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German Pages 263 [264] Year 1988
OTMAR SCHNEIDER
Rechtsgedanken und Rechtstechniken totalitärer Herrschaft
Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 51
Rechtsgedanken und Rechtstechniken totalitärer Herrschaft aufgezeigt am Recht des öffentlichen Dienstes im Dritten Reich und der DDR
Von Dr. Otmar Schneider M. A.
Duncker & Humblot · Berlin
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schneider, Otmar: Rechtsgedanken und Rechtstechniken totalitärer Herrschaft: aufgezeigt am Recht d. öffentl. Dienstes im Dritten Reich u. d. DDR I von Otmar Schneider. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1988 (Beiträge zur Politischen Wissenschaft; Bd. 51) Zugl.: Bonn, Univ., Diss., 1987 ISBN 3-428-06485-2 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten
© 1988 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41
Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-06485-2
Vorwort Das Buch, das 1987 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn als Dissertation angenommen wurde, fällt in eine Zeit grundlegenden Wandels im sozialistischen Lager. Die Umgestaltung in der Sowjetunion durch den Generalsekretär der KPdSU Gorbatschow beginnt genau das in Frage zu stellen, was in dieser Arbeit als "totalitärer Anspruch" untersucht wird, und weist damit objektiv konterrevolutionäre Züge im Sinne der hergebrachten Ideologie auf. Diesen Weg wird auch die DDR beschreiten müssen, wenn nicht die Umgestaltung in der Sowjetunion selbst gestoppt wird. Es besteht daher die gute Möglichkeit, daß in absehbarer Zeit die Arbeit nicht nur hinsichtlich des das Dritte Reich betreffenden Teils, sondern auch hinsichtlich des Teils über die DDR rechtshistorischen Charakter haben wird. Bis dahin aber bietet der in diesem Buch angewandte rechtsvergleichende Maßstab einen geeigneten Gradmesser für einen Wandel des totalitären Anspruchs im anderen deutschen Staat. Für die Betreuung der Arbeit danke ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Bracher. Weiter bedanke ich mich bei den Mitgliedern der Bonner Bristolfraktion, die rege Anteilnahme am Werden des Werkes gezeigt haben. Besonders zu Dank verpflichtet bin ich meiner Frau Rosemarie, die die mit der Erstellung einer solchen Arbeit verbundenen Organisationsaufgaben in bewährter Art erledigt hat. Arnsberg, im Juni 1988
Otmar Schneider
Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel Einführung
17
I. Abschnitt
Totalitarismustheorie und rechtsvergleichende Untersuchung
17
Die Totalitarismustheorie und ihre Aktualität I .,Bürgerliche Ideologie" und die Totalitarismustheorie I Totalitäre Herrschaft als Gegenstand einer juristischen Untersuchung II. Abschnitt Methodische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Die Vergleichbarkeit .,kapitalistischen" und sozialistischen Rechts I Totalitäre Rechtsgedanken und totalitäre Rechtstechniken als Gegenstand der Rechtsvergleichung 2. Kapitel Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
26
I. Abschnitt
Das Recht der Beamten im nationalsozialistischen Staat 1. Das öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26 26
Phasen der nationalsozialistischen Beamtengesetzgebung I Die Entwicklung des Beamtenleitbildes I Tradition und Bruch im nationalsozialistischen Beamtenleitbild 2. Die Treuepflicht
33
Die Pflicht zur politischen Treue in der Rechtstradition I Die Pflicht zur politischen Treue nach dem DBG I Konkretisierungen in Runderlassen und in der Rechtsprechung I Der Wesenswandel der Treuepflicht I Ausprägungen der Bindung des Staates (wohlerworbene Rechte, Fürsorgepflicht) 3. Das Dienststrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Das Disziplinarrecht in der Rechtstradition I Das materielle Disziplinarrecht I Dienststrafen und Dienststrafverfahren I Auswahl und Kontrolle der Dienststrafrichter I Dienststraf-und Parteigerichtsbarkeit I Die disziplinarische Erfassung Hinterbliebener
Inhaltsverzeichnis
8
4. Einstellung, Beförderung und Entlassung der Beamten . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Einstellungsvoraussetzungen und -verfahren I Beförderungsvoraussetzungen und -verfahren I Beteiligung der Partei I Geheimhaltung der Personalakten I Die Zwangspensionierung 5. Die Gehorsamspflicht .......................... . ............. ; . . . . 66 Die Gehorsamspflicht in der Rechtstradition I Das Gehorsamsverweigerungsrecht und seine Einschränkungen I Der Gehorsam im Konflikt zwischen Partei und Staat 6. Erziehung und Schulung der Beamtenschaft
77
7. Der gerichtliche Rechtsschutz im Beamtenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Der gerichtliche Rechtsschutz in der Rechtstradition I Die Änderungen im Dritten Reich 8. Der Verwaltungsaufbau
87
Das Reich vom Bundes- zum Einheitsstaat I Die gemeindliche Selbstverwaltung li. Abschnitt
Das Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst des nationalsozialistischen Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 1. Der Wandel im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
Das Arbeitsverhältnis in der Weimarer Republik I Der nationalsozialistische Wandel im Verständnis des Arbeitsverhältnisses 2. Die Dienstgemeinschaft ................... . ..... . .......... . ..... .. 101 Der Gemeinschaftsgedanke I Das Treueprinzip I Das Führerprinzip 3. Der Vertrauensrat . ...... . ..... .. . . ...... . . ...... . . . ....... . ... . .. 104 Aufgaben I Vorkehrungen zur Sicherung der Beherrschung des Vertrauensrates 4. Die Soziale Ehrengerichtsbarkeit
107
Aufgaben I Das Besetzungs- und Abberufungsverfahren I Die Rechtsprechung I Betriebliche Bußen 5. Die Kündigung . .... .. .... . ... . .... . .... . ......... . . . . . . . ..... .... 113 Die außerordentliche und ordentliche Kündigung aus politischen Gründen I Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte I Die politische Beurteilung durch die Partei 6. Die Tarifordnungen Die Tarifmacht des Treuhänders I Der Inhalt der Tarifordnungen für den öffentlichen Dienst I Die Entlassung wegen politischer Unzuverlässigkeit nachder ATO
116
Inhaltsverzeichnis
9
7. Die Eingruppierung in Tarifgruppen ........... . ............. . . . ..... 121 8. Die DAF ................ . . . ............ .. ............. . ......... 123
3. Kapitel Der öffentliche Dienst in der DDR 1. Die gesetzlichen Grundlagen
126
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
Arbeitsgesetzbuch I Mitarbeiterverordnung I Dienstlaufbahnordnungen 2. Arbeit und Arbeitsrecht nach marxistisch-leninistischem Verständnis
128
Der Klassencharakter der Arbeit I Aufgaben des Arbeitsrechts 3. Die politisch-ideologische Wohlverhaltenspflicht nach allgemeinem Arbeitsrecht ... .. .............. . .................... .. ............. .. ... 131 Der Pflichtenkatalog des AGB I Die Bedeutung der Verletzung staatsbürgerlicher Pflichten I Staatsdisziplin als arbeitsrechtliche Pflicht in der historischen Entwicklung 4. Die besondere Pflichtengebundenheit des Staatsbediensteten
137
Die Verpflichtung zu hoher Staatsdisziplin I Die Verpflichtung auf die Grundsätze der sozialistischen Moral I Die Bindung an die Verfassung I Die Bindung an die SED 5. Die Pflichtengebundenheit im Sicherheitsbereich
142
6. Die Gehorsamspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Das Weisungsrecht nach dem AGB und der MVO I Das Gehorsamsverweigerungsrecht I Die Gehorsamspflicht nach der DLO 7. Der weisungsbefugte Leiter im System der Staatsverwaltung
150
Das Prinzip der Einzelleitung I Der demokratische Zentralismus als Prinzip des Staatsaufbaus I Die doppelte Unterstellung der Räte I Die Dominanz der Vorsitzenden der Räte und deren Unterstellung I Die Unterstellung der Volksvertretungen 8. Der Parteieinfluß auf die Verwaltung
154
Die Verbindlichkeit der "Beschlüsse der Partei der Arbeiterklasse" I Die Parteihierarchie I Die Leitungsaufgaben nach dem Parteirecht I Die Parteidisziplin 9. Personalpolitik und Erziehung im Staatsdienst
162
Personalpolitische staatliche Rechtsvorschriften I Die Kaderpolitik und das Nomenklatursysteml Personalpolitische Parteirechtsvorschriften I Die Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit 10. Das Disziplinarrecht ........ . . . .... . .. . .... .. ... . .......... . ... . . . 169 Die Disziplinarmaßnahmen nach dem AGB I Modifikationen in der MVO I Das Disziplinarverfahren
Inhaltsverzeichnis
10
11. Die Ausgestaltung des gerichtlichen Rechtsschutzes im Staatsdienstverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Die Zuständigkeiten der gesellschaftlichen und staatlichen Gerichte I Die Aufgaben der Rechtsprechung I Auswahl und Rechtsstellung der Richter I Die Sicherung der Parteilichkeit der Rechtsprechung 12. Die Mitwirkung der Werktätigen ............. . . . ............. . .. .... 180 Die grundsätzliche Einstellung zur Mitwirkung I Die rechtliche Ausgestaltung der Mitwirkung I Stellung und Funktion des FDGB und der BGO
4. Kapitel Vergleich
1. Wesen und Funktion des Rechts
185 185
Positivismus, Voluntarismus, Vorgegebenheit des Rechts I Der Gegensatz von Recht und Gesetz I Das Recht als Instrument in der Hand der Führung I Die Auslegung von Rechtsnormen I Recht, Ideologie und Moral 2. Das Staatsdienstverhältnis .. .. .... . . . . .. . .... .. ..... . . .. . ... . . . . . . . 197 Das Grundverständnis I Der Staatsbedienstete als Instrument in der Hand der Führung I Das Zuordnungssubjekt des Staatsbediensteten I Die materielle Determiniertheit der Staatstätigkeit 3. Die ideologische Bindung des Staatsbediensteten
204
Die Weltanschauung als Inhalt der Bindung I Die rechtstechnische Ausgestaltung der Bindung I Die ideologische Bindung im Verhältnis zur Verfassungstreuepflicht in der Bundesrepublik I Unterschiede in der Regelung des Dritten Reiches und der DDR I Die unterschiedliche juristische Methodik im Dritten Reich und der DDR I Differenzierungen innerhalb der ideologischen Bindung 4. Die Disziplin und ihre Einhaltung
213
Die Bedeutung der Disziplin I Die politische Disziplin I Das Disziplinarverfahren 5. Der Gehorsam
216
Der Parteigehorsam I Das Gehorsamsverweigerungsrecht 6. Der Verwaltungsaufbau
...... . .... .. ......... . . . ... . ........... .. . 221
Führerprinzip und demokratischer Zentralismus I Der Verwaltungsaufbau I Die Polizei als verselbständigter Verwaltungsbereich I Die Vereinigung von Verwaltungs- und Gesetzgebungskompetenz in einem Organ I Die gemeindliche Selbstverwaltung I Aspekte der Demokratie und Kollegialität im Verwaltungsaufbau 7. Der gerichtliche Rechtsschutz im Staatsdienstverhältnis Die Entwicklung des gerichtlichen Verwaltungsrechtsschutzes I Der gerichtliche Rechtsschutz gegen Disziplinarmaßnahmen I Die Unabhängigkeit des Richters I Die Funktion des Rechtsschutzes I Die r echtstechnische Ausgestaltung der Gerichtsverfassung
226
Inhaltsverzeichnis
11
233
8. Partei und Verwaltung Der staatstragende Charakter der Monopolpartei I Die rechtliche Ausgestaltung der Parteistellung I Die Aufgaben der Partei in der Staatsverwaltung 9. Die Mitwirkung der Beschäftigten in der Staatsverwaltung
237
Die Grundeinstellung zur Mitwirkung im Spannungsfeld von Interessenvertretung, Demokratie und Persönlichkeitsentwicklung I Die gesetzliche Ausgestaltung 10. Die Erziehung der Staatsbediensteten
242
Das allgemeine Erziehungsziel I Der Erziehungsgedanke im Staatsdienst
5. Kapitel Resümee
247
Literaturverzeichnis
250
Abkürzungsverzeichnis a.A.
anderer Ansicht
a.a.O.
am angegebenen Ort
AGB
Arbeitsgesetzbuch
ALR
Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten von 1794
AöR AOG
Archiv für öffentliches Recht Arbeitsordnungsgesetz (Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit) Arbeitsordnungsgesetz für die öffentliche Verwaltung (Gesetz zur Ordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben)
AOGö
ArbG ArbGG ARS
Art.
Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsrechtssammlung Artikel
ATO
Allgemeine Tarifordnung für Gefolgschaftsmitglieder im öffentlichen Dienst
AV AVG
Allgemeine Verfügung Angestelltenversicherungsgesetz
BAG BAT
Bundesarbeitsgericht
BBG
Bundesangestelltentarifvertrag
BDO
Berufsbeamtentumsgesetz (Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums) Band Bände Bund Deutscher Mädel Bundesdisziplinarordnung
BDStO
Beamtendienststrafordnung
Beitr. BetrVG
Beitrag Betriebsverfassungsgesetz
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
Bd. Bde. BDM
BGL
Betriebsgewerkschaftsleitung
BGO
Betriebsgewerkschaftsorganisation
BHG BPersVG BRÄndG
Beamtenhinterbliebengesetz Bundespersonalvertretungsgesetz Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiete des allgemeinen Beamten-, des Besoldungs- und des Versorgungsrechts
Abkürzungsverzeichnis BRG BRRG
Betriebsrätegesetz Beamtenrechtsrahmengesetz
Buchst.
Buchstabe(n)
BVerfG BVerfGE BVG DA DAF
Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Beamtenversorgungsgesetz Deutschland Archiv Deutsche Arbeitsfront
DB DBG
DerBetrieb Deutsches Beamtengesetz
DDAC DDR DGO DJ
Der Deutsche Automobil-Club Deutsche Demokratische Republik Deutsche Gemeindeordnung Deutsche Justiz
DJZ
Deutsche Juristenzeitung
DLO
Dienstlaufbahnordnung für den Dienst in der Deutschen Volkspolizei und den Organen Feuerwehr und Strafvollzug des Ministeriums des Innern
DLO-NVA
Dienstlaufbahnordnung für den Dienst in der Nationalen Volksarmee
DLO-ZV
Dienstlaufbahnordnung für den Dienst in der Zivilverteidigung
DNVP DO.NW
Deutschnationale Volkspartei Disziplinarordnung Nordrhein-Westfalen
DR DRiG
Deutsches Recht Deutsches Richtergesetz
DtArbR Dt.Verw.
Deutsches Arbeitsrecht Deutsche Verwaltung
DVBL
Deutsches Verwaltungsblatt
d.Verf. DVO
der Verfasser Durchführungsverordnung
DVP
Deutsche Volkspolizei
ebda.
ebenda
Erl. f.
Erlaß folgender
FDGB
Feier Deutscher Gewerkschaftsbund
FDJ
Freie Deutsche Jugend
ff.
fortfolgende
Fn. GAW
Fußnote(n) Grundlagen, Aufbau und Wirtschaftsordnung des Nationalsozialistischen Staates Gesetzbuch der Arbeit
GBA
13
14
Abkürzungsverzeichnis
GBL
Gesetzblatt der DDR
Gestapa
Geheimes Staatspolizeiamt
Gestapo
Geheime Staatspolizei
GG
Grundgesetz
GGG
Gesetz über die gesellschaftlichen Gerichte
GöV
Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen in der DDR 1985
GöV 1973
Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe in der DDR 1973
GS
preußische Gesetzsammlung
GVG HessStGH
Hessischer Staatsgerichtshof
Gerichtsverfassungsgesetz
HJ
Hitlerjugend
Hrsg.
Herausgeber
hrsgg.
herausgegeben
i.d.F .
in der Fassung
i.V.m. JbAkDR
in Verbindung mit
JöR
Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart
JW
Juristische Wochenschrift
KG
Kammergericht
KKO KPD
Konfliktskommissionsordnung
KPdSU
Kommunistische Partei der Sowjetunion
KündVO
Verordnung über das Kündigungsrecht
LAG
Landesarbeitsgericht
LVO
Laufbahnverordnung
MBliV Mdl
Ministerialblatt für die innere Verwaltung (Preußen und Reich) Minister des Innern
Kommunistische Partei Deutschlands
MRG
Ministerratsgesetz (Gesetz über den Ministerrat der DDR)
MVO
Mitarbeiterverordnung (Verordnung über die Pflichten, die Rechte und die Verantwortlichkeit der Mitarbeiterin den Staatsorganen)
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
NAG
Neuaufbaugesetz (Gesetz über den Neuaufbau des Reiches)
NJ
NeueJustiz
Nr.
Nummer(n)
NSBO
Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation
NSDAP
Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei
NSKK NSV
Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps Nationalsozialistische Volkswohlfahrt
NVA
Nationale Volksarmee
Abkürzungsverzeichnis NW
Nordrhein-Westfalen
OG
Oberstes Gericht der DDR
OGAE
Entscheidungen des Obersten Gerichts der DDR in Arbeitsrechtssachen
o.J. o.O.u.J.
ohne Jahr ohne Ort und Jahr
PAT
preußischer Angestelltentarifvertrag
PersVG.NW
PersonalVertretungsgesetz Nordrhein-Westfalen
PO
Parteiorganisation
PrOVG
Preußisches Oberverwaltungsgericht
PrOVGE RAG
Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts Reichsarbeitsgericht
RArbBl.
Reichsarbeitsblatt
RAT
Reichsangestelltentarifvertrag
RBG
Reichsbeamtengesetz
RDB
Reichsbund der Deutschen Beamten
RdErl.
Runderlaß
RDH
Reichsdisziplinarhof
Rdnr.
Randnummer(n)
RDStH
Reichsdienststrafhof
RDStHE RDStO
Entscheidungen des Reichsdiensi~trafhofs Reichsdienststrafordnung
REGH
Reichsehrengerichtshof
RFM
Reichsminister der Finanzen
RFSSuChdDtPol. Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei RG
Reichsgericht
RGBL
Reichsgesetzblatt
RGZ RKnG
Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen
RM
Reichsminister
RMdl
Reichsminister des Innern
ROW
Recht in Ost und West
RSHA
Reichssicherheitshauptamt
Rspr.
Rechtsprechung
RStGB
Reichsstrafgesetzbuch
RStHG
Reichsstatthaltergesetz
RuPrMdl
Reichs- und Preußischer Minister des lnnern
RVerwBl.
Reichsverwaltungsblatt
RVerwG RVO
Reichsverwaltungsgericht Reichsversicherungsordnung
s.
Seite(n), Satz (Sätze)
Reichsknappschaftsgesetz
15
Abkürzungsverzeichnis
16 SD
Sicherheitsdienst
SED
Sozialistische Einheitspartei Deutschlands
s.o.
sieheoben
SozE
Soziale(s) Ehrengericht(e) Spalte(n)
Sp.
ss
Schutzstaffel
StAnpG
Steueranpassungsgesetz
StdF
Stellvertreter des Führers
StGB
Strafgesetzbuch
StPO StuR s.u. TO.A
Strafprozeßordnung Staat und Recht sieheunten
TO.B
Tarifordnung B für Gefolgschaftsmitglieder im öffentlichen Dienst
Verf. VerfGHNW Verf.NW VerwArch.
Verfassung der DDR Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen Verwaltungsarchiv
Tarifordnung A für Gefolgschaftsmitglieder im öffentlichen Dienst
VGH
Verwaltungsgerichtshof
vgl. VO
vergleiche Verordnung
VP VVDStRL
Volkspolizei
VwGO WarnRspr WHW
Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Warneyer, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts Winterhilfswerk
ZBR
Weimarer Reichsverfassung Zeitschrift für Beamtenrecht
zit.
zitiert
WRV
ZK
Zentralkomitee
ZPO ZStW
Zivilprozeßordnung Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft
1. Kapitel
Einführung I. Abschnitt
Totalitarismustheorie und rechtsvergleichende Untersuchung Der Vergleich unterschiedlicher Formen politischer Gemeinschaften und die systematisierende Gruppenbildung ist klassischer Bestandteil des Denkens über Politik und politische Erscheinungen (man denke etwa an die aristotelische Staatsformenlehre). Da ein Vergleich reale Erscheinungen des politischen Lebens zum Gegenstand hat, bedeutet das Auftauchen neuer Formen und Elemente auch die Möglichkeit neuer Gruppenbildung nach neuen Merkmalen. So stellt etwa die marxistische Systematisierung in Sklavenhalter-, Feudal- und bürgerlichen Staat eine Einteilung dar, die an die ökonomisch-gesellschaftlichen Veränderungen anknüpft. Mit dem Aufkommen neuer Herrschaftsformen im russischen Bolschewismus, italienischen Faschismus und deutschen Nationalsozialismus entwickelte die politische Theorie eine neue Herrschafts- und Staatsformengruppe, das totalitäre Regime. Ursprünglich beinhaltete der Begriff eine liberale Kritik am italienischen faschistischen Staat, der dann von Mussolini übernommen und von ihm als positiv besetzter Gegenbegriff zum Liberalismus verwendet wurde 1 . Mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus wurde der Begriff auf diese Herrschaftsform übertragen, schon vor dem zweiten Weltkrieg fanden sich vereinzelt Stimmen, die auch das stalinistische Regime einbezogen. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Totalitarismusgedanke umfassender und systematischer verfolgt, es bildete sich die Totalitarismustheorie als ausdifferenzierter Forschungsansatz besonders im Vergleich nationalsozialistischer und stalinistischer Herrschaft heraus2 • Der Totalitarismusgedanke blieb lebendig in einer Vielzahl von Einzeluntersuchungen ideengeschicht1 Zur Entstehung und Entwicklung des Begriffs ,.totalitär" vgl. Funke: Totalitarismus, in Schober u. a. (Hrsg.): Evangelisches Soziallexikon, Sp. 1328; Schapiro: Totalitarismus, in: Kernig (Hrsg.): Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft, Bd. 6, Sp. 466; zur Entwicklung der Totalitarismustheorie vgl. Schlangen: Die Totalitarismus-Theorie. Entwicklung und Probleme, S. 138 ff. ; Bracher: Zeitgeschichtliche Kontroversen, S. 45 ff. 2 Vor allem Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft; Friedrich: Totalitäre Diktatur; Buchheim: Totalitäre Herrschaft. Wesen und Merkmale.
2 Schneider
18
1. Kap.: Einführung
licher, soziologischer und sozialpsychologischer Art, die sich etwa mit den geistesgeschichtlichen Wurzeln totalitären Denkens, mit der Entstehung und stufenweisen Entwicklung totalitärer Herrschaft, mit Massenvorgängen und der Elitebildung in totalitären Gesellschaften und mit dem Verhältnis von Bewegung und Staat beschäftigten, wobei diese Untersuchungen keineswegs immer vergleichenden Charakter hatten, sondern häufig Teil entweder der Kommunismus- oder der Nationalsozialismusforschung waren. Zeitlich zusammenfallend mit dem Abflauen des Kalten Krieges und dem Beginn der Entspannung im West-Ost-Verhältnis sah sich die Totalitarismustheorie zwei Kritikströmungen ausgesetzt3: Die eine erwuchs aus der antikapitalistisch-libertären Stoßrichtung der Studentenbewegung und kritisierte, die Totalitarismustheorie sei eine Kampfideologie der bürgerlichen Gesellschaft, die damit die eigenen konservativen Züge durch Aufbauen falscher Fronten verdecke4 • Dies kulminierte in der Meinung, die modernen kapitalistischen Industriestaaten mit ihren Manipulationsmechanismen seien selbst totalitär5 . Die andere Kritikrichtung erwuchs aus der Kommunismusforschung. Der Wandel von der stalinistischen Herrschaft mit ihren ausgeprägten Terrorelementen und hysterischen Volksfeindbeschwörungen zu einer subtilen, pragmatischeren und technokratischeren Herrschaft wurde als so grundlegend angesehen, daß manche den Begriff "totalitär" als nicht mehr angemessen ansahen, sondern an dessen Stelle z. B. den Begriff "autoritär" oder "konsultativ-autoritär" vorschlugens. Die Kommunismusforschung richtete den vergleichenden Blick nicht mehr auf das nationalsozialistische Regime, sondern auf die westlichen Industriestaaten und stellte fest, daß beide Systeme vor ähnlichen Problemen stünden, die mit ähnlichen Mitteln zu lösen versucht werde (Konzept der Industriegesellschaft), daß auf beiden Seiten Wandlungen zu einer Annäherung hin zu verzeichnen seien (Konvergenztheorie). In neuererZeitrüttelt selbst die Nationalsozialismusforschung am Totalitarismusgedanken, wenn sie herausstellt, daß die nationalsozialistische Herrschaft keineswegs - wie es totalitärem Denken entsprochen hätte- eine monolithische Struktur unter dem einen, alles lenkenden Willen des Führers, sondern geradezu eine polykratische Struktur aufgewiesen habe7. 3 Zum Zusammenhang von Totalitarismustheorie und Änderungen des Zeitgeistes vgl. Bracher: Schlüsselwörter in der Geschichte, S . 106 ff.; ders.: Zeit der Ideologien. Eine Geschichte politischen Denkens im 20. Jahrhundert, S. 294 ff. 4 Etwa Grebing: Linksradikalismus gleich Rechtsradikalismus. Eine falsche Gleichung, S. 66 ff. s Marcuse: Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, S. 23. 6 So Ludz: Parteielite im Wandel, S. 3 f., 36 f. 7 Vgl. etwa Morsey: in: Jeserich u. a. (Hrsg.): Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 4, S. 703, der von Kompetenzchaos und institutioneller Anarchie spricht.
I. Abschn.: Totalitarismustheorie und Rechtsvergleichung
19
Ist es, so könnte man angesichts des zeitgeschichtlichen Auf und Ab der Totalitarismuskonjunktur fragen, überhaupt noch von wissenschaftlichem Erkenntniswert, Vergleiche im Systemdreieck freiheitlicher demokratischer Rechtsstaat - nationalsozialistischer Staat - marxistisch-leninistischer Staat anzustellen? Bedeutet die Zusammenfassungzweier der drei Systeme unter einen Oberbegriff nicht lediglich die willkürliche Abgrenzung des dritten von den jeweils anderen? Muß eine vergleichende Untersuchung des nationalsozialistischen und des marxistisch-leninistischen Systems nicht notwendig an dem grundlegenden Wandel der Staatspraxis vom stalinistischen Staat zum heutigen Staat des real existierenden Sozialismus scheitern? In der Tat hat die Totalitarismustheorie Abgrenzungscharakter vom Standpunkt eines der Systeme8 . Der Vergleichsvorgang als solcher ist ein wertneutrales Feststellen von Tatsachen, aber die Bewertung (Gewichtung) der festgestellten Übereinstimmungen und Nichtübereinstimmungen, die Bewertung der Wesentlichkeit ist eine wertungsabhängige Einstufung, die vom ideologischen Standpunkt des Bewertenden abhängt. Das zeigt schon die Tatsache, daß jede denkbare Kombination der drei Systeme vorgenommen wurde und wird, ohne daß sich ohne weiteres feststellen ließe, daß die jeweilige Einstufung falsch (im Sinne von zu den Tatsachen im Widerspruch stehend) ist: Während die Totalitarismustheorie wesentliche Gemeinsamkeiten des nationalsozialistischen und des marxistisch-leninistischen Systems in Abgrenzung zum freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat erkennt, ist es für Marxisten-Leninisten eine ausgemachte Sache, daß der freiheitliche demokratische Rechtsstaat (in seiner Selbstbezeichnung) und der nationalsozialistische Staat nur zwei Formen ein und derselben bürgerlichen Herrschaft in Abgrenzung zum sozialistischen Staat sind9. Schließlich sind nach nationalsozialistischer Auffassung der marxistischleninistische Staat und der freiheitliche demokratische Rechtsstaat (der "liberalistische" Staat) wesensverwandt, weil beide Staaten Formen ein und derselben individualistisch-materialistischen, jüdischen Herrschaft in Abgrenzung zum nationalsozialistischen Volksstaat sindlO. Alle drei Kombinationen widersprechen sich nicht, sondern spiegeln untereinander unterschiedliche Wertungen wider: Während der Totalitarismustheoretiker die Art und Weise der Herrschaftsausübung und deren ideologische Rechtferti8 Zur Totalitarismustheorie als liberaldemokratischer Gegentheorie vgl. Schlangen: Die Totalitarismus-Theorie, S. 58 ff. 9 Kühnl: Formen bürgerlicher Herrschaft. Liberalismus -Faschismus. 1o Vgl. Feder: Das Programm der NSDAP und seine weltanschaulichen Grundgedanken, S. 27 f., 57: "Kapitalismus und Marxismus sind eins! Sie wachsen aus der gleichen geistigen Grundlage." Vgl. auch Hitler: Mein Kampf, S. 98 f., 703, 751, zur jüdischen Demokratie und zum Bolschewismus als zwei Versuchen des Judentums zur Erringung der Weltherrschaft.
2*
20
1. Kap.: Einführung
gung für ein maßgebliches Einstufungskriterium ansieht, kommt es für den Marxisten-Leninisten darauf an, inwieweit das Privateigentum an Produktionsmitteln beseitigt ist, während für den Nationalsozialisten die Eliminierung rassisch Andersartiger aus Führungspositionen und die Beseitigung vermeintlich fremdrassischen Denkens die entscheidenden Merkmale sind. Insofern ist die Kritik, die Totalitarismustheorie betrachte die Systeme aus bürgerlicher Sicht, 11 in Wirklichkeit kein erheblicher Vorwurf. Da die Feststellung der Wesentlichkeit eines Merkmals ein Bewertungsvorgang ist, kommt den eigenen ideologischen Grundaussagen, soweit sie zu den bewerteten Faktoren Stellung nehmen, ein entscheidendes Gewicht zu. Jedenfalls für eine juristische Untersuchung ist der ideologieabhängige Charakter der Totalitarismustheorie kein Mangel. Das, was Kommunisten abschätzig bürgerliche Ideologie nennen, ist Teil der Verfassungsprinzipien eines freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates. Jeder Staatsrechtler, der auf dem Boden des Grundgesetzes steht, ist "bürgerlicher Ideologe" und muß Wert darauf legen, es zu sein. Da die Verfassungsprinzipien eines freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates vor allem Umfang und Art der Ausübung politischer Macht, weniger das inhaltliche Ziel der ausgeübten politischen Macht regeln, ist es verständlich, daß "bürgerliche Ideologen" der Herrschaftstechnik und -struktur eines Systems wesentliche Bedeutung beimessen und daß andere, die nicht von den Verfassungsprinzipien eines freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates ausgehen, Ähnlichkeiten in der Herrschaftstechnik und -struktur für unwesentliche Nebensächlichkeiten halten. So gesehen ist die Totalitarismustheorie in der Tat die Theorie des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats in Abgrenzung zu bestimmten anderen Systemen12. Damit ist auch nachvollziehbar, daß die Totalitarismustheorie konjunkturellen Schwankungen in Abhängigkeit davon unterliegt, wie stark der Selbstbehauptungs- und Abgrenzungswille des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats im Zeitgeist verankert ist. Für den Staatsrechtier allerdings, der die unverändert gebliebenen grundlegenden Verfassungsprinzipien zum Maßstab nimmt, sind solche Wandlungen des Zeitgeistes ohne Bedeutung. Vor allem im Schrifttum der Staatslehre wird der Begriff totalitär wie selbstverständlich benutzt13. u Kühnl: Zur politischen Funktion der Totalitarismustheorie in der BRD, in: Greiffenhagen u. a.: Totalitarismus. Zur Problematik eines politischen Begriffs, S. 7 ff.; zum Totalitarismus als Kampfbegriff in der historischen Entwicklung vgl. Wippermann: Totalitarismus/Totalitarismustheorie, in: Pipers Wörterbuch zur Politik, Bd. 1, 2. Halbbd., S. 1032 f. 12 Pointiert Dürig, in Maunz u. a.: Grundgesetz, Art. 18 Rdnr. 48: "Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ergibt sich einfach daraus, was wir von "früher" und von "drüben" als politische Ordnung unbedingt nicht wollen." Ähnlich Weber-Fas: Das Grundgesetz, S. 62 f. 13 Etwa Zippelius: Allgemeine Staatslehre, § 29 I; Fleiner-Gerster: Allgemeine Staatslehre, § 16 Nr. 3, § 20 Nr. 6; Küchenhoff, Küchenhoff: Allgemeine Staatslehre, S. 47; Herzog: Allgemeine Staatslehre, S.l19 ff.; vgl. auch die Verwendung des
I. Abschn.: Totalitarismustheorie und Rechtsvergleichung
21
Allerdings kommt auch eine verfassungsrechtlich fundierte Totalitarismustheorie, wenn sie aktuell, d. h. mehr sein will als eine Auseinandersetzung mit historisch vergangenen Systemen, nicht darum herum, die Wandlungen in den sozialistischen Staaten zur Kenntnis zu nehmen und- gemessen an den Verfassungsprinzipien des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates - zu bewerten. Eine Untersuchung kann sich auf verschiedene Untersuchungsfelder erstrecken. So ist die soziologische Untersuchung der Herrschaftspraxis von Bedeutung und kann dazu führen, daß dem System auf Grund der Wandlungen das Merkmal "totalitär" abgesprochen wird. Indessen ist die totalitäre Herrschaft immer mehr Anspruch als Wirklichkeit, der tatsächliche totalitäre Charakter der Herrschaft kann den totalitären Anspruch nur in mehr oder weniger großem Ausmaß erreichenl4. Daher ist für die Qualifizierung eines Systems auch dieser Anspruch maßgeblich, selbst wenn er immer weniger verwirklicht wird. Ein System, das einen totalitären Anspruch erhebt, ohne in der Praxis Herrschaft totalitär auszuüben, müßte dann als latent oder tendenziell totalitär angesehen werdenl5. Eine solche Untersuchung des totalitären Anspruchs soll hier vorgenommen werden, indem die Rechtsordnungen des Dritten Reiches und der DDR in einem Teilbereich exemplarisch miteinander verglichen werden. Eine solche Untersuchung muß sich über die Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes und damit auch die begrenzte Reichweite der Aussagekraft der Ergebnisse im klaren sein. Jedoch hat auch eine so gegenständlich begrenzte Untersuchung ihren Erkenntniswert Zum einen trägt sie dazu bei, den ideologischen Grenzverlauf zwischen den Systemen zu markieren und damit einer allzu praxisbezogenen Anschauung des Verhältnisses von Ost und West zu einem geistigen Gerüst zu verhelfen. Zum anderen vermag eine rechtlich-ideologische Untersuchung im Verein mit soziologischen Untersuchungen das Auffinden bewältigungsbedürftiger Spannungen in den sozialistischen Staaten zu erleichtern, deren Bewältigung oder Nichtbewältigung Aufschluß darüber geben kann, ob praktische Änderungen der Herrschaftsausübung bereits geistig mit- und nachvollzogen sind und damit wirklich grundlegend sind. Der rechtsvergleichenden Untersuchung liegen im Kern die verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen des nationalsozialistischen und des sozialistischen Staates auf der einen Seite und des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates auf der anderen Seite zugrunde. Indessen wäre die verBegriffs bei Dürig, a.a.O., Rdnr. 48 ff.; Weber-Fas, a.a.O., S. 72; Wolff, Bachof: Verwaltungsrecht I, § 10. 14 Buchheim: Totalitäre Herrschaft, S. 43. 1s So Bracher, in: Totalitarismus und Faschismus. Eine wissenschaftliche und politische Begriffskontroverse. Kolloquium im Institut für Zeitgeschichte am 24. November 1978, S. 13 f.; zur Notwendigkeit, totalitäre Regime in unterschiedlichen Abstufungen zu unterscheiden, vgl. ders.: Zeitgeschichtliche Kontroversen, S. 54.
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1. Kap.: Einführung
gleichende Herausarbeitung dieser Unterschiede und Gemeinsamkeiten nichts Neues. Sie liegen zu sehr auf der Hand und sind in den älteren Werken zum Totalitarismusproblem bereits herausgearbeitet worden. Aufgabe dieser Untersuchung soll es vor allem sein, die rechtliche Umsetzung der totalitären Verfassungsprinzipien im Dritten Reich und der DDR in einem bestimmten Sondergebiet vor dem Hintergrund der rechtlichen Ausgestaltung in der Bundesrepublik Deutschland und der Weimarer Republik aufzuspüren und zu vergleichen. Es geht also um die rechtliche Feinstruktur des totalitären Anspruchs. Als Sachgebiet, in dem die rechtliche Ausgestaltung des totalitären Anspruches untersucht werden soll, bot sich das Recht des öffentlichen Dienstes an. Gemeint ist hier nicht nur der beamten- und arbeitsrechtliche Begriff, sondern der Gesamtkomplex der Rechtsnormen, die für die Herrschaft über den öffentlichen Dienst bedeutsam sind. Dazu gehören auch staatsorganisationsrechtliche Normen des Staatsaufbaus und gerichtsverfassungsrechtliche Normen über den gerichtlichen Rechtsschutz im öffentlichen Dienst. Es handelt sich um eine Materie, die besonders herrschaftsintensiv ist. Soweit es um die Stellung des Staatsbediensteten im Staatsgefüge geht, betrifft sie die Ausgestaltung der staatlichen Herrschaft allgemein, darüber hinaus sind Staatsbedienstete selbst in besonders starkem Maße Herrschaftsunterworfene, so daß deren Rechtsstellung ein Abbild des allgemeinen totalitären Anspruchs darstellt. Gemäß dem Ziel der Untersuchung kommt es nicht darauf an, das Recht des öffentlichen Dienstes als abgeschlossenes Sachgebiet vollständig zu vergleichen, vielmehr geht es nur um die herrschaftsbezogenen Aspekte dieses Rechtsgebietes. Gerade in ihnen nämlich realisiert und konkretisiert sich das totalitäre verfassungsrechtliche Denken.
II. Abschnitt
Methodische Vorbemerkungen Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf die Untersuchung der die Herrschaftsausübung über den öffentlichen Dienst regelnden Rechtsnormen. In diesem Sachbereich wird das in der DDR geltende Recht mit dem des Dritten Reichs vor dem Hintergrund der Weimarer und bundesdeutschen Rechtslage miteinander verglichen. Rechtsvergleichung knüpft am Rechtsproblem, am konkreten Sachproblem, an, d. h. an dem Lebensumstand, der unabhängig von den Besonderheiten der verschiedenen Gesellschaftsordnungen einer rechtlichen Lösung zugeführt wird1 . Dieses Rechtsproblem ist hier die Herrschaftsausübung über den öffentlichen Dienst als exemplarischer Fall der Herrschaftsausübung im allgemeinen, darin liegt das tertium comparationis. Insbesondere marxistische Juristen verneinen die Vergleichbarkeit von sozialistischem und "kapitalistischem" Recht2 . Das ist eine logisch unhaltbare, rein ideologisch-dogmatische Behauptung: Vergleichen bedeutet festzustellen, ob und inwieweit bei den Vergleichsgegenständen ein gemeinsames Merkmal vorhanden ist. Da - auch nach marxistisch-leninistischem Verständnis- sowohl "kapitalistisches" als auch sozialistisches Recht unter anderem die Art und Weise der Ausübung politischer Macht regeln, ist eine Vergleichung unter diesem Gesichtspunkt möglich. Eine von der logischen Vergleichbarkeit zu trennende Frage ist, ob die gewonnenen Vergleichsergebnisse relevant sind, ob sie bloß zufällige, äußerliche Übereinstimmungen sind, wie es etwa ein Vergleichsergebnis ist, das die sowjetische und amerikanische Rechtsordnung unter einem Oberbegriff zusammenfaßt in Abgrenzung zur britischen wegen des Umstandes, daß das Straßenverkehrsrecht der beiden ersten Rechtsordnungen das Rechtsfahren, das der letzteren das Linksfahren gebieten. Zweifelsohne ist eine solche Oberbegriffsbildung logisch zulässig. Ob es einen Wesenszug der genannten Rechtsordnungen aufdeckt, hängt von der Bewertung der Bedeutung des Gebots ab, auf welcher Straßenseite zu fahren ist. Das ist kein feststellender Vorgang mehr, gegen den der Einwand der Unrichtigkeit zulässig wäre, sondern ein werBartels: Methode und Gegenstand intersystemarer Rechtsvergleichung, S. 67 ff. Constantinesco: Rechtsvergleichung, Bd. 3, S. 141 ff.; Uschakow: Der Beitrag der Wissenschaftslogik zur Rechtsvergleichung im Ost-West-Verhältnis, in: Festschrift Meissner, S. 57 f.; Bartels, a.a.O., S. 23 ff. 1
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1. Kap.: Einführung
tender Vorgang, der von subjektiver Schwerpunktsetzung und dem Erkenntnisziel abhängt. So ist die genannte Oberbegriffsbildung etwa für die vorliegende Untersuchung, die die rechtliche Ausgestaltung von Herrschaft zum Gegenstand hat, unwesentlich, während für jemanden, der eine Übersicht für einen internationalen Autoatlas erstellt oder der für die Konstruktion von zum Export bestimmten Autos zuständig ist, dieses Merkmal wesentlich und damit die Einteilung der Rechtsordnungen in Rechts- und Linksfahrordnungen sinnvoll ist. Die angebliche Unvergleichbarkeit "kapitalistischen" und sozialistischen Rechts beruht nach Auffassung der marxistischen Ideologen darauf, daß das erstere ein Ausbeuterrecht, also das Klassenrecht einer Minderheit zur Unterdrückung der überwältigenden Mehrheit sei, während das sozialistische Recht umgekehrt das Klassenrecht der Mehrheit von arbeitenden Menschen zur Niederhaltung der Minderheit von Reaktionären sei. Abgesehen davon, daß dieser Ausgangspunkt - vorsichtig gesprochen - anfechtbar ist, schließt das nicht aus, die rechtliche Ausgestaltung von Herrschaft in bürgerlichen und sozialistischen Rechtsordnungen vergleichend zu untersuchen. Marxisten-Leninisten mögen dann einwenden, es sei gleichgültig, wie Herrschaft ausgestaltet sei, wenn es nur Herrschaft im Interesse der überwältigenden Mehrheit sei. Hier jedenfalls wird die wertende Auffassung vertreten, daß die Art der Herrschaftsausgestaltung selbständige Bedeutung hat und damit wesentlich ist. Diese wertende Auffassung beruht zum einen darauf, daß der Verfasser dem sozialistischen Recht- wie überhaupt jedem inhaltlich festgelegten Recht- das Wesensmerkmal, Recht im Interesse der Mehrheit zu sein, abspricht und damit die Form der Herrschaftsausübung gegenüber ihrem Inhalt selbständige Bedeutung gewinnt; zum anderen treten selbst nach marxistisch-leninistischer Auffassung in Ländern, in denen angeblich Herrschaft im Interesse der Mehrheit ausgeübt wird, Entartungen der Herrschaft auf (z. B. die "Mißachtung der sozialistischen Gesetzlichkeit und der Prinzipien kollektiver Führung sowie Erscheinungen des Personenkults"). Wenn dem so ist, müßte auch nach marxistisch-leninistischer Auffassung der Ausgestaltung von Herrschaft eine selbständige Bedeutung zukommen. Da die Totalitarismustheorie eine Oberbegriffsbildung im Systemdreieck freiheitlicher demokratischer Rechtsstaat - nationalsozialistischer Staat marxistisch-leninistischer Staat vornimmt, erstreckt sich die hier vorgenommene Rechtsvergleichung der Sache nach auf drei Rechtsordnungen. Jedoch wird die Kenntnis der entsprechenden Normen des bundesdeutschen Rechts vorausgesetzt. Nur in Einzelfällen, in denen dies nicht selbstverständlich scheint, wird die Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland und zum Teil auch in der Weimarer Republik erwähnt.
II. Abschn.: Methodische Vorbemerkungen
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Rechtsvergleichung ist ein dreistufiger Vorgang3 • Die zu vergleichenden Normen sind festzustellen, zu verstehen und dann erst zu vergleichen. Rechtsvergleichung kann dabei einerseits zum Ziel haben, verschiedene Lösungen für ein bestimmtes Rechtsproblem mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen darzustellen und zu vergleichen. Im Gegensatz zu dieser Mikrovergleichungversucht Makrovergleichung, die Verwandtschaft der Rechtsordnungen durch Vergleich ihrer spezifischen Strukturen herauszuarbeiten, um die Rechtsordnungen so in Rechtskreise ordnen zu können4 • Das erfordert, zwischen determinierenden Elementen, die jeder Rechtsordnung spezifische Züge verleihen und ihren Charakter bestimmen, und fungiblen Elementen, die nur Ausdruck unterschiedlicher Rechtstechnik bei gleichem Wertsystem sind5 , zu unterscheiden. Hier wird eine Makrovergleichung angestellt, die also zu den grundlegenden Rechtsgedanken jenseits bloßer Rechtstechnik vordringen will. Andererseits kann auch die Rechtstechnik eine bestimmte Ideologie, ein bestimmtes Wertedenken zum Ausdruck bringens, ja es läßt sich zum Teil erst aus der rechtstechnischen Ausgestaltung eines Sachgebiets (etwa der Rechtsstellung des Richters) das rechtsgedankliche Wertesystem (etwa zur verbal von allen Seiten bejahten Unabhängigkeit des Richters) erschließen. Rechtsgedanken und Rechtstechnik stehen deshalb in einem Wechselverhältnis: Bestimmte Rechtsgedanken bedingen bestimmte Rechtstechniken, wie umgekehrt bestimmte Rechtstechniken bestimmte Rechtsgedanken voraussetzen, ohne daß diese Schlüsse generell zwingend sind. Letztlich wird nur eine Gesamtschau der Rechtsgedanken und der rechtsgedanklich bestimmten Rechtstechniken dafür maßgebend sein, ob von totalitären Rechtsordnungen als eigenem Rechtskreis gesprochen werden kann. Der Beantwortung dieser Fragen dient die vorliegende rechtsvergleichende Detailuntersuchung. Wenn sich von einem Rechtskreis "totalitäre Rechtsordnungen" sprechen läßt, kann die politikwissenschaftliche Untersuchung eines Regierungssystems die Tatsache, daß das System über eine totalitäre Rechtsordnung verfügt, als ein gewichtiges Element heranziehen, das untersuchte System auch auf einer breiteren soziologischen Grundlage als totalitär einzustufen7 . Eine rechtsvergleichende Untersuchung kann daher auch Bedeutung gewinnen für die politikwissenschaftliche Totalitarismusdebatte.
Constantinesco, a.a.O., Bd. 2, S. 137 ff. Ebda., Bd. 3, S. 241 ff. s Ebda., S. 194 f . s Ebda., S. 328. 7 Zur Notwendigkeit, auch die Rechtssoziologie in eine Gesamtbetrachtung einzubeziehen, vgl. Bartels: Methode und Gegenstand intersystemarer Rechtsvergleichung, s. 80 f. 3
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2. Kapitel
Der öffentliche Dienst im Dritten Reich I. Abschnitt
Das Recht der Beamten im nationalsozialistischen Staat 1. Das öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnis
Die Entwicklung des Beamtenrechts im Dritten Reich ist ähnlich wie in anderen Bereichen durch die drei Phasen der Machtergreifung und -konsolidierung, der Herausbildung eines spezifisch nationalsozialistischen Rechts und der im wesentlichen kriegsbedingten Deformierung gekennzeichnet. Während unmittelbar nach dem 30. Januar 1933 Absetzungen und Ersetzungen von Beamten auf revolutionärem Wege, das heißt zum Teil gewaltsame Aktionen ohne rechtliche Ermächtigung das Bild kennzeichneten!, wurde mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtenturns vom 07. April 1933 2 (BBG) eine systematischere "Säuberung" eingeleitet, in der die Entlassung eines Beamten des Reichs, der Länder, Gemeinden und sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts unter Abweichung von bislang geltenden Vorschriften möglich war, wenn er nach seiner bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bot, jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat einzutreten (§ 4 BBG). Ruhegehaltsansprüche sollten erst ab einer zehnjährigen Dienstzeit bestehen(§ 8 BBG). Die Entscheidung über die Entlassung traf die oberste Reichs- oder Landesbehörde unter Ausschluß des Rechtsweges(§ 7 BBG). Neben diesen machtpolitisch orientierten Vorschriften wurde auch ein rein ideologisch begründetes, rassistisches Ziel verfolgt: Gemäߧ 3 BBG waren nichtarische Beamte in den Ruhestand zu versetzen3. 1 Vgl. Mommsen: Beamtenturn im Dritten Reich, S. 31, 40 f.; Sauer, in: Bracher, Sauer, Schulz: Die nationalsozialistische Machtergreifung, S. 491 ff. 2 RGBL I S. 175. J Zum - soweit feststellbar eher beschränkten - Umfang der auf Grund des BBG verfügten Entlassungen vgl. Mommsen: Beamtenturn im Dritten Reich, S . 3 ff.; Püttner: Der öffentliche Dienst in: Jeserich u . a. (Hrsg.): Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd.4, S.1085; eine Detailuntersuchung für Lübeck bietet Dimpker: Die "Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" .
1.1. Das öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnis
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Nach mehrfachen Verlängerungen der befristeten Normen des BBG4 wurde am 26. Januar 1937 5 das Deutsche Beamtengesetz (DBG) erlassen. Es stellte erstmalig die Rechtsverhältnisse aller Beamten, seien es Reichs-, Landes-, Kommunal- oder sonstige Beamte, auf eine einheitliche Rechtsgrundlage. Schon unter Geltung der WRV stand dem Reich gemäß Art. 10 Nr. 3 WRV die Gesetzgebungskompetenz zu, Grundsätze für das Recht der Beamten aller öffentlichen Körperschaften zu erlassen, in den Art. 128 bis 131 und 176 WRV waren bereits verfassungsrechtliche Grundsätze festgelegt, und nach Art. 128 Abs.3 WRV war der Reichsgesetzgeber sogar zur Wahrnehmung seiner in Art. 10 Nr.3 WRV eingeräumten Kompetenz verpflichtet. Trotzdem ist es in der Weimarer Republik nicht zum Erlaß eines für alle Beamten geltenden Beamtengesetzes gekommen. Es lagen allerdings dafür und für Teilbereiche Entwürfe vor, die zum Teil sogar schon im Reichstag behandelt worden waren6. Wegen der häufigen Reichstagsauflösungen kam es aber nicht zur endgültigen Beschlußfassung. Von einer Rechtszersplitterung konnte jedoch nur bedingt die Rede sein, da in den Einzelgesetzen viele gleiche Bestimmungen enthalten waren 7 • Auf diese Vorarbeiten griff das Dritte Reich bei der Neuordnung des Beamtenrechts zurück. Sie wurden lediglich nationalsozialistisch umgearbeitet8. Das Ergebnis war das DBG und die am gleichen Tage erlassene Reichsdienststrafordnung (RDSt0)9. Trotz seiner vornationalsozialistischen Herkunft wurde das DBG von der nationalsozialistischen Rechtswissenschaftangesichts des Umstandes, daß eine kodifizierte Verfassung des Dritten Reichs nicht vorhanden war, zu den nationalsozialistischen Grundgesetzen gezählt, aus denen sich die Verfassungsstruktur des Dritten Reichs sollte ablesen lassen können1o. Die Deformation des Beamtenrechts unter Kriegsbedingungen schließlich wird durch einen Beschluß des Reichstags vom 26. April 194211 markiert. Hitler empörte sich über ein ihm zu mildes Strafurteil und nahm dies zum Anlaß, sich vom Reichstag ein unbeschränktes Eingriffsrecht in die Rechtsverhältnisse der Richter, Soldaten und Beamten bescheinigen zu lassen12. In 4 Vgl. die Aufstellung der Gesetzesänderungen bei Pfundtner, Neubert: Reichsrecht, I c 1, S . 1 f. s RGBL I S . 39. s Thiele: Die Entwicklung des deutschen Berufsbeamtentums, S. 62; die Entwürfe werden aufgelistet bei Wiehert: DBG, S. 20 f. 7 Anschütz: Verfassung, Art 10, 11 Anm. 5. s Wiehert: DBG, S. 21 f.; zur Entstehungsgeschichte des DBG vgl. Mommsen: Beamtenturn im Dritten Reich, S . 91 ff. 9 RGBL 1937 I S. 71. Io Statt vieler Stuckart u. a.: Staatsaufbau, S. 15, und der Staatssekretär Pfundtner im Völkischen Beobachter vom 03.02.1937, S. 2. n RGBl. I S. 247
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
dem Beschluß heißt es, der Führer müsse, ohne an bestehende Rechtsvorschriften gebunden zu sein, in der Lage sein, "nötigenfalls jeden Deutschen - sei er einfacher Soldat oder Offizier, niedriger oder hoher Beamter oder Richter, leitender oder dienender Funktionär der Partei, Arbeiter oder Angestellter - mit allen ihm geeignet erscheinenden Mitteln zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und bei Verletzung dieser Pflichten nach gewissenhafter Prüfung ohne Rücksicht auf sogenannte wohlerworbene Rechte mit der ihm gebührenden Sühne zu belegen, ihn im besonderen ohne Einleitung vorgeschriebener Verfahren aus seinem Amte, aus seinem Rang und seiner Stellung zu entfernen". Damit war die Willkür rechtsatzmäßig festgeschrieben, nicht durch ermächtigendes Gesetz, sondern durch feststellenden Beschluß, um deutlich zu machen, daß die uneingeschränkte Eingriffsgewalt des Führers nicht vom Reichstag eingeräumt, sondern von ihm als bestehend anerkannt wurde. Dieser Beschluß macht deshalb auch die verfassungsrechtliche Stellung des Reichstags als Akklamationsorgan deutlich. Weitere kriegsbedingte Änderungen des Beamtenrechts betreffen z. B. die erleichterte Versetzbarkeit und die Verwendung von Beamten über die Pensionierungsgrenze hinaus13. Wenn im folgenden dargestellt wird, welche Vorschriften sich im nationalsozialistischen Beamtenrecht finden, die die Herrschaftsausübung über die Beamtenschaft regeln, soll im wesentlichen von der Vorkriegsrechtslage unter Geltung des DBG ausgegangen werden. Die Machtkonsolidierungsund die Kriegsphase sind in ihrer Situationsbezogenheit sicher auch typisch nationalsozialistisch. So schlägt sich im BBG neben dem antisemitischen Ziel auch der Totalitätsanspruch nieder, wenn das rückhaltlose Eintreten für den nationalen Staat verlangt wird. Im Beschluß von 1942 und in den revolutionären Übergriffen der Machtergreifungsphase manifestiert sich die rechtsfeindliche, rechtssicherheitsmißachtende Gesinnung des Nationalsozialismus, der Maßnahmestaatcharakter des Dritten Reichs14. Erschwerend für die Auswahl der "typisch nationalsozialistischen" Rechtslage ist, daß das DBG einen Kamprarniß darstellt zwischen den einen grundsätzlicheren Bruch anstrebenden Parteivertretern und den eher an die Beamtentradition anknüpfenden Kreisen des Innenministeriums, so daß schon dieses Gesetz nicht ohne weiteres als rein nationalsozialistisch angesehen werden kann15. Außerdem gibt es keine festdefinierte nationalsozialistische Ideologie, sondern lediglich einige unumstrittene Bestandteile, die in Denkrichtungen 12 Püschel: Der Niedergang des Rechts im D.ritten Reich, S. 73 ff.; zu den Hintergründen des Beschlusses und der Reaktion der Offentlichkeit vgl. Boberach: Meldungen aus dem Reich, S. 259 f. 13 Eine Sammlung der bis Januar 1942 aus Anlaß des Krieges erlassenen Bestimmungen findet sich bei Schneider: DBG, S. 1393 ff. 14 Dazu Fraenkel: Der Doppelstaat, S. 21, 26 ff. 15 Deshalb galt es auch nach dem Zusammenbruch bereinigt fort.
I.l. Das öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnis
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unterschiedlicher Herkunft eingebettet sind, so daß der genaue Inhalt nationalsozialistischer Ideologie um diese Kernsätze herum verschwommen und vom jeweiligen Autor abhängig bleibt16. Trotz all dieser Unsicherheiten bei der Herausarbeitung nationalsozialistischen Rechtsdenkens erscheint die Zeit nach der Machtkonsolidierung und vordem Krieg auch nach dem Selbstverständnis des Nationalsozialismus als die repräsentativste. Das Dritte Reich knüpfte im DBG an die traditionellen Rechtsinstitute des öffentlichen Dienstes an 17 . Vorgefunden wurde ein besonderes Dienstverhältnis, das im Unterschied zu privatrechtliehen Dienstverträgen ein öffentlich-rechtliches Gewalt- und Schutzverhältnis des Staates zum Beamten war und dem auf der anderen Seite besondere Treue-, Gehorsams- und Dienstpflichten des Beamten gegenüber dem Staat innewohnten1a, ein Staatsdienstverhältnis, das in seinen Ursprüngen bereits im 10. Titel im 2. Teil des Preußischen Allgemeinen Landrechts kodifiziertJ9 und noch in der Weimarer Republik zum Teil von diesen Normen bestimmt war2o. Das Leitbild vom Beamten als besonders pflicht-und treuegebundenem Repräsentanten der Staatsmacht, der seine Aufgaben neutral, überparteilich, gemeinwohlorientiert und uneigennützig erfüllt, war ein unverändert gebliebener Bestandteil des Beamtenbildes auch in der Weimarer Republik21. Die überparteiliche Stellung des Beamten betonte die WRV in Art. 130 Abs. 1, nach dem der Beamte "Diener der Gesamtheit, nicht einer Partei" zu sein hatte, er hatte sich in seiner Amtstätigkeit vom Interesse der Gesamtheit, vom Staatsinteresse, nicht vom Partei- oder Klasseninteresse leiten zu lassen22. Die Forderung nach Neutralität des Beamtenturns in der Tradition 1s Zum eklektizistischen Charakter der nationalsozialistischen Ideologie vgl. Bracher: Die deutsche Diktatur, S. 157 ff.; Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, S. 134 ff. 17 Peters: Lehrbuch der Verwaltung, S. 237. 18 Dies wurde als Grundmerkmal des Beamtenverhältnisses genannt, so etwa bei Brand: Beamtenrecht, S. 13 f.; ders.: Reichsbeamtengesetze, § 1 RBG Anm. 3 I A; zur historischen Entwicklung vgl. Laubinger: Die Treuepflicht des Beamten im Wandel der Zeiten, in: Festschrift Ule, S. 89 ff. 19 "Von den Rechten und Pflichten der Diener des Staats", § 2 II 10 ALR: "Sie sind, außer den allgemeinen Unterthanenpflichten, dem Oberhaupte des Staats besondere Treue und Gehorsam schuldig." 2o Zum ALR als in der Weimarer Zeit gültiger Beamtenrechtsquelle für preußische Beamte vgl. Brand: Beamtenrecht, S . 5 f.; zur prägenden Bedeutung des preußischen Beamten für die Entwicklung des Berufsbeamtenturns vgl. Thiele: Die Entwicklung des deutschen Berufsbeamtentums. 21 Zur Kontinuität des Beamtenbildes vom Kaiserreich zur Republik vgl. Bracher: Die Auflösung der Weimarer Republik, S . 180 ff.; zur Kontinuität des staatsideegebundenen Dienst- und Treueverhältnisses vgl. Köttgen, in: Anschütz, Thoma (Hrsg.): Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, S. 6 ff. 22 Anschütz: Verfassung, Art. 130 Anm. 1.
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
des monarchischen Staates wurde für den parlamentarischen Staat mit dessen Verquickung von Parteirepräsentanz und Staatsorganstellung im Kabinett als besonders dringlich herausgestellt und als Bollwerk gegen einen überbordenden Parteienstaat gesehen23. Zwar gab es Kritik am Neutralitätsdogma wegen der weisungsgebundenen Abhängigkeit und damit der Bindung an Vorentscheidungen politischer Staatsorgane und wegen der politischen Qualität auch der "sachlichen" Gesetzesentscheidung, jedoch wurde auch von dieser Seite eingeschränkt, daß die politische Abhängigkeit eine "gesetzliche, keineswegs eine schrankenlose" sei24, das heißt, daß die politischen Vorentscheidungen, wie sie sich in Gesetzen und Weisungen niedergeschlagen hatten, vom Beamten zu beachten waren, daß er aber nicht über diese Bindungen hinaus seine politische Meinung einbringen durfte. Das DBG knüpfte neben der Ausgestaltung des Beamtenverhältnisses im einzelnen (Lebenszeitprinzip, Besoldung und Versorgung usw.) an die Tradition des besonders pflichtengebundenen Dienstes an. So wurde in § 1 Abs. 1 DBG das Beamtenverhältnis als ein öffentlichrechtliches Dienst- und Treueverhältnis bezeichnet, in dem der deutsche Beamte zum Führer und zum Reiche stehe. Die Berufung in das Beamtenverhältnis sei ein Vertrauensbeweis der Staatsführung, dem erhöhte Pflichten des Beamten gegenüberstünden(§ 3 Abs. 1 S. 1 DBG), das Berufsbeamtenturn bilde einen Grundpfeiler des nationalsozialistischen Staates (Präambel DBG). In der nationalsozialistischen Beamtenrechtsliteratur wurde vielfach ausdrücklich auf die preußische Beamtentradition Bezug genommen, häufig wurde sogar die nationalsozialistische Regelung als die Erbin dieser Tradition nach den Verirrungen des Weimarer "Zwischenreichs" bezeichnet, wie schon das BBG nach seiner offiziellen Bezeichnung die "Wiederherstellung" des Berufsbeamtenturns zum Gegenstand hatte25. Die Übernahme der traditionellen Elemente des Beamtenrechts wurde begleitet, und darin liegt das Besondere des nationalsozialistischen Beamtenrechts, von einer nationalsozialistischen Umfunktionierung, von einer Ausfüllung vorgefundener Institute mit nationalsozialistischem Geist. So wurde im Vorspruch zum DBG das Berufsbeamtenturn als von nationalsozialistischer Weltanschauung durchdrungen bezeichnet. Nach § 1 Abs. 2 23 Köttgen, in: Anschütz, Thoma (Hrsg.): Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, S. 10 f. m.w.N.; zur Diskussion um die Entpolitisierung der Beamtenschaft vgl. Schmahl: Disziplinarrecht und politische Betätigung der Beamten in der Weimarer Republik, S. 178 ff.; zur Neutralitätspflicht heute vgl. Püttner: Zur Neutralitätspflicht des Beamten, in: Festschrift Ule, S. 383 ff. 24 Gerber: Entwicklung und Reform des Beamtenrechts, in: VVDStRL 1932, S . 31 unter Bezugnahme auf v. Stein und in der Aussprache S. 126. 25 Vgl. etwa Brand: DBG, § 27 Anm. III 1; Seel: Deutsches Beamtenrecht, in: GAW Bd. 2, Beitr . 28, S. 2 ff., 29 ; auch Hitler: Mein Kampf, S. 308 f., erkannte die Qualität preußischer Verwaltungsbeamter an und bezichtigte die Weimarer Republik der Parteizersetzung des Beamtenapparates.
1.1. Das öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnis
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DBG war der deutsche Beamte Vollstrecker des Willens des von der NSDAP getragenen Staates. Die Pflicht des Beamten zur Treue, die in der Monarchie dem Landesherrn, in der Weimarer Republik abstrakt der Verfassung und dem Staat gegenüber bestand, wurde nach dem DBG neben dem Reich dem Führer persönlich geschuldet, auf den - namentlich genannt - der Treueid nach § 4 DBG zu leisten war. Diese Rückbesinnung auf das personenrechtliche Treueband im Gegensatz zur Verpflichtung auf ein Verfassungspapier wurde besonders als ein Wiederaufgreifen guter alter Tradition herausgestellt26. In den vorgenannten gesetzlichen Bestimmungen, die das nationalsozialistische Beamtenleitbild umreißen, spiegelt sich aber in Wirklichkeit der grundlegende Unterschied, der Qualitätssprung, zwischen dem hergebrachten und dem nationalsozialistischen Beamtenrecht wider: Der nationalsozialistische Beamte sollte gerade nicht neutral, überparteilich und rein sachbezogen sein, sondern zuerst politischer Kämpfer im Dienst einer Weltanschauung. Gerber, der noch 1932 zwar die angebliche Neutralität des Beamten angegriffen, aber eine schrankenlose politische Bindung verworfen hatte27 , vertrat in der Rede zur Eröffnung der Verwaltungsakademie Stuttgart 1933 die Ansicht, der Beamte müsse Priester des Staates und seiner Weltanschauung sein28 . Er sah zwar durchaus den Widerspruch zu den Entpolitisierungsforderungen in der Weimarer Republik und auch zu seiner eigenen damaligen Position, folgerte aber - durchaus konsequent - aus der gewandelten Staatsidee,die statt "Ideenpluralismus" und "ethischen Relativismus" den Ideenmonismus des totalitätsbeanspruchenden nationalsozialistischen Denkens gebracht habe, daß auch der Beamte sich vom formalistischen Vollstrecker einer selbstherrlichen Gesetzlichkeit, vom blinden Knecht des Gesetzes zum politisch agilen Träger völkischen Rechtsbewußtseins, zum Organ des Volkes wandeln müsse29. Weltanschauliche Neutralität, soweit nicht verbindliche Vorgaben des Gesetzes oder dienstliche Weisungen vorhanden waren , wurde abgelöst durch weltanschauliches Kämpferturn, formale Gesetzesbindung wurde ersetzt durch materielle völkische Rechts- und Gerechtigkeitsbindung. Hinter der formalen Wiederbelebung des persönlichen Treuebandes versteckte sich der fundamentale Unterschied zwischen einem konstitutionellen Monarchen und einem von allen rechtlichen und hergebrachten moralischen Bindungen freien, keiner höheren Instanz außer vielleicht seiner Ideologie verantwortlichen Führer, der in seiner Person als Regierungschef, Brand: DBG, § 4 Anm. 1; Heyland: Deutsches Beamtenrecht, S. 8 f. Vgl. Fn. 24. 28 Gerber: Politische Erziehung des Beamtenturns im Nationalsozialistischen Staat, s. 28. 29 Ebda. S. 13 ff., 22, 26 f. 26 27
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
oberster Gesetzgeber, oberster Gerichtsherr, Oberbefehlshaber über die Wehrmacht und Führer der staatstragenden Bewegung alle staatliche und gesellschaftliche Macht vereinigte3o. Das Beibehalten der äußeren Formen traditionellen Berufsbeamtenturns verdeckte nur den radikalen Bruch, der durch den Wechsel der Staatsqualität markiert ist. Das wertgebundene Treueverhältnis, das schon den Übergang von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Republik formal überdauert und sich wegen der Wertgebundenheit materiell in vielen Punkten gewandelt hatte31 , wenn auch vielleicht nicht im Selbstverständnis des Weimarer Beamten, überdauerte auch den Wechsel von der Weimarer Republik zum Dritten Reich. Aber mit dem Wechsel des Objekts und des Inhalts der Treueverpflichtung wandelte sich der Charakter des Beamtenverhältnisses. Das Staatsrecht schlug auf das Beamtenrecht durch. Die Auffassung, daß das Beamtenverhältnis sich hauptsächlich durch die Änderung der Staatsqualität unabhängig vom Bestehenbleiben traditioneller Institute geändert hat, deckt sich mit der nationalsozialistischen Rechtsauffassung, die einen qualitativen Bruch jedenfalls zum Beamtenleitbild der Weimarer Republik konstatierte: "Wichtiger als diese, mehr formale Umschreibung des Beamtenverhältnisses ist der neue Geist, von dem das Berufsbeamtenturn des Dritten Reichs erfüllt ist. Es bestimmt sich nach der neuen Auffassung vom Staat als solchem"32. "Doch erhob sich nun die große und ernste Frage, ob das Beamtentum, das ein Erzeugnis des absoluten Staates ist, in das neue völkische Führerreich eingebaut werden könne. Denn dieses völkische Führerreich ist durch völlig andere Ziele geleitet, durch völlig andere Kräfte bewegt, durch völlig andere Werte bestimmt, als der absolute Staat es war.... Voraussetzung dafür (für die Beibehaltung des Beamtentums, d. Verf.) war ein doppeltes: einmal das vorbehaltlose Bekenntnis des Beamtenturns zur nationalsozialistischen Weltanschauung; zum anderen die unbedingte Bindung an den Führer. Beides verlangt vom Beamtenturn einen Wesenswandel, dessen außerordentliches Maß man nicht verkennen darf. " 33 Tradition und Bruch wurden gleichermaßen hervorgehoben, wenn es hieß, der nationalsozialistische Staat habe das aus preußisch-deutscher Tradition übernommene Gefäß mit nationalsozialistischem Geist erfüllt, der Beamte sei vom Fürsten- und Staatsdiener zum Diener seines Volkes geworden34. 30 Auch in der nationalsozialistischen Literatur wurde gelegentlich der Wesensunterschied zwischen Monarchen- und Führereid dargelegt, etwa Pansegrau, in: ZAkDR 1935, 820: Während dem Kaisereid die innere seelische weltanschauliche Brücke fehle, sei der Führereid Ausdruck und Bekenntnis weltanschaulicher Innerlichkeit. 31 Köttgen, in: Anschütz, Thoma (Hrsg.): Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, S. 6 f. 32 Fischbach: Beamtenrecht, in: Volkmar u. a. (Hrsg.) : Die Rechtsentwicklung der Jahre 1933 bis 1935/36, S. 105. 33 Huber: Verfassungsrecht, S. 444 f.
!.2. Die Treuepflicht des Beamten
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Die Wesensänderung des Beamtenverhältnisses trotz formaler Anknüpfung an traditionelle Strukturen war es auch, die das BVerfG dazu bestimmte, trotz des Grundsatzes, daß ein Staatsformwechsel den Bestand der Beamtenverhältnisse unberührt läßt, ein Erlöschen aller Beamtenverhältnisse mit dem Zusammenbruch am 08. Mai 1945 anzunehmen. Eine Fortgeltung sei nur möglich, wenn es sich um Beamtenverhältnisse im traditionell-rechtsstaatliehen Sinne handele, wie sie sich im Laufe des 19. Jahrhunderts in Deutschland entwickelt hätten. Dies sei wegen der Wesenswandlung des Beamtenverhältnisses im Dritten Reich nicht mehr der Fall gewesen, die traditionellen formalrechtlichen Vorschriften hätten durch die nationalsozialistischen Zutaten einen veränderten sachlichen Gehalt bekommen35. Die rechtlich entscheidende Änderung sah das BVerfG in der Zerstörung des parteipolitisch neutralen, dem Staat verbundenen Beamtenverhältnisses zugunsten eines neuartigen weltanschaulich festgelegten, Führer und Partei verbundenen öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses. Auch in den Zeiten der konstitutionellen Monarchie habe die Bindung an den Staat über den Monarchen als dessen verfassungsgebundenen Repräsentanten im Vordergrund gestanden, so daß der Staatsformwechsel im Jahre 1918 die Beamtenverhältnisse in ihrem Bestand nicht berührt habe. Mit dem Zusammenbruch 1945 jedoch und dem Verschwinden von Führer und Partei mußten auch die an Führer und Partei gebundenen Dienstverhältnisse erlöschen. 2. Die Treuepflicht
Das geänderte Beamtenleitbild schlug sich in konkreten Pflichtenerweiterungen nieder. Gemäß § 3 Abs. 2 DBG hatte der Beamte "jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einzutreten und sich in seinem gesamten Verhalten von der Tatsache leiten zu lassen, daß die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei in unlöslicher Verbundenheit mit dem Volke dieTrägerindes deutschen Staatsgedankens ist". Mit dieser Dienstpflicht wurde formal an die traditionelle politische Treuepflicht des Beamten angeknüpft. In der Monarchie bedeutete politische Treue die Orientierung an konservativen monarchischen Anschauungen1 . Die Intensität der zu übenden politischen Treue war allerdings Schwankungen ausgesetzt, die von der Person Seel: Deutsches Beamtenrecht, in: GAW Bd. 2, Beitr. 28, S. 29. Auch zum Folgenden BVerfGE 3, 58 (89, 103, 116 ff.) mit vielen Fundstellen zur beamtenrechtlichen nationalsozialistischen Rechtslehre und Rechtsprechung; zu diesem Urteil in seinem historischen Zusammenhang vgl. Hattenhauer: Geschichte des Beamtentums, S. 441 f. I Hattenhauer: Geschichte des Beamtentums, S. 243. 34 35
3 Schneider
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
des jeweiligen Regierungschefs bzw. der politischen Linie des Kabinetts abhingen. So läßt sich eine Bandbreite feststellen von der Forderung, der Beamte müsse sich jeglicher ablehnender Äußerung oder gar Handlung gegen die Regierungspolitik enthalten, bis zur liberalen Auffassung insbesondere des PrOVG, der Beamte habe bei grundsätzlich erlaubter Opposition in seinen politischen Meinungsäußerungen maßvoll aufzutreten und dürfe sich nicht zu unsachlichen, ungerechten oder wahrheitswidrigen Behauptungen und Angriffen auf die Staatsregierung hinreißen lassenz. Aktive Unterstützung der Regierungspolitik von allen, nicht nur den politischen Beamten wurde nur in der Reaktionszeit der Ära des Ministerpräsidenten v. Manteuffel gefordert3 . Danach liberalisierte sich die Auffassung. Im wesentlichen ging es also, abgesehen von den politischen Beamten, um die Frage, ob und inwieweit der Beamte oppositionell denken und wirken durfte, es fand negativ eine Ausgrenzung insbesondere der als umstürzlerisch angesehenen Sozialdemokratie statt, nicht positiv eine bedingungslose weltanschauliche Verpflichtung, die den Beamten zum inneren Gesinnungswandel und zur äußeren Parteinahme zwang. Die WRV erweiterte die politische Freiheit des Beamten erheblich. Art. 130 Abs. 2 WRV gewährte dem Beamten die Freiheit der politischen Gesinnung. Diese Freiheit fand jedoch, wie hergebracht, ihre Grenze in der Stellung im und zum Staat, der Beamte hatte sich in der Wahrnehmung der politischen Freiheiten diejenige Mäßigung aufzuerlegen, die durch seine Stellung als Organ der Gesamtheit (Art. 130 Abs. 1 WRV) bedingt war4. Daher war es dem Beamten nicht erlaubt, den Staat innerhalb oder außerhalb des Dienstes zu bekämpfen oder sich für eine politische Partei zu betätigen, die die bestehende Staatsform mit unerlaubten Mitteln beseitigen wollte; soweit er Kritik übte, durfte er sich nicht zu Gehässigkeiten und bewußten Entstellungen hinreißen lassen 5 . Das bloße Bekenntnis zu einer umstürzlerischen Partei ohne jede Förderungshandlung galt nicht als Pflichtverletzung6 . Die Betätigung für eine sol2 Vgl. im einzelnen Rejewski: Die Pflicht zur politischen Treue im preußischen Beamtenrecht (1850 -1918); Steinbach: Die politische Freiheit der Beamten unter der konstitutionellen Monarchie in Preußen und im Deutschen Reich; Schrader: Rechtsbegriff und Rechtsentwicklung der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst, s. 129 ff., 164 ff. a Rejewski, a.a.O., S. 38 f. 4 Anschütz: Verfassung, Art. 130 Anm. 1 und 2; zur Treuepflicht des Weimarer Beamten vgl. Klüber: Die Treuepflicht des Beamten, in: ZBR 2 (1930), S. 166 ff. mit Anmerkung der Schriftleitung; aus heutiger Sicht vgl. Schrader: Rechtsbegriff und Rechtsentwicklung der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst, S .190 ff. 5 Daniels, in: Anschütz, Thoma (Hrsg.): Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, S. 42; Brand: Beamtenrecht, S. 486 f.; ders.: Reichsbeamtengesetze, § 10 RBG Anm. 11. s PrOVGE 77, 493 (494 f.) für die KPD.
!.2. Die Treuepflicht des Beamten
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ehe Partei - wobei offenblieb, ob im Beitritt eine Betätigung lag7 - stellte jedoch eine Pflichtverletzung dar8 . Es ging also um die Ausgrenzung extremistischer Aktivitäten, um Abwehr, namentlich der KPD 9 und NSDAP 10, die als gewaltsam-umstürzlerisch qualifiziert wurden. Im Zeichen des Republikschutzes wurde allerdings dem Reichsbeamten durch das Gesetz über die Pflichten der Beamten zum Schutze der Republik vom 21. Juli 192211 zur Pflicht gemacht, in seiner amtlichen Tätigkeit für die verfassungsmäßige republikanische Staatsgewalt einzutreten, hier wurde also - allerdings nur dienstlich - äußere Parteinahme verlangt. Zum Teil wurde diese Regelung als Verfassungsdurchbrechung angesehen, weil vom Beamten nicht nur Zurückhaltung in der Opposition, sondern eine politische Unterstützungshandlung verlangt wurde12; zum Teil bewertete man die Gesetzgebung als rein deklaratorische Bestätigung der schon nach allgemeinen beamtenrechtlichen Grundsätzen geltenden Rechtslage, da das verlangte Eintreten für die verfassungsmäßige republikanische Staatsgewalt im Amt sich niemals als ein persönlich betontes, weltanschauungsmäßiges oder politisches Bekenntnis zur Verfassung darstellen könne, was erst die politische Gesinnungsfreiheit des Beamten tangieren könne. Vielmehr habe er lediglich in seiner Amtstätigkeit darüber zu wachen, daß der republikanische Staat, wie er kraftpositiven Rechtszustandes bestehe, die gebührende Achtung genieße13. Unabhängig von der verfassungsrechtlichen Beurteilung der beamtenrechtlichen Republikschutzgesetzgebung muß jedenfalls festgehalten werden, daß vom Beamten keine persönliche Identifizierung mit einer bestimm7 Dazu Schmahl: Disziplinarrecht und politische Betätigung der Beamten in der Weimarer Republik, S. 141 ff. a PrOVGE 78, 445 (446). 9 Ebda. 1° RdErl. des preußischen Mdl vom 03.07.1930 (MBliV Sp. 599), betreffend die Teilnahme von Beamten an der NSDAP und KPD, bezüglich der NSDAP aufgehoben durch RdErl. vom 29.07.1932 (MBliV Sp. 773); das PrOVG kam noch vor der Machtergreifung auf Grund der Legalitätsversicherung Hitlers im RG-Prozeß gegen die drei Ulmer Reichswehroffiziere (Urt. vom 04.10.1930, in: Die Justiz, Bd. 6 (1930/31), S . 187 ff., insbes. 212 ff.) zu dem Ergebnis, die NSDAP betreibe nicht den gewaltsamen Umsturz und der genannte Beschluß sei deshalb rechtswidrig, PrOVGE 89, 391 (395 ff.); zur Politik der Reichs- und Landesregierungen gegenüber NSDAP-Beamten vgl. Morsey: Staatsfeinde im öffentlichen Dienst (1929 -1932), in: Festschrift Ule, S. 111 ff. 11 RGBl. I S . 590; für preußische Beamte w eniger weit gehend Änderungsgesetz vom 04.08.1922, GS S. 208. 12 Giese: Verfassung, Art. 130 Anm. 2; Daniels, in: Anschütz, Thoma (Hrsg.): Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, S. 48; Gebhard: Handkommentar zur Verfassung, Art. 130 Anm. 4 d; polemisch v. Freytagh-Loringhoven: Die Weimarer Verfassung, S. 326: Die politische Meinungsfreiheit werde "vollends zunichte gemacht". 13 Kley: Die Freiheit der Meinungsäußerung im Beamtenrecht, S . 27 f.; ausdrücklich offen wegen der verfassungsändernden Mehrheit Anschütz : Verfassung, Art. 130 Anm. 4; zu der Diskussion vgl. Schmahl: Disziplinarrecht und politische Betätigung der Beamten in der Weimarer Republik, S. 83 f.
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
ten Weltanschauung und auch nicht mit der Verfassung verlangt wurde14. Es blieb bei der Ausgrenzung extremistischer Aktivitäten, darüber hinaus hatte der Beamte lediglich in seiner dienstlichen Tätigkeit die geltende Verfassungsordnung anzuerkennen und zu verteidigen. Im Spannungsverhältnis von politischer Treue und politischer Freiheit knüpfte das Beamtenrecht der Weimarer Republik an die Tradition der Monarchie an, garantierte aber den Freiheitsraum verfassungsrechtlich und erweiterte ihn15. Es versteht sich, daß die politische Treue sich mit einer Unterscheidung in dienstliche und außerdienstliche Tätigkeit nicht verträgt. Traditionell erstreckte sich diese Pflicht auch und gerade auf das außerdienstliche Verhalten. In der Monarchie wurde zeitweise sogar die unliebsame Abgeordnetentätigkeit eines Beamten dienstlich gemaßregelt1 6 • In der Weimarer Republik war ebenfalls als selbstverständlich anerkannt, daß die Treuepflicht sich auch auf das außerdienstliche Verhalten bezog17 . Während eine Verquickung von persönlicher und politischer Betätigung mit dem Dienst schlechthin unzulässig war, erstreckte sich die verfassungsrechtlich garantierte politische Freiheit gerade auf den außerdienstlichen Bereich. Hier wirkte die Treuepflicht nicht ausschließend, sondern mäßigend und in den Extremen ausgrenzend. Die Fesseln der politischen Betätigung waren also im amtlichen Bereich stärker als im außeramtlichen 18 . Das DBG übernahm die hergebrachte politische Treuepflicht, verabsolutierte sie aber durch § 3 Abs. 2 DBG im Sinne einer unbedingten Hingabe an die nationalsozialistische Weltanschauung, das Gesetz legte den Beamten also positiv auf ein politisches Bekenntnis hin fest. 14 Vgl. PrOVGE 77, 495 (498 f.): kein die Gesamthingabe der Persönlichkeit einschließender Treueeid, sondern Versprechen der gewissenhaften Beobachtung und Erfüllung der Verfassung; RDH, Schulze/Simons, S. 105 (107 ff.): Bindung mehr äußerlicher Art, welche die innerliche Gesinnung des Verpflichteten unberührt läßt, kein innerliches Gebundensein an die Reichsverfassung und die republikanische Staatsform. 15 Umfassend zu den politischen Pflichten in der Weimarer Republik Klein: Politische Pflichten der Beamten nach der Rechtsprechung der höchsten Disziplinargerichte, in: Die Justiz, Bd. 6 (1930/31), S. 373 ff., S. 447 ff.; Ule: Die Entwicklung des Beamtenrechts durch die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, in: Staatsbürger und Staatsgewalt, S. 124 ff.; von nationalsozialistischer Seite wurde in der Kampfzeit natürlich das Recht auf freie politische Betätigung aus der Verfassung gefolgert, vgl. etwa Neubert: Beamtenturn und Nationalsozialismus, in: DR 1931, S. 77 ff.; K: Die politische Stellung des Beamten nach der Reichsverfassung, in: DR 1932, S. 49 ff. 16 Rejeweski: Die Pflicht zur politischen Treue im preußischen Beamtenrecht (1850 - 1918) S. 50 f., 127, 151. 17 Lediglich am Anfang der Republik wurde wegen der apodiktischen Sprache des Art. 130 Abs. 2 WRV außerdienstlich eine völlige Gleichstellung des Beamten mit anderen Bürgern anerkannt. Die Auffassung wurde allerdings schnell aufgegeben, der deutschnationaleAbgeordnete Posadowsky-Wehner meinte schon im Oktober 1919 unter Hinweis auf die parallele Praxis der Monarchie, der Beamte dürfe "nicht planmäßig gegen die Republik agitieren" , vgl. Schmahl: Disziplinarrecht und politische Betätigung des Beamten in der Weimarer Republik, S . 55 ff. 18 Brand: Reichsbeamtengesetze, § 10 RBG Anm. 11.
!.2. Die Treuepflicht des Beamten
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In der nationalsozialistischen rechtswissenschaftliehen Literatur hieß es etwa: "Das DBG setzt beim deutschen Berufsbeamtenturn voraus, daß es von nationalsozialistischer Weltanschauung durchdrungen ist. Hierzu gehören nicht nur ein äußeres Mitgehen und die Befolgung der oben aufgezeigten Pflichten, sondem die Voraussetzung ist eine vollkommene Wandlung der inneren Einstellung, ein Bekennen und eine Bekehrung zum Nationalsozialismus. . . . Ein bloßes Lippenbekenntnis genügt keinesfalls . .. "19 Der Beamte müsse "mit Leib und Seele dem neuen Staat und seinem Führer ergeben sein" 20, müsse "durch und durch Nationalsozialist sein"21. Alle Beamten müßten "auf dem Boden der nationalsozialistischen Weltanschauung stehen, sie kennen und bekennen, müssen immer und überall nach ihr leben und handeln" .22 Der Beamte habe auch in seinem außerdienstlichen Verhalten allen Volksgenossen Vorbild zu sein, so daß er seine gesamte Lebensführung nach den herrschenden Anschauungen der Volksgemeinschaft über Ehre, Sitte und Moral einzurichten habe23. Das Beamtenturn sei kein dem politischen Geschehen gegenüber neutralisierter und entpolitisierter Körper mehr, sondem Träger der das Reich durchwirkenden politischen Haltung, zu der es sich bekenne und für die es sich in seiner Arbeit rückhaltlos einsetze. Nicht äußere Anpassung, sondem Durchwirkung mit dem Geist der nationalsozialistischen Bewegung sei das Ziel, der Eid erfasse wesentlich die innere Gesinnung24. Ihren Niederschlag fand diese totale 25 politische Bindung in zahllosen Runderlassen26. So hatte sich der Beamte etwa mit dem Gedankengut des Nationalsozialismus vertraut zu machen, namentlich durch das Lesen von Hitlers "Mein Kampf" und der nationalsozialistischen Presse, besonders des "Völkischen Beobachters" 27 . Er hatte dienstlich immer, außerdienstlich wurde es erwartet, den deutschen Gruß durch Erheben des rechten - im Falle körperlicher Behinderung des linken - Armes mit dem gleichzeitigen deutlichen Ausspruch "Heil Hitler" zu verwenden28 . Seine Kinder hatte er zur HJ anzumelden und nicht auf Privatschulen unterrichten zu lassen29. Er 19 Schneider: DBG, S. 207. 20 Brand: DBG, § 3 Anm. 2. 21 Pfundtner, in: ZAkDR 1942, 113. 22 Seel: Deutsches Beamtenrecht, in: GAW, Bd. 2, Beitr. 28, S. 28. 23 Nadler u. a.: DBG, § 3 Rdnr. 47 ; Brand: DBG, § 3 Anm. 15. 24 Huber: Die verfassungsrechtliche Stellung des Beamtentums, in: Festschrift
Sibe~S. 29~305,307.
25 Ebda., S. 299: "Diese Pflichtbindung des Beamten ist totaler Art, sie ergreift die gesamte Existenz des Beamten". zs Vgl. auch die über die RdErl. hinausgehende Kommentarliteratur zu den politischen Pflichten, Schneider: DBG, S. 209 ff.; Brand: DBG, § 3 Anm. 2 ; Fischbach: DBG, S. 162 ff. 27 RdErl. vom 11.07.1933, MBliV Sp. 807; vom 03.12.1935, MBliV Sp. 1443. 28 RdErl. vom 22.01.1935, MBliV Sp. 100. 29 RdErl. vom 17.11.1935, MBliV Sp. 1403; vom 09.09.1937, MBliV Sp. 1506.
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
hatte an Gefolgschaftsappellen, Gemeinschaftsveranstaltungen und Veranstaltungen der NSDAP teilzunehmen, bei manchen Veranstaltungen wurde die Teilnahme nur erwartet3o. Die Mitgliedschaft in den verschiedensten Verbänden wurde amtlich zumindest nahegelegt31 , umgekehrt wurde Mitgliedschaft und Betätigung in berufsständischen konfessionellen Verbänden verboten3 2 . Zu feierlichen Anlässen hatte der Beamte zu Hause die Hakenkreuzflagge zu hissen und das Hissen anderer Flaggen (Kaiserreichsflagge, Kirchenfahnen) zu unterlassen33. Auch die Disziplinargerichtsbarkeit hielt sich in ihren Urteilen an die unbedingte weltanschauliche Gebundenheit des Beamten. Der Beamte sei nicht nur verpflichtet, sich jeder gegensätzlichen oder ablehnenden Haltung zu enthalten, sondern er müsse von der nationalsozialistischen Weltanschauung durchdrungen sein und sich positiv im Sinne der von ihm gelobten Treuepflicht betätigen34. Kritik gegenüber den im Dritten Reich maßgeblichen Ansichten, namentlich wenn sie gegen die Partei oder gar den Führer gerichtet war, führte wiederholt zu Disziplinarmaßnahmen35 . Selbst der außerdienstliche freundschaftliche Verkehr mit Personen, von denen der Beamte erkannte oder erkennen konnte, daß sie dem nationalsozialistischen Staat feindselig gegenüberstanden, wurde als erhebliche Pflichtverletzung angesehen, weil er sich damit selbst in den Verdacht einer solchen Einstellung brachte36. Auch die bloße Nichtbeteiligung an Kundgebungen, die auf "Wunsch der Partei und damit des Staates" veranstaltet wurden, etwa durch Nichtbeflaggung des Wohnhauses, wurde als Dienstvergehen angesehen3 7 • Grundsätzlich hatte ein Beamter an Sammlungen und Veranstaltungen zugunsten des Winterhilfswerkes tatkräftig Anteil zu nehmen38 . An vom Führer angeordneten Wahlen und Abstimmungen hatte der Beamte teilzunehmen und seine Stimme für das Werk des Führers abzugeben3s. Demzufolge wurde ein Postschaffner, der bei der mit einer Volksabstimmung zum Anschluß Österreichs gekoppelten - geheimen - Reichstagswahl am 10. April1938 mit "Nein" gestimmt hatte, wegen schweren Dienst30 RdErl. vom 27.08.1937, MBliV Sp. 1426; Erl. d. RMdi vom 15.07.1933, zit. bei Schneider: DBG, S. 215 f. 31 So etwa RdErl. vom 24.11.1934, MBliV Sp. 1511 (Reichsluftschutzb1Uld); vom 05.06.1936, MBliV Sp. 760 (NSKK und DDAC) ; vom 05.09.1937, MBliV Sp. 1527, (WHW); Schneider: DBG, S. 213, qualifiziert die Mitgliedschaft in der NSV als selbstverständliche Pflicht. 32 RdErl. vom 04.10.1938, MBliV Sp. 1645. 33 RdErl. vom 10.06.1936, MBliV Sp. 776; zur Pflicht, überhaupt zu flaggen, vgl. Schneider: DBG, S. 220. 34 RDStHE 3, 21 (22). 3s RDH, Foerster S. 31 (33); RDStHE 2, 26 (28); 3, 9 (11); 3, 14 (17). 36 RDStH vom 23.11.1938 -I.D . 84.38- zit. bei Behnke: RDStO, S. 80. 37 RDStHE 3, 21 (24); 2, 29 (32). 38 RG (Dienststrafsenat), ZBR 8 (1937/38), 37. 39 Nadler u. a.: DBG, § 3 Anm. 23.
I.2. Die Treuepflicht des Beamten
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vergebens aus dem Dienst entfernt. Der Beamte gehöre zur politischen Truppe des Führers auf dem Gebiete der Verwaltung, wegen der Unteilbarkeit des Beamtenverhältnisses in und außer dem Amt könne es keine politische Frage geben, in welcher der Beamte sich zu seinem Führer in Widerspruch setze4o. Nicht nur die politische Betätigung war vorgeschrieben, der Beamte hatte sich allgemein den Forderungen der nationalsozialistischen Ideologie gemäß zu verhalten. So wurde etwa der freundschaftliche Verkehr mit Volljuden und die Darlehnsaufnahme bei einem jüdischen Geldverleiher als Dienstvergehen angesehen41. In der Rechtsprechung der Disziplinargerichtsbarkeit läßt sich eine Verwischung der Grenze zwischen offiziell freiwilliger und pflichtgemäß gebotener Betätigung feststellen, so daß auch bei den oben erwähnten Runderlassen, die nur eine "Erwartung" oder "Empfehlung" beinhalteten, disziplinarische Reaktionen zu befürchten waren, wenn man sich nicht an sie hielt. So räumte der RDStH ein, daß es eine ausdrückliche Bestimmung, nach der alle Beamten verpflichtet wären, der NSV42 beizutreten, nicht gebe, aber in Anbetracht des Zwecks der genannten Organisation und ihrer Bedeutung für den nationalsozialistischen Staat habe der Beamte wegen seiner Pflicht, für den nationalsozialistischen Staat einzutreten, der NSV beizutreten, wenn es ihm irgend möglich sei43. Das Verständnis von Freiheit und Pflicht deutlich kennzeichnende Ausführungen machte der RDH in einem Fall, in dem ein Steuerinspektor sich mit einer Ausnahme von Veranstaltungen der NSDAP und des RDB ferngehalten und nicht bzw. nur mäßig an Sammlungen und Losverkäufen des WHW beteiligt hatte44 . Das Gericht befand, eine Verpflichtung zur Beteiligung an den Veranstaltungen und am WHW habe auch für Beamte nicht bestanden, denn nach dem Willen des Führers sollten die Leistungen des Volkes auf allen genannten Gebieten freiwillige sein. Daher könne darin, daß der Angeschuldigte sich von den Veranstaltungen ferngehalten habe, kein Dienstvergehen gesehen werden. Das Dienstvergehen liege jedoch darin, daß er die durch diese Freiwilligkeit gewährleistete Freiheit mißbraucht habe. Das WHW und die genannten Veranstaltungen verfolgten neben einer sozialen Absicht das nationalsozialistische Ziel der Schaffung und Förderung der Volksgemeinschaft. Für den treugebundenen Beamten sei es eine selbstverständliche Pflicht, die Ziele des Dritten Reiches mit freudigem Herzen und gutem Willen zu fördern. Ein Urteil darüber, ob die bestehenden, dieses Ziel verfolgenden Einrichtungen zweckmäßig seien, RDStHE 3, 40 (42). OLG Frankfurt, ZBR 8 (1937/ 38), 156; RG, DJ 1938, 1394. 42 NS-Volkswohlfahrt, angeschlossener Verband der NSDAP als Trägerin der sozialen Betreuungsarbeit der Partei. 43 RDStHE 3, 3 (4). 44 RDH, ZBR 8 (1937/38), 104 ff.; anders zur Bedeutung der Freiwilligkeit unter Bezugnahme auf ein Schreiben des Reichspropagandaministeriums für den Tag der nationalen Solidarität RG, ZBR 8 (1937 /38), 37 f . 40
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
stehe dem Beamten nicht zu. "Er hat noch heute eine Vorstellung von seiner Freiheit in der krassesten Form liberalistischer Auffassung. Ihm ist die Freiheit nicht das Recht, den Geboten des Sittengesetzes und den Pflichten gegenüber seinem Volk ohne Zwang zu folgen, sondern Freiheit bedeutet für ihn die Befugnis zur Ablehnung aller Pflichten nach eigenem Gutdünken, die nicht in Gesetzesvorschriften ihren deutlichen Ausdruck gefunden haben. Er hat die Beteiligungen am Gemeinschaftswerk abgelehnt, weil er zeigen will, daß ihn als freien Mann niemand zwingen könne, also in verwerflicher Ausnützung der Freiheit, die ihm der Führer im Vertrauen auf die deutsche Seele gelassen hat." Der RDH zog Dienstentlassung in Betracht, sah aber mit Rücksicht darauf, daß der Beamte Besserung seines Verhaltens versprach, und mit Rücksicht auf seine bisherige tadellose Dienstzeit davon ab und verurteilte ihn nur zur Strafversetzung und 200,00 RM Geldstrafe4 5. Im nationalsozialistischen Recht wurde die Grenze zwischen dienstlicher und außerdienstlicher Betätigung eingeebnet. Die Pflicht zu rückhaltlosem Eintreten für den nationalsozialistischen Staat, die Treuepflicht gegenüber Führer und Reich erfaßten "die ganze Person des Beamten und erstrecken sich daher über das Gebiet der Amtstätigkeit und des Verhaltens bei Ausübung dieser Tätigkeit auch auf das gesamte außerdienstliche Verhalten des Beamten" 46 • Die politischen Freiheiten waren nicht nur im Dienst beseitigt und privat beschränkt, wie in der Weimarer Republik, sie wurden total beseitigt: "Die zahlreichen sog. freiheitlichen Beamtenrechte des liberalen Staates gibt es nicht mehr. Die sog. politischen Rechte der Beamten, die auf Freiheit der Meinungsäußerung, auf ein fast unbeschränktes Versammlungsrecht und ein Petitionsrecht der Beamten gingen, sind beseitigt. Es gibt keinen Interessengegensatz mehr zwischen Beamten und Staat.... Er braucht auch die Freiheit der Meinungsäußerung nicht mehr; denn er kann und darf den Staat, der mit ihm eine Einheit bildet, nicht in der Öffentlichkeit oder sonst angreifen oder unsachlich kritisieren. Die Meinung des Beamten stimmt mit der des Staates überein" 47 . Die traditionell vom Beamten dem Staat gegenüber zu haltende politische Treue, die historisch eine unterschiedlich stark ausgeprägte Loyalität gegenüber den politischen Grundanschauungen der Regierung oder der Verfassung bedeutet hatte, wandelte sich im Dritten Reich in die Forderung 45 Diese Umdeutung von Freiheitsrechten in Pflichten entsprach durchaus der nationalsozialistischen Rechtswissenschaft, vgl. etwa Koellreutter: Der Aufbau des deutschen Führerstaates, in: GAW Bd. 1, Beitr. 18, S. 6: "Politische Rechte bedeuten im autoritären Staat nicht die Möglichkeit für den einzelnen, sich bedingungslos ihrer zu bedienen, sondern sie bedeuten die Pflicht, alle Möglichkeiten der schöpferischen Persönlichkeit dem völkischen Leben dienstbar zu machen." 46 Nadler u. a.: DBG, Vorbem. für Abschnitt II Rdnr. 8. 47 Brand: DBG, § 3 Anm. 2; vgl. auch Schneider: DBG, S. 207, 238, wo für das außerdienstliche Verhalten in politischer Beziehung unterschiedslos auf die allgemeinen Ausführungen zur politische Treuepflicht verwiesen wird.
1.2. Die Treuepflicht des Beamten
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nach parteilichem Kämpfertum. Der Beamte sollte nicht politisch neutral, sondern politischer Soldat des Führers und der Bewegung sein4B. Während in der Monarchie und besonders in der Weimarer Republik die Frage nach den Grenzen der politischen Freiheit des Beamten gestellt wurde, beseitigte das Dritte Reich diese Freiheit nicht nur, vielmehr hatte der Beamte sogar aktiv dienstlich und privat die jeweilige Politik des Führers und der Reichsregierung sowie die geschriebenen und ungeschriebenen Grundsätze der Partei zu beachten und zu fördern49 . Darin liegt der qualitative Bruch in der scheinbar bruchlosen Übernahme beamtenrechtlicher Tradition. Im nationalsozialistischen Rechtsdenken wurde Treue im Sinne von Loyalität zu blinder politischer Gefolgschaft, aus dem Vollzugsorgan "Staatsdiener" wurde ein Subjekt politischer Aktivität. Daß dieser Wesenswandel in ein politisches Subjekt mit der nach wie vor ebenfalls vorhandenen Instrumentalfunktion des Beamten in Einklang gebracht werden konnte, lag daran, daß der geforderte politische Aktivismus nicht selbstbestimmt war. Im Grunde sollte auch das politische Subjekt nur objekthafter Gefolgsmann sein, der das politische Wollen der Führung nach- und mitdenkend zu seinem eigenen macht. Nur durch eine solche Verobjektivierung des politischen Subjekts konnte der Gegensatz zwischen ausführendem Organ der Führung und selbst politisch Wollendem überwunden werden. Die Machtposition, die der Staat materiell seinen Beamten gegenüber durch die von ihnen geschuldete Treue innehatte, wurde in der Weimarer Republik durch zwei Institute sachlich begrenzt: Die Garantie der wohlerworbenen Rechte und die Fürsorgepflicht Art. 129 Abs. 1 S . 3 WRV erklärte die "wohlerworbenen Rechte der Beamten" für unverletzlich. Dabei handelte es sich um alle ausdrücklich in den Gesetzen erwähnten subjektiven Rechte, insbesondere um die Ansprüche auf Diensteinkommen, Ruhegehalt, Unfallfürsorge usw.50 . Besonders umstritten war, ob der Gehaltsanspruch ziffernmäßig in der einmal gewährten Höhe verfassungsrechtlich garantiert war (so die wohl herrschende Meinung) oder ob nur allgemein ein Anspruch auf standesgemäßen Unterhalt bestand5 1 . Lediglich die allgemeine beam48 Vgl. allgemein Ernst: Der politische Pflichtenkreis des Beamten und seine rechtliche Bedeutung, in: Dt.Verw. 1941, S. 341 ff. 49 Heyland: Deutsches Beamtenrecht, S. 167 f.; es erscheint deshalb zu formalistisch, wenn Schrader: Rechtsbegriff und Rechtsentwicklung der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst, S. 288, aus dem Umstand, daß im Dritten Reich rechtlich an das äußere Verhalten angeknüpft wurde, folgert, es habe keine Gesinnungspflicht gegeben. Das Haben einer bestimmten Gesinnung ist eine Eigenschaft, die als innerer Vorgang nicht unmittelbar feststellbar ist, sondern nur aus äußeren Umständen gefolgert werden kann. Dasgesetzgeberische Ziel, daß alle Beamten die nationalsozialistische Gesinnung haben sollten, ist klar erkennbar. 5o Daniels, in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, S. 45 f.; Anschütz: Verfassung, Art. 129 Anm. 3. 51 Zu dieser Diskussion vgl. ebda., Anm. 4; Sölch, in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, S. 74.
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
tenrechtliche Rechtslage, etwa bezüglich der Pensionierungsgrenzen, war nicht verfassungsrechtlich festgeschrieben. Ein Eingriff in die geschützten Rechte hingegen konnte nur durch verfassungsänderndes bzw. -durchbrechendes Gesetz erfolgen. Der Begriff "wohlerworbene Rechte" war im Dritten Reich Gegenstand heftiger Polemik, da er als Ausdruck der Abwendung des Beamtenturns von der ausschließlichen Treue- und Pflichtenbindung hin zu einer arbeitnehmerähnlichen, auf Gegenleistungen und persönliche Vorteile bedachten Position empfunden wurde. Die Ablehnung hatte so sensibilisierend gewirkt, daß im DBG zwar ausführlich von den Pflichten, nicht aber ausdrücklich von den Rechten gesprochen wurde: Die der Sache nach wie auch in der Weimarer Republik eingeräumten Rechte wurden im Abschnitt V des DBG unter der zurückhaltend-verqueren Formulierung "Sicherung der rechtlichen Stellung der Beamten" geregelt5 2 • In der Literatur bestand Einigkeit, daß es geschützte wohlerworbene Rechte nicht mehr gab und die Änderung der Beamtenrechte ohne jede Erschwerung zulässig war 53 . Die Anerkennung wohlerworbener Rechte gründe sich auf liberalistische Auffassungen und sei im neuen Staat, in dem kein Gegensatz mehr zwischen Staat und Beamten bestehe und in dem der Beamte zum Führer in einem wechselseitigen Treueverhältnis stehe, nicht mehr nötig54. Zum Teil wurde sogar die Existenz subjektiv-öffentlicher Rechte der Beamten - wie auch allgemein - überhaupt geleugnet. Die Rechtsprechung im Dritten Reich begnügte sich damit, dem klägerischen Vorbringen, es werde durch einzelne gesetzgeberische Maßnahmen der Reichsregierung, etwa durch das BRÄndG, unzulässig in wohlerworbene Rechte eingegriffen, damit zu begegnen, daß das Ermächtigungsgesetz auch den Erlaß verfassungsabweichender Gesetze erlaube55. Die ehemaligen wohlerworbenen Rechte waren somit für die Machthaber im Dritten Reiche kein rechtliches Hindernis mehr. Anders verlief die Rechtsentwicklung zur beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht des Staates. In der Weimarer Republik und auch schon vorher legte die Rechtsprechung dem Dienstherrn eine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Beamten in Anlehnung an die privatrechtliche Fürsorgepflicht des Dienstberechtigten gegenüber dem Dienstverpflichteten nach § 618 BGB auf. Sie verpflichtete den Dienstherrn vor allem zum Schutz der Gesundheit des Beamten, erstreckte sich aber etwa auch auf sein Eigentum, auf die Aufklä52 Zum Zustandekommen der Formulierung auf Druck des StdF vgl. Mommsen: Beamtenturn im Dritten Reich, S. 93. 53 Nadler u . a.: DBG, Vorbem. zu§§ 36 ff. Rdnr. 3; Fischbach: DBG, S . 545. 54 Brand: DBG, Vorbem. 1 zu§§ 36 ff. 55 RGZ 142, 389 (392 f.); 143, 77 (84); 147, 174 (178), hier mit dem auf die Grundrechte bezogenen, einschränkenden Zusatz" soweit diese überhaupt noch bestehen".
1.3. Das Beamtendienststrafrecht
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rung zur Wahrnehmung seiner Rechte und die ordnungsgemäße Behandlung seiner Gesuche56. Die Verletzung dieser Pflichten führte zu einem eigenständigen, vor den Zivilgerichten einklagbaren Schadensersatzanspruch. Im Dritten Reich wurde die Fürsorgepflicht nicht nur nicht beseitigt, sondern auf eine eigenständige, öffentlich-rechtliche Grundlage gestellt: Nach § 36 DBG gewährte der Staat dem Beamten Fürsorge und Schutz bei seinen amtlichen Verrichtungen und in seiner Stellung als Beamter. Literatur und Rechtsprechung sahen darin die gesetzgeberische Bestätigung der durch die Rechtsprechung herausgearbeiteten Ergebnisse, so daß in diesem Punkt eine ungebrochene Kontinuität feststellbar ist. Die Fürsorgepflicht bedeutete für den Dienstherrn, daß er seine Machtstellung nicht einseitig zur Geltung bringen durfte, sondern auch die Belange des Beamten zu berücksichtigen und zu wahren, ihn wohlwollend und gerecht zu behandeln hatte 57 . Es entsprach der nationalsozialistischen Betonung der Treuebindung in beiden Richtungen, daß statt der Einräumung und Festschreibung konkreter Ansprüche die patriarchalisch-autoritäre Fürsorge, die ein mehr einzelfallbezogenes Rechtsmißbrauchsverbot und Förderungsgebot darstellte, bevorzugt wurde. Die Beibehaltung und rechtliche Anerkennung der staatlichen Fürsorgepflicht mit einklagbarem Schadensersatzanspruch im Verletzungsfall stellte einen beträchtlichen Verzicht auf Macht für die Exekutive dar. Noch im letzten Band der Entscheidungen des Reichsgerichts wurde die Fürsorgepflicht und der daraus erwachsende Schadensersatzanspruch anerkannt58. Gegen ungerechte Behandlung durch die Vorgesetzten hatte der Beamte also eine wirksame Waffe in der Hand. Der Schutz erstreckte sich aber nicht auf gesetzgeberische Akte und - wie die Rechtsprechung zum BBG zeigte- nicht auf politisch abgedeckte Maßnahmen. Der vom Nationalsozialismus propagierte Treuegedanke kann jedoch nicht ohne weiteres als leere Propagandaformel abgetan werden, weil hier der ideologische Gedanke eine reale und ernstgemeinte Ausprägung zu Gunstendes Beamten fand. 3. Das Dienststrafrecht
Ein weiterer hergebrachter Grundsatz des Beamtenrechts war und ist es, daß ein Beamter, der eine Dienstverfehlung begangen hat, dafür bestraft werden kann. Während im ALR noch allgemeine Verbrechen der Beamten und reine Dienstpflichtverletzungen zusammen behandelt wurden1 , entwik56 Zu den Einzelfällen vgl. mit Nachweisen Sievers: Das Beamtenrecht der Reichsverfassung in der Rechtsprechung des Reichsgerichts, S. 649 ff.; Brand: Reichsbeamtengesetz, § 13 RBG Anm. A 6. s7 RGZ 146, 369 (373); 157, 145 (150). sa RGZ 172, 169 (174 ff.) 1 Im 8. Abschnitt des 20. Titels im II. Teil (von den Verbrechen der Diener des Staates): z. B. §§ 360 und 361 II 20 ALR entsprechen der heutigen Vorteilsannahme
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
keltesich später ein vom allgemeinen Straf- und Strafprozeßrecht losgelöstes, eigenständiges Disziplinarrecht. In der Weimarer Republik war die Rechtslage auf diesem Gebiet genauso zersplittert wie sonst im Beamtenrecht. Für Reichsbeamte waren die im RBG von 1873 niedergelegten Disziplinarvorschriften maßgebend. Sie galten allgemein als dringend reformbedürftig2. Ohne das ganze Beamtenrecht neu zu regeln, sollte jedenfalls das Disziplinarrecht in Erfüllung des Verfassungsauftrags der Vereinheitlichung des Beamtenrechts vorweg in einer Reichsdienststrafordnung geregelt werden. Der Entwurf des Gesetzes wurde in drei Lesungen des zuständigen Reichstagsausschusses beraten, konnte aber wegen einer Reichstagsauflösung nicht mehr verabschiedet werden. In Preußen galt das Gesetz, betreffend die Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten, die Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand, vom 21. Juli 18523, das häufig ergänzt und geändert worden war4 . Eine vollständige Neufassung erschien unumgänglich. Die Preußische Staatsregierung wollte zuerst die in der parlamentarischen Arbeit befindliche reichsrechtliche Regelung abwarten, da die Verabschiedung sich dort aber hinzog, drängte der Preußische Landtag auf eine vorgezogene Reform in Preußen. Das Ergebnis war die BDStO vom 27.Januar 19325, die sich in vielen Punkten an den Entwurf einer RDStO anlehnte. Wieder blieb es den Nationalsozialisten vorbehalten, auf der Grundlage der Weimarer Vorarbeiten ein für alle Beamten geltendes Gesetz, die RDStO vom 26. Januar 19376, die am gleichen Tag wie das DBG in Kraft trat, zu erlassen. Bereits vorher wurde das Recht in Preußen, also die BDStO, in einigen Punkten von der neuen nationalsozialistischen Führung abgeänderF, weil man mit der Anpassung des angeblich stark von liberalistisch-marxistischen Ideen durchsetzten Gesetzes nicht bis zum Inkrafttreten der RDStO warten wollte 8 . Das materielle Disziplinarrecht war in allen genannten Gesetzen im wesentlichen gleich geregelt. Es wurde auf eine Aufzählung der einzelnen Dienstvergehen verzichtet und pauschal das Dienstvergehen als eine schuldhafte Verletzung der dem Beamten obliegenden Pflichten definiert (§§ 22 Abs. 1 S. 1 DBG, 2 Abs. 1 BDStO, 72 RBG) 9 . Damit wird eine unmitund Bestechlichkeit, §§ 334 und 335 II 20 ALR stellen grob- bzw. leichtfahrlässige Dienstpflichtverletzungen unter Strafe. 2 Brand: Reichsbeamtengesetze, Vorbem. 1 zu§ 72 RBG. 3 GS S. 465. 4 Brand: Die preußischen Dienststrafordnungen, Vorbem. 2 und 3. 5 GS S. 59. s RGBl. I S . 71. 7 Gesetz vom 18.08.1934, GS S. 353. s Brand: RDStO, Vorbem. 3.
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telbare Verknüpfung von Pflicht und Dienstvergehen erreicht. Der Umfang des materiellen Disziplinarrechts hing also vom Umfang der beamtenrechtlichen Pflichten ab. Wie oben dargelegt, hat sich im Dritten Reich der Pflichtenkatalog, vor allem in politischer Hinsicht, stark erweitert, so daß es - ohne daß es einer Änderung der Vorschriften des materiellen Disziplinarrechts bedurft hätteautomatisch auch zu einer sachlich erweiterten disziplinarischen Erfassung kam. Allerdings entwickelten sich Unterschiede im personellen Geltungsbereich. Unter Geltung des RBG und der BDStO war entsprechend der beamtenrechtlichen Tradition ein Disziplinarverfahren gegen Ruhestandsbeamte nur möglich, wenn das Disziplinarverfahren vor dem Ausscheiden aus dem Dienst anhängig gemacht wurde(§§ 75 Abs. 3 RBG, 12 Abs. 2 BDStO). Nach dem Ausscheiden aus dem Dienst unterlag der Beamte nicht mehr der Disziplinlo. Hier brachten DBG und RDStO eine Erweiterung in zweifacher Hinsicht. Zum einen konnten nunmehr Dienstvergehen auch dann noch verfolgt werden, wenn der Beamte vor Einleitung des Disziplinarverfahrens ausgeschieden war (§ 2 S. 1 RDStO). Zum anderen wurden bestimmte Handlungen im Ruhestand als Dienstvergehen qualifiziert und der Disziplinarweg eröffnet, nämlich bei staatsfeindlicher Betätigung, Verletzung der Amtsverschwiegenheit und Annahme von Belohnungen und Geschenken in bezug auf das Amt (§§ 22 Abs. 1 S. 2 DBG, 2 S. 1 RDStO). Diese Änderungen wurden vom Prinzip her in das bundesdeutsche Recht übernommen. Nach§ 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a BDO und DO.NW kann ein Ruhestandsbeamter wegen eines Dienstvergehens während eines Beamtenverhältnisses verfolgt werden. Bei einem Ruhestandsbeamten gilt u . a. als Dienstvergehen, wenn er sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung betätigt oder an Bestrebungen teilnimmt, die darauf abzielen, den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik zu beeinträchtigen, wenn er die Verschwiegenheitspflicht bricht oder unzulässige Belohnungen oder Geschenke annimmt(§ 45 Abs. 2 S. 1 BRRG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b BDO und DO.NW). Das sachlich Besondere an der Regelung des DBG ist die disziplinarische Ahndung der "staatsfeindlichen Betätigung" von Ruhestandsbeamten. Nach Nr. 1 DVO zu§ 22 DBGH war eine Tat staat sfeindlich, die geeignet und nach dem Willen des Täters dazu bestimmt war, den Bestand und die 9 Wegen des zum Teil im Gesetz nicht erwähnten Verschuldenserfordernisses vgl. Brand: Die preußischen Dienststrafordnungen, § 2 BDStO Anm. 8; ders.: Reichsbeamtengesetze, § 72 RBG Anm. 6; die weite materielle Strafnorm entsprach der Tradition des Beamtentums, vgl. von Eynem, in: RVerwBl. 1932, 227 f. 1o Brand: Die preußischen Dienststrafordnungen, § 1 BDStO Anm. F ; PrOVGE 86, 445 (448). u Vom 29.07.1937, RGBL I S. 669.
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
Sicherheit des Staates und der den Staat tragenden NSDAP zu untergraben oder zu gefährden. Die Kommentarliteratur sah das Verbot der staatsfeindlichen Betätigung in der das aktive Beamtenverhältnis überdauernden Treuepflicht begründet12 . Es wurde aber darauf hingewiesen, daß nicht jede belanglose und unbedeutende Handlung oder unüberlegte Äußerung den Tatbestand der staatsfeindlichen Betätigung erfülle, sondern es sich um einen ernsten Angriff gegen Bestand oder Sicherheit der Partei oder des Staates handeln müsse, ohne allerdings schon strafbar sein zu müssenl3. Oppositionelles Verhalten unterhalb der Strafbarkeitsgrenze war damit disziplinarisch auch bei Ruhestandsbeamten verfolgbar. Die Regelung bedeutete, daß von den beiden Seiten der beamtenrechtlichen Treuepflicht, nämlich passiv sich jeder Opposition zu enthalten und aktiv die Regierungs- und Parteipolitik zu unterstützen, nur die passive Seite für Ruhestandsbeamte disziplinarrechtlieh abgedeckt war. Der Ruhestandsbeamte, der vor dem Dritten Reich aller disziplinarischen Bindungen ledig war, befand sich unter nationalsozialistischem Recht in der Lage, in der sich der aktive Beamte zu den strengsten Zeiten der Monarchie befand, nämlich im Zustand völliger politischer Entmündigung. Daß es sich dabei um die mildere Form der nationalsozialistischen Treuepflicht handelte, zeigt, welchen qualitativ neuen Bindungen der aktive Beamte im Dritten Reich unterlag. Die Strafen der RDStO entsprachen denen der BDStO, nämlich Warnung, Verweis, Geldbuße, Gehaltskürzung und Entfernung aus dem Dienst, für Ruhestandsbeamte Kürzung und Aberkennung des Ruhegehalts (§§ 4 RDStO, 9 ff. BDSt0) 14 . Bei der härtesten Strafe, der Entfernung aus dem Dienst, trat im Dritten Reich allerdings auf versicherungsrechtlichem Gebiet eine Verschärfung ein. In der Weimarer Republik führte die Dienstentlassung des Beamten dazu, daß der Dienstherr nach den sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen (§§ 18 AVG, 1242a RVO, 29 RKnG) Beiträge zur Sozialversicherung nachzuentrichten hatte, so daß die bisherige Dienstzeit für die Altersversorgung nicht verloren gingls. Dies wurde durch § 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 DBG beseitigt. Die amtliche Begründung und die Kommentarliteratur verwiesen darauf, daß eine Nachversicherung in diesem Fall unbillig sei, da der Grund für die Dienstentlassung in der Person des Beamten liege16• Dadurch bekam die Strafe der Dienstentlassung besonders bei älteren Beamten eine schlichtweg existenzvernichtende Schärfe. Für Ruhestandsbeamte waren schon nach dem damaligen SozialversicheFischbach: DBG, S. 345; Nadler u. a.: DBG, § 22 Rdnr. 30. Ebda.; Brand: DBG, § 136 Anm. 2. 14 Die Strafversetzung des § 75 RBG wurde schon in der BDStO durch die Gehaltskürzung ersetzt. 15 Vgl. die Darstellung der Rechtsentwicklung bei Lindgen: Handbuch des Disziplinarrechts, Bd. 1, S. 177. 16 Amtl. Begründung bei Schneider: DBG, S . 747; Br and: DBG, § 141 Anm. 2. 12
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1.3. Das Beamtendienststrafrecht
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rungsrecht bei Aberkennung des Ruhegehalts keine Beiträge nachzuentrichten17. Zuständig zur Verhängung der leichteren Dienststrafen (Warnung, Verweis, Geldbuße) waren die Dienstvorgesetzten, bei der Geldbuße je nach Höhe gestaffelt zum Teil nur höhere Dienstvorgesetzte (§ 24 RDStO). Dies entsprach im wesentlichen der Weimarer Rechtslage (§§ 80 f. RBG, 16 f. BDStO). Die Verhängung von schweren Dienststrafen (Gehaltskürzung, Entfernung aus dem Dienst) erforderte ein förmliches Disziplinarverfahren vor einem unabhängigen Dienststrafgericht (§ 11 Abs. 1 RDStO), eine Regelung, die ebenfalls im Grundsatz mit der Weimarer Rechtslage übereinstimmte (§§ 84 RBG, 22 BDStO). Die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme durch den Dienstvorgesetzten konnte in allen Rechtsordnungen nicht auf dem Rechtswege angegriffen werden, es bestand nur der verwaltungsinterne Beschwerdeweg bis letztlich zum Minister. Nach der RDStO war die Beschwerde fristgebunden, und außerdem konnte die Möglichkeit weiterer Beschwerden eingeschränkt werden (§ 26 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 und 4 RDStO). Demgegenüber war die Beschwerdemöglichkeit Weimarer Reichsbeamter an keine Frist gebunden (§ 83 RBG). Für preußische Beamte wiederum war die Beschwerde an eine Monatsfrist gebunden(§ 18 Abs. 2 S. 1 BDStO). Hatte hier aber der Minister in erster Instanz entschieden, konnte der Beamte die Entscheidung eines Gerichts, des Dienststrafhofs, beantragen (§ 18 Abs. 2 S . 2 BDStO).Für Beamte der Selbstverwaltung bestand immer die Möglichkeit der Anrufung der Dienststrafkammer (§ 94 Abs. 2 BDStO). Der auch zur Weimarer Zeit allgemein nur beschränkt gewährte verwaltungsrechtliche Rechtsschutz durch Gerichte setzte sich also, was die Anfechtung von durch den Dienstvorgesetzten verhängten Dienststrafen betraf, im Dritten Reich fort, erste Ansätze eines erweiterten Rechtsschutzes, wie ihn die BDStO bot, wurden in der RDStO wieder beseitigt. Hier besteht ein grundlegender Unterschied aller genannten Gesetze zur bundesdeutschen Rechtslage, nach der, entsprechend der umfassenden Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, jede Disziplinarmaßnahme einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden kann (vgl. etwa§§ 31 Abs. 3 S. 1 BDO, 31 Abs. 3 S. 1 DO.NW). Eine einmal ergangene Dienststrafverfügung konnte nach § 27 RDStO nach einem Jahr nicht mehr von dem höheren Dienstvorgesetzten aufgehoben und anders entschieden werden. Es gab zwar nach wie vor keine Verjährung von Dienstvergehen, aber jedenfalls erwuchs im Gegensatz zur Regelung des RBG eine einmal ergangene Dienststrafverfügung in Bestands17 Die unterschiedliche sozialversicherungsrechtliche Behandlung von dienstentfernten Beamten und Ruhestandsbeamten , denen das Ruhegehalt aberkannt wurde, ist erst durch das Rentenversicherungsänderungsgesetz vom 09.06.1965, BGBL I S. 476, beseitigt worden.
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
kraft, so daß der Beamte nicht unbefristet unter dem Druck stand, für die bestrafte Tat noch schwerer bestraft zu werden. Die RDStO hat daher gegenüber dem RBG zweifelsohne auch Verbesserungen für die Rechtsstellung des Beamten gebracht. Hier ist auch die Möglichkeit der Wiederaufnahme des Dienststrafverfahrens zu nennen (§§ 83 ff. RDStO). Das in allen drei genannten Disziplinarordnungen für die schwersten Disziplinarmaßnahmen vorgesehene förmliche Verfahren war regelmäßig in einen Untersuchungsteil und eine gerichtliche Hauptverhandlung gegliedert. Nach der RDStO wurde das förmliche Untersuchungsverfahren durch näher bezeichnete übergeordnete Behörden eingeleitet, die obersten Reichsbehörden konnten aber allgemein oder im Einzelfall die Befugnis der Einleitungsbehörde an sich ziehen(§ 29 Abs. 1 RDStO). Nach dem- sowieso nur für Reichsbeamte geltenden - RBG wurde die Einleitung immer von der obersten Reichsbehörde verfügt (§ 84 Abs. 1 S. 2 RBG). Auch nach der BDStO waren Einleitungsbehörden bestimmte, dem Beamten vorgesetzte Dienststellen und die Fachminister (§ 23 BDStO, für Beamte der Selbstverwaltung die Aufsichtsbehörde, § 95 Abs. 2 S. 1 BDStO). Die Einleitung des Verfahrens hatte sich im Dritten Reich also nicht geändert. Die wichtigste Person im Untersuchungsverfahren war der Untersuchungsführer. Nach § 44 Abs. 1 RDStO wie auch nach § 85 Abs. 1 RBG bestellte die Einleitungsbehörde den Untersuchungsführer bzw.-kommissar18. Nur nach§ 26 Abs. 1 BDStO wurde diese Bestellung in die Kompetenz des unabhängigen Vorsitzenden der Dienststrafkammer gelegt. Der Untersuchungsführer war sachlich unabhängig und nahm die Aufgaben eines Untersuchungsrichters im ordentlichen Strafverfahren wahr19. Beweisanträgen der Einleitungsbehörde mußte er allerdings stattgeben (§ 50 Abs. 1 S. 3 RDStO). Die Rolle des Untersuchungsführers hatte sich mit der RDStO nicht wesentlich verändert. Seine Unabhängigkeit war aber neben der mit der Bestellung erfolgten Auswahl durch die Einleitungsbehörde und seiner allgemeinen Abhängigkeit als Beamter nach Beendigung des Untersuchungsverfahrens20 nach der RDStO vor allem durch eine Vorschrift gefährdet: Nach §§ 44 Abs. 3 S. 2, 40 Abs. 1 Nr. 2 RDStO erlosch das Amt des Untersuchungsführers, wenn er aus der NSDAP ausgeschlossen oder ausgestoßen wurde. Dadurch hatte es die Partei in der Hand, einen im Amt befindlichen mißliebigen Untersuchungsführer aus diesem Amt zu entfernen. Der parteiinterne Zugriff auf den Beamten als Parteimitglied war allerdings beschränkt21. 18 Bei diesem Rechtszustand ist es in der Bundesrepublik geblieben, § 56 Abs. 2 S. 1 BDO, § 55 Abs. 2 S. 1 DO.NW. 19 Brand: RDStO, § 44 Anm. 4. 2o Diese Gefährdungspunkte sind auch im geltenden Recht vorhanden. 21 Zum Verhältnis von Partei und Dienststrafgerichtsbarkeit s. u . S. 51ff.
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Die so aufgezeigte Abhängigkeit des Untersuchungsführers wurde und wird jedoch durch die anschließende Hauptverhandlung relativiert. Die Position des beschuldigten Beamten hatte sich insoweit in der RDStO gegenüber dem RBG sogar eher verbessert: Zwar fand nach wie vor keine volle Beweisaufnahme statt, sondern es wurde das Untersuchungsergebnis verwertet (Mittelbarkeit der Beweisnahme)22 . Aber der Beschuldigte konnte nunmehr an Zeugenvernehmungen des Untersuchungsführers teilnehmen (§ 49 Abs. 1 S. 1 RDStO im Gegensatz zu § 94 Abs. 1 S. 4 RBG), dem Beschuldigten wurde die Möglichkeit gegeben, Zeugen und Sachverständige zur Hauptverhandlung selbst zu laden (§ 20 RDStO i.V.m. § 220 Abs. 1 StP0)23. Die verfahrensrechtliche Situation des beschuldigten Beamten ist insgesamt durch die RDStO gegenuber dem RBG verbessert bzw. klargestellt worden, gegenüber der BDStO sind allerdings einige Einschränkungen zu verzeichnen, etwa beim Rechtsschutz gegen Disziplinarverfügungen, bei der Möglichkeit, einen Verteidiger im Untersuchungsverfahren hinzuzuziehen, bei der notwendigen Mehrheit für gerichtliche Entscheidungen, die dem Beschuldigten nachteilig waren. Insgesamt stellte aber auch das Verfahren nach der RDStO eine ohne Einschränkungen rechtsstaatliche Prozedur dar, dem keine nur dem Nationalsozialismus typische Vorschriften eigen waren. Das Herrschaftsinteresse der nationalsozialistischen Rechtspolitik erstreckte sich im Disziplinarverfahrensrecht vielmehr, wie für den Untersuchungsführer schon gezeigt, auf die personelle Besetzung der Dienststrafrichterposten. Hier gab es bei den rechtlichen Regelungen, aber auch in der Besetzungspraxis die entscheidenden Besonderheiten. Die Besetzung der Dienststrafkammern erfolgte durch den Reichsminister des Innern, die Besetzung des Reichsdienststrafhofs, an den vornehmlich die Berufung gegen Urteile der Dienststrafkammern ging, erfolgte durch den Führer und Reichskanzler, und zwar jeweils für drei Jahre(§§ 36 Abs. 1, 41 Abs. 4 RDSt0)24. Die nur zeitlich begrenzte Bestellung von Richtern und Beamten zu Mitgliedern der Dienststrafgerichte bedeutete für sich allein schon eine erhebliche Einflußmöglichkeit der Verwaltungsspitze25 . Zwar genossen die Dienststrafrichter richterliche Unabhängigkeit (§ 31 Abs. 2 und 3 RDStO), jedoch konnte nach drei Jahren ein unliebsamer Richter durch Nichtwiederbestellung von diesem Amt ausgeschlossen werden. 22 Brand: RDStO, § 61 Anm. 1; derselbe Grundsatz gilt auch in der BDO, vgl. Claussen, Jansen, BDO: § 74 Rdnr. 6 b. 23 Brand: RDStO, § 58 Anm. 3. 24 Nach§§ 30 Abs. 2 S. 1, 39 Abs. 3 BDStO währte die Amtszeit fünf Jahre. 25 Heute sind Bundesdisziplinarrichter ohne zeitliche Begrenzung tätig und nur mit ihrer Zustimmung versetzbar (§§ 45, 55 BDO, 30 DRiG); in NW werden die Richter der Disziplinarkammern und -senate von der Landesregierung für sechs Jahre ernannt(§§ 45 Abs. 3, 46 Abs. 1 S. 1, 52 DO.NW).
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
Besonders zweifelhaft war die Unabhängigkeit derjenigen Dienststrafrichter, die im Hauptamt nichtrichterliche Beamte waren, denn ihnen fehlte auch im Hauptamt jede Unabhängigkeit, so daß Möglichkeiten bestanden, sie dort wegen der Art ihrer Rechtsprechung an den Dienststrafgerichten zu benachteiligen26. Es ist bemerkenswert, daß diese Frage in der nationalsozialistischen rechtswissenschaftliehen Literatur problematisiert wurde 27 . Bei der Auswahl der alle drei Jahre zu bestellenden Dienststrafrichter war die NSDAP nach näheren Bestimmungen zu beteiligen (§§ 36 Abs. 3, 41 Abs. 4 und 5 RDStO). Die in der RDStO angekündigten Beteiligungsregelungen sind allerdings wohl nie erlassen worden28. Die Kommentierungen stellen darauf ab, daß bei der Auswahl "tunliehst erfahrene Beamte mit abgeklärter Lebens- und Berufsauffassung und zuverlässiger nationalsozialistischer Gesinnung" bestimmt werden29. Daß für die nationalsozialistischen Machthaber Personal- vor Verfahrensfragen standen und von welchen Kriterien bei der Personalauswahl ausgegangen werden sollte, ergeben die Vorgänge um die Dienststrafgerichte in Preußen nach der Machtergreifung. Dort wurde die BDStO durch Gesetz vom 18. August 193430 in mehreren Punkten geändert, vor allem wurde aber das vorzeitige Ende der Amtszeit aller Mitglieder der Dienststrafgerichte zum 01. Oktober 1934 statuiert, die nach der BDStO eigentlich fünf Jahre währte. Dadurch erhielt der preußische Ministerpräsident Göring die Möglichkeit, alle unliebsamen Dienststrafrichter zu entfernen. Die Auswahlkriterien für die Neuernennungen ergeben sich aus einem Runderlaß des Ministers des Innern vom 28. August 1934 31 . Er besagt, daß schon vor der Änderung der BDStO durch die Regelungen des BBG, aber auch durch "freiwilliges" Ausscheiden und die daraufhin erfolgten Neuernennungen im Einvernehmen mit den Gauleitern im allgemeinen bereits eine personelle Besetzung der 26 Heute werden die Beamtenbeisitzer ähnlich wie Schöffen für vier Jahre ausgelost bzw. gewählt, vgl. §§ 49, 55 Abs. 3 BDO und §§ 46, 52 DO.NW, 25 ff. VwGO. 27 Breithaupt: RDStO, § 31 Anm. 3, spricht im Rahmen der Erörterung der richterlichen Unabhängigkeit davon, daß die Regierung eine Möglichkeit zur Einwirkung auf die Rechtsprechung der Dienststrafgerichte durch Nichtwiederbestellung habe. Brand: RDStO, § 31 Anm. 3, problematisiert neben der Nichtwiederbestellung sogar die - unzulässige - Benachteiligung nichtrichterlicher Beamter, hält die Regelung aber für gerechtfertigt, weil hier wie auch sonst die Staatsinteressen, die die Ausschaltung ungeeigneter Mitglieder erforderten, vorgehen müßten; in ders. : Die preußischen Dienststrafordnungen, § 27 BDStO Anm. 3, war er noch gegenteiliger Ansicht. 2s Wiehert: RDStO, § 36 Anm. 9, bemerkt im Juni 1938, daß eine solche Anordnung bisher nicht veröffentlicht worden sei. Bei Wittland: RDStO, wird Januar 1941 in der Kommentierung zu § 36 eine Regelung immer noch nicht erwähnt. 29 Brand: RDStO, § 36 Anm. 2. 3o GS S. 353. 31 MBliV Sp. 1116a.
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Dienststrafgerichte "im Sinne des nat.-soz. Staates" erfolgt sei. Bei den nach der Änderung der BDStO zu ernennenden Dienststrafrichtern kämen "nur Beamte in Frage, die nicht nur auf Grund innerer Verbundenheit mit dem nat.-soz. Staat, sondern auch nach ihrer ganzen Persönlichkeit und Beamtenauffassung die Gewähr für eine Rechtsprechung im Sinne des neuen Staates bieten". An diesen personalpolitischen Entscheidungsmaßstäben dürfte sich auch später nichts geändert haben. Auch für die Dienststrafrichter bestand nach§§ 40 Abs. 1 Nr. 2, 41 Abs. 5 RDStO für die NSDAP dieselbe Einwirkungsmöglichkeit wie die auf den Untersuchungsführer: Dienststrafrichter verloren durch Ausschluß oder Ausstoßung aus der Partei von Gesetzes wegen ihr Amt. Für die Regierung gab es eine noch elegantere Möglichkeit, einen unliebsamen nichtrichterlichen Dienststrafrichter zu Fall zu bringen: Die Versetzung in ein Amt außerhalb des Bereichs der Kammer führte von Gesetzes wegen zum Erlöschen des Richteramtes (§ 40 Abs. 1 Nr. 3 RDStO). Angesichts der gerichtlich unüberprüfbaren und weitreichenden Versetzungsvoraussetzung ("dienstliches Bedürfnis" nach § 35 Abs. 1 S. 1 DBG) war dies bei Landes- und Reichsbeamten32 keine Schwierigkeit33. Von den so ausgesuchten und beeinflußbaren Dienststrafrichtern wurde erwartet, daß sie im nationalsozialistischen Sinne Recht sprachen. Zwar wurde anerkannt, daß wegen der richterlichen Unabhängigkeit die Entscheidung des Richters nur nach seiner eigenen, auf Grund sorgfältigster und gewissenhaftester Prüfung und Überlegung zu bildenden Überzeugung zu treffen sei. Dies enthebe ihn jedoch nicht der Pflicht, bei seiner Amtstätigkeit die Grundgedanken der nationalsozialistischen Bewegung, das Wohl des Staates und des Volkes als leitenden Blickpunkt zu beachten34. Die gleichzeitige Beanspruchung des Beamten sowohl durch die Partei als auch die Dienststrafgerichtsbarkeit führte zu Friktionen35 . Nach§ 7 Abs. 4 DBG sollte der Führer und Reichskanzler bestimmen, ob und inwieweit ein Beamter als Parteimitglied zur Verantwortung gezogen werden konnte. 32 Kommunalbeamte konnten vom RMdi gemäß § 35 Abs. 2 DBG gegen ihren Willen nur in eine andere Kommune und nur mit Zustimmung beider betroffenen Kommunen versetzt werden. Erst im Krieg konnte der RMdi auch Kommunalbeamte beliebig versetzen, § 1 Abs. 1 S. 1 Buchst. a der 2. VO über Maßnahmen auf dem Gebiet des Beamtenrechts vom 03.05.1940 (RGBl. I S. 732) i.V.m. Art. V Abs. 1 S. 1 des Erlasses über die Vereinfachung der Verwaltung vom 28.08.1939 (RGBl. I S. 1535). 33 Aus diesem Grund erlosch gemäߧ 37 S. 2 BDStO das Richteramt durch Versetzung nicht, vgl. Brand: Die preußischen Dienststrafordnungen, 37 BDStO Anm. 1. Ähnlich ist die Rechtslage heute: Gemäß §§ 54 Abs. 2 BDO, 51 Abs. 2 DO.NW kann der Beamtenbeisitzer dem Erlöschen widersprechen. 34 Wittland : RDStO, § 31 Anm. 2 und 3. 35 Zur Einschüchterung der Beamtenschaft durch die Parteigerichtsbarkeit vor allem in der Anfangszeit des Dritten Reichs vgl. Diehl-Thiele: Partei und Staat im Dritten Reich, S. 55 ff.; McKale: Der öffentliche Dienst und die Parteigerichtsbarkeit der NSDAP, in Rebentisch, Teppe (Hrsg.): Verwaltungcontra Menschenführung im Staat Hitlers, S. 244 ff.
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
Diese Vorschrift wurde allgemein einengend dahin ausgelegt, daß sie sich nur auf das dienstliche Verhalten des Beamten beziehe, also die parteigerichtliche Verfolgung eines Beamten wegen außerdienstlichen Fehlverhaltens (etwa Kaufs bei Juden) ohne Einschränkung möglich sei3 6• Die im DBG angekündigte Führerbestimmung ist anscheinend nie ergangen37 , so daß es bei der Praxis wie vor dem DBG blieb. Das hieß, daß auch dienstliche Handlungen von Beamten Gegenstand eines parteigerichtlichen Verfahrens sein durften, allerdings auf Anordnung des Obersten Richters der Partei, Walter Buch, nur mit Zustimmung des Obersten Parteigerichts3s. Darüber hinaus habe sich, wie manche Kommentatoren behaupteten, der Grundsatz eingebürgert, daß eine dienstliche Handlung außerhalb der Dienststrafgerichtsbarkeit nur nach Beanstandung durch die Dienstvorgesetzten geprüft werde39. Bei dieser Behauptung handelt es sich aber möglicherweise um den Versuch, den Parteieinfluß auf die Beamten zurückzudrängen. Es bleibt festzuhalten, daß sich die Parteigerichtsbarkeit grundsätzlich für kompetent hielt, dienstliche Handlungen eines Beamten zu bewerten. Umgekehrt nahm sich die Disziplinargerichtsbarkeit grundsätzlich auch das Recht, das Verhalten des Beamten als Parteigenossen zu bewerten. So konnte parteiinternes Fehlverhalten auch dienststrafrechtlich, etwa als unwürdiges Verhalten i.S. von§ 3 Abs. 3 S. 2 DBG, von Bedeutung sein40 • Trotz anfänglicher Versuche, parteigerichtliche Urteile auf Ausschluß oder Ausstoßung als unmittelbar verbindlich für ein Dienststrafverfahren auf Dienstentfernung anzusehen41 , ließ sich diese Gerichtsbarkeit jedoch das Heft nicht aus der Hand nehmen: Die Dienststrafgerichte seien zur selbständigen Prüfung der den Parteiausschluß herbeiführenden Gründe verpflichtet, der Parteiausschluß als solcher sei dienststrafrechtlich nicht erheblich42. Die Dienststrafgerichtsbarkeit blieb damit zwar unabhängig von der Parteigerichtsbarkeit, aber sie hatte nicht die Möglichkeit, sich selbständig in Parteiangelegenheiten einzumischen: Gemäß Nr. 2 DVO zu § 22 DBG galt das parteiamtliche Verhalten eines Politischen Leiters, der gleichzeitig Beamter war, nicht als der Dienststrafgewalt unterliegendes außerdienstli36 Heyland: Deutsches Beamtenrecht, S. 183 f.; Nadler u. a .: DBG, § 7 Anm. 29; Kalle: Die Parteigerichtsbarkeit und der Beamte, in: DJ 1938, 1556 f . 37 Für den Stand 01.01.1943 Pfundtner, Neubert: Reichsrecht, I c 12, § 7 DBG Anm.7 . 38 Ebda.; Kalle, in: DJ 1938, 1567. 39 Fischbach: DBG, S. 205 ; Nadler u. a.: DBG, § 7 Anm. 29; Wittland: RDStO, Vorbem. 47; Kalle, a.a.O., unter Bezug auf Nadler. 40 Wittland: RDStO, Anhang zu § 1 Anm. 53; zurückhaltender Behnke: RDStO, S. 64 f., 80 f.; Einzelfälle behandelt Erler: Die Bedeutung der Parteidisziplin für die dienstliche Tätigkeit des Beamten, in: RVerwBl. 1938, 241 ff. 41 Brand: RDStO, S. 68; Krüger: Die wichtigsten Grundsätze des deutschen Verfassungsrechts im Deutschen Beamtengesetz verwirklicht, in: Deutsche Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. Nichtamtlicher Teil, 1937, S. 44. 42 RDStHE 1, 124 (125 ff.).
!.3. Das Beamtendienststrafrecht
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ches Verhalten. Wollte die Verwaltung deswegen eine dienststrafrechtliche Verfolgung, so bedurfte sie der Zustimmung der obersten Dienst- oder Aufsichtsbehördeund der des Stellvertreters des Führers. Politische Leiter aber waren in der Partei keine Seltenheit: An der Spitze jedes Hoheitsgebietes der Partei (Gau, Kreis, Ortsgruppe, Zelle, Block) stand als Hoheitsträger der jeweilige Leiter (Gauleiter usw.). Den Reichsleitern und den Hoheitsträgern bis hinunter zur Ortsgruppe standen Parteiverwaltungen mit einer Vielzahl von Ämtern, Hauptstellen und Stellen zur Seite. Jeder Hoheitsträger und jeder Parteigenosse, der im Rahmen dieses Verwaltungsaufbaues ein Parteiamt bis hinunter zum Mitarbeiter der Ortsgruppenleitung bekleidete, war Politischer Leiter und übte parteiamtliche Tätigkeit aus43 . Nicht zu den Politischen Leitern zählten also nur die technischen Hilfskräfte wie Sekretärinnen u.ä. Die sachliche Parteiarbeit eines Beamten war damit für die Dienststrafgerichtsbarkeit nur noch mit Zustimmung der Partei selbst verfolgbar. Der Schutz der Parteiarbeit vor der Dienststrafgerichtsbarkeit war stärker ausgebildet als umgekehrt der Schutz der dienstlichen Beamtentätigkeit vor der Parteigerichtsbarkeit. Vor diesem rechtlichen Hintergrund muß die Behauptung in der beamtenrechtlichen Literatur gesehen werden, es habe sich der Grundsatz gebildet, dienstliche Tätigkeit erst nach Beanstandung durch die Dienstvorgesetzten zu bewerten. Das hätte dann nämlich einen Schutz für die dienstliche Tätigkeit bedeutet, wie er für die Parteiarbeit rechtlich fixiert war. Wie für den Bereich des allgemeinen Beamtenrechts läßt sich auch für das nationalsozialistische Disziplinarrecht feststellen, daß es ohne formale Brüche an vorgegebene Rechtstraditionen anknüpfte. Die Anknüpfung war hier um so enger, als es sich im wesentlichen um Verfahrensrecht handelte, in dem sich das geänderte Beamtenleitbild nicht notwendig niederschlagen mußte. Es fanden sogar eine Modernisierung und Verbesserung des Disziplinarrechts statt angesichts der vorgefundenen Regelungen, die im Ansatz aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammten. Diesachbezogene Allgemessenheit der RDStO zeigt sich in der Tatsache, daß sie im wesentlichen auf Weimarer Vorarbeiten zurückging, in Form der BDStO in Preußen 1932 in Kraft gesetzt wurde und für das Displinarrecht der Bundesrepublik Leitbild war. Die nationalsozialistische Herrschaft stützte sich weniger auf Verfahrensvorschriften. Zwar gab es gegenüber der BDStO einige Vorschriften, die die Disziplinarmacht stärkten, aber im ganzen war das Dienststrafverfahren rechtsstaatlich ausgestaltet. Die Bedeutung des Dienststrafrechts im Dritten Reich lag in der Ausweitung der Beamtenpflichten durch das materielle Beamtenrecht, das automatisch einen erweiterten disziplinarisch 43 Zum Begriff des Politischen Leiters vgl. Fabricius: Organisatorischer Aufbau der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, in: GAW Bd. 1, Beitr. 7, S. 24 ff.
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
abgesicherten Bereich schuf, und in den verfahrensrechtlichen Regeln, die die Besetzung der Dienststrafrichterposten zum Gegenstand hatten, mit anderen Worten in der Herrschaftserweiterung durch disziplinarisch gestützte Pflichtenausdehnung und durch steuerungs- und eingriffsgewährende Rechte für nationalsozialistische Richterpersonalpolitik. Hier zeigte sich auch ein rechtlich abgesicherter Einfluß der Partei, der machtmäßig mehr als nur verbale Anerkennung ihrer herausragenden Rolle war. Eine Sonderform disziplinarischer Ahndung wurde in § 136 Abs. 1 DBG statuiert: Nach Weimarer Recht wie nach dem Recht des Dritten Reichs wurde den Hinterbliebenen von Beamten (Witwen und Waisen) eine Hinterbliebenenversorgung gewährt (Witwen- und Waisengeld), und zwar für Reichsbeamtenhinterbliebene nach dem Beamtenhinterbliebenengesetz vom 17.Mai 1907 4 4, für preußische Beamte nach dem Gesetz, betreffend die Fürsorge für die Witwen und Waisen der unmittelbaren Staatsbeamten, vom 20. Mai 188245 und dem Gesetz, betreffend die Anstellung und Versorgung der Kommunalbeamten, vom 30. Juli 1899 46 • Nach all diesen Vorschriften konnte den Hinterbliebenen die Versorgung nicht mehr aus disziplinarischen Gründen entzogen werden. Lediglich dann, wenn der Beamte aus dem Dienst entfemt wurde, erloschen alle mit dem Beamtenverhältnis einhergehenden vermögensrechtlichen Ansprüche, demnach auch die Hinterbliebenenversorgung47, die lediglich durch Ansprüche aus einer etwaigen Nachversicherung ersetzt wurden. Der die Hinterbliebenenversorgung legitimierende Rechtsgedanke war, daß der Staat die volle Arbeitskraft des Beamten für sich in Anspruch genommen hatte und dafür an seiner Stelle für einen angemessenen Unterhalt der Angehörigen zu sorgen hatte4 s. Die Hinterbliebenenversorgung galt als mitverdient, nicht als Akt staatlicher Fürsorge, wie Gehalt und Ruhegehalt als Teil der Gegenleistung für die Dienste des Beamten, es handelte sich um eine Frucht der Arbeit des Beamten4 9. Dann war es auch konsequent, das Verhalten der Hinterbliebenen für den Versorgungsanspruch als unerheblich anzusehen. Im Dritten Reich wurde, nachdem bereits 1933 durch§ 75 BRÄndGSO eine ähnliche Vorschrift eingeführt worden war, durch§ 136 Abs. 1 DBG festgelegt, daß die oberste Dienstbehörde Witwen und Waisen die VersorgungsbeRGBL I S. 208. GS S. 298. 46 GS S. 141. 47 Brand: Reichsbeamtengesetze, § 75 RBG Anm. 10; ders.: Die preußischen Dienststrafordnungen, § 12 BDStO Anm. 3. 48 RGZ 88, 326 (329); Brand, Reichsbeamtengesetze, § 1 BHG Vorbem. 4; ders. : Die Preußischen Beamtenversorgungsgesetze, Vorbem. 3, Witwen- und WaisenfürsorgeG. 49 RGZ 135, 37:l (373 f.). 5o Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiete des allgemeinen Beamten-, des Besoldungs- und des Versorgungsrechts vom 30.06.1933, RGBL I S. 433. 44 45
!.4. Einstellung, Beförderung und Entlassung der Beamten
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zügejeweils bis zur Dauer von zwei Jahren entziehen konnte, wenn sie sich staatsfeindlich betätigt hatten 51 . Die entsprechenden Tatsachen waren in einem behördlichen Untersuchungsverfahren, das der Untersuchung im förmlichen Dienststrafverfahren entsprach, festzustellen. Die Entscheidung über die Entziehung traf die oberste Dienstbehörde endgültig, also unter Ausschluß des Rechtsweges(§§ 136 Abs. 4, 146 DBG). Damit war eine Disziplinierungsmöglichkeit geschaffen, die die Hinterbliebenen hinsichtlich des Rechtsschutzes noch schlechter stellte als die Beamten. Der Rechtsgedanke hinter dieser Regelung war, daß auch der Hinterbliebene in einem Treueverhältnis zu Führer und Reich stand wie der Beamte, von dessen Amt sich die Hinterbliebenenstellung ableitete52 . Die Wandlung im Verständnis des Treueverhältnisses und seiner Reichweite sowie die völlige Abkehr vom Gegenleistungsgedanken, wie er noch in der Weimarer Republik bestand, führte konsequenterweise zu einer Erweiterung der Disziplinarbefugnisse auf Hinterbliebene53. Der Tatbestand entsprach den Voraussetzungen, die auch für ein disziplinarisches Einschreiten gegen Hubestandsbeamte galten, und war vor allem auf politische Loyalität gerichtet. 4. Einstellung, Beförderung und Entlassung der Beamten
Die bisherige Darstellung des nationalsozialistischen Rechts betraf die rechtliche Festlegung des Beamten auf die nationalsozialistische Weltanschauung, die konkrete Ausgestaltung dieser Festlegung und deren disziplinarische Sicherung. Nationalsozialistische Herrschaft über den Beamtenapparat ließ sich aber nicht nur durch rechtliche Bindung, durch die Begründung und Durchsetzung von Rechtspflichten ausüben. Schon im Dienststrafverfahrensrecht haben wir gesehen, daß die nationalsozialistische Ausrichtung der Rechtsprechung der Dienststrafgerichte vor allem durch richtige Besetzung der Richterposten und erleichterte Absetzungsmöglichkeiten gesichert wurde, mit anderen Worten durch richtige Personalpolitik, durch Besetzung der Richterposten mit Personen, die bereits von ihrer inneren Einstellung her die Gewähr für nationalsozialistische Rechtsprechung boten. In§ 75 Abs. 1 S. 1 BRÄndG hieß es noch "sich im marxistischen Sinne betätigt". Vgl. die amtliche Begründung zum DBG, Punkt 6 des Allgemeinen Teils, wiedergegeben bei Schneider: DBG, S. 43. 53 Diese Rechtsauffassung hat sich im bundesdeutschen Recht fortgesetzt: Nach § 64 Abs. 1 S. 1 BVG könn~n Hinterbliebenen die Versorgungsbezüge auf Zeit natürlich mit gerichtlicher Uberprüfbarkeit - gekürzt oder entzogen werden, wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes betätigt haben. Ratio legis ist der Gedanke der Alimentationspflicht des Staates, der dafür ein ein Mindestmaß von Verpflichtung und Rücksichtnahme fordern könne, vgl. Schütz: BVG, § 64 Rdnr. 1; kritisch zu dieser Tradition Finger: Verwaltungsverfahren gegen "staatsfeindliche" Hinterbliebene, in : ZBR 1971, 237 ff. 51 52
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
Dieselbe Erscheinung läßt sich für die Beamtenschaft insgesamt feststellen. Die Machtergreifungsphase war gekennzeichnet durch revolutionäre Akte rechtswidriger Personalpolitik, durch erzwungene Abdankungen und kommissarische Ernennungen. Später wurde personelle "Säuberung" durch das BBG das beamtenpolitische Hauptanliegen, die damit gesetzliche und somit stärker gesteuerte, aber auch akzeptiertere Wege lief. Das alles zeigt, welche Bedeutung die Personalpolitik für den Nationalsozialismus unabhängig von Änderungen des materiellen Rechts hatte. Diese personalpolitische Komponente des Beamtenrechts schlug sich auch im DBG nieder. Das nationalsozialistische Recht traf für die Einstellung, die Beförderung und die nichtdisziplinarische Entfernung von Beamten Vorkehrungen, die die Besetzung des Beamtenapparates mit überzeugten Nationalsozialisten sichern sollten. § 26 Abs. 1 Nr. 3 DBG bestimmte, daß Beamter nur werden könne, wer die Gewähr dafür biete, jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einzutreten. Damit wurde konsequenterweise wegen der den Beamten treffenden Pflicht, jederzeit für den nationalsozialistischen Staat einzutreten(§ 3 Abs. 2 S. 1 DBG), das Gewährbieten für das spätere Einhalten dieser Pflicht zur Einstellungsvoraussetzung ausgestaltet 1 . Diese Eigenschaft der politischen Zuverlässigkeit hatte die Ernennungsbehörde nach ihrer pflichtgemäßen Überzeugung auf Grund der Gesamtpersönlichkeit des Bewerbers zu treffen2. Einen Rechtsanspruch auf Ernennung gabes-ebenso wie in der Weimarer Republik- 3 nicht4 . Es war also nicht nur so, daß der Verwaltungsrechtsweg gegen die Nichternennung verschlossen war, vielmehr wurde bereits die Existenz eines materiellen Anspruchs verneint, so daß auch kein Amtshaftungsanspruch wegen schuldhafter Verletzung einer Amtspflicht durch Nichternennung gegeben sein konnte. Die deutschen Staatsbürger, die die Voraussetzungen für eine Anstellung erfüllten, hätten lediglich eine öffentlichrechtliche Anwartschaft, da der Dienstherr bei der Auswahl seiner Beamten freie Hand haben müsse. Obwohl also eine Überprüfung der Verwaltungsentscheidung über eine Ernennung durch unabhängige Gerichte nicht zu "befürchten" war und damit die behördliche Entscheidung auch keiner rechtssatzmäßigen Regelung bedurft hätte, ist die politische Zuverlässigkeit ausdrücklich als Ernennungsvoraussetzung aufgeführt worden. 1 Rechtskonstruktiv den gleichen Weg gehen die bundesdeutschen Beamtengesetze: Gemäß § 35 Abs. 1 S. 2 BRRG muß der Beamte sich durch sein gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten, nach§ 4 Abs. 1 Nr. 2 BRRG darf in das Beamtenverhältnis nur berufen werden, wer die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt. 2 Nadler u . a.: DBG, § 26 Rdnr. 23, 24. 3 Brand: Das Beamtenrecht, S . 53. 4 Heyland: Deutsches Beamtenrecht, S. 49 f .; Brand: DBG, § 27 Anm. 2.
1.4. Einstellung, Beförderung und Entlassung der Beamten
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Das zeigt, daß dieses Merkmal vom nationalsozialistischen Rechtsdenken nicht nur als bloß praktisch erwünscht, sondern als wesentlicher Bestandteil des Beamtenbegriffs aufgefaßt wurde. Die wertende Beurteilung der Gesamtpersönlichkeit, die zur Einstufung der politischen Zuverlässigkeit erforderlich war, wurde später zum Teil dadurch verobjektiviert, daß der Bewerber sich in der Partei engagiert haben mußte. In§ 2 S. 1 der Laufbahnverordnung (LVO) vom 28. Februar 19395 wurde vom Beamtenbewerber gefordert, daß er der Partei oder einer ihrer Gliederungen angehöre. Das vom Bewerber zu fordernde Bekenntnis zum nationalsozialistischen Staat könne nur durch eine Mitgliedschaft unter Beweis gestellt werden 6 • Die frühere Mitgliedschaft des Bewerbers in der HJ (einschließlich Jungvolk, BDM und Jungmädel) wurde zwar weder vom DBG noch von der LVO vorgeschrieben, jedoch angesichts der Erziehungsfunktion der HJ für selbstverständlich gehalten7 . Dadurch wurde auf Eltern, die ihren Kindern eine Anstellung im Staatsdienst nicht von vorneherein verschließen wollten, Druck ausgeübt, sie zur HJ anzumelden. Die Überprüfung der politischen Zuverlässigkeit des Beamtenbewerbers wurde nicht allein der Ernennungsbehörde überlassen. § 31 DBG besagte, daß der Führer und Reichskanzler durch Erlaß bestimme, inwieweit bei der Ernennung von Beamten der Stellvertreter des Führers, später der Leiter der Partei-Kanzlei8 , zu hören war. Das heiße Eisen der konkreten Ausgestaltung des Parteieinflusses auf den öffentlichen Dienst wurde also nicht im DBG selbst geregelt, die grundsätzliche Legitimität eines solchen Einflusses wurde aber dort anerkannt. Die politische Begutachtung durch die Partei wurde unterschiedlich danach festgesetzt, ob es sich um eine erstmalige Ernennung zum Beamten oder um eine Beförderung handelte, weiter wurde danach differenziert, welcher Laufbahn der Beamte angehörte. Für die Einstellung eines Beamten war durch Nr. 2 DVO zu § 26 DBG geregelt, daß die Feststellung, ob der Beamtenbewerber die Gewähr dafür bot, jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einzutreten, nach Anhörung eines mit der Ausstellung politischer Begutachtungen beauftragten Hoheitsträgers der NSDAP zu treffen war. Wenn der Dienstvorgesetzte dem Urteil des Hoheitsträgers der Partei nicht folgen wollte, hatte er der obersten Dienst- oder Aufsichtsbehörde zu berichten. Diese entschied dann unter Beteiligung des Stellvertreters des Führers. Dadurch war s RGBl. I S . 371. 6 Pfundtner, Neubert: Reichsrecht, I c 25 (LVO), S . 4. 7 Schneider: DBG, S. 375. a Nach Heß' Schottlandflug wurde die Dienststelle des Stellvertreters des Führers aufgelöst, an ihre Stelle trat der Leiter der Partei-Kanzlei (Barmann), vgl. den Erlaß des Führers vom 29.05.1941, RGBL I S. 295.
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
sichergestellt, daß zu jedem neu eingestellten Beamten die Partei ihr politisches "Unbedenklichkeitszeugnis" abgeben durfte und sollte. Es wurde allerdings kein Vetorecht der Partei statuiert. Vielmehr konnte die Partei, wenn sie mit der Emennungsbehörde über die politische Zuverlässigkeit des Bewerbers uneins war, den Fall nur bis zur Verwaltungsspitze hochtreiben. Die Entscheidung lag dann bei ihr, der Stellvertreter des Führers war nur zu beteiligen, ohne daß dieses Verfahren detailliert normiert wurde. Daraus ergibt sich, daß jedenfalls keine Dominanz der Partei gegeben sein sollte, im Gegenteil deutet die Zuweisung der Letztentscheidung an die oberster Behörde und das unklare Beteiligungsrecht der Partei in diesem Stadium auf eine Dominanz der Staatsverwaltung. Eine klare Kompetenz, das Urteil des Stellvertreters des Führers zu übergehen, wurde allerdings auch nicht eingeräumt, so daß die Machtabgrenzung letztlich nicht getroffen wurde 9 • Festzuhalten bleibt aber, daß bei jeder Beamteneinstellung die Partei von Rechts wegen ein Wort mitzureden hatte. Grundsätzlich wurden alle Beamten, gleichgültig welcher Art, durch den Führer und Reichskanzler ernannt, soweit nicht etwas anderes vorgeschrieben war oder er die Ausübung dieses Rechtes nicht anderen Stellen übertrug. Eine solche andere Vorschrift war namentlich§ 37 S. 2 DGO, wonach der Bürgermeister die Beamten der Gemeinde anstellte. Trotzdem galt natürlich auch für Gemeindebeamte das Erfordemis politischer Zuverlässigkeit nach§ 26 DBG und die Parteibeteiligung nach der DVO zum DBGlO. Für bestimmte Beamte wurde die Parteikontrolle erweitert. Der Führer und Reichskanzler behielt sich durch Erlaß über die Emennung der Beamten und die Beendigung des Beamtenverhältnisses vom 10. Juni 193711 die Ernennung der Reichs- und Landesbeamten des höheren Dienstes vor (Art. I S. 1). Unter Emennung war hier die Übertragung einer Planstelle zum ersten Male (Anstellung) und einer Planstelle mit anderer Amtsbezeichnung und höherem Endgrundgehalt (Beförderung) zu verstehen 12 . Vorschläge für eine solche Ernennung waren vom zuständigen Reichsminister bzw. in Preußen vom Ministerpräsidenten einzureichen. Vor Einreichung war - außer bei Wehrmachtsbeamten - der Stellvertreter des Führers zu hören. Das bedeutete, daß die Partei auch bei jeder Beförderung im höheren Dienst des Reichs und der Länder ein Mitspracher echt hatte, allerdings ebenfalls recht 9 Huber: Die verfassungsrechtliche Stellung des Beamtentums, in: Festschrift Sieher, S. 307, führt aus, wenn ein Ausgleich zwischen dem Stellvertreter des Führers und der obersten Dienstbehörde nicht zustande komme, könne nur der Führer selbst entscheiden. 10 Suren, Loschelder: DGO. Bd. 1, S. 574. u RGBL I S . 769. 12 So Art. I S. 1 der Durchführungsvorschrift vom 12.07.1937, RGBL I S. 771, zum Erlaß über die Ernennung der Beamten und die Beendigung des Beamtenverhältnisses.
I.4. Einstellung, Beförderung und Entlassung der Beamten
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unklar in Form eines Anhörungsrechts ausgestaltet. Das ist vom Wortlaut her noch weniger als die - nicht weiter ausgeführte- Beteiligung des Stellvertreters des Führers nach der DVO zum DGB. Daß es sich bei Ernennungen und Beförderungen im höheren Dienst nur um ein Anhörungsrecht der Partei handeln konnte, ergibt sich aber wohl daraus, daß der Führer und Reichskanzler selbst die Ernennung aussprach, so daß ein Zustimmungserfordernis nicht in Betracht kam. Die Parteibeteiligung wurde ausgedehnt durch Führererlaß vom 26.März 194213. Nach Art. I Abs. 1 Nr. 2 des Erlasses war nunmehr auch im Reichs- und Landesdienst bei jeder Ernennung und Beförderung innerhalb des gehobenen Dienstes der Gauleiter zu hören. Das Mitspracherecht der Partei bei Beförderungen wurde also auf eine zweite Laufbahngruppe erweitert. Nach Art. II des Erlasses war darüber hinaus der Gauleiter zu hören, wenn einem Beamten die Dienstgeschäfte eines Behördenvorstandes, dessen ständigen Stellvertreters, eines Personalsachbearbeiters oder geschäftsleitenden Beamten mit einem Wirkungskreis von mindestens 25 Personen übertragen werden sollten. Die Partei durfte demnach bei allen wichtigen Posten unabhängig vom konkreten Rang des Beamten mitreden. Soweit es nicht um die erstmalige Ernennung eines Beamten ging, an der die Partei nach der DVO zum DBG immer zu beteiligen war, sind Beteiligungsvorschriften wie die oben genannten für Reichs- und Landesbeamte für Kommunalbeamte und Beamte anderer öffentlich-rechtlicher Körperschaften nicht ergangen. In der Praxis wurde jedoch vielfach entsprechend den Beteiligungsvorschriften für unmittelbare Reichsbeamte verfahren14 . Die Abhängigkeit der Beförderung von politischer Linientreue wurde bereits durch § 8 Buchst. a der Reichsgrundsätze über Einstellung, Anstellung und Beförderung der Reichs- und Landesbeamten vom 14. Oktober 193615 festgelegt: Danach konnte nur befördert werden, wer- neben restloser Erfüllung der allgemeinen Beamtenpflichten - unter Berücksichtigung seiner früheren politischen Einstellung die unbedingte Gewähr dafür bot und seit dem 30. Januar 1933 bewiesen hatte, daß er jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat eintrat und ihn wirksam vertrat. Das Merkmal der politischen Zuverlässigkeit läßt sich also durchgehend für die Einstellung und Beförderung nachweisen. Die Bedeutung, die die Nationalsozialisten der Personalpolitik zumaßen, läßt sich an dem Vorbehalt des Führererlasses vom 26. März 1942 ablesen, daß zur Besetzung des Postens eines Personalsachbearbeiters die Partei stets zu hören war. Diese Frage spielte schon in der Anfangszeit des Dritten 13 14
1s
RGBL I S. 153. Pfundtner, Neubert: Reichsrecht, I c 12, § 31 DBG Anm. 3. RGBL I S. 893.
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
Reichs für die Verwaltung eine wichtige Rolle: So verfügte der RMdi 193416, daß die in der Personalstelle tätigen Bürobeamten, die dem Behördenleiter Personalvorschläge zu unterbreiten hatten, grundsätzlich der NSDAP angehören müßten. Für die Gemeinden verfügte der RuPrMdi 19351 7 , daß zur Durchsetzung nationalsozialistischen Gedankengutes in der Verwaltung der für Personalien zuständige Sachbearbeiter einschließlich des Büropersonals grundsätzlich Mitglieder der Partei, jedenfalls aber solche Personen sein müßten, die rückhaltlos auf dem Boden des nationalsozialistischen Staates stünden. Die ausdrückliche Kodifizierung der politischen Zuverlässigkeit als Beförderungsvoraussetzung war deshalb ein ausgesprochen ehrlicher Vorgang, weil den Beamten gegen Beförderungsentscheidungen kaum Rechtsschutz gewährt wurde, es also einer rechtlichen Fixierung zur Absicherung gar nicht bedurft hätte. Das Reichsgericht stand nämlich in ständiger Rechtsprechung, auch in der Weimarer Republik, auf dem Standpunkt, daß es keinen klagbaren Anspruch auf den im Ermessen der Behörde liegenden Staatshoheitsakt der Verleihung einer Beamtenstelle, also auch auf Beförderung, gebe18. Deshalb wurden Schadensersatzansprüche, die auf die Nicht- oder Zuspätverleihung einer Beamtenstelle gestützt waren, abgewiesenl9. Diese Rechtsprechung lockerte sich insofern, als Amtspflichtverletzungen in Vorbereitung der Beförderungsentscheidung zu einem Schadensersatzanspruch in Höhe des Differenzgehalts führen konnten. Derartige Ansprüche wurden etwa gewährt, weil durch den falschen Bericht eines Vorgesetzten über seinen Untergebenen oder durch unzulässige Eintragungen in die Personalakte Beförderungen unterblieben waren2 o. Im Dritten Reich blieben sowohl die Beförderungsentscheidung als auch "das Verfahren, wie sich die Behörde ihre Überzeugung davon verschafft, ob ein Beamter zur Beförderung geeignet ist oder nicht," der Überprüfung auch im Amtshaftungsprozeß entzogen, da dabei keine drittbezogenen Amtspflichten berührt seien21. Ebenso erstreckte sich die Fürsorgepflicht nicht auf 16 RdErl. vom 10.07.1934, auszugsweise abgedruckt bei Haidn, Fischer: Das Recht der NSDAP, S . 554. 17 RdErl. vom 23.10.1935, MBliV Sp. 1311. 18 RG, JW 1898, 18 (19); RGZ 103, 429 (430); 104, 251 (253); 110, 265 (268); 159, 247 (250). 19 RGZ 103, 429 (430); 106, 34 (42); 110, 265 (268); RG, JW 1921, 530; Urteil vom 07.07.1926, abgedr. bei Sievers: Das Beamtenrecht, S . 462 (463) ; auch noch mit Urteil vom 20.12.1932, WarnRspr. 1933, Nr. 41. 2o RG-Urteile vom 04.02.1930 und 23.06.1931, abgedr. bei Sievers: Das Beamtenrecht, S . 463 ff.; das letzte Urteil sprach ausdrücklich von "der neueren Rechtsprechung des Reichsgerichts, die im Rahmen von Schadensersatzprozessen eine solche Nachprüfung (von Ermessensentscheidungen über Beförderungen, d . Verf.) zuläßt", während das Urteil vom 20.12.1932, WarnRspr. 1933, Nr. 41, einen derar tigen von der Revision geltend gemachten Rechtsprechungswandel in Abrede stellt. 21 RGZ 146, 369 (374 f.); 159, 247 (249 ff.).
I.4. Einstellung, Beförderung und Entlassung der Beamten
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Erlangung einer besseren Dienststellung des Beamten. Die Kontinuität mit der in der Endphase der Weimarer Republik eher erweiternden Rechtsprechung wurde jedenfalls argumentativ dadurch gewahrt, daß eine Amtshandlung, die nur der Vorbereitung der Beförderungsentscheidung diente und sich dabei auf einen bestimmten einzelnen Beamten bezog (Vorgesetztenberichte, Gesundheitsbegutachtung), bei einer durch sie verursachten Beförderungsvereitelung als schadensersatzbegründender Umstand auch im Dritten Reich in Frage kam22. Die zur Beförderungsentscheidung berufenen Vorgesetzten hatten also sowohl in der Weimarer Republik als auch im Dritten Reich einen weitgehend von den Gerichten nicht kontrollierten Spielraum. Der durch die politischen Begutachtungen ausgeübte Einfluß der Partei vollzog sich weitgehend im Geheimen. Nach Art. 129 Abs. 3 S. 3 WRV war den Beamten Einsicht in die Personalnachweise zu gewähren. Mit Schreiben des RMdi vom 12. April 193423 wurde diese Verfassungsvorschrift wegen Widerspruchs zum Führergrundsatz des nationalsozialistischen Staates als auch ohne ausdrückliche Aufhebung außer Kraft getreten bewertet, so daß die Personalakten von nun an geheim waren24 . Lediglich zu nachteiligen tatsächlichen Behauptungen war der Beamte zu hören (so dann auch § 42 Abs. 1 S. 2 DBG). Zu den nicht mitzuteilenden und zu offenbarenden Werturteilen gehörten insbesondere die politischen Begutachtungen der Parteidienststellen, soweit nicht konkrete Behauptungen tatsächlicher Art in ihnen enthalten waren (z. B. mangelnde Beteiligung am WHW, Nichtanwendung des deutschen Grußes) 25 . Die betroffenen Beamten konnten also nicht unbedingt erkennen, ob die Partei gegen sie arbeitete, und sich entsprechend verteidigen. Der Benachteiligung von Mitgliedern nichtnationalsozialistischer Organisationen, vor allem der SPD, der Staatspartei und von Freimaurerlogen, stand auf der anderen Seite eine Bevorzugung von Mitgliedern der NSDAP, vor allem von "alten Kämpfern", gegenüber. Die vielfältigen Bevorzugungsnormen hatten zum Teil den Zweck, den eigenen Mitgliedern Pfründe zu verschaffen, zum Teil wurde versucht, die Beamtenschaft dadurch personell nationalsozialistisch zu durchdringen. So wurde etwa nach § 9 des Gesetzes über die Haushaltsführung im Reich vom 29. März 1935 26 für das Rechnungsjahr 1935 bestimmt, daß 10 %der frei werdenden Stellen des unteren RGZ 159, 247 (252). RdErl. vom 08.05.1934, MBliV Sp. 747. 24 Hier liegt also das interessante Phänomen einer Änderung der kodifizierten Verfassung durch ungeschriebenes Verfassungsrecht vor. Der Vorgang zeigt, wie durch die Machtergreifung neues Verfassungsrecht entstanden ist, sei es legal, sei es revolutionär. 25 RdErl. vom 13.04.1938, MBliV Sp. 653. 26 RGBl. II S. 339. 22 23
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
und einfachen mittleren Dienstes mit geeigneten Nationalsozialisten zu besetzen seien, die ihren Parteieintritt vor dem 14. September 1930 27 erklärt hatten. Die Maßnahme wurde mindestens bis zum Rechnungsjahr 1937 fortgesetzt28. Der beschleunigten Durchsetzung des höheren Dienstes mit nationalsozialistischen Beamten diente § 4 Abs. 3 der Reichsgrundsätze über Einstellung, Anstellung und Beförderung der Reichs- und Landesbeamten29 , wonach nationalsozialistisch bewährte Anwärter für den höheren Dienst, die sich auch dienstlich qualifiziert hatten, bereits nach zwei- bis dreijähriger (statt vierjähriger) Dienstzeit eine Planstelle erhalten konnten. Die Mindestdienstzeit wurde später sogar für diese Anwärter auf ein Jahr herabgesetzt30. Schließlich erstreckte sich das Merkmal der politischen Zuverlässigkeit auch auf die Möglichkeit der Absetzung eines Beamten, so daß der ganze aktive Bereich des Beamtenverhältnisses von der Einstellung über die Karrierelaufbahn bis zur Dienstbeendigung von der politischen Zuverlässigkeit abhing. Die Pflicht des Beamten, jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einzutreten (§ 3 Abs. 2 S. 1 DBG), zwang den Beamten bereits zur äußerlichen Anpassung, er hatte seinen Dienst nach nationalsozialistischen Vorstellungen zu erfüllen, er hatte sein außerdienstliches Verhalten an den nationalsozialistischen Werten auszurichten und sich am Gemeinschaftsleben entsprechend zu beteiligen. Die innere Überzeugung aber konnte nicht zur Dienstpflicht ausgestaltet werden, wenngleich das Leitbild der auch innerlich vom Nationalsozialismus durchdrungene Beamte war. Zur Schließung der Lücke, die sich zwischen dem die politische Treuepflicht verletzenden Verhalten einerseits und bloßer politischer Unzuverlässigkeit ohne konkretes disziplinarisches Fehlverhalten andererseits auftat, diente der§ 71 DBG. Die Möglichkeit, Beamte aus politischen Gründen zur Ruhe zu setzen, hatte vornationalsozialistische Tradition. Die Institution des politischen Beamten, der jederzeit unter Gewährung von Wartegeld in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden konnte, fand sich erstmals in § 94 der Verordnung, betreffend die Dienstvergehen der nichtrichterlichen Beamten, die Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand, vom 11. 21 Der entscheidenden Reichstagswahl, die die NSDAP unter Verneunfachung ihrer Mandate zur zweitstärksten Fraktion machte, dazu Bracher: Die Auflösung der Weimarer Republik, S. 364 ff. 28 Vgl. Haidn, Fischer: Das Recht des NSDAP, S. 580. 29 RGBl. I S. 893. Jo RdErl. d. RMdl, d.RFM u. d. RM u. Chefs der Reichskanzlei vom 07.06.1938, MBliV Sp. 969.
!.4. Einstellung, Beförderung und Entlassung der Beamten
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Juli 1849 31 , der bestimmte höhere Beamte zu politischen machte32 . Die Weimarer Republik übernahm in § 25 RBG die schon im Kaiserreich geltende Regelung für näher bezeichnete Beamte. In Preußen wurde der Bereich durch die Verordnung, betreffend die einstweilige Versetzung der unmittelbaren Staatsbeamten in den Ruhestand, vom 26.Februar 191933 geregelt, die in § 3 hinsichtlich der sachlichen Reichweite der betroffenen Beamten mit der Regelung im Königreich Preußen übereinstimmt34 . Eine erhebliche Ausdehnung der Möglichkeit, Beamte nichtdisziplinarisch in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen, brachte die Republikschutzgesetzgebung. Gemäß Art. II und IV des Gesetzes zum Schutze der Republik vom 21. Juli 192235 konnten Leiter von Reichsbehörden und ihre Stellvertreter ab einer bestimmten Besoldungsgruppe, Ministerialräte in Dirigentenstellen und Beamte von einer bestimmten Besoldungsgruppe an aufwärts, die mit Aufgaben zum Schutze der Republik betraut waren, im Interesse der Festigung der verfassungsmäßigen republikanischen Staatsform in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Auch in Preußen wurde die Liste der Beamten, die im Interesse des Republikschutzes zur Ruhe gesetzt werden konnten, erweitert36. Merkmal des politischen Beamten war, daß in politischen Fragen eine dauernde Übereinstimmung zwischen ihm und der Regierung bestehen mußte und die Regierung ihn ohne Angabe von Gründen und ohne Gewährung von Rechtsschutz in den Ruhestand versetzen konnte37 . Umgekehrt bedeutete dies, daß diejenigen, die nicht in die Kategorie "politische Beamten" fielen, nur unter den allgemeinen gesetzlichen Voraussetzungen aus dem Dienst entfernt oder zur Ruhe gesetzt werden konnten (vor allem wegen Dienstvergehen, Dienstunfähigkeit, Altersgrenze, Behördenumbildung). Auch im Dritten Reich wurde an der Institution des politischen Beamten festgehalten. § 44 Abs. 1 DBG zählte die Gruppen der betroffenen Beamten auf. Beamte unterhalb dieser Stufen, und das war die große Masse, waren davon nicht betroffen. Diesen Bereich deckte§ 71 DBG ab. Danach konnte der Führer und Reichskanzler einen Beamten auf einen von der obersten Dienstbehörde im Einvernehmen mit dem RMdi gestellten Antrag in den Ruhestand versetzen, wenn der Beamte nicht mehr die Gewähr dafür bot, GS S . 271. Dazu und zur weiteren Entwicklung vgl. Schunke: Die politischen Beamten, s. 25, 31 ff. 33 GS S. 33. 34 § 94 VO vom 11.07.1849 und§ 87 Abs. 2 des Gesetzes, betreffend die Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten, die Versetzung derselben auf eine andere Stelle und in den Ruhestand, vom 21.07.1852, GS S. 465. 35 RGBl. I S . 590. 36 Verordnung vom 31.12.1922, GS 1923 S. 1. 37 Brand: Das Beamtenrecht, S. 230 f.; Brand: Reichsbeamtengesetze, § 25 RBG Anm.l. 31 32
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
daß er jederzeit für den nationalsozialistischen Staat eintreten werde. Die entsprechenden Tatsachen waren in einem der disziplinarischen Untersuchung angeglichenen Verfahren festzustellen. Gegen die Entscheidung des Führers und Reichskanzlers gab es natürlich kein RechtsmitteP 8 . Damit wurde praktisch jeder Beamte zum politischen Beamten, allerdings mußten im Unterschied dazu konkrete Tatsachen, aus denen sich die fehlende politische Zuverlässigkeit ergab, festgestellt und angegeben werden, was jedoch wegen der anschließenden unanfechtbaren Führerentscheidung Formsache bleiben konnte. Angesichts der oben dargelegten umfassenden politischen Treuepflicht, die dem Beamten dienstlich wie außerdienstlich ein an den Grundsätzen der nationalsozialistischen Weltanschauung ausgerichtetes Verhalten zur Pflicht machte, die im Wege des Dienststrafrechts -letztlich durch Entfernung aus dem Dienst - gesichert war, fragt sich, wo der Anwendungsbereich des § 71 DBG lag, ob es überhaupt Fälle gab, die vom § 71 DBG erfaßt wurden, ohne auch dienststrafrechtlich verfolgbar zu sein. In der Literatur wurde darauf hingewiesen, daß die vergleichsweise milde Behandlung nach§ 71 DBG, die die Gewährung des erdienten Ruhegehalts einschloß, nur erwarten dürfe, wer sich aus seiner ehrlichen - wenn auch irrigen - Auffassung heraus mit dem nationalsozialistischen Staat nicht mehr einig fühle und dies zum Ausdruck bringe39 . Bei Dienstpflichtverletzungen sei jedoch im Wege des Dienststrafrechts einzuschreiten. Es wurden dann allerdings Beispiele genannt, die zum Teil zu dienststrafrechtliehen Verurteilungen geführt hatten oder jedenfalls durchaus so hätten eingestuft werden können: Verweigerung der Teilnahme an der NSV, fehlende Zurückhaltung im Verkehr mit Juden, keine Abmeldung der Kinder von Privatschulen40, Erklärungen gegenüber Dritten, mit bestimmten gesetzgeberischen Maßnahmen nicht einverstanden zu sein (Rassegesetze, Zwangssterilisierung, Einheitsschule) 41 . Der RDStH zog die Grenze zwischen dem Nichtgewährbieten für politische Zuverlässigkeit (mit der Folge der Zwangspensionierung) und dem politischen Dienstvergehen (mit der Folge dienststrafrechtlicher Bestrafung) schärfer42 : "Die Gesinnung oder innere Einstellung eines Beamten, die nach außen nicht in Erscheinung tritt oder nicht betätigt wird, stellt für sich allein kein Dienstvergehen dar, auch dann nicht, wenn es sich um eine Gesinnung handelt, die der Weltanschauung des nationalsozialistischen Staates widerspricht . . . Dagegen läge ein Dienstvergehen vor, wenn ein Beamter sich entsprechend seiner etwaigen nichtnationalsozialistischen Einstellung auch nur im geringsten betätigte, ja, schon 38 Brand: DBG, § 71 Anm. 3; Seel: DBG, § 71 Anm. 12 ; Heyland: Deutsches Beamtenrecht, S. 152. 39 Fischbach: DBG, S. 765; Schneider: DBG, S. 531. 40 Nadler u. a. : DBG, § 71 Rdnr. 4. 41 Fischbach: DBG, S . 766; Heyland: Deutsches Beamtenrecht, S . 150. 42 RDStHE 1, 1 (3).
!.4. Einstellung, Beförderung und Entlassung der Beamten
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dann, wenn er diese seine Gesinnung irgendeinem Dritten bekanntgäbe ... " Auszunehmen sei lediglich die wahrheitsgemäße, in gehöriger Form vorgetragene Bekanntgabe der abweichenden Gesinnung gegenüber dem Dienstvorgesetzen. Nach dieser Rechtsprechung dürfte die Kundgabe abweichender Meinungen zu grundlegenden nationalsozialistischen Gesetzgebungs- und Exekutivmaßnahmen gegenüber Dritten, die nicht Dienstvorgesetzte waren, entgegen den oben angegebenen Literaturstellen nicht unter§ 71 DBG, sondern unter das Dienststrafrecht fallen. Der tatbestandliehe Anwendungsbereich der Vorschrift jenseits des Dienststrafrechts war daher eher eng. Die für die nationalsozialistische Führung maßgeblichen Vorteile des§ 71 DBG dürften darin gelegen haben, daß die Entscheidung nicht in den Händen nur mittelbar beeinflußbarer Dienststrafrichter, sondern in den Händen des Führers lag und daß auch bei Vorfällen, die wegen ihrer geringen Schwere die schärfste Dienststrafe nicht gerechtfertigt hätten, eine Entfernung des Beamten aus dem aktiven Dienst möglich war. Der Schwerpunkt nationalsozialistischer Herrschaft über den Beamtenapparat lag- soweit sich dies aus den Rechtsnormen ablesen läßt- neben der Änderung des Beamtenleitbildes und der Intensivierung und Extensivierung der Treuepflicht in der Personalpolitik. Die diesbezüglichen Vorschriften lassen als durchgängiges Merkmal, maßgebend für Einstellen, Fortkommen und Verbleiben im Amt, die politische Zuverlässigkeit hervortreten. Wenn es daran fehlte, war von Rechts wegen der Einstieg in die Beamtenlaufbahn verbaut, die Beförderung ausgeschlossen, die Zwangspensionierung zulässig. Hier war der Beamte oder Bewerber - im Gegensatz zum Dienststrafverfahren - auch ohne jeden gerichtlichen Schutz, so daß der Willkür von Rechts wegen nur mit Hilfe der Dienstvorgesetzten entgegengetreten werden konnte. Der Bereich der politischen Zuverlässigkeit war das Einfallstor für rechtlich abgesicherten Parteieinfluß. Es läßt sich nicht von einem Definitionsmonopol der NSDAP sprechen, da die Partei zwar mitreden durfte, jedoch die Letztentscheidungskompetenz nicht rechtlich geregelt war. Hier zeigt sich die für das Dritte Reich typische Verschwommenheit im Verhältnis von Partei und Staat43. Jedoch war das Mitspracherecht rechtlich abgesichert und formalisiert. Durch die Geheimhaltung der Personalakten konnte der Einfluß verdeckt und ohne Rechtfertigungszwang ausgeübt werden.
43
Dazu Bracher: Die deutsche Diktatur, S . 251 ff.
5 Schneider
2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
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5. Die Gehorsamspflicht
Zu den Kardinalpflichten eines Beamten gehörte seit jeher die Pflicht zum Gehorsam gegenüber den Vorgesetzten. Angesichts der Tatsache, daß die Verwaltung Ausführungsorgan der Regierung ist, die ihrerseits - wenn überhaupt- dem Monarchen oder dem Parlament verantwortlich ist, gehört die Weisungsbefugnis von oben nach unten zum Wesen der Verwaltung. Die entscheidende Frage ist daher nur, wie weit die Gehorsamspflicht geht. Die §§ 45, 46 I 6 ALR regelten, daß derjenige, der auf Befehl gehandelt hatte, nicht schadensersatzpflichtig wurde, es sei denn, die befohlene Handlung wäre in den Gesetzen ausdrücklich verboten. Daraus ergibt sich, daß grundsätzlich Gesetzeswidrigkeit ein Befehlsverweigerungsrecht gewährte. In der Weimarer Republik war die Gehorsamspflicht nicht näher geregelt. Die allgemeine Gehorsamspflicht der Reichsbeamten, die in ihrer Existenz unbestritten war, konnte aus§ 10 RBG gefolgert werden, der den Beamten die gewissenhafte Wahrnehmung des ihnen übertragenen Amtes entsprechend der Verfassung und den Gesetzen auferlegte. In Preußen war in§ 2 II 10 ALR die besondere, über die allgemeine Untertanenpflicht hinausgehende Gehorsamspflicht des Beamten gegenüber dem Staatsoberhaupt statuiert. Letztlich ergaben sich die Gehorsamsverhältnisse aus dem System des Behördenaufbausl. Eine Weisung war aber nur zu befolgen, wenn es sich überhaupt um einen dienstlichen Befehl handelte. Der geforderte Dienstcharakter der Anordnung sollte sie abgrenzen von solchen, die den privaten Bereich der Beamten ohne Bezug zu seiner Dienststellung betrafen. Als bloß den privaten Bereich betreffend wurden etwa der Bezug von Zeitungen und der Kirchgang angesehen, während der Besuch gewisser Lokale zwar grundsätzlich Privatsache sei, aber die Dienststellung des Beamten betreffen könne. Auch ein dienstlicher Befehl brauchte bzw. durfte nicht immer befolgt werden, vielmehr bildeten sich vier Ausnahmegruppen heraus 2 : Der anordnende Vorgesetzte mußte sich im Rahmen seiner örtlichen und sachlichen Zuständigkeit halten, die geforderte Handlung mußte im örtlichen und sachlichen Zuständigkeitsbereich des angewiesenen Beamten liegen, der Befehl mußte - soweit es vorgeschrieben war- in der richtigen Form erteilt werden, und schließlich durfte er den Gesetzen und der Verfassung nicht offenbar zuwiderlaufen. Die letzte Einschränkung bedeutete, daß der Beamte einen solchermaßen rechtswidrigen Befehl bei Meidung zivil- und strafrechtlicher Haftung nicht ausführen durfte. War die Rechtswidrigkeit nicht offenbar, handelte es sich um eine formell ordnungsgemäße Weisung, Brand: Reichsbeamtengesetze, § 10 RBG Anm. 1; ders.: Das Beamtenrecht S. 475. Ders.: Reichsbeamtengesetze, § 10 RBG Anm. 2; ders.: Das Beamtenrecht, S. 475 ff. jeweils m.w.N. 1
2
1.5. Die Gehorsamspflicht der Beamten
67
bei der der Beamte gedeckt war und die Rechtmäßigkeit des Befehls nicht zu verantworten hatte. Er mußte zwar nicht mehr, durfte aber den Gehorsam verweigern, handelte dann jedoch auf eigene Gefahr, so daß er bei abweichender rechtlicher Beurteilung im Disziplinarverfahren Bestrafung erwarten mußte. Mit dem DBG änderte sich diese Rechtslage. Auch jetzt bestand eine Pflicht zum Gehorsam nur für dienstbezogene Befehle. Ausgenommen waren also nach wie vor privatbezogene Aufträge wie die Leistung häuslicher Dienste oder private Botengängea. Der vom-Dienst nicht berührte private Bereich des Beamten hatte sich allerdings durch das gewandelte Beamtenleitbild, durch die Erfassung der ganzen Person im Einsatz für den nationalsozialistischen Staat erheblich verkleinert. Früher als privat angesehene Dinge wie der Bezug von Zeitungen und das Verhältnis zur Kirche wurden jetzt dienstlich Gegenstand der Regelung durch Runderlasse4 • Die Bindung des Beamten an eine bestimmte Weltanschauung und der Anspruch dieser Ideologie, jeden Lebensbereich zu durchdringen und Maßstäbe dafür zu setzen, ließ keinen Raum mehr frei, der grundsätzlich als den nationalsozialistischen Staat nicht berührend und damit als privat angesehen werden könnte5. Die Ausdehnung des dienstlichen bzw. dienstliche Interessen berührenden Bereichs bedeutete automatisch, daß auch die Gehorsamspflicht sich entsprechend erweiterte. Rechtlich wurde jedoch auch im Dritten Reich bei dienstlichen Befehlen kein blinder Gehorsam verlangt, es reduzierten sich nur die oben genannten Ausnahmegruppen für die Gehorsamspflicht. Nach § 7 Abs. 2 DBG hatte der Beamte die dienstlichen Anordnungen seiner Vorgesetzten zu befolgen, er durfte dies aber nicht, wenn deren Ausführung für ihn erkennbar den Strafgesetzten zuwiderlaufen würde. In der Literatur entwickelte sich ein - zum Teil rein terminologischer Streit, ob die in der Weimarer Republik anerkannten Verweigerungsgründe der örtlichen und sachlichen Unzuständigkeit des Befehlenden und des Befehlsempfängers und der mangelhaften Form noch galten. Überwiegend war die Meinung, Voraussetzung sei zwar, daß es sich überhaupt um einen Vorgesetzten handelt6 , dann aber habe der angewiesene Beamte nicht mehr nachzuprüfen, ob der Befehl sich in seiner oder des Vorgesetzten Zuständigkeit halte7 • Einhelligkeit bestand darin, daß ein Weigerungsrecht im übrigen Heyland: Deutsches Beamtenrecht, S. 177. S.o. S. 37f. 5 Vgl. Hitler: Mein Kampf, S. 506: "Denn die Weltanschauung ... fordert gebieterisch ihre eigene, ausschließliche und restlose Anerkennung sowie die vollkommene Umgestaltung des gesamten öffentlichen Lebens nach ihren Anschauungen. 6 Nach der Legaldefinition des§ 2 Abs. 5 S. 2 DBG jemand, der einem Beamten für seine dienstliche Tätigkeit Weisungen erteilen konnte. 3 4
5•
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
nur dann bestand, wenn die Ausführung des Befehls strafbar war. Dem Wortlaut des Gesetzes war dies nicht zwingend zu entnehmen, da § 7 Abs. 2 S. 2 DBG nur eine Pflicht zur Befehlsverweigerung bei Strafbarkeit des angesonnenen Tuns statuierte, nicht aber ein darüber hinausgehendes Recht auf Verweigerung bei sonstiger Rechtswidrigkeit ausschloß. Jedoch führte die amtliche Begründung zu§ 7 DBG aus, daß dann, wenn der Vorgesetzte auf der Durchführung einer Anordnung bestehe, die zwar nicht den Strafgesetzten, wohl aber anderen Gesetzten zuwiderlief, der Beamten zu gehorchen hattes. Hier liegt also ein wesentlicher sachlicher Unterschied zur Weimarer Rechtslage: Während da auch die allgemeine Rechtswidrigkeit zur Verweigerung berechtigte, war dies im Dritten Reich auf die Strafbarkeit des befohlenen Tuns beschränkt9 • Die Befehlsverweigerungspflicht bestand nicht nur, wenn der Beamte die Strafbarkeit erkannt hatte, wie es für den militärischen Befehl galt 10 , sondern bereits dann, wenn sie nur erkennbar war. Das bedeutete, daß den Beamten eine Pflicht zur materiellen Prüfung des Befehls in strafrechtlicher Hinsicht traf und er sich schon dann einer Dienstverfehlung schuldig machte, wenn er fahrlässig an die Straflosigkeit des angesonnenen Tuns geglaubt und deshalb den Befehl ausgeführt hatte. So läßt sich zwar eine Verstärkung der Gehorsamspflicht im Dritten Reich feststellen, die jedoch keineswegs auf blinden Gehorsam, auf Kadavergehorsam11 hinauslief. Dieses Bild von der Rechtslage bedarf allerdings dreier Einschränkungen: Zum einen stand der im Dritten Reich auf allen Gebieten geltende Führergrundsatz mit der Befehlsverweigerung in einem Spannungsverhältnis. Wenn dieses Prinzip Autorität nach unten und Verantwortung nach oben bedeutete12 , stellte jede Anerkennung eines Befehlsverweigerungsrechts oder sogar einer Pflicht dazu eine Lockerung des Prinzips dar. Das Spannungsverhältnis läßt sich sogar am DBG selbst ablesen. In den das Beamtenverhältnis allgemein charakterisierenden Grundsätzen des § 1 DBG hieß es in Abs. 3: "Der Staat fordert von den Beamten unbedingten Gehorsam .. .". Hier schlug sich der Führergedanke mit seiner straffen Über- und Unterord7 Heyland: Deutsches Beamtenrecht, S. 178 f.; Brand: DBG, § 7 Anm. 4 a; a .A. Fischbach: DBG, S. 204; eine terminologische Mittelmeinung vertrat Schneider: DBG, S. 257. a Amtl. Begründung bei dems., a.a .O., S. 254; ebenso Huber: Die verfassungsrechtliche Stellung des Beamtentums, in: Festschrift Siber, S. 314. 9 In diesem Punkt ist die Rechtslage in der Bundesrepublik im Ansatz gleichgeblieben: § 38 BRRG erlaubt dem Beamten die Gehorsamsverweigerung nur, wenn das aufgetragene Verhalten strafbar oder ordnungswidrig ist oder die Würde des Menschen verletzt. 10 Heckel: Wehrverfassung und Wehrrecht des Großdeutschen Reiches, S. 369 f . 11 Pfundtner: Beamtenpolitik im Großdeutschen Reich, in: ZAkDR 1942, S. 114, wehrte sich ausdrücklich gegen diesen Begriff und meinte, gefordert werde vielmehr "die restlose Synthese von Persönlichkeit und Gemeinschaft". 12 Hitler: Mein Kampf, S. 501.
!.5. Die Gehorsamspflicht der Beamten
69
nung nieder. Die Regelung mußte vom Wortlaut her dahin verstanden werden, daß es keine Einschränkungen der Gehorsamspflicht gab. Erst in § 7 Abs. 2 DBG, in der näheren Ausgestaltung des Gehorsamsrechts, wird deutlich, daß der Gehorsam doch bedingt war, bedingt nämlich durch die Straflosigkeit des befohlenen Tuns. Von einer bruchlos im System der Rechtsordnung verankerten Gehorsamsbeschränkung konnte daher nicht die Rede sein. Zum zweiten gab es einen Fall, in dem rechtlich eine unbedingte Gehorsamspflicht bestand. Wenn nämlich der Führer befahl, mußte ohne jede Einschränkung gehorcht werden. Das ergab sich nicht unmittelbar aus dem DBG, sondern aus der staatsrechtlichen Stellung des Führers und der rechtlichen Qualität seiner Willenskundgebungen. Das nationalsozialistische Staatsrecht war sich einig, daß Träger der Gesetzgebungsgewalt ausschließlich der Führer war, und zwar unabhängig davon, ob das Gesetz durch Reichstagsbeschluß nach der WRV, durch das Volk nach dem Gesetz über die Volksabstimmung vom 14. Juli 1933 13 oder durch Regierungsbeschluß nach dem Ermächtigungsgesetz14 zustande gekommen war15. Demzufolge wurde das Gesetz nur als eine besondere Willenskundgebung des Führers angesehen16. Unbedingter Gehorsam gegenüber dem Gesetz, Gesetzmäßigkeit der Amtshandlungen, wie sie § 7 Abs. 1 DBG vorschrieb, war also nur eine Sonderform des Gehorsams gegenüber dem Führer1 7, welcher allgemein in der vom Führer-Gefolgschaftsverhältnis geprägten Treue des Beamten zum Führer wurzelte. Zu der mittelbaren Gesetzgebung des Führers durch Volk, Reichstag und Reichsregierung, die alleine von der Führerentscheidung abhing1s, gesellte sich im Laufe der Zeit konsequenterweise die unmittelbare Führergesetzgebung durch Führererlaß (auch Führerverordnung genannt), der auch nicht 13 RGBl. I. S. 479 14
Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24.03.1933, RGBl. I S. 141.
15 Vgl. für viele Stuckart u. a.: Der Staatsaufbau des Deutschen Reichs in systema-
tischer Darstellung, S. 92. 16 Schmitt: Der Rechtsstaat, in: Frank: Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung, S. 32: Plan und Wille des Führers; Hildebrandt: Rechtsquellen, in: Volkmar u. a. (Hrsg.): Die Rechtsentwicklung der Jahre 1933 bis 1935/36, S. 560: eindeutig auf Rechtssatzfolgen gerichteter - überlicherweise, aber nicht notwendig im Reichsgesetzblatt verkündeter - Führerbefehl; Maunz: Die Rechtmäßigkeit der Verwaltung, in: Frank: Deutsches Verwaltungsrecht, S. 63 : geformter Plan des Führers ; Koellreutter: Deutsches Verfassungsrecht, S. 57: in die Form der Gesetzgebung gekleideter politischer Wille der Führung. 17 Köttgen: Die Stellung des Beamtenturns im völkischen Führerstaat, in: JöR 25 (1938), 52. 1s Stuckart u. a. : Der Staatsaufbau des Deutschen Reichs in systematischer Darstellung, S. 82, 93, 96, stellen die veränderte staatsrechtliche Situation d.rchie entstanden war, die auch die gesamte Landesverwaltung in der Person des jeweiligen Reichsministers kulminieren ließ, so daß die infolge der beamtenrechtlichen Weisungsgewalt starke Stellung des Vorgesetzten zuletzt dem Reichsminister zugute kam. Die Gemeindeverwaltungen wurden anfänglich und auch später von der Konzeption her nicht in die strikte Verwaltungshierarchie eingebunden. Der Nationalsozialismus legte in der Deutschen Gemeindeordnung24 (DGO) ein 21 Auch die Kommentierungen zum NAG und zur 1. DVO erweitern das Weisungsrecht nicht über die obersten Landesbehörden hinaus, vgl. z. B. Pfundtner, Neubert: Reichsrecht, I a Nr. 14, Art. 2 NAG Anm. 4, § 4 1. DVO Anm. 1. 22 Vom 05.07.1939 (RGBl. I S. 1197). 23 § 2 Abs. 5 S. 3 DBG. 24 Vom 30.01.1935 (RGBL I S. 49).
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
formales Bekenntnis zur kommunalen Selbstverwaltung unter Berufung auf den Freiherrn vom Stein ab, jedoch zurückgeführt auf deren "wahren" Geist25, gereinigt von angeblichen Entstellungen durch parlamentarischdemokratische Begriffe und Methoden26 . Die klassischen Begriffe der kommunalen Selbstverwaltung fanden sich aber auch in der DGO wieder: Nach § 1 Abs. 2 S. 2 DGO verwalteten die Gemeinden sich selbst unter eigener Verantwortung. § 2 Abs. 2 DGO übertrug den Gemeinden zur Verwaltung in eigener Verantwortung "alle öffentlichen Aufgaben", soweit durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes nicht andere Stellen zuständig waren, wobei natürlich die wahrgenommenen Aufgaben gerade die örtliche Gemeinschaft betreffen mußten27 . § 3 Abs. 1 DGO gewährte den Gemeinden das Recht, soweit Gesetze nicht entgegenstanden, ihre eigenen Angelegenheiten durch Satzungen zu regeln. Selbstverwaltung, Allzuständigkeit, Satzungsrecht waren also traditionelle Begriffsbestandteile auch des nationalsozialistischen Gemeinderechts. Die nähere Ausgestaltung zeigte jedoch, daß hinter den gleichgebliebenen Begriffen andere Inhalte steckten. Rechtstheoretisch lag der kommunalen Selbstverwaltung kein grundrechtsähnliches, vorstaatliches Recht auf Selbstverwaltung zugrunde, sondern die einseitige Selbstbeschränkung des Staates, sich von einer Gruppe von Verwaltungsaufgaben zugunsten der Gemeinden fernzuhalten, zugrunde lag also die staatliche Gewährung von Selbstverwaltung28 . Schon daraus ergab sich, daß an gemeindliche Selbstverwaltung im Sinne eines staatsfreien Raumes nicht gedacht war. Die Unterordnung der Gemeinden unter den Staat durch rechtliche Mittel erfolgte vor allem durch die staatlich gesteuerte Personalpolitik und die Ausweitung der Aufsichtsbefugnisse. Daneben hatte der Staat indirekte und trotzdem effektive Steuerungsmöglichkeiten, vor allem in der Finanzpolitik29; selbst im rechtlich detailliert ausgestalteten Personalbesetzungsverfahren war der informelle Teil häufig wichtiger als der formelleJo. Die Personalpolitik bekam dadurch ein erhöhtes Gewicht, daß die Gemeindeverfassungen nach dem Führerprinzip unter Leitung des Bürgermeisters umgestaltet wurden. Dieser war nunmehr das alleinentscheidende Organ, selbst für den Erlaß von Satzungen. Nur noch beratend standen ihm Gemeinderäte zur Seite. Bürgermeister und Beigeordnete wurden durch Präambel zur DGO. Reichsleiter Fiehler in: Die Deutsche Gemeindeordnung, S. VIII. 27 § 1 Abs. 1 DGO; Suren, Loschelder: DGO, § 2 Anm. 2. 2a Ebda., § 1 Anm. 5; a.A. Dahm: Deutsches Recht, S.245; den staatseingebundenen Charakter der Gemeinden betonte die amtliche Begründung zur DGO (Allgemeiner Teil), in: Die Deutsche Gemeindeordnung, S. 6, wo sie als "Zellen des Staates" bezeichnet wurden. 29 Matzerath: Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 350 ff. Jo Ebda., S. 265. 25 26
!.8. Der Verwaltungsaufbau
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einen Beauftragten der NSDAP vorgeschlagen und von der Aufsichtsbehörde, dem Reichsstatthalter oder dem RMdi bestimmt. Dabei konnte die staatliche Seite durch zweimaliges Ablehnen der Vorschläge das Berufungsrecht auf sich überleiten, so daß sich im Konfliktsfall der Staat gegen die Partei durchsetzen konnte 31 . Das erste Jahr der zwölfjährigen Amtsdauer (bzw. sechsjährigen bei ehrenamtlicher Tätigkeit) war ein Probejahr, innerhalb dessen die Behörde, die den Bürgermeister oder Beigeordneten bestimmt hatte, die Berufung im Zusammenwirken mit Parteistellen zurücknehmen konnte. Ansonsten bestanden aber nur die allgemeinen beamtenrechtlichen Möglichkeiten des Dienststrafverfahrens und der Zwangspensionierung bzw. bei Ehrenbeamten der Zwangsverabschiedung. Die rechtlich machtlosen Gemeinderäte wurden vom Beauftragten der Partei für sechs Jahre berufen, also ebenfalls nicht von den Gemeindemitgliedern gewählt. Der Beauftragte hatte bei der Berufung insbesondere nach §51 Abs. 1 S. 2 DGO auf die "nationale Zuverlässigkeit" zu achten. Die Gemeinderäte konnten bei Wegfall dieser oder anderer Voraussetzungen nach § 54 DGO ohne weiteres von der Aufsichtsbehörde im Einvernehmen mit dem Parteibeauftragten ihres Amtes enthoben werden. Die personelle Zusammensetzung der gemeindlichen Selbstverwaltungsorgane wurde also bei den entscheidenden Exekutiv- und Legislativpositionen durch ein Kondominium von Partei und Staat, bei den mehr dekorativen Gemeinderäten nur durch die Partei entschieden. Die Bürger der "selbstverwalteten" Gemeinde waren in keiner Weise beteiligt. Der einmal berufene Bürgermeister, der sein Probejahr überstanden hatte, hatte allerdings eine gesichertere Position inne, denn er war nur noch umständlich abzusetzen. Daher mußte die Selbstverwaltung auch inhaltlich an den Staat gebunden werden. Das geschah in § 1 Abs. 2 S. 3 DGO, wonach das gemeindliche Wirken nicht nur im Einklang mit den Gesetzen, sondern auch mit "den Zielen der Staatsführung" stehen mußte. Darauf erstreckte sich ebenfalls die Staatsaufsicht nach § 106 S. 1 DGO, mit deren Mitteln (Unterrichtungs-, Beanstandungs-, Anordnungs- und Ersatzvornahmerecht sowie das Recht der Bestellung eines Beauftragten) gemeindliche Tätigkeit verhindert, korrigiert und erzwungen werden konnte. Die rechtliche Einordnung der Gemeinden in den politischen Zusammenhang der Staatsführung war aber mehr defensiver als aktiv verpflichtender Natur. Die Formulierung "das Wirken der Gemeinde muß in Einklang mit den Zielen der Staatsführung stehen" bedeutete nur, daß kein Widerspruch zwischen dem Handeln der Gemeinde und den Zielen der Staatsführung auftreten durfte, sie bedeutete aber nicht, daß die Gemeinde verpflichtet war, aktiv die Ziele der Staatsführung zu unterstützen. Das ergab sich aus 31 Tatsächlich vermochte sich jedoch die Partei immer mehr Einfluß, zum Teil gegen die Bestimmungen der DGO, zu verschaffen, ebda., S. 241 ff.
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dem Zusammenspiel der Vorschriften über die Aufhebung von Entschließungen und Anordnungen des Bürgermeisters nach§ 109 DGO und über die aufsichtliche Anordnung, Entschließungen und Anordnungen zu treffen, nach§ 110 DGO. Während das defensive Aufhebungsrecht schon bei einem Zuwiderlaufen der Handlungen des Bürgermeisters gegen die Ziele der Staatsführung bestand, konnte die Aufsichtsbehörde zur aktiv-verpflichtenden Anordnung erst greifen, wenn die geforderte Maßnahme zur Erfüllung einer der Gemeinde gesetzlich obliegenden Pflicht erforderlich war. Eine bislang unterlassene Maßnahme des Bürgermeisters, die der Aufsichtsbehörde aber im Hinblick auf die Ziele der Staatsführung erforderlich erschien, konnte rechtlich nicht im Wege der Aufsicht angeordnet werden32 . In dieser Beschränkung der Aufsicht auf den bloßen Schutz der Ziele der Staatsführung steckte also tatsächlich eine deutliche Zurückhaltung bei der rechtlichen Gleichschaltung der Gemeinden. Trotz dieser Einschränkung bedeutete die Regelung eine weitgehende Beschneidung der staatsfreien gemeindlichen Selbstverwaltung. Nach den Ausführungsanweisungen zu § 106 DGO waren unter den Zielen der Staatsführung "die großen, grundsätzlichen politischen und volkswirtschaftlichen Gesichtspunkte zu verstehen, von denen die nationalsozialistische Staatsführung alle Zweige des öffentlichen Lebens geleitet zu wissen wünscht." Die amtliche Begründung stellte wegen der völligen Unbestimmtheit der Gesetzesformulierung klar, "daß es sich nicht um kleinliche, sondern um sachlich oder politisch bedeutsame Angelegenheiten handeln muß", wenn die Staatsaufsicht sich auf diese Norm stützen wolle33. Durch die Ausführungsanweisung wurde den Aufsichtsbehörden darüber hinaus dieses Eingriffsrecht intern nur zur Ausübung nach Weisung durch den RMdi erlaubt. So behielt sich letztlich der Reichsminister, der auch allgemein oberste Kommunalaufsichtsbehörde nach § 107 S. 1 DGO war, die Disziplinierung widerspenstiger Gemeinden vor. Häufiger Gebrauch scheint von der Eingriffsmöglichkeit nicht gemacht worden zu sein34, richtige Personalpolitik in Verbindung mit der bloßen Existenz der Vorschrift dürfte zur Disziplinierung schon ausgereicht haben. Selbst in der zeitgenössischen Literatur wurde hervorgehoben, daß der Eingriffstatbestand so unbestimmt sei, daß er keine begrenzende Funktion habe, sondern lediglich den rechtlichen Anknüpfungspunkt für politische Maßnahme darstelle: "Es liegt auf der Hand, daß die Anordnungen, die unter dem Gesichtspunkt 32 So ausdrücklich der Punkt 1 der Ersten Anweisung zur Ausführung der Deutschen Gemeindeordnung, RdErl. vom 22.03.1935, MBliV Sp. 415. 33 Begründung zur DGO (Allgemeiner Teil), in: Die Deutsche Gemeindeordnung, s. 7 f. 34 Suren, Loschelder: DGO, § 106 Anm. 3 c, führen aus, daß in der Praxis kaum auf Grund der Vorschrift im Einzelfall eingegriffen werde; zu den Diskussionen um die Staatsaufsicht und deren Handhabung vgl. Matzerath: Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 314 ff.
!.8. Der Verwaltungsaufbau
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des Einklangs der Gemeindeverwaltung mit den Zielen der Staatsführung ergehen, sich wegen des völlig politischen Gehalts dieses Teiles der Staatsaufsicht jedem Versuch einer Abgrenzung entziehen. Sie sind in stärkstem Maße zeitbedingt" 35 . Von einem anderen Autor hieß es: "An sich ist dies eine recht dehnbare Bestimmung, die eng oder weit ausgelegt werden und unter die alles Mögliche gebracht werden kann, zumal in einem so einheitlich aufgebauten und gelenkten Staate wie dem nationalsozialistischen." 36 . Die sachliche Ausweitung der Staatsaufsicht wurde verfahrensrechtlich ergänzt durch den Ausschluß des Rechtsweges. Wie schon im Rahmen des beamtenrechtlichen Rechtsschutzes gezeigt wurde, war der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz in der Weimarer Republik nur unvollkommen entwickelt. Auch im Kommunalaufsichtsrecht Preußens gab es gegen Aufsichtsmaßnahmen für die Gemeinden keine Generalklausel, die den Weg vor die Verwaltungsgerichte eröffnet hätte 37 . Für die wichtigsten Fälle aber, vor allem für Beanstandungen und Zwangsetatisierungen, war der Verwaltungsrechtsweg eröffnet38 • Dies wurde durch die DGO vollständig abgeschafft. Der Staat, der den Gemeinden aus freien Stücken einen gewissen Spielraum überlassen habe, könne nicht gezwungen werden, für sein obrigkeitliches Eingreifen in die Angelegenheiten seiner Gliedkörperschaften Recht vor Verwaltungsgerichten zu suchen39• Die engere Eingliederung der Gemeinden in die umfassende und von einheitlichem Geist durchdrungene Gemeinschaft des Volkes und die Ausrichtung auf die Ziele der Staatsführung begründe den Ausschluß des Rechtsweges4o. Statt dessen wurde den Gemeinden nach § 113 Abs. 1 DGO ein Recht zur Beschwerde gegen die Aufsichtsmaßnahmen an die nächsthöhere Aufsichtsbehörde eingeräumt, Recht- und auch Zweckmäßigkeit41 der Aufsichtsmaßnahmen wurden also lediglich intern im Rahmen der Verwaltungshierarchie nachgeprüft. Die materiellrechtliche Beschränkung der Staatsaufsicht auf den defensiven Politikschutz verlor durch die verfahrensrechtliche Regelung erheblich an Gewicht, denn die Gemeinde war einer rechtswidrigen aufsichtliehen Tätigkeit, die etwa die aktive Förderung der Staatsführungsziele durch die Gemeinde anordnete, schutzlos ausgeliefert, wenn die Aufsichtsbehörde durch deren vorgesetze Behörde und letztlich durch den RMdi gedeckt war. Suren, Loschelder, a.a.O. Kerrl, Weidemann: DGO, § 106 Anm. 7. 37 Jellinek: Verwaltungsrecht, S . 535. 38 §§ 15 Abs. 1 S . 2, 19 Abs. 2 des Gesetzes über die Zuständigkeit der Verwaltungsund Verwaltungsgerichtsbehörden vom 01.08.1883 (GS S. 237). 3 9 Begründung zur DGO (Allgemeiner Teil), in: Die Deutsche Gemeindeordnung, S . 8; Zeitler u . a .: DGO, § 113 Anm. 1. 40 Württem. VGH, RVerwBl. 1936, 384. 41 Zur Zweckmäßigkeitsprüfung vgl. Suren, Loschelder: DGO, § 113 Anm. 2 e bb. 35
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Die Herrschaftsmacht in der Verwaltungshierarchie stellte sich also auf gemeindlicher Ebene im wesentlichen wie folgt dar: Die kommunale Verwaltung arbeitete von Rechts wegen in Selbstverwaltungsangelegenheiten weisungsfrei unter der eigenveranwortlichen Leitung des Bürgermeisters, die Herrschaft des Staates hatte hier ihre Grenze. Allerdings verfügte der Staat und partiell auch die Partei über dominierenden Einfluß, namentlich über die Stellenbesetzung und durch die gegenüber früher auch auf Unterbindung politisch unerwünschten Verhaltens ausgedehnte Staatsaufsicht. Ob die Staatsverwaltung sich an die rechtlichen Beschränkungen hielt, war jedoch vollkommen ihr überlassen, da keine unabhängige Kontrolle gewährt wurde. Es blieb aber dabei, daß rechtlich ein vom Staat nur beschränkt beherrschter Verwaltungsteil vorhanden war, der sich nur schwer mit der Forderung des Führerprinzips, daß die oberen Führungseinheiten volle Autorität nach unten genießen müßten, vereinbaren ließ. Das Spannungsverhältnis von Führerprinzip und kommunaler Selbstverwaltung wurde zwar von der Führung erkannt und angesprochen42, jedoch nicht mit einer klaren Entscheidung zugunsten unbeschränkter Weisungsgewalt des Staates, sondern mit einem ideologisch unklaren Sowohl-als-auch beantwortet: Einerseits feste und sichere Staatsführung unter stärkster Betonung des Vorrangs der Interessen der Volksgemeinschaft vor jedem individualistischen Sonderanspruch, andererseits berechtigtes Eigenleben der Gemeinden unter Vermeidung lähmender staatlicher Bürokratie. Um ein solches Ziel zu erreichen, hätte es der Anerkennung der Selbstverwaltung mit ihrem antiabsolutistischen Herkommen und ihrer dezentralisierenden und damit machtbegrenzenden Wirkung nicht bedurft. Eine dekonzentrierte Verwaltung, die jedoch von oben bis unten durch Weisungsbefugnis verbunden ist, verlagert auch Entscheidungen nach unten, ohne aber die Macht der Führung grundsätzlich zu beschneiden. Es hat daher den Anschein, daß der nationalsozialistische Rückgriff auf vom Stein und den genossenschaftlichen Gedanken von Gierkes eher der Verschleierung eines politischen Kompromisses diente, als daß er ernsthafte ideologische Begründung war43 . Sofort mit Beginn des Krieges wurde die jedenfalls rechtlich vorgesehene, beschränkt eigenständige gemeindliche Verwaltung beseitigt. Der Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Vereinfachung der Verwaltung44 bezweckte nach seiner Präambel, die öffentliche Verwaltung instand zu setzen, zur Verteidigung von Volk und Reich "reibungslose Arbeit" zu leisten. 42 Vgl. Punkt 2 der amtlichen Begründung zur DGO (Allgemeiner Teil), in: Die Deutsche Gemeindeordnung, S. 7. 43 Zum Kompromißcharakter der DGO vgl. Matzerath: Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 157 ff. 44 Vom 28.08.1939 (RGBLI S. 1535), also vier Tage bevor(!) -nach dem angeblichen polnischen Überfall auf den Sender Gleiwitz vom 31.08.- "zurückgeschossen" wurde.
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Art. V Abs. 1 unterstellte den obersten Reichsbehörden die ihrer Aufsicht unterstehenden Körperschaften, also auch die Gemeinden. Die mit Aufsichtsbefugnissen ausgestatteten nachgeordneten Behörden erhielten gegenüber den bislang beaufsichtigten Dienststellen Weisungsbefugnis. Die Gemeinden hatten von nun an die Stellung nachgeordneter Dienststellen der Aufsichtsbehörden45. Daß zwar eine vollständige Eingliederung der Gemeinden in die Verwaltungshierarchie gewollt war, nicht aber auch eine vertikale Entscheidungskonzentration, ergibt sich aus den wiederholten Mahnungen des RMdi, das Weisungsrecht nur ausnahmsweise zu nutzen und sich regelmäßig mit den aufsichtliehen Mitteln zu begnügen46.
Die Beseitigung der Selbstverwaltung wurde formal als Kriegsmaßnahme deklariert47 . In Wirklichkeit spiegelt sich in dem Gesetz aber wohl eher die ungeschminkte ablehnende Haltung der nationalsozialistischen Machthaber gegenüber jeder Selbstverwaltung wider. Das ergibt sich zum einen aus der Tatsache, daß jede Selbstverwaltung vollständig noch vor dem Ausbruch tatsächlicher Kriegshandlungen beseitigt wurde, zu einem Zeitpunkt also, als die Notwendigkeit einer solchen Maßnahme gar nicht zu erkennen war. Zum anderen zeigt der Name des Gesetzes, der nur das Ziel der Verwaltungsvereinfachung nennt, daß man Selbstverwaltung generell als hinderlich betrachtete. Es hat daher weniger den Anschein, daß die Führung unter dem Druck des Krieges zur Abschaffung einer geschätzten Institution gezwungen wurde, vielmehr sieht es eher so aus, daß der Krieg ein willkommener Vorwand war, um eine lästige Institution zu beseitigen.
RdErl. vom 30.08.1939 (MBliV Sp. 1811). Ebda.; vom 12.02.1940 (MBliV Sp. 389); in dem genannten Führererlaß vom 28.08.1939 selbst sind Bestimmungen enthalten, die den Entscheidungsprozeß der öffentlichen Verwaltung vertikal dekonzentrieren. 47 So wurde z. B. in der Kommentierung Pfundtner, Neubert: Reichsrecht, der Führererlaß unter der Signatur I RV Nr. 3 im Band "Reichsverteidigung" eingeordnet. 45
46
7 Schneider
II. Abschnitt
Das Recht der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst des nationalsozialistischen Staates 1. Der Wandel im Arbeitsrecht
Das Dritte Reich hielt an der grundsätzlichen Unterscheidung von Beamten einerseits und Arbeitern und Angestellten im öffentlichen Dienst andererseits fest. § 148 DBG regelte erstmals die Voraussetzungen für die Einrichtung neuer Amtsstellen für Beamte. Danach durfte dies nur geschehen, soweit die Stellen die Wahrnehmung obrigkeitlicher Aufgaben in sich schlossen oder aus Gründen der Staatssicherheit nicht von Angestellten oder Arbeitern versehen werden durften. Für die nicht obrigkeitlichen oder sicherheitsempfindlichen Stellen sollten also grundsätzlich Arbeiter oder Angestellte verwendet werden. Grundlage der Tätigkeit war in der Weimarer Republik ein privatrechtHeher Arbeitsvertrag sowie für den öffentlichen Dienst vereinbarte Tarifverträge. Das Arbeitsrecht war - trotz des verfassungsrechtlichen Kodifizierungsauftrages in Art. 157 Abs. 2 WRV- 1 nur in Teilgebieten und durch Einzelgesetze geregelt. Rechtlicher Ausgangspunkt war das Dienstvertragsrecht des BGB und damit das frei ausgehandelte Leistungsaustauschverhältnis. Diese Grundlage wurde wesentlich modifiziert durch eine die Vertragsfreiheit einengende soziale Schutzgesetzgebung, die bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzte und sich in der Weimarer Republik verstärkte2. Eine weitere Besonderheit des Arbeitsrechts gegenüber dem allgemeinen Vertragsrecht war die Bildung und rechtliche Anerkennung von Koalitionen auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, die im Rahmen der Tarifvertragsfreiheit arbeitsrechtliche Regelungen kollektiv in Tarifverträgen trafen3. Die Arbeitnehmer wurden in der Weimarer Republik erstmals an .,Das Reich schafft ein einheitliches Arbeitsrecht." Den Anfang markiert das Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken vom 09.03.1839 (GS S . 156), für die Weimarer Republik vgl. etwa die Verordnung über die Arbeitszeit vom 23.11.1918 (RGBl. I S. 1334), das Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter i.d.F. vom 12.01.1923 (RGBl. I S. 57), das Hausarbeitsgesetz i.d.F. vom 30.06.1923 (RGBl. I S. 472) oder das Gesetz über die Beschäftigung vor und nach der Niederkunft vom 16.07.1927 (RGBL I S. 184). 1
2
II.l. Der Wandel im Arbeitsrecht
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der Führung des Betriebes beteiligt. Das geschah zum einen durch die Errichtung eines Betriebsrates, der die gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber gegenüber wahrzunehmen und den Arbeitgeber in der Erfüllung der Betriebszwecke zu unterstützen hatte. Zum anderen wurden in den Aufsichtsrat von Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, GmbHs, eingetragenen Genossenschaften, Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit und bergrechtliehen Gewerkschaften ein oder zwei Betriebsratsmitglieder entsandt4 • Die Mitbestimmung in Unternehmensorganen hat hier ihren Ursprung. Im Dritten Reich wurde die soziale Schutzgesetzgebung beibehalten und sogar ausgebaut5 , im Krieg jedoch wieder gelockert6. Die formelle Anknüpfung an das Dienstvertragsrecht blieb bestehen. Die entscheidenden gesetzlichen Veränderungen betrafen das Betriebsverfassungsrecht und das Tarifrecht. Ein interpretatorischer Wesenswandel setzte in der Beurteilung des Arbeitsvertrages ein. Der Arbeitsvertrag war und ist eine Sonderform des bürgerlichrechtlichen Dienstvertrages. Das BGB stellt die einzelne Person, die von ihr innegehabten Ansprüche und gegen sie gerichteten Forderungen, ihre Rechte und Pflichten, in den Vordergrund. Demzufolge betrachtete das Gesetz den Dienstvertrag als ein ausgehandeltes Leistungsaustauschverhältnis nach dem Prinzip des do ut des, im einzelnen, aber nicht vom Grundsatz her unterschieden etwa vom Kaufvertrag als Austausch von Ware gegen Geld. Geistesgeschichtlich entspricht eine solche rechtliche Betrachtungsweise dem Liberalismus, wirtschaftspolitsch einem Laissez-faire-Kapitalismus. Nach dem ersten Weltkrieg wurde- vor allem unter Bezugnahme auf v. Gierke - der personenrechtliche Einschlag des Arbeitsvertrages betont, aus dem eine gegenseitige Treuepflicht entspringe7 . Hier setzte die nationalsozialistisch gefärbte Arbeitsrechtswissenschaft an 6• Im Rahmen der allgemein im Dritten Reich gegen "liberalistisch-individualistisches" Rechtsdenken, gegen das angeblich dem deutschen Wesen 3 Art. 159 WRV (Vereinigungsfreiheit); Tarifvertragsverordnung vom 23.12.1918 (RGBL I S. 1456); zur Lage im Kaiserreich vgl. Söllner: Grundriß des Arbeitsrechts, s. 118 f. 4 Gesetz über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat vom 15.02.1922 (RGBL I S. 209). 5 So das Gesetz über die Heimarbeit vom 23.03.1934 (RGBL I S. 214), das Gesetz über Kinderarbeit und über die Arbeitszeit der Jugendlichen vom 30.04.1938 (RGBL I S. 437), die Arbeitszeitverordnung vom 30.04.1938 (RGB. I S. 448), das Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter vom 17.05.1942 (RGBL I S. 321). s Vor allem hinsichtlich der Arbeitszeit, vgl. Siebert: Das deutsche Arbeitsrecht, Bd. 2, Anhang I, Einl., S. 3 ff. und das Kapitel Kriegsarbeitsrecht bei Hueck: Deutsches Arbeitsrecht, S. 233 ff. 7 Vgl. die Darstellung mit Nachweisen bei Hueck, Nipperdey: Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. 1, S. 87 f . s Vgl. Hientzsch: Arbeitsrechtslehren im Dritten Reich und ihre historische Vorbereitung.
7•
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
fremde römische Recht vorgebrachten Kritik9 fielen deutschrechtliche Ansätze, die eine umfassende, von gegenseitiger Treue geprägte Sicht des Arbeitsverhältnisses propagierten, auf fruchtbaren Boden. Der Arbeitsvertrag wurde nicht mehr als vermögensrechtlicher Austauschvertrag verstanden, sondern als ein auf die Begründung einer personenrechtlichen Gemeinschaft gerichteter Vertraglo, so daß zum Teil der Schuldrechtscharakter überhaupt geleugnet wurden. Kern des neuen Verhältnisses war die Betriebsgemeinschaft, aus der im wesentlichen vier das Arbeitsverhältnis prägende Merkmale entsprangen: Erstens war die Betriebsgemeinschaftwie nach angeblich germanischer Tradition jede Gemeinschaft - geprägt von einer Führer-Gefolgschafts-Beziehung12 . Demnach wurde der Unternehmer vom Arbeitgeber zum Führer des Betriebes, Arbeiter und Angestellte von Arbeitnehmern zu Gefolgschaftsleuten. Zweitens waren gegenseitig erbrachte Leistungen nicht Ergebnis einer Austauschvereinbarung, sondern wurden in Erfüllung der alles umfassenden gegenseitigen Treuepflicht gegeben. Das bedeutete, daß erst die konkrete Ordnung des Betriebes, das heißt das Wesen der Betriebsgemeinschaft mit ihrer Treuepflicht, die gegenseitigen Pflichten konkretisierte. Sie strahlte auf die Auslegung der Gesetze und Verträge aus, ja sie wurde zur eigenständigen Anspruchsgrundlage13, so daß die Bedeutung des frei vereinbarten Arbeitsvertrages vermindert wurde. Drittens bedeutete Gemeinschaft, daß es keine grundlegenden Interessengegensätze zwischen den Gliedern der Gemeinschaft, speziell dem Führer des Betriebes und den Gefolgsleuten, geben konnte, da jedes Glied der Gemeinschaft Rechte nur im Einklang mit den Gemeinschaftsinteressen hatte, das Einzelinteresse immer dem Gemeinschaftsinteresse untergeordnet war. Das Arbeitsrecht wurde also nicht mehr als Instrument zur Regelung und Zähmung wirtschaftlichen Interessenkampfes, gar Klassenkampfes betrachtet, sondern als Überwindung dieses Kampfes. 9 Punkt 19 des Programms der NSDAP: "Wir fordern Ersatz für das der materialistischen Weltordnung dienende römische Recht durch ein deutsches Gemeinrecht." Dazu Rosenberg: Das Parteiprogramm, S. 49: "Dieses seelenlos und unvölkisch fortgebildete Erzeugnis des späten syrisch-römischen Zersetzungsprozesses" habe das Interesse des einzelnen zum Götzen erhoben und ihm alle Möglichkeiten der Verteidigung zur Sicherstellung seiner sogenannten "Rechte" gewährleistet, ohne die Gefährdung der Rechte der Allgemeinheit zu berücksichtigen. Ein neues deutsches Recht habe die ideellen Werte des Volks- und Rassenschutzes an die oberste Stelle zu setzen. 1o Hueck: Deutsches Arbeitsrecht, S. 69. u Hueck u. a.: AOG, § 2 Rdnr. 16. 12 Hueck: Deutsches Arbeitsrecht, S. 180; zum Führer-Gefolgschaftsprinzip als Aufbaugesetz jeder echten Gemeinschaft vgl. das Stichwort "Gefolgschaft" bei Schmidt u. a.: Philosophisches Wörterbuch, S. 175. 13 Hueck u. a.: AOG, § 2 Rdnr. 16 s; v. Schmeling, Thiel: AOGö, S. 79; umfassend unter besonderer Berücksichtigung der Rspr. des RAG bei Reuß, Siebert: Die konkrete Ordnung des Betriebes, S. 80 ff.
II.2. Die Dienstgemeinschaft
101
Viertens schließlich war die Betriebsgemeinschaft keine autonome, in sich selbst ruhende Gemeinschaft. Die letzte und umfassendste, aber auch in ihren Bindungen totale Gemeinschaft war die Volksgemeinschaft. Die Betriebsgemeinschaft war nur ein Glied dieser Volksordnung, nur aus ihr rechtfertigte sie sich. Das bedeutete, daß die aus der Betriebsgemeinschaft
entspringenden Pflichten und Rechte vor ihrem völkischen Hintergrund entwickelt werden mußten, daß insbesondere der Gefolgsmann dem Führer des Betriebes die Treue nicht als solchem, sondern als dem Mittler der Volksgemeinschaft zu halten hatte14.
Diese Grundsätze des Arbeitsverhältnisses galten auch für das öffentliche Dienstrecht. Sie schlugen sich in verschiedenen, das Herrschaftsverhältnis über die Bediensteten ausgestaltenden Einzelregelungen nieder, die im folgenden zu untersuchen sindl5.
2. Die Dienstgemeinschaft Die große nationalsozialistische Kodifikation im Arbeitsrecht war das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 19341 . Es regelte aber im wesentlichen nur die betriebsverfassungsrechtliche und tarifrechtliehe Seite des Arbeitsverhältnisses und setzte das veränderte Verständnis vom Arbeitsverhältnis voraus. Das Individualarbeitsrecht ist auch im Dritten Reich nicht kodifiziert worden. Allerdings erarbeitete der Arbeitsrechtsausschuß der Akademie für Deutsches Recht 1938 einen Entwurf eines Gesetzes über das Arbeitsverhältnis 2 . Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes waren vom Geltungsbereich des AOG ausgenommmen, für sie galt das Gesetz zur Ordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben vom 23. Mai 19343. Sowohl in den Grundgedanken wie in der Ausgestaltung entsprach es aber dem AOG, lediglich im Detail wich es wegen der Besonderheiten des öffentlichen Dienstes vom AOG ab. Die nähere Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses erfolgte durch die allgemeine Tarifordnung und durch die Tarifordnungen A und B für Gefolgschaftsmitglieder im öffentlichen Dienst vom 01. April1938 4 • 14 Siebert: Das deutsche Arbeitsrecht, Bd. 2, Einl. II, S. 4; Köttgen: Das neue Arbeitsrecht in seinem Verhältnis zum Beamtenrecht, in: RVerwBl. 1934, 455 f. 15 Auch heute noch wird das Arbeitsverhältnis vereinzelt als personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis bezeichnet. Dagegen richtet sich zunehmende Kritik. Jedenfalls können, wenn überhaupt, aus der Einordnung nur sehr begrenzt Schlußfolgerungen gezogen werden, so daß der Sprachgebrauch nicht mit dem nationalsozialistischen identisch ist, vgl. Zöllner: Arbeitsrecht, S. 128 ff.; Söllner: Grundriß des Arbeitsrechts, S. 245. 1 RGBl. I S . 45. 2 Vgl. dazu Hueck: Der Entwurf eines Gesetzes über das Arbeitsverhältnis, in: ZAkDR 1938, 298 ff. 3 RGBL I S . 220, 300. 4 RArbBl. 1938 VI 471, 475, 489.
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
Der Geltungsbereich des AOGö umfaßte im wesentlichen die Verwaltungen des Reichs, der Länder, der Gemeinden und sonstigen öffentlichrechtlichen Körperschaften sowie Betriebe, die von diesen Verwaltungen geführt oder kapital- bzw. stimmenmäßig von diesen beherrscht wurden, soweit es sich nicht um rein wirtschaftliche, in Konkurrenz auf dem Markt stehende Betriebe handelte(§ 1 AOGö). Die Dienstgemeinschaft war die Ausprägung der Betriebsgemeinschaft im öffentlichen Dienst. Sie umfaßte "alle Schaffenden" im öffentlichen Dienst, also Arbeiter, Angestellte und Beamtes. Dem Nationalsozialismus wartrotz der Beibehaltung des Berufsbeamtenturns die Betonung des Trennenden fremd. Aus diesem Grunde wurde vielfach die Angleichung des öffentlichen Dienstrechts an das Beamtenrecht konstatiert6 . Die Unterschiede zwischen Beamten und Dienstnehmern hätten zwar vielfältige rechtstechnische Bedeutung, aber alle Umstände, die die innere Haltung des Beschäftigten beträfen, seien in beiden Dienstrechten gleichgeordnet7. Köttgen sah sowohl in der Weimarer Republik wie im Dritten Reich eine Annäherung von Beamten- und Arbeitsrecht, aber von entgegengesetzter Seite8 : Während dort das Beamtenturn verprivatisiert, die weltanschauliche Übereinstimmung des Beamten mit dem Staat gelockert worden sei, der Beamte seinen Dienst vor dem Hintergrund wohlerworbener Rechte versehen habe, mit einem Wort, während dort der Beamte nur ein besonderer Arbeitnehmer geworden sei, habe im Dritten Reich eine Entprivatisierung des Arbeitsrechts stattgefunden, sei der Arbeiter in seiner personenrechtlichen Beziehung zum Führer des Betriebes in eine öffentliche Verantwortung hineingestellt worden, zur Erfüllung eines jedermann obliegenden Dienstesam Volke berufen worden. Diese Annäherung des allgemeinen Arbeitsrechts an das Beamtenrecht verband natürlich das öffentliche Dienstrecht als Sonderarbeitsrecht besonders eng mit dem Beamtenrecht, so daß grundsätzlich die beamtenrechtlichen Pflichten und die Pflichten der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst austauschbar waren9 • Trotz dieser Annäherung blieben aber Unterschiede, die neben der grundsätzlichen Kündigungsmöglichkeit und der weiten Eröffnung des Rechtsweges vor den Arbeitsgerichten insbesondere die Unanwendbarkeit des AOGö für die Beamten betrafen 1o.
Vgl. den Vorspruch zur ATO; Wacke: Öffentliches Dienstrecht, S . 10, 27 . s Ebda., S. 10; Fischbach: DBG, S. 79; Dietz: Disziplinarstrafrecht der Behördenangestellten, in: ZBR 7 (1936/37), 241. 7 Wacke: Wiederverwendete Ruhestandsbeamte, in: Dt.Verw. 1939, 395. s Köttgen, in: RVerwBl. 1934, 454 ff.; ebenso Wacke: Beamtenrecht und öffentliches Dienstrecht, in: Huber (Hrsg.): Idee und Ordnung des Reiches, S. 7 f. 9 Ders. : Öffentliches Dienstrecht, S. 28; ders.: Das Gelöbnis der Angestellten in: ZBR 8 (1937/ 38), 20. 1o Ders.: Beamtenrecht und Öffentliches Dienstrecht, S. 38. 5
II.2. Die Dienstgemeinschaft
103
Die Dienstgemeinschaft wurde mit ihren Merkmalen des Führerprinzips und der Treuepflicht in § 2 AOGö normiert. Gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 AOGö entschied der Führer einer öffentlichen Verwaltung oder eines öffentlichen Betriebes gegenüber den in ihnen beschäftigten Dienstnehmern als der Gefolgschaft in allen Angelegenheiten, die durch das AOGö geregelt wurden. Die begrifflich unklare Beschränkung auf diese Angelegenheiten bedeutete, daß es um die auf die Betriebsgemeinschaft bezogenen, die betrieblichen Entscheidungen ging und daß in anderen Vorschriften geregelte Entscheidungsbefugnisse unberührt bleiben sollten11 • Insbesondere sollte dem Verwaltungsführer (wie auch allgemein dem Betriebsführer) keine Entscheidungsmacht eingeräumt werden, den gesetzlichen oder einzelvertraglich vereinbarten Bestimmungen zuwiderzuhandeln 12. Damit entpuppte sich die Führerstellung im Grunde nur als eine erweiterte Form des Direktionsrechts des Dienstberechtigten, das sowohl in der Weimarer Republik als auch in der Bundesrepublik anerkannt war und ist13. Eine beim Begriff des Führers anklingende Herrschaftsallmacht konnte jedenfalls aus der Norm nicht gefolgert werden. Die Machterweiterung betraf vor allem den einseitigen Erlaß einer Dienstordnung (allgemein nach dem AOG Betriebsordnung), die während der Weimarer Republik als Betriebsvereinbarung durch Konsens zwischen Unternehmer und Betriebsvertretung bzw. durch einen Schlichtungsausschuß zustande kam, die einseitige Verhängung von Bußen nach Maßgabe der Dienstordnung, allgemein die Abschaffung der Mitwirkungsrechte der Betriebsvertretung. Selbst die nationalsozialistische Literatur wies darauf hin, daߧ 2 Abs. 1 S. 1 AOGö (bzw. § 2 Abs. 1 AOG) nur klarstellen wolle, daß ein Mitbestimmungsrecht der Gefolgschaft ausgeschlossen sein sollte14. Das zweite die Dienstgemeinschaft prägende Element schlug sich in § 2 Abs. 2 AOGö nieder. Der Führer der Verwaltung hatte für das Wohl der Beschäftigten zu sorgen. Diese hatten ihm die in der Dienstgemeinschaft begründete Treue zu halten und- wie bei Beamten nach § 3 Abs. 1 S. 3 DBG -eingedenk ihrer Stellung im öffentlichen Dienst in ihrer Diensterfüllung allen Volksgenossen Vorbild zu sein. Wie im allgemeinen Arbeitsrecht 11 Hueck u. a.: AOG, § 2 AOGö Rdnr. 2, § 2 AOG Rdnr. 1; v. Schmeling, Thiel: AOGö, S. 70. 12 Zur Bindung an den Einzelarbeitsvertrag vgl. Hueck: Deutsches Arbeitsrecht, s. 186 f. 13 Hier läßt sich Schumann: Nationalsozialismus und Gewerkschaftsbewegung, S. 118 ff., bei seiner Beurteilung der Führerstellung des Unternehmers durch forsches und militaristisches Wortgeklingel nationalsozialistischer Autoren über die reale Rechtslage täuschen. Nicht die Stärkung des Arbeitgebers zulasten des Arbeitnehmers war der Kerngedanke (so Schumann, S. 121), sondern die völlige Entmachtung der Arbeitnehmer und die teilweise Entmachtung der Arbeitgeber zugunsten des Staates war die Hauptrichtung nationalsozialistischer Rechtspolitik. 14 Vgl. die deutlich zurückhaltende Kommentierung bei Pfundtner, Neubert: Reichsrecht, IV e Nr. 3, § 2 AOG Anm. 1.
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
bedeutete Treue zum Führer der Verwaltung bzw. des Betriebes nicht Treue zu dieser Person als solcher, sondern Treue zu ihm als Mittler der Volksgemeinschaft, der Verwaltungsführer war also das Medium, das dem Dienstnehmer das sachliche Objekt der Treue, nämlich Führer und Reich, vermittelte. Während das Führerprinzip die kompetenzrechtliche Seite der Dienstgemeinschaft darstellte, verkörperte die Treuepflicht die inhaltliche, materielle Seite der Dienstgemeinschaft Das für die Beamten zur Treuepflicht Gesagte galt deshalb genauso für die öffentlichen Dienstnehmer15 • Die Machtverstärkung für den Verwaltungsführer durch Zubilligung des Rechts, eine Dienstordnung zu erlassen, ist im AOGö im Vergleich zum AOG gesteigert worden. Nach §§ 26 ff. AOG mußte der Führer des Betriebes bei einer bestimmten Betriebsgröße eine Betriebsordnung erlassen, die u. a. die tägliche Arbeitszeit, Zeit und Art der Gewährung des Arbeitsentgelts, Grundsätze zu Berechnung des Akkordlohns, Bestimmungen über Betriebsbußen, Gründe zur fristlosen Kündigung, die über die gesetzlich bestehenden hinausgingen, Bestimmungen über die Ordnung des Betriebes und das Verhalten der Beschäftigten enthalten konnte. Im Einzelarbeitsvertrag vereinbarte günstigere Bedingungen hatten allerdings Vorrang(§ 30 AOG). Die starke Position, die dem Führer des Betriebes durch dieses Erlaßrecht ohne Mitwirkung der Gefolgschaft eingeräumt war, wurde dadurch gemildert, daß der Vertrauensrat gegen Entscheidungen des Führers des Betriebes über die Gestaltung der allgemeinen Arbeitsbedingungen, insbesondere über die Betriebsordnung, den staatlichen Treuhänder der Arbeit anrufen konnte, der die Regelung unter Aufhebung der Entscheidung selbst treffen konnte (§§ 16, 19 Abs. 1 Nr. 3 AOG). Die dem Führer des Betriebes gewährte Macht stand also unter staatlicher Aufsicht, so daß letztlich die Staatsmacht verstärkt wurde. Hier weicht die Regelung für den öffentlichen Dienst ab: Es gab gegen die vom Verwaltungsführer erlassene Dienstordnung keine Anrufung des Treuhänders. Die Verwaltungsführer wurden also in diesem Punkt, wie allgemein, nur durch den Vorgesetzten kontrolliert. 3. Der Vertrauensrat
Die Umsetzung des Führerprinzips machte sich am deutlichsten in der Stellung der Betriebsvertretungen bemerkbar. Nach§ 9 des Betriebsrätegesetzes (BRG) 1 waren Betriebe, Geschäfte und Verwaltungen des öffentlichen Rechts der Betriebsratspflicht ebenso unterworfen wie privatrechtliche Unternehmungen. Nach § 3 AOGö wurde ein Vertrauensrat nicht in Verwaltungen gebildet, die Hoheitsbefugnisse ausübten, also mit staatlicher 15 Wacke: Beamtenrecht und Öffentliches Dienstrecht, in: Huber (Hrsg.): Idee und Ordnung des Reiches, S. 12. 1 Vom 04.02.1920 (RGBL I S. 147).
II.3. Der Vertrauensrat
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Befehlsgewalt handelten. Die auch in der Weimarer Republik recht beschränkte Mitwirkung der Betriebsvertretungen wurde dort, wo es um unmittelbare staatliche Herrschaft ging, vollständig abgeschafft, die Einrichtung wurde als mit der Staatsautorität unvereinbar angesehen 2 • Die Aufgabe des Vertrauensrates, soweit er errichtet wurde, beschränkte sich auf die Pflicht, das gegenseitige Vertrauen innerhalb der Gemeinschaft zu vertiefen und für vorbildliche Pflichterfüllung im Dienst der Volksgemeinschaft zu sorgen(§ 4 Abs. 1 AOGö). Die Maßnahmen, deren Beratung sich der Vertrauensrat anzunehmen hatte, betrafen vor allem die Verbesserung des Betriebsschutzes. Schon daraus ergab sich, daß es sich beim Vertrauensrat in erster Linie um ein Hilfsorgan des Verwaltungsführers handeln sollte; die Arbeitsproduktivität stand an erster Stelle. Die Arbeitsbedingungen sollten nur in ihrer "Gestaltung" und "Durchführung" beraten werden, der Begriff "Verbesserung", der einen zu stark interessenbezogenen Ton angeschlagen hätte, wurde vermieden. Außerdem ging es immer nur um Beratung, nicht um Mitwirkung oder gar Mitbestimmung. Schließlich sollte der Vertrauensrat sich um die Beilegung aller Streitigkeiten innerhalb der Verwaltung bemühen(§ 4 Abs. 2 S. 2 AOGö). Wie oben erwähnt, war dem Vertrauensrat im öffentlichen Dienst auch noch das dem Vertrauensrat in der Privatwirtschaft gewährte Recht entzogen, gegen Führerentscheidungen zu den allgemeinen Arbeitsbedingungen den Treuhänder anzurufen. In dieser Aufgabenzuweisung zeigt sich der grundlegende Unterschied zum Betriebsrat in der Weimarer Republik, der die gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber gegenüber wahrzunehmen hatte (§ 1 BRG). Erst an zweiter Stelle wurde dort die Unterstützung des Arbeitgebers in der Erfüllung der Betriebszwecke genannt. Der Wandel der Betriebsvertretung von einem mehr zur Interessenwahrnehmung und Mitwirkung berufenen Organ zum Vollzugsgehilfen des Verwaltungsführers wurde in der nationalsozialistischen Literatur deutlich hervorgekehrt. Der Vertrauensrat habe keine entscheidende Funktion im wörtlichen Sinne, er sei nicht Sachwalter einseitiger Interessen, vielmehr habe er als Organ der Verwaltungsgemeinschaft Mittler gegenseitigen Verstehens zu sein3. Trotz dieser völlig untergeordneten und nicht entscheidungsrelevanten Funktion wurden auffallend viele Vorkehrungen für eine linientreue Besetzung getroffen4 . Nach§ 6 Abs. 1 S. 2 AOGö mußte ein Vertrauensmann der DAF angehören 5 und u. a. die Gewähr bieten, jederzeit für den nationalen 2 Pfundtner, Neubert: Reichsrecht, IVe Nr. 7, § 3 AOGö Anm. 1; Hueck u. a. : AOG, § 3 AOGö Rdnr. 2; v. Schmeling, Thiel: AOGö, S. 18. 3 Ebda., S. 104 ff. 4 Vgl. Schumann: Nationalsozialismus und Gewerkschaftsbewegung, S. 125 ff. 5 Die Richtlinien über die Mitgliedschaft in der DAF schlossen Juden von dieser Organisation aus, damit konnten sie auch nicht Vertrauensleute werden.
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
Staat einzutreten6 . Von Vertrauensleuten wurde also mit der aus dem Beamtenrecht bekannten Standardformulierung des "Gewährbietens" von vomeherein politische Zuverlässigkeit wie von Beamten gefordert. Ein Vertrauensmann, der diese Eigenschaft nicht mehr aufwies, konnte und mußte vom Treuhänder für den öffentlichen Dienst abberufen werden7 • Allgemein konnte ein Vertrauensmann nach§ 12 Abs. 2 AOGö wegen sachlicher oder persönlicher Ungeeignetheit vom Treuhänder abberufen werden. Die Entscheidung des an Regierungsweisungen gebundenen(§ 19 Abs. 1 S. 2 AOGö) Treuhänders war eine verwaltungsrechtliche Maßnahme und deshalb mangels Rechtswegeröffnung vor den Gerichten nicht angreifbar. Durch die Bindung an den nationalen Staat und damit auch und vor allem an die nationalsozialistische Weltanschauung sollte sichergestellt werden, daß der Vertrauensmann das Gesetz auch im nationalsozialistischen Sinne anwandte und nicht verfälschte. Es sollte verhindert werden, daß ein Vertrauensmann die spärlichen Möglichkeiten nutzte, um Interessenvertretung im alten Sinne zu betreibens. Das Amt des Vertrauensmannes war damit vollständig in der Hand des Treuhänders. Die Entscheidung erfolgte zwar durch ihn, die reale Macht lag jedoch wegen der Weisungsbefugnis bei der Reichsregierung. Offensichtlich scheute man aber den nachträglichen personellen Eingriff in den Vertrauensrat, so daß bereits im Vorfeld der Bestellung eine politische Kontrolle eingebaut war: Kandidaturen waren nämlich nicht frei, vielmehr erstellten gemäß § 7 AOGö der Verwaltungsführer im Einvernehmen mit dem Obmann der NSBO (später dem Betriebsobmann der DAF) jährlich die Kandidatenliste. So wurde schon Kandidat nur, wer gleichermaßen der Verwaltungs- und Parteispitze genehm war. Kam keine Einigung zwischen dem Verwaltungsführer und dem Obmann zustande, berief der Treuhänder unanfechtbar die Vertrauensleute, in diesem Fall fand also gar keine Wahl statt. Fehlende Einigung bedeutete der Sache nach Konflikt zwischen Partei und Staat, und die gesetzliche Lösung ging zugunsten des Staates aus, denn der Treuhänder war der verlängerte Arm der Regierung. Eine Abstimmung über die vom Treuhänder bestellten Vertrauensleute sollte wohl vor allem deshalb nicht stattfinden, um der Gefolgschaft keine Gelegenheit zu geben, sich durch Billigung oder Mißbilligung der Treuhänderliste in dem Konflikt auf eine Seite zu stellen. 6 In dem entsprechenden § 8 AOG ist hinter "jederzeit" das weitere Adverb "rückhaltlos" eingefügt, wie es etwa auch für Beamtenbewerber verlangt wurde. Das Fehlen dieses Wortes ausgerechnet für die Vertrauensleute im öffentlichen Dienst kann unmöglich eine Senkung der Anforderungen an die politische Zuverlässigkeit bedeuten und ist wohl ein Redaktionsversehen. 7 § 12 Abs. 2 S. 1 AOGö; zur Abberufungspflicht des Treuhänders bei Wegfall dieses Merkmals vgl. Hueck u. a .: AOG, § 14 Rdnr. 14; v. Schmeling, Thiel: AOGö, s. 182. s Ebda., S. 130.
II.4. Die Soziale Ehrengerichtsbarkeit
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Noch aus einem anderen Grund kam eine Abstimmung über Treuhänderlisten nicht in Frage: Bei einer normal zustande gekommenen Kandidatenliste hatte die Gefolgschaft in geheimer Wahl durch Billigung oder Mißbilligung der Liste Stellung zu nehmen. Es konnten die ganze Liste oder einzelne Kandidaten abgelehnt werden. Gewählt war, wer mindestens die Hälfte der abgegebenen Stimmen erhielt, wer also nicht mehrheitlich abgelehnt (gestrichen) wurde9 . Wurden die Liste oder einzelne Kandidaten unter Erschöpfung der Liste abgelehnt, berief der Treuhänder die notwendigen Vertrauensleute. Der Treuhänder entschied also bei Ablehnung der Liste sowieso, so daß sich eine Abstimmung über eine Treuhänderliste erübrigte. Die Regelung kann insgesamt nicht als demokratische Wahlordnung für einen Vertrauensrat bezeichnet werden: Die Kandidaten wurden berufen, die Gefolgschaft konnte die Vorschläge entweder annehmen, oder es wurden die Vertrauensleute oktroyiert. Außerrechtliche Zwänge wie etwa die demonstrativ offene Abgabe des unveränderten und damit zustimmenden Stimmzettels, um die Verbundenheit mit und die Unterstützung der Führung zu bekunden, bleiben in dieser Untersuchung unberücksichtigt1°. So wurde bereits durch das Wahlverfahren die politische Zuverlässigkeit gesichert, sollte wider Erwarten ein gewählter Vertrauensmann politisch unliebsam werden, konnte er kurzerhand durch den Treuhänder abgesetzt werden. Angesichts der rechtlichen Bedeutungslosigkeit des Vertrauensrates waren diese Vorsichtsmaßregeln überraschend scharf. Sie zeigen wohl, mit welcher Sorge die Nationalsozialisten Opposition aus der Arbeitnehmerschaft betrachteten. Ab 193811 war die Amtszeit der 1935 gewählten Vertrauensmänner, deren Amtszeit vorher bereits verlängert worden war, unbegrenzt, und es wurde somit überhaupt von Wahlen abgesehen. Von da an berief nur noch der Treuhänder die notwendigen Vertrauensmänner12 • 4. Die Soziale Ehrengerichtsbarkeit Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes wurden wie auch alle privatwirtschaftlich Beschäftigten einschließlich des Verwaltungs- bzw. Betriebsführers einer eigenen Disziplinargerichtsbarkeit unterworfen!. Danach konnten gröbliche Verletzungen der durch die Betriebs- bzw. Dienstgemeinschaft begründeten Pflichten von besonderen Ehrengerichten mit ehrenge9 §§ 7 ff. der Zweiten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 10.03.1934 (RGBl. I S. 187) i.V.m. § 15 AOGö. 10 Trotzdem waren die Ergebnisse der Vertrauenswahlen für die Nationalsozialisten enttäuschend, vgl. Schumann: Nationalsozialismus und Gewerkschaftsbewegung, s. 127 ff. n Gesetz über die Verlängerung der Amtsdauer der Vertrauensräte vom 01.04.1938 (RGBl. I S. 358). 12 Hueck u. a .: AOG, 3. Aufl., § 9 AOG Rdnr. 1 ff. I § 20 AOGö i.V.m. §§ 35 ff. AOG.
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
richtlichen Strafen bis hin zur Entfernung vom bisherigen Arbeitsplatz geahndet werden. Aufbau und Verfahren der Gerichtsbarkeit waren dem Disziplinarrecht für Beamte und dem Strafprozeßrecht entlehnt. Um die Unabhängigkeit der Richter war es schlecht bestellt2. Der Vorsitzende des Ehrengerichts, ein Berufsrichter, konnte jederzeit vom Reichsminister der Justiz, der ihn im Einvernehmen mit dem Reichsarbeitsminister auch ernannte, seines Amtes enthoben werden3. Die Beschränkung der Absetzbarkeit des Richters nach Art. 104 WRV und§ 8 GVG erstreckte sich nur auf die ordentliche Gerichtsbarkeit, im AOG war eine solche Garantie nicht vorgesehen. Die beiden Laienbeisitzer des Ehrengerichts, ein Verwaltungsführer und ein Vertrauensmann, wurden von der DAF benannt, soweit es um den Vertrauensmann ging, vom Reichsarbeitsminister im Einvernehmen mit dem Reichsfinanzminister und dem RMdl, soweit es um den Verwaltungsführer ging4 . Da die Gefolgschaftsseite nur durch Vertrauensmänner vertreten werden durfte, diese aber jederzeit vom Treuhänder wegen fehlender politischer Zuverlässigkeit amtsenthoben werden konnten, mußte in einem solchen Fall der Vorsitzende des Ehrengerichts den betroffenen Beisitzer wegen Wegfalls einer Mußvoraussetzung seinerseits amtsenthebens. Einen Verwaltungsführer konnte die Verwaltungsspitze auf einen Gefolgschaftsposten versetzen, so daß er nicht Beisitzer bleiben konnte. Damit konnte die Reichsregierung bzw. der Justizminister zumindest negativ Richter auslesen. Zusätzlich sah § 7 der Dritten DVO zum AOG vor, daß ein Beisitzer, der seine Amtspflicht grob verletzte, vom Reichsehrengerichtshof seines Amtes enthoben werden konnte. Der Reichsehrengerichtshof, der in zweiter und letzter Instanz Berufungsgericht war, wurde mit fünf Richtern besetzt: Zwei Richter wurden vom Reichsminister der Justiz im Einvernehmen mit dem Reichsarbeitsminister ernannt und konnten auch von ihnen jederzeit amtsenthoben werden. Zwei Beisitzer wurden wie beim Ehrengericht aus der Gruppe der Verwaltungsführer und der Gruppe der Vertrauensmänner benannt. Ein fünftes Mitglied bestimmte die Reichsregierung, die dies frei für bestimmte Dauer oder von Fall zu Fall tun konnte und die diesen Beisitzer auch jederzeit abberufen konntes. Der Einfluß der Reichsregierung bzw. des Reichsjustizministers auf die Besetzung des 2 Schumann: Nationalsozialismus und Gewerkschaftsbewegung, S. 124 f., überschätzt den staatsanwaltschaftsähnlich ausgestalteten Einfluß des Treuhänders auf das Ehrengericht zulasten der personalpolitischen Manipulierungsmöglichkeiten der Regierung hinsichtlich der Richterstellen. 3 Hueck u. a.: AOG, § 41 Rdnr. 9. 4 § 3 der Dritten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 28.03.1934 (RGBl. I S. 255), § 2 der Zweiten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Ordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben vom 13.06.1934 (RGBl. I S. 516). s Hueck u. a. : AOG, § 41 Rdnr. 17, 26. 6 §50 AOG i.V.m. § 20 AOGö, § 10 der 3. DVO zum AOG; vgl. auch Hueck u. a.: AOG, § 50 Rdnr. 8 ff.
Il.4. Die Soziale Ehrengerichtsbarkeit
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Reichsehrengerichts war damit noch stärker als bei den Ehrengerichten, denn von dieser Seite wurden drei der fünf Richter unmittelbar beherrscht7 , während der Verwaltungsführer und der Vertrauensmann als Beisitzer nur mittelbar beherrscht wurdens. Die Einleitung eines Ehrengerichtsverfahrens, die durch den Treuhänder erfolgte, war im öffentlichen Dienst erschwert, wenn es sich gegen einen Verwaltungsführer richtete: Nach§ 20 Abs. 2 S. 1 AOGö unterfielen Beamte grundsätzlich nicht der Sozialen Ehrengerichtsbarkeit. Verwaltungsführer waren aber zumeist Beamte9. Gegen angestellte Verwaltungsführer durfte ein Ehrengerichtsverfahren nur mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde eingeleitet werden(§ 20 Abs. 2 S. 2 AOGö). Wie schon der Ausschluß der Anrufung des Treuhänders gegen Verwaltungsführerentscheidungen gezeigt hat, sollte auch im Ehrengerichtsverfahren dem Treuhänder keine Möglichkeit gegeben werden, so umfassend in die Verwaltung einzugreifen, wie ihm dies für die Privatwirtschaft gestattet war. Die gröbliche Verletzung der durch die Betriebsgemeinschaft begründeten sozialen Pflichten wurde in § 36 AOG in vier Tatbestände abschließend aufgegliedert. So lag eine Verletzung gemäߧ 36 Abs. 2 Nr. 2 AOG dann vor, wenn ein Angehöriger der Gefolgschaft den Arbeitsfrieden im Betrieb durch böswillige Verhetzung der Gefolgschaft gefährdete oder den Gemeinschaftsgeist innerhalb der Betriebsgemeinschaft fortgesetzt böswillig störte 1o. Soweit dies aus den veröffentlichten Entscheidungen des Reichsehrengerichtshofs und der Ehrengerichte in der ARS ablesbar ist, diente die Soziale Ehrengerichtsbarkeit aber trotz der weit auslegungsfähigen Straftatbestände nicht in erster Linie der politischen Disziplinierung der Beschäftigten. Hauptbetroffene waren vielmehr Unternehmer als Führer des Betriebes und von ihnen bestellte Aufsichtspersonen, die abgeurteilten Straftatbestände betrafen vor allem Ausbeutung der Arbeitskraft und Ehren7 Allerdings bedurfte es für dem Angeklagten nachteilige Entscheidungen über die Schuldfrage und die Strafhöhe wie im Strafverfahren einer Zweidrittelmehrheit, hier also vier Stimmen, §§ 40 S. 1 AOG, 263 StPO. 8 Angesichts des überragenden Einflusses des Staates auf die Richterstellenbesetzung und angesichts der Tatsache, daß Verwaltungs- (Betriebs-)führer und Gefolgschaft paritätisch im Spruchkörper vertreten waren, ist es schlichtweg falsch, die Soziale Ehrengerichtsbarkeit als "eine moderne Form feudaler Strafgewalt" zu bezeichnen, so.Schumann: Nationalsozialismus und Gewerkschaftsbewegung, S. 124. Kennzeichen feudaler Strafgewalt ist das vom Herrscher übertragene gerichtshoheitliche Vorrecht eines Lehnsmannes. Wie dargestellt, hat der Staat weder die Hoheit der Ehrengerichtsbarkeit aus den Händen gegeben, noch eine Seite mit Vorrechten versehen. 9 Hueck u . a .: AOG, § 8 AÖGö. 10 Die übrigen Tatbestände lauteten: Mißbrauch der Unternehmermachtstellung durch böswilliges Ausnutzen der Arbeitskraft oder Ehrenkränkung; leichtfertige, unbegründete Beschwerden oder Anträge an den Treuhänder der Arbeit oder hartnäckiges Zuwiderhandeln gegen dessen schriftliche Anordnungen; unbefugtes Offenbaren vertraulicher Informationen durch einen Vertrauensmann.
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
kränkung, in zweiter Linie auch hartnäckiges Zuwiderhandeln gegen schriftliche Anordnungen des Treuhänders. Von den 154 abgedruckten Entscheidungen der Ehrengerichte in der ARS (77 des REGH, 77 der SozE) richteten sich 140 Verfahren gegen Unternehmer oder Aufsichtspersonen (72 des REGH, 68 der SozE), nur zwölf Verfahren richteten sich gegen Gefolgschaftsmitglieder in Nichtführungspositionen (3 des REGH, 9 der SozE) 11 • Von diesen zwölf Entscheidungen können nur zwei als politisch eingesetzte Zwangsmittel angesehen werden: In einem Fall hatte der betreffende Arbeitnehmer anläßlich eines Gemeinschaftsempfanges einer Führerrede aus religiösen Gründen weder beim "Sieg Heil!" auf den Führer noch beim Absingen der Nationallieder mitgemacht und auch den rechten Arm nicht erhoben. Er wurde vom Gericht der böswilligen Störung des Gemeinschaftsgeistes innerhalb der Betriebsgemeinschaft für schuldig befunden. Das Gericht führte aus, daß es der heutigen Staatsführung darauf ankomme, das ganze schaffende Volk im Geiste des Nationalsozialismus zusammenzufassen; dazu gehöre eine Betriebsgemeinschaft, die von nationalsozialistischem Geist erfüllt sei. Dem zu fordernden echten Gemeinschaftsgeist und der kameradschaftlichen Gesinnung widerspreche es, sich dann, wenn die Gefolgschaft geschlossen versammelt sei (Gemeinschaftsempfang, Betriebsversammlung), so zu verhalten, daß angenommen werden müsse, man sei anderer Gesinnung, als sie nach den Grundsätzen der nationalsozialistischen Staatsführung gefordert werde 12. Warum dieser Fall vor die Ehrengerichte kam und nicht durch fristlose Entlassung seitens des Unternehmers gelöst wurde, wie es ebenfalls möglich gewesen wäre, ergibt sich auch aus dem Urteil: Der Betriebsinhaber war Jude, so daß von ihm nicht erwartet werden konnte, kraft seiner Stellung als Dienstberechtigter gegen das Verhalten des Angeklagten einzuschreiten. Die berufliche Ahndung konnte also nur durch ein vom Treuhänder eingeleitetes Ehrengerichtsverfahren erfolgen. Der zweite, als politisch anzusehende Fall betraf einen Streik13. Das Gericht verurteilte die Streikführerin ehrengerichtlich und führte aus: "Im nationalsozialistischen Staat sind Arbeitskämpfe, wie Streik und Aussperrung, undenkbar. Wenn auch Arbeitskämpfe nicht ausdrücklich verboten u Zwei Entscheidungen des REGH lassen sich wegen ihres rein prozessualen Inhalts nicht zuordnen. 12 REGH, ARS 32, 58 (63 f.). 13 SozE Mitteldeutschland, ARS 26, 193 (196); vgl. dazu Doerner: Die Verletzungen der sozialen Ehre, in: DtArbR 1934, 244, der in dem Straftatbestand der Gefährdung des Arbeitsfriedens und der Störung des Gemeinschaftsgeistes den Zweck sah, die Wiedererweckung des Klassenkampfes, z. B. den Versuch, kollektive Arbeitskämpfe anzuzetteln, Streikaufforderung, Verkündung marxistischer und kommunistischer Ideen zu verhindern.
II.4. Die Soziale Ehrengerichtsbarkeit
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sind, so folgt dies doch aus§ 1 AOG, wonach im Betrieb der Unternehmer als Führer des Betriebes und die Gefolgschaft gemeinsam zur Förderung der Betriebszwecke und zum gemeinsamen Nutzen von Volk und Staat arbeiten. Die in der Deutschen Arbeitsfront zusammengefaßten Betriebsführer und Gefolgschatten stehen sich im nationalsozialistischen Staat nicht mehr in Auswirkung des Prinzips des Klassenkampfes einander gegenüber, vielmehr liegt ihr Interesse infolge des obersten Grundsatzes "Gemeinnutz geht vor Eigennutz" in derselben Linie. Arbeitskämpfe sind somit Verstöße gegen das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit." Abgesehen von diesen vereinzelten Fällen scheint die Soziale Ehrengerichtsbarkeit vor allem ein Organ des Arbeitnehmerschutzes gegen einen "gemeinschaftswidrigen Herr-im-Haus-Standpunkt" der Unternehmer gewesen zu sein, der sich in ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und in der Mißachtung der Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers1 4 niederschlug. Angesichts der totalen Entmachtung der in Vertrauensräte umgewandelten Betriebsräte und der Zerschlagung der Gewerkschaften, also angesichts der Auflösung der in erster Linie auf die Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen gerichteten Institutionen, ging ein Teil des auch von den Nationalsozialisten als berechtigt anerkannten Schutzes der Arbeitnehmer vor schlechten Arbeitsbedingungen auf den Staat, nämlich den Treuhänder, über, der die Einleitung des Ehrengerichtsverfahrens in der Hand hatte. In zweiter Linie hatte die Ehrengerichtsbarkeit den Zweck, die Autorität des Treuhänders durch den Straftatbestand "hartnäckiges Zuwiderhandeln gegen schriftliche Anordnungen des Treuhänders" zu stärken. Auf eine Formel gebracht läßt sich sagen, daß die Ehrengerichtsbarkeit die Ablösung des kollektiven Selbstschutzes der Arbeitnehmer durch Gewährung staatlichen Schutzes bedeutetel5. Zur Disziplinierung der Arbeitnehmer hatte der Arbeitgeber ausreichende arbeitsrechtliche Möglichkeiten in der Hand, namentlich die fristlose Entlassung. Erst später, als wegen Arbeitskräftemangels dieses Schwert stumpf wurde, schien die Soziale Ehrengerichtsbarkeiteine eigenständige Disziplinierungsfunktion zu gewinnen16. Hier kam häufig die übermäßige Züchtigung von Lehrlingen vor. Ohne Beleg und rein emotional ist die Bewertung der Sozialen Ehrengerichtsbarkeitdurch Schumann: Nationalsozialismus und Gewerkschaftsbewegung, S. 125, sie sei ideologisch getarntes Zwangsmittel zur Beherrschung der arbeitenden deutschen Menschen, sie sei Aufseher und Peitsche gewesen, welche die Arbeitnehmer den Anforderungen der Rüstungswirtschaft zu unterwerfen hätte. A.A. ist Kranig: Arbeitsrecht und Nationalsozialismus, in: Rottleuthner (Hrsg.): Recht, Rechtsphilosophie und Nationalsozialismus, S . 110, 112, der der Sozialen Ehrengerichtsbarkeit bescheinigt, wirksam zur Eindämmung unsozialen Arbeitgeberverhaltens beigetragen zu haben; nach Mason: Sozialpolitik im Dritten Reich, S. 119 Fn. 49, bildeten Inhaber kleiner Betriebe die größte Gruppe unter den Angeklagten. 16 SozE Brandenburg, ARS 32, 217, in einem Fall, in dem ein Facharbeiter den Betrieb wechseln wollte, ihm dies aber wegen der Bedeutung der Arbeit für den Vierjahresplan nicht gestattet wurde und er die Entlassung durch Beleidigungen und 14 15
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
Die auf den Arbeitnehmerschutz konzentrierte Hauptaufgabe der Ehrengerichtsbarkeit ist wohl der Grund dafür, daß sie im öffentlichen Dienst praktisch keine Rolle spielte, wie aus den veröffentlichten Entscheidungen hervorgeht, die fast alle nur die Privatwirtschaft betrafen. Im Gegensatz zur Privatwirtschaft hatte der Staat im öffentlichen Dienst sowieso alle Macht: Die Verwaltungsführer standen in der weisungsgebundenen Verwaltungshierarchie, so daß ihr Verhalten keiner zusätzlichen Außensteuerung bedurfte. Disziplinverstöße eines im öffentlichen Dienst Beschäftigten konnte der öffentlich-rechtliche Arbeitgeber auf arbeitsrechtlichem Wege ahnden. Neben der Disziplinarunterworfenheit unter die Soziale Ehrengerichtsbarkeit, die lediglich für bestimmte Pflichtverletzungen als Verstöße gegen die soziale Ehre zuständig war, gab es keine allgemeine Disziplinarunterworfenheit für jedwede Arbeitspflichtverletzung, wie dies bei Beamten mit ihrer Dienststrafgerichtsbarkeit der Fall war. Nach §§ 27 Abs. 1 Nr. 4, 28 AOG konnten jedoch in der vom Führer des Betriebes zu erlassenden Betriebsordnung für Verstöße gegen die Ordnung und Sicherheit des Betriebes Bußen festgesetzt werden, die höchstens die Höhe eines Tagesarbeitsverdienstes erreichen durften. Diese Bußen wurden nicht, wie in der Weimarer Republik, als Vertragsstrafen, sondern als eigenständige, aus der Gewaltunterworfenheit des Gefolgschaftsmitgliedes innerhalb der Betriebsgemeinschaft sich rechtfertigende Disziplinarstrafe angesehenl 7 • Für den öffentlichen Dienst war die gesetzliche Einengung der Festlegung von Bußen in vom Verwaltungsführer zu erlassenden Dienstordnungen beseitigt: Weder war die Verhängung auf Verstöße gegen die Ordnung und Sicherheit des Betriebes beschränkt, noch bestand eine Betragsbegrenzung auf die Höhe eines Tagesarbeitsverdienstes. Angesichts der Tatsache, daß im öffentlichen Dienst weder die Dienstordnung vor dem Treuhänder angefochten werden konnte, noch der Vertrauensrat vor der Verhängung der Buße gehört werden mußte, stellte dies für den Verwaltungsführer ein starkes Herrschaftsinstrument dar. Zwar konnte der Betroffene, nachdem vom Verwaltungsführer eine Buße gegen ihn verhängt worden war, auf Feststellung der Unwirksamkeit der Festsetzung oder auf Auszahlung des ungekürzten Lohns vor den Arbeitsgerichten klagen18 , die die Festsetzung tatsächlich und rechtlich überprüften. Jedoch waren sie an die Dienstordnung als autonome Satzung und damit geltendes Recht gebunden. Darüber hinaus konnte eine in der Gewalttätigkeiten provozieren wollte. Wegen der Art der ehrengerichtliehen Strafen (Warnung, Verweis, Ordnungsstrafe bis 10.000,00 RM, Aberkennung der Befähigung, Führer des Betriebes zu sein oder das Amt eines Vertrauensmannes auszuüben, Entfernung vom bisherigen Arbeitsplatz) war ein Ehrengerichtsverfahren in solchen Fällen nur beschränkt tauglich, da die Höchststrafe vom Betroffenen gerade angestrebt wurde. 17 Hueck u. a.: AOG, § 28 Rdnr. 2 ff.; Dietz, ZBR 7 (1936/ 37), 244 Fn. 10. 1s Ebda., 244 f. ; Hueck u. a., a.a.O., § 28 Rdnr. 28.
1!.5. Die Kündigung
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Dienstordnung vorgesehene strafweise Entlassung im Gegensatz zur fristlosen Kündigung zum Verlust von Versorgungsansprüchen oder Ansprüchen auf Abgangsentschädigung führenl9. Ob die weitgehende Rechtsmacht von den Verwaltungsführern dazu genutzt wurde, in Dienstordnungen Bußen festzulegen, bleibt unklar. Für die Zeit vor Erlaß der neuen Tarifordnungen für den öffentlichen Dienst vom 01. April 1938 wurde behauptet, daß Disziplinarstrafen in Dienstordnungen festgelegt worden seien2o. Für die Zeit danach soll dies nicht der Fall gewesen sein21. Jedenfalls sehen etwa die Gemeinsamen Dienstordnungen des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern22 und die Besonderen Dienstordnungen des Reichsministers der Justiz23 für die jeweils betroffenen Verwaltungsbereiche keine Bußen vor. Es hat den Anschein, daß derartige Disziplinarstrafen für die Aufrechterhaltung der Disziplin im nichtbeamteten öffentlichen Dienst keine nennenswerte Rolle gespielt haben. 5. Die Kündigung
Als Mittel der Beherrschung der Arbeitnehmer war die Kündigung von großer Bedeutung. Nach§ 626 BGB konnte das Dienstverhältnis ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden, wenn ein "wichtiger Grund" vorlag. Allerdings konnte sich der gekündigte Angestellte und Arbeiter mit einer Klage vor dem Arbeitsgericht zur Wehr setzen, das voll nachprüfte, ob ein wichtiger Grund vorlag. Die Arbeitsgerichte bewerteten abweichendes politisches Verhalten in unterschiedlichem Ausmaß als einen Grund, der es für die Verwaltung oder den Betrieb unzumutbar machte, das Gefolgschaftsmitglied bis zum nächsten ordentlichen Kündigungstermin weiterzubeschäftigen. Die Arbeitsgerichtsbarkeit bewegte sich dabei etwa auf folgender Linie: Erstens hing das Ausmaß der zu fordernden politischen Linientreue davon ab, welche Stellung das Gefolgschaftsmitglied innerhalb der Verwaltung bzw. des Betriebes hatte. Staatsfeindliche, insbesondere kommunistische Betätigung war in jeder Position auch in der Privatwirtschaft ein wichtiger Kündigungsgrund1. Als staatsfeindlich konnte schon die grundsätzliche Ablehnung des WHW oder das demonstrative Verlassen einer Betriebsversammlung unmittelbar vor dem Gruß an den Führer und dem Absingen der Nationalhymnen angeDietz, ZBR 7 (1936/37), 245 f. Ebda., 243, 246. 21 Wacke: Öffentliches Dienstrecht, S. 55. 22 RdErl. vom 03.05.1938 (MBliV Sp. 767 ff.) 23 AVvom 17.06.1938 (DJ S. 964 ff.). 1 LAG Leipzig, ARS 22, 12 (14); Frankfurt, ARS 19, 207 (208 f.). 19
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8 Schneider
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
sehen werden2 • Von leitenden Angestellten hingegen wurde verlangt, daß sie die richtige Einstellung zur nationalsozialistischen Idee hatten oder sich bei altersbedingten Umstellungsschwierigkeiten - jedenfalls ernsthaft darum bemühten und dies in ihrem beruflichen und außerberuflichen Verhalten zum Ausdruck kommen ließen3 . Zweitens wurde über die oben genannten, für die Privatwirtschaft geltenden Grundsätze hinaus von den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes generell und unabhängig von der konkreten Position politische Zuverlässigkeit erwartet. Die Angestellten hatten sich das nationalsozialistische Gedankengut zu eigen zu machen und ihr Verhalten danach einzurichten4. Alle Gefolgschaftsmitglieder, auch die mit untergeordneten Tätigkeiten beschäftigten, hatten "national zuverlässig" zu sein5 , die Angestellten mußten voll auf dem Boden des Nationalsozialismus stehen und sich uneingeschränkt hinter die Maßnahmen und Absichten der Regierung und Partei stellen6 . Jeder Angestellte und Arbeiter im öffentlichen Dienst mußte sich rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einsetzen7 . Die Arbeitsgerichte verwandten also Begriffe zur Umschreibung der zu fordernden politischen Treue, die den entsprechenden beamtenrechtlichen Begriffen glichen. Anfänglich wurde die fristlose Entlassung nicht schon damit begründet, daß bei dem Betroffenen nicht mehr die Gewähr für das rückhaltlose Eintreten für den nationalsozialistischen Staat gegeben sei, sondern weitergehend damit, daß die Gegnerschaft zum Staat festgestellt wurdes. Später genügte dem RAG, daß der Angestellte durch Handlungen, insbesondere Äußerungen, unter Umständen auch schon durch bloße Unterlassungen, ernstliche Bedenken gegen seine politische Zuverlässigkeit erweckt hatte, auch wenn der Makel der Staatsfeindlichkeit nicht festgestellt werden konnte9 • Damit reichten also Umstände, die beim Beamten die Zwangspensionierung rechtfertigten, beim Arbeitnehmer zur fristlosen Kündigung. Soweit die Gerichte im Einzelfall das Vorliegen eines wichtigen Grundes verneinten und damit die Rechtswidrigkeit der fristlosen Kündigung feststellten, konnte aber immer noch eine ordentliche Kündigung zulässig sein. So konnten weniger schwere Verfehlungen, etwa die Weigerung, der DAF beizutreten, als ein Umstand angesehen werden, der die Kündigungsschutzvorschrift des §56 Abs. 1 AOG überwand 10 • Nach dieser Vorschrift konnte RAG, ARS 46, 24 (29 f.); LAG Leipzig, ARS 45, 65 (67); Karlsruhe ARS 21, 95 (97). RAG, ARS 38, 226 (231). 4 RAG, ARS 34, 205 (207). s LAG Krefeld-Uerdingen, ARS 36, 105 (106). 6 LAG Breslau, ARS 32, 65 (67). 7 LAG Leipzig, ARS 23, 110 (111). s RAG, ARS 30, 127 (129). 9 RAG, ARS 41, 27 (29 f.). 2
3
II.5. Die Kündigung
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der ordentlich Gekündigte unter bestimmten Voraussetzungen auf Widerruf der Kündigung klagen, wenn diese "unbillig hart" war. Eine Kündigung wurde aber im Beispielsfall als nicht unbillig hart angesehen, wenn der Gekündigte sich selbst außerhalb der Betriebsgemeinschaft gestellt habe. Neben den verschärften politischen Verhaltenspflichten für öffentlich Bedienstete entwickelte sich in einem Sonderbereich eine Verstärkung der Bedeutung politischer Beurteilungen durch die Partei. Anfänglich stand das RAG auf dem mit der vornationalsozialistischen Rechtsprechung im Einklang stehenden Standpunkt, das Gericht habe alles eigenständig nachzuprüfen, insbesondere unabhängig von politischen Beurteilungen durch die Partei die politische Zuverlässigkeit des Gefolgschaftsmitgliedes selbst zu beurteilen, und zwar nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite hin11 . Immer kam aber der Bewertung etwa durch den Kreisleiter der NSDAP auch für das Gericht eine außerordentliche Bedeutung zu, ohne daß dies rechtlich weiter qualifiziert wurde12. Das RAG schränkte dann aber den Grundsatz der vollen Überprüfbarkeit für Mitarbeiter der der NSDAP angeschlossenen Verbände einl3. Diese seien der Partei so eng verbunden, daß die bloße Erklärung des zuständigen Hoheitsträgers der Partei, der Mitarbeiter sei politisch unzuverlässig, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darstelle. Die Beherrschung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst konnte sich also auch auf das hergebrachte Mittel der Entlassung stützen. Die nach dem BGB oder Kündigungsschutzvorschriften errichteten Schranken gegen Entlassungen bestanden aus unbestimmten Rechtsbegriffen (wichtiger Grund, unbillig hart), die dem Zeitgeist entsprechend interpretiert werden konnten und wurdenl 4 • Für das politische Verhalten der Staatsbediensteten bedeutete dies eine Angleichung ihrer Rechtsstellung an die der Beamten: Was bei Beamten zu Dienststrafverfahren mit dem Ziel der Entfernung aus dem Amt führte, bedeutete für Angestellte und Arbeiter im öffentlichen Dienst fristlose Entlassungl5. 1o LAG Leipzig, ARS 30, 202 (207 ff.); Berlin, ARS 29, 178; Schneidemühl, ARS 26, 19 (20). n RAG, ARS 30, 22 (28 ff.). 12 RAG, ARS 35, 269 (275). 13 RAG, ARS 36, 158 (160 f.); 33, 22 (24 ff.). 14 Bei der Bewertung des Kündigungsgrundes dürfe es kein subjektivistisch-individualistisches Herangehen geben, entscheidend seien die gemeinschaftsbezogenen Belange, so Joerges: Der wichtige Grund zur fristlosen Aufhebung des Arbeitsverhältnisses, in: DtArbR 1942, 100; vgl. auch Breucker: Gemeinschaftswidrigkeit als Kündigungsgrund in der neuesten arbeitsgerichtliehen Rechtsprechung, in: JW 1936, 1189 ff; allgemein zur nationalsozialistischen Uminterpretation des Begriffs "wichtiger Grund" vgl. Rüthers: Die unbegrenzte Auslegung, S. 237 ff. 1s Vgl. die Einzelfälle bei Wacke: Öffentliches Dienstrecht, S. 93; Staudinger, Nipperdey: BGB, § 626 Rdnr. 32.
s•
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
6. Die Tarifordnungen Eines der herausragenden Merkmale des nationalsozialistischen Arbeitsrechts war die Beseitigung der Tarifautonomie. Während in der Weimarer Republik der Inhalt der arbeitsrechtlichen Pflichten durch Kollektivvereinbarungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen für die von den Organisationen erfaßten Mitglieder geregelt werden konnte, wurde diese Funktion bereits 1933 den Treuhändern der Arbeit übertragen!. Endgültig verankert wurde diese Institution im AOG und AOGö. Nach § 19 Abs. 1 S. 2 AOGö war der Treuhänder für den öffentlichen Dienst2 an Richtlinien und Weisungen der Reichsregierung gebunden, ernannt wurde er vorn Führer und Reichskanzler. Nach § 18 Abs. 2 AOGö konnte der Treuhänder die Dienstverhältnisse der Angestellten und Arbeiter durch Tarifordnungen regeln, die die Rechtsqualität von Rechtsverordnungen hatten3 und als Mindestbedingungen galten. Allerdings war seine Tarifmacht bei Angestellten nur auf versicherungspflichtige Personen beschränkt, die höher bezahlten Angestellten waren also ausgenommen. Der Zweck dieser von der Regelung in der Privatwirtschaft nach dem AOG abweichenden Beschränkung war, dem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn in diesen Fällen völlig freie Hand für den Inhalt von Arbeitsverträgen zu lassen4 . Die vorn Treuhänder zu erlassenden Tarifordnungen galten jedoch im Ergebnis auch für diese Angestelltengruppe: Nach Nr. 2 der Allgerneinen Dienstordnung vorn 10. Mai 19385 waren die entsprechenden Tarifordnungen bis auf einzelne untergeordnete Punkte entsprechend anzuwenden. Gegenüber dem Treuhänder der Arbeit nach dem AOG hatte der Reichstreuhänder für den öffentlichen Dienst eine weitaus stärkere Tarifrnacht: Während jener Tarifordnungen nur erlassen durfte, wenn zum Schutze der Beschäftigten einer Gruppe von Betrieben die Festsetzung von Mindestbedingungen zur Regelung der Arbeitsverhältnisse zwingend geboten war (§ 32 Abs. 2 S. 1 AOG), gab es für diesen keine inhaltliche Beschränkung. Er konnte also insbesondere Bestimmungen erlassen, die ausschließlich im Interesse des Dienstes lagen6. So läßt sich feststellen, daß der von den Arbeitnehmern erreichte Schutz, die Arbeitsbedingungen nicht im Einzelvertrag zwischen dem Unternehmer Gesetz über Treuhänder der Arbeit vom 19.05.1933 (RGBl. I S. 285). Die nach § 18 AOGö vorgesehenen, von Fall zu Fall oder für längere Zeit zu bestellenden, nach Verwaltungsgruppen getrennten Sondertreuhänder für den öffentlichen Dienst wurden in fast allen Aufgaben abgelöst durch einen für das gesamte Reichsgebiet zuständigen Reichstreuhänder für den öffentlichen Dienst, §§ 1, 2 und 6 der Vierten Verordnung zur Durchführung des AOGö vom 26.02.1938 (RGBl. I S. 228). 3 Von Schmeling, Thiel: AOGö, S. 219. 4 Wacke: Öffentliches Dienstrecht, S. 250. 5 RGBl. I S. 512. 6 Hueck u. a.: AOG, § 18 AOGö Rdnr. 3; Wacke: Öffentliches Dienstrecht, S. 251. 1
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II.6. Die Tarifordnungen
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und dem Beschäftigten auszuhandeln, bei dem dieser regelmäßig der wirtschaftlich und damit häufig auch der von der Verhandlungsposition her Unterlegene ist, sondern durch arbeitsmarktmächtige Koalitionen (Gewerkschaften) zu regeln, im Dritten Reich zugunsten eines staatlichen Diktats abgelöst wurde. Der Ausschluß der Arbeitnehmer und Arbeitgeber von der Mitsprache über die Gestaltung der Arbeitsbedingungen wurde nur wenig dadurch gemildert, daß vor Erlaß der Tarifordnung ein Sachverständigenausschuß zu hören war, dessen Zusammensetzung maßgeblich durch die DAF bestimmt wurde (§ 18 Abs. 2 S. 1 AOGö i.V.m. § 5 Abs. 1 der 4. DVO zum AOGö). Besonders schmerzlich für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst war, daß sie wegen der Zulässigkeit von Tarifnormen, die ausschließlich im Interesse des Dienstes lagen, auch von der Mitwirkung an Vorschriften ausgeschlossen waren, die sie nur belasteten. Durch das Tarifrecht wurde der Reichsregierung gerade im öffentlichen Dienstrecht eine erdrükkende Übermacht gegenüber den Beschäftigten eingeräumt. Der Reichstreuhänder für den öffentlichen Dienst machte von seiner Tarifmacht Gebrauch durch die Allgemeine Tarifordnung (ATO), die Tarifordnung A (für Angestellte) und die Tarifordnung B (für Arbeiter) für Gefolgschaftsmitglieder im öffentlichen Dienst vom 01. April1938 7 • Besonders durch diese Tarifordnungen wurde das Recht der Staatsbediensteten an das Beamtenrecht inhaltlich zum Teil wörtlich angeglichens. Bereits das AOGö sah in § 2 Abs. 2 vor, daß die Staatsbediensteten allen Volksgenossen ein Vorbild in der Diensterfüllung zu sein hätten 9 • Daß das außerdienstliche Verhalten der Arbeitnehmer wie bei Beamten von Bedeutung war, ergab sich aus dem gemeinsamen Vorspruch für die Tarifordnungen, wonach ein der öffentlichen Stellung angemessenes Verhalten in und außer Dienst gefordert wurde1o. Die Gehorsamspflicht, die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit, das Verbot der Geschenkannahme waren ebenfalls wörtlich fast gleich geregelt, und zwar auch hinsichtlich des Vorrangs der dienstlichen Bindung vor der Bindung an die Partei 11 . Auch in dem entscheidenden Punkt der bedingungslosen Verpflichtung auf den Nationalsozialismus und der Treue zum Führer bestand praktisch kein Unterschied zum Beamten. In den inhaltsgleichen Vorsprüchen zu den Tarifordnungen, die nach nationalsozialistischem Gesetzgebungsbrauch maßgebliche Bedeutung für die Auslegung der Normen hatten12 , wurde die 7 RArbEL VI S . 471, 475, 489. a Wacke: Öffentliches Dienstrecht, S. 19. 9 Für Beamte§ 3 Abs. 2 S. 3 DBG. 1o Für Beamte § 3 Abs. 3 DBG. 11 Für Arbeitnehmer §§ 3, 4, 5 Abs. 1 ATO, für Beamte §§ 7 Abs. 2 und 3, 8, 15 S. 1 DBG. 12 Wacke: Öffentliches Dienstrecht, S. 27; Huber: Der Führer als Gesetzgeber, in: DR 1939, 276.
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
Zusammenfassung aller im öffentlichen Dienst Schaffenden als Dienstgemeinschaft mit dem Zusatz ,.im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung" charakterisiert. Im Gegensatz zum AOGö von 1934 findet sich in den Tarifordnungen von 1938 damit die ausdrückliche Bezugnahme auf den Nationalsozialismus 13 • Die Zusammenfassung der Arbeiter und Angestellten mit den nach dem Vorspruch zum DBG ,.von nationalsozialistischer Weltanschauung durchdrungenen" Beamten zu einer Dienstgemeinschaft im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung deutete die Gleichbehandlung aller Gruppen des öffentlichen Dienstes auch in politischer Hinsicht an. Ebenso wie bei den Beamten wurde auch für die Staatsbediensteten ein persönliches Treueband zwischen ihnen und dem Führer geknüpft. Während in der Weimarer Republik nach dem Reichsangestelltentarif bzw. den Ländertarifverträgen ein Angestellteneid auf die Verfassung abzulegen war, mußten die Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst des Dritten Reiches nach § 2 ATO ein Gelöbnis der Treue und des Gehorsams auf den Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler ablegen14 . Das Gelöbnis war, soweit dem Führer Treue und Gehorsam gelobt wurde, inhaltsgleich mit dem Beamteneid, im zweiten Teil wurde gelobt, die Dienstobliegenheiten gewissenhaft und uneigennützig zu erfüllenl5. Alle an die Verpflichtung zur Treue zum Führer geknüpften Folgen, insbesondere die darin enthaltene Treue zum Führer der Bewegung und damit auch die Treue zur NSDAP und zur nationalsozialistischen Weltanschauungls, galten so auch für die privatrechtlich beschäftigten Staatsbediensteten. Die rechtliche Konsequenz war, daß eine ablehnende Haltung zur Partei oder ihren weltanschaulichen Grundlagen einen Bruch des Arbeitsvertrages und damit einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darstellte. Daß mit dem Gelöbnis tatsächlich auch eine Verpflichtung auf die politisch-weltanschaulichen Grundlagen des Nationalsozialismus gemeint war, ergibt sich daraus, daß Personen, von denen eine solche weltanschauliche 13 Es ist allgemein zu beobachten, daß in der Frühzeit des Dritten Reichs die ideologische Gleichschaltung unter dem Namen "Eintreten für den nationalen Staat" betrieben wurde, während später die Verpflichtung offen auf den "nationalsozialistischen Staat" erfolgte, vgl. §§ 4 BBG, 6 AOGö einerseits, §§ 3 DBG, 17 ATO andererseits. 14 Bereits durch Verfügung des Sondertreuhänders für den öffentlichen Dienst vom 22.11.1935 war vom Angestellten in Abänderung des bisherigen Angestellteneides dieses Gelöbnis zu leisten, so wie im Vorgriff auf das DBG der Beamteneid durch Gesetz vom 20.08.1934 entsprechend geändert worden war, vgl. Wacke, in: ZBR 8 (1937 /38), 18. 15 Im Beamteneid hieß es: " . . . die Gesetze zu beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen . . . ". 16 Zu diesem Zusammenhang vgl. Wacke, in: ZER 8 (1937/38), 19; ders. : Öffentliches Dienstrecht, S. 34; allgemein zum institutionellen Sinngehalt, zum Verfassungseidcharakter des Treueids auf den Führer vgl. Huber: Die verfassungsrechtliche Stellung des Beamtentums, in: Festschrift Siber, S. 305 f.
II.6. Die Tarifordnungen
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Verbundenheit nicht erwartet werden konnte oder die als ausländische Staatsangehörige Schwierigkeiten mit ihrem Heimatstaat bekommen konnten, ein Gelöbnis nicht auf den Führer, sondern nur auf ihre Dienstobliegenheiten abzulegen hatten: Nach§ 2 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 ATO hatten jüdische und nicht reichsangehörige Gefolgschaftsmitglieder nur zu geloben, die Dienstobliegenheiten gewissenhaft und uneigennützig zu erfüllen und die Gesetze und sonstigen Anordnungen des nationalsozialistischen Staates zu befolgen. Im Ergebnis kann also festgestellt werden, daß hinsichtlich der ideologischen Gebundenheit kein Unterschied zwischen Beamten und Dienstnehmern bestand. Wie oben dargelegt, konnten Staatsbedienstete, die es am geforderten Bekenntnis und Einsatz für den nationalsozialistischen Staat hatten fehlen lassen, durch Kündigung ihrer Stellung enthoben werden. Beamtenrechtlich entsprach dies der dienststrafrechtliehen Entfernung aus dem Dienst, war aber aus der Sicht der Machthaber mit denselben Nachteilen behaftet: Das letzte Wort hatte nicht der Dienstherr, sondern das Gericht. Bei den Beamten mußte ein Dienststrafgericht zur Entfernung aus dem Dienst verurteilen, bei den Angestellten und Arbeitern konnte gegen eine Kündigung das Arbeitsgericht angerufen werden. Grundsätzlich prüfte das Gericht in beiden Fällen die Angelegenheit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht eigenständig nach. Zwar wurde dieses Machtdefizit durch eine den ideologischen Anforderungen entsprechende Entscheidungspraxis der Gerichte gemildert, es blieb jedoch dabei, daß ein autoritäres und unanfechtbares Machtwort der Verwaltungsspitze bei der Kündigung nicht gesprochen werden konnte. Diese Lücke füllte § 17 Abs. 1 Buchst. e ATO, der die arbeitsrechtliche Variante der beamtenrechtlichen Zwangspensionierung aus politischen Gründen nach § 71 DBG war. § 17 Abs. 1 ATO zählte wichtige Gründe auf, die bei allen Gefolgschaftsmitgliedern die fristlose Kündigung rechtfertigten. Nach Buchst. e lag ein solcher Grund vor, "wenn der zuständige Reichsminister - mangels einer Zuständigkeit der Reichsminister des Innern - in einem förmlichen Untersuchungsverfahren feststellt, daß das Gefolgschaftsmitglied nicht die Gewähr dafür bietet, daß es jederzeit rückhaltlos für die Ziele der nationalsozialistischen Bewegung und für den nationalsozialistischen Staat eintreten wird". Auffallend an der Formulierung ist, daß entgegen der Parallelvorschrift des § 71 DBG das Gewährbietenmüssen sich auch auf die Ziele der NSDAP erstreckte. Daß damit in der Tarifordnung, die etwa eineinviertel Jahre nach dem DBG erlassen wurde, eine stärkere ideologische Bindung der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes gegenüber der für Beamte statuiert werden sollte, ist unwahr scheinlich. Der Wortlaut deutet zwar in diese Richtung, aber es ist unvorstellbar, daß die politische Treuebindung der privatrechtlich Beschäftigten die der
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
Beamten übersteigen sollte. Die sachliche Reichweite sollte sicher gleich weit sein, zumal auch in der beamtenrechtlichen Literatur erläutert wurde, daß das geforderte Eintreten für den nationalsozialistischen Staat wegen der Einheit von Partei und Staat eine gleichgültige oder gar ablehnende Haltung zur Partei ausschließtl 7 . In dem veränderten Wortlaut kommt wohl nur ein stärkeres Selbstbewußtsein und eine verstärkte Machtposition der Partei gegenüber dem Staat zum Ausdruck, da es mit der erweiterten Formulierung gelungen war, in der Norm zur Loyalitätsbindung Partei und Staat gleichberechtigt zu erwähnen18. Das Wichtige an § 17 Abs. 1 Buchst. e ATO war aber nicht diese Formulierung, sondern der Umstand, daß als wichtiger Grund zur fristlosen Entlassung die ministerielle Feststellung fehlender politischer Zuverlässigkeit genügte. Damit war dem Arbeitsgericht eine eigene Prüfung versagt, das unanfechtbar letzte Wort hatte der Minister. Das Arbeitsgericht durfte, wenn gegen die Entlassung in diesem Falle geklagt wurde, nur noch prüfen, ob überhaupt eine ministerielle Entscheidung vorlag, nicht aber, ob diese zu Recht ergangen war. Bemerkenswert ist, daß eine so entscheidende, der arbeitsgerichtliehen und arbeitsrechtlichen Tradition konträre Änderung nicht im BGB oder zumindest im AOGö geregelt wurde, sondern in einer das Arbeitsrechtsverhältnis nur näher ausgestaltenden Tarifordnung mit der Qualität einer Rechtsverordnung. Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Regelung mit höherrangigem Recht, insbesondere dem BGB und dem ArbGG, wurden- soweit ersichtlich- nicht angemeldet. Zusammengefaßt standen dem Dienstherrn somit folgende Möglichkeiten offen, einen Staatsbediensteten zu entlassen: - ordentliche Kündigung unter Einhaltung der Kündigungsfristen. Problem: Unkündbarkeit nach 25-jähriger Dienstzeit19 ; allgemeiner Kündigungsschutz ("unbillig hart")20 mit Überprüfungsrecht des ArbG. - fristlose Entlassung aus wichtigem Grund. Problem: Überprüfungsrecht des ArbG. - ehrengerichtliche Strafe der Entfernung vom bisherigen Arbeitsplatz. Problem: begrenzter Tatbestand und Entscheidungsrecht des SozE. - fristlose Entlassung nach ministerieller Feststellung der politischen Unzuverlässigkeit. Problem: förmliches Untersuchungsverfahren und Entscheidung auf zweithöchster Ebene.
Seel: DBG, § 3 Anm. 13. Zu den Auseinandersetzungen zwischen dem StdF und Ressortministern, im DBG eine Pflichtenbindung des Beamten zur NSDAP zu verankern, vgl. Mommsen: Beamtenturn im Dritten Reich, S. 93 ff. 19 § 16 TO.A, § 21 TO.B. 2o § 22 AOGö i.V.m. § 56 AOG. !7 18
li. 7. Die Eingruppierung in Tarifgruppen
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7. Die Eingruppierung in Tarifgruppen
Bei Entscheidungen über die Eingruppierung der Angestellten hatte die Behörde im Dritten Reich durch die Tarifordnung freiere Hand als in der Weimarer Republik. Die Vergütung der Angestellten richtete sich in der Weimarer Republik nach der tariflichen Vergütungsgruppe, in die der Angestellte eingruppiert war. Die einzelnen Vergütungsgruppen waren im Tarifvertrag voneinander abgegrenzt. Grundsätzlich bestand im Arbeitsrecht als einem Teilgebiet des bürgerlichen Rechts umfassender Rechtsschutz durch die Eröffnung des Rechtsweges für alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nach § 13 GVG. Durch das Arbeitsgerichtsgesetz vom 23. Dezember 19261 wurde die Zuständigkeit weitgehend auf die Arbeitsgerichte verlagert. Die Arbeitsgerichte konnten selbst darüber befinden, welche Tätigkeitsmerkmale die Arbeit eines Angestellten erfüllte und welches Gehalt demnach zu zahlen war. Der öffentliche Dienst nahm aber durch die inhaltliche Ausgestaltung der meisten Tarifverträge einen anderen Weg. So wurde etwa im Reichsangestelltentarifvertrag (RAT) und im Preußischen Angestelltentarifvertrag (PAT) die Eingruppierung den Dienststellen zugewiesen. Dabei wurde die erste Einreihung unter Einschaltung der Angestelltenvertretung und gegebenenfalls besonderer, paritätisch besetzter Ausschüsse vorgenommen. Bei fehlender Einigung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite konnte schließlich der Rechtsweg beschritten werden. Der Aufstieg des Angestellten in eine höhere Vergütungsgruppe war allein der Entscheidung der Dienststelle vorbehalten. Hier konnte der Angestellte, den die Dienststelle nicht von sich aus höhergruppiert hatte, nur durch eine Änderungskündigung eine Neueingruppierung nach dem Muster der Ersteinreihung erreichen, allerdings mit dem- zum Teil durch die Verwaltung wieder eingeschränkten- Risiko der vollständigen Lösung des Arbeitsverhältnisses. Die Rechtsprechung verstand diese Tarifregelung dahingehend, daß in Abweichung vom sonst üblichen Leistungsgrundsatz nicht das Gehalt der Vergütungsgruppe geschuldet war, deren Tätigkeitsmerkmale der Angestellte erfüllte, sondern das Gehalt der durch Eingruppierung seitens der Verwaltung bestimmten Vergütungsgruppe. Beim Aufstieg entschied die Verwaltungsbehörde ohne Anfechtungsmöglichkeit vor den Arbeitsgerichten, eine klageweise durchsetzbare Verpflichtung zur Gewährung des Aufstiegs wurde nicht anerkannt2 • Die Einreihung hatte also für den Gehaltsanspruch konstitutive Bedeutung, und gerichtlicher Rechtsschutz wurde nur bei der Ersteinreihung gewährt. Bei der Aufstiegsentscheidung der Behörde erwogen die Gerichte nur im Falle unbilliger Ausnutzung ohne entsprechende Vergütung einen Schadensersatzanspruch nach§ 826 BGB3. RGBL I S . 507. RAG, ARS 11, 401 (404 ff.) ; 14, 328 (329 f.) ; zum G anzen vgl. Arendt: Eingruppierung in Vergütungsgruppen des BAT, S. 23 ff. 1
2
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
Diese Rechtsprechung setzte sich im Dritten Reich zu den als Tarifordnungen weitergeltenden Tarifverträgen fort, wobei klargestellt wurde, daß es sich bei dieser Tarifregelung nicht um eine Beschränkung des Rechtsweges, sondern um eine Beschränkung des materiellen Anspruchs auf Aufstieg handelte4 • Mit der TO.A wurde der den Dienststellen schon in der Weimarer Republik gewährte Spielraum erweitert. Gemäß § 3 Abs. 2 S. 1 TO.A wurde das Gefolgschaftsmitglied vom Führer der Verwaltung in die der Tätigkeit entsprechende Vergütungsgruppe eingereiht. Dabei blieb es bis zum Ende des Dienstverhältnisses, wenn keine Vertragsänderung vorgenommen wurde. Er entschied auch gemäß § 3 Abs. 2 S . 3 TO.A über den Aufstieg. Entgegen einer starken Meinung vor allem in der Literatur5 urteilte das RAG, daß nunmehr die Verwaltungsentscheidung auch bei der Ersteingruppierung, nicht nur beim Aufstieg, unüberprüfbar sei6 . Als tragende Gesichtspunkte neben dem Wortlaut der Vorschrift hob das Gericht die Rücksichtnahme auf den Haushaltsplan, die allgemeine Stärkung der öffentlichen Belange in der jüngeren Rechtsentwicklung und die Angleichung des öffentlichen Dienstrechts an das Beamtenrecht hervor. Allerdings blieb es bei der Gewährung eines Schadensersatzanspruches, wenn die Einreihung offensichtlich unrichtig war und überhaupt nicht zutreffen konnte, wenn die Entscheidung also mißbräuchlich war7 • Im Ergebnis bedeutete dies, daß die in den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes der Weimarer Republik angelegte Beschränkung des Rechtsschutzes bei der Eingruppierung durch die TO.A zu einem vollständigen Ausschluß erweitert wurde und damit die Rechtsstellung der öffentlichen Dienstnehmer in Beförderungs- und Einstellungsangelegenheiten der der Beamten praktisch gleichgestellt wurdes.
RAG, ARS 11, 401 (408); 16, 351 (357). RAG, ARS 32, 65 (66); 33, 18 (20); 36, 123 (125 f.). s Vgl. die Nachweise bei Wacke: Beamtenrecht und öffentliches Dienstrecht, in Huber (Hrsg.): Idee und Ordnung des Reiches, S. 31 f. 6 RAG, ARS 38, 98 (101f.); 39, 419 (421 ff.); weitere Fundstellen bei Wacke, a.a.O., S . 32 Fn. 2. 7 RAG, ARS 38, 98 (102); 39, 429 (435); noch mit Urteil vom 31.08.1943 wurde einem Sparkassenangestellten, dem der gebotene Aufstieg wegen seiner zweimaligen Weigerung, auf Aufforderung des RMdi hin sich in die Ostgebiete versetzen zu lassen, der Differenzbetrag als Schadensersatz zugebilligt, da die wegen mangelnden allgemeinen Wohlverhaltens verweigerte Höhergruppierung eine Fürsorgepflichtverletzung darstelle, RAG, ARS, 47, 13. 8 Das BAG gab in seiner Rechtsprechung zu § 3 TO.A die RAG-Auffassung auf, stufte die Eingruppierung als deklaratorisch ein und ließ die volle Uberprüfung durch die Arbeitsgerichte zu. Gleiches gilt für den BAT, vgl. Arendt: Eingruppierung in Vergütungsgruppendes BAT, S. 32 ff., 38 f., m .w.N. 3 4
11.8. Die DAF
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8. DieDAF
Für die Beherrschung der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst war die Ausschaltung ihrer wirtschaftlichen und politischen Organisationen, der Gewerkschaften, unabdingbar. Zwar waren die Gewerkschaften nach der Machtergreifung - wie auch andere gesellschaftliche Gruppen - von jeder Opposition weit entfernt und im Gegenteil auf einem Kurs bereitwilliger Konzessionen zur Rettung des vermeintlich noch Rettbarenl. Der nationalsozialistische Staat konnte jedoch selbständige Interessenverbände schon vom eigenen Anspruch her auf die Dauer nicht dulden. In diesem Bereich vollzog sich die Entmachtung bestehender Institutionen und die Machtausfüllung durch den Staat nur zum Teil auf normativem Wege. Gesetzlich wurden zwei Hauptpunkte geregelt: die Säuberung und Kontrolle der Betriebsräte, die als gesetzliche Institution die Haupteinbruchstelle für gewerkschaftliche Aktivität war, und die Tarifvertragsfreiheit. Der erste Punkt wurde durch das Gesetz über Betriebsvertretungen und über wirtschaftliche Vereinigungen vom 04. April1933 2 angegangen, ein Maßnahmegesetz wie das BBG. Es erlaubte in Art. I§ 2 die Absetzung von Betriebsvertretungsmitgliedern wegen ihrer Einstellung im "staats- oder wirtschaftsfeindlichen Sinne" durch die oberste Landesbehörde, im öffentlichen Dienst des Reichs durch die oberste Reichsbehörde, und die Ersetzung durch ernannte, nicht gewählte Arbeitnehmer. Ganz allgemein wurde in Art. II des Gesetzes der Kündigungsschutz nach §§ 84, 86 BRG für den Fall abgeschafft, daß eine Kündigung "mit dem Verdacht staatsfeindlicher Einstellung" begründet wurde. Lediglich ein Rekurs an die oberste Landes-(bzw. Reichs-) Behörde war zugelassen. Der gesetzliche Schlag gegen die Tarifbetätigung der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände wurde durch das Gesetz über den Treuhänder der Arbeit vom 19. Mai 19333 geführt. Lapidar wurde in§ 2 Abs. 1 S. 1 dem von Regierungsweisungen abhängigen Treuhänder an Stelle der bisherigen Tarifparteien die Aufgabe übertragen, "die Bedingungen für den Abschluß von Arbeitsverträgen" zu regeln. Diese vorläufigen Gesetze fanden ihre endgültige Fassung im AOG und AOGö. Parallel zu dieser gesetzlichen Entmachtung zu Gunsten des Staates vollzog sich außergesetzlich4 die reale Zerschlagung der Gewerkschaften durch Besetzung der Gewerkschaftshäuser und Verhaftung der Funktionäre, Vgl. Bracher u . a.: Die nationalsozialistische Machtergreifung, S. 175 ff. RGBL I S. 161. 3 RGBL I S. 285. 4 Die Partei legte Wert auf den außergesetzlichen Charakter der Aktion, wie sich aus dem Erlaß des StdF über die DAF vom 19.07.1934 ergibt, abgedruckt bei Siebert: Das Deutsche Arbeitsrecht, Bd. 1, A 2: "Die Deutsche Arbeitsfront ist durch einen revolutionären Akt der Partei geschaffen worden." 1
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2. Kap.: Der öffentliche Dienst im Dritten Reich
durch Auflösung der Gewerkschaften im Rahmen der Schaffung einer nationalsozialistischen Massenorganisation5. Normative Festlegungen lassen sich wieder bei der näheren Ausgestaltung dieser Massenorganisation, der Deutschen Arbeitsfront (DAF), finden. Nach § 2 der Verordnung des Führers und Reichskanzlers über Wesen und Ziele der Deutschen Arbeitsfront vom 24. Oktober 1934 i.d.F. vom 11. November 1934 6 war das Ziel die Bildung einer wirklichen Volks- und Leistungsgemeinschaft aller Deutschen. Die DAF habe dafür zu sorgen, daß jeder seinen Platz im Wirtschaftsleben in der geistigen und körperlichen Verfassung einnehmen könne, die ihn zur höchsten Leistung befähige. Nach§ 7 hatte die DAF den Arbeitsfrieden durch Förderung des gegenseitigen Verständnisses zu sichern und ausgleichend zwischen den berechtigten Interessen aller Beteiligten zu wirken. Nach§ 7 Abs. 3 wurde der DAF für diese Aufgabe eine Monopolstellung eingeräumt, die Bildung anderer Organisationen oder die Betätigung auf diesem Gebiet verboten. Das Vermögen der ehemaligen Gewerkschaften und Unternehmervereinigungen ging auf sie über, wobei als Absage an den Klassenkampf und als Bekenntnis zur Betriebsgemeinschaft die Unternehmer in die DAF aufgenommen wurden. Alle schwammigen Formulierungen zum Ziel und zur Aufgabe der DAF machen jedenfalls deutlich, daß ebenso wie bei den Vertrauensräten auch die DAF keine Interessenpolitik zu betreiben hatte, sondern daß sie auf die Wahrung der Arbeitsruhe und auf hohe Leistungsergebnisse verpflichtet war. Erst in diesem Rahmen durfte sie die berechtigten- man beachte die Einschränkung - Interessen der Mitglieder wahrnehmen. Was berechtigt war, hatte, da die Führung der DAF der NSDAP zugewiesen worden war, die Partei bzw. der zuständige Dr. Ley zu entscheiden7 .Da die DAF selbst schon die Abwägung zwischen den betrieblichen Belangen und denen der Arbeitnehmer vorzunehmen hatte, war die Sozialpolitik nur eine andere Seite der Wirtschaftspolitik, beides wurde als voneinander untrennbar angesehen, nur in diesem Rahmen war die "Hebung des wirtschaftlichen und kulturellen Niveaus des deutschen Arbeiters" zu betreibens. Auffallend ist, daß der DAF in der Führerverordnung keine Erziehungsaufgaben übertragen wurden. Dieser Gedanke wurde erst später in einer offiziellen Kommentierung der Führerverordnung durch den Leiter der s Vgl. Bracher u. a.: Die nationalsozialistische Machtergreifung, S. 184 ff.; Schumann: Nationalsozialismus und Gewerkschaftsbewegung, S. 76 ff.; aus nationalsozialistischer Sicht Schmeer: Aufgaben und Aufbau der Deutschen Arbeitsfront, S. 3 f. 6 Abgedruckt bei Siebert: Das Deutsche Arbeitsrecht, Bd. 1, A 3. 7 § 4 Abs. 1 und 2 der Führerverordnung wies die Führung der DAF der NSDAP, speziell dem Stabsleiter der PO (später Reichsorganisationsleiter) zu, der vom Führer ernannt wurde; nach § 3 DVO zum Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat vom 29.03.1935 (RGBL I S. 502) war die DAF "angeschlossener Verband" der NSDAP. s Schmeer: Aufgaben und Aufbau der Deutschen Arbeitsfront, S. 9.
II.B. Die DAF
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DAF Dr. Ley betont9 • Dort hob er den Totalitätsanspruch der DAF hervor und folgerte aus der Formulierung der Führerverordnung, die DAF habe dafür zu sorgen, daß jeder seinen Platz im Wirtschaftsleben in der erforderlichen geistigen und körperlichen Verfassung einnehmen könne, daß damit auch die weltanschauliche Betreuung und Schulung der arbeitenden Deutschen in- und außerhalb des Betriebes gemeint sei. Später wurde auch in der Literatur die erzieherische Tätigkeit der DAF stärker in den Vordergrund gerückt1°.
9 Grundsätzliche Anweisung des Leiters der DAF zur Verordnung des Führers über Wesen und Ziel der DAF vom 02.09.1936, abgedruckt bei Siebert: Das Deutsche Arbeitsrecht, Bd. 1. A 4; ebenso Selzner: Die Deutsche Arbeitsfront, S. 9, der aber vordringlich die Überwindung des Klassenkampfdenkeng darstellt. 1o Hueck: Deutsches Arbeitsrecht, S. 237; Taschen-Brockhaus zum Zeitgeschehen, S. 60 (Stichwort: Deutsche Arbeitsfront).
3. Kapitel
Der öffentliche Dienst in der DDR 1. Die gesetzlichen Grundlagen
Das Recht des Staatsdienstes in der DDR geht von der marxistisch-leninistischen Grundannahme aus, daß der Staat Machtinstrument der herrschenden Klasse sei. Staatsdiener sind demnach Vollstrecker des Willens der herrschenden Klasse, im sozialistischen Staat sind sie also die Vollstrecker der Aufträge des Proletariats 1 . Da im sozialistischen Staat erstmals die Interessen der herrschenden Klasse mit den Interessen der ungeheueren Mehrheit der Bevölkerung zusammenfallen, besteht keine Notwendigkeit, ein vom Volk abgekapseltes, mit Privilegien versehenes Beamtenturn aufrechtzuerhalten, das vermöge seiner klasseninteressengebundenen Sonderstellung sich zum Herrn der Gesellschaft aufschwingen kann2 . Als Vorbild für den sozialistischen Staatsdienst wird die Regelung im ersten Staat der proletarischen Revolution, der Pariser Kommune, propagiert. Die entscheidenden Maßnahmen waren seinerzeit die Wahl der Staatsdiener mit der Möglichkeit jederzeitigen Widerrufs sowie eine am Lohn der übrigen Werktätigen ausgerichtete Bezahlunga. Die Konsequenz aus der ideologischen Grundposition besteht darin, daß es in der DDR ein Beamtenverhältnis im Sinne einer vom gewöhnlichen Arbeitsverhältnis prinzipiell unterschiedenen Dienststellung im Grundsatz nicht gibt. Vielmehr sind auch die Staatsbediensteten Werktätige wie andere Arbeiter und Angestellte auch4. Primäre Grundlage für ihre Rechtsstellung ist demnach das Arbeitsgesetzbuch (AGB) vom 16. Juni 19775 . Gemäß §§ 80 Abs. 2, 259 AGB ist es allerdings möglich, für Bereiche, in denen wegen der Art ihrer Aufgaben und der Bedeutung für den sozialistischen Staat besondere Anforderungen an die Werktätigen gestellt werden, Rechtsvorschriften über besondere Rechte und Pflichten und die VerantLenin: Werke, Bd. 25, S. 439. Zur Bewertung des Beamten im bürgerlichen Staat vgl. Bönninger: Der sozialistische Staatsdienst, S. 1 f. 3 Marx, Engels: Werke, Bd. 17, S . 339, 624; zu den Grundmerkmalen der sozialistischen Staatsform in der Pariser Kommune vgl. Staats- und Rechtstheorie, S. 337 ff. 4 Zur Herausbildung des Rechts der Staatsbediensteten in der DDR seit 1945 vgl. Jacobs: Das Recht des Staatsdienstes in der DDR, S. 46 ff. 5 GBL I S. 185. 1
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1. Die gesetzlichen Grundlagen
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wortlichkeit dieser Werktätigen zu erlassen sowie die disziplinarische Verantwortlichkeit anders als im AGB zu regeln. Von dieser Möglichkeit bzw. einer entsprechenden Ermächtigung im vorangegangenen Gesetzbuch der Arbeit6 (GBA) ist für verschiedene Bereiche Gebrauch gemacht worden (Eisenbahner, Postler, Beschäftigte in Notariaten, Richter und Staatsanwälte, Lehrer, wissenschaftliche Mitarbeiter an Hochschulen, Hochschullehrer)?, für Staatsbedienstete im allgemeinen gilt die Verordnung über die Pflichten, die Rechte und die Verantwortlichkeit der Mitarbeiter in den Staatsorganen (MVO) vom 19. Februar 19698. Erfaßt werden von dieser Vorschrift vor allem die in den zentralen und örtlichen Staatsorganen Beschäftigten, die Beschäftigten in den Gerichten (ohne Richter), der Staatsanwaltschaft (ohne Staatsanwälte) sowie einige Beschäftigte in bestimmten wirtschaftslenkenden Einrichtungen. Ausgenommen sind solche Personen, die untergeordnete Hilfsdienste leisten wie Sekretärinnen, Kraftfahrer, Wartungspersonal usw. Bei ihnen kann aber die Einbeziehung durch Arbeitsvertrag vereinbart werden. Die MVO erfaßt also im wesentlichen die im hoheitlichen und wirtschaftslenkenden Bereich mit Sachaufgaben befaßten Personen. Subsidiär zur MVO gilt immer das AGB. In den besonders sensiblen Bereichen der inneren und äußeren Sicherheit gelten wiederum besondere Vorschriften, die nur zum Teil veröffentlicht sind9. Den Dienst in der Deutschen Volkspolizei (DVP) sowie in den Organen Feuerwehr und Strafvollzug des Ministeriums des Innern regelt die Anordnung des Nationalen Verteidigungsrates vom 03. Mai 1976 10, die Dienstlaufbahnordnung (DLO). Die Dienstlaufbahnordnung-ZV (DLO-ZV) 11 regelt den Dienst in der Zivilverteidigung, für den Dienst in der NVA gilt die Dienstlaufbahnordnung-NVA (DLO-NVA)l2. Die berufsmäßig in den bewaffneten Organen Tätigen werden zwar auch als Mitarbeiter in den Staatsorganen und damit als Werktätige angesehenl3, die Ausgestaltung des Dienstverhältnisses ist jedoch vollständig militarisiert und des Charakters eines Arbeitsrechtsverhältnisses entkleidet. In allen genannten Dienstlaufbahnordnungen heißt es, daß der jeweilige Dienst auf der Grundlage der Gesetze und der anderen Rechtsvorschriften vom Minister für Nationale Verteidigung bzw. vom Vom 12.04.1961 (GBL I S. 27). Vgl. die Nachweise bei Jacobs: Das Recht des Staatsdienstes in der DDR, S. 98 f. a GBl. II S. 163. 9 Z.B. sind die Innendienst- und Disziplinarordnung für die DVP nur intern bekanntgemacht worden, vgl. den Erlaß des Staatsrates vom 15.09.1967 (GBl. I S. 109); fast ohne veröffentliche Normgrundlage arbeiten die Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. 1o GBl. I S . 277. 11 Anordnung des Nationalen Verteidigungsrates vom 01.11.1977 (GBl. I S.365) 12 Anordnung des Nationalen Verteidigungsrates vom 25.03.1982 (GBl. I S. 237). 13 Staatsrecht der DDR, S. 275. 6 7
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3. Kap.: Der öffentliche Dienst in der DDR
Minister des Innern durch Befehle, Dienstvorschriften oder sonstige Bestimmungen (für den Bereich des Ministers des Innern heißt es "Befehle, Direktiven und andere Weisungen") geregelt wird; für den Dienst finden die zur Regelung der Arbeitsrechtsverhältnisse der Arbeiter und Angestellten erlassenen Bestimmungen keine Anwendung14. 2. Arbeit und Arbeitsrecht nach marxistisch-leninistischem Verständnis
Die detailliert ausgebaute, praktisch alle Lebensbereiche umfassende kommunistische Ideologie macht es erforderlich, vor der Untersuchung der arbeitsrechtlichen Normen auf die in ihnen sich spiegelnde Herrschaftsordnung hin die ideologischen Grundaussagen zur Arbeit darzustellen, denn nur vor dem Hintergrund dieser ideologischen Prämissen können sozialistische Normen verstanden werden. Das Wesen der Arbeit im Sozialismus wird danach durch zwei Grundmerkmale gekennzeichnet: Im Kapitalismus kauft sich der Unternehmer die Arbeitskraft des Arbeiters, dieser ist zur Erwirtschaftung seines Lebensunterhalts zu diesem Verkauf gezwungen1 . Wozu diese Arbeitskraft eingesetzt wird, welche Arbeit gefordert wird, liegt im ausschließlichen Interesse des Unternehmers, genauer gesagt in seinem Profitinteresse. Durch das Eigentum über die Produktionsmittel verfügt der Kapitalist auch über die Arbeit und das Arbeitsergebnis. Dem privaten Charakter dieser Aneignung steht der gesellschaftliche Charakter der Produktion entgegen, d. h. die Arbeitsteilung und die Tatsache, daß die große Masse der Bevölkerung ihre Arbeitskraft an wenige Eigner von Produktionsmitteln verkauft. Dieser Grundwiderspruch zwischen den kapitalistischen Produktionsverhältnissen und dem gesellschaftlichen Charakter der Produktivkräfte führt zu den das monopolkapitalistische System periodisch heimsuchenden Wirtschaftskrisen, ist die Ursache für die Anarchie der Produktion im späten Kapitalismus. Demgegenüber wird im Sozialismus, wo dem gesellschaftlichen Charakter der Produktivkräfte auch gesellschaftliche Produktionsverhältnisse entsprechen, wo also Gemeineigentum an den Produktionsmitteln besteht, die Arbeit nicht nach den Profitinteressen des einzelnen Unternehmers eingesetzt, sondern nach den gesellschaftlichen Bedürfnissen2 . Arbeit wird planmäßig unter Ausnutzung der ökonomischen Gesetze des Sozialismus organisiert. Der sozialisti§ 1 DLO-NVA; § 1 Abs. 2 und 3 DLO-ZV; § 1 DLO. Vgl. hierzu und im folgenden: Kleines politisches Wörterbuch, S. 57 ff. 38, 328 f., 876 f. (Stichwörter: Arbeit, Anarchie der Produktion, Gesetz der Übereinstimmung der Produktionsverhältnisse mit dem Charakter der Produktivkräfte, sozialistische Planwirtschaft); Klaus, Buhr (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch, S. 111 ff. (Stichwort: Arbeit); Arbeitsrecht, S. 30 ff. 2 Zum Charakter der Arbeit im Sozialismus vgl. Politische Ökonomie des Kapitalismus und des Sozialismus, S . 436 ff. 14 1
2. Arbeit und Arbeitsrecht im Marxismus-Leninismus
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sehe Arbeiter steht damit in Verantwortung vor der Gesellschaft für seine Arbeit, seine Arbeit ist nicht von nur individueller Bedeutung, sondern seine Arbeit ist Teil der gesamtgesellschaftlich geplanten und organisierten Arbeit. Vor dem Hintergrund dieser Gesellschaftsbezogenheit der Arbeit erst können etwa die einzelnen arbeitsrechtlichen Pflichten und Rechte verstanden werden. · Die zweite ideologische Grundaussage zur Arbeit liegt im Ausbeutungscharakter der klassengespaltenen Gesellschaft3. Wie oben dargelegt, verkauft der Arbeiter seine Arbeitskraft; mit dem Arbeitsprodukt, das sich der Kapitalist aneignet, hat er jedoch nichts mehr zu tun. Der Arbeiter im Kapitalismus entfremdet sich von seiner Arbeit, sie ist für ihn äußerer Zwang, dem er, um leben zu können, nachgibt. Kapitalist und Arbeiter stehen über die Arbeit in einem Ausbeutungsverhältnis zueinander, denn durch die Aneignung des vom Arbeiter geschaffenen Mehrwerts erzielt der Kapitalist seinen Profit. In der Arbeit manifestiert sich also der unüberbrückbare Klassengegensatz im Kapitalismus, hier stehen sich unversöhnliche Interessen gegenüber. Im Sozialismus hingegen ist die Ausbeutung durch das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln beseitigt. Das führt zu zwei Ergebnissen: Erstens ist der Grundwiderspruch zwischen Arbeiter und Kapitalist beseitigt, antagonistische Widersprüche zwischen den Werktätigen und den Eigentümern der Produktionsmittel gibt es nicht mehr, denn die Werktätigen selbst sind diese Eigentümer. Da jetzt nicht mehr das private Profitstreben die Arbeit bestimmt, sondern der Mensch und die Befriedigung seiner materiellen und kulturellen Bedürfnisse, kommt die Arbeit der Gesellschaft zugute. Das Arbeitsverhältnis wie alle gesellschaftlichen Verhältnisse im Sozialismus ist damit im Gegensatz zu dem der klassengespaltenen Gesellschaft von grundlegenden gemeinsamen Interessen geprägt. Zwar gibt es auch im Sozialismus Widersprüche, diese sind aber nichtantagonistisch, d. h. sie müssen sich nicht gesetzmäßig verschärfen und führen nicht zur Revolution, sondern können unter Berücksichtigung der gemeinsamen Interessen der gesellschaftlichen Kräfte gelöst werden. Das zweite Ergebnis der Beseitigung der Ausbeutung ist eine veränderte Einstellung des sozialistischen Werktätigen zu seiner Arbeit. Das Bewußtsein, nicht für die Profitinteressen eines Kapitalisten, sondern im Interesse der Gesellschaft zu arbeiten, die Beherrschung der Produktionsmittel durch die Produzenten, die die kapitalistische Entfremdung von der Arbeit aufgehoben hat, führen allmählich dazu, daß Arbeit immer weniger Zwang ist und immer mehr zum Bedürfnis, zur schöpferischen Selbstbetätigung und Selbstbestätigung wird. Arbeit ist Ehrensache jedes arbeitsfähigen Mitgliedes der sozialistischen Gesellschaft. 3 Vgl. dazu neben den Angaben in Fn. 1 Kleines politisches Wörterbuch, S. 100 f., 1064 ff., 219 f. (Stichwörter: Ausbeutung, Widerspruch, Entfremdung).
9 Schneider
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3. Kap.: Der öffentliche Dienst in der DDR
Das Arbeitsrecht dient als Teil des gesellschaftlichen Überbaus im heutigen Stadium dazu, die entwickelte sozialistische Gesellschaft zu gestalten und die grundlegenden Voraussetzugnen für den allmählichen Übergang zum Kommunismus zu schaffen4 . Das politische Ziel der Arbeiterklasse ist der Aufbau und die Ausgestaltung des Sozialismus mit dem Endziel des Kommunismus. Das Recht und damit auch das Arbeitsrecht ist der Ausdruck der Macht der Arbeiterklasse und deshalb ebenfalls auf dieses politische Ziel hin ausgerichtet. Dem Hauptzweck der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft (nach der Definition der jeweiligen Machthaber) hat sich das Arbeitsrecht unterzuordnen, das Recht ist ein Instrument der Politik der Arbeiterklasse und daher nach den Erfordernissen dieser Politik anzuwenden und auszulegen. Denn durch Auslegung soll der in der Rechtsnorm ausgedrückte Klassenwille und das gesellschaftliche Ziel parteilich gefunden werden5 . Ausgangspunkt ist die These von der untrennbaren Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Es ist aber deutlich erkennbar, daß das Arbeitsrecht in der DDR einem Primat des wirtschaftspolitischen Denkens unterliegt, dem sozialpolitische Komponenten nur zugeordnet sind 6 • Als die Hauptaufgabe wird die weitere Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes auf der Grundlage eines hohen Entwicklungstempos der sozialistischen Produktion, der Erhöhung der Effektivität, des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und des Wachstums der Arbeitsproduktivität bezeichnet, also eine rein am volkswirtschaftlichen Ergebnis ausgerichtete Zielvorgabe. Erst im weiteren Verlauf der Aufgabenstellung wird erwähnt, daß das Ziel verfolgt werde, "die Arbeits- und Lebensbedingungen planmäßig zu verbessern und die soziale Sicherheit und Geborgenheit der Werktätigen und ihrer Familien zu gewährleisten" . Die konkreten Aufgaben des Arbeitsrechts leiten sich aus den allgemeinen Zielen der Gesellschaft ab, wobei das Recht diese Aufgabe in dem speziell von ihm geregelten Lebensbereich zu verfolgen hat7 . Die allgemeinen Ziele werden von der Partei der Arbeiterklasse in der Analyse der Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung aufgedeckt und programmatisch formuliert. Die oben genannte, in der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik zu verwirklichende Hauptaufgabe des Sozialismus ist das Ergebnis dieser AnalyseB. Dabei bedeutet Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik Umsetzung erreichter wirtschaftlicher Ergebnisse in sozialen Fortschritt. Die Politik Vgl. dazu und im folgenden§ 1 Abs. 1 und die Präambel des AGB. Staats- und Rechtstheorie, S. 580. 6 So auch Mampel: Das Arbeitsgesetzbuch, in: DA-Sonderheft, S. 41, 51 f. 7 Arbeitsrecht, S. 54. a Programm des SED, in: Dokumente der SED, Bd. 16, S. 39, 41. 4
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3. Politische Disziplinierung durch das allgemeine Arbeitsrecht
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der DDR, wie sie sich in den gesetzlichen Zielvorgaben niederschlägt, macht damit sozialen Fortschritt zur von wirtschaftlichem Fortschritt abgeleiteten Größe. Konsequenterweise stehen wirtschaftspolitische Ziele im Vordergrund9, so daß der Begriff "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" in Wirklichkeit ein verhüllendes Wort für den Primat der Wirtschaftspolitik ist. So wird etwa für das Arbeitsrecht formuliert1°: "An erster Stelle unter allen Aufgaben bei der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft stehen die Erhöhung der Effektivität und Qualität der Produktion und damit die Steigerung der Arbeitsproduktivität". Neben der Wirtschafts- und Sozialpolitik soll das Arbeitsrecht auch allgemeine sozialistische Aufbauziele fördern helfen: Das ist zum einen die Entfaltung und Vervollkommnung der sozialistischen Demokratie11 . Nach§ 2 Abs. 2 AGB soll deshalb das Arbeitsrecht gewährleisten, daß die Werktätigen das politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben im Betrieb mitgestalten und vor allem durch die Gewerkschaften und ihre Organe an der Leitung und Planung mitwirken können. Zum zweiten gehtes - wie allgemein in der Gesellschaft - um die Herausbildung sozialistischer Persönlichkeiten. Das sozialistische Menschenbild, das der Verfassung der DDR zugrunde liegt, aber letztlich auf der wissenschaftlichen Erkenntnis des Marxismus-Leninismus über den Menschen beruht1 2, ist auch das Menschenbild des sozialistischen Arbeitsrechts. Es hat daher gemäß § 2 Abs. 5 AGB die Entwicklung der Werktätigen zu sozialistischen Persönlichkeiten und das der sozialistischen Lebensweise entsprechende Verhalten und Handeln der Werktätigen zu fördernl3. 3. Die politisch-ideologische Wohlverhaltenspflicht nach allgemeinem Arbeitsrecht Entsprechend der Hauptorientierung auf die Wirtschaftspolitik sind die Pflichten der Werktätigen in erster Linie auf die ordnungs-und fristgemäße Arbeitserfüllung gerichtet1 . § 80 Abs. 1 AGB nennt im einzelnen die Pflicht, Arbeitszeit und Produktionsmittel voll zu nutzen, Arbeitsnormen einzuhalten, Geld und Material sparsam zu verwenden, Qualitätsarbeit zu leisten, 9 Schultze-Willebrand: Der Schutz der Rechte des Arbeitnehmers, in: Westen u. a . (Hrsg.): Der Schutz individueller Rechte und Interessen im Recht sozialistischer Staaten, S . 130. 1o Arbeitsrecht, S. 55 f. 11 Ebda., S. 64. 12 Staatsrecht, S. 180; 1. Aufl. S. 182 13 Arbeitsrecht, S. 66. 1 In der DDR-Literatur gibt es Stimmen, die diese Aufgabenauswahl als "Verengung" kritisieren, vgl. Feil u. a. : Ist ein Verstoß gegen die Vorschriften über die Gewährung von Leistungen der Sozialversicherung zugleich eine Arbeitspflichtverletzung?, in: NJ 1975, 107.
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das sozialistische Eigentum vor Beschädigung und Verlust zu schützen, die Bestimmungen über den Gesundheits- und Arbeitsschutz sowie über Ordnung, Disziplin und Sicherheit einzuhalten. Die allgemeinen Arbeitspflichten sind angesichts der Vielfalt der betroffenen Berufe und der wirtschaftspolitischen Orientierung also unideologisch formuliert. Aber es wird von jedem Werktätigen, also nicht nur von den Beschäftigten im öffentlichen Dienst, darüber hinaus ein Minimum an systemkonformem Verhalten gefordert. Dies findet sich nicht bei der Aufzählung der Arbeitspflichten in§§ 80 f. AGB, sondern in der Vorschrift über die fristlose Entlassung in§ 56 AGB. Danach ist eine fristlose Entlassung möglich bei einer schwerwiegenden Verletzung der sozialistischen Arbeitsdisziplin oder staatsbürgerlicher Pflichten. Wie später noch zu zeigen sein wird, richtet sich der Begriff der sozialistischen Arbeitsdisziplin auf gute Arbeitsleistung. Die staatsbürgerlichen Pflichten haben dagegen mit der Arbeit regelmäßig nichts zu tun. Schon die Tatsache, daß sie nur bei den Reaktionsmöglichkeiten auf Pflichtverletzungen erwähnt werden, macht deutlich, daß ihre Erfüllung weder notwendiger noch erstrangiger Bestandteil ordnungsmäßiger Arbeit ist, sondern daß das Arbeitsrecht nur nebenbei als Instrument zur Erfüllung arbeitsfremder Pflichten benutzt wird. Eine Präzisierung oder gar Kasuistik des Tatbestandsmerkmals "schwerwiegende Verletzung staatsbürgerlicher Pflichten" wurde und wird in Literatur und Rechtsprechung der DDR kaum vorgenommen2 , obwohl die Formulierung bereits für die fristlose Entlassung nach § 32 GBA verwendet wurde, also seit 1961. Dort wurden die staatsbürgerlichen Pflichten noch vor der sozialistischen Arbeitsdisziplin genannt, die Umstellung erfolgte dann in §56 AGB im Jahre 1977, was möglicherweise auf eine Schwerpunktverlagerung hin zu den ökonomisch ausgerichteten Pflichten deutet. Die bemerkenswerte Nichtproblematisierung eines Problems zeigt eine allgemeine Seite der DDR-Rechtswissenschaft gegenüber westlicher, selbst nationalsozialistischer Jurisprudenz, daß nämlich manche Rechtsfragen völlig unbehandelt bleiben, daß für bestimmte Gebiete ein "Problematisierungsdefizit"3 besteht. Dies ist wohl vor allem auf die der Politik untergeordnete Funktion des Rechts zurückzuführen, die eine begriffsjuristisch angehauchte Präzisierung und damit auch Begrenzung von Normen vermeidet. Das zeigt sich vor allem bei Normen, die einen Bereich betreffen, in dem ein Bedürfnis nach möglichst weiter staatlicher Handlungsfreiheit besteht. Zur Klärung des Tatbestandsmerkmals "schwerwiegende Verletzung staatsbürgerlicher Pflichten" empfiehlt sich ein Rückblick auf vergleich2 In den acht Bänden der arbeitsrechtlichen Entscheidungssammlung des OG z. B. wird der Begriff nirgendwo erläutert. 3 So für das Strafrecht Dreßler: Vorbereitung und Versuch im Strafrecht der DDR im Vergleich mit dem Recht der Bundesrepublik Deutschland, S. 16, 87.
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bare Vorschriften. Vor der Entlassungsnorm des § 32 GBA galt die Verordnung über das Kündigungsrecht vom 07. Juni 1951 4 (KündVO), die diesen Begriff noch nicht verwendete. Sie sah vielmehr in § 9 Buchst. a als Grund zur fristlosen Kündigung vor, daß ein Beschäftigter durch sein Verhalten gegen die Grundsätze der antifaschistisch-demokratischen Ordnung verstieß. Dazu erging immerhin eine veröffentliche höchstrichterliche Entscheidung5, in der festgestellt wurde, daß ein Werktätiger, der durch eine moralisch verwerfliche oder gesellschaftsschädigende Handlung gegen die Grundlagen der Gesellschaftsordnung verstoßen habe, aus dem Betrieb ausgeschlossen werden müsse. Als ein solcher Verstoß konnte etwa die Weitergabe einer "imperialistischen" Zeitschrift und damit die Verbreitung "amerikanischer Unkultur" gewertet werden. Das Kammergericht entschied zu dieser Vorschrift, daß sie nur angewandt werden dürfe, wenn Feinde des Staates aus dem Betrieb entfernt werden sollten, denn sie enthalte einen schweren Vorwurfs. Die Vorschrift wurde sogar in einer Monographie kommentiert?. Dort hieß es, der Werktätige müsse neben Arbeitsdisziplin auch ein Mindestmaß an Staatsdisziplin aufweisen. Ein Verstoß gegen die Grundsätze der antifaschistisch-demokratischen Ordnung sei nicht bereits verwirklicht bei bloßem undemokratischen Verhalten; vielmehr würden diejenigen Fälle erfaßt, in denen sich der Werktätige in grober Weise durch Worte oder Taten so vergangen habe, daß erkennbar werde, er sei mit den Grundsätzen des Staates nicht nur nicht einverstanden, sondern stehe ihnen feindlich gegenüber und bekämpfe sie oder beabsichtige, sie zu bekämpfen. Auf der anderen Seite brauche ein Staatsverbrechen nicht schon vorzuliegen. So sollte regelmäßig für eine fristlose Kündigung weder der Besitz imperialistischer Zeitungen und Zeitschriften zu Orientierungszwecken noch die selbst in unpassender Form oder über das Ziel hinausgehende Kritik an übergeordneten Organen noch die Verweigerung des Beitritts zu demokratischen Massenorganisationen ausreichen. Die ältere Rechtslage wies also eine Disziplinierungsnorm auf, die offen für politisch oppositionelle Arbeitnehmer die fristlose Entlassung ermöglichte. Das Arbeitsrecht wurde als Instrument zur allgemeinen politischen Disziplinierung verwandt. Der Tatbestand machte aber deutlich, daß arbeitsrechtlich nicht politische Übereinstimmung mit der Führung verlangt wurde, sondern lediglich oppositionelles Verhalten zu Sanktionen führen sollte. In dieser Richtung bewegte sich auch Rechtsprechung und Literatur. 4
GEL S. 550.
7
Stelter: Das Recht der Kündigung, S. 142 ff.
s OGAE 1, 71. s KG, NJ 1956, 255.
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Für den seit 1961 bis heute maßgebenden Tatbestand der "schwerwiegenden Verletzung staatsbürgerlicher Pflichten" ist vom Wortlaut her der politische Charakter, die Funktion der politischen Disziplinierung, nicht mehr so deutlich sichtbar wie bei der KündVO. Wie schon erwähnt, ist erläuternde Rechtsprechung nicht, Literatur kaum zu dem Merkmal vorhanden. Im allgemeinen wird nur der Wortlaut der Vorschrift wiedergegeben, oder es findet sich der Hinweis, daß eine fristlose Entlassung auch bei schwerwiegenden Verstößen gegen die "Staatsdisziplin" möglich sei8 • Die Erfüllung der staatsbürgerlichen Pflichten wird also mit der Wahrung der Staatsdisziplin gleichgesetzt, einem Begriff, der bereits für die Umschreibung des Kündigungsgrundes des§ 9 Buchst. a KündVO benutzt wurde9. Hier zeigt sich die Funktionskontinuität der Normentrotz gewandelten Wortlautes. Unter Staatsdisziplin wird ein Verhalten verstanden, das den vom Staat gesetzten Verhaltensregeln entspricht1o, es könnte also als rechtstreues Verhalten bezeichnet werden. In einem anderen Werk heißt es, Staatsdisziplin erfordere die Einordnung bzw. Unterordnung des Willens und Handeins jedes Bürgers unter die gesellschaftlichen und rechtlichen Normen 11 • Demnach kommt es für die Staatsdisziplin nicht darauf an, ob die Verhaltensanforderungen als Rechtspflichten formuliert sind. Bestätigt wird dies, wenn es an anderer Stelle heißt, die Anforderungen an die Staatsdisziplin seien umfassender als die in Rechtsakten ausdrücklich formulierten Regeln12. In der neuesten Ausgabe des Lexikons zum Arbeitsrecht wird erstmalig der Begriff der staatsbürgerlichen Pflichten als eigenes Stichwort definiert13. Es soll sich dabei um die "Gesamtheit der allgemein für den Bürger geltenden Rechtspflichten" handeln, "wie sie aus der sozialistischen Staatsund Rechtsordnung auf der Grundlage der sozialistischen Verfassung erwachsen und eng mit seinen Rechten verbunden sind. Die staatsbürgerlichen Pflichten des Bürgers bilden in ihrer Gesamtheit den Inhalt seiner Pflicht zur Wahrung der sozialistischen Staatsdisziplin. Wahrnehmung der staatsbürgerlichen Pflichten bedeutet Einordnung in den und aktives Mitwirken an dem Prozeß, in dem der sozialistische Staat in der Einheit von Beschlußfassung und Durchführung als politische Organisation der Werktätigen gesamtgesellschaftlichen Willen zur Rechtsnorm erhebt und verwirk8 Nur die Wiedergabe des Wortlautes z. B. in Arbeitsrecht, S. 144; Hinweise auf die Staatsdisziplin bei Unser neues Gesetzbuch der Arbeit, S. 68, Stelter: Die Auflösung des Arbeitsvertrages, S. 177, und Wolf: Die Entwicklung des Arbeitsrechts in der DDR, S.128. 9 Stelter: Das Recht der Kündigung, S. 142. 1o Wörterbuch zum sozialistischen Staat, S. 332 (Stichwort: Staatdisziplin). 11 Lexikon der Wirtschaft. Arbeit, S. 561 (Stichwort: Staatsdisziplin, sozialistische). 12 Dötsch u. a.: Die Rolle des Rechts bei der Sicherung der Staatsdisziplin in der Volkswirtschaft, S. 13. 13 Arbeitsrecht von Abis Z, S. 332 (Stichwort: staatsbürgerliche Pflichten).
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licht." Im folgenden Text wird die Bedeutung der Wahrnehmung der staatsbürgerlichen Pflichten für die sozialistische Demorkatie hervorgehoben und als Element des verfassungsrechtlichen Grundsatzes in Art. 3 Abs. 2 Verf. gewertet, nach dem jeder Bürger Verantwortung für das Ganze trägt. Wenn man diesen Text, der dem üblichen redundanten und vagen kommunistischen Sprachgebrauch entspricht, auf seinen Kern zurückführt, schält sich folgendes heraus: Staatsbürgerliche Pflichten sind sachlich nicht begrenzt, sondern umfassen alle allgemeinen Pflichten. Diese müssen in Rechtspflichten erstarkt sein. Problematisch ist die Verankerung der Pflichten in Rechtsnormen. Je unmittelbarer nämlich die Kopplung einer Pflicht an eine Norm ist, desto weniger und präzisere staatsbürgerliche Pflichten gibt es, desto kleiner ist demnach auch der Anwendungsbereich der Entlassungsvorschrift Umgekehrt gibt es um so mehr staatsbürgerliche Pflichten und ist der Anwendungsbereich um so größer, je freier aus Rechtsnormen staatsbürgerliche Pflichten geschöpft werden können. Genau hier ist aber die Erläuterung in der Literatur äußerst vage. Wie oben dargelegt, wird zum Teil der Begriff der Staatsdisziplin, der sich mit der Wahrung der staatsbürgerlichen Pflichten deckt, als ein Pflichtenkreis angesehen, der über das in Rechtsnormen ausdrücklich Niedergelegte hinausgeht. Auch die Definition der staatsbürgerrechtlichen Pflichten im Arbeitsrechtslexikon beläßt es bei dem losen Zusammenhang zwischen Pflicht und Norm. Zwar soll es sich um Rechtspflichten handeln, diese sollen jedoch auch aus der sozialistischen Staatsordnung, nicht nur aus der Rechtsordnung, erwachsen, eine ausdrückliche Fixierung in einer Norm wird also nicht vorausgesetzt. Denn die Staatsordnung, im allgemeinen Staatsform genannt, ist mehr als eine rechtliche Ordnung und umfaßt die klassengebundenen Mittel und Methoden eines Regimes, mit denen die herrschende Klasse ihre Diktatur durchsetzt 14 • Es handelt sich also um einen politisch-ideologischen Begriff. Die angeblich von den staatsbürgerlichen Pflichten geforderte Einordnung in den Prozeß der staatlichen Willensbildung und die Mitwirkungdaranzeigen an, daß es in der Tat um eine Eingliederung in das politische System der DDR und nicht nur um die Befolgung konkreter Ge- und Verbote geht. Soweit über die Praxis etwas bekannt ist, wird das hier gewonnene Ergebnis gestützt: Als Verletzung staatsbürgerlicher Pflichten wurde etwa das Stellen eines Antrages auf Ausreise in die Bundesrepublik geahndet 15, obwohl dies rechtlich nicht verboten ist. Durch eine solche blankettartige Pflichtenschöpfung kraft systembedingter Erforderlichkeit wird die Grenze zwischen Rechts- und Moralnormen verwischt. Grundsätzlich liegt eine 14 Vgl. für den Begriff der Staatsform Dialektischer und historischer Materialismus, S. 320. 15 Schultze-Willebrand, in: Westen u. a . (Hrsg.): Der Schutz der individuellen Rechte und Interessen im Recht sozialistischer Staaten, S. 149; Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Der FDGB von Abis Z, S. 17 (Stichwort: Entlassung, fristlose).
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Rechtspflichtverletzung nicht schon allein deshalb vor, weil ein Verhalten im Widerspruch zu einer moralischen Pflicht, einer ehrenvollen Pflicht stehtls. Moralnormen zeichnen sich gerade dadurch aus, daß sie im Gegensatz zu Rechtsnormen nicht durch die besondere Autorität und zumeist sogar durch Zwangsmittel des Staates durchgesetzt werden, sondern durch ihre Überzeugungskraft und die öffentliche Meinung wirken17 • Die Beziehung zwischen Moral und Recht besteht darin, daß das Recht auf die Durchsetzung der sozialistischen Moral orientiert und diese sich im Prozeß der politisch-moralischen Einheit des Volkes als die das ganze Volk bestimmende Prinzipienordnung durchsetzt. Das Recht beruht auf der Moral, diese geht aber weiter. Zwischen Rechts- und Moralpflichten differenziert auch die Verfassung, wenn sie etwa in Art. 21 Abs. 1 und 2 das Recht auf Mitbestimmung und Mitgestaltung gewährt und in Abs. 3 die Verwirklichung dieses Rechts als eine hohe moralische Verpflichtung jedes Bürgers bezeichnet. Die Differenzierung wird aber aufgehoben, wenn das Recht die Befolgung staatsbürgerlicher Pflichten verlangt, die ihrerseits ihre Grundlage nicht stets in klaren Rechtsge- und -verboten haben, sondern sich aus dem politischen System des Staates ergeben können, dessen Wert- und Verhaltenskodex die sozialistische Moral ist. Zweifelsohne liegt die Funktion eines Tatbestandsmerkmals wie "staatsbürgerliche Pflichten", das auch durch den Rückgriff auf die herrschenden politisch-ideologischen Vorstellungen mit Inhalt gefüllt werden kann, darin, dem Betrieb die uneingeschränkte Möglichkeit zu gewähren, ideologisch abweichendes, aber auch allgemein unerwünschtes Verhalten arbeitsrechtlich zu ahnden. Hier zeigt sich ein rechtstechnischer Unterschied zur KündVO. § 9 Buchst. a KündVO machte die Beachtung der verfassungsmäßigen Grundsätze zur arbeitsrechtlichen Pflicht und statuierte damit ein klares politisches Disziplinierungsmittel, das aber durch die Bezugnahme auf die Verfassung rechtlich begrenzbar war. Die anderen Kündigungsgründe in § 9 KündVO enthielten ebenfalls keine so weitgehende Generalklausel, wie es die staatsbürgerlichen Pflichten darstellen. Statt dessen verpflichtete § 9 Buchst. b KündVO zur Entlassung, wenn ein zuständiges staatliches Untersuchungs- oder Kontrollorgan dies verlangte. Damit konnte, da eine Anfechtung des behördlichen Verlangens nicht möglich war, von staatlicher Seite ohne jede rechtliche Beschränkung die fristlose Entlassung erreicht werden. Der Fortschritt an Rechtsstaatlichkeit, der im GBA und AGB durch das uneingeschränkte Erfordernis eines Entlassungsgrun16 So für die Arbeitspflichten Baumgart, Kaiser: Arbeitsrechtliche Verantwortlichkeit der Werktätigen, S. 15; Hein, Kunz: Verantwortung und Veranwortlichkeit im Arbeitsrecht, in: NJ 1980, 443. 17 Dialektischer und historischer Materialismus, S. 395; Staats- und Rechtstheorie, S. 106, 534 f.; Kleines politisches Wörterbuch, S. 638 f. (Stichwort: Moral) ; zur Verschmelzung von Rechts- und Moralpflichten vgl. Luchterhand: Der verstaatlichte Mensch. Die Grundpflichten des Bürgers in der DDR, S. 46 f., 59.
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des erreicht wurde, wird durch eine viel weitere und unbestimmtere Formulierung der Entlassungsvoraussetzung relativiert1 8 • Die Weite des Tatbestandes wird dadurch etwas zurückgenommen, da es sich um eine schwerwiegende Verletzung handeln muß, um eine Entlassung zu rechtfertigen. Es muß also eine Verletzung größeren Ausmaßes vorliegen. In der Literatur werden etwa eine einmalige schwere Straftat (z. B. schwere Brandstiftung) oder wiederholte leichtere Pflichtverletzungen (etwa Verstöße gegen sozialversicherungsrechtliche Vorschriften) genannt1 9 . Die notwendige Schwere kann sich somit aus dem Gewicht einer einzelnen Tat oder aus der Summe mehrerer Einzeltaten ergeben. Die Beschränkung auf schwerwiegende Verletzungen führte zu wiederholten Ermahnungen in der Literatur, die fristlose Entlassung nur als ultimaratioeinzusetzen und das Schwergewicht auf die Erziehungsanstrengungen zu legen2o. Zusammenfassend ergibt sich also, daß die allgemeinen arbeitsrechtlichen Pflichten hauptsächlich fachlich-ökonomisch ausgerichtet sind, daß jedoch die härteste Reaktion, die fristlose Entlassung, auch bei einem Verhalten ohne direkten arbeitsrechtlichen Bezug erlaubt ist, das ohne rechtliche Präzisierung nur von den herrschenden politisch-ideologischen Anschauungen erheblich mißbilligt wird. 4. Die besondere Pflichtengebundenheit des Staatsbediensteten Die Befolgung staatsbürgerlicher Pflichten im oben herausgearbeiteten Umfang obliegt allen Werktätigen. Für Staatsbedienstete ist die Pflichtenbindung erheblich verschärft. Nach§ 4 Abs. 1 S. 1 MVO sind die Mitarbeiter zu hoher Staats- und Arbeitsdisziplin verpflichtet. Daß die MVO die geforderte Arbeitsdisziplin mit dem Attribut "hoch" versieht, stellt wohl kaum eine Verschärfung dar, denn hohe Arbeitsdisziplin wird von allen Werktätigen verlangt, sie ist die Grundpflicht aus jedem Arbeitsrechtsverhältnis1 . Sie faßt die vorbildliche Erfüllung aller einzelnen sachlichen Arbeitspflichten zusammen. Anders als im AGB wird der Staatsbedienstete jedoch auch auf eine hohe Staatsdisziplin verpflichtet. Daß die Staatsdisziplin vor der Arbeitsdisziplin genannt wird, mag ein Hinweis auf den besonderen Rang dieser Pflicht sein; auch das zur Zeit des Inkrafttretens der MVO geltende GBA nannte bei der fristlosen Entlassung die staatsbürgerlichen Pflichten vor der sozialistischen Arbeitsdisziplin. 18 Mampel: Arbeitsverfassung und Arbeitsrecht in Mitteldeutschland, S. 228, sieht in der Änderung einen Fortschritt in Richtung Rechtssicherheit Dem dürfte wegen der Konturlosigkeit des Tatbestandes nur bedingt zuzustimmen sein. 19 Lisker: Ist ein Verstoß gegen die Vorschriften über die Gewährung von Leistungen der Sozialversicherung zugleich eine Arbeitspflichtverletzung?, in: NJ 1975, 109. 20 Stelter: Die Auflösung des Arbeitsvertrages, S. 182. 1 Arbeitsrecht, S. 174 f.
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3. Kap.: Der öffentliche Dienst in der DDR
Eindeutig ist jedenfalls, daß die Mitarbeiter in den Staatsorganen arbeitsrechtlich weitaus stärker an die Einhaltung staatsbürgerlicher Pflichten gebunden sind als die Werktätigen nach dem AGB. Wie oben dargelegt, deckt sich der vom Begriff der Staatsdisziplin umfaßte Pflichtenkreis mit dem der staatsbürgerlichen Pflichten. Während im AGB die Einhaltung dieser Pflichten bei der Aufzählung der Arbeitsrechtspflichten überhaupt nicht erwähnt wird, macht die MVO die Wahrung der Staatsdisziplin im gleichen Rang wie die Arbeitsdisziplin zur arbeitsrechtlichen Pflicht. Im Gegensatz zum AGB wird hier das Arbeitsrecht nicht nur nebenbei als Instrument zur allgemeinen Disziplinierung eingesetzt, sondern es gehört zum Wesen und Inhalt eines Staatsdienstarbeitsrechtsverhältnisses, neben den spezifisch dienstlichen Pflichten auch die allgemein bestehenden Pflichten zu erfüllen. Der zweite Unterschied zum AGB liegt im Grad der Bindung: Während dort nur die schwerwiegende Verletzung staatsbürgerlicher Pflichten von arbeitsrechtlicher Bedeutung ist, nämlich einen Entlassungsgrund darstellt, sind Staatsbedienstete zu hoher Staatsdisziplin verpflichtet. Damit ist jede Verletzung einer Pflicht, auch wenn sie mit dem Dienst nichts zu tun hat, gleichzeitig ein Verstoß gegen die arbeitsrechtlichen Pflichten. Auch die Literatur betont die besondere Bedeutung der Staatsdisziplin für Staatsfunktionäre2 • In ihrer Tätigkeit als Beauftragte des sozialistischen Staates seien Staats- und Arbeitsdisziplin besonders eng verflochten. Die Bindung geht aber noch weiter: Nach§ 4 Abs. 1 S. 2 MVO muß das Verhalten der Staatsbediensteten innerhalb und außerhalb ihrer dienstlichen Tätigkeit der Verfassung der DDR und den Grundsätzen der sozialistischen Moral entsprechen3 . Damit wird der Bereich der Rechtspflichtenbindung endgültig verlassen; schon im allgemeinen Arbeitsrecht können die Rechtspflichten zum Teil nur unter Rückgriff auf die sozialistische Moral ermittelt werden, nach der MVO wird die über Rechtspflichten hinausgehende sozialistische Moral selbst rechtsverbindliche Verhaltensnorm. Der Inhalt der sozialistischen Moral ist im kommunistischen Selbstverständnis klassenbezogen. Moral als eine Form gesellschaftlichen Bewußtseins spiegelt die sittlichen Anschauungen der jeweiligen Klasse wider, so daß es in klassengespaltenen Gesellschaften keine einheitliche Moral geben kann. Erst im Sozialismus entsteht auf der Basis gleicher ökonomischer und sozialer Verhältnisse eine qualitativ neue Moral, die eine einheitliche Moral der ganzen Gesellschaft werden kann. Sozialistische Moral ist somit "die Gesamtheit der sittlichen Werte und Normen, die aus dem Befreiungskampf der Arbeiterklasse, aus den Erfordernissen und Bedürfnissen des sozialistiArbeitsrecht von Abis Z, S. 332 (Stichwort: staatsbürgerliche Pflichten). Zur allgemeinen Praxis der DDR die "Grundsätze sozialistischer Moral" gesetzlich zur Rechtspflicht zu machen, vgl. Luchterhand: Der verstaatlichte Mensch, s. 230 ff. 2
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sehen Aufbaus, insbesondere der sozialistischen Arbeit und des neuen sozialistischen Gemeinschaftslebens erwachsen und die auf die Festigung und ständige Höherentwicklung der sozialistischen Gemeinschaftsbeziehungen und der sozialistischen Persönlichkeit, auf den Sieg des Friedens in der Welt gerichtet sind"4. Der konkrete Inhalt der sozialistischen Moral liegt, wie aus der Definition ersichtlich wird, vollständig im Ermessen der Machthaber, die die Definitionsmacht über den Begriff Sozialismus innehaben. Die Moral wird nicht bestimmt von klassenunabhängigen Werten, sondern rein pragmatisch von den "Bedürfnissen des sozialistischen Aufbaus". Im Ergebnis bedeutet dies, daß moralisch ist, was dem Sozialismus nützt, und unmoralisch ist, was ihm schadet. In der Verpflichtung der Mitarbeiter in den Staatsorganen auf die sozialistische Moralliegt im Grunde die Bindung an die jeweiligen- insbesondere politischen- Anschauungen der Führung. Demgegenüber bedeutet die Bindung an die Verfassung nach § 4 Abs. 1 S. 2 MVO eine Verpflichtung auf besonders wichtige Grundentscheidungen. Die Verfassung enthält "die für die jeweils herrschende Klasse wichtigsten rechtlichen Regelungen über die Gesellschafts- und Staatsordnung ... und (fixiert) die mit höchster staatlicher Autorität versehenen politischen, wirtschaftlichen, sozialkulturellen und staatsorganisatorischen Grundsätze und Formen eines bestimmten Staates"s. Die Verfassung der DDR ist sozialistisch, und damit wird der Staatsbedienstete auch auf die verfassungsrechtlich verankerten sozialistischen Prinzipien verpflichtet, das heißt u. a. darauf, daß alle politische Macht von den Werktätigen und ihrer marxistischleninistischen Partei ausgeübt wird 6 , daß die Volkswirtschaft auf dem sozialistischen Eigentum an den Produktionsmitteln beruht und sozialistische Planwirtschaft ist7, daß der demokratische Zentralismus das tragende Prinzip des Staatsaufbaus ists, daß die DDR für immer und unwiderruflich mit der UdSSR verbündet ist9 , daß die DDR die Staaten und Völker, die gegen den Imperialismus und sein Kolonialregime, für nationale Freiheit und Unabhängigkeit kämpfen, in ihrem Ringen um gesellschaftlichen Fortschritt unterstütztlO. Sich nach diesen Grundsätzen und der sozialistischen Moral zu verhalten wird vom Staatsbediensteten auch außerdienstlich verlangt. Die Unter4 Klaus, Buhr (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch, S. 826 (Stichwort: Moral). s Staatsrecht der DDR, S. 32. s Art. 1 Abs. 1, 2 S. 1 Verf. 7 Art. 9 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 2 Verf. s Art. 47 Abs. 2 Verf. 9 Art. 6 Abs. 2 S. 1 Verf. 10 Art. 6 Abs. 3 S. 1 Verf.
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3. Kap.: Der öffentliche Dienst in der DDR
scheidung zwischen Privat- und Arbeitsbereich fällt. Der Staatsbedienstete hat sich auch im Privatleben wie ein guter Kommunist zu verhalten. Angesichts der hohen, weit über blosse Rechtsanforderungen hinausgehenden Ansprüche, die die sozialistische Moral erhebt, kommt der in § 4 Abs. 1 S. 1 MVO geforderten hohen Staatsdisziplin wohl weniger die Funktion zu, die Staatsbediensteten zu außerdienstlichem pflichtgemäßen Verhalten anzuhalten, als vor allem die strikte Beachtung der Gesetze bei der Verwaltungstätigkeit anzumahnen. Staatsdisziplin würde sich dann vor allem auf die Wahrung der sozialistischen Gesetzlichkeit als eines Prinzips staatlicher Leitung beziehen11 . Der Begriff der Staatsdisziplin scheint bei Staatsbediensteten abweichend vom üblichen Sprachgebrauch auch die sie nur in ihrer Eigenschaft als Staatsbedienstete treffenden Normen zu umfassen. Die Funktion des Tatbestandsmerkmals Staatsdisziplin kann sich allerdings darauf nicht beschränken, denn in § 5 Abs. 1 S. 1 MVO werden die Mitarbeiter zur Wahrung der sozialistischen Gesetzlichkeit verpflichtet, so daß die Wahrung der Staatsdisziplin eine darüber hinausgehende Bedeutung haben muß. Neben den bislang dargelegten ideologisch unterlegten Verhaltenspflichten legt die MVO auch eine Systembindung für die Staatsbediensteten im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit fest. Die Präambel zur MVO, die die politische Hauptrichtung der Verordnung darlegt, betont im ersten Satz, daß die Schaffung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus die politische, ideologische, ökonomische und militärische Stärkung der DDR erfordere. Die MVO wird damit in das allgemeine politische Gesamtkonzept gestellt, die entwickelte sozialistische Gesellschaft zu gestalten12 . Der Stärkung der DDR in den genannten Bereichen zur Verfolgung dieses Ziels soll die MVO dienen. Bezeichnend für die Systemgebundenheit ist dabei, daß vor den eher klassischen Aufgaben der ökonomischen und militärischen Stärkung des Staates die politische und ideologische Stärkung genannt wirdl3. Die politische Gebundenheit der Tätigkeit der Staatsbediensteten ergibt sich insbesondere aus § 2 Abs. 2 MVO. Danach sind Tätigkeitsgrundlage für die Mitarbeiter in den Staatsorganen "die Beschlüsse der Partei der Arbeiterklasse, die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, die 11 In diese Richtung laufen die Kommentierungen in Staatsrecht der DDR, 1. Aufl., S. 450, und Verwaltungsrecht, S . 167; zur sozialistischen Gesetzlichkeit und ihrem Verhältnis zur Staatsdisziplin und sozialistischen Moral vgl. Kleines politisches Wörterbuch, S. 869 f. (Stichwort: sozialistische Gesetzlichkeit). 12 Zur entwickelten sozialistischen Gesellschaft als einer "gesetzmäßigen Entwicklungsstufe innerhalb der sozialistischen Phase der einheitlichen kommunistischen Gesellschaftsformation" vgl. ebda., S. 221 ff. (Stichwort: entwickelte sozialistische Gesellschaft). 13 In Verwaltungsrecht, S. 165, heißt es global "Stärkung der sozialistischen Staatsmacht" .
4. Die besondere Pflichtengebundenheit des Staatsbediensteten
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Gesetze und Beschlüsse der Volkskammer, die Erlasse und Beschlüsse des Staatsrates, die Verordnungen und Beschlüsse des Ministerrates sowie die Beschlüsse der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Räte." Die Aufzählung stellt ersichtlich eine Normquellenhierarchie dar, an deren Spitze, noch vor der Staatsverfassung, die Beschlüsse der SED stehen. Die Staatsbediensteten sind in ihrer amtlichen Tätigkeit also nicht nur abstrakt auf die kommunistischen Ideologie festgelegt, sondern konkret auf die Beschlüsse der Partei, wobei es dem Text nach keinerlei Beschränkungen der Kompetenz der Partei gibt, was den Inhalt und die Detailliertheit ihrer Beschlüsse betrifft. § 2 Abs. 3 S . 1 MVO bleibt bei dieser Hierarchie, wenn er in Präzisierung des Abs. 2 zum Gehorsam gegenüber derartigen Vorschriften verpflichtet: "Die Mitarbeiter haben die Beschlüsse der Partei der Arbeiterklasse, die Gesetze und die anderen Rechtsvorschriften der Deutschen Demokratischen Republik gründlich auszuwerten und ... konsequent durchzuführen." Diese Regelung ist die Umsetzung der Verfassungsvorschrift in das Recht des öffentlichen Dienstes, daß die DDR die politische Organisation der Werktätigen "unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei" ist14. Der Staat als wichtigstes Machtinstrument der herrschenden Klasse und das Recht als zum Gesetz erhobener Wille der herrschenden Klasse15 bedingen, daß der Staatsbedienstete als Beauftragter der Arbeiter-und-Bauern-Macht16 an die Beschlüsse der Partei als dem bewußten und organisierten Vortrupp der Arbeiterklasse gebunden ist. Das in dieser Regelung zum Ausdruck kommende Gesetz von der führenden Rolle der marxistisch-leninistischen Partei rechtfertigt sich nicht nur aus der bloßen Tatsache, daß sie im sozialistischen Staat die Macht hat, sondern daraus, daß - so die offizielle Auffassung - die Gestaltung der gesellschaftlichen Entwicklung im Sozialismus nicht einem spontanen Voluntarismus anvertraut wird, vielmehr das Resultat bewußter, zielgerichteter und organisierter Tätigkeit ist. Dies kann nur unter konsequenter Ausnutzung der gesellschaftlichen Bewegungsgesetze erfolgen. Die Partei der Arbeiterklasse als die höchste Form der Klassenorganisation verfügt über die fortgeschrittenste Theorie zur Erkennung der objektiven gesellschaftlichen Erfordernisse und ist damit berufen, die Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft wissenschaftlich zu leiten17.
14 Art. 1 Abs. 1 S. 2 Verf.
Zum Staat als Hauptinstrument vgl. Staats- und Rechtstheorie, S. 251 ff.; die Kennzeichnung des Wesens des Rechts findet sich im Manifest der Kommunistischen Partei, Marx, Engels: Werke, Bd. 4, S. 477. 1s So S. 2 der Präambel der MVO. 17 Vgl. Wissenschaftlicher Kommunismus, S. 14, 56 ff.; Staatsrecht der DDR, S. 110, 279; Sorgenicht u. a. (Hrsg.): Verfassung der DDR, S. 226 ff. 15
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3. Kap.: Der öffentliche Dienst in der DDR
Das Recht ist der durch eine Norm objektivierte staatliche Wille1s, der Klassenwille muß also erst durch den Staat in eine Rechtsnorml9 transformiert werden. In der Hauptsache geschieht dies durch einen Normativakt eines Staatsorgans, es gibt aber auch die Möglichkeiten des Volksentscheides, des Normativakts einer dazu vom Staat ermächtigten gesellschaftlichen Organisation und die vom Staat sanktionierte Rechtsgewohnheit20. In § 2 Abs. 2 und 3 MVO werden die Normativakte erst hinter den Beschlüssen der SED genannt, weil der Klassenwille, der materiell dem Recht innewohnt und dessen formale Transformation durch einen Normativakt Recht entstehen läßt, von der SED formuliert wird. Die zur Setzung von Normativakten berufenen staatlichen Organe haben sich, entsprechend dem Charakter des Staats als Machtapparat in den Händen der Arbeiterklasse, bei ihrer Rechtsetzung von den Beschlüssen der Partei leiten zu lassen21 . Aus dem Zusammenspiel dieser beiden Grundsätze über das Wesen des Rechts und des Staates ergibt sich zwingend, daß in der Bindungshierarchie des § 2 Abs. 2 und 3 MVO die Beschlüsse der SED vor den eigentlichen Rechtsnormen rangieren müssen. In der Literatur wird die Bindung der Staatsbediensteten an das System ebenfalls deutlich hervorgehoben. Die Arbeit in den Staatsorganen sei Klassenauftrag, so daß der Staatsbedienstete der Arbeiterklasse und seiner Partei für sein Handeln verantwortlich und rechenschaftspflichtig sei22. In der Verpflichtung auf die Beschlüsse der SED manifestiere sich die Pflicht der Mitarbeiter, "Treue zur Arbeiterklassse, zu ihrer marxistisch-leninistischen Partei und zum sozialistischen Staat" zu halten23. 5. Die Pflichtengebundenheit im Sicherheitsbereich Am schärfsten gefaßt ist die Pflichtenbindung für die im Sicherheitsbereich Tätigen, etwa für die dem Ministerium des Innern unterstellte DVP und die Organe Feuerwehr und Strafvollzug. Die DLO unterwirft in § 5 Abs. 1, der die Überschrift "Pflichten und Rechte der Angehörigen des Ministeriums des Innem" trägt, die hier Beschäftigten besonders weitgehenden Theorie des Staates und des Rechts, Bd. 4, S. 9. Was in der DDR als Recht und Rechtsnorm angesehen werden kann, ist in der westlichen Literatur umstritten, vgl. Mampel: Die sozialistische Verfassung in der DDR, Art. 42 Rdnr. 11, der Parteibeschlüsse als Normen im weiteren Sinne auffaßt wegen ihrer über Parteimitglieder hinausgehenden Bindungswirkung; vgl. auch Meissner, in: ROW 1973, 252, mit seiner Unterscheidung in formelle und materielle Rechtsverfassung einerseits und normative Verfassung (unter Einbeziehung der Ideologie und in Abgrenzung zur Verfassungswirklichkeit) andererseits. 2o Theorie des Staates und des Rechts, Bd. 4, S. 232. 21 Ebda., S. 229 f. ; Staatsrecht der DDR, S. 279, 22 Ebda., S. 271 f . 23 Ebda., 1. Aufl., S. 448. 18
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5. Die Pflichtengebundenheit im Sicherheitsbereich
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Verpflichtungen. Nach dem einleitenden Satz, daß diese Personen die verfassungsmäßigen Grundrechte und Grundpflichten der Bürger besäßen, heißt es im nächsten Satz: "Die Ausübung der Grundrechte und Grundpflichten erfolgt in Übereinstimmung mit den Erfordernissen der ... übertragenen Aufgaben." Schon allgemein besteht der Grundsatz, daß sozialistische Grundrechte nicht der persönlichen Entfaltung nach eigener Zielsetzung dienen, sondern sie die Entfaltung des Bürgers zur sozialistischen Persönlichkeit auf der Grundlage der sozialistischen Gesellschaftsordnung ermöglichen und fördern sollen1 . Das Ziel sozialistischer Menschenrechte ist nicht, einen Schutzraum für die Launen von Einzelgängern oder eine Spielwiese ihrer Willkür zu errichten; es handelt sich nicht um allgemeinmenschliche, sondern um Klassenrechte und Instrumente der sozialistischen Gesellschafts- und Persönlichkeitsentwicklung. Daraus ergibt sich etwa, daß sozialistische Bürgerrechte kapitalistische Verhältnisse und deren Propaganda nicht legalisieren2 • Die Gewährung der verfassungsmäßigen Grundrechte und Grundpflichten reicht also schon für jeden Bürger nur so weit, wie es mit den von der Partei formulierten Erfordernissen der sozialistischen Gesellschaftsentwicklung vereinbar ist. Die Grundrechtseinschränkung für Angehörige des Ministeriums des Innern geht noch weiter, indem die Grundrechtsgewährung auch von den Erfordernissen der übertragenen Aufgaben abhängig gemacht wird3. Der nächste Satz, § 5 Abs. 1 S. 3 DLO, zieht die Konsequenz: "Die sich daraus ergebenden besonderen Rechte und Pflichten ... werden ... durch Weisungen des Ministers des Innern und Chefs der Deutschen Volkspolizei geregelt." Konkret heißt dies angesichts fehlenden gerichtlichen Schutzes, daß über den Umfang der Grundrechte der oberste Vorgesetzte entscheidet. Die Aufgabe der Angehörigen des Ministeriums des Innern ist vor allem auf den Schutz des politischen Systems gerichtet. Nach der Präambel zur DLO haben sie u. a. "die sozialistische Entwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik zuverlässig zu schützen." Noch deutlicher wird der Eid, den die Personen im Gegensatz zu den der MVO unterliegenden Staatsbediensteten zu leisten haben4 • Der Betreffende schwört u. a., "meinem sozialistischen Vaterland, der Deutschen Demokratischen Republik und ihrer Regierung allzeit treu ergeben zu sein" und "daß ich, ohne meine Kräfte zu schonen, auch unter Einsatz meines Lebens, die sozialistische Gesellschafts-, Staats- und Rechtsordnung . .. vor verbrecherischen Anschlägen schützen werde." Das zuerst genannte Schutzgut ist das politi1 Kleines politisches Wörterbuch, S. 360 (Stichwort: Grundrechte und Grundpflichten der Bürger). 2 Staats- undRechtstheorie, S . 417. 3 Das ähnelt im Ansatz der Grundrechtsgewährung an Personen im besonderen Gewaltverhältnis im bundesdeutschen Verfassungsrecht. 4 Anl. zu § 4 DLO.
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3. Kap.: Der öffentliche Dienst in der DDR
sehe System in Form der sozialistischen Gesellschaftsordnung, erst dann folgen die Staats- und Rechtsordnung. Ganz am Schluß im Eid folgen später das sozialistische Eigentum, die Persönlichkeit, die Rechte und das persönliche Eigentum der Bürger. Die so formulierte allgemeine Aufgabe wird in § 5 Abs. 2 DLO in konkrete Einzelpflichten umgesetzt. Hier tritt im Gegensatz zum Eid, der als Objekt der Treue nur Staat und Regierung nennt, der ideologische Charakter deutlicher hervor. Der Angehörige des Ministeriums des Innern hat nämlich an erster Stelle "der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei treu ergeben zu sein sowie die Deutsche Demokratische Republik, den sozialistischen Staat der Arbeiter und Bauern, zuverlässig zu schützen". An zweiter Stelle folgt nicht etwa, wie es zu erwarten wäre, die Unterordnung unter die Rechtsvorschriften und staatlichen Vorgesetzten, sondern die Pflicht, "die Freundschaft und Verbundenheit zur Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken sowie zu den Ländern der sozialistischen Staatengemeinschaft weiter zu festigen und jederzeit im Sinne des sozialistischen Internationalismus zu handeln". Erst dann folgt im Pflichtenkatalog die Einhaltung der Gesetze und Befehle der Vorgesetzten. Die Reihenfolge, die eine Bindungsstufung enthält, lautet also SED, Sowjetunion, Staat. Zu den konkret aufgezählten Pflichten gehört weiter, "nach den Prinzipien der sozialistischen Ethik und Moral zu arbeiten, zu lernen und zu leben". Der Sache nach ist das eine vollständige Unterwerfung des dienstlichen und außerdienstlichen Verhaltens unter die Verhaltensmaßstäbe derjenigen, die die Definitionsmacht darüber haben, was sozialistisch ist, also der SED. Die von § 4 Abs. 1 S. 2 MVO (Verhalten muß dienstlich und außerdienstlich den Grundsätzen der sozialistischen Moral entsprechen) abweichende Formulierung in der DLO dürfte sachlich eine Intensivierung bedeuten. Die Wortwahllehnt sich wohl an die von den Gewerkschaften getragene Wettbewerbsinitiative "Bewegung sozialistisch arbeiten, lernen und leben" an5 • Bereits in§ 4 Abs. 1 der der DLO vorangehenden DLO 19646 wurde die Formulierung (dort lediglich Gebote statt Prinzipien) benutzt, also vor Erlaß der MVO. Sie betont im Gegensatz zur MVO-Wortwahl, mit der auch ein nur äußerlich angepaßtes Verhalten vereinbar ist, etwas mehr die Ausrichtung der gesamten Lebensführung und damit auch die inneren Einstellung auf den Sozialismus. Außerdem dürfte in dem Begriffspaar "sozialistische Ethik und Moral" eine Verstärkung gegenüber der MVO, die nur die sozialistische Moral erwähnt, liegen. Inhaltlich ist dies allerdings eine nicht 5 Kleines politisches Wörterbuch, S. 130 f. (Stichwort: Bewegung .,Sozialistisch arbeiten, lernen und leben"). 6 Erlaß des Staatsrates über das Dienstverhältnis in der Deutschen Volkspolizei sowie in den Organen Feuerwehr, Strafvollzug und Luftschutz des Ministeriums des Innern vom 09.12.1964 (GBL 1965 I S . 65).
6. Die Gehorsamspflicht
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leicht verständliche Verdoppelung, denn Ethik ist die Wissenschaft von der Moral, das theoretisch ausgearbeitete Moralbewußtsein7 • Daraus folgt, daß die Ethik keine weitergehenden Ansprüche an das Verhalten des einzelnen stellen kann als die Moral, ja eigentlich, daß die Ethik selbst überhaupt keine Verhaltensanforderungen stellt, denn sie macht nur Aussagen über die Moral, also über Werte und Normen. Gemeint ist mit der Verdoppelung wohl, daß das geforderte moralische Verhalten bewußt, nämlich auf die Prinzipien der sozialistischen Ethik gestützt, sein soll, daß die Moral nicht nur beachtet, sondern auch verinnerlicht werden soll. Die schon im AGB verankerte Möglichkeit, bei schwerwiegenden Verletzungen der staatsbürgerlichen Pflichten fristlos zu entlassen, ist auch in § 16 Abs. 2 DLO vorgesehen. Politisches Fehlverhalten eines Polizisten, Feuerwehrmannes oder Strafvollzugsbediensteten ist angesichts der oben aufgezeigten, totalen politischen Bindung eine Pflichtverletzung im Kernbereich des Dienstes, die wie jede andere Dienstpflichtverletzung disziplinarisch geahndet wird. Disziplinarische Gründe sind nach § 16 Abs. 1 Buchst. h DLO ein selbständiger Entlassungsgrund. Daraus folgt, daß der Begriff staatsbürgerliche Pflichten nicht in erster Linie auf politisches Fehlverhalten zugeschnitten ist, sondern hier für die Verletzung ideologisch neutralerer Vorschriften von Bedeutung ist. 6. Die Gehorsamspflicht
Das Weisungsrecht ist in der DDR für Staatsbedienstete abweichend von den allgemeinen Vorschriften geregelt. Nach§ 83 Abs. 1 AGB ist der Werktätige verpflichtet, Weisungen mit Umsicht und Initiative auszuführen. § 82 Abs. 2 AGB erlaubt Weisungen "zur Konkretisierung der im Arbeitsvertrag vereinbarten Bedingungen, insbesondere der Arbeitsaufgabe und des Verhaltens des Werktätigen im Zusammenhang mit der Arbeit." Es handelt sich beim Weisungsrecht im AGB um ein Institut, das keine originären Rechte und Pflichten schafft, sondern nur die Pflicht konkretisiert, die sich aus der vereinbarten Arbeitsaufgabe und den allgemeinen Anforderungen, aus der im Betrieb zu leistenden gemeinschaftlichen Arbeit ergeben!. Das Weisungsrecht entspricht also im wesentlichen dem Direktionsrecht des Arbeitgebers im bundesdeutschen Arbeitsrecht, ist aber durch das gesetzliche sog. erweiterte Weisungsrecht, unter bestimmten Bedingungen auch eine andere 7 Kleines politisches Wörterbuch, S. 241 (Stichwort: Ethik); Dialektischer und historischer Materialismus, S. 395; Klaus, Buhr (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch, S. 381 f. (Stichwort: Ethik). Die sozialistische Ethik gliedert sich in einen philosophisch-theoretischen Teil, der allgemeine Aussagen über die Moral macht, und einen normativen Teil, der inhaltliche Aussagen über Moralwertungen und -forderungen trifft. 1 Arbeitsrecht, S. 170.
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3. Kap.: Der öffentliche Dienst in der DDR
als die vereinbarten Arbeit übertragen2 , Überstundenarbeit 3 , Arbeitsbereitschaft4 und Urlaubsunterbrechungs anordnen zu dürfen, stärker gefaßt. Mit dem Weisungsrecht korrespondiert ein Weisungsverweigerungsrecht Gemäß § 83 Abs. 2 AGB kann der Werktätige die Ausführung einer Weisung ablehnen, wenn durch sie Arbeitspflichten über die Bestimmungen des Arbeitsvertrages oder die Rechtsvorschriften hinaus begründet werden sollen. Trotz des Wortlauts, der scheinbar nur Weisungen erfaßt, die vorsätzlich überobligatorische Arbeitspflichten schaffen, kommt es nur darauf an, ob die Weisung ihre Ermächtigung in § 82 Abs.2 AGB findet6. Der Werktätige braucht auch Weisungen nicht zu befolgen, die den allgemeinen arbeitsrechtlichen Vorschriften nicht entsprechen7• Das Weisungsverweigerungsrecht wird in der Literatur also keineswegs einengend ausgelegt. Dem Werktätigen ist eine ähnliche Rechtsstellung gewährt wie dem Arbeitnehmer nach bundesdeutschem Arbeitsrecht. Für Staatsbedienstete kommt es hinsichtlich des Verweigerungsrechts n icht auf den Widerspruch der Weisung zu den eigenen rechtlich begründeten Arbeitspflichten an, sondern auf die Strafrechtswidrigkeit: Nach § 6 Abs. 1 S. 2 MVO sind die Staatsbediensteten verpflichtet, die ihnen gegebenen Weisungen durchzuführen. Die Ausführung rechtswidriger Weisungen darf nicht wie nach dem AGB verweigert werden, sondern es besteht das Recht und die Pflicht, beim zuständigen Leiter Einspruch zu erheben8 . Damit ist die Verfügbarkeit der Mitarbeiter deutlich erhöht. Ebenso wie nach § 83 Abs. 2 S. 3 AGB darf auch der Staatsbedienstete nach § 6 Abs. 2 S. 2 MVO eine Weisung nicht befolgen, wenn sie gegen die Strafgesetze der DDR verstößt. Für diesen, aber auch nur für diesen Fall erkennt das Recht der Staatsbediensteten ein Verweigerungsrecht an, das gleichzeitig eine Pflicht dazu ist. Das Einspruchsrecht wie auch erst recht das Verweigerungsrecht dürfen nicht ohne weiteres bei vermeintlicher Rechts- bzw. Strafrechtswidrigkeit in Anspruch genommen werden. Die Literatur distanziert sich ausdrücklich von "subjektivistischem Herangehen" an Weisungen9• Unter Subjektivismus wird eine Haltung verstanden, die unter vollständiger oder teilweiser Ignorierung der objektiven Beschaffenheit und Gesetzmäßigkeit der mate§§ 84 ff. AGB. §§ 172 ff. AGB. 4 § 180 AGB. 5 § 198 AGB. 6 So Arbeitsrecht von Abis Z, S. 384 (Stichwort: Weisungsverweigerungsrecht). 7 Arbeitsrecht, S. 172. 8 § 6 Abs. 2 S. 1 MVO; dazu, daß das Einspruchsverfahren das Weisungsverweigerungsrecht des AGB ersetzen und nicht nur ergänzen soll, vgl. Lexikon der Wirtschaft. Arbeit, S. 943 (Stichwort: Weisungsverweigegerungsrecht). 9 St aatsrecht der DDR, 1. Aufl., S. 450. 2
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6. Die Gehorsamspflicht
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riellen Welt das menschliche Subjekt und seine Aktivität verabsolutiertl 0 , eine Haltung, die sich dann in Auffassungen und Maßnahmen äußert, die vorwiegend von bestimmten Wünschen oder Illusionen und nicht oder nur unzureichend von der realen Situation ausgehen 11 • Für die Prüfung der Rechtsmäßigkeit einer Weisung bedeutet also subjektivistisches Herangehen, daß man seine persönliche Auffassung vom Inhalt der Gesetze und seine persönlichen Moralvorstellungen vor den objektiven und parteilichen Standpunkt der marxistisch-leninistischen Weltanschauung stellt. Der Staatsbedienstete hat vielmehr sorgsam die "politischen, ökonomischen, moralischen und juristischen Aspekte" zu prüfen 12 • Bei dieser Aufzählung wird deutlich, daß bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Weisung die speziell juristische Betrachtung an letzter Stelle steht. Zuerst ist die Weisung unter politischen Aspekten zu würdigen, also zu prüfen, ob sie dem von der SED formulierten politischen Ziel der Arbeiterklasse dient. Moralische Prüfung bedeutet, die Weisung an den Anforderungen der sozialistischen Moral zu messen. Diese ist als Klassenmoral ebenfalls von den politischen Zielen der Arbeiterklasse abhängig. Die juristische Prüfung einer Weisung ist der Sonderfall der allgemeinen Pflicht nach § 2 Abs. 3 S. 1 MVO, die Beschlüsse der SED, die Gesetze und anderen Rechtsvorschriften gründlich auszuwerten und durchzuführen. Die Reihenfolge, die die Parteibeschlüsse vor die Gesetze stellt, deuten den rechtstheoretischen Hintergrund an, vor dem Gesetzesauslegung b etrieben werden muß. Gesellschaftliche Erscheinungen, zu denen auch das Recht gehört, sind auf bestimmte Klasseninteressen zurückzuführen; dieses Klasseninteresse ermöglicht es, das Motiv und das Ziel der rechtlichen Regelung zu findenlJ. Das Gesetz ist nur die Form, in der der Klassenwille ausgedrückt und verankert wird, so daß das Gesetz nicht fetischisiert und von seiner sozialen Grundlage gelöst werden darf14 • Aus dieser Hilfsfunktion des Rechts ergibt sich der Vorrang der politischen Betrachtung, die die Auslegung bestimmt. Aufzudecken ist durch die Auslegung der Staatswille, nicht der "Wille des Gesetzes", der sich vom Staatswillen lösen könnte. Es ist kennzeichnend für diese Auffassung, daß autoritative Interpretationen und sonstige Äußerungen offizieller Stellen, von Parteiorganen und bekannten Partei- und Staatsfunktionären als Erkenntnismittel heranzuziehen sind15 . Auslegung kann und soll im Einzelfall dazu führen, die Unanwendbarkeit einer formell besteh enden Norm festzustellen , weil die gesellschaftlichen Kleines politisches Wörterbuch, S. 942 (Stichwort: Subjektivismus). u Klaus, Buhr (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch, S. 1190 (Stichwort: Subjektivismus). 12 Staatsrecht der DDR, 1. Aufl., S. 450. 13 Theorie des Staates und des Rechts, Bd. 4, S . 22 f. 14 Ebda., S. 328. 15 Ebda ., S . 329 f., 334. 10
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3. Kap.: Der öffentliche Dienst in der DDR
Verhältnisse sich geändert haben, oder - besonders bei Gesetzen aus der Zeit vor der Errichtung des Sozialismus- den Bedeutungswandel von Wörtern herauszuarbeiten Ia. Durch diese rechtstheoretische Lage ergibt sich eine wesentliche Einschränkung des für Staatsbedienstete sowieso engen Weisungsverweigerungsrechts. Was von der politischen Führung, daß heißt der Parteiführung, gebilligt wird, ist auch das objektive, wissenschaftlich erarbeitete politische Ziel der Arbeiterklasse und damit deren Wille. Da dieser Wille den materiellen Gehalt des Rechts ausmacht, kann ihm nicht die bloß formelle Qualität eines Normativaktes entgegengehalten werden. Recht, Moral und der von der SED formulierte Wille der Arbeiterklasse sind eine Einheit, inhaltliche Widersprüche zwischen ihnen können nicht auftreten. Dieses ernsthafte Widersprüche im Sozialismus leugnende Einheitsdenken gipfelt auch in der rechtswissenschaftliehen Literatur in dem Satz: "In der sozialistischen Gesellschaft gibt es keine Gegensätze zwischen der Politik und dem Recht17 ." Äußerlich auftretende Widersprüche zu beseitigen und das objektive Interesse der Arbeiterklasse, wie es die SED versteht, als Inhalt des Gesetzes herauszuarbeiten ist die Aufgabe der Auslegung. Das Recht als ein Instrument der Herrschenden kann und darf sich nicht zu einem Hindernis bei der Verwirklichung des politischen Willens der Führung entwickeln. Der Staatsbedienstete kann daher nur dann die Rechts- bzw. Strafrechtswidrigkeit einer Weisung geltend machen, wenn sie auch von der politischen Führung mißbilligt wird. Die Gehorsamsregelung nach der DLO ist unklar geregelt. Fest steht, daß arbeitsrechtliche Vorschriften gemäß § 1 Abs. 2 DLO keine Anwendung finden. Damit scheidet eine Anwendung des AGB und der auf arbeitsrechtlicher Ermächtigung beruhenden MVO aus. Die DLO äußert sich nur zur Gehorsamspflicht, nicht auch zu einem möglichen Verweigerungsrecht. § 1 Abs. 1 DLO gibt als Grundlage des Dienstverhältnisses hinter den Rechtsvorschriften die "Befehle, Direktiven und anderen Weisungen" des Ministers des Innern und Chefs der Deutschen Volkspolizei an. § 5 Abs. 2 Buchst. c DLO verlangt von den Mitarbeitern, die Befehle des Ministers und der Dienstvorgesetzten "einzuhalten und mit schöpferischer Initiative zu verwirklichen". Der zu leistende Eid umfaßt den Schwur, "die Gesetze und Weisungen genau einzuhalten". Wie sich der Angehörige der DVP, der Organe Feuerwehr und Strafvollzug bei rechtswidrigen Befehlen verhalten soll, wird in der DLO nicht erläutert. Das offiziöse Militärlexikon führt unter dem Stichwort "Befehlsverweigerung" aus, sie sei in imperialistischen Armeen "zumeist Ausdruck gerecht1s Ebda., S . 333 f . 17
Schüßler: in: StuR 1974, 1949.
6. Die Gehorsamspflicht
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fertigten Widerstandes gegen die aggressive und volksfeindliche Militärpolitik des Ausbeuterstaates". In sozialistischen Armeen jedoch richte sie sich nicht nur gegen das persönliche Interesse, sondern auch gegen das der ganzen Gesellschaftl8 . Von berechtigter Befehlsverweigerung im Sozialismus ist nicht die Rede. Näheres dazu dürfte aber in der Innendienstordnung für Angehörige des Ministeriums des Innern stehen, die nicht veröffentlicht ist. Eine vergleichbare Konstellation findet sich für die NVA: In § 22 Abs. 3 Buchst. b des Wehrdienstgesetzes19 wird der NVA-Angehörige verpflichtet, "die Befehle, Dienstvorschriften und anderen militärischen Bestimmungen exakt, widerspruchslos und mit schöpferischer Initiative durchzuführen". Weder im Wehrdienstgesetz noch in der DLO-NVA wird ein Befehlsverweigerungsrecht erwähnt. In dem den Beschwerdegang regelnden Teil der Innendienstordnung für die NVA jedoch wird ein solches Verweigerungsrecht anerkannt bei Befehlen, die gegen die anerkannten Normen des Völkerrechts oder die Strafgesetze verstoßen2o. Das stimmt mit dem Strafrecht überein. Befehlsverweigerung und Nichtausführung eines Befehls durch eine Militärperson ist ein Straftatbestand21. Nach§ 258 Abs. 3 StGB begründet die Verweigerung oder Nichtausführung eines Befehls, dessen Ausführung gegen die anerkannten Normen des Völkerrechts oder gegen Strafgesetze verstoßen würde, keine strafrechtliche Verantwortlichkeit, d. h. es besteht ein Rechtfertigungsgrund wegen fehlender Gesellschaftswidrigkeit bzw. Gesellschaftsschädlichkeit22 . Diese Regelung, die tatbestandlieh nicht auf Angehörigen des Ministeriums des Innern zutrifft, dürfte aber angesichts des militarisierten Charakters der Polizei, die wie die NVA zu den "bewaffneten Kräften" zählt23, sachlich auch für diesen Bereich gelten. Im Ergebnis haben also die der DLO unterworfenen Staatsbediensteten ein Weisungsverweigerungsrecht wie die Mitarbeiter nach der MVO. Der Militärlexikon, S. 41. Vom 25.03.1982 (GBl. I S. 221). 2o Forster: Die NVA, S. 353; die Zusammenfassung der Innendienstordnung in der Armeerundschau besagt unter der Kapitelüberschrift "Befehlserteilung und Befehlsausführung": "Er (der Befehl, d. Verf.) ist bedingungslos auszuführen." Vom Recht zur Befehlsverweigerung ist auch hier noch nicht die Rede. Darauf kommt das Magazin in einer späteren Ausgabe in Form der Beantwortung von Leserfragen zu sprechen. Es soll in Ziffer 352 der DV 010/0/003 heißen, daß eine Beschwerde gegen einen Befehl nicht von der Pflicht befreie, ihn auszuführen. "Ausgenommen davon sind Befehle, deren Ausführung gegen die anerkannten Normen des Völkerrechts oder gegen Strafgesetze verstoßen würde." Vgl. Innendienst, in: Armeerundschau, Heft 1/ 1979, S. 86 und 9/1979, S . 29. 21 § 257 StGB. 22 Strafrecht, Besonderer Teil, S . 250. 23 Militärlexikon, S. 49 (Stichwort: bewaffnete Kräfte); DDR-Handbuch, S. 220 (Stichwort: bewaffnete Kräfte). lB
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3. Kap.: Der öffentliche Dienst in der DDR
Unterschied liegt nicht im materiellen Recht, sondern in der gesetzessystematischen Behandlung. Während es in der MVO bei der Gehorsamspflicht geregelt wird, wo es systematisch hingehört, werden Gehorsamspflicht und Verweigerungsrecht im Sicherheitsbereich getrennt und letzteres beim allgemeinen Beschwerderecht bzw. im Strafrecht mehr nebenbei zum Ausdruck gebracht. Es läßt sich daher nur aus der Behandlung des Problems erkennen, daß der Gehorsam im Sicherheitsbereich strikter verlangt wird als bei den Mitarbeitern, auf die die MVO anwendbar ist. 7. Der weisungsbefugte Leiter im System der Staatsverwaltung
Inhaber der Weisungsbefugnis sind nach dem AGB und der MVO der Leiter und die leitenden Mitarbeiter. Die Leitung in Staat und Wirtschaft steht unter dem Prinzip der Einzelleitungl, das bedeutet, daß bei aller kollektiven Beratung der Grundfragen und Mitwirkung der Werktätigen der Leiter für die ganze Arbeit seines Leitungsbereichs die persönliche Verantwortung trägt und deshalb die entsprechenden Leitungsbefugnisse, vor allem das Weisungsrecht, besitzt. In seinem Bereich hat der Leiter die Befugnis zur selbständigen Entscheidung2. Zwar sei es im Rahmen eines kollektiven Stils möglich, die Mitarbeiter umfassend in die Ausarbeitung und Realisierung der Entscheidungen miteinzubeziehen, das dürfe aber "nicht in einen abwegigen Demokratismus in der Leitung abgleiten" 3 . Die jeweiligen Verwaltungseinheitensind also monokratisch strukturiert. Der demokratische Zentralismus als Prinzip des Staatsaufbaus4 ordnet die Verwaltungseinheit in einen hierarchischen Verwaltungsaufbau ein, in dem der jeweilige Leiter letztlich einer Zentralinstanz weisungsunterworfen ist. Die Behörden sind entweder durchgängig Teile zentraler Staatsorgane (wie etwa die DVP als Organ des Ministeriums des Innern oder die lokalen Dienststellen des Ministeriums für Staatssicherheit), oder sie gliedern sich in mehrere territoriale Leitungsebenen, nämlich das zentrale und landesweit zuständige Staatsorgan (Ministerrat) und die örtlichen Staatsorgane (Rat des Bezirks, des Kreises, der Stadt, des Stadtbezirks, der Gemeinde) 5 . Bei den zentralen Staatsorganen mit nachgeordneten Dienststellen in der ganzen Republik ergibt sich die hierarchische Befehlskette, die im Minister und über ihn im Vorsitzenden des Ministerrates kulminiert, aus dem Aufbau des Staatsorgans. Für die DVP bedeutet dies etwa: An der Spitze der 1 Arbeitsrecht von A bis Z, S. 129 (Stichwort: Einzelleitung); Wörterbuch zum sozialistischen Staat, S. 88 (Stichwort: Einzelleitung); DDR-Handbuch, S. 344 (Stichwort: Einzelleitung). 2 Weidauer, Wetzel: Sozialistische Leitung im Betrieb und Kombinat, S . 31. 3 Die Leitung der sozialistischen Produktion, S. 438. 4 Art. 47 Abs. 2 Verf. 5 Materialien zum Bericht der Lage der Nation 1974, Nr. 1045, 1054 f.
7. Der weisungsbefugte Leiter im System der Staatsverwaltung
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Befehlskette steht der Minister des Innern und Chef der Deutschen Volkspolizei; die nachgeordneten Dienststellen sind die Bezirksbehörden der DVP, die VP-Kreisämter, die VP-Reviere, -Wachen und Gruppenposten 6 . Komplizierter ist das Unterstellungsverhältnis in der territorial gegliederten Verwaltung7. Die Leitungsebenen sind keineswegs voneinander unabhängig, sondern ebenfalls hierarchisch geordnet: Der jeweilige örtliche Rat (also die Lokalregierung) ist der eigenen Volksvertretung (Bezirks-, Kreistag, Stadtverordneten-, Stadtbezirksversammlung, Gemeindevertretung) und gleichzeitig dem übergeordneten Rat verantwortlich und rechenschaftspflichtig8; der übergeordnete Rat hat den nachgeordneten anzuleiten, zu unterstützen und zu kontrollieren9 . Der Rat der Gemeinde bzw. der Stadt untersteht also dem Rat des Kreises, der Rat des Kreises und des Stadtkreises unterstehen dem Rat des Bezirks. Dieser untersteht dem Ministerrat, also der Regierung der DDR. Die Fachorgane eines örtlichen Rates (also die Lokalministerien) unterstehen weisungsgebunden dem eigenen Rat und dem entsprechenden Fachorgan des übergeordneten Rates bzw. dem jeweiligen Ministeriumlo. Der übergeordnete Rat kann Beschlüsse des nachgeordneten aufheben 11 . Diese Methode, eine Verwaltungseinheit zugleich einem Organ auf gleicher und auf übergeordneter Ebene zu unterstellen, wird Prinzip der doppelten Unterstellung genannt, das die Einheitlichkeit der staatlichen Leitung von oben bis unten sicherstellen soll 12 . Im Gesetz sind keine Voraussetzungen genannt, die das Recht des übergeordneten Rates, Beschlüsse des nachgeordneten aufzuheben, einschränken. In der Literatur wird als Grund für eine Aufhebung angeführt, daß der aufzuhebende Beschluß .,sich für die Lösung der gestellten Aufgabe als ungeeignet erweist und der betreffende Rat nicht bereit ist, den Beschluß selbst aufzuheben" 13. Im offiziellen Vers Verwaltungsrecht, S . 600 f. 7 Die Organisation der terr itorial gegliederten Verwalt ung wird geregelt im Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen in der DDR vom 04.07.1985 (GBl. I S. 213; GöV 1985). Hier wird auch immer das entsprechende Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe in der DDR vom 12.07.1973 (GBl. I S. 313; GöV 1973) zitiert, weil die kommentierende Literatur zu diesem Gesetz erschienen ist. s Art 83 Abs. 2 Verf.; § 8 Abs. 1 GöV 1973, § 10 Abs. 1 S . 1 GöV 1985. 9 § 11 Abs. 1 S . 1 GöV 1973, § 9 Abs. 1. 3 GöV 1985; ähnlich § 1 Abs. 6 S . 1 des Gesetzes über den Ministerrat der DDR vom 16.10.1972 (GBl. I S. 253) (MRG). 10 § 12 Abs. 3 S. 1 und 5 GöV 1973, § 11 Abs. 3 S . 1 und 3 GöV 1985. u § 8 Abs. 5 S. 2 GöV 1973, § 9 Abs. 3 S. 2 GöV 1985; § 8 Abs. 4 MRG macht im Widerspruch zum GöV das Aufhebungsrecht des Ministerrates von der Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Rates des Bezirks abhängig. 12 Wörterbuch zum sozialistischen Staat, S. 81 f. (Stichwort: doppelte Unterstellung); GöV-Kommentar, § 8 Anm. 1; vgl. auch die Darstellung bei Mampel: Die sozialistische Verfassung der DDR, Art. 83 Rndr. 26 ff. 13 GöV-Kommentar, § 8 Anm. 5; Staatsrecht der DDR, S . 318, erwähnt für das Aufhebungsrecht des Ministerrates w ieder die Rechtswidrigkeit des au fzuhebenden Beschlusses (nach MRG) und bleibt ansonsten b eim Aufhebungsrecht übergeordneter
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3. Kap.: Der öffentliche Dienst in der DDR
waltungsrechtslehrbuch heißt es, der Beschluß eines örtlichen Rates könne außer bei Rechtswidrigkeit oder Widerspruch zu Beschlüssen übergeordneter Räte auch aufgehoben werden, wenn er "unrichtig oder unzweckmäßig" sei14. Im Ergebnis bedeutet dies, daß jeder Rat der Fachaufsicht des übergeordneten Rates unterliegtls. Verschärft wird das Aufhebungsrecht in der Rätehierarchie dadurch, daß dem Vorsitzenden des übergeordneten Rates gegenüber dem Vorsitzenden des nachgeordneten Rates ein Weisungsrecht eingeräumt ist16. Dieser direkte Zugriff auf den Vorsitzenden eines Rates ist deshalb von Bedeutung, weil die Räte zwar kollektiv arbeitende Organe sindl 7 , jedoch der Vorsitzende innerhalb des Rates eine starke Stellung hat: Er leitet den Ratls und ist gegenüber den Mitgliedern, denen ja eigene Ressorts übertragen werden19, den Leitern der Fachorgane und den Leitern der dem Rat unterstellten Betriebe und Einrichtungen weisungsbefugt20 . Durch diese Macht des Vorsitzenden und durch das weisungsgebundene Unterstellungsverhältnis der Vorsitzenden untereinander wird die Staatsverwaltung einer Ebene durch den Vorsitzenden des Rates dieser Ebene und über ihn durch die vorgesetzten Vorsitzenden beherrscht. Die gesamte Macht des Staatsapparates, angefangen vom untersten Mitarbeiter eines Fachorgans des Rates der kleinsten Gemeinde, kulminiert über die Vorsitzenden der örtlichen Räte im Vorsitzenden des Ministerrates der DDR. Die Durchgriffsfunktion des Unterstellungsverhältnisses wird ausdrücklich betont, wenn es heißt, daß die Weisungsbefugnis des Vorsitzenden eines Rates gegenüber den Leitern seiner Verwaltung auch dazu dienen soll, "die Weisungen der übergeordneten Vorsitzenden der Räte einheitlich und straff durchzuführen"2 1. Der staatliche Verwaltungsaufbau ist also durch eine fach-und dienstaufsichtliehe Über- und Unterordnung mit einer zentralen Spitze gekennzeichnet. Soweit die Räte durch Beschlüsse tätig werden, also als Gesetzgeber fungieren, besteht ein uneingeschränktes Aufhebungsrecht der übergeordneten Räte. Dieses Bild steht in einem scheinbaren Widerspruch dazu, daß auf jeder Ebene Volksvertretungen existieren, die den Räten auf gleicher Ebene als Räte unklar, S . 269, 335, stellt aber klar, daß die Unterstellung "der Durchsetzung der einheitlichen sozialistischen Staatspolitik" dient. 14 Verwaltungsrecht, S. 272. 15 Mampel: Die sozialistische Verfassung der DDR, Art. 83 Rdnr. 20. 16 § 11 Abs. 3 S. 2 GöV 1973, § 10 Abs. 2 S. 2 GöV 1985; für den Ministerrat§ 12 Abs. 5MRG. 17 § 8 Abs. 3 S . 1 GöV 1973, § 10 Abs. 1 S. 1 GöV 1985, § 10 Abs. 1 S. 1 MRG. 1s § 10 Abs. 1 S. 1 GöV 1973, § 10 Abs. 2 S. 1 GöV 1985. 19 § 10 Abs. 2 S. 1 GöV 1973, § 10 Abs. 3 S. 1 GöV 1985. 2o § 10 Abs. 1 S. 4 GöV 1973, § 10 Abs. 2 S. 2 GöV 1985 ; ebenso im Ministerrat,§ 12 Abs. 4 S. 2 MRG. 21 Verwaltungsrecht, S. 140; GöV-Kommentar, § 10 Anm. 1.3.
7. Der weisungsbefugte Leiter im System der Staatsverwaltung
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Organen dieser Volksvertretungen im Rahmen der doppelten Unterstellung auch vorgesetzt sind. Man könnte auf den ersten Blick den Eindruck haben, die einzelnen Ebenen seien Selbstverwaltungskörperschaften. Das ist aber nicht der Fall. Für die Verwaltung- auch soweit sie im Wege des Ratsbeschlusses als Gesetzgeber tätig wird- wurde dies bereits gezeigt. Selbstverwaltung im Sinne einer sachlich freien, nur noch der Rechtskontrolle unterworfenen Entscheidungs- und insbesondere Rechtsetzungskompetenz widerspricht dem demokratischen Zentralismus, der als ein Merkmal die unbedingte Verbindlichkeit der Beschlüsse des höheren Organs für die unteren Organe aufweist22. Die Kompetenz der örtlichen Volksvertretungen deckt sich bis auf einige Ausnahmen auf allen Ebenen in den Sachgebieten, der Unterschied besteht im wesentlichen darin, daß jede Volksvertretung das gesellschaftliche Leben in den Sachgebieten auf ihrer Territorialebene leitet und plant23. Den Volksvertretern ist ein Entscheidungsrecht in eigener Verantwortung über alle grundlegenden Angelegenheiten, die ihr Territorium und seine Bürger betreffen, "entsprechend den Prinzipien des demokratischen Zentralismus ausgehend von den gesamtstaatlichen Interessen und den zu ihrer Wahrung erlassenen Gesetzen und Verordnungen" eingeräumt. Die Beschlüsse der örtlichen Volksvertretungen sind für die nachgeordneten verbindlich 24 . Mit dieser sachlichen Bindung an übergeordnete Beschlüsse korrespondiert das Recht der übergeordneten Volksvertretung, "Beschlüsse der ihnen nachgeordneten Volksvertretungen aufzuheben, wenn diese gegen Gesetze, andere Rechtsvorschriften oder Beschlüsse höherer Volksvertretungen verstoßen"25. Das Unterstellungsverhältnis der Volksvertretungen untereinander ist dem Wortlaut nach nicht so bedingungslos formuliert wie bei den Räten, denn das Aufhebungsrecht wird von tatbestandliehen Voraussetzungen abhängig gemacht. Das ist aber ein reines Wortspiel zur Verschleierung der rechtlichen Machtlosigkeit der unteren Volksvertretungen gegenüber den übergeordneten. Denn da diese dieselbe Sachkompetenz haben wie die nachgeordneten, können sie jederzeit einen sachlich entgegengesetzten Beschluß fassen, so daß ein nachrangiger Beschluß damit in Widerspruch gerät und aufzuheben ist. Das Aufhebungsrecht ist deshalb in Wirklichkeit rechtlich unbegrenzt26. Die für das Aufhebungsrecht der übergeordneten 22 Kleines politisches Wörterbuch, S. 172 (Stichwort: demokratischer Zentralismus). 23 Vgl. §§ 20 Abs. 1, 35 Abs. 1 S. 1, 54 S. 1 GöV 1973, §§ 21 Abs. 1, 39 Abs. 1 S. 1, 61 Abs. 1 S. 1 GöV 1985. 24 § 1 Abs. 3 S. 1 und 2 GöV 1973, § 1 Abs. 2 S. 3 GöV 1985. 25 § 7 Abs. 2 S . 1 GöV 1973 und 1985; das Unterstellungsverhältnis Volkskammer Bezirkstag ist weder in der Verf. noch im GöV geregelt. Jedoch dürfte d ie Lücke nach den allgemeinen Unterordnungsgrundsätzen des demokratischen Zentralismus analog zum GöV zu schließen sein. 26 Vgl. dazu, daß das jeweilige höhere Organ in alle Angelegenheiten der nachge-
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3. Kap.: Der öffentliche Dienst in der DDR
Volksvertretungen neben der Gesetzlichkeitswahrung gegeben Begründung, es solle "das einheitliche Handeln aller Glieder der sozialistischen Staatsmacht" gewährleistet werden 27 , zeigt, daß es in der Tat um vollständige Gleichschaltung und nur insofern um Entscheidungsfreiheit der unteren Volksvertretung geht, als die übergeordneten nicht in der Sache anders entscheiden wollen. Um bei der Überwachung der Volksvertretungen wegen der längeren Tagungszwischenräume bei den höheren Volksvertretungen keine Lücken auftreten zu lassen, hat der übergeordnete Rat als ständig präsentes Organ gemäß § 7 Abs. 2 S. 2 GöV 1973 und 1985 das Recht, bis zur Entscheidung der zuständigen Volksvertretung die Durchführung der Beschlüsse der nachgeordneten Volksvertretung auszusetzen28. Auch unter Einbeziehung der Volksvertretungen ergibt sich also keine Abweichung von dem Bild der strikten Über- und Unterordnung, der Leitungspyramide29. Das System der territorial gestaffelten Volksvertretungen und ihrer Räte bedeutet nicht Dezentralisation im förderativen und selbstverwaltungsrechtlichen Sinne, sondern Dekonzentration im Sinne der Verlagerung nur lokal relevanter Entscheidungen bei gleichzeitiger Kontrolle und Selbstentscheidungsvorbehalt der übergeordneten Organe3o. 8. Der Parteieinfluß auf die Verwaltung
Inhaber der durch Verwaltungshierarchie und Weisungsbefugnis errichteten Macht über den Verwaltungsapparat ist, wie oben gezeigt wurde, der Leiter und über ihn letztlich der Vorsitzende des Ministerrats. Die Macht bleibt also im staatlichen Bereich. Der Partei, die verfassungsmäßig führt und deren Instrument der Ideologie nach der Staat ist, wird durch diese Rechtsvorschriften kein Weisungsrecht eingeräumt. Jedoch nimmt sie nach dem Prinzip der führenden Rolle der Partei vor allem auf folgenden Wegen ordneten eingreifen kann, Mampel: Die sozialistische Verfassung der DDR, Art. 81 Rdnr. 45, 52. 27 GöV-Kommentar, § 7 Anm. 2. 28 Mampel: Die sozialistische Verfassung der DDR, Art. 82 Rdnr. 24, sieht hierin die machtmäßige Dominanz des übergeordneten Rates gegenüber der gleichgeordneten Volksvertretung durch Vorentscheidung. Diese Dominanz beruht aber wohl kaum auf dem Recht der Vorentscheidung, denn dieser kann rechtlich von der Volksvertretung die Bestätigung versagt werden. Die Dominanz der Räte und Machtlosigkeit der Volksvertretungen beruht auf der durch Nomenklatur und Parteikontrolle gestützten Akklamationsfunktion der Volksvertretungen. Das Suspensionsrecht des übergeordneten Rates ist deshalb kein Machtinstrument gegen die gleichgeordnete Volksvertretung, sondern gegen die untergeordnete Volksververtretung zur Schließung zeitlicher Kontrollücken. Zur Praxis, für die Aussetzungsbeschlüsse der Räte zu spektakulär sind und die eleganter durch "Hinweise" vorgeht, vgl. GöV-Kommentar, § 7 Anm. 2. 29 Materialien 1974, Nr. 1051. 30 So auch die Bewertung ebda., Nr. 377 und Materialien 1972, Nr. 70.
8. Der Parteieinfluß auf die Verwaltung
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Einfluß auf die staatliche Verwaltung 1 : Die staatlichen Organe sind, wie oben dargestellt, noch vor allen Rechtsvorschriften an die "Beschlüsse der Partei der Arbeiterklasse" gebunden. Eine inhaltliche Begrenzung dieser Beschlüsse oder eine Grenze der Detailliertheit ist rechtlich nicht festgelegt, so daß die SED der Verwaltung bis ins kleinste gehende Anweisungen zu allen Themen in Form von Parteibeschlüssen geben kann. Obwohl hier eine weitgehende Bindung der Verwaltung an die Partei rechtssatzförmig festgeschrieben ist, wird nirgendwo näher erklärt, welches Parteiorgan "Beschlüsse der Partei der Arbeiterklasse" fassen kann und ob neben den zentralen Parteibeschlüssen auch Beschlüsse der örtlichen Parteiorganisationen maßgeblich sind. Die Literatur beschränkt sich auf die stereotype Aussage des Gesetzes2. Nach den Organisationsprinzipien der SED dürften für die Verwaltung die Beschlüsse der Parteiorgane in den jeweils parallelen Territorialeinheiten maßgeblich sein, also für den Ministerrat Parteitagsbeschlüsse, für die Räte der Bezirke die Beschlüsse der Bezirksdelegiertenkonferenzen usw.3. Die Beschlüsse der höheren Parteiorgane gehen immer solchen der nachgeordneten vor4, so daß die örtlichen Räte die Beschlüsse der jeweils übergeordneten Parteiorgane vorrangig zu beachten haben. Für die Verwaltung verbindliche Beschlüsse können mit Ausnahme der Kontroll- und Revisionskommissionen alle Organe der Partei auf einer Ebene fassen, denn sie sind alle in einem subsidiären Verhältnis ohne sachliche Kompetenzabgrenzung zuständig5: Auf der zentralen Ebene sind also maßgebend die 1 Vgl. Neugebauer: Partei und Staatsapparat in der DDR, S. 190 ff.; Theorie des Staates und des Rechts, Bd. 3, S. 319 f. 2 Z.B. Staatsrecht der DDR bei den im Register unter "SED, Beschlüsse der ... " angegebenen Fundstellen; auch in dem grundsätzlichen Aufsatz von Petzold: Die Beschlüsse der SED - das feste Fundament des sozialistischen Rechts in der DDR, in StuR 1961, 658 ff., werden die Beschlußorgane nicht weiter genannt, allerdings erwähnt er auf S. 666 als Grundlage des Rechts die "Beschlüsse des Parteitages der SED, die vor allem auf den ... Plenartagungen des Zentralkomitees konkretisiert und weiterentwickelt wurden". 3 Aufgabe der Territorialorganisationen der Partei mit Ausnahme der Ortsorganisationen ist die politische Leitung "in ihrem Bereich". Die Partei gliedert sich territorial wie die Verwaltung in Bezirke und Kreise. Großstädte können Stadtbezirksorganisationen bilden mit dem Recht von Kreisorganisationen. Ortsorganisationen können aus den Grundorganisationen gebildet werden; vgl. Punkt 49 Buchst. a, Punkt 25, Punkt 55, Punkt 64, des Statuts der SED, in: Dokumente der SED, Bd. 16, S. 82 ff. 4 Punkt 23 Buchst. c Statut. 5 Es erscheint daher inkonsequent, wenn Mampel: Die sozialistische Verfassung der DDR, Art. 49 Rdnr. 11, Art. 1 Rdnr. 46, nur die Beschlüsse der Mitgliederversammlungen, der Delegiertenkonferenzen und Parteitage, also Beschlüsse der "höchsten Organe", als Normen bewertet. Das ist bezüglich der Mitgliederversammlungen der Grundorganisationen wegen deren beschränkter Kompetenz zu weit und bezüglich anderer Parteiorgane zu kurz gegriffen: So ist etwa von den staatlichen Leitern bei der Kaderarbeit ein Beschluß des Sektariats des ZK der SED- also eines Organs auf Republikebene, das auf dieser Ebene nicht höchstes Organ ist, sondern dem ZK, dem Parteitag und dem Politbüro nachgeordnet ist- als maßgebliche Norm zugrunde zu
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3. Kap.: Der öffentliche Dienst in der DDR
Beschlüsse des Parteitages, des Zentralkomitees, des Politbüros und des Sekretariats, auf örtlicher Ebene die Beschlüsse der Delegiertenkonferenzen, der Leitungen und Sekretariates. Der Bindung der Staatsorgane durch Gesetz an die Parteibeschlüsse entspricht im Parteirecht die Zuweisung entsprechender Leitungsaufgaben: Nach Punkt 49 Buchst. a des Statuts haben Bezirks-, Stadt-, Kreis- und Stadtbezirksorganisationen der Partei die Pflicht, die gesellschaftliche Entwicklung in ihrem Bereich auf der Grundlage der Parteibeschlüssen politisch zu leiten. Die Formulierung deckt sich sachlich mit den Aufgaben der Volksvertretungen der Bezirke, Kreise und Gemeinden, die "in Durchführung der Politik des sozialistischen Staates die Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens im Bezirk (bzw. im Kreis, im Territorium) zu leiten und zu planen" haben7 • Es besteht also nach dem Recht des Staates und dem der Partei eine Doppelzuständigkeit. Das Verhältnis der beiden Kompetenzträger zueinander ergibt sich ebenfalls aus den Normen: Die den Parteiorganisationen übertragene Leitungsaufgabe wird mit dem Zusatz "politisch" gekennzeichnet und ist inhaltlich nur von den Beschlüssen und Direktiven übergeordneter Parteiorgane abhängig (genannt werden Parteitag, Zentralkomitee und seine gewählten Organe, also Politbüro und Sekretariat). Die Leitungstätigkeit der Territorialstaatsorgane hingegen wird mit dem Zusatz "in Durchführung der Politik des sozialistischen Staates" gekennzeichnet. Ersichtlich soll also die politische Entscheidung von der Parteiorganisation getroffen werden, die technische Seite der Durchführung dieser politischen Entscheidung liegt dann bei den Staatsorganen. Aus dem Zusammenspiel von staatlichem und Parteirecht zum Aufbau und zur Kompetenz von Staat und Partei wird die übergeordnete Führungsfunktion der Partei, die verfassungsmäßig nur pauschal festgelegt ist, detaillierter sichtbar. Die globale Aufgabenzuweisung in Punkt 49 Buchst. a des Statuts wird in Buchst. c weiter verdeutlicht. Die Parteiorganisationen des Bezirks und des Kreises haben demnach die Pflicht der "Anleitung der staatlichen Organe, ihre(r) Unterstützung bei der Durchführung der Beschlüsse und Direktiven der Partei und der übergeordneten Organe der Staatsmacht". Anleitung undzumeist damit verbundenen- Kontrolle ist ein fester Terminus, der das Aufsichtsverhältniszwischen hierarchisch geordneten Instanzen bezeichnets, er umschreibt im rein staatlichen Bereich z. B. das Verhältnis der Vorsitzenden der Räte untereinander. Er bedeutet zwar, daß den untergeordneten Instanlegen, so Mampel selbst a.a.O., Art. 21 Rdnr. 41, ebenso von sozialistischer Seite Liebe: Entwicklung von Nachwuchskadern für die örtlichen Staatsorgane, S. 14. s Zur Dominanz des Ersten Sekretärs der Partei im Verhältnis zum Staatsorgan auf gleicher Ebene vgl. Neugebauer: Partei und Staatsapparat in der DDR, S. 188 f. ; zur Parteiaufsicht über den Staat vgl. auch Brunner : Kontr olle in Deutschland, S. 363. 7 §§ 20 Abs. 1, 35 Abs. 1 S. 1, 54 S. 1 GöV 1973, ähnlich§§ 21 Abs. 1 S . 1, 39 Abs. 1 S. 1 GöV 1985. s Vgl. DDR-HandbuchS. 48 (Stichwort: Anleitung und Kontrolle).
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zen ein bestimmter Aufgabengereich zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung übertragen ist, jedoch auch das unbeschränkte Recht der übergeordneten Instanzen, allgemeine und spezielle Weisungen zu erteilen. Allerdings soll die Partei nicht die Verwaltungsaufgaben übernehmen. Dies steckt schon im Begriff der Anleitung, die im wesentlichen eine bloße Führungstätigkeit ist. Bei der staatlichen Durchführung selbst hat die Partei nur zu unterstützen. Es scheint ein allgemeines Problem des DDR-Systems zu sein, daß die Territorialparteiorganisationen die Verwaltung zu verdrängen geneigt sind. Punkt 49 Buchst. c S. 2 des Statuts besagt nämlich: "Die leitenden Parteiorgane sichern, daß die Parteiorganisationen nicht die Aufgaben der staatlichen Organe ... übernehmen, weil dadurch deren Verantwortung eingeengt würde". Auch die Literatur macht deutlich, daß Parteiorgane die Staatsorgane nicht ersetzen sollen. Durch die Parteibeschlüsse sollen im wesentlichen die Aufgaben der Staatsorgane und die Ziele der gesellschaftlichen Entwicklung festgelegt werden9 . "Die Führung der Staatsorgane durch die kommunistische Partei (Arbeiterpartei) besteht vor allem darin, daß alle prinzipiellen und wichtigen Fragen der Tätigkeit dieser Organe durch Richtlinien der Partei entschieden werden". Dabei könne der Parteibeschluß eine konkrete Weisung zu einer bestimmten Frage oder eine programmatische Festlegung sein. Angesichts dieser unumschränkten Macht der Partei wird aber betont, daß die operative und detailliertere Arbeit von den Staatsorganen geleistet werden müsse und die Parteiorgane davon abkommen müßten, die Staatsorgane kleinlich zu bevormunden und ersetzen zu wollenlo. Im Rahmen der beanspruchten Anleitung und Kontrolle der Staatsorgane durch die Partei wird die Kontrollfunktion vor allem durch die Grundorganisationen in den Staatsorganen wahrgenommenll. Dieser Bereich ist nicht durch staatliches Recht geregelt. Die SED ist an der Basis grundsätzlich nach dem Produktionsprinzip gegliedert, das heißt, daß die kleinsten Einheiten, die Grundorganisationen, die in einem bestimmten Betrieb Tätigen umfaßt1 2• Die Aufgabe dieser Parteiorganisation wird im Statut festgelegt. Ein Hinweis auf sie findet sich im staatlichen Recht eher versteckt in § 11 Abs. 1 und 2 MVO. Danach haben die Leiter "mit den gesellschaftlichen Organisationen im jeweiligen Staatsorgan bzw. in der staatlichen Einrichtung 9 Dazu und auch für das Folgende: Theorie des Staates und des Rechts, Bd. 3, S.316ff. 10 Zur Aufgabenteilung in Grundentscheidungen und Kontrolle (Partei) einerseits, Durchführung (Staat) andererseits, vgl. Brunner: Kontrolle in Deutschland, S. 360 f., 365. u Ebda., S. 363 f. 12 Punkt 56 Statut; DDR-Handbuch, S. 581 ff. (Stichwort: Grundorganisationen der SED).
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zusammenzuwirken". Die Leiter haben u. a. neben den Volksvertretungen, dem übergeordneten Organ, den Betriebskollektiven auch "anderen gesellschaftlichen Gremien über die geleistete Arbeit Rechenschaft" zu legen. Mit den gesellschaftlichen Organisationen bzw. Gremien sind zwar wohl in erster Linie FDGB und FDJ als im AGB ausdrücklich mit Aufgaben bedachte Gruppierungen zu verstehen, jedoch auch die SED, denn sie ist die höchste Form gesellschaftlicher Organisation13 . Der staatliche Leiter wird in dieser Vorschrift nur allgemein zu einem dem Beteiligungsrecht der Organisationen entsprechenden Verhalten verpflichtet, die inhaltliche Ausfüllung des Beteiligungsrechts der SED ergibt sich aus dem Parteistatut Gemäß Punkt 56 Abs. 1 Statut werden Grundorganisationen u. a. auch "in staatlichen ... Einrichtungen und Institutionen .. . sowie in den bewaffneten Organen gebildet". Zu ihren allgemeinen Aufgaben gehört u. a. die Sicherung des politisch-ideologischen und organisatorischen Einflusses der Partei zur Verwirklichung ihrer führenden Rolle in allen gesellschaftlichen Bereichen14 . Die konkreten Befugnisse der Parteiorganisationen in Betrieb und Verwaltung regelt Punkt 63 Statut. Nach Abs. 1 haben sie in den wirtschaftlich und wissenschaftlich ausgerichteten Betrieben "das Recht der Kontrolle über die Tätigkeit der Betriebsleitungen, um ihrer Verantwortung für die politische Leitung der gesellschaftlichen Entwicklung in ihrem Bereich gerecht zu werden". Abs. 2 gewährt den Parteiorganisationen in den Ministerien, den anderen zentralen und örtlichen Staatsorganen und Einrichtungen "das Recht, die Kontrolle über die Tätigkeit des Apparates bei der Verwirklichung der Beschlüsse von Partei und Regierung, bei der Einhaltung der sozialistischen Rechtsnormen auszuüben". Bei Mängeln in der Arbeit haben sie nach Abs. 3 die notwendigen Hinweise und Vorschläge "den zuständigen Parteiorganen beziehungsweise dem Zentralkomitee sowie den verantwortlichen Parteimitgliedem, die in den leitenden Funktionen der Ministerien und staatlichen Organen tätig sind", zu übermitteln. Nach Abs. 4 unterstehen die Parteiorganisationen in ihrer propagandistischen, agitatorischen und parteiorganisatorischen Tätigkeit den übergeordneten Kreisleitungen, während sie nach Abs. 5 "in den speziellen Fragen der Arbeit des betreffenden staatlichen Organs ... den entsprechenden leitenden Parteiorganen (Kreis-, Stadtbezirks- oder Stadtleitung, Bezirksleitung, Zentralkomitee)" unterstehen. Hervorstechendes Merkmal dieser Regelungen ist zuerst, daß in einem Parteistatut Parteigliederungen Rechte über parteifremde, insbesondere staatliche Institutionen eingeräumt werden. Darin manifestiert sich wieder der Charakter des Staates als Instrument in den Händen der Partei. 13 Kleines politisches Wörterbuch, S. 313 (Stichwort: gesellschaftliche Organisationen). 14 Punkt 57 Buchst. a Abs. 2 Statut.
8. Der Parteieinfluß auf die Verwaltung
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Bemerkswert ist weiter, daß hinsichtlich des Umfangs der Parteikontrolle zwischen dem Wirtschaftsbereich und der Staatsverwaltung unterschieden wird. Während im ersten Fall pauschal und unter Bezugnahme auf das Recht der politischen Leitung die Tätigkeit der Betriebsleitungen kontrolliert werden soll, beschränkt sich die Parteikontrolle durch die Grundorganisationen im zweiten Fall auf die Tätigkeit bei der Verwirklichung der Partei- und Regierungsbeschlüsse. Es soll also nicht eine eigenständige inhaltliche Kontrolle, sondern nur eine Kontrolle daraufhin stattfinden, ob die politische Vorgaben von Partei und Regierung erfüllt werden. Die nähere Regelung, wie bei Mißständen zu verfahren ist, stellt klar, daß die Grundorganisationen nicht selbst durch Weisung eingreifen können, sondern ihnen nur eine Meldung auf zwei Wegen offensteht: an die höheren Parteiorgane oder die staatlichen Leiter, die Parteimitglieder sind. Das Problem soll also auf höherer Parteiebene oder im Staatsapparat selbst erledigt werden. Sowohl aus dem Meldeweg, bei dem von "zuständigen Parteiorganen" die Rede ist, als auch aus dem Unterstellungsverhältnis der Grundorganisationen in der die Arbeit des Staatsorgans betreffenden Sachfragen unter "die entsprechenden Parteiorgane", ergibt sich die territoriale Parallelanleitung des Staates durch die Partei. Wie oben bereits aus der bloßen Organisation gefolgert wurde, bestätigt sich nun auf Grund der Vorschriften über die Grundorganisationen, daß die örtlichen Räte und ihre Verwaltungen von der Kreisebene einschließlich abwärts bis zur kleinsten Verwaltungseinheit von der Kreisleitung, die Räte der Bezirke von den Bezirksleitungen und der Ministerrat vom Zentralkomitee geleitet werden. Der Schwerpunkt der Leitungstätigkeit innerhalb einer Parteiebene liegt demnach bei den exekutivischen Leitungen, nicht bei den höchsten Organen (Delegiertenkonferenzen, Parteitag). In den parteiinternen Fragen und den Fragen der ideologischen Indoktrination, die keinen spezifischen Bezug zur Tätigkeit des Staatsorgans haben, unterstehen die in den Grundorganisationen zusammengefaßten Mitarbeiter wie alle anderen Grundorganisationen der Kreisleitung. Hauptaufgabe der Grundorganisationen ist also die durch die Leitungskompetenz der zuständigen Parteiorgane begrenzte, reine Kontrolle der Verwaltung, der andere Schwerpunkt liegt in der Erziehung der Mitarbeiter in den Staatsorganenl5. Daß den Grundorganisationen der Partei in der Staatsverwaltung überhaupt Kontrollfunktionen obliegen, ist nicht selbstverständlich. So wird den entsprechenden Parteiorganisationen in der Sowjetunion dieses Recht nicht gewährtl 6• Vielmehr wird dort sowohl Leitung als auch Kontrolle 15 Vgl. Marxistisch-leninistische Partei und sozialistischer Staat, S . 203 ff. : Erziehung dazu, daß die Mitarbeiter jederzeit auf der Grundlage der Beschlüsse handeln, sich als Beauftragte der Arbeiterklasse fühlen, einen ständigen engen Kontakt zu allen Werktätigen herstellen; Kontrolle als Grundsatz Leninschen Arbeitsstils. 16 Theorie des Staates und des Rechts, Bd. 3, S. 325.
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durch die übergeordneten Parteiorgane wahrgenommen. Im Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturbereich üben auch in der Sowjetunion die Grundorganisationen der Partei die Kontrolle über die Tätigkeit der Leiter aus. Die erweiterten Befugnisse der SED-Grundorganisationen in der Staatsverwaltung wurden ihnen erst durch die Statutenänderung auf dem IX. Parteitag im Mai 1976 gewährt. Im damals abgeänderten Statut vom Januar 1963 hieß es unter Punkt 63 Abs. 2 17 : "Die Parteiorganisationen in den Ministerien und staatlichen Organen, die infolge der besonderen Arbeitsbedingungen des Staatsapparates keine Kontrollfunktionen ausüben können, sind verpflichtet . . .". Die Verpflichtung erstreckte sich auch auf die Meldung von Mängeln, wie es heute geregelt ist. Ein Kontrollrecht stand ihnen jedoch nicht zu. Die Statutenänderung wurde auf dem Parteitag nur nebenbei erwähnt18 . Im Bericht des Zentralkomitees ging der Berichterstatter Honecker auf das Recht der Parteiorganisationen, die Tätigkeit des Staatsapparates zu kontrollieren nur mit den Worten einl 9 : "Wir finden im Statut die eigenen Erfahrungen der letzten Jahre berücksichtigt und auch das, was sich in unserer Entwicklung an Neuern vollzog.... Außerdem wurden eine Reihe Erfahrungen des Organisationsaufbaus und der Leitung der Parteiarbeit berücksichtigt." Paul Verner erwähnte diesen Punkt im Bericht der Statutenkommission überhaupt nicht2o. Wenn die Rechte der Grundorganisation in der Staatsverwaltung auch gegenüber denen in der Wirtschaft geschmälert sind, so stellt doch die bloße Überwachungsfunktion eine erhebliche Einflußmöglichkeit dar. Noch wichtiger ist aber die indirekte Anerkennung, daß die Partei auf höherer Ebene (ab Kreisleitung aufwärts) auch zu sachlichen Eingriffen jenseits bloßer Kontrolle in den Verwaltungsapparat befugt ist. Besonders hierin zeigt sich auch statutenmäßig die Suprematie der Partei gegenüber dem Staat. Die Stellung der Grundorganisationen in der DVP unterliegt besonderen Bestimmungen. Nach Punkt 68 Abs. 1 Statut arbeiten sie in den bewaffneten Organen "nach besonderen, vom Zentralkomitee bestätigten Instruktionen." Das Ergebnis ist eine Verschmelzung von parteipolitischer und staatlicher Tätigkeit21 : In den bewaffneten Kräften bestehen staatliche politische Verwaltungen (Verwaltung Politarbeit in der DVP, Polithauptverwaltung in der NVA), die personell mit den Parteiorganisationen in den bewaffneten Dokumente der SED, Bd. 9, S. 319 f. Auch im theoretischen Organ der SED "Einheit" und in der vor allem staatsrechtlich orientierten Zeitschrift "Staat und Recht", die beide im Jahrgang 1976 die Parteiprogrammänderung stark beachten, wird die Statutenänderung nicht behandelt. 19 Protokoll der Verhandlungen des IX. Parteitages der SED, Bd. 1, S. 143 f. 2o Ebda., Bd. 2, S. 140 ff. 21 Vgl. Brunner: Kontrolle in Deutschland, S. 364; Forster: NVA, S. 188 ff. für den Bereich der NVA. 17 18
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Organen verschmolzen sind, so ist insbesondere der Leiter der Politverwaltung gleichzeitig 1. Sekretär der Parteiorganisation. Zugleich bekleidet er den Posten des Stellvertreters des Kommandeurs der gesamten Einheit. Diese Verparteilichung des Staates gewährt der Partei staatliche Befehlsgewalt in der jeweiligen Einheit, so daß ein Befehlskonflikt zwischen Weisungen des staatlichen Vorgesetzen und des Parteileiters selbst theoretisch nur aufkommen kann, wenn der Chef der gesamten Einheit von Parteiweisungen abweicht. Ein weiteres, nur im Parteirecht verankertes Herrschaftsmittel ist die personelle Beschickung des Staatsapparates mit Parteigenossen und dessen Lenkung von innen. Für die höchste Ebene ist dies in Punkt 39 Abs. 2 Statut niedergelegt, wonach das Zentralkomitee "die Vertreter der Partei in die höchsten leitenden Organe des Staatsapparates" entsendet. Allgemein werden in allen wählbaren Organen des Staates, in denen mindestens drei Parteimitglieder vertreten sind, gemäß Punkt 69 Statut Parteigruppen gebildet22, die die Aufgabe haben, "den Einfluß der Partei allseitig zu ver stärken, ihre Politik unter den Parteilosen zu vertreten, die Partei- und Staatsdisziplin zu festigen ... und die Durchführung der Partei- und Regierungsdirektiven zu sichern." Zu diesen wählbaren Organen zählen insbesondere die Volksvertretungen und die Räte. Ganz allgemein sind Parteimitglieder verpflichtet, den Weisungen der Parteiorgane strikt zu folgen 23 : "Die Mitglieder führen die Beschlüsse ihrer Parteiorganisationen und der von Ihnen gewählten Leitungen diszipliniert durch." Im Parteistatut wird die Gehorsamspflicht streng geregelt. Nach Punkt 2 Buchst. b hat das Parteimitglied die Parteibeschlüsse aktiv zu verwirklichen, nach Buchst. g hat es "seine Arbeit in den staatlichen . .. Organen ... entsprechend den Beschlüssen der Partei im Interesse der Werktätigen zu leisten, die Partei- und Staatsdisziplin zu wahren, die für alle Mitglieder der Partei in gleichem Maße bindend ist." Neben der unmittelbaren Außensteuerung des Staatsapparates durch Beschlüsse der Partei im Rahmen den Anleitung und Kontrolle stellt damit die Innensteuerung des Staatsapparates durch organisierte und gelenkte Parteimitglieder in staatlichen Positionen das zweite Herrschaftsmittel der Partei dar.
22 Zur Arbeit der Parteigruppen in den Volksvertretungen vgl. Marxistisch-leninistische Partei und sozialistischer Staat, S. 194 ff. 23 Kleines politisches Wörterbuch, S. 587 (Stichwort: marxistisch-leninistische Partei) ; DDR-Handbuch, S. 964 f. (Stichwort: Parteidisziplin) ; im Statut insbesondere Punkt 23 Buchst. c, nach dem "alle Beschlüsse der höheren Parteiorgane für die nachgeordneten Organe verbindlich sind, straffe Parteidisziplin zu üben ist und die Minderheit sowie der einzelne sich den Beschlüssen der Mehrheit diszipliniert unterordnet."
11 Schneider
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3. Kap.: Der öffentliche Dienst in der DDR
9. Personalpolitik und Erziehung im Staatsdienst
Über die Einstellung und Beförderung von Staatsbediensteten gibt es kaum Rechtsvorschriften. Art. 21 Verf. ruft die Bürger allgemein zur Mitgestaltung auf und sichert in Abs. 3 S. 2 der Ausübung der staatlicher Funktionen die Anerkennung und Unterstützung der Gesellschaft zu. Ein Recht auf Zugang zum öffentlichen Dienst -von der Einklagbarkeit sei gar nicht erst die Rede- gewährt die Verfassung nicht. In der MVO werden Einstellungsfragen überhaupt nicht, Fragen des beruflichen Aufstiegs nur im Rahmen der zu leistenden Kaderarbeit erwähnt. Lediglich in der DLO werden beide Komplexe ausdrücklich geregelt. Nach § 2 Abs. 1 DLO können in die Organe des Ministeriums des Innern Bürger eingestellt werden, "die politisch zuverlässig und bereit sind, dem sozialistischen Vaterland, der Deutschen Demokratischen Republik und ihrer Regierung, allzeit treu ergeben zu sein . . . ". Die Kernanforderungen sind also politische Zuverlässigkeit und umfassende Treue. Diese Einstellungsvoraussetzungen entsprechen den Pflichten der Angehörigen der Organe des Ministeriums des Innern, Partei und Staattreu ergeben zu seinl. Nach § 12 Abs. 2 DLO sind Voraussetzungen für eine Ernennung bzw. Beförderung "a) die politische, dienstliche und persönliche Eignung, b) die erforderliche Qualifikation, c) die entsprechende Planstelle." An erster Stelle aller erforderlichen Qualifikationen steht die politische Zuverlässigkeit. Allgemein ist die Personalpolitik (Kaderpolitik) eine Domäne der SED2, die weniger rechtlich und natürlich nicht justiziabel ist. Dabei ist zwischen der Kaderpolitik, die sich mit der politischen Zielstellung und Hauptrichtung für die Auswahl, Erziehung, Qualifizierung und den Einsatz fähiger, der Sache der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei treu ergebener Kader beschäftigt, und der Kaderarbeit, die die Umsetzung der Kaderpolitik in die Praxis auf Grund besonderer Kaderprogramme betreibt, zu unterscheidena. Die Kaderpolitik ist ausschließlich Sache der SED, die Kaderarbeit ist grundsätzlich Sache des jeweiligen Leiters. Besonderes gilt für Führungspositionen, die wichtig für das Funktionieren der Verwaltung bzw. des Betriebes oder der Partei sind. Solche Stellen werden abstrakt in einer Nomenklatur zusammengefaßt, die u. a. eine Positionsbestimmung mit Einordnung in eine bestimmte Nomenklaturstufe, politische und fachliche Qualifikationsanforderungen, Pflichtenbindungen gegenüber anderen Gremien und die Festlegung, wer für die Entscheidung über die § 5 Abs. 2 Buchst. a DLO und der Eid. Zur Kaderpolitik vgl. Förtsch: Die SED, S. 76 ff. 3 Kleines politisches Wörterbuch, S. 447 f . (Stichwörter: Kaderarbeit, Kaderpolitik, Kaderprogramm). 1
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9. Personalpolitik und Erziehung im Staatsdienst
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Besetzung dieser Position und die Abberufung davon zuständig ist, enthält4. Solche Nomenklaturen werden im Staatsapparat, in der Wirtschaft und in der Partei geführt, und zwar in verschiedenen Stufen, die der territorialen Gliederung angepaßt sind. Es gibt also in der Partei Nomenklaturen des Zentralkomitees, der Bezirks- und der Kreisleitungen, für die Staatsverwaltung Nomenklaturen des Ministerrates und der Räte der Bezirke und Kreise. Die über die Besetzung entscheidende Stelle führt die Nomenklatur, das ist nicht unbedingt die Kaderabteilung der jeweiligen Arbeitsstelle, sondern kann auch die übergeordnete oder gar noch höhere Kaderabteilung sein. So sind etwa Abteilungsleiter der Räte der Kreise Nomenklaturkader der Stufe III, die bei den Räten der Kreise, also ihrer Arbeitsstelle, geführt werden. Die Mitglieder der Räte der Kreise sind Nomenklaturkader der Stufe II, die beim Rat des Bezirks, also der übergeordneten Dienststelle, geführt werden. Die Vorsitzenden der Räte der Kreise sind wegen ihrer herausragenden politischen Bedeutung Nomenklaturkader der Stufe I, die beim Ministerrat, also bei der der übergeordneten Dienststelle vorgeordneten Behörde, geführt werden. Vergleichbar strukturiert ist die Nomenklatur des Parteiapparates der SED. Der von der SED ausgeübte Einfluß auf die Personalpolitik besteht in folgendem: Personen, die wichtige Staatsämter bekleiden oder bekleiden sollen, sind meist auch Mitglieder der SED, so daß sie der Parteidisziplin unterliegen. Die Nomenklaturkader des Staatsapparates werden, obwohl sie nicht im Parteiapparat tätig sind, in die Nomenklatur der Partei aufgenommen und der Nomenklaturstufe zugeordnet, die sie in der Staatsnomenklatur innehaben5 • Konkret heißt dies, daß der Abteilungsleiter des Rates eines Kreises auch in der Nomenklatur der Kreisleitung der SED geführt wird, das Mitglied des Rates eines Kreises auch in der Nomenklatur der Bezirksleitung und der Vorsitzende des Rates eines Kreises auch in der ZK-Nomenklatur geführt wird. Formal gilt dies nur, soweit die betreffende Person Parteimitglied ist, jedoch wird im Stellenplan des Staatsapparates festgelegt, welche Position nur mit Zustimmung welcher Parteileitung besetzt werden darf6 . In dieser Doppelnomenklatur bleibt jedenfalls rechtlich offen, ob es sich um ein Verhältnis des Einvernehmens oder der Überordnung zwischen den nomenklaturführenden Stellen von Partei und Staat handelt7 • Fest steht aber, daß die Partei für sich das Recht Anspruch nimmt, über die Personalpolitik im Staatsapparat zu bestimmen, und zwar zumindest im Sinne eines Vetos. 4 Neugebauer: Partei und Staatsapparat in der DDR, S. 157 ff.; Glaeßner: Herrschaft durch Kader, S. 239 ff.; Schwarzenbach: Die Kaderpolitik der SED in der Staatsverwaltung, S. 48 f. 5 Glaeßner, a.a.O., S. 242. 6 Neugebauer: Partei und Staatsapparat in der DDR, S. 158. 7 Glaeßner: Herrschaft durch Kader, S. 244.
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3. Kap.: Der öffentliche Dienst in der DDR
§ 13 MVO legt dem Leiter die Verpflichtung zur Kaderarbeit auf. Er hat durch langfristige Kaderprogramme den "notwendigen Vorlauf in der Heranbildung, Erziehung und Qualifizierung der Kader zu sichern". Das Verhältnis zur Partei wird hier nicht geklärt. Nach § 13 Abs.1 S. 2 MVO hat er lediglich allgemein eng mit den gesellschaftlichen Organisiationen, also insbesondere FDGB und FDJ, zusammenzuarbeiten. Weitere Vorschriften zur Kaderarbeit finden sich aber in den Gesetzen, die die Rechtsverhältnisse der Räte regeln. In § 13 Abs. 2 MRG heißt es, der Ministerrat gewährleiste "eine den Erfordernissen entsprechende Aus- und Weiterbildung der Staats- und Wirtschaftsfunktionäre. Er ist für eine der führenden Rolle der Arbeiterklasse entsprechende Kaderpolitika verantwortlich". In § 12 Abs. 1 GöV 1985 wird den örtlichen Räten die Aufgabe übertragen, "daß für die Arbeit in den Fachorganen der örtlichen Räte der Arbeiter-und-Bauern-Macht treu ergebene, befähigte Bürger ... gewonnen, rechtzeitig vorbereitet und eingesetzt werden." Die Räte sind für die Verwirklichung der Grundsätze der sozialistischen Kaderpolitik in ihrem Bereich verantwortlich und sichern die planmäßige Entwicklung, Erziehung sowie die Aus- und Weiterbildung der Kader ihres Verantwortungsbereiches. In § 13 Abs. 1 GöV 1973 hieß es: "Die Räte berufen die Leiter der unterstellten Betriebe und Einrichtungen und andere leitende Mitarbeiter entsprechend den festgelegten Nomenklaturen." In der Nachfolgevorschrift des § 12 Abs. 2 GöV 1985 ist der Hinweis "entsprechend der festgelegten Nomenklaturen" weggefallen. Aus diesen Vorschriften ergibt sich somit die für die Einstellung von Staatsbediensteten geforderte, in der MVO nicht erwähnte Grundanforderung, "der Arbeiter-und-Bauern-Macht treu ergeben" zu sein, eine Formulierung, die ähnlich in § 2 Abs. 1 DLO auftaucht. Daß nicht nur Treue zum Abtraktum "Staat" oder zum Staatsorgan "Regierung", sondern Treue zum ideologisch verstandenen sozialistischen Staat gefordert wird, ergibt sich aus dem Treueobjekt "Arbeiter-und-Bauern-Macht". Die allgemeine Verpflichtung auf die Grundsätze der sozialistischen Kaderpolitik ist, da diese der SED vorbehalten ist, die entscheidende rechtliche Einbruchstelle für die Partei. Interessant ist, daß im GöV 1985 der Begriff der Nomenklatur nicht mehr erwähnt wird und statt dessen die Verpflichtung auf die Verwirklichung der Grundsätze der sozialistischen Kaderpolitik eingefügt wurde. Der Begriff Nomenklatur beinhaltet, daß die formell demokratische Kreationsweise für Staatsorgane dadurch materiell diktatorisch ausgefüllt wird, daß die Besetzung bestimmter Positionen bestimmten führenden Parteizirkeln sachlich, 8 Zu erwarten gewesen wäre der Begriff Kaderarbeit, aber bei einem so hochrangigen Organ wie dem Ministerrat verschwimmen wohl die Grenzen zwischen Kaderarbeit und -politik.
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nicht aber formell vorbehalten ist. Wohl wegen dieses undemokratischen Beigeschmacks ist der Begriff "Nomenklatur" -soweit ersichtlich- außerhalb des § 13 Abs. 1 GöV 1973 in staatlichen Rechtsvorschriften nicht verwendet und auch in der DDR-Literatur trotzseiner hohen Bedeutung kaum und nur unzureichend erläutert worden. Das Wegfallen des Begriffs "Nomenklatur" und die Verpflichtung auf die sozialistische Kaderpolitik im GöV 1985 ist daher wohl als verhüllende Bezugnahme auf das Nomenklatursystem zu verstehen. Detaillierter werden inhaltliche Vorschriften zur Kaderarbeit im Parteirecht gegeben. Maßgebend ist der Beschluß des Sekretariats des ZK der SED über die Arbeit mit den Kadern vom 07. Juni 1977 9 . Das Dokument betont, daß Kaderfragen Klassenfragen und daher stets und überall eine erstrangige politische Aufgabe seien. Der oberste Grundsatz sozialistischer Kaderarbeit sei die Sicherung der führenden Rolle der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei, die Besetzung der Leitungsfunktionen mit fähigen, der Sache der Arbeiterklasse und ihrer Partei treu ergebenen Kadern, die mit der KPdSU und den Völkern der Sowjetunion brüderlich verbunden seien und fest auf den Positionen des proletarischen Internationalismus stünden. Es werden in dem Beschluß Eigenschaften und Fähigkeiten herausgearbeitet, die ein leitender Kader aufweisen soll, an erster Stelle "unbedingte Treue zur Arbeiterklasse, ihrer Partei und zum MarxismusLeninismus", "unerschütterliche Freundschaft mit der KPdSU, zur Sowjetunion und den anderen Ländern der sozialistischen Gemeinschaft, Treue zum proletarischen Internationalismus"; erst danach folgen fachliche und geistig-charakterliche Eigenschaften eher unpolitischen Inhalts. Nach der Darstellung eines solchen idealen Persönlichkeitsprofils macht es das Dokument "allen Leitungsorganen der Partei, des Staates, der Wirtschaft und der Massenorganisationen" zur Pflicht, ein Kaderprogramm zu erstellen, an dessen erster Stelle "Maßnahmen für die marxistisch-leninistische und fachliche Aus- und Weiterbildung der Kader" stehen. Spezielle Anweisungen beziehen sich auf die Bildung einer einsetzbaren Kaderreserve für Nomenklaturfunktionen, also auf Bereitstellung von Personen, die sofort auf noch von anderen Personen besetzte Nomenklaturposten gesetzt werden können, und auf die Heranbildung von N achwuchskadern, die sich vor allem durch ihre politische Haltung, aber auch durch hervorragende Leistungen und persönliche Eigenschaften für zukünftige Leitungsfunktionen empfehlen müssen. Schließlich wird ein besonderes Augenmerk auf den verstärkten Einsatz von Frauen und auf die politisch-ideologische Erziehung und Qualifizierung von Auslandskadern zum Einsatz in den sozialistischen Ländern, den jungen Nationalstaaten und den kapitalistischen Ländern 9 Dokumente der SED, Bd. 16, S. 481; vgl.auch den vorhergehenden Beschluß vom 17.02.1965, ebda., Bd. 10, S. 300.
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gerichtet. All dies und mehr soll in den auch von den staatlichen Leitungsorganen zu erstellenden Kaderprogrammen umgesetzt werden. Den Grundorganisationen der Partei, also den Zusammenfassungen der Parteimitglieder in den Betrieben und Verwaltungen, wird durch den genannten Beschluß eine doppelte Aufgabe zugewiesen: Erstens sei die Grundorganisation verantwortlich für die Durchführung der im Kaderprogramm festgelegten Maßnahmen zur marxistisch-leninistischen Qualifizierung der leitenden Kader. Zweitens habe sie zu kontrollieren, wie die leitenden Kader fachlich qualifiziert würden. Dies solle durch regelmäßige Rechenschaftsberichte des Leiters vor der Grundorganisation erfolgen. Die rechtliche Ordnung der inhaltlichen Seite der Personalpolitik im Staatsdienst der DDR - wie auch in anderen Bereichen _lo zeichnet sich durch drei Merkmale aus: Erstens wird vom Gesetz die langfristige und systematische Personalplanung als eine der wichtigsten Aufgaben der Leiter angesehen. Deshalb hat er Kaderprogramme zu erstellen, die die Festlegung des weiteren Weges der aktiven Kader, die Bildung von Reserven und die Heranziehung des Nachwuchses umfassen. Die Personalpolitik in der DDR ist also sehr systematisch angelegt. Zweitens wird die Hauptforderung an alle für leitende Positionen vorgesehene Personen in der Verwaltung gestellt, uneingeschränkt partei- und moskautreu zu sein. Erst nach diesen ideologischen Anforderungen rangieren fachliche und persönliche Kriterienll. Drittens nimmt die SED auf die Personalpolitik maßgeblichen Einfluß, außer durch Festlegung der Kaderpolitik und das Nomenklatursystem, durch Mitwirkung bei der Erstellung der Kaderprogramme und Kontrolle ihrer Durchführung sowie durch politisch-ideologische Erziehung im Rahmen der Kaderprogramme 12 . Dieser Einfluß ergibt sich daraus, daß das staatliche Recht kaum inhaltlich Kriterien zur Personalplanung aufstellt, sondern unmittelbar Parteivorschriften anzuwenden sind. Erziehung ist nicht nur eine Aufgabe, die im Rahmen der Kaderarbeit, bei der Heranbildung des Führungsnachwuchses, zu erfüllen ist, vielmehr handelt es sich um eine allgemein nach dem Arbeitsrecht zu verfolgende Aufgabe. Nach§§ 18 S. 1 und 2, 21 AGB sollen die leitenden Mitarbeiter neben der Hauptaufgabe der Planerfüllung und -überbietung die Entwicklung der Werktätigen zu sozialistischen Persönlichkeiten fördern und dafür sorgen, daß das Denken und Handeln der Werktätigen von den Idealen der Arbeiterklasse geprägt wird. Außerhalb der Arbeit hat der Betrieb den Werktätigen 1o Zur Kaderarbeit in der Wirtschaft vgl. etwa Friedrich u. a. (Hrsg.): Leitung der sozialistischen Wirtschaft, S. 148 ff. 11 Zu historischen Schwankungen in der Prioritätsliste vgl. Glaeßner: Herrschaft durch Kader, S . 225 ff. 12 Zu den politisch-ideologischen Schulungseinrichtungen vgl. Neugebauer: Partei und Staatsapparat in der DDR, S. 168 ff.; Schwarzenbach: Die Kaderpolitik der SED in der Staatsverwaltung, S. 77.
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umfassend zu betreuen, u. a. hat er nach § 223 Abs. 1 Buchst. a AGB im Rahmen der geistig-kulturellen Betreuung die weltanschauliche Bildung und Erziehung zu fördern. Die Arbeitsbedingungen sind nach § 71 Abs. 1 S . 1 AGB so zu gestalten, daß sie zur Entwicklung sozialistischer Persönlichkeiten beitragen. Eine der Aufgaben der Betriebsgewerkschaftsorganisation (BGO) ist nach § 22 Abs. 2 Buchst. g AGB die Erhöhung der politischen Qualifikation der Werktätigen und die kommunistische Erziehung der Jugend. Diese für Werktätige allgemein geltenden erzieherischen Vorschriften werden für Staatsbedienstete gesteigert. Während nach dem AGB die Entwicklung zur sozialistischen Persönlichkeit nur gefördert werden soll, haben die Leiter im Staatsdienst u. a. gemäߧ 12 Abs. 1 Nr. 1 MVO die Aufgabe, "die Mitarbeiter politisch-ideologisch zu erziehen". Dazu korrespondierend wird den Staatsbediensteten durch § 8 Abs. 1 S. 2 MVO zur Pflicht gemacht, "sich zielstrebig und in enger Verbindung mit der ideologischen Erziehung die Grundfragen der marxistisch-leninistischen Theorie ... anzueignen". Natürlich hat auch im Staatsdienst der Leiter die Pflicht, die "unterstellten Kollektive so zu leiten, daß die Mitarbeiter ... sich zu sozialistischen Persönlichkeiten mit hohem Bildungs- und Kulturniveau entwickeln können"(§ 9 Abs. 2 MVO). Bei den Angehörigen der Organe des Ministeriums des Innern wird von Rechts wegen vorausgesetzt, daß ideologische Erziehungsarbeit nicht mehr erforderlich ist, denn schon die Einstellung erfordert unbedingte politische Zuverlässigkeit und treue Ergebenheit gegenüber Partei und Staat. Diese Personen haben daher nach§ 5 Abs. 2 Buchst. e DLO die Pflicht, "ihre politische . .. Bildung .. . zu vervollkommnen". Allen genannten Regeln liegt die Heranbildung sozialistischer Persönlichkeiten zu Grunde. Mit dem Begriff der sozialistischen Persönlichkeit wird allgemein der neue Menschentyp bezeichnet, der sich im Sozialismus entwickeln soll. Da durch den Übergang zum Sozialismus zum ersten Mal der Mensch Geschichte bewußt gestaltet und nicht nur objekthaft in ihr mittreibt, muß sich nach der kommunistischen Ideologie auch ein neuer Menschentyp entwickelnl3. Dieser ideale sozialistische Mensch, den der Sozialismus schafft und der sich erst allmählich herausbildet!\ soll sich u. a. dadurch auszeichnen, daß er die gesellschaftlichen Interessen an den ersten Platz stellt, die Ziele und Prinzipien der kommunistischen Ideologie sich zu eigen macht, daß er die Arbeit im sozialistischen Betrieb als Arbeit zum Wohle des Volkes, als höchsten Sinn des Lebens empfindet, daß seine 13 Marx, Engels: Werke, Bd. 20, S. 264; Kleines politisches Wörterbuch, S. 730 f. (Stichwort: Persönlichkeit); Dialektischer und historischer Materialismus, S. 443. 14 Um diese Entwicklung zu betonen wird der zukünftige "fertige" Mensch als allseitig entwickelte sozialistische Persönlichkeit bezeichnet.
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zwischenmenschlichen Beziehungen von Kollektivismus, Brüderlichkeit und Internationalismus gekennzeichnet sind, daß er allgemeine sozialistische moralische Qualitäten aufweist wie hohes Pflicht- und Verantwortungsbewußtsein, sozialistischen Gemeinschaftsgeist, Kämpferturn und Mut zum Risikol5. Das Arbeitsrecht wird also, wie aus den genannten Vorschriften hervorgeht, nicht nur zur Ordnung des Arbeitsverhältnisses eingesetzt, sondern verfolgt den weitergehenden Zweck der Persönlichkeitsveränderung. Dabei wird die Intensität seiner Verfolgung nach Arbeitsbereichen differenziert: Im allgemeinen Arbeitsrecht ist es nur ein Nebenzweck, der im Rahmen der politischen Gesamtkonzeption mitverfolgt wird und dem der Werktätige mehr objekthaftausgesetzt ist. Im Recht des Staatsdienstes mit seiner höheren Anforderung zur Identifikation mit den ideologischen Zielen nimmt die Persönlichkeitsformung schon den Rang einer Pflicht für die Mitarbeiter an. Im Sicherheitsbereich schließlich wird das Persönlichkeitsprofil, das gesamtgesellschaftlich erst in der Entwicklung begriffen ist, vorausgesetzt, und es geht nur noch um die Vervollkommnung. Zur Herbeiführung der Persönlichkeitsveränderung werden alle sozialen Beziehungen, die im Betrieb vorkommen, eingesetzt: das Arbeitsverhältnis im engeren Sinne, die betrieblich gestaltete Freizeit, die Gewerkschaftsarbeit. Der Schulung allgemein, insbesondere aber der der Staatsbediensteten, nimmt sich die SED intensiv an16 . Dabei werden vor allem durch das sogenannte Parteilehrjahr, einer Zusammenstellung von Seminaren, auch Parteilose erfaßt. Die ideologische Erziehung und die Erläuterung der Parteibeschlüsse für alle Staatsbediensteten in Mitgliederversammlungen, Seminaren u . ä. ist eine Aufgabe der Grundorganisation der SED im Staatsorgani7. Für Parteikader und Staatskader, die SED-Mitglieder sind, existieren verschiedene, hierarchisch geordnete Schulen18: Kreis- und Betriebsschulen des Marxismus-Leninismus, Bezirksparteischulen, Sonderschulen der Bezirksleitung; beim ZK der SED sind die Parteihochschule "Karl Marx" und das Institut für Gesellschaftswissenschaften angesiedelt, es gibt dort aber auch mehr fachlich ausgerichtete Institute wie das Zentralinstitut für sozialistische Wirtschaftsführung. In der Hauptsache geht es jedoch um 15 Smirnow: Die Herausbildung der sozialistischen Persönlichkeit, S. 239 ff.; Leiter , Kollektiv, Persönlichkeit, S. 46; Klaus, Buhr (Hrsg.): Philosophisches Lexikon, S. 922 f. (Stichwort: Persönlichkeit). 16 Vgl. Punkt 57 b Abs. 2 des Statuts der SED, wo als Aufgabe der Grundorganisationen "die Organisierung einer systematischen politischen Schulung und die Nutzung aller Möglichkeiten der Alleignung der marxistisch-leninistischen Theorie" genannt werden. 17 Marxistisch-leninistische Partei und sozialistischer Staat, S. 203. 1B Zu dem System und den Lehrgängen und -plärren vgl. Förtsch: Die SED, S. 84 ff.; Neugeb auer: Partei und Staatsapparat in der DDR, S. 144, 168 ff.; Kleines politisches Wörterbuch, S. 725 ff. (Stichwort: Parteischulung der SED).
10. Das Disziplinarrecht
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politisch-ideologische Schulung. Die fachliche Aus- und Weiterbildung der Staatskader liegt im wesentlichen in der Hand des Staates, der entsprechend der territorialen Gliederung und unterschieden nach der Nomenklaturstufe der Teilnehmer ein Schulungssystem aufgebaut hat1 9 : Betriebsakademien der Räte der Kreise und die Fachschule für Staatswissenschaft "Edwin Hoernle" (für Kader der Nomenklaturstufe II) und an höchster Stelle die dem Ministerrat unterstellte Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft in Potsdam-Babelsberg2o. Bei aller fachlichen Ausrichtung steht auch diese Schulung unter dem Primat der SED-Politik, wie beispielsweise das Statut der Akademie für Staatsund Rechtswissenschaft der DDR21 deutlich macht: Gemäß § 1 Abs. 4 S. 1 des Statuts sind Grundlage der Tätigkeit der Akademie "die Beschlüsse der Partei der Arbeiterklasse, die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik sowie die Gesetze und anderen Rechtsvorschriften". Ziel der Akademie ist nach § 2 Abs. 1 des Statuts, "die Aus- und Weiterbildung von Staatsfunktionären auf hohem politischen und fachlichen Niveau zu gewährleisten. Die Bildung und Erziehung an der Akademie dient der ständigen klassenmäßigen Stärkung des sozialistischen Staatsapparates, der Erhöhung der marxistisch-leninistischen Kenntnisse der Leiter und Mitarbeiter de~ Staatsorgane und der Entwicklung ihrer politischen und fachlichen Fähigkeiten, schöpferisch die Politik der marxitisch-leninistischen Partei ... zu verwirklichen". Der Rektor, der vom Vorsitzenden des Ministerrates berufen wird, ist nach § 5 Abs. 6 S. 1 des Statuts "für eine der führenden Rolle der Arbeiterklasse entsprechende Entwicklung der Kader verantwortlich".
10. Das Disziplinarrecht Die Werktätigen unterliegen einem arbeitsrechtlichen Disziplinarrecht. Mit einer Disziplinarmaßnahme kann nach § 254 Abs. 1 AGB der Werktätige belegt werden, wenn er "seine Arbeitspflichten schuldhaftverletzt und andere Formen der Erziehung nicht ausreichen". Die Disziplinarmaßnahmen stufen sich in den Verweis, den strengen Verweis und die fristlose Entlassung. Wie oben dargestellt, weist die fristlose Entlassung Besonderheiten aufl: Sie ist zulässig "bei schwerwiegender Verletzung der sozialistischen Arbeitsdisziplin oder staatsbürgerlicher Pflichten, wenn die Weiterbeschäftigung im Betrieb nicht mehr möglich ist" . Die Tatbestände für Verweise und fristlose Entlassungen decken sich sachlich, soweit sie die Verletzung Vgl. Glaeßner: Herrschaft durch Kader, S . 267 ff. Die Akademie gibt u . a. die führende rechts- und staatswissenschaftliche Zeitschrift "Staat und Recht" heraus. 21 Vom 16.06.1978 (GBL I S. 220). 1 §§ 254 Abs. 1 S . 2 i.V.m. 56 Abs. 1 S . 1 AGB. 19
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von Arbeitspflichten bzw. der Arbeitsdisziplin voraussetzen. Die in § 80 Abs. 1 AGB aufgezählten Arbeitspflichten sind unpolitischer, rein betriebsund effizienzbezogener Natur. So steht es auch um den Begriff der sozialistischen Arbeitsdisziplin. Sie wird im Unterschied zur Arbeitsdisziplin in Ausbeuterordnungen, wo sie durch ökonomischen und außerökonomischen Zwang gesichert werde, als bewußte Disziplin bezeichnet, weil wegen der grundsätzlichen Übereinstimmung der gesellschaftlichen Erfordernisse mit den Interessen des einzelnen im Sozialismus sich auch die Einstellung zur Arbeit ändere. Der Inhalt der Arbeitsdisziplin wird häufig mit denselben Worten umrissen, die§ 80 Abs. 1 AGB zur Beschreibung der Arbeitspflichten benutzt2 . Die sozialistische Arbeitsdisziplin soll allgemein die Gesamtheit der Rechte und Pflichten der Werktätigen aus dem Arbeitsrechtsverhältnis umfassen3. Arbeitsdisziplin kann als pflichtgemäßes Verhalten bei der Arbeit bezeichnet werden, so daß sich die Merkmale Arbeitsdisziplin und Arbeitspflichten s.achlich decken. Der erste Begriff umfaßt nur zusätzlich die ideologisch richtige Einstellung zur Arbeit. Im Ergebnis haben daher Verweise und fristlose Entlassungtrotz unterschiedlicher Formulierung zum Teil gleiche Voraussetzungen. Die Reichweite des zusätzlichen Merkmals der staatsbürgerlichen Pflichten bei der fristlosen Entlassung wurde oben bereits erörtert. Die Disziplinarmaßnahme darf nur vom Betriebsleiter als Disziplinarbefugtern ausgesprochen werden, der aber für den Verweis und den strengen Verweis diese Befugnis auf leitende Mitarbeiter delegieren kann4 • Der Ausspruch einer Disziplinarmaßnahme steht am Ende eines vom Disziplinarbefugten eingeleiteten Verfahrens, das spätestens fünf Monate nach der Arbeitspflichtverletzung eröffnet werden muß5. Dem Werktätigen ist von der Einleitung Mitteilung zu machen, ebenso der Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL). Vor dem Ausspruch der Maßnahme ist der Werktätige zu hören, die BGL kann mitwirken, bei der fristlosen Entlassung ist sogar nach §57 Abs. 1 AGB deren Zustimmung notwendig. Die verhängten Disziplinarmaßnahmen erlöschen nach bestimmten Zeiten gemäߧ 258 AGB, das heißt, sie gelten als nicht ausgesprochen und werden aus der Kaderakte entfernt. Bei der fristlosen Entlassung führt dies jedoch nicht zur Wiedereinstellung. Während eine fristgemäße Kündigung nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist (vor allem wegen betrieblicher Änderungen und wegen Ungeeignetheit des Werktätigen) und dem Werktätigen eine zurnutbare 2 .IG.eines politisches Wörterbuch, S. 75 (Stichwort: Arbeitsdisziplin) ; Wörterbuch der Okonomie, Sozialismus, S. 63 (Stichwort: Arbeitsdisziplin); Arbeitsrecht von A bis Z, S. 320 f . (Stichwor t: sozialistische Arbeitsdisziplin); vgl. auch§ 106 GBA, der den Inhalt der Arbeitsdisziplin mit den Arbeitspflichten umschrieb. 3 Arbeitsrecht, S. 174. 4 § 254 Abs. 2 und 3 AGB. s §§ 255 ff. AGB.
10. Das Disziplinarrecht
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andere Arbeit angeboten werden muß 6 , deckt die fristlose Entlassung weitgehend den Raum ab, den im bundesdeutschen Recht die fristlose Kündigung einnimmt. Bei der fristlosen Entlassung wird im Gegensatz zur fristgemäßen Kündigung ein sozialer Abstieg des Werktätigen in Kauf genommen, denn gemäß § 56 Abs. 3 AGB ist der Betrieb nur verpflichtet, den Entlassenen bei der Aufnahme einer "anderen" Arbeit zu unterstützen. Gemäß § 257 Abs. 3 AGB hat der Werktätige das Recht, gegen eine ausgesprochene Disziplinarmaßnahme innerhalb von zwei Wochen nach Zugang Einspruch bei der Konfliktkommission bzw. Kammer für Arbeitsrecht des Kreisgerichts einzulegen. Für leitende Kader ist die gerichtliche Anfechtung von Disziplinarmaßnahmen aber eingeschränkt: Nach § 38 Abs. 2 AGB erfolgt die Begründung von Arbeitsrechtsverhältnissen zur Wahrnehmung besonders verantwortlicher staatlicher oder gesellschaftlicher Funktionen durch Berufung oder Wahl. Diese Personen können unter denselben Voraussetzungen, nach denen eine fristlose Entlassung möglich ist (schwerwiegende Verletzung der sozialistischen Arbeitsdisziplin oder staatsbürgerlicher Pflichten), fristlos abberufen oder abgewählt werden7 . Dagegen können die Gerichte nicht angerufen werden, sondern der betroffene Werktätige kann sich lediglich bei der Person oder dem Organ beschweren, die bzw. das die Entscheidung getroffen hat. Wird der Beschwerde nicht abgeholfen, entscheidet der übergeordnete Leiter bzw. das übergeordnete Organ. Selbst dieses Beschwerderecht entfällt bei Personen, deren Arbeitsverhältnis durch Wahl begründet und durch Abwahl aufgelöst wurde8 . Außerdem gibt es kein Beschwerderecht, wenn die Abberufung durch höhere und höchste Stellen erfolgt, nämlich durch den Staatsrat, den Vorsitzenden des Ministerrates, die Minister und Leiter der anderen zentralen Staatsorgane und die Räte der Bezirke. Die BGL, die einer fristlosen Entlassung zustimmen muß, braucht bei berufenen Werktätigen nur gehört zu werden. Auch das entfällt bei Abberufungen durch die Räte und bei gewählten Werktätigen9. Das Disziplinarrecht für die Mitarbeiter in den Staatsorganen wird selbständig in der MVO geregelt. Die erhöhten Pflichten, die dem Mitarbeiter in der MVO auferlegt sind, sind Arbeitspflichten, wie sich aus der Ermächtigungsgrundlage der MVO (§ 80 Abs. 2 AGB bzw. § 107 Abs. 4 GBA) ergibt. Damit weitet sich auch das materielle Disziplinarrecht aus, denn § 17 Abs. 1 S. 1 MVO setzt für eine disziplinarische Ahndung die schuldhafte Verletzung der Pflichten voraus. Ein sachlicher Unterschied zum AGB, das von der Arbeitspflichtverletzung spricht, dürfte darin nicht zu sehen sein. Der s § 54 Abs. 2 AGB. 7 §§ 61 ff AGB. 8 §§ 65 f. AGB; vgl. auch Arbeitsrecht von A bis Z, S. 93 (Stichwort: Beschwerde gegen Abberufungen). 9 §§ 64 Abs. 1, 66 S. 2 AGB.
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3. Kap.: Der öffentliche Dienst in der DDR
allgemeinere Begriff der Pflichtverletzung deutet nur darauf hin, daß der Pflichtenkreis der Staatsbediensteten über die rein fachlichen Pflichten hinaus erweitert ist und insbesondere auch die staatsbürgerlichen Pflichten mitumfaßt. Im Gegensatz zum AGB kommen daher bei der MVO bei der Verletzung staatsbürgerlicher Pflichten auch der einfache und strenge Verweis in Betracht. Als Vorstufe zu den eigentlichen Disziplinarmaßnahmen darf der Disziplinarbefugte nach § 17 Abs. 4 S. 1 MVO eine Mißbilligung aussprechen. Die Verfolgungsfristen sind nach§ 19 Abs. 2 MVO von fünf auf zwölf Monate hinaufgesetzt. Das Disziplinarverfahren selbst entspricht im wesentlichen dem des AGB. Eine Verstärkung der allgemeinen Hierarchie wird jedoch dadurch bewirkt, daß gemäß § 20 Abs. 3 S. 1 MVO der übergeordnete Disziplinarbefugte das Verfahren jederzeit an sich ziehen kann. Er ist also nicht auf Weisungen beschränkt. Wie im AGB ist nach § 20 Abs. 2 MVO das Disziplinarverfahren unter Mitwirkung eines Vertreters der zuständigen Gewerkschaftsleitung durchzuführen. Ein Zustimmungserfordernis der BGL für fristlose Entlassungen ist jedoch nicht vorgesehen. Angesichts der umfassenden und zum Teil wörtlich mit dem AGB übereinstimmenden Regelung dürfte eine Lücke nicht vorliegen. Eine ergänzende Heranziehung des AGB in diesem Punkt erscheint also nicht zulässig. Zwar steht das Zustimmungserfordernis in §57 AGB im Kapitel "Abschluß, Änderung und Auflösung des Arbeitsvertrages", also in einem von der MVO grundsätzlich nicht berührten Kapitel, jedoch ergibt sich die Anwendbarkeit der Vorschrift im Disziplinarrecht des AGB aus der disziplinarischen Norm des § 254 Abs. 1 S. 2 AGB, der u. a. auf§ 57 AGB verweist. Eine solche Verweisung fehlt in der entsprechenden Disziplinarvorschrift des § 21 Abs. 4 MVO. In der Literatur wird auch lediglich ein Mitwirkungsrecht der Gewerkschaft bei Verfahren gegen Staatsbedienstete erwähnt, kein Zustimmungserfordernis bei fristloser Entlassung10 . In diesem Fall ist die Position des Disziplinarbefugten also unabhängiger als nach dem AGB. Im Verhältnis zum AGB erweitert § 21 Abs. 2 MVO die Strafzumessungsregeln, nach denen wie im AGB neben den Auswirkungen der Verletzung, der Schuld und anderem zusätzlich "sein Verhalten im gesellschaftlichen Leben" zu berücksichtigen istll. Die Anfechtbarkeit von Disziplinarmaßnahmen ist in der MVO zum Teil anders als im AGB geregelt. Grundsätzlich können die Staatsbediensteten nach § 24 MVO binnen 14 Tagen nach Mitteilung der Disziplinarentscheidung die Konfliktkommission anrufen. Insofern deckt sich die Rechtslage mit der des AGB. Gewählte und berufene Staatsbedienstete können jedoch IO Verwaltungsrecht, S. 180, 182; Staatsrecht der DDR, 1. Aufl., S. 455, obwohl auch zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Werkes nach § 34 Abs. 1 GBA eine Zustimmung der BGL zur fristlosen Entlassung erforderlich war. 11 Auch im entsprechenden § 109 Abs. 2 GBA war dieses Merkmal nicht enthalten.
11. Der gerichtliche Rechtsschutz im Staatsdienstverhältnis
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auch bei Disziplinarmaßnahmen unterhalb der fristlosen Abberufung bzw. Abwahl die Gerichte nicht anrufen. Sie haben ähnlich wie berufene Kader bei fristloser Abberufung nach dem AGB ein Einspruchsrecht auf dem Dienstweg nach § 23 MVO, hier allerdings sofort beim übergeordneten Disziplinarbefugten. Im Gegensatz zum AGB, aber im Einklang mit dem zur Zeit des Erlasses der MVO geltenden GBA erlischt die fristlose Entlassung nach § 25 Abs. 3 MVO nicht. Es scheint allerdings so, daß die Änderung vom GBA zum AGB in diesem Punkt trotz der abschließenden Formulierung des Disziplinarrechts in der MVO auch für diese Geltung haben soll. Die MVO ist wohl irrtümlich noch nicht an das AGB angepaßt worden. In der Literatur wird nämlich auch für das Disziplinarrecht der Staatsbediensteten unter Bezugnahme auf § 258 AGB der Standpunkt vertreten, die fristlose Entlassung erlösche in zwei Jahren12 . Zwingend ist diese Übernahme nicht, denn auch nach § 80 Abs. 2 AGB kann in der MVO eine abweichende Regelung getroffen werden. Das allgemeine Disziplinarrecht ist also rechtsstaatlich geordnet, und den Werktätigen wird allgemein die Möglichkeit gerichtlicher Anfechtung eröffnet. Lediglich für Werktätige in verantwortlichen Positionen wird der Rechtsschutz deutlich beschränkt. Diese Tendenz setzt sich in der MVO verstärkt fort, es bleibt aber für die auf Grund eines Arbeitsvertrages Beschäftigten bei der Einräumung gerichtlichen Rechtsschutzes. 11. Die Ausgestaltung des gerichtlichen Rechtsschutzes im Staatsdienstverhältnis
Wie oben dargestellt, können jedenfalls alle Staatsbediensteten unterhalb der Ebene der berufenen und gewählten Mitarbeiter gegen eine Disziplinarmaßnahme gerichtlich vorgehen. Ganz allgemein ist der gerichtliche Rechtsschutz im Arbeitsrecht im Gegensatz zum Verwaltungsrecht fast vollständig ausgebaut. Nach§ 18 Abs. 1 S. 1 der Konfliktkommissionsordnung (KKO)l berät und entscheidet die Konfliktkommission über Streitfälle zwischen Werktätigen und dem Betrieb über das Bestehen und die Verwirklichung von Rechten und Pflichten aus dem Arbeitsrechtsverhältnis. Die Aufzählung der einzelnen Streitfälle in Abs. 2, unter denen sich auch der Einspruch gegen Disziplinarmaßnahmen befindet, ist nicht abschließend, so daß die Konfliktkommissionen für alle Arbeitsrechtsstreitigkeiten zuständig sind, soweit die Zuständigkeit nicht ausdrücklich beschränkt ist2. Verwaltungsrecht, S. 183. Beschluß des Staatsrates der DDR über die Tätigkeit der Konfliktkommissionen vom 12.03.1982 (GBl. I S. 274). 12 1
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3. Kap.: Der öffentliche Dienst in der DDR
Bei den Konfliktkommissionen handelt es sich um sogenannte gesellschaftliche Gerichte, die nur aus Laien bestehen und deren Wahl vom FDGB auf betrieblicher Basis organisiert wird. Gegen die Entscheidung der Konfliktkommission kann der Betroffene nach § 53 Abs. 1 S. 1 KKO Einspruch beim Kreisgericht einlegen, das den Fall noch einmal vollständig überprüft, die Entscheidung der Konfliktkommission aufheben und anderweitig entscheiden kann. Gegen die Entscheidung des Kreisgerichts kann gemäߧ 147 Abs. 1 S. 1 ZP03 i.V.m. § 30 Abs. 4 GVG4 Berufung beim Bezirksgericht eingelegt werden, das den Fall noch einmal in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (§ 154 Abs. 1 S. 2 ZPO) prüft. Dieses Urteil wird mit der Verkündung rechtskräftig, da kein weiteres Rechtsmittel gegeben ist. Lediglich der Generalstaatsanwalt und der Präsident des Obersten Gerichts können nach§§ 37 Abs. 1 GVG, 160 Abs. 1 und 3 ZPO binnen eines Jahres nach Rechtskraft die Kassation der Entscheidung beim Obersten Gericht beantragen, wenn sie auf einer Verletzung des Rechts beruht oder die Begründung gröblich unrichtig ist. Das gerichtliche Rechtsschutzsystem in Arbeitsrechtssachen ist also verfahrensmäßig recht ausdifferenziert. Das Bild bliebe aber unvollständig, wenn die Frage unberücksichtigt bliebe, inwieweit die Gerichte unbeeinflußt von anderen Institutionen die Rechtslage prüfen und entscheiden können. Der Wert des gerichtlichen Rechtsschutzes gerade im öffentlichen Dienst gegen den öffentlichen Arbeitgeber hängt entscheidend davon ab, ob dieser dem Gericht gegenüber keine Machtmittel zur Beeinflussung der Entscheidung in der Hand hat. Die grundsätzliche Einstellung der kommunistischen Ideologie zur Rechtsprechung ist, daß es keine neutrale Überwachung der Einhaltung der Normen geben darf, sondern nur die parteiliche, d. h. auf dem Boden des Sozialismus stehende und die Weiterentwicklung des Sozialismus unter Führung der SED betreibende Rechtsprechung5 . Dieser Parteilichkeitsgrundsatz schlägt sich in der Funktionsbeschreibung der Rechtsprechung in Art. 90S. 1 Verf. nieder, wonach sie "der Durchführung der sozialistischen Gesetzlichkeit, dem Schutz und der Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik und ihrer Staats- und Gesellschaftsordnung" dient. Erst S. 2 erwähnt dann die individuellen Güter "Freiheit, das friedliche Leben, 2 Zivilprozeßrecht, S. 69, 71, für die seinerzeit geltende, insoweit aber unveränderte Fassung der KKO; Arbeitsrecht von Abis Z, S . 51 (Stichwort: Arbeitsrechtssachen). 3 Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Zivil-, Familien- und Arbeitsrechtssachen vom 19.06.1975 (GBL I S. 533). 4 Gesetz über die Verfassung der Gerichte der DDR vom 27.09.1974 (GBL I S. 457). 5 Staats- und Rechtstheorie, S. 252, 577, 580; vgl. auch Mampel: Die sozialistische Verfassung der DDR, Art. 86 Anm. 5; Schattenberg: Prinzipien der Gerichtsverfassung in der "DDR", S. 10.
11. Der gerichtliche Rechtsschutz im Staatsdienstverhältnis
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die Rechte und die Würde der Menschen". Auf der durch die Verfassung vorgezeichneten Bahn verläuft die einfachgesetzliche Regelung: Nach §§ 3 Abs. 1. S. 2 GGGG, 3 GVG ist es Aufgabe der Gerichte (gesellschaftlicher wie staatlicher), an erster Stelle die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung und das sozialistische Eigentum zu schützen, in zweiter Linie "die gesellschaftlich garantierten Rechte und Interessen der Bürger zu schützen, zu wahren und durchzusetzen." Während der Schutz der Gesellschaftsordnung pauschal als Ziel angegeben ist, ist der Rechtsschutz für den einzelnen positivistisch auf dessen "gesellschaftlich garantierte(n)" Rechte und Interessen beschränkt. Systemschutz geht allen Individualrechten und -interessen auch rechtlich vor7• Die Gerichtsbarkeit ist nur eine spezielle Form der Ausübung der einheitlichen sozialistischen Staatsmachts. Die allgemeine Aufgabe des Staates, als Unterdrückungsinstrument der herrschenden Klasse zu fungieren, ist auch Aufgabe der Gerichte. Den Mitgliedern der gesellschaftlichen Gerichte, den Richtern und Schöffen wird durch Verfassung und Gesetz die Unabhängigkeit in ihrer Rechtsprechung gewährleistet9. Diese Unabhängigkeit dürfe aber nicht mit bürgerlicher Unabhängigkeit und ihren Ausprägungen der sachlichen Weisungsfreiheit, der persönlichen Unabhängigkeit und Unversetzbarkeit gleichgestellt werden. Unabhängigkeit "an sich" gebe es nicht, vielmehr sei auch sie immer klassenbezogenlo. Konkret sieht die Rechtsstellung des Richters wie folgt ausll: In sachlicher Hinsicht besteht die Unabhängigkeit des Richters jedenfalls darin, daß er konkrete, auf den Einzelfall bezogene Weisungen für seine Rechtsprechung nicht zu befolgen brauchtl 2 • Generell jedoch ist er in der Anwendung der Gesetze in einem bestimmten Sinne gebunden. Sozialistische Gesetzlichkeit als eines der grundlegenden Prinzipien der staatlichen Leitung im Sozialismus bedeutet, daß die Rechtsnormen den gesellschaftlichen Erfordernissen in der jeweiligen Entwicklungsetappe entsprechen und diese Gesetze strikt, aber schöpferisch angewandt werden13 . Daraus folgt, daß die Gebundenheit 6 Gesetz über die gesellschaftlichen Gerichte der DDR vom 25.03.1982 (GBl. I S. 269). 7 Vgl. rechtsvergleichend für die anderen sozialistischen Staatsordnungen Lammich: Merkmale des sozialistischen Gerichtsverfassungsrechts, in: ROW 1978, 256. a Müller, Fritzsche: Gerichtsverfassungsrecht, Staatsanwaltschaftsrecht, S. 10. 9 Art. 96 Abs. 1 S. 1 Verf., §§ 2 Abs. 3 GGG, 5 Abs. 2 GVG; zur Unabhängigkeit des DDR-Richters vgl. insgesamt Schattenberg: Prinzipien der Gerichtsverfassung in der "DDR", S. 148 ff. 10 Herrmann, Schüsseler: Inhalt und Bedeutung der Unabhängigkeit des Richters in der DDR, in: NJ 1963, 129; vgl. auch Müller, Fritzsche: Gerichtsverfassungsrecht, S. 8: "Gerichte ... sind nicht klassenneutral" . 11 Vgl. auch Mampel: Die sozialistische Verfassung der DDR, Art. 96 Rdnr. 12 ff. 12 Herrmann, Schüsseler: in: NJ 1963, 133; Grundlagen der Rechtspflege, S. 63; Staats- und Rechtstheorie, S. 363; Strafverfahrensrecht, S. 78. 13 Kleines politisches Wörterbuch, S. 869 (Stichwort: sozialistische Gesetzlichkeit).
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3. Kap.: Der öffentliche Dienst in der DDR
des Richters an das gesetzte Recht die Pflicht beinhaltet, sich über die Gesetzmäßigkeiten der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung zu informieren, damit er die staatlichen Gesetze diesen gesellschaftswissenschaftliehen Gesetzmäßigkeiten entsprechend anwenden kann. Die gesellschaftlichen Notwendigkeiten lassen sich aber unmittelbar aus den Beschlüssen der Partei der Arbeiterklasse ablesen. Der Richter ist daher auch zur Beachtung der Parteibeschlüsse verpflichtet14 . Um diese Parteilichkeit der Rechtsprechung zu bewirken, ist der Richter einem System der Anleitung und Kontrolle unterworfen15. Die Rechtsprechungsorgane sind wie die gesellschaftliche und staatliche Organisation insgesamt nach dem Prinzip des demokratischen Zentralismus aufgebaut, das heißt sie werden einheitlich geleitet durch das Oberste Gericht und das Ministerium der Justiz 16 . Die Leitung durch das Oberste Gericht1 7 erfolgt zum einen durch die Kassationsentscheidung, das heißt durch Entscheidungen im Einzelfall, zum anderen durch Richtlinien und Beschlüsse, die für alle Gerichte in der Rechtsanwendung verbindlich sindlB. Auch das Ministerium der Justiz hat an der Steuerung der Rechtsprechung Anteil. Es ist zuständig für die Anleitung der Bezirks- und Kreisgerichte "zur Durchführung der Beschlüsse der Partei der Arbeiterklasse, der Gesetze und anderen Rechtsvorschriften" und für die Kontrolle der Erfüllung der diesen Gerichten übertragenen Aufgaben, was vor allem durch Revisionen einzelner Gerichte geschieht19. Die Abgrenzung der Leitungsaufgaben von Ministerium und Oberstem Gericht ist nicht präzisezo. Die Leitung durch das Oberste Gericht ist direkter und fachlich-technisch auf die Auslegung von Rechtsnormen gerichtet. Die Leitungstätigkeit des Ministeriums besteht mehr in der allgemeinen Auswertung der Rechtsprechungstätigkeit auf ihre gesellschaftliche Wirksamkeit hin und in der Einordnung der Rechtsprechung durch Mitteilungen, Informationen, Kommentierungen usw. in den gesamtstaatlichen und -gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß; diese Leitung ist also unmittelbar politisch ausgerichtet. Die zweite wichtige Tätigkeit des Ministeriums besteht in der Leitung der 14 Herrmann, Schüsseler: in: NJ 1963, 130 f.; Grundlagen der Rechtspflege, S. 22 f. ; zum Zusammenhang von objektiven Gesetzmäßigkeiten, Recht und Parteibeschlüssen vgl. Theorie des Staats und des Rechts, Bd. 4 S . 87 f. 15 Vgl. Schattenberg: Prinzipien der Gerichtsverfassung in der "DDR", S. 92 ff. 16 Müller: Das Gerichtsverfassungsrecht und einige Aufgaben der Forschung, in: StuR 1977, 25 f. 17 Art. 93 Abs. 2 Verf., § 20 Abs. 1 GVG. 1s Grundlagen der Rechtspflege, S . 100 ff.; Kleines politisches Wörterbuch, S . 682 (Stichwort: Oberstes Gericht der DDR). 19 § 21 Abs. 1 S. 1 GVG, §§ 1 Abs. 2 Buchst. a, 4 Abs. 1 S. 1 des Statuts des Ministeriums der Justiz vom 25.03.1976 (GBL I S. 185); zum Wandel der Aufgaben des Justizministeriums in der DDR-Geschichte vgl. Lapp: Der Ministerrat der DDR, S. 104 ff. zo Vgl. Grundlagen der Rechtspflege, S. 106 ff.
11. Der gerichtliche Rechtsschutz im Staatsdienstverhältnis
177
Kaderpolitik für die Bezirks- und Kreisgerichte2 1 . In diesem Rahmen hat es nach § 4 Abs. 1 S. 2 des Statuts eine "systematische Einflußnahme auf die politisch-ideologische Erziehung" zu entfalten und ist nach § 5 Abs. 1 für die "politisch-fachliche Qualifizierung" der Schöffen verantwortlich. Die Leitung der Rechtsprechung durch zwei zentrale Organe, das Oberste Gericht und das Ministerium der Justiz, ist im kommunistischen Machtbereich keine Selbstverständlichkeit. In der Sowjetunion z. B. lag eine Zeit lang die alleinige Leitung des gesamten Justizbereichs unter Abschaffung des Justizministeriums beim höchsten Gericht. Die jetzige Arbeitsteilung wird damit erklärt, daß das Oberste Gericht wegen seiner richterlichen Unabhängigkeit nicht in der erforderlichen Weise in die einheitliche, vom Ministerrat geleitete Staatspolitik eingeordnet werden könne 22 • Auch das Oberste Gericht ist jedoch entsprechend dem Prinzip des demokratischen Zentralismus in die einheitliche Staatspolitik eingebunden. Nach Art. 93 Abs. 3 Verf., § 36 Abs. 2 GVG ist es der Volkskammer gegenüber, zwischen deren Tagungen dem Staatsrat, verantwortlich und rechenschaftspflichtig. Die Steuerung der Rechtsprechung in diesen Gremien soll sich aber nicht auf einzelne Fälle beziehen, sondern nur auf die Erfüllung der Aufgaben des Gerichts in ihrer Gesamtheit. Allerdings werden dem Obersten Gericht bei dieser Gelegenheit "Hinweise und Orientierungen für die Erhöhung der gesellschaftlichen Wirksamkeit seiner Tätigkeit gegeben. " 23 Die Anleitung der Konfliktkommissionen und die Qualifizierung ihrer Mitglieder ist hingegen nach § 28 Abs. 1 S. 2 KKO Aufgabe des FDGB, wobei er darin nach § 24 Abs. 3 GVG durch das Kreisgericht unterstützt wird. Da die richterliche Unabhängigkeit trotz aller Leitung und Rechenschaftspflichtals Kern die Weisungsfreiheit im Einzelfall beinhaltet, kommt es für die Beherrschung des Justizapparates auf den Einfluß auf die personelle Besetzung an. Allgemein legt die Rechtsordnung auf richtige Kaderpolitik bei den Gerichten Wert: § 8 des Statuts des Justizministeriums macht den Minister "für eine der führenden Rolle der Arbeiterklasse entsprechende" Kaderpolitik verantwortlich, in deren Rahmen ein hohes Staatsbewußtsein und feste politisch-moralische Haltung anzustreben sind. Diese justizverwaltungsrechtlichen Vorgaben werden abgestützt durch entsprechende Vorschriften des Gerichtsverfassungsrechts: Nach § 44 Abs. 1 GVG kann Richter und Schöffe nur werden, "wer dem Volke und seinem sozialistischen Staattreu ergeben ist" . Das entscheidende Mittel, um diese Persön21 22 23
Ebda., S . 108. Grundlagen der Rechtspflege, S. 107. Ebda., S . 99.
12 Schneider
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3. Kap.: Der öffentliche Dienst in der DDR
lichkeitsanforderungen durchsetzen zu können, ist die zeitlich begrenzte Wahl der Richter und ihre jederzeitige Absetzbarkeit. Unabsetzbarkeit, wie sie notwendiger Bestandteil "bürgerlicher" Unabhängigkeit ist, bedeutet nach kommunistischem Verständnis "Nichtverantwortlichkeit vor dem Volk" 24 . Die Mitglieder der Konfliktkommissionen werden nach § 7 Abs. 3 GGG von den Gewerkschaftsgruppen benannt und von der BGL den Werktätigen in Versammlungen vorgeschlagen. Gemäß § 8 Abs. 1 GGG wählen die Betriebsangehörigen die Mitglieder geheim für die Dauer der Wahlperiode der Gewerkschaftsvorstände25 . Die Richter der staatlichen Gerichte werden von der jeweiligen Volksvertretung für die Dauer ihrer Wahlperiode, also für fünf Jahre,26 gewählt. Die Kandidaten für die Kreis- und Bezirksgerichte werden vom Minsterium der Justiz im Einvernehmen mit der Nationalen Front, dem Zusammenschluß der Parteien und Massenorganisationen, vorgeschlagen, wobei die Vorschläge für die mit dem Arbeitsrecht zu betrauenden Richter dem Ministerium vom FDGB unterbreitet werden27 ; Richtervorschläge für das Oberste Gericht unterbreitet der Staatsrat der Volkskammer. Schöffen der Kreis- und Bezirksgerichte werden direkt von den Werktätigen im Rahmen der allgemeinen Wahlen gewählt, wobei die Vorschläge für Arbeitsrechtsschöffen von der FDGB-Vorständen unterbreitet werden. Arbeitsrechtsschöffen beim Obersten Gericht werden jedoch durch die Volkskammer auf Vorschlag des Staatsrates gewählt, wobei der Bundesvorstand des FDGB lediglich dem Staatsrat Vorschläge unterbreiten darf. Durch das Vorschlagsrecht wird die Personalpolitik für Berufsrichter beim Justizministerium bzw. Staatsrat konzentriert und eine unerwünschte Kandidatur verhindert. Nur für die Arbeitsrechtsschöffen auf Kreis- und Bezirksebene liegt das Vorschlagsrecht außerhalb des Staates beim FDGB. Die Mitwirkungsrechte der Bevölkerung durch Wahl und des FDGB bei Schöffenvorschlägen sind für das Oberste Gericht beseitigt bzw. eingeschränkt, was wohl ein Indiz für die hier besonders scharfe Kaderauslese ist. Die Gewählten sind ihren Wählern für die Tätigkeit rechenschaftspflichtig28. Sollten diese Auslesemechanismen im Einzelfall versagt haben und die Tätigkeit des Richters oder Schöffen der Führung so unliebsam werden, daß man nicht mehr das Ende der Wahlperiode abwarten möchte, können alle Herrmann, Schüsseler: in: NJ 1963, 134. Nach Punkt 36 Abs. 7 der Satzung des FDGB vom 19.05.1977, veröffentlicht unter Nr. 25 bei Müller-Römer: DDR-Gesetze, finden in den Betriebsgewerkschaftsorganisationen Wahlen in der Regel alle zweieinhalb Jahre statt. 26 § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Wahlen zu den Volksvertretungen der DDR Wahlgesetz - vom 24.06.1976 (GEL I S. 301); Art. 54 Verf. 27 §§ 46 ff. GVG. 2s Vgl. im einzelnen Müller, Fritzsche: Gerichtsverfassungsrecht, S . 30 f. 24
25
11. Der gerichtliche Rechtsschutz im Staatsdienstverhältnis
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Richter vorher abgewählt werden, und zwar sowohl die staatlichen Richter als auch die Schöffen von den jeweils parallelen Volksvertretungen29, die Mitglieder der Konfliktkommissionen von ihren Wählern3o. Die Voraussetzungen sind weit und beliebig interpretierbar. So können Mitglieder der Konfliktkommissionen abberufen werden, "wenn sie gegen die Verfassung oder die Gesetze verstoßen oder sonst ihre Pflichten gröblich verletzen". Für staatliche Richter und Schöffen gibt es eine ähnliche Regelung in § 53 Abs. 3 S. 1 GVG. Die Grundpflichten des Richters und Schöffen, deren gröbliche Verletzung zur Abberufung ermächtigt, sind in § 45 GVG niedergelegt: Danach sind Richter und Schöffen verpflichtet, "in ihrer Rechtsprechung die sozialistische Gesetzlichkeit zu verwirklichen und sich aktiv für die Erfüllung der Aufgaben des Gerichts einzusetzen, das sozialistische Recht zu erläutern, eng mit den Werktätigen zusammenzuarbeiten und das Vertrauensverhältnis zu ihnen ständig zu festigen, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und die Staatsdisziplin zu wahren". Aus diesen sehr globalen Pflichten läßt sich im Einzelfall problemlos eine gröbliche Verletzung herausfiltern. Ein Verbot, die Entscheidung in einem Einzelfall zum Anlaß für eine Abwahl zu nehmen, existiert nicht. Die Entscheidung der Volksvertretung ist nicht anfechtbar. Die Volksvertretungen werden bei der Abwahl wie bei der Wahl nicht selbständig oder gar spontan tätig, vielmehr bedarf es für eine Abwahl eines entsprechenden Vorschlags, nämlich nach § 53 GVG für Richter und Schöffen an Kreis- und Bezirksgerichten eines solchen des Justizministers, des Präsidenten oder eines Vizepräsidenten des Obersten Gerichts 31 , für Richter und Schöffen des Obersten Gerichts eines Vorschlags des Staatsrates. Neben dem starken Einfluß des Staates auf die Besetzung der Richterposten hat er weitgehende Möglichkeiten, die Personen der zur Entscheidung im Einzelfall berufenen Richter auszuwählen. Art. 101 Abs. 1 Verf. besagt zwar, daß niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden dürfe, damit ist jedoch nicht die weitgehende Vorherbestimmtheit des zur Entscheidung bestimmten Richters verbunden, wie der gleichlautende Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG ausgelegt wird. So besteht die Möglichkeit, auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Leiters des übergeordneten Gerichts den Fall an das jeweils übergeordnete Gericht bis hin zum Bezirksgericht heranzuziehen, so daß im Ergebnis ein Arbeitsrechtsstreit, der eigentlich in die Kompetenz der Konfliktkommission fällt, vom Bezirksgericht in erster Instanz entschieden werden kann32 . Innerhalb eines Gerichts kann der §53 GVG. § 6 Abs. 6 S. 1 GGG. 31 Für Schöffen reicht auch ein Vorschlag des Direktors des Kreis- bzw. Bezirksgerichts aus. 32 § 13 Abs. 2 GGG, § 30 Abs. 2 GVG; von Schattenberg: Prinzipien der Gerichtsverfassung der "DDR", S. 98, wird dies als vorausschauende Leitung bezeichnet. 29
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3. Kap.: Der öffentliche Dienst in der DDR
Direktor des Kreis- oder Bezirksgerichts (hier auch ein Stellvertreter) bzw. der Präsident oder Vizepräsident des Obersten Gerichts in jedem Verfahren vor seinem Gericht den Vorsitz übernehmen33. Die Geschäftsverteilung erfolgt durch den Direktor des jeweiligen Gerichts, nur beim Obersten Gericht geschieht dies kollektiv durch ein Präsidium. Eine Sicherung der Geschäftsverteilung, um für jeden Fall im voraus einen bestimmten Spruchkörper mit bestimmten Richtern feststehen zu haben, existiert nicht. Nach dem Standardlehrbuch erfolgt die Geschäftsverteilung generell oder operativ34. Der Begriff "operativ" hat u. a. die Bedeutung "eingreifend, unbürokratisch"35. Daraus und aus der Alternative "generell" folgt, daß der Direktor des Kreis- bzw. Bezirksgerichts und das Präsidium des Obersten Gerichts für einen Einzelfall einen bestimmten Spruchkörper mit bestimmten Richtern beauftragen kann. Neben den hier aufgezeigten staatlichen Möglichkeiten, die Rechtsprechung zu lenken und die personelle Besetzung der Spruchkörper zu bestimmen, besteht natürlich noch parallel die Parteikontrolle durch die Grundorganisation in den Justizorganen nach den bereits für die Verwaltung aufgezeigten Grundsätzen. Diese Kontrolle ist im Justizbereich deshalb besonders weitgehend, weil über 90 % der Richter Mitglieder der SED sind36. Die führende Rolle der Partei in den Rechtspflegeorganen soll durch die zur Verwirklichung der Parteibeschlüsse verpflichteten, der Parteidisziplin unterliegenden Mitglieder der SED erfolgen. Die Grundorganisation hat über die Pflichtenerfüllung zu wachen, allgemein Einfluß darauf zu nehmen, daß alle Mitarbeiter die Parteibeschlüsse zur Grundlage ihres Handeins machen, vom festen Klassenstandpunkt an die gesellschaftlichen Erscheinungen herangehen und mit ihren Entscheidungen die entwickelte sozialistische Gesellschaft fördern. Darüber hinaus organisiert die Grundorganisation die marxistisch-leninistische Weiterbildung der in den Rechtspflegeorganen tätigen Kader3 7 • Es wird ausdrücklich nicht als mit der richterlichen Unabhängigkeit unvereinbar angesehen, "daß der Richter z. B. als Mitglied der SED vor seiner Parteiorganisation die Verantwortung dafür trägt, wie er durch seine Tätigkeit den sozialistischen Aufbau unterstützt"38. 12. Die Mitwirkung der Werktätigen Den Werktätigen wird von Rechts wegen eine umfassende Mitwirkung eingeräumt. Art. 21 Verf. schreibt dieses Prinzip der "Mitbestimmung und 33 §§ 25 Abs. 2 S. 3, 33 Abs. 4, 41 Abs. 5 GVG. 34 Grundlagen der Rechtspflege, S. 85. 35 Meyers Neues Lexikon, Bd. 10, S. 295 (Stichwort: operativ). 36 Materialien 1972, Nr. 623 . 37 Grundlagen der Rechtspflege, S. 23. 38 Herrmann, Schüsseler: in: NJ 1963, 133.
12. Die Mitwirkung der Werktätigen
181
Mitgestaltung" unter dem Grundsatz "Arbeite mit, plane mit, regiere mit!" fest. Es soll sich um einen wesentlichen Bestandteil der sozialistischen Demokratie handeln. In den Mitwirkungsrechten spiegele sich das Wesen des sozialistischen Staates wider, nämlich "die Ausübung aller politischen Macht durch die von der marxistisch-leninistischen Partei geführte Arbeiterklasse im Bündnis mit der Klasse der Genossenschaftsbauern, der Intelligenz und den anderen werktätigen Schichten" 1 . Das Grundrecht beruhe "auf der Übereinstimmung der Interessen der Werktätigen mit den Interessen der Gesellschaft und des Staates" 2 • Die Einordnung ergibt schon vom ideologischen Ansatz, daß es nicht um eine selbstbestimmte Mitbestimmung gehen kann, sondern höchstens um eine Mitwirkung an den von der SED vorgegebenen Zielen und Aufgaben3. Das allgemeine, alle gesellschaftlichen Bereiche umfassende Mitwirkungsrecht wird in Art. 42 Abs. 1 Verf. für den betrieblichen Bereiche aufgegriffen, wonach dort "die Werktätigen unmittelbar und mit Hilfe ihrer gewählten Organe an der Leitung" mitwirken. Die im AGB näher ausgestaltete Mitwirkung reduziert sich dann im wesentlichen auf die Gewerkschaften, eine Mitwirkung losgelöst von den großen, parteibeherrschten Organisationen findet kaum statt4 • Soweit "die Werktätigen" oder "das Arbeitskollektiv" in die Mitwirkung einbezogen werden, handelt es sich beispielsweise um das Recht, Vorschläge für Ordensverleihungen zu beraten5 oder - inhaltlich völlig unbestimmt - am Disziplinarverfahren mitzuwirkens. Reale Kompetenzen, die zu eigenständigen, unkontrollierten Handlungen führen könnten, gibt es nicht. Den Gewerkschaften hingegen werden mehr Rechte eingeräumt. In der DDR-Literatur werden die wichtigsten Formen gewerkschaftlicher Mitwirkung in folgende Gruppen eingeteilt7: das Vereinbarungsrecht, das heißt das Recht, durch Betriebskollektivverträge und andere Vereinbarungen Arbeitsbedingungen und soziale Leistungen zu regeln; das Zustimmungs1 Kleines politisches Wörterbuch, S. 799 f. (Stichwort: Recht auf Mitbestimmung und Mitgestaltung); Arbeitsrecht, S. 103. 2 Sorgenicht u. a. (Hrsg.): Verfassung der DDR, Art. 21 Anm. 1. 3 Es ist ein allgemeines Merkmal der sozialistischen Rechtsordnungen, daß sie ideologisch ausgefüllte und damit inhaltlich begrenzte "Rechte" gewähren und dadurch Rechte im freiheitlichen Sinne verweigern, vgl. Westen: Rechtsverweigerung durch Rechtsgewährung - ein Stilelement der Staaten des real existierenden Sozialismus, in: Festschrift Meissner, S. 429 ff. 4 Schultze-Willebrand, in: Westen u. a. (Hrsg.): Der Schutz individueller Rechte und Ideen im Recht sozialistischer Staaten, S. 154; auch die arbeitsrechtliche Literatur der DDR bestätigt, daß die Mitwirkung "vor allem über die gewählten Organe der Betriebsgewerkschaftsorganisation" geschieht, Arbeitsrecht, S. 103. Als Beispiele für unmitttelbare Mitwirkung der Werktätigen führen Sorgenicht u. a. (Hrsg.): Verfassung der DDR, Art. 42 Anm. 2, Betriebsversammlungen, Planverteidigungen und die Neuererbewegung auf. s § 93 Abs. 3 AGB. s § 256 Abs. 3 AGB. 7 Arbeitsrecht, S. 107 ff.
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3. Kap.: Der öffentliche Dienst in der DDR
recht, das zur Wirksamkeit bestimmter Leiterentscheidungen wie Arbeitsordnungen, Übertragung anderer Arbeit, Überstundenanordnung, fristlose Entlassung die Zustimmung der Gewerkschaft als Wirksamkeitserfordernis verlangt; das Organisationsrecht, um vor allem den sozialistischen Wettbewerb und die Neuererbewegung zu mobilisieren; das Kontrollrecht, das den Gewerkschaftvorsitzenden und -leitungen weitgehende Informations- und Inspektionsrechte auch gegenüber den Leitern gibt; darüber hinausgehend das Recht, im voraus über bestimmte Vorhaben des Betriebsleiters informiert zu werden; schließlich das Recht, zu betrieblichen Fragen Stellung nehmen zu dürfen. Von der rechtlichen Tragweite verkörpern diese gewerkschaftlichen Mitwirkungsrechte erhebliche Kompetenzen8 . Daß es trotzdem nicht zu einer Leitungsaufsplitterung oder gar zu einer Gegenmacht in Form des FDGB kommt, ist nicht vordringlich Gegenstand rechtlicher Regelung, sondern liegt im politischen Selbstverständnis des FDGB und seiner Führung9 , das heißt in der Funktion der Gewerkschaften, neben der Interessenvertretung für die Werktätigen auch und zuerst Schule des Sozialismus und Kommunismus unter Führung der SED zu seinlo. Die kommunistische Ideologie sieht in den Gewerkschaften sozialistischer Systeme zwar die umfassendste Klassenorganisation der Werktätigen, nach dem Leuinsehen Parteidenken wird die Macht der Arbeiterklasse aber nur durch die Herrschaft der marxistisch-leninistischen Partei als dem bewußten und organisierten Vortrupp der Arbeiterklasse verwirklicht. Der Partei haben sich die Gewerkschaften unterzuordnen: "Die Gewerkschaften müssen die engsten und ständigen Mitarbeiter der Staatsmacht sein, die in ihrer gesamten politischen und wirtschaftlichen Arbeit von der bewußten Vorhut der Arbeiterklasse- der Kommunistischen Partei- geleitet wird"ll. Demzufolge heißt es in Abs. 3 der Präambel der Satzung des FDGßl2: "Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund anerkennt die führende Rolle der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, des bewußten und organisierten Vortrupps der Arbeiterklasse und des werktätigen Volkes in der sozialistischen DDR. Er steht fest zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, zu ihrem Zentralkomitee und schließt die Arbeiter, Angestellten und Anges Vgl. Lemmer: Die rechtliche Stellung, Aufgaben und Funktion der Gewerkschaften in der DDR, S. 69 ff. 9 Schultze-Willebrand, in: Westen u. a . (Hrsg.): Der Schutz individueller Rechte und Interessen im Recht sozialistischer Staaten, S. 158. 1° Kleines politisches Wörterbuch, S. 344 (Stichwort: Gewerkschaften); Arbeitsrecht von Abis Z, S. 146 (Stichwort: Freier Deutscher Gewerkschaftsbund (FDGB)); vgl. auch DDR-Handbuch, S. 460 (Stichwort: FDGB). n Lenin, Werke, Bd. 33, S. 175. 12 Vom 19.05.1977, abgedruckt unter Nr. 25 bei Müller-Römer: DDR-Gesetze; in der Präambel wird der FDGB auch als Schule des Sozialismus und Kommunismus bezeichnet und ihm allgemein die Verbreitung des Marxismus-Leninismus zur Aufgabe gemacht.
12. Die Mitwirkung der Werktätigen
183
hörigen der Intelligenz eng um die Partei zusammen". In der Präambel finden sich auch alle sonstigen politischen Ziele wieder, die von der SED verfolgt werden, wie etwa Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft zur Schaffung der grundlegenden Voraussetzungen für den allmählichen Übergang zum Kommunismus, Hauptaufgabe in der Einheit von Wirtschaft und Sozialpolitik, proletarischer Internationalismus und Freundschaft zur Sowjetunion, demokratischer Zentralismus. Rechtlich wird die Unterordnung der Gewerkschaften unter die Politik der SED deutlich durch die Aufgabenzuweisung für die BGO. § 22 Abs. 1 AGB besagt in scheinbarer Deutlichkeit: "Die Betriebsgewerkschaftsorganisation und ihre Organe vertreten die Interessen der Werktätigen im Betrieb". Auf den ersten Blick verwundert diese lapidare Formulierung, sind doch angeblich im Sozialismus gesellschaftliche und individuelle Interessen identisch und fällt gerade im wirtschaftlichen Bereich der Gegensatz zwischen Unternehmer und Arbeiter weg, da die Werktätigen selbst Inhaber der Produktionsmittel sind. Genau in diesem Identitätssinn ist aber der Abs. 1 in erster Linie gemeint, er hätte ohne inhaltliche Änderung lauten können: "vertreten die gesellschaftlichen Interessen unter Führung der Partei der Arbeiterklasse"13. Für Interessenvertretung im Sinne widersprüchlicher Parteinahme ist nur dann noch Raum, wenn die auch im Sozialismus vorkommenden nichtantagonistischen Widersprüche1 4 entsprechend den von der Partei vorgegebenen Zielen im gemeinsamen gesellschaftlichen Interesse gelöst werden sollen. So heißt es etwa in einem DDR-Aufsatz15: "Deshalb sind die Rechte der Gewerkschaften ihrem Inhalt nach keine Rechte gegen den sozialistischen Staat, sondern rechtliche Formen zur Organisierung der notwendigen Zusammenarbeit zwischen Staat und Gewerkschaften zur Verwirklichung des gemeinsamen Zieles, des Sieges des Sozialismus." Die konkrete Aufgabenaufzählung in § 22 Abs. 2 AGB bestätigt das aus der Ideologie abgeleitete Ergebnis. Die Aufgaben sind so formuliert, daß sie eine Interessenvertretung im Sinne einer pressure group gegen den Betriebsleiter bzw. gegen den hinter ihm stehenden Staat ausschließen und nur eine Mitwirkung an den von der SED vorgegebenen Zielen und Aufgaben erlauben, in deren Rahmen erst der FDGB die auch von der SED anerkannten Interessen der Werktätigen vertreten darf. So werden genannt die Mitwirkung an der Ausarbeitung anspruchsvoller und realer Pläne, die Förderung 13 Zur Interessenidentität vgl. Lemmer: Die rechtliche Stellung, Aufgaben und Funktion der Gewerkschaften in der DDR, S. 71 ff. 14 Kleines politisches Wörterbuch, S. 1066 f. (Stichwort: Widerspruch); Dialektischer und historischer Materialismus, S . 240 f. 15 Tippmann: Die Stellung der Gewerkschaften im System der Arbeiter-und-Bauern-Macht der DDR, in: StuR 1961, 261.
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3. Kap.: Der öffentliche Dienst in der DDR
der Bewegung "Sozialistisch arbeiten, lernen und leben", die Organisierung des sozialistischen Wettbewerbs zur Erfüllung und gezielten Überbietung der Planvorgaben, die Förderung der Einhaltung der sozialistischen Arbeitsdisziplin, die Mitwirkung bei der Erhöhung der politischen und fachlichen Qualifikation der Werktätigen und der kommunistischen Erziehung der Jugend. Soweit sozialpolitisch relevante Bereiche erwähnt werden wie Betriebskollektivverträge, Lohnbedingungen, die Verwendung verschiedener Fonds, Arbeitszeit und Urlaub u.ä., bleiben Ausmaß und Richtung gewerkschaftlicher Mitwirkung unbestimmt; lediglich beim Gesundheits- und Arbeitsschutz sollen die Gewerkschaften "Einfluß nehmen" auf eine Verbesserung. Exemplarisch für die durch Einordnung in die vorgegebene "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" gezähmte Interessenvertretung, die damit in Wirklichkeit Hilfstätigkeit für die Partei- und Staatsführung darstellt, ist die Regelung des § 22 Abs. 2 Buchst. e AGB, wonach die BGO und ihre Organe "bei der Intensivierung der Produktion mitwirken und Einfluß darauf nehmen, daß die Maßnahmen zur Steigerung der Arbeitsproduktivität mit der Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen verbunden werden". Es versteht sich von selbst, daß Streiks, die nach der kommunistischen Ideologie eine Form des proletarischen Klassenkampfs gegen kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung, gegen Aufrüstung und Kriegsvorbereitung, für sozialen Fortschritt, Demokratie und Frieden sind, im Sozialismus, wo der Grundwiderspruch des Kapitalismus aufgehoben ist, keinen Platz haben. Die Gewerkschaften nähmen die Interessen der Werktätigen nicht durch Streiks, sondern durch das eben genannte Recht auf Mitbestimmung und Mitgestaltung wahrls.
16
Kleines politisches Wörterbuch, S. 939 f. (Stichwort: Streik).
4. Kapitel
Vergleich 1. Wesen und Funktion des Rechts
- Positivismus, Voluntarismus, Vorgegebenheit des Rechts Bevor konkrete für die öffentliche Verwaltung bedeutsame Normen des Dritten Reichs und der DDR und die dahinter stehenden Rechtsprinzipien miteinander verglichen werden, bedarf es der Herausarbeitung der Spezifika des Wesens und der Funktion des Rechts in der DDR und im Dritten Reich gegenüber dem Recht in freiheitlichen demokratischen Rechtsstaaten. Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist nicht die soziale Realität der Herrschaftsausübung, sondern die rechtliche Ausgestaltung der Herrschaft. Alle Feststellungen über charakteristische Ähnlichkeiten oder Unterschiede in den betrachteten Rechtsordnungen können aber nur dann in ihrer Bedeutung richtig eingeschätzt werden, wenn über die Bedeutung des Herrschaftsmediums "Recht" Klarheit besteht. Wie schon erwähnt, wird das Gesetz als Wille des Führers bzw. der herrschenden Klasse, also in der DDR der Arbeiterklasse, verstanden, der sich von allgemeinen Willensäußerungen nur durch seine besondere Form, nämlich die Veröffentlichung bzw. die Einkleidung in Normativakte, hervorhebt. Das Gesetz ist also der formalisierte Wille der Führung. Die verbindenden Merkmale dieses Gesetzesverständnisses sind zum einen der positivistische Aspekt, der jede inhaltliche Festlegung des Gesetzes vermeidet, zum anderen der voluntaristische Aspekt, der das Schwergewicht des Gesetzesbegriffs auf die Eigenschaft legt, Wille zu sein, demgegenüber die Form nur nebensächlich ist und nur der Klarstellung und Abgrenzung zu anderen Willensäußerungen weniger verbindlichen Charakters dient. Darin unterscheidet sich diese Auffassung zum Teil vom Gesetzesbegriff in der Weimarer Republik und der Bundesrepublik. In demokratischen Rechtsstaaten hat der politische Wille von- auch an der Macht befindlichen - Personen und Gruppierungen rechtlich keine eigenständige Bedeutung. Hier ist der voluntaristische Aspekt also verdrängt. Der politische Wille mag von politikwissenschaftlichem Interesse sein, rechtlich ist er lediglich ein tatsächliches Element des verfassungsrechtlichen Willensbildungsprozesses, als dessen Produkt am Ende der maßgebende, im Gesetz niedergelegte
186
4. Kap.: Vergleich
Wille des Staates sich ergibt. Der politische Wille der am Gesetzgebungsprozeß beteiligten Personen kann höchstens herangezogen werden, um durch Interpretation des Gesetzes den nicht offen zutage liegenden Regelungsinhalt zu erschließen (historisch-genetische Interpretation). Für den demokratischen Rechtsstaat ist entscheidend, ob die formalen Regeln des Gesetzgebungsverfahrens, also die die Kreation des Staatswillens betreffenden Vorschriften, eingehalten sind. Dann schlägt sich in dem so zustande gekommenen Gesetz der Staatswille nieder. Sobald das Gesetz vorhanden ist, verselbständigt sich der so kreierte Staatswille vom Willen der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Personen und kann sogar einen gegenläufigen Inhalt gewinnen, wenn sich der politische Wille ändert oder er einen nur unzureichenden Ausdruck im Gesetz gefunden hat. Wesentliches Merkmal dieses Gesetzesbegriffs ist also seine Förmlichkeit und Abstraktheit. Die Ursache für diesen Unterschied zwischen den beiden Gesetzesbegriffen liegt darin, daß ein demokratischer Staat keine ständig gleich bleibende Führung kennt, sondern nur Personen und Gruppierungen, denen für eine bestimmte Zeit durch demokratische Legitimation die Befugnis verliehen wird, ihren politischen Willen im verfassungsmäßig vorgesehenen Weg zum Staatswillen zu erheben. Wenn die befugten Personen und Gruppierungen durch Zeitablauf ihre Legitimation verlieren und nicht wiedergewinnen, verlieren sie zwar die Möglichkeit, ihren politischen Willen zum Staatswillen zu machen, der einmal geschaffene Staatswille muß jedoch aus Gründen der Rechtssicherheit und demokratischen Verfahrensweise weiterbestehen, bis er auf demselben Wege, wie er geschaffen wurde, wieder geändert wird. Die Möglichkeit demokratischen Wechsels führt zur Abstraktion des Staatswillens von realen Willensträgern und zur Betonung des Formalen. Die marxistischleninistische Definition des Gesetzes (Gesetz als der in Form des Staatswillens allgemein ausgedrückte Wille der herrrschenden Klasse), die ja auch für den bürgerlichen Staat zutreffen soll, spiegelt die Fehleinschätzung der bürgerlichen Demokratie durch den Marxismus-Leninismus wider, die Meinung nämlich, daßtrotzallen Wechsels der herrschenden Personen und Parteien der eigentliche Willensträger, die Bourgeoisie, nie wechselt. Erst wenn dieses Postulat unterstellt wird, läßt sich die marxistisch-leninistische Definition des Rechts auf den bürgerlichen Staat sinnvoll übertragen. So spiegelt der gesetzesbegriffliche Unterschied von Voluntarismus einerseits und Formalität und Abstraktion andererseits den Unterschied von permanenter Diktatur einerseits und Demokratie andererseits wider. Der positivistische Aspekt im Gesetzesbegriff ist kein Spezifikum des Dritten Reichs und der DDR. Demokratische Staaten haben zwingend einen positivistischen Ansatz, da das Wesen des demokratischen Entscheidungsprozesses darin besteht, daß ein freier, inhaltlich nicht vorgegebener politischer Wille in einem bestimmten Verfahren zum Staatswillen gemacht wird. Die inhaltliche Bindung des Gesetzes an vorgegebene Werte und Ziele engt
1. Wesen und Funktion des Rechts
187
den demokratischen Entscheidungsspielraum ein. Die Rechtswissenschaft in der Weimarer Republik ging überwiegend von einem konsequent positivistischen Standpunkt aus und trieb damit Förmlichkeit und Abstraktheit, aber auch die demokratische Entscheidungsfreiheit auf die Spitze. Das Gesetz, also der formal ordnungsgemäß zustande gekommene Parlamentsbeschluß, war Recht, gleichgültig welchen Inhalt das Gesetz hatte 1• Die Positivierung des Antipositivismus durch die Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes (Art 79 Abs. 3 GG) stellt demgegenüber eine Einschränkung des demokratischen Prinzips zugunsten des auch naturrechtlich verstandenen Rechts-, Bundes- und Sozialstaatsprinzips dar2 . Der Positivismus im Dritten Reich und der DDR ist allerdings nicht Ausfluß eines demokratischen Gedankens. Das ergibt sich schon daraus, daß die rechtstheoretischen Auffassungen in beiden Systemen in einer eigenartigen Weise gleichzeitig Rechtspositivismus und die These von der materialen Erfülltheit des Rechts vertreten. Der Nationalsozialismus ist der Auffassung, daß das Recht bereits in einer vorgegebenen natürlichen, artgemäßen Ordnung liegt. Recht ist die konkrete Lebensordnung des Volkes jenseits aller Gesetzesbuchstaben. Die Aufgabe des artgemäßen Führers liegt darin, dieses Recht aufzufinden und zu formulieren. Da das Volk der letzte Bezugspunkt allen menschlichen Handeins ist, liegt das Recht letztlich im unverfälschten Volksgewissen und Volksempfinden, ist inhaltlich Recht das, was dem Volke nützt, Unrecht ist, was ihm schadet3. Nach marxistisch-leninistischer Auffassung ist das Recht von den materiellen Lebensbedingungen der herrschenden Klasse determiniert4. Im Sozialismus werden die gesellschaftlichen Verhältnisse erstmals bewußt gestaltet und die gesellschaftlichen Gesetze unter Zugrundelegung der wissenschaftlichen Weltanschauung des Marxismus-Leninismus ausgenutzt. Sozialistisches Recht ist damit objektiv determiniert, die Maßstäbe und Kriterien für die Gestaltung des Rechts liegen weder im Recht selbst, noch in
1 Lediglich formale Ansprüche an das Gesetz konnten noch gestellt werden, etwa daß ein Tatbestand und eine Rechtsfolge vorliegen oder daß eine Organisationsregel getroffen werden muß. 2 Zur Kollision von Demokratie und Rechtsstaat vgl. Maunz, Zippelius: Deutsches Staatsrecht, S. 88 f.; Hesse: Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 104 ff. 3 Koellreutter: Deutsches Verfassungsrecht, S. 11; vgl. Nikisch: Vom Arbeitsverhältnis, in: Festschrift Lehmann, S. 285: "Es (das Recht, d.Verf.) ist die aus dem Leben des Volkes selbst herauswachsende und in ihm sich offenbarende Ordnung des Gemeinschaftslebens. Und wie hoch man auch im modernen Staate den Einfluß des zweckbewußten Willens der Führung auf die Fortbildung des Rechts veranschlagen mag, das Geheimnis aller wahren Rechtsschöpfung liegt doch eben darin, die durch die blutbedingte Eigenart des Volkes geprägte Form sich lebendig entwickeln zu lassen." 4 Staats- und Rechtstheorie, S. 108.
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4. Kap.: Vergleich
der gesetzgebenden Tätigkeit, sondern in der wissenschaftlichen Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse5 . Damit gehen das Dritte Reich und die DDR im Gegensatz zu ihrem positivistischen Gesetzesbegriff von der Vorgegebenheit des Rechts, von einem nationalsozialistischen bzw. sozialistischen "Naturrecht" aus. Dabei ist die Detailliertheit des vorgegebenen Rechts vom Anspruch her viel umfassender, als es die heutigen naturrechtliehen Auffassungen vertreten, die mehr bestimmte rechtliche Fixpunkte, nicht aber ein geschlossenes Rechtssystem für vorgegeben halten. Entsprechend den ideologischen Grundkategorien ist das Recht determiniert durch die Anlagen des rassisch verstandenen Volkes bzw. die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse und der mit ihr verbündeten Klassen und Schichten, letztlich ist also in beiden Fällen das Volk der Bezugspunkt, wobei der Nationalsozialismus eine mehr interne, durch rassische Veranlagung des Volkes bedingte Determiniertheit, der Marxismus-Leninismus eine externe, durch die ökonomischen Verhältnisse des Volkes bedingte Determiniertheit annimmt. Ein zweiter Unterschied liegt in der mythischen Koppelung von völkischer Lebensordnung und Recht im Dritten Reich und der betont wissenschaftlichen Koppelung zwischen den gesellschaftlichen Verhältnissen und dem Recht in der DDR. Der Nationalsozialismus gibt keine Methoden oder Analysekriterien an, mit deren Hilfe aus der völkischen Lebensordnung das Recht gewonnen werden kann, er vertraut auf den blutsmäßigen Instinkt des artgemäßen Führers. Der Marxismus-Leninismus hingegen gibt vor, durch wissenschaftliche Analyse den notwendigen Gesetzesinhalt ableiten zu können. Wer allerdings Beschlüsse der SED gelesen hat, weiß, daß die angeblich wissenschaftliche Analyse eine Mischung aus frei gesetzten Zielen, rationalen Überlegungen und ideologisch verklausulierten Allgemeinplätzen ist. Der Wissenschaftscharakter derartiger Analysen ist mehr Anspruch als Wirklichkeit. Trotz der genannten Unterschiede bleibt aber festzustellen, daß das Dritte Reich und die DDR ein Verständnis vom Recht haben, das in seinem voluntaristischen, positivistischen und quasinaturrechtliehen Aspekt fast vollständig gleich und nur im letzten Bezugspunkt, Rasse einerseits und Klasse andererseits, unterschiedlich ist. - Der Gegensatz von Recht und Gesetz Das hier aufgezeigte Verständnis von Gesetz und Recht führt logisch dazu, daß Fälle denkbar sind, in denen ein Gesetz, also der formalisierte s Ebda., S. 543 ff.; zum Recht als bloßem Moment gesellschaftlicher Praxis vgl. Böckenförde: Die Rechtsauffassung im kommunistischen Staat, S. 85 ff.
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Wille des Führers bzw. der Arbeiterklasse, vertreten durch ihre Partei, im Widerspruch steht zur konkreten Lebensordnung des Volkes bzw. zu den objektiven Erfordernissen der gesellschaftlichen Entwicklungs. Staatsrechtlich gesprochen kann also ein Konflikt entstehen zwischen dem Führerprinzip bzw. dem Prinzip von der führenden Rolle der Partei einerseits und dem Anspruch materialer Determiniertheit des Rechts andererseits. Das Dritte Reich und die DDR lösen den Konflikt durch dessen Negierung und damit zugunsten der Machtpolitik und zu Lasten der ideologischen Inhalte. Nach nationalsozialistischer Auffassung wird Führer, wer durch seine ererbte Führerbegabung sich im Prozeß der Auslese als Führerpersönlichkeit bewährt?. Es handelt sich nicht um einen rationalen Vorgang, sondern hier wirken mythisch die Gesetze des Lebens, die Herausbildung eines Führer-Gefolgschaftsverhältnisses ist die Antwort des Blutes auf den Anruf des artgemäßen Führerss. In der Persönlichkeit des Führers findet sich das deutsche Volk wieder, es sieht sein eigenstes Wesen in ihm verkörpert9. Aus diesen Zusammenhängen ergibt sich, daß der Führer niemals gegen die völkische Rechtsidee verstoßen kann, er wäre sonst nicht der Führer, sondern bloßer Herrscher. Die völkische Rechtsidee ist im Volk verkörpert, das Volk ist im Führer verkörpert, daher ist auch die völkische Rechtsidee im Führer verkörpert. Die nationalsozialistische Rechtswissenschaft differenzierte durchaus begrifflich zwischen Recht als völkischer Rechtsidee und Recht als positiver Rechtsordnung, aber das Merkmal des völkischen Führerstaates im Gegensatz zum liberalistischen System mit seiner volksfremden Führung sei gerade, daß völkische Rechtsidee und positive Rechtsordnung eins werde und ein Gegensatz unmöglich sei 10 . Daher wurde im Dritten Reich auch nie 6 Für die nationalsozialistische Rechtstheorie weist Anderbrügge: Völkisches Rechtsdenken, S. 104 f., auf diesen Widerspruch hin. 7 Schmidt u . a .: Philosophisches Wörterbuch, S. 169 (Stichwort: Führergrundsatz); Kier: Volk, Rasse und Staat, in: Fr ank: Nationalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung, S. 39; Küchenhoff: Führergrundsatz, Führertum, in: Volkmar u. a. (Hrsg.): Die Rechtsentwicklung der Jahre 1933 bis 1935/ 36, S. 197 ff. s Die nationalsozialistische Literatur betonte ausdrücklich die Irrationalität der lebensgesetzlichen Zusammenhänge, vgl. Koellreutter: Führung und Herrschaft, in: RVerwBl. 1941, 445: "Führung enthält im tiefsten Wesen ein irrationales Element." ; vgl. auch Dietrich: Der Nationalsozialismus als Weltanschauung und Staatsgedanke, in: GAW Bd. 1, Beitr. 2, S. 1. 9 Ders.: Die philosophischen Grundlagen des Nationalsozialismus, S . 36. 10 Vgl. Koellreutter: Deutsches Verfassungsrecht, S . 55 f.; ders.: Der nationalsozialistische Rechtsstaat, in: GAW Bd. 1, Beitr. 16, S. 3; am deutlichsten spricht Huber: Verfassungsrecht, S. 244, den Vorrang des positiven Führerrechts vor der völkischen Rechtsidee aus: "Doch heißt das nicht, daß es geboten oder auch nur zulässig wäre, das Führergesetz am ungeschriebenen Recht zu messen und ihm die Anwendung zu versagen, wenn sich vermeintlich ein Widerspruch zwischen Gesetz und Recht ergibt. ... Wo er (der Führer, d . Verf.) gesprochen hat, ist der Inhalt des völkischen Rechts mit unbedingter Verbindlichkeit festgestellt. Es ist nicht möglich, vom Gesetz an das Recht zu appellieren."
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darüber diskutiert, unter welchen Voraussetzungen der Führer abgesetzt werden könnte11 , vielmehr galt der Grundsatz: "Der Führer hat immer Recht!" Machtpolitisch hieß das, daß dem Führerwillen, namentlich dem Gesetz, nicht Inhalte der nationalsozialistischen Ideologie entgegengehalten werden konnten, sondern daß der Führerwille galt und die nationalsozialistische Ideologie entsprechend interpretiert werden mußte. Vom Ergebnis her und argumentativ gleich wird das Problem im Marxismus-Leninismus gelöst. Die Partei der Arbeiterklasse, die marxistisch-leninistische Partei, ist der bewußte und organisierte Vortrupp und die höchste Form der Klassenorganisation der Arbeiterklasse. Die Parteimitglieder erfüllen die qualitativ höheren Anforderungen an die Bewußtheit und Organisiertheit, die Partei vereint die besten Kräfte der Arbeiterklasse und ist mit der wissenschaftlichen Lehre des Marxismus-Leninismus ausgestattet, die es ermöglicht, die objektiven Erfordernisse der gesellschaftlichen Entwicklung zu erkennen und deren Gesetzmäßigkeiten auszunutzen12. Die Kommunisten "haben keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennte Interessen", sie haben aber "theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus" 13 . Da das sozialistische Recht ein Produkt der materiellen Lebensbedingungen der Arbeiterklasse und der mit ihr verbündeten Klassen und Schichten ist, obliegt es der Partei der Arbeiterklasse, den gesellschaftlich notwendigen Inhalt des sozialistischen Rechts zu bestimmen. Aus diesen Zusammenhängen ergibt sich, daß die Partei niemals gegen die gesellschaftlichen Erfordernisse verstoßen kann, sie wäre sonst nicht die Partei der Arbeiterklasse. Die sozialistische Rechtswissenschaft differenziert durchaus begrifflich zwischen dem objektiven Recht als der Gesamtheit der in einem Staat geltenden Rechtsnormen und den auf materielle Bedingungen zurückzuführende Interessen der herrschenden Klasse und dem daraus folgenden Klassenrechtl4, aber das Merkmal des sozialistischen Staates im Gegensatz zu Ausbeuterstaaten ist gerade, daß die Interessen des werktätigen Volkes und die positive Rechtsordnung eins werden und ein Gegensatz unmöglich wird: Es gilt der Grundsatz, daß "keine einzige wichu Eine Ausnahme aus der Frühzeit des Dritten Reichs, verfaßt vor der Machtergreifung, bildet Nicolai: Grundlagen der kommenden Verfassung, S. 29, wo er sehr vorsichtig unter Hinweis auf die Unvollkommenheit des Menschen und im Blick auf die Jahrhunderte der kommenden Führerordnung meint, man müsse damit rechnen, daß ein gewählter Führer völlig untauglich erscheine. Eine Art sitten-und rechtsaufsichtsführender Senat müsse dann die Möglichkeit haben, das Recht im überrechtlichen Sinne zu wahren und den Führer abzusetzen, wenn er frevele. 12 Vgl. Kleines politisches Wörterbuch, S. 586 ff. (Stichwort: marxistisch-leninistische Partei); Wissenschaftlicher Kommunismus, S. 57 f. 13 Marx, Engels: Werke, Bd. 4, S. 474 (Kommunistisches Manifest). 14 Staats- und Rechtstheorie, S. 107, 98 ff. , 390.
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tige politische oder organisatorische Frage von irgendeiner staatlichen· Institution ohne Direktive des Zentralkomitees der Partei entschieden wird" 15, daraus folgt, daß die Partei die Tätigkeit der rechtsetzenden Staatsorgane anleitet, deren Grundrichtung und Hauptinhalt bestimmt, die Wissenschaftlichkeit der Rechtssetzung sichert und damit gewährleistet, daß die rechtsetzenden Organe den Klassenwillen ausdrücken. Einen Gegensatz zwischen den objektiven Erfordernissen der gesellschaftlichen Entwicklung und dem auf Anleitung der Partei hin gesetzten objektiven Recht kann es nicht geben, denn "die Beschlüsse der Partei der Arbeiterklasse sind ihrem Wesen nach erkannte und bewußtgemachte Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung und sind damit Ausdruck höchster Bewußtheit und Wissenschaftlichkeit"l6 . Daher wird in der DDR auch nie darüber diskutiert, unter welchen Voraussetzungen die Macht der Partei der Arbeiterklasse beschränkt oder gar beseitigt werden könnte 17 , vielmehr gilt der Grundsatz: "Die Partei hat immer Recht! " Machtpolitisch heißt dies, daß dem von der Partei formulierten Klassenwillen, namentlich dem sozialistischen Gesetz, nicht Inhalte der kommunistischen Ideologie entgegengehalten werden können, sondern daß der Wille der Partei gilt und die kommunistischen Ideologie entsprechend interpretiert werden muß. Zusammengeiaßt lautet also die Argumentation in beiden Fällen: Es gibt einen Unterschied zwischen gesetztem Recht und "richtigem" Recht im Interesse des Volkes, aber das Wesen des Machtträgers (Führer, Partei der Arbeiterklasse) besteht gerade darin, daß er beides zusammenführt1 8 . Genau in diesen beiden Argumentationsschritten liegt der Unterschied zu einem freiheitlichen demokratischen Rechtsverständnis: Es ist nichts als naiver Glaube, daß es ein "richtiges" Recht gebe, das in der konkreten Lebensordnung bzw. den materiellen Lebensbedingungen des Volkes vorgegeben sei. Selbst wenn man vom naturrechtliehen Standpunkt aus annimmt, daß es unveräußerliche und ewige Rechte und Grundsätze gibt, so ist doch unumstritten, daß von diesen Fixpunkten abgesehen die gesetzte Rechtsordnung ein Akt politischer Dezision ist, der letztlich auf nicht mehr hinterfragbaren Ebda., S. 502 unter Bezugnahme auf Lenin: Werke, Bd. 31, S. 32. Staats- und Rechtstheorie, S . 502. 17 In einem ideologisch nicht näher geklärten Gegensatz zur angeblichen Unfehlbarkeit der Partei steht allerdings die auch in kommunistischen Staaten geäußerte Kritik an Parteihandlungen der Vergangenheit, etwa den "Erscheinungen des Personenkults und der Mißachtung des Prinzips der Kollektivität der Führung" in der Stalinzeit oder den Mißachtungen der objektiven gesellschaftlichen Erfordernisse unter Gierek in Polen und Breschnew in der Sowjetunion. In der Praxis werden also Fehler der Partei - meist unter einer inzwischen entmachteten Führung - eingeräumt, aber der ideologische Anspruch qualitativ höherwertiger Erkenntnis durch die Partei wird aufrechterhalten. 18 Allenfalls wird der Vorrang des Rechts vor der positiven Rechtsordnung in der Form akzeptiert, daß zur Behauptung der nationalen Lebensordnung Staatsnotwehr ausgeübt werden könne und die Bindung an Normen dann entfalle, so Koellreutter: Deutsches Verfassungsrecht, S. 13 f., unter Bezugnahme auf die Röhm-Krise. 15
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und ableitbaren, subjektiv gesetzten Werten beruht, um die im demokratischen Willensbildungsprozeß gerungen wird. Der zweite naive Glaube besteht darin, daß- selbst unter der Prämisse der Existenz eines "richtigen" Rechts- irgendein Mensch oder eine Menschengruppe eine naturgegebene Legitimation zur unfehlbaren Auffindung und Formulierung des "richtigen" Rechts hätte. Dafür fehlt nicht nur jeder rationale Beleg, die historischen Erfahrungen mit der nationalsozialistischen und kommunistischen Diktatur falsifizieren diese These. - Das Recht als Instrument in der Hand der Führung Da im Dritten Reich und der DDR der voluntaristische Aspekt des Rechts dominiert, wird als Zweck des Rechts betont, daß es ein gestalterisches Instrument in der Hand der Führung seil9 • Recht wird auf eine bloße Herrschaftstechnik reduziert und entsprechend gering geschätzt. Demgegenüber ist in freiheitlichen demokratischen Rechtsstaaten der Stellenwert des Rechts weitaus höher, da der politische Wille der jeweils Herrschenden als solcher nicht von staatsrechtlicher Verbindlichkeit ist. Er wird- jedenfalls dann, wenn Rechte des Bürgers tangiert werden oder es sich um grundlegende Entscheidungen handelt- erst durch Umsetzung des politischen Willens in ein Gesetz zum Staatswillen. Die Abstraktion des Gesetzes von dem bewirkenden politischen Willen führt zu einer Verselbständigung des Gesetzes, zu einem Eigenleben, zu einer Herrschaft des Rechts unter Abschwächung seiner Eigenschaft, Instrument der politischen Führung zu sein. Diese Verselbständigung suchen Drittes Reich und DDR zu vermeiden, indem sie rechtstheoretisch das Wesen des Rechts als politisches Führungsinstrument gerade nach seiner Setzung betonen und indem sie rechtstechnisch die Staatstätigkeit nur zum Teil verrechtlichen. Der organisierend-regulierende Effekt des Rechts wird für die Herrschaftsausübung geschätzt20 , der notwendig damit einhergehende statisch-hemmende Effekt hingegen wird als Nachteil angesehen21. In diesem Spannungsverhältnis liegt das Doppelbild 19 Dieser Umstand wurde im Dritten Reich durch die Charakterisierung des Gesetzes als "Plan des Führers" betont, vgl. o. S. 69; zum Charakter des Rechts als Instrument (Regulator) für die Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse im Sozialismus vgl. Staats- und Rechtstheorie, S. 406, 442. 2o Vgl. ebda., S. 443, 451ff., wo die fixierend-sichernde, organisierend-regulierende und schützende Funktion herausgearbeitet werden; Koellreutter: Der nationalsozialistische Rechtsstaat, in: GAW, Bd. 1, Beitr. 16, S. 6, sieht die Funktion des positiven Rechts darin, die völkischen Rechtsideen in einen Zusammenhang und in eine Ordnung zu bringen und Volk und Staat an dieser Ordnung auszurichten. 21 Staats- und Rechtstheorie, S. 443: "Der Begriff "Funktionen des sozialistischen Rechts" bezeichnet nichts Statisches, Vorgegebenes, sondern sein Inhalt ändert sichallgemein gesagt - in Abhängigkeit von den konkreten Aufgaben, die von der staatlich herrschenden Arbeiterklasse jeweils zu lösen sind". Freisler: Nationalsozialistisches Recht und Rechtsdenken, S. 57: "Ist das Recht eine Lebensäußerung des Volkes selbst und dient es zugleich dem Leben des Volkes, so kann es sich auch nicht gleich bleiben;
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vom Normenstaat und Maßnahmenstaat begründet. Zur Vermeidung des statisch-hemmenden Effekts werden ganze Bereiche staatlichen Handeins aus dem System rechtlicher Regelung herausgenommen und der rein zweckorientierten, nur verwaltungsintern gebundenen Einzelentscheidung unterstellt22. - Die Auslegung von Rechtsnormen Der zweite Weg zur Überwindung des statisch-hemmenden Effekts liegt in der Auflösung des Gesetzeswortlautes. Dies wird bei der Gesetzgebung durch bewußte Weite der im Gesetz benutzten Begriffe erreicht. Nationalsozialistische Gesetze verwenden gern unbestimmte Rechtsbegriffe und Präambeln als Programmsätze, um dem Rechtsanwender möglichst freie Hand zu geben, den Einzelfall nach übergesetzlichen, d. h. vor allem politischen Kriterien zu behandeln23 . Sozialistische Gesetze zeichnen sich durch begriffliche Unschärfe aus und haben zum Teil reinen Programmcharakter unter Aufgabe der logischen Normstruktur24. Der Nachteil dieses Verfahrens ist, daß mit der Abnahme des fest definierten rechtlichen Inhalts eines Gesetzes notwendig der gewünschte regulierende Effekt abnimmt. Schlagworte und Programme regeln nicht mehr, sondern zeigen höchstens Tendenzen auf. Um auch bei präzisen Gesetzen genügend Spielraum zu haben, wird dem Rechtsanwender die Möglichkeit geboten, sich vom Wortlaut zu lösen. Auslegung hat zum Ziel, den hinter dem Gesetz stehenden politischen Willen im Einzelfall zu ermitteln25. Bezeichnend ist deswegen, daß im Dritten Reich und der DDR Meinungen und Willenskundgebungen der politischen Führung erstrangige Erkenntnismittel für die Interpretation sind, auch soweit die Äußerungen nach dem Erlaß der Norm getan wurden und also historisch-genetisch keine Bedeutung haben. Die Instrumentalfunktion des Rechts erlaubt den unmittelbaren Durchgriff zum aktuellen politischen Willen der Führung bei der Feststellung des Rechts. Die Auslegung steht dabei im Spannungsverhältnis zwischen Gehorsam gegenüber dem im Gesetz niedergelegten Willen der Führung und den kones muß ständig wachsen und sich entwickeln. So ist das Recht nichts Starres Das Recht ist in dauernder Entwicklung, und alles muß geschehen, um sein Erstarren zu verhindern." 22 Staats- und Rechtstheorie, S . 442 f.: "Es gibt Aufgaben, die der Staat löst, ohne das Recht einzusetzen. Hier ist beispielsweise an die unmittelbar operative Tätigkeit staatlicher Organe zu denken, die zwar innerhalb rechtlich festgelegter Kompetenzbereiche vor sich geht, selbst aber nicht in jeder Beziehung als Rechtsverwirklichung angesehen werden kann". 23 Vgl. Freisler: Nationalsozialistisches Recht und Rechtsdenken, S. 64 ff.; grundlegend Stolleis: Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht. 24 Reich, Reichel: Einführung in das sozialistische Recht, S. 45 f. ; Brunner: Einführung in das Recht der DDR, S. 3 f. 25 S.o. S. 72ff., 147f.; für das Dritte Reich vgl. grundlegend Rüthers: Die unbegrenzte Auslegung. 00 00
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kreten politischen Erfordernissen des Einzelfalles. Weitgehende Auslegungsbefugnis kann flexible Rechtsanwendung nach dem aktuellen Willen der politischen Führung bedeuten, sie kann aber auch zu unerwünschter Eigenmächtigkeit im Namen einer angeblichen politischen Zielsetzung führen, hinter der sich in Wirklichkeit Mißachtung des im Gesetz ausgedrückten Führungswillens verbirgt26. Dieses Spannungsverhältnis wird gesehen27 , seine Lösung hängt vom Grad der Verfestigung der nationalsozialistischen bzw. kommunistischen Staatsmacht ab 2B. Auch von Autoren, die im nationalsozialistischen Meinungsstreit zwischen Gesetzmäßigkeit und Rechtmäßigkeit dem Vorrang des Gesetzes zuneigten, wurde die Mißachtung des Gesetzeswortlautes als notwendiges Element in der Phase der Machtergreifung akzeptiert29. Die marxistische Rechtslehre betont die Notwendigkeit des Bruches mit den alten Gesetzen in der proletarischen Revolution, die sozialistische Gesetzlichkeit sei eng mit der sozialistischen Staatlichkeit verbunden und werde mir dieser vervollkommnet und gefestigt. Jetzt dürfe die Auslegung nicht gegen den Wortlaut erfolgen, vielmehr dürften nur die dazu befugten Organe das Recht außer Kraft setzen oder verändern30 . Für die hier betrachteten Systeme ist also ein Schwanken charakteristisch zwischen der revolutionären Dynamik eines Weltanschauungsstaates und der machtorientierten Statik einer Diktatur. Das Pendel kann je nach politischer Lage zur einen oder anderen Seite hin ausschlagen, die herrschenden Auffassungen über die Rechtsauslegungsgrundsätze sind ein Gradmesser dafür. - Recht, Ideologie und Moral Wie bereits festgestellt wurde, gehen Nationalsozialismus und Marxismus-Leninismus von einer materialen Determiniertheit des Rechts aus, die in der völkischen Lebensordnung bzw. den materiellen Lebensbedingungen der herrschenden Klasse liegt. Die nationalsozialistische bzw. marxistischleninistische Weltanschauung ist aber das Gedankengebäude, das auch die grundlegenden Aussagen über die völkische Lebensordnung bzw. die mateWeinkauff: Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus, S. 93 f. Vgl. Staats- und Rechtstheorie, S.435 f., wo die Problematik des Verhältnisses von Stabilität und Elastizität des sozialistischen Rechts erörtert wird; Freisler: Nationalsozialistisches Recht und Rechtsdenken, der sich allgemein von der Starrheit des Gesetzes zugunsten des lebendigen, in Bewegung befindlichen völkischen Rechts lösen will, betont aber auf S. 89, daß dabei nie vergessen werden dürfe, "daß das Gesetz Führerbefehl ist" und daß daher niemand wegen einer angeblich fehlenden absolut zwingenden Kraft des Gesetzes befugt sei, sich "unbefugt an die Stelle des Gesetzgebers, letzten Endes also des Führers" zu setzen "und damit ein gefährliches anarchisches Element in unser Volksleben" zu tragen. 28 Brunner: Einführung in das Recht der DDR, S. 2. 29 J erusalem, in: Festschrift Hedemann, S. 112 ff. Jo Staats- und Rechtstheorie, S. 425, 580, 434. 26 27
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riellen Lebensbedingungen und die daraus resultierenden objektiven gesellschaftlichen Erfordemisse zu machen beansprucht. Weltanschauung beinhaltet also nicht nur philosophische Reflexion über das Wesen des Rechts, sondem zugleich auch Wissen und Erkennen, im Nationalsozialismus vor allem auch Fühlen der Grundlagen des richtigen Rechts. Der Nationalsozialismus erhebt einen Anspruch auf die Totalität der Idee in allen völkischen Kulturbereichen und im Gesamtbereich des politischen Lebens des Volkes3 1 • Daher beinhaltet die nationalsozialistische Weltanschauung auch eine Wert- und Zielordnung. Gleiches leistet der Marxismus-Leninismus als ein "in sich geschlossenes System philosophischer, ökonomischer und politischer Anschauungen, die zugleich auch bestimmte moralische Überzeugungen, Normen und ästhetische Anschauungen einschließen" 32. Die beiden Weltanschauungen haben eine betrachtend-erklärende und eine handlungsorientiert-wertende Seite, so daß sie gleichzeitig eine Lehre über das und vom Recht einschließen, sie sind rechtsphilosophisch und rechtspolitisch ausgelegt, wobei sich Rechtspolitik unter Zugrundelegung eines nationalsozialistischen bzw. kommunistischen "Naturrechts" nicht nur auf die Gesetzgebung, sondem auch auf die Rechtsanwendung bezieht. Rechtserkenntnis und Rechtspolitik vermischen sich ununterscheidbaraa. Das Verhältnis von Recht und Ideologie in den beiden betrachteten Systemen besteht also darin, daß die Ideologie beansprucht, das Wesen und die Hauptinhalte des Rechts zu bestimmen. Die Verhältnisse in freiheitlichen demokratischen Rechtsstaaten sind demgegenüber gekennzeichnet vom Fehlen einer verbindlichen Ideologie und damit einer verbindlichen Definition des Wesens des Rechts und dessen richtigen Inhalts. Der einzelne Rechtsetzer und Rechtsanwender kann subjektiv einer bestimmten Ideologie anhängen, beispielsweise der katholischen Naturrechtslehre, sie wird dadurch, daß diese Person Recht setzt oder anwendet, nicht zur verbindlichen Staatsideologie. Verbindlich wird der 31 Taschen-Brockhaus zum Zeitgeschehen, S. 243 (Stichwort: Nationalsozialismus); Dietrich: Die philosophischen Grundlagen des Nationalsozialismus, S. 37: "So sehen wird in der nationalsozialistischen Weltanschauung jenen wahrhaft philosophischen Geist lebendig, der nicht nur denkt um des Denkens willen, sondern auch seinen Erkenntnissen gemäß handelt und nach ihnen das Leben gestaltet" . 32 Dialektischer und historischer Materialismus, S. 8.; Vgl. auch Marx, Engels: Werke, Bd. 1, S. 535: "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern." (Thesen über Feuerbach). 33 So ausdrücklich Freisler: Nationalsozialistisches Recht und Rechtsdenken, S. 96 ff. Im Marxismus-Leninismus wird dieser Zusammenhang mit dem Terminus "Einheit von Ökonomie, Politik und Ideologie" bezeichnet, vgl. dieses Stichwort in: Kleines politisches Wörterbuch, S. 208 ff., wonach "die Ökonomie das Primat unci die Politik den Vorrang hat". Aus dem dialektischen Wechselverhältnis von Politik, Okonomie und Ideologie ergebe sich für die gesamte Tätigkeit der Partei, des Staates und der Leitungsorgane der Gesellschaft: "Alle Aufgaben bei der Gestaltung der entwikkelten sozialistischen Gesellschaft (also auch die Rechtanwendung, d . Verf.) müssen primär als politische Aufgaben, in ihrem politischen Inhalt und ihren politischen Konsequenzen begriffen werden" .
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Inhalt der ordnungsgemäß zustande gekommenen Rechtsregel, und zwar nur insoweit, als er sich aus Wortlaut, Ziel und Systematik des Gesetzes ableiten läßt. Für den Rechtsetzer ist dies wegen der Verselbständigung des Gesetzes klar und wirft auch keine praktischen Probleme auf. Für den Rechtsanwender, vor allem den Richter, der das abstrakte und generelle Gesetz konkret und individuell anwendet, ist dies in erster Linie eine Forderung an seine intellektuelle Redlichkeit und pflichtgemäße Dienstauffassung: Er muß sich frei machen von seinem subjektiven Rechtsverständnis und das Recht lege artis finden. Ob und inwieweit das theoretisch und praktisch möglich ist, wird unter dem Stichwort Vorverständnis kontrovers diskutiert34. Im Grundsätzlichen bleibt jedoch der Gegensatz zwischen der Totalität der politischen Ideologie im Dritten Reich und der DDR einerseits und der Neutralität in freiheitlichen demokratischen Rechtsstaaten bestehen. Die Totalität der politischen Ideologie erstreckt sich allgemein auf das vom einzelnen zu fordernde Verhalten, es wird eine verbindliche nationalsozialistische bzw. sozialistische Moral propagiert. Der Inhalt der Moral ist rassen- bzw. klassenbedingt, nationalsozialistische Moral ist also das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse, die sozialistische Moral besteht aus den Normen, Werten und Idealen des Proletariats, die sich im Sozialismus aufgrund der politisch-moralischen Einheit des Volkes zur Moral des ganzen Volkes entwickeln3s. Recht und Moral beruhen damit auf denselben Fundamenten und sind gleichgerichtet. Die Konsequenz ist eine Verschmelzung von Recht und Moral, was moralisch geboten ist, muß rechtens sein, was rechtens ist, ist auch moralisch36. Der Unterschied zwischen Recht und Moralliegt nur noch darin, daß die moralischen Anforderungen weiter gehen können als die rechtlichen und daß nur die letzteren mit staatlichen Zwangsmitteln durchgesetzt werden. Mangels einer verbindlichen Ideologie kann es in freiheitlichen demokratischen Rechtsstaaten auch keine verbindliche Moral geben. Es mag das sozialpsychologische Phänomen einer mehr oder weniger einheitlichen Moral geben, die sich auch im Inhalt der Gesetze niederschlägt. Darin würde sich die demokratische Kreation des Rechts spiegeln. Moral ist aber grund34 Vgl. Larenz: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 185 ff. m.w.N.
35 Rosenberg: Das Parteiprogramm, S. 57 f.; Kleines politisches Wörterbuch, S. 628 f. (Stichwort: Moral). 36 Freisler: Volksrichter (Richter und Recht im Dritten Reich), in: Volkmar u. a. (Hrsg.): Die Rechtsentwicklung der Jahre 1933 bis 1935/36, S . 810; ders.: Nationalsozialistisches Recht und Rechtsdenken, S. 59,; Lange: Vom Gesetzesstaat zum Rechtsstaat, S. 26 ; Koellreutter: Quellen des nationalsozialistischen Staatsrechts, in: Die Verwaltungsakademie, Bd. 1, Beitr. 16, S. 2; Staats- und Rechtsstheorie, S. 534 f.; Dialektischer und historischer Materialismus, S. 395 f; zur Verschmelzung von Recht und Moral vgl. Luchterhand: Der verstaatlichte Mensch, S. 41 ff.; Böckenförde: Die Rechtsauffassung im kommunistischen Staat, S. 89 ff.
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sätzlich Privatsache. Sie kann sogar mangels verbindlicher Festlegung mit dem Gesetz kollidieren. 2. Das Staatsdienstverhältnis
- Das Grundverständnis Das Staatsdienstverhältnis ist in allen vier hier in die Betrachtung einbezogenen Rechtsordnungen, denen des Dritten Reichs, der DDR, der Weimarer Republik und der Bundesrepblik Deutschland, als ein Dienstverhältnis besonderer Art ausgeprägt. Überall wird es aber jedenfalls zum Teil auch als ein gewöhnliches Arbeitsverhältnis angesehen, das lediglich besonderen Vorschriften unterliegt!. Das nationalsozialistische, das Weimarer und das bundesdeutsche Recht kennen entsprechend der deutschen Tradition als Teil des Staatsdienstrechts das dem öffentlichen Recht zuzuordnende Beamtenrecht. Die DDR ordnet mit Ausnahme des Sicherheitsbereichs das gesamte Staatsdienstrecht dem Arbeitsrecht zu. Trotzdem wird, und darin zeigt sich die Sonderstellung des Staatsdienstrechts, das Recht der Mitarbeiter in den Staatsorganen nicht in Arbeitsrechtslehrbüchern behandelt, sondern in den Lehrbüchern zum Staats- und Verwaltungsrecht. Die einzige Monographie zum Staatsdienstrecht erschien in der Themenreihe "Verwaltungsrecht der DDR" . Ausgangspunkt für die rechtliche Regelung des Staatsdienstverhältnisses ist die systemübergreifende Funktion des Staatsdieners, Kopf und Hand des Abstraktums "Staat" zu sein. Das gilt für das Beamtenrecht ganz deutlich, denn dort beruht die Rechtsstellung des Beamten auf der einseitigen, wenn auch fürsorgegebundenen Gewährung durch den Staat. Das Dienstvertragsrecht des BGB geht demgegenüber rechtstheoretisch von einer Gleichstellung der Vertragspartner aus, so daß die Erwerbsabsicht des Dienstverpflichteten rechtlich den gleichen Rang einnimmt wie das Interesse des Staates an der Dienstleistung. Jedoch wird im Arbeitsrecht das Entgelt erzielt mit der Unterordnung der Tätigkeit des Dienstverpflichteten unter die Ziele des Dienstberechtigten und durch die Eingliederung in dessen Dienstorganisation. So läßt sich für den Bereich des Arbeitsrechts natürlich eine Ausrichtung der Tätigkeit des Staatsbediensteten auf die Bedürfnisse des Staates als des Arbeitgebers feststellen, jedoch ist das Staatsdienstverhältnis rechtstheoretisch nicht monofunktional wie das Beamtenrecht, sondern entsprechend dem Charakter des gegenseitigen Vertrages bifunktional. Auch in der sozialen Realität zeigt sich die Bifunktionalität in den gelegent1 Vgl. für das bundesdeutsche Recht etwa das für das normale Arbeitsverhältnis ungewöhnliche Gelöbnis(§ 6 BAT), die Verfassungstreuepflicht (§ 8 Abs. 1 S. 2 BAT) und das Personalvertretungsrecht
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lieh scharfen Tarifkonflikten zwischen öffentlichen Arbeitgebern und Gewerkschaften. Obwohl das Staatsdienstverhältnis im Dritten Reich zum Teil und ganz in der DDR (bis auf den Sicherheitsbereich) arbeitsrechtlichen Charakter aufweist, ist in beiden Fällen diese Bifunktionalität zugunsten einer beamtenrechtlichen Monofunktionalität geschwunden. Das beruht auf dem geänderten Verständnis des Arbeitsverhältnisses und greift daher über den Bereich des Staatsdienstes hinaus, prägt sich hier aber besonders deutlich aus. Im Dritten Reich ist die rechtliche Regelung des Arbeitsverhältnisses zwar gegenüber dem vorherigen Recht gleich geblieben, der Wandel hat sich vor allem außergesetzlich vollzogen. In der DDR wird die Monofunktionalität des Arbeitsverhältnisses durch das AGB deutlich. In beiden Fällen wird das Arbeitsverhältnis eingeordnet in eine vorgegebene, gemeinschaftlich zu lösende Gesamtaufgabe, die die Verfolgung unterschiedlicher und gar gegensätzlicher Ziele ausschließt. Die Entgeltzahlung, die Sicherung des Lebensunterhalts des Dienstverpflichteten wird nach diesem Verständnis zu einem Teil der Gesamtaufgabe im Rahmen der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Im Dritten Reich schlug sich dies in der Beseitigung der Tarifautonomie und ihrer Ersetzung durch staatliche Tarifordnungen sowie in der Arbeitnehmer wie Arbeitgeber gleichermaßen umfassenden DAF nieder. In der DDR blieb die Zweiteilung in Betriebe und Gewerkschaften aufrechterhalten, nach wie vor werden Löhne und andere Arbeitsbedingungen in Tariftabellen und Rahmenkollektivverträgen zwischen dem FDGB und dem Ministerrat bzw. Ministerien und Einzelgewerkschaften vereinbart2, nach wie vor wird der FDGB als Vertreter der Interessen der Werktätigen bezeichnet. Trotzdem ist der Charakter des Arbeitsverhältnisses als einer von zwei einander entgegengesetzten Interessen geprägten Vertragsbeziehung beseitigt. Das AGB ordnet den Arbeitsvertrag seinem gesamten Inhalt nach in die staatliche Wirtschafts- und Sozialpolitik ein, der FDGB wird durch das AGB und seine Satzung auf diese Politik verpflichtet, eine eigenständige, selbstbestimmte Interessenvertretung steht ihm nicht zu. Ein und dasselbe Ergebnis, nämlich die Ausrichtung des Arbeitsverhältnisses nach den Festlegungen der staatlichen Politik, die Monofunktionalität des Arbeitsverhältnisses also, wurde im Dritten Reich durch formale Beibehaltung des Dienstvertragsrechts bei gleichzeitiger Uminterpretation des Wesens des Arbeitsverhältnisses und durch Beseitigung der der Bifunktionalität dienenden Institutionen erreicht, während dieses Ergebnis in der DDR umgekehrt durch Änderung des Dienstvertragsrechts und formale Beibehaltung des Tarifrechts und der Gewerkschaften bei gleichzeitiger Uminterpretation ihres Wesens und ihrer Funktion erzielt wurde 3 . 2 Arbeitsrecht von A bis Z, S . 283, 339 f. (Stichworte: Rahmenkollektivvertrag, Tariflohn, Tarifsystem, Tariftabellen).
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Übereinstimmung besteht konsequenterweise auch darin, daß Streiks übrigens weder in der DDR noch im Dritten Reich ausdrücklich- unzulässig sind. Als Mittel des Interessenkampfes können sie in einem monofunktionalen Arbeitsverhältnis keinen Platz haben. Sie verstoßen gegen die Interessen der Volksgemeinschaft, denen sich individuelle Interessen unterzuordnen haben, bzw. gegen die gesellschaftlichen Interessen, die mit den richtig verstandenen Individualinteressen zusammenfallen. Der Lösung vom Erwerbsgedanken im Rahmen der Einordnung der Arbeit in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang entspricht der Rückgriff auf immaterielle Werte zur Arbeitsmotivation. Arbeit wird als Ehre und Pflicht,· ja als Bedürfnis dargestellt. Der nationalsozialistische bzw. kommmunistische Arbeiter hat das mit der Wirtschaftspolitik verfolgte Ziel, nicht eigensüchtige Erwerbsinteressen im Auge4 • Diese Entwicklung betrifft das Arbeitsrecht der DDR und des Dritten Reichs in seiner Gesamtheit. Speziell im Staatsdienstrecht, soweit es Arbeitsrecht ist, verstärkt sich dies dahin, daß die treuePflichterfüllungals ehrenvolle Aufgabe zum Zweck des Staatsdienstverhältnisses wirds. Wie im überkommenen Beamtenrecht ist Grundlage des Staatsdienstverhältnisses trotzseines arbeitsrechtlichen Vertragscharakters der selbstlose Einsatz für den Staat und seine Ziele. - Der Staatsbedienstete als Instrument in der Hand der Führung Unabhängig vom ideologischen System ist der Staatsbedienstete derjenige, der dem als solchem nicht handlungsfähigen Staat erst zur Handlungsfähigkeit verhilft. Er ist also Instrument, durch das der Staat und seine Führung handeln. Indessen steht in der Bundesrepublik weniger die Funktion als Instrument der Führung im Vordergrund. Der Staatsbedienstete wird vor allem als Gesetzesvollzieher verstanden, ein Umstand, der auf die Gesetzesgebundenheit der Verwaltung und den Vorbehalt des Gesetzes zurückzuführen ists. Im Dritten Reich und der DDR ist der Gedanke des Gesetzesvollzuges als Wesensmerkmal der Tätigkeit des Staatsbediensteten völlig ver3 Der "Verbeamtung" des Arbeitsverhältnisses im Dritten Reich und der DDR steht interessanterweise in der Bundesrepublik eine Tendenz entgegen, das Beamtenrecht zu "verarbeitsrechtlichen" . Das zeigt sich etwa in der ständig gewachsenen Bedeutung der Rechte des Beamten, im Personalvertretungsrecht, vor allem aber in der Forderung nach einem Streikrecht für Beamte. 4 Zur neuen Einstellung zur Arbeit im Sozialismus vgl. Kleines politisches Wörterbuch, S. 58 (Stichwort: Arbeit); zur sozialen Ehre als neuer ethischen Grundlage des Arbeitsverhältnisses im Nationalsozialismus vgl. Hueck: Deutsches Arbeitsrecht, s. 206. o Präambel Abs. 1 und 2 ATO; § 2 Abs. 1 MVO. 6 Schon der Begriff "Exekutive", also (gesetzes-)ausführende Gewalt, deutet den Schwerpunkt an.
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schwunden. Dort ist er nur noch Werkzeug in der Hand der Führung, er ist Vollstrecker des Willens (nicht des Gesetzes) des nationalsozialistischen Staates bzw. Beauftragter (also nach Weisungen, nicht Gesetzen Handelnder) der Arbeiter-und-Bauern-Macht?. Bezugspunkt des Handelns des Staatsbediensteten wird der von inhaltlichen Anforderungen befreite Wille des Staates, genauer der Staatsführung. Dieser voluntaristische Einschlag8 findet sich, wie oben gezeigt wurde, auch im Begriff des Gesetzes wieder und steht in einem eigentümlichen Spannungsverhältnis zur angeblichen inhaltlichen Festgelegtheit der beiden ideologisch ausgerichteten Systeme. - Das Zuordnungssubjekt des Staatsbediensteten Bisher wurde nur vom Staat, seiner Führung und dessen Willen gesprochen, wenn es um die Zuordnung der Tätigkeit des Staatsbediensteten ging. Beigenauerem Hinsehen läßt sich jedoch bei den betrachteten Systemen ein unterschiedliches Zuordnungsdenken feststellen. In der Bundesrepublik wie auch in der Weimarer Republik ist Dienstherr die öffentlich-rechtliche Körperschaft, Vorgesetzte sind bestimmte Amtsinhaber innerhalb der Behördenhierarchie. Das Zuordnungsdenken in den beiden rechtsstaatlich-freiheitlichen Systemen ist also institutionell geprägt, der Staatsbedienstete repräsentiert keine konkreten gesellschaftlichen Kräfte oder politischen Richtungen, sondern abstrakt eine Institution, wie stark diese in der Realität auch mit gesellschaftlichen Kräften und politischen Richtungen verflochten sein mag. Gehorsam schuldet er dem Vorgesetzten kraft dessen hierarchischer Überordnung, die Unterordnung ist institutionell, nicht materiell begründet. Ganz anders ist die Situation im Dritten Reich und der DDR. Der Staatsbedienstete repräsentiert den von der NSDAP getragenen, den völkischen Staat bzw. die Arbeiter-und-Bauern-Macht, den sozialistischen Staat. Er wird also nicht einer abstrakten Institution, sondern einer konkreten gesellschaftlichen Erscheinung mit bestimmtem politisch-gesellschaftlichen Charakter zugeordnet. Das Zuordnungsdenken ist materiell geprägt. Auch dies ist eine allgemeine Erscheinung des Rechts der DDR und des Dritten Reichs, die auf der Verbindlichkeit einer bestimmten Ideologie beruht. Damit zusammen hängt eine weitere Eigentümlichkeit des Staatsdienstverhältnisses im nationalsozialistischen und sozialistischen Staat. In der Weimarer Republik und der Bundesrepublik schuldet der Staatsbedienstete wegen des institutionellen Zuordnungsdenkens Loyalität ausschließlich § 1 Abs. 2 DGB; Präambel S . 2 MVO Für die nationalsozialistische Ideologie wurde der voluntaristische Einschlag häufig betont, vgl. Bracher: Die deutsche Diktatur, S. 29 f .; Stern: Hitler und die Deutschen, in: Bracher u . a. (Hrsg.): Nationalsozialistische Diktatur, S. 727. 7
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dem Staat. Anderweitige Loyalitätsbindungen zu gesellschaftlichen Gruppen und politischen Parteien dürfen auf die Amtstätigkeit keinen Einfluß haben, sie widersprechen der Neutralität des Amtes. Das nationalsozialistische und kommunistische materiell geprägte Zuordnungsdenken erfordert eine an den ideologischen Werten ausgerichtete Loyalität, die- und das ist das Charakteristische- außerstaatlicher Natur ist. Der Staatsbedienstete ist der staatstragenden Partei, der NSDAP bzw. SED, rechtlich verpflichtet. Durch diese Verpflichtung zu doppelter Loyalität können erst rechtlich bedeutsame Rivalitäten zwischen Partei und Staat entstehen, die im Dritten Reich und der DDR unterschiedlich gelöst werden. - Die materielle Determiniertheit der Staatstätigkeit Die Tätigkeit des Staatsbediensteten im Dritten Reich und der DDR wird durch die inhaltliche Festgelegtheit der Systeme bestimmt. In den offenen Systemen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik ist das sachliche Ziel der Tätigkeit des Staatsbediensteten nicht oder nur sehr begrenzt festgelegt. Die Weimarer Republik verstand sich nach dem herrschenden rechtspositivistischen Verständnis als Staat mit einem wertfreien System von Spielregeln, in deren Rahmen erst im Wege politischer Willensbildung politische Ziele und Werte geschaffen wurden, die aber auch im Rahmen derselben Spielregeln bekämpft werden konnten. Das Grundgesetz stellt eine Abkehr von diesem Werterelativismus dar. Es stellt bestimmte Grundwerte und Prinzipien auf, die nach den Regeln der Verfassung unabänderbar sind9 • Das ist zwar ein grundsätzlicher Bruch mit der Weimarer Verfassung, gemeinsam bleibt beiden Rechtsordnungen jedoch - jedenfalls im Rahmen der unabänderlichen Werte und Prinzipien - die Möglichkeit, den politischen Willen und damit den Staatswillen frei zu bilden, also die inhaltliche Offenheit der Staatsziele. Die Begrenzung der Offenheit in der Bundesrepublik betrifft nur Randbereiche extremistischer Anschauungen, so daß die Freiheit der politischen Willensbildung dadurch nur unwesentlich eingeschränkt wird, es handelt sich um Ausnahmen vom Prinzip der Freiheit. Im übrigen handelt es sich zum großen Teil gerade um Prinzipien und Werte, die die Freiheit der politischen Willensbildung und die Freiheit von staatlicher Beeinträchtigung zum Gegenstand haben, etwa das Demokratieprinzip und den Kern der Grundrechte. Dagegen sind im Dritten Reich und der DDR die ideologisch gesetzten Ziele und Werte verbindliche Richtschnur der staatlichen Tätigkeit; nicht die inhaltliche Vorgabe, sondern die Freiheit der Wahl ist die Ausnahme. Der nationalsozialistische Staat ist einer völkischen Politik verpflichtet, 9
Art. 79 Abs. 3 GG.
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was immer dieser schwammige Begriff im einzelnen bedeuten maglo. Der sozialistische Staat betreibt angeblich zum ersten Mal bewußt Politik, das heißt, daß die gesellschaftlichen Bewegungsgesetze in Rechnung gestellt und angewandt werden auf der Grundlage der wissenschaftlichen Weltanschauung, des Marxismus-Leninismus. Hier gibt es nur eine richtige, nämlich die wissenschaftlich begründete Politik. In Wirklichkeit ist die so determinierte Politik allerdings nicht weniger schwammig als völkische Politik, denn weder sind die Gesetze der gesellschaftlichen Entwicklung bekannt, noch liefert die wissenschaftliche Weltanschauung ein klares Zielprogramm oder eine detailliertere Werteskala. Die nationalsozialistischen und kommunistischen Machthaber waren und sind viel zu machtorientiert, als daß sie sich durch eine verbindliche, politische Ziele und Werte propagierende Ideologie den Handlungsspielraum beschneiden ließen. Es lassen sich zwar einige Konstanten feststellen, vor allem der antisemitische Rassengedanke im Nationalsozialismus und die Beseitigung des Privateigentums an Produktionsmitteln im Sozialismus, es ist aber wohl kein Zufall, daß die Hauptausprägungen der völkischen bzw. sozialistischen Politik sich in den Grundsätzen verfestigt haben, die die Dominanz des inhaltlich unbeschränkten Willens der Führung festschreiben, nämlich im Führerprinzip und im Prinzip von der führenden Rolle der Partei und des demokratischen Zentralismus. Trotz alldieser Relativierungen bleibt es aber bei dem theoretischen Ansatz, daß der Staat auf eine inhaltlich bestimmte Politik festgelegt ist. Für die Staatsbediensteten gilt diese Festlegung des Staates konsequenterweise auch. Während in den offenen Systemen der Staatsbedienstete an die Gesetze und die Weisungen seiner Vorgesetzten gebunden ist und sich darüber hinaus einer politischen Parteinahme zu enthalten hat, während also Neutralität gegenüber politischen Auffassungen zu wahren ist, ist der Staatsbedienstete im Dritten Reich und in der DDR zur politischen Parteinahme verpflichtet. In der DDR wird dies zu einem allgemeinen Prinzip der Parteilichkeit verdichtet . Es bedeutet, in allen Fragen des gesellschaftlichen Lebens vom Standpunkt der Interessen der Arbeiterklasse, ihres Kampfes um die Errichtung und Festigung der Diktatur des Proletariats, der Errichtung des Sozialismus und Kommunismus und des unversöhnlichen Kampfes gegen die Ideologie und Praxis des Imperialismus heranzugehenll. Wegen 10 Zur Schwierigkeit, den Begriff "völkisch" in sachliche Gesichtspunkte aufzugliedern, vgl. Anderbrügge: Völkisches Rechtsdenken, S. 133 f.; bei Schmidt u. a.: Philosophisches Wörterbuch, S. 605 (Stichwort: völkisch), heißt es: "eine begrifflich wenig klare Bezeichnung .... Als völkisches Weltbild bezeichnet Krieck die neue Sinneinheit, die auf rassischer Grundlage aus der Durchdringung von organischem (ganzheitlichem) und heroischem Weltbild entsteht. Hitler warnt vor unklarem Gebrauch des Wortes völkisch". Zu dessen Auffassung vgl. Hitler: Mein Kampf, S. 397 f., 419 ff. 11 Vgl. Lenin: Werke, Bd. 10, S. 65 f.: "Parteilosigkeit ist Gleichgültigkeit gegenüber dem Kampf der Parteien. Aber diese Gleichgültigkeit ist nicht gleichbedeutend mit Neutralität, mit Enthaltung vom Kampf, denn im Klassenkampf kann es keine
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der objektiven Wahrheit der Aussagen des Marxismus-Leninismus fallen sozialistische Parteilichkeit und wissenschaftliche Objektivität ineins12, bilden eine untrennbare Einheit13. Derselbe Parteilichkeitsgedanke und dieselbe Ablehnung "bürgerlicher" Neutralität kennzeichnet auch den nationalsozialistischen Staat. Der Neutralität des Weimarer Staates wurde die kämpferische Parteinahme des neuen Staats entgegengestellt14. Für den Staatsbediensteten hieß das: nicht neutral, sondern kämpferisch und weltanschaulich gebunden seinls. Auch hier findet sich die Ineinssetzung von Parteilichkeit und Objektivität: "Je subjektiver und ausschließlicher der Richter an die Ideen des Nationalsozialismus gebunden ist, desto objektiver und gerechter wird seine Rechtsprechung sein" 16. Kennzeichnend für das Staatsdienstverhältnis im Dritten Reich und in der DDR in Abgrenzung zu den freiheitlichen rechtsstaatliehen Ordnungen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik ist also die geforderte Parteinahme in der Amtstätigkeit für eine bestimmte politische Position, die angeblich allein dem Wohl des Volkes bzw. der ungeheueren Mehrheit des Volkes (der Werktätigen) dient. Diese Parteinahme soll zwar bewußt, aber auch kämpferisch sein. Beide Systeme betreiben die Emotionalisierung der Parteinahme. Beim Nationalsozialismus mit seiner antirationalen, emotionsbeladenen Grundstruktur ist dies selbstverständlich, die gleiche Emotionalisierung im sozialistischen System deutet aber wohl an, daß die angebliche wissenschaftliche Begründetheit der Politik kaum vermittelbar ist.
Neutralen geben . ... Die Parteilosigkeit ist in der bürgerlichen Gesellschaft nur ein heuchlerischer, verhüllter, passiver Ausdruck der Zugehörigkeit zur Partei der Satten, zur Partei der Herrschenden, zur Partei der Ausbeuter. Parteilosigkeit ist eine bürgerliche Idee. Parteilichkeit ist eine sozialistische Idee". 12 Klaus, Buhr (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch, S. 914 (Stichwort: Parteilichkeit). 13 Kleines politisches Wörterbuch, S. 724 (Stichwort: Parteilichkeit) 14 Freisler: Nationalsozialistisches Recht und Rechtsdenken, S. 14, reduziert die angebliche Eigenschaft der Weimarer Republik, "den grundlegenden Kämpfen im Volk gegenüber nicht Stellung zu nehmen", auf den einen Grundsatz "im Grundsätzlichen grundsatzlos". Die neue Rechtsordnung "kann gegenüber den Kämpfen im Volk nicht neutral sein" , die neuen Grundwerte sind "Rasse, Ehre, Arbeit, Boden und Staat", vgl. S. 58, 60. 15 Ebda., S. 92 für den Juristen: "Wer die Aufgabe hat, etwas zu schützen, zu verteidigen, zu wahren, wer allseits Mehrer des Rechts im Volke sein soll, muß einsatzbereit sein. Er kann sich also nicht außerhalb des ewigen Ringens im Volke stehend ansehen. Er muß mitten drin stehen und seine Aufgabe gerade darin erblicken, die Kräfte zu stärken, die dem Rechte des Volkes förderlich sind, und diejenigen zu vernichten, die die Lebenskraft und -fähigkeit, den Lebenswillen und die Lebenssicherheit des Volkes zu schmälern drohen. Der Rechtswahrer kann also diesen Kräften gegenüber nicht die gleiche kampfabgekehrte, neutrale Stellung einnehmen". 1s Rothenberger: Der deutsche Richter, S. 53 f.
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Die Weltanschauung als Inhalt der Bindung Als Merkmal des nationalsozialistischen und sozialistischen Staatsdienstes wurde bereits die inhaltliche Bindung, die Parteilichkeit der Tätigkeit hervorgehoben. Beide Rechtsordnungen verpflichten den Staatsbediensteten auf eine als Marxismus-Leninismus bzw. Nationalsozialismus bezeichnete Weltanschauung. Der Begriff Weltanschauung wird von beiden Systemen für ihre jeweilige Ideologie in Anspruch genommen 1 . Die übereinstimmende Selbstbezeichnung ist nicht bloß terminologischer Art, sondern deckt sich auch in wesentlichen sachlichen Merkmalen2 . Weltanschauung wird in beiden Systemen als ein Gedankengebäude verstanden, das total und ausschließlich die Grundfragen des Verständnisses der Welt, ihres Sinns, ihrer Funktionsgesetze beantwortet. Der Marxismus-Leninismus geht dabei allerdings weiter als der Nationalsozialismus: Die nationalsozialistische Ideologie beschränkt sich in ihren Aussagen auf das Dasein und Wirken des Volkes in der Welt und geht dabei von sozialdarwinistischen, antisemitischen und arierverherrlichenden Grundanschauungen aus. In diesem Rahmen beansprucht sie für das reale Leben des Volkes totale Geltung. Hingegen bleibt sie in allgemeinphilosophischen Fragen unbestimmt, ja bewußt für verschiedene Auffassungen offena. Der Nationalsozialismus ist also mehr an konkreten Erscheinungen orientiert ohne umfassende philosophische Fundierung. Demgegenüber dogmatisiert der Marxismus-Leninismus auch philosophische Grundfragen durch den dialektischen Materialismus, was sich dann in abstrakten, nicht mehr auf einzelne konkrete Erscheinungen bezogenen, wenn auch recht simplen "Grundgesetzen" niederschlägt4 • Der Marxismus-Leninismus ist also subtiler und philosophisch differenzierter ausgestaltet . 1 Zum Nationalsozialismus als Weltanschauung vgl. Hitler: Mein Kampf, S. 420 ff., 513, 598, zum Teil deutlich als Gegenweltanschauung zum als internationale Weltanschauung bezeichneten Marxismus; Rosenberg: Das Parteiprogramm, S. 14; ders.: Das Wesensgefüge des Nationalsozialismus, S. 39 ff.; Schmidt u. a.: Philosophisches Wörterbuch, S. 393 f. (Stichwort: Nationalsozialismus); zum Marxismus-Leninismus als Weltanschauung vgl. statt vieler Dialektischer und hist orischer Materialismus, s. 7 ff. 2 Zum folgenden vgl. Schmidt u. a., a.a.O., S. 617 f., 626 ff.; Klaus, Buhr (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch, S. 1287 ff. ; Kleines politisches Wörterbuch, S. 1052 ff., 1075 ff. (Stichwörter in allen Werken: Weltanschauung, Wissenschaft). 3 Rosenberg: Das Wesensgefüge des Nationalsozialismus, S. 41: "Die zartesten Seelenfragen über Gott und Unsterblichkeit, Schicksal und Gnade überläßt die politische Kampfbewegung der einzelnen Persönlichkeit zur Entscheidung. Sie mag sich jene Tröster und S eelsorger suchen, deren sie zum Ausbau ihres innersten Lebens bedarf". 4 Nämlich im Gesetz von der Einheit und dem "Kampf" der Gegensätze, dem Gesetz des Umschiagens quantitativer Veränderungen in qualitative und umgekehrt und dem Gesetz der Negation der Negation, vgl. Dialektischer und historischer Materialismus, S. 126 ff.
3. Die ideologische Bindung des Staatsbediensteten
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Dabei weisen beide Ideologien eine erklärende und eine wertsetzende Seite auf. Die erklärende Seite stellt das gesellschaftliche und politische Leben in einen gesellschaftsphilosophischen Zusammenhang, der im Nationalsozialismus im Kampf der Rassen, im Marxismus-Leninismus im Kampf der Klassen besteht. Die wertsetzende Seite besteht darin, daß die beiden Ideologien eine Parteinahme für eine bestimmte Rasse bzw. Klasse fordern. Der Nationalsozialismus ist die germanische Weltanschauung, der Marxismus-Leninismus die proletarische Weltanschauung. Die von diesen Weltanschauungen propagierten Werte sind vor allem darin orientiert, ob ein zu bewertender Umstand die Herrschaft der Arbeiterklasse bzw. der arischen Rasse sichern und festigen hilft. Darüber hinaus sind die Ziele pauschal auf das angebliche Wohl der Werktätigen bzw. des Volkes gerichtet, die Betrachtungsweise ist in beiden Weltanschauungen stark überindividuell geprägt. Beide Ideologien sehen ihre Werte und Zielvorstellungen als rassen- bzw. klassengebunden an, vertreten also- von einem kosmopolitischen Standpunkt betrachtet- eine relativistische Ethik. Beiden Weltanschauungen ist aber auch gemein, daß konkrete Maßnahmen der Tagespolitik aus ihnen kaum abgeleitet werden können, daß vielmehr die Ideologien flexibel genug sind, sich taktischen Erfordernissen anzupassen. Es liegt also nicht nur eine verbale Selbsteinschätzung der beiden System als weltanschauungsgebunden vor, vielmehr erweist sich auch die Struktur der weltanschaulichen Bindungen als ähnlich. - Die rechtstechnische Ausgestaltung der Bindung Die Ausrichtung der Staatsbediensteten auf die Ideologie erfolgt rechtstechnisch durch ideologiebezugnehmende Generalklauseln, die den Inhalt der Ideologie als außerrechtlichen Tatbestand voraussetzen. In der Präambel zum DBG wird durch die Formulierung des Beamtenleitbildes das Durchdrungensein von der nationalsozialistischen Weltanschauung gefordert. Entsprechendes gilt nach der MVO, die in § 8 Abs. 1 S. 2 von den Staatsbediensteten die Aneignung der Grundfragen der marxistisch-leninistischen Theorie fordert. Daß damit nicht nur ein distanziertes Beherrschen der Ideologie, sondern die Übernahme als persönlicher Standpunkt gemeint ist, macht die Literatur deutlich5. Bei der rechtlichen Fixierung der ideologischen Treuepflicht gibt es allerdings zwischen dem Dritten Reich und der DDR einen bemerkenswerten Unterschied: Das Dritte Reich verknüpft die Pflicht zur Ideologietreue mit der hergebrachten Pflicht, dem Staat die Treue zu halten, indem vom Beamten und öffentlichen Dienstnehmer das jederzeitige rückhaltlose Eintreten für den nationalsozialistischen Staat gefordert wird6 . Die rechtliche Bin5
Bönninger: Der sozialistische Staatsdient, S. 6; Verwaltungsrecht, S. 162 f.
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dung an die Ideologie ist also mediatisiert durch die Bindung an den Staat, der seinerseits an der nationalsozialistischen Ideologie ausgerichtet sein sollte. Anders ist die rechtliche Ausgestaltung in der DDR: Die Standardformulierung für die rechtlich verbindliche Unterordnung unter die Ideologie findet sich in der grundsätzlich gegenüber allen anderen Unterordnungen vorrangigen Bindung an die "Beschlüsse der Partei der Arbeiterklasse" 7 . Auch hier wird somit die konkrete Ideologietreue nicht als solche gefordert, sondern nur mittelbar durch Gehorsam gegenüber einer Institution. Im Unterschied zum Dritten Reich ist dies aber in der DDR die Partei und nicht der (ideologisch ausgerichtete) Staat, wie das unten näher gezeigt wird. Aus der Art und Weise, wie die ideologische Bindung rechtlich fixiert wird, ergeben sich mehrere Schlußfolgerungen: So zeigt die Tatsache, daß bei der rechtlichen Bindungsformulierung das Bezugsobjekt nicht "der Nationalsozialismus" bzw. "der Marxismus-Leninismus", sondern "der nationalsozialistische Staat" bzw. "die Partei der Arbeiterklasse" ist, daß nicht die Ideologie, sondern die ideologische Institution im Vordergrund des rechtlichen Interesses steht. In diesem Faktum spiegelt sich wiederum zweierlei: Erstens ist die jeweilige Ideologietrotz ihres- vor allem in der DDR erhobenen - Anspruchs, inhaltliche Richtschnur zu allen Fragen zu· sein, keineswegs so allumfassend und präzise, daß sie eine brauchbare Handlungsmaxime für die Tätigkeit des Staatsbediensteten wäre. Vielmehr sind beide Ideologien mangels präzisen Inhalts sehr unterschiedlich auslegbar. Im Nationalsozialismus hat sich dies historisch wegen der nur kurzen Zeit seiner Existenz und seiner geographischen Beschränkung auf das Deutsche Reich nur marginal in Abspaltungen und Richtungskämpfen niedergeschlagen, namentlich in der Zeit vor und kurz nach der Machtergreifung (Schwarze Front, Ausrichtung der SA). Indessen ist die Vagheit und Vieldeutigkeit der nationalsozialistischen Ideologie offensichtlich. Die kommunistische Ideologie ist in ihrer Geschichte geradezu durch Fraktionskämpfe, Abspaltungen und Abweichungen gekennzeichnet, und zwar sowohl innerhalb einer Partei8 , aber auch zwischen nationalen Ausprägungens. In freien Gesellschaften zeichnen sich Kommunisten daduch aus, daß sie einen wesentlichen Teil ihrer Energien darauf verwenden, konkurrierende kommunistische Organisationen wegen Abweichungen vom "wahren" Kommunismus zu bekämpfenlo. s § 3 Abs. 2 S. 1 DBG, in § 17 Abs. 1 Buchst. e ATO wurden aber auch die Ziele der Bewegung einbezogen. 7 So etwa für die MVO § 2 Abs. 1 und 2. s Man denke an die Fraktionskämpfe innerhalb der KPD in der Weimarer Republik oder die Änderungen in der Parteilinie der KPdSU und der KP Chinas nach dem Tode bzw. der Entmachtung des jeweils führenden Mannes. 9 Man denke an den Kommunismus Moskauer Prägung, den Maoismus, den Titoismus, den Eurokommunimus. 1o Vgl. Verfassungsschutzbericht 1984, S. 84 ff.
3. Die ideologische Bindung des Staatsbediensteten
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Die scheinbar monolithischen und totalen Ideologien erweisen sich bei näherem Hinsehen günstigstenfalls als Gedankenraster mit einigen Fixpunkten. Der oberflächliche Eindruck der Geschlossenheit wird nur dadurch erweckt, daß im Falle des Nationalsozialismus und des real existierenden Sozialismus die Ideologie von einer geballten, abweichende Gedanken unterdrückenden Staatsmacht beansprucht wird11 • Die Folge dieser Unbestimmtheit ist, daß sowohl im Dritten Reich wie in der DDR die Ideologie als solche nicht als Objekt einer rechtlichen Bindung fungieren kann; dazu werden vielmehr Institutionen herangezogen, die von sich behaupten, die jeweilige Ideologie richtig wiederzugeben. Die mediatisierte Ideologiebindung führt zweitens zu einer Machtkonzentration bei der ideologischen Institution. Das Definitionsmonopol für den Nationalsozialismus bzw. den Marxismus-Leninismus liegt nicht bei den Klassikern der Ideologie12 , die der Staatsbedienstete etwa als höchste Autorität heranziehen könnte, sondern von Rechts wegen bei der ideologischen Institution. Durch diese rechtstechnische Regelung wird die Meinung der Institution zur Aussage der herrschenden Ideologie, und da diese den Anspruch der Totalität erhebt, gibt es nichts, was die Institution nicht im Namen der Ideologie für den Staatsbediensteten unanfechtbar und rechtlich verbindlich vorschreiben und fordern könnte. Diese Verknüpfung von Ideologie und Institution, die zwar theoretisch zu trennen sind, praktisch und rechtlich jedoch verschmelzen, führt zu den charakteristischen Interpretationsschwierigkeiten, ob diese Staaten ihre Macht ideologisch motiviert einsetzen oder ob die Weltanschauung nur als Herrschaftsinstrument und Hechtfertigungsideologie für gewöhnliche Machtpolitik benutzt wird13. Die ideologische Bindung im Verhältnis zur Verfassungstreuepflicht in der Bundesrepublik Die bislang herausgearbeiteten Aspekte der Inbezugnahme außerrechtlicher Ideologien und der Mediatisierung der Ideologie als Ausdruck inhaltlicher Unbestimmtheit der Weltanschauung und der Machtkonzentration bei der ideologischen Institution unterscheiden wesentlich die ideologische Bin11 Im Falle des Nationalsozialismus ist bezeichnend, daß nach dem Verschwinden des nationalsozialistischen Staates selbst die neonazistische Szene (von der rechtsextremistischen insgesamt ganz zu schweigen) von Zersplitterung gekennzeichnet ist, vgl. ebda., S. 141 ff. 12 Wobei beim Nationalsozialismus schon unklar ist, wer ein solcher "Klassiker" ist. Beim Marxismus-Leninismus ist der Katalog der Klassiker von Zeit und Ort abhängig. 13 Vgl. die Aufarbeitung des Problems für den Nationalsozialismus etwa bei Wippermann: "Triumph des Willens" oder "kapitalistische Manipulation"?, in: Bracher u. a. (Hrsg.): Nationalsozialistische Diktatur, S. 735 ff.
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4. Kap.: Vergleich
dungdes Staatsbediensteten im Dritten Reich und der DDR von der Verfassungstreuepflicht des Beamten und- über das Tarifrecht- der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik Deutschland14 • Die Pflicht, für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten, verweist, wie die Präzisierung "im Sinne des Grundgesetzes" klarstellt, nicht auf außerrechtliche Tatbestände, sondern auf die verfassungsrechtlich festgelegte Grundordnung. Anknüpfungspunkt für die konkrete Ausfüllung der Pflicht sind also Rechtsnormen. Durch diese Verrechtlichung und durch die unmittelbare Verpflichtung auf die rechtlich fixierte Grundordnung ohne Mediatisierung über eine ungebundene ideologische Institution gewinnt die Treuepflicht erst einen festgelegten Inhalt. Das Bundesverfassungsgericht hat den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Einzelmerkmale aufgegliedert und damit nicht nur substantiiert, sondern auch rechtlich begrenzti 5 . Eine Machtkonzentration durch das Definitionsmonopol einer ideologischen Institution gibt es nicht: Was zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehört, bestimmen weder der freiheitliche demokratische Staat noch die Beschlüsse einer freiheitlichen demokratischen Partei, sondern die Verfassung selbst. Da es im Streitfalle einer Entscheidung bedarf, ist der Inhalt der Verfassung in der Auslegung des unabhängigen, nur der Verfassung unterworfenen Bundesverfassungsgerichts maßgebend. Die Einordnung der Verfassungstreuepflicht in der Bundesrepublik auf die gleiche Stufe wie die ideologische Bindung des Staatsbediensteten im Dritten Reich oder der DDR verbietet sich also nicht nur wegen der völlig unterschiedlichen Reichweite der Bindungen. Die Gleichstellung ist auch unzulässig wegen der rechtlichen Ausgestaltung der Bindung, die in Abgrenzung zur Lage in der Bundesrepublik eine deutliche Ähnlichkeit zwischen der Regelung im Dritten Reich und der DDR aufweist, gekennzeichnet durch eine Anknüpfung an die außerrechtlich vorgegebene Ideologie und eine Mediatisierung der Bindung mit den Folgen der inhaltlichen Unbegrenztheit der Bindung und der Machtkonzentration bei einer ungebundenen ideologischen Institution. 14 Vgl. Schrader : Rechtsbegriff und Rechtsentwicklung der Verfassungstreue im öffentlichen Dienst, S. 269. 15 BVerfGE 2, 1 (12f.): Es handelt sich um eine Ordnung, "die unter Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition".
3. Die ideologische Bindung des Staatsbediensteten
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Unterschiede in der Regelung des Dritten Reiches und der DDR Die rechtliche Ausgestaltung der ideologischen Bindung zeigt deutlich Unterschiede zwischen dem Dritten Reich und der DDR bei der ideologischen Institution, die das Definitionsmonopol über die Weltanschauung für den Staatsbediensteten besitzt. Im Dritten Reich liegt ein unklares Kondominium von Staat und Partei vor. In § 3 Abs. 2. S. 1 DBG deutet die Pflicht, für den nationalsozialistischen Staat einzutreten, auf ein Übergewicht des Staates hin, die seiner (nationalsozialistischen) Führung die Kompetenz zuweist, zu bestimmen, was nationalsozialistisch ist. Der Staat ist das Objekt der ideologischen Treuepflicht, während das Nationalsozialistische lediglich als Eigenschaft des Staates erscheint. Daher wohl konzentrierten sich die Gerichte bei der Prüfung von Dienstpflichtverletzungen vor allem auf konkretisierende Erlasse der Ministerialverwaltung, auf die gesetzgeberische Tendenz in der Politik des Staates und auf informelle Äußerungen führender nationalsozialistischer Staatsmänner. Andererseits verpflichtet die genannte Norm den Beamten auch dazu, sich in seinem Verhalten von der Tatsache leiten zu lassen, daß die NSDAP Trägerin des deutschen Staatsgedankens sei; diese Formulierung deckt sich mit dem Text des Gesetzes zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat. Durch diese Regelung wurde die Partei jedenfalls miteinbezogen in die über den Inhalt des Nationalsozialismus für den Beamten entscheidende Institution. Diese Einbeziehung ist aber rechtlich deutlich nachrangig ausgestaltet gegenüber der Regelung für den Staat: Nicht die Partei als solche wird- im Gegensatz zum Staat - als Objekt der Treue genannt, sondern nur eine bestimmte Eigenschaft der Partei (nämlich staatstragend zu sein) ist als verhaltenssteuernder Umstand zu berücksichtigen. Die Eigenschaft war staatsbezogen und ließ alles offen: Bestimmte die Partei nun die Grundlagen des Staates und war sie ihm deshalb vorgeordnet, besaß sie das DefinitionsmonopoP6? Oder war sie nur Propagandistin des Staates und damit dessen Anhängsel17? Die Gerichte konnten diese im Dritten Reich praktisch und theoretisch nicht geklärte, hochpolitische Frage natürlich nicht aus eigener Machtvollkommenheit entscheiden. Sie begnügten sich damit, die Parteiziele als gleichermaßen verbindlich anzusehen und in Übereinstimmung mit der offiziellen Einheitsdoktrin Partei- und Staatswillen zu identifizieren. Während die Formulierung in § 3 Abs. 2 S. 1 DBG eher die Dominanz des Staates nahelegt, stellt im Gegensatz dazu § 17 Abs. 1 Buchst. e ATO den 16 In Anlehnung an ein von Hitler auf dem Reichsparteitag 1934 gebrauchtes, aber meist ungenau wiedergegebenes Schlagwort "Die Partei befiehlt dem Staat!" , vgl. Koellreutter: Deutsches Verfassungsrecht, S. 156. 17 So ließe sich die Auflistung der Partei- und Staatsaufgaben in der Rede Hitlers auf dem Reichsparteitag 1935 auslegen, vgl. Völkischer Beobachter vom 18.09.1935, S. 3 Sp. 2.
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nationalsozialistischen Staat und die Ziele der Partei gleich, der Angestellte und Arbeiter im öffentlichen Dienst mußte für beide gleichermaßen eintreten. So läßt sich für das Dritte Reich feststellen, daß Staat und Partei in einem rechtlich unklaren Verhältnis gemeinsam die ideologische Institution bildeten, die für den Staatsbediensteten verbindlich die Definitionsmacht über den Begriff des Nationalsozialistischen ausübte. Ganz anders ist die Regelung in der DDR: Die Beschlüsse der Partei werden durchgängig als oberste Richtschnur bezeichnet, Gesetze und Befehle, ja selbst die Verfassung, also alle staatlichen Bindungen, rangieren deutlich abgesetzt dahinter. Die Partei ist die einzige ideologische Institution mit DefinitionsmonopoL An dieser unterschiedlichen rechtlichen Regelung läßt sich die unterschiedliche staatsrechtliche Stellung von NSDAP einerseits und SED andererseits ablesen. Während bei jener der Kampf um die Dominanz nicht hat entschieden werden können, ist bei dieser der Kampf zugunsten der Partei entschieden. - Die unterschiedliche juristische Methodik im Dritten Reich und der DDR Bei der Untersuchung der aus der ideologischen Bindung gefolgerten konkretisierten Einzelpflichten fällt eine zwischen Drittem Reich und der DDR unterschiedliche Praxis auf: Im Dritten Reich waren die einzelnen Pflichten Gegenstand detaillierter Regelung in Runderlassen und meist daran orientierter Behandlung in der Literatur. Auch wurde die Rechtsprechung in ideologisch fundierten Disziplinarfällen veröffentlicht und in der Literatur breit behandelt. Diese Praxis deckte sich mit der Erörterung juristischer Probleme in der Weimarer Republik und der Bundesrepublik heute. Am deutlichsten sichtbar wird die konzeptionelle Kontinuität bei Autoren, die sich wissenschaftlich mit dem Recht des öffentlichen Dienstes sowohl in der Weimarer Republik als auch im Dritten Reich, zum Teil schon der Monarchie beschäftigt haben18 : Die Inhalte wechseln entsprechend der staatsrechtlichen Umgestaltung zum Teil radikal, die Konzeption und Behandlungsmethode bleibt die gleiche, nämlich problemorientiert und kasuistisch. In der DDR hingegen erweisen sich juristische Erörterungen als breite, unpräzise, sich in ideologischen Allgemeinplätzen erschöpfende Abhandlungen, die Probleme, wenn überhaupt, nur andeuten und auf genaue Nachweise von Rechtsprechung und Literatur fast vollständig verzichten, dafür aber die Klassiker des Marxismus-Leninismus ausgiebig als Belege heranziehen. Jenseits ideologischer Herleitung und Begründung beschränken sich 1s Vor allem Brand für das Beamtenrecht und Wacke für das öffentliche Dienstrecht.
3. Die ideologische Bindung des Staatsbediensteten
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die Ausführungen großenteils auf die zusammenfassende und geordnete Wiedergabe des Gesetzestextes. Mit dieser juristisch unergiebigen Behandlungsweise korrespondiert eine auffallende Spärlichkeit spezifisch juristischer Literatur, die erst in letzter Zeit durch eine alle Gebiete abdeckende Produktion von Standardlehrbüchern abgelöst wird. Demgegenüber entsprach die juristische Literatur des Dritten Reichs in ihrer Quantität durchaus dem hergebrachten Niveau. Nur auf dem Zeitschriftensektor kam eswohl im Rahmen der Gleichschaltung- zu Vereinigungen von Zeitschriften und Einstellungen. Ein Abflauen der Produktion juristischer Literatur ist erst im Krieg feststellbar. Diese deutlich erkennbaren Unterschiede in der juristischen Methodik erscheinen erklärbar: Das Dritte Reich stützte sich trotz aller Säuberungen personell auf den von der Weimarer Republik übernommenen Bestand. Die Inhalte mußten sich dem Zeitgeist entsprechend ändern, aber die Methode und auch die juristische Denkweise konnten beibehalten werden, da sie nicht unmittelbar ideologiebezogen waren. Allerdings dürfte es diese hergebrachte juristische Denkweise in ihrer Problemorientiertheit und ihrem Streben nach Systematik und Präzisierung, die Rechtssicherheit und Machtbegrenzung fördert, gewesen sein, die dazu führte, daß Juristen trotz aller Anpassnng im Inhalt juristischer Äußerungen in Parteikreisen und namentlich bei Hitler unbeliebt waren19. Demgegenüber fand in der DDR ein grundsätzlicherer Bruch in personeller Hinsicht statt. Namentlich im als sicherheitsempfindlich eingestuften Justizbereich blieb für "bürgerliche" Juristen kein Platz. Zum Zuge kamen in Schnellkursen ausgebildete Laien, die juristisches Denken durch politisch-parteiliche Haltung ersetzten. Der zweite Grund für die unterschiedliche juristische Methodik dürfte in einer nnterschiedlichen Bedeutnng des Rechts für die Beherrschung des Staatsapparates, ja der Bevölkerung insgesamt, liegen. Der Dualismus von Partei und Staat im Dritten Reich bedeutete, daß der Staat nach wie vor eigenständige Herrschaft ausübte. Dies erfolgte durch das herkömmliche Mittel der Setzung von Rechtsnormen und Verwaltnngsvorschriften, die, wenn sie eine wirksame Steuerung bewirken sollen, präzise sein müssen. Demgegenüber wird der Staatsapparat der DDR weitaus stärker und detaillierter von der Partei angeleitet, und zwar auf allen Ebenen. Das bedeutet, daß das Steuernngsinstrument Recht nur ein Mittel und vielleicht nicht einmal das wichtigste ist. Die generell-abstrakten und individuell-konkreten Anleitnngsanweisungen der Parteihierarchie aber, die dann das eigentliche Steuerungsinstrument sind, werden im allgemeinen nicht veröffentlicht. Das staatliche Recht kann sich auf die Herausarbeitung der ideologischen Leitlinien nnd auf die Zielangabe beschränken, ohne im Detail der Parteianwei19 Zur Meinung Hitlers über Juristen vgl. Picker: Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier, S. 157 ff., 450 f.
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4. Kap.: Vergleich
sung vorzugreifen. Damit wird der häufig nur programmatische Charakter sozialistischer Rechtsnormen verständlich2 o. Schließlich dürfte auch ein etwas verschämteres Verhältnis der DDR im Vergleich zum Dritten Reich zu offener politischer Unterdrückung eine Rolle spielen. Das Dritte Reich stand nicht in Konkurrenz zu freien Gesellschaftsordnungen, sondern bekannte offen die entgegensetzte Wertordnung des nationalsozialistischen Staates. Die DDR betont zwar auch die qualitative Andersartigkeit und den Wertunterschied zu "kapitalistischen" Gesellschaftsordnungen, rekurriert aber zum Teil auf wortidentische Begriffe wie Demokratie, Menschenrechte, Freiheit. Die DDR steht insofern in einem Wettbewerb zu freien Gesellschaften. Hinzu kommt, daß im Gegensatz zum Dritten Reich, das in einem eher begünstigenden faschistisch-autoritären Umfeld existierte, sich die DDR im ideologischen Kampf seit ihrem Bestehen in der strategischen Defensive vor allem gegen das Konkurrenzmodell Bundesrepublik Deutschland befindet. Das alles macht verständlich, warum in der DDR zwar Gerichtsurteile zu Verletzungen der Arbeitsdisziplin in juristischen Fachzeitschriften veröffentlicht werden und auch Gegenstand juristischer Erörterung sind, aber politische Disziplinierung im Gegensatz zum Dritten Reich ein juristisches Tabu ist. Wegen der dargestellten beschränkten Veröffentlichungspraxis in der DDR läßt sich im Rahmen einer rechtsvergleichenden Analyse kein Vergleich zwischen den einzelnen politischen Pflichten des Staatsbediensteten ziehen. Indessen besteht in der DDR, wie allgemein bekannt ist, ein inoffizieller Druck, sich ähnlich politisch engagiert und parteilich zu verhalten, wie es im Dritten Reich durch konkretisierende Erlasse, Urteile und Literaturäußerungen ausdrücklich vorgeschrieben war. Ohne Mitgliedschaft in Massenorganisationen etwa ist ein berufliches Fortkommen nicht möglich2I. Die Beteiligung an Veranstaltungen und Demonstrationen wird zum großen Teil vom Betrieb organisiert, und Nichtteilnahme kann zu beruflichen Konsequenzen führen22. - Differenzierungen innerhalb der ideologischen Bindung Obwohl der Anspruch der Ideologie total ist und daher Abstufungen der politischen Bindung eigentlich nicht denkbar sind, lassen sich sowohl im Dritten Reich wie in der DDR Intensitätsunterschiede feststellen. Im Dritten Reich stellen DBG und ATO dem Wortlaut nach für alle Angehörigen des Vgl. Brunner: Einführung in das Recht der DDR, S . 3 f. Vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.:): Organisationen und Verbände in der DDR, S. 63; Mampel: Die sozialistische Verfassung der DDR, Art. 29 Rdnr. 17, Art. 3 Rdnr. 24. 22 Ebda., Art. 28 Rdnr. 22. 2o
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4. Die Disziplin und ihre Einhaltung
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öffentlichen Dienstes dieselbe Standardverpflichtung auf, rückhaltlos jederzeit für den nationalsozialistischen Staat einzutreten. Speziellere Gesetze, wie etwa das Deutsche Polizeibeamtengesetz23, regeln nur noch technische Einzelheiten, die grundlegenden Pflichten, auch die politischer Natur, sind im DBG bzw. in der ATO geregelt. Die Differenzierung nach konkreten Funktionen und Verwaltungssparten wurde erst durch Rechtsprechung und Literatur vorgenommen, etwa wenn politische Verfehlungen von leitenden Beamten24 oder Polizeibeamten25 als besonders schwerwiegend gewertet wurden. In der DDR kommt die Differenzierung bereits im Gesetz zum Ausdruck. So werden die Leiter nach§ 9 Abs. 1 S. 1 MVO für die Verwirklichung der Politik der Partei- und Staatsführung·in dem von ihnen geleiteten Bereich voll verantwortlich gemacht. In der DLO ist die Bindung der Angehörigen des Ministeriums des Innern an die Partei und Ideologie besonders intensiv ausgestaltet. Die Anpassung der geforderten ideologischen Linientreue an Stellung und Aufgabe des jeweiligen Staatsbediensteten beweist, daß es sich bei dieser Anforderung nicht um ein rein formales Erfordernis handelt, sondern daß sie eine reale Funktion im Herrschaftssystem hat.
4. Die Disziplin und ihre Einhaltung Die Bedeutung der Disziplin Mit der bloßen Formulierung von Pflichten ist deren Befolgung noch nicht gesichert. Daher sind Mechanismen erforderlich, die die Pflichtenerfüllung sichern. Es geht dabei immer darum, auf den Willen der Verpflichteten einzuwirken. Im Beamtenrecht spielte das Beamtenethos eine besondere Rolle. Dem Beamtenleitbild liegt traditionell als Kern die treue Pflichterfüllung zugrunde. Demgegenüber spielte und spielt im Arbeitsrecht der Weimarer Republik und der Bundesrepublik dieser ethische Aspekt jedenfalls von der rechtlichen Gestaltung her keine überragende Rolle. Arbeit und Pflichterfüllung waren und sind als ethische Kategorien rein gesellschaftliche und individuelle Erscheinungen. Das Arbeitsrecht betrachtet Pflichtverletzungen, die im besonderen Schuldrecht der §§ 611 ff. BGB fast vollständig übergangen werden, wie Vertragsstörungen allgemein als Nicht- oder Schlechterfüllung, als Unmöglichkeit und als Verzug mit den sich daraus ergebenden Rechtsfolgen, insbesondere des Entfallens der Gegenleistung Vom 24.06.1937 (RGBL I S. 653). Behnke: RDStO, S. 82, für den Fall des Nichteintritts eines Bürgermeisters in die NSV. zs Ebda., S. 80, für den Fall außerdienstlichen freundschaftlichen Verkehrs eines Polizeibeamten mit Personen, die dem nationalsozialistischen Staat feindselig gegenüberstanden. 23 24
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4. Kap.: Vergleich
(Lohn), des Schadensersatzes und der Vertragsbeendigung (Kündigung). Die für das Arbeitsrecht entwickelten Sonderregeln (Abgrenzung nach Risikosphären, gefahrgeneigte Arbeit) passen die allgemeinen Regeln nur den besonderen Erfordernissen des Arbeitsverhältnisses an. Die rechtliche Behandlung von Pflichtverletzungen bleibt im Rahmen eines gegenseitigen Vertragsverhältnisses. Im Dritten Reich und in der DDR gerät die Pflichtverletzung durch den veränderten Charakter der Arbeit in eine andere Dimension. Am bruchlosesten war hier der Übergang im Beamtenrecht, da dessen Tradition von vorneherein die Pflichterfüllung in den ethischen Bereich rückte. Es läßt sich nur eine Verstärkung des Pflichtdenkens feststellen. Im Arbeitsrecht des Dritten Reichs und der DDR ist hingegen die Disziplin im Unterschied zum herkömmlichen Arbeitsrecht deutlich und sogar in erster Linie eine ethische Kategorie. Das schlägt sich - neben der verstärkten Hervorhebung von Arbeitshelden durch Auszeichnungen1 - in der Herausbildung eines Idealbildes des nationalsozialistischen bzw. kommunistischen Arbeiters nieder. Während die Motivation des Arbeitnehmers zur Arbeit in der Weimarer Republik und der Bundesrepublik Deutschland rechtlich in dem Ziel der Erlangung der Gegenleistung (Lohn) gesehen wird, soll beim Gefolgschaftsmitglied des Dritten Reichs und dem Werktätigen der DDR nach dem Leitbild eine ideelle Motivation im Vordergrund stehen. Sie leisten Arbeit zum Wohle des Volkes. Sozialistische Arbeitsdisziplin ist bewußte, also nicht erzwungene Arbeitspflichterfüllung aus Einsicht in die gesamtgesellschaftlichen Interessen2 . Der Staatsdienst ist eine Ehre und hohe gesellschaftliche Verpflichtung3. Für den nationalsozialistischen Arbeiter ist gewissenhafte Pflichterfüllung eine Sache der sozialen Ehre, er widmet seine volle Kraft dem Dienst des Betriebes im steten Bewußtsein seiner Verantwortung und ordnet sich dem gemeinen Wohl unter4 • Pflichterfüllung und Disziplin werden also in den beiden Systemen aus dem individuellen vertraglichen Rahmen gelöst und in einen politischen Gesamtzusammenhang gestellt, den der ideale Arbeiter nicht nur versteht, sondern auch verinnerlicht und zum Motiv seines Verhaltens macht. Die veränderte Auffassung vom Charakter der Arbeit führt zu einer Idealisierung der Arbeitsdisziplin.
1 So etwa das Treudienst-Ehrenzeichen im Dritten Reich; zur aufgeblähten Praxis der DDR vgl. Kleines politisches Wörterbuch, S. 903 ff. (Stichwort: staatliche Auszeichnungen der DDR) mit Ehrungen wie den Ehrentiteln "Held der Arbeit", "Hervorragender Jungaktivist", "Verdienter Mitarbeiter der Staatssicherheit" bis hin zur "Medaille für hervorrangende Leistungen im Bereich der haus- und kommunalwirtschaftlichen Dienstleistungen der Deutschen Demokratischen Republik" . z Kleines politisches Wörterbuch, S. 75 (Stichwort: Arbeitsdisziplin). 3 § 2 Abs. 1 MVO. 4 So § 35 AOG, für den öffentlichen Dienst anwendbar über§ 20 Abs. 1 AOGö.
4. Die Disziplin und ihre Einhaltung
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- Die politische Disziplin Wie oben schon dargestellt wurde, ist der Staatsbedienstete des Dritten Reichs und der DDR einer strikten politischen Bindung unterworfen. Konsequenterweise wird das richtige politische Verhalten von der Arbeitsdisziplin erfaßt. Diese Einbeziehung weist zwei Seiten auf, eine allgemeine für jedes Arbeitsverhältnis und eine spezielle für den Staatsdienst. Das richtige Verhältnis zur Arbeit und zu seinen Pflichten setzt schon eine richtige Einstellung zum politischen System voraus, denn wer seine Arbeit entsprechend dem Idealbild als - ideologisch verstandene - Ehre ansieht, muß sich mit den Machthabern über den Sinn der Arbeit im Rahmen der grundsätzlichen politischen Ziele einig sein. Die Einstellung zur Arbeit und die politische Einstellung sind nicht voneinander zu trennen, die Politisierung aller Lebensbereiche führt auch zu einer Politisierung der geforderten Einstellung zur Arbeit. Daher wird in beiden Systemen auch außerhalb des Staatsdienstes eine schwerwiegende politische Verfehlung als Arbeitspflichtverletzung angesehen. Im Dritten Reich hieß der wichtige Grund zur fristlosen Kündigung "staatsfeindliche Betätigung", in der DDR lautet der Grund für eine fristlose Entlassung "schwerwiegende Verletzung staatsbürgerlicher Pflichten". Dogmatisch spiegelt sich darin in beiden Fällen die politische Fundierung jedweden Arbeitsverhältnisses, machtpolitisch bedeutet es die Instrumentalisierung eines existenziellen Lebensbereichs für die politische Disziplinierung. Die spezielle Seite für den Staatsdienst folgt aus seiner besonderen politischen Gebundenheit. Hier wird im Dritten Reich und der DDR das richtige politische Verhalten unmittelbar Arbeitspflicht und damit Gegenstand der Arbeitsdisziplin. Das im Dritten Reich vom Staatsbediensteten geforderte jederzeitige rückhaltlose Eintreten für den nationalsozialistischen Staat bedeutete ebenso wie die Verpflichtung auf hohe Staatsdisziplin und die Grundsätze der sozialistischen Moral in der DDR bedingungsloses ideologietreues Verhalten als Arbeitspflicht. Ideologische Verfehlungen sind damit im Staatsdienst schlechthin Arbeitspflichtverletzungen und deshalb disziplinarisch verfolgbar. - Das Disziplinarverfahren In beiden Systemen ist die ideelle Motivation zur Pflichterfüllung zwar der gewünschte Idealzustand, jedoch gibt es auch disziplinarische Zwangsmittel. Das Verfahren und die Mittel blieben im Dritten Reich stark an die überkommenen Traditionen angelehnt: Das Beamtenrecht sah ein spezielles Verfahren zur Sachverhaltsermittlung und zum Strafausspruch vor, die Strafen reichten von gestuften Verwarnungen über Geldstrafen bis letztlich
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4. Kap.: Vergleich
zur Entfernung aus dem Dienst. Im Arbeitsrecht blieb es bei der Nichtregelung des BGB. Soweit nicht Sonderbestimmungen (etwa in Form von Betriebsbußenregelungen) gesetzt wurden, kam vor allem Vertragsbeendigung durch fristgemäße bzw. fristlose Kündigung in Betracht, ohne daß ein spezielles Verfahren in Gang gesetzt werden müßte. Mit der sozialen Ehrengerichtsbarkeit als zusätzlichem Instrument wurde hingegen ein dem beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren verw-andtes Instrument eingeführt, das auch ähnliche Strafen (gestufte Verwarnungen, Geldbuße, Entfernung vom Arbeitsplatz) vorsah. Die Bedeutung für die Disziplinierung der Staatsbediensteten war jedoch gering, da die traditionellen Mittel benutzt wurden. Die reale Bedeutung der Ehrengerichtsbarkeit lag eher in der Beherrschung der privaten Unternehmer und in zweiter Linie in der Beherrschung der Arbeitnehmer der Privatwirtschaft, wenn der Arbeitgeber selbst nicht durchgreifen konnte und wollte. In der DDR ist das Disziplinarrecht auf neue Grundlagen gestellt worden. Im Ergebnis wurde für alle Arbeitnehmer ein Disziplinarrecht geschaffen, das beamtenrechtsähnliche Züge aufweist. Auch hier ist ein Verfahren zur Sachverhaltsaufklärung vorgesehen, vom vorgesetzten Leiter werden Strafen verhängt, wobei aber keine Geldstrafen, sondern nur abgestufte Verwarnungen und fristlose Entlassung ausgesprochen werden können. Der Vergleich ergibt eine breite Übereinstimmung in der Reaktion auf Arbeitspflichtverletzungen. Überall, auch in der Weimarer Republik und der Bundesrepublik, ist die schärfste Reaktion die Beendigung des Arbeitsverhältnisses; eine generelle Absicherung der Einhaltung der Arbeitspflichten durch Kriminalstrafen ist nicht vorgesehen, obwohl das Verständnis von Arbeit im Dritten Reich und der DDR dafür Ansätze bietet. Soweit spezielle Disziplinarverfahren vorgesehen sind, sind sie an einer rationalen Entscheidungsfindung orientiert. Charakteristische Eigentümlichkeiten des Rechts des Dritten Reichs und der DDR liegen nicht im Disziplinarrecht, sondern im bereits erörterten Pflichtenkatalog, also im materiellen Recht, und in der -später zu erörtenden- Entscheidungskompetenz, nämlich in der Regelung über die Mitwirkung Dritter und über die gerichtliche Überprüfbarkeit. 5. Der Gehorsam
- Der Parteigehorsam Das zentrale Mittel zur Steuerung des Verhaltens des Staatsbediensteten ist das Unterstellungsverhältnis auf der Grundlage von Befehl und Gehorsam. Obwohl der Staatsdienst im Dritten Reich und der DDR einer außerstaatlichen Loyalitätsbindung unterliegt, ist das System der Weisungsgebundenheit rechtlich nur für die staatliche Hierarchie ausgebaut, d. h. die
5. Der Gehorsam
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staatliche Regelung eines Weisungs- und Gehorsamsverhältnisses zwischen Staatsbediensteten und Parteistellen besteht nicht. Im Dritten Reich war sogar ausdrücklich für das Beamtenrecht und das öffentliche Dienstrecht festgelegt, daß der dienstliche Gehorsam jedem anderen, d. h. auch dem Parteigehorsam, vorging. Die Existenz konkurrierender Gehorsamsbindungen wurde also anerkannt, ein Konflikt zwischen den Gehorsamsbindungen wurde jedoch durch Vorrang des staatlichen Gehorsams rechtlich ausgeschlossen. Die Nichtregelung anderer Gehorsamsbindungen im staatlichen Recht der DDR bedeutet keinen Vorrang oder gar die ausschließliche Existenz staatlicher Gehorsamsbindung. Zur Parteidisziplin gehört der Gehorsam gegenüber Parteiaufträgen, die übergeordnete Leitungen nachgeordneten Funktionären und Mitgliedern sowie die Mitgliederversammlung in der Grundorganisation einzelnen Mitgliedern erteilen könnenl. Im Parteistatut wird die Parteidisziplin für die Arbeit in staatlichen Organen besonders hervorgehoben2, es ist eine im Parteirecht verankerte Herrschaftsmethode der SED, durch weisungsabhängige Parteimitglieder in der Staatsverwaltung diese zu lenken und zu kontrollieren. Das Parteirecht, das die Parteidisziplin stets vor der Staatsdisziplin nennt, geht von einem Vorrang der Parteigehorsamsbindung vor der staatlichen Gehorsamsbindung aus. Im staatlichen Recht schlägt sich dies nur mittelbar dadurch nieder, daß für die Tätigkeit der Staatsbediensteten ganz allgemein die Parteibeschlüsse zum verbindlichen obersten Maßstab erklärt werden. Das Parteirecht füllt also die Nichtregelung des Verhältnisses zu anderen Gehorsamsbindungen im staatlichen Recht im Sinne des Vorrangs des Parteigehorsams aus. Das Parteirecht geht sogar noch weiter, indem es der Partei allgemein gegenüber Staatsorganen, also nicht nur gegenüber den Parteimitgliedern in den Staatsorganen, ein Allleitungsrecht zubilligt3. Die unterschiedliche Regelung im Dritten Reich und der DDR zeigt nicht nur, daß die Kompetenz der jeweils staatstragenden Partei unterschiedlich weit ist, sondern auch, daß Konflikte zwischen Staat und Partei nur im Dritten Reich ein Problem waren: Während dort ein Widerspruch zwischen den Gehorsamsbindungen als Möglichkeit gesehen und für regelungsbedürftig erachtet wurde, ergibt sich die Dominanz des Parteigehorsams in der DDR nur mittelbar, sie liegt unausgesprochen den Regelungen des staatlichen und Parteirechts zugrunde. Die Dominanz der Partei ist in der DDR eine für den Konfliktfall nicht regelungsbedürftige Selbstverständlichkeit.
1 Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Die SED von Abis Z, S . 28; DDR-Handbuch, S. 964 (Stichwort jeweils: Parteiauftrag). 2 Punkt 2 Buchst. g des Statuts. 3 Punkt 49 Buchst. c des Statuts.
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4. Kap.: Vergleich
- Das Gehorsamsverweigerungsrecht Das staatliche Unterordnungsverhältnis ist strukturell in allen Systemen gleich: Dem in der Behördenhierarchie Vorgesetzten wird das Recht eingeräumt, eine Weisung zu erteilen, der nachgeordnete Staatsbedienstete ist verpflichtet, sich weisungsgemäß zu verhalten. Wegen der Vielfältigkeit der Tätigkeit und im Interesse der Funktionsfähigkeit des Staatsdienstes verträgt die Weisungsbefugnis keine einengenden inhaltlichen Einschränkungen. Als Ausgleich zur Weite des Weisungsrechts wird in allen Systemen ein Recht und sogar eine Pflicht des Weisungsunterworfenen zur Gehorsamsverweigerung begründet. Auch die Struktur dieses Rechts ist in der Bundesrepublik Deutschland, dem Dritten Reich und der DDR identisch und unterscheidet sich nur in Nuancen: Ausgangspunkt ist das Strafrecht, das das als besonders schädlich oder verwerflich angesehene Verhalten verbietet. Was allgemein verboten ist, soll auch dem Staatsbediensteten verboten sein. Daher ist Strafrechtswidrigkeit des befohlenen Verhaltens ein allgemeiner Gehorsamsverweigerungsgrund. Darüber hinaus war offenbare Rechtswidrigkeit allgemein als Verweigerungsgrund nur in der Weimarer Republik anerkannt. Der Beschränkung auf Strafrechtswidrigkeit im Dritten Reich und der DDR, aber auch in der Bundesrepublik (unter Einschluß der Ordnungswidrigkeit) liegt der gemeinsame Rechtsgedanke zugrunde, im Interesse einer straffen Verwaltungsführung die verwaltungsinterne Letztentscheidungskompetenz über die allgemeine Rechtmäßigkeit des befohlenen Verhaltens ausschließlich dem bzw. den Vorgesetzten zu überlassen. Diegesetzgeberische Entscheidung für die Schlagkraft und Einsatzbereitschaft der Verwaltung ist aber in der Bundesrepublik qualitativ anders zu bewerten als im Dritten Reich und der DDR, weil der von der Verwaltungsmaßnahme Betroffene in der Bundesrepublik einen lückenlosen Rechtsschutz genießt und sich mit Hilfe unabhängiger Gerichte zur Wehr setzen kann. Dieses Rechtbestand im Dritten Reich nur beschränkt und fehlt in der DDR mit ganz wenigen Ausnahmen vollständig. Daher ist die bundesdeutsche Regelung im Vergleich zu der der Weimarer Republik trotz der eingeschränkteren Gehorsamsverweigerungsgründe für den Bürger günstiger, da auch in der Weimarer Republik der verwaltungsgerichtliche Schutz beschränkt war. Die systemübergreifende Parallelität der Regelungen, Strafrechtswidrigkeit als Verweigerungsgrund anzuerkennen, ist aber rein formal, da sie nur im Rückbezug auf die jeweilige Strafrechtsordnung besteht. Funktionale Unterschiede im Strafrecht und im Recht allgemein werden dann automatisch auch zu Unterschieden im Verweigerungsrecht Hier liegt die Trennungslinie zwischen dem Verweigerungsrecht in der Weimarer Republik und der Bundesrepublik einerseits und dem des Dritten Reichs und der DDR andererseits.
5. Der Gehorsam
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In der Bundesrepublik ist das Verweigerungsrecht ein Ausfluß des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Da die Strafgesetze besonders fundamentale Rechtsgutsverletzungen zum Gegenstand haben, ist es auch besonders dringlich, die Strafgesetzkonformität des Verwaltungshandeins zu sichern. Dem dient das Verweigerungsrecht und die Pflicht dazu. Es handelt sich also um ein Institut zur Begrenzung der Macht der Exekutive und zum Schutz der vom Strafrecht geschützten Rechtsgüter. Im Dritten Reich und der DDR bekommt das Verweigerungsrecht aus identischen staatsrechtlichen und rechtsmethodischen Gründen einen anderen, ja einen entgegengesetzten Sinn. Dem Führerprinzip bzw. dem demokratischen Zentralismus liegt der Gedanke der absoluten Autorität der oberen Ebenen über die unteren zugrunde. Dieses prinzipielle Hierarchiedenken steht im Widerspruch zur Befugnis eines Untergebenen, die Ausführung von Weisungen der höheren Ebene zu verweigern. Das Verweigerungsrecht ist deshalb ein Fremdkörper für diese Rechtsordnungen. Der Begriff des Rechts führt in beiden Systemen dazu, daß Befehlen der höchsten Führungsebene nicht das staatliche Recht entgegengesetzt werden kann: Das Gesetz als Wille des Führers bzw. der herrschenden Klasse ist wesentlich geprägt durch die Eigenschaft, politisches Wollen des Machthabers zu sein. Die förmliche Umsetzung durch Veröffentlichung im Gesetzblatt, die Formalisierung des Willens in einem Normativakt ist nur eine zweitrangige, technische Seite. Beiden Systemen ist eigen, daß Vorrang dem Willen der Führung unabhängig von der förmlichen Seite eingeräumt wird, d. h. daß die materielle Qualität des Gesetzes vor der formellen steht. Der Führerbefehl ist entweder schlechthin Recht und setzt entgegenstehendes Recht, auch Strafrecht, außer Kraft (Rechtslösung), oder er hat rechtsdurchbrechende Wirkung (außerrechtliche Lösung). In der DDR werden die Beschlüsse der Partei der Arbeiterklasse, also des Handlungsorgans der herrschenden Klasse, in den Rechtsvorschriften, auch in denen, die die Tätigkeit der Staatsbediensteten regeln, immer vor der Verfassung, den Gesetzen und anderen Rechtsvorschriften genannt. Es ist deutlich erkennbar, daß nicht das staatliche Recht, das Gesetz, oberster Maßstab ist, sondern der Parteibeschluß. In der DDR wird der unaufhebbare Konflikt zwischen Parteibeschluß und Gesetz im Gegensatz zum Dritten Reich nicht dogmatisch erörtert, es wird also nicht untersucht, ob der Parteibeschluß auch ohne Normativakt Recht ist (Rechtslösung) oder ob er Vorrang vor dem Recht hat (außerrechtliche Lösung). Die Diskussion ist insofern weniger freimütig als im Dritten Reich. Das Ergebnis ist aber im Dritten und der DDR gleich: Weisungen von höchster Stelle, also des Führers oder der Partei, unterliegen nicht der rechtlichen und damit auch strafrechtlichen Überprüfung.
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4. Kap.: Vergleich
Die staatsrechtlich relevante Frage, wann eine solche höchste Weisung vorliegt, wurde ebenfalls nur im Dritten Reich erörtert, wo eine Abgrenzung von bindenden Führerbefehlen zu lediglich beachtlichen Führeräußerungen versucht wurde. In der DDR bleibt es unklar, wann ein unbedingt zu befolgender Parteibeschluß vorliegt, der etwa von einer mehr appellativen Resolution und bloßer Meinungsäußerung abzugrenzen wäre. Fest steht jedenfalls, daß ein Parteibeschluß auch eine konkrete Weisung sein kann4, es muß also keine abstrakte Regelung sein. Die Hierarchie von Parteibeschlüssen verschiedener Ebenen läßt sich aus dem Parteiaufbau ablesen. Aber welches Parteiorgan Parteibeschlüsse fassen kann, insbesondere ob dies auch der Generalsekretär und die 1. Sekretäre alleine dürfen, ist rechtlich ungeklärt und hängt wohl von der wechselnden Parteilinie zur Frage der Kollektivität der Führung ab. Die Nichtregelung der genannten Fragen im Recht der DDR zeigt wohl, daß der theoretische Widerspruch zwischen Recht und Parteibefehl kein praktisches Problem ist. Neben diesen im Dritten Reich und der DDR strukturell identischen Beschränkungen des Verweigerungsrechts aus staatsrechtlichen Gründen findet sich auch bei der Methode der Rechtsfindung eine ähnliche Einschränkung. Das Recht drückt im Dritten Reich und der DDR durch das Strafgesetz nicht einen feststehenden Rechtsgedanken aus, der abstrakt, d. h. unabhängig von der sozialen Realität, gültig bleibt, bis das Gesetz geändert wird, sondern das Gesetz ist die Umsetzung dessen in rechtliche Form, was dem Volke nützt bzw. was den gesellschaftlichen Interessen entspricht. Ob ein bestimmter Sachverhalt nützlich ist bzw. den gesellschaftlichen Interessen entspricht, bestimmt sich nach der jeweiligen Ideologie, die im Dritten Reich vor allem von den führenden Staatsmännern und der Partei, in der DDR von der Partei autoritativ interpretiert wird. Das bedeutet, daß bei der Auslegung des Rechts, also auch des Strafrechts, die Maßstäbe derer zugrunde zu legen sind, die den strafrechtlich zu überprüfenden Befehl gegeben haben. Im Ergebnis laufen diese Einschränkungen darauf hinaus, daß das Gehorsamsverweigerungsrecht keine Befehlsschranke für die Staats- und Parteiführung bedeutet. Vielmehr greift das Institut nur dann ein, wenn eine Weisung auch nicht dem Willen der höchsten Führung entspricht, es geht also nur um eine Prüfung des Befehls an den Maßstäben der höchsten Führung. Was in der Bundesrepublik Befehlsschranke für die Exekutive insgesamt bedeutet, reduziert sich im Dritten Reich und der DDR auf eine Rebellionsschranke unterrangiger Vorgesetzter gegen die höchste Führung. Es handelt sich also in Wirklichkeit um ein Instrument zur Stärkung der Macht der höchsten Führung, der Staatsbedienstete soll zwar ein gehorsamer, aber auch im Sinne der höchsten Führung wachsamer Diener sein. 4
Theorie des Staates und des Rechts, Bd. 3, S. 317.
6. Der Verwaltungsaufbau
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6. Der Verwaltungsaufbau Führerprinzip und demokratischer Zentralismus Einer der Hauptinhalte der nationalsozialistischen und kommunistischen Ideologie ist ein Organisationsprinzip, das allgemeinen Charakter hat, also sowohl für den Staatsaufbau als auch für den gesellschaftlichen Bereich verbindlich ist. Zuerst entwickelt wurde es in den Monopolparteien, deren Aufbau auf Staat und Gesellschaft übertragen wurde. Gemeinsam ist beiden Prinzipien die Zentralisierung aller Macht in einer Spitze. Der Führer hat volle Autorität nach unten1 , die Beschlüsse der höheren Organe sind für die unteren Organe und die Mitglieder verbindlich2 • Die Zentralinstanz ist in ihrer Kompetenz nicht sachlich beschränkt, Opposition gegen von ihr getroffene Entscheidungen ist unzulässig. Alle unteren Organe und Mitglieder sind verpflichtet, an der Verwirklichung der getroffenen Entscheidung mitzuwirken, auch passive Nichtbeteiligung, etwa weil man die Entscheidung für falsch hält, ist unzulässig. Die Disziplin verlangt, daß die höhere Entscheidung loyal unterstützt wird. Im Nationalsozialismus ist diese Pflicht Teil der vollen Verantwortung nach oben, im Kommunismus ist die aktive Mitarbeit zur Durchsetzung der Parteibeschlüsse selbständiges Merkmal des demokratischen Zentralismus. Zentralisierung und hierarchische Befehlskette werden als notwendige Elemente für eine einheitliche und wirksame Tätigkeit hervorgehoben, die Rechtfertigung liegt also in Effizienzgesichtspunkten und ist wohl aus den Erfordernissen der bedrängten Kampfpartei erwachsen. Die Unterschiede zwischen den beiden Organisationsprinzipien liegen zum einen in der Art der Führungsspitze. Das Führerprinzip ist auf die Einzelführung festgelegt. Kollektiv entscheidende Gremien, in denen das Majoritätsprinzip gilt, werden grundsätzlich abgelehnt, da sie die Verantwortlichkeiten verwischten, dem Verantwortungsbewußtsein der Entscheidenden abträglich seien und die kraftvolle Persönlichkeit hinter anonymen Mehrheiten verschwinden ließen 3 . Demgegenüber ist der demokratische Zentralismus zur Zeit auf die Kollektivität der Leitung festgelegt. Die Betonung dieses Merkmals ist jedoch zeitlichen, d. h. wohl von der Machtkonstellation im Führungsgremium abhängigen Schwankungen unterworfen4 . 1 Hitler: Mein Kampf, S. 501; Schmidt u. a.: Philosophisches Wörterbuch, S. 169, (Stichwort: Führergrundsatz). 2 Kleines politisches Wörterbuch, S. 172 (Stichwort: demokratischer Zentralismus). 3 Hitler: Mein Kampf, S. 95, 498; von Heydebrand und der Lasa: Deutsche Rechtserneuerung, S. 57 ; Küchenhoff: Führergrundsatz, Führertum, in: Volkmar u. a. (Hrsg.): Die Rechtsentwicklung der Jahre 1933 bis 1935/36, S. 197 f.
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4. Kap.: Vergleich
Der zweite wesentliche Unterschied liegt in der Art der Besetzung derleitenden Organe. Während nach dem Führerprinzip vom Führer Unterführer ernannt werden, also auch die Organbesetzung von oben nach unten vor sich geht, werden nach dem demokratischen Zentralismus die Leitungsorgane von unten nach oben gewählt. Die Gewählten sind den Wahlgremien periodisch rechenschaftspflichtig. Das zentralistisch-hierarchische Element wird hier also mit einem demokratischen verbunden, während das Führerprinzip auch bei der Organbestellung autoritär bleibt. Ein nicht mehr den theoretischen Ansatz, sondern die praktische Verwirklichung betreffender Umstand ist, daß bei Wahlen durch die Kaderpolitik, das Nomenklatursystem und den gesellschaftlichen Zwang zur offenen Stimmabgabe die demokratische Auswahl zugunsten der Bestimmung von oben beseitigt ist. Der theoretische Ansatz der beiden Prinzipien ist nur gleich in der Herrschaftsstruktur bei bereits personell besetzten Organen. - Der Verwaltungsaufbau Die Organisation der Verwaltung entspricht den dargestellten Prinzipien. Die Gebietsaufteilung des Dritten Reichs beruhte überwiegend auf der historisch gewachsenen Länderaufteilung. Eine grundlegende Reichsreform hat es hier, wohl hauptsächlich wegen der nur kurzen Lebensdauer des "tausendjährigen Reichs", nicht gegeben. Die DDR hingegen löste schon 1952 die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg auf und schuf 14 Bezirke. Die konsequente Neugestaltung des Staats- und Verwaltungsaufbaus führte in der DDR zu einer einheitlichen Gliederung, während der Aufbau im Dritten Reich bis zuletzt durch Besonderheiten der Länder unterschiedlich und sehr unübersichtlich blieb. In wesentlichen Grundzügen ist jedoch der Staats- und Verwaltungsaufbau ähnlich. Staat ist nur noch der Zentralstaat, d. h . das Reich bzw. die Republik. Die Länder bzw. Bezirke sind nur noch territoriale Verwaltungseinheiten des Staates. Das bedeutet vor allem, daß es (mit Ausnahme der noch zu behandelnden Selbstverwaltung) eine Aufteilung von Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen zwischen Zentralstaat und Gliedstaaten nicht gibt. Die zweite Folge ist eine lückenlose Befehlskette von der Zentrale bis zur untersten Verwaltungseinheit In der DDR ist dies im Rahmen der Verwaltungsreform durch Unterstellungen der Räte, der Vorsitzenden und Fachorgane der Räte unter das entsprechende Organ der höheren Ebene verwirklicht, wobei ein einheitlicher vierstufiger Verwaltungsaufbau (Republik, Bezirk, Kreis bzw. Stadt, Gemeinde bzw. Stadtbezirk) geschaffen wurde. 4 Vgl. DDR-Handbuch, S . 732 (Stichwort: Kollektive Führung) und S. 981 (Stichwort: Personenkult); zur Kritik des Personenkults vgl. Meyers Neues Lexikon, Bd. 13, S . 122 (Stichwort: Stalin).
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Das Dritte Reich mit seiner nur rudimentären Reichsreform begnügte sich damit, die Landesregierungen der Reichsregierung und die einzelnen Landesminister den zuständigen Reichsministern zu unterstellen. Unterhalb dieser Ebene blieb der Verwaltungsaufbau landestypisch geprägt. Jedoch waren dies nur technische Details, das Wesentliche war, daß die bisherige in den Landesregierungen konzentrierte Verwaltungskompetenz an die Reichszentrale weitergeleitet wurde und später durch die Umwandlung der Landesbehörden in Reichsbehörden eine zwar regional differenzierte, aber rechtlich einheitliche Reichsverwaltung geschaffen wurde. Der zentralistische Aspekt im Dritten Reich und der DDR liegt somit darin, daß die staatliche Zentrale jeden Vorgang im ganzen Staat nach ihren Weisungen erledigen lassen kann. Gleichzeitig bleibt die Verwaltungstätigkeit auf territoriale Ebenen dekonzentriert, bei denen die allgemeine Verwaltung im Territorium zusammenläuft: in der DDR in den Räten der vier Ebenen, im Dritten Reich unterschiedlich nach den Landesverwaltungstraditionen, in Preußen etwa bei der preußischen Landesregierung, den Oberpräsidenten, den Regierungspräsidenten, den Landräten bzw. Oberbürgermeistern. Territorial relevante Entscheidungen können also auf der jeweiligen Territorialstufe entschieden werden, ohne daß der Zugriff der Reichsbzw. Republikzentrale im Einzelfall ausgeschlossen wäre. - Die Polizei als verselbständigter Verwaltungsbereich Diese Dekonzentration findet vor allem im Sicherheitsbereich der DDR nicht statt. Dieses Gebiet ist vollständig aus der allgemeinen Verwaltung herausgenommen, untersteht also nicht den örtlichen Räten, sondern verbleibt im Bereich des zentralen Staatsorgans, des Minsteriums des Innern, das eigene Dienststellen im ganzen Land unterhält (gleiches gilt für das Minsterium für Staatssicherheit). Das Dritte Reich hat auch in diesem Bereich keine konsequente Linie gefunden, sondern traditionelle Formen nur ergänzt. So wurden zwar die politischen Polizeien der Länder einheitlich zur Geheimen Staatspolizei (Gestapo) ausgebaut, die der Berliner Zentrale, dem Geheimen Staatspolizeiamt (Gestapa) als einer Abteilung des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) unter Leitung des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD 5 und unter der Gesamtleitung des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern Heinrich Himmlerunterstand und die im ganzen Reich auf Regierungsbezirksebene Staatspolizeileitstellen und Staatspolizeistellen mit weiteren Außendienststellen unterhielts. Trotz dieser Zentralleitung waren die Staatspolizeileit5 RSHA-Chefs waren die SS-Obergruppenführer und Generäle der Polizei Heydrich und Kaltenbrunner, RFSSuChdDtPol. Himmler leitete das RSHA selbst nach dem Attentat auf Heydrich von Juni 1942 bis Januar 1943. s Vgl. RdErl. vom 28.06.1936, MBliV Sp. 1344.
4. Kap.: Vergleich
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stellen und Staatspolizeistellen zusätzlich noch den Regierungspräsidenten und Landesregierungen weisungsgebunden unterstellt, wobei Weisungen des Gestapa natürlich vorgingen7 • Daneben existierte noch in jedem Wehrkreis ein Höherer SS- und Polizeiführer, der den Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei vertrat und eine Art Koordinator für gemeinsame Operationen von SS und Polizei war8 • So läßt sich feststellen, daß selbst im ureigensten und wohl auch effektivsten Bereich der nationalsozialistischen Herrschaft, dem Bereich der politischen Polizei, sich die Verwaltungsstruktur nicht vom Hergebrachten gelöst hatte, sondern nur zentralistisch ergänzt wurde. Die vielerörterte Polykratie des Dritten Reichs9 dürfte neben dem Motiv des "divide et impera" wesentlich darauf zurückzuführen sein, daß man im Gegensatz zur DDR keine rabiate, reichseinheitliche Verwaltungsreform durchführte, sondern sich mit der Übernahme der Landesverwaltungsmacht durch das Reich begnügte und innerhalb des Landesverwaltungsbereichs nur herumwerkelte. Die Vereinigung von Verwaltungsund Gesetzgebungskompetenz in einem Organ Entsprechend dem in beiden Systemen vertretenen Prinzip der Gewalteneinheit gibt es auf allen Leitungsebenen mit Ausnahme der Rechtsprechung keine prinzipielle funktionelle Aufteilung der Staatstätigkeit. Im Dritten Reich waren die Reichsregierung und die Landesregierungen Exekutivspitzen und Hauptrechtsetzungsorgane in einem. Der Reichstag hatte seine Gesetzgebungsfunktion fast vollständig verloren und war hauptsächlich die Repräsentation des einigen Volkes zur begeisterten Entgegennahme von Proklamationen, die Länderparlamente waren durch das NAG beseitigt worden. In der DDR sind die Räte Organe der jeweiligen Volksvertretungen, die Kompetenzen zwischen Volksvertretung und Rat sind nicht funktionell verschieden, vielmehr werden die Aufgaben der Volksvertretung zwischen ihren Tagungen von den Räten vorgenommen, und zwar auch hinsichtlich der Gesetzgebungsaufgabe. Daher ist die Rechtsetzungsbefugnis der Räte nicht auf die Verordnungstätigkeit im Rahmen einer gesetzlichen Ermächtigung beschränkt, wie es kennzeichnend für die Bundesrepublik Deutschland und die Weimarer Republik ist1°, sondern steht subsidiär neben der der Volksvertretung. 7
Best: Die Deutsche Polizei, S. 54; Kluge, Krüger: Verfassung und Verwaltung,
s. 398.
a Vgl. Best, a .a.O., S. 43 .
9 Vgl. Hildebrand: Monokratie oder Polykr atie?, in: Bracher u . a. (Hrsg.): Nationalsozialistische Diktatur, S. 73 ff. 10 Vgl. Art. 80 Abs. 1 GG, Art. 70 Verf.NW; die WRV und die preußische Verfassung regelten die Rechtsetzungsbefugnis der Exekutive nicht, allgemein w urde jedoch eine
6. Der Verwaltungsaufbau
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Die gemeindliche Selbstverwaltung Gemeindliche Selbstverwaltung als eigenverantwortliche und selbständige Erledigung eines bestimmten Aufgabenkreises ohne weisungsgebundene Unterordnung unter die Staatszentrale hat unter Geltung des Führerprinzips bzw. des demokratischen Zentralismus keinen Platz. Am konsequentesten wurde sie in der DDR beseitigt, wo die Gemeindevertretungen bzw. Stadtverordnetenversammlungen die unterste Ebene der Staatsverwaltung bilden, also wie die höheren Ebenen der Staatsverwaltung auch in die zentralistische Befehlsstruktur eingegliedert sind. Damit gibt es keine Selbstverwaltung im Rechtssinne mehr. Im Dritten Reich wurde sie zwar aufrechterhalten, jedoch wurde eine vage, beliebig ausdehnbare und gerichtlich unüberprüfbare Eingriffsklausel für die aufsichtsführende Staatsverwaltung geschaffen, mit der zumindest verhindernd jede unliebsame gemeindliche Tätigkeit unterbunden werden konnte. Vom Ansatz her stand jedoch die vom Prinzip her gewährte gemeindliche Selbstverwaltung in einem bemerkenswerten Gegensatz zum Führerprinzip. Zwar war die reale Macht der Gemeinde zu staatsunabhängiger Tätigkeit gebrochen, aber die DGO wies nicht die rechtsgedankliche Radikalität auf, die aus einem konsequent verwirklichten Führerprinzip erwachsen wäre und die in der DDR verwirklicht wurde. Dies wurde erst anläßlich des Krieges durch die Einreihung der Gemeindeverwaltungen in die staatliche Verwaltungshierarchie erreicht. Die DDR zeigte sich im Rechtsgedanklichen des Verwaltungsaufbaus als das konsequentere totalitäre Regime, davon unabhängig sichern aber beide Systeme rechtstechnisch die unumschränkte Macht der Zentrale. - Aspekte der Demokratie und Kollegalität im Verwaltungsaufbau Die Unterschiedlichkeit der beiden Organisationsprinzipien Führerprinzip und demokratischer Zentralismus in der Frage der demokratischen Kreation der Organe und der Kollektivität der Führung schlägt sich zum größten Teil deutlich im Verwaltungsaufbau nieder. In der DDR werden die Hauptvollzugsorgane, also die Räte, auf allen Ebenen von den entsprechenden Volksvertretungen, deren Organe sie ja sind, gewählt. Im Dritten Reich wurden alle Positionen von oben besetzt, also etwa die Landesregierungen durch den Führer, die Bürgermeister und Beigeordneten durch den Reichsminister des Innern, die Reichsstatthalter oder die nachgeordneten Aufsichtsbehörden. Die Mitwirkung einer kollegiumsähnlichen Institution reduzierte sich auf ein Anhörungsrecht der Gemeinderäte zu den beabsichtigten Ernennungsgesetzliche Ermächtigung verlangt, vgl. Anschütz: Verfassung, Art. 77 Anm. 2, und Meißner: Das Staatsrecht des Reichs und der Länder , S. 141, 161. 15 Schneider
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vorschlägendes Beauftragten des NSDAP. Das war machtpolitisch bedeutungslos. Jedoch zeigt sich, daß auch hier - ähnlich wie im betrieblichen Bereich bei den Vertrauensräten- die lupenreine Radikallösung des ersatzlosen Wegfalls jedweder "Repräsentation" vermieden wurde. Hinsichtlich der Regierungen auf Reichs- und Landesebene, die in der Weimarer Zeit im allgemeinen den Charakter von Kollegialorganen mit mehr oder weniger ausgeprägter Dominanz des Vorsitzenden hatten, wurden ausdrückliche Regelungen nicht getroffen. Für das eigentliche Machtorgan Reichsregierung war man sich aber einig, daß es sich nicht mehr um ein Kollegialorgan, sondern um einen Führerrat handele, in dem ausschließlich der Führer entschiedll. Die organisationsrechtliche Stellung der Landesregierungen als kollegiale oder monokratische Behörden, die dem Namen nach weiterexistierten und in Wirklichkeit nachgeordnete Behörden des Reichs waren12 , blieb unklar, alleine schon deshalb, weil die Situation in den Ländern stark voneinander abwich13: Es gab Regierungen mit und ohne Ministerpräsidenten, solche mit nur einem Ministerium, das in verschiedene Abteilungen gegliedert war, die den Ministerien anderer Länder entsprachen, es gab reichsstatthaltergeführte Regierungen mit mehreren Ministerien und solche, die nur aus dem Reichsstatthalter bestanden, dessen Abteilungen die verschiedenen Verwaltungsbereiche abdeckten. Der Verwaltungsaufbau blieb also traditionell geprägt und war von Zufälligkeiten abhängig. In der DDR sind die Räte der Volksvertretungen Kollegialorgane, soweit sie beschließend tätig werden. In der administrativen Tätigkeit hingegen kommt der Grundsatz der Einzelleitung zum Tragen, so daß jedes Ratsmitglied seinem Fachorgan vorsteht und seinerseits dem Vorsitzenden des Rates weisungsgebunden unterstellt ist. Hier liegt also eine klar gegliederte hierarchische Struktur nach dem Prinzip der Einzelleitung vor. Während im Dritten Reich die Einzelführung als Ausgangspunkt nur unwesentlich von kollektiven Elementen begleitet war, wir d in der DDR dem Prinzip der Kollektivität der Führung das Prinzip der Einzelleitung in der Administration zur Seite gestellt. 7. Der gerichtliche Rechtsschutz im Staatsdienstverhältnis Die Entwicklung des gerichtlichen Verwaltungsrechtsschutzes Das Recht räumt der Verwaltung Macht ein und begrenzt diese zugleich. Die rechtliche Machtbegrenzung hängt deshalb in erster Linie von dem n Kluge, Krüger: Verfassung und Verwaltung, S . 143; Huber: Verfassungsrecht, S. 227 ; Taschen-Brockhaus, S. 85 (Stichwort: Deutsches Reich). 12 Kluge, Krüger, a.a.O., S. 289. 13 Vgl. die Auflistung ebda., S. 289 f.
7. Der gerichtliche Rechtsschutz im Staatsdienstverhältnis
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Machtspielraum ab, den das materielle Recht einräumt. Von großer Bedeutung für die reale Machtfülle ist jedoch auch der Umfang der Rechtskontrolle. Das traditionelle Mittel der Rechtskontrolle, das sich im Übergang vom aufgeklärten Absolutismus zum konstitutionellen Rechtsstaat entwikkelte, ist die Rechtsprechung durch unabhängige Gerichte. Die Verwaltungstätigkeit wurde allerdings erst spät dieser Kontrolle unterworfen. Die hoheitliche Tätigkeit - außerhalb der Strafverfolgung- wurde in Deutschland auch im konstitutionellen Rechtsstaat nicht grundsätzlich von der gerichtlichen Kontrolle erfaßt, allerdings gab es hier von Bundesstaat zu Bundesstaat erhebliche Unterschiede. Diese Tradition prägte die Rechtslage in der Weimarer Republik, die ebenfalls noch keinen umfassenden gerichtlichen Schutz im öffentlichen Recht kannte, zu dem namentlich auch das Beamtenrecht gehört. In der Bundesrepublik Deutschland wurde in konsequenter Weiterentwicklung des Rechtsstaatsgedankens die gesamte öffentliche Gewalt der gerichtlichen Rechtmäßigkeitskontrolle unterworfen. Das Dritte Reich verblieb in der Tradition der Weimarer Republik, ohne den Rechtsschutz weiterzuentwickeln. Die grundsätzliche Frage nach dem Sinn von Verwaltungsgerichten wurde zwar kontrovers diskutiert, aber letztlich durch Beibehaltung des bisherigen Systems entschieden1 . Es fand also in Fällen, in denen das jeweilige Landesrecht den Rechtsweg eröffnete, Verwaltungsrechtsschutz durch Gerichte statt. Die Errichtung des RVerwG erfolgte sogar im Dritten Reich. Sobald allerdings die gerichtliche Kontrolle machtpolitische Dimensionen erhielt, wurde der Rechtsweg verschlossen. So war etwa in Preußen traditionell der Verwaltungsrechtsweg gegen Akte der Polizei eröffnet. Als das nationalsozialistische Regime die politische Polizei zur Geheimen Staatspolizei ausformte, wurde der Rechtsweg gegen Akte der Gestapo ausgeschlossen2 • Die DDR brach dagegen vollständig mit der Tradition. Geschaffen wurde ein einheitliches Gerichtssystem (Kreis-, Bezirks- und Oberstes Gericht) für Zivil- und Strafrecht, daneben existieren noch die Beschwerdekommissionen des FDGB für die Entscheidung von Sozialversicherungsstreitigkeiten, die Staatliche Vertragsgerichtsbarkeit für die Entscheidung in Streitigkeiten zwischen Betrieben und die Militärgerichtsbarkeit auf Kreis- und Bezirksebene, die auf Republikebene durch das Oberste Gericht ausgeübt wird. Die Entscheidung von allgemeinen Streitigkeiten auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, insbesondere des Verwaltungsrechts, liegt nicht in der Zuständigkeit von Gerichten. Wenngleich der Gedanke des Verwaltungsrechtsschutzes im Dritten Reich Anfechtungen ausgesetzt war und- im Gegensatz zur Lage in der Weimarer 1 Vgl. Laforet: Deutsches Verwaltungsrecht, S . 260 f .; eher kritisch gegenüber der Verwaltungsgerichtsbarkeit z. B. Koellreutter: Grundriß der Allgemeinen Staatslehre, S. 252 ff. 2 § 7 des Gesetzes über die Geheime Staatspolizei vom 10.02.1936 (GS S . 21).
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4. Kap.: Vergleich
Republik - nicht im Sinne einer Erweiterung problematisiert und schließlich im Kriege fast vollständig beseitigt wurde, so erweist sich doch die DDR als entschlossener und radikaler in der Nichtgewährung des Rechtsweges als das Dritte Reich, während die Bundesrepublik umgekehrt den radikalsten Weg des vollständigen Rechtsschutzes gegangen ist. - Der gerichtliche Rechtsschutz gegen Disziplinarmaßnahmen Trotz dieser Systemunterschiede besteht aber ein gerichtlicher Rechtsschutz gegen Disziplinarmaßnahmen im Staatsdienstverhältnis in allen Systemen. Historisch ist das wohl aus der Nähe zum Strafrecht zu erklären, das prozessual schon frühzeitig den unabhängigen Richter kannte. Im ALR wurde das Beamtendisziplinarrecht noch zusammen mit dem Strafrecht geregelt. Auch in der DDR ist das Rechtsschutzsystem in Arbeitsrechtssachen, zu denen das Recht des Staatsdienstes gehört, gut ausgebaut. Das in allen Systemen verfolgte Prinzip des Rechtsschutzes gegen Disziplinarmaßnahmen im Staatsdienstverhältnis wird im Dritten Reich und der DDR aber wieder eingeschränkt. Dabei bedienen sich die beiden Rechtsordnungen unterschiedlicher Rechtstechniken: Das Dritte Reich beließ es beim umfassenden Rechtsschutz im Arbeitsrecht und beim weitgehenden Rechtsschutz im Beamtendienststrafrecht, schuf aber einen Eingriffstatbestand zur Zwangspensionierung bzw. Entlassung, der offen als ein rein politischen Erwägungen unterliegendes Mittel ausgewiesen war. Die Machteinbuße der Staatsführung, die die gerichtliche Überprüfung im Beamten- und Arbeitsrecht darstellte, wurde gemildert, indem der Führung vorbehalten wurde, den einzelnen Staatsbediensteten unanfechtbar aus dem Dienst zu entfernen. Die DDR verallgemeinerte demgegenüber die Fallgruppen, in denen der Führung die Entscheidung ohne Gerichtsüberprüfung vorbehalten bleiben sollte. So wird im Sicherheitsbereich überhaupt kein gerichtlicher Rechtsschutz gewährt, im allgemeinen Staatsdienst nicht für leitende Mitarbeiter, nämlich für alle berufenen und gewählten Kader. Damit kann schon nicht mehr wie noch für das Dritte Reich von einem durchgängigen Prinzip der Rechtsschutzgewährung, wenn auch unter dem Vorbehalt des Politischen, gesprochen werden. In der Weimarer Republik und der Bundesrepublik Deutschland gab und gibt es derartige Beschneidungen des Rechtsweges natürlich nicht. Dem Bedürfnis der politischen Führung, mit den höchsten Beamten in fortdauernder Übereinstimmung in den grundsätzlichen politischen Ansichten und Zielen zu stehen, wurde und wird mit dem Institut des politischen Beamten entsprochen, der nach materiellem Recht jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden kann. Dererfaßte Bereich ist weitaus kleiner als der der gewählten und berufenen Mitarbeiter in den Staatsorganen der DDR3.
7. Der gerichtliche Rechtsschutz im Staatsdienstverhältnis
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Die Unabhängigkeit des Richters Der Ausschluß des Rechtswegs im Dritten Reich und der DDR zeigt, daß die überprüfende Tätigkeit der Gerichte als Hemmnis für die Staatsführung empfunden wird. Im Dritten Reich galt der Grundsatz, daß politische Entscheidungen nicht Gegenstand rechtlicher Überprüfung sein konnten. In der DDR gilt dies entsprechend. Der eigentliche Grund für das im Ausschluß des Rechtswegs dokumentierte Mißtrauen in die Institution Gericht liegt aber nicht so sehr in dem Verständnis von der Funktion des Rechts, sondern in der Stellung des Richters. Bei aller Unterschiedlichkeit der Gerichtsverfassung ist nämlich das systemübergreifende Bekenntnis festzustellen, daß der Richter in der Beurteilung des Einzelfalls Weisungen nicht unterliegt. Der Grund für diese Übereinstimmung dürfte nicht in der gemeinsamen Wertschätzung der sachlichen Unabhängigkeit mit ihrer gewaltenteilenden Wirkung liegen, sondern in der Tatsache, daß sich eine anerkannte Kulturerscheinung des Richters herausgebildet h at, zu dem als Wesensmerkmal jedenfalls die sachliche Unabhängigkeit im Einzelfall gehört. Der an staatliche Weisungen im Einzelfall gebundene Rechtsentscheiderist kein Richter. Diese Rechtstradition und nicht sachliche Gründe dürfte die Ursache für die übersystemare Übereinstimmung sein. Denn von der Ideologie her ist der unabhängige Richter in den beiden Systemen ein Fremdkörper. Die Gewaltenkonzentration verlangt eine ungeteilte, einheitliche Staatsmacht, Weisungsfreiheit des Richters bedeutet aber Verselbständigung der rechtsprechenden Staatsgewalt. Führerprinzip und demokratischer Zentralismus verlangen strikte Unterordnung unter die zentrale Staatsmacht, Weisungsfreiheit bedeutet deren Gegenteil. Sozialistische Parteilichkeit bzw. völkisches Denken und Handeln verlangen, das vom Führer bzw. der Partei angestrebte politische Ziel in der Rechtsanwendung zu fördern, die Weisungsfreiheit des Richters gestattet es ihm, seine Meinung von der richtigen Auslegung der Norm auch in Kollision mit der politischen Zielrichtung zu vertreten. Alle diese Überlegungen sprechen vom Standpunkt der totalitären Ideologie gegen die Unabhängigkeit des Richters. Ein Indiz für die Systemwidrigkeit der Unabhängigkeit des Richters ist die Tatsache, daß weder im Dritten Reich noch in der DDR im Sinne der Ideologie schlüssige Argumente für die sachlich Unabhängigkeit des Richters vorgebracht werden, obwohl in der DDR dieses Prinzip sogar Verfassungsrang hat. Entweder wird die Rechtslage ohne sachliche Begründung 3 So sind etwa alle Mitglieder der örtlichen Räte, also auch auf Gemeindeebene, erfaßt. Die Leiter der Fachorgane der örtlichen Räte und die Leiter und anderen leitenden Mitarbeiter der den örtlichen Räten unterstellten Kombinate, Betriebe und Einrichtungen werden berufen (§§ 11 Abs. 1 S . 3, 12 Abs. 2 GöV 1985), vgl. die Beispiele bei Bönninger: Der sozialistische Staatsdienst, S . 15 ff.
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4. Kap.: Vergleich
wiedergegeben\ oder die Weisungsfreiheit wird nur als traditionelles Wesensmerkmal des Richters genannt5 . Eine inhaltlich tragende Begründung, wie sie etwa für das Verfassungssystem der Weimarer Republik und der Bundesrepublik Deutschland gegeben wird, findet sich nicht. Im Gegenteil: Die Unabhängigkeit des Richters wird im Dritten Reich und der DDR regelmäßig einengend und in Abgrenzung zur "liberalistischen" bzw. "bürgerlichen" Unabhängigkeit erörtert. Es werden genau die Argumente, die für eine Beseitigung der Unabhängigkeit sprechen, zur Präzisierung der Unabhängigkeit des nationalsozialistischen bzw. sozialistischen Richters angeführt. So wird betont, daß der Richter an den im Gesetz ausgedrückten Führer- bzw. Klassenwillen gebunden ist, er also im Gegensatz zum "liberalistischen" bzw. "bürgerlichen" Staat nicht das Gesetz als etwas Verselbständigtes ansehen darf, das in Gegensatz zum konkreten politischen Willen der Führung treten kann. Besonders hervorgehoben wird die Bedeutung der Weltanschauung für die Tätigkeit des Richters. Er hat bei der Rechtsfindung die völkischen Werte und Ziele bzw. die sozialistische Moral und die durch die wissenschaftliche Weltanschauung aufgedeckten gesellschaftlichen Notwendigkeiten zugrunde zu legen. Neutralität, Unparteilichkeit, strenge juristische Sachbezogenheit werden als liberalistische bzw. bürgerliche Erscheinung scharf mißbilligt. Für die juristische Methodenlehre bedeutet dies freiere Auslegung, vor allem Lösung vom Wortlaut. Andererseits ist diese Erweiterung des Interpretationsspielraums des nicht weisungsgebundenen Richters von der ständigen Sorge begleitet, er könnte sich über den Führer- bzw. Klassenwillen hinwegsetzen. Daher wird klargestellt, daß die Interpretation beim unmißverständlich formulierten politischen Willen aufhört. Im Grunde laufen die einschränkenden Kommentierungen der Unabhängigkeit des Richters darauf hinaus, der Richter solle so entscheiden, wie der Führer bzw. die Partei es tun würden. Für den Leser drängt sich die Frage geradezu auf, warum nicht gleich ein Einzelweisungsrecht der Führung eingeräumt wird. - Die Funktion des Rechtsschutzes Neben dem veränderten Bild vom Richter wird die Funktion des gerichtlichen Rechtsschutzes im Dritten Reich und der DDR jedenfalls zum Teil anders aufgefaßt als in einem freiheitlichen rechtsstaatliehen System. Während hier der individuelle Rechtsschutzanspruch im Vordergrund steht, d. h. 4 So in der DDR, vgl. Sorgenicht (Hrsg.): Verfassung der DDR, Art. 96 Anm. 1; Grundlagen der Rechtspflege, S. 62 f. ; Herrmann, Schüsseler, in: NJ 1963, 129 ff. 5 So im Dritten Reich, vgl. Huber: Verfassungsrecht, S. 279; Freisler: Volksrichter (Richter und Recht im Dritten Reich), in: Volkmar u. a. (Hrsg.): Die Rechtsentwicklung der Jahre 1933 bis 1935/36, S. 807 ff.
7. Der gerichtliche Rechtsschutz im Staatsdienstverhältnis
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das Interesse des einzelnen an der Rechtmäßigkeitsüberprüfung, wird der Sinn des Rechtsschutzes im nationalsozialistischen und sozialistischen Staat mehr in der einheitlichen und strikten Durchsetzung des im Gesetz niedergelegten Führer- bzw. Klassenwillens gesehen, der Rechtsschutz hat also eine überindividuelle, im Interesse des Staates liegende Funktion. Dieser theoretische Standpunkt ist in der nationalsozialistischen Rechtswissenschaft mit seiner besonders scharfen antiindividualistischen Grundhaltung am deutlichsten herausgearbeitet worden 6• In der DDR steht zwar auch das gesamtgesellschaftliche Interesse im Vordergrund, jedoch wird jedenfalls auch das individuelle Interesse anerkannt. Es ist nur eingebettet in das gesellschaftliche Interesse, Rechtsschutz für den einzelnen wird nur gewährt, solange und soweit es im gesellschaftlichen Interesse liegt. - Die rechtstechnische Ausgestaltung der Gerichtsverfassung Die ähnlichen Grundauffassungen über den gerichtlichen Rechtsschutz und über den Richter haben im Dritten Reich und der DDR aber zu unterschiedlichen technischen Ausgestaltungen des Gerichtsverfassungsrechts geführt. Die DDR erweist sich als der konsequentere und radikalere Gesetzgeber, während das Dritte Reich den radikalen Traditionsbruch vermied. Die Gerichtsverfassung wurde im Dritten Reich- abgesehen von kriegsbedingten Änderungen- nur am Rande geändert. In einzelnen Gerichten, so in den Dienststrafgerichten, wurde die persönliche Unabhängigkeit durch Verknüpfung von Amtsstellung und fortbestehender Parteimitgliedschaft eingeengt. Allgemein bestand die Tendenz, politisch bedeutsame Fälle vor besondere Gerichte mit zuverlässigerem Richterpersonal zu bringen (Volksgerichtshof, Sondergerichte). Der Beeinflussung der Zusammensetzung der jeweiligen Spruchkörper wurde Tür und Tor geöffnet durch die Verlagerung der Entscheidung über die Geschäftsverteilung auf den Leiter des Gerichts und die Erleichterung, den Verteilungsplan zu ändern. Die Richter standen wie alle Beamten unter der Drohung der Zwangspensionierung aus politischen Gründen nach § 71 DBG. Aber auch hier wurde der Form nach die Unabhängigkeit des Richters dadurch gewahrt, daß eine Zwangspensionierung nicht mit dem Inhalt eines Urteils begründet werden durfte, eine Schranke, die angesichts der Unanfechtbarkeit der Führerentscheidung und der einengenden Interpretation dieses Richterprivilegs 7 machtpolitisch kein 6 Huber: Verfassungsrecht, S. 278; für die Verwaltungsgerichtsbarkeit zwar zurückhaltend, aber in der Tendenz ebenso Laforet: Deutsches Verwaltungsrecht, S'. 261 rn.w.N.; für die Zivilgerichtsbarkeit unter Zurückweisung der Theorie vorn Rechtsschutzanspruch als subjektivem öffentlichen Recht Schönke: Zivilprozeßrecht, s. 3 f. 7 Nach Auffassung des Führers sollte auch eine gerichtliche Entscheidung zum Anlaß einer Zwangspensionierung genommen werden dürfen, wenn unsachliche, zur Begründung der gefällten Entscheidung nicht erforderliche Ausführungen gemacht,
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4. Kap.: Vergleich
wirkliches Hindernis darstellte. All dies waren aber nur unsystematische Randoperationen ohne klares Konzept. Die Kernbestandteile der Unabhängigkeit, nämlich Weisungsfreiheit, Unabsetzbarkeit, Unversetzbarkeit, wurden nicht systematisch durch die Gesetzgebung angegriffens. DieLenkung der Rechtsprechung erfolgte außerhalb des Gesetzes durch Tagungen, Einzelfallbesprechungen, Richterbriefe und Erlasse, und zwar nicht zur Zufriedenheit des Regimes9. Demgegenüber läßt die Gerichtsverfassung der DDR schon deutlicher die Steuerung der Rechtsprechung durch die politische Führung erkennen. Die persönliche Unabhängigkeit wurde durch die Einführung der periodischen Wahl und der Möglichkeit der Abwahl beseitigt. Der Leiter des Gerichts besitzt den entscheidenden Einfluß auf die Besetzung der Spruchkörper. Die übergeordneten Gerichte können jeden Fall an sich ziehen. Das oberste Gericht, dem die Lenkung der Rechtsprechung obliegt und das dazu mit entsprechenden Kompetenzen versehen ist, ist einem politischen Organ, der Volkskammer bzw. dem Staatsrat verantwortlich und rechenschaftspflichtig. Bemerkenswert ist, daß der entscheidende Schlag gegen die persönliche Unabhängigkeit, nämlich die Wahl und Abwahl der Richter, im Namen der Volkssouveränität geführt wird. Die Konzeption der Gewalteneinheit wird dadurch im Vergleich zum Dritten Reich konsequenter verwirklicht, der Gegensatz zum Gerichtsverfassungsrecht der Weimarer Republik und der Bundesrepublik Deutschland ist in diesem Punkt am klarsten. Die verstärkte Ausrichtung der Rechtspflege an staatlichen bzw. gesellschaftlichen Interessen schlägt sich im Dritten Reich und der DDR in einer weitgehenden Mitwirkungsbefugnis der Staatsanwaltschaft auch im Zivilund Arbeitsrechtsprozeß nieder10 . Zusammenfassend zeigt der Vergleich des verletzende Ausdrücke gebraucht oder neben der Sache liegende Umstände in die Entscheidungsgründe einbezogen würden, vgl. das Schreiben des Chefs der Reichskanzlei vom 12.07.1938, abgedruckt bei Echterhölter: Das öffentliche Recht, S. 33 f.; selbst diese immerhin das Gesetz zu respektieren vorgebende Interpretation wurde in der Literatur übertroffen, wenn aus der staatsrechtlichen Stellung des Führers dessen Recht gefolgert wurde, er können unabhängig von§ 71 DBG "auch in anderen Formen seinen, an den Richter erteilten Auftrag zurücknehmen oder anderweit erteilen", so Best: Wesen und verfassungsrechtliche Stellung des Richters, in: DR 1939, 1227. a Das bezieht sich natürlich nur auf die Rechtslage vor dem Reichstagsbeschluß vom 26.04.1942 (RGBL I S. 247), der die Führerwillkür auch in der Gerichtsverfassung anerkannte. 9 Vgl. Boberach (Hrsg.): Meldungen aus dem Reich, S. 402 ff., 464 ff.; den für die Führung unbefriedigenden Zustand der Gerichtsverfassung beweist der Erlaß des Führers über besondere Vollmachten des Reichsministers der Justiz vom 20.08.1942 (RGBL I S. 535), der den Justizminister beauftragte, nach Richtlinien und Weisungen des Führers und auch unter Abweichung vom bestehenden Recht "eine nationalsozialistische Rechtspflege aufzubauen und alle dafür erforderlichen Maßnahmen zu treffen" . 1° Vgl. das Gesetz über die Mitwirkung des Staatsanwalts in bürgerlichen Rechtssachen vom 15.07.1941 (RGBL I S. 383) und die Darstellung bei Schänke: Zivilprozeßrecht, 2. Aufl., S. 75 f.; für die DDR vgl. Grundlagen der Rechtspflege, S. 144 f.
8. Partei und Verwaltung
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gerichtlichen Rechtsschutzes, daß die Auffassungen im Dritten Reich und der DDR inhaltlich ähnlich, zum Teil identisch sind. Die Umsetzung der Rechtsgedanken durch die Rechtstechnik ist allerdings unterschiedlich verlaufen, wobei sich die DDR als der konsequentere Gesetzgeber erweist. 8. Partei und Verwaltung
Der staatstragende Charakter der Monopolpartei Das Verhältnis der Verwaltung zur Monopolpartei im Dritten Reich und der DDR ist geprägt vom besonderen Charakter von NDSAP und SED, die sich als vor- und außerstaatliche Organisationen verstehen, die ihre Legitimation im Kampf gegen den "liberalistischen" bzw. "bürgerlichen" Staat erworben haben1 . Die Zerstörung des alten Staates und die Errichtung des neuen nationalsozialistischen bzw. sozialistischen Staates gibt der Partei eine Vorrangstellung, beide sind die jeweils staatstragende Partei, die mit ihrer Weltanschauung die ideologische Ausrichtung und allgemein den Charakter des neuen Staates bestimmt. Im Kommunismus gibt es über das Verhältnis von Partei und Staat klare ideologische Aussagen2 • Die Partei der Arbeiterklasse bestimmt mit ihrer Politik die gesellschaftliche Entwicklung und benutzt dazu den Staat als Hauptmachtinstrument Daraus ergibt sich die vollständige Unterordnung des Staates unter die Partei. Die Unterordnung beschränkt sich nicht etwa auf die Verbindlichkeit der von der Partei formulierten Weltanschauung für den Staat, die Dominanz ist nicht nur geistig, sondern sie umfaßt die Steuerung des gesamten Verhaltens des Staates. Demgegenüber hat der Nationalsozialismus keine klare Definition des Verhältnisses von Staat und Partei gefunden, was- wie oben bei der Erörterung der ideologischen Bindung des Staatsbediensteten erwähnt - den Eindruck eines Kondominiums von Partei und Staat entstehen läßt. Es lassen sich - je nach Standort des Verfassers und Zeitpunkt der Äußerung - Auffassungen feststellen, die eine Bandbreite aufweisen von der Zuerkennung einer Letztentscheidungskompetenz in allen Volk und Staat betreffenden Fragen bis zur bloßen Anerkennung einer Inspirationsfunktion. Einig war man sich zwar, daß die Partei selbständig neben dem Staat stand, eine ähnliche Dominanz, wie sie kommunistische Parteien über den Staat beanspruchen, ist jedoch in der nationalsozialistischen Literatur nicht durchgängig, ja nicht einmal überwiegend vertreten worden. Trotz dieser Unterschiede ist jedoch die Ähnlichkeit von NSDAP und SED im Vergleich zu Parteien in 1 Beide Parteien verstehen sich als revolutionäre Parteien, wobei für die SED die Kampfphase durch die KPD und ihre Vorläufer vertreten wird. 2 Vgl. statt vieler Kleines politisches Wörterbuch, S. 900 ff. (Stichwort: Staat); Wissenschaftlicher Kommunismus, S. 283 ff.
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4. Kap.: Vergleich
freiheitlichen demokratischen Rechtsordnungen unübersehbar: Hier sind Parteien höchstens als Organe der Willensbildung des Volkes im demokratischen Prozeß in die Verfassungsordnung integriert, können aber rechtlich weder eine außerstaatliche, noch gar eine staatsübergeordnete Stellung beanspruchen. Die demokratische Offenheit bedeutet Parteienvielfalt und rechtliche Gleichheit der in Konkurrenz zueinander stehenden Parteienziele, während die Festgelegtheit totalitärer Systeme notwendig ein Konkurrenzverbot und damit ein Parteimonopol erfordert. - Die rechtliche Ausgestaltung der Parteistellung Die Klarheit der ideologischen Aussagen zum Verhältnis von Partei und Staat steht im umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Detailliertheit der in den Rechtsvorschriften eingeräumten Kompetenzen der Partei im Bereich der Staatsverwaltung. Die DDR-Rechtsordnung weist der SED keine klaren, abgegrenzten Aufgaben zu. Üblich ist der Verweis auf die führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei, also die Übernahme eines ideologischen Terminus, der die totale Unterordnung aller gesellschaftlichen Erscheinungen und damit auch des Staates beinhaltet. Für die Verwaltung bedeutet dies die vorrangige rechtliche Bindung an "die Beschlüsse der Partei der Arbeiterklasse", ohne daß eine inhaltliche Begrenzung festzustellen ist. Eine rechtliche Verstärkung der Bindung an die Partei läßt sich im Sicherheitsbereich konstatieren, wo die treue Ergebenheit zur SED ausdrücklich zur Dienstpflicht gemacht wurde. Die konkretere Aufgabenzuweisung der Anleitung und Kontrolle wird im Parteirecht geregelt, was die rechtliche Stellung der Partei gegenüber dem Staat besonders deutlich macht: Sie nimmt nicht staatlich verliehene Kompetenz wahr, sondern bestimmt aus eigener Machtvollkommenheit, welche konkreten Aufgaben sie wahrnehmen will. Demgegenüber bleibt die rechtliche Regelung im Dritten Reich im Grundsätzlichen schwammig und ansonsten detailorientiert. Die Formulierung im Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat, daß die NSDAP Trägerin des deutschen Staatsgedankens und mit dem Staat unlöslich verbunden sei, besagt nichts Bestimmtes. Die konkreten Vorschriften räumten der Partei näher bezeichnete Kompetenzen, vor allem Mitwirkungsrechte, ein, stellten aber in anderen Bereichen, namentlich beim Gehorsam und bei der Amtsverschwiegenheit, den Vorrang des Staates vor der Partei klar. Der Staatsbedienstete stand zwar in einer Loyalitätspflicht zur Partei und zu ihrer Weltanschauung, er hatte sich aktiv für sie und ihre Ziele einzusetzen, aber höchste Loyalität schuldete er dem Staat, wobei der Widerspruch zum Totalitätsanspruch der Partei mit dem Argument aufgehoben wurde, daß der Staat selbst nationalsozialistisch und der Führer der Partei auch Führer
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des Staates sei. Ein Konflikt zwischen Partei und Staat wurde in den Gesetzen als möglich angesehen, im allgemeinen aber nicht gelöst3. Vielmehr sahen sie die Verlagerung des Konflikts nach oben bis letztlich zur obersten Reichsbehörde und zum Führer vor. Die vielerörterte Richterstellung des Führers über das polykratische Machtsystem schlug sich z. B. in solchen das Verhältnis von Staat und Partei betreffenden Vorschriften inhaltlich nieder. Die Unbestimmtheit der Kompetenz der SED im DDR-Recht bedeutet Allzuständigkeit und unbeschränkte Befehlsbefugnis. Der Zweck der Spärlichkeit der Regelungen liegt wohl vor allem darin, der Partei durch rechtliche Regelungen nicht ungewollt auch rechtliche Fesseln in ihrer Führungsstellung anzulegen. Demgegenüber bedeutet die Vagheit der allgemeinen Vorschrift über die Rechtsstellung der Partei im Recht des Dritten Reichs, daß die genaue Kompetenzverteilung zwischen Staat und Partei nicht feststand, sondern dem freien Spiel der Kräfte unterlag. Derjenige, dem durch die Nichtregelung mehr Spielraum eingeräumt wurde, war Hitler, der als Führer beider Seiten im Kompetenzkonflikt die unanfechtbare Letztentscheidung treffen konnte. - Die Aufgaben der Partei in der Staatsverwaltung Trotz der sehr unterschiedlichen Rechtsstellung von NSDAP und SED sind die von ihnen in der Staatsverwaltung nach einhelliger Auffassung wahrzunehmenden Aufgabenbereiche recht ähnlich. Übereinstimmend haben sie in erster Linie als Ersatz für die weggefallene demokratische Willensbildung im klassisch demokratischen Sinne der mehr technisch verstandenen Staatstätigkeit die politischen Ziele zu setzen. Im Gegensatz zur SED verfügte auch in diesem Bereich die NSDAP nicht über eine Weisungsgewalt gegenüber dem Staat. Aufgrund der undemokratischen Willensbildung in der NSDAP sollte sich die Inspiration des Staates durch die Personalunion führender Partei- und Staatsämter entfalten, an der Spitze natürlich durch die Identität des Staatsoberhaupts und Regierungschefs mit dem Führer der Bewegung. Die SED, deren politische Führungsfunktion durch ein Weisungsrecht gegenüber dem Staat abgesichert ist, bedarf einer solchen Personalunion nicht zwingend. Die politische Führungsaufgabe der NSDAP bedeutete deshalb auf höchster Ebene den Freibrief für die Staatsführung, ihre Politik nicht nur kraft Innehabung der Staatsmacht für verbindlich, sondern auch als ideologisch legitimiert zur erklären. Politische Führung durch die Partei bewirkte somit nur die Ergänzung der staatlichen Allmacht durch geistige Allmacht in einer Hand. Ob wirklich die Partei oder doch die 3 Die DGO allerdings löste einen Konflikt über die Besetzung von Bürgermeisterund Beigeordnetenstellen mit dem Beauftragen der NSDAP durch die Letztentscheidung der staatlichen Aufsichtsbehörde.
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Staatsspitze politisch führte, ist bei dieser Konstellation selbst theoretisch nicht zu entscheiden. Demgegenüber liegt in der DDR nicht nur eine theoretische, sondern eine tatsächliche politische Führung durch die Partei vor, die nur zum Teil und nicht notwendigerweise durch Personalunion von Partei- und Staatsämtern gestützt wird. Auch hier werden staatliche und geistige Allmacht vereint, aber nicht durch Konzentration in einer Hand, sondern durch Unterstellung der ersteren unter die letztere. Auf der unteren staatlichen Ebene entfiel im Dritten Reich mangels Personalunion zwischen Partei und Staat die durch jene gewährleistete Funktion der politischen Willensbildung. Die Tatsache, daß diese nicht nur nicht durch ein Weisungsrecht der Partei gegenüber dem Staat gesichert, sondern im Gegenteil der Vorrang der Staatshierarchie festgelegt wurde, läßt keinen Rückschluß zu, dem Staat werde staatsrechtlich ein Vorrang eingeräumt. Denn da nach dem Führerprinzip die Willensbildung von oben nach unten verläuft, ist die Letztentscheidungskompetenz der Staatsführung wegen der dort vorhandenen Personalunion am Ende auch eine Letztentscheidungskompetenz der Parteiführung. Ein und dieselbe Aufgabe der Partei, nämlich den Staat politisch zu führen, ist im Dritten Reich und der DDR damit sehr unterschiedlich umgesetzt worden. Das Verhältnis von Partei und Staat im Dritten Reich liegt in etwa zwischen den Polen des italienischen faschistischen Systems einerseits, das die Partei verstaatlichte, und dem kommunistischen System andererseits, das den Staat verparteilicht. Partei und Staat bildeten rechtlich ein Kondominium, in dem theoretisch der Partei die Führungsaufgabe zufiel, der Staat aber daneben als selbständiger, nicht von der Partei weisungsabhängiger Machtapparat bestand, wobei das in dieser Konstruktion enthaltene Kompetenzkonfliktpotential durch die Personalunion an der Spitze von Partei und Staat aufgehoben werden sollte. Neben der Aufgabe politischer Führung liegt das Schwergewicht der Tätigkeit von NSDAP und SED in der Staatsverwaltung im Personalbereich, nämlich in der Beeinflussung der staatlichen Personalpolitik und in der Erziehung der Beschäftigten. Auch hier findet sich der typische Unterschied in der rechtstechnischen Behandlung zwischen Drittem Reich und DDR, nämlich der Detailkompetenzzuweisung einerseits und der Globalzuweisung andererseits. Im Dritten Reich wurde der Partei nur eine näher ausgestaltete Mitsprache eingeräumt, die über ein bloßes Anhörungsrecht hinaus die Möglichkeit enthielt, eine Personalentscheidung (Einstellung, Beförderung) in der Verwaltungshierarchie höher zu treiben, ohne jedoch die Kraft eines Vetorechts zu haben. Das DDR-Recht beläßt es bei der allgemeinen Regelung der Verbindlichkeit der Beschlüsse der SED, diese faßt im Rahmen ihrer Kaderpolitik Beschlüsse, die sachliche Anforderungen für die
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Auswahl und Karriereplanung von Staats- und Verwaltungsfunktionären aufstellen. Neben der Steuerung durch verbindliche Beschlüsse übt die SED durch das Nomenklatursystem auch Einfluß auf die Einzelfallentscheidung aus. So stehen sich, was die Parteibeteiligung an staatlichen Personalentscheidungen betrifft, eine Mitsprache im Dritten Reich und die allgemeine Anweisung, verknüpft mit dem Recht der Einzelfallentscheidung, in der DDR gegenüber. Der weitere Schwerpunkt der Erziehung der Staatsbediensteten wird gesondert behandelt. 9. Die Mitwirkung der Beschäftigten in der Staatsverwaltung
Die Grundeinstellung zur Mitwirkung im Spannungsfeld von Interessenvertretung, Demokratie und Persönlichkeitsentwicklung Für die Gewährung von Mitwirkungsbefugnissen an die Beschäftigten in der Staatsverwaltung gibt es verschiedene Gründe. So kann es darum gehen, den Sachverstand der Beschäftigten in den Entscheidungsprozeß einzubringen. Die Berücksichtigung der Interessen der Mitarbeiter im Arbeitsprozeß kann durch Mitbestimmung beabsichtigt sein. Allgemeine Ziele wie die "Demokratisierung der Gesellschaft" 1 oder die Persönlichkeitsentfaltung können durch die Mitwirkung der Beschäftigten verfolgt werden. Die Mitwirkung der Beschäftigten im Dritten Reich und der DDR unterscheiden sich auf den ersten Blick im Ansatz sehr deutlich: In der DDR wird das Element der Interessenvertretung und der Demokratieverwirklichung besonders betont. Der FDGB als die Institution, die an erster Stelle zur Mitwirkung berufen ist, soll als umfassendste Klassenorganisation für die ökonomischen und sozialen Interessen der Mitglieder eintreten. Die Betriebsgewerkschaftsorganisation hat nach § 22 Abs. 1 AGB die Interessen der Werktätigen im Betrieb zu vertreten. Die gewerkschaftliche und sonstige Mitwirkung der Werktätigen wird als wesentlicher Bestandteil und Form der sozialistischen Demokratie, als Ergebnis der gesellschaftlichen Produktion und zugleich der Persönlichkeitsentwicklung angesehen2. t Dieser Aspekt ist in demokratischen Staaten nur vor dem Hintergrund der Mitwirkung in der Wirtschaft zu verstehen, da jene in der Staatsverwaltung eher eine Einschränkung der Verantwortlichkeit der demokratisch legitimierten Regierung bedeutet. Vgl. dazu die Entscheidungen VerfGH NW, DVBL 1986, 1196 und HessStGH, DVBL 1986, 936, die Gesetze, in denen für bestimmte Bereiche der mittelbaren Staatsverwaltung (Sparkassen) weitgehende Mitbestimmungsbefugnisse festgelegt wurden, für verfassungswidrig erklärten. Die Herausstellung der betrieblichen Mitwirkung als Form der Demokratie in der DDR zeigt, daß eine staatsrechtliche Demokratie nicht vorhanden ist. 2 Arbeitsrecht von Abis Z, S. 237 (Stichwort: Mitwirkungsformen).
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4. Kap.: Vergleich
Für die- weitaus weniger betonte und vom Umfang her geringere- Mitwirkung im Dritten Reich spielte der demokratische Gedanke keine Rolle. Allgemein spielte die Frage, ob das Dritte Reich eine Demokratie war, in der nationalsozialistischen Literatur keine wesentliche Rolle. Überwiegend wurde der Begriff "Demokratie" pejorativ im parlamentarischen Sinne verstanden als jüdisch inspiriertes System einer Schwätzervereinigung der Verantwortungslosigkeit zur Verschleierung der realen Herrschaft des internationalen Finanzjudentums3. Daneben nennen verschiedene autoritative Äußerungen als erstrebenswerte Staatsform die "wahrhaftige" bzw. "unmittelbare germanische Demokratie" mit der freien Wahl eines Führers, dem unbeschränkte Autorität zukommt4 • Gelegentlich wurde der Führerstaat als "autoritäre Demokratie"5 oder schlicht als "Führerdemokratie"6 bezeichnet. "Dieses auf Blut und Geist, Verbundenheit durch die Rasse und durch die Idee beruhende Führerturn ist weit entfernt von einer Diktatur." Diese sei durch Furcht und Haß, jene durch Vertrauen, Treue und Liebe des Volkes gekennzeichnet. "Dieses Führerturn ist demokratisch im ursprünglichen echten Sinne dieses Begriffs, nicht in dessen parlamentarischer, durch die Herrschaft der Zahl hervorgerufenen Verstümmelung. Denn der Führer verkörpert das Volk in seiner besten Substanz" 7 • Auch der Gedanke der Interessenvertretung war stark in den Hintergrund gedrängt. Die Vertrauensräte und die DAF grenzten sich scharf ab von den Betriebsräten und Gewerkschaften der Weimarer Republik, die als Klassenkampfeinrichtungen des liberalistischen Systems verdammt wurden. Die neuen Institutionen sollten nicht einseitige Interessenvertretung betreiben, sondern die Interessen der Volks- bzw. Betriebsgemeinschaft fördern. Soweit sie im Einzelfall für die Interessen der Gefolgschaft eintraten, geschah dies nur für "berechtigte", d. h. bereits am Maßstab des Gemeinnutzes gemessene und begründete Interessen. Die Funktion der Mitwirkung des Vertrauensrates lag zuerst in der Beratung des Entscheidungsträgers, wobei das Hauptaugenmerk auf der Förderung des gegenseitigen Vertrauens zwischen dem Führer des Betriebes und der Gefolgschaft lag. Unausgesprochen war wohl der politische Hauptzweck von Vertrauensrat und DAF, das Vertrauen der Arbeitnehmerschaft in die nationalsozialistische Führung nicht durch die ersatzlose Beseitigung von Arbeitnehmereinrichtungen zu verspielen. Die Entwicklung und Existenz freier Gewerkschaften hat auch für totalitäre Staaten noch so prägende Kraft, daß sie dorttrotzihrer funktionellen Über3 Vor allem bei Rosenberg, so etwa: Der Mythus des 20.Jahrhunderts, S. 102; Das Wesensgefüge des Nationalsozialismus, S. 11; Das Parteiprogramm, S. 30 f., 59 f. 4 So Hitler: Mein Kampf, S. 99 f.; Freisler: Nationalsozialistisches Recht und Rechtsdenken, S. 62. 5 Koellreutter: Grundriß der Allgemeinen Staatslehre, S. 163. 6 Schmidt u. a.: Philosophisches Wörterbuch, S. 91 (Stichwort: Demokratie). 7 Küchenhoff: Führergrundsatz, Führertum, in: Volkmar u. a. (Hrsg.): Die Rechtsentwicklung der Jahre 1933 bis 1935/ 36, S. 199.
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flüssigkeit nicht abgeschafft, sondern -wenn auch in ihrem Wesen völlig verändert - übernommen werden. Dies gilt auch für die Arbeitnehmereinrichtungen in kommunistischen Staaten. Der scheinbar große Unterschied zwischen der nationalsozialistischen und der kommunistischen Auffassung zur Mitwirkung der Beschäftigten schwindet fast vollständig, wenn man sich vom Wort löst und stattdessen Inhalte untersucht. Der nationalsozialistische Interessenbegriff differenziert zwischen dem Interesse der Gemeinschaft und den individuellen Interessen. Unbedingten Vorrang hat das Gemeinschaftsinteresses. Die kommunistische Auffassung deckt sich damit sachlich und weicht nur begrifflich ab 9 : Die richtig verstandenen Interessen des einzelnen fallen mit den gesellschaftlichen Interessen zusammen, es gibt keinen Gegensatz zwischen Individuum und Gesellschaft, objektive und subjektive Interessen bilden eine Einheit. Vermeintliche Sonderinteressen, die mit den gesellschaftlichen Erfordernissen nicht übereinstimmen, liegen objektiv nicht im Interesse des einzelnen, sondern sind ein subjektivistisches Produkt falschen Bewußtseins. Während also der Nationalsozialismus die Unterordnung unter das gemeinschaftliche Interesse fordert, erhebt der Kommunismus das gemeinschaftliche Interesse durch rabulistische Definition des Individualinteresses zum allein maßgebenden Interesse. Was das Gemeinschaftsinteresse bzw. das gesellschaftliche Interesse ist, entscheiden nicht die Betroffenen, sondern die allgemeinen Entscheidungsträger, also Partei und Staat. Ähnlich inhaltlich verändert ist auch der demokratische Aspekt und die Funktion der Persönlichkeitsentwicklung. Es geht nie um Selbstbestimmung der Mitwirkenden, sondern um eine unterstützende Mitwirkung zur Erreichung vorgegebener Ziele. Auch die kommunistische Ideologie verwirft die parlamentarische Demokratie als formale, fiktive bürgerliche Demokratie, die die reale Diktatur der kleinen Minderheit der Bourgeoisie über die ungeheure Mehrheit des Volkes verschleiere10 . Dem wird als wahre Demokratie die sozialistische Demokratie entgegengestellt, die durch die Herrschaft der von ihrer marxistischleninistischen Partei geführten Arbeiterklasse gekennzeichnet ist, wobei die Herrschaft gleichzeitig gegenüber der kleinen Minderheit der Feinde des Sozialismus Diktatur (des Proletariats) ist11 . Das Wesentliche der Demokra8 Entsprechend der zentralen Aussage in Punkt 24 des Parteiprogramms: "Gemeinnutz vor Eigennutz". 9 Vgl. Klaus, Buhr (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch, S. 582 f. (Stichwort: Interessen). 10 Kleines politisches Wörterbuch, S. 152 ff. (Stichwort: bürgerliche Demokratie); Dialektischer und historischer Materialismus, S. 327; Klaus, Buhr (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch, S. 256 (Stichwort: Demokratie). 11 Kleines politisches Wörterbuch, S. 858 (Stichwort: sozialistische Demokratie); Dialektischer und historischer Materialismus, S. 336; Klaus, Buhr (Hrsg.), a.a.O. s. 256 f.
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tie ist also nicht das verfassungsrechtliche Regelwerk, das die Bildung eines von der Mehrheit der Aktivbürgerschaft getragenen, inhaltlich nicht vorgegebenen Staatswillens sicherstellt, sondern die Herrschaft einer bestimmten Personengruppierung, nämlich der Partei der Arbeiterklasse, so wie nach nationalsozialistischer Auffassung eine wahre Demokratie durch die Herrschaft eines bestimmten Mannes, des völkischen Führers, gekennzeichnet ist. Darauf aufbauend wird fingiert, dies entspreche dem unverfälschten Volkswillen. Weil Demokratie also nicht freie Selbstbestimmung des Volkes, sondern Herrschaft der kommunistischen Partei bedeutet, kann auch die Mitwirkung der Beschäftigten als Merkmal sozialistischer Demokratie nicht freie Selbstbestimmung der Beschäftigten, sondern nur Mitwirkung an den von der Partei gesetzten Aufgaben bedeuten. Trotz der Benutzung gleicher Begriffe unterscheidet sich deshalb die Mitwirkung in der DDR grundsätzlich von der Mitwirkung in der Bundesrepublik Deutschland. Zwar geht diese auch nicht von einer antagonistischen Frontstellung zwischen Unternehmern und Belegschaft aus, vielmehr sollen Arbeitgeber und Betriebsrat zum Wohle der Arbeitnehmer und des Betriebes12 bzw. zum Wohle der Beschäftigten und zur Erfüllung der der Dienststelle obliegenden Aufgaben13 zusammenwirken. Kooperation statt Konfrontation ist daher auch in der Bundesrepublik auf betrieblicher Ebene im Gegensatz zur tariflichen Ebene- die Maxime 14 . Aber das Betriebsverfassungsrecht und das Personalvertretungsrecht gehen von vorgegebenen Interessengegensätzen aus und verlangen von den Beteiligten, jene durch eine die Interessen beider Seiten berücksichtigende Lösung auszugleichen, wobei die Vertretung der Arbeitnehmer im Rahmen der Gesetze autonom und nicht an eine vorgegebene Wirtschafts- und Sozialpolitik gebunden ist, die bereits den Interessenausgleich vorgenommen zu haben beansprucht. Während in der Bundesrepublik Deutschland also Mitwirkung selbstbestimmt ist, wird in der DDR Mitwirkung zur fremdbestimmten Vollzugshilfe. Inhaltlich sind die vorgegebenen Ziele im Dritten Reich und der DDR, die für sich in Anspruch nehmen, am Gemeininteresse orientiert zu sein und damit die legitimen Individualinteressen bereits in sich vereinigt zu haben, in erster Linie effizienzorientiert Besonders aus der Führerverordnung über Wesen und Ziele der DAF und der Aufzählung der Aufgaben der BGO in § 22 Abs. 2 AGB ergibt sich, daß die Hauptaufgabe der von der DAF bzw. der BGO getragenen Mitwirkung in der Sicherung und Förderung der Arbeitsleistung der Beschäftigten besteht. Sozialpolitische Verbesserungen 12 § 2 Abs. 1 BetrVG. 13 § 2 Abs. 1 BPersVG, ähnlich § 2 Abs. 1 1. Halbs. PersVG.NW.
14 Vgl. Buchner: Kooperation als Leitmaxime des Betriebsverfassungsrechts, in: DB 1974, 530 ff.
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sind erst in zweiter Linie als Ergebnis gesteigerter Arbeitsleistungen von diesen Organisationen anzustreben. Die staatliche Wirtschafts- und Sozialpolitik wird als eine Einheit angesehenls. Die soziale Stellung soll nicht von Verteilungskämpfen und der Marktmacht der beteiligten Gruppierungen abhängen, sondern sich auf Grund einer durch die Führung vorgenommenen Verteilung des Verteilbaren ergeben. Aus dieser Stellung der Sozialpolitik als Funktion der Wirtschaftspolitik ergibt sich die Betonung der Effizienzsteigerung, in die DAF und FDGB eingespannt sind. - Die gesetzliche Ausgestaltung Die Ausgestaltung der Mitwirkung läßt im Dritten Reich die Konzentration auf die Beratung erkennen, nur in einem Punkt, nämlich dem Recht des Vertrauensrates im gewerblichen Bereich, den Treuhänder gegen die Entscheidung des Führers des Betriebes zur Gestaltung der allgemeinen Arbeitsbedingungen anzurufen, geht die Kompetenz des Vertrauensrates über ein Beratungsrecht hinaus. Im öffentlichen Dienst, in dem dieses Anrufungsrecht nicht gewährt wurde, ist das Führerprinzip und damit auch der Ausschluß jeglicher Mitwirkung durch Mitbestimmung konsequent durchgesetzt worden. Auch der DAF wurden keine Mitbestimmungsrechte eingeräumt, ihre Rechte beschränkten sich auf die Beeinflussung der personellen Besetzung der Arbeitsgerichtsbehörden, der sozialen Ehrengerichte und der Sachverständigenbeiräte durch Vorschlagslisten und die Mitarbeit in verschiedenen beratenden Gremien, die zusammenfassend euphemistisch als Soziale Selbstverwaltung bezeichnet wurden16. Die Machtposition der DAF beruhte weniger auf konkreten Befugnissen, als auf ihrer Parteinähe und ihrer Monopolstellung. Die Mitwirkung in der DDR ist zwar auch vornehmlich nur beratender Natur, jedoch werden den Gewerkschaften auch konkrete Rechte, namentlich gegenüber dem Leiter des Betriebes bzw. des Staatsorgans eingeräumt17. Das Prinzip der Einzelleitung ist nicht so strikt durchgeführt wie 1> So ausdrücklich in der DDR. Das Parteiprogramm der NSDAP beruht auf ähnlichen Gedanken, wenn es Arbeit zum Nutzen aller als erste Pflicht des Bürgers ansieht (Punkt 10); zur Forderung nach Beteiligung jedes schaffenden Volksgenossen an den Erträgnissen und dem Aufschwung der Gesamtwirtschaft (nach Punkt 14) vgl. Fabricius: Das Programm der NSDAP, in: GAW Bd. 1, Beitr. 6, S. 25; zur Orientierung der Sozialpolitik am Gemeininteresse in Abgrenzung zur Interessenpolitik vgl. Feder: Das Programm der NSDAP, S. 55 f. Aus heutiger Sicht vgl. Lampert: Staatliche Sozialpolitik im Dritten Reich, in: Bracher u. a. (Hrsg.): Nationalsozialistische Diktatur, S. 202 ff., der von hoher Komplementarität der sozialpolitischen Ziele mit den staats-und wirtschaftspolitischen Zielen spricht. 1s Hueck: Deutsches Arbeitsrecht, S. 228 f.
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das Führerprinzip. Die Einheitlichkeit der Führung wird erst gewährleistet durch die Unterordnung des FDGB unter die SED. Beiden Systemen sind weitgehende Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte, wie sie das Personalvertretungsrecht des Bundes und der Länder vorsieht1 8 , fremd. Im Vergleich zu diesen Regelungen sind die Rechtsordnungen des Dritten Reichs und der DDR ausgesprochen mitbestimmungsfeindlich, und zwar vor allem dann, wenn es nicht um die Mitwirkung großer, von der Führung beherrschter Organisationen geht, sondern um die Mitwirkung der Beschäftigten in einer Dienststelle selbst. 10. Die Erziehung der Staatsbediensteten
Das allgemeine Erziehungsziel Nationalsozialismus und Kommunismus sehen ein Hauptmerkmal der neuen Gesellschaft darin, daß sich die Geisteshaltung des Menschen grundlegend wandelt. Sie gehen dabei allerdings von verschiedenen Ausgangspunkten aus. Der Nationalsozialismus verstand sich als eine idealistische Bewegung 1 . In Abkehr von dem als materialistisch bekämpften liberalistischen System wollte er die überindividuellen völkischen Werte2 in den Mittelpunkt allen Denkens und Handeins stellen. Dieses rassisch bedingte Wertebewußtsein sei im Laufen der Geschichte dem unverfälschten Germanenturn durch das Eindringen fremdrassischer, besonders jüdischer Einflüsse abhanden gekommen3 . Ziel war es nun, dieses Wertebewußtsein wiederherzustellen. Der Kommunismus begreift sich als materialistische Wissenschaft. Ausgangspunkt ist, daß das gesellschaftliche Sein das gesellschaftliche Bewußtsein bestimme4 • Im Sozialismus, in dem die sozialistischen Produktionsverhältnisse zu einem qualitativ neuen gesellschaftlichen Sein führen, muß sich folgerichtig ein neues sozialistisches Bewußtsein bilden, das allerdings insofern Vorläufer hat, als es wie schon das proletarische Bewußtsein in der kapitalistischen Gesellschaft und das entsprechende Bewußtsein in den 17
Vgl. Rüthers: Arbeitsrecht und politisches System, S. 165 ff.
1s §§ 75 ff. BPersVG, §§ 72 ff. PersVG.NW.
I Vgl. Hitler: Mein Kampf, S. 327 f., wo er die - angeblich den Arier auszeichnende - idealistische Opfergesinnung zugunsten des Gemeinwohls als "im innersten Grunde dem letzten Willen der Natur" entsprechend bezeichnet. 2 Die Grundwerte wurden allerdings verschieden aufgelistet, so Rasse, Ehre, Arbeit, Boden, Staat bei Freisler: Nationalsozialistisches Recht und Rechtsdenken, S. 60, während Frank: Grundsätze des nationalsozialistischen Rechtsdenkens und Rechtswollens, in: ders.: Na tionalsozialistisches Handbuch für Recht und Gesetzgebung, S. 5, Staat, Rasse, Boden, Arbeit und Wirtschaft , Ehre, kulturell-geistige Werte und Wehrkraft aufzählt. 3 Rosenberg: Der Mythus des 20. Jahrhunderts, S. 81 ff., 116 ff. 4 Marx, Engels: Werke, Bd. 13, S. 9.
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anderen Gesellschaftsformationen vom Ursprung und Inhalt eine Widerspiegelung der Klasseninteressen der ungeheueren Mehrheit der Bevölkerung ist 5 . Kennzeichnend für beide Auffassungen unabhängig von ihrer Selbsteinschätzung als idealistisch oder materialistisch ist, daß das Wertebewußtsein in objektiven Umständen fundiert gesehen wird, nämlich als in der Rasse bzw. in der Klassenlage wurzelnd. Daher sind es auch entsprechende Einwirkungen auf diese objektiven Umstände, die in erster Linie den Bewußtseinswandel hervorrufen sollen, nämlich einerseits die Reinigung und Reinhaltung des deutschen Blutes durch Ausscheidung artfremder, namentlich jüdischer Elemente und andererseits die Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Die nationalsozialistische Selbsteinschätzung als idealistisch ist irreführend, da sie die Beurteilung der Inhalte der Werte als idealistisch (im Sinne von altruistisch) bzw. materialistisch (im Sinne von egoistisch) für die Einstufung der Weltanschauung heranzieht, nicht aber- wie der Marxismus-Leninismus - die Auffassung darüber, ob Werte absolut oder in der materiellen Welt fundiert sind, entscheiden läßt, ob eine Weltanschauung idealistisch oder materialistisch ist. Unter Zugrundelegung des letztgenannten Unterscheidungsmerkmals sind Nationalsozialismus und MarximusLeninismus materialistisch, da sie das Wertebewußtsein auf materielle Faktoren zurückführen. Unter Zugrundelegung des erstgenannten Unterscheidungsmerkmals sind beide Weltanschauungen idealistisch, da die propagierten Werte überindividuell und gemeinschaftsbezogen sind. Obwohl beide Weltanschauungen davon ausgehen, daß das Wertebewußtsein materiell fundiert ist, und daher eigentlich ein Werterelativismus angezeigt wäre, nehmen sie doch Partei für eine bestimmte Wertordnung, also für die Wertordnung einer bestimmten Rasse bzw. Klasse, nämlich die der arischen Rasse bzw. der Arbeiterklasse. Beide Weltanschauungen vertreten keinen extremen, mechanistischen Materialismus. Sie erkennen an, daß die geistige Haltung der Menschen nicht ausschließlich von der Rassen- bzw. Klassenzugehörigkeit abhängt, sondern auch durch geistige Einflüsse, besonders durch die Erziehung beeinflußt wirds. Im Marxismus-Leninismus wird dieses Faktum als die relative Selbständigkeit des Überbaus gegenüber der Basis b ezeichnet7. 5 Kleines politisches Wörterbuch, S. 314 (Stichwort: gesellschaftliches Bewußtsein). 6 Vgl. Hitler: Mein Kampf, S. 734 f., wo er die erzieherische Wirkung militärischer Ausbildung der Deutschen gegenüber "den üblen Wirkungen ihrer blutsmäßigen und dadurch weltanschaulichen Zerrissenheit" lobt. Rosenberg: Das Wesensgefüge des Nationalsozialismus, S. 53, spricht davon, daß mit Aufartung und Rassenhygiene die Seelenhygiene parallel gehen müsse. 7 Kleines politisches Wörterbuch, S. 116 (Stichwor t : Basis und Überbau); Dialektischer und historischer Materialismus, S. 253 f.; Grundlagen des historischen Materialismus, S . 231 ff.
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Daher beschränken sich das Dritte Reich und die DDR nicht darauf, die geistige Ausrichtung der Menschen auf die Ziele und Werte der jeweiligen Ideologie durch die Schaffung der materiellen Grundlagen (Rassereinheit, sozialistische Produktionsverhältnisse) herbeizuführen, sondern entfalten eine umfangreiche Erziehungsarbeit. Diese ist zum einen gegen die angeblich den Menschen deformierende bürgerliche Erziehung gerichtets. Zum anderen und in der Hauptsache ist sie an einem Menschenideal ausgerichtet, das sich vor allem durch ideologische Festigkeit und selbstlose Hingabe an das Volk auszeichnet. Das nationalsozialistische Leitbild ist das "des kämpferischen, nur dem Fortbestand und Wachstum seines Volkes verpflichteten Menschen, der charakterlich, körperlich und geistig gleichermaßen ertüchtigt werden soll" 9 , es geht um die "Erneuerung des deutschen Volkes und des deutschen Menschentums aus seinen Lebensgrundlagen heraus und gemäß seinem rassisch-völkischen Lebensgesetz" , wobei bei aller Unterschiedlichkeit der Persönlichkeit eine Einheit der Willensrichtung, der Haltung und der Weltanschauung herzustellen istl 0 . Der Marxismus-Leninismus erstrebt die sozialistische Persönlichkeit, "deren Denken und Handeln vom sozialistischen Patriotismus und proletarischen Internationalismus gekennzeichnet ist. Dazu gehören das Eintreten für die revolutionäre Sache der Arbeiterklasse, Treue zum Sozialismus und die Bereitschaft, seine Errungenschaften zu schützen und zu verteidigen"ll. Beiden Erziehungsidealen ist gemein, daß sie sehr stark inhaltlich festgelegt sind. Es geht in der Hauptsache nicht um die Förderung allgemein-menschlicher Qualitäten und erst recht nicht um die Ermöglichung von Selbstbe8 Hitler: Mein Kampf, S. 605, wo er von der pazifistisch-demokratischen Erziehung behauptet, daß sie "Millionen und Millionen junger Leute konsequent ihrer natürlichen Instinkte beraubt , ihr logisches vaterländisches Denken vergiftet und sie so allmählich zu einer jeglicher Willkür gegenüber geduldigen Hammelherde verwandelt". Ähnlich Kleines politisches Wörterbuch, S. 288 f. (Stichwort: geistige Manipulierung), wo dem staatsmonopolistischen Kapitalismus vorgeworfen wird, durch geistige Manipulierung den Versuch zu unternehmen, "das Denk- und Urteilsvermögen von Millionen Menschen systematisch zu zerstören, sie zur geistigen Unmündigkeit zu verurteilen und zu willfährigen Untertanen zu erziehen, die keiner Kritik am staatsmonopolistischen Herrschaftssystem mehr fähig sind, die ökonomische Ausbeutung und politische Unterdrückung geduldig ertragen, die Pseudoideale dieses Systems als die ihrigen ansehen und sich für die imperialistische Politik mißbrauchen lassen". 9 Taschen-Brockhaus zum Zeitgeschehen, S. 247 (Stichwort: Nationalsozialistische Erziehung). Hitler, a.a.O., S. 452 ff., widmet der Erziehung lange, stark emotional geprägten Passagen, die in der Forderung gipfeln: "Die gesamte Bildungs- und Erziehungsarbeit des völkischen Staates muß ihre Krönung darin finden, daß sie den Rassismus und das Rassegefühl instinkt- und verstandesmäßig in Herz und Gehim der ihr anvertrauten Jugend hineinbrennt" (S. 475). 1o Krieck: Nationalsozialistische Erziehung, in: GAW Bd. 1, Beitr. 9, S . 28. 11 Programm der SED, angenommen auf dem IX. Parteitag der SED vom 18. bis 22 . Mai 1976, Kapitel II (Die Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Republik), Abschnitt E (Die sozialistische Lebensweise); vgl. auch Kleines politisches Wörterbuch, S. 730 f. (Stichwort: Persönlichkeit).
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stimmung und freier Persönlichkeitsentfaltung. Es soll vielmehr ein neuer Menschentypus geschaffen oder genauer der angeblich wahre Menschentypus, der nur durch Rassenvermischung bzw. ausbeuterische Produktionsverhältnisse deformiert worden ist, wiedererschaffen werden. Der neue Mensch ist eine an den ideologischen Erfordernissen und Werten ausgerichtete Person. - Der Erziehungsgedanke im Staatsdienst Die sehr ähnlichen theoretischen Grundlagen der Erziehung im Nationalsozialismus und im Marxismus-Leninismus führen zu ebensfalls sehr ähnlichen Ausprägungen der erzieherischen Arbeit im öffentlichen Dienst. Erste Priorität genießt die Verinnerlichung der herrschenden Ideologie. Darin ist sicher auch ein Element der Beherrschung zu sehen, um durch gleiche politische Ausrichtung eine gleichgerichtete Verwaltungstätigkeit herbeizuführen. Zumindest gleichrangig ist dies aber auch ein Element zur Schaffung des neuen Menschen als in sich selbst legitimiertem ideologischen Ziel. Zu den Dienstpflichten des Staatsbediensteten im Dritten Reich und der DDR gehört deshalb die Aneignung der Ideologie. Rechtstechnisch wurde dies im Dritten Reich nur durch - auch in Ministerialerlassen vorgenommene - Interpretation von Generalklauseln erzielt. In der DDR wird die Alleignung der "Grundlagen der marxistisch-leninistischen Theorie" ausdrücklich in § 8 Abs. 1 S. 1 MVO zur Pflicht gemacht. Allgemein läßt sich feststellen, daß Fachwissen und fachliche Weiterbildung zwar einen hohen Rang einnehmen, daß aber als Grundlage, auf der erst Fachwissen aufgebaut werden kann, eine Beherrschung der Ideologie angestrebt wird. Politisierung und Ideologisierung jedweder Aus- und Weiterbildung ist die Folge. Als eines der wichtigsten Instrumente wird die Monopolberufsorganisation eingesetzt. Der RDB, die DAF, der FDGB verfolgen als eine ihrer Hauptaufgaben die ideologische Erziehung der erfaßten Personengruppen und die fachliche Weiterbildung auf ideologischer Grundlage. In beiden Systemen ist die ideologische Erziehung neben der Personalpolitik ein Haupttätigkeitsfeld der Parteil 2 • Dabei läßt sich eine Arbeitsteilung zwischen Staat und Partei feststellen: Der Partei obliegt die allgemeine politisch-ideologische Erziehung, während der Staat besondere Akademien für Staatsbedienstete einrichtet, die die fachliche Weiterbildung auf ideologischer Grundlage betreiben. Allerdings scheint im Dritten Reich keine 12 Krieck: Nationalsozialistische Erziehung, in: GAW Bd. 1, Beitr. 9, S. 13, hält die Partei für "das vornehmlichste Erziehungsorgan des Staates im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung und Wertordnung"; für die marxistisch-leninistische Partei ist "kommunistische Erziehung ein ständiges Erfordernis und eine ständige Aufgabe", vgl. Wissenschaftlicher Kommunismus, S. 326.
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4. Kap.: Vergleich
dermaßen einheitliche Erziehungspolitik verfolgt worden zu sein, vielmehr scheint sich - wie die zum Teil konkurrierenden Schulungskurse und Gemeinschaftslager zeigen- auch in diesem Bereich der Dualismus von Partei und Staat in Rivalität niedergeschlagen zu haben. In der DDR hingegen sind auch die staatlichen Fortbildungseinrichtungen ausdrücklich dem Primat der SED unterworfen, indem für sie die Beschlüsse der Partei der Arbeiterklasse als erstrangiger Tätigkeitsmaßstab statuiert werden. Obwohl in der DDR die Weiterbildung straffer als Dienstpflicht ausgestaltet ist als im Dritten Reich, liegt in beiden Systemen gleichermaßen der Hauptantrieb des einzelnen für die Teilnahme an politischen Schulungskursen in der Bedeutung für das berufliche Weiterkommen. Politische Qualifizierungen werden in der Personal- bzw. Kaderakte vermerkt. Da die Partei im Dritten Reich und der DDR bei Personalentscheidungen maßgebend mitzuentscheiden hat und die erstrangige und unabdingbare Voraussetzung für eine Beförderung die politische Zuverlässigkeit ist, ergibt sich ein mittelbarer Druck, unabhängig vom persönlichen Interesse Zuverlässigkeit durch Teilnahme an politischen Schulungen zu dokumentieren13. Die allgemeine erzieherische Einwirkung auf das Volk, die den Weltanschauungsstaaten eigen ist, potenziert sich somit im öffentlichen Dienst, und zwar zum einen
wegen der besonderen Staatsnähe und damit Ideologiegebundenheit dieses Bereichs, zum anderen wegen der besonderen Abhängigkeit des Staatsbediensteten vom Staat, die ihm umfangreiche und gerne ausgenutzte Einwirkungsmöglichkeiten zur Erziehung einräumt.
13 Die so erzwungene politische Indoktrination wird daher wohl eher als lästige Pflichtübung betrachtet, wie in der DDR die karikierende Bezeichnung .,Rotlichtbestrahlung" zeigt.
5. Kapitel
Resümee Die vergleichende Untersuchung der rechtsgedanklichen und rechtstechnischen Ausgestaltung von Herrschaft im Dritten Reich und der DDR vor dem Hintergrund der entsprechenden Regelungen in der Bundesrepublik Deutschland und der Weimarer Republik, exemplarisch aufgezeigt am Recht des öffentlichen Dienstes, hat ergeben, daß es sachlich gerechtfertigt ist, die erstgenannten beiden Rechtsordnungen in Abgrenzung zu den beiden letztgenannten mit dem Oberbegriff "totalitäre" Rechtsordnungen zu bezeichnen. Die Übereinstimmungen jener beiden Rechtsordnungen, was Umfang, Intensität und Richtung der rechtlich geordneten Herrschaft betrifft, sind so deutlich, so spezifisch und so bedeutsam, daß ein gemeinsamer Oberbegriff nicht als willkürliche Generalisierung von Nebensächlichem und Zufälligem, sondern als Bezeichnung eines Wesensmerkmals dieser Rechtsordnungen erscheint. Die hier vorgenommene Detailanalyse hat gezeigt, daß die Übereinstimmungen nicht nur- wie allgemein bekannt - im Substrat bestimmter ideologisch-staatsrechtlicher Grundbegriffe besteht, sondern daß diese Übereinstimmung sich konsequent fortsetzt in der rechtlichen Feinstruktur der Herrschaftsausgestaltung. Besonders bemerkenswert ist, daß die rechtsgedankliche Übereinstimmung im Grundverständnis auch dann besteht, wenn die rechtstechnische Ausgestaltung deutliche Unterschiede aufweist. Zu erwähnen sind etwa die unterschiedliche rechtstechnische Ausgestaltung des Staatsdienstverhältnisses als beamten-oder arbeitsrechtliches Verhältnis, die unterschiedliche Art der Verankerung der Ideologiebindung, die unterschiedliche Ausgestaltung des Verwaltungsaufbaus, des gerichtlichen Rechtsschutzes und der Mitwirkungsbefugnisse der Beschäftigten. Ebenso bemerkenswert ist, daß auch in den Auffassungen vom Recht- ausgehend von unterschiedlichen Anknüpfungsbegriffen- identische und von einem freiheitlichen demokratischen Verständnis charakteristisch unterschiedene rechtstheoretische Ansichten bestehen, die gleiche Fernwirkungen auf die Interpretation von Rechtsnormen und die Bedeutung der Moral haben. Die allgemein bekannten Elemente des totalitären Herrschaftsanspruchs wie bedingungslose Bindung an eine für die Lebenspraxis allzuständige Ideologie, der streng hierarchisch-zentralistische Aufbau mit einer von jeglichen Bindungen freien, allmächtigen Spitze, wozu namentlich die Beseitigung des unabhängigen gerichtlichen Rechtsschutzes gehört, und das Ziel
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5. Kap.: Resümee
der Schaffung eines neuen Menschen- also alles Elemente, die unvereinbar sind mit einer freiheitlichen, demokratischen und rechtsstaatliehen Ordnung - haben sich bei der rechtsvergleichenden Detailanalyse nicht als bloße propagandistisch-ideologische Schlagworte herausgestellt, sondern als Herrschaftsziele, denen die konkrete Ausgestaltung der Rechtsordnungrechtsgedanklich fast vollständig, rechtstechnisch weitgehend zwischen Drittem Reich und DDR übereinstimmend - gefolgt ist. Unterschiede der Rechtsordnungen bestehen neben der verschiedentlich abweichenden rechtstechnischen Ausgestaltung vor allem in der Basiskategorie der Rasse einerseits und der Klasse andererseits, in der Figur des Individuums des Führers einerseits und des Kollektivs der Partei der Arbeiterklasse andererseits sowie in der Form der Kreation von Staatsorganen und der hoheitlichen Willensbildung (nämlich Befehl von oben einerseits, Wahl und Abstimmung andererseits). Im letzten Punkt besteht für den Marxismus-Leninismus im Unterschied zum Nationalsozialismus ein ideologisch-staatsrechtlicher Ansatzpunkt, jedenfalls innerhalb des Parteirahmens reale Demokratie zu praktizieren. Die Unterschiede in der Person des Souveräns führen dazu, daß die Letztentscheidungsbefugnis aus ideologischen Gründen nicht bei einer einzigen Person liegen muß, sondern bei praktizierter Kollektivität der Führung sogar bei einer Mehrheit von Personen zu liegen hat. Die Unterschiede in der Basiskategorie führen dazu, daß die Bedeutung der Einzelperson und namentlich ihre Eigenschaft, Freund oder Feind zu sein, nicht für immer vorgegeben ist, sondern sich mit der Veränderung der sozialökonomischen Stellung ändern kann. Diese Unterschiede sollen in ihrer Bedeutung nicht verkannt werden. Für die rechtliche Ausgestaltung der Feinstruktur von Herrschaft haben diese Unterschiede aber, wie die vergleichende Analyse gezeigt hat, keine Bedeutung. Sie verbieten es daher nicht, für die Rechtsordnungen einen gemeinsamen Oberbegriff zu wählen. Berücksichtigt werden muß, daß die hier gefundenen Ergebnisse nur auf der vergleichenden Analyse eines Teilgebietes der rechtlich geordneten sozialen Wirklichkeit, nämlich des Verwaltungsapparates, beruht. Indessen erscheinen die Ergebnisse verallgemeinerungsfähig. Das ergibt nicht nur die Konsequenz, mit der sich der ideologisch-staatsrechtlich fixierte totalitäre Anspruch in der rechtlichen Feinstruktur des öffentlichen Dienstes niederschlägt, das ergibt auch ein nur oberflächlicher vergleichender Blick auf andere Rechtsgebiete, etwa das Presserecht, das Vereins- und Versammlungsrecht, das politische Strafrecht, das Schul- und Hochschulrecht, das Polizeirecht. Sicherlich ist es eine lohnenswerte Aufgabe, auch in diesen Gebieten die rechtliche Feinstruktur totalitärer Herrschaft vergleichend zu untersuchen. Noch einmal soll klargestellt werden , daß das hier gefundene Ergebnis sich ausschließlich auf eine Analyse der Rechtsordnungen stütztl. Soziologi-
5. Kap.: Resümee
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sehe Erkenntnisse über die reale Praktizierung der Herrschaft- namentlich im zeitlichen Ablauf vom Stalinismus bis heute in den sozialistischen Staaten - stehen jedoch den hier gefundenen Ergebnissen nicht entgegen. Sie belegen höchstens, daß der ideologisch-staatsrechtliche Totalitarismus der tatsächlich praktizierten Lockerung in der Herrschaftsausübung hinterherhinkt, und sie geben vielleicht Anlaß zu hoffen, daß eines Tages auch ein Abrücken vom rechtlich fixierten totalitären Anspruch erfolgt. Solange dies nicht geschehen ist, stellt jedenfalls die einseitig auf die tatsächlich praktizierte Herrschaft abstellende Betrachtung des Totalitarismusphänomens eine gefährliche Verkürzung dar. Denn die Existenz des ideologisch-staatsrechtlich fixierten totalitären Anspruchs in seiner hier aufgezeigten rechtlichen Feinstruktur ist unabhängig von der Praxis eine Realität. Solange der Anspruch nicht fällt, stellt jede praktische Lockerung bloßes Experimentieren ohne gedankliche Basis und unter dem Vorbehalt jederzeitiger praktischer Rückentwicklung dar. Solange der Anspruch nicht fällt, ist es deshalb voreilig, einem solchen System vorbehaltlos das Merkmal "totalitär" abzusprechen. Dem Hinweis, es handele sich bei dem Anspruch nur um eine zumindest überholte propagandistisch-plakative Forderung ohne realen Bezug, kann angesichts der dem ideologisch-staatsrechtlich fixierten totalitären Anspruch strikt nachvollzogenen rechtlichen Feinstruktur der Herrschaft nicht beigetreten werden: Wer die Herrschaft rechtlich im Detail so ausgestaltet, wie es im Dritten Reich und der DDR geschehen ist, nimmt den totalitären Anspruch ernst, mag er in der Praxis hier und jetzt auch die Zügel schleifen lassen. Das bedeutet für das West-Ost-Verhältnis bei allem praktisch-politischen Bemühen um Entspannung, daß die ideologische Abgrenzung und der ideologische Kampf unverändert scharf betrieben werden müssen, bis der totalitäre Anspruch fällt. Wenigstens darüber, daß der ideologische Kampf Teil der sogenannten Prinzipien der friedlichen Koexistenz ist und bleiben muß 2 , sollte in West und Ost Einigkeit bestehen.
1 Zur allgemeinen Kritik an der Rechtsvergleichung, es komme nicht auf Normen und dogmatische Überlegungen, sondern auf die Erfassung der Rechtswirklichkeit und damit auf Soziologie an, vgl. Uschakow: Der Beitrag der Wissenschaftslogik zur Rechtsvergleichung im Ost-West-Verhältnis, in Festschrift Meissner, S. 59; Bartels: Methode und Gegenstand intersystemarer Rechtsvergleichung, S. 80 f. 2 Kleines politisches Wörterbuch, S.278 (Stichwort: friedliche Koexistenz).
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