornelia Wilhelmina 197 Souchay, Eduard 195 Souchay, Elisabeth 339 Spallanzani, Lazzaro 246 Steinhauser, Johann Hector 115 Stendhal (Marie–Henri Beyle) 145, 147, 149, 314 Stigler, August 126–127 Thorvaldsen, Bertel 206, 208, 311–313 Tieffen, Franz 66 Tiepolo, Giovanni Battista 284 Tizian 279, 284, 314 Tocqueville, Alexis de 312 Tommaseo, Niccolo 289 Tosi, Franco 127 Trampus, Antonio 255 Traxler, Salomone 162 Turati, Franziskus 126–127 Uhlich, Gottfried 277 Varnhagen, Karl August 231 Victoria, Königin von England 292 Verdi, Guiseppe 295, 314, 316, 350 Verri, Pietro 104–106, 249, 251, 259, 264 Veronese, Paolo 284 Veronesi, Marco 44–45 Vigoni, Ignazio 7, 348 Vitman, Fulgenzio 247, 254 Volkmann, Johann Jacob 245, 248–249 Wach, Adolf 341 Waldmüller, Georg 271, 291, 296 Wallmoden, Ludwig Georg Thedel, Graf von 14 Wandruszka, Adam 250 Wauters, Charles–August 285 Wenzeslaus von Sachsen, Clemens 226 Wichelhausen, Friedrich Wilhelm 224

363

Wilhelm I., König von Württemberg 278 Wilhelm Tell 276 Young, Arthur 144, 146, 153, 267–268 Zaninelli, Sergio 122 Zinzendorf, Karl 257–259 Zitta, Giovanna 162

ORTSREGISTER Nicht in das Ortsregister aufgenommen wurden Italien, Deutschland, Österreich, Mailand und Frankfurt am Main. Alexandria (Italien)/Alessandria (Italia) 94, 96 Altdorf 96 Amsterdam 53–54, 59, 62, 65, 73–74, 79– 81, 84–85, 90, 96, 99, 136, 222, 224, 287 Ancona 103 Antwerpen/Anversa 46, 50–52, 56, 96, 198, 221, 294 Augsburg/Augusta 37–39, 50–53, 55, 66, 74, 79, 96, 98, 102, 140, 153, 158, 160, 190, 197–198 Avignon 44, 46 Barcelona 46 Basel/Basilea 37–39, 63, 79, 96, 153, 160, 274 Belgien/Belgio 94, 267, 271, 275, 284–285, 289 Bellinzona 96, 99 Bergamo 34, 65, 83, 103, 153–156 Berlin/Berlino 9, 168, 233, 252, 255, 268, 284 Bingen 76, 222 Boffalora 115, 118, 170 Bologna 114, 309 Bremen 90 Brera 116, 243, 247–248, 275, 278–281, 296 Brescia 34, 103, 153, 155–156, 350 Brügge 43, 46–47 Brüssel 294 Cadenabbia 335 Cannstatt 39 Casirate 154–156 Chiavenna 94, 101–102 Chur/Coira 53, 64, 96, 100, 102 Comer See/Lago di Como/Lake Como 7, 9– 10, 16, 22, 57–58, 60–61, 68, 73–75, 102, 119, 124–125, 137, 169, 202, 206, 209, 212, 219–221, 223–224, 229, 301, 309, 332, 334–335, 342, 344 Como 43, 50, 94, 100, 102, 105, 108, 119– 120, 124–125, 137, 332, 335, Corenno 79

Cremella 124, 137, 139, 162 Cremona 103 Cully 153 Danzig 53 Düsseldorf 76–77, 283–284, 339 Ehingen 79 Ehrenbreitstein 225 Elberfeld 125, 169, 199, 340 Emmerichstadt 87 England/Inghilterra 16, 18, 22, 46, 54, 59, 68, 68, 113–114, 145, 150, 159, 164– 166, 195–196, 198, 200, 217, 240, 250, 271, 274, 292, 337, 340 Essenheim 67, 122, 137, 157 Esslingen 126 Ferrara 103 Florenz, Firenze 43, 94, 261 Fontainebleau 167, 291 Frankfürt–Rödelheim 233 Frankreich/Francia 15, 35, 39, 46, 113, 125, 144–150, 153, 156, 159, 163, 171, 240, 250, 252, 267, 271–272, 274 Freiburg/Friburgo 96 Genf/Ginevra 39, 46, 65, 94–95, 125, 153 Genua/Genova/Genoa 15–17, 29, 32, 34–35, 41–47, 49–49–57, 59–60, 63, 65–66, 68–71, 94, 99–101, 103–104, 107–108, 113–114, 116–118, 199, 282 Gotthard 31, 37, 49, 56, 70, 79, 165 Göttingen/Gottinga 268 Graubünden/Grigioni 31–32, 36–37, 40, 63, 65, 70, 101, 104, 155 Großbritannien/Grande Bretagna 18, 113 Hamburg/Amburgo 56, 59, 65, 90, 96–97, 108, 136, 321 Hanau 64 Hannover 252, 340 Heilbronn 69 Heidenheim 65 Helgoland 166–167 Ingolstadt 79 Intra 63

366

Ortsregister

Köln/Colonia/Cologne 47, 52, 55–57, 68, 76–77, 79, 81, 96, 98 Konstanz 38, 291 Lago Maggiore 57, 61, 63, 100, 104, 241, 334 Landau 63 Lausanne 154 Leeds 164, 168 Leipzig/Lipsia 40, 50, 56, 64, 79, 96, 98, 166, 219, 335 Lindau 38, 52, 79 Liverpool 15 Livorno/Leghorn 42, 55, 59, 65–66, 70, 79, 114, 153 Lodi 94, 124, 144–145 London/Londra 47, 96, 99, 116, 153–154, 164–165, 168, 169, 195–196, 199, 252, 309, 339–341 Loveno 10, 17, 119, 206, 212, 214, 309, 341–345, 348–349 Luganer See 335 Lugano 96, 299, 319, 335 Lyon/Lione 35, 39–40, 46, 50, 55–56, 87, 103, 117, 153, 274, 339 Mainz 76–77, 82–83, 85, 89, 222, 224 Malta 166–167 Manchester 164–168, 195–197, 339–340 Mantua, Mantova 34, 103, 107, 246 Markdorf 79 Menaggio 10, 202, 212, 332, 335, 342, 348 Modena 34 Mont Blanc 145 Monza 115, 123, 134, 161–162, 292 Mulhouse 160 München/Monaco 98, 274, 283, 285, 295 Neapel/Napoli 94, 113, 168, 194, 249–250, 253 Nizza 63 Nördlingen 65, 79 Nürnberg/Norimberga 37, 44, 46, 52, 56, 64, 96, 98, 221 Obersdorf 79 Olomouc 79 Padua, Padova 122 Paris/Parigi 9, 87, 125, 159, 200, 252, 274, 276, 278, 281, 293–294 Parma 315 Pavese 99, 105, 115, 118, 243 Pavia 94, 102, 108, 121, 128, 247–248, 253 Pfullendorf 79 Piancenza 94

Piemont/Piemonte/Piedmont 35, 58, 64, 74, 85, 91, 99–100, 102–103, 118, 144– 145, 156, 283 Polen 46, 284 Pommersfelden 276 Prag 40, 288 Ravensburg 45 Rom/Roma 94, 161, 211, 283, 333, 337 Saragossa 46 Sardinien–Piemont (Königreich) 22, 63, 215, 283, 295 Savoyen/Savoia, Savoy 57, 74, 85, 95, 246 Schweden, Svezia 166, 252 Schweiz/Svizzera 19, 23, 31–37, 41, 44, 48– 49, 63–68, 70, 113, 118, 123, 129, 153, 155–158, 169, 162, 166–167, 171, 212, 215, 276, 282, 302, 318–319 Sedan 111 Siena 121 Splügen/Spluga 10, 37, 48, 79, 99–101, 165 St. Petersburg/Pietroburgo 252 Straßburg/Strasburg 38–39, 65, 79 Stresa 84, 241 Stuttgart 24, 39 Tirol/Tirolo 31–32, 37–38, 40–41, 44, 47, 49, 51, 54–55, 60, 62–63, 70, 102, 265 Tortona 94 Tremezzo 124–125, 137, 219, 221–224, 274 Trient/Trento 31 Triest/Trieste 66, 100, 117, 153, 159, 162, 167, 213, 295, 332, 344, 349 Tübingen 24 Turin 65, 146 Ulm, Ulma 37–38, 56, 64, 65, 96, 98 Valencia 44, 46 Venedig/Venezia 31–34, 41–42, 45, 47, 51, 54–55, 63, 65, 70, 100–101, 103, 252, 261–262, 283–284, 286, 289, 294, 297, 299, 315, 350 Verona 34, 103 Weimar 7, 9, 201–202, 208–210, 214–215, 217, 274, 276, 278, 301, 327, 331–334 Wien 9, 17, 199–201, 199–201, 285, 292– 294, 296, 337 Wroclaw 79 Zürich 37–39, 157

Christiane Liermann Traniello / Ubaldo Villani-Lubelli / Matteo Scotto (Hg.)

Italien, Deutschland und die europäische Einheit Zum 30-jährigen Jubiläum des Berliner Mauerfalls AurorA. schriften der villA vigoni – BAnd 7 2019. 148 Seiten mit 2 s/w-Abbildungen 978-3-515-12483-6 kArtoniert 978-3-515-12492-8 e-Book

Der Fall der Berliner Mauer vor dreißig Jahren markierte einen Wendepunkt, nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa, vielleicht sogar in einem globalen Maßstab. Nicht zuletzt angesichts der sich abzeichnenden Wiedervereinigung Deutschlands beschleunigte man den europäischen Integrationsprozess. Die Rolle Deutschlands in Europa veränderte sich in ungeahnter Weise, was auch die deutsch-italienischen Beziehungen betraf – und sie bis heute beeinflusst. Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes ordnen die Zäsur von 1989 in den historischen Kontext ein und deuten sie vor dem Hintergrund der nachfolgenden Entwicklungen. Den Auftakt bildet ein Gespräch zwischen dem Politikwissenschaftler Tilman Mayer und dem Kultursoziologen Clemens Albrecht

über Deutschland und Italien nach dem Mauerfall. Die weiteren Beiträge von Expertinnen und Experten aus den politischen und historischen Wissenschaften gliedern sich in zwei Teile: „Das Jahr 1989 in deutscher und italienischer historischer Perspektive“ und „Das Jahr 1989 und die Europäische Union“. Der Band schließt mit dem Text des „Vertrags über die Abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“, auch „Zwei-Plus-Vier-Vertrag“ genannt. Mit Beiträgen von Christof Dipper, Ubaldo Villani-Lubelli, Fernando D’Aniello, Beda Romano, Antonio Padoa-Schioppa, Peter Schiffauer, Izabela Jędrzejowska-Schiffauer, Beatrice Benocci, Eva Heidbreder

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Immacolata Amodeo / Caroline Lüderssen / Giovanni Meda Riquier (ed.)

L’opera letteraria di Camillo Boito in dialogo con le Arti In collaborazione con Carmelo Alessio Meli AurorA. schriften der VillA Vigoni – Vol. 6 2018. 264 pagine 978-3-515-11297-0 rilegAto 978-3-515-11301-4 e-book

Questo volume contiene i contributi del convegno, tenutosi nel giugno 2014 a Villa Vigoni, dal titolo “Il corpo e l’anima dell’arte” - l’opera letteraria di Camillo Boito in dialogo con le arti, in occasione del Centenario della morte del celebre architetto e scrittore Camillo Boito e inserito nel programma “Dialogo italo-tedesco” finanziato dal DAAD. I saggi trattano da un lato l’opera letteraria di Boito e la sua poetica, e dall’altro il suo rapporto con le altre arti dal cinema, alla musica e alla pittura. Boito, il principale rappresentante della Scapigliatura milanese, si rivela un narratore

compiuto e originale che anticipa le tendenze moderniste. Nella seconda parte del libro viene pubblicata per la prima volta un’opera fondamentale della ricerca italiana su Boito. contributori Matilde Dillon Wanke, Chiara Cretella, Ludger Scherer, Corinna Scalet, Dagmar Bruss, Laura Staiano, Viola Stiefel, Annarita Zazzaroni, Elisabeth Braunshier, Monica Biasiolo, Luca Mendrino, Alessandro Scarsella, Friedrich Wolfzettel, Giuliana Bertacchi

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Der Wahlmailänder Heinrich Mylius (1769–1854) machte als junger Mann eine beachtenswerte Karriere und wurde zu einem der reichsten Unternehmer Italiens. Zeitlebens hielt er darüber hinaus einen dichten Kontakt mit Schriftstellern, Künstlern und Wissenschaftlern quer durch Europa. Mylius verstand es offenbar, die Dynamiken der Umbruchszeit, in der er lebte, als Unternehmer wie als Mäzen zu nutzen. Die politischen und wirtschaftlich-sozialen Umwälzungen zeigen seine Zeit als einen entscheidenden Abschnitt der europäischen Geschichte. Das Zeitalter der Revolution ermöglichte es Akteuren wie Mylius, erfolgreich neue Wege zu beschrei-

ISBN 978-3-515-12596-3

9 783515 125963

ten. Anhand seiner künstlerischen und politischen transnationalen Netzwerke lassen sich wichtige Fragen untersuchen, die in diesem Band im Mittelpunkt stehen: Welchen Widerhall fanden politische Bestrebungen nördlich der Alpen und umgekehrt? Wie gestaltete sich der künstlerische Austausch? Wurden die europäischen Wachstumsregionen von heute nicht bereits durch die Sattelzeit geprägt? Und nicht zuletzt: Waren es in einer Zeit, die oft allein in das Zeichen der Nationalstaatsbildung gestellt wird, nicht eher transnationale, europäische Identitäten, die politisch und wirtschaftlich entscheidend waren?