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German Pages 706 [707] Year 2000
MAX PLASSMANN
Krieg und Defension am Oberrhein
Historische Forschungen
Band 66
Krieg und Defension am Oberrhein Die Vorderen Reichskreise und Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden (1693-1706)
Von Max Plassmann
Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme
Plassmann, Max: Krieg und Defension am Oberrhein : die vorderen Reichskreise und Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden (1693 - 1706) I Max Plassmann. Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Historische Forschungen ; Bd. 66) Zugl.: Mainz, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09972-9
Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Gerrnany
© 2000 Duncker &
ISSN 0344-2012 ISBN 3-428-09972-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 EI
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Herbst 1998 vom Historischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Dissertation angenommen. Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Walter G. Rödel, habe ich großen Dank abzustatten, da er mir nicht nur volle Freiheit bei der Ausgestaltung des Themas ließ, sondern auch stets mit Rat und Tat Rückhalt gewährte und eine schnelle Abwicklung des Promotionsverfahrens ermöglichte. Dank gebührt auch Herrn Prof. Dr. Dr. Peter Claus Hartmann, der das Korreferat übernommen hat. Ermöglicht wurde die Arbeit durch ein Stipendium im Rahmen der Graduiertenförderung des Landes Rheinland-Pfalz. Der Druck wurde dankenswerterweise von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Für ihre vielfältige Unterstützung danke ich schließlich auch meinen Eltern sowie für seine technische Hilfe im EDV-Bereich Thomas Pottkämper. Auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der von mir genutzten Archive und Bibliotheken möchte ich herzlich danken. Marburg, im Januar 2000
Max Plassmann
Zusammenfassung Um 1700 kämpfte zweimal eine große europäische Allianz gegen König Ludwig XIV. von Frankreich, dessen Hegemonialbestrebungen bekämpft wurden. Am Oberrhein wurde die Kriegführung von den sogenannten Vorderen Reichskreisen getragen, vom Fränkischen, Schwäbischen, Kurrheinischen, Oberrheinischen und Niederrheinisch-Westfälischen Kreis. Diese Zirkel vereinigten jeweils eine große Zahl von kleinen Ständen, die in den europäischen Auseinandersetzungen nur deshalb Kriegsparteien waren, weil sie an der Nahtstelle zwischen den Machtblöcken lagen. Die Dissertation untersucht die Überlebensstrategie der Mindermächtigen, die den Rahmen der Kreise dazu ausnutzten, ihre schwachen Kräfte zu bündeln und gemeinsam ihr Überleben zu sichern. Dabei hatte man sich sowohl gegen Frankreich als auch gegen die armierten Reichsfürsten zu wehren, mit denen man zwar offiziell verbündet war, die jedoch keine Rücksicht auf die Belange der Mindermächtigen nahmen. Der jeweilige Kreis diente als Handlungsrahmen der Stände, soweit sie sich von einer Zusammenarbeit Nutzen versprachen. Effektive Verwaltungsstrukturen auf Kreisebene bildeten sie daher nur in Ansätzen heraus, war doch ihr Ziel der Selbsterhalt und nicht die Schaffung einer mächtigen Zwischeninstanz, die die ständische Libertät gefährdet hätte. Zwischen 1693 und 1706 stand Mgf. Ludwig Wilhelm von Baden als Oberbefehlshaber an der Spitze der alliierten Truppen am Oberrhein. Er war gleichzeitig Stand des Schwäbischen Kreises und - zumindest anfangs - ein Vertrauensmann des Wiener Hofes. Er konnte daher Kompromisse zwischen den Kreisen und dem Kaiser aushandeln. Dabei mußte er zum einen die europäische Ebene der Kriegführung im Auge behalten. Er hatte aber auch die Kreisinteressen zu berücksichtigen. Aus Sicht der Mindermächtigen mußte der Krieg möglichst passiv, ohne große Kosten geführt werden, um den Status Quo erhalten zu können. Diese Überlebensstrategie wurde von Ludwig Wilhelm in die Praxis umgesetzt. Letztlich kann man von einem Erfolg der Kreise sprechen. Sie überlebten die Kriege und erreichten damit ihr wichtigstes KriegszieL Um dies würdigen zu können, muß jedoch die Orientierung am Ideal des Nationalstaates zugunsten einer Annahme der Perspektive der kleinen Stände aufgegeben werden.
Inhalt I.
Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. Quellenkritische und methodische Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
II.
Reichsverfassung und Reichsverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die sogenannte Reichskriegsverfassung von 1681 und die kaiserliche Stellung im Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reichstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Reichsritterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Kreisverfassung und ihre Probleme am Beispiel der Vorderen Reichskreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ämter, Organe und Streitkräfte ............. . ......... : . . . . . . . . b) Die Kreistage: Probleme der Beschlußfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ansätze und Grenzen der Ausbildung einer Zentralinstanz . . . . . . . . aa) Das Ausschreibeamt Kompetenzen und Durchsetzungsfähigkeit......... .. . ............ .. . .. . ..... ......... ... .. .. . . bb) Exekution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Nachschub, Finanzierung und Verwaltung der Kreisarmeen . . . . . . . e) Die Kreisverfassung als Handlungsrahmen mindermächtiger Stände ............ . ..................... .. ..................
III. Der Neunjährige Krieg ........................ . ................... 1. Die Entwicklung bis 1693 .. . .. ....... .. .... ... .......... .. ....... 2. Die Kommandoübernahme Ludwig Wilhelms von Baden am Oberrhein .......................................................... 3. Der Feldzug von 1693 ...................... . .................... a) Vorbereitungen: Die Verwaltung des logistischen Mangels und organisatorische Schwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Verlauf des Feldzuges von 1693 ...... . ..... . . . ............ 4. Die Winterquartiere 1693/94 ............ . . . . .. ................... 5. Die Lehren aus dem Feldzug 1693 ........... . ................ .. .. a) Reformforderungen Ludwig Wilhelms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mittel zum Ausgleich der französischen Überlegenheit ........... aa) Verschanzte Linien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Landausschuß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Feldzüge von 1694 bis 1696 .......... .. ................ . .. ...
32 32 40 47 56 56 62 86 86 95 100 116 124 124 141 180 180 199 224 230 230 244 244 269 274
8
Inhalt 7. Der Oberrheinische Kreis: Hessen-Kassel und Kurpfalz im Streit um die Vormacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Die Assoziation von 1697 und die Beendigung des Neunjährigen Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Frankfurter Assoziation von 1697 ..... ..... ................ b) Der Feldzug von 1697 und die Friedensverhandlungen in Rijswijk .
281 292 292 330
IV. Die Friedenszeit ab 1697 ... . ................. . .................... 348
V.
Der Spanische Erbfolgekrieg .................................. .... 366 1. Die Assoziationen im Vorfeld des Spanischen Erbfolgekrieges und das Verhältnis zwischen Kreisen und Kaiser ... .... ................ . . .. a) Die Heidenheimer Assoziation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Heilbronner Direktorialkonferenz . ... ................... .. . c) Die Nördlinger Assoziation 1702 ......................... . . . .. d) Die Aufliistung der Kreise 1701 und 1702 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Feldzüge von 1702 und 1703 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Feldzug von 1704 .. . ................................. ... .... 4. Die Feldzüge von 1705 und 1706 ........................... .. .... 5. Die Entwicklung bis zum Ende des Spanischen Erbfolgekrieges ......
367 367 377 389 397 403 427 454 464
VI. Charakteristika der Kriegführung am Oberrhein: Statik und Entwicklungen ............. . ...................... . .......... .. ...... 474 l. 2. 3. 4.
5. 6. 7. 8.
Die ungezähmte Bellona: Militärisch-zivile Konflikte ... . ........... Winterquartiere und -postierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kriegsfinanzierung und wirtschaftliche Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überlegungen zu Kampfkraft und Gefechtswert der Kreistruppen . . . . . Stellung und Durchsetzungsflihi.gkeit Ludwig Wilhelms als Oberbefehlshaber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Verhältnis zwischen dem Fränkischen und dem Schwäbischen Kreis ..... . ........................ . ........................... Das Verhältnis der Vorderen Kreise zu den Seemächten . . . . . . . . . . . . . . Grundzüge einer Strategie der Kreisstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
474 484 502 520 527 562 569 578
Vll. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611
Vßl. Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 l. Archivalische Quellen . ............. . . . ....... . ........ ... ....... 631 2. Gedruckte Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632
Karte: Verschanzte Linien am Oberrhein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 689 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 691
Abkürzungsverzeichnis Ausschreibeamt Artillerie Bamberg Bischof Blätter für deutsche Landesgeschichte Conclusum Dokument Erzbischof Engerer Kreistag Feldzüge des Prinzen Eugen Gulden Feldmarschall Feldmarschalleutnant Fränkisch, fränkischer Freiherr Französisch Germanistische Abteilung Geheimes Archiv Bayreuth Generaladjutant Generalleutnant Graf Generalfeldmarschall Generalfeldmarschalleutnant Generallandesarchiv Karlsruhe Generalquartiermeister Generalwachtmeister Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Haus-, Hof- und Staatsarchiv Historisches Jahrbuch Hauptquartier Hauptstaatsarchiv Historische Zeitschrift HZ IR Infanterieregiment Jb. f. Westdt. LG Jahrbuch für Westdeutsche Landesgeschichte KA Kreisabschied Kfst. Kurfürst AA Art. Ba. Bf. BI!. f. dt. LG Concl. Dok. Ebf. EKT Feldzüge fl. FM FML Fränk. Frhr. frz. G. A. GAB GenAdj. GenLt. Gf. GFM GFML GLAK. GQm. GWM GWU HHStA Hist. Jb. HQ HStA
10 Kp.
KR kr. KSS KT Kurrh. Ldgf. MEA Mgf. Mgfin. MGM MIÖG MRA ND
NF
Niederrh. Oberrh. Offz. OLT ÖMZ ÖStA-KA OWM Prot. RGFM Schwäb. Sp. St. StA StadtA Supl.
Trp. Wi. Wü. WWR Wzbg. ZBLG ZfG ZGO ZHF ZRG ZWLG
Abkürzungsverzeichnis Kompanie Kavallerieregiment Kreuzer Kriegs- und Staatsschriften (Röder) Kreistag Kurrhein, kurrheinisch Landgraf Mainzer Erzkanzlerarchiv Markgraf Markgräfin Militärgeschichtliche Mitteilungen Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Mainzer Regierungsarchiv Neudruck Neue Folge Niederrhein-Westfalen, niederrhein-westfälisch Oberrhein, oberrheinisch Offizier, Offiziere Oberstleutnant Österreichische Militärische Zeitschrift Österreichisches Staatsarchiv-Kriegsarchiv Obristwachtmeister Protokoll Reichsgeneralfeldmarschall Schwäbisch, schwäbischer Speyer, Spalte Stuttgart Staatsarchiv Stadtarchiv Supplement Truppen Wiesbaden Würzburg Wehrwissenschaftliche Rundschau Würzburger, würzburgisch Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins Zeitschrift für Historische Forschung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte
I. Einleitung 1. Fragestellung Als sich 1695, während des Neunjährigen Krieges, der französische Intendant des Elsaß, Jacques de Ia Grange, über den hohen Aufwand beschwerte, mit dem Redouten entlang des Rheines errichtet werden sollten und der ihm übertrieben teuer und schädlich für das Land zu sein schien, erhielt er die lakonische Antwort: "L'intention du Roi est que l'on y travaille"1. Auf der gegenüberliegenden Rheinseite wurden in dieser Zeit ebenfalls Verschanzungen angelegt, deren Bau einen nicht minder großen Aufwand erforderte. Auch hier beschwerten sich Beamte über den zu hohen Kostenaufwand. Doch hier gab es keinen König, der - jedenfalls in der Theorie2 durch einfachen Befehl die Diskussion entscheiden konnte. Die Kriegführung am Oberrhein wurde an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert in hohem Maße von den sogenannten Vorderen Reichskreisen getragen, insbesondere vom Fränkischen und vom Schwäbischen Kreis, aber auch vom Oberrheinischen sowie mit Abstrichen vom Kurrheinischen und vom Niederrheinisch-Westfälischen Kreis. Lange Zeit lagen die Reichskreise wenig beachtet im Windschatten der Forschung, aus dem sie erst in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr heraustraten, ohne daß jedoch ihre Erforschung auch nur annähernd abgeschlossen wäre3 . Die zunächst sechs, dann zehn Kreise waren zu Beginn des 16. Jahrhunderts auf der Basis spätmittelalterlicher Vorläufer und im Kontext der Reichsreformbestrebungen als Wahlbezirke für das Reichsregiment, zur Stellung der Assessoren und Finanzierung des Reichskammergerichtes sowie als Landfriedensbezirke gegründet worden. Ihre institutionelle und politische Entwicklung verlief uneinheitlich. Der Westfälische Friede von 1648 sah eine Redintegration, also Wiederbelebung der Reichskreise nach den Wirren des Dreißigjährigen Krieges vor. Diese gelang mit unterschiedlichem Erfolg. Besonders der Fränkische und der Schwäbische Kreis entwickelten ein reges politisches Leben bis hin zu Ansätzen zu einer eige1 Zitiert nach Livet, lntendance, S. 630. Vgl. auch Benoist d' Athenay, Administrateur, S. 100. 2 Vgl. Hartmann, Absolutismus, S. 294; Malettke, Fragestellungen. 3 Vgl. Hartmann, Bedeutung, S. 305; Press, Stellung, S. 51 ff. Einen Überblick über die ältere Forschung bietet Hofmann, Reichskreis, S. 377 - 391.
12
I. Einleitung
nen Staatlichkeit. Immer mehr Aufgaben, die ursprünglich nicht den Kreisen übertragen worden waren, wurden von diesen selbständig in Angriff genommen und gelöst. Zu denken ist hier etwa an handelspolitische Maßnahmen, Policeygesetzgebung, Chausseebau usw. 4 All dies war in der jüngeren Vergangenheit Gegenstand vielfaltiger Forschungen. Dabei wurde jedoch der Bereich der Kriegführung weitgehend ausgespart, obwohl Aufstellung, Unterhalt und Einsatz von Streitkräften zu den genuinen Aufgaben der Reichskreise gehörten. Zwar informieren über Organisation, Verwaltung, Aufbringung, Finanzierung usw. der Kreistruppen für den Fränkischen Kreis Sicken5 und für den Schwäbischen Kreis Storm6 zuverlässig, so daß sich hier eine nähere Betrachtung der Details in diesem Bereich erübrigt7 . Aber es fehlt an Untersuchungen über den praktischen Einsatz dieser Truppen 8 . Ziele und Strategien der Kreise in der existenzbedrohenden Situation eines Krieges bleiben so im Dunkeln. Diese Lücke muß deshalb als besonders schmerzlich empfunden werden, weil Funktionieren oder Nicht-Funktionieren, Bewährung oder Ineffektivität eines Kreises gerade in einer schweren Krisensituation deutlich werden. Und solche Krisensituationen stellten der Neunjährige Krieg und der Spanische Erbfolgekrieg mit Sicherheit dar. Die Beantwortung der Frage, ob, wie und mit welchen Zielen sich in dieser Zeit der Kreis als Sicherheitsgemeinschaft bewährte, kann daher Aufschlüsse über Verhalten und Politik der Kreisstände auch in ruhigeren Zeiten ermöglichen. Die traditionelle Militärgeschichtsschreibung war auf aufsehenerregende Hauptaktionen der Kriegführung fixiert, während das entscheidungs- und über lange Strecken auch kampflose Manövrieren am Oberrhein kaum Interesse fand9 • Schon allein die Tatsache, daß es zu wenigen großen Schlachten und Belagerungen kam, wurde als Beweis für die Minderwertigkeit von Kreistruppen angesehen, denn in der preußisch-deutschen Militärdoktrin des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts, der auch die Geschichtsschreibung in weiten Teilen folgte, galten Aktivität, Initiative 4 Vgl. Dotzauer, Reichskreise [I] u. neuerdings [II] mit der im Vergleich zu [I] nützlichen Ergänzung S. 441 - 495; Magen, Reichskreise; ders., Reichsexekutive; Hartmann. Reichskreis-Strukturen, S. 36- 98; Wunder, Kaiser; ders., Chausseebau; Vann, Politics; Koller, Studien, S. 164. 5 Sicken, Wehrwesen, Bd. 1 - 2. 6 Storm, Kreis. 7 Einen truppengeschichtlichen Überblick bietet auch Tessin, Regimenter, Teil 1. Hier finden sich weitere Literaturangaben zu den Regimentern einzelner Stände und Kreise. s Vgl. Kroener, "Kriegsvolck", S. 154f. 9 Meist werden die letzten Jahre des Neunjährigen Krieges am Oberrhein in kaum mehr als einem Nebensatz behandelt. Vgl. z. B. Holbom, Geschichte, Bd. 1, S. 437; Gagliardo, Germany, S. 256.
1. Fragestellung
13
und auf eine schnelle Kriegsentscheidung abzielende - notfalls blutige Schlachten als Maßstäbe für die Bewertung einer Armee 10• Hier soll demgegenüber die Frage gestellt werden, ob nicht gerade die geringe Intensität der Kämpfe im Interesse der mindermächtigen Kreisstände lag, die in einem europäischen Krieg viel zu verlieren, aber nur wenig zu gewinnen hatten. Ihre wirtschaftliche Situation ließ vielfach keine große Machtentfaltung zu, und die Kriegskosten konnten schnell ruinöse Ausmaße annehmen. Die Vorderen Reichskreise wurden allein durch die Ungunst ihrer geographischen Lage zwischen den seit dem 16. Jahrhundert um die europäische Vormacht konkurrierenden Mächten Frankreich und Habsburg in die Kriege dieser Großmächte hineingezogen, ohne daß sie selbst ein eigenständiges Ziel in diesem Konflikt verfolgten oder angesichts ihrer militärischen und politischen Schwäche verfolgen konnten 11 . Es sollen daher die Bedingungen, Voraussetzungen, Ziele und Absichten untersucht werden, unter und mit denen die Vorderen Reichskreise im Neunjährigen Krieg und im Spanischen Erbfolgekrieg unter der Führung des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden Krieg führten, nämlich von 1693 bis Ende 1706. Dabei gilt das Augenmerk zum einen den Kreistruppen, ihrem Einsatz in der Praxis 12 sowie ihren Mängeln und Qualitäten, und zum anderen den politischen und strategischen Absichten, welche die Kreise mit ihrem Einsatz verbanden, wobei davon auszugehen ist, daß sich letztere mehr oder minder erheblich von denen eines armierten Reichsfürsten, des Kaisers oder der Seemächte unterschieden. Es wird nicht angestrebt, eine umfassende Geschichte der beiden Kriege für den Südwestdeutschen Raum zu schreiben, die alle Details und insbesondere den Stellenwert dieses Kriegstheaters für den Verlauf der Gesamtkonflikte berücksichtigen müßte. Die sicher interessanten und zum Teil noch nicht ausgewerteten einschlägigen Quellen in den Archiven Frankreichs, Englands, der Niederlande, Brandenburg-Preußens, Hessens und weiterer Reichsfürsten mußten daher nicht herangezogen werden. Die Beschränkung des Untersuchungszeitraumes auf die Zeit des Wirkens des Markgrafen bietet sich an, weil dieser länger als jeder andere Oberbefehlshaber am Oberrhein vor und nach ihm im Amt war. Etwa 14 Jahre lang übte er maßgeblichen Einfluß sowohl im militärischen als auch im politischen Bereich aus. Seine Vorgänger und Nachfolger leiteten dem Vgl. Wallach, Dogma. Vgl. Malettke, Beziehungen, S. 14; Weber, H., Rheinpolitik, S. 75; Press, Oberrheinlande, S. 4f.; Hahlweg, Konflikt, S. 1328; Storm, Militia, S. 90. 12 Auch wenn die Reichskreise in den letzten Jahnehnten vermehrtes Interesse gefunden haben, so fehlen doch noch immer Untersuchungen zu ihrer Kriegführung. Nur Organisation und Verwaltung der Kreistruppen, nicht aber ihr Einsatz, wurden dargestellt. 1o 11
14
I. Einleitung
gegenüber nur ein oder zwei Kampagnen, bevor sie abgelöst wurden oder freiwillig von dem Posten zurücktraten. Sie konnten daher weder langfristige Projekte oder Reformvorhaben umsetzen noch ein enges Vertrauensverhältnis zu den Kreisen aufbauen. Sie konnten zum größten Teil auch nicht die spezifischen Probleme der Kreisverfassung und der Kreiskriegführung durch Erfahrung und eigene Anschauung kennen und einschätzen lernen. Vielfach verfolgten sie überdies Interessen, die sich nicht mit denen der Kreise in Einklang bringen ließen. Wenn z. B. ein Kfst. Max Emanuel von Bayern nach einer Rangerhöhung und einer stärkeren Position auf europäischer Ebene strebte und den Posten als Oberbefehlshaber am Oberrhein sowie die als Heerführer erworbene gloire als Sprungbretter für seinen Aufstieg ansah 13 , so konnte er wenig Rücksicht auf die Sicherheitsinteressen etwa der schwäbischen Prälaten nehmen, denen wiederum der Ruhm des Feldherrn relativ gleichgültig sein konnte. Zudem mußten bei einem fast jährlichen Wechsel der Oberbefehlshaber in jedem Frühjahr erneut die Stellung und die Kompetenzen des Feldherrn geklärt werden. Bis sich die Zusammenarbeit mit der Kreisgeneralität und den übrigen Kreisorganen eingespielt hatte, konnten schon einige Wochen vergangen sein. Nur in der Zeit der Kommandoführung durch Ludwig WHhelm lassen sich also Politik, Strategie, Verhalten und Mentalität der Kreisstände sowie ihr Verhältnis zum Oberbefehlshaber ungestört von ständigen personellen Wechseln über eine längere Zeitspanne hinweg beobachten. Dies wird durch die Tatsache erleichtert, daß wichtige Persönlichkeiten auf Seiten der Kreise während des ganzen oder fast des ganzen Untersuchungszeitraumes ebenfalls im Amt blieben. Zu nennen sind hier z. B. der Mainzer Erzbischof und Bamberger Bischof Lotbar Franz von Schönborn, Hzg. Eberhard Ludwig von Württemberg, Mgf. Christian Ernst von Bayreuth, Bf. Marquard Rudolf von Konstanz, Mgf. Friedrich Magnus von Baden-Durlach und andere. Dennoch stellen die Jahre zwischen 1693 und 1706 nur einen Ausschnitt aus dem Neunjährigen Krieg und dem Spanischen Erbfolgekrieg dar, der sich nicht von der übrigen Kriegszeit trennen läßt. Das Verhältnis zwischen Ludwig Wilhelm und den Kreisen wurde in hohem Maße durch die Erfahrungen der vorhergehenden Kampagnen seit Kriegsbeginn bestimmt, so daß diese wenigstens in Grundzügen in die Betrachtung einbezogen werden müssen. Da sich in den letzten Jahren des Spanischen Erbfolgekrieges nur die Kriegsmüdigkeit der Kreise fortsetzte, die schon für die letzten Lebensjahre des Markgrafen festzustellen war, können diese wesentlich kürzer abgehandelt werden.
13
Vgl. Hüttl, Max Emanuel, S. l94ff.
I. Fragestellung
15
Der 1688 ausgebrochene Krieg hat viele Bezeichnungen, ohne daß eine voll zu überzeugen vermag. Er wird als Pfalzischer Krieg, Erbschaftskrieg oder Erbfolgekrieg, als Orleans'scher Krieg, als Krieg der Liga von Augsburg, als 3. Raubkrieg, als King William's War, War of the Grand Alliance oder als Nine Years War, sogar als Erster Weltkrieg, zeitgenössisch auch als ,jetziger französischer Krieg" oder ähnlich bezeichnet. Einige dieser Namen spiegeln eine bestimmte Perspektive oder sogar Stellungnahme zwischen den Konfliktparteien wider, die neutralste Benennung bietet der im englischen Sprachgebrauch übliche Terminus "Nine Years War", während eine ergänzende Einfügung des Wortes "sogenannt" in die anderen Namen wohl kaum eine zufriedenstellende Lösung darstellt 14. Eine analoge Bezeichnung "Neunjähriger Krieg" war zwar bisher in Deutschland nicht gebräuchlich, scheint sich jedoch in letzter Zeit mehr und mehr durchzusetzen15, wurde als "Guerra de los Nueve Anos" zuletzt auch im Spanischen gebraucht 16. Sie soll daher hier benutzt werden, auch wenn die Benennung eines Krieges nach der Zahl seiner Jahre immer nur eine Notlösung in Ermangelung eines treffenderen Begriffes ist 17 . Wenn von den Kreisen die Rede ist, so sind zumeist der Fränkische und der Schwäbische Kreis gemeint. Diese beiden Zirkel waren die lebendigsten und funktionstüchtigsten. Typisch "kreisisches" Verhalten, dem im Gegensatz zu dem einzelner Fürsten das Hauptaugenmerk dieser Arbeit gilt, findet sich hier in der reinsten Form, da beide Kreise keine so starke Vormacht hatten, daß sie zu bloßen Akklamatoren der Politik ihres mächtigsten Standes herabgedrückt werden konnten 18. Der Oberrheinische Kreis war dem gegenüber bis 1696/97 funktionsuntüchtig, und in der Folgezeit konnte der Kurfürst von der Pfalz starken Einfluß auf ihn nehmen. Er ist also in geringerem Umfange als der Fränkische und der Schwäbische als Handlungsrahmen mindermächtiger Reichsstände zu bezeichnen, dessen Politik die Interessen, Ziele und Wünsche der Kleinen und Schwachen widerspiegelt. Dennoch konnten letztere im Oberrheinischen Kreis mehr Einfluß geltend machen als im Kurrheinischen, Niederrheinisch-Westfalischen oder Bayerischen Zirkel, so daß der Oberrheinische neben dem FränDotzauer, Raum, S. 165. Das war jedenfalls der Tenor der Schlußdiskussion der Tagung "Der Friede von Rijswijk 1697" im Institut für Europäische Geschichte Mainz, 6.- 8.10.1997. Siehe dazu den Tagungsband Duchhardt/Schnettger/Vogt, Friede, S. VIII. Vgl. auch Gabel, "Wesen". 16 Espino Lopez, Frente. 17 Zur Benennung des Krieges vgl. auch Duchhardt, Altes Reich, S. 22; Rödel, W.G., Krieg u. Frieden, S. 47; Stollwerck, Problem, S. 208. 18 Was nicht ausschließt, daß die jeweiligen Vormächte eine aktive Kreispolitik betrieben, um ihre Ziele durchzusetzen. 14 15
16
I. Einleitung
kischen und dem Schwäbischen Kreis in die Untersuchung einbezogen wurde, allerdings in geringerem Umfang. Während bei einer rein organisations- oder verfassungsgeschichtlich ausgerichteten Studie eine Beschränkung auf einen Kreis ohne weiteres möglich und sinnvoll ist, wäre eine Betrachtung der Kriegshandlungen etwa nur des Schwäbischen Kreises nicht durchführbar, da insbesondere die Kreise Franken und Schwaben eng zusammenarbeiteten und sich ihr Verhalten wechselseitig stark beeinflußte. Es ist unmöglich, die Kriegführung des einen getrennt von der des anderen zu untersuchen. Viele und besonders die großangelegten Untersuchungen beschränken sich jeweils auf einen Kreis, was sich schon aus dem Umfang der Aktenberge erklärt, die in den Kreisarchiven verwahrt werden 19• Dabei muß es jedoch weitgehend im Dunkeln bleiben, was nun typisch "kreisisches" Verhalten mindermächtiger Stände war, und was auf den jeweiligen Kreis oder die Region begrenzte Handlungsweisen waren. Deshalb werden hier der Fränkische, der Schwäbische, der Oberrheinische sowie - allerdings ganz zuletzt - der Kurrheinische Kreis gemeinsam betrachtet, um so dem "kreisischen" und nicht etwa nur dem fränkischen oder dem schwäbischen Verhalten auf die Spur zu kommen. Die Kreisassoziationen, also der Zusammenschluß mehrerer Kreise zu einem Bündnis, wurden bislang zwar im Rahmen der Untersuchung der Reichspolitik und mit verfassungsrechtlichen Fragestellungen betrachtet20, doch ihr praktisches Funktionieren als Militärallianz wurde allenfalls am Rande beleuchtet21 • Damit wurde jedoch ein wesentlicher Bestandteil und vor allem der hauptsächliche Antrieb zum Abschluß der Assoziationen vernachlässigt. Diese wurden nicht zufällig im Zusammenhang mit großen europäischen Konflikten abgeschlossen und sollten keinesfalls nur Mittel zu einer Reichsreform oder zur Stärkung der Position des Reichserzkanzlers sein, sondern sie hatten die vordringliche Aufgabe, die Sicherheit ihrer Mitglieder in der jeweils akuten Bedrohungssituation zu erhöhen. Es wird in dieser Arbeit daher nach dem Funktionieren der Assoziationen in der Praxis sowie nach ihren unmittelbaren politischen und militärischen Zielen gefragt werden. Insbesondere soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit sie tatsächlich eine neutrale Stellung zwischen den Großmächten anstrebten, wie es oft behauptet wird. Es wird nicht versucht, eine genaue Berechnung der Kriegskosten durchzuführen, welche die Kreise zu tragen hatten. Für Schwaben ist dies aus Quellenmangel ohnehin nicht möglich22 . Auch sollen keine Statistiken über 19
2o 21 22
Eine Ausnahme stellt z. B. Magen, Reichsexekutive, dar. Vgl. v. Aretin, Stellung, S. 83. Vgl. auch v. Aretin, Stellung, S. 84. Vann, Kreis, S. 269.
1. Fragestellung
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Truppenstärken, Kriegsschäden usw. vorgelegt werden. Solche Berechnungen können nicht mit der wünschenswerten Exaktheit durchgeführt werden. Selbst wenn es gelänge, aus den verschiedenen Archiven alles verfügbare Zahlenmaterial zusammenzutragen, und sich dabei die Quellenverluste in erträglichen Grenzen hielten, wäre praktisch so gut wie nichts gewonnen, da schon die Zeitgenossen vielfach den Überblick über ihre Statistiken und Rechnungsbücher verloren hatten23 • Viele in den Quellen zu findende Zahlenangaben sind daher nicht miteinander zu vergleichen und so ungenau und unklar, daß aus ihnen keine Statistik in modernem Sinne zusammenzustellen ist. Es fehlen überdies Grundlagenforschungen im Bereich der Wirtschaftsgeschichte und der historischen Demographie, die größere Räume als nur ein Territorium untersuchen und so Angaben über Kriegsschäden und -kosten eines ganzen Kreises ermöglichen würden. Es geht in dieser Arbeit daher darum, grundsätzliche und typische Verhaltensweisen der Kreisstände und der Kreisgesamtheit zu ermitteln sowie den praktischen Einsatz der Kreistruppen als Instrument der Kreispolitik zu verfolgen. Ansatzpunkt ist dabei die Ebene des Kreises. Es sollen Politik, Ziele, Strategien, Verhalten und Absichten der Kreise als Ganzes untersucht werden, wie sie sich in Beschlüssen und Schriftstücken äußerten, die im Namen des ganzen Kreises abgefaßt wurden. Die komplexen Fragen der völker- und reichsrechtlichen Stellung der Kreise und ihrer Stände werden dabei weitgehend ausgeklammert. Sie wurden zwar von Reichspublizisten und Juristen diskutiert, spielten aber in der Praxis der Kriegführung eine untergeordnete Rolle. Zunächst wird der organisatorische Rahmen der Kriegführung am Oberrhein beschrieben: Die sogenannte Reichskriegsverfassung von 1681, der Einfluß des Reichstages, die Beiträge der Reichsritterschaft und schließlich - mit besonderem Augenmerk auf den Fränkischen und den Schwäbischen Kreis - die Kreisverfassung sowie die Kreistruppen samt ihrer Administration und Organisation. Es folgt ein chronologisch geordneter Überblick über den Verlauf des Neunjährigen Krieges und des Spanischen Erbfolgekrieges, wobei allerdings der ein oder andere zeitliche Vor- oder Rückgriff notwendig sein wird. Einige Zeitspannen werden dabei breiter abgehandelt als andere. Der Feldzug von 1693 hat besondere Bedeutung, da Ludwig Wilhelm in diesem Jahr sein Kommando antrat. Viele Probleme, u. a. die Stellung des Markgrafen gegenüber den Kreisen sowie die Zusammenarbeit mit den Armierten Fürsten und dem Kaiser, lassen sich exemplarisch anhand dieser Kampagne untersuchen. Auch das Jahr 1697 wird einer näheren Betrachtung unterzogen werden, da im Januar die Assoziation der sechs 23 Siehe z. 8. d. Memoriale des fränk. Kassieramtssekretärs Johann Georg Fritz, StA Wü. Wzbg. Kreisakten 556: Memoriale, o.O. 19.3.1708 (Abschrift). 2 Plassmann
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I. Einleitung
Vorderen Reichskreise abgeschlossen wurde und im Herbst der Frieden von Rijswijk zustande kam. Es läßt sich daher anband des Feldzuges von 1697 die Frage beantworten, inwieweit die Assoziation praktische Wirksamkeit entfaltete und welchen Einfluß die Kreise auf den Friedensschluß nehmen konnten. Ein weiterer wichtiger Zeitabschnitt wurde durch den Tod des spanischen Königs Karl II. Ende 1700 eingeleitet. Verhalten und Politik der Kreise angesichts des nun drohenden Spanischen Erbfolgekrieges sollen eingehend untersucht werden, insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob sie in dieser Zeit tatsächlich eine bewaffnete Neutralität anstrebten. Eine letzte näher zu betrachtende Periode stellt der Feldzug des Jahres 1704 dar, der durch den Einsatz einer seemächtlichen Armee unter Marlborough an der Donau geprägt wurde. Probleme der Koalitionskriegführung und des Verhältnisses der Kreise zu den Seemächten lassen sich hier besonders gut fassen. Abschließend wird dann ein systematischer Teil folgen, in dem verschiedene Probleme, die den ganzen Untersuchungszeitraum betreffen, dargestellt werden: Militärisch-zivile Konflikte, Winterquartiere, wirtschaftliche Fragen, die Kampfkraft der Kreistruppen, die Stellung Ludwig Wilhelms als Oberbefehlshaber, das Verhältnis der Kreise untereinander sowie das zwischen ihnen und den Seemächten. Zuletzt wird die Frage nach der Strategie der Kreise gestellt. Der Begriff "Strategie" wird dabei im Sinne des angelsächsischen Grand Strategy gebraucht werden. Auf dieser Ebene der höheren Strategie werden - idealtypisch gesehen - die politischen, wirtschaftlichen, militärischen usw. Kräfte eines Staates koordiniert, werden Ziele und Möglichkeiten zu ihrer Durchsetzung im Krieg unter Beachtung aller relevanten Faktoren festgelegt24. Hier wird danach zu fragen sein, ob die Kreise sich bei der Festlegung ihrer Strategie wie Staaten verhielten, ob also ein gemeinsames Kreisinteresse die Basis für die Kreisbeschlüsse darstellte, oder ob sich ein jeder Stand in egoistischer Art und Weise vornehmlich an seinen eigenen Bedürfnissen orientierte, wie es vielfach von der modernen Kritik behauptet wurde. Gab es also überhaupt eine Kreis-Strategie, oder nur die Strategien eines Herzogs von Württemberg, eines Erzbischofs von Mainz, eines Abtes von Ochsenhausen und einer Reichsstadt NUrnberg, die auf Kreisebene nur locker koordiniert wurden? Die "Operation" ist die nächst untere Ebene, auf der der Feldherr festlegt, auf welche Art und Weise er das von der Strategie vorgegebene Ziel erreichen will, also z. B. wohin er konkret mit seinem Heer marschiert, um den Gegner aus einem bestimmten Landstrich herauszumanövrieren 25 . Der 24 Vgl. z. B. Charnay, Strategy; Liddei Hart, Strategie, S. 396f.; Hattendorf, Machinery, S. 2; Murray/Grimsley, Introduction. 25 Vgl. Blumentritt, Strategie, S. 6f.; v. Schweinitz, Sprache, S. 43.
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Begriff der Operation, v. a. seine genaue Abgrenzung nach oben und unten, ist zwar nicht unumstritten, doch hat er den Vorteil, dem zeitgenössischen Sprachgebrauch entlehnt zu sein26• Als unterste Ebene der Kriegführung schließt sich die "Taktik" an, unter der hier der unmittelbare Gebrauch der Streitkräfte im Gefecht verstanden werden soll, also z. B. die Aufstellung der Regimenter auf dem Schlachtfeld, aber auch die Durchführung eines Spähtruppunternehmens durch eine Husarenpartei 27 • Die Unterscheidung der Trias Strategie - Operation - Taktik führt direkt zu einer der Fragestellungen dieser Arbeit: Wer legte unter welchen Voraussetzungen fest, was die Strategie der deutschen Seite sein sollte? Und welche Auswirkungen hatte dies auf Planung und Durchführung von Operationen? Wie weit schlug die Strategie bis auf die Ebene der Taktik durch28 ? Zu beantworten wird auch die Frage danach sein, ob bestimmte Probleme, die aus Sicht etwa des Kaisers taktischer Natur waren, aus der Perspektive der Kreise strategische Bedeutung hatten und ob aus solchen Anschauungsunterschieden Mißverständnisse und Schwierigkeiten bei der Koordination der Kriegführung auf deutscher Seite entstanden. Es wird nicht angestrebt, eine auf Vollständigkeit angelegte biographische Studie zum Mgf. Ludwig Wilhelm von Baden vorzulegen. Daher soll seine Verwicklung in die Fürstenopposition gegen die 9. Kur für Hannover nicht näher untersucht werden. Es reicht, sich zu vergegenwärtigen, daß diese Frage das Verhältnis zwischen Wien und den opponierenden Fürsten belastete. Auch wenn man gemeinsam gegen Frankreich kämpfte, so blieb doch ein wechselseitiges, reichspolitisch motiviertes Mißtrauen bestehen29 • Auch die Bewerbung Ludwig Wilhelms um die polnische Königskrone 1697 sowie seine Streitigkeiten mit dem Wiener Hof um das sachsen-lauenburgische Erbe seiner Frau sollen hier nicht näher untersucht und nur soweit in die Betrachtung einbezogen werden, wie sie die Kriegführung am Oberrhein unmittelbar beeinflußten30• Der Markgraf war sich durchaus 26 Allerdings entstand die theoretisch durchdachte und allgemein anerkannte Abgrenzung zwischen Taktik und Strategie erst am Ende des 18. Jahrhunderts. Vgl. Regling, Grundzüge, S. 148. Zur unscharfen Abgrenzung vgl. Aron, Clausewitz, S. 152 u. 256; Wallach, Dogma, S. 15 - 18. 27 Vgl. Nosworthy, Anatomy, S. 86; Blumentritt, Strategie, S. 9. 28 Etwa indem Gefechte abgebrochen wurden, weil die strategische Vorgabe lautete, die Truppen zu schonen? 29 Vgl. Schröcker, Kur. 30 Beispielsweise war die Opposition des Markgrafen gegen die 9. Kur ein Grund dafür, daß hannoverische Truppen 1697 nicht an den Oberrhein geschickt wurden. Vgl. Schnath, Geschichte, Bd. 2, S. 244. Eine neuere Biographie Ludwig Wilhelms fehlt bis heute. Vgl. Aake, Türkenlouis, S. 426f. Einen Ersatz bieten bis zu einem gewissen Grad die verschiedenen Aufsätze von Greiner. Zur Kandidatur Ludwig Wilhelms um den polnischen Thron vgl. Schulte, Markgraf, Bd. I, S. 471 - 514.
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bewußt, daß diese Probleme auch negative Rückwirkungen auf die Vorderen Kreise haben konnten, deren Sprachrohr in Wien er war. Dennoch zeigte er sich beispielsweise Anfang 1697, dem Jahr der polnischen Königswahl, im Vorfeld einer Reise nach Wien fest entschlossen, "mit Hindannensetzung aller particular=affairen, alleinig daß publicu zu bedencken"31 , also es nicht zuzulassen, daß Streitigkeiten zwischen ihm und dem Kaiser auf dem Rücken der Kreise ausgetragen wurden. Diese selbst waren insbesondere in der Frage der 9. Kur nicht bereit, sich von den mächtigen protestierenden Fürsten "in die Extremiteten mit einflechten"32 zu lassen. Zwar waren sie auch dafür, gegen die neue Kur vorzugehen, aber "es müsse decenti modo geschehen" und vor allem so, daß "keine dritte parthi daraus erwachse, denen franzosen zu dienst". Diese Erklärung des fränkischen Kreistages gegenüber dem kaiserlichen Gesandten Ludwig Gustav von Hohenlohe-Schillingsfürst verdeutlicht die Grundhaltung der Kreise: Die persönlichen Streitigkeiten Ludwig Wilhelms mit dem Reichsoberhaupt wurden als dessen Privatsache gewertet und hatten keinen grundsätzlichen Einfluß auf die Kriegführung der Kreise, weshalb sie hier nicht behandelt werden müssen. Der Nachlaß Ludwig Wilhelms wurde zuletzt vor etwa 100 Jahren durch Schulte33 für die Zeit des Neunjährigen Krieges und ein weiteres halbes Jahrhundert vor diesem durch Röder von Diersburg34 für die Zeit des Spanischen Erbfolgekrieges intensiv ausgewertet. Seitdem geriet er trotz seiner hohen Bedeutung gerade für die Erforschung der Kreisgeschichte sowie der Militärgeschichte des fraglichen Zeitraumes weitgehend in Vergessenheit und wurde nur noch für einige wenige Publikationen genutzt, wobei niemals eine auch nur annähernd vollständige Auswertung angestrebt wurde. Obwohl der Markgraf eine bedeutende Figur der deutschen und europäischen Militärgeschichte an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert war, war er also schon seit langem nicht mehr Gegenstand größerer wissenschaftlicher Studien. Auf seinen Einfluß auf die Reichsreformpläne im Rahmen der Kreisassoziationen wurde zwar immer wieder hingewiesen, doch wurde dieser nicht näher untersucht, so daß ein wichtiger Aspekt der Reichs- und Kreisgeschichte vernachlässigt wurde. Der Neunjährige Krieg und der Spanische Erbfolgekrieg wurden insgesamt in den letzten Jahrzehnten wenig beachtet, jedenfalls soweit es die deutsche Seite angeht. Das Interesse der Forschung galt eher den Groß3l StA Ba. B 4112, 362: Ludwig Wilhelm an Fränk. AA, Augsburg 19.1.1697 (Abschrift). 32 HHStA Wien Kriegsakten 230, Jan.- Feh. 1693, 124r- 125v: Hohenlohe an Leopold, Nümberg 28.2.1693. Die folgenden Zitate ebd. 33 Schulte, Markgraf, Bd. 1 - 2. 34 Röder von Diersburg, KSS, Bd. 1 - 2.
I. Fragestellung
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mächten sowie deren Hauptfronten, insbesondere dem Geschehen in den Niederlanden, der Herausbildung des europäischen Mächtegleichgewichts sowie den Auseinandersetzungen um überseeische Einflußsphären35 . In diesen Bereichen spielten die Reichskreise eine allenfalls marginale Rolle, so daß die Kreis-Kriegführung nicht untersucht werden mußte, um sie analysieren zu können. Der süddeutsche Kriegsschauplatz rückte nur im Jahr 1704 in das Zentrum des Interesses, als hier die entscheidende Schlacht von Höchstädt geschlagen wurde. Dementsprechend wurde dieser Kampagne schon immer ein besonderes Augenmerk geschenkt, zuletzt 1973 durch die Dissertation von Mathis36 . Doch dabei handelte es sich immer um Untersuchungen, die europäische Probleme und Entwicklungen im Blick hatten, nicht aber die Perspektive der Vorderen Reichskreise annahmen. Diese fehlt auch in neueren Untersuchungen zur französischen Politik gegenüber dem Reich, die hauptsächlich auf Quellen französischer Provenienz beruhen37 • Um die Ereignisgeschichte nachvollziehen zu können, lassen sich verschiedene ältere Werke heranziehen, die operationsgeschichtlichen Details große Aufmerksamkeit schenkten. Allerdings ist bei der Benutzung dieser Literatur Vorsicht geboten, um nicht ungewollt ihre Fehlschlüsse zu übernehmen. "In Deutschland betrachtete man [... ] die Jahrhunderte zwischen Dreißigjährigem Krieg und dem Ende des Reiches als Zeiten der Dekadenz [... ] oder (günstigenfalls) der Tragik"38 . Erst nach 1945 begann eine Neuerforschung des Alten Reiches unter neuen Gesichtspunkten, mit neuen Methoden und Fragestellungen, die zu einer Revision des vorhergehenden allzu negativen Urteils führte 39 . Mit großer Selbstverständlichkeit wurde es davor als "bedenklich"40 bezeichnet, wenn ein Fürst auch nur mit dem Gedanken einer Neutralität zwischen Frankreich und dem Kaiser liebäugelte. Oder es wurde beklagt, daß Ludwig Wilhelm das "große nationale wehrpolitische Ziel aus den Augen"41 verlor, eine zentralisierte und effektive Reichsarmee zu errichten. Vor allem nach dem ersten Weltkrieg, aber auch schon im 19. Jahrhundert dienten die Ereignisse der sogenannten "Raubkriege" Ludwigs XIV. als Munition für die politische Auseinandersetzung mit dem "Erbfeind" Frankreich42 • So konnte in einem Literaturüber35 Childs, Nine Years' War; Hattendorf, England. Ferner zuletzt Duchhardt, Balance. 36 Mathis, Marlborough, Bd. I - 2. 37 Sinkoli, Frankreich; Wunder, "Diversion"; ders., Frankreich. 38 Press, Reich, S. 222f. 39 Dazu neuerdings v. Aretin, Reich, Bd. 3, S. 14. 40 So Krause, Geschichte, S. !II. 41 Lorenz, Jahrhundert, S. 116. 42 Siehe dazu Hahn, Frankreich; Schurig, Beweis; Fenske, Nachbarn, mit weiteren Literaturangaben. Bis in die jüngste Vergangenheit hinein haben auch die Fran-
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I. Einleitung
blick zur oberrheinischen Kriegsgeschichte aus dem Jahr 1942 auf den "durchaus gegenwartsnah[en]" Bezug der Erforschung dieser Epoche verwiesen werden, da ja zwischen 1919 und 1940 "der Vergleich mit den verhängnisvollen Erscheinungen nach 1648 nur allzu nahe"43 gelegen habe. Jede Forschung, die sich mit der Auseinandersetzung zwischen dem Frankreich Ludwigs XIV. und dem Reich beschäftigte, lief - gewollt44 oder ungewollt - automatisch Gefahr, für die politische Argumentation ge- oder mißbraucht zu werden, und auch seriöse Wissenschaftler konnten sich nicht ganz dem Ton der Zeit entziehen, auch wenn sie z. B. dem Nationalsozialismus reserviert gegenüberstanden45 . Teilweise stellten auch angesehene Historiker die Beschreibung insbesondere der Vorgänge des Jahres 1689 bewußt und gezielt in den Dienst politischer Agitation, so etwa Hermann Oncken in seiner Rede "Brulez le Palatinat" anläßlich des Pfalztages 1924, in der er die Zerstörung der Pfalz, das "Verbrechen in der Pfalz" als "Teil des großen Programms, das Frankreich am Rhein verfolgt"46 bezeichnete. Die Rheinlandbesetzung stelle den vorläufigen Höhepunkt dieses Programms dar und sei damit in einer Entwicklungslinie der französischen Politik seit dem Dreißigjährigen Krieg zu sehen. Dieses belastende Erbe hat nach 1945 zu einem Abbruch der bis dahin vergleichsweise reichhaltigen Forschungstradition geführt47 . Es hätte schwerlich zu dem Geist der europäischen Einigung und zur Politik der Versöhnung mit dem französischen Nachbarn gepaßt, wenn der Untersuchung der aggressiven Politik Ludwigs XIV. gegenüber dem Reich so viel Raum wie zuvor gewidmet worden wäre48 . Symptomatisch ist die Mitteilung des Bundesministeriums für Finanzen, als 1955 eine 5 DM-Gedenkmünze anläßlich des 300. Geburtstages Ludwig Wilhelms geprägt wurde. Dieser habe eine Ehrung verdient, da er gegen "fremde, von außen andrängende Heere gekämpft habe"49 • Jeder Hinweis darauf, daß es sich bei zosen den Neunjährigen Krieg unter nationalistischen Vorzeichen als Verteidigungsmaßnahme Ludwigs XIV. hingestellt. Vgl. Rödel, W.G., Krieg u. Frieden, S. 47. 43 Wohleb, Neuere Literatur, S. 32f. Vgl. auch Oncken, Franzosen, S. 4; Schulz, St., Germanis, S. 117; Rombeck-Jaschinski, Friede, und Haering, Württemberg, S. 294, dessen Aufsatz "angeregt vom Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften, Abteilung Landesgeschichte" war ( 1943). 44 Vgl. Schönwälder, Historiker, S. 105 - 111. 45 Vgl. z.B. Feldkamp, Just, S. 23; Gerlich, Landeskunde, S. 68f. 46 Oncken, "Palatinat", S. 13. Vgl. auch Schwabe, Oncken, S. 88f. 47 Vgl. den Literaturüberblick bei Vetter, Heidelberg u. d. Pfalzische Erbfolgekrieg, S. 192- 196. 48 Zumal auch ganz allgemein die Erforschung "spezifisch militärischer Fragestellungen" (Kroener, Soldat, S. 102) vermieden wurde. 49 Gedenkmünze S. 1684. Vgl. auch Fritz, Südwestdeutschland, S. 117ff.
2. Quellenkritische und methodische Vorbemerkung
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diesen fremden Heeren neben den osmanischen um französische gehandelt hat, fehlt. Es wäre verfehlt, alle Literatur vor 1945 als unwissenschaftlich und daher unbenutzbar abqualifizieren zu wollen, wenngleich sich auch kaum ein Autor dieser Epoche von nationalistischen Tönen völlig lösen konnte. Ein großangelegtes kriegsgeschichtliches Werk wie die "Feldzüge des Prinzen Bugen" des k. u. k. Kriegsarchives - entgegen dem Titel werden auch die Feldzüge an Fronten geschildert, an denen Bugen nicht anwesend war oder Staudingers Geschichte der Feldzüge des kurbayerischen Heeres beruht auf umfassenden Quellenstudien. Die hier gernachten Angaben sind in der Regel zuverlässig, wenn auch den vorgetragenen Schlußfolgerungen heute nicht immer gefolgt werden kann. Diese Bemerkung gilt auch für die Arbeiten Schultes und Röders von Diersburg, die sich mit den Kampagnen des Markgrafen Ludwig Wilhelrn beschäftigen50. Die ältere kriegsgeschichtliche Literatur ermöglicht so einen schnellen Zugang zum äußeren Ablauf der Operationen, zu Namen, Daten und Zahlen. Wertvoll sind darüber hinaus die umfangreichen Quellenanhänge in den "Feldzügen des Prinzen Bugen", bei Schulte und bei Röder von Diersburg, die zwar nicht den neuesten Editionsvorschriften entsprechen, aber durchaus zuverlässig sind, wie durch stichprobenartige Vergleiche mit den Originalen festgestellt werden konnte51 .
2. Quellenkritische und methodische Vorbemerkung Zumindest die bedeutenderen Stände verstanden es, ihr "Interesse bestmöglichsten fleißes wahrzunehrnen"52, wenn ihr Territorium durch die Kriegführung Schaden zu nehmen drohte. Sie hatten die Möglichkeit, dies durch Gesandtschaften zu tun. Es gibt viele Hinweise darauf, daß wichtige Fragen nicht schriftlich, sondern mündlich durch hierzu instruierte Abgesandte diskutiert wurden. So ließ z. B. der engere schwäbische Kreistag im Juli 1706 seine Meinung zu Fragen des Landesausschusses und der schweren Artillerie durch Baron von Gernrningen Ludwig Wilhelrn mündlich vortragen, damit man dem Markgrafen nicht mit "weitläuffigen 50 De Ligne, Memoires, ist eine durchaus lohnende Lektüre. Die dortigen Auszüge aus dem Feldzugsjournal Ludwig Wilhelms stimmen allerdings in manchem Detail nicht mit dem Original überein. Bei der deutschen Fassung (de Ligne, Feldzüge) handelt es sich um eine Rückübersetzung mit zusätzlichen Fehlern. 51 Kleinere, zumeist jedoch nicht sinnentstellende Fehler sind allerdings bei Röder, KSS, festzustellen. Die Abschriften von Quellen, die Röder für den eigenen Gebrauch angefertigt hat, finden sich zum Teil in GLA K. 46. 52 So GLA K. 48/3484, 2: Instruktion Friedrich Magnus' v. Baden-Durlach für Reinhard v. Gemmingen, o. 0. 26.10.1702 (Konzept), der ins Hauptquartier zu Ludwig Wilhelm geschickt wurde.
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I. Einleitung
Schreiben beschwerlich"53 falle. Dergleichen Beispiele lassen sich noch dutzendweise anführen54 . In der Regel wurden von derartigen Besprechungen keine Protokolle oder Notizen angefertigt, noch ihr Inhalt in Briefen ausführlich an Dritte mitgeteilt, so daß oft allenfalls aus Instruktionen für den jeweiligen Abgesandten näheres zu erfahren ist. Doch geben sie keinen Aufschluß über den Verlauf, den die Gespräche genommen haben. Allenfalls ist wieder ihr Ergebnis greifbar, wenn der Gesandte seinem Auftraggeber schriftlich Bericht erstattete. Wenn einem Abgesandten sowohl eine schriftliche als auch eine mündliche Antwort gegeben wurde55 , ist anzunehmen, daß vertrauliche Kernpunkte eher in dem mündlichen Teil zu finden wären, wenn dieser Teil überliefert worden wäre. Nur selten läßt sich aus Entscheidungen des Markgrafen der Inhalt vorheriger mündlicher Verhandlungen mit einiger Sicherheit rekonstruieren, so z. B. als 1696 die Stadt Heilbronn eine Abordnung zu ihm schickte und kurz darauf ein Befehl erging, bestimmte Weideflächen im Umfeld der Stadt für die Bürger zu reservieren56. Zwei Gründe sind für die Zurückhaltung, wichtige Gegenstände schriftlich zu behandeln, anzuführen: Der erste ist die Unsicherheit jedes Postund Botenrittes in Kriegszeiten. Briefe konnten von feindlichen Parteien wie auch von Marodeuren, Räuberbanden, Schnapphähnen usw. abgefangen werden, ganz zu schweigen von der möglichen Unzuverlässigkeit eines Kuriers. Je nachdem mußte der Verfasser eines Schreibens also damit rechnen, daß dieses in feindliche oder unbefugte Hände fiel, was es wenig ratsam machte, wichtige Details von Planungen und Absichten in aller Breite schriftlich niederzulegen. Gerade Briefe, die während eines Feldzuges an Ludwig Wilhelm oder andere Personen im Hauptquartier der Armee gerichtet wurden, mußten in der Regel die Gefahrenzone des frontnahen Gebietes passieren. Daß beispielsweise im Juli 1693 der französische "Postillion von der ordinari Post [... ] sampt allen seinen Paqueten und brieffen durch eine Partbey unserer Husaren aufgefangen, und mit sack und pack in das Iager anhero" gebracht worden war, war ein nützlicher Glücksfall für die Deutschen. Doch da gleichzeitig die französischen "Schnapp53 GLA K. 46/3897 III, 106: Schwäb. EKT an Ludwig Wilhelm, Biberach 24.7.1706. 54 Vgl. z. B. GLA K. 46/3894 II, 62: Karl Theodor v. Salm an Ludwig Wilhelm, Wien 27.6.1705. Vgl. Maltby, Origins, S. 163. Siehe auch HStA St. C 9, 716: Prot. Schwäb. KT 9.4.1697, 7r- v. 55 Siehe z. B. HStA St. C 9, 397, 39: Schwäb. KT an kaiserl. FM Aeneas Sylvius Caprara, Ulm 15.11.1691 (Konzept). 56 GLA K. 46/3783, 126: Stadt Heilbronn an Ludwig Wilhelm, Heilbronn 25.5.1696; ebd. 138: Ludwig Wilhelm an den Kommandanten von Heilbronn, Steppach 28.5.1696 (Konzept).
2. Quellenkritische und methodische Vorbemerkung
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bahnen nach aller orten stark herumb"57 schweiften, konnte auch einen Kurier Ludwig Wilhelms jeden Tag das gleiche Schicksal ereilen. Der zweite Grund war die strenge Form, der offizielle Schreiben unterlagen, der unbedingt zu folgen war, wollte man den Empfänger nicht beleidigen. Hier war wenig Spielraum für eine informelle, auf Kompromissen beruhende Lösung eines bestimmten Problems, zumal allzu weitgehende Forderungen eines rangmäßig niedriger stehenden Standes gegenüber einem höheren wie beispielsweise dem sehr standesbewußten Ludwig Wilhelm durchaus als unverschämte Anmaßung interpretiert werden konnten, was dann sicher nicht den gewünschten Effekt zur Folge gehabt hätte. In mündlichen Verhandlungen hingegen konnte ein geschickter Abgesandter viel eher eine informelle und pragmatische Einigung erzielen, ohne daß die Würde seines Gegenübers in schriftlich fixierter Form verletzt wurde. Dies galt um so mehr für Fragen, die vorerst noch nicht an die Öffentlichkeit gelangen und daher in kleinem Kreise zunächst informell abgehandelt werden sollten, bevor man sie vor die Masse der Kreisstände brachte und sie damit nicht mehr geheim halten konnte. Daß beispielsweise die Überlegungen, König Josef im Namen des Schwäbischen Kreises anläßlich seiner Vermählung ein Geldgeschenk zu überreichen, vorzeitig und unter der Hand in Wien bekannt geworden waren und der Römische König schon sein allerhöchstes Vergnügen über den Plan geäußert hatte, stellte ein starkes Argument für die Befürworter der Zahlung, hier insbesondere für den Bischof von Konstanz, dar58 . Wollte man derartige ungewollte Informationsverbreitung verhindern, so mußte man auf vertrauenswürdige Mittelsmänner zurückgreifen und Schriftverkehr vermeiden. Der "Secretierung halber"59 beredete man wichtige Dinge lieber im kleinen Kreise, bevor man die Ergebnisse solcher Verhandlungen vor der Masse der Stände referierte. Aus offiziellen Schriftstücken und Briefen lassen sich daher manche Vorgänge nicht mit hinreichender Genauigkeit nachvollziehen. Die Kreistagsabschiede und -conclusa haben nur vergleichsweise geringen Quellenwert60, wenn man aus ihnen das tatsächliche Verhalten der Stände in der Praxis herauslesen will. Aus ihnen ist zwar zu erkennen, welche Probleme in dem jeweiligen Zeitraum für das Kreisganze bedeutsam waren - insofern "bilden sie [... ] die durchgängigste und aussagekräf57 Beide Zitate GLA K. 46/3743 I, 122: Feldzugsjournal 24.7.1693, S. 122. Unter dem 7.8.1693, S. 153 (ebd. 153) ist wiederum die Gefangennahme eines frz. Kuriers mit allen Briefen verzeichnet. 58 Der Schriftwechsel hierzu in Abschrift in GLA K. 46/3933, 1 - 2. 59 StA Ba. H 2, 29, 185r: Prot. Fränk. KT 16.3.1703. 60 Zumal es eine oft geübte Praxis war, in den KA auf Schreiben zu verweisen, die als Beilage angefügt wurden. Der KA selbst war dann zu dem jeweiligen Problem wenig aussagekräftig.
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I. Einleitung
tigste Quellengruppe für die Kreisgeschichte schlechthin"61 - und welche Tendenz die Mehrheit bei den Versuchen zur Lösung der Probleme verfolgte. Man kann auch davon ausgehen, daß ein per unanima gefaßter Entschluß größere Chancen zu einer praktischen Umsetzung hatte als ein per maiora gefaßter - wenigstens bei den Ständen, die auf dem Kreistag vertreten waren. Aber ob und inwieweit eine praktische Umsetzung der Kreistagsbeschlüsse erfolgte, und welche Politik der einzelne Stand dabei verfolgte, läßt sich aus den Kreistagsrezessen nicht mit Sicherheit entnehmen, zumal sie oft auf einem mühsam ausgehandelten Kompromiß beruhten, den verschiedene Stände auch verschieden interpretieren konnten62 . Die Verhandlungen der Kreis- und Assoziationstage lassen sich nur unzureichend aus den erhaltenen Protokollen rekonstruieren. Alle Verhandlungen, welche die Gesandten neben den offiziellen Sitzungen, die durch diese dokumentiert werden, abhielten, entziehen sich der Kenntnis des Historikers. Doch ist es wahrscheinlich, daß gerade hier, auf inoffiziellen und informellen Wegen während der vielfältigen Zerstreuungen, die einen Kreistag begleiteten63, wichtige Entscheidungen vorbereitet wurden. Hier konnten Gesandte Kompromisse anbieten und an Formulierungen der Rezesse feilen, ohne daß dies gleich Aufnahme in die Protokolle gefunden hätte, so daß sie viel freier verhandeln konnten64 • Die Kreistagsprotokolle geben also nicht immer zuverlässig Auskunft darüber, was die einzelnen Stände wirklich bewegte. Es ist offensichtlich, läßt sich jedoch nur schwer wirklich beweisen, daß viele Probleme nach Sitzungsschluß des offiziellen Konventes in kleinerem Rahmen und informell besprochen und vielleicht auch gelöst wurden. Diese Verhandlungen fanden im Protokoll keinen Niederschlag, so daß das hier verzeichnete Abstimmungsverhalten der Gesandten manchmal nicht ohne weiteres zu verstehen ist. An anderen Stellen geht das Protokoll summarisch auch über wichtige Verhandlungen hinweg. Ein krasses Beispiel dafür ist das fränkische Kreistagsprotokoll, welches unter dem 3.2.1703 verzeichnet: "Diesen gantzen Vormittag über hat man sich unterredet, wie das Churfürstl. Bayerische Schreiben zubeantworten, dann wurde das neu-verfaßte Postierungsproject abgelesen"65 . Das Schreiben, um das es ging, war ein Ultimatum Max Emanuels von Bayern, der eine Erklärung forderte, ob man freundlich oder feindlich zueinander stehe. Es handelte sich also um die wichtige Dotzauer, Reichskreise [1], S. 2. Vgl. Sicken, Reichskreis, S. 39 u. 125; ders., Wehrwesen, Bd. 1, S. 54; Laufs, Einheit, S. 73. 63 Hartmann, Reichskreis-Strukturen, S. 264- 267. 64 Vgl. Kallenberg, Spätzeit, S. 70; Fimpel, Neutralität, S. 98; Süß, Geschichte I, s. 350. 65 StA Ba. H 2, 29, 142r: Prot. Fränk. KT 3.2.1703. 61
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2. Quellenkritische und methodische Vorbemerkung
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Frage nach Krieg und Frieden, zu der man aus dem Protokoll nichts näheres entnehmen kann. Man wird also weder aus den Protokollen noch aus den Kreisabschieden ein wirklich genaues Bild der Absichten, der Ziele und - am wichtigsten - des tatsächlichen Verhaltens der Kreise gewinnen können. Deshalb verläßt sich diese Untersuchung in hohem Maße auf Briefe, Befehle, Berichte, Anfragen, Denkschriften, Instruktionen usw. Zwar enthalten auch diese nicht immer die volle Wahrheit, verschweigen wichtige Punkte oder verbergen die wahren Absichten des Verfassers hinter formelhaften Sätzen. Für viele Gespräche unter vier oder sechs Augen fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, was besprochen wurde. Aber insbesondere der Briefwechsel zwischen Ludwig Wilhelm und den Kreistagen und anderen Kreisorganen, hier wiederum v. a. den Ausschreibeämtern, läßt doch in hohem Maße Rückschlüsse auf Absichten, Ziele und Wünsche der Kreise zu, v. a. wenn man ihn über einen langen Zeitraum hinweg betrachtet und so immer wiederkehrende Probleme von kurzfristigen Schwierigkeiten trennen kann. Ludwig Wilhelm erhielt von den Kreisen Franken und Schwaben laufend Mitteilungen über alle Fragen, die sie beschäftigten, und das weit über den Rahmen der rein militärischen Probleme hinaus. Alle wichtigen und viele unwichtige Kreistagsbeschlüsse sowie Abschriften der Korrespondenz der Kreise mit Dritten und nicht zuletzt der Instruktionen von Kreisgesandtschaften z. B. zum Kaiser oder zu einem anderen Kreis wurden an den Markgrafen gesandt. Dies geschah fast nie unkommentiert. Die Begleitschreiben der Kreistage und Ausschreibeämter geben über den reinen Text etwa der Abschiede und Conclusa hinaus Erläuterungen darüber, wie man sich deren Ausführung vorstellte. Ob dies so gelang, welche Probleme auftauchten, welche Änderungen notwendig wurden usw., läßt sich dann dem weiteren Schriftverkehr mit Ludwig Wilhelm entnehmen, aber auch aus den Befehlen, die dieser im Anschluß an einen Kreistagsbeschluß an die Truppe gab. Der im Generallandesarchiv Karlsruhe verwahrte Nachlaß des Markgrafen, oder genauer die Akten seinen Feldkanzlei vermischt mit weiterem Schriftgut anderer Herkunft66, ermöglicht also einen tiefen Einblick in das Denken und Handeln der Kreise. Darüber hinaus sind hier Briefe usw. von dritter Seite überliefert, vom Kaiser und armierten Fürsten, die das Verhalten der Kreise aus ihrer jeweiligen Sicht bewerten. Natürlich findet sich der gesamte Schriftverkehr zwischen dem Generalleutnant und den Kreisen auch in den jeweiligen Kreisarchiven67 in Bam66 GLA K. 46. Einige Stücke aus der Zeit des Neunjährigen Krieges befinden sich im HHStA Wien, Kriegsakten. Nach Inhalt und äußerer Form sind diese eindeutig ursprünglich Teil des Bestandes gewesen, der heute zum größten Teil im GLA K. 46 verwahrt wird.
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I. Einleitung
berg68 , Speyer69 und Stuttgart70, aber der Vorteil der Auswertung des Nachlasses Ludwig Wilhelms liegt darin, daß hier die Kreisakten gleichsam vorsortiert vorliegen, da wichtiges von unwichtigem bereits getrennt wurde. Es erübrigt sich daher, die von einem einzelnen Historiker kaum zu bewältigende Masse der Kreisakten im Detail durchzuarbeiten. Die Existenz eines so umfassenden und sich v. a. über einen Zeitraum von ca. 15 Jahren erstreckenden Archivbestandes, wie der Nachlaß Ludwig Wilhelms einen darstellt, ist als Glücksfall für die Erforschung der Reichskreise zu bewerten, womit der zeitliche Rahmen dieser Arbeit eine zusätzliche Rechtfertigung erfährt. Mit Sicherheit ist es für die meisten anderen Zeiträume nicht möglich, unter Zugriff auf einen einzigen Bestand derart tiefen Einblick in die Kreisgeschichte nicht nur eines einzigen Zirkels zu erhalten. Dennoch konnte natürlich nicht auf eine Sichtung der Kreisarchive verzichtet werden, insbesondere um zu überprüfen, ob die Karlsruher Archivalien wirklich ein zutreffendes Bild ergeben, ob z. B. die Kreise dem Markgrafen über bestimmte Vorgänge keine Mitteilung machten. Letzteres - das kann hier der Darstellung vorweggenommen werden - war nicht der Fall. Der Inhalt von Kreistagsverhandlungen war bei der hohen Zahl der Teilnehmer ohnehin nicht wirklich geheimzuhalten. Die Kreisarchive sind zu weiten Teilen chronologisch, nämlich in der Abfolge der Kreistage usw., geordnet. Dies ermöglichte es, gezielt die Verhandlungen und Schriftstücke in den Zeiträumen zu sichten, in denen wichtige Entscheidungen getroffen wurden, während in weniger wichtigen Perioden eine stichprobenartige Überprüfung genügte. Auf diese Weise reduzierten sich die zu bewältigenden Aktenberge um ein gutes Stück. Es ist ohnehin festzustellen, daß die große Menge der überlieferten Kreisakten aus einer Vielzahl von inhaltlich ähnlichen Schriftstücken besteht. Moderationsgesuche einzelner Stände, die ihren Matrikularanschlag für zu hoch hielten, kehrten ebenso häufig wieder wie z. B. Beschwerden über das Fehlverhalten einzelner Offiziere, Soldaten oder Truppenteile. Es erübrigt sich, alle diese Quellen im Detail zu untersuchen, da nicht dem Einzelfall, sondern den typischen Problemen der Stände das Interesse dieser Arbeit gilt. Da hier Kreise und nicht spezielle Territorien untersucht werden sollen, wurde auf eine gründliche Auswertung der Archive einzelner Stände weitgehend verzichtet. Dennoch wurden Quellen - hauptsächlich Kreisakten 67 Abgesehen von den unvermeidlichen Quellenverlusten, die auf beiden Seiten eingetreten sind. 6s StA Ba. B 41/2, H 2. 69 LA Sp. E 3; X 5, 151. 1o HStA St. C 9; C 10; C 14.
2. Quellenkritische und methodische Vorbemerkung
29
der Verwaltungen oder Regierungen von Württemberg71 , Kurmainz72 , Baden-Durlach, Baden-Baden73 , Hochstift Konstanz74, Hochstift Würzburg75, Nassau-Usingen, -Weilburg und -Idstein76 sowie der Städte Worms77 und Schweinfurt78 herangezogen, um einen Einblick in die Probleme und Bestrebungen bezüglich der Kriegführung dieser Stände zu erhalten. Da sich allein der Schwäbische Kreis aus ca. 100 Ständen zusammensetzte, kann eine solche Liste nicht einmal annähernd für sich beanspruchen, einen repräsentativen Querschnitt durch die Kreisgesamtheit zu bieten. Ein solcher findet sich jedoch in den zentralen Kreisarchiven, die Voten, Denkschriften, Bitten usw. aller Stände enthalten. Die Bestände einzelner Territorien wurden daher nur als ergänzendes Material herangezogen, das von vergleichsweise untergeordneter Bedeutung für die Fragestellung dieser Arbeit ist. Die Auswahl dieser Bestände mußte sich daher nicht daran orientieren, eine repräsentative Gruppe von Ständen zu finden. Um die Reichsritterschaft nicht völlig zu vernachlässigen, wurden auch die Akten des von den Kampfhandlungen besonders stark betroffenen Kantons Kraichgau eingesehen79 • Schließlich spielte auch der Kaiser sowohl als Reichsoberhaupt als auch als vorderösterreichischer Landesherr eine bedeutende Rolle am Oberrhein, so daß auch Wiener Archivbestände benutzt werden mußten, um ein möglichst vollständiges Bild zu erhalten80• Da es in dieser Arbeit jedoch nicht darum geht, die kaiserliche Politik zu untersuchen, wurde auf eine intensive Auswertung von Quellen Wiener Provenienz verzichtet. Das gleiche gilt für die Archive der französischen Seite. Es ist für die Interpretation des Geschehens in den Kreisen letztlich irrelevant, was man in Versailles dachte, plante und befahl. Wichtig ist nur, welche Absichten den Franzosen von deutscher Seite unterstellt wurden, denn nur diese stellten die Basis des Handeins der Zirkel und Ludwig Wilhelms dar. Die Benutzung der Pariser Archive hätte daher einen unverhältnismäßig hohen Aufwand bedeutet, der für die begrenzte Fragestellung dieser Arbeit nicht gerechtfertigt gewesen wäre. HStA St. A 29; A 95; A 202. StA Wü. MRA; Schönbom-Archiv. HHStA Wien MEA. 73 Beide Markgrafschaften GLA K. 48; 50; 51 I; 51 II. 74 GLA K. 83. Dieser Bestand enthält Konstanzer Kreisakten, ist aber für den Untersuchungszeitraum sehr lückenhaft. 75 StA Wü. Wzbg. Kreisakten. 76 HStA Wi. 130 II; 131; 133; 150. Hier findet sich auch Material zum Kreisgeneral d. Oberrh. Kreises Johann Ernst v. Nassau-Weilburg. 77 StA Worms I B. 78 In StA Wü. Wzbg. Kreisakten befindet sich auch Schweinfurter Überlieferung. 79 GLA K. 125. 80 HHStA Wien sowie ÖStA-KA Wien. 71
72
30
I. Einleitung
Ein weiterer wichtiger Bestand, der herangezogen wurde, ist der Nachlaß des Mgf. Christian Ernst von Bayreuth, der sowohl als fränkischer Kreisobrist und Ausschreibender Fürst als auch als General und Stellvertreter Ludwig Wilhelms eine große Rolle spielte81 . Auch die "Alten Feldakten" im Wiener Kriegsarchiv 82 enthalten wertvolles Material, da hier - zum Teil in Abschriften aus anderen Archiven - Quellen der verschiedensten Art zur Kriegführung der kaiserlichen Armee zusammengetragen wurden. So finden sich in diesem Bestand Briefwechsel einzelner Offiziere und Feldzugsjournale, die tagebuchartig die wichtigsten Ereignisse während der Kampagnen festhielten und so eine wichtige Quellengruppe zur Erforschung der Operationsgeschichte darstellen. Sie enthalten darüber hinaus jedoch auch eine Fülle von Informationen zu anderen Themen. Die Feldzugsjournale sind allerdings von unterschiedlicher Qualität. Am bedeutendsten sind die für die Feldzüge von 1693, 1694, 1695 und 1696, die in Karlsruhe verwahrt werden83 , da sie quantitativ am umfassendsten sind und reich mit Kartenmaterial illustriert wurden. In den Kreisakten fallt das weitgehende Fehlen von Diskussionen, Denkschriften, Überlegungen usw. zum Bereich der zu verfolgenden Strategie sowie zu dem der durchzuführenden Operationen auf. Die Kreise formulierten keine strategischen oder operativen Grundsätze, keine grundsätzlichen Weisungen für die Kriegführung. Sie taten dies weder intern, noch traten sie mit derartigen Schriftstücken an Ludwig Wilhelm, den Kaiser oder die anderen Verbündeten heran. Sie beschränkten sich vielmehr darauf, in allgemeinen Worten Kriegsziele anzugeben, woraus jedoch keine konkreten Handlungsmaximen zu entnehmen waren. Einen sicheren Frieden oder die Rückgabe Straßburgs - so lauteten häufig vorgebrachte Forderungen der Kreise - konnte man auf vielen Wegen erreichen. Doch nach der Angabe eines solchen Weges sucht man in den Kreisakten abgesehen von Ausnahmen vergebens. Ein Kriegsplan, der diesen Namen verdiente, wurde nicht aufgestellt. Dennoch müssen sich die Kreisstände etwas dabei gedacht haben, wenn sie unter hohen Kosten Truppen ausrüsteten, unterhielten und ins Feld schickten. Angesichts des Fehlens direkter Quellen, aus denen man diesbezügliche strategische oder operative Gedankengänge entnehmen könnte, muß man jedoch einen Umweg gehen, um sie zu ermitteln. Wie zu zeigen sein wird, behielten die Kreise großen Einfluß auf die Operationen und Dislozierung der Kreistruppen, auch wenn sie sie dem Oberkommando Ludwig Wilhelms unterstellten. Man kann also - mit einigen Vorbehalten - aus 81 StA Ba. Bestand I, neuverzeichnet Der Bestand wurde aus anderen Beständen zusammengezogen und neu geordnet. 82 ÖStA-KA Wien AFA. 83 GLA K. 46/3743 I - IV.
2. Quellenkritische und methodische Vorbemerkung
31
dem tatsächlichen Verhalten der Armee auf die Ansichten zurückschließen, die ihrem Einsatz seitens der Kreisstände zugrunde lagen. Hierzu muß Operationsgeschichte betrieben werden, auch wenn dies ein Zweig der Militärgeschichte ist, der heutzutage eher stiefmütterlich behandelt wird. Die letzten Jahrzehnte sahen eine Neuorientierung der Militärgeschichtsschreibung. Zunehmend gerieten auch soziale, ökonomische, mentalitätsgeschichtliche usw. Probleme in das Blickfeld der Militärhistoriker, einer in Deutschland allerdings zahlenmäßig noch immer schwachen Zunft84 . Hier soll nicht in einem Rückfall in frühere Zeiten Operationsgeschichte als Selbstzweck oder zur Belehrung heutiger Soldaten betrieben werden. Das würde zum einen den Umfang der Arbeit ausufern lassen, und zum anderen würde es nur geringen Erkenntnisgewinn bringen, weil nur wenige wirklich bedeutsame Operationen stattfanden85 • Daher sollen nur einige ausgewählte Feldzüge oder auch nur wenige Tage währende Phasen betrachtet werden, um den Anschauungen auf die Spur zu kommen, die dem Einsatz der Kreistruppen zugrundelagen. Um dies zu tun, bietet sich wiederum eine Auswertung des Nachlasses Ludwig Wilhelms an, da dieser ja nicht nur den Schriftverkehr mit den Organen der Kreise enthält, sondern auch den mit der Truppenführung.
84 Kroener, "Kriegsvolck"; ders., "Schwungrad", S. 1 ff. ; Hansen, Problematik. Ferner die Beiträge in Kroener/Pröve, Krieg; Pröve, Klio. 85 Einen annalistischen Überblick über die Operationen bieten die "Uebersicht der Kriege Deutschlands"; Jarrys de Ia Roche, Oberrhein.
II. Reichsverfassung und Reichsverteidigung 1. Die sogenannte Reichskriegsverfassung von 1681 und die kaiserliche Stellung im Reich Die harten Verluste des Dreißigjährigen Krieges 1 waren noch nicht überwunden, da führte der Holländische Krieg 1672 - 1679 zu erneuten schweren Belastungen, unter ihnen 1674 die sogenannte erste Zerstörung der Pfalz2 . Die französische Aggression führte zu einem Neuerwachen eines Reichspatriotismus, das man freilich auch nicht überbewerten sollte3 . Jedenfalls verlor die 1648 noch starke Angst vor einem übermächtigen, die deutsche Libertät bedrohenden Kaiser ihren Schrecken. Wenn auch der Kaiser zunehmend an Einfluß gewann und seine 1648 verloren geglaubte Position im Reich wieder ausbauen konnte4 , so heißt das jedoch nicht, daß sich die Stände vertrauensselig Leopold völlig in die Arme warfen. Vielmehr wurde immer wieder überprüft, ob die Unterstützung der kaiserlichen Reichspolitik den eigenen Interessen diente oder nicht, und ob vielleicht irgendwelche Gefahren für die eigene Position im Gefüge des Reiches drohten. Sah man gar einen kaiserlichen Reichsabsolutismus am Horizont auftauchen, so nahm man zu dessen Abwehr auch kurzfristige Nachteile in Kauf. Immer galt es, zwischen Kaiser und Reichsständen, zwischen der hierarchischen und der föderalistischen Reichsverfassung die Balance zu bewahren. Die Reichspolitik stellte sich so als ein facettenreiches "Ringen um die Art dieses Gleichgewichts"5 dar, und nur langsam konnte das Mißtrauen vieler Stände gegenüber den Absichten Wiens abgebaut werden6 . Nicht nur der Holländische Krieg, sondern auch eine wachsende Bedrohung durch die Osmanen ließen es Kaiser Leopold I. geraten erscheinen, 1 Kurze Zusammenfassung für Südwestdeutschland bei Press, Jahrhundert, S. 149- 155. Vgl. auch Wolf, Th., Reichsstädte, S. 20. 2 Vgl. Berenger, Turenne, S. 403 - 406; Press, Oberrheinlande, S. 5. 3 Vgl. Malettke, Frankreich, S. 165f.; Press, Oberrheinlande, S. 6; ders., Stellung; Haug-Moritz, Kaisertum, S. 465; Berbig, Nümberg, S. 27 - 39; Havelaar, Libertätsgedanke, S. 29ff. 4 Vgl. Press, Stellung. 5 Haug-Moritz, Ständekonflikt, S. 252. Vgl. ebd. S. 251 ff.; dies., Kaisertum, S. 448; Blickle, Landschaft, S. 13. 6 Vgl. Decker, Frankreich, S. 49f.
I. Die sogenannte Reichskriegsverfassung von 1681
33
über die Probleme der Reichsverteidigung nachzudenken und Schritte dazu einzuleiten, sie effektiver zu gestalten. Dieser Denkprozeß beschleunigte sich, als die Reunionen einsetzten, mit denen Frankreich seit 1679 Druck auf die Westgrenze des Reiches ausübte7 • Während die quaestio an?, ob man denn eine schlagkräftige Reichsarmee aufstellen solle, auf die Zustimmung insbesondere der durch Frankreich bedrohten Stände treffen konnte, stellte die Beantwortung der quaestio quomodo? ein nur schwer zu lösendes Problem dar, über das nicht ohne weiteres eine breite Einigung erzielt werden konnte8• Die zunächst von Wien favorisierte Lösung, die Reichsstände in eine zentrale Kasse einzahlen zu lassen, aus der dann einheitliche Reichsstreitkräfte hätten finanziert werden können, traf auf Widerstand, da dieses Verfahren die Gefahr eines habsburgischen Reichsabsolutismus heraufbeschworen hätte, denn die so gebildete Armee wäre vom Kaiser kontrolliert worden9 . Die zweite Möglichkeit, eine Reichsarmee aufzustellen, hätte unter umgekehrten Vorzeichen ebenfalls eine ernste Gefahr für die ständische Libertät gebracht. Es wurde nämlich vorgeschlagen, die bereits existierenden Truppen derjenigen Reichsfürsten, die über ein Stehendes Heer verfügten - der sogenannten armierten Fürsten -. zu Reichsarmee zu erklären. Die nicht-armierten, also die Masse der mittleren, kleineren und kleinsten Stände, sollten dazu Geldbeiträge leisten. Damit hätten sie sich jedoch in eine weitgehende Abhängigkeit von ihren mächtigen Mitständen begeben. Die aus vielen Auseinandersetzungen um Vogteirechte bekannte Faustregel, nach der Schutz schnell Herrschaft nach sich ziehen konnte, ließ befürchten, daß die Armierten - nachdem die Finanzierung ihrer Heere sichergestellt gewesen wäre - ihr Gewaltmonopol zu Unterdrückung oder gar Mediatisierung kleinerer Nachbarn, vielleicht sogar zur Sprengung der Reichsverfassung, genutzt hätten. Auch der Kaiser hätte im Zweifelsfall nur geringen Einfluß auf die derartig gebildete Reichsarmee ausüben und so nur schwer seine Autorität gegenüber den armierten Fürsten durchsetzen können. Daher kam auch dieser Weg einer Heeresaufbringung von Reichs wegen nicht in Frage, obwohl es auch in der Folgezeit immer wieder zu Bestrebungen armierter Fürsten kam, ihre kostspieligen Regimenter durch Beiträge nicht-armierter Stände zu finanzieren, indem sie sich sogenannte Assignationen auf bestimmte Stände oder Gebiete sicherten, die dann Abgaben an sie abzuführen hatten. Da die beiden oben genannten Möglichkeiten einer Reichskriegsverfassung auf die eine oder andere Weise schwere Gefahren für die ständische Libertät heraufbeschworen hätten, ließen sie sich nicht durchsetzen. Die Vgl. Schindling, Reichstag, S. 164f.; Koller, Studien, S. 415f. Zu den verschiedenen Möglichkeiten vgl. v. Aretin, Reich, Bd. 1, S. 287. 9 Daneben traute man der Wiener Hotkammer keine effiziente Finanzverwaltung zu. Vgl. Berenger, Geschichte, S. 336. 7
8
3 Plassmann
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li. Reichsverfassung und Reichsverteidigung
Reichsverfassung als organisatorischer Rahmen einer Vielzahl de-facto souveräner staatlicher Gebilde ließ sich nur dann in dieser Form aufrecht erhalten, wenn ein dritter Weg gefunden wurde, bei dem möglichst viele Stände ausschlaggebenden Einfluß auf die Reichsarmee behielten, die auf diese Weise weder dem Kaiser noch den armierten Ständen zur Unterdrückung der deutschen Libertät dienen konnte. Dies war nur möglich, wenn jeder Stand seinen nach Proportion festgesetzten Anteil an der gesamten Reichsarmee in natura, in wirklichen Soldaten stellte, die ihm so weit verpflichtet waren, daß sie nicht für Ziele eingesetzt werden konnten, die denen ihres Entsenderstandes widersprachen. Dabei mußte dem Kaiser als Spitze der Reichsverfassung eine zentrale Rolle bei der Führung der aus vielen größeren, mittleren, kleineren und kleinsten Kontingenten zusammengesetzten Armee zufallen, seine Position konnten jedoch keineswegs so stark werden wie bei einer nur durch Finanzbeiträge der Stände unterhaltenen Reichsarmee. Es liegt auf der Hand, daß die verschiedenen Interessen nur schwer zu einem tragfahigen Kompromiß zu bündeln waren. Langwierige diplomatische Verhandlungen, die hier im einzelnen nicht nachvollzogen werden sollen 10, waren daher nötig, bis es 1681 zur Verabschiedung der sogenannten Reichskriegsverfassung kam, die aus einem Paket von mehreren Beschlüssen des Reichstages bestand 11 • Diese Entschlüsse entsprachen dem zuletzt genannten Modell, verpflichteten die Stände also im Falle eines Reichskrieges zur Stellung jeweils genau festgelegter Truppenkontingente. Als Zwischeninstanzen, die jeweils für ihren Bereich diese Kontingente zusammenfassen, ihre Aufstellung kontrollieren und notfalls gegen säumige Stände vorgehen sollten, dienten die Reichskreise. Diese sollten auch eigene Kriegskassen aufstellen, aus denen zusätzliche Ausgaben bestritten werden sollten, z. B. für die Anschaffung von Artillerie, Schiffbrücken, aber auch - wenn es nötig war - für die Füllung von Magazinen und den Transport von Versorgungsgütem. Demselben Zweck sollte auf Reichsebene eine Reichsoperationskasse dienen, die überdies zur Finanzierung des Generalstabes genutzt werden sollte. Details der Autbringung dieser Kasse wurden allerdings nicht in vollem Umfang geklärt. Durch die Dezentralisierung des Reichskriegswesens, das ja weitgehend in die Hände der Kreise gelegt wurde, vermied man überdies eine Diskussion über die genaue Verteilung der zu stellenden Truppenkontingente auf die einzelnen Reichsstände. Es wurden nur die Kontingente der Kreise fest10 Vgl. v. Aretin, Reich, Bd. I, S. 286- 298; Angermeier, Reichskriegsverfassung, S. 195- 222; Dotzauer, Reichskreise [1], S. 35f.; Press, Kriege, S. 422f.; Schindling, Reichstag. 11 Vgl. z. B. Schmauss/v. Senckenberg, Sammlung, Bd. 4, Nr. LXVII, LXIX, LXXI, LXXII, S. 137- 146.
I. Die sogenannte Reichskriegsverfassung von 1681
35
gelegt, während die interne Verteilung auf die Stände jedem Kreis selbst überlassen wurde, wobei man sich an den Matrikeln von 1521 und 1555 orientieren konnte 12• Die Reichsannee, die aus dem sogenannten Simplum von im Frieden 40.000 Mann bestehen sollte, im Bedarfs-, also Kriegsfall aber auch um den Faktor zwei oder drei auf ein Duplum oder Triplum erhöht werden konnte, sollte sich aus folgenden Teilen zusammensetzen 13 :
Infanteristen
Kavalleristen
Österreichischer Kreis
5.507
2.522
Burgundischer Kreis
2.708
1.321
Kurrheinischer Kreis
2.707
600
Fränkischer Kreis
1.902
980
Bayerischer Kreis
1.494
800
Schwäbischer Kreis
2.707
1.321
Oberrheinischer Kreis
2.853
491
Niederrheinisch-Westfälischer Kreis
2.708
1.321
Obersächsischer Kreis
2.707
1.322
Niedersächsischer Kreis
2.707
1.322
28.000
12.000
Summe
Die Regelung, die Kreise selbst über die interne Verteilung dieser Kontingente bestimmen zu lassen - insbesondere über die Frage, ob tatsächlich jeder Stand sein Kontingent in Soldaten stellte oder ob die Nicht-Armierten doch den Armierten Geldbeiträge zahlten -, hatte den Vorteil, daß die Truppenverteilung jeweils an das regionale politische, militärische und wirtschaftliche Gleichgewicht angepaßt werden konnte. Der unübersehbare Nachteil bestand jedoch darin, daß das Reich machtlos war, wenn innerhalb eines Kreises eine Einigung nicht gelang 14, und es wegen innerer Konflikte oder schlichtem Desinteresse nicht zur Aufstellung von Kreistruppen kam. Die Kreise waren in Übereinstimmung mit dem Auftrag des Westfalischen Friedens, ihre Redintegration durchzuführen, zur "entscheidenden Ebene'" 5 des Reichskriegswesens geworden, so daß von ihrem Funktionieren oder 12 13 14 1~
Vgl. Koller, Studien, S. 425; Sicken, Wehrwesen, Bd. 1, S. 32f. Tabelle nach Feldzüge I/I: Einleitung, S. 466; Papke, Miliz, S. 241 . Vgl. Knapp, Erläuterung, S. 28f.; Oestreich, Verfassungsgeschichte, S. 47. Neuhaus, Problem, S. 310. Vgl. Duchhardt, Reich, S. 20; Stonn, Militia, S. 86.
II. Reichsverfassung und Reichsverteidigung
36
Nicht-Funktionieren die Wirksamkeit der Reichskriegsverfassung abhing. "Alle eigentlich staatlichen Funktionen des Reiches lagen [... ] bei diesen einzelnen Reichskreisen, nicht etwa beim Reichstag" 16. Desinteresse an einer lebendigen Kreisverfassung bestand insbesondere auf Seiten der armierten Fürsten, die ihre Stehenden Heere als Instrumente einer am Eigeninteresse orientierten Politik nicht einem Kreis unterstellen wollten. Da viele Armierte Mitglieder mehrerer Kreise waren, hätten sie überdies ihre Truppen aufteilen müssen und damit noch weniger Kontrolle über ihren Einsatz ausüben können. Armierte Fürsten neigten daher dazu, die Kreisorganisation zu ignorieren und mit ihren Regimentern eigene Wege zu gehen, z. B. indem sie sie gegen Subsidien vermieteten. Dieses Problem war einer der Geburtsfehler der sogenannten Reichskriegsverfassung17. Ein anderer Geburtsfehler war das Fehlen einer Reichsgeneralität Daher war die Reichsarmee ohne kaiserliche Generale nicht funktionsfahig, die als einzige die Lücke füllen konnten, ohne jedoch durch Reichsgesetze ausdrücklich dazu bestimmt worden zu sein 18. Die Frage des Oberbefehls blieb so in gewisser Weise in der Schwebe, was im Zweifel die Operationen behindern konnte. Die Reichsarmee war - jedenfalls soweit sie aufgestellt werden würde - abhängig vom Kaiser, aber dieser hatte keine volle Verfügungsgewalt über sie, denn bei einem Fehlverhalten der Generalität konnten die Kreise ja aufhören, ihren Teil der Reichstruppen zu finanzieren und zu unterhalten. Ihre Organisationsform war daher militärisch zwar nicht so effektiv wie die einer Armee eines Flächenstaates wie etwa von Frankreich, aber sie war der Struktur der Reichsverfassung angepaßt, indem sie den mindermächtigen Ständen eine Chance gab, sich gegen die mächtigen zu behaupten und gleichzeitig den Schutz gegen äußere Feinde wenn schon nicht optimal gestaltete, so doch verbesserte. Der Reichsarmee fehlte dabei grundsätzlich die Möglichkeit zu einem aggressiven und offensiven Vorgehen gegen die Nachbarn des Reiches. Ihr Einsatz hing von einem Konsens vieler Stände ab, der angesichts der unterschiedlichen politischen Ziele sowie der stark differierenden militärischen, wirtschaftlichen und nicht zuletzt geographischen Situation der Reichsstände praktisch nur dann zu erzielen war, wenn eine Notwehrsituation gegeben war. Die Kreise waren theoretisch "Rekrutierungs- und Finanzierungsbezirke"19 des Reiches, dem sie so die Mittel zur Kriegführung zur Verfügung Hofmann, Reichskreis, S. 393. Vgl. Jähns, Geschichte, S. 136; Schulte, Staat, S. 203; Vierhaus, Deutschland, s. 127f. 18 Vgl. Hofmann, Reichskreis, S. 393. 19 Angermeier, Reichskriegsverfassung, S. 201. 16
17
1. Die sogenannte Reichskriegsverfassung von 1681
37
stellen sollten. Die sogenannte Reichskriegsverfassung stellt zwar einen bedeutenden Schritt in Richtung einer Aktivierung der militärischen Kraft des Alten Reiches dar, blieb jedoch unvollendet und bezüglich der praktischen Umsetzung in Ansätzen stecken, so daß eine kampfkräftige Reichsarmee nicht wirklich zustande kam20• Davon, daß eine 40.000 Mann starke Reichsarmee im Frieden unter Waffen stand, konnte nicht die Rede sein21 • Die funktionierenden Kreise, die tatsächlich eigene Truppen aufstellten, mußten daher - wollten sie sich überhaupt an der Kriegführung beteiligen die Rolle des Kriegsherrn selbst übernehmen und die der verfassungsrechtlichen Fiktion nach für die Reichsarmee ausgehobenen Soldaten nach eigenem Gutdünken einsetzen22 • Die Mängel der Reichskriegsverfassung führten dazu, daß man sich insbesondere in den im Westen des Reiches gelegenen Vorderen Kreisen gegenüber dem übermächtigen Frankreich nicht allein auf sie verlassen konnte oder wollte. Auch diejenigen armierten Fürsten, die bislang mit Frankreich verbündet gewesen waren oder wenigstens an ein solches Bündnis gedacht hatten, sahen sich durch die "Hegemonie-Bestrebungen des Sonnenkönigs"23 bedroht, so daß auch sie an der Bildung von Allianzen über die Reichskriegsverfassung hinaus interessiert waren. Ludwig XIV. hatte den Abschluß der Reichskriegsverfassung trotz aller Bemühungen nicht verhindern können, was Ausdruck einer tiefgreifenden Neuorientierung weiter Teile des Reiches seit den 1670er Jahren war. Eine funktionierende "Dritte Partei" konnte nun unter den Reichsständen nicht mehr formiert werden24• Frankreich galt nicht mehr als Garant der ständischen Libertät gegen einen übermächtigen Kaiser, sondern als Bedrohung und Friedensstörer. Das gewaltsame Vorgehen gegen die Niederlande im Devolutionskrieg (1667 - 1668) und im Holländischen Krieg (1672 1679), sowie dessen Übergreifen auf das Reich, hatte vielfach zu Mißtrauen geführt, welches sich zu Empörung auswuchs, als Frankreich seit 1679 Gebiete im Westen des Reiches mit zum Teil fadenscheinigen rechtlichen Argumenten zu reunieren, d. h. auf der Basis des Rechts des Stärkeren an Frankreich anzuschließen begann 25 • Als französische Truppen am 30.9.1681 Straßburg besetzten, ohne auch nur den Anschein einer juristischen Legitimation dafür vorlegen zu können, brach sich im Reich endgültig die Überzeugung Bahn, daß man dem westlichen Vgl. Knapp, Erläuterungen, S. 70. Vgl. Jähns, Geschichte. Neuerdings auch Koller, Studien, S. 415 - 433. 22 Vgl. Neuhaus, ProblemS. 310; Schmidt, H., Militärverwaltung [1], S. 38. 23 Angermeier, Reichskriegsverfassung, S. 202. 24 Vgl. Schindling, Reichstag, S. 172; Duchhardt, Reich, S. 55f. Siehe auch Dekker, Frankreich. 25 Vgl. Wunder, Frankreich; Wysocki, Kurmainz. 20
21
38
II. Reichsverfassung und Reichsverteidigung
Nachbarn nicht trauen konnte und sich vor ihm schützen mußte, so gut es eben ging 26. Daher wurden ergänzend zur Reichskriegsverfassung in den 1680er Jahren verschiedene Bündnisse abgeschlossen, die einer Erhöhung der Sicherheit ihrer Mitglieder dienten27 • Der Gedanke, sich möglichst gemeinsam gegen äußere Bedrohungen zu verteidigen, wurde jedoch in den Vorderen Reichskreisen nicht erst jetzt entwickelt28• Ein erstes Assoziationsprojekt, damals noch mit antikaiserlicher Spitze, zwischen dem Kurrheinischen und dem Oberrheinischen Kreis wurde 1651 erwogen29 • Der Rheinbund von 1658 bildete ebenfalls ein gegen Wien gerichtetes Bündnis, das sich an Frankreich anlehnte 30• Als in den 1670er Jahren u. a. aufgrund der aggressiven Politik Ludwigs XIV. das kaiserliche Ansehen im Reich wieder stieg und das französische abnahm, wandte sich auch der Assoziationsgedanke zunehmend gegen den westlichen Nachbarn. Die Marlenburger Allianz von 1671 zwischen verschiedenen Reichsfürsten stand unter kaiserlichem Einfluß, obwohl eine abwartende Haltung im Reich weit verbreitet war. Primär ging es darum, ein Übergreifen des Holländischen Krieges auf Deutschland zu verhindern, ohne sich völlig auf die Seite des Kaisers zu schlagen31 . Seit 1681 standen dann die Bündnisse im Reich deutlich unter kaiserlicher Führung. Der Fränkische und der Oberrheinische Kreis suchten 1682 den Beitritt zur Laxenburger Allianz zwischen Kaiser und verschiedenen armierten Fürsten sowie den Generalstaaten und Schweden32, um auf diese Weise militärisch und politisch vor der bedrohlichen Macht Frankreichs gesichert zu sein33 . Damit erkannte Leopold zugleich das Recht der Kreise an, Bündnisse zu schließen, nachdem in der Reichskriegsverfassung von 1681 die Rolle der Kreise als Rekrutierungsbezirke der Reichsarmee bestätigt worden war. Ihre Stellung im System der Reichsverfassung erfuhr dadurch eine weitere Aufwertung34• 26 Vgl. v. Aretin, Reich, Bd. 1, S. 298; Angenneier, Reichskriegsverfassung, S. 195; Malettke, Grundlegung, S. 39f.; Bosbach, Erbfeind, S. 119. Die gewaltsamen Aktionen Ludwigs XIV., die 1681 - 1684 stattfanden, als Krieg zu bezeichnen, geht allerdings wohl zu weit. Vgl. Steinberg, Integration, Bd. 1, S. 108. 27 Vgl. Sicken, Wehrwesen, Bd. 1, S. 79. 28 Zu Vorläufern vgl. v. Aretin, Kreisassoziationen, S. 36 - 51; Wunder, Kreisassoziationen, S. 183 - 217. 29 Auf dieses Assoziationsprojekt bezog sich Lotbar Franz v. Schönborn noch 1696/97. Vgl. v. Aretin, Kreisassoziationen, S. 41. 30 Vgl. dazu Wagner, Rheinpolitik; Pribram, Beitrag; Schnur, Rheinbund. 31 Vgl. Decker, Frankreich, S. 50 u. 85; Press, Kriege, S. 416. 32 Kopp, Abhandlung, Beilage XIV, S. 56- 60: Allianzrezeß zwischen dem Kaiser, dem Fränk. u. dem Oberrheinischen Kreis, Laxenburg 10.6.1682. 33 Vgl. Bandorf, Schrottenberg, S. 98; Dirr, Geschichte. Text bei Hofmann, Quellen, Nr. 41, S. 243 - 248.
1. Die sogenannte Reichskriegsverfassung von 1681
39
Die in der Belagerung Wiens von 1683 gipfelnde neue Bedrohung durch die Osmanen ließ alle Pläne zu einem aktiven Vorgehen gegen Frankreich scheitern und zog zunächst alle Aufmerksamkeit auf sich. Um sich dabei den Rücken freizuhalten, schloß Leopold 1684 mit Frankreich den sogenannten Regensburger Stillstand ab, durch den der Kaiser die Reunionen für 20 Jahre und nicht - wie Ludwig XIV. gehofft hatte - endgültig anerkannte35. Dieser vertraglichen Beruhigung der Situation an der Westgrenze des Reiches konnte man jedoch nicht unbedingt trauen, weshalb Leopold weiterhin eine Politik der Organisation der antifranzösischen Kräfte in einer Defensivallianz betrieb. 1686 wurde so als Nachfolgebündnis der Laxenburger die Augsburger Allianz abgeschlossen, in der neben Schweden, Bayern und den obersächsischen Herzogtümern der Fränkische, der Oberrheinische, der Bayerische und der Burgundische Reichskreis zusammenarbeiteten36. Der Schwäbische Kreis hingegen zeigte sich Mitte der 1680er Jahre zurückhaltend, ein Bündnis einzugehen, da sein Schutz vor dem französischen Nachbarn nicht gewährleistet zu sein schien. Aus diesem Grund blieb er auch 1686 der Liga von Augsburg fern und lavierte zwischen Habsburg und Bourbon37 . Im Unterschied zu den späteren Assoziationen der Reichskreise handelte es sich bei diesen Bündnissen der 1680er Jahre um den Beitritt einzelner Kreise zu einer Verbindung von armierten Ständen und europäischen Staaten. Wie sich spätestens 1688 erweisen sollte, konnte ein Reichskreis in diesem Rahmen seinen Interessen nicht in wünschenswerter Weise Gehör verschaffen. Durch die Beschlüsse des Jahres 1681 waren die Stehenden Heere der armierten Fürsten nicht abgeschafft worden. Sie existierten weiter und ihre Kosten überstiegen oft die finanziellen Möglichkeiten ihrer Besitzer, die auf Subsidien oder andere Unterstützung von außen angewiesen waren, wenn sie ihre Truppen auf einem quantitativ hohen Stand halten wollten. Daher versuchten sie immer wieder, ihre Regimenter auf Kosten nicht-armierter Stände zu unterhalten, indem sie sie entweder bei ihnen einquartierten oder indem sie Geld- und Naturalleistungen von ihnen verlangten. Die Möglichkeiten der Stände, sich gegen derartige Forderungen, die schnell ruinöse Ausmaße annehmen konnten, zu wehren, waren begrenzt. Denn zum einen benötigten sie ja den Schutz der Armierten, konnten sich also deren Ansprüchen nicht völlig verschließen, und zum anderen sah es die damalige Kriegspraxis vor, daß Truppen ein Anrecht auf Versorgung Vgl. Mohnhaupt, Einordnung, S. 25ff.; v. Aretin, Reich im Konzert, S. 85. Vgl. v. Aretin, Reich, Bd. 1, S. 307 f. 36 Vgl. v. Aretin, Reich, Bd. 2, S. 24. 37 Vgl. Wunder, Frankreich, S. 71 - 80; Press, Oberrheinlande, S. 6; Fester, Allianz. Franz, Nürnberg, S. 350, zeigt, daß auch im Fränk. Kreis vermieden wurde, .,irgendwo anzustoßen", damit der Frieden bewahrt wurde. 34 35
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Il. Reichsverfassung und Reichsverteidigung
aus dem Gebiet hatten, in dem sie operierten. In Fonn von Assignationen oder Kontributionen38, von Lebensmittellieferungen und Bereitstellung von Quartieren mußten daher die schwachen Stände wohl oder übel zum Unterhalt der Stehenden Heere beitragen. Auch mußten sie durchmarschierende Regimenter auf dem Weg zu ihrem Einsatzgebiet durch Hand- und Spanndienste sowie durch Naturalleistungen unterstützen. Grundsätzlich bestand auch kein Anlaß, sich dagegen zu wehren, solange sich die Belastung in einem erträglichen Rahmen hielt. Doch die Festlegung dieses Rahmens bereitete naturgemäß Probleme, so daß es immer wieder zum Streit um Quartiere oder Zahlungen kam. Die gegensätzlichen Interessen ließen dabei oft keinen Kompromiß zu. Alle Forderungen der Vorderen Reichskreise nach völliger Verschonung von Quartieren und Durchmärschen waren solange unrealistisch, wie die Zirkel auf fremde Hilfe angewiesen waren39 . In den 1680er Jahren war die Reichsverteidigung zwar sowohl durch die Reichstagsbeschlüsse von 1681 als auch die verschiedenen Bündnissysteme auf eine sicherere Grundlage als zuvor gestellt worden. Ein befriedigender Optimalzustand war dabei jedoch nicht erreicht worden. Um überhaupt im Reichstag zu einer Einigung gelangen zu können, hatte man viele Probleme in der Schwebe lassen müssen. Der Neunjährige Krieg stellte dann die erste Bewährungsprobe der Reichsverteidigung in der Praxis dar. In ihm mußte sich erweisen, ob und wie sie funktionierte oder ob andere Wege beschritten werden mußten.
2. Reichstag Obwohl er 1681 durch den Abschluß der sogenannten Reichskriegsverfassung eine gewisse Handlungsfähigkeit gezeigt hatte, war der Reichstag nicht die Institution, von der hartbedrängte Reichsstände während eines Krieges Hilfe erwarten konnten. Die Verhandlungen verliefen viel zu langsam und schwerfällig40 und waren durch viel zu viele Streitfragen gehemmt, als daß er eine Stelle zur Koordinierung der Reichskriegführung hätte sein können. Und wenn ein Beschluß gefaßt worden war, so war es noch lange nicht gewährleistet, daß er auch von allen Reichsständen in die Praxis umgesetzt wurde41 • Die Einrichtung einer Reichsoperationskasse im Jahre 1707, die zur Finanzierung der Reichskriegsführung dienen sollte, ist 38 Einer regulierten Form des Brandschatzens: Das Militär erhielt Zahlungen und verschonte die jeweilige Gegend dafür mit gewaltsamen Beutemachen. Vgl. Redlich, F., Praeda, S. 44f.; Krüger, K., Kriegsfinanzen, S. 57. 39 Vgl. v. Aretin, Reich, Bd. I, S. 300. 40 Vgl. Fümrohr, Reichstag, S. 19; Duchhardt, Reich in d. Mitte, S. 5. 41 Vgl. Kopp, Abhandlung, S. 168; Braubach, Eugen, Bd. 3, S. 180; Wines, Circles, S. 2f.
2. Reichstag
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hierfür ein gutes Beispiel, denn die bewilligten Gelder gingen tatsächlich "nur zu einem Bruchteil ein"42. Nach der auffallend schnellen Reichskriegserklärung an Frankreich am 14.2.168943 , verfiel man in Regensburg schnell wieder in den alten Trott, so daß schon Ende 1689 ein endgültiger "Stillstand"44 der Verhandlungen eintrat, wie der badische Vertreter Georg Friedrich von Snoilsky resignierend feststellte. Mit dem Beginn der Auseinandersetzungen um die 9. Kur für Hannover 1692 war der Reichstag bis zum Ende des Neunjährigen Krieges praktisch funktionsunfahig und konnte daher keine Rolle bei der Organisation der Kriegführung spielen45 • Erst in den letzten Kriegsmonaten begann in Regensburg wieder eine Diskussion über die Reichskriegsverfassung, offenbar weil man nicht zu Unrecht in der Assoziation eine unliebsame Konkurrenz sah46. Doch versandeten auch diese Verhandlungen letztlich ergebnislos. Das Reich war nicht in der Lage, die im Frieden von Rijswijk gewonnenen Festungen Kehl und Philippsburg zu besetzen, und mußte die Stellung von Garnisonen den Vorderen Kreisen überlassen47 . Ähnlich wie 1689 äußerte sich Snoilsky 1702, als die Reichskriegserklärung gegen Frankreich verhandelt, aber immer wieder verzögert wurde. Zwar sei es möglich, für eine Kriegserklärung kurzfristig alle politischen und religiösen Zwistigkeiten zur Seite zu schieben. Dadurch könne "zwar ein Krieg publicirt werden [. ..], aber mit was gemüth und harmonie, das mag Gott wissen"48 • Der Reichstag konnte zwar die notwendige Initialzündung für die Kriegsanstrengungen der einzelnen Reichsstände und -kreise geben49, aber zur Durchsetzung einer wirksamen Reichskriegführung in dem Sinne, daß hier die politischen, organisatorischen und militärischen Entscheidungen getroffen und auch praktisch umgesetzt worden wären, war 42 v. Aretin, Reich, Bd. 2, S. 150. V.a. Preußen und Sachsen verweigerten die Zahlung ihrer Beiträge. Vgl. auch Fümrohr, Reichstag, S. 31. 43 Vgl. Kampmann, Reichstag, S. 55 -58, mit Bemerkungen zum Verfahren. Ferner: Müller, K., Reichskriegserklärung, S. 256f. 44 GLA K. 50/366, November 1689, 1: Bericht Snoilskys, Regensburg 15.11.1689. 45 Vgl. v. Aretin, Reich, Bd. 2, S. 53 u. 58- 66; Platz, Markgraf, S. 20; Wenkebach, Bestrebungen, S. 81. 46 HHStA Wien MEA, Friedensakten 71, 687r- 688v: Gutachten o. Verf., o. O. o. D. (Konzept). In dieser Schrift, die offenbar von der kurmainz. Gesandtschaft zum Assoziationskonvent 1697 erstellt wurde, werden die Verhandlungen in Regensburg als Intrige mit dem Ziel bezeichnet, der Assoziation den Wind aus den Segeln zu nehmen und sie so unwirksam zu machen. 47 Vgl. Sinkoli, Frankreich, S. 20f. 48 GLA K. 50/401: Bericht Snoilskys, Regensburg 9.5.1702. Vgl. auch Granier, Reichstag, S. 17. 49 Vgl. Neuhaus, Reich, S. 215.
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man in Regensburg angesichts des schleppenden Geschäftsganges des Reichstages und der Streitigkeiten um die 9. Kur und die Rijswijker Klausel, die 1705 durch die kurpfälzische Religionsdeklaration verschärft wurden, nicht in der Lage, wobei letztere oft genug nur einen bequemen Vorwand darstellten, um sich unliebsamen Lasten zu entziehen~;o. So wie die - wenn man so will - deutsche Außenpolitik nicht auf dem Reichstag, sondern an den einzelnen Höfen gemacht wurde51 , so wurde der Krieg auch nicht von Regensburg aus, sondern zunächst durch die armierten Fürsten, durch ihre Bündnisse und von Wien aus geführt. Das Reich als Ganzes war wenig interessant als Bündnispartner der Großen Allianz52 . Es galt vielmehr, einzelne wichtige Reichsfürsten und -kreise an Kaiser und Seemächte zu binden. War erst hier eine antifranzösische Mehrheit erzielt, so war die formelle Reichskriegserklärung leicht durchzusetzen. Man konnte ohnehin nur von den Reichsständen Beiträge zur Reichskriegführung erwarten, die ein über die formelle Reichskriegserklärung hinausgehendes Interesse daran hatten, an der Seite von Kaiser und Seemächten gegen Frankreich zu kämpfen. Seit 1693 nahmen die Vorderen Kreise zunehmend die Kriegführung für ihren Bereich in die eigene Hand. Offiziell erhielten sie zwar den Anspruch aufrecht, einen Reichskrieg zu führen, in dem ihnen das ganze Reich beispringen müsse5 3• Doch in der Praxis spielte in realistischer Einschätzung der Funktionsfähigkeit des Reichstages dieser nur eine sehr geringe Rolle für die Vorderen Kreise54 . Die Reichskriegsverfassung von 1681 bildete zwar den verfassungsrechtlichen Rahmen der Kriegführung - insofern waren Reich und Reichstag natürlich nicht bedeutungslos. Aber dieser Rahmen wurde .,durch die Selbständigkeit der armierten Stände immer wieder durchlöchert"55 . Die Reichsverfassung konnte also nur da funktionieren, wo es im Interesse aller oder wenigstens der meisten Beteiligten lag. Dies war allerdings nicht allzu oft der Fall. Da das Reich mit der Reichsarmee auf der Basis der Beschlüsse von 1681 zwar theoretisch über ein Heer, aber über keine Verwaltungsorganisation56 verfügte, die es erlaubt 50 Vgl. v. Aretin, Reich, Bd. 2, S. 124ff.; ders., Geheimnis; Luh, Reich, S. 28; Hans, A., Religionsdeklaration, S. 312- 315; Boles, Huguenots. 51 Vgl. Livet, Louis XIV, S. 62. 52 Vgl. - allerdings etwas zu hart urteilend - Skall, Entstehung, S. 71 f. Siehe auch Havelaar, Libertätsgedanke, S. 67; Koller, Studien, S. 247. 53 Diesen Standpunkt vertrat auch Prinz Eugen 1713. Feldzüge II/VI: 1713, Supl. Nr. 7, S. 8f.: Eugen an Eberhard Ludwig v. Württemberg, Wien 20.2.1713. 54 Deshalb wurde 1697 zur Bildung der Assoziation ein Kongreß der 6 Kreise durchgeführt, anstatt die Verhandlungen auf dem Reichstag zu führen. LA Sp. E 3, 2090, 391 r- 392r: .,Ohnmaßgebliches Votum ob daß 6 Craiß negotium nach Regensburg zu bringen seye, oder nit", Frankfurt a.M. o.D. [1697]. 55 Press, Kriege, S. 382.
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hätte, diese Truppen zentral aufzubringen, auszustatten, zu versorgen und letztlich auch einzusetzen, fielen diese Aufgaben an die Institutionen zuliick, die über entsprechende Verwaltungseinrichtungen verfügten. Dies waren zum einen die armierten Fürsten und - wo diese fehlten - zum anderen die Reichskreise57 . Politisch hatte der Reichstag während des Neunjährigen Krieges und des Spanischen Erbfolgekrieges die Funktion, als reichsständisches Repräsentationsorgan den Reichskrieg zu erklären und so überhaupt erst den Mechanismus in Gang zu setzen, der die Kreise und jeden ihrer Stände zu militärischen Leistungen zwang58 . Jedoch darf nicht übersehen werden, daß die Vorderen Kreise 1702 aufgrund ihrer Bündnisverpflichtungen und auf eigenen Beschluß in den Krieg eingriffen, bevor der Reichskrieg erklärt wurde. Die Kreise handelten also als unabhängige Subjekte des Völkerrechts, wobei natürlich noch die Frage nach der juristischen Abgrenzung und der Legitimation dieser Unabhängigkeit zu stellen wäre. Diese ist jedoch eher von theoretischem Interesse, während in der Praxis die Diskussion über den Kriegseintritt in den Kreisen kaum mit reichs- oder völkerrechtlichen Argumenten und Denkschriften geführt wurde, sondern allein unter dem Gesichtspunkt der politischen und militärischen Notwendigkeit. An einer endgültigen Klärung der Frage, inwieweit die Kreise denn nun wirklich berechtigt waren, eine eigene Außenpolitik inklusive Kriegserklärung neben dem Reich zu verfolgen, hatte man in den Kreisen kein Interesse. Den Reichsverband wollte man erhalten, nicht zuletzt als Argument dafür, von anderen Reichsständen Hilfe im Krieg und Erfüllung der Reichspflichten zu fordern. Auf der anderen Seite wollte man sich nicht durch den Reichstag eine Politik vorschreiben lassen. Man handelte deshalb pragmatisch in einer Grauzone zwischen Reichstreue und Unabhängigkeit, und glücklicherweise folgte 1702 die Reichskriegserklärung relativ rasch, so daß z. B. die Frage, ob ein Kreisstand zu Kriegsleistungen gezwungen werden konnte, auch wenn das Reich sich nicht im Kriegszustand befand, nicht gelöst werden mußte59• Wo allerdings die Ebene eines Kreises nicht ausreichte, die eigenen Interessen zu wahren, und wo man sonst keine Möglichkeit mehr sah, auf andere Weise zu seinem Recht zu kommen, wandte man sich wieder an die höhere Instanz des Reichstages. So drohte der Oberrheinische Kreis dem Vgl. Schmidt, H., Militärverwaltung [II], S. 571. Vgl. Hofmann, Reichskreis, S. 402f. Wunder, Kaiser, S. I, hat die Kreise als .,Alternative zum Reichstag" bezeichnet. 58 Vgl. Neubaus, Repräsentationsformen, S. 518 - 525. 59 Im übrigen kämpften Kreistruppen schon 1688/89, bevor es zu einer Reichskriegserklärung kam. Doch handelte es sich dabei im Gegensatz zu 1702 um eine eindeutige Notwehrsituation. S6
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Bistum Basel damit, in Regensburg erwirken zu wollen, daß Sitz und Stimme in der Reichsversammlung suspendiert würden, wenn sich der Bischof nicht zur Zahlung rückständiger Kreislasten bereiterklärte60. Da man das Hochstift mit militärischer Exekution kaum erreichen konnte - es war von Frankreich und der Eidgenossenschaft umschlossen -, war der Gang zum Reichstag tatsächlich die letzte Möglichkeit des Kreises, zu seinem Geld zu kommen. Es ist allerdings sehr zweifelhaft, ob man wirklich glaubte, angesichts der schon seit langem schwelenden Finanzkrise der Bischöfe von Basel und der im selben Jahr ausbrechenden Konflikte zwischen dem Bischof und seinen Untertanen61 mit dieser Drohung Erfolge erzielen zu können. Viel eher hat man das Einschalten des Reichstages als symbolische Geste zu verstehen, von der man sich versprach, zumindest moralisch gerechtfertigt zu werden und den Anspruch auf Beitragsleistungen der Stände zu dokumentieren. Der Reichstag stellte darüber hinaus die Bühne für politische Vorstöße dar, die darauf abzielten, weitere Teile des Reiches dazu zu bringen, an den Kriegsanstrengungen teilzunehmen62• So wandten sich die assoziierten Kreise nicht nur direkt an den bayerischen Kurfürsten, sondern nutzten auch den Umweg über Regensburg, als man ihn 1702/03 durch Verhandlungen wieder aus dem französischen Lager herausbrechen wollte 63 . Doch all dies hatte wenig praktische Bedeutung. Fragen der Kriegführung und Kriegsziele wurden kreisintern, zwischen mehreren Kreisen, mit dem Kaiser oder mit der Armeeführung sowie ganz zuletzt und quantitativ marginal auch mit dem Reichstag besprochen. Es wurde gar nicht erst versucht, dem Reichstag dabei eine größere Rolle zukommen zu lassen. Wie wenig ernst Ludwig Wilhelm die Regensburger Verhandlungen über eine Reform der Reichskriegsverfassung nahm, zeigt sein Verhalten im Winter 1702/03, als man von ihm ein Gutachten zu dieser Frage anforderte. Hierauf folgte seitens des Markgrafen monatelanges Schweigen. Der badische Vertreter Zeller sah sich genötigt zu gestehen, daß er "ein klein wenig melancholisch werde"64, da er immer wieder nach dem Verbleib des Gutachtens Ludwig Wilhelms gefragt werde, aber keine Antwort geben könne. Es entstehe langsam der Eindruck, als ob der Generalleutnant den Bitten um ein Gutachten nicht nachzukommen gedenke. Dies war nicht das Verhalten eines Mannes, der eine Reichskriegsverfassungsreform erwartete und LA Sp. E 3, 2018, 28r- v: Prot. Oberrh. KT, 31.10.1705. Vgl. Würgler, Unruhen, S. 70f. 62 Vgl. Schindling, Leopold 1., S. 172. 63 Siehe z. B. GLA K. 50/402: Berichte des badischen Vertreters Christoph Hein. rich Zeller v. Ettmansdorff, Regensburg 16.2.1703 u. 22.2.1703. 64 GLA K. 50/402: Berichte Zellers, Regensburg 24.2.1703 u. 26.2.1703. Vgl. auch Schulte, Markgraf, Bd. 1, S. 228. 60
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sie mit allen Mitteln beförderte, sondern zeugte eher davon, daß Ludwig Wilhelm seine Zeit nicht mit der Abfassung von Gutachten verschwenden wollte, die ohnehin nur fruchtlosen Diskussionen als Grundlage dienen würden. Die geringe praktische Bedeutung der Regensburger Versammlung für die Kriegführung erhellt sich auch durch die Tatsache, daß im Gegensatz zu den Kreistagen der Reichstag so gut wie gar nicht Kontakt zu dem Markgrafen aufgenommen hat65 . 1704 und 1705 verlangten Beschlüsse des Reichstages den wirklichen Aufbau einer Reichsarmee66 und einer Reichsoperationskasse unter einem Reichs-General-Kassierer67 , ohne daß eine wirklich durchgeführte Reform des Reichskriegswesens festzustellen wäre, obwohl Franken und Schwaben darauf drängten, daß die Beschlüsse "nicht bey leeren Worten oder auf dem Papier gelassen, sondern in der Realität [... ] vollzogen werden mögten"68 . Trotzdem ist eine effektive Umsetzung dieser v. a. logistische und organisatorische Fragen betreffenden Reichsschlüsse auch bei ähnlichen des Jahres 1710 nicht festzustellen 69 • Franken und Schwaben hatten es leicht, die Umsetzung zu fordern, da auf sie keine zusätzlichen Lasten zukamen. Sie hätten also nur davon profitieren können, wenn der Rest des Reiches eine effektive Reichsarmee aufgestellt hätte. Unter diesen Umständen war es nicht schwer, sich reichstreu zu geben. Die Ernennung Ludwig Wilhelms und Christian Ernsts von Bayreuth zum katholischen und evangelischen Reichsgeneralfeldmarschall Anfang 1704 hatte wenig praktische Auswirkungen70, allenfalls erschwerte sie die Kommandoführung des Generalleutnants, da sein Kollege nun mehr Teilhabe am Oberbefehl fordern konnte, zumal die Befugnisse der RGFM nicht Vgl. dazu auch Granier, Reichstag, S. 55; Koller, Studien, S. 239. Lüning, Corpus Juris Militaris, Bd. 1, Dok. Nr. XLII, S, 158 - 164: Schluß der drei Reichscollegien, Regensburg 11.3.1704. Vgl. v. Aretin, Reich, Bd. 2, S. 128; Loch, Kreis, S. 97; Feldzüge I/VI: 1704, S. llOf.; Koller, Studien, s. 190- 197. 67 Siehe dazu GLA K. 46/3885 I, 5: "Considerations", o. Verf., Frankfurt a.M. 6.1.1704. Hier werden die vielen Vorteile einer gesunden Reichsoperationskasse aufgezählt. 68 HStA St. C 9, 426, 29: Beschlüsse fränk.-schwäb. Konferenz, Schwäbisch Hall 26.4.1704 (Abschrift). 69 So verzögerte sich die Mitteilung der Reichstagsbeschlüsse zum Marschwesen an die Regimenter bis zum Herbst 1705. Siehe GLA K. 46/3894 III, 167a: Ludwig Wilhelm, "Puncta" an Fränk. Kreis, HQ Weyersheim 21.10.1705 (Konzept). Vgl. v. Aretin, Kaiser, S. 585; Wenkebach, Bestrebungen, S. 85 - 94; Feldzüge 11/VI: 1713, s. 57. 70 Daß Ludwig Wilhelm wenig Wert auf die Charge legte, zeigt sein Angebot an den Kaiser, sie abzulehnen u. nur GenLt. zu bleiben, wenn dies der Sache dienlich sei. GLA K. 46/3885 I, 28: Memoriale ad Caesarem, o.O. 7.2.1704 (Konzept). 65
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klar definiert wurden71 • Falls der Reichstag mit der Ernennung der RGFM die Hoffnung verbunden hatte, mehr Einfluß auf die Kriegführung zu gewinnen, hatte er sich jedenfalls grundlieh getäuscht. Am 15.8.1704 ließ Ludwig Wilhelm die Stadt Regensburg mitsamt der dortigen Donaubrticke durch den General Ludwig von Herbeville besetzen72, obwohl der Reichstag ihre Neutralisierung erreicht hatte. Besondere Aufregung unter den Reichstagsgesandtschaften verursachte zum einen grundsätzlich der Bruch der Neutralitätsbestimmungen und bei den evangelischen Ständen die Befürchtung, es könne "aberrnahln eine Evangelische Reichsstatt sacrificiert werden"73 . Zum anderen verursachte der Umstand Empörung, daß Ludwig Wilhelm ohne vorherige Absprache mit dem Reichskonvent und für diesen völlig überraschend den Befehl zur Besetzung Regensburgs gegeben hatte, daß er sogar über Herbeville mit Gewaltanwendung gedroht hatte, falls die Tore nicht freiwillig geöffnet wurden, daß er also "den Convent allenfalls noch zubeschiessen, und zu bombardieren willens" gewesen war, obwohl er als RGFM "von Rechts wegen von Kayserl. May. und dem Reich seine Ordre in Kriegs Expeditionen zunehmen hat". Über eben diesen Anspruch setzte sich Ludwig Wilhelm, ohne mit der Wimper zu zucken, hinweg. Er nahm keine Befehle vom Reichstag an und verhandelte auch nicht mit ihm über militärische Fragen. Rücksicht nehmen mußte er nur auf die wirklichen Quellen seiner Kommandogewalt, auf den Kaiser und auf die Kreise. Der Reichstag, so läßt sich zusammenfassen, muß hier nicht näher untersucht werden, da er in der Praxis der Kriegführung, aber auch in der Praxis der Bündnisverhandlungen der Kreise untereinander so gut wie keine Rolle gespielt hat. Das bedeutet jedoch nicht, daß hier die überholten Vorurteile der älteren Geschichtsschreibung über Reich und Reichstag wieder zu neuen Ehren gelangen sollen. Man kann allerdings nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, daß zumindest während des hier untersuchten Zeitraumes der Reichstag nicht zu den Institutionen gehörte, die eine aktive und wirksame Rolle im Krieg gegen Frankreich spielten. Jede Untersuchung des Reiches und der Reichskriegsverfassung während des Neunjährigen Krieges und des Spanischen Erbfolgekrieges, die auf der Ebene des Reichstages ansetzt, konzentriert sich auf die falsche Institution: Nicht von Regensburg, sondern von den Tagungsorten der Kreistage aus wurde der Reichskrieg geführt. Angesichts des umfassenden Schrift- und Gesandt71 StA Ba. Best. 1, neuverz. 1698, 27: Bayreuth. Reichstagsgesandter Wolf v. Mettemich an Christian Ernst, Regensburg 19.12.1704. Vgl. Polster, Markgraf, S. 121f. 72 Vgl. Feldzüge I/VI: 1704, S. 622. 73 GLA K. 46/3891 I, 138 a: Magdeburgisches Votum im Fürstenrat, 16.8.1704 (Abschrift). Weitere ähnliche Voten und die folgenden Zitate ebd. Magdeburg, d. h. Preußen, machte sich zum Wortführer.
3. Reichsritterschaft
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schaftsverkehrs zwischen Wien und den einzelnen Kreisen, ihren Versammlungen und Ausschreibeämtern ist durchaus zu bezweifeln, ob der Reichstag bezüglich der Vorderen Reichskreise wirklich ein "Einfallstor kaiserlichen Einflusses im reichischen Deutschland"74 war. Im hier untersuchten Zeitraum wurden jedenfalls die wichtigsten Fragen zwischen Kaiser und Kreisen unter Umgehung des Reichstages behandelt.
3. Reichsritterschaft Von der Reichsritterschaft wurde jede Forderung der benachbarten Kreise und Stände, bei den gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen mitzuwirken, als grundsätzlich abzulehnende Zumutung empfunden. Da man schon Zahlungen an den Kaiser leiste, sei jeder Beitrag zum Schwäbischen Kreis "als eine dem Ritter Corpori multis schädliche Sache gäntzlich"75 zurückzuweisen. Der Kaiser befreite 1689 die Schwäbische Reichsritterschaft von allen Verpflichtungen dem Schwäbischen Kreis gegenüber mit dem Argument, daß die Ritter nicht über Sitz und Stimme im Reichstag verfügten76. Die RitterschafteD waren dem Kaiser direkt untergeordnet, verfügten nicht über die Reichsstandschaft und konnten daher nicht von den Kreisen als Organisation von Reichsständen zu Beitragsleistungen verpflichtet werden77 • Sie waren der Kriegführung des Reiches nur über das Kaisertum verbunden, das traditionell als ihr Schutzherr auftrat und sich gleichzeitig auf den Reichsadel in der Auseinandersetzung mit den Reichsfürsten stützen konnte78 • Bei ihren Bestrebungen, möglichst wenig zu den Verteidigungsanstrengungen der Reichskreise beitragen zu müssen, konnte sich die Reichsritterschaft zum einen auf ihr passives Steuerprivileg stützen, nach welchem sie von der Zahlung von Steuern ausgenommen war79 • Zum anderen konnte sie sich darauf berufen, in der Praxis doch einen freiwilligen Beitrag zur Finan74 Schindling, Leopold 1., S. 172. Koller, Studien, wertet fast nur Quellen aus dem Umfeld des Reichstages aus und kann so zwar verfassungsrechtliche Fragen beantworten, nicht aber solche zur Praxis der Kriegführung. 7' GLA K. 125/2430, 40: Rezeß der Kraichgauer Ritterschaft, Heilbronn 31.10.1691. Vgl. auch Schulz, Th., Kanton, S. 75. 76 Vgl. Ruch, Verfassung, S. 26; Schulz, Th., Kanton S. 67ff. 77 Vgl. Hellstem, Ritterkanton, S. 48 -51. 78 Vgl. Press, Reichsritterschaft-Reich, S. 105f.; v. Aretin, Reich, Bd. 1, S. 99f.; Endres, Adel, S. 12. 79 Vgl. v. Stetten, Rechtsstellung, S. 67 f. StA Wü. HV -Ms. F. *186: Kaiserliche Bestätigung der Privilegien der Fränk. Ritterschaft, Wien 21.7.1688 mit dem ausdrücklichen Ziel der Konservation der treuen kaiserlichen Anhängerschaft.
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II. Reichsverfassung und Reichsverteidigung
zierung der Kriegführung zu leisten. Seit dem 16. Jahrhundert war es üblich, daß die Ritterschaft - der Fiktion nach freiwillig - sogenannte Charitativsubsidien an den Kaiser abführte. Diese wurden im Laufe der Zeit an die Bewilligung von Reichssteuern gekoppelt, d. h. sie mußten immer dann bezahlt werden, wenn der Reichstag eine Umlage beschloß. Hierdurch wurde ihre Freiwilligkeit in der Praxis zunehmend in Frage gestellt. Gleichzeitig aber führte diese Entwicklung zunehmend zu einer Einbindung des Reichsadels in die Reichsverfassung, was in den 1680er Jahren zu Überlegungen der Schwäbischen Ritterschaft führte, die Reichsstandschaft zu erwerben und sich damit zu Beiträgen zur Schwäbischen Kreiskasse zu verpflichten80, was auch vom Kreis immer wieder gefordert wurde81 . Diese Überlegungen führten jedoch vor Ausbruch des Neunjährigen Krieges zu keinem Ergebnis, sie wurden u. a. auch von Wien aus torpediert, wo man den Verlust einer bequemen Einkommensquelle, nämlich der Charitativsubsidien, befürchtete82. Auch die Fränkische Ritterschaft lehnte die Einbindung in die Fränkische Kreisarmatur ab, wobei man die nach Ansicht der Ritter bisher überproportionale Belastung im Vergleich zum Kreis hervorhob83. Es blieb daher während dieses und des folgenden Krieges trotz späterer Erneuerung der Erwägungen eines Beitritts der Schwäbischen Ritterschaft zur Kreisarmatur84 bei der herkömmlichen Regelung, nämlich der Abführung von ritterschaftliehen Zahlungen an die Hofkammer oder die kaiserliche Kriegskasse85 , während im Gegenzug Wien dafür zu sorgen hatte, daß die ritterschaftliehe Klientel im Reich möglichst von allen weiteren Lasten befreit wurde, damit die Reichsadeligen "bey Hauß und Hof erhalten 80 Vgl. Press, Kaiser, S. 172f.; ders., Reichsritterschaft-Reich, S. 113; Kundert, Reichsritterschaft, S. 309; Hellstem, Ritterkanton, S. 50f.; Schulz, Th., Kanton, s. 73f. 81 Diese Forderung ließ der Kreis z.B. im April 1693 Ludwig Wilhelm vortragen (HStA St. C 14, 89, 11). 1692 legte der Schwäb. Kreis eine 100 Seiten starke Schrift mit dem Titel "[ ...] Deduction und Gravamina/in diversis, aun Militaribus, quam Civilibus/& Feudalibus [... ] Wider/Die Reichs=Ritterschafft in/ Schwaben [...]" vor (Druck HStA St. C 9, 399, 83). 82 Vgl. Press, Kaiser, S. 173; Ruch, Verfassung, S. 26; v. Mauchenheim, Ritterschaft, Bd. I, S. 440; Schutz, Th., Kanton, S. 75; Pfeiffer, Studien, S. 256- 280. 83 GLA K. 46/3759, 34a: Vertreter der Fränk. Ritterschaft an Ludwig Wilhelm, 0. 0. 20.8.1694. 84 Vgl. Schutz, Th., Kanton, S. 145 ff. 1695 verweigerte der Kaiser die Ratifikation eines entsprechenden Vertrages zwischen Kreis und Ritterschaft. Siehe auch GLA K. 12511047: Kanton Kraichgau an Kanton Donau, o.O. 28.5.1691 (Konzept); GLA K. 46/3756 III, 312: Auszug Prot. Konferenz zwischen der Schwäb. Ritterschaft, dem Schwäb. Kreis und Ludwig Wilhelm, Günzburg 24.5.1695. 85 GLA K. 46/3742, 245: Kaiserliche Resolution für die Schwäb. Reichsritterschaft, actum Günzburg 2.5.1693 (Abschrift).
3. Reichsritterschaft
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werden"86 . In etwa gleichzeitig mit dem Eintreffen des Markgrafen und der Errichtung der Assoziation zwischen den Kreisen entschied sich die schwäbische Reichsritterschaft endgültig dagegen, sich zu gemeinsamen militärischen Anstrengungen mit dem Schwäbischen Kreis enger zusammenzuschließen, nachdem dies seit 1688 diskutiert worden war87 . Leopold sprach 1693 noch einmal ausdrücklich die Befreiung der Schwäbischen Ritterschaft von "denen extraordinari=lasten, marchen, Nachtlagern, fuhren und dergleichen" 88 aus. Der Erhalt seiner Klientel war ihm offenbar wichtiger, als alle Kräfte auf deutscher Seite zu einem starken Kriegsinstrument zusammenzufassen. In direkten Verhandlungen mit Ludwig Wilhelm - in dessen Funktion als kaiserlicher Generalleutnant - erklärten sich die Ritter dazu bereit, für jeden vom Schwäbischen Kreis bewilligten Römermonat 300 fl. für die Kriegführung zu bezahlen, um dafür von allen weiteren Lasten befreit zu werden. Die Mittel sollten jedoch keinesfalls dem Kreis zugute kommen, sondern waren ausdrücklich für das Schweizer Regiment in den Waldstädten und die kaiserliche Kriegskasse bestimmt, die auf diese Weise für den Sommer 1693 12.000 fl. von den Rittern zu erwarten hatte89 • So schlossen die schwäbischen, fränkischen und mittelrheinischen Ritter im Herbst 1704 einen Vertrag mit dem im Reich weilenden König Josef, in dem sie sich verpflichteten, 24.000 fl. zu zahlen, wofür sie von allen weiteren Lasten, insbesondere Winterquartieren, befreit wurden. Falls Truppen Ritterschaftsterritorien durchqueren mußten, sollten alle entstehenden Kosten bezahlt und Exzesse aller Art ausreichend entschädigt werden90• 1706 wurde die Befreiung der Mittelrheinischen Ritterschaft von Lasten aller Art erneut ausgesprochen, nachdem wiederum Charitativsubsidien gewährt worden waren91 . 1707 wurde dieses Verhältnis durch die sogenannten Hyberialkontrakte weiter gefestigt, nach denen die Schwäbische Ritterschaft jährlich zunächst 75.000 fl., ab 1712 110.000 fl. nach Wien zu GLA K. 46/3885 I, 42: Leopold an Ludwig Wilhelm, Wien 22.2.1704. HHStA Wien Kriegsakten 231, Nov.-Dez. 1693, 22r- 25v: Leopold an Ludwig Wilhelm, Wien 7.11.1693. Vgl. Schulz, Th., Kanton, S. 145f. 88 GLA K. 125/1257: Leopold an seinen Abgesandten im Schwäb. Kreis, Sebastian Wunibald v. Zeit, Wien 17.1.1693 (Auszug). Siehe auch StA Ba. Best. I, neuverz. 1752, 6: Die Fränk. Ritterschaft zahlt 1703 120.000 tl. in Geld- und Sachleistungen für kaiserl. Truppen, um von weiteren Lasten befreit zu werden. GLA K. 46/3807, 4: Instruktion für d. kaiserl. Oberkriegskommissar Wolfgang Wilhelm v. Völckern, Wien 2.1.1698 (Abschrift): Odenwäldische Ritterschaft ist zu entlasten, gleichzeitig ist über Charitativsubsidien zu verhandeln. 89 Schwaben hatte 40 RM bewilligt. Die Zahlung sollte in 6 monatlichen Raten von 2.000 tl. erfolgen. GLA K. 46/3742, 245: Schwäb. Reichsritterschaft an Ludwig Wilhelm, Ulm 10.5.1693. 90 GLA K. 46/3891 Il, 182: Josef an Ludwig Wilhelm, HQ Ilbesheim 30.10.1704. 91 LA Sp. E 3, 374: Josef an Oberrh. AA, Wien 22.11.1706. 86 87
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zahlen hatte92 . Dort gingen auch aus den anderen Ritterkreisen Zahlungen ein, so etwa in den Jahren 1703 bis 1710 523.000 fl. allein aus dem Fränkischen Ritterkreis93 . Hierdurch erwarb man sich den Schutz des Kaisers vor allen Ansprüchen der die Existenz der Ritterschaft bedrohenden Nachbarn, was den Schutz vor weiteren an die Kreise abzuführenden Zahlungen und Leistungen einschloß94. Die kaiserlichen Schutzpatente erwiesen sich in der Praxis jedoch nur als teilweise wirksam, da sich sowohl Offiziere als auch die benachbarten Reichsstände über sie hinwegsetzten95 . Auf lokaler Ebene kümmerte man sich oftmals wenig um den kaiserlichen Schutz für die Ritterschaftsterritorien, denn dessen Beachtung hätte schwere Nachteile für die Truppen gebracht, ohne daß man direkte Vorteile aus den Charitativsubsidien genossen hätte. Die Winterquartiere hätten in anderen Gebieten konzentriert werden müssen, die dann um so schwerer gelitten hätten. Durch die Bezahlung aller Durchmarschkosten wären die Kreiskassen stark belastet worden. Schon bald kam es daher zu einer verbreiteten Nichtbeachtung der kaiserlichen Schutzpatente, deren genauer Umfang allerdings nicht bestimmt werden kann. Die Oberrheinische Ritterschaft klagte über widerrechtliche Winterquartiere, die einige Truppen in einem Teil ihrer Territorien bezogen hatten. Jetzt zeigte sich, daß die kaiserliche Protektion nahezu unwirksam war, wenn sie nicht durch eigene Truppen durchgesetzt wurde. Josef konnte, obwohl er sich zu diesem Zeitpunkt noch im Reich aufhielt, nicht mehr tun, als Ludwig Wilhelm dazu aufzufordern, die Einhaltung des Vertrages zu erzwingen96. Dieser war jedoch selbst daran interessiert, die angespannte finanzielle und materielle Lage seiner Armee durch ritterschaftliehe Beiträge zu verbessem97 . Vgl. Press, Kaiser, S. 173; Hellstem, Ritterkanton, S. 63. Vgl. v. Stetten, Rechtsstellung, S. 69. 94 Die Privilegien der Ritterschaft beschränkten sich nicht allein auf die Abgabenfreiheit gegenüber den Kreisen, sondern erstreckten sich über eine Vielzahl von Bereichen. Siehe dazu die Aufstellung der Privilegien der Schwäb. Ritterschaft bei Hellstem, Ritterkanton, S. 57 - 60. 95 Klagen der Ritterschaft darüber beispielsweise in HStA Wi. 130 II, 6160. Einzelfalle z.B. GLA K. 46/3755 II, 112: Ritterschaft Kraichgau an Ludwig Wilhelm, o.O. 17.4.1694; GLA K. 46/3755 III, 213a: Ritterschaft Odenwald an dens., o.O. 28.4.1694. Vgl. auch Press, Kaiser, S. 174 f. Sogar Prinz Eugen wollte die Fränk. Ritterschaft ,.pressiren", um Zahlungen zu erreichen. Feldzüge I/VII: 1705, Supl. Dok. Nr. 23, S. 38f.: Eugen an FZM Julius Heinrich v. Friesen, Wien 11.2.1705. 96 GLA K. 46/3891 II, 196: Josef an Ludwig Wilhelm, Heidelberg 3.12.1704; GLA K. 46/3894 I, 33: Leopold an dens., Wien 18.4.1705. Vgl. auch Sicken, Reichskreis, S. 102. 92 93
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Er befand sich wie andere, untergeordnete Truppenführer auch in einer militärischen Zwangslage, da man vor allen Dingen die Gebiete, in denen sich die ritterschaftliehen Territorien in größerer Zahl zusammenballten98 , nicht völlig von Quartieren ausnehmen konnte, wenn nicht große, den Gegner zu überraschenden Überfällen einladende Lücken in der Postierung entstehen, oder die Truppen entweder in zu kleinen, überfüllten Quartierräumen oder viel zu weit zerstreut untergebracht werden sollten. Geradezu zwangsläufig mußten die Ritterschaftsterritorien daher zumindest teilweise mit Truppen belegt oder von Durchmärschen berührt werden99 • Zudem hatte nach damaligem Kriegsrecht die Bevölkerung des Gebietes, in dem Krieg geführt wurde, sich an den Kriegslasten zu beteiligen, wovon natürlich die ritterschaftliehen Gebiete nicht ausgenommen werden konnten. Vorspanndienste, Beteiligung am Linienbau, Stellung von Fourage usw. waren die alltäglichen Belastungen, die die Ritter zwar zu reduzieren trachteten, denen sie sich aber nicht völlig entziehen konnten 100. Doch auch bei der Übernahme solcher Lasten, die man kaum ernsthaft hätte ablehnen können, hielt die Ritterschaft die Fiktion aufrecht, dies nur im kaiserlichen Dienst zu tun. So schrieb die Kraichgauer Ritterschaft, sie sei gerne bereit, den "letzten blutstropffen pro Publico auff[zu]opfern, wann solches auf Ihro begehren geschieht" 101 • nicht aber, wenn dies Kayserliche Mayestät von anderer Seite gefordert werde. Tatsächlich hatte der Kaiser unmittelbaren Gewinn durch die Sachleistungen, zu deren Erbringung die Ritter von der Armee gezwungen wurden. Am Kriegsende beanspruchte er nämlich erfolgreich, diese Leistungen als kaiserliche zu werten und von den Schulden abzuziehen, die die Hofkammer noch bei den Kreisen hatte 102•
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Zwar mußte Wien am Erhalt der reichsritterschaftliehen Klientel interessiert sein, doch ging dieses Interesse nicht so weit, daß man darüber einen 97 HStA St. C 14, 89, 21: Untertänigste Relation an das Schwäb. AA, o.O. 2.9.1693 (Abschrift). Siehe auch GLA K. 46/3855 I, 161: Leopold an Ludwig Wilhelm, Wien 30.7.1702. 98 Vgl. Kullen, Einfluß, S. 14; Svoboda, Verfassung, S. 269; Hellstem, Ritterkanton, Karte im Anhang. 99 GLA K. 125/2430, 45: Rezeß Engerer Ritterkonvent Kraichgau, Heilbronn 30.1.1703. Hier wird dieses Verhalten beklagt. 100 z. B. StA B. B 41/2, 330: Fränk. KT an Christi an Ernst v. Bayreuth, Nümberg 29.4.1693 (Abschrift). Ferner GLA K. 46/3801, 6: Ritterkanton Kraichgau an Ludwig Wilhelm, Hochberg 4.11.1697: Man habe sich während des Krieges der Kriegsraison unterworfen, verlange nun, im Frieden, aber die Beachtung der kaiserl. Befreiung. 101 GLA K. 46/3755 II, 112: Ritterschaft Kraichgau an Ludwig Wilhelm, o. 0. 17.4.1694. 102 GLA K. 46/3807, 56: Ergebnisprot. d. Verhandlungen fränk. u. schwäb. Deputierter mit Ludwig Wilhelm u. schwäb. Oberkommissar Johann v. Meyenhofer, Augsburg 5.2.1698 (Abschrift).
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völligen Bruch mit wichtigen Reichsfürsten oder ganzen Kreisen riskiert hätte. Hier war die Erzielung von Kompromissen wichtiger, als auf voller Einhaltung der Befreiung der Ritter von Kriegslasten zu bestehen. In jedem Fall aber entzog Wien den Vorderen Reichskreisen die wirtschaftliche Leistungskraft der Ritterschaft zumindest zu einem großen Teil, und es ist zu bezweifeln, ob diese Mittel in die Reichsverteidigung investiert wurden oder ob man nicht vielmehr mit ihnen auch die kaiserliche Kriegführung in Italien und Ungarn mitfinanziert hat. Die Bestrebungen der Schwäbischen Ritterschaft, alle Belastungen durch die umliegenden Kreise und Stände abzuwehren, führte 1701 bis hin zu Überlegungen, ein eigenes Regiment aufzustellen, was jedoch aus finanziellen Gründen scheiterte 103 • Ebenso plante die Fränkische Ritterschaft 1703 letztlich ohne Ergebnis die Aufstellung eines eigenen Bataillons, das zwar den fränkischen Kreistruppen angegliedert werden sollte, das aber keinem Regiment zu unterstellen war, sondern selbständig bleiben und damit notfalls zur freien Verfügung der Ritter bereitstehen sollte 104. Truppen waren in beiden Fällen das Mittel, um bei versagendem kaiserlichen Schutz diesen selbst in die Hand nehmen und sowohl Freund als auch Feind von den eigenen Territorien fernhalten zu können. Diese Überlegung entspricht der der Kreise in der Anfangsphase des Neunjährigen Krieges, doch im Unterschied zu diesen waren die Ressourcen der Ritterschaften von vorne herein so begrenzt, daß man niemals aus eigener Kraft die Integrität der eigenen Territorien sicherstellen konnte. Es war ein Ding der Unmöglichkeit, mit einem Bataillon alle Rittergüter Frankens zu schützen. Auch wäre die Truppe zu schwach gewesen, um die Ritterschaft zu einem wertvollen Bündnispartner zu machen, dessen Territorium man freiwillig gemieden hätte, um in den Genuß der Verstärkung durch seine Miliz zu kommen. Den Rittern blieb praktisch nichts anderes übrig, als auf der prinzipiellen Unantastbarkeit ihrer Territorien aufgrund kaiserlicher Privilegierung zu bestehen, aber sich doch mit ihren Nachbarn zu arrangieren und mit ihnen auf der Basis von möglichst günstigen Kompromissen zusammenzuarbeiten105. So bot die Schwäbische Ritterschaft im Winter 1694/95 Ludwig Wilhelm die Bereitstellung von 90.000 fl. zu seiner Disposition an, wenn sie dafür von allen weiteren Lasten befreit würde 106. Um den de facto oft GLA K. I2511284: Kanton Hegau an Kanton Kraichgau, o.O. 27.9.I70l. Vgl. v. Mauchenheim, Ritterschaft, Bd. I, S. 417. Normalerweise wurden ritterschaftliehe Kompanien dem Kreiskommando unterstellt. Vgl. Endres, Franken, s. 234. 105 Vgl. Press, Reichsritterschaft-Reich, S. 108; v. Mauchenheim, Ritterschaft, Bd. I, S. 4I7; Schuiz, Th., Kanton, S. I48. Siehe auch GLA K. 46/3756 II, II5 a: Schwäb. Ritterschaft an Leopold, Tübingen Il.5. I694 (Abschrift); HHStA Wien Kriegsakten 230, April-Mai 1693, 113r- 116v: Ludwig Wilhelm an Leopold, Günzburg 17.4.1693 (Konzept). 103 104
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unwirksamen kaiserlichen Schutz durch den des Generalleutnants zu verstärken und zu untermauern, übernahm man also eine zusätzliche Last, wobei man sich offenbar ausrechnete, mit den 90.000 fl. billiger wegzukommen, als wenn man schutzlos den Quartieren fremder Truppen preisgegeben war. Dabei stellte sich die Schwäbische Ritterschaft nicht grundsätzlich gegen militärisch notwendige Durchmärsche und Postierungen, verlangte aber wie die Kreise und einzelne Kreisstände auch, für Exzesse und Schäden Satisfaktion zu erhalten, wobei man der Einfachheit halber diese Entschädigungssummen von den 90.000 fl. abziehen wollte, das Risiko also gering war, jahrelang oder gar vollends vergeblich auf den Schadenersatz warten zu müssen. Ebenso nahm v. a. der Kanton Kraichgau am Bau der in seiner unmittelbaren Nachbarschaft seit 1695 entstehenden Eppinger Linien teil, woraus er eine moralische Verpflichtung Ludwig Wilhelms ableitete, von Winterquartieren möglichst verschont zu werden 107 . Für den Zeitraum zwischen dem 9.11.1694 und dem 12.5.1695 liegt eine Abrechnung der Kosten vor, die der Kanton für den Linienbau auf sich genommen hat 108 . Es handelte sich insgesamt um 3.506 fl. 35 kr., wobei es dahin gestellt bleiben mag, ob diese Summe eine Befreiung von Winterquartieren im nächsten Jahr rechtfertigte. Eine besondere Bedeutung wurde seitens der Ritterschaft der Einhaltung der Proportion zwischen ihren Kriegslasten und denen der Reichskreise zugemessen. Man wolle sich ja am Linienbau beteiligen, so schrieb man 1708 nach Wien, doch die Forderungen des Schwäbischen Kreises nach Beteiligung der Kantone Hegau und Neckar an der Kriegführung mit Arbeitskräften und Landesausschuß seien von "unbillicher disproportion"109. Sie seien daher zu reduzieren, wenn nicht beide Kantone völlig ruiniert werden sollten. Die Aufforderung des in diesem Jahr am Oberrhein kommandierenden Kfst. Georg Ludwig von Hannover, schleunigst den Linienbau mit ausreichenden Mitteln zu unterstützen, da ein feindlicher Einbruch über die unfertigen Linien hinweg weitaus größere finanzielle Schäden verursachen würde 110, scheint nicht gerade auf fruchtbaren Boden 106 GLA K. 12511257: Punkte d. Schwäb. Ritterschaft an Ludwig Wi1helm, o. 0. o.D. [Winter 1694/95]. 107 GLA K. 125/1272: Kanton Kraichgau an Ludwig Wilhelm, Heilbronn 30.9.1695. Mit ähnlichem Inhalt: GLA K. 12511277, 8: Kanton Kocher an Kanton Kraichgau, o.O. 17.3.1697. 108 GLA K. 12511257. Siehe auch GLA K. 125/2430, 41: Rezeß Engerer Ritterkonvent Kraichgau, Heilbronn 17.11.1695. 109 GLA K. 125/1314: Memoriale an den Kaiser, o.O. 3.2.1708 (Abschrift); ebd.: Schwäb. Ritterschaft an Schwäb. AA, o. 0. 18.2.1708 (Abschrift). 110 Ebd.: Georg Ludwig v. Hannover an die Schwäb. Reichsritterschaft, Hannover 23.2.1708 (Abschrift).
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gefallen zu sein, denn schließlich fand sich der Reichsadel nur dazu bereit, ein Drittel der Lasten zu tragen, die der Kreis ursprünglich gefordert hatte 111 . Die Ritter sahen sich nicht allein durch die Kosten des jeweils laufenden Krieges beschwert, denen man durch die Abwehr der französischen Angriffe hätte beikommen können. Sie mußten darüber hinaus auch der ständigen, existentiellen Bedrohung durch benachbarte Fürsten begegnen 112. Die territorialpolitischen Gegenspieler der Schwäbischen Ritterschaft waren v. a. die Kurpfalz 113 und Württemberg 114, aber auch die vorderösterreichische Verwaltung, die die diesbezüglichen Bestimmungen ihres kaiserlichen Herrn offenbar nicht immer buchstabengetreu ausführte 115 . Doch auch von kleineren Fürstentümern gingen Gefahren aus 116• Die territorialpolitischen Konflikte gipfelten während des Spanischen Erbfolgekrieges in einem von Württemberg, von den Grafen von Casteil und von Ellwangen 1704 erwirkten Reichsgutachten, das sich gegen die reichsritterschaftliehen Privilegien richtete. Dieser, 1713 durch eine gegen die Ritterschaft gebildete Fürstenunion erneuerte Vorstoß der Fürsten konnte zwar mit kaiserlicher Hilfe abgewehrt werden 117, führte dem Reichsadel aber dennoch die Gefahr deutlich vor Augen, in der er ständig schwebte. Aus der Sicht der Ritter wäre es kontraproduktiv gewesen, zur Abwehr der französischen Bedrohung den benachbarten Fürsten die Mittel in die Hand zu geben, mit denen sie ein stehendes Heer unterhalten konnten, welches nach Kriegsende gegen die Ritter eingesetzt werden konnte. Das Verhältnis zwischen Fränkischer Ritterschaft und dem Fränkischen Kreis war durch ein "nicht unberechtigtes, tiefgreifendes Mißtrauen"" 8 seitens der Ritter gegenüber den territorialpolitischen Absichten der Kreisstände geprägt. Man wird nicht fehlgehen, ein solches Mißtrauen auch bei der Schwäbischen Ritterschaft anzunehmen. Jemandem aber, dem man in dieser Ebd.: Kanton Donau an Kanton Kraichgau, o.O. 17.4.1708. Vgl. Hellstem, Ritterkanton, S. 148 - 155; Riedenauer, Reichsadel, S. 186; Kundert, Reichsritterschaft, S. 304. 113 Vgl. Svoboda, Verfassung, S. 268; Press, Reichsritterschaft-Barockzeit, S. 290 u. 293. 114 Vgl. Schulz, Th., KantonS., 148- 153; Willoweit, Argumentation, S. 193. m Vgl. Hellstem, Ritterkanton, S. 155 f. 116 z.B. GLA K. 50/2020: Friedrich Magnus v. Baden-Durlach an Ldgf. Ernst Ludwig v. Hessen-Darmstadt Karlsburg 27.8.1709 (Konzept). Vgl. auch Schulz, Th., Kanton, S. 129 - 143; Press, Kaiser, S. 177. 117 Leopold verweigerte die Ratifikation des Reichsgutachtens. Vgl. Hellstem, Ritterkanton, S. 53; Press, Kaiser, S. 184f.; Schulz, Th., Kanton, S. 119 - 125; v. Aretin, Reich, Bd. 3, S. 53 -57. 118 v. Mauchenheim, Ritterschaft, Bd. 1, S. 408. Siehe auch GLA K. 46/3875 IV, 258: Hofkanzlei an Ludwig Wilhelm, Wien 17.12.1703. 111
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Weise mißtraut, wird man kaum Geld und Sachmittel zur Aufstellung von Truppen zur Verfügung stellen. Man darf sich allerdings das Verhältnis zwischen den Ritterkreisen und den Reichskreisen nicht als einen fortdauernden Kleinkrieg um territoriale Expansion und deren Abwehr vorstellen. Vielfach nahmen Mitglieder ritterschaftlicher Familien neben denen des Kaisers auch die Dienste benachbarter Reichsstände oder des jeweiligen Kreises an 119, und die Domkapitel, mit denen die geistlichen Fürsten zusammenarbeiten mußten, waren oft fest in der Hand der Reichsritter, aus deren Kreis auch viele Fürstbischöfe entstammten 120• Es bestanden daher neben Reibungsflächen auch Anknüpfungspunkte mit den benachbarten Reichsständen, die zur Bildung von Kompromissen genutzt werden konnten. 1707 wurde mit Eberhard Friedrich Frhr. von Neipperg ein kaiserlicher General zum Direktor des Kantons Kraichgau gewählt, der aufgrund seiner Stellung zwischen Armee und seinem von den Kriegshandlungen besonders stark betroffenen Kanton vermitteln konnte 121 • Die wirtschaftliche Lage vieler, wenn auch nicht aller 122, reichsritterschaftlichen Familien war derartig angespannt 123 , daß die Übernahme größerer Kriegslasten tatsächlich den Ruin bedeutet hätte. Zwar konnte man sich vielerorts bis Ende des 17. Jahrhunderts von den Schäden des 30jährigen Krieges erholen 124, doch wurden im Neunjährigen Krieg und im Spanischen Erbfolgekrieg wiederum viele Rittergüter in Kampfhandlungen einbezogen, oder sie mußten zumindest hohe Kontributionen an die Franzosen zahlen, was vor allem für die Anfangsphase des Neunjährigen Krieges gilt 125 • Der vielfach angekündigte vollständige Ruin der Reichsritterschaft trat jedoch nicht ein, so daß sich nach Abschluß des Friedens von Rijswijk schnell wieder "eine florierende und ausgeprägte Wirtschaft" 126 entwickeln konnte. Die Ritter verfügten also trotz aller ökonomischen Schwierigkeiten 119 Vgl. Riedenauer, Reichsadel, S. 194; Vann, Württemberg, S. 38ff.; Stingl, Reichsfreiheit, S. 74 - 79. 120 Vgl. z. B. Schröcker, Bischofswahlen; Endres, Adel, S. 15; Stingl, Reichsfreiheit, S. 139. 121 z.B. GLA K. 125/1321: Eberhard Friedrich v. Neipperg an Kanton Kraichgau, Ludwigsburg 27.4.1712. Vgl. auch Press, Reichsritterschaft-Barockzeit, S. 290 - 293; Willax, Seckendorff, S. 305. 122 Vgl. z. B. Danner, Reichsritterschaftt, S. 50. 123 Vgl. Press, Kaiser, S. 183; Riedenauer, Reichsadel, S. 193. 124 Vgl. Kollmer, Reichsritterschaft, S. 164 - 170; ders., Lage, S. 294. 125 Vgl. Press, Reichsritterschaft-Barockzeit, S. 289; Kollmer, Reichsritterschaft, s. 171. 126 Kollmer, Reichsritterschaft, S. 173. Vgl. ders., Lage.
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durchaus über Mittel, die sie im Interesse gemeinsamer Kriegführung einsetzen konnten. Fraglich war dabei nur, ob der Einsatz dem Kreis oder dem Kaiser zugute kommen sollte. Es liegt auf der Hand, daß hier eine Entscheidung getroffen werden mußte, denn große Beitragsleistungen zu beiden Kassen waren nicht möglich und hätten sich tatsächlich ruinös ausgewirkt. So entsprang die grundsätzlich festzustellende Haltung der Reichsritterschaft, Leistungen an die Kreise wie auch Winterquartiere, Durchmärsche usw. magliehst abzulehnen, nicht nur einem engstirnigen Egoismus, sondern auch dem Bestreben, die eigene Existenz zu sichern, welche von beiden Seiten bedroht war: Dem Reichsfeind Frankreich und den umliegenden Reichsständen. Der Kaiser, der gegen beide Rückhalt geben konnte, war in der Praxis zu fern und zu sehr mit anderen Problemen beschäftigt, als daß man sich allein auf seinen Schutz hätte verlassen können. Es blieb nichts anderes übrig, als durch geschickte Verhandlungen und notfalls auch durch eine strikte Verweigerungshaltung möglichst sowohl den Kaiser zufriedenzustellen als auch zu helfen, die militärische Lage zu stabilisieren, und schließlich auch Kompromisse mit den benachbarten Reichskreisen zu erzielen. Naturgemäß war dies nicht einfach und beschwor neue Konflikte herauf.
4. Die Kreisverfassung und ihre Probleme am Beispiel der Vorderen Reichskreise a) Ämter, Organe und Streitkräfte Die Kreisverfassung sah verschiedene Ämter vor, die einzelne Stände zu versehen hatten, um das Handeln des jeweiligen Kreises zu koordinieren und zu ermöglichen 127. Dennoch war der Kreistag 128 , die Versammlung aller Reichsstände, die im jeweiligen Kreis organisiert waren 129, die letzte Zum folgenden vgl. Dotzauer, Reichskreise [1], S. 5 ff. Die Stände versammelten sich dabei in den meisten Kreisen nach Bänken geordnet. Im Schwäb. bestanden z. B. Bänke der geistlichen u. der weltlichen Fürsten, der Prälaten, der Grafen und Herren sowie der Reichsstädte, im Fränk. und im Oberrh. Kreis fehlte eine Prälatenbank. Die Bankzugehörigkeit beeinträchtigte das Stimmrecht eines Standes nicht. Der Schwäb. Kreis gliederte sich zudem in 4 Viertel, die v.a. zur Koordination der Herstellung der Inneren Sicherheit im lokalen Rahmen dienten, aber keinen eigenständigen Einfluß auf den Einsatz der Kreisarmee nahmen, weshalb sie hier nicht näher untersucht werden. Die Tagungsorte waren in Schwaben meist Ulm, in Franken meist Nümberg. Vgl. Storm, Kreis, S. 150- 153; Sicken, Wehrwesen, Bd. I, S. 46. 129 Kreise waren keine regionalen Einheiten im strikten Sinne. Der Fränk. u. der Schwäb. Kreis lagen zwar in den Landschaften Franken u. Schwaben, aber sie deckten sich nicht vollständig mit ihnen. Die reichsritterschaftliehen Güter gehörten zu 127
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4. Die Kreisverfassung und ihre Probleme
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und in der Theorie einzig ausschlaggebende Entscheidungsinstanz für alle Fragen, wobei die Stimmen aller Stände unabhängig von ihrer Macht oder Größe grundsätzlich gleichwertig waren und Mehrheitsentscheidungen möglich waren, auch wenn bisweilen die größeren Stände versuchten, dies zu ändern 130. Von Fall zu Fall traten auch sogenannte Engere Kreistage, auf denen nur einige wenige Stände vertreten waren, oder Deputationen zusammen, die die Arbeit der Allgemeinen Kreistage vorbereiteten und unterstützten. Die in unregelmäßigen Abständen und nach Bedarf erfolgende Einberufung von Kreistagen wurde durch das Ausschreibeamt durchgeführt. Dieses bestand zumeist aus je einem geistlichen und einem weltlichen, protestantischen, Fürsten und war vererblich. Diese beiden unterschrieben die Konvokationsschreiben für die Kreistage gemeinsam und führten auch gemeinsam die Korrespondenz des Kreises, soweit sie hierzu ermächtigt waren. Die Kreistagsverhandlungen selbst wurden von einem Vertreter des Kreisdirektoriums geleitet 131 . In der Regel war einer der Ausschreibenden Fürsten gleichzeitig Direktor, wobei es immer wieder zu Kompetenzstreitigkeiten kam 132 • Die Beschlüsse der Kreistage wurden in Form von sogenannten Kreisabschieden festgehalten. Da Militär im Einsatz kaum kollegial zu führen war, wurde einer der weltlichen Stände jedes Kreises zum Kreisobrist oder -hauptmann bestimmt, der sowohl für die Landfriedensbewahrung als auch für den Einsatz gegen äußere Feinde zuständig war sowie allgemein Tauglichkeit und Einsatzbereitschaft der Kreistruppen zu überwachen hatte. Dieses Amt hatte jedoch in den hier untersuchten Kreisen am Ende des 17. Jahrhunderts keine oder nur noch sehr geringe praktische Bedeutung 133. Den Kreisobrikeinem Kreis, und weite Teile der Landschaft Schwaben waren als habsburgische Besitzungen Teil des Österreichischen Kreises. Der Oberrh. Kreis zog sich ursprünglich kaum geschlossen von Hessen, über die linksrheinischen pfälzischen u. angrenzenden Territorien sowie das Elsaß bis nach Savoyen hin, war aber seit 1648 praktisch auf seinen nördlichen Teil beschränkt. Vgl. Borck, Kreis, S. 30; Sicken, Reichskreis; Süß, Geschichte I. 130 Vgl. Sicken, Kreis, S. 64; Storm, Pluralitate. 131 Wenn ein Vertreter des Kaisers anwesend war, forderte er einen "Ehrenvorsitz" (Hofmann, Reichskreis, S. 394). Ob er diesen in wirklichen Einfluß umsetzen konnte, hing von der politischen Situation ab. 132 Das AA d. Schwäb. Kreises bestand aus d. Hzg. v. Württemberg u. d. Bf. v. Konstanz, Direktor war - jedoch nicht ohne Anfeindung v. Konstanz - Württ. Das AA d. Fränk. Kreises bestand aus d. Bf. v. Bamberg u. d. Mgf. v. Bayreuth, Direktor war dabei d. Bf. v. Bamberg. 133 Der Schwäb. Kreis besetzte das Amt nicht mehr, während d. fränk. Kreisobrist Mgf. Christian Ernst v. Bayreuth gegenüber dem Kreistag keine wirkliche Autorität geltend machen konnte. Vgl. Mohnhaupt, Einordnung, S. 12; Wines, Circles, S. 6; Sicken, Wehrwesen, Bd. I, S. 33; ders., Reichskreis S. 239.
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sten stand zwar die militärische Führung und Kontrolle der Truppen zu, sie "durfte[n] aber in die Truppenverwaltung nicht hineinreden" 134 . Die Kreisarmee blieb so verwaltungstechnisch vom Kreistag und den von ihm überwachten Organen abhängig, so daß der Kreisobrist die Soldaten nicht zur Verfolgung eigener Ziele einsetzen konnte 135 • Schließlich verfügten die Kreise in unterschiedlichem Maße über einen Beamtenapparat, d. h. über Kreiskassierer, Kommissare, Archivare, Sekretäre usw., die die täglichen Verwaltungsgeschäfte nach der Anweisung der Kreistage zu führen hatten. Diese Kreisadministration entwickelte sich natürlich besonders in den lebendigen Kreisen Franken und Schwaben personell und organisatorisch immer weiter, konnte jedoch naturgemäß nie die Effektivität der Verwaltung eines modernen Flächenstaates erreichen 136. Eine der ursprünglichen Hauptfunktionen der Reichskreise war die Aufstellung einer Armee. Sie stellten bis in die 1680er Jahre hinein jeweils nach Bedarf Truppen auf, die wieder abgedankt wurden, sobald sie nicht mehr benötigt wurden. Grundsätzlich verfuhr der Schwäbische Kreis auch 1683 nach diesem Muster, als er beschloß, 5.000 Soldaten für den Krieg gegen die Osmanen anzuwerben. Diese kamen zwar erst in Wien an, als die Türkenbelagerung schon vorbei war. Sie wurden dann jedoch unter kaiserlicher Führung mit einem Kreisgeneral als Zwischeninstanz bei den Kämpfen der folgenden Jahre in Ungarn eingesetzt. Sie befanden sich auch dort, als Ende 1688 der Neunjährige Krieg ausbrach. Sofort eilten die schwäbischen Regimenter in die bedrohte Heimat, die sie in den folgenden Jahrzehnten gegen Frankreich verteidigten 137• Die fränkische Kreisarmee, die zunächst aus etwa 4.000 Soldaten bestand, war ebenfalls 1683 gebildet worden, hatte jedoch schon an der Schlacht am Kahlenberg vor Wien mit einem Kavallerie- und zwei Infanterieregimentern sowie einer Schwadron Dragoner teilgenommen. Wie die schwäbischen wurden auch diese Soldaten in der Folgezeit in Ungarn eingesetzt und kehrten erst 1688 ins Reich zurück 138 • 134 Schmidt, H., Militärverwaltung [II], S. 573. Daß zumindest in Franken die Bedeutung des Kreisobristenamtes ab 1693 sank, ist darauf zurückzuführen, daß nunmehr Ludwig Wilhelm Teile der Funktionen dieses Amtes übernahm. Vgl. Sikken, Reichskreis, S. 241. Siehe auch Storm, Kreis, S. 128. 135 Hossbach, Entwicklung, S. 2f., betont die Bedeutung einer Einheit von Korn. mando u. Truppenverwaltung. Diese war jedoch auch in der zeitgenössischen frz. Armee nicht voll gegeben. Im Unterschied zu der hier beschriebenen Situation waren aber in Frankreich der zivile u. der militärische Verwaltungsstrang in letzter Instanz von demselben Souverän abhängig. Vgl. Lynn, Giant, S. 86 u. 291 f. 136 Vgl. z.B. Sicken, Reichskreis; Storm, Kreis. 137 Vgl. Storm, Kreis, S. 88 - 92. 138 Vgl. Sicken, Wehrwesen, Bd. 1, S. 82. Siehe auch v. Soden, Nachricht.
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Erst jetzt entschlossen sich die fränkischen und die schwäbischen Stände zu einer Vermehrung ihrer Truppen. 1691 erweiterten die schwäbischen Stände ihre Armee um 2.500 auf 6.500 Mann. Gleichzeitig mietete der Kreis 3.500 württembergische Soldaten an, die so zwar im Rahmen der dadurch insgesamt 10.000 Mann starken Kreisarmee für die Interessen des Kreises kämpften, aber neben der eigentlichen Kreisverfassung standen. Im Dezember 1691 fand dann eine weitere Verstärkung auf 12.000 Mann statt. Diesen Sollstand behielten die schwäbischen Truppen bis zum Kriegsende 1697. Danach erfolgte eine Abrüstung um die Hälfte. Im Spanischen Erbfolgekrieg führte der Kreis dann zwischen 10.000 und 12.000 Mann ins Feld 139. Auch der Fränkische Kreis mietete über seine eigentlichen Truppen hinaus 1691 ein würzburgisches und 1692 ein sachsen-gothaisches Regiment zu seinen Diensten an, so daß er - obwohl er etwas kleiner als der Schwäbische war - insgesamt ebenfalls 12.000 Mann Sollstand aufbieten konnte 140• Im Spanischen Erbfolgekrieg verstärkte er dann seine Truppen zeitweilig um weitere 3.000 Mann 141 • Insgesamt konnten der Fränkische und der Schwäbische Kreis, die ihre Armeen meistens zum Kampfeinsatz vereinigten, im Untersuchungszeitraum ca. 24.000 Mann regulärer Truppen auf die Beine stellen. Diese Angabe bezieht sich auf den Sollstand, der wie in allen anderen Armeen der Zeit auch in der schwäbischen und in der fränkischen de facto nie voll erreicht wurde. Interessanter für die Praxis der Kriegführung war daher der tatsächlich erreichte Iststand. Ein Fehl von 15 - 20 % war durchaus üblich. In Krisenzeiten konnten jedoch auch deutlich mehr Soldaten abgehen 142 • So wechselte die Effektivstärke von Jahr zu Jahr, schätzungsweise lag sie in beiden Armeen zusammen meistens bei etwa 20.000 Mann oder leicht darunter, manchmal jedoch auch darüber. Die größte ständig bestehende Organisationseinheit aller Armeen des späten 17. Jahrhunderts war das Regiment, wobei die Waffengattungen Infanterie, Kavallerie und Artillerie unterschieden wurden. Hinzu kamen Dragoner, die je nach Bedarf sowohl zu Fuß als auch zu Pferd kämpfen konnten. Spezielle leichte Truppen, d. h. solche, die in Husarenart einen Kleinkrieg führen sollten, wurden von den Kreisen nicht aufgestellt. Dafür wurden in den 1690er Jahren Grenadiereinheiten gebildet, die aus ausgesuchten zuverlässigen Infanteristen bestanden und ursprünglich für das Werfen von Handgranaten zuständig waren, im Verlauf der Zeit jedoch zu einer vielseitig verwendbaren Eliteinfanterie wurden 143 . 139 140
141 142 143
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
Storm, Kreis, S. 252 - 257. Helmes, Übersicht, S. I6; Sicken, Wehrwesen, Bd. I, S. 88. Sicken, Wehrwesen, Bd. I, S. 134. Storm, Kreis, S. 262f.; Sicken, Wehrwesen, Bd. I, S. I80f. Ortenburg, Waffe; Beaufort-Spontin, Harnisch.
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Die Kreisregimenter wurden im Unterschied zu denen eines armierten Fürsten aus den Kontingenten der einzelnen Stände gebildet, deren Kopfstärke nach der Kreismatrikel festgelegt wurde, die auch bestimmte, wieviele Infanteristen oder Reiter ein Stand zu stellen hatte. Die Werbungen von Soldaten wurden in der Regel durch die Stände selbst bzw. durch von ihnen beauftragte Werbeoffiziere durchgeführt. Der Schwäbische Kreis führte nur zwischen 1690 und 1698 eine Werbung durch die Kompaniechefs ein, um die Kriegsverluste auszugleichen. Der Fränkische Kreis folgte dem zwischen 1695 und 1697 144. Seit 1683 teilte der Schwäbische Kreis seine Truppen in zwei Kavallerieund zwei Infanterieregimenter ein. 1691 kamen ein weiteres Infanterie- und ein Dragonerregiment hinzu, 1696 und 1701 je ein weiteres Infanterieregiment, so daß der Kreis während des Spanischen Erbfolgekrieges über acht Regimenter verfügte 145. Der Fränkische Kreis verfügte seit 1681 über ein Kavallerieregiment sowie zwei, seit 1691 über drei Infanterieregimenter. 1691 wurde auch ein Dragonerregiment neu aufgestellt 146. Die Stärke der einzelnen Regimenter, die Art ihrer Einteilung in Kompanien sowie die Anzahl der Soldaten pro Kompanie waren verschiedenen Änderungen unterworfen, die hier nicht im einzelnen dargestellt werden sollen. Die fränkischen und schwäbischen Kavalleriekompanien hatten jeweils zwischen 70 und 85 Mann. Sechs bis acht Kompanien bildeten ein Regiment. Eine Infanteriekompanie bestand aus ca. 150 bis 200 Soldaten. Ein Regiment wurde aus zehn bis dreizehn, zeitweise sogar 17, Kompanien formiert, wobei in den schwäbischen Regimentern seit 1693 eine von ihnen eine Grenadierkompanie, eine Elitetruppe aus 100 ausgesuchten Soldaten, war 147 . Der Fränkische Kreis stellte seit 1694 Grenadierkompanien auf148 . Seine Reiterregimenter zählten je 600 bis 960 Mann, die Fußregimenter je 1.650149.
Soweit die einzelnen Standeskontingente zahlenmäßig zur Formierung ganzer Kompanien ausreichten, wurde dieser Weg beschritten. Die meisten Kompanien wurden jedoch aus Kontingenten mehrerer Stände gebildet, wobei komplizierte Berechnungen dafür sorgten, daß kein Stand übervorteilt wurde. Zum Teil wurden dabei die Soldaten eines Standes auf zwei oder noch mehr Kompanien verteilt 150. Im Fränkischen Kreis betrieb man Vgl. Vgl. 146 Vgl. 147 Vgl. t4B Vgl. 149 Vgl. tso Vgl.
144 145
Storrn, Kreis, S. 284; Sicken, Wehrwesen, Bd. 1, S. 129f. u. 132f. Schulte, Markgraf, Bd. 2, S. 356; Storrn, Kreis, S. 314f. Sicken, Wehrwesen, Bd. 1, S. 89. Storrn, Kreis, S. 316 - 330. Helmes, Übersicht, S. 16. Sicken, Wehrwesen, Bd. 1, S. 89 u. 158 ff. Storrn, Kreis, S. 343.
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dabei bewußt eine Zersplitterung der Kontingente auf möglichst viele Einheiten, damit kein Stand das Risiko auf sich nehmen mußte, daß sein Kontingent komplett in eine ungünstige Lage geriet und dabei vollständig vernichtet wurde 151 • Wie die verschiedenen Kreisbeamten wurden die fränkischen und schwäbischen Kreistruppen auf ihren Kreis vereidigt, der damit ihr Kriegsherr war und dem sie Treue schuldeten. Dementsprechend lag auch die Jurisdiktionsgewalt beim Kreis bzw. beim Kreistag 152 • Der Kreis behielt sich auch die Ernennung oder Beförderung höherer Offiziere und der Kreisgeneralität sowie der Kriegskommissare und übrigen Spitzen der zivilen Truppenverwaltung vor, so daß die Träger dieser Ämter, wollten sie in Kreisdiensten fortkommen, zur Beachtung der Kreisinteressen gezwungen waren. Die Personalpolitik war jedoch naturgemäß stets ein umstrittener Bereich, in dem sich auch immer wieder Sonderinteressen einzelner Stände oder ein Gegeneinander der auf Parität achtenden Konfessionen geltend machten. Die Besetzung des subalternen Offizierskorps wurde von den jeweiligen Regimentskommandeuren durchgeführt, die ihrerseits auf die Kreisgesamtheit Rücksicht nehmen mußten, aber auch auf die Stände, die Kontingente zu ihrem Regiment zu stellen hatten. Letztere waren allein zuständig für die Stellenbesetzung innerhalb ihrer Kompanien 153. Insgesamt war dafür gesorgt, daß sich die Gruppe der Kreisgenerale und der Obristen der Kreisgesamtheit zugehörig fühlte und deren Interessen beim Einsatz der Kreistruppen im Auge behalten mußte. Neben den Kavallerie-, Dragoner- und Infanterietruppenteilen benötigte eine Armee zur Operationsfähigkeit weitere Einheiten, die in der Regie des Kreises aufgestellt und unterhalten wurden. Hier ist zunächst der Kreisgeneralstab mit dem zugehörigen Personal, zu dem die verschiedenen Generalschargen, Adjutanten, Quartiermeister, Ärzte oder Chirurgen, Justizpersonal usw. gehörten, zu nennen, dann auch die Kreisartillerie, also im Unterschied zu den sogenannten Regimentsstücken, die fest zu jedem Regiment gehörten, die schweren Geschütze der Hauptartillerie, die in einer oder mehreren Batterien zusammengefaßt auf dem Schlachtfeld oder während einer Belagerung große Feuerkraft zu entfalten hatte. Bei der Anschaffung der kostspieligen Hauptartillerie und der Anstellung des benötigten Bedienungspersonals zeigten die Stände Zurückhaltung. Aus SparsamkeitsgrünVgl. Sicken, Wehrwesen, Bd. I, S. 145. Vgl. Stonn, Kreis, S. 378f.; Wines, Reichskreis, S. 72; Sicken, Wehrwesen, Bd. I, S. 129. 153 Vgl. Stonn, Kreis, S. 363 - 370. Im Einsatz spielte die konfessionelle Frage keine Rolle, so daß hier nicht näher auf sie eingegangen werden muß. Der Schwäb. Kreis unterhielt neben rein kath. oder rein prot. auch konfessionell gemischte Regimenter. 151
152
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den liehen die Kreise die benötigten Kanonen bei den Ständen aus, die solche besaßen. Da diese wiederum ungern die Kosten für einen Verlust tragen wollten, setzte man die Waffen möglichst nicht einem Risiko aus. Da man nur auf die Geschütze zurückgreifen konnte, die ohnehin vorhanden waren, gelang auch keine Angleichung der Kaliber, wie sie bei einer geplanten zentralen Beschaffung möglich gewesen wäre 154• Zum Transport der Artillerie wurden Pferde, Knechte, Munitionswagen usw. benötigt. All diese wurden für die Regimentsstücke angeschafft bzw. eingestellt, während für die Bewegung der schweren Geschütze Bauernvorspann genutzt wurde, was natürlich insbesondere in arbeitsintensiven Perioden des Landwirtschaftsjahres auf den Widerstand der Landbevölkerung und örtlicher Behörden stieß 155 . Erst nach der Kommandoübernahme Ludwig Wilhelms wurde ein schwäbisches Schiffbrückenwesen eingerichtet, damit die Armee Flüsse über behelfsmäßig hergestellte Brücken passieren konnte 156• Die Lebensmittel für die Armee wurden in Magazinen gesammelt, die einem Proviantamt unterstanden. Wichtigster Magazinort war Heilbronn. Um die Regimenter im Feld versorgen zu können, wurde ein Proviantfuhrwesen samt dem nötigen Bedienungspersonal unterhalten. Zu Beginn des Neunjährigen Krieges zog der Schwäbische Kreis alle verfügbaren Wagenbisher hatte jede Kompanie über einen verfügt - zu einem zentralen Proviantfuhrwesen zusammen 157• Der Fränkische Kreis richtete erst 1693 ein Proviantfuhrwesen ein 158. b) Die Kreistage: Probleme der Beschlußfassung Der Apparat der Kreistage war zu schwerfallig, um eine schnelle und reibungslose Entscheidungstindung zu ermöglichen. Abgesehen von langen, zum Teil fruchtlosen Diskussionen auf den Konventen 159 stellten die langen Pausen zwischen ihnen das Hauptproblem dar. In dieser Zeit konnten keine Fragen von einiger Tragweite gelöst werden, auch wenn die Zeit drängte. Vgl. Storm, Kreis, S. 438. Vgl. Storm, Kreis, S. 452. 156 Vgl. Storm, Kreis, S. 454f. 157 Vgl. Storm, Kreis, S. 457. 158 Vgl. Sicken, Wehrwesen, Bd. I, S. 251. 159 Besonders deutlich äußerte sich der kurmainz. Vertreter auf dem Oberrh. KT: Wenn es erlaubt sei, dies zu "sagen, so gehet es alhier anders nicht her, alß auf dem Polischen [sie!] Reichstag, der, wan man meinet ahm Endt zu sein, sich wiederumb zerschlagen, und auch wohl wiederumb guth ahnscheinen thut". HHStA Wien MEA, Oberrh. Kreisakten 13, 1703 et 1704: Hofrat Andreas Hermann Lasser an Lotbar Pranz v. Schönborn, Frankfurt a. M. 11.2.1704. 154
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Die Kreistage versammelten sich in der Regel ein- bis zweimal im Jahr. Während der übrigen Zeit konnten keine schwerwiegenden Beschlüsse gefaßt werden, die das Kreisganze betrafen. Auch wenn die zur Lösung anstehenden Probleme noch so drängend waren, sie konnten erst dann wirklich angegangen werden, wenn sich die Gesandtschaften der Stände versammelten. Engere Kreistage und Deputationen konnten da nur vorbereitend und beschleunigend wirken, auch untergeordnete Fragen selbständig behandeln, nicht aber einen Allgemeinen Kreistag ersetzen 160• Das führte zu manch unnötigem Zeitverlust. Als Beispiel sei der fränkische Kreistag im Sommer 1694 genannt. Dieser folgte zwar Ludwig Wilhelms Vorschlägen in einer Reihe von Punkten, die der Verbesserung von Ausrüstung und der Organisation der Kreistruppen dienten. Doch da es mittlerweile Juli war, mußte man die Umsetzung der Beschlüsse bis zum Beginn des Feldzuges von 1695 verschieben 161 . Damit war eine ganze Kampagne verloren. Auch die Reform des Münzwesens kam Anfang 1693 so spät, daß sie nicht mehr rechtzeitig vor Beginn des Feldzuges umgesetzt werden konnte. Bf. Marquard Sebastian von Bamberg bat daher den Markgrafen im Namen des Fränkischen Kreises um Vermittlung, damit die gerade für ungültig erklärten Münzsorten zum Teil ihre Gültigkeit für eine Übergangszeit, wenn möglich sogar bis zum Winter behielten. Andernfalls habe der Kreis es schwer, seine Verpflichtungen zu erfüllen, denn man sei noch damit beschäftigt, ungültige Münzen umzuprägen 162. Üble Folgen konnte die Kürze der Tagungsperioden nach sich ziehen, wenn wichtige Beschlüsse von den eng zusammenarbeitenden Kreisen Franken und Schwaben gleichzeitig zu erwägen und zu fassen waren. In solchen Fällen bot es sich natürlich an, beide Kreistage gleichzeitig zusammenzurufen, um die Fragen "gesambter Hand auf einmahl" 163 abhandeln zu können. Doch war dies nicht immer möglich. Gemildert wurden diese Probleme allerdings, als der fränkische Kreistag im Spanischen Erbfolgekrieg über Jahre hinweg in Permanenz versammelt blieb 164• Ein grundsätzliches Problem der Kreistage stellte die Praxis der Fürsten und Stände dar, sie mit instruierten Räten zu beschicken, während sie selbst fast nie auf ihnen erschienen. Das hatte - genau wie beim Reichstag - die 160 Bezeichnend: HStA St. C 9, 732: Prot. Schwäb. EKT 15.11.1700, 19 v: Votum Konstanz: Man sei "nur" ein EKT u. müsse daher einen Allgemeinen KT einberufen. 161 GLA K. 46/3758 III, 167: Erklärung des Fränk. KT, Nümberg 26.7.1694 (Abschrift); GLA K. 51 1/1011: Fränk. KA 31.5.1694, § 2 (Abschrift). 162 GLA K. 46/3744, 270: Marquard Sebastian an Ludwig Wilhelm, Harnberg 26.5.1693. 163 GLA K. 46/3756 I, 76b: Fränk. AA an Ludwig Wilhelm, o.O. 8.5.1694. 164 Vgl. Wines, Reichskreis, S. 35; ders., Entwicklung, S. 338.
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Folge, daß man sich zumeist eng an die vorgegebenen Puncta Deliberanda halten mußte, da die Abgesandten nur für diese instruiert waren. Flexibles Reagieren auf unerwartet eintretende Entwicklungen war ebenso unmöglich, wie es in der Regel das Herstellen von Kompromissen war, die allzu weit über die Instruktionen hinausgingen. Deshalb konnte oft nur ein Minimalkonsens gefunden werden, welcher die drängendsten Fragen nicht zu lösen vermochte. Auch wenn manche Räte einen mehr oder weniger großen Einfluß auf ihren Fürsten ausüben konnten, so fehlte ihnen letztlich doch die Autorität, wichtige Beschlüsse von einiger Tragweite ohne die Rückendeckung ihres Fürsten zu fassen 165 • Zumindest waren jedenfalls in der Regel langwierige Rücksprachen und Bestätigungen der Voten notwendig. Aus der Tatsache alleine, daß eine Kreistagsgesandtschaft aufgrund mangelnder Instruktion zu einer Thematik kein Votum abgab, läßt sich noch kein sicherer Schluß auf die Politik des betreffenden Standes ableiten. Es konnte sich tatsächlich um ein Versäumnis ohne Hintergedanken handeln, es konnte aber auch Ausdruck einer bewußten Obstruktionspolitik sein 166. Vielleicht hielt der betreffende Prinzipal die Frage auch für so bedeutsam, daß er es seinem Gesandten nicht gestatten wollte, ohne weitere Rücksprache seine Zustimmung zu geben, etwa wenn noch eine Entwicklung abgewartet werden sollte. Im Zweifelsfall konnte dieses Verfahren einem Kreisschluß sogar förderlicher sein als eine detaillierte Instruktion. Eine solche engte den Verhandlungsspielraum des Gesandten ein, etwa indem sie eine bestimmte Obergrenze bei der Übernahme von Lasten usw. festsetzte. Ein Gesandter ohne Instruktion konnte hingegen in Verhandlungen und auch informellen Gesprächen die beste Lösung für seinen Entsender zu erreichen versuchen und sie diesem zur Genehmigung vorlegen. In diesem Sinne sind auch die vielen Kreistagsvoten "sub spe rati" zu werten, die von einem Gesandten ohne feste Instruktion in der betreffenden Problematik abgegeben wurden und das Verhalten des Prinzipals bis zu einem gewissen Grade präjudizierten. Dies war allerdings nur bei Fragen möglich, deren Bedeutung und Tragweite nicht allzu hoch waren 167 • Da es eine kostspielige Angelegenheit war, eine Kreistagsgesandtschaft mehrere Wochen oder gar Monate lang zu unterhalten, verzichteten viele Stände oftmals entweder auf eine eigene Gesandtschaft, ließen sich also durch andere mitvertreten, oder sie waren überhaupt nicht vertreten 168. Für die zum Teil sehr schleppende Erfüllung von Kreistagsbeschlüssen war also zum einen die zeitweise schlechte Beschickung von Kreistagen verantwort165 166 167 168
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
Foerster, Herrschaftsverständnis, S. 169. Sicken, Reichskreis, S. 137. Sicken, Reichskreis, S. 124. Storrn, Pluralitate, S. 105 f.
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lieh. Allerdings kann dies nicht der einzige Grund sein, zumal eine Abwesenheit vom Kreistag nicht automatisch mit einer Ablehnung der dort getroffenen Beschlüsse gleichzusetzen ist. Um Kosten zu sparen, rief man zum Teil die Bevollmächtigten vom Kreistag zurück, bevor dieser beendet war, nachdem jedoch die wichtigsten oder interessantesten Punkte abgehandelt worden waren. Als beispielsweise der fränkische Kreistag im März 1693 die Hauptfragen der Kommandoübergabe an Ludwig Wilhelm geklärt hatte, reisten viele Ständevertreter ab, und im Mai bestand nur noch ein Rumpfkonvent, um noch ausstehende Fragen zu klären und die Tagesgeschäfte zur Vorbereitung des Feldzuges zu führen 169 . Dies hatte zur Folge, daß wichtige Entscheidungen möglichst frühzeitig gefällt werden mußten, sollte überhaupt noch ein entscheidungsfähiger Kreistag über sie beraten. Zur Lösung komplexer Fragen konnte so die Zeit fehlen, so daß man es auch aus diesem Grund bei einem schnell erzielten Minimalkonsens oder einer grundsätzlichen Willensäußerung beließ, ohne die Probleme der praktischen Umsetzung zu lösen, da sich der Kreistag trennte, "ehe derselbe die höchstnöttige resolutiones" 170 hatte fassen können. Zudem kam es vor, daß im entscheidenden Moment wichtige Akten nicht aufzufinden oder nicht am Ort waren, so daß sich Kreistagsbeschlüsse verzögerten oder gar nicht erst gefaßt werden konnten 171 • So brach sich die "Tendenz, [... ] Konflikte nicht im eigentlichen Sinn auszutragen, sondern in der Schwebe zu lassen" 172, Bahn, die auch ein Charakteristikum der Reichsverfassung nach 1648 war. Schon ein oberflächlicher Blick in Kreistagsakten aller Kreise zeigt deutlich, worunter die Kreisversammlungen litten: Sie wurden überschwemmt 173 von Akten und Eingaben der Stände aller Art, die jedoch eines gemeinsam hatten: Sie formulierten Ansprüche, entweder an die Kreiskasse oder an Dritte, oder sie forderten eine Moderation ihrer Kreislasten 174 . So berechtigt solche Forderungen im Einzelfall auch sein mochten, 169 GLA K. 46/3744, 4: Bf. Marquard Sebastian v. Samberg an Ludwig Wilhelm, Forchheim 1.5.1693. 170 GLA K. 51 111011: Ludwig Wilhelm an? [einer der beiden Fränk. Ausschreibenden Fürsten], HQ Steppach 16.6.1694 (Abschrift). 171 Siehe z. S . GLA K. 46/3744, 94: Fränk. KT an Ludwig Wilhelm, Nümberg 9.5.1693; GLA K. 46/3744, 248: Sf. Marquard Sebastian von Samberg an Ludwig Wilhelm, Samberg 23.5.1693. 172 So Duchhardt, Verfassungsgeschichte, S. 171 mit Blick auf das gesamte Reich. 173 Vgl. Sicken, Reichskreis, S. 135. 174 Das ging so weit, daß das schwäb. Direktorium 1697 die Stände darum bat, künftig weniger Denkschriften einzureichen oder die Memoriale wenigstens nicht so 5 Plassmann
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so führten sie in ihrer Vielzahl zu einer nur schwer zu bewältigenden Menge von Einzelpunkten, die jeder für sich nicht besonders gewichtig waren - so etwa die 1706 fonnulierte Bitte Donauwörths, die in der Stadt liegende Garnison abzulösen 175 - und die den Blick von den wichtigen Fragen ablenkten. Einem Kreistagsgesandten stellte sich das gleiche Problem wie dem Historiker 176: Sich aus der Vielzahl von Einzelheiten, die von den Gesandtschaften der Stände präsentiert wurden, ein Gesamtbild zusammenzureimen. Gleiches gilt für die vielen Abrechnungen, Musterungslisten usw., die dem Kreistag präsentiert wurden. In der Regel wurden Deputationen damit beauftragt, diese zu überprüfen. Es ist daher nicht anzunehmen, daß die übrigen Gesandten mehr als einen flüchtigen Blick auf dieses Material warfen. Gleiches gilt für die Flut von mehr als 100 Seiten Kopien schwäbischer Kreistagsakten, die Kulpis 1694 an Wolf Philipp von Schrattenberg sandte, um Einblick in die Verhandlungen des assoziierten Kreises zu geben 177 • Wenn diese überhaupt dem Konvent vorgelegt wurden, so hat mit Sicherheit nicht für alle Vertreter der Stände die Möglichkeit bestanden, sie eingehend zu studieren. Darüber hinaus fehlte der Masse der kleineren Stände die Möglichkeit, sich aus erster Hand über die Kriegslage und über die Probleme der Kriegführung zu infonnieren. Nur die Ausschreibenden Fürsten korrespondierten eingehend mit der Anneeführung, wobei in Franken noch der Vorteil bestand, daß mit Christian Ernst von Bayreuth einer der Ausschreibenden Fürsten selbst ein hohes Kommando inne hatte. Doch auch sein Baroberger Kollege korrespondierte sowohl mit dem Hauptquartier als auch mit Offizieren nachgeordneter Führungsebenen, die ihm teilweise detaillierte, tagebuchartige Lageberichte zusandten 178. Auch mit dem Kaiserhof konnten nur wenige Stände direkten Kontakt halten. Nicht jeder war in der günstigen Situation Lotbar Franz' von Schönborn, der mit seinem Neffen, dem Reichsvizekanzler Friedrich Kar!, über einen "geschickten Emissär an einem Brennpunkt des Weltgeschehens" 179 verfügte. weitläufig zu gestalten, sondern schnell auf den Punkt zu kommen. Barocke Weitschweifigkeit stellt nicht nur für Historiker, sondern schon für Zeitgenossen ein Problem dar. HStA St. C 9, 716: Prot. Schwäb. KT 21.4.1697, 118v. 175 HStA St. C 9, 430, 39: Memoralia Statuum vor dem Schwäb. KT, Biberach 24.7.1706. Hier finden sich weitere Beispiele für Forderungen einzelner Kreisstände. 176 Vgl. Kallenberg, Spätzeit, S. 62. 177 StA Ba. B 4112, 335, 57r- 58r: Kulpis an Schrottenberg, Ulm 25.?.1694; ebd. 59 r - 148 v: Schwäbische Kreistagsakten (Abschriften u. Drucke). 178 Beispiele hierfür in großer Zahl in StA Ba. B 41/2, 329. Auch 1704 versorgte Lothar Franz v. Schönborn seinen fränk. KT-Gesandten (für Bamberg) laufend mit Informationen über die Operationen, die in StA Ba. B 41/2, 407 überliefert sind.
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Nur die bedeutendsten Fürsten konnten es sich leisten, eine mehr oder weniger engen Verbindung zu den alliierten Seemächten zu halten, vorzugsweise über eine kostspielige Gesandtschaft im Haag. Den Berichten ihrer Gesandten konnten sie Informationen über Absichten, Ziele und Wünsche der Generalstaaten entnehmen. Sie konnten auch einen, im Zweifel allerdings bescheidenen, Einfluß auf die europäische Kriegführung nehmen, zumindest aber die Notwendigkeiten und Zwänge der Gesamtkriegführung der Großen Allianz eher erkennen 180. Die Masse der Kreisstände verfügte nicht über derartige Informationsmöglichkeiten. In den Kreistagsprotokollen sucht man in der Regel vergebens sowohl nach aktuellen Berichten von den Kriegsschauplätzen als auch nach Ende einer Kampagne nach rückschauenden Zusammenfassungen und Analysen des Geschehens 181 . Die meisten Stände waren so auf zufällige oder informelle Kontakte zu einzelnen Offizieren aus ihrer Verwandtschaft oder ihrem Kreiskontingent angewiesen und auf Gerüchte, die sich vorzugsweise in Form von "Tartarenmeldungen" recht schnell verbreiten konnten. Dies war jedoch eine recht dürftige Basis für eine der wirklichen Situation angemessene Beschlußfassung. Daneben wurde das Kriegsgeschehen in einer Vielzahl von Flugschriften, Akzidenzdrucken, Berichten über wichtige Ereignisse und in den Vorläufern moderner Zeitungen nachvollzogen und kommentiert 182 • Derartiges Material war natürlich allen Kreisständen und dem des Lesens mächtigen Teil der Bevölkerung zugänglich 183 • Doch die darin gebotenen Informationen konnten keinesfalls als Grundlage einer 179 Meyer, 0., Kurfürst, S. 8. Gleichwohl verfügten einige schwäbische Prälaten in Wien Kontaktmänner in Fonn von Laienpfrundnern, die z. B. als Leiblakei des Kaisers, aber auch in der Reichshofkanzler als Schreibpersonal beschäftigt waren. Vgl. Reden-Dohna, Reichsprälaten, S. 160. 180 Siehe z. B. die Korrespondenz zwischen Lotbar Franz und Johann Philipp Franz v. Schönborn, der den Ebf. 1711 im Haag vertrat, in StA Wü. SchönbornArchiv. Lotbar Franz. Korrespondenz-Archiv, gebunden, Bd. 7. 181 Aus diesem Grund forderte eine fränk.-schwäb. Konferenz 1704 die Einsetzung von Kreisbevollmächtigten im HQ, die u. a. "zu Postlägen oder längstens von 8 zu 8 Tagen" über die Ereignisse an die KT und AA berichten sollten. Das Informationsdefizit wurde also erkannt, doch wurde der Vorschlag nicht verwirklicht. HStA St. C 9, 426, 29: Beschlüsse der Konferenz, Schwäbisch Hall 26.4.1704 (Abschrift). 182 Vgl. Schwarz, Representatio, S. 145; Schmitt, Leben, S. 90; Kleyser, Flugschriftenkampf, S. 66; Repgen, Kriegslegitimationen, S. 31; Tallet, War, S. 233; Ringhoffer, Flugschriften-Literatur; Holmes, Making, S. 245 f. 183 Verstreut finden sich derartige Druckschriften in den ausgewerteten Archiven, z.B. StA Ba. Best. 1, neuverz. 4771 und besonders StA Ba. Best. 1, neuverz. 1759. Hier finden sich mehrere Exemplare der "Nouvelles extraordinaires de Divers Endroits" und der "Supplement aux Nouvelles extraordinaires", erschienen in Leiden, und ein Exemplar des ,,Freytägiger Ordinari-Friedens= und Kriegs Curier", erschienen in Nürnberg 9.5.1704.
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genauen Lageanalyse als Basis für politische und militärische Entschlüsse dienen. Dazu beschränkten sie sich viel zu sehr auf die Äußerlichkeiten der Kriegführung. Beispielhaft sei hier ein Schreiben zitiert, das Ludwig Wilhelm im Sommer 1706 an den Schwäbischen Kreistag richtete 184• Hierin bedauerte er den bislang unglücklichen Verlauf des Feldzuges - Hagenau hatte sich im Mai den Franzosen ergeben müssen 185 -und wies auf seine diesbezüglichen Vorhersagen hin, die ungehört verhallt waren. Im Anschluß daran forderte er die Bereitstellung von schwerer Artillerie und Munition durch die Schwaben, um doch noch angreifen zu können, falls sich trotz der Schwäche der eigenen Armee eine günstige Gelegenheit dazu biete. Es findet sich jedoch kein Wort darüber, was konkret unter einer solchen günstigen Gelegenheit zu verstehen war, welcher Gewinn in Aussicht stand, oder auch nur darüber, was die nächsten Operationsabsichten waren. Praktisch forderte der Markgraf also kostspielige Geschütze, ohne deutlich zu machen, wofür er sie einsetzen wollte. Dem entsprechend zeigte sich der Kreis wenig begeistert über die Forderung und vertröstete den Generalleutnant damit, daß man die Artillerie stellen werde, die man nach dem Reichsschluß von 1704 zu stellen habe 186• Ludwig Wilhelms Anfrage hatte den Ständen nicht deutlich machen können, wofür sie eine Leistung erbringen sollten oder welchen Einfluß diese Leistung oder ihre Verweigerung auf die militärische Lage am oberrheinischen Kriegsschauplatz haben konnten. Immer wieder erreichten die Kreistage Schreiben, in denen es als unumgänglich bezeichnet wurde, zur Sicherheit der Winterpostierung fremde Auxiliartruppen am Oberrhein zu erhalten und diesen dafür Lebensmittel und Pferdefutter zukommen zu lassen. In diesen Schreiben wurde aber nicht erklärt, welche Folgen der Abzug der jeweiligen Truppe für die Postierung haben würde. Würde sie nur etwas weniger sicher sein? Oder würde sie in einem bestimmten Abschnitt ganz zusammenbrechen? Welche militärischen Alternativen bestanden, die Lücken in der Postierung durch Kreistruppen zu ersetzen, die eigentlich in Winterquartiere abrücken sollten? Welche Schäden und Verluste hatten die Kreistruppen zu erwarten, wenn sie hierfür herangezogen wurden? Die Beantwortung dieser Fragen hätte die Kreistagsgesandten in die Lage versetzt, eine Interessenahwägung durchzuführen und zu ermitteln, welcher Beschluß am besten oder zumindest am wenigsten negativ für den Kreis sein würde. Gleiches gilt für Operationsplanungen. Zwar wurde während des Neunjährigen Krieges immer wieder behauptet, eine erfolgreiche Offensive, die HStA St. C 9, 430, 36: Ludwig Wilhelm an Schwäb. KT, Rastatt 16.7.1706. Vgl. Feldzüge I/VIII: 1706, S. 351 ff. 186 HStA St. C 9, 430, 37: Punkte d. Schwäb. Kreises an Ludwig Wilhelm, Biberach 24.7.1706. 184 185
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Rückeroberung Philippsburgs werde die Situation der Kreise zu einem Besseren wenden und deshalb sei die pünktliche Leistung aller Abgaben erforderlich. Doch niemals wurden diese positiven Wirkungen berechnet und den Ständen so die Chance gegeben, ihre Leistungen jetzt als mehr oder weniger berechenbare Investition in die Zukunft anzusehen. Wäre Phitippsburg wieder in deutsche Hand gefallen, so hätte man den langen Bogen zunächst entlang des Neckars, später im Verlauf der Ettlinger Linien, den die Winterpostierung nehmen mußte, entscheidend abkürzen können. Es war mehr oder weniger genau zu berechnen, wie viele Regimenter dadurch in der kräftezehrenden und kostspieligen Postierung überflüssig wurden und in zurückliegende Winterquartiere gelegt werden konnten, wieviel Land dem französischen Zugriff entzogen und dem eigenen geöffnet wurde, inwieweit also die Lasten durch Kontributionen, Fouragieren, Vorspanndienste usw. reduziert werden würden. Es hätte also durchaus die Möglichkeit gegeben, den Ständen mit einer mehr oder minder großen Fehlerquote vor Augen zu führen, wieviel an Geld- und Naturalleistungen sie künftig sparen konnten, wenn sie sich einmal zu außerordentlichen Leistungen aufrafften oder zumindest einmal ohne Zeitverlust die vollen Leistungen erbrachten. Doch solche Berechnungen wurden nicht vorgelegt 187. Für viele Stände blieb so nur der Bereich, den sie wirklich überblicken konnten: den ihres eigenen Territoriums und ihrer Nachbarn. Hier waren sie über alle Fakten im Bilde, konnten sie genaue Abrechnungen über Schäden oder bereits geleistete Abgaben vorlegen usw. Kurz: zu den Problemen des eigenen Territoriums konnten sie sich fundiert äußern, während sie dies zu Problemen der europäischen oder auch nur südwestdeutschen Gesamtkriegführung nicht konnten, da ihnen die notwendigen Fakten hierzu fehlten. "Es fehlt dem Kreis in seiner Gesamtheit das Vermögen, in großen Räumen zu denken" 188 • Die Folge war eine bezüglich der großen europäischen Entwicklungen "apolitische Haltung der minderen Stände" 189. Analog dazu kann man feststellen, daß die Masse der Stände blind für die europäische Dimension der Kriegführung war, daß sie wohl auch zum Teil nicht einmal das Geschehen am Oberrhein und an der Donau voll überblickte. Strategische oder operative Fragen wurden an sie nur über die Ausschreibenden Fürsten, vielleicht auch über den einen oder anderen bedeutenden 187 Zumal es nicht immer einfach war, sie zu erstellen. Als d. Schwäb. Kreis I 704 darüber diskutierte, ob er seine Armee auf den vollen Stand bringen konnte, forderten die Stände vom Direktorium die Vorlage einer Tabelle, aus der das Kontingent jedes Standes ersichtlich sein sollte. Die Württemberger taten ihr bestes, doch war das Ergebnis nicht "ganz accurat", da nicht alle entsprechenden Listen hatten gefunden werden können. HStA St. C 9, 743: Prot. Schwäb. KT 13.11.1704, 82r- v. l88 Kaufmann, H.H., Gedanke, S. 223. 189 Wunder, "Diversion", S. 477. Vgl. Franz, Nümberg, S. 353.
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Mitstand und durch sporadische Schreiben Ludwig Wilhelms oder des Kaisers herangetragen. Jedoch geschah dies fast ausnahmslos in Form inhaltsleerer Worthülsen. Man wollte beispielsweise zu einer konsiderablen Aktion oder vigoreusen Operation kommen, was viel oder nichts bedeuten konnte. Es gibt keine umfassenden Operationspläne, die den Kreisen vor Beginn eines Feldzuges vorgelegt wurden. Dies verbot sich wohl schon allein aus Geheimhaltungsgründen. Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, daß die Stände zu allerhand Leistungen aufgefordert wurden, ohne genau zu wissen, was für Ziele man damit beförderte. Es sei unumgänglich notwendig, über ein funktionierendes Brückenwesen zu verfügen, wurde den Ständen öfters mitgeteilt. Doch nie enthielt eine solche Mitteilung eine Erklärung darüber, wie man die Schiffbrücken einsetzen wollte, welchen Nutzen die Armee davon hatte und welche Nachteile ihr Fehlen haben würde. Nun kann man zwar argumentieren, dies alles sei zumal in einer kriegerischen Zeit Allgemeinwissen und müsse nicht immer ausdrücklich erklärt werden. Doch die mangelnde Erklärung über die Verwendung angeforderter Mittel setzte sich auch in Fragen fort, die nicht mehr ohne nähere Erläuterung jedem einsichtig sein mußten. Die Verhandlungen der Kreistage erfolgten in der Regel 190 in der Reihenfolge, wie sie die Deliberanda vorgaben. Diese wurden Punkt für Punkt abgearbeitet, und jeder Stand gab nach einer festgelegten Reihenfolge sein Votum ab, bis man entweder einen einstimmigen oder einen Mehrheitsbeschluß gefaßt hatte, welcher dann in den Kreisabschluß aufgenommen wurde. Welche Probleme durch dieses Vorgehen in der Praxis aufgeworfen wurden, soll im folgenden anband eines Beispiels erläutert werden: Die Deliberanda für den Oberrheinischen Kreistag im Winter 1696/97 191 sahen als fünften Verhandlungsgegenstand die Frage danach vor, ob Kreistruppen zu bilden waren, was letztlich von allen anwesenden Ständen bejaht wurde. Doch erst danach, in Punkt sechs, wurde die quaestio quomodo? gestellt. D.h. die Zustimmung zur Aufrichtung einer Kreismiliz war erfolgt, bevor der einzelne Stand wußte, was für Lasten genau auf ihn zukamen, wie stark das Korps sein sollte, wer es führen sollte, wie es zu versorgen und auszurüsten war usw. Fielen diese Verhandlungen dann anders aus, als es sich ein Teil der Stände erwartet hatte, so konnte dieser Teil zwar nicht ohne weiteres seine zuvor gegebene Zustimmung zurückziehen. Aber 190 Abweichungen von dieser Regel gab es nur in wohlbegründeten Fällen. So stellte der Schwäb. KT im Sommer 1700 die ersten 4 Deliberanda zunächst zurück, weil deren Verhandlung "eine vorherige Untersuchung" (GLA K. 51 I/227: KA vom 12.6.1700, § II) durch eine Kreisdeputation erforderte. Es handelte sich um die Kontrolle der Abrechnungen des Oberquartiermeisters. 191 StadtA Worms I B/278. Es ließen sich nahezu beliebig viele andere Beispiele anführen.
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seine Bereitwilligkeit, Kreislasten zu erbringen, kühlte sich natürlich ab. Hier liegt eine Wurzel für die mangelnde Zahlungsmoral vieler Stände. Sie wollten Kreismilitär, aber nicht in der Form, wie es die Mehrheit bestimmt hatte. Da diese Mehrheit über keine effektiven Erzwingungsmechanismen verfügte, mit denen sie sich hätte durchsetzen können, konnten die Stände stillschweigend und eigenmächtig durch Zahlungs- und Leistungsverzögerungen oder -aussetzungen den Mehrheitsbeschluß in ihrem Sinne korrigieren192. Daß ein Mehrheitsbeschluß nicht unbedingt Chancen auf wirkliche Umsetzung hatte, zeigt z. B. eine Randnotiz auf einer Instruktion des Oberrheinischen Kreises für eine Gesandtschaft zu Ludwig Wilhelm. Diese wurde ermächtigt, die Zahlung eines Römermonates anzubieten, falls sich keine vollständige Befreiung des Kreises erreichen ließ. Nachträglich wurde durch die Marginalie die Einschränkung angefügt, dieser Beschluß sei nur per maiora gefaßt worden, so daß deutlich war, daß nur mit der Zahlung von den Ständen zu rechnen war, die das Conclusum unterstützt hatten 193 . Wäre man also umgekehrt vorgegangen, hätte man also zunächst definiert, was genau eigentlich unter einer Kreisverfassung zu verstehen war und mit welchen Lasten sie verbunden sein sollte, und dann die Stände darüber abstimmen lassen, ob sie in dieser Form einzurichten war, hätte man viel eher eine hohe Zahlungsmoral von den Ständen erwarten können, als bei einer Abstimmung .,ins Blaue" hinein. Allerdings hätte man dann auch einen Kompromiß erzielen müssen, der wahrscheinlich eher zur Aufstellung einer kleineren als einer größeren Armee geführt hätte. Ein Grundproblem der Verteidigungsanstrengungen sowohl des Reiches als auch der Vorderen Kreise war das ewige Zuspätkommen von wichtigen Entscheidungen. Besonders im Vergleich zu dem um so viel besser organisierten Frankreich erscheinen die Entscheidungsmechanismen als äußerst ineffektiv. Zwar erkannten die Deutschen diese offensichtliche Strukturschwäche, die die eigenen Truppen immer wieder gegenüber den gegnerischen zurückfallen ließ. Doch war das ,,Zu spät!" vieler Beschlüsse so fest in der Verfassung des Reiches verankert, daß die handelnden Personen nicht immer rechtzeitige und umfassende Beschlüsse erwirken konnten. Dies bezieht sich nicht nur auf die großen Entschlüsse, sondern auch auf alltägliche Kleinigkeiten. So beschwerte sich z. B. der Oberkriegskommissar Wolfgang Wilhelm von Völckern im Mai 1701, er habe schon vor etwa einem halben Jahr darauf hingewiesen, daß für die Festungen Kehl und Phitippsburg neue Betten angefertigt werden müßten, doch er sei bis jetzt immer 192 Vgl. Süß, Geschichte I, S. 361; Fleischmann, Reichskreis, S. 118; Sicken, Kreis, S. 64. 193 HHStA Wien MEA, Oberrh. Kreisakten 13, 1703 et 1704: Instruktion für eine Oberrh. Gesandtschaft zu Ludwig Wilhelm, o.O. o.D. [März-April 1704] (Abschrift).
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wieder vertröstet worden. Nun stand die Ankunft der kaiserlichen Dragonerverstärkungen für diese Plätze unmittelbar bevor 194, während die für sie notwendigen Betten noch immer nicht bereitstanden und nun in aller Eile improvisiert hergestellt werden mußten. Trotzdem veranschlagte Völckern noch immer zwei Monate, bis alle Dragoner mit einer Lagerstatt versorgt sein würden 195 . Anscheinend erbost über diesen Vorgang beklagte sich Völckern darüber, "daß [man], waß man doch zu thun willens, nicht in tempore thuet" 196. Damit hatte er den Finger in die grundsätzliche Wunde aller deutschen Verteidigungsanstrengungen gelegt. Alle Stände waren sich grundsätzlich darüber einig, daß man die Verfassung besser organisieren mußte, daß eine effektive Armee aufgestellt werden mußte, daß man eine der französischen ebenbürtige Streitmacht ins Feld stellen mußte. Doch dieses große Ziel verlor sich in endlosen Verhandlungen, die sich oft genug wie im Fall der Betten für Kehl und Phitippsburg schon in Kleinigkeiten so lange hinzogen, bis eine Entscheidung unumgänglich und nicht mehr zu umgehen war. Doch dann mußten alle Maßnahmen übereilt und - so ist im Zweifelsfall anzunehmen - mit letztlich höherem Kostenaufwand, als es bei einer langfristigen Vorbereitung der Fall gewesen wäre, durchgeführt werden. Betrachtet man z. B. die Verhandlungen, die im März, April und Mai 1693 zwischen dem Fränkischen Kreis und Kursachsen wegen des Durchmarsches der kurfürstlichen Truppen geführt wurden, so muß man sich unwillkürlich fragen, warum diese so kurz vor dem Feldzugsbeginn und damit unter Zeitdruck geführt wurden. Schon als im Jahr zuvor die Sachsen in die Quartiere gegangen waren, war klar, daß sie im nächsten Frühjahr wieder am Oberrhein erscheinen sollten. Theoretisch hätte man also während des Winters in aller Ruhe verhandeln können, um ohne Zeitdruck eine beide Seiten zufriedenstellende Lösung zu finden. Daß dies hier und sonst zumeist auch unterblieb, lag an einem charakteristischen Zug der Kreispolitik in vielen Fragen. Vor Problemen und schwierigen Verhandlungen schloß man gerne so lange die Augen, wie es ging. Erst im letzten Moment, wenn es die drängende Notwendigkeit unabweisbar machte, schritt man dazu, die Probleme zu bearbeiten, wobei man allzu oft sich damit begnügte, Symptome kurzzeitig zu kurieren, ohne an die Wurzeln des Übels zu gehen. Oft genug fehlte ja auch die Zeit, eine tiefgreifende Reform oder eine umfassende Neuregelung auszuarbeiten 197 • 194 4 Kompanien des Dragonerregiments Vaubonne erreichten Phitippsburg am 26.5.1701. GLA K. 46/3826, 65: Völckem an Ludwig Wilhelm, Ladenburg 27.5.1701. 19S Ebd. 196 GLA K. 46/3826, 61 : Völckern an Ludwig Wilhelm, Philippsburg 15.5.1701. 197 Vgl. dazu auch StA Wü. Wzbg. Kreisakten 556: Denkschrift des Fränk. Kassieramtssekretärs Johann Georg Fritz, 15.5.1708.
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Vorausschauendes Handeln, Investitionen, die helfen konnten, in Zukunft viel Geld zu sparen, wurden zwar immer wieder von verantwortlichen Offizieren und Verwaltungsbeamten empfohlen und gefordert 198, doch drang man zumeist damit bei den Ständen nicht durch. Dennoch sollte man den Stab nicht voreilig über die damals handelnden Personen brechen, denn es gibt durchaus auch Beispiele dafür, daß Probleme zielgerichtet angegangen und zur Zufriedenheit aller Beteiligten gelöst wurden. Die Stände im Umfeld des Kinzigtals und des Breisgaus, schwäbische wie vorderösterreichische, hatten vor 1693 durch eine jährliche Neuabstimmung untereinander die Kosten für den Unterhalt der dortigen Truppen reduzieren können, da insbesondere durch eine regelmäßige und vorausschauende Füllung der Magazine das schädliche Fouragieren vermieden werden konnte 199. Doch dafür, daß diese Lösung funktionieren konnte, waren zwei Voraussetzungen unabdingbar: Zum einen war die Zahl der beteiligten Stände, und zum anderen war die Zahl der zu versorgenden Soldaten begrenzt. In einem kleinen Rahmen wie diesem war es erheblich leichter, eine Einigung zu erzielen, als in dem größeren ganzer Kreise und zehntausender von Soldaten. Arbeitete man mit seinen unmittelbaren Nachbarn zusammen und hatte man sich mit diesen geeinigt, so war der Ansporn, die Einigung auch einzuhalten, größer, als wenn man sich auf einem Kreistag mit den Ständen der ganzen Region geeinigt hatte. Denn im Verkehr mit seinen direkten Nachbarn mußte man eher auf die Bewahrung eines guten Verhältnisses bedacht sein als im Verkehr mit Kreisständen aus einem anderen Viertel. In der sogenannten Reichskriegsverfassung von 1681 war zwar wenigstens ansatzweise eine Anpassung der von den einzelnen Kreisen zu stellenden Kontingente an ihre geographische Größe erfolgt, aber die interne Lastenverteilung orientierte sich noch immer an der Matrikel von 1521 200 . Nicht nur, daß viele Reichsstädte am Ende des 17. Jahrhunderts längst nicht mehr die wirtschaftliche Bedeutung hatten, die 1521 zu ihrem hohen Matrikelanschlag201 geführt hatte, es hat auch den Anschein, daß sie schon 198 Siehe beispielsweise HStA St. C 9, 400, Lit. H; Christian Ernst v. Bayreuth an Schwäb. KT, o.O. 28.8.1692: Er empfahl "Die anschaffung einer quantitet Habem und Heu, welche, ob[wohl - M.P.] selbige schon vor heüer nit nöthig, iedoch ins Künfftige wohl zustatten kommen würde". 199 GLA K. 46/3744, 39: Oberkommissar Johann v. Meyenhofer an Ludwig Wilhelm, Zell 3.5.1693. 200 Vgl. Jähns, Geschichte, S. 169 u. 177. 201 So stellte eine Matrikular-Inquisitions-Kommission des Fränk. Kreises fest, daß die Reichsstadt Schweinfurt jährlich etwa 30.000 fl. einnahm, aber Ausgaben von fast 50.000 fl. hatte, weshalb dringend eine Moderation des Kreisanschlages empfohlen wurde. StA Wü. Wzbg. Kreisakten 421, 23r - 24v: Resolution der Kommission, Schweinfurt 4.8.1697 (Abschrift). Vgl. Endres, Religionsfrieden, S. 216.
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damals nicht nur nach ihrer tatsächlichen Leistungskraft, sondern auch nach "Rang und Würde"202 in die Matrikelliste eingetragen worden waren. Problematisch wirkte sich die Statik der Matrikelanschläge aus 203 . Zwar stand es einem jedem Kreis frei, eine Moderation für seine Stände auszusprechen204, doch führte dies nicht automatisch zu einer Moderation der Leistungen, die der Kreis dem Reich schuldig war. Dies konnte nur durch Einigung auf Reichsebene durchgeführt werden, was jedoch durch fehlende Reichseinigkeit verhindert wurde. Entweder mußten also die verbleibenden Stände eine höhere Last auf sich nehmen, was in der Praxis nur schwer denkbar war, oder der Kreis verminderte eigenmächtig seine Gesamtleistung auf einen Usualfuß205 . In jedem Fall war damit die Frage der Moderation der Matrikularanschläge ein nur schwer durchführbarer Vorgang, der leicht zu end- und fruchtlosen Diskussionen führen konnte, bei denen es schon als Erfolg verbucht wurde, wenn sie mit "mehrer Tranquillität"206 als frühere geführt wurden. Stände, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Notlage die geforderten Beiträge nicht leisten konnten oder wollten, wurden damit auf den Weg der Selbsthilfe, nämlich der eigenmächtigen Moderation verwiesen. Oder man wählte unter verschiedenen Matrikeln und Repartitionen der Vergangenheit den oder die aus, die in der jetzigen Situation am günstigsten waren207 . Prinzipiell das gleiche Problem trat bei der Verteilung von Lasten zwischen zwei Kreisen auf. So erkannte der Fränkische Kreistag Ende 1696 zwar an, daß man den geschwächten Zustand der entlang der Frontlinie gelegenen schwäbischen Stände berücksichtigen müsse. Dennoch sei man nicht bereit, von einer an der Reichsmatrikel orientierten Verteilung zwischen beiden Kreisen abzugehen208 . Eine Anpassung der Matrikel an die tatsächlichen ökonomischen Gegebenheiten fand aber nicht oder allenfalls ansatzweise statt, obwohl man sich des Problems durchaus bewußt w~09 . Zwar hatte es seit 1521 immer Braun, Entwicklungslinien, S. 237. Vgl. Loch, Kreis, S. 91; Wenkebach, Bestrebungen, S. 50f. 204 Vgl. Günderrode, Untersuchung, S. 215. 205 Vgl. Güßregen, Wehrverfassung, S. 15; Sicken, Wehrwesen, Bd. 1, S. 115f. 206 So GLA K. 46/3819, 36: Gemmingen an Ludwig Wilhelm, Memmingen 16.5.1699. Vgl. Sicken, Reichskreis, S. 29. 207 1697 bezog sich beispielsweise der Kurrh. Kreis auf den Matrikularfuß von 1654, da dieser "billiger als der Interimsfuss von 1681" (Loch, Kreis, S. 35) war. Vgl. auch Süß, Geschichte I, S. 328. Siehe auch Blickle/Blickle, Schwaben, Dok. Nr. 149, S. 473 - 479: Schwäb. Matrikel v. 1698, wo die verschiedenen Moderationsgründe usw. detailliert aufgeführt werden. 208 GLA K. 46/3789, 135b: Fränk. KT an Ludwig Wilhelm, Nürnberg 27.11.1696. 209 So HHStA Wien MEA, Friedensakten 70, 312 r - 316 r: Instruktion für die kurmainz. Gesandtschaft zum Assoziationskonvent, Mainz 3.12.1696; GLA K. 46/ 202 203
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wieder Verbesserungen und Änderungen gegeben, doch niemals eine tiefgreifende Reform oder gar eine Dynamisierung, d. h. automatische Anpassung an wirtschaftliche Entwicklungen210. So gab es einige Stände, die durch ihren Matrikularansatz begünstigt waren, da er zu niedrig angesetzt war, während andere überproportional belastet waren. Die erste Gruppe war natürlich daran interessiert, den alten Fuß beizubehalten, der ihr Vorteile brachte. Dies beklagten z. B. einige fränkische Stände211 , als es um die Aufstellung von Landausschuß ging. Sie lehnten den Vorschlag ab, 6.000 Mann nach dem Fuß der Matrikel auf die Stände zu verteilen, da von ihnen dann etwa der 10. bis 20. Mann aufgestellt werden mußte, während die begünstigten Stände nur den 40. bis 60. Mann der tatsächlichen Bevölkerungszahl hätten aufstellen müssen. Die protestierenden Stände forderten daher, nicht die Matrikel als Grundlage der Landmiliz zu wählen, sondern je nach Grad der akuten Bedrohung den 10., 20. oder 30. Mann aufzurufen. D.h., man wollte statt der disproportionierten Matrikel die Leistungen jedes einzelnen Standes anband der tatsächlichen Bevölkerungssituation festlegen. Den benachteiligten Ständen blieb bei der Statik des Matrikularanschlages praktisch keine andere Möglichkeit, als einseitig das Unvermögen zu erklären, Leistungen zu erbringen, wenn diese ein gewisses Maß überschritten212. Da solche Erklärungen auch für andere Stände einen bequemen Anlaß boten, ihre Zurückhaltung zu erklären, war das Verfahren nicht dazu geeignet, die Kreislasten auf gesunder Basis zu verteilen213 . Die Beschlüsse der Kreise zur Aufstellung von Truppen und zur Finanzierung von deren Versorgung und Ergänzung beruhten nicht auf einer Analyse der tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungskraft der Gesamtheit der Stände. Eine Anpassung der Ausgaben an diese fand nicht statt, und nur selten finden sich Vorschläge einzelner Stände, eine solche wenigstens ansatzweise durchzuführen. Und noch seltener drangen derartige Vorschläge wirklich durch214 . 3814, Oktober, 1 a: Eberhard Ludwig v. Württemberg an Ludwig Wilhelm, Stuttgart 12.10.1698. 210 Vgl. v. Neipperg, Kaiser, S. 73; Hastenrath, Ende, S. 145; Kallenberg, Spätzeit, S. 74. 211 GLA K. 46/3755 III, 171 a: Eichstättischer, hohenlohe-geyerburgischer u. d. reichsstädtischen KT-Gesandten an Ludwig Wilhelm, Nümberg 23.4.1694. 212 z. B. StA Ba. H 2, 29, 64 v - 64 r: Erklärung des erbachischen Vertreters, Prot. Fränk. KT 23.12.1702. 213 Vgl. Storm, Kreis, S. 265 - 269. 214 Dieses Schicksal war z. B. der Bamberger Anregung beschieden, die Truppenstärke zu reduzieren und mit den eingesparten Mitteln dringend benötigte Artillerie usw. zu beschaffen, da man die Ausgaben für diese unmöglich zusätzlich zu denen
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Zahllose Beispiele zeugen davon, daß einzelne Stände und Fürsten, aber auch Kreise in ihrer Gesamtheit um die Erleichterung ihrer Belastung durch Quartiere, Durchmärsche, Lieferverpflichtungen usw. baten215 oder ihre Unfähigkeit erklärten, die in der Reichsmatrikel festgelegten Truppenquanten zu stellen216• Gängiges Argument war zumeist die Überlastung des eigenen Territoriums, so daß es nicht mehr in der Lage sein werde, zukünftige Lasten zu tragen, wenn die Situation sich nicht ändere. Insbesondere wurde gerne darauf verwiesen, daß man bei zu starker Belastung mit Winterquartieren schon vor Feldzugsbeginn derartig leertouragiert sei, daß man während der Kampagne keine Truppen mehr aufnehmen könne 217 • Man darf jedoch nicht übersehen, daß bei allen Einwendungen und Moderationsgesuchen doch eine gewisse Bereitschaft der Stände erkennbar ist, ihren Teil zu den gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen beizutragen. Der Ludwig Wilhelm eng vertraute FM Hans Karl von Thüngen konnte so z. B. Anfang 1697 melden, daß es zwar noch einige Schwierigkeiten bei der Verteilung der Lasten zum am Main geplanten Schanzwerk gebe, die meisten Stände sich aber nunmehr "willfahrig darzu erklähret"218 hätten. Sogar Friedrich Magnus von Baden-Durlach, der während des Neunjährigen Krieges immer wieder darauf hinwies, daß sein Land von den Linien nicht geschützt werde und es daher nicht billig sei, seine Untertanen zu Schanzarbeiten heranzuziehen, erkannte doch die höhere Notwendigkeit des Linienbaus an und erklärte sich bereit, an diesem mitzuwirken, wenn nur die angeforderte Zahl von Schanzarbeitern aus der Markgrafschaft in erträglichen Grenzen gehalten werde 219• Ein möglicher Grund für eine Reihe von Ständen, ihren Teil der Kreislasten nicht voll zu erfüllen, wird in einem schwäbischen Kreisabschied aus dem Jahr 1693 deutlich: Zwar wird hierin anerkannt, daß einige Stände und hier v. a. Reichsstädte berechtigte Beschwerden gegen ihren Matrikularanschlag vorbringen konnten, der ihrer tatsächlichen wirtschaftlichen Situation für die jetzt unterhaltene Truppenstärke leisten könne. StA Ba. B 41/2, 324, 13: Instruktion der Baroberger KT-Gesandtschaft, Bamberg 20.10.1692. 215 Beispielsweise HStA St. C 9, 421, 91: Memoralia der schwäb. Stände, Ulm April 1702; HStA St. C 9, 430, 39: Memoralia Statuum des Schwäb. Kreises, Biberach 24.7.1706. 2 16 Dies traf v. a. auf den seit 1648 stark verkleinerten Oberrh. Kreis zu. Siehe z. B. LA Sp. E 3, 1528, 85r- 86v: Oberrh. AA an Leopold, Frankfurt a.M. 16.6.1703 (Konzept). Es trat jedoch auch in den anderen Kreisen auf. Vgl. Sicken, Wehrwesen, Bd. 1, S. 109. 2 17 Beispielhaft sei nur genannt GLA K. 46/3791, 71: Friedrich Magnus v. Baden-Durlach an Friedrich Karl v. Württemberg, Basel 5.1.1697 (Abschrift). 21 8 GLA K. 46/3791, 85: Thüngen an Ludwig Wilhelm, Mainz 15.1.1697. 219 GLA K. 46/3755 III, 168: Friedrich Magnus v. Baden-Durlach an GWM Spielberg, o. 0. 17.4.1694 (Abschrift).
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nicht mehr entsprach. Doch mit Mehrheit - nicht einstimmig - lehnte der Kreistag bis auf wenige eindeutige Einzelfälle eine Moderation ab, da weder die Zeit noch der politische Wille zu einer grundsätzlichen Reform des Matrikularwesens vorhanden waren. Die betroffenen Stände erreichten nicht mehr als die Zusicherung, zukünftig bei außerordentlichen Leistungen etwas weniger aufbringen zu müssen 220• Es liegt auf der Hand, daß diese zum einen aus Enttäuschung über die Ablehnung ihres Moderationsgesuches, zum anderen aus tatsächlichem Unvermögen sich bei der Erfüllung der Kreistagsbeschlüsse zurückhielten. Kam man nicht auf direktem Wege zum Ziel, so konnte man durch eine Art von passivem Widerstand doch noch zu seinem tatsächlichen oder nur vermeintlichen Recht kommen: Durch stillschweigendes Verweigern von Zahlungen usw., gegen das der Kreis wenig unternehmen konnte. Es war gar nicht nötig, es auf großartige Konflikte um die Abänderung von Kreisbeschlüssen ankommen zu lassen, wenn man sein Ziel auch auf diesem informellen Weg erreichen konnte. Als sich Ludwig Wilhelm 1694 über den mangelnden Gehorsam des fränkischen Oberkommissars Badon beschwert hatte, wies der Kreis diesen zwar an, zukünftig besser zu gehorchen. Doch gleichzeitig teilte er dem Markgrafen mit, daß die Zahlungsverzögerung vieler Stände nicht abgestellt werden könne. In diesen Fällen könne man Badon daher nicht Ungehorsam vorwerfen, wenn er eine Zahlungsanweisung nicht durchführte221 • Man nahm also das Zahlungs- oder besser Nichtzahlungsverhalten der Stände als naturgegeben hin, ohne auch nur über eine Veränderung nachzudenken. Tatsächlich handelte es sich um ein so weit verbreitetes Problem, daß man nur wenige Stände als notorische Nicht-Zahler bezeichnen kann, während die Masse mal zahlte, mal nicht, mal nur zum Teil. In einer Aufstellung aus dem Jahr 1703 222 , die für 96 schwäbische Stände die rückständigen Zahlungen an das Proviantamt seit 1701 verzeichnet, erscheinen nur acht als regelmtißige und vollständige Zahler, die übrigen haben ihre Abgaben in unterschiedlich hohem Maße geleistet, ohne daß einer nie seine Schuld bezahlt hätte. Beim Zahlungsverhalten ist kein eindeutiges Muster feststellbar. Weder waren es bevorzugt geistliche Stände, die nicht zahlten, noch die kleinen oder die Reichsstädte. Auch ist keine eindeutige geographische Zuordnung möglich. Eindeutig ist nur der Trend, daß mit den Kriegsjahren die Zahlungsmoral mehr und mehr nachließ. Die Gründe hierfür konnten vielfacher Natur sein: Von schlichtem Egoismus über Kriegsmüdigkeit bis hin zu tatsächlichem Unvermögen. Warum ein Stand in einer bestimmten Situation seine KreislaGLA K. 46/3742, 161: Schwäb. KA Ulm 25.4.1693, § 16 (Abschrift). GLA K. 46/3758 III, 192: Fränk. EKT an Ludwig Wilhelm, Nürnberg 29.7.1694. 222 HStA St. C 9, 423, 24: "Summarischer Außzug" der Proviantamtsrestanden seit 170 I, Esslingen 28.4.1703. Weitere Beispiele lassen sich leicht finden. 220 221
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sten erfüllte oder nicht erfüllte, läßt sich nicht pauschal, sondern nur individuell klären. Vielleicht würde sich bei einer vergleichenden Betrachtung der archivalischen Hinterlassenschaft jedes Standes zu dieser Frage ein Muster ergeben, doch das ist eine Arbeit, die hier nicht geleistet werden kann. Jedenfalls sollte man keine schematische Gleichsetzung von abgelehntem Moderationsgesuch und mangelnder Zahlungsbereitschaft durchführen. Von den vier Hauptbeschwerdeführern gegen zu hohe Abgaben zahlten 1693 Memmingen alles, Rottweil bis auf wenige fl. alles, Nördlingen genau die Hälfte und Heilbronn gar nichts von den jeweils für die Operationskasse geforderten Geldbeiträgen223 . Ein einheitliches Verhalten ist also nicht festzustellen. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang der Bericht des oberrheinischen Oberkommissars Philipp Jakob Ulmann über die Kassenlage und die Zahlungsbereitschaft der einzelnen Kreisstände zwischen 1698 und 1700, den er den Kreisausschreibenden Fürsten gab224 : Hier wird die ganze Palette der Möglichkeiten zur Verweigerung von Zahlungen deutlich, der sich die Stände bedienen konnten. Neben getreulieber Erfüllung von Verpflichtungen225 versuchten Stände, Geld- durch Naturalleistungen zu ersetzen226, zahlten ohne nähere Angabe von Gründen gar nichts227 , beriefen sich auf unklare Berechnungsgrundlagen ihrer Beiträge228, konnten organisatorische Schwierigkeiten bei der von mehreren Ständen gemeinsam betriebenen Aufstellung von Kreiskompanien als Entschuldigung für Verzögerungen angeben229, verwiesen auf die Verarmung ihrer Untertanen im letzten Krieg230 oder moderierten ihren Matrikelfuß eigenmächtig, wobei Ulmann bedeutet wurde, daß er sich mit dem geringeren Anschlag zufrieden geben solle oder in Zukunft gar nichts mehr erhalten werde231 . GLA K. 46/3749 II, 178: Aufstellung vom Oktober 1693. LA Sp. X5, 151: Ulmann an Oberrh. AA, Frankfurt a.M. 1.6.1700. 225 z.B. Bistum Worms, das aber auf den recht geringen Fuß von 41 fl. 40 kr. monatlich moderiert war. 226 z. B. Bistum Speyer: Verrechnung von Holzlieferungen für Philippsburg auf die Kreisbeiträge. 227 z.B. Bistum Basel, dessen Außenstände seit 1698 sich auf 18.340 fl. summiert hatten. Ebenso die Johanniter, die noch 39.200 fl. ausstehen hatten. 228 Besonders deutlich bei der zwischen Pfalz und Baden geteilten Vorderen Gft. Sponheim, wo sich die örtlichen Beamten nicht trauten, ohne Spezialbefehle der fernen Fürsten Zahlungen zu tätigen. 229 z. B. Kurmainz für Königstein und Pfalz-Simmern: Sie sollten zusammen neben je einer eigenen eine gemeinsame Inf. Kp. jeweils zur Hälfte bilden, konnten sich aber nicht darauf einigen, wer die unteilbare Prima Plana, also den Kompaniestab, zu stellen hatte. 230 z. B. Nassau-Ottweiler und Nassau-Saarbrücken. 23I Ebenfalls Ottweiler und Saarbrücken. 223
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Um seine von einem Mehrheitsbeschluß abweichenden Interessen zu fördern und vielleicht Ludwig Wilhelm zu einem bestimmten Verhalten zu zwingen, hatte ein Stand natürlich immer die Möglichkeit, mit dem Rückzug seines Truppenkontingents zu drohen. Dazu mußte der Stand allerdings eine zahlenmäßig so starke Truppe unterhalten, daß ihr Abzug die Armee mehr oder weniger signifikant geschwächt hätte232• Voraussetzung war darüber hinaus, daß der Besitzer zu seinem Kontingent an der Armeespitze vorbei Verbindung aufnehmen und Befehle durchsetzen konnte. Doch hätte ein tatsächlicher Abzug eines Kontingentes ohne wirklich triftigen Grund dessen Besitzer eindeutig ins Unrecht gesetzt, da ein solcher Reichs-, Kreis- und Assoziationsbestimmungen widersprochen hätte. Nur die mächtigsten Fürsten konnten diesen Weg beschreiten, ohne erhebliche politische Nachteile erwarten zu müssen. So drohte z. B. Eberhard Ludwig von Württemberg 1707 damit, seine Kontingente an sich zu ziehen, auch wenn dies dem Kreis großen Schaden bringe, wenn dieser ihm nicht die durch den Tod Ludwig Wilhelms erledigte Kreisfeldmarschallsstelle zubillige233 . Nachdem Christian Ernst von Bayreuth dann das Kommando am Oberrhein übernommen hatte, drohte er in seinem Gratulationsschreiben damit, seine Haustruppen in Württemberg zu behalten, wenn sie nicht vom Kaiser versorgt würden234 . Eine solche Drohung hätte natürlich aus dem Munde eines schwächeren Standes eher lächerlich geklungen, als Eindruck zu machen. Dasselbe gilt für die Drohung Johann Wilhelms von der Pfalz 1708, seine Regimenter vom Oberrhein zurückzuziehen, wenn er nicht mit der Oberpfalz belehnt werde235 . Deshalb, und um dem der Reputation schadenden Vorwurf des Egoismus zu entgehen, mußte der drohende Kontingentsabzug als unabwendbar und durch die äußeren Umstände erzwungen dargestellt werden. Dieses Verfahren nutzte z. B. Friedrich Magnus von Baden-Durlach im Juli 1708, als die seinen zum schwäbischen Kreisheer gehörenden Truppen zugewiesenen Assignationen nur unzureichend einliefen: Er ließ in Stuttgart, also beim Kreis-Direktor, darauf hinweisen, daß die Zahlung an seine Männer und Offiziere umgehend auf die eine oder andere Weise erfolgen müsse, denn sonst würde "das Contingent ahnfehlbar auseinanderlauffen" 236. Damit 232 Vgl. Wilson, War-State, S. 118. Siehe auch HStA St. C 9, 397, 47: Schwäb. KT an die Kreisgesandtschaft in Wien, Ulm 22.11.1691. Die Abzugsdrohung wurde auch von armierten Fürsten dazu benutzt, ihre Interessen durchzudrücken, vgl. z. B. Frey /Frey, Friedrich 1., S. 196. 233 GLA K. 51 111210a, 12: Eberhard Ludwig v. Württemberg an die Fürsten und Stände des Schwäb. Kreises, Stuttgart 13.1.1707 (Abschrift). 234 StA Ba. Best. 1, neuverz. 1758: Eberhard Ludwig an Christian Ernst, Stuttgart 8.2.1707. 235 Vgl. v. Aretin, Reich, Bd. 2, S. 174. 236 GLA K. 51 11928: Pro Memoria für · eine Gesandtschaft nach Stuttgart. Konzept o. Verf., o. O. o. D. [ca. Juli 1708] (Konzept).
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wurde der Anschein erweckt, daß der Markgraf selbst keine Kontrolle darüber hatte, ob die Kreisarmee sein Kontingent verlieren würde oder nicht. Die Verantwortung hierfür wurde allein dem Kreis in der Person des württembergischen Direktoriums zugeschoben. Der Markgraf, der übrigens durch dieselbe Gesandtschaft um die Minderung von Assignationen eines fremden Regimentes auf sein Territorium bat, pochte also auf sein verbrieftes Recht, Gelder für die Unterhaltung seines Militärs von anderen Kreisständen zu erhalten. Liefen diese Zahlungen nicht ein, so war es nicht seine Schuld, wenn der Kreis sein Kontingent verlor. So vermied er den Vorwurf der Selbstsüchtigkeit und übte gleichzeitig wirksamen Druck aus, um Mittel für den Unterhalt seiner Truppen zu erhalten, was natürlich genauso in· seinem wie in des Kreises Interesse lag237 . Das gleiche Argumentationsschema wurde auch von ganzen Kreisen gegenüber Ludwig Wilhelm benutzt. Der Fränkische Kreis verlangte beispielsweise 1693, daß er möglichst von kursächsischen Durchmärschen verschont werde. Gelänge dies nicht, müsse es als "sehr zweiflhaftig anstehen, ob auf diesen leidig fall der getreu= und willige Creiß capabl bleiben werde, seine auf aygene Costen [... ] abhabende Miliz noch ferner unterhalten und zumahlen die zu denen extraordinari Veldt-operationen [... ] gewilligte 40 Römer Monath beytragen zu können'm 8 . Es handelte sich hier recht eindeutig um Druckausübung gegenüber dem Markgrafen, der so dazu gebracht werden sollte, mit vollem Eifer im Sinne des Kreises tätig zu werden. Um eine Verzögerung oder ein völliges Aussetzen von verschiedenen Zahlungen oder Sachleistungen zu entschuldigen, gaben Stände oder auch ganze Kreise also häufig an, sie seien zwar willig, ihren Beitrag zu leisten, aber durch fremde Märsche, Quartiere oder Anforderungen nicht in der Lage, dies zu tun. Damit verschoben sie die Schuld an einen Dritten, dessen negativen Einfluß auf die eigene wirtschaftliche Situation bei Übernahme der Last nicht einkalkuliert worden war239 . Teilweise hatten die Fürsten und Stände ihre lokale Verwaltung nicht voll in der Hand, so daß es zu an sich ungewollten Verzögerungen bei der Begleichung von Kreisleistungen kam240• Als z. B. 1704 von der unteren 237 Ähnliche Argumentation auch in: StA Wü. Adelsarchiv Feebenbach 2194, 203 r - 206 v: Instruktion für die Baroberger EKT-Gesandtschaft, Beybach 27.10.1709; GLA K. 46/3801, 63: Mehrheit der KT-Gesandtschaften der rechtsrheinischen Oberrh. Stände an Ludwig Wi1helm, Frankfurt a. M. 19.11.1697 (Abschrift); GLA K. 46/3758 III, 203: Fränk. EKT an Ludwig Wi1he1m, Nürnberg 30.7.1694. 238 GLA K. 46/3742, 238: Fränk. KT an Ludwig Wilhelm, Nürnberg 30.4.1693. 239 So z. B. GLA K. 46/3741, 39 a: Fränk. KT an Ludwig Wilhelm, Nürnberg 30.3.1693. 240 Zur Durchsetzungsfähigkeit der Herrschaft in Württemberg vgl. neuerdings Rublack, Staatlichkeit
4. Die Kreisverfassung und ihre Problerne
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Markgrafschaft Baden-Durlach nur etwa die Hälfte der angeforderten Schanzarbeiter tatsächlich zur Arbeit erschien, wies Friedrich Magnus seine Beamten darauf hin, daß diese Verweigerungshaltung kontraproduktiv sei, da sie den Ämtern eine militärische "execution und wohl ganzliebes Verderben auff den hals ziehen"241 werde, weshalb die zweite Hälfte der Schanzer umgehend zu stellen sei. In diesem Fall hatten also die Amtleute den Intentionen ihres Fürsten entgegengehandelt. Zum Teil war dies sogar bei der baden-badischen Regierung der Fall, die z.B. 1696 nur durch mehrfache scharfe Befehle ihres Fürsten und Exekution dazu gebracht werden konnte, Schanzarbeiter zu stellen. Interne Streitigkeiten etwa zwischen Landesherrn und Landständen, Bischof und Domkapitel oder Magistrat und Bürgerschaft einer Reichsstadt verzögerten natürlich die Zahlung von Matrikularbeiträgen usw ., wenn durch sie die geregelte Steuereinziehung blockiert wurde. Doch erkannte Josef als Kaiser solches "privat wesen" 242 nicht als Entschuldigungsgrund für verzögerte Zahlungen an. Mit dieser Haltung war er zwar formal im Recht, doch in der Praxis hatte von Territorium zu Territorium in jeweils unterschiedlichem Ausmaß die Verwaltung durchaus Möglichkeiten, den Willen ihres Souveräns zu unterlaufen und nur zögernd oder ungenügend auszuführen243 • Daß die nach 1697 soeben von der französischen Steuerschraube befreiten Untertanen der ehemals reunierten Gebiete wenig Neigung hatten, nun vermehrte Lasten für eine effektive Kreisverfassung zu zahlen und damit vom Regen in die Traufe zu kommen, ist verständlich 244 . Nahezu immer, wenn es uni die Verteilung oder Einforderung von Geldoder Sachleistungen ging, wurde von den Ständen die Einwilligung nur unter der Bedingung gegeben, daß die Proportion eingehalten werde 245 . Durchaus zurecht hegten diejenigen Stände, die ihre Beiträge mehr oder weniger gewissenhaft leisteten, einen gewissen Groll gegen solche, die wenig oder gar nichts zahlten, denn man sah es nicht ein, seine "Unterthanen alleine verderben zu lassen, damit anderer Stände Ihre conserviret werden"246 • Insbesondere auf der Ebene des gesamten Reiches herrschte ein 241 GLA K. 48/3494, 29: Friedrich Magnus an die Ämter der Unteren Markgrafschaft, Karlsburg 15.10.1704 (Konzept). 242 GLA K. 46/3897 III, 89: Josef an den Magistrat von Bremen, Wien 25.6.1706 (Abschrift). 243 Zu Württemberg vgl. Vann, Württernberg, S. 111 f. Siehe auch Gabel, Widerstand, S. 410. 244 LA Sp. E 3, 2013, 56 - 59: "Ursachen Warumb [... ] Nassau Ottweiler und Nassau Saarbrücken bey gegenwärtiger Craiß-Verfassung in etwas zu moderieren seyen", Prot. Oberrh. KT 27 .8.1700. 245 Vgl. auch Hartrnann, Reichskreis-Zeichen, S. 606. 246 HHStA Wien Große Correspondenz 64, E, 15r- v: Löwenstein an Wratislaw, Nürnberg 5.7.1704.
6 Plassmann
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II. Reichsverfassung und Reichsverteidigung
krasses Mißverhältnis zwischen Zahlern und Nicht-Zahlern. Als 1709 im Reichstag über eine Umlage zur Füllung der Reichsoperationskasse beraten wurde, ließ der Deutsche Orden vortragen, daß eine solche Umlage nicht nötig sein würde, wenn alle Reichsstände immer ihre Verpflichtungen erfüllt hätten, was natürlich der Wahrheit zumindest nahe kam247 . Die schwäbischen Grafen willigten dementsprechend in die Übernahme einer Zahlungsverpflichtung nur unter der Bedingung ein, daß diese auf das ganze Reich umgelegt und mit wirklicher Exekution gegen jeden Zahlungsunwilligen vorgegangen werde 248 • Doch das Reich funktionierte ohnehin nur sehr eingeschränkt, weshalb derartige Verhandlungen wenig praktische Auswirkungen zeigten. Um so größere Bedeutung wurde der Proportion jedoch bei der Verteilung von Lasten innerhalb der Kreise zugemessen. Ein dauerndes Ärgernis v. a. für die Stände, die mit ihren Leistungen für die Kreiskasse und die Kreistruppen nicht in Verzug gerieten, war die mangelnde Zahlungs- und Leistungsmoral vieler anderer Stände249. Bei Quartieren oder Postierungen ging das Bestreben, nicht mehr Truppen als die Nachbarn aufzunehmen, teilweise so weit, daß man um eine Reduzierung der Truppenzahl bat, auch wenn dadurch sowohl die eigene Sicherheit als auch die der ganzen Front gefährdet wurde, wenn ein wichtiger Posten unterbesetzt war und dadurch die Franzosen zu Überf