Kommunale Wohnungspolitik im Dritten Reich: Siedlungsideologie, Kleinhausbau und "Wohnraumarisierung" am Beispiel Münchens 9783486596021, 9783486563894

"Insgesamt gesehen liegt die Stärke dieser Studie in der soliden, gründlichen Aufarbeitung der Münchener Wohnungsba

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German Pages 458 [454] Year 1999

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Kommunale Wohnungspolitik im Dritten Reich: Siedlungsideologie, Kleinhausbau und "Wohnraumarisierung" am Beispiel Münchens
 9783486596021, 9783486563894

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Ulrike Haerendel Kommunale Wohnungspolitik im Dritten Reich

Studien zur Zeitgeschichte Herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte Band 57

R. Oldenbourg

Verlag München

1999

Ulrike Haerendel

Kommunale

Wohnungspolitik im Dritten Reich Siedlungsideologie, Kleinhausbau und „Wohnraumarisierung" am Beispiel Münchens

R. Oldenbourg Verlag München 1999

Die Deutsche Bibliothek CIP-Einheitsaufnahme -

Haerendel, Ulrike: Kommunale Wohnungspolitik im Dritten Reich : Siedlungsideologie, Kleinhausbau und „Wohnraumarisierung" am Beispiel Münchens / Ulrike Haerendel. München : Oldenbourg, 1999

(Studien zur Zeitgeschichte ; Bd. 57) Zugl.: München, Univ., Diss., 1996 -

ISBN 3-486-56389-0

© 1999

Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München

Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Internet:

http://www.oldenbourg-verlag.de

Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen.

Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Umschlagabbildung: Foto eines „Richtfest(s) in der Mustersiedlung Ramersdorf" (1934), Stadtarchiv München Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Satz: Satz+Repro Falkner GmbH, Inning Druck und Bindung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe, München ISBN 3-486-56389-0

Inhalt Vorwort.

7

Einleitung.

9

NS-Herrschaft und Kommunalpolitik: die Rahmenbedingungen.

23

/.

1. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten in München und die

Gleichschaltung des Stadtrates.

27

Die nationalsozialistische Machtübernahme in Bayern (27) Die Ernennung Karl Fiehlers zum Münchner Oberbürgermeister und die Gleichschaltung des Stadtrates -

(33)

2. Die neuen Führungskräfte Karl Fiehler: „alter Kämpfer" und Kommunalpolitiker (45) Die nationalsozialistische Stadtratsfraktion und das Kollegium der Ratsherren (51) Die berufsmäßigen Stadträte: Kontinuität oder nationalsozialistische Revolution? (64) Zwischen Fachamt und Parteiamt: Guido Harbers als Wohnungsreferent (71)

45

Kommunalpolitische Interessen im „Dritten Reich".

80

.

-

-

-

3.

Entstehung und Grundzüge der Deutschen Gemeindeordnung von 1935 (80) Hauptamt für Kommunalpolitik und Deutscher Gemeindetag (92) II.

-

Wohnungspolitik als staatliches und städtisches Handlungsfeld: ein Überblick 1. Die Politik des Reiches im Wohnungs- und Siedlungswesen

.

101

101

Von der Zwangswirtschaft zur „Hauszinssteuerära": Wohnungspolitik in den zwanziger Jahren (104) -Prämissen nationalsozialistischer Wohnungspolitik (118) Das Reichsarbeitsministerium und die Wohnungskrise (123) Gottfried Feder und das „Deutsche Siedlungswerk" von 1934 (139) Die Verankerung des Wohnungsund Siedlungswesens in NSDAP und DAF (142)

-

-

-

Landeswohnungsfürsorgefonds zum „Siebert-Programm": Bauförderung in Bayern 3. Wohnungsmarkt und Wohnungsbau in München zwischen den Weltkriegen.

2. Vom

.

151

162

Die Münchner Wohnungspolitik unter den Bedingungen der Zwangswirtschaft (168) Die Wohnungsbauprogramme in der „Mietzinssteuerära" (178) Die Entwicklung des Wohnungsmarktes im Nationalsozialismus (184) -

-

///.

Kleinsiedlungen, Volkswohnungen, Einfachhäuser: Baupolitik und Wohnungsfürsorge im nationalsozialistischen München. 1. Die Kontinuität des Krisenprogramms: Der Kleinsiedlungsbau in München. Der Beginn des Kleinsiedlungsprogramms 1931 (197) Die Errichtung der Reichskleinsiedlungen in Freimann, am Perlacher Forst und an der Zamdorfer Straße -

(206)

197

197

Inhalt

6 Die

Fortführung der Kleinsiedlung unter den Nationalsozialisten: Am Hart

(215) Kleinsiedlungen im „Siebert-Programm": Neuherberge und Kaltherberge (223) -

2.

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik. Kleinsiedlungspolitik und Siedlerauswahl (228) Mustersiedlung Ramersdorf (251) Siedlungen für „alte Kämpfer" und Kriegsteilnehmer (264) -

3.

Wohnungsbaupolitik in der „Hauptstadt der Bewegung": Das Spannungsfeld zwischen öffentlicher Hand, privater und gemeinnütziger Wohnungswirtschaft

.

228 -

279

Öffentliche Wohnungsbauförderung in München: Ein Vergleich in Zahlen (279)

Baulückenprogramm zwischen öffentlichen und privatwirtschaftlichen InteresDie Gewofag und das Kleinwohnungsbauprogramm der Stadt München sen (291) (299) Die GWG und die Umsetzung des Volkswohnungsprogramms in München Das

-

-

(308)

-

4. Die Wohnungsfürsorge der Stadt München Wohnungsamt und Wohnungsnachweis: Organisation und Tätigkeit (332) Stadt und Wohnungsmarkt (340) Wohnungsfürsorge für kinderreiche Familien (352) Mietverbilligungen und der Bau von Einfachwohnungen (361)

.

332

-

-

-

IV. Zwischen Wohnraumarisierung" und Behelfsheimbau: Die Wohnungsfrage im Krieg. 377 „

1.

„Auf Wunsch des Führers": Gesamtstadtplanung und Wohnungsbau unter der Regie des Generalbaurates 377 Das Wohnungssofortprogramm 1938-1942 (379) Generalbaurat und Ersatz.

wohnungsbau (384)

-

Judenverfolgung und „Wohnraumarisierung" 3. Der „Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau" und die Organisation der Münchner Wohnungspolitik im Krieg. 2.

.

Die Planungen für den Wohnungsbau nach dem programm als Notstrategie (415)

395

406

Das Behelfsheim-

Krieg (407) -

Zusammenfassung.

425

Tabellenverzeichnis

433

.

Abkürzungsverzeichnis.

435

Quellen und Literatur.

437

Personenregister

455

Vorwort Wenn die Leser dieses Buch in Händen halten, wird mir etwas fehlen. Über die Jahre habe ich mich daran gewöhnt, immer wieder an „der Diss" zu feilen, stets ließ sich noch ein guter Gedanke hier oder eine Fußnote dort ergänzen. Insofern ist mir nur allzu be-

wußt, daß auch das nun vorliegende Produkt unvollendet ist; über seine Leistungen und

Defizite müssen sich jetzt aber andere ein Bild machen. Die Arbeit wurde im Wintersemester 1995/96 von der Philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen. Maßgeblich begleitet wurde nicht nur die Entstehung der Arbeit, sondern die gesamte Promotionsphase von meinem Doktorvater Professor Gerhard A. Ritter. Ihm habe ich für zahlreiche Anregungen und Hilfestellungen, mehr noch für die wertvollen Jahre zu danken, in denen ich in seinem Team mitarbeiten konnte! Die gute Atmosphäre am Institut half über manches Stimmungstief, in das die Promotionsarbeit mich stürzte, hinweg. Dafür bin ich neben anderen, die ich nicht alle nennen kann, auch Margit Szöllösi-Janze, Josef Reindl, Johannes Paulmann, Merith Niehuss, Dagmar Jütz und Birgit Heilig verpflichtet. Glücklicherweise hatte meine Kollegin Susanne Muten meinen zunächst eingelegten Arbeitsvorsprung bald eingeholt, so daß wir die Zielgerade zusammen zurücklegen konnten, was mir Ansporn und eine große Hilfe war. Geholfen haben auch, mit wertvollen Korrekturvorschlägen und technischer Unterstützung, Winfried Süß, Theresia Bauer, Konstanze Niebert, Dina Haerendel und Marian Rappl; bei Andreas Heusler konnte ich zudem vom Fachwissen des München-Historikers profitieren. Ihnen allen schulde ich Dank! Am stärksten habe ich die Unterstützung von Wilfried Rudioff beansprucht, der, mit einem verwandten Thema befaßt, mich nicht nur zu mancher Idee inspirierte, manchen gedanklichen Knoten zu lösen half, sondern auch meinen Durchhaltewillen immer wieder anspornte. Für die kollegiale und vor allem freundschaftliche Unterstützung danke ich ihm zutiefst. Daß Archivarbeit trotz mancher Mühsal ihren Reiz für mich nie verloren hat, liegt auch am förderlichen Klima des Münchner Stadtarchivs. Mein Dank gilt allen, mit denen ich dort zu tun hatte, insbesondere Herrn Direktor Richard Bauer, Elisabeth Angermair und Hans-Joachim Hecker. Auch im Bundesarchiv (damals noch Koblenz), im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, im Staatsarchiv München und den anderen Archiven war man immer entgegenkommend und kooperativ. Besonders hervorzuheben ist die Bereitschaft der Siedlergenossenschaft München-Freimann, mich ihre Überlieferung einsehen zu lassen. Dafür und für manches nützliche Gespräch bin ich Alexander Markus Klotz sehr dankbar. Auch die GWG München gewährte mir freundlicherweise

Einblick in die Akten. Dem Institut für Zeitgeschichte danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Studien zur Zeitgeschichte". Das Manuskript wurde für den Druck gründlich überarbeitet; den Professoren Stefan Fisch und Hans Günter Hockerts schulde ich für ihre diesbezüglichen Hinweise Dank, genauso meinem Betreuer im Institut für Zeitgeschichte, Jürgen Zarusky. Geduld wurde in dieser letzten Phase einmal mehr meinem Mann, Michael Müller-Haerendel, abverlangt nicht zuletzt, wenn ich wieder einmal -

8

Vorwort

mit der von ihm so mühelos bedienten Computertechnik hatte. Er, meine Eltern und meine Schwestern gaben mir außerdem ab und zu den notwendigen kleinen „Kick", ohne den das Buch vermutlich immer noch nicht vorläge.

Schwierigkeiten

München, im September 1998

Ulrike Haerendel

Einleitung Wohnungsbau dient in der Marktwirtschaft nicht nur den Nachfragern zur Befriedigung ihres Wohnbedürfnisses, sondern auch den Anbietern zur Erzielung langfristig sicherer Kapitalrenditen. Damit steht das soziale Ziel, das Wohnen in menschenwürdiger Unterkunft für alle Bevölkerungsgruppen zu ermöglichen und niemanden etwa wegen seiner Einkommensverhältnisse davon auszuschließen, in einem potentiellen Konflikt mit dem ökonomischen Ziel, den Kapitaleinsatz rentabel zu halten1. Für den Sozialstaat ergibt sich aus diesem Spannungsfeld die Notwendigkeit sozialpolitischer Intervention, von der allerdings erst zögernd seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert Gebrauch gemacht wurde. Unter den Bedingungen fortschreitender Industrialisierung und Urbanisierung und damit einer extremen Verknappung des Angebots an Wohnraum in den Städten war der Markt noch weniger als zuvor geeignet, die Versorgung mit dem lebensnotwendigen Gut Wohnung für alle in ausreichender Weise sicherzustellen2. Zielgruppe staatlichen Handelns in diesem Sektor

war

und ist in

erster

Linie der Bevölke-

rungsteil, der aus eigener wirtschaftlicher Kraft sein Wohnbedürfnis nicht oder zumindest nicht nach den jeweils geltenden Maßstäben eines menschenwürdigen Wohnens

befriedigen kann. Zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Machtübernahme war die Geschichte der Wohnungspolitik als Sozialpolitik noch nicht alt. Nach Ansätzen vor 1914 bildete der Erste Weltkrieg den entscheidenden Anstoß zu einem neuen politischen Verständnis der Wohnungsfrage. Der hier vollzogene Bruch mit der Ära des „Laissez-faire" war radikal, denn der Staat beschränkte sich in seiner neuen Aufgabe nicht auf subsidiare Leistungen, sondern griff mit dem Instrument der Zwangswirtschaft ein und unterwarf den Wohnungsmarkt der Steuerung durch die Politik3. Weil die Wohnungsfrage im Übergang vom Kaiserreich zur Republik eine so entscheidende Wende erfuhr, wird der Zeit vom Ersten Weltkrieg bis zur nationalsozialistischen „Machtergreifung" hier über eine reine Vorgeschichte hinaus eine wichtige Funktion zugemessen. Sie bildet zum einen die Vergleichsmatrix, um die quantitativen und qualitativen Ergebnisse der Wohnungspolitik im „Dritten Reich" zu bewerten; sie dient zum anderen der inhaltlichen Einordnung des nationalsozialistischen Umgangs mit der Wohnungsfrage: Wo liegt ein deutlicher Bruch mit der Weimarer Zeit vor, eine bewußte Abkehr von vorherigen Zielen der Po-

litik? Welche Inhalte wurden vielleicht

nur aus

-

pragmatischen Gründen

übernom-

1

Nach rein „marktwirtschaftlicher Relevanz" interessiert „nicht der Bedarf nach Wohnungen schlechthin, sondern nur die jeweils kaufkräftige Nachfrage nach ihnen". Vgl. auch zu der daraus

2

3

resultierenden

Forderung

nach einer

regulierenden

Schneider, Wohnungsbaupolitik, bes. Sp. 3822. Unter solchen

öffentlichen

Wohnungsbaupolitik

Bedingungen ist „partielles Marktversagen" vorprogrammiert. „Angebot und Nachfrage sind weitgehend unelastisch; da eine Wohnung ein lebensnotwendiges Gut darstellt, können die Nachfrager nicht darauf verzichten." (Glatzer/Zapf, Wohnungspolitik, S. 554). Zur Zwangswirtschaft liegt jetzt als grundlegendes Werk die Habilitationsschrift von Karl Christian Führer vor (im folgenden mit dem Kurztitel „Mieter" zitiert). Zum Beispiel München: Geyer, Wohnungsnot.

Einleitung

10

Konzepte und Realisierungsformen nationalsozialistischer Wohnungspolitik sind dagegen als neu einzustufen? Auch für die Beantwortung der Frage, ob die in der NS-Zeit entwickelten Programme eher eine funktionale Erklärung haben oder aber als Ausdruck nationalsozialistischer Ideologie zu verstehen sind, ist der Bezug zur Weimarer Epoche hilfreich. Als Beispiel sei die Frage regulativer Eingriffe in die Wohnraumverteilung genannt. Erst vor dem Hintergrund der problematischen Zwangswirtschaft in den zwanziger Jahren wird deutlich, warum die nationalsozialistische Regierung sich so hartnäckig gegen jeden so auch den von der Stadt München betriebenen Ansatz zu einer redistributiven Wohnungspolitik wehrte. Es ging ihr in erster Linie um eine Entscheidung zugunsten des Marktes im Wohnungswesen, sondern um die Abgrenzung von einem in höchstem Maße polarisierenden Bewirtschaftungssystem, das seine Vertreter in den zwanziger Jahren scharfer gesellschaftlicher Kritik ausgesetzt hatte. Hier drohte Popularitätsverlust, den das Regime vermeiden wollte. Oder nimmt man das Kleinsiedlungswesen: Konzipiert in der Weltwirtschaftskrise, handelte es sich um eine Wohnform für minimalisierte Ansprüche, die den Siedlern mit den Möglichkeiten von Gartenbau und Kleintierhaltung allerdings eine gewisse Kompensation zur Hebung ihres Lebensstandards bot. Weder die hier praktizierte Einfachheit des Wohnens noch die Verbundenheit mit der Scholle, die das 1931 verkündete Siedlungsprogramm demonstrierte, waren Ausdruck oder gar Invention nationalsozialistischer Ideologie. Sie waren mit der Absicht eingeführt worden, die Existenzbedingungen der Erwerbslosen in der Weltwirtschaftskrise zu verbessern, entstanden also bei einer auch intendierten pazifizierenden Wirkung vor allem aus einer ökonomischen Zwangslage4. Daß die Charakteristika des Programms der Selbsthilfegedanke, die Billigbauweise, die Betonung der Eigenwirtschaft sich zu einem hohen Anteil, wenn auch nicht vollständig, in die nationalsozialistischen Vorstellungen von Siedlung fügten, ist erst in einem zweiten Schritt zu analysieren. Das Programm wurde in mehreren Schritten vollends in die nationalsozialistische Ideologie eingepaßt, was wiederum die Frage aufwirft, an welchen Stellen und warum die Adaption nur über einschneidende Veränderungen erreicht werden konnte und bei welchen Komponenten es auf der anderen Seite möglich war, in der Kontinuität zur Weimarer Zeit zu verbleiben. Die Antworten sollen hier nicht vorweggenommen werden, sondern sind im dritten Teil dieser Arbeit zu finden. Während bisher recht allgemein von nationalsozialistischer Ideologie oder Politik die Rede war, wird aus der analytischen Detaillierung der einzelnen Programme und Projekte deutlich werden, daß weder von monolithischen Interessens- noch Handlungseinheiten ausgegangen werden kann. Der Fokus richtet sich auf eine Gruppe lokaler Entscheidungsträger, deren Handeln nicht durchgängig als Nachvollzug der an der Spitze von Partei und Reich formulierten Politikvorgaben begriffen werden darf. Es ist das Verdienst von Horst Matzerath, den immanenten Widerspruch zwischen den Postulaten kommunaler Selbstverwaltung und dem immer weiter ausgreifenden Aktionsradius der NSDAP und ihrer Gliederungen aufgedeckt zu haben5. Die Schwierigkeit, das Problem im einzelnen und das heißt auch in der Wohnungspolitik zu fassen, liegt in der Tatmen? Welche

-

-

-

-

Kleinsiedlungsprogramm der Weltwirtschaftskrise mit einer Fallstudie über Düsseldorf s.

4

Zum

5

Harlander/Hater/Meiers, Siedeln in der Not. Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung.

Einleitung

11

sache, daß die meisten Protagonisten auf der lokalen Bühne ja ebenso die gemeindlichen

Belange wie die Politik der Partei vertraten. Es kann also nicht ein einfacher Gegensatz konstruiert werden, in dem die Handlungsträger entweder der einen oder der anderen Seite zuzuordnen sind. Vielmehr ist im jeweils konkreten Fall auszumachen, wie sich die Elemente von Parteipolitik und Kommunalpolitik vermischten, wie sie gegeneinan-

der austariert wurden und wo sie zumindest latent in Konflikt blieben. München ist ein spannender Schauplatz für diese Beobachtungen, weil der Oberbürgermeister gleichzeitig der höchstrangige Vertreter der Kommunalpolitik im Reich und in der Partei war. Karl Fiehler, in den zwanziger Jahren Beamter der Münchner Stadtverwaltung und früher Anhänger des Nationalsozialismus, wurde nach der „Machtergreifung" nicht nur zum Ersten Bürgermeister in München bestellt, sondern auch zum Vorsitzenden des gleichgeschalteten Einheitsverbandes gemeindlicher Repräsentation gemacht. Neben seinem öffentlichen Amt als Vorsitzender des Deutschen Gemeindetages (DGT) hatte er mit der Leitung des Hauptamtes für Kommunalpolitik der NSDAP außerdem eine zentrale Parteifunktion zumindest im kommunalpolitischen Sektor inne. Fiehler hielt die oben bezeichneten Widersprüche, die seiner Ämterunion immanent waren, über die ganze Zeit des „Dritten Reiches" aus. Das ist nur aus seiner Persönlichkeit erklärlich, die zum einen von einer fast gläubigen Anhänglichkeit zu Adolf Hitler geprägt war, welche ihn davor bewahrte, den Verlust kommunaler Eigenständigkeit im „Dritten Reich", den er durchaus wahrnahm und dem er sogar entgegentrat, in eine Abwendung von der Partei zu übersetzen. Zum anderen war Fiehler ein Mann des Ausgleichs, der sich eher darin übte, die Versöhnung des Unversöhnlichen zu versuchen, als einen offenen Konflikt herbeizuführen. In vielem fehlte ihm aber auch einfach die intellektuelle und moralische Kompetenz, um gleich seinem Oberbürgermeisterkollegen in Leipzig, Carl Goerdeler, aufgrund der Erfahrungen mit der praktischen Politik des Nationalsozialismus den zutiefst inhumanen Charakter des Systems zu erkennen und seine Schlüsse daraus zu ziehen6. Der Spielraum, der der Kommunalpolitik gegenüber den auf Reichsebene beschlossenen Vorgaben verblieb, war nicht nur für den Oberbürgermeister begrenzt. In der Wohnungspolitik ist das vor allem an dem engen finanziellen Rahmen erkennbar, in dem sich die Initiativen des städtischen Wohnungsreferates bewegen mußten. Über die Finanzierungsseite konnte das Reich auch die inhaltliche Ausrichtung kommunaler Wohnungspolitik steuern7. Wenn Reichsdarlehen 1933 nur für Kleinsiedlungen gegeben wurden, was blieb den Münchnern dann, trotz mancher Bedenken, anderes, als das Kleinsiedlungsprogramm fortzuführen? Und wenn später die Darlehensbestimmungen im Volkswohnungsbau keine Grundrisse über 30 bis 40 qm erlaubten, dann konnte -

-

6

7

Bezeichnend für Fiehlers Persönlichkeit ist die Tatsache, daß er noch in seinem Spruchkammerverfahren nach dem Krieg erklärte, ihm sei unbegreiflich, wie sich Goerdeler, mit dem er bei den Vorarbeiten zur Deutschen Gemeindeordnung von 1935 eng zusammengearbeitet hatte, zur Teilnahme am Attentat vom 20. Juli habe hinreißen lassen können. Sitzungsprotokoll Hauptkammer München-Stadt vom 11./12. 1. 1949, Amtsgericht München, Registratur S, Spruchkammerakt Karl Fiehler, Bl. 114. Zu Goerdeler sei hier nur auf die aktuellste Biographie hingewiesen: Reich, Goerdeler. Die „starke Lenkungswirkung von staatlichen Zuschußangeboten" fällt auch heute noch bei der Untersuchung kommunaler EntScheidungsprozesse auf, trotz gänzlich geänderter politischer

Rahmenbedingungen. Häußermann, Bedeutung „lokaler Politik", S. 43.

12

Einleitung

billigen Wohnungen mit größeren Wohnflächen errichten. Zur Initiierung eigener Förderungsprogramme fehlten in der von der Weltwirtschaftskrise entleerten Gemeindekasse weitgehend die Mittel. Kommunale Wohnungspolitik konnte unter solchen Umständen häufig nicht mehr als inhaltliche Schwerpunktsetzungen innerhalb der vom Reich grundsätzlich zugelassenen Wohnungsbauprogramme bedeuten. Während somit im materiellen Bereich wenig Gestaltungsspielraum blieb, verschafften die Instrumente der Diktatur auch der Stadt München neue Handlungsfreiheit gegenüber einer zur Unmündigkeit degradierten Bürgerschaft. Die Wohnungspolitik mußte weder die Mieter, die nicht mehr als Interessengruppe agieren konnten, noch die Hausbesitzer, die allzu leicht in den Verdacht „kapitalistischen Eigennutzes" gerieten, als Gegenpole fürchten. Am radikalsten nutzte sie ihre neue Verfügungsgewalt in der „Wohnraumarisierung", die von der „Judenpolitik" des Regimes seit 1938 ermöglicht München eben keine

und in München rücksichtslos betrieben wurde. Die Studie beschränkt sich nicht darauf, Handlungsspielräume der kommunalen Wohnungspolitik unter der Dominanz des Reiches auszuloten, sie will in umgekehrter Blickrichtung auch verfolgen, welche Impulse von München auf das Reich ausgingen. Freilich ließen es die zentralistischen Strukturen des „Dritten Reiches" nicht zu, daß kommunale „Sonderinteressen" zu einem entscheidenden Faktor des „policy making" auf Reichsebene geworden wären oder Richtungsänderungen grundsätzlicher Art herbeigeführt hätten. Aber auch die Diktatur konnte nicht völlig die von kommunaler Seite vermittelten Problemperzeptionen ignorieren, denn die lokalen Berichte waren ein wichtiges Barometer für die Stimmung vor Ort. Mit dem Hinweis auf fehlenden Rückhalt oder eine negative Haltung in der Bevölkerung ließ sich von Seiten der Kommunalpolitik allemal wirkungsvoll argumentieren. Hier interessiert, über welche Kanäle mit welchen Durchsetzungschancen die Münchner Politik und insbesondere die Wohnungspolitik überregionalen Einfluß zu nehmen versuchte. Für das Wohnungswesen übte das NSDAP-Hauptamt für Kommunalpolitik in besonderem Maße eine Transmissionsfunktion von der Münchner Stadtverwaltung zu anderen Gemeinden, aber auch zur Reichsebene aus8. Der Münchner Referent für das Wohnungs- und Siedlungswesen, Guido Harbers, bekleidete ehrenamtlich die Position eines sogenannten Hauptstellenleiters für das gleiche Ressort im Parteiamt und konnte in dieser Stellung gutachtlich und beratend tätig werden. Es war sicher nicht viel, was der Hauptstellenleiter auszurichten vermochte, aber in den begrenzten Räumen gemeindlicher Interessenvertretung im „Dritten Reich" nutzte er eine der ganz wenigen Möglichkeiten, überhaupt auf überregionaler Ebene die wohnungspolitischen Anliegen der Städte, speziell Münchens, ins Spiel zu bringen. Harbers bemühte sich unentwegt um Einflußnahme und war hierin von geradezu penetranter Hartnäckigkeit. Seine Überzeugung von der Bedeutsamkeit des eigenen Aufgabenge-

bietes führte ihn dazu, jederzeit und bei jedermann für seine Sache einzutreten; er veranlaßte auch den Oberbürgermeister, wegen der Münchner Wohnungsnot Eingaben an die Reichsspitze zu richten. Der Wohnungsreferent erreichte damit, daß das Woh-

Auf einem anderen Gebiet, der öffentlichen Fürsorge, hat Wolf Grüner jüngst gezeigt, daß der DGT und das Hauptamt für Kommunalpolitik diese Transmissionsfunktion ausübten und zwar in besonders negativer Weise in der Durchsetzung antisemitischer Maßnahmen. Grüner, Die öffentliche Fürsorge.

Einleitung

13

nungsproblem der Stadt nicht völlig aus dem Blickfeld geriet. Zwar gab es unter den Bedingungen der Aufrüstung und dann des Krieges keine effektiven Maßnahmen zur Bewältigung der Wohnungskrise in München, denn hier wurde keine Ausnahme von der nationalsozialistischen Regel gemacht, die zivile Bauproduktion völlig hinter den Rüstungssektor zurückzustellen. Bezeichnend ist aber doch, daß die seit 1938 veröffentlichten Ausbaupläne für die „Hauptstadt der Bewegung" an führender Stelle ein großes Wohnungsbauprogramm beinhalteten. Auch Hitler und der mit den München-Planungen beauftragte Architekt Hermann Giesler konnten sich nicht länger der Einsicht verschließen, daß ein extensives Repräsentationsbauprogramm ohne begleitende Wohnungsbaumaßnahmen bei der städtischen Bevölkerung auf Ablehnung stoßen müßte9. Es waren auch die Eingaben von Fiehler und Harbers, die diesen Zusammenhang deutlich gemacht hatten. Wohnungsbau als Politikfeld, insbesondere als kommunales Politikfeld10, ist das zentrale Thema der vorliegenden Studie. Eine ausschließliche Behandlung auf der Ebene von Politik und Administration würde jedoch der Tatsache nicht gerecht, daß der Zielbereich das Wohnen die Lebensverhältnisse der Bevölkerung in elementarer Weise prägt. Gerade der lokale Kontext bietet ja die Möglichkeit, den Blick über die Grenzen -

-

des Politischen hinaus auf wirtschaftliche und soziale Verhältnisse und in unserem Fall die städtische Lebenswirklichkeit zu lenken. Einen theoretisch-politikwissenschaftlichen Bezugspunkt liefert hier die „lokale Politikforschung", die sich aus dem von der traditionellen Selbstverwaltungsidee definierten kommunalen Organisationsrahmen löst und „das jeweilige .lokale Feld' als räumlichen Umgriff verstädterter Lebensbedingungen zum Zwecke empirischer Konkretisierung" nutzt11. Im vorliegenden historischen Untersuchungszeitraum, in dem die klassische kommunale Selbstverwaltung ohnehin kaum noch existierte, wird München auch als Testfall für die lokale Anwendung und Wirkung von Reichsprogrammen betrachtet. Es liefert einen spezifischen städtischen Kontext, in dem Wohnungsfragen in ihren weiteren sozialen und wirtschaftlichen Bezügen sichtbar werden. Zu fragen ist deshalb auch, in welche materiellen Ergebnisse bestimmte Politikprogramme mündeten und wie sich diese zu den Lebensverhältnissen und zur Bedürfnisstruktur im München der dreißiger Jahre verhielten. Wohnflächen und Sanitärverhältnisse, Geschoßbau- oder Flachbauweise, Grundstücksgrößen, Mietpreise, Wohnlagen und Verkehrsanbindung lauten nur einige der Stichworte, die in diesem Zusammenhang fallen. So trivial die Deskription von Wohnungs- und Gebäudetypen bisweilen erscheinen mag, sie vermittelt ein Bild vom Wohnalltag und -standard der Münchner Bevölkerung in den dreißiger Jahren. Damit ist ein weiterer Aspekt berührt, den diese Arbeit nur streifen kann: die ästhetische Komponente. Die Frage nach Baustilen und stadtplanerischen Gesichtspunkten kann schon aus fachlichen Gründen hier kaum angemessen beantwortet werden; dennoch soll an einigen Stellen der Versuch ge9

10

1'

Eine popularisierte, dafür aber plastische Darstellung der kritischen Bevölkerungsstimmung zu den gigantischen Ausbauplänen liefert Preis, München unterm Hakenkreuz, S. 59-71. Die Verschränkung mit anderen Politikfeldern kann immer nur punktuell herausgearbeitet werden, so manches Mal mit der Fürsorgepolitik. Hilfreich waren dabei die Hinweise von Wilfried Rudioff, dessen Dissertation über die „Wohlfahrtsstadt" München gleichzeitig mit dieser Arbeit entstand. Grauhan, Einführung: Lokale Politikforschung, bes. S. 17; vgl. auch Saldern, Stadt in der Zeit-

geschichte, S. 319.

Einleitung

14

macht werden, auch die architektonische Seite in die Analyse einzubeziehen. Wie verhielt sich die in München realisierte Wohnarchitektur der dreißiger Jahre zur Moderne? Welche Elemente nationalsozialistischer Ideologie reflektiert der im Vordergrund stehende Kleinhausbau? Mehr noch interessiert allerdings, welche sozialen Entwürfe hinter den Entwürfen der Architekten standen. Für wen wurde im nationalsozialistischen München gebaut? Wessen Bedürfnisse sollten befriedigt werden? Die aufgeworfenen Fragen erfordern einen Blick auf das Material, das zu ihrer Beantwortung zur Verfügung steht12. Als insgesamt gut ist die Überlieferung für die Münchner Kommunalverwaltung und -politik, die das Stadtarchiv aufbewahrt, zu bezeichnen13. Erhalten sind etwa die Protokolle der Stadtrats- und später Ratsherrensitzungen, und zwar auch für den nichtöffentlichen Teil, der im „Dritten Reich" bald der einzig interessante wurde. Sogar für die Zeit nach Erlaß der Deutschen Gemeindeordnung von 1935, als die Entscheidung des Oberbürgermeisters an die Stelle des mehrheitlichen Stadtratsbeschlusses gesetzt wurde, bilden die Protokolle noch eine wichtige Quelle. Es kennzeichnet nämlich die Münchner Verhältnisse, daß das Führerprinzip in der Praxis die Auseinandersetzung zwischen Oberbürgermeister, Referenten und Ratsherren nicht völlig überlagerte und der Sitzungssaal im Rathaus noch immer ein Politikforum blieb. Auch was die Sacharbeit des Wohnungsreferates, den Verkehr mit anderen städtischen Dienststellen und den Aufsichtsbehörden angeht, muß über Quellenmangel nicht geklagt werden. Mehr Schwierigkeiten bereitete schon die Tatsache, daß die Abgaben des Wohnungsreferates im Münchner Stadtarchiv zum Teil noch nicht unter archivalischen Kriterien gesichtet und verzeichnet wurden, so daß die forscherische Tätigkeit sich stellenweise mit der ordnenden und kategorisierenden Tätigkeit der Archivare überschnitt. Von den Beständen im Stadtarchiv muß weiter die Überlieferung des Hochbauamtes, die vor allem für die Beziehungen der Stadt zur Dienststelle des Generalbaurates Hermann Giesler interessant ist, genannt werden. Die planerische Arbeit des im Dezember 1938 ernannten Generalbaurats für die „Hauptstadt der Bewegung" wurde als solche keiner näheren Untersuchung unterzogen, weil dieses Feld als weitgehend erforscht gelten kann14. Hingegen konnten die Quellen in neuer Perspektive daraufhin befragt werden, wie sich das Verhältnis zwischen den Verantwortlichen der Stadt und dem Generalbaurat beim Umgang mit den Erfordernissen städtischer Wohnungs-

politik im Krieg gestaltete.

Neben der städtischen Überlieferung wurden einschlägige Bestände der Aufsichtsbehörden bei der bayerischen Regierung (Bayerisches Hauptstaatsarchiv) und im Reichsarbeitsministerium (Bundesarchiv) gesichtet15. Als ergiebig erwies sich auf der Regierungsebene auch das bei der Reichskanzlei angefallene Schriftgut. Hier kam hinzu, daß deren Leiter, Hans Heinrich Lammers, Hitler als Parteibeauftragten für München vertrat, so daß der „Hauptstadt der Bewegung" sein besonderes Augenmerk gelten mußte. Bestände der erwähnten kommunalpolitischen Interessenvertretungen, also

grundlegendes Hilfsmittel: Inventar archivalischer Quellen des NS-Staates, Teil 1. folgenden werden nur die wichtigsten Quellenbestände für diese Arbeit beschrieben. Näheres kann dem Quellenverzeichnis entnommen werden.

12

Als

13

Im

14 15

Rasp, Stadt für tausend Jahre; Bärnreuther, Revision der Moderne. Die Akten der Regierung von Oberbayern, der zuständigen Mittelbehörde, wurden bei einem

Luftangriff im Herbst 1944 vernichtet.

15

Einleitung

des Deutschen Gemeindetages und des Hauptamtes für Kommunalpolitik, konnten ebenfalls für diese Arbeit nutzbar gemacht werden16. Das galt vor allem im letztgenannten Fall, weil der Bestand „NS 25" des Bundesarchivs einen hohen Vollständigkeitsgrad aufweist und auch die Hauptamtstätigkeit im Bereich des Wohnungs- und Siedlungswesens zu erhellen vermag. Harbers' Wirken als Referent oder Hauptstellenleiter, der eine rein beratende und keine exekutive Funktion hatte, schlug sich vornehmlich in zahlreichen gutachtlichen Arbeiten nieder. Wurden vom Stab Heß oder später der Parteikanzlei Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen angefordert, die in irgendeiner Weise das Gebiet des kommunalen Wohnungs- und Siedlungswesens berührten, war es stets Harbers, den die Geschäftsstelle um ein entsprechendes Gutachten bat. Aber der Münchner Wohnungsreferent war auch aufgefordert, und damit wird ein zweiter Überlieferungsstrang gekennzeichnet, die regelmäßig eingehenden Tätigkeitsberichte der verschiedenen Gauämter17 hinsichtlich der Mißstände im Wohnungs- und Siedlungswesen zu kommentieren. Dann sollte der Hauptstellenleiter Ratschläge erteilen, geeignete Abhilfemaßnahmen finden und Vorschläge zur Verbesserung machen, die wiederum an die Stellen vor Ort zurückgeleitet wurden18. Von besonderem Wert im Hinblick auf den hier gegebenen lokalen Zusammenhang sind dabei Harbers' vielfache Verweise auf die Münchner Verhältnisse, die immer wieder in seine Stellungnahmen einflössen. Hingegen ist die Berichterstattung des Münchner Gauamtes gerade im Vergleich mit der paralleler Ämter in anderen Gauen generell sehr dürftig und im Bereich von Wohnungsfragen unbedeutend. Unter der Annahme, daß die personelle Besetzung die Gestaltung des Politikfeldes Wohnungsbau relativ stark prägte, gewann die Auswertung personenbezogener Akten an Bedeutung. Für die Hauptexponenten der kommunalen Wohnungspolitik in München, Karl Fiehler und Guido Harbers, existieren jeweils umfangreiche Personalakten im Stadtarchiv, die nicht nur biographische Zeugnisse liefern, sondern auch Besetzungsverfahren und generelle Personalfragen, nach außen verdeckte Konflikte im internen -

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Der größte Teil der Überlieferung zum DGT befindet sich im Landesarchiv Berlin. Leider ist der Sachgruppe Wohnungs- und Siedlungswesen nur die Registratur erhalten geblieben, während die eigentlichen Akten verloren sind. Immerhin konnten aber einige Sitzungen vor allem der Oberbürgermeistergremien in der Kriegszeit auch für unsere Fragestellung ausgewertet werden. Vgl. allgemein Engeli, Quellen zur Geschichte der kommunalen Spitzenverbände. Zum generellen Wert der gauamtlichen Tätigkeitsberichte Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 178f. Die Berichte galten den Parteiverantwortlichen als wichtige Elemente der Rückkoppelung an die Basis, da sie durch eine relativ unverblümte Sprache und ungeschönte Darlegung von Mißständen gekennzeichnet waren, und wurden daher von verschiedenen Parteiinstanzen als zusammengestellte „vertrauliche Berichtsauszüge" bezogen. „Dieser Charakter machte die Berichtsauszüge auch zu einem ausgezeichneten Instrument indirekter Einflußnahme auf die Parteistellen" (ebenda, S. 179). Vgl. auch zur etwas übertriebenen „tausendfältige!»] Verflechtung" des Hauptamtes mit dem gemeindlichen Leben die Rede des persönlichen Referenten von Fiehler, Heinz Jobst, am 7. 9. 1942 anläßlich einer Ämterbesprechung beim Abteilungsleiter in der Parteikanzlei, Gerhard Klopfer: „Aus mehr als 60 000 Gemeinden der verschiedensten Größenordnung, von der Zwerggemeinde bis zur Millionenstadt, kommen Anfragen, Anregungen zur Verbesserung oder zum Erlaß von Gesetzen und Verordnungen, Schilderungen von Mißständen an die Kreisamtsleitungen. Grundsätzliche Fragen werden über die Gauamtsleiter an das Hauptamt herangetragen. Die Partei-Kanzlei erhält dadurch eine enge Verbindung zu den Keimzellen des Staates." BDC, Ordner 211, Bl. 252-297, hier 279f. von

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Umgang verschiedener Verwaltungsstellen und informelle Beziehungen zwischen Ent-

scheidungsträgern erhellen. Aus quellenkritischer Sicht problematischer ist die Heranziehung von Spruchkammerakten zu beurteilen, die aber trotz der Verzerrung durch das „Persilschein-Unwesen" einen hohen Informationsgehalt besitzen. Die vielen aus Sympathie oder alter Loyalität zum Vorgesetzten bzw. Kollegen gegebenen Zeugnisse, aber auch die vom Betroffenen zu seiner Entlastung angeführten Aussagen und Belege bergen trotz ihrer eindeutigen Zielrichtung zahlreiche sachliche, manchmal zufällige Informationen. Gerade die meist große Anzahl solcher Dokumente ermöglicht es zudem, bei häufig in ähnlicher Form wiederholten Aussagen von einem höheren Wahrheitsgehalt auszugehen19, obwohl Unsicherheitsfaktoren bleiben. Gelegentlich konnten die Hinweise aus den Spruchkammerakten sogar dazu beitragen, die empirischen Lücken, die aufgrund fehlender Überlieferung der lokalen Parteiorganisation klaffen, etwas zu verkleinern. Trotzdem bleiben die Defizite erheblich: Über Fraktionssitzungen der NSDAP im Münchner Rathaus sind wir etwa nur durch indirekte Zeugnisse in den Ratssitzungen informiert, aber auch auf Gauebene ist das Material von Unvollständigkeit und Disparität gekennzeichnet. Bis auf wenige Aktensplitter, die aus dem Gau-Organisationsamt stammen, ist das im Siedlungswesen zuständige Gau-Heimstättenamt kaum dokumentiert20. Das gleiche gilt im übrigen für die darüber liegende Reichsorganisation: Auch zum Reichsheimstättenamt der NSDAP und DAF gibt es keinen einschlägigen geschlossenen Bestand, nur vereinzelte Überre-

allem im Schriftverkehr anderer Behörden, wie insbesondere der Parteikanzlei und der Reichskanzlei. Die Grenzen der behördlichen Überlieferung wurden mit der Auswertung von Beständen der Gemeinnützigen Wohnstätten- und Siedlungsgesellschaft (GWG) in München und der Siedlergenossenschaft München-Freimann überschritten. Die GWG-Materialien waren vor allem zur Baugeschichte einiger Anlagen hilfreich, während die Beziehungen zwischen dem städtischen Wohnungsreferat und diesem gemeinnützigen Unternehmen auch durch umfangreiche Schriftwechsel im Stadtarchiv dokumentiert sind21. Einen Einblick in das Innenleben von Siedlergemeinschaften in den dreißiger Jahren gestatteten die beim Vorstand der Siedlergenossenschaft München-Freimann bewahrten Unterlagen22. Hieraus ließen sich auch, freilich eher streiflichtartig, Erkenntnisse über die Rezeption behördlicher Wohnungs- und Siedlungspolitik bei der Klientel ziehen. Auf Basis dieser Quellen hat die vorliegende Arbeit einen anderen Erkenntnishorizont als die bisherige Literatur zur Bau- und Wohnungsgeschichte Münchens. In den meisten Untersuchungen dominieren Deskription von Architektur und Anlage sowie ste vor

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Letztere Aussage kann nur unter Vorbehalten gelten, weil Lutz Niethammer etwa gezeigt hat, daß Betroffene für ihre Entlastungszeugen sogar die Texte vorschrieben und sich nur ihre Unterschrift erbaten. Dazu wie zur Problematik generell: Niethammer, Entnazifizierung in Bayern, S. 613-617. Es handelt sich im wesentlichen um eine Akte im Staatsarchiv München: NSDAP 131. Auf Grundlage der GWG-Überlieferung: Walter, Sozialer Wohnungsbau. Anfragen zu Archivbeständen bei den anderen größeren gemeinnützigen Wohnungsunternehmen, die aus Sicht der Stadt in den dreißiger Jahren wichtig waren, zeigten keinen Erfolg. Zur Siedlerperspektive auf Basis der genossenschaftlichen und Archivüberlieferung: Klotz, 60 Jahre.

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Interpretation der Baugeschichte und Baugestalt23, während in der jüngst erschienenen

Studie von Gerhard Neumeier die Wohnverhältnisse mit Hilfe sozialwissenschaftlicher Methodik in die Sozialgeschichte der Münchner Bevölkerung um die Jahrhundertwende eingebettet werden24. Hier wird hingegen der Versuch unternommen, das kommunale Wohnungswesen vornehmlich mit den Fragestellungen der Politik- und Verwaltungsgeschichte zu deuten. Das Interesse richtet sich auf die Entstehung und Durchführung von Bauprojekten und Wohnungsfürsorgeprogrammen, auf ihre Träger und deren Position im politischen Organisationsgefüge. Dabei bildet die Stadt als politischer, aber auch sozialer und kultureller Ort mit eigenen Lebensbedingungen, Kommunikationsverhältnissen und einer spezifischen Lokalgeschichte den Untersuchungsraum.

Von den bauhistorischen Forschungen ist für die vorliegende Arbeit vor allem Ursula Henns Interpretation der Mustersiedlung Ramersdorf wichtig, die diese von Guido Harbers konzipierte und realisierte Siedlung in ein Modell zeitloser Qualitätsarchitektur einordnet und sich ausführlicher mit der Architektenpersönlichkeit Harbers befaßt25. Aus der im lokalen Kontext wichtigen Literatur sind weiterhin die Arbeiten zu Stadtplanung und städtebaulicher Anlage zu nennen, die für München gerade im Hinblick auf die NS-Zeit als relativ gut erforschte Gebiete gelten können26. In diesen Forschungen wurde die NS-Architektur auch als „Politikum" verstanden, das sich einem ausschließlich hermeneutisch-kunsthistorischen Ansatz entzieht und im Licht von Machtkonstellationen, ökonomischen Spielräumen und ideologischen Postulaten interpretiert werden muß27. Im Unterschied zum hier angelegten Interpretationsrahmen treten aber die kommunalen Instanzen bei der Untersuchung der Planungen für die „Hauptstadt der Bewegung" sehr zurück, weil die Stadtverwaltung aus diesem Sektor praktisch ausgeschlossen war. Die kommunale Bauinitiative wurde auf die Residualposten verdrängt, die der Alltagsarchitektur im „Dritten Reich" verblieben, auf die Erstellung einfachster Wohnbebauung, die vom repräsentativen Charakter einer „Großen Achse" durch die Münchner Innenstadt weit entfernt war. Damit ist ein weiterer grundsätzlicher Unterschied im Gegenstand bezeichnet: Während sich bei den Stadtplanungen für München und die anderen „Führerstädte" Merkmale eines „faschistischen" oder „totalitären" Baustils in der Formensprache und monumentalen Gesamtanlage vor allem der Innenstadtbereiche herauskristallisieren lassen, ist das für die Alltagsarchitektur des „Dritten Reiches" kaum möglich. Hier überwiegen auch in München die Kontinuitätselemente zu Traditionsarchitektur und Heimatstil; hier spricht nicht „das Wort aus Stein"28, sondern herrscht ein schlichter Funktionalismus vor, der in erster Linie vom Gebot sparsamer Mittelverwendung zu zeugen scheint29. Allenfalls -

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Bibliographien: Raeithel (Bearb.), Wohnungsbau in München, und Stark (Bearb.), Wohnungsbau in München

Städtebau; Zimmermann, Wohnbau in München; Weschenfelder, Borstei; Herrn, Mustersiedlung; Krause, Münchner Geschoßsiedlungen. Neumeier, München um 1900. Herrn, Mustersiedlung. Fisch, Stadtplanung; Rasp, Stadt für tausend Jahre; Bärnreuther, Revision der Moderne; Arndt, -

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Münchener Architekturszene. Bärnreuther, Revision der Moderne, S. 7. Zitat Hitlers nach Rasp, Bauten und Bauplanung, S. 294. Vgl. zum kontinuitätsgeprägten Charakter der Alltagsarchitektur im „Dritten Reich": Stuttgarter Schule.

Voigt,

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in der häufig sehr deutlichen Abwendung von den Siedlungen des Neuen Bauens in den

zwanziger Jahren lassen sich stilprägende Elemente nationalsozialistischer Wohnarchi-

tektur erkennen. Die Frage „faschistischer Architektur", der eigentümlichen Verbindung von Politik und Ästhetik im Nationalsozialismus30, hat auch außerhalb des Forschungsfeldes München eine breit ausgreifende Literatur hervorgebracht31, die die vorliegende Darstellung nicht einmal in Ansätzen würdigen kann. Dennoch wurde versucht, mit Hilfe dieser Forschungsliteratur den Rahmen, in dem alle Bautätigkeit im nationalsozialistischen München sich vor allem seit 1938 bewegen mußte, im Auge zu behalten. Hitler hatte München nicht nur zur „Hauptstadt der Bewegung", sondern auch zur „Stadt der Deutschen Kunst" symbolisiert vor allem im Haus der Deutschen Kunst von Paul Ludwig Troost erklärt und es damit zu einem Zentrum für ästhetische Entwürfe des Nationalsozialismus gemacht32. München wurde aufgenommen in den Kreis der sogenannten Neugestaltungsstädte, für die ein umfangreiches, von Hitler selbst maßgeblich mitbestimmtes Bauprogramm entworfen wurde33. Und München erhielt einen eigenen „Führerarchitekten", den Generalbaurat Hermann Giesler, dessen in Analogie zu Speers Stellung in Berlin definierte Position nur um so stärker die Rivalität zum Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt unterstrich34. All das berührte den Wohnungsbau von der praktischen Seite nur wenig, lieferte aber häufig der Kommunalpolitik den argumentativen Unterbau und war daher im Entscheidungsprozeß wichtig. Im Gegensatz zur bereits in den sechziger Jahren einsetzenden, intensiven Forschungstätigkeit im Bereich von Repräsentationsarchitektur und Stadtplanung war das Feld des nationalsozialistischen Wohnungs- und Siedlungsbaues lange Zeit eher dünn besetzt35. Mit der Studie von Peltz-Dreckmann wurde 1978 erstmals eine umfassendere Monographie der NS-Siedlungspolitik vorgelegt, die aber nur auf publiziertem Material beruht, so daß sie zwar Programme analysieren kann, deren Entstehungshintergründe und Durchführungsproblematik aber weitgehend vernachlässigen muß. Das Münchner Beispiel wird hier mit der Beschreibung verschiedener Siedlungsanlagen relativ eingehend gewürdigt, was auch als Zeichen gelten kann, daß München in diesem Sektor während des „Dritten Reiches" eine vergleichsweise aktive Rolle spielte36. Besonders interessante neue Ansätze zur Interpretation des nationalsozialistischen Siedlungswesens sind von der Soziologie ausgegangen, weil sie es nahelegen, die städtische Siedlungsplanung auch im Zusammenhang weiterer Raumordnungskonzepte zu sehen37. Ulrich Blumenroths Überblick über die „Deutsche Wohnungspolitik seit der Reichs-

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Unter Einbeziehung der Weimarer Zeit ist der „Klassiker" für die Erforschung dieser Beziehung nach wie vor: Miller Lane, Architektur und Politik. Ein besonders interessanter Forschungsüberblick bei Bärnreuther, Revision der Moderne,

S. 11-29. Dazu etwa Petsch, Baukunst und Stadtplanung, bes. S. 84-90. Zu Hitlers Selbstverständnis als Stadtplaner und insbesondere den

Planungen für die „Führerstädte": Thies, Nationalsozialistische Städteplanung; Dülffer/Thies/Henke, Hitlers Städte. Durth, Deutsche Architekten, bes. S. 193-199. Als jüngstes Hilfsmittel: Ruck, Bibliographie zum Nationalsozialismus, bes. S. 810-816. Peltz-Dreckmann, Nationalsozialistischer Siedlungsbau. Hier vor allem die Arbeiten von Münk, Organisation des Raumes, und Gutberger, Volk, Raum und Sozialstruktur.

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gründung" ist für das Verständnis des Gegenstandes und seiner wichtigsten gesetzlichen Hintergründe nützlich, einen spezifischen Interpretationsrahmen für die nationalsozialistische Wohnungspolitik liefert er indes nicht38. Von ganz anderem Zuschnitt ist Adelheid von Salderns jüngst erschienene Geschichte des Arbeiterwohnens in Langzeitperspektive39. Unter einem sozialgeschichtlichen Blickwinkel, der deutliche Anregungen aus der Soziologie bezieht, gilt ihr Interesse den Wohnverhältnissen: dem Quartier, den sozialen Netzwerken, der Wohnkultur, dem „homo habitans" generell. Salderns Studie schließt sich an einige Sammelbände zur Geschichte des Wohnens an, aus denen einzelne Beiträge auch für die vorliegende Arbeit fruchtbringend genutzt werden konnten40. Eine umfassende, empirisch fundierte Analyse der nationalsozialistischen Politik auf dem Gebiet des Wohnungsbaus wurde erst in jüngster Zeit von Tilman Harlander vorgelegt41. Sie erfaßt erstmals für den gesamten Zeitraum von der Weltwirtschaftskrise bis zum Kriegsende die ideologischen Hintergründe, die politischen Konflikte, die Planungs- und die Bautätigkeit im Wohnungswesen. Die Analyseebene ist das Reich; im Vordergrund stehen dessen Handlungsträger und ihr organisatorisches bzw. ParteiUmfeld. Insofern ist die vorliegende Arbeit mit ihrem Zuschnitt auf die lokale und Durchführungsebene deutlich von Harlanders Habilitationsschrift abgegrenzt. Sie setzt manchen Akzent aus der Perspektive der Wirkung vor Ort durchaus anders, als Harlander es mit Blick auf die Intentionen der Reichspolitik tut42. Dabei ist Harlander auch deutlicher von einem Interesse an der nationalsozialistischen Planungstätigkeit geleitet, wie sich schon in seinen Vorarbeiten zum sogenannten „Sozialen Wohnungsbau" Hitlers zeigt. Zu diesem Feld seien im folgenden noch einige Anmerkungen gemacht. Während mit dem Begriff „Sozialer Wohnungsbau" in der Bundesrepublik ein gesetzlich präzise umrissener Sektor der Wohnbautätigkeit bezeichnet wird43, bildete schon seit dem 19. Jahrhundert die Bereitstellung von vergünstigtem Wohnraum für „minderbemittelte" Bevölkerungsgruppen die Legitimation für staatliches oder städtisches Eingreifen. In diesem Sinn steht bereits „ein Jahrhundert sozialer Wohnungsbau" in Deutschland der wissenschaftlichen Erforschung offen, und gerade in jüngerer Zeit haben sich auch Historiker verstärkt dieser Aufgabe angenommen44. Dabei ist die NSZeit weitgehend ausgeklammert worden, kann doch als Charakteristikum nationalso38 39

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Blumenroth, Deutsche Wohnungspolitik. Saldern, Häuserleben. Mit dieser Studie dürfte sich auch die Feststellung von Günther Schulz im Jahr 1986, daß „eine integrierte historische Untersuchung der politischen, sozialen, wirtschaftlichen Aspekte des Wohnens" bislang fehle, zu guten Teilen erledigt haben. Ders., Neue Literatur, S. 366.

Niethammer (Hrsg.), Wohnen im Wandel; Teuteberg (Hrsg.), Homo habitans; Schildt/Sywottek (Hrsg.), Massenwohnung und Eigenheim. Harlander, Heimstätte und Wohnmaschine. Einen konzisen Überblick über die nationalsozialistische Wohnungsbaupolitik hat kürzlich auch Führer in einem Aufsatz präsentiert („Anspruch und Realität"). Vgl. z.B. unten, S. 144f. Harlanders Buch konnte erst bei der Überarbeitung dieser Dissertation berücksichtigt werden, so daß die Verfasserin sich nur an einigen wichtigen Stellen damit aus-

einandergesetzt hat.

Wohnungsbaupolitik der Bundesrepublik in den frühen Jahren jetzt die Habilitationsschrift von Schulz: Wiederaufbau in Deutschland. Vgl. den Forschungsbericht von Müller, Ein Jahrhundert Sozialer Wohnungsbau. Aus der Literatur vgl. Rodriguez-Lores/Fehl (Hrsg.), Kleinwohnungsfrage; Schulz (Hrsg.), Wohnungspolitik im Sozialstaat. Zur

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zialistischer Wohnungspolitik gerade die Abkehr von einem öffentlich subventionierten sozialen Wohnungsbau gelten. Allerdings leitete Hitler 1940 eine Aktion unter dem Begriff „Sozialer Wohnungsbau" ein, die nach dem Krieg die nationalsozialistischen Vorstellungen von Massenwohnungsbau in die Realität umsetzen sollte, aber nicht über das Stadium eines Planspiels hinausgelangte. Tilman Harlander und Gerhard Fehl haben dazu eine auch dokumentarisch wichtige Veröffentlichung vorgelegt45. Dem von Hitler ernannten Reichskommissar für den Sozialen Wohnungsbau, Robert Ley, hat MarieLuise Recker ebenfalls einen Aufsatz gewidmet, die sich außerdem in weiteren Studien mit dem Kriegswohnungsbau befaßt hat46. Reckers Arbeiten legen auch den Hinweis auf ein verwandtes Forschungsfeld nahe, in dem die Frage des Wohnungsbaus ebenfalls eine gewichtige Rolle spielt: die Stadtgründungen und Industrieansiedlungen im Nationalsozialismus47. Die inzwischen recht zahlreich vorliegenden Arbeiten48 konnten auch zur Korrektur der verbreiteten Auffassung beitragen, die Nationalsozialisten hätten eine ausschließlich rückwärtsgewandte Siedlungsideologie gegen die moderne Großstadtbildung gesetzt. Die Wirklichkeit war vielschichtiger und läßt sich nicht allein mit dem Topos von der Großstadtfeindschaft beschreiben. Darauf wird zurückzukommen sein. Nach diesem Literaturüberblick soll die Gliederung der Arbeit noch knapp erläutert werden. Im ersten Teil, der drei Kapitel umfaßt, soll der kommunalpolitische Handlungsrahmen abgesteckt werden. Wie vollzog sich die Besetzung der gemeindlichen Schlüsselpositionen durch die Nationalsozialisten, und wie wurden diese Positionen im Verlauf der folgenden zwölf Jahre ausgefüllt und verteidigt? In diesen Kontext gehören auch biographische Skizzen, die den wichtigsten Entscheidungsträgern Profil verleihen sollen. Die Pionierstudie zur Münchner Kommunalpolitik der NS-Zeit, auf deren Erkenntnisse für die erste Phase bis 1935 vielfach rekurriert werden konnte, hat Helmut Hanko vorgelegt49. Im dritten Kapitel wird der Blick über München hinaus erweitert und gefragt, welche institutionellen und politisch-gesetzlich legitimierten Spielräume grundsätzlich für die Wahrnehmung gemeindlicher Aufgaben im „Dritten Reich" verblieben. Im zweiten Teil wechselt die Perspektive, und das eigentliche Sachfeld die Wohnungspolitik wird zum zentralen Gegenstand. Dabei ist eine Rückblende bis in die Zeit des Kaiserreiches, vor allem aber auf die konstitutiven zwanziger Jahre unumgänglich. Relativ breiter Raum wird hier der gesamtstaatlichen Ebene als der für die Politikformulierung entscheidenden Handlungsebene gewidmet. Die Darstellung bewegt sich dann in quasi absteigender Linie vom Reich, über das Land Bayern bis zur Stadt München. Ein Längsschnitt durch die Entwicklung ihres Wohnungswesens soll den Hintergrund liefern, auf den sich die weiteren Analysen einzelner wohnungspolitischer Maßnahmen im Nationalsozialismus stützen können. -

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Harlander/Fehl

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Recker, Reichskommissar; dies., Staatliche Wohnungsbaupolitik; dies., Wohnen und Bombar-

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dierung.

(Hrsg.), Hitlers Sozialer Wohnungsbau.

Dies., Großstadt. Walz, Wohnungsbau- und Industrieansiedlungspolitik; Schneider, Stadtgründung im Dritten Reich; Mattausch, Siedlungsbau; Forndran, Stadt- und Industriegründungen. Hanko, Kommunalpolitik. Für die Vorgeschichte der „Machtergreifung" in München ist Steinborn, Grundlagen, zentral.

Einleitung

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Es sind zwei Programme, die herausragen, wenn man das gesamte Feld der im dritten Teil aufgefächerten Wohnungsbau- und Siedlungspolitik im nationalsozialistischen München betrachtet50. Zum einen wird das Siedlungsprogramm ausführlicher behandelt, das seinen quantitativ stärksten Ausdruck im Kleinsiedlungswesen fand, aber auch in einigen spezifisch Münchnerischen Schöpfungen realisiert wurde. Ebenso wie die Genese dieser Siedlungsprojekte im Rahmen der staatlichen und gemeindlichen Politik interessiert der Umgang der Kommune mit ihren Zielgruppen. Wer sollte angesiedelt werden? Wie wurde im konkreten Fall die Gruppe der Siedler konstituiert? Welche Instrumente konnte die nationalsozialistische Stadt in der Auswahl und späteren Disziplinierung ihrer Siedler einsetzen? Der verkürzte Begriff „Siedlungsideologie" bezieht sich hier also nicht nur auf die Idealisierung der Siedlung als Wohnform durch die Nationalsozialisten, sondern auch auf die ideologische Durchdringung des Siedlungswesens, die von gesetzlichen Bestimmungen vorgegeben und von der lokalen Politik umgesetzt wurde. An zweiter Stelle ist das Volkswohnungsbauprogramm zu nennen, das 1935 vom Reich initiiert wurde und eine allmähliche Revision einleitete, in deren Verlauf der Miet- und Geschoßwohnungsbau auch im Nationalsozialismus wieder Gewicht erhielt. In München läßt sich am Beispiel der Volkswohnungsanlage in Berg am Laim nicht nur die neue Zielrichtung der Wohnungspolitik demonstrieren. Man erhält gleichfalls einen Eindruck von den Schwierigkeiten, die ihrer Verwirklichung entgegenstanden, und den Kompromissen, die im Interesse des Ausgleichs von politischer Absicht und sozialer Akzeptanz eingegangen werden mußten. Den Abschluß des Hauptteils bildet ein Kapitel über Wohnungsfürsorge, in dem die sonst im Vordergrund stehende Baupolitik etwas zurücktritt und andere Formen städtischen Umgangs mit der „Wohnungsfrage" stärker thematisiert werden. Wie stellte sich die Stadt zu den Bedürfnissen der Mieter, die einer unabhängigen Interessenvertretung im Nationalsozialismus beraubt wurden? Auf welche Weise griff sie in den Wohnungsmarkt ein, und wessen Chancen versuchte sie dadurch zu verbessern? Was tat sie für Bedürftige, Obdachlose und andere Fürsorgefälle? Da der städtische Spielraum für dirigistische Eingriffe in das Wohnungswesen durch die Reichspolitik begrenzt wurde, sind besonders die Ausweichstrategien der Münchner Wohnungspolitik zu verfolgen, die mit allen möglichen Methoden zwischen Angeboten und Repressionsdrohungen versuchte, den Markt zu beeinflussen. Der letzte Teil ist dem Wohnungswesen in der Kriegsphase gewidmet, die in dieser Untersuchung deutlich hinter die Vorkriegsjahre zurücktritt. Das hat seinen Grund zum einen in der Tatsache, daß die Stadtverwaltung schon seit der Ernennung des Generalbaurats Giesler im Dezember 1938, noch stärker aber seit Kriegsbeginn ihrer Bauhoheit verlustig ging und eine „souveräne" Wohnungspolitik der Kommune völlig un-

möglich wurde. Die institutionelle Strangulierung der gemeindlichen Baupolitik wurde aber, und das ist der zweite Grund, bald noch von der materiellen Austrocknung übertroffen. Der Entzug sämtlicher Ressourcen zugunsten der Kriegswirtschaft machte Mit der Untersuchung des Wohnungsbaus in seinen Verschränkungen mit der Stadtpolitik läßt die Studie einige Sektoren des Bauwesens im nationalsozialistischen München unberücksichtigt. Ausgeklammert wird insbesondere der Eigenheimbau (damit auch das Bausparwesen), soweit er sich nicht in städtisch geförderten Siedlungen abspielte. Der Werkswohnungsbau bleibt ebenfalls unbeachtet.

Einleitung

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Wohnungsbau im Sinne der Vorkriegsverhältnisse seit 1942 ganz unmöglich. Was blieb, der Behelfsheimbau, dem auch ein Abschnitt gewidmet wird. Die Darstellung in diesem Teil strebt generell keine umfassende Erörterung der Wohnungsfrage von 1939 bis 1945 an51, sondern wird sich auf einige kürzere Fallstudien beschränken, um spezifische Entwicklungen der Kriegszeit herauszuarbeiten. Darunter erscheint am wichtigsten die Instrumentalisierung der Judenverfolgung im Sinne städtischer Wohnungspolitik. Die „Entmietung" der Juden, ihre Ghettoisierung und schließlich Deportation bot für nationalsozialistische Stadtpolitiker die willkommene Chance, Wohnraum für die Unterbringung von „Volksgenossen" zu gewinnen. Zwischen einem überzeugten Antisemiten wie Karl Fiehler und dem ganz in den Kategorien der Wohnungspolitik denkenden Guido Harbers waren bei dieser Zielperspektive wenig Unterschiede zu erken-

war

Der Verlust der Humanität im Nationalsozialismus ist auch bei der städtischen Bürokratie unübersehbar. Der Rassismus hielt nicht erst im Krieg Einzug in das Wohnungswesen, sondern prägte schon die nationalsozialistische Kleinsiedlung in einer Weise, die sie bei aller Formenverwandtschaft doch deutlich von der vorstädtischen Siedlung der Weimarer Epoche abgrenzte. Die Ausrichtung an der Rassenideologie liefert auch ein Beispiel dafür, daß sich in der Wohnungsfrage verschiedene gesellschafts-, wirtschafts- und sozialpolitische Entwicklungsstränge berührten. Im Siedlungswesen spiegelte sich die Ausgrenzung der „Gemeinschaftsfremden" genauso wie die pronatalistische Politik für die „Volksgenossen" wider. In der nicht ausreichenden Wohnbautätigkeit wurde schon frühzeitig die Kostenseite der Aufrüstungspolitik bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit so augenscheinlich erfolgreich spürbar. Und im Krieg schließlich mußten die Überlebenden nicht selten mit dem Verlust der Wohnung die Rechnung für den nationalsozialistischen Eroberungswahn bezahlen. In der folgenden Darstellung wird versucht, auch diesen Interdependenzen gerecht zu werden und die Wohnungspolitik nicht als isoliertes Spezialgebiet, sondern als Teilfunktion des nationalsozialistischen Herrnen.

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schaftssystems zu analysieren.

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Bei einer umfassenderen Darstellung der Kriegszeit hätte auch „das Lager" als neue ZwangsWohnform für die vom System verfolgten und ausgebeuteten Menschen thematisiert werden müssen. Vgl. dazu aber jetzt Heusler, Ausländereinsatz, S. 172-222.

I. NS-Herrschaft und

Kommunalpolitik:

die Rahmenbedingungen Im Prozeß der nationalsozialistischen Machtübernahme

ergriffen nicht fremde Kräfte Münchner Rathaus Besitz, sondern der Schlag wurde gewissermaßen von innen heraus geführt. Zwar lieferten erst die Entwicklungen im Reich und in Bayern die notwendigen Voraussetzungen, um auch die Münchner Stadtspitze zu erobern, ihre Plattform aber hatte die NSDAP im Rathaus selbst: Eine nationalsozialistische Stadtratsfraktion gab es in München schon seit 1924, unter dem städtischen Personal waren etliche Nationalsozialisten „der ersten Stunde" anzutreffen, und der künftige Oberbürgermeister hatte das Verwaltungsgeschäft hier von der Pike auf erlernt. Auch die Münchner Kommunalpolitik war damit von der NSDAP als Vehikel auf ihrem Weg zur Macht benutzt worden. Die Stadt hatte jedoch auch immer wieder Gegenwehr gezeigt und sich von den Nationalsozialisten nicht zum willenlosen Instrument machen lassen. Schon in der Amtszeit des sozialdemokratischen Bürgermeisters Eduard Schmid von 1919 bis 1924 wurde die Rathauspolitik in den Kampf der Nationalsozialisten gegen die Weimarer Republik verwickelt. Der „rote" Stadtrat, den die Revolution hervorgebracht hatte, galt der jungen Hitler-Partei als erklärter Gegner. Es ist deshalb nicht erstaunlich, daß die von Hitler zum „Losschlagen" aufgerufenen Teilnehmer des Novemberputsches 1923 ihren entfesselten gewalttätigen Aktionismus auch gegen die Stadträte richteten. Die kurzfristige „Entführung" einiger sozialistischer und kommunistischer Stadträte erwies sich im nachhinein zwar als dilettantisches, kopfloses Unternehmen, zeigte aber doch, wie sehr sich die Brutalität der Hitler-Anhänger gegen diejenigen richtete, die in Münchens Stadtpolitik die Revolution von 1918/19 verkörperten1. Während der Stadtrat seine politischen Konsequenzen aus dem Putschversuch zog und den beteiligten Nationalsozialisten Karl Fiehler aus dem städtischen Dienst entlassen wollte, waren längst nicht alle verantwortlichen Stellen in Bayern zu einem entschiedenen Vorgehen gegen die Republikgegner bereit. Die Regierung von Oberbayern nötigte die Stadt zu einer Wiedereinstellung Fiehlers, so daß er als städtischer Beamter weiterbeschäftigt wurde, bis ihm der Umsturz von 1933 die Ernennung zum Bürgermeister bescherte2. Der Fall Karl Fiehler ist symptomatisch für die isolierte politische Position, in der sich der Münchner Stadtrat in der Inflationszeit befand3. Während auch als Konsequenz der Ermordung des Revolutionärs und Ministerpräsidenten Kurt Eisner und der späteren blutigen Niederschlagung der Räterepublik die Revolutionspartei der Unabhängigen Sozialdemokraten (USP) als Sieger aus den Stadtratswahlen vom Juni 1919 hervorvom

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Zu der Episode Steinborn, Grundlagen, S. 233-235. Vgl. unten, S. 33ff. Zur engen Begrenzung kommunalpolitischer Handlungsmöglichkeiten nicht nur durch die politischen Konstellationen, sondern auch die wirtschaftlichen Probleme der Inflationszeit vgl. Rudioff, Notjahre, S. 349-353.

I. NS-Herrschaft und

24

Kommunalpolitik

ging4, wurde die bayerische Politik in der darauffolgenden Zeit durch einen deutlichen Rechtsruck geprägt. Dessen Exponent war Gustav von Kahr, der 1920 den Kapp-Putsch und 1923 die angeheizte Stimmung im Vorfeld des Hitler-Putsches nutzte, um sich jeweils an die Spitze der bayerischen Regierung zu setzen. Der Stadt war er als Regierungspräsident von Oberbayern seit 1917 und damit Leiter ihrer unmittelbaren Aufsichtsbehörde ohnehin eine vertraute Gestalt. Als Verfechter der „Ordnungszelle Bayern" vertrat Kahr einen rechtskonservativen, scharf antisozialistischen Kurs, der die bayerische Innenpolitik zu Beginn der zwanziger Jahre prägte und die Stadtverwaltung insbesondere in polizeirechtlichen Fragen zur Konfrontation nötigte5. Während ihre politische Ausrichtung die Stadtvertretung so einerseits in ein spannungsreiches Verhältnis zu den Aufsichtsbehörden und der Landesregierung brachte, fand sie intern ebensowenig zu einer stabilen Basis für die kommunalpolitische Arbeit. Zwar konnten sich die beiden sozialistischen Parteien im Stadtrat 1919 auf die Wahl des Mehrheitssozialdemokraten Eduard Schmid zum ersten Bürgermeister einigen, nachdem zuvor die Direktwahl durch die Bürger keinem Kandidaten eine absolute Mehrheit erbracht hatte 6. In der Folgezeit war jedoch die USP, die schließlich auch aufgrund von Reichsentwicklungen keine Überlebenschance hatte7, häufig isoliert, da bei vielen Entscheidungen Mehrheitssozialdemokraten (MSP) und bürgerliche Parteien zusammengingen. Schwierig war es für die Unabhängigen Sozialdemokraten auch, eigene Kandidaten für die Referentenposten durchzusetzen, die traditionell mit Juristen aus dem bürgerlichen Lager mit einer deutlichen Dominanz der liberalen Parteigänger besetzt waren. Die Revolution hatte wenig an diesem Zustand geändert, nur drei Referenten schieden aus, während für die anderen eine Bestätigung im Amt für zehn Jahre erfolgte8. Das war allerdings Folge einer Neuerung des Selbstverwaltungsgesetzes von 1919, das die Ernennungen der berufsmäßigen Stadträte auf Lebenszeit aufhob und damit eine stärkere Abhängigkeit dieser Ämter von den politischen Konstellationen durchsetzte9. Die Konsequenzen zeigten sich sogleich bei der Neuvergabe der drei freigewordenen Referentenposten, um die heftige Auseinandersetzungen zwischen den Parteien entbrannten, bis sie erst Mitte 1920 mit je einem Kandidaten der USP, MSP und der Bayerischen Volkspartei (BVP) besetzt wurden. Die USP legte Wert darauf, das Juristenmonopol bei den berufsmäßigen Stadträten zu brechen, und benannte mit Karl Sebastian Preis einen Ver-

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Nicht nur die spezielle Münchner Situation von Revolution und Räterepublik machte die USPD Sieger, auch in vielen anderen Städten wurde sie 1919 zur stärksten Kraft. Vgl. Engeli, Städte und Staat, S. 165. In München erlangte die USP 16 Sitze im Rathaus, die MSP nur zehn, während die BVP 15 Sitze erobern konnte, die DDP es immerhin auf sieben Sitze brachte und Liberale Bürgerpartei und Hausbesitzer-Liste jeweils ein Mandat innehatten. Steinborn, Grundlagen, S. 172f. Kritzer, Bayerische Sozialdemokratie, bes. S. 188-194, und Steinborn, Grundlagen, S. 228-231. Die USP scheute sich, obwohl stärkste Fraktion, „Regierungsverantwortung" zu übernehmen, und unterstützte den MSP-Kandidaten. Dazu wie überhaupt zu den Schwierigkeiten der Mehrheitsfindung und Konsensbildung im ersten Nachkriegsstadtrat Steinborn, Grundlagen, S. 198zum

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212 und 221-237. 7

Zunächst auf dem linken Flügel durch eine KPD-Abspaltung geschwächt, schloß sich die Münchner USP-Fraktion, den Reichsentwicklungen folgend, im Herbst 1922 überwiegend mit der MSP-Fraktion zusammen, während links davon nur Splitter weiterexistierten, ebenda, S. 219f.

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Ebenda, S. 201.

9

Zum

bayerischen „Gesetz über die Selbstverwaltung" vom 22.5.1919 vgl. ebenda, S.

138-144.

I. NS-Herrschaft und

Kommunalpolitik

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waltungspraktiker ohne akademische Ausbildung10. Dessen beruflicher Werdegang, der

ihn seit 1914 durch verschiedene Stellen im Finanz- und Steuerwesen der Stadt geführt hatte, macht jedoch deutlich, daß es auch den Linkssozialisten auf solide Verwaltungserfahrung ankam. Preis wurde zunächst Referent für Übergangswirtschaft, übernahm aber 1927 das Wohnungsreferat, so daß von ihm noch mehr zu berichten sein wird. Karl Preis und sein SPD-Kollege Karl Schmidt blieben die einzigen Referenten, die für die Dauer der Weimarer Republik von der sozialistischen Umbruchphase der Stadtverwaltung zeugen sollten; die Mehrheit der Juristen aber blieb ebenso ungebrochen wie deren Verankerung im bürgerlichen Lager. Zweifellos konnten sich die berufsmäßigen Stadträte trotz der stärkeren Politisierung ihrer Ämter in der Weimarer Republik „ein nicht zu unterschätzendes Maß von Unabhängigkeit und Freiheit der Entschließung" bewahren11. Obwohl dieser Entscheidungsspielraum unter der nationalsozialistischen Diktatur stark eingeschränkt wurde, erhielten sich die Referatsleiter auch nach 1933 die relativ einflußreiche Position, die ihr Fachwissen und ihre sachliche Arbeit ihnen einbrachten. Weder 1918/19 noch 1933 fand ein umfassender Personalaustausch statt trotz jeweils tiefgreifender Veränderungen der Gemeindeverfassung: Nach der Revolution wurde mit dem dualistischen System von Magistrat und Gemeindebe-

vollmächtigtenkollegium gebrochen und eine gemeinsame, aus allgemeinen, gleichen Wahlen hervorgehende Vertretungskörperschaft gebildet; dieser Stadtrat wurde dann nach der „Machtergreifung" durch die Einführung des „Führerprinzips" entmachtet und seiner Organfunktionen beraubt. Die leitenden Verwaltungsbeamten aber stehen

für das Element der Kontinuität, wie für die Zeit nach 1933 noch ausführlicher darzustellen sein wird12. Wie einschneidend auch immer der Übergang von der Monarchie zur Republik für die Kommunalpolitik gewesen sein mochte, schon bei den Gemeindewahlen von 1924 zeigte sich, daß die postrevolutionäre Epoche vorüber war13. Eine „Nationale Wahlgemeinschaft" aus BVP, den nationalliberalen Gruppierungen, den Deutschnationalen und der Hausbesitzerliste trat an, um der Sozialdemokratie die Herrschaft im Münchner Rathaus zu nehmen. Sie konnte zwar keine absolute Mehrheit auf sich vereinigen, es gelang ihr aber, die kleinen Fraktionen und das völkische Lager für die Wahl des BVPBürgermeisterkandidaten Karl Scharnagl zu gewinnen14. Ebenso wie zuvor für die SPD blieb es auch für die BVP nach 1924 eine stets prekäre Angelegenheit, die notwendige Mehrheit für die Haushaltsverabschiedung zusammenzubekommen. Die Nationalso-

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13

14

Zu Preis ebenda, S. 204f.; StadtAM, Personalakt 12023, und StaatsAM, Pol. Dir. 10131. Forsthoff, Krise, S. 56f. Für München kann jedenfalls die Feststellung von Ribhegge nicht gelten, daß die Nationalsozialisten „die meisten Anhänger bürgerlich-demokratischer Parteien aus den kommunalen Verwaltungsstellen" entfernten, Ribhegge, Systemfunktion, S. 47. Vgl. ebenda, S. 36: „Seit 1924 gab es in den deutschen Städten nur noch wenige Stadtverordne-

tenversammlungen, in denen die bürgerlichen Parteien nicht die Mehrheit hatten." Wahlgemeinschaft hatte bei den Wahlen 21 Sitze, die SPD 13, die nationalsozialistischen

Die

Ersatzorganisationen sechs, die KPD fünf, die DDP zwei und die von speziellen Interessengruppen gebildeten Listen zusammen drei Sitze erlangt. Für Scharnagl stimmten 32 Stadtratsmitglieder, Schmid erhielt nur 14 Stimmen und der kommunistische Kandidat fünf. Von der Volkswahl des Bürgermeisters war im Wahlgesetz von 1924 wieder Abstand genommen worden, Steinborn, Grundlagen, S. 331-363.

I. NS-Herrschaft und

26

Kommunalpolitik

zialisten waren in der Regel zu konstruktiver Zusammenarbeit nicht bereit, sondern demonstrierten immer wieder, daß sie dem „System" grundsätzlich den Krieg erklärt hatten. Die SPD wollte gerade bei der Verteilung von Etatmitteln andere politische Konzepte zur Geltung bringen und ließ sich ebenso wie die schärfer oppositionellen Kommunisten nicht auf die Haushaltspolitik der bürgerlichen Mehrheit ein. So gelang es nur mit Hilfe der bürgerlichen Splitterparteien, Jahr für Jahr zu einer Etatverabschiedung zu kommen15. Die Haushaltsberatungen waren um so mehr zu einem Ort für Grundsatzdebatten geworden, als sich die Gemeinden seit der Erzbergerschen Finanzreform von 1920 auf einem äußerst dünnen finanziellen Fundament bewegen mußten. Vor allem wurden ihnen die einstigen Haupteinnahmen aus den Zuschlägen zur Einkommensteuer entzogen. Diese schwierige finanzpolitische Situation lieferte den Nationalsozialisten im Münchner Stadtrat den Anlaß, die verfassungspolitische Situation der Weimarer Republik an sich und die Stellung der Gemeinden in diesem Staat polemisch anzugreifen16. Die Kritik an der finanziellen und aufgabenmäßigen Überbürdung der Gemeinden im Weimarer Staat war jedoch weit verbreitet und wurde etwa auch von Staatswissenschaftlern wie Ernst Forsthoff und Arnold Köttgen vorgetragen. Weitergehend diagnostizierten sie eine regelrechte „Krise der Selbstverwaltung", die ihnen im Grunde auch eine Krise von Staat und Gesellschaft war17. In ihren Konsequenzen führe die Erosion der Selbstverwaltung, der Verlust gemeindlichen Finanzspielraums und damit auch von Souveränität und Initiativkraft dazu, daß die Gemeinden ihre ursprüngliche Daseinsberechtigung verlören und in den Dienst „kommunalfremder Ziele" gestellt würden. Entgegen ihrer eigentlichen Integrationsfunktion seien sie Abbild des Parteienstaates geworden, bestimmt von Partikularinteressen, die sie vom Ideal der genossenschaftlich organisierten Bürgergemeinden immer weiter entfernten18. Die heftigen ideologischen Fehden und Parteienkämpfe, die zu Ende der Weimarer Republik auch die Kommunalpolitik erfaßten und gerade an den Rändern des politischen Spektrums mit erbitterter Härte ausgefochten wurden, schienen dieses Bild der Staatswissenschaftler zu bestätigen. In München zeugte insbesondere der Wahlkampf im Vorfeld der Gemeindewahlen 1929 von der neuen Rücksichtslosigkeit im Umgang mit dem politischen Gegner19. Während aber BVP und SPD den Stoff für ihre gegenseitigen Attacken in Ideologie und Politik suchten, etablierte die NSDAP einen neuen Wahlkampfstil, indem sie in intriganter Weise ihre Kontrahenten in Skandalverdacht brachte, deren Bild in der Öffentlichkeit beschädigte und sie schärfsten persönlichen Diffamierungen aussetzte. In einer sich radikalisierenden politischen Atmosphäre ge15 16 17

Ebenda, S. 375-384. Fiehler, Nationalsozialistische Gemeindepolitik, S. 9f. und passim. Aus dieser Überformung der Wirklichkeit mit einer systemkritischen Diskussion ist geschlossen worden, „daß die ,Krise der Selbstverwaltung' im Grunde weniger deren eigenes Problem als das ihrer Theorie und ihrer Theoretiker gewesen ist". Rebentisch, Selbstverwaltung, S. 99. Vgl. zur Selbstverwaltungsdiskussion in der Weimarer Zeit auch Matzerath, Nationalsozialis-

und kommunale Selbstverwaltung, S. 21-33. Die beiden wichtigsten Beiträge zur zeitgenössischen Diskussion stammten von Ernst Forsthoff (Die Krise der Gemeindeverwaltung im heutigen Staat, 1932) und Arnold Köttgen (Die Krise der kommunalen Selbstverwaltung, mus

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1931). Ausführlicher zu dieser Diskussion unten, S. 84. Köttgen, Krise, bes. S. 31. Steinborn, Grundlagen, S. 470-483.

1. Machtübernahme und

Gleichschaltung

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lang es der Hitler-Partei, zur „dritten Kraft" im Münchner Rathaus zu werden. Stärkste Fraktion wurde die SPD, die aber keinen politischen Partner an ihrer Seite hatte, weil

die Kommunisten in Fundamentalopposition verharrten. In einer Stichwahl konnte dagegen die BVP mit Unterstützung der in der „Freien Bürgerlichen Mitte" zusammengeschlossenen Liberalen, der Deutschnationalen und der bürgerlichen Splitterparteien erneut Karl Scharnagl auf dem Bürgermeisterposten durchsetzen20. Seine zweite Amtszeit war freilich keine Phase der Konsolidierung, sondern stellte ihn vor immer härtere Proben21: Da war zum einen der ungezügelte „Radaustil", den die Nationalsozialisten nach dem Wahlkampf nun auch im Sitzungssaal etablierten und der bis zu gesprengten Sitzungen und handfesten Prügeleien mit den Kommunisten führte. Da war zum anderen die mit den rapide ansteigenden Erwerbslosenzahlen immer prekärer werdende finanzielle Situation der Gemeinde, die nicht die notwendige Hilfe von Reich und Land bekam, um den explodierenden Kosten für die Unterstützung der Wohlfahrtserwerbslosen gegenzusteuern22. Im Gegenteil, als die Münchner in einem Protestschritt ihren Haushalt für 1932 nicht mehr abgleichen wollten, wurden sie durch die Aufsichtsbehörden zu einem Zwangsabgleich genötigt, der der Stadt auf der einen Seite Leistungskürzungen, auf der anderen Seite Steuer- und Gebührenerhöhungen zumutete. Die Radikalopposition der NSDAP und die Frontstellung zu den Aufsichtsbehörden führten immerhin zu einer verstärkten Kooperationsbereitschaft der SPD, die den haushaltspolitischen Kurs Scharnagls in diesen Jahren mittrug. Auch der engere Zusammenschluß des demokratischen Lagers konnte freilich nicht verhindern, daß die Kommunalvertretung 1933 den Nationalsozialisten zum Opfer fiel. Sie mußten keine Bündnisse mehr schließen oder Gegner überzeugen. Seit der „Machtergreifung" hatten sie die Instrumente von Diktatur und Gewalt in der Hand, um sich auch die Gemeinden zu

unterjochen. 1. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten in München

und die

Gleichschaltung des Stadtrates

Die nationalsozialistische Machtübernahme in

Bayern

Nachdem Adolf Hitler am 30. Januar 1933 Reichskanzler geworden war, mußten die Regierungen der Länder fürchten, daß sie gewaltsam unter die Machtverhältnisse im Reich gezwungen würden. Papens „Preußenschlag" vom 20. Juli 1932 hatte bereits „das Modell für weitere künftige Gleichschaltungsmaßnahmen gegenüber den außerpreußischen Ländern" geliefert23. Während am 6. Februar 1933 zum zweiten Staatsstreich gegen Preußen ausgeholt wurde, versuchte die Reichsspitze die Bedenken der anderen be20

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23

Die SPD hatte 17 Sitze in der neuen Stadtvertretung, die BVP zwölf, die NSDAP acht, DNVP, Freie Bürgerliche Mitte und KPD je drei, die Splitterparteien zusammen vier Sitze. Ebenda, S. 483f., 490-492. Zum folgenden ebenda, S. 494-521. Zu diesem generellen Problem der Gemeinden in der Weltwirtschaftskrise Rebentisch, Kommunalpolitik, Konjunktur und Arbeitsmarkt, S. 112-122. Broszat, Staat Hitlers, S. 130; vgl. auch ders., Machtergreifung, S. 148.

I. NS-Herrschaft und

28

Kommunalpolitik

drohten Länder, insbesondere auch Bayerns24, zu zerstreuen. Selbst zwei Tage nach den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 berief sich der bayerische Ministerpräsident noch auf die Aussage Hitlers, daß das Reich nicht gegen Bayern einschreiten werde25. Tatsächlich waren die Wahlen aber das Fanal für die Hitler-Regierung, um die „Gleichschaltung" aller noch nicht nationalsozialistisch geführten Länder herbeizuführen. Bei den Reichstagswahlen vom 5. März zeigte sich auch, daß der Abwehrwille der bayerischen Bevölkerung unter dem Eindruck der „Machtergreifung" stark abnahm: Hatte die NSDAP seit ihren Durchbruchswahlen im September 1930 in Bayern jedesmal weniger Prozente als im Reich gewonnnen, unterschied sich jetzt das Ergebnis der NSDAP in Bayern (43,1 Prozent) nur noch um wenig von dem im Reich (43,9 Prozent)26. Dennoch war es nicht das Ergebnis der Reichstagswahlen, sondern lediglich die mißbräuchliche Ausnutzung des hier demonstrierten „Mehrheitswillens" durch die Hitler-Regierung, die in den folgenden Tagen zum Sturz der bayerischen Regierung führte. Das Kabinett von Heinrich Held war bereits seit einer Krise im Sommer 1930, in der der Bauern- und Mittelstandsbund aus der Regierung ausgetreten war, nur mehr geschäftsführend, ohne sich auf eine Landtagsmehrheit stützen zu können, im Amt27. Bei den Landtagswahlen im April des Jahres 1932 konnte die BVP die NSDAP noch knapp auf den zweiten Platz verweisen28. Held weigerte sich, eine Koalition mit der zweitstärksten Partei im Landtag einzugehen, fand jedoch auch zu keiner Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten, so daß es beim Zustand einer geschäftsführenden Regierung blieb29. Während der Ministerpräsident jegliche Annäherung an die NSDAP strikt ablehnte, gab es innerhalb der BVP aber durchaus Kräfte, etwa den Parteivorsitzenden Fritz Schäffer, die das Terrain sondierten und Gespräche mit den Nationalsozialisten suchten30. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler wurde jedoch immer deutlicher, daß das Gesetz des Handelns kaum noch bei der BVP lag. „Die Zeit arbeitete für die Nationalsozialisten. Sie konnten abwarten und dem Zerfallsprozeß innerhalb der BVP gelassen zusehen."31 Mit der Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933 wurde die Möglichkeit zur Einsetzung von Reichskommissaren, die bis dahin in der 24

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Vgl. Deuerlein, Bayern im Frühjahr 1933; Kienner, Verhältnis von Partei und Staat, S. 37f; Wiesemann, Vorgeschichte, S. 177-184. Deuerlein, Bayern im Frühjahr 1933. Held meinte die Unterredung, die er am 1.3. mit Hitler in Berlin geführt hatte und in der dieser erklärt hatte, „daß sich die Reichsregierung gegen einige Länder wenden müsse", ein solches Vorgehen gegen Bayern aber nicht geplant sei. (Abdruck einer Niederschrift der Unterredung bei Wiesemann, Vorgeschichte, S. 294-303, hier 301) In den zwanziger Jahren waren für die Hitler-Partei in umgekehrtem Verhältnis in Bayern immer mehr Prozente als im Reich zu holen gewesen; vgl. zur Wahlgeschichte der NSDAP (in Bayern) die älteren Studien von Hagmann, Weg ins Verhängnis, und Pridham, Hitler's Rise to Power, sowie aus der neueren Wahlforschung Falter/Lindenberger/Schumann, Wahlen und Abstimmungen, und Falter, Hitlers Wähler. Vgl. Zorn, Bayerns Geschichte, S. 330f. Hagmann, Weg ins Verhängnis, S. 28f., zeigt die Landtagswahlergebnisse. Die BVP konnte nur etwa 1 200 Stimmen mehr als die NSDAP verbuchen und lag daher mit 32,6% ganz knapp vorne

(NSDAP 32,5%). Zorn, Bayerns Geschichte, S. 339. Wiesemann, Vorgeschichte, S. 118f., 245f. Mit anderer Akzentuierung Altendorfer, Fritz Schäffer, Bd. 2, S. 516-519, 524-527, der den zunächst geltenden Vorrang einer Annäherung an die SPD für Schäffer betont.

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Wiesemann, Vorgeschichte, S. 250.

1. Machtübernahme und

Gleichschaltung

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Hand des Reichspräsidenten gelegen hatte, der Reichsregierung übertragen. Held hatte sofort erkannt, welches Potential in diesem neuen politischen Instrument lag, und hatte noch am 28. Februar versucht, wenigstens in Bayern eine Mauer gegen das von den Nationalsozialisten angestrebte extensive Ausnahmerecht zu errichten32. Natürlich zeigte sein Einspruch keine Wirkung, und jetzt blieb der bayerischen Regierung nur noch, möglichst alles zu tun, um die Reichsregierung vom Eingreifen per Reichskommissar abzuhalten. Das bedeutete zunächst einmal ein scharfes Vorgehen gegen die kommunistische Partei, deren „staatsgefährdenden Gewaltakten" die Notverordnung ja galt33. Diese Taktik konnte den Zeitpunkt, in dem die Nationalsozialisten sich Bayerns bemächtigen würden, allenfalls noch verzögern. „1923 wollte Hitler von München aus Berlin erobern, 1933 aber hat er von Berlin aus München erobert."34 Am 9. März wurde Bayern als letztes Land in die Knie gezwungen35. Daß die „Machtergreifung" hier besonders dramatisch ablief, dürfte ebenso der zuvor schon demonstrierten Hartnäckigkeit und Widerstandsbereitschaft der BVP-Regierung zuzuschreiben sein, wie der Tatsache, daß die NSDAP in München gegründet worden war und von hier ihren Aufstieg genommen hatte. Damit stellten Bayern und besonders die Landesmetropole einen ideologischen Bezugspunkt für die Aufmerksamkeit der nationalsozialistischen Machthaber dar, von denen etliche auch ihren eigenen Aufstieg mit der „Hauptstadt der Bewegung" verbanden. Das galt zumindest für die Kräfte, die jetzt bei der Machtübernahme in Bayern aktiv wurden. An erster Stelle ist der Gauleiter von München-Oberbayern, Adolf Wagner, zu nennen, der, in Lothringen gebürtig, Bayern nach dem Ersten Weltkrieg zu seiner Wahlheimat gemacht hatte36. Er arbeitete in den zwanziger Jahren, entsprechend seiner Hochschulausbildung im Bergbaufach, als Bergwerksdirektor und schloß sich bereits 1923 der NSDAP an, wo er eine schnelle Karriere machte. 1924 wurde er für den „Völkischen Block" in den bayerischen Landtag gewählt, 1928 machte ihn die Partei zum Gauleiter der Oberpfalz. Seine eigentliche Machtbasis wurde aber der bedeutsamere Gau GroßMünchen, den er schon ein Jahr darauf übernehmen konnte und später als „Traditionsgau München-Oberbayern" führte. Wagner ließ sich, bevor es in München am 9. März zum „Showdown" kam, noch kurzfristig in Berlin instruieren. Auch Ernst Röhm, der Stabschef der SA, holte sich dort die entsprechenden Ermächtigungen, seine SA als Druckmittel bei den kommenden Vorgängen einzusetzen37. Röhm und Wagner bildeten nun das treibende Gespann, um die Entmachtung der bayerischen Regierung durchzusetzen. Am 9. März suchten sie zusammen mit dem Reichsführer der SS, Heinrich 32

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Ebenda, S. 255-257. In seiner Unterredung mit Hitler am 1.3. betonte Held, daß er hinsichtlich des Vorgehens gegen die Kommunisten mit dem Reichskanzler einiggehe, Wiesemann, Vorgeschichte, S. 299. S. zu auch den Maßnahmen gegen die Kommunisten in Bayern. Vgl. ebenda, 190-192, Auerbach, Vom Trommler zum Führer, S. 89. Häufig zitiert wird Joseph Goebbels' Tagebucheintrag vom 8.3.1933: „Abends sind wir alle beim Führer; dort wird beschlossen, daß nunmehr Bayern an die Reihe kommen soll. Zwar machen einige ängstliche Gemüter außerhalb der Partei noch Vorbehalte, faseln von Widerstand der Bayerischen Volkspartei und ähnlichem, aber wir sind überzeugt, daß Herr Held kein Held sein wird." Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil I, Bd. 2, S. 389. Die folgenden Daten zu Wagner nach der biographischen Skizze in: München „Hauptstadt der Bewegung", S. 231. Wiesemann, Vorgeschichte, S. 275. -

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I. NS-Herrschaft und

30

Kommunalpolitik

Himmler, den Ministerpräsidenten im Ministerium des Äußern auf und verlangten die

sofortige Übertragung der Staatsgewalt in Bayern an General von Epp38. Der sogenannte „Befreier Münchens", der an der Spitze seines Freikorps an der Niederwerfung der Räterepublik beteiligt gewesen war, galt offenbar schon seit ein paar Wochen als der beste Kandidat für das Amt eines Reichskommissars in Bayern39, weil er hier höchstes Ansehen genoß und von daher geeignet war, die Bevölkerung mit dem nationalsozialistischen Gewaltakt auszusöhnen. Obwohl die bayerische Staatsregierung auch Röhms den Stiefelschritten der in der Innenstadt marschierenden SA-Einheiten wirkungsvoll untermalten Drohung mit einem bewaffneten Einschreiten der Sturmabteilungen nicht nachgab, zogen die Nationalsozialisten schließlich in der Gewißheit ab, daß der Sieg ihnen gehören würde. Nachdem sie als Symbol der Macht eine Hakenkreuzfahne am Rathausturm aufgezogen hatten, verkündete der NSDAP-Stadtrat Max Amann kurz nach 18 Uhr von dort die Machtübernahme in Bayern durch General von von

-

-

Epp40.

Held erhielt das entsprechende Telegramm des Reichsinnenministers Frick, der von den bayerischen Nationalsozialisten über die Ergebnislosigkeit ihrer direkten Erpressungsversuche unterrichtet worden war, erst später am Abend: Aufgrund der „Verordnung zum Schütze von Volk und Staat" wurde Epp darin mit der Wahrnehmung der „Befugnisse oberster Landesbehörden Bayerns soweit zur Erhaltung öffentlicher Sicherheit und Ordnung notwendig" als Reichskommissar beauftragt41. Held mußte umgehend dem Auftrag des Reichsinnenministeriums nachkommen und übergab die im Telegramm aufgeführten Kompetenzen der bayerischen Regierung an Epp42. Dieser ernannte noch am 9. März Adolf Wagner zum Beauftragten für das Bayerische Innenministerium, der Reichsführer-SS Himmler wurde kommissarischer Polizeipräsident von München43. Weitere Ernennungen Epps zeigten, daß er sich keineswegs auf den begrenzten Auftrag des Reichsinnenministeriums, der im wesentlichen auf die Befugnisse des bayerischen Innenministeriums zielte44, beschränken wollte, sondern seine Regierungsgewalt umfassend verstand: Ernst Röhm und der Münchner NSDAP-Stadtrat Hermann Esser wurden Staatskommissare zur besonderen Verwendung, Ludwig Siebert Beauftragter für das Finanzministerium, und Hans Frank sollte die gleiche Funktion für das Justizministerium ausüben45. 38

39

„General von Epp übernimmt die vollziehende Gewalt in Bayern", in: VB vom 10.3.1933. Neben der genannten Literatur zur „Machtergreifung" in Bayern zum Folgenden auch Pöhlmann, Heinrich Held, S. 231-240. Im Wahlkampf Mitte Februar 1933 wurde Epp bereits als möglicher Reichskommissar benannt, vgl. Wiesemann, Vorgeschichte, S. 197. Zu Epp vgl. die biographische Skizze in: München „Hauptstadt der Bewegung", S. 229f. Dem VB vom 10.3.1933 zufolge sagte Amann wörtlich: „General von Epp hat soeben alle Macht in Bayern übernommen, SS-Führer Himmler den Befehl über die gesamte Polizei." Telegrammtext bei Wiesemann, Vorgeschichte, S. 280. Held tat das nicht, ohne bei der Reichsregierung freilich erfolglos „schärfste Verwahrung gegen die Rechtsbeständigkeit und sachliche Begründung" der Maßnahmen zur Einsetzung eines Reichskommissars einzulegen. Kienner, Verhältnis von Partei und Staat, S. 47.

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41 42

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VB

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Vgl. die Erläuterungen von Frick bei Wiesemann, Vorgeschichte, S. 282. Vgl. Kienner, Verhältnis von Partei und Staat, S. 48f. Zu Hermann Esser s. unten, S.52f. Zum späteren Generalgouverneur von Polen Hans Frank, zum Reichsführer-SS Heinrich Himmler

45

vom

10.3.1933.

1.

Machtübernahme und Gleichschaltung

31

Der 9. März wurde von den neuen Machthabern und ihren Anhängern gleich zu eiDemonstration des Terrors genutzt. Als erstes fiel man über die langjährig bekannten Gegner her: Der Hauptschriftleiter der katholischen Wochenschrift „Der gerade Weg", Fritz Gerlich, wurde von SA-Kommandos mißhandelt und in „Schutzhaft" geein Jahr später wurde er in Dachau ermordet. Auch die sozialdemokratinommen schen Gegner waren sofort Ziel von Angriffen: Bewaffnete SA-Männer belagerten das Gewerkschaftshaus an der Pestalozzistraße und zwangen die Funktionäre schließlich, mit erhobenen Händen unter Beschimpfungen abzuziehen. Das Gebäude der sozialdemokratischen Zeitung „Münchener Post" wurde verwüstet, das Inventar zerstört, ähnliches passierte dem „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens", der ner

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praktisch sämtlicher Wertgegenstände und schriftlicher Materialien beraubt wurde46. Zielscheibe solcher gewaltsamen Überfälle, von denen es viele weitere gab, konnte jede Person und Einrichtung sein, die den Nationalsozialisten als Exponent des „Systems" oder des „jüdischen Bolschewismus" galt. Es ist hier nicht der Ort, um den für die kommenden Wochen kennzeichnenden Aufbau des Verfolgungs- und Kontrollapparates in Bayern zu schildern. Dazu gehörte ebenso die Einrichtung der „Hilfspolizei" wie die Einsetzung von SA-Sonderkommissaren in der Staatsverwaltung, da wären das Repressionsinstrument der „Schutzhaft" zu schildern, die Eröffnung des ersten Konzentrationslagers in Dachau am 22. März 1933 und die Verfolgungsmaßnahmen der „Bayerischen Politischen Polizei", die seit dem März 1933 dem „Politischen Polizeikommandeur Bayerns", Heinrich Himmler, unterstand47. Die führenden Organisatoren des Terrors waren Heinrich Himmler, der mit der SS und der Politischen Polizei über zwei Machtsäulen verfügte, sein Untergebener Reinhard Heydrich und Ernst Röhm mit seiner SA. Die Fäden liefen bei Adolf Wagner im Innenministerium zusammen, der gleich nach seiner Ernennung durch Epp diesem quasi die Zügel aus der Hand genommen hatte und sich zur neuen Schaltstelle der Macht in Bayern entwickelte. Als Held dann schließlich formal aus dem Amt schied, wirkte das angesichts der bereits herrschenden Machtverhältnisse fast wie ein Anachronismus. Am 15. März wurde sein Rücktritt, offiziell aus Gesundheitsgründen, erklärt48. Epp reagierte am 16. März mit der „Übernahme der gesamten Regierungsgeschäfte in Bayern", wurde selbst „kommissarischer Ministerpräsident" und ernannte die bisherigen „Beauftragten" zu kommissarischen Ministern. In ihre Reihe trat jetzt noch der fränkische Volksschullehrer und Leiter des Gaus Bayerische Ostmark, Hans Schemm, der das und zum SA-Stabschef Ernst Röhm ist eine große Menge an Literatur über das Herrschaftsund Terrorsystem des Nationalsozialismus einschlägig, die hier nicht im einzelnen zitiert werden kann. Kurzbiographien vgl. etwa in: Smelser/Zitelmann, Die braune Elite, S. 41-51, 115133, 212-222. Ludwig Siebert, der spätere bayerische Ministerpräsident, ist eine relativ unbeachtete Größe, vgl. zu ihm etwa den Beitrag von Ziegler, München als politisches Zentrum. Zu den Beispielen für den Terror in Bayern am 9./10.3. etwa Mehringer, Die bayerische Sozialdemokratie, S. 340f.; im Sammelband München „Hauptstadt der Bewegung" den Beitrag von Eiber, Polizei, Justiz und Verfolgung, und den anschließenden Ausstellungsteil, S. 245-257; Angermair/Haerendel, Inszenierter Alltag, S. 103-115. Zu den Übergriffen auf den Centralverein vgl. den Akt BayHStA, MA 106410. Vgl. etwa Kienner, Verhältnis von Partei und Staat, S. 76-169, und Domröse, NS-Staat in Bay-

ern.

Zu den komplizierten Held, S. 237-239.

Vorgängen um Helds Ausscheiden aus dem Amt Pöhlmann, Heinrich

I. NS-Herrschaft und

32

Kommunalpolitik

Kultusministerium übernahm49. Der alte Landtag wurde aufgelöst und der neue entsprechend dem Vorläufigen Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 31. März 1933 nach dem Proporz der Reichstagswahlergebnisse (in Bayern) unter Ausschluß der KPD neugebildet. Gleichzeitig erhielten die Landesregierungen das Recht zur Gesetzgebung ohne die Landtage, wie es durch das Ermächtigungsgesetz vom 23. März bereits für die Reichsebene vorexerziert worden war50. Bemerkenswert waren die Folgen des ersten Reichsstatthaltergesetzes für Bayern: Nicht der bereits so mächtige Gauleiter Wagner wurde zum Reichsstatthalter ernannt, sondern Ritter von Epp erlangte am 10. April diesen Titel, nach Broszat „der einzige, der nicht in Personalunion gleichzeitig Gauleiter oder Höherer SA-Führer war". Broszats Interpretation, daß damit einer zu starken „partikularen Machtbildung" der Partei in Bayern und einem Weitertreiben der Revolution vorgebeugt wurde, mag zutreffen51. Genauso plausibel erscheint die Sichtweise Zieglers, die eher von der Persönlichkeit Epps und seinem Ansehen in Bayern ausgeht. Den katholisch-konservativen, mit hohen militärischen Ehren dekorierten und als „Held" des Jahres 1919 angesehenen General zum Reichsstatthalter zu machen, sei ein geschickter Schachzug gewesen, um die Integration Bayerns in das „Dritte Reich" zu unterstützen52. Beide möglichen und sich nicht ausschließenden Absichten verhinderten jedenfalls nicht, daß Epp eine Repräsentationsfigur blieb, während Wagner sich zum eigentlichen „Despoten von München" entwickelte53. Die Ernennung Epps zum Reichsstatthalter hatte zunächst Auswirkungen auf die Formierung der Regierung in Bayern: Ministerpräsident wurde jetzt Ludwig Siebert und blieb es bis zu seinem Tod im Jahr 1942. Wagner, Frank und Schemm übernahmen ihre bisher kommissarischen Posten als Staatsminister des Innern, der Justiz und für Unterricht und Kultus. Hermann Esser rückte zunächst noch als Staatsminister ohne Geschäftsbereich später wurde er Wirtschaftsminister zum Chef der Staatskanzlei auf, die aus dem (längst obsolet gewordenen) Ministerium des Äußern hervorging54. Der zuvor schon entmachtete Landtag wurde durch das „Gesetz über den Neuaufbau des Reiches" vom 30. Januar 1934 wie alle anderen Länderparlamente aufgehoben. Damit war aber keine Aufwertung der bayerischen Regierung verbunden, denn die Hoheitsrechte der Länder gingen auf das Reich über, und die Landesregierungen unterstanden fortan der Reichsregierung und galten lediglich als deren Ausführungsorgane55. Auch die Stellung der Reichsstatthalter erfuhr nach dem Gesetz eine gewisse Abwertung, weil sie der Aufsicht des Reichsinnenministeriums unterstellt wurden und damit keine Immediatinstanz mehr darstellten. Das brauchte aber die meisten von ihnen nicht sehr zu stören, weil sie als Gauleiter über die ohnehin wichtigere Partei-Hausmacht verfügten. Epp blieb hingegen in Bayern auf das Amt des Reichsstatthalters verwiesen, das zwar der Form nach die oberste Instanz im Lande darstellte, dem aber gerade aufgrund der verbleibenden minimalen Landeshoheit die politische Signifikanz fehlte. Hinzu -

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Kienner, Verhältnis von Partei und Staat, S. 52-62. RGB1. 1933/1, S. 153f. Broszat, Staat Hitlers, S. 144f. Ziegler, München als politisches Zentrum, S. 213. Broszat, Der Despot von München. Vgl. auch Hüttenberger, Gauleiter, S. 79. Vgl. die Regierungsbildung vom 12.4.1933 bei Kienner, Verhältnis von Partei und Staat, S. 72f. Zum Neuaufbaugesetz unter besonderer Berücksichtigung der Rolle des Innenministeriums bei dessen Zustandekommen vgl. Neliba, Wilhelm Frick, S. 103-115.

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Gleichschaltung

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kam als persönliches Moment, daß der bayerische Katholik Epp auch nach seinem Parteieintritt von 1928 ein Fremdkörper in der Partei geblieben war; der „Muttergottesgeneral" wurde zwar gern als „Aushängeschild" gebraucht, unter der Hand aber machten Bemerkungen die Runde wie: „Epps Beziehungen zum Hause Witteisbach seien besser als die zur Partei"56. Von der Abwertung der Landeshoheit war auch der Ministerpräsident Ludwig Siebert betroffen, der über seine Kompetenzen für Wirtschafts- und Finanzfragen aber einen im Vergleich zu Epp stärkeren sachlichen Einfluß auf die Politik behielt, was sich, für unser Thema wichtig, etwa auch im Siedlungswesen niederschlug57. Nachdem das von Hans Frank geleitete bayerische Justizministerium im Januar 1935 der „Verreichlichung" der Justiz zum Opfer fiel, der Kultusminister Hans Schemm bei einem Flugzeugabsturz im März ums Leben kam und Essers Skandale und Affären im gleichen Frühjahr seinen Rücktritt erzwangen, blieb von der bayerischen Staatsregierung nur ein Drei-Mann-Team, das sich untereinander wenig gewogen war58. Epp stand formal weiterhin an der Spitze des Landes Bayern, Siebert leitete als Ministerpräsident außerdem das Ressort der Finanzen und seit 1936 der Wirtschaft, Wagner führte seine Geschäfte als „Gauleiter und Innenminister" und nahm nach einem Interim auch das Kultusministerium unter seine Obhut, um besonders an der von Hitler gewünschten Inszenierung Münchens als „Stadt der deutschen Kunst" zu arbeiten. Weil die Verantwortlichkeiten der Minister so verteilt waren, führte die Verwaltung zum Teil ein Eigenleben. Ganz deutlich wird das bei der für Wohnungsangelegenheiten zuständigen Abteilung für Arbeit und Fürsorge im Wirtschaftsministerium, die unter Staatssekretär Hans Dauser in mancher Sachangelegenheit von den Reichsvorgaben abweichende Vorstellungen entwickelte und versuchte, einen gewissen eigenständigen Kurs zu bewahren. Doch das führt bereits in spätere Teile der Arbeit. -

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Die Ernennung Karl Fiehlers zum Münchner Oberbürgermeister und die Gleichschaltung des Stadtrates

Schon bei seiner Ansprache vom Rathausturm am Abend des 9. März 1933 hatte Max Amann den Eindruck erwecken wollen, als sei Oberbürgermeister Karl Scharnagl bereits vor den neuen Machthabern gewichen59. Indes dauerte es noch einige Tage, bis die Nationalsozialisten die durch die Fahnenhissung am 9. März demonstrierte Einvernahme des Rathauses auch in die politische Realität umsetzten. Als „starker Mann" in Bayern war es wiederum Adolf Wagner, der die „Machtergreifung" an der Münchner Stadtspitze maßgeblich lenkte. Er nahm es in die Hand, den seit 1924 amtierenden BVP-Bürgermeister Scharnagl aus dem Amt zu jagen. Dieser war seit der Vertreibung der legalen Staatsregierung bei lokalen Entscheidungen auf sich gestellt; er sah aber wie er selbst später betonte keine Veranlassung, „auf die Führung der Verwaltung zu verzichten -

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So 1936 von einem festgenommenen Schriftleiter kolportiert, BDC, Research Reichsstatthalter in Bayern. Zu Sieberts Initiativen im Bauwesen vgl. unten, S. 154ff. Zorn, Bayerns Geschichte, S. 404-406, Diehl-Thiele, Partei und Staat, S. 109-111, und Ziegler, München als politisches Zentrum, S. 214f. Laut VB vom 10.3.1933 sagte Amann: „Der bisherige Oberbürgermeister Scharnagl hat das Rathaus verlassen"; diese Aussage mußte angesichts der Situation natürlich politisch interpretiert werden, obwohl Scharnagl tatsächlich nur das Gebäude unauffällig verlassen hatte.

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Kommunalpolitik

und die Stadt der NSDAP auszuliefern"60. Scharnagls Widerstandsgeist veranlaßte Wagner in den nächsten Tagen, den Druck zu intensivieren, er forderte den Bürgermeister auf, sofort sein Amt zur Verfügung zu stellen, und entfachte, unter Zuhilfenahme des „Völkischen Beobachters", in der Öffentlichkeit eine Hetzkampagne mit der gleichen Stoßrichtung. Am 20. März hatte der kommissarische Innenminister schließlich Erfolg, Scharnagl erinnerte sich nach dem Krieg: „Unter Berufung auf die angedrohte Macht der Straße erklärte ich Herrn Gauleiter Wagner meinen Rücktritt von meiner Stellung und gab diese Äußerung auch öffentlich bekannt."61 Tatsächlich zitierte der „Völkische Beobachter" anderntags Scharnagls Erklärung, daß er unter Vorbehalt aller seiner Rechte „der Gewalt weiche". Obwohl das NSDAP-Blatt im begleitenden Text solche Gewaltanwendung leugnete, kaschierten selbst die hier gegebenen Erläuterungen zu den Umständen des Rücktritts die Violenz des Vorgefallenen kaum und waren damit gleichermaßen Warnung für alle weiteren Gegner, die es wagen sollten, auf ihrer Position zu beharren62. Als Scharnagl schließlich wich, stand sein Nachfolger schon fest: Noch am Abend des 20. März ernannte Adolf Wagner als kommissarischer Leiter der obersten Aufsichtsbehörde den nationalsozialistischen Stadtrat Karl Fiehler zum kommissarischen Bürgermeister von München. Fiehler sagte nach dem Krieg aus, er sei eher passiv an diesem Geschehen beteiligt gewesen, Wagner habe ihn am 18. März mit den Worten empfangen: „Fiehler, wann werden Sie endlich Oberbürgermeister von München?" Seine Ernennung zwei Tage später sei für ihn überraschend gekommen, und er habe damals nicht gewußt, daß Scharnagl zwangsweise aus dem Amt gejagt worden sei63. An dieser Aussage ist sicher vieles in den Bereich der Legende zu verweisen, denn daß Scharnagl massiv unter Druck gesetzt wurde, mußte Fiehler spätestens klar sein, als der amtierende Oberbürgermeister ihn einige Tage vor dem Amtswechsel angesichts der zunehmenden Bedrohung um Vermittlung bei den Nationalsozialisten ersuchte. Damals, so Scharnagl, habe Fiehler das Ansinnen mit der Begründung abgelehnt, „daß die Partei ihn ausersehen hätte, künftig die Verwaltung der Stadt zu übernehmen"64. An seiner „Inthronisierung" war Fiehler also sicher nicht so unbeteiligt, wie er es später darstellen wollte, tatsächlich aber war er von seiner Veranlagung her nicht der Typ, die Führung selbst energisch zu übernehmen, und überließ die Rolle des Antreibers sicher gerne Adolf Wagner. Mit der Ernennung Fiehlers zum kommissarischen Bürgermeister war erst der Anfang zur Umwälzung der Machtverhältnisse im Rathaus gemacht. Für die weiteren Schritte lieferte freilich jetzt schon die Reichsgesetzgebung die notwendige pseudolegale Rechtfertigung. Das vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 31. März 1933 diente nicht nur der Entmachtung der Landtage, sondern be-

60

Vgl. Karl Scharnagl an das Personalreferat der Stadtverwaltung München, 23.8.1960, StadtAM, Personalakt Karl Fiehler 12011/2. Zu Scharnagls Vertreibung auch Hanko, Kommunalpolitik, S.

61

Scharnagl an Personalreferat (wie Anm. 60). VB vom 21.3.1933; vgl. auch Steinborn, Grundlagen, S. 531f. Sitzungsprotokoll Hauptkammer München-Stadt, 11712.1.1949, Amtsgericht München, Registratur S, Spruchkammerakt Karl Fiehler, Bl. 112f. Scharnagl an Personalreferat (wie Anm. 60).

346-348.

62 63

64

1. Machtübernahme und

Gleichschaltung

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traf auch die gemeindlichen Vertretungskörperschaften65. Der Münchner Stadtrat wurde ebenfalls nach dem Proporz der Reichstagswahlergebnisse in Bayern vom 5. März 1933 umbesetzt und zählte bei einer Gesamtzahl von 44 Sitzen fortan 20 NSDAP-Vertreter, elf von der BVP, zehn von der SPD und drei von der Kampffront Schwarz-WeißRot (Deutschnationale). Die Verkleinerung gegenüber der früheren Zahl von 50 Sitzen sah das bayerische Gesetz zur Gleichschaltung der Gemeinden und Gemeindeverbände

mit Land und Reich vom 7. April 1933 vor66. Damit wurden die sechs Sitze der Kommunisten, denen die Ausübung ihres Mandates verboten worden war, völlig gestrichen. Das war ganz im Sinne von Karl Fiehler, der allerhand Berechnungen hatte anstellen lassen, wie sich die Nationalsozialisten am besten eine Mehrheit im Stadtrat sichern könnten67. Durch die Verkleinerung auf 44 Sitze verfügten die Nationalsozialisten und Deutschnationalen mit zusammen 23 Mandaten über eine ganz knappe absolute Mehrheit, die freilich unter anderen Verhältnissen auf sehr wackeligen Füßen gestanden hätte. Vor dem Hintergrund des Terrors gegen politische Gegner und der öffentlichen Demonstrationen von Macht und Gewalt spielte die Mandatsarithmetik aber beinahe eine Nebenrolle68. Das wurde deutlich, als der neugebildete Stadtrat am 26. April zu seiner ersten Sitzung zusammentrat. SA-Spaliere und Braunhemden auf den Zuschauertribünen bildeten die Kulisse. Der bisherige kommissarische Bürgermeister Karl Fiehler wurde mit 37 von 43 Stimmen im Amt bestätigt; leere Stimmzettel gaben nur die sechs verbliebenen Sozialdemokraten ab. Ihre eigentlich zehnköpfige Fraktion war so geschmälert, weil sich zwei Mitglieder Thomas Wimmer und Adolf Dichtl in „Schutzhaft" befanden und zwei andere Mitglieder in aller Schnelle versuchten, doch noch an der „nationalen Revolution" teilzuhaben. Sie gründeten eine eigene Abspaltung unter dem Namen „Deutsche Sozialisten", die sich nicht nur „positiv und ohne jeden Vorbehalt zum neuen nationalen und sozialistischen Staat" bekannte, sondern das auch gleich manifestierte, indem sie für Fiehler als Bürgermeister stimmte69. Die BVP-Vertreter glaubten offenbar ebenfalls, mit dem als gemäßigt geltenden Fiehler zu einer Verständigung gelangen zu können, und gaben ihm ihre Stimmen. Nach einem Beschluß des Stadtrates vom 23. Mai 1933 durfte Fiehler den Titel „Oberbürgermeister" führen, er übte seine Tätigkeit ehrenamtlich aus, wurde dafür von seiner Stellung als Obersekretär beurlaubt und erhielt die Bezüge eines bayerischen Innenministers70. Nachdem er ein halbes Jahr amtiert hatte, ließ er sich zum berufsmäßigen ersten Bügermeister wählen. Vor dem Amtsantritt seines Vorgängers, Karl Scharnagl, 1924, hatte sich noch eine Mehrheit des Stadtrates, darunter auch die „Nationalsozialistische Freiheitsbewegung Großdeutschlands" mit Karl Fiehler und August Buckeley, gegen die Bestellung eines berufsmäßigen ersten Bürgermeisters ausgesprochen, weil sie auf dem Posten einen „politischen Kopf" als angemessener empfand als einen -

65 66 67

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RGB1. 1933/1, S. 153f., bes. §§ 12-17. Bayerischer Staatsanzeiger vom 9./10.4.1933. Vgl. die Berechnungen und das Schreiben Fiehlers

an das Staatsministerium des Innern, 3.4.1933, StadtAM, BuR 160. Vgl. Heinz, NSDAP, S. 385. MGZ 62 (1933), S. 175-186, bes. 178. Das stark antisemitische und auf Versöhnung zwischen

Nationalismus und Sozialismus gerichtete

BuR 160. 70

-

StadtAM, RP 706/1.

„Programm" der Deutschen Sozialisten in: StadtAM,

I. NS-Herrschaft und

36

Kommunalpolitik

obersten Beamten71. Jetzt aber wurde die Argumentation unter Führung von Karl Tempel, dem nationalsozialistischen Personalreferenten und späteren Stellvertreter Fiehlers, umgekehrt. Er drängte die NSDAP-Fraktion im Stadtrat zur Umwandlung der Stelle in eine hauptberufliche, weil sie sonst Ausdruck der „Parteiwirtschaft" bleibe72. Tempel benutzte die vom Berufsbeamtengesetz her schon bekannte Argumentation, daß in der „Systemzeit" die Posten nach Parteibüchern vergeben worden seien: „Nach aussen und innen sollte dann damit der Sieg einer bestimmten Partei im Stadtparlament dokumentiert werden oder auch ein widerlicher Kuhhandel." Jetzt hingegen sei es an der Zeit, „den Fachbürgermeister, den berufsmässigen Bürgermeister" an die Stelle des ehrenamtlichen treten zu lassen. „Die Belassung unseres Pg. Fiehler als ehrenamtlichen Bürgermeister könnte [...] höchstens den Eindruck erwecken, als würde man ihn fachlich nicht für befähigt halten, an der Spitze unserer gemeindlichen Verwaltung zu stehen." Man könnte aus dieser Bemerkung des promovierten Juristen Tempel sogar eine Anspielung auf Fiehlers fehlende Qualifikationen herauslesen, denn eine juristische Ausbildung und eine Verwaltungslaufbahn in höheren Positionen (etwa als hauptberuflicher Stadtrat), die in der Weimarer Zeit eine beinahe übliche Voraussetzung für die Besetzung des Oberbürgermeisteramtes gewesen waren, brachte der neue Bürgermeister nicht mit. Auch sein Vorgänger Karl Scharnagl, der als gelernter Bäckermeister sein Amt über eine politische Karriere in der BVP erlangt hatte, war aber bereits eine solche „Ausnahmeerscheinung" gewesen, wie sie im übrigen auch von Vertretern anderer Parteien bekannt ist (z.B. Max Brauer in Altona)73. Im „Dritten Reich" wurden die Regeln dann ohnehin umgeschrieben. Fiehler kann in einer Klassifizierung, die Horst Matzerath vorgeschlagen hat, somit auch als typischer Vertreter einer neuen Oberbürgermeisterelite gelten, nämlich der Gruppe der „Alten Kämpfer": „Dazu sind hier diejenigen gerechnet, die nach 1885 geboren wurden, kein juristisches Studium absolvierten, bis 1928 in die Partei eintraten und in der Partei relativ hohe Funktionen, wie etwa die Ämter eines Reichsleiters, (stellvertretenden) Gauleiters oder Kreisleiters bekleideten, d.h. als Hoheitsträger der Partei galten."74 Als Fiehler am 3. Oktober 1933 zum berufsmäßigen Bürgermeister gewählt wurde, gab es im Gremium keine Opposition mehr, die ihm ihre Stimme hätte verweigern wollen. Schon in der zweiten Sitzung des neuformierten Stadtrates am 9. Mai lehnte Max Amann für die NSDAP eine „weitere Zusammenarbeit mit den marxistischen Arbeiterverrätern" ab und zwang mit seinen Parteigenossen die SPD-Räte, den Sitzungssaal zu verlassen75. Der gewaltsame Handstreich wurde von Fiehler gebilligt, stellte den Bür71 72

73

Vgl. gerade Buckeleys Rede in der Stadtratssitzung vom 19.12.1924, in: MGZ 53 (1924), S. 357f. Zum Folgenden Karl Tempel an die Stadträte Weber und Schwarz, 24.9.1933, StadtAM, Personalakt Karl Fiehler 12011/1,

Beiakt, Bl. 83-85.

Vgl. Matzerath, Oberbürgermeister, S. 175. Zu Karl Scharnagl vgl. auch Steinborn, Grundlagen, S. 345-363.

74

75

Matzerath, Oberbürgermeister, S. 175. Weiter unten, S. 180, führt Matzerath Fiehler als Paradebeispiel für die Gruppe der „Alten Kämpfer" an. Zur Vervollständigung der Typologie sei angeführt, daß Matzerath weiterhin die „NS-Prominenten", die „NS-Juristen" und die „nichtnationalsozialistischen Oberbürgermeister" benennt (S. 175-177).

Als Anlaß wurde der demonstrative Auszug der SPD-Fraktion aus der vorherigen Sitzung des Stadtrats genommen, als Fiehler eine pathetische Rede über Adolf Hitler gehalten hatte und dem Reichskanzler sowie dem Reichsstatthalter Epp das Ehrenbürgerrecht verliehen worden

1.

Machtübernahme und Gleichschaltung

37

germeister jedoch, der sich gern mit dem Anschein der Legalität umgab, vor gewisse Schwierigkeiten. Er beauftragte den erfahrenen Rechtsrat und Kommentator der Bayerischen Gemeindeordnung, Karl Helmreich, mit der Erstellung eines Gutachtens, wie die Stadtratssitzungen künftig ohne die Sozialdemokraten, aber rechtlich dennoch unanfechtbar, stattfinden könnten. Helmreich stellte zunächst fest, daß nach der bestehenden Rechtslage „die Sozialdemokratische Partei in den Parlamenten der Länder und

Gemeinden vertreten sein darf und daß die nach den genannten Gesetzen in die neu gebildeten Parlamente der Länder und Gemeinden berufenen Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei die gleichen Rechte genießen wie die Angehörigen anderer Parteien". Seine Schlußfolgerung aus dieser Tatsache lautete, daß „die in den Vollversammlungen und Ausschüssen gefaßten Beschlüsse rechtsungültig" wären, sollte man künftig einfach auf eine Einladung der SPD-Vertreter verzichten wollen76. Helmreich schlug drei Lösungen vor: Entweder könne der Bürgermeister wie vor dem Zusammentreten des neuen Stadtrats selbständig mit Hilfe des Artikels 17 „dringende Anordnungen" erlassen oder er könne bei der Staatsaufsichtsbehörde Antrag stellen, daß sie die Beschlußfähigkeit des Stadtrats auch ohne die Sozialdemokraten genehmige77, oder aber der Bürgermeister würde ein Disziplinarverfahren gegen die sozialdemokratischen Stadtratsmitglieder einleiten. Fiehler probierte es auf andere Weise er versuchte, schriftliche Erklärungen der SPD-Vertreter einzuholen, daß sie auf die Ausübung ihres Mandates verzichteten78. Mit diesem Weg, den Helmreich in höchstem Maße für zweifelhaft hielt, hatte Fiehler lediglich in zwei Fällen Erfolg, so daß ihm jetzt nur noch blieb, eine „gesetzliche Regelung" abzuwarten79. Vorerst war es allerdings nicht der „Normenstaat", sondern der „Maßnahmenstaat", der Fiehler zu Hilfe kam. Die sozialdemokratischen Stadtratsmitglieder wurden in „Schutzhaft" genommen. Dieser Terrorakt war Fiehler in der Sitzung vom 1. Juni lediglich die Erklärung wert: Es „fehlen die Herren der Sozialdemokratischen Stadtratsfraktion. Sie sind vorschriftsmäßig geladen, befinden sich jedoch, wie mir privatim mitgeteilt wurde, in Schutzhaft, so daß ich wohl annehmen darf, daß sie als entschuldigt gelten."80 So erleichtert war der neue Oberbürgermeister, damit eine Lösung zu haben, die ihn davor bewahrte, das Gesetz offensichtlich zu übertreten, daß ihm der Zynismus dieser Äußerung wohl gar nicht bewußt wurde. Am 17. Juni bestätigte dann der bayerische Innenminister Wagner in einer Bekanntmachung, daß die Repräsentanten der Sozialdemokratie in allen Vertretungskörperschaften „zur Auf-

MGZ 62 (1933), S. 197. Zum Rauswurf der SPD- und später der BVP-Vertreter vgl. auch Hanko, Kommunalpolitik, S. 353-356. Vorlage Helmreichs für Fiehler, 12.5.1933, StadtAM, BuR 160. war.

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Wie das Beispiel der Stadt Kaiserslautern zeigt, die ihre SPD-Räte einfach von den Sitzungen ausschloß und dafür vom bayerischen Innenministerium zurechtgewiesen wurde, hätte ein solcher Antrag Anfang Mai 1933 offenbar noch geringe Chancen bei der Aufsichtsbehörde gehabt, während erst einen Monat später die Vertreibung der SPD aus den Vertretungskörperschaften offen betrieben wurde. Heinz, NSDAP, S. 387. Aufforderung Fiehlers an „sämtliche Mitglieder der S.P.D.", 17.5.1933, StadtAM, BuR 160. Helmreich, von dem auch das Zitat stammt, an Fiehler, 26.5.1933, ebenda. Helmreich antwortete damit auf eine Anfrage der Stadt Kulmbach vom 19.5., die offenbar in München eine Wegweiserin sah, nachdem ja hier „die SPDisten handgreiflich aus dem Stadtrat entfernt" worden seien. Die zwei Verzichtserklärungen auf weitere Ausübung ihres Amtes von Thérèse Uebelhör und Konrad Fiederl ebenda. MGZ 62

(1933), S. 234.

I. NS-Herrschaft und

38

Kommunalpolitik

rechterhaltung der öffentlichen Sicherheit sowie zu ihrem eigenen persönlichen Schutz bis auf weiteres von den Sitzungen fernzuhalten" seien81. Wenig später konnte der Münchner Oberbürgermeister das Problem als endgültig gelöst betrachten: die SPD wurde am 22. Juni reichsweit verboten; in einer sich anschließenden Verordnung des Reichsinnenministeriums zur Sicherung der Staatsführung vom 7. Juli wurde die Zuteilung von Sitzen an die SPD-Wahlvorschläge für unwirksam erklärt82. Nachdem die BVP am 4. Juli 1933 ebenfalls aufgelöst worden war, konnte kein Zweifel mehr bestehen, daß auch ihre Mitglieder nicht mehr im Stadtrat geduldet würden. Trotzdem kamen sie am 11. Juli noch in die Sitzung, um sich dort vom Fraktionsvorsit-

zenden der NSDAP, Christian Weber, anhören zu müssen, „daß die Stadtratsfraktion der NSDAP, in ihrer Tätigkeit im Stadtrat durch die Anwesenheit der Herren der ehem. Bayer. Volkspartei nicht gestört sein will"83. Als Fiehler zusätzlich mit der Einschaltung des Innenministeriums drohte, warteten die BVP-Vertreter weiteres nicht erst ab, sondern verließen den Saal, begleitet von den Deutschen Sozialisten, deren „an sich geschmacklose)/] Traum" von einer Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten damit beendet war84. Nach diesem Vorfall ließen sich die BVP-Mitglieder von den Verfolgungsmaßnahmen und neuerlichen Drohungen zermürbt die Niederlegung ihrer Stadtratsmandate abzwingen. Eine devote Erklärung wie die eines geschaßten Stadtrats, der „gerne die 8 Tage Schutzhaft in Stadelheim und ebenso das Ausscheiden aus dem Münchener Stadtrat auf den Altar des Vaterlandes" legte, war aber die Ausnahme85. Als letzte Vertreter einer anderen Partei als der NSDAP blieben nur noch die drei deutschnationalen Räte im Stadtrat, die sich jedoch widerstandslos der NSDAP-Fraktion ein-

-

gliederten86. Mit der Verdrängung von SPD und BVP verließen insgesamt 21 Stadträte das Gremium. Die Liste der 17 Nachrücker, die alle der NSDAP angehörten, erarbeitete Fiehler „im Einvernehmen mit dem Kreisleiter und Gauleiter". Nur der eigentliche Berufungsvorgang lag in der Hand der Regierung von Oberbayern, die sich auch einverstanden erklärte, daß der Stadtrat nur noch auf 40 Mitglieder wieder aufgestockt würde87. Natürlich ließen sich die Nationalsozialisten die Inszenierung der in wenigen Monaten errungenen Alleinherrschaft in der Gemeindevertretung nicht entgehen. Am 25. Juli wurde die erste Vollversammlung des rein nationalsozialistischen Gremiums mit einer Festsitzung begangen, der man offenbar „höhere Weihen" durch die Anwesenheit von evangelischen Kirchenvertretern und das Absingen des Chorals „Nun danket alle Gott" verleihen wollte88. Die 17 neuen Räte wurden auf ihr Amt verpflichtet und von Adolf Wagner als „Soldaten Adolf Hitlers" begrüßt. Seinen Worten nach hatte die Partei sich be81

VB

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RGB1. 1933/1, S. 462. Schon am 27.6. hatte Fiehler auf das SPD-Verbot reagiert und die Mandate der SPD-Stadtratsmitglieder für „erloschen" erklärt, StadtAM, BuR 160. MGZ 62 (1933), S. 289.

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vom

19.6.1933.

Bayerische Staatszeitung vom 12.7.1933. Joseph S. an den OB vom 12.7.1933, StadtAM, BuR 241/3, dort auch die weiteren Mandatsverzichtserklärungen der BVP-Vertreter. MGZ 62

(1933), S. 289.

von Oberbayern, Kammer des Innern an den Stadtrat der Landeshauptstadt, 19.7.1933, StadtAM, BuR 241/3. Das erzbischöfliche Ordinariat hatte es dagegen abgelehnt, die Kirchenglocken aus diesem Anlaß läuten zu lassen, vgl. Schreiben an Fiehler vom 24.7.1933, StadtAM, BuR 160.

Regierung

1.

Machtübernahme und Gleichschaltung

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reits „im ganzen Bayerland" als Alleinregierende durchgesetzt: „Keine Stadt, kein Dorf ist heute mehr in der Hand Andersdenkender."89 In der Tat saßen die „Andersdenkenden" mittlerweile in Gefängnissen und Konzentrationslagern, waren in den Untergrund abgetaucht oder ins Ausland geflohen. Bei den Nachberufungen zum 25. Juli wurden nur teilweise und nicht in der vorgegebenen Reihenfolge die auf dem letzten Wahlvorschlag der NSDAP geführten Kandidaten berücksichtigt. Auch wenn in der Folgezeit Ratssitze frei wurden, einigten sich Fiehler und die NSDAP-Fraktion häufig mit der Gauleitung auf Kandidaten, die nicht auf der Ersatzliste vorgesehen waren. Das stand wiederum im Gegensatz zum positivistischen Rechtsverständnis des Referenten Karl Helmreich, der sich mehrfach zum Thema Nachberufungen äußerte. Weil bei Fiehler in diesem Fall aber die Parteiwünsche vor dem Drang nach einer „ordnungsgemäßen" Führung der Verwaltung rangierten, mußte sich Helmreich der Macht des Faktischen beugen: „Die Praxis ist allerdings andere Wege gegangen", stellte er resigniert fest, als er Fiehler wieder einmal darauf hinwies, daß man nach dem Gleichschaltungsgesetz vom 7. April eigentlich zunächst auf die vorgesehenen Ersatzleute zurückgreifen müßte90. Der zweite Bürgermeister Hans Küfner und der Fiskalreferent Matthias Mayr, die wie Helmreich aus der Weimarer Zeit übernommen wurden, waren der gleichen Rechtsauffassung wie dieser. Schon im August 1933 hatte Mayr seine Anschauung in einem ausführlichen Gutachten niedergelegt, und Küfner hatte in einer einschlägigen Stadtratssitzung vorsichtige Hinweise auf die eigentlich geltenden Bestimmungen gemacht. Zu diesem Zeitpunkt wie auch später noch häufig passierte der Fraktionsbeschluß zur Berufung nicht vorgesehener Ersatzleute dennoch ungehindert das Verfahren91. Nicht nur Vertreter des früheren Systems störten sich aber an der willkürlichen Praxis der Nachberufungen, sondern auch nationalsozialistische Aktivisten, die sich um ihre Rechte betrogen fühlten. So empörte sich der kaufmännische Angestellte und Bezirksvorsteher des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes Franz E., der nach der Ersatzliste des NSDAP-Wahlvorschlags im Juli 1933 eigentlich hätte zum Zuge kommen müssen, daß seine nicht erfolgte Berufung doch auch „im Interesse unseres nationalsozialistischen Kampfes gelegen wäre"92. Doch darüber zu befinden, war Sache so einflußreicher Personen wie Adolf Wagner oder des Fraktionsvorsitzenden der NSDAP im Stadtrat, Christian Weber. Wenn letzterer sich etwa dafür stark machte, daß einer seiner Vertrauten 1934 in den Stadtrat berufen würde, weil er darauf angewiesen sei, „Wolfrum stets in meiner nächsten Nähe zu haben", dann mußte dieser Paul Wolfrum auch nicht auf dem Wahlvorschlag der NSDAP rangieren93. Schon im August 1933 hatte Weber erklärt, daß er ein persönliches Arrangement mit dem Gauleiter und Innenminister Wagner getroffen habe, das der Fraktion Vorschläge jenseits der Liste ge-

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Münchener Beobachter (Beiblatt zum VB) vom 26.7.1933: „Die historische Stunde des Münchener Stadtrats". Vorlage Helmreichs für Fiehler, 30.8.1934, StadtAM, BuR 241/3. Vgl. auch Helmreich, 4.12.1933, StadtAM, BuR 253/8. Stadtratssitzung vom 24.8.1933, StadtAM, RP 706/1, und Gutachten des Fiskalreferenten

Mayr, 22.8.1933, StadtAM, BuR 241/3. Brief an Fiehler, 18.7.1933, ebenda. Weber an Fiehler, 27.9.1934, ebenda.

I. NS-Herrschaft und Kommunalpolitik

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statte94. Tatsächlich genehmigte Wagner in der Folgezeit mehrfach Berufungen von Perder Wahlvorschlag nicht vorgesehen hatte95. Nicht nur in Berufungs- und Personalfragen war die Stadt immer wieder in starkem Maße auf Adolf Wagner angewiesen, der in seiner Person tatsächlich die häufig beschworene „Einheit von Partei und Staat" repräsentierte. Er zeichnete sogar die Briefe, die er in seiner Eigenschaft als Innenminister an die Stadt richtete, als „Gauleiter" und unterstrich damit die Machtkonzentration, die bei ihm lag. Gegenüber der Stadt wollte er häufig weit mehr als nur Aufsichtsbefugnisse wahrnehmen, zum Beispiel glaubte er, die städtebauliche Entwicklung Münchens selber und an der Stadtverwaltung vorbei steuern zu müssen96. Vorstöße, in die städtischen Belange hineinzuregieren, gab es freilich auch von anderer Seite: So machten DAF-Stellen immer wieder Kompetenzansprüche geltend, ob es das städtische Siedlungswesen betraf oder die Führung städtischer Betriebe97. Angesichts der begrenzten Mittel waren Konflikte der Stadt mit anderen Stellen aber auch dann vorprogrammiert, wenn es um Finanzierungsfragen ging. Dabei riskierte der Stadtrat im Verkehr mit den staatlichen Aufsichtsbehörden durchaus die Auseinandersetzung, wenn er glaubte, daß der Stadtsäckel zu Unrecht beansprucht würde98. Kamen die Ansprüche dagegen von der Partei selbst, versuchte die Stadtführung ihnen nach Möglichkeit gerecht zu werden und mußte das freilich auch99. Und sonen, die

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Sitzung vom 24. 8.1933, StadtAM, RP 706/1, und Hanko, Kommunalpolitik, S. 355f. Vgl. die Fälle in StadtAM, BuR 241/3. Über Wagners Interesse an der städtebaulichen Entwicklung Münchens wird in weiteren Teilen der Arbeit noch zu berichten sein. Eine gewisse Unterstützung in diesem Fall erhielt die Stadt von der Parteispitze, vgl. Schreiben Bormanns an Wagner, 27.2.1937 (Abschrift): „Der Führer wünscht, dass künftig ohne weiteres und regelmässig der Oberbürgermeister der Hauptstadt der Bewegung benachrichtigt wird, wenn der Führer zu Besprechungen über die Gestaltung Münchens in Ihr Ministerium kommt; der Oberbürgermeister ist beauftragt, entweder selbst an diesen Besprechungen teilzunehmen oder aber einen Beauftragten zu entsenden." StadtAM, BuR 452/5.

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Vgl. dazu exemplarisch den Brief Fiehlers an den Stabsleiter Simon beim Reichsorganisationsleiter der NSDAP vom 10.12.1941, in dem er sich über die Einmischung eines Gauwalters der DAF in die Führung der städtischen Verkehrsbetriebe beschwert (S. 9): „Andere Instanzen als die staatlichen Kommunalaufsichtsbehörden besitzen den Gemeinden gegenüber keine Informationsbefugnisse, es sei denn, daß ihnen durch besondere Gesetze eigene Eingriffsmöglichkeiten eröffnet

sind [...] Ich wüßte nicht, welches Gesetz der DAF ein Informationsrecht gegenüber den Gemeinden zugesprochen hätte." StadtAM, BuR 452/9. Fiehler bezieht sich hier auf die Deutsche Gemeindeordnung, in der im § 114 anderen Behörden und Stellen als den Aufsichtsbehörden Eingriffe in die Gemeindeverwaltung untersagt werden, der Aufsichtsbehörde aber im § 108 ein recht umfangreiches Recht, sich „jederzeit über alle Angelegenheiten der Gemeinde" zu unterrichten, zugestanden wird. (Fiehler), Deutsche Gemeindeordnung, S.174,181. So in einem heftigen Streit mit dem bayerischen Wirtschaftsminister Esser um die Kosten für die Überlassung einer städtischen Ausstellungshalle. Vgl. Hauptausschußsitzung vom 27.3. 1934, StadtAM, RP 707/2; ferner Hanko, Kommunalpolitik, S. 410-415. Auf eine Anfrage der Stadt Graz antwortete Fiehler am 27.10.1938: „Spenden im eigentlichen Sinne hat die Hauptstadt der Bewegung der Partei nie gemacht." Dafür seien aber „Zuwendungen [...] zur Förderung eines bestimmten Zweckes" gegeben worden, z.B. zur Errichtung von HJ-Heimen. Auch die Parteifeiern, etwa zum 9. November, und die Maßnahmen, „die der Hebung des Fremdenverkehrs und dem monumentalen Ausbau der Hauptstadt der Bewegung dienten", seien durch städtische Mittel unterstützt worden. StadtAM, BuR 311/4. Ein Beispiel dafür bieten die „Tage der deutschen Kunst", für die der feste Zuschuß der Stadt in Besprechungen beim Reichsschatzmeister der NSDAP am 18./19.11.1940 auf eine Million RM festge-

1. Machtübernahme und

Gleichschaltung

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das Prestige der „Hauptstadt der Bewegung" ging, sollte nach Ansicht der Stadtväter auch die Bevölkerung ihre Wünsche nach Senkung von Steuerlasten zurückstellen. „Zum Schicksal der Steuerpflichtigen der zur Zeit lebenden Generation in München gehört es eben, mit Rücksicht auf den Ausbau der Hauptstadt der Bewegung etwas stärker in den Geldbeutel zu greifen."100 Die politische „Gleichschaltung" des Stadtrates schlug schließlich auch auf die Organisation seiner Arbeit durch. Beim Zusammentritt des neuen Stadtrats am 26. April 1933 wurde zunächst noch an der Zahl, Bezeichnung und Zuständigkeit der bisherigen Ausschüsse und Unterausschüsse festgehalten, und die Sitze wurden nach dem Proporz der Parteien im Rat vergeben. Die gleichzeitige Reduzierung der Mitgliederzahlen in den Ausschüssen bei den großen Ausschüssen von 15 auf zehn, bei den kleinen von sieben auf sechs ging aber schon zu Lasten der BVP und SPD. Im neuen Wohnungsausschuß etwa besetzten NSDAP (Ludwig Häring, Ludwig Höfler und Max Kellner) und Deutschnationale (Adolf Westermayer), die zusammen eine Ausschußgemeinschaft bildeten, vier von sechs Sitzen, während SPD (Thomas Wimmer) und BVP (Josef Lutz) nur noch je einen Sitz erhielten, also gegenüber ihrer Mandatszahl unterrepräsentiert waren101. Schon bevor die anderen Parteien endgültig aus der städtischen Vertretung ausgeschlossen waren, behielt die NSDAP sich ideologisch wichtigere Schaltstellen zur exklusiven Besetzung vor. So wurden die fünf im Stadtjugendamt zu vergebenden Stadtratssitze von vornherein alle der NSDAP zugeschlagen mit der Begründung, „daß die Aufsicht über die Jugenderziehung, über die Wohlfahrt usw. in die Hände der Partei gehört, die heute den Staat vertritt"102. Nach der Ausschaltung der Parteien wurden die freiwerdenden Sitze in den Ausschüssen mit NSDAP-Räten aufgefüllt, wobei die wichtigen Entscheidungen über die Neubesetzungen nicht im Stadtratsplenum fielen, sondern in der Fraktion präjudiziert wurden. Hier wurde etwa beschlossen, daß „im großen und ganzen von der Einberufung der Unterausschüsse abgesehen werden soll, weil ja das alles in der Fraktion besprochen werden kann"103. Auch sonst kann man für die Folgezeit größte Unregelmäßigkeiten hinsichtlich der Ausschußarbeit konstatieren. Der Wohnungsausschuß etwa bei dem im August 1933 die Plätze der Ratsherren Lutz und Wimmer neu durch Otto Schiedermaier und Josef Groß besetzt wurden trat zum erstenmal nach der Machtübernahme im Rathaus erst am 22. Oktober 1934 zusammen, in nochmals geänderter Besetzung104.1935 tagte der Ausschuß noch einige Male, danach wenn es um

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legt wurde, StaatsAM, NSDAP 101. Vgl. auch Matzerath, Nationalsozialismus und kommuna100 101

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le Selbstverwaltung, S. 369-381. Stadtkämmerer Pfeiffer in einer Sitzung der VFB-Beiräte am 23.6.1938, StadtAM, BuR 1662. StadtAM, BuR 1647, und Ratssitzungen vom 26.4.1933, MGZ 62 (1933), S. 182-185, und 1.6.1933, StadtAM, RP 706/1. Der BVP-Fraktionsführer Stang hatte in der Sitzung vom 26.4. noch vergeblich versucht, diese Verkleinerungen zu verhindern, weil sich daraus „ein ungerechtes und unbilliges Verhältnis" in der Besetzung ergäbe, MGZ 62 (1933), S. 184.

Stadtratssitzung vom 27.6.1933, StadtAM, RP 706/1. So berichtete Küfner über die Vorberatungen in der Fraktion in der Stadtratssitzung vom 24.8.1933, MGZ 62 (1933), S. 357. StadtAM, BuR 1647; vgl. auch 1. Sitzung des Wohnungsausschusses vom 22.10.1934, StadtAM, RP 707/8: Hier waren jetzt die Stadträte Neumaier, Ortner, Schiedermaier und Westermayer anwesend, als Referent Guido Harbers, während Fiehler entschuldigt war. Die Sitzung wurde als Zusammenkunft zur Information deklariert und hatte nicht den Charakter einer formalen Ausschußsitzung, was offenbar trotz der langen Unterbrechung für nicht nötig befunden wurde.

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I. NS-Herrschaft und

Kommunalpolitik

offenbar nicht mehr, zumindest sind keine Sitzungen mehr protokolliert. Großes Gewicht während der ganzen Zeit des „Dritten Reiches" behielt dagegen der Hauptausschuß, der nach Erlaß der Deutschen Gemeindeordnung von 1935 unter dem Titel „Beiräte für Verwaltungs-, Finanz- und Baufragen" firmierte und in dem auch die wichtigsten Fragen der Wohnungspolitik verhandelt wurden. Während in der Endphase der Weimarer Republik der Stadtrat in hohem Maße die politischen Polarisierungen spiegelte, hier harte Verbalattacken vor allem der Nationalsozialisten und Kommunisten zum Alltagsgeschäft gehörten und es sogar zu handgreiflichen Eskalationen kam, sollte der gleichgeschaltete Stadtrat auf lokaler Ebene den einheitlichen politischen Willen, der Deutschland jetzt regierte, demonstrieren. Vor allem nach außen sollte das Bild entstehen, daß die Stadt sich unter zielbewußter und geschlossener Führung zu neuer Größe aufschwingen werde, daß die Zeit des Parteienhaders und der kleinlichen Auseinandersetzungen, die jegliche Entwicklung gehemmt hätten, jetzt endgültig vorbei sei. Angesichts der Ausschaltung aller oppositionellen Kräfte war es nicht schwer, größere Einheitlichkeit zur Schau zu stellen. Eher ist es schon bemerkenswert, daß überhaupt noch Auseinandersetzungen im Stadtrat geführt wurden und einzelne Materien strittig blieben, wie es aber in der Wohnungspolitik durchaus der Fall war105. Im Vergleich zur Weimarer Zeit nahm freilich die Intensität und Länge der Diskussionen stark ab, kontroverses Abstimmungsverhalten wurde sehr viel seltener, und die Ausschüsse, in denen früher die verschiedenen politischen Auffassungen zu einzelnen Problemgebieten aufeinandergeprallt waren und Kompromißlösungen oft in zähen Verhandlungen austariert werden mußten, dienten jetzt eher der Information der Gemeinderäte über die von der Verwaltung geleistete Arbeit. Freilich konnte es hierbei schon zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem zuständigen hauptamtlichen Referenten für ein Sachgebiet und den Vertretern in den Ausschüssen kommen. Insgesamt konnte Fiehler aber bei einem Überblick auf die vom Stadtrat im ersten Jahr der Gleichschaltung geleistete Arbeit bemerken: „Es ist erfreulich, daß nicht mehr soviel gequasselt wird, wie das früher der Fall war, was sich naturgemäß aus der einheitlichen Zusammensetzung des Stadtrats ergibt."106 Und als 1935 die Deutsche Gemeindeordnung den Stadtrat als Entscheidungsgremium abschaffte und die Gemeinderäte den Bürgermeister nur noch zu beraten hatten, sah Fiehler darin „materiell" für München kaum eine Änderung, denn man hätte „in den letzten zwei Jahren ja Abstimmungen tatsächlich auch nicht notwendig gehabt"107. Damit das Bild der Einheitlichkeit keine Kratzer bekäme, machte sich sehr deutlich die Tendenz bemerkbar, alle irgendwie zur Kontroverse einladenden oder ansonsten problematischen Gegenstände nur noch in nicht-öffentlicher Sitzung zu behandeln. Das blieb offenbar nicht unbemerkt; der Fraktionsvorsitzende Christian Weber berichtete jedenfalls, er sei von Bürgerseite gefragt worden, „ob das noch nicht bald aufhört,

Vgl. z.B. unten, S. 256f. Dagegen zur Situation in anderen gleichgeschalteten Stadtvertretungen, die zu „bloßen Akklamationsorganen" degenerierten, Heinz, NSDAP, S. 413. Stadtratssitzung vom 16.1.1934, MGZ 63 (1934), S. 15. Die Gesamtzahl der Ausschuß-, Kommissions- und Plenarsitzungen minderte sich nach den hier vom Zweiten Bürgermeister Küfner gemachten Angaben von 1932 577 auf 1933 375. Das lag nicht nur am Ausfall der Sitzungen in der Machtübernahmephase, sondern am deutlich selteneren Zusammentreten der Ausschüsse. Vgl. ferner Hanko, Kommunalpolitik, S. 404-407. Stadtratssitzung vom 26.3.1935, MGZ 64 (1935), S. 104.

1.

Machtübernahme und Gleichschaltung

43

daß im Stadtrat alles hinter verschlossenen Türen behandelt werden muß; früher habe man mehr erfahren, jetzt erfahre man überhaupt nichts mehr"108. Der zweite Bürgermeister Küfner machte daher in der Stadtratssitzung vom 14. Juni 1933, als zehn Ge-

genstände zur öffentlichen, 61 zur „geheimen" Behandlung angemeldet waren, den Referenten den Vorschlag, „sich dieses Mißverhältnis etwas zu überlegen und alles, was in öffentlicher Sitzung behandelt werden kann, in die öffentliche Sitzung zu geben und dabei nicht allzu ängstlich zu sein"109. Natürlich sollte in der Stadt nicht der Eindruck entstehen, daß der neue Stadtrat allzuviel vor der Bürgerschaft zu verbergen hätte; außerdem konnte man ohnehin auf die Zuverlässigkeit der Presseberichterstattung bauen. Ein wenig scheint sich dann auch das Verhältnis von öffentlicher und nicht-öffentlicher Beratung verbessert zu haben. Daß Auseinandersetzungen mit den Aufsichtsbehörden, aber auch interne Verwaltungsangelegenheiten und Personalfragen, Auftragsvergaben der Stadt, Eingriffe im sozialen und Gesundheitssektor, besonders wenn sie im Zusammenhang mit „erb- und rassenhygienischen" Maßnahmen standen, Ausbürgerungsoder „Arisierungs"-Angelegenheiten, Finanz- und Steuerfragen wie fast alle wirtschaftspolitischen Maßnahmen und übrigens auch weitgehend der Wohnungsbau keine Materien zur öffentlichen Behandlung waren, ist aber opinio communis geblieben. Um so lieber nutzte man Gelegenheiten zur Präsentation nach außen, bei denen Münchens Geltung im „Dritten Reich", die Verbundenheit mit der nationalsozialistischen Führung oder der geschlossene Wille zur Förderung des allgemeinen Wohles der Stadt demonstriert werden konnten. So war ein „Revolutionsappell der alten Kämpfer" ein Jahr nach der Münchner „Machtergreifung" Anlaß für eine Sondersitzung des Stadtrates am 16. März 1934, in der Fiehler die Treue zur „Bewegung" beschwor: „Unser Führer Adolf Hitler hat München nicht vergessen. München ist seine Heimat geworden, wie es auch die Heimat der meisten alten Kämpfer ist. Durch Adolf Hitler und seine alte Garde ist München nicht nur die Geburtsstätte, sondern auch die Hauptstadt der Bewegung geworden."110 Diese Rede Fiehlers liefert auch einen Beleg dafür, daß der Begriff „Hauptstadt der Bewegung" schon vor seiner offiziellen Einführung 1935 benutzt wurde. Als Hitler dann die Titelverleihung am 2. August 1935 „amtlich" gemacht hatte, gab das wieder Anlaß für eine Festsitzung, in der die Gemeinderäte diese „größte Auszeichnung" feiern konnten, „die einer Stadt zuteil werden konnte"111. Schwülstige Beschwörungen von Treue und Kampfgeist, der zentralen Stellung Münchens und seiner hervorgehobenen Bedeutung für den „Führer" dienten sicher ebensosehr der Inszenierung von Münchens Rolle nach außen wie der Selbstvergewisserung der von der faktischen Parteimacht häufig an die Wand gedrängten Stadtvertretung. Die Domestizierung durch Partei- und Aufsichtsstellen sollte, wie ausführlicher darzustellen sein wird, im Verlauf des „Dritten Reiches" stark an Gewicht gewinnen.

Die Stadt strebte ihrerseits an, die Zahl der Stellen, die in ihren Belangen Mitspracherecht hatten, zu reduzieren. Da sie aber gegen Parteiinstanzen nur sehr begrenzt etwas unternehmen konnte, versuchte sie wenigstens im staatlichen Instanzenzug eine „Vereinfachung" der Verwaltung zu erreichen. So stellte sie im Dezember 1933 beim Staats108 109 110 111

So Weber in der Hauptausschußsitzung vom 14.6.1933, MGZ 62 (1933), S. 244. Ebenda, S. 243. MGZ 63 (1934), S. 114. Vgl. Hanko, Kommunalpolitik, S. 408. Festsitzung am 6.8.1935, Ansprache Tempels, MGZ 64 (1935), S. 199.

I. NS-Herrschaft und

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Kommunalpolitik

ministerium des Innern den Antrag, unmittelbar der Aufsicht der zuständigen Ministerien in der Bayerischen Staatsregierung unterstellt zu werden. Das bedeutete, die Regierung von Oberbayern als Aufsichtsbehörde auszuschalten, deren Kompetenzen an die Stadtgemeinde selbst übergehen sollten. Als Begründung wurde angeführt, daß der Stadtrat „seit Jahrzehnten in allen wichtigen Angelegenheiten unmittelbar mit den zuständigen Staatsministerien" verkehre. „Und auch diese verhandeln ohne Inanspruchnahme der Regierung von Oberbayern in allen wichtigen Angelegenheiten unmittelbar mit dem Stadtrat München."112 Der Antrag der Stadt hatte zunächst keine Chancen, weil die Staatsregierung der Neuordnung des Gemeindeverfassungsrechts nicht vorgreifen wollte. Auch nach der Deutschen Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 blieb schließlich die Regierung von Oberbayern als Mittelinstanz Aufsichtsbehörde für die Stadt. Es veränderte sich aber auch nichts an der „Fachaufsicht", das heißt der Überwachung einzelner Wirkungskreise gemeindlicher Tätigkeit113. In unserem Interessensgebiet, dem Wohnungs- und Siedlungswesen, war die Abteilung für Arbeit und Fürsorge im Staatsministerium für Wirtschaft mit der Fachaufsicht befaßt, und es kam vor, daß die Regierung von Oberbayern sich recht nachdrücklich in Erinnerung bringen mußte, wollte sie in dieser Materie nicht völlig übergangen werden114. In der Sicht des städtischen Wohnungsreferenten aber stellte sich das Problem der Staatsaufsicht noch als relativ geringfügig dar im Vergleich zu den Mitregierungsansprüchen, die von verschiedenen Stellen in der Partei und ihren Gliederungen erhoben wurden. Im weiteren werden auch die Strategien zu verfolgen sein, die die Stadt im Umgang mit solchen Instanzen entwickelte.

Beschluß des Hauptausschusses vom 19.12.1933 und entsprechendes Schreiben an das Staatsministerium des Innern, StadtAM, BuR 325/7. Vgl. auch Hanko, Kommunalpolitik, S. 413f. DGO, §§ 106 mit 1. Ausführungsanweisung und 107 mit 1. Durchführungsverordnung §§ 33, 34, abgedruckt in: (Fiehler), Deutsche Gemeindeordnung, S 170-174. Zur Fachaufsicht oder Sachaufsicht, wie es in Bayern hieß, vgl. den Kommentar von Helmreich zum Art. 50 der Bayerischen Gemeindeordnung: „Die [...] Sachaufsicht unterscheidet sich formell und inhaltlich von der [...] Staatsaufsicht; formell, weil letztere nur von den Aufsichtsbehörden der inneren Verwaltung, erstere aber von der ressortmäßig zuständigen Staatsbehörde ausgeübt wird; inhaltlich insofern, als die Staatsaufsicht die Einhaltung der den Gemeinden hinsichtlich der eigentlichen Gemeindeangelegenheiten gezogenen Schranken überwacht, während die Sachaufsicht auf dem Gebiet des übertragenen Wirkungskreises tätig ist." (Helmreich/Rock), Bayerische Gemeindeordnung, S. 209f. Vgl. Regierung von Oberbayern an den OB der Hauptstadt der Bewegung, 6.5.1938,

StadtAM, PR 83/6, 348.

2. Die neuen Führungskräfte Karl Fiehler: alter Kämpfer" und Kommunalpolitiker „

Als Karl Fiehler am 20. März 1933 mit dem Amt des kommissarischen Bürgermeisters München betraut wurde, galt er seinen nationalsozialistischen Parteifreunden als kommunalpolitischer Experte und Kenner der Münchner Stadtverwaltung. In Braunschweig am 31. August 1895 als Sohn eines Baptistenpredigers geboren, war Fiehler in München aufgewachsen, hatte dort die Kaufmannsschule besucht und eine Lehre absolviert, später in Schleswig-Holstein als Handlungsgehilfe gearbeitet. Den Dienst in der Münchner Stadtverwaltung nahm Fiehler, seit dem September 1918 auch in München verheiratet, unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg auf. Hier bot sich dem Versehrten Kriegsheimkehrer 1918 hatte er wegen einer Beinverletzung für längere Zeit im Lazarett gelegen die Chance zur Rückkehr ins zivile Leben1. In der Phase andauernder Nahrungsmittelbewirtschaftung nach dem Krieg fand er in einer Lebensmittelkartenverteilungsstelle der Stadt Beschäftigung. Er trat die Stelle als Aushilfe am 19. März 1919 an, also genau 14 Jahre vor seiner Ernennung zum Bürgermeister2. Zunächst sah es allerdings nicht so aus, als ob Fiehler zu einer höheren Karriere berufen sei. 1921 wollte es im ersten Anlauf mit seiner Verbeamtung nicht klappen, seine nervöse Konstitution ließ ihn zur „etatsmäßigen Anstellung" nicht geeignet erscheinen3. Zum Februar 1922 wurde er dann aber doch verbeamtet, die Vorbereitungskurse und Prüfungen für den mittleren Staats- und Gemeindeverwaltungsdienst legte er mit guten Ergebnissen ab. Zu dieser Zeit wechselte Fiehler häufiger die Stellung, vom Lebensmittelkartenamt 1920 zum Fiskalreferat und schon kurze Zeit darauf zur Münchner Gemeindezeitung, wo er als Stenograph knapp zwei Jahre lang die Stadtratssitzungen protokollierte, die er später leiten sollte. Die überlieferten Zeugnisse lassen das Bild eines zuverlässigen und fleißigen Bediensteten erkennen, der seine Vorgesetzten nicht gerade durch herausragende Fähigkeiten beeindruckte: „F. ist zu internen Büroarbeiten einschließlich Rechnungsführung sowie im Parteienverkehr gut zu gebrauchen; hat Eigenschaften, die seiner Mittelschulbildung, Kaufmannslehre u. seiner Tätigkeit als Reserveoffizier entsprechen", urteilte man etwa 19204. Auf der anderen Seite hätte wohl auch kaum einer zum damaligen Zeitpunkt dem als so zuverlässig geltenden Fiehler die Teilnahme an einem Staatsstreich zugetraut. Doch der Kommunalbeamte gehörte zu denen, die der Demagogie Adolf Hitlers verfielen und ihm 1923 bei seinem Unternehmen folgten, die Macht im Staat an sich zu reißen. In seinem Entnazifizierungsverfahren nach dem Krieg gab Fiehler an, es sei gerade die aus seiner beruflichen Tätigkeit resultierende Kenntnis der Probleme von Verwaltung und Wirtschaft in der Inflationszeit gewesen, die ihn in die Reihen der NSDAP geführt habe: „Ich habe als guter Stenograf die ganzen Verhandlungen der Stadtverwalvon

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1

2

3 4

zur Frühphase von Fiehlers Beschäftigung bei der Stadt und zu seiner Jugend und Ausbildung aus StadtAM, Personalakt Karl Fiehler 12011/1. Bevor er bei der Ernährungsverwaltung anfing, hatte Fiehler von Dezember 1918 bis Ende Januar 1919 bereits bei Wahlvorbereitungen im Einwohneramt München ausgeholfen.

Die Daten

Bezirksarzt

an

Personalreferat, 11.7.1921, StadtAM, Personalakt Fiehler 12011/1, Bl. 65.

Beurteilung der Lebenmittelkartenverteilungsstelle Nr. 5, 31.7.1920, ebenda, Bl. 3.

I. NS-Herrschaft und

46

Kommunalpolitik

tung protokolliert und die ungeheuren Schwierigkeiten kennen gelernt, die sich während der Inflationszeit ergeben haben. [...] Es war offen zu sehen, daß die Wirtschaft immer mehr zugrunde ging. Es war kein Weg zu sehen, wie es besser werden könnte. [...] Als dann eine neue Partei auftrat, die nicht nur einzelne Gruppen der Bevölkerung vertreten wollte, sondern die darauf abzielte, alle Menschen, die sich in erster Linie als Deutsche fühlten, zu vereinigen, die der Arbeit den gerechten Lohn geben und die in allem Wandel schaffen wollte, da habe ich geglaubt, daß das etwas Gutes sei."5 Diese Worte sind zwar typisch für die Naivität des Karl Fiehler, die er in seinem Entnazifizierungsverfahren womöglich noch übertrieb, um zu einem milden Urteil zu kommen, sie weisen aber auch auf den engen Zusammenhang des frühen Aufstiegs der NSDAP und des Hitlerputsches mit der sozialen und wirtschaftlichen Krise hin. Hier können nicht die verschiedenen Faktoren in Breite diskutiert werden, die den November 1923 zum Zeitpunkt und die Stadt München zum Ort dieses fehlgeschlagenen Staatsstreichs werden ließen6. Die Entwicklung Bayerns zum Hort der Rechten nach Revolution und Räterepublik 1918/19, die Politik der Protektion oder sogar Unterstützung des Rechtsradikalismus durch bayerische Politiker auf der einen Seite und die offene Frontstellung der bayerischen Politik gegen das Reich auf der anderen Seite, aber auch die konkreten Impulse, die von der Ernennung Gustav von Kahrs zum Generalstaatskommissar in Bayern im September 1923 ausgingen, spielten mit Sicherheit eine große Rolle. Dennoch sollten die wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Erklärungsmomente nicht unterschätzt werden, denn der fortschreitende Währungsverfall, die damit verbundenen

Begleiterscheinungen wie Schwarzmarkt, Schleichhandel, Plünderungen, Hungerdiebstähle, die grundlegende Werte der Gesellschaft zu bedrohen schienen, die Polarisierungen zwischen „Gewinnern" und „Verlierern" der Inflation, zwischen Produzenten und Konsumenten all diese Faktoren erst sicherten der NSDAP den Zulauf enttäuschter,

verunsicherter, häufig auch von Ressentiments erfüllter Menschen, denen die einfachen -

Schuldzuweisungen Adolf Hitlers eine Lösung anzubieten schienen. Karl Fiehler gehörte zu ihnen und trat dem „Stoßtrupp Hitler" am 6. November 1923 bei, nur zwei Tage bevor sich „der Führer" am Abend des 8. November zum „Losschlagen" entschloß7.

Der von seinem Charakter her zurückhaltende Fiehler ließ sich von der angeheizten Stimmung unter den nationalsozialistischen Putschisten mitreißen und nahm, wenn auch im hinteren Glied, an den Gewaltaktionen teil. So war er als Absperrposten eingesetzt, als die Gefolgsleute Hitlers die Geschäftsräume der sozialdemokratischen Zeitung „Münchener Post" verwüsteten und die Wohnung des Parteivorsitzenden Erhard Auer durchwühlten. Auch bei der Fahrt

zum

Münchner Rathaus

war er

dabei, wenn-

gleich die „Verhaftung" bzw. Verschleppung einer Reihe von Stadträten ohne sein Zutun stattfand. Als Stoßtrupp-Mitglied an dieser Tatsache kam auch die ihm wohlgesonnene Regierung von Oberbayern nicht vorbei beteiligte sich Fiehler somit an einem Unternehmen, „das nicht nur gegen den bayerischen Staat in seiner bisherigen -

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5

6

7

Sitzungssprotokoll Hauptkammer München-Stadt, 11712.1.1949, Amtsgericht München, Registratur S, Spruchkammerakt Karl Fiehler, Bl. 111. Als eine neuere Zusammenfassung der Begleitumstände und der Kräftefelder, in denen der Putschversuch sich abspielte, vgl. Rudioff, Auf dem Weg zum „Hitler-Putsch". StadtAM, BuR 1445.

2. Die neuen

Führungskräfte

47

Staatsform, sondern auch gegen den Stadtrat München in seiner damaligen Verfassung

gerichtet war"8. Die Folge war ein Urteil des Volksgerichts München I vom 28. April 1924 zu einer Festungshaftstrafe von 15 Monaten und einer Geldstrafe von 30 Goldmark wegen Beihilfe zum Hochverrat. Die Festungshaft, die Fiehler nach Beschluß des Obersten Landesgerichts tatsächlich antreten mußte, obwohl das Volksgericht ihn mit Bewährung davonkommen lassen wollte, galt als quasi ehrenvolle politische Bestrafung im Gegensatz zur Gefängnishaft für Kriminelle. Zudem brachte sie Fiehler für einige Monate in die Nähe des bewunderten „Führers" und machte ihn zum Mitglied des im „Dritten Reich" illustren Kreises von Landsberger Haftgenossen. Die Konsequenzen aus der Beteiligung am Putsch trafen Fiehler auch ansonsten nicht allzu hart. Schon nach dreieinhalb Monaten Haft konnte er Landsberg vorzeitig am 29. November 1924

verlassen. Auch den städtischen Dienst durfte der Vater zweier Kinder (das dritte Kind wurde 1932 geboren) bald wieder aufnehmen. Zwar hatte ihn der noch sozialdemokratisch dominierte Stadtrat im Juli 1924 wegen Verletzung seiner Beamtenpflicht entlassen, aber in der Regierung von Oberbayern fand Fiehler eine Fürsprecherin, die bereit war, gegen einen Täter von rechts Milde walten zu lassen. Ihr erschien „das Verschulden Fiehlers nicht derart schwer [...], daß eine für dessen Existenz so einschneidende Strafe wie die vom Stadtrat verhängte Dienstentlassung gerechtfertigt wäre. [...] Als strafmildernd fällt auch ins Gewicht, daß dem Fiehler augenscheinlich die nötige politische Reife fehlte, um die ganze Tragweite des Hitler-Unternehmens zu überblicken."9 Eine Geldbuße von 50 RM befand die Regierung als ausreichende Dienststrafe für den unreifen Putschisten, der sich allerdings in der Folge keineswegs in ruhigeres politisches Fahrwasser begab. Gleich nach seiner Entlassung aus Landsberg kandidierte Fiehler bei den Kommunalwahlen im Dezember 1924 für eine Ersatzorganisation der verbotenen NSDAP, die „Nationalsozialistische Freiheitsbewegung Großdeutschlands", und ließ einen Teil seiner noch abzuleistenden Geldstrafe in zwei Tage Haft verwandeln, offenbar nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern auch, um sich bei Hitler in Landsberg kommunalpolitischen Rat zu holen10. Fiehler gelang der Einzug in den Münchner Stadtrat, und er leitete seit 1925 die zunächst sechsköpfige nationalsozialistische Fraktion. Seit 1929 war er nur noch stellvertretender Vorsitzender der nunmehr acht Nationalsozialisten zählenden Fraktion, während der „Radau-Antisemit" Hermann Esser die Führung übernahm11. Fiehler engagierte sich zunehmend innerhalb der Gesamtpartei, die nach der Aufhebung des NSDAP-Verbots am 27. Februar 1925 von Hitler wiedergegründet worden war und in der der spätere Münchner Oberbürgermeister die niedrige Mitglieds-Nummer 37 führte12. Er übernahm in der Partei das kommunalpolitische Refe8 9

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11 12

Dienststrafbescheid der Regierung von Oberbayern, Kammer des Innern, 19.1.1925, ebenda. Zur Geschichte von Fiehlers Verurteilungen und Strafverbüßung vgl. Dienststrafbescheid, ebenda. Daraus auch die Zitate. Zu den Wahlen vom Dezember 1924 und ihren Ergebnissen für die Stadtvertretung vgl. Steinborn, Grundlagen, S. 327-374. Zu den Motiven Fiehlers, noch einmal nach Landsberg zurückzukehren, Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 35, der Fiehler noch persönlich interviewt hat. Steinborn, Grundlagen, S. 485. Vgl. die verschiedenen biographischen Zeugnisse im StadtAM, Beiakt des Personalakts Fiehler 12011/1.

I. NS-Herrschaft und

48

Kommunalpolitik

unangefochtene Führungsposition in diesem Sektor eigentlich nur auf Randständigkeit in der NSDAP zurückzuführen war. Kommunalpolitik war, wie Horst Matzerath nachgewiesen hat, zunächst „ein von der Parteileitung unbeachtetes Feld politischer Aktivität"13. Nach einem gemeinderechtlichen Vortrag auf dem Reichsparteitag 1926 erhielt Fiehler dann vom Parteiideologen Gottfried Feder den Auftrag, die Grundsätze nationalsozialistischer Kommunalpolitik programmatisch niederzulegen14. Mit einer gewissen Aufwertung des kommunalpolitischen Sachgebiets innerhalb der Partei stieg Fiehler vom Referenten für kommunalpolitische Fragen zum Leiter des Amtes für Kommunalpolitik (1933) auf, das 1934 zudem zum Hauptamt erhoben wurde15. Zuvor schon war Fiehler zum Reichsleiter aufgerückt eine „Ehre", die ihm wohl eher zufällig und paradoxerweise aufgrund seiner „beamtischen" Fähigkeiten zuteil geworden war. 1928, als die NSDAP noch vereinsrechtlich organisiert war, wurde der bekanntermaßen gute Stenograf und Verwaltungstechniker mit dem Amt des

rat, wobei seine

dessen

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Schriftführers im „Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterverein" betraut, damit Mitglied der Reichsparteileitung und erhielt seit 1933 den Rang eines Reichsleiters16. Kaum erstaunlich, daß in der Regimephase in der Parteileitung auch Zweifel laut wurden, ob Fiehler mit dem Rang eines Reichsleiters nicht überbewertet sei. Für eine offizielle Degradierung gab der Münchner Oberbürgermeister allerdings keine Veranlassung, so daß er seinen Titel bis zum Ende des „Dritten Reiches" behielt. Die gleichen Zweifel galten übrigens dem Reichsstatthalter in Bayern, Ritter von Epp, der Reichsleiter des Kolonialpolitischen Amtes war17. In der Stadtverwaltung schritt Fiehler unterdessen auf der mittleren Beamtenlaufbahn weiter, seit 1925 war er im Fahrnisamt beschäftigt. Sein Putsch-Abenteuer stand auch Beförderungen nicht entgegen, vor seiner Ernennung zum Oberbürgermeister hatte er den Rang eines Verwaltungsobersekretärs erreicht und war Beamter auf Lebenszeit geworden. Indem sie ihn und nicht ein anderes Stadtratsmitglied wie Christian Weber mit seinem brutal-einschüchternden Durchsetzungsvermögen oder Hermann Esser, der sich bereits vor 1933 mit Hetzreden und polemischen Schriften einen schlechten Ruf in der Öffentlichkeit eingehandelt hatte, einsetzten, entschied sich die nationalsozialistische Führungsriege für eine Persönlichkeit, die den altbewährten Anhänger der „Bewegung" ebenso wie den fachlich versierten Beamten verkörperte18. Der war er

13 14

15 16

17

Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 36. Dazu die als Heft 10 der Reihe „Nationalsozialistische Bibliothek" von Gottfried Feder her-

ausgegebene Darstellung Fiehlers: Nationalsozialistische Gemeindepolitik. Vgl. unten, S. 92. Verfügung Hitlers vom 2.6.1933, in: Verordnungsblatt der Reichsleitung der NSDAP Folge 48 (1933), S. 101. Zu Fiehlers Ernennung zum Schriftführer 1928 vgl. seine Aussage im Sitzungsprotokoll Hauptkammer München-Stadt, 11712.1.1949, Amtsgericht München, Registratur S, Spruchkammerakt Fiehler, Bl. 115. Leider ist der Absender des Briefes an Bormann vom 22.2.1936, in dem diese Zweifel geäußert werden, nicht identifizierbar, es muß sich aber, soviel geht aus der Quelle hervor, um ein Mitglied der engeren Parteiführung handeln. Abschrift in: BDC, Ordner 258 Präsidialkanzlei, Bl. 103-107, bes. 106. Zweifellos bildeten die „unterschiedlichen Leitbilder des fachlich vorgebildeten Beamten mit festen Laufbahnvoraussetzungen und -bestimmungen einerseits, des aktiven Nationalsozialisten, nicht behindert durch juristische Skrupel, in enger Anlehnung an die Partei und im Dienste der nationalsozialistischen Weltanschauung andererseits", ein Grundproblem bei der Beset-

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2. Die neuen Führungskräfte

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Münchner Oberbürgermeister repräsentierte bis zum Ende des „Dritten Reiches" diese beiden Seiten, er blieb „hin- und hergerissen zwischen Sachverstand und Ideologie, zwischen den Grundsätzen einer rechtlich gesicherten Verwaltung und den politischen Zielsetzungen der Partei"19. Obwohl Fiehler alles andere als eine Kämpfernatur war, konnte er sich mit diesem Kurs an der Spitze der Münchner Stadtverwaltung erstaunlich gut durchsetzen und sah sich in seiner Stellung während der ganzen zwölf Jahre nicht ernstlich gefährdet20. Auch für aggressivere Nationalsozialisten wie Adolf Wagner oder Christian Weber konnte es eigentlich nur von Vorteil sein, den nachgiebigen Fiehler als Münchner Stadtoberhaupt zu haben. Er ermöglichte ihnen, in ihren Einflußsphären uneingeschränkt zu herrschen, suchte nicht in Rivalität zu ihnen zu treten und sorgte dafür, daß der Anschein einer ordnungsgemäß geführten Verwaltung aufrechterhalten blieb21. Er garantierte den Ausgleich zwischen den aus der Weimarer Zeit übernommenen Beamten und den nationalsozialistischen Aktivisten, er konnte einen abgeglichenen Haushalt aufstellen, war aber ebenso leicht für unbürokratische Zuwendungen an die Partei zu gewinnen. Er hatte kein tieferes Rechtsverständnis, das ihn etwa dazu geführt hätte, sich vor seine ehemaligen SPD-Stadtratskollegen zu stellen, als diese massiven Verfolgungen ausgesetzt waren, oder den Bereicherungsmanövern eines Christian Weber Einhalt zu gebieten. Sein Normenbewußtsein erstreckte sich lediglich auf die Rechte der gemeindlichen Selbstverwaltung; allenfalls Verletzungen dieser Rechte waren es, die ihn dazu brachten, sich auch einmal gegen andere Parteistellen zu wenden. Bei seinen Bemühungen, vor der Spruchkammer 1949 seine politische Haltung als Abwehr gegen die völlige Nazifizierung von Politik und Gesellschaft darzustellen, konnte er nur auf seine Tätigkeit in der Repräsentation der Gemeinden verweisen: „Der Deutsche Gemeindetag ist der beste Beweis dafür, daß ich mich mit Erfolg bemüht habe, gegen totalitäre Bestrebungen (von 150%igen Nationalsozialisten) anzukämpfen. [...] Ich habe immer wieder versucht, den Einfluß der Gemeinden auf die Gestaltung der Dinge (Energiewirtschaft, Schulwesen, Kindergärten usw.) zu stärken und Unrechtes zu verhindern."22 Fiehlers Einsatz für kommunale Belange hatte etwas Monomanisches, sein Blick reichte, bildlich gesprochen, über die Kirchturmspitzen der Gemeinden nicht hinaus das hat Kurt Jeserich, der ihn aus langjähriger Zusammenarbeit im Deutschen Gemeindetag gut kannte, nach dem Krieg bestätigt: „Fiehler ist in meinen Augen ein reiner Fachmann, ein reiner Kommunalpolitiker. Seiner Bildung und seiner Tätigkeit nach und auch nach seiner inneren Struktur. Seine Ideen münden alle in dieser Vorstellung, unsere Gespräche liefen alle nur darum. [...] Ich habe oft zu meiner Frau gesagt, mir sei es unbegreiflich, wie uninteressiert F. an Politik war oder wie stark sich Fiehler auf seine kommunalen Aufgaben konzentrierte."23 -

19

20

zung kommunaler Positionen durch die Nationalsozialisten. und kommunale Selbstverwaltung, S. 87. Hanko, Kommunalpolitik, S. 335.

Matzerath, Nationalsozialismus

Hanko weist zwar auf die schwächere Position Fiehlers gegenüber dem Fraktionschef ChristiWeber oder dem Personalreferenten Karl Tempel hin. Ernsthaft hat aber wohl keiner von beiden auf eine Absetzung Fiehlers hingearbeitet, vgl. ebenda, S. 342 und 366. Vgl. ebenda, bes. S. 337. an

21 22

Sitzungsprotokoll Hauptkammer München-Stadt, 11./12.1.1949, Amtsgericht München, RegiS, Spruchkammerakt Fiehler, Bl. 116. Aussage Dr. Kurt Jeserichs, ebenda, Bl. 119.

stratur 23

50

I. NS-Herrschaft und

Kommunalpolitik

Zweifelsohne war Fiehler manchem seiner nationalsozialistischen Bürgermeisterkollegen an Fachwissen über gemeindliche Verwaltungsarbeit überlegen24. Es gehörte zu seinen Überzeugungen vor 1933, „daß sich jeder nationalsozialistische Vertreter über die für seinen Wirkungskreis geltenden Gesetze so genaue Kenntnis wie möglich" verschaffen müsse25. Und tatsächlich kannte er die Bayerische Gemeindeordnung und die Hauptsatzung der Stadt München ebenso präzise wie die Finanzausgleichsgesetze oder die Fürsorgeverordnungen. Dieses formale Wissen füllte er inhaltlich mit den Zielen, die die nationalsozialistische „Bewegung" ihm vorgab, waren es Gottfried Feders Thesen über die „Brechung der Zinsknechtschaft"26 oder die mittelstandsfreundlichen Parolen27, auf die die NSDAP vor 1933 setzte. In besonderem Maße setzte sich der Antisemitismus in seinem Denken fest, der sonst eher zurückhaltende Fiehler konnte „stocknarrisch" werden28, wenn er in seine antijüdischen Hetztiraden verfiel29. Der Münchner Oberbürgermeister hielt bis zum Ende des „Dritten Reiches" an seinem Glauben an die Ziele der „Bewegung" fest, er ließ sich darin trotz der Irritationen über die Maßnahmen der Partei zur Einschränkung gemeindlicher Selbstverwaltung nicht beirren. Auch seine 1923 begründete Loyalität zu Adolf Hitler erlitt keine Einbußen. Ein Brief, den Fiehler kurz nach Kriegsende, als er seinen Posten verlassen hatte und aus München geflohen war, an die Stadtverwaltung richtete, offenbart etwas von seiner beinahe unbeschränkten Naivität: „Meine Lebensaufgabe sah ich seit vielen Jahren in der Mitwirkung an der Schaffung gesunder Entwicklungsmöglichkeiten für die deutschen Gemeinden und insbesondere für die Stadt München, wobei ich der Unterstützung durch den Führer sicher zu sein glaubte. Mit dem Tode des Führers, dem ich bis zuletzt Gefolgschaftstreue geleistet habe, ist meine politische Tätigkeit beendet. Ich beabsichtige auch nicht, mich je wieder politisch zu betätigen, selbst wenn ich hierzu noch Gelegenheit haben sollte."30 Daß er dazu keine Gelegenheit mehr hatte, dafür

sorgte die Spruchkammer, die ihn am 14. Januar 1949 als „Aktivisten" in die Gruppe II der Belasteten einstufte und ihn mit Politikverbot und Verlust des aktiven und passiven Wahlrechts belegte31. Die zwei Jahre Arbeitslager, mit denen er bestraft werden sollte, 24

25 26

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30 31

Vgl. Rebentisch, Die politische Stellung, S. 134: „Männer wie Karl Fiehler-München und Willi Liebel-Nürnberg, die auch an der sachlichen Seite der kommunalpolitischen Probleme interessiert waren [...], dürften wohl als untypisch gelten." Fiehler, Nationalsozialistische Gemeindepolitik, S. 17. Vgl. ebenda, S. 21: „Allein es ist unsere Aufgabe, immer wieder den Nachweis in der Gemeinde

zu liefern, daß die Zinsknechtschaft ein furchtbarer Fluch für die Menschheit ist, mit dem gebrochen werden muß." Vgl. Fiehlers Eintreten gegen Warenhäuser und Konsumvereine, gegen eine zu hohe Besteuerung des Mittelstandes und für gemeindliche Mittelstandskredite in: ebenda, S. 60-62. So sein Vorgänger Scharnagl über ihn, vgl. Münchner Merkur vom 12.1.1949: „Der .Oberbür-

germeister der Hauptstadt der Bewegung'". Dafür zahllose Belege z.B. in seinem Buch über Nationalsozialistische Gemeindepolitik, S. 22, 34, 58 und passim; außerdem in den Ratssitzungen, z.B. Hauptausschußsitzung vom 11.5.1933, StadtAM, RP 706/3, als es um die von Fiehler erlassenen Verordnungen zum Verbot gemeindlicher Auftragsvergaben an jüdische Firmen geht. Brief vom 11.5.1945, StadtAM, Personalakt Fiehler 12011/2, Bl. 382-384. Daneben belegte der „Spruch" Fiehler mit einem 20% igen Vermögenseinzug und verschiedenen Einschränkungen der beruflichen und wirtschaftlichen Betätigung. Die Berufung, die Fiehler mit dem Ziel, als „Minderbelasteter" eingestuft zu werden, einlegte, wurde abgewiesen; lediglich die beruflichen Einschränkungen wurden auf fünf statt bisher zwölf Jahre verkürzt.

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Führungskräfte

galten durch die bereits erlittene Haft im Lager Hammelburg als abgebüßt. Drei Tage, nachdem er obigen Brief verfaßt hatte, war der Ex-Oberbürgermeister nämlich freiwillig nach München gekommen, hatte sich gestellt und war dann von den Amerikanern interniert worden32. Die Spruchkammer ließ sich nicht auf Fiehlers Argumentation ein, er sei als Kommunalpolitiker im Grunde ein störendes Element im Getriebe des Nationalsozialismus gewesen, sondern lastete ihm sein Engagement in der „Kampfzeit", seine hohen Ränge als Reichsleiter und Obergruppenführer der SS und nicht zuletzt seine Distanzlosigkeit zu den Zielen des Nationalsozialismus auch nach dem Zusammenbruch des Reiches an33. Auf der anderen Seite wurde ihm diese milde Bestrafung zugebilligt, weil er sich in seinem Oberbürgermeisteramt überwiegend von sachlichen Prinzipien habe leiten lassen was für seinen Umgang mit den jüdischen Mitbürgern bestimmt nicht gelten kann. Auch „persönliche Lauterkeit" könne ihm nicht abgesprochen werden, gleichfalls aber nicht eine gewisse „geistige Begrenztheit", die ihm den Blick auf „politische Verantwortlichkeit und politische Zusammenhänge" verstellt habe. Die Parallele zur Beurteilung des Hitlerputsch-Teilnehmers von 1923 ist unverkennbar34. Die 20 Jahre seines Lebens nach dem Entnazifizierungsverfahren verbrachte Fiehler zurückgezogen am Ammersee, er verdiente seinen Lebensunterhalt als Buchhalter. 1962 wurde die Stadt München auf Beschluß des Verwaltungsgerichts verpflichtet, ihm die Pension eines städtischen Obersekretärs zu zahlen, also der Stellung, die er vor seiner Ernennung zum Bürgermeister innegehabt hatte. Er genierte sich nicht, Berufung mit dem Ziel einzulegen, doch eine Oberbürgermeister-Pension zu erhalten. Offensichtlich konnte Fiehler immer noch nicht erkennen, daß er sich an der Spitze der Münchner Stadtverwaltung im „Dritten Reich" mitschuldig gemacht hatte, ein Unrechtsregime zwölf Jahre lang aufrechtzuerhalten, und daß es nicht eben pensionswürdige Verdienste waren, die er sich in dieser Zeit erworben hatte. Die Berufung wurde 1963 vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof verworfen, zwei Jahre später bestätigte auch das Bundesverwaltungsgericht dieses Urteil35. Am 8. Dezember 1969 starb Fiehler in Dießen am -

Ammersee.

Die nationalsozialistische Stadtratsfraktion und das Kollegium der Ratsherren

Eine kurze Charakterisierung der NSDAP-Fraktion, die seit dem 25. Juli 1933 die Stadtratsposten allein besetzte, soll den Prozeß politischer Willensbildung im Münchner Rathaus transparenter machen und damit den notwendigen Hintergrund für die

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33

Spruch der Hauptkammer München-Stadt, 14.1.1949, Amtsgericht München, Registratur S, Spruchkammerakt Fiehler (Bl. 126-130), und Spruch der Berufungskammer, 12.10.1949, ebenda. Vgl. Vormerkung (26.5.1945) eines städtischen Oberrechtsrates über Fiehlers Ankunft am 14.5.1945, StadtAM, Personalakt Fiehler 12011/2, Bl.

Auftritten gern, indem er in SS-Uniform erschien. Ebenda, Bl. 126-130, bes. 129. Vgl. auch Weyerer, Oberbürgermeister für 1000 Jahre. Vgl. SZ vom 12.9.1962, S. 9, und Münchner Merkur vom 23.4.1963, S. 13, sowie den Faszikel „Verwaltungsstreitsache Karl Fiehler" in StadtAM, Personalakt Fiehler 12011/2. -

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35

380.

Spruch der Hauptkammer München-Stadt vom 14.1.1949, Amtsgericht München, Registratur S, Spruchkammerakt Fiehler, Bl. 126-130, bes. 127-129. Seinen SS-Ehrenrang (seit 1942 als Obergruppenführer) unterstrich Fiehler und das wurde negativ vermerkt bei öffentlichen -

I. NS-Herrschaft und

52

Kommunalpolitik

Analyse der städtischen Wohnungspolitik bilden. Um das Bild der Münchner Stadtspitze im „Dritten Reich" zu vervollständigen, werden in einem weiteren Schritt die berufsmäßigen Stadträte und ihre Referate miteinbezogen. Dabei interessiert besonders um die Grundfrage auf zwei Antagonismen zuzuspitzen -, ob es in der nationalsozialistischen Stadtführung eine starke politische Dominanz der Fraktion gab, der sich die Verwaltungsseite unterzuordnen hatte, oder ob umgekehrt Politik von den Referenten gemacht wurde, für die die Fraktion oder später die Ratsherren lediglich einen legitimatorischen Hintergrund bildeten.

-

Bei den Dezemberwahlen von 1924 waren erstmals sechs Nationalsozialisten in den Stadtrat eingezogen: Dr. Erwin Meyr, Ulrich Graf und Max Amann, die unter dem Namen „Nationalsozialisten" kandidiert hatten, und Dr. August Buckeley, Karl Fiehler und Joseph Fuchs, die von der „Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung Großdeutschlands" entsandt wurden36. Trotz einiger Friktionen, die sich aus den aufeinanderstoßenden Prinzipien der Weisungsgebundenheit, die die neugegründete NSDAP gegenüber ihren Vertretern beanspruchte, und des freien Mandats, das im Stadtrat galt, ergaben, formierte sich 1925 schließlich eine neue geschlossene Fraktion der „Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei"37. 1926 zog als Nachfolger des verstorbenen Meyr bereits Christian Weber in den Stadtrat ein, der sich in der Regimephase zum „starken Mann" in der Fraktion emporschwingen sollte38. Vorerst trat er noch nicht so deutlich in den Vordergrund, bildete aber mit seiner Skrupellosigkeit und seinen rüden Umgangsformen ein Gegengewicht zum Fraktionsvorsitzenden Fiehler, der sich bei aller Überzeugung von der nationalsozialistischen Ideologie den parlamentarischen Gepflogenheiten anzupassen wußte. Seit den Gemeindewahlen von 1929 wurde Christian Weber allerdings zunächst von einem anderen Vertreter des aggressiven Stils überboten, Hermann Esser, der neu in den Stadtrat kam. Esser hatte sich in der Partei bereits einen Namen als aktiver Propagandist und Demagoge gemacht, bevor er die Führung der Rathausfraktion 1929 übernahm39. Er war erster Schriftleiter des „Völkischen Beobachters" gewesen und hatte seinen Namen als Markenzeichen für Diffamierungskampagnen und „Radau-Antisemitismus" etabliert. Während der Verbotszeit der NSDAP leitete er zusammen mit Julius Streicher die „Großdeutsche Volksgemeinschaft", die am aggressiven Oppositionskurs festhielt, bis sie sich der Disziplinierung durch die neugegründete NSDAP unterwerfen mußte. Gegen Esser kam man im Stadtrat nicht auf; allen Versuchen, ihn an die parlamentarischen Spielregeln zu erinnern, begegnete er lediglich mit Unverschämtheiten oder Drohungen. So entgegnete er Bürgermeister Scharnagl, als dieser ihn am 4. Februar 1932 in einer Stadtratssitzung zur Vernunft mahnte: „Fällt mir nicht ein!" Und anderntags, als Scharnagl ihm schärfere Disziplinierung in Aussicht stellte : „Sie können es ja einmal probieren!"40 Wenig später mußte Esser 36

37 38 39

40

Verwaltungsbericht 1924-1926, S. 19f. Steinborn, Grundlagen, S. 342 und 370f. Martin, Aspekte, S. 449-452.

Fiehler war offenbar durch seine weiteren Funktionen in der Partei überfordert, neben dem Schriftführeramt und der Leitung der Abteilung für Kommunalpolitik in der Gesamtpartei hatte er seit 1927 auch die Führung der NSDAP-Sektion Schwabing übernommen (StadtAM, Personalakt Fiehler 12011/1, Bl. 4). Zu Hermann Esser vgl. die biographische Skizze in: München „Hauptstadt der Bewegung", S. 230f., und Wistrich, Wer war wer im Dritten Reich, S. 82-84. Protokoll einer Sitzung über die Vorgänge in der Plenumssitzung am 4.2.1932, StadtAM, BuR

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242/3.

2. Die

neuen

Führungskräfte

53

tatsächlich mit Hilfe eines Polizeibeamten aus einer Sitzung ausgeschlossen werden41. Vermutlich hätte Esser auch nach der „Machtergreifung" eine führende Rolle im Stadtrat gespielt, er wechselte aber in die bayerische Staatsregierung, wo er bis 1935 Wirtschaftsminister war42. Die NSDAP wurde 1929 auch aufgrund ihres aggressiven Wahlkampfs nach SPD und BVP die drittstärkste Kraft im Rathaus; acht Personen vertraten sie jetzt: Max Amann, Hermann Esser, Karl Fiehler, Ulrich Graf, Jakob Grimminger, Heinrich Hoffmann, Franz Xaver Schwarz und Christian Weber43. Wollte man diese acht in Kürze charakterisieren, so können Ulrich Graf, Jakob Grimminger und Heinrich Hoffmann als „Hinterbänkler" gelten, die den Sitz im wesentlichen aufgrund ihrer Verdienste in der Frühzeit der Partei erhielten44. Schon zu dieser Zeit „nahm das Münchener Stadtratsmandat für die Garde der sogenannten .alten Kämpfer' die Funktion einer Anerkennungsprämie ein, deren Wert nicht zuletzt im Zuwachs an sozialer Geltung für die derart Ausgezeichneten lag"45. Der Freibankmeister Ulrich Graf konnte für sich beanspruchen, mit seinem eigenen Leib Adolf Hitler beim Putschversuch von 1923 vor den Polizeikugeln geschützt zu haben, und galt in der mythologisch verklärten Parteigeschichte als „Lebensretter des Führers". Auch Jakob Grimmingers Stellung führte sich auf den Hitlerputsch zurück, er wurde 1926 zum Träger der sogenannten „Blutfahne" der Fahne, die die Putschisten angeblich 1923 bei sich geführt hatten erklärt und durfte diesen Parteifetisch bei allen feierlichen Anlässen vorantragen. Der Pressefotograf Heinrich Hoffmann schließlich hatte Hitler 1922 kennengelernt und gehörte so sehr zum Kreis seiner engeren Vertrauten, daß er im „Dritten Reich" als Leibfotograf des „Führers" eine bevorzugte Stellung genoß und einige Bildbände über Hitler und die „Bewegung" herausgab46. Im Stadtrat hielten sich alle drei im Hintergrund und nahmen geringen Einfluß auf den politischen Kurs der NSDAP. Zwischen den „Hinterbänklern" und den „Scharfmachern" bekleidete Christian Weber vor 1933 eine schwer einzuordnende Position, da er zwar zuweilen gerne polemisch in Auseinandersetzungen eingriff, zunächst aber wenig Interesse für die gemeindliche Arbeit aufbrachte47. Als „Scharfmacher" hat Helmut Hanko zu Recht Max Amann und Hermann Esser charakterisiert48. Amann, der im „Dritten Reich" eine führende Rolle bei der Aufrichtung eines nationalsozialistischen Presseimperiums einnehmen sollte und sich im Zuge der deutscher „Gleichschaltung" Verlage enorm bereicherte, war schon seit Beginn der Direktor des zwanziger Jahre Eher-Verlages. Seit 1924 im Stadtrat, ritt er später nur durch Hermann Esser übertroffen die heftigsten polemischen Attacken gegen politische Gegner. Als die Nationalsozialisten sich im März 1933 Bayern unterwarfen, trat er -

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Steinborn, Grundlagen, S. 495.

1935 mußte Esser allerdings sein Amt in der Staatsregierung aufgeben, nachdem er immer wieder in Skandale verwickelt worden war und er sich gegen den mächtigen Innenminister Adolf Wagner gestellt hatte, vgl. München „Hauptstadt der Bewegung", S. 230f.

Verwaltungsbericht 1927-1929, S. 30. Vgl. diese Einschätzung bei Hanko, Kommunalpolitik, S. 338f. Steinborn, Grundlagen, S. 485. Zu Graf, Grimminger und Hoffmann s. München „Hauptstadt der Bewegung", S. außerdem zum „Führer-Fotografen": Herz, Hoffmann & Hitler. Vgl. Martin, Aspekte, S. 451. Hanko, Kommunalpolitik, S. 337f. -

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47 48

149, 232f.;

I.

54

NS-Herrschaft und Kommunalpolitik

noch einmal als Vertreter brauner Macht im Rathaus hervor49, legte aber ein halbes Jahr später sein Amt nieder, um sich ganz als Pressefunktionär zu betätigen50. Karl Fiehler und Franz Xaver Schwarz dürften in den Augen dieser Kollegen eher als „Parteispießer" gegolten haben, weil sie auf einen solchen aggressiven Stil verzichteten. Schwarz, von Parteiseite aus einmal als „Fanatiker der Verwaltung" charakterisiert51, stellte ähnlich wie Fiehler den „beamtischen" Typus dar, vertrat allerdings mit dem Geburtsjahrgang 1875 bereits eine deutlich ältere Generation. 25 Jahre lang als Beamter im städtischen Dienst Münchens, gab er seine Stellung 1925 auf, um sich in der neugegründeten NSDAP ganz seinem Posten als Kassier oder, wie es in der Parteisprache wenig später hieß, Reichsschatzmeister widmen zu können52. Seit 1934 wegen dieser Belastung nicht mehr im Stadtrat vertreten, blieb er für die Stadt ein wichtiger Anwalt ihrer Belange in der Gesamtpartei. Bis 1933 nahm die nationalsozialistische Fraktion jede Gelegenheit wahr, um ihre demokratischen Gegner zu attackieren oder sich selbst als Retterin aus der Krise anzubieten. Die immer desolatere finanzielle Situation der Gemeinden in der Endphase der Weimarer Republik aufgrund der Überlastung ihrer Wohlfahrtsetats und die dadurch für die Stadt München im besonderen entstehenden Haushaltsnöte verschafften ihr reichlich Gelegenheit53. So trat die Fraktion mit etlichen populistischen Anträgen hervor, die ihr ebenso dazu dienten, das bestehende System als korrupt zu entlarven wie dessen angeblichen Verlierern die Alternative in Form der NSDAP-Politik zu präsentieren54. 1930 stellte sie zum Beispiel den Antrag, ehrenamtlichen Mitgliedern der Stadtverwaltung während der Dauer ihrer Amtszeit keine direkten oder indirekten städtischen Aufträge mehr zukommen zu lassen. Außerdem sollten die Stadtratsmitglieder keine Verwaltungsratsstellen mehr übernehmen dürfen, aus denen ihnen irgendwelche geschäftlichen Vorteile entstehen könnten55. Der Antrag wurde abgelehnt. Während ihrer Herrschaft im Münchner Rathaus hatte die Partei dann allerdings keine Neigung mehr, sich solchen Beschränkungen auszusetzen, die vor allem den Handwerkern und Gewerbetreibenden im Stadtrat geschadet hätten. Ganz im Gegenteil wurden die Parteigenossen bevorzugt für solche Bereiche als Verwaltungsräte eingesetzt, in denen ihre berufsständischen Interessen unmittelbar berührt waren. Um nur zwei Beispiele für die Zeit nach 1933 zu nennen: Max Zankl als Obermeister der Steinmetz- und Steinbildhauerinnung München-Oberbayern war in der Stadt Verwaltungsrat für das Innungs49

50

Vgl. S. 30,33. Zu Amann vgl. München „Hauptstadt der Bewegung", S. 220, sowie Wistrich, Wer war wer, S. 14f. Das Reich vom 27.2.1944: „Franz Xaver Schwarz". Zu Schwarz vgl. München „Hauptstadt der Bewegung", S. 228f., und Wistrich, Wer war wer, S. 320f. Vgl. Steinborn, Grundlagen, S. 502-521. „Die Nationalsozialisten können sich in Stellung von Anträgen nicht genug tun, Anträge über Anträge bringen sie ein. Seit ihrer Amtsdauer wird wohl bald auf jeden Tag ein Antrag treffen. Zumeist werden diese Anträge abgelehnt, weil sie entweder Unmögliches verlangen oder offene Türen einrennen." So der Bayerische Kurier vom 24.1.1930. Auch nach der „Machtergreifung" wurden noch Anträge seitens der nationalsozialistischen Fraktion gestellt, die aber zur reinen Formalhandlung verkümmerten, weil die NSDAP mit keinem Widerspruch im Rathaus mehr rechnen mußte. -

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55

Bayerischer Kurier vom 24.1.1930.

2. Die neuen Führungskräfte

55

Bebauungsplan, Wohnungs- und Siedlungswesen und den Bereich „Stadterweiterung"56. Bei den von der Stadt geplanten Kleinwohnungs- und Volkswohnungsanlagen war er an den Entscheidungen über die Vergabe von Bauaufträgen beteiligt57. Er zog außerdem in den Aufsichtsrat der Gewofag eines der beiden großen städtischen Wohnungsunternehmen ein, was ihn aber nicht hinderte, von dieser Gesellschaft auch einen Auftrag als Architekt anzunehmen. Auf Vorschlag des Wohnungsreferenten entschied der Oberbürgermeister, daß gegen diese Beauftragung durchaus nichts einzuwenden sei58. Die Auftrags vergaben wurden nach einer Richtung jedoch deutlich eingeschränkt: „Nichtdeutsche", das heißt vor allem jüdische Firmen, sollten nicht mehr im Kreis der Berechtigten für städtische Aufträge und Lieferungen Platz finden. Es gehörte zu den ersten Amtshandlungen Fiehlers als Bürgermeister, entsprechende Anordnungen zu erlassen, die später vom Stadtrat bestätigt wurden59. wesen.

Der Architekt Josef Neumaier betreute als Verwaltungsrat den

das

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-

Der Prozeß der Machtübernahme im Münchner Rathaus, der die NSDAP seit dem 25. Juli zur alleinherrschenden Partei im Stadtrat machte, ist bereits geschildert worden. Die NSDAP hatte jetzt die Gesamtzahl der Sitze inne, und es ist hier nicht möglich, mehr als eine Gruppencharakterisierung der neuformierten Fraktion zu geben. Die prominenteren ihrer Mitglieder, die schon vor 1933 im Stadtrat gewesen waren, schie-

„Machtergreifung" aus, weil ihnen „höhere Aufgaben" zugedacht Dazu gehörten das neue Mitglied der bayerischen Staatsregierung Hermann Esser, der bereits nicht mehr in den gleichgeschalteten Stadtrat einzog, der Leibfotograf Hitlers, Heinrich Hoffmann (ausgeschieden am 3. Oktober 1933), der Pressefunktionär Max Amann (28. November 1933) und schließlich der Reichsschatzmeister Franz Xaver Schwarz (16. Oktober 1934). Nur wenig nationalsozialistische Prominenz, die diesen vieren in ihrem Rang innerhalb der NSDAP vergleichbar gewesen wäre, rückte in der Machtergreifungsphase nach60. Kurzfristig kam allerdings Paul Ludwig Troost, der Architekt des Hauses der Deutschen Kunst, in den gleichgeschalteten Stadtrat. Er schied aber schon im August 1933 wegen zu großer anderweitiger Belastungen wieder aus. Troost starb Anfang 1934. Auch 1935 wurden einige von Hitler geschätzte Vertreter der bildenden Künste zu Ratsherren berufen: der Architekt Leonhard Gall und die Bildhauer Richard Klein und Ferdinand Liebermann. Ansonsten kann allenfalls der für Schwarz nachberufene Adolf Dresler, der Amtsleiter bei der Reichspressestelle der NSDAP war und einige populärere Schriften verfaßte61, als Mitglied der Münchner NSProminenz angesehen werden. Auch Max Köglmaier, der zu Beginn des Jahres 1934 in den Stadtrat einrückte, war als Stabsleiter im Bayerischen Innenministerium eine wichtige Figur, zumindest hatte dieser „alte Kämpfer" sich eine Vertrauensstellung beim den bald nach der waren.

56

Zu Neumaier und Zankl

57

Vgl. dazu mit konkreten Beispielen GWG-Archiv, Akten zur Volkswohnungsanlage Berg am

58

Vgl. StadtAM, WAR 575, Bl. 28-32. Verfügung Fiehlers nach Artikel 17

StadtAM, BuR 1582 und

1616.

Laim 0101-0105.

59

60

61

der Gemeindeordnung vom 24.3.1933 und Stadtratsbeschluß vom 11.5.1933, in: StadtAM, BuR 252/13. Zu den Veränderungen im Stadtrat 1933-1935 vgl. StadtAM, BuR 241/2 und 3. Z.B. Dresler, Das Braune Haus.

I. NS-Herrschaft und

56

Kommunalpolitik

mächtigen Adolf Wagner erworben und informierte seinen Chef direkt über die Vorgänge im Münchner Stadtrat62.

Doch bildeten die Genannten in ihrem Einfluß auf das politische oder kulturelle Leben Ausnahmen in der Münchner Stadtvertretung. Betrachtet man die Liste der nach dem Erlaß der Deutschen Gemeindeordnung (DGO) zum 1. Oktober 1935 berufenen 36 Ratsherren, so sind es nicht die angegebenen Bezeichnungen des „Standes", die auf eine nationalsozialistische „Elite" schließen lassen, sondern lediglich die zahlreichen niedrigen Partei-Mitgliedsnummern und nationalsozialistischen Auszeichnungen. Bei den Berufsangaben überwog das mittelständische Profil: Schlachtermeister, Modellschreiner, Vertreter, Uhrmachermeister, Gastwirt. Einige widmeten sich auch hauptberuflich einer Parteifunktion, zum Beispiel Fritz Beck als Leiter der Gau-Revisionsabteilung München-Oberbayern oder Josef Berchtold, der Stellvertretender Hauptschriftleiter der Süddeutschen Ausgabe des „Völkischen Beobachters" war63. 22 Personen oder fast zwei Drittel aber führten eine Mitgliedsnummer unter 100 000 und gehörten damit in den Kreis der bevorrechtigten „Alten Garde"; 16 „Blutorden" die höchste Parteiauszeichnung, die in der Regel für die Teilnahme am Hitler-Putsch verliehen worden war konnte man bei ihnen zählen. Damit hatte sich die Entwicklung, die sich bereits vor der „Machtergreifung" abgezeichnet hatte, fortgesetzt. Gemeinderatsposten in München wurden weiterhin bevorzugt an Parteimitglieder vergeben, die sich in der „Kampfzeit" bewährt hatten, die ihre Bereitschaft bewiesen hatten, für die Ziele der „Bewegung" zu kämpfen. Ob einer wie Ulrich Graf sich im persönlichen Gefolge des „Führers" verdient gemacht hatte, wie Sebastian Gleixner seine Anstellung in einem städtischen Betrieb zur „hemmungslosen [...] politischen Werbetätigkeit" für die Nationalsozialisten ausgenutzt hatte64 oder wie Max Zankl sich in zahlreichen Straßenkämpfen im „Wedding" Münchens, in Giesing, mit den Kommunisten geprügelt hatte65 alle diese „Verdienste" qualifizierten für einen Sitz im Rathaus. Und wenn es für sie günstig lief, konnten die Gemeinderäte ihre neue Stellung ausnützen, um sich und ihrem Umfeld endlich die Privilegien zu verschaffen, die sie glaubten, durch das Engagement in der „Kampfzeit" verdient zu haben, oder um mit alten Gegnern abzurechnen. Dafür eignete sich besonders das Personalwesen der Stadt sowie die Vergabe von Aufträgen und Lieferungen66. Aber ein privilegierter „alter Kämpfer" an der Stadtspitze zu sein, hieß unter Umständen auch, ein besonderes Unterstützungsdarlehen zu erhalten oder Anrecht auf ein Siedlungshaus zu haben67. Daß die Auswahl von Gemeinderäten sich vor allem an einer „nationalsozialistischen Vergangenheit" orientierte, brachte auch gewisse Festlegungen im Hinblick auf die Zukunft. Nicht politischer Ehrgeiz oder Gestaltungswille, nicht Engagement für eine national-sozialistische Kommunalpolitik waren die Kriterien gewesen, und entsprechend bekam man eine „Elite", deren Ruf sich auf die Vergangenheit gründete, aber kaum zu-

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62 63

64

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66

67

Zu Köglmaier vgl. StadtAM, BuR 1573, und Hanko, Kommunalpolitik, S. 360-362. Vgl. Liste der zum 1.10.1935 berufenen Ratsherren, in: StadtAM, BuR 241/3. Zu

außerdem StadtAM, BuR 1546.

Berchtold

Hanko, Kommunalpolitik, S. 344. Zu Zankl vgl. StadtAM, BuR 1616, und meine biographische Skizze in: München „Hauptstadt der Bewegung", S. 234.

-

Hanko, Kommunalpolitik, S. 358f., und ausführlich zum Personalwesen S. 370-402. Dazu unten, S. 264ff.

2. Die

neuen

Führungskräfte

57

kunftsweisendes Potential in sich barg. Wie der Weggang von Personen wie Schwarz oder Amann zeigt, verließen diejenigen, die höhere Karriere in der Partei machen wollten, den Münchner Stadtrat bald. Offensichtlich war ein solches Mandat auch nicht bedeutsam genug, als daß man zusätzlich an ihm hätte festhalten müssen. Besonders aufschlußreich ist dazu, was Franz Reichinger, selbst bis 1943 Ratsherr in München, aber mit mehr Ehrgeiz als die meisten seiner Kollegen ausgestattet, 1944 an Gauleiter Paul Giesler schrieb (zu diesem Zeitpunkt war er Kreisleiter in Tölz-Wolfratshausen): „Das Ratsherrenkollegium [...] kann am besten damit charakterisiert werden, indem ich es immer als den ,Rat der Alten' bezeichnete. Alt aber nicht im Sinne des ,Alten Kämpfers' sondern im Sinne der körperlichen und geistigen Verfassung. Wohl sind es zum überwiegenden Teil Männer, die zu den ältesten Parteigenossen des Führers gehören und unstreitbar sich in der Kampfzeit grosse Verdienste um die Bewegung erwarben. Nach der Machtübernahme haben sie aber immer mehr die Fühlung mit der aktiven Partei verloren und es ist sicherlich keine Übertreibung, wenn ich sage, dass kein einziger mehr weiss, was die Partei heute für Aufgaben hat und was sie im Leben des Volkes bedeutet. Der beste Beweis hiefür ist vielleicht darin zu sehen, dass kein einziger mehr ein aktives Parteiamt inne hat. [...] Die Tatsache [...] besteht, dass mit dem Siege des Führers am 30. Jan. 1933 sie ihre Mission als erfüllt betrachteten und sie brachten dann immer weniger mehr die geistige und körperliche Kraft auf, die notwendig ist, um eine weltanschauliche Revolution zum endgültigen Erfolg und zum Siege zu führen, wobei ich nicht unerwähnt lassen will, dass sicher ein nicht unerheblicher Teil von ihnen auch heute noch konfessionell gebunden ist."68 Diese Sicht eines Nazi-Eiferers stammt freilich aus der Zeit zu Ende des Krieges, als das Ratsherren-Kollegium bereits durch Einberufungen und Todesfälle deutlich dezimiert worden war. Trotzdem dürfte diese Charakterisierung viel Treffendes auch für die frühere Zeit beinhalten, da kriegsbedingt auf Neuberufungen verzichtet und die an sich acht Jahre währende Amtszeit der 1935 ernannten Ratsherren einfach verlängert worden war. Die geringe Durchsetzungskraft der Einzelpersonen, die nach der DGO 1935 auch noch an Kompetenzen verloren, ermöglichte es „starken" Persönlichkeiten ohne Schwierigkeiten, die politische Führung über die Gemeinderäte zu erlangen. Eine solche dominante Rolle nahm Christian Weber nicht aufgrund überlegener Sachkompetenz, sondern einfach aufgrund seines herrischen Naturells ein, das es ihm leicht machte, sich als „Tyrann" im Ratssitzungssaal zu etablieren. Auch als nach Inkrafttreten der DGO keine Fraktion als Gremium mehr existierte, machte ihm niemand seine Führungsrolle streitig69. Er wußte seine Beziehung zum „Führer" als Trumpf auszuspielen und hatte so viel Einfluß, daß niemand an dieser hervorgehobenen Stellung zu zweifeln wagte70. Auch zu ihm sind Reichingers Zeilen sprechend, der an Giesler schrieb: „Ich darf zu seiner [Webers] besonderen Charakterisierung noch erwähnen,

dass

er

in seiner bekannten robusten Art die

eigentliche Führung des Stadtrates an sich

Kreisleiter

Reichinger an Gauleiter Giesler, 20.6.1944, S. 3 (Zeichensetzung wie im Original), StaatsAM, NSDAP 24. Zum Profil der Räte vgl. Hanko, Kommunalpolitik, S. 356f. Zur DGO, die die Ratsherren auf eine Rolle als Berater des Oberbürgermeisters reduzierte und

den Stadtrat als Gremium aufhob, unten, S. 80ff. Nach Martins Feststellungen war allerdings das Verhältnis zu Hitler wie Weber es darzustellen vermochte, vgl. ders., Aspekte, S. 447-449.

keineswegs so bruchlos,

I.

58

NS-Herrschaft und Kommunalpolitik

gerissen hat und dass sich alles ohne Zweifel nach seinen Wünschen richtet und beugt.

Er versteht es dann meisterhaft seine Meinung zur Meinung des gesamten Stadtrates zu machen und so ist auf diese Art und Weise mancher sogen. .Einstimmige Beschluss' zu-

stande gekommen."71 Weber mußte sich, da er kaum intellektuelle Schulung genossen hatte, vor allem durch sein bedrohliches und keinen Widerspruch duldendes Auftreten Autorität verschaffen. Als Rückkehrer aus dem Ersten Weltkrieg war der ehemalige Pferdeknecht zunächst Mitglied in den Freikorps gewesen und hatte sich schon 1920/21 der NSDAP angeschlossen72. Hier konnte er sich im engeren Kreis der Vertrauten Hitlers etablieren, fiel damals aber schon Beobachtern wie dem Kunstkenner und frühen Mäzen der Hitler-Bewegung, Ernst Hanfstaengl, auf als ein „Anderthalb-Mann, der wie sein Parteichef gleichfalls ständig mit einer Hundepeitsche herumlief und Keilereien mit Kommunisten als eine Art Sport betrieb"73. Offenbar führten einige Unstimmigkeiten mit Hitler dazu, daß Weber 1926 „nur" den Stadtratsposten in München bekam; er begann sich jetzt um so mehr um seine wirtschaftliche Existenz zu kümmern, baute eine enge Geschäftspartnerschaft mit dem Besitzer des Gasthofs „Blauer Bock" auf und gründete ein eigenes Busunternehmen74. Nach der „Machtergreifung" sicherte er dieser Firma städtische Aufträge, wie er auch sonst seinen politischen Einfluß etwa als Wirtschaftsbeauftragter der Stadt ganz ungehemmt für seine persönlichen Geschäfte ausnützte75. Seine große Leidenschaft blieben die Pferde, und tatsächlich verschaffte er, nachdem er sich an die Spitze des Münchner Rennvereins gesetzt hatte, dem Standort München wieder einige, propagandistisch genutzte Bedeutung im Pferdesport. 1936 wurde im Rahmen der Internationalen Riemer Woche erstmals das Rennen um das Braune Band von Deutschland veranstaltet. Weber verstand es, dieses Rennen auch gesellschaftlich groß in Szene zu setzen, vor allem indem er als Begleitveranstaltung die „Nacht der Amazonen" etablierte. Diese Revue im Nymphenburger Schloßpark war in ihrer Freizügigkeit so ungewöhnlich, daß sie den in München kursierenden Gerüchten um Webers ausschweifenden Lebensstil bald neue Nahrung gab76. Solche Marginalien zu Webers gesellschaftlichem „Engagement" sollen hier nur verdeutlichen, daß seine Omnipotenz im Rathaus auch auf einer erheblichen Außenwir-

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71

Reichinger an Giesler, 20.6.1944, S. 3f. (Zeichensetzung wie im Original), StaatsAM, NSDAP

24. 72 73 74

75

76

Martin, Aspekte, S. 437-440.

Hanfstaengl, Zwischen Weißem und Braunem Haus, S. 50. Martin, Aspekte, S. 451f. Ebenda, S. 457-459. Zum „Sonderbeauftragten des Oberbürgermeisters für Wirtschaftsangele-

genheiten der Hauptstadt der Bewegung" wurde Weber Anfang 1937 ernannt, was Fiehler als Maßnahme „zur Förderung und zum Schütze unserer heimischen Wirtschaft" deklarierte, nachdem er selbst von Weber zu diesem Schritt gedrängt worden war. Weber fühlte sich mittlerweile so sicher, daß er in seiner Ansprache aus diesem Anlaß kein Hehl daraus machte, daß es ihm um Ämterhäufung und eine möglichst einfache Erledigung seiner wirtschaftlichen Interessen ging: „Der heutige Staatsaufbau verlangt [...], daß in einer Hand mehrere Aemter vereinigt sind, um so den vielen Aufgaben schneller gerecht zu werden als früher und eine andere Übersicht zu haben, die einen notwendigerweise in die Lage versetzt, auf schnellerem, nicht bürokratischem Wege Fragen hauptsächlich der Wirtschaft zu lösen und notwendige Entscheidungen herbeizuführen." MGZ 66 (1937), S. 11-13. Vgl. Angermair/Haerendel, Inszenierter Alltag, S. 184.

2. Die neuen

Führungskräfte

59

kung beruhte. In den Berichten der Exil-SPD wurde das negative Bild Christian Webers mit manchem Superlativ ausgemalt, weil er nach Ansicht der Münchner Verbindungsleute „geradezu zu einem Symbol des Nationalsozialismus in München geworden" sei. „Der ehemalige Hausknecht des Blauen Ochsen [richtig: Blauer Bock] ist zu den reichsten Menschen der Stadt München emporgeklettert. Er ist Hotelier geworden und Besitzer eines mächtigen Rennstalles, er ist Transportunternehmer und Eigentümer mehrerer Villen, er ist der gierigste Geschäftemacher und der hemmungsloseste Säufer, er ist in allen Ämtern der Herr, er ist der Tyrann von München. In ihm sieht heute die ganze Stadt den Repräsentanten der nationalsozialistischen Partei und zugleich den größten und hemmungslosesten Bonzen, der in Bayern je ein Amt bekleidete."77 Das Zitat offenbart mehr über die zeitgenössische Sicht der Münchner als über den tatsächlichen Einfluß von Christian Weber: Zweifelsohne konnte er im Rathaus das große Wort

führen und sich selber zahlreiche wirtschaftliche Vorteile verschaffen. Manche seiner Ämter wie das des Kreistagspräsidenten von Oberbayern waren aber ohne weiterreichende politische Signifikanz. Auch in der Partei blieb sein Einfluß vorwiegend auf München beschränkt. Sein schlechter Ruf und sein rüdes Auftreten, das auch nicht durch rhetorische Fähigkeiten oder persönliche Ausstrahlung wettgemacht wurde, empfahlen ihn der Partei nicht gerade als Aushängeschild, so daß der engere Führungskreis auf deutlicher Distanz blieb. Zwar führte Weber mit dem „Amt für den 8./9. November 1923" auch ein eigenes Parteiamt, dem aber im wesentlichen nur die Organisation der November-Gedenkmärsche oblag. Darüber hinaus durfte es gewisse Betreuungsfunktionen für die „alten Kämpfer" wahrnehmen, sich zum Beispiel um deren Einstellung bei der Münchner Stadtverwaltung bemühen. Weber wurde aber in seine Schranken gewiesen, als er versuchte, als Leiter des Amtes in eine so brisante Materie wie die „Arisierungen" zu intervenieren78. Als die Fraktion sich in der Machtergreifungsphase konstituierte, wurde ein Fraktionsvorstand gebildet aus dem Fraktionsvorsitzenden Christian Weber, seinem Stellvertreter Franz Xaver Schwarz, dem Fraktionsgeschäftsführer Max Reinhard, dem Schriftführer Karl Ortner und dem Kassenwart Jakob Grimminger79. Obwohl keine direkte Überlieferung zu den Fraktionssitzungen erhalten geblieben ist, scheint es, als ob von diesen fünf Vorstandsmitgliedern lediglich Weber mit einem Führungsanspruch hervorgetreten sei, während die anderen ihre Funktion eher dem Buchstaben nach erfüllten. Diese Sicht bestätigt jedenfalls auch die Aussage eines ehemaligen berufsmäßigen Stadtrats, Hermann Jansohn, im Spruchkammerverfahren gegen Karl Fiehler: „Wir hatten eine nationalsozialistische Stadtratsfraktion, die ihre Sitzungen abhielt unter dem Vorsitz von Weber. Die Referenten wurden vor aufgefordert, der Fraktion zu erscheinen und dort in einer Vorbesprechung vorzutragen, was am nächsten Tag in die Stadtratssitzung kommen sollte. Weber hat die Fraktionsbeschlüsse erlassen, die seine Meinung enthiel-

-

und hat die Stadträte meist gar nicht gefragt. Den Beschluß gab er dann an den Oberbürgermeister zum Vollzug weiter."80 Die Dominanz der von Weber geführten ten

Deutschland-Berichte 4 (1937), S. 1074.

Vgl. Martin, Aspekte, S. 459-464. Am

24.4.1933, StadtAM, BuR 160.

Aussage Hermann Jansohns, Sitzungsprotokoll Hauptkammer München-Stadt, 11./12.1.1949, Amtsgericht München, Registratur S, Spruchkammerakt Fiehler, Bl. 122.

I. NS-Herrschaft und

60

Kommunalpolitik

Fraktion ging sogar so weit, daß die Umbesetzungen in der Leitung der städtischen Sachreferate im Juli 1933 zunächst dort abgemacht wurden und es Fiehler dann lediglich verblieb, als Oberbürgermeister diese personelle Umstrukturierung der Verwaltung bekanntzugeben81. Genauso war es ein Fraktionsbeschluß, durch den der persönliche Dispositionsfonds des Oberbürgermeisters 1934 von 3 000 RM auf 23 000 RM angehoben wurde, mit der Maßgabe (die unverkennbar Christian Webers Handschrift trägt), aus diesem Topf dann 5 000 RM als Preis für das Rennen in Riem und weiteres Geld zur Gründungsfeier des Jagdmuseums bereitzustellen82. Auch die Ratssitzungsprotokolle bestätigen durch viele Hinweise auf bereits gefällte Fraktionsbeschlüsse, daß tatsächlich sehr häufig in der Fraktion am Montag schon beschlossen wurde, was an den restlichen Tagen der Woche in den Sitzungen des Plenums und der Ausschüsse noch formal verhandelt wurde. Dieses Verfahren beruhte nicht nur auf stillschweigenden Abmachungen, sondern wurde allen nationalsozialistischen Stadtratsmitgliedern in „Bestimmungen" der Fraktionsführung offiziell zur Pflicht gemacht83. Demnach konnten „Mitglieder sich im Plenum nur dann zu Wort melden, wenn der Fraktionsführer oder dessen Stellvertreter vorher damit einverstanden ist. Im Hauptausschuß sollen sich Mitglieder nur dann zu Wort melden, wenn eine Sache, die vorher in der Fraktion nicht behandelt wurde, zur Debatte steht und dann auch nur, wenn die Unterstützung des Fraktionsführers oder dessen Stellvertreters notwendig erscheint. In allen Fällen gibt der Fraktionsführer oder dessen Stellvertreter die Richtung an, wie die einzelnen Fälle verbeschieden werden sollen."84 Die bisherigen Darlegungen lassen es so erscheinen, als habe ein übermächtiger Fraktionsvorsitzender die politische Linie der Münchner Gemeindevertretung im „Dritten Reich" vollständig bestimmt. Auch der Bürgermeister habe unter seinem Diktat gestanden und sich zum Vollzugsorgan seiner Weisungen gemacht. Diese Sicht ist allerdings nur teilweise richtig; weitere Faktoren müssen einbezogen werden, um sie zu korrigieren. Zum einen änderte sich durch den Erlaß der DGO von 1935 der Prozeß politischer Entscheidungsfindung in der Kommunalpolitik. Die Entscheidungsbefugnis wurde beim Oberbürgermeister konzentriert; einen Stadtrat als Beschlußorgan kannte die neue Gemeindeverfassung nicht mehr, damit entfiel auch die Vorberatung durch die Fraktion85. Natürlich vermochte es Weber, seine dominante Stellung auch bei den Zudas von Weber unterzeichnete Schreiben der NSDAP-Stadtratsfraktion an das Direktorium A, Oberbürgermeister, 4.7.1933, mit den Umgruppierungsbeschlüssen für die Leitung der Sachreferate und das entsprechende Rundschreiben Fiehlers vom 7.7.1933, in dem die Umorganisation bekanntgegeben wird, StadtAM, BuR 253/8. Auch hier wurden ein entsprechender Hauptausschußbeschluß am 12.7. und ein Plenumsbeschluß am 17.7.1934 nachgeschoben, während die Fraktion bereits am 25.6.1934 entschieden hatte. Vorgänge in StadtAM, Personalakt Fiehler 12011/1, Bl. 241-244. Den Trend zur scharfen Disziplinierung der NSDAP-Fraktionen stellt Matzerath allenthalben für die gemeindlichen Vertretungskörperschaften fest, vgl. Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 93. „Bestimmungen für die Fraktion der NSDAP im Stadtrat", erlassen von Schwarz und Weber am 1.7.1933, StadtAM, BuR 453. Vgl. zu dem gesamten Komplex der „Fraktionsdiktatur" auch Hanko, Kommunalpolitik, S. 404-406. Fiehler hat vor der Spruchkammer sogar ausgesagt, daß er mit der Deutschen Gemeindeordnung, an deren inhaltlicher Gestaltung er maßgeblich beteiligt war, „die Diktatur der Fraktion und der Partei verhindert" habe, Sitzungsprotokoll Hauptkammer München-Stadt, 11-/12.1.1949, Amtsgericht München, Registratur S, Spruchkammerakt Fiehler, Bl. 122.

Vgl.

2. Die

neuen

Führungskräfte

61

sammenkünften der Ratsherren, die weiterhin

regelmäßig zur „Beratung" des Oberbürgermeisters abgehalten wurden, zu verteidigen. Weil keine Fraktionssitzungen mehr stattfanden, war ihm aber ein wichtiges Instrument genommen86. Zum anderen verkennt die allzu starke Betonung der Rolle Webers sein geringes Interesse an vielen Sachfragen der alltäglichen Politik in der Gemeinde und seine mangelnde Erfahrung in deren verwaltungstechnischer Behandlung. So entsprach es wohl den Tatsachen, daß Weber, wie Jansohn und andere Zeugen es wahrnahmen87, auch Fiehler überlegen war und ihm vielleicht sogar im einen oder anderen Fall seinen Willen aufzwang. Umgekehrt konnte Fiehler durch seine bessere Einarbeitung in die verschiedenen Materien und seinen Sachverstand in kommunalpolitischen Fragen Weber gegenüber einen Kenntnisvorsprung erlangen und diesen meinungsbildend bei den Gemeinderäten und auch bei Weber einsetzen. Ähnliches gilt für die fachliche Überlegenheit der berufsmäßigen Stadträte. Aus den Ratssitzungen ergibt sich jedenfalls das Bild, daß Christian Weber zwar einzelne Aspekte der Verhandlungsgegenstände zur besonders pointierten Stellungnahme herausgriff, zu der meist niemand Gegenposition zu beziehen wagte; der Gesamtkomplex der behandelten Materie trug aber in der Regel nicht seine Hand-

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schrift.

Im Wohnungswesen trat Weber durchaus fühlbar auf, wenn

es um Projekte mit starkem Effekt in der Öffentlichkeit wie die Mustersiedlung Ramersdorf ging, allerdings auch hier erst „ex post" und offensichtlich mit dem Ziel, sich nach außen von einer Angelegenheit zu distanzieren, die nicht den gewünschten Anklang bei der Partei gefunden hatte. Auch wenn es sich um Prestigefragen wie die bauliche Gestaltung der „Hauptstadt der Bewegung" handelte, wenn eine „wilde Siedlung" seine Pläne für den Pferdesport störte oder auch nur, wenn die Gelegenheit günstig war, dem Wohnungsreferenten Harbers übel mitzuspielen, war Webers Stimme deutlich vernehmbar und konnte meist nicht überhört werden. Er nahm sogar die Möglichkeit wahr, sich als Kreistagspräsident mit der Gründung einer Siedlungsgesellschaft, der Oberbayerischen Heimstätte, zu schmücken, die ihm unter anderem wieder Argumente gegen die Politik des städtischen Wohnungsreferates lieferte. Für die meisten Angelegenheiten des Wohnungswesens aber fehlte ihm das nötige Detailwissen und die Geduld, sich eingehender damit auseinanderzusetzen. Die notwendige Kenntnis der Materie und Kompetenz in der Behandlung des Vorgangs brachte in vielen Fällen nur der Wohnungsreferent auf, der freilich die wichtigen Angelegenheiten zur politischen Entscheidung vorlegen mußte. Ein großer Teil der Vorlagen aber passierte „ohne Erinnerung", manches Mal gab es Diskussionen, die der Referent jedoch häufig wiederum aufgrund seiner besseren Detailkenntnis souverän parieren konnte, und nur in wenigen Fällen mußte er tatsächlich von seinem bereits ausgearbeiteten Vorschlag abweichen, um sich einem andersgearteten politischen Entschluß zu beugen. Auch wenn Christian Weber seiner Unzufrieden-

Vgl. Weber an Reichinger vom 28.3.1935, StaatsAM, NSDAP 281.

In diesem Punkt irrt Han-

ko, wenn er meint, daß auch nach Erlaß der DGO die anstehenden Fragen weiter in der Fraktion vorberaten worden seien; vgl. ders., Kommunalpolitik, S. 407. Ähnlich wie in Jansohns Aussage auch Reichinger an Giesler vom 20.6.1944, S. 4, StaatsAM, NSDAP 24: „In diesem Zusammenhang muss vielleicht auch noch erwähnt werden, dass sich auch Herr Oberbürgermeister Fiehler nicht immer gegen die robuste Art des Pg. Weber durchzusetzen vermag oder durchsetzen will."

I.

62

NS-Herrschaft und Kommunalpolitik

heit Ausdruck gab und gegen bestimmte Entwicklungen der städtischen Wohnungspolitik polemisierte, hieß das ja noch nicht, daß er tatsächlich entscheidungsreife Gegenvorlagen präsentieren konnte, mit denen sich eine alternative Politik realisieren ließ. De facto wurde ein Gutteil der lokal praktizierten Lösungen also vom Referenten und seinen Mitarbeitern konzipiert und auch umgesetzt, in enger Absprache mit dem Oberbürgermeister und in dem von der Reichsgesetzgebung skizzierten Rahmen. Es gab allerdings eine Einrichtung, die eine allzu weitgehende Eigenständigkeit der Verwaltung und Ablösung von der politischen Stadtvertretung verhindern sollte. Als solches Bindeglied war die Institution der Verwaltungsräte gedacht, die auch nach der Deutschen Gemeindeordnung von 1935 beibehalten werden konnte88. In ihrer Eigenschaft als Verwaltungsräte betreuten die ehrenamtlichen Stadträte jeweils mehrere Bereiche, auf die sich die städtische Verwaltungstätigkeit erstreckte89. Die Nationalsozialisten ließen dabei den persönlichen Interessen weiten Raum und förderten, entgegen ihren Oppositionsanträgen in der „Systemzeit", das Ineinandergreifen von beruflicher Tätigkeit, Parteiarbeit und kommunalpolitischer Aktivität beim einzelnen. Als der städtische Gewerbehauptlehrer und ehrenamtliche Stadtrat Karl Pfahler zum Beispiel darum nachsuchte, die Gewerbeordnung und Gewerbepolizei als Verwaltungsbereich zu erhalten, was im übrigen „im Interesse der Bewegung" läge, weil er kommunalpolitischer Referent der Kreisleitung sei, leuchtete Fiehler diese Begründung ohne weiteres ein90. Christian Weber betreute eine ganze Palette von Materien, darunter auch seine Steckenpferde wie Jagdrecht und Jagdwesen und das Oktoberfest, außerdem alle Verkehrsfragen einschließlich der Reichsautobahnen91. Wie stark sie sich für ihre Aufgaben engagierten, lag dabei weitgehend in den Händen der einzelnen Gemeinderäte. Im Wohnungswesen war der Einfluß des Verwaltungsrates Josef Neumaier zwar an der Basis spürbar, weil der Architekt in die konkreten Verhandlungen mit Wohnungsgesellschaften, Bau- und Handwerksunternehmen eingeschaltet war und so seine Interessen und die seines Berufsstandes zur Geltung bringen konnte. Konzeptionelle und Richtungsentscheidungen sowie die Vertretung der Wohnungspolitik vor den anderen Gemeinderäten und gegenüber den Aufsichtsbehörden überließ er aber ganz dem Wohnungsreferenten Guido Harbers. Um so größer war der Gestaltungsraum, der in einem solchen Fall dem hauptamtlichen Referenten verblieb; und daß die Verwaltungsräte ihren Einfluß nicht allzu weitgehend nutzten, war wohl eher die Regel als der Ausnahmefall. Dazu soll wieder der Bericht Reichingers an Giesler als Beleg dienen: „Die 88

Dazu Fiehler in einer Pressebesprechung über die DGO vom 30.1.1935: „Auch bei den Verwaltungsräten habe ich lange gekämpft, um diese durchzubringen, weil ich darin eine sehr große Erleichterung der Arbeit sehe. Vor allen Dingen wird man den ehrenamtlichen Gemeinderat

sehr stark zur Arbeit dabei heranziehen; der arbeitet sich auch viel besser ein. Es wird aber befürchtet, dass damit ein Gegenspieler gegen den Referenten entsteht, während wir das Gegenteil als Erfahrung bei uns haben." Pressemanuskript, S. 41, StadtAM, BuR 156/5. Vielerorts wurde dennoch, nach Erlaß der DGO, die Institution der Verwaltungsräte aufgelöst, vgl. Heinz,

NSDAP, S. 444. 89

90 91

Für die Einrichtung der Verwaltungsräte in der Weimarer Zeit vgl. Rudioff, Soziale Aufgaben, S. 47f. Obwohl Fiehler auch andere Bürger zu einem solchen Amt bestellen konnte, beließ er es

weitgehend dabei, die Ratsherren als Verwaltungsräte zu berufen; vgl. Geschäftsanweisung für die Verwaltungsräte vom 1.10.1935, in: Amtliche Beilage zur MGZ Nr. 78 vom 30.9.1935. Fiehler, 13.6.1934, StadtAM, BuR 244/23. StadtAM, BuR 244/23.

63

2. Die neuen Führungskräfte

Tätigkeit der Ratsherren an sich vollzieht sich in der Form, dass sie als Verwaltungsräte einzelnen Dezernenten und Referaten zugeteilt sind. Sie haben damit immerhin die Möglichkeit in erheblichem Masse auf die Arbeitsweise des einzelnen Referates Einfluss

nehmen. Es könnte wirklich sowohl für die Stadt, wie aber auch für die Partei mancher Erfolg gebucht werden, wenn der einzelne Ratsherr sich in seinem Arbeitsgebiet entsprechend betätigt. Dies ist aber, das muss ich leider sagen, bei den wenigsten der Fall. Viele von ihnen sind nur sogen, automatische Unterschreiber, ohne dass sie sich aber intensiv mit der Materie ihres Aufgabengebietes befassen. Die Angst vor dem Paragraphen schreckt sehr viele."92 Kehrt man also zur Ausgangsfrage Dominanz der Fraktion bzw. einzelner Ratsherren oder Dominanz der hauptamtlichen Referenten zurück, so muß sie in dieser Eindeutigkeit wohl für beide Seiten negativ beantwortet werden. Die Fraktion und besonders ihr Vorsitzender hatten vor Erlaß der DGO eine starke Position, die allerdings schon damals durch die sachliche Vorarbeit und Ausführungskompetenz der hauptamtlichen Referenten und des Oberbürgermeisters eingeschränkt wurde. Das Gewicht verlagerte sich weiter auf die Seite der Verwaltung, als es kein Fraktionsgremium mehr gab und auch die Reste mehrheitlicher Beschlußfassung beseitigt waren. Die Gestaltungsmacht der Verwaltungsseite wurde ihrerseits durch die Tätigkeit der ehrenamtlichen Gemeinderäte als Verwaltungsräte eingeschränkt, die offenbar aber häufig kaum eine „Störung" des normalen Geschäftsablaufs bedeutete. Deutlicher wurde eine Alleinherrschaft der Referenten dadurch verhindert, daß sie vor Inkrafttreten der neuen Gemeindeordnung ihre Arbeit vor der Fraktion bzw. dem Stadtrat zur Diskussion stellen mußten und auf deren politisches Votum angewiesen waren. Die Situation änderte sich 1935, als durch die Aufwertung des Bürgermeisters in der DGO auch den Referenten als denjenigen, die dem Bürgermeister zuarbeiteten und die einzelnen Sachangelegenheiten für ihn bearbeiteten, zweifellos eine stärkere Position zugewiesen wurde. Im Gegensatz zum Reichstag, der zum reinen Akklamationsorgan verkam, gab es aber immerhin noch Sitzungen der Ratsherren, in denen diskutiert und beraten wurde und in denen die Referenten weiterhin ihre Vorlagen einbringen mußten. Gerade weil Fiehler von seiner Persönlichkeit her kein „Alleinherrscher" war und auf diese Beratungen seinerseits Wert legte, fand weiterhin eine Art Diskurs an der Stadtspitze statt, so deutlich er auch gegenüber demokratischen Verhältnissen eingeschränkt war93. Die „alten Kämpfer" im Rathaus zeigten sicher nicht allzuviel politischen Gestaltungswillen, aber zu mancher Diskussion, in der die Referenten Rede und Antwort stehen mußten, kam es doch. Resümierend können wir also von einer starken, aber nicht allmächtigen Referentenherrschaft im Münchner Rathaus ausgehen, die auf die Legitimation durch den Oberbürzu

-

-

germeister an erster Stelle und Unterstützung durch die Ratsherren an zweiter Stelle angewiesen blieb. Vor diesem Hintergrund soll im folgenden die Gruppe der hauptamtli-

chen Stadträte noch einer etwas genaueren Analyse unterzogen werden. 92 93

Reichinger an Giesler, 20.6.1944, S. 4, StaatsAM, NSDAP 24. Vgl. auch Jeserich, Karl Fiehler, S. 456: „F. [Fiehler] nahm die in der Deutschen Gemeindeordnung vorgesehene Mitwirkung der Gemeinderäte an den Entschlüssen der Oberbürgermeister ernst. In München tagten Hauptausschuß, Finanzausschuß und das Plenum der Gemeinderäte in kurzen Abständen mit umfangreichen Tagesordnungen. Hier wurde lebhaft und durchaus kontrovers diskutiert." (Mit Ausschüssen sind die Sitzungen der Beiräte gemeint.)

I. NS-Herrschaft und

64

Kommunalpolitik

Die berufsmäßigen Stadträte: Kontinuität oder nationalsozialistische Revolution? Konnten

es

sich die Parteiverantwortlichen leisten, die Stadtratssitze nach der „Macht-

ergreifung" als Ehrensitze für „alte Kämpfer" zu vergeben, da es im Vergleich zum par-

lamentarisch-demokratischen System auf die einzelne Stimme nicht mehr allzusehr ankam, mußten sie eine solche Entscheidung im Fall der hauptamtlichen Referenten oder berufsmäßigen Stadträte, wie sie nach der Bayerischen Gemeindeordnung hießen, wohl erwägen. Zum Zeitpunkt 1933 waren die bisher tätigen 16 Referenten fast alle schon mehr als ein Jahrzehnt, manche schon zwei Jahrzehnte in der Münchner Stadtverwal-

tung tätig, sie hatten in der Regel eine akademische juristische im Fall der technischen Stadträte auch andere Ausbildung genossen, und etliche hatten schon vor ihrer Münchner Anstellung Verwaltungserfahrung in anderen Gemeinden gesammelt94. Das heißt, hier stand tatsächlich eine Beamtenelite zur Disposition, die, wollte man sie entfernen, nicht einfach auf ähnlich qualifiziertem Niveau ersetzt werden konnte. Andererseits ließ sich die „nationalsozialistische Revolution" nicht gut durchführen, wenn man die städtische Verwaltungsspitze von dem Anspruch auf politische Erneuerung und völlige Ablösung der „Systemzeit" ausnahm. Das Dilemma wurde in der Münchner Kommunalverwaltung wie auch auf anderen höheren Ebenen der Bürokratie durch einen Kompromiß gelöst95. Erstens: Die politischen Schlüsselpositionen wurden mit zuverlässigen Nationalsozialisten besetzt. Zweitens: In den anderen Ressorts gestattete man sich im Interesse der Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Verwaltung eine gewisse Großzügigkeit, sofern die übernommenen Beamten ihre unbedingte Loyalität zu den neuen Machtverhältnissen bekundeten und Anpassungsbereitschaft zeigten. Bei Pensionierungen versuchte man allerdings, diese Kompromisse zu korrigieren und „echte" Nationalsozialisten ins Amt zu heben. Drittens: Politische Gegner wurden ohne Umschweife entfernt und durch Nationalsozialisten ersetzt. Als Schlüsselposition war an erster Stelle natürlich das Amt des ersten Bürgermeisters anzusehen, um so mehr als die Nationalsozialisten auch schon vor Erlaß der Deutschen Gemeindeordnung von 1935 eine einheitliche Ausrichtung der Gemeindevertretungen unter Führung des Bürgermeisters anstrebten96. Mit Karl Fiehler wurde dem Korps der Münchner Referenten ein Mann vorangestellt, der auf eine ähnlich umfangreiche Verwaltungspraxis wie die meisten aus ihren Reihen verweisen konnte. Aber er hatte als Beamter vor 1933 deutlich unter ihnen rangiert, konnte weder eine akademische Ausbildung noch eine gehobene Laufbahn vorweisen. Sein Stellvertreter Hans Küfner war promovierter Jurist und bereits Oberbürgermeister von Kaiserslautern gewesen, bevor er 1918 in die Münchner Stadtverwaltung eintrat, wo er „als Verwaltungsfachmann von hohen Graden bei allen Parteien und Fraktionen großes Ansehen" genoß97. Bereits die Position des Stellvertreters galt nicht mehr als so zentral, als daß Küf-

-

-

-

großer Eile aus dem Amt gedrängt worden wäre. Mit seiner umgehend betonBereitschaft, sich in erster Linie als Beamter zu verstehen, der die „große Politik" in jedem Fall loyal zu vollziehen habe, konnte der über 60jährige noch ein weiteres Jahr im ner

mit

ten

94

95 96 97

Vgl. Hanko, Kommunalpolitik, S. 363, und die biographische Zusammenstellung bei Steinborn, Grundlagen, S. 554-556. Vgl. Diehl-Thiele, Partei und Staat, S. 8. Vgl. Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 92f. Hanko, Kommunalpolitik, S. 363.

2. Die neuen

Führungskräfte

65

Amt bleiben98. Vielleicht hätte sich der Zweite Bürgermeister sogar noch länger in seiner Position halten können, wenn inzwischen nicht ein ehrgeiziger Nationalsozialist in

der Münchner Stadtverwaltung aufgestiegen wäre, der sichtlich bereit war, Küfner abzulösen. Der 1904 geborene Karl Tempel trat erst nach der „Machtergreifung" in die Stadtverwaltung ein, hatte sich in den Augen seines nationalsozialistischen Dienstherrn aber bereits dadurch für eine solche Stelle qualifiziert, daß er 1931 entlassene nationalsozialistische Angestellte der städtischen Betriebe vor dem Arbeitsgericht als Rechtsanwalt vertreten hatte99. Noch nicht dreißigjährig wurde Tempel zunächst kommissarisch mit dem Sozialreferat betraut, erhielt dann aber nach dem erwähnten Beschluß der NSDAP-Stadtratsfraktion im Juli 1933 die Leitung des Personalreferats100, das bisher von Ernst Schubert geführt worden war, der nunmehr das Wirtschaftsreferat weiter betreute. Das Personalreferat galt den Nationalsozialisten generell als Schlüsselfunktion, und aus diesem Grund war in allen Verwaltungsbereichen zu beobachten, daß der Besetzung mit „zuverlässigen" Nationalsozialisten hier besondere Beachtung geschenkt wurde101. Von hier aus ließ sich die Nazifizierung der städtischen Verwaltung vorantreiben, und tatsächlich widmete sich Tempel in den folgenden Jahren intensiv diesem Ziel. Zusammen mit einem Untersuchungsausschuß des Stadtrats unternahm er die Überprüfung und Entlassung städtischer Dienstkräfte nach dem Berufsbeamtengesetz vom 7. April 1933 und trat hier im Zweifelsfall als „hardliner" auf102. Personalpolitik im nationalsozialistischen München hieß aber nicht nur „Säuberung" von unerwünschten Kräften, sondern auf der anderen Seite auch bevorzugte Einstellung von Alt-Parteigenossen, was sich Tempel zu einem persönlichen Anliegen machte103. Äußerlich zeigte sich die gehobene Bedeutung des Personalreferats in der neuen Geschäftsverteilung von 1934 darin, daß dem vor 1933 nur für die Beamten zuständigen Referat jetzt auch die städtischen Arbeiter überantwortet waren, daß Oberbürgermeister Fiehler persönlich die Stellvertretung des Referatsleiters übernahm und daß es in der numerischen Reihenfolge der Referate an erster Stelle erschien104. Der agile Personalreferent trat zur gleichen Zeit in die Nachfolge von Hans Küfner ein, dessen Pensionierung zum 1. März 1934 nicht nur einer weiteren Nazifizierung der Münchner Stadtspitze diente, sondern außerdem das Ziel hatte, „Platz für einen neuen Mann freizumachen, der schon lange vor der Tür stand, wobei allerdings vermutet werden darf, daß Küfner seinen Platz angesichts seiner Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Stadtführung nicht ungern räumte"105. Fiehler, der zu dieser Zeit bereits bestens mit den Vorarbeiten zur DGO 98

99

100 101 102

103 104

105

Vgl.

Küfners

Erklärung in

der

Besprechung Fiehlers

mit seinen Referenten

am

22.3.1933,

StadtAM, RP 703/10. Bemerkenswert ist, daß Küfner zu Beginn seiner Erklärung ein positives Zeugnis über Fiehler abgibt, aus dem aber ganz die Überlegenheit des älteren, erfahrenen und besser ausgebildeten Beamten spricht, der seinen neuen Vorgesetzten hier beurteilt, als ob er ein Untergebener wäre. Vgl. Hanko, Kommunalpolitik, S. 344 und 366. Bei seiner Ansprache an Tempels Grab am 17.2.1940 wies Fiehler ebenfalls ausgesprochen auf diesen Umstand hin (StadtAM, Personalakt Karl Tempel 10996).

Vgl. oben, Anm. 81. Vgl. Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich, S. 64 und Dokument S. 166. Dazu eingehend Hanko, Kommunalpolitik, S. 370-402. Vgl. unten, S. 266f. Geschäftsverteilung vom 1.7.1934, StadtAM, BuR 253/8. Hanko, Kommunalpolitik, S. 364.

I. NS-Herrschaft und

66

Kommunalpolitik

sorgte jedoch dafür, daß Tempel zwar mit seiner allgemeinen Stellvertretung beauftragt wurde, aber in Vorwegnahme der neuen Gemeindeordnung und unter Berücksichtigung des „Führerprinzips" nicht zum „Zweiten Bürgermeister" ernannt wurde106. Auch in der Geschäftsverteilung von 1934 war das „Direktorium B", das zuvor den Amtsbereich des Zweiten Bürgermeisters bezeichnet hatte, nicht mehr vorgesehen. De facto änderten diese Formalitäten wenig an den Kompetenzen Tempels, der sich aufgrund seiner durchsetzungsfähigen Persönlichkeit durchaus in den Ratsherrensitzungen Autorität zu verschaffen wußte107 und die Stellvertretung Fiehlers sogar bei so repräsentativen Ereignissen wie der Festsitzung aus Anlaß der Ernennung Münchens zur „Hauptstadt der Bewegung" übernahm108. 1938 wurde bei einer Umorganisation der Verwaltung dann auch wieder ein eigener Geschäftsbereich für den „Ersten Beigeordneten", wie er nach der DGO hieß, vorgesehen109. Als Tempel nach seiner Teilnahme am Krieg gegen Polen schwer erkrankte und 1940 verstarb, wurde sein Posten nicht mehr neu besetzt. Der Großteil der berufsmäßigen Stadträte überstand die Machtergreifungsphase, ohne sein Amt zu verlieren. Dafür machten einige von ihnen die Konzession, in die NSDAP einzutreten; der Stadtkämmerer Andreas Pfeiffer etwa, dessen Kompetenz in allen Finanzfragen auch seit 1933 im Rat unangezweifelt war und der es sich leisten konnte, ohne allzuviel Rücksicht auf die Partei unrealistische Finanzierungskonzepte der Kritik zu unterziehen110. Nicht immer genügte der Parteibeitritt allerdings, um dem Mißtrauen der Alt-Parteigenossen gegen Vertreter des Weimarer „Systems" beizukommen, besonders wenn diese noch in der Machtergreifungsphase versucht hatten, einen gewissen Legalitätskurs gegen willkürlichen Maßnahmen der neuen Machthaber durchzusetzen. Dies war der Fall bei Karl Helmreich, der zwar noch eine Reihe von Jahren im Amt blieb, nachdem er zum 1. August 1933 in die NSDAP eingetreten und ein Jahr später als Beamter des Münchner Stadtrates auf den „Führer des Deutschen Reiches und Volkes" vereidigt worden war111, „jedoch", wie Fiehler 1939 kritisch vermerkte, „keinen engeren Kontakt zur Partei gefunden hat. [...] Er neigt sehr zur Formaljuristik und hat insbes. deshalb persönlich bei den Ratsherren keinen Rückhalt gefunden."112 Dieser Ausdruck von der „Formaljuristik" bezog sich vermutlich unter anderem auf das Gutvertraut war,

106

Stadtratsbeschluß vom 15.5.1934, StadtAM, Personalakt Karl Tempel 10996. Nach der DGO 1935 durfte Tempel dann aber als „Erster Beigeordneter" die Amtsbezeichnung „Bürgermeister" führen. Allerdings habe ich aus den Quellen keine so weitgehende Dominanz Tempels erkennen können, wie sie Hanko (Kommunalpolitik, bes. S. 366) betont. vgl. Protokoll der Festsitzung am 6.8.1935, MGZ 64 (1935), S. 199f. Geschäftsverteilung vom 1.7.1938, StadtAM, BuR 253/9. Als ein Beispiel kann Pfeiffers Kritik an den Kosten, die die vom „Führer" gewünschte Vervon

107

ios 109 110

breiterung

111 112

der Von-der-Tann-Straße anläßlich der Eröffnung des „Hauses der Deutschen Kunst" der Stadt verursachte, benannt werden. Interessanterweise schloß sich Weber dieser Kritik in noch harscheren Worten an und forderte, daß für die „Hauptstadt der Bewegung" mehr Mittel vom Reich bereitgestellt werden müßten, wenn sie denn ihren Aufgaben gerecht werden sollte. Er habe außerdem keine Scheu, „diese meine Meinung auch dem Führer zu sagen". Ratsherrensitzung (nicht-öffentlich) vom 12.1.1937, StadtAM, RP 710/1. StadtAM, Personalakt Karl Helmreich 10973. Fiehler an den Chef der Reichskanzlei, Lammers, 6.5.1939 (Abschrift), StadtAM, Personalakt Helmreich 10973.

2. Die

neuen

Führungskräfte

67

achten, das Helmreich zur Frage der Konsequenzen aus der handgreiflichen Entfernung

der SPD-Stadträte angefertigt hatte. In diesem Schriftsatz war Helmreich nicht als Anwalt des demokratischen Rechtsstaates aufgetreten, hatte etwa das Gleichschaltungsgesetz vom 31. März 1933 durchaus als Grundlage weiterer Maßnahmen angesehen, vertrat aber die Auffassung, daß man sich der bestehenden Gesetzeslage anpassen müsse113. Mit einem solchen Mann an der Spitze des Bezirkspolizeidezernates glaubten die Nationalsozialisten im Frühjahr 1939 für den sich bereits abzeichnenden Kriegsfall nicht gut beraten zu sein114. Das in Mobilisierungsfragen wichtige Dezernat sollte offenbar jederzeit auch zu „unkonventionellen" Maßnahmen bereit sein. Es könnte auch ein anderer Grund im Spiel gewesen sein, der in den offiziellen Begründungen freilich nicht genannt wurde. Dem Dezernat 5 unterstellt war unter anderem das Gewerbeamt, das in dieser Zeit bereits in die „Arisierungen" jüdischer Geschäfte involviert war115. Es ist gut möglich, daß Helmreich nicht als der Mann galt, der diesen Sektor „angemessen" betreuen konnte. Helmreich wurde jedenfalls, als 1939 sein Vertrag auslief, nicht wiederberufen. Fiehler brachte es jedoch nicht fertig, den 53jährigen, „der als außerordentlich gewissenhafter und befähigter Jurist und korrekter Beamter bekannt" war und bereits seit 1917 in städtischen Diensten stand, ganz fallenzulassen, und übertrug ihm auf Dienstvertrag die Leitung der Referendarausbildungsstelle bei der Stadtverwaltung116. In Richard Vilsmaier fand die Stadt dann einen Alt-Parteigenossen (Beitritt 1927) als Nachfolger, der in geradezu idealtypischer Weise das gewünschte Profil für diese Stelle zeigte. Er war Inhaber des Goldenen Parteiabzeichens, hatte sich in der Partei und ihren Nebenorganisationen engagiert, brachte aber als promovierter Jurist, der seit 1933 bei der Stadtverwaltung tätig war, auch die laufbahnmäßigen Voraussetzungen mit117. Als er noch Amtsdirektor im Dezernat 5 unter Helmreich war, bemühte er sich bereits überaus diensteifrig um die „Entjudung jüdischer Einzelhandelsgeschäfte", was wiederum die These bestätigt, daß Helmreichs zu geringes Engagement auf diesem Sektor ein Entlassungsgrund gewesen sein könnte118. Mit Kriegsbeginn wurde Vilsmaier außerdem die Wirtschafts- und Lebensmittelversorgung der Stadt überantwortet. Zu dieser Zeit leitete er das Bezirkspolizeidezernat noch kommissarisch und wurde erst am 13. März 1941, unter Verzicht auf die Ausschreibung der Stelle, zum Beigeordneten wie es nach der DGO hieß berufen. Diese Verzögerung dürfte aber einzig kriegsbedingt gewesen sein. Die Tendenz, im Falle einer Ablösung der bisherigen Referenten, die noch aus der Weimarer Zeit stammten, unbedingt „zuverlässige" Parteigenossen auf die Stellen zu setzen, zeigte sich auch 1937, als es um die Nachfolge des verstorbenen Wohlfahrtsrefe-

-

1,3 114

115

116

117

118

Vgl. oben, S. 37. Vgl. Fiehler an Lammers, 6.5.1939, StadtAM, Personalakt Helmreich 10973. Vgl. Weber an Helmreich, 27.9.1938, wo Weber seinen Anspruch, als „Sonderbeauftragter für

Wirtschaftsangelegenheiten" stärker vom Dezernat 5 in den Bereich der „Arisierungen" einbezogen zu werden, anmeldet. StadtAM, Gewerbeamt 177a. VB vom 4.7.1939. Durch die zusätzliche Tätigkeit wurde der Unterschied zwischen Helmreichs vorherigem Gehalt und seinem Ruhegehalt ausgeglichen, Helmreich an Fiehler, 6.5.1939, StadtAM, Personalakt Helmreich 10973.

Zu Vilsmaiers Lebenslauf s. Protokoll der außerordentlichen Ratsherrensitzung (mit Lammers) am 13.3.1941, in der er zusammen mit Karl Leitmeyer, der Adolf Konrad im Betriebsund Lebensmitteldezernat folgte, zum Beigeordneten berufen wurde. StadtAM, RP 714/1. Vormerkung Vilsmaiers vom 6.1.1939 und weitere Schriftstücke in: StadtAM, Gewerbeamt 177a.

I. NS-Herrschaft und

68

Kommunalpolitik

Friedrich Hilble und des in den Ruhestand versetzten Kommunalreferenten ging. Die erhaltenen Unterlagen belegen, daß die eingegangenen Bewerbungen sorgfältig gruppiert wurden und neben den Juristen und Nicht-Juristen die „Alt-Parteigenossen", „Neu-Parteigenosserv und „Nicht-Parteigenossen" voneinander geschieden wurden. Die Ausschreibung wurde schließlich zugunsten von zwei Bewerbern entschieden, die sowohl Juristen als auch Alt-Parteigenossen waren119. Die bisherigen Beispiele zeigen, daß man bei den berufsmäßigen Stadträten eher von einem „evolutionären" Weg zur nationalsozialistisch verwalteten Stadt ausging. Es gab allerdings auch Abweichungen von dieser Regel, und diese galten in München ausschließlich den Stadträten, die als „sozialdemokratisch" identifiziert wurden. Karl Schmidt, der bisherige Sozial- und Lebensmittelreferent, Karl Sebastian Preis, der Wohnungsreferent, und Hans Baier, der Stadtschulrat, mußten aus diesem Grunde mit der „Machtergreifung" im Münchner Rathaus als erste ihre Posten verlassen120. Für die ausgeschiedenen Stadträte wurden die NSDAP-Mitglieder Karl Tempel, Guido Harbers als Wohnungsreferent und Josef Bauer als Stadtschulrat nachberufen. Während sich Bauer im nationalsozialistischen „Schulkampf" profilieren konnte und eine einflußreiche Rolle bei der Durchsetzung der Gemeinschaftsschule spielte121, gelang es Guido Harbers nicht, jedenfalls nicht im von ihm gewünschten Ausmaß, das Wohnungsreferat zu einem zentralen Ressort in der Verwaltung zu machen. Er hegte nach seiner Amtsübernahme überaus ehrgeizige Pläne zur Ausdehnung seines Geschäftsbereiches, wollte insbesondere das Hochbau- und Tiefbauamt seiner Kompetenz unterstellt sehen. Selbstbewußt glaubte er, den Wohnungsmangel durch „eine starke und zielbewusste organisatorische Führung" beheben zu können, offenbar in völliger Verkennung der beschränkten Ressourcen und Eingriffsmöglichkeiten, die ihm gegeben sein würden122. Noch weiter ging er zu Beginn des Jahres 1934, als der Erlaß einer neuen Geschäftsverteilung für den Stadtrat auf der Tagesordnung stand. Nach seinen Vorstellungen sollte sein bisheriges ,Referat 7' nach dem Kommunal- und dem Finanzreferat das dritte führende Referat der Stadt werden und dann neben dem Wohnungs- und Siedlungswesen auch den Bereich „Wirtschaft" verwalten: „Es ist in erster Linie verantwortlich für die Wirtschaftspolitik der Stadtverwaltung. Es soll die Privatwirtschaft anregen und durch eine entsprechende Ueberwachung der Lohn- und Preisbewegung diese vor unerwünschten Auswirkungen bewahren. Ihm obliegt die Organisierung der öffentlichen Arbeitsbeschaffung und privater Arbeitsmöglichkeiten, weiterhin die Führung einer Arbeiterstammliste, des Arbeitsdienstes und dgl., Ausstellungswesen. Unterstellt sind ferner das Beschaffungswesen (Führung), das Fahrnisamt und das Statistische Amt der Stadt."123 Neben diesen Aufgaben sollten die „Richtlinienkompetenzen" auf dem Gebiet des Wohnungs- und Siedlungswesens weiter ausgedehnt und die Aufgaben des Hochbauamtes nebenher mitübernommen werden. Es erübrigt sich fast renten

Hermann Jansohn

119 120 121

122

123

Vgl. StadtAM, BuR 237, und Personalakt Paul Schloimann 11058. Steinborn, Grundlagen, S. 533. Dazu Sonnenberger, Der neue .Kulturkampf. Vormerkung Harbers' für Fiehler, 2.5.1933, mit beiliegender Bleistiftskizze, die die Führungsrolle, die er seinem Referat zudachte, besonders deutlich macht, StadtAM, BuR 305/8b.

Vgl. Harbers' Entwurf für eine neue Geschäftsverteilung vom 18.9.1933, den er einem „streng vertraulichen" Schreiben an Fiehler vom 16.1.1934 beigelegt hatte, StadtAM, BuR 253/8.

2. Die neuen

Führungskräfte

69

festzustellen, daß Harbers diese Vorstellungen einer Geschäftsverteilung nicht durchsetzen konnte; lediglich die Verkleinerung der Anzahl von Referaten, die in seinem Plan eine Hauptidee bildete, war dann auch ein Grundzug der neuen Geschäftsverteilung, die zum 1. Juli 1934 erlassen wurde. Nach dieser Geschäftsverteilung verkleinerte sich die Zahl der Referate von bisher 17 auf 13124. Hinter diesem Vorgang, der sich nach außen wie eine simple Rationalisie-

rungs- und Einsparmaßnahme präsentierte, standen grundsätzlichere politische Entscheidungen der nationalsozialistischen Stadtführung. So wurde das bisher von Gerhard Hörburger geführte Kulms- und Krankenhausreferat aufgelöst und er selbst in den Ruhestand versetzt125. Während die Krankenhausverwaltung in der herkömmlichen Referatsstruktur aufging, wurde ein städtisches Kulturamt neu geschaffen und direkt dem Geschäftsbereich des Oberbürgermeisters unterstellt. Darin zeigt sich auch gleich, daß es nicht nur um eine sicher sinnvolle bessere organisationstechnische Verankerung des Kultursektors in der Stadtverwaltung ging, sondern um eine eng an der Stadtführung und deren Vorstellungen ausgerichtete Institutionalisierung von nationalsozialistischer Kulturpolitik126. Die Entwicklung des Kultur- und Kunstlebens -

-

für Fiehler eine „weltanschauliche Frage" und hatte sich an der nationalsozialistischen Ideologie zu orientieren127. Altparteigenossen an der Spitze boten ihm die beste Gewähr für einen solchen Kurs, und er fand einen echten „alten Kämpfer", um die Leitung des Amtes zu übernehmen. Hans Zöberlein, der schon 1922 der Partei beigetreten war, hatte nicht nur einen von den Nationalsozialisten gefeierten Roman über den Ersten Weltkrieg unter dem Titel „Der Glaube an Deutschland" veröffentlicht, sondern an der Niederschlagung der Räterepublik 1919 im „Freikorps Epp" teilgenommen, sich in zahlreichen Straßenschlachten „im Dienst der Bewegung" geschlagen und die 9. Hundertschaft der SA im hochumkämpften „roten" Giesing geführt. Seine Kriegs- und Nachkriegserlebnisse suchte er über seine stark autobiographisch bestimmten Romane zu verarbeiten, von denen ein zweiter „Der Befehl des Gewissens" 1937 erschien. Seinen Büchern, die in Auflagen von mehreren Hunderttausend produziert wurden und den zeitgenössischen Traumata vom verlorenen Krieg bis zur Revolution Ausdruck verliehen, war eine recht ausgedehnte Rezeption (einschließlich der Verfilmung seines Erstlingswerkes) beschieden; das nationalsozialistische München verlieh ihm für den „Glauben an Deutschland" 1933 den Dichterpreis128. Seine literarischen Erfolge genügten auch, um diesen „Landser", der eigentlich im Baufach ausgebildet worden war, in den Augen der Nationalsozialisten für die Leitung des Kulturamtes zu qualifizieren. Ihm wurden Mitstreiter an die Seite gestellt, die sich ebenfalls schon in der Partei bewar

-

124

125

126 127 128

-

StadtAM, BuR 253/8.

Vgl. dazu wie überhaupt zur Einrichtung des städtischen Kulturamtes Hanko, Kommunalpo-

litik, S. 427-431. Vgl. Hanko, Öffentlicher Mäzen oder Kunstverwalter, S. 371. Öffentliche Sitzung des Stadtrates vom 5.6.1934, in der Fiehler die Gründung des Kulturamtes bekanntgab, MGZ 63 (1934), S. 194. Die bio-bibliographischen Daten zu Zöberlein aus seiner Spruchkammerakte beim Amtsgericht München, Registratur S; StaatsAM, Pol.Dir. Mchn. 10179 und BDC. Zöberlein, der seinen Posten in der Stadt 1935 aufgeben mußte (vgl. unten, S. 87), spielte zu Ende des Krieges noch einmal eine schlimme Rolle, da er als Führer einer Werwolfkompanie für die „Penzberger Mordnacht" hauptverantwortlich zeichnete. Vgl. auch Dandi, Zöberlein.

I. NS-Herrschaft und

70

Kommunalpolitik

währt hatten und auch als Stadträte fungierten129: der Kunstmaler Hans Flüggen, zu dem Zöberlein wohl die engste kollegiale Bindung hatte, übernahm die Abteilung „Bildende Kunst"; als Leiter der Abteilung „Literatur und Theater" wurde Max Reinhard eingesetzt, der mit einem aus materiellen Gründen abgebrochenen Studium der Literatur- und Theaterwissenschaften und verschiedenen Gelegenheitsbeschäftigungen in der Film- und Theaterbranche nicht gerade hochrangig für sein Amt ausgewiesen war. An dritter Stelle für die Abteilung „Musik und Film" berief man den Kapellmeister Franz Adam, der zwar nicht im Stadtrat saß, sich aber dafür schon seit 1931 als Dirigent des Nationalsozialistischen Reichs-Symphonie-Orchesters im Kultursektor um die „Bewegung" verdient gemacht hatte130. Obwohl diese Besetzungen von dem Willen zeugen, es dem „Führer" möglichst recht zu machen bei der Einrichtung des Münchner Kulturamtes, kam es schon ein Jahr später zu einem Eklat, der Hitler veranlaßte, eine grundsätzliche Neustrukturierung des Amtes anzuordnen. Davon wird im Zusammenhang mit der DGO zu handeln sein131. Die Geschäftsverteilung von 1934 brachte noch weitere Veränderungen: Aufgehoben wurde auch das Straßenbahnreferat, dessen Leiter, Otto Scholler, in den Ruhestand versetzt wurde. „Dahinter stand die massive Kritik der Nationalsozialisten an den von ihnen als ,rot' verschrieenen Straßenbahnern."132 Die Maßnahme leitete aber auch die 1938 schließlich vollendete Aufhebung des Status eigener Dezernate für die städtischen Werke, also auch das Gas- und Elektrizitätswerk, ein133. Zusammengefaßt wurden schließlich das Kommunal- und Grundbesitzreferat, von denen Hermann Jansohn das erstere regulär und das zweite schon seit längerer Zeit vertretend leitete, so daß hier de facto keine große Änderung eintrat134. Einschneidender war die Zusammenfassung des Hochbau- und des Tiefbauamtes, die während der Weimarer Zeit getrennt verwaltet wurden, zum Stadtbauamt. Unter dem renommierten Stadtbaurat Fritz Beblo und der Mitarbeit so sachkundiger technischer Beamter wie Karl Meitinger ließ es sich seine Souveränität nicht so leicht entwinden, wie Harbers, der selber lange dort gearbeitet hatte und von Beblo sehr gefördert worden war, das gerne gesehen hätte135. Als Beblo am 30. April 1936 schließlich in den Ruhestand trat136, war das Münchner Stadtbauamt schon viel zu sehr ein persönliches „Führerinteresse" geworden, als daß Guido Harbers -

129 130

-

Vgl. Hanko, Kommunalpolitik, S. 430. Vgl. zum Nationalsozialistischen Reichs-Symphonie-Orchester: München „Hauptstadt der Bewegung", S. 283f. Vgl. unten, S. 87. Fiehler zur Kulturamtsbildung in der Sitzung vom 5.6.1934, MGZ 63 (1934), -

131

S. 194:

sche

132 133 134

135

136

„Wir haben dabei bewußt für alle leitenden Stellen ausschließlich alte nationalsozialisti-

Kämpfer berufen. Wie glauben damit dem Willen des Führers in erster Linie am meisten Rechnung zu tragen." Hanko, Kommunalpolitik, S. 368. Vgl. Geschäftsverteilung vom 1.7.1938, StadtAM, BuR 253/9. Bereits die Geschäftsverteilung von 1929 weist Jansohn als stellvertretenden Leiter des Grundbesitzreferates aus, StadtAM, BuR 253/8. Vgl. auch Harbers' Schreiben an Tempel, 21.2.1936, in dem er anläßlich einiger personeller Umschichtungen im Stadtbauamt (daß Beblo in den Ruhestand treten würde, war zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht bekannt) seinen Anspruch auf „einheitliche Führung" der Woh-

nungsbaubelange wiederholt, StadtAM, BuR 305/8b. Zum Schaffen des Stadtbaurats in Straßburg und München vgl. den Ausstellungskatalog Bauen auf Tradition.

2. Die neuen Führungskräfte

71

hier seine Ambitionen hätte verwirklichen können. Von jetzt an bestimmte Hitler selbst, wie die Verwaltungsspitze des städtischen Bauwesens auszusehen hatte137. Für Guido Harbers brachte das Jahr 1934 jedenfalls nicht die erhoffte Ausdehnung seines Kompetenzbereiches, sondern im Gegenteil sogar eine gewisse Einschränkung. Initiator war Christian Weber, mit dem Harbers im Verlauf der Jahre immer wieder aneinandergeraten sollte. Am 3. August 1934 berichtete Weber an Fiehler über seine Ausführungen in der Fraktionssitzung wenige Tage zuvor und warf in diesem Zusammenhang die Frage auf, „ob es nicht zweckmässig erscheint, das Ref. 7 [Wohnungsreferat] aufzulösen und die einzelnen Sparten anderen Referaten zuzuteilen". Immerhin betonte er, zumindest Fiehler gegenüber, „dass man in Zukunft Harbers nicht ausschalten darf, ihn auch nicht unter irgendwelche Herren stellen soll, sondern ihm auf Grund seiner Fähigkeiten und Kenntnisse eine führende Stelle innerhalb der technischen Aemter übertragen soll"138. Das Wohnungswesen befand Weber als so wenig wichtig, daß es ohne weiteres dem Grundkatasterbüro zugeschlagen werden könne, während der Bereich „Arbeitsbeschaffungen", der dem Referat 7 im Januar 1933 als neue Aufgabe unterstellt worden war139, für den Fraktionschef als so bedeutsam galt, daß er ihn gerade nicht unter Harbers' Verantwortung sehen wollte. Dieses Mal aber setzte Weber seine Vorstellungen nur zu kleinen Teilen durch. So folgte Fiehler dem Fraktionsbeschluß vom 30. Juli 1934, alle Verkehrsangelegenheiten beim Referat 8 für Wirtschaft und Verkehr unter Ernst Schubert zu konzentrieren, nahm das bisher vom Referat 7 als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme betreute Sujet „Reichsautobahnen" aus dessen Geschäftsbereich heraus und überstellte es dem Nachbarreferat140. 1938 wurde die „Arbeitsbeschaffung" da mittlerweile obsolet geworden dann ganz gestrichen141. Harbers aber konnte das Wohnungsreferat über die ganze Zeit des „Dritten Reiches" halten, obwohl sich nicht wenige Reibereien mit Parteistellen ergaben. Es scheint hier angebracht, einen eingehenderen Blick auf diesen streitbaren Stadtrat zu werfen, der von sehen der Stadtverwaltung den entscheidenden Einfluß auf das Wohnungswesen im nationalsozialistischen München nahm. -

-

-

-

Zwischen Fachamt und Parteiamt: Guido Harbers als

Wohnungsreferent

Nur zwei Tage nachdem Karl Sebastian Preis als SPD-, zuvor sogar USPD-naher Referent in den Ruhestand versetzt worden war, unterbreitete Guido Harbers dem neuen Oberbürgermeister Fiehler seine Bewerbung um das freigewordene Amt und wies auf ein „positives Arbeitsprogramm" hin, das er bereits ausgearbeitet habe142. Seine Bewer137

138

Vgl. unten, S. 377ff.

Weber an Fiehler, 3.8.1934, mit seiner Vorlage für die letzte Fraktionssitzung, StadtAM, BuR 253/8.

139

140

141 ,42

Vgl. StadtAM, Stadtchronik, Eintrag vom 13.1.1933, und Brunner, Arbeitslosigkeit in München, S. 202. Auf diesen Arbeitsbereich des Wohnungsreferates wird im weiteren Verlauf der Arbeit nicht näher eingegangen. Rundschreiben Fiehlers zur Änderung der Geschäftsverteilung, 5.11.1934, StadtAM, BuR 253/8. Dem Referat 7 wurde künftig nur noch eine „Mitwirkung" bezüglich der Reichsautobahnen und ihrer Zufahrtsstraßen gestattet. Vormerkung Fiehlers, 14.12.1937, S. 18, StadtAM, BuR 253/9. Bewerbung vom 24.3.1933, StadtAM, Personalakt Guido Harbers 12024/1, Bl. 110. Harbers hat nach dem Krieg ausgesagt, daß sein Vorgänger Preis, als ihm deutlich wurde, daß er aus-

I. NS-Herrschaft und

72

Kommunalpolitik

bung wurde auch vom nationalsozialistischen „Kampfbund der Deutschen Architekten und Ingenieure" unterstützt, einer Organisation, die sich unter der Führung von Paul Schultze-Naumburg zu Beginn der dreißiger Jahre aus Alfred Rosenbergs „Kampfbund für deutsche Kultur" herausgebildet hatte und in der Harbers Mitglied war143. Allerdings zeigt Harbers' Personalakte bei der Stadt, daß dieser Unterstützungsbrief Fiehler erreichte, als Harbers bereits im Amt war. Am 30. März

1933 hatte Fiehler einmal den ihm durch Artikel 17 der Bayerischen Gemeindeordnung gegebenen Möglichkeiten Gebrauch gemacht und Harbers zum kommissarischen Wohnungsreferenten ernannt144. Seine Parteimitgliedschaft (seit dem 1. Oktober 1930) dürfte dabei eine Grundvoraussetzung gewesen sein, schon weil alle nach der „Machtergreifung" in der Stadt neu eingesetzten Referenten NSDAP-Mitglieder waren, so auch Karl Tempel und Josef Bauer, die mit Harbers im März kommissarisch ins Amt kamen. Es erscheint aber glaubwürdig, wie nach dem Krieg zu Harbers' Entlastung vorgebracht wurde, daß er der Partei in erster Linie beitrat, weil er hier Unterstützung für seine fachlichen Anliegen, insbesondere den Kleinhaus- und Siedlungsbau, vermutete145. Die Dominanz wohnungspolitischer Fragen in seinem Denken und Handeln ist jedenfalls durchgängig und unübersehbar, während sein Verhältnis zur Partei in späteren Jahren durchaus Brüche aufweist. Ein über Architekturfragen hinausgehendes politisches Engagement in der NSDAP ist nicht nachweisbar, die wenigen „Auszeichnungen", die er von Parteiseite erhielt, gründeten auf seine berufliche Tätigkeit. So wurde er 1937 zum „Reichshauptstellenleiter" ernannt, weil er die Abteilung „Wohnungs- und Siedlungswesen" im Hauptamt für Kommunalpolitik betreute, und später 1943 erhielt er das Goldene Parteiabzeichen ebenfalls „in Anerkennung seiner Mitarbeit im Hauptamt"146. In der sachlichen Bewertung der kommunalen Wohnungspolitik zeigte er eine große Übereinstimmung mit Fiehler. Aber für Harbers war die Partei das Mittel zum Ziel, von so starker emotionaler Bindung an die „Bewegung" wie bei Fiehler konnte bei ihm keine Rede sein, auch die devote Loyalität zu Adolf Hitler fehlte ihm. Trotz dieser sicher distanzierteren Haltung entwickelte er keine „Resistenz" gegenüber dem Regime oder wurde gar zum Gegner. Die NSDAP hatte ihn ins Amt gebracht, die Partei beließ ihm letztlich auch trotz aller Querelen, die er mit Parteistellen über deren Einmischungsversuche hatte seine Souveränität als Münchner Wohnungsreferent. Er konnte seinen eigenen Führungsstil entwickeln, eigene inhaltliche Schwerpunkte setzen und an deren Durchführung arbeiten, soweit sie im Rahmen der Reichsgesetzgebung blieben. Was ihn allerdings einschränkte und irritierte, war der enge finanzielle Rahmen, erst

mehr

von

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-

scheiden müsse, ihn selbst aufgefordert habe, in sein Amt einzutreten, „als einziger in Frage kommender Fachmann". Selbstverfaßter Lebenslauf Harbers' vom 14.2.1947, Amtsgericht München, Registratur S, Spruchkammerakt Guido Harbers, Bl. 45. In Harbers' Spruchkammerverfahren konnte Preis nicht mehr dazu war. 143 144

145

146

Stellung nehmen,

da

er

kurz vorher verstorben

Miller Lane, Architektur und Politik in Deutschland, S. 151f. Schreiben des Kampfbundes vom 28.3.1933 mit Weiterleitungsvermerk des Innenministeriums vom 31.3. und Verfügung Fiehlers vom 30.3. zur Berufung Harbers', StadtAM, Personalakt Harbers 12024/1, Bl. 112, 114. Vgl. „Unterlagen für das Spruchverfahren Guido Harbers", S. 2, Amtsgericht München, Registratur S, Spruchkammerakt Harbers. Außerordentliche Ratsherrensitzung vom 15.9.1943, StadtAM, Personalakt Harbers 12024/1, Bl. 178-185, hier 184.

2. Die neuen

Führungskräfte

73

in dem er sich bewegen mußte, und die insgesamt zu geringe Aufmerksamkeit, die dem Wohnungssektor im Nationalsozialismus zuteil wurde. Als Harbers 1933 von Fiehler ernannt und wenig später durch den Stadtrat in seinem Amt bestätigt wurde, war seine Parteimitgliedschaft, so kann man resümieren, eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung für diesen Karrieresprung. Wie der Stadtbaurat Hermann Leitenstorfer wohl zutreffend nach dem Krieg formulierte, wäre Harbers „ohne seine Verbindung zum Nationalsozialismus kaum mit der Leitung des

Wohnungsreferates 1933 betraut" worden147. Auch für die nach 1933 ernannten hauptamtlichen Stadträte war es aber weitere Bedingung, gewisse Qualifikationen und laufbahnmäßige Voraussetzungen für das neue Amt aufzuweisen. Eine biographische Skizze über den neuen Wohnungsreferenten soll verdeutlichen, welche Voraussetzungen in seinem Falle gegeben waren148. Der 1897 in Rom als Sohn eines deutschen Bankprokuristen geborene Harbers hatte die deutsche Schule in Rom besucht, später das Realgymnasium in Weimar, wo er auch das Abitur machte. 1915 meldete er sich als Freiwilliger beim Heer, erwies sich aber infolge einer Erkrankung schon nach kurzer Zeit als untauglich für den Kriegsdienst, so daß er entlassen wurde und sich nach seiner Genesung ganz seiner Ausbildung widmen konnte. Sein Diplomstudium in Architektur, bei

dem er unter anderen von Theodor Fischer unterrichtet wurde, schloß er 1921 an der Technischen Hochschule München „mit Auszeichnung" ab. Daneben arbeitete er bereits praktisch in seinem Fach, war etwa im Rahmen des „Vaterländischen Hilfsdienstes" als Bauführer beim Eisenbahnbau tätig. Nach der Diplomprüfung kam er zunächst als Referendar zum Landbauamt München und war dann für knapp zwei Jahre im Hochbaureferat der Oberpostdirektion München beschäftigt. Der bekannte Postarchitekt und Vertreter der Moderne, Robert Vorhoelzer, bescheinigte ihm zu diesem Zeitpunkt, daß er seine Projekte „mit feinem künstlerischem Empfinden bearbeitet" habe und daß er „ein sehr wertvoller Mitarbeiter" war149. Für das „Neue Bauen" wurde Harbers aber nicht endgültig gewonnen. Mit seinem Anschluß an die NSDAP und den „Kampfbund der Deutschen Architekten und Ingenieure" zu Beginn der dreißiger Jahre dokumentierte er im Gegenteil seine Nähe zu den Gegnern der Moderne, die den Stil der Neuen Sachlichkeit als „undeutsch", kalt und traditionsfern ablehnten. Trotzdem entwickelte er sich nicht zu einem dogmatischen Vertreter des Heimatstils, sein Bemühen zielte eher auf eine in der Endphase der Weimarer Republik allerdings nicht mehr zu erreichende Entideologisierung der sich befehdenden Architekturrichtungen150. Eine solche Haltung demonstrierte er in der Architekturzeitung „Der Baumeister", deren Kurs er seit 1927 als Schriftleiter wesentlich bestimmte, und in den Fachbüchern, die er zu Beginn der Weltwirtschaftskrise veröffentlichte. Wert wurde auf den bedürfnisgerechten und bezahlbaren Grundriß, die funktionale Raumanordnung (etwa Trennung nach Wohnen, Wirtschaften und Schlafen), platzsparende Einrichtung (im

Gleichzeitig brachte Leitenstorfer aber zum Ausdruck, daß Harbers aufgrund „seiner Vorbildung, seiner ungewöhnlichen Begabung und seiner Leistungen" begründete Aussichten auf eine leitende Position bei der Stadtverwaltung gehabt hätte; Gutachten vom 25.10.1949, StadtAM, Personalakt Harbers 12024/2, Bl.

14.

Die Stationen seines Lebenslaufes sind dem Personalakt 12024 im StadtAM und seinem Spruchkammerakt beim Amtsgericht München, Registratur S, entnommen. Zeugnis Vorhoelzers vom 11.5.1925, StadtAM, Personalakt Harbers 12024/1, Bl. 88. Vgl. Henn, Mustersiedlung, S. 124-127.

I.

74

NS-Herrschaft und Kommunalpolitik

Kleinhaus) und auch landschaftsgerechte Außengestaltung gelegt. Das führte bei seinen eigenen Kleinhausentwürfen zu recht konventionellen Lösungen, aber für den „geisti-

Bullaugenfenstern und Außerdem bemühte er sich, gemäß seiner Auffassung von der angepaßten Architektur, für „nördliches, kontinentales Klima" andere Varianten zu präsentieren als für „südliches, ozeanisches bzw. Mittelmeerklima"151. Was seine Vorstellungen von der Inneneinrichtung betraf, war Harbers ausgesprochen von der Neuen Sachlichkeit und dem Bauhaus in Dessau geprägt: „Trumeau, Vertiko, Nippsachen, Plüschmöbel und Stores das sind Altertümer, die nicht in eine moderne Wohnung, schon gar nicht aber in eine Kleinwohnung gehören."152 Als die Leitung des Münchner Callwey-Verlages 1927 Harbers die Chefredaktion des „Baumeister" im Nebenamt übertrug, entschied sie sich für einen Münchner Architekten, der in verschiedenen Anstellungen beim öffentlichen Dienst vor allem Kenntnisse in Stadtplanungs- und Bauordnungsfragen erworben hatte. 1923 absolvierte er die Staatsprüfung für den höheren Baudienst mit Auszeichnung und konnte sich fortan Regierungsbaumeister nennen. Von der Oberpostdirektion wechselte er zu Beginn des Jahres 1924 in die Oberste Baubehörde im Staatsministerium des Innern. Hier sammelte er als Oberbauleiter der „Deutschen Verkehrsausstellung München 1925" wichtige Erfahrungen für seinen weiteren Berufsweg, in dem geplante und verwirklichte Ausstellungsprojekte wieder eine Rolle spielten. 1925 heiratete Harbers Franziska Deininger153, die Schwester der Frau von Hermann Esser, wobei die Quellen nicht erkennen lassen, ob ihm das für seine spätere Berufung zum Wohnungsreferenten zugute kam. Zum Oktober des gleichen Jahres wurde Harbers im Hochbauamt der Stadt München zunächst auf Widerruf angestellt. Er behielt sich deswegen vorläufig ein Rückkehrrecht in den bayerischen Staatsdienst vor, blieb aber schließlich die folgenden zwanzig Jahre bei der Stadt, bis er 1945 von den Amerikanern interniert wurde. Zu Beginn des Jahres 1928 erhielt er eine Planstelle als beamteter Baurat. Offenbar verstand er es in akzeptabler Weise, seinen publizistischen Ehrgeiz als Schriftleiter des „Baumeister" und als Autor einiger Fachbücher mit seinen Dienstaufgaben zu verbinden. Sein Vorgesetzter im Hochbauamt, Fritz Beblo, stellte ihm jedenfalls Jahr für Jahr sehr positive Zeugnisse aus und hob sein fachwissenschaftliches Engagement lobend hervor154. Bei der Stadt war Harbers vor allem mit der Erstellung des Generalbaulinienplanes befaßt, als Autor beschäftigte ihn zunehmend die Kleinhaus- und Siedlungsfrage, wie die Buchtitel zeigen: „Das Kleinhaus" (1930), „Das freistehende Einfamilienhaus" (1932), „Der Wohngarten" (1933)155. Solche Bücher für einen kleinen Kreis von Fachleuten genügten aber seinem Anspruch nicht, das Thema des familiengerechten Wohnens zu einem allgemeinen Diskussionsgegenstand zu machen und die Öffentlichkeit für den Einfamilienhausbau zu gewinnen. Deshalb war er immer stärker von der Möglichkeit fasziniert, seine Ideen in einer Ausstellung zu präsentieren. 1931 richtete er erstgen Arbeiter" ließ Harbers auch einmal kubische Formen mit

Flachdach

zu.

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151

Harbers, Kleinhaus, bes. S. 5, 23. Vgl. weiterhin ders., Das freistehende Einfamilienhaus, bes. S. 5-7.

152 153 154

155

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Harbers, Kleinhaus, S. 77. gingen drei Töchter hervor. StadtAM, Personalakt Harbers 12024/1, Bl. 97, 100, 101, 103,108. Zur publizistischen Tätigkeit vgl. auch Henn, Mustersiedlung, S. 120-127. Aus der Ehe

75

2. Die neuen Führungskräfte

mais einen konkreten Projektvorschlag für eine gebaute Siedlungsausstellung an den Stadtrat, davor hatte er aber schon Gedanken zum Thema formuliert und selber an der Ausstellung „Der billige Gegenstand" 1930 mitgewirkt. Auf seine Initiative hin war eine Sektion über den günstigen Kleinhausbau in die Schau integriert worden, die ansonim Zeichen der beginnenden Weltwirtschaftskrise preiswerte Haushalts- und sten Einrichtungsgegenstände präsentierte156. Weil Harbers aber mit seinen Vorschlägen für eine gebaute Siedlungsausstellung vor allem aus finanziellen Gründen zunächst noch keine Resonanz bei der Stadt fand, bemühte er sich jetzt um andere Formen der Popularisierung seiner Ideen. Er gründete eine „Studiengemeinschaft für Kleinhaus und Siedlung", die sich zu Beginn des Jahres 1932 an die Stadt wandte mit der Bitte, die Veranstaltung eines Wettbewerbs über „Das billige kleine Haus" zu unterstützen. Der Wettbewerb wurde tatsächlich mit Unterstützung der Stadt ausgeschrieben, wenngleich sie ihren finanziellen Beitrag auf ein Minimum einschränken mußte. Daß das Thema offenbar der Zeit entsprach, beweist die relativ starke Beteiligung: 260 Arbeiten wurden eingereicht, über die ein Preisgericht aus städtischen und staatlichen Beamten des Bauwesens sowie einigen Vertretern der Privatwirtschaft entschied. Die besten Entwürfe für Kleinhäuser wurden geringfügig entschädigt, wichtiger aber war, daß die Ergebnisse in der „Neuen Sammlung" ausgestellt und im „Baumeister" publiziert wurden157. Damit hatte Harbers die Plattform zur Durchsetzung seiner Ideen schon verbreitert, bevor er als Wohnungsreferent 1933 die Gelegenheit erhielt, auch über das Stadium der Theorie hinaus tätig zu werden. Harbers' Stellung bei der Stadt war in den kommenden zwölf Jahren nicht so unangefochten, wie man es angesichts seiner Position als Alt-Parteigenosse und der Unterstützung seiner Bewerbung von nationalsozialistischer Seite hätte erwarten können. Zwar konnte er sich für sein Projekt von 1934, die Mustersiedlung Ramersdorf, zunächst noch die Unterstützung des Stadtrats sichern; aber schon mit dem finanziellen Schiffbruch, den die Siedlungsausstellung erlitt, und der verhaltenen Reaktion der Partei auf das Unternehmen büßte sein Renommee erheblich ein158. Das Verhältnis zu Christian Weber war in der Folgezeit deutlich spannungsgeladen, die Ratsprotokolle enthüllen immer wieder kleinere und größere Auseinandersetzungen. Dabei zeigte sich Harbers erstaunlich résistent gegenüber Webers Versuchen, ihn stärker zu disziplinieren und dem Parteiwillen unterzuordnen. Gerade aufgrund seiner Stellung als Altparkonnte sich der über den Verdacht erheben, nicht-natioteigenosse Wohnungsreferent nalsozialistische Ziele zu verfolgen159. Harbers' Selbstvertrauen blieb ungebrochen, er glaubte sich sachlich auf dem richtigen Weg zu befinden und ließ sich nicht so schnell beirren. Als er 1934 wie oben bereits ausgeführt Vorschläge für eine neue Geschäftsverteilung machte, die sein Referat in eine Art „Superreferat" umgewandelt hätten, ging er sogar noch einen Schritt weiter: Er brachte sich selbst in Vorschlag für das neu zu schaffende Amt eines dritten technischen Bürgermeisters, da eine „wirklich führen-

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156 157 158 159

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Dazu wie überhaupt zu Harbers' Initiativen im Ausstellungswesen ebenda, S. 100-111. Zum Wettbewerb ebenda, S. 112-120. Vgl. unten, S. 256ff. Das war mit Sicherheit eine Bedingung für Harbers' relativ souveränes Wirken als Wohnungsreferent. Daß sein Stadtratskollege Friedrich Hilble im Fürsorgewesen viel defensiver auftrat und auftreten mußte, war auch eine Folge von dessen umstrittener Stellung als bekennender Katholik.

76

I. NS-Herrschaft und

Kommunalpolitik

de Hand" auf dem Sektor der technischen und wirtschaftlichen Belange der Stadt bisher fehle. „Dem technischen Bürgermeister müssten in diesem Sinne alle Siedlungs-, Bauund Wirtschaftsfragen einschliesslich der städtebaulichen und künstlerischen Belange unterstellt werden."160 Nach den Erfahrungen mit der Mustersiedlung wagte sich Harbers zwar nicht mehr mit so weitreichenden, im übrigen unbeantwortet gebliebenen Plänen hervor, aber er hatte immer noch genügend Selbstbewußtsein, um die wohnungs- und siedlungspolitischen Belange in seinem Sinne unbedingt zu vertreten. Das führte ihn zwangsläufig in Konflikt mit den Parteistellen, die einen Führungsanspruch auf diesem Gebiet erhoben. So mußte sich Harbers anläßlich eines Kompetenzenstreites mit dem Gauheimstättenamt von Wilhelm Ludowici, dem Leiter des Reichsheimstättenamtes von NSDAP und DAF, den Vorwurf gefallen lassen, seine Haltung zur nationalsozialistischen Idee von Siedlung sei noch nicht so ausgereift, daß man eine fruchtbringende Mitarbeit am Siedlungswerk von ihm erwarten könne161. Die Differenzen mit Vertretern des Gaus München-Oberbayern gingen sogar so weit, daß ein Parteiausschlußverfahren gegen Harbers angestrengt wurde. Er hatte es wohl der Intervention Fiehlers zu verdanken, daß der stellvertretende Gauleiter Nippold 1935 seinen Antrag beim Gaugericht wieder zurückzog162. Aus den Auseinandersetzungen mit einzelnen Parteivertretern darf allerdings auf keine grundsätzliche Ablehnung des nationalsozialistischen Willkürregimes geschlossen werden. Es ging Harbers stets nur darum, seine Vorstellungen einer adäquaten Wohnungspolitik durchzusetzen, und er hatte genügend Courage, um seine Absichten gegen alle andersgerichteten Interessen zu verteidigen. Zumindest verbal akzeptierte er aber die Methoden nationalsozialistischer Gewaltherrschaft auch für sich, wenn es darauf ankam, Widerstand gegen seine Pläne zu brechen. So äußerte er über Hausbesitzer, die sich weigern sollten, Wohnungen an die in Not befindlichen, bei der Stadt vorgemerkten Familien zu vergeben: „Besonders grobe Fälle unsozialen Verhaltens sind durch exemplarische Maßnahmen kenntlich zu machen (Dachau)."163 Auch mit seiner eigenen Parteimitgliedschaft oder Hinweisen, daß es sich hierbei um „nationalsozialistisch wichtige" Dinge handele, argumentierte er, wenn er seine Strategie durchsetzen wollte164. Andererseits akzeptierte er nicht die unbedingte Vorrangigkeit von Partei- oder „Führer"-Interessen gegenüber den Wohnungsbedürfnissen der Allgemeinheit. So stand er nicht an, die von Hitler im Interesse des repräsentativen Ausbaus zur „Führerstadt" betriebenen Abbruche von Wohnhäusern mehrfach und auch in den gedruckten Verwaltungsberichten zu kritisieren165. 160 161 162

163 164

165

„Streng vertraulicher" Brief an Fiehler, 16.1.1934, StadtAM, BuR 253/8. Ludowici an Harbers, 16.11.1934 (Abschrift), StadtAM, Personalakt Harbers 12024/1, Bl. 128. Vgl. ebenda, Bl. 131, und Harbers betr. „Wiederaufnahme meines Verfahrens", 28.7.1950, Amtsgericht München, Registratur S, Spruchkammerakt Harbers. Vormerkung Harbers' für Grimm, 25.9.1935, StadtAM, Wohnungsamt 56. Vgl. z.B. Hauptausschußsitzung vom 12.7.1934, in der Harbers sich gegen die Angriffe wegen der Schwierigkeiten mit der Mustersiedlung wehrt, „wo wir doch diese Dinge nur als Parteimitglieder machen" (StadtAM, RP 707/3), oder in der Sitzung der VFB-Beiräte vom 18.6.1936, als er offenbar nicht ausreichend Gehör für das Thema „Gemeinschaftssiedlungen" findet: „Ich bitte um Aufmerksamkeit, es handelt sich um eine nationalsozialistisch wichtige Sache" (StadtAM, RP 709/3). Verwaltungsbericht 1936/37, S. 126.

2. Die

neuen

Führungskräfte

77

Harbers' Stellung als Wohnungsreferent blieb die gesamte Zeit des „Dritten Reiches" über prekär, aber die Zusammenarbeit mit dem Oberbürgermeister und dessen Rückendeckung schützten ihn vor möglicher Degradierung. So wurde er 1943 unter Verzicht auf eine Ausschreibung auf zwölf Jahre als Beigeordneter für das Wohnungswesen wiederberufen, eine Maßnahme, die er wesentlich Karl Fiehler zu verdanken hatte, der ihn gegenüber Hitler und dessen Stellvertreter in München-Fragen Hans Heinrich Lammers als hervorragenden Fachmann auswies166. Fiehler sorgte auch dafür, daß Harbers wegen seiner Verdienste um das Wohnungs- und Siedlungswesen das „Goldene Ehrenzeichen" der Partei erhielt, was den Wohnungsreferenten nach dem Krieg in einen Erklärungsnotstand versetzte, da es sich hier um eine hochrangige Parteiauszeichnung handelte167. Im „totalen" Krieg wurden die strittigen Wohnungsbaufragen ganz von den Luftschutzbelangen, für die Harbers von Seiten der Stadt ebenfalls zuständig war, überlagert. Trotzdem identifizierte Franz Reichinger in dem erwähnten Brief an Gauleiter Giesler auch 1944 Harbers noch ganz mit dem Wohnungswesen: „Pg. Harbers ist wohl einer der umstrittensten Männer [unter den Beigeordneten], wobei ihm aber zugute gehalten werden muss, dass er auch mit das schwerste und in der heutigen Zeit auch nicht einwandfrei zu lösende Problem und Aufgabengebiet des Wohnungs- und Siedlungswesens inne hat."168 Die Wohnungsnot in München konnte während der „Ära Harbers" tatsächlich nicht bewältigt werden, wobei ihm der nationalsozialistische Staat auch weder die finanziellen Mittel noch die Handlungsspielräume gewährte, deren es dazu bedurft hätte. Trotzdem versuchte Harbers nach 1945, über seine Leistungen auf dem Gebiet des Wohnungsbaus Rehabilitierung zu erlangen. Schon bevor er interniert wurde, bat er Scharnagl am 12. Mai 1945, ihm „weiter als Dezernent oder in anderer Weise eine Weiterarbeit im öffentlichen Interesse zu ermöglichen". Seine Fähigkeiten würden wohl gerade in der jetzigen Notlage unbedingt benötigt, und der von Seiten der amerikanischen Besatzungsmacht abgestellte Sozialexperte für die Stadt habe vielleicht auch schon von ihm „als Fachmann auf dem Gebiete des Städtebaues und des sozialen Siedlungswesens" gehört169. Diese Fiehlers Haltung vergleichbare Uneinsichtigkeit in die neuen Realitäten erhielt durch die folgende dreijährige Internierung eine zwangsweise Korrektur, die ihn allerdings nicht auf Dauer resignieren ließ. Im Sommer 1948 wurde Harbers entlassen und danach im Spruchkammerverfahren in einem ersten Schritt als „Minderbelasteter" der Gruppe 3, in einem zweiten Schritt als „Mitläufer" (Gruppe 4) eingestuft170. Die Spruchkammer sah dabei in Harbers tatsächlich in erster Linie den Fachmann, der sich nicht in besonderem Maße für die Partei exponiert habe. Vor allem wurde ihm der Bau einer evangelischen Kirche in der Mustersiedlung Ramersdorf zugute gehalten, den er gegen manchen Widerstand aus der Partei durchgesetzt habe. Es ist ty-

Vgl. Protokoll der Ratsherrensitzung mit Reichsminister Lammers vom 15.9.1943, StadtAM, Personalakt Harbers 12024/1, Bl. 178-185. Außerdem „Eidesstattliche vom

14.12.1952,12024/2, Bl. 82.

Erklärung"

Fiehlers

Harbers' Rechtsanwalt, 17. 8.1948, S. 2, Amtsgericht München, RegiVgl. den Schriftsatz stratur S, Spruchkammerakt Harbers. Reichinger an Giesler, 20.6.1944, S. 2, StaatsAM, NSDAP 24. von

StadtAM, Personalakt Harbers 12024/2, Bl. 3f. Spruch vom 9.9.1948 und vom 26.11.1948, Amtsgericht München, Registratur S, Spruchkammerakt Harbers.

78

I. NS-Herrschaft und

Kommunalpolitik

pisch für die Hartnäckigkeit von Harbers, daß er versuchte, noch mehr zu erreichen und sogar als „entlastet" aus dem Verfahren hervorzugehen. Er berief sich darauf, zu Kriegsende auf der Seite der Verhinderer sinnloser Zerstörungsakte in der Stadt gestanden zu haben und diese mit Informationen versorgt zu haben. „Im Übrigen genügt

wahrscheinlich bei einem vorurteilsfreien und natürlich denkenden Beurteiler schon meine Leistung als Wohnungsreferent und Luftschutzleiter [der] Stadtverwaltung für die Arbeitende Münchner Bevölkerung um mir das erstrebte Prädikat ,Entlastet' zuzubilligen."171 Eine solche Exkulpation erhielt Harbers nicht mehr, bis das Gesetz zum Abschluß der politischen Befreiung vom 27. Juli 1950 der Spruchkammer die Möglichkeit gab, das Verfahren einzustellen. Genugtuung mußte es ihm dagegen bereiten, vom Generalkläger des Ministeriums für Politische Befreiung zu erfahren, daß er „gesinnungsgemäß als Nationalsozialist nicht zu bezeichnen" sei und sogar seine „Widerstandshandlungen" anerkannt würden, allerdings „der erlittene Nachteil nicht einwandfrei nachgewiesen" werden könne172. Der im Rahmen dieser Studie mögliche Einblick in Harbers' Verhalten während des „Dritten Reiches" gestattet es freilich nicht, solche Formulierungen zu unterschreiben. Ebenso hartnäckig wie seine politische Rehabilitierung versuchte Harbers, seine Wiedereinstellung in die Münchner Stadtverwaltung, eben unter Hinweis auf seine Verdienste um Wohnungswesen und Luftschutz, zu erlangen. Dabei war er nicht nur von völliger Blindheit gegenüber der Tatsache geprägt, über viele Jahre als Teil der Münchner Stadtregierung das nationalsozialistische System vertreten und durchgesetzt zu haben, sondern betrachtete es als „Mißgeschick", daß er in die Mühlen der Entnazifizierung geraten war173. In die Stadtverwaltung unter Thomas Wimmer wurde Harbers trotz seiner zähen Bemühungen nicht mehr aufgenommen. Aber über viele Jahre erstreckte sich ein Rechtsstreit zwischen ihm und der Stadt über seine Rechte auf Wiedereinstellung bzw. Ruhegehaltsbezug. Nach Erlaß des „131er-Gesetzes" 1951 konnte an Harbers' grundsätzlichem Anspruch auf Versorgung kein Zweifel mehr bestehen174. Bis in die Instanz des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes und bis in das Jahr 1960 zog sich jedoch der Streit, in welcher Höhe und ab welchem Zeitpunkt die Pension zu gewähren sei. Dabei ging es zum einen um die Frage, ob Harbers aus seiner Position als berufsmäßiger Stadtrat eine Pension beanspruchen könne oder ob eine niedrigere Laufbahn konstruiert werden müsse, weil er nur als Parteimitglied die Stellung als Stadtrat erlangt habe. Zum anderen wollte Harbers die Fortdauer des 1943 auf zwölf Jahre erneuerten Beamtenverhältnisses anerkannt wissen und damit eine Pensionszahlung auf der Basis von 30 Jahren Dienstzeit (1925 bis 1955) und eine Gehaltsnachzahlung für die Jahre von seiner Entlassung 1945 bis 1955 beanspruchen. Während Harbers konzediert wurde, daß seine Ernennung nicht in erster Linie wegen seiner Parteizugehörigkeit erHarbers betr. „Wiederaufnahme meines Verfahrens", 28.7.1950, ebenda. Bescheid an Harbers, 4.12.1950, StadtAM, Personalakt Harbers 12024/2, Bl. 54. Harbers an Oberbürgermeister Wimmer, 22.7.1948, StadtAM, Personalakt Harbers 12024/2, Bl. 9f. Zur Enstehung des Gesetzes, das die Wiedereinstellungs- bzw. Versorgungsfrage nicht nur für die vertriebenen, sondern auch für die infolge von Entnazifizierungsmaßnahmen ausgeschiedenen einheimischen Beamten regelte, vgl. Wengst, Beamtentum, S. 152-252. Der problematischen Rolle des Gesetzes beim Umgang der Bundesrepublik mit der nationalsozialistischen Vergangenheit geht Frei, Vergangenheitspolitik, S. 69-100, nach.

2. Die neuen Führungskräfte

79

folgt sei175, und er deswegen ein Übergangsgehalt und dann ein Ruhegehalt aus seiner Stellung als Beigeordneter zugesprochen bekam, erhielt er in der Frage des Dienstalters und der Gehaltsnachzahlung nicht recht176. Auch wenn Harbers es nach dem Krieg nicht wahrhaben wollte, war er als Siedlungsfachmann und Nationalsozialist zu seiner Stellung gekommen und hatte während der ganzen zwölf Jahre nach außen als Vertreter der nationalsozialistischen Stadtspitze agiert. Nach dem Krieg hatte er noch Gelegenheit, sich freiberuflich als Architekt und auch publizistisch zu betätigen177, eine Anstellung bei der Stadt erhielt er zu Recht nicht mehr. Guido Harbers starb am 29. Juli 1977 fast achtzigjährig.

175

Zusammenfassend zu diesem Rechtsstreit vgl. Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 10.6.1955, StadtAM, Personalakt Harbers 12024/2, Bl. 268-273, mit ausführlicher Tat-

176

Dazu abschließend Urteil des

177

bestandsfeststellung.

Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes StadtAM, Personalakt Harbers 12024 (Beiakt). z.B. Vgl. Harbers, Das eigene Heim.

vom

7.10.1960,

3.

Kommunalpolitische Interessen im „Dritten Reich"

Entstehung und Grundzüge der Deutschen Gemeindeordnung von 1935 Fiehlers Spitzenposition im kommunalpolitischen Sektor der Partei prädestinierte ihn, eine Führungsrolle im Entstehungsprozeß der neuen Gemeindeordnung zu spielen, mit der die Nationalsozialisten die bestehende regionale Unterschiedlichkeit des Gemeindeverfassungsrechts in Deutschland beseitigen und den Führerstaat auch in seinen kleinsten Zellen, den Gemeinden, als Prinzip etablieren wollten. Fiehler selbst äußerte bei einer Pressekonferenz am Tag der Verabschiedung des Gesetzes dem 30. Januar 1935 -, daß er „als Vorsitzender des Deutschen Gemeindetages und Mitglied der Akademie für deutsches Recht bei den Vorarbeiten zum Gesetz sehr wesentlich mitgewirkt habe"1. Im gleichen Atemzug mußte er allerdings einräumen, daß an dem Entstehungsprozeß nicht nur verschiedene Reichsministerien, das bayerische und preußische Innenministerium, der Stellvertreter des Führers, sondern auch „alle(n) möglichen sonstigen Stellen" beteiligt gewesen seien2. Tatsächlich gab es einen relativ komplizierten Gesetzgebungsprozeß, in desser erster Phase Fiehler zusammen mit dem Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler noch eine gewichtige Rolle spielte3, die er aber in zuneh-

mendem Maße an andere abtreten mußte. Auch hier war es neben anderen wieder Adolf Wagner, der dem Münchner Oberbürgermeister den Rang ablief: Er betreute innerhalb des Stabs des Stellvertreters des Führers das Referat „Neuaufbau des Reiches" und konnte sich damit gegenüber dem Hauptamt für Kommunalpolitik als wichtigere Instanz im Entstehungsprozeß der Deutschen Gemeindeordnung (DGO) etablieren4. Immerhin behielt Fiehler genügend Einfluß, um zu verhindern, daß das Aufsichtsrecht des Staates über die Gemeinden so ausgedehnte Formen wie im zuvor verabschiedeten preußischen Gemeindeverfassungsgesetz und Gemeindefinanzgesetz vom 15. Dezember 1933 annahm. Für ihn war das der Kernpunkt der Selbstverwaltung: die Gemeinden sollten nicht zu einem verlängerten Arm der Staatsverwaltung werden, sondern nach dem Prinzip der Allzuständigkeit in ihrem Gebiet eigenverantwortlich und selbständig handeln können. Die Aufgaben der Partei sah Fiehler darin, daß sie die richtige Auswahl der Persönlichkeiten, die diese Arbeit in der Gemeinde leisten sollten, garantierte; für ihn gab es aber, so stellte er es zumindest nach außen dar, keinen Gegensatz zwischen dem gemeindli-

1 2 3

4

Vortragsmanuskript für die Pressebesprechung am 30.1.1935, S. 5, StadtAM, BuR 156/5.

Ebenda. So trug der erste Referentenenrwurf des Reichsinnenministeriums vom 27.3.1934 noch deutlich die Handschriften Fiehlers und Goerdelers, vgl. Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 140f. Zur zunehmenden Ausschaltung Goerdelers und seiner Kooperationspartner auch Reich, Goerdeler, S. 189-196. Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 150: Im Herbst 1934 „war die Vertretung der Partei und ihrer Interessen [...] fast völlig von Fiehler auf den Stellvertreter des Führers und seinen Stab übergegangen". Zum Entstehungsprozeß der Gemeindeordnung als neuere Darstellungen auch Neliba, Wilhelm Frick, S. 145-150, der die Ergebnisse von Matzerath allerdings nicht wesentlich nuanciert, und Löw, Kommunalgesetzgebung.

3.

Kommunalpolitische Interessen im „Dritten Reich"

81

chen und dem Parteiwillen5. Da auch die Bevölkerung gemeinhin die Staatspartei des „Dritten Reiches" für Fehler und Mängel in der Verwaltung haftbar machen würde, sei die Partei ohnehin in der Verantwortung für die Gemeindeverwaltung. „Das Volk fühlt hier genau so wie der Führer, daß nämlich die Partei heute zu befehlen hat." Die NSDAP müsse deshalb „auf dem Gebiete der Personalpolitik" ihre Gestaltungskompetenz wahrnehmen6. Fiehler versuchte hier, den seinem Amt quasi inhärenten Widerspruch zwischen den Grundsätzen kommunaler Selbstverwaltung und den Ansprüchen der totalitären Staatspartei aufzulösen. Später allerdings mußte er selber eingestehen, daß diese Lösung nicht aufging, daß die Partei sich eben nicht nur im Vorfeld der eigentlichen Gemeindepolitik auf die Auswahl von Personen beschränkte, sondern immer wieder in die Alltagsgeschäfte intervenierte. Kritischer betrachtete schon in dieser Phase sein Oberbürgermeisterkollege Goerdeler die Bestrebungen der NSDAP zur Einflußnahme auf die Gemeindepolitik. Er trat vehement gegen die von der Verwaltung abgekoppelte Instanz eines Parteibeauftragten für die Gemeinde auf, der in die gemeindlichen Belange gewissermaßen von außen hineinregieren sollte7. Goerdeler konnte allerdings nur kleinere Korrekturen dieser Konzeption erreichen, so daß mit der Verankerung des Parteizugriffs durch die Person des Parteibeauftragten für die Gemeinde „ein absolutes Novum in der Geschichte der deutschen kommunalen Selbstverwaltung" Platz griff8. Dem Beauftragten der NSDAP kamen laut Gemeindeordnung vor allem wichtige Funktionen bei der Berufung und gegebenenfalls Abberufung des Bürgermeisters, der Beigeordneten, wie die hauptamtlichen Stadträte jetzt hießen, und der Gemeinderäte zu. Daneben gab es nur zwei Entscheidungsgegenstände, die seiner Zustimmung bedurften: der Erlaß der Hauptsatzung einer Gemeinde und die Verleihung des Ehrenbürgerrechts bzw. von Ehrenbezeichnungen. Auch seine Teilnahme an den Beratungen des Bürgermeisters mit den Gemeinderäten war explizit auf die Angelegenheiten beschränkt, „bei denen ihm das Gesetz eine Mitwirkung einräumt"9. In den Vorberatungen der neuen Gemeindeordnung hatte es aus dem Stab des Stellvertreters des Führers Initiativen gegeben, die Partei mit weit mehr Macht in den gemeindlichen Belangen auszustatten10. Vertreter der „preußischen Linie" hingegen hatten vor allem das Aufsichtsrecht des Staates betont und dieses mit weiten Kompetenzen versehen wollen11. Die Repräsentanten der Kommunen, die Oberbürgermeister Karl Fiehler, Carl Goerdeler und Johannes Weidemann, vertraten gegen beide Richtungen vor allem den Selbstverwal5

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Vgl. Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 145, und Pressemanuskript (wie Anm. 1), bes. S. 24-28. Fiehler, Gedanken zur Reichsgemeindeordnung, in: Der Gemeindetag 28 (1934), S. 546-548, hier 548. Diehl-Thiele, Partei und Staat, S. 148-151, und Reich, Goerdeler, S. 209-220. Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 152 und 159 (Zitat). (Fiehler), Deutsche Gemeindeordnung, §§ 33, 50, S. 72, 113. Alle weiteren Artikel der DGO werden ebenfalls nach dieser im Beck Verlag erschienenen Ausgabe zitiert, auf eigene Fußno-

tenbelege wurde daher verzichtet. Vgl. die Vorschläge des Ministerialdirektors Walther Sommer im Stab Heß, die dem Ortsgruppenleiter alle wesentlichen Funktionen der politischen Leitung der Gemeinde zugestehen wollten, sich allerdings nur auf die kreisangehörigen Städte und Gemeinden beschränkten, bei Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 147f. Ebenda, S. 144f. Vgl. dort auch weiter, bis S. 155, zum schließlich ausgehandelten Kompromiß.

82

I. NS-Herrschaft und

Kommunalpolitik

tungsanspruch der Gemeinden, die nicht auf eine mittelbare Staatsverwaltung reduziert

werden dürften12. Freilich bildeten die Gemeindevertreter nicht das stärkste Machtzentrum, als unter der Ägide des Reichsinnenministeriums schließlich ein Kompromiß erarbeitet wurde, der den Parteieinfluß im wesentlichen auf die Personal- und Berufungsfragen reduzierte13, die Staatsaufsicht erheblich ausdehnte und am Prinzip der Selbstverwaltung nur noch in eingeschränkter Form festhielt: „Die Gemeinden sind öffentliche Gebietskörperschaften. Sie verwalten sich selbst unter eigener Verantwortung. Ihr Wirken muß im Einklang mit den Gesetzen und den Zielen der Staatsführung stehen" (DGO, § 1, Abs. 2). Nicht die „Selbstverwaltung" stand hier im Vordergrund, sondern die „Gleichschaltung" mit dem von der Partei diktierten einheitlichen Staatswillen14. Die Aufgabe, diesen Gleichklang der Gemeindepolitik mit der Politik der Staatsführung sicherzustellen, wurde der Staatsaufsicht übertragen, deren Kompetenzen damit das klassische Aufsichtsrecht überschritten15. Die „Hüter" der Selbstverwaltungsidee erkannten natürlich genau, daß die Möglichkeit zur ,,staatspolitische[n] Nachprüfung" beträchtliche Weiterungen haben konnte, „wenn sie wie eine Gummivorschrift aufgebläht und vermittels ihrer in alles mögliche in der Gemeindeverwaltung hineingeredet würde"16. Ihr Appell, dieses Recht nur sparsam zu nutzen, konnte aber nichts daran ändern, daß die Aufsichtsbehörde einen weiteren politischen Ermessensspielraum erhalten hatte und sich nicht auf die traditionelle Gesetzmäßigkeitskontrolle beschränken mußte. Das wird etwa im Aufhebungsrecht deutlich, das im § 109 der DGO lautete: „Die Aufsichtsbehörde kann Entschließungen und Anordnungen des Bürgermeisters, die das bestehende Recht verletzen oder den Zielen der Staatsführung zuwiderlaufen [Hervorhebung der Verf.], aufheben und verlangen, daß Maßnahmen, die auf Grund derartiger Entschließungen oder Anordnungen getroffen worden sind, rückgän-

gig gemacht werden." Zieht man zum Vergleich die Bayerische Gemeindeordnung von

1927 heran, so war das Aufhebungsrecht hier nach Artikel 60 auf „gesetzwidrige Beschlüsse" eingegrenzt17. Die Gemeinde hatte aufgrund der DGO gegen Anordnungen der Aufsichtsbehörde auch nur noch eng beschränkte Beschwerdemöglichkeiten, nämlich bei der nächsthöheren Aufsichtsbehörde. Die nach früherem Kommunalrecht bestehende Möglichkeit zur Anrufung der Verwaltungsgerichte wurde schon im Entwurf 12 13

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Ebenda, S. 145; Engeli/Haus, Quellen, S. 674.

Eberhard Laux weist gerade unter dem Gesichtspunkt des relativ reduzierten Parteieinflusses darauf hin, daß man „aus der Sicht der allgemeinen Diskussion jener Jahre um die künftige Ordnung im Führerstaat den Erlaß der DGO fast als eine systemwidrige ,Panne' ansehen" könne (Führung und Verwaltung, S. 43). Dem ist freilich hinzuzufügen, daß die Partei sich in praxi keineswegs auf die ihr in der DGO gewährten Einflußmöglichkeiten auf die Gemeinden beschränkte. Vgl. dazu die Begründung des Gesetzes: „Der Staat will die Selbstverwaltung der Gemeinden

nicht bis ins einzelne regeln. Davon kann er aber nur absehen, wenn die Gemeinden unter das höhere Gebot der Gleichrichtung des Verwaltungskurses in Staat und Gemeinden gestellt werden." (Fiehler), Deutsche Gemeindeordnung, S. 7. DGO, § 106: „Der Staat beaufsichtigt die Gemeinde, um sicherzustellen, daß sie im Einklang mit den Gesetzen und Zielen der Staatsführung verwaltet wird. Die Aufsicht soll so gehandhabt werden, daß die Entschlußkraft und Verantwortungsfreudigkeit der Gemeindeverwaltung gefördert und nicht beeinträchtigt wird." Vgl. auch Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 158, und Löw, Kommunalgesetzgebung, S. 157-160. Weidemann, Aufsicht, S. 33f. (Helmreich/Rock), Bayerische Gemeindeordnung, S. 26.

3.

Kommunalpolitische Interessen im „Dritten Reich"

83

der DGO nach Interventionen etwa des preußischen Ministerpräsidenten Göring gestrichen18 und dann in einer Ausführungsanweisung explizit negiert19. Mit dem Verwaltungsrechtsweg verloren die Gemeinden „einen wesentlichen, erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts erkämpften Bestandteil des Selbstverwaltungsrechts"20. Gegen obrigkeitliche Eingriffe konnten sie „kein subjektives öffentliches Recht auf Selbstverwaltung" mehr geltend machen21. Aus der Weimarer Verfassungsgarantie des Artikel 127 war ein unverbindliches Bekenntnis geworden. Welche Änderungen ergaben sich konkret für München durch die Neugestaltung des Aufsichtsrechts? Zwar wurde oberste Aufsichtsbehörde jetzt das Reichsinnenministerium (nicht mehr das bayerische Innenministerium), das aber die Ausführung seiner Kompetenzen sogleich wieder der nachgeordneten bayerischen Landesbehörde übertrug, so daß sich de facto für den Geschäftsgang nicht viel änderte. Aufsichtsbehörde in wie bereits in Kapitel 1 erwähnt die Regierung von Oberbayerster Instanz blieb Institution die neue ern22. Auch der Reichsstatthalter fand in der DGO Berücksichtiin wie vor allem Sonderfällen der Änderung von Gemeindegrenzen und Gemeingung, denamen23. Bei der Berufung hauptamtlicher Beigeordneter und Bürgermeister hatte der Reichsstatthalter gleichfalls Rechte, über die noch zu sprechen sein wird. Aber er erhielt keine Interventionsbefugnis in die tägliche Verwaltungsarbeit der Gemeinden, nahm keine klassischen Aufsichtsbefugnisse wahr, wie es im Entstehungsprozeß der Gemeindeordnung zunächst ventiliert worden war24. Damit bestätigte sich für München per Gesetz, was in der Machtergreifungsphase schon ganz deutlich geworden war: Daß nämlich die Stadt viel stärker von Wagners Innenministerium abhängig war als vom Reichsstatthalter, der seine Befugnisse eher auf einer formal-repräsentativen Ebene wahrnahm. Beschnitt die DGO durch die Ausdehnung der Staatsaufsicht bereits die eigenverantwortliche Verwaltungspraxis der Kommunen, so waren ihre Folgen für die Konstituierung politischer Herrschaft in der Gemeinde noch ungleich gewichtiger. Die Bürgerschaft wurde von der Partizipation an Selbstverwaltungsorganen ausgeschlossen, Wahlen von gemeindlichen Vertretungskörperschaften oder gar der Bürgermeister fanden nicht mehr statt. Der Begriff der Selbstverwaltung wurde von dem Gedanken des „politisch mitbestimmende]«] Staatsbürger^]", der beim „Urheber der deutschen Selbstverwaltung", dem Reichsfreiherrn vom Stein, eine zentrale Rolle gespielt hatte25, völlig -

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Engeli/Haus, Quellen, S. 674. Vgl. 1. Ausführungsanweisung zu § 113, (Fiehler), Deutsche Gemeindeordnung, S. 180. Deutlich hier wieder Weidemann, der in den eingeschränkten Beschwerdemöglichkeiten „eine starke und sachlich nicht erforderliche Verringerung des Rechtsschutzes der Gemeinde" konstatierte (Aufsicht, S.

62).

Engeli/Haus, Quellen, S. 674. Vgl. auch Löw, Kommunalgesetzgebung, S. 207-212. Schaben, Selbstverwaltung, S. 25. Vgl. § 107 mit 1. Durchführungsverordnung § 33 der DGO. Vgl. §§ 9, 10 und 15 der DGO. So ging Fiehler bei der Pressebesprechung am 30.1.1935 noch davon aus, „dass die oberen Aufsichtsbehörden in der Regel die Reichsstatthalter sein werden". Pressemanuskript (wie Anm. 1), S. 12. Krabbe, Die deutsche Stadt, S. 10-12, 14 (Zitate S. 10, 14). Insofern beriefen sich die Nationalsozialisten völlig zu Unrecht darauf, mit ihrer Interpretation der Selbstverwaltung „im wahren Geist ihres Schöpfers" zu handeln, vgl. Fiehlers Einführung, Deutsche Gemeindeordnung, S. XIII.

I. NS-Herrschaft und

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Kommunalpolitik

entkleidet und auf die Erfüllung der lokalen Verwaltungsaufgaben durch bestellte Funktionsträger reduziert. In der Begründung zur DGO wurde es sogar zu einem grundsätzlichen Fehler der vor 1933 herrschenden Auffassung und Praxis der Selbstverwaltung erklärt, daß sie „unrichtigerweise in der Selbstbestimmung der Verwaltungsorgane durch Wahl der Bürgerschaft (Einwohnerschaft), und zwar solcher Organe, die aus einer Vielzahl gewählter Vertreter bestanden und im Wege der Abstimmung über die Gemeindeangelegenheiten entschieden", ihre hauptsächliche Verwirklichung gesucht habe26. Der nationalsozialistischen These von der Deformation der Selbstverwaltung durch die Prinzipien von Repräsentation und Parlamentarismus war schon in der Endphase der Weimarer Republik der Boden bereitet worden. In der bereits erwähnten staatsrechtlichen Diskussion um die „Krise der Selbstverwaltung" wurde argumentiert, daß durch die „zentralistischen" Bestrebungen der Demokratie, durch den Versuch, den Volkswillen einheitlich zu organisieren, die Selbstverwaltung der Kommunen ausgehöhlt worden sei27. So hatte die Durchsetzung des demokratischen Wahlrechts auch

bei Gemeindewahlen nach Ernst Forsthoff nicht etwa den Effekt, daß sie die Selbstverwaltung beflügelte, sondern daß sie „die Gemeinden den politischen Parteien auslieferte und damit die Politisierung noch förderte". Diese Politisierung aber habe dazu geführt, daß die Stadtvertretungen sich nicht mehr um „die wahren kommunalen Aufgaben und Belange" kümmerten, sondern quasi spiegelbildlich zu den Parlamenten „in unfruchtbaren politischen Auseinandersetzungen" gefangen gewesen seien28. Galt daher schon für Forsthoff der Grundsatz, daß konsequent verwirklichte Demokratie Selbstverwaltung ausschließe29, nahm sogar ein so engagierter Vertreter kommunaler Belange wie Kurt Jeserich nach der „Machtergreifung" diesen Faden wieder auf, um die Demokratie zum „naturgegebene^] Feind der Selbstverwaltung" zu erklären30. An die Stelle der demokratischen Legitimierung gemeindlicher Selbstverwaltung trat im Nationalsozialismus der „Grundsatz der unbeschränkten Führerverantwortlichkeit", demzufolge „Willensbildung und Vollzug (Führung und Durchführung) in einer 26

(Fiehler), Deutsche Gemeindeordnung,

S. 3. Fiehler selbst äußerte sich in ähnlicher Weise: „Man darf nur nicht das Wesen der Selbstverwaltung darin sehen, dass die Bevölkerung die Organe, die die Selbstverwaltung führen, selber wählen müsste. Das Wesen der Selbstverwaltung besteht meines Erachtens nicht darin, sondern für die Selbstverwaltung ist wesentlich, dass Männer, die mit der örtlichen Volksgemeinschaft vertraut und in ihr verwurzelt sind, die Geschicke der Gemeinde in der Hand haben und sie so leiten, dass die Verbindung zwischen der Gemeindeverwaltung u. der Bürgerschaft aufrechterhalten und damit das Interesse der Bürger

ihrer

eigenen Selbstverwaltung wachgehalten wird." Pressemanuskript (wie Anm. 1), S. 6. angesichts der fehlenden Partizipationsmöglichkeiten schon als Sarkasmus angesehen werden, wenn solcher Fiehler nicht völlig ferngelegen hätte. S. 21. an

Der letzte Nebensatz könnte

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30

Vgl. Forsthoff, Krise, Ebenda, S. 61, 64. Ebenda, S. 21. Für Köttgen, der nicht von „einem grundsätzlichen Gegensatz zwischen Demokratie und Selbstverwaltung" ausgehen mochte, hatte „nicht die Demokratie [...] eine Krise der Selbstverwaltung heraufbeschworen, sondern die Denaturierung der Demokratie in dem Parteienstaat". Köttgen, Krise, S. 46f. Jeserich, Die Gemeinde im nationalsozialistischen Staat, in: Der Gemeindetag 27 (1933), S. 309311, hier 310. Solche Thesen genügten übrigens keineswegs, um Jeserich in den Augen der Nationalsozialisten von dem Verdacht zu befreien, immer noch allzu demokratisch eingestellt zu sein, vgl. unten, S. 96f.

3.

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Hand" vereint werden müßten. Nur so könne eine „geschlossene, einheitliche, schlagkräftige und straffe Verwaltungsführung" gewährleistet werden31. Anders als in den offiziellen Kommentaren der DGO wurden in der Rechtswissenschaft sogar vorsichtige Zweifel angemeldet, ob in der Abkehr von Wahl- und Repräsentationsprinzipien auf Gemeindeebene nicht die „Gefahr des Abgehens vom nationalpolitischen Endziel der Stein'sehen Selbstverwaltung" läge, denn hielte man die Bürger von der Tätigkeit des Gemeinwesens fern, „so führt das nur zu leicht zu einem Erlahmen des staatspolitischen Interesses des Volkes, welches sich ausgeschlossen fühlt von der Mitwirkung am Staatsleben und zumal von der Bestimmung seiner ureigensten Angelegenheiten". Während der Jurist Alfred Melzer eine Lösung dieses Problems etwa in „Wahlen" nach vorgegebenen Listen sah, bei denen die Gemeindebürgerschaft einzelne Personen hätte bestätigen können, verzichtete die DGO ganz auf den Effekt einer solchen, „und sei es auch nur scheinbaren, Möglichkeit der Einflußnahme"32. Zwar waren solche Partizipationsformen im Entstehungsprozeß der DGO noch zur Sprache gekommen, ließen sich aber nicht durchsetzen, wohingegen der Vorrang des „Führerprinzips" in der Gemeindeverwaltung bald unstrittiger Bestandteil aller Entwürfe zur neuen Gemeindeordnung wurde33. Im Text der Gemeindeordnung schlug sich das „Führerprinzip" an erster Stelle in den Bestimmungen über den Bürgermeister nieder: „Der Bürgermeister führt die Verwaltung in voller und ausschließlicher Verantwortung" (§ 32, Abs. 1). Von dieser Regelung waren nur die Angelegenheiten ausgenommen, in denen der Beauftragte der NSDAP ein Mitspracherecht hatte. Damit änderte sich der Entscheidungsprozeß an der Gemeindespitze grundsätzlich: Beschlüsse kamen nicht mehr durch eine Mehrheitsentscheidung des Stadtrats zustande, sondern wurden allein vom Bürgermeister gefällt34. Allerdings schrieb die Gemeindeordnung auch vor, daß „wichtige Angelegenheiten der Gemeinde mit den Gemeinderäten zu beraten" (§ 55, Abs. 1) seien, und im Anschluß an diese Bestimmung wurden all die Gegenstände von der Änderung der Gemeindegrenzen bis hin zu außerplanmäßigen Ausgaben benannt, bei denen pflichtmäßig eine Stellungnahme der Gemeinderäte einzuholen sei. Trotzdem blieben de jure die Einbußen für die Stellung der Gemeinderäte erheblich: Den Bürgermeister „eigenverantwortlich zu beraten" war kaum mit der -

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Alle Zitate aus der Gesetzesbegründung, (Fiehler), Deutsche Gemeindeordnung, S. 3. Melzer, Wandlung, S. 186-189 (Zitate S. 186f. und 189). Vgl. Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 138-146. Schon seit der „Machtergreifung" hatte auch die Presse die „selbstverständliche" Entwicklung der Kommunalverfassung im neuen Reich mit vorbereitet, vgl. z.B. den in Anm. 30 erwähnten Artikel von Kurt Jeserich oder als weitere Beispiele „Wie lange werden Bürgermeister noch gewählt?", in: Frankfurter Zeitung vom 17.8.1933, und „Die Neuordnung der Gemeindeverfassung", in: München-Augsburger Abendzeitung vom 10.10.1933: „Es würde auf die Dauer nicht angehen, daß die bisherige Form, Entscheidungen durch Abstimmung herbeizuführen, in den höheren Instanzen beseitigt wird, dagegen in den engeren Verhältnissen der Städte und Gemeinden weiter bestehen bleibt." „Wo wären der Führergedanke und das Autoritätsprinzip geblieben, wenn wir den Gemeinderäten ein gleiches Recht wie jenen Parlamentariern der Vergangenheit eingeräumt hätten!" Schön, Gemeinderäte, S. 7. Vgl. 1. Durchführungsverordnung, § 9: „Soweit bisher Gemeindevertretungen, Ausschüsse, Deputationen u.a. oder der kollegiale Gemeindevorstand zu Beschlüssen, Entscheidungen oder Wahlen zuständig waren, tritt an ihre Stelle der Bürgermeister." (Fiehler), Deutsche Gemeindeordnung, S. 67.

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früheren Teilhabe am eigentlichen Beschluß zu vergleichen (§ 48, Abs. 1). Darüber hinsollten die Gemeinderäte noch eine Art Vermittlungsinstanz zwischen Bürgerschaft und Verwaltung darstellen. Sie waren aber nicht mehr gewählte Inhaber eines politischen Mandats der Bürgerschaft, sondern galten als bestellte „Ehrenbeamte", für die dann in den Städten auch die altertümliche Bezeichnung „Ratsherren" gewählt wurde35. Daß de facto die gesetzliche Neuregelung von 1935 durch die „Gleichschaltung" der Kommunalpolitik in München und anderen Städten vorbereitet worden war und deshalb keinen radikalen Bruch der herrschenden Verhältnisse bedeutete, ist erwähnt worden. Da die Vertreter des Einparteienstaates sich schon vorher darum bemüht hatten, ein Bild politischer Einmütigkeit abzugeben, und selbst nach etwas kontroverseren Diskussionen fast immer geschlossen mit dem Bürgermeister abgestimmt hatten, war die mehrheitliche Beschlußfassung ohnehin längst ihres ursprünglichen Sinns entkleidet worden. Besonderer Wert wurde in der DGO allerdings darauf gelegt, nicht mehr vom Gemeinde- oder Stadtrat als kollegialer, politischer Vertretungskörperschaft zu sprechen, sondern nur noch Gemeinderäte (in den Städten „Ratsherren") als „einzelverantwortliche, sachverständige Berater" zu kennen36. An die Stelle der Kommunalwahlen traten jetzt spezielle Berufungsverfahren zur Bestimmung der haupt- und ehrenamtlichen Funktionsträger in der Gemeinde, in die jeweils auch Partei- und staatliche Instanzen eingeschaltet waren. Die Gemeinderäte wurden vom Beauftragten der NSDAP „im Benehmen mit dem Bürgermeister" auf sechs Jahre berufen (§51, Abs. I)37. Der Parteibeauftragte durfte selbst nicht Gemeinderat sein (§ 50), stand überhaupt außerhalb der städtischen Verwaltung und war nur der Partei verpflichtet38, für die er die Auswahl von geeigneten Persönlichkeiten garantieren sollte. Eine Ausführungsverordnung von Rudolf Heß sah schließlich vor, daß in der Regel der Kreisleiter das Amt des Parteibeauftragten ausüben sollte, in § 1 dieser Verordnung hieß es jedoch: „Die Aufgaben des Beauftragten der NSDAP, für die Stadt München behält sich der Führer und Reichskanzler selbst vor."39 Diese Hervorhebung Münchens aus dem Kreis der anderen Städte, die wenig später durch die Ernennung zur „Hauptstadt der Bewegung" fortgesetzt wurde, galt als große Auszeichnung. Der Frankfurter Zeitung war aber wohl recht zu geben, daß damit „in besonderem Maße offenkundig gemacht [mí], wie sehr die Partei gegenüber München als dem Ausgangspunkt der nationalsozialistischen Bewegung ein Patronatsverhältnis wünscht"40. Zwar aus

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Vgl. § 48 der DGO und die 1. Ausführungsbestimmung dazu, wo es u.a. heißt: „Die Gemeinderäte sind nicht wie die früheren Gemeindevertreter Inhaber eines Mandats, das ihnen eine politische Partei und die Wahl der Bürgerschaft verlieh, sondern auf Grund besonderen Berufungsverfahrens ausgewählte Ehrenbeamte der Gemeinde." Ebenda, S. 111.

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Bemerkenswert hierzu die Interpretation von Sommer, für den ausgerechnet der Parteibeauftragte das demokratische Prinzip ersetzt: „Wenn aber der Grundsatz, daß die Gemeinde ihre eigenen Organe selbst berufen soll, damit eine echte Selbstverwaltung besteht, gewahrt werden soll, so muß bei der Berufung der Gemeinderäte irgendwie die Stimme des Volkes zur Geltung kommen. Geht man davon aus, daß die NSDAP, das Volk repräsentiert, so lag es nahe, dem Beauftragten der NSDAP, die Berufung der Gemeinderäte anzuvertrauen." Sommer, NSDAP, und Gemeinde, S. 22. Vgl. Löw, Kommunalgesetzgebung, S. 223.

Vgl. Schaben, Selbstverwaltung, S. 18-20. 6. Verordnung zur Ausführung des § 118 der Deutschen Gemeindeordnung vom 26.3.1935, (Fiehler), Deutsche Gemeindeordnung, S. 194f. Frankfurter Zeitung vom 3.4.1935: „Das Münchener Beispiel".

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nahm Hitler in der Regel sein Amt als Parteibeauftragter nicht selbst wahr, sondern delegierte seine Befugnisse an den Leiter der Reichskanzlei, Reichsminister Lammers, aber er konnte auf kurzem Wege die städtische Personalpolitik mitbestimmen41. Das sei an einem Beispiel verdeutlicht: Als er 1935 feststellte, daß das Münchner Kulturamt nicht zu seiner Zufriedenheit arbeitete, veranlaßte er eine sofortige Umstrukturierung des Amtes, die das Ausscheiden des bisherigen Leiters Hans Zöberlein und des Abteilungsleiters für Bildende Kunst, Hans Flüggen, mit sich brachte. Sie mußten nicht nur ihre dortige Position aufgeben, sondern kamen auch für eine Berufung als Ratsherren nicht mehr in Frage42. Das Amt wurde künftig verwaltungsmäßig vom bisherigen Abteilungsleiter für Literatur und Theater, Max Reinhard, geleitet, sollte aber in künstlerischen Fragen Orientierung vor allem durch neu ernannte Kunstbeiräte erhalten. Hierzu äußerte Hitler ganz konkrete Personalwünsche, die dazu führten, daß unter den neuberufenen Ratsherren am 1. Oktober 1935 auch die als Kunstbeiräte vorgesehenen Professoren Leonhard Gall, Richard Klein und Ferdinand Liebermann waren43. Ansonsten rekrutierten sich die neuen Ratsherren aus dem alten Stadtrat, wobei allerdings die Gelegenheit benutzt wurde, anläßlich der von der DGO vorgeschriebenen Verkleinerung auf 36 Ratsherren (§ 49) einige weitere Stadträte loszuwerden, die sich nicht im Sinne der Partei bewährt hatten. Beiräte wie die erwähnten Kunstbeiräte sollten nach der DGO zur „beratenden Mitwirkung für einen bestimmten Verwaltungszweig" bestellt werden, um damit wie früher durch die Einrichtung der Ausschüsse die Sacharbeit auf einen kleineren Kreis von Personen zu konzentrieren44. Die Beiräte waren freilich nicht wie nach der noch die Ausschüsse45 entscheidungsberechtigt. Als Bayerischen Gemeindeordnung Besonderheit war vorgesehen, daß neben Gemeinderäten auch „andere sachkundige Bürger" zu Beiräten bestimmt werden konnten (§ 58). Das war etwa bei den Kunstbeiräten der Fall, weil Fiehler neben Gall, Klein und Liebermann weitere aktive Künstler in dieses Amt berief46. Für die eigentliche Verwaltungsarbeit waren weiterhin berufsmäßige Beamte zuständig, die nach der neuen Gemeindeordnung „Beigeordnete" hießen. Sie sollten den Leiter der Verwaltung, den Bürgermeister, in ihrem Arbeitsgebiet vertreten, wobei er die -

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Die Angelegenheit hat allerdings zwei Aspekte: Während einerseits die Beziehungen Münchens zur Zentrale gestärkt wurden, erhielten andererseits die lokalen Parteiautoritäten einen Dämpfer. Adolf Wagner hatte mit Sicherheit gehofft, daß analog zum Berliner Modell, wo ebenfalls in einer Ausnahmeregelung Goebbels als Gauleiter die Parteibeauftragten-Funktion übernahm, er in München zum Zuge käme, mußte sich aber ähnlich wie schon in der Reichsstatthalter-Frage wieder um eine zusätzliche Säule der Macht betrogen sehen. Vgl. Diehl-Thiele, Partei und Staat, S. 160f. Tempel an Bouhler, Kanzlei des Führers, 13.8.1935, StadtAM, BuR 241/3. Vgl. dazu den Briefwechsel Tempels mit der Kanzlei des Führers vom August 1935 sowie die Liste der zum 1.10.1935 berufenen Ratsherren ebenda. Hier auch zum Ausscheiden einiger Gemeinderäte 1935. -

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Vgl. Pfitzer, Beiratsgedanke, S. 29. Vgl. Art. 22, Abs. II, der Bayerischen Gemeindeordnung von 1927, (Helmreich/Rock), Bayerische Gemeindeordnung, S. 9. Vgl. Sitzung der VFB-Beiräte vom 17.12.1935, in der Fiehler die Neuberufung der Kunstbeiräte bekanntgab; unter ihnen etwa der bekannte nationalsozialistische Maler Adolf Ziegler, RP StadtAM,

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Berechtigung hatte, jede Angelegenheit auch selbst zu übernehmen (§ 35, Abs. 2). Bei der Berufung der Beigeordneten wie auch des Bürgermeisters war wieder der Parteibeauftragte eine Schlüsselfigur, weil er nach Beratung mit den Gemeinderäten die Vorschläge aus den eingegangenen Bewerbungen erarbeiten sollte, zu denen dann die Aufsichtsbehörden bzw. der Reichsstatthalter ihre Zustimmung geben mußten47. Obwohl im entsprechenden Paragraphen über die Stellenbesetzung die Ausschreibung freier Stellen prinzipiell vorgesehen war, machte man in München vor allem seit der Kriegszeit häufig von der Ausnahmemöglichkeit (§ 41, Abs. 4) Gebrauch, auf eine solche Ausschreibung zu verzichten48. Eine gesetzliche Regelung für die Dauer des Krieges gestattete außerdem, die Amtszeiten automatisch zu verlängern und von formalen Wiederberufungen abzusehen. Offenbar um die Öffentlichkeit vom Weiterfunktionieren einer geordneten Verwaltung zu überzeugen, wurde in München am 15. September 1943 dennoch die Wiederberufung von Oberbürgermeister Fiehler, des Stadtschulrats Josef Bauer und des Wohnungsreferenten Guido Harbers, deren bisherige Amtszeiten ausgelaufen waren, in einer außerordentlichen Sitzung der Ratsherren mit Reichsminister Lammers feierlich inszeniert49. Die Wiederberufung erfolgte, wie in der DGO vorgesehen, auf 12 Jahre (§ 44, Abs. 1). Die Möglichkeit der Abberufung innerhalb des ersten Amtsjahres war ebenfalls vorgesehen (§ 45, Abs. 1), und sie kam in München auch zur Anwendung, als 1939 der Beigeordnete für das Wohlfahrtswesen für ungeeignet be-

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funden wurde50. Der Verzicht auf Ausschreibungen oder die formlose Verlängerung von Amtszeiten waren nur die ersten Anzeichen der im Krieg betriebenen Aushöhlung von Normen und Regelungsmechanismen der Verwaltung. Unter dem Signum „Vereinfachung der Verwaltung" mußten die Gemeindevertreter etwa hinnehmen, daß die Prinzipien der DGO teilweise außer Kraft gesetzt wurden und die Aufsichtsbehörden eine generelle und sich damit auch auf Selbstverwaltungsangelegenheiten erstreckende Weisungsbefugnis gegenüber den von ihnen beaufsichtigten Gemeinden erhielten51. München lie47

Nach § 41 der DGO sollte der Parteibeauftragte nach Beratung mit den Gemeinderäten in nichtöffentlicher Sitzung bis zu drei Bewerber vorschlagen (bei Stellen von Beigeordneten war zuvor dem Bürgermeister Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben mehr Einfluß wurde ihm nicht zugedacht). Abhängig von der Größe und Position (kreisangehörige Städte, Stadtkreise etc.) der Gemeinde waren diese Vorschläge dann durch die Aufsichtsbehörde entweder dem Reichsinnenminister, dem Reichsstatthalter oder der oberen Aufsichtsbehörde weiterzugeben, die ihre Zustimmung erteilen mußten und, falls durchaus keine Einigung zu erzielen war, auch selber einen Kandidaten berufen konnten. (Fiehler), Deutsche Gemeindeordnung, S. 93f. Schon im Oktober 1939 wurden unter Verzicht auf öffentliche Ausschreibung Karl Meitinger als Stadtbaurat und Karl Ortner als Wohlfahrtsdezernent berufen, im Frühjahr 1941 verzichtete man bei den Berufungen von Karl Leitmeyer zum Beigeordneten für das Betriebs- und Lebensmitteldezernat und Richard Vilsmaier für das Bezirkspolizeidezernat ebenfalls auf solche Ausschreibungen, vgl. BayHStA, Reichsstatthalter Epp 271. Niederschrift über die außerordentliche Sitzung der Ratsherren unter dem Vorsitz von Reichsminister Lammers am 15.9.1943, StadtAM, Personalakt Guido Harbers 12024/1, Bl. 178-185. Im Einvernehmen mit Innenminister Wagner nahm der Reichsstatthalter von Epp am 22.3. 1939 die Berufung des Beigeordneten für das Wohlfahrtswesen zurück, der erst am 1.4.1938 als Nachfolger des verstorbenen Friedrich Hilble ins Amt gekommen war. Die Stadt hatte um die Entlassung gebeten, weil der neue Referent zu wenig Engagement in seinem Amt gezeigt habe. StadtAM, Personalakt Paul Schloimann 11058. Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Vereinfachung der Verwaltung vom 28.8.1939, in: RGB1. 1939/1, S. 1535-1537, hier 1536. Löw, Kommunalgesetzgebung, S. 107, 221. -

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fert trotz der relativen Prominenz seines Bürgermeisters und dessen nachdrücklichen Eintretens für den Erhalt der Selbstverwaltung typische Beispiele dafür, wie unter dem Deckmantel der „Kriegsnotwendigkeit" die Autonomie der Gemeinde immer öfter verletzt wurde. Als 1942 (nach dem Tode Sieberts) die bayerische Regierung zu einer EinMann-Herrschaft Adolf Wagners und nach dessen Schlaganfall im gleichen Jahr Paul Gieslers umfunktioniert wurde, waren den schon vorher auftretenden Despotiebestrebungen gespeist aus der Personalunion von Regierungs- und Gauleiter-Amt und den zusätzlichen Kompetenzen als Reichsverteidigungskommissar weitere Türen geöffnet: „Eifrig unterstützt und angefeuert von seiner nächsten Umgebung griff er [Paul Giesler] nun tagtäglich und auf den verschiedensten Sachgebieten in die Stadtverwaltung ein, gab pochend auf seine Befugnisse als Reichsverteidigungskommissar impulsive Befehle, die wohlüberlegte und erprobte Anordnungen des Oberbürgermeisters über den Haufen warfen, diktierte in reinen Ermessensfragen der städtischen Selbstverwaltung, auch in technischen Fragen der Stadtwerke, traf Anweisungen in Bezug auf Angelegenheiten der inneren Organisation der Stadtverwaltung, bestimmte einzelne Stellenbesetzungen usw."52 Die Schilderung des persönlichen Referenten Fiehlers, Heinz Jobst, mag von dessen Sympathien für seinen unmittelbaren Vorgesetzten geprägt sein, bestätigt aber im Grunde nur am lokalen Beispiel die Ergebnisse der Forschung auf diesem Gebiet53. Trotz der bereits erheblichen Machtexpansion des Ministeriums bzw. der Gauleitung hätte eine Kommune wie München noch mehr Kompetenzen behalten können, wenn die Angriffe auf ihre Bastion nur von einer Stelle aus erfolgt wären. „Die immer weitergehende vertikale Aufspaltung der Reichs- und Länderverwaltung in Fachbehörden mit eigenem Unterbau" aber zeigte auch in der „Hauptstadt der Bewegung" ihre Auswirkungen54. Hier liegt es nahe, besonders das Bauwesen hervorzuheben, in dem die Stadt praktisch in jeglicher Eigeninitiative beschränkt, kontrolliert und schließlich lahmgelegt wurde. Der Generalbevollmächtigte für die Bauwirtschaft, Fritz Todt, mit seinen Gebietsbeauftragten war seit 1938 die Instanz, an der die Gemeinden bei keinem Bauvorhaben mehr vorbeikamen. Dabei galt als oberstes Gebot im Bauwesen die „Kriegswichtigkeit", die zu einem abgestuften System von Bausperren, Kontingentierungen von Baustoffen und beschränkten Einsatzgenehmigungen für Arbeitskräfte führte. Für den Wohnungsbau etablierte sich seit 1940 als führerunmittelbare Sonderbehörde der „Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau". Robert Ley konnte in dieser Eigenschaft die traditionelle Ressortzuständigkeit des Reichsarbeitsministeriums schließlich ganz unterlaufen und sich zur ranghöchsten Instanz im Wohnungswesen aufschwingen. In München machten sich die Auswirkungen neu etablierter Machtzentren im Bauwesen noch unmittelbarer bemerkbar, weil seit Ende 1938 mit der Einrichtung -

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Exposé Heinz Jobsts „Zu meiner kommunalpolitischen Tätigkeit" (1947), S. 7, Amtsgericht München, Registratur S, Spruchkammerakt Heinz Jobst. Vor allem Hüttenberger, Gauleiter, bes. Kap. IV; Noakes, Oberbürgermeister, bes. S. 225. Deutscher Gemeindetag, Beigeordneter Schlüter, an den Vorsitzenden Fiehler, 5.11.1941, betr. „die kommunalpolitische Entwicklung seit 1933" ausführlich zur „Verlustliste der gemeindlichen Selbstverwaltung" (Zitate S. If.), StadtAM, Bayerischer Städtetag 78/1.

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eines „Generalbaurats", der ebenfalls Hitler direkt unterstand, auch die Zuständigkeides Stadtbauamtes und Wohnungsdezernates zu guten Teilen abgelöst wurden55. Die Gemeinden konnten gegen die Machtexpansion der bisher zuständigen Stellen, gegen den Aufbau von Sonderbehörden und die Ansprüche von „Beauftragten des Führers" kaum wirksame Gegenwehr entwickeln. Das heißt nicht, daß alle Kommunalpolitiker widerspruchslos auf die traditionellen und in der DGO noch teilweise gewährleisteten Rechte verzichtet hätten. Karl Fiehler und seine Mitstreiter protestierten gegen die Erosion ihrer Kompetenzen und machten auf die Gefahren für die bisher geltenden Verwaltungsprinzipien aufmerksam: „Das allgemeine Bild ergibt, dass die Zentralinstanzen statt zu regieren verwalten und bis ins einzelnste reglementieren und dass daher die gesamte Verwaltung und damit auch die Bevölkerung, der die Verwaltung zu dienen hat, unter einem grauenvollen, die Schlagkraft der Verwaltung lähmenden und die Verantwortungsfreudigkeit der Verwaltenden tötenden Zentralismus leiden. Die Gemeinden werden in grösstem Umfange von oben her verwaltet und gegängelt, sie haben weitgehend nicht mehr selbstverantwortlich Aufgaben zu lösen, sondern befehlsgemäss Tätigkeiten zu verrichten. Sie sind auf dem besten Weg, nur noch Befehlsautomaten übergeordneter Stellen zu sein."56 Der Ton, den die kommunalpolitischen Vertreter in dieser allerdings nicht für weitere Kreise bestimmten Denkschrift anschlugen, ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Im weiteren kritisierten sie, daß den Gemeinden zwar alle Zuständigkeiten weggenommen würden, die Finanzierung ihnen im allgemeinen aber überlassen bleibe, und daß für Parteistellen oder andere Behörden nur „die Jagd nach Zuständigkeiten, der Kampf um die Ressorterweiterung und der Wunsch nach Popularität" entscheidend seien, „auf sachliche Organisationsgrundsätze" aber keine Rücksicht genommen werde57. Die Denkschrift beschränkte sich nicht darauf, defensiv die „claims" der Gemeinden zu verteidigen und vor Ansprüchen Dritter in Schutz zu nehmen, sondern sie ging auch in die Offensive und verlangte für die Gemeinden Beteiligung an der „Menschenführung". Auch die Gemeinden müßten Führungsaufgaben und Verantwortung übernehmen, in ihrer Zuständigkeit für die Entwicklung der örtlichen Gemeinschaft genüge es eben nicht, wenn sie die Kommunalverwaltung lediglich als mechanischen Gesetzesvollzug begriffen. Auch läge kein Sinn in der von Parteiseite gesteuerten Auswahl der Gemeindeführer, wenn man ihnen jede wirkliche eigenverantwortliche Führungsaufgabe entzöge58. Mit solchen Thesen wagte sich die Denkschrift schon recht weit vor, denn ten

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Zu der hier nur umrissenen gewaltigen Beschränkung der städtischen Handlungsfreiheit im Bauwesen während der Kriegszeit Details unten, S. 384ff. Undatierte Denkschrift über die „Kommunalpolitische Entwicklung seit 1933", S. 2, StadtAM, Bayerischer Städtetag 78/1. Das Material für die Denkschrift wurde 1941 auf Initiative von Fiehler vor allem mit Hilfe des Deutschen Gemeindetags gesammelt und von einem Mitarbeiter des Hauptamtes für Kommunalpolitik, Dr. Hassinger, zusammengestellt ein Beispiel für die gemeinsame Interessenvertretung beider Organisationen, die vor allem über Fiehler als Integrationsfigur funktionierte. Aus dem Akt geht hervor, daß die Denkschrift offenbar nur intern zirkulierte und nur mit Genehmigung Fiehlers etwa an den Reichsbeamtenführer weitergegeben wurde. -

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Ebenda, S. 6. Ebenda, bes. S. 9-18. Diese Argumentation konnte sich freilich auf die DGO stützen, die den Gemeinden ja gerade die Eigenverantwortlichkeit und dem Bürgermeister Führungsaufgaben zugestanden hatte, vgl. oben, S. 84f.

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das Monopol der Partei in der „Menschenführung" war bei aller Schwierigkeit in der konkreten Definition des Begriffs von der Parteileitung als quasi sakrosankt erklärt worden und sollte im andauernden Dualismus zwischen Partei und Staat den politischen Führungsanspruch der Bewegung sichern59. Die Repräsentanten der Kommunalpolitik hatten mittlerweile aber erkennen müssen, daß dieser Anspruch längst nicht mehr als eine allgemeine politische Steuerungsfunktion begriffen wurde, sondern ihnen tagtäglich und in ihren traditionellen Verwaltungsaufgaben begegnete. Sie fanden deshalb auch zu einem schärferen Ton60. Am 1. Dezember 1943 veröffentlichte der persönliche Referent Fiehlers, Heinz Jobst, einen Artikel über „Gegenwartsfragen nationalsozialistischer Kommunalpolitik" in der „Nationalsozialistischen Gemeinde" dem Organ des Hauptamtes für Kommunalpolitik -, in dem er fast wörtlich die Argumentation der Denkschrift, die freilich nur auf inoffiziellen Wegen und in kleinem Kreis verbreitet worden war, wieder aufgriff61. Noch deutlicher allerdings wurde hier das Menschenführungsmonopol der Kritik unterzogen und sogar lächerlich gemacht: „Im weitesten und profanen Sinne hat auch der Beruf des Berg- oder Fremdenführers .Menschenführung' zum Gegenstand."62 Mit solch unheiliger Glossierung eines Dogmas mußte Jobst geradezu zwangsläufig den Widerspruch von Parteistellen erregen. Der Aufschrei seitens der Parteikanzlei blieb dann auch nicht aus, und Jobst war gezwungen, in einem fünfseitigen Rechtfertigungsschreiben an Staatssekretär Gerhard Klopfer zu versuchen, die Scherben wieder zu kitten63. Ob Klopfer bei dieser Gelegenheit tatsächlich äußerte: „Wenn der Führer davon erfährt, sind Sie ein toter Mann", ist schwer zu beurteilen, weil Jobst selber das zu seiner Entlastung im Spruchkammerverfahren anführte64. In jedem Fall war er in den letzten Jahren des Krieges ständigen Schikanen durch die Partei zu deren Werkzeug in dieser Sache sich vor allem Christian Weber machte ausgesetzt, überstand aber dennoch das Ende des „Dritten Reiches" auf seinem Posten65. Dieser Vorgriff auf die Kriegszeit sollte deutlich machen, daß das durch die DGO im Prinzip noch erhaltene, wenn auch stark eingeschränkte Recht der Selbstverwaltung durch die Inflation der Machtzentren im Führerstaat de facto beseitigt wurde. Die -

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Vgl. Rebentisch/Teppe, Einleitung, S. 7-32, bes. 23-32.

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(Hrsg.), Verwaltung

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Menschenführung,

Vgl. Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 232-234, auch zu der im folgenden geschilderten Auseinandersetzung. NS-Gemeinde 11 (1943), S. 177-182, bes. 180. Vgl. Noakes, Oberbürgermeister, S. 221f. Jobst, Gegenwartsfragen, S.180, Anm. 32. Jobst an Klopfer, 11.3.1944, StadtAM, BuR 452/4. In diesem Scheiben versuchte Jobst, sich hinter die Position von Fiehler zurückzuziehen, um Schutz zu finden: „Aufgrund mannigfacher Beobachtungen befürchtet der Reichsleiter gegenwärtig eine personelle Krise der Selbstverwaltung, die dadurch heraufbeschworen zu werden droht, daß hie und da versucht wird, die führenden Männer der Selbstverwaltung zu blutarmen Verwaltungsmechanikern zu stempeln" (S. 2). Tatsächlich hatte der Ministerialdirektor im Stab Heß, Sommer, schon 1939 geäußert, daß der Bürgermeister nichts als ein „Tintenkuli" sei. Zitiert nach Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 232, Anm. 16. Lebenslauf vom 30.9.1946, S. 8, Amtsgericht München, Registratur S, Spruchkammerakt Heinz Jobst. Dazu mit vielen Beispielen für Angriffe gegen Jobst und einer Reihe von Zeugenaussagen zu seinen Gunsten wiederum sein Spruchkammerakt, ebenda. Jobst ging als „entlastet" aus dem

Spruchkammerverfahren hervor.

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Kommunalpolitik

Gemeindeordnung von 1935 stand also keineswegs am Schlußpunkt der Entwicklung des nationalsozialistischen Gemeindeverfassungsrechts, sondern kann lediglich als der letzte normenstaatliche Versuch zu seiner Kodifizierung angesehen werden, der später durch die maßnahmenstaatliche Dynamik überholt wurde. Hauptamt für Kommunalpolitik und Deutscher Gemeindetag von 1935 legte die Aufgaben, Befugnisse und Wirkungskreise der Gemeinden fest, änderte den Aufbau der gemeindlichen Hierarchie und Verwaltung und definierte das Verhältnis zwischen Gemeinden, Partei und Staat neu. Unabhängig davon und schon früher schufen die Nationalsozialisten neue Organisationen zur Vertretung übergeordneter kommunalpolitischer Belange, die ebenfalls nach den Bedingungen des NS-Regimes funktionieren sollten. So gingen die Wurzeln des „Hauptamtes für Kommunalpolitik" auf das Jahr 1927 zurück, als Hitler im Anschluß an den Reichsparteitag Karl Fiehler zum Referenten für kommunalpolitische Fragen innerhalb der NSDAP berief. Fiehler an der Spitze repräsentierte das Element der Kontinuität, während das kommunalpolitische Referat selber zahlreiche Umorganisationen erfuhr66 und über den Zwischenschritt einer Abteilung im September 1933 zum „Amt für Kommunalpolitik" aufgewertet wurde. Der letzte Schritt wurde dann am 16. November 1934 getan, als Reichsorganisationsleiter Ley in einer Anordnung das „Hauptamt für Kommunalpolitik" schuf67. Wenig später legte er auch die Zwitterstellung des Hauptamtes innerhalb der Reichsleitung fest, das zwar „verwaltungsmäßig, personaltechnisch, organisatorisch und disziplinär" dem Reichsorganisationsleiter unterstand, politisch aber dem Stellvertreter des Führers zugeordnet war68. Für die Praxis bedeutete das etwa, daß alle Stellungnahmen des Hauptamtes zu Gesetzesvorhaben über den Stab des Stellvertreters des Führers eingeholt und von dort auch weitergeleitet wurden. Damit ist auch schon eine wesentliche Aufgabe des Hauptamtes bezeichnet, das sowohl auf der Ebene der politischen Führung beratend tätig werden sollte, wo die Rechte und Pflichten der Gemeinden berührt waren, als auch die „Beratung und Betreuung aller Partei- und Volksgenossen in kommunalpolitischen Fragen" zu übernehmen hatte. Sein Auftrag gerade „nach unten" hin ging aber weiter: Erziehung und Schulung der „Volksgenossen" in Fragen der Gemeindepolitik und des Gemeinderechts, mehr noch „Ausrichtung der gesamten fachlichen Arbeiten der Gemeinden und Gemeindeverbände nach dem politischen Willen der nationalsozialistischen Führung" sollten vom Hauptamt geleistet werden69. In der Praxis konnte das

Die DGO

Über den Vorgänger Leys als Reichsorganisationsleiter von

1928 bis 1932 urteilte Fiehler spä„Dann kam durch Gregor Strasser eine reine Organisationswut in die Partei." Sitzungsprotokoll Hauptkammer München-Stadt, 11712.1.1949, Amtsgericht München, Spruchkammerakt Karl Fiehler, Bl. 115. ter:

Zur

Entstehungsgeschichte des Hauptamtes zeitgenössisch (Waldemar) Schön, Das Hauptamt

für Kommunalpolitik, in: NS-Gemeinde 3 (1935), S. 679-683, sowie Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 37-40, 170. Anordnung Leys vom 28.12.1934, in: Verordnungsblatt der Reichsleitung der NSDAP, Folge 88 (Mitte Januar 1935), S. 228f. Diese Zwischenstellung galt auch für einige andere Hauptämter, etwa das für Volkswohlfahrt. Aufgabenbeschreibung nach Organisationsbuch der NSDAP, S. 283f.

3.

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Hauptamt diesem Aufgabenkatalog sicher nur zu einem kleinen Teil gerecht werden,

schon deshalb, weil es sich in allen Feldern auf Beratungstätigkeit beschränken mußte und seine Funktionäre keinerlei Weisungsbefugnis etwa gegenüber Gemeindebeamten oder „Hoheitsträgern" der Partei hatten. Selbst seinen Erziehungs- und Schulungsauftrag konnte das Amt nur sehr begrenzt ausführen, insoweit es nämlich nicht grundsätzlichere „Menschenführungsansprüche" der Partei berührte. „Die Wahrnehmung dieser Aufgaben scheiterte [...] von vornherein daran, daß die ,Hoheitsträger' der Partei, auf deren personalpolitische Entscheidungen allein das Hauptamt hätte Einfluß ausüben können, in aller Regel ausschließlich nach eigenem Gutdünken schalteten und walteten und daß zum anderen dem Hauptamt jede Entfaltung einer politisch-weltanschaulichen Schulungstätigkeit strikt untersagt war, da eine solche ausnahmslos dem Hauptschulungsamt des Reichsorganisationsleiters vorbehalten blieb."70 Fiehler schrieb diesen Satz nach dem Krieg, natürlich in der Absicht, die Tätigkeit und Stellung des Hauptamtes einerseits als in der Partei unbedeutend, andererseits als von Resistenz und Widerstandsgeist geprägt darzustellen. Trotzdem vermitteln auch die zeitgenössischen Quellen den Eindruck, daß dem Hauptamt tatsächlich nur geringe Handlungsspielräume verblieben. Engagierte es sich zu stark in der Beratung und Vertretung der Bürgermeister, intervenierten die staatlichen Aufsichtsbehörden, versuchte es Einfluß auf das gemeindliche Personalwesen zu nehmen, wurde es durch die DAF in seine Schranken gewiesen, und wollte es sich um das kommunale Wohlfahrtswesen kümmern, beanspruchte die NSV alleinige Zuständigkeit71. Diese vielen und häufig auch erfolgreichen Versuche, das Hauptamt nach allen Seiten hin einzuschränken, kulminierten 1939 schließlich in dem Vorhaben des Stabes Heß, die Tätigkeit des Amtes praktisch völlig zu unterbinden. Offenbar hatte die Person Fiehlers aber immer noch genügend Gewicht, um diesen Vorstoß abbremsen zu können; das Hauptamt konnte mit seinen diversen Unterämtern bis zum Ende des Krieges weiterarbeiten72. Da die wesentlichen Aufgaben des Hauptamtes dezentral in den Gemeinden und bei den Parteistellen vor Ort geleistet werden sollten, war ein entsprechender Unterbau wichtig. Dieser folgte der Parteigliederung, das heißt, es gab Gauämter für Kommunalpolitik, Kreisämter und in einzelnen Fällen auch sogenannte Ortsgruppenfachberater, deren Berechtigung allerdings vom Reichsorganisationsleiter in Frage gestellt wurde und die deswegen keine feste Institution wurden73. Bis in die Gauebene hinein sollte sich gleichfalls wenn auch leicht vereinfacht die Referatsgliederung des Hauptamtes -

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Beglaubigte

Abschrift eines Manuskripts von Fiehler über „Deutscher Gemeindetag und Hauptamt für Kommunalpolitik der NSDAP", 13.11.1947, Amtsgericht München, Registratur S, Spruchkammerakt Fiehler, Bl. 41-53, hier 44f. Zu diesen hier nur angedeuteten Schwierigkeiten des Hauptamtes, sich in der Polykratie des „Dritten Reiches" zu behaupten, vgl. ausführlich Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 197-217. Sehr sprechend sind außerdem die Klagen Harbers' über die Verdrängung des Hauptamtes für Kommunalpolitik auf dem Gebiet des Wohnungs- und Siedlungswesens, wiederum durch die DAF und das von ihr geführte Reichsheimstättenamt. Vgl.

z.B. Harbers' Wunschvorstellungen über die „Führungsaufgaben der Gemeinden auf dem Gebiete der Planung sowie der Bau- und Wohnungspolitik", die er am 27.5.1941 an Fiehler übersandte, BArch, NS 25, 1150, Bl. 3-6. Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 212. Vgl. Schön, Hauptamt (wie Anm. 67), S. 680, und Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 174.

I. NS-Herrschaft und

94

Kommunalpolitik

spiegeln, die 1935 in folgender Weise angegeben wurde: 1. Kommunales Recht, Kultur und Schulung 2. Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenfragen 3. Siedlung, Wohnungswesen und Arbeitsbeschaffung 4. Wirtschaft und Energieversorgung 5. Fürsorge- und Wohlfahrtsfragen 6. Sparkassen- und Kreditfragen 7. Finanz- und Steuerfragen 8. Pressewesen und Hauptschriftleitung der „NS-Gemeinde"74. Ebenso wie es bis 1934 gedauert hatte, bis das Hauptamt seine endgültige Bezeichnung und Stellung als Organisation gefunden hatte, gab es noch bis in den Krieg hinein Schwierigkeiten mit der inneren Gliederung und Personalbesetzung des Amtes. Anfang 1934 war eine hauptamtliche Geschäftsführung in München für das Amt etabliert worden, ausgeübt durch die Parteimitglieder und Juristen Waldemar Schön und Dr. Kurt Müller75. Diese Geschäftsführung bildete den festen Kern und beanspruchte von daher auch entsprechende Führungskompetenz, die sie aber häufig erst gegenüber den einzelnen Sachgebietsleitern einklagen mußte. Die Referenten für die einzelnen Sachgebiete übten ihre Tätigkeit ehrenamtlich und meist unter dem Dach ihrer Hauptbeschäftigung aus. Es gab unter ihnen einige Kräfte, die sich als Bürgermeister, im Deutschen Gemeindetag oder an anderer Stelle kommunalpolitisch qualifiziert hatten, aber Fiehler ging zunehmend dazu über, die Referentenposten aus der Münchner Stadtverwaltung zu besetzen, offenbar um auf dem „kurzen Dienstweg" auch die im Hauptamt anstehenden Probleme -

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klären zu können76.

Das bedeutete, um es für unseren Fall zu konkretisieren, daß Guido Harbers als Münchner Wohnungsreferent auch die Abteilung „Siedlung, Wohnungswesen und Arbeitsbeschaffung" des Hauptamtes leitete und die hier anfallenden Aufgaben in seinem Rathausbüro mit seinem dortigen Stab erledigte. Nach dem Krieg stellte Harbers es sogar so dar, als habe die Referenten-Tätigkeit für das Hauptamt seit 1935 nannte er sich in dieser Eigenschaft Hauptstellenleiter und später Reichshauptstellenleiter zu den Dienstaufgaben gehört, deren Erledigung ihm sein Vorgesetzter Karl Fiehler in München übertragen hatte77. Üblich für die berufsmäßigen Stadträte in München war diese Tätigkeit jedenfalls: So gehörten etwa Stadtschulrat Bauer, der Kulturamtsleiter Reinhard oder der Stadtkämmerer Pfeiffer ebenfalls zum Mitarbeiterkreis. Harbers führte das Wohnungs- und Siedlungswesen während der ganzen Zeit der Existenz des Hauptamtes, ungeachtet der vielen Umorganisationen, die zum Beispiel 1935 aus dem Referat eine Hauptstelle machten und diese im Krieg wiederum als Abteilung dem Amt „Gemeindliche Volkspflege" eingliederten78. Die zahlreichen Ansätze zur Umorganisation des Hauptamtes für Kommunalpolitik zeugen im Grunde nur von dessen recht unsicherer Existenz79. Die Geschäftsführung -

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74 75 76

77

78 79

Schön, Hauptamt (wie Anm. 67), S. 680. Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. Ebenda, S. 172.

171.

Verschiedene Schriftstücke Harbers' zu seiner beruflichen Karriere in seinem Spruchkammerakt und Schreiben von Harbers' Rechtsanwalt vom 17.8.1948, S. 3: „Als Untergebener konnte sich auch Harbers dem Drängen des Oberbürgermeisters Fiehler nicht entziehen und übernahm gewisse ehrenamtliche Arbeiten auch für das Kommunalamt, wofür er dann den schönen Titel .Reichshauptstellenleiter' erhielt." Amtsgericht München, Registratur S, Spruchkammerakt Guido Harbers. Vgl. Vorspann zum Repertorium „Hauptamt für Kommunalpolitik" (NS 25) im BArch. Vgl. zu den zahlreichen Neuorganisationsversuchen Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 170-178.

3.

Kommunalpolitische Interessen im „Dritten Reich"

95

wie erwähnt, bestrebt, die Fäden der zergliederten Organisation in der Hand zu halten, konnte sich aber keineswegs sicher sein, daß alle an einem Strang zogen. Selbstbewußte Abteilungsleiter wie Guido Harbers zeigten Neigungen, sich möglichst unabhängig von der Zentrale zu machen. So bemühte sich der Wohnungsreferent schon im Herbst 1934 darum, zumindest seinen „untergeordneten" Schriftverkehr direkt und ohund allen anderen Rene die Geschäftsführung abwickeln zu können, was diese ihm ferenten sehr nachdrücklich verwehrte80. Die Geschäftsstelle arbeitete auch keineswegs immer einhellig mit der eigentlichen Spitze zusammen; Fiehler als Leiter des Hauptamtes mußte mehr als einmal feststellen, daß er nicht die volle Kontrolle hatte. In einem Fall etwa sandte die Zentrale ein Gutachten von Harbers zu einem „Gesetz über Wohnungsaufsicht und Wohnungspflege" als offizielle Stellungnahme des Hauptamtes an die Parteikanzlei weiter, ohne daß die Äußerung Fiehlers abgewartet wurde. Letzterer ließ dann in einem Brief an die Geschäftsstelle seinen ganzen Ärger darüber aus, daß er als Leiter des Hauptamtes übergangen worden war; angesichts der Grundsätzlichkeit und Vehemenz seines Vetos offensichtlich kein einmaliges Vorkommnis: „Ich möchte diesen Fall zum Anlaß nehmen, um ein für allemal klarzustellen, daß ich es unter keinen Umständen billige, wenn von Seiten der Geschäftsstelle des Hauptamtes für Kommunalpolitik aus zu einem so wichtigen Problem wie dem vorliegenden, noch dazu, wenn es sich um einen Gesetzentwurf handelt, selbständig, ohne mir vorher Mitteilung zu machen, Stellung genommen wird."81 Die Geschäftsstelle war gezwungen, Fiehlers sachliche Ergänzungen als nachträgliche Stellungnahme an die Parteikanzlei zu übersenden; weitere Peinlichkeiten erübrigten sich, weil das Gesetzesvorhaben dem „Gesetzesstopp" für alle nicht kriegswichtigen Vorhaben zum Opfer fiel. Die Geschichte des Hauptamtes für Kommunalpolitik zeigt, daß es, obwohl selber ein Parteiamt, immer wieder in Konflikt mit konkurrierenden und meist überlegenen Organen der Partei geriet. Dieses Spannungsverhältnis resultierte aus der ,Multi-Funktionalität' des Hauptamtes, das eben nicht nur das fachlich und politisch zuständige Parteiamt für die Kommunalpolitik war, sondern sich auch und nicht selten vorrangig als Interessenvertretung der Gemeinden verstand82. Deren Selbstverwaltungsanspruch aber mußte trotz der scheinbar vermittelnden Formulierungen der DGO zwangsläufig zu Reibungen mit dem totalitären Anspruch der Partei führen. In seiner Eigenschaft als Interessenvertretung der Gemeinden war das Hauptamt eigentlich der geborene Konkurrent des Deutschen Gemeindetags (DGT). Daß sich hier kein „normales" Konkurrenzverhältnis entwickelte, lag an der besonderen Konstruktion, durch die beide Institutionen aneinander gebunden waren. Der DGT war 1933 aus der zwangsweisen Fusion der bisherigen Vertretungen der Gemeinden und Gemeindeverbände hervorgegangen, die Karl Fiehler als „Beauftragter für die Vereinheitlichung der kommunalen Spitzenverbände" in die Hand genommen hatte. Ganz im Sinne Fiehlers gelang es nicht nur, dem DGT eine Monopolstellung zu verschaffen, sondern diese auch durch ein eigenes Reichsgesetz absichern zu lassen. Im „Gesetz über den Deutschen Gemeindetag" vom 15. Dezember 1933 wurde der DGT war,

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80 81

82

BArch, NS 25, 169, Bl. 89, und 164, Bl. 46/47. Fiehler an die Geschäftsstelle, 24.6.1941, BArch, NS 25, 1131, Bl. 22 (Hervorhebungen im Original), dort auch die weiteren Schriftwechsel zu dem Vorgang. Vgl. Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 202.

I. NS-Herrschaft und

96

Kommunalpolitik

als Körperschaft des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht des Reichsinnenministers unterstand, definiert. Den Gemeinden wurde Zwangsmitgliedschaft auferlegt und der Zusammenschluß zu Vereinigungen, „die gleiche oder ähnliche Zwecke wie der Deutsche Gemeindetag verfolgen", untersagt, so daß als einzige Konkurrenzorganisation tatsächlich das parteieigene Amt für Kommunalpolitik zu betrachten war83. Indem Fiehler aber auch zum Vorsitzenden des DGT gemacht wurde, glaubten die Nationalsozialisten offenbar von vornherein die „Einheit von Partei und Staat" in diesem Fall gewährleisten zu können. Im Gegensatz zu dem später formulierten und ausgedehnteren Aufgabenkatalog des Hauptamtes wurden im Gemeindetagsgesetz nur zwei Aufgaben für den neuen Einheitsverband definiert: 1. „die Gemeinden und Gemeindeverbände durch Beratung und Vermittlung des Erfahrungsaustausches in ihrer Arbeit zu unterstützen" und 2. „auf Anfordern der Reichs- und Landesbehörden zu ihm unterbreiteten Fragen gutachtlich Stellung zu nehmen"84. Eine Teilnahme an der staatlichen Kommunalaufsicht war dem DGT nicht zugedacht85; seiner Aufgabenstellung zufolge war der Verband vielmehr „auf die Rolle eines Hilfsinstrumentes der staatlichen Bürokratie und eines auf kommunale Verwaltungs- und Fachprobleme spezialisierten Beratungsdienstes beschränkt"86. Es waren denn auch nicht diese gesetzlich festgelegten Kompetenzen, die den DGT zur Zielscheibe parteigesteuerter Kritik machten, als vielmehr das praktische Auftreten der Gemeindetagsvertreter. Für Eiferer in der Partei war der DGT ein fortwährender Ausdruck nicht überwundener Verhältnisse der „Systemzeit", gewissermaßen eine Tarnorganisation für Elemente, die sich dem Diktat der Partei nicht zu unterwerfen gedachten. Als bestes Beispiel dieses Abweichlertums galt den Kritikern der geschäftsführende Präsident Kurt Jeserich. Da er die Zentrale des DGT in Berlin leitete und die

tägliche Führung der Geschäfte,

zusammen mit seinem Stellvertreter Zeitler, weitgehend in die Hand genommen hatte, stellte er gleichsam „das Schwarze" auf der Zielscheibe dar, gegen die die Pfeile der Gemeindetagsgegner sich richteten. Jeserich, hieß es in einer Diffamierungsschrift, sei vor der Machtübernahme auf dem „demokratischliberalen Fahrwasser" geschwommen und habe seine Überzeugungen im Grunde nie verändert, auch wenn er jetzt versuche, sich opportunistisch der neuen Staatsführung anzubiedern87. Das Pikante an dieser Attacke war, daß sie offenbar ausgerechnet von der Geschäftsstelle des Hauptamtes ausging, dessen oberster Leiter Fiehler als gleichzeitiger Vorsitzender des DGT mit aller Kraft versuchte, Jeserich und den Gemeindetag als solchen vor der Parteikritik in Schutz zu nehmen88. Hier zeigte sich wieder, daß die Loyalität der Hauptamtszentrale zu Fiehler begrenzt war und daß seine Autorität nicht

Abdruck des Gesetzes in: Der Gemeindetag 28 (1934), S. 2f., hier § 2, Abs. 2. Zur Gleichschaltung der bisherigen kommunalen Spitzenverbände vgl. StadtAM, BuR 432/1. Der Gemeindetag 28 (1934), S. 2, § 2, Abs. 1.

Rehkopp, Verhältnis, S. 165.

Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 218.

gezeichnete und als geheim und vertraulich ausgewiesene Denkschrift „Deutscher Gemeindetag" vom Herbst 1938, die auch Matzerath ausführlich zur Kritik am Gemeindetag referiert, liegt etwa im BDC, Ordner 211, Bl. 298-310 (Zitat Bl. 302), vor. Matzerath, und ich folge ihm darin, ordnet die Denkschrift der Geschäftsführung des Hauptamtes zu, vgl. ders., Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 192, Anm. 162. Vgl. ebenda, S. 189 und passim. Die nicht

3.

Kommunalpolitische Interessen im „Dritten Reich"

97

ausreichte, um solche Invektiven von vornherein zu unterbinden. Immerhin verfügte er aber noch über genügend Ansehen unter den Nationalsozialisten, um selbst vor Attacken gefeit zu sein und ihre letzte Konsequenz zu verhindern: nämlich die Auflö-

Gemeindetages. In der Tat zeigte Fiehler sogar so viel Courage, seine beiden zu eigenmächtig handelnden Geschäftsführer im Hauptamt, Schön und Müller, Ende des Jahres 1938 zu entlassen. Damit war dem Konflikt aber nur vorübergehend die Spitze genommen. Bis zum Ende des Krieges gab es auch unter dem neuen Geschäftsführer Patutschnik immer wieder Versuche, den Gemeindetag endgültig auszuschalten. Daß dieses Vorhaben letztlich nicht gelang, mag eventuell auch an den Anstrengungen der Gemeindevertreter gelegen haben, sich im Krieg unter dem Dach des DGT enger zusammenzuschließen und die kommunalen Belange gemeinsam zu verteidigen89. Sosehr gegen Jeserich zu Felde gezogen wurde, sowenig war zu übersehen, daß es den Parteiaktivisten vor allem um die Ausschaltung der Institution ging, die aber durch ihre im Dezember 1933 verbriefte Stellung vor allzu weitreichenden Eingriffen der Partei geschützt war. Im Gemeindetagsgesetz war die Partei mit keinem Wort erwähnt worden. Zwar sollte das durch eine Anordnung von Heß, die den DGT als „betreute Organisation" des Amtes für Kommunalpolitik auswies, nachgeholt werden, doch weigerten sich die Verantwortlichen im DGT de facto, diese Unterordnung anzuerkennen90. Bis zu einem gewissen Grad geschützt durch die Aufsicht des Reichsinnenministeriums und bestärkt durch die fachliche Kompetenz in den eigenen Reihen, sahen sich die Gemeindetagsverantwortlichen als die eigentliche Interessenvertretung der Gemeinden an91, beanspruchten also genau die Repräsentationskompetenz, die ihnen von Parteiseite bestritten wurde92. Die Kritiker der Gemeindetagspolitik aus dem Hauptamt wollten die Führungsrolle im Kommunalwesen dagegen uneingeschränkt und komprosung des

Ebenda, S. 192-197. Zum DGT in der Kriegsverwaltung ebenda, S. 224, sowie unten, S. 406f. Bekanntgabe Leys vom 11.5.1934, Verordnungsblatt der Reichsleitung der NSDAP, Folge 72 (Ende Mai 1934), S. 165. Die Degradierung zur „betreuten Organisation", die auch im Organisationsbuch der NSDAP aufgegriffen wurde (vgl. dort, S. 285), wollte Fiehler bis über das Ende des Krieges hinaus nicht anerkennen. Vgl. seine Darstellung „Deutscher Gemeindetag und Hauptamt für Kommunalpolitik der NSDAP" von 1947, Amtsgericht München, Registratur S, Spruchkammerakt Fiehler, Bl. 42. Jetzt mußte ihm freilich auch besonders daran gelegen sein, den DGT als eine von der Partei unabhängige und sogar von ihr bekämpfte Organisation dar-

zustellen. Eine formale Interessenvertretung konnte es, wie Matzerath zu Recht bemerkt, in einem dem Anspruch nach „interessenfreien" Staat gar nicht geben. Deshalb beschränkte sich der DGT vordergründig „auf rein fachliche Fragen und besonders deren juristischen Aspekt und enthielt sich bisweilen ostentativ einer Stellungnahme zu politischen Problemen; von dieser Rückzugsbasis her vermochte er häufig durch die Betonung sachlicher und fachlicher und insbeson-

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dere rechtlicher Gesichtspunkte den gemeindlichen Interessen Geltung zu verschaffen und den kommunalen Standpunkt zu wahren". Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 223. Zum Vertretungsanspruch der Geschäftsführung des DGT in Berlin meinte die Denkschrift vom Herbst 1938 (BDC, Ordner 211, Bl. 308): „Dabei legen die Herren der Geschäftsführung ein sehr eigenmächtiges Handeln an den Tag. Sie spielen sich so auf, als seinen [sicf] sie die Vertretung aller Deutschen Gemeinden und Gemeindeverbänden [sicf], wovon im Gesetz kein Wort die Rede ist, sondern die Aufgaben sind genau im § 2 des Gesetzes umrissen und sprechen nur von einem Dienst an den Gemeinden und Gemeindeverbänden, nicht aber von einer Ver-

tretung."

I. NS-Herrschaft und

98

Kommunalpolitik

mißlos beim Parteiamt sehen: indem der DGT entweder der Partei ein- und untergeordnet oder aber, besser noch, völlig abgeschafft würde. Auch ein gewisser Neid auf die finanziellen Ressourcen und den eingespielten Verwaltungsapparat des Gemeindetags war bei seinen Gegnern aus dem Hauptamt nicht zu überhören93. Weil der DGT nach der Gleichschaltung den vorhandenen Unterbau der früheren Spitzenverbände und ihrer Unterverbände weitgehend übernahm, hatte er sich eine Anbindung an die Gemeindeverwaltungen bewahrt, die häufig weiter als die der Gauämter für Kommunalpolitik ging94. So konnte der Einheitsverband durch den sachlichen Beistand, den er den Gemeinden leistete, durch Informations- und Koordinationsdienste zwischen den Gemeinden und durch seine Transmissionsfunktion zwischen Gemeinden und Reichsministerien auch neben dem Hauptamt noch bestehen95. Rivalitäten blieben aber auch vor Ort deutlich; durch Personalunionen zwischen den Leitern der Gauämter für Kommunalpolitik und den Vorsitzenden der Landes- und Provinzialdienststellen des DGT hatten sie eigentlich ausgeschaltet werden sollen, in der Praxis waren diese Vereinigungen aber nur in einigen Fällen zustande gekommen96. Es ist schon gesagt worden, daß trotz der Angriffe von Hauptamtsvertretern auf den DGT und trotz der Rivalitäten zwischen Funktionären beider Organisationen vor Ort die Beziehungen der beiden kommunalpolitischen Institutionen nicht einfach als „Konkurrenzverhältnis" geschildert werden können, in dem schließlich eine Seite den Sieg davongetragen hätte. Zum einen nahm Fiehler bis zum Ende des Krieges die Rolle eines Schiedsrichters wahr, der sich immer wieder dazwischenschaltete, wenn der Kampf allzu massiv von Seiten des Kommunalpolitischen Amtes geführt wurde. Zum anderen standen nicht nur bei Fiehler, sondern auch bei etlichen ehrenamtlichen Referenten und Abteilungsleitern des Hauptamtes die gemeinsamen kommunalpolitischen Interessen im Vordergrund, so daß sie nicht gegen den DGT arbeiten wollten, sondern mit ihm kooperieren97. Auf dieser Ebene zeigten sich somit Ansätze einer gemeinsamen kommunalpolitischen Interessenvertretung, die allerdings in den von rivalisierenden Staats- und Parteiinstanzen besetzten Machtsphären im Nationalsozialismus wenig Durchsetzungschancen hatte. Im Gegenteil, wenn Gemeindetag und Hauptamt zu sehr in gemeinsamer Sache auftraten, dann dehnten sich die Forderungen nach Auflösung -

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Denkschrift vom Herbst 1938, BDC, Ordner 211, Bl. 309f. München mit seiner engen Verquickung zwischen Stadtverwaltung und Hauptamt bildete eine Ausnahme. Aus diesen Funktionen ergeben sich auch für die vorliegende Arbeit wichtige Quellen, die etwa in Form von informativen Rundschreiben des DGT, Rundfragen zu bestimmten Problemen oder Stellungnahmen des DGT zu Problemkomplexen, die sich zwischen Gemeinden und Reichsministerien ergaben, vorliegen. Nach Schön, Hauptamt (wie Anm. 67), S. 681, waren Personalunionen 1935 nur in den Gauen Baden, Danzig, Hessen-Nassau, Sachsen, Thüringen und Weser-Ems verwirklicht. Vgl. auch Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 185f. Vgl. z.B. Hauptstellenleiter Guido Harbers, 1.4.1936: Um in den entscheidenden Gremien des Wohnungs- und Siedlungswesens mehr Einfluß zu gewinnen, „empfiehlt sich eine wesentlich engere Zusammenarbeit des Hauptamtes für Kommunalpolitik mit dem Deutschen Gemeindetag wie bisher". BArch, NS 25, 164, Bl. 237-240, hier 239. Vgl. weiterhin Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, S. 194f. und 227f. Auch die oben in Anm. 56 zitierte Denkschrift ist ein eindringlicher Beleg für eine gemeinsame Abwehrfront beider Organisationen.

3.

Kommunalpolitische Interessen im „Dritten Reich"

99

gleich auf beide Organisationen aus. Wo das Hauptamt für Kommunalpolitik und der Deutsche Gemeindetag Kämpfe gegeneinander ausfochten, taten sie das jedenfalls nur noch um hintere Plätze auf der Rangliste der Organisationen im „Dritten Reich".

Wohnungspolitik als staatliches und städtisches Handlungsfeld: ein Überblick IL

Die Münchner Wohnungspolitik der nationalsozialistischen Zeit schloß, ob in Kontinuität oder bewußter Abkehr, an eine Traditionslinie städtischen Engagements in der Wohnungsfrage an, die um die Jahrhundertwende eingesetzt hatte. Die Inhalte dieser Politik wurden außerdem nicht nur von der Stadt, ihren Machthabern und ihrer wirtschaftlichen Situation bestimmt, sondern richteten sich nach den staatlichen bzw. parteiamtlichen Vorgaben. In diesem zweiten Teil der Studie wird daher sowohl eine diachrone Erklärungslinie gezogen als auch eine synchrone Perspektive angelegt. Bewußt richtet sich der Fokus nicht ausschließlich auf die engere Bautätigkeit, die ja letztlich nur eine, wenngleich besonders wichtige Variable der Wohnungspolitik ist. Die Intensität aber, mit der sie betrieben wird, hängt immer auch davon ab, wie andere wohnungspolitische Instrumente eingesetzt werden. Mietenpolitik, Kündigungsschutz und

Wohnraumbewirtschaftung beeinflussen nachhaltig und Nachfrager von neuem Wohnraum.

auch das Verhalten der Anbieter

1. Die Politik des Reiches im Wohnungs- und

Siedlungswesen

Die Physiognomie des Wohnens in der Großstadt prägte sich im 19. Jahrhundert aus, als Industrialisierung und Urbanisierung erstmals die neue Form des Massenwohnungsbaus in Deutschland zur Notwendigkeit machten1. Es entstanden die Mietskasernen, die mit ihren Seitenflügeln, Hinterhöfen und Rückgebäuden nicht nur einen neuen Haustypus schufen, sondern auch das Wohnen zur Miete verallgemeinerten. Trotz der erhöhten Ausnutzung des Bodens und des Aufschwungs der mehrgeschossigen Bauweise blieb allerdings die Zahl der von den einströmenden Arbeitermassen vor allem benötigten Kleinwohnungen mit geringen Mieten hinter dem Bedarf zurück. Solche bezahlbaren Kleinwohnungen hatten in der Regel nicht mehr als ein bis zwei heizbare Zimmer, dazu Küche und Kammer. Statistiken für Preußen zeigen, daß um die Jahrhundertwende in den größten Städten nahezu die Hälfte der Bevölkerung in Wohnungen mit nur einem heizbaren Zimmer lebte2.

1

1

Seit den siebziger Jahren sind einige Arbeiten zur

Wohnungsfrage im Industrialisierungszeitalter

entstanden, als jüngste von Saldern, Häuserleben; außerdem Zimmermann, Wohnungsfrage; Brander, Wohnungspolitik; Blumenroth, Deutsche Wohnungspolitik; Niethammer, Wie wohnten Arbeiter im Kaiserreich; Gransche/Rothenbacher, Wohnbedingungen. Außerdem wären hier etliche Lokalstudien anzuführen, wegen ihres grundsätzlichen Beitrags zum Wohnproblem in der Urbanisierung sei lediglich hervorgehoben: Wischermann, Wohnen in Hamburg. Fuchs, Wohnungsfrage und Wohnungswesen, S. 1106. Auf die Problematik der in der älteren Statistik üblichen Zählung „heizbarer Zimmer" weist Wischermann hin, weil Küchen und alle nicht heizbaren Räume nicht erfaßt wurden, so daß diese Kategorie kein eindeutiges Bild von der Größe der Wohnungen gibt (Wohnen in Hamburg, S. 182f.).

102

II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

Erstellung von Klein- und Kleinstwohnungen stellte sich für den privaten Bauunternehmer häufig als wenig attraktiv dar. Der Eigentümer mußte hier mit einer unsteten Klientel rechnen3, mit einem sehr hohen Ausnutzungsgrad der Wohnungen, eventuellen Schwierigkeiten bei der Mieteintreibung4. Unverhältnismäßig hoch lagen nach Meinung vieler Bauherren auch die Erstellungskosten bei Kleinwohnungen wegen der komplizierteren Grundrißgestaltung und der daraus resultierenden Aufwendungen für Korridore, Treppenhäuser etc.; bei größeren Wohnungen waren diese Investitionen rentabler. „Wird das Bauwerk zu herrschaftlichen Wohnungen ausgebaut, so erzielt der Unternehmer eine unverhältnismäßig höhere Beleihung und damit einen höheren Preis als bei der Ausführung von Kleinwohnungen."5 Aus der Sicht der Mieter allerdings waren auf einem von Knappheit diktierten Markt auch Kleinwohnungen häufig noch zu teuer6. Die Mieten erlaubten oftmals keinen Freiraum zwischen dem Einkommen und der Deckung des notwendigen Lebensbedarfs. Man sprach in diesem Zusammenhang auch vom „Schwabeschen Gesetz" (nach dem Leiter des Berliner Statistischen Bureaus): „Je ärmer jemand ist, desto größer ist die Summe, welche er im Verhältnis zu seinem Einkommen für Wohnung verausgaben muß."7 Dieses „Gesetz" war sicher nicht unumschränkt richtig8 und hatte regional recht unterschiedliche Implikationen; in den Großstädten lag um die JahrhundertwenDie

de der für die Miete aufzuwendende Einkommensanteil bei Arbeiterfamilien um 20 Prozent, in ländlichen Regionen konnte er aber auch ein ganzes Stück niedriger sein. Noch niedriger war der Anteil allerdings regelmäßig für die Bezieher hoher Einkommen9. Zeitgenössisch und auch in neueren Untersuchungen wurde häufig angenommen, 3

4

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8

Vgl. Niethammer, Wie wohnten Arbeiter im Kaiserreich, bei dem der Faktor Mobilität als einer der wichtigsten in der Arbeiterwohnungsfrage hervorgehoben wird: „Daß sich die innerstädtische Fluktuation bei ungelernten und gelernten Arbeitern, abgesunkenen Handwerkern und persönlichen Dienstleistungen am stärksten konzentrierte, reflektiert vor allem die Kurzzeitigkeit der meisten Beschäftigungsverhältnisse, deren Wechsel sich in einer Zeit, als die Masse der schlechter bezahlten Arbeiter an einen Arbeitsweg außer zu Fuß nicht denken konnte, unmittelbar in eine erhöhte Umzugsfrequenz umsetzte." (S. 84f.). Johannes Feig, Nachfrage und Angebot auf dem Wohnungsmarkt, in: Fuchs (Hrsg.), Wohnungs- und Siedlungsfrage, S. 37-57, hier 48. Rudolf Eberstadt, Die geschichtliche Entwicklung des Kleinwohnungswesens in Deutschland und Österreich und das Kleinwohnungswesen im Ausland, insbesondere in Belgien und England, in: Fuchs (Hrsg.), Wohnungs- und Siedlungsfrage, S. 3-21, hier 19. Die relativ höheren Mietpreise für kleinere Wohnungen werden etwa durch die Wohnungserhebungen des Jahres 1910 in deutschen Großstädten belegt, vgl. Kuczynski, Miete und Einkommen, in: Fuchs (Hrsg.), Wohnungs- und Siedlungsfrage, S. 29-33, hier 29. Ebenda, S. 30.

Neumeier, München um 1900, S. 233-236, stellt die Generalisierbarkeit der Schwabeschen Regel stark in Frage und weist darauf hin, daß für Mieter aller Klassen etwa das Wohnen in der Innen-

stadt deutlich teurer als in den Randbezirken war. Relativierend auch Wischermann, Wohnen in

9

Hamburg,S. 199-213. Vgl. Niethammer, Wie wohnten Arbeiter im Kaiserreich, S. 78-81, und Kuczynski, Miete und Einkommen (wie Anm. 6), bes. S. 32. An beiden Stellen wird auf entsprechende Untersuchungen in Hamburg verwiesen, wo um die Jahrhundertwende Bezieher eines Jahreseinkommens bis 3 000 Mark ein Fünftel bis ein Viertel davon für die Miete ausgeben mußten. In diese Einkommensgruppen fielen nach Weber etwa 90% der Erwerbsbevölkerung. Allerdings lag nach seinen vergleichenden Betrachtungen der Mietanteil in Hamburg eher hoch. Emil Weber, Einkommen und Wohnkosten, in: HdW, S. 209-232, bes. 218.

1.

Die Politik des Reiches im Wohnungs- und Siedlungswesen

103

daß die Mietbelastung der unteren Einkommensschichten sich während der Zeit des Kaiserreichs tendenziell noch verstärkte; eingehendere und methodisch verfeinerte Forschungen für Hamburg zeichnen jedoch ein anderes Bild: „Weder ließ sich langfristig eine Verschlechterung des Verhältnisses von Miete und Einkommen unter Berücksichti-

gung der Einkommensentwicklung nachweisen, noch lief die Mietpreisentwicklung dem Einkommenszuwachs davon, sondern das Gegenteil war der Fall."10 Die Mietbelastung ist nur ein Indikator dafür, daß die erste Wohnungskrise des

Industrialisierungszeitalters klassenspezifische Züge trug. Auch von der Wohnungsüberfüllung, die zum deutlichsten Ausdruck der Wohnungsnot wurde, waren die Unterschichten am stärksten betroffen11. Sie mußten „den erhöhten Mietpreis durch erhöhte Belegung auf eine erträgliche Pro-Kopf-Quote herunterdividieren"12. Neben den Familienmitgliedern wurden Untermieter, sehr häufig aber nur Schlafgänger aufgenommen13, um die Mietkosten zu senken, mit der Folge, daß mehrere Menschen sich nicht nur einen Raum, sondern häufig auch ein Bett teilen mußten14. Auch die statistischen Daten spiegeln die Überbelegung: Tab. 1: Belegung von Kleinwohnungen (bis zu 2 beizbaren Zimmern) in ausgewählten Städten 1875,1890,1905 Stadt Personen pro heizbarem Zimmer Berlin Breslau

Leipzig Hamburg

1875

1890

1905

3,12 2,76 2,92 3,02

2,94 2,97 2,66 2,76 2,57

2,63 2,60 2,50 2,41

München

2,40

-

Quelle: Niethammer, Wie wohnten Arbeiter im Kaiserreich, S. 90. So augenfällig die durchgängig hohen Belegungsziffern sind, ist in allen Städten doch eine Tendenz zum Rückgang der Wohndichte ausgeprägt. Ähnlich wie für die Arbeitsbedingungen galt auch für die Wohnbedingungen, daß sie sich mit fortschreitender Industrialisierung verbesserten. Das lag zum einen an einer Umstrukturierung des Kleinwohnungsmarkts: Der Anteil der etwas geräumigeren Kleinwohnungen (2-3 Zimmer)

Wischermann, Wohnen in Hamburg, S. 206. Krabbe, Anfänge, S. 33, und Wischermann, Wohnen in Hamburg, S. 265. Niethammer, Wie wohnten Arbeiter im Kaiserreich, S. 81. Hier gab es deutliche Unterschiede: Während ein „Zimmerherr" zu jeder Tageszeit über den von ihm gemieteten Raum verfügen konnte, stand dem „Schlafburschen" häufig die gemietete Schlafstelle nur zur Übernachtung zur Verfügung, vgl. Cahn, Schlafstellenwesen, S. 1. Vgl. z.B. den sprechenden Bericht aus den „Denkwürdigkeiten und Erinnerungen eines Arbeiters": „Mit der Zeit gefiel es mir nicht mehr in meinem Quartier [in Vohwinkel, Wuppertal], denn mein Wirth hatte während des Sommers noch zwei Kostgänger angenommen, oder gar drei. Anfänglich hatte ich lange Zeit in einem Bett allein geschlafen, aber schließlich mußten wir in einem breiten Bett

noch der

unter

dem Dache drei Mann zusammen schlafen, und zeitweise kam auch

Lehrling hinzu." Zitiert nach Pols (Hrsg.), Deutsche Sozialgeschichte 1815-1870, S. 227. Vgl. zum Schlafgängerwesen auch Niethammer, Wie wohnten Arbeiter im Kaiserreich,

S. 114-128.

104

II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

nahm zu, während Kleinstwohnungen prozentual weniger wurden15. Dazu kam ein genereller Wechsel der Lebens- und Wohnweisen auch in Arbeiterfamilien: Die Geburtenrate ging zurück, die Kinderzahlen innerhalb der Familien reduzierten sich und damit die Haushaltsgrößen16. Trotzdem blieb „die Arbeiterwohnungsfrage" aufgrund immer noch zu vieler dürftiger, feuchter, mangelnd belüfteter und belichteter, außerdem zu beengter Behausungen ein ungelöstes Problem, das allerdings hauptsächlich auf der Agenda von bürgerlichen bzw. katholischen oder protestantischen Sozialreformern und meist dem revisionistischen Flügel angehörenden Sozialdemokraten stand. Auch auf kommunaler Ebene gab es in der Wilhelminischen Zeit Ansätze, vor allem den baulichen, hygienischen und durch überhöhte Belegung entstehenden Wohnungsmängeln beizukommen. Davon zeugen die ersten Wohnungsenqueten und die seit den 1890er Jahren eingerichteten Wohnungsinspektionen, deren Arbeit vorerst allerdings eher in der Feststellung von Mängeln im gesundheitlich-sanitären Bereich als in deren Beseitigung durch effektive wohnungspolitische Maßnahmen bestand17. Auf der Prioritätenskala der Reichssozialpolitik erreichte das Wohnungsproblem vor dem Ersten Weltkrieg noch keinen hohen Rang. Die Kräfte, die dem Reich hier mehr Verantwortung aufgeben wollten, konnten sich nicht durchsetzen. Auch der politische Druck der Reformbewegung genügte nicht, um ein Reichswohnungsgesetz zustande zu bringen18. Es blieb bei vereinzelten bundesstaatlichen Gesetzen; der zentrale Staat Preußen aber verabschiedete vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs kein Wohnungsgesetz mehr. -

-

Von der Zwangswirtschaft zur „Hauszinssteuerära":

zwanziger Jahren

Wohnungspolitik in den

Wie in etlichen anderen Bereichen der Sozialpolitik beschleunigte der Erste Weltkrieg auch in der Wohnungspolitik erheblich den Übergang zur verstärkten Staatsintervention. Nur ein Ausdruck dafür war das endlich doch zustandegekommene preußische Wohnungsgesetz vom 28. März 1918, das die Frage der Wohnungsaufsicht und Wohnungsordnungen einheitlich regelte und als Konsequenz den Großstädten die Einrichtung von Wohnungsämtern zur Pflicht machte19. Der Krieg war also nicht nur deshalb von so einschneidender Bedeutung, weil er die materielle Wohnungssituation für die kommenden Jahre entscheidend prägte, sondern auch, weil er einen Umschwung in der 15

Gransche/Rothenbacher, Wohnbedingungen, S. 74; insgesamt gehen die Autoren von einer tendenziellen Verbesserung der Wohnverhältnisse im Kaiserreich aus: „Im langfristigen Trend nahmen die übervölkerten Wohnungen und der darin wohnende Bevölkerungsteil ab. Auch der Anteil der Kellerwohnungen und der Bevölkerungsanteil in Kellerwohnungen waren rückläufig" (S. 94). Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch Wischermann, Wohnen in Hamburg,

16

Nipperdey, Arbeitswelt und Bürgergeist, S. 23-27.

S. 181-191. 17

18

19

Als erster deutscher Bundesstaat erließ das Großherzogtum Hessen 1893 ein Gesetz, das für alle Gemeinden mit mehr als 5000 Einwohnern Wohnungsinspektionen vorschrieb, dazu und zur konkreten Anwendung des Gesetzes am Beispiel der Stadt Mainz: Brüchert-Schunk, Städtische Sozialpolitik, S. 145-154. Zur Geschichte und Tätigkeit von „Wohnungsaufsicht und Wohnungspflege" vgl. auch den gleichnamigen Artikel von Albert Gut im HdW, S. 779-787. Vgl. Zimmermann, Wohnungsfrage, S. 217-224; außerdem Teuteberg/Wischermann, Germany, S. 251. Fuchs, Wohnungsfrage und Wohnungswesen, S. 1143.

1. Die Politik des Reiches im Wohnungs- und Siedlungswesen

105

Wohnungspolitik herbeiführte, der in seinen Wirkungen noch langfristiger gewesen ist. Es setzte sich die Erkenntnis durch, „daß der Wohnungsmangel eine völlig freie Wohnungswirtschaft nicht zuließ und die Lösung der Wohnungsversorgung eine entscheidende soziale Aufgabe darstellte"20. Diese Einschätzung erlangte schon während der Kriegszeit einen gewissen Stellenwert in der Reichspolitik und manifestierte sich in mehreren gesetzlichen Maßnahmen, von denen noch zu sprechen sein wird. Symptomatisch für die neue politische Qualität, die man der Wohnungsfrage zumaß, war die Tatsache, daß sie in den Rang einer allerdings nicht einklagbaren Verfassungsforderung erhoben wurde: „Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von -

-

Staats wegen in einer Weise überwacht, die Mißbrauch verhütet und dem Ziele zustrebt, jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern."21 Die Politik konnte, als sie ihre neue Rolle aufnahm, auch auf die freilich bisher eher theoretische Tätigkeit sozialreformerischer, oft mit beachtlicher wissenschaftlicher Kapazität ausgestatteter Vereine zurückgreifen22, wie die des Vereins für Socialpolitik, des 1898 gegründeten Vereins Reichswohnungsgesetz (seit 1904 Deutscher Verein für Wohnungsreform), der Deutschen Gartenstadtgesellschaft oder des Bundes deutscher Bodenreformer, in dem seit 1898 Adolf Damaschke den Vorsitz führte23. Ein Blick sei zunächst auf die materielle Entwicklung der Wohnungsverhältnisse im Ersten Weltkrieg geworfen. Augenfällig für die Zeitgenossen war vor allem das starke -

-

Absinken der Neubautätigkeit. Dürfte die Wohnungsproduktion im Reich vor dem Krieg noch bei 250 000 Wohnungen jährlich24 mangels empirischer Daten kann man hier nur auf Schätzungen rekurrieren gelegen haben, so fiel sie während des Krieges von 113 600 im Jahr 1914 auf 15 200 im Jahr 1916 und nur noch 2 800 im letzten Kriegsjahr 1918 ab25. Gegen Ende dieser Entwicklung konnte von Wohnungsbau kaum noch die Rede sein, der Krieg hatte die Finanzierungsmittel ebenso wie den Arbeiterbestand und die Baustoffe förmlich „aufgefressen"26. Dieser gravierende Abfall der Neubautätigkeit setzte bereits im Krieg Überlegungen zu Abhilfemaßnahmen in Gang, obwohl die ei-

-

Blumenroth, Deutsche Wohnungspolitik, S. 161. Verfassung des Deutschen Reichs vom 11.8.1919, Art. 155, in: Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 4, S. 174; vgl. auch Blumenroth, Deutsche Wohnungspo-

litik, S. 163f.

Das manifestierte sich etwa in der 1920 erfolgten Bildung von Ausschüssen mit Experten zur Beratung des Reichsarbeitsministeriums in Wohnungs- und Siedlungsfragen, vgl. Denkschrift

Nr. 3472, S. 3394. Zu den Vereinigungen, die sich um Wohnungsreform bemühten, Berger-Thimme, Wohnungsfrage und Sozialstaat, S. 37-131. Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 9. Im folgenden wird für den Zahlenvergleich immer wieder diese Untersuchung des Instituts für Konjunkturforschung von 1936 herangezogen, deren Rohmaterial auf der amtlichen Statistik beruht, hier aber in verwertbare Tabellen gebracht wurde. „Geschönte" Zahlen sind für die Zeit des Nationalsozialismus freilich nicht auszuschließen, davor schützt aber auch die Verwendung amtlicher statistischer Publikationen nicht. Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 10. Zum Rückgang der Bautätigkeit, zu den Schwierigkeiten der Baustofferzeugung in der von den Kriegserfordernissen diktierten Wirtschaft und zum immer gravierenderen Bauarbeitermangel vgl. Denkschrift Nr. 3472, S. 3382-3384.

106

II. Wohnungspolitik als

Handlungsfeld

gentliche Wohnungskatastrophe zunächst noch aufgeschoben war. Denn während der Kriegsjahre ging auch die Nachfrage deutlich zurück. Viele Eheschließungen unterblieben, und Kriegstrauungen sahen nicht selten so aus, daß auf eine eigene Haushaltsgründung verzichtet wurde: Die Braut blieb bei den Eltern wohnen, während der Bräutigam wieder ins Feld zurückkehrte. Auf der anderen Seite setzten die Einberufungen aber auch nicht viele Wohnungen frei, weil ja meist der Haushalt, in dem der Dienstleistende gelebt hatte, bestehenblieb. Trotzdem konnte während des Krieges die nur geringe, neu entstehende Nachfrage nach Wohnungen durch die minimale Bautätigkeit und die Auflösung alter Haushalte noch leidlich gedeckt werden27. Allerdings verringerte sich der Leerwohnungsbestand zusehends, und im letzten Kriegsjahr hatte die Wohnungsknappheit bereits so stark zugenommen, „daß die kommende Wohnungsnot sich drohend ankündigte"28. Sie kam mit der Demobilisierung. Außer den Rückkehrern aus dem Feld mußten die Auslandsdeutschen und die Flüchtlinge aus den besetzten und abgetretenen Gebieten untergebracht werden. Innerhalb kürzester Zeit kehrte sich auch der Trend bei den Eheschließungen um: 1919/20 wurden mehr als dreimal so viele Eheschließungen wie in den Jahren 1915/16 gezählt, Zeichen des angestauten „Nachholbedarfs"29. Die kriegsgetrauten Paare, die eine Haushaltsgründung hatten aufschieben müssen, drängten ebenfalls auf den Wohnungsmarkt; und schließlich forderten die Besatzungstruppen im Rheinland adäquate Unterbringung. Jetzt erst mußte der volle Preis für die unterbliebene Bautätigkeit gezahlt werden. Und dieser Preis war hoch: Er bestand in einer engen Regulierung des Marktes und dem Abschied von der freien Wohnungswirtschaft. Die mit ersten Maßnahmen im Weltkrieg bereits eingeleitete Wohnungszwangswirtschaft erstreckte sich in drei Richtungen: Zum einen wurden Regelungen erlassen, um auf die Verteilung und Benutzung von Wohnraum zuzugreifen. Zweitens wurden unter dem Stichwort „Mieterschutz" die Rechte der Vermieter zur Beendigung von Mietverhältnissen und zu Neuvermietungen eingeschränkt. Drittens wurde eine „gesetzliche Miete" geschaffen, die Verbindlichkeit beanspruchte und die bis dahin geltende marktwirtschaftliche Regulierung der Miethöhen über Angebot und Nachfrage außer Kraft setzte. Für alle drei Bereiche zwangswirtschaftlicher Wohnungspolitik gab das Reich den Gesetzesrahmen vor, der aber mit deutlichen Abweichungen von den Ländern und letztlich auch Gemeinden ausgefüllt wurde 30. Für München wird das im folgenden Kapitel auszuführen sein, hier seien nur kurz die wichtigsten generellen Regelungen skizziert. Für das Feld der Wohnraumbewirtschaftung war zunächst die Bekanntmachung des Bundesrats über Maßnahmen gegen Wohnungsmangel vom 23. September 1918 einschlägig, die 1920/21 durch Gesetze ergänzt wurde. Bis 1923 dauerte es, um das Wohnungsmangelgesetz vollends auszugestalten31. Die Umsetzung dieses Instrumentariums

27 28

29

30

31

Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 10. Denkschrift Nr. 3472, S. 3385. Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 10, und vgl. auch zum Nachfrageboom der Demobilisierungsphase Denkschrift Nr. 3472, S. 3380-3382. Das wird auch deutlich aus der neuen Gesamtdarstellung der Wohnungszwangswirtschaft von Karl Christian Führer, die das Problem in seinen Dimensionen von der kommunalen bis zur Reichsebene aufschlüsselt (Führer, Mieter). Zum Wohnungsmangelgesetz bzw. seinen Vorläufern s. Denkschrift Nr. 3472, S. 3400f„ und Denkschrift Nr. 3777, S. 1-35, hier 8f.

1. Die Politik des

Reiches im Wohnungs- und Siedlungswesen

107

lag vor allem bei den örtlichen Wohnungsämtern, die freiwerdenden Wohnraum registrieren und an Wohnungsbewerber vergeben sollten, insbesondere aber mit Beschlagnahmungen zugunsten von Wohnungsuchenden eingreifen konnten. „Diese sogenannte Einquartierung' oder auch ,Wohnungsrationierung', die nicht nur in die Rechte des Hausbesitzers eingriff, sondern den Grundsatz der Unverletzlichkeit der Wohnung allgemein aufhob und somit auch Mieter bedrohte, war der umstrittenste und am heftigsten bekämpfte Teil der Zwangswirtschaft."32 Im Vergleich dazu waren weitere Bestimmungen, die das Verbot von Abbruchen und Umwandlungen von Wohnräumen in ge-

werblich genutzte Räume außer bei Zustimmung durch die Gemeinde vorsahen, nicht ganz so einschneidend. Früher als in der Bewirtschaftung des Wohnraums sah das Reich im Mieterschutz Handlungsbedarf. Mit einer Bekanntmachung des Bundesrates vom 26. Juli 1917 wurden die Befugnisse der im Krieg eingerichteten Mieteinigungsämter erheblich erweitert, und sie erhielten das Recht, im Streitfall über die Fortsetzung eines gekündigten Mietverhältnisses und gegebenenfalls über die Erhöhung des Mietzinses zu entscheiden. Schritt um Schritt engte man den Ermessensspielraum der Vermieter weiter ein. In Gemeinden mit besonderes starkem Wohnungsmangel konnten sie seit 1918 zur Anzeige neuer Mietverträge verpflichtet werden, falls sie die Miete für das Objekt erhöht hatten. Durfte in einem solchen Fall die Gemeindebehörde beim Einigungsamt bereits beantragen, den Mietzins auf angemessene Höhe herabzusetzen, konnte einen solchen Antrag seit 1919 auch der neue Mieter stellen. Das Gesetz über Mieterschutz und Mieteinigungsämter vom 1. Juni 1923, das „die Unkündbarkeit durch die Vermieter als Voraussetzung aller Mietverhältnisse" betrachtete33, sah nur einen eng umrissenen Katalog von Ausnahmefällen vor34, bei deren Vorliegen der Vermieter auf dem Klageweg doch eine Aufhebung des Mietverhältnisses erlangen konnte, während besondere Schutzmaßnahmen für den Mieter im Falle der Zwangsvollstreckung galten. Es konnte als eine Zäsur in der bisherigen Entwicklung des Mieterschutzes angesehen werden; die danach erlassenen gesetzlichen Regelungen und Umsetzungsformen vor Ort trugen der fortschreitenden Lockerung der Zwangswirtschaft seit der Währungsstabilisierung Rechnung35. Der dritte Komplex, die gesetzliche Festlegung von Höchstmieten, stand in engem Zusammenhang mit den Mieterschutzbestimmungen, denn sollten die Mieteinigungsämter „nach billigem Ermessen" über angemessene Miethöhen entscheiden, mußten sie dafür bestimmte Kriterien an die Hand bekommen. Bevor durch das Reichsmietengesetz von 1922 eine einheitliche Regelung über die Mietpreisbildung griff, gab es länderweise unterschiedliche Anordnungen. Für unseren Kontext sei auf die einschlägige Bekanntmachung der Bayerischen Ministerien der Justiz und für soziale Fürsorge vom -

-

August 1920 verwiesen. Neben einigen Mieterschutzbestimmungen wurde hier die Mietpreisbildung in der Weise geregelt, daß als Sockelbetrag die sogenannte Friedens13.

32 33 34

35

Führer, Mieter, S. 319. Torinus, Wohnungspolitik der Nachkriegszeit, S. 9.

Das waren im wesentlichen eine „erhebliche Belästigung" oder Gefährdung des Besitzers oder anderer Hausbewohner, ein mehr als zweimonatiger Mietrückstand oder dringender Eigenbedarf des Besitzers. Zu diesem Katalog und seinen Rückwirkungen auf die Praxis vgl. Führer,

Mieter, S. 52-65.

Zur Entwicklung der Mieterschutzbestimmungen vgl. Denkschrift Nr. 3472, S. 3397f., Denkschrift Nr. 3777, S. 9-11, und Führer, Mieter, S. 79-89.

II. Wohnungspolitik als Handlungsfeld

108

miete also die am 1. Juli 1914 gültige Miethöhe zugrunde gelegt wurde. Dazu traten nach örtlichen Wirtschaftsverhältnissen unterschiedlich hohe Zuschläge, die die erhöhten Betriebskosten, Instandsetzungskosten etc. der Vermieter nach dem Krieg berückEs sollten. war vor in allem die dieser die der Hyperinsichtigen Anpassung Zuschläge, flation zu einer schier unlösbaren Aufgabe wurde. Im Grunde behielt das Reichsmietengesetz vom 24. März 1922 nämlich das Verfahren bei, das die bayerische Bekanntmachung schon vorweggenommen hatte. Aus der Friedensmiete plus Zuschlägen wurde eine „gesetzliche Miete" errechnet, die nach dem Gesetz als verbindlich zugrunde zu legen war, wenn eine der beiden Vertragsparteien nicht mehr an der vertraglich vereinbarten Miete festhalten wollte. Waren sich Mieter und Vermieter hingegen einig, wurde ihr Recht zur freien Vereinbarung nicht angetastet36. Die gesetzlichen Grundlagen der Zwangswirtschaft sind damit knapp umrissen. Als ein Hauptproblem kristallisierte sich die Tatsache heraus, daß die Instrumente der Zwangswirtschaft in der Regel nicht (gewisse Ausnahmen gab es später im öffentlich geförderten Wohnungsbau) auf die seit dem 1. Juli 1918 erstellten Wohnungen angewendet wurden, so daß zweierlei Recht im Altwohnungs- und Neuwohnungsmarkt galt. Zweifelsohne wurden auch die Bewirtschaftungsmaßnahmen in ihrer konkreten Anwendung vielfach negativ rezipiert und konnten daher noch lange nach ihrer Aufhebung den Nationalsozialisten als dunkler Hintergrund dienen, vor dem sich die nationalsozialistische Wohnungspolitik um so positiver abheben sollte. Daß die endgültige Aufhebung der Wohnraumbewirtschaftung zum 1. April 1933 in Kraft gesetzt wurde, war dabei keine nationalsozialistische Initiative, sondern ein schon lange vorher von der Reichspolitik anvisiertes Ziel. Außerdem wurde der Abbau der Zwangswirtschaft etliche Jahre vor Beginn des „Dritten Reiches" in die Wege geleitet. Bereits seit 1924 fing man an, vereinzelte Wohnungskategorien möblierte Zimmer, Wohnungen mit hohen Mieten von den Regulierungen auszunehmen. Die in der Weltwirtschaftskrise noch -

-

-

massiver

-

fortgesetzte Abschmelzung zwangswirtschaftlicher Regelungsmechanismen

führte zu neuen Polarisierungen. Konnte es vor allem den Hausbesitzern gar nicht schnell genug gehen und begrüßten sie jeden neuen Schritt in Richtung Abbau37, erhoben die Vertreter der Mieterschaft schärfsten Protest gegen diese Politik der Krisenbewältigung, von der sie zu Recht feststellten, daß sie vor allem ihr Konto belaste38. Während die Bewirtschaftung des vorhandenen Wohnraums also seit der Währungsstabilisierung im Stellenwert sank, trat jetzt die Wohnungsneuproduktion in den Vordergrund. Zunächst sei skizziert, wie sich letztere zwischen Kriegsende und dem Beginn der Stabilisierungsphase entwickelt hatte. Im Wohnungsneubau drohte nach dem Krieg eine Schieflage zu entstehen, weil die Mieten gegenüber der Vorkriegszeit auf niedrigerem Niveau gehalten wurden, während sich die Baukosten in der Preisspirale 36

37 38

Zur Entwicklung der „gesetzlichen Miete" ebenda, S. 141-144; außerdem Denkschrift Nr. 3472, S. 3399f, und Denkschrift Nr. 3777, S. 11-14. Vgl. z.B. Wolff, Zwangswirtschaft und Wohnungswesen. Vgl. die bei der Bezirkskonferenz des Landesverbandes bayerischer Mietervereine e.V. in Nürnberg am 1.11.1931 einstimmig angenommene Entschließung, die die unveränderte Aufrechterhaltung des Mieterschutzes und Mietsenkungen als Konzession an die Krise forderte. Ganz ähnlich im Tenor die Entschließung des Ortsvereins München des Reichsbundes Deutscher Mieter vom 13.11.1931, beide in: BayHStA, MF 68111.

1. Die Politik des Reiches im Wohnungs- und

Siedlungswesen

109

hoch und höher drehten. Für die Investoren im Wohnungsbau stellte sich damit aber das Problem, daß die Mieteinnahmen nicht ausreichen würden, um die Zinsbelastung durch das aufgenommene Baukapital auszugleichen. So entstehende „unrentierliche Baukosten" mußten auf irgendeine Weise abgedeckt werden, sollte der private Wohnungsbau überhaupt aufrechterhalten werden39. Die Entscheidung für eine Politik der niedrigen Mieten zugunsten der Wohnungskonsumenten bedeutete daher für das Reich auch, daß es mit eigenen Mitteln auf der Seite der Wohnungsproduzenten einspringen mußte. Zur regulativen Funktion staatlicher Wohnungspolitik trat ihre subsidiare Funktion. Zunächst ging man davon aus, daß die Zuschüsse zum Wohnungsneubau nur vorübergehend benötigt würden, bis wieder Vorkriegsbedingungen im Bauwesen herrschten. Man wählte daher die großzügige Form des verlorenen Zuschusses, der den unrentierlichen Anteil der Baukosten, ohne daß eine Begrenzung nach oben festgelegt wurde, abdecken sollte. Die „Normalisierung" aber blieb aus: die Baukosten betrugen zunächst das Zwei- bis Vierfache, 1920 aber schon gut das Zehnfache der Vorkriegszeit40. Die Bauherren zeigten kein Interesse an der Herabminderung der Herstellungskosten, da sie ja öffentliche Mittel für ihren „verlorenen Mehraufwand" beanspruchen konnten. Getragen wurden die Baukostenzuschüsse dieser ersten Phase nach einer Bekanntmachung des Bundesrats vom 31. Oktober 1918 zur Hälfte vom Reich, zur anderen Hälfte von den Ländern und Gemeinden41. Im Jahr 1920 wurde die Finanzierungsform geändert, unter anderem wollte man einer zu intensiven Abschöpfung der öffentlichen Mittel jetzt dadurch vorbeugen, daß die Reichsdarlehen nur noch zu festen Einheitssätzen pro Quadratmeter Wohnfläche gewährt wurden. Außerdem waren die Darlehen rückzahlbar für den Fall, daß die Mieten erhöht wurden, eine Verzinsung war nicht vorgesehen42. Die Länder fielen dabei als Darlehensgeber ganz heraus, während der Anteil der Gemeinden an den Gesamtdarlehen bis auf einige Ausnahmen mindestens ein Drittel des Reichsanteils betragen sollte. De facto mußte eine Stadt wie München aber weitaus mehr zusteuern, um die Reichsmittel ausschöpfen zu können, weil die Baukosten inzwischen so weit gestiegen waren, daß die festen Reichsdarlehen zum Zeitpunkt ihres Einsatzes nur noch etwa ein Viertel bis ein Drittel der Gesamtbaukosten deckten43. Als weiteres Problem kam für die Gemeinden und anderen Bauträger hinzu, daß die im Jahr 1919 mit Baukostenzuschüssen begonnenen Bauten aufgrund der sich weiterdrehenden Preisspirale erheblich mehr Aufwendungen als vorhergesehen beanspruchten. Hierfür mußte das Reich nochmals mit Ergänzungs-Baukostenzuschüssen und Nachbewilligungen einsprin-

-

-

39 40

41 42

43 44

-

Denkschrift Nr. 3472, S. 3402. Indexzahlen bei Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 10. Zum finanziellen Aufwand der Zuschußaktion für 1918/19 unten, Tab. 2, S. 110. Zu den Bestimmungen des Reichsrats über die Gewährung von Darlehen aus Reichsmitteln zur Schaffung neuer Wohnungen vom 10.1.1920 vgl. Denkschrift Nr. 3472, S. 3409. Auch nach den 1918 aufgestellten Richtlinien für die Gewährung von Baukostenzuschüssen war eine Umwandlung der verlorenen Zuschüsse in rückzahlbare Darlehen möglich, falls sich der tatsächliche Mietertrag erhöhte. Hasiweder, Wohnbauförderung, Bd. 1, S. 29.

Helmreich, Finanzierung, S. 122. Zu Art und Höhe der 1920 beschlossenen Nr. 3472, S. 3409.

Ergänzungs-Baukostenzuschüsse vgl. Denkschrift

-v

II.

110

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

Insgesamt liefen die Zuschüsse des Reiches in den ersten beiden Nachkriegsjahren zu einer beträchtlichen Summe auf, wie die nachstehende Tabelle deutlich macht. Tab. 2: Baukostenzuschüsse und Darlehen des Reiches für den

Mark)

Reich davon f. Bayern

Wohnungsbau

1918-1920

a)

b)

c)

d)

650000000 74 344 000

500000000 64983 797

477100000 50 054360

1627100000 189382157

(in

Quelle: Denkschrift Nr. 3472, S. 3410. a) Baukostenzuschüsse 1918/19

b) Reichsdarlehen 1920 c) Ergänzungszuschüsse und -darlehen 1919/20 d) gesamter Förderungsbetrag Seit 1921 wurden die Darlehen für den Wohnungsbau nicht mehr aus der Reichskasbezahlt, sondern als Landesmittel ausgegeben. Gleichzeitig gerieten sie in den Strudel der Hyperinflation, so daß die Einheitssätze pro Quadratmeter, an denen grundsätzlich festgehalten worden war, zu einer völlig unrealistischen Größe wurden. Sie konnten in der Endphase bis zum Zehnfachen überschritten werden und hatten dabei im August 1923 in Bayern einen Wert von 600000 Mark pro qm erreicht45. „Schließlich wurde eine geregelte Baufinanzierung ganz unmöglich."46 Der bis 1922, auch aufgrund von Umbaumaßnahmen in Armee- und Fabrikgebäuden, deutlich angestiegene Reinzugang an Wohnungen fiel 1923 stark ab. In diesem Wendejahr der Inflation betrug der sogenannalso die Zahl der im Bau befindlichen Wohnungen gerade einmal te Überhang 38 000. Bezeichnend für die relativ rasche Stabilisierung stieg der Überhang allerdings im darauffolgenden Jahr wieder auf 80000 an, und seit 1925 gab es auch beim Reinzugang an Wohnungen eine schnelle Aufwärtsbewegung47. se

-

Tab. 3: Reinzugang an 1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925

-

Wohnungen 1919-1931 56714 103 092

134223 146615 118333 106592 178930

1926 1927 1928 1929 1930 1931

205 793 288 635 309 762 317682 310971 233648

Quelle: Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 13. Mögen die Zahlen für die Inflationszeit auch nicht hundertprozentig korrekt sein48, zeigen sie dennoch, daß in der wirtschaftlich prekären Situation der ersten Nachkriegsjahre nicht einmal das Vorkriegsniveau der Bautätigkeit erreicht werden konnte,

so

45

46

47 48

Im Februar 1921 hatte der Förderungssatz noch 165 Mark pro qm betragen, Hasiweder, Wohnbauförderung, Bd. 1, S. 31f. Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 10. Ebenda, S. 13. Ebenda, S. 11. Fey weist darauf hin, daß Um- und Ausbauten zum Teil nicht gemeldet wurden, so daß der tatsächliche Reinzugang höher gelegen haben dürfte, als es die Statistik ausweist.

1. Die

Politik des Reiches im Wohnungs- und Siedlungswesen

111

das, wie erwähnt, auf jährlich 250 000 neugebaute Wohnungen geschätzt wurde. Von ei-

Deckung des Nachholbedarfs konnte gar keine Rede sein. Zwar waren die Methoden zur Feststellung der tatsächlich fehlenden Zahl von Wohnungen in den zwanziger Jahren noch recht mangelhaft. Legt man aber relativ plausible Berechnungen zugrunde, ner

dürfte sich der Fehlbedarf 1925 auf rund eine Million Wohneinheiten angestaut haben, unter der Annahme, daß jede Haushaltung eine eigene Wohnung haben sollte49. Seit der Währungsstabilisierung Ende 1923 konnte wieder an eine verstärkte Wohnungsbauförderung gedacht werden, mit deren Hilfe das Wohnungsdefizit allmählich behoben werden sollte. Wichtiger als in der Inflationszeit, deren besondere Bedingungen eine Politik des leichten Geldes ermöglicht hatten, wurde es jetzt allerdings, die Finanzierung solcher Maßnahmen auf eine solide Basis zu stellen. Zwar war bereits im Juni 1921 mit dem „Gesetz über die Erhebung einer Abgabe zur Förderung des Wohnungsbaues"50 ein Vorstoß in dieser Richtung unternommen worden, der es den Ländern ermöglichen sollte, die auf sie übertragene Darlehensvergabe auch zu finanzieren. Aber die Wohnungsbauabgabe, die in Bayern als Zuschlag zur Haussteuer erhoben wurde, lief sich ebenso wie auf der anderen Seite die Darlehensvergabe in der Inflationsspirale tot. Auch tausendfache Steigerungsraten erwiesen sich in der Hyperinflation schon innerhalb kürzester Zeit als zu gering, so daß man schließlich, als der Ertrag nicht einmal mehr die Erhebungskosten deckte, auf die Wohnungsbauabgabe verzichtete und den immer kümmerlicher werdenden Wohnungsbau über Kreditschöpfung finanzierte51. Nach der Währungsstabilisierung hatte die Wohnungskrise ein solches Ausmaß angenommen, daß rasche und umfangreiche Bautätigkeit ein unbedingtes Gebot der Stunde schien. Aber aufgrund der Zerstörung der Kapitalwerte in Krieg und Inflation war auf absehbare Zeit an eine Bereitstellung der hierfür benötigten Gelder auf dem privaten Kapitalmarkt kaum zu denken. Das Reich hielt daher an der seit 1919 eingeschlagenen Politik der Wohnungsbaufinanzierung durch die öffentlichen Hände fest, legte jetzt aber strengere volkswirtschaftliche Kriterien zugrunde. Die im Rahmen der Zwangswirtschaft noch weit unter dem Vorkriegsstand gebliebenen Altbaumieten sollten angehoben werden, die Erhöhung aber nicht dem Althausbesitz zugute kommen, der ja bereits von seiner Entschuldung durch die Inflation profitiert hatte. Den Hausbesitzern wurde daher eine neue Steuer auferlegt: Populär war nur ihr Name, „Hauszinssteuer", unter dem diese ansonsten wenig populäre „Geldentwertungsausgleichssteuer vom bebauten Grundbesitz" seit 1924 erhoben wurde52. Die Erhebung der Steuer lag bei den Ländern, die hierfür ähnlich wie schon bei der Wohnungsbauabgabe unterschiedliche Formen wählen konnten. Längst nicht das gesamte Steueraufkommen floß allerdings dem Wohnungsbau zu; zunächst etwa die Hälfte, seit der Weltwirtschaftskrise dann ein weit höherer Anteil wurde zur Deckung des allgemeinen Finanz-

präsentiert ähnliche Zahlen, die gelegentlich geringfügig (nach unten) abweichen (ders., Inflation, Wohnungszwangswirtschaft und Hauszinssteuer, S. 400). Richard Bräutigam, Bedarf an Wohnungen, in: HdW, S. 112-114, hier 113.

Witt

Denkschrift Nr. 3472, S. 3411. Zur

Entstehung und Problematik der Wohnungsbauabgabe s. Wohnungsbaufinanzierung, S. 153-157, und Führer, Mieter, S. 148-151. Hasiweder, Wohnbauförderung, Bd. 1, S. 32. Rechtliche Grundlage war die dritte Steuernotverordnung vom 14.2.1924; Ruck, Wohnungsbaufinanzierung, S. 159f. auch Ruck,

112

II. Wohnungspolitik als Handlungsfeld

bedarfs verwendet53. Die länderweisen Differenzen in der Erhebung und Verwendung der neuen Steuer waren dabei nicht unerheblich. Als „Hauszinssteuer-Ära" werden im allgemeinen die Jahre 1924 bis 1931 bezeichnet, in denen der durch die beschriebenen Steuerarten und weitere Unterstützungsmaßnahmen stark subventionierte Wohnungsbau viel weniger auf den freien Kapitalmarkt angewiesen war als vor dem Krieg und dann wieder in der NS-Zeit. Der quantitativen Wohnungsproduktion kam diese Förderung stark zugute, wie Tabelle 3 ausweist. Da die Zahlen unbestreitbare Erfolge spiegeln, haben die Nationalsozialisten immer wieder versucht, die Leistungen der Hauszinssteuerära auf qualitativer Ebene anzugreifen. Um den Hintergrund dieser Strategie deutlich zu machen, seien zunächst die wichtigsten Charakteristika der Bauoffensive seit Mitte der zwanziger Jahre festgehalten: 1) In der Hauszinssteuerära waren es zu einem guten Teil die gemeinnützigen Baugenossenschaften und -gesellschaften, die die öffentlichen Gelder für ihre Bauprojekte einwerben konnten. Im Zentrum der gemeinnützigen Bautätigkeit, also der „Bautätigkeit unter Gewinnverzicht"54, standen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die Baugenossenschaften. Sie hatten sich schnell einen zahlenmäßigen Vorsprung gegenüber den gemeinnützigen Bau-Aktiengesellschaften gesichert, die als karitative Unternehmungen gegen die Wohnungsnot an sich auf die ältere Tradition zurückblicken konnten. Vor allem das Wirken Victor Aimé Hubers in Berlin hatte den Weg für soziales Engagement in der „Wohnungsfrage" geebnet; 1848 war dort unter dem Protektorat des Prinzen Wilhelm von Preußen die „Gemeinnützige Baugesellschaft" gegründet worden55. Der von Huber bereits stark favorisierte Gedanke der „Association" kam dagegen erst seit den 1860er Jahren in Deutschland zum Tragen, wobei die Kodifizierung des Genossenschaftsrechts seit f 867 die Gründung von Baugenossenschaften erleichterte. Zu ihrem Aufschwung trug insbesondere das Genossenschaftsgesetz von 1889 bei, das die beschränkte Haftung (vorher unbeschränkt) einführte56. Eine Rolle spielten auch ausländische Vorbilder, in besonderem Maße das der englischen „building societies"57. Während die Genossenschaften vor allem den Gedanken der Selbsthilfe der Arbeiter, der bereits für andere Wirtschaftszweige fruchtbar gemacht worden war, auf die Erstellung günstiger Kleinwohnungen ausdehnten, standen die „in den Händen gemeinnützig denkender Kapitalisten" liegenden Aktiengesellschaften in dem Ruf, „Wohltätigkeitsanstalten der besitzenden Klassen" zu sein, und stießen deshalb auf weniger Akzeptanz in der Arbeiterschaft58. Insgesamt läßt sich resümieren, daß die gemeinnützige

53 54

55

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57

58

Dazu die Tabelle bei Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 12. Definition von Eberstadt, zitiert nach Georg Klinke, Gemeinnützige Bautätigkeit, in: HdW, S. 270-274, hier 270. Zur Vordenkerfunktion Victor Aimé Hubers für die Entwicklung des gemeinnützigen Bauwesens Jenkis, Ursprung und Entwicklung, S. 48-59, sowie Faust, Geschichte der Genossenschaftsbewegung, S. 507-511. Vgl. Jenkis, Ursprung und Entwicklung, S. 116-142 und 159-168. Vgl. weiter auch die in Willi Baumgartens Artikel, Baugenossenschaften, in: HdW, S. 49-56, hier 50, dargestellte quantitative Entwicklung: 1890 wurden erst 50 eingetragene Baugenossenschaften registriert, dann stiegen die Zahlen rasant an, so daß man nach der Jahrhundertwende schon den zehnfachen Stand erreichte (1902= 498) und 1914 bei einer Zahl von 1402 angelangt war. Bullock/Read, The movement for housing reform, S. 217-229. Fuchs, Wohnungsfrage und Wohnungswesen, S. 1129.

1. Die Politik des Reiches im Wohnungs- und

113

Siedlungswesen

Bautätigkeit bis zum Ersten Weltkrieg nur einen relativ bescheidenen Anteil an der Gesamtproduktion von Wohnungen betrug59. Die Baugenossenschaften hatten nach Schätzungen bis 1914 insgesamt etwa 125000 bis 150000 Wohnungen in Deutschland erstellt und waren damit noch immer ein eher randständiger Faktor im Wohnungsbau60. Das änderte sich sehr schnell nach dem Ersten Weltkrieg; ein geradezu hektisches Gründungsfieber grassierte schon in den Inflationsjahren, als die Baukostenzuschüsse erstmals in verstärktem Maße öffentliche Mittel zugänglich machen. Neben der Neugründungsquote blieb allerdings auch die Auflösungsquote in diesen Jahren bemerkenswert hoch, denn ließen sich auch viele schnell auf das Wagnis einer Genossenschaftsgründung ein, weil der Staat ja in jedem Fall durch seine Zuschüsse die Rentabilität der Bauprojekte sicherzustellen schien, mußten sie dann doch die Erfahrung machen, daß fehlende Branchenkenntnis, schlechte Planung oder mangelnde Vorsicht die Bauvorhaben zum Scheitern bringen konnten61. Tab. 4: Baugenossenschaften in Deutschland 1918-1928

Jahr

Bestand am 1.1.

Neugründungen

Auflösungen

Reinzuwachs

1918 1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1928

1402 1506 2131 2497 3064 3 265 3377 3710 3 834 3988 4095

114 636 430 694 354 260 493 377 346 292 183

10 11 64 127 153 148 160 253 192 185 146

104 625 366 567 201 112 333 124 154 107 37

Quelle: Baumgarten, Baugenossenschaften, in: HdW, S. 51. Neben den

Baugenossenschaften expandierten nach dem Krieg die gemeinnützigen Baugesellschaften, die jetzt häufig auch die Form von Gesellschaften mit beschränkter Haftung annahmen. Etliche Städte gingen dazu über, nicht nur Gelder weiterzuleiten und Hypotheken zu vermitteln, sondern eigene Siedlungsgesellschaften zu gründen oder sich an Neugründungen zu beteiligen62. „Aber nicht nur die öffentlichen Gewalten, auch die Selbsthilfe verschiedenster Bevölkerungsgruppen, der Arbeiter, Angestellten und Beamten, bediente sich derartiger Siedlungs- und Baugesellschaften, um ihren Berufsgenossen zu einer Wohnung zu verhelfen, insbesondere da, wo der Wirkungskreis über ein größeres Gebiet ausgedehnt werden sollte, so daß die Form der Baugenossenschaft schon aus räumlichen Gründen ausfiel."63

59

60 61

62 63

Albrecht, Die gemeinnützige Produktion, S. 278-296, hier 288.

in: Fuchs

(Hrsg.), Wohnungs- und Siedlungsfrage,

Klinke, Gemeinnützige Bautätigkeit (wie Anm. 54), S. 272. Baumgarten, Baugenossenschaften (wie Anm. 56), S. 51. Vgl. für das Münchner Beispiel unten, S. 175f. Klinke, Gemeinnützige Bautätigkeit (wie Anm. 54), S. 272.

II.

114

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

Tab. 5:

Wohnungsbau und Bauherren in Deutschland in der Hauszinssteuerära Private Bauherren Öffentliche Jahr Gemeinnützige Körperschaften Bauvereimg. Zahl der fertiggestellten Neuwohnungen absolut in %

1927 1928 1929 1930 1931

169395 180900 173139 156754 118749

60,3 59,6 55,5 51,3 51,7

absolut in % 78426 90889 109121 121394 92587

27,9 30,0 34,9 39,8 40,3

absolut in %

gesamt

11,8 10,4 9,6 8,9 8,0

281090 303 327 312270 305296 229828

33269 31538 30010 27148 18492

Quelle: Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 19. Erläuterung: Es ergeben sich andere Gesamtjahresergebnisse als in Tab. 3, weil hier nur Neuwohnungen (keine Umbauten, keine Abbruche) in Wohngebäuden berücksichtigt wurden. ihrer Zunahme bis 1930 die Bautätigkeit der gemeinnützigen Bauvereinizusammen mit der der öffentlichen Körperschaften auch die private Wohgungen nicht so war nur das der Tatsache übertraf, nungsproduktion geschuldet, daß in ländlichen Regionen der private Kleinhausbau immer noch die herausragende Rolle spielte. Im Mietwohnungsbau besonders der Großstädte mußten die privaten Unternehmer aber das Feld längst den Gemeinnützigen überlassen: Beispielsweise wurden 1931 drei Fünftel aller Neubauten in Großstädten im Auftrag von gemeinnützigen Wohnungsunternehmen durchgeführt64. 2) Die Wohnungsproduktion stieg in der Hauszinssteuerära auf ein deutlich höheres Niveau; das galt nicht nur für den Nettozugang an Wohnungen, sondern auch für die Gebäude- und Wohnungsgrößen. Lag die durchschnittliche Größe bei neuerrichteten Wohngebäuden im Reich 1924 noch bei 1,7 Wohnungen (in den Großstädten bei 2,4), entfielen 1930 schon 2,5 Wohnungen auf jedes Wohngebäude (in den Großstädten sogar 4,8); während der Weltwirtschaftskrise und im „Dritten Reich" kehrte sich der Trend dann allerdings wieder um. Es waren vor allem die neuen Träger des Wohnungsbaus die gemeinnützigen Baugesellschaften und -genossenschaften -, die die größeren Mietshäuser erbauten, während die Häusergrößen bei den privaten Bauherren durchschnittlich ziemlich stabil unter zwei Wohnungen pro Gebäude blieben 65. Parallel zum verstärkten Hervortreten der gemeinnützigen Bauvereinigungen und zur hohen Beteiligung öffentlicher Gelder im Wohnungsbau verlief der Trend zur Bevorzugung der Großstädte: Dort, wo am meisten Geld aus der Hauszinssteuer aufkam, wurden die Förderungsmittel auch am stärksten eingesetzt. Das war außerdem dringend notwendig, denn gerade die Großstädte hatten während der Inflationsjahre ihr Wohnungsdefizit noch vergrößert. 1924 konnten sie nur ein Fünftel des Wohnungsneubaus für sich verbuchen, bis 1930 stieg ihr Anteil auf fast die Hälfte66. Obwohl der Wohnungsbau zu einem guten Teil in die Hände der gemeinnützigen Bauwirtschaft fiel, wurde auch in der Hauszinssteuerära „die Kleinwohnungsfrage" nicht gelöst. Noch immer schien der Bau größerer Wohnungen rentabler, weil nach wie Wenn

trotz

-

-

-

Fey, Leistungen und Aufgaben, S. Vgl. Tabelle ebenda, S. 16. Vgl. Tabelle ebenda, S. 17.

19.

1. Die Politik des Reiches im Wohnungs- und vor

galt,

daß „die

Herstellungskosten

einer

115

Siedlungswesen

Wohnung [...],

gemessen

am

umbauten

Raum, um so höher sind, je kleiner der umbaute Raum ist"67. Ohnehin waren auf dem

Neuwohnungsmarkt eher die bessergestellten Mittelschichten zu vermuten, während Arbeiterhaushalte in der Regel auf die Altwohnungen (vor 1918 erbaut) verwiesen blieben, die durch andauernde zwangswirtschaftliche Regelungen stärker von der Marktentwicklung abgeschirmt wurden. Allerdings wurde das Niveau keineswegs so niedrig gehalten wie zur gleichen Zeit in Österreich, dessen extrem weitgehender Mieterschutz geradezu ein Markenzeichen der Ersten Republik bedeutete. Hier beliefen sich 1929 die Mieten erst auf etwa 20 Prozent des Vorkriegsstandes68; in Deutschland wurde dagegen schon 1926 die gesetzliche Miete reichseinheitlich auf eine Mindesthöhe von 100 Prozent der Friedensmiete angehoben, 1927 stieg der Index auf 120 Prozent69. Durch die Hergabe öffentlicher Mittel gelang es auch im Neuwohnungsbau, die Mieten, die sonst etwa 300 Prozent des Vorkriegsstandes erreicht hätten, zu drücken und in den geför-

derten Bauten immerhin auf ein Niveau von 150 bis 170 Prozent der Friedensmiete zu senken70. Trotzdem machte „der Unterschied zwischen gesetzlicher und Neubaumiete den großen Massen der Arbeitnehmer die Benutzung von Neubauwohnungen fast unmöglich"71. Der Trend ging daher zunächst zur Mittelwohnung für kaufkräftigere Schichten: Bis 1928 erreichte der Bau von Wohnungen mit vier bis sechs Wohnräumen in Großstädten fast das doppelte Ausmaß der Errichtung von Kleinwohnungen (ein bis drei Wohnräume)72. Erst als unter dem Einfluß sozialdemokratischer Wohnungspolitiker die Erkenntnis sich durchsetzte, daß die Wohnungsförderung stärker auf die einkommensschwachen Gruppen zielen müsse, machte sich seit dem Ende der 1920er Jahre auch zahlenmäßig eine „Wende hin zum Kleinwohnungsbau" bemerkbar73. Daß sie kaum noch Wirksamkeit entfaltete, lag am Einbruch jeglicher Wohnungsproduktion in der Weltwirtschaftskrise. 3) Die öffentlichen Aufwendungen für den Wohnungsbau in den „stabilen" Jahren der Weimarer Republik wurden nicht allein aus der Hauszinssteuer finanziert. Die Gemeinden etwa steuerten in erheblichem Maß eigene Mittel bei, um im größeren Rahmen Wohnungsneubau zu ermöglichen. So ergab eine Umfrage unter den Städten, daß in den Jahren 1924 bis 1926 pro Kopf der Bevölkerung 43,35 RM aus Hauszinssteuermitteln und Zuwendungen von Reich und Staat für die Wohnungsbauförderung ausgegeben wurden, dazu aber nochmals 34,46 RM aus städtischen Mitteln74. Die Gemeinden knüpften mit diesen relativ hohen Aufwendungen, die ihnen auch erhebliche Schuldenlasten eintrugen75, an die schon vor dem Krieg als das Reich noch kaum wohnungs-

67

68 69

70 71 72 73

Kruschwitz, Arbeiterwohnungsfrage, in: WWS, Bd. 1, S. 37-40, hier 39. Frei, Rotes Wien, S. 83. Georg Heilmann, Miete, gesetzliche, in: HdW, S. 518-525, hier 520. Auch Führer beurteilt das

Tempo in der Rückführung der Mieten auf den Vorkriegsstand und darüber hinaus als zügig, vgl. ders., Mieter, S. 160-164, bes. 160. Denkschrift Nr. 3777, S. 12f.

Ebenda, S. 13. Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 16. Vgl. unten, Tab. 9, S. 132, mit ähnlichen Zahlen. Ruck, Wohnungsbaufinanzierung, kennen.

74

75

S. 175. Tab. 9, S. 132, läßt das für 1929 bereits deutlich

er-

Greven, Die Finanzierung des Wohnungsneubaus, in: Gut, Wohnungsbau in Deutschland, S. 98-118, hier 105. Silverman, Pledge Unredeemed, S. 124f.

116

II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

politisch aktiv wurde begründete Tradition an, sich in der Wohnungsfürsorge zu engagieren, um wenigstens den ärgsten Mißständen abzuhelfen76. Auch die Länder traten mit eigenen Zuschüssen hinzu, und die öffentlichen Körperschaften reichten für ihre Angestellten zusätzlich Arbeitgeberdarlehen aus. Finanziert wurden all diese Maßnahmen der öffentlichen Hand in der Regel aus Anleihen bei Sparkassen, Hypothekenbanken und öffentlich-rechtlichen Kreditanstalten. Diese Möglichkeiten der Geldbeschaffung standen seit der Währungsstabilisierung der Privatwirtschaft gleichfalls wieder zur Verfügung, so daß nach einer Anlaufphase auch erhebliche Mittel von privaten Hypothekenbanken, Kreditinstituten, Versicherungen oder Bausparkassen in den Wohnungsbau flössen77. -

Tab. 6: Investitionen im

Wohnungsbau 1924-1931 (in Millionen Reichsmark)

Öffentliche Mittel

Jahr 1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930 1931

Haus- andere zinsst. 250 540 670 780 775 765 695 325

250 395 440 560 565 465 315 120

in %

50,0 55,0 58,4 51,5 47,9 42,4 42,1

37,1

Kapitalmarkt in %

100 290 560 945 1325 1240 1235 645

10.0 17.1

29,5 36,3 47,3 42,8 51,5 53,7

Sonstige Mittel in %

400 475 230 315 135 430 155 110

40,0 27,9 12,1 12,1 4,8 14,8 6,4 9,2

gesamt

1000 1700 1900 2600 2 800 2900 2 400 1200

Quelle: Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 14.

Öffentliche Mittel: Neben den Hauszinssteuerhypotheken wurden Zuschußmittel der Länder und

Gemeinden, Arbeitgeberdarlehen der öffentl. Hand u.a. gewährt. Kapitalmarkt: Hier sind die Mittel der sog. organisierten Kreditgeber also der Hypothekenbanken, Kreditanstalten, Sparkassen, Versicherungen und Bausparkassen erfaßt. Sonstige Mittel: sind als Differenzbetrag errechnet, d.h. von den Gesamtinvestitionen wurden die öffentlichen Mittel und die Mittel der organisierten Kreditgeber abgezogen. Hier sind alle nicht erfaßbaren privaten und öffentlichen Kredite zusammengefaßt, außerdem Eigenkapital, Privathypotheken und -darlehen, Zwischenkredite usw. Auch zeitliche Verzögerungen zwischen Ausreichung und Abrechnung von Hypotheken schlagen sich auf die jährlichen Differenzbeträge nieder. -

-

Die Tabelle, die auf Schätzungen des Instituts für Konjunkturforschung beruht, läßt bei allen Ungenauigkeiten erkennen, daß die öffentlichen Mittel über den ganzen Zeitraum etwa die Hälfte der Gesamtinvestitionen ausmachten, wobei sie in den ersten Jahren auf fast 60 Prozent kletterten und am Ende auf unter 40 Prozent sanken. Selbst in dieser Hochphase öffentlicher Wohnungsbaufinanzierung blieb der private Kapitalmarkt also ein entscheidender Faktor. Im Zeichen der gerade erst überwundenen Inflation war das Hypothekenkapital allerdings wesentlich teurer als vor dem Krieg78. Weil

Vgl. Gut, Die Entwicklung des Wohnungswesens in Deutschland nach dem Weltkriege, in: ders, Wohnungsbau in Deutschland, S. 19-50, hier 23. Vgl. Kaemper, Finanzierung des Wohnungsbaues, in: WWS, Bd. 1, S. 463-477, bes. 470-473. Nach dem Artikel von Ernst Karding, Realkredit, in: HdW, S. 602-605, betrug der Zinssatz für die erste Hypothek in der Hauszinssteuerära 8-8,5%, vor dem Krieg dagegen nur 4-4,5%; für die zweite Hypothek, die vor dem Krieg 4,5-5% Zinsen gekostet hatte, sogar 12-14% (S. 604). Vgl. auch Harlander, Heimstätte und Wohnmaschine, S. 28.

1. Die Politik des

Reiches im Wohnungs- und Siedlungswesen

117

angesichts der Unsicherheiten der wirtschaftlichen Entwicklung die Beleihungsgrenze für erste Hypotheken zudem herabgesetzt wurde, klaffte häufig, trotz Hauszinssteuerhypotheken, eine Finanzierungslücke79. Die Gemeinden sprangen hier teilweise mit ein, indem sie Bürgschaften übernahmen, die eine Ausweitung der Beleihungsgrenzen erlaubten. Einige Städte, wie auch München, wandten außerdem ein System von Zinszuschüssen an, um die Aufnahme privater Kredite zu ermöglichen und „die Hergabe von öffentlichen Mitteln für die betreffenden Wohnungsbauten ganz oder teilweise zu ersparen"80.

Wie im folgenden noch ausführlicher darzulegen sein wird, kehrte sich die nationalsozialistische Politik von den hohen öffentlichen Investitionen in den Wohnungsbau ab und rückte die Bedeutung der privaten Finanzierung wieder ganz in den Vordergrund. Entsprechend eindeutig lehnte man im Nationalsozialismus die Förderungspolitik der „Systemzeit" ab und sprach von den „Fehlern" der Hauszinssteuerära81. Der hohe Einsatz öffentlicher Mittel habe letztlich bedenkliche Wirkungen gezeigt, vor allem in einer „beispiellosen Übersteigerung der Baukosten und der Mieten"82. Durch den künstlich erzeugten Bauboom seien die marktregulierenden Kräfte ausgeschaltet worden und die Baupreise in die Höhe geschossen83. Der im Neubau betriebene Aufwand habe zudem die Mieten dort, trotz der öffentlichen Zuschüsse, nach oben getrieben. Damit seien die weniger kaufkräftigen Schichten immer mehr vom Neuwohnungsmarkt gedrängt worden: „Dies widersprach aber dem staatspolitischen Ziel, durch die öffentliche Hilfe vorwiegend für die minderbemittelten Kreise Wohnungen und Heimstätten zu schaffen."84 Diese auf „soziale Fehlsubventionierung" zielende Kritik ist jenseits ihrer Instrumentalisierung durch die Nationalsozialisten nicht völlig von der Hand zu weisen, weil tatsächlich zu wenig kleine und einfache Wohnungen geschaffen wurden85. Demgegenüber hat Peter-Christian Witt gerade die qualitative Verbesserung des Wohnungsbaus in den zwanziger Jahren betont und auch seine besonders im Vergleich zum „Dritten Reich" gute zahlenmäßige Leistung. Zudem seien die Mieten insgesamt weit hinter der Entwicklung der Lebenshaltungskosten zurückgeblieben, so daß in der Bilanz „die öffentliche Förderung des Wohnungsbaus in der Weimarer Republik also relativ erfolgreich" gewesen sei86. Die unterschiedlichen Perspektiven, die hinter diesen gegensätzlichen Auffassungen stecken, sind evident. Während es in nationalsozialisti-

-

79

80

81

Kaemper, Finanzierung des Wohnungsbaues (wie Anm. 77), S. 471; Ruck, Wohnungsbaufinanzierung, S. 167-170. Greven, Finanzierung (wie Anm. 74), S. 106. Zu München vgl. unten, S. 179. Vgl. den Abschnitt bei Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 21f. Dazu auch Ruck, Schnittpunkt, S. 92.

82 83

84 85 86

Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 21. Vgl. auch Seldte, Sozialpolitik im Dritten Reich, S. 162. Tatsächlich kletterte der Baukostenindex (1913 100) von 138,9 1924 auf 170,9 1925, sank dann in den folgenden beiden Jahren nur leicht ab, um 1928 auf 175,3 und 1929 sogar 178,1 zu steigen. Damit war der Pik erreicht, während in der Weltwirtschaftskrise die Baukosten zu fallen begannen. Tabelle bei Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 65. Bei Torinus, Wohnungspolitik der Nachkriegszeit, wird der Baukostenindex ins Verhältnis zum Lebenshaltungskostenindex gesetzt, woraus sehr deutlich wird, daß die Steigerung der Baukosten über den allgemeinen Preis=

steigerungen lag (S. 63f.). Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 22. Vgl. Ruck, Wohnungsbaufinanzierung, S. 172f. Witt, Inflation, Wohnungszwangswirtschaft und Hauszinssteuer, S. 406.

118

II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

scher Zeit um den Nachweis ging, daß die Weimarer Wohnungspolitik das entscheidende Ziel nämlich die ausreichende Versorgung der Arbeiterbevölkerung mit Wohnraum verfehlt habe, ist für den vergleichenden Blick der Forschung augenfällig, daß der Nationalsozialismus einen solchen Erfolg erst recht nicht verbuchen konnte87. Im folgenden werden die Strategien und Ergebnisse der nationalsozialistischen Politik im Wohnungssektor zu diskutieren sein, wobei am Anfang ein Blick auf die Weltwirtschaftskrise stehen soll, in der etliche der kommenden Entwicklungen bereits vorweggenommen wurden. -

-

Prämissen nationalsozialistischer Wohnungspolitik Das Ende der Hauszinssteuerära kann mit dem Jahr 1931 angesetzt werden, als schlagartig der zur Förderung der Bautätigkeit verwendete Anteil des Hauszinssteueraufkommens von noch fast der Hälfte im Rechnungsjahr 1930/31 auf ein Viertel 1931/32 zurückging und damit die Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs die Oberhand gewann. Auf dem Höhepunkt der Krise, im Jahr 1932/33, wurden nicht einmal mehr vier Prozent des ohnehin stark reduzierten Aufkommens für Wohnungsbauzwecke verwendet88. In der Folge brach auch die Bauproduktion ein, und der Reinzugang ging sehr schnell von 311 000 Wohnungen im Jahr 1930 über 230000 1931 auf 140000 im Jahr 1932 zurück89. Weil die größeren Städte in der Hauszinssteuerära am meisten von den öffentlichen Mitteln profitiert hatten, spürten sie jetzt auch deren Ausfall am stärksten90. Wahrscheinlich wäre der Produktionseinbruch im Wohnungsbau noch eklatanter ausgefallen, wenn nicht gleichzeitig und schon vorher der Baukostenindex rückläufig gewesen und zudem im Neubau an Ausstattung und Material gespart worden wäre91. Das konnte jedoch nur zum kleinen Teil die fehlenden Finanzierungsmittel in der Krise aufwiegen. Es waren ja nicht nur die öffentlichen Gelder, die ausblieben, auch der private Kapitalmarkt erschöpfte sich: „Die Hauptquellen der Wohnungsbaufinanzierung Sparkassen und Hypothekenbanken sind versiegt."92 Der starke Rückgang betraf allerdings nicht nur die Angebots-, sondern auch die Nachfrageseite: Die Schwierigkeiten, den Lebensunterhalt in der Krise zu bewältigen, schlugen sich in Einsparungen beim Wohnaufwand nieder, teure Wohnungen wurden verlassen, oder man verzich-

87

88

89 90 91

92

-

etwas provokante Titel des Aufsatzes von Silverman, „A Pledge Unredeemed: The Housing Crisis in Weimar Germany", hat insofern durch den jüngsten Aufsatz von Führer, „Anspruch und Realität. Das Scheitern der nationalsozialistischen Wohnungsbaupolitik 19331945", eine Replik gefunden. Tabelle bei Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 12. Absolut war das ein Rückgang von 740 Mil-

Der

lionen RM 1930/31 über 340 Millionen RM 1931/32 auf nur noch 33 Millionen RM (ein Zehntel des Vorjahres!) 1932/33. Ruck betont, daß diese Entwicklung sich zwar vor dem Hintergrund der ökonomischen Krise abspielte, letztlich aber durch bewußte politische Entscheidungen herbeigeführt wurde (ders, Schnittpunkt, S. 105). Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 13. Ebenda, S. 23. Damit war nicht nur ein starker Rückgang des Baukostenindex zu verzeichnen, sondern auch der effektiven Baukosten, vgl. Oscar Witt, Die Baukosten von Neubauwohnungen und die Investitionen im Wohnungsbau bis zum Jahre 1932, in: Der Gemeindetag 28 (1934), S. 45*-51*, hier 46*. Der Gemeindetag 27 (1933), S. 79.

1. Die Politik des Reiches im Wohnungs- und

Siedlungswesen

119

auf eigene Haushaltsgründung, was sich später beim Konjunkturaufschwung wieder in starkem Nachholbedarf niederschlagen sollte93. Angesichts der allgemeinen Finanznot versuchte die Reichsregierung, mit dem 1931 initiierten Kleinsiedlungsprogramm ein krisenspezifisches Instrumentarium zu entwickeln, um bei relativ geringem Einsatz öffentlicher Mittel den doppelten Effekt der Beschäftigung von Erwerbslosen und der Schaffung von Wohnraum zu erzielen. Dieses Programm wird im ersten Kapitel des dritten Teiles ausführlich behandelt werden. Vorweggenommen sei allerdings, daß die Auswirkungen der Kleinsiedlungsinitiative auf dem Höhepunkt der Krise 1932 sowohl beschäftigungspolitisch als auch wohnungspolitisch viel zu gering waren, um effektive Gegenakzente zu setzen. Unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung großstädtischer Zusammenballung und der Rückkehr zu einer bodengebundenen, ländlichen Wohnweise schien das neue Kleinsiedlungsprogramm jedoch wie gemacht, um von den Nationalsozialisten übernommen zu werden. Tatsächlich behielten sie es in der ersten Zeit ihrer Herrschaft weitgehend in der bisherigen Form bei, um es nach und nach ihren ideologischen Vorstellungen weiter anzupassen. Das Kleinsiedlungsprogramm ist jedoch nur ein Beispiel dafür, daß die Nationalsozialisten 1933 „das Erbe einer konservativen Wende in der Wohnungspolitik"94 antraten. Nach der Machtübernahme wurde nicht versucht, die in der Weltwirtschaftskrise vorgenommenen Kursänderungen zu revidieren. Eine Wiederbelebung der starken Subventionierung durch Hauszinssteuermittel etwa entsprach nicht dem nationalsozialistischen Programm, das eine sich selbst tragende Bauwirtschaft anvisierte, die ihre Finanzierungsmittel aus dem freien Kapitalmarkt schöpfte. Auch die wegen der Geldknappheit zu beobachtende Abkehr von großen Mietwohnungsbauprojekten seit 193295 war im Grunde der Trend, den die Nationalsozialisten ohnehin anstrebten. In ihrer Sprache hieß das: „Wir wollen keine neuen Massenquartiere hinstellen, in denen Hunderte von Menschen zusammengepfercht werden." Die Kleinwohnung der Zukunft sollte dagegen möglichst im „wohnlichen und dem Boden nähergerückten Kleinhaus" erstellt werden96. Die Grundzüge des nationalsozialistischen Wohnungsprogramms kristallisieren sich in dieser Anknüpfung an die in der Weltwirtschaftskrise geschaffenen Strukturen bereits heraus. Es ist allerdings die Frage, inwieweit überhaupt von einem Programm für diesen Sektor gesprochen werden kann. Tatsächlich fehlt es an einheitlichen und verbindlichen programmatischen Aussagen nationalsozialistischer Ideologen zum Thema Wohnung und Siedlung97; auch das von Hitler als „unveränderlich" deklarierte Partei-

tete

93

94 95

96

Pergande, Gesetzgebung,

S. 90, weist darauf hin, daß trotz der Einbrüche im Wohnungsbau Ende 1932 mehr als 150 000 Wohnungen leerstanden. Harlander, Heimstätte und Wohnmaschine, S. 39. Auf ein neuerrichtetes Wohngebäude fielen 1932 durchschnittlich nur noch 1,6 Wohnungen, 1930 waren es noch 2,5 gewesen, Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 16. Büttner, Wohnungs- und Siedlungspolitik, S. 36, wobei das erste Zitat nach Büttner vom Berli-

Oberbürgermeister Lippert stammt. Vgl. Schulz, Kontinuitäten und Brüche, S. 149-151. Schulz verneint explizit die Existenz eines NS-Wohnungsprogramms: „Es gab keine geschlossene NS-Wohnungspolitik und -programmatik, sondern nur einzelne Planer, heterogene Planungen und individuelle Initiativen" ner

97

(S. 151).

II.

120

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

für den Bereich der Bodenpolitik Forderungen98, die wurden. Dennoch lassen sich einige immer wieder aneingehalten zutreffende ideologische Positionen benennen, die in verschiedenen Phasen nationalsozialistischer Wohnungs- und Siedlungspolitik allerdings unterschiedliches Gewicht erhielten. Als solcher Topos ist die Ablehnung der Großstadt anzusprechen, mit der sich die Nationalsozialisten freilich in eine ausgeprägte und weitverbreitete Tradition der Großstadtfeindschaft einordneten. In der Großstadt lauere die größte Gefahr, daß das deutsche Volk sittlich und biologisch degeneriere, daß die Bevölkerung weiter abnehme und außerdem in zunehmendem Maße von typischen Zivilisationskrankheiten befallen werde99. Auch von Hitler selbst sind Äußerungen in diesem Sinne überliefert, die vor allem die rassenideologisch-bevölkerungspolitische Komponente seiner Großstadtkritik deutlich machen. In der Großstadt werde der Mensch seinen Ursprüngen entfremdet; „Laster, Untugenden und Krankheiten" gediehen in den überfüllten Zentren, in denen die Rasse in besonderem Maße von Herabminderung durch „Blutsvermischung und Bastardierung" betroffen sei100. Rainer Zitelmann hat hervorgehoben, daß es ein Irrweg sei, aus der Kritik Hitlers an der Großstadt in direkter Weise auf dessen Wunsch nach Abschaffung derselben zu schließen. Er habe nur „bestimmte von ihm als negativ empfundene Erscheinungen des Großstadtlebens" aufheben und durch seine Bevölkerungsund Rassenpolitik bekämpfen wollen101. Insgesamt tendiert die neuere Forschung dazu auch im Licht der vieldiskutierten modernisierenden Aspekte des Nationalsozialismus -, der Großstadtfeindlichkeit in der NS-Propaganda eine relativ geringe praktische Bedeutung zuzumessen und demgegenüber die nationalsozialistischen Aktivitäten im Bereich der Planung und Anlage moderner Industriestädte hervorzuheben102. Betrachtet man außerdem die quantitativen Auswirkungen der Wohnungs- und Raumpolitik im „Dritten Reich", so kann man ebenfalls konstatieren, daß der säkulare Verstädterungstrend nicht umgekehrt wurde und das Wachstum der Großstädte keinen Einbruch erlitt103. Dennoch hatte auch die antimoderne, großstadtfeindliche Einstellung weiterhin ihre Fürsprecher, die, wenn schon keine Rückkehr zur ländlichen Lebensform, zumindest eine starke Entflechtung der Städte wünschten104. Und gerade im Festhalten am programm

von

1920 erhob

nur

später zudem nicht

-

Punkt 17 des Parteiprogramms von 1920 lautete: „Wir fordern eine unseren nationalen Bedürfnissen angepaßte Bodenreform, Schaffung eines Gesetzes zur unentgeltlichen Enteignung von Boden für gemeinnützige Zwecke, Abschaffung des Bodenzinses und Verhinderung jeder Bodenspekulation." Knoll, Bodenfrage, in: WWS, Bd. 1, S. 327-336, hier 333. Typisch für diese Auffassung Büttner, Wohnungs- und Siedlungspolitik, S. 19-23. Vgl. außerdem Bergmann, Agrarromantik und Großstadtfeindschaft, S. 340-360, der bereits in differenzierter Weise die spezifische Variante der NS-Großstadtfeindschaft hervorgehoben hat, die sich zwar gegen die charakteristische Urbanität des 20. Jahrhunderts wandte, aber nicht in

grundsätzlicher Gegnerschaft zur Stadt an sich stand.

aus Hitlers „Zweitem Buch" nach Zitelmann, Hitler, S. 319. Ebenda, bes. S. 322. Ähnlich auch Forndran, Stadt- und Industriegründungen, S. 62. Vgl. neben Forndran, Stadt- und Industriegründungen, etwa Recker, Großstadt, bes. S. 12; Walz, Wohnungsbau- und Industrieansiedlungspolitik, bes. S. 158-262; Durth, Architektur

Zitat

und Stadtplanung, bes. S. 153. Vgl. Tabellen „Bevölkerung nach Gemeindegrößenklassen" und „Wachstum deutscher Großstädte" in: Petzina/Abelshauser/Faust, Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch III, S. 36-38. Vgl. z.B. den allerdings zu diesem Zeitpunkt (1939) auf rein akademisches Wirken eingeschränkten Gottfried Feder, Die neue Stadt. Zur großstadtfeindlichen Haltung Feders außerdem Forndran, Stadt- und Industriegründungen, S. 57-62.

1. Die Politik des

Reiches im Wohnungs- und Siedlungswesen

121

Kleinsiedlungsprogramm etwa zeigte sich, daß die „Wiederverwurzelung" der Städter

mit dem Boden nicht nur hohle Phrase, sondern auch konkretes Ziel nationalsozialistischer Wohnungspolitik war. Im Krieg schlug dann allerdings endgültig das Pendel zugunsten einer rational-modernen Linie der Wohnungspolitik aus, die auf typisierte Massenproduktion von Wohnzellen setzte, während zuvor Elemente beider Richtungen Verwirklichung fanden. Ein eng mit der Großstadtfeindlichkeit verbundenes ideologisches Ressentiment der Nationalsozialisten richtete sich gegen die „Mietskaserne", diese „schlechteste und ungesündeste Bauweise"105. Neben den angeprangerten negativen Auswirkungen des Massenwohnungsbaus auf Gesundheit und Fortpflanzung war den Nationalsozialisten offensichtlich die politische Dimension der großen Mietshausbauten, die als Symbol sozialdemokratischer Wohnungspolitik und Brutstätten sozialistischer Umtriebe galten, suspekt106. Dagegen wurden „gesunde Wohnungen" gesetzt, deren Zukunft man vor allem in Eigenheimbau und Siedlung sah, zumindest bis 1940, als sich unter der Führung Robert Leys andere Konzepte für den Wohnungsbau der Nachkriegszeit durchzusetzen

begannen.

Immer wieder hoben die Stellungnahmen von Vertretern der Wohnungs- und Siedlungspolitik im nationalsozialistischen Staat hervor, wie wichtig man die Privatinitiative in diesem Bereich erachtete107. Daraus folgten zwei Konsequenzen: zum einen wurde zwangswirtschaftliches negatives Eingreifen in den Wohnungsmarkt zur Umverteilung von Alt-Wohnraum weitgehend abgelehnt (auch hier gab es allerdings im Krieg eine gewisse Politikänderung); zum anderen wurde die positive Unterstützung von -

-

Wohnungsbauaktivitäten durch finanzielle Leistungen der öffentlichen Hände ebenfalls als falsche Politik betrachtet und dagegen die vorrangige Verantwortung der Privatwirtschaft, die vor allem durch indirekte Maßnahmen und Vergünstigungen zu unterstützen sei, betont. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Priorität wurde dem Rüstungssektor beigemessen und damit den Aufträgen für die Bauwirtschaft, die ihm zugute kamen. Außerdem genossen Repräsentativbauten in besonderem Maße Förderung: sie sollten Prestige und Herrschaftsanspruch des totalitären Systems quasi wörtlich untermauern. Der Wohnungsbau sollte sich dagegen finanziell so weit wie möglich selbst tragen; im Unterschied zur Vorkriegshaltung des Reiches unternahmen die Nationalsozialisten jedoch Initiativen zur ordnungspolitischen Gestaltung des Wohnungssektors, auf die noch einzugehen sein wird108. Auch als soziales Problem konnte die nationalsozialistische Politik die Wohnungsfrage freilich nicht völlig ignorieren. Daß neben ArbeitsmögOtto Wetzel, Nationalsozialismus und Wohnungsbau, in: Bauen, Siedeln, Wohnen 17 (1937), S. 351-353, hier 351. Besonders polemisch gingen sie deshalb etwa mit der Wohnungspolitik des „roten Wien" um, vgl. Fiehler, Nationalsozialistische Gemeindepolitik, S. 50f. Z.B. Wilhelm Ludovici (sie!), Nationalsozialismus und Siedlung, in: Sonderbeilage zum VB vom 9.6.1934 zur Frage des Siedlungskredites: „Wir müssen ja Besitzer aus eigener Leistung schaffen und haben nicht das Recht, Geschenke auszuteilen." Vgl. für das Folgende auch Führer, Anspruch und Realität, S. 240, 244f. Von den Behörden wurde das natürlich positiv gewendet: „Die quantitativen Funktionen der öffentlichen Mittel sind damit in den Hintergrund getreten zugunsten der qualitativen." Fischer-Dieskau, Grundsätzliches zum Einsatz öffentlicher Mittel für Kleinsiedlung und Kleinwohnungsbau, in: Siedlung und Wirtschaft 19 (1937), S. 462-467, hier 463.

122

II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

befriedigende Wohnverhältnisse für die Loyalität der „Volksgenossen" ausschlaggebend wären, wurde erkannt und ausgesprochen109. Hitler ging in einer inszenierten Friedenspropagandarede nach der Rheinlandbesetzung sogar so weit, die Wohnraumversorgung der Aufrüstung voranzustellen110. Eine solche propagandistische Verzerrung, ja Lüge änderte aber nichts an der weitgehenden Zurückhaltung des lichkeiten auch

Staates bei der materiellen Lösung des Problems. Erst als Hitler erkennen mußte, daß die Verhältnisse in der Wohnraumversorgung sich seit der Machtübernahme nicht nur verschlechtert hatten, sondern bedrohliche Ausmaße annahmen, ließ er ein Programm für den „sozialen Wohnungsbau" entwickeln111. Für eine Initialzündung zu neuer

Bautätigkeit war es Ende 1940 freilich zu spät, an ihre Stelle traten utopistische Planspiele für das Wohnungswesen der Nachkriegszeit. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß es zu den hier skizzierten und im folgenden durch Hintergründe und Schattierungen zu ergänzenden Linien nationalsozialistischer Wohnungspolitik kaum grundsätzliche programmatische Dokumente gibt. Das gilt vor allem für die Zeit vor der Machtübernahme, als die Wohnungspolitik kein Feld war, auf das die Nationalsozialisten besonders ihr Augenmerk gerichtet hätten112.

Auch während des „Dritten Reiches" blieb es fast ausschließlich Sache der in diesem Sektor tätigen Politiker und Beamten, die Grundzüge eines Programms zu entwickeln, während die nationalsozialistische Führungsspitze sich bis zum Krieg mit sachlichen Äußerungen zum Thema sehr zurückhielt113. Eine solche grundsätzliche Projektion entwarf der Hauptabteilungsleiter im zuständigen Reichsarbeitsministerium, Ernst Knoll, 1936 im Deutschen Verein für Wohnungsreform114. Seine neun Thesen seien hier ausführlich zitiert, um damit gleichermaßen das bisher Gesagte zusammenzufassen wie in die weitere Darstellung einzuführen. 109

110

111

112

Vgl. Der Gemeindetag 29 (1935), S. 386: „Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit bekämpfen heißt zufriedene deutsche Menschen schaffen." Vgl. auch Führer, Anspruch und Realität, S. 238f. „Wenn wir heute in einen Krieg gestoßen würden, dann kostet jede 30-cm-Granate gleich 3000 M., und wenn ich noch anderthalb tausend Mark dazulege, dann habe ich dafür ein Arbeiterwohnhaus (stürmischer langanhaltender Beifall), und wenn ich eine Million solcher Granaten auf einen Haufen lege, dann ist dies noch lange kein Monument. Wenn ich aber eine Million solcher Häuser habe, in denen so viele deutsche Arbeiter wohnen können, dann setze ich mir damit ein Denkmal." Aus Hitlers Karlsruher Rede vom 12.3.1936, zitiert in: Siedlung und Wirtschaft 18 (1936), S. 111. Bis sich das im „Führererlaß" vom 15.11.1940 niederschlug, wurde die Bevölkerung mit Worten wie den folgenden vertröstet: „Er [Adolf Hitler] wird zu gegebener Zeit an die Lösung der Aufgabe in ganz großem Umfange herangehen." Krohn, Die Wohnungs- und Siedlungspolitik als Ergänzung der Sozialpolitik, in: Siedlung und Wirtschaft 18 (1936), S. 113f., hier 114. Ich sehe eigentlich kaum Anhaltspunkte für Harlanders Aussage, daß sich die nationalsozialistische Propaganda vor 1933 „intensiv" mit dem Wohnungsbau befaßt habe (Harlander, Heim-

Wohnmaschine, S. 39). Eher als Ausnahmeerscheinungen mit ihrer Betonung der Wohnungsfrage sind meiner Meinung nach Gregor Strasser und Gottfried Feder zu qualifizieren, die aber beide bei der „Machtergreifung" ihre Führungsposition bzw. programmatische Gestaltungskompetenz schon verloren hatten, vgl. Teut, Architektur, S. 251. Der Mangel an substantiellen Äußerungen der NS-Führung zum Thema ist auch der Schrift von Knoll, Grundsätzliches, bes. S. 9-18, anzumerken, der es auf sich genommen hatte, die „Grundsätze" darzulegen, „die im Dritten Reich von Reichsregierung und Partei auf dem Gebiete des Siedlungswesens usw. verfolgt werden" (S. 3). Vollständiger Abdruck unter dem Titel „Reichswohnungspolitik", in: Die Wohnung 11 (1936), S. stätte und

1,3

114

101-107.

1. Die Politik des Reiches im Wohnungs- und Siedlungswesen

123

„1. Ablehnung der Wohnungszwangswirtschaft, aber, solange die Wohnungsknappheit in bedrohlichem Umfange besteht, keine Abschwächung des Mieterschutzes. 2. Große und wachsende Wohnungsknappheit erfordert auf Jahre hinaus den Bau von wenigstens 300000 bis 400000 Wohnungen jährlich. 3. Entsprechend dem Bedarf muß sich der Wohnungsbau in erster Reihe auf die kleinen und kleinsten Wohnungen richten. 4. Die Knappheit der vorhandenen Mittel erfordert sparsamste Ausführung, Vermeidung alles Überflüssigen, aber dauerhafte und gesunde Wohnungen. 5. Aus Gründen der Volksgesundheit, der Bevölkerungspolitik und des Luftschutzes sind Mietkasernen grundsätzlich zu vermeiden, Geschoßbauten auf wenige Geschosse zu beschränken; dem Flachbau ist weitgehend der Vorzug zu gewähren. 6. Aus Gründen der Staats-, Bevölkerungs-, Lohn- und Ernährungspolitik verdient die Kleinsiedlung den Vorzug vor allen anderen Wohnungsarten. Die Kleinsiedlung ist abgesehen von der Schaffung neuen Bauerntums durch die Seßhaftmachung landwirtschaftlicher Arbeiter und Handwerker, namentlich auch die Schaffung von Heuerlingsstellen zu ergänzen. 7. Wohnungsbau und Siedlung müssen möglichst von den Großstädten weg auf die Mittel- und Kleinstädte und das Land gelegt werden. Sie müssen sich in den großen Rahmen der Raumordnung und städtebaulichen Planung einordnen. 8. Bei der Finanzierung führt volle Subventionswirtschaft leicht zu Verschwendung und Korruption; das Ziel muß eine Bauwirtschaft sein, die sich grundsätzlich aus den Kräften des Kapitalmarktes finanziert, wobei die öffentliche Hand sich darauf beschränkt, vorhandene Lücken zu schließen. 9. Die lebenswichtige Bedeutung der Kleinsiedlung erfordert allseitige Unterstützung, solange die Höhe der Preise und Zinsen einerseits, die Höhe der Löhne andererseits die Erstellung von Wohnräumen erschweren, die den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Mindestanforderungen genügen und dabei doch den Einkommensverhältnissen der in Betracht kommenden Siedlerkreise angepaßt ist. Daher müssen namentlich auch hinsichtlich der Bodenbeschaffung, der Anliegerbeiträge usw. alle Erleichterungen gewährt werden, nötigenfalls auch hinsichtlich der Höhe und Verzinsung der öffentlichen Darlehen."115 -

-

Das Reichsarbeitsministerium116 und die

Wohnungskrise Mit dem Beginn eines intensiveren staatlichen Engagements im Wohnungsbau seit dem Ersten Weltkrieg verstärkte sich auch die Notwendigkeit, den institutionell-gesetzgeberischen Rahmen für diese Politik auszubauen. Die Wohnungspolitik war vor dem Ersten Weltkrieg zusammen mit den anderen Bereichen der Sozialpolitik als wenig ge-

wichtiger Teil des Innenressorts behandelt worden. Nach einem Intermezzo 1917/18, als das neugeschaffene Reichswirtschaftsamt die Fürsorgeangelegenheiten, darunter auch die Wohnungsfürsorge, übernahm, wurde erst am 4. Oktober 1918 durch kaiserli115

116

Hier Zitat der im

Vortrags.

„Gemeindetag"

30

(1936),

S.

301f„ verkürzt wiedergegebenen Thesen des

Das „Reichs- und Preußische Arbeitsministerium" wird im sterium (RAM) bezeichnet.

folgenden als Reichsarbeitsmini-

124

II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

chen Erlaß das Reichsarbeitsamt als neue Zentrale für die gesamte Sozialpolitik geschaffen, die 1919 dann wie alle obersten Zentralbehörden des Reichs die Bezeichnung Ministerium erhielt117. Für den Bereich der Wohnungsangelegenheiten fiel dem Reich allerdings nur die Rahmengesetzgebung zu, wesentliche ausführende Kompetenzen lagen bei Ländern und Gemeinden118. Trotzdem setzte das Reich im Vergleich zur Zeit vor dem Ersten Weltkrieg jetzt doch ganz wesentliche Akzente in der Wohnungspolitik. Es schuf etwa erst die gesetzlichen Möglichkeiten für den sozialen Wohnungsbau der zwanziger Jahre; daß gleichwohl den Ländern ein großer Spielraum in der Erhebung und Verteilung der Hauszinssteuer verblieb, ist ebenso unbestritten. Um die Fühlungnahme zwischen den Stellen, die die Rahmenrichtlinien der Politik festlegten, und den Stellen, die ihre Ausführung in Ländern, Gemeinden oder Finanzierungsinstituten verantworteten, zu gewährleisten, wurden schon in den zwanziger Jahoder anderen Ausschüsse zum Beispiel Typenausschuß oder Heimstättenausschuß re institutionalisierte Formen der Zusammenarbeit, etwa regelmäßige Konferenzen, etabliert. Daran hielt das Ministerium auch unter den Nationalsozialisten grundsätzlich fest, veranstaltete beispielsweise Reichswohnungskonferenzen oder schuf neue Organe wie den Reichsausschuß für das gemeinnützige Wohnungswesen119. Es fällt verhältnismäßig schwer, die Politik des Reichsarbeitsministeriums in die Dichotomie von Kontinuität oder „nationalsozialistischer Revolution" einzuordnen, da beide Elemente hier anzutreffen sind. Einerseits gibt es eine deutliche Linie personeller Kontinuität, verkörpert an führender Stelle durch Johannes Krohn, der, bevor er unter Franz Seldte zum Staatssekretär berufen wurde, bereits die Hauptabteilung II des Ministeriums geleitet hatte. Die Kontinuitäten auf der Seite der leitenden Beamtenschaft waren um so ausschlaggebender, als der neue Minister der Stahlhelmführer Franz Seldte kaum Interesse und Kompetenz für die sachlichen Ansprüche seines Ressorts mitbrachte und deshalb viel seinen Untergebenen überlassen blieb120. Auf der anderen Seite ist die Wendung in der inhaltlichen Ausrichtung mancher vom Ministerium vertretenen Politikfelder nicht zu übersehen121. Von einem sozialen Impetus, wie er etwa die Politik des Ministeriums unter Heinrich Brauns geprägt hatte, war nur noch wenig zu spüren. Die Wohnungspolitik wurde sogar einer Art Umdefinition von einer sozialpolitischen zu einer wirtschaftspolitischen Frage unterzogen. Allerdings kann man davon ausgehen, daß dieser Kurs dem Ministerium von der nationalsozialistischen Führungsspitze vor allem über eine rigorose Einengung des finanziellen Spielraums aufgezwungen wurde. Jedenfalls gab es sogar innerhalb der Behörde Widerspruch gegen die so weitgehende -

-

-

117

118 119

120

-

Vgl. Deutsche Sozialpolitik, S. 18-20.

Ebenda, S. 290. Dieser Ausschuß des RAM wurde vom Staatssekretär im bayerischen Wirtschaftsministerium Hans Dauser präsidiert; von gemeindlicher Seite gehörten ihm nur zwei Fachleute an, der Berliner Stadtrat Pfeil und Münchens Wohnungsreferent Guido Harbers. Der Gemeindetag 32 (1938), S. 193. Zur Eigensicht Krohns vgl. seine Beiträge zur Geschichte des Reichsarbeitsministeriums von 1968, bes. S. 21-23, BArch, N 1430, Bd. 12; vgl. weiter Teppe, Sozialpolitik, S. 209f. Teppe weist hier auch darauf hin, daß die der Partei wenig nahestehende Beamtenschaft des Ministeriums dem Stabsleiter beim Stellvertreter des Führers, Martin Bormann, ein Dorn im Auge war.

121

Das

gilt etwa auch für die Sozialversicherungspolitik, vgl. Teppe, Sozialpolitik.

1. Die Politik des Reiches im Wohnungs- und Siedlungswesen

125

Zurücknahme der finanziellen Leistungen in der Wohnungspolitik122, die ihre Zweckbestimmung jetzt eher in der politisch-ideologischen Steuerung suchen mußte. Läßt sich nach einer zeitgenössischen Analyse die Wohnungspolitik der zwanziger Jahre in distributive (Wohnraumbewirtschaftung), prohibitive (Mieterschutz) und produktive (Baupolitik) Funktionen gliedern, so kann diese Differenzierung für die Zeit des Nationalsozialismus nicht gleichermaßen aufrechterhalten werden123. Mit der Aufhebung der Zwangsbewirtschaftung zum 1. April 1933 entfiel die distributive Komponente weitgehend. Die Rückkehr zum zwangswirtschaftlichen Eingriff in die Verteilung und Ausnutzung des Wohnraums wurde von Reichswohnungspolitikern vehement abgelehnt. Jenseits dieser programmatischen Ablehnung traten zwar eher pragmatisch orientierte Kommunalpolitiker sehr wohl für die Bewirtschaftung auch auf dem Feld der Wohnraumversorgung ein. Sie konnten sich damit aber bis zum Krieg fast gar nicht und seit Kriegsbeginn auch nur in begrenztem Maße durchsetzen124. Festgehalten werden kann dagegen an den Begriffen der prohibitiven und produktiven Wohnungspolitik; hinzu trat eine dritte Funktion, die strukturelle Wohnungspolitik, worunter hier die unter den Nationalsozialisten verstärkten Versuche zur Beeinflussung der Verteilung und Architektur des Wohnraums verstanden werden. In der folgenden Darstellung werden alle drei Felder zu berücksichtigen sein. Ausgeklammert wird zunächst nur das knappe Dreivierteljahr 1934, in dem nicht das Reichsarbeitsministerium, sondern der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Gottfried Feder, für die Reichssiedlungspolitik verantwortlich war. Diesem Intermezzo, das nicht nur in organisationsgeschichtlicher, sondern auch in ideologiegeschichtlicher Hinsicht distinkte Merkmale aufweist, wird ein eigener Abschnitt gewidmet. Hatte in der Hauszinssteuerära die Bauproduktion vor allem durch den hohen Aufwand an öffentlichen Mitteln Auftrieb bekommen, ist für die nationalsozialistische Zeit die starke Drosselung dieses Geldflusses augenfällig. Dabei hatte die Weltwirtschaftskrise bereits so drastische Vorarbeit geleistet, daß auch der relativ geringe Einsatz der öffentlichen Mittel im Wohnungsbau seit 1933 zunächst einen Aufwärtstrend zu signalisieren schien125. So stiegen die öffentlichen Investitionen von 150 Millionen RM 1932 über 185 Millionen 1933 auf 275 Millionen 1934126. Eine Steigerung des Finanzierungsanteils durch die öffentliche Hand war allerdings keineswegs erklärtes Ziel der Nationalsozialisten, im Gegenteil: Der Wohnungsbau sollte möglichst weitgehend in die Hände privater Investoren zurückgeführt werden; es entspräche „nationalsozialistischer Grundauffassung, die Wohnbau- und Siedlungsfinanzierung soweit als möglich auf den Kapitalmarkt, auf die Sparkraft der Siedler und sonstigen Baulustigen, auf das Eigenkapital der Wohnungsunternehmen und die tatkräftige Mithilfe der Betriebe abzustellen"127. Die grundsätzliche wirtschaftspolitische Entscheidung zwischen „Markt" 122

123

124 125 126

127

Vgl. unten, S. 149, und Führer, Anspruch und Realität, S. 246. Diese Sicht der Wiener Kommunalverwaltung auf ihre eigene Wohnungspolitik nach Lehnen, Kommunale Politik, S. 210. Vgl. unten, S. 340ff. Vgl. Schaubild bei Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 32. Ebenda, Tabelle S. 14. Seldte, Sozialpolitik, S. 162f. Aus der neueren Literatur vgl. Golla, Nationalsozialistische Arbeitsbeschaffung, S. 107-109, zum „offensichtlichen Rückzug des Fiskus aus der sozialpolitischen Verantwortung im Wohnungsbaubereich" (Zitat S. 107).

II. Wohnungspolitik als Handlungsfeld

126

und „Staat" fiel im Wohnungsbau ganz eindeutig zugunsten des Marktes und damit gegen die sozialpolitische Intervention des Staates aus. Die nachstehende Tabelle zeigt sehr deutlich diese Zielrichtung der nationalsozialistischen Wohnungspolitik:

Wohnungsbau 1933-1939 (in Millionen Reichsmark) Öffentl. Mittel Kapitalmarkt Sonstige Mittel

Tab. 7: Investitionen im

in %

in%

Jahr

in %

gesamt

0 19241930 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 0 19331939

1 066 185 275 220 175 200

37,2 16,1 25,0 38,4 46,1 57,6 59,0 64,3

306 570 850 765 1010 690 570 280-300

14,0 63,3 56,7 47,8 45,9 32,9 28,5 19,3

2 186 900 1 500 1 600 2 200 2 100 2 000 1 500

786 13,2 46,6 Quelle: Blumenroth, Deutsche Wohnungspolitik, S. 272.

678

40,2

1 686

250 250

48,8 20,6 18,3 13,8 8,0 9,5 12,5 16,7

814 145 375 615 1015 1210 1 180

955-975

222

In den ersten beiden Jahren nationalsozialistischer Wohnungsbaufinanzierung machder Anteil öffentlicher Gelder noch rund ein Fünftel aus. Darin spiegelt sich, daß der Wohnungsbau in die Arbeitsbeschaffungsprogramme einbezogen und damit noch als Sozialpolitikfeld behandelt wurde. Bei wachsenden Gesamtausgaben setzte allerdings schon 1935 ein deutlicher relativer und absoluter Abbau der öffentlichen Mittel ein, die in den Weimarer Jahren fast die Hälfte aller Wohnungsbauinvestitionen ausgemacht hatten und bis 1936 auf weniger als ein Zehntel zurückgingen. Schon jetzt wurde „ein erheblicher Teil der Bauinvestitionen der öffentlichen Hand im Zuge der Wehrhaftmachung" verbraucht. Etwa 70 Prozent der baugewerblichen Produktion des Jahres 1935 entfielen dementsprechend auf öffentliche Bauvorhaben, nur 20 Prozent auf den Wohnungsbausektor und der Rest auf gewerbliche Anlagen128. Die Beobachter der Exil-SPD mutmaßten zu diesem Zeitpunkt, daß die Nationalsozialisten beabsichtigten, „den Wohnungsbau als eine Art Arbeitsreserve für den Zeitpunkt zurückzustellen, in dem die Aufrüstung im großen ganzen abgeschlossen ist"129. Tatsächlich sollte es jedoch nie so weit kommen, auch wenn in den letzten Friedensjahren die Investitionsquote im Wohnungsbau wieder etwas anstieg. Diese hier noch zu behandeine Richtungsänderung hin zu einem forcierten „Arbeiterwohnstättenbau" diente letztlich auch dazu, die Arbeiterschaft für die Rüstungsindustrie verfügbar zu halten. Die Tabelle zeigt außerdem, daß es den Nationalsozialisten gelang, die in der Weltwirtschaftskrise völlig erodierte Finanzierung über den organisierten Kredit allmählich wieder in Gang zu bringen130. te

-

-

Entsprechend ging die Bedeutung der Residualkategorie „Sonstige Mittel", in der sich allem die Eigenkapitalbeteiligung, aber auch Zwischenkredite, private Darlehen und

vor

Der

Gemeindetag 30 (1936), S. 166.

Deutschland-Berichte 2 (1935), S. 1465. 1932 hatten die Mittel des organisierten Kredits nur noch 175 Millionen RM betragen, 1933 gelangten sie mit 145 Millionen RM (wie aus der Tab. 7 hervorgeht) auf einen Tiefstpunkt, vgl. Tabelle bei Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 14.

1. Die

Politik des Reiches im Wohnungs- und Siedlungswesen

127

anderes mehr niederschlagen, anteilmäßig zurück, allerdings blieb sie absolut im Vergleich mit der Weimarer Zeit immer noch hoch. Für die Wiederbelebung des Kreditwesens war vor allem die Politik der Übernahme von Reichsbürgschaften von Bedeutung, die bereits durch Notverordnung vom 1. Dezember 1930 eingeleitet worden war, aber erst unter den Nationalsozialisten praktisch ausgestaltet wurde131. 1934 erhielt das Reichsbürgschaftsverfahren die Richtlinien, die es als eine der entscheidenden Maßnahmen der Reichswohnungspolitik etablierten132. Bis 1938 war diese Form der Förderung so weit ausgebaut worden, daß „ein Drittel aller in Deutschland erstellten Wohnungen mit einer Reichsbürgschaft gefördert" wurde133. Für das Reich bot das Verfahren zwei entscheidende Vorteile: Erstens konnte es durch die Bürgschaften privates Kapital mobilisieren, das sonst zumindest teilweise durch öffentliche Mittel hätte ersetzt werden müssen134. Die Bürgschaften wurden nämlich zur Absicherung der problematischen „zweiten Hypothek" eingesetzt, wodurch sich das Risiko der Kapitalgeber wesentlich entschärfte und sie eher zur nachstelligen Beleihung zu angemessenen Zinsen bereit waren135. Zweitens konnte das Reich durch die enggezogenen Richtlinien für das Verfahren gezielt auf den Wohnungsstandard Einfluß nehmen: Zwar wurden nicht bestimmte Typen von „Reichsbürgschaftswohnungen" etabliert, aber die Wohnungen durften eine gewisse Größe nicht überschreiten und mußten in der Ausstattung „jeden überflüssigen Aufwand vermeiden"136. Bewußt setzte man sich von der liberalen Politik der zwanziger Jahre ab, als Hauszinssteuerhypotheken praktisch für jedes Projekt zu erlangen waren, und nutzte das Förderungsinstrument, um spezifische Ziele nationalsozialistischer Wohnungspolitik durchzusetzen. So bestimmte ein Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 24. Oktober 1934 etwa, daß Geschoßbauten nur noch zu fördern waren, wenn sie nicht mehr als drei Vollgeschosse enthielten mit der Ausnahme, daß eine Gemeinde besondere städtebauliche Interessen an einem höheren Gebäude nachweisen konnte137. Die Reichsbürgschaften sollten also nach Möglichkeit nicht „Mietskasernen" und vielgeschossigen Hochbauten zugute kommen. Neben dem Sonderfall des Wohnungsbaus für Reichs- und Militärbedienstete sowie der Kleinsiedlungsaktion, für die auch Bürgschaften gewährt wurden, zielte das Programm in der Hauptsache auf den Wohnungsbau für niedrigere Einkommen. -

131

132

133

134 135

136

137

Abdruck des

entsprechenden Abschnitts der Notverordnung bei Blechschmidt, Reichsbürg-

schaften, S. 149.

Abdruck der „Reichsbürgschaftsbestimmungen für den Kleinwohnungsbau" vom 28.2.1934, in: ebenda, S. 25-31. Seldte, Sozialpolitik, S. 166; die gleiche Angabe bei Blechschmidt, Das Reichsbürgschaftsverfahren, in: Siedlung und Wirtschaft 20 (1938), S. 201-206, hier 202. Ebenda. Vgl. allgemein zum Wesen der Bürgschaft in der Wohnungsbaufinanzierung den Artikel von Burkhard Wildermuth, „Bürgschaft". Bei Einfamilienhäusern durfte nach den Reichsbürgschaftsbestimmungen von 1934 die Wohnfläche 100 qm, in Ausnahmefällen 120 qm nicht überschreiten, bei Geschoß Wohnungen lag die Grenze bei 75 qm bzw. 90 qm. Zu diesen und den weiteren Beschränkungen vgl. Blechschmidt, Reichsbürgschaften, S. 26f. Robert Schoepf, Die Förderung des Wohnungsbaues durch Übernahme von Reichsbürgschaften für zweitstellige Hypotheken, in: Siedlung und Wirtschaft 17 (1935), S. 147-150, hier 149. In München bekam man im Zuge des Kleinwohnungsbauprogramms der Stadt Schwierigkeiten mit dieser Bestimmung, vgl. unten, S. 307.

128

II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

Solche „Reichsbürgschaften für den Kleinwohnungsbau" wurden nach dem Stand vom 1. Oktober 1937 in einer Gesamthöhe von fast 500 Millionen RM der verbürgten Hypotheken gewährt, gefördert wurden dabei 253 194 Wohnungen138. Von dieser Gesamtzahl war ein knappes Drittel (82 937) als Eigenheime ausgeführt eine Zahl, die die nationalsozialistischen Wohnungspolitiker aufgrund ihrer Vorliebe für den Kleinhausbau gern noch erhöht gesehen hätten. Bei den Geschoß Wohnungen waren 69166 bis zu 45 qm groß, 94 506 lagen zwischen 45 und 75 qm, und nur 6585 erreichten eine Größe von über 75 qm139. Tatsächlich waren es also vor allem Kleinwohnungen, denen diese Form der Förderung zuteil wurde. Insgesamt nutzte das Reich das Bürgschaftsverfahren, um ohne den Einsatz eigener Mittel dennoch die inhaltlichen Ziele der Wohnungsbautätigkeit entscheidend mitzubestimmen. Über Ausfälle, bei denen das Reich als Bürge tatsächlich hätte eintreten müssen, wurde zumindest in der Fachpresse nichts berich-

tet.

In den ersten beiden Jahren nationalsozialistischer Regierung kam ein Teil der Mittel für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die später fast ausschließlich in die Rüstungswirtschaft gelenkt wurden, dem Wohnungssektor zugute140. Gemäß den Prioritäten nationalsozialistischer Wohnungspolitik wurde davon die Fortführung des Kleinsiedlungsprogramms finanziert und der Bau von Eigenheimen durch Darlehen unterstützt, die die Lücke zwischen Realkreditfinanzierung und Eigenkapital des Bauherrn schließen sollten141. An der Spitze der aus Arbeitsbeschaffungsgeldern geförderten Maßnahmen stand die Zuschußaktion für „Instandsetzungs- und Ergänzungsarbeiten an Gebäuden, für die Teilung von Wohnungen und den Umbau sonstiger Räume zu Wohnungen", für die das Reich bereits seit dem Herbst 1932, in größerem Ausmaß aber durch das sogenannte zweite Reinhardt-Programm vom September 1933 Mittel bereitstellte142. Damit wurde allerdings kein Wohnungsneubau gefördert, sondern lediglich die Renovierung, der Ausbau oder die Teilung von größeren Wohnungen im Althausbesitz unterstützt143. Die Antragsteller mußten mindestens die Hälfte der Kosten selbst aufbringen, so daß wieder dem Ziel der Einschaltung von privatem Kapital gedient war144. Deutlich ist die Mischung aus wohnungs- und arbeitsmarktpolitischen Elementen in diesem Programm, das einerseits auf die bessere und höhere Ausnutzung bestehenden Wohnraums 138

139 140

141 142

143

Aufzeichnung Blechschmidts über den Stand der „Reichsbürgschaften für den Kleinwohnungsbau", 18.11.1937, BArch, R 41, 917, Bl. 131-134, hier 131. Der Trend zur häufigen Inanspruchnahme der Reichsbürgschaften hielt auch darüber hinaus noch an, z.B. wurde im Jahr 1938 über ein Drittel des Wohnungsneuzugangs mit solchen Bürgschaften gefördert, vgl. Der Gemeindetag 33 (1938), S. 222. BArch, R 41, 917, Bl.

Jetzt wurden 500 Millionen RM für Bauzuschüsse bereitgestellt. Deutsche Bau- und Bodenbank, Entwicklung der deutschen Bauwirtschaft, S. 66. Z.B. fielen darunter „alle Arbeiten zur Erhaltung der Gebäude, Ausbesserungen im Äußeren und im Inneren des Gebäudes, die Erneuerung von Gebäudeteilen, der Einbau von Heizungs-, Elektrizitäts-, Gas-, Lüftungs-, Badeanlagen, der Anschluß an die Kanalisation, der inUmbau zwecks Schaffung neuer Wohnungen, Aufstockungen, Ausbau von DachgeschosHerstellung von Garagen, Einfriedungen, Bepflasterung von Hofflächen usw.". Der Gemeindetag 28 (1934), S. 335. Malzahn, Reichszuschüsse für Teilung, S. 20. nere

sen,

144

132.

Vgl. Barkai, Wirtschaftssystem, bes. S. 129. Vgl. Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 26-28, insbesondere die Tabelle auf S. 27, die die Herkunft und Verwendung der Reichsmittel genau auflistet.

1. Die Politik des Reiches im Wohnungs- und Siedlungswesen

129

zielte, andererseits als arbeitsintensive Maßnahme sich besonders auch für Beschäfti-

gungspolitik im Winter eignete145. Da das Programm mit der Förderung von Renovie-

vor allem Handwerkern und Hausbesitzern zugute kam, verFritz Blaich außerdem einen mittelstandspolitischen Hintergrund. Die Umbauund Teilungsaktion habe der Regierung auch dazu gedient, „ihren Dank an den selbständigen Mittelstand abzustatten, der als Wählerschicht entscheidend zum Erfolg der NSDAP beigetragen hatte"146. Die Instandsetzungs- und Umbauzuschüsse schlugen sich vor allem im Jahr 1934 in einer ungewöhnlich hohen Quote von Umbauwohnungen nieder, die mit dem Ende der zeitlich eng befristeten Aktion auch abrupt wieder zurückschnellte:

rungen und Ausbauten mutet

Wohnungszugang und -abgang 1933-1938 Jahr Zugang durch

Tab. 8:

0 1925-1930 1933 1934 1935 1936 1937 1938 0 1933-1938

Neubau

Umbau

263071 132870 190257 213227 282466 308945 276276 234 007

23376 69243 129182 50583 49904 31447 29250 59935

Abgang durch

Reinzugang

17818 24075 35444 22 778 21880 20335 20257 24128

268629 178038 283 995 241032 310490 320057 285269 269 814

Abbruche etc.

Quelle: Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 13, und ders, Wohnungsbau und Wohnungsbedarf im Weltkrieg und heute, in: Siedlung und Wirtschaft 22 (1940), S. 44-47, hier 46. Daß die Reichsmittel im Rahmen dieser Aktion, trotz der relativ engen Bewilligungsbestimmungen, so intensiv abgeschöpft wurden147, lag wohl mit daran, daß viele Hausbesitzer längst fällige Renovierungsarbeiten während der Weltwirtschaftskrise aus Kapitalmangel aufgeschoben hatten oder die Zuschüsse jetzt nutzten, um wegen ihrer Größe kaum noch vermietbare Altwohnungen aufzuteilen. Das Ergebnis für den Wohnungsmarkt wurde einschließlich der schon in der Weltwirtschaftskrise ausgegebenen Gelder auf 200 000 bis 250 000 neu entstandene Wohnungen beziffert148. Trotz dieser Bilanz lief die Umbau- und Teilungs-Zuschußaktion 1935/36 aus, nachdem restliche und nachträgliche Mittel verteilt worden waren. Sie war von vornherein als einmalige -

-

145

Nach

Feststellungen des

Instituts für

Konjunkturforschung ermöglichten es

die

Zuschüsse,

„während der Wintermonate mindestens dreiviertel Millionen Menschen bei Instandsetzungs-

Ergänzungsarbeiten an Gebäuden sowie bei Wohnungsumbauten zu beschäftigen". Der Gemeindetag 28 (1934), S. 403.

und 146 147

148

Blaich, Wirtschaft und Rüstung im „Dritten Reich", S.

17.

Nach einem Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 11.11.1935 blieben von den 500 Millionen RM, die im September 1933 vorgesehen worden waren, noch acht Millionen, von denen zunächst 7,2 Millionen verteilt wurden. Weil mit diesen Restmitteln die eingehenden Anträge nicht ausreichend bedient werden konnten und weil durch die Maßnahme „mit verhältnismäßig geringen Beträgen im Einzelfall in kurzer Zeit neuer Wohnraum geschaffen" wurde, nahm der Reichsarbeitsminister am 3.3.1936 nochmals eine Nachbewilligung von 5,7 Millionen RM vor, die allerdings bereits dem Etat zur Förderung des Kleinwohnungsneubaus entnommen wurden. Beide Erlasse in: BArch, R 41, 713, Bl. 147f. und 220f, Zitat Bl. 147. Ebenda, Bl. 220, und Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 25.

130

II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

Maßnahme im Rahmen der Arbeitsbeschaffungsprogramme gedacht, für die das Reich den Geldhahn auf die Dauer nicht offenhalten wollte. Danach gab es nur noch kleine Anschlußaktionen: 1937 machte der Reichsarbeitsminister noch einmal 7,1 Millionen RM frei, die nur zur Schaffung von Wohnungen durch Umbauten verwendet werden durften149. Auch 1940 wurde nochmals ein kleineres Zuschußprogramm aufgelegt, ohne daß freilich im entferntesten der Umfang erreicht wurde, den das Arbeitsbeschaf-

fungsprogramm ermöglicht hatte150. Die bisher geschilderten Maßnahmen des NS-Staates für den Wohnungsbau zeigen deutlich, daß die öffentliche Hand keineswegs mehr eine so intensive finanzielle Förderung betrieb, wie sie das in den Hochjahren der Hauszinssteuerära getan hatte. Dennoch knüpften die Nationalsozialisten an die Leistungen ihrer Vorgänger an, weil sich über die Hauszinssteuerhypotheken ein „wertvolles, pfleglichste Behandlung verdienendes Aktivum" aufgebaut hatte, von dem man bei aller Kritik an der früheren Politik gut zehren konnte151. Die Rückflüsse waren bereits seit der sogenannten „Lex Lipinski" von 1930 für Wohnungsförderungszwecke gebunden152; trotzdem bestand nach der „Machtergreifung" freilich die Gefahr, daß die Nationalsozialisten auch diesen Geld-

andere Kanäle lenken würden. Der traditionsreiche Deutsche Verein für Wohnungsreform richtete daher einen Appell an die Reichsregierung, die Zweckbindung der Zins- und Tilgungsrückflüsse unter allen Umständen aufrechtzuerhalten153. Tatsächlich beließ es die Hitler-Regierung dabei, die Rückflüsse den Ländern und Gemeinden zur Ausgabe von Baudarlehen zur Verfügung zu stellen154. Dabei war streng nach den „Reichsgrundsätzen für den Kleinwohnungsbau" zu verfahren: in der Regel durften die geförderten Wohnungen nicht größer als 60 qm sein, die Miete 40 RM im Monat nicht übersteigen. Auf „jeden überflüssigen Aufwand" mußte verzichtet werden, auch Bäder für die einzelnen Wohnungen galten als Luxus, der eingespart werden konnte155. Die strom in

hier getroffene Festlegung auf 60 qm im gemeinnützigen Wohnungswesen lag die Grenze seit 1930 bei 75 qm weist bereits auf den Kurs extremer Sparsamkeit, den die Nationalsozialisten zumindest in den ersten Jahren propagierten mit dem augenscheinlichen Ziel, sowohl private als auch öffentliche Mittel möglichst weit zu strecken. Für die Hauszinssteuer selbst schien nach den Notverordnungen vom 6. Oktober 1931 und vom 8. Dezember 1931 das Ende gekommen: Sie wurde zunächst zum 1. April 1932 um 20 Prozent gesenkt und es war geplant, daß sie zum 1. April 1935 und nochmals zwei Jahre später um je 25 Prozent herabgesetzt werden sollte, um dann 1940 ganz zu verschwinden. Außerdem entfiel jetzt jegliche Zweckbindung für den Wohnungsbau, und die Hausbesitzer hatten die Möglichkeit, sich über eine Ablösungsregelung bis zum 31. März 1934 von der Steuer „freizukaufen"156. Die Nationalsozialisten -

-

""

150 151 152 153 154 155

156

Seldte, Sozialpolitik, S. 199. Vgl. Der Gemeindetag 34 (1940), S. 125, und Malzahn, Reichszuschüsse für Teilung, S. 7-9. Seldte, Sozialpolitik, S. 189. perganc[ei Gesetzgebung, S. 90. Abdruck in: Die Wohnung 9 (1934), S. 146f. Lehmann, Hauszinssteuerhypothek, in: WWS, Bd. 1, S. 630f. Richtlinien für die Verwendung der zur Förderung der Neubautätigkeit bestimmten Mittel aus den Rückflüssen der Hauszinssteuerhypotheken vom 18.5.1936, in: BArch, R41, 914, Bl. 145147, bes. 145. Dritte Notverordnung, Vierter

Teil, Kap. I,

in: RGB1. 1931/1, S. 551, und Vierte Notverord-

1. Die Politik des Reiches im Wohnungs- und

131

Siedlungswesen

sahen dann hier aber eine gute Möglichkeit, den Hausbesitz zu weiteren Leistungen für die Bauwirtschaft zu verpflichten. Durch das Gesetz zur Förderung des Wohnungsbaues vom 30. März 1935 erhielt der Hausbesitz mit wenigen Ausnahmen die Auflage, den ursprünglich vorgesehenen Senkungsbetrag für die Rechnungsjahre 1935 und 1936 dem Reich als Anleihe für Zwecke des Kleinwohnungsbaues und der Kleinsiedlung zur Verfügung zu stellen157. Die Grund- und Hausbesitzer wurden damit erheblich getäuscht, hatte ihnen die nationalsozialistische Propaganda vor 1933 doch die Beseitigung der Steuer versprochen158. Erst zum 1. Januar 1943 wurde die Hauszinssteuer, die den Wohnungsbau in den zwanziger Jahren so weitgehend getragen hatte, endgültig gestrichen, allerdings mußten die Hausbesitzer noch einmal eine zehnfache Jahressumme als Ablösung entrichten, die der Kriegsfinanzierung diente159. Neben den Förderungen durch Hauszinssteuerdarlehen oder Reichsbürgschaften gab es zwei große Programme im Kleinwohnungswesen, die die nationalsozialistische Politik kennzeichnen sollten: das Kleinsiedlungsprogramm, das aus der Weltwirtschaftskrise übernommen und den eigenen Vorstellungen angepaßt, und das Volkswohnungsprogramm, das 1935 als eines der wenigen genuin nationalsozialistischen Konzepte in der Wohnungspolitik entwickelt wurde. Beide Programme werden in eigenen Kapiteln mit Bezug auf München ausführlicher zu diskutieren sein; sie bildeten die Grundpfeiler im System der Kleinwohnungsförderung im „Dritten Reich". Insgesamt blieb die Finanzierung der Kleinwohnung im Nationalsozialismus aber ein gewaltiges Problem, das in zeitgenössischen Fachzeitschriften, in Wohnungsreformkreisen und von den Beamten des Reichsarbeitsministeriums viel diskutiert und im Hinblick auf die Reichspolitik sogar recht deutlich kritisiert wurde. So hielten Kritiker die Zinsen für die Reichsdarlehen generell für zu hoch: Der nach der „Machtergreifung" in Abwendung von der Niedrigzinspolitik der Hauszinssteuerära eingeführte Satz von vier Prozent sei „angesichts der sozialpolitischen Notwendigkeiten und Bedürfnisse" kaum vertretbar160. Immerhin erreichten sie, daß seit 1937 bei Kleinsiedlungen und Volkswohnungen der Zinssatz generell auf drei Prozent und später noch günstigere Tarife gesenkt wurde. Einen anderen Kritikpunkt bildete die im Bereich der Spitzenfinanzierung immer noch bestehende Lücke. Zwar konnte mit Hilfe der Reichsbürgschaften das Hypothekenkapital bis zu einer maximalen Grenze von 75 Prozent des Beleihungswertes ausgedehnt werden; insbesondere in den Ballungsgebieten lagen die tatsächlichen Herstellungskosten aber häufig sehr viel höher als der für die Beleihung zugrundegelegte Wert, „so daß die Lücke zwischen dem realkreditmäßig finanzierbaren Teil der Baukosten und den Eigenleistungen sich sehr verbreitert"161. Hier sollten die Reichsdarlehen im Rahmen des -

-

nung, Zweiter Teil, Kap. I, in: ebenda, S. 706f. Vgl. auch Lehmann/Richardi, HauszinssteuerAblösung, in: WWS, Bd. 1, S. 629f. Helmut Richardi, Der Hauszinssteuerabbau, in: Die Wohnung 10 (1935), S. 48-50. Vgl. Führer, Betrogene Gewinner, S. 46-48. Ebenda, S. 50. Zu den Protesten der Hausbesitzer gegen die Ablösungsregelung auch BArch, R 43 II, 1190a. Der Gemeindetag 30 (1936), S. 167. Außerdem Fischer-Dieskau, Grundsätzliches zum Einsatz öffentlicher Mittel für Kleinsiedlung und Kleinwohnungsbau, in: Siedlung und Wirtschaft 19 (1937), S. 462-467, bes. 464. Ebenda, sowie Brecht (Präsident des Reichsverbandes des deutschen gemeinnützigen Wohnungswesens), Die Restfinanzierung im Wohnungsbau, in: Die Wohnung 14 (1939), S. 43-52, bes. 43f.

II. Wohnungspolitik als

132

Handlungsfeld

Kleinsiedlungs- und Volkswohnungsprogramms oder die Darlehen aus den Hauszinssteuerrückflüssen helfend wirken. Nur waren eben 1 000 bis 1 500 RM oft zu wenig, um die Schere wirklich zu schließen. Auch die zu geringen Kapazitäten im Bereich des Eigenkapitals blieben ein Problem, denn für viele hatte die Zeitspanne seit der Weltwirtschaftskrise nicht genügt, um das Kapital für die vorgeschriebene Eigenleistung aufbringen zu können162. Es dürfte deutlich geworden sein, daß die Nationalsozialisten in der Vorkriegszeit keinen „sozialen Wohnungsbau" im Sinne einer umfassenden staatlichen Wohnungsbauförderung etablierten, von der weite Kreise der Bevölkerung profitiert hätten. Freilich gab es, wie dargestellt, einen begrenzten Sektor des öffentlich geförderten Wohnungsneubaus, der im folgenden nach seiner qualitativen und quantitativen Leistung hin analysiert werden soll. Tab. 9: Die mit öffentlichen Mitteln geförderten Neubauwohnungen nach der Größe in den Mittelund Großstädten des Deutschen Reiches 1926-1930 und 1933-1937

Jahr

bis 3 Wohnräume

1926 1927 1928 1929 1930

20147 34418

1926-30 1933 1934 1935 1936 1937 1933-37

4 Wohnräume

in %

37011 68 796 38307 198679 9207 12470 15848 30863 36163 104551

31,2 39,1 37,5 47,3 37,5 39,8 48,6 47,4 47,6 58,5 64,4 55,7

5

u.

mehr Wohnräume

in % 29219 35163 40836 53 003 45965 204186 6317 9011 11494 16083 13513 56418

45,3 40,0 41,4 36,5 45,0 41,0 33,4 34,2 34,5 30,5 24,0 30,1

in % 15 193 18381 20765 23 544 17 815 95 698 3416 4832 5974 5836 6535 26593

23,5 20,9 21,1 16,2 17,5 19,2 18,0 18,4 17,9 11,0 11,6 14,2

gesamt 64559 87962 98612 145343 102087 498563 18940 26313 33316 52782 56211 187562

Quelle: Statistisches Jahrbuch deutscher Gemeinden163. Nach der Städtestatistik ist in der NS-Zeit prozentual ein höherer Anteil von Kleinwohnungen bis zu drei Räumen am Wohnungsneubau festzustellen als in der Hauszinssteuerära. Diese Anteilssteigerung ist darauf zurückzuführen, daß die Fördermittel weitgehend an enge Bestimmungen gebunden wurden, die auch tatsächlich ihren Einsatz zugunsten von Kleinwohnungen garantierten. Trotzdem blieb die materielle Substanz dieser Förderung insgesamt zu gering, um den Bau einer ausreichenden Zahl von Wohnungen sicherzustellen. Vergleicht man die absoluten Ziffern, zeigt die Statistik der

Fischer-Dieskau, Grundsätzliches (wie Anm. 160), S. 465. (1928), S. 66f.; 24 (1929), S. 51f.; 25 (1930), S. 217-219; 26 (1931), S. 77-79; 27 (1932), S. 37-

23

39; 30 (1935), S. 421; 31 (1936), S. 107, 118-120; 32 (1937), S. 120f., 131-133; 33 (1938), S. 56, 6769; 34 (1939), S. 36, 46-48. Aus der Zusammenstellung wurden jeweils die Wohnungen herausgelassen, für die keine Aufschlüsselung nach Wohnräumen vorlag. Das Gesamtergebnis der jeweils gebauten Wohnungen ist also in einigen Jahren tatsächlich etwas höher ausgefallen; bedeutsamer ist das im Jahr 1927, in dem in der Tabelle 2125 Neubauwohnungen nicht ausgewiesen wurden. Weitere Vergleichs jähre ließ die statistische Quelle, die Städte ab 50 000 Einwohnern berücksichtigt, nicht zu, insofern ist eine gewisse Verzerrung dadurch gegeben, daß für die nationalsozialistische Epoche das „Anlaufjähr" 1933 einbezogen wurde, während die Weimarer Zahlen erst einsetzen, als die Inflation vorüber und das Hauszinssteuerprogramm bereits angekurbelt war.

1. Die Politik des Reiches im Wohnungs-

und Siedlungswesen

133

Städte, daß im geförderten Sektor die Bauleistung der Weimarer Jahre etwa das 2,5fache

betrug, bei den Kleinwohnungen noch immer fast das Doppelte. In dieser Diskrepanz spiegelt sich nicht nur die generelle Einschränkung öffentlicher Subventionierung, sondern ihre Rücknahme insbesondere zu Lasten der Städte. Hält man die Ergebnisse der Tabelle 8 für den gesamten Wohnungsbau im Reich dagegen, ist der Gleichstand des jeweiligen Reinzugangs an Wohnungen in den zwanziger und in den dreißiger Jahren ja geradezu stupend164. Es sind also die Kriterien öffentliche Förderung und städtischer Wohnungsbau, die die größten Defizite der nationalsozialistischen Wohnungsbaupoli-

tik markieren. In den Friedensjahren hätte bei stagnierendem Bedarf vielleicht die Chance bestanden, mit Hilfe der gesteigerten Mobilisierung privaten Kapitals die Wohnungsnot abzumildern. In einer Zeit wachsender Nachfrage, die durch die ansteigende Konjunktur und die Bevölkerungspolitik der Nationalsozialisten belebt wurde, weitete sich aber der Fehlbedarf noch aus: Nach Schätzungen des Instituts für Konjunkturforschung stieg die Zahl der Haushaltungen ohne eigene Wohnung von 1,1 Millionen Mitte 1933 über 1,4 Millionen Anfang 1935 auf rund f ,5 Millionen Anfang 1936165. Bei diesem Stand stagnierte der Fehlbedarf während der folgenden zwei Jahre, die als die produktivsten der nationalsozialistischen Wohnungsbauära gelten können166.1936/37 erreichte die Bauleistung sogar den Höchststand der Hauszinssteuerära 1929/30167. Diese kurze Hochphase reichte aber andererseits nicht aus, um die angestaute Wohnungsnachfrage besonders an den neuralgischen Punkten, den Großstädten und Ballungsgebieten, zu befriedigen. Gerade unter der Voraussetzung, daß kein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt geschaffen werden konnte, gewann das Verhältnis der Nationalsozialisten zu zwangswirtschaftlichen Maßnahmen an Brisanz. Grundsätzlich bestand eine ablehnende Haltung gegenüber der Zwangswirtschaft, von der man zu Recht befürchtete, daß sie auf den Widerstand des Hausbesitzes stieße, der dann seinerseits nicht den erwarteten Beitrag zur Bauproduktion leisten würde. Andererseits war man hinsichtlich des Mieterschutzes und der Regelung der Mietpreise nicht bereit, den Markt dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen. Wie etwa auch auf dem Feld der Lebensmittelversorgung ging der nationalsozialistische Staat schon vor 1936 gegen „ungerechtfertigte Erhöhungen der Mieten" aufgrund der Bestimmungen über die Preisüberwachung vor168. Mit der einsetzenden Vierjahresplanwirtschaft und der Preisstoppverordnung von 1936 wurden die Restriktionen dann noch verschärft. Eine „natürliche" Preisentwicklung auf dem Wohnungssektor, darüber war man sich völlig 164

165 166

167

168

Führer, der die Inflationsjahre in seinen Vergleich einbezieht, errechnet sogar eine höhere Jahresdurchschnittszahl für die NS-Bauleistung der ders, Anspruch und Realität, S. 240.

Vorkriegszeit als für die Weimarer Epoche;

Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 35. pey; jJer künftige Wohnungs- und Siedlungsbau, S. 14. Vgl. Tab. 8, oben, S. 129, und die Tabelle bei Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 13. In den Jahren 1929/30 und 1936/37 lag der Reinzugang an Wohnungen jährlich zwischen 310000 und 320 000 Wohnungen. Seldte in einem Runderlaß

vom 2.12.1935, BArch, R 41, 713, Bl. 215-217, hier 215. Der RAM weist hier aber auch auf die Notwendigkeit zur Rücksichtnahme auf den Hausbesitz bei allen Eingriffen in die Mietpreisbildung hin. Das war eine Reaktion auf die zuvor erfolgten Versuche des Preiskommissars Carl Goerdeler, eine schärfere Mietenkontrolle einzuführen. Vgl. dazu Führer, Mieter, S. 21 lf.

134

II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

im klaren, hätte angesichts der hohen Nachfrage nach oben geführt eine Entwicklung, die aber von den Löhnen nicht getragen worden wäre169. Hätten sich aufgrund dieser -

freien Marktentfaltung Hunderttausende einkommensschwacher Familien nicht mehr in der Lage gesehen, ihre Wohnung zu halten, so hätte aus der Wohnungskrise sehr schnell eine soziale Katastrophe werden können. Verzichtet wurde zunächst also nur auf den zwangswirtschaftlichen Eingriff in die Verteilung und Ausnutzung des Wohnraums vor allem die so hochgradig polarisierenden Einquartierungen -, bestehen blieben dagegen Mieterschutz und Mietpreisbindungen. Durch Reform der beiden entscheidenden Gesetzeswerke aus der Inflationszeit wurde tendenziell die Reichweite der -

„prohibitiven" Wohnungspolitik sogar ausgedehnt. Zwar waren Mitte der dreißiger Jahre das Reichsmietengesetz von 1922 und das Mieterschutzgesetz von 1923 noch in Kraft, in der Zeit sinkender Nachfrage während der Großen Krise war ihre Geltung durch reichsrechtliche und landesrechtliche Ausführungs- und Änderungsbestimmungen jedoch so deutlich eingeschränkt worden, daß sie der nationalsozialistischen Regierung „nicht mehr in genügendem Umfange als geeignet" erschienen, „ungerechtfertigte Mietpreissteigerungen zu unterbinden"170. Als besonders wichtig sahen es die Gesetzesreformer an, die Regelung der Notverordnung

1. Dezember 1930 außer Kraft zu setzen, nach der die beiden Gesetze für einen Teil der Wohnungen bei Neuvermietung nicht mehr gelten sollten. Je nach örtlichen Verhältnissen hatte diese Ausnahmeregelung sogar schon für kleinere und mittlere Wohnungen gegriffen, die ja konstant am meisten nachgefragt wurden und deshalb jetzt wieder vollen Schutz genießen sollten171. Daneben wurde das Recht, sich auch bei einem anderslautenden Mietvertrag auf die gesetzliche Miete zu berufen das ebenfalls durch die erwähnte Notverordnung für bestimmte Fälle aufgehoben worden war -, praktisch in vollem Umfang wiederhergestellt; allerdings mußte diese Berufung innerhalb eines Jahres seit Beginn der Mietzeit erfolgen172. Von den weiteren Änderungen des Reformgesetzes war vor allem wichtig, daß die Reichsbehörden gegenüber den Landesbehörden beim Erlaß ausführender Bestimmungen aufgewertet wurden, damit sollte das Maß an Zentralisierung erhöht werden. So lag das Recht zur Festsetzung der gesetzlichen Miete nach Artikel 1, § 4 des Änderungsgesetzes grundsätzlich beim Reichsarbeitsminister173. Er schrieb den bereits geltenden Satz von 110 Prozent der Friedensmiete fest; das galt allerdings als Mindestsatz und konnte von den Landesbehörden nach oben abvom

-

169

170

171 172

173

Vgl. diese Perzeption auch im RAM laut einer „Aufzeichnung für den Herrn Minister für die Sitzung des Preussischen Ministerrates vom 13. März 1936" (BArch, R41, 713, Bl. 114-118, hier 114): „Es bestand die Gefahr, dass die Wohnungsknappheit zu einer allgemeinen Erhöhung der Mieten führen könnte. Dies wäre untragbar. Mit Rücksicht auf die Lohnpolitik muss auch die Miethöhe gehalten werden." Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Reichsmietengesetzes und des Mieterschutzgesetzes (Februar/März 1936), in: BArch, R 41, 713, Bl. 123-126, hier 124.

Ebenda, Bl. 124f. Ebenda, Bl. 125. Die Einjahresfrist konnte nur in besonderen wirtschaftlichen Notlagen überschritten werden. Abdruck des „Gesetzes zur Änderung des Reichsmietengesetzes und des Mieterschutzgesetzes" vom 18.4.1936 in: Ebel, Reichsmietengesetz und Mieterschutzgesetz, S. 56f., § 4, S. 56. Während der Inflationszeit war die gesetzliche Miete länderweise noch recht unterschiedlich festgelegt worden, allerdings hatte der RAM schon seit 1925 reichsweite Mindesthöhen vorgeschrieben, so daß diese zentrale Regelung nicht neu war (vgl. Führer, Mieter, S. 161).

1. Die Politik des Reiches im Wohnungs- und Siedlungswesen

135

geändert werden174. Auch sonst waren Zentralisierungsbestrebungen zu beobachten: Die aufgrund lokaler Notstände vor 1936 für einzelne Gemeinden hinsichtlich der Mietpreisbildung getroffenen Regelungen wurden außer Kraft gesetzt, und den Gemeinden wurden ihre Rechte zu Eingriffen in Mietfragen praktisch ganz genommen175. Die erwähnten Änderungen zeigen, daß die nationalsozialistische Reform von 1936 zwar in einigen Einzelpunkten und in der Frage behördlicher Zuständigkeit, in der inhaltlichen Substanz aber nur wenig über die Regelungen der Weimarer Zeit hinausging. Ein Grundproblem war, daß auch danach ein großer Teil des Wohnungsbestandes, vor allem die sogenannten „Neubauwohnungen"176, von der Mietgesetzgebung nicht erfaßt wurde177. In dieser Hinsicht traten jedoch bald Veränderungen ein, die für die insgesamt schärfere Beschneidung der verbliebenen Freiräume in der Vierjahresplanwirtschaft symptomatisch sind. Auch die bisherige Rücksichtnahme auf die privaten Investoren im Wohnungsbau trat schließlich gegenüber der beherrschenden Politik der Marktkontrolle zurück. So wurden Ende 1937 die Kündigungsschutzbestimmungen des Mieterschutzgesetzes auch auf Neubauten ausgedehnt178. Das Reichsmietengesetz erledigte sich praktisch von selbst, weil die Mieten als Subsistenzfrage zum Gegenstand der Preisstoppverordnung vom 26. November 1936 wurden179. „Mit dem allgemeinen Mietenstop ging die NSDAP erstmals weit über die zwangswirtschaftlichen Regelungen der ,Systemzeit' hinaus. Das Reichsmietengesetz, auf das sich die staatliche Mietenpolitik seit 1922 gestützt hatte, blieb zwar weiterhin gültig, besaß de facto aber nur noch geringe Bedeutung, da es weitgehend von der Stopverordnung überlagert wurde."180 Trotz dieser Ausdehnung der „prohibitiven Wohnungspolitik" war auch den verantwortlichen Politikern von vornherein klar, daß das Grundübel des Wohnungsmangels auf andere Weise angepackt werden müsse: „Nur durch genügenden Wohnungsbau wird aber schließlich eine Wohnungsnot vermieden und die vorhandene Wohnungsknappheit wieder beseitigt werden können."181 Dafür wurden aber weder politische Konzepte noch Finanzierungsstrategien in ausreichendem Maße entwickelt. An die Stelle einer durchschlagenden Bauinitiative trat die Bemühung um ordnungspolitische Steuerung des Wohnungswesens. Dabei waren allerdings auch nur Teilerfolge zu ver174

175 176

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180 181

„Reichs-Ausführungsverordnung zum Reichsmietengesetz" vom 20.4.1936, in: Ebel, Reichs-

mietengesetz und Mieterschutzgesetz, S. 59f, § 1, S. 59. Vgl. Ebel, Die Neuregelung des Mieterschutzes, in: RABÍ. 11/1936, S. 178-183, hier 179f. „Der Grund liegt darin, daß die Neubautätigkeit unbedingt gefördert werden soll. Eingriffe in die Mietzinsbildung bei Neubauten könnten dazu führen, den Anreiz zur Bautätigkeit zu vermindern." Ebel, Reichsmietengesetz und Mieterschutzgesetz, S. 10. Hachtmann, Lebenshaltungskosten und Reallöhne, S. 63-68. Vgl. bes. Tabelle 9, S. 66, seiner

Untersuchung, die das Gefälle zwischen Neubau- und Altbaumieten deutlich macht. Der Gemeindetag 32 (1938), S. 79. Weitere Ausführungsverordnungen zur Änderung des Mie-

terschutzes folgten, die bis 1942 in einem „totalen Mieterschutz" (Pergande, Gesetzgebung, S. 123) endeten. Vgl. auch Führer, Mieter, S. 95-99. Pergande, Gesetzgebung, S. 124. Verschärft wurde die Anwendung des Preisstopps auf das Mietwesen durch einen Runderlaß des Reichskommissars für die Preisbildung vom 9.10.1937, in dem es im ersten Abschnitt heißt: „Nunmehr bedarf jede Mieterhöhung ohne Rücksicht darauf, ob eine Wohnung dem Reichsmietengesetz unterliegt oder nicht, der vorherigen Zustimmung der Preisbildungsstelle." Die wohnungs- und siedlungswirtschaftliche Gesetzgebung. Beilage der Zeitschrift für Wohnungswesen (1937), S. 428-430, hier 428. Führer, Mieter, S. 218. Runderlaß Seldte, 2.12.1935, BArch, R 41, 713, Bl. 215-217, hier 215.

136

II. Wohnungspolitik als

Handlungsfeld

zeichnen, denn überließ man das Bauen weitgehend der Privatwirtschaft, bestimmte sie

eben auch Standort und Gestalt der neuen Wohnungen182. Über Bestimmungen für Reichsbürgschaften oder Richtlinien der Darlehensvergabe ließ sich immerhin noch eine Schwerpunktsetzung zugunsten des Kleinwohnungsbaus erzielen. Schwieriger war es hingegen, die Akzente in der Verteilung des neuentstehenden Wohnraums über Stadt und Land richtig zu setzen, um so mehr, als es hier auch innerhalb der nationalsozialistischen Politik einander widersprechende Richtungen gab. So legte die traditionelle Linie der Großstadtfeindschaft in der NS-Ideologie eine Bevorzugung der Provinz gegenüber den Ballungsräumen nahe: eine Politik, die sich etwa in der nationalsozialistischen Fortführung der Kleinsiedlung durchsetzte. Die Kleinsiedlungsförderung wurde bewußt von den Großstädten in die Kleinstädte verlagert, und das spiegelte sich auch in den Ergebnissen dieses Programms183. Andererseits führte die Priorisierung des Rüstungssektors durch die nationalsozialistische Politik dazu, daß die Industriegebiete weiterhin und sogar verstärkt Arbeitskräfte anzogen. Nicht auf dem flachen Land, sondern in den Großstädten und Industrieagglomerationen machte sich der allgemeine Wohnungsmangel am deutlichsten bemerkbar. So verzeichneten, nach Angaben des Instituts für Konjunkturforschung, Ende 1935 die Großstädte mit 10,5 Prozent des Wohnungsbestandes den höchsten Fehlbedarf (= Anteil von Haushaltungen ohne eigene Wohnung), in den Mittel- und Kleinstädten lag er bei 10,0 Prozent, auf dem Land nur bei 6,8 Prozent. Als besonders kritisch galten die Industriegebiete des Rheinlands und Westfalens, wo nicht nur die Großstädte, sondern auch die kleineren Industriegemeinden von erheblicher Wohnungsnot betroffen waren184. Um die Arbeitskräfteversorgung nicht zu gefährden, konnten die Nationalsozialisten also gar nicht anders, als den Wohnungsbau in Städten und Industriezentren aufrechtzuerhalten. Ihre Vorstellungen von einer neuen „Raumordnung" mußten letztlich hinter solchen funktionalen Zwängen zurückstehen. „Die Tendenz der Zusammenballung in industriellen Schwerpunkträumen blieb bestehen."185 Den Berechnungen von Walz zufolge muß man, um die strukturelle Dimension der Wohnungspolitik zu verstehen, ein Zwei-Phasen-Modell zugrunde legen. Während in der ersten Phase 1933-1935 der in der Weltwirtschaftskrise besonders tief eingebrochene großstädtische Wohnungsneubau auch von der nationalsozialistischen Wohnungsförderung nicht wieder aktiviert wurde, gab es eine zweite Phase 1936-1939, in der soNach Münk, Organisation des Raumes, S. 256, war der „absolute Anteil des mit staatlicher Hilfe direkt oder indirekt errichteten Wohnraums so gering, daß er sich unter dem Strich im Verhältnis zur freien Bauwirtschaft nicht im Sinne der angestrebten raumordnenden Strukturpolitik auswirken konnte". Vgl. Erlaß des RAM vom 20.2.1933, abgedruckt in: Schmidt, Die vorstädtische Kleinsiedlung, S. 13. Nach Angaben von Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 26, wurden von den Kleinsiedlungsstellen des in der Weltwirtschaftskrise finanzierten ersten Abschnitts 57% in den Großstädten und nur 3,5% in den Landgemeinden gebaut. Im vierten Abschnitt (1933) zeigte die Aufteilung 22% der Stellen in den Großstädten und 25% in den Landgemeinden. Vgl. auch Münk, Organisation des Raumes, S. 233ff. Fey, Leistungen und Aufgaben, S. 41. Messerschmidt, Nationalsozialistische Raumforschung und Raumordnung, S. 132. Messerschmidt begreift die Aufwertung der Raumordnungsidee, die etwa in der Reichsstelle für Raumordnung unter Hanns Kerrl ihren Ausdruck fand, als modernisierenden Aspekt des Nationalsozialismus, der allerdings ohne weiterreichende praktische Auswirkungen geblieben sei.

1. Die Politik des Reiches im Wohnungs-

und Siedlungswesen

137

wohl der Reinzugang an Wohnungen in den Großstädten als auch die Förderquote wieder deutlich zunahmen186. Inhaltlich fiel das zusammen mit einer praktischen Umorientierung auf die verstärkte „Volkswohnungs"- und „Arbeiterwohnstättenförderung", während programmatisch weiter an der Siedlungsideologie festgehalten wurde. Trotzdem ist deutlich, daß die ideologischen Prämissen nationalsozialistischer Wohnungspolitik die Restriktion öffentlicher Finanzierung, die Bevorzugung von Flachbau und Siedlung, die Abkehr von massenfassenden Mietshausblöcken187 verhinderten, daß die Bauleistung in den Großstädten absolut eine dem Fehlbedarf angemessene Größe erreichte. Einige der Metropolen und industriellen Ballungsgebiete stauten bis zum Krieg ein immer größeres Defizit an, so daß die Wohnraumversorgung schon schwere Probleme bereitete, bevor der Bombenkrieg so gewaltige Schneisen in den Wohnungsbestand schlug188. Wie auf der landesübergreifenden Ebene der Raumordnung verstärkte sich unter den Nationalsozialisten auch im Bereich von Stadt- und Siedlungsplanung der Wille, stärker strukturierend einzugreifen und jeglichen „Wildwuchs" zu verhindern189. Hier scheiterte die politische Absicht gleichfalls häufig an praktischen Hindernissen oder anderweitig gebotenen Rücksichtnahmen. Immerhin war das erste größere Gesetzgebungswerk der Nationalsozialisten in der Wohnungs- und Siedlungspolitik das am 22. September 1933 erlassene „Gesetz über die Aufschließung von Wohnsiedlungsgebieten", von dem zeitgenössisch behauptet wurde, es bräche mit dem „Grundsatz liberalistischer Weltanschauung, daß jeder Eigentümer über seinen Grund und Boden nach eigenem Ermessen frei verfügen kann"190. Die einst im Parteiprogramm angekündigte umfassende Bodenreform191 wurde damit allerdings keineswegs vollzogen, und auch Einzelmaßnahmen wie die „Landbeschaffung für Kleinsiedlungen"192 erleichterten und er-

-

Walz, Wohnungsbau- und Industrieansiedlungspolitik, S. 74-76. Auch Tab. 9, oben S. 132, die freilich nicht nach Gemeindegrößenklassen differenziert, zeigt bereits, daß 1936/37 ein deutli-

cher Sprung auf ein höheres Niveau in der Förderung städtischen Wohnungsbaus erfolgte. Die Tendenz zum Bau kleinerer Häuser zeigt die Statistik der Gebäudegrößen in den Städten mit mehr als 50 000 Einwohnern: In den ersten beiden Jahren nationalsozialistischer Herrschaft hatte ein fertiggestelltes Wohngebäude im Durchschnitt weniger als zwei Wohnungen, danach stiegen die Werte aufgrund des forcierten „Arbeiterwohnstättenbaues" leicht an (1935: 2,0; 1936: 2,5, 1937: 2,6). Dagegen waren in den Jahren 1925-1928 schon durchschnittlich drei bis vier Wohnungen auf ein Gebäude entfallen, 1929-1931 dann sogar zwischen vier und fünf. Vgl. Statistik in: Bauen, Siedeln, Wohnen 18 (1938), S. 188. Vgl. Recker, Staatliche Wohnungsbaupolitik, S. 121. Zu diesem Themenkomplex ist grundlegend die Studie von Münk, Organisation des Raumes. Wedow, Das Wohnsiedlungsgesetz und seine Durchführung, in: Deutsches Wohnungs-Archiv 11 (1936), Sp. 301-308, hier 302. Vgl. oben Anm. 98. Die Nationalsozialisten hatten schon 1928 erkannt, daß sie sich mit der weitreichenden Formulierung des Parteiprogramms auf einen gesellschaftspolitisch ungünstigen Kurs begeben hatten. Sie wollten die Klausel jetzt vor allem als „gegen die jüdischen Grundstücksspekulations-Gesellschaften" gerichtet wissen und stellten sich ansonsten auf den Boden des Privateigentums, Knoll, Bodenfrage (wie Anm. 98), S. 333. Zur Verordnung über die Landbeschaffung für Kleinsiedlungen vom 17.10.1936 sowie zu den anderen Möglichkeiten des nationalsozialistischen Enteignungsrechts vgl. den Artikel von Knoll, Enteignung, in: WWS, Bd. 1, S. 417-424. Für München und andere „Führerstädte" wurden durch das Gesetz über die Neugestaltung deutscher Städte vom 4.10.1937 die Enteignungsmöglichkeiten zugunsten städtebaulicher Änderungen deutlich erleichtert, das Thema wird in dieser Arbeit jedoch nicht eingehender behandelt. -

-

II.

138

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

weiterten zwar das Enteignungsrecht, bedeuteten aber nicht, daß man grundsätzlich das Prinzip des Privateigentums am Boden aufgehoben hätte. Tatsächlich wurde aber in den nach dem Gesetz vom September 1933 zu „Wohnsiedlungsgebieten" erklärten Bezirken der Grundstücksverkehr streng überwacht. Das heißt die Teilung oder die Auflassung von Grundstücken unterlagen der Genehmigungspflicht wie „jede Vereinbarung, durch die einem anderen ein Recht zur Nutzung oder Bebauung eines Grundstücks oder Grundstücksteils eingeräumt wird"193. Versagt werden sollte eine Genehmigung zur Bebauung grundsätzlich, wenn sie dem für jedes Wohnsiedlungsgebiet aufzustellenden „Wirtschaftsplan" über die Nutzung des Bodens für Land- und Forstwirtschaft, Industrie, Verkehr, Wohnbebauung, Erholungszwecke usw. widersprach, aber auch andere öffentliche Interessen konnten dafür geltend gemacht werden. Die Ausweisung als Wohnsiedlungsgebiet durch den Reichsarbeitsminister oder die obersten Landesbehörden erfaßte schließlich fast alle Gebiete, in denen sich stärkere Siedlungstätigkeit vollzog oder für die Zukunft erwartet wurde194. Während die Wirtschaftspläne sich meist wohl in das bisherige Gefüge von Bebauungs- oder Fluchtlinienplänen eingliederten und diesen auch nicht übergeordnet werden sollten195, war für die Gemeinden vor allem wichtig, daß sie über das Genehmigungsrecht die Bebauung stärker steuern konnten196. Insbesondere die „Schäden einer ungeregelten Splittersiedlung" sollten nach der Begründung zum Gesetz verhindert werden197; damit war die Stoßrichtung gegen sogenannte „wilde Siedlungen" ganz deutlich gemacht198. Das Wohnsiedlungsgesetz lieferte das erste umfassende reichsrechtliche Beispiel für die Absicht der Nationalsozialisten, die Wohnungs- und Siedlungspolitik stärker den strukturellen Gesichtspunkten der Bodennutzung und Raumordnung zu unterstellen. Ihrer Ansicht nach mußte der Staat verhindern, daß willkürlich, planlos und nur im In-

Heilmann, Wohnsiedlungsgebiete.

ten, in:

Gesetz über die

WWS, Bd. 2, S. 1207-1211, hier 1209.

Aufschließung von Wohnsiedlungsgebie-

1208. In München wurden etwa der ganze Stadtbezirk und zum größten Teil auch der Amtsbezirk München-Land zu Wohnsiedlungsgebieten erklärt, vgl. BayHStA, OBB

Ebenda, S. 12712.

Der Wirtschaftsplan war nach Pergande, Gesetzgebung, S. 109, lediglich Entwicklungsprogramm ohne normativen Charakter und stellte einen Vorläufer des Flächennutzungsplans nach

dem Bundesbaugesetz dar. Vgl. dazu beispielsweise den Bericht der Stadt München über den Vollzug des Wohnsiedlungsgesetzes, in: Verwaltungsbericht 1933/34-1935/36, S. 97f. Eine Statistik vom 28.3.1936 stellte für den Stadtbezirk München fest, daß im Jahr 1935 insgesamt 1979 Genehmigungsanträge nach dem Wohnsiedlungsgesetz gestellt wurden, davon bezogen sich 417 auf Teilung eines Grundstücks, 1507 auf Auflassung und 55 auf eine Vereinbarung, die einem anderen ein Nutzungs- oder Bebauungsrecht einräumte. In weniger als der Hälfte der Fälle (972) wurde die Genehmigung ohne Auflagen erteilt, in 832 Fällen wurden solche Auflagen gemacht, aber nur in zehn Fällen die Genehmigung versagt. Bei 165 Fällen stand die Entscheidung zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest, BayHStA, OBB 12713. Auflagen bestanden nach § 7 des Gesetzes z.B. darin, daß der Grundeigentümer sich verpflichtete, für öffentliche Straßen, Freiflächen etc. „Flächen in angemessenem Umfange" der Gemeinde zu überlassen. Vgl. den Gesetzeswortlaut in: Heilmann, Aufschließung von Wohnsiedlungsgebieten, S. 9-13. Pergande, Gesetzgebung, S. 109. Vgl. Peltz-Dreckmann, Nationalsozialistischer Siedlungsbau, S. 120. Ausführlicher zum Problem unten, S.373ff.

1. Die Politik des Reiches im Wohnungs- und

139

Siedlungswesen

einzelner über den wertvollen Heimatboden verfügt werde199, der doch Grundlage „völkischen Daseins" sei: „Die Art der Verbindung des Menschen mit dem Boden entscheidet weitgehend über sein Wohl, sein Wesen und seine Entwicklung, aber auch über das Werden, Wachsen und Vergehen einer Volksgemeinschaft."200 Im nationalsozialistischen Zeitalter müsse daher eine planvolle Siedlungstätigkeit das „gesunde" Verteresse

hältnis zwischen Mensch und Boden wiederherstellen. Es wurde bereits erwähnt, daß solche ideologischen Ziele schon in der Vierjahresplanwirtschaft und vor allem während des Krieges gegenüber konkreten industrie- und wehrwirtschaftlichen Erfordernissen ins Hintertreffen gerieten. Dagegen kann das Jahr f 934, in dem Gottfried Feder das Reichssiedlungskommissariat verwaltete, als Blütezeit der an der Boden- und Raumordnungsfrage ausgerichteten Siedlungspolitik betrachtet werden.

Gottfried Feder und das



Deutsche Siedlungswerk

"

von

1934

Am 29. März 1934 wurde Gottfried Feder durch einen von Hindenburg und Hitler gezeichneten Erlaß zum Reichssiedlungskommissar ernannt201. Da Feder bereits seit Juli 1933 als Staatssekretär dem Reichswirtschaftsministerium angehörte, verlagerte sich die Zuständigkeit für das Wohnungs- und Siedlungswesen vom Arbeits- auf das Wirtschaftsressort. Am 18. Mai 1934 wurde die zuständige Abteilung des Arbeitsministeriums in das Wirtschaftsministerium eingegliedert und dem Siedlungskommissar direkt unterstellt202. Das dadurch angestrebte vereinheitlichte „Deutsche Siedlungswerk" schloß nur die bäuerliche Siedlung aus, die im Ernährungsministerium verblieb. Zum Zeitpunkt seiner Ernennung zum Siedlungskommissar war Feder, der in der Frühzeit der Partei einigen Einfluß auf ihre Wirtschaftsprogrammatik genommen hatte203, bereits zu einer Nebenfigur in der NSDAP geworden204. Daß ihm die Leitung des Siedlungswesens in Form eines Kommissariats anvertraut wurde, sollte daher trotz entsprechender NS-Rhetorik auch keineswegs in dem Sinne mißdeutet werden, daß Hitler großes Gewicht auf Wohnungs- und Siedlungsfragen gelegt habe205. Eher schon -

-

199

Typisch dafür der Satz aus der Begründung des Wohnsiedlungsgesetzes, zitiert in Pergande, Gesetzgebung, S. 109: „Die Freiheit des Einzelnen muß ihre Grenze an dem unverrückbaren Grundsatz finden, daß der deutsche Boden kein Gegenstand ist, den der Einzelne zum Schaden der anderen Volksgenossen und zum Nachteil der Allgemeinheit ausnutzen oder mißbrauchen darf."

200 201

202

203 204

205

Knoll, Bodenfrage (wie Anm. 98), S. 327.

RGB1. 1934/1, S. 295. Zum „Intermezzo Feder"

maschine, S. 53-66.

vgl. auch Harlander, Heimstätte und Wohn-

Zur behördlichen Umorganisation BArch, R 41, 679. Vgl. Ludwig, Technik und Ingenieure, S. 73-79. Vgl. Tyrell, Gottfried Feder, der Feders Amt als Staatssekretär und die sich anschließenden Tätigkeiten nur noch als „Nachspiel" betrachtet (S. 39). Interessant ist, daß Feder zum Zeitpunkt seiner Ernennung 1934 bereits einen gescheiterten Versuch unternommen hatte, sich an die Spitze des Vereins Deutscher Ingenieure zu setzen, vgl. Ludwig, Technik und Ingenieure, S. 113-118. Auch hier hatte sich die Richtung, „die eine spezifische Interessengemeinschaft zwischen Partei und Industrie zum Programm erhob" (S. 117), gegenüber dem „verschlissenen Theoretiker" (S. 116) durchgesetzt. In diesem Punkt bin ich nicht einig mit Forndran, der die Wohnungsbaupolitik viel stärker als integralen Bestandteil von Hitlers Vorliebe für Stadtplanungsfragen sieht, während meines Erachtens der Wohnungsbau weitgehend aus Hitlers Interesse an der Anlage repräsentativer (Führer-)Städte herausfiel, vgl. ders, Stadt- und Industriegründungen, bes. S. 121.

140

II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

zeigt sich in der Beauftragung Feders, daß Hitler auf diesem Feld noch keine feste politische Orientierung hatte. Sowohl die Einrichtung des Reichssiedlungskommissariats als auch die ideologischen Zielsetzungen, die es verkörperte, blieben letztlich Episode in

der nationalsozialistischen Herrschaft. Es handelte sich offensichtlich um den Versuch, das Wohnungs- und Siedlungswesen der Kontinuität zur Weimarer Sozialpolitik zu entziehen, die das Arbeitsministerium trotz anderer politischer Steuerung in der NS-Zeit noch immer verkörperte. Damit sollte auch in der Bevölkerung der Eindruck nationalsozialistischen Reformwillens im Wohnungssektor entstehen206. Daß dieser Versuch mit der Beauftragung einer Randfigur wie Feder nur halbherzig begonnen und schon nach einem Dreivierteljahr abgebrochen wurde, um das Wohnungs- und Siedlungswesen wieder dem traditionellen Sozialpolitik-Ressort einzugliedern, zeugt jedenfalls von einer eher niedrigen Einstufung dieser Fragen auf Hitlers Prioritätenskala. Hätte er nur die Wahl Gottfried Feders als Irrtum betrachtet, wäre ansonsten aber von der Notwendigkeit energischen Eingreifens in diesem Sektor überzeugt gewesen, hätte im Dezember 1934 die Gelegenheit bestanden, durch Beauftragung einer „Führungspersönlichkeit" und entsprechende administrative Maßnahmen eine wirkliche Reorganisation des Wohnungswesens im nationalsozialistischen Sinn durchzuführen. Statt dessen trat Hitler den Rückzug an und unternahm vorerst keine weiteren Schritte in dieser Richtung. Die Wiederbeauftragung des Arbeitsministeriums mit der Siedlungspolitik wirkte fast wie eine Kapitulation vor der Aufgabe, zumindest schien Hitler nicht bereit zu sein, zu diesem Zeitpunkt weitere Energie in die Lösung des Siedlungsproblems zu stecken. Unter Gottfried Feder nahm der Gedanke der „Ordnung des deutschen Siedlungswesens" weiteren Aufschwung. In einem entsprechenden Gesetz und einer Durchführungsverordnung wurde die durch das Wohnsiedlungsgesetz eingeleitete Politik der Reglementierung der Bebauung fortgesetzt207. Für größere Bauvorhaben galt künftig eine Anzeigepflicht, und sie konnten vom Reichswirtschaftsminister untersagt werden, „wenn die beabsichtigten Maßnahmen den siedlungs- und wirtschaftspolitischen Absichten der Reichsregierung oder sonst dem öffentlichen Interesse widersprechen würden"208. Bei Zuwiderhandlung gegen die Meldepflicht oder gegen das Verbot einer Baumaßnahme waren harte Sanktionen, sogar bis hin zur Gefängnisstrafe, vorgesehen209. Damit war freilich nur der Anfang gemacht für eine Steuerung des Siedlungswesens „nach großen staatspolitischen Gesichtspunkten", wie sie Feder vorschwebten210. Er strebte eine Entflechtung der Großstädte, überhaupt der Ballungsgebiete an, die seiner 206

207

208

209

210

Harlander, Heimstätte und Wohnmaschine, S. 58. Gesetz über einstweilige Maßnahmen zur Ordnung des deutschen 3.7.1934, RGB1. 1934/1, S. 568, und Durchführungsverordnung dazu

Siedlungswesens vom

vom

5.7.1934, RGB1.

1934/1, S.582Í. § 2 der Durchführungsverordnung ebenda, S. 582. § 3 des Gesetzes vom 3.7.1934, RGB1. 1934/1, S. 568. Feder hatte nach eigener Aussage gerade auf diese Strafbestimmungen „grössten Wert" gelegt. Für ihn war das Gesetz insgesamt „der erste mächtige Axthieb am Baum des Wirtschaftsliberalismus". Auch Pergande hat aus heutiger Sicht betont, daß mit dem Gesetz der „erste schwere Eingriff in die Baufreiheit" erfolgte,

der um so gravierender war, als es keine Rechtsmittel dagegen gab. Vortrag Feders bei einer Besprechung über „Aufgaben und Ziel des Deutschen Siedlungwerks" am 17.10.1934, in BArch, R 41, 706, Bl. 39-63, hier 51f.; und Pergande, Gesetzgebung, S. 106. Niederschrift über Feders Ausführungen bei einer Besprechung über das „Wohnungsbauprogramm des Reichssiedlungswerks" am 24.10.1934, in BArch, R 41, 1176, Bl. 3-10, hier 5.

1. Die

Politik des Reiches im Wohnungs- und Siedlungswesen

141

Meinung nach „den Herd für die volkszerstörende Macht des Marxismus und Bolschewismus" bildeten211, und wollte durch Gewerbe- und Industrieverlagerung eine dezentrale Wirtschaftsstruktur etablieren. Wo neue wirtschaftliche Existenz geschaffen wür-

de, könnten auch neue Städte entstehen: „Städte, die, damit die soziale Gemeinschaft er-

halten bleibe, nicht wesentlich über 10000 Einwohner hinausgehen"212. Er hatte also weitergehende Ziele als die Fortführung des begonnenen Kleinsiedlungsprogramms vor Augen, das er in Form der großstädtischen Randsiedlungen sogar dezidiert ablehnte213; die Siedlung sollte vielmehr auf der Grundlage einer umfassenden „Reichswirtschaftsplanung" neue sozial-, wirtschafts- und bevölkerungspolitische Akzente setzen. In sozialen Gemeinschaften, die die herkömmlichen Klassenlinien überschritten, sollten kleinere Bevölkerungsgruppen auf Territorien angesiedelt werden, die anders als die großstädtische Enge Familie und Fekundität begünstigten, aber verkehrsnah zu den (dezentralen) Wirtschaftsstandorten lägen214. In der existierenden soziogeographischen Struktur sah Feder „eine recht unerwünschte Verteilung der deutschen Bevölkerung", die es durch diese planvolle Siedlungsverteilung zu korrigieren galt; insbesondere sollte das „Bevölkerungsgebirge" im Westen Deutschlands abgebaut werden215. In der konkreten Siedlungsgestaltung spielte ebenso der „Kampf gegen die Zinskästen" für Feder eine Rolle wie eine gewisse Normierung und Typisierung der Bauformen: „Wie nett sieht [...] eine Siedlung aus, wo die Häuschen wenigstens den gleichen Baucharakter tragen, und wie schön ist schließlich die Uniform!"216 Angesichts seiner weittragenden Siedlungspläne strebte Feder auch eine umfassende Gesetzesgrundlage zur Ermächtigung seiner Eingriffe auf dem Gebiet der Planung, des Baurechts, des Enteignungsrechts und der Baupolizei an217. Während seiner Amtszeit wurden aber praktisch nur die erwähnten Maßnahmen zur „Ordnung" des Siedlungswesens verwirklicht. Eine weiterführende „Regelung der Bebauung" wurde erst 1936 eingeführt218, die Ansätze zur Neufassung des Reichsplanungs- und Enteignungsrechts blieben Stückwerk. Den Anlaß für Feders Entlassung aus dem Siedlungskommissariat bildete die Neubesetzung der Spitze des Reichswirtschaftsministeriums mit Hjalmar Schacht, der als -

-

211 212

213

214 215

2,6

217 218

„Aufgaben und Ziel des Deutschen Siedlungswerks" (wie Anm. 209), Bl. 41. „Wohnungsbauprogramm des Reichssiedlungswerks" (wie Anm. 210), Bl. 10. In einem späteren Buch (Die neue Stadt, bes. S. 23-27) erweiterte Feder seine Größenvorstellung von der

idealen Stadt auf 20000 Einwohner. Dazu ausführlich Münk, Organisation des Raumes, S. 265-285. Im übrigen knüpfte Feder mit seiner Konzeption in deutlichem Maße an die Ideen des Gartenstadt-Theoretikers Ebenezer Howard an, der gleichfalls schon gefordert hatte, die Vorteile von Großstadt und Dorf zu verbinden bzw. deren Nachteile zu vermeiden, indem man mittelgroße Landstädte schüfe. Vgl. Bergmann, Agrarromantik, S. 135-163. Vgl. „Aufgaben und Ziel des Deutschen Siedlungswerks" (wie Anm. 209), Bl. 42. Ebenda, Bl. 60f. und passim. Ebenda, Bl. 40. „Wohnungsbauprogramm des Reichssiedlungswerks" (wie Anm. 210), BL 8. Außerdem Niederschrift über die Nachmittagsbesprechung, ebenda, Bl. 13-15, hier 14. „Aufgaben und Ziel des Deutschen Siedlungswerks" (wie Anm. 209), Bl. 55f. Die am 15.2.1936 erlassene „Verordnung über die Regelung der Bebauung" beruhte zwar auch noch auf dem Siedlungsordnungsgesetz (dessen Ermächtigungen inzwischen auf den Reichsarbeitsminister übergegangen waren), aber trug so betont es Pergande nicht den politischen Charakter des Gesetzes von 1934. Die hier ermöglichte Ausweisung von Baugebieten als Wohngebiete, Gewerbegebiete etc. ist in das bundesrepublikanische Baurecht eingeflossen. -

Pergande, Gesetzgebung, S. 107.

-

142

II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

Kapital einen Staatssekretär nicht akzeptieren konnte, dessen Ruhm sich vor allem auf seinen Ruf nach „Brechung der Zinsknechtschaft" gründete219. Im August 1934 mußte Feder bereits das Staatssekretariat abgeben, im Dezember folgte die Abberufung als Siedlungskommissar, denn auch das antimoderne, großstadtfeindliche Siedlungsprogramm Feders fügte sich nicht mehr in den neuen wirtschaftspolitischen Kurs. „In der zweiten Hälfte des Jahres 1934 hatten die um Begriffe wie ,Wiederbodenständig- und Seßhaftmachung' kreisenden Ideen Feders scharfen Widerspruch in der Landwirtschaft, im Militär und in der Industrie hervorgerufen."220 Der erste „Chefideologe" der NSDAP mußte sich fortan mit einer akademischen Tätigkeit an der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg und der Leitung der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung zufriedengeben. Tatsächlich kam es in der Folgezeit durch die Industrieneugründungen im Rahmen des Vierjahresplans und die aus Luftschutzgründen später vorgenommenen Industrieverlagerungen doch noch zu einer gewissen Dezentralisierung221. Sie folgte allerdings den wirtschaftlichen und militärpolitischen Strategien und wurde nicht von Raumordnungsvorstellungen oder Siedlungsideologien getragen. Nicht das industrielle System wurde wie es Feder vorgeschwebt hatte den Zielen einer dezentralen Bevölkerungs- und Siedlungsweise angepaßt, sondern das Wohnungs- und Siedlungswesen stärker auf die Erfordernisse der Industriegesellschaft ausgerichtet.

Vertreter einer Dominanz von Wirtschaft und

-

-

Verankerung des Wohnungs- und Siedlungswesens in NSDAP und DAF Es war nicht nur die Beauftragung Gottfried Feders, die 1934 vorübergehend den Eindruck entstehen ließ, daß Hitler jetzt sein besonderes Augenmerk auf die Siedlungsfrage lenken würde. Zur gleichen Zeit richtete er das Reichsheimstättenamt der NSDAP und DAF ein, das der Politisierung des Siedlungswesens unter den Nationalsozialisten Ausdruck verlieh: „Es werden [...] durch die Heimstättensiedlung wesentliche politiDie

ganz selbstverständlich, daß sich die Partei als die alim leinige politische Willensträgerin Staate hier einschaltete."222 Ebenso wie bei der Einrichtung des Siedlungskommissariats unter Feder sind allerdings auch bei der parteiamtlichen Verankerung des Siedlungswesens Halbherzigkeit des Ansatzes und Unvollständigkeit der Lösung nicht zu übersehen. Quellen zum Reichsheimstättenamt sind im Grunde kaum vorhanden223, aber auch die wenigen Fragmente machen deutlich, daß weder eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten gegenüber den staatlichen Stellen und den konkurrierenden Parteiorganisationen wie dem Hauptamt für Kommunalpolitik getroffen wurde, noch eine auf Dauer befriedigende interne Organisation gelang. So wurde das zunächst als gemeinsame Einrichtung der NSDAP und DAF geführte Amt

sche Ziele erreicht, und

219

220 221 222

223

so war es

Zur Entlassung Feders und den Motiven dafür Recker, Großstadt, S. 13. Ludwig, Technik und Ingenieure, S. 129, meint allerdings, daß es weniger Schachts Einfluß als der Kurs der NSDAP nach dem „Röhm-Putsch" gewesen sei, der Feder aus dem Amt beförderte. Ludwig, Technik und Ingenieure, S. 128f. Walz, Wohnungsbau- und Industrieansiedlungspolitik, S. 112. W. Gebhardt, Heimstättensiedlung und Reichsheimstättenamt, in: Bauen, Siedeln, Wohnen 15 (1935), S. 349-353, hier 351. Auch Harlander, Heimstätte und Wohnmaschine, S. 66-73, gibt kaum Auskunft über die Organisation des Heimstättenamtes, sondern konzentriert sich auf dessen Siedlungspropaganda.

1. Die Politik

des Reiches im Wohnungs- und Siedlungswesen

143

bis 1936 ganz in die Organisation der DAF übernommen und galt fortan nur noch als eines ihrer Unterämter224. Auch die geradezu inflationäre Einrichtung von nachgeordneten Stellen, Ausschüssen und Beiräten scheint davon zu zeugen, daß man sich über die Aufgaben des Heimstättenamtes noch keineswegs im klaren war und dieses Manko zunächst einmal durch organisatorischen Aktivismus zu kompensieren suchte. Die Grundstruktur bildete das Reichsheimstättenamt an der Spitze mit Sitz in Berlin und darunter die auf Gauebene nachgeordneten Heimstättenämter225. Für jedes dieser Heimstättenämter waren neben dem Leiter zunächst mehrere Ausschüsse und Beiräte vorgesehen (z.B. Führerrat, Arbeitsausschuß, Sozialer Beirat), wobei offenbleiben muß, ob es gelang, diese fein verästelte Struktur wirklich mit hauptamtlichem Personal und ehrenamtlichen Mitarbeitern aufzufüllen226. Die Leiter der Gauheimstättenämter fungierten gleichzeitig als Beauftragte der Gauleiter in allen Siedlungsfragen, und auch auf der Ebene der Kreisleitungen und Ortsgruppen wurden entsprechende Amtsleiter vorgesehen227. Interessanter sind die Personalunionen, die man an der Spitze des Amtes vorsah, das bis 1937 von Johann Wilhelm Ludowici geleitet wurde. Der Leiter des Reichsheimstättenamtes wurde auch zum Beauftragten für das Siedlungswesen im Stabe des Stellvertreters des Führers ernannt: damit erhielt er einen stärkeren institutionellen Rückhalt innerhalb der Partei228. Als dritte Funktion schließlich nahm Ludowici die Stellvertretung des Reichssiedlungskommissars wahr, wodurch die Bindung zur staatlichen Führung des Siedlungswesens hergestellt war229. So unterstanden „das Heimstättenamt, seine Nebenstellen und Untergliederungen organisatorisch und personell der N.S.D.A.P, in sachlicher Hinsicht dem Reichskommissariat für das Siedlungswesen"230, wobei diese Konstruktion Episode blieb, weil Feder ja schon Ende 1934 seine Stellung einbüßte. Auch das Amt des Siedlungsbeauftragten bei der Partei, das Ludowici noch

224 225

226

227

Vgl. Organisationsbuch der NSDAP, S. 200. Zum Organisationsaufbau vgl. das Gutachten von Eicke, Die Deutsche Arbeitsfront, S. 235250. Das Gutachten, das an dieser Stelle überwiegend deskriptiv gehalten ist, läßt wenig Kritik am Reichsheimstättenamt erkennen, schlägt aber vor, daß das Heimstättenamt stärker Kompetenzen als Planungsträger an sich ziehen solle. Ich danke Pankraz Görl für den Hinweis auf das

Gutachten. Zu dieser Gliederung 28.5.1934, bes. S. 4-6,

vgl. Verordnungsblatt des Siedlungsbeauftragten Ludowici Nr. 1 vom BayHStA, OBB 12712. Vgl. Gebhardt, Heimstättensiedlung (wie Anm. 222), S. 351. Nach der Umwandlung des Reichsheimstättenamtes in ein reines DAF-Amt wurden diese Siedlungs-Ämter bei den Gauund Kreisleitungen der NSDAP zu Heimstättenabteilungen bei den Gau- und Kreiswaltungen

228

der DAF erklärt, vgl. Gauorganisationswalter der DAF München-Oberbayern an Gauorganisationsleiter der NSDAP, 1.8.1936, StaatsAM, NSDAP 131. Die Dienststelle des Siedlungsbeauftragten im Stab des Stellvertreters des Führers befand sich in München, Leopoldstr. 17, dort war auch das Gauheimstättenamt für München-Oberbayern

untergebracht.

229

Ludowici hatte nicht nur diese verschiedenen politischen Ämter in Personalunion inne, sondern war auch Präsident der Akademie für Landesforschung und Reichsplanung, die der Politik sozialwissenschaftliche Hilfestellungen für ihre Raum- und Sozialplanungen leisten sollte, vgl. Gutberger, Volk, Raum und Sozialstruktur, S. 59-61. Zum Lebenslauf Ludowicis, einem promovierten Ingenieur und Unternehmer aus Jockgrim/Pfalz, vgl. Siedlung und Wirtschaft

230

Vgl. Verordnungsblatt (wie Anm. 226), S. 2.

16

(1934), S. 260.

144

II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

1937 aufgelöst231. Aus einer dreifach zur Partei, zur DAF, Staat angebundenen Organisation wurde jetzt schlicht ein Amt der DAF, das von Ernst von Stuckrad als dem Nachfolger Ludowicis geleitet wurde. Bei diesen personellen und organisatorischen Umstrukturierungen spielte offenbar eine Rolle, daß Ludowici neue Kursrichtungen der DAF im Wohnungsbau, von denen weiter unten zu sprechen sein wird, nicht mitzutragen bereit war232. Auch innerhalb der DAF blieb das Heimstättenamt freilich in erster Linie auf den ideologisch-propagandistischen Auftrag

wahrnahm, wurde im Juli

-

zum

-

„richtigen" Siedlermenschen dafür heranzuziehen233. In der praktischen Wohnbau- und Siedlungstätigkeit gelang es weder dem Reichsamt noch den untergeordneten Ämtern, die staatlichen Stellen und gemeinnützigen Wohnungsunternehmen, die auch innerhalb der DAF als Gesellschaften der „Neuen Heimat" einen eigenen Status erhielten, zu verdrängen234. Nach einem erneuten Wechsel an der Spitze 1939 forcierte das Reichsheimstättenamt unter Paul Steinhauser zwar noch seine Ansprüche, wurde im Krieg aber zwischen den verschiedenen Fronten im Machtkampf um die zentrale Leitung des Wohnungswesens zerrieben235. 1943 übertrug Robert Ley dann dem Amt die Durchführung des Behelfsheimprogramms: Die Banalität des Notbehelfs aus Lehm und Holz löste die Träume der Amtsideologen von einer neuen Siedlungsherrlichkeit endgültig ab. Mit diesem Vorgriff auf das letzte Kapitel soll an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich gemacht werden, daß im Reichsheimstättenamt Eigensicht und tatsächliche Funktion nie zur Deckung kamen. Von Anfang an war auch das Aufgabengebiet der nachgeordneten Heimstättenämter vom Anspruch her umfassend, in der Sache aber wenig präzise definiert, so etwa als „Zusammenfassung aller nichtbäuerlichen Siedlungsbestrebungen und Siedlungsvorhaben, ihre Förderung und Unterstützung" oder „Überprüfung aller Siedlungsvorhaben und Beratung aller unternehmenden Behörden, Verbände, Einzelpersonen und Firmen"236. Neben einer gewissen Beratungs- und Schulungstätigkeit237 blieben schließlich seit 1937, nach einem langen Kompetenzenstreit vor allem mit dem Arbeitsministerium, in der Hauptsache zwei praktische Funktionen der Heimstättenämter erhalten. Das eine war die Siedlerauswahl, die aber auch nur in Zusammenarbeit mit den Gemeinden und örtlichen Parteistellen wahrgenommen werden konnte238. verwiesen, für die Siedlung zu werben und die

231

Vgl. das Schreiben des ehemaligen Geschäftsführers im Amt des Siedlungsbeauftragten beim Stellvertreter des Führers, Carl Theodor Werre, an den RAM, 9.3.1939 (Abschrift), BayHStA,

MF 68118. 232

233

234

Vgl. Münk, Organisation des Raumes, S. 233. Vgl. z.B. die „Grundsätze des Reichsheimstättenamtes für Siedlungslustige", deln, Wohnen 18 (1938), S. 224f.

Insofern kann ich Harlander nicht ganz den

235 236 237

238

in: Bauen, Sie-

folgen, der die Rolle des Reichsheimstättenamtes in sehr viel höher einschätzt, obwohl auch er die Abgrenzungsproblematik Heimstätte und Wohnmaschine, S. 140-148.

Friedensjahren

betont; ders., Ebenda, S. 143 u. 272-277. Verordnungsblatt (wie Anm. 226), S. 4.

So stand der Deutsche Siedlerbund als

einzig zugelassene Organisation der Kleinsiedler, die auch für deren wirtschaftliche Beratung und Schulung zuständig war, unter der Ägide des Reichsheimstättenamtes. Gemeinsam unterhielt man beispielsweise sechs Siedlerschulen, vgl. Otto Wetzel, Einsatz der Deutschen Arbeitsfront im Siedlungswerk, in: Bauen, Siedeln, Wohnen 17 (1937), S. 618-620, hier 619. Dazu unten, S. 228ff.

1. Die Politik des

Dabei reklamierte die

Reiches im Wohnungs- und Siedlungswesen

145

Reichsheimstättenorganisation für sich, die Siedlerauswahl nach

„nationalsozialistischen" Kriterien durchzuführen. Durften die Gemeinden sich um Fragen wie die erforderliche Wirtschaftskraft des Siedlers kümmern, sah sich das Heim-

stättenamt als zuständig für die weltanschaulich-politische Tauglichkeit an239. Die andere Funktion lag in der Siedlungsplanung, die vor allem als Hilfe für Siedlungsträger wie

die SA, die NSKOV oder auch Wehrmachtsbehörden gedacht war, weil diese Organisationen selbst über wenig für solche Aufgaben qualifiziertes Personal verfügten240. Eine Stadt wie München lehnte allerdings die Mitarbeit des Heimstättenamtes als neue Bedrohung gemeindlicher Selbstverwaltung ab und vermied dessen Einbeziehung in Siedlungsfragen so gut es ging. Das Reichsheimstättenamt und seine unterstellten Gauheimstättenämter hatten wohl auch wegen ihrer unscharfen Funktionsbestimmung und ihres scheinbar nach allen Richtungen ausgreifenden Ämterapparates von Anfang an Mühe, ihre Legitimation gegenüber den bestehenden Einrichtungen im Siedlungswesen zu vertreten und ihren Autoritätsanspruch geltend zu machen. Die zweite Schwierigkeit bestand darin, den ideologischen Auftrag, wie ihn das Heimstättenamt verstand, an die Bevölkerung weiterzugeben, für die Siedeln verständlicherweise in erster Linie eine praktische Maßnahme der Wohnungsbaupolitik war. So berichtete der Leiter des Gauheimstättenamtes München-Oberbayern Ende 1934 der Münchner Gauleitung: „Einmal sind speziell bei den Behördenstellen noch sehr viele Schwierigkeiten zu überwinden, weil diese in der Betätigung des Heimstättenamtes eine Verdrängung von ihrem eigenen Arbeitsgebiet erblicken, woran niemand denkt. Zum Anderen ist in der Bevölkerung selbst unter Aufwand von viel Mühe und Zeit klarzumachen, daß unter Siedeln nicht in erster Linie .Wohnung bauen' zu verstehen ist."241 Egal, wo man hinblickte, schienen sich Reibungspunkte genau an den Nahtstellen zu ergeben, an denen das Reichsheimstättenamt sich mit den Funktionen anderer Ämter berührte. Zunächst kam es zu einem Konflikt zwischen Feder und seinem Stellvertreter Ludowici über die Kompetenzen im Deutschen Siedlungswerk242, das setzte sich dann in einem Kleinkrieg mit dem Reichsarbeitsministerium um den konkreten Ablauf des Kleinsiedlungsverfahrens fort. Guido Harbers schließlich als Vertreter der Abteilung für Siedlungswesen im Hauptamt für Kommunalpolitik hielt die Einrichtung des Reichsheimstättenamtes von Anfang an für überflüssig und drückte das seinem Vorgesetzten Karl Fiehler gegenüber auch unmißverständlich aus, als er zur Ernennung Ludowicis schrieb: „Es ist ja gewiss schön, jungen Leuten [Ludowici war immerhin Jahrgang 1896, ein Jahr älter als Harbers] auf diese Weise zur Tätigkeit zu verhelfen, aber ich weiss doch nicht, ob diese Dispositionen sich recht mit dem Ernst des Gegenstandes vertragen. [...] Es sind wirklich grosse Aufgaben durchzuführen und zwar erfolgreich nur von diesem Amt für Gemeindepolitik, also von Ihnen aus als seinem Leiter. Geschieht dies nicht, so besteht eben doch die schon sehr naheliegende Gefahr, dass von anderen Stellen in unverantwortlicher Weise quer und durcheinander disponiert und so dann jede positive und stetig aufbauende Ar-

-

Vgl. z.B. Wetzel, Einsatz der Deutschen Arbeitsfront (wie Anm. 237), S. 619.

Zur Planungstätigkeit das Gutachten S. 243-245.

von

Eicke,

Die Deutsche Arbeitsfront

Bericht von Werre, 10.12.1934, StaatsAM, NSDAP 131. Longerich, Hitlers Stellvertreter, S. 35*.

(wie Anm. 225),

146

II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

beit im Reich von vorneherein unmöglich gemacht wird."243 Harbers überschätzte hier auf die für ihn typische Weise, wieviel Einfluß der kommunalen Seite auf die zentrale Formulierung und Steuerung der Wohnungspolitik gegeben sein würde. Die vollständige Übertragung des Reichsheimstättenamtes in die Kompetenz der DAF 1936 war ein Zeichen dafür, daß künftig die Rolle der Arbeitsfront im Wohnungsund Siedlungswesen ausgebaut werden sollte244. Das entsprach ihrem Selbstverständnis als Institution, „welche die Betreuung und Führung des Menschen in allem Wirtschaftlichen übernommen hat"245. Die DAF stellte ihren Einsatz für den Wohnungsbau unter das Motto „Arbeiterwohnstättenbau" und visierte ein stärker an den Anforderungen der Industriearbeiterschaft orientiertes Wohnungsprogramm an. Die Kleinsiedlung oder Heimstättensiedlung, wie der von Reichsheimstättenamt bevorzugte Terminus lautete, genoß zwar immer noch höchste Wertschätzung als „Idealform des deutschen Wohnungsbaues"; um den wachsenden Fehlbedarf vor allem in den industriellen Zentren zu bekämpfen, sollte aber „die Schaffung gesunder Stockwerkswohnungen" als pragmatisches Nahziel stärker in den Vordergrund rücken. Die Siedlungstätigkeit wurde jetzt im „Siedlungswerk des Vierjahresplanes" neu definiert und damit gleichfalls unter den Primat des Bauens für die Stammarbeiterschaft der Rüstungsbetriebe gestellt. Entsprechend sollten die neuen Siedlungen an die Werke heranrücken246; Siedlungsutopien, wie sie Gottfried Feder entworfen hatte, wurden zwar nicht völlig aufgegeben, aber als praxisfern in der Wohnungspolitik hintangestellt247. Auch das von der Reichsregierung bereits 1935 initiierte Volkswohnungsprogramm betrachtete der spätere Leiter des Reichsheimstättenamtes, von Stuckrad, als wenig geeignet, das „Arbeiterwohnstätten"-Problem zu lösen. Auf der Basis der tatsächlich extrem restriktiven Reichsrichtlinien in diesem Programm könnten keine adäquaten Behausungen geschaffen werden: „Wohnungen, bei deren Ausstattung man mit einem resoluten Sprung zurück ins 19. Jahrhundert auf jede moderne Wohnungshygiene verzichtet, verdienen den Ehrennamen von Volkswohnungen nicht!"248 Diese Kritik war deutlich, und sie zeigt, daß die DAF bzw. das von ihr betreute Reichsheimstättenamt nicht so sehr die einkommensschwachen Kreise mit niedrigsten Wohnansprüchen im Auge hatten, sondern generell die „schaffenden Volksgenossen" als ihre Klientel betrachteten, deren Anspruch auf den „Bau von gesunden, in Güte und Preis angemessenen Arbeiterwohnstätten" befriedigt werden müsse249. Obwohl von Seiten des Reichsheimstättenamtes unmißverständlich klargestellt wurde, daß man den Einsatz öffentlicher Mittel für unabdinglich hielt, um die Produktion -

-

Vertrauliche Vormerkung Harbers', 19.3.1934, BArch, NS 25, 169, Bl. 7. Auch Heß wünschte die vollständige Übertragung aller Siedlungsfragen an die DAF, weshalb das Amt des Siedlungsbeauftragten in seinem Stab 1937 aufgelöst wurde. Longerich, Hitlers

Stellvertreter, S. 35*. Gebhardt, Heimstättensiedlung (wie Anm. 222), S. 352.

Alle Zitate zum Arbeiterwohnstättenbau aus: Ernst von Stuckrad, Die Deutsche Arbeitsfront und der Arbeiterwohnstättenbau, in: ZWB 35 (1937), S. 4-9, hier 6. In München läßt sich sehr gut beobachten, daß etwa in der Planung der „Siedlungsstadt im Norden" die Nähe zu den hier ansässigen Rüstungsbetrieben eine große Rolle spielte, vgl. unten, S. 391-394. Stuckrad, Deutsche Arbeitsfront (wie Anm. 246), bes. S. 6. Ernst von Stuckrad, Heimstätte und Geschoßwohnung, in: Bauen, Siedeln, Wohnen 18 (1938), S. 167f., hier 168. Wetzel, Einsatz der Deutschen Arbeitsfront (wie Anm. 237), S. 619.

1. Die Politik des Reiches im Wohnungs- und

Siedlungswesen

147

günstiger Wohnungen zu ermöglichen250, wurde versucht, vor allem Wirtschaftskreise Engagement zugunsten der Wohnungsfrage zu gewinnen. Schon 1935 war eine „Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Arbeiterwohnstättenbaues" gebildet worden, an der sich neben dem Reichsheimstättenamt die Reichsgruppe Industrie, die Wirtschaftsgruppe Bauindustrie, die Verbände des gemeinnützigen Wohnungswesens, der Deutsche Gemeindetag und der Bund Deutscher Architekten beteiligten251. Das Ziel war nicht der Werkswohnungsbau im herkömmlichen Sinne, denn das Firmenkapital war zwar erwünscht, aber die Arbeiterschaft, die ja disponibel für die Zwecke des Regimes bleiben mußte, sollte nicht zu eng an spezifische Unternehmen gebunden wer-

für ein

den252. Die Unternehmen sollten auch nicht als Bauherren auftreten, vielmehr die Durchführung der eigentlichen Projekte den erfahreneren Baugenossenschaften und -gesellschaften überlassen. Vereinbart wurde lediglich, „daß die Industrie Einfluß auf die Verwendung der Mittel, die sie den gemeinnützigen Wohnungsunternehmen zur Verfügung stellt, haben soll"253. Nachdem die Arbeitsgemeinschaft fast zwei Jahre bestand, war noch immer so läßt ein Tagungsbericht erkennen mehr über die Desiderate der Wohnungspolitik zu sprechen, als es Erfolge zu feiern gab254. Nach wie vor konnten nicht in genügendem Ausmaß günstige Wohnungen hergestellt werden, und nach wie vor bestand das Problem der Lücke zwischen Hypothekenkapital und Eigenkapital, die zwar gelegentlich durch öffentliche Darlehen oder eben Zuschüsse von Arbeitgebern geschlossen werden konnte, aber keineswegs flächendeckend: „Naturgemäß sind diese Hilfen, weil sie zersplittert wirken, nicht so durchgreifend, wie es sein könn-

-

te."255 Seit 1936 sollten die Finanzierungsmöglichkeiten für Arbeiterwohnstätten auch auf breiterer Basis verbessert werden, indem das Reich Grundsteuerbeihilfen256 gewährte.

250

251

Stuckrad, Deutsche Arbeitsfront (wie Anm. 246), S. 7: „Es muß klar herausgestellt werden, daß

der Arbeiterwohnstättenbau gerade auch im Laufe der nächsten Jahre bei den nun einmal gegebenen stabilen Lohnverhältnissen ohne öffentliche Unterstützung nicht durchgeführt werden kann." Gebhardt, Heimstättensiedlung (wie Anm. 222), S. 352, und „Merkblatt 1 über die Errichtung von Arbeiterwohnstätten", hrsg. von der Reichsgruppe Industrie u.a., in: StadtAM, PR 83/6, 278.

252

253

254

255

256

Harlander, Heimstätte und Wohnmaschine, S. 91f. Merkblatt 1 (wie Anm. 251), S. 13. „Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Arbeiterwohnstättenbaues. Tagung in Stuttgart am 15. und 16. Januar 1937", in: ZWB 35 (1937), S. 31-33. In den vorangegangenen zwei Jahren 1935/36 hatte die Industrie nach den Angaben bei Heerde, Aufgaben und Möglichkeiten, S. 7, 38 916 Wohneinheiten gefördert, zwei leistungsstärkere Jahre folgten 1937/38, in denen 55 120 Wohnungen mit Industriezuschüssen gebaut wurden. Bei einer Gesamtsumme von 230 Millionen RM in den vier Jahren bedeutete das im Durchschnitt einen Aufwand von 2 500 RM pro Wohneinheit. Von ihrer Zahl her machten die von der Industrie geförderten Wohnungen nicht ein in einmal Zehntel der jährlichen Bauleistung diesen Jahren aus. Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Arbeiterwohnstättenbaues (wie Anm. 254), S. 32. Zur Mitfinanzierung von Siedlungsprojekten durch Münchner Unternehmen vgl. unten, S. 392 (Am Harthof).

Vgl. Wormit, Grundsteuerbeihilfen, mit Abdruck der einschlägigen Bestimmungen S. 15-20. Statt die Steuer einfach zu erlassen, gewährte das Reich für 20 Jahre dem Steuerschuldner eine laufende Beihilfe in Höhe der Grundsteuer, damit nicht die Gemeinden durch den Ausfall geschädigt würden. Pergande, Gesetzgebung, S. 120, schätzt, daß durch die Grundsteuerbeihilfen, die erst 1958 ausliefen, über 100 000 Wohnungen gefördert wurden.

II.

148

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

Neuartig war, daß in den entsprechenden gesetzlichen Regelungen

1936/37 der schon verwendete Begriff „Arbeiterwohnstätte" rechtsförmlichen Charakter erhielt und damit diese Hilfe auch auf Wohnungen ausgedehnt wurde, die nicht in das Volkswohnungs-, Kleinsiedlungs- oder sonst ein Förderprogramm fielen, aber „nach Größe, Art und Ausstattung sowie nach der Höhe der Lasten oder Mieten für die Arbeiterschaft bestimmt sind und von dieser benutzt werden"257. Als zulässige Grenze für die Miete bzw. monatliche Belastung galten dabei in der Regel 40 RM, wobei es allerdings Ausnahmen gab. Eine solche Ausnahmeregelung konnte der Münchner Oberbürgermeister für das Stadtgebiet München durchsetzen, nachdem für Berlin bereits der Präzedenzfall geschaffen worden war. In beiden Städten wurden die Grenzen für die zulässigen monatlichen Lasten um zehn RM höher angesetzt, um dem hohen Mietspiegel in der Reichshauptstadt und der „Hauptstadt der Bewegung" gerecht zu werden258. Bei der seit 1936 verstärkt betriebenen Förderung des Arbeiterwohnstättenbaues ging es nicht einfach um eine soziale Aktion zugunsten der Industriearbeiterschaft. Sehr schnell machte Göring als Leiter der Vierjahresplanbehörde deutlich, daß er den Arbeiterwohnstättenbau auf das „Siedlungswerk des Vierjahresplanes" eingeschränkt sehen wollte, mit dessen Koordination und Durchführung er die DAF beauftragte259. Es war also nicht an eine allgemeine Belebung der Wohnungsbautätigkeit gedacht, statt dessen wurden die Ressourcen im Bausektor ganz gezielt in rüstungswichtige Bereiche gelenkt. Das galt zwar auch vorher schon in einem gewissen Ausmaß, verschärfte sich aber vor allem seit 1938 deutlich260. Die erste „schwere Erschütterung" für die reguläre Bautätigkeit bedeutete die Kreditsperre des Reichswirtschaftsministers vom 12. August 1938, durch die es den Kreditinstituten untersagt wurde, bis zum 1. April 1939 Hypotheken für Wohnbauzwecke zu gewähren. Ausnahmen galten schließlich nur für die Wohnungsbauprojekte der Aufrüstung und des Vierjahresplans bzw. der Landwirtschaft (Landarbeiterwohnungsbau) sowie für den Ersatzwohnungsbau in den sogenannten Führerstädten. Auch die Baustoffkontingentierungen hatten die gleiche Zielrichtung und engten den Spielraum des „normalen" Wohnungsbaus stark ein261. Waren 1936 und 1937 noch die leistungsstärksten Jahre der nationalsozialistischen Wohnungsproduktion gewesen, in denen erstmals „die Fehlbedarfsziffern nicht weiter angewachsen sind, wenn auch der erhebliche aufgestaute Fehlbedarf an Wohnungen noch nicht wesentlich verringert werden konnte", kam es angesichts dieser Restriktionen 1938 bereits zu einem deutlichen Rückgang der Bautätigkeit, der sich im Jahr des Kriegsbeginns zuvor

-

-

§ 29 des Grundsteuergesetzes vom 1.12.1936, abgedruckt in: Wormit, Grundsteuerbeihilfen, S. 15. Vgl. „Grundsätzliche Entscheidung Nr. A 10 des Reichsbürgschaftsausschusses über die Anerkennung als Arbeiterwohnstätten", BArch, R 41, 916, Bl. 222-226, und 917, Bl. 13f., mit den Nach

entsprechenden Ermächtigungen für München vom 20.10.1938. Eine öffentliche Bekanntgabe ausgesprochen vermieden, um nicht weitere Städte zur Berufung auf Ausnahmeregelungen zu ermuntern. BArch, R 41, 915, Bl. 97-104 (Denkschrift der DAF vom 17.11.1936 über das „Siedlungswerk des Vierjahresplanes") und passim. Vgl. Petzina, Äutarkiepolitik im Dritten Reich, S. 116, zu der im Sommer 1938 einsetzenden zweiten Phase des Vierjahresplanes. Seldte wegen seiner diesbezüglichen Bedenken an Lammers, 1.3.1939, BArch, R 43/11, 1171a, wurde

Bl. 92-94.

1. Die

Politik des Reiches im Wohnungs- und Siedlungswesen

1939 noch verstärkte262. Für die

149

Träger der zivilen Wohnungspolitik gab es damit allen

Grund, alarmiert zu sein, schon bevor die Bautätigkeit ganz den Gesetzen der Kriegs-

politik unterworfen

wurde. Am 1. März 1939 schrieb Franz Seldte an den Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers: „Deutschland leidet unter der schwersten Wohnungsnot, die es je gehabt hat. Im Altreich sind 1,5 Millionen Haushalte ohne eigene Wohnung. Viele Hunderttausende haben ,Wohnungen', die nicht nur unzulänglich, sondern geradezu als unwürdig bezeichnet werden müssen und den Aufbau eines gesunden Volkes gefährden." Und weiter: „Die Wohnungsfrage war schon immer eine starke innenpolitische Belastung. Zur Gefahr wurde sie bisher nicht, weil der verständige deutsche Arbeiter sah, daß auch bei bestem Wollen nicht alles auf einmal zu machen sei, daß aber in allen Städten und Dörfern in immer steigendem Umfang Wohnungen gebaut wurden und er daraus die berechtigte Hoffnung ziehen konnte, daß auch er in absehbarer Zeit eine ihm gemäße Wohnung erhalten werde. Wenn jedoch der Arbeiterwohnstättenbau weiter abgedrosselt bleiben würde, dann hätte dies praktisch zur Folge, daß in 90% der deutschen Gemeinden jedem Wohnungssuchenden und jedem Baulustigen gesagt werden müsse, daß die Neuherstellung von Wohnungen in seiner Gemeinde auf absehbare Zeit zu unterbleiben habe. Diese Verurteilung zur dauernden Heimlosigkeit auf unbeschränkte Zeit müßte sich notgedrungen in schweren innenpolitischen Spannungen und Beunruhigungen auswirken. Eine Vertrauenskrise und eine Verbitterung könnten leicht die Folge sein."263 Seldtes Brief beruhte auf einer Denkschrift des Leiters der Hauptabteilung IV in seiner Behörde, Ministerialdirektor Ernst Knoll, der hierin gegenüber dem Minister zum Teil noch deutlichere Worte gebraucht hatte. So wies er im oben zitierten Zusammenhang auf das Mißverhältnis zwischen Wohnungs- und Repräsentationsbau hin: „Diese Verurteilung zur dauernden Heimlosigkeit auf unbeschränkte Zeit fällt aber zusammen mit gewaltigsten Bauten der verschiedensten Art. Jeden Tag beinahe kann der hoffnungslos Wohnungslose lesen und sehen, welche neuen Vorhaben geplant, ausgeführt, vollendet werden."264 Die Kritik des Arbeitsministeriums mag mit dazu beigetragen haben, daß die nationalsozialistische Regierung sich im Frühjahr 1939 vorübergehend zu einer Politikänderung entschloß und die Kreditsperre für den Wohnungsbau nicht über den 31. März hinaus verlänger-

262 263 264

Der Gemeindetag 32 (1938), S. 76, und Tab. 8, oben, S. 129. BArch, R 43/11, 1171a, Bl. 92-94, hier 92f. BArch, R 41, 715, Bl. 23-28, hier 25 (undatiert, Anfang 1939). Knoll deutet in diesem Schriftstück sogar seinen möglichen Rücktritt für den Fall einer weiterhin so restriktiven Wohnungspolitik an, und es ist bezeichnend, daß ein halbes Jahr später gemeldet wurde, Knoll sei „aus Gesundheitsrücksichten" in den Ruhestand getreten (ZWB 37 [1939], S. 199). Recker, Staatliche Wohnungsbaupolitik, S. 117, ordnet die Schrift versehentlich seinem Nachfolger als Abtei-

lungsleiter, Karl Durst, zu. Die Bevorzugung von Repräsentativbauten gegenüber dem „profanen" Wohnungsbau im „Dritten Reich" bereitete auch dem Nürnberger Oberbürgermeister Willi Liebel legitimatorische Schwierigkeiten, der in einer Bürgermeisterbesprechung 1940 äußerte: „Es laufen z.B. dauernd gewaltige Züge mit Ziegelsteinen ein, vor den Augen der Bevölkerung, und mich hätte beinahe einmal der Schlag getroffen, wie ein ganz tüchtiger Schriftleiter 1935 in einer großen Reportage vorgerechnet hat, dass mit den Ziegelsteinen, die an einem Tag am Kongressbau gemauert werden, 4 Zweifamilienhäuser gebaut werden können." Niederschrift über die Sitzung des Oberbürgermeistergremiums des DGT am 4.4.1940, S. 47, LA Berlin, Rep. 142/7, 0-1-13-7, Akte 1.

150

II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

te265. Das waren freilich „Frühlingszeichen", die nicht von langer Dauer waren. Nach Beginn des Krieges im Herbst verschärften sich die Restriktionen im Bauwesen sehr schnell und setzten der Wohnungsproduktion für zivile Zwecke bald ein Ende.

Siedlung und Wirtschaft 21 (1939), S.

186f.

2. Vom Landeswohnungsfürsorgefonds

zum

„Siebert-Programm": Bauförderung in Bayern In diesem Kapitel soll ein kurzer Überblick über die Wohnungspolitik des Landes Bay-

gegeben werden, um nicht nur den reichs-, sondern auch den landespolitischen Hintergrund für das städtische Handeln im Wohnungssektor zu skizzieren. Wegen der jedoch nachgeordneten Bedeutung der Landesebene für die kommunale Wohnungspolitik im „Dritten Reich", die sich sowohl von den politischen Zielvorgaben her als auch finanziell vornehmlich am Reich orientieren mußte, wird die folgende Skizze nur knapp ern

ausfallen.

Im Bayern der Prinzregentenzeit waren es vornehmlich sozialpolitisch orientierte Zentrumspolitiker, die „die Wohnungsfrage" thematisierten und in den Rang eines politikwürdigen Problems erhoben. Dabei wirkte sich günstig aus, daß nach dem Zentrumssieg bei den Landtagswahlen von 1899, der in einigen Wahlkreisen durch Bündnisse mit der Sozialdemokratie unterstützt worden war, der linke Flügel der katholischen Partei mehr Einfluß geltend machen konnte1. Im gleichen Jahr brachte einer seiner Repräsentanten, der Abgeordnete und Arbeitersekretär Carl Schirmer, eine Interpellation im Landtag ein, die auf „Die Wohnungsfrage in größeren Städten und Fabrikorten" zielte2. Schirmer publizierte außerdem die Ergebnisse der 1898 von der katholischen Arbeiterbewegung finanzierten und durchgeführten Erhebung über „Das Wohnungselend der Minderbemittelten in München" und trug damit dazu bei, die öffentliche Diskussion der Wohnungsproblematik anzuregen3. Solche Anstöße wie auch die verbreiteten Forderungen nach Wohnreform, die in Arbeitervereinen ebenso wie in Kreisen der bürgerlichen Sozialreform erhoben wurden, mußte die bayerische Regierung auf Dauer mit eigener politischer Initiative beantworten. Am 10. Februar 1901 wurde eine königliche Verordnung über die Wohnungsaufsicht in Bayern erlassen, die neben der Regelung der Wohnungsaufsicht auch Grundsätze über die Einrichtung von Wohnungskommissionen und Wohnungsinspektionen aufstellte, Wohnungserhebungen anordnete und weitere Maßnahmen zur Beseitigung hygienischer Mißstände traf4. Die Auslegung und Ausführung der Bestimmungen blieb allerdings den lokalen Gewalten, insbesondere den Ortspolizeibehörden, überlassen, deren Spielraum bewußt nicht mit Hilfe „eines allgemein verbindlichen Wohnungsgesetzes" und durch „Detailvorschriften über die Beschaffenheit der Wohnungen und die Handhabung der Wohnungsaufsicht" eingeengt werden sollte5. Über den Umgang mit der Verordnung in München wird im nächsten Kapitel zu berichten sein.

Das neue staatliche Engagement machte sich nach der Jahrhundertwende nicht nur im Bereich der Wohnungsfürsorge und -hygiene bemerkbar, sondern erstreckte sich auch auf den Sektor des Wohnungsneubaus. Allerdings griff der bayerische Staat bis zum Ersten Weltkrieg fast nur dort ein, wo „dienstliche Interessen" berührt waren, unterstützte also die Wohnungserstellung für seine Beamten und anderen Beschäftigten, 1

2 3 4

5

Möckl, Prinzregentenzeit, S. 486-490. Ebenda, S. 469. Schirmer, Wohnungselend. Vgl. unten, S. 163f. Wohnungsfürsorge in Bayern, in: ZWB 2 (1904/05), S. 15-32. Ebenda, S. 19.

II.

152

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

im Bereich der Militär- oder der Berg-, Hütten- und Salinenverwaltung. Nach eibayerischen Finanzministerium geführten Statistik von 1902 profitierten ein Fünftel bis ein Viertel der Staatsbediensteten zu diesem Zeitpunkt von einer Dienstwohnung6. Vor allem die Bahnangestellten waren auf die Unterstützung des Staates bei der Suche nach bezahlbarem Wohnraum angewiesen, so daß die Staatseisenbahnverwaltung nicht nur bahneigene Wohnungen errichtete, sondern auch die baugenossenschaft-

etwa

ner vom

lichen Selbsthilfebestrebungen ihres Personals unterstützte7. Neben solchen von der Verwaltung gestützten Genossenschaftsunternehmungen entstanden ebenso Arbeiter- oder mittelständische Baugenossenschaften, die im Wege der Selbsthilfe versuchten, die Wohnprobleme ihrer Mitglieder zu lösen. Auch sie konnten seit der Jahrhundertwende mehr und mehr staatliche Mittel für sich einwerben: Dabei waren insbesondere die Landesversicherungsanstalten und seit 1908 die Landeskulturrentenanstalt, die zuvor nur für landwirtschaftliche Kredite zuständig gewesen war, als Finanzierungsinstitute maßgeblich8. So spielten in Bayern schon vor dem Ersten Weltkrieg die Baugenossenschaften keine ganz unbedeutende Rolle mehr: 1912 wurde ihre Zahl auf 119 beziffert, die immerhin einen Wohnungsbestand von 11 399 Einheiten aufwiesen9. Trotzdem blieben diese Anfänge bescheiden im Vergleich zu der genossenschaftlichen Wachstumsphase, die auch in Bayern erst nach dem Ersten Weltkrieg anbrach. Eine regelrechte „Gründungswut" machte sich breit, die „Zeitschrift für Wohnungswesen in Bayern" meldete fast schon alarmiert, daß noch in keinem Jahr so viele Baugenossenschaften gegründet worden seien wie 1919 (nämlich 151). Ihre Gesamtzahl betrug zu Beginn des Jahres 1920 37310. Auch dem Verband bayerischer Baugenossenschaften, -Gesellschaften und -Vereine, dem größten bayerischen Revisionsverband, bescherte der Genossenschaftsboom einen hohen Mitgliederzuwachs. Wer allerdings erwartet hatte, daß dieser Umstand freudig begrüßt würde, sah sich getäuscht. Die Verbandsfunktionäre waren im Gegenteil in höchstem Maße besorgt, daß „die gemeinnützigen Bauvereinigungen an vielen Orten wie die Pilze aus dem Boden schössen". Viele dieser Neugründungen seien durch die allzu einfach zu akquirierenden Finanzierungshilfen motiviert worden, stünden aber nicht auf solider Basis. Insofern hätten die Baukostenzuschüsse „demoralisierend" gewirkt: Sie haben „manche Baugenossenschaft leichtsinnig und manchen Unternehmer wohlhabend gemacht. Sorgfältige Berechnungen, welche früher sich aus dem Risiko des Unternehmers und des Bauherrn von selbst ergaben, wurden nicht mehr angestellt, weil ja die Vergütung der Ueberteuerungen aus öffentlichen Mitteln in Aussicht gestellt war."11 Trotz Liquidierungen und mangelnder Bauerfolge etlicher Genossenschaften12 konnten sie in den Inflationsjahren den öffentlich 6 7 8

9

10 11

12

Ebenda, S. 23. Ebenda, S. 24f. und Aufstellung S. 26-29. Hasiweder, Wohnbauförderung, Bd. 1, S. 22. Ebenda, S. 15. Hierin sind die Genossenschaften des Personals der bayerischen Verkehrsver-

waltung noch gar nicht enthalten. ZWB 18

(1920), S. 29f.

Verband bayer.

Baugenossenschaften, -Gesellschaften und -Vereine (e.V.). X. ordentlicher Verbandstag in Nürnberg, in: ZWB 17 (1919), S. 231-238, hier 233. Bericht auf dem XIII. ordentlichen Verbandstag in Augsburg, in: ZWB 20 (1922), S. 284-296, bes. 285.

2. Vom

Landeswohnungsfürsorgefonds zum „Siebert-Programm"

153

geförderten Wohnungsneubau für sich okkupieren. Eine Bilanz der in den bayerischen Kreisen 1918/1919 zur Verteilung gelangten Baukostenzuschüsse ergab, daß von den 10075 geförderten Wohnungen 5 731 von gemeinnützigen Bauvereinigungen errichtet worden waren, während die Gemeinden 3 556 und private Bauherren nur 788 Wohnungen mit Hilfe der öffentlichen Mittel erstellt hatten13.

Die Baukostenzuschüsse bedeuteten einen hohen Ausgabeposten für den bayerischen Landesetat, weil das Reich zwar die Hälfte beisteuerte, Bayern zugleich aber zwei Sechstel übernahm und nur ein Sechstel den Gemeinden überließ14. Letztere standen sich damit deutlich besser als die Gemeinden in anderen Bundesstaaten, wo sie die Hälfte des aus Reichsmitteln nicht gedeckten Teiles tragen mußten15. 1920, als die Baufinanzierung auf Darlehen umgestellt wurde, wurden die Länder zwar „wegen ihrer äußerst schwierigen Finanzlage von der Leistung eines Beitrages befreit"; auch jetzt mochte sich der bayerische Staat aber nicht ganz aus der Baufinanzierung zurückziehen, weil besonders in finanzschwachen Gemeinden sonst die Bautätigkeit völlig eingestellt worden wäre16. Trotzdem zeigt die nachstehende Tabelle für 1920 einen starken Einbruch des landesgeförderten Wohnungsbaus, der 1921/22 mit der Erhebung der Wohnungsbauabgabe vorübergehend wieder belebt werden konnte, um dann auf dem Höhepunkt der Inflation völlig zu versickern. Erst seit 1925/26, als die aus der Hauszinssteuer gewonnenen Mittel in der Baufinanzierung zum Tragen kamen, gab es wieder einen kontinuierlichen Förderungsstrang aus dem Landesetat, der schließlich in der Weltwirtschaftskrise erneut unterbrochen wurde. Tab. 10: Die mit staatlichen Baudarlehen 1929

(-Zuschüssen) geförderten Wohnungen in Bayern 1919-

Jahr

Zahl der Whgen.

Jahr

Zahl der Whgen.

1919 1920 1921

8766 5 874 10964 11288 2 305 6893

1925 1926 1927 1928 1929

9162 11212 11626 11138 11831

1922 1923 1924

Quelle: Hasiweder, Wohnbauförderung, Bd. 1, S. 80. In Bayern wurde die Hauszinssteuer oder Mietzinssteuer, wie sie hier genannt wurde, als „Geldentwertungsabgabe" auf die vor dem 1. Juli 1918 fertiggestellten Gebäude

erhoben. Daneben gab es eine neue Form der Wohnungsbauabgabe, die wie schon 1921 als Zuschlag zur Haussteuer gezahlt werden mußte. Schließlich wurden auch die Eigentümer von Neubauten, die von den Baukostenbeihilfen der Jahre 1919 bis 1923 profitiert hatten, nicht geschont: Sie mußten zwar nicht die Mietzinssteuer zahlen, erhielten 13

14

15 16

Bericht über die staatliche Wohnungsfürsorge in Bayern im Jahre 1919, in: ZWB 18 (1920), S. 20-39, hier 26. Das bedeutete bei einem Reichsanteil von 74 344 000 Mark (vgl. Tab. 2, oben, S. 110) einen Anteil Bayerns von 49 563 000 Mark und eine gemeindliche Beteiligung von 24 781 000 Mark, d.h. insgesamt 148 688 000 Mark. ZWB 18 (1920), S. 25. Ebenda. Hasiweder, Wohnbauförderung, Bd. 1, S. 30.

II.

154

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

aber anteilsmäßig zur erhaltenen Förderung eine Grundschuld eingetragen, die sie verzinsen und auf 20 Jahre tilgen mußten17. Damit erhielt das „leichte Geld" der Inflationszeit nachträglich eine Aufwertung18. Die auf diese verschiedenen Arten für den -

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Wohnungsbau aufgebrachten Mittel wurden als Hypotheken ausgereicht; die Rückflüsse aus Zinsen und Tilgungen kamen dem „Landeswohnungsfürsorgefonds" erneut für

Bauzwecke zugute. Als in der Weltwirtschaftskrise die Finanznot auch die staatlichen Kassen leerte und die Einnahmen aus der Hauszinssteuer ausblieben, wurde dieser Fonds die „einzige sichere Geldquelle für die staatliche Wohnbaufinanzierung", wenngleich aufgrund von Zinsnachlässen die Einnahmen gering waren und der Staat seinerseits Gelder entnehmen mußte, um den Schuldendienst für früher aufgenommene Anleihen zugunsten des Wohnungsbaus zu leisten19. Unter den Nationalsozialisten wurde wie erwähnt die von der Hauszinssteuer gespeiste und von den Ländern verwaltete Wohnungsbauförderung nicht wieder aufgenommen. Finanzielles Engagement auf dem Wohnungssektor war damit nur noch in schmalem Umfang möglich. Einen Versuch zur Wiederbelebung der Landesförderung unternahm der bayerische Ministerpräsident Ludwig Siebert im November f934. Anlaß war das nahende Ende der Arbeitsbeschaffungsprogramme des Reichs, die in den ersten beiden Jahren nationalsozialistischer Herrschaft auch dem Wohnungsbau noch in begrenztem Umfang zugute gekommen waren. „In die drohende Lücke ist das Land eingesprungen. Dies geschah nicht aus irgendwelcher partikularistischer Eigenbrötelei, sondern unter dem Druck der Wohnungsnot, die erschreckende Formen anzunehmen droht."20 Was die Ziele der Förderung anging, blieb Bayern ganz auf der Linie des Reiches: „Der Kleinhausbau mit Gartenland wird deshalb in erster Linie gefördert, weil mit dem nationalsozialistischen Grundsatz, daß das Leben des deutschen Städters und insbesondere des deutschen Arbeiters wieder mit dem Grund und Boden in engste Verbindung gebracht werden soll, Ernst gemacht werden will."21 Immerhin war neben den beiden ersten Teilen des Bauprogramms, die der Errichtung von Kleinhäusern mit Gartenland und von privaten Eigenheimen zugute kommen sollten, auch ein dritter Teil vorgesehen, in dem gemeinnützige Bauvereinigungen Darlehen zum Bau von Mietwohnungen für Minderbemittelte erhalten sollten. Auch diese Mietwohnungen durften allerdings nicht in „Zinskasernen" entstehen, nur Häuser mit höchstens sechs Wohnungen in drei Geschossen konnten von der Förderung profitieren22. Nur für diesen letzten Teil des Programms wurden Mittel aus dem Landeswohnungsfürsorgefonds zu einem verbilligten Zins von 1,1 Prozent und einer Tilgungsrate von einem Prozent ausgegeben. In den anderen Teilen konnte das Land nicht mehr tun, als „durch seine Einschaltung in die Finanzierung Mittel aus dem allgemeinen Kapital17

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Zu diesen Varianten der Hauszinssteuer ebenda, S. 35f. Die Grundschuld, ihre Tilgung und Verzinsung belasteten freilich die Baugenossenschaften, die ja am meisten von der Bauförderung der Inflationsjahre profitiert hatten, nicht wenig; vgl. Georg Herbst, Die Grundschuld und ihre Auswirkungen auf den gemeinnützigen Wohnungsbau, in: ZWB 23 (1925), S. 141-143. Hasiweder, Wohnbauförderung, Bd. 1, S. 38. Fr. Gruber, Das bayerische außerordentliche Wohnungsbauprogramm, in: ZWB 32 (1934), S. 269-272, hier 272. Ebenda, S. 269. Ebenda, S. 270f.

2. Vom

Landeswohnungsfürsorgefonds zum „Siebert-Programm"

155

markt zu möglichst günstigen Bedingungen dem Wohnungsbau" zuzuführen. Konkret bedeutete das die Weitergabe von Darlehen im Einzelwert bis zu 3 500 RM mit 4,5 Prozent Zins23. Für München ermöglichte das „Siebert-Programm", wie es bald nach dem bayerischen Ministerpräsidenten genannt wurde, den Bau der Siedlungen Neuherberge und Kaltherberge. Außerdem erhielten etliche Einzelbauherren Darlehen für ihre Eigenheime, und die Bauprojekte von zehn gemeinnützigen Wohnungsunternehmen in München wurden gefördert24. Ausgerechnet von seinem „Vater" Ludwig Siebert wurde das außerordentliche bayerische Wohnungsbauprogramm von 1934 nach einem halben Jahr natürlich nur intern als Fehlschlag gewertet: „Wenn die Öffentlichkeit davon erführe, würde sie darin mit Recht eine restloses Versagen der Staatsverwaltung in dieser Frage feststellen."25 Man sorgte freilich dafür, daß von den zunächst so unerfreulichen Zwischenergebnissen nichts nach außen drang. Am schlechtesten sah es in der für den gemeindlichen Kleinsiedlungsbau vorgesehenen Förderungsschiene aus: statt für veranschlagte 6 000 waren erst für 650 Kleinhäuser Bescheide erteilt worden. Bei den privaten Eigenheimen zählte man 1124 statt 4 000 und im genossenschaftlichen Wohnungsbau 414 statt 1 500 Wohneinheiten26. Während Siebert aber die Schuld auf die „schwerfällige bürokratische menschenferne Einstellung des einschlägigen Referats" schob, machte die so gescholtene Abteilung für Arbeit und Fürsorge im Wirtschaftsministerium neben einer Vielzahl von Hemmnissen im einzelnen auch das Fehlen geeigneter Bau- und Siedlungsgesellschaften verantwortlich27. Als Gegenbeispiel diente Preußen28, wo schon seit 1918 die „provinziellen Wohnungsfürsorgegesellschaften" wirkten, die unter den Nationalsozialisten als „Heimstätten" die staatliche Siedlungspolitik treuhänderisch vertraten29. Siebert lehnte die Einrichtung vergleichbarer Gesellschaften für Bayern und insbesondere die Durchführung „seines" Wohnungsbauprogramms zunächst ab und beharrte auf einer direkten Kooperation zwischen Staat und Gemeinden. Von den Wohnungspolitikern gedrängt, willigte er aber schließlich ein, „die Gründung einer großen zusammenfassenden Gesellschaft für das ganze Land ins Auge zu fassen", um die künftige Durchführung des Reichskleinsiedlungsprogramms zu erleichtern30. Nach der grundsätzlichen Einverständniserklärung Sieberts vom November 1935 zogen sich die Verhandlungen mit dem Reichsarbeitsministerium und den vielen, regional zersplitterten Interessenagenturen Gauleitungen, Heimstättenämtern, Gemeinden und staatlich -

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Ebenda, S. 270. Zu den Siedlungen Kap. III-l. Im Rahmen der Eigenheimförderung betrug das Volumen für München 332 000 RM, wodurch 211 Wohneinheiten gefördert wurden, bei den Gemeinnützigen waren es 584 Wohnungen mit einem Aufwand von 845 000 RM. Vgl. die ungezeichnete Abschrift „Die Finanzierung des Wohnungsneubaues in München mit öffentlichen Mitteln 19181938", S. 9, StadtAM, WAR 1. So Sieben in einem massiv kritischen Brief an das bayerische Wirtschaftsministerium, Abt. für Arbeit und Fürsorge, 19.7.1935, S. 3, BayHStA, MF 68116. Ebenda (auch das folgende Zitat). Vgl. Entgegnung von Staatssekretär Dauser, Abt. für Arbeit und Fürsorge, 25.7.1935, ebenda. Vgl. auch Dauser an Siebert, 7.10.1935, ebenda. Zur Gründung der Wohnungsfürsorgegesellschaften vgl. Drupp, Gemeinnützige Bauvereine, bes. S. 137. Vgl. Entwurf für das Schreiben Sieberts an Dauser, 5.11.1935, bes. Nachtrag, BayHStA, MF 68116.

156

II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

protegierten Siedlungsgesellschaften wie der „Oberbayerischen Heimstätte" Christian Webers über ein halbes Jahr hin, bis im Juni 1936 schließlich für das Gesamtgebiet des rechtsrheinischen Bayern die „Bayerische Heimstätte GmbH (Treuhandstelle für Wohnungs- und Kleinsiedlungswesen)" ins Leben gerufen wurde31. Sie stellte als Organ staatlicher Wohnungspolitik das Pendant zu den preußischen Einrichtungen dar und -

auch dem Reichsverband Deutscher Heimstätten bei. Die im Reichsverband organisierten staatlichen Heimstätten bildeten die eine Seite im gemeinnützigen Wohnungswesen des „Dritten Reiches", während auf der anderen Seite auch die stärker selbstbestimmten und von ihren Mitgliedern organisierten Baugenossenschaften und Bausparkassen weiterexistierten. Nachdem erstere aber ihre Legitimität aus der Unterwerfung unter die „Organe der staatlichen und bewegungsmäßigen Führung" bezogen, warfen sie den Genossenschaften „ein weiteres Verharren bei Sonderinteressen" vor, das ihre effektive Einschaltung in die Siedlungspolitik behindere. „Heute sind Baugenossenschaften und Bausparkassen in einem Umfang aktionsunfähig geworden, der in keinem Verhältnis zu dem in ihnen angelegten Volksvermögen steht."32 In der Tat waren viele Baugenossenschaften während der Weltwirtschaftskrise in erhebliche Zahlungsschwierigkeiten geraten, sei es, weil ihre Mieter aufgrund von Arbeitslosigkeit in Rückstand gerieten, Genossen ihre Anteile zurückzogen und ausgezahlt werden mußten, oder geplante bzw. begonnene Bauprojekte aufgrund fehlender Hauszinssteuerhypotheken nicht durchgeführt werden konnten, so daß in den Boden investiertes Kapital brachlag und Mieteinnahmen ausblieben33. Andererseits hatten die Genossenschaften den Wohnungsbau seit dem Ersten Weltkrieg zu wesentlichen Anteilen getragen und waren trotz ihres Einbruchs in der Weltwirtschaftskrise, in der die Bautätigkeit aber auch absolut stark absank damit in eine Schlüsselposition im Wohnungswesen gelangt, aus der sie nicht mehr ohne weiteres wegzudenken waren34. Mochten einige von ihnen in den Augen der nationalsozialistischen Wohnungspolitiker in gefährlicher Nähe zum sozialistischen Arbeitermilieu stehen35, verkörperten sie doch trat

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Vgl. die vielen Schriftwechsel bezüglich der Gründung und den Gesellschaftsvertrag der Bayerischen Heimstätte in: BayHStA, MF 68116. Im linksrheinischen Bayern war bereits die Kurpfälzische Heimstätte aktiv. So der Vorsitzende des Reichsverbands deutscher Heimstätten, Willy Gutzmer, in einem Artikel mit dem agitatorischen Titel „Kontrolle oder Führung", in: Siedlung und Wirtschaft 16 (1934), S. 324-327, Zitate S. 326 und 324. Vgl. Landesverband bayerischer gemeinnütziger Wohnungsunternehmen e.V., Verbandstag 1934 (Bericht), S. 19, BayHStA, MF 68113. Der Anteil der Gemeinnützigen Wohnungsunternehmen an allen Bauherren in Deutschland stieg von 28% 1927 auf 40% 1931, brach im Jahr 1932 ein (21%), fiel unter den Nationalsozialisten zunächst sogar noch darunter, aber kletterte wieder in rascher Aufwärtsbewegung vor allem seit 1936 auf das zu Beginn der dreißiger Jahre schon erreichte Niveau (1939 41%). Blu-

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menroth, Deutsche Wohnungspolitik, S. 313.

Die Idee der Baugenossenschaften kam freilich aus dem Lager bürgerlicher Wohnreform und wurde erst nach der Jahrhundertwende von der sozialistischen Arbeiterbewegung aufgegriffen. Vgl. Novy, Genossenschafts-Bewegung, bes. S. 157f. In den Münchner Baugenossenschaften gab es eine starke Tradition der Verbindung mit der christlichen Arbeiterbewegung und dem Zentrum die sich häufig noch mit einem spezifischen berufsständischen Hintergrund kombinierte, etwa bei den Eisenbahner-Baugenossenschaften. Hier kam es erst seit 1909 zu SPD-nahen Gründungen, so der Baugenossenschaften Ludwigsvorstadt und Freiland, die auch die „Machtergreifung" überdauerten. Vgl. Dörschel u.a., Wohnreform, bes. S. 128. -

2. Vom

Landeswohnungsfürsorgefonds zum „Siebert-Programm"

157

zweifelsohne den vielbeschworenen Geist der Selbsthilfe und eine korporative Form wirtschaftlicher Organisation, die den Klassengegensatz, insbesondere zwischen Vermietern und Mietern, vermied36. Ziel der Wohnungspolitik seit 1933 mußte es also sein, die in die nationalsozialistische Ideologie integrierbaren Elemente zu verstärken, aus einer heterogenen Bewegung, die gerade aus den Einzelbindungen an unterschiedliche lokale und berufsständische Milieus lebte, eine zentralisierte und damit von oben lenkbare Organisation zu machen und an deren Spitze „zuverlässige Männer" zu stellen37. Dem bayerischen gemeinnützigen Wohnungswesen wurde zunächst sein profiliertester Kopf, der Verbandsvorsitzende Paul Busching, genommen. Der mit der Gleichschaltung beauftragte Staatskommissar Gustav Biechteler enthob den bisherigen Vorstand des Verbandes bayerischer Baugenossenschaften, -Gesellschaften und -Vereine am 21. Juni 1933 seines Amtes, so daß der Weg frei wurde für eine Führung, die es den neuen Machthabern leicht machte38. Sie bekannte sich zu den neuen Herrschaftsverhältnissen und distanzierte sich mit eindeutigen Bekundungen von der Vergangenheit: So hatten „die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen in ihrer reinen Urform [...] zu keiner Zeit etwas zu tun mit den Gedanken der verflossenen Systemparteien, insbesondere mit den Ideen des Marxismus"39. Auch den Gleichschaltungsbemühungen kamen die bisher in vier Revisionsverbänden organisierten Bauvereinigungen teilweise entgegen, als sie erst einmal registriert hatten, was von ihnen erwartet wurde. So empfahl der Landesverband bayerischer Beamtenbaugenossenschaften seinen Mitgliedern den Beitritt zum Verband bayerischer Baugenossenschaften und ging dann selbst in Liquidation, allerdings erst, nachdem durch die zwangsweise Auflösung des Bayerischen Bauvereinskartells am 3. Juli 1933 bereits eindeutige Zeichen von Seiten Biechtelers gesetzt worden waren40. Zur Zufriedenheit der Anhänger einer ,Neuordnung' des Baugenossenschaftswesens gelang es dem Staatskommissar auf diese Weise, „teilweise zwanglos", aber auch man hatte gar nicht nötig, das zu vertuschen „teilweise mit einem gewissen Zwang", die vier Revisionsverbände in einen Einheitsverband zusammenzuführen41. Während, wie oben erwähnt, die Vereinheitlichung und Gleichschaltung des Baugenossenschaftswesens im Reich noch gewisse Schwierigkeiten bereitete, hatte Bayern damit „in vorbildlicher Weise" den einheitlichen Territorialverband geschaffen, welcher nach Abschluß dieses Prozesses als „Landesverband bayerischer gemeinnütziger Wohnungsunternehmen e.V." firmierte42. Die Leitung des Verbandes hatte seit November -

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Henzler, Genossenschaftlicher Wohnungsbau, S. 27. Landesverband

bayerischer gemeinnütziger Wohnungsunternehmen e.V., Verbandstag 1934 (Bericht), S. 14, BayHStA, MF 68113. (Grolewski), Der Verband im totalitären Staat. Der Artikel ist informativ, aber wenig distanziert gegenüber der Gleichschaltungspolitik der Nationalsozialisten im Baugenossenschaftswesen. O. Wallner, Die Baugenossenschaften im nationalsozialistischen Staat, in: Landesverband bayerischer gemeinnütziger Wohnungsunternehmen e.V., Verbandstag 1934 (Bericht), S. 3-8, MF

hier 3,

68113. BayHStA, (Grolewski), Der Verband im totalitären Staat, S. 50, und Abdruck der Auflösungsanordnung Biechtelers an das Bayerische Bauvereinskartell vom 3.7.1933, in: ZWB 31 (1933), S. 35.

„Staatskommissar Gustav Biechteler", ebenda. Das Lob für die Bayern kam von Hauptverbandsführer Max Rusch. Landesverband bayerischer gemeinnütziger Wohnungsunternehmen e.V., Verbandstag 1934 (Bericht), S. 15, BayHStA, MF 68113. Vgl. auch (Grolewski), Der Verband im totalitären Staat, S. 50.

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II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

1933 Otto Wallner inne, der 1936 außerdem zum Geschäftsführer der neugegründeten staatlichen „Bayerischen Heimstätte" berufen wurde43. Das war ein geschickter Schachzug der staatlichen Vertreter, weil damit die potentielle Konflikt- und Konkurrenzsituation zwischen staatlichen Heimstätten und Baugenossenschaften für Bayern von vorneherein umgangen wurde. Überhaupt genoß Bayern die zweifelhafte Ehre, „Ausgangspunkt [...] für die Neugestaltung der deutschen Bauvereinsbewegung" geworden zu sein44. Wichtige Figuren, die aus bayerischen Reihen kamen und an der Gleichschaltung und offiziösen Ausrichtung des gemeinnützigen Wohnungswesens im Reich mitwirkten, waren der erwähnte Landesverbandsvorsitzende Otto Wallner, der Vorstand des „Vereins für Verbesserung der Wohnungsverhältnisse in München" Matthäus Dötsch, der für einige Jahre Hauptverbandsführer war, und der Staatssekretär im bayerischen Wirtschaftsministerium Hans Dauser, über den weiter unten noch mehr zu sagen sein wird. Die von Wallner praktizierte Personalunion in der Leitung der Bayerischen Heimstätte und des Landesverbandes der Baugenossenschaften 45 erlangte auch paradigmatische Bedeutung. Es dauerte allerdings einige Jahre, bis 1938 auf Reichsebene der bis dahin geltende Dualismus zwischen Heimstätten und Baugenossenschaften beseitigt wurde. Organisatorisch unterlegen war der Reichsverband Deutscher Heimstätten, der sich auflöste bzw. im Hauptverband Deutscher Wohnungsunternehmen (Baugenossenschaften und -gesellschaften) aufging. Letzterer integrierte jetzt sowohl die zwölf (territorialen) Prüfungsverbände wie auch die als Organe der staatlichen Wohnungspolitik anerkannten „Heimstätten" und die Treuhandstellen für Bergmannssiedlungen sowie die Gemeinnützige Aktiengesellschaft für Angestelltenheimstätten (Gagfah)46. Wieder einmal war eine Umfirmierung nötig, aus dem Hauptverband wurde der „Reichsverband des deutschen gemeinnützigen Wohnungswesens e.V.". Für die Heimstättenvertreter mag eine gewisse Genugtuung gewesen sein, daß im April f 938 zum Präsidenten des neuen Verbandes der Leiter der Saarpfälzischen Heimstätte Julius Brecht bestimmt wurde47. Im Gegensatz zur Verbandsgeschichte erschließt sich die sozialgeschichtliche Dimension der Baugenossenschafts-Bewegung im „Dritten Reich" aus ihren Presseorganen und Behördenakten nur schemenhaft. Wie die Bauvereinigungen in dieser Zeit arbeiteten, ob es ihnen gelang, eine Art .Subkultur' unterhalb des zentralisierten, an der Reichspolitik orientierten, offiziellen Wohnungswesens aufrechtzuerhalten, wie sie die 43

Vgl. Dienstvertrag zwischen der Bayerischen Heimstätte und Otto Wallner, in: BayHStA, MF

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Ansprache des

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neuen

Hauptverbandsführers

(1935), S. 155-157, hier 155.

Dötsch beim

Verbandstag 1935,

in: ZWB 33

Der Landesverband hieß seit Oktober 1934 „Verband bayerischer Wohnungsunternehmen (Baugenossenschaften und -gesellschaften) e.V." und war dem Reichsgesetz über Beaufsichtigung und Anerkennung gemeinnütziger Wohnungsunternehmen vom 26.3.1934 unterworfen, vgl. (Grolewski), Der Verband im totalitären Staat, S. 50. Auf Einzelnachweis aller organisatorischen Details, die insbesondere in der ZWB und „Siedlung und Wirtschaft" nachzulesen sind, wird verzichtet, vgl. grundsätzlich zur Neuorganisation im Jahr 1938: Werner Meier, Neugestaltung des deutschen gemeinnützigen Wohnungswesens, in: Siedlung und Wirtschaft 20 (1938), S. 366-368, und Faust, Geschichte der Genossen-

schaftsbewegung, S. 526.

Zum Reichsverbandsleiter Brecht ZWB 36 (1938), S. ge Wohnungswesen in Bayern 42 (1952), S. 194.

70f, und Zeitschrift für das gemeinnützi-

2. Vom Landeswohnungsfürsorgefonds

zum

„Siebert-Programm"

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Gleichschaltung im Kleinen vollzogen, wie sich das Verhältnis von Resistenz und Anpassung in ihren Reihen bestimmte solche Fragen bilden freilich nicht nur für Bayern, sondern generell noch ein Desiderat der Forschung. In der Literatur gibt es erst wenige Ansätze zur Erforschung der Baugenossenschaftsgeschichte im „Dritten Reich"48. -

Auch hier können für Bayern nur einige Zahlen ergänzt werden. Nach dem Zusammenschluß der bayerischen Revisionsverbände 1933 gehörten insgesamt 486 Wohnungsunternehmen dem neuen Landesverband an, die Zahl stieg bis 1934 auf knapp 500 an. Die Unternehmen waren zu über 90 Prozent als Genossenschaften organisiert, der Rest als Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder als eingetragener Verein, während nur drei Aktiengesellschaften nachgewiesen wurden, die alle in München tätig waren49. Insgesamt waren von den Münchner Wohnungsunternehmen bis 1934 69 als gemeinnützig anerkannt worden. Mit 59 Genossenschaften dominierte auch in München diese Gesellschaftsform; unter den vier eingetragenen Vereinen war der traditionsreiche und immer noch starke Verein für Verbesserung der Wohnungsverhältnisse in München50, unter den drei GmbHs die Baugesellschaft „Alte Haide"51, während die Heimag, die Gewofag und die Münchener Wohnungsfürsorge AG in Form von Aktiengesellschaften organisiert waren52. Über die Rolle der gemeinnützigen Unternehmen für das Wohnungswesen in München wird anhand konkreter Bau- und Siedlungsprojekte noch vielfach in dieser Arbeit zu sprechen sein. An dieser Stelle sei der Blick aber zunächst wieder auf die staatliche Verwaltung des Wohnungswesens und ihre Exponenten in Bayern gelenkt. Wie die Auseinandersetzungen um das Siebert-Programm, dem letztendlich doch noch das gewünschte Bauergebnis beschert war53, zeigen, war das Verhältnis zwischen dem Ministerpräsidenten, der eigene Konzeptionen in der Wohnungspolitik entwickelte54, und der dafür eigentlich zuständigen Abteilung keineswegs spannungsfrei. Diese Abteilung für Arbeit und Fürsorge hatte zum Zeitpunkt der „Machtergreifung" bereits eine wechselvolle Geschichte hinter sich. 1918 ging das Wohnungswesen in Bayern vergleichbar der Entwicklung im Reich vom Innenministerium auf das neugegründe-

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Vgl. aber Bludau, Nationalsozialismus und Genossenschaften (wenig zu Baugenossenschaften); Schepers, Genossenschaften im „Dritten Reich"; Schmecht, Strukturwandlungen; Stöcker, Entwicklungsphasen, bes. S. 148-198; sowie einige lokale Schlaglichter, z.B. zur „Freien Scholle" Bielefeld: Wagner, Kommunalpolitik und Wohnungsbau, bes. S. 88-90; und Novy (Hrsg.),

Wohnreform in Köln. Vgl. den Bericht des Verbandsführers 1933/34, in: Landesverband bayerischer gemeinnütziger Wohnungsunternehmen e.V., Verbandstag 1934 (Bericht), S. 17, BayHStA, MF 68113. Zu dessen Tätigkeit im „Dritten Reich" vgl. Bericht über das Geschäftsjahr 1938, StadtAM, Sozialamt 3619. Zur Gleichschaltung dieser Baugesellschaft das Material in: StadtAM, BuR 305/8b.

Verzeichnis der von der Stadt als Anerkennungsbehörde bis zum 31.12.1933 als gemeinnützig im Sinne der Gemeinnützigkeitsverordnung anerkannten Wohnungsunternehmen (Referat 7 an

das Bayer. Finanzministerium, 5.2.1934), BayHStA, MF 68113. Offensichtlich ließen sich die Anfangshemmnisse so weit überwinden, daß das Bauprogramm nach den später öffentlich präsentierten Ergebnissen sogar etwas mehr als die geplante Zahl von Wohneinheiten hervorbrachte. Ihm folgten auch ähnliche Programme in den späteren Jahren; vgl. Ludwig Siebert, Nationalsozialistische Wohnungspolitik im Lande Bayern, in: ZWB 38 (1940), S. 217-223, hier 219. Siebert war offenbar zeitweise von Hitler sogar eine führende Rolle im Wohnungswesen des Reiches zugedacht, vgl. dazu unten, S. 408, Anm. 11.

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II. Wohnungspolitik als

Handlungsfeld

Ministerium für Soziale Fürsorge über55. Die behördliche Ausdifferenzierung sozialer Aufgabenfelder in der Revolution wurde zehn Jahre später wieder aufgehoben: Seit 1928 wurde das Ressort für Sozialpolitik zusammen mit dem für Landwirtschaft im Ministerium für Landwirtschaft und Arbeit verwaltet. 1931/32 fiel das ganze Ministerium Einsparungszwängen zum Opfer, und die Abteilung Arbeit wurde Teil des Staatsministeriums des Äußern, für Wirtschaft und Arbeit. Im Zuge der nationalsozialistischen Umwälzung wurde schließlich das Außenministerium aufgelöst, und die Ressorts Wirtschaft, Arbeit und Soziales sowie Landwirtschaft fanden jetzt alle unter dem Dach des neuen Wirtschaftsministeriums mit Minister Hermann Esser an der Spitze Platz56. Die Leitung der Abteilung für Arbeit und Fürsorge, und damit auch der Wohnungspolitik, übernahm der neue Staatssekretär Hans Dauser. „Alter Kämpfer" und NSDAP-Mitglied seit 1922, galt er außerdem als Experte für sozialpolitische Fragen57. Nach der „Machtergreifung" wurde er nicht nur Staatssekretär in der bayerischen Regierung, sondern von Gottfried Feder zusätzlich mit der Aufgabe betraut, „bei Behörden, Parteistellen und privaten Einrichtungen alle [...] geeignet erscheinenden Schritte zur Unterstützung und Förderung des gemeinnützigen Wohnungswesens" zu unternehmen58. Damit avancierte Dauser zum „Schirmherrn der deutschen Baugenossenschaftsbewegung", die er während des Krieges offenbar auch gegen die ausgreifenden Ansprüche der DAF zu verteidigen suchte59. Dauser gerierte sich gern als Mann aus dem Volk und betonte seine persönliche Verbundenheit mit der Baugenossenschaftsbewegung, für die als Indiz wohl nur gelten konnte, daß er „selbst jahrelang in einem Block einer Baugenossenschaft in München gewohnt" hatte60. 1877 als Sprößling „einer alten Bauernfamilie"61 geboren, absolvierte er eine Mittelschulausbildung, die er im kaufmännischen Bereich weiter fortführte, um nach dem Ersten Weltkrieg zunächst als Sekretär beim Bayerischen Kriegerbund und seit 1924 bei der Stadt München in der Erwerbslosenfürsorge zu arbeiten. Sein steiler Aufstieg im Jahr 1933, der nach Essers Rücktritt 1935 noch mit einer Ernennung zum stellvertretenden Leiter des Wirtschaftsministeriums verbunden war, läßt ihn zwar als typischen Parteikarrieristen erscheinen. Andererseits gibt es etliche Zeugnisse dafür, daß Dauser mit seiner engen Verbundenheit zur katholischen Kirche auch auf Mißtrauen innerhalb der Partei stieß62. Er selbst behauptete te

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Auf diese Gründungsgeschichte nahm Siebert auch im negativen Sinne Bezug, als er Innenminister Adolf Wagner eine Kopie seines Schreibens vom 19.7.35 übersandte und den Verdacht äußerte, daß die Wohnungspolitiker der Abteilung für Arbeit und Fürsorge noch zu sehr in der Tradition des Revolutionsministeriums stünden. BayHStA, MF 68116. Zu dieser Organisationsgeschichte Hasiweder, Wohnbauförderung, Bd. 1, S. 27 und 46, und Handbuch der bayerischen Ämter, S. 238-240. Vgl. „Hans Dauser fünf Jahre Staatssekretär", in: ZWB 36 (1938), S. 69. Entschließung des Reichskommissars für das Siedlungswesen vom 6.10.1934, in: ZWB 32

(1934), S. 243. Dazu vor allem die Eidesstattlichen Versicherungen der ehemaligen Leiter des Reichsverbandes und des bayerischen Verbandes der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen, Dr. Julius Brecht und Otto Wallner, im Spruchkammerakt Hans Dauser, Amtsgericht München, Registratur S. Rede beim Verbandstag der bayerischen gemeinnützigen Wohnungsunternehmen 1934, in: ZWB 32 (1934), S. 188. ZWB 36 (1938), S. 69. Daß es sich bei diesen Zeugnissen im Spruchkammerakt Dauser in erster Linie um „Persilscheine" handelt, ist freilich unbestritten. Die Vielzahl ähnlich lautender Aussagen läßt gleichwohl

2. Vom Landeswohnungsfürsorgefonds

zum

„Siebert-Programm"

161

nach dem Krieg, als „Kuttenschlecker" und „Betbruder" verhöhnt und als Außenseiter behandelt worden zu sein, was allerdings seiner Entlastung im Spruchkammerverfahren diente63. Trotzdem wird man wohl von einer christlichen Gesinnung bei ihm ausgehen können, wie ihm auch ein gewisses sozialpolitisches Engagement nicht abzusprechen ist. Beispielhaft dafür ist eine Veröffentlichung des Wirtschaftsministeriums aus dem Jahr 1935. In der Ende März vorgelegten „Denkschrift über die zur Förderung der Errichtung von Volkswohnungen und Kleinsiedlungen zu treffenden Maßnahmen"64 wurde sehr nachdrücklich und entgegen den Absichtserklärungen der Reichsregierung für den weiteren Einsatz öffentlicher Mittel, vor allem im Mietwohnungs- und Kleinsiedlungsbau für Minderbemittelte, plädiert. Nur halbherzig erkannte die Denkschrift die grundsätzliche Wende der Reichspolitik zur Rücknahme der öffentlichen Subventionierung an, um dann klarzustellen: „Worum es sich handelt ist dies, daß dort, wo örtlich und sachlich die Notwendigkeit hiezu besteht, die Finanzierung einer ausreichenden Mindestzahl von Wohnungen und Siedlungen für die Volksschichten, deren Wohnungs- und Siedlungsbedarf ohne diese Hilfe nicht gedeckt werden kann, durch Gewährung mäßig verzinslicher Darlehen aus öffentlichen Mitteln vom Reich sichergestellt wird."65 Das im gleichen Jahr initiierte Volkswohnungsprogramm war sicher keine direkte Antwort auf diese Aufforderung aus Bayern. Inzwischen hatten sich aber, auch innerhalb des Reichsarbeitsministeriums, wohl die Stimmen gemehrt, die staatliche Hilfe zumindest im unteren Segment des Wohnungsbaus weiterhin für notwendig hielten. Die im Volkswohnungswesen ausgegebenen Darlehen hielten sich im Vergleich zur Ära der Hauszinssteuerförderung im bescheidenen Rahmen. Sie wurden außerdem als Reichsdarlehen ausgegeben, so daß auf der Ebene der Landesförderung weiterhin nur die Möglichkeiten blieben, die die Rückflüsse aus den Hauszinssteuerdarlehen oder Kreditaufnahmen einräumten. Ein Rechenschaftsbericht des Ministerpräsidenten bilanzierte für den Zeitraum von 1933 bis einschließlich 1939 eine Gesamtsumme von Landesmitteln in Höhe von 50 Millionen RM, mit denen 27118 Wohnungen gefördert worden waren66. Zum Vergleich sei angemerkt, daß in den Jahren 1919 bis 1929 ein Fünffaches an Mitteln nämlich 250 Millionen RM ausgegeben wurde und etwa die dreieinhalbfache Zahl an Wohnungen entstand etwa 10000067. In den dreißiger Jahren mußten sich die bayerischen Wohnungspolitiker dagegen bescheiden, die mit der Hergabe von Mitteln einhergehenden Gestaltungsmöglichkeiten weitgehend anderen überlassen. Mit dem auf Berlin orientierten Zentralismus des „Dritten Reiches", der die Länder auf allen politischen Ebenen auszuschalten suchte, war auch kein Raum mehr für eine föderal gesteuerte Wohnungspolitik. -

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die 63

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Behauptung zu,

daß Dausers Katholizismus

München, Registratur S.

innerparteilich

Anstoß erregte.

Amtsgericht

Gesuch von Dausers Anwalt Max Eisenberger, 7.1.1954, an den Minister für politische BefreiBayern, ebenda. Hier auch die Angaben zu seiner Biographie. Teilabdruck in: ZWB 33 (1935), S. 58-63. Die Denkschrift wurde veröffentlicht, als Dauser nach dem Rücktritt Essers bereits die Verantwortung hatte. ung in

Ebenda, S. 62. Siebert, Nationalsozialistische Wohnungspolitik (wie Anm. 53), S. 218. ZWB 28 (1930), S. 58.

3.

Wohnungsmarkt und Wohnungsbau in München zwischen den Weltkriegen

Da das Reich sich vor dem Ersten Weltkrieg erst ganz zögernd der Wohnungsfrage näherte, blieb es den Ländern und Gemeinden überlassen, die Initiative zu übernehmen und die Vorhut in der Wohnungspolitik zu bilden. Dabei war es, wie am Königreich

Bayern gezeigt wurde, Sache der Länder, den gesetzgeberischen Rahmen zu schaffen,

den die Gemeinden dann auf sehr unterschiedliche Weise ausfüllen konnten. Zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Grad der Intensität Wohnungsprobleme von den Gemeinden behandelt wurden, war von einer ganzen Reihe von Faktoren abhängig, die hier nur umrissen werden können: der Reformwille der Kommunalbürokratie und der gemeindlichen Vertretungskörperschaften, in denen im Hinblick auf die Wohnungspolitik häufig bürgerliche Sozialreformer oder reformistische Sozialdemokraten die entscheidende Rolle spielten1; das Ausmaß der Wohnungsproblematik vor Ort, das von einem latenten Wohnungsmangel über unzureichende und sanitär-hygienisch unbefriedigende Wohnverhältnisse bis hin zu akuter Wohnungsnot reichen konnte; die Baukapazität bestehender Baugenossenschaften und -gesellschaften oder anderer Selbsthilfeund Arbeitervereine; die Aktivität der Hausbesitzes auf der einen Seite und der Mieterbewegung auf der anderen Seite2; die Stärke von Reformbestrebungen in karitativen und wissenschaftlichen Vereinigungen und eben die gesetzgeberischen Vorgaben des Landes. Wie in anderen Feldern der Sozialpolitik bildete sich durchaus kein einheitlicher oder gar verbindlicher Kanon kommunalen Engagements heraus, sondern gab es eine breite Palette von Eingriffsmöglichkeiten, deren sich die Gemeinden in unterschiedlichem Ausmaß zu unterschiedlichen Zeitpunkten bedienten. Immerhin lassen sich diese Eingriffsmöglichkeiten in das Wohnungsproblem grob klassifizieren3: Erstens konnte die Wohnsituation durch Inspektionen, Erhebungen und Zählungen kontrolliert, überwacht und gegebenenfalls auch korrigiert werden, je nachdem wieviel Spielraum der Gesetzgeber der Behörde eingeräumt hatte. Zweitens bot sich die Einrichtung eines Wohnungsnachweises zur Vermittlung von Angebot und Nachfrage an. Drittens ließ sich das Wohnungsangebot beeinflussen, indem die Gemeinde den privaten oder gemeinnützigen Wohnungsbau finanziell unterstützte oder günstigen Grund bereitstellte. Viertens konnte die Gemeinde in eigener Regie Häuser erbauen und damit selbst Anbieter am Wohnungsmarkt werden, wobei sich diese Option vor allem zur Unterstützung der eigenen Bediensteten oder der sozial Schwachen eignete. Die letzte Möglichkeit, Hausbau in eigener Regie, leisteten sich bis 1914 allerdings nur wenige Gemeinden, in denen Wohnungspolitik bereits auch als positive Aufgabe und konstruktiver Auftrag begriffen wurde und nicht ausschließlich als Abwehrstrate1

2

3

Vgl. nicht als eine der zahlreichen Lokalstudien, sondern als kurzen Beitrag zur Klassifikation kommunalpolitischen Engagements in der Wohnungsfrage Saldern, Kommunale Wohnungsund Bodenpolitik. Während der in Haus- und Grundbesitzervereinen organisierte Hausbesitz allerdings häufig schon eine recht starke Stellung in den Gemeindevertretungen besaß, stand die Mieterbewegung vor 1914 auf ziemlich schwachen Füßen, vgl. Lehnen, Organisierter Hausbesitz, und Führer, Mieterbewegung 1918-1945, bes. S. 223. Diese Klassifikation in Anlehnung an Krabbe, Anfänge, S. 43ff.

3. Wohnungsmarkt und Wohnungsbau zwischen den Weltkriegen

163

gie zur Verhinderung schlimmster Zustände im Wohnungswesen. Eine solche Gemeinde war etwa Ulm, dessen Oberbürgermeister Heinrich von Wagner mit dem Bau von

Arbeitereigenheimen durch die Stadt nicht nur soziale Verbesserungen erreichen wollte, sondern auch politische Ziele verfolgte4. Die Eigenheime sollten dem Klassenkonflikt seine Schärfe nehmen und die Arbeiter mit der bestehenden Gesellschaftsordnung oder konkreter der Stadtregierung, die ihnen diesen Besitzerwerb ermöglicht hatte, aussöhnen. Das war angesichts der fortschreitenden Erfolge der Sozialdemokratie gerade für deren Gegner ein bestechender Gedanke, den wir unter veränderten Rahmenbedingungen auch in den Siedlungsprogrammen der Nationalsozialisten wiederfinden. Trotzdem würde eine Interpretation des gemeindlichen Regiebaus, wie er in Ulm um die Jahrhundertwende in einigen Arbeitersiedlungen realisiert wurde, als rein politisches Kalkül zu kurz greifen. Wagner etwa war während seines Studiums mit dem „Kathedersozialismus" in Berührung gekommen, hatte danach bei der Ulmer Stadtpolizei konkrete Erfahrungen in der Wohnungsinspektion gemacht und sah sich auch vor diesem Hintergrund veranlaßt, die hygienischen und sittlichen Bedingungen des Arbeiterwohnens zu verbessern5. In seinen Bemühungen um Verbesserung des Lebensstandards für die Arbeiter durch die Eigentumsbildung wurde er sogar von der Ulmer Sozialdemokratie unterstützt, die in reformistischer Haltung bereit war, ihre klassenkämpferischen Anliegen hinter den materiellen Errungenschaften zurückstehen zu lassen6. In München konnte zu diesem Zeitpunkt von einem so weitgehenden Engagement der Stadtführung wie in Ulm keine Rede sein. Gerade in der Frage des gemeindlichen Regiebaus blieb die Stadt bis weit in die Nachkriegszeit hinein sehr zurückhaltend. Aber auch von den anderen genannten Eingriffsmöglichkeiten in die Wohnungsfrage wurde, wie zu zeigen sein wird, nur zögernd Gebrauch gemacht, teilweise erst in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, als dann allerdings ein deutlicher Schub zu mehr städtischer Verantwortungsübernahme zu spüren war. Zunächst mußte schon die Bereitschaft der Stadtverwaltung und der Landesregierung, auf dem Feld der Überwachung und Kontrolle des Wohnungswesens tätig zu werden, wesentliche Impulse von außen erhalten. Um die Jahrhundertwende bildete sich in der Stadt eine regelrechte Bewegung politisch und sozial engagierter Kreise heraus, die sich um Verbesserung der

Wohnverhältnisse bemühten. Darunter waren so bekannte Namen wie der des Nationalökonomen Lujo Brentano, Vertreter der christlichen und der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung, lokale Gewerkschaftsfunktionäre, aber auch engagierte Verwaltungsbeamte wie der Sekretär des Statistischen Amtes der Stadt, Karl Singer. Bevor in München die große Wohnungsenquete von 1904 bis 1907 durchgeführt wurde, traten die katholischen Arbeitervereine mit einer eigenen Erhebung hervor7 und nahmen der zögerlichen Stadt, die die Aufgabe im Hinblick auf den Kostenfaktor noch ablehnte, die Initiative erst einmal aus der Hand. Von den 1 351 hier untersuchten Wohnungen der unteren Schichten konnten ein Viertel bis zwei Fünftel (je nach Maßstab) als überfüllt

gelten;

4 5

6 7

8

auch

Feuchtigkeit

und

Ungeziefer wurden

in hohem Maße

festgestellt8.

Den

Für das Folgende Ruess, Kommunaler Wohnungsbau, sowie Haspel/Ruess, Gemeinderegiebau. Vgl. Ruess, Kommunaler Wohnungsbau, S. 127-135.

Ebenda, S. 144-151. Schirmer, Wohnungselend. Ebenda, S. 11-14.

164

II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

Veranstaltern der Umfrage galten die Ergebnisse als Beleg für „die ausserordentlich schlechten Verhältnisse" im Münchner Wohnungswesen, mehr noch aber als Handhabe, um Abhilfe gegen die „gesundheitliche, sittliche und materielle Schädigung" zu fordern9. Die aus der Überfüllung der Wohnungen resultierenden sittlichen Gefährdungen bildeten ein konstantes Monitum fast aller zeitgenössischen Stellungnahmen zu den Wohnungsproblemen Münchens, und es schien bisweilen, als ob man sich von der Behebung dieser Probleme eine Art Läuterung und grundsätzlicher moralischer Erneuerung der Gesellschaft erwartete: „So lange solche Verhältnisse dauern, wie sie namentlich durch Aufnahme von Schlafgängern und solchen Zimmermietern, die sich mit Familienmitgliedern des Vermieters in die Benutzung eines Raumes teilen, geschaffen werden, was nützen da alle Vereine zur Hebung der Religiosität, der Sittlichkeit, der Bildung, der Gesundheit der unteren Klassen, alle Gesellschaften zur Verhinderung von Epidemien und zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Die Wohnungsreform ist der Punkt, wo vor Allem einzusetzen ist, wenn irgend eine der genannten Bestrebungen erfolgreich sein soll."10 Die von sozialdemokratischen bis zu katholisch-konservativen Kreisen, von Arbeitervereinen bis zu Gelehrtenassoziationen erhobenen Forderungen nach Wohnungsreform blieben nicht ohne Folgen. Auch die 1901 erlassene Verordnung über die Wohnungsaufsicht in Bayern brachte „die Frage einer umfassenderen Erhebung über die Wohnverhältnisse der Einwohnerschaft neuerdings in Fluß"11. Während die beherrschende Kraft im Gemeindebevollmächtigtenkollegium, die Liberalen, lange gezögert hatte, einer solchen Enquete zuzustimmen, konnte sie sich jetzt nicht länger dieser Initiative widersetzen, die von wohnungsreformerischen Kräften in der SPD und dem Zentrum, aber auch von Bürgermeister Wilhelm von Borscht schon seit geraumer Zeit befürwortet wurde12. Die fünf Münchner Wohnungsinspektoren, die 1904 ernannt wurden, waren in den nächsten Jahren quasi ausschließlich mit der Durchführung der großen Wohnungsenquete beschäftigt13. Etwa 135 000 Wohnungen wurden in die Erhebung einbezogen für die zeitgenössischen Verhältnisse eine beachtliche Leistung der amtlichen Sozialstatistik, die in der neueren Forschung auch durch eine gründliche Auswertung die verdiente Aufmerksamkeit gefunden hat14. In vieler Hinsicht bestätigte die Enquete die Mängel, die die Wohnreformer zuvor schon angeprangert hatten: so die bedrängten Wohnverhältnisse der Arbeiterfamilien, die sich im Durchschnitt mit 7 bis 10 qm Wohnfläche pro Person zufriedengeben mußten, während Angehörige des gehobenen Bürgertums etwa 37 qm zur Verfügung hatten15. Das Phänomen der Aufteilung eines für die Familie allein nicht tragbaren Mietpreises war in München weit verbreitet, wie sich darin zeigt, daß „in den zentralen Stadtgebieten [...] sogar jeder dritte bis vierte Haushalt einen Zimmermieter" hatte16. Während die Zimmervermietung allerdings -

9 10

11

Ebenda, S. 65, 68.

Brentano, Wohnungs-Zustände, S. 11. Vgl. zu den sittlichen Negativfolgen der überfüllten Wohnungen und insbesondere des Schlafstellenwesens auch Cahn, Schlafstellenwesen, S. 27-31. Bericht über den Stand der Gemeindeangelegenheiten für 1901. l.Teil Verwaltungsbericht, S. 55.

12 13 14 15 16

Neumeier, Königlich-bayerisch Wohnen, S.

Mayr, Neugestaltung, S. 42. Neumeier, München um

Ebenda, S. 294. Ebenda, S. 222.

1900.

120.

3. Wohnungsmarkt und Wohnungsbau zwischen den Weltkriegen

165

bürgerliche Haushalte vertretbar war, konzentrierten sich die Schlafgänger überwiegend in den Wohnvierteln der Unterschichten. Für Schlafgänger war es keinesfalls selbstverständlich, daß sie ein Bett für sich allein beanspruchen konnten, wie überhaupt festgestellt wurde, daß 16696 Personen in München über kein eigenes Bett verfügten. Für Lujo Brentano war dieser „Bettenmangel zusammen mit dem Schlafgängerwesen [...] eine der traurigsten Tatsachen, welche die Münchner Wohnungserhebung enthüllt hat"17. Eine andere Möglichkeit, dem Mangel an Kleinwohnungen zu begegnen, war die Teilung ursprünglich herrschaftlicher und großer Wohnungen, die auch in München den Bauherren häufig als die erfolgversprechenderen Bauobjekte galten18. Diese Aufteilungen führten freilich zu entsprechenden Einbußen in der Ausstattung mit sanitären Einrichtungen und Küchen. Mängel in der Wohnungsqualität wurden bei der Enquete auch sonst in reichem Ausmaß festgestellt, von unzureichender Belüftung und Belichtung von Hinterhofwohnungen angefangen bis hin zum schlechten Zustand der Aborte, die häufig von zu vielen Menschen geteilt werden mußten. Die zeitgenössische Wohnungsreform hat solche hygienischen und baulichen Mängel scharf ins Visier genommen, in der neueren Forschung wurde diese Sichtweise jedoch relativiert: „Insgesamt gesehen lagen die wesentlichen Probleme der Wohnverhältnisse in München vor dem Ersten Weltkrieg nicht im sanitär-hygienischen Bereich und auch nicht im Bereich der baulichen Qualität."19 Der gravierendste Mißstand war dagegen die Wohnungsüberfüllung, wie allenthalben vor dem Ersten Weltkrieg „das Wohnen der Unterschichten mit einem Zustand der Beengtheit gleichzusetzen" war20. Der Handlungsbedarf war offensichtlich, aber die gesetzgeberischen Möglichkeiten zum Eingriff nur gering. Immerhin wurde im Zuge dieser Feststellungen die seit der bayerischen Verordnung von 1901 vorgeschriebene Wohnungsinspektion, die während der vorangegangenen Jahre ganz von den Aufgaben der Erhebung überlagert worden war, neu aufgenommen. Die Bezirksinspektoren erhielten 1908 die Funktion der Wohnungsaufsicht und mußten monatlich über die Verhältnisse der besichtigten Wohnungen berichten21. Schon zeitgenössisch befand die Kritik, daß die Initiative zu spät käme und eher geeignet wäre, den um diese Zeit akut werdenden Wohnungsmangel noch zu auch für ganz

verstärken, als ihm abzuhelfen22.

Es ist bezeichnend für die vom liberalen Bürgertum geprägte Münchner Stadtpolitik, daß sie sich nur zögernd der Arbeiterwohnungsfrage näherte und immer wieder das Festhalten an wirtschaftsliberalen Prinzipien in diesem Sektor betonte, was nicht zuletzt aus Rücksichtnahme auf die Interessen des Grund- und Hausbesitzes geschah23. Es 17

Brentano, Arbeiterwohnungsfrage, S. 5.

18

Vgl. Hardtwig, Soziale Räume, S. 100, zum spekulativen Bau von Großwohnungen im „Franzosenviertel" um den Ostbahnhof und den daraus resultierenden Teilungen für die Bedürfnisse von Proletarierfamilien.

19

Neumeier, München um 1900, S. 300.

20 21 22

23

Zimmermann, Wohnungsfrage, S. 23. Krabbe, Anfänge, S. 55. Sander, Wohnungsinspektion, S. 104. Tatsächlich konnten die Feststellung eigentlich unbewohnbarer Behausungen und die Erstattung von Strafanzeigen in schlimmeren Fällen dazu bei-

tragen, weitere Obdachlosigkeit zu erzeugen. Vgl. Angermair, Münchner Kommunalpolitik, bes. S. 39f. Der Haus- und Grundbesitzerverein entsandte zwar erst 1908 einen eigenen Vertreter in das Münchner Rathaus, stellte aber schon

166

II. Wohnungspolitik als

Handlungsfeld

allerdings falsch, der Stadt vorzuwerfen, daß sie im Bereich der Baupolitik einem ungezügelten „Laissez-faire" huldigte. Im Gegenteil, wo es um stadtgestalterische Überlegungen ging, um den planmäßigen Ausbau der „Bürgerstadt", kam es vor allem mit der Einrichtung des Stadterweiterungsbüros und seiner Übernahme durch Theodor Fischer in den 1890er Jahren zu einem regelrechten Modernisierungsschub. Diese Entwicklung hatte mit der noch maßvollen Regulierung in der Bauordnung von 1863 eingesetzt und mündete schließlich in die Staffelbauordnung von 1904, die als zukunftsweisend galt. Sie sah neun verschiedene Baustaffeln vor, die es ermöglichten, nach Straßenzügen differenzierend eine in Höhe und Dichte unterschiedliche Bebauung festzulegen. Den Hintergrund für solches städtisches Eingreifen in den Charakter der Bebauung bildeten durchaus nicht nur ästhetische oder raumordnende Konzeptionen, sondern auch sozialpolitische Ziele, konnte man doch über Bauordnungen etwa die Erstellung von Kleinwohnungen in bestimmten Sektoren erleichtern oder im Gegenteil die allzu gedrängte Bebauung im Stil einer „Mietskasernenstadt" verhindern24. Trotzdem blieb die Scheu der Münchner Stadtpolitik vor der Übernahme von mehr Verantwortung im Kleinwohnungssektor, was letztlich auch die Wahrnehmung eigener Bauaufgaben25 bedeutet hätte, augenfällig. Zwar entwickelten die Sozialdemokraten, die seit 1894 ihre Vertreter in das Gemeindebevollmächtigtenkollegium entsenden konnten, um die Jahrhundertwende ein eigenes Wohnungsprogramm, das auch die Gemeinde sehr wäre

viel stärker in die Pflicht nehmen wollte. Sie konnten sich damit aber nicht gegen die starken liberalen Kräfte im Verein mit dem Haus- und Grundbesitz durchsetzen26. Erfolgreicher war die Partei, wo sie für die Übertragung von Bauaufgaben an gemeinnützige Unternehmen eintrat. Schon vor dem Krieg stellten die Baugenossenschaften und -gesellschaften in München eine im Reichsvergleich beachtliche Größe dar27; freilich sollten sie erst im günstigen Klima einer ausgedehnten staatlichen Subventionspolitik in den zwanziger Jahren richtig aufblühen. Seit der Gründung der „Bau- und Spargenossenschaft Arbeiterheim" 1871, einer der ersten Baugenossenschaften in Deutschland überhaupt, war in München der Aufschwung der Baugenossenschaften zunächst zögerlich vor sich gegangen, erhielt aber zwischen 1908 und f 910 stärkeren Antrieb, als in einer Phase akuter Wohnungsnot und steigender Mietpreise die Selbsthilfe vielen als geeigneter Weg erschien28. Vor allem war jetzt auch die Stadt bereit, mit tatkräftiger finanzieller Unterstützung die Bauvorhaben der Gemeinnützigen zu unterstützen. Die

wohnungsreformerischen Impulse im sozialpolitisch aufgeschlossenen bürgerlichen Lager hatten mittlerweile gleichfalls Früchte getragen: Auf Initiative des vorher, besonders innerhalb der liberalen Parteien, eine starke „pressure group" in der Stadtpolitik dar.

24

25

26

27 28

Vgl. Fisch, Stadtplanung, S. 255, der Bürgermeister Borscht und Bauamtmann Fischer im Hinblick auf die Verbindung sozialpolitischer mit planerischen Konzepten als ein sich besonders gut ergänzendes Zweigespann betrachtet. Ebenda, S. 256-270, zur Staffelbauordnung. Eine Ausnahme stellten die städtischen Kleinwohnungsbauten für gemeindliche Bedienstete und Arbeiter an der Thalkirchner Straße dar, die 1908 mit 175 Wohnungseinheiten in Angriff genommen wurden, vgl. Mayr, Neugestaltung, S. 51. Vgl. Pohl, Münchener Arbeiterbewegung, S. 453f.; Neumaier, Königlich-bayerisch Wohnen, S. 123. Pohl, Münchener Arbeiterbewegung, S. 460. Zu diesen Gründungen Dörschel u.a., Wohnreform.

3.

Wohnungsmarkt und Wohnungsbau zwischen den Weltkriegen

167

rührigen Zentrumsabgeordneten Carl Schirmer war unter Beteiligung städtischer Honoratioren und engagierter Wohnungsreformer die eben in der Stadtpolitik selbst zu wenig Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Vorstellungen sahen 1899 der „Verein für Verbesserung der Wohnungsverhältnisse" gegründet worden29. Die Stadt übernahm es seit 1908, solche Unternehmungen mit eigenen Mitteln oder unter Vermittlung von Darlehen aus der Landeskulturrentenanstalt zu fördern. 1909 bis 1912 wurden insgesamt 11,5 Millionen RM als Hypothekendarlehen für den Kleinwohnungsbau bewilligt, die Bauleistung bezifferte sich auf 270 Wohnhäuser mit 4 322 Kleinwohnungen30. Die zunehmende Bereitschaft der Stadt, in der Wohnungsfrage zu intervenieren, spiegelte sich zunächst in Ausbau und Stärkung des dafür zuständigen Verwaltungssegments. Durch Beschlüsse der städtischen Kollegien im Herbst 1911 wurde das Wohnungsamt gegründet, dessen Aufgabenkatalog sich als „Leitung der Wohnungsaufsicht, Wohnungsvermittlung, Wohnungsstatistik und Vorschläge zur Wohnungsfürsorge" zusammenfassen ließ31. Nur zwei Jahre später erschien es den Verantwortlichen allerdings, als sei hier eine Stelle unnötig aufgebläht worden, deren Aufgaben sich besser durch andere Verwaltungszweige erledigen ließen. Dem Wohnungsamt wurden im September 1913 einerseits die meisten seiner Aufgaben und auch der Großteil des Personals ge-

-

andererseits wurde es dem Direktor des Statistischen Amtes, Professor WilMorgenroth, nebenamtlich unterstellt32. Damit beraubte sich die Stadt kurz vor Kriegsbeginn der Möglichkeiten einer effektiven Wohnungsverwaltung, die man im Krieg und vor allem in der Demobilmachungsphase bitter nötig haben sollte. Im Statistischen Amt erhielt die Wohnungsversorgung während des Krieges angesichts des zentralen Stellenwerts der Ernährungswirtschaft, die ebenfalls der Führungskompetenz Morgenroths anvertraut worden war, eine völlig untergeordnete Rolle. Die fünf Beamten des Wohnungsamtes wurden vom Statistischen Amt zunehmend für die immer kritischer werdende Lebensmittelbewirtschaftung eingesetzt, während die Wohnungsvermittlung, die eigentlich verbliebene Aufgabe, kaum noch wahrgenommen wurde33. Weil aber gleichzeitig schon die Kriegsauswirkungen auf dem Wohnungsmarkt zu verspüren waren, stand man schließlich vor der Situation, das Amt durch grundsätzliche Umgestaltung leistungsfähiger zu machen. Nach einem Beschluß der städtischen Kollegien vom Dezember 1917 wurde an die Spitze ein akademisch-technischer Beamter berufen Albert Gut -, der sich als Fachmann für Wohnungswesen während der zwanziger Jahre einen weit über München hinausgehenden Ruf erwerben sollte34. In dem neugeglienommen,

helm

-

29 30 31 32

33 34

Dörschel u.a., Wohnreform, S. 126.

Krabbe, Anfänge, S. 54. Mayr, Neugestaltung, S. 4. Vgl. auch Sander, Wohnungsinspektion, S. 105-107. Mayr, Neugestaltung, S. 5. Z.B. wurde eine Zuständigkeit des Amtes für die Wohnungsaufsicht, die bei den Bezirksinspektoren bzw. in technischer Hinsicht bei der Lokalbaukommission lag, jetzt nicht mehr als notwendig betrachtet. Auch sonst wurde das Amt praktisch aller Funktionen entkleidet und kümmerte sich im wesentlichen nur noch um die Herausgabe des Wohnungsanzeigers. Mayr, Neugestaltung, S. 6. Bereits in seiner Denkschrift vom Oktober 1917 hatte Wohnungsreferent Matthias Mayr gefordert, daß „eine tüchtige Persönlichkeit an die Spitze gestellt" werde, „die das Personal anleitet und überwacht, alle hervortretenden Mängel sofort erfasst und abstellt und ständig auf Grund der gesammelten praktischen Erfahrungen hier und dort die erforderlichen Verbesserungen vornimmt"

(ebenda, S. 8).

II. Wohnungspolitik als

168

Handlungsfeld

derten Amt waren zwei Abteilungen besonders bestimmend in der Demobilmachungsphase: der Wohnungsnachweis, der die Aufgaben der Wohnungsvermittlung übernahm, und die Abteilung für die Beschaffung von Notwohnungen. Zu Kriegsende schnellte auch in München die Nachfrage nach Wohnungen innerhalb kürzester Zeit empor, während der Wohnungsvorrat aufgrund der fehlenden Bautätigkeit auf einen kümmerlichen Rest zusammengeschmolzen war. Verdoppelte sich die Zahl der Wohnungssuchenden schon zwischen September 1918 (1070) und Oktober 1918

(2 132), waren es im November 1918 noch einmal so viele (4390), die beim städti-

Wohnungsnachweis um eine Wohngelegenheit fragten35. Seit der Bekanntmachung des Bundesrats über Maßnahmen gegen Wohnungsmangel vom 23. September 1918 und den sich anschließenden Meldepflichtanordnungen des Landes Bayern und der Stadt München steigerte sich die Frequenz des Wohnungsnachweises aber in noch schen

höherem Maße durch die Besucher, die den neuen Meldevorschriften nachkamen36. Zu den kurzfristigen Notbehelfen der Demobilisierungsphase gehörte die Bereitstellung von Massenquartieren durch die Stadt, die freilich häufig von militärischen Stellen beschlagnahmt wurden. Zivilen Zwecken hingegen, insbesondere der Unterbringung kinderreicher Familien, diente die Einrichtung von „Notwohnungen" in leerstehenden Läden, Gastwirtschaften, sogar Stallungen oder Garagen und außerdem in der Schwere-Reiter-Kaserne und dem Nymphenburger Schloß. Etwa 800 solcher Behelfsunterkünfte und weitere 200 Barackenwohnungen erstellte die Stadt im Rahmen ihres bescheidenen Bauprogramms 1918/19. Die provisorisch gemeinten Quartiere verstetigten sich nicht selten und bildeten noch in den dreißiger Jahren ein Problem, dem dann mit Zwangsräumungen begegnet wurde37. Die Münchner

Wohnungspolitik unter den Bedingungen der Zwangswirtschaft™ Die Wohnungsnot in München nach dem Krieg sollte sich keineswegs auf die unmittelbare Phase der Demobilisierung beschränken, in der durch die zurückkehrenden Soldaten und die heimatlosen Flüchtlinge zunächst eine in höchstem Maße unübersichtliche Lage am Wohnungsmarkt herrschte. Ein Problem bildete auch in der Landeshauptstadt in den ersten Nachkriegsjahren die hohe Zahl von Eheschließungen und damit von Haushaltsgründungen. Daß viele zunächst allerdings auf eine eigene Wohnung verzichten mußten, zeigen die Ergebnisse der Wohnungszählung von 1925. Danach trafen auf 100 Wohnungen in München nämlich 109 Haushaltungen ein deutliches Zeichen, daß der Wohnungsneubau in diesen Jahren dem hohen (Nachhol-)Bedarf nicht hatte stand-

halten können39.

Bericht über den Stand der Wohnungsfrage, Sp. 11, Anlage 1 und Anlage 4. Vgl. ebenda, Sp. 1 undSp. 11, Anlage 1: Von November auf Dezember 1918 verdoppelte sich die Gesamtbesucherzahl des Wohnungsnachweises wiederum (von 5248 auf 10 624), aber die Zahl der Wohnungssuchenden darunter stieg nur von 4 390 auf 4 658. Vgl. unten, S. 372f. Zu den Zahlen Helmreich, Finanzierung, S. 121. Zur Münchner Wohnungspolitik in der Weimarer Zeit jetzt auch eingehend die Dissertation von

Rudioff, Wohlfahrtsstadt. Gut, Wohnungsnot, S. 99.

3.

Wohnungsmarkt und Wohnungsbau zwischen den Weltkriegen

Tab. 11: Neubau- und Eheschließungsziffern in München im

Jahr

Reinzugang an

5042

1917

17

5 406 5 422 3519

1629 578 63

Vergleich 1910-1926

Eheschließ.

Jahr

Reinzugang an Whgen.

Eheschließ.

5500 5 698 5 892 5375 6280 4224 4 873 5 648

1918 1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926

222 608 1564

6030 10125 10193 7818 7477 6547 5 091 5 715 6 029

Whgen.

1910 1911 1912 1913 1914 1915 1916

169

777

1441 958 815 2331 2312

Quelle: Gut, Wohnungsnot, S. 9840. Die Tabelle

zeigt, daß seit dem Krieg eine immer größere Lücke zwischen dem Be-

darf, der aus den Eheschließungen resultierte41, und dem Angebot, das der Wohnungsneubau erbrachte, klaffte und vorerst nicht wieder geschlossen werden konnte. Dabei liefern die

Eheschließungsziffern nur einen Indikator für den Neubedarf. Als weiteres

wichtiges Moment trat die Zuwanderung zunächst von Arbeitskräften der Rüstungsin-

dustrie, später dann von entlassenen Soldaten und Flüchtlingen hinzu, die gewillt waren, in München ihre Heimstatt aufzuschlagen. Der Krieg an der „Heimatfront" hatte

für die Stadt auch die Folge gehabt, daß neue große Rüstungsbetriebe sich ansiedelten oder vorhandene ihre Kapazität erweiterten. Das konnte wie im Fall der Filialgründung der Kruppschen Geschützwerke in Freimann den Zuzug ganzer Kolonnen von Arbeiterfamilien bedeuten und den ohnehin angespannten Wohnungsmarkt völlig aus dem Gleichgewicht werfen42. Von den Zeitgenossen wurde das Wohnungsproblem nach dem Krieg als besonders gravierend empfunden, denn jetzt handelte es sich nicht mehr um eine klassenspezifische Wohnungskrise, die sich vor allem in bedrängten und ungesunden Verhältnissen für die Unterschichten äußerte, sondern jetzt fehlten Tausende von Wohnungen in den Städten, und das betraf längst nicht nur die „minderbemittelte" Bevölkerung. „Wäre nicht die Geduld der betroffenen Bevölkerungskreise so gross, so hätte die Wohnungsnot wahrscheinlich schon andere Folgen gezeitigt. Jedenfalls haben niemals, solange wir Kunde von Wohnungsnot haben, auch wohl nicht in der Zeit des grössten Wohnungselends im kaiserlichen Rom des Altertums, annähernd so entsetzliche Wohnungszu-

-

Etliche Statistiken, sogar im gleichen Band, zeigen von Gut abweichende Zahlen. Die Unterschiede sind damit zu erklären, daß Gut hier den tatsächlichen Reinzugang in einem Jahr aufli-

(z.B. bei Helmreich, Finanzierung) die durch ein Jahres-Bauprogramm finanzierte und gebaute Zahl von Wohnungen genannt wird, deren tatsächliche Fertigstellung sich aber über mehrere Jahre hinziehen konnte. Wie bei Gut ist der Reinzugang auch im Statistischen Handbuch der Stadt München, S. 50, beziffert. Die aus den Eheschließungen resultierende tatsächliche Bedarfshöhe wurde nach der zeitgenössischen Statistik bei etwa 65% angenommen, vgl. unten, Anm. 158. Vgl. Gut, Wohnungsnot, S. 98. Die Kündigung von etwa 300 Arbeiterwohnungen durch die Geschützwerke, die ihre Facharbeiter aus Essen nachzogen, war nach Ansicht von Geyer 1917 das Fanal in München, um mehr Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Stadtverwaltung auf das Wohnungsproblem zu lenken. Geyer, Wohnungsnot, S. 130. stet, während sonst

170

II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

geherrscht, wie jetzt allgemein in Deutschland, und niemals ist durch Wohnungselend und Wohnungsnot die sittliche und körperliche Gesundheit der Bevölkerung auf eine so harte Probe gestellt worden, wie jetzt."43 So dramatisch urteilte der führende Kopf Münchens im gemeinnützigen Wohnungswesen, Paul Busching, noch Ende 1921, als längst die Versuche im Gange waren, mit Hilfe der Zwangswirtschaft der Wohnungskrise beizukommen. Dabei zeigte sich in der Umsetzung vor Ort, daß die zwangswirtschaftlichen Instrumente zwar zur Verhinderung noch schlimmerer Zustände im Wohnungswesen taugen mochten; sie fanden jedoch keine gesamtgesellschaftliche oder auch nur breitere Akzeptanz und bildeten daher kein geeignetes Mittel zur Herbeiführung sozialen Friedens. Im Gegenteil, die Zahl und die Schärfe der Konflikte nahmen zu, gab es doch jetzt eine Vielzahl möglicher Polarisierungen nicht nur zwischen Hausbesitzern und Mietern44, sondern auch zwischen Abgabepflichtigen und Anspruchsberechtigten in der Wohnraumdistribution, zwischen dem Wohnungsamt und seinen Klienten, zwischen den bereits versorgten und den ewig vorgemerkten Parteien. Auf besonders hartnäckige Resistenz stießen etwa die von der Verwaltung praktizierten „Zivileinquartierungen". Die dafür zugrundeliegenden gesetzlichen Vorschriften wurden seit der einschlägigen Bundesrats-Bekanntmachung vom 23. September 1918 nach Art eines „Ping-Pong-Spiels" abwechselnd vom Reich und vom Land Bayern bzw. auf der ausführenden Ebene von der Stadt München erlassen. Wichtig sind für unseren Zusammenhang nicht die Details der Gesetze und Ausführungsbestimmungen, sondern der zu beobachtende Trend einer sich zunächst verschärfenden Verwaltungspraxis, die 1923 einen Wendepunkt erreicht und dann systematisch bis zur endgültigen Aufhebung der Zivileinquartierungen in Bayern 1928 abgeschwächt wird45. In München versuchte man, durch einen Aufruf im November 1918 zur Abgabe von unbenutzten Zimmern und Wohnungen zunächst auf der Basis der Freiwilligkeit genügend stände

Wohnraum freizubekommen. Bis Ende des Jahres 1918 wurden auf diese Weise 352 selbständige Wohnungsteile gemeldet, in den folgenden Wochen erhöhte sich die Zahl auf 780 Wohnungen und Wohnungsteile46. Als sich jedoch zeigte, daß mit dieser Wohnungsmasse nicht ausreichend disponiert werden konnte, verschärften sich Ton und Inhalt der gemeindlichen Verfügungen: Schon seit Ende des Jahres 1918 mußten alle Wohnungen mit mehr als sechs Zimmern angemeldet werden, im März 1919 erfolgte dann eine Verpflichtung zur Meldung der Wohnungen mit fünf und sechs Zimmern. Insgesamt kam so eine Zahl von 14216 Anzeigen (einschließlich der freiwilligen Meldungen) zustande; im Verlauf ihrer Bearbeitung lud das Wohnungsamt 9 866 Parteien vor, bei denen die bisherige Belegung des Wohnraums Einquartierungen zuzulassen schien47. Das Amt strebte zwar „tunlichst eine gegenseitige Verständigung" mit den Wohnungsinhabern an48, machte aber von Zwangseinquartierungen Gebrauch, wenn die in die Pflicht 43

44

45

46 47

48

Paul Busching, Zwangswirtschaft im Mietwesen und Baukostenausgleich, in: ZWB 19 (1921), S. 319-328, hier 319. Zur Schärfe dieser Konflikte vor dem Hintergrund der Zwangswirtschaft in Berlin und Wien Lehnert, Kommunale Politik, S. 259-285. Einen Überblick über die verschiedenen Gesetze und Verordnungen bei Gut, Wohnungsnot, S. 107-109. Bericht Wohnungsamt 1918/19, S. 8. Ebenda, S.8f. Ebenda, S. 9.

3.

Wohnungsmarkt und Wohnungsbau zwischen den Weltkriegen

171

Genommenen keine Einsicht zeigten. Hinhaltender Widerstand gegen die Einquartierungen war keine Seltenheit: Er reichte von der Forderung unerlaubt hoher Mietpreise

vorsprechenden Wohnungssuchenden über deren glatte Abweisung an der Wohnungstür bis hin zur Umgehung des Dilemmas durch Abwanderung aus München. Ob allerdings tatsächlich viele Wohnungsinhaber wie in der häufig überzogenen Kritik am Wohnungsamt auch zu hören war aus diesem Grund München verließen, ervon

den

-

scheint doch zweifelhaft49. Eine weitere Schwierigkeit für die Stadt ergab sich aus der politischen Gestaltungskompetenz, die die Räteregierung im April 1919 beanspruchte und die teilweise im Widerspruch zur bisherigen Gesetzgebungs- und Verwaltungspraxis stand. So gestattete der Volkskommissar für das Wohnungswesen am 8. April 1919 den Wohnungsinhabern, ihre überzähligen Räume auf die Dauer von 14 Tagen mit Verwandten oder Bekannten „aufzufüllen". Das war in den Augen der städtischen Beamten eine in höchstem Maße unvernünftige Regelung und behinderte das amtliche Bewirtschaftungssystem: „Durch diese Bestimmungen sind dem Wohnungsamt nicht nur ungezählte Wohngelegenheiten verloren gegangen, sondern es wurden auch unzählige Personen nach München gezogen, die auf diese Weise das Wohnungselend mittelbar und die Ernährungsschwierigkeiten unmittelbar wesentlich vergrösserten."50 Das Gesamtministerium des Freistaats Bayern, das sich im Bamberger Exil befand, erweiterte am 29. April 1919 schließlich die Möglichkeiten zu Zivileinquartierungen auf alle Wohnungsgrößen51. Die Stadt zögerte nicht, von ihren vermehrten Eingriffsrechten Gebrauch zu machen, und ging dazu über, an Stelle des „Anzeigen- oder Vorladungssystems" das „System der planmässigen Be-

sichtigungen von Strasse zu Strasse, Haus zu Haus, Wohnung zu Wohnung" zu setzen. Im Herbst 1919 beschäftigte das Wohnungsamt schließlich 18 Kontrolleure damit, das Stadtgebiet systematisch nach unterbelegten Wohnungen durchzukämmen und vor Ort die gegebenenfalls vorgebrachten Einwände zu prüfen52. Die Zahlen spiegeln die ansteigende Ausnutzung des Einquartierungsinstruments: Wurden 1918 rund 2 100 Wohnungsteile beschlagnahmt, erfaßten die Einquartierungen je 3 500 Wohnungen in den Jahren 1919 und 1920. Noch aussagekräftiger ist ein Blick auf andere Städte: Mit einer Bilanz von fast 12 000 Einquartierungen bis Ende 1921 lag München bei weitem an der Spitze aller deutschen Großstädte, schon bei der nächstfolgenden Stadt Hamburg waren es 5 000 weniger53. Daß man in München die Einquartierungen mit relativ hoher Effektivität betrieb, dürfte auf einem lokalen Konsens von Politik und Verwaltung beruht haben, in dem sich sozialistische Gerechtigkeitsvorstellungen mit dem Willen zu ordnenden Eingriffen in das so lange dem „Laissez-faire" überlassene Feld der Wohnraumverteilung paarten54. Freilich nimmt sich der Erfolg der Einquartierungen bescheidener 49

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Zum „Widerstand" gegen die Einquartierungen s. Bericht Wohnungsamt 1918/19, S. 9-11. Ein ganz ähnliches Bild ergab sich in anderen deutschen Städten, vgl. Führer, Mieter, S. 319-325, und für Berlin Lehnen, Kommunale Politik, S. 215. Bericht Wohnungsamt 1918/19, S. 11. Ebenda, S. 9. Bericht Wohnungsnot/Wohnungsamt 1919/20, S. 9f. Mitteilungen des Deutschen Städtetages 9 (1922), Sp. 359-365. Die Ergebnisse auch bei Führer, Mieter, S. 323f., dem ich den Hinweis auf die Statistik entnommen habe. Auch Führer sieht die „politische Bedingtheit" der stark unterschiedlichen lokalen Ergebnisse, ebenda, S. 323.

172

II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

ihn auf den gesamten Wohnungsbestand in München bezieht, von dem sieben Prozent betroffen waren. Umgerechnet aber auf die Großwohnungen mit fünf und mehr Zimmern, die ja de facto hauptsächlich herangezogen wurden, ergibt sich ein Anteil von 42 Prozent55. Die relativ hohe Einquartierungsquote wurde vom Wohnungsamt in der Praxis freilich hartnäckig erkämpft. Oft mußte man ein oder zwei Abweisungen durch die Wohnungsinhaber hinnehmen und konnte dann nur unter der Androhung von Zwang die Mieter endlich unterbringen. Zur Anwendung des letzten Instruments der Zwangseinquartierung kam es allerdings nach einer Zwischenbilanz des Wohnungsamtes vom Frühjahr 1920 nur in 100 der bis dahin vollzogenen 6 500 Fälle56. Vor dem Hintergrund der bescheidenen Neubauziffern der Inflationszeit57 gewannen die neuen Formen der Wohnraumbewirtschaftung ihre Berechtigung, verloren sie aber ebenso schnell nach der Währungsstabilisierung58. Das reine Zuweisungssystem wurde jetzt ersetzt durch die Einführung der Mietberechtigungskarte, die ihren Besitzer zur Anmietung einer Wohnung bestimmter Größe berechtigte (ihm freilich nicht eine bestimmte Wohnung zusicherte) und es auch dem Wohnungsinhaber erlaubte, eine Entscheidung über die Aufnahme zu treffen. Von den Mietberechtigungskarten wurden zwischen ihrer Einführung im August 1925 bis Ende 1927 rund 10500 ausgegeben59. Dabei spielten für ihre Zuteilung nicht besonders augenfällige soziale Notstände der Wohnungssuchenden, wie man vermuten sollte, die ausschlaggebende Rolle, sondern vor allem die Dauer ihrer Vormerkungszeit beim Wohnungsamt60. Bei Einführung des Kartensystems befanden sich beispielsweise für Drei- und Vier-Raum-Wohnungen erst diejenigen an der Reihe, die sich vor dem 1. Juli 1919 hatten vormerken lassen. Allmählich konnten die Zuweisungsstichtage weiter vorgerückt werden, für Drei- und VierRaum-Wohnungen war im November 1927 aber immer noch eine Vormerkung notwendig, die vor dem 1. Januar 1922 datierte61. Problemfälle blieben auch im Mietberechtigungskartensystem die kinderreichen Familien, die häufig von den Vermietern abgelehnt wurden, und sozial randständige Obdachlose. Lehnte ein Vermieter wiederholt Wohnungssuchende mit Mietberechtigungskarte ab, bestand für das Wohnungsamt immer noch die Möglichkeit der Zwangszuweisung und der Erwirkung von Zwangsmietverträgen beim Mieteinigungsamt62. Umgekehrt konnte auch ein Vermieter Beschwerde gegen Verfügungen des Wohnungsamtes beim aus, wenn man nur

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Mitteilungen des Deutschen Städtetages (wie Anm. 53). Vgl. Bericht Wohnungsnot/Wohnungsamt 1919/20, S. 10. Vgl. Tab. 11, oben, S. 169. Nur 3171 Wohnungen wurden in den Jahren 1918 bis 1921 gebaut, das ist wenig mehr als ein Viertel der Einquartierungsziffer. Von 1924 an sank die Zahl der Einquartierungen rapide auf ganz wenige Fälle, 1926 etwa nur noch 24, Verwaltungsbericht 1924-1926, S. 154. Nach Preis, Beseitigung der Wohnungsnot, Anlage I, S. 43, wurden von 1918 bis 1926 insgesamt 17444 Wohnungsteile durch die Zivileinquartierungen gewonnen. Preis, Beseitigung der Wohnungsnot, S. 35-38 zu Mietberechtigungskarten generell, S. 37f. zu den Zahlen. Vgl. auch Geyer, Wohnungsnot, S. 137. Preis, Beseitigung der Wohnungsnot, S. 36f. Noch 1928 befand Wohnungsreferent Preis: „Der Zwangsmietvertrag ist ein unentbehrliches Hilfsmittel für die Bekämpfung der Wohnungslosigkeit", Pressebericht „Das städt. Mieteinigungsamt München" vom 20.11.1928, S. 6, StadtAM, ZA 1609 Wohnungsbau, Miete.

3. Wohnungsmarkt und Wohnungsbau zwischen den Weltkriegen

173

Mieteinigungsamt einlegen. Dieses in München seit 1915 zunächst nur im Rahmen des städtischen Vermittlungsamtes, seit 1917, als seine Funktionen durch das Reich deutlich erweitert wurden, selbständig bestehende Amt erhielt im Rahmen der Zwangswirtschaft der Nachkriegszeit eine zentrale Funktion. 40, seit 1918 60 Beisitzer, paritätisch aus Mietern und Vermietern vom Magistrat gewählt, entschieden hier über Streitfälle in Mietangelegenheiten. Während der Weltkrieg dem Amt noch eine Anlaufzeit gewährte, kam es danach zu einem geradezu exponentiellen Bedeutungszuwachs: die Zahl der gestellten Anträge stieg von 754 1917 auf 9 560 1918 und schnellte dann 1919 auf 61 758 empor, um 1920 mit 139266 nochmals mehr als das Doppelte zu erreichen63. Klagen zur Durchsetzung von Kündigungen die im restringierten Wohnungsmarkt immer „schärfer und erbitterter" geführt wurden beschäftigten das Amt zu einem guten Teil. Angesichts der Tendenz zu einem starken Mieterschutz waren hier für die Vermieter allerdings keine hohen Erfolgschancen gegeben: „Auch in den Fällen, in denen eine Kündigung an sich als gerechtfertigt hätte anerkannt werden müssen, mußte das Mieteinigungsamt vielfach die Zustimmung versagen, da keine Aussicht bestand, später nach ergangenem Räumungsurteil die Zustimmung zur Zwangsvollstreckung zu erteilen."64 Die Zwangsvollstreckung sollte auch nach dem Mieterschutzgesetz von 1923 kein wohlfeiles Instrument werden: Beruhte die Kündigung auf der Eigenbedarfsklage eines Vermieters, konnte die Vollstreckung nur erfolgen, wenn ein „angemessener Ersatzraum" zur Verfügung stand, bei den anderen Kündigungsgründen konnte das Gericht gleichfalls diese Bedingung stellen65. Alle Kündigungen konnten nur noch über den Klageweg erzielt werden, die lokal unterschiedliche und heftig umstrittene Entscheidungspraxis der Mieteinigungsämter war damit Vergangenheit. Karl Christian Führer hat aber darauf aufmerksam gemacht, daß trotz erhöhter Rechtssicherheit nicht nur -

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Vorteile für Mieter daraus erwuchsen. Bekamen sie in dem „unter öffentliche Kontrolle gestelltefn] gesetzliche!«] Verfahren" kein Recht, haftete ihnen das Stigma eines Gerichtsurteils an, das weit mehr wog als eine herkömmliche Kündigung66. Ob sich für die Gesamtheit der Mieter die neue Dimension des Mieterschutzes in der Nachkriegszeit außerdem in der Versorgung mit neuem Wohnraum negativ bemerkbar machte, kann empirisch nicht geprüft werden. Zeitgenössisch wurde die These vertreten, daß die von den Vermietern als äußerst rigide empfundenen Bestimmungen den Willen des Hausbesitzes, durch Wohnungsneubau zur Lösung der Wohnungskrise beizutragen, deutlich geschwächt hätten67. Dieses Argument ist zwar nicht von der Hand zu weisen, aller-

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Verwaltungsbericht 1913-1920, S. 147. Beide Zitate aus Verwaltungsbericht 1921-1923, S. 137. Auch die von Führer herangezogenen lokalen Beispiele ergeben gerade für die erste Nachkriegszeit eine überwiegend mieterfreundliche Praxis, wobei er jedoch seit etwa 1921 auch eine zunehmende Bereitschaft feststellt, Kündigungen zu genehmigen. Führer, Mieter, S. 50f. und Tabelle 2, S. 403.

Ebenda, S. 73. Ebenda, S. 66.

„Ein Mietrecht jedoch, das den Mieter begünstigt, wie hier geschieht, die Eintreibung der Mietzinsforderung aber erschwert, hemmt die Erbauung von Wohnungen, besonders von Kleinwohnungen, weil bei diesen ein Mietzinsausfall viel häufiger zu sein pflegt, und treibt dadurch zur Überfüllung solcher Wohnungen." So lautet die Argumentation etwa bei Heumann, Wohnungswesen, S. 26. Nicht berücksichtigt wird hier, daß Neubauten zunächst gar nicht und dann nur eingeschränkt in die Zwangswirtschaft einbezogen wurden; trotzdem könnte es von -

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II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

dings dürften die materiellen Schwierigkeiten, das heißt die fehlende Eigenkapitalbasis und die problematische Realkreditfinanzierung bei extrem gestiegenen Baukosten, in erheblich höherem Maße auf die schwache Investitionstätigkeit gewirkt haben. Auch das Feld der Mietenkontrolle lag zunächst weitgehend in der Hand der Mieteinigungsämter. „Die Grundüberlegung der bis Ende 1919 erlassenen Bestimmungen war, daß bei Mietpreiserhöhungen, Streitigkeiten etc. der Vermieter das Verfahren im Mieteinigungsamt in Gang bringen mußte."68 Um mehr Einheitlichkeit in die Bestimmung der Miethöhen zu bringen und von den Einzelfallentscheidungen wegzukommen, wurde durch eine Verordnung von 1920 in Bayern bereits das System eingeführt, das auch das Reichsmietengesetz von 1922 dann im wesentlichen beibehielt69: Grundlage für die Berechnung der Miethöhe war die Friedensmiete, die aber durch Zuschläge aufgestockt wurde, um die nach Maßgabe der Inflationsdynamik steigenden Wohnungsunterhaltsund Instandsetzungskosten zu berücksichtigen70. Um die Ausarbeitung von Richtlinien zur Anwendung dieses Berechnungsmodus und die konkrete Höhe der Zuschläge entspann sich im Münchner Mieteinigungsamt eine zähe Auseinandersetzung, bei der sich weder Mieter noch Vermieter als Sieger fühlten71. Im Ergebnis führten in der Inflation die Regelungen zu einem den blanken Zahlen nach ins Unermeßliche wachsenden Zuschlagssystem, das aber in Wirklichkeit immer noch eine sehr mäßige Realmiete bedeutete72. Die Mietkosten blieben aufgrund ihrer zwangswirtschaftlichen Regulierung hinter der Preisentwicklung für andere „Grundbedürfnisse" zurück und sollten eben dadurch auch zum Ausgleich der sich verteuernden Lebenshaltung beitragen73. Die fehlende Rentierlichkeit von Hausbesitz, die daraus resultierte, wirkte sich aber dahingehend aus, daß die Erhaltung der Wohnungen stark vernachlässigt wurde und die Bausubstanz schneller verfiel; auch hier konnte also nicht unumschränkt von einem Vorteil

der psychologischen Seite her zutreffend sein, daß der Hausbesitz durch die Einschränkung seiner Verfügungsgewalt über die Altwohnungen polemisch wurde auch von „Wohnungsbolschewismus" gesprochen in seiner Investitionstätigkeit noch stärker gehemmt wurde, als es durch die wirtschaftliche Lage ohnehin schon der Fall war. Vgl. Lehnen, Kommunale Politik, S. 217, und Führer, Mieter, S. 77-79. Geyer, Wohnungsnot, S. 141. Das zeigen auch die Zahlen aus dem Verwaltungsbericht 19131920, S. 147: Danach betrafen im Jahr 1920 9398 an das Mieteinigungsamt gestellte Anträge „Kündigungen", 16 „Unwirksamerklärungen der Kündigungen", 126 526 (!) „Steigerungen" und 1 037 „Herabsetzungen des Mietpreises" (dazu kamen noch einige andere Gründe). Zu den unterschiedlichen Länderregelungen, vor allem auch der preußischen Höchstmietenverordnung und schließlich dem Rechtseinheit schaffenden Reichsmietengesetz s. Führer, Mieter, -

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S. 130-141.

Geyer, Wohnungsnot, S. 141f. Das Mieteinigungsamt konnte sich freuen, daß nach Verabschiedung des Reichsgesetzes von 1922 für München keine große Änderung entstand und „die Aufgaben, welche nun das Reichmietengesetz stellte, im wesentlichen ohne große Verzögerung mit dem alten Bestand an Personal" durchgeführt werden konnten, Verwaltungsbericht 1921-23, S. 137. Vgl. Geyer, Wohnungsnot, S. 142-145. Vgl. die Tabelle ebenda, S. 145, wo die in der Hyperinflation zu gewaltigen Beträgen anschwellenden Mietkosten auch in Realmark abgebildet sind. Außerdem Führer, Mieter, S. 141-144. Polemisch kleidete das Paul Busching in die Worte: „Weil die Butter so teuer ist und weil die Stiefel so teuer sind, müssen die Wohnungen billig bleiben, damit das Volk nicht unruhig wird." Ders, Zwangswirtschaft im Mietwesen (wie Anm. 43), S. 320.

3.

Wohnungsmarkt und Wohnungsbau zwischen den Weltkriegen

175

für die Mieter die Rede sein74. Erst als nach der Stabilisierung der Währung die Neubautätigkeit wieder angekurbelt werden sollte und die Hauszinssteuer erhoben wurde, war es notwendig, auch das Mietenniveau anzuheben. Während der Inflationszeit hatte Bauen vor allem den hohen Einsatz von Mitteln für einen vergleichsweise niedrigen Ertrag von gebauten Wohnungen bedeutet. Nur knapp 5 000 Wohnungen konnten in den ersten fünf Nachkriegsjahren bis Ende 1923 aus öffentlichen Mitteln in München finanziert werden75. Konnte die Stadt zunächst von den Reichs- und Landeszuschüssen für den „verlorenen Mehraufwand" profitieren, mußte sie seit 1920 ein Mehrfaches an eigenen Mitteln beisteuern um die Reichshilfe in Anspruch zu nehmen76. Nicht nur die Schwierigkeiten der Finanzierung aus öffentlichen Mitteln, die die private Kapitalaufbringung praktisch ganz ersetzen mußte, hemmten die Neubautätigkeit in der Inflationszeit, auch unvorhergesehene Schwankungen des Baustoffmarktes, Bauarbeiterstreiks oder plötzliche Materialknappheit konnten die aufgestellten Programme mit einem Schlag Makulatur werden lassen77. Entsprechend wechselhaft war es um das Schicksal der Baugenossenschaften bestellt, die zu großen Teilen den bescheidenen Neubau der Inflations jähre trugen, während die Stadt noch immer zurückhaltend gegenüber der Möglichkeit blieb, in eigener Regie Wohnungen zu erstellen78. Zwar wollte sie aktiver Part im Wohnungsmarkt werden und strebte eine gewisse Vereinheitlichung des Kleinwohnungsbaus unter eigener Führung an, die Trägerschaft der konkreten Projekte sollte aber den gemeinnützigen Baugenossenschaften und Wohnungsgesellschaften überlassen bleiben. Daran änderte sich auch nichts, als die Stadt seit dem Frühjahr 1918 über das Instrument einer Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft verfügte, die sie zum überwiegenden Teil kontrollierte. Unter Beteiligung von über 50 Baugenossenschaften, Vereinen und Industrie- und Handelsunternehmen war am 6. Mai 1918 die „Gemeinnützige Wohnstättengesellschaft München m.b.H." (GWG) gegründet worden, deren Stammkapital trotz dieser großen Zahl von Beteiligten zu fast 60 Prozent von der Stadt gestellt wurde. Der Oberbürgermeister übernahm auch den Vorsitz im Aufsichtsrat, in dem weitere fachlich versierte Beamte und Gemeindebevollmächtigte Platz fanden. Die GWG sollte bewußt nicht den bestehenden Bauvereinigungen Konkurrenz machen, sondern ,

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Heumann, Wohnungswesen, S. 26, spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer „Fürsorge" für die breiten Massen, „die in Wirklichkeit gar keine ist". Zur Instandhaltungsproblematik auch Führer, Mieter, S. 144-148.

Helmreich, Finanzierung, S. 130. Für Reichsmittel von 7,5 Millionen Mark mußte die Stadt jetzt fast das Dreifache, nämlich rund 20,8 Millionen Mark, aufwenden das tat sie freilich auch durch Kreditschöpfung, das Allheilmittel in der Inflation (ebenda, S. 120 und 122). Als Folge der Schwierigkeiten der Stadt, 1920 ein Bauprogramm auf der neuen Finanzierungsbasis aufzustellen, wurden 1921 nur noch 777 Wohnungen, weniger als die Hälfte des Vorjahres (1564), fertiggestellt, vgl. Tab. 11, oben, S. 169. So in München in der zweiten Jahreshälfte 1921, als ein Bauarbeiterstreik ausbrach und um die gleiche Zeit die Geldentwertung in ein neues Stadium trat, das ein „sprunghaftes Anziehen der Baustoffpreise und eine spekulative Zurückhaltung der Baustoffe" bewirkte. Helmreich, Finan-

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zierung, S. 123. In den Jahren 1918-1921 entstanden

an der Staltacherstraße 37 stadteigene Einfamilienhäuser. „In der Folgezeit aber hat sich die Stadt als Bauherrin am Wohnungsbau fast nicht mehr beteiligt." Preis, Beseitigung der Wohnungsnot, S. 52.

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II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

als Betreuungs-, Koordinations- und Kontrollgremium für die gemeinnützige und private Bautätigkeit in München gedacht, dessen eigentlicher Zweck die Förderung des Kleinwohnungsbaus war79. Sie vergab städtische Bauaufträge, prüfte die eingereichten Baugesuche, half geeignetes und günstiges Baugelände zu finden, griff in die Verteilung der Baustoffe ein und überprüfte die Projektdurchführung80. Schon im Vorfeld mußten viele Baugenossenschaftsprojekte abgelehnt werden, weil ihre Finanzierung nicht auf sicherem Fundament ruhte oder aus anderen Gründen nicht an eine Durchführung gedacht werden konnte81. Trotzdem war die genossenschaftliche Bautätigkeit das Signum des Inflationsbaus in München: Der Anteil der Baugenossenschaften an den im Rahmen der Münchner Bauprogramme von 1919 bis 1923 erstellten Wohnungen belief sich sogar auf rund 80 Prozent; aufgrund der Wiederbelebung privater Initiative häufig freilich auch mit Hilfe öffentlicher Darlehen ging der gemeinnützige Anteil 1924/25 auf 60 Prozent, danach auf 50 Prozent zurück. Die Münchner Vertreter des gemeinnützigen Wohnungswesens betrachteten die so rasche Expansion der Baugenossenschaften in der Nachkriegszeit durchaus kritisch. Paul Busching stellte fest, daß „eine bedenkliche Zersplitterung der Bautätigkeit auf eine große Zahl von vielfach sehr kleinen und wirtschaftlich recht schwachen Trägern und gleichzeitig eine Zersplitterung der Baustellen zu verzeichnen [gewesen sei], welche die wirtschaftlich rationelle Durchführung großzügiger Bauvorhaben erschwerte, wenn nicht verhinderte, auch an die Gemeinde bezüglich der Erschließung von Baugelände und Durchführung der erforderlichen Tiefbauunternehmungen vielfach hohe und wirtschaftlich unvertretbare Ansprüche stellte"82. Eine Ausnahme von der Größenordnung des Projektes her, aber auch als Modell neuer Wohnbebauung stellte die Anlage „Alte Haide" dar, bei der ebenfalls die GWG koordinierend tätig war. Sechs Unternehmen und der Verein für Verbesserung der Wohnungsverhältnisse schlössen sich im letzten Kriegsjahr zusammen, um für Arbeiter und Angestellte vor allem der beteiligten Werke günstige Kleinwohnungen erstellen zu lassen. Aus dieser Idee entstand die im damaligen München größte Kleinwohnungsanlage „Alte Haide", die Mitte der zwanziger Jahre 120 Häuser mit über 700 Wohnungen umfaßte83. Ihr Architekt Theodor Fischer legte seinen Ehrgeiz in die Realisierung moderner Wohngrundsätze, indem er keine herkömmliche Mietshausanlage plante, sondern den noch wenig erprobten Zeilenbau anwandte. In der zeitgenössischen Diskussiwar

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Ähnlich gründeten auch etliche andere Städte nach dem Ersten Weltkrieg solche Wohnungsge-

sellschaften zur Förderung günstiger Wohnungserstellung, vgl. z.B. zur Wohnungsfürsorgegesellschaft Berlin mbH Schulz, Von der Mietskaserne zum Neuen Bauen, S. 47, oder zum Allbau Essen Hoffacker, Geschichte des Allgemeinen Bauvereins Essen. Dieser knappe Abriß der GWG-Gründung und -Zielsetzung nach Walter, Sozialer Wohnungs-

bau, S. 57-62. Nach ebenda, S. 63, passierten beispielsweise von 93 im Jahr 1919 an die GWG weitergeleiteten Bauvorhaben 35 nicht das Vorprüfungsstadium. P. Busching, Die gemeinnützigen Bauvereinigungen, in: Gut, Wohnungswesen der Stadt München, S. 189-199, hier 197f. (auch zu den Prozentzahlen). Körner vermittelt ein Bild von der Größenordnung des Genossenschaftsbooms im Nachkriegsmünchen: Demnach hatte es bei Kriegsausbruch 26 Baugenossenschaften gegeben, 1926 hingegen waren es 93, von denen 34 aber noch keine eigene Bautätigkeit aufgenommen hatten. Körner, Gemeinnützige Bautätigkeit, S. 123. Ebenda, S. 146f

3. Wohnungsmarkt und Wohnungsbau zwischen den Weltkriegen

177

über Wohnungshygiene setzte sich damals die Auffassung durch, daß die Hinterhöfe schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit mit der Tuberkulose als schlimmstem Beispiel hätten, während der Zeilenbau eine gleichermaßen gute Belüftung und Belichtung der Wohnungen erlaube. Ob Fischer bereits dem „sozialen Prinzip der Gleichheit" mit seinem Entwurf Referenz erweisen wollte, kann angesichts seiner bürgerlichsozialkonservativen Grundhaltung nicht eindeutig bejaht werden; als der Zeilenbau in den späteren zwanziger Jahren geradezu ein „Dogma" des Neuen Bauens wurde, spielten solche Gesellschaftsideale für viele Architekten mit Sicherheit eine Rolle84. Die in der „Alten Haide" entstandenen Wohnungen mit ihren zugehörigen Parzellengärten und Gemeinschaftseinrichtungen galten zeitgenössisch jedenfalls als vorbildlich für das gemeinnützige Bauwesen, wenngleich nach Ende der Inflationszeit auch beklagt wurde, daß die Wohnungen im ganzen doch zu klein konzipiert worden seien85. Sie wurden zu einem großen Teil von Arbeitern der Lokomotivfabrik Maffei, aber auch der anderen beteiligten Unternehmen sowie von Angestellten bei Bahn, Post oder Stadt bezogen86. Während die „Alte Haide" von ihrer Zielsetzung her für die „minderbemittelte" Arbeiterbevölkerung geplant war, errichtete der Bauunternehmer Bernhard Borst Mitte der zwanziger Jahre an der Dachauer Straße eine Anlage mit 772 Wohnungen, die überwiegend auf ein mittelständisches Publikum hin orientiert war. Obwohl es in der architektonischen Konzeption Momente der Anlehnung an Fischers Werk im Münchner Norden gab87, verzichtete Borst auf die so strenge und einheitliche Durchführung in paralleler Zeilenbauweise. Seine Häuserzeilen im Inneren der Anlage waren unterschiedlich lang und wurden in verschiedenen Winkeln gegeneinander gesetzt, so daß Innenhofräume individuellen Charakters entstanden. Die künstlerisch ausgestalteten Gärten betonten die gehobene Wohnkultur und waren von den Nutzgärten der „Alten Haide" oder gar den Wirtschaftsgärten der späteren Reichskleinsiedlungen weit entfernt. Die geschlossene Randbebauung mit ihren niedrigen Bogentoren gab der Borstei außerdem das Gepräge einer von der Außenwelt abgeschlossenen, für sich bestehenden Einheit, quasi eines Mikrokosmos, der dann auch durch eigene Geschäfte und eine Wäscherei beinahe „autark" existieren konnte. Diesen Charakter verstärkte die Unternehmerpersönlichkeit des Bernhard Borst, der seiner Siedlung patriarchalische Fürsorge on

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Ungers, Suche nach einer neuen Wohnform, S. 12f. Kahler scheint mir die politischen Absichten Fischers zu überschätzen, wenn er schreibt, daß hier „aus Gründen der Gleichheit der Bewohner ein reiner Zeilenbau ausgeführt wurde" und damit erstmals „die gesellschaftliche Frage nach demokratischer Gleichheit in der Architektur ausgedrückt wurde" (Nicht nur Neues Bauzum S. Architekten auch en, 326). Vgl. Nerdinger, Theodor Fischer, bes. S. 9-21 und 114-123. Fr. Gruber, Wohnungsbau 1926, in: ZWB 23 (1925), S. 153-155. Gruber nennt zwar nicht die „Alte Haide" beim Namen, spielt aber offensichtlich auf diese an, wenn er ihre Wohnungen mit

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seiner Meinung nach viel zu kleinen Wohnungen in den Gemeindebauten der Stadt vergleicht. Die meisten der Alte-Haide-Wohnungen haben drei Räume (einschl. Küche), wobei die Wohnküchen etwa 15 qm, die größeren Zimmer 16 qm und die Schlafzimmer 12V4 qm groß sind, vgl. Heumann, Wohnungswesen, S. 93. Das war noch relativ großzügig im Vergleich zu dem unter den Nationalsozialisten erbauten Volkswohnungsmodell, vgl. unten, S. 317. Körner, Gemeinnützige Bautätigkeit, S. 149. „Die Verbindung des Stockwerkbaus mit dem Gedanken einer Gartenstadtanlage, die bei Fischer unter Betonung der Nutzgärten ausgeprägt war, ist auch für Borst zur Grundlage von Überlegungen geworden. Allerdings kommt er, der er im Gegensatz zu Fischer vor 1914 keine Arbeitersiedlung gebaut hat, sondern von der Errichtung der Pasinger Villenkolonien geprägt ist, zu einer völlig anderen Lösung." So Weschenfelder, Borstei, S. 86f. -

Wien

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II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

angedeihen ließ und den Zusammenhalt des Gemeinwesens ganz auf seine Person ausrichtete. Das kann auch als bewußter Gegensatz zum Arbeiter-Genossenschaftsgedan-

ken verstanden werden88. Beide Wohnanlagen die Borstei allerdings deutlicher als die Alte Haide blieben noch einer relativ traditionellen Formensprache und Auffassung von Wohnkultur verpflichtet. Zu einem Experimentierfeld des „Neuen Bauens" wurde München auch später nicht. Dazu fehlten einerseits die Architektenpersönlichkeiten, die die Stadtplanung im Sinne der Avantgarde inspiriert hätten, andererseits ließ die politische Führung selbst wenig Innovationsgeist auf dem Bausektor erkennen. Der seit 1924 amtierende Oberbürgermeister Karl Scharnagl war schon durch vereinzelte Neuheiten irritiert, so als Fischer das Ledigenheim im Westend mit Elementen kubischer Architektur und in Klinkerbauweise ausführte, was wenig der Münchnerischen Bautradition entsprach89. Anderenorts, herausragend etwa in Frankfurt, war es gerade der beiderseitige Wille von politischer Stadtspitze und „ihrem" Architekten, der den sozialen Wohnungsbau in den zwanziger Jahren zu einer Speerspitze der Modernität werden ließ. Ernst May als Architekt und Stadtbaurat mit umfassenden Kompetenzen sowie Ludwig Landmann als Oberbürgermeister von Frankfurt bildeten das einträchtig ziehende Gespann, um Frankfurts große Trabantensiedlungen in den zwanziger Jahren als bauliche Symbole des Fortschritts zu etablieren90. In Berlin konnte sich Martin Wagner in der Stadtverwaltung zwar nicht eine derart führende Rolle sichern, er fand seine Bundesgenossen aber im ausgedehnten gemeinnützigen Bauwesen der Stadt. Einige der dort ansässigen Gesellschaften allen voran die Gehag mit Bruno Taut leisteten es sich, einen eigenen Stil der Moderne auszuprägen. Wiederholung, Formalisierung und Typisierung wurden zu wichtigen Gestaltungselementen der Berliner Großsiedlungen. Auch eine erste Rationalisierung der Bauweise, etwa durch den Einsatz von Baggern oder die normierte Herstellung von Beton-Fertigteilen, wurde erprobt. Das Flachdach war geradezu obligatorisch für die Vertreter des Neuen Bauens, und der Zeilenbau setzte sich nicht nur als der bessere hygienische Standard, sondern auch als die Bauform durch, die das soziale Postulat der Gleichheit besser erfüllte. Er segmentierte den Gebäudekomplex nicht mehr wie die traditionelle Mietskaserne von den herrschaftlichen Parterrewohnungen im Vorderhaus bis zu den schlecht belüfteten und belichteten Hinterhof- oder gar Kellerwohnungen, sondern reihte gleiche Wohnelemente nebeneinander91. -

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Die Wohnungsbauprogramme in der „Mietzinssteuerära"

„Das Jahr 1924 gab den mit der Finanzierung des Wohnungsbaues betrauten Stellen wieder festen Boden unter die Füße, man konnte wieder rechnen und mit Sicherheit annehmen, daß sich das aufgestellte Bauprogramm mit den bereitgestellten Mitteln auch durchführen lassen werde."92 Auch in München begann jetzt die Ära der Hauszinssteu88 89 90 91

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Beschreibung der Anlage in Anlehnung an Weschenfelder, Borstei, S. 32-73. Nerdinger, Theodor Fischer, S. 123. Vgl. Lorenz, Das Neue Bauen, S. 54. Zu den Berliner Großsiedlungen der zwanziger Jahre vgl. etwa den Katalog: Siedlungen der zwanziger Jahre, sowie lingers, Suche nach einer neuen Wohnform, S. 19-65. Zu Martin Wagner als prägender Architektenpersönlichkeit für Berlin Scarpa, Martin Wagner. Helmreich, Finanzierung, S. 125. Die

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Wohnungsmarkt und Wohnungsbau zwischen den Weltkriegen

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die durch eine spezifische Bezuschussungspolitik der Stadt ergänzt wurde. Neben der allgemein verbreiteten Finanzierung des Wohnungsbaus aus Hauszinssteuermitteln und den in Bayern zusätzlich erhobenen Abgaben wurden in München die 1926 erstmals initiierten „Sonderbauprogramme" zum Markenzeichen des öffentlich unterstützten Wohnungswesens. Bei ihrer Finanzierung kamen nicht die sonst in der öffentlichen Förderung üblichen Darlehensvergaben zur Anwendung, sondern es wurden gemeindliche Mittel zur laufenden Verzinsung und Tilgung von Baugeldern eingesetzt, die auf herkömmlichem Wege und zu den marktüblichen Sätzen bei Kreditinstituten beschafft werden mußten. Durch diese Zins- und Tilgungszuschüsse konnten die Mieten in den Sonderprogrammbauten von der Stadt auf niedrigere Sätze festgelegt werden, als der Bauherr angesichts seiner Belastungen sonst hätte fordern müssen93, und außerdem kamen mehr Wohnungen zum Zuge als bei der Vergabe regulärer Darlehen. Allerdings sah der städtische Wohnungsreferent Karl Preis auch schon zur Entstehungszeit der Programme vorher, daß die Zinszuschüsse „den gemeindlichen Haushalt auf einen Zeitraum von mindestens 15 Jahren hinaus ziemlich bedeutend" belasten würden94. Dies galt um so mehr, als die Förderung in der Folgezeit großzügig ausgeweitet wurde. er,

Tab. 12: Die mit öffentlichen Mitteln finanzierten

Jahr

Wohnungen in München 1924-192795 Geförderte Wohnungen im Bauprogramm im Sonderbauprogramm

1924 1925 1926 1927

Quelle: Helmreich, Finanzierung, S.

1428 1606 1543 1536

977 2068

130.

Zehn Jahre nachdem das Wohnungswesen erstmals hauptamtlich einem Referenten übertragen worden war96, übernahm 1927 mit Karl Preis ein Stadtrat das Wohnungsreferat, der entschieden für die Übernahme von mehr städtischer Verantwortung auf dem 1926 wurde die Miete auf 90 Pfg./qm in den Sonderbauprogrammbauten festgelegt, Preis, Beseitigung der Wohnungsnot, S. 56. Darin wird deutlich, daß dieses System im Vergleich zu einer Beleihung mit Hauszinssteuermitteln keine besonders günstigen Tarife erlaubte, wohl auch wegen des hohen Aufwands, den die oft großen Hausverwaltungen bei den Sonderbauprogrammbauten erforderten. In den mit öffentlichen Darlehen geförderten Kleinwohnungsbauten war um die gleiche Zeit ein Mietsatz von 65 bis 90 Pfg./qm üblich. K. Meitinger, Grundriß und Gestaltung des Münchner Wohnhauses nach dem Weltkriege, in: Gut (Hrsg.), Wohnungswesen der Stadt München, S. 131-150, hier 140. Preis, Beseitigung der Wohnungsnot, S. 56. Tatsächlich wurde es zu einem ständig wiederholten Monitum der nationalsozialistischen Stadtführung, daß die Belastungen aus den Sonderbauprogrammen eine ausreichende Inangriffnahme neuer Bautätigkeit behindern würden, vgl. unS. 284. ten,

Die Darlehen des Staates und der Stadt beliefen sich in diesem Zeitraum auf knapp 48 Millionen RM, dazu kamen Sparkassenmittel in den Sonderbauprogrammen in Höhe von 24 Millionen RM. Zu den Förderungsmitteln vgl. Preis, Beseitigung der I, Wohnungsnot, S. 59 und S. 51. Die hier genannten Zahlen für die einzelnen Jahre weichen von denen in Tab. 11Anlage ab, weil es sich nicht um fertiggestellte, sondern im Jahresprogramm finanzierte Wohnungen handelt. 1917 hatte Rechtsrat Matthias Mayr das Wohnungsreferat übernommen, nach dem Krieg löste ihn Karl Helmreich, der gleichfalls Jurist war, als Wohnungsreferent ab und führte das Ressort

180

II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

Bausektor eintrat. Bei seinem Amtsantritt war es noch keineswegs gelungen, das in Krieg und Inflation angestaute Defizit zu verkleinern, nicht einmal mit dem jährlichen Neubedarf hatte die Bautätigkeit Schritt halten können. So ergab sich nach den Feststellungen der Reichswohnungszählung von 1927 eine Zahl von 33005 Wohnungssuchenden in München, von denen 19 702 angaben, ohne selbständige Wohnung zu sein97. Preis wollte sich nicht länger mit der Aufstellung halbjährlicher Bau- und Sonderbauprogramme zufriedengeben, er schlug der Stadt ein auf drei Jahre angelegtes „Gesamtbauprogramm" vor, das gleichsam den gezielten Befreiungsschlag aus der Wohnungskrise darstellen sollte. Die Aufgabe der Stadt in diesem Programm sah Preis in erster Linie darin, für den Bau einer genügenden Zahl von Kleinst- und Kleinwohnungen zu sorgen, die den Genossenschaften und den Privaten häufig als nicht attraktiv gälten98. Dem gemeindlichen Regiebau haftete aber vor allem bei den bürgerlichen Parteien ein schlechter Ruf an99, etwa weil sie eine zu starke Belastung der Stadtverwaltung oder die zu geringe Achtung der Mieter vor gemeindlichem Eigentum befürchteten. Preis dachte daher von vornherein an die Gründung einer Gesellschaft für die konkreten Bauaufgaben, bei der die Stadt dann Mehrheitseignerin sein sollte100. Selbst diese Konstruktion erschien der Bayerischen Volkspartei im Stadtrat noch zu gewagt, die Stadt sollte selbst als Gesellschafterin nicht beteiligt werden. Ein Kompromiß wurde schließlich in der Gründung der „Gemeinnützigen Wohnungsfürsorge A.G. München" (Gewofag) gefunden, die eine „Aktiengesellschaft privatwirtschaftlichen, wenn auch unbedingt gemeinnützigen Charakters" darstellte101. Die Bayerische Gemeindebank (Girozentrale), das Bankhaus Aufhäuser, die Bauunternehmen Heilmann & Littmann, Leonhard Moll und Karl Stöhr gründeten die Gesellschaft mit einem Aktienkapital von 500 000 RM. Durch vertragliche Vereinbarungen war die Gewofag aber von vornherein eng an die Stadt gebunden. Zum Beispiel waren Aktien nur mit Zustimmung der Stadt zu verkaufen, und die Stadt erhielt eine nach zehn Jahren in Kraft tretende Option auf sämtliche ausgegebenen Aktien. Nach den Grundsätzen der Gemeinnützigkeit durfte eine Dividende von höchstens fünf Prozent des eingezahlten Grundkapitals ausgeschüttet werden. Den Vorsitz im Aufsichtsrat übernahm Preis selbst, von den übrigen 13 Aufsichts-

97

98 99

00 01

bis zum Amtsantritt von Karl Preis 1927. Während Preis aus dem mittleren Verwaltungsdienst kam, wurde mit Guido Harbers 1933 erstmals ein Architekt und Bauexperte zum Wohnungsreferenten in München berufen. Den tatsächlichen Neubedarf nahm Preis allerdings um einiges geringer an, weil längst nicht alle Wohnungssuchenden sich tatsächlich eine neue Wohnung leisten könnten. Er kam nach ausführlichen Berechnungen (S. 66-76) zu dem Schluß, „daß ein Gesamtbauprogramm zur Beschaffung von 12 000 neuen Wohnungen zunächst genügen dürfte. Dazu kommen voraussichtlich als regelmäßiger künftiger Bedarf noch jährlich 1 500-2 000 Wohnungen." Preis, Beseitigung der Wohnungsnot, S. 76.

Vgl. ebenda, S.

129. Was den Sozialdemokraten vielfach als mustergültiges Beispiel des Munizipalsozialismus in der Wohnungsfrage galt, war in bürgerlichen Augen geradezu das Schreckgespenst kommunalen Überengagements für den Wohnungsbau: das „rote Wien", in dem die sozialdemokratische Stadtregierung auf der Basis einer jedoch keineswegs ausreichenden Wohnungsbauabgabe in großem Stil „Arbeiterwohnpaläste" finanzierte und damit selbst „zum größten Hausbesitzer der Welt" avancierte. Vgl. zum Modellcharakter Wiens Lehnen, Kommunale Politik, S. 223-

258, hier 247.

Preis, Beseitigung der Wohnungsnot, S. Gewofag München, Kurzer Abriß, S. 8.

118-120.

3.

Wohnungsmarkt und Wohnungsbau zwischen den Weltkriegen

181

ratsmitgliedern gehörten einige der Verwaltung oder dem Rat der Stadt an (darunter Fritz Beblo und Karl Meitinger vom Hochbauamt), daneben waren die beteiligten Ban-

ken und Unternehmen, die Architektenschaft und auch der Staat Bayern vertreten102. Vom Gesamtbauprogramm der Stadt über 12000 Wohnungen, das der Stadtrat am 24. April 1928 bereits einstimmig beschlossen hatte, sollte die Gewofag knapp die Hälfte übernehmen. Sechs Großsiedlungen der Gewofag mit zusammen 5 735 Wohnungen, daneben 1 784 Wohnungen von privaten Bauherren und 4 481 von Baugenossenschaften waren bis in das Jahr 1930 geplant103. Von den Gewofag-Siedlungen entstanden letztlich nur fünf, ihre Größenordnung ließ sie aber geradezu zum Markenzeichen des Münchner Wohnungsbaus in den letzten Jahren der Weimarer Republik werden104. 5 429 Wohnungen mit 17953 Inwohnern einer Zahl, die der Bevölkerung Rosenheims entsprach lautete die Bilanz der Gesellschaft aus dem Gesamtbauprogramm 1928 bis 1930, das sich insgesamt auf 12 756 Wohnungen belief, also dem geplanten Umfang entsprach105. In den Großsiedlungen in Neuramersdorf, am Walchenseeplatz und in Neuhausen entstanden überwiegend Kleinwohnungen mit zwei bis drei Zimmern, die kleinen Typen um die 50 qm und nicht alle mit eigenem Bad ausgestattet, daneben aber auch größere und komfortablere Typen bis zu 100 qm Wohnfläche. Vergleichbar dem in der Borstei vorexerzierten Autarkiemodell erhielten auch die Siedlungen der Gewofag Gemeinschaftseinrichtungen, am Walchenseeplatz etwa eine Zentralwäscherei mit einer Badeanstalt, Läden, Werkstätten und eine Kinderbetreuungseinrichtung106. In Neuramersdorf wurde eine eigene Kinderreichen-Siedlung integriert mit 208 Wohnungen, für die die Stadt besondere Mietverbilligungszuschüsse leistete107. Vorherrschend war die Zeilenbauweise bis zu drei Obergeschossen, die sich bis Ende der zwanziger Jahre als modernen Ansprüchen am besten genügende Form des Mietshausbaus durchgesetzt hatte108. In den zwei anderen Siedlungen der Gewofag in Neuharlaching und Friedenheim dominierte der Flachbau mit kleinen Einfamilienhäusern, häufig in Reihenbauweise. Sehr deutlich ist bei diesen Grundrissen das Kleinhausideal, das auch bei noch so kleiner Wohnungsgröße dem individuellen Familienwohnen den Vorzug gab. So entstanden etwa in Harlaching Typen, bei denen zwei Wohnungen von etwa 50 qm Fläche übereinander in ein Haus mit Garten gebaut wurden: „Dies ermöglicht einer Familie im Erdgeschoß mit ihren Eltern im Obergeschoß gleichsam wie im Eigenheim bei durchaus tragbarer Miete zu wohnen."109 -

-

102

Preis, Kurzer Abriß, S. 16-20. Dieser Schriftsatz ist nicht identisch mit dem in Anm. 101 genannten, aber diente

103

104 105 106

107 108

109

offensichtlich als Vorlage für jenen.

Preis, Kurzer Abriß, S.

12.

Vgl. dazu den Katalogteil in: Die Zwanziger Jahre, S. 400-415. Preis, Kurzer Abriß, S. 41f.

Adam, Neue Wege, S. 185. Zur Beschreibung der Gewofag-Siedlungen vgl. auch: Max Schoen, Die fünf grossen Siedlungen der Gemeinnützigen Wohnungsfürsorge A.-G. München, in: Baukunst 6 (1930), S. 163-196. Verwaltungsbericht 1930-1932, S. 154. „Dieses Gruppieren aller Wohnbauten nach der günstigsten Sonnenlage ist wohl städtebaulich der größte Fortschritt gegenüber älteren Anlagen und wird in München zum ersten Male in großem Maßstabe bei den Siedlungen der Gemeinnützigen Wohnungsfürsorge A.G., München, durchgeführt." Die Siedlungen der Gewofag, S. 24. Ebenda, S. 32. Vgl. zu der Harlachinger Siedlung auch Adam, Neue Wege, S. 189-193.

II. Wohnungspolitik als

182

Handlungsfeld

Während das Gesamtbauprogramm im Jahr 1928 noch glatt abgewickelt werden konnte, machten sich bereits Ende 1929 die Krisensymptome deutlich bemerkbar. 1930 war Preis dann gezwungen, die Ausführung des Programms zu unterbrechen, weil die Stadt sich die Bezuschussung nach den bisherigen Finanzierungsplänen nicht mehr leisten konnte. Nach Ansicht des Wohnungsreferenten war diese Konsequenz der Wirtschaftskrise „höhere Gewalt, die trotz aller Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt niemand voraussehen konnte". Er empfahl dem Stadtrat, sich nicht weiter an der Wohnungsbaufinanzierung zu beteiligen, um ein Zeichen gegen die Politik des bayerischen Staates zu setzen, der die „begründete Forderung auf verstärkte Zuweisung von Mietzinssteuermitteln vollkommen unbeachtet ließ"110. Die Zahlenbilanz des Gesamtbauprogramms nahm dennoch keinen Schaden, weil ein zusätzliches Reichswohnungsbauprogramm und die Tätigkeit der „Münchener Siedlungsbau G.m.b.H." für Ersatz sorgten111. Tab. 13:

Öffentliche Wohnungsbauförderung in München 1928-1932

Gesamtbau 1928/30112 1931

1932113

Whgen.

Reich

Staat: Haus-

(RM)

zinsst.(RM)

12756 582 580

2000000

23545100 2625200 287050

1240720 -

Stadt: Hauszinsst. (RM)

Stadt. Spar-

17059750

32850300

kasse(RM)

Quelle: Preis, Kurzer Abriß, S. 35. Die Tabelle

zeigt nur die Baudarlehen, die die Stadt aus Hauszinssteuermitteln oder Hypotheken der Städtischen Sparkasse ausgab. Da fast zwei Drittel der im Gesamtbauprogramm erstellten Wohnungen aber über Sonderbauprogramme finanziert wurden, kamen noch erhebliche Zins- und Tilgungszuschüsse hinzu, die von 1,7 Millionen Reichsmark 1928 auf 5,6 Millionen 1931 stiegen114. Trotz der hohen Aufwendungen der Stadt konnte das Wohnungsproblem in München zu Beginn der dreißiger Jahre noch nicht als gelöst betrachtet werden. Gegenüber der Zählung von 1927 ergab eine erneute Zählung zu Beginn des Jahres 1930 kaum eine Veränderung, wieder wurden rund 20 000 Wohnungssuchende ohne selbständige Wohnung festgestellt. Die Ursache für diese ungünstige Bilanz war im anhaltenden Zuzug nach München zu suchen, der an erster als

Stelle dafür sorgte, daß sich die Stadtbevölkerung im Zeitraum zwischen den beiden Zählungen um über 30 000 Personen vergrößerte. „Die Lösung der Wohnungsfrage für München ist heute gewissermaßen zur Frage der Zuwanderung von Menschen nach München und deren Unterbringung in München geworden."115 110 111

1,2

113 114

115

Preis, Kurzer Abriß, S. 13 (beide Zitate). Es handelte sich um 505 Wohnungen im zusätzlichen Reichswohnungsbauprogramm 1930 und 1 066 Wohnungen, die die Münchener Siedlungsbau an der Pilgersheimer Straße errichten ließ; Preis, Kurzer Abriß, S. 13. Auch im Gesamtbauprogramm gliederte sich die Finanzierung nach ordentlichen und Sonderbauprogrammen, was hier nicht getrennt wurde. Die Gewofag-Bauten fielen größtenteils in das Sonderbauprogramm. Zum größten Teil Reichskleinsiedlungen des ersten und zweiten Abschnitts. Vgl. Kap. ULI. Preis, Kurzer Abriß, S. 39. Zitat von Prof. Morgenroth, von Preis in der Sitzung des Wohnungsausschusses vom 9.4.1930 verwendet, in der ausführlich über die Ergebnisse der Wohnungssuchenden-Zählung vom Ja-

3. Wohnungsmarkt und Wohnungsbau zwischen den Weltkriegen

183

Die einbrechende Weltwirtschaftskrise löste das Problem auf ihre Art; die Großstadt verlor an Attraktivität und die Wanderungsbilanz kehrte sich vorübergehend sogar ins Negative um116. Allerdings ging auch der öffentlich geförderte Wohnungsbau auf ein Minimum zurück, 1932 blieben fast nur noch die mit Reichsdarlehen gebauten Kleinsiedlungshäuser, die von ihrer Anzahl her kaum geeignet waren, zur Lösung des Wohnungsproblems maßgeblich beizutragen117. Die staatliche Bauförderung entfiel zum allergrößten Teil, weil das Aufkommen der Mietzinssteuer und der Wohnungsbauabgabe nur noch für allgemeine Etatzwecke eingesetzt wurde und lediglich einige Rückflüsse aus früheren Darlehensvergaben zur Verfügung gestellt wurden118. Kennzeichnend für den Wohnungsmarkt dieser Phase war seine weitere Segmentierung. Auf dem Wohnungsamt drängten sich täglich um die 500 Wohnungssuchende, die fast alle kleine Wohnungen mit ein bis zwei Zimmern und vor allem zu günstigen Mietpreisen benötigten119. Auf der anderen Seite kam es zu einem Überhang bei den großen und teuren Wohnungen. Gerade viele Neubauvermieter hatten Schwierigkeiten, für ihre besseren Wohnungen zahlungsfähige Mieter zu finden120. Das führte dazu, daß auf dem Neuwohnungssektor die Mieterschutzbestimmungen, die seit 1927 in Bayern auf die öffentlich geförderten Neubauwohnungen ausgedehnt worden waren, sogar gelockert werden konnten. So galt für München ab dem 1. Januar 1932, daß auch die mit öffentlichen Mitteln erstellten Neubauwohnungen ohne Einbeziehung des Wohnungsamtes und auch an nicht vorgemerkte Wohnungssuchende vermietet werden durften121. Die Klientel des Wohnungsamtes indessen rekrutierte sich überwiegend aus Familien, die aufgrund ihrer desolaten Einkommenssituation ihre Wohnansprüche auf niedrigsten Standard herunterschrauben mußten und für die in der Regel keine Neubauwohnung in Frage kam. Aber auch ein typisches Krisenphänomen trat auf, das nachfragesenkend wirkte: Weil sie es sich nicht leisten konnten, mußten potentielle Wohnungsanwärter auf eine eigene Haushaltsgründung verzichten und sich mit ihrer bisherigen Wohnsituation arrangieren122. 1930 und die Durchführung des restlichen Gesamtbauprogramms 1930 beraten wurde, MGZ 59 (1930), S. 595-624, hier 597. Statistisches Handbuch der Hauptstadt der Bewegung, S. 55. nuar 116 117

118

119 120

Vgl. Denkschrift von Karl Preis „Die derzeitige Lage des Wohnungsmarktes in München", 1.6.1932, in: StadtAM, Kämmerei Nachträge 1894, S. 17. Neben den 400 im Jahr 1932 geförderten Reichskieinsiedlerstellen gab es noch einige Überhänge aus den Bauprogrammen 1930/31, während im Bauprogramm 1932 nur 130 Wohnungen mit staatlichen Baudarlehen ge-

fördert werden sollten. Für München waren das ganze 330 000 RM, was bei einer Förderungsquote von 2 500 RM pro Wohnung rund 130 Wohnungen ergab, vgl. Preis, Derzeitige Lage, S. 15f., und Bayerischer Kurier vom 29.5.1932: „München kann 130 Wohnungen bauen." Das Ergebnis war dann noch deprimierender; zu Beginn des Jahres 1933 gab Preis bekannt, daß im staatlichen Bauprogramm 1932, „wenn man in dem Fall überhaupt von einem Bauprogramm sprechen kann", insgesamt 52 Häuser mit 88 Wohnungen belehnt worden seien. Vgl. dazu Sitzung des Woh-

nungsausschusses vom 18.1.1933, MGZ 62 (1933), S. Preis, Derzeitige Lage (wie Anm. 117), S. 4ff. Vgl.

122

11.

auch Abteilung Wohnungsfürsorge im Wohlfahrtsreferat an den Referenten, 23.8.1932, ebenfalls konstatiert wird, daß die Inhaber teurer Neubauwohnungen mittlerweile „auf der Suche nach billigen Altwohnungen" seien, StadtAM, Sozialamt 3594. Münchener Zeitung vom 14.715.11.1931: „Neubauwohnungen werden freigegeben." Ein Indiz sind in diesem Zusammenhang die Eheschließungsziffern, die 1931 auf 6 437 sanken, wo

121

(3 000 Wohnungen)

184

II.

Fatal wirkte sich der

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

Konjunktureinbruch für die Gewofag aus, die das Gesamtbau-

programm der Jahre 1928-1930 fast zur Hälfte getragen hatte. Die neuerrichtete Gesell-

schaft hatte sich damit innerhalb kürzester Zeit einen riesigen Wohnungsbestand zugelegt, aus dem die Einnahmen nicht in erwartetem Maße die Kosten deckten. Die Gewofag blieb zudem für geraume Zeit auf Grundstücken sitzen, für deren Kauf sie Zwischenkredite aufgenommen hatte, ohne sie in der Krisenzeit bebauen zu können. Hohe Zinsausgaben ohne entsprechende Mieteinnahmen waren die Folge. Nach der Machtübernahme konnte man zwar auf die Fehlwirtschaft der „Systemzeit" schimpfen, die Verantwortung der Stadt für die Gewofag zwang sie aber dennoch, die Sanierung der bankrottreifen Gesellschaft zu übernehmen, sollte die nationalsozialistische Wohnungspolitik nicht gleich mit einem Fiasko beginnen123.

Wohnungsmarktes im Nationalsozialismus In diesem Abschnitt werden in knapper Form einige Grundprobleme und Tendenzen des Münchner Wohnungsmarktes in den dreißiger Jahren skizziert. Es geht um die materielle Wohnungssituation im nationalsozialistischen München, um den Wohnungsbestand und den Fehlbedarf und deren jeweilige Entwicklung. Damit soll die notwendige Folie entstehen, vor der die konkreten Maßnahmen der Wohnungspolitik, ihre Absichten und Ergebnisse in weiteren Kapiteln der Arbeit im einzelnen analysiert werden Die Entwicklung des

-

können. Als in der nationalsozialistischen Stadtverwaltung Guido Harbers mit dem Wohnungsreferat betraut wurde, sparte er nicht mit Kritik an dem „schweren Erbe", das er zu übernehmen habe. Tatsächlich hatte die Stadt mit den anhaltenden Belastungen aus den Sonderbauprogrammen zu kämpfen, und sie war finanziell gefordert, als es darum ging, die Gewofag vor dem Konkurs zu retten. Die Verpflichtungen aus den Sonderbauprogrammen etwa beliefen sich bis in den Zweiten Weltkrieg hinein auf jährlich zunächst fünf Millionen, später noch immer vier Millionen Reichsmark124. Das waren beträchtliche Summen, hält man dagegen, daß die nationalsozialistische Stadt selbst bis 1942 insgesamt nur etwa 14 Millionen Reichsmark für Wohnbauzwecke ausgab125. Analog zu der vom Reich vorgegebenen Politik ging in München der Trend nach 1933 dahin, die öffentlichen Leistungen für den Wohnungsbau zurückzuschrauben. Der Wohnungsmarkt hätte zum Zeitpunkt der Machtübernahme allerdings eine andere Politik

nahegelegt. Einen Anhaltspunkt für die Wohnungssituation

zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft liefert die Volkszählung vom 16. Juni 1933, bei der auch leerstehende Wohnungen erhoben wurden. In München wurde zudem eine Nacherhebung veranstaltet, weil Guido Harbers und das Statistische Amt der Stadt etwas detailliertere Auf-

123

124

125

nachdem es im Vorjahr noch um 1 000 mehr gewesen waren, und 1932 weiter auf 6 136 fielen, Statistisches Handbuch der Hauptstadt der Bewegung, S. 39. Dazu unten, S. 299ff. Aufstellung des Stadtkämmerers betr. „Wohnungsfürsorge", 27.2.1942, Punkt 3, StadtAM, WARE Unten, S. 283.

3.

Wohnungsmarkt und Wohnungsbau zwischen den Weltkriegen

185

Schlüsse über den Leerwohnungsbestand erlangen wollten126. Mit einer Zahl von 1 422 leerstehenden Wohnungen, das entsprach rund 0,7 Prozent des Wohnungsbestandes, hatte sich die Angebotssituation zwar scheinbar gegenüber den Stichjahren 1918 und 1927 verbessert. Damit lag München aber im Reichsvergleich noch immer auf der schlechten Seite127. Vor allem aber war dieses Angebot kaum dazu angetan, den Ausgleich am Wohnungsmarkt herbeizuführen: Von der Gesamtzahl entfiel mit 556 Wohnungen der höchste Anteil (39,1 Prozent) auf Großwohnungen mit mehr als fünf Zimmern, 542 waren größere128 Drei- und Vier-Zimmer-Wohnungen (38,1 Prozent), und lediglich 324 Wohnungen gehörten in die Kategorie Kleinwohnungen (22,8 Prozent). Nur bei letzteren aber stiegen die Mietpreise im allgemeinen nicht über 800 RM im Jahr und blieben damit im günstigen Bereich. Das am meisten nachgefragte Segment am Wohnungsmarkt bildeten daher gerade solche Klein- und der untere Bereich der Mittelwohnungen. Bezeichnend dafür ist, daß von den „sofort beziehbaren" Kleinwohnungen am Zähltag bereits 46 Prozent wieder vermietet waren, aber nur 31 Prozent der Mittelwohnungen und 18 Prozent der Groß Wohnungen129. Für die Statistiker waren diese Ergebnisse unschwer zu deuten130: Nicht nur der säkulare Trend zur Verkleinerung der Familiengröße, auch die zum Teil dramatischen Verschlechterungen des Einkommens- und Lebensstandards in der Weltwirtschaftskrise hatten den Bedarf an Großwohnungen wesentlich zurückgehen lassen, während Kleinwohnungen noch mehr als zuvor gefragt waren. Das betraf besonders die Schichten, die vorher bevorzugt komfortablere Wohnungen angemietet hatten, so etwa auch die Angestellten, bei denen die Pauperisierung später einsetzte, dann aber der der Arbeiterschicht folgte131. In der sich konsolidierenden wirtschaftlichen Situation nach 1933 ging der Überhang an großen Wohnungen bald zurück. Die Kleinwohnungsnot aber blieb das anhaltende Problem des Wohnungsmarktes im nationalsozialistischen München. Förderinstrumente wie die Reichszuschüsse für Umbauten und Instandsetzungen, die gerade auch gedacht waren, um die Teilung großer Wohnungen mitzufinanzieren, konnten nur in kleinem Umfang zur Erleichterung der Situation beitragen. Das belegte sehr nachdrücklich eine Umfrage unter Wohnungssuchenden, die die Stadt im Februar/März 1935 durchführte. Harbers, der ja schon mit der Nacherhebung von 1933 sein Interesse an detaillierten Zahlen dokumentiert hatte, und Fiehler wollten damit genaue Kenntnis erlangen, in welchen Sektoren des unzweifelhaft angespannten Wohnungsmarktes der Bedarf besonders akut sei132. Außerdem sollte offensichtlich in politischer Absicht -

-

126

127

128

129 130

131

132

Ausführlich zu Ursprung und Ergebnissen der Erhebung: Leerstehende Wohnungen in München, in: Münchener Wirtschafts- und Verwaltungs-Blatt 9 (1933/34), S. 45-55. Hier auch zum

Folgenden.

Im Reichsdurchschnitt lag der Leerwohnungsbestand bei 1,3%; zu den Ergebnissen im Reich und ihrer Analyse Führer, Anspruch und Realität, S. 226-229. Nur Drei-Zimmer-Wohnungen mit bewohnbaren Nebenräumen wurden als Mittelwohnungen gezählt, die anderen waren Kleinwohnungen. Vgl. Tab. 14, unten, S. 187. Alle Zahlen nach: Leerstehende Wohnungen in München (wie Anm. 126), S. 46-48. Ebenda, S. 51. Vgl. Brunner, Arbeitslosigkeit, S. 85: „Ein wesentliches Charakteristikum der Zunahme von Arbeitslosigkeit bestand in der schrittweisen Durchdringung aller Qualifikationsebenen von unten nach oben." Hier werden auch Zahlen zur Zunahme der Erwerbslosigkeit bei den Angestellten während der Krise genannt. Vgl. Hauptausschußsitzung vom 21.2.1935, MGZ 64 (1935), S. 67f.

186

II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

nachgewiesen werden, daß die Bauprogramme von Harbers' Vorgänger Preis am tatsächlichen Bedarf vorbeigezielt hätten. Nicht etwa Versäumnisse der ersten zwei Jahre nationalsozialistischer Wohnungspolitik, sondern die „Altlasten" der Stadt standen zur Debatte, als im Wohnungsausschuß über die Ergebnisse der Umfrage diskutiert wurde133. Die Teilnahme an der Aktion, die nur für die Fälle vorgesehen war, „in welchen Wohnungsnot vorliegt oder eine zwingende Notwendigkeit zum Wohnungswechsel gegeben ist"134, war mit 12444 ausgefüllten Bögen in 14 Tagen als durchaus rege zu betrachten. Das entsprach zwar nur gut fünf Prozent aller Haushaltungen, aber angesichts der Einschränkung auf Wohnungssuchende, der Freiwilligkeit der Beteiligung und der bekannten Scheu vor Ausfüllung solcher Fragebögen kann die Zahl doch als Indiz für die verbreitete Wohnungsproblematik gelten. Manche mochten ihre Teilnahme vielleicht mit der Hoffnung auf eine baldige Lösung ihrer persönlichen Wohnungskrise verbinden, obwohl die Bekanntmachung ausgesprochen betont hatte, daß „mit der Ausfüllung der Fragebogen kein Anspruch auf Wohnungszuteilung entsteht"135. Ausgeschieden wurden drei Bedarfskategorien: 6,6 Prozent (826) der Teilnehmer interessierten sich für ein Eigenheim, zweieinhalbmal so viele, nämlich 16,7 Prozent (2 078), für eine Siedlerstelle, der weit überwiegende Teil, 76,7 Prozent (9 540), aber war auf der Suche nach einer Mietwohnung. In der letzten Kategorie waren es wie erwartet die kleinen und billigen Wohnungen, die die Liste anführten: Dreiviertel aller gesuchten Mietwohnungen (7100) sollten zwischen eineinhalb und dreieinhalb Räumen haben und sich in einer Preisspanne zwischen 21 und 40 RM pro Monat bewegen. Als Idealform zumindest angesichts der realen Einkommensverhältnisse kristallisierte sich die DreiRaum-Wohnung mit Wohnküche und zwei Schlafzimmern heraus, deren Monatsmiete bei 26 bis 30 RM lag136. Wie korrespondierte nun die faktische Bautätigkeit mit diesem Ergebnis, inwieweit kam sie dem skizzierten Bedarfsprofil nahe? Tabelle 14 zeigt, daß in der ersten Phase bis einschließlich 1935 der Kleinwohnungsbau in München bei der Neubautätigkeit zwar schon überwog, aber in den Jahren erhöhter Baukonjunktur seit 1936 nochmals deutlich zunahm. Das entsprach dem Trend anderer deutscher Großstädte137. 1938, in dem Jahr, als die Bauproduktion bereits wieder einzubrechen begann, erreichte der Kleinwohnungsbau prozentual einen neuen Höhepunkt. Damit spiegelt sich in München ebenfalls sehr deutlich der Umschwung von einer zurückhaltenden Kleinwohnungsförderung zu einer Begünstigung der Arbeiterwohnstätten und Volkswohnungen. Die geförderte Volkswohnung erlaubte in der Regel nicht mehr als den Drei-Raum-Grundriß, der ja auch bei der Erhebung von 1935 als besonders gesuchter Wohnungstyp erschienen war. Dieser Typ wurde vor allem von der Münchner Siedlungsgesellschaft GWG, aber auch der Gewofag und einigen ande-

-

133

Vgl. Sitzung des Wohnungsausschusses vom 27.3.1935, StadtAM, RP 708/6. Nicht nur an die-

Stelle konnte sich Harbers gar nicht genugtun, die seiner Ansicht nach verfehlte Politik seiVorgängers scharfer Kritik zu unterziehen. Die Bekanntmachung des Stadtrats vom 25.2.1935 über die „Meldung der Wohnungsuchenden und Siedlungsbewerber in München", die auch an den Litfaßsäulen ausgehängt wurde, ist abgedruckt in: MGZ Amtliche Bekanntmachungen 64 (1935), S. 69. Ebenda. Der Wohnungsnachweis berichtete jedenfalls auch von einer erhöhten Besucherfrequenz im Gefolge der Umfrage, Bericht des Städtischen Wohnungsnachweises, 7.6.1937, S. 2, ser

nes

134

135

136 137

-

StadtAM, Wohnungsamt 56.

Ergebnisse nach der Wohnungsausschußsitzung vom 27.3.1935, StadtAM, RP 708/6. Vgl. Tab. 9, oben, S. 132.

3.

Tab. 14:

Jahr

Wohnungsmarkt und Wohnungsbau zwischen den Weltkriegen

Wohnungszugang nach Wohnungsgrößen in München 1933-1938 Kleinere Whgn.1) Mittlere Whgn. Größere Whgn.

1933 1934 1935 1936 1937

in%

in%

54,C 55,1 57,8

1 191 1712 1989 3 014 3 362 3 098

63,4 63,6 74,2 62,5

825 1098 1137

1383 1522

37,4 35,3 33,1 29,1 28,8

in%

188 299 312 357 406 1077

8,5 9,6 9,1 7,5 7,7

187

Gesamtzugang2) in %

2204 3109 3438 4754 5290 4175

100 100 100 100 100 100

groß. W. zusammen 25,8 100 22970 insgesamt groß. W. zusammen 8604 37,5 ') Die Definition der Münchner Statistik zur Kleinwohnung ist relativ kompliziert, weil sie zwi19383)

14 366

mittl. u. mittl. u.

schen Zimmern und bewohnbaren Nebenräumen (Küchen, Kammern etc.) trennt. Als „kleinere

Wohnungen" gelten hier Wohnungen mit 0-2 Zimmern, ferner mit 3 Zimmern ohne bewohnba-

Nebenräume. 3 Zimmer mit bewohnbaren Nebenräumen werden bereits unter die mittlere gerechnet, genauso die 4-Zimmer-Wohnungen. Eine 4-Raum-Wohnung, in der nur 2 Zimmer und 2 Kammern sind, gilt aber als Kleinwohnung. Ab 5 Zimmern handelt es sich um größere Wohnungen. Quelle für diese Definition und die Tabelle: Statistisches Handbuch der Hauptstadt der Bewegung, S. 61f.; für 1938: Tabelle über den „Münchener Wohnungsbau im Jahre 1938" des Statistischen Amtes vom 21.1.1939, StadtAM, PR re

Größe

83/6, 354.

2) Zugang durch Neubau und Umbau. 3) Für 1938 ist der Kleinwohnungsanteil wie in Fußnote ) beschrieben ermittelt. Eine Statistik, in der nach dem gleichen Muster nach mittleren und größeren Wohnungen unterschieden wurde,

lag jedoch nicht vor.

ren

Unternehmen in

den, verwirklicht138.

großen Anlagen, von denen gerade 1938 einige fertiggestellt wur-

Vergleicht man mit der Hauszinssteuerära, so schneidet die Kleinwohnungsproduktion der nationalsozialistischen Stadt etwas besser ab, allerdings keineswegs in einem solchen Ausmaß, wie Harbers es glauben machen wollte. Auch 1929 waren im Gesamtbauprogramm über 70 Prozent Kleinwohnungen erstellt worden, und was für 1930 bereits als „mittlere Wohnungen" erscheint, waren zu einem sehr hohen Anteil Wohnungen, die drei Zimmer und bewohnbare Nebenräume hatten139. Tab. 15:

Wohnungszugang nach Wohnungsgrößen in München 1925-1930 Kleinere Whgn. Mittlere Whgn. Größere Whgn. Jahr in%

1925 1926 1927 1928

1247 1360 1760 2 340

1929

3 644 2 813 13164

52,1 58,5 55,9 50,9

in%

856 841 1259 2056

35,8 36,2 40,0 44,7

in%

291 124 129

12,1 5,3 4,1 4,4

Gesamtzugang in %

2394 2325 3148 4599 5149 4 909 22524

100 100 100 100

203 1266 239 70,8 100 24,6 4,6 1930 1944 152 57,3 39,6 100 3,1 1925-30 8222 1138 58,4 100 36,5 5,1 Quelle: Statistisches Handbuch der Stadt München (1928), S. 48, 52. Statistisches Handbuch der Hauptstadt der Bewegung (1938), S. 61f.

Vgl. dazu StadtAM BRW 78/1, Bund 8. 1930 waren von den 1 944 „mittleren Wohnungen" 1 651 3-Zimmer-Wohnungen mit bewohnbaren Nebenräumen, Statistisches Handbuch der Hauptstadt der Bewegung, S. 62.

II. Wohnungspolitik als

188

Handlungsfeld

Im Unterschied zur Hauszinssteuerära waren es in der Hochkonjunkturphase nationalsozialistischer Bautätigkeit vor allem die privaten Bauherren, die die Wohnungsproduktion in München trugen. 1936 stand das Verhältnis zwischen privaten und gemeinnützigen bzw. öffentlichen Bauvornahmen drei zu eins, 1937 betrug es immer noch zwei zu eins140. Erst 1938 näherten sich die gemeinnützigen Gesellschaften in München mit der deutlich erhöhten Volkswohnungsproduktion dem Anteil der privaten Bauherren141. Die Verschiebung kam allerdings auch durch den Rückgang des privaten Wohnungsbaus zustande, der jetzt als erster den Arbeitskräftemangel und die Knappheit an Baumaterialien spürte, die aus der Forcierung der Rüstungsproduktion resultierten142. Daß gerade in der ersten Phase des „Dritten Reiches" der private Bausektor sich im Aufwind befand, ist neben einer allmählichen Verbilligung der Kapitalzinsen143 auch auf die Entwicklung der Baukosten zurückzuführen, die nach ihrem Einbruch in der Weltwirtschaftskrise nur langsam wieder anstiegen und noch keinesfalls den Stand erreichten, den sie auf dem Höhepunkt der Hauszinssteuerära innehatten. Allerdings, und das wird bei der Schilderung einzelner Bauprogramme deutlich werden, lagen die Baukosten in München konstant über den Reichsdurchschnitten und erschwerten von daher die Durchführung von Bauvorhaben nach vorgegebenen Reichsbestimmungen.

Tab. 16: Baukostenindex in München im Jahresdurchschnitt 1928-1938 (1928/30 1928 1929 1930 1931 1932 1933

100,4 101,7 98,0 90,7 76,4 73,6

1934 1935 1936 1937

19381)

=

100)

77,6 76,9 76,0 76,3 77,0

') Die Angabe für 1938 beruht nur auf den Monaten Januar und Februar. Quelle: Angaben des Stadt. Statistischen Amtes vom 7. April 1938, StadtAM, BRW 78/2,

Bund

111.

Zeigt die Statistik (Tab. 14) eine anteilsmäßige Verbesserung im Kleinwohnungsbau, das Ergebnis absolut gesehen noch immer unbefriedigend. Gerade in der ersten Phase nationalsozialistischer Wohnungspolitik bis f 935 wurde mit der Erstellung von jährlich nur 1 000 bis 2 000 Kleinwohnungen ein weiterer Fehlbedarf aufgestaut, denn die Nachfrage begann gleich nach der „Machtergreifung" deutlich in die Höhe zu gehen. Das bestätigte sich immer wieder an erschreckenden Erfahrungen, die man im Münchner Wohnungswesen machte: Als etwa die Gewofag Ende 1935 rund 200 Kleinso war

140 141

142

143

Statistisches Handbuch der Hauptstadt der Bewegung, S. 68.

Jetzt war das Verhältnis privater zu gemeinnützig-öffentlichen Bauvornahmen fast ausgewogen, es betrug nämlich 1,13 zu 1, Statistik „Münchener Wohnungsbau im Jahre 1938", StadtAM, PR 83/6, 354. Vgl. das ungezeichnete Manuskript „Der Wohnungsbau in München im Jahre 1938", das aus dem Wohnungsreferat stammen dürfte, ebenda. Während die Reichsregierung sich bei den öffentlichen Darlehen zunächst nicht zu den niedrigen Zinssätzen der Hauszinssteuerhypotheken verstehen mochte (vgl. oben, S. 131), übte sie doch mit Erfolg Druck auf die Banken aus, die Kosten für erststellige Hypotheken zu senken, und erreichte, daß der Zinssatz hier bis 1936 wieder Vorkriegsniveau hatte (4,5 bis 5%). Führer, Anspruch und Realität, S. 241.

3.

Wohnungsmarkt und Wohnungsbau zwischen den Weltkriegen

189

Wohnungen mit Monatsmieten bis 37 Reichsmark in Giesing erstellen ließ, meldeten sich nicht weniger als 3 000 Bewerber144. Auch später genügte eine Bautätigkeit, die in etwa der Hochphase der Hauszinssteuerära entsprach, nicht, um den Bedarf zu stillen. München verzeichnete mit Ausnahme des Jahres 1935145 seit 1932 ständig Wanderungsgewinne in Höhe von mehreren tausend Personen pro Jahr. Das war auch eine Konsequenz der hervorgehobenen Rolle der „Hauptstadt der Bewegung" im neuen Reich. Die Reichsleitung der NSDAP mit ihrem ganzen Behördenapparat sollte hier konzentriert werden, als Heeres- und Luftwaffenstandort hatte München eine wichtige strategische Bedeutung, die noch durch den weiteren Ausbau der Rüstungsindustrie mit entsprechend nachziehenden Arbeitskräften unterstrichen wurde146. Auch die Eheschließungsziffer stieg infolge der sich verbessernden konjunkturellen Situation und der nationalsozialistischen Familienpolitik nach 1933 wieder auf ein deutlich höheres Niveau als in der Weltwirtschaftskrise. Durch die Eindämmung der Arbeitslosigkeit stabilisierte sich die materielle Lage vieler Familien, die dann auch ihre Wohnansprüche -

-

wieder höherschraubten.

Wanderungsbewegungen und Eheschließungen in München 1932-1938 reine Zunahme Eheschließungen Jahr Zuzug Wegzug

Tab. 17:

1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938

64960 68361 77613 83 810 90642 93485 93 842

68 349 71934 82488 83168 95 998 101208 104 532

3389 3573 4875

6136 7010 9263

(-)642

8516 8052 8200 9571

5 356 7723 10690

Quelle: Statistisches Handbuch der Hauptstadt der Bewegung (1938), S. 39, 55; für 1938: Bericht des Dezernats 7, 2.6.1939, Anlage 1, StadtAM, PR 83/6, 354. Diese Zahlen lieferten nur Indizien für den tatsächlichen Wohnungsbedarf, für desgenaue Ermittlung den Münchner Wohnungspolitikern die notwendige Datenerhebung fehlte. Sie forderten immer wieder eine Reichswohnungszählung in der Art der Zählung von 1927, die die nationalsozialistische Regierung aber wohl aus gutem Grund nicht durchführen ließ147. Immerhin hatte die Volkszählung von 1933 bereits erbracht, daß von rund 221 000 Haushaltungen in München 14 000 ohne eigene Wohnung wasen

144

Bericht des Referates 7/6 56.

145

146

147

an

Stabsleiter

Köglmaier, 23.3.1936, S. 2, StadtAM, Wohnungsamt

vergleichsweise geringere Anstieg von Zuziehenden im Jahr 1935 könnte mit gewissen (vorübergehenden) Erfolgen der städtischen Kampagne zur Abbremsung des „unerwünschten Zuzugs" zu tun haben. München war 1934 fürsorgerechtlich zur „Notstandsgemeinde" erklärt worden, was restriktive Auswirkungen auf die Fürsorge für Neuzuziehende hatte. Dazu StadtAM, Wohnungsamt 80. Zu den daraus resultierenden kritischen Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt vgl. Entwurf Harbers' für einen Brief des Oberbürgermeisters an das Bayerische Wirtschaftsministerium, 24.7.1937, StadtAM, Wohnungsamt 56. Zum Drängen Harbers', der sich darin mit dem Leiter des Statistischen Amtes, Prof. Müller, einig wußte, auf eine umfassende Wohnungserhebung vgl. StadtAM, PR 83/6, 354. Ähnliche Forderungen wurden auch in der Fachpresse erhoben, vgl. Führer, Anspruch und Realität, S. 234. Der

II. Wohnungspolitik als

190

Handlungsfeld

ren148. Auch die im Alleingang durchgeführte Erhebung von 1935 hatte die Dringlichkeit einer erhöhten Kleinwohnungsproduktion offenkundig gemacht, die von Seiten des städtischen Wohnungsnachweises aufgrund tagtäglicher Erfahrungen immer wieder be-

stätigt wurde149. Die Wohnungsbilanz in den dreißiger Jahren verschlechterte sich weiter durch die relativ hohe Zahl

von Abbruchen, die nicht allein auf den Verfall von Bausubstanz zurückzuführen, sondern auch Konsequenz der Umgestaltung zur „Hauptstadt der Bewegung" waren. Genauso fielen etliche Wohnungen aus dem Markt heraus, weil die

Partei sie für Bürozwecke beanspruchte oder weil Wehrmachtsstellen Kasernenwohnungen, die seit der Demobilisierungsphase zivil genutzt wurden, wieder militärischen Zwecken zuführten150. Die in den dreißiger Jahren gegenüber den Vorjahren wesentlich erhöhte Zahl solcher „Abgänge" zeigt die nachstehende Tabelle. Tab. 18:

Wohnungszugang und -abgang in München 1933-1938 Jahr Zugang Abgang Neubau Umbau

zus.

Umbau Abbruch

ReinZugang

zus.

0 1925-1930

3 563

191

3 754

24

35

59

3695

1933 1934 1935 1936 1937 1938

1328 2026 2971 4194 4900 3 897

876 1083 467 560 390 278

2204 3109 3438 4754 5290 4175

378 272 133 190 157 153

74 135 103 90 193 248

452 407 236 280 350 401

1752 2702 3202 4474 4940 3 774

1933-1938

3219

609

3828

214

140

354

3474

0

Quelle: Statistisches Handbuch der Stadt München (1928), S. 47-50, Statistisches Handbuch der Hauptstadt der Bewegung (1938), S. 61; für 1938: Der Wohnungsbau in München im Jahre 1938,

Tabelle 1, StadtAM, PR 83/6, 354.

Die relativ hohen zum Wohnungsverlust führenden Umbauzahlen im Gesamtzeitraum fast das Zehnfache der Quote in der Hauszinssteuerära gerade in den Jahren 1933/34 dürften auf die nach der „Machtergreifung" umgesetzten Expansionsansprüche der Parteileitung in München und die gleichfalls schnell einsetzende Remilitarisierung von Gebäuden zurückzuführen sein. Abbruche, die nicht aus Sicherheits- oder Hygienegründen induziert waren, erfolgten entweder zum Zweck des Neubaus von Büround Repräsentationskomplexen oder an den neuralgischen Punkten für die Inszenierung des Parteikults: so an der südlichen Seite der Von-der-Tann-Straße, die als Hin-

-

148

149

Statistisches Handbuch der Hauptstadt der Bewegung, S. 30. Vgl. zu den verschiedenen Indizien von der Volkszählung bis zu den Beobachtungen des Wohnungsnachweises für den akuten Wohnungsmangel in München: Stadtrat Konrad an Stabsleiter Köglmaier im Innenministerium, 23.3.1936, StadtAM, Wohnungsamt 56. Das Volkszählungsergebnis zu den Haushaltungen ohne Wohnungen wurde hier höher mit über -

-

15 000 angegeben. Nach einer internen Vormerkung des Wohnungsreferats vom 23.7.1937 hatte die Partei bis dahin 115 Wohnungen für Bürozwecke umgewandelt. In den Kasernen auf dem Oberwiesenfeld, der Marsfeldkaserne und der Isarkaserne mußten 1934 insgesamt 271 Wohnungen freigemacht werden, ebenda. -

150

-

3.

Wohnungsmarkt und Wohnungsbau zwischen den Weltkriegen

191

führung zum „Haus der Deutschen Kunst" 1937 verbreitert wurde151. An der Sophienstraße erforderte der Neubau des Landesfinanzamts im gleichen Jahr den Abbruch von Wohngebäuden, und in der Prinzregentenstraße hatte die Errichtung des Luftgaukommandos von 1937 bis 1939 solche Einbußen für den Altwohnungsbestand zur Folge, daß selbst der Kreisleiter sich bemüßigt fühlte, zugunsten der dort ansässigen Bevölkerung seine Stimme zu erheben152. Bezeichnend ist, daß der Stadt kein Entscheidungs-

recht mehr verblieb, wenn Hitler solche Maßnahmen forderte. So berichtete Fiehler in der Sitzung der Beiräte für Verwaltungs-, Finanz- und Baufragen vom 28. Oktober 1937, als er von einem Ratsherren auf die zunehmende Beunruhigung in der Öffentlichkeit über die Abbruche angesprochen wurde: „Das ist außerordentlich schwer. Mir ist nur bekannt, daß der Führer haben will, daß der Block in der Theresienstraße, wo die Deutsche Arbeitsfront hinbauen will, abgebrochen wird. Wann mit dem Bau begonnen wird, weiß ich nicht. Einen ähnlichen Fall haben wir in der Königinstraße. Wir sind durch Weisung des Führers gezwungen, dort ebenfalls Häuser abzubrechen."153 Schon bevor die Pläne der Partei zur Umgestaltung der Stadt richtig durchgriffen, äußerten Wohnungsreferat und Wohnungsnachweis ihre deutliche Kritik an der Politik der Abbruche und Umwandlungen, die man sich angesichts der Wohnungslage in München gar nicht leisten könne. Bei einer Besprechung im Reichsarbeitsministerium im September 1938, bei der verschiedene Ministerien und der Stellvertreter des Führers vertreten waren, ging Harbers sogar so weit, seinen Rücktritt anzudrohen, wenn „diese Entwicklung nicht bald abgestoppt würde"154. Eine Amtsniederlegung des schwierigen Münchner Wohnungsreferenten, dessen Ehrgeiz eine solche Konsequenz natürlich verhinderte, mochte manchem Anwesenden allerdings eher als verlockende Aussicht denn als Drohung erscheinen. Ein Jahr zuvor hatte Harbers versucht, über die Aufsichtsbehörde die Möglichkeiten der Partei zum Zugriff auf den Wohnungsbestand einzudämmen. Im Sommer 1937 wies er das bayerische Wirtschaftsministerium auf den ständig steigenden Fehlbedarf angesichts einer nicht ausreichenden Bautätigkeit hin, monierte die Abbruchtätigkeit, indem er die jüngsten Beispiele an der Von-der-Tann- und Sophienstraße anführte, und prophezeite schließlich die weitere Verengung des Wohnungsmarktes durch wachsende Ansprüche von Partei, Wehrmacht und Rüstungsindustrie. Die Konsequenz, die er forderte, war, auch für München wie bereits für andere -

151

Vgl. Schuster, München das Verhängnis einer Kunststadt, S. 31f. Bei der Von-der-TannStraße ging es allerdings auch um den Neubau eines Behördenkomplexes. Der bayerische Staat kaufte Anfang 1937 dort zehn Anwesen an und ließ sie abbrechen, um Platz für das neue Bayerische Zentralministerium zu schaffen. Vgl. Verzeichnis des Zentralfinanzamtes Mün-

152

153

chen, 18.2.1937, BayHStA, MF 68114. Kreisleiter Ziehnert an Fiehler, 21.1.1939, dem er von der großen Unruhe in der der Ortsgruppe Thierschplatz wegen der seit zwei Jahren andauernden AufkäufeBevölkerung und Abrisse berichtet, StadtAM, Wohnungsamt 57. Sitzung der VFB-Beiräte vom 28.10.1937, StadtAM, RP 710/3. In der sollte Platz für den jährlichen Festzug „2000 Jahre deutsche Kultur" anläßlich Königinstraße der „Tage der deutschen Kunst" geschaffen werden, die Verbreiterung wurde 1938 durchgeführt. Der geplante Neubau eines DAF-Gebäudes in der Theresienstraße wurde von anderen Plänen des Generalbaurats Giesler für die Neugestaltung der Stadt überholt. Vgl. dazu Ratsherrensitzung vom

154

8.8.1939, StadtAM, RP 712/1.

Aufzeichnung aus der Dienststelle des Stellvertreters des Führers über die Besprechung vom 28.9.1938 im

RAM, 30.9.1938, BArch, NS 6, 246, Bl. 20-23, bes. 20.

II. Wohnungspolitik als Handlungsfeld

192

Städte geschehen eine Verordnung zu erlassen, nach der künftig die Umwandlung von Wohnungen in Räume anderer Art von der Genehmigung der Stadt abhängig wäre155. Ein entsprechender Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 20. August 1937 war nur scheinbar ein Erfolg in dieser Sache: Die Stadt erhielt zwar den erwünschten Genehmigungsvorbehalt, mußte die Genehmigung aber „bei Inanspruchnahme von Wohnräumen durch die Partei, ihre Gliederungen oder die NS-Volkswohlfahrt" ohne Auflage erteilen, „falls eine Bescheinigung des Herrn Reichsschatzmeisters über die Unvermeidlichkeit der Inanspruchnahme vorgelegt wird"156. Ganz deutlich war damit, daß die „Führerstadt" München ihr Wohnungsproblem von dieser Seite her nicht anzugehen brauchte; die Wohnungsnot einzudämmen war allenfalls mit Unterstützung von Partei-

stellen denkbar, nicht aber gegen sie. Die Wohnungskrise der Stadt München war in den ersten Jahren des „Dritten Reiches" allerdings so wenig einer Lösung nähergekommen, daß die örtlichen Parteivertreter nicht erst von Seiten der Stadtverwaltung darauf aufmerksam gemacht werden mußten. In einer ausführlichen Denkschrift über „Die städtebauliche Entwicklung Münchens", die Adolf Wagner am 27. Januar 1937 dem Münchner Oberbürgermeister übergeben ließ, stellte der Gauleiter fest, „daß die Neubautätigkeit noch nicht einmal imstande war, den jährlich anfallenden Zuwachs an Wohnungsbedarf zu decken, geschweige denn die Rückstände am Bedarf von früher zu verringern"157. Angesichts des eklatanten Wohnungsmangels, den er mit 30 000 Wohneinheiten angab, plädierte er für eine rationelle und moderne Bauweise in mehrstöckigen Hochbauten, die geeignet wären, innerhalb kurzer Zeit eine hohe Zahl von Menschen aufzunehmen. Damit war er der Entwicklung der Reichspolitik allerdings schon einen Schritt voraus: Der rationalisierte Massenwohnungsbau sollte als Planungsvorgabe erst unter dem Reichswohnungskommissar Ley im Krieg seinen Siegeszug antreten, zu einem Zeitpunkt, als es zu seiner Verwirklichung bereits zu spät war. Vorerst mußten für München bescheidenere Konzepte greifen, die dann allerdings auch nicht den erhofften Durchbruch bescherten. Die Volkswohnungsanlagen, die in den Jahren 1936-1938 entstanden, halfen zwar das Anwachsen des Fehlbedarfs zu reduzieren, noch immer konnten Nachfrage und Angebot aber nicht ausgeglichen werden. Nach Berechnungen des Statistischen Amtes der Stadt klaffte die Schere zwischen Wohnungsproduktion und Wohnungsneubedarf in folgender Weise auseinander: 155

Vgl.

Entwurf Harbers'

vom

24.7.1937 für einen Brief des OB

an

das Staatsministerium für

Wirtschaft, Abt. für Arbeit und Fürsorge, StadtAM, Wohnungsamt 56. Die von Harbers ange-

156

157

strebte Verordnung konnte aufgrund Artikel III des Gesetzes zur Änderung des Reichsmietengesetzes und des Mieterschutzgesetzes vom 18.4.1936 vom RAM erlassen werden, vgl. dazu auch Erlaß Seldtes an die obersten Reichsbehörden, 22.5.1937, BArch, R 41, 713, Bl. 33f. Vgl. Harbers an Fiehler, 22.9.1937, und den entsprechenden Erlaß des RAM, StadtAM, Wohnungsamt 56. In der Folgezeit wurde sogar deutlich, daß Forderungen von Parteiseite auf Wohnraum auch ohne die Formalität der Bescheinigung des Reichsschatzmeisters auskamen. Als z.B. Anfang 1941 das Hauptamt für Technik der NSDAP im Auftrag von Rüstungsminister Todt die Umwandlung von acht Wohnungen zur Einrichtung einer rüstungswirtschaftlichen Abteilung beantragte, genehmigte das Wohnungsreferat die Maßnahme wegen der Eilbedürftigkeit des Vorgangs ohne Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung von Schwarz. Immerhin konnte Todt als Generalbevollmächtigter für die Regelung der Bauwirtschaft ja auch die weitere Förderung von Wohnungsneubauten in München durch Material- und Arbeitskräftezuteilung in Aussicht stellen, StadtAM, Wohnungsamt 77. Abschrift in StadtAM, Hochbauamt 897/2, Bl. 52-75, bes. 62.

3.

193

Wohnungsfehlbedarf in München 1933-1938

Tab. 19:

Wohnungsneubedarf

Reinzugang Wohnungsfehlbedarf

Quelle:

Wohnungsmarkt und Wohnungsbau zwischen den Weltkriegen 1933

1934

1935

1936

1937

1938

zus.

5 203 1752

6539 2 702

6198 3202

5 682 4474

5 898 4940

6649 3 774

36169 20 844

3 451

3 837

2996

1208

958

2 875

Statistisches Amt der

354.

Hauptstadt

der

Bewegung

vom

29.

Juni 1939, StadtAM,

15 325

PR 83/6,

Auch das Statistische Amt konnte mangels empirischer Datenbasis den Wohnungsneubedarf nur mit einem Hilfskonstrukt berechnen. Es ging von der Annahme aus, daß der aufgrund natürlicher Bevölkerungsbewegung entstehende jährliche Wohnungsbedarf bei einer Quote von 65 Prozent der Eheschließungen lag. Dazu mußten die Wanderungsgewinne gerechnet werden, wobei die Aufstellung aber lediglich die Wanderungen von zwei und mehr Personen in Ansatz brachte, weil im wesentlichen nur Familienwanderungen Auswirkungen auf die Anzahl der Haushalte hatten158. Den hier genannten Fehlbedarf von 15 300 Wohneinheiten mußte man nach Ansicht der Statistiker „durch den notwendigen Ersatz für abbruchreife Häuser und durch Bereitstellung eines angemessenen Leerwohnungsvorrates im Rahmen einer gesunden Wohnungswirtschaft" noch um 4 800 Wohneinheiten aufstocken. Schließlich kam noch der bis 1933 angestaute Wohnungsbedarf hinzu, den man auf 10600 Einheiten schätzte, so daß sich eine Gesamtzahl von 30700 fehlenden Wohnungen für das Jahresende 1938 ergab159. Angesichts eines solchen nicht gerade ermutigenden Ergebnisses war es besonders interessant, wie die Prognose des Statistischen Amtes für die weitere Wohnungsmarktentwicklung in München lautete. Für das kommende Jahrfünft bis einschließlich 1943 legte man einen Bedarf von weiteren 30 000 Wohneinheiten zugrunde, dazu aber die hohe Abbruchzahl von 10 000 Wohnungen, mit der das Wohnungsreferat aufgrund der bevorstehenden Umgestaltung Münchens rechnete. 40 000 Wohnungen also sollten für die kommenden fünf Jahre notwendig sein, dazu kamen die 30 700 Wohnungen, die bis dahin auf dem Bedarfskonto standen, das machte 70 700 Wohnungen, die man bis Mitte der vierziger Jahre zu benötigen glaubte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Hitler das Ausbauprogramm für die „Hauptstadt der Bewegung" bereits festgelegt und darin ein Kontingent für den Wohnungsbau von nahezu 50 000 Wohneinheiten eingeräumt. Selbst bei Durchführung dieses im Krieg nicht einmal annähernd realisierten Programmes wäre für München also nach diesen Prognosen ein Defizit von über 20 000 Wohnungen verblieben160. -

-

158

Zu diesen

Müller,

159 160

Berechnungen im einzelnen Statistisches Amt der Hauptstadt der Bewegung, Prof.

an

das Dezernat 7, 29.6.1939, StadtAM, PR 83/6, 354. Der Neubedarf bei Ehe-

schließungen wurde nur mit 65% angesetzt, weil zwar Heiraten junger Leute in der Regel zur Folge hatten, daß eine Wohnung gebraucht wurde, Heiraten bisher alleinstehender oder verwitweter Personen aber auch bedeuten konnten, daß nur noch eine Wohnung anstelle von zwei benötigt wurde. Ebenda. Ebenda. Vgl.

zum

Wohnungssofortprogramm seit 1938 unten, S. 379ff.

194

II.

Wohnungspolitik als Handlungsfeld

Solche düsteren Aussichten, die praktischen Erfahrungen des Wohnungsnachweises und der städtischen Wohnungsgesellschaften, die ständig Hunderte, ja Tausende von Bewerbern abweisen mußten, ließen Harbers nicht mehr nur Unterstützung bei der staatlichen Aufsichtsbehörde suchen, sondern veranlaßten ihn, schließlich auch die Reichsspitze offiziell mit dem Problem zu befassen, das ihr aus etlichen Besprechungen und Schriftwechseln schon bekannt war. Dahinter stand offensichtlich der Gedanke, daß „der Führer" sich ja schließlich eine besondere Protektion über die Stadt München vorbehalten habe und sich daher auch solcher Sorgen annehmen müsse. Die Eingabe, die erst nach Kriegsbeginn erfolgte, wurde allerdings nicht an ihn direkt, sondern an den Chef der Reichskanzlei, Hans Heinrich Lammers, gerichtet, der Hitler als Parteibeauftragten für die Stadt vertrat. Der Oberbürgermeister übernahm die Verantwortung und unterzeichnete den Brief, der durchaus in deutlichem Ton mit der Reichswohnungspolitik ins Gericht ging: So war die Rede von den in den vergangenen Jahren „außerordentlich einengenden Vorschriften über Wohnungsgröße, Finanzierung, Siedlerauswahl und vieles andere" oder vom „Arbeiter- und Baustoffmangel infolge der Westwallarbeiten". „Im ganzen ist der aufgestaute Wohnungsbedarf in München auf etwa 40-50000 zur Zeit anzunehmen: er beruht nicht zum geringsten Teil darauf, daß Tausende von Wohnungen durch Abbruch oder Inanspruchnahme für andere Zwecke (Partei, Wehrmacht, Wehrbetriebe, Reichsbahn usw.) dem Wohnungsmarkt verloren gingen oder durch den von dieser Seite veranlaßten außergewöhnlichen Zuzug aufgesaugt wurden." Die Münchner standen sogar nicht an, „gröblich irreführende Pressemitteilungen" im „Völkischen Beobachter" zu kritisieren, denen zufolge der soziale Wohnungsbau auch im Krieg kaum vermindert weitergeführt werde, mußten in München doch gleich nach Kriegsbeginn die Bauarbeiten an 2 740 Wohnungen des Bauprogramms 1939 eingestellt werden161. Auch dieser Versuch, die Reichsspitze für eine individuelle Inangriffnahme des Münchner Wohnungsproblems zu gewinnen, führte nicht zu effektiven Maßnahmen. Die von Fiehler und Harbers gewünschte Sonderbehandlung im Hinblick auf eine Zuzugssperre, sofortige Wiederaufnahme eingestellter Bauten und weitere finanzielle Un-

terstützung des Kleinwohnungsbaus162 wurde ziemlich kühl abgewiesen. Das sonst so gern im Munde geführte Argument von der besonderen Rolle der „Hauptstadt der Bewegung" wollten die Reichsstellen durchaus nicht gegen sich verwendet sehen, und daraus

gar eine Soforthilfepflicht des Reiches gegen akute Wohnungsnot ableiten zu wol-

len, galt in der Reichskanzlei offensichtlich als geradezu impertinent. Vertagt wurde die Der Oberbürgermeister der Hauptstadt der Bewegung (Dezernat 7/1) an den Chef der Reichskanzlei, 10.1.1940, BArch, R 43/11, 1172, Bl. 44-46. (Hervorhebungen im Original). In einem weiteren Schreiben an die Reichskanzlei vom 3.9.1940 erbat sich Fiehler Unterstützung von Reichsseite für den sofortigen Bau von 20 000 Wohnungen. Am besten ließe sich das durchführen, wenn „eine Weisung des Führers erreicht werden könnte, daß dieses soziale Wohnungssofortprogramm als nationalpolitisch wichtig zu behandeln ist und demgemäß der Hauptstadt der Bewegung in Anbetracht ihrer außergewöhnlichen Aufgaben und finanziellen Belastungen eine Sonderunterstützung in dem erbetenen Rahmen aus Reichsmitteln unbedenklich gewährt werden kann und soll". Ebenda, Bl. 55-57. Ministerialrat Killy vermerkte dazu am 17.9.1940, daß man den Münchner Forderungen auf Reichsmittel für Sofortmaßnahmen im Wohnungsbau besser nicht nachgeben sollte, denn „Anträge von allen Gemeinden, in denen die Wohnungsnot gleicherweise drückend ist und bei denen die finanziellen Verhältnisse nicht

günstiger sind, würden folgen". Ebenda, Bl. 59.

3.

Wohnungsmarkt und Wohnungsbau zwischen den Weltkriegen

195

ganze Problematik schließlich durch Hinweise auf die großen Programme des „Führers" für den sozialen Wohnungsbau nach dem Krieg163. Versprechungen solcher Art auf spätere durchschlagende Lösungen hatte München allerdings schon genügend in der Hand. Was fehlte, war eine schnelle und intensive finanzielle Förderung des für den Moment dringend benötigten sozialen Wohnungsbaus. Die Stadt konnte, wie im letzten Kapitel auszuführen sein wird, lediglich erreichen, daß weitere Abbruchmaßnahmen der Abbruch vorvon einem Ersatzwohnungsbauprogramm begleitet wurden. Beides

handenen Wohnraums für Neugestaltungszwecke und die Schaffung von Ersatzwohnungen wurde mit fortschreitendem Luftkrieg längst nicht im geplanten Umfang verwirklicht. Das alte Stadtbild fiel schließlich nicht Hitlers Architektenträumen, sondern seinen Plänen zur Unterjochung Europas zum Opfer. -

-

Vgl. das knappe Schreiben Lammers' an Fiehler, 21.9.1940, in dem er meint, daß die Angelegenheit durch die „Anordnung des Führers über den neuen deutschen Wohnungsbau nach dem Kriege vom 15. September 1940 [...] ihre vorläufige Erledigung gefunden hat". Ebenda, Bl. 60.

III.

Kleinsiedlungen, Volkswohnungen, Einfachhäuser: Baupolitik und Wohnungsfürsorge im

nationalsozialistischen München

Die Wohnungsfrage der dreißiger Jahre blieb im wesentlichen eine Kleinwohnungsfrage, hier war das sozialpolitische Eingreifen von Staat und Kommune gefordert. Die nationalsozialistische Politik entzog sich zwar zu einem hohen Grad dieser Aufgabe, in begrenztem Umfang war dem Reichsarbeitsministerium aber eine Fortsetzung bzw. Neuformulierung von Kleinwohnungsprogrammen möglich. Insoweit sie von der Stadt München aufgegriffen und in konkreten Wohnungsbauprojekten umgesetzt wurden, werden diese Programme hier diskutiert. Ihre Durchführung zeigt den spezifischen Anteil der Stadtverwaltung beim Umgang mit der Wohnungsfrage in München damit ist auch das zentrale Erkenntnisziel der Arbeit bezeichnet. In einem Kapitel wird wiederum über die eigentliche Neubaupolitik hinausgegangen: Wohnungsfürsorge, verstanden als alle Maßnahmen der Stadt zugunsten einer Bedürftigen-Klientel auf dem Wohnungsmarkt, soll als zusätzliche Strategie einbezogen werden. Sie verlor zu keinem Zeitpunkt ihre Bedeutung auf einem ungesättigten Markt und mußte von der Stadt angesichts der Verschärfung der Wohnungskrise im Krieg noch intensiviert werden. -

1. Die Kontinuität des

Der

Krisenprogramms: Kleinsiedlungsbau in München

Der Beginn des Kleinsiedlungsprogramms 1931

in der dritten Notverordnung vom 6. Oktober 1931 ihr Kleinsiedlungsprogramm initiierte, konnte sie sowohl in theoretischer Hinsicht als auch in der praktischen Durchführung auf zahlreiche Ansätze, Modelle und Erprobungsformen zurückgreifen. Von der „inneren Kolonisation" im Preußen Friedrich des Großen1 über die Gartenstadtbewegung bis hin zu den Kriegerheimstätten nach dem Ersten Weltkrieg2 hatte Siedlung bis dahin ebensosehr für eine Ideologie und Bewegung gestanden wie für die konkreten Ansiedlungen, die aus solchen Programmen entstanden3. Insbesondere die Vertreter der Gartenstadtideologie, die die moderne Großstadt,

Als die

1

2

3

Regierung Brüning

Die nationalsozialistische Literatur zur Siedlung verwies mit Vorliebe auf die Leistungen des Preußenkönigs auf diesem Gebiet, vgl. z.B. Ludowici, Das deutsche Siedlungswerk, passim. Nach Muthesius, Kleinhaus, S. 30, haben die Folgen des Ersten Weltkriegs unmittelbar zur Verstärkung des Kleinsiedlungsgedankens beigetragen, weil die Idee aufkam, Kriegsversehrte für ihre Opfer durch günstige Wohnungen in ländlicher Umgebung zu entschädigen. Vgl. zu den zahlreichen Formen, in denen ,Siedlung' zeitgenössisch wahrgenommen wurde, etwa Küppers-Sonnenberg, Deutsche Siedlung, Erster Teil, bes. S. 18-25.

198

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

wie sie sich in der Urbanisierung herausgebildet hatte, ablehnten und eine Rückbindung der Stadt an das Land anstrebten, konnten seit der Jahrhundertwende ihrer Idee der landstädtischen Siedlung durchaus breite Popularität in Deutschland verschaffen. In der Ablehnung „ungesunder" Großstadtverhältnisse und dem Versuch, auch den Städter mit dem Boden zu verwurzeln, lieferten Ebenezer Howard und die von ihm inspirierten Nachfolger wichtiges Ideengut für die vorstädtische Kleinsiedlung. Nicht zu übersehen ist weiterhin die Kontinuität des Gemeinschaftsgedankens von den Gartenstadtsiedlungen zu den Reichskleinsiedlungen. Verband sich freilich bei den Gartenstadtprotagonisten die Idee genossenschaftlich organisierter Siedlungen mit deutlich sozialreformerischem und gesellschaftskritischem Gedankengut, waren die Kleinsiedlungen der Weltwirtschaftskrise und vor allem des Nationalsozialismus von oben initiierte und gesteuerte Unternehmungen. Die Elemente der Gemeinschaftsarbeit bei der Errichtung der Siedlungen und des genossenschaftlichen Zusammenschlusses der Siedler blieben dennoch erhalten. Das Vorbild der Gartenstädte war auch deshalb besonders wirksam, weil es schon vor dem Ersten Weltkrieg nicht bei ideologischer Propagierung blieb, sondern zur Errichtung einzelner Modell-Gartenstädte kam, deren bekannteste nach wie vor Hellerau bei Dresden ist4. Die Siedlungsinitiativen schlugen sich in solchen Modellanlagen, in der breit ausgreifenden Fachliteratur5 und in verschiedenen politischen Konzepten nieder, die sowohl auf Reichsebene als auch im lokalen Bereich diskutiert wurden6. Daneben kamen sie gleichsam auch „von unten" das heißt als Selbsthilfebewegung von Opfern der Weltwirtschaftskrise, die sich aus wirtschaftlicher Not „wilde Siedlungen" geschaffen hatten7. Solche „wilden Siedlungen" entstanden in München etwa im Moosgrund bei Daglfing oder am Schwedenstein südöstlich von Waldtrudering. Sie bereiteten der städtischen Verwaltung auch im Nationalsozialismus noch erhebliche Probleme, da man für die Siedler einerseits zu wenig alternative Quartiere hatte, andererseits diese selbständi-

4

5

Vgl. Bergmann, Agrarromantik und Großstadtfeindschaft, bes. S. 135-163; Hartmann, Deutsche Gartenstadtbewegung. Zeitgenössisch etwa Kampffmeyer, Gartenstadtbewegung. Zahlreiche Werke der Siedlungsliteratur der zwanziger Jahre werden zitiert bei: Harlander/Ha-

ter/Meiers, Siedeln in der Not. Bei Muthesius, Kleinhaus, S. 398, wird sehr deutlich, daß bereits Beginn der 1920er Jahre der Kleinsiedlungsgedanke in der Weise, wie er zehn Jahre später verwirklicht wurde, diskutiert wurde. Mit halbländlichen oder ländlichen Siedlungen in der Umgebung der großen Städte könnten diese „ihre Uebervölkerung planmäßig nach dem nächsten Umzu

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7

kreis abschieben [...], sie würden gleichzeitig der drückenden Sorge der Nahrungsbeschaffung überhoben sein, indem sie die Rohstoffe als Selbsterzeuger herstellten, die Arbeitslosenunterstützung fände eine willkommene Abhilfe, und die Frage der Erholungs- und Ferienheime eine einfache Lösung". So schlug etwa 1919 das Ministerium für soziale Fürsorge der Stadt München vor, als Mittel gegen die dringendste Wohnungsnot die Errichtung sog. „Sparbauten" in Form kleiner Einfamilienhäuser ins Auge zu fassen. „Es ist gedacht, dass die Sparbauten in kleinen Kolonien auf städtischem Grund und Boden durch die Stadt selbst an verschiedenen Punkten der Peripherie der Stadt errichtet werden. Selbstverständlich soll jeder Wohnung ein entsprechender Gartenanteil beigegeben werden." Hier wurde das Programm der vorstädtischen Kleinsiedlungen förmlich vorweggenommen. Ministerium für soziale Fürsorge, gez. Segitz, an den Stadtrat der Landeshauptstadt, 6.10.1919, S. 10f., BayHStA, MA 100655. Zum Beispiel der „wilden Siedlung" Schönau bei Mannheim, die unter den Nationalsozialisten dann „bereinigt" und in ein reguläres Siedlungsgebiet umgewandelt wurde, vgl. Rings, „Arischer

Abstammung, politisch zuverlässig und erbgesund", S. 250-253.

1. Der Kleinsiedlungsbau in München

199

Vergemeinschaftungen aber eine augenfällige Herausforderung der „Volksgemeinschaft" darstellten und die Unterkünfte vom baupolizeilichen Standpunkt aus kaum tragbar waren. Die Anbindung an Versorgungsnetze fehlte hier meist völlig, die Häuser waren häufig feucht, baufällig, wenn es sich nicht überhaupt nur um primitive Holzhütten handelte8. Solche Siedlungen hatten gewiß keinen Modellcharakter für das Reichskleinsiedlungsprogramm, sie konnten aber als abschreckende Beispiele einer planlosen Siedlung den Befürwortern einer von oben geplanten Siedlung, bei der die an sich positiv bewertete Selbsthilfe in die richtigen Bahnen gelenkt würde, Argumentagen

tionshilfe leisten9. In der Initiative der Reichsregierung von 1931 trafen diese unterschiedlichen Anstöße dann zusammen und wurden zu einem geschlossenen Programm verschweißt, das sowohl vom arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Impetus als auch von der Idee des Siedeins als geeigneter Wohnform getragen war. So sollte die vorstädtische Kleinsiedlung zusammen mit der landwirtschaftlichen Siedlung und dem Kleingartenwesen einen Beitrag leisten, um „die Seßhaftmachung der Bevölkerung auf dem Lande zu fördern, um die Erwerbslosigkeit zu vermindern und Erwerbslosen den Lebensunterhalt zu erleichtern"10. Daß die Betonung in diesen Worten wie auch in den regierungsoffiziellen Stellungnahmen zum Kleinsiedlungsprogramm sehr deutlich auf der Erwerbslosenproblematik lag11, vermag angesichts des verheerenden Ausmaßes der Arbeitslosigkeit in der Weltwirtschaftskrise nicht zu verwundern12. Das Erwerbslosenthema überlagerte zu diesem Zeitpunkt alle anderen Problemlagen der Sozialpolitik, so auch die Wohnungsnot. Andererseits war der enge Konnex zwischen den fehlenden Erwerbsmöglichkeiten und einem zunehmenden Absinken auch des Wohnstandards weiter Schichten der Bevölkerung nicht zu übersehen. Für München konstatierte Stadtrat Thomas Wimmer in der Ratssitzung vom 3. März 1932, daß man beobachten könne, „wie heute [...] die großen Wohnungen entvölkert werden. Die Inhaber von mittleren Wohnungen ziehen 8

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11

12

Zum Problem der „wilden Siedlungen" vgl. StadtAM, Sozialamt 3566 (Am Schwedenstein), und unten, S. 373ff. Die katalysierende Wirkung der wilden Siedlungen für das Programm der Reichsregierung betonen insbesondere Harlander/Hater/Meiers, Siedeln in der Not, S. 43-46. Dritte Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen, vom 6.10.1931. Vierter Teil (Wohnungs- und Siedlungswesen), Kap. II, § 1, in: RGB1. 1931/1, S. 551-553, hier 551; auch abgedruckt in: Schmidt/ Bellinger, Kleinsiedlung (1936), S. 7-9, hier 7. Im ersten Satzteil wird deutlich auf die zeitgenössisch verbreitete Definition der Siedlung durch Max Rusch zurückgegriffen, der Siedlung als „Seßhaftmachung der Bevölkerung in unmittelbarer oder mittelbarer Verbindung mit dem Boden" definiert hatte. Rusch, Zurück zum Boden, S. 7. Reichsfinanzminister Hermann Dietrich nannte das Ziel des Siedlungsprogrammes, „einen möglichst großen Teil der jetzt und wahrscheinlich auch künftig Arbeitslosen dauernd in Arbeit zu bringen". In seinem Ministerium wurden die Pläne zur ländlichen Siedlung und städtischen Randsiedlung entwickelt, in denen er selbst das „typische Arbeitsbeschaffungsprogramm" sah. Zitiert nach Köhler, Arbeitsbeschaffung, Siedlung und Reparationen, S. 291. Vgl. auch Harlander/Hater/Meiers, Siedeln in der Not, S. 28. 1931 betrug die Zahl der Arbeitslosen nach der Statistik der Reichsanstalt im ganzen Reich 4,5 Millionen oder 22% der abhängigen Erwerbspersonen; in München waren 69448 Menschen arbeitslos gemeldet und damit auch etwa 20% der Erwerbspersonen, vgl. Petzina/Abelshauser/ Faust, Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch III, S. 119; Statistisches Handbuch der Hauptstadt der Bewegung, S. 162.

200

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

in kleinere um und die kleineren Inhaber als die letzten beißen die Hunde." Und in derselben Sitzung appellierte der Sozialdemokrat an seine Kollegen im Stadtrat, den Baubeginn für die ersten Reichskleinsiedlungsstellen in München zu genehmigen, auch wenn es Bedenken dagegen gäbe: „Aber wenn Sie insonderheit berücksichtigen, daß wir am 1. März d.J. 76000 arbeitslose Menschen in München haben, ein Mehr gegenüber dem gleichen Zeitpunkt des Vorjahres um rund 15 000 und gegenüber 1930 um rund 28 000, so glaube ich, daß Sie Ihrem Herzen einen Stoß versetzen müssen, diese 360 Siedlerstellen heute nun endgültig zu beschließen."13 Wimmers Plädoyer weist allerdings auch schon darauf hin, daß von ihrer quantitativen Dimension her die Kleinsiedlungsprojekte kaum geeignet waren, in größerem Ausmaß zur Eindämmung des Erwerbslosenproblems beizutragen. Dafür hatten sie allerdings gegenüber anderen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen den Vorteil, daß sie dem Erwerbslosen mit den Möglichkeiten zur Bewirtschaftung eine dauerhafte Verbesserung seiner Lage versprachen, auch über die Bauzeit der Siedlung hinaus14. In München verschoben sich, als man daranging, das Reichsprogramm für die Kleinsiedlung umzusetzen, die Gewichte von der Arbeitsbeschaffungs- hin zur wohnungspolitischen Komponente. Das wird bereits deutlich an den jeweiligen Initiatoren und Trägern der Siedlungsidee. Entwickelte auf der Reichsebene das Finanzministerium unter Hermann Dietrich, und hier insbesondere der Referent für die Finanzierung der Arbeitsbeschaffung, Stephan Poerschke, zunächst das Programm der Kleinsiedlung und trieb die Gesetzesinitiative wesentlich voran15, war es in München von vorneherein das

Wohnungsreferat, das den Siedlungsgedanken aufgriff, förderte und schließlich federführend in der Umsetzungsphase vertrat. So war es kein Zufall, daß hier das Kleinsiedlungsprogramm vor allem ein Wohnungsprogramm war16, noch bevor die Nationalsozialisten die Siedlungsidee ohnehin von der ursprünglichen Zielsetzung der Versorgung Arbeitslosen lösten. Schon am 24. Oktober 1931

von

reagierte der Münchner Wohnungsreferent Karl SebastiVorschlagspapier unter der Überschrift „Gedanken zur ReichsKleinsiedlung"17 auf das in der Notverordnung vom 6. Oktober initiierte Programm. In an

13 14

15

16

Preis mit einem

MGZ 61 (1932), S. 191. Vgl. zu diesem Argument Mahr, Stadtrandsiedlung, S. 46f. Vgl. Harlander u.a., Siedeln in der Not, S. 27-29; Peltz-Dreckmann, Nationalsozialistischer Siedlungsbau, S. 81; Saldern, Hermann Dietrich, S. 178. Saldern betont vor allem Dietrichs eigene Rolle bei der Durchführung des Randsiedlungsprogramms, das „als sein größter Erfolg angesehen werden" könne (ebenda). In seinem Brief an Brüning vom 3.9.1931 führte Dietrich aus, daß es seiner Ansicht nach möglich wäre, durch die vorstädtische Randsiedlung „schon in verhältnismäßig kurzer Zeit große Massen von Arbeitslosen anzusetzen und hinsichtlich eines großen Teiles ihres Nahrungsmittelbedarfes zu Selbstversorgern zu machen, wodurch sie aus der Unterstützung durch die öffentliche Hand ausscheiden können" (ebenda). Ute Peltz-Dreckmann sieht die Motive zur Siedlungsförderung meines Erachtens zu einseitig, wenn sie ihren „rein politischen Charakter" betont und meint, daß es vor allem um die Pazifizierung potentiell staatsgefährdender Schichten bzw. die Herbeiführung einer positiven Ein-

stellung zum Staat gegangen sei (Nationalsozialistischer Siedlungsbau, S. 88). Die Überlegungen

17

der einzelnen Kommunen dürften stark variiert haben, und zumindest in München überwogen die Absichten, mit Hilfe von Reichsgeldern günstige Wohnungen zu schaffen, deutlich vor weitergehenden ideologischen Absichten.

StadtAM, PR 83/6, 393.

1. Der

Kleinsiedlungsbau in München

201

Analogie zu deren § lls schrieb er im ersten Absatz dieses Papiers: „Der Gedanke der Kleinsiedlung bezweckt aus staatspolitischen, sozialwirtschaftlichen und sittlichen Gründen die Seßhaftmachung des im großen Produktions- und Wirtschafts-Umbildungsprozeß entwurzelten Großstadtproletariers auf heimischen [sie] Grund und Boden, mit dem Ziele, dadurch den Lebensunterhalt eines Teiles dieser Bevölkerungsschicht zu erleichtern." Hinter solchen programmatischen Einleitungsformeln verbarg sich dann in den weiteren Teilen des Papiers ein ganz pragmatisches Siedlungsprogramm, das vorsah, geeignete Bewerber auf einem gemeindeeigenen, von der Stadt ausgewählten und zur Verfügung gestellten Grund anzusiedeln. Preis faßte dafür konkret drei Standorte ins Auge: Fürstenried im Südwesten, Freimann im Norden und ein Ge-

biet zwischen Berg am Laim und Neuramersdorf im Osten. Auch in diesem Positionspapier wird wieder deutlich, daß Preis das Siedeln als Wohn- und Lebensform über den Zweck der Arbeitsbeschaffung stellte. Er betonte, daß die Bewerber „eine gewisse Eignung und eine ausgesprochene Neigung für die Siedlertätigkeit" mitbringen müßten, und folgerte dann im weiteren: „Erwerbslosigkeit ist nicht unbedingte Voraussetzung."19 In dieser Hinsicht erfuhr allerdings auch das Reichsprogramm eine gewisse Modifikation: Während die Notverordnung vom 6. Oktober 1931 als einzige Zielgruppe die Erwerbslosen genannt hatte, traten nach den Richtlinien des Reichskommissars für die vorstädtische Kleinsiedlung vom 10. November 1931 auch die Kurzarbeiter in den Kreis der Adressaten20. Nachdem Preis am 8. Dezember eine weitere Denkschrift vorgelegt hatte, in der er die Bedingungen für „die Anlage von Reichs-Kleinsiedlungen und Kleingärten in München" schon viel genauer formuliert hatte21, gelang es ihm am 17. Dezember 1931, im Stadtrat eine Mehrheit für die Übernahme des Kleinsiedlungsprogramms der Reichsregierung in München zu erlangen (bei sieben Gegenstimmen). Während nur die KPD grundsätzliche Opposition demonstrierte, überwog bei der Stadtratsmehrheit offensichtlich der von Thomas Wimmer geäußerte Gedanke, daß man es „unseren Verhältnissen in München" schuldig sei, die Bedenken gegen das Programm nicht zu sehr in den Vordergrund zu stellen, sondern einen Versuch zu machen. Dennoch gab es von praktisch allen Fraktionen deutliche Einwände bis hin zu der pointierten Stellungnahme von Karl Weiß (Freie Bürgerliche Mitte), der prophezeite, „dass diese Randsiedlungen von vornherein zum wirtschaftlichen Zusammenbruch verdammt sind [...] In diesen primitivsten Siedelungen werden sich nur ganz wenige Menschen wohl fühlen, die fanatische Naturfreunde sind und diesem Leben alles andere opfern."22 Die Kritik an 18 19 20

21

22

Vgl. oben, S. 199.

Gedanken zur Reichs-Kleinsiedlung, 24.10.1931, S. 3, StadtAM, PR 83/6, 393. Abdruck der Richtlinien in: ZWB 29 (1931), S. 166-168 (hier irrtümlich auf den 7.11. datiert). Ausführlich diskutiert wurde die Denkschrift in der Wohnungsausschußsitzung vom 14.12.1931, deren Protokoll sie auch beiliegt, StadtAM, RP 704/8. Wimmer und Weiß in der Ratssitzung vom 17.12.1931, StadtAM, RP 704/1. Für die Fraktion der Kommunisten lehnte die Stadträtin Sarnecki das Randsiedlungsprogramm grundsätzlich unter dem Hinweis ab, daß hier nicht Erwerbslosen geholfen werden solle, sondern „im Interesse des bankrotten kapitalistischen Systems" gebaut würde. „Diese Massnahmen haben nur den Zweck, eine kleine Schicht Erwerbsloser zu korrumpieren und sie vom Klassenkampf abzuhalten." Das veranlaßte den zweiten Bürgermeister Küfner zu der ironischen „Wenn das der Fall wäre, was Frau Sarnecki sagt, dass man mit diesen SiedlungenBemerkung: die Siedler

202

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

der durch die Reichsauflagen erzwungenen Einfachheit der Siedlungsbauten wurde sogar vom Wohnungsreferenten geteilt, der auf die grundsätzliche Wende der Reichspolitik hinwies, die vor kurzem noch um großzügige Wohnungsförderung bemüht gewesen sei, jetzt aber „von einem Extrem ins andere" falle. „Das ist es, woran ich mich stosse, [...] dass man schliesslich um den geringen Betrag von 3 000 RM bei unseren klimatischen Verhältnissen ein Gebäude herstellen muss, das noch einigermassen als Wohnung angesprochen werden kann."23 Die vom Reichskommissar erlassenen „Richtlinien zur vorstädtischen Kleinsiedlung und Bereitstellung von Kleingärten für Erwerbslose" vom 10. November 1931 legten die Kostenhöchstgrenze für die Errichtung der Siedlerstelle (ohne Grundstückskosten) tatsächlich auf 3000 RM fest24. Das wurde von den Kritikern, nicht nur im Münchner Stadtrat, als praxisfern angesehen, kalkulierte man die Baukosten für ein kleines, solides Häuschen doch in der Regel auf das Drei- bis Vierfache25. Weitere Bedenken der Münchner Stadträte zielten auf die möglicherweise entstehende Belastung für die Gemeindekasse. Insbesondere der BVP-Rat Michael Gasteiger drängte in der Sitzung am 17. Dezember 1931 darauf, genauere Kalkulationen anzustellen, bevor die Gemeinde den „Sprung ins Dunkel" wage26. Er konnte sich mit dem Antrag durchsetzen, daß die öffentliche Ausschreibung des Siedlungsprogramms erst vorgenommen würde, wenn eingehende Berechnungen des Hochbauamtes vorlägen. Dadurch trat jetzt eine Verzögerung von etwa zwei Monaten ein, die Thomas Wimmer später einmal als „Kardinalfehler" bezeichnete, weil sie die rechtzeitige Fertigstellung der Siedlungen zum darauffolgenden Winter verhinderte27. Schließlich konnte Preis in Zusammenarbeit mit dem Hochbauamt, das die Ausarbeitung der Pläne und die Kalkulationen übernahm, die Initiativen im Kleinsiedlungsprogramm so weit vorantreiben, daß zunächst der Wohnungsausschuß in seiner Sitzung vom 19. Februar28, sodann das Stadtrats-Plenum in seiner Sitzung vom 3. März 1932 drei konkrete Siedlungsprojekte genehmigen konnte29: „Freimann" mit 194 Siedlerstellen, „Johanneskirchen" mit 68 Stellen und „Perlacher Forst" mit 98 Stellen. Preis drängte zur Eile, „da die Gelder, wenn sie jetzt nicht in Anspruch genommen werden, vom Reichskommissar nicht reserviert werden, sondern unwiederbringlich für die Münchener Wirtschaft verloren sind"30. Er konnte auch verhindern, daß sich der Alternativbeschluß des Haushaltsausschusses31, den die Vertreter einer vorsichtigeren Strategie, wie die Stadträte Weiß und Gasteiger, unterstützten, im Plenum durchsetzte, nämlich wegen des Risikos für die Stadt zunächst nur einen Pionierversuch mit der Siedlung Freimann zu machen: 22 Stadträte (gegen f 4) stimmten dafür, gleich die gesamte Zahl von 360 Stellen in gevom 23 24 25 26 27 28 29 30 31

Klassenkampf wegbrächte, wäre ich der Meinung, dass man sich gar nicht genug um die Sa-

che annehmen könnte." StadtAM, RP 704/1. ZWB 29 (1931), S. 167.

Vgl. Bellinger, Neugestaltung, S. 13.

StadtAM, RP 704/1.

Wimmer im Wohnungsausschuß vom 8.2.1933, MGZ 61 (1932), S. 142-152. Ebenda, S. 180-199. Ebenda, S. 199.

StadtAM, RP 705/9.

StadtAM, RP 706/8.

1. Der

Kleinsiedlungsbau in München

203

Siedlungen in Angriff zu nehmen. Da Preis nun die Handhabe hatte, das Programm weiterzuverfolgen und noch am gleichen Tag entsprechende Maßnahmen zu veranlassen32, konnte es ihm verhältnismäßig gleichgültig sein, daß im Stadtrat keine Einhelligkeit zu erzielen war. Karl Fiehler etwa hatte für die NSDAP die Gelegenheit benutzt, die Kritik an der als verfehlt gegeißelten Finanzpolitik des Reiches, insbesondere gegenüber den Gemeinden, zu erneuern. Er mochte auf der grundsätzlichen Ablehnung der Reichspolitik allerdings nicht so weit beharren, daß er die Zuschüsse zurückgewiesen hätte. „Sollen wir nun aber das ablehnen, was uns vom Reich als Bettelpfennig gegeben wird? Nein, wir lehnen es nicht ab, sonst würden die Herren hintennach kommen und sagen, wir wollten ja Siedlungen schaffen, Ihr habt sie aber nicht angenommen."33 schlossenen

An Reichsdarlehen entfielen auf München in diesem ersten Abschnitt der Kleinsiedlung zunächst 1125 000 RM, davon sollten für die 360 Stellen 900 000 RM beansprucht werden, nämlich der Höchstbetrag von 2 500 RM je Siedlerstelle34. Anders als in dieser Planung vorgesehen, erhöhte sich die Gesamtstellenzahl im Laufe des Jahres 1932 allerdings auf 400, da das Projekt Johanneskirchen sich als ungeeignet erwies und an die Zamdorfer Straße verlegt wurde, wodurch mehr Siedlungsstellen errichtet werden konnten35. Bei den Berechnungen für die Siedlung Freimann etwa ging man davon aus, daß die Gesamtgestehungskosten für eine Stelle sich auf 4 495 RM belaufen würden, wovon 1 495 RM auf das Grundstück entfielen, während die Baukosten genau nach den gesetzlichen Vorschriften auf 3 000 RM kalkuliert wurden. Die Eigenleistung des Siedlers wurde dabei mit 500 RM veranschlagt, während 2 500 RM durch das Darlehen gedeckt waren36. Die monatlichen Belastungen für den Siedler setzten sich demnach aus einem Erbbauzins für das Grundstück, einer Nebenkostenbeteiligung und den Zinsen für das Reichsdarlehen zusammen, sollten aber für die ersten drei Jahre nicht mehr als 13 RM monatlich betragen, für die späteren Jahre etwa 17 RM37. Bei der äußerst knappen Kalkulation der Baukosten mußte man davon absehen, das örtliche Baugewerbe in stärkerem Maße einzubeziehen. Nach dem Modell der Stadt sollten lediglich einige Ausbaugewerbe im Submissionsweg beteiligt werden, viel aber durch Eigenleistung der

32

Noch am 3.3.1932 erging ein öffentlicher Aufruf an ter, sich um die Teilnahme am Siedlungsprogramm

Bd.l.

„geeignete" Erwerbslose und Kurzarbeizu

bewerben, StadtAM,

BRB

83/2, 165,

33

MGZ 61

34

Nach Wohnungsausschuß vom 19.2.1932, MGZ 61 (1932), S. 143. Die nicht ausgeschöpften Reichsdarlehen wurden später verrechnet, vgl. unten, S. 205. Für das ganze Reich wurden im ersten Siedlungsabschnitt 47,35 Millionen RM bereitgestellt, vgl. Schmidt, Kleinsiedlung (1935),

35

36

37

(1932), S.

193.

S.31. Durch die Verlegung von Johanneskirchen nach Zamdorf erhöhte sich die Zahl um 43 Stellen, dafür wurden in Freimann eine, am Perlacher Forst zwei Stellen weniger gebaut. Dargelegt wurde diese Kalkulation vom Wohnungsreferenten in der Sitzung des Wohnungsausschusses vom 19.2.1932, MGZ 61 (1932), S. 146. Für die ersten drei Jahre sollten jährlich folgende Kosten für die Siedlerstelle anfallen: 2% Erbbauzins an die Stadt für das Grundstück 30 RM; 3% Zinsen für das Reichsdarlehen 75 RM und 50 RM für Betriebs- und sonstige Nebenkosten, insgesamt also 155 RM. Diese Belastung von 13 RM monatlich sollte sich ab dem vierten Jahr auf ca. 17 RM erhöhen, weil dann das Reichsdarlehen mit 4% verzinst und zusätzlich mit 1 % getilgt werden mußte. Zu diesem An=

satz

ebenda, S.

146.

=

204

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

Siedler geschehen. Für die Bauleitung ebenso wie für die Vergebung der anfallenden Arbeiten und Lieferungen wurde das Hochbauamt eingesetzt38. Daß die Stadt München selbst die Trägerschaft für diese ersten Reichskleinsiedlungen an sich zog später auch für die Siedlungsbauten im dritten und vierten Abschnitt des Programms -, war für eine Stadt dieser Größe ungewöhnlich39. In der Regel machten die Großstädte von der Möglichkeit Gebrauch, bewährte Wohnungs- und Siedlungsgesellschaften als Träger einzuschalten, die in der Finanzierung und Verwaltung solcher Bauprojekte mehr Erfahrung mitbrachten. Auch in München war man sich durchaus klar, daß mit weiterer Ausdehnung der Siedlungstätigkeit eine große Belastung auf die städtische Verwaltung zukommen könne40. Es war wohl die desolate Situation der großen gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften in München, die zu der Entscheidung führte, die Trägerschaft selbst zu übernehmen. Von den beiden großen Gesellschaften, an denen die Stadt maßgeblich beteiligt war, hatte die GWG zu diesem Zeitpunkt jegliche Geschäftstätigkeit eingestellt, während die Gewofag, die die Wohnungsbauprogramme zu Ende der zwanziger Jahre in starkem Maße mitgetragen hatte, vor dem finanziellen Ruin stand41. Der Gemeinde eröffneten sich als Siedlungsträger außerdem direkte Kontrollmöglichkeiten nicht nur hinsichtlich der entstehenden Siedlungsbauten, sondern auch bei der Auswahl der Siedler. In den Sitzungen des Plenums und der Ausschüsse, in denen über die Initiierung des Siedlungsprogramms beraten wurde, demonstrierte das Hochbauamt, vertreten durch Fritz Beblo und Karl Meitinger, unbedingte Loyalität und unterstützte den Wohnungsreferenten hinsichtlich der technischen und finanztechnischen Spezifizierung der Pläne. Das latente Konkurrenzverhältnis zwischen beiden städtischen Stellen und der vom Wohnungsreferat postulierte politische Führungsanspruch42 führten aber zumindest hinter den Kulissen zu Konfliktsituationen. Anläßlich einer Auseinandersetzung um die Vergebung der Aufträge und Lieferungen versuchte Beblo seine Autonomie zu behaupten, wenn er erklärte, „daß das Hochbauamt doch tatsächlich für das Gelingen dieser Siedlungsunternehmen sowohl in finanzieller wie auch in technischer Hinsicht die Verantwortung vor dem Stadtrat tragen muß" und es von daher „selbstverständlich besonders bei dieser schwierigen Angelegenheit, bei welcher es um Pfennigbeträge ankommt, absolute Selbständigkeit haben muß"43. Preis konzedierte in seiner Antwort auf Beblos Schreiben zwar die Zuständigkeit des Hochbauamts für die Vergebung der Auf-

-

-

38 39

40

41 42

43

Ebenda, S. 144, und Stadtratssitzung vom 3.3.1932, ebenda, S.

181. Bei den Städten über 500 000 Einwohnern hat München als einzige die Trägerschaft selbst übernommen, während das bei kleineren Städten häufiger der Fall war. Vgl. Harlander/Hater/Meiers, Siedeln in der Not, S. 77, und H.H. von Auer, Einiges vom Aufbau der vorstädtischen Kleinsiedlungen, in: Der Städtetag 27 (1933), Beilage S. 33*-37*. Zu den möglichen Belastungen für die Stadt Preis im Wohnungsausschuß am 14.12.1931, StadtAM, RP 704/8. Die Richtlinien vom 10.11.1931 sahen die mögliche Übertragung der Trägerschaft ausdrücklich vor, vgl. ZWB 29 (1931), S. 167. Vgl. unten, S. 303 und S. 308. Richtig massiv wurde der Bevormundungsdrang des Wohnungsreferates dann unter Guido Harbers, der das Hochbauamt sogar gern seinem eigenen Referat einverleibt hätte, vgl. oben, S. 68 Oberbaudirektor Beblo an Stadtrat Preis, 22.2.1932. Vgl. auch Preis' Antwort vom 23.2.1932, beides in: StadtAM, BRB 83/2, 165, Bd. 1.

1. Der

Kleinsiedlungsbau in München

205

träge und Lieferungen, versäumte aber nicht, nochmals auf die führende Rolle des Woh-

nungsreferates in allen Siedlungsfragen hinzuweisen. Preis wollte die öffentliche Förderung nicht nur auf die behördlich organisierten

Kleinsiedlungen erstreckt sehen, sondern strebte darüber hinaus an, mehr Anreize für die Eigeninitiative im Siedlungswesen zu schaffen44. Den zweiten Abschnitt des Reichskleinsiedlungsprogramms, in dem München nur 100 Stellen erhielt45, gedachte er daher zur Unterstützung von Einzelsiedlern zu nutzen, die selbst über geeignetes Bauland verfügten46.

Schon in der Sitzung des Wohnungsausschusses vom 19. Februar 1932, in der die erdrei geschlossenen Reichskleinsiedlungen für München zu einem konkreten Baupaket zusammengeschnürt worden waren, hatte Preis dafür plädoyiert, künftig der Stadt nicht mehr die Last solcher größeren Anlagen aufzubürden, sondern auf individuelle Initiativen zu setzen. „Der bessere Gedanke, die Wohnbau- und Siedlungstätigkeit zu fördern, ist meines Erachtens nicht die gebundene Siedlung nach den Absichten der Reichsregierung, sondern unter allen Umständen die Förderung des Einzelsiedlers."47 Angesichts dieser deutlichen Stellungnahme war es um so unangenehmer für den Wohnungsreferenten, ein knappes Jahr später einräumen zu müssen: „Der Versuch, an Stelle geschlossener Reichskleinsiedlungen Einzelsiedler zu berücksichtigen, ist [...] gescheitert und muss für die Zukunft endgültig aufgegeben werden."48 Diesem Eingeständnis vorausgegangen war eine Phase schwierigster Vorverhandlungen und Begutachtungen. Am Ende blieben von den 163 Bewerbern, die sich auf die Aufforderung der Stadt zur Einzelsiedlung gemeldet hatten, gerade einmal zwölf übrig, denen der Wohnungsausschuß in seiner Sitzung vom 8. Februar zutraute, ein solches Siedlungsprojekt wirklich durchzuführen. Für den Rest stellte sich die finanzielle Situation bzw. die tatsächliche Bebaubarkeit der Grundstücke so unsicher dar, daß die Stadt sich auf keine Genehmigung von vermutlich zum Scheitern verurteilten Siedlungsprojekten einlassen wollte. „Die Verhältnisse bei den meisten Gesuchstellern sind ausserordentlich prekär, sodass man immer mehr und mehr den Eindruck gewinnt, ihnen mit der Zuteilung eines Reichsdarlehens ein sehr fragwürdiges Geschenk zu machen."49 Aufgrund des Fehlschlags bei den Einzelsiedlern blieb der zweite Abschnitt des Reichskleinsiedlungsprogramms in München vor allem durch drei Gruppenansiedlunsten

44

Beispielhaft ist dafür auch seine aufgrund heftiger Widerstände des Grundbesitzreferenten Jansohn nur in kleinem Maßstab durchgeführte (mittelständische) Siedlungsförderung durch günstige Überlassung von städtischem Grund an Bauwerber. Ein solches Projekt wurde an der Murnauer Straße ins Leben gerufen. Vgl. StadtAM, PR 83/6, 393, und Hauptausschußsitzung vom

45

Diese Stellen bildeten einen Ausgleich für das im ersten Abschnitt nicht voll ausgeschöpfte Kontingent von 500 Stellen, die das Reich bezuschußt hätte. Nach den Richtlinien für den zweiten Abschnitt des Kleinsiedlungsprogramms war die Gemeinde berechtigt, die Darlehen auch an Einzelsiedler weiterzugeben, die sich ihr Land selber beschafft hatten, sofern die Grunderwerbskosten „in angemessenen Grenzen" blieben, das Grundstück nicht über den Wert belastet wurde und die für den Siedler entstehenden Zins- und Tilgungsverpflichtungen seine Leistungsfähigkeit nicht überstiegen (abgedruckt in ZWB 30 [1932], S. 117-119, bes. 119). MGZ 61 (1932), S. 142-152, hier 145.

46

47

48 49

2.6.1932, StadtAM, RP 705/3.

Wohnungsausschuß vom 8.2.1933, StadtAM, RP 706/8. Ebenda.

206

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

gen geprägt, die im Unterschied zu den Reichskleinsiedlungen des ersten Abschnittes nicht von der Stadt getragen wurden und die jeweils eine deutlich kleinere Anzahl von Stellen umfaßten. Nur aufgrund der hier von der Caritas, der Inneren Mission und dem Münchner Wohnungsbauverein ergriffenen Siedlungsinitiativen gelang es überhaupt, das ohnehin kleine Kontingent von f 00 Stellen im zweiten Abschnitt auszuschöpfen50; ähnlich wie schon beim ersten Abschnitt trotz gravierender sonst wäre München die in Wohnungsnot Lage gekommen, einen Teil der vom Reich angebotenen Darlehen zurückweisen zu müssen. Richtige Begeisterung für das Kleinsiedlungsprogramm mochte sich in München im Laufe des Jahres 1932 allerdings nicht einstellen. Die Unzulänglichkeiten des Siedlungsbaus waren zum Teil so erheblich, daß man im Wohnungsreferat zwar nicht gleich wie die Wochenzeitung „Welt am Sonntag" von einer „Schande" sprach51, aber doch sehr zurückhaltend gegenüber einer weiteren Ausdehnung der Reichskleinsiedlungen wurde: „Gleichwohl möchten wir vom Standpunkte der Großstadt, vom Standpunkte ihrer wünschenswerten Entwicklung und Verwaltung aus eine Ausbreitung dieser Siedlungen um jeden Preis nicht befürworten. So würde ein Kranz solcher baulich immerhin einfacher Heimstätten um den Stadtkern, ohne Anschluß an das Kanalnetz, allein schon zu einer schweren Beeinträchtigung der auf dem Gebiete der großstädtischen Hygiene gegebenen Notwendigkeiten führen."52 Zu einem Kranz solcher Anlagen sollte es tatsächlich nie kommen; schon die ersten drei Projekte bedeuteten für die Siedleranwärter und die Behörden einen erheblichen Aufwand, der die Siedlung kaum als Regelfall des Wohnungsbaus geeignet erscheinen ließ. -

-

Die Errichtung der Reichskleinsiedlungen in Freimann,

am

Perlacher Forst und an der

Zamdorfer Straße Als die Stadtverwaltung sich entschied, das Reichskleinsiedlungsprogramm auch in München zu verwirklichen, war es vor allen Dingen immer wieder die extreme Beschränkung in der Bauausführung, die zu Bedenken Anlaß gab. Tatsächlich war der durch die Reichsrichtlinien vorgegebene Spielraum enorm eng und ließ kaum mehr als den Bau von „Primitivsiedlungen" zu53. Auf der anderen Seite und auch dieses Argument war mehrfach zu hören schufen die hier zu erstellenden Siedlungen um einiges -

bessere Wohnverhältnisse, als sie in München vielerorts Realität waren. In den „wilden Siedlungen", in Obdachlosenwohnungen oder Kasernennotwohnungen waren häufig weder der hygienische Standard noch die Privatheit des Familienlebens garantiert. Die Probleme in bezug auf die spätere „Qualität" der Siedlungsstellen fingen bereits bei der Auswahl des Geländes an. So wurde das in der Stadtratssitzung vom 3. März -

50

Letztlich wurden im zweiten Siedlungsabschnitt zehn Stellen des Vereins Innere Mission in Perlach, 19 Stellen des Katholischen Caritasverbandes der Erzdiözese München-Freising, 60 Stellen des Münchener Wohnungsbauvereins in Moosach und schließlich

51

52

nur elf Einzelsiedlerstellen (von denen zehn tatsächlich gebaut wurden) genehmigt. Vgl. Aufstellung des Dezernats 7 vom 7.4.1938, StadtAM, BRB 83/2, 165, Bd. 2. Vgl. den Artikel in der Welt am Sonntag vom 14.8.1932: „Strafkolonie Freimann". Vorlage von Preis für die „Besichtigungsfahrt am 17. Oktober 1932", S. 2, StadtAM, BRB 83/2,

194.

53

Diesen Ausdruck vom

18.1.1933,

MGZ 62

gebrauchte Stadtrat Gasteiger mehrfach in der Wohnungsausschußsitzung die Unzulänglichkeiten der Reichskleinsiedlungen deutlich zu machen,

um

(1933), S. 21.

1. Der

Kleinsiedlungsbau in München

207

1932 bereits genehmigte Siedlungsprojekt für Johanneskirchen wieder fallengelassen, weil sich der Boden in dieser Gegend als ungeeignet erwies. Schließlich sollten die Kleinsiedler ja in der Lage sein, über landwirtschaftlichen Anbau einen erheblichen Teil ihres Eigenbedarfs selbst zu decken54. Als Ersatz entschied sich der Wohnungsausschuß dann für ein Gelände an der Zamdorfer Straße, das zudem den Vorteil hatte, für mehr Siedlerstellen Platz zu bieten55. Aufgrund der verschiedenen Kalkulations- und Planungsschwierigkeiten begannen die Bauarbeiten unter Aufsicht des Hochbauamtes schließlich erst im Frühsommer 193256. Zum Abschluß konnten sie bis zum Winter nicht mehr gelangen, trotzdem waren zur Jahreswende 1932/33 etwa zwei Drittel der Häuschen in den drei Siedlungen bezogen57. Seit 1933 konnten dann auch die formalen Pachtverhältnisse zwischen Stadt und Siedlern in Kraft treten58. Jetzt war jeder Siedler der Stadt gegenüber für seine Siedlerstelle verantwortlich; demgegenüber hatte während der Bauarbeiten, als noch nicht feststand, wie die einzelnen Stellen verteilt sein würden, das Prinzip gegolten, daß sich alle in gleicher Weise am Gemeinschaftswerk zu beteiligen hätten59. Als Gemeinschaftsaufgaben wurden auch die umfangreichen Straßenherstellungs- und generellen Erschließungsarbeiten deklariert. Weil sich bald herausstellte, daß die Siedler allein mit diesen Arbeiten nicht fertig würden, schaltete man dann seit dem Juli 1932 auch den Freiwilligen Arbeitsdienst bzw. Wohlfahrtserwerbslose in die Errichtung der Siedlungen ein. Welche Probleme sich daraus ergaben, ist weiter unten noch zu behandeln. Erst kurz vor der Fertigstellung in Freimann etwa am 10. Oktober 1932 wurden die Stellen dann unter den Siedlern verlost. Dieses beinahe „sozialistische" Prinzip rieb sich freilich am Besitzstandsdenken der einzelnen Anwärter. Sie drängten auf baldige Verlosung, unter anderem mit dem Argument, sich von Freunden oder Bekannten bei der Fertigstellung helfen lassen zu wollen60. Vor allem aber wollten sie sich ihres eigenen Besitzes vergewissern, und diese Bindung an den eigenen Boden -

-

Auch bei der Diskussion anderer und weiterer möglicher Siedlungsgrundstücke erwies sich die Bodenqualität als erheblich einschränkender Faktor, vgl. StadtAM, BRB 83/2, 165, Bd. 1. Von Seiten der Reichsbehörden wurde ebenfalls besonders betont, daß der Boden unbedingt für Gartenkultur geeignet sein müsse, damit die Siedlerstelle ihre Funktion erfüllen könne, vgl. Schmidt, Die vorstädtische Kleinsiedlung (1933), S. 12. Damit konnten 193 Stellen in Freimann, 96 am Perlacher Forst und 111 an der Zamdorfer Straße gebaut werden (insgesamt 400), Wohnungsausschuß vom 15.4.1932, Stadt AM, RP 705/6. Einen Überblick über die Arbeit des Hochbauamtes vermittelt Beblo, Münchener Stadtrandsiedlungen, in: Technisches Gemeindeblatt 36 (1933), S. 205-209. Baubeginn war in Freimann und Perlacher Forst am 18.5.1932, in Zamdorf drei Wochen später. Brief der Vorstände der Reichskleinsiedlungsgenossenschaften vom 3.1.1933 an die Redaktion der Welt am Sonntag, StadtAM, BRB 83/2, 175. Dazu Referat 7/2, 28.1.1933: Da die einzelnen Parzellen noch nicht vermessen waren, wurde ein vorläufiger Pauschal-Pachtzins von drei RM monatlich in Freimann, wo die Grundstücke etwas kleiner waren, festgelegt; am Perlacher Forst und an der Zamdorfer Straße betrug er vier RM. StadtAM, BRB 83/2, 165, Bd. 1. Im Juni 1933 wies das Wohnungsreferat für künftige Siedlungen darauf hin, daß die Verlosung so spät wie möglich erst stattfinden solle, weil „bei früherer Verlosung der Gemeinschaftsgeist der Siedler stark zu wünschen übrig läßt, da der Siedler alsdann nur noch Sinn für seine eigene Siedlerstelle, dagegen wenig Verständnis für die zur Fertigstellung der restlichen Siedlung unbedingt erforderlichen Gemeinschaftsarbeiten aufbringt". Referat 7/3, gez. Tempel, 8.6.1933, S. 4, StadtAM, BRB 83/2, 165, Bd. 1. Klotz, 60 Jahre, S. 67, und Münchener Zeitung vom 26.10.1932: „400 neue Siedlerhäuser für Erwerbslose".

208

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

ja gerade auch bei der Entstehung des Kleinsiedlungsprogramms als erstrebensEigenschaft der künftigen Siedler gegolten. An diesem Punkt zeigte sich, daß ein Spannungsverhältnis zwischen den auf Vergemeinschaftung und genossenschaftlichen Zusammenhalt angelegten gesellschaftlichen Zielen des Programms und seinen durch individuelle Eignung, bäuerliche Tugenden und Eigentümermentalität gekennzeichneten anthropologischen Zielen bestand61. 1214 Bewerber hatten sich für die ersten Reichskleinsiedlungen in München angemeldet62, unter ihnen hatte die Stadt anhand eines Benotungssystems die am besten geeignet erscheinenden Siedleranwärter ausgewählt63. Es war kein Zufall, daß dabei insbesondere Bauhandwerker zum Zuge kamen, war die Einhaltung der niedrigen Gestehungskosten doch nur über die erhebliche Eigenarbeit der Siedleranwärter möglich. Nach der Buchführung der Reichskleinsiedlungsgenossenschaften betrug die Eigenleistung pro Siedlerstelle etwa 2 000-3 000 Stunden, entsprach also einem guten Mann-Jahr an Arbeitsleistung. Der Beitrag der einzelnen Siedler fiel aufgrund des individuellen Leistungsvermögens und auch aufgrund der differierenden Anforderungen, die das Gelände stellte, doch recht unterschiedlich aus, obwohl ursprünglich geplant war, daß alle gleich viel arbeiten sollten. Finanziell fiel das allerdings nicht ins Gewicht, weil die Eigenleistung der Siedler nicht individuell berechnet wurde64. Daß bei dieser in programmatischen Äußerungen stets idealistisch aufgewerteten „Selbst- und Nachbarschaftshilfe" keineswegs ein immer spannungsfreies Klima herrschte, beweist eine Notiz Fritz Beblos für das Wohnungsreferat vom 3. November 1932: „Die Fälle von Diebhatte

werte

stählen, Materialverschwendung, von unberechtigtem, rücksichtslosem Gebrauch von Baumaterialien, Werkzeug, Arbeitsüberkleidern anderer Siedler und Hilfsdienstleute

mehren sich bei der Samstag-Sonntagarbeit in den Siedlungen in unerträglichem Mass."65 Es ist freilich nicht ausgeschlossen, daß der Stadtbaurat, der den Übeltätern auch harte Sanktionen androhte, einzelne Vorkommnisse etwas übertrieb, um Gefährdungen des Gemeinschaftsgeists von vornherein zu begegnen. Der zeitgenössische Enthusiasmus für diese Form der „produktiven Arbeitslosenfürsorge"66 sollte ferner nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Siedler-Eigenarbeit nicht 61

62

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Diese

Spannung wurde auch bei der zeitgenössischen soziologischen Untersuchung von Eichinger in Freimann wahrgenommen, der zwar den individuellen Leistungswillen der meisten Siedler hervorhebt, aber ein geringes Interesse für „kulturell-geistige Vorgänge" und an der „lebendigen tätigen Gemeinschaft" sieht. Sozial- und Wirtschaftsstruktur, S. 148-151, bes. 149. Verwaltungsbericht 1930-1932, S. 154.

Zur Siedlerauswahl ausführlich unten, S. 239ff. Pauschal veranschlagte man 500 RM für die Einzelleisrungen der Siedler, wobei man von 2500 Arbeitsstunden mit einer Entlohnung von 20 Pfg. ausging, die aber freilich nicht ausbezahlt wurde. (Hochbauamt, 27.10.1938, StadtAM, BRB 83/2, 165, Bd. 2) Im Wohnungsreferat spielte man durchaus mit dem Gedanken eines Anreiz- bzw. Bestrafungssystems, da „der Unterschied bei der Zahl der geleisteten Tagschichten bis zu 160%" betrüge (Referat 7/3, gez. Tempel, 8.6.1933, S. 2, StadtAM, BRB 83/2, 165, Bd. 1). Auch die Hebelisten der drei Reichskleinsiedlungsgenossenschaften über die geleisteten Arbeitsstunden zeigen ein Gefälle: Am höchsten fielen danach die Arbeitsleistungen in Freimann aus, wo sie oftmals über 2 500 Stunden betrugen, während sie in Zamdorf häufig weit unter 2 000 lagen. (StadtAM, BRB 83/2, 165, Bd. 1 u. 2) Aufgrund dieser Erfahrungen hatte man bei der Siedlung am Hart zunächst vor, die Siedler, die mehr geleistet hätten, hypothekarisch besser zu stellen (vgl. unten, S. 221). Vormerkung Beblos in: StadtAM, BRB 83/2, 165, Bd. 1. Enthusiastisch etwa über die volkswirtschaftliche Bedeutung der Siedlung Mahr, Stadtrandsiedlung. Es ist möglich, daß auch Karl Scharnagl aus der Siedler-Eigenarbeit die Anregungen für

1. Der

209

Kleinsiedlungsbau in München

gerade den Standards moderner, rationalisierter Arbeitsabläufe entsprach. Auch die Gelernten aus dem Bauhandwerk wurden für alle möglichen Tätigkeiten, nicht nur in ihrem Fachgebiet, eingesetzt, dazu kamen die vielen Laien, die durch die ungewohnte Arbeit häufig an den Rand ihrer Kräfte gelangten67. Es mag dem glücklichen Zufall zu-

zuschreiben sein, daß die Zahl der Unfälle zumindest derer, die bekannt wurden gering blieb, aber gelegentlich forderte die fehlende Erfahrung und Sachkenntnis doch ihre Opfer68. Auch aus anderen Gründen aber wurde die Selbsthilfe im Siedlungsbau zunehmend problematisch. Solange die Reichskleinsiedlungen noch Erwerbslosensiedlungen waren, konnten ihre Bezieher genügend Zeit aufbringen, um sich am Aufbau zu beteiligen. Mit der fortschreitenden Reintegration in das Erwerbsleben aber blieben schlichtweg keine ausreichenden Freiräume, um noch erhebliche Leistungen am Bau zu vollbringen. In vollem Ausmaß machte sich diese Schwierigkeit erst bei den im Nationalsozialismus begonnenen Kleinsiedlungen bemerkbar, schon für den zweiten Siedlungsabschnitt aber tauchte das Problem in Ansätzen auf, weil sich hier die Bauarbeiten bis in das Jahr 1934 hineinzogen. Einige der Siedler wurden während der andauernden Bauphase in das Aufgebot für die nationalsozialistische „Arbeitsschlacht" einbezogen. Während sie zum Autobahnbau abgestellt waren, ruhten ihre Arbeiten am eigenen Siedlerhaus. In der Folge mußte Wohnungsreferent Harbers noch 1936 feststellen, daß an diesen Siedlerstellen „heute noch manches fehlt"69. Neben den Siedlern selbst wurde auch der Freiwillige Arbeitsdienst in die Geländeerschließungs- und Bauarbeiten einbezogen. Rund 850 Arbeitsdienstmänner arbeiteten im September 1932 an den Münchner Siedlungen mit, einen Monat später waren es sogar über 1 000. Sie erhielten den üblichen Satz von 2 RM pro Tag, den allerdings nicht die Stadt aufbringen mußte, sondern der aus Reichsmitteln über das Arbeitsamt beglichen wurde70. Mit dem großangelegten Einsatz des Arbeitsdienstes und der Siedler ersetzte de facto das Quantitäts- das Qualitätsprinzip im Kleinsiedlungsbau. Idealistisch bewertete das Karl Meitinger vom Hochbauamt, der in der Wohnungsausschußsitzung vom 14. Oktober 1932 das „ethische Moment" der Massenbeschäftigung gegenüber moderner rationalisierter Vorgehensweise betonte: „Wenn wir die Arbeiten zu Tariflöhnen vergeben, kommt ein Unternehmer mit seinen Maschinen und beschäftigt statt dieser 1 000 Leute vielleicht nur 150. Der Effekt wäre vielleicht in bezug auf die zeitliche -

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69 70

-

sein 1932 entwickeltes Arbeitsbeschaffungsprogramm bezog, das verbilligten Kleinwohnungsbau auf der Basis des Einsatzes von Erwerbslosen vorsah. Die Tariflohnarbeit sollte damit weitgehend ausgehebelt werden; vgl. Rebentisch, Kommunalpolitik, Konjunktur und Arbeitsmarkt, S. 145f. Zur Praxis der eigentlichen Siedlerarbeit vgl. Klotz, „Als Siedler kommen nur Erwerbslose oder Kurzarbeiter in Frage", S. 207-211. Vgl. Münchener Post vom 12./13.11.1932, in der über einen Unfall in Freimann berichtet wird, bei dem zwei Hilfsarbeiter verletzt wurden, weil sie eine frisch gegossene Beton-Kellerdecke zu früh entschalt hatten. Harbers an das Bayer. Wirtschaftsministerium, 27.8.1936, StadtAM, BRB 83/2, 168, Bl. 24f. Vorschußweise verausgabte die Stadt rund 200 000 RM für den Arbeitsdienst; d.h., sie bezahlte rund 100000 Mann-Tage oder umgerechnet auf 850-1 000 Arbeiter etwa 100-120 Arbeitstage pro Mann. Das Geld wurde ihr vom Arbeitsamt erstattet. Referat 7 an die Abteilung Arbeit im Staatsministerium des Äußern, für Wirtschaft und Arbeit, 19.9.1932, und Referat 7, 20.8.1935: Vorstädtische Kleinsiedlungen, I. Teil; hier: Rechnungsabschluß 1934, StadtAM, BRB 83/2, 165, Bd. 1. Außerdem auch für das weitere MGZ 61 (1932), S. 726-730 (Wohnungsausschuß vom

14.10.1932).

210

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

Ausführung der gleiche. Aber die Masse der Leute würde nicht von der Straße weggebracht." Dagegen galt vor allem der SPD im Münchner Stadtrat die Aushöhlung des Facharbeiterwesens und Tariflohnsystems als suspekt. Sie befürchtete, daß über den Arbeitsdienst das Geld verschwendet würde, das man sonst für reguläre Arbeitsvergebun-

gen in der freien Bauwirtschaft verwenden könne. Neben Thomas Wimmer fand vor allem der Stadtrat Hans Schmid scharfe Worte gegen diese „Murkserarbeit zum Schaden

der Siedler". Ihm ging es aber durchaus nicht nur um die Siedler, sondern auch darum, das System des Arbeitsdienstes als solches in Frage zu stellen. Es biete nicht einen fairen Lohn für harte Arbeit, sondern führe dazu, daß „die ganze Arbeiterschaft allmählich Schritt für Schritt versklavt wird"71. Mit solchen Attacken griffen die Münchner Sozialdemokraten eine bereits ältere Argumentation auf, die in ihrer Partei in der Vergangenheit vor allem verwendet worden war, um die immer wieder diskutierte Arbeitsdienstpflicht abzuwehren. Arbeitsdienst sei ähnlich wie der Militärdienst geeignet, die Arbeiterklasse in Abhängigkeit von der herrschenden Klasse zu bringen, und führe zum sozialen Rückschritt. Lohnsklaverei sei die drohende Gefahr, um so mehr, wenn Arbeitsvorhaben vom Arbeitsdienst ausgeführt würden, die sonst an die freie Wirtschaft vergeben worden wären72. Nachdem der Freiwillige Arbeitsdienst (FAD) aber f 931 gegründet worden war, wandte sich die SPD allmählich einer pragmatischeren Auffassung zu und akzeptierte ihn als temporäres Mittel der Krisenbewältigung, das zumindest jungen Männern die Chance gab, dem Status der Erwerbslosigkeit zu entrinnen73. Von solcher Anerkennung führte der Weg dann weiter zur Beteiligung am FAD: Im August 1932 wurde als Organisation der Arbeiterbewegung der „Soziale Dienst" gegründet, der sich sogar zu einem der stärksten Dienstträgerverbände innerhalb des FAD entwickelte74. Ähnlich wie auf der Reichsebene die Haltung der Sozialdemokratie zwischen ideologischer Ablehnung und pragmatischer Anerkennung des Arbeitsdienstes schwankte, fanden auch die Münchner Sozialdemokraten nicht zu einer einheitlichen Linie. Obwohl sich sozialdemokratische Verbände etwa von Anfang an am „Münchener Jugenddienst"75, der im Oktober 1931 als Arbeitsdienstprogramm für erwerbslose Jugendliche gegründet worden war, beteiligten, standen die Vertreter der Sozialdemokratie im Rathaus wie oben gezeigt dem Arbeitsdienst mehr als skeptisch gegenüber. Insbesondere Thomas Wimmer und Hans Schmid sahen in seiner Einschaltung in den Wohnungsbau ein grundsätzliches Problem. Sie befürchteten, daß damit der freien Bauwirtschaft, die ohnehin in der Weltwirtschaftskrise brachlag, noch stärkerer Schaden zugefügt würde. In der Diskussion am 14. Oktober lehnten sie deshalb für den zukünftigen Wohnungsbau die Beteiligung des Arbeitsdienstes ab76. Bei den Münchner Reichskleinsied-

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-

Die Zitate von Meitinger und Schmid ebenda, S. 728. Zu solcher Argumentation seitens der SPD vgl. Dudek, Erziehung durch Arbeit, S. 214-221, und die ältere Studie von Köhler, Arbeitsdienst, S. 163-177. Vgl. ebenda, S. 166f. Ebenda, S. 174, und Dudek, Erziehung durch Arbeit, S. 220. Zum Münchener Jugenddienst Brunner, Arbeitslosigkeit in München, S. 188-190. Konkret ging es in der Sitzung um den Bau weiterer Einfachwohnungen an der Ungsteiner Straße. Anders als die SPD-Räte hatte Oberbürgermeister Scharnagl gerade für den Kleinwohnungsbau die Einschaltung des Arbeitsdienstes ins Auge gefaßt. Dabei dachte er an ein Verhält-

1. Der

Kleinsiedlungsbau in München

211

lungen hatten sie allerdings mit ihren grundsätzlichen Einwänden keine Chance mehr. Ohne den Arbeitsdienst war an die ohnehin schon verzögerte Fertigstellung der Siedlungen in absehbarer Zeit nicht zu denken. Und bereits bevor diese grundsätzliche Debatte im Stadtrat stattfand, hatte das Hochbauamt Anfang Oktober einen Antrag auf Weiterbeschäftigung des FAD bis Ende des Jahres gestellt77. Zum Abschluß kamen die Arbeiten an den ersten drei Reichskleinsiedlungen im Frühjahr 1933, und noch bevor die Siedlungen ganz fertig und alle Häuser bezogen waren, meldeten sich die Kritiker zu Wort. So schrieb die sich unabhängig und kritisch genierende „Welt am Sonntag" in einem überaus scharfzüngigen Artikel über die Reichskleinsiedlung Freimann im Dezember 1932, daß die Siedler nunmehr einsehen müßten, „daß es aus ihrem Elend kein Entrinnen mehr gibt, und daß sie dazu verdammt sind, den Fluch, der auf der Siedlung liegt, zu tragen auf unabsehbare Zeiten". Diese dramatischen Worte wurden vor allem wegen der baulichen Mängel gewählt, die die Wochenzeitung konstatierte. Die Siedler, die bereits eingezogen wären, hätten eine nur notdürf-

-

tige und feuchte Unterkunft bekommen, für die anderen sei noch sehr viel zu tun, da-

einigermaßen wohnlich würden. „Der Frondienst um Gotteslohn beDie meisten Siedler mögen nimmer. Sie haben das ewige Vertrösten und Verschleppen satt, satt bis zum Halse."78 Ein zustimmender Leserbrief aus der Siedlung „Am Perlacher Forst" schilderte die dortigen Verhältnisse sogar noch erbärmmit die Häuser

ginnt von vorne.

licher: „Viele mußten ihre Möbel auf den nassen Kies stellen. Erst später bekamen wir die Bodenbretter, aber da fehlte es an Fachleuten, die die Böden legten. Der Putz ist in vielen Häusern noch so naß, daß er noch nicht einmal angezogen hat. Die Möbel gehen durch die Nässe auseinander. Heizen können wir nicht richtig, weil die Öfen nicht brennen. [...] Auch wir haben dieses Leben satt, und wenn wir noch einmal vor die Wahl gestellt würden, wir würden heute nicht mehr siedeln. Soll man sich in den nassen Häusern langsam den Tod holen?"79 Solche Töne wirkten einerseits maßlos übertrieben, andererseits war der Kritik in manchen Punkten ihre Berechtigung nicht abzusprechen. Selbst Jahre später zeigten die Häuschen noch die Makel ihrer schweren Geburt und konnten nur durch Nachbesserungen vor allzu starkem Verfall geschützt werden. So schlug das Hochbauamt wegen des zum Teil besorgniserregenden Zustands der Siedlerhäuser Mitte 1936 Alarm und verlangte, daß die dringendsten Sanierungsarbeiten noch bis zum nächsten Winter durchgeführt würden. Als Ursachen für den schnellen Verfall nannte Karl Meitinger „das ausserordentlich primitive Wohnen der mittellosen Volksgenossen, die Kleinheit der Räume, die mangelhafte Lüftung infolge Verlustes an Heizwärme", die zu einer „ganz übermässigen Inanspruchnahme der Wohnungen" geführt hätten80. Meitinger -

von 1/4 tariflich bezahlter Facharbeiter zu 3/4 Arbeitsdienstfreiwilligen. Schreiben des OB Staatssekretär Grieser im RAM, 8.11.1932, StadtAM, BuR 353/1. Die Tatsache, daß damit weitere 30 000 Tagschichten beantragt waren, verschwieg Meitinger bei der Stadtratsdiskussion, in der er nur von den 60 000 bereits genehmigten Tagschichten sprach: „Es treffen, da es sich um 400 Häuser handelt, also auf ein Haus 300 RM Ausgaben für den freiwilligen Arbeitsdienst, eine ganz geringe Summe." (MGZ 61 [1932], S. 729). Vgl. aber den Antrag des Hochbauamtes auf Weiterbeschäftigung des Arbeitsdienstes bei den vorstädtischen Reichskleinsiedlungen München vom 1.10.1932, in: StadtAM, Hochbauamt 840. Welt am Sonntag vom 18.12.1932: „Die ,Bescherung' von Freimann". Abgedruckt in: Welt am Sonntag vom 25.12.1932. Referat 11, Meitinger, an das Referat 7, 12.6.1936. S. 1, StadtAM, BRB 83/2, 165, Bd. 2.

nis an

77

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212

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

kritisierte die falschen Wohnweisen vieler Siedler81, für ihn als mitverantwortlichen Architekten bemerkenswert, aber vor allem die grundsätzlichen baulichen Mängel, wie insbesondere das Fehlen von eigenen Wasch- und Wirtschaftsräumen bei den Siedlungen des ersten Abschnittes: „Eine erzwungene falsche Behandlungsweise ist oftmals deshalb gegeben, weil Frauen mit mehreren Kindern gar nicht anders handeln konnten, als dass sie in der kleinen Wohnküche waschen, Wäsche trocknen, Futter kochen etc. mußten, weil eben eine eigene Waschküche mit Waschkessel, ein Trockenspeicher und eine Futterküche aus Mangel an Mitteln nicht geschaffen werden konnten."82 Als wichtigste Sofortmaßnahmen verlangte Meitinger den nachträglichen Einbau von wärmedämmenden Innenplatten, um einem Grundproblem der nicht in Massivbauweise erstellten Häuschen abzuhelfen. Die aus Dahmitsteinen bestehenden Häuschen am Perlacher Forst sollten außerdem einen wasserabweisenden Außenanstrich erhalten, für die in Fachwerkkonstruktion (Holz und Hohlbausteine) erbauten Häuser in Freimann und an der Zamdorfer Straße wurden die Schaffung von Belüftungsvorrichtungen und die Beseitigung der Feuchtigkeitsschäden als besonders vordringlich angesehen. Meitinger versäumte es aber auch nicht, auf die längerfristigen Schlußfolgerungen hinzuweisen, die man aus diesen Erfahrungswerten ziehen sollte. Er forderte für die Zukunft grundsätzlich die Massivbauweise, die zusätzliche Einrichtung von Waschküchen und die Trennung der Ställe von den Wohngebäuden. Im Grunde genommen bestärkte das Hochbauamt mit seiner hier so eindringlich geführten Klage nur die Tendenz zur etwas beständigeren Herstellungsweise, die ohnehin schon Praxis geworden war. Die Massivbauweise hatte sich im Münchner Kleinsiedlungsbau Mitte der dreißiger Jahre bereits durchgesetzt, auch eigene Waschräume und die Trennung der Ställe von den Wohngebäuden waren keine Frage mehr. Bei den Siedlungen des ersten Abschnitts war hingegen noch das Prinzip „alles unter einem Dach" verfolgt worden. Für das normale Einfamiliensiedlerhäuschen83 bedeutete dies, daß neben einer Wohnküche von rund 13 qm und einem Elternschlafzimmer von 14,5 qm auch ein Stallraum von etwa 10 qm im Erdgeschoß untergebracht war. Im Dachgeschoß war dann nur noch Platz für einen weiteren Schlafraum und eine Kammer. Zwar wurde der eingebaute Stall im Laufe der Jahre meist zu einem Wirtschaftsraum umfunktioniert, während die Siedler sich abseits des Hauses ein eigenes Stallgebäude bauten, doch erlaubten das nicht bei allen die wirtschaftlichen Verhältnisse84. Auch die von Meitinger geforderten Sofortmaßnahmen waren natürlich eine Geldfrage. So sprang die Stadt zwar mit Zuschüssen für die Entfeuchtung und Belüftung der Häuser in Freimann und

:1

12 13

4

„Im allgemeinen kann man sagen, dass etwa 62% der Siedlerstellen richtig oder fast richtig bewohnt werden; der Rest wird mangelhaft bewohnt, einige Stellen direkt falsch." Ebenda, S. 2. Ebenda, S. 3. Für das Folgende S. 3-5. Bei der Siedlung am Perlacher Forst wurde überwiegend der Typ des Doppelhäuschens gewählt, der sich aber anscheinend nicht bewährte: „Es hat sich nicht als günstig erwiesen, daß zwei Familien sowohl mit ihren Menschen als auch mit ihrem Wirtschaftsbetrieb so unmittelbar aufeinandersitzen." Sieber, Bevölkerungsaufbau, S. 100. Hier wurden allerdings die Stallbauten

getrennt vom Haus untergebracht. Vgl. Eichinger, Sozial- und Wirtschaftsstruktur, S. 22. Ebenda, S. 21-24, auch zum inneren Aufbau des Siedlerhauses (in Freimann), und Sieber, Bevölkerungsaufbau, S. 99-101.

1. Der Kleinsiedlungsbau in München an

213

der Zamdorfer Straße ein, den Siedlern entstanden aber auch erhebliche eigene Auf-

wendungen85.

Durch solche später anfallenden Sanierungskosten relativierte sich auch der zunächst sogar für die zeitgenössischen Verhältnisse extrem niedrige Baupreis der Häuschen etwas. Es war in München gelungen, mit den Gestehungskosten etwa im Rahmen der -

-

Gesetzgeber vorgesehenen 3 000 RM pro Haus zu bleiben, allerdings nur, indem Eigenleistung des Siedlers mit dem nicht der tatsächlichen Arbeit entsprechenden Wert von 500 RM eingesetzt wurde. Die reinen Baukosten betrugen durchschnittlich vom

die

Siedlerhaus, dazu kamen

168 RM für die Gemeinschaftskosten (Anlage Brunnen, Leitungen, Sickergruben, Wegen etc.), weitere 119 RM für Bauabgaben, Vermessungskosten, Architektenhonorare und Sonstiges, wie schließlich 80 RM für die Ausstattung der Stelle mit Inventar. Zusammen errechnete sich so ein Durchschnittswert von 3 063 RM pro Siedlerhaus. Für die 400 Stellen insgesamt waren es rund 1,2 Millionen RM, die zu über 80 Prozent von den Reichsdarlehen gedeckt wurden86. 2 196 RM pro von

Auch hinsichtlich der

Einzelbelastungen der Siedler konnte man bei den in der Pla-

nungsphase angesetzten Werten bleiben: Etwa 18 Mark monatlich mußte ein Siedler des

Bauabschnitts nach Ablauf einer Übergangsphase für seine Stelle aufbringen, das entsprach den Kalkulationen vom Frühjahr 1932; erst bei den folgenden Bauabschnitten erhöhte sich der Betrag87. Diese Belastung für den einzelnen Siedler setzte sich aus Zinsen und Tilgungsraten für die Baudarlehen, aus öffentlichen Gebühren und aus dem an die Gemeinde zu entrichtenden Pachtzins für seine Parzelle zusammen88. Entgegen den ursprünglichen Befürchtungen hatte die Stadt nur in geringem Maße direkte finanzielle Unterstützung leisten müssen, dagegen waren ihre personellen und organisatorischen Ressourcen auch nach der Siedlungsfertigstellung noch gefordert. Dabei wurde der Verwaltung die Arbeit durch die Reichskleinsiedlungsgenossenschaften erleichtert, die im November 1932 ersten

Nach der Sitzung der VFB-Beiräte am 10.9.1936 stellte der Oberbürgermeister 14 592 RM für diesen Zweck bereit, das heißt 48 RM pro Siedlerstelle in Freimann und an der Zamdorfer Straße. Abschrift der Beratungssache für die VFB-Beiräte in: StadtAM, BRB 83/2, 165, Bd. 2. Für die vollständige Isolierung und den Einbau von Wärmedämmplatten entstanden pro Siederstelle aber Kosten von 185 RM, vgl. Klotz, 60 Jahre, S. 100. Alle Werte (Durchschnittspreise pro Haus wurden errechnet) nach dem „Auszug aus der Schlußabrechnung und der Finanzierung" betr. die vorstädtische Kleinsiedlung, I. Abschnitt, Abt. für Arbeit und Fürsorge, 5.3.1938, StadtAM, BRB 83/2, 173. Den Gesamtkosten von genau 1225 135,73 RM entsprachen auf der Aufbringungsseite 1000 000 RM Reichsdarlehen, 200000 RM Selbsthilfeleistungen, 10 800 RM Baukostenzuschüsse für Kinderreiche durch die König-Ludwig-Landesstiftung (für Dachgeschoßausbauten), 10073,44 RM Zuschüsse des Trägers (also der Stadt) und 4262,29 RM Zinseinnahmen (für jeweils angelegte bzw. noch nicht

verbrauchte

Geldbeträge).

203, und die Antwort auf die Rundfrage des Deutschen Gemeindetages vom 5.5.1934, StadtAM, BRB 83/2,171 : Demnach betrug die jährliche Belastung eines Siedlers rund 205 RM, während Sieber, Bevölkerungsaufbau, S. 102, von 220 RM spricht. Die Höhe des Pachtzinses richtete sich nach der Parzellengröße: die Durchschnittsgröße der Parzellen (ohne Zusatzland) betrug in Freimann rund 700 qm, in Zamdorf und am Perlacher Forst 800 qm, vgl. Sieber, Bevölkerungsaufbau, S. 112,121,130. Allerdings gab es weite Abweichungen vom Durchschnitt, wie etwa in Freimann, wo das kleinste Grundstück sogar knapp unter 500 qm lag und das größte mit 1 015 qm mehr als doppelt so groß war, Klotz, 60 Jahre,

Vgl. oben,

S. 76.

S.

214

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

gegründet wurden und die Eintreibung der Pachten übernahmen. Die Genossenschaften sollten zwar als Selbsthilfevereinigungen der Siedler fungieren, ihre Gründung wurde aber von der Stadt oktroyiert, die es außerdem jedem Siedler zur Pflicht machte, darin Mitglied zu werden89. Schon zur Gründungsversammlung der drei Reichskleinsiedlungsgenossenschaften „Freimann", „Perlacher Forst" und „Zamdorfer Straße" am 15. November 1932 wurden pro Siedlung nur neun Siedler von der Stadt eingeladen. Diese 27 bestätigten die vom Wohnungsreferat ausgearbeiteten Satzungen für die Ge-

nossenschaften und wählten Vorstände und Aufsichtsräte90. Die Kritik der „Welt am Sonntag", die Genossenschaft in Freimann sei „ohne Zutun der Siedler" zustande gekommen, war damit zwar übertrieben, aber auch nicht so weit von der Realität entfernt91. Wenngleich die Stadt auf diese Weise Regie führte, entwickelten die Siedlungsgenossenschaften doch ein eigenes Verständnis ihrer Aufgaben und begriffen sich vor allem als Agenturen für die Interessen der hier zusammengeschlossenen Siedler. Von der Schwierigkeit einer solchen Interessenvertretung im „Dritten Reich" wird noch zu berichten sein. Vorerst kümmerten sich die Genossenschaften darum, daß Gemeinschaftsarbeiten wie die Instandhaltung von Wegen durchgeführt wurden und daß der Bezug von Wasser und Strom im Siedlungsverbund funktionierte. Sie boten fachliche Betreuung in Fragen der Kleintierhaltung und Gartenbewirtschaftung an und trieben ihre Genossenschaftler zu neuer Initiative, wenn der Gemeinsinn bisweilen etwas zu erlahmen drohte. Daneben oblag den Siedlungsgenossenschaften wie erwähnt die Eintreibung der von den einzelnen Siedlern geschuldeten Pachten, Zinsen und Gebühren. Sie sprangen aber auch in Notfällen ein, um Siedlern mit einem Kredit auszuhelfen, wie generell die „Gemeinschaftshilfe bei unverschuldetem Notstand einzelner Mitglieder" zu ihren satzungsmäßig verbrieften Zielen gehörte92. Die Stadt konnte sich durch die Einrichtung der Genossenschaften von einer ganzen Reihe von Aufgaben entlasten, die ihr als Trägerin der Siedlungen aufgebürdet waren. Trotzdem blieb bei ihr natürlich die Verantwortung für die Siedlungsprojekte, vor allem gegenüber der Öffentlichkeit und den ihr vorgesetzten Behörden. Das galt auch noch für die Gruppensiedlungen des zweiten Bauabschnittes, in denen die Trägerschaft ja nicht unmittelbar bei der Stadt lag. Dennoch war sie als „Verwalterin öffentlichen Grundes, als Fürsorgerin der Wohlfahrtsbedürftigen, als Betreuerin städtebaulicher Ueberlieferung und Voraussicht, als Obsorgerin öffentlicher Hygiene, als Verantwortliche für juristische Richtigkeit, dann als Ausführende in der Versorgung hinsichtlich Kanal, Wasser, Strom usw. beteiligt"93. Nicht zuletzt lag bei der Stadt die Initiative für 89 90

91 92

Ebenda, S. 75. StadtAM, BRB 83/2, 175. Welt am Sonntag vom 18. Dezember 1932. Vgl. die (undatierte) Satzung im Bestand der Siedlergenossenschaft München-Freimann, Gegenstand und Zweck der Genossenschaft, § 2. Diesem Bestand und den hier erhaltenen Protokollbüchern sind auch die weiteren Informationen

93

zum Funktionieren des Genossenschaftslebens entnommen. Entwurf von Preis für das vorgesetzte Staatsministerium, 12.11.1932. Die hier recht bitter geführte Klage über zu enge Terminsetzungen des Ministeriums, das sich offensichtlich der vielfältigen Aufgaben der Stadt in der Siedlungsfrage nicht bewußt sei, wurde nicht abgesendet, StadtAM, BRB 83/2,166. Vgl. ebenda auch den Brief Harbers' an das RAM, 3.3.1934, der zeigt, daß die Stadt sich auch bei den Einzelsiedlern um die Auszahlung der Darlehen, die Bestellung der Hypotheken und die ganze verwaltungsmäßige Abwicklung kümmern mußte.

1. Der Kleinsiedlungsbau in München

215

Siedlungsprojekte. Mit den 500 Siedlerstellen94 des ersten und zweiten Bauabschnitts waren die Reichskleinsiedlungen in München noch keineswegs zu „Selbstläufern" geworden, wie die Diskussionen im Zusammenhang mit dem dritten Bauabschnitt zeigten.

neue

Die Fortführung der Kleinsiedlung unter den Nationalsozialisten: Am Hart

Die Wurzeln des größten Münchner Kleinsiedlungsprojekts der Siedlung am Hart sind noch in der Erwerbslosenkrise der Weimarer Republik zu suchen; der Bau der Siedlung begann aber erst, als die Republik nicht zuletzt an der Erwerbslosenproblematik gescheitert war. Zu Beginn des Jahres 1933 hatte der Stadtrat zunächst allerdings beschlossen, das Reichskleinsiedlungsprogramm für München nicht fortzuführen. Die erzwungene Primitivität der Siedlungen, die auf Dauer den Städtern nicht genügen könnten, vor allem aber die unwägbaren Risiken für die Stadt, die mit erheblichen Folgekosten und Forderungen seitens der Siedler belastet werden könnte, ließen es dem Wohnungsreferenten und mit ihm einer Mehrheit des Wohnungsausschusses klüger erscheinen, jetzt „nein" zu sagen und damit wohl auch ein Zeichen gegenüber dem Reich zu setzen95. Damit überschätzte die Stadt ihre Gestaltungsmöglichkeiten: In Berlin ließ man die Münchner zwar ihre Gründe für die Ablehnung darlegen, erklärte nach der „Machtergreifung" aber schlichtweg, daß die Förderung des Kleinsiedlungsbaus die derzeit einzige Möglichkeit der Wohnungsbaufinanzierung überhaupt sei; andere Mittel für den Wohnungsbau könnten in absehbarer Zeit nicht bereitgestellt werden96. Obwohl diese Auskunft des Reichsarbeitsministeriums, die dem erst später aus dem Amt getriebenen Wohnungsreferenten Preis in der ersten Februarwoche des Jahres f 933 erteilt wurde, bestimmt noch nicht als programmatische Erklärung der neuen Reichsregierung betrachtet werden darf, zeigt ein Blick auf die Investitionen im Wohnungsbausektor, daß von einer aktiven Förderung des Wohnungsneubaus im Machtergreifungsjahr tatsächlich fast ausschließlich für den Kleinsiedlungsbereich gesprochen werden kann. Hier überstiegen die Investitionen mit f 12,25 Millionen RM für den dritten und vierten Bauabschnitt die Bilanz von 83 Millionen RM, die 1931/32 zur Verfügung gestellt worden waren97. Nach Machtantritt der Nationalsozialisten blieb den Wohnungspolitikern also sofern sie überhaupt mit Hilfe von Reichsmitteln neue Wohnungen bauen wollten nur die Möglichkeit, sich „mit Willen oder wider Willen an diesem Siedlungswerk" zu beteiligen98. Noch bevor die neuen Machtverhältnisse sich auch in der Besetzung des Münchner Wohnungsreferates niederschlugen, kam es deshalb zu einem Umschwenken -

-

-

-

-

-

Im ganzen Reich entstanden in den

Neugestaltung, S. 11.

Wohnungsausschußsitzung

vom

ersten

beiden Bauabschnitten rund 30 000 Stellen, Bellinger,

18.1.1933, MGZ

62

(1933), S. 17-24, besonders die Aus-

führungen von Preis und Gasteiger. So berichtete Preis über sein Gespräch am Vortag mit dem zuständigen Referenten des RAM in der Wohnungsausschußsitzung vom 8.2.1933, StadtAM, RP 706/8. Vgl. Bellinger, Neugestaltung, S. 11 und 15. Diese Investitionen waren noch Teil der Arbeitsbeschaffungsprogramme; erst mit dem fünften Abschnitt wurde die Kleinsiedlung auf eine neue Grundlage gestellt und ihre öffentliche Förderung stark zurückgenommen. in Preis

der Wohnungsausschußsitzung vom 8.2.1933,

StadtAM, RP 706/8.

216

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

Kleinsiedlungsfrage. Die Mehrheit des Wohnungsausschusses folgte dem Kurs den Bedingungen der Reichspolitik unterzuordwenn auch ungern nen, und beschloß in der Sitzung vom 8. Februar, sowohl Erweiterungsmöglichkeiten für die bestehenden Siedlungen in Aussicht zu nehmen als auch neues Gelände für Siedlungszwecke untersuchen zu lassen99. Preis hatte keine Gelegenheit mehr, in der Kleinsiedlungsfrage seine Erfahrungen und seine kritischen Einschätzungen zur Geltung zu bringen. Am 3. März tagte der Wohnungsausschuß zum letzten Mal im Jahr 1933, die sogenannte nationalsozialistische Revolution unterbrach die Arbeit des Gremiums, das nur noch in epigonaler Form Wiederaufleben sollte. Am 30. März trat Guido Harbers sein Amt als Wohnungsreferent an. Mit ihm kam ein Mann an die einschlägige Position in der Münchner Verwaltung, der sich selbst publizistisch zur Kleinhausfrage geäußert hatte und von dem man Interesse an der Realisierung seiner Vorarbeiten erwarten konnte. Allerdings war Harbers ein zu sehr von ästhetischen Gesichtspunkten geleiteter Architekt, um ungetrübten Gefallen an den Reichskleinsiedlungen zu finden. Außerdem sah er in dieser extrem bein der

von

Preis, sich

-

-

scheidenen Wohnform die Bedürfnisse des in München besonders starken Mittelstands nicht berücksichtigt und trat deshalb für eine Weiterentwicklung des Siedlungsbaus auch über die Reichskleinsiedlungen hinaus ein100. Nach der bereits beschlossenen Weiterführung des Kleinsiedlungsprogramms wurden die Bereitstellung von entsprechenden Grundstücken und die Annahme der für München im dritten und vierten Bauabschnitt bereitgestellten Mittel als reine Verfahrenssache behandelt, die der Bürgermeister und die Mitarbeiter des Wohnungs- und Hochbaureferates im wesentlichen unter sich abmachten. Damit zeigte sich auch im Wohnungswesen die Tendenz, den bequemeren „Büroweg" und die Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungsfachleuten der mehrheitlichen Entscheidungsfindung vorzuziehen101. In geheimer Sitzung des Hauptausschusses erfuhren die Ratsmitglieder immerhin so viel, daß sie in öffentlicher Plenarsitzung am 10. Oktober 1933 dem Baubeginn für die Siedlung „Am Hart" zustimmen konnten102. Für München sollten im Rahmen des dritten Bauabschnitts zunächst 200 Siedlerstellen geschaffen werden, wobei jetzt die neuen Reichsrichtlinien vom 20. Februar 1933 galten, die das Normaldarlehen (für Kinderreiche gab es Zusatzdarlehen) auf 2 250 RM statt bisher 2 500 RM reduzierten. Allerdings erlaubten die Richtlinien, „in Ausnahmefällen" den Spielraum bis zur früheren Höhe auszudehnen, so daß in München jede Stelle mit 2 350 RM gefördert werden konnte103. Inhaltlich hingegen hatten die Nationalsozialisten zunächst wenig Letzterer Antrag wurde ganz knapp mit fünf gegen vier Stimmen genehmigt, ebenda. Dazu Henn, Mustersiedlung, S. 141-143. Fiehler äußerte dazu, er stelle sich „den Sitzungsdienst in Zukunft so vor, daß dabei vor allem gearbeitet und das Reden möglichst eingeschränkt werden soll [...] Es wird daher wohl zweckmäßig sein, gelegentlich auch einmal unsere Geschäftsordnung noch darauf durchzusehen, ob nicht manches, was jetzt noch den Sitzungsdienst belastet, in Zukunft durch die Referate im Benehmen mit den einschlägigen Korreferenten, die in der nächsten Zeit bestellt werden, im Büroweg endgültig ohne Sitzungsbeschluß erledigt werden kann." Hauptausschuß vom 4.5.1933, MGZ 62 (1933), S. 188. Hauptausschuß vom 5.10., StadtAM, RP 706/5, und Stadtratssitzung vom 10.10.1933, MGZ 62 (1933), S. 399f. Richtlinien für die vorstädtische Kleinsiedlung und die Bereitstellung von Kleingärten für Erwerbslose vom 20. Februar 1933, in: RAB1./I 13 (1933), S. 57-64, hier 58.

217

1. Der Kleinsiedlungsbau in München

hinzuzufügen104; erst später setzte die Umformung zur nationalsozialistischen Siedlung ein, die sich im wesentlichen in einer geänderten Siedlerauswahl niederschlug. Dabei war die reibungslose Anknüpfung der Nationalsozialisten an das Siedlungsprogramm der Ära Brüning durchaus keine Selbstverständlichkeit. Mochten so scharfe Kritiker aus ihren Reihen wie der Architekt Karl J. Fischer, für den die Losung „Kampf der vorstädtischen Kleinsiedlung" galt105, eher Extrempositionen einnehmen, so wurden deren Argumente gegen das Siedlungsprogramm in ähnlicher Form auch von anderen Nationalsozialisten vorgetragen. Zu ihnen gehörte Karl Fiehler, der etwa in der Stadtratssitzung vom 3. März 1932, in der die ersten Reichskleinsiedlungsprojekte für München genehmigt wurden, für das Experiment stimmte, aber gleichzeitig starke Bedenken gegen die Form der Siedlung äußerte. „Wir wissen, daß es absolut unzureichend ist, denn Siedlungen mit 600 bis 800 qm Grund sind keine Siedlungen, besonders wenn

Neues

der Wohnraum nur 30 bis 32 qm umfaßt." Er wies darauf hin, daß auf so kleinen Grundstücken niemals genug Ertrag abfiele, um die Siedlerfamilie zu ernähren, und daß die Maßnahme allenfalls dazu diene, den Erwerbslosen für einige Zeit Beschäftigung zu verschaffen. „Dann ist die Arbeit wieder aus und sie können im Garten graben, ohne aber davon leben zu können."106 Es ist auffällig und zeigte sich auch bei den weiteren Sitzungen des Stadtrats zur Kleinsiedlungsfrage, daß Fiehler durchaus keinen destruktiven Kurs verfolgte und das Programm mittrug, wenngleich er freilich mit harscher Kritik im Sinne nationalsozialistischer Positionen nicht sparte. In solcher Kritik und auch der Vehemenz des Vorgetragenen standen ihm die Vertreter anderer Parteien jedoch meist in nichts nach. Die im Zweifelsfall aber eher pragmatisch-kompromißbereite Haltung Fiehlers ermöglichte es ihm, nach Machtantritt der Nationalsozialisten den Kleinsiedlungskurs ohne Gesichtsverlust weiterzusteuern. Die Kritik der Nationalsozialisten am Kleinsiedlungsprogramm vor 1933 prangerte vor allem die zitierten Worte von Fiehler deuten das bereits an den Mischcharakter der vorstädtischen Kleinsiedlung an, die die Verbindung mit dem Boden wiederherstellen wollte, ohne dabei die Nähe zur Stadt und letztlich auch die städtischen Arbeitsplätze aufzugeben. Dagegen bedeutete Siedlung bei den Nationalsozialisten die Rückkehr zur bäuerlichen Lebensweise: „Eine Siedlung, die Erfolg versprechen soll, gehört restlos aufs Land, auf guten wirtschaftlichen Boden mit den günstigsten Bedingungen."107 In diesem Sinne konnte die Stadtrandsiedlung von den Nationalsozialisten bestenfalls als Übergangserscheinung angesehen werden, und um diese Deutung bemühten sie sich dann auch nach ihrer Machtübernahme. Mit eigenen praktischen Konzepten zum Wohnungs- und Siedlungswesen konnten sie zu diesem Zeitpunkt nicht aufwarten. Die Blut-und-Boden-Parolen Richard Walther Darrés eigneten sich zwar als ideologisches Unterfutter für die propagierte „Lebensraumerweiterung" im Osten, der städtischen Wohnungsfrage, der Eigenheim- und Gartenkultur blieb der ganz auf das Bauerntum konzentrierte Ideologe aber fern108. Alfred Rosenbergs von der Großstadt-

104

105

106 107 108

Zu den

-

wenigen Änderungen

durch die

neuen

„nationalsozialistischen" Richtlinien vgl.

Heilmann, Die Richtlinien für die vorstädtische Kleinsiedlung vom 20. Februar 1933, RAB1./II 13(1933), S.64f. Fischer, Reichserwerbslosen-Siedlung, S. 82. MGZ 61 (1932), S. 193. Fischer, Reichserwerbslosen-Siedlung, S. 82. Vgl. vor allem Münk, Organisation des Raumes, S. 89-94; außerdem Corni, Darre.

in:

218

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

inspirierten stadtplanerischen Überlegungen blieben auf der weltanschaulich-theoretischen Ebene und waren als „städtebauliche ,Handlungsanweisung' [...] völlig untauglich"109. Auch Gottfried Feders Gedanken zum Wohnungs- und Siedlungsbau, für die er als Reichstagsabgeordneter seit 1924 auf der politischen Bühne warb und die er 1929 in einem schmalen Buch veröffentlichte, ließen den Realitätsbezug vermissen und waren vor allem wieder an der Idee der „Brechung der Zinsknechtschaft" orientiert, an der er dogmatisch festhielt110. Wie in manch anderem Bereich hatten sich die Nationalsozialisten auch im Wohnungswesen bis 1933 eher darin geübt, die Politik der demokratischen Parteien abzulehnen, als alternative Entwürfe aufzustellen. Sätze wie: „Wenn jeder Deutsche ein eigenes Heim gehabt hätte, wäre die Revolution des Jahres 1918 nicht möglich gewesen"111, boten vielleicht eine griffige Propagandaformel. Bei der Frage, wie eine solche Heimstättenpolitik wohl realisiert werden könne, redete sich der Verfasser, Karl Fiehler, allerdings mit dem Hinweis heraus, daß zunächst das generelle Raumproblem des deutschen Volkes gelöst werden müsse112. Angesichts solcher für die Tagespolitik wenig tauglicher Ansätze erschien es ratsam, ein bereits eingeführtes Programm wie die Reichskleinsiedlung nicht über Bord zu werfen, sondern es mit dem Hinweis auf bald erfolgende notwendige Abänderungen zunächst einmal zu übernehmen. Programmatisch wurde weiter die ländliche Siedlung als das höchste Ziel gepriesen, aber auf dem Weg dorthin wollte man auch ungenügende Formen wie die Kleinsiedlungen in Kauf nehmen, die immerhin als Vorstufen gelten konnten. „Hier soll eben die vorstädtische Kleinsiedlung die hohe Schule darstellen, in der der schaffende Mensch seine körperliche und geistige Berufung zum Bauern unter Beweis zu stellen hat."113 In ähnlicher Weise argumentierte auch Harbers, der bereits 1932 die Standorte der Reichskleinsiedlungen als falsch bezeichnet hatte, weil sie ausschließlich „auf teurem, weil siedlungshochwertigem, stadtnahem öffentlichen Gelände" eingerichtet würden. Statt dessen sollte die Ansiedelung auf dem Land selbst, wegen der besseren Anbindung etwa in der Nähe großer landwirtschaftlicher Güter, erfolgen114. Nach der „Machtergreifung" lenkte aber auch Harbers auf eine pragmatische Bejahung der begonnenen vorstädtischen Siedlungspolitik in München ein, visierte jedoch weiterhin den Schritt auf das Land in Form der Gutsrandsiedlung an. „Das Endziel ist ohne Zweifel die landwirtschaftliche Vollsiedlung."115 In München wie in andefeindschaft

109

110

111

1,2

113

114

115

Münk, Organisation des Raumes, S. 97-110, Zitat S. 104. Feder, Wohnungsnot und die soziale Bau- und Wirtschaftsbank. Nach Feders Konzept, das 1924 auch zu einem Antrag im Reichstag führte, sollten die länderweise zu errichtenden Bauund Wirtschaftsbanken zinslose (!) Baudarlehen durch Ausgabe „wertbeständiger, sachwertig gedeckter, auf Goldmark lautender Inhaberpapiere" bereitstellen (S. 20). Offensichtlich war

dieses Finanzierungskonzept so unrealistisch, daß sich nicht einmal Feder selbst als Reichskommissar für das Siedlungswesen 1934 an dessen Umsetzung machte. Fiehler, Nationalsozialistische Gemeindepolitik, S. 48. „Wir sind heute das Volk ohne Raum, dessen Wohnungs- und Siedlungsproblem erst dann wirklich gelöst werden kann, wenn der Staat bereit ist, dem Volke den fehlenden Raum zu schaffen." Ebenda. VB vom 27.3.1934, „Die vorstädtische Kleinsiedlung". Ähnlich auch Heilmann, Fortführung der vorstädtischen Kleinsiedlung, in: RAB1./II 13 (1933), S. 285f. Guido Harbers, Die neuen Ziele, in: Der Baumeister 30 (1932), S. 41. Hauptausschußsitzung vom 24.5.1933, StadtAM, RP 706/3; vgl. auch Henn, Mustersiedlung, S. 142.

1. Der

Kleinsiedlungsbau in München

219

Städten wurden solche Fernziele freilich nicht bestimmend für die Entwicklungsrichtung der Kleinsiedlung, die im Gegenteil häufig an dem von der Industrie definierten Bedarf orientiert wurde116. Für den vorliegenden Kontext bleibt zunächst festzuhalten, daß Harbers gewillt war, das Reichskleinsiedlungsprogramm in München weiterzuführen. Bereits am 24. April 1933 war die Stadtverwaltung von der Bayerischen Staatsregierung unterrichtet worden, daß im Rahmen des dritten Abschnittes 470 000 RM für Kleinsiedlungen in München zur Verfügung stünden, nach den neuen Richtlinien also Mittel für insgesamt 200 Stellen117. Diese Gelder wollte das Wohnungsreferat voll ausschöpfen; da das neu ausgewählte Gelände an der Ingolstädterstraße aber Raum für mehr Siedlerparzellen bot, war eine Ausweitung der Siedlung auf über 300 Stellen von vornherein geplant. Offensichtlich war man jetzt auch bereit, die Bedenken, die ursprünglich wegen der schlechten Bodenqualität in diesem Bereich bestanden hatten, zurückzustellen und die Gegend der sogenannten „Blutdörre" dennoch zur Besiedelung zu empfehlen118. Auch für die Siedlung „Am Hart" war in bautechnischer Hinsicht wieder das Hochbauamt zuständig, dessen Personal zunächst ja keine wesentlichen Veränderungen erfahren hatte. Karl Meitinger entwarf neuerlich die Pläne für die Häuschen dieser weiteren Kleinsiedlung im Münchner Norden, und der hier entworfene Typus sollte als „Münchener Siedlungshaus" noch weitere Anwendung finden119. Neu gegenüber den zuvor verwendeten Typen war im wesentlichen, daß der Stall nicht in das Haus integriert wurde, sondern als Holzanbau deutlicher von den Wohnräumen getrennt war. Der Wohnbereich selbst wurde geringfügig größer ausgelegt120. Gelernt hatte das Hochbauamt auch, daß die Lebensweise der Siedler einen zusätzlichen Raum etwa zur Zubereitung des Futters, zum Waschen oder zu sonstiger Wirtschaftstätigkeit unbedingt erforderte, und sah daher einen solchen Raum mit 5,8 qm im Erdgeschoß vor. Für bessere Isolierung sorgten wärmedämmende Platten an der Innenseite der Außenmauern. Trotzdem, grundsätzlich hatte sich nichts daran geändert, daß die Siedlungshäuser mit ihren nach wie vor äußerst niedrigen Gestehungskosten keinen modernen Komfort bieten konnten. An Kanalisationsanschlüsse war immer noch nicht zu denken, die Häuser hatten keine Bäder, und die Wohnflächen waren weiterhin am Gebot äußerster Sparsamkeit ausgerichtet. Die angebauten Ställe sorgten im Sommer für lästige Fliegenplagen, wie es überhaupt fraglich schien, ob die Konzeption der engen Zusammenbindung von Haus und bewirtschaftetem Land die günstigste war. Jedenfalls dachte das Wohnungsreferat im Sommer 1934 darüber nach, ob es nicht günstiger wäre, nur kleine Parzellen von etwa 400 qm zu schaffen, dagegen in größerem Umfang und getrennt von den Wohngebäuden Pachtland vorzusehen, auf dem etwa auch Ziegenhaltung ohne ren

116

117

1,8

119

120

Münk, Organisation des Raumes, S. 196-202, mit Beispielen für Vierjahresplansiedlungen. Für den von der Industrie getragenen Kleinsiedlungsbau in Thüringen vgl. Heiden, Von der Kleinsiedlung zum Behelfsheim, S. 355-357. StadtAM, BRB 83/2, 165, Bd. 1. Zur Bodenproblematik dort bereits Preis in der Wohnungsausschußsitzung vom 8.2.1933, StadtAM, RP 706/8. Reichskleinsiedlerstelle der Stadtgemeinde München, in: Der Baumeister 32 (1934), S. 320f Dieses Siedlerhaus wurde später etwa auch in der NSKOV-Siedlung am Perlacher Forst gebaut. Vgl. Entwürfe in: Der Baumeister 30 (1932), H. 4, Tafel 36, und 32 (1934), S. 322.

220

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

Schwierigkeiten möglich wäre. Zusätzlich hätte sich dadurch für künftige Siedlungen eher der Eindruck einer „geschlossene!«] Dorfanläge" ergeben121. Solche Vorschläge setzten sich aber nicht durch. Wie zu zeigen sein wird, blieb die Anlage und bauliche Gestalt der Kleinsiedlungen in München weiterhin Ausdruck der Kontinuität zu Brünings Krisenprogramm. Begonnen wurde der Bau der Milbertshofener Siedlung am 15. November 1933, doch dauerte es jetzt wesentlich länger als bei den Siedlungen des ersten Abschnittes, bis die

mittlerweile 338 Siedler ihre Häuschen beziehen konnten122. Zwar wurde „Am Hart" noch als Erwerbslosensiedlung initiiert, bereits während der Bauarbeiten fanden aber 80 Siedler wieder regelmäßige Beschäftigung und mußten Ersatzleute stellen, die sie aus Freimann rekrutierten123. Schon bevor die Siedlung im Stadium des Baus war, hatte das Wohnungsreferat vorausgesehen, welche Schwierigkeiten sich neuerlich ergeben würden, falls man vor allem auf die Eigenleistung der Siedler vertraute. Anders als die Reichspolitik, die es lange nicht akzeptieren wollte, daß mit abnehmender Erwerbslosigkeit die „Selbsthilfe" zu einem unrealistischen Konzept wurde124, beugte man sich in München, und nicht nur dort125, eher dieser Einsicht und versuchte, andere Kräfte zu mobilisieren. Die vor der „Machtergreifung" insbesondere von den Arbeiterparteien geübte Kritik am Arbeitsdienst war jetzt kein Thema mehr. Im Gegenteil verlangten die Münchner Wohnungspolitiker kategorisch den Einsatz des Arbeitsdienstes. Anders seien die Arbeiten an den Siedlungen nicht zu bewältigen, jedenfalls nicht in einem angemessenen Zeitraum, als den man etwa ein Jahr betrachtete126. Obwohl der Arbeitsdienst tatsächlich wieder tätig wurde durchschnittlich arbeiteten 1934 150 Arbeitsdienstler und weitere 80 Wohlfahrtsarbeiter neben den Siedlern -, dauerte es dennoch bis zum Sommer 1935, um die neuen Häuser in Milbertshofen fertigzustellen. Diese längere Bauzeit zeigte, gerade im Vergleich mit den ersten Siedlungen, allerdings positive Folgen: Die Häuser wurden zur warmen Jahreszeit bezogen und waren völlig durchge-

Referat 7

an

das Staatsministerium für Wirtschaft, Abt. für Arbeit und

StadtAM, BRB 83/2,165, Bd.

1.

Fürsorge, 20.7.1934,

Im vierten Abschnitt der

Reichskleinsiedlung wurden 139 Stellen am Hart gefördert, im dritAbschnitt waren letztlich 199 Stellen bezuschußt worden. Zusammen beliefen sich die Reichszuschüsse für die 338 Stellen auf 840 800 RM, erreichten also eine durchschnittliche Höhe von 2 488 RM. Die Erhöhung gegenüber dem Normalsatz von 2 350 RM kam durch die gewährten Kinderbeihilfen zustande. Referat 7 an die Deutsche Bau- und Bodenbank, ten

9.10.1935, StadtAM, PR 83/6, 398. vom 9.9.1935. Vgl. zur Aufbauarbeit auch die Zeitzeugenberichte in: Die Siedlung Am Hart, bes. S. 16-18.

VB

Vgl. z.B. Bellinger, Neugestaltung, S. 35, 74. Untypisch in dieser Hinsicht: DAF. Heimstättenamt, Selbsthilfe im Siedlungswesen (1934), wo zwar ganz die idealistische Eigenarbeit der Siedler gepriesen, aber auch anerkannt wurde, daß dieses Konzept auf breiterer Basis nur in der Be-

schäftigungskrise taugte: „Wir wissen wohl, daß die Siedlerselbsthilfe eine Notmaßnahme, ein Nottrieb der deutschen Arbeitskraft ist, und daß sie nur solange Berechtigung hat, als es noch arbeitswillige Volksgenossen gibt, die in beruflicher Tätigkeit ihre volle Arbeitskraft nicht ausnutzen

und

so

ihren vollen Lebensunterhalt nicht erarbeiten können." (S. 4)

In Regensburg etwa, wo seit Herbst 1933 die „Schottenheim-Siedlung" entstand, schaltete man eine Arbeitsgemeinschaft des Regensburger Handwerks zur Entlastung der Siedler ein, was jedoch zu einer erheblichen Verteuerung im Bau führte. Halter, Stadt unterm Hakenkreuz, S. 433. Vgl. Referat 7/3, gez. Tempel, 8.6.1933, StadtAM, BRB 83/2, 165, Bd. 1.

1. Der

Kleinsiedlungsbau in München

221

trocknet, was neben der generell etwas qualitätvolleren Bauausführung zu einem auch

künftig besseren Erhaltungsstand führte. In der Spitzenzeit waren, wenn man die Siedler und die Dienstwilligen zusammenrechnete, ungefähr 600 Arbeitskräfte am Hart beschäftigt. Bei der offiziellen Einzugsfeier am 8. September 1935 hatten von diesen bereits 200 wieder reguläre Arbeit gefunden. Erneut wurde deutlich, daß man im künftigen Siedlungsbau nur noch zu geringen Teilen auf die „Selbsthilfe" würde vertrauen

können127. Von den Siedlern am Hart wurden sogar noch 3 000 Stunden Eigenarbeit verlangt. Nach den Wünschen des Wohnungsreferates sollte diese Bestimmung zudem mit der Auflage verbunden werden, daß bei Nichterbringung von mehr als einem Viertel dieser Leistung dem Siedler zu kündigen war. Außerdem sollten die eifrigeren Siedler gegenüber den weniger Leistungsstarken bei den hypothekarischen Bedingungen bessergestellt werden128. In den Siedlungsverträgen waren dann zwar die 3 000 Arbeitsstunden festgeschrieben, Straf- oder Belohnungsbestimmungen fehlten aber129; dafür lieferte die Reichspolitik auch wenig Handhabe130. Zudem wäre es im Einzelfall wohl sehr kompliziert gewesen, die Höhe des Hypothekenzinses individuell nach der erbrachten Arbeitsleistung zu berechnen; ganz abgesehen davon, daß man sich an die Reichsvorschriften über Zins- und Tilgungsbedingungen halten mußte. Die Errichtungskosten für die einzelne Siedlerstelle lagen jetzt, unter Anrechnung der Selbsthilfeleistungen mit 500 RM und des Arbeitsdienstes mit 520 RM, bei 4 070 RM und damit um rund 1 000 RM über dem Preis für eine Stelle der „ersten Generation". Trotzdem blieben die Kosten natürlich unter dem Herstellungspreis in der freien Wirtschaft, den die Stadt mit 7710 RM bezifferte131. Auch bei den Siedlerstellen am Hart war aufgrund der so verbilligten Entstehungskosten die monatliche Belastung für den Siedler gering132. Der Abschluß der Siedlung am Hart im Sommer 1935 fällt mit einer Zäsur sowohl in der Reichswohnungspolitik wie auch der Münchner Kleinsiedlungspolitik zusammen. Die Reichsregierung bewegte sich mit dem jetzt initiierten Volkswohnungsprogramm in eine neue Richtung, die stärkere Akzente im Mietwohnungsbau setzte. Diese Umorientierung bedeutete zwar nicht, daß das Kleinsiedlungsprogramm abgebrochen worden wäre, aber auch hier wurde seit 1935 ein neues Kapitel aufgeschlagen. In Abkehr von der Politik „produktiver Erwerbslosenfürsorge" wurden jetzt wie schon in den -

127

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131

132

Baugeschichte und Fertigstellung der Siedlung vgl. die Presseartikel in: Münchener Zeitung vom 9.9.1935 und VB vom 9.9.1935 sowie jetzt die Festschrift „Die Siedlung am Hart", bes. S. 13-15. Zu diesen Bedingungen vgl. den Antrag des Wohnungsreferenten in der Hauptausschußsitzung vom 5.10.1933, StadtAM, RP 706/5. Siedlungsvertrag vom 17.8.1935 für die Siedlerstellen des IV. Abschnitts „Am Hart", in: StadtAM, BRB 83/2, 173. Das RAM vertrat offensichtlich eher die Ansicht, daß sich im Mittel die von einer Siedlergemeinschaft geleistete Arbeit schon ausgleichen würde. Außerdem könnten schwächere Siedler ihre Pflichtstunden, die ihnen nach der Notverordnung vom 6.10.1931 durchaus vorgeschrieben werden konnten, ja auch im Rahmen späterer Arbeiten an der Siedlung noch nachholen. Vgl. Erlaß des RAM vom 7.2.1935, in: RAB1./I 15 (1935), S. 77f. Informationsblatt über „Das Reichskieinsiedlerhaus der Stadt München" in: StadtAM, BRB 83/2, 165, Bd. 1. Nach Sieber, Bevölkerungsaufbau, S. 144, 18 RM im Monat, nach Aufstellung der Stadt in der Rundfrage des DGT vom 5.5.1934 etwas über 20 RM im Monat, StadtAM, BRB 83/2, 171. Zur

222

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

anderen Zweigen der Wohnungsbauförderung die öffentlichen Mittel zurückgenommen. Erster Ausdruck der Politikänderung war der sogenannte Ablösungserlaß des Reichsarbeitsministers vom 12. Februar 1935, der die Reichsdarlehen für neue Siedlungsvorhaben auf 1 000 RM je Stelle einschränkte133. Die Mittel für diese neuen Darlehen sollten über teilweise oder vollständige Ablösung bisher gewährter Reichsdarlehen durch „Fremddarlehen", die auf dem regulären Kapitalmarkt zu besorgen waren, aufgebracht werden. Die Verantwortung des Reiches beschränkte sich jetzt im wesentlichen auf die Übernahme von Bürgschaften für solche Bankkredite, um ihre Bereitstellung kümmerte es sich nicht. Das mußten die Träger des Siedlungsverfahrens einleiten; sie sollten die erforderlichen Geldgeber beibringen und die Verhandlungen mit ihnen führen134. Die ohnehin schon fragwürdige Taktik des Ablösungserlasses, ohne Bereitstellung neuer Mittel135 die bereits gegebenen Darlehen gewissermaßen im „Recyclingverfahren" wieder in die Siedlungsfinanzierung einzubringen, mußte den Gemeinden erst recht als Farce erscheinen, nachdem für sie das Kommunalkreditverbot galt136. Sie konnten als Siedlungsträger also gar keine Darlehen bei ihren Sparkassen zum Zweck der Ablösung von Reichsdarlehen aufnehmen; Ausweichmöglichkeiten bestanden für sie nur in der Einschaltung von Wohnungsunternehmen137. Verschiedenenorts war daher zu beobachten, daß die in Berlin vollzogene Politikänderung zunächst abschreckend wirkte und die Fortsetzung des Reichsprogramms behinderte138. Die Stadt München aber hatte die Möglichkeit, auf die bayerische Förderungsschiene auszuweichen, und nahm diese beim Bau der Siedlungen Neuherberge und Kaltherberge wahr. -

133

Abgedruckt in: Schmidt, Kleinsiedlung (1935), S. 7-26. Schon ein halbes Jahr später wurde die Höchstgrenze für Ablösungsdarlehen auf 1 300 RM hochgesetzt. Offensichtlich hatte sich die Darlehenshöhe sehr schnell als zu knapp bemessen erwiesen, Der Gemeindetag 29 (1935),

134

Schmidt, Kleinsiedlung (1935), Abs. E, S. 13.

S. 515. 135

Durch eine

„Verordnung über die weitere Förderung der Kleinsiedlung, insbesondere durch

Übernahme von Reichsbürgschaften" vom 19.2.1935, für die Arbeits- und Finanzministerium gemeinsam verantwortlich zeichneten, wurde der RAM lediglich ermächtigt, „bis zu einem

Höchstbetrage von 200 Millionen RM. Bürgschaften oder sonstige Gewährleistungen für Verpflichtungen aus Darlehen oder sonstigen Kreditgeschäften zu übernehmen oder andere Sicherheiten

136

137

138

zu bestellen" (§ 2 der VO. abgedruckt in: Schmidt, Kleinsiedlung [1935], S. 99f.). Allerdings wurden später im Jahr 1935 auch weitere Darlehensmittel bereitgestellt, nämlich für den sechsten Siedlungsabschnitt 70 Millionen RM, vgl. Weiterführung der Kleinsiedlung durch Bereitstellung neuer Reichsmittel (VI. Siedlungsabschnitt), in: RAB1./I 15 (1935), S. 215-218. Abschnitt G des Ablösungserlasses besagte ausgesprochen, daß die gesetzlichen Vorschriften für die Kreditaufnahme durch Gemeinden ungeachtet der Bestimmungen des Ablösungserlasses weitergelten würden, Schmidt, Kleinsiedlung (1935), S. 16. Vgl. Fischer-Dieskau, Übergangsschwierigkeiten der Wohnbau- und Siedlungsfinanzierung,

in: RAB1./II 15 (1935), S. 391-394, hier 393. Eine Stagnationsphase aufgrund der als hemmend empfundenen Reichsbedingungen gab es etwa in Berlin, wo die Siedlungstätigkeit 1935/36 praktisch ganz zum Erliegen kam und erst seit 1937 wiederaufgenommen wurde. Vgl. Vormerkung Harbers' über ein Gespräch mit der Berliner Stadtverwaltung, 27.12.1937, BArch, NS 25, 156, Bl. 280f. Zum reichsweiten Rückgang des Kleinsiedlungsbaus nach dem „Rekordjahr" 1934 vgl. Münk, Organisation des Raumes, S. 232f.

1. Der

Kleinsiedlungsbau in München

223

Kleinsiedlungen im „Sieben-Programm": Neuherberge und Kaltherberge Grundlage für diese beiden letzten Kleinsiedlungen, die unter der Trägerschaft der Stadt im Münchner Norden entstanden, war das bayerische außerordentliche Wohnungsbauprogramm von 1934, das sogenannte „Siebert-Programm"139. In seinem ersten Teil war, angelehnt an das Modell der Reichskleinsiedlungen, die Errichtung einfacher Kleinhäuschen mit einer größeren Gartenzulage vorgesehen140. Obwohl man hinsichtlich der Siedlerauswahl übereinkam, mit dem Heimstättenamt zusammenzuarbeiten, ignorierte die Bayerische Staatsregierung weitergehende Versuche des Amtes, auch die Gestaltung und Finanzierung der Siedlerstellen zu beeinflussen, sondern führte das Programm nach ihren eigenen Vorstellungen durch141. Damit schlug sie eine ganz ähnliche Politik

wie die Stadt München ein, die die Zusammenarbeit mit dem Heimstättenamt vermied, soweit es irgend ging. Die Siedlerhäuser, die in Neuherberge und Kaltherberge gebaut wurden, müssen hier nicht im Detail beschrieben werden, da sie im Grunde an den in München bereits eingeführten Bautyp anknüpften. Nochmals wurden die Grundflächen etwas vergrößert, im Keller wurden Wasch- und Vorratsräume vorgesehen, aber das Grundprinzip des Aufbaus blieb erhalten: Wohnküche mit einem großen und einem kleinen Schlafraum im Erdgeschoß; zwei weitere Schlafräume bei Ausbau des Dachgeschosses142. Auffällig ist, daß dieser ganz einfache Haustyp offenbar den Ansprüchen und vor allem den Möglichkeiten der Siedler entsprach. Während nämlich häufig von der Option des Dachgeschoßausbaus Gebrauch gemacht wurde, verwirklichte zumindest in der ersten Zeit keiner der Siedler die in Neuherberge erstmals vorgesehene dritte Ausbaustufe in Form von zwei angebauten Räumen im Erdgeschoß143. Die Beibehaltung der alten Formen hieß auch, daß man weiter mit den gleichen Problemen zu kämpfen hatte. Feuchtigkeit blieb durchgängig ein Problem, vor allem in den Schlafräumen, in denen es keine Heizmöglichkeit gab. Dagegen etablierten sich die Wohnküchen, die über Herdfeuerung beheizbar waren, jeweils als die Haupt-Aufenthaltsräume für die Familien. Sosehr das nostalgischen Vorstellungen vom intakten Familienleben entsprechen mochte, hieß es in der Praxis oft nichts anderes, als daß sich in den Wintermonaten vier, fünf oder mehr Personen in einem schlecht belüfteten und mangelhaft beleuchteten 14 qm-Raum zus ammendrängten '44.

139

140

141

142 143 144

Oben, S. 154ff.

Vgl. auch für das Folgende den Erfahrungsbericht der Abt. für Arbeit und Fürsorge im Bayer. Wirtschaftsministerium zum Siebert-Programm an den RAM, 22.10.1935, BArch, R 41, 914,

Bl. 339-344, bes. Bl. 342. Einen solchen Vorstoß seitens des Heimstättenamtes unternahmen die Gauvertreter J. Waldmann und Carl Theodor Werre am 11.11.1934, als sie bei Ministerialrat Friedrich Gruber im Bayerischen Wirtschaftsministerium vorsprachen und versuchten, über den Anreiz von Zuschüssen für die Siedlungen die weitergehende Berücksichtigung des Heimstättenamtes durchzusetzen. Im Ministerium kam man ihnen aber nicht entgegen. Vgl. Vormerkung Grubers vom 14.11.1934, in: BayHStA, OBB 12712.

Geiger, Sozialhygienische Untersuchungen, S.

14-17.

Ebenda, S. 15. Ebenda, S. 18-21. Vgl. auch John, „Am Hart", S. 14, der in der Milbertshofener Siedlung einen Fall antraf, bei dem man ein tuberkulöses Mädchen in der Wohnküche als dem einzig warmen Raum, in dem auch vier Geschwister spielten, untergebracht hatte.

224

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

Die Architektur des Kleinsiedlungshauses sah die Erweiterung der Wohnfläche in erLinie über den Dachgeschoßausbau vor. Ohne große Mehrkosten sollte der bereits vorhandene Raum voll ausgeschöpft werden. Es erwies sich aber als schwierig, unter ster

dem Dach geeignete Schlafräume herzustellen, weil zureichende Isolierung kaum möglich war, auch elektrische Beleuchtung war hier nicht vorgesehen; die Dachschräge engte außerdem die Bewegungsfreiheit in den ohnehin kleinen Räumen weiter ein. Aus architektonischer Sicht mußte also fraglich bleiben, ob es sich bei den eingeschossigen Häuschen mit Steildach tatsächlich um die beste Form erweiterungsfähiger Häuser handelte oder ob Alternativen, wie die von Martin Wagner und anderen noch im Zeichen des Neuen Bauens entwickelten „wachsenden Häuser", nicht bessere Möglichkeiten boten145. Die Diskussion solcher Architekturprobleme war aber schon seit dem Streit um das Neue Bauen über bau- und finanztechnische Aspekte weit hinausgewachsen. Bauformen wurden zum Politikum, wenn sie wie im „Zehlendorfer Dächerkrieg"146 1928 als Symbole von Tradition und Moderne gegeneinander antraten. Insofern blieb das Giebeldach für die Nationalsozialisten mehr als eine Architekturlösung; es verkörperte die Ideologie der „Heimstätte" gegen die modernen Wohnschöpfungen der zwan-

ziger Jahre147. Im Siebert-Programm kosteten die Siedlerhäuschen etwas mehr als bisher, was sowohl durch den geringfügig besseren Komfort als auch durch den generellen Anstieg der Baukosten148 erklärbar ist. Allerdings waren die Darlehen diesen neuen Verhältnissen angepaßt. Mit 3 500 RM Staatsdarlehen und 1 500 RM städtischem Darlehen blieb für den Siedler nur ein geringer Geldbeitrag zum Aufbau der Siedlerstelle zu leisten, die in der ersten Ausbaustufe auf durchschnittlich 5 525 RM kam, mit Dachgeschoßausbau auf 5 855 RM. Die anfallende Verzinsung und Tilgung der Darlehen, die Bodenpacht Zu den 1932 präsentierten Wettbewerbsergebnissen um das „wachsende Haus", die sich als Antikrisenstrategie wie die Stadtrandsiedlungen verstanden, aber nach einer anderen Wohnkultur suchten, vgl. Scarpa, Martin Wagner, S. 140-148. Ursula Henn, die die Frage rein auf der

architektonischen Ebene behandelt, hält die traditionelle Giebeldachform etwa gegenüber der Idee einer Verschachtelung von Mini-Kuben für „eindeutig überlegen", weil sie mit weniger Aufwand und Kosten eine Erweiterung gestatte (Mustersiedlung, S. 72). Zur zeitgenössischen Kontroverse um die von Bruno Taut gestaltete avantgardistische Siedlung „Onkel Toms Hütte", in der ausschließlich Flachdächer verwendet wurden, und die danebengelegene Gagfah-Siedlung, die als konservatives Gegenmodell 45°-Giebeldächer präsen-

tierte, vgl. z.B. Ungers, Suche, S. 29-33.

In einem Gegensatz zur funktionalistischen Interpretation Henns steht die auf die ideologische Seite gerichtete Sichrweise von Peltz-Dreckmann, Nationalsozialistischer Siedlungsbau, S. lOlf. Zur erbitterten Auseinandersetzung um Flachdach oder Giebeldach in den zwanziger Jahren außerdem Miller Lane, Architektur und Politik, S. 131-133. Nachdem die Selbsthilfeleistungen der Siedler seit 1935 im eigentlichen Bau der Siedlungshäuser kaum mehr eine Rolle spielten, war man auf den regulären Baumarkt angewiesen, bei dem es im Zuge der stark steigenden Nachfrage zu deutlichen Verteuerungen kam. Vgl. Die Baukosten bei Kleinsiedlungen in den Jahren 1935 bis 1942, in: Wirtschaft und Statistik 23 (1943), S. 294-297. Diesen statistischen Angaben nach, die auf den Anträgen für Reichsdarlehen bees ruhten, gab von 1935 auf 1936 im Reichsdurchschnitt eine Steigerung um 1,9% in den Baukosten für Kleinsiedlungen, von 1936 auf 1937 sogar um 8,2% (S. 294). Harbers klagte in der Sitzung der VFB-Beiräte vom 5.9.1935, wo es um die voraussichtlichen Preiserhöhungen gegenüber dem Voranschlag bei der Siedlung Neuherberge ging, über die langen Genehmigungswege im Siedlungsverfahren, die automatisch eine zwischenzeitliche Erhöhung der Preise nach sich zögen (StadtAM, RP 708/4).

1. Der

Kleinsiedlungsbau in München

225

und die allgemeinen Gebühren trugen dem Siedler eine monatliche Belastung von etwa 30 RM ein149. Das war zwar mehr als bei den Siedlungen des ersten Abschnittes, entsprach aber ziemlich genau dem Mietzins, der zur gleichen Zeit für eine „Volkswohnung" mit zwei bis drei Räumen bezahlt werden mußte. Die Eigenleistung im Bau spielte bei der Errichtung der Siedlungen keine Rolle mehr, die Arbeiten wurden an Münchner Baufirmen vergeben. Die Nationalsozialisten hätten gern an der Selbsthilfe festgehalten, denn das Bild des deutschen Arbeiters, der seiner Familie ein Heim auf eigener Scholle schafft und dabei nicht auf Fremdkapital angewiesen ist, paßte nicht nur in ihre Ideologie, sondern ebensogut in ihr Konzept einer möglichst kapitalarmen und einfachen Siedlungsbauweise150. Aber auch die hartnäckigsten Siedlungsideologen konnten sich der Erkenntnis nicht verweigern, die sich bei den ausführenden Stellen schon lange durchgesetzt hatte, daß nämlich vollbeschäftigte Arbeiter auf keinen Fall in der Lage wären, einen größeren Teil der Arbeiten an ihrem Haus selbst zu leisten, wenn der Bau in absehbarer Zeit zur Errichtung kommen sollte. Nur für die Ausbaustufen, die Anlage der Gärten und Errichtung von Schuppen mußten die Siedler noch ihre Abende und Wochenenden opfern. Schon 1935, als mit dem Bau von 135 Siedlerstellen in Neuherberge begonnen wurde, hätte man kaum noch arbeitslose Bauhandwerker gefunden, um sie am Siedlungsprogramm zu beteiligen. 1936/37, als die 221 Stellen in Kaltherberge errichtet wurden, hatte die vor allem rüstungswirtschaftliche Belebung des Arbeitsmarkts so weit gegriffen, daß Vollbeschäftigung erreicht war, während im Bausektor bereits deutlicher Arbeitskräftemangel herrschte151. Mit den beiden Siedlungen Neuherberge und Kaltherberge, den zuvor gebauten Siedlungen Freimann und Am Hart etablierte sich der Münchner Norden als Wohngebiet für Familien mit niedrigen Einkommen, in dem der Wohnungsstandard im unteren Bereich lag. Diese Tendenz sollte sich über lange Zeit verstetigen und hält mit gewissen Ausnahmen bis heute an152. In diesem Trend lag auch die neue „Siedlungsstadt im Norden", deren Bau zum Teil schon in die Kriegsjahre fiel. Obwohl ursprünglich zur Integration von Geschoßwohnungs- und Kleinsiedlungsbauten geplant, mußte im Krieg der Gedanke aufgegeben werden, in dieser Anlage am Harthof noch Eigenheime mit Gärten zu errichten. Einfache Zeilen von Fünf-Familien-Häusern erlaubten den Bau von mehr Wohnungen in kürzerer Zeit und gehorchten damit den im Krieg durchgesetzten

Rationalisierungskonzepten153.

Überhaupt verabschiedete sich die Stadt München mit den beiden „Siebert-Siedlun-

gen" von dem Programm der vorstädtischen Kleinsiedlungen. Dabei spielte wohl eine

Rolle, daß die Idee der Selbstversorgung auf eigenem Boden in der Umgebung Münchens 149

150

151

152

153

nur

sehr

begrenzt zu verwirklichen war.

Es fehlte

an

hochwertigem Siedlungs-

Zahlen nach Geiger, Sozialhygienische Untersuchungen, S. 14. Vgl. Runge, Wert und Umfang der Selbsthilfe bei Siedlungsbauten, in: Siedlung und Wirtschaft 18 (1936), S. 287-290. Vgl. Blaich, Wirtschaft und Rüstung in Deutschland, S. 292f. Vgl. Szymanski, Wohnstandorte am nördlichen Stadtrand, S. 38: „Ein Erklärungsfaktor der historisch-persistenten Unterschicht-Dominanz am nördlichen Stadtrand ist daher die Tatsache, daß die durch öffentliche Siedlungsmaßnahmen in der Zwischen- und Nachkriegszeit entstandenen Quartiere schon im Vergleich zu Ausstattungsnormen des Wohnungsbaus der Zwischenkriegszeit einen unterdurchschnittlichen Ausstattungsstandard erhielten." Vgl. zur Anlage am Harthof Walter, Sozialer Wohnungsbau, S. 89-91, und unten, S. 391f.

226

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

gelände, auf dem guter Ertrag gesichert gewesen wäre. Die Tendenz, aus den Kleinsiedlerstellen eher „Eigenheime mit Gärten" zu machen, also von der wirtschaftlichen Nutzung des Gartens und der Kleintierhaltung wegzugehen, verbreitete sich in größerem Umfang wohl erst etliche Jahre nach dem Krieg. Zwar gab es erste Anzeichen dafür auch schon in den späten dreißiger Jahren154, gleichzeitig waren aber noch viele Siedler an der Zupachtung von Land für Ziegenhaltung und Hackfruchtanbau interessiert155. Durch den Krieg und seine Folgen mußte eigenes Land erst recht interessant erscheinen: Vor dem Hintergrund der immer unzureichenderen Leistungen des amtlichen Bewirtschaftungssystems boten sich die Siedlerstellen zur erhöhten Eigenversorgung an

und verschufen ihren Bewohnern einen Vorteil, den die städtischen Konsumenten sonst gegenüber den ländlichen Produzenten nicht genossen156. Bezeichnend für diesen Gesichtspunkt ist, daß die Bewohner der Volkswohnungsanlage in Berg am Laim, wo die Gartenanteile der Mietwohnungen nur 30 bis 40 qm umfaßten, nicht gerade zur Freude der Wohnungsgesellschaft ebenfalls mit der Kleintierhaltung begannen und auf diese Weise versuchten, für die kommenden Notzeiten vorzusorgen. Obwohl die Gärtchen sich keineswegs dafür eigneten, gab die Stadtverwaltung für die Dauer des Krieges ihre Zustimmung zu dieser Art der Selbsthilfe157. Die Abkehr der Münchner vom Kleinsiedlungsprogramm vollzog sich durchaus nicht reibungslos und ohne Diskussionen. Eine Beteiligung am mittlerweile sechsten Abschnitt des Programms wurde 1936 noch ganz ernsthaft in Erwägung gezogen158. Allerdings war die Stadt weniger als vorher bereit, sich den Reichsrichtlinien unterzuordnen, und beharrte auf ihren inzwischen gewonnenen Erfahrungswerten. So sollte nach Ansicht des Wohnungsreferates angesichts der Bodenknappheit auch eine Parzellengröße erlaubt sein, die keine Bodenbewirtschaftung mehr ermöglichte. Kleinhaussiedlungen mit Grundstücksgrößen zwischen 300 bis 600 qm müßten gleichermaßen in die Förderung einbezogen werden. Ganz besonders fragwürdig galt Harbers die inzwischen auf 1 500 RM festgelegte Höhe der Reichsdarlehen. Nach den bisherigen Erfahrungen in München waren die typischen Kleinsiedlungsbewerber kaum in der Lage, in größerem Maße Eigenkapkai beizusteuern, auch die Selbsthilfe kam für die meist vollbeschäftigten Siedlungsbewerber nur in geringem Ausmaß in Frage. Schließlich wollte Harbers die Autonomie der Stadt in der Auswahl der Siedler nicht eingeschränkt sehen. Diese Bedingung richtete sich ganz eindeutig gegen das Heimstättenamt der DAF, das

Der Regierungspräsident von Oberbayern berichtete am 27.11.1939 an die Bürgermeister und Landräte, daß die Abteilung für Arbeit und Fürsorge beim Bayerischen Wirtschaftsministerium entsprechende Mónita vorgebracht hätte. Die GWG versicherte allerdings für die Siedlungen in München am 27.5.1940, daß nach Überprüfung „bis auf eine kleine Minderheit sämtliche Siedlerstellen voll ausgenutzt und bewirtschaftet wurden". StadtAM, BRB 83/2, 194. Vgl. für Freimann Klotz, 60 Jahre, S. 103-105. Zur Versorgungslage gegen Kriegsende Erker, Ernährungskrise und Nachkriegsgesellschaft, S. 23-36. GWG an das Dezernat 7,13.11.1940, und Harbers' Stellungnahme vom 14.11.1940, StadtAM, BRW 78/2, Bund 127. So meldete die Stadt zum Beispiel bei einer Umfrage des DGT 1936 noch 2 000 Kleinsiedlerstellen als Bedarf an, deren Errichtung sie für „wahrscheinlich möglich" hielt; vgl. die Zusammenstellung des DGT. Landesdienststelle Bayern vom 28.10.1936 über die Ergebnisse der Umfrage vom 15.7.1936, StadtAM, BRB 83/2, 168.

1. Der

Kleinsiedlungsbau in München

227

wichtigste Möglichkeit zur Einschaltung in die Siedlungsfrage sah159. Ohne die heftige Diskussion um neue Richtlinien für das Kleinsiedlungsprogramm hier vorwegnehmen zu wollen, kann festgehalten werden, daß sich die Stadt München

in diesem Bereich seine

mit ihren Forderungen nicht durchsetzte. Von Seiten des Wohnungsreferates stellte man sich daher im Laufe des Jahres 1936 darauf ein, das Kleinsiedlungsprogramm in Mün-

chen nicht fortzusetzen160. Dieser Rückzug wurde allerdings vom Reichsarbeitsministerium mit großer Mißbilligung betrachtet, da man es für „sachlich und politisch nicht angängig [hielt], bei der Stadt München als der Hauptstadt der Bewegung auf die Fortführung der Kleinsiedlung zu verzichten. Es müssen vielmehr Mittel und Wege gefunden werden, um die Kleinsiedlung, die Staat und Partei für eine der wichtigsten und vordringlichsten Aufgaben erachten, auch bei München wieder in Gang zu bringen."161 Als solche „Mittel und Wege" sah das Arbeitsministerium Ausnahmegenehmigungen etwa hinsichtlich der zulässigen Höchstkostengrenze für eine Siedlerstelle in München an162. Trotz solcher Bereitschaft zu Konzessionen wurde in München keine geschlossene Reichskleinsiedlung mehr gebaut. Als Konzept für den Massenwohnungsbau, der sich angesichts fortschreitender Wohnungsnot als immer vordringlicher erwies, taugten solche Siedlungen mit ihrem hohen Landbedarf und den im Vergleich zu „Volkswohnungen" höheren Gestehungskosten nicht. Außerdem waren die Anreize durch die nur noch niedrigen Reichsdarlehen gering, für die Stadt zumindest schien hier eher die wenig begrüßenswerte Aussicht zu bestehen, selbst hohe Zuschüsse gewähren zu müssen. Der Kleinsiedlungsbau blieb somit Kennzeichen für die erste Phase des Wohnungsbaus in München bis zum Jahr 1935163; in der Zeit der verstärkten rüstungswirtschaftlichen Anstrengungen im Zeichen des Vierjahresplans, die ihre Implikationen in allen Sektoren der Wirtschaft zeigten, spielte er keine Rolle mehr.

Solche Argumente vertrat Harbers am 3.1.1936 gegenüber dem Oberbürgermeister von Augsburg, den er aufgrund von dessen sehr kritischer Denkschrift zum Reichskleinsiedlungsprogramm auf seiner Seite wußte, ebenda. Das wird mehrfach aus den im Akt des StadtAM, BRB 83/2, 165, gesammelten Schriftstücken deudich. Zitiert wird diese Aussage in: Bayer. Wirtschaftsministerium, Abt. für Arbeit und Fürsorge, an den OB der Hauptstadt der Bewegung, 23.9.1936, StadtAM, BRB 83/2, 168. Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 19.2.1937 über zugelassene Abweichungen von den Kleinsiedlungsbestimmungen in München, zitiert in: Bayer. Wirtschaftsministerium, Abt. für Arbeit und Fürsorge, an den OB der Hauptstadt der Bewegung, 2.3.1937, ebenda. Demnach durfte etwa die Höchstkostengrenze für den Aufbau und die Einrichtung einer Kleinsiedlerstelle in München um 1 000 RM überschritten werden. In diesem Jahr fielen die Bauentscheidungen für Neuherberge und Kaltherberge, die Bauzeit reichte freilich bis 1937.

2.

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

Standen im letzten Kapitel die finanziellen und administrativen Bedingungen für die Durchführung des Münchner Siedlungsprogramms im Vordergrund, rückt hier stärker die Klientel der Siedlungen ins Blickfeld. Dabei interessieren insbesondere die Bruchstellen in der Siedlerauswahl, an denen ideologisch-politischer Anspruch und praktische Durchführung auseinanderklafften. Der von den Nationalsozialisten nach rasseund erbhygienischen, politischen und gesellschaftlichen Kriterien definierte „Siedlermensch", in ihrem Sinne also ein Idealtypus, entsprach ganz und gar nicht der Realität des Auswahlsystems, das nicht perfekt funktionierte und zudem nur begrenzte Reichweite hatte. Weiter geht es darum, an den wichtigsten Siedlungsformen im nationalsozialistischen München zu zeigen, welche Segmente der Gesellschaft vom Siedlungsprogramm erfaßt wurden bzw. erfaßt werden sollten. Wie wurden spezifische milieu- oder schichttypische Bedürfnisse in praktische Siedlungspolitik umgesetzt? Oder umgekehrt gefragt: Wen sprach das Siedlungsprogramm an, wer bewarb sich um eine Siedlerstelle? Weil die Behördenüberlieferung nur begrenzt den in diesem Kapitel angestrebten gesellschafts- und sozialgeschichtlichen Blickwinkel zuläßt, wurden zeitgenössische sozialwissenschaftliche Erhebungen über die Siedlungen mit herangezogen, die als spezifisch Münchnerische Variante der NS-Siedlungsforschung jüngst auch von soziologischer Seite Aufmerksamkeit gefunden haben1.

Kleinsiedlungspolitik und Siedlerauswahl Die Auseinandersetzung um die neuen Kleinsiedlungsbestimmungen Hatten die Nationalsozialisten sich in der ersten Phase nach ihrer Machtübernahme zunächst damit begnügt, das Kleinsiedlungsprogramm im wesentlichen beizubehalten und fortzuführen, setzten etwa ab Ende des Jahres 1933 Überlegungen ein, wie dem Siedlungsprogramm ein spezifisch nationalsozialistisches Profil verliehen werden könne. Damit wurde zugleich aber ein Diskussionsfeld eröffnet, in dem „Staat" und „Partei" in Rivalität traten: das Reichsarbeitsministerium auf der einen Seite und das Reichsheimstättenamt der NSDAP und DAF auf der anderen Seite. Im Grunde beschreiben die Pole „Staat" und „Partei" die Konstellationen im Konflikt allerdings unzureichend. Das Hauptamt für Kommunalpolitik der NSDAP, in diesem Streit vertreten durch Guido Harbers als Hauptstellenleiter für das Wohnungs- und Siedlungswesen, stellte sich ganz unzweifelhaft auf die staatliche Seite und bildete eine gemeinsame Front mit dem Ministerium gegen das Reichsheimstättenamt. Diese Situation war um so prekärer, als die politische Aufsicht sowohl über das Reichsheimstättenamt als auch über das Hauptamt für Kommunalpolitik letztlich in einer Schaltstelle der Partei, nämlich beim Stellvertreter des Führers, zusammenlief.

'

Vgl. Gutberger, Volk, Raum und Sozialstruktur, S. 271-278. Die beiden hier ausführlicher analysierten Studien von Eichinger und Sieber wurden von der „Arbeitsstelle München für Volksforschung und Heimaterziehung" herausgegeben, zu der eine knappe Charakterisierung bei Klingemann, Vergangenheitsbewältigung, S. 274, vorliegt.

2.

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

229

Bezeichnend für seine Haltung ist etwa das Schreiben, das Harbers 1936 als Abteilungsleiter im Hauptamt an dessen Geschäftsführer Waldemar Schön richtete. Es sei zweckmäßig, schrieb er, wenn „Dinge, die sich hauptsächlich bei den Kommunalverwaltungen auswirken und mehr finanziellen Ursprung haben, nicht vom Heimstättenamt aus

behandelt würden, sondern vielmehr vom Reichsarbeitsministerium unter Füh-

lungnahme mit Reichsleiter Fiehler bezw. mit Deutschen [sie] Gemeindetag und dem Hauptamt für Kommunalpolitik, Abteilung Siedlung"2. Es waren aber keineswegs nur die finanziellen Seiten der Siedlung, die Harbers nicht in den Händen des Reichsheimstättenamtes sehen wollte, er hielt dem gab er vielfach mehr oder weniger unverblümt Ausdruck3 die ganze Institution für überflüssig, weil die bestehenden Behörden die anfallende Arbeit mit Hilfe ihrer Fachleute besser erledigen könnten. Es wäre allerdings -

-

falsch zu vermuten, daß der Münchner Wohnungsreferent somit stets hinter der Politik des Ministeriums stand. Die gemeinsame Abwehr von Kompetenzansprüchen seitens des Heimstättenamtes führte ihn zwar in Koalitionen mit dem Reichsarbeitsministerium; galt es aber, spezifische Anliegen der Gemeinden, vor allem Münchens, gegenüber dem Reich zu vertreten, konnte diese Front genauso leicht wieder aufbrechen. Harbers wurde jedenfalls nie müde, sich in die Fragen der Kleinsiedlung immer von neuem einzuschalten und seine Stellungnahmen abzugeben. Das ist insofern bemerkenswert, als ihm häufig offensichtlich kein Gehör geschenkt wurde. In sehr vielen Fällen wurden das Hauptamt und dann Harbers als zuständiger Referent erst so spät befragt, daß, unabhängig davon, wie die Stellungnahme ausfallen würde, für ihre Berücksichtigung ohnehin keine Zeit mehr blieb. In anderen Fällen, in denen Harbers rechtzeitig seine Meinung äußern konnte, mußte er feststellen, daß die Dinge trotzdem einen anderen Verlauf nahmen4. Natürlich gab es auch gelegentlich Erfolge, und in jedem Fall machen die Quellen deutlich, daß Harbers in Siedlungsfragen durchaus zu den Experten im Reich gerechnet wurde. Noch bevor er als Abteilungsleiter im Hauptamt fungierte, wurde er etwa im Dezember 1933 zusammen mit anderen Fachleuten zu Arbeitsminister Seldte gebeten, um im Rahmen der Reichswohnungskonferenz über die

2

3

4

ging hier um eine Vereinbarung zwischen Hypothekenbanken und Heimstättenamt bzgl. Einliegerwohnungen in Siedlerstellen, die Harbers verärgert hatte. Vormerkung für Amtsleiter Es

Schön, 23.1.1936, BArch, NS 25, 164, Bl. 19-22, hier 21.

So lehnte bei einer Tagung des kurhessischen Amtes für Kommunalpolitik im Dezember 1935 in Bad Sooden-Allendorf Harbers die Heimstättenämter zwar nicht mit klaren Worten ab, zwischen den Zeilen seines Vortrags mußte aber für den mit der Problematik vertrauten Zuhörerkreis die Botschaft deutlich erkennbar sein. Z.B. äußerte er, ohne die Heimstättenämter beim Namen zu nennen: „Die Aufgabe der Partei ist es, nach dem Willen des Führers den Staat zu lenken, nicht aber die Aufgaben den Stellen wegzunehmen, welchen sie durch Gesetz und Praxis zustehen" (Bl. 115). Oder er bemerkte an späterer Stelle, auch das RAM sei der Meinung, „dass die Aufgabe von Parteiorganisationen, insbesondere des Heimstättenamtes, hauptsächlich darin zu sehen sei, überall dort ihre Dienste zur Verfügung zu stellen, wo das von den staatlichen oder gemeindlichen Behörden gewünscht wird" (Bl. 122). BArch, NS 25,164, Bl. 112-131. Diese Aussagen sind um so bemerkenswerter, als Harbers hier ja als Vertreter einer Parteiinstitution vor den Angehörigen dieser Institution sprach! Vgl. etwa die vielen Anfragen an Harbers als Hauptstellenleiter in BArch, NS 25, 164, 165, 167, 168 und 169 zu Gesetzentwürfen im Wohnungs- und Siedlungswesen.

230

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

Fortsetzung des Kleinsiedlungsprogramms

zu beraten5. Auch sonst nahm er an verschiedenen Ausschüssen und Arbeitskreisen zur Wohnungsthematik teil6. Die Entwicklung des Kleinsiedlungsrechts in der Zeit nationalsozialistischer Herrschaft soll in diesem Abschnitt etwas ausführlicher skizziert werden, weil die auf Reichsebene geführten Auseinandersetzungen auch die Schwierigkeiten beleuchten, die sich vor Ort in der Umsetzung des Programmes ergaben. Es wurde bereits erwähnt, daß im Jahr 1933 mit dem dritten und vierten Siedlungsabschnitt bei geringer Kürzung der Einzeldarlehen im wesentlichen doch am Siedlungsprogramm der Weltwirtschaftskrise festgehalten wurde. Bis Mitte 1934 waren die in diesen Abschnitten bereitgestellten Reichsmittel fast völlig für die verschiedenen Kleinsiedlungsprojekte festgelegt worden7. Die Ausgabe der Darlehen war schon nicht mehr aus regulären Haushaltsmitteln des Reiches erfolgt, sondern im Wege der Vorfinanzierung durch Begebung von Wechseln8. Trotzdem genoß die Kleinsiedlung noch eine privilegierte Stellung als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme und damit öffentliche Aufgabe. Seit 1935 aber mußten auch die Ausführungsorgane, die Gemeinden und Wohnungsunternehmen, die „Umstellung der Kleinsiedlung auf überwiegend privatwirtschaftliche Grundlage" akzeptieren9. Zu der deutlichen Erschwerung der Finanzierung trat hinzu, daß die Auswahl des Siedlerkreises sich jetzt immer komplizierter gestaltete, sollten doch nur noch Siedlungsprojekte gefördert werden, die nicht nur „siedlungspolitisch, sondern auch bevölkerungspolitisch im Interesse des Volksganzen lägen"10. In die Praxis umgesetzt bedeuteten solche Worte, „die Kleinsiedlung ihres Fürsorgecharakters zu entkleiden"11. Schon aufgrund der niedrigen Reichsförderung kamen als Siedler Arbeitslose und Fürsorgeempfänger kaum noch in Betracht, denn die neuen Siedler mußten in der Lage sein, auch die höheren Zinsen und Tilgungsraten freiwirtschaftlicher Darlehen zu bedienen und eventuell einen eigenen finanziellen Beitrag zu leisten. Angesichts der ansteigenden Rüstungskonjunktur, der Einführung von Wehr- und Arbeitsdienst konnte auf den arbeitsschaffenden Effekt des Siedlungsprogramms, von dem ohnehin immer nur eine sehr begrenzte Zahl hatte profitieren können, verzichtet werden. Außerdem, so wurde jetzt argumentiert, könne sich die Siedlung sogar hemmend auf die Beseitigung der Arbeitslosigkeit auswirken, weil sie die Mobilität des Arbeitslosen erheblich einschränke12. Inwieweit die Siedlung tatsächlich die Vermittlung in Arbeitsplätze erschwerte, ist empirisch kaum zu prüfen. Für die drei ersten Münchner Kleinsiedlungen ist jedenfalls

5

StadtAM, BRB 83/2, 165, Bd. 1. Hier auch eine Kopie des Artikels „Fortführung der Stadtrandsiedlung" (Der Bau-Kurier vom 28.12.1933) über das Ergebnis der Beratungen.

6

Als Beispiele für seine Gremientätigkeit seien angeführt: 1937 Teilnahme am Internationalen Wohnungs-und Städtebaukongreß in Paris, seit 1938 Mitglied im Reichsausschuß für das gemeinnützige Wohnungswesen, seit 1942 Mitglied der Deutschen Akademie für Wohnungswe-

7

Vgl. Gisbertz/Gase, Kleinsiedlung, S. 9.

sen.

8 9

10 11

12

Deutsche Bau- und Bodenbank, Denkschrift über die vorstädtische Kleinsiedlung, S. 6f. Im RAM war man sich der Reibungsverluste durch diese Umstellung nur allzu bewußt, vgl. Krohn an den Finanzminister, 3.7.1936, BArch, R 41, 1188, Bl. 183f. (Zitat Bl. 183). So wird Franz Seldte im Bau-Kurier vom 28.12.1933 zitiert (wie Anm. 5). Gisbertz, Die Fortführung der Kleinsiedlung auf neuer Grundlage, in: RAB1./II 15 (1935), S. 41-44, hier 41. Ebenda.

2.

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

231

festzustellen, daß der Abbau der Erwerbslosigkeit seit

1933 auch hier relativ rasche Fortschritte machte. Ende 1933 waren zwar noch 325 oder über 80 Prozent der 400 Siedler erwerbslos13 davon waren zwei Drittel Wohlfahrtserwerbslose, die von der gemeindlichen Fürsorge lebten. Aber ein Jahr später lag der Anteil nur noch bei 30 Prozent14. Allerdings mußten die Siedler tatsächlich häufig weite Arbeitswege in Kauf nehmen bei einer meist schlechten Verkehrsanbindung der Anlagen. In Freimann betrug der Weg zur Straßenbahn für die Siedlungsbewohner fast 20 Minuten, und am Hart gab es erst seit Ende der dreißiger Jahre eine mangelhafte Busverbindung, die den Anschluß an die Straßenbahn in Schwabing herstellte15. Die Schwierigkeiten beleuchtet auch Josef Siebers Untersuchung von 1941, der die Pendelwanderungen der erwerbstätigen Siedler mituntersucht hat. Dabei kam er zu dem Schluß, daß sie im Vergleich zu den Anwohnern im gleichen Stadtbezirk meist deutlich ungünstigere Arbeitswege hatten, häufiger in weiter entfernte Stadtbezirke pendeln mußten. Für die Siedlung am Perlacher Forst konstatierte er etwa eine „Lage zu den Standorten der Arbeitsstätten", die „als sehr ungünstig zu bezeichnen" war16. Diese Ergebnisse bestätigen somit den Befund, daß durch Siedlung die Aufnahme einer regulären Erwerbstätigkeit durchaus komplizierter werden konnte. Nachdem es den Nationalsozialisten nicht mehr um das aus der Not geborene Ziel ging, Erwerbslose produktiv zu versorgen, gewann die Siedlung nicht etwa als „reiner Wohnungsbau"17 ihre Berechtigung. Es dominierte vielmehr die langfristige Perspektive, die breite Arbeiterbevölkerung fest anzusetzen, um so den Grundstock für die Heranzüchtung eines Volkes zu gewinnen, das den eigenen ideologischen Vorstellungen entspräche. Franz Seldte erklärte es zum großen staatspolitischen Anliegen, „den schaffenden deutschen Menschen, insbesondere den im Zeitalter der Industrialisierung Deutschlands entwurzelten Arbeiter, wieder mit dem deutschen Heimatboden zu verbinden". Daher wäre die Kleinsiedlung „in erster Linie für die große Masse der minderbemittelten deutschen Volksgenossen, insbesondere für die breiten Schichten der gewerblichen Arbeiter und Angestellten bestimmt [...], die auf diese Weise aus den Mietkasernen, namentlich in den Elendsvierteln der Großstädte, befreit, sozial und politisch befriedet und wieder volks- und heimatverbunden werden sollen"18. Ähnliche Gedan-

13

lagen die Münchner Siedlungen offenbar auch nicht wesentlich schlechter als andere Siedlungen im Reich. Eishoff stellte etwa für die von ihm untersuchte Siedlung Dortmund-DeuDamit

sen fest, daß im September 1933 auch nur 22% der Siedler in Arbeit standen bzw. seit ihrer Ansetzung schon einmal vorübergehend Beschäftigung gefunden hatten (Zwei Jahre vorstädtische

14

15 16 17

18

Kleinsiedlung, S. 13). Die Zahlen wurden errechnet aus den Angaben zu den Siedlungsstelleninhabern in: StadtAM, PR 83/6, 399. Deren Erwerbsverhältnisse wurden hier erhoben, um festzustellen, ob die Siedler die Wohlfahrtsabgabe entrichten mußten. Davon wurde aber Abstand genommen, weil sich bis 1935 die wirtschaftlichen Verhältnisse der Siedler zwar besserten, „doch nicht derart, daß sie bereits nach längeren Jahren der Erwerbslosigkeit wieder völlig in wohlgeordnete wirtschaftliche Verhältnisse gekommen sind" (Referat 7 an das Liegenschaftsamt, 29.10.1935). Die Siedlung Am Hart, S. 51. Sieber, Bevölkerungsaufbau, S. 105, vgl. auch S. 108, 115, 118, 126f Heilmann, Fortführung der vorstädtischen Kleinsiedlung, in: RAB1./II 13 (1933), S. 285f.: „Der ohne Zweifel in vielen Gemeinden bestehende Wohnungsmangel darf allein jedenfalls nicht der Grund für die Ansetzung von Kleinsiedlern sein." (S. 285) Begleiterlaß des RAM zu den Bürgschaftsbestimmungen, 22.3.1935, abgedruckt in: Schmidt, Kleinsiedlung (1935), S. 113-122, hier 117.

232

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

ken hatten allerdings auch schon die „Pioniere" der Kleinsiedlung 1931 geäußert, wie etwa der Münchner Wohnungsreferent Karl Preis, der „die Seßhaftmachung des [...] entwurzelten Großstadtproletariers" anvisiert hatte19. Während bei Preis allerdings die damit verbundenen „staatspolitischen, sozialwirtschaftlichen und sittlichen" Fernziele undeutlich blieben und im konkreten Siedlungsprogramm keine Rolle spielten, war es den Nationalsozialisten in starkem Maße um die pazifizierende Wirkung der Siedlung auf die Arbeiterschaft zu tun. Sie machten kein Hehl aus der Tatsache, daß sie eine verstärkte Identifikation mit dem nationalsozialistischen Staat und letztlich sogar erhöhte Wehrbereitschaft erwarteten. „Gibt man dem deutschen Arbeiter ein Anrecht auf ein Stück Heimat, auf Mutterland und Vaterscholle, dann wird er zu ihr stehen und sie mit dem Einsätze seiner ganzen Kraft verteidigen", schrieb etwa der „Münchener Beobachter" 193520. Die nationalsozialistische Propaganda beschwor hier einen neuen Siedlertypus, über dessen wünschenswerte Züge man sich unter den beteiligten Stellen offenbar einig war. Er sollte zu den geringer entlohnten Bevölkerungskreisen gehören, für die der Erwerb eines eigenen Heimes im allgemeinen außer Reichweite lag, er sollte Bodenverbundenheit und Sinn für das einfache Leben zeigen, er sollte den gesundheitspolitischen und rassehygienischen Prinzipien der Nationalsozialisten entsprechen, um damit die Ge-

währ für zahlreichen „deutschen" Nachwuchs

zu

bieten, und

er

sollte sich bisher

so

weit in die „Volksgemeinschaft" eingefügt haben, daß man auch eine reibungslose Einordnung in die Siedlergemeinschaft erwarten durfte21. Im Ministerialdeutsch der Klein-

siedlungsbestimmungen von 1936 lauteten diese Forderungen dann so: „Die Siedlerfamilien, namentlich auch die Siedlerfrauen, müssen sich zum Siedeln eignen, d.h. entsprechendes Verständnis für die Bodenbearbeitung und die Kleintierhaltung aufweisen, Gemeinschaftsgeist haben, lebenstüchtig, sparsam und strebsam sein. [...] Die Erfüllung dieser Bedingungen [...] vorausgesetzt, können als Siedlungsanwärter grundsätzlich zugelassen werden alle ehrbaren minderbemittelten Volksgenossen, und zwar vornehmlich gewerbliche Arbeiter und Angestellte, die ebenso wie ihre Ehefrauen deutsche Reichsangehörige, deutschen oder artverwandten Blutes, politisch zuverlässig, rassisch einwandfrei, gesund und erbgesund sind."22 Die Quellen zeigen keine Auseinandersetzungen bezüglich dieser Grundforderungen, die man an den „neuen Siedlermenschen" stellte. Sehr umstritten war hingegen, wie der geeignete Siedler aus der breiten Masse „herausgefiltert" werden sollte. Die Siedlerauswahl wurde zum eigentlichen Kernproblem in den Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Verantwortlichen im Siedlungswesen, und sie wurde gleichzeitig zum Prüfstein für die Durchsetzung eines tatsächlich nationalsozialistischen Kleinsiedlungsprogrammes. 19

20 21

22

Gedanken zur Reichs-Kleinsiedlung, 24.10.1931, in: StadtAM, PR 83/6, 393. Im Sinne einer sozialkonservativen Lösung der Arbeiterwohnungsfrage war der Gedanke, die Arbeiter durch Siedlung mit dem Boden zu verwurzeln, schon im 19. Jahrhundert propagiert worden. Vgl. dazu etwa die Beispiele bei Niethammer, Wie wohnten Arbeiter im Kaiserreich, S. 63. Tägliches Beiblatt zum VB, 21.3.1935, Artikel „Wohn- und Lebensraum für den deutschen Arbeiter". Vgl. Schickel (Bearb.), Siedlungen und Luftschutz, bes. S. 254. Gisbertz/Gase, Kleinsiedlungsrecht, S. 8f. Vgl. erläuternd auch Gisbertz/Gase, Kleinsiedlung, S. 10-13, zu den persönlichen Voraussetzungen der Siedler.

2.

233

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

„Bestimmungen über die Förderung der Kleinsiedlung" im April 1936 erstenmal in eine zusammengefaßte und übersichtliche Form gegossen wurden, ergab sich für die ausführenden Stellen im Siedlungswesen das gravierende Problem, daß eine große Anzahl verschiedenster Anordnungen und Richtlinien existierte und gleichzeitig die Zahl der hineinregierenden Instanzen fast ebenso groß war. Das Münchner Wohnungsreferat etwa mußte dem Erlaß des Bayerischen Wirtschaftsministers vom 14. November 1934 über die „Entfernung ungeeigneter Siedler"23 genauso Beachtung schenken wie den vom Reichsheimstättenamt ausgegebenen Richtlinien über die Siedlerauswahl. Dann wurde zwischendurch das Siedlungskommissariat von Gottfried Feder zur maßgeblichen Stelle, und nachdem im Dezember 1934 das Reichsarbeitsministerium wieder die Kompetenz im Siedlungswesen erlangt hatte, wuchsen aus dieser Behörde ständig neue Erlasse und Anordnungen nach. „Die dadurch allmählich eingetretene Unübersichtlichkeit der maßgeblichen Verwaltungsgrundsätze"24 machte eine Bevor die

zum

Neuzusammenfassung der Kleinsiedlungsbestimmungen unumgänglich. Bis sich allerdings alle Instanzen, die involviert waren oder die involviert werden wollten, auf eine gemeinsame Fassung geeinigt hatten, dauerte es bis in das Jahr 1936 hinein. „Bezeichnend war, daß alle Stellen übereinstimmend eine Verminderung der Instanzen für erforderlich hielten, daß aber jede Stelle sich auf das heftigste zur Wehr setzte, wenn etwa bei ihr der Anfang gemacht und ihre Kompetenz beschnitten werden sollte."25 Das Dilem-

das Staatssekretär Johannes Krohn hier beschreibt, führte auch in den neuen Bestimmungen von 1936 nicht gerade zu einem einfachen und unbürokratischen Verfahren für die künftige Abwicklung von Siedlungsprojekten. In den wesentlichen Zügen stellte es sich so dar, daß die Siedlungsbewerber zunächst mit einem „Merkblatt für Siedlungswillige" und einem Fragebogen versehen wurden, die beide das Siegel des Reichsheimstättenamtes trugen. Der ausgefüllte Fragebogen mußte dann zusammen mit einer Einkommensbescheinigung bei der zuständigen Gemeinde eingereicht werden. Sie leitete eine Vorprüfung der im Fragebogen gemachten Angaben ein, holte eventuell dazu notwendige Auskünfte von Polizei- und Fürsorgestellen oder auch dem Arbeitgeber ein und leitete dann das Ergebnis an den sogenannten Vorprüfungsausschuß weiter. Im Ausschuß saßen der Bürgermeister oder sein Bezwei und vom Vertreter. Sie hatten zu Gauheimstättenamt zu benennende auftragter entscheiden, „ob gegen den Siedlungsbewerber und seine Familie in politischer, charakterlicher und gesundheitlicher Hinsicht oder gegen die siedlerische Befähigung Bedenken bestehen"26. Einigte der Ausschuß sich hingegen auf ein positives Votum, wurde der Siedlerfragebogen von der Gemeindebehörde an das zuständige Gauheimstättenamt weitergeleitet. Von dieser Instanz konnten die Siedler dann den für die Zuteilung einer Stelle notwendigen Eignungsschein erhalten, allerdings nur, wenn auch hier die Prüfung ma,

23

Abgedruckt 16.11.1934.

24 25 26

in: VB

Amtlicher Teil.

Bayerischer Regierungsanzeiger

Nr. 320/118

vom

-

Gisbertz/Gase, Kleinsiedlung, S. 9. Krohn an den Finanzminister, 3.7.1936, BArch, R 41, 1188, Bl.

184.

Das Verfahren der Siedlerauswahl wurde in Anlage C der Bestimmungen über die Förderung der Kleinsiedlung vom 21.4.1936 beschrieben. Abgedruckt mit Erläuterungen sind die Bestimmungen in: Gisbertz/Gase, Kleinsiedlungsrecht, S. 3-91; Anlage C, S. 102-104, hier 103. Eingeführt wurde dieses langwierige Eignungsscheinverfahren bereits durch Erlaß des RAM vom 12.7.1935, RAB1./I 15 (1935), S. 258.

234

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

der Unterlagen positiv ausfiel. Als weiteres Hindernis wurde an diesem Punkt noch die Einholung eines ärztlichen Zeugnisses, „soweit erforderlich", vorgesehen27. Abschließend zu diesen Auswahlbestimmungen hieß es lapidar: „Das Eignungsscheinverfahren darf nicht zu einer Verzögerung oder Erschwerung führen"28 ein Satz, der angesichts der aufgerichteten Hürden fast schon zynisch klingen mußte. In der Praxis nämlich konnte sich der hier nur knapp umrissene Ablauf zu einem monatelangen Behörden-Tauziehen entwickeln29. Besonders eindringlich schildert das ein Bericht aus Mannheim, dem anzumerken ist, daß die Nerven des Verfassers durch die Umständlichkeit des Verfahrens bereits arg strapaziert waren30. Schon bis die häufig nicht vollständig ausgefüllten Fragebogen der Siedlerbewerber berichtigt und mit Bescheinigungen der Arbeitgeber versehen wären, vergingen, so der Mannheimer Berichterstatter, mindestens ein bis zwei Monate. Dann erst würden das städtische Fürsorgeamt, die Kreisleitung der NSDAP und die DAF in die Begutachtung eingeschaltet. Außerdem werde ein Strafregisterauszug eingeholt und eine ärztliche Untersuchung in die Wege geleitet, die unter der Aufsicht des Amts für Volksgesundheit durchgeführt würde und ganz besonders lange dauere: „Bis die einzelnen ärztlichen Gutachten bei der Gemeinde vorliegen, vergehen meist 3-4 Monate."31 Erst dann könne der Vorprüfungsausschuß zusammentreten, der nochmals versuche, durch gründliche Prüfung der Unterlagen und nicht selten erneutes Vorladen der Antragsteller alle Zweifel im Verfahren auszuräumen. Häufig genüge das aber dem zuständigen Heimstättenamt der nächsten Instanz noch nicht: „Kleine Mängel, wie erlittene Geldstrafen, Bemerkungen eines Füreiner sei der Haushalt kinderreichen Familie beim Besuch nicht sehr sausorgebeamten, ber gewesen, oder der Hinweis, der Siedlungsanwärter habe keine Führereigenschaften, also Mängel, die der Vorprüfungsausschuß bereits berücksichtigt und nochmals überprüft hat, werden zum Anlaß erneuter Überprüfung."32 Sie hätte zur Folge, daß die Unterlagen wieder an die Gemeinde zurückgeleitet würden, der Vorprüfungsausschuß nochmals Stellung nehmen müsse usw., bis es dann im glücklichen Fall zu einer Eignungsscheinerteilung komme. Der Bericht aus Mannheim gipfelt in den Sätzen: „Das Eignungsscheinverfahren mit seinen vielen Erhebungen nimmt dem schaffenden Volksgenossen die Lust zum Siedeln. Vor lauter Erhebungen und Fragebogen sieht der Siedlungswillige nicht mehr das Lebendige im Siedeln, sondern er sieht nur einen Verwaltungsapparat, in den er willenlos auch für spätere Zeit eingezwängt werden soll."33 Dieser Bericht ist in zweierlei Hinsicht interessant: Zum einen macht er deutlich, daß den unteren Instanzen noch viele Gestaltungsmöglichkeiten blieben, um das Verfahren nach örtlichen Verhältnissen unterschiedlich zu gestalten. Zum anderen zeigt er, daß die ausführenden Stellen im Siedlungswesen offensichtlich unter dem Gefühl starker Kon-

-

-

-

27

28 29

30

31 32 33

Gisbertz/Gase, Kleinsiedlungsrecht, S. 103, Abs. 5. Ebenda, S. 104, Abs. 7. Vgl. zur Langwierigkeit des Verfahrens auch Harlander,

-

Heimstätte und Wohnmaschine, S. 102. Die folgende Schilderung der Verhältnisse in Mannheim ist einem Brief des Ministerialdirektors Knoll an das Reichsheimstättenamt vom 25.3.1937 entnommen, dem wörtliche Auszüge aus dem Bericht der Stadt Mannheim beigegeben sind, Abschrift in: BArch, R 41,1188, Bl. 203-208. Ebenda, Bl. 206. Ebenda, Bl. 207.

Ebenda, Bl. 207.

2.

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

kurrenz arbeiteten und

von

daher bemüht

waren,

ihre

235

Aufgaben und Kompetenzen

möglichst erschöpfend wahrzunehmen, um der nächsten Instanz nicht zu viel Raum zu lassen; damit vollzog sich das Behördenhandeln freilich auf Kosten der Übersichtlich-

keit und Zügigkeit des Ablaufs. Solchem Konkurrenzdruck fühlten sich auch die Münchner ständig ausgesetzt, und es war nicht nur einmal, daß Harbers in den Ratssitzungen eine Bemerkung wie die folgende fallenließ: „Sie wissen alle, dass das Heimstättenamt immer versucht als Behörde aufzutreten und uns unter Aufsicht zu halten und dass von ihm alles an den Pranger gestellt wird, was es glaubt kritisieren zu können."34 Bei der Institution der Heimstättenämter sahen auch die Beamten im Reichsarbeitsministerium den Hauptfehler, als sie schon bald nach Erlaß der Bestimmungen vom April 1936 darangingen, über weitere Vereinfachungen des Kleinsiedlungsverfahrens nachzudenken. Sie erhoben den Vorwurf, „daß bei der Siedlerauswahl zu viele Stellen beteiligt werden, daß die Gauheimstättenämter immer wieder über die Reichsbestimmungen hinausgehen, daß sie namentlich auch auf rassischem und erbbiologischem Gebiet sowie in politischer Beziehung weitergehende Anforderungen stellen, als vom Reichsheimstättenamt gewünscht wird, und daß darum die Siedlereignungsscheine in vielen Fällen überhaupt nicht oder nur mit sehr erheblicher Verzögerung erteilt werden konnten"35. Für das Ministerium lag es nahe, das Eignungsscheinverfahren ganz abzuschaffen, um so die Rolle der Heimstättenämter zurückzudrängen. Mit diesem Anliegen konnte es sich sogar durchsetzen, auch gegenüber dem Reichsheimstättenamt, das freilich danach strebte, mit seinen Unterämtern in der Siedlerauswahl präsent zu bleiben. Diesem Bestreben wurde in den neuen Kleinsiedlungsbestimmungen vom 14. September 1937 (KSB) nur insofern Rechnung getragen, als die bisherigen Vorprüfungsausschüsse jetzt als Prüfungsausschüsse zu den entscheidenden Instanzen wurden und das örtliche Heimstättenamt hierin durch einen Beauftragten vertreten war. Dem Dreier-Gremium gehörten außerdem der Bürgermeister und ein lokaler Vertreter der NSDAP an. Diese Instanz hatte nun die Aufgabe, über die Eignung von Siedleranwärtern zu entscheiden, nachdem ein gründliches Vorprüfungsverfahren durch die Gemeindebehörden, die entsprechende Gutachten einholen mußten, vorausgegangen war. Die nachfolgende Station auf dem Behördenweg die Eignungsscheinerteilung durch das Heimstättenamt entfiel jedoch36. Bevor diese vereinfachte Regelung in der Siedlerauswahl sich durchgesetzt hatte, die in der Praxis immer noch viele Tücken zeigte, gab es ein heftiges Tauziehen zwischen den zuständigen Stellen von Partei, Staat und Arbeitsfront. Das Reichsarbeitsministerium mußte dabei nicht nur gegen die Forderungen aus den Parteigremien ankämpfen, sondern hatte auch im eigenen Lager verschiedene Interventionen hinzunehmen. So kamen vor allem von Seiten des Reichsfinanzministeriums zahlreiche Einwände, die neben der finanziellen Seite auch die Frage der Siedlerauswahl berührten. Es erforderte stärkere Vereinfachung des Auswahlverfahrens, das am besten nur durch den Siedlungsträger -

-

Hauptausschußsitzung vom 8.11.1934, StadtAM, RP 707/4.

Knoll an Reichsheimstättenamt, 25.3.1937, BArch, R 41, 1188, Bl. 203. Bestimmungen über die Förderung der Kleinsiedlung (KSB) vom 14.9.1937, in: RABl./I 17 (1937), S. 229-246, hier Abs. 23, S. 233. Dazu und zum Folgenden auch Harlander, Heimstätte und Wohnmaschine, S. 103-105.

III. Baupolitik und Wohnungsfürsorge

236

durchgeführt werden sollte37. Natürlich hätte das Arbeitsministerium in dieser Frage nur allzu gern Entgegenkommen gezeigt, aber dagegen sprachen die heftigen Widerstände von Parteistellen. Der Wegfall des Eignungsscheinverfahrens bedeutete bereits ein erhebliches Zugeständnis des Reichsheimstättenamtes, die Auswahl der Siedler nach „nationalsozialistischen" Gesichtspunkten aber ganz den Gemeinden oder gemeinnützigen Wohnungsunternehmen zu überlassen, wäre niemals in Frage gekommen. Hartnäckig weigerte sich das Reichsheimstättenamt, selbst in relativ unwichtig erscheinenden Fragen auch nur eine Handbreit Boden preiszugeben. Schließlich wurden die Streitfragen vom einflußreichen Stabsleiter beim Stellvertreter des Führers, Martin Bormann, entschieden. Er unterband Anfang August 1937 kurzerhand weitere Verhandlungen zwischen dem Ministerium und dem Reichsheimstättenamt und sprach selbst das letzte Wort hinsichtlich der strittigen Paragraphen38. Dem Wunsch des Reichsheimstättenamtes, daß die geprüften Siedlerfragebogen über die Gauheimstättenämter an die Siedlungsträger weitergereicht werden sollten, wurde zur Zufriedenheit des Reichsarbeitsministeriums nicht entsprochen39. Dafür mußte das Ministerium hinnehmen, daß ein Satz über die Beratungstätigkeit der Gauheimstättenämter in die KSB aufgenommen

wurde40. Gravierender war aber wohl, daß Bormann in dem vom Arbeitsministerium entworfenen Schlußabsatz über das Siedlerauswahlverfahren die Kompetenzen der Siedlungsträger deutlich beschneiden ließ, die nach dem Entwurf „die abschliessende Prüfung" und „endgültige Auswahl" der Siedler noch nach den Entscheidungen des Prüfungsausschusses in Händen haben sollten41. Nach Bormanns Fassung, die zur verbindlichen wurde, wurden die Siedlungsträger auf die finanziellen und wirtschaftlichen Aspekte der Auswahl beschränkt42. Auch hinsichtlich der Darlehens- und Finanzierungs-Einzelheiten äußerte Bormann etwas abweichende Vorstellungen von den Regelungen, auf die sich das Finanz- und Arbeitsressort in ohnehin schwierigen Verhandlungen schließlich geeinigt hatten. Immerhin machte er seine Zustimmung zu den neuen KSB nicht von einer Übernahme seiner diesbezüglichen Vorschläge abhängig, so daß diese Modifikationen auf spätere Zeit vertagt werden konnten. Die KSB von 1937 behielten in den Finanzierungsgrundsätzen für die Kleinsiedlung die Grundrichtung des Ablösungserlasses von 1935 bei, wie die Einleitung zu den entsprechenden Paragraphen deutlich macht: „Grundsätzlich sollen -

-

37 38

Reichsfinanzminister, Manteuffel, an den RAM, 16.7.1937, BArch, R 41, 1033, Bl. 20-29. RAM, Schmidt, an den Stellvertreter des Führers Stab -, 7.8.1937: „Dem Ferngespräch vom

4. d. Mts. habe ich entnommen, daß Sie die Führung der weiteren Verhandlungen über die neuen Kleinsiedlungsbestimmungen sich selbst vorbehalten haben und keine unmittelbaren Ver-

handlungen zwischen dem Reichsheimstättenamt und mir darüber mehr wünschen." Ebenda,

BL 71. '9

40 41

42

Zur ablehnenden Haltung des RAM in diesem und weiteren Punkten, die die Kompetenzen der Gauheimstättenämter betrafen, vgl. Ministerialdirektor Knoll an den Leiter des Reichsheimstättenamtes, von Stuckrad, 2.7.1937, ebenda, Bl. 4-8. Vgl. Bormann an RAM, 28. 8.1937, ebenda, Bl. 86, und KSB, Abs. 23, 1 (wie Anm. 36), S. 233. Knoll an Stuckrad, 2.7.1937, BArch, R 41, 1033, Bl. 8. In den KSB hieß der von Bormann übernommene Schlußabsatz (23, 4) zur Siedlerauswahl: „Die Auswahl der Siedler in geldlicher und wirtschaftlicher Hinsicht ist Sache des für die Durchführung der Siedlung verantwortlichen Siedlungsträgers. Hält der Siedlungsträger einen Siedler für nicht geeignet, so entscheidet über den Antrag die Bewilligungsbehörde unter Beteiligung des zuständigen Gauheimstättenamtes." KSB (wie Anm. 36), S. 233.

2.

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

237

die Gesamtkosten möglichst weitgehend aus Mitteln des privaten Kapitalmarktes und durch Eigenleistungen der Siedler gedeckt werden."43 Die Siedler sollten mindestens 15 bis 20 Prozent des Bau- und Bodenwertes der Siedlerstelle selbst beisteuern, nur in wirtschaftlich besonders prekären Fällen konnte die Eigenleistung auf zehn Prozent gesenkt werden. Für die Fremddarlehen konnten wiederum Reichsbürgschaften in Anspruch genommen werden, und zwar bis zu einer Höhe von 75 Prozent des Bau- und Bodenwertes. Diese Bürgschaftsmöglichkeit sollte „tunlichst weit ausgeschöpft werden, damit entsprechend weniger Reichsmittel beansprucht zu werden brauchen; mindestens soll das zu verbürgende Darlehen die Grenze von 60 v.H. des Bau- und Bodenwertes erreichen"44. Erst wenn Eigenleistung und Mittel des Kapitalmarkts trotzdem nicht genügten, war die Gewährung von Reichsdarlehen bis f 500 RM vorgesehen, die wiederum in Ausnahmefällen auf 2 000 RM aufgestockt werden konnten. In der Darlehenshöhe war so immerhin ein gewisser Aufwärtstrend zu konstatieren, der aber durch die gleichzeitigen Bestimmungen über die Vorrangigkeit von Fremddarlehen und Eigenleistung relativiert wurde45. Die Verzinsungsbedingungen verbesserten sich gegenüber 1936 und trugen damit der in den Fachorganen häufig geäußerten Kritik am Vier-Prozent-Satz Rechnung. Der Normalzins lag jetzt nur noch bei drei Prozent (dazu kam ein Prozent Tilgung), bei erschwerten Verhältnissen konnte er sogar auf ein bis zwei Prozent abgesenkt werden46. Es war der „Vater der Kleinsiedlung" und Referent im Reichsfinanzministerium, Stephan Poerschke, der diesen Kompromiß zwischen dem Arbeitsministerium und dem Finanzressort, das anfänglich Bedenken gegen so weitgehende Zinssenkungen geäußert hatte, aushandelte47. Ein Jahr später wurden erneut Zinsvergünstigungen eingeführt. Das Reichsarbeitsministerium konstatierte zu diesem Zeitpunkt, daß die KSB sich „im großen und ganzen durchaus bewährt" hätten. Die Finanzierung solle aber nochmals „in großzügiger Weise erleichtert" werden, weil sich die bisherigen Zinsbestimmungen als zu eng erwiesen hätten und „weil sich in Anbetracht der gestiegenen Baukosten vielerorts noch immer zu hohe Belastungen erga-

43 44

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46

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KSB, Abs. 16,2 (wie Anm. 36), S. 232. KSB, Abs. 16-21 (wie Anm. 36), S. 232.

Nach dem Ablösungserlaß von 1935 hatte das Reichsdarlehen ja nur 1 000 RM betragen, die Bestimmungen von 1936 gingen dagegen schon auf 1500 RM herauf (Gisbertz/Gase, Kleinsiedlungsrecht, S. 42). Da die Mindesthöhe der vom Reich zu verbürgenden Fremddarlehen 60% und die Siedlereigenleistung 15-20% betrug, machte es bei den Reichsdarlehen ohnehin keinen Sinn mehr, über die 1500-Mark-Grenze für den Normalfall hinauszugehen, wie folgendes Rechenbeispiel verdeutlicht: Kostete die Siedlerstelle einen durchschnittlichen Preis von 6 000 RM (ohne Grundstück) und mußten 15% durch Eigenleistung (900 RM) sowie 60% durch ein Fremddarlehen (3 600 RM) aufgebracht werden, so blieb nur noch ein Restbetrag von 1 500 RM für das Reichsdarlehen. KSB, Abs. 22 (wie Anm. 36), S. 233. Nach den Bestimmungen von 1936 waren die Reichsdarlehen noch mit 4% Zinsen und 1 % Tilgung jährlich zu bedienen gewesen, Gisbertz/Gase, Klein-

siedlungsrecht, S. 45. Vgl.Vermerk Hermann Bellingers vom RAM über eine Chefbesprechung im Reichsfinanzministerium am 5.6.1937, BArch, R 41, 1033, Bl. 14-18, bes. Bl. 16. Der Einsatz des RAM für niedrigere Zinsen wurde auch von Guido Harbers unterstützt, der darauf hinwies, daß bei höheren Zinsen die vorgesehene äußerste Belastungsgrenze von 35 RM monatlich für die gesamte Siedlerstelle leicht überschritten würde. Harbers an das Hauptamt für Kommunalpolitik, 28.6. 1937, BArch, NS 25, 168, Bl. 220-222.

III. Baupolitik und Wohnungsfürsorge

238

ben"48. Für den Zeitraum, in dem die Siedler noch andere Gläubiger zu bedienen hatten, verzichtete das Reich jetzt ganz auf Zinsen und verlangte lediglich ein bis zwei Prozent Tilgung. Erst nach Rückzahlung der Fremddarlehen mußten die Reichsdarlehen mit vier Prozent verzinst werden49. In einer offiziösen Publikation von Beamten des Arbeitsministeriums versäumte man es nicht, „dem großen Entgegenkommen" des Finanzministeriums in der Zinsfrage seinen Dank abzustatten, und wies darauf hin, daß die Neuregelung „im Ergebnis völlige Zinsfreiheit für etwa 35 bis 38 Jahre" bedeute50. Strittig zwischen Arbeits- und Finanzministerium war geraume Zeit auch die Baukostenhöchstgrenze, die die KSB erlauben sollten. Wollte das Arbeitsministerium weg von der Minimalausstattung und die Siedlungen auch für „die etwas höher entlohnten Volkskreise" attraktiv machen, drängte das Finanzministerium auf Beschränkung, damit die Ansprüche an die Siedlungen nicht zu hoch geschraubt und die Baukosten nicht künstlich in die Höhe getrieben würden. Die Einigung, bei der das Finanzministerium mit seinen Wünschen deutlich zurücksteckte, lautete schließlich auf eine Baukostengrenze von 7 000 RM (ohne Grundstückskosten und ohne Einrechnung der SiedlerSelbsthilfe), die aber „im Regelfall soweit als möglich" unterschritten werden sollte51. In der Tendenz, von etwas höheren Baukosten auszugehen, trafen sich die Ansichten der Referenten des Arbeitsministeriums ganz mit denen von Guido Harbers, der in der Vergangenheit immer wieder betont hatte, daß der Siedlungsbau nicht nur einfachsten Ansprüchen genügen dürfe. Überhaupt äußerte er sich als zuständiger Hauptstellenleiter im Hauptamt für Kommunalpolitik sehr zufrieden mit den Entwürfen für die neuen KSB und vermutete, daß sie „unter Mitverarbeitung unserer zahlreichen und auf verschiedenen Wegen an das Reichsarbeitsministerium geleiteten Anregungen entstanden" sind52. Insbesondere die Regelungen, die den Einfluß der Heimstättenämter einschränkten, dürften von Hauptamtsseite lebhaft begrüßt worden sein. An der grundsätzlichen Feindseligkeit zwischen den beiden von der Partei geführten Ämtern änderten weder förmliche Zuständigkeitsabgrenzungen noch die Lippenbekenntnisse zur Zusammenarbeit etwas53. Und was sich an Kontroversen auf der Reichsebene abspielte, spiegelte sich dafür sorgten schon Guido Harbers und Karl Fiehler in der Politik der Münchner Stadtverwaltung gegenüber dem zuständigen Gauheimstättenamt wider. In Siedlungsfragen rieb man sich an den keineswegs als Arbeitserleichterung wahrgenommenen Versuchen des Amtes, Projekte zu initiieren und zu gestalten; Kooperationsbereitschaft erkannte man in diesen Initiativen nicht. „Die mündlichen und -

-

48

49

Vorbemerkung des RAM zur Änderung der Bestimmungen über die Förderung der Kleinsiedlung (KSB.) vom 14.9.1937, 23.12.1938, in: RAB1./I 19 (1939), S. 13f., hier 13. Die Tilgung betrug während der ersten Phase, in der noch Fremddarlehen zurückgezahlt wer-

den mußten, 1% für die Bezieher von Einkommen unter 150 RM, für Besserverdienende 2%. In der zweiten Phase (ohne Fremddarlehen) sollte die Tilgung so angesetzt werden, daß für den einzelnen wieder die gleiche Belastung entstand wie in der ersten Phase. Vgl. RAB1./I 19 (1939), S. 14. 30 51 52

53

Schmidt/Bellinger, Kleinsiedlung (1939), S. Ulf.

KSB, Abs. 14 (wie Anm. 36), S. 232. Harbers an das Hauptamt, 28.6.1937, BArch, NS 25, 168, Bl. 220. Vgl. den Entwurf einer Vereinbarung zwischen dem Leiter des Hauptamtes für Kommunalpolitik, Fiehler, und dem Leiter des Reichsheimstättenamtes, Dr. Ludowici, 23.1.35, BArch, NS 25, 164, Bl. 26f., und Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung,

Stuttgart u.a. 1970, S. 215, Anm. 279.

2.

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

239

schriftlichen Verhandlungen haben ergeben, daß das Gauheimstättenamt in seiner bisherigen Zusammensetzung nicht den Willen und die Fähigkeit hat, loyal mit der Stadtverwaltung zusammenzuarbeiten."54 Doch weder das Genörgel Harbers' über das Versagen des Amtes noch seine Versuche, es aus dem Geschehen herauszuhalten, konnten an der Tatsache etwas ändern, daß das Amt in der Siedlerauswahl ein Mitspracherecht hatte, über das man nicht einfach hinweggehen konnte. Die Reichskleinsiedlungsbestimmungen in der Münchner Praxis Für Guido Harbers als Wohnungsreferenten der Stadt München und Hauptstellenleiter im Hauptamt für Kommunalpolitik hieß das Eintreten für ein vereinfachtes Verfahren in der Siedlerauswahl gleichzeitig auch immer, für mehr Handlungsfreiheit und Rechte der Gemeinden in diesem Bereich einzutreten. Die Auswahl an sich betrachtete Harbers durchaus als sehr wichtige Angelegenheit, von der er keinesfalls abrücken wollte, aber er wünschte unter dem Signum „Vereinfachung" ein wie früher von der Stadt getragenes und durchgeführtes Verfahren55. Bei den ersten Siedlungen, die noch unter seinem Vorgänger Karl Preis errichtet worden waren, hatte die Entscheidung über geeignete Bewerber voll in den Händen des städtischen Wohnungs- und des Wohlfahrtsreferats gelegen, f 932 waren die 400 Siedler aus einer dreimal so großen Zahl von Bewerbern ausgewählt worden56. Auch damals waren genaue Erhebungen über die Siedlerbewerber angestellt worden, gab es Fragebögen, die auszufüllen waren, und Gutachten, die eingeholt wurden. In der Begutachtungspraxis hatten die Bezirkswohlfahrtsämter die wesentliche Rolle gespielt. Aus ihren Stellungnahmen und den vom Siedler im Fragebogen gemachten Angaben zu seinen Fürsorgebezügen, beruflichen Voraussetzungen und familiären Verhältnissen war eine Bewertung erarbeitet worden, die den Bewerber in eine regelrechte Notenskala einordnete. Bei den ersten drei Reichskleinsiedlungen waren nur Bewerber mit Note „f oder „2" zum Zuge gekommen57. Harbers, der sonst zur Kritik an den Fehlern der „Systemzeit" nur allzu bereit war, befand in seiner Amtszeit, daß diese Auswahl sich „im allgemeinen gut" bewähre. Natürlich gab es aus der Sicht der nationalsozialistischen Stadtverwaltung einige ,schwarze Schafe', von denen behauptet wurde, sie seien „unzufriedene und streitsüchtige Personen, die schon beim Bau der Siedlungen durch Nörgeleien und Hetzarbeit Unruhe unter die Siedler brachten"58. Die Stadt hatte aufgrund der Siedlerverträge zwar Möglichkeiten, gegen sie vorzugehen, unterlag jedoch auch rechtlichen Beschränkungen. So sah § 9 verschiedene Kündigungsgründe vor Rückstände in den Pachtzahlungen, Unruhestiftung, Sachbeschädigung, extreme Vernachlässigung der Gemeinschaftspflichten oder mangelnde Bewirtschaftung der Stelle59 -, aber bei Einsprüchen der Siedler entschied das Gericht über die "

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54

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59

Vormerkung Harbers' für Fiehler, 4.10.1935, BArch, NS 25, 169, Bl. 320f. Z.B. Harbers an das Hauptamt für Kommunalpolitik betr. Kleinsiedlungsverfahren, 24.7.1940,

BArch, NS 25, 1116, Bl. 67f. Bericht von Preis in der Sitzung des Wohnungsausschusses vom 15.4.1932, StadtAM, RP 705/6. Vgl. die Siedlerauswahl in Düsseldorf 1931/32 bei Harlander/Hater/Meiers, Siedeln in der Not, S. 204-208. Vgl. Sitzung des Wohnungsausschusses vom 8.2.1933, StadtAM, RP 706/8. Referat 7 an das Staatsministerium für Wirtschaft, Abt. für Arbeit und Fürsorge, 20.7.1934, StadtAM, BRB 83/2, 165, Bd. 1. Klotz, 60 Jahre, S. 63.

240

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

Rechtmäßigkeit der Kündigung. Bis Mitte 1934 waren auf diese Weise nur drei Siedlerfamilien ausgetauscht worden gegen kinderreiche Bewerber von den Vormerklisten -, und die Stadt beklagte sich bei der Aufsichtsbehörde im Staatsministerium für Wirtschaft über ihre mangelnden Möglichkeiten, Kündigungen durchzubringen60. Es mag dies nicht die einzige Beschwerde dieser Art gewesen sein, jedenfalls reagierte das Ministerium am 14. November 1934 mit einem Erlaß, der die „Entfernung ungeeigneter Siedler" durch entsprechende Klauseln in den Träger-Siedler-Verträgen vorsah61. Neu war, und kennzeichnend für die Abkehr von rechtsstaatlichen Garantien, daß jetzt im Falle des Einspruchs das Ministerium und nicht mehr die Justiz über die Berechtigung der Kündigung entschied62. Trotzdem blieb die Zahl der Kündigungen recht niedrig, bis April 1938 kam es in 19 Fällen zu Auswechslungen von Siedlern des ersten und zweiten -

Abschnittes63. Der Erlaß vom November 1934 machte ganz deutlich, daß man die Zeit bis zur endgültigen Übertragung der Siedlerstelle, in der der Siedler nur Pächter war, als „Bewährungsfrist" betrachtete, „d.h. also, daß die Siedlerfamilie während dieser Zeit beweisen soll, ob das Vertrauen, welches durch die Zuteilung der Stelle in sie gesetzt ist, auch gerechtfertigt war"64. Nach den Siedlerverträgen, die die Stadt im Juli 1932 mit den Siedlern des ersten Abschnittes abgeschlossen hatte, war die Übertragung der Stellen im Erbbaurecht vom Jahre 1937 an vorgesehen, falls die Siedler bis dahin ihren Verpflichtungen nachgekommen waren65. Als 1936 im Wohnungsreferat Überlegungen angestellt wurden, wie dieser Schritt zu vollziehen sei, zeigte sich, daß mittlerweile neue Faktoren im Spiel waren: Erstens hatte die Stadt zum 1. Januar 1936 ihre Funktionen als Siedlungsträgerin an die „Gemeinnützige Wohnstätten- und Siedlungsgesellschaft m.b.H." (kurz GWG) übertragen und war damit ihrerseits als Vertragspartnerin aus den Siedlerverträgen ausgeschieden. Die Einschaltung der GWG hatte im Zusammenhang mit einem größeren Konzept zur Sanierung dieser seit 1924 brachliegenden Gesellschaft gestanden. Die Siedlungsgrundstücke wurden als neue Kapitaleinlage der Stadt in die Gesellschaft eingebracht66. Die Übertragung der Siedlungsträgerschaft an die GWG war aber nicht nur als Sanierungsmaßnahme zu sehen, sondern resultierte auch aus einem rechtlichen Dilemma, in dem die Stadt sich befand. Die sogenannte negative Verpfändungsklausel in Verträgen mit ausländischen Gläubigern verbot ihr nämlich die von der Deutschen Bauund Bodenbank verlangte hypothekarische Sicherstellung der Reichsdarlehen für die 60 61 62

63

64 65 66

Referat 7 an das Wirtschaftsministerium, 20.7.1934, StadtAM, BRB 83/2, 165, Bd. 1. Amtlicher Teil. Bayerischer Regierungsanzeiger Nr. 320/118 vom 16.11.1934. Entsprechend hieß es in § 9 des Siedlervertrages für die Siedler „Am Hart": „Erhebt der Siedler gegen die Kündigung Widerspruch, so ist dem Staatsministerium für Wirtschaft, Abteilung für Arbeit und Fürsorge, unverzüglich unter eingehender Darlegung des Sachverhaltes zu berichten. Dieses entscheidet nach Anhörung des anderen Teiles und nach eingehender Prüfung der Sachlage unter Ausschließung des Rechtsweges endgültig darüber, ob die Voraussetzungen zur Kündigung als gegeben anzusehen sind." (StadtAM, BRB 83/2, 173) Die Kündigungsgründe blieben die gleichen wie bei den alten Verträgen. Diese Zahl berichtete Harbers an die Regierung von Oberbayern, 12.4.1938, StadtAM, BRB 83/2, 165, Bd. 2. VB

-

Wie Anm. 61. § 10 des Vertrages, vgl. Klotz, 60 Jahre, S. 63. Harbers an die Deutsche Bau- und Bodenbank, 9.10.1935,

StadtAM, PR 83/6, 398.

2.

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

241

Kleinsiedlungen. Zunächst war in der Verwaltung niemand auf diesen juristischen Fallstrick aufmerksam geworden, so daß für die Siedlungen des ersten Abschnittes die Sicherstellung einfach vorgenommen worden war. Nachdem aber in der Bauphase der Siedlung „Am Hart" der städtische Rechtsrat Karl Helmreich zu dem Schluß gelangte, daß mit der Sicherstellung gegen das Recht verstoßen würde, wagte es der Stadtrat nicht mehr, für die Siedlungsgrundstücke dort den gleichen Schritt zu vollziehen67. Das zog erhebliche Schwierigkeiten nach sich, weil die Deutsche Bau- und Bodenbank weitere Ratenzahlungen auf die Reichsdarlehen einstellte und so der schon fortgeschrittene Siedlungsbau am Hart nur noch über Zwischenkredite der Stadt weiterfinanziert werden konnte. Den Knoten löste Harbers schließlich im Juli 1935 mit dem Beschluß, die GWG als Trägerin für die bis dahin gebauten Siedlungen in Freimann, an der Zamdorfer Straße, am Perlacher Forst und am Hart einzuschalten. „Die G.W.G. muß[te] sich verpflichten, in die Siedlerverträge einzutreten, die Verbindlichkeiten für die Reichsdarlehen von zusammen 1 840800-RM zu übernehmen, diese Darlehen an vorgesehener Rangstelle zu sichern und alle Rechte wahrzunehmen und Pflichten zu erfüllen, welche einem Siedlungsträger obliegen."68 Durch diese Entscheidung ging München schließlich doch noch den Weg, den andere Großstädte schon vorher eingeschlagen hatten, nämlich die Trägerschaft der Siedlungen auf ein Wohnungsunternehmen zu übertragen, das dann sowohl gegenüber den Siedlern als auch gegenüber der Deutschen Bauund Bodenbank als Darlehensausgeberin in die Vertragspflichten eintrat. Gleichzeitig blieben die Siedlungen aber „Kinder" der Stadt München, die als Haupteigentümerin der GWG weiter in der Verantwortung war. Dennoch empfanden es auch die Siedler als eine Änderung, daß sie nicht mehr von der öffentlichen Verwaltung, sondern von einem Wohnungsunternehmen, das unter Umständen privatrechtliche und ökonomische Grundsätze vor soziale Gesichtspunkte stellen würde, betreut wurden69. Zweitens favorisierten sowohl die neue Trägerin GWG als auch die Siedler selbst die Übertragung der Siedlerstellen als Eigentum. Die GWG versprach sich davon eine Aufbesserung ihres Kapitalbestandes und damit die Möglichkeit zu neuer Bautätigkeit; für die Siedler war verständlicherweise der Wunsch ausschlaggebend, wirklich in den Besitz der Stelle zu gelangen, zu deren Aufbau sie soviel beigetragen hatten70. Im Erbbaurecht wäre lediglich das Siedlerhaus Eigentum des Siedlers geworden, der Grund wäre bei der GWG verblieben, die nach Ablauf der Erbbaurechtszeit auch zu neuen Verfügungen über den Boden berechtigt gewesen wäre. Damit war der Weiterbestand der Siedlung also bei Anwendung des Erbbaurechts nur bedingt gewährleistet, für die Siedler verständlicherweise eine Gefahr, die sie gern ausgeräumt gesehen hätten71. VFB-Beiräte vom 23.8.1934, StadtAM, RP 707/3. Deutlich zu merken ist, daß vor allem Christian Weber die Gelegenheit recht kam, um Guido Harbers, der bei dieser Sitzung nicht anwesend war, zu brüskieren. Zu dem Problem der dinglichen Sicherstellung der Reichsdarlehen vgl. weiter die Sitzungen der VFB-Beiräte vom 30.8.1934 (707/3), 8.11.1934 (707/4), 2.5.1935 (708/3) und 25.7.1935 (708/3). Harbers an die Deutsche Bau- und Bodenbank, 9.10.1935, StadtAM, PR 83/6, 398. Säumige Zahler müßten jetzt wohl mit einer härteren Gangart als bisher rechnen, hieß es etwa in der AufSichtsratssitzung der Siedlergenossenschaft Freimann vom 7.1.1936, Protokoll-Buch des Aufsichtsrates, Bestand Siedlergenossenschaft Freimann. Vgl. z.B. die Aufsichtsratssitzung der Siedlergenossenschaft Freimann vom 19.2.1937, ebenda. Zu diesen Argumenten Referat 7/30, Troll, 30.9.1936, StadtAM, PR 83/6, 398.

242

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

Drittens gab es neben dem Erbbaurecht die Möglichkeit, die Siedlerstellen als Reichsheimstätten zu übertragen. Damit wurde zwar für die Siedler die Drohung eines späte-

Heimfalls der Grundstücke an die GWG nicht aus der Welt geschafft, sie konnten aber immerhin Eigentum an den gesamten Siedlerstellen erwerben72. Das Reichsheimstättengesetz von 1920 stand im Jahr 1937 gerade vor einer Novellierung, die bis zum 25. November des Jahres abgeschlossen wurde73. Neben weniger bedeutenden Änderungen, die in den materiellen Bestimmungen über den Umgang mit den Siedlerstellen (Beleihung, Zwangsverwaltung etc.) eintraten, wurden durch die Neufassung die Rechte der Länder in der Ausführung des Gesetzes auf das Reich übertragen, und der durch die Nürnberger Gesetze kodifizierte Rassismus hielt jetzt auch im Heimstättenrecht Einzug: Heimstätter durften nur noch „Reichsbürger" werden, konsequenterweise konnte bei Verlust des Reichsbürgerrechts die Rückgabe der Heimstätte verlangt werden74. Mit dem Heimstättenrecht konnten Stadt und GWG eine Möglichkeit ausschöpfen, die mittlerweile auch vom Reich für die Kleinsiedlungen bevorzugt wurde75, und sie hatten die Gewißheit, daß „der GWG. als Ausgeber der Heimstätte ein ausreichender tatsächlicher und rechtlicher Einfluß auf die Siedlung" verblieb76. Die Souveränität des Eigentümers war bei dieser Rechtsform in der Tat stark eingeschränkt: So mußte bei wichtigen Maßnahmen, wie Belastung, Teilung, Abveräußerung77 und Vergrößerung der Heimstätte, die Zustimmung des Ausgebers eingeholt werden. Bei grober Vernachlässigung oder Fehlbewirtschaftung der Stelle stand dem Ausgeber das Heimfallrecht zu, und er hatte für den Fall der Veräußerung ein Vorkaufsrecht78. Mit der anvisierten Ausgabe der Siedlerstellen als Reichsheimstätten schien zwar eine für alle Seiten leidlich befriedigende Lösung gefunden zu sein, die aber bis dahin noch keiner richtig durchdacht hatte. Nach der Entscheidung des Oberbürgermeisters vom 26. November 1936, die Übertragung in dieser Form anzusteuern, mußte erst einmal ein für die Stadt München passender Reichsheimstättenvertrag erarbeitet werden, der allerdings nur kleine Änderungen gegenüber dem vom Reich vorgelegten Muster enthielt79. Trotzdem dauerte es bis Mitte 1937, bis diese Vertragsredaktion so weit gediehen war, daß die GWG Gespräche mit den Reichskleinsiedlungsgenossenschaften aufnahm. Diese hatten durch Umfragen unter ihren Mitgliedern inzwischen die Sicherren

72

Zwar

ergaben

sich durch das Reichsheimstättenrecht

vielfältige Einschränkungen

für den

Heimstätter, dennoch bezeichneten es die Kommentatoren als falsch, „den Heimstätter nur als eine Art von Pächter oder Nießbraucher und nicht als echten Eigentümer anzusehen. [...] Der Heimstätter ist Eigentümer der Heimstätte." Wormit/Ehrenforth, Reichsheimstättengesetz,

73

S.22. Das Reichsheimstättengesetz in der Fassung vom 25. November 1937 ist abgedruckt in: Rusch,

74

Zu den wesentlichen

75 76 77

78 79

Reichsheimstättenrecht, S. 75-84.

Änderungen gegenüber der Fassung von

1920

vgl. Wormit,

Reichsheimstättengesetz, in: Siedlung und Wirtschaft 20 (1938), S. 17-21.

Ebenda, S.

Das

neue

18.

Referat 7/30, 30.9.1936, StadtAM, PR 83/6, 398. Während der Verkauf einzelner Grundstücksteile der Genehmigung bedurfte, war die Veräußerung der gesamten Heimstätte nicht genehmigungspflichtig; allerdings durch das Vorkaufsrecht des Ausgebers doch wieder stark eingeschränkt, vgl. Wormit/Ehrenforth, Reichsheimstättengesetz, S. 22. Vgl. Rusch, Reichsheimstättenrecht, S. 21. Entwurf Trolls vom 18.1.1937, StadtAM, BRB 83/2, 172. Zur Entscheidung für die Übertragung als Heimstätten vgl. Sitzung der VFB-Beiräte vom 26.11.1936, StadtAM, RP 709/4.

2.

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

243

heit, daß wirklich die Mehrheit der Siedler eine Übertragung

zu Eigentum wünschte und daß die künftigen „Heimstätter" auch bereit waren, die entstehende Mehrbelastung zu tragen80. Die in den Verträgen eingesetzten Kaufpreise für die kompletten Siedlerstellen, die zum Beispiel in Freimann je nach Grundstücksgröße zwischen 3 600 und 5 000 RM schwankten81, waren nämlich wiederum in Annuitäten abzuleisten; die wirtschaftlichen Verhältnisse der meisten Siedler hätten zu diesem Zeitpunkt wohl auch noch keine sofortige Bezahlung ermöglicht. Im wesentlichen kam eine Erhöhung der Monatsbelastung dadurch zustande, daß jetzt nicht mehr nur zwei Prozent Zinsen auf den Grundstückswert (der gleich blieb und nicht dem wesentlich höheren Verkehrswert angepaßt wurde) entrichtet werden mußten, sondern der Kaufpreis für das Grundstück zusätzlich, wenn auch in sehr niedrigen Raten, zu tilgen war. Im Vertrag wurde daher pauschal eine Belastung von monatlich acht RM (statt bisher drei bis vier RM) für das Grundstück festgelegt, während die Reichsdarlehen nach den bisher schon geltenden Bedingungen zurückzuzahlen waren82. Ließen sich die vertraglichen Details für die Heimstättenverkäufe noch im üblichen Behördenweg klären, sah sich das Wohnungsreferat durch die mittlerweile festgelegten Ansprüche an den „nationalsozialistischen Siedler" höheren Belastungen ausgesetzt. Die Siedler des ersten Abschnittes waren weder mit den rassenhygienisch-erbgesundheitlichen Maßstäben der Nationalsozialisten ausgesucht worden, noch hatten sie den

politisch-sozialen Kriterien der „Volksgemeinschaft" genügen müssen. Im Gegenteil, gerade aufgrund des Kriteriums Erwerbslosigkeit bzw. Kurzarbeit waren unter den damaligen Siedlern auch etliche, die in „proletarischem" Standesbewußtsein der KPD nahegestanden oder zumindest Prägungen durch das von ihr vermittelte Milieu erfahren hatten83. Allerdings war es keineswegs so, daß die Siedlungen des Jahres 1932 „zum grössten Teil von Kommunisten und Rotfront-Mitgliedern bezogen" worden waren84. Genaueren Aufschluß geben die 193Z von der Stadt zusammengestellten Unterlagen,

mit deren Hilfe das Wohnungsreferat sichergehen wollte, bei der Übertragung der Siedlerstellen keinen Fehler zu machen. Daher wurden zu diesem Zeitpunkt sowohl die Vorstrafenregister als auch Auskünfte der NSDAP-Kreisleitung und der Gestapo ein-

Vormerkung der GWG, Lesch, über die Besprechung mit Vertretern der drei Reichskleinsiedlungsgenossenschaften, 15.7.1937, StadtAM, BRB 83/2, 172.

Klotz, 60 Jahre, S. 106. Die variable Größe waren die Grundstücke, deren Wert mit 2,40 RM pro qm berechnet wurde, während für die Gebäude samt Inventar die Summe des Reichsdarlehens also 2 500 RM eingesetzt wurde. Heimstättenvertrag zwischen GWG und Siedler, § 3: Anstelle der Wohnungsgesellschaft übernahm jetzt der Siedler selbst die Darlehensverpflichtung gegenüber der Deutschen Bau- und Bodenbank und mußte das Reichsdarlehen mit 4% verzinsen und 1% tilgen. In § 6 wurden die Bedingungen für die Übernahme des Grundstücks festgelegt. Vertragsausfertigung im Bestand Siedlergenossenschaft Freimann. Ähnlich galt das auch für andere Reichskleinsiedlungen in der Weltwirtschaftskrise. Für Düsseldorf vgl. Harlander/Hater/Meiers, Siedeln in der Not, S. 207. Beim bayerischen Innenministerium eingegangener Brief von K.R., 25.7.1933, der zugleich mehr nationalsozialistische Mobilisierung für die Siedlung wünscht: „Die S.A. möchte sich ihrem Führer Hitler folgend mit einer ungeheuren Arbeitsbegeisterung an einem Siedlungsbau für S.A. und S.S. beteiligen [...] Jeder würde gerne seine Arbeitskraft unentgeltlich zur Verfügung stellen, um in wenigen Wochen ganze Häuserfronten aus der Erde zu zaubern." -

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BayHStA, OBB

12712.

244

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

geholt. Nach den bei der Stadt erhaltenen Listen wurden von den 400 Siedlerfamilien in Freimann, am Perlacher Forst und an der Zamdorfer Strafe 27 als politisch unzuverläs-

sig eingestuft. Zum größten Teil hatten sie sich in der KPD oder einer von ihr betreuten Organisation wie der Gefangenenhilfsorganisation „Rote Hilfe" engagiert oder hatten auch das wurde hier registriert in der Revolution auf Seiten der „Roten Armee" gekämpft85. Der Rest war wegen Mitgliedschaft in der SPD oder der republikanischen Schutztruppe „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" vermerkt oder auch nur, weil er ohne Benennung konkreter Indizien generell als „marxistisch eingestellt" bzw. politisch verdächtig galt86. Das konnte auch der Fall sein, wenn ein Vorstandsmitglied der Siedlergenossenschaft sich „für Aufnahme eines Juden i.d. Siedlung" erklärt hatte87. Zum Vergleich sei angeführt, daß etwa halb so viele 14 wegen Vorstrafen oder polizeilich registrierter Delikte beanstandet wurden, wobei in einigen Fällen allerdings auch hier ein politischer Hintergrund vermutet werden kann. Sechs Familien galten den Na-

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tionalsozialisten nach erbbiologischen Kriterien als auffällig88. Zu diesen Zahlen ist zu bemerken, daß die Siedlungen schon 1936, als die Stadt noch von einer Übertragung im Erbbaurecht ausging, einer „Säuberungsaktion" unterzogen worden waren. Das Wohnungsreferat überprüfte und benotete nicht nur die jeweilige Wohnwirtschaft89, sondern holte auch über die Siedler genaue Erkundigungen, etwa bei Wohlfahrtsämtern und NSDAP-Ortsgruppen, ein. Damals wurden bereits neun Siedler in Freimann, vier an der Zamdorfer Straße und einer am Perlacher Forst zur Kündigung bestimmt. Die meisten hatten nach Ansicht der Stadt ihre Stellen grob vernachlässigt, aber auch „Schutzhaft" wurde als Motiv angeführt. Ein Siedler wurde nicht nur Opfer der nationalsozialistischen Sterilisierungskampagne, er verlor auch sein Heim aufgrund der städtischen Aktion90. Bei dieser ersten Überprüfung 1936 schlug Harbers generell eine relativ harte Gangart an, deren Ziel es nach seinen Worten war, „erzieherisch einzugreifen, denn sonst ist es vollkommen ausgeschlossen, dass wir Ordnung bekommen". Solcher „Ordnung" gab er um so mehr Chancen, als er die gekündigten Siedler „mit aktiven Kämpfern der nationalsozialistischen Bewegung" ersetzen wollte91. Bis zur neuerlichen Überprüfung 85

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87 88

Da hieß es etwa über einen Siedler: „1931 Mitgl. d. Roten Hilfe und d. Antifasch. Schutzbundes, steht noch nicht zuverl. hinter d. nationalen Regierung, sammelt nicht für NSV. u. Luftschutzbund." Undatierte Listen (1937/38) über die RKS Zamdorfer Straße, Perlacher Forst, Freimann,

StadtAM, BRB 83/2, 172.

Eine Beanstandung lautete z.B.: schem Gruß)." Ebenda.

„Angehör. d. SPD. und Reichsbanner (grüßt nicht mit Deut-

Ebenda.

Für einen solchen „erbbiologischen Verdacht" genügte wie eine handschriftliche Bemerkung deutlich macht -, daß ein Kind an Epilepsie erkrankt war, ebenda. Immerhin wurden bei 91,5% der Siedler die Stellen als „sehr gut", „fast sehr gut" oder „gut" bewirtschaftet eingestuft, knapp 4% erhielten eine Einstufung als „noch gut", und nur 2,5% wurden als wirklich „unsauber" qualifiziert (für einige Stellen ist keine Bewertung nachgewiesen). Vgl. Listen und Bericht des Referats 7/15 vom 25.7.1936 in: StadtAM, BRB 83/2, 165, Bd. 2. Neben den insgesamt 14 Kündigungsfällen sollte in weiteren 32 Fällen die „Bewährungsfrist" bis zur Übertragung der Siedlerstelle im Erbbaurecht um ein weiteres Jahr verlängert werden, vgl. Sitzungen der VFB-Beiräte vom 18.6.1936 und 15.10.1936, StadtAM, RP 709/3 und 4. Eine Überprüfung der neun Freimanner Fälle in den Unterlagen der Siedlergenossenschaft Freimann ergab, daß in allen Fällen die Kündigungen im Verlauf des Jahres 1937 (einmal erst 1940) vollzogen wurden. Genossenbuch, Bestand Siedlergenossenschaft Freimann. Sitzung der VFB-Beiräte vom 18.6.1936, StadtAM, RP 709/3. -

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2.

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

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Ende 1937 war allerdings eine Kursänderung des Wohnungsreferates zu konstatieren. Keine der jetzt 4392 beanstandeten Familien sollte gekündigt werden, sie mußten sich lediglich einer zusätzlichen Unterweisung durch den Prüfungsausschuß für Kleinsiedlungsfragen, der sich auch in München nach den Reichsrichtlinien konstituiert hatte, unterziehen93. Ihre Stellen durften sie zunächst pachtweise behalten, zu einem späteren Zeitpunkt sollten sie auch „Heimstätter" werden können. Offenbar hatte sich bei Harbers mittlerweile die Ansicht durchgesetzt, daß größere Kündigungswellen für sozialen Unfrieden sorgen würden. Schließlich hatte die Stadt wenn auch unter anderen Umständen die Siedler erst vor wenigen Jahren in einem aufwendigen Verfahren ausgesucht, und Harbers selbst hatte sich f 934 noch positiv über diese Auswahl geäußert. Zum anderen mußte Harbers sich im Umgang mit den Siedlern der Weltwirtschaftskrise auch an die Reichspolitik halten, die seit 1937 eine konsequente Anwendung der neuen nationalsozialistischen Richtlinien auf die Siedler des ersten Abschnittes ablehnte. Entsprechend hieß es in einem Weihnachtserlaß des Reichsarbeitsministers von 1937: „Für die Siedler der ersten Siedlungsabschnitte gilt daher in erster Reihe, daß der Siedler auf Grund des zwischen ihm und dem Träger abgeschlossenen Vertrages eine Anwartschaft auf Übertragung der Siedlerstelle erworben hat, die nicht ohne besonders triftige Gründe nachträglich beschränkt oder in Frage gestellt werden kann." Als solch triftiger Ausschließungsgrund wurde es angesehen, wenn der Siedler das Reichsbürgerrecht nicht besaß, wenn er sich noch nach der Machtergreifung „staatsfeindlich" betätigt hatte, die bürgerlichen Ehrenrechte durch strafrechtliche Verurteilung verloren hatte oder als „erbkrank" nach dem Sterilisationsgesetz vom 14. Juli 1933 einzustufen war94. Gerade diesen letzten Grund hatte das Reichsarbeitsministerium selbst nicht einfügen wollen, die Klausel kam vom Stellvertreter des Führers, der darauf kompromißlos bestand95. Begonnen wurde mit dem Abschluß der Heimstättenverträge in München seit 1938, in vielen Fällen verzögerte sich die Paraphierung aber über Monate oder sogar Jahre, meist nicht einmal aus den erwähnten politischen Gründen, sondern weil bauliche Auflagen hinsichtlich Anbauten, Errichtung von Schuppen etc. nicht eingehalten worden waren und jetzt erst entsprechende Korrekturen vorgenommen werden mußten96. Ende 1942 gab es in München nur noch sechs „Übriggebliebene" aus den Siedlungen des ersten Abschnitts, denen die Siedlerstelle nicht übertragen worden war. Die Beanstandungen bezogen sich sowohl auf den Zustand der Siedlerstelle wie auch auf die Siedlungsbewohner selbst, aber nur für einen Siedler wollte man die Übertragung grundsätzlich nicht in Betracht ziehen, während die anderen fünf noch ein weiteres -

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In einigen Fällen gab es Überschneidungen zwischen politisch, kriminell und erbbiologisch Indizierten. Die entsprechenden Stellungnahmen des Prüfungsausschusses datieren für Zamdorfer Straße und Perlacher Forst vom 4.12.1937, für Freimann vom 12.1.1938, und sind vom NSDAPKreisleiter sowie von einem Vertreter des städtischen Wohnungsreferates und dem Gauheimstättenwalter unterschrieben, StadtAM, BRB 83/2, 172. Erlaß des RAM, Knoll, vom 24.12.1937, in: BArch, R 41, 1033, Bl. 139-143, bes. 139. Vermerk Ehrenforths (RAM), 478.11.1937, ebenda, Bl. 124-126. Dazu auch Harbers an die Regierung von Oberbayern, 12.4.1938, StadtAM, BRB 83/2, 165, Bd. 2.

246

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

Probejahr im Pachtverhältnis bleiben sollten97. Die Siedler der ersten Abschnittes standen hier nur noch am Rande zur Debatte, zu diesem Zeitpunkt ging es vor allem um die Siedlungen „Am Hart" und Neuherberge, für deren Bewohner die Probezeiten mittlerweile ebenfalls abgelaufen waren. Die erhaltenen Aufstellungen listen für diese beiden Siedlungen mit über 500 Siedlern immerhin auch 64 beanstandete Stellen98 auf eine Zahl, die eigentlich zu hoch war, um den Nationalsozialisten bereits den Erfolg ihrer Auswahl- und Säuberungsaktionen anzuzeigen. Dem ist aber entgegenzuhalten, daß die hier genannten Bemängelungen sich sehr häufig auf die Mißachtung baulicher Vorschriften bezogen, aber nicht eigentlich die Eignung des Siedlers in Zweifel zogen99. Denn die Feststellung, daß ein Kleintierschuppen „vertragswidrig auf 7 m verlängert" wurde, zeugt eher von der peinlichen Genauigkeit, mit der das Kleinsiedlungswesen gesteuert wurde, als von einer wie auch immer gearteten Untauglichkeit des Stelleninhabers für die nationalsozialistische Siedlung. Kritischer wurde es, wenn ein Siedler durch „Hetzreden gegen seine Nachbarn schon öfters den Frieden der Siedlung gefährdet" hatte oder gar die Kreisleitung vorschlug, die Übertragung der Siedlerstelle noch um ein Jahr zurückzustellen, „da G. jede Mitarbeit in der Partei ablehnt"100. Solche politisch motivierten Beanstandungen wurden in gut einem Drittel der Fälle (23)101 angeführt, häufig allerdings ohne Erläuterung des Hintergrunds, lediglich mit dem Hinweis versehen, daß die Kreisleitung die Übertragung der Siedlerstelle noch um ein Jahr verschoben wissen wolle. Die letzte Gruppe benannter Mängel bezog sich auf wirtschaftlich ungeordnete Verhältnisse bei manchen Siedlern, also Vernachlässigung des Gartens, Verwahrlosung des Hauses oder falsche Ausnützung der Stelle, bis hin zu dem drastischen Urteil: „Die Siedlerstelle befand sich bis zum Frühjahr 1942 in einem saumäßigen -

Zustand."102

Für solche die Siedlungswirtschaft betreffenden Beurteilungen war der Deutsche Siedlerbund zuständig, der sich im März 1935 als Unterorganisation des Reichsheimstättenamtes für die wirtschaftliche und weltanschauliche „Betreuung" der Siedler konstituiert hatte103. Die Mitgliedschaft im Siedlerbund wurde den Siedlern praktisch zur Pflicht gemacht104. Während sich die Siedlergenossenschaften als Interessenvertretungen etablierten, galt der Deutsche Siedlerbund den Siedlern als von oben gesteuertes Kontrollinstrument, das zu ihrer Disziplinierung eingesetzt war105. Als weitere Prüfin-

Vgl. die Liste der Beanstandungen, die von der GWG am 27.11.1942 an den Oberbürgermeister

übersandt wurde, StadtAM, BRB 83/2, 172.

Die Zahl ist

allerdings mit den obengenannten 43 Beanstandungen für die Siedlungen des erAbschnitts nicht vergleichbar, weil es bei den 43 nur um die Siedlereignung ging, während hier auf die Person und auf die Stelle bezogene Einwände zusammengefaßt wurden, Mängelliste vom 27.11.1942, ebenda. In der Hälfte aller Fälle wurden vertragswidrige Anbauten oder zu große Ausmaße bei den Schuppen moniert. Allerdings traten bei einigen dieser Fälle weitere Beanstandungen hinzu. Mängelliste vom 27.11.1942, ebenda. Alle Zitate Mängelliste vom 27.11.1942, S. 1, 2 und 5, ebenda. Auch hier gab es freilich wieder Überschneidungen mit anderen Beanstandungen. Mängelliste vom 27.11.1942, S. 4, StadtAM, BRB 83/2, 172. Die Betreuung des Kleinsiedlers, in: Bodenreform 50 (1939), Sp. 3f. Seiff, Kleinsiedlung, S. 97-108, bes. 98. Bezeichnend ist dafür die Sitzung des Aufsichtsrates der Freimanner Genossenschaft am 24.1.1936, in der der erste Vorstand seinen Rücktritt erklärte. Er gab dafür als einen Grund die sten

2.

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

247

stanz betätigte sich 1942 die GWG selber, die den generellen Zustand der Siedlerstelle und das Verhalten des Siedlers innerhalb der Nachbarschaft kritisch in den Blick nahm, während die Kreisleitung wie erwähnt für die politische Beurteilung zuständig war. Wenn es auch in den „nationalsozialistischen" Siedlungen noch relativ viele Beanstandungen gab, so mag das mit daran gelegen haben, daß die Siedler am Hart106 im wesentlichen noch nach den alten Kriterien mit der Priorität der Erwerbslosigkeit ausgesucht worden waren, während erst für die Siedlerauswahl in Neuherberge die seit f 935 verstärkte Ausrichtung an Ideologie und Menschenbild des Nationalsozialismus galt. Das hieß, die NSDAP war in die politische Begutachtung eingeschaltet worden107, eine Untersuchung beim Städtischen Gesundheitsamt hatte stattgefunden, daneben hatten wie es zuvor auch schon üblich war die Bezirkswohlfahrtsämter ihre Stellungnahme abgegeben. Im Hinblick auf die parteiamtliche Durchdringung besonders wichtig war die Mitwirkung des Gauheimstättenamtes bei der Siedlerauswahl für Neuherberge, ein Zugeständnis, das das Heimstättenamt schon im Dezember 1934 der Bayerischen Landesregierung abgerungen hatte108. Der genaue Vorgang der Siedlerbegutachtung, das Verfahren von „Auslese" geeigneter und „Aussortierung" ungeeigneter Bewerber, ist für München quellenmäßig nicht dokumentiert109. Auch vom Prüfungsausschuß für die Kleinsiedlerauswahl konnte keine Überlieferung mehr festgestellt werden. Aus spärlichen Informationen wissen wir immerhin, daß er nach den Richtlinien von 1937 zusammengesetzt wurde und aus einem Vertreter des Oberbürgermeisters (aus dem Wohnungsreferat) und je einem Vertreter des Heimstättenamtes und der NSDAP-Kreisleitung bestand. Es hat den Anschein, als ob Harbers die Mitwirkung der Kreisleitung willkommen war, um wiederum den Einfluß des Heimstättenamtes zu reduzieren. Er betonte jedenfalls die Bedeutung der Kreisleitung, der auch schon vor den jeweiligen Sitzungen des Prüfungsausschusses -

-

-

-

„Zwickmühle" an, in der er sich befände: „Auf der einen Seite, wenn er den Siedlerbund vermuß, hat er hier die Befehle zu vollziehen, auf der andern Seite kann er als Vorstand der

treten

Genossenschaft die Interessen dann nicht mehr voll vertreten." Protokollbuch des AufsichtsBestand Siedlergenossenschaft Freimann.

rates,

In der Siedlung am Hart gab es 51 beanstandete Stellen, in Neuherberge, die allerdings auch nur halb soviel Stellen umfaßte, lediglich 13, Mängelliste vom 27.11.1942, StadtAM, BRB 83/2, 172. Die Einholung „politischer Beurteilungen" bei den Ortsgruppen und Kreisleitungen der NSDAP war ein sehr charakteristisches Element nationalsozialistischer Herrschaftspraxis, das etwa

Personalentscheidungen, aber auch bei der Vergabe sozialer Leistungen (Ehestandsdarlehen, Kinderreichenbeihilfen, Kleinsiedlerstellen etc.) eine gewichtige Rolle spielte, s. dazu Rebentisch, Die „politische Beurteilung". Zur Siedlerauswahl in Neuherberge auch Sieber, Bebei allen

völkerungsaufbau, S. 197f.

Das Heimstättenamt versuchte sich ziemlich massiv in die Durchführung des Siebert-Programms hineinzudrängen und konnte dann immerhin erreichen, daß das Bayerische Wirtschaftsministerium in einer Entschließung vom 29.12.1934 bestimmte, daß die Siedler-Auswahl im Rahmen des Siebert-Programms im Einverständnis mit dem örtlichen Heimstättenamt zu erfolgen habe und daß dieses auch gutachterlich zur Planung der gemeindlichen Siedlungsvorhaben zu hören sei, VB Amtlicher Teil. Bayerischer Regierungsanzeiger Nr. 365/153 vom 31.12.1934. Zu den Versuchen des Heimstättenamtes, mehr bei der bayerischen Regierung zu erreichen, vgl. BayHStA, OBB 12712. Entsprechende Siedler-Akten der GWG sind offenbar nicht erhalten. Fraglich ist allerdings auch, ob die engen Bestimmungen des Bayerischen Archivgesetzes hinsichtlich des Datenschutzes bei Sozialakten eine Auswertung erlaubt hätten. -

248

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

mit der Abgabe des politischen Gutachtens eine Schlüsselfunktion zufiel110. Der DreierAusschuß dürfte sich mangels größerer neuer Projekte seit 1937 im wesentlichen mit Nachrückern in die bestehenden Siedlungen und mit den obenerwähnten Überprüfungen von „Altsiedlern" befaßt haben. Aus dem vorhandenen Material wird immerhin deutlich, welche Fragen den Siedlerbewerbern gestellt wurden, und somit, welche Kriterien für die Nationalsozialisten zählten. Der Siedlerfragebogen des Reichsheimstättenamtes, wie er im folgenden vorgestellt wird, wurde im Jahr 1935 als verbindlich erklärt111 und war damit zugleich sichtbare Manifestation der Rolle der Heimstättenämter in der Siedlerauswahl, die ihnen eingeschränkt auch nach den KSB von 1937 erhalten blieb. Auf diesem Fragebogen nach „Muster F"112 verwies unter der Rubrik Familienstand die Frage nach „schwereren Krankheitsfälle[«]" in der Familie bereits auf die erbbiologische Überprüfung, die durch das Gesundheitsamt noch eigens durchzuführen war. Dann ging es zunächst um den beruflichen Hintergrund der beiden Eheleute. Dabei interessierte, ob der Haushaltsvorstand sich in einem festen Arbeitsverhältnis befand, denn die nationalsozialistische Siedlung hatte ja zunehmend die „Stammarbeiter" im Blick. Von der Ehefrau andererseits erwartete man offensichtlich, daß sie sich nach Bezug der Siedlerstelle ganz um diesen Aufgabenkreis kümmern würde, so jedenfalls schien es folgende Frage zu suggerieren: „Gibt Ihre Frau ihre Erwerbstätigkeit bei Bezug der Siedlung auf?" Die Einbeziehung der Frau in den Erhebungsbogen folgte dem Credo, daß das Gelingen des Siedlungsunternehmens von der Tüchtigkeit der ganzen Familie abhinge: „Die geeignete Familie nicht der geeignete Siedler ist auszuwählen, zu schulen und zu betreuen."113 Weitere Fragen zielten dann auf die erwünschten Erfahrungen in der Bewirtschaftung von Land und in der Tierhaltung sowie auf handwerkliche Fertigkeiten114. Unter „Politischen Angaben" wurden Auskünfte über die „Ariereigenschaft", über Militärdienstzeiten und Kriegsbeschädigungen eingeholt; noch mehr Punkte konnte der Kandidat vermutlich machen, wenn er als „Kämpfer für die nationale Erhebung" gelten konnte115. Freilich wurde auch die Mitgliedschaft in der Partei, ihren Gliederungen und betreuten Organisationen hier abgefragt. Eine Parteimitgliedschaft war dabei bestimmt -

110

111

1,2

Harbers an das Hauptamt für Kommunalpolitik, 24.5.1938, BArch, NS 25, 156, Bl. 160, und Zusammenstellung des Büros des Oberbürgermeisters über die Zusammenarbeit mit örtlichen

Parteidienststellen von 1941, StadtAM, BuR 463, Bl. 8. Seit 1935 waren nur noch Kreisleiter oder höhere politische Leiter der NSDAP berechtigt, politische Beurteilungen abzugeben, die sich aber freilich oft auf die Informationen der Ortsgruppen stützten, vgl. Rebentisch, Die „politische Beurteilung", S. 111. Erlaß des RAM vom 12.7.1935, RAB1./115 (1935), S. 258. Fragebögen des Reichsheimstättenamtes hatte es auch vorher schon gegeben, jetzt wurde aber eine verbindliche Form entwickelt und das Eignungsscheinverfahren institutionalisiert. Im folgenden wird ohne Einzelverweise auf den „Siedlerfragebogen" des Reichheimstättenamtes

der NSDAP und der DAF

348. 113

114

1,5

-

Bezug genommen

-

ein

Exemplar z.B. in: StadtAM, PR 83/6,

Ludowici, Der Weg in die Heimat, in: Die Siedlung. Sondernummer der Berliner Börsen-Zei-

tung vom Juli 1935. Solche Fragen zum beruflich-ökonomischen Hintergrund der Eheleute hatte in ganz ähnlicher Weise auch Karl Preis schon auf seinem Bewerber-Fragebogen von 1931 vorgesehen, vgl. Anlage 2 zur Denkschrift von Preis vom 14.12.1931, in: Sitzung des Wohnungsausschusses vom

14.12.1931, StadtAM, RP 704/8.

Es ist

allerdings

nicht sicher, ob

„Gesundheitsbeschädigungen"

auch -

wenn

sie

aus

einer

2.

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

nicht notwendige Voraussetzung für den Siedlungsanwärter; dagegen hätte eine Nichtbeteiligung an der DAF mit Sicherheit Anlaß zu Nachfragen gegeben116. Im letzten Fragenkomplex ging es schließlich um die wirtschaftliche Lage des Bewerbers, die dann auch durch eine Einkommens-Bestätigung des Arbeitgebers erhärtet werden mußte. Aus diesen Angaben sollte deutlich werden, ob der künftige Siedler in der Lage war, die Aufwendungen für seine Stelle zu tragen. Von den zunächst auf den älteren Formularen der Heimstättenämter auftauchenden Fragen, wie: „Sind Sie sich der Schwierigkeiten und Anforderungen, die an den Siedler gestellt werden müssen, bewußt?" oder „Sind Sie bereit, von der (großstädtischen zur ländlichen Lebensform überzugehen?"117, nahm man auf den seit 1935 verbindlichen Formblättern Abstand, vermutlich, weil es auch dem naivsten Siedleranwärter klar sein mußte, daß er solche Fragen nur mit „ja" beantworten durfte. Überblickt man noch einmal, welche Kriterien den Nationalsozialisten beim Erlaß neuer Kleinsiedlungsvorschriften im Hinblick auf die Siedlerauswahl besonders wichtig waren und wie diese Vorschriften dann in die Praxis umgesetzt wurden, so kann man feststellen, daß Siedlungspolitik für die Nationalsozialisten in erster Linie Bevölkerungspolitik war. Hier trifft man auf die typische Kombination von einer auf Familie und Geburtenfreudigkeit gerichteten Förderungspolitik mit rassenhygienisch bestimmten Selektionsmechanismen118. In diesem Sinne war die Siedlung tatsächlich eine Verwirklichung des nationalsozialistischen Volksgemeinschaftsgedankens: „Volksgemeinschaft" freilich nicht verstanden als solidarischer Zusammenschluß von Individuen auf freiwilliger Basis, sondern als eine von oben reglementierte und nach bestimmten Kriterien „gesäuberte" Gesellschaft, die zur Erhaltung und Expansion des nationalsozialistischen Staates funktionieren mußte. Das heißt, in den Kleinsiedlungen sollten deutsche Familien angesiedelt werden, die sich loyal dem nationalsozialistischen System anpaßten, von denen ein angemessenes Reproduktionsverhalten erwartet werden konnte und die sich auch weiterhin in bescheidene wirtschaftliche Verhältnisse fügen würden119. Es ging um die „Volksgenossen" im nationalsozialistischen Verständnis, nicht „weniger" das heißt rassisch Verfemte, Oppositionelle, sogenannte „Erbkranke" oder andere „Gemeinschaftsfremde" kamen nicht in Frage -, aber auch nicht „mehr": ein Privileg für besonders verdiente Nationalsozialisten oder eine Pfründe für den Parteinachwuchs sollten die bescheidenen Kleinsiedlerstellen nicht sein. Das galt schon eher für andere Sied-

Straßenschlacht für die Nationalsozialisten stammten dem Bewerber stets zum Vorteil gereichten, denn die Siedler in den Reichskleinsiedlungen sollten wegen des weiteren Ausbaus und der Bewirtschaftung der Stelle körperlich einigermaßen belastbar sein. Vgl. unten, S. 277. Eine geringe Anzahl zufällig erhaltener Siedlerfragebogen, die für ein nicht verwirklichtes Siedlungsprojekt in Aubing ausgefüllt wurden, bestätigt diesen Eindruck. In der Regel gehörten die Bewerber nicht der Partei, sondern nur der DAF, der NSV und anderen gesellschaftsoder berufspolitischen NS-Organisationen an. Für eine detaillierte war diese Auswertung PR Stichprobe zu klein, vgl. StadtAM, 83/6, 274. Diese Fragen auf dem früheren „Personal-Fragebogen" des Reichsheimstättenamtes Exemplare z.B. in: ebenda. Zu den Kriterien der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik vgl. Marschalck, Bevölke-

116

117

-

118

119

rungsgeschichte, S. 75. Schickel, Siedlungen und Luftschutz, S. 254: „Die Hauptzielgruppe des Siedlungsprogramms [...] war das sogenannte rassisch hochstehende, erbgesunde, kinderreiche Stammarbeiterehepaar als ,Keimzelle jeder gesunden Volkskraft'."

250

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

lungstypen, SA-Siedlungen etwa oder in der „Hauptstadt der Bewegung" die Anlage für „alte Kämpfer"120. Dennoch machen die zitierten Beanstandungen deutlich, daß ein Überwachungsapparat von Polizeiorganen, Parteistellen und gleichgeschalteten Organisationen die Bevölkerung der Siedlungen sehr genau im Auge hatte und daß abweichende Verhaltensweisen in jedem Fall registriert wurden. Auffällig ist, daß trotz des angestrebten Ziels einer dem nationalsozialistischen Menschenbild völlig entsprechenden Bevölkerungsauslese auf dem Weg dorthin durchaus Kompromisse gemacht wurden. Auch die offensichtlich den neuen Richtlinien nicht entsprechenden Siedler der „Systemzeit" konnten in der Regel auf ihren Stellen bleiben. Eine größere Zahl von Kündigungen hätte durch den sozialen Unfrieden, den sie gestiftet hätte, in den Augen der nationalsozialistischen Stadtpolitiker offenbar mehr Schaden angerichtet, als sie Nutzen in Form „verbesserter" Selektion gebracht hätte. Für die erst im „Dritten Reich" zum Zuge kommenden Siedler galten dagegen die auf Reichsebene kodifizierten und auf kommunaler Ebene umgesetzten Auswahlprinzipien des nationalsozialistischen Staates. Das schlug sich gegenüber der Weimarer Zeit vor allem darin nieder, daß die künftigen Siedlerfamilien jetzt auch politische Konformität zeigen mußten und daß sie „rasse- und erbhygienisch" keinen Grund zur Beanstandung liefern durften. Diese neuen Kriterien führten allerdings nicht zu einer völlig neuen sozialen Stratifikation, wie das Münchner Beispiel zeigt. Für Vergleichszwecke wurden zwei der nördlichen Stadtrandsiedlungen, die auch größenmäßig nicht weit auseinanderliegen, herangezogen: Freimann als Typus der älteren Erwerbslosensiedlung und Neuherberge als Typus der nationalsozialistischen Kleinsiedlung. Tab. 20: Die Siedler in Freimann und Neuherberge nach der Stellung im Beruf 1939

Selbständige Beamte

Angestellte

Arbeiter

Selbständige Berufslose Gesamt

Bezogen auf Haushaltungsvorstände,

Freimann

Neuherberge

4,5% 1,4% 6,0% 80,3% 7,8%

2,1% 4,8% 15,9% 75,1% 2,1% 100,0%

100,0%

Quelle: Sieber, Bevölkerungsaufbau, S. 114 und 201.

Die starke Dominanz der Arbeiterschaft hat sich auch beim nationalsozialistischen Siedlungstyp nur wenig abgeschwächt und zeigt, daß der immer noch sehr einfache Typ des Kleinsiedlungshauses für den Mittelstand geringe Attraktivität besaß. Damit liefen aber auch die Beteuerungen nationalsozialistischer Wohnungspolitiker, eben keine Klassensiedlungen schaffen zu wollen, ins Leere121. Der noch höhere Arbeiteranteil in der Siedlung Freimann bei deutlich schwach besetzter Angestelltenschicht erklärt sich durch die Schwerpunktauswahl im Baufach, die man bei den ersten Siedlungen traf, als die Selbsthilfe noch von großer Bedeutung war. So stammten von den ersten Beziehern 120 121

S. unten, S. 264ff. Z.B. Ludowici, Weg in die Heimat (wie Anm. 113): „Wenn der Klassenstaat heute überwunden ist, dann muß auch ebenso die Klassensiedlung überwunden werden." Vgl. auch Münk, Organisation des Raumes, S. 223, und Saldern, Häuserleben, S. 207f.

2.

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

251

der Erwerbslosensiedlungen in München 70 Prozent aus dem Baugewerbe122. In Neuherberge andererseits wurden in einem Erweiterungsprogramm 43 Stellen an Angehörige des Heereszeugamtes vergeben. Hier hatte die Heeresverwaltung auf etwas bessere Ausstattung der Stellen gedrängt, so daß die Gestehungskosten höher kamen123. Vermutlich gehörten von den Beamten und Angestellten in Neuherberge ein größerer Teil zu dieser privilegierten Gruppe Armeebediensteter. Die verhältnismäßig geringere Zahl an selbständigen Berufslosen, in der Regel also Rentnern, ist ganz einfach aus der späteren Entstehungszeit der Siedlung Neuherberge zu erklären, in der zum Zeitpunkt der Volkszählung 1939 „die Arbeitskraft [...] völlig jung und ungebrochen" erschien124. Die Kleinsiedlungen, das dürfte dieser Vergleich zeigen, blieben auch im nationalsozialistischen München im wesentlichen ein „blue-collar-Phänomen". Das darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie nur für einen ganz kleinen Teil der Arbeiterschaft ein Wohnangebot schufen, ein Massenbedürfnis befriedigten sie nicht. Damit stand die nationalsozialistische Wohnungspolitik erstens vor der Aufgabe, den weiterhin hohen Wohnungsbedarf auch für eine größere Zahl zu stillen. Eine Lösung versuchte sie dafür seit 1935 mit dem Volkswohnungsprogramm zu entwickeln. Und zweitens war zu fragen, in welcher Weise die nicht von den Reichskleinsiedlungen angesprochenen Schichten in das „Siedlungswerk", das ja im Nationalsozialismus einen hohen ideologischen Stellenwert genoß, einbezogen werden könnten. Ein Münchner Versuch, auch den Bedürfnissen des Mittelstandes entgegenzukommen, wird im folgenden Abschnitt dargestellt.

Mustersiedlung Ramersdorf Deutsche Siedlungsausstellung München 1934 Die Ausführungen über die Reichskleinsiedlung haben gezeigt, daß mit dem hier erbauten Haustyp nur geringe Ansprüche befriedigt werden konnten, daß er damit vor allem für Familien mit niedrigen Einkommen und keinem Eigenkapital in Frage kam. Über die Heimstättenregelung wurde später zwar auch eine Möglichkeit zum Eigentumserwerb geschaffen, aber zu wesentlich günstigeren Bedingungen, als sie für den Erwerb von Immobilien auf dem freien Markt galten. Es war ein Grundanliegen von Harbers, vergleichbar günstige Ansiedlungsmöglichkeiten auch für den „breiteren Mittelstand" zu schaffen, der seines Erachtens mit den Reichskleinsiedlungshäuschen nicht zufriedenzustellen war, aber gerade in München eine gewichtige Rolle spielte125. 122

123 124 125

Sieber, Bevölkerungsaufbau, S. 102. Die starke Beteiligung von Arbeitern des Baugewerbes an den Erwerbslosensiedlungen, die weit über deren prozentualen Anteil an den gesamten Erwerbslosen hinausging, war allgemein im Kleinsiedlungsbau verbreitet, in München aber ungewöhnlich ausgeprägt. Harlander/Hater/Meiers, Siedeln in der Not, S. 127-129. Vgl. Sieber, Bevölkerungsaufbau, S. 200. Ebenda, S. 201-204.

Vgl z g Harbers in der Hauptausschußsitzung vom 24.5.1933, als es um die Förderung des Eigenheimbaus und des Siedlungswesens im jetzt nationalsozialistisch regierten München ging, StadtAM, RP 706/3. Mit dem relativ hohen Gewicht des Mittelstandes in München hatte Harbers nicht unrecht, nimmt man als Maßstab dafür die „Stellung im Beruf": Nach der Volkszählung von 1933 gehörten 43,2% der Gruppe „Arbeiter" an, 32,5% den „Angestellten und

252

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

Harbers verliebte sich zunehmend in den Gedanken einer gebauten Siedlungsausstellung, um so seine Ideen über Siedlung einer weiten Öffentlichkeit publik zu machen. Kurioserweise war es offenbar gerade die Stuttgarter Ausstellung des Deutschen Werkbundes von 1927, in der Mies van der Rohe, Le Corbusier und andere prominente Architekten der Moderne ihre Entwürfe versachlichter, zeitgemäßer Bauweise verwirklichten, die für Harbers den Anstoß gab. Dabei entfachte die Weißenhof-Siedlung einen Sturm der Kritik gegen das „Neue Bauen" in Deutschland126, und auch Guido Harbers schloß sich wenngleich in moderater Weise der gegnerischen Seite an127. Dennoch war er angetan von dem Gedanken, daß „keine unnützen Phantome" hergestellt worden seien, sondern echter Wohnraum für die Stadt Stuttgart geschaffen wurde128. 1933 sah sich Harbers endlich in der Lage, sein Konzept einer gebauten Siedlungsausstellung, mit dem er 1931 schon einen vergeblichen Vorstoß unternommen hatte129, durchzusetzen. Das verweist wiederum auf den Fall Stuttgart, denn dort nahmen die Kritiker der Weißenhof-Siedlung jetzt gleichfalls die Gelegenheit wahr, unter der neuen nationalsozialistischen Stadtregierung ihre Antwort die Kochenhofsiedlung bauen zu lassen130. Auch in München fand man kritische Worte für das Werkbund-Modell, als die Realisierung von Ramersdorf zur Debatte stand. Allzu polemisch war der Ton allerdings nicht. Im wesentlichen, so befand Harbers, sei die Weißenhof-Siedlung zu wenig bodenständig, sie sei „für die deutschen Menschen und ihre Bedürfnisse" nicht geeignet. Hier hingegen solle, so Fiehler, gezeigt werden, wie man „mit verhältnismäßig geringen Mitteln ein gemütliches Heim schaffen [kann], an dem der Einzelne wirklich seine Freude haben wird"131. Kein Zweifel, daß für solche Heime nur Giebeldächer in Frage kamen, die Harbers dann in der Wettbewerbsbeschreibung für Ramersdorf auch quasi verbindlich machte132. Ursula Henn mag recht haben, daß Harbers diese Festlegung weniger aus ideologischem Doktrinarismus als aus Pragmatismus traf, weil eine „Einfamilienhaus-Siedlung mit Flachdächern von den Nazis mit Sicherheit verhindert" worden -

-

-

-

126

127

128 129

130

131 132

Beamten" (im Reich nur 17,4%!), 15,0% den „Selbständigen", 7,1% den „Hausangestellten" und 2,2% den „mithelfenden Familienangehörigen". Vgl. Die berufliche und soziale Gliederung der Münchener Bevölkerung nach der Berufszählung vom 16. Juni 1933, in: Münchener Wirtschafts- und Verwaltungs-Blatt 9 (1934), S. 125-128, hier 127, und Petzina/Abelshauser/Faust, Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch III, S. 55. Vgl. Käpplinger, Wohnungsbau zwischen konservativer Moderne und Neuem Bauen, S. 235-

237. Die Polemik überließ Harbers als Schriftleiter des „Baumeister" einem anderen Autor: Rudolf Pfister, Stuttgarter Werkbundausstellung ,Die Wohnung', in: Der Baumeister 26 (1928), S. 3372, während er selbst sich auf einen knappen Kommentar beschränkte: „Auf der Werkbundsiedlung [...] standen dem Unzulänglichen im Wohntechnischen, Konstruktiven und Wirtschaftlichen als anregend Neues eine gut ausgewogene Gesamtanordnung [...], überwiegend einheitliche äußere Haltung sowie Einzelleistungen von Stam, Oud, Mies u.a. gegenüber." (Ebenda, 27 [1929], S. 285). Zitiert nach Henn, Mustersiedlung, S. 106. Vgl. ebenda, S. 100-104, 109-111. Bemerkenswert an dieser gebauten Siedlungsausstellung ist vor allem die programmatische Anwendung der Holzbauweise; die Ausstellung stand sogar unter dem Titel: „Deutsches Holz für Hausbau und Wohnung". Vgl. Cramer/Gutschow, Bauausstellungen, S. 174-182. Hauptausschußsitzung vom 30.5.1933, StadtAM, RP 706/3.

Henn, Mustersiedlung, S.

165.

2.

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

253

wäre133. Der Wunsch, keinen Anstoß zu erregen, führte jedenfalls auch dazu, daß die Siedlung auf Experimente verzichtete und eine zeitlos-unspektakuläre Architektur präsentierte: „keine aufregenden, sondern sehr viel ¿«regende Dinge und kaum etwas ganz Neues, sogar ein wenig zuviel von Dingen, die man weder gut noch böse heißen mag"134. Gerade in der Einfachheit, fast Kargheit drückten sich allerdings auch Züge von Modernität aus, die man aus der „Neuen Sachlichkeit" kannte135. Schließlich war die Entwicklung des Bauwesens in den zwanziger Jahren auch an den hier beauftragten Münchner Architekten nicht spurlos vorübergegangen. Ist eine Einordnung als reine „Traditionsarchitektur" daher sicher zweifelhaft136, so kann doch behauptet werden, daß im ganzen die Ramersdorfer Architektur keineswegs auf den Bruch mit der Vergangenheit angelegt war, sondern eher versuchte, den gewachsenen deutschen Baustil in zeitgemäßer Form fortzusetzen137. Es war kennzeichnend für die Alltagsarchitektur im „Dritten Reich", daß sie sich eher an Erprobtes hielt, während es den Planern der „Führerstädte", die Straßenräume, Plätze und Repräsentationsbauten entwarfen, überlassen blieb, vor allem über Monumentalität neue Effekte zu erzeugen138. Der Hauptzweck der Ausstellung war für ihren Initiator auch nicht das bauliche Experiment oder die neue architektonische Idee. Harbers beabsichtigte vielmehr, seinen Gedanken zu verwirklichen, dem Münchner Mittelstand eine Siedlungsmöglichkeit zu günstigen Bedingungen zu verschaffen. Er wollte den Beweis führen, „dass das Einfamilien-Wohnhaus für die deutsche Familie das erstrebenswerte Ziel bildet und dass der mit dem eigenen Besitz verbundene finanzielle Aufwand auch bei kleineren Einkommen durchaus erträglich ist und mit dem für eine Mietwohnung sehr wohl verglichen werden kann"139. Ramersdorf sollte Schule machen; Gemeinschaftssiedlungen dieser Art sollten in den Visionen des Wohnungsreferenten überall in den Münchner Randlagen emporsprießen. Dabei schätzte er auch das Potential an gutem Baugelände ebenso

Ebenda, S. 274. Henn legt besonderen Wert darauf, Harbers von dem Verdacht einer Identifi-

zierung mit der nationalsozialistischen Ideologie freizusprechen. Die Festlegung auf Satteldächer sei „kein nazikonformes ,völkisches' Bauen" gewesen. Er selbst habe zwar auch das Giebeldach für diesen Haustyp bevorzugt, das sei aber seine eigene ästhetische Überzeugung gewesen, er habe daneben auch anderes gelten lassen, ebenda, S. 274f. Otto Völckers (mit Hervorhebungen) zitiert nach ebenda, S. 350. Zur weiteren Kritik an der Ausstellung auch ebenda, S. 343-350, und Cramer/Gutschow, Bauausstellungen, S. 190-192. Solche Parallelen sah der Kritiker der „Bauwelt": „Verwunderlich ist, daß eine Ausstellung, die zu der Mode der vergangenen Jahre in Widerspruch steht, eine der bedenklichsten Eigenheiten der kubischen Bauweise, den Verzicht auf Überstände [Dachvorsprünge], übernimmt." Zitiert nach Henn, Mustersiedlung, S. 347. Der Architekt Siegfried Ebeling bemerkte ganz ähnlich eine „gewisse moderne ,Kahlheit'" in dieser Baueigenart, Beilage „Hinter Pflug und Schraub-

stock" der MNN vom 12.9.1934. Gegen die Kategorisierung in „Tradition" oder „Moderne" wehrt sich explizit Henn, Mustersiedlung, S. 8 und passim. Die regionale Tradition drückte sich in den Ramersdorfer Häusern allerdings kaum aus, und dieses Fehlen „oberbayerischer Bodenverbundenheit" wurde auch bemängelt. Kritik von Ebeling (wie Anm. 135). Vgl. auch den Artikel von Wilhelm Heilig, Die Deutsche Siedlungsausstellung München 1934, in: Siedlung und Wirtschaft 16 (1934), S. 239-241, der nur in einigen flacher geneigten Dächern den oberbayerischen Typ erkennt, „während alle anderen Haustypen mit ausgesprochenem Steildach ebensowohl am Niederrhein, wie in der Provinz Schlesien stehen könnten". Vgl. Voigt, Stuttgarter Schule, S. 234f.

Hauptausschußsitzung vom 30.5.1933, StadtAM, RP 706/3.

254

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

wie die Privatinitiative in diesem Sektor auf eine fast naive Art positiv ein: „Es werden grosse Summen toten Kapitals privater Kreise, die jetzt im Boden stecken, frei werden und endlich wird München einen unerschöpflichen Vorrat an gutem Siedlungsgelände

aufzuweisen haben und damit seinen Ruf als Wohnstadt festigen und zwar auf alle Zei-

Denn die Reserven an ausgezeichnetem Siedlungsgelände [...] sind nahezu unerschöpflich."140 Dabei sah Harbers offensichtlich nicht voraus, daß die finanzielle Situation der Gemeinde es kaum erlauben würde, in größerem Umfang Siedlungsgrund, insbesondere in innenstadtnaher Lage, zu erwerben141. Drei Jahre später gab es für solche euphorischen Töne, wie Harbers sie 1933 angeschlagen hatte, keinen Grund mehr. Seit 1931, stellte Grundbesitzreferent Hermann Jansohn fest, „haben wir nur noch ausverkauft, wir haben keinerlei Mittel für Grunderwerbungen bekommen ausser für besondere Zwecke, für die etwas gekauft werden mußte"142. Jetzt seien vor allem durch die Reichskleinsiedlungsaktion und die Anlage von Kleingärten die Grundreserven der Stadt praktisch ausgeschöpft. Solche Schwierigkeiten für das Siedlungswesen kalkulierte Harbers noch nicht ein, als er glaubte, daß Ramersdorf nur der Anfang eines Münchner „Siedlungsbooms" sein würde. Deshalb ging er im Mai 1933 mit großem Optimismus daran, seine Pläne umzusetten.

-

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zen. Dabei konnte er offensichtlich so viel Überzeugungskraft entwickeln, daß der Münchner Stadtrat ohne ihm große Steine in den Weg zu legen der Inangriffnahme des Projekts zustimmte. Der „Verein Siedlungsausstellung München 1934", der die Organisation und Durchführung übernahm, wurde am 23. Juni gegründet, und da er sich ganz aus Mitgliedern von Rat und Verwaltung der Stadt zusammensetzte, waren günstige Voraussetzungen dafür gegeben, daß die Stadt die Vereinsinteressen zu den ihren machen würde143. Diese personelle Kongruenz genügte allerdings doch nicht, um das Projekt vor Angriffen auch aus den eigenen Reihen zu schützen, als erste Schwierigkeiten auftauchten. Ende Juli 1933 kamen die konkreten Finanzierungsaufgaben für die Stadt zur Sprache, und dabei wurde deutlich, daß die Einwände sich jetzt erheblich verstärkten. Zugleich mußte der Wohnungsreferent hinnehmen, daß man seine allzu beschönigenden Darstellungen einer kritischen Sicht unterzog. Besonders deutlich äußerte sich der in der Wohnungsbaufinanzierung erfahrene Referent Karl Helmreich: „Man muss aber bedenken, es handelt sich um die Hingabe eines Darlehens an einen Verein, der nichts hinter sich hat. [...] Die Sache ist also finanziell nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Es scheint zu den Eigentümlichkeiten der jeweiligen Wohnungsreferenten -

,40 141

142 143

-

Hauptausschußsitzung vom 24.5.1933, ebenda. Polensky hat darauf aufmerksam gemacht, daß zwar generell die Bodenpreise in München in den dreißiger Jahren auf einem viel niedrigeren Niveau als zu Beginn des Jahrhunderts lagen, diese Entwicklung aber zu einem guten Teil auf die (bereits durchgeführten und bevorstehenden) Eingemeindungen von Umlandgemeinden mit niedrigen Bodenpreisen zurückzuführen war. „Das bedeutete, daß die Innenstadt und die Innenstadtrandgebiete trotz des Absinkens der Durchschnittswerte eine starke, flächenhaft ausgreifende Preissteigerung erfahren haben." Polensky, Bodenpreise, S. 52. Sitzung der VFB-Beiräte vom 14.5.1936, StadtAM, RP 709/3.

Erster Vorsitzender war Karl Fiehler, als zweiter und dritter Vorsitzender fungierten Hans Küfner und Guido Harbers. Weitere Mitglieder des Vorstands: Hans Zöberlein, Fritz Beblo, Adolf Konrad, Karl Tempel und Christian Weber. Niederschrift über die Gründungssitzung am 23.6.1933, Satzung und Mitgliederliste in: BayHStA, MF 68094; zur Gründung des Vereins auch Henn, Mustersiedlung, S. 159-163.

2.

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

255

gehören, sehr optimistisch zu sein."144 Damit spielte Helmreich auch auf Harbers' Vorgänger Preis und die städtischen Investitionen in die Sonderbauprogramme an, die immer noch eine erhebliche finanzielle Belastung darstellten. Trotz dieser Einwände wurden dem Verein jedoch 600000 RM Darlehen zum Kauf des Grundstückes an der Rosenheimer Straße bewilligt. Die eigentlichen Gestehungskosten schätzte Harbers in dieser Sitzung auf 12 000 bis f5 000 RM je Anwesen, also bei der geplanten Zahl von zu

200 Häusern auf etwa drei Millionen Mark145.

Die Einzelheiten von Harbers' Finanzierungskonzept ebenso wie die Gründe für sein Scheitern sind von Ursula Henn ausführlich dargelegt worden und brauchen hier nicht im Detail behandelt zu werden146. Tatsächlich erlag Harbers in seinem Optimismus nicht nur hinsichtlich der Finanzierung einer gewaltigen Täuschung. Er glaubte, sein Vorhaben zu einer „reichswichtigen" Angelegenheit machen zu können147; seiner Aussage nach zeigte der „Herr Reichskanzler" persönlich Interesse und auch Goebbels bewerte die „kulturpolitische Bedeutung der Sache für das Ausland" positiv148. Für solches Reichsinteresse sprach auch, daß es nach zähen Verhandlungen sogar gelang, die nicht unbeträchtliche Summe von 1,8 Millionen RM als Darlehen aus der „Spende zur Förderung der nationalen Arbeit" zu bekommen149. Die Auszahlung der Darlehensraten verzögerte sich aber bis zum März 1934, was den Verein in erhebliche Liquiditätsschwierigkeiten brachte150. Dabei konnte der Wohnungsreferent noch dankbar sein, daß ihm überhaupt eine solch hohe Förderungssumme bewilligt wurde, denn die Widerstände waren zum Teil doch ganz erheblich. Vom Reichsarbeitsministerium wurde Anfang 1934 die Frage gestellt, warum soviel Geld für eine spätere Eigenheimsiedlung fließen solle, die doch auch erheblich sparsamer ausgeführt werden könne151. Für einen mit der Minimalausstattung der Reichskleinsiedlungshäuser vertrauten Beamten war natürlich die Notwendigkeit von Eichenparkett in den Wohnräumen nicht einsichtig. Es mag etwas Verbitterung im Spiel gewesen sein, daß angesichts der schwierigen Finanzierungssituation, die das Ministerium zwang, im Kleinsiedlungsbau auf extreme Sparsamkeit zu achten, hier solcher „Luxus" betrieben wurde. Aber zu diesem Zeitpunkt war offensichtlich auch in Berlin noch der Eindruck vorherrschend, daß es ein

144

145 146 147

148

149

150 151

Hauptausschußsitzung vom 27. 7.1933, StadtAM, RP 706/4. Ebenda.

Henn, Mustersiedlung, S.

199-236.

Dafür

sprach, daß der Werberat der Deutschen Wirtschaft die Ausstellung 1933 als „reichswichtig" anerkannte, BArch, R 41, 1007, Bl. 51. Harbers in der Hauptausschußsitzung vom 12.10.1933, StadtAM, RP 706/5. Im StadtAM, BuR 305/8b, befindet sich darüber hinaus eine „Vormerkung über die Ergebnisse der Reise am 9./10.

nach Berlin Oktober 1933", in der Harbers genauer über sein Gespräch mit Goebbels berichtet. Demnach sah Goebbels in der Siedlungsausstellung eine Möglichkeit, München auf kulturellem Gebiet etwas Ausgleich zu verschaffen für den Bedeutungsgewinn Berlins im politischen Bereich. Sofern ihn weitere Informationen über das Projekt überzeugten, wollte der Propagandaminister daher dafür sorgen, daß „das Münchener Unternehmen ungestört und konkurrenzlos durchgeführt werden könne".

Hauptausschußsitzung vom 22.2.1934, StadtAM, RP 707/2. Henn, Mustersiedlung, S. 211.

Vermerk von Dr. (Friedrich) Schmidt, RAM, 4.1.1934, BArch, R 41, 1007, Bl. 101-103.

256

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

Hitler besonders erwünschtes Pilotprojekt sei, und demgegenüber mußten solche Einwände natürlich zurückstehen152. Nachdem der Stadtrat bereits mehrfach um zusätzliche Finanzierungshilfen für Ramersdorf gebeten worden war, damit der begonnene Bau nicht eingestellt werden mußte, kam es in der Sitzung des Hauptausschusses vom 12.7.1934 zu einer Art „Offenbarungseid" des Projektverantwortlichen153. Nicht mehr mit rund drei Millionen, sondern mit ungefähr 4,2 Millionen RM Baukosten, also 40 Prozent mehr, rechnete Harbers jetzt, als die Mustersiedlung bereits abgeschlossen war. Verantwortlich machte er vor allem die Teuerungswelle im Baugewerbe, in die man auch aufgrund der verzögerten Auszahlung der Reichsdarlehen hineingeraten sei154. Durch die insgesamt zu spät zur Verfügung gestellten Mittel habe auch die vorgesehene Baustellenordnung nicht eingehalten werden können, was wiederum eine Verteuerung bedeutet hätte. Daneben habe der Wunsch, die Siedlung unbedingt rechtzeitig fertigzustellen, und das in einer zum Teil anspruchsvollen Ausstattung, Mehrkosten verursacht. Was die Aufbringung der erhöhten Kosten anging, konnte Harbers wenig Trost für die Stadtratsmitglieder anbieten, denn eine Weitergabe an die Käufer war nur in Maßen möglich, wenn man die bisherigen Interessenten nicht alle verlieren wollte. Auch über den Ausstellungsbetrieb war kein Überschuß zu erwarten, im Gegenteil, der Besucherandrang war bis dahin weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben155. An dieser Stelle brach seine Verbitterung über die anfangs so verheißungsvoll gesehene Haltung der Partei zum Mustersiedlungsprojekt durch. Der Ausfall sei ja wirklich nicht erstaunlich, „wenn uns Partei und Staat vollständig im Stich lassen, wo wir doch diese Dinge nur als Parteimitglieder machen [...] Die Partei führt jeden Tag, bestimmt aber zweimal in der Woche pfundige Veranstaltungen durch und da ist es gar nicht anders zu erwarten, als daß der Eintritt in die Ausstellung nicht den Hoffnungen entsprechen kann." Als Harbers dann im folgenden noch die Meinung kundtat, daß „die Stadt als Mutter des Kindes die Pflicht" habe einzugreifen, lieferte er dem Fraktionseinpeitscher Christian Weber nur das Stichwort, um seinerseits mit der Verärgerung über das Projekt und dessen Initiator herauszuplatzen: „Hätten Sie das Kind nur nie geboren!" Trotz des offensichtlichen Widerwillens von Weber ließen sich die Stadtratsmitglieder überreden, ein Darlehen von 600 000 RM für die „unumgänglich notwendigen Zahlungen" des Vereins Muvon

stersiedlung zu bewilligen156. 152

153

So wurde im

gleichen Haus auf den Vermerk Schmidts am 10.1.1934 entgegnet, daß „mit Rücksicht auf den besonderen Zweck [...] in manchen Beziehungen andere Masstäbe [sie] anzulegen sein werden, als bei einem normalen Siedlungsvorhaben". BArch, R 41, 1007, Bl. 103. Vortrag von Harbers im Hauptausschuß vom 12.7.1934, StadtAM, RP 707/3, auch für das weitere.

154

155

156

Vgl. Tab. 16, oben, S. 188, die den deutlichen Anstieg des Baukostenindexes vom Niedrigstand 1933 auf 1934 zeigt. Einkalkuliert hatte Harbers Eintrittsgelder in Höhe von 480000 RM, tatsächlich kamen aber nur 115 528 RM herein, wie sich nach Ausstellungsschluß Ende September 1934 herausstellte,

Henn, Mustersiedlung, S. 224.

Alle Zitate aus der Hauptausschußsitzung vom 12.7.1934, StadtAM, RP 707/3. Der Weg zur Darlehensaufnahme wurde erst frei, weil das Reichsfinanzministerium bereit war, mit den Zinsen für das 1,8 Millionen-Mark-Darlehen aus der Arbeitsspende herunterzugehen. Dadurch konnte der Verein zusätzlich das Darlehen von der Stadt ebenfalls zu ermäßigten Zinsbedingungen aufnehmen, und die Stadt zahlte den Differenzbetrag zum normalen Zinssatz für städtische Darlehen hinzu. Ebenda, vor allem die Ausführungen des Stadtkämmerers.

2.

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

257

Finanzspritze war die Voraussetzung gegeben, daß

der „Verein Siedanmelden mußte. Trotzdem nicht Konkurs Zeit folgenden lungsausstellung" mußte auch der Oberbürgermeister noch helfend eingreifen: Seine umfangreichen Rechte nach Artikel 17 der Bayerischen Gemeindeordnung gaben ihm im März 1935 die Möglichkeit, dem Verein die Rückzahlung von städtischen Darlehen zu erlassen157. Und am Ende des Jahres entschied er, den immer noch verbleibenden Fehlbetrag von 134000 RM aus dem „Wohnungsfürsorgefonds" zu decken; der Verein war damit entlastet und konnte in Liquidation gehen158. Während das finanzielle Desaster also von der Stadt aufgefangen werden konnte, dürfte sich für Harbers sein Scheitern in ideeller Hinsicht schlimmer dargestellt haben. Nach außen hin hielt er freilich den Schein aufrecht, daß die Siedlungsausstellung ein Erfolg gewesen sei. Noch viele Jahre führte er Ramersdorf als richtungweisend für den Siedlungsgedanken im Munde. Tatsächlich aber konnte die Ausstellung nicht für sich verbuchen, paradigmatische Akzente in der nationalsozialistischen Siedlungspolitik gesetzt zu haben. Von den Spitzen der Partei wurde sie zumeist einfach ignoriert, in der Münchner Stadtpolitik waren es aber gerade die exponierten Parteivertreter wie Christian Weber, die die Siedlung letztlich ablehnten159. In der für Harbers so unerfreulichen Hauptausschußsitzung vom 12. Juli 1934 erteilte der Stadtkämmerer Pfeiffer den zynisch klingenden Ratschlag, für die Zukunft aus der Sache wenigstens die Lehre zu ziehen, „daß man, wenn man der Partei einen Dienst erweisen will, sich vorher vergewissert, ob sie das selbst will, und sie dann gegebenenfalls entsprechend einspannt"160. Gerade das war aber nicht gelungen: Hitlers angebliches besonderes Interesse an dem Mustersiedlungsprojekt entsprach wohl mehr der Wunschvorstellung des Münchner Wohnungsreferenten als der Realität. Auch gezielte Werbeversuche um seine Person, etwa die Benennung der Straßen in der Mustersiedlung nach den Toten des 9. November f 923161, brachten den „Führer" jedenfalls nicht dazu, die Eröffnung der Siedlungsausstellung am 9. Juni f 934 durch seine Anwesenheit in den Rang eines nationalsozialistischen Kultereignisses zu heben. Der Grund für Hitlers Desinteresse dürfte gewesen sein, daß er in diesen frühen Jahren überhaupt fast nur Repräsentationsbauten und die von „seinen" Architekten, von denen keiner mit der Münchner Siedlung befaßt war, entworfenen Prestigeobjekte im Blick hatte. Auch war Ramersdorf weder wie die Reichskleinsiedlungen geeignet, dem „deutschen Arbeiter" den Weg zur Heimstätte zu weisen, noch paßte es in die von nationalsozialistischen Siedlungsplanern entwickelten Konzepte groß angelegter, einheitlich ausgerichteter Wohnstädte, wie sie in späteren Jahren auch für München ins Auge gefaßt wurden162. Die Siedlung war von eher beDurch diese

in der

157

158 159

160 161 162

Herrn, Mustersiedlung, S. 228. Ebenda, S. 229, und Sitzung der VFB-Beiräte vom 12.12.1935, StadtAM, RP 708/4. Webers ablehnende Haltung war in höchstem Maße inkonsequent, denn er war ja selbst Ver-

einsmitglied, vgl. Anm.

StadtAM, RP 707/3.

143.

Hauptausschußsitzung (öffentlich) vom 18.5.1934, MGZ 63 (1934), S. 175-183. So in den Planungen, die der Generalbaurat Hermann Giesler betreute und die die Anlage großer Wohntrabanten umfaßten, vgl. unten, S. 387f. Was Hitler betrifft, so kann auch spekuliert werden, daß er im Juni 1934 bereits von den Vorbereitungen zur Ausschaltung der SA absorbiert war. Die Eröffnung der eigentlichen Siedlung (nicht der Ausstellung) am 30. Juni 1934 fiel dann auch mit der Mordaktion an Röhm, vielen seiner Gefolgsleute und etlichen konservativen Gegnern Hitlers zusammen, vgl. Henn, Mustersiedlung, S. 191.

258

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

scheidenen Ausmaßen; sie zeigte individuell gestaltete Haustypen mit unterschiedlichen Dachneigungen, die an leicht geschwungenen Straßen sich nur teilweise in Zeilen oder symmetrische Anordnungen fügten163. Daß auch der kürzlich ernannte Siedlungskommissar Gottfried Feder oder sein Stellvertreter und Leiter des Reichsheimstättenamtes, Johann Wilhelm Ludowici, nicht an den Eröffnungsfeierlichkeiten teilnahmen, dürfte wenigstens in Teilen Ausdruck ihres Konkurrenzdenkens gewesen sein164. Feder und Ludowici waren beide in höchstem Maße darauf bedacht, ihre erst neuerworbene Position zu festigen und sich zu den unangefochtenen Leitfiguren im „deutschen Siedlungswerk" zu machen. Ein nicht von ihnen geplantes oder beeinflußtes Münchner Projekt konnte kaum in ihrem Interesse liegen165. Es mögen aber auch inhaltliche Gründe für ihren fehlenden Enthusiasmus ausschlaggebend gewesen sein. Die Mustersiedlung war eine reine Wohnsiedlung, von Möglichkeiten zum ernährungsrelevanten Anbau konnte bei den einzelnen Anwesen kaum die Rede sein166. Was die innere Ausstattung der Siedlungshäuser und die dadurch erzeugte Wohnkultur anging, mag man sich daran gestoßen haben, daß hier einem Anspruchsdenken Vorschub geleistet wurde, das für die breitere Masse kaum zu erfüllen war. Sehr sprechend ist, wie der Stadtrat und Abteilungsleiter im Kulturamt, Max Reinhard, in der schon mehrfach

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-

erwähnten Sitzung vom 12. Juli 1934 argumentierte und dabei in die gleiche Kerbe wie sein Fraktionschef hieb: „Sie [die Ausstellung] ist nicht populär, schon aus dem einen Grunde nicht, das weiß ich aus vielen Urteilen von Parteigenossen und anderen Leuten, weil sich die Leute sagen, wenn sie so etwas sehen, ich kann mir das doch nicht kaufen. Der Ausstellungsbesucher sagt sich, diese Häuschen mögen sehr schön und künstlerisch einwandfrei sein, aber für mich kommt die ganze Geschichte nicht in Frage, weil ich einfach nicht finanzkräftig genug bin. Es wird bei vielen Leuten, die mit einem Wochenlohn von 35 RM usw. auskommen müssen, sogar ein gewisser Neid erregt. Die Ausstellung ist politisch gesehen also vielleicht sogar geeignet, so reizvoll sie an sich sein mag, nicht zu einem Ausgleich der Gegensätze in den verschiedenen Bevölkerungskreisen beizutragen."167 Die Frage, welche Klientel die Häuser in Ramersdorf kaufen und 163

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167

Grundprinzip war, die Häuser stets in die Nordteile der einzelnen Anwesen zu setzen, so daß die Gärten die Vorteile der Südseite genossen, vgl. Harbers, Die neue Einfamilienhaussiedlung München-Ramersdorf, in: Die Mustersiedlung Ramersdorf, Sonderdruck „Das Bayerland", S. 3-6, bes. 5. Henn betont, daß im Gegensatz zu den Reichskleinsiedlungen „der einheitliche Duktus nicht zur Monotonie erlahmte", weil zwar gewisse Grundprinzipien in Gestalt und Anordnung der Häuser eingehalten wurden, aber im Detail die Vielfalt waltete. Mustersiedlung, S. 256.

Als er sich in der Sitzung vom 12.7.1934 rechtfertigen mußte, bemerkte Harbers, im Hinblick auf die Einbeziehung der Partei und der Deutschen Arbeitsfront „vielleicht einige taktische Fehler" gemacht zu haben, aber er hoffte noch, ihre Unterstützung zu bekommen: „Auch das Siedlungswerk, auch Ludovici [sie] müßte sich doch entschließen können seine ursprünglich vollkommen feindliche Haltung aufzugeben, nachdem es sich hier doch nicht um Vorgriffe auf seine eigenen Leistungen handelt." StadtAM, RP 707/3. Immerhin rang sich Feder bei einer Pressekonferenz in Berlin vor Eröffnung der Ausstellung zu der Aussage durch, daß die Münchener Siedlungsausstellung „im Rahmen des .Deutschen SiedlungsWerkes' umfassende propagandistische Vorarbeit zu leisten" habe (MNN vom 1.6.1934: „Die Deutsche Siedlungs-Ausstellung in München"). Die Grundstücke waren zwischen 300 und 900 qm groß, und die Gärten waren von vornherein als „Wohngärten" angelegt, vgl. Thies, Wohnstadt der Zukunft, in: Die Mustersiedlung Ramersdorf. Sonderdruck „Das Bayerland", S. 7-18, bes. 1 lf.

StadtAM, RP 707/3.

2.

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

259

beziehen konnte, wird noch eingehender zu behandeln sein. Reinhard legte hier seinen

Finger auf eine Wunde, denn ebenso wie die Reichskleinsiedlungen eigentlich nur die Einkommensschichten ansprachen, war die Mustersiedlung für eine finanzkräftigere Interessentenschicht geplant. Sie konnte daher als „Klassensiedlung" verstanden werden, wie sie die Nazi-Propaganda so eindeutig ablehnte. Da half es auch wenig, wenn Harbers sich verbal gleichfalls als Gegner der Klassensiedlung zu erkennen gab. Er verwendete den Begriff „Gemeinschaftssiedlung"168 für Ramersdorf; und auch die Presse gab sich alle Mühe, den Mythos von der verwirklichten „Volksgemeinschaft" unteren

aufrechtzuerhalten169. Grundsätzlich hätte es dem totalitären System des Nationalsozialismus zutiefst widersprochen, wenn die hier dargelegten Friktionen in die Öffentlichkeit getragen worden wären. Die heftigen Debatten spielten sich in nicht-öffentlicher Sitzung ab, und die Presse sang anläßlich solcher Gelegenheiten wie des Richtfestes oder der Ausstellungseröffnung das Hohelied der Münchner Siedlungspolitik170. Die Medien wurden auch intensiv an den Versuchen beteiligt, mehr Besucher in die Siedlungsausstellung zu locken. Hatte Harbers nämlich zur Eröffnung der Ausstellung mit einer Besucherzahl von über zwei Millionen gerechnet, zeigte sich im Laufe des Sommers bald, daß diese Vorstellung weitaus zu hoch gegriffen war. Vor allem die Zeitungen mußten jetzt unermüdlich werben, um die Zahlen doch noch in die Höhe zu treiben: Über verbilligte Eintrittspreise, Sonderrückfahrkarten der Reichsbahn, ermäßigten Straßenbahntarif, eine Geschenkaktion, bei der jeder fünfzigste Besucher der Ausstellung bedacht wurde, oder einen Einrichtungswettbewerb, bei dem man eine komplette Wohnzimmerausstattung in Kirschbaum gewinnen konnte, sollte mehr Interesse am hier präsentierten Siedlungsgedanken geweckt werden171. Über die Erfolge wissen wir wenig zu berichten, die genauen Besucherzahlen für den ganzen Ausstellungssommer sind nicht bekannt. Ursula Henn hat sie aufgrund der eingenommenen Eintrittsgelder auf etwa 300000 geschätzt172. Das wäre in Relation zu den Erwartungen zwar kein besonders gutes Ergebnis, zeigt aber doch ein weitverbreitetes Interesse an Wohn- und Siedlungsfragen. Zweifelsohne bildete die Siedlungsschau trotz der Zurückhaltung der Prominenz und der im Stadtrat kolportierten kritischen Reaktionen ein zentrales Münchner Ereignis, davon zeugt auch die Berichterstattung des Sommers 1934. Am 9. Juni 1934 konnten nur die Hallenschau auf der Theresienwiese und die Ausstellung „Garten und Heim" in Ramersdorf eröffnet werden. Der dritte Teil der „Deutschen Siedlungsaus-

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Und als solche sollte Ramersdorf nach seinem Wunsch beispielhaft für weitere Siedlungen dieTypus sein, vgl. z.B. Harbers in der Sitzung der VFB-Beiräte vom 23.1.1936 anläßlich der Errichtung der „Gemeinschaftssiedlung" Mittersendling, StadtAM, RP 709/2. Z.B. München-Augsburger Abendzeitung vom 22.11.1934: „Junges Leben in der Mustersiedlung Ramersdorf". Bei diesen Gelegenheiten betonte natürlich auch die anwesende (zweite) Garde der Politiker, wie „zielweisend und richtunggebend" in der Siedlungspolitik Ramersdorf sei. Vgl. Rede von Staatsminister Hermann Esser bei der Eröffnung der eigentlichen Siedlung, Stadt-Nachrichten und General-Anzeiger der MNN Nr. 176 vom 2.7.1934. Auf Einzelnachweise wird verzichtet, vgl. die unter „Ausstellungen Siedlungsausstellung 1934" gesammelten Zeitungsausschnitte im StadtAM. Henn, Mustersiedlung, S. 224. Daß die Presse nach Abschluß des Ausstellungssommers keine Erfolgszahlen veröffentlichte, zeigt auch, wie sehr man sich in den Erwartungen offenbar getäuscht hatte. ses

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260

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

nämlich die gebaute Mustersiedlung war trotz aller Anstrengungen Harbers' noch nicht begehungsreif und wurde erst Ende des Monats zur Besichtigung freigegeben. Die Idee der dreiteiligen Ausstellung verfolgte das Ziel, nicht bloße Haustypen gewissermaßen im „luftleeren Raum" zu präsentieren, sondern das Siedlungswesen in all seinen Facetten und in seinem Bezug zur Lebenswelt der Besucher darzustellen173. In der nördlich der Mustersiedlung gelegenen Ausstellung „Garten und Heim" konnte man etwa auch unterschiedliche Typen von Schrebergärten, Wohngärten und Wochenendgärten besichtigen; hier wurden außerdem die Nürnberger und die Münchner Variante des Kleinsiedlungshauses vorgeführt174. Auch das Innere der Häuser spielte eine große Rolle: Der besondere Ehrgeiz der Planer ging dahin, eine platzsparende Einrichtung zu demonstrieren, die auch ein kleines Siedlungshaus komfortabel werden ließ175. Der kleinste Typ der insgesamt 192 Häuser in Ramersdorf hatte nur eine Wohnfläche von 56 qm, der größte mehr als das Doppelte (129 qm); allein das zeigt schon, daß hier der Normierungsgedanke nicht sehr weit getrieben war. Insgesamt hatten 18 Architekten (einschließlich Harbers selbst), die mit Hilfe eines Wettbewerbs im August 1933 gewonnen worden waren, 34 Häusertypen für die Mustersiedlung entworfen. Obwohl die freistehenden Einfamilienhäuser (152) bei weitem überwogen, gab es auch 30 Reihenhäuser und fünf Doppelhäuser176. Das Angebot war also recht vielfältig. Wie wurde es rezipiert? Nachdem bisher Initiatoren, Politiker und Planer im Vordergrund standen, interessieren im folgenden die Käufer und Bewohner, die schließlich der Siedlung auch unabhängig von Planvorstellungen ihr eigenes gesellschaftliches Profil gaben.

Stellung"

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Ramersdorf als Eigenheimsiedlung Die Idee der gebauten Siedlungsausstellung sowie deren immer wieder betonte Funktion für die Lebenswirklichkeit der „Volksgenossen" mußten ihre Richtigkeit letztlich nicht so sehr durch Besucherzahlen als vielmehr durch Verkaufszahlen erweisen. Zeigte der Verkauf der Häuser, daß die Siedlung einem vorhandenen Bedürfnis entsprach, dann wäre ihr Erfolg unzweifelhaft gewesen. Die Realität folgte allerdings auch hier nicht ganz den Erwartungen, wenngleich es gelang das sei vorweggenommen -, alle Häuser bis zum Februar 1935 zu verkaufen177. Auch der Vorverkauf ließ sich gut an; lange bevor die Ausstellung eröffnet wurde, erwarben zahlreiche Interessenten bereits eine Option auf ein Haus. Als aber Berechnungen im Frühjahr 1934 deutlich machten, daß eine Weitergabe der Baukostenerhöhungen auch an die Käufer unvermeidlich sein würde, erfolgte der erste Einbruch: „Wir hatten schon 120 Käufer mit Vorverträgen, jetzt haben wir noch 80 beim Notar", klagte Harbers in der Hauptausschußsitzung vom -

173

In der Darstellung der Ziele wurde immer wieder die Wirklichkeitsnähe betont, z.B. MNN 30.12.1933 „Deutsche Siedlungsausstellung München 1934": „Sie will die Grundlagen einer zukünftig als normal anzusehenden Wohnkultur und Siedlungstätigkeit in künstlerischer,

vom

technischer und wirtschaftlicher Hinsicht klarstellen." 174

175

176

177

Vgl. Henn, Mustersiedlung, S. 338, und Die Mustersiedlung Ramersdorf. Sonderdruck „Das Bayerland", S. 24. Thies, Wohnstadt der Zukunft; Josef Platen, Die neue Zeit im Siedlungswesen, beide in: ebenda, S. 7-18, bes. 15-17, und S. 20-23, bes. 22f. Zum Architektenwettbewerb und den entstandenen Hausgrundrissen ausführlich Henn, Mustersiedlung, S. 163-169 und 266-329. Ebenda, S. 233.

2.

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

261

12. Juli178. Gleich die Hälfte der Interessenten war bei Bekanntgabe der neuen Preise abgesprungen, inzwischen hatte man wenigstens 20 neue dazugewonnen.

Diese Erfahrung machte Harbers und seinen Mitstreitern deutlich, daß die Ramersdorfer Preise bereits eine Höhe erreichten, die für die breite Masse offensichtlich nicht mehr tragbar war. Käufer mußten förmlich geworben werden, und die Verantwortlichen für Ramersdorf versuchten, ihnen soweit als möglich entgegenzukommen. Die erneute Einschaltung der Presse zeigt, welche Mühe die Stadt sich jetzt gab, die Ramersdorfer Häuser als besonders attraktiv anzupreisen: Mit Schlagzeilen wie „Billige Häuser liegen auf der Straße" sollten offensichtlich die kursierenden Klagen über die zu hohen Preise in der Mustersiedlung ausgeräumt werden179. Der „Völkische Beobachter" hatte schon zur Eröffnung der Siedlung „vorschnellem Urteil" dieser Art entgegengehalten: „Wohl scheint es im ersten Augenblick, daß man ein Haus billiger bauen kann als in Ramersdorf, wenn man nämlich auf alle Grundelemente gehobener Wohnkultur verzichtet, wenn man die Gartenplanie selber durchführt, wenn man Pflanzen und Zaun selber setzt, wenn man hunderte Kleinigkeiten und Rechnungen unberücksichtigt läßt."180 Immer wieder brachte die Presse solche Hinweise auf die hohe Qualität der Häuser, rechnete Beispiele vor, wie man mit nur geringer Eigenkapitalbeteiligung doch stolzer Besitzer eines Ramersdorfer Hauses werden könne, und vermeldete die „Erfolge" in den Verkaufszahlen. So war im letzten Augustdrittel das hundertste Haus verkauft, zum Ausstellungsende waren drei Viertel der Häuser vergeben181. Allerdings war die Situation nun kritischer, „denn das Werbemoment durch die Ausstellung entfiel jetzt"182. Eine Lösung fand man in einer Erhöhung der Beleihungsgrenze auf 90 Prozent, die es den Käufern erlaubte, die Finanzierung bis zu diesem Limit aus Hypotheken und Darlehen zu bestreiten183. Das war zwar eine überaus hohe, aber später etwa auch bei der „AlteKämpfer-Siedlung" tolerierte Belastung. Ein Erfolg war zumindest gegeben: ein paar Monate später waren alle Häuser verkauft. Angesichts des Dargelegten wird es nicht verwundern, daß vor allem die teuren Haustypen teilweise bis in das Jahr 1935 hinein auf Käufer warteten. Der teuerste Typ „27b" kostete mit 129 qm Wohnfläche 29 600 RM, während der billigste Typ „HD" mit nur 65 qm Wohnfläche, entworfen von Guido Harbers, schon für 12 500 RM zu haben war. Die reinen Baukosten wurden bei diesen beiden Typen mit 19 620 RM bzw. 8 129 RM zugrunde gelegt, das bedeutete pro Kubikmeter umbauten Raumes rund 27 bis 28 RM184. Vergleichszahlen dazu sind relativ schwer zu ermitteln, da nur verstreute Einzelangaben vorliegen. 1936/37 kamen zum Beispiel die Baukosten bei Einfamilienhausbauten in Untermenzing auf 21 bis 22 RM pro Kubikmeter, also deutlich weniger, wobei Untermenzing damals allerdings noch vor der Eingemeindung in das Münchner Stadtgebiet stand185. Zu den Verkaufspreisen gibt es Vergleichszahlen aus einer ty178

179 180 181

StadtAM, RP 707/3. VB vom 5.8.1934. VB vom 29.6.1934: „Ramersdorf. Zur Eröffnung der Mustersiedlung am Samstag." Vgl. wiederum Zeitungsausschnittssammlung im StadtAM: „Ausstellungen Siedlungsausstellung 1934". Henn, Mustersiedlung, S. 232. Stadtratssitzung vom 9.10.1934, StadtAM, RP 707/1. Henn, Mustersiedlung, S. 232, 300 und 320. Baugenossenschaft Hartmannshofen-Nord an das Wohnungsreferat, 1.6.1938, StadtAM, PR 83/6, 354. -

182

183 184 185

262

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

pischen Mittelstandssiedlung: Noch im Jahr 1937 konnte sich ein Angestellter ein von der Heimag errichtetes Reihenhaus in Laim mit drei Zimmern, einer Kammer und Küche (90 qm) für einen Gesamtpreis von 14800 RM erwerben186. Drei Jahre zuvor hätte

für ein etwas kleineres Reihenhaus (84 qm) mit ebenso vielen Zimmern des TypsRI in Ramersdorf 16400 RM bezahlen müssen187, wobei in diesem Vergleich jedoch die Grundstücksgrößen und Ausstattungsmerkmale nicht berücksichtigt sind. Und auch die Lage spielte eine große Rolle: In Ramersdorf wurde beim Verkauf der Häuser ein Baulandpreis von 4,30 RM pro qm zugrunde gelegt, in Laim mußte man nur mit 2,50 RM rechnen188. Dennoch bleibt festzuhalten, daß es trotz staatlicher und städtischer Subventionierung nicht gelang, ausgesprochen niedrige Verkaufspreise in Ramersdorf zu erzielen. Das hohe Tempo der Herstellung sowie die vor allem von Harbers erwünschte Qualität der Ausführung forderten ihren Tribut. Hatte man es, wie der Ministerialrat Schmidt im Reichsarbeitsministerium, der Ramersdorfer Ausstellung, „als der ersten, die nach der Nationalsozialistischen Revolution auf dem Gebiete des Wohnungs- und Siedlungswesens stattfindet", zur Aufgabe gemacht, „gerade das Problem des billigen Einfamilienhauses zu zeigen", dann konnte man das Ziel sicher als verfehlt betrachten189. Harbers setzte aber von vornherein die Prioritäten anders: Als Klientel für Ramersdorf betrachtete er den Mittelstand, und dieser wollte seiner Ansicht nach anders wohnen als etwa die Bewohner der Reichskleinsiedlungen. Wie spiegelte sich aber dieses Ziel in der tatsächlichen Zusammensetzung der Ramersdorfer Bewohnerschaft ? Die von Josef Sieber auf der Basis von Volkszählungsdaten aus dem Jahr 1939 ermittelten Ergebnisse ebenso wie erhaltene Aufstellungen des „Vereins Siedlungsausstellung" ermöglichen eine Antwort darauf. er

Tab. 21: Die Bewohner der Mustersiedlung Ramersdorf nach der Stellung im Beruf

Angaben des Vereins für 1935 Freie Berufe Selbst. Kaufleute und Gesch.leute Kaufm. Angestellte Beamte Handwerker Kriegsbeschädigte u. Rentner

in%

29

15,1

18

33 65 10 37

9,4 17,2 33,8 5,2 19,3

192

100

Angaben Siebers nach Vz 1939

in%

Selbständige

34

15,5

Angestellte

51 64 15 55

23,3 29,2 6,8 25,1

219

100

Beamte Arbeiter Selbst. Berufslose

Quelle: Henn, Mustersiedlung, S. 235, und Sieber, Bevölkerungsaufbau, S. 158. Sieber bezieht sich nicht auf die Käufer, sondern auf die gezählt wurden.

219 Haushalte

Haushaltungsvorstände,

wobei in den 192 Häusern

Auch wenn es durch die unterschiedliche beruflich-soziale Kategorisierung der beiden Aufstellungen etwas erschwert ist, ein einheitliches Bild zu gewinnen, so fällt doch 186

187

188 189

Vgl. den von der Heimag ausgefüllten „Siedlungspolitischen Fragebogen" für das 2. Vierteljahr 1937 und die hier gemachten Angaben für die Häuser an der von-der-Pfordten-Straße, StadtAM, PR 83/6, 354. Henn, Mustersiedlung, S. 326. Ebenda, S. 174, und „Siedlungspolitischer Fragebogen" (wie Anm. 186). Vermerk Schmidts vom 31.1.1934, in: BArch, R 41, 1007, Bl. 117-119, hier 117.

2.

263

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

sehr deutlich ins Auge, daß Ramersdorf eine von den Reichskleinsiedlungen stark abweichende Sozialstruktur aufwies. Wir finden hier tatsächlich ein ausgesprochenes Mittelstandsprofil vor; insofern hatte Harbers seiner Absicht entsprochen, eine Ansiedlungsmöglichkeit für diese Schicht zu schaffen. Auffallend neben der etwa ein Drittel umfassenden Beamtengruppe ist der hohe Anteil an „Ruheständlern", dem eine im Vergleich mit den Reichskleinsiedlungen stärkere Besetzung der hohen Altersjahrgänge entspricht. Vom Standpunkt nationalsozialistischer Bevölkerungspolitik aus ergab sich hier ein eher ungünstiges Bild, das auch durch die niedrige Kinderzahl (durchschnittlich 1,4 Kinder pro Ehe nach der Volkszählung 1939) bestätigt wurde190. Nicht erstaunlich ist also die Tatsache, daß Ramersdorf auch nach seiner Etablierung als Eigenheimsiedlung nicht so recht den Beifall nationalsozialistischer Ideologen zu gewinnen vermochte.

Lag die Belastung bei den Reichskleinsiedlungen um 20 RM, später 30 RM monat-

lich, mußten die Ramersdorfer Eigenheimbesitzer üblicherweise zwischen 40 und 70 RM im Monat, bei größeren Haustypen und einer Beleihung bis zu 90 Prozent aller-

dings manchmal auch mehr aufbringen; zu Beginn schon hatten sie außerdem eine Anzahlung von 10 bis 30 Prozent auf den Kaufpreis leisten müssen191. „Daß ein einfacher Arbeiter keine so hohe Anzahlung und noch weniger die hohen laufenden Lasten aufbringen konnte, liegt auf der Hand."192 Die Einkommen der „Mustersiedler" lagen allerdings mit 190 bis 450 RM (netto) auch deutlich über den durchschnittlichen Arbeiterlöhnen, ja waren sogar für Angestellteneinkommen eher in der oberen Kategorie angesiedelt193. Die hohe, bis 1939 noch gestiegene Zahl an Rentnern und Pensionären

weist darauf hin, daß etliche Siedler den Kauf eines Hauses in Ramersdorf als Investition in ihren Altersruhesitz betrachteten. Anders als für die Kleinsiedlungen sind für Ramersdorf keine Unterlagen erhalten, die eine nach politischen, rasse- und erbhygienischen Kriterien erfolgte Auswahl im nationalsozialistischen Sinn belegen würden. Wegen des frühen Zeitpunkts (1934), zu dem die Siedlung fertiggestellt wurde, mögen solche Gesichtspunkte noch eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Resümierend läßt sich festhalten, daß in Ramersdorf eine Siedlung mit hoher Wohnqualität für die zu bescheidenem Wohlstand gelangte Mittelschicht entstanden war. Damit wurde hier weder der „aktiven" Bevölkerungspolitik Vorschub geleistet, noch kam der nationalsozialistische Siedlungsgedanke zu seinem Recht: Hier schuf sich nicht der brave Arbeiter aus eigener Kraft sein einfaches Häuschen und bestellte sein Land, um seine Familie zu ernähren und zu vermehren, hier entstand keine auch nur annähernd

Sieber, Bevölkerungsaufbau, S.

163. Diese Zahl war vor allem natürlich im Vergleich mit andeSiedlungen für die zeitgenössischen Beobachter bedenklich. In der Siedlung Zamdorfer Straße z.B. kamen auf eine Ehe durchschnittlich drei Kinder, vgl. ebenda, S. 129. Henn, Mustersiedlung, S. 235. In einem Fall mußte um ein Beispiel herauszugreifen bei einem Gesamtpreis von 23 621 RM der Käufer, der sich mit einem Nominalwert von 21 100 RM (also fast bis zur Höchstgrenze von 90%) verschuldete, eine monatliche Belastung von 120 RM tragen, StadtAM, WAR 719. Sieber, Bevölkerungsaufbau, S. 159. Henn, Mustersiedlung, S. 235. Die Reichsstatistik wies für 1936 den durchschnittlichen Wochenverdienst eines Arbeiters mit 25,25 RM aus, das Monatsgehalt eines Angestellten mit 199 RM; hier könnte München freilich etwas nach oben sein. Nach Zeitschrift des abgewichen Statistischen ren

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-

Bayerischen

Landesamts

70

(1938), S. 202.

264

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

autarke Wirtschaftseinheit194, und hier wurde nicht durch uniformierte Bauweise die Illusion einer Einebnung aller Klassenunterschiede genährt. Statt dessen war eine reine Wohnsiedlung gebaut worden, die Individualismus und Vielgestaltigkeit zeigte, deren Bewohner eine gewisse Wohnkultur suchten, aber nicht zur einfachen ländlichen Siedlungsweise zurückkehren wollten. In dieser Diskrepanz zwischen den anthropologischen und bevölkerungspolitischen Vorstellungen der Nationalsozialisten und dem tatsächlich in Ramersdorf verwirklichten Konzept liegt auch der Grund, daß die Akzeptanz des Siedlungsprojekts im „Dritten Reich" gering blieb: Ramersdorf war eben keine „Mustersiedlung".

Siedlungenfür alte Kämpfer" und Kriegsteilnehmer Nach dem Ausstellungssommer in Ramersdorf war die „Mustersiedlung" als Eigenheimsiedlung zu betrachten, das heißt, mit dem Verkauf der Häuser wurden diese im wesentlichen zu einer „Privatangelegenheit". Das unterschied diesen Siedlungstypus von den Reichskleinsiedlungen, bei denen die städtische Gesellschaft GWG erhebliche Einflußmöglichkeiten behielt. Aufgrund der hier geschlossenen Reichsheimstättenverträge sicherte sie sich nicht nur das Vorkaufs- und Heimfallrecht bei Vertragsbrüchigkeit oder Untauglichkeit des Siedlers, sondern hatte auch verschiedene Aufsichts- und Kontrollbefugnisse über die Stelle195. Wegen solcher Rechte für die Ausgeber von Heimstätten hätte es die Stadt München sicher nicht ungern gesehen, wenn das Reichsheimstättenrecht noch häufiger zur Anwendung gekommen wäre196. Für die Siedler allerdings waren die Einschränkungen, die ihnen hinsichtlich der Verfügungsgewalt über die Stellen auferlegt wurden, doch sehr offenkundig. Und wurde auch die Heimstätte propagandistisch hoch gehandelt, waren die materiellen Vorteile dieser Rechtsform durch Steuern- und Gebührenbefreiungen eher gering. Zeitgenössisch errechnete man etwa vier Prozent Ersparnis an Herstellungskosten, wenn eine gemeinnützige Gesellschaft Reichsheimstätten anstelle herkömmlicher Eigenheime errichtete197. So wie generell im Reich „die praktische Bedeutung des Reichsheimstättengesetzes nie sehr groß geworden ist"198, blieb auch die Anwendung in München, abgesehen von den Reichskleinsiedlungen, die Ausnahme. Eine solche bildete die sogenannte „Alte-KämpferSiedlung", von der im weiteren zu handeln sein wird. „

Die

„Alte-Kämpfer-Siedlung" in Harlaching

Ramersdorf lieferte wenn es auch nicht die paradigmatische Wirkung erzielte, die sich Harbers erhofft hatte immerhin ein Beispiel dafür, daß der Siedlungsbau nicht auf das -

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194

193 196

197 198

Die NichtVerwirklichung des Autarkiegedankens kritisierte etwa Siegfried Ebeling (wie Anm. 135), als er die Frage stellte, „ob nicht gerade in Ramersdorf, als einem .Muster', die Verselbständigung der Wohnkolonie in Bezug auf seine Kanalisation, Energie- und Wasserversorgung hätte versucht werden sollen". Vgl. Klotz, 60 Jahre, S. 107, und oben, S. 242. Die Ausgabe der Siedlerstellen als Reichsheimstätten wurde auch für die Mustersiedlung erwogen, aus nicht ersichtlichen Gründen aber aufgegeben, vgl. Hauptausschußsitzung vom 12.4.1934, StadtAM, RP 707/2, und Henn, Mustersiedlung, S. 234. Oeckl, Angestelltenschaft, S. 184. Ebenda, S. 183.

2.

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

265

Kleinsiedlungen beschränkt bleiben mußte, sondern auch den gehobeneren Ansprüchen der Eigenheimerstellung gerecht werden konnte. Mit der Ansicht, daß die Frage der Grundrisse im Nationalsozialismus „nicht mehr eine reine Privatangelegenheit" sei, stand der Münchner Wohnungsreferent durchaus nicht allein199. Im totalitären Staat sollte auch das Eigenheim möglichst seines individuellen Charakters entkleidet und in ein gesteuertes „Siedlungswerk" integriert werden. Für die einheitliche Planung und Durchführung von Anlagen boten sich insbesondere die in diesem Sektor tätigen gemeinnützigen Baugesellschaften an. Eine solche Gesellschaft war in München die Heimag, die wie ihre Mutterfirma Gagfah in Berlin als Interessenorganisation für den Angestelltenwohnungsbau nach dem Ersten Weltkrieg gegründet worden war und sich neben anderen Bauaktivitäten darum bemühte, bezahlbare Eigenheimsiedlungen zu errichten. „Geschlossener Eindruck und klare Linien in Straßenfuhrung und Typenreihen sind Merkmale der Gagfah-Siedlungen", beschrieb 1935 eine Münchner Dissertation diese Anlagen200. Insgesamt 27 Angestelltenverbände hatten im Oktober 1918 die „Gemeinnützige Aktiengesellschaft für Angestellten-Heimstätten" (Gagfah) gegründet, um in Ergänzung bestehender gemeinnütziger Bauvereinigungen, die meist auf den Arbeiter-Wohnungsbau gerichtet waren, den Wohnbedürfnissen der Angestelltenschaft zu entsprechen. Die Berliner Gesellschaft wollte über ein weitverzweigtes System von Tochtergesellschaften, sogenannten „Heimstätten-Aktiengesellschaften" (Heimag), eine dezentrale Organisation aufbauen, in der das Risiko sich verteilte und den örtlichen Verhältnissen Rechnung getragen werden konnte. Doch der Plan ging nicht auf: Die aufgegliederte Organisationsstruktur erwies sich letztlich als hemmend für eine effektive Geschäftsabwicklung. Etliche Tochtergesellschaften hielten dem Druck der Inflation nicht stand; gerieten sie in Schwierigkeiten, konnte die Gagfah die Verantwortung nicht von sich weisen, sondern mußte „eintretende Verluste schon wegen ihres eigenen Ansehens" übernehmen201. Mitte der zwanziger Jahre wurde deshalb eine große Umorganisation eingeleitet, die Tochtergesellschaften wurden liquidiert oder mit der Gagfah fusioniert. Die Münchner Heimag allerdings, die mit den ersten Gründungen 1919 ins Leben gerufen worden war, blieb als eine der wenigen Gesellschaften für sich bestehen, da die Kosten der Fusion in diesem Fall die Vorteile überwogen hätten202. Trotzdem brauchte die Gesellschaft nach der Inflation einige Zeit, bevor sie stärkere Bautätigkeit sowohl im Mietwohnungs- wie im Eigenheimsektor entfalten konnte, die dann vor allem im letzbescheidene Niveau der

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Bereich unter der nationalsozialistischen Herrschaft deutlich zunahm203. Als im Jahr 1935 „dem Beispiele anderer Gemeinden folgend"204 „den bewährten Kämpfern der Bewegung" auch in der „Hauptstadt der Bewegung" günstige teren

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Eigenhei-

199

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201 202 203 204

Harbers in der Hauptausschußsitzung vom 24.5.1933, der ersten Sitzung des Ausschusses nach der Neubildung des Stadtrats 1933, StadtAM, RP 706/3. Oeckl, Angestelltenschaft, S. 85. Hier auch die weitere Entstehungsgeschichte der Gagfah, bes. S. 58-76. Ebenda, S. 71. Ebenda, S. 69, 71. Vgl. Graphik in: HEIMAG 1919-1969, S. 39. Die erste deutsche SA-Siedlung wurde im März 1934 in Frankfurt an der Oder fertiggestellt, vgl. Münchener Zeitung vom 20.3.1934. Vgl. auch Harlander, Heimstätte und WohnmaschiS. 53. ne,

266

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

verschafft werden sollten205, kam die Heimag als gemeinnützige Wohnungsgesellschaft zum Zuge, weil sie anders als etwa das Gauheimstättenamt bereits über praktische Erfahrungen im Bausektor verfügte. Die Heimag arbeitete mittlerweile an der Errichtung einer großen Eigenheimsiedlung in Laim und konnte daneben das „AlteKämpfer-Projekt" mitübernehmen. Allerdings ging es nur um die bau- und finanztech-

me

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-

nische Abwicklung, die Auswahl der Siedler war hier freilich noch stärker als sonst ein Politikum und verblieb in der Hand der Partei. Auch die Stadt durfte dabei keine verantwortliche Rolle spielen, sondern sollte im wesentlichen nur für das geeignete Baugelände sorgen. Entsprechend blieb sie dem Vorhaben gegenüber eher reserviert und fand sich erst dazu bereit, den Gemeindegrund an der Oberbiberger Straße zu günstigen Bedingungen zu verkaufen, als ihr der Beauftragte der SA versicherte, „dass damit ihre Mitwirkung für die Errichtung einer Alten-Kämpfer-Siedlung erfüllt sei"206. Das war nicht die Haltung, die man von der „Hauptstadt der Bewegung" hätte erwarten dürfen, da hier die frühen Anhänger Adolf Hitlers in der Regel eine besonders umworbene Gruppe bildeten. Die Rolle der „alten Kämpfer" in Gesellschaft und Politik des nationalsozialistischen München ist bereits einer ersten Betrachtung unterzogen worden207. Die Aufmerksamkeit von Partei und Verwaltung für die ehemaligen Weggefährten des „Führers" blieb durchaus nicht auf die nationalsozialistischen „Festtage" beschränkt und erschöpfte sich nicht in der Veranstaltung von Traditionsmärschen und Gedenkfeiern. Die „alten Kämpfer" bildeten darüber hinaus eine eigene Adressatengruppe für beschäftigungsund sozialpolitische Maßnahmen der Partei und auch der Stadtverwaltung. Das von Christian Weber geführte, zur Partei gehörige „Amt für den 8./9. November 1923" zum Beispiel kümmerte sich nicht nur um die Durchführung der jährlichen Gedenkveranstaltungen im November, sondern bemühte sich darüber hinaus um die Einstellung „verdienter Parteigenossen"208. Und wenn Christian Weber sich in dieser Angelegenheit an die Dienststellen der Stadt wandte und um bevorzugte Vermittlung seiner Klientel in offene Stellen bat, dann konnte er sicher sein, daß das Personalreferat nicht erst auf seine Aufforderung gewartet hatte. Altparteigenossen wurden nach Kräften bei Einstellungen bevorzugt, dafür sorgte schon Karl Tempel als agiler Vorkämpfer für die „Nazifizierung" des städtischen Personals209. 500 von ihnen stellte die Stadt von der „Machtergreifung" bis zum November 1935 ein, allerdings fast ausschließlich als Arbeiter, nur 205

206

207 208

209

Mit dieser Forderung wandte sich das Fürsorgeamt bei der Reichsleitung der NSDAP am 18.1.1935 an den Stadtrat München, StadtAM, BRW 78/1, Bund 30, Bd. 2, Bl. 7. Vormerkung Jansohns über das Gespräch mit dem SA-Beauftragten für die Siedlung vom 13.5.1935, ebenda, Bl. 35f. Vgl. oben, S. 56. Vgl. zu diesem Amt Martin, Aspekte, S. 459f. Am 10.3.1938 schickte Christian Weber als Vorsitzender des Amtes für den 8./9. November 1923 ein Rundschreiben an die Behördenvorstände in München, in dem er auf die in Zusammenarbeit mit dem Münchner Arbeitsamt eingeleitete Vermittlungsaktion für arbeitslose „alte Kämpfer" aufmerksam machte. Er hoffte, mit dieser Einstellungsaktion erfolgreich zu sein, um „dem Führer alsbald melden zu können, dass nunmehr alle in der Hauptstadt der Bewegung ansässigen Angehörigen der alten Garde des Führers restlos in Arbeit und Verdienst gebracht sind". Personalreferent Tempel vermerkte dazu am 13.4.1938, daß die Stadtverwaltung den fraglichen Personenkreis bei Neueinstellungen bereits bestmöglich berücksichtigt habe, StadtAM, Personalamt 775.

2.

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

267

von ihnen wiesen ausreichende Qualifikationen auf, um auf Stellen des unteren Beamtendienstes berufen zu werden. Und ein halbes Jahr später konnte man im Verwaltungsbericht lesen, daß insgesamt fast 1 000 Altparteigenossen bei der Stadt beschäftigt waren210. Neben der Beschäftigungsfrage widmete die Stadt besonderes Augenmerk auch den finanziellen Sonderleistungen für die Mitglieder der „Bewegung". Als besonderes Geburtstagsgeschenk für den „Führer" wurde auf Anregung von Fiehler 1937 ein Sonderfonds von 50 000 RM aus Überschüssen der städtischen Sparkasse bereitgestellt, um auch „alten Kämpfern", deren Verhältnisse ihnen den Weg zum Bankkredit verkleineres zu ein Darlehen einräumen können. Nach Fiehlers Ausführungen sei sperrten, es nämlich schon häufig vorgekommen, „daß alte verdiente Parteigenossen da sind, die 2 000 oder 3 000 RM Darlehen haben wollen und die außer ihrem ehrlichen Namen eigentlich nichts an Sicherheit bieten können"211. Für die Verteilung solcher Darlehen aus dem Sonderfonds wurden eigene Beiräte ernannt, die seit Mai 1937 über die Anträge entschieden212. Trotz der erhöhten Sensibilität der Stadt für die Belange der „alten Kämpfer" trafen die zunächst von Parteistellen ausgehenden Wünsche auf Errichtung einer Siedlung für diesen Personenkreis nicht auf ungeteilte Begeisterung. Harbers hatte bereits Gelegenheit gehabt, die Schwierigkeiten bei einem ähnlichen Vorhaben für Angestellte der Reichsleitung der NSDAP in Feldmoching, das bis 1938 nicht zum Stadtgebiet München gehörte, zu studieren. Dort hatte vor allem das Heimstättenamt der NSDAP und DAF mehrfach versucht, die Planung zu beeinflussen und den Bau von Eigenheimen mit Gärten zugunsten landwirtschaftlich geprägter vorstädtischer Siedlung zu hintertreiben213. Auch bei der in München vorgesehenen Siedlung sah Harbers wenig Möglichkeit, selbst die Planung aktiv zu gestalten und seinen Ansichten von qualitativ hochwertiger Architektur zur Durchsetzung zu verhelfen. Schon als es darum ging, die Grundrisse für die 59 Einfamilienhäuser und 33 Reihenhäuser ausarbeiten zu lassen, beklagte er sich, „weil die Auswahl der Architekten vorwiegend nach ausgesprochenen Wohlfahrtsgesichtspunkten erfolgt und zwar ohne Zuziehung von Stadtrat Harbers". So begrüßenswert es sei, alte Parteigenossen für die Bauplanung einzusetzen, müsse doch das „Leistungsprinzip" die höchste Priorität genießen214. Harbers widerstrebte es zudem, durch eine solche Sondersiedlung in offensichtlicher Weise Parteigenossen zu privilegieren und damit „grosse Teile der Bevölkerung" vor den Kopf zu stoßen. Er hielt es für eine bessere Strategie, Mitglieder der NSDAP „als Ordnungszellen innerhalb von wirklichen Gemeinschaftssiedlungen" anzusetzen215.

zehn

2.0

2.1 212

213

214 215

Statistik des Personalreferates vom 26.11.1935, StadtAM, Personalreferat (ungeordneter Bestand), Schachtel XVI, Akt 2, sowie Verwaltungsbericht 1933/34-1935/36, S. 56.

Ratsherren-Sitzung vom 13.4.1937, StadtAM, RP 710/1. Erste Sitzung der Beiräte für Gewährung von Beihilfen 11.5.1937, StadtAM, RP 710/6.

an

verdiente

Altparteigenossen

am

Vormerkung Harbers' über sein Gespräch mit dem Pg. D., 14.11.1934, StadtAM, PR 83/6, 394. Vormerkung Harbers', 6.7.1935, StadtAM, BRW 78/1, Bund 30, Bd. 2, Bl. 41f. Harbers an das Hauptamt für Kommunalpolitik, Schön, 18.12.1934, BArch, NS 25, 169, Bl. 166 (Hervorhebungen im Original).

268

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

Diese Einschätzung setzte sich letztlich auch außerhalb Münchens durch, so daß dieSiedlungstypus später kaum noch gebaut wurde216. Einen privilegierten Parteikader sollte es nach außen hin nicht geben, der Mythos der Volksgemeinschaft mit gleichen Chancen für alle Volksgenossen mußte am Leben gehalten werden. Dazu kamen ganz praktische Gründe für solche Zurückhaltung: Die „alten Kämpfer" gehörten Mitte der dreißiger Jahre nicht selten schon der älteren Generation an, hatten zumindest die Phase der Familiengründung hinter sich gelassen und schienen als solche kaum geeignet, Träger aktiver Bevölkerungspolitik zu sein, die den Nationalsozialisten im Siedlungswesen ja als zentral galt. Auch stand zu befürchten, daß ihnen der „jugendliche Elan" fehlte, um den Anforderungen an das Siedlerleben gewachsen zu sein, besonders wenn die Forderung nach Bewirtschaftung des eigenen Landes aufrechterhalten werden sollser

te.

Solches stand allerdings für die Münchner Siedlung nicht zur Debatte: „Bei dieser Siedlung liegt der Schwerpunkt weniger auf irgend einem Nebenerwerb aus der Kleintierhaltung oder dem Garten, wie bei der Reichskleinsiedlung, sondern auf dem gesunden Wohnen im eigenen Heim und in gesunder Umgebung, kurz, auf der natürlichen Verbindung des täglichen Lebensbereiches eines Städters mit dem Boden."217 Für die Siedlung verkaufte die Stadt nicht wie bei den Siedlungen im Norden Gelände, das an der Peripherie, in wenig attraktiver Umgebung gelegen, ohne größeren Wert war, sondern Baufläche in Harlaching, die mit 4,70 RM pro qm bewertet wurde218. Das war allerdings bereits ein günstiger Preis: ursprünglich hatte die Stadt hier sechs RM pro qm für den Boden verlangen wollen219, und ein Gutachten nach dem Krieg stellte fest, daß damit etwa dem realen Wert entsprochen worden wäre220. Es vermag nicht zu erstaunen, daß die „Hauptstadt der Bewegung" gegenüber einem von der Partei initiierten und geförderten Vorhaben ob ganz freiwillig oder nicht besondere Großzügigkeit walten ließ. Für die Siedlung der Nationalsozialistischen Kriegsopferversorgung in der unmit-

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telbaren Nachbarschaft ließ sie sich sogar auf einen Preis von 1 RM pro qm ein221. Der

Gesamtpreis für das Gelände der „Alte-Kämpfer-Siedlung" beim Verkauf an die Heimag betrug über 200 000 RM; für 50 000 RM erhielt die Stadt Aktien der Heimag. Der

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217

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220

„Diese Eigenheimsiedlung [die Münchner Alte-Kämpfer-Siedlung] ist eine in der Hauptsache auf politische Funktionäre abgestellte Siedlung, ähnlich wie die SA.-Siedlungen an anderen Orten. Da man schon seit einiger Zeit diesen Gesichtspunkt bei der Neuanlage von Siedlungen verlassen hat und nur noch Gemeinschaftssiedlungen im weiten Sinne des Wortes anstrebt, ist zwar der ideelle Gedanke bei der Siedlung, alten verdienten Kämpfern der Bewegung ein Eigenheim zu schaffen, nicht überholt, wohl aber die Praxis, diese geschlossen anzusiedeln." Sie-

ber, Bevölkerungsaufbau, S. 185. Ebenda, S. 177. „Statistik über die Eigenheim-Siedlungen": Fragebogen der Heimag für die Alte-KämpferSiedlung im 4. Quartal 1936, StadtAM, PR 83/6, 354. Angebot der Stadt vom 16.2.1935 an das Fürsorgeamt der Reichsleitung der NSDAP, StadtAM, BRW 78/1, Bund 30, Bd. 2, Bl. 11. Städtisches Schätzungsamt und Preisbehörde für Anwesen, Grundstücke, Mieten und Pachten

12.4.1949: Der Baustellenwert des Geländes wird für 1936 auf 7-8 RM pro qm geschätzt. Allerdings waren im Preis der Stadt die Straßenkosten nicht enthalten, die die Heimag selbst vom

221

übernehmen mußte. StadtAM, BRW 78/1, Bund 30, Bd. 3, Bl. 402.

Unten, S. 277.

2.

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

Rest wurde der Heimag als Hypothek zelnen Heimstätter verteilt222.

269

eingetragen und später anteilsmäßig auf die ein-

Während die Heimag für die Durchführung des eigentlichen Bauvorhabens verantwortlich war, hatte, nach anfänglich schwer durchschaubarem Aktivismus verschiedener Stellen, schließlich die örtliche SA-Gruppe Hochland die Vertretung der Siedlerinteressen in die Hand genommen, die dafür einen Beauftragten, der auch in die Siedlung einzog, abstellte223. Die SA ließ zu Beginn der Planung 90 Bewerber vormerken viele mit unteren Dienstgraden, wie Scharführer, über mittlere Ränge, wie Sturmbannführer, bis hin zum Brigadeführer oder Abteilungsleiter bei der Obersten SA-Führung. Warum allerdings nur etwa zehn Prozent der auf diesen Vormerklisten Genannten zum Zuge kamen224, ist aus den Akten nicht ersichtlich, da es keine direkte Überlieferung zum Vorgang der Siedlerauswahl gibt. Deutlich ist aber, daß die SA-Gruppe Hochland ausgewählte Bewerber zwar der Heimag vorschlug, das Wohnungsunternehmen, das an dieser „Auslese" nicht beteiligt war, Bewerber jedoch ablehnen konnte, wenn ihm deren finanzielle Verhältnisse zu unsicher erschienen225. Das mag bei etlichen der zunächst Vorgemerkten der Fall gewesen sein. Auch bei den zum Zuge gekommenen Siedlerbewerbern sollten sich trotz der Prüfung durch die Heimag im Laufe der Zeit noch wirtschaftliche Schwierigkeiten ergeben, wie weiter unten zu zeigen sein wird. Einer Mitteilung Harbers' an das Bayerische Wirtschaftsministerium zufolge rekrutierten sich die Siedler aus Angestellten der Reichsleitung der Partei und der Obersten SA-Führung226; fest steht außerdem, daß zwei Münchner Ratsherren die Siedlung bezogen. Diese Angaben werden durch Sieber bestätigt, der bei seiner auf Daten von 1939 beruhenden Untersuchung ebenfalls in erster Linie Angestellte der Reichsleitung227 und Obersten SA-Führung ausmachte, darunter acht Referenten und Hilfsreferenten, drei Verwaltungsführer und fünf Stellen- und Hilfsstellenleiter. Allerdings zählte Sieber auch etliche Bewohner in niedrigerer beruflicher Stellung: etwa fünf Lager-, Transport-

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-

Kaufvertrag wurde am 21.4.1936 geschlossen. Im gleichen Jahr erhöhte die Heimag ihr Kapital von 100000 auf 300000 RM. Davon hielt die Gagfah die Hälfte; die Stadt, die bisher Der

durch die GWG mit einen Geschäftsanteil von 50 000 RM vertreten gewesen war, war jetzt selbst mit 100 000 RM beteiligt: Durch den Grundstücksverkauf in Harlaching erwarb sie für 50 000 RM Aktien und kaufte im Herbst 1936 einen gleich hohen Anteil dazu (vgl. Beschluß in der Sitzung der VFB-Beiräte vom 24.9.1936, StadtAM, RP 709/4; vgl. weiterhin VB vom 12.8.1937). Ende 1937 kaufte die Stadt außerdem der GWG ihren Geschäftsanteil an der Heimag ab, so daß sie jetzt allein die Hälfte des Aktienkapitals der Gesellschaft besaß. Vgl. 60 Jahnur

re

GWG, S. 37.

Vertrauliches Schreiben der Heimag an die SA-Gruppe Hochland, 24.4.1937, StadtAM, BRW 78/1, Bund 30, Bd. 1. Das hat der Vergleich der Vormerklisten mit den tatsächlichen Erstbewohnern der Siedlung ergeben, ebenda, Bl. 1-9, 157. Stellungnahme der Heimag zu dem Schriftsatz eines Rechtsanwalts vom 3.11.1948 (Abschrift): „Von der Anregung und dem Vorschlagsrecht der Gruppe Hochland abgesehen, wurden die

von der Heimag als Käufer von Eigenheimen gewertet und behandelt." StadtAM, BRW 78/1, Bund 30, Bd. 3, Bl. 290. Harbers an das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, 3.12.1935, StadtAM, BRW 78/1, Bund 30, Bd. 2, Bl. 97-100. Für die Angestelltenschaft der Reichsleitung war auch die Eigenheimsiedlung in der Fasanerie (Feldmoching) gedacht, für deren Finanzierung über das staatliche Darlehen von 2 500 RM pro Haus hinaus eine Lebensversicherung die Hypotheken bereitstellte, vgl. Vormerkung des Referats 7 vom 8.11.1935, StadtAM, PR 83/6, 394.

Bewerber

270

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

arbeiter und Packer, zwei Boten, zwei Kraftwagenführer und andere mehr. Von der sozialen Stellung im Beruf her überwogen bei weitem die Angestellten mit 51,3 Prozent aller Haushaltsvorstände in der Siedlung, der Arbeiteranteil betrug 21,5 Prozent, 10,2 Prozent waren Beamte und ebenso viele Selbständige, und nur 6,8 Prozent wurden als selbständige Berufslose gezählt228. Damit war der Rentneranteil weitaus geringer, als man es in einer „Alte-Kämpfer-Siedlung" hätte erwarten dürfen. Auch der von Sieber untersuchte Altersaufbau zeigt, daß die mittleren Altersgruppen zwischen 21 und 45 Jahren über die Hälfte der Siedler ausmachten, ein Zehntel zwischen 45 und 65 Jahren stand und nur drei Prozent älter waren229. Von einer überalterten Struktur, wie oben als Argument angeführt, war bei dieser Siedlung also nicht auszugehen. Die Erklärung ist wohl darin zu suchen, daß die SA bei der Siedlerauswahl nicht nur die ganz alten Anhänger der „Bewegung" berücksichtigte, sondern das Siedlungsunternehmen eher als Chance für die aktive Parteigeneration betrachtete. Nach Definition durch die Reichsleitung der NSDAP durften sich als „alte Parteigenossen" all diejenigen titulieren, die vor dem 1. April 1933 in die Partei aufgenommen worden waren. Als „alte Garde" waren nur die Parteigenossen anzusehen, denen das „Goldene Ehrenzeichen" oder der „Blutorden" verliehen worden war230. Diese „Auszeichnungen" hatten nach den Angaben einer Münchner Spruchkammer 28 Bewohner der Siedlung erhalten, leider ist nicht sicher, ob diese Feststellung zuverlässig ist231. Nachdem die Durchführung der Siedlung von der Heimag getragen wurde und diese sich in der Finanzierung vor allem an die Bedingungen der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte halten mußte, ist letztlich offenbar die wirtschaftlich-soziale Eignung des Siedlerbewerbers auch zu einer unverzichtbaren Voraussetzung geworden. Mindestens 800 bis 950 RM sollte jeder Siedler selbst beitragen, die monatliche Belastung pro Haus wurde zwischen 57 und 90 RM, je nach Haustyp, angesetzt232, tatsächlich erhöhten sich aber diese Beträge noch. Daher war es möglich, daß der ein oder andere, der im nationalsozialistischen Wortsinn nicht als „alter Kämpfer" anzusehen war, Gelegenheit erhielt, sich hier anzusiedeln, wenn er etwa als Angestellter bei der Partei beschäftigt war und das nötige Eigenkapital zur Verfügung hatte. Die Heimag jedenfalls bestritt nach dem Krieg, daß es sich um eine reine „Alte-Kämpfer-Siedlung" gehandelt habe233. Allerdings waren sachliche Feststellungen zu diesem Zeitpunkt sehr erschwert, weil mittlerweile ein heftiger Streit zwischen den ursprünglichen Heimstättern und den von 228 229 230

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232

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Sieber, Bevölkerungsaufbau, S. 177f. Ebenda, S. 182.

Bekanntgabe von Rudolf Heß vom 8.5.1934, Verordnungsblatt der Reichsleitung der NSDAP., Folge 72 (Ende Mai 1934), S. 163. So erscheint merkwürdig, daß SA-Ränge und Parteiauszeichnungen hier nebeneinander geführt werden, ohne daß deutlich würde, wie viele Personen zwei oder drei Kriterien wie Blutordensträger, Sturmbannführer etc. erfüllten. Zum anderen ist die Quelle für diese Feststellungen der Spruchkammer München VI in ihrem „Spruch" gegen M.S. vom 1.10.1948 nicht genannt. StadtAM, BRW 78/1, Bund 30, Bd. 3, Bl. 302f. Vgl. Heimag an das Referat 7, 4.11.1935, und „Ertragsberechnung" vom gleichen Tag, StadtAM, BRW 78/1, Bund 30, Bd. 2, Bl. 90f., und Bd. 1, Bl. 27. Vgl. „Bericht der Heimag München über die Entstehung und Durchführung der sogen. ,alten Kämpfersiedlung'", 23.9.1948, StadtAM, BRW 78/1, Bund 30, Bd. 3, Bl. 280: „Zweifellos ist die Siedlung [...] nicht ausschließlich an alte Kämpfer vergeben worden. In Parteikreisen wurde die Siedlung daher auch ursprünglich SA-Siedlung genannt."

2.

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

271

der amerikanischen Militärregierung 1945 eingewiesenen Familien entbrannt war. In diesem Streit machte sich vor allem die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" (WN) zum Anwalt der eingewiesenen, im „Dritten Reich" politisch verfolgten Bewohner, für die sie ein dauerhaftes Wohnrecht erstreiten wollte, während die Heimstätter darum kämpften, wieder in ihre Häuser einziehen zu können. Obwohl es zunächst vereinzelte Spruchkammerurteile gab, in denen der Bau der Siedlung als „besondere nationalsozialistische Massnahme" und der beschuldigte Siedler als Profiteur des Regimes bezeichnet wurde234, setzte sich diese Ansicht nach dem Ende der Besatzungszeit nicht durch. Im Juli 1949 entschied die Hauptkammer München, daß eine Nutznießerschaft nach Artikel 9 des Befreiungsgesetzes vom 5. März 1946 im Falle der Eigenheimbesitzer in der „Alte-Kämpfer-Siedlung" grundsätzlich nicht gegeben sei. Die Heimstätter hätten die Leistungen für ihre Häuser aus eigenen Mitteln aufbringen müssen. Daß es sich bei ihnen um einen privilegierten Personenkreis gehandelt habe, ginge nicht zu ihren Lasten, sondern läge in der Verantwortung der an der Siedlung beteiligten Träger235. Vor dem Hintergrund fehlender Rechtstitel konnte auch die Stadt nicht verhindern, daß die Besitzer der Häuser ihre Wohnrechte nach und nach wieder geltend machten236. Das einzige, was ihr zu tun übrig blieb, war, dafür Sorge zu tragen, daß die von der Militärregierung Eingewiesenen, die die Häuser räumen mußten, bei den nächsten Wohnungsbaumaßnahmen berücksichtigt und möglichst gleichwertig untergebracht würden237. In ihrer Argumentation nach dem Ende des „Dritten Reiches" wies die Heimag immer wieder darauf hin, daß es sich bei der Siedlung für „alte Kämpfer" letztlich um eine ganz normale Heimstättensiedlung gehandelt habe, bei der sie die auch für andere geltenden Prinzipien und Richtlinien angewandt habe238. Blickt man auf die im Dezember f 936 geschlossenen Heimstättenverträge, bei denen die Heimag als Ausgeberin auftrat, so findet diese Aussage in bezug auf die zugrundegelegten rechtlichen Vereinbarungen eine gewisse Bestätigung. Auch hier wurde etwa der Gesellschaft das Heimfallund Vorkaufsrecht eingeräumt, sie hatte wie die Stadt die Möglichkeit, die Heimstätten besichtigen zu lassen, und es durften keine baulichen Veränderungen, Vermietungen, Teilungen und ähnliches vorgenommen werden, wenn nicht zuvor Genehmigung dazu erteilt wurde239. Außerdem zeigen die Quellen, daß die Heimag, die sich aufgrund ihrer engen Verflechtung mit der Stadt auch als Trägerin städtischer Interessen verstand, mehrfach versuchte, ihre und die städtische Position gegenüber der SA und den Siedlungsbewohnern durchzusetzen. Das war etwa der Fall, als es darum ging, den „ChaVon der WN immer wieder zitiert wurde der gen M.S. vom 1.10.1948, ebenda, Bl. 302f.

„Spruch" der Spruchkammer München VI ge-

Abschrift der Entscheidung der Hauptkammer (undatiert) als Beilage zu einem Brief der Heimag an den Stadtrat, 22.8.1949, ebenda (ohne Pag.). Bericht über die Sitzung des Hauptwohnungsausschusses am 9.9.1949, in: Münchner Merkur

vom

12.9.1949.

Münchener Merkur vom 2.8.1951 : „Siedlungsbewohner werden umquartiert". Vgl. StadtAM, BRW 78/1, Bund 30, Bd. 3, passim. Muster des Heimstättenvertrages in StadtAM, BRW 78/1, Bund 30, Bd. 2, Bl. 177. Angesichts der starken Bindungen, die die Heimstätteneigenschaft mit sich brachte, erscheint es tatsächlich etwas übertrieben, wenn die WN auch hierin noch eine spezielle Vergünstigung für die „alten Kämpfer" zu erkennen glaubte, um so mehr als das Heimstättenrecht ja auch in ganz anderen Fällen angewandt wurde. Vgl. „Gutachtliche Stellungnahme" der WN (undatierte Abschrift), StadtAM, BRW 78/1, Bund 30, Bd. 3, Bl. 334-339, bes. 338.

III. Baupolitik und Wohnungsfürsorge

272

rakter der Gemeinschaftssiedlung auch äusserlich" aufrechtzuerhalten240. Darunter verstand die Gesellschaft den Kampf gegen nicht genehmigte Anbauten, Schuppen, Garagen etc., der ja in den Kleinsiedlungen ebenfalls ständig neue Nahrung fand. Zum anderen waren berechtigte finanzielle Forderungen geltend zu machen, denn säumige Zahler gab es auch bei den „alten Kämpfern". Von den Parteianhängern konnte man Schulden allerdings nicht einfach eintreiben, sondern mußte sich um einen ganz besonders konzilianten Ton bemühen, denn sonst stand allemal ein politischer Konflikt zu befürchten. Als die Heimag im April 1937 feststellen mußte, daß neben einigen geringfügigeren Rückständen sich in ein paar Fällen die Finanzlage der Schuldner so desolat darstellte, daß man auf Abhilfe aus eigener Kraft kaum hoffen durfte, wandte sie sich daher weniger fordernd als vorsichtig um Verständnis werbend an die SA: „Sollte die SA-Gruppe Hochland in einigen Fällen zu der Überzeugung kommen, dass der eine oder andere Heimstätter seine finanzielle Leistungsfähigkeit überschätzt hat, so werden wir uns dafür einsetzen, dass diesem Heimstätter aus der Aufgabe des Hauses ein wirtschaftlicher Schaden nach Möglichkeit nicht erwächst. Es wäre weiterhin zu prüfen, ob die Gruppe Hochland nicht Mittel beschaffen kann, um besonders bedürftigen Alten Kämpfern die Sorge um die Abdeckung aufgelaufener Rückstände abzunehmen."241 Tatsächlich fand sich die SA-Gruppe dazu bereit, durch die Beschaffung von „unechtem Eigenkapital" den in Schwierigkeiten geratenen Siedlern beizuspringen242. So völlig „normal" lagen die Verhältnisse also doch nicht: Sowohl die Heimag als auch die SAGruppe Hochland bemühten sich, mit ihren Schützlingen besonders behutsam umzugehen und ihnen mehr als üblich bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten entgegenzukommen. Schon in der Frage der Finanzierung der einzelnen Häuser hatte sich diese Tendenz gezeigt. Die Preise der Eigenheime lagen zwischen 12 000 und 20 000 RM, der Durchschnittspreis um 15 000 RM243. Nimmt man ein solch durchschnittliches Haus, das 15 360 RM kostete, als Beispiel, so konnte hier der Eigenbeitrag auf 960 RM244, also etwas über sechs Prozent, reduziert werden. Der Rest wurde durch zwei Hypotheken der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (insgesamt 11 000 RM), durch ein staatliches Darlehen aus dem Siebert-Programm (1 500 RM) und ein zusätzliches städtisches Darlehen von 1 900 RM gedeckt245. Bei den kleineren Haustypen insbesondere den eingebauten Reihenhäusern reichten diese Hypotheken und Darlehen, die dann zu jeweils geringeren Beträgen ausgegeben wurden, teilweise nicht aus, um den Eigenbeitrag auf ein ähnlich niedriges Niveau zu bringen. Weil gerade diese Typen „für wirtschaftlich besonders schwache Heimstätter empfehlenswert sein sollten", beschloß die Heimag hier, -

-

240 241

242

243

244

245

Heimag an die SA-Gruppe Hochland, 24.4.1937, StadtAM, BRW 78/1, Bund 30, Bd. 1. Heimag vom 24.4.1937 wurde dem Siedlungsbeauftragten der SA-Gruppe Hochland „vertraulich" übergeben, ebenda. Vormerkung Referat 7, Grimm, 25.5.1937, ebenda. „Statistik über die Eigenheim-Siedlungen": Fragebogen der Heimag für die Alte-KämpferSiedlung im 4. Quartal 1936, StadtAM, PR 83/6, 354. Im Durchschnitt lag der Eigenbeitrag allerdings doch um einiges höher, nämlich bei etwa 1 400 RM, weil die Darlehensquote nicht in allen Fällen so günstig lag (wenige Siedler verzichteten auch auf ein oder mehrere Darlehen). Errechnet aus der Baukosten- und Finanzierungsvom Das Schreiben der

einzelübersicht Ebenda.

15.2.1937, StadtAM, BRW 78/1, Bund 30, Bd. 1, Bl. 157.

2.

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

273

zusätzliche niedrigverzinsliche oder sogar zinslose Hypotheken auszugeben246. Als es dann 1938 darum ging, die der Heimag gewährte Hypothek für den Baugrund auf die einzelnen Heimstätter aufzuteilen, mußte die Stadt feststellen, daß die von ihr üblicherweise als oberste Marke verstandene, ohnehin schon hohe Beleihungsgrenze von 90 Prozent bei rund der Hälfte der Anwesen, zum Teil erheblich, überschritten wurde. Die Aufteilung der Grundstückshypothek wurde zwar trotzdem vorgenommen; die Heimag behielt aber die persönliche Schuldhaft für die Fälle bei, in denen die 90-Prozent-Grenze überschritten war247. Allein die finanziellen Verhältnisse der Heimstätter in Harlaching machen deutlich, daß es sich bei ihnen nicht zumindest nicht in erster Linie um hohe Parteikader handelte. Vielmehr überwogen die Angehörigen der unteren Mittelschicht, für die der Erwerb eines Hauses in der geschilderten Weise gerade einmal im Bereich des Möglichen lag. Eben weil es „kleine Fische" waren, konnte damit aber an der Basis der Eindruck von sozial gerechtfertigtem Engagement der Partei für ihre Anhänger erzeugt werden. Zudem paßte das Unternehmen in die Logik der von der NSDAP vertretenen Siedlungsideologie, die den Erwerb von eigenem Grund und Boden auch als Belohnung für erworbene Verdienste betrachtete. Daß das Projekt, einmal in Gang gesetzt, in jedem Fall am Leben gehalten werden mußte, war für die Verantwortlichen eine Prestigesache. Daraus erklärt sich auch das weitgehende Entgegenkommen an die Siedler in Finanzierungsfragen. Freilich wurden Hypotheken der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte auch an andere Heimstätter ausgegeben, freilich förderte das Siebert-Programm etliche Bauprojekte in Bayern und unterstützte die Stadt aus ihrem Wohnungsfürsorgefonds soweit als möglich Siedlungsmaßnahmen. Aber daß man die genannten Instrumente der Unterstützung alle gleichzeitig einsetzte und dann immer noch bereit war, durch weitere günstige Darlehen helfend einzugreifen, darf doch als Privilegierung der „Alte-Kämpfer-Siedlung" angesehen werden. Das zeigt sich besonders deutlich im Vergleich mit der zur gleichen Zeit von der Heimag erbauten Eigenheimsiedlung in Laim: Die Darlehen von Realkreditinstituten und Bausparkassen mit Zinssätzen zwischen vier und fünf Prozent deckten nicht einmal 80 Prozent der Finanzierungssumme ab, so daß der Eigenkapitalanteil sich bei einem Haus mit nur 10500 RM Gesamtkosten auf 2 500 RM belief248. Wenn die Heimag also unmittelbar nach dem Krieg behauptete, die Finanzierung der Siedlung an der Naupliastraße sei nach ganz üblichen Bedingungen erfolgt249, so muß das als Schutzbehauptung abgetan werden. Später stellte sie selbst im Rückblick auf die dreißiger Jahre fest, daß die „Förderung des Eigenheimbaus durch verbilligte öffentliche Mittel [...] von Ausnahmen abgesehen noch keinen Vorrang" hatte250. Um eine solche Ausnahme handelte es sich bei der „Alte-Kämpfer-Siedlung". Trotzdem verkennt die nachträgliche Interpretation der Siedlung als ein Geschenk der NSDAP an „eine besondere Kaste"251 die Tatsache, daß der Partei gar nicht daran gele-

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246 247 248 249

250 251

Heimag an das Referat 7, 4.11.1935, StadtAM, BRW 78/1, Bund 30, Bd. 2, BI. 90f. VFB-Beiräte vom 21.4.1938, StadtAM, RP 711/2. Aufstellung in: HEIMAG 1919-1969, S. 12. Vgl. z.B. Stellungnahme der Heimag vom 3.11.1948, StadtAM, BRW 78/1, Bund 30, Bd. 3, Bl. 290. HEIMAG 1919-1969, S. 13. In diese Richtung zielt die „Gutachtliche Stellungnahme" der WN (undatierte Abschrift), StadtAM, BRW 78/1, Bund 30, Bd. 3, Bl. 334-339.

III.

274

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

Privilegierung des „Bonzentums" zu erzeugen. Deshalb suchten die Verantwortlichen nach den auch sonst genutzten Wegen öffentlicher Wohnungsbauförderung und wählten die Siedler eher aus dem sozialen Mittelfeld. Das Siedlungsprojekt sollte der Partei damit den Ruf sichern, ihren ideologischen Standpunkten ebenso wie ihrer treuen Basis gerecht zu werden. gen war, den Eindruck von einer

Die Siedlung der NSKOV am Perlacher Forst

Gedanke, die verdienten Kämpfer um die eigene Samit che Grundbesitz zu versorgen, eine jahrtausendealte Tradition, denkt man etwa an den römischen Feldherrn C. Marius, der nach seinen erfolgreichen Kämpfen gegen die Kimbern und Teutonen Landzuweisungen für seine Veteranen durchsetzte252. Im Laufe der Geschichte war die Veteranenansiedlung immer wieder Motiv und Triebkraft für Siedlungsprojekte, so auch in der Folge des Ersten Weltkriegs, als die Kriegerheimstättenbewegung vorübergehend starken Aufschwung nahm253. In München schlug sich das allerdings nur in wenigen Realisierungen nieder; zwar nahmen einige Veteranenorganisationen sich der Wohnungsprobleme der Kriegsheimkehrer an, in den wenigsten Fällen wurde aber Siedlung in dem Sinn betrieben, daß freistehende Häuser auf einem ländlichen oder landwirtschaftlich zu nutzenden Terrain errichtet wurden. Dagegen Im militärischen Bereich hatte der

entstanden größere Mietwohnungskomplexe unter der Betreuung von Invalidenorganisationen, zum Beispiel die Kriegersiedlung Mittersendling, die von der Bau- und Kleinsiedlungsgenossenschaft des Kriegsbeschädigtenvereins München in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre errichtet wurde. Die Mierwohnungen wurden hier überwiegend als kleine, in Gruppen oder Reihen gestaffelte Einfamilienhäuser mit etwas Gartenzulage gebaut. Bei der Volkszählung von 1939 wurden rund 100 Haushalte in der Anlage gezählt, inzwischen waren allerdings auch schon etliche Nicht-Kriegsbeschädigte nachgezogen254. Eher die Ausnahme blieben die Eigenheime, die in einer Kriegersiedlung in Unterhaching errichtet und von Schwerkriegsbeschädigten mit Hilfe ihrer Kapitalabfindungen finanziert wurden. Zwar datierte das Kapitalabfindungsgesetz, nach dem kriegsbeschädigte Rentenempfänger Teile ihrer Versorgungsbezüge in eine Geldsumme zum Erwerb von Baugrund und zur Ansiedlung umwandeln konnten, bereits vom 3. Juli 1916, fand aber in den ersten Jahren nur wenig Anwendung, „da infolge Arbeiterund Baustoffmangels an eine Neusiedlung in größerem Maßstab nicht gedacht werden konnte"255. Auch die Eigenheime in Unterhaching entstanden erst in den Jahren 1924 bis 1927 und wurden, um der Klientel entgegenzukommen, unter Verwendung billiger Baustoffe errichtet. Das führte allerdings schon in den ersten Jahren nach Erstellung der Häuser zu einer gesteigerten Reparaturanfälligkeit und zu Wertminderungen256. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten nahm die Nationalsozialistische Kriegsopferversorgung (NSKOV) energisch die Siedlungsanliegen der Kriegsbeschä-

Vgl das Zitat von Herbert Hoffmann in: Peltz-Dreckmann, Nationalsozialistischer Siedlungsbau, S. Adolf

153.

Damaschke,

Siedlungsfrage,

Die Kriegerheimstätten-Bewegung, in: Fuchs (Hrsg.): Wohnungs- und S. 392-397. Aus der Forschungsliteratur: Roycroft Sommer, Bodenreform,

S. 67-83. Zur Kriegersiedlung Mittersendling vgl. Sieber, Sozialstruktur, S. 56-65. Hanisch, Siedlungstätigkeit, S. 217. Vgl. auch Hasiweder, Wohnbauförderung, Bd. 1, S. 95.

Vgl. Münchener Zeitung vom 4.12.1929: „Die Kriegersiedlung Unterhaching".

2.

275

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

digten in die Hand. Als ein Aktionsfeld betrachtete sie die Unterstützung für den mit Kapitalabfindungen finanzierten Eigenheimbesitz, der offenbar häufig wie in Unterhaching in Not geraten war257. Stärker jedoch drängte es sie in den prestigeträchtigeren Siedlungsneubau für ihre Klientel. Als Teil der nationalsozialistischen „Bewegung" konnte sie für sich die Position des „einzigen Siedlungsträgers im Deutschen Reich" reklamieren, „der während der Kampfzeit aus der N.S.D.A.P. herausgewachsen ist"258. Die Kompetenzen des Reichsarbeitsministeriums im Siedlungswesen waren freilich ohnehin so prekär, daß die Vorstöße der NSKOV nicht gerade auf Entgegenkommen -

-

stießen. Schon 1933 versuchten die Sachbearbeiter des Ministeriums den Elan der NSKOV zu bremsen, indem sie das Standardargument vorbrachten, „daß es nicht mit den Zielen nationalsozialistischer Siedlungspolitik zu vereinbaren sei, Sondersiedlungen zu schaffen". Auch sahen sie keine Notwendigkeit, „eine besondere Organisation zur Durchführung von Siedlungen für Kriegsbeschädigte" aufzubauen, da im Rahmen der geltenden Bestimmungen Kriegsbeschädigte ohnehin bevorzugt behandelt würden259. Tatsächlich hatte eine der wenigen Änderungen der unmittelbar nach der

„Machtergreifung" erlassenen, neuen Richtlinien für die Kleinsiedlung darin bestanden, auch Kriegsbeschädigte in den Kreis der bevorzugten Anwärter für Siedlungsvorhaben einzubeziehen260. So leicht war der Aktivismus der NSKOV aber nicht zu dämpfen. Sie gründete dennoch eine eigene Siedlungsgesellschaft, die „Gemeinnützige Kriegersiedlung", die im Dezember 1933 auch den offiziellen Gemeinnützigkeitsstatus erhielt261. Das sicherte ihr allerdings nicht die Anerkennung der Reichsbehörden im Siedlungswesen, f 934 war es der Siedlungskommissar Gottfried Feder, der gleichfalls versuchte, mit dem hinlänglich bekannten Argument der „Vermeidung von Klassen-, Gruppen- und Sondersiedlungen" gegenzusteuern262. Um eben diesem Vorwurf zu begegnen, verwies die NSKOV den Typus der Kriegsbeschädigtensiedlung „auf das Konto der früheren Regierungstätigkeit" und beanspruchte für sich selbst, eine neue Form der „Frontkämpfersiedlung" zu schaffen, bei der „von Anfang an darauf geachtet [würde], dass einerseits eine ideale berufliche Mischung und andererseits eine entsprechende Verteilung der einzelnen Stellen auf Schwerbeschädigte, Leichtbeschädigte, unverletzte Frontkämpfer, Kameraden der S.A., S.S., P.O., Stahlhelm und Arbeitsdienst erzielt" werde263. Unter diesen Voraussetzungen konnte auch das inzwischen im Siedlungswesen wieder federführende Reichsarbeitsministerium der nationalsozialistischen Organisation ihre Sied7

Eduard Schneider, Das Siedlungswerk der NSKOV., in: Oberlindober (Hrsg.), 5 Jahre Arbeit,

8

NSKOV, Reichsdienststelle, an den Reichswirtschaftsminister, 30.1.1935, BArch, R 41, 1177,

9

Vermerk von Büge ebenda, Bl. 45-47.

S. 40-46.

° 1

2 3

Bl. 11-17, hier 11.

aus

dem RAM betr.

„Siedlung für Kriegsbeschädigte"

Richtlinien vom 20.2.1933, in: ZWB 31 (1933), S. 25f. Die Anerkennung der „Gemeinnützigen Kriegersiedlung", die

unter

vom

März 1935,

anderem die „Ge-

meinnützige Reichsbundkriegersiedlung" inkorporierte, im Sinne der Gemeinnützigkeitsverordnung vom 1.12.1930 erfolgte am 14.12.1933, vgl. StadtAM, BRW 78/1, Bund 17. Erlaß von Gottfried Feder betr. „Siedlungen für Kriegsbeschädigte" vom 16.11.1934 (Abschrift), BArch, R 41, 1177, Bl. 18f., hier 19. NSKOV, Reichsdienststelle, an den Reichswirtschaftsminister, 30.1.1935, ebenda, Bl. 11-17, hier 12.

276

III. Baupolitik und Wohnungsfürsorge

lungsbestrebungen nicht verwehren264. In den Jahren

1933 bis 1938 wurden unter der im NSKOV 6 882 der Reich Siedlerstellen und 836 Wohnungen errichtet. ganzen Ägide Wie eine zeitgenössische Aufstellung zeigt, handelte es sich meist nur um kleine Siedlungseinheiten, die oft nicht mehr als 20 bis 30 Stellen umfaßten, so daß den Befürchtungen einer zu starken Konzentration von Kriegsbeschädigten auch von daher schon die Spitze genommen war265. Die Organisation mußte außerdem, wie unten am Münchner Beispiel zu zeigen sein wird, Kompromisse eingehen und konnte sich nicht ausschließlich auf die Klientel der Kriegsinvaliden beschränken. Dafür stellte der Reichsarbeitsminister in einem Erlaß vom 12. Februar 1935 nochmals ganz klar, daß die Versehrten in den üblichen Kleinsiedlungen auch dann berücksichtigt werden könnten, wenn sie nicht in der Lage seien, „sämtliche Arbeiten, deren Verrichtung von einem Siedler gefordert werden muß, selbst auszuführen"266. Wenn die anderen Familienangehörigen solcher Siedler geeignet wären, ersatzweise diese Leistungen zu vollbringen, stünde ihrer Zulassung nichts im Wege. Dieser Erlaß stellte im übrigen „gesundheitsbeschädigte Kämpfer für die nationale Erhebung" den Kriegsbeschädigten gleich. Das war spätestens seit dem „Gesetz über die Versorgung der Kämpfer für die nationale Erhebung" vom 27. Februar 1934 zur Praxis im nationalsozialistischen Staat geworden267. Als die NSKOV auch in München mit einem Siedlungsvorhaben an die Stadtverwaltung herantrat, reagierten die städtischen Vertreter ähnlich wie etwas später bei der „Alte-Kämpfer-Siedlung" zunächst sehr zurückhaltend, fast ablehnend, beharrten jedenfalls auf deutlicher Einschränkung der an sie gestellten Forderungen. Zum einen wollte das Wohnungsreferat nur 800 qm Grund pro geplanter Siedlerstelle bereitstellen und nicht 1 200 qm, wie es von der NSKOV gewünscht wurde. Zum anderen war es nicht gewillt, von den bereits genehmigten Darlehen für 200 Siedlerstellen im Rahmen des vierten Abschnitts des Reichskleinsiedlungsprogramms etwa die Hälfte für das Vorhaben der NSKOV abzutreten268. Schließlich sei ja auch bei den bisherigen Kleinsiedlungen besonders an die Kriegsbeschädigten gedacht worden, so daß hier kein besonderer Nachholbedarf bestünde269. Der Hauptausschuß erklärte sich schließlich am 15. Februar 1934 in bewußt unverbindlicher Form nur bereit, „die Absicht der NSKOV, in -

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Vgl. Entwurf des Schreibens von Büge, RAM, an die NSKOV, 27.3.1935, ebenda, Bl. 49f. Schneider, Siedlungswerk der NSKOV (wie Anm. 257), bes. S. 42-46. RAB1./I 15 (1935), S. 79. Die Stadt München hatte bereits 1933 Zweifel angemeldet, ob Kriegsbeschädigte wirklich bevorzugt berücksichtigt werden sollten, wenn sie die geforderte „Selbsthilfe" nicht erbringen könnten. Tempel, 8.6.1933, S. 5, StadtAM, BRB 83/2, 165, Bd. 1. Bezeichnenderweise erging der Erlaß des RAM erst, als man sich von einer hohen Eigenleistung der Siedler wegzubewegen begann. RGB1. 1934/1, S. 133f. Dieses Gesetz stellte die Kämpfer für die nationalsozialistische Bewegung, die Gesundheitsbeschädigungen während tätlicher Auseinandersetzungen mit den politischen Gegnern erlitten hatten, den Anspruchsberechtigten nach dem Reichsversorgungsgesetz von 1920 gleich. Vgl. auch Diehl, Victors or Victims, S. 716. Vortrag Harbers' in der Hauptausschußsitzung vom 15.2.1934, StadtAM, RP 707/2.

Darüber liegen kaum Daten vor. Bei Überprüfung der Unterstützungsverhältnisse in den ersten drei Reichskleinsiedlungen im Herbst/Winter 1933 gaben nur 4% an, eine Invalidenrente oder ähnliche Unterstützungsleistung zu beziehen. Vgl. StadtAM, PR 83/6, 399. Unter den Nationalsozialisten scheint der Anteil der Versehrten tatsächlich angestiegen zu sein: Sieber zählte in Neuherberge neun Schwerkriegsverletzte, in Kaltherberge die gleiche Anzahl Schwerkriegsverletzter und elf Kriegsteilnehmer (Bevölkerungsaufbau, S. 199, 209).

2.

Siedlungswesen, Rassenideologie und Gesellschaftspolitik

277

München eine Kriegsbeschädigten- und Frontkämpfersiedlung zu schaffen, bestmöglich zu fördern und an dieser Aufgabe im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten mitzuwirken". Im Beschluß wurde weiter Wert auf die Feststellung gelegt, daß Reichsdarlehen für diesen Zweck „zusätzlich zum normalen Kontingent" eingeworben werden sollten270. Die Siedlung kam aber schließlich doch ohne zusätzliche Reichsmittel zustande, weil die Pläne für Neuherberge im ersten Anlauf scheiterten und die Gelder dann auf das NSKOV-Vorhaben übertragen werden konnten. Entgegen den vorher erwähnten Absichtserklärungen der NSKOV hatte diese offensichtlich vor, in ihrer „Frontkämpfersiedlung" in München doch ganz überwiegend Schwerkriegsbeschädigte anzusiedeln. Jedenfalls kam es über ihre erste Siedlerauswahl zum Konflikt mit dem städtischen Wohnungsreferat und dem bayerischen Wirtschaftsministerium, das „wegen der Zusammenballung von Schwer- und Schwerstkriegsbeschädigten" Einspruch erhob271. Obwohl es der NSKOV einige Mühe bereitete, der Forderung nach einer Neuzusammenstellung des Siedlerkreises nachzukommen, waren schließlich unter den Siedlern völlig Unversehrte genauso vertreten wie nur Leichtkriegsbeschädigte. 26 der insgesamt 68 Siedler wiesen eine mehr als vierzigprozentige Beschädigung auf272. Es mögen vor allem die Schwerkriegsbeschädigten gewesen sein, die bei den Arbeiten an den Siedlerstellen auch auf Hilfe von außen angewiesen waren. Jedenfalls wurde der Auf- und Ausbau der Siedlung von der Partei als eine „Gemeinschaftsleistung" deklariert, für die die Mitglieder der Ortsgruppe Untergiesing etliche Wochenendstunden an Arbeit investierten273. Obwohl die Stadt zunächst von diesem Siedlungsplan nicht begeistert gewesen war, mußte sie schließlich wie ja auch die Reichsbehörden angesichts der Stellung der NSKOV als eines der Partei angeschlossenen Verbandes deren Wünschen nachkommen. Sie übertrug daher doch einen Teil der Mittel aus dem vierten Abschnitt des Kleinsiedlungsprogrammes auf das Projekt am Perlacher Forst, so daß dort 57 Stellen mit Reichsdarlehen gefördert werden konnten; elf Stellen erhielten statt dieses Darlehens eine Förderung aus dem Siebert-Programm. Ähnlich wie bei der „Alte-Kämpfer-Siedlung" wurde auch hier in der Bezuschussung noch eine Sonderanstrengung unternommen: 1 000 RM pro Stelle kamen aus Baudarlehen der Regierung von Oberbayern, und mit je 700 RM förderte die NSKOV ihre spezielle Klientel, die es ihr in der Siedlung mit der „Pflege des Frontgeistes" zu danken hatte274. Schließlich legte sogar die Stadt München noch ein „großzügiges Geschenk" dazu: Mit Beschluß vom 4. Februar 1936 wurde das Siedlungsgelände nicht wie ursprünglich vorgesehen der NSKOV im Erbbaurecht überlassen, sondern zum Preis von 1 RM pro qm verkauft. Nachdem das Projekt einmal Tatsache geworden war, wollte die Stadt sich ihrerseits offenbar nicht nachsagen lassen, daß sie nichts für die verdienten Kriegsteilnehmer getan hätte. Harbers machte allerdings sehr deutlich, „daß ein solches Geschenk nur einmalig sein kann, das sich in -

-

270

271

272 273 274

Zustimmung

zum

entsprechenden Antrag

von

Harbers in der

Hauptausschußsitzung

vom

15.2.1934, StadtAM, RP 707/2. Vormerkung des Referats 7/3a vom 11.1.1935, StadtAM, PR 83/6, 318. Hier wird weiter auch

beklagt, daß die Neuanträge der NSKOV für andere Siedler nur sehr spärlich eingingen. Sieber, Bevölkerungsaufbau, S. 167. Vgl. VB vom 28.10.1936. Zur Finanzierung s. Sitzung der VFB-Beiräte vom 15.11.1934, StadtAM, RP 707/4, und Sieber, Bevölkerungsaufbau, S. 166f. (hier auch Zitat).

278

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

dieser Form nicht mehr wiederholen wird, weil bei der allgemeinen Mittelbegrenzung dadurch sehr viele andere Volksgenossen ungerechterweise geschädigt werden"275. Einmalig blieb für München auch die NSKOV-Siedlung, obwohl konkrete Absichten bestanden, eine weitere solche „Frontkämpfersiedlung" zwischen Forstenried und Maxhof anzulegen. Leider lassen die erhaltenen Akten nicht erkennen, woran dieser Plan konkret scheiterte. Es könnten Finanzierungsfragen gewesen sein276 oder auch die Einwände der Ansässigen, deren Bezirksvereinigung vehement gegen „die Erstellung einer Siedlung minderen Charakters" auftrat. Interessant ist, daß die Stadt in dieser Eingabe der Anwohner mit ihrer eigenen Propaganda überzeugt werden sollte: In Forstenried müsse eine planmäßig-ästhetische Bebauung erfolgen, damit die „Hauptstadt der Bewegung endlich auch zu einer geschlossenen, vorbildlichen und schön wirkenden, der Stadt der Deutschen Kunst würdigen, vornehmen Wohngegend" komme, „wie sie andere Großstädte längst besitzen"277. Ausschlaggebender als diese Argumentation dürfte gewesen sein, daß mit zunehmendem Abstand vom Weltkrieg immer weniger Motivation bestand, den Kriegsteilnehmern noch besondere Vergünstigungen zukommen zu lassen. Zwar ehrte die offizielle nationalsozialistische Propaganda weiter den „Frontkämpfer" und „Kämpfer für die nationale Erhebung", doch hatte das im wesentlichen eine ideologische Funktion278. Im Siedlungswesen aber sollte auf die Zukunft gebaut werden, hier sollten die künftigen Träger des nationalsozialistischen Staates heranreifen. Eine Schicht, deren vornehmliche Bedeutung in der Vergangenheit lag, konnte unter diesen Umständen nur noch eine sekundäre Rolle spielen.

275

Zitate

276

709/2. In seinem Schreiben

aus

Harbers'

Vortrag an

in der

die NSKOV

Sitzung

der VFB-Beiräte

vom

4.2.1936, StadtAM, RP

9.12.1936 machte Harbers deutlich, daß nach den noch 1 500 RM Reichsdarlehen pro Stelle bedem Siebert-Programm aber nicht mehr zur Verfügung vom

Kleinsiedlungsbestimmungen vom 21.4.1936

277

278

sorgt werden könnten, Darlehen aus stünden, StadtAM, PR 83/6, 318. Bezirksvereinigung Forstenried, Maxhof & Kreuzhof an den Stadtverband Groß-München (Abschrift), 4.3.1937, ebenda. Auch Diehl kommt zu dem Schluß, daß im Vergleich zur Nazi-Propaganda vor 1933 die

Behandlung der Veteranen im „Dritten Reich" enttäuschend gewesen sei. Bei aller Glorifizierung des Militärischen habe doch die Abneigung, „unproduktive Elemente" zu unterstützen, auch hier stark gewirkt. Diehl, Change and Continuity, bes. S. 173f., und ders., Victors or tatsächliche

Victims, bes. S. 727.

Wohnungsbaupolitik in der „Hauptstadt der Bewegung": Das Spannungsfeld zwischen öffentlicher Hand, privater und gemeinnütziger Wohnungswirtschaft 3.

Durchgängig können wir für die Zeit des „Dritten Reiches" beobachten, daß die Stadt München sich um eine stärkere Steuerung des Wohnungswesens bemühte. Harbers war sicher aufgrund seines persönlichen Ehrgeizes, aber auch weil er es im Interesse der Wohnungsbauförderung für richtig erachtete ein ausgesprochener Anhänger einer starken städtischen Führung im gesamten Bausektor, und er zog Fiehler in diesem Be-

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-

streben auf seine Seite. Am liebsten, diesen Eindruck hat man nicht selten, hätte der Wohnungsreferent auch jedem Eigenheimbauer vorgeschrieben, wo er sein Haus hinzubauen habe, welche äußere Gestalt es haben sollte und wie es einzurichten und zu nutzen sei1. Einen direkten Einfluß konnte sich die Stadt aber immer nur dort sichern, wo öffentliche Mittel im Spiel waren und das waren angesichts des Rückzugs der nicht allzu viele Bereiche. Nachdem bereits der Siedlungsbau Reichswohnungspolitik als Sonderfall des Wohnungsbaus, der jeweils nur eine relativ kleine Zahl von Klienten bediente, ausführlich behandelt wurde, ist jetzt die öffentliche Wohnbautätigkeit der nationalsozialistischen Stadt als Gesamtheit zu analysieren. Das heißt, es geht sowohl um ihre quantitativen Dimensionen, um ihre Träger und Organisation als auch ihre politischen Gewichte. Die Stadtverwaltung steht als Akteurin zwar im Vordergrund, wo aber die Politik der Stadt bzw. der öffentlichen Hand den privaten und gemeinnützigen Sektor miterfaßte, treten auch die Bauherren und Wohnungsgesellschaften ins Blickfeld. -

Öffentliche Wohnungsbauförderung in München: Ein Vergleich in Zahlen In der ersten Phase von 1933 bis 1935 profitierte auch München von den Mitteln, die im Rahmen der Arbeitsbeschaffung für Wohnbauzwecke ausgegeben wurden. So erhielt die Stadt fast acht Millionen RM aus den im sogenannten Reinhardt-Programm vorgesehenen 500 Millionen RM für die Instandsetzungs-, Umbau- und Teilungsaktion, später kamen noch einmal 300 000 RM hinzu. Diese Form der Bezuschussung wurde vor allem für Instandsetzungsarbeiten in Anspruch genommen, allein für diesen Zweck mußte die Wohnungsverwaltung über 20 000 Anträge bearbeiten2. Weil München in vergleichsweise hohem Maße profitierte3, brachte Harbers seit März 1934 die restlichen Mittel-Vergaben nur noch in nicht-öffentliche Sitzung, „damit sich nicht die anderen 1

2 3

Vgl. dazu seinen Aufsatz „Das Wohnungs- und Siedlungswesen der Hauptstadt der Bewegung und seine Betreuung innerhalb der Stadtverwaltung", in: Deutsche Gemeindebeamten-Zeitung 42 (1936), S. 296-300, bes. 296. Verwaltungsbericht 1933/34-1935/36, S. 134. Die relativ gute Beteiligung Münchens an dieser Instandsetzungsaktion stand im Gegensatz zu den Erfahrungen der Stadt in einem ähnlich gelagerten Programm während der Weltwirtschaftskrise: Damals führte der Stadtrat bittere Klage, daß München nur 470 000 RM aus den 50 Millionen RM erhalten sollte, die durch die Notverordnung vom 4.9.1932 für Umbau- und Instandsetzungsarbeiten bereitgestellt worden waren. Vgl. Bayerische Staatszeitung Nr. 226 vom 30.9.1932: „Reichszuschüsse für Instandsetzungsarbeiten". Das war auch deswegen zu wenig, weil gerade in der Krise die Notwendigkeit bestand, zu teuer gewordene Groß Wohnungen aufzuteilen.

III.

280

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

Städte darüber beunruhigen, daß wir mehr bekommen haben"4. Auch vom Kuchen der sogenannten „Spende zur Förderung der nationalen Arbeit" schnitt sich München kein schlechtes Stück ab: Für die Mustersiedlung Ramersdorf bekam man 1,8 Millionen RM, insgesamt sogar über fünf Millionen RM aus einem Gesamtvolumen von 120 Millionen RM5.

Solche größeren Zuweisungen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß generell die öffentlichen Mittel für den Wohnungsbau nur spärlich flössen. Privilegiert wurde zunächst, wie mehrfach erwähnt, der Kleinhausbau. Einige hunderttausend Mark erhielten Münchner etwa als Reichsbaudarlehen für ihre Eigenheime, und in größerem Ausmaß wurden Mittel in die Kleinsiedlungen investiert. Mit dem Auslaufen der Arbeitsbeschaffungsphase begann sich aber sehr schnell eine Wende der Reichspolitik bemerkbar zu machen. So wie in Bayern aus diesem Grund das „Siebert-Programm" aus der Taufe gehoben wurde, sah sich auch die Stadt München veranlaßt, über neue Wege der Wohnbauförderung nachzudenken. Harbers initiierte 1935 ein eigenes Kleinwohnungsbauprogramm der Stadt, für das Anlehens- und Fondsmittel aus dem städtischen Haushalt bereitgestellt wurden und mit dessen Durchführung eine städtische Wohnungsgesellschaft beauftragt wurde6. Ein solches eigenes Wohnungsbauprogramm unter Heranziehung städtischer Haushaltsmittel war zu diesem Zeitpunkt keine Selbstverständlichkeit. Die Erhebungen, die Harbers bei einigen anderen Städten anstellte, von denen er sich wahrscheinlich aufgrund ihrer wohnungspolitischen Aktivität in den zwanziger Jahren versprach, daß sie weiterhin erfolgreiche Förderungs- und Finanzierungskonzepte umsetzten, waren in dieser Hinsicht jedenfalls wenig ergiebig. Angesichts der Politik des Reiches konnte auch eine vormals auf diesem Sektor so engagierte Stadt wie Hamburg nur berichten, daß bis zum Dezember 1935 auf die Aufstellung eines Bauprogramms für das kommende Jahr verzichtet worden sei, weil man noch überhaupt nicht wisse, wie es um die Bereitstellung öffentlicher Mittel bestellt sei. Grundsätzlich nehme der Staat Hamburg selber keine Wohnungsbauaufgaben wahr, sei auch an Siedlungsunternehmungen „weder direkt noch indirekt beteiligt". Die Verteilung öffentlicher Mittel, insbesondere der Hauszinssteuerrückflüsse, war an die Hamburgische Baubank delegiert7. Ähnlich vage, was konkrete Bauprogramme für 1936 anging, mußten auch Berlin und Hannover bleiben. Alle drei Städte stellten, und damit unterschieden sie sich deutlich von München, keine eigenen Haushaltsmittel für den Wohnungsbau bereit, sondern verließen sich, jedenfalls zu diesem Zeitpunkt, ganz auf Hauszinssteuerrückflüsse und Reichsdarlehen8. Die Finanzierungsfrage war zweifellos für alle Gemeinden im „Dritten Reich" zu einem zentralen Begrenzungsfaktor im Wohnungsbau geworden. Harbers versuchte daher, nicht nur durch seine Anfragen bei anderen Städten, neue Möglichkeiten auszulo4

5 6

Hauptausschußsitzung (geheim) vom 1.3.1934, StadtAM, RP 707/2. Hauptausschußsitzung vom 22.2.1934, ebenda. Unten, S. 305ff.

7

Schreiben der

8

Vgl. die Schreiben

Hamburger Behörde für Technik und Arbeit. Hochbaudirektion, 6.12.1935, StadtAM, BRW 78/2, Bund 105, Akt „Finanzierung des Wohnungs- und Siedlungsbaues".

Hannover vom 7.12.1935 und Berlin vom 10. und 13.12.1935 sowie die einer Umfrage bei verschiedenen deutschen Großstädten wegen der Finanzierung des Wohnungs- und Siedlungsbaues", ebenda. Allerdings stellten alle Städte Grundstücke aus ihrem Besitz für Wohnungs- und Siedlungszwecke zur Verfügung. aus

„Übersicht über das Ergebnis

3.

Wohnungsbaupolitik in der „Hauptstadt der Bewegung"

281

So trat er selbst in Kontakt mit Versicherungsgesellschaften, um mit ihnen das sensible Thema der zweiten Hypothek zu erörtern. Darauf reagierte der Stadtkämmerer etwas „verschnupft", weil er es nicht nur als Verstoß wider die guten Sitten, sondern vor allen Dingen gegen die Geschäftsverteilung der Stadt München betrachtete, „wenn der Wohnungsreferent anstelle des Stadtkämmerers im Namen der Stadt irgendwelche Geldgeschäfte betreibt"9. Offensichtlich fand man zwischen Wohnungsreferat und Kämmerei aber doch so weit zu einer Kooperation, daß einige Darlehen von Versicherungsinstituten und Sozialversicherungsträgern mit günstigen Zins- und Tilgungsbedingungen für Zwecke des Wohnungs- und Siedlungswesens erfolgreich akquiriert werden konnten10. Eine Übersicht des Wohnungsreferates über die ihm zur Verfügung stehenden Kommunaldarlehen vom Herbst 1936 listet Darlehenswerte in Höhe von insgesamt 3,1 Millionen RM auf, von denen 1,4 Millionen RM schon für den Kleinwohnungs-, Kleinsiedlungs- und Volkswohnungsbau verausgabt worden waren11. Dagegen wurden Harbers' Bemühungen, auch die Partei selbst, die er ja zu einem Gutteil für mitschuldig an Münchens Wohnungsmisere hielt, zu einer Bezuschussung des Münchner Wohnungsbaus zu veranlassen, nicht von Erfolg gekrönt12. Angesichts der Schwierigkeiten der Geldbeschaffung ist zu fragen, welchen Umfang die Wohnbauförderung im nationalsozialistischen München erreichte und wie die knappen Mittel eingesetzt und verteilt wurden. Es ist außerordentlich schwierig, die folgenden Zahlen (die die Arbeitsbeschaffungsmittel für Umbauten nicht einbeziehen) mit der Entwicklung der Weimarer Zeit zu vergleichen, zumal die unterschiedlichen Förderungsmodalitäten berücksichtigt werden müssen. Eine im Sonderbauprogramm von 1927 erstellte Wohnung wurde durch laufende städtische Zins- und Tilgungszuschüsse subventioniert, während bei der Volkswohnung zehn Jahre später ein einmaliges Reichsdarlehen zu den Gestehungskosten gegeben wurde. Nimmt man auf der anderen Seite den Gebührennachlaß der Stadt im sogenannten Baulückenprogramm der dreißiger Jahre, so stellte dieser nur eine geringe Hilfe für den Bauherrn dar, die keinesfalls mit der Vergünstigung einer Hauszinssteuerhypothek in den zwanziger Jahren gleichzusetzen war. Wagt man also ungeachtet solcher Unscharfen den Vergleich der Bauleistung im öffentlich geförderten Wohnungsbau, so ergibt sich folgendes: Von den in Tabelle 22 gezählten Wohnungen, von denen sich etliche noch in Ausführung befanden, waren bis Ende 1941 12 745 fertiggestellt worden13. Damit lag das nationalsozialistische Ergebnis der Jahre 1933 bis 1941 deutlich unter der Leistung in den Vergleichsjahren 1924 bis 1932, in denen die ordentlichen ten.

9

10

11

12 13

Vgl. die Note von Pfeiffer an das Referat 7 vom 25.11.1935 sowie die Briefwechsel mit verschiedenen Geldinstituten und Versicherungsgesellschaften aus dem Jahr 1935, ebenda. Vgl. dazu die Schriftwechsel um das angebotene Darlehen der Landesversicherungsanstalt Oberbayern im Jahr 1936, ebenda. Die Darlehen verteilten sich auf die Volksfürsorge (1 070000 RM), Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (990000 RM), Landesversicherungsanstalt Oberbayern (800000 RM) und die Versicherungskammer (275 000 RM). Vgl. Anlage B „Übersicht über die Kommunaldarlehen" zur Denkschrift über das Wohnungsbauprogramm 1937 vom 8.10.1936, ebenda.

Vgl. Harbers' Schreiben an den Reichsschatzmeister der NSDAP, 8.5.1934, ebenda. Unten, S.

282. Die Zahl nennt Harbers im „Bericht des Dezernats VII vom 17. Februar 1942 über die für die produktive Wohnungsfürsorge aufgewendeten Mittel", StadtAM, WAR 1.

282

III.

Tab. 22:

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

Öffentliche Wohnungsbauförderung in München 1933-1941

Art der Förderung

Zahl der

Stadt

Whgen.

(RM)

805

700750

Kleinsiedlung

Land Bayern

Reich

(RM)

(RM)

1253106

983 250

3 869517

68 000 684400

545 500

189000 7291400 4 512 000 468000 3 750000

11342350 21588000 19481373 31369610 14649899 2 499132 31315270

17739150

136115151

Gesamtgest.kosten

(RM)

+

Eigenheime Baulückenprogramm Kleinwohnungsbauten Volkswohnungen Volkswhgen. im Bau 41/42 Eig. Whgs.bau d. Stadt Ersatzwhgs.bau Erschließgs.-u. Sondermaß. Städt.Kapital in Wohnungs-

781 2601 2 749 5083 1439 513 3332

unternehmen

Gesamtleistung

2658613 976 925 2 422 400 3 013 700 558 000 1493 000 2169700 415 683

2 029900

242500 80000 80000

2 226 000

17303

16634771

4 369 906 + 68000

Quelle: Aufstellung des Dezernats 7 vom 7.2.1942, StadtAM, WAR 1. Erläuterungen zur Tabelle: Im Gegensatz zur Vorlage wurden „durchlaufende Posten", bei denen die Darlehen zurückgezahlt wurden, nicht mitgerechnet. Bei den Kleinsiedlungen wurde die Erweiterung der Neuherberge um 43 Stellen für die Wehrmacht einbezogen. Der beim Land Bayern genannte Posten von 68000 RM war ein Darlehen des Bezirks Verbands Oberbayern. Die 1941/42 noch in Ausführung befindlichen Ersatzwohnungsbauten und Volkswohnungsanlagen wurden einbezogen, wobei hier allerdings für 559 Wohnungen der städtischen Gesellschaften die Reichsdarlehen noch ausstanden.

Bauprogramme

zwar nur 11085 Wohnungen hervorbrachten14, aber weitere 10939 Sonderbauprogrammwohnungen, die teilweise mit Darlehen, vor allem aber durch Zins- und Tilgungszuschüsse subventioniert wurden15, dazukamen. Die ersten 500 Kleinsiedlungsstellen sind ebenfalls noch hinzuzurechnen. Auch beim Vergleich der Förderungssummen gelten die Vorbehalte gegenüber einem solch grob quantifizierenden Verfahren, das aber dennoch eine Vorstellung von den Größenordnungen vermitteln kann. In den ordentlichen Bauprogrammen der Jahre 1924 bis 1932 gab der bayerische Staat gut 46 Millionen RM an Baudarlehen aus Hauszinssteuermitteln für den Münchner Wohnungsbau aus, die Stadt im gleichen Zeitraum

Millionen16. Das

verglichen mit anderen Städten in den zwanziger Jahren verdenn die Stadt setzte ja seit 1926 in starkem Maß auf die Sonderhältnismäßig wenig, in denen nicht hohe einmalige Hauszinssteuerdarlehen, sondern jährlibauprogramme, che Zins- und Tilgungszuschüsse die Hauptförderung ausmachten17. Um so auffälliger 36

14

15 16 17

Vgl.

Die

war

Finanzierung

des

Wohnungsneubaues

1938, S. 2, 4, StadtAM, WAR 1.

Ebenda, S. 5.

in München mit öffentlichen Mitteln 1918-

Berechnet nach den Angaben in Preis, Kurzer Abriß, S. 6 und 35, ebenda. Sonderbauprogramme mit ihrem speziellen Bezuschussungssystem, durch das ja auch die nationalsozialistische Stadt noch erheblich gefordert war, sollen für den Vergleich der Förderungssummen ausgeklammert bleiben. 1927 bis 1932 investierte die Stadt 23 Millionen RM an Zins- und Tilgungszuschüssen, auch seit 1933 machte die Belastung jährlich zwischen vier und sechs Millionen RM aus, vgl. Aufstellung des Städt. Renten- und Hinterlegungsamtes vom 28.8.1947, StadtAM BRW 78/2, Bund 111. Die

3.

Wohnungsbaupolitik in der „Hauptstadt der Bewegung"

283

wie stark in der Zeit des Nationalsozialismus diese Mittel nochmals zurückgefahren wurden. Zieht man die Kapitaleinlagen in die Städtischen Wohnungsgesellschaften ab, wurden nur f 4,4 Millionen RM18 an städtischer Förderung investiert und 4,4 Millionen RM seitens des Staates letzteres bedeutete ziemlich genau ein Zehntel der staatlichen Darlehenssumme in den ordentlichen Bauprogrammen der Jahre 1924 bis 1932. Freilich trat jetzt vor allem über das Volkswohnungsprogramm das Reich stärker hervor, das vor der Weltwirtschaftskrise praktisch keine Rolle in der Förderung gespielt hatte, weil die Einnahme und Ausgabe der Hauszinssteuer ganz den Ländern und Gemeinden überlassen worden war19. Mit einer Gesamtförderungssumme von 17,7 Millionen RM durch das Reich konnte damit aber der Verlust an Hauszinssteuermitteln für eine Stadt wie München noch keineswegs wettgemacht werden. Zweifellos blieb eine gewaltige Diskrepanz zur Hochphase öffentlicher Subventionierung des Wohnungsbaus in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre. Das zeigt auch ein Vergleich der durchschnittlichen Förderungsquoten in den einzelnen Programmen. Sehr hoch lag der Förderungsanteil mit 82 Prozent bei dem von der Stadt als Fürsorgemaßnahme durchgeführten eigenen Wohnungsbau, aber auch das Kleinsiedlungsprogramm wurde mit 78 Prozent im wesentlichen von der öffentlichen Hand getragen. Den niedrigsten Anteil erhielten die Bauherren im Baulückenprogramm, bei dem die städtische Förderung nur etwa 4,5 Prozent der Gestehungskosten ausmachte20. Im Ersatzwohnungsbau betrug die Quote 19 Prozent, bei den Kleinwohnungen 24 Prozent, und je ein Drittel erreichte der Förderungsanteil bei den Eigenheimen21 und den Volkswohnungen. Betrachtet man den Volkswohnungsbau als repräsentatives Programm des nationalsozialistischen sozialen Wohnungsbaus vor dem Krieg, so ist festzustellen, daß hier im Vergleich zur Hauszinssteuerära immer noch deutlich am Einsatz von privatem und Hypothekenkapital festgehalten wurde. Im Münchner Gesamtbauprogramm 1928/30 beispielsweise betrug die Höhe der Darlehen aus Mietzinssteuermitteln für die im ordentlichen Teil erbauten Wohnungen 48 Prozent der Gesamtgestehungskosten22. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Verzinsungs- und Rückzahlungsmodalitäten der Darlehen sind freilich nicht berücksichtigt. Auch im Kleinsiedlungsbau ging der Anteil der öffentlichen Hand zurück. Hatte er bei den ersten 500 Siedlerstellen in Mün-

erscheint

es,

-

18

19

20

21

22

Harbers nannte in seinem Bericht vom 17.2.1942 nur eine Summe von zwölf Millionen RM, weil er nicht abgeschlossene Bauprojekte ausklammerte, StadtAM, WAR 1. Hasiweder weist darauf hin, daß der weitgehende Übergang der finanziellen Förderung auf das Reich auch ein Aspekt der stärkeren Zentralisierung und Regulierung der Wohnungspolitik durch das Reich war, vgl. Hasiweder, Wohnbauförderung, Bd. 1, S. 53. Alle Prozentsätze sind aus den Gesamtsummen der obigen Tabelle errechnet und spiegeln daher nur Durchschnittswerte, die im Einzelfall natürlich erheblich über- oder unterschritten

werden konnten. So sind bei dieser Tabelle nur die Baulückenwohnungen berücksichtigt, die nicht eine weitere Förderung in anderen Programmen erhielten. Der Beitrag der Baulückenvergünstigung zu den Gestehungskosten ist bei diesen Wohnungen sogar noch höher als im Durchschnitt aller im Programm geförderten Wohnungen. Die Reichsbaudarlehen für Eigenheime, die nur in der ersten Phase nationalsozialistischer Wohnungsförderung eine Rolle spielten, werden in dieser Arbeit wegen der Ausklammerung privaten Eigenheimbaus nicht näher behandelt. Daß auch die Stadt mit einem ganz beträchtlichen Anteil an der Eigenheimförderung beteiligt war, liegt hauptsächlich an ihrem Engagement für die Mustersiedlung Ramersdorf. Errechnet aus Preis, Kurzer Abriß, S. 35. Dort auch zur Förderung der Kleinsiedlerstellen.

284

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

chen noch rund 84 Prozent betragen, waren es in der nationalsozialistischen Zeit zwar immer noch 78 Prozent. Dieser weiterhin hohe Satz war aber lediglich dem bayerischen Siebert-Programm zu verdanken, das die deutlich spürbare Rücknahme von Reichsmitteln für München ausglich. Daß München selber nur relativ wenige Mittel für den Wohnungsbau bereitstellen konnte, wurde in der NS-Zeit immer wieder mit den zu Ende der zwanziger Jahre eingegangenen Verpflichtungen begründet, die der Stadt kaum die Freiheit ließen, neue Förderungsinitiativen zu unternehmen. Tatsächlich wurden die Sonderbauprogrammbauten der Jahre 1926 bis 1930 noch bis in die Nachkriegszeit mit jährlichen Zins- und Tilgungszuschüssen subventioniert, die in der NS-Zeit folgende Werte erreichten: Tab. 23: Zins- und Tilgungszuschüssefür die Sonderbauprogrammbauten derJahre 1926-1930 im nationalsozialistischen München

Rechnungsjahr 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944

Zuschüsse (RM)

Wohnungsfürsorge gesamt (RM)

5542815 4 743377

6951040 4 063248 4045 718 3 946283 4126084 3 992004 3 723 021 3492068 3 743360 2 778 846

6854203 6737374 9452989 7542285 7278 868 7317253 5935509 6014224

Anteil der Zuschüsse der Whgs.fürsorge

an

81% 70% 74% 54% 56% 54% 70% 66%

k.A. 6085 367 5937339 4121240

57% 63% 67%

Quelle: Übersicht des

Städt. Renten- und Hinterlegungsamtes vom 28.8.1947, StadtAM, BRW 78/2, Bund 111. Haushaltssatzungen 1935 bis 1946 (Einzelplan 73 bzw. Unterabschnitt 621 „Woh-

nungsfürsorge"). Für 1941 war den Haushaltssatzungen nungsfürsorge nicht zu entnehmen.

das

Rechnungsergebnis

für die Woh-

Auch wenn die Tabelle auf den ersten Blick Harbers'

Klage von der überwältigenden Tilgungszuschüsse zu bestätigen scheint, ist sie mit großer Vorsicht zu interpretieren, denn die im ordentlichen Haushalt unter dem Ansatz „Wohnungsfürsorge" genannten Zahlen beinhalten längst nicht alle Ausgaben der Stadt für Wohnungszwecke. Seit den Rechnungsergebnissen von 1936 wurde eine ganz neue Einteilung zugrunde gelegt, nach der etwa die Ausgaben für Kleinsiedlungen gesondert verrechnet wurden23. Auch die im außerordentlichen Haushalt eingestellten Darlehen für Wohnungs- und Siedlungszwecke und deren Verwendung ist hier nicht berücksichtigt. Für das Rechnungsjahr 1939 trat dann eine gravierende Änderung ein: Die Einnahmen und Last der Zins- und

Ausgaben für den Ausbau der „Hauptstadt der Bewegung" wurden zu einer solchen Größe, daß die Stadt dafür einen Sonderhaushaltsplan anlegte, in dem etwa auch der Ersatzwohnungsbau für Abbruchmaßnahmen geführt wurde24. Die hier

dargestell-

23

24

Vgl.

Vorbericht des Oberbürgermeisters zum Haushaltsplan für das Rechnungsjahr Haushaltssatzung für das Rechnungsjahr 1938, S. IX-XXI. Vgl. Haushaltssatzung für das Rechnungsjahr 1939, S. XXIV.

1938, in:

3.

Wohnungsbaupolitik in der „Hauptstadt der Bewegung"

285

„Wohnungsfürsorge" des ordentlichen Haushalts umfaßt im wesentlichen die Zinsund Tilgungszuschüsse zu den Sonderbauprogrammbauten, Mietverbilligungszuschüsse etwa für kinderreiche Familien und Minderbemittelte, gemeindliche Hypothekendarlehen (soweit nicht im außerordentlichen Haushalt eingesetzt) und andere Mittel für die „produktive Wohnungsfürsorge". Hinzu kamen Rücklagen für Einzelmaßnahmen wie die Errichtung von Notbaracken, die Unterstützung der Wohnungsgesellschaften oder des Vereins für die Siedlungsausstellung in Ramersdorf sowie der Schuldendienst. Auf der Einnahmenseite stand dem nur wenig entgegen: Größere Einnahmen konnte die Stadt aus den von ihr früher gewährten Baudarlehen in Form von Zinsen und Tilgungsraten verbuchen diese Rückflüsse wurden bald zur Haupteinnahmequelle für te

den Wohnungsfürsorgeetat. Bestimmte Gebühren-, Pacht- und Mieteinnahmen der Stadt wurden ihm außerdem zugeführt; daneben erhielt München bis f 942 Überweisungen aus dem Landeswohnungsfürsorgefonds, der sich ebenfalls aus Rückflüssen aus den Hauszinssteuerdarlehen speiste. Trotzdem blieb eine gewaltige Diskrepanz zwischen Haben und Soll. Hier lag die eigentliche Begrenzung für eine intensivere Wohnungspolitik. Da für Wohnungszwecke nicht mehr wie in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre eigene Steuereinnahmen zur Verfügung standen, mußte die Stadt hier ständig einen Haushaltsposten mit hohem Zuschußbedarf verbuchen. -

Tab. 24: Einnahmen und Zuschußbedarf des Haushaltspostens „ Wohnungsfürsorge" 1933-1944

Jahr

Landeswohnungsfürsorgefonds in RM

1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944

210 000 168 000 1049355 378 000 378000 252 748 252 000 252 000 63 000

in %

27 22 23 10 11

10

Zinsen u. Tilgung von Baudarlehen in RM 832 478 943 874 13 820 1251766 1046 955 1521386 1809495 1 921 080

2139 827 2152 336 2403461

in %

Weitere Einnahmen in RM in %

Einnahm. gesamt in RM

69 47 72 3 14 28 5 10

3 321212 2 083 054 3 871177 1684 760 1658471 2479 736

84 80

2278 734 971180 2 808 002 54 994 233 516 705602 102146 241262

82 88 87

404170 281 272 347478

16 12 13

2 606 997 2433 608 2 750939

25 45

0,4 74

63 61

2163641 2414342

Zuschußbedarf in RM 3 532 991 4654 320 5581812 5 857525 5 620397 4837517 3 771868 3 599 882 3 478 370 3 503 731

1370301

Unterabschnitt 621). Quelle: Haushaltssatzungen (Einzelplan Erläuterungen: Unter „weitere Einnahmen" wurden alle Einnahmen aus Gebühren, Mieten, Pachten usw. subsumiert, verschiedentlich kamen größere Posten hinzu, etwa Anteile Münchens aus den Mietzinssteuerablösungen. Warum 1935 so niedrige Zins- und Tilgungsraten eingingen, dagegen ein hoher Posten als „einmalige Einnahme" geführt wurde, ist nicht klar. Eventuell handelte es sich bei letzterem auch um solche Rückflüsse, die hier ausnahmsweise auf eine andere Stelle verbucht wurden. Als „Zuschußbedarf" wird die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben begriffen. Das Jahr 1941 wurde wieder ausgelassen, weil die Rechnungsergebnisse nicht ermittelt 1935 bis 1946

73 bzw.

werden konnten.

Es gab zwei Strategien, mit denen die Stadt versuchte, den durchschnittlichen Zuschußbedarf von vier bis fünf Millionen RM im Jahr zu senken. Die eine war, in der Ausgabenpolitik sehr stark Maß zu halten und mit Initiativen wie dem im nächsten Abschnitt zu schildernden Baulückenprogramm vor allem privates Kapital für den Woh-

286

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

nungssektor zu mobilisieren25. Mit der zweiten Strategie strebte man an, bei der Einnahmenseite eine Besserung zu erreichen; aus diesem Grund wurden Forderungen vor allem an das Land Bayern gerichtet. Die nationalsozialistische Stadtführung knüpfte damit an einen „alten Streitpunkt" zwischen Landesregierung und Stadt an, der sich um Münchens Beteiligung an den Erträgen der Mietzinssteuer drehte. Angesichts der Tatsache, daß in München als Metropole mit einem hohen Mietenniveau ein überproportional hoher Beitrag von den Steuerzahlern aufgebracht werde, sei die Stadt bei den Verteilungen aus dem Mietzinssteuertopf stark benachteiligt, lautete die seit Ende der zwanziger Jahre andauernde Klage. Als zweifelhaft wurde zudem die Tatsache empfunden, daß Bayern die hier speziell erhobene Wohnungsbauabgabe als reine Landessteuer für sich beanspruchte. Allerdings mußte eingeräumt werden, daß das Land daraus den Gemeinden auch Wohnungsbaudarlehen gewährte26. Mit den Beschwerden über die ungerechte Behandlung war weder in Bayern noch im Reich Grundsätzliches zu bewegen. Als Fiehler, angetrieben durch Harbers, im Jahr 1940 den erfolglosen Versuch unternahm, die Reichskanzlei bzw. Hitler selbst für das Münchner Wohnungsproblem zu interessieren, wies er auch auf die Benachteiligung durch die bayerische Finanzpolitik hin. München gehöre aufgrund des Versiegens anderer Einnahmequellen und seiner besonders hohen Anforderungen im Wohnungsbau zu den Städten, die am meisten an ordentlichen Haushaltsmitteln für das Wohnungs- und Siedlungswesen aufwenden müßten27. Tatsächlich bestätigt ein Blick in das Statistische Jahrbuch deutscher Gemeinden, daß Fiehler mit seiner Klage nicht unrecht hatte. 1937 war München mit einem Zuschußbedarf

7,8 RM je Einwohner bei weitem an der Spitze der Städte in seiner Vergleichsgruppe, in Köln waren es 3,6 RM, in Leipzig, Essen, Frankfurt/Main aber sank der Satz gegen 0. Im Durchschnitt aller Städte dieser Gruppe lag der Zuschußbedarf im Wohnungs- und Siedlungswesen bei 1,6 RM je Einwohner; in Berlin lautete er auf 1,9 RM28. Im letzten Teil dieses auf Finanzierungstechniken und materielle Leistungen der Wohnbauförderung angelegten Abschnittes soll es speziell um den konfliktbeladenen Sektor der Zins- und Tilgungszuschüsse für die Sonderbauprogramme gehen. Als problematisch galt er der nationalsozialistischen Stadt vor allem deshalb, weil sie ohne eigenes Zutun in hohe Aufwendungen verstrickt worden war, die ihr nicht einmal einen Prestigegewinn eintrugen. Zudem wurde sie hier mit in ihren Augen ungerechtfertigten Forderungen des Hausbesitzes konfrontiert, die sie immer wieder abwehren mußte. Tabelle 23 zeigt, daß die Belastung der Stadt durch die Zuschüsse für die Sonderbauprogramme sich langfristig bei einigen Schwankungen immerhin etwas ermäßigte, was auf die Ablösung von Hypotheken und die Entwicklung der Hypothekenzinsen zurückzuführen ist. Durch die Senkung der Zinssätze um 1,5 Prozent 1935 konnten seit von

-

-

-

23

26

27 28

-

Vgl. z.B. Referent Adolf Konrad in der Sitzung der VFB-Beiräte vom 8.8.1935, StadtAM, RP 708/3, zum Kleinwohnungsbauprogramm 1935: „Das Bauprogramm der Stadt ist auf dem Grundsatz aufgebaut, die vorhandenen begrenzten Mittel der Stadt weitgehendst zu strecken und soweit irgend möglich Privatkapital heranzuziehen." Fiehler an Innenminister Wagner, 20.3.1934 (Abschrift), Anlage 6, BayHStA, MA 107584.

Fiehler an Lammers, 3.9.1940, BArch, R 43/H, 1172, Bl. 55-57, bes. 56. Anstelle der bei Fiehler für 1937 genannten Zahlen wurde auf die ähnlichen, aber zuverlässigeren Angaben des Statistischen Jahrbuchs Deutscher Gemeinden 34 (1939), S. 511, 519, zurück-

gegriffen.

3. Wohnungsbaupolitik in der

287

„Hauptstadt der Bewegung"

weniger Zuschüsse gezahlt werden, allerdings mußte 1935 eine Vorableistung der Schuldner für die Zinskonvertierung erbracht werden, die sich wiederum in einem höheren Zuschuß für die Stadtgemeinde niederschlug29. Die Stadt oder vielmehr ihr Wohnungsreferent Harbers sah es als selbstverständlich an, daß ihr die Zinssenkung in vollem Umfang zugute kommen sollte, weil sie sich ohnehin in der Finanzierung der Sonderbauprogramme stark engagiert habe und sie nicht „aus einer reinen Generosität heraus auch noch ein weiteres Geschenk durch Verzicht auf die nunmehr mögliche Senkung des Zuschussdienstes" machen könne30. Ganz anders war allerdings der Standpunkt der Hauseigentümer in dieser Frage; um das zu verstehen, ist es nötig, etwas in die Geschichte der Sonderbauprogramme zurückzugehen. Als sie 1926 in München ins Leben traten, wurde folgender Finanzierungsmodus zugrunde gelegt: 25 Prozent der nach Pauschalsätzen berechneten Baukosten mußte der Bauherr selbst aufbringen, ein an erster Rangstelle zu sicherndes Bankdarlehen sollte den Restbetrag zur einen Hälfte, ein zweitstelliges Hypothekendarlehen der Städtischen Sparkasse den Rest zur anderen Hälfte abdecken. Der städtische Beitrag lag nicht nur in der Übernahme einer Ausfallbürgschaft für das Sparkassendarlehen, sondern vor allem in der Aufbringung eines jährlichen Zuschusses zu dem Zins- und Tilgungsdienst, den die Bauherren für die Bank- und Sparkassendarlehen zu leisten hatten, die ja nicht zu so günstigen Konditionen wie Hauszinssteuerhypotheken vergeben werden konnten. Was die Stadt im einzelnen beisteuerte, errechnete sich als Differenz zwischen dem Mietertrag und den vom Bauherrn zu leistenden Ausgaben, nämlich dem Zins- und Tilgungsdienst für die Hypotheken sowie den Betriebs- und Instandhaltungskosten, hinzu kam die Verzinsung seines Eigenkapitals (höchstens zum Reichsbankdiskontsatz)31. Nach Ansicht der Bauherren erlaubte ihnen dieses 1926 konzipierte und in der Folgezeit etwa durch die Möglichkeit zur Aufnahme von Zusatzdarlehen etwas modifizierte Finanzierungssystem in der Praxis nicht, eine rentable Wohnungswirtschaft in den Anlagen zu betreiben. Sie beklagten vor allem, daß nicht nur die Gestehungskosten, sondern auch die laufenden Betriebskosten realiter sehr viel höher lägen, als die Verwaltung bei ihrer Berechnung der Finanzierungsmodalitäten, die nach festen Pauschalsätzen erfolgte, angenommen habe. Daher müsse der städtische Zuschuß entsprechend aufgestockt werden, um auch nur das Minimum an Bestandserhaltung zu garantieren. Die andere Alternative, eine Erhöhung der von der Stadt ebenfalls pauschal festgesetzten Mieten, lag durchaus nicht im Interesse der Vermieter, viele wollten sogar das Gegenteil. 1929 hatte die Stadt nämlich eine Mietenanhebung bereits verfügt, um auf diese Weise eine Anpassung an den gestiegenen Zinssatz zu erreichen. Folge war allerdings, daß in der Weltwirtschaftskrise bei Preisen von 98 Pfennig pro qm größere Wohnungen nicht mehr vermietbar waren, auch immer mehr Mieter der Anlagen kündigen mußten, weil sie 1936

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sich diese Preise nicht leisten konnten, und für die Eigentümer erhebliche Miet-

29

30 31

Vgl. Tab. 23, oben,

S. 284, und Sitzung der VFB-Beiräte vom 1.8.1935, StadtAM, RP 708/3. Diese von der Stadtgemeinde aufgebrachten „Zinsermäßigungskosten" betrugen insgesamt 1,1 Millionen RM, vgl. Vormerkung des Wohnungsreferates vom 25.6.1936 mit beil. detaillierter Aufstellung über die Kosten, StadtAM, BRW 78/2, Bund 111, Akt „Zinssenkungen". Sitzung der VFB-Beiräte vom 1.8.1935, StadtAM RP 708/3. Zu diesen Bedingungen vgl. StadtAM BRW 78/2, Bund 105, Akt „Ermittlung des Eigenkapi-

tals", passim.

III. Baupolitik und Wohnungsfürsorge

288

ausfälle entstanden32. Die Stadt wollte aber die Mieten keinesfalls auf den ursprünglichen Satz von 90 Pfennig oder gar darunter zurückschrauben, weil sie dann selbst in die Bresche hätte springen müssen, wozu sie sich, zumal in der Weltwirtschaftskrise, nicht in der Lage sah. Die Münchner NSDAP machte sich immer auf der Suche nach Möglichkeiten, Unzufriedenheit und oppositionelle Stimmung in politisches Kapital umzumünzen damals noch zum Anwalt der Protestfront gegen die hohen Mieten33. Als seit 1933 am Rathaus die Hakenkreuzflagge wehte, sah sie sich aber ihrerseits nicht mehr imstande, Mietsenkungen durchzuführen, denn jetzt hätte es ja den von ihr zu verantwortenden Etat getroffen. Die NSDAP wurde zur Vertreterin städtischer Interessen gegen die Ansprüche der Vermieter und Mieter in den Sonderbauprogrammbau-

-

ten.

Während sich die Mieter jedoch vor dem Hintergrund der Gleichschaltung und damit Ausschaltung der Mieterbewegung als „pressure group" kaum noch für ihre Interessen einsetzten, waren es jetzt stärker die Eigentümer, die gegen die städtische Politik mobil machten. Sie wollten zweierlei erreichen: Zum einen sollten die Mieten gesenkt und ihre Mieter überhaupt dem Status der Altbaumieter angeglichen werden, so daß sie etwa auch Mietsteuernachlässe in Anspruch nehmen könnten. Davon erhofften sich die Eigentümer, ihren Besitz wieder attraktiver und besser vermietbar zu machen. Zum anderen sollte als Konsequenz einer Mietensenkung, aber auch, weil die Vermieter schon bisher ihren Besitz nicht angemessen bewirtschaften könnten, die Gemeinde ihre Zuschußleistung deutlich erhöhen34. Stimmte die Berechnung von Guido Harbers, so hätten diese Forderungen der Sonderbauprogramm-Eigentümer die Stadt im Rechnungsjahr 1934 zusätzliche zwei Millionen RM an Zins- und Tilgungszuschüssen gekostet, die sich ohnehin schon auf 4,7 Millionen RM belaufen sollten35. Es fiel dem Wohnungsreferenten nicht schwer, die hartnäckige Weigerung der Stadt, solches auf sich zu nehmen, vor dem Stadtrat plausibel zu begründen. Die Verantwortung für das ganze System trug ja ohnehin sein Vorgänger, und ihm konnte keiner zumuten, noch weitere Verpflichtungen in einer Sache zu übernehmen, die er nicht initiiert hatte. Außerdem glaubte Harbers, aus den Klagen der Eigentümer ein gutes Maß kapitalistischen Eigeninteresses herauszuhören, das mit der im Nationalsozialismus propagandistisch betonten Ideologie des „Gemeinnutz geht vor Eigennutz" leicht abzuwehren war. Vielfach gehe es den Vermietern gar nicht um die Erhaltung des Besitzes, sondern lediglich um ihre Rendite. Diese jedoch falle unter das Unternehmerrisiko und könne keinesfalls der Allgemeinheit aufgebürdet werden36. Weil die nationalsozialistische Stadtverwaltung so 32

33

34

35

36

Für diese

Schwierigkeiten s. die Diskussion anhand eines Einzelfalls

5.10.1933, StadtAM, RP 706/5.

im

Hauptausschuß vom

Vgl. z.B. Sitzung des Wohnungsausschusses vom 4.7.1930, in: MGZ 59 (1930), S. 929-941. Zu diesen Forderungen vgl. den Antrag von Senator Borst, der in der Hauptausschußsitzung vom 22.2.1934 diskutiert wurde, StadtAM, RP 707/2. Borst faßte die anvisierte Zuschußer-

höhung der Stadt allerdings nicht in direkte Worte, sondern forderte eine Anhebung der für die Berechnung maßgeblichen Verwaltungskostenpauschale von 20 auf 30% der Friedensmiete, was nichts anderes als eine entsprechende Zuschußaufstockung bedeutete. Ebenda. Der entsprechende Antrag Harbers', „eine allgemeine Mietpreissenkung, eine zusätzliche Mietpreissenkung für leistungsunfähige Mieter und eine Erhöhung des Pauschsatzes für Betriebs-, Verwaltungs- und Instandhaltungskosten in den Sonderbauprogrammbauten zu Lasten der

3.

Wohnungsbaupolitik in der „Hauptstadt der Bewegung"

289

bereits seit 1933 alle Vorstöße der Hausbesitzer abwehrte, hofften diese, wenigstens bei der Zinssenkung von 1935 einen Vorteil herauszuholen. Die „Vereinigung der Eigentümer von Münchener Sonderbauprogrammbauten" wies in ihrem Schreiben an die Stadt vom 29. August 1935, in dem sie zu der anstehenden Zinssenkung Stellung nahm, auch auf die lange Geschichte des Konflikts zwischen Betroffenen und Stadt hin und wiederholte ihren Standpunkt, „dass der in den Münchner Sonderbauprogrammen entstandene Hausbesitz sich in schwerster immer mehr zunehmender Notlage befindet". Der von der Stadt bei der Bezuschussung zugrundegelegte Unkostensatz für Verwaltung, Betrieb und Instandhaltung37 habe sich von Anfang an als zu gering erwiesen. „Um so schwieriger musste die Lage sich gestalten, als mit den Jahren die Notwendigkeit grösserer Reparaturen und der Ausfall von Mieteingängen eintrat, wodurch der grösste Teil des Unkostensatzes aufgebraucht wird. Soweit die Mittel aber nicht ausreichen, Reparaturen ausführen zu können, tritt uneinbringliche Entwertung des Gebäudebestandes und Schädigung am Volksvermögen ein." Schließlich versuchten die Eigentümer, die Stadt als Urheberin der Sonderbauprogramme und damit moralisch Verantwortliche haftbar zu machen: „Die Stadt München hat die Sonderbauprogrammbauten selbst ins Leben gerufen, um durch Vereinigung öffentlicher Mittel und privater Unternehmerkraft einen neuen Weg zur Behebung grösster Wohnungsnot zu beschreiten. Es erscheint deshalb undenkbar, dass die Sonderbauprogramme weiterhin einem unhaltbaren Zustand überlassen bleiben und ihnen auch jetzt im eine der Hilfe Könnte nicht zuteil soll."38 werden Augenblick günstigsten Gelegenheit man die Zinssenkungen selbst verwerten, so bestünde die Möglichkeit, das Notwendige zur Instandhaltung und Sanierung zu tun, was jetzt aus Geldmangel nicht möglich sei. Von ihrem einmal gefällten Beschluß, die Zinsermäßigung zur Absenkung der eigenen Zuschußleistung zu nutzen, wollte die Stadt jedoch nicht mehr abrücken. Noch immer trieb den Wohnungsreferenten der Verdacht um, daß es für einige Bauherren lediglich um eine effektive Eigenkapitalverzinsung gehe, die „billigerweise [...] nicht auf Kosten der Stadt erfolgen" könne, oder um die Unterhaltung von Sonderanlagen wie Dampfheizung, Garagen etc., die „vom öffentlichen Interesse aus betrachtet grossenteils ein Luxus" seien und deswegen auch nicht über öffentliche Mittel finanziert werden müßten39. Der letzte Vorwurf sollte sich offensichtlich besonders gegen Bernhard Borst und die gut ausgestattete Borstei wenden, weil der Senator mit seinem vehementen Eintreten für die Belange der Eigentümergemeinschaft inzwischen zu einer Reizfigur geworden war. Immerhin wollte Harbers für einige der anderen Bauherren eine tatsächlich bedrängte Lage nicht ganz ausschließen, dafür aber wollte er erst einmal Beweise sehen. Er schlug daher einen Kompromiß vor, der die Eigentümer begünstigen sollte, die bereit waren, mit der Stadt zu ihren Bedingungen zusammenzuarbeiten und

Stadtgemeinde München durch Bereitstellung öffentlicher Mittel" abzulehnen, fand im Stadtrat einstimmige Zustimmung, ebenda. Der Satz betrug 16% der Sollmiete in den Bauprogrammen 1926 und 1927 bzw. 20% der Friedensmiete in den Bauprogrammen 1928-1930. Rechtsanwalt M. als Vertreter der Vereinigung der Eigentümer von Münchener Sonderbauprogrammbauten an das Wohnungsreferat, 29.8.1935, StadtAM, BRW 78/2, Bund 111, Akt „Zins-

senkungen". Konrad in Vertretung von Harbers in der Sitzung der VFB-Beiräte vom 19.9.1935, StadtAM,

RP 708/4.

290

sich stärkerer Kontrolle

III. zu

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

unterwerfen, während die „renitenten" Kräfte von jedem

Entgegenkommen ausgenommen waren. So sollte der der Zuschußberechnung zugrundeliegende Satz für Betriebs- und Instandhaltungskosten von bisher 20 Prozent der Friedensmiete auf 22 Prozent erhöht werden. Voraussetzung war aber, daß die jeweiligen Eigentümer bereit waren, die Umlegung der Zinssenkung auf die Zuschüsse zu akzeptieren, und einen Nachweis erbringen konnten, daß sie „den erhöhten Pauschsatz zur ordnungsgemässen Verwaltung und Instandhaltung der bezuschussten Bauteile unbedingt benötigen und jeweils soweit erforderlich auch tatsächlich dafür verwenden -

und sich ferner einer Überprüfung der Rentabilitätsverhältnisse aller oder einzelner Bauten im dem von der Stadt für erforderlich erachteten Umfang durch die städt. Treuhandverwaltung unterziehen"40. Wer diese recht harten Bedingungen nicht akzeptierte, zog in jedem Fall den kürzeren, denn ihm wurden die Zuschüsse um die Zinssenkung gekürzt, ohne daß er in den Vorteil einer Erhöhung der Verwaltungskostenpauschale kam41. Das mußten schließlich auch die Bauherren Bernhard Borst, Leonhard Moll und Karl Stöhr einsehen, die als Großbauunternehmer bisher den Kern des Widerstandes gegen die von der Stadt beschlossenen Regelungen der Zuschußfrage gebildet hatten. Sie willigten im Dezember 1935 in die von der Stadt aufgenötigten Zuschußkürzungen ein42. Im Juni 1936 stellte das Wohnungsreferat fest, daß nur ein Bauherr die geforderte Erklärung nicht unterschrieben hatte43. Aus den Akten geht allerdings nicht hervor, wie weit die Stadt inzwischen mit ihren Erhebungen über die tatsächliche Rentabilität der Wohnungsanlagen gekommen war, gegen die sich die „Vereinigung der Eigentümer von Münchener Sonderbauprogrammbauten" beinahe noch vehementer wehrte, weil sie diese Überprüfungen durch die Städtische Anwesenszwangsverwaltung als Eingriff in die Unternehmensautonomie betrachtete44. Der Streit zwischen den Eigentümern der Sonderbauprogrammwohnungen und der Stadt liefert nur ein Beispiel für das problematische Verhältnis öffentlicher und privatwirtschaftlicher Interessen im Wohnungsbau. In diesem Fall hatte das kommunale Wohnungsreferat alle Trümpfe in der Hand, denn die Leistungen der Bauherren waren ja schon erbracht worden. Die Stadt riskierte allenfalls eine schlechtere Stimmung unter den Hausbesitzern, die sich in nachlassender Bereitschaft zum Bau weiterer Wohnungen niederschlagen konnte. Anders verhielt es sich hingegen in der Planungsphase neu-

40

41

42

43 44

Die Vorlage stammte von Harbers, wurde aber vertretungsweise von Konrad in der Sitzung der VFB-Beiräte vom 19.9.1935 vorgetragen und dort vom gebilligt, ebenda. Dies wurde den bis dahin hartnäckigen 31 (von 77) Sonderbauprogramm-Eigentümern in einem Schreiben des Wohnungsreferates vom 26.9.1935 auch ultimativ mitgeteilt, StadtAM, BRW 78/2, Bund 111, Akt „Zinssenkungen". Schreiben des Rechtsanwalts M. im Auftrag der „Vereinigung der Eigentümer von Münchener Sonderbauprogrammbauten", 3.12.1935, ebenda. Vormerkung des Wohnungsreferates vom 25.6.1936, ebenda. Vgl. Abschrift des Schreibens an die Vereinigung, 14.4.1936, in dem das Wohnungsreferat erklärt, daß die Überprüfungen der Eigenkapitalaufbringung und -Verzinsung ja schließlich im Interesse der Eigentümer selbst lägen, damit diese Gelegenheit bekämen, „die Berechtigung ihrer Klagen zahlenmäßig zu begründen". Die Stadt könne zur Not aber auf die Offenlegung des Eigenkapitals verzichten und dieses „auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen beurteilen. Dagegen kann die Stadt keinesfalls auf die erschöpfende Ermittlung des tatsächlichen Betriebsergebnisses einschließlich der Nebenleistungen verzichten, denn dies ist unerläßliche Voraussetzung für die Beurteilung der Bedarfsfrage." Ebenda.

Qberbürgermeister

3.

Wohnungsbaupolitik in der „Hauptstadt der Bewegung"

291

Bauprojekte, bei denen auch die nationalsozialistische Stadtverwaltung wesentlich kompromißbereiter agieren mußte, um ihre Durchführung nicht zu gefährden. Während das Wohnungswesen gegenüber anderen Sektoren der Sozialpolitik in der besonderen Situation war, daß private Kapitalanleger hier Anlageinteressen verfolgten, mußte sich die Wohnungspolitik eben aus diesem Grund auch stärker an den Wünschen der Privatwirtschaft orientieren. Symptomatisch für ein solches Eingehen auf die Unternehmerinteressen im Wohnungsbau ist das von München 1934/35 begonnene Baulückenprogramm. er

Das Baulückenprogramm zwischen öffentlichen und privatwirtschaftlichen Interessen Den Münchner

Quellen zufolge war das Baulückenprogramm ein originäres Konzept Karl Fiehlers. Ob er aus vergleichbaren Projeken Anstöße erhalten hatte oder hier tatsächlich einen ganz neuen Gedanken entwickelte, ist schwer nachprüfbar. Jedenfalls fand die Idee, die auch im Organ des Deutschen Gemeindetags (DGT) als Konzept Münchens vorgestellt wurde45, in den kommenden Jahren in anderen Städten gleichfalls Verbreitung. Das mag wiederum mit ein Verdienst der Kommunalvertretung gewesen sein, die sich auch in diesem Fall als Informationsbörse anbot46. Der Eitelkeit Fiehlers, der sich vorgenommen hatte, „beispielgebend für andere Grossstädte in Deutschland [zu] sein und einmal auf einem bisher noch nicht beschrittenen Weg auch dem übrigen deutschen Volk auf[z«]zeigen, wie wir an den Aufbau herangehen und der vorhandenen Wohnungsnot Herr zu werden suchen"47, wurde damit sicher geschmeichelt. Ob aber tatsächlich diesen großen Worten entsprechende Leistungen zu verzeichnen waren, soll im folgenden geprüft werden. Die Grundidee des Baulückenprogramms bestand darin, die bei unbebauten Grundstücken „brachliegenden Kapitalien" zu mobilisieren und gleichzeitig eine ästhetische Verbesserung des Stadtbildes zu erreichen. Ein Problem der durch wirtschaftliche Notwendigkeit erzwungenen, aber etwa im Kleinsiedlungsprogramm auch bewußt forcierten Ansiedlung in den günstigeren Stadtrandlagen war ja, daß im Stadtzentrum unbebaute, bereits erschlossene Bauflächen vakant blieben, während in den Neubaugebieten kostenaufwendige Aufschließungsarbeiten geleistet werden mußten48. Im Baulückenprogramm wollte die Stadt nun Anreize für die Bauherren schaffen, auf bisher unbebauten Grundstücken vor allem im Stadtkern, der als Kreis mit einem Radius von drei 45

46

47

48

Der Gemeindetag 29 (1935), S. 17. Im Gemeindetag wurde auf die Möglichkeit zur Information über das Programm in der Geschäftsstelle des DGT hingewiesen (ebenda). Außerdem befinden sich im Akt des Münchner Stadtarchivs, BRW 78/1, Bund 7, Nr. 3, mehrere Anfragen anderer Städte zum Programm, die über den DGT an die Münchner Stadtverwaltung weitergeleitet wurden. Vgl. weiter den Artikel von Steinhäuser, Beseitigung der Baulücken, in: Der Gemeindetag 30 (1936), S. 691-695, demzufolge „letzthin zahlreiche Gemeinden dazu übergegangen [sind], durch Vergünstigungen einen besonderen Anreiz zur Bebauung der vorhandenen Baulücken zu schaffen" (S. 692). Namentlich erwähnt er nur die Stadt Essen. Aus anderer Quelle ist außerdem Nürnberg mit einem dem Münchner sehr ähnlichen Programm (auch seit 1935) bekannt, vgl. Fränkischer Kurier vom 6.8.1935: „Der Ausbau von Baulücken" (StadtAM, BRW 78/1, Bund 7, Nr. 12). Besprechungsmanuskript Fiehlers zum Baulückenprogramm (undatiert), Ende Oktober 1934, StadtAM, BRW 78/1, Bund 7, Nr. 2. Zu dieser Argumentation Steinhäuser, Beseitigung (wie Anm. 46), S. 691.

292

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

bis vier Kilometern um den Marienplatz definiert wurde, Wohngebäude zu errichten und damit auch den störenden Anblick sichtbarer Brandmauern zu beseitigen. Attraktive Angebote mußten freilich auf die finanzielle Seite zielen, und so war die Ausgangsüberlegung dann auch die, bei solchen Baulückenschließungen ganz einfach auf die von der Stadt üblicherweise erhobenen Gebühren zu verzichten. In erster Linie waren das die Baupolizei- und Vermessungsgebühren, die Kosten für die Straßenherstellung und die Anschlüsse an Kanalisation und Wasser, Gas und elektrischen Strom. Der Vorschlag Fiehlers ging aber noch darüber hinaus: Er wollte die Neubauten auf fünf Jahre hinaus auch von den laufenden Versorgungsgebühren für Straßenreinigung, Müllabfuhr, Treppen- und Kellerbeleuchtung, Wasser- und Kanalanschluß befreien49. Es wurde daher ein zweigliedriges Subventionierungsmodell etabliert, nach dem einerseits die einmaligen Gebühren erlassen wurden50 und andererseits die Stadt dem Bauherren einen verlorenen Zuschuß gewährte, der die in fünf Jahren schätzungsweise anfallenden Kosten abdecken sollte. Gerade in der Berechnung dieses Zuschusses steckte eine Portion Willkür, aber auch die jeweilige Gesamthöhe der Vergünstigung fiel je nach Größe und Lage des Projekts sehr unterschiedlich aus. Diskussionen hierüber sollten gar nicht erst aufkommen, deshalb wurde „vorsichtshalber [...] den Bauherrn und der Öffentlichkeit überhaupt (Presse) die Berechnungsgrundlage für den Zuschuss nicht im einzelnen

bekanntgegeben"5 '. Die Stadt engagierte sich also über die Gewährung von Nachlässen hinaus, die natürlich in ihrer Haushaltsrechnung als fehlende Einnahmen zu Buche schlugen, durch die Ausreichung von Barzuschüssen. Das Wohnungsreferat konnte diesen Vergünstigungen übrigens leichten Herzens zustimmen, weil zunächst ausschließlich die städtischen Werke und technischen Ämter gefordert waren, die den Gebührenausfall verkraften

mußten und obendrein einen Fonds zu schaffen hatten, aus dem die baren Zuschüsse entnommen wurden52. Das Entgegenkommen der Stadtverwaltung sollte aber nach Vorstellung der Initiatoren Auswirkungen zeigen, die gerade im Interesse des Wohnungsreferates lagen. Die Kleinwohnungsfrage stand einmal mehr auf der Tagesordnung, weil vor allem solche Bauprojekte Nachlässe erhalten sollten, die auf diesem Sektor einen Fortschritt versprachen. Dabei war dem Oberbürgermeister durchaus gegenwärtig, daß sein Baulückenprogramm vornehmlich dem Geschoßwohnungsbau zugute kommen würde und er damit eigentlich nicht den Weg ging, den das Reich mit seiner Förderung von Kleinsiedlung und Eigenheim vorzeichnete. Fiehler parierte diesen vorhersehbaren Konflikt mit pragmatischen Argumenten. Natürlich sei auch er daran in-

teressiert, möglichst jeden Volksgenossen in einem Eigenheim unterzubringen53; es werde aber „in absehbarer Zeit nicht möglich sein, dieses Fernziel vollkommen durchzuführen, ganz abgesehen davon, daß es in der Stadt München im Umkreis von 3 km 49

50

51 52 53

Fiehler in der Sitzung des Hauptausschusses vom 8.11.1934, MGZ 63 (1934), S. 377-380. An solchen Nachlässen beteiligte sich auch die Bayerische Regierung, indem Siebert als Finanzminister einwilligte, entsprechende Gebühren- und Stempelbefreiungen im Bereich der Landesbehörden zu gewähren (Grundbuchämter etc.), vgl. Entschließung Sieberts vom 30.11.1934 an den Stadtrat München betr. Schließung von Baulücken, BayHStA, MJu 16283. Hauptausschußsitzung (geheim) vom 10.1.1935, StadtAM RP 708/2. Ebenda. Diese Forderung hatte er ja noch in seinem Buch „Nationalsozialistische Gemeindepolitik" er-

hoben, vgl. oben, S. 218.

3.

Wohnungsbaupolitik in der „Hauptstadt der Bewegung"

293

Stadtmittelpunkt aus unmöglich ist Leute nur in Einzelhäusern anzusiedeln". Damit sei auch dem Stadtbild nicht gedient, um dessen Verschönerung es ja schließlich in starkem Maße ginge, „denn es ist wohl ausgeschlossen, daß wir jemals in solchen Baulücken, wo rechts und links ein vierstöckiges Haus steht, dazwischen ein Einfamilienhaus erstellen können"54. Die ästhetische Komponente des Programms stieß auf besonders wohlwollende Aufnahme bei der NSDAP-Stadtratsfraktion, die in der Zeit bis zum Inkrafttreten der Deutschen Gemeindeordnung typisch zunächst über das Projekt beraten und es in den Grundzügen gutgeheißen hatte, bevor der Stadtrat sein offizielles Plazet geben durfte. Bezeichnend war die Bemerkung von Fraktionsführer Christian Weber, daß die städtebauliche Verbesserung in München mehr als anderswo ins Gewicht falle, „weil wir als Kunststadt ganz andere Gesichtspunkte zu vertreten haben als jede andere Stadt"55. Ein Bauprojekt sei in diesem Zusammenhang vorweg kurz hervorgehoben, weil sich die Partei ganz besonders um dessen Förderung bemühte. Es handelte sich um die Baulückenschließung der Firma Stöhr am Rosenheimer Platz in unmittelbarer Nähe zum symbolträchtigen Terrain des Bürgerbräukellers. Schon der Ausbau der Ludwigsbrücke und des Rosenheimer Berges 1935 dienten zu großen Teilen dem Zweck, den Weg für den Traditionsmarsch der „alten Kämpfer" würdiger zu inszenieren, und den Münchner Parteigrößen war daran gelegen, daß auch die Umgebung ein „stattliches Aussehen" präsentierte56. Am Rosenheimer Berg war die Baulücke zwischen der Einmündung der Balan- und der Franziskaner Straße durch Abriß einer Herbergsgruppe entstanden, der für die Vorstädte rechts der Isar typischen ineinander verschachtelten Häuschen, die in den dreißiger Jahren zunehmend nicht mehr als malerische und unbedingt erhaltenswerte Traditionsarchitektur, sondern als baufällige Abrißobjekte klassifiziert wurden57. Hier errichtete die Firma Karl Stöhr jetzt einen neuen dreiteiligen Wohnhausblock mit 29 Kleinwohnungen und erhielt dafür von der Stadt, über die Aufnahme in das Baulückenprogramm hinaus, den Grund zu einem günstigen Preis und ein zusätzliches Baudarlehen58. Schon im Vorfeld bemühte sich die Fraktion immer wieder darum, daß der Vertrag mit Stöhr zustande käme; als es im Sommer 1935 dann soweit war, drängten Fiehler und Weber „zu sofortigem Baubeginn und beschleunigtem Bautempo", damit möglichst bis zum 9. November der Rohbau schon stünde59. Es ist deutlich, wie sehr die Schließung der Baulücke an dieser Stelle für die Partei eine vom

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Prestigeangelegenheit war. Nach dem Anfang 1935 beschlossenen Programm zur Schließung von Baulücken war zunächst die Förderung von etwa 50 Häusern mit je zehn Wohnungen vorgesehen. 54 55

56 57

Hauptausschußsitzung vom 8.11.1934, MGZ 63 (1934), S. 377, 379.

Ebenda, S. 380.

„Das neue Gesicht des Rosenheimer Platzes", in: VB vom 30.11.1935. Zum Problem des Herbergenabbruchs vgl. die verschiedenen Artikel in amt

58

19

79.

StadtAM, Wohnungs-

Vgl. Sitzung der VFB-Beiräte vom 8.8.1935, StadtAM, RP 708/3. Die Firma Stöhr verkaufte das Anwesen Ende des Jahres an die „Gisela"-Versicherung, die der Stadt ihre Vorleistungen zurückerstattete, vgl. Firma Karl Stöhr an das Referat 7, 18.12.1935, StadtAM, WAR 573. die verschiedenen über Vormerkungen Vgl. Fraktionsentscheidungen und besonders Harbers' Vormerkung für die Stadtkämmerei vom 21.10.1935 (hieraus Zitat), ebenda. Der VB meldete am erst 30.11.1935, daß nunmehr der Dachstuhl aufgesetzt worden sei.

294

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

Überraschenderweise ließ der Stadtrat jetzt völlig offen, welcher Art die zu schaffenden Wohnungen sein sollten, und bekundete seine Absicht, daß der Einzelprüfung „ein

grosszügiger Maßstab" zugrunde gelegt würde60. Das stand im Gegensatz zur anfänglichen Planung, in der man die Priorität für Kleinwohnungen noch sehr stark betont hatte. Bei der vorläufigen Beschlußfassung vom 8. November 1934 waren konkret Wohnungstypen zwischen 40 und 75 qm mit zwei bis vier Räumen ins Auge gefaßt worden. Auch sollte nach den Vorstellungen Fiehlers eine Verpflichtung für den Bauherrn ergehen, die erlassenen Kosten in einer entsprechenden Minderung bei der Mietberechnung in Ansatz zu bringen. „Es sollen ja auch billige Wohnungen entstehen."61 Es war ausgerechnet das Wohnungsreferat, das hier für eine liberalere Handhabung eintrat und sie auch durchsetzte, obwohl die Festlegung auf billige Kleinwohnungen im Interesse der sonst vom Referat betriebenen Politik gelegen hätte. Die Erfahrungen mit den Eigentümern bei den von der Stadt während der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre durchgeführten Bauprogrammen hatten das Wohnungsreferat aber gelehrt, daß direkte Interventionen in das Vermietungsgeschäft der Stadt mehr Schwierigkeiten als Erfolge bescherten. Sie wurde dann in Konflikte zwischen Vermietern und Mietern hereingezogen und hatte zudem kaum Möglichkeiten, Verstöße gegen die von ihr aufgestellten Mietpreisgrenzen zu überprüfen und zu ahnden. Auch Bindungen hinsichtlich der Größe und Ausstattung der Wohnungen könnten sich als unzweckmäßig erweisen,

weil rationell-technische Bedingungen es immer noch schwierig machten, reine Kleinwohnungshäuser zu erstellen. Wollten die Bauherren aber Reichsvergünstigungen wie Steuerbefreiungen oder Reichsbürgschaften für den Kleinwohnungsbau in Anspruch nehmen, seien sie ohnehin an bestimmte Auflagen gebunden, so daß es sich von Seiten der Stadt erübrige, hier weitere Einengungen vorzunehmen62. Das Wohnungsreferat schlug daher schließlich vor, „entgegen den vorläufigen Richtlinien des Beschlusses vom 8.11.34, den Bauherren in bezug auf Größe und Ausstattung der Anwesen und Wohnungen und hinsichtlich der Mietpreisbildung absolut freie Hand zu lassen"63. Da die Prüfung des Einzelfalls ja dem Wohnungsreferat vorbehalten war, glaubte Harbers, in individuellen Verhandlungen mit den Bauherren die Interessen der Stadt noch in ausreichendem Maße durchsetzen zu können. Diese Zuversicht erlitt allerdings in der Praxis doch einige Einbußen, denn es zeigte sich, daß längst nicht alle Bauherren gewillt waren, aus dem Baulückenprogramm eine Aktion zur Beseitigung des Kleinwohnungsmangels zu machen, obwohl solches auch über die Presse angemahnt wurde64. Schon die erste Zwischenbilanz, nachdem das Programm noch nicht einmal ein halbes Jahr in Anwendung war, zeigte zwar einen vom Gesamtumfang her recht beachtlichen Erfolg mit 729 genehmigten Wohnungen in 86 Häusern. Gut die Hälfte der Woh60 61 62

63

64

Hauptausschußsitzung vom 10.1.1935, StadtAM, RP 708/2. Hauptausschußsitzung vom 8.11.1934, MGZ 63 (1934), S. 379.

Zur gesamten Argumentation: Vormerkung des Referats 7/3a, Grimm, vom 2.1.1935, bes. S. 1-4, 8-10, StadtAM, BRW 78/1, Bund 7, Nr. 3. Entwurf der Abteilung 7/3a für Harbers' Vortrag in der Fraktionssitzung vom 7.1.1935. Dieser Entwurf wurde allerdings nochmals zugunsten einer anderen Fassung überarbeitet, in der die Wortwahl wesentlich vorsichtiger war und lediglich von einem Zurücktreten der vorläufigen Richtlinien gegenüber „der individuellen Beschlussfassung" die Rede war. Beide Fassungen ebenda. Vgl. z.B. Pressenotiz vom 28.2.1935, StadtAM, BRW 78/2, Bund 7, Nr. 3.

3. Wohnungsbaupolitik in der

„Hauptstadt der Bewegung"

295

Kategorie „Kleinwohnungen" und war häufig parallel im Siebert-Programm gefördert worden. Harbers mußte jedoch feststellen, daß nach dem bisherigen Stand der Bauausführung „die Zahl der wirklich billigen Kleinwohnungen, die vordringlich erforderlich sind, äusserst gering" sei. Die Stadt sei „weitherzig" gewesen, weil ja Wohnungen auch für Bessergestellte, insbesondere die von der Partei beschäftigten Angestellten, benötigt würden. Der Verdruß etwa über die Versicherungsgesell-

nungen fiel auch in die

„nur bessere Leute aus besseren Kreisen" als Mieter haben wollten, war Harbers aber deutlich anzumerken, und er äußerte seine unbedingte Absicht, eine Veränderung dieser Haltung herbeizuführen65. In der Baulückenaktion, das ließ die Bilanz zu Ende des Jahres 1935 erkennen, gelang ihm das nicht. Auch jetzt nahmen die Zahlen sich ganz stattlich aus: 39 genehmigte Projekte mit 152 Häusern und 1 298 Wohnungen. Die dafür erbrachte Leistung der Stadt belief sich nahm man die reinen Nachlässe von 157567 RM und die daneben gewährten Zuschüsse von 113110 RM zusammen auf 270677 RM. Bei geschätzten Gesamtgestehungskosten von 12 700000 RM machte die Förderung der Stadt nur etwas mehr als zwei Prozent aus pro Wohnung im Durchschnitt 209 RM66. Das sieht nach einer außerordentlich günstigen Relation von Aufwand und Ertrag aus; es ist allerdings davon auszugehen, daß viele Bauherren für ohnehin geplante Bauvorhaben die Vergünstigungen der Stadt gerne in Anspruch nahmen, letztere jedoch keineswegs den eigentlichen Anreiz gebildet hatten. Entsprechend waren sie auch kaum bereit, große Zugeständnisse zur Erstellung von Kleinwohnungen zu machen, „da die Hilfe der Stadt den dadurch entstehenden Nachteil bei weitem nicht aufwiege"67. Es wäre zu einfach, das Verhalten der Bauherren mit deren Profitgier zu erklären, vielmehr lag es auch in den Voraussetzungen des Programms begründet. Wenn man Bauförderung im Innenstadtbereich betrieb, konnte man sich angesichts der dort herrschenden Bodenpreise kaum anderes erwarten als die Erstellung von Wohnungen, die entsprechende Rendite über den Mietertrag einbringen würden. Zudem erlaubte der in der Begründung des Programms hervorgehobene Aspekt der Wohnkultur im Grunde nicht den höchsten Grad an Bodenausnützung durch Mietskasernenbebauung: Weniger Wohnungen aber bedeuteten höhere Mieten. Rückgebäude etwa waren von vornherein ausgesprochen abgelehnt worden und kamen tatsächlich bis Ende 1935 nur in drei Fällen zur Genehmigung68. Wenn das Quartier bereits einen gutbürgerlichen Charakter ausgeprägt hatte, war es „gerade bei Baulückenprojekten mit Rücksicht auf die Nachbarhäuser vom ästhetischen Standpunkt nicht vertretbar und auch wirtschaftlich nicht tragbar [...], einfache Kleinwohnungen zu bauen"69. Diese strukturellen Probleme mußten im Einzel-

schaften, die

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Harbers in der Sitzung der Beiräte für Wohnungwesen vom 5.6.1935, StadtAM, RP 708/6. Vgl. Referat 7/3a, Überblick über die Baulückenaktion, 25.11.1935, S. 5, und die als Anlage 9 beigegebene Statistische Übersicht zur Denkschrift von Baurat Grimm „Fortführung des Bauprogramms .Schließung von Baulücken'" vom 28.12.1935, StadtAM, BRW 78/1, Bund 7, Nr. 3. Vormerkung des Referats 7 vom 15.11.1935, ebenda. Vgl. Fiehler in der Sitzung des Hauptausschusses vom 8.11.1934, MGZ 63 (1934), S. 378: „Wir

feststellen, daß wir nicht wollen, daß sich wieder so eng besiedelte Wohnviertel auftun. Rückgebäude müssen deshalb von der Aktion ausgeschlossen sein." Vgl. weiterhin die Statistische Übersicht, Anlage 9 zur Denkschrift Grimm vom 28.12.1935, StadtAM, BRW 78/1, Bund 7, Nr. 3. Vormerkung des Referats 7 vom 15.11.1935, ebenda. müssen auch

III. Baupolitik und Wohnungsfürsorge

296

fall wohl auch die Sachbearbeiter im Referat, die Mitglieder der Fraktion und des Wohnungsausschusses anerkennen, so daß man in der schon im Januar 1935 angekündigten großzügigen Linie verfuhr und zumindest die reinen Nachlässe gewährte, auch wenn das Vorhaben durchaus nicht auf die einfache Arbeiterbevölkerung zugeschnitten war. Auf zusätzliche Barauslagen der Stadt mußte in solchen Fällen allerdings verzichtet werden70, so daß von den 39 insgesamt genehmigten Projekten 21 mehr als die Hälfte keinen Barzuschuß erhielten, also nur als begrenzt förderungswürdig galten. Betrachtet man die Adressen, so vermag das nicht zu erstaunen, waren darunter doch sogar Villenquartiere wie Bogenhausen oder andere wegen ihrer Nähe zum Stadtzentrum attraktive Lagen in Schwabing und Neuhausen, die bei durchmischter Sozialstruktur durchaus auch bessergestellte Schichten anzogen71. In der Bilanz Ende 1935 wurden von den fast 1 300 geförderten Wohnungen 725 als „billige Kleinwohnungen" ausgewiesen, ohne daß diese Kategorie genauer definiert wurde. Es dürfte sich wohl um Wohnungen mit nicht mehr als drei Zimmern (bis 60 qm) gehandelt haben. Im gemeinnützigen Wohnungswesen betrachtete man um diese Zeit Mietsätze zwischen 70 und höchstens 80 Pfennig pro qm als erschwinglich für die niederen Einkommensgruppen72. In das untere Ende eines solchen Spektrums fiel von den hier genannten „billigen Kleinwohnungen" lediglich eine Anlage mit 92 Wohnungen in Laim, die sowohl von ihrer Größenordnung als auch Entfernung von der Stadtmitte her kaum als typisches Baulückenprojekt gelten konnte. Hier sollten die Mieten bei 72 Pfennig pro qm liegen, wobei der zuständige Sachbearbeiter von vornherein anmerkte, man könne kaum damit rechnen, „dass dieser ausserordentlich niedrige Satz tatsächlich erzielt werden kann"73. Im Durchschnitt erreichten die Mietpreise der „billigen Kleinwohnungen" im Programm 80 Pfennig pro qm, das war immerhin noch einiges günstiger als in der gesamten Baulückenaktion, die im Mittel einen Mietsatz von 92 Pfennig aufwies74. Von einer mindestens teilweisen Fehlallokation öffentlicher Mittel war für den Fall auszugehen, daß „die Schaffung billiger Volkswohnungen" hier das oberste Ziel gewesen sein sollte75. Das konnte man relativieren wie Harbers und Fiehler es sehr schnell taten76 oder aber bejahen, und dann mußte das Fazit ent-

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Die strenge Scheidung nach „reinen Nachlässen" und Nachlässen im weiteren Sinn, die für die Stadt mit Barauslagen verbunden waren, wurde durch Entscheid des OB vom 5.6.1935 getroffen, in dem auch eine grundsätzliche Fortführung des Programms gestattet wurde. Vgl. zur genaueren Definition dieser Kategorien und ihrer Anwendung: Beiräte für das Wohnungswesen vom

29.10.1935, StadtAM, RP 708/6.

Vgl. Statistische Übersicht, Anlage 9 zur Denkschrift Grimms vom 28.12.1935, StadtAM, BRW 78/1, Bund 7, Nr. 3.

Vgl. unten, S. 307, Anm. 125. Vorlage des Referats 7/3a für die

Beiräte für Wohnungswesen, 29.10.1935, StadtAM, BRW 78/1, Bund 7, Nr. 3. Errechnet aus Statistischer Übersicht, Anlage 9 zur Denkschrift Grimms vom 28.12.1935, ebenda. Die Werte sind nicht völlig zuverlässig, weil für einige Projekte noch gar keine Miethöhen feststanden und sich bei etlichen Vorhaben der tatsächliche Mietpreis gegenüber den zuvor gemachten Angaben noch erheblich in der Regel wohl nach oben verändert haben mag. So Referat 7/3a, Überblick über die Baulückenaktion, 25.11.1935, S. 6, ebenda. Harbers und Fiehler zeigten in ihrem Bestreben, die Aktion möglichst zu einem Erfolg in der privaten Bauwirtschaft zu machen, schon früh Bereitschaft, bei dem ursprünglich hervorgehobenen Ziel der Kleinwohnungserstellung Abstriche zu machen, vgl. z.B. Sitzung des Wohnungsausschusses vom 23.1.1935, StadtAM, RP 708/6. Fiehler: „Zu kleinlich dürfen wir auch -

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3.

Wohnungsbaupolitik in der „Hauptstadt der Bewegung"

297

sprechend ausfallen: „Die Bestrebungen der privaten Bauwirtschaft tragen dem öffentlichen Interesse wenig Rechnung. Die erstellten Wohnungen kommen für die breiten Bevölkerungsschichten, die unter der Wohnungsnot am meisten zu leiden haben, nicht in Betracht. Die öffentlichen Mittel sind daher vielfach nicht an richtiger Stelle einge-

worden."77 Diese Ansicht aus Harbers' Dienststelle ließ dann natürlich fragen, ob und in welcher Weise das Programm überhaupt noch fortgeführt werden sollte. Ausgerechnet Baurat Grimm, der sich ein Jahr zuvor noch für eine liberale Handhabung des Programms ausgesprochen hatte, schwenkte angesichts der gewonnenen Erfahrungen jetzt auf einen rigiden Kurs ein. Sein Vorschlag lautete, von Zuschüssen auf Darlehen (nach den Modalitäten der Kleinsiedlungs- und Volkswohnungsdarlehen) umzustellen, die dann für jede erbaute Wohnung im Programm in gleicher Höhe (700 RM) zu gewähren seien. Damit würde der Anreiz zum Bau von Kleinwohnungen verstärkt, weil mehr Wohnungen in einem Haus auch mehr Darlehen einbrächten, außerdem sei eine einheitlichere und damit auch rationellere Verfahrensabwicklung gewährleistet78. Tatsächlich war es für die Behörde bisher ein Problem, daß die Zuschüsse jeweils individuell und recht umständlich unter Einbeziehung mehrerer Stellen berechnet werden mußten79. Im Darlehensverfahren sollte nach Grimms Vorstellungen auch ein wesentlich strengerer Maßstab als bisher gelten: Das heißt, vorrangig sollten nur noch wirkliche Baulückenschließungen, bei denen jeweils die sichtbaren Brandmauern verschwänden, gefördert werden. Auch Kleinwohnungsbauvorhaben, die das Kriterium einer echten Baulücke nicht erfüllten, könnten weiterhin berücksichtigt werden, aber nur sofern die Monatsmieten 40 RM nicht überstiegen. Der hier vorgelegte Plan hätte also auf eine wesentlich enger umgrenzte, damit im Einzelfall aber auch höhere Förderung gezielt. Er stand deutlich im Gegensatz zur bisher geübten Praxis, das Baulückenprogramm auf alle möglichen Bauvorhaben auszudehnen und oft nur wenige Nachlässe zu gewähren. Auf diese Weise ließen sich die Mittel aber so strecken, daß statt der ursprünglich vorgesehenen 500 Wohnungen zu Ende des Jahres 1935 eine Bilanz von 1 300 geförderten Wohnungen aufgemacht werden konnte80. Grimm fand kein Gehör, in mancher Hinsicht entwickelte sich das Programm sogar in entgegengesetzter Richtung zu seinen Wünschen. Statt der vorgeschlagenen einheitlichen Darlehensgewährung blieb es beim Nachlaß- und Zuschußverfahren, das zwar umständlicher sein mochte, aber doch recht mäßige Belastungen auf die unterschiedlichen Werke verteilte und von daher leichter zu verkraften war als hohe Entnahmen aus dem ständig überstrapazierten Wohnungsfürsorgeetat. Auch Grimms Differenzierung in „echte" Baulücken einerseits und Kleinwohnungsbauten andererseits wurde in dieser Konkretion nicht übernommen. In recht schwammiger Begrifflichkeit galten als besonsetzt

nicht sein. Sollen wir die Leute auf der Strasse lassen, oder in Wohnungen hineinsetzen, deren Herstellung wir nicht zahlen brauchen?" Und Harbers setzte hinzu: „Wenn wir bauen, müssen wir schärfer sein, aber wenn wir die Dinge geschenkt bekommen, können wir durch die Finger schauen." (Hervorhebung im Text) Referat 7/3a, Überblick über die Baulückenaktion, 25.11.1935, S. 6, StadtAM, BRW 78/1, Bund 7, Nr. 3. Denkschrift Grimms vom 28.12.1935, bes. S. 17-25, ebenda, auch für das Folgende. Dazu Referat 7/3a, Überblick über die Baulückenaktion, 25.11.1935, S. 6, ebenda. Vgl. Harbers in der Sitzung der VFB-Beiräte vom 23.1.1936, StadtAM, RP 709/2.

298

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

ders förderungswürdig künftig „Kleinwohnungsbauten einschliesslich Wohnungen für Kinderreiche mit etwas grösseren Wohnflächen mit verhältnismässig niedrigen Mieten und günstigen Herstellungsvoraussetzungen". Bemerkenswert aber war, daß solche Bauprojekte jetzt an erste Stelle rückten, während „Bauvorhaben in Baulücken mit nicht übersetzten Bodenpreisen, bei denen bereits hergestellte Strassen einschliesslich Versorgungsleitungen vorwiegend vorhanden [sind] und gleichzeitig städtebauliche Verbesserungen erzielt werden", ganz im Gegensatz zu den Vorschlägen des Baurats nur noch an zweiter Stelle rangierten. Aus dem Baulückenprogramm wurde eine Aktion, die unter dem Motto „Erleichterungen für den Volkswohnungsbau" stand81. Als solche wurde sie seit dem Rechnungsjahr 1937 bis in den Krieg hinein fortgeführt, auch wenn der zuvor eingebürgerte Name weiterhin gebraucht wurde. In seinem neuen Gewand war das alte Baulückenprogramm bestens geeignet, den auch in München spürbaren Übergang zum Volkswohnungsbau abzustützen, und hierauf beruhte wohl auch seine Zählebigkeit. Die Bauprojekte der städtischen und anderen gemeinnützigen Gesellschaften auf dem Kleinwohnungssektor wurden nun zu großen Teilen auch in diese Förderungsschiene integriert. So konnten von den 1 593 im Rechnungsjahr 1937 durch das Programm geförderten Wohnungen 1 486 oder über 90 Prozent als „billige Kleinwohnungen" bezeichnet werden, im darauffolgenden Jahr waren es 2 953 von 3 804, also auch noch fast 80 Prozent82. Wohnungspolitisch konnte das sicher als Erfolg gelten, ebenso deutlich ist aber, daß die ursprüngliche ästhetisch-städtebauliche Komponente weitgehend zurückgetreten war. Auch der Anteil der Privatwirtschaft, der Versicherungsgesellschaften, Bauunternehmungen und anderen privaten Träger, ging erheblich zurück, während es jetzt vor allem die gemeinnützigen Gesellschaften waren, die die Zuschüsse zusätzlich zu anderen Fördermitteln in Anspruch nahmen83. Entsprechend deutlich klafften die Mieten auseinander: Während zum Beispiel in den „Baulückenprojekten" der Gemeinnützigen 1937 die Mieten zwischen 70 und 90 Pfennig pro qm rangierten (mit Ausnahme der etwas teuereren, für Angestellte gedachten Heimag-Bauten), mußten die Privaten im allgemeinen mehr als 1 RM kalkulieren84. Die Feststellung scheint nicht übertrieben, daß das Programm seine konstituierenden Motive weitgehend hinter sich gelassen hatte. Die Mobilisierung der Privatwirtschaft zugunsten der Stadtbildverbesserung einerseits und des Kleinwohnungsbaus andererseits bildete nicht mehr den Kern der Förderungsabsichten, sondern das Angebot an die Träger des Volkswohnungsbaus, hier eine zusätzliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das Programm erwies sich in dieser neuen Form als vielseitig und recht beliebig für die jeweiligen Förderungsziele der Stadt anwendbar. Als 1939 der Ersatzwohnungsbau für die im Zuge der Umgestaltung zur „Hauptstadt der Bewegung" abgeris81

82

83

84

Alle Zitate

aus Harbers' Vortrag in der Sitzung der VFB-Beiräte vom 23.1.1936, wo der grundsätzliche Beschluß zur Weiterführung des Programms gefällt wurde, ebenda. Statistiken des Wohnungsreferates in: StadtAM, BRW 78/1, Bund 7, Nr. 6. So gingen von den 1593 im Jahr 1937 genehmigten Anträgen allein 942 auf das Konto der großen, von der Stadt dominierten Wohnungsbaugesellschaften Gewofag und Heimag (alle diese Wohnungen waren „billige Kleinwohnungen"), 399 weitere Anträge waren von Baugenossenschaften und anderen gemeinnützigen Bauvereinigungen gestellt worden, der Rest von 252 verteilte sich auf die Privatwirtschaft, Versicherungen und die Städt. Sparkasse. Statistik des Wohnungsreferates für das Rechnungsjahr 1937, ebenda.

Ebenda.

3.

senen

Gebäude

zu

299

Wohnungsbaupolitik in der „Hauptstadt der Bewegung" einem Schlüsselthema

wurde, waren es diese Bauvorhaben, die das

Baulückenprogramm dominierten und den sozialen Wohnungsbau für die minderbemittelten Bevölkerungsschichten in den Hintergrund drängten85. Mit der Förderung des Ersatzwohnungsbaus, der häufig in Form von Trabantensiedlungen städtebauliche

Funktionen vor allem am Stadtrand und an den Ausfallstraßen übernehmen sollte, trug das Programm nur noch im übertragenen Sinn zur Schließung von Lücken bei, die im Wohnungsbestand der Stadt klafften86. Nicht nur im Baulückenprogramm, sondern generell im Wohnungswesen holten die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen 1937/38 den Vorsprung auf, den sich die privaten Bauherren aufgrund der Leitideen der nationalsozialistischen Wohnungspolitik zunächst ausgebaut hatten. Sofern die in den zwanziger Jahren aufgeblühten gemeinnützigen Baugenossenschaften und -gesellschaften den Winter der Weltwirtschaftskrise und der Machtergreifungsphase überdauert hatten, erlebten sie jetzt einen zweiten, durch den Kriegsbeginn allerdings kurzen Frühling im Zeichen des „Arbeiterwohnstättenbaus".

Gewofag und das Kleinwohnungsbauprogramm der Stadt München Obwohl die Baugenossenschaften zahlenmäßig auch im „Dritten Reich" die bei weitem größte Rolle im bayerischen gemeinnützigen Wohnungswesen spielten, gab es daneben eine Tendenz zum Ausbau städtischer Wohnungsgesellschaften, „denen eben besondere Vergünstigungen der Gemeinden zuteil" wurden87. Was hier als „Vergünstigungen" bezeichnet wird, bedeutete aber zumindest in München, daß die Stadt nicht nur Kapital in die Gesellschaften einbrachte, sondern sie mit besonderen Bauaufgaben betraute und sie ihrer politischen Führung unterwarf. Seit Mitte der dreißiger Jahre bediente sich das Münchner Wohnungsreferat vor allem zweier Gesellschaften: der Gemeinnützigen Wohnungsfürsorge A.G. München (Gewofag), der die Hauptlast des 1935 initiierten Kleinwohnungsbauprogramms aufgebürdet wurde, und der Gemeinnützigen Wohnstätten- und Siedlungsgesellschaft m.b.H. (GWG), die zur Trägerin der KleinsiedlungsDie

und

Volkswohnungspolitik der Stadt wurde. Neben diesen beiden Standbeinen ist als

ergänzende Stütze die Heimag zu erwähnen, bei der die Stadt wie dargestellt das Projekt der „Alte-Kämpfer-Siedlung" stärker involviert wurde88. -

85

86

Von 1798

Wohnungen in den Anträgen des Jahres

1939

figurierten nur 686 als „billige Klein-

wohnungen", während für die anderen Mieten über 1 RM pro qm kennzeichnend waren. Bis auf 80 Volkswohnungen einer gemeinnützigen Baugesellschaft waren alle anderen als Ersatzwohnungsbauten ausgewiesen. Statistik des Dezernats 7 für das Rechnungsjahr 1939, ebenda. Bezeichnend dafür ist etwa die Aufnahme der Randbebauung Forstenrieder Straße in das Probei der im

Münchner Süden mehrere hundert Wohnungen in langen Blöcken für ein zahlungskräftiges Publikum entstanden, das sich Mieten von 1,21 RM pro qm leisten konnte. Hemmer, Wohnungsbau und Repräsentation, bes. S. 38. 1938 machten die Baugenossenschaften weiterhin über 90% 444 von 487 der bayerischen Wohnungsunternehmen aus, gegenüber 1934 hatten sich die GmbHs aber verdoppelt von 14 auf 28. Als Aktiengesellschaften wurden wie bisher die drei Münchner Gesellschaften Gewofag, Heimag und die Münchener Wohnungsfürsorge AG gezählt. Verband bayerischer Wohnungsunternehmen (Baugenossenschaften und -Gesellschaften) e.V., Verbandstag 1938, S. 34, 35 (Zitat), BayHStA, MF 68115. Zu den Zahlen für 1934 vgl. oben, S. 159. Von Harbers wurde das „Dreigestirn" städtischer Wohnungspolitik wie folgt beschrieben: „Die Gewofag wird für den gemeindlichen Mietwohnungsbau eingeschaltet werden. Die Heimag gramm,

87

-

-

-

88

über -

300

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

Als die Gewofag um die es hier zunächst gehen soll 1928 gegründet wurde, glauballem die BVP-Politiker, die Stadt vor einem zu weitgehenden und unmittelbaren Engagement in einer Wohnungsgesellschaft schützen zu müssen. Obwohl sie daher nicht direkt als Aktionärin beteiligt wurde, gab es doch unleugbar eine enge Verbindung der Stadt mit der Gesellschaft, weil sie im Aufsichtsrat vertreten war, weil sie das Unternehmen mit Bauaufträgen im öffentlichen Interesse versorgte, hohe Zuschußleistungen und noch höhere Bürgschaftsverpflichtungen trug und weil sie sich eine Anwartschaft auf den späteren Erwerb der Gesellschaft vorbehalten hatte. Auf diese Option war Karl Preis besonders stolz, hatte er doch gedacht, daß die Stadt die Gesellschaft zu einer Zeit, da die Hypotheken weitgehend getilgt und die Häuser und Grundstücke damit schuldenfrei wären, übernehmen und auf diese Weise „ein Vermögen von schätzungsweise mindestens 50-60 Millionen RM der Allgemeinheit zuführen" könne89. Dieser erfreulichen Vision kam die unerfreuliche Realität der Weltwirtschaftskrise zuvor, die die Gewofag an den Rande des Konkurses führte, so daß hier kein blühendes, sondern ein ziemlich marodes Unternehmen zur Disposition stand90. Unter Führung des Wohnungsreferates entschied sich der nationalsozialistische Stadtrat dennoch für eine Mehrheitsbeteiligung an der Gesellschaft. Dafür waren zwei Gründe ausschlaggebend: Wollte die Stadt nicht riskieren, bei einem Konkurs tatsächlich als Bürge in Anspruch genommen zu werden und zudem vor der Öffentlichkeit die politische Verantwortung für das Scheitern dieser mit dem städtischen Wohnungsbauprogramm so weitgehend identifizierten Gesellschaft übernehmen zu müssen, blieb ihr nichts anderes übrig, als für die Sanierung geradezustehen91. Die dafür nötigen finanziellen Opfer sollten wenigstens teilweise durch die Übertragung von Aktienkapital ausgeglichen werden. Doch schon bevor das wirtschaftliche Desaster der Gewofag und die notwendige Hilfeleistung in vollem Umfang bekannt waren, machte sich Harbers für eine Einflußsteigerung der Stadt stark. Er wollte und das war der zweite Grund für die spätere Mehrheitsbeteiligung an der Gesellschaft nicht nur für den Kurs der Gewofag haftbar gemacht werden, sondern ihn tatsächlich auch bestimmen92. Die finanziellen Belastungen aus der Vergangenheit waren die eine Seite, die andere war die künftige Rolle der Gesellschaft in der Münchner Wohnungspolitik. Ob Harbers bereits 1933 ein konkretes Neubauprogramm unter Beteiligung der Gewofag vor Augen hatte, mag dahingestellt bleiben, mit Sicherheit erschien es ihm aber damals schon nützlich, sich hier ein Instrument seiner Politik zu schaffen. Zunächst ging es ihm daher um eine noch stärkere Berücksichtigung der Stadt im Aufsichtsrat. Bei der Gründung 1928 waren fünf der ursprünglich 14 Mitglieder des -

-

ten vor

-

-

widmet sich allem, was nicht Volkswohnungen und nicht Mietwohnungsbau betrifft, also insbesondere dem Einfamilienhausbau. [...] Die G.W.G. wird sich fast ausschließlich mit dem

Volkswohnungsbau

89

90 91

92

zu

befassen haben." Harbers in der

21.10.1935, StadtAM, WAR 1093.

Preis, Kurzer Abriß, S.

GWG-Aufsichtsratssitzung

vom

16.

Vgl. oben, S. 184. Vgl. Harbers in der Sitzung des Wohnungsausschusses vom 27.3.1935: „Die Gesellschaft müßte also den Konkurs anmelden, [...] dieser Konkurs muss jedoch wegen der Bürgschaftsverpflichtung der Stadt und aus Prestigegründen vermieden werden. Die Stadtgemeinde muss also die Gesellschaft sanieren." StadtAM, RP 708/6. Das kann man gut in seinen Äußerungen direkt und zwischen den Zeilen schußsitzung vom 14.6.1933 lesen, StadtAM, RP 706/3. -

in der -

Hauptaus-

3.

Wohnungsbaupolitik in der „Hauptstadt der Bewegung"

301

Aufsichtsrates von Stadtverwaltung und Stadtrat entsandt worden, einschließlich des Vorsitzenden Karl Preis, der sich aber schon im Dezember 1932 entschloß, den Vorsitz an Kommerzienrat Rudolf Rosa abzutreten93. Im Jahr 1932 stand generell die Überlegung an, die Beteiligung der Stadt an der Gesellschaft zu reduzieren und die Stadträte und städtischen Beamten ganz aus dem Aufsichtsrat abzuberufen, „da die Gesellschaft ihre Aufgabe erfüllt hat und sie unbeschadet ihres gemeinnützigen Charakters immer-

hin privatwirtschaftlich organisiert ist"94. Nach der Übernahme des Wohnungsreferates durch Guido Harbers wurde bald deutlich, daß seine Gedanken in entgegengesetzte Richtung liefen. Gerade der privatwirtschaftliche Charakter des Unternehmens mißfiel ihm, und beim Aufsichtsrat wollte er zunächst den Hebel ansetzen, um Änderungen in seinem Sinn herbeizuführen, die aber auch noch sehr viel weiter gehen konnten: „wir möchten einen direkten Einfluss auf die Auswahl der Organe gewinnen"95. Bei der Sitzung am 14. Juni 1933, als Harbers mit seinen Plänen an den Hauptausschuß herantrat, ging er noch davon aus, daß er nur versuchen könne, die Generalversammlung der Gesellschaft mit mehr oder minder sanftem Druck zu überreden, seine Wunschkandidaten für den Aufsichtsrat zu wählen. Einen Monat später lag bereits das Reichsgesetz über die „Sicherung der Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen" vor, das der zuständigen Behörde, in diesem Fall der Stadt München, unter anderem die Möglichkeit einräumte,

„erforderlichenfalls Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer, Prokuristen und Mitglieder des Aufsichtsrats oder des Verwaltungsrats abzuberufen" und entsprechende Neubesetzungen vorzunehmen96. Für die Gewofag führten die Ambitionen der nationalsozialistischen Stadtverwaltung dazu, daß im f 933 neugebildeten Aufsichtsrat von insgesamt 17 Personen allein neun Vertreter der Stadt saßen. Nahm man den Vertreter der städtischen Wohnungsgesellschaft GWG, Baudirektor Ferdinand Schels, dazu, waren es sogar zehn, also eine satte absolute Mehrheit. Die beteiligten Wirtschaftsunternehmen und Banken mußten sich mit zusammen sechs Aufsichtsräten (Rudolf Rosa als Vorsitzender, Friedrich Döhlemann, Karl von Halt, Wilhelm von Thelemann als Vertreter der Banken, Leonhard Moll und Adolf Stöhr als Vertreter der Bauunternehmen) begnügen. Auch der bayerische Staat war durch eine Person repräsentiert, sinnfälligerweise den Staatskommissar Gustav Biechteler, der als „Beauftragter im Staatsministerium für Wirtschaft, Abteilung für Arbeit und Fürsorge, für die Gleichschaltung von Wohnungsunternehmen" fungierte. Karl Preis, der Gründungsvater der Gesellschaft, mußte auch aus diesem Gremium ausscheiden; die Nationalsozialisten verfolgten ihn sogar mit einen Dienststrafverfahren, das seine Tätigkeit für die Gewofag betraf und erst 1939 eingestellt wurde97. In der Gesellschaft war die Stadt fortan nicht mehr durch den Wohnungsreferenten, dafür aber durch mehrere ehrenamtliche Stadträte (Max Reinhard, Franz X. Schwarz, Paul Troost, Hans Zöberlein) und stärker noch durch berufsmäßige Bauräte und Verwaltungsbeamte (Fritz Beblo, Karl Meitinger, Christian Müller, Hans Schein, Anton Troll) vertreten98. Die Zusammensetzung des Aufsichtsrates änderte sich 93 94 95 96

97

98

Gewofag, Kurzer Abriss, S. 3lf. Ebenda, S. 32.

Harbers in der Hauptausschußsitzung vom 14.6.1933, StadtAM, RP 706/3. Gesetz vom 14.7.1933, abgedruckt in: ZWB 31 (1933), S. 58f. Der Stadtrat München war Anerkennungs- oder Überprüfungsbehörde im Sinne des Gesetzes. Hanko, Kommunalpolitik, S. 367. Gewofag, Geschäftsbericht 1933, S. 2, 7. Zu Biechteler vgl. ZWB 31 (1933), S. 35.

302

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

folgenden Jahren freilich häufiger nicht zuletzt durch Rücktritte und Neuberufungen von Gemeinderäten -, aber an der Dominanz der Stadt im Gremium wurde festgehalten, sie intensivierte sich in den folgenden Jahren sogar noch99. Für den Wohnungsreferenten ergab sich trotzdem die Schwierigkeit, daß er immer nur indirekt in die Belange der Gesellschaft hineinregieren konnte und die von der Stadt entsandten Aufsichtsratsmitglieder im Laufe der Zeit ihre eigenen Vorstellungen von der Behandlung mancher Sachfrage entwickelten. Harbers fürchtete daher, einerseits übergangen zu werden, andererseits die politische Verantwortung übernehmen zu müssen, und überredete Fiehler schließlich, die Vertreter bei der Gewofag schärfer an die Kandare zu nehmen und sie daran zu erinnern, daß sie sich im Sinne der Deutschen Gemeindeordnung (DGO) als weisungsgebunden betrachten mußten100.

in den

-

Obwohl die Nationalsozialisten soviel Mühe darauf verwandten, den Aufsichtsrat zu besetzen, verzichteten sie letztlich darauf, auch den Vorstand Adolf Merkl auszuwechseln. Zwar gab es ganz eindeutige Forderungen im Wohnungsausschuß, den Direktor im Zusammenhang mit der Sanierung der Gesellschaft abzulösen. Den Nationalsozialisten galt der ehemalige städtische Beamte als Vertrauter von Karl Preis und eher unbequemes Element „er ist vielleicht zu tüchtig auf manchen Gebieten" -, offensichtlich gelang es aber nicht, ihn adäquat zu ersetzen101. Harbers schwang sich schließlich, obwohl auch er Merkls Entlassung aus dem Posten zunächst fest einkalkuliert hatte, ganz zu einem Verteidiger des Vorstands auf. Dabei spielte die Hauptrolle wohl, daß Kräfte aus dem bayerischen Wirtschaftsministerium und der Partei glaubten, die Sache einfach auf ihre Art lösen zu können, und diese Interventionen weckten den Widerspruchsgeist des Referenten102. Die Personalpolitik in der Gesellschaft betrachtete er als Angelegenheit der Stadt, und an dieser Position wollte er in jedem Fall festhalten, damit eben auch am amtierenden Vorstand. Auf Fiehlers Solidarität konnte er in einem solchen Fall rechnen, denn hier ging es nicht mehr nur um eine Person, sondern um die Behauptung der städtischen Autonomie in Personalangelegenheiten. Im Grunde waren es die Kämpfe, die schon im Entstehungsprozeß der DGO ausgefochten worden waren, und weder Harbers noch Fiehler waren bereit, sich das mühganz in ihrem Sinne

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1935 waren von den jetzt nur noch zwölf Aufsichtsratsmitgliedern acht von der Stadt; den Vorsitz im Gremium übernahm ab 18.8.1935 der Ratsherr Josef Groß, der ihn auch für die kommenden Jahre behalten sollte. Vgl. Gewofag, Geschäftsbericht 1935, S. 2, 11. Für die Stadt rechtfertigte sich ihre weitere Expansion im Aufsichtsrat mit der Übernahme der Hauptanteile am Aktienkapital, die weiter unten in diesem Abschnitt dargestellt wird. Vgl. Sitzung der Beiräte für Wohnungswesen vom 5.6.1935, StadtAM, RP 708/6. Zur Diskussion um Merkl (einschl. des Zitats von Harbers): Wohnungsausschußsitzung vom 27.3.1935, StadtAM, RP 708/6. Obwohl Harbers die Entlassung Merkls aus dem Vorstandsposten eindeutig ins Auge faßte und ihn eventuell in den städtischen Dienst zurückholen wollte, äußerte er auch hier schon: „Merkl ist an sich ein tüchtiger Leiter der Gesellschaft gewesen und man kann nicht ohne weiteres sagen, er ist uns nicht genehm und muß daher weg, denn sonst sitzen wir mit der Gesellschaft mit ihrer riesigen Verantwortung und ihren Riesenaufgaben da und haben für ihn keinen richtigen Ersatz." Neben den in der Sitzung der Beiräte für Wohnungswesen vom 15.5.1935 (StadtAM, RP 708/6) diskutierten Interventionen zum Fall Merkl vgl. die gegen den Direktor gerichtete Eingabe des Kampfbunds der Deutschen Architekten und Ingenieure, Ortsgruppe Groß-München, an Guido Harbers, 3.5.1933, auf die Harbers sich auf das Dienstgeheimnis berufend gleichfalls schon sehr distanziert reagiert hatte, Harbers an den Kampfbund, 10.6.1933, StadtAM, BRB 83/2, 7. -

-

3.

Wohnungsbaupolitik in der „Hauptstadt der Bewegung"

303

erkämpfte Terrain unter der Hand wieder abkaufen zu lassen103. „Wenn solche Dineinreissen", konstatierte der Wohnungsreferent, „kann sich keiner von uns mehr halten."104 Obwohl die genauen Vorgänge im Dunkeln liegen, steht jedenfalls vom Ergebnis her fest, daß Merkl angesichts dieser Rückendeckung im Amt blieb. Es mußte ihm freilich nur allzu bewußt sein, wie prekär seine Stellung war und wie schnell ihm jederzeit eine Entmachtung drohen konnte.

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ge einmal

Parallel zu den Vorstößen der Stadt, sich die Organe der Gesellschaft unterzuordnen, liefen die Maßnahmen zur wirtschaftlichen Sanierung, die gleichzeitig auch eine städtische Übernahme bedeuten sollten. Ein Bericht des Städtischen Revisionsamtes Mitte 1934 stellte eine berichtigte Bilanz für das Geschäftsjahr 1933 auf, die einen Verlust von 2,2 Millionen RM konstatierte. Selbst nach Verwendung aller verfügbaren Reserven und Rückstellungen bliebe noch ein Verlust von 2,08 Millionen RM, dem ein Aktienkapital von lediglich 500 000 RM gegenüberstünde, so daß man einer Überschuldung von 1,58 Millionen RM ins Auge sehen müsse: „Wenn die Gesellschaft bestehen bleiben soll, kann der Konkurs nur durch eine Sanierung abgewendet werden."105 Zunächst war es aber an der Gesellschaft selbst, reinen Tisch zu machen und ihre Bücher zu überprüfen. Das Ergebnis übertraf noch die Befürchtungen, denn als die Gewofag ihre korrigierte Bilanz für das Geschäftsjahr 1933 aufmachte, da war der Verlust schon auf über drei Millionen RM angewachsen, weil sie über den Ansatz des Revisionsamtes hinaus auch die Wertminderungen ihres Verwaltungsgebäudes, der Zentralwäscherei und der unbebauten Grundstücke berücksichtigt hatte106. Interessanterweise konstatierte das Revisionsamt, das in seine Prüfung auch eine Rentabilitätsberechnung für die künftige Geschäftstätigkeit der Gesellschaft einschloß, daß die Sonderbauprogrammbauten als einziger Vermögensposten der Gesellschaft rentabel waren und Überschüsse erwirtschafteten107. Die Gewofag genoß unter den Bauherren der Sonderbauprogramme einen bevorzugten Status. Bei ihr lag der gemeindlichen Zuschußleistung nicht nur eine höhere Verwaltungskostenpauschale zugrunde 30 Prozent der Friedensmiete statt 20 Prozent -, sie hatte 1932 die Zinssenkungen auch in entsprechende Mietsenkungen umsetzen können, so daß ihre Wohnungen im Vergleich deutlich attraktiver blieben108. Vor -

In der DGO wurde die ausschließliche Zuständigkeit des Bürgermeisters für die Führung der Verwaltung festgeschrieben, während die Parteibeauftragten nur an der Besetzung der Leitungspositionen (Bürgermeister, Beigeordnete, Gemeinderäte) mitwirkten. Vgl. Die Deutsche Gemeindeordnung, in: Der Gemeindetag 29 (1935), S. 61-72, bes. 72. Und Fiehler pflichtete ihm bei: „Die Beamten, die wir haben wollen, bestimmen wir und nicht das Ministerium. Dafür ist die Gemeindeordnung gut." Für die gesamte Debatte: Sitzung der Beiräte für Wohnungswesen vom 15.5.1935, StadtAM, RP 708/6. „Bericht des städt. Revisionsamtes München über die Prüfung der Bilanz und der Gewinnund Verlustrechnung der Gemeinnützigen Wohnungsfürsorge A.G. München zum 31. XII.

1933", S.

135-139 (Zitat), StadtAM, WAR 1. Der ausführliche Bericht des Revisionsamtes dienallem der Korrektur der zunächst von der Gesellschaft vorgelegten Bilanz, die noch mit einem buchmäßigen Gewinn von 5 500 RM abgeschlossen hatte. Vgl. zur Forderung des Stadtrates nach einer den realen Verhältnissen entsprechenden Bilanzberichtigung der Gewofag und zur ins Auge gefaßten neuen Aktienverteilung: Hauptausschußsitzung vom 13.12.1934, StadtAM, RP 707/4. Zur bereinigten Bilanz für 1933 außerdem Gewofag, Geschäftsbericht für 1933, S. 5-10. Bericht Revisionsamt zum 31.12.1933, S. 150f., StadtAM, WAR 1. Während den anderen Sonderbauprogramm-Bauherren nicht gestattet wurde, die durch die vierte Notverordnung vom 8.12.1931 ermöglichten Mietsenkungen durchzuführen, konnte die te vor

304

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

der Krise konnte das die Gesellschaft freilich nicht bewahren, weil dafür ihre im ordentlichen Bauprogramm erstellte Siedlung Friedenheim Verluste einfuhr, weil ihre Verwaltungs- und Versorgungseinrichtungen unrentabel waren und weil ihre unbebauten Grundstücke laufend hohe Kosten ohne entsprechende Einnahmen verursachten. Auch die bessere Bilanz für die Sonderbauprogrammanwesen wurde nur durch außerordentlich hohe Zinszuschüsse der Stadt ermöglicht: Nach der Feststellung des Revisionsamtes betrugen sie 1933 pro qm Wohnfläche im Monat durchschnittlich 82 Pfennig, das war fast ebensoviel, wie die Gesellschaft an Mieteinnahmen pro qm verbuchen konnte109. Bis die finanziellen Verhältnisse der Gewofag nach der „Machtergreifung" so weit geklärt waren, daß die Stadt erstens zur Bereinigung schreiten und zweitens die Gesellschaft für neue Aufgaben aktivieren konnte, vergingen zwei Jahre. Im März 1935 wurden die Grundzüge der Sanierung festgelegt, die so aussahen, daß die Stadt einerseits auf die Rückforderung von Darlehen aus eigenen Mitteln teilweise verzichtete, andererseits ihre Bürgschaft für die im Ausland aufgenommenen Kredite in eine Eigenschuld umwandelte und so in die Verpflichtungen der Gesellschaft eintrat. Weitere Sonderzuschußleistungen der Stadt sollten größere Instandsetzungsarbeiten ermöglichen, weil nach Ansicht des Wohnungsreferenten der Zustand einiger Häuser bereits so alarmierend war, „daß unbedingt etwas geschehen muß, um die Vermögenswerte, die in den Immobilien drinstecken, zu erhalten"110. Die aus den Grundstückskäufen resultierenden Zwischenkredite mußte die Gesellschaft weiter bedienen, erhielt dafür aber auch wie gehabt laufende Zinszuschüsse der Stadt. Obwohl es vom Revisionsamt vorgeschlagen worden war, wollte Harbers nicht, daß die Gesellschaft ihre unbebauten Grundstücke abstieß, denn diese gehörten zum zweiten Teil seines Planes. Sie sollten dem Kleinwohnungsbauprogramm in München zugute kommen, als dessen vornehmliche Trägerin er die Gewofag ausersehen hatte. Als Gegenleistung für das weitgehende Entgegenkommen der Stadt mußten sich alle Aktionäre der Gesellschaft bis auf die GWG verpflichten, einen Gutteil ihres Aktienbesitzes der Stadt kostenlos abzutreten111. Zusammen verminderten die beteiligten Baufirmen und Banken ihren Bestand von 370 000 RM auf 123 000 RM und überließen die Differenz im Wert von 247 000 RM der Stadt112. Erst als diese ein halbes Jahr später auch noch die Aktien, die die GWG bisher an der Gewofag gehalten hatte, im Wert von 130 000 RM in eigene Hände übernahm, hatte sie mit 377000 RM mehr als Dreiviertel des Gesamtkapitals von 500 000 RM in Besitz und konnte damit alle wesentlichen Entscheidungen der Gesell-

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Gewofag eine 15prozentige Reduktion ihrer Mieten zum

109 1,0

111

112

Kurzer Abriss, S. 52.

1.1.1932

Bericht Revisionsamt zum 31.12.1933, S. 151, StadtAM, WAR 1. Zitat und die Einzelheiten des Sanierungsplans in der Sitzung des

27.3.1935, StadtAM, RP 708/6.

verfügen. Vgl. Gewofag,

Wohnungsausschusses vom

Das gesamte Kapital von 500000 RM verteilte sich nicht mehr wie bei der Gründung, sondern lag jetzt mit Anteilen von je 50000 RM beim Bankhaus Aufhäuser, bei der Bayerischen Gemeindebank (Girozentrale) und bei Merck, Finck & Co. Je 73 000 RM hielten Leonhard Moll und Karl Stöhr, 74 000 RM Heilmann & Littmann und 130 000 RM die GWG. Gewofag, Kurzer Abriss, S. 26. Wohnungsausschußsitzung vom 27.3.1935, StadtAM, RP 708/6.

3. Wohnungsbaupolitik in der

„Hauptstadt der Bewegung"

305

schaft kontrollieren113. Nachdem die nationalsozialistische Verwaltung die Gewofag wieder flottgemacht hatte und das Schiff jetzt unter der Flagge seiner städtischen Auftraggeber segelte, mußte 1937 das Aktienkapital erhöht werden, das sich für eine aktive Baupolitik als zu schmal erwies. Zwar bedeutete die Aufstockung um 1,5 Millionen auf zwei Millionen RM für die Stadt eine nicht unerhebliche Summe, die sie nur teilweise in der Form einer Sacheinlage also durch Baugrundstücke einbringen konnte; sie betrachtete aber auch die Bareinlage im Grunde als Vorleistung auf die Bauprogramme der Gewofag, die sonst ebenfalls aus dem städtischen Haushalt subventioniert wurden114. Wenn Harbers sich so bemühte, aus der Gewofag eine städtische Gesellschaft zu machen und in ähnlicher Weise bei der GWG den Einfluß der Stadt zu einem umfassenden auszudehnen, hatte das seinen Sinn allein darin, daß er diesen Gesellschaften Aufgaben im Sinne seines „persönlichen" Wohnungsprogramms zugedacht hatte. Die gemeindliche Wohnungspolitik über solche Unternehmen zu leiten, entsprach auch den Vorstellungen im DGT und in anderen Fachkreisen. Damit könne der Wohnungsbau, der ja nicht mehr in erster Linie als Sozial-, sondern als Wirtschaftspolitik begriffen werden müsse, streng nach kaufmännisch-rationellen Gesichtspunkten durchgeführt werden, ebenso das Vermietungsgeschäft. Außerdem seien die Wohnungs- und Siedlungsgesellschaften im Gegensatz zu den Gemeinden frei in der Aufnahme von Hypothekendarlehen. Nicht nur in München, sondern auch in anderen Gemeinden gab es daher, wie der DGT f 936 feststellte, einen regelrechten Trend, „gemeindliche Wohnungs- und Siedlungsgesellschaften neu zu bilden, um auf der Grundlage der Gemeinnützigkeit Kleinwohnungsbauten und Kleinsiedlungen zu fördern"115. In München war die Gewofag zur Umsetzung des Kleinwohnungsbauprogramms vorgesehen, das Harbers in der ersten Hälfte des Jahres 1935 entwickelte, getragen wohl auch von dem Gedanken, nicht nur die Bedingungen des Siebert-Programmes akzeptieren zu müssen, sondern selbst den Weg aus der Kleinwohnungskrise zu bestimmen. Dabei lehnte er sich in dem Konzept, die Wohnungserstellung zu forcieren, indem er die Gewofag mit einem besonderen Auftrag versah, an seinen Vorgänger Preis und die herausragende Rolle der Gesellschaft im Gesamtbauprogramm 1928/30 an116, betonte andererseits jedoch gerade die Abgrenzung zu diesem Programm der Hauszinssteuerära. Der dominante Einfluß der Bau- und Immobilienfirmen in der Gewofag und die vorherige öffentliche Bekanntgabe des großen Vorhabens hätten zu einer Überteuerung geführt, die jetzt unbedingt vermieden werden müsse117. Die Wohnungen seien letztlich für die Hauptmasse der Wohnungsbedürftigen nicht erschwinglich gewesen, deshalb müsse im neuen Bauprogramm wesentlich mehr Bescheidenheit walten. Es zeugte aller-

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114

115 116

1,7

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Beiräte für Wohnungswesen vom 3.10.1935, ebenda. Der GWG-Aufsichtsrat bestätigte die Aktienabtretung in seiner Sitzung vom 21.10.1935, StadtAM, WAR 1093. Entscheidung über die Kapitalerhöhung in der Sitzung der VFB-Beiräte vom 1.7.1937 (StadtAM, RP 710/3), die freilich formell auch in einer Generalversammlung der Gesellschaft am 24.9.1937 vollzogen werden mußte. Gewofag, Geschäftsbericht für 1937, S. 4. Der Gemeindetag 30 (1936), Beilage zu Nr. 6, S. 9*-16*, hier 9*. Bei der Diskussion über den notwendig werdenden Kleinwohnungsbau in der Sitzung des Wohnungsausschusses vom 27.3.1935 stellte Harbers fest: „Es war sehr gut, eine Gesellschaft wie die Gewofag zu haben und wir wollen sie darum wieder lebendig machen." StadtAM, RP 708/6. Harbers in der Sitzung der Beiräte für das Wohnungswesen vom 15.5.1935, ebenda. -

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306

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

dings nicht gerade vom Denken im Sinne der viel propagierten „Volksgemeinschaft", wenn Harbers feststellte: „Der Hauptfehler liegt darin, wenn man für das Volk die Ansprüche einsetzt, die wir stellen. Das geht nicht."118 Entsprechend spartanisch wurde geplant: Die Wohnungsgrundrisse umfaßten nicht mehr als 30 bis 50 qm Wohnfläche, die Mieten sollten zwischen 25 und 40 RM liegen, Badezimmer und anderer „Luxus"

fielen unter diesen Umständen aus. Bescheidenheit war das vorherrschende Kriterium, auch was den Umfang des Programms anging. Nicht eine Größenordnung von 12 000 Wohneinheiten in drei Jahren, wie sie Preis vorgesehen und auch verwirklicht hatte, sondern jährlich 1 000 Wohnungen waren Ziel des als „Notprogramm" deklarierten Kleinwohnungsbauprogrammes selbst das wurde im übrigen nicht erreicht119. Obwohl sie glaubten, daß zuviel Öffentlichkeit im Gesamtbauprogramm 1928/30 zu Preistreiberei geführt hätte, verzichteten die Nationalsozialisten nicht auf eine Bekanntgabe ihrer Pläne. Sie stellten aber noch keine größeren Aufträge in Aussicht und sprachen wie später dann auch im Volkswohnungsprogramm eine unmißverständliche Warnung an das ansässige Baugewerbe aus: „Die Stadt wird diese großen Opfer, die im Interesse der Wohnungsbeschaffung für die minderbemittelten Schichten der Bevölkerung gebracht werden sollen, aber nur dann auf sich nehmen, wenn die Preise auf dem Gebiete der Baustoffe und der Baukosten die beabsichtigten niedrigen Mieten nicht unmöglich machen."120 Die „großen Opfer" der Stadt bestanden in der Ausreichung von Darlehen aus dem Wohnungs- und Siedlungsfonds und dem Anlehenshaushalt, die zwischen 20 und 25 Prozent der Gestehungskosten deckten. Bei Baukosten von 6 000 RM für eine Wohneinheit beispielsweise gewährte die Stadt 700 RM Baudarlehen zu den Zinsbedingungen, die sie selbst zu tragen hatte121, weitere 725 RM aber als Zusatzdarlehen, für das bis zur vollständigen Tilgung der vorhergehenden Darlehen noch kein Schuldendienst zu leisten war122. Das war angesichts der spärlichen Haushaltsmittel und der wenigen Darlehen, die für Wohnbauzwecke zur Verfügung standen, tatsächlich keine geringe Last. So erhielt die Gewofag im Kleinwohnungsprogramm bis 1938 1,8 Millionen RM Förderung für die Erstellung von 1 377 Wohnungen. Bei Gestehungskosten von gut neun Millionen RM bedeutete das eine Quote von 20 Prozent damit verschlang das städtische Unternehmen allerdings auch drei Viertel der Gesamtförderung von Kleinwohnungen durch die Stadt123. Diese hatte dafür den Vorteil, daß beim Wohnungsnach-

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118 119

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121

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Ebenda. Das Programm wurde unter diesen Vorgaben in der Sitzung der Beiräte für das Wohnungswesen vom 15.5.1935 (ebenda) von Fiehler begutachtet und in seinen Grundzügen gutgeheißen und in der öffentlichen Sitzung der Gemeinderäte vom 23.5.1935 bekanntgegeben (MGZ 64 [1935], S. 149f.). Harbers ebenda, S. 149. Für das Wohnungsbaudarlehen der Reichsversicherungsanstalt von 990 000 RM, das hier eingesetzt wurde, zahlte die Stadt selbst 5% Zinsen und 1% Tilgung und reichte es mit 5,05% bzw. 1,01 % weiter, vgl. Erläuterungen Harbers' in der Sitzung der VFB-Beiräte vom 5.3.1936, StadtAM, RP 709/2. Zu diesem Finanzierungsmodus vgl. Sitzung der VFB-Beiräte vom 12.11.1936, StadtAM, RP 709/4.

123

Vgl. die Aufstellung des Dezernats 7 über die „Leistungen der Stadt für den Wohnungsbau in den Jahren 1933-1941", StadtAM, WAR 1, und Tab. 22, oben, S. 282. Gemeint ist hier nur das

Kleinwohnungsprogramm ohne Volkswohnungen, Kleinsiedlungen etc.

3.

Wohnungsbaupolitik in der „Hauptstadt der Bewegung"

307

weis auch einmal ein größerer Posten auf der Anbieterseite erschien, bevor er in einer Flut von Vormerkungen versank. Die Leistung der Stadt zielte ausgesprochen auf die „minderbemittelte" Bevölkerung, das heißt, war ausschließlich dafür gedacht, die Mieten auf ein Niveau zu drücken, das bezahlbar für Kreise mit geringen Lohneinkommen war. Das Wohnungsreferat ging dabei von den Feststellungen seiner Bedarfsumfrage vom Frühjahr 1935 aus: „Wir haben unseren Zuschuß tatsächlich auf den Teil des Mietpreises beschränkt, den die arbeitende Bevölkerung für gesunde Wohnungen nicht mehr aufbringen könnte."124 Im Ergebnis hieß das etwa beim ersten Bauabschnitt von 196 Wohnungen in der Untersbergstraße, daß die Mieten auf einen durchschnittlichen Satz von 80 Pfennig pro qm gebracht werden konnten. Damit war noch nicht das unterste Ende im Spektrum der Neubaumieten erreicht; weil die Wohnungen aber nicht größer als 45 qm waren, kamen die Bewohner im Endeffekt auf eine günstigere oder ähnliche Monatsmiete wie bei einer geförderten Wohnung der Hauszinssteuerära, die in der Regel mindestens 60 qm umfaßte125. Damit nicht die Wohnungen trotz städtischer Förderung teurer wurden, verzichtete die Gewofag darauf, der nationalsozialistischen Propagierung des Flachbaus Referenz zu erweisen, und errichtete ihre ersten 200 Wohneinheiten in viergeschossigen Häuserblocks. Das war auch die von der Siedlung am Walchenseeplatz vorgegebene Architektur, die hier in östlicher Richtung auf eigenem Baugrund fortgesetzt wurde. Trotzdem kam von Reichsseite Protest Widerspruch, den man sehr ernst nehmen mußte, weil die Gewofag auf Reichsbürgschaften für ihre zweiten Hypotheken angewiesen war126. Der Reichsbürgschaftsausschuß mußte eingeschaltet werden, eine Ortsbegehung fand statt, Verhandlungen wurden in Berlin geführt, bis das Reich in der Frage nachgab, weil die Sachbearbeiter sich offenbar überzeugt hatten, daß trotz vier Geschossen von „Mietkasernen bei den Bauten der Gewofag nicht gesprochen werden" kann127. Dieses lange Tauziehen setzte auch deshalb ein, weil ein Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 24. Oktober 1934 ausdrücklich nur die Förderung bis zu drei Vollgeschossen durch Reichsbürgschaft festgelegt und Abweichungen lediglich in besonders begründeten Ausnahmefällen zugelassen hatte128. Im Rahmen des Kleinwohnungsprogramms erstellte die Gewofag insgesamt 1 377 Wohnungen, von denen die letzten im August 1938 bezogen wurden. Dabei ließ -

Harbers in der Sitzung der VFB-Beiräte vom 12.11.1936, StadtAM, RP 709/4. Genau aufgelistet ist die Mietenskala, die sich von 21 RM bis zu 40 RM bewegte, für die Wohnungen an der Untersbergstraße in: Gewofag, Geschäftsbericht für 1935, S. 5. Im „älteren Neuhausbesitz" des gemeinnützigen Wohnungswesens wurde um diese Zeit ein Satz von 70 Pfg./qm oder 42 RM Monatsmiete bei 60 qm Wohnfläche als „normal" angesehen. Vgl. M. von den Hoff, Die Besteuerung des ,Aelteren Neuhausbesitz' der gemeinnützigen bayerischen Wohnungsunternehmen, in: ZWB 34 (1936), S. 74-83, hier 78. Die Deutsche Bau- und Bodenbank wollte wenigstens für einen Baublock erzwingen, daß auf drei Geschosse abgezont würde, und die Gewährung der Reichsbürgschaft davon abhängig machen. Die Stadt berief sich aber ganz auf den „Zwang der Verhältnisse", der nicht die idealste, sondern die günstigste Bauweise zum Hauptkriterium mache. Vgl. Sitzung der VFB-Beiräte vom 8.8.1935, StadtAM, RP 708/3. Sitzung der VFB-Beiräte vom 5.3.1936, StadtAM, RP 709/2. Vgl. Robert Schoepf, Die Förderung des Wohnungsbaues durch Übernahme von Reichsbürgschaften für zweitstellige Hypotheken, in: Siedlung und Wirtschaft 17 (1935), S. 147-150, hier 149.

308

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

sich in Architektur und Gestaltung eine deutliche Kontinuität zur Tätigkeit der Gewofag in den zwanziger Jahren beobachten: Sie setzte in erster Linie ihre bisherigen Siedlungen Neuramersdorf, am Walchenseeplatz und Neuhausen fort und begann nur eine neue in Mittersendling129. Die Ergebnisse des Kleinwohnungsbauprogramms bis 1938, zu dem auch die im Siebert- und den nachfolgenden Landesbauprogrammen errichteten 862 Wohneinheiten sowie weitere 510 Bauvereinswohnungen gerechnet wurden, beliefen sich insgesamt auf 2 749 erstellte Wohnungen130. Die Richtmarke von jährlich 1 000 Wohnungen oder 4 000 Wohnungen in vier Jahren, die der Wohnungsreferent 1935 aufgestellt hatte, wurde bei weitem nicht erreicht; inzwischen hatte die Stadt mit den „Volkswohnungen" aber auch ein neues Ziel angepeilt, das aufgrund der in Aussicht gestellten Reichsförderung verlockender erschien. Die GWG und die

Umsetzung des Volkswohnungsprogramms in München Die GWG war bereits 15 Jahre alt, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, hatte aber nur den kleineren Teil dieser Zeit aktiv am Wohnungswesen partizipiert. Sie geriet in den Strudel der Inflation und mußte zu Beginn des Jahres 1924 jeglichen Geschäftsbetrieb einstellen131. Die eingetragene Firma beließ man, weil schon damals verwurde, daß das

Instrument einer städtischen Wohnungsgesellschaft vielleicht noch einmal seine Nützlichkeit erweisen könne. Die Tätigkeit der GWG in der Inflationszeit hatte sich nicht auf die Durchführung eigener Bauaufgaben erstreckt, sondern war ganz auf die Kontrolle, Koordination und Verwaltungstätigkeit seitens der Stadt im mutet

größerer Bauprojekte konzentriert gewesen. Als das nationalsozialistische Wohnungsreferat daranging, die städtische Wohnungsgesellschaft wiederzubeleben, Bereich

Teil ähnliche Funktionen, die die GWG erneut wahrnehmen sollte. So bestand die dringende Notwendigkeit, die Trägerschaft für die Reichskleinsiedlungen an ein Unternehmen abzugeben, weil sie aufgrund rechtlicher Probleme nicht länger von der Stadt selbst gehalten werden konnte132. Dieser verwaltungsmäßige Einsatz für bereits bestehende Siedlungen stand für Harbers aber nicht an erster Stelle, sondern er faßte von vornherein die Übernahme künftiger Bauaufgaben durch die Gesellschaft ins Auge133. Entsprechend lautete die Grundsatzentscheidung zur Reaktivierung der Gesellschaft, daß sie in die Lage versetzt werden solle, „die Trägerschaft der künftigen waren es zum

129

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131 132 133

Zu Einzelheiten

s.

die Geschäftsberichte der

Gewofag für 1935 bis 1938. Die Kontinuität ge-

meinnütziger Bautätigkeit von den zwanziger zu den dreißiger Jahren läßt sich auch in anderen Städten beobachten, vgl. zu Hamburg Pahl-Weber, Wohnungs- und Siedlungsbau in Hamburg, S. 92. Aufstellung über die „Leistungen der Stadt für den Wohnungsbau in den Jahren 1933-1941",

StadtAM, WAR 1. Walter, Sozialer Wohnungsbau, S. 65f. Vgl. oben, S. 241.

So wies er bereits zu Beginn des Jahres 1935, als es um die Beteiligung Münchens am staatlichen Bauprogramm ging, auf die Möglichkeit einer Wiederaktivierung der GWG zur Übernahme von Bauaufgaben in diesem Rahmen hin. Vormerkung Harbers' über eine Besprechung mit Vertretern des Wirtschaftsministeriums und des Verbandes Bayerischer Wohnungsunternehmen, 28.1.1935. Mit ähnlichen Gedanken auch seine Vormerkung vom 2.2.1935, beide in: StadtAM, WAR 1084.

3.

Wohnungsbaupolitik in der „Hauptstadt der Bewegung"

309

Kleinhausbauten der Stadt München zu übernehmen"134. Hatte Harbers es bei der Ge-

wofag noch für klug erachtet, selber als zuständiger Referent dem Aufsichtsrat fernzubleiben und ihn lediglich mit Leuten zu besetzen, die zu steuern er in der Lage zu sein glaubte, ließ er solche Zurückhaltung jetzt fallen. Dabei spielte eine Rolle, daß in der Gewofag bereits gewisse Schwierigkeiten in der Abstimmung zwischen Wohnungsreferat und Aufsichtsratsmitgliedern, die sich durchaus nicht nur als Mandatare des Refe-

verstanden, auftauchten. Diesmal wollte Harbers „die Geschäfte vom Referat führen" und in dieser Hinsicht auch gar keine Mißverständnisse aufkommen lassen, wie das sein könnte, „wenn ich mich hinter jemand [sie] anderen verstecke"135. Es gelang Harbers, nicht nur seine eigene Ernennung zum Aufsichtsratsvorsitzenden durchzusetzen, sondern auch Fiehler von der Notwendigkeit einer Generaloffensive auf den gesamten Aufsichtsrat und das Stammkapital zu überzeugen: „Wir brauchen 76% und schmeissen den ganzen Laden heraus, wie sie drin sind", bekundete schließlich auch der Münchner Oberbürgermeister in offensichtlicher Entschlossenheit, die GWG von allen Überresten der „Systemzeit" zu bereinigen136. Tatsächlich waren den Akten nach noch Persönlichkeiten wie der frühere Oberbürgermeister Karl Scharnagl, der BVP-Stadtrat Michael Gasteiger oder die in der Weimarer Zeit führenden Köpfe des Baugenossenschaftswesens auf der einen Seite und des Grund- und Hausbesitzervereins auf der anderen Seite, nämlich Paul Busching und Josef Humar, im Aufsichtsrat der GWG vertreten137. In der üblich rabiaten Vorgehensweise nationalsozialistischer Gleichschaltungspolitik löste die Stadt auch dieses Problem. Zunächst ließ sich Harbers von Fiehler zu einer Art Generalbevollmächtigten erheben, indem alle bisherigen Aufsichtsratsmitglieder der Stadt abberufen wurden und er für die Übergangzeit als einziger an ihre Stelle gesetzt wurde; gleichzeitig erhielt er das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden, dessen Besetzung nach der Gesellschaftssatzung der Stadt zustand138. Die Personen, die für die Stadt im Aufsichtsrat gesessen hatten, wurden nur noch „der Ordnung halber" davon verständigt, daß sie sich als abberufen betrachten durften139. Den renten aus

Wohnungsausschuß vom 27.3.1935, StadtAM, RP 708/6. Eine Beauftragung ausschließlich mit der Verwaltung der Kleinsiedlungen hätte auch der 1936 erfolgten rechtlichen Anerkennung der GWG als „gemeinnütziges Wohnungsunternehmen" entgegengestanden, vgl. Enskat, Gemeinnützige Wohnungsunternehmen, in: WWS, Bd. 1, S. 513-526 b, hier 520: „Im übrigen ist dem gemeinnützigen Wohnungsunternehmen die Betreuung von Kleinwohnungen nur als Nebengeschäft gestattet. Das gemeinnützige Wohnungsunternehmen muß in erster Linie selbst eine Bautätigkeit im eigenen Namen und für eigene Rechnung durchführen." Harbers in der Sitzung der Beiräte für das Wohnungswesen vom 5.6.1935, StadtAM, RP 708/6.

Fiehler ebenda. Harbers an Baudirektor Schels betr. 1084.

Bereinigung der Verhältnisse, 3.4.1935, StadtAM, WAR

Beiräte für das Wohnungswesen vom 5.6.1935, StadtAM, RP 708/6. Harbers an Karl Scharnagl, Gustav Schiefer, Fritz Beblo, Michael Gasteiger, Josef Humar und August Blössner, 7.6.1935. Im Falle von Schiefer, Gasteiger und Humar mußte Harbers dann feststellen, daß eigentlich die Abberufung gar nicht hätte erfolgen dürfen, weil sie zwar Stadträte gewesen waren, aber für andere Organisationen (Gewerkschaftsverein, gemeinnütziges Wohnungsunternehmen, Grund- und Hausbesitzerverein) im Aufsichtsrat saßen. Er tröstete sich damit, daß „durch die demnächst zu erfolgende Neuwahl des Aufsichtsrates in der Gesellschafterversammlung vorher bestehende rechtliche Mängel behoben" würden. Vormerkung Harbers' vom 8.7.1935; beides in: StadtAM, WAR 1084.

310

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

anderen ordentlichen Mitgliedern und Stellvertretern wurde ihr Rücktritt nahegelegt, weil sie angesichts der bevorstehenden Bereinigung der Verhältnisse wohl „keinen Wert" mehr darauf legten, noch im Aufsichtsrat zu sein140. Da sie keine Wahl hatten, fügten sich die Betroffenen dem Gleichschaltungsdruck141, so daß neben dem neuen Vorsitzenden Guido Harbers nur die Bankenvertreter blieben. Sie sollten die Beschlußfähigkeit des Gremiums aufrechterhalten142. Außerdem wollte Harbers, wie es sich dann auch bei der Neuverteilung der Geschäftsanteile zeigte, die Banken als Geldgeber nicht vor den Kopf stoßen. Zum Zeitpunkt des nationalsozialistischen Revirements gab es insgesamt 25 Gesellschafter, die meist aus den von der GWG betreuten Unternehmungen oder von Bankhäusern kamen und die zusammen 57 Stammanteile das entsprach der ursprünglichen Gesellschafterzahl hielten143. Bereits zu Ende der zwanziger Jahre hatte die Stadt mehrere Anteile kleiner Gesellschafter abgelöst im Zusammenhang mit einem damals noch von Karl Preis initiierten und wenig später in der Weltwirtschaftskrise abgebrochenen Versuch, die GWG wiederzubeleben144. Deshalb betrug die Beteiligung der Stadt, schon als Harbers seine Kampagne startete, 73 Prozent (24 800 RM); er wollte aber über 75 Prozent haben, weil dieser Anteil der Stadt dann auch die nach dem GmbH-Recht notwendige Dreiviertel-Stimmenmehrheit für grundlegende Beschlüsse, etwa Satzungsänderungen, garantierte. Die Lösung wurde in einer Kapitalerhöhung von der noch aus der Goldmarkumstellung 1924 resultierenden Summe von 33 900 RM auf 50 000 RM gefunden, die aufgrund der Gemeinnützigkeitsverordnung ohnehin notwendig wurde145. Den neuen Geschäftsanteil in Höhe von 16100 RM übernahm die Stadt vollständig, und sie beabsichtigte, auch alle älteren Anteile abzulösen, um alleinige Gesellschafterin zu werden146. Dieses Vorhaben hätte die Stadt, wie die Reaktionen der betroffenen Gesellschafter erkennen ließen, ohne Zweifel durchsetzen können147. Der Wohnungsreferent mußte aber auf Veröffentlichungen in der nationalsozialistischen Presse hin erkennen, daß „Einmanngesellschaften" im neuen Staat als Signum der „liberalistischen Epoche" verpönt waren148, und machte dann schnellstens eine Kehrtwende. Wie schon beim Vorgehen gegen den Aufsichtsrat schienen Harbers auch hier wieder die Banken am besten geeignet, um den städtischen Alleinherrschaftsanspruch de jure etwas abzumildern, de facto aber durchzusetzen, denn blieben die Banken auch -

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Harbers

an Paul Busching u.a., 8.7.1935, ebenda. Lediglich Paul Busching bestand auf einer gewissen Wahrung des Rechtsweges, so daß erst die Bayer. Siedlungs- und Landbank eingeschaltet werden mußte, die dann seine Abberufung erklärte. Die entsprechenden Schriftwechsel vom 22.8., 4.9. und 10.9.1935 ebenda. Vormerkung Harbers' vom 8.7.1935, ebenda. Vgl. Harbers an Bürgermeister Tempel u.a., 27.4.1935: in der Beilage ist eine Aufstellung über sämtliche Gesellschafter und

deren Anteile enthalten, ebenda. Zu dieser Initiative von Preis ausführlicher Walter, Sozialer Wohnungsbau, S. 68f. Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen. 1.12.1930, 7. Teil, Kapitel 3: Gemeinnützigkeit von Wohnungsunternehmen, hier § 3, Abs. 1, RGB1. 1930/1, S. 593-598, hier 594. Entscheidung des OB in der Sitzung der Gemeinderäte vom 23.7.1935, StadtAM, RP 708/1. Etliche kleinere Geschäftsanteile wurden der Stadt sogar kostenlos angeboten. Vgl. die Aufforderung der Referats 7 vom 8.7.1935 und die Antworten der verschiedenen bisherigen Gesellschafter, in: StadtAM, WAR 1084. „Die Einmanngesellschaft hat zu verschwinden", 8 Uhr-Blatt vom 31.8.1935 (ebenda).

3.

Wohnungsbaupolitik in der „Hauptstadt der Bewegung"

311

würden sie kaum ernsthafte Gestaltungskompetenz beanspruchen. Wie erwähnt, war es auch „vom Standpunkt der Geldbeschaffung" für die künftigen Bauprojekte aus ein sinnvoller Gedanke, einige der wichtigeren Hypothekenbanken in der Gesellschaft zu belassen. Fünf von ihnen blieben auf Vorschlag von Harbers Gesellschafter, dazu die Landesversicherungsanstalt Oberbayern; alle zusammen hielten aber nur 6 000 RM149. Der Geschäftsanteil der Stadt belief sich jetzt auf 44 000 RM oder 88 Prozent, an dem „ausschlaggebenden maßgebenden Einfluß der Stadt" wurde also festgehalten150. Auch kleinere Schönheitsfehler, wie die Tatsache, daß schon die Umstellung auf Reichsmark 1924 inkorrekt durchgeführt worden war, weil man nicht berücksichtigt hatte, daß das Stammkapital der Gesellschaft nicht voll eingezahlt war, wurden jetzt galant übergangen. Angesichts der Tatsache, daß der Coup der Stadt fast reibungslos gelungen war und sie allen Widerspruch im Keim hatte ersticken können, erschien es wahrlich „unzweckmäßig [...], die Angelegenheit in ihrer rechtlichen Bedeutung aufzurollen"151. Als für den Herbst f 935 eine Gesellschafterversammlung und Aufsichtsratssitzung der GWG einberufen wurden, ging es nur noch um die formelle Zustimmung zu allen von der Verwaltung bereits im Detail vorbereiteten und weitgehend auch schon in die Tat umgesetzten Entscheidungen. Dazu gehörte die Verabschiedung der vom Wohnungsreferat ausgearbeiteten neuen Satzung der Gesellschaft. Interessanterweise war es nicht nötig, diese Satzung auf das „Führerprinzip" umzustellen. Weil die Stadt ohnehin alle wesentlichen Entscheidungen präjudizierte, blieb es formal dabei, daß die Gesellschafterversammlung den Aufsichtsrat wählte und dieser wiederum den Geschäftsführer bestellte. Durch die Satzung wurde unter anderem die Namensänderung in „Gemeinnützige Wohnstätten- und Siedlungsgesellschaft mit beschränkter Haftung" in Kraft gesetzt, wobei durch den neu hinzugefügten Siedlungsbegriff die Aufgaben der Gesellschaft gerade im Kleinsiedlungswesen mit erfaßt werden sollten152. Zunächst tagte am 11. Oktober der Aufsichtsrat in seiner „bereinigten" Form. Von den Bankenvertretern, die als einzige verblieben waren, erschienen noch zwei, die dann zusammen mit dem Vorsitzenden Harbers ein gerade beschlußfähiges Gremium bildeten, das im wesentlichen zur Kenntnis nahm und zustimmte. So wurden die bisher erfolgten Änderungen in der Zusammensetzung des Aufsichtsrates, die neue Satzung, die Abtretung der Geschäftsanteile an die Stadt sowie die Kapitalerhöhung auf 50 000 RM gebilligt153. Die Gesellschafterversammlung fand sich im Anschluß an den Aufsichtsrat zusammen und beriet etwas ausführlicher, aber gleichfalls zustimmend über die erfolgten Maßnahmen. Hier wurde jetzt ein neuer Aufsichtsrat gewählt, der auch schon von den Gemeinderäten in dieser Zusammensetzung abgesegnet worden war: Fünf Vertreter der Stadt Guido Harbers, die Ratsherren Sebastian Gleixner, Josef Neumaier, Otto Schie-

beteiligt,

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Vormerkung Harbers' vom 4.9.1935, ebenda. Entscheidung in der Sitzung der Beiräte für das Wohnungswesen vom 3.10.1935 (Abdruck),

ebenda. Stadt. Rechnungsprüfungsamt vom 28.8.1935, ebenda. Abdruck der Satzung ebenda. Niederschrift über die Sitzung des Aufsichtsrates am 11.10.1935. Bemerkenswert ist, daß die Sitzung laut Protokoll genau eine Viertelstunde dauerte! Abdruck des von Lesch geführten und von Harbers gezeichneten Protokolls ebenda.

312

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

dermaier und der Syndikus im Wohnungsreferat Anton Troll gehörten ihm künftig an, ein „Alibivertreter" verblieb den Banken154. Bei einer bereits so weitgehenden städtischen Dominanz fehlte Harbers schließlich nur noch die absolut loyale Geschäftsführung zur Vervollständigung seines Plans. Auch hier setzte er sich mit seinem Wunsch durch155: Am 21. Oktober 1935 bestellte der neue Aufsichtsrat den bisher in Harbers' Referat tätigen Verwaltungsinspektor Markwart Lesch zum hauptamtlichen Geschäftsführer, während der ruhende Geschäftsbetrieb bis dahin noch ehrenamtlich von Baudirektor Ferdinand Schels geführt worden war156. Das schon bei der Gewofag vorexerzierte Modell der Beauftragung eines städtischen Beamten mit der Geschäftsführung wurde fortgeführt. Harbers setzte sich damit auch gegen den Vorschlag des Ratsherrn und Vertrauensmannes für die städtischen Betriebe, Sebastian Gleixner, durch, der einen Altparteigenossen an dieser Stelle sehen wollte. Der Wohnungsreferent wehrte das mit dem Hinweis auf das fachliche und verwaltungstechnische Qualifikationsprofil der Stelle ab, für das er im Moment keinen geeigneten „alten Kämpfer" wisse. Diplomatisch bestätigte er aber den Anspruch der Partei: „Ich wäre froh, wenn z.B. dieser Herr Lesch ein alter Parteigenosse wäre, und ich wäre dankbar, wenn man einen alten Parteigenossen dazu nehmen könnte, aber es geht nicht."157 Nachdem Lesch satzungsgemäß vom Aufsichtsrat „gewählt" worden war, schloß er für die GWG einen Vertrag mit der Stadt, der noch einmal ganz deutlich den Charakter der GWG als verlängerten Arm der Stadtverwaltung betonte. Nicht nur, daß die Stadt das Personal der Gesellschaft aus der Reihe ihrer Beamten rekrutierte, die im gleichen Loyalitätsverhältnis zu ihrem Dienstherrn verblieben und jederzeit in der GWG eingesetzt oder von dort wieder abgezogen werden konnten, sie erhielt auch das Recht, „sich durch städtische Beamte laufend über die gesamte Verwaltungstätigkeit der Gesellschaft unterrichten zu lassen und an den Gesellschafterversammlungen und Aufsichtsratssitzungen teilzunehmen"158. Dem Vertrag nach wäre auch der Geschäftsführer nicht mehr als eine Marionette an den Fäden des Oberbürgermeisters und seines Wohnungsrefe-

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158

Es handelte sich

um Fritz Steyrer, Direktor der Bayerischen Handelsbank; die Zusammensetzung der Ersatzleute wurde analog geregelt. Niederschrift über die Versammlung der Gesellschafter am 11.10.1935, die immerhin eineinhalb Stunden dauerte, ebenda. Schon Anfang 1935 hatte Harbers Lesch als Kandidaten im Falle einer Wiederbelebung der GWG vorgeschlagen, Vormerkung vom 28.1.1935, ebenda. Abdruck der Niederschrift in: StadtAM, WAR 1093. Schützenhilfe erhielt Harbers von seinem Vorgesetzten Fiehler, der das Problem der Versorgung „alter Kämpfer" mit Posten gleich auf eine grundsätzliche Ebene hob: „Wenn befähigte Parteigenossen da sind, bitte ich die nur Herrn Kollegen Dr. Tempel mitzuteilen, soweit sie tatsächlich alte Kämpfer sind. Leider haben wir sehr vielfach die Erfahrung gemacht, dass die Leute immer hereinschreiben, dass sie seit Christi Geburt Anhänger der nationalsozialistischen Bewegung waren. Fragt man nach, dann stellt sich heraus, dass sie seit Mai 1933 günstigstenfalls bei der Partei sind. Es sind verhältnismässig wenige, die wir brauchen können." Diskussion in der Sitzung der Beiräte für das Wohnungswesen vom 5.6.1935, StadtAM, RP 708/6. Bezeichnend ist für Fiehler, daß er trotz seiner unbedingten Loyalität zur Partei keinesfalls bereit war, gerade auf Positionen mit höherer Verantwortung Leute ohne entsprechende Qualifika-

tionen zu setzen. Insgesamt reüssierte die Initiative der Stadt zur Übernahme „alter Kämpfer" auch sehr viel besser im Bereich der Arbeiter als dem der Beamten, vgl. oben, S. 266f.

Vertrag zwischen der Stadt München und der Gemeinnützigen Wohnstätten- und Siedlungsgesellschaft m.b.H. vom 22.10.1935, § 10, StadtAM, PR 83/6, 398, vgl. weiter bes. §§ 1 und 2.

3.

Wohnungsbaupolitik in der „Hauptstadt der Bewegung"

313

gewesen159, allerdings sieht es nach den Quellen so aus, als habe Markwart Lesch genügend Initiative und Fähigkeit entwickelt, um sich eine gewisse Souveränität zu be-

renten

wahren. Mit den finanztechnischen und Gleichschaltungsmaßnahmen in der GWG hatte sich die Stadt für ihre Wohnungspolitik ein weiteres Komplement in der Form eines abhängigen Wirtschaftsunternehmens geschaffen. Was der Gesellschaft allerdings genauso wie der Gewofag zu Anfang fehlte, war eine etwas breitere finanzielle Basis, von der aus die Bauaufgaben in Angriff genommen werden konnten. Im Sommer 1936, als die Realisierung erster Bauten begann, wurde daher auch eine deutliche Kapitalerhöhung von bisher 50 000 auf 600 000 RM beschlossen. Den neuen Geschäftsanteil von 550 000 RM wollte die Stadt, im Einklang mit ihrer bisherigen Politik, wiederum allein übernehmen. Damit der finanzielle Aufwand sich aber in Grenzen hielte, sollten im städtischen Besitz befindliche Bau- und Siedlungsgrundstücke an die Gesellschaft aufgelassen werden. Die GWG erhielt das für den Bau ihrer ersten Volkswohnungsanlage in Berg am Laim benötigte Terrain in Anrechnung auf den neuen Geschäftsanteil übertragen, daneben aber auch das Gelände, auf dem die Kleinsiedlungen errichtet worden waren, die die Gesellschaft ja jetzt unter ihre Ägide nahm160. Die Stadt hielt nach diesen Transaktionen einen Geschäftsanteil von 594 000 RM, während nach wie vor 6 000 RM in der Hand der Banken und der Versicherungsanstalt blieben, also der fast symbolisch zu nennende Wert von einem Prozent. Zum Jahr 1939 minderte sich dieser Anteil der nicht-städtischen Träger nochmals, weil die Stadt, um der Gesellschaft weitere Bautätigkeit zu ermöglichen, eine weitere Kapitalerhöhung auf eine Million RM verfügte und den Differenzbetrag von 400 000 RM wiederum selbst einbrachte161. Nachdem sie finanziell saniert worden war, erhielt die Gesellschaft zu Beginn des Jahres 1936 auch die Anerkennung als gemeinnütziges Wohnungsunternehmen nach der Gemeinnützigkeitsverordnung vom 1. Dezember 1930162, die sie allerdings für ihre künftige Tätigkeit an bestimmte Auflagen band. So durften die Wohnflächen der erstellten Wohnungen 75 qm nicht übersteigen und die Dividenden für die Gesellschafter

Vgl. § 3: „Der als Geschäftsführer oder Stellvertreter in der G.W.G. tätige Beamte ist an die Weisungen des Oberbürgermeisters und der in seiner Vertretung oder in seinem Auftrag handelnden städtischen Beamten [...] gebunden." Ebenda. Der Wert für den Grund in Berg am Laim wurde auf 341 392 RM festgelegt, der Rest von 208 608 RM sollte durch die Siedlungsgelände und ein zusätzliches Grundstück in Berg am Laim eingebracht werden. Dieser formale Akt verzögerte sich noch über einige Zeit wegen der rechtlichen und vermessungstechnischen Fragen, die damit verbunden waren, so daß der Betrag zunächst als Rückstand auf das einzubezahlende Stammkapital gebucht wurde, vgl. Bericht des Geschäftsführers über das Geschäftsjahr 1936 und Bericht über die Prüfung der GWG durch den Verband

StadtAM, WAR 1093.

Bayerischer Wohnungsunternehmen im März 1937, Abdrucke in:

Entscheidung in der Sitzung der VFB-Beiräte vom 3.11.1938 (Abschrift), StadtAM, WAR 1077, und Niederschrift über die Versammlung der Gesellschafter vom 28.4.1939, StadtAM, WAR 1093.

„gemeinnützige Wohnungsunternehmen" als rechtlich verbindlicher Begriff wurde erst durch diese Verordnung geschaffen, obwohl die gemeinnützige Bautätigkeit schon weit in das 19. Jahrhundert zurückreichte, vgl. Jenkis, Ursprung und Entwicklung, S. 13. Die Gemeinnützigkeit mußte jetzt eigens anerkannt werden und wurde nicht mehr aufgrund einer entsprechenden Satzung einfach vorausgesetzt. Das

314

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

höchstens fünf Prozent erreichen163. Solcher Art gerüstet, sollte die GWG es übernehmen, das 1935 vom Reich initiierte Volkswohnungsprogramm für die Stadt in die Tat umzusetzen. Ähnlich wie bei den Kleinsiedlungen schien auch hier wieder die Chance zu bestehen, mit geringem eigenen Einsatz Reichsmittel für den Münchner Wohnungsbau zu rekrutieren. Ähnlich wie bei den Kleinsiedlungen barg das Programm dann aber doch so manche Tücken, die ein weit höheres Engagement der Stadt erforderten, als es

anfänglich zu vermuten gewesen war.

Nach Definition des Reichsarbeitsministers sollten unter Volkswohnungen „billigste in ein- oder mehrgeschossiger Bauweise" verstanden werden, „die hinsichtlich Wohnraum und Ausstattung äußerste Beschränkung aufweisen"164. Gedacht waren sie für die schwer definierbaren „breiten Schichten" der werktätigen Bevölkerung, die sich aufgrund ihrer Einkommenssituation in ihrem Wohnaufwand deutlich beschränken mußten: Das konnte an der Kinderzahl ebenso liegen wie an niedrigen Löhnen oder an nur begrenzter Erwerbsfähigkeit. Bezeichnend ist, daß Goebbels gegen den Namen „Volkswohnungen" für diese Billigstwohnungen Einspruch erhob, er fürchtete offenbar um eine Entwertung der im „Dritten Reich" ideologisch hochgeschätzten „Volks"-Vorsilbe165. Nicht gemeint waren die Wohnungen aber als Fürsorgemaßnahme für besonders Bedürftige, etwa Familien, die nicht für ihren Lebensunterhalt aufkommen konnten. Wie noch am Münchner Beispiel zu zeigen sein wird, wurde ein geregeltes Einkommen durchaus vorausgesetzt. Die Betonung der billigen Bauweise blieb nicht einfach allgemeines Postulat, sondern wurde auf eine Herstellungskostengrenze von 3 000 RM bzw. in Ausnahmefällen 3 500 RM hin konkretisiert. Für solche Wohnungen konnten Darlehen bis zu 1 000 RM vom Reich eingeworben werden, die jährlich mit vier Prozent zu verzinsen und einem Prozent zu tilgen waren, unter Erhöhung der Tilgung um die ersparten Zinsen166. Auch wenn die Reichspolitik mit diesem Programm den ersten deutlichen Schwenk zur Förderung des Mietshausbaus tat, wollte sie sich freilich nicht ohne weiteres von den bisher progagierten Idealen des Flachbaus abwenden. Im einschlägigen Absatz des Volkswohnungserlasses hieß es daher: „Einfachste Einfamilienhäuser als Doppel- oder Reihenhäuser mit Garten- oder Landzulage sollen vorzugsweise und in überwiegender Anzahl gefördert werden."167

Mietwohnungen

Vgl. Enskat, Gemeinnützige Wohnungsunternehmen, in: WWS, Bd. 1, S. 521f. Zur Gemeinnützigkeit bei der GWG vgl. Verband Bayerischer Wohnungsunternehmen, Bericht über die vom 22. März bis 24. März 1937 vorgenommene Prüfung der Gemeinnützigen Wohnstätten- und Siedlungsgesellschaft m.b.H. München, 12.5.1937, StadtAM, WAR 1077. Abgedruckt ist der das Volkswohnungsprogramm konstituierende Runderlaß des RAM vom 27.7.1935 in: Büge/Griesheimer, Bau von Volkswohnungen, S. 51-54. Vgl. den Entgegnungsbrief von Rettig in Vertretung des Staatssekretärs im RAM an den Reichspropagandaminister, 30.9.1935, BArch, R 41, 1027, Bl. 362f. Hier wird die Position des Arbeitsministeriums deutlich, daß unter den geltenden wirtschaftlichen Bedingungen auch für die breite Masse nur Wohnungen mit wirklich niedriger Miete erschwinglich seien. Volkswohnungen entsprächen daher tatsächlich den Bedürfnissen „weiter Bevölkerungskreise" und sollten

in keiner Weise abschätzig betrachtet werden. Vgl. auch Harlander, Heimstätte und Wohn-

maschine, S. 98.

Damit entsprachen die Darlehensbedingungen ganz den gleichzeitig geltenden Kleinsiedlungsbestimmungen, wie auch in der weiteren Volkswohnungsgesetzgebung die Parallelität zur Entwicklung des Kleinsiedlungsrechts nicht zu übersehen ist. Büge/Griesheimer, Bau von Volkswohnungen, S. 52.

3.

315

Wohnungsbaupolitik in der „Hauptstadt der Bewegung"

Die Praxis der kommenden Jahre entfernte sich allerdings deutlich von dieser Forderung: Reichsweit wurden etwa zwei Drittel der Volkswohnungen im Geschoßbau errichtet. Wie schwierig es war, unter den geltenden Bestimmungen eine Kleinhaus-Anlage zu erstellen, zeigt das Münchner Beispiel168. Das Münchner Wohnungsreferat versuchte zunächst, dieser Architekturideologie gerecht zu werden, als es daranging, eine Planung für die Bebauung des Echardinger Grünstreifens in Berg am Laim zu entwickeln, wo dann die erste Volkswohnungsanlage Münchens entstand. Schon bevor das Volkswohnungsprogramm auf dem Tisch lag, war dort ganz im Rahmen der Prioritäten nationalsozialistischer Wohnungspolitik eine Siedlung im „Charakter einer vorstädtischen Kleinsiedlung" ins Auge gefaßt worden, deren minimalistische Häuschen von den Siegern eines Architektenwettbewerbs entworfen werden sollten169. Das Konzept einer Flachbausiedlung sollte im wesentlichen auch beibehalten werden, als das Angebot des Reiches zur Gewährung günstiger Darlehen im Rahmen des Volkswohnungsprogramms bekannt wurde. Für die Münchner erschien es attraktiver, sich in dieses Förderungsmodell zu integrieren, als es wie schon in Ramersdorf mit einer Siedlung eigenen Strickmusters zu versuchen, die dann wiederum nicht dem einfachen und am meisten nachgefragten Standard entsprechen würde. Die Anwendung der Volkswohnungsrichtlinien auf Münchner Verhältnisse erwies sich allerdings als so schwierig, daß die Bearbeiter im Wohnungsreferat mit Sicherheit manches Mal wünschten, man wäre doch bei einer individuellen Lösung für die Stadt geblieben. Schon als Harbers zusammen mit einem Mitarbeiter und dem Geschäftsführer der GWG persönlich die bis dahin ausgearbeiteten Pläne im Reichsarbeitsministerium in Berlin vorstellte, mußten die Münchner sogleich zur Kenntnis nehmen, daß man dort nicht gewillt war, ihnen besondere Umstände zuzuerkennen. Die äußerstenfalls vorgesehene Monatsmiete für eine Wohneinheit von 28 RM170 dürfe auch in der „Hauptstadt der Bewegung" keinesfalls überschritten werden, hieß es unmißverständlich, eventuell könne eine kleinere Überschreitung der vorgesehenen Herstellungskostenhöchstgrenze von 3 500 RM zugebilligt werden. Die bisherigen Pläne der GWG sahen allerdings reine Baukosten von 4 800 RM für ein Einfamilienhaus und 7400 RM für ein Zweifamilienhaus vor, die im Reichsarbeitsministerium als völlig indiskutabel galten. Rechnete man diese Preise auf den Kubikmeter umbauten Raumes um, ergaben sich 23-25 RM, während in Düsseldorf und Duisburg Volkswohnungen bereits zu 16 RM pro Kubikmeter, in Merseburg zu 17 RM und in Magdeburg zu 18 RM entstanden (jeweils reine Baukosten)171. Auch wenn den Münchnern zugestanden wurde, daß -

-

8 '

Harlander, Heimstätte und Wohnmaschine, S. 98. Hochbauamt, Beblo und Meitinger, 19.12.1934, mit dem beil. Entwurf für einen „Wettbewerb zur

}

1

Erlangung von Entwürfen für eine Flachbausiedlung an der Echardinger Strasse in Mün-

chen", StadtAM, BRW 78/2, Bund 126, Berg am Laim Bd. I.

Die

Mietobergrenze wurde in einem Erlaß des RAM vom 28.1.1936 auf 25 RM und „in besonders teuren Städten", zu denen München sich zählen durfte, auf 28 RM festgelegt; vgl. Abdruck des Erlasses in: ZWB 34 (1936), S. 30. Allerdings mußte das RAM hinsichtlich dieser Festlegung im Verlauf der Jahre sehr viele Konzessionen an die reale Preissituation machen, so daß die Grenze schließlich bis 1939 auf 40 RM angehoben wurde. Diese 40 RM mußten nur durchschnittlich innerhalb eines Volkswohnungsbauprojekts gelten, die teuerste Miete durfte bis zu 50 RM gehen. Büge/Griesheimer, Bau von Volkswohnungen, S. 23. Zu diesen Angaben die Vormerkung Harbers' vom 2.3.1936 über die am 28.2. im RAM ge-

316

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

wohl die örtlichen Marktverhältnisse für das höhere Preisgefüge verantwortlich zu machen seien172, blieb ihnen nichts anderes übrig, als nach der Rückkehr aus Berlin Abstriche an den bestehenden Planungen vorzunehmen, die zu Lasten des Wohnkomforts gingen. Da wurde etwa auf Kastenfenster zugunsten einfacher Fenster ohne Läden verzichtet; aber auch die elektrischen Kochherde sollten schon dem Rotstift zum Opfer fallen und konnten nur durch einen Zuschuß der Energieunternehmen realisiert werden173. Das Wohnungsreferat und die GWG schafften es in einer gemeinsamen Anstrengung, noch hinter den bisher entwickelten Typ des Einfamilienreihenhäuschens und dessen 44,5 qm Wohnfläche zurückzugehen und einen neuen Grundriß mit nur noch 40 qm zu entwerfen, der „an Wirtschaftlichkeit wohl nicht mehr überboten werden"174 konnte und dementsprechend auch ausgeführt wurde. Um weitere Einsparungen zu erreichen, versuchte das Wohnungsreferat außerdem, „auf die Münchener Handwerker mit dem Ziele einer erheblichen Preissenkung einzuwirken"175. Dafür wurde der Ratsherr und Kreishandwerksmeister Max Zankl eingeschaltet, der das Bauhandwerk energisch aufforderte, „nationalsozialistisch zu handeln". In seinem den Ausschreibungen beigegebenen Appell verlangte er, daß so „billig wie möglich" kalkuliert werde, „um unseren noch in unhaltbaren Unterkünften wohnenden Volksgenossen das Leben erträglicher zu gestalten und den noch nicht Verheirateten die Verbindung zu ermöglichen und dadurch neuerdings unsere Handwerke befruchtend [sic]"i7b. Die eingehenden Angebote zeigten trotzdem erhebliche Diskrepanzen zwischen den billigsten und teuersten Preisen; immerhin ließ sich jetzt am unteren Ende auf ein Spektrum zurückgreifen, das sich mit den neuen Kalkulationen der GWG vertrug, und auch auf die dem Bauhandwerk angedrohte Generalvergebung an ein Großunternehmen konnte verzichtet werden177. Als die GWG am 7. April 1936 ihren ersten Antrag auf Errichtung von Volkswohnungen in Berg am Laim einreichte, hatte sie noch keine konkreten Ergebnisse, wie weit sich die Baukosten tatsächlich senken lassen würden. Sie stellte aber eine neue Berechnung auf, nach der die Herstellungskosten für die durch das Reich zu fördernden Wohnungen durchschnittlich nur noch 3 866 RM betragen sollten, also nicht mehr weit über

172

173

174 175

176

177

führte Unterredung und die ausführlichen Unterlagen der GWG vom 20.2.1936 zur Planung und Finanzierung der Anlage, beides in: StadtAM, BRW 78/2, Bund 126, Berg am Laim Bd. I. Die Fachleute im Reichsarbeitsministerium gössen hier Wasser auf die Mühlen des Münchner Wohnungsreferenten, der sich gar nicht genugtun konnte, die seiner Meinung nach überhöhten Preise des Bauhandwerks in München zu kritisieren. Vgl. z.B. Harbers an Staatsminister Esser mit der Bitte, sich gegen das „unsoziale Verhalten", das er in den Preissteigerungen im Bausektor sah, einzusetzen, 13.11.1934, StadtAM, Wohnungsamt 57. GWG, Lesch, an Harbers und an die Städtischen Elektrizitätswerke, 13.5.1936, StadtAM, BRW 78/2, Bund 126, Berg am Laim Bd. I. Zu den in Aussicht genommenen Minderungen der Herstellungsqualität vgl. GWG, Lesch, an das Referat 7, 4.3.1936, ebenda. Hier auch ausführlicher zur Begründung, warum nicht noch weitere, vom RAM vorgeschlagene Einsparungen vorgenommen werden könnten, die zu sehr zu Lasten der Wärmeisolierung und Beständigkeit oder der architektonisch ansprechenden Gestalt (etwa beim Bau längerer Reihen, um die Zahl von Eckhäusern zu mindern) der Häuser gingen. GWG, Lesch, an Harbers, 21.3.1936, ebenda. GWG, Lesch, an das Referat 7, 4.3.1936, ebenda. Zitiert wird Zankls Schreiben in dem Beschluß des Aufsichtsrates vom 26.5.1936, GWG-Ar-

chiv, Berg am Laim 0102. Vgl. Protokoll über den Beschluß des Aufsichtsrates vom 26.8.1936, ebenda.

3.

Wohnungsbaupolitik in der „Hauptstadt der Bewegung"

317

der vorgegebenen Grenze lagen. Und die GWG war sich in diesem Punkt dann auch ganz sicher: „Unter diesen Kosten können in München dauerhafte Volkswohnungen nicht errichtet werden." Auch die Einhaltung der Mietobergrenze von 28 RM könne nur durch weitgehenden Verzicht auf Eigenkapitalverzinsung und einen gewissen Ausgleich bei den Wohnungen, die ohne Volkswohnungsdarlehen gebaut würden, erreicht werden. Es sollte nämlich auch an den Einfamilienhaustypen von 40 und 44,5 qm und den größeren Kinderreichenwohnungen festgehalten werden; die GWG nahm aber in Kauf, „diese Wohnungen ohne Reichsdarlehen zu finanzieren, da weder die Kostengrenze noch die Belastungsgrenze auch nur annähernd eingehalten werden kann"178. Eine Bezuschussung durch Reichsdarlehen wurde lediglich für die 32 f Wohnungen in den Fünf- und Zwei-Familien-Häusern beantragt. Zusammen mit den 100 größeren Wohnungen in Zweifamilienhäusern sowie den 190 Einfamilienhäusern und Kleinsteigenheimen, die allesamt nicht für Reichsdarlehen in Frage kamen, ergaben sich für den ersten Bauabschnitt der GWG am Echardinger Grünstreifen 611 „Volkswohnungen". In der Sitzung der VFB-Beiräte vom 30. April 1936 wurde dieses Konzept vorgestellt und nach Beratung mit den Ratsherren von Fiehler auch gebilligt. Die Mieten staffelten sich von 29 RM in den „echten" Volkswohnungen über sechs weitere Kategorien bis zu 44 RM monatlich (mit Gartenanteil); man ging davon aus, daß „die 7 verschiedenen Mietpreislagen zwangsläufig eine gewisse Mischung der Bewohner der Siedlung bewirken", was im Sinne des Gemeinschaftssiedlungskonzepts durchaus erwünscht war 179. Vom Grundaufbau her ähnelten die Wohnungen sich, sie enthielten eine Wohnküche, Elternschlafzimmer und je nach Typ ein bis drei Schlafkammern für Kinder. Die „Normalfamilie" mit zwei Kindern sollte nach dem Modell „Kammer, Küche, Kabinett" auf 37,5 qm unterkommen, mehr konnte angesichts der strengen Reichsrichtlinien nicht zugebilligt werden. Die sanitäre Einrichtung entsprach schon dem zeitgenössischen Standard kaum noch, weil keine Bäder, nur Aborträume, eingebaut wurden; in den Kellern waren immerhin Waschküchen vorgesehen180. Die Finanzierung war durch erste und zweite Hypotheken bayerischer Banken und der Landeskulturrentenanstalt abgedeckt, daneben wurden für 321 Wohnungen insgesamt 317000 RM Darlehen aus dem Reichsfonds für die Volkswohnungen beantragt. Nachdem es keine Möglichkeit gab, auch die Klein- und Kleinsteigenheime in der Reichsförderung unterzubringen, sprang die Stadt ein und steuerte ein Darlehen in Gesamthöhe von 188 000 RM bei, das zu den gleichen Bedingungen wie die Volkswohnungsdarlehen verzinst und getilgt werden sollte181. Die Münchner Anlage zeigt geradezu symptomatisch, wie wenig die Reichsbestimmungen für Volkswohnungen zumindest in einer Stadt wie München geeignet waren, ihren sozial- und im Nationalsozialismus deutlich wichtiger bevölkerungs- und fa-

-

Zur

Erläuterung ihres Antrags vom 7.4.1936 GWG, Lesch, AM, BRW 78/2, Bund 126, Berg am Laim Bd. I.

an

das Referat 7, 9.4.1936, Stadt-

Vortrag von Konrad (in Vertretung des Wohnungsreferenten) in der Sitzung der VFB-Beiräte 30.4.1936, Abdruck ebenda. Zu den verschiedenen Typen und der Inneneinrichtung vgl. Walter, Sozialer Wohnungsbau, S. 86f, 94f. Im ersten Bauabschnitt kam die GWG sogar besser als erwartet mit ihrer Kalkulation zurecht und nahm daher das Darlehen nur zur Hälfte mit 94 000 RM in Anspruch, StadtAM, BRW 78/2, Bund 126, Berg am Laim Bd. I. am

318

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

milienpolitischen Zweck zu erfüllen182. Erleichterungen, die hier zugunsten kinderreicher Familien vorgenommen wurden, fielen sogleich aus der Förderung heraus, weil sie notwendigerweise gewisse Überschreitungen von Höchstgrenzen nach sich zogen. Dogmatisch wurde auf Einhaltung der Richtlinien bestanden; wenn Stadt oder GWG

davon abwichen, hatten sie die Kosten selbst zu übernehmen. Das bekamen sie mindestens zweimal deutlich zu spüren: Einige Zwei-Familienhäuser in der Siedlung waren in der Weise konzipiert, daß die Obergeschoßwohnungen durch zwei Kammern im ausgebauten Dach ergänzt wurden und sich daher besonders für große Familien eigneten, die Erdgeschoßwohnungen jedoch einfache, förderungswürdige Volkswohnungen darstellten. In der Praxis lag es aber gelegentlich näher, anstelle von Familien mit fünf bis sechs Kindern (für die obere Wohnung) und solchen mit nur zwei Kindern (für die untere) Familien mit drei bis vier Kindern, die beide Dachkammern unter sich aufteilten, zusammenzulegen. Dadurch verteuerte sich die Erdgeschoßwohnung auf einen monatlichen Mietpreis von 33 RM, der bereits aus den Volkswohnungsrichtlinien herausfiel183. Obwohl das Wohnungsreferat über das bayerische Wirtschaftsministerium alles versuchte, um trotzdem das Reichsdarlehen in ungekürzter Höhe behalten zu können, wurden letztlich die 22 betroffenen Wohnungen aus der Reichsförderung herausgenommen184. Probleme bekam die GWG auch, als sie eine grundsätzliche Änderung der Tarife in den Kinderreichenwohnungen vornehmen wollte, bei denen sie ursprünglich deutlich höhere Mieten als in den „echten" Volkswohnungen angesetzt hatte, sich durch die Praxis aber eines Besseren belehrt sah. Für die Wohnungen, die für drei bis vier Kinder geeignet waren, sollten eigentlich 36 bis 37 RM im Monat, bei Größen für fünf bis sechs Kinder sogar 43 bis 44 RM bezahlt werden. Wenn man davon ausging, daß der Monatslohn mindestens das Vierfache der Miethöhe betragen mußte, was zeitgenössisch eher als Untergrenze galt, dann mußten Familien, die hier einziehen wollten, rund 150 bis 180 RM im Monat verdienen. „Der städtische Wohnungsnachweis hat bereits früher darauf hingewiesen, daß den kinderreichen Arbeiterfamilien in den meisten Fällen ein solches Einkommen nicht zur Verfügung steht. Die Unterbringung kinderreicher Familien würde deshalb in der Volkswohnungsanlage Berg am Laim Schwierigkeiten bereiten und gerade die Bedürftigsten müßten wegen zu hoher Miete von vorneherein ausscheiden."185 Die Lösung schien verhältnismäßig einfach: eine kleine Erhöhung der Miete um 1 RM in den vielen „Normalwohnungen" sollte auf die wenigeren größeren Wohnungen umgelegt werden, deren Mietpreis dann entsprechend gesenkt werden konnte186. Wohnungsreferent und Oberbürgermeister hielten diese Regelung für sinnvoll, befürchteten aber schon, daß die Aufsichtsbehörden „aus grundsätzlichen Erwä-

Vgl. Abs.

I des Runderlasses vom 27.7.1935, in: Büge/Griesheimer, Bau von Volkswohnungen, S. 52. Zur Kritik von Seiten des Reichsheimstättenamtes an den wohnungshygienisch und

bevölkerungspolitisch unzureichenden Standards vgl. Harlander, Heimstätte und Wohnmaschine, S. 99. GWG, Lesch,

Bd. I. Referat 7/12 ebenda.

an

an

das Referat 7, 25.5.1937,

StadtAM,

BRW

78/2, Bund 126, Berg

das Bayer. Wirtschaftsministerium, Abt. für Arbeit und

GWG, Lesch, an das Referat 7, 7.4.1937, ebenda. Auf 33 bis 35 RM statt bisher 36 bis 37 RM und auf 36 bis 38 RM ebenda.

statt

am

Laim

Fürsorge, 21.8.1937, bisher 43 bis 44 RM,

3.

Wohnungsbaupolitik in der „Hauptstadt der Bewegung"

319

gungen" nicht zustimmen könnten. Die Stadt erklärte sich daher zu einer Deckung des Senkungsbetrags aus gemeindlichen Mitteln bereit, indem sie einen niedrigeren Zinssatz für das gemeindliche Darlehen an die GWG akzeptierte und der Gesellschaft so ermöglichte, ohne eine Erhöhung des Normalsatzes die Kinderreichenwohnungen zu verbil-

ligen, die dann allerdings auch „ausschließlich an kinderreiche Familien und nur mit Zustimmung des Wohnungs- und Siedlungsreferates zu vergeben" waren187. Anfang 1938 fiel die endgültige Entscheidung in diesem Sinne, weil die zuständigen Ministerien mittlerweile erklärt hatten, „daß eine Erhöhung der Mieten der mit Reichsdarlehen errichteten Volkswohnungen zugunsten der Ermäßigung der Mieten für die Kinderreichenwohnungen ausgeschlossen sei"188. Solche Mißhelligkeiten zwischen Stadt und übergeordneten Behörden gerade in der Kinderreichenproblematik verhinderten natürlich nicht, daß die nationalsozialistische Propaganda die Kinderfreundlichkeit der Siedlung in lauten Tönen pries, vor allem die zu jeder Wohnung gehörenden Gartenanteile lobte und Kleinigkeiten wie die fehlenden Bäder praktisch überging189. Die Anlage kam tatsächlich nicht nur den im Volkswohnungserlaß postulierten Vorgaben, sondern auch der Siedlungsideologie der National-

sozialisten in hohem Maße entgegen. Kein Haus in diesem ersten Bauabschnitt war mehr als einen Stock hoch (Erd-, Ober- und Dachgeschoß, das in einigen Fällen ausgebaut war), die Einfamilienreihenhäuser bestanden nur aus Erdgeschoß und ausgebautem Dach. Das hier angewandte Konzept der Reihung von Ein-, Zwei- und Fünffamilienhäusern verbilligte die Grundstücks-, Bau- und Heizungskosten gegenüber dem freistehenden Einfamilienhausbau, blieb aber noch weit unter dem Ausnutzungsgrad im mehrgeschossigen Mietshausbau190. Höchstens fünf Parteien teilten sich einen Eingang; die in kleine Anteile (60 qm) zerlegten Gartenstreifen zwischen den Häuserzeilen verstärkten den Siedlungscharakter und die bewußt zur „Mietskaserne" gesuchte Distanz191. Es entsprach ganz Harbers' Ehrgeiz und seinen Vorarbeiten als „KleinhausFachmann" etwa in der Mustersiedlung Ramersdorf, daß er die Inneneinrichtung der neu entstandenen Volkswohnungen nicht dem Zufall überlassen wollte. Musterwoh-

Entscheidung ebenda.

des

Oberbürgermeisters

nach

§55 Abs. II

DGO

vom

8.5.1937

(Abschrift),

Ratsherrensitzung vom 18.1.1938 (Abdruck), ebenda. Vgl. z.B. VB vom 18.8.1937: „Die neue Siedlung in Berg am Laim". In dem Artikel wurde auch deutlich gemacht, daß man von den Beziehern der Anlage für die ihnen gewährte soziale Wohltat Loyalität gegenüber der Staatsführung erwartete: „Und wenn künftig das deutsche Volk ein Gemeinschaftsfest begeht, wird auf dem Gemeinschaftsplatz der Siedlung in Berg am Laim eine große Kameradschaft antreten und dem Führer zu danken wissen." Harbers selbst zur Architektur der Volkswohnungen in München: „Diese Form des Wohnungsbaues bietet vom nationalen Standpunkt (leichte Unterbringungsmöglichkeit von kinderreichen Familien durch Ausbau der Dachgeschosse nach Bedarf) und vom wirtschaftlichen Standpunkt aus (bessere Ausnützung des teuren Bodens ohne Beeinträchtigung der wohnungshygienischen Mindestforderungen) besondere Vorteile. Der Reihenhausbau stellt eine zweckmäßige Synthese zwischen Siedlerhaus und Mietwohnung dar und kommt vorzugsweise für die überaus große Zahl von Wohnungssuchenden in Betracht, die nach den strengen

Auslesevorschriften die Voraussetzungen als Siedler nicht erfüllen." Bericht von Harbers für das Bayerische Innenministerium, 4.3.1936, StadtAM, Wohnungsamt 56. Vgl. zur bewußten Abkehr vom klassischen Mietshausbau und Orientierung am Einfamilienreihenhausbau in der Volkswohnungsanlage Peltz-Dreckmann, Nationalsozialistischer Siedlungsbau, S. 158f.

320

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

nungen mit zweckmäßiger Einrichtung wurden in

Berg am Laim präsentiert, und das

Wohnungsreferat gab Merkblätter heraus, die dem künftigen Mieter oder Eigenheimbesitzer helfen sollten, „die ihm zur Verfügung stehenden Räume zu einem ordentlichen, reinlichen und schlichten Heim auszugestalten"192. In eine Volkswohnungsanlage zog man nicht einfach ein, hier galten wieder besondere Kriterien für die geeigneten „Volksgenossen", die allerdings nicht so streng waren wie bei den Kleinsiedlungsstellen. Ohne Zweifel waren die Volkswohnungen aufgrund der relativ günstigen Mieten begehrt193. Als im Sommer 1937 die drei Musterwohnungen präsentiert wurden, die dem künftigen Mieter oder Eigenheimbesitzer das „richtige" Wohnen vermitteln sollten, nahmen je 5 000 Besucher eine Wohnung in Augenschein194. Eine Liste des Wohnungsnachweises vom Juli 1936, als gerade erst mit dem Bau begonnen worden war, enthält bereits 837 Vorgemerkte, die zum überwiegenden Teil als Arbeiter eingeordnet werden können. Auffällig ist aber und das entsprach der These des Reichsarbeitsministeriums -, daß es keineswegs nur Ungelernte, Hilfsarbeiter oder andere gering Qualifizierte waren, sondern sehr viele Facharbeiter mit handwerklicher Ausbildung (Mechaniker, Schreiner, Schlosser, Elektromonteur), die sich um die wenig geräumigen, aber günstigen Wohnungen bewarben. Die Kinderzahl lag in den -

meisten Fällen zwischen zwei und vier, auch sechs oder sieben Kinder tauchten aber noch relativ häufig auf195. Das Auswahlverfahren war zwischen Stadt und GWG in der Weise vereinbart worden, daß der Wohnungsnachweis die Bewerber aufnahm, die dann wiederum vergleichbar dem Kleinsiedlungsverfahren einen Fragebogen ausfüllen mußten. Am Wohnungsnachweis war es sodann, eine Vorauswahl zu treffen, die er der GWG aber lediglich als Vorschlag präsentierte196. Die endgültige Auswahl, bei der „soziale Gesichtspunkte" im Vordergrund standen, konnte der Wohnungsgesellschaft überlassen werden, für die ja die völlige Identifikation mit städtischen Interessen hinlänglich sichergestellt worden war. Als Richtmaß sollte gelten, daß das Einkommen mindestens das Vierfache und höchstens das Sechsfache der Wohnungsmiete betrug. Kriterien, die der nationalsozialistischen Stadtverwaltung wichtig waren, sollten jedoch auch Berücksichtigung finden: So waren möglichst nur Familien aufzunehmen, die mindestens seit 1931 in München ansässig waren eine von Harbers errichtete Schranke, um „unerwünschten Zuzug" abzubremsen. „Schwerkriegsbeschädigten, alten Kämpfern der Bewegung und Kinderreichen sowie solchen Familien, welche aus wohnungspolizeilichen Gründen ihre bisherige Wohnung räumen müssen," versprach die GWG -

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-

192

193

194

Merkblatt über die Einrichtung von Kleinwohnungen, StadtAM, BRW 78/2, Bund 126, Berg am Laim Bd. I. Zum Vergleich: In der Untersbergstraße lagen die Mieten der Gewofag mit 80 Pfg./qm im Durchschnitt mit den Volkswohnungsmieten gleichauf, hier hatten aber die städtischen Zuschüsse zu einer Verbilligung beigetragen, die nicht überall im gemeinnützigen Wohnungswesen erreicht werden konnte. Weniger als der Durchschnittssatz mußte in Berg am Laim für die

„echten" reichsgeförderten Volkswohnungen mit 75 Pfg./qm gezahlt werden. Vgl. Aufstellung der GWG vom 2.5.1936, GWG-Archiv, Berg am Laim 0102. Aufstellung der Hausverwaltung Berg am Laim vom 31.8.1937, GWG-Archiv, Berg am Laim 0101.

195

Liste des Städt. Wohnungsnachweises vom 31.7.1936, StadtAM, BRW 78/2, Bund 126, Berg Laim Bd. II. Die GWG sollte über den Vorschlag des Wohnungsnachweises hinaus die Unterlagen aller Bewerber erhalten. am

196

3.

Wohnungsbaupolitik in der „Hauptstadt der Bewegung"

321

„beim Vorliegen sonst gleicher Voraussetzungen vor anderen Familien den Vorzug" zu

geben197. Auf Intervention der Nationalsozialistischen Kriegsopferversorgung sollten auch „Wohnungsgesuche von Kriegerwitwen tunlichst wohlwollend" behandelt werden198.

Entsprechend den genannten Kriterien fragte der Bewerbungsbogen nicht nur nach Beruf, Familienstand und Kinderzahl, sondern verlangte auch Angaben über die Dauer des Aufenthalts in München, die derzeitigen Wohnverhältnisse, den Arbeitsverdienst und sonstige Einkommen. Die obligatorischen Fragen nach NSDAP-Mitgliedschaft, Frontkämpfer-Eigenschaft und Kriegsbeschädigung durften nicht fehlen; auch den Arbeitgeber sollte man mit Telefonnummer benennen mit dem offensichtlichen Zweck, daß dort Erkundigungen eingeholt werden konnten. Gegenüber dem Siedler-Fragebogen fehlten allerdings die Teile, wo es um die Eignung für das Siedlerleben ging, das heißt entsprechende Vorkenntnisse in handwerklicher und landwirtschaftlicher Arbeit oder auch die Bereitschaft der Frau, an der Bewirtschaftung der Stelle mitzuwirken. Auch das Gauheimstättenamt und die Kreisleitung waren soweit die Quellen das erkennen lassen nicht direkt in die Begutachtung der Bewerber einbezogen199. Der Bewerbungsbogen als solcher dürfte auf viele aber schon abschreckend gewirkt haben. -

-

-

Das wird etwa deutlich aus der Tatsache, daß von 1 436 Interessenten, die sich bis zum Richtfest am 26. November 1936 hatten vormerken lassen und die dann Ende November einen Fragebogen erhielten, nur 490, also ein gutes Drittel, bis zum Jahresende den Bogen ausgefüllt zurückreichten200. Im Dezember und zu Anfang des folgenden Jahres kamen aber noch etliche neue Bewerber hinzu, so daß im Februar 1937 schließlich 951 ernstzunehmende Anträge allein für die Mietwohnungen (ohne Eigenheime) beim Wohnungsnachweis vorlagen; 42 waren sofort abgelehnt worden, weil sie in keiner Weise die aufgestellten Kriterien erfüllten201. Der Wohnungsnachweis qualifizierte die eingegangenen Bewerbungen sehr genau, stellte Listen nach Einkommen, Kinderzahl, Beruf und den anderen als relevant angesehenen Kriterien, aber auch nach den Wohnungskategorien, die nachgefragt wurden, zusammen. Dabei stellte sich heraus, daß die „echten" Volkswohnungen, die 28 RM Miete (plus eine RM für den Gartenanteil) kosten sollten, „mit großem Abstand gegen alle übrigen am meisten gefragt" waren. Dagegen erfreuten sich die etwas komfortableren, aber auch nur für Zwei-Kinder-Familien ge197

198

199

200

201

GWG, Lesch, an das Referat 7/30, 21.8.1936; hier auch zum weiteren Verfahren und zu den Kriterien der Auswahl. Quasi identisch sind die „Grundsätze für die Vergebung der Wohnungen und Häuser der Siedlung Berg am Laim der Gemeinnützigen Wohnstätten- und Siedlungsgesellschaft m.b.H., München", die vom Aufsichtsrat der Gesellschaft am 3.10.1936 beschlossen wurden, beides in: StadtAM, BRW 78/2, Bund 126, Berg am Laim Bd. II.

NSKOV Bezirk München-Oberbayern an das Wohnungsreferat, 16.5.1936, und Harbers an die GWG, 30.5.1936, GWG-Archiv, Berg am Laim 0101. So wurde von Seiten der Kreisleitung zwar im Siedler-Vorprüfungsausschuß der Wunsch geäußert, über die Volkswohnungsanlage die Parteipräsenz im Quartier zu erhöhen, aber Harbers bemerkte dazu gegenüber der GWG, daß er Vorbehalte gegen eine Einbeziehung der Kreisleitung in die Mieterauswahl habe und eine Verpflichtung hierzu nicht bestünde. Vgl. Vormerkung des Referats 7/11 vom 3.7.1936 mit der Randnotiz Harbers' für die GWG, ebenda. Direktor Zeiss vom Wohnungsnachweis an Harbers, 22.12.1936, StadtAM, BRW 78/2, Bund 126, Berg am Laim Bd. II. Bericht des Wohnungsnachweises, Zeiss, an das Referat 7, 19.2.1937, ebenda.

322

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

eigneten Eckhäuser mit einer größeren Gartenparzelle keiner großen Beliebtheit, weil

der Aufwand hier monatlich gleich fünf Mark mehr betrug. Höher in der Gunst trotz der gesteigerten Mietkosten waren dann wieder Wohnungen, die mehr Schlafkammern aufwiesen, da sich hier Kinderreichen Unterbringungsmöglichkeiten anboten, „während sie in Altwohnungen wegen der bekannten Schwierigkeiten bei den Hausbesitzern nur sehr schwer unterkommen" konnten. Gerade bei den für fünf bis sechs Kin-

-

der geeigneten Wohnungen, die ja, bevor die GWG zur Mietverbilligung schritt, monatlich zwischen 43 und 44 RM kosteten, war allerdings „die Zahl der zahlungssicheren Bewerber gering"202. In Absprache mit der GWG verzichtete der Wohnungsnachweis darauf, aus der Fülle der eingegangenen Bewerbungen eine regelrechte Vorschlagsliste zu erarbeiten, aber qualifizierte die Anträge nach drei Kategorien, die Entscheidungshilfe liefern sollten, wer von den 951 Bewerbern bei den insgesamt 421 zu vergebenden Mietwohnungen zu berücksichtigen war. Selbst in die erste Kategorie der Bewerber, die eine entsprechende Kinderzahl aufwiesen, lange genug in München lebten, in unzureichenden Wohnungen untergebracht waren und ganz wichtig voraussichtlich in der Lage waren, die entsprechende Miete aufzubringen, fielen aber noch 484 Familien, also mehr, als überhaupt untergebracht werden konnten. In die zweite Kategorie (340) wurden Antragsteller aufgenommen, die hinsichtlich der Kinderzahl nicht genügten oder erst nach dem 1. Januar 1931 nach München gezogen waren, aber ausreichendes Einkommen bezogen. Mit dem letzten Platz auf der Prioritätenliste mußten sich schließlich die Kandidaten (127) zufriedengeben, die unabhängig von der Erfüllung der Bedarfskriterien die erforderliche Miete wohl nicht aufbringen konnten und auf Unterstützung des Wohlfahrtsamtes angewiesen waren203. Die GWG machte sehr bald deutlich, daß ihre Volkswohnungsanlage nicht als Fürsorgemaßnahme zu begreifen war, sondern nach wirtschaftlichen Kriterien funktionieren sollte, so daß die Rentabilität gewährleistet war. Sie war nicht bereit, dem Wohlfahrtsamt ein Zuweisungsrecht einzuräumen, und betonte, daß „ausschließlich zuverlässige, reinliche und verträgliche Mieter in gesicherten finanziellen Verhältnissen angenommen werden" könnten204. Zu diesem Zweck wurden auch Auskünfte bei den zuständigen Wohlfahrtsbehörden eingeholt. Die Betonung der stabilen Einkommenssituation galt noch mehr für die Bewerber um Eigenheime, die als Reichsheimstätten ausgegeben wurden. Das größere mit 44 qm kostete 6 500 RM als Eckhaus 7 400 RM und verlangte eine Mindestanzahlung von 300 RM, während 4 700 RM als Hypothekenkapital aufgenommen werden konnten und eine Restforderung von 1 500 RM stehenblieb. Die monatlichen Leistungen des Bewohners wurden für das Haus mit Gartenanteil auf 41 bzw. 46 RM im Eckhaus angesetzt. Das „Kleinsteigenheim" mit nur 40 qm wurde zu einem Gesamtpreis von 5 700 RM und entsprechend etwas günstigeren Bedingungen abgegeben, so daß man hier mit 300 RM Anzahlung und monatlichen Aufwendungen von 36 RM schon stolzer Haus- oder vielmehr Häuschenbesitzer werden konnte205. Trotzdem tat sich die Gesell-

-

-

-

-

202 203

204

205

-

Alle Zitate ebenda. Ebenda.

GWG, Marx, 22.2.1937, GWG-Archiv, Berg am Laim 0101. Hier auch das Formular zur Ein-

holung von Auskünften bei den zuständigen Bezirkswohlfahrtsämtern. Vgl. Aufstellung „Volkswohnungsanlage Berg am Laim. Zur Presseführung

am

20.

August

1937", StadtAM, BRW 78/2, Bund 126, Berg am Laim Bd. I, und das für Interessenten ausge-

3.

323

Wohnungsbaupolitik in der „Hauptstadt der Bewegung"

schaft im Gegensatz zu den Mietwohnungen ausgesprochen schwer, geeignete Kandidaten für die Eigenheime zu finden: Dabei scheiterte es vor allem an den erforderlichen Anzahlungen, denn offenbar war die typische Klientel für die Miniaturhäuschen oft nicht in der Lage, auch nur diese geringe Investition aufzubringen. Als dann etwas in-

geworben wurde, gelang es aber doch, genügend Eigenheimkäufer zu finden, und die Stadt konnte darauf verzichten, eigene „Gefolgschaftsmitglieder" mit Darlehen zum Eigenkapitalersatz beim Hauskauf zu unterstützen, wie sie es zunächst zugesagt hatte206. Nachdem die Kriterien der Vergabe deutlich gemacht wurden, stellt sich die Frage, wer nun tatsächlich in die 611 Wohnungen und Eigenheime des ersten Bauabschnitts einzog. Eine Aufstellung des Wohnungsnachweises vom 31. Januar 1938 listet 614 Haushaltsvorstände auf, also kaum mehr als vorhandene Wohneinheiten, was angesichts deren Größe nicht zu erstaunen vermag. tensiver

Tab. 25:

abschnitt

Sozialprofil der Haushaltungen in der Volkswohnungsanlage Berg am Laim, erster Bau-

Berufe der Haush. vorstände Facharbeiter: Hilfsarbeiter: Rentner:

Angestellte: Beamte:

Selbständige: ohne Beruf:

Summe:

Monatsverdienst

Kinderzahl

(RM)

306 141 17 74 30

bis 100

42 4

110 120: 130: 140 150 160 170 180 190: 200:

43 9 192 81 76 50 68 12 17 25 41

72 167 204 94

bisher gezahlte Mieten (RM) bis 20

169

25 30: 35 40

141 121 69

45 50

26

54

10 8 4 1

60

37 14 37

614

614 614 614 Die Spalten sind nur senkrecht zu lesen und können nicht miteinander korreliert werden. Bei den bisher gezahlten Mieten wurden Haupt- und Untermieter zusammengefaßt, wobei allerdings 224 Parteien zuvor zur Untermiete gewohnt hatten. Quelle: Wohnungsnachweis vom 31. Januar 1938, StadtAM, BRW 78/2, Bund 126, Berg am Laim Bd. II.

Die

Aufstellung bestätigt nochmals, was

auch schon bei den

ersten

Bewerbungen

deutlich geworden war, daß die hier entstandenen Volkswohnungen vor allem für die Facharbeiterschicht in Frage kamen. Praktisch genau die Hälfte, nämlich 306 Haushaltsvorstände, gehörten in diese Kategorie. Auch für weniger qualifizierte und damit im allgemeinen wohl auch schlechter entlohnte Arbeiter war die Volkswohnung aber noch

bezahlbar, wie der Anteil von fast einem Viertel Hilfsarbeitern bestätigt. Die Monatsverdienste lagen selten unter 110 und relativ selten über 160 RM und bezeichneten damit hauptsächlich ein Segment, das einem mittleren bis guten Arbeiterlohn entgebene Informationsblatt

206

Berg am Laim Bd. II.

über

Wohnungsgrößen, Mietpreise und Eigenheimkosten, ebenda,

Protokoll über den Beschluß des Aufsichtsrates vom 11.5.1937 und GWG, Lesch, an Gleixner, 24.6.1937, GWG-Archiv, Berg am Laim 0101.

324

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

Daß überhaupt etliche Bewohner in eine höhere Verdienstkategorie fielen, dürfte den Eigenheimen geschuldet gewesen sein, für die auch das Wohnungsreferat Einkommen zwischen 165 und 275 RM bereits vorausgesetzt hatte208. Im Ganzen zeigt das Berufsprofil der Volkswohnungsanlage recht deutliche Parallelen zu dem einer Reichskleinsiedlung wie der Neuherberge, die um die gleiche Zeit entstand: In beiden Anlagen waren rund drei Viertel der Einwohner Arbeiter, während Angestellte und Beamte zusammen etwa ein Fünftel ausmachten; die Selbständigen waren in der Reichskleinsiedlung fast vernachlässigbar, in der Volkswohnungsanlage etwas stärker vertreten, was auch mit den Geschäften, die hier integriert wurden, zusammenhängen moch-

sprach207.

te209. Die

Mieten, die die Bezieher der Anlage in Berg am Laim vorher bezahlt hatten, lasehr häufig sogar noch unter dem Volkswohnungssatz, was wiederum auf die Disgen zwischen krepanz Altwohnungs- und Neuwohnungsmieten verweist, die selbst im solcherart begünstigten Bau nicht aufzuheben war. Die niedrigen Mieten zuvor ebenso wie die Tatsache, daß 224 Parteien zur Untermiete gewohnt hatten, sind ein deutliches Indiz für die nicht selten dürftigen Wohnverhältnisse, aus denen die Neumieter kamen; darauf wird im folgenden Kapitel näher einzugehen sein. Aufgrund des angespannten Wohnungsmarktes waren bedrängte und hygienisch unzureichende Wohnverhältnisse auch bei Facharbeiterfamilien keine Seltenheit. Man darf dabei nicht vergessen, daß die Wohnungen in Berg am Laim gleichfalls alles andere als Luxus boten und zum Beispiel mit fehlenden Bädern nur einem niederen Standard entsprachen. Obwohl einschließlich der Eigenheime 260 Wohnungen als geeignet für Familien ab drei Kindern bezeichnet worden waren210, weist die Tabelle nur 171 „kinderreiche" Familien aus. Die Finanzierung war trotz städtischer Bemühungen offenbar in vielen Fällen ein nicht zu überwindendes Hindernis. Zum anderen das belegt auch die Altersstruktur der Haushaltsvorstände211 kamen häufig noch junge Familien nach Berg am Laim, bei denen sich bald weiterer Nachwuchs einstellte212. Tatsächlich bestätigten sozialstatistische Erhebungen einige Zeit später, daß die Volks wohnungsanläge in dieser Hinsicht voll die Erwartungen nationalsozialistischer Bevölkerungspolitik erfüllte. Eine Haushaltszählung vom 10. Oktober 1938 stellte 127 Neugeborene für das erste Bestehensjahr der Siedlung fest. Veranschlagte man die Geburtenziffer wegen der sogleich gestorbenen Säuglinge noch etwas höher, so ergab sich eine Quote von 50 pro 1 000 der Bevölkerung, während im Münchner Durchschnitt nur eine Geburtenziffer von 16,19 auf 1 000 verzeichnet wur-

-

de. Auch die Zahl der Kinder unter sechs Jahren war zu diesem Zeitpunkt in der Anla207

208

209 210 211

212

Statistische Angaben für das Deutsche Reich wiesen den durchschnittlichen Wochenverdienst eines Arbeiters 1937 mit 26,50 RM aus, wobei in München das Niveau wohl etwas höher gelegen haben dürfte. Zeitschrift des Bayerischen Statistischen Landesamts 70 (1938), S. 202. Vgl. Informationsblatt für die Bewerber, StadtAM, BRW 78/2, Bund 126, Berg am Laim Bd. II. Bei den „Kleinsteigenheimen" waren es nur 145 bis 245 RM. Vgl. oben Tab. 20, S. 250. Vgl. Aufstellung vom 9.4.1937, StadtAM, BRW 78/2, Bund 127, „Materialakt". Im Alter bis 30 Jahre waren 172 Haushaltsvorstände, zwischen 30 und 40 mehr als die Hälfte, nämlich 314, Wohnungsnachweis vom 31.1.1938, StadtAM, BRW 78/2, Bund 126, Berg am Laim Bd. II. Beabsichtigter oder bevorstehender Nachwuchs dürfte auch der Grund gewesen sein, warum wesentlich mehr Familien ohne Kinder (72) eingezogen waren, als Dachgeschoßwohnungen für Kinderlose (25) vorhanden waren.

3.

Wohnungsbaupolitik in der „Hauptstadt der Bewegung"

325

ge viermal so hoch wie im im übrigen München, die der schulpflichtigen Kinder noch immer doppelt so hoch213. Es ist nicht erstaunlich, daß bei einem vom Reich initiierten und auch inszenierten

Programm wie dem Volkswohnungsbau die ansässigen Dienststellen der Partei und ihrer Gliederungen versuchten, das Entstehende quasi als Parteiverdienst für sich zu re-

klamieren. Die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) wollte gleich selbst die Einweisung der bei ihr gemeldeten Wohnungsbedürftigen in die Anlage übernehmen, was von der Stadt unter Hinweis auf die Existenz und behördliche Legitimation des Wohnungsnachweises abgewehrt werden konnte214. Der Kreisleitung der NSDAP erschien die Volkswohnungsanlage dagegen geeignet, ein neues Einfallstor für die Partei zu bilden, da sie glaubte, in dem Arbeiterquartier um die Echardinger Straße noch zu wenig Rückhalt zu finden215. Tatsächlich wurde die Parteimitgliedschaft erhoben216 und mochte in manchem Fall Einzelheiten sind nicht mehr rekonstruierbar den Ausschlag für eine Wohnungszuteilung gegeben haben217. Im Hinblick auf die „alten Kämpfer" war das ja ausgesprochen konzediert worden. Unter den ersten 314 Bewerbern, die eine feste Zusage der GWG auf eine Wohnung erhielten, waren knapp zehn Prozent, nämlich 27 Parteigenossen, die der NSDAP schon vor der „Machtergreifung" angehört hatten218. Notwendige Voraussetzung war es jedoch nicht, „Pg." zu sein. In den Fällen allerdings, in denen die Partei zugunsten einzelner Mitglieder direkt intervenierte, konnten sich Stadt und GWG diesen Ansprüchen nicht mehr entziehen, weil sie wußten, daß sie im Falle eines offenen Konfliktes mit einer klaren Niederlage rechnen mußten. Interessant ist hier der Fall eines „Blutordensträgers", dessen Frau ihn mit dem gemeinsamen Kind bald nach dem Einzug in die Anlage verließ und die Wohnung von sich aus kündigte. Das Drängen seines Sturmführers erwirkte für den SA-Mann, der in der Wohnung bleiben wollte, ohne Familie aber keinen Anspruch mehr darauf hatte, -

213

GWG, Lesch, vom 1.11.1938: „Bevölkerungsbewegung in der Wohnanlage Berg am Laim", StadtAM, BRW 78/2, Bund 126, Berg am Laim Bd. II. Der Trend zu einem hohen Geburten-

niveau und damit hohen durchschnittlichen Kinderzahlen hielt in der folgenden Zeit an und wurde auch in anderen Volkswohnungsanlagen der GWG wie der an der Milbertshofener Straße beobachtet wobei man bei den Wohnungszuteilungen eben auch häufig Familien berücksichtigte, in denen gerade Nachwuchs erwartet wurde. Vgl. GWG, Geschäftsbericht 1939, S. 7, StadtAM, WAR 1094. Vgl. das Schreiben des Leiters der Wohlfahrtsabteilung beim Kreisamt der NSV an das Referat 7, 22.1.1937, und dessen Entgegnung vom 25.1.1937, StadtAM, BRW 78/2, Bund 126, Berg am Laim Bd. II. Vormerkung des Referats 7/11 vom 3.7.1936, GWG-Archiv, Berg am Laim 0101. Die GWG holte zusätzliche Auskünfte in einigen Fällen über die „Deutsche Auskunftei" in München ein, die, von einem Parteimitglied geleitet, im nationalsozialistischen Sinn als sehr zuverlässig galt. Vormerkung von Lesch vom 25.11.1936, ebenda. Auch Harbers berichtete den Ratsherren, daß die Ortsgruppe Berg am Laim sehr unzufrieden mit der „Stimmung" sei, die dort herrsche, und daß es notwendig sei, „nach Möglichkeit Nationalsozialisten da hinauszubringen"; Sitzung der VFB-Beiräte vom 16. Juli 1936, StadtAM, RP 709/3. Daß Harbers dieses Argument aufgriff, dürfte mehr aus dem taktischen Grund geschehen sein, eine positive Einstellung der Ratsherren zu dem Projekt herbeizuführen. Ihm selbst ging es aber, wie sich aus zahlreichen Äußerungen ersehen läßt, eher um die Unterbringung von Kleinwohnungsanwärtern als um die von Parteigenossen. Vgl. auch oben Anm. 199. Protokoll über den Beschluß des Aufsichtsrates vom 11.5.1937, GWG-Archiv, Berg am Laim -

214

215 216

217

218

-

0101.

326

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

Kündigungsaufschub um zwei Monate. Als die GWG dann doch die Kündigung aussprechen wollte, wurde sie von dem Betroffenen massiv unter Druck gesetzt, der die Gesellschaft darauf hinwies, daß er „einer der ältesten Kämpfer der Bewegung und Träger des Blutordens [...] und durch 16-jährigen restlosen Einsatz gesundheitlich schwer geschädigt" sei219. Es kam aber noch deutlicher: Anläßlich der bevorstehenden Weihnachtsfeier Hitlers mit seinen „alten Kämpfern" drohte der SA-Mann, den „Führer" selbst einzuschalten, falls die Gesellschaft es sich nicht anders überlege. Was blieb ihr anderes übrig? Das Wohnungsreferat riet, dem Mann den Vertrag vorerst um ein halbes Jahr zu verlängern. „Wenn auch ein ständiges Verbleiben des F. ohne Familie nicht erwünscht ist, soll doch ein zwangsweises Vorgehen in diesem Falle nach Mögzunächst einen

lichkeit vermieden werden."220 Der erste Bauabschnitt in Berg am Laim und die hier entstandenen 611 Wohnungen wurden exemplarisch und daher ausführlich behandelt, die weitere Bauentwicklung soll nur knapp skizziert werden. Die „Maikäfersiedlung", wie sich bald als Spitzname für die gartenstadtartige Anlage mit den so kleinen Unterkünften einbürgerte, war im ersten Bauteil im Innenbereich ausgebaut worden, nach den Plänen sollte aber eine weitgehend abgeschlossene und als Einheit wirkende Siedlung hier entstehen, die daher durch Randbebauung abzugrenzen war. Lange Reihen von Fünffamilienhäusern wurden in drei Bauteilen an der Bad-Schachener-Straße, an der Echardinger Straße und St.Michael-Straße errichtet, so daß die Siedlung von drei Seiten her umschlossen wurde. Die Eingänge der Geschoßbauten lagen nicht auf der Straßen-, sondern jeweils auf der Gartenseite, was den abgeschirmten Charakter noch verstärkte und zu gleichförmigen Außenfassaden führte. Weitere 377 Volkswohnungen in zweigeschossigen Fünffamilienhäusern mit ausgebautem Dach kamen auf diese Weise zu den 611 des ersten Bauabschnitts hinzu, so daß bis zum Krieg eine Anlage mit fast 1 000 Wohneinheiten hier fertiggestellt wurde221. In welchem Ausmaß war es nun gelungen, mit den vom Reich so unnachgiebig diktierten Kostengrenzen zurechtzukommen? Die GWG hatte ihren ersten Antrag auf Errichtung von Volkswohnungen in Berg am Laim ja noch auf einer relativ unsicheren Basis gestellt, da sie nicht wußte, ob sie tatsächlich mit den angenommenen Herstellungskosten von durchschnittlich 3 866 RM pro Wohnung auskommen würde. Eine 1941 angestellte Überprüfung der Gesamtherstellungskosten ergab dann sogar eine kleine Minderung gegenüber dieser Kalkulation. Für die 299 mit Reichsdarlehen geförderten Wohnungen errechneten sich Herstellungskosten von 3 705 RM222. Dieser Preis ließ sich freilich im Verlauf weiterer Bauabschnitte nicht aufrechterhalten: im zweiten und dritten Bauteil stieg er bereits auf rund 4 000 RM und im vierten Bauteil schließlich auf 4 300 RM. Allerdings setzte mittlerweile auch bei den eine gewisReichsbestimmungen se Anpassung an die nicht nur in München, sondern in vielen Großstädten beobachte219

Abschrift des Briefes von R.F. an die GWG, 6.12.1937, StadtAM, BRW 78/2, Bund 126, Berg am Laim Bd. II. Hier auch die dazugehörigen Schriftwechsel zwischen dem Sturmführer, der

220

Referat 7, Troll, an die GWG, 22.12.1937, ebenda. Zu allen Bauabschnitten Einzelakten im GWG-Archiv, Berg am Laim 0103-0105. Errechnet aus: „Aufteilung der Gesamtherstellungskosten und der Mitteldeckung auf die einzelnen Bauteile" als Anlage 2 zur Entscheidung des OB vom 3.7.1941, StadtAM, BRW 78/2, Bund 126, Berg am Laim Bd. I.

GWG und der Stadt.

221 222

3. Wohnungsbaupolitik in der

„Hauptstadt der Bewegung"

327

Schwierigkeiten ein, im Rahmen der 1935 erlassenen Richtlinien noch Volkswohnungen zu erstellen. Die Herstellungskostengrenze wurde daher 1937 auf 4 500 bis 5 000 RM angehoben223. Für den zweiten und dritten Bauabschnitt in Berg am Laim wurden die Reichsdarlehen nach den neuen Bestimmungen in Höhe von mittlerweile 1500 RM pro Wohneinheit in Anspruch genommen, im vierten Bauabschnitt traten Staatsdarlehen an diese Stelle224. Weil die Mieten für die ganze Anlage konstant niedrig gehalten wurden, ergab sich für die GWG ein Rentabilitätsproblem225. Selbst wenn sie keine Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals anstrebte, blieb für die Gesellschaft ein ten

jährlich ungedeckter Fehlbetrag von fast 13 000 RM, den man zunächst als Liquiditätsverschlechterung in Kauf nahm und hoffte, eines Tages durch weitere Zinserleichterungen ausgleichen zu können226. Nimmt man den Begriff Volkswohnungen im engeren Sinn für die Wohnungen, welche durch das Reichsprogramm gefördert wurden, dann trifft er nur knapp auf die Hälfte der in Berg am Laim gebauten Anlage zu. Bei den über vier Bauabschnitte erstellten 988 Wohnungen erhielt die GWG in 487 Fällen ein Reichsdarlehen. Auf die Gesamtkosten gerechnet, sah der Beitrag des Reichs noch geringfügiger aus: Von 5,1 Millionen RM

(einschließlich der Grundstücks- und Aufschließungskosten) wurden

nur

das Reich

aufgebracht, der Rest mußte aus Hypotheken, städtischen Darlehen und Vergünstigungen im Baulückenprogramm, staatlichen Darlehen und dem Eigenkapital der Gesellschaft gedeckt werden227. Man muß allerdings hinzufügen, daß die GWG als gemeinnütziges Wohnungsunternehmen, das sich im „Arbeiterwohnstättenbau" engagierte, Steuervergünstigungen und Gebührenbefreiungen genoß, die sich auch in einer Verbilligung der Gestehungskosten niederschlugen228. Die „Maikäfersiedlung" ist die bekannteste Volkswohnungsanlage in München vielleicht, weil sie als erste fertiggestellt wurde, und wahrscheinlicher noch, weil sie in besonders ausgeprägtem Maße den „Heimatstil" verkörpert. Mietwohnungsbau als Flachbau, als Siedlungsanlage, die parzelliert ist in kleinste Wohn- und Garteneinheiten, steht für eine andere Wohnkultur als die großstädtischen Miethausblöcke. Auch das Neue Bauen der zwanziger Jahre hatte allerdings, was die Nationalsozialisten in ihrer Polemik gegen den Wohnungsbau der liberalen Epoche gerne vergaßen, solche gartenstädtischen Reihenhausanlagen hervorgebracht, man denke nur an Bruno Tauts Sied577 000 RM oder etwas mehr als ein Zehntel durch

-

Vgl. den Runderlaß des RAM vom 4.8.1937 mit den genannten Erleichterungen, die auch einen niedrigeren Zinssatz 3% für die Reichsdarlehen einschlössen. Im Vorspann hieß es in Einsicht der Kinderreichenproblematik, daß „die Begrenzung der zulässigen Baukosten dazu geführt [hat], daß bei fortschreitender Verteuerung der Baustoffe die Wohnungsgrößen, vor allem für die Unterbringung kinderreicher Familien, kaum mehr ausreichend scheinen". Büge/Griesheimer, Bau von Volkswohnungen, S. 55-58, hier 55. GWG-Archiv, Berg am Laim 0103-0105. Vgl. die Anlage 3 (Rentabilitätsberechnung) und die Anlage 4 (Mieten-Übersicht) zur Entscheidung des OB vom 3.7.1941, StadtAM, BRW 78/2, Bund 126, Berg am Laim Bd. I. -

-

Vgl. Harbers in der Sitzung der VFB-Beiräte vom 3.7.1941 (Abschrift des Protokolls), ebenda. „Aufteilung der Gesamtherstellungskosten" (wie Anm. 222). Vgl. oben, S. 147f., zu den Vergünstigungen im Arbeiterwohnstättenbau. Weiter Enskat, Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen, in: WWS, Bd. 1, S. 527-530, hier 530, außerdem „Was bedeutet die Anerkennung der Gemeinnützigkeit für die Wohnungsunternehmen?", in: ZWB 34 S. (1936),

244-248.

328

Tab. 26:

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

Verteilung der Mitteldeckung bei der Volkswohnungsanlage Berg am Laim

Bauabschnitt Zahl der Whgen. davon mit Reichsdarlehen gefördert

Hypotheken (RM)

I

II

III

IV

gesamt

611

105

83

189

988

299

105

83

2372226

210000

186000

157500

124 500

Reichsdarlehen (RM) Staatl. Darlehen (RM)

295000

Städt. Darlehen (RM)

94 000

Sonstige Vergünstigungen (RM)

111914

Eigenkapital (RM)

322416

Gesamtbauaufwand (RM)

3195556

487

477500

3245 726

577000 242 500

242500

118600

93 600

234150

540350

7835

6092

15194

141035

7323

12 577

342316

417515

981921

5088927

493935

Quelle: Aufteilung der Gesamtherstellungskosten (1941), StadtAM, BRW 78/2, Bund 126, am Laim Bd. 1.

Berg

lung „Onkel Tom" in Berlin-Zehlendorf. Deren experimentierfreudige Architektur mit Farbeffekten und geometrischen Stilelementen zur Rhythmisierung und Individualisierung der Hauseinheiten mit flachen Dächern unterschied sich jedoch in erheblichem Maße vom äußeren Bild der „Maikäfersiedlung". Die Volkswohnungsarchitekten im städtischen Wohnungsreferat und Hochbauamt mußten vor allem möglichst einfach bauen, sie verzichteten auf jegliches Experiment, die traditionelle deutsche Hausform wurde fortgesetzt, nachdem der Streit um das richtige Dach ohnehin schon gegen das

Flachdach des Neuen Bauens entschieden war229. Weil man aber nach einem hohen Errichtungstempo bei niedrigen Kosten strebte, wurde die Bautechnik eher zu einem Feld der Moderne. Im Münchner Volkswohnungsbau wurde nicht Ziegel auf Ziegel gesetzt, sondern mit Kunststeinen aus der IG-Farben-Forschung gearbeitet. Nach außen gaben der Rauhputz und vereinzelte Sgraffitomalereien mit volkstümlichen Motiven dann wieder das richtige heimatliche Gepräge230. Wir treffen also in der „Maikäfersiedlung" auf eine architektonische Lösung, bei der versucht wurde, die Forderungen der urbanen Industriegesellschaft nach billigem Wohnraum, der für die Masse geeignet ist und sich auf das Notwendige beschränkt, in einer Form zu verwirklichen, die zumindest in Ansätzen die vorindustriellen Ideale der Schollenverbundenheit und des „Einfamilienwohnens" aufrechterhielt. Wegen ihres paradigmatischen Charakters für den Volkswohnungsbau ist die „Maikäfersiedlung" hier ausführlicher behandelt worden231. Es erscheint nicht notwendig, weitere Bauprojekte von ihrer Entstehungsgeschichte bis zur Ausführung zu analysieren, statt dessen sollen einige der einschneidenden Änderungen, die sich gegenüber dem 229

yg[ Münk, Organisation des Raumes, S. 217, zur Propaganda für das „landschaftsgebundene Bauen".

230

231

Vgl. zur Bauweise und Ausschmückung der Volkswohnungsanlagen Walter, nungsbau, S. 91-94. Vgl. auch Schickel, Siedlung Echarding.

Sozialer Woh-

3. Wohnungsbaupolitik in der

„Hauptstadt der Bewegung"

329

Ursprungskonzept ergaben, aufgezeigt und die grundsätzlichen Züge des Programms zusammenfassend verdeutlicht werden. Die GWG setzte das in Berg am Laim erprobte Volkswohnungskonzept in weiteren Bauprojekten an der Milbertshofener Straße und am Harthof fort. Bei den neuen Anlagen wurde in rationalisierter Vorgehensweise nur noch der Fünffamilienhaustypus in gleichförmigen Reihen verwirklicht. Das Reich unterstützte die Maßnahmen wiederum mit

Darlehen, die zuletzt am Harthof 2 900 RM für Kinderreichenwohnungen betrugen232. Die Wohnanlage am Harthof verkörpert bereits den stark beschränkten Kriegswohnungsbau, der unter dem Signum der „Rüstungswichtigkeit" stand. Die GWG erhielt zusätzliche Darlehen von „kriegswichtigen" Betrieben und mußte einen großen Teil der Wohnungen an deren „Gefolgschaftsmitglieder" vergeben233. Sozialer Wohnungsbau für die „breiten Schichten" oder die „minderbemittelte Bevölkerung" war im Krieg keine ausreichende Legitimation für die Inanspruchnahme von Ressourcen im Bausektor. Die GWG blieb, nachdem sie 1936 das Startsignal für den Volkswohnungsbau in München gegeben hatte, nicht Monopolistin in diesem Bereich. Allmählich zogen auch andere Wohnungsgesellschaften nach, die ebenfalls die Möglichkeit der Reichsdarlehen und zusätzlicher günstiger Gemeinde- und Staatsdarlehen nutzten. Die Gewofag errichtete größere Baublöcke am Erdinger Anger (in Fortführung ihrer Siedlung Neuramersdorf) und im Stadtteil Friedenheim, verschiedene Anlagen entstanden auch in den Randgebieten und gerade erst eingemeindeten Vororten wie Pasing und Allach, wo die von Christian Weber mitgegründete Oberbayerische Heimstätte aktiv war234. Die Zeit, in der noch „normale" Bautätigkeit stattfinden durfte, war allerdings knapp bemessen; im Krieg wurde der Volkswohnungsbau entweder in den Dienst der Rüstungswirtschaft gestellt oder zurück auf die Planungsebene geholt235. Bis Anfang f 942 entstanden insgesamt 4 453 Volkswohnungen in München gezählt sind nur die Wohneinheiten, für die tatsächlich Reichsdarlehen gegeben wurden236. Bei diesen „echten" Volkswohnungen lag die Reichsförderung im Durchschnitt bei knapp 1 600 RM, was die Steigerung der Darlehenshöhe von maximal 1 000 RM 1935 auf 2 000 RM 1939 (für den Normalfall) widerspiegelt237. Dieser zuletzt genannte Satz konnte noch überschritten werden und -

232

Vgl.

233

Vgl. unten, S. 392. Vgl. das nach dem Krieg angelegte Verzeichnis des Referats 12/E 1 über „Durchgeführte Volkswohnungsbauvorhaben", in: StadtAM, BRW 78/1, Bund 8. Am 4.4.1941 traf der neue Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau, Robert Ley, eine

234

235

zur Bau- und Finanzierungsgeschichte GWG-Archiv, Milbertshofen 0301 und Am Harthof 0503,0504. In Milbertshofen entstanden 113 Fünffamilienhäuser mit 565 Wohnungen, am Harthof bis 1942 227 Häuser mit zusammen 1 135 Wohnungen.

Übergangsregelung,

für den 236

237

BayHStA, OBB

12715.

die Volkswohnungsbestimmungen dem Programm des „Führers" nach dem Krieg anzupassen. Vgl. die neuen Bestimmungen in

um

Wohnungsbau

Daraus resultiert die

Diskrepanz zu der in Tab. 22, oben, S. 282, genannten Zahl, die etwa die Volkswohnungsanlage Berg am Laim ganz auch mit den Eigenheimen einbezieht. Vgl. „Übersicht über die Zuweisung von: Volkswohnungsreichsdarlehen", StadtAM, BRW -

-

78/1, Bund 8. Zusatzdarlehen für Kinderreiche wurden hier nicht mitgezählt. Zur sukzessiven

Erhöhung der Reichsdarlehen vgl. Büge/Griesheimer, Bau von Volkswohnungen. Interessant

für München war insbesondere der Erlaß vom 25.4.1939, nach dem die Reichsdarlehen auch über die Höchstgrenze von 2 000 RM hinaus erhöht werden konnten mit Hilfe einer von den Bewilligungsbehörden zu ermittelnden Schlüsselzahl, die das örtliche Niveau der Baukosten ausdrückte, vgl. ebenda, S. 17-19.

330

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

wurde in München bei einigen Projekten auch überschritten, weil das Reichsarbeitsministerium sich inzwischen zu einer erheblichen Flexibilisierung der Bestimmungen hatte durchringen können238. Was die Reichsebene angeht, ist das wohl ein bemerkenswertes Charakteristikum des Programms: Es „lernte" gewissermaßen dazu; die 1935 allzu rigide gefaßten und auch angewandten Bestimmungen paßten sich wenigstens teilweise den Rückmeldungen aus dem Reich an239. Deutlich machen das zum Beispiel die Erleichterungen, die im Laufe der Zeit für den Bau größerer Wohnungen gewährt wurden. Als „Normalwohnung" wurde schließlich die Vierraumwohnung betrachtet, die im Idealfall einen Wohnraum, drei Schlafzimmer und Nebenräume (Kochküche, Abort etc.) umfassen sollte oder eine Wohnküche und drei weitere Zimmer240. Dadurch sollte vor allem den Bedürfnissen der Mehr-KinderFamilien entsprochen werden, hatten die Nationalsozialisten doch inzwischen einsehen müssen, daß sie sich mit ihrem allzu minimalistischen Programm in Widerspruch zu ihrer eigenen Bevölkerungs- und Rassenpolitik begeben hatten. So kritisierten deren Vertreter massiv, daß unter zu bedrängten Verhältnissen allenfalls „asoziale Großfamilien", nicht aber die erwünschten „kinderreichen Volksgenossen" gedeihen könnten241. Es ist nicht feststellbar, inwiefern die in München gemachten Erfahrungen mit in die Reform des Volkswohnungsprogramms einflössen; es ist aber offensichtlich, daß durch die Ausdehnung der Baukostenlimitierungen, Mietobergrenzen und Darlehenshöhen genau den Problemen die Spitze genommen wurde, die es für die GWG als Pionierin zunächst sehr schwer gemacht hatten, das Programm überhaupt umzusetzen. 1940 wurde in Einsicht der besonderen Kostensituation der „Hauptstadt der Bewegung" gleichzeitig auch in Berlin und Hamburg die Überschreitung der bis dato allgemein geltenden Mietobergrenze von 40 bis 50 RM für Volkswohnungen gestattet; damit wurde allerdings nur eine Ausnahmeregelung bestätigt, die 1938 schon für die steuerlich begünstigten „Arbeiterwohnstätten" in München gegriffen hatte242. Trotzdem zeigte sich, daß das ursprüngliche Ideal der Volkswohnung, das Ein- oder Zweifamilienhaus mit Gar-

-

238

239

240

241

242

Im dritten und vierten Bauteil der Anlage am Harthof, die unter erheblichen Schwierigkeiten bis 1942 fertiggestellt wurden, erhielt die GWG im nachhinein Reichsdarlehen von 2300 RM für die Zwei- bis Drei-Raum-Wohnungen und 2 900 RM für die größeren Wohnungen bewilligt. Zu diesen Finanzierungsfragen sowie zu den Problemen beim Bau: GWG-Archiv, Am Harthof 0504. Vgl. Harlander, Heimstätte und Wohnmaschine, S. 99f. Vgl. Abs. I der Bestimmungen über die Förderung des Baues von Volkswohnungen mit Reichsdarlehen vom 1.7.1939, in: Büge/Griesheimer, Bau von Volkswohnungen, S. 11. Und weiter: „Während in der Großstadt der tüchtige Facharbeiter im allgemeinen kinderlos oder kinderarm bleibt, hat der Gemeinschaftsunfähige dagegen eine überdurchschnittliche Kinderzahl. Derjenige, der den Raummangel wirklich als unerträglich empfindet, wird durch Raummangel zur Kinderarmut gezwungen, d.h. also, gerade der, von dem wir Kinder haben wollen!" Wolfgang Knorr (Leiter der Hauptstelle .Praktische Bevölkerungspolitik' im Rassenpolitischen Amt), Bevölkerungspolitische Forderungen im Wohnungsbau, in: Bauen, Siedeln, Wohnen 19 (1939), S. 77-81 (Zitate S. 77). Es sei darin erinnert, daß Volkswohnungen von sich aus als Arbeiterwohnstätten zählten, der Umkehrschluß aber nicht galt, weil Arbeiterwohnstätten sehr viel weiter definiert wurden und auch Eigenheime, Kleinsiedlungen und andere Kleinwohnungen umfassen konnten. Zu den Ausnahmeregelungen für München in der Anerkennung von Arbeiterwohnstätten, die das RAM im Oktober 1938 zuließ, vgl. BArch, R41, 913, Bl. 13f., zur Regelung im Volkswohnungsbau RAM vom 25.1.1940, BArch, R 41, 1027, Bl. 5.

3.

Wohnungsbaupolitik in der „Hauptstadt der Bewegung"

331

gebaut wurde. Typischerweise entstanden in der Fortsetzung des Programmes Gebäude mit fünf oder sechs Wohnungen und ein bis zwei Stockwerken. Das knappe Bauland in München, die hohen Baukosten und schließlich die seit 1938 schon recht massiv einsetzenden Engpässe bei Material und Arbeitskräften machten den Einfamilienhausbau im größeren Maßstab zu einer unrealistischen Option. ten, immer seltener

Ein Überblick über die Ergebnisse dieses Kapitels macht deutlich, daß die Stadt München in der nationalsozialistischen Ära wohnungspolitisch überdurchschnittlich aktiv war. Sie griff Reichsinitiativen auf und steuerte eigene Konzepte bei. Gemessen an Städten derselben Größenordnung lag München an der Spitze in der Subventionierung des Wohnungswesens aus dem eigenen Haushalt. Allerdings darf die höhere Bezuschussung aus städtischen Mitteln im interurbanen Vergleich nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Investitionen in den Wohnungsbau im System-Vergleich mit der Hauszinssteuerära erheblich zurückgingen. Die Stadt konnte nicht mehr in großem Umfang Darlehen zur Unterstützung von Bauprojekten ausgeben, weil ihr die entsprechenden Anteile aus der Hauszinssteuer fehlten, sondern mußte sich in einem eng gesteckten finanziellen Rahmen bewegen. Es galt daher, die wenigen Finanzierungsangebote des Reichs zu nutzen oder beim Einsatz eigener Mittel den Ertrag möglichst zu optimieren. Deshalb blieb das Baulückenprogramm attraktiv, auch als es sich längst von seinem ursprünglichen Ziel der Stadtbildverbesserung entfernt hatte. Hier entstanden vorzeigbare Objekte, die sich nach außen als aktive Wohnungspolitik der Stadt vermarkten ließen, obwohl deren finanzielles Engagement gering war. Lästig blieben der nationalsozialistischen Stadtverwaltung dagegen bis zuletzt die Zinszuschüsse für die Sonderbauprogrammbauten, die sie ja nicht als „ihre" Leistung preisen konnte. Das städtische Wohnungsreferat hatte bald erkannt, daß Kredit- und Vermietungsgeschäfte, Verhandlungen mit Bauunternehmern und Grundstücksbesitzern sich leichter über Wirtschaftsunternehmen abwickeln ließen als in städtischer Regie. Gemeinnützige Wohnungsunternehmen wurden daher als verlängerter Arm der Stadtverwaltung ausgebaut, um ihnen die Detailabwicklung zu überlassen, die politische Führung aber bei der Stadt zu konzentrieren. Die Instrumentalisierung des gemeinnützigen Wohnungswesens für die Zwecke nationalsozialistischer Baupolitik war freilich eine verbreitete Erscheinung. Die Masse der Baugenossenschaften und -gesellschaften konnte sich auf diese Weise anders als das Konsumgenossenschaftswesen, das weitgehend zerschlagen wurde über das „Dritte Reich" hinwegretten, wurde aber in Einheitsverbände und zentralisierte Führungsstrukturen gezwungen243. Anhänger einer Bevormundung und Gängelung der genossenschaftlichen Organisationen war auch der Münchner Wohnungsreferent, für den der Wert des gemeinnützigen Wohnungswesens nicht in den Prinzipien von Selbsthilfe und Selbstorganisation lag, sondern in seiner Einsetzbarkeit für die Ziele städtischer Wohnungspolitik244. -

-

Vgl. Schepers, Genossenschaften im „Dritten Reich". Vgl. Harbers an Fiehler betr. „Die Baugenossenschaftsbewegung im Dritten Reich als Träger der praktischen Wohnungsreform", 4.3.1936, BArch, NS 25, 164, Bl. 205-208.

4. Die Wohnungsfürsorge der Stadt München „Der letzte Zweck kommunaler Wohnungsfürsorge ist die

Beschaffung gesunder und ausreichender Wohngelegenheiten zu angemessenen Mietpreisen für die Gemeindemitglieder oder bestimmte Kreise der Gemeindebevölkerung, insbesondere für die arbeitenden Klassen (minderbemittelte Bevölkerung)."1 Während das Ziel städtischer Wohnungsfürsorge, wie hier vom Münchner Wohnungsamtsleiter Albert Gut (1930), außerordentlich weit definiert werden konnte, waren die Mittel zu seiner Verwirklichung meist viel beschränkter. Über die Restriktionen für eine aktive Baupolitik ist ausführlich gesprochen worden; mit den vorhandenen Wohnungen eine effektive „Fürsorge" zu betreiben, konnte sich für die Gemeinde freilich noch viel schwieriger darstellen. Während der Epoche der Zwangswirtschaft verschaffte ihr der Staat das nötige Instrumentarium: Die Fäden zwischen Stadt und Wohnungssuchenden, denen die Verwaltung mit ihren Mitteln zu Hilfe kommen konnte, wie auch zwischen Stadt und Vermietern, deren Verfügungsrecht über den Wohnraum von der Verwaltung eingeschränkt wurde, waren eng geknüpft, und zwar im positiven wie im negativen Sinne. Im Nationalsozialismus unterlagen diese Verknüpfungen einem Auflösungsprozeß, aber die nationalsozialistische Stadtverwaltung unternahm, wie im folgenden zu zeigen sein wird, manchen Versuch, sie wiederherzustellen. Auch hier muß sich die Darstellung aufgrund der Quellenbasis wesentlich auf die Perzeptionen der Stadtverwaltung beschränken, während die Klientel der Fürsorgemaßnahmen nur wenig ins Bild tritt. Wohnungsamt und Wohnungsnachweis: Organisation und Tätigkeit Als das Wohnungsamt 1911 gegründet wurde, sollte es das Zentralorgan der gemeindlichen Wohnungspolitik im Hinblick auf drei Funktionen bilden: Wohnungsaufsicht und -inspektion, Wohnungserhebungen und -Statistik, Wohnungsnachweis mit der Aufgabe, die Angebots- und Nachfrageseite zu koordinieren2. Schon mit der Umstrukturierung des Amtes 1913 entzog man ihm die Kompetenzen im Bereich des Inspektionsund Aufsichtswesens, das schließlich ganz vom Wohnungsreferat selbst übernommen wurde. Dafür wurde die Umsetzung zwangswirtschaftlicher Maßnahmen zur dominierenden Aufgabe des Amtes in der Nachkriegszeit: Hier pflegte man die Erhebungen über den verfügbaren Wohnraum, hier merkte man die Wohnungssuchenden vor und verhandelte mit den Vermietern, von hier aus wurden schließlich die Zivileinquartierungen und später Zuweisungen nach den Mietberechtigungskarten bzw. der Abschluß von Zwangsmietverträgen organisiert. Dieser Aufgabenkatalog bestimmte das Ansehen des Amtes: Erwarb

es sich bei einigen Sympathien, weil es ihnen mit Hilfe seiner zwangswirtschaftlichen Instrumente Wohnraum verschaffte, überwog bei weitem die Zahl derjenigen, die das Amt ablehnten, weil es ihnen gar nicht oder nur unzureichend helfen konnte oder weil sie auf der Abgeberseite von seinen Maßnahmen betroffen waren. Das Wohnungsamt erlangte in der Inflationszeit gar den unrühmlichen Platz 1 auf der Rangliste der unbeliebten städtischen Institutionen. Mit dem Vormerkungssystem

1

2

Albert Gut, Kommunale Wohnungsfürsorge, in: HdW, S. 435-442, hier 435. Vgl. Krabbe, Anfänge, S. 55-57.

4. Die

Wohnungsfürsorge der Stadt München

333

Wohnungssuchenden eine zu bürokratische und den realen Nöten nicht entsprechende Leistung zu bieten, mit dem Einquartierungssystem verletzte es die Privatsphäre der Wohnungsinhaber in für sie nicht akzeptabler Weise3. Es war insofern nicht erstaunlich, daß die Aufhebung des Wohnungsmangelgesetzes am 1. April 1933, welches den Rechtstitel für die vorerwähnten Maßnahmen geliefert hatte, eine völlige Abschaffung des ungeliebten Amtes nahelegte4, konnte das doch der Stadtverwaltung nicht nur eine jährliche Ersparnis von rund 100000 RM einbringen, sondern sie auch vom Negativimage dieser mit der Zwangswirtschaft so weitgehend identifizierten Institution befreien. Eine Vorlage des Wohnungsreferenten Karl Preis vom Februar 1933 schlug daher die Aufhebung des Wohnungsamtes an sich vor, lediglich eine Teilfunktion der Wohnungsnachweis sollte als selbständige Institution bestehenbleiben5. Als über diese Vorlage in der Sitzung des Wohnungsausschusses vom schien

es

den

-

-

noch vor der nationalsozialistischen Machtübernahme in Bayern diskutiert wurde, erhoben sich auch Stimmen zur Verteidigung des Amtes. So wies der SPD-Stadtrat Konrad Fiederl darauf hin, daß es bisher wesentliche wohnungsfürsorgerische Aufgaben für Exmittierte und Obdachlose wahrgenommen habe, die der Wohnungsnachweis allein als reine Melde- und Vermittlungsstelle für einen eigentlich funktionierenden Markt nicht tragen könne. Es sei aber „ganz unübersehbar, welche Lasten dem Wohlfahrtsamt aufgebürdet werden, wenn alle die Leute, die heute keine Wohnung mehr bekommen, vom Wohlfahrtsamt übernommen werden müssen"6. Stadträte wie Fiederl, aber auch der engagierte Wohnungspolitiker und BVP-Stadtrat Michael Gasteiger waren der Auffassung, „dass die Wohnungszwangswirtschaft nicht in der Weise abgebaut werden kann, dass am 1. April 1933 12 Uhr die freie Wirtschaft wieder ein8. Februar 1933

-

-

setzt"7. Die Besorgnis, daß mit der Zwangswirtschaft auch ein wichtiges sozialpolitisches Instrument preisgegeben würde, hatte ihre Berechtigung, wie zu zeigen sein wird. Doch sollen zunächst die Folgen auf administrativer Ebene skizziert werden. Am 8. Februar einigte sich der Wohnungsausschuß im Sinne des Antrags von Preis, obwohl neben den sozialen Folgewirkungen auch schon die personellen Konsequenzen vor allem vom zweiten Bürgermeister Küfner heftig kritisiert wurden8. Tatsächlich führte die Auflösung des Wohnungsamtes dazu, daß der Mann, der in den zwanziger Jahren überregional sicher am meisten Ansehen als Vertreter der Münchner Wohnungspolitik gewonnen 3 4

Vgl. Geyer, Wohnungsnot, S. 138. Die Aufhebung der Zwangswirtschaft war bereits durch die erste und vierte Notverordnung vom 1.12.1930 und vom 8.12.1931 vorgesehen worden. Während das Wohnungsmangelgesetz dementsprechend zum 1.4.1933 außer Kraft trat, blieben das Reichsmieten- und das Mieterschutzgesetz bestehen, weil die Reichsregierung die vorgesehene Voraussetzung die Schaffung

eines sozialen Mietrechts noch nicht gesetzgeberisch verwirklicht hatte. Vgl. BArch, R 43/11, 1008, Bl. 2-42; Das Recht der Wohnungszwangswirtschaft in Bayern am 1.4.1933, in: ZWB 31 (1933), S. 15f.; Führer, Mieter, S. 334f. Die Aufhebung der Wohnungszwangswirtschaft. Beilage zur Niederschrift der Sitzung des Wohnungsausschusses vom 8.2.1933, StadtAM, RP 706/8. -

-

5

6 7

8

Sitzung des Wohnungsausschusses vom 8.2.1933, ebenda. Gasteiger, ebenda. Vgl. Stellungnahme von Küfner, der auch als einziger gegen die Aufhebung des Wohnungsamtes stimmte, ebenda. Trotz der von Fiederl und auch Wimmer geäußerten Bedenken stimmten die SPD-Räte offenbar aus Solidarität mit Preis für die Vorlage.

334

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

hatte, seine Leitungsfunktion verlor. Albert Gut wurde jetzt unmittelbar dem Referat

zugeteilt und konnte damit auch den Folgen der nationalsozialistischen Umwälzung nicht in dem Maße ausweichen, wie es ihm auf der eher exemten Position an der Spitze des Wohnungsamtes möglich gewesen wäre. Es gelang ihm nicht, eine kollegiale Beziehung zum neuen Referenten Guido Harbers zu entwickeln, was angesichts des persönlichen Ehrgeizes von Harbers nicht verwundern mag. Da Gut aber jahrelang selbständig ein großes Amt geführt und sich als Spezialist einen Namen gemacht hatte, ließ er sich nicht einfach unterordnen. Zu Beginn des Jahres 1934 hatte das Verhältnis eine solche Anspannung erfahren, daß Harbers sehr darauf drängte, Gut loszuwerden, und auch die NSDAP-Fraktion in diesem Punkt hinter sich wußte9. Am 1. April 1934 wurde Gut in den Wartestand versetzt und fand schließlich, nach längerer Durststrecke, beim Stuttgarter Oberbürgermeister Karl Strölin, in dessen Eigenschaft als Präsident des Internationalen Verbandes für Wohnungswesen und Städtebau, eine neue Beschäftigung als persönlicher Referent10. Der Wohnungsnachweis trat zunächst unter Leitung von Ludwig Zeiss11 in die Aufgaben des früheren Wohnungsamtes ein, hatte aber aufgrund fehlender Rechtstitel sehr viel weniger Möglichkeiten als früher, für die wirklich problematischen Fälle von Wohnungsnot zu sorgen. Hatte am 8. Februar der Wohnungsausschuß noch einen Appell an das Reich gerichtet, trotz Aufhebung des Wohnungsmangelgesetzes, die Vorschriften hinsichtlich der Beschlagnahme von Wohnräumen und der Festsetzung von Zwangsmietverträgen „für jene Gemeinden wieder in Kraft zu setzen, wo die örtlichen Bedürfnisse zur Durchführung einer praktischen Wohnungsfürsorge und Wohnungsaufsicht in besonderen Fällen das erforderlich machen", war eine solche Regelung weder für München noch eine andere Stadt erfolgt12. Der Wohnungsnachweis hatte zwar einen Vermittlungsauftrag, aber kein wirksames Instrument, ihm gerecht zu werden. Die SSZeitschrift „Das Schwarze Korps" bekannt für ihre Polemiken auch gegen staatliche Mißstände stellte im Oktober 1937 für die verbliebenen Wohnungsämter sogar fest, daß es sich um „fragwürdige Gebilde [handelt], die mit ,Wohnungen' nur insofern etwas zu tun haben, als sie keine vermitteln können"13. Zwar hatte der Münchner Wohnungsnachweis zunächst noch von der einschüchternden Wirkung der „Machtergreifung" profitiert und festgestellt, daß „unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Revolution die meisten Hausbesitzer geneigt waren, dem Ersuchen des Wohnungsnachweises zwecks Überlassung von Wohnungen stattzugeben"14. Dieser Effekt hielt -

-

9

Vgl. Harbers an das Personalreferat, 7.3.1934, und Gut an Tempel, 24.3.1934, StadtAM, Per-

10

Vormerkung des Personal- und Organisationsamtes vom 5.2.1944, ebenda. Dr. Ludwig Zeiss, der bereits seit 1922 als der zweite akademische Beamte neben Gut im Wohnungsamt beschäftigt war, paßte sich der nationalsozialistischen Umwälzung im ganzen offenam

sonalakt Albert Gut 11012. 11

bar zufriedenstellend an, trat 1.11.1933 auch der Partei bei. Im März 1937 wurde er Direkder Großmarkthalle und der städt. Lebensmittelmärkte. StadtAM, Personalakt Ludwig Zeiss 11065. Nach ihm übernahm der Jurist und Nationalsozialist (seit 1930) Dr. Josef Linmaier die Leitung des Wohnungsnachweises, StadtAM, Personalamt 9931 (Josef Linmaier). Beilage zur Niederschrift der Sitzung des Wohnungsausschusses vom 8.2.1933, Ziffer 2 der Anträge, S. 14f., StadtAM, RP 706/8. Das Schwarze Korps vom 7.10.1937: „Wohnungsamt ohne Wohnung?" (StadtAM, Wohtor

12

13

,4

nungsamt 57). Bericht des Städt. amt

56.

Wohnungsnachweises, Linmaier, vom 7.6.1937, S. 3, StadtAM, Wohnungs-

4. Die

Wohnungsfürsorge der Stadt München

335

aber offenbar nicht lange an, immer resignierter suchte das Amt den Weg über „direkte fernmündliche Verhandlungen mit den Vermietern. Die Schwierigkeiten, die sich dieser sozialen Tätigkeit des Wohnungsnachweises entgegenstellten, waren jedoch überaus groß, so daß im Tagesdurchschnitt nur 1 bis 2 Kleinwohnungen angeboten werden

konnten, die auf Anfrage häufig auch schon wieder vermietet waren."15 Je weniger sich

eine positive Fürsorgepolitik verwirklichen ließ, desto mehr sahen manche NS-Politiker die Aufgabe des Wohnungsnachweises in einer negativen Aussonderungspolitik. So wurde in der „Nationalsozialistischen Gemeinde" geraten, „die Mieter in der Richtung auszuwählen, daß die amtsbekannten asozialen Elemente, der Schrecken nicht nur des Hausbesitzers, sondern auch der Hausgenossen, zugunsten der gesamten übrigen Wohnungssuchenden ausgeschaltet" würden16. Im Verlauf dieses Kapitels wird zu zeigen sein, daß auch in der Münchner Wohnungsfürsorge solche rassenideologischen Wertigkeitsvorstellungen wirksam waren. Einen Überblick über den Wohnungsmarkt konnte der Münchner Wohnungsnachweis insoweit noch behalten, als nach der zunächst weiter geltenden Wohnungsordnung von 1913 die Verpflichtung bestand, jede freiwerdende Mietwohnung anzumelden und im Falle der Vermietung wieder abzumelden17. Die hohen Zahlen, die hier anliefen, konnten freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß wirklich freie Wohnungen, vor allem kleine und billige, äußerst rar blieben. Seiner Vermittlungsaufgabe versuchte der Wohnungsnachweis durch Anschlag der neugemeldeten Wohnungen im Hause, vor allem aber durch Herausgabe des Amtlichen Wohnungsanzeigers gerecht zu werden. Dabei wurde durchaus angestrebt, den Wohnungsanzeiger als Hilfsinstrument bei der Wohnungssuche durch Einteilung der als vermietbar gemeldeten Wohnungen nach neun Bezirken und ihrer weiteren Kategorisierung nach Alt- und Neuwohnungen sowie Mietpreisgruppen möglichst gewinnbringend auszugestalten18. Das half freilich auch nicht, wenn die Interessenten oft genug vor Ort feststellen mußten, daß die „vermietbare" Wohnung längst wieder besetzt war. Bei der im Wohnungsnachweis regelmäßig vorsprechenden Klientel erzeugte die relativ erfolglose Tätigkeit dieser Behörde ein hohes Maß an Enttäuschung und Zorn, das durch die zermürbende, oft wochenlange Suche nach passender und bezahlbarer Unterkunft noch verschärft wurde. Die Wut über das Behördenversagen wie es von den enttäuschten Wohnungssuchenden empfunden werden mußte konnte trotz allen disziplinierenden Drucks des nationalsozialistischen Staates auch in regelrechte Revoltenstimmung umschlagen. So geschah es am 5. April 1938, als sich im Amtsgebäude des Wohnungsnachweises in der Reisingerstraße 10 circa 20 Frauen mit Kindern zum Protest gegen das Wohnungselend versammelten. Sie legten eine Beschwerde mit Unterschriften vor, die sie bezeichnenderweise dem Reichskanzler selbst zukommen lassen wollten. Der Hauptvorwurf richtete sich gegen die Stadt, die sich nicht ausreichend um die Beseitigung der Wohnungsnot kümmere. Dem um Abwiegelung bemühten Beamten erklärten sie aufgebracht, daß „das Wohnungselend gerade in der Hauptstadt der -

-

15

16 17

18

Verwaltungsbericht 1933/34-1935/36, S. 136. Stoeckle, Wohnungsnot und Wohnungsnachweis, in: NS-Gemeinde 3 (1935), S. 585f., hier 585. § 31 der Wohnungsordnung für die Stadt München vom 5.8.1913, StadtAM, Wohnungsamt 53/IV. Verwaltungsbericht 1933/34-1935/36, S. 135.

336

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

Bewegung unerträglich geworden sei und man gegen diese Not überhaupt nichts unter-

nehme". Dem „Führer" würde das Ausmaß der Not offensichtlich verheimlicht, weil dieser sonst schon längst zu ihrer Unterstützung eingeschritten wäre19. Insofern ist der Vorfall, sozialpsychologisch gesehen, typisch für die immer wieder beobachtete Tendenz solcher spontanen Äußerungen, Hitler selbst nicht nur von allen Mißständen im NS-Staat auszunehmen, sondern ihm auch die Lösung jeglichen Übels zuzutrauen20. Hier interessieren aber mehr die materiellen Hintergründe der Mini-Revolte und ihre Folgen. Nachdem der Vorfall der Dezernatsleitung zur Kenntnis gebracht worden war, wurden die Vorwürfe nicht unter den Tisch gekehrt oder gegen die Frauen verwendet21, offensichtlich weil die städtischen Verantwortlichen sich der Unterversorgungsproblematik nur allzu bewußt waren. Das Wohnungsdezernat bemühte sich auf Anweisung Harbers', den Hintergründen „dieser an sich äusserst alarmierenden Angelegenheit" nachzugehen22. So sollte geprüft werden, ob tatsächlich in stadteigenen Wohnungen Mieter untergebracht seien, die diese Art von Fürsorge nicht nötig hätten, wie es die Frauen behauptet hatten. Diejenigen von ihnen, die ihre Adresse angegeben hatten, wurden vorgeladen und konnten im Wohnungsnachweis jeweils ihren Fall vortragen. Da war zum Beispiel die Familie eines Hilfsarbeiters mit fünf Kindern, die in zwei (!) Zimmern mit Küche für den Mietpreis von 37 RM wohnte, wobei das Wohlfahrtsamt eine Mietbeihilfe von 14 RM gewährte. Bei einem Wochenlohn von 32 RM hätte die Familie ein sehr schmales, aber aufgrund ihrer niedrigen Mietzahlung wohl ausreichendes Einkommen gehabt; der Mann war jedoch häufig krank, so daß kein regelmäßiger Verdienst eingebracht wurde und der Vermieter bei einem Mietrückstand von 140 RM zur Räumung schritt23. Mehrfach wurden Mietschulden oder auch wohnungspolizeiliche Gründe genannt, die bereits zur Räumung geführt hatten oder sie bevorstehen ließen. In etlichen dieser Fälle dürfte der Wohnungsnachweis wohl allenfalls einen Notbehelf in einer der städtischen Unterkünfte angeboten haben, denn die Vermittlung regulärer Wohnungen an Klienten, die bereits für ihre Mietrückstände bekannt waren, bei denen zum Teil sogar das Wohlfahrtsamt wegen UnZuverlässigkeit abriet, konnte nicht gelingen, wenn schon für weniger problematische Kunden kaum Chancen bestanden. Angesichts des Zeitaufwands, den jeder Einzelfall erforderte, war der Wohnungsnachweis in hohem Maße überlastet; das verstärkte sich noch seit 1936, als die Stadt in aufwendigen Aktionen versuchte, den Wohnungsmarkt stärker ihrer Steuerung zu unterwerfen24. Dadurch mußte die ohnehin schon nicht besonders erfolgreiche Vermittlungstätigkeit der Behörde für vordringliche Fürsorgefälle noch mehr ins Hintertreffen geraten25, so daß vom Wohnungsnachweis selbst schließlich der Vorschlag kam, einen 19

20 21

22 23

24

25

Vormerkung des Verwaltungsinspektors Ertl vom 5.4.1938, StadtAM, Wohnungsamt 57. Vgl. Frei, Führerstaat, S. 15f.

Wohnungsreferat glaubte man den Frauen, daß sie rein aus Not gehandelt hätten. „Aufreizende oder gar politische Beweggründe kamen zu diesem Schritt überhaupt nicht in Betracht." Vormerkung Ertls vom 20.4.1938, StadtAM, Wohnungsamt 57. Vertrauliche Dezernatsvormerkung von Harbers vom 7.4.1938, ebenda. Vormerkung Ertls über die Vorladung der Ehefrau von G. H. vom 19.4.1938, ebenda. Dort auch weitere Vormerkungen über weitere Fälle. Dazu unten, S. 346ff. Vgl. z.B. Bericht des Städt. Wohnungsnachweises, Linmaier, vom 1.11.1937, S. 3, zur Befürsorgung kinderreicher Familien durch den Wohnungsnachweis. „Nachdem der ,Befürsorgte' nach einigen Wochen und Monaten immer noch keine Wohnung hat, weil ihm eben keine vermittelt Im

4. Die

Wohnungsfürsorge der Stadt München

337

eigenen Vermittlungsdienst einzurichten, der die zeitraubende Aufgabe der Verhandlungen mit den Vermietern vor Ort übernehmen könne26. In den Augen Münchens ging die Stadt Nürnberg hier beispielgebend voran, wo es der „Geschäftsstelle für Wohnungsfürsorge" in Kooperation mit anderen städtischen Stellen, aber auch mit den privaten Bauvereinigungen gelang, frühzeitig von freiwerdenden Wohnungen Kenntnis zu erhalten, um dann die Hausbesitzer „unter moralischen und, soweit erforderlich, politischen Druck" zu setzen, ihre Vorgemerkten aufzunehmen27. Es verzögerte sich etwas, bis der Wohnungsnachweis tatsächlich die vorgeschlagenen Vermittlungsbeamten zugebilligt bekam, was daher kommen mochte, daß der erst im März f 937 angetretene Leiter Dr. Josef Linmaier am Ende des Jahres über eine politische Affäre stolperte und entlassen wurde28. Ein erneuter Wechsel an der Spitze war notwendig: Unter dem städtischen Amtsrat Beling konnte man schließlich seit dem Frühjahr 1938 darangehen, einen systematischen Erfassungs- und Auswertungsdienst für eingehende Wohnungsmeldungen aufzubauen. Insbesondere sollte damit die Unter-

bringung kinderreicher Familien unterstützt werden, die bei den Vermietern immer noch zu den unbeliebtesten Klienten gehörten29. Der neue Dienst beschränkte sich dabei nicht nur auf die Pflichtmeldungen nach der Wohnungsordnung, sondern versuchte auch den Hinweisen einzelner städtischer Ämter30, Sterbefallanzeigen, sogar Gerüchten und anonymen Anzeigen nachzugehen, so daß sich bald die „Erfassungsaufträge" im Amt häuften. „Ein grosser Teil aller Erfassungsaufträge kann praktisch einfach deswegen nicht verarbeitet werden, weil zu ihrer vollen Auswertung mindestens die doppelte Anzahl von Vermittlungsbeamten nötig wäre"31. Obwohl der Wohnungsnachweis also immer noch unter Personalmangel litt 1938 hatte er sechs neue Beamte zugeteilt bekommen32 -, beurteilte der Leiter die neue Form der Vermittlungstätigkeit als teilweise erfolgreich. Es sei gelungen, aus dem „Kontingent des normalen monatlichen Kleinwohnungsumsatzes heraus" mehr Mietverhältnisse in die Wege zu leiten, so daß man -

26

werden kann, resigniert er entweder und bleibt weg oder er beginnt je nach Temperament in den kräftigsten Ausdrücken über Staat und Gemeinde zu schimpfen." Der letzte Teil des Satzes wurde nachträglich in eine mildere Form ausgebessert: „resigniert er, bleibt weg und gibt seiner Stimmung in mehr oder weniger scharfer Weise Ausdruck". StadtAM, Wohnungsamt 57. Bericht des Stadt. Wohnungsnachweises, Linmaier, vom 7.6.1937, S. 7, StadtAM, Wohnungsamt

27

28

29 30

31 32

56.

Bericht des Geschäftsführers der GWG, Lesch, vom 11.4.1937 (Zitat S. 3) über die im Auftrag von Harbers angestellten Erhebungen in Nürnberg, die im ganzen ein recht erfolgreiches Bild von der dortigen Vermittlungstätigkeit zeichneten, was die Nürnberger freilich nach außen auch beschönigt haben könnten. StadtAM, Wohnungsamt 57. Da Linmaier in eine Gerüchteaffäre verstrickt war, deren „Opfer" ausgerechnet Bürgermeister und Personalreferent Tempel war, mußte er gehen, StadtAM, Personalamt 9931. Vgl. Sitzung der VFB-Beiräte vom 16.12.1937, StadtAM, RP 710/3. Bereits am 3.11.1937 hatte das Wohnungsreferat eine Aufstellung angefertigt, welche Dienststellen bei Ausübung ihrer Tätigkeit Nachrichten über freiwerdende Wohnungen erhalten müßten und sie entsprechend dem Wohnungsnachweis melden sollten. Dazu gehörten die Bezirksinspektionen, die Standesämter (aufgrund der Meldung von Todesfällen), die Kaminkehrer, die Wohlfahrtspflegerinnen, die Gas- und Stromableser und weitere mehr. StadtAM, Woh-

nungsamt 57. Bericht des Städtischen Wohnungsnachweises, Beling, vom 16.10.1939, ebenda. Vgl. VFB-Beiräte vom 17.2.1938, StadtAM, RP 711/2. 1937 hatte der Personalstand insgesamt acht Beamte betragen, Bericht des Stadt. Wohnungsnachweises, Linmaier, vom 7.6.1937, S. 4,

StadtAM, Wohnungsamt 56.

338

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

hier auf dem richtigen Wege sei33. Was allerdings noch immer nicht funktionierte, war der systematische Zugriff auf die in größeren Schüben freiwerdenden Altwohnungen der Mieter, die jeweils in die fertiggestellten Wohnblöcke der städtischen Gesellschaften einzogen. Dieses Problem wie überhaupt die Verteilungsproblematik in der „freien" Wohnungswirtschaft ist in diesem Kapitel noch eingehender zu erörtern. Zuvor sei jedoch ein Blick auf das Schicksal der zweiten zentralen Einrichtung geworfen, die auf kommunaler Ebene die Durchführung der Zwangswirtschaft bestimmte. Das Mieteinigungsamt, das für den Bereich der Mietpreisgestaltung und des Mieterschutzes vor allem als Beschwerdeinstanz fungierte, schien mit der Aufhebung des Wohnungsmangelgesetzes ebenso wie das Wohnungsamt keine wirkliche Daseinsberechtigung mehr zu haben: „Der Wegfall der Tätigkeit des Mieteinigungsamtes als Beschwerdestelle in Sachen der Wohnungszwangswirtschaft, Wegfall der Festsetzung der Zwangsmietverträge und der sonstigen sich aus der Wohnungszwangswirtschaft ergebenden Arbeiten bedingt einen fühlbaren Rückgang des Tätigkeitsgebietes und eine bedeutende Arbeitsentlastung."34 Trotzdem hatte schon der Beschluß des Wohnungsausschusses vom 8. Februar 1933 vorgesehen, das Mieteinigungsamt eventuell nicht ganz abzuschaffen, sondern es in verkleinertem Umfang und nur noch als Nebenarm des Amtsgerichts München aufrechtzuerhalten, damit es weiterhin eine spezielle Instanz für Mietfragen gäbe35. Nach Absprache mit den zuständigen Staatsstellen wurde die Angliederung an das Amtsgericht zum 1. Januar 1934 vollzogen36. Die Aufhebung des Mieteinigungsamtes als selbständiger Institution ist bezeichnend für die Absicht des nationalsozialistischen Staates, offene Konfliktbewältigung zwischen Interessengruppen möglichst nicht zuzulassen, weil sie sich nicht in das Bild der am „Gemeinnutz" orientierten, konfliktfreien Gesellschaft fügte37. Der Zündstoff im Mietwesen hatte sich freilich nicht entschärft, hatte durch die Aufweichung verbindlicher zwangswirtschaftlicher Regelungen sogar eher noch an Brisanz gewonnen. Die Lösung bestand also nicht in einer Beseitigung der Problematik, sondern lediglich in ihrer Leugnung. Weil das aber nicht allen befriedigend erschien, gab es zunächst noch Ansätze, Mietstreitigkeiten in die Hände von Gremien zu legen, die als korporative Zusammenschlüsse die Situation schon vor dem offenen Konflikt bereinigen und Prozesse damit vermeiden sollten. Am 5. Februar 1934 regte der Staatssekretär im Bayerischen Wirtschaftsministerium Hans Dauser die Einrichtung von Schiedsstellen für Mietstreitigkeiten an, die möglichst paritätisch mit Mietern und Vermietern zu besetzen seien38. Das erinnerte zwar stark an die Mieteinigungsämter, die Akzente wurden aber sogleich anders gesetzt, als im März 1934 die Einrichtung solcher Mietausgleichsstellen zwischen dem Landesverband bayerischer Grund- und Hausbesitzervereine und dem Landesverband Bayern des Bundes deutscher Mietervereine vereinbart wurde39. Auch 33

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Bericht des Städtischen Wohnungsnachweises vom 16.10.1939, StadtAM, Wohnungsamt 57. Beilage zur Niederschrift der Sitzung des Wohnungsausschusses vom 8.2.1933, S. 12, StadtAM, RP 706/8. Ebenda, S. 15, Ziffer 4 der Anträge. Verwaltungsbericht 1930-32, S. 153. Die Angliederung an ein Gericht war im übrigen schon ein verbreiteter Trend seit dem Inkrafttreten des Mieterschutzgesetzes von 1923, das diese Möglichkeit vorsah, vgl. Groß, „Mieteinigungsämter", in: WWS, Bd. 2, S. 833f. Vgl. Hüttenberger, Interessenvertretung und Lobbyismus, S. 429. StadtAM, Sozialamt 3618. Vgl. die Meldung in: ZWB 32 (1934), S. 44.

4. Die Wohnungsfürsorge der Stadt München

339

sich die neuen Stellen ähnlicher Probleme wie die früheren Mieteinigungsämter annehmen sollten40, wurde nach außen die Anlehnung an diese Institutionen der Zwangswirtschaftsepoche vermieden. Was im demokratischen Staat eine Instanz zur Durchsetzung von subjektiven Interessen und zur Berufung auf materielles Recht gewesen war, diente jetzt nach der offiziellen Diktion „der Festigung des sozialen Friedens innerhalb der Volksgemeinschaft"41. Der informelle Charakter der Einrichtungen mußte gewahrt bleiben, sie durften sich nicht einmal offiziell mit Schlichtungen oder Schiedsverfahren befassen, sondern nur auf dem Wege der Aussprache „Meinungsverschiedenheiten und Mißverständnisse" ausräumen42. Ein Erlaß des Reichsinnenministers vom 10. März 1936 verfügte zwar die Aufhebung aller außergerichtlichen Mietschlichtungs- und Schiedsstellen das war aber eine Maßnahme, die sich auf solche noch während der Zwangswirtschaftsepoche eingerichteten Institutionen bezog43. Die bayerischen Ausgleichsstellen, die erst im „Dritten Reich" ins Leben gerufen worden waren, konnten unter Hinweis auf ihren Charakter als reine Foren der gegenseitigen Aussprache aufrechterhalten werden44. Schon bei der Reichswohnungskonferenz vom September 1935, bei der von sehen des Justizministeriums der Wunsch nach Abschaffung aller außergerichtlichen Schlichtungsstellen postuliert worden war, weil hier nur „erhebliche Verwirrung" über tatsächliche Kompetenzen gestiftet würde, hatte der Vertreter Bayerns den Wert der im Land bestehenden Stellen betont, und ebenso hatten die Vertreter Württembergs, Sachsens, Hessens, Lübecks und Anhalts reagiert, wo es verwenn

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gleichbare Einrichtungen gab45. Tatsächlich konnten die Mietausgleichsstellen aufgrund des vom Führerstaat erzeugten Drucks zu einem sozial angepaßten und keinesfalls „eigensüchtigen" Verhalten offenbar auch die erwünschte Erfolgsquote erzielen. Nach freilich nicht überprüfbaren offiziellen Angaben brachten die Stellen München und Würzburg im ersten Dreivierteljahr ihres Bestehens in 90 Prozent aller Fälle eine Einigung zustande46. Der Münch-

Grund- und Hausbesitzerverein berichtete für 1935, daß in der Münchner Ausgleichsstelle, die paritätisch mit Vertretern der Hausbesitzer- und Mieterorganisation, aber auch der Industrie- und Handelskammer besetzt war, von 305 behandelten Fällen 275 gütlich vergleichsweise geregelt worden seien. Nach dieser Ansicht legte der insgesamt zu konstatierende Rückgang an Mietstreitigkeiten Zeugnis ab „von dem ständig zunehmenden Willen zur Herstellung einer wahren Volksgemeinschaft"47. ner

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So dienten die neuen Stellen „der gütlichen Beilegung von Streitigkeiten jeder Art zwischen Vermietern und Mietern aus bestehenden Mietverhältnissen, insbesondere der Schlichtung von Mietpreisstreitigkeiten, dem Ausgleich von Kündigungen, der Unterbringung kinderreicher Familien, der Kriegsopfer und deren Familien sowie der Vermeidung unbilliger Härten bei der Vollstreckung von Räumungsurteilen oder -vergleichen". Ebenda. Pressemeldung vom 28. Dezember 1934 über die „Tagung bayerischer Mietervereine", StadtAM, Sozialamt 3619. Bekanntmachung des Staatsministeriums für Wirtschaft, Abt. für Arbeit und Fürsorge, vom 18.7.1936, abgedruckt in: ZWB 34 (1936), S. 215f. Vgl. den Artikel „Schlichtungs- und Gütestellen", in: WWS, Bd. 2, S. 979f. Vgl. Bekanntmachung vom 18.7.1936, in: ZWB 34 (1936), S. 215f. Niederschrift über die am 24.9.1935 abgehaltene Reichswohnungskonferenz, BArch, R 41,713, Bl. 224-230, hier 229. Pressemeldung vom 28. Dezember 1934, StadtAM, Sozialamt 3619. Münchener Zeitung vom 6.7.1936: „Der Münchener Hausbesitz".

340

III. Baupolitik und Wohnungsfürsorge

von den Volksgemeinschaftsideologen nur eine Illusion genährt, sie behaupteten, daß im neuen Staat der soziale Konfliktstoff im Mietwesen entschärft werden könne. Dazu waren einfach die materiellen Voraussetzungen nicht gegeben. Die Kommunalpolitiker, die den Kampf um knappen Wohnraum vor Ort erlebten, mußten als erste registrieren, daß die Auseinandersetzungen nichts an Brisanz verloren hatten und daß den konkreten sozialen Nöten mit dem Appell an den Gemeinsinn aller Volksgenossen häufig nicht beizukommen war. So berichtete Guido Harbers in der Sitzung des Hauptausschusses vom 8. November 1934 von der alarmierenden Meldung des Wohlfahrtsreferats, daß täglich etwa 15 Zwangsräumungen anberaumt würden48. Obwohl Harbers die Schuld daran den Hausbesitzern zuschob, die hier die Lockerungen der Zwangswirtschaft ausnützten, hatte das Wohlfahrtsreferat zuvor schon deutlich gemacht, daß ein großer Teil der Räumungen wegen Beanstandungen der Baupolizei ausgesprochen würde49. Selbst von der Aufforderung an die Hausbesitzer, soziale Härten zu vermeiden und Räumungen so lange irgend möglich aufzuschieben, war also allenfalls ein Teil der Fälle betroffen. Trotzdem war Harbers auf den Gedanken fixiert, daß es die Auswüchse freier Wohnungswirtschaft seien, die zu solchen Mißständen führten. Er wollte die distributive Steuerung des Wohnungswesens wieder in die Hände der Stadt zurückführen, weil er davon überzeugt war, daß auch die objektiven materiellen Notstände im Wohnungssektor bei einer planmäßigen Lenkung von oben in ihren Auswirkungen gemildert werden könnten. Im folgenden soll die Problematik solcher Vorschläge zur Wiedereinführung zwangswirtschaftlicher Maßnahmen eingehender beleuchtet werden.

Demnach wurde

wenn

Stadt und Wohnungsmarkt

Die Bestrebungen zur Wiedereinführung der Zwangswirtschaft Der Vorstoß der Münchner Politik zur Wiedereinführung der am 1. April 1933 abgeschafften Zwangsbewirtschaftung müßte als erfolglose Episode an sich hier nicht eingehender behandelt werden, denn zweifellos mußte die Kommunalpolitik häufig solche Rückschläge einstecken, wenn sie an der Reichsspitze etwas zu bewirken versuchte. Es lassen sich aber an diesem Fall erstens Verbindungslinien zeigen, die zwischen der Münchner Stadtverwaltung und den übergeordneten Reichsgremien verliefen, und zweitens einige der Grundkonflikte im nationalsozialistischen Verständnis einer wirtschaftsgerechten Wohnungspolitik deutlich machen. Doch bleiben wir zunächst beim konkreten Münchner Hintergrund dieser Vorgänge. Seit seiner Einrichtung als selbständige Behörde mußte der Wohnungsnachweis die Erfahrung machen, daß sein Tun von Tag zu Tag sinnloser zu werden schien. Betrug die Zahl der täglichen Besucher zunächst etwa 150, wuchs sie bis Anfang 1934 auf circa 400 bis 500 an, während sich in einer gegenläufigen Entwicklung das Angebot an Kleinwohnungen nicht vermehrte, sondern noch verminderte. „Um 14 Uhr ist das Zimmer

Hauptausschußsitzung vom 8.11.1934, StadtAM, RP 707/4.

Das Wohlfahrtsreferat

versprach sich daher eher etwas davon, wenn „bei den Gutachten der Baupolizeibehörde vorerst die Fälle etwas milder beurteilt" würden. Referat 6/3 (Wohnungsfürsorge) an das Stadtratsdirektorium, 31.10.1934, StadtAM, Sozialamt 3618.

4. Die

Wohnungsfürsorge der Stadt München

341

129, in dem sämtliche vermietbaren Wohnungen angeschlagen sind, und dessen Rauminhalt 60 qm mißt, dicht mit Wohnungsuchenden gefüllt, die alle auf den Anschlag der neugemeldeten Wohnungen warten. Es können dann höchstens 1 bis 2 Kleinwohnungen bekanntgegeben werden, die noch dazu bereits um 11 Uhr mehreren Befürsorgten angeboten worden waren."50 Weder dem berichtenden Leiter des Wohnungsnachweises, Dr. Zeiss, noch dem politisch verantwortlichen Referenten Guido Harbers schien es unter solchen Umständen, als könne auf diesem Weg der Meldung von freiwerdenden Wohnungen durch die Hausbesitzer viel erreicht werden. Die Vermieter mußten zwar die freiwerdende Wohnung angeben, sie konnten aber im Moment der Meldung die Wohnung bereits jemand anders zugedacht haben und mußten dann nur eine gleichzeitige Abmeldung vornehmen. Ließen sie sich dennoch auf die Vermittlung durch den Wohnungsnachweis ein, hatten sie natürlich freie Hand, aus der Schar von Bewerbern den offenbar zahlungskräftigsten, ordentlichsten und bloß nicht kinderreichen auszusuchen51. Ohne ein Zuweisungsrecht und die Möglichkeit des Abschlusses von Zwangsmietverträgen bestand für den Wohnungsnachweis, sollte sich die Marktsituation aufgrund ausgiebiger Neubautätigkeit nicht grundsätzlich ändern, keine Chance, seine wirklich in Not geratene Klientel zu „befürsorgen". 1935, nach zwei Jahren nationalsozialistischer Herrschaft, sah der Münchner Wohnungsreferent allerdings keine Anzeichen, daß in absehbarer Zeit die ersehnte Neubautätigkeit im großen Stil sich verwirklichen lassen würde. Im Gegenteil, zwischen dem Auslaufen der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und dem Beginn des Volkswohnungsprogramms herrschte gerade eine deutliche Flaute in der Reichswohnungspolitik. „Die von der Landesregierung zur Verfügung gestellten Mittel reichen nicht im entferntesten aus, um den Kleinwohnungsbau in dem unbedingt notwendigen Ausmaße fördern zu können. Die Gemeindeverwaltungen selbst sind mit Rücksicht auf die angespannte Haushaltslage nicht in der Lage, wesentliche Mittel für den Kleinwohnungsbau bereitzustellen."52 Die Münchner Schilderung der Misere, die auch den häufig erhobenen Vorwurf zu vieler Abbruche von Wohngebäuden wieder aufgriff und mit drastischen Visionen von der bevorstehenden „Katastrophe" nicht sparte, führte schließlich zu dem Vorschlag an das Reichsarbeitsministerium, „die Wiedereinführung einer beschränkten Wohnungszwangswirtschaft, besonders in Großstädten mit größerem Wohnungsmangel", zu ermöglichen. Konkret ging der Plan des Wohnungsreferats dahin, lediglich billige Kleinwohnungen mit einer Jahresfriedensmiete bis zu 500 RM einzubeziehen. Bei diesen Wohnungen sollte allerdings eine Verpflichtung der Vermieter bestehen, sie im Falle des Freiwerdens der Gemeindeverwaltung zu melden, die dann ihrerseits das Recht hätte, innerhalb von 48 Stunden dem Vermieter mitzuteilen, „ob sie die Wohnung für die Zuweisung von bedürftigen Wohnungsuchenden (Schwerkriegsbeschädigten, kinderreichen Familien, offen Lungenkranken oder sonstigen Hilfsbedürf50 51

52

Bericht des Stadt. Wohnungsnachweises vom 21.2.1934, StadtAM, Wohnungsamt 57. Neben einem möglichst gesicherten Einkommen und wenig Familienanhang spielte nach den Erfahrungen des Wohnungsnachweises auch die Bereitschaft zur Übernahme von Instandsetzungskosten, zur Zahlung einer Ablösung und zur Übernahme der Umzugskosten für den bisherigen Mieter eine Rolle. Vgl. Belings Bericht über „Vermietungs-Formen der Münchener Hausbesitzer" an die Gewofag, 12.3.1938, ebenda. Referat 7 (von Fiehler gezeichnet) an das RAM, 5.6.1935, S. 2, StadtAM, Wohnungsamt 56.

342

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

tigen) in Anspruch nimmt". Nur wenn dies nicht der Fall war, sollte der Vermieter das Recht zur freien Vermietung erhalten53.

Weder Harbers noch Fiehler, der seine Unterschrift unter diese Eingabe an das Reichsarbeitsministerium setzte, dürften sich wohl darüber klar gewesen sein, wie sehr sie mit ihren Vorschlägen an einer Grundsatzentscheidung rührten, die einmal gefällt keine Ausnahmen vertrug. Zunächst bemühten sich die Münchner, weitere Initiativen zugunsten ihrer Eingabe in Gang zu bringen, um den Hebel beim Reichsarbeitsministerium von verschiedenen Seiten her anzusetzen. Der Deutsche Gemeindetag (DGT), dessen Vorsitzender Fiehler ja war, veranstaltete eine „streng vertrauliche" Rundfrage bei den Gemeinden, inwiefern der Vorschlag zur Wiedereinführung der Zwangswirtschaft im Sinne der Münchner Vorstellungen auf Gegenliebe stieße54. Auch über das Hauptamt für Kommunalpolitik und dessen publizistische Möglichkeiten versuchte Harbers, seine Position deutlich zu machen und um Sympathien zu werben. Als er allerdings bei einer Arbeitstagung für Kommunalpolitik in Bad Schandau Mitte Juli 1935 die Münchner Pläne ausbreitete, präsentierte er bereits eine stark abgemilderte Version55. Inzwischen hatte das Reichsarbeitsministerium deutlich zu erkennen gegeben, daß man auf die Eingabe ablehnend reagieren wolle56. Die Münchner mußten einsehen, daß sie sich zu weit aus dem Fenster gelehnt hatten, und bemühten sich, im Sinne eines konsensfähigeren Vorschlags nachzubessern. Am 22. Juli wurde der zweite offizielle Vorstoß beim Reichsarbeitsministerium unternommen. Nach dem neuen Wortlaut sollte es wie in München ja bereits seit 1913 einen generellen Meldezwang für freiwerdende Wohnungen geben; prinzipiell sollten die Vermieter aber ihre Mieter weiterhin selbst auswählen können, jedoch unter Beachtung folgender Verbote: Wohnungen mit weniger als 500 RM Friedensmiete durften nicht an solche Mieter vergeben werden, die nach 1930 in die betreffende Stadt gezogen waren und mehr als das Sechsfache der Miete als Einkommen bezogen. Die gleichen Wohnungen waren von einer Vermietung an Alleinstehende oder kinderlose Ehepaare, sofern sie bereits fünf Jahre verheiratet waren, ausgeschlossen. Außerdem sollten die Gemeindeverwaltungen ein „Mitbestimmungsrecht" bei der Vergebung von Altwohnungen in dieser Preisklasse bekommen, sofern sie durch direkte oder indirekte Wohnungsbaumaßnahmen der Behörden frei geworden -

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Ebenda, S.6f.

Die einzelnen

Fragen waren in ziemlich suggestiver Weise an den Münchner Vorschlägen ausgerichtet, z.B.: „Soll die Wohnungszwangswirtschaft auf Kleinwohnungen mit einer Jahresfriedensmiete je nach Grosse der Stadt von 300 bis 600 RM erstreckt werden?" Es erübrigt sich fast festzustellen, daß die Münchner diese Fragen bejahten und häufig noch etwas hinzusetzten. Auf die Frage etwa, ob Verstöße gegen solche Regelungen sanktioniert werden sollten, wurden in -

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München „hohe, abschreckende Strafen" für angemessen gehalten. Die Antworten anderer Städte sind leider nicht bekannt; Rundfrage des DGT vom 13.7.1935, StadtAM, Wohnungsamt 56. 55

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Vgl. Harbers,

Nationalsozialistische

(1935), S. 429-437, bes. 437.

Siedlungspolitik

der Gemeinden, in: NS-Gemeinde 3

Vgl. Vormerkung Harbers' vom 22.7.1935 zum gleichzeitigen erneuten Schreiben an das RAM, StadtAM, Wohnungsamt 56. Demnach hatte in Berlin eine Besprechung zwischen Harbers, dem Beigeordneten Schmeling vom DGT und Oberregierungsrat Heilmann stattgefunden, der wissen ließ, daß der Münchner Vorschlag „wahrscheinlich auf grössere Schwierigkeiten stossen dürfte".

343

4. Die Wohnungsfürsorge der Stadt München

seien. Für Neubauwohnungen sollte das gleiche gelten, wenn die Stadt ihre Errichtung finanziell unterstützt hatte57. Obwohl nun die Wiederaufnahme des Begriffs Zwangswirtschaft peinlichst vermieden worden war und die neuen Vorschläge den Vermietern erheblich mehr Rechte beließen, ging auch diese Eingabe den zuständigen Reichsstellen zu weit. Bei einer Reichswohnungskonferenz mit Vertretern von Reichsministerien und Länderregierungen58 eine Tradition, die schon in den zwanziger Jahren gepflegt worden war erläuterte Franz Seldte, warum er gegen jegliche Wiederherstellung einer Zwangswirtschaft, selbst in abgemilderter Form, sei: „Bei der engen Verbundenheit von Hausbesitz und Realkredit müssen falsche Maßnahmen, müssen Eingriffe, welche die Rentabilität des Hausbesitzes erschüttern, von stärkster Rückwirkung auf den Realkredit sein. Dies kann eine Gefährdung der ganzen Wohnungsbaupolitik der Reichsregierung zur Folge haben."59 In der folgenden Aussprache hatten die Münchner keinen Verbündeten, der wirklich ihren Standpunkt eingenommen hätte. Der bayerische Ministerialrat Löhner versuchte zwar, für die besonderen Schwierigkeiten der Landesmetropole um Verständnis zu werben, die anderen Ländervertreter stellten sich aber praktisch durchweg auf die Seite des Reichsarbeitsministers. Diskutiert wurde parallel dazu über die Frage einer stärkeren Regulierung der Mietpreisbildung, die für Altbauten ins Auge gefaßt wurde, bei Neubauten aber mehrheitlich als nicht opportun angesehen wurde, weil davon gleichfalls eine schädliche Wirkung auf die Investitionsfreudigkeit im Wohnungsbau ausgehen könne60. Trotzdem zeigte sich nicht nur bei dieser Diskussion, sondern auch in den öffentlichen Warnungen vor Mietpreiserhöhungen und den 1936 erfolgten Änderungen des Mietenrechts, daß prohibitive Eingriffe im Sinne des Mieterschutzes viel eher in das nationalsozialistische Konzept zu passen schienen als die von München angestrebten distributiven Zwangsinstrumente. Die Tatsache, daß im einen Sektor der Wohnraumverteilung die Zwangswirtschaft in der Reichspolitik indiskutabel war, im anderen Sektor der Mietenpolitik sie als ak-

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Es folgten noch ein paar weitere nicht so wichtige Vorschläge. Vgl. Schreiben an das RAM, gez. i.V. von Tempel, 22.7.1935, ebenda. Den familienpolitischen Druck und die erhebliche Diskriminierung der Kinderlosigkeit, die mit einem solchen Vorschlag verbunden waren, -

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schien Harbers für angebracht zu halten. Bezeichnenderweise war weder vom DGT noch vom Hauptamt für Kommunalpolitik ein Sachverständiger anwesend, obwohl Harbers etwa 1933 an einer solchen Konferenz teilgenommen hatte. Dagegen war ein Vertreter des Hauptamts für Volkswohlfahrt bei der Besprechung dabei, und auch das Reichsheimstättenamt war vertreten. Niederschrift über die am 24.9.1935 abgehaltene Reichswohnungskonferenz einschl. Anwesenheitsliste, BArch, R 41, 713, Bl. 224-230.

Ebenda, Bl. 224. Das Protokoll faßte die Ergebnisse der Debatte dahingehend zusammen, daß sämtliche Redner sich gegen die Wiedereinführung der Zwangswirtschaft ausgesprochen hätten, während es nur kleinere Einschränkungen dieses generellen Konsenses gegeben habe. Hinsichtlich der Maßnahmen gegen Mietpreissteigerungen sei erzielt worden, „daß Eingriffe in die Mietzinsbildung bei Neubauten mit Rücksicht auf die ungünstige Auswirkung auf Realkredit und Neubautätigkeit nicht erfolgen sollen. Soweit für Altbauten besondere Maßnahmen notwendig seien, vor allem mit Rücksicht auf besondere örtliche Verhältnisse, käme eine Ausdehnung der Grenzen für die Geltung des Reichsmietengesetzes und des Mieterschutzgesetzes in Frage", ebenda, BI. 227f. Die zuletzt genannte Ausdehnung der Gesetze wurde 1936 in die Tat umgesetzt, vgl. oben, S. 134f.

Übereinstimmung

III. Baupolitik und Wohnungsfürsorge

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zeptables Mittel galt, verweist auf einen grundsätzlichen Konflikt im nationalsozialistischen Ökonomieverständnis. Im Grunde wurde das Verhältnis zwischen freiem Spiel der Kräfte und staatlich gelenkter Planwirtschaft nie endgültig entschieden, auch wenn sich mit dem Vierjahresplan und der Wirtschaftslenkung im „totalen Krieg" eine grundsätzliche Tendenz zur letzteren bemerkbar machte. Hitler betrachtete die verstärkte zwangswirtschaftliche Lenkung der Wirtschaft unter den Bedingungen von Aufrüstung und Krieg als unvermeidlich, als erstrebenswerter Zustand galt sie ihm nicht. Sein wirtschaftspolitisches Idealbild sah anders aus, stellte den Staat als Führungszentrale über die Wirtschaft, die aber unter ihren eigenen Bedingungen zu funktionieren hatte und in der Privatinitiative und Unternehmensgeist produktiv wirken sollten, freilich wiederum im Dienst der politischen Ziele der Staatsführung61. Dieses Modell ist auf das Wohnungswesen übertragbar: Im Bausektor sollte die Privatwirtschaft die Hauptleistung hervorbringen, sie mußte daher von oben kontrolliert und gelenkt, aber nicht mehr als notwendig gegängelt werden. Eine dirigistische Mietenpolitik betrachtete man als Teil der Lohn- und Preispolitik als unumgänglich, eine behördliche Wohnraumbewirtschaftung hingegen als vermeidbares Hemmnis für die Entfaltung

freier Initiative. Bei der vehementen Ablehnung solcher Maßnahmen durch das Reichsarbeitsministerium scheint es jedoch noch um mehr als wirtschaftspolitische Modelle gegangen zu sein. Wohl ebensosehr sollte jede Ähnlichkeit mit der Politik vermieden werden, die in der Nachkriegszeit so starke Ressentiments ausgelöst hatte62. Von einer „sozialen" Mietpreisgestaltung konnte man sich eine populäre Rückwirkung bei einem Großteil der Bevölkerung erhoffen. Die Zuweisung und zwangsweise Verteilung von Wohnraum hingegen das hatten die Erfahrungen der zwanziger Jahre gelehrt wurde nicht nur von den Hausbesitzern als Eingriff in ihre Eigentumsrechte aufs schärfste bekämpft, selbst auf der Seite der potentiellen Klienten für die Wohnungen war die Ablehnung hoch, weil ein großer Teil aufgrund der begrenzten Verteilungsmenge immer leer ausgehen mußte und sich sodann von den Behörden und den Begünstigten übervorteilt fühlte63. Auch das Kalkül mit dem eigenen Popularitätsgrad legte dem Regime also eine Ablehnung der Zwangsbewirtschaftung nahe. Für die Münchner Wohnungspolitik ging der Sommer 1935 mit einer herben Niederlage zu Ende. Und diese blieb keineswegs verborgen oder wurde nur im Rahmen solcher Expertengespräche wie der Reichswohnungskonferenz diskutiert. Ein Erlaß des Reichsarbeitsministers folgte nach, mit dem die Münchner ihre Ohrfeige offiziell und in den Fachzeitschriften nachlesbar verabreicht bekamen64. Auch der DGT ging auf Distanz, weil „mit Rücksicht auf die sehr verschiedenen örtlichen Verhältnisse eine Ermächtigung für ein allgemeines Zugriffsrecht noch nicht als angebracht anzusehen -

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Vgl. zu diesen Vorstellungen Hitlers sowie zum grundsätzlichen Konflikt zwischen Staat und Markt: Herbst, Der Totale Krieg, S. 78-81, und Ritschi, Verhältnis von Markt und Staat, bes. S. 257f. Vgl. Führer, Mieter, S. 337. Diese Argumentation wurde auch von Seiten des Reichsarbeitsministers aufgegriffen, der in seinem ablehnenden Erlaß zu den Münchner Vorschlägen an die „unerfreulichen Zustände" der Nachkriegszeit erinnerte; Abdruck in: ZWB 33 (1935), S. 263f. Ebenda. Der Erlaß wurde auch in anderen Fachorganen abgedruckt.

4. Die Wohnungsfürsorge der Stadt München

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sei"65, wie in diplomatischer Sprache verlautbart wurde. Harbers war über die Reaktio-

der Reichsstellen bitter enttäuscht und äußerte das auch im Kreis seiner kommunalpolitischen Mitstreiter. Die Münchner seien Opfer eines „bedauerliche!«] Missverständnis[ses]" geworden, hätten sie doch längst von ihren ursprünglichen Forderungen nach Wiedereinführung der Zwangswirtschaft Abstand genommen und hätten mit ihrem zweiten Vorstoß gerade eine solche vermeiden helfen wollen66. Dieser Interpretation konnte sich der Reichsarbeitsminister jedoch nicht anschließen, für den jede Form der Beschränkung des freien Vermietungsrechts „eine, wenn auch eingeschränkte Form einer Wohnungszwangswirtschaft" darstellte und von daher abzulehnen war67. Harbers gab sich nicht gerne geschlagen. Wäre es nach ihm gegangen, hätte Fiehler seinen ganzen Einfluß als Reichsleiter geltend machen müssen, um etwa über die Partei doch noch eine Politikänderung zu erzwingen68. Solcher Widerspruchsgeist war dem Münchner Oberbürgermeister freilich fremd, und dem Wohnungsreferenten blieb nichts anderes übrig, als das hinzunehmen. Nach drei Jahren glaubte Harbers allerdings, daß inzwischen die Gemüter so weit beruhigt seien, daß er einen erneuten Versuch unternehmen könne, ein Verfügungsrecht der Gemeinden vor allem für freiwerdende Altwohnungen durchzusetzen. Ob er selbst allerdings an einen Erfolg glaubte, ist fraglich; er bat Fiehler jedenfalls nicht um eine Unterschrift und wandte sich nicht direkt an das Reichsministerium, sondern ging den Weg über die Fachaufsichtsbehörde im bayerischen Wirtschaftsministerium, um eine neuerliche öffentliche Demütigung für die „Hauptstadt der Bewegung" zu vermeiden69. Zwar beschied das Reichsarbeitsministerium Ende 1938, daß weiterhin „Zwangsmassnahmen auf dem Gebiete der Wohnungswirtschaft überaus unerwünscht seien"70, inzwischen war aber zumindest auf dem Gebiet der Wohnungsversorgung von Kinderreichen doch ein Umdenken in Gang gesetzt worden, an dem die Münchner nicht unbeteiligt waren71. Bevor die Zwangswirtschaft dann aber im Krieg tatsächlich ein „comeback" erlebte72, mußte das Münchner Wohnen

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Das war immerhin eine nicht ganz so scharfe Ablehnung der Münchner Vorschläge. Der DGT bezog sich in seiner Begründung auf die bei den Gemeinden durchgeführte Erhebung, deren Ergebnisse leider nicht bekannt sind. Der Gemeindetag 29 (1935), S. 692f. Harbers bei einem Vortrag in Bad Sooden-Allendorf anläßlich der Tagung des Amtes für Kommunalpolitik der Gauleitung Kurhessen am 7./8.12.1935, BArch, NS 25, 164, Bl. 112-131, hier 123f. So bestätigte Seldte nochmals in einem Schreiben an Fiehler vom 14.1.1936, StadtAM, Wohnungsamt 56. Beinahe amüsant ist, in welch geschwollenem Ausdruck Harbers versuchte, Fiehler von einem weiteren Kampf zu überzeugen: „Im Hinblick auf das Grundsätzliche des Vorgangs, daß das Reichsarbeitsministerium die Anregung eines Oberbürgermeisters, der gleichzeitig Vorsitzender des Deutschen Gemeindetags und dazu noch Reichsleiter ist, durch einen öffentlichen Er-

lass in der geschehenen Weise stempelt und abtut, müsste m.E. unbedingt von der Reichsleitung aus mit allem Nachdruck auf Durchführung dieser völlig begründeten Angelegenheit gedrängt werden." Vormerkung Harbers' für Fiehler, 13.11.1935, ebenda. Dezernat 7, Harbers, an das Bayer. Staatsministerium für Wirtschaft, Abt. für Arbeit und Fürsorge, 3.8.1938 (mit einer Vorlagebemerkung für Fiehler), StadtAM, Wohnungsamt 57. RAM, Ebel, an das Staatsministerium für Wirtschaft, Abt. für Arbeit und Fürsorge (Abschrift), 30.12.1938, ebenda. Vgl. unten, S. 355. Dazu z.B. Ley an Bormann, 28.5.1942, wo ganz ähnliche Vorschläge gemacht werden wie Jahre zuvor in München, BArch, R 43/11, 1171 b, Bl. 100-103.

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III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

nungsreferat an der Methode festhalten, die es nun schon seit einigen Jahren ebenfalls erprobte: Verhandlungen mit den Hausbesitzern, die ohne Ausübung direkten Zwangs den Weg zur Einflußnahme auf das Vermietungsgeschäft ebnen sollten. Die Versuche zur Steuerung der Neuvermietungen Das Verhältnis des organisierten Hausbesitzes zur Stadtverwaltung unter NSDAPHerrschaft büßte gegenüber der Weimarer Zeit entscheidende Qualitäten ein. Hatte der Grund- und Hausbesitzerverein in den zwanziger Jahren vor allem über seinen profilierten Vertreter Josef Humar eine konstruktive Rolle in der städtischen Wohnungspolitik spielen können, war in der nationalsozialistisch regierten Stadt eine solche Form produktiven Diskurses nicht möglich. Statt mitzudiskutieren und mitzuentscheiden, sollten die Grund- und Hausbesitzer möglichst gefügig den von der Gemeindeverwaltung vorgegebenen politischen Leitlinien folgen. In der Praxis fehlten den Kommunalpolitikern allerdings die konkreten Machtmittel, um eine solche Unterordnung des interessenpolitischen „Eigennutzes" unter den städtisch definierten „Gemeinnutz" zu erzwingen. Harbers litt sichtlich darunter, daß er den Hausbesitz nicht einfach an die kurze Leine nehmen konnte, und er versuchte daher, abwechselnd über Kooperationsangebote und Drohungen seine Wünsche durchzusetzen. In einem Satz bot er den Hausbesitzern die „Mitwirkung an dieser echt nationalsozialistischen Aufgabe" der gezielten Steuerung von Neuvermietungen an, um im nächsten mit „Kontrollen" zu drohen, falls sie sich dazu nicht bereit fänden73. Und was zunächst als „freiwillige Vereinbarung" an die Hausbesitzer herangetragen wurde74, mutierte schnell zu einer Grundsatzfrage politischen Wohlverhaltens: „Hausbesitzer, die sich nicht den Notwendigkeiten der jetzigen Zeit fügen wollen, müssen als Volksschädlinge bezeichnet und dementsprechend behandelt werden."75 Bei diesen Verhandlungen, die das Wohnungsreferat unter Einsatz von „Zuckerbrot und Peitsche" mit den Hausbesitzern führte, ging es im Kern darum, das Vermietungsgeschäft bei freiwerdenden Altwohnungen nach bestimmten Kriterien zu steuern. Dieses Vorhaben gewann an Bedeutung, nachdem aufgrund der Stellungnahmen des Reichsarbeitsministeriums feststand, daß es eine zwangsweise Verpflichtung des Hausbesitzes nicht geben würde. Die Verhandlungen waren allerdings schon vorher aufgenommen worden; Anfang 1935 trug Harbers erstmals den Vorschlag zu einer Vereinbarung an den Grund- und Hausbesitzerverein heran; bis man sich konkret auf gemeinsame Richtlinien einigte, verging ein Jahr. Das Wohnungsreferat führte diese Gespräche erkennbar unter der Prämisse, daß der Gemeinsinn der Hausbesitzer von sich aus wenig ausgeprägt sei. Solange die Verteilung des Wohnraums vom „freien Ermessen der Hauseigentümer abhängig" bleibe, so lange blieben „Ungerechtigkeiten und Unzuträglichkeiten" an der Tagesordnung76. Wie die Vorschläge, die München am 22. Juli 1935 -

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Protokoll einer

Besprechung bei Harbers am 11.12.1935 mit Franz Seyfried (Grund- und Hausbesitzerverein), Ludwig Zeiss (Wohnungsnachweis) und Gerhard Fiehler (Gewofag), bes. S. 4, StadtAM, Wohnungsamt 56. Vgl. Harbers an den Grund- und Hausbesitzerverein, 9.1.1935, StadtAM, Wohnungsamt 57. Vormerkung aus dem Referat 7 für Harbers, 6.1.1936, StadtAM, Wohnungsamt 56. So geschildert in dem Antrag der Stadt auf Wiedereinführung der Zwangswirtschaft vom 5.6.1935, S. 3, ebenda.

4. Die

Wohnungsfürsorge der Stadt München

347

nach Berlin übermittelt hatte, zeigen, waren es vor allem zwei Bereiche, in die man glaubte, zugunsten der Benachteiligten eingreifen zu müssen77: Zum einen seien es häufig nicht die alteingesessenen Münchner Familien, die bei der Wohnraumverteilung zum Zuge kämen, sondern diejenigen, die trotz der bekannten Ballungsraumprobleme nach München umsiedelten. Damit wurde wieder die Problematik des „unerwünschten Zuzugs" thematisiert, die mit Ausnahme einer Trendunterbrechungsphase in der Weltwirtschaftskrise bereits seit den zwanziger Jahren ein Dauerbrenner war. Zum anderen ging es der Stadt um die Versorgung von Kinderreichen mit Wohnraum, weil diese schon in der Ära der Zwangswirtschaft, erst recht aber unter marktwirtschaftlichen Bedingungen bei den Vermietern ganz hinten rangierten. Der freie Markt für bezahlbare Wohnungen funktionierte in den Augen der Stadtverantwortlichen nicht selten so, wie es Fiehler in einer Hauptausschußsitzung schilderte: „Da holen sich z.B. die BMW. von auswärts Facharbeiter, die sie hier nicht bekommen können, und diese werden natürlich ohne weiteres von den Hausherrn in solche Wohnungen hereingenommen, weil die sich sagen, diese Leute verdienen gut; wir aber bekommen für unsere Kinderreichen wieder keine Wohnungen."78 Dürfte es bei der Stadt die Einsicht gewesen sein, daß sie einen wie auch immer gearteten Zwang nicht ausüben könnte, weil ihr dazu das Mandat der Reichsregierung fehlte, war es beim Grund- und Hausbesitzerverein wohl gerade die Einsicht, daß er dem Druck zu „volksgemeinschaftlichem" Handeln nicht entkommen würde, die schließlich dazu führten, daß beide Parteien zu Beginn des Jahres f 936 zu einer Vereinbarung fanden. Ihr Ergebnis war die Herausgabe eines „Merkblattfei] für die Hausbesitzer" und im Zusammenhang damit von „Richtlinien für die Vergebung von freien Kleinwohnungen des Alt- oder Neuhausbesitzes in München mit höchstens 600,- RM ortsüblicher Jahresmiete", die den Kompromiß zwischen dem „allgemeinen Volksinteresse" und der „Wahrung der persönlichen und wirtschaftlichen Belange des Hausbesitzers" herstellen sollten79. Der Text versuchte, den Nürnberger Rassegesetzen ebenso Rechnung zu tragen wie der nationalsozialistischen Eheförderungspolitik. So sahen die ,Soll-Bestimmungen' der Richtlinien vor, daß der Hausbesitzer seine freiwerdende Kleinwohnung nur noch an „arische" Wohnungssuchende, die mindestens zwei im Haushalt lebende Kinder vorweisen konnten, vergäbe. „Dieses Erfordernis entfällt nur bei Brautpaaren, die vor der Hochzeit stehen (auch Ehestandsdarlehensempfänger zählen hierher) und bei Ehepaaren, die weniger als 5 Jahre verheiratet sind, muß aber im übrigen auch bei den nicht oder nicht mehr verheirateten (getrennt lebenden, geschiedenen, verwitweten oder ledigen) Bewerbern gegeben sein." Des weiteren hatte der Wohnungssuchende seit mindestens zwei Jahren in München ansässig zu sein, was gegenüber den ursprünglichen Vorstellungen Harbers', die das Jahr 1930 als Zäsur vorgesehen hatten, eine deutliche Abschwächung darstellte. Als letztes Kriterium wurde das Haushaltseinkommen zugrunde gelegt, das generell nicht „in einem Mißverhältnis zur Miete der angestrebten Wohnung" stehen und konkret nicht über dem Sechsfachen der Miete liegen sollte. Die 77

Schreiben

78

Hauptausschußsitzung vom 22.11.1934, StadtAM, RP 707/4. Exemplare des „Merkblatts" (daraus Zitate) mit den „Richtlinien" in: StadtAM, Wohnungsamt 57. Die Texte waren in der Sitzung der VFB-Beiräte vom 7.5.1936 vom Stellvertreter Fiehlers, Tempel, genehmigt worden. StadtAM, RP 709/3.

79

an

das RAM, gez. i.V.

von

Tempel, 22.7.1935, ebenda.

III. Baupolitik und Wohnungsfürsorge

348

Prägung durch den verlorenen Kampf mit dem Arbeitsministerium zeigte insbesondere der vorletzte Absatz der Richtlinien, in dem nochmals explizit darauf hingewiesen wurde, daß der Wohnungsnachweis zwar dem Hausbesitzer einen geeigneten Bewerber vorschlagen könne, „die eigenverantwortliche Prüfung und Würdigung der wirtschaftlichen Verhältnisse und der sonstigen für einen Mieter wesentlichen Eigenschaften"

aber weiterhin beim Vermieter lägen. Den Vorwurf, es handele sich bei dieser Aktion eine Fürsorgemaßnahme für „untüchtige" und „unwürdige Elemente", wie er möglicherweise aus der Ecke der Rassehygieniker zu erwarten war, parierte Harbers von vornherein mit dem Schlußsatz, den er für die Richtlinien entworfen hatte. Darin wurde dem Vermieter zugestanden, daß er bei der Auswahl unter mehreren Anwärtern dem „national zuverlässigen, verträglichen und in geordneten finanziellen Verhältnissen lebenden Bewerber" den Vorzug gäbe, „denn diese Richtlinien sollen asoziales Verhalten bekämpfen, nicht fördern"80. Der Hausbesitzerverein unter der Leitung von Franz Seyfried appellierte sehr nachdrücklich an den Münchner Hausbesitz, sich die „Richtlinien" zu eigen zu machen, warb in seinem Presseorgan dafür und vertrieb die entsprechenden Merkblätter auch über seine Geschäftsstelle81. Die Stadt konnte sich also unterstützt fühlen in ihrem Bemühen, den Hausbesitz auf seine „sozialen" Aufgaben zu verpflichten. Trotzdem blieben die Erfolge weit hinter dem erwarteten und erwünschten Ausmaß zurück. Erhebungen des Wohnungsnachweises zeigten, daß die Vermieter den Richtlinien vor allem da folgten, wo ihnen das Zugeständnis wenig Opfer verursachte. So ergab eine Stichprobe von 100 Wohnungen mit einem Mietpreis bis zu 600 RM, die zwischen dem 1. Juli und dem 30. September 1936 neu vermietet worden waren, daß alle 100 Neumieter das Kriterium erfüllten, länger als zwei Jahre in München zu sein82. Ein Drittel der Mieter erfüllte aber die gewünschten Merkmale im Hinblick auf die Kinderzahl nicht: Das heißt, 33 Mietparteien waren schon länger als fünf Jahre verheiratet bzw. verwitwet, geschieden oder ledig und hatten kein oder nur ein Kind. Fast die Hälfte der Mieter nämlich 46 waren Paare, die noch nicht fünf Jahre verheiratet waren und bei denen man von einer Auflage in bezug auf die Kinderzahl abgesehen hatte. Von ihnen waren dann auch die meisten (28) kinderlos. Es also eine eindeutige Tendenz, wenn gab nicht überhaupt gegen die Richtlinien zu verstoßen, sie doch zumindest im „günstigsten Sinne anzuwenden"83. Bei insgesamt nur sieben begünstigten kinderreichen Mietern (mit drei und mehr Kindern) konnte jedenfalls von einer neuen Chance für große Familien nicht gesprochen werden. Soweit das Einkommen der Mieter feststellbar war, schienen die vorgegebenen Grenzen wenigstens eingehalten worden zu sein. Über den Umgang mit dem „Arierkriterium" ist nichts bekannt, aber daß eine Vermietung an Juden höchst unerwünscht war, mußte jetzt allen Hausbesitzern deutlich sein. um

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2

3

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Alle Zitate aus den „Richtlinien", StadtAM, Wohnungsamt 57. Münchener Hausbesitzerzeitung vom 23.5.1936: „Richtlinien für die Vermietung von Kleinwohnungen in München" (StadtAM, Wohnungsamt 56). Wohnungsnachweis, Zeiss, an das Referat 7, 10.10.1936, ebenda. Dort auch zu den folgenden

Angaben.

Während der ersten Kategorie der mehr als fünf Jahre Verheirateten, Verwitweten, Geschiedeund Ledigen insgesamt 45 Mietparteien angehörten, waren 46, wie gesagt, noch keine fünf Jahre verheiratet, aber nur neun waren Brautpaare, die vor der Hochzeit standen (sechs davon kinderlos). Ebenda. nen

4. Die

349

Wohnungsfürsorge der Stadt München

Harbers war mit den Ergebnissen in höchstem Maße unzufrieden und gab sie in öffentlicher Ratsherrensitzung bekannt, um in breiteren Kreisen Stimmung für die Anliegen des Wohnungsreferats zu erzeugen. Ganz offensichtlich ging es ihm auch darum, die Partei verstärkt als Druckmittel einzusetzen. Hatte er intern schon einmal davon gesprochen, daß allzu unsoziales Verhalten des Hausbesitzes mit der Einweisung ins Konzentrationslager Dachau bestraft werden müsse84, schlug er jetzt vor, „nach unserer nationalsozialistischen Art die Hausbesitzer und Vermieter [zu] brandmarken, und zwar unter Namensnennung, die gröblich gegen das soziale Empfinden und gegen die nationalsozialistischen Grundsätze auf diesem Gebiete verstoßen"85. Diese Sprache war mehr als deutlich und sehr bezeichnend für die Weise, in der Harbers, trotz seiner vielen Querelen mit der Partei, diese gerne als Waffe benutzte. Das blieb trotzdem nichts als Drohgebärde, denn solange sich die Reichsregierung selbst schützend vor den Hausbesitz stellte, konnte ein Münchner Wohnungsreferent kaum zu exemplarischen Maßnahmen greifen. Der Wohnungsnachweis stellte weiter Erhebungen über den Erfolg, oder besser Mißerfolg, der Richtlinien an, die dann auch keine erfreulichere Tendenz als die ersten Ergebnisse erkennen ließen. Im Gegenteil, mit Stand vom 31. Juli 1937 mußte man eine noch schlechtere Bilanz aufmachen. Von den insgesamt 600 Stichprobenwohnungen, die bis dahin untersucht worden waren, konnten im Durchschnitt 38 Prozent als „fehlbelegt" im Sinne der Richtlinien gelten, und zwar deshalb, weil ihre Inwohner kinderlos waren oder nur ein Kind hatten. Fast 40 Prozent der Wohnungen waren obendrein wieder an Paare vergeben worden, die noch keine fünf Jahre verheiratet waren und bei denen sich der Hausbesitzer daher um das Nachwuchskriterium nicht kümmern mußte86. Während es also nicht so aussah, als ob die Richtlinien viel zur Steuerung des Vermietungsgeschäftes im Sinne der Stadt beitragen könnten, versuchte die Stadtverwaltung, sich dort in den marktwirtschaftlichen Verteilungsmechanismus einzuklinken, wo sie selbst etwas zu vergeben hatte. Dem Hausherrn einer Mietpartei, die in ein Siedlerhaus oder eine Volkswohnung der städtischen Gesellschaften umziehen würde, konnte man es zumindest nach Ansicht von Oberbürgermeister Fiehler doch ohne weiteres zumuten, im Gegenzug einen vordringlichen Fall aufzunehmen. Und wenn er sich dieser Einsicht verschließen sollte, mußte er eben unter Druck gesetzt werden: „Wir müssen da den Hausherren sagen, du bringst den Mann nicht los, wir nehmen ihn nicht in ein Siedlerhaus hinein, wenn wir nicht die Möglichkeit haben in deiner Wohnung einen Kinderreichen oder sonst irgendeinen unterzubringen, von dem wir wissen, daß er be-

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sonders dringend eine Wohnung braucht."87 In der Praxis erwies es sich aber als äußerst schwierig, diesen Zusammenhang herzustellen, weil der Wohnungsnachweis dann mit jedem betroffenen Vermieter erst Verhandlungen hätte führen müssen, bevor über die Vergebung einer Siedler- oder Volkswohnung entschieden worden wäre. Das war aber selbst nach Einführung des neuen Vermittlungsdienstes im Frühjahr 1938 nicht mög-

Vormerkung Harbers' vom 25.9.1935, ebenda. Vgl. auch oben, S. 76. Harbers in der Ratsherrensitzung vom 5.11.1936, MGZ 65 (1936), S. 202f., hier 203. Vgl. „Fortlaufende Zusammenfassung über das Ergebnis der Prüfung, inwieweit die Vermieter die Richtlinien vom Mai 1936 für die Vergebung der Kleinwohnungen mit einer Miete bis zu 600,- RM erfüllen." StadtAM, Wohnungsamt 56. Hauptausschußsitzung vom 22.11.1934, StadtAM, RP 707/4.

350

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

lieh. Zum anderen sah es auch der Wohnungsnachweis als unfair an, im ohnehin schon hürdenreichen Zuteilungsverfahren für Kleinsiedlerstellen oder Volkswohnungen nun auch noch das Vermieterverhalten zugrunde zu legen: „Dass die Zuteilung der Neuwohnung von der bedingungslosen Zurverfügungstellung der Altwohnung durch den Vermieter schlechthin abhängig gemacht wird, kann wohl im Interesse der wohnungsnotleidenden Mieter nicht gut als Regel aufgestellt werden, da es in den meisten Fällen ausserhalb seiner Macht steht, auf den Vermieter bestimmend einzuwirken und da seiner objektiv bestimmten Wohnungsnot auch für den Fall mangelnder Geneigtheit des Vermieters unbedingt abgeholfen werden soll."88 Trotzdem wurde in Zusammenarbeit mit den unter städtischer Regie stehenden Gesellschaften nach Mitteln und Wegen gesucht, die Hand auf die Altwohnungen der neuen GWG- und Gewofag-Mieter zu legen. Im Bestand

„Wohnungsamt" des Stadtarchivs München ist eine ganze Reihe von Berichten des Städtischen Wohnungsnachweises überliefert, die im Detail darüber Aufschluß geben, warum der Zugriff auf die Airwohnungen der neuen Mieter bei den Wohnungsgesellschaften regelmäßig zum Scheitern verurteilt war. Als ein durchgängiges Phänomen stellte sich dabei heraus, daß die Bezieher der Volkswohnungsanlagen meist aus sehr kärglichen Wohnverhältnissen kamen sonst wäre der Volkswohnungsstandard auch kaum eine Verbesserung für sie gewesen und häufig entweder gar nicht im Besitz einer eigenen Wohnung waren (Untermieter, Zusammenleben mit den Eltern etc.) oder nur über ein unzumutbares Quartier verfügten. „Vielfach mussten die Vermittlungsbeamten bei Anbietung einer derartigen Altwohnung sich von den befürsorgten Familien sagen lassen: Ja, so ein Loch haben wir ja selbst, deswegen brauchen wir nicht auszuziehen!'"89 Als ein zweites generelles Problem erwies sich die weitverbreitete, auch noch aus den Zeiten der Zwangswirtschaft rührende Animosität gegen Kandidaten des Wohnungsnachweises90. Verständlicherweise trauten die meisten Vermieter mehr ihrem eigenen Instinkt als den von Fürsorge-Gesichtspunkten diktierten Empfehlungen des Wohnungsnachweises: „Auf der einen Seite winkt dem Hausbesitzer also der sogen. ,gute, ruhige', von ihm bereits überprüfte Mieter, auf der anderen Seite eine von der Behörde empfohlene, dem Hausbesitzer persönlich unbekannte Familie mit Kindern."91 Im folgenden soll ein Beispiel herausgegriffen werden, das auch schon aus anderem Zusammenhang bekannt ist: Als im Sommer 1937 die ersten 611 Wohnungen der Volkswohnungsanlage Berg am Laim bezogen werden konnten, meldete die GWG 597 freiwerdende Altwohnungen an den städtischen Wohnungsnachweis92. Allein in 208 Fäl-

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Bericht des Städt.

Wohnungsnachweises, Beling, vom 23.10.1939 (Hervorhebungen im Origi-

nal). Beling reagierte damit auf einen erneuten Vorstoß Harbers' vom 17.10.1939, Neubauwohnungen der städtischen Gesellschaften nur dann zuzuteilen, „wenn die auf diese Weise freiwerdenden Altwohnungen dem Wohnungsnachweis tatsächlich zur Verfügung gestellt werden oder die hiefür etwa schon vorgesehene neue Mietpartei die Zustimmung des Wohnungsnachweises gefunden hat". StadtAM, Wohnungsamt 57. Bericht des Städt. Wohnungsnachweises, Beling, vom 16.10.1939, ebenda. Vgl. z.B. den Bericht des Städt. Wohnungsnachweises, Zeiss, vom 27.12.1935 über die Vermittlung von Wohnungen, die durch Bezug der Gewofag-Anlage an der Untersbergstraße frei wurden. StadtAM, Wohnungsamt 56. Bericht des Städt. Wohnungsnachweises, Beling, vom 22.7.1938, StadtAM, Wohnungsamt 57. Für das Folgende Bericht des Städt. Wohnungsnachweises, Linmaier, vom 3.9.1937, ebenda.

4. Die

Wohnungsfürsorge der Stadt München

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len93 hatten die Neumieter vorher zur Untermiete gewohnt, so daß 389 Wohnungen verblieben. Bei näherer Untersuchung zeigte sich aber, daß mehr als die Hälfte davon ausfiel, weil die Wohnungen bereits wieder vermietet worden waren oder weil sie zu klein bzw. wohnungshygienisch nicht zumutbar waren. Auch eine Reihe von Genossenschafts- oder stadteigenen Wohnungen waren darunter, die für eine Neuvergabe durch den Wohnungsnachweis nicht in Frage kamen. Er sah ebenfalls davon ab, die Wohnungen jüdischer Hausbesitzer in Beschlag nehmen zu wollen, offenbar, weil das schon zu diesem Zeitpunkt als zu heikler Sektor galt, in dem man erst einmal politische Weisungen abwarten mußte. Schließlich blieben noch 176 Vermieter, von denen aber 71 über die freigewordene Wohnung bereits disponiert hatten, 52 die Anfragen des Wohnungsnachweises einfach unbeantwortet ließen, 13 die Wohnungen zu Eigenbedarfszwecken nutzen wollten und eine Hausbesitzerin sich schlichtweg auf ihr Recht, „nach eigenem Ermessen" zu vermieten, berief. Fünf Wohnungen mußten wohnungspolizeilich gesperrt werden, eine war in so schlechtem Zustand, daß die vom Wohnungsnachweis in Aussicht genommenen Bewerber dankend ablehnten; fünf Wohnungen wurden schließlich nicht von ihren Altbewohnern geräumt, weil diese doch keine Volkswohnung bezogen. Die magere Ausbeute aus fast 600 Umzugsmeldungen blieben schließlich 28 Wohnungen, die der Wohnungsnachweis vermitteln konnte; dabei mußte er in sechs Fällen noch Bedingungen hinnehmen wie den Umstand, daß nur Familien mit höchstens einem Kind akzeptiert würden, und ähnliches mehr. Für den Leiter des Wohnungsnachweises, Linmaier, war diese deprimierende Bilanz „in erster Linie darauf zurückzuführen, daß die meisten Vermieter schon lange vor dem Freiwerden der Wohnungen davon Kenntnis hatten und deshalb bereits eine Reihe von Interessenten für die Wohnung an der Hand hatten"94. Angesichts dieser Problematik strebte die Stadt an, in den Vergebungsprozeß einzugreifen, bevor der Vermieter einem Klienten eigener Wahl den Zuschlag gegeben hätte. Harbers bat die Wohnungsgesellschaften, dem Referat die Namen der für die Neuwohnungen ausgewählten Kandidaten bereits zukommen zu lassen, bevor die Bewerber selbst und die Hausbesitzer davon Kenntnis erhielten95. Doch ließ sich diese Geheimhaltung kaum praktizieren, „weil die Vermieter von dem wahrscheinlichen Auszug der Neubaukandidaten meist schon in dem Zeitpunkt Kenntnis erlangen, in dem die Wohnungsgesellschaften ihre Vorschlagslisten für das Dezernat 7 zusammenstellen und die in Frage kommenden Bewerber zu diesem Zwecke vorladen"96. Das Grundproblem blieb bestehen, daß die Vermieter wenig Neigung zeigten, der Behörde ein Dispositionsrecht über ihr Eigentum einzuräumen, wenn dazu kein Zwang bestand97. Nach der oben, S. 323, angeführten Zählung vom Januar 1938 wurden in der Siedlung Berg am Laim 614 Haushalts vorstände festgestellt, die in 224 Fällen zuvor zur Untermiete gewohnt hatten. Diese geringfügige Diskrepanz erklärt sich aus dem späteren Zeitpunkt der Erhebung, in dem sich gegenüber der Bezugsphase noch Verschiebungen ergeben hatten. Bericht des Stadt. Wohnungsnachweises, Linmaier, vom 3.9.1937, StadtAM, Wohnungsamt 56. Harbers an die Gewofag, 16.10.1937, StadtAM, Wohnungsamt 57. Bericht des Stadt. Wohnungsnachweises, Beling, vom 16.10.1939, ebenda. In der Sprache des enttäuschten Wohnungsnachweisleiters Beling lautete das so: „Die Hausbesitzer wissen sehr wohl, daß derzeit keinerlei Gesetze oder sonstige Bestimmungen existieren, die sie in der freien Vermietung ihrer Wohnung hemmen oder beschränken und machen sich deshalb die heutige große Not an Kleinwohnungen zunutze, um sich und ihren privateigenen Interessen allein zu dienen." (Bericht vom 22.7.1938, ebenda).

352

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

Bis zum Krieg mußte sich die Stadt, was die „Befürsorgung" Wohnungssuchender Familien anging, also weitgehend geschlagen geben. Ihre Versuche, ein zwangswirtschaftliches Verfügungsrecht über freiwerdenden Wohnraum wiederherzustellen, waren völlig gescheitert; nur wenig besser sah es mit ihren Ansätzen aus, sich auf kooperativem Wege in das Vermietungsgeschäft einzuschalten. Es dürfte bereits deutlich geworden sein, daß als Motiv für diese Vorgehensweisen die Wohnungsfürsorge für Kinderreiche besonders hervorgehoben wurde. Das diente einerseits sicher dazu, etwa „die Forderung nach Wiedereinführung des anrüchigen Bewirtschaftungssystems mit der nationalsozialistischen Ideologie zu versöhnen"98. Andererseits bildeten die Kinderreichen tatsächlich eine Problemgruppe auf einem kritischen Wohnungsmarkt wie dem Münchner, und das nicht erst seit den dreißiger Jahren.

Wohnungsfürsorge für kinderreiche Familien Die Kinderreichenproblematik hatte sich als Dauerthema in der Münchner Sozialpolitik schon lange vor der nationalsozialistischen Machtübernahme etabliert. Immer wie-

der wurde vom „Reichsbund der Kinderreichen Deutschlands zum Schütze der Familie"99 ausgiebig Klage geführt, daß gerade in der Münchner Wohnungspolitik zu wenig für die Kinderreichen getan werde. Angeblich oder nach den Worten der bayerischen Reichsbundvertreter „bekanntlich" sei „das Wohnungselend der kinderreichen Familien in München schlechter als in fast allen deutschen Städten, München ist die letzte deutsche Grosstadt, die eigene Wohnungen für Kinderreiche errichtet hat"100. Damit war die Kinderreichen-Siedlung der Gewofag in Neuramersdorf gemeint, mit der im Gesamtbauprogramm 208 Wohneinheiten explizit für diese Bevölkerungsgruppe stellt worden waren. In den Augen des Reichsbunds war das angesichts eines Anteils von 5,6 Prozent kinderreichen an allen Familien in München entschieden zu wenig101. Das Reichskleinsiedlungsprogramm sahen die Reichsbundvertreter dann als die langerwartete Entschädigung für ihre bisher nicht erfüllten, berechtigten Ansprüche. Vor diesem Hintergrund war ihnen aber das hier Erreichte deutlich zu wenig: Ihrer Meinung nach hätten die Kinderreichen die absolute Majorität in diesem Programm behaupten müssen. Daß von 400 Kleinsiedlerstellen im ersten Programmabschnitt 65 mit kinderreichen Familien ab vier Kindern belegt waren102, betrachteten sie nicht als Bevorzugung, sondern als Ausdruck noch immer schwerwiegenden Desinteresses für ihre speziellen Probleme103. -

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Führer, Mieter, S. 336. Zu dessen bevölkerungspolitischer Agitation im „Dritten Reich" vgl. Stephenson, .Reichsbund der Kinderreichen'. 100 Landesverband Bayern im Reichsbund an den Oberbürgermeister der Stadt München, 19.5.1932, StadtAM, BRB 83/2, 165, Bd. 1. 101 Ebenda. 102 Zahl errechnet nach den Listen über kinderreiche Siedler in Freimann, an der Zamdorfer Straße und am Perlacher Forst, ebenda. Erstaunlich genug waren unter den 65 Familien neun, die sogar sechs Kinder hatten, was angesichts der Größe der Kleinsiedlerhäuschen nach Ansicht des Wohnungsreferates eigentlich nicht zu vertreten war. Vgl. Wohnungsreferent Preis an das Staatsministerium des Äußern, für Wirtschaft und Arbeit, 28.5.1932, ebenda. 103 Vgl. den Artikel „Klagen der Kinderreichen", in: Münchener Zeitung vom 18.11.1932. 98

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4. Die

Wohnungsfürsorge der Stadt München

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Die nationalsozialistische Stadt lehnte es ab, das bei der Gewofag-Siedlung Neuramersdorf erprobte Modell einer eigenen Kinderreichen-Wohnanlage zu wiederholen, und ließ es bei einer Förderung der integrierten Unterbringung von kinderreichen Familien bewenden. Die Verwaltung befand, daß nichts für die Wiederholung eines solchen Experiments spräche, weil hier „Ghetto-Effekte" mit allen negativen sozialen Begleiterscheinungen zu beobachten seien. So sah das Wohlfahrtsreferat in Neuramersdorf geradezu ein Paradebeispiel dafür, „dass die Anhäufung von Familien gleicher Struktur auf einen Fleck sich ungünstig auswirkt. Nicht die guten Familien ziehen die weniger guten hinauf, sondern die schlechten beeinflussen und belasten die anderen."104 Und die Wohnungsbeamten schienen bei ihren Kollegen abgeschrieben zu haben, wenn sie meinten: ..Die Massierung von 208 Familien mit rund 1 200 Kindern hat sich nicht bewährt, da die unsozialen und schlechten Elemente einen ungünstigen Einfluß auf die übrigen Mietparteien ausüben. Dazu kommt, daß ein Teil dieser Familien untervermietet und ihre Kinder in ein oder zwei Räume zusammenpfercht."105 Solche Vorwürfe waren einerseits von den verbreiteten rassehygienischen Vorurteilen infiziert und mochten andererseits auch daher rühren, daß die nationalsozialistische Politik hier wie bei den Sonderbauprogrammen, wenn auch nicht mit vergleichbaren finanziellen Auswirkungen wieder an ein Programm ihrer Vorgänger gebunden war. Sie mußte nämlich die 1931 beschlossenen Mietverbilligungszuschüsse für die in Neuramersdorf lebenden minderbemittelten, kinderreichen Familien weiterbezahlen, wollte sie nicht riskieren, daß 200 Familien in Zahlungsschwierigkeiten gerieten106. Die Zuschüsse, die bei der Machtübernahme über 90 000 RM im Jahr betrugen, erlaubten es, den Anteil der Miete am Familieneinkommen auf einen Satz zwischen f 3 und 17 Prozent zu senken und damit für diese niederen Lohngruppen erst bezahlbar zu machen107. Die Wohnungsfürsorge für Kinderreiche sorgte nicht nur in der „Hauptstadt der Bewegung" für Diskussionsstoff, sondern war auch für die Reichssozialpolitik ein Feld, in dem sie immer wieder Kritik einstecken mußte. Angesichts der nationalsozialistischen Propaganda auf dem Gebiet der Bevölkerungs- und Familienpolitik schon vor 1933 durften die Interessenvertreter der Kinderreichen mit einigem Recht erwarten, daß die von ihnen angeprangerte materielle Schlechterstellung108 der kinderreichen Familien jetzt ein Ende haben werde109. Statt dessen schien sich nach der „Machtergreifung" zumindest auf dem wichtigen Gebiet der Wohnungsversorgung die Kluft zwischen der ideologischen Wertschätzung der kinderreichen Familien und ihren problemati-

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Referat 6/3, Hilble, an Referat 7 vom 13./15. April 1935, StadtAM, Sozialamt 3618. Vormerkung des Referats 7/10 vom 23.7.1937, S. 4, StadtAM, Wohnungsamt 56. Eine „Übersicht über die von der Stadt geleisteten Mietverbilligungszuschüsse seit 1. Juli 1931 bis einschließlich 1945 befindet sich in: StadtAM, BRW 78/2, Bund 111. Nach der Vormerkung des Referats 7/10 vom 23.7.1937, S. 4, wurden die Mieten bei Familien "

mit vier Kindern durchschnittlich auf 17%, bei Familien mit fünf und sechs Kindern auf 15% und bei Familien mit sieben und mehr Kindern auf 13% gesenkt. StadtAM, 56. In der Münchener Zeitung vom 31.5.1932 wurde unter der Überschrift „DieWohnungsamt kinderreiche Familie" etwa eine Eingabe des Landesverbandes Bayern im Reichsbund an den Stadtrat abgedruckt, in der vor allem gegen die überproportionale Kürzung von Unterstützungssätzen für kinderreiche Familien protestiert wurde, die bereits jetzt in Ernährung, Ausbildung, Unterbringung ihrer Kinder wesentlich gegenüber anderen Familien zurückstecken müßten. So z.B. die „Vision" am Ende der Arbeit von Wibbe, Die kinderreiche Familie, S. 50.

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III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

sehen Lebensverhältnissen noch zu verbreitern110. Auf einem durch starke Nachfrage und nicht ausreichende Bautätigkeit bestimmten Markt waren die Chancen der Kinderreichen, bei denen die Vermieter eine stärkere Aus- und Abnutzung ihrer Wohnungen befürchten mußten, von vornherein geschmälert. Die Aufhebung des Wohnungsmangelgesetzes enthob die Behörden der Eingriffsmöglichkeiten zugunsten der Kinderreichen auf dem Altwohnungsmarkt; im staatlich geförderten Wohnungsneubau schien mit den am „Kleinstmöglichen" ausgerichteten Bestimmungen für Kleinsiedlungen und erst recht Volkswohnungen noch weniger den kinderreichen Familien gedient. Es waren daher nicht zuletzt dezidierte Vertreter der NS-Ideologie, die von der staatlichen Wohnungspolitik ein verstärktes Eintreten für die Belange der Kinderreichen forderten, weil sie die eigenen bevölkerungspolitischen Ziele durch den Minimalismus im Wohnungswesen konterkariert sahen111. Die Einsicht in solche Widersprüche führte auf Seiten des Reichsarbeitsministeriums dazu, daß in der Wohnungs- und Siedlungspolitik allmählich Erleichterungen geschaffen wurden: Siedlungs-Kinderbeihilfen, die Herabsetzung von Eigenkapital- und Selbsthilfe-Leistungen bei Kinderreichen, Zusatzdarlehen solche Maßnahmen sollten den Wohnungsbau stärker auf die „siedlungswillige deutsche Familie" ausrichten und ihr überdies das Gefühl vermitteln, „daß das Schicksal der Kinderreichen bei unserer Staatsführung in besten Händen ruht"112. Konnte man mit solchen Hilfen jedoch nur die Bedingungen auf dem staatlich subventionierten Neuwohnungsmarkt verbessern, vertraute die Reichsregierung im Hinblick auf den privaten Wohnungsmarkt lange Zeit darauf, daß die gewohnte Mischung aus Propaganda und Einschüchterung ihr Ziel bei den Vermietern schon nicht verfehlen werde, denn eine Rückkehr zu zwangswirtschaftlichen Maßnahmen wurde ja strikt abgelehnt. Jeder Vermieter müsse es doch als seine „Ehrenpflicht" betrachten, kinderreiche Familien aufzunehmen113. Die Realität sah allerdings anders aus, jedenfalls, wenn man sie mit den Augen der Beamten im Münchner Wohnungsnachweis sah: „Die Hausbesitzer handeln bei der Vergebung ihrer Wohnungen [...] in den meisten Fällen nach rein persönlichen, privaten Gesichtspunkten und Vorteilen, ohne sich viel um das Wohl und Wehe der vielen unterzubringenden Familien mit Kindern (Kinderreiche) zu küm-

mern."114 Die Stadt München hatte es angesichts der strikten Zurückhaltung der Reichsregierung über lange Zeit tatsächlich schwer, stärker zugunsten der Kinderreichen einzugreifen. Zwangswirtschaftliche Maßnahmen wurden ihr streng untersagt, der Appell an die Vermieter fruchtete nur wenig; es blieb schließlich als dritter Weg eine Anreizpolitik,

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Dem Kreisamtsleiter für Kommunalpolitik des Kreises Meseritz etwa wollte es so scheinen, „als hätte man eine der Hauptwurzeln des sozialen Notstandes noch nicht so beachtet und angegriffen, wie sie es ihrer Bedeutung nach verdient, nämlich die Wohnungsnot der kinderreichen Familien". Tätigkeitsbericht für Dezember 1935, BArch, NS 25, 1663, Bl. 13. Vgl. oben, S. 330. M. Strzelzyk, Die Förderung der Siedlung kinderreicher Familien, in: Baugilde 20 (1938), S. 89f., hier 90. Lampe, Erleichterung der Wohnungsbeschaffung für kinderreiche Familien, in: Der Gemeindetag 33 (1939), S. 450-453, hier 450. Bericht des Städt. Wohnungsnachweises, Beling, vom 12.3.1938 über „Vermietungs-Formen

der Münchener Hausbesitzer", StadtAM,

Wohnungsamt 57.

4.

355

Die Wohnungsfürsorge der Stadt München

erprobte. Sie stellte den Hausbesitzern für die Aufnahme einer vom Wohnungsnachweis vorgeschlagenen Familie mit vier Kindern (unter Umständen auch drei) einen einmaligen Bereitschaftsbetrag von 100 RM in Aussicht, für jedes weitere Kind wurden zusätzlich 20 RM ausgegeben. Im Falle einer notwendigen Instandsetzung vor Bezug war ein Instandsetzungszuschuß bis zu 300 RM möglich; auch städtische Bauzuschüsse für Umbau- und Teilungsvorhaben konnte der kinderfreundliche Hausbesitzer akquirieren115. Freilich waren diese Leistungen nur ein kleiner Anreiz, der beim einen oder anderen Hausbesitzer bewirkt haben mag, sich den Vorschlag des Wohnungsnachweises doch noch einmal zu überlegen; einen wirklich abgeneigten Vermieter dürfte man mit solchen „Bonbons" aber nicht umgestimmt haben. Erst eine Politikänderung des Reichs schuf auch für München die Möglichkeit, einen effektiveren Weg in der Wohnungsfürsorge für Kinderreiche zu gehen. Im Herbst 1938 entschied sich das Reichsarbeitsministerium schließlich, die Anregungen „von verschiedenen Seiten" doch aufzunehmen und Gespräche über eine Wiederaufnahme zwangswirtschaftlicher Maßnahmen einzuleiten116. Bei diesen Verhandlungen mit betroffenen die die Stadt 1938

Reichsressorts und der Behörde des Stellvertreters des Führers bekam auch die Stadt

München, die sich ja mit ihrer Bejahung der Wohnraumbewirtschaftung bereits stark exponiert hatte, Gelegenheit zur Äußerung. Ob Harbers in beredten Worten die Woh-

nungsnot in der Stadt schilderte und sie durchaus sehr offen der Partei anlastete117 oder Fiehler die Notwendigkeit betonte, „asoziale Großfamilien" von allen Wohltaten auszuschließen118, die Vertreter Münchens bemühten sich nach Kräften, ihren Standpunkt zur Geltung zu bringen. In der Sache ging es jetzt nur noch um die Wohnungsbeschaffung für kinderreiche Familien, zu deren Gunsten auch die vehementen Gegner der Zwangswirtschaft eine Einschränkung des freien Vermietungsgeschäfts in Kauf nehmen wollten119. Einem konkurrierenden Gesetzentwurf des Reichsarbeitsministers kam der Reichskommissar für die Preisbildung am 20. April 1939 mit der „Verordnung zur Erleichterung der Wohnungsbeschaffung für kinderreiche Familien" zuvor, die es den örtlichen Behörden nunmehr ermöglichte, den Vermietern vorzuschreiben, „eine angemessene Zahl von Wohnungen bei Freiwerden an kinderreiche Familien zu vermieten"120. Als Teil von Görings Vierjahresplanbehörde hatte der Preiskommissar die Freiheit, kurzerhand den noch andauernden Entscheidungsprozeß abzuschneiden und ein

längerwährendes gesetzgeberisches Verfahren zu umgehen. 115

116

117

118

119

120

„Unterbringung

kinderreicher Familien. Die

Hauptstadt

Weg", in: Deutsche Wohnwirtschaft 45 (1938), S. 608f.

der

Bewegung geht

einen

neuen

In der Einladung zu den Gesprächen wurde München zwar nicht direkt erwähnt, aber deutlich auf seine Eingaben Bezug genommen, vgl. RAM an den Stellvertreter des Führers, 7.9.1938, BArch, NS 6, 246, Bl. 5. Die Aufzeichnungen über die am 28.9.1938 beim RAM geführten Gespräche aus der Dienststelle des Stellvertreters des Führers bezeugen eine außerordentlich deutliche Sprache Harbers', der bei dieser Gelegenheit auch mit seinem Rücktritt drohte. Vorlage vom 30.9.1938, ebenda, Bl. 20-23. Vgl. auch oben, S. 191. Der persönliche Referent Fiehlers, Umhau, an den Stab des Stellvertreters des Führers, 11.2.1939, BArch, NS 6, 246, Bl. 65. Diese Position wurde auch vom Stellvertreter des Führers vermittelt, der die Wohnungszwangswirtschaft an sich strikt ablehnte, aber den Erleichterungen der Wohnungsbeschaffung für Kinderreiche zustimmte, vgl. z.B. Vorlage vom 26.9.1938, ebenda, Bl. 18f. RGBl. 1939/1, S. 815f, und Durchführungsverordnung vom 15.6.1939, ebenda, S. 1034f.

356

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

Obwohl die Vertreter der Kommunalpolitik ebenso wie alle anderen beteiligten Stellen durch das schnelle Vorgehen des Preiskommissars überrumpelt worden waren121, nutzte München die geschaffenen Möglichkeiten und erließ eine neue Wohnungsmeldeordnung, die vor allem auf der Kinderreichenverordnung, aber auch der 1937 entstandenen Landeswohnungsordnung für Bayern basierte122. Das Regelwerk beließ die Anmeldepflicht für freiwerdende Wohnungen im wesentlichen, wie es auch schon aus der Münchner Wohnungsordnung von 1913 bekannt war. Für die folgenden Bestimmungen waren grundsätzlich zwei Kategorien von Wohnungen zu unterscheiden. Ungebunden und daher frei vermietbar waren generell Wohnungen, die nicht mehr als ein Zimmer und Küche enthielten, und Wohnungen in einem Haus, das nicht mehr als drei Wohneinheiten insgesamt aufwies123. Damit übernahm die Münchner Wohnungsmeldeordnung genau die Vorschriften der Kinderreichenverordnung, die allerdings für die folgende Regelung den örtlichen Behörden einen gewissen Spielraum gelassen hatte. Sie sollten selbst bestimmen, wie hoch der Prozentsatz an Kindern in einem Haus sein müsse, damit von einer Bindung zugunsten kinderreicher Familien abgesehen werden konnte124. In München wurde der Satz auf 50 Prozent festgelegt: ungebunden waren demnach „Wohnungen in einem Haus, in dem die Zahl der Jugendlichen unter 18 Jahren wenigstens die Hälfte der Gesamtbewohnerzahl beträgt"125. Auch Untermietverhältnisse und Wohnungen, bei denen die Monatsmiete über 150 RM im Monat lag, blieben frei von jeglicher Bindung, während sogenannte „Judenwohnungen" nicht der Wohnungsmeldeordnung, sondern gesonderten Bestimmungen unterlagen. Trafen all diese Ausnahmebedingungen nicht zu, trat automatisch die Bindung ein. Der Vermieter durfte dann seine freiwerdende Wohnung nur noch an kinderreiche Familien (ab drei Kindern) vermieten, die Auswahl solcher Familien konnte er nach wie vor selbst vor121

Vgl den Protestbrief des RAM, Rettig, an den Stellvertreter des Führers, 29.4.1939, BArch,

122

Abgedruckt ist die Bayerische Landeswohnungsordnung vom 8.2.1937 in: ZWB

NS 6, 246, Bl. 87.

123

124

125

35 (1937), S. 12-18. Sie beschrieb nicht nur ausführlich den einzuhaltenden Mindeststandard für Wohnraum, sondern lieferte auch einen Katalog der Aufgaben und des Verfahrens der Wohnungsaufsicht, die prinzipiell den Gemeinden zugewiesen wurde. Nach dem in unserem Zusammenhang vor allem relevanten Paragraphen (Art. 2, Abs. 3) sei eine Aufgabe der Wohnungsaufsicht, „das Wohnungswesen in der Gemeinde zu überwachen, insbesondere sich einen laufenden Überblick über die vorhandenen Wohngebäude, Wohnungen und Wohnungsräume zu beschaffen, die Wohnungsuchenden bei der Anmietung von Wohnungen nach Möglichkeit zu

unterstützen, die Erbauung, Erhaltung, Erneuerung und Gesundung von Wohngebäuden, Wohnungen und Wohnungsräumen zu fördern und auf Verbesserung der Wohnungsverhältnisse, namentlich der Minderbemittelten und erbgesunder kinderreicher Familien, hinzuwirken (Wohnungsfürsorge)". So kleine Wohnungen wurden ausgenommen, weil sie für Kinderreiche ohnehin nicht geeignet waren; mit der Ausnahmeregelung für kleinere Gebäude sollte der Eigenheimbesitzer geschont werden, denn die Regelung zielte vor allem auf Einfamilienhäuser mit Einliegerwohnung: „Aus den verschiedensten Gründen schien es geboten, dem Eigentümer bei der Auswahl des Mieters für die Einliegerwohnung freie Hand zu lassen, insbesondere auch, um die Neigung, Eigenheime mit Einliegerwohnung zu errichten, nicht zu beeinträchtigen." Lampe, Erleichterung der Wohnungsbeschaffung (wie Anm. 113), S. 452. Durchführungsverordnung vom 15.6.1939, § 2, RGB1. 1939/1, S. 1034. Wohnungsmeldeordnung vom 30.1.1940, § 7, Abs. 3. Ein Exemplar etwa in: BArch, NS 25, 1205, Bl. 141f. Auf den Einzelnachweis der bereits erwähnten oder im folgenden genannten Bestimmungen der Wohnungsmeldeordnung wird verzichtet.

4. Die Wohnungsfürsorge der Stadt München

357

nehmen. An Bewerbern sollte es nicht mangeln, da der Wohnungsnachweis die angemeldeten gebundenen Wohnungen öffentlich bekanntgab. Gelang es dem Vermieter trotzdem nicht, innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Anmeldung der Wohnung selbst einen Mietvertrag zustande zu bringen, mußte er dem Wohnungsnachweis Fehlanzeige erstatten, der dann die Dinge in die Hand nahm. Er hatte jetzt die Aufgabe, wiederum innerhalb von zwei Wochen dem Vermieter drei geeignete kinderreiche Familien vorzuschlagen, aus denen der Hausbesitzer sodann seine künftigen Mieter auswählen durfte126. Konnte der Wohnungsnachweis solche Vorschläge allerdings nicht erbringen, mußte die Wohnung freigegeben werden. Die Freigabe der Wohnung konnte auch in einigen anderen, in der Wohnungsmeldeordnung festgelegten Fällen erfolgen. Hier hatte der Preiskommissar bewußt ein Schlupfloch gelassen, damit die örtlichen Behörden auch nach aktuellen und im Einzelfall richtig erscheinenden Kriterien entscheiden könnten127. Damit war aber die Reichweite des neuen gesetzlichen Instruments zugleich wieder eingeschränkt worden. Die hier in ihren Grundzügen vorgestellte Wohnungsmeldeordnung vom 30. Januar 1940 etablierte das dürfte deutlich geworden sein ein relativ kompliziertes Regelwerk, das mehr von Ausnahmen als von unumstößlichen Prinzipien zu leben schien. Das hatte seine Ursache aber nicht in der Münchner Politik, sondern in der Reichspolitik, die nach wie vor die Rückkehr zur Zwangswirtschaft im Sinne des Wohnungsmangelgesetzes scheute. Mit der Kinderreichenverordnung tat sie zwar einen ersten Schritt zur Abkehr von diesem Prinzip, keinen entschlossenen jedoch, nur einen zögernden und halbherzigen128. Zu einer Ausdehnung der „Wohnraumlenkung" kam es erst in einem fortgeschrittenen Stadium des Krieges, dann aber gab es gleich zwei Stoßrichtungen einer neuen zwangswirtschaftlichen Politik: Zum einen wurde der Anteil der erfaßten Wohnungen wesentlich ausgedehnt, etwa auf „zweckentfremdeten" oder leerstehenden Wohnraum. Zum anderen erweiterte sich der Kreis der Begünstigten, so daß die Kinderreichen nur noch neben oder nach den Kriegsversehrten, Bombengeschädigten und Hinterbliebenen gefallener Soldaten Berücksichtigung fanden129. -

-

126

127 128

129

Benennungsrecht, das ebenfalls auf die Kinderreichenverordnung zurückging, sollte nach den Wünschen des Preisbildungskommissars „nur in Ausnahmefällen" angewandt werden, der Regelfall sollte sein, daß der Vermieter seine künftigen Mieter ohne solchen Behördeneingriff auswählte. Der zuständige Beamte beim Reichskommissar für die Preisbildung argumentierte hier sehr sophistisch. Es ginge ja nicht darum, einer bestimmten kinderreichen Familie zu einer Wohnung zu verhelfen, sondern die Stellung der Kinderreichen als solche, auf dem Wohnungsmarkt zu verbessern. „Es braucht deshalb dem Vermieter die Befugnis, sich seinen Mieter selbst auszusuchen, nicht entzogen zu werden [...], sondern es genügt, sicher zu stellen, daß er die Verfügungsbefugnis in Übereinstimmung mit den Interessen der Gesamtheit [...] im Sinne einer bevorzugten Berücksichtigung kinderreicher Familien ausübt." Lampe, Erleichterung der Wohnungsbeschaffung (wie Änm. 113), S. 451f. Dieses

Vgl. ebenda, S. 453.

Auch Führer, Mieter, S. 341, spricht von einer „praktisch bedeutungslosen Verordnung"; hier auch ausführlicher zur Wohnraumbewirtschaftung im Krieg, S. 338-346. Es gab zwei wesentliche Stufen auf dem beschriebenen Weg: die Verordnung über die Vermietung freiwerdender Wohnungen vom 5.10.1942 (RGBl. 1942/1, S. 573, und Ausführungsverordnung vom 9.10.1942, ebenda, S. 586-588) und die Wohnraumlenkungsverordnung vom 27.2.1943 (RGBl. 1943/1, S. 127-130). Während 1942 die entsprechenden Handhaben noch dem Reichsarbeitsminister und den Gemeinden zustanden, stand die Verordnung von 1943 im Zeichen des Reichswohnungskommissariats von Robert Ley, der die Gauleiter als Gauwoh-

358

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

so jedenfalls die Ansicht des Münchner Wohnungsreferenten -, daß Möglichkeiten der Kinderreichenverordnung mit am weitesten im ausschöpfte130. Daß man die Maschen des Netzes zunächst nicht noch enger knüpfte, lag zum einen an den Vorgaben des Reiches, die eine sehr viel rigidere Bewirtschaftung nicht zuließen. Es lag aber ebenso an den Erfahrungen, die man bei Anwendung der Meldeordnung machte und die lehrten, daß auch diese Medaille zwei Seiten hatte. Seit die Kinderreichen begünstigt wurden, verengte sich automatisch der freie Markt für alle anderen Gruppen: „Die große Masse der Wohnungssuchenden muß seitdem auf die ungebundenen d.h. frei vermietbaren Wohnungen und die Untermiete verwiesen werden."131 Es schien der Münchner Stadtspitze daher sinnvoll, grundsätzlich an der beschränkten Reichweite dieses Regelwerkes festzuhalten: „Es hat sich in den seit Inkrafttreten der Münchener Wohnungsmeldeverordnung vergangenen 2 Jahren immer von neuem gezeigt, von welch unschätzbarem Wert es ist, wenn wenigstens ein Teil des Wohnungsmarktes frei bleibt, so daß die ungezählten Tausende von Wohnungssuchenden Familien, die die Dringlichkeitsvoraussetzungen nicht erfüllen, auf diesen freien Teil des Wohnungsmarktes verwiesen werden konnten."132 Tatsächlich war dieser Teil des Marktes wohl gar nicht so marginal, da die Münchner Vermieter relativ viel Mühe darauf verwandten, von den Bestimmungen freigestellt zu werden oder

Vorerst

galt

München „die ganzen Reiche"

-

sie zu umschiffen. So nahm im Rathaus der Verdruß über das Verhalten der Vermieter auch nach Erlaß der Wohnungsmeldeordnung kaum ab. Hatten sie in den Augen der Stadt zuvor allzusehr von ihren Freiheiten Gebrauch gemacht, schienen sie sich jetzt alle Mühe zu geben, die neuen Restriktionen so gut wie möglich zu umgehen und jedes Schlupfloch dafür ausfindig zu machen. Eine nicht seltene Praxis war etwa, ganze Wohnungen zum Schein untervermieten zu lassen, damit sie nicht unter die Anmelde- und Bindungsvorschriften der Wohnungsmeldeordnung fielen133. In der Praxis lebte mit der Wohnungsmeldeordnung von 1940 das System der Mietberechtigungskarten wieder auf, das nach Aufhebung des Wohnungsmangelgesetzes 1933 seine Bedeutung vorübergehend ganz verloren hatte. Jetzt kam es darauf an, als Wohnungssuchender die Karte mit der richtigen Farbe zu haben. Rote Mietberechtigungskarten wurden nämlich nur an die kinderreichen Familien im Sinne der Münch-

nungskommissare mit den Lenkungsaufgaben beauftragte. Adressaten waren jetzt in erster LiKriegsversehrte, Hinterbliebene, Bombengeschädigte, während kinderreiche Familien erst ab fünf Kindern zu den „bevorrechtigten Volkskreisen" gehörten. Bei vier Kindern wurden sie immerhin der nächsten Kategorie „begünstigte Volkskreise" zugerechnet (§§ 7, 8). Harbers an den DGT, von Schmeling, 16.12.1941, BArch, NS 25, 1205, Bl. 129-131, hier 129. Fiehler (nach einem Entwurf des Wohnungsdezernenten) an Ministerpräsident Siebert, 10.1.1942, StadtAM, Wohnungsamt 77. Reichsleiter Fiehler (i.A. Jobst) an die Partei-Kanzlei, 21.5.1942, BArch, NS 6, 246, nie

130 131

132

133

Bl. 204-211, hier 205. Die Münchner beschrieben diese Technik in ihrem Schreiben an die Partei-Kanzlei vom 21.5.1942 so: „Eine erfahrungsgemäß recht beliebte Art der Umgehung der Vorschriften über die Lenkung der Mieterauswahl besteht darin, daß ein Hauptmieter, der unter normalen Verhältnissen auf dem Wohnungsmarkt ohne weiteres gekündigt hätte, bei Wegzug oder Bezug einer anderen Wohnung am gleichen Platz im Einverständnis mit dem Hausbesitzer seine Wohnung nicht kündigt, sondern im ganzen an eine ihm bekannte nichtkinderreiche Partei untervermietet." Und an anderer Stelle wurde darauf hingewiesen, daß bei angemeldeten Wohnungen „so gut wie kein Vermieter es unterläßt, Freigabeanträge für irgendwelche nichtkinderreiche Familien zu stellen". Ebenda, Bl. 209f. (Hervorhebungen im Original).

4. Die Wohnungsfürsorge der ner

359

Stadt München

Bestimmungen Familien mit mindestens drei Jugendlichen unter 18 Jahren

gege-

ben, nur an sie durften grundsätzlich die gebundenen Wohnungen vermietet werden. -

Lediglich bei einer entsprechenden Freigabebestätigung durch den Wohnungsnachweis konnten in solche Wohnungen auch Besitzer der blauen Mietberechtigungskarte hineingenommen werden. Bei ihnen handelte es sich in der Regel um Familien, die nur zwei Kinder hatten, jedoch das Kriterium der Ortsansässigkeit erfüllten, das heißt seit mindestens zwei Jahren in München lebten. Auch Inhaber wohnungspolizeilich gesperrter Wohnungen oder Kriegsbeschädigte kamen für diese Kartenart in Frage, ferner Neuzugezogene, soweit sie den Nachweis erbringen konnten, daß eine zwingende Notwendigkeit für den Umzug nach München bestand134. Auch eine „green card" gab es, über die aus gutem Grund aber keine offiziellen Verlautbarungen ergingen. Die grüne Suchkarte war nämlich ausschließlich für die Anwärter auf Ersatzwohnungen bestimmt, also die sogenannten Abrißmieter, deren bisherige Wohnungen der Umgestaltung zur „Hauptstadt der Bewegung" geopfert wurden. Dem Ersatzwohnungsbau galt ein eigenes Programm, das vorwiegend aus Reichsmitteln finanziert wurde. Auch die Wohnungen von „entmieteten" und deportierten Juden wurden bevorzugt für diese Mietergruppe freigehalten, sie wird daher in anderem Zusammenhang noch ausführlicher behandelt135.

Spiegelte die Farbpalette der Mietberechtigungskarten das System moralischer und sozialpolitischer Anrechte, das die Verwaltung im Wohnungswesen aufgestellt hatte, wider, definierten die Wohnungssuchenden ihre Ansprüche nicht selten ganz unabhängig von diesem System und auf anderer Legitimationsgrundlage. Häufig versuchten Parteimitglieder, ihre Ortsgruppe, das lokale NSV-Büro oder den SA-Sturmführer bei ihrer persönlichen Wohnungssuche einzuschalten, die sich auch vielfach zu entsprechenden Eingaben bei der Stadt bereit fanden. In solchem Falle mußte die Stadt sich immer wieder anhören, daß es für sie als „Hauptstadt der Bewegung" eine Verpflichtung sei, dem betreffenden Parteimitglied eine Wohnung zu verschaffen, daß ein „Kämpfer für die nationale Bewegung" in dieser Zeit nicht ohne würdige Unterkunft bleiben könne und daß endlich derjenige Bevorzugung genießen müsse, der sich durch seinen Einsatz für die Partei vor anderen ausgezeichnet habe. Im Falle eines Schlossers bei der Reichsbahn, der mit seiner Frau und zwei Kleinkindern in einer als „menschenunwürdige Behausung" beschriebenen, feuchten Ein-Zimmer-Wohnung in Pasing lebte, mein-

te der vorgesetzte Sturmführer etwa, daß sich „im heutigen nationalsozialistischen Staat doch eine Möglichkeit finden lassen [müsse], daß hier abgeholfen wird und B. eine anständige Wohnung erhält". Schließlich handele es sich bei B. um einen Kameraden, „der in vorbildlicher Pflichterfüllung seinen SA-Dienst leistet"136. Und bei einer jungen

134

Das Kartensystem nach dem „Merkblatt für die Vergebung freiwerdender Wohnungen in München" vom Mai 1941, ein Exemplar in: StadtAM, Wohnungsamt 77. Der Wohnungsnachweis sollte ursprünglich aus den Anwärtern für die blaue Karte noch eine eigene Gruppe herausfiltern, die auch Monatsmieten über 75 RM bezahlen konnten und dann nur graue Karten erhalten sollten. Vgl. Richtlinien für den Städtischen Wohnungsnachweis vom 25.4.1940, BArch, NS 25, 1205, Bl. 132-140, bes. Bl. 137. Über die Anwendung dieser Bestimmung ist aber nichts Näheres bekannt.

135

Vgl. unten, Kap. IV-2.

136

Sturmführer H.

an

den

Fürsorgesachbearbeiter der Standarte

StadtAM, Wohnungsamt 57.

16

List,

2.10.1939

(Abschrift),

360

III. Baupolitik und Wohnungsfürsorge

Frau, die heiraten wollte der Bräutigam war bei der SA und dafür eine Wohnung brauchte, unterstützte der Ortsgruppenleiter das Gesuch mit den Worten: „Zu erwähnen ist, daß die männlichen Familienmitglieder sämtlich der Partei angehören, die weib-

-

lichen als Amtswalterinnen in der N.S. Frauenschaft sich hervorragend betätigen."137 Die Verwaltung reagierte zunehmend gereizt auf die verschiedenen Versuche, in dem von ihr aufgestellten System für die Wohnungssuche Sonderrechte zu etablieren. Sie ließ die Parteigesuche gewissermaßen an ihrer eigenen „nationalsozialistischen" Argumentation auflaufen: Gerade in der heutigen Zeit, gerade im Nationalsozialismus, in dem Gemeinnutz vor Eigennutz gestellt werde, sei es für verantwortungsbewußte Bürger eine Pflicht, sich an die im Interesse der Gemeinschaft aufgestellten Spielregeln zu halten. Praktizierter Nationalsozialismus hieße damit nicht, wie von Parteistellen reklamiert, Sonderrechte für besonders vorbildliche Parteimitglieder zu beanspruchen, sondern das Wohl der ganzen „Volksgemeinschaft" im Auge zu behalten: „Es muß daher von der Disziplin der Wohnungsuchenden soviel Einsicht und soziales Verständnis erwartet werden, daß eigensüchtige Versuche unterbleiben, die bestehenden Vorschriften durch Befürwortungen und Einschaltung aller möglichen Behörden, Dienststellen oder Persönlichkeiten zum Schaden ihrer Volksgenossen zu durchbrechen", hieß es in unmißverständlicher Sprache in einem öffentlich publizierten Merkblatt der Stadt vom Mai 1941138. Es wäre sicher falsch, die relativ unnachgiebige Haltung der Stadtverwaltung gegenüber der häufig eingeforderten bevorzugten Behandlung von Parteimitgliedern bei der Wohnungssuche auf eine grundsätzliche Ablehnung solcher Protektion zurückzuführen. Aber erstens wollte man Vergünstigungen dieser Art wohl nicht zu allgemein werden lassen, denn irgendwelche „belohnungswürdigen" Verbindungen zur Partei oder ihren Gliederungen konnten freilich sehr viele aufweisen. Zweitens gab es tatsächlich ein großes Ausmaß echten Wohnungselends, dessen Bekämpfung in der „Hauptstadt der Bewegung" aus sozialen Motiven, aber auch Prestigegründen sehr ernst genommen wurde. Wie in diesem Kapitel immer wieder dokumentiert wird, reichten die Ressourcen der Stadt zur Bewältigung dieser Aufgabe ohnehin nicht aus, zu verschenken aber hatte sie gewiß nichts. Drittens und vielleicht am wichtigsten wollte die Stadt ihr Recht, Leistungen der Wohnungsfürsorge nach ihren Kriterien auszuteilen, nicht durch die Maßstäbe anderer überformen oder gar aushöhlen lassen und damit ihre Autorität preisgeben. Als Vertreter und Verteidiger dieser städtischen Linie stand vor allem der Leiter des Wohnungsnachweises an exponierter Stelle. Das erklärt auch, daß Dr. Beling Opfer einer Attacke wurde, die ihm eine „ausgesprochen parteifeindliche Einstellung" unterstellte, weil er auf die berechtigten Wünsche „der Volksgenossen oder der Parteidienststellen" ablehnend und mit „mehr oder weniger ausführliche^] Paragraphenbegründungen" reagiert habe139. Diese Anschuldigungen wurden immer-

Ortsgruppenleiter W. zur Unterstützung des Gesuchs der R.K. vom 29.11.1935 an den Stadt-

2.12.1935, StadtAM, WAR 573. Merkblatt für die Vergebung freiwerdender Wohnungen in München, StadtAM, Wohnungsamt 77. Schon am 16.5.1938 hatte Harbers eine Anfrage des Hauptamtes wegen bevorzugter Wohnungsvermittlung für Parteigenossen aus „Rücksichtnahme auf das allgemeine Volkswohl" abschlägig beschieden, BArch, NS 25, 156, Bl. 146. Vermerk des Pg. Gerber, Parteikanzlei, über die von Seiten eines Mitarbeiters im Wohnungsnachweis und aktiven Parteigenossen erhobenen Vorwürfe gegen Beling, der seinerseits im übrigen auch Parteimitglied war, 24.8.1944, BArch, NS 6, 269, Bl. 78. rat,

361

4. Die Wohnungsfürsorge der Stadt München

hin so ernst genommen, daß die Parteikanzlei sich damit beschäftigte und Erkundigungen bei der Gauleitung einholte. Die gewünschte Handhabe gegen Beling wurde allerdings nicht geliefert, was in den Augen des mit der Sache befaßten Angestellten bei der Parteikanzlei die Vorwürfe keineswegs entkräftigte, sondern nur auf eine falsche Vorgehensweise der Gauleitung schließen ließ: „Es kommt darauf an, die partei- und staatsfeindliche Gesinnung eines Menschen herauszufinden und diesen schnell und ohne verkrampfte Untersuchungen kaltzustellen."140 Deutlicher konnte kaum ausgedrückt werden, welche Antwort die Vertreter des Maßnahmenstaates für alle diejenigen bereit hatten, die noch in Ansätzen nach normenstaatlichen Prinzipien handelten. Auf praktische Konsequenzen wollte der Parteimitarbeiter in diesem Fall verzichten, was auf den Zeitpunkt der Affäre zurückzuführen sein dürfte: Im März 1945 drohten der Partei andere Gefahren, als sie von einem widerspenstigen Leiter des Münchner Wohnungsnachweises ausgehen konnten.

Mietverbilligungen und der Bau von Einfachwohnungen Die Wohnungsfürsorge der Stadt konnte sich nicht darin erschöpfen, das private Vermietungsgeschäft zu beeinflussen, Richtlinien und Vorschriften für die Wohnungsvergabe zu erlassen und damit nur auf indirektem Wege in den Wohnungsmarkt einzugreifen. Schon unter weniger schwierigen Marktverhältnissen hätte es noch immer Fälle gegeben, die mit solchen Mitteln nicht unterzubringen waren. In der angespannten Wohnungssituation der dreißiger Jahre gab es eine umfangreiche Schicht von Problemfällen, die den „normalen" Marktbedingungen nicht gewachsen waren, sei es, weil ihre Ein-

kommen für die Mieten nicht reichten, weil sie in Fürsorge standen, von Krankheiten geplagt waren oder andere Faktoren ihre Unterbringung erschwerten. Dazu konnten kinderreiche Familien genauso gehören wie Tuberkulose-Erkrankte, Obdachlose, Exmittierte, Fürsorgeempfänger ohne Arbeitseinkommen und etliche mehr, die hier nicht alle aufgezählt werden müssen. Zu den leichteren Fällen kann man noch die rechnen, deren Einkommen für die Miete nicht reichte. Handelte es sich um Altbaumieter, konnten Mietsteuernachlässe bis zu einem gewissen Prozentsatz der Friedensmiete 1933 waren es 43,4 Prozent gewährt werden. Das nämlich war der Anteil, den der Hausbesitzer in Bayern an Wohnungsbauabgabe und Mietzinssteuer zu entrichten hatte, und er durfte ganz oder teilweise niedergeschlagen werden, sofern der Mieter ihn nicht aufbringen konnte141. Weil Mietsteuernachlässe aber nur bei Altwohnungen gewährt werden konnten, waren die Bewohner von Neubauwohnungen, die Schwierigkeiten mit der Mietzahlung hatten, auf Mietbeihilfen angewiesen, die die zweite Form der finanziellen Hilfe darstellten. Durch sie wurde die Gemeinde allerdings in deutlichem Maße direkt belastet, während der -

Steuernachlaß

0

1

vor

allem

zu

Lasten des Landes

-

Bayern ging und

sie allenfalls indirekt

Vermerk des Pg. Gerber zum Bericht der Gauleitung vom 22.2.1945, 9.3.1945, ebenda, Bl. 93. Vgl. auch ebenda den Vermerk vom 15.3.1945, nach dem von einer weiteren Untersuchung abgesehen werden soll. Mietsteuernachlaß Zusammenfassung der Richtlinien vom 6. März 1933, StadtAM, Sozialamt 2632. Tatsächlich war der Nachlaß „steuertechnisch unlogisch denn Abgabenschuldner war nicht der Mieter, sondern der Hauseigentümer". Führer, Mieter, S. 172. -

-

362

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

traf, da sich ihr Überweisungsanteil

an der Landessteuer dann verminderte142. Am eine April gravierende Änderung ein, weil die gesetzlichen Bestimmungen über Mietsteuernachlässe außer Kraft gesetzt wurden und jetzt die Gemeinden mit ihren Mietbeihilfen in die Bresche springen mußten. Für die Stadt München waren das unangenehme Aussichten: Hatte der Aufwand für Mietbehilfen im Rechnungsjahr 1936/37 noch 50000 RM betragen, kalkulierte die Stadt für 1938/39 auf dem gleichen Haushaltsposten 4 300 000 RM143. Es war naheliegend, daß sie diesen Aufwand zu reduzieren suchte, bestand in der Sicht des Wohlfahrts- und Wohnungsreferates doch ohnehin der Verdacht, „daß sehr viele alleinstehende Personen und kinderlose Ehepaare in vorgerücktem Alter Wohnungen innehaben, die für ihren Eigenbedarf zu groß und für ihre wirtschaftlichen Verhältnisse zu teuer sind und die bisher nur durch Inanspruchnahme des Mietsteuernachlasses gehalten werden konnten"144. Der Idee nach waren jetzt zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Größere und nicht voll ausgenutzte Wohnungen sollten freigemacht werden für Familien, die sie wirklich nötig hätten, und ihre bisherigen Inwohner sollten in kleine Wohnungen ziehen, bei denen die Miete möglichst ohne oder mit geringerer Beihilfe für sie zu bestreiten wäre, so daß die Stadt an Barausgaben einsparen könnte. Die städtischen Gesellschaften, die in ihren Volkswohnungsanlagen ja auch kleinere Zweiraumwohnungen bauten, waren bereit, zu einem gewissen Grad Wohnungen für Umsiedlungswillige freizuhalten, für die das Wohlfahrtsreferat entsprechende Garantien übernehmen mußte145. Die Beamten des Wohlfahrtsreferates erhielten die Aufgabe, in einer aufwendigen Aktion Einzelerhebungen über bezuschußte Wohnungen anzustellen, in denen der „Eigenwohnbedarf" als überschritten angesehen werden konnte, und angemessene Maßnahmen zur Bereinigung der Verhältnisse einzuleiten146. Dieses Mal war es das Wohlfahrtsreferat, das erfahren mußte, wie schwer es in der Praxis war, in den von den Fesseln der Zwangsbewirtschaftung befreiten Markt einzugreifen, und wenn die eigenen Argumente sachlich noch so wohlbegründet erschienen. Tatsächlich schienen die meisten vorgeladenen Wohnungsinhaber auch zunächst viel Verständnis für die allgemeine Problematik zu haben und zeigten sich der ganz auf Vernunftgründe abgestellten Argumentation der Beamten gegenüber aufgeschlossen. Das änderte sich dann in der Regel schlagartig, wenn die Rede auf den eigenen Fall gebracht wurde: „Dann wurde meist mit viel Aufwand von Beredsamkeit oder mit zornigem Geschimpfe ausgeführt, daß man schon Jahrzehnte die gleiche Wohnung innehabe, daß ei-

1.

142

143

1938

trat

Rechnungsjahr 1937 betrug die Gesamthöhe der gewährten Mietsteuernachlässe in München rund 4,8 Millionen RM, hatte 1936 aber noch 6,3 Millionen RM ausgemacht und davor noch mehr. Der kontinuierliche Rückgang bei der Inanspruchnahme dieser Leistung war wie in den anderen Bereichen der Fürsorge sowohl der Besserung und Stabilisierung der Lebensverhältnisse aufgrund der Rüstungskonjunktur wie auch der restriktiveren Praxis in der Gewährung solcher Hilfen zuzuschreiben. Hauptstadt der Bewegung. Wohlfahrts- und Stiftungsdezernat, Tätigkeitsbericht für das Rechnungsjahr 1937, S. 68. Haushaltssatzung der Hauptstadt der Bewegung München für das Rechnungsjahr 1938, S. 171Im

175.

144

Rundschreiben des Wohlfahrts- und

Stiftungsdezernates, Ortner, 19.3.1938, StadtAM, WAR (Hervorhebungen im Original). Vgl. das diesbezügliche Schreiben des Dezernats 6/3 an die Gewofag, 24.5.1938, und die Antwort der Gewofag, Merkl, 15.6.1938, ebenda. 576

145

146

Rundschreiben von Ortner, 19.3.1938, ebenda.

4. Die

ne

Wohnungsfürsorge der Stadt München

363

Wohnung in einem auswärtigen Bezirk schon deshalb nicht in Frage kommen kön-

ne, weil diese zu weit ab vom Zentrum wäre; weil man schlecht zu Fuß

sei; weil man viele Möbel habe, die in einer Zweiraumwohnung nicht unterzubringen wären, die man aber auch nicht verkaufen wolle, weil nichts dafür zu erlösen sei; daß auch andere Alleinstehende größere Wohnungen hätten und daß der Führer es sicher nicht wolle, wenn man alten Leuten, die immer ihre Steuern und Abgaben gezahlt hätten, jetzt die Wohnung wegnehme, daß man sich beschweren wolle usw."147 Sieht man einmal von der typischen Projektion auf Hitler ab, so spiegeln die hier artikulierten Argumente die zu jeder Zeit üblichen und begreiflichen Wünsche älterer Menschen wider, am angestammten Platz, in gewohnter Umgebung und auch Möblierung zu verbleiben, weder die Kontakte zur Nachbarschaft noch die aus dem Wohnalltag resultierenden liebgewordenen Gewohnheiten ablegen zu müssen. Insbesondere die in der Inflation geschädigten Kleinrentner, die ohnehin schon einen großen Vermögensverlust hatten verkraften müssen, zeigten wenig Neigung, die von der verblichenen Pracht häufig einzig verbliebenen wertvollen Möbel sowie generell ihren Wohnkomfort nun auch noch aufzugeben. Dieser eher emotionsgeprägten Perzeption setzten die Beamten die Räson eines vom bevölkerungspolitischen „Nutzen" geprägten Wohnverständnisses gegenüber: Die standardisierte Volkswohnung, die gerade so groß wie nötig, vor allem aber so klein wie möglich war, sollte den bisher „verschwendeten" Wohnraum ersetzen, den man für die reproduktionsfähige Bevölkerung zweckmäßig einsetzen wollte148. Ohne zwangswirtschaftliches Instrumentarium waren es allerdings die Wohlfahrtsbeamten, die sich in dieser Auseinandersetzung weitgehend geschlagen geben mußten. Es gelang lediglich, größere Einsparungen bei den Mietbeihilfen zu erreichen, und zwar nach Berechnungen des Dezernates bei den in der Aktion überprüften Wohnungen in einer Höhe von gut 200 000 RM jährlich149. Dieser Betrag verteilte sich auf über 1 000 Fälle, in denen die Überprüfung zur Einstellung oder Kürzung der Mietbeihilfe, aber auch zur Verzichtleistung seitens der Empfänger geführt hatte. Da die Mietbeihilfe, anders als der Mietsteuernachlaß, eine explizite Leistung der öffentlichen Fürsorge darstellte, lagen die Barrieren zu ihrer Inanspruchnahme subjektiv deutlich höher. Dem finanziellen Erfolg zum Trotz konnte das Wohlfahrtsreferat aber in der Frage der Freimachung größerer Wohnungen nicht im entferntesten ein vergleichbares Ergebnis erzielen. 5 256 Wohnungen waren zunächst für die Überprüfung vorgesehen worden150; davon war aber in 2 310 Fällen bereits aufgrund der Aktenlage zu klären, daß sie Bericht des Dezernats 6/3,

Doppier, vom 11.5.1939 über die „auf Grund der Weisung vom durchgeführte Wohnungserfassung", ebenda. Dabei waren diese Umsetzungspläne noch vergleichsweise human, bedenkt man, welche Überlegungen gleichzeitig über den Umgang mit problematischen Fürsorgefällen angestellt wurden, für die der Wohnungsreferent selbst den Bau von Einfachwohnungen noch zu aufwendig empfand. „Es sollte deshalb geprüft werden, ob ausgesprochen asoziale Familien nicht besser in anderer Weise untergebracht werden (z.B. Einweisung der Familien in Arbeitshäuser, Übernahme der Kinder in Fürsorgeerziehung usw.)." Dez. 7/6, Marx, an Amtsdirektor Troll, 1.2.1938, mit einer Darlegung von Harbers' Plänen, ebenda. Die Ergebnisse dieses Absatzes alle nach dem Bericht des Dezernats 6/3 vom 11.5.1939, eben19.3.38

da. Von vornherein sollten in die Erhebung nur solche Mietbeihilfeempfänger einbezogen werden, die „wegen vorgerückten Alters, Arbeitsunfähigkeit oder starker Erwerbsbeschränkung voraussichtlich dauernd auf öffentliche Hilfe angewiesen sind", bei denen der „Eigenwohnbedarf"

364

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

für einen Umzug und/oder eine Beihilfekürzung aufgrund besonderer Zwangslagen nicht in Frage kamen bzw. sich das schon erledigt hatte, weil die Beihilfe mittlerweile eingestellt worden war, der Wohnungsinhaber umgezogen oder verstorben war. Von den 2 946 Wohnungen aber, die das Wohlfahrtsreferat mit Hilfe von Vorladungen einer näheren Überprüfung unterzog, blieb schließlich nach langwierigen Verhandlungen mit den Bewohnern ein Prozent nämlich 31 -, bei denen ein Umzug ins Auge gefaßt wurde. Tatsächlich zogen dann bis zum Zeitpunkt der Berichterstattung im Mai 1939 sechs Mietparteien in eine Wohnung der Gewofag oder GWG, zwölf nahmen ihre Einwilligung nachträglich wieder zurück, und beim Rest war die Angelegenheit noch nicht endgültig geklärt. Trotz der restringierten Beihilfepraxis wurde offensichtlich auf jedem Wege versucht, die alte Wohnung zu halten151. Eine herausragende Rolle spielte hier die Untervermietung, die gerade bei den vielen alleinstehenden Frauen, die in diesen „zu großen" Wohnungen angetroffen wurden, eine gängige Praxis darstellte. Auf die Mietbeihilfen wurde das Untermieteinkommen angerechnet, jedoch bestand auf Behördenseite besonders bei Großwohnungen immer wieder der Verdacht, daß nicht alle Einnahmen aus Untermiete korrekt gemeldet würden. In anderen Fällen aber waren selbst die überprüfenden Beamten erstaunt über „die restlose Ausnützung der Wohnung durch Untervermietung. Dies ging zum Teil soweit, daß die Wohnungsinhaber für sich nur die Küche behielten."152 Das Untermietwesen war nicht nur für die Behörden ein heikles Thema, auch die Hausbesitzer fühlten sich hier häufig betrogen. Und die Untermieter selbst glaubten bisweilen was nicht immer so weit von der Wahrheit entfernt sein mochte -, daß sich die Hauptmieter auf ihre Kosten ein billiges Leben machten. Ein besonders erbitterter Rentner schrieb im November 1938 an Oberbürgermeister Fiehler: „Warum haut man denen die Fenster nicht ein die 38 M für 2 Zimmer & Küche bezahlen, ein Zimmer um 25 M an einen armen Rentner vermieten & schön warm drinnen hocken für 13 M."153 Neben den zunächst gewährten Mietsteuernachlässen und den Mietbeihilfen gab es eine dritte Form der öffentlichen Hilfe für die Mietzahlung, die ultima ratio, wenn es darum ging, die Zwangsräumung von Familien zu verhindern: eine Übernahme der Mietschulden. Gerade weil mit dem 1. April 1933 die Möglichkeiten zur Neuzuweisung von Wohnraum aufgehoben wurden, versuchte die Stadt, auch auf diesem Wege so gut wie möglich der Entstehung von neuer Obdachlosigkeit zu begegnen. Das war durchaus nicht immer erfolgreich, Zwangsräumungen blieben an der Tagesordnung154. Bei -

-

-

151

152 153 154

als überschritten angenommen werden konnte und die mehr als 30 RM Monatsmiete zahlten. Rundschreiben von Ortner, 19.3.1938, ebenda. Hinsichtlich dieser Kriterien wurden 5 256 Wohnungsinhaber gemeldet, von denen 511 in die Kategorie Kriegsfürsorge fielen, 1 014 unter Kleinrentnerfürsorge und -hilfe, 1 720 unter Allgemeiner Fürsorge und 2 011 unter Sozialrentnerfürsorge rubrizierten. Bericht des Dezernats 6/3 vom 11.5.1939, ebenda. Einen allzu harten Druck übte das Wohlfahrtsamt aber wohl nicht aus, weil es natürlich schnell in die Lage hätte geraten können, keine Kleinwohnungen mehr zur Verfügung zu haben. Vgl. zu dieser Problematik Dezernat 6/3 an das Dezernat 7, 5.12.1939, ebenda. Bericht des Dezernats 6/3 vom 11.5.1939, ebenda. Brief von K. an Fiehler, 29.11.1938, StadtAM, WAR 578. Dazu berichtete Referat 6 an Referat 7 am 30.1.1934, daß man recht erfolgreich sei, die Zwangsräumung von Wohlfahrtsunterstützten zu verhindern, weil man hier ständig die Mietenzahlung überwachen könne. „Leider lassen sich nicht alle Zwangsräumungen vermeiden, sei es, dass der Mieter nicht in Wohlfahrtsunterstützung, sondern in Arbeitslosen- oder Krisenun-

4. Die Wohnungsfürsorge der Stadt

365

München

den ohnehin vom Wohlfahrtsamt laufend unterstützten Personen wußte die Stadt durch regelmäßige Kontrollen und etwa die präventive Einbehaltung eines Teils der Unterstützung für die Mietzahlung häufig zu verhindern, daß es überhaupt zur Entstehung von Mietschulden kam155. Bei anderen Empfängern von Arbeitslosen- oder Krisenunterstützung etwa, Inhabern teurer Wohnungen, die sich übernommen hatten, oder Familien, die akut in Not geraten waren konnte die städtische Fürsorgeleistung jedoch den letzten Rettungsanker bedeuten. Wenn das Wohlfahrtsreferat indes die Wohnung für die Verhältnisse des gegenwärtigen Inhabers als überteuert betrachtete, wurde die Übernahme der Schuld abgelehnt, weil es in seinen Augen keinen Sinn machte, eine Familie in einer Wohnung zu halten, die bald wieder nicht bezahlt werden könnte156. Die insgesamt restriktivere Praxis der Fürsorge, aber wohl auch die Abnahme der Erwerbslosen und verbesserte konjunkturelle Lage spiegeln sich in den nachfolgenden Zahlen, die den konstanten Rückgang der Belastung durch Mietschulden für die Stadt zeigen. Warum allerdings 1933 bei einer noch hohen Zahl an Fällen die entstehende Gesamtbelastung für die Stadt relativ niedrig war, geht aus den Quellen nicht hervor. -

-

Tab. 27: Übernahme von Mietschulden durch die Stadt

Rechnungsjahr

Zahl der Fälle

1933/34 1934/35 1935/36 1936/37 1937/38

638 605 586 486 389

Gesamtsumme 23 848 66641 40511 33269 25228

RM RM RM RM RM

Quelle: Verwaltungsbericht 1933/34-1935/36, S. 122, und Verwaltungsbericht 1936/37, S. 112.

Zuständig für die Hilfegesuche der Mieter, die Unterstützung für ihre Mietzahlungen brauchten oder nicht mehr in der Lage waren, ihren angestauten Verbindlichkeiten nachzukommen, war die Abteilung Wohnungsfürsorge beim Wohlfahrtsreferat, die 1926 als „Bindeglied" zwischen Fürsorge und Wohnungsamt bzw. allen mit dem Wohnungswesen befaßten Stellen gegründet worden war157. Die Existenz einer eigenen Wohnungsfürsorge innerhalb des Wohlfahrtswesens warf aber auch die Frage auf, welches Eigengewicht Fragen der Wohnungsversorgung im Zuständigkeitsbereich und terstützung steht, die Wohnung sehr teuer ist oder aus baupolizeilichen Gründen geräumt wer-

den

muss

oder dass der Hausbesitzer wegen

StadtAM, Sozialamt 3618.

Eigenbedarf ein Räumungsurteil

erwirkt hat."

Schon mit Blick auf die Aufhebung der Wohnungszwangsbewirtschaftung am 1.4.1933 hatte der Wohlfahrtsreferent Hilble in einem Rundschreiben vom 23.1.1933 verfügt, daß künftig bei der Anweisung der Unterstützung stets zu prüfen sei, ob die Miete bezahlt sei, anderenfalls sei eine entsprechende Summe einzubehalten und an den Vermieter direkt zu bezahlen, ebenda.

Vgl. Abteilung 6/3, Wohnungsfürsorge, Tätigkeitsbericht 1933/34,4.9.1934, StadtAM, Sozialamt 2846/1. Während 1448 Anträge auf Übernahme von Mietschulden gestellt worden waren, bezahlte die Stadt nur in 638 Fällen. Vgl. ebenda. Ausführlicher zu den Aufgaben der „Wohnungsfürsorge" vor Aufhebung der Zwangswirtschaft, die etwa auch die Kontaktaufnahme mit dem Wohnungsamt im Interesse einer Zuweisung außer der Reihe für einen Befürsorgten umfaßten, vgl. die Erläuterungen des Stadt. Wohlfahrts- und Jugendamtes für den Bezirksfürsorgeverband Würzburg-Stadt, 14.6.1932, StadtAM, Sozialamt 3618.

366

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

natürlich auch im Etat des Wohlfahrtsreferates haben sollten. In dieser Angelegenheit erfolgten im Laufe der Jahre immer wieder Besprechungen zwischen den Leitern der Referate 6 (Wohlfahrt) und 7 (Wohnungswesen), deren Quintessenz sich in folgender Weise zusammenfassen läßt. Das Wohnungsreferat war grundsätzlich für die Betreuung von Wohnungssuchenden, deren Vermittlung in Mietwohnungen, die entsprechenden Kontakte mit der privaten Wohnungswirtschaft und natürlich den Neubau von Wohnungen zuständig. In die Kompetenz des Wohlfahrtsreferates hingegen fielen grundsätzlich alle Personen, die mangels Obdach als hilfsbedürftig im Sinne der Fürsorgegesetzgebung angesehen werden mußten. Für die Betreuung dieser Bedürftigen war das Wohlfahrtsreferat aber wiederum auf die unterstützende Tätigkeit des Nachbarreferats hinsichtlich der Bereitstellung entsprechenden Wohnraums angewiesen158. Es war eine gängige Praxis im Fürsorgewesen die allerdings unter den Nationalsozialisten aufgrund der Gefahr rigoroser Verfolgung von „Asozialen" deutlich an Brisanz gewann -, zwischen Personen zu unterscheiden, die schuldhaft in eine Notsituation geraten waren, und solchen, bei denen es ohne eigenes Zutun geschehen war. Das Fürsorgereferat sollte sich um beide Gruppen kümmern, also etwa um „solche Persönlichkeiten, die ihre bisherige Unterkunft wegen Verwahrlosung der Wohnung, wegen Streitsucht, wegen Nichtbezahlung der Miete usw. verloren haben und die als mehr oder minder asoziale Persönlichkeiten einem privaten Hausbesitzer nicht als Mieter empfohlen werden können"159, aber auch um solche Klienten, die aus Gründen, die sie nicht zu vertreten hatten, in Wohnungsnot geraten waren, etwa weil die bisherige Unterkunft wohnungspolizeilich abgebrochen wurde. Waren in beiden Gruppen viele Familien, die auch sonst zur Klientel des Wohlfahrtsamtes gehörten, gab es ebenso Familien, die zwar wohnungslos und auf dem Wohnungsmarkt so gut wie chancenlos waren, die aber ihren sonstigen wirtschaftlichen Verhältnissen nach nicht als hilfsbedürftig gelten konnten. Trotzdem sollten auch sie von der Wohnungsfürsorge des Wohlfahrtsreferates betreut werden, für die als oberste Maxime die Verpflichtung galt, „obdachlosen Personen und Familien eine ihrem notwendigen Lebensbedarf entsprechende Unterkunft zu gewähren, wenn und solange sie sich nicht aus eigenen Kräften und Mitteln auf dem freien Wohnungsmarkt eine Wohnung beschaffen können"160. Welche Arten von Unterkünften waren es nun, die das Wohlfahrtsreferat mit Unterstützung des Wohnungsreferates in solchen Fällen bereitstellen konnte? Die Versorgungsmöglichkeiten der Stadt reichten von primitiven Obdachlosenasylen bis zu Siedlerhäuschen vergleichbaren Einfachwohnungen. Nicht jedes Quartier war allerdings für jeden Zweck geeignet, und auch insgesamt galt, daß die vorhandenen Aufnahmekapazitäten nicht ausreichten. Vergleichsweise am wenigsten benötigt wurde die für die vorübergehende Nächtigung obdachloser Männer vorgesehene städtische Herberge an der Lothstraße, die mit zunehmender Stigmatisierung und Bekämpfung des „Arbeits-

scheuen- und Wandererunwesens" im Nationalsozialismus immer mehr ihres sprünglichen Zweckes enthoben und schließlich auch für die Unterbringung Zu dieser

urvon

Abgrenzung wie auch für das Weitere vgl. Referat 6/1, Hilble, an das Referat 7, 24.4.1937, und die Antwort Harbers' vom 27.4.1937, StadtAM, WAR 576. Referat 6/1, Hilble, an das Referat 7, 24.4.1937, ebenda. Dezernat 6, Stadtrat Schloimann und Amtsdirektor Ortner, betr. „Obdachlosenfürsorge", 10.10.1938, S. lf., ebenda (Hervorhebungen im Original).

4. Die Wohnungsfürsorge der Stadt München

367

durchreisenden Jugendlichen oder SA-Gruppen verwendet wurde. Woran es aber fehlte, waren regelrechte Anstaltsplätze für alleinstehende ältere und pflegebedürftige Männer, besonders sofern sie aus Geldmangel oder eines schlechten Leumunds wegen in städtischen Altersheimen keinen Platz fanden. In hohem Maße problematisch gestaltete sich auch die Unterbringung ganzer obdachloser Familien. In der städtischen Herberge für Frauen an der Entenbachstraße konnten zwar teilweise Mütter mit Kleinkindern aufgenommen werden, die Anlage galt aber in den dreißiger Jahren als bereits stark überaltert und war keinesfalls als Familienobdach geeignet. Zeitweise konnte sich die Stadt hier nur mit sehr unzureichenden Provisorien behelfen: In der erwähnten Männerherberge wurden einige Notunterkünfte für Familien eingerichtet, und das alte Feuerhaus am St.-Jakobs-Platz diente dem gleichen Zweck. Zur Familienunterbringung wurde seit 1937 weiterhin das ehemalige St.-Joseph-Spital herangezogen, das teilweise in Einzelunterkünfte, teilweise in Gemeinschaftsunterkünfte geteilt war. In einer solchen Gemeinschaftsunterkunft konnten die Bewohner ihr eigenes Mobiliar nicht mitbringen; bis zu sechs Familien mußten sich tagsüber einen Wohnraum teilen, wobei die Privatsphäre der Familie nur noch durch einen eigenen Herd gewährleistet wurde. Nachts schliefen dann die Frauen mit ihren Kleinkindern, die Männer und die Kinder über sechs Jahren getrennt nach Geschlechtern in eigenen Schlafräumen161. Aus der Sicht des Wohlfahrtsreferates hatten diese Einschränkungen den Vorteil, „daß die Insassen größtenteils das von uns beabsichtigte Bestreben zeigen, sich sobald als möglich aus eigenen Kräften eine andere Wohngelegenheit zu beschaffen"162. Schon als die Instandsetzung des Spitals für diesen Zweck beschlossen worden war, hatte Referent Hilble für einen geradezu abschreckenden Effekt plädiert. Da es sich hier um „die asozialsten Familien" handele, könne man nur „mit Strenge" etwas erreichen163. Grundsätzlich sollten Obdachlosenunterkünfte „aus erzieherischen Gründen" so unattraktiv wie möglich belassen werden164, damit möglichst jeder es darauf anlegen würde, seine Wohnung durch pünktliche Mietzahlung zu halten. Sollte diese Abschreckung in manchen Fällen ihr Ziel verfehlen, müßte dafür gesorgt werden, daß keiner länger als nötig in Obdachlosenasylen verbliebe, die ihren Charakter als Übergangswohngelegenheiten behalten müßten. In den anderen familiengeeigneten Unterkünften nämlich den Wohnanlagen an der Ungsteiner und an der Landsberger Straße zeigten die untergebrachten Familien zum Schrecken des Wohlfahrtsreferates die eindeutige Tendenz, sich als Dauermieter in den Ein- oder Zweiraumwohnungen zu etablieren, die freilich keinen Komfort boten, aber auch nicht als reine Provisorien betrachtet werden mußten165. Noch mehr galt das dann -

-

161 162

163 164

165

Vgl. Abt. Wohnungsfürsorge an die Behörde für Wohlfahrt und Versicherungswesen Bremen,

2.11.1937, StadtAM, Sozialamt 3619. Denkschrift des Referats 6 betr. „Obdachlosenfürsorge", 10.10.1938, S. 4, StadtAM, WAR 576. Vgl. dieses Schriftstück auch zu den anderen Obdachlosenquartieren und Notwohnungen

der Stadt. Hilble in der Sitzung der VFB-Beiräte vom 7.1.1937, StadtAM, RP 710/2. So die Auffassung von Hilble und Ortner nach der ausführlichen Niederschrift über die Besprechung am 25.7.1936 zwischen Wohnungs- und Wohlfahrtsreferat, angefertigt von Syndikus Troll, 29.7.1936, StadtAM, WAR 577, Bl. 12-15, bes. 13. Anders als in der Männerherberge oder im St.-Josef-Spital zahlte man an der Ungsteiner und Landsberger Straße auch regelrechte Mieten und nicht nur Benutzungsgebühren, was das

368

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

im „Dritten Reich" entstandene Kleinhausanlage bei Zamdorf, die zwar für gleichfalls Wohnungsfürsorgefälle vorgesehen war, schon durch ihren Siedlungscharakter jedoch zur Verwurzelung ihrer Bewohner einlud. Die hier entstandenen Wohneinheiten wurden in München als Einfachwohnungen tituliert; das Reich bezuschußte ihre Erbauung im Rahmen des Arbeitsbeschaffungsprogramms unter dem Titel „Notund Behelfswohnungen"166. Die nachfolgende Tabelle zeigt, wie viele solcher Einfachwohnungen der Stadt in den dreißiger Jahren zur Verfügung standen und wie ihre Finanzierung bewerkstelligt worden war.

für die

erst

Tab. 28: Einfachwohnungen der Stadt München Zahl, der

Baukosten

Whgen.

(o. Grund) in RM

Städt. Mittel in RM

1926-28 Landsb. Straße 1930-34 Ungstein. Straße 1934-35 Zamdorf 1936 Savitsstraße 1938-39 Korbinianstraße

168 280 122 33 160

946 500 1186000 416 650 ca. 100000 868480

796500 761000 291650 100000 620480

gesamt

763

3517630

2569630

Baujahre Lage

Reichs- Staats- u. darlehen Kreisdarl. in RM in RM

Sparkas.darlehen in RM 150000

150000 125 000

275000

168000

80000

443000

355000

150000

Quelle: Übersicht des Dezernats 7 vom 26.3.1938, StadtAM, Sozialamt 3619. Für Anlage Korbinianstraße: Vormerkung des Dezernats 7 vom 4.9.1943, StadtAM, BRW 78/1, Bund 24, Akt Städtische Wohnhausanlage an der Korbinianstraße.

Ganz im Zeichen der

Siedlungseuphorie dieser Jahre stand die 1934/35 gebaute AnZamdorf, die nach Plänen des Stadtbauamts unter Hinzuziehung von lage östlich Wohlfahrtspflichtarbeitern für die Erschließungsarbeiten errichtet wurde167. Es entstanden einfachste Doppelhäuschen mit noch kleineren Wohnflächen (32 qm), als man sie aus dem Reichskleinsiedlungsprogramm kannte. Wohnküche, Elternschlafzimmer und Kinderkammer wurden auf diesem Platz untergebracht, dazu kamen Abort und teilweise Unterkellerung; die Gärten faßten 200 qm168. Auf diesem minimalen Raum sollten bei Mieten von 50 Pfennig pro qm wiederum bevorzugt die problematischen kinvon

Wohlfahrtsreferat als „unzweckmäßige Verwaltungsmaßnahmen", die zur Verstetigung beitragen mußten, betrachtete. Denkschrift des Referats 6 betr. „Obdachlosenfürsorge", 10.10.1938, S. 5, StadtAM, WAR 576. Vgl. RAM zur „Errichtung von Not- und Behelfswohnungen im Rahmen des Arbeitsbeschaffungsprogramms", 28.8.1933, StadtAM, BRW 78/1, Bund 24, Akt Städtische Kleinhausbauten bei Zamdorf, Bl. 1. Das Darlehen über 115 000 RM wurde zinsfrei gewährt und war innerhalb von zehn Jahren zu tilgen. In der Tabelle ist außerdem ein Zuschuß des Reichswehrministeriums über 10 000 RM hinzugerechnet worden, der für den Ausbau von Dachgeschossen bei den Häuschen eingesetzt wurde. Die eigentlichen Bauarbeiten wurden als normale Tarifarbeiten vergeben, so daß die Baukosten auf gut 3 000 RM pro Häuschen kamen, vgl. Vormerkung von Baurat Grimm, 11.12.1935,

ebenda, Bl. 166. Mit diesen Dimensionen wurde über das Bauvorhaben entschieden in der Sitzung des Hauptausschusses vom 8.2.1934, StadtAM, RP 707/2. Zunächst wurden 57 Doppelhäuser und ein Einzelhaus also 115 Wohnungen gebaut, 1935 kamen noch einmal sieben Wohnungen aus zusätzlichen Mitteln des Wohlfahrtsreferates hinzu, so daß die Anlage insgesamt 122 Wohneinheiten umfaßte. VFB-Beiräte vom 16.5.1935, StadtAM, RP 708/3. -

-

4. Die

Wohnungsfürsorge der Stadt München

369

untergebracht werden: Unter den ersten 86 Familien, die für die Wohnungen vorgemerkt wurden, waren allein 60 mit drei und mehr Kindern häufiger sieben, sogar acht Kinder wurden darunter genannt169. Weil das Wohlfahrtsreferat in diesen Häuschen auch aufgrund ihrer Stadtrandlage noch immer bessere Möglichkeiten sah, viele Kinder unterzubringen, als in städtischen Quartieren, stellte es zusätzliche Mittel zum Dachgeschoßausbau aus Einsparungen beim Erwerbslosenetat bereit, der mit der nationalsozialistischen Konjunktur zunehmend entlastet und noch häufiger zur Alimentierung von Aufgaben der Wohnungsfürsorge herangezogen wurde170. Selbst nach vollem Dachgeschoßausbau mußte die kinderreiche Familie dann aber auf 53 qm derreichen Familien

-

Wohnfläche unterkommen,

was

allenfalls durch die Gärten und den Freiraum in der

Siedlungsanlage etwas ausgeglichen wurde171.

Das Wohlfahrtsreferat, das die Auswahl für die Notwohnungen vornehmen durfte und sich mit dem Wohnungsreferat lediglich „ins Benehmen" setzen mußte, hatte nicht einfach hilfsbedürftige und kinderreiche Familien begünstigen wollen, sondern legte Wert darauf, daß sie „in familiärer, wirtschaftlicher und nationaler Hinsicht" einwandfrei seien. „In erster Linie wollen wir ordentliche, obdachlose und solche Familien einweisen, die ungesunde und auch unzureichende Wohnungen haben."172 Trotz der Aufstellung solcher Prämissen waren die Vorurteile gegenüber der Klientel für die Wohnungen ungeheuer groß, was sich besonders bei Diskussionen im Stadtrat bemerkbar machte. Hier konnte man sich mit dem Dünkel der Bessergestellten über die „Asozialen" erheben und immer wieder ein strenges Durchgreifen anmahnen. Als Beispiel sei auf die Äußerungen des Stadtrates Max Zankl verwiesen, der nicht nur SA-Männer wegen ihrer bekannten Durchsetzungskraft als Hausmeister für die Behelfswohnungen einsetzen wollte, sondern auch noch anregte, „jedem einen Tank und 2 000 Handgranaten mit[z«]geben, damit er sich bei dem Gschwerl durchsetzt"173. Im Berufsprofil unterschieden sich die für Zamdorf Vorgesehenen durch einen durchschnittlich niedrigeren Qualifikationsstand etwa von den Beziehern der Volkswohnungsanlage in Berg am Laim einige Jahre später: Waren es dort etwa nur 22 Prozent Hilfsarbeiter, machten sie bei den Vormerkungen für Zamdorf 36 Prozent aus, übertroffen trotzdem noch von gelernten und Facharbeitern. Angestellten- und Beamtenpositionen waren jedoch so gut wie keine festzustellen. Weit unter dem zeitgenössi-

der für die Kleinhäuschen in Zamdorf vorgemerkten Familien", das am Referat 6 an das Referat 7 gesendet wurde, StadtAM, Wohnungsamt 57. Auch bei den von Krop untersuchten 40 Familien in der Siedlung ergab sich eine durchschnittliche Kinderzahl von 3,9! (Not- und Behelfswohnungen, S. 30-32) Sitzung der VFB-Beiräte vom 16.5.1935, StadtAM, RP 708/3: Insgesamt investierte das Wohlfahrtsreferat 26 750 RM in den Dachgeschoßausbau. Vgl. zu den weiteren Leistungen aus den Einsparungen beim Wohlfahrtserwerbslosenetat so z.B. für die Bewohnbarmachung der Räume im alten Feuerhaus oder die beschleunigte Fertigstellung der Kleinsiedlung am Hart: Referat 6 betr. Bekämpfung der Wohnungsnot, 15.3.1935, StadtAM, Sozialamt 3618. Zur Beschreibung der Wohnverhältnisse auf so kleinem Raum Krop, Not- und Behelfswoh-

Vgl. „Verzeichnis 28.1.1935

vom

-

nungen, bes. S.

13f,

16-18.

Kommentar des Referats 6

zur

Übersendung

28.1.1935, StadtAM, Wohnungsamt 57.

der

Vorgemerkten-Liste

an

das Referat 7,

Zankl in der Sitzung des Hauptausschusses vom 19.7.1934, als über die Richtlinien für die Vergebung der Not- und Behelfswohnungen diskutiert wurde, StadtAM, RP 707/3.

370

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

sehen Standard lagen überwiegend die Wohnverhältnisse, aus denen die Vorgemerkten kamen: Viele hatten bisher schon in Notwohnungen gelebt; häufig war auch bei Familien mit vier Kindern nur ein Zimmer vermerkt, ungesunde, feuchte, baupolizeilich gesperrte Quartiere wurden genannt, sogar Gartenhäuser und Bretterhütten174. Trotzdem machte das Wohlfahrtsreferat im Prozeß der Auswahl die erstaunliche Erfahrung, daß längst nicht alle, die bisher etwa eine Notwohnung in einer der städtischen Unterkünfte innehatten und jetzt ein Kleinhäuschen angeboten bekamen, begeistert einwilligten. Auf den winzigen Wohnflächen in Zamdorf sahen sie auch keine besseren Möglichkeiten, ihre Möbel unterzubringen, im Gegensatz zur Ungsteiner Straße in Giesing aber hätten sie dann weite Schulwege, erhöhte Kosten für die Straßenbahn und überhaupt die Lage an der Peripherie in Kauf nehmen müssen175. Vor dem Hintergrund solcher Einwände plädierte das Wohlfahrtsreferat dafür, in Zukunft lieber Etagenwohnungen im Stadtinnern zu bauen, die der Bedürfnisstruktur der meisten seiner Klienten eher entgegenkämen176. Ohne es zu ahnen, trafen sich die Fürsorgebeamten darin mit den genau beobachtenden Berichterstattern der Exil-SPD, die dieses Experiment genauso wie die übrige nationalsozialistische Siedlungspolitik einer schonungslosen Kritik unterzogen. Während die „großen modernen Wohnblocks", die in der Endphase der Weimarer Republik an der Landsberger Straße und in Giesing nicht zuletzt unter dem Einfluß der Sozialdemokratie entstanden waren, den richtigen Weg in der Bekämpfung der Obdachlosigkeit gewiesen hätten, seien die Nationalsozialisten dabei, das Rad zurückzudrehen. „Was tut die heutige Nazigemeindeverwaltung für diese Ärmsten der Armen? Sie baut ebenerdige Blockhütten!"177 Weit davon entfernt, gravierende Fehler in der städtischen Wohnungspolitik einzugestehen, mußten allerdings auch Wohnungs- und Wohlfahrtsreferat Kurskorrekturen vornehmen. Im ganzen waren die Erfahrungen, die man in Zamdorf machte, nämlich aus eigener Perspektive ebenfalls nur mäßig günstig. In der Sicht der Stadtverwaltung teilten sich die Bewohner bald in zwei Gruppen: Die einen zeigten sich kaum geeignet für das Pseudo-Siedlerleben, das man ihnen aufnötigte. Sie gingen nachlässig mit dem Haus um und pflegten den Garten nicht, sondern nutzten ihn als Ablade- und Gerümpelplatz. Angeblich ließen sie es auch an nachbarschaftlichen Kontakten fehlen und fügten sich nicht in das soziale Umfeld178. Auf der anderen Seite gab es eine wohl größere Gruppe, bei der gerade das Gegenteil aus der Sicht städtischer Verwaltung zu beklagen war. Diese Bewohner zeigten Ansätze zur Ausbildung von Siedler-Bewußtsein, traten sogar dem Deutschen Siedlerbund bei und formierten eine eigene Siedlungsgemeinschaft179. Das wiederum behagte den Stadtverantwortlichen nicht, weil die Bewohner Alle Angaben nach Verzeichnis vom 28.1.1935 (wie Anm. 169). Zu den Vergleichszahlen für Berg am Laim oben, S. 323. Zu den bisherigen Wohnverhältnissen auch Krop, Not- und Behelfswohnungen, S. 3f.

Zur Ungunst der Lage ebenda, S. 16. Referat 6 betr. Bekämpfung der Wohnungsnot, 15.3.1935, StadtAM, Sozialamt 3618. Deutschland-Berichte 1 (1934), S. 518. Vgl. zur „katastrophale!«] Lage" der nationalsozialistischen Wohnungspolitik auch den Bericht in: 2 (1935), S. 164f. Vgl. den Bericht des Referats 6, Hilble, für das Referat 7 (Abschrift) vom 5.3.1937, BArch, NS 25, 167, Bl. 246. Auf Empörung traf bei Harbers besonders, daß die Siedler einen eigenen Ausschuß „zur Vertretung ihrer angeblichen Interessen gegenüber der Stadt" gründen wollten. Allenfalls eine in

4. Die

Wohnungsfürsorge der Stadt München

371

damit einfach ihre Rolle zu wechseln schienen. Aus Befürsorgten, die sich als Leistungsempfänger den Weisungen der Stadt zu beugen hatten, wurden unter Umständen selbstbewußte Gegenspieler, die auf erworbenen Ansprüchen beharrten: „Die Leute haben ein paar Karnikel und ein paar Kohlköpfe und sind nun ,Siedler'. [...] Wenn man einen renitenten Asozialen entsprechend massregeln will, geht er vor Gericht und es sind jahrelange Kämpfe notwendig, ihn aus dem Haus herauszubringen."180 Gewünscht wurde zwar, daß die Zamdorfer Bewohner sich längerfristig für den Bezug einer Kleinsiedlungsstelle oder einer Volkswohnung qualifizierten; stellten sie sich aber bereits auf das gleiche Niveau, so galt das der nationalsozialistischen Stadtverwaltung als Impertinenz. Trotzdem verhinderte sie nicht, daß die Häuschen über die Jahre zu einem angestammten Besitz ihrer Erstbezieher wurden. Obwohl sich längst nicht alle mit dem Siedlerleben identifiziert hatten, bestand offensichtlich sehr wenig Neigung, aus dem günstigen Quartier wieder auszuziehen. In den sieben Jahren bis 1942 verließen jedenfalls nur zwölf Familien die einmal bezogenen Häuschen. Das Wohlfahrtsreferat sah damit in der Anlage eigentlich nur noch eine Belastung für die Stadt, da sie ja für die Einweisung von Wohnungslosen praktisch völlig entfiel. Außerdem waren nach diesen Jahren, als die billige Herstellungsqualität sich bemerkbar machte, bereits die ersten durchgreifenden Instandsetzungsarbeiten notwendig. Gar nicht unattraktiv erschien daher der Gedanke, die Wohnungen an ihre Mieter zu verkaufen181. Dem wollte das Wohnungsreferat jedoch nicht zustimmen, weil es an der Ursprungsbestimmung der Häuschen festhielt und der Ansicht war, daß Mieter, die inzwischen sogar als Eigenheimbesitzer in Frage kämen, lieber dem normalen Wohnungsmarkt überwiesen werden sollten, während die Zamdorfer Anlage dann wieder für vorübergehende Betreuungszwecke zur Verfügung stünde182. Es mögen nicht so sehr die Bedenken des Wohnungsreferenten als vielmehr die Luftkriegsverhältnisse gewesen sein: Während des „Dritten Reiches" kam es jedenfalls nicht mehr zur Eigentumsübertragung, erst lange nach seinem Ende wurden die Verkaufspläne wiederaufgenommen183. Es waren wohl zu einem guten Teil die Lehren aus der Zamdorfer „Siedlung", die das Wohnungsreferat veranlaßten, beim nächsten Bauprojekt dieser Art wieder auf den Geschoßwohnungsbau zu setzen. Die 1938 in Milbertshofen an der Korbinianstraße gebaute Anlage war mit 20 dreigeschossigen Häusern, die je acht Wohnungen umfaßten, weit entfernt von dem in Zamdorf erprobten Flachbaukonzept. Auch die Erfahrungen mit den Kinderreichen schlugen allmählich durch: Anstelle der ursprünglichen Planung, die unter anderem Ein-Raum-Wohnungen vorgesehen hatte, konnte das Wohl-

Kooperation mit der Stadt gebildete „Arbeitsgemeinschaft im Sinne nationalsozialistischer Erziehung der Bewohner" wollte er zubilligen. Sitzung der Beiräte für Wohnungswesen vom

26.7.1935, StadtAM, RP 708/6. Harbers in der Sitzung der VFB-Beiräte vom 10.6.1937, StadtAM, RP 710/2. Nach den vom Hauptausschuß in seiner Sitzung vom 19.7.1934 beschlossenen Richtlinien für die Vergebung der Not- und

Behelfswohnungen galt

die Zuweisung einer solchen Wohnung stets nur als und war durch eine entsprechende Klausel im Mietvertrag auch so gekennzeichnet, StadtAM, RP 707/3. Dezernat 6, Ortner, an das Dezernat 3, 8.6.1942, StadtAM, BRW 78/1, Bund 24, Akt Städtische Kleinhausbauten bei Zamdorf. Dezernat 7, Harbers, an das Dezernat 6, 23.9.1942, ebenda. Dazu die Verhandlungen ebenda.

vorübergehend

372

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

fahrtsreferat die Erstellung von 40 Drei-Raum-Wohnungen durchsetzen, die mit 57,7 qm Wohnfläche für kinderreiche Familien im Vergleich mit Zamdorf, aber auch mit den Volkswohnungen in Berg am Laim sogar auf der guten Seite lagen. Von diesen Wohnungen wurden jeweils zwei im Erdgeschoß zusammengelegt, während jeweils drei

Zwei-Raum-Wohnungen in den beiden Obergeschossen Platz fanden184. Mit einer Notunterkunft oder einem Familienobdach hatte diese neue Anlage allerdings dann auch nichts mehr zu tun. Eine kinderreiche Familie mußte für eine der größeren Wohnungen etwa einen üblichen Volkswohnungssatz von 36 RM aufbringen. Der Stadt war es angenehmer, im Einzelfall Mietbeihilfen für nicht zahlungskräftige Familien zu leisten, weil sie dann die „Würdigkeit" und Bedürftigkeit genau überprüfen konnte, als mit generell sehr niedrigen Mieten allzu viele Bewerber anzulocken, die eine solche Wohnung in ihren Augen gar nicht wirklich benötigten185. Große Schwierigkeiten entstanden dem Münchner Wohnungsmarkt jedesmal dann, wenn nicht nur das „gewohnte" Maß so mußte es tatsächlich schon bezeichnet werden an Obdachlosigkeit aufgrund von Zwangsräumungen, Abbruchen und Wohnungssperrungen zu bewältigen war, sondern eine größere Zahl zusätzlicher Wohnungssuchender den Markt überschwemmte. Das war der Fall im Jahr 1934, als die Heeresverwaltung die Einrichtung einer Kriegsschule und die Aufnahme neuer Formationen in München plante und daher die bis dato als Wohnungen verwendeten Kasernenräume wieder beanspruchte. Diese Remilitarisierungsaktion betraf innerhalb kurzer -

-

Zeit 271

Familien, die bisher im Kasernenviertel am Oberwiesenfeld, in der Marsfeldkaserne und in der Isarkaserne an der Zweibrückenstraße als Militärangehörige, aber auch auch als zivile Mieter des Zentralfinanzamtes und der Stadt gelebt hatten186. Es gelang erstaunlicherweise in relativ hohem Maße, die Kasernenmieter auf dem freien Wohnungsmarkt unterzubringen, allerdings um den Preis einer Inanspruchnahme von Kapazitäten, die anderen dann nicht mehr zur Verfügung standen. Der Wohnungsnachweis räumte den vom Militär Exmittierten in der Vermittlungstätigkeit absolute Priorität ein, sah aber durchaus, wie seine übrige Klientel zurückstand. „Es konnte beobachtet werden, daß Wohnungsbewerber, die schon jahrelang sich um Wohnungen bemühen und in schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen leben, im freien Wettbewerb mit einem großen Teil der Kasernenwohnungsinhaber während der fraglichen Zeit überhaupt keine Wohnung erhalten konnten."187 Obwohl nur ein kleiner Teil der Kasernenmieter in den städtischen Einfachwohnungen untergebracht wurde, bedeutete auch diese niedrige Zahl angesichts der geringen Kapazitäten schon eine weitere BelaVgl. Auszug aus der Sitzung der VFB-Beiräte vom 27.1.1938 mit entsprechender Vormerkung über die Planung der Wohnungen, StadtAM, BRW 78/1, Bund 24, Akt Städtische Wohnhausanlage an der Korbinianstraße. Bei den größeren Wohnungen konnten an Stelle des einen Zimmers auch zwei Kammern für Kinder eingerichtet werden.

Vgl.

Dezernat 7/6

19.1.1939, ebenda.

Eine genaue

an

das Staatsministerium für Wirtschaft, Abt. für Arbeit und

Fürsorge,

Auflistung der betroffenen Kasernenwohnungen im Schreiben des Städt. Wohnungsnachweises, Zeiss, an das Referat 7,2.6.1934, StadtAM, WAR 572. Es sei daran erinnert, daß die Zivilbelegung der Kasernen nach dem Ersten Weltkrieg eine Möglichkeit war, zusätzlichen Notwohnungsraum zu schaffen. Städt. Wohnungsnachweis, Zeiss, an das Referat 7, 30.7.1934, ebenda. Demnach waren von den 271 Räumungsmietern bereits 237 anderweitig vermittelt worden.

4. Die Wohnungsfürsorge

der Stadt München

373

stung. Von den 150 Wohnungen etwa, die im zweiten Bauabschnitt an der Ungsteiner Straße am 1. Juli 1934 fertiggestellt wurden, wurden 16 sogleich für diesen Zweck beansprucht188. Zuvor hatten im alten Feuerhaus am St.-Jakobs-Platz einige Notunterkünfte für die bereits im Mai und Juni aus den Militärgebäuden geräumten Familien improvisiert werden müssen, weil die anderen Familienobdächer wieder hoffnungslos überbelegt waren189. Mit dem Argument, daß die Unterbringung der Kasernenmieter vor allem den regulären Kleinwohnungsmarkt erheblich belastet habe und hier jetzt Aufholbedarf bestünde, konnte die Stadt nicht nur ein Reichsdarlehen von 275 000 RM für neue Kleinwohnungsbauprojekte akquirieren, sondern auch verhindern, daß die Heeresverwaltung in den geförderten Wohnungen ein Zuweisungsrecht für Militärpersonen beanspruchte190. Aus dem Darlehen wurde zum einen 1935 eine städtische Anlage von sieben Wohnhäusern mit 48 Kleinwohnungen an der Hansa- und Garmischer Straße mitfinanziert, zum anderen kam das Darlehen der Firma Stöhr für die Schließung einer größeren Baulücke am Rosenheimer Platz mit einem Wohnblock zugute191. Während die Stadt zwar in der Frage des von ihr abgelehnten Zuweisungsrechts einen Sieg errang, mußte sie bei Abschluß der Darlehensvereinbarung aber eine andere bittere Pille schlucken. Es ging wieder um die Aufgabe von provisorischem Wohnraum zugunsten der Remilitarisierung, die im NS-Staat so deutliche Priorität genoß, daß die Stadt hier keine Möglichkeit hatte, ihre Einwilligung zu versagen. Geopfert wurden jetzt die Barackenwohnungen auf dem Oberwiesenfeld, die bis zum Frühjahr 1936 geräumt wurden, nachdem die städtische Verwaltung noch vergebliche Anläufe gemacht hatte, diese von ihr ebenfalls in der Nachkriegszeit eingerichteten Notwohnungen zu halten. Sieben der Baracken fanden nochmals Verwendung in der gleichen Weise. Sie wurden an der Savitsstraße in Daglfing aufgestellt, um als Auffangquartiere für die nicht länger geduldeten „wilden Siedler" am Moosgrund zu dienen192. Das gibt Anlaß, einen abschließenden Blick auf die Problematik der „wilden Siedlungen" zu werfen. Die „wilden Siedlungen" galten der nationalsozialistischen Stadtverwaltung von Anfang an als das negative Pendant zu der von ihr angestrebten „geordneten" Siedlungstätigkeit, die sich ja dann auch in einem von Symmetrie und Gleichförmigkeit geprägten äußeren Bild der politikgesteuerten Kleinsiedlungen niederschlug193. Ganz an188 189

190

191

192

193

Ebenda. Vgl. Beschlüsse in der 29.5.1934, ebenda.

Fraktionssitzung

vom

7.5.1934 und

Hauptausschußsitzung

vom

Vgl. Wehrkreisverwaltungsamt VII an den Stadtrat, 21.8.1934, wo „angesichts der vorliegenden besonderen Verhältnisse" von der Verpflichtung zur Vermietung an Militärpersonen Abstand genommen wird, und den Darlehensvertrag zwischen dem Amt und der Stadt (unter-

schrieben am 22.8./2.10.1935), beides ebenda. Für die Hansa-/Garmischer Straße vgl. Verwaltungsbericht 1933/34-1935/36, S. 132. Zum Bauprojekt der Firma Stöhr oben, S. 293. Zu den Details der Räumung und teilweisen Wiederaufstellung der Baracken vgl. den Faszikel „Gemeindliche Notwohnungen. Bauten auf Oberwiesenfeld, Leonrodstr. 101", StadtAM, WAR 572. Allerdings kam die Ablehnung der „wilden Siedlung" nicht erst mit dem Nationalsozialismus, schon vorher überwogen bei vielen trotz positiver Sicht des Selbsthilfegedankens die Bedenken gegenüber dem Wildwuchs, der hier gedieh. Solche Bedenken gründeten sich darauf, „daß diese Siedlungen ohne Rücksicht auf den städtischen Bebauungsplan entstanden sind, daß sie daher für die zukünftige organische Entwicklung der Stadt wie ein Pfahl im Fleische wirken und

III. Baupolitik und Wohnungsfürsorge

374

ders präsentierten sich die sogenannten wilden Siedlungen, die vor allem seit der Krise Ende der zwanziger Jahre zu einem verbreiteten Phänomen im Weichbild der Großstädte gehörten. Aufgrund finanzieller Nöte und damit häufig des Zwangs, eine nicht mehr bezahlbare Stadtwohnung aufzugeben, aufgrund auch von besseren Selbstversorgungsmöglichkeiten siedelten Familien in ehemaligen Laubenkolonien, die nur Freizeitfunktionen erfüllt hatten, oder errichteten sich eigene Behausungen, die mehr Hütten als Häusern entsprachen. „Auf den Garten- und Waldgrundstücken entsteht zunächst der Zaun, dann ein Schutzdach auf 4 Pfählen gegen den Regen, das Schutzdach wandelt sich zur geschlossenen Hütte, diese zum Gartenhaus, zuerst ohne, dann mit Übernachtungsmöglichkeit, zum Wochenend-, Urlaubs- und zuletzt zum Einfamilienhaus. Wohnungs-, Wirtschafts- und Arbeitsnot fördern diesen Entwicklungsgang und vereiteln erfolgreiche Durchführung der baupolizeilichen Vorschriften."194 Das Ergebnis waren Unterkünfte, die gegen Kälte und Regen nicht richtig isoliert waren, im Inneren häufig ein feuchtes und ungesundes Wohnklima aufwiesen, unvorschriftsmäßige Kamine und Feuerstätten hatten und zu kleine, zu dunkle und zu niedrige Räume beinhalteten195. Diese vom wohnhygienischen Standpunkt aus abzulehnenden Verhältnisse wurden im Gegensatz zu den Mietskasernenvierteln immerhin durch die randstädtische Lage der Siedlungen und die Freiräume, die sie gerade für die Heranwachsenden boten, etwas

kompensiert.

Mit den Maßnahmen des „Dritten Reiches" zur „Ordnung" des Siedlungswesens schien der Münchner Stadtverwaltung die Gelegenheit günstig, solchen „unhaltbaren" Zuständen ein Ende zu bereiten196. Es wurde jedoch bald deutlich wie das im folgenden herausgegriffene Beispiel der Siedlung im Moosgrund zeigt -, daß auch mit den Zwangsmitteln des nationalsozialistischen Staates die einmal geschaffenen Tatsachen nicht ohne weiteres zu beheben waren. Bei der Moosgrund-Siedlung gewann der Wunsch nach ihrer Beseitigung an Brisanz, als der Rennverein München-Riem, präsidiert von dem starken Mann im Stadtrat, Christian Weber, begehrliche Blicke auf ein Grundstück dieses Terrains richtete197. Weber war das ganze Hüttendorf ein Dorn im Auge; auch über die unmittelbaren Grundstücksinteressen hinaus wollte er eine vollständige Beseitigung dieses Symbols des Ungehorsams, aber auch des Elends, das nicht in seine Inszenierung „würdiger" Pferdesport-Veranstaltungen nebenan paßte. Jetzt konnte nur ein noch einflußreicherer Mann als Weber den ungeliebten Siedlern zur Hilfe kommen, und er trat auf in Gestalt des Gauleiters Adolf Wagner, dessen Eingreifen -

daß die auf den einzelnen Parzellen errichteten Behelfshäuschen, abgesehen von ihrer äußeren

Scheußlichkeit, als Selbsthilfebauten technisch häufig so minderwertig sind, daß sie wahrscheinlich schon in wenigen Jahren für den Besitzer und Benutzer eine Quelle des Ärgers werden und kostspielige Instandsetzungen erfordern dürften". Bruno Schwan, Die wilde Stadtrand-Siedlung, in: Die Wohnung 7 (1932), S. 106. Jansohn für den Stadtrat München an die Lokalbaukommission München, 8.3.1934, S. 3, BayHStA, OBB 12712. Dazu

etwa

die Presseartikel und Behördenberichte

zur

„wilden Siedlung"

am

Schwedenstein

(südöstlich von Waldtrudering), die zum Teil als Gartenkolonie weiterexistierte, aber auch im beschriebenen Sinn umfunktioniert wurde, in: StadtAM, Sozialamt 3566. Vgl. Jansohn an die Lokalbaukommission München, 8.3.1934, BayHStA, OBB 12712. Vgl. Vormerkung des Referats 7, 12.2.1934, StadtAM, WAR 574.

375

4. Die Wohnungsfürsorge der Stadt München

im Juli 1934 der Stadt eine

langsamere Gangart aufnötigte198. Während sie hinnehmen

mußte, daß zum Teil noch neue Siedler nachfolgten199, führte sie auch auf gerichtli-

chen Schauplätzen einen Kampf um die Beseitigung der Siedlung, die schließlich stufenweise durchgeführt wurde200. Dem Rennverein das Grundstück zu sichern, war für die Stadt nur Anlaß zum Handeln; die Ursache aber lag in der nicht zu tolerierenden Tatsache eines solchen Wildwuchses in der „Hauptstadt der Bewegung", in der doch sogar der „Führer" selbst sich um das Stadtbild bemühte. Wohnungselend, Bewohner, die sich um Staat und Gesellschaft nicht viel kümmerten, gab es zwar auch sonst, in der Regel aber vereinzelt. Hier mußte hingegen die nicht mehr zu übersehende Häufung Anstoß erregen. „Es geht nicht an, daß heutzutage am Rande einer Großstadt von der Bedeutung Münchens einige Leute wider alles Recht und Gesetz, nach freiester Willkür und Unvernunft. Wohnbaracken aufstellen ohne jede Rücksicht auf Errungenschaften der Kultur, ohne jedes Verantwortlichkeitsgefühl gegenüber der Geschichte, dem Staate und den Mitbürgern."201 Gegen 16 Siedler konnte die Stadt eine Beseitigungsbefugnis erwirken; sie mußten ihre Stellen räumen und wurden teilweise in den Barackenwohnungen an der Savitsstraße untergebracht202. Bei den anderen konnte sie nur nach und nach mit Hilfe von Umsiedlungsplänen etwas erreichen. Dafür waren die Baracken aber ungenügend, die Oberbayerische Heimstätte sorgte schließlich für Ersatz-Siedlungsstellen in Trudering und Ismaning. Jetzt konnte Christian Weber, unter dessen Ägide diese Siedlungsgesellschaft stand, sogar noch den Schritt vom Übeltäter zum Wohltäter machen und sich rühmen, humanitäre Hilfe für die ehemaligen Siedler zu leisten. Diese Rolle gefiel ihm gar nicht so schlecht, vor allem weil sie ihm wieder einmal Gelegenheit gab, das Wohnungsreferat der Untätigkeit zu bezichtigen. Guido Harbers berief sich vergeblich darauf, daß die Moossiedler größtenteils nicht als Siedler im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen in Frage kämen203. Christian Weber und die Siedlungsgesellschaft schafften es offensichtlich dennoch, die ehemaligen Bewohner des Moosgrunds an den Paragraphen vorbei anzusetzen und hatten daher den Erfolg für sich. Sogar die streng von der nationalsozialistischen Erb- und Rassenlehre bestimmten Gutachten des Gesundheitsamtes schienen ihnen recht zu geben. Obwohl das Gesundheitsamt die „wilde Siedlung" als solche -

Vgl. die Schriftwechsel und besonders die Entschließung des bayerischen Innenministers vom 26.7.1934, BayHStA, MF 68094. Vgl. die empörte Diskussion in der Sitzung des Wohnungsausschusses vom 22.10.1934 über die Fälle neuer Niederlassungen, besonders aber über die Tatsache, daß die Stadt völlig allein gelassen sei in ihren Bemühungen, während andere Stellen wie das Innenministerium oder die NS-Frauenschaft mit ihrer „Humanitätsduselei" 707/8.

kontraproduktiv

wirkten. StadtAM, RP

Vgl. die Vormerkung des Referats 7/3, Grimm, 21.11.1935, BayHStA, MF 68094. Gesundheitsamt, Schaetz, 19.12.1935, ebenda (Hervorhebung im Original). Urteil des Amtsgerichts München vom 17.4.1935 (Abschrift), ebenda. Die betroffenen Siedler schöpften allerdings „jede Beschwerde- und Berufungsmöglichkeit" aus, so daß das Urteil erst Ende 1935 Rechtskraft erlangte, Harbers in der Sitzung der VFB-Beiräte vom 7.5.1936,

StadtAM, RP 709/3.

Vgl. die erregte Diskussion in der Sitzung der VFB-Beiräte vom 7.1.1937, in der Weber Harbers mit Äußerungen provozierte wie: „Aber es ist interessant, die Oberbayerische Heimstätte, die erst ein Jahr alt ist, hat bereits 240 Siedlerstellen im Bau, schöne Siedlerstellen. Die bringt es fertig, und warum vermag das Ihr Referat nicht?" StadtAM, RP 710/2.

376

III.

Baupolitik und Wohnungsfürsorge

höchst negativ beurteilt hatte und die Moossiedler in seinen Augen „dem Idealziel unserer Rassenhygiene noch sehr ferne" standen, kam es zu dem Schluß, daß die „Umsiedlung sozial fraglicher Elemente aus dem engen Raum der Städte und besonders der Vorstädte aufs Land [...] einen günstigen Einfluß auf die soziale Entwicklung auszuüben vermocht" hat. Wenn jetzt noch „die heute glücklicherweise vorhandene, straffe staatsbürgerliche Erziehung durch den Nationalsozialismus" hinzuträte, würden „untaugliche Elemente zwangsläufig von selbst ausgemerzt werden", die anderen aber könnten zum bevölkerungspolitisch wünschenswerten Aufbau beitragen204. Letztlich waren damit auch bei der Behandlung dieser „wilden Siedlung" die Leitmotive nationalsozialistischer Siedlungspolitik ausschlaggebend, die gesellschaftspolitisch auf Pazifizierung, rassenpolitisch auf „Aussortierung" und bevölkerungspolitisch auf Familienbildung und -Vergrößerung zielten. Man war bereit, den Moossiedlern ihre Unbotmäßigkeit gegen den nationalsozialistischen Staat zu vergeben, sofern sie bereit waren, sich der „Volksgemeinschaft" unterzuordnen. Das allerdings war Voraussetzung: Die Autonomie ihrer bisherigen Wohnform mußten sie aufgeben, für sie war im „deutschen Siedlungswerk" kein Platz.

204

Gesundheitsamt, Schaetz, 19.12.1935, BayHStA, MF 68094. Das Gesundheitsamt bezog seine positive Sicht auf die Auswirkungen des Siedlerlebens aus der Tatsache, daß wenige Delikte nach Angabe der örtlichen Kriminalpolizei verübt würden, der Gesundheitszustand allgemein gut und die Gebärfreudigkeit sogar besonders ausgeprägt sei.

„Wohnraumarisierung" und Behelfsheimbau: Die Wohnungsfrage im Krieg IV. Zwischen

Die hier zu untersuchende Phase des Kriegswohnungsbaus bildet einen eigenen Zusammenhang, der nicht nur von außen durch die Kriegsereignisse bestimmt, sondern auch von innen durch einen neuen administrativen Umgang mit der Wohnungsfrage begründet wird. Für München muß dabei allerdings gelten, daß diese neue Phase der Wohnungspolitik nicht erst Ende 1940 begann, wie man für das Reich vor allem aufgrund der Einsetzung Robert Leys als Reichskommissar angenommen hat1, sondern zwei Jahre eher einsetzte. Mit der Ernennung Hermann Gieslers zum Generalbaurat für die „Hauptstadt der Bewegung" im Dezember 1938 wurde die Stadtverwaltung in allen Baufragen schnell aus der Verantwortung gedrängt. Sie war zwar weiter für die Durchführung der bereits beschlossenen Bauprogramme zuständig, die konzeptionelle und Planungsarbeit aber wurde ihr völlig aus der Hand genommen. Auch im exekutiven Bereich war die Stadt zunehmend auf die Unterstützung durch den Generalbaurat angewiesen, der mit mehr Kompetenzen als die Kommunalverwaltung ausgestattet oftmals als einziger den Fortgang eines Projekts durch entsprechende Genehmigungen noch garantieren konnte. Eine Zäsur vor Kriegsbeginn wird aber auch gerade von der Seite der äußeren Faktoren, die die Wohnungspolitik limitierten, nahegelegt. 1938 hatte die Stadt erstmals massiv mit Bausperren, Abzug von Arbeitskräften und Materialengpässen zu kämpfen, die sich in der Retrospektive freilich nur als Vorgeschmack auf die in der forcierten Kriegswirtschaft herrschenden Bedingungen präsentieren, unmittelbar aber einen veränderten Umgang mit Ressourcen forderten. Was also vereinfacht als „Wohnungsfrage im Krieg" tituliert wurde, ist ein bereits 1938 einsetzender, auf der politischen wie auf der materiellen Ebene neu definierter Umgang mit dem Wohnungsproblem, der sich von der vorangegangenen Phase 1933 bis 1938 deutlich unterschied. -

-

1.

„Auf Wunsch des Führers": Gesamtstadtplanung und

Wohnungsbau unter der Regie des Generalbaurates Bei der

Auseinandersetzung um das Kulturamt, seine Leitung und seine künstlerische Betreuungsarbeit 1935 wurde der Stadt vielleicht zum erstenmal ganz deutlich, wie ernst es Hitler mit allen Gestaltungsfragen in der „Hauptstadt der Bewegung" war2. Im 1

2

Vgl. Harlander/Fehl (Hrsg.), Hitlers Sozialer Wohnungsbau, bes. S. 17. Vgl. oben, S. 87. Der Verweis, den sich die Stadt in der Kulturamtsfrage geholt hatte, hinterließ bei manchem Ratsherrn einen schalen Nachgeschmack. Nachdem auch die Nordbad-Pläne auf Einspruch Hitlers hin völlig umgeworfen wurden, meinte Max Zankl, man müsse die Kommu-

nikation mit Hitler verbessern, damit nicht weiter sinnlos Geld für schließlich vom Reichskanzler annullierte Planungen ausgegeben werde. „Daß der Führer selbst in Kunstfragen entscheidet, darüber brauche ich nicht informiert zu werden, weil ich darüber mit ihm selbst schon viel ge-

IV. Die Wohnungsfrage im

378

Bereich

Krieg

Stadtplanung und Verkehr war ihm keine Münchner Angelegenheit zu unbe-

deutend, um nicht selbst im Zweifelsfall zu intervenieren, auch wenn es sich nur um die Frage drehte, ob Längs- oder Schrägparkplätze eingerichtet werden sollten. Deutlich

nahm sein Interesse und damit auch die Eingriffshäufigkeit seit 1936/37 zu. Zu diesem Zeitpunkt hatte Hitler die ersten Ziele außenpolitischer Revision und innenpolitischer Herrschaftsabsicherung erreicht, so daß er seinen zunächst zurückgestellten Ambitionen als „Architekt des Reiches" mehr Raum geben konnte. Er wollte jetzt offensichtlich sich was Berlin der in zuerst mit darangehen Beauftragung Speers niederschlug -, seine Umgestaltungspläne in konkrete Programme umzusetzen und sie einer Gesamtstadtplanung zu unterstellen3. Noch nicht so konkret wie in der Reichshauptstadt, aber doch immer intensiver begann sich Hitler mit dem städtebaulichen Umbau Münchens zur „Hauptstadt der Bewegung", die auch im äußeren Erscheinungsbild ihrem Titel gerecht werden sollte, zu befassen4. Daneben war er aber breit gestreut mit diversen künstlerischen und architektonischen Fragen in München beschäftigt. So interessierte ihn in dieser Phase etwa die Gestaltung des neuen Stadtwappens, das der Kunstbeirat Richard Klein für ihn entwarf und das nun auch sehr symbolkräftig vom Hoheitszeichen der NSDAP überwölbt wurde5. Auch in scheinbar so unbedeutenden Angelegenheiten wie der Abänderung der Grüninsel hinter dem Friedensengel beharrte Hitler auf seinem Gestaltungsprimat. Schließlich müsse er verlangen, daß, „wenn er als Führer der Nation sich um Einzelheiten kümmere und er nur den Wunsch habe, die Stadt München zu verbessern und zu verschönern, die Hauptstadt der Bewegung seinen geäusserten Wunsch oder seinen Befehl unter allen Umständen sofort ausführe"6. Für Hitler war alles von Bedeutung, was die Inszenierung des Parteikults und der Parteigeschichte in München betraf. Dazu gehörte die Prinzregentenstraße, wo nicht zuletzt seine Wohnung und das „Haus der Deutschen Kunst" gelegen waren und die als Verbindungsachse zum neuen Flughafen in Riem zusätzliches Gewicht erhalten sollte. In München brach einer der in die Weimarer Republik zurückreichenden Kontinuitätsstränge in der Baupolitik ab, als am 30. April 1936 der Stadtbaurat Fritz Beblo in den Ruhestand ging, der nationalsozialistischen Stadtführung wohl ebenso überdrüssig, wie diese es seiner Person war7. Es stand fest, daß Hitler selbst die Neuberufung in die Hand nehmen würde; entsprechend lange verzögerte sich der Vorgang, bis schließlich -

-

-

sprochen habe. Man muß doch bei all diesen Dingen auch berücksichtigen, draußen gibt es im-

3

4

5

6

7

mer noch Tausende, die keine Wohnung haben, wohnen ganze Familien mit rachitischen Kindern in einzelnen Zimmern." Sitzung der VFB-Beiräte vom 5.9.1935, StadtAM, RP 708/4. Vgl. zur zeitlichen Zäsur auch Thies, Nationalsozialistische Städteplanung, S. 27. Der zuvor schon eingesetzte Albert Speer wurde am 30.6.1937 zum Generalbauinspektor der Reichs-

hauptstadt ernannt.

Vgl. die von Fiehler in der Referentenbesprechung am

1.3.1937

Themen, die er

vorgetragenen „neulich mit dem Führer" besprochen hatte: Eingemeindungen, Bau einer Untergrundbahn, Abriß der Matthäuskirche, die nach Hitler „an und für sich verkehrshindernd" da stünde, Verlegung des Bahnhofs und neue Prachtstraße sowie etliches mehr. Protokoll in: StadtAM, Hochbauamt 897/3, Bl. 1-24, Zitate Bl. 1, 6. Am 2.11.1936 wurde der Stadt das neue Wappen offiziell vom „Führer" verliehen, vgl. Verwaltungsbericht 1936 und 1937, S. 9. So wurde Hitler in einer Besprechung Fiehlers mit technischen Dienststellen am 1.6.1937 (Auszug, S. 3) zitiert, StadtAM, BuR 305/4b. Vgl. Ausstellungskatalog Bauen auf Tradition, bes. S. 108, 133f.

1.

379

Gesamtstadtplanung und Wohnungsbau

auf seine Entscheidung hin der Karlsruher Professor Hermann Alker zum 1. August 1937 das Stadtbauratsamt übernahm8. Obwohl Alker nur ein Jahr im Amt war, begannen sich in dieser Phase die Neugestaltungsplanungen und begleitenden behördlichen Maßnahmen zu intensivieren. Dabei müssen Initiativen, die die Stadt in dieser Zeit ergriff, auch als Versuche betrachtet werden, sich die Führung in der Baupolitik nicht völlig entwinden zu lassen. Schon lieferte die Kompetenzenfülle Speers in der Reichshauptstadt das Beispiel für die Überlagerung kommunaler Zuständigkeiten durch eine neue Instanz9. Mit dem „Gesetz über die Neugestaltung deutscher Städte" vom 4. Oktober 1937, bei dem eine Ausführungsverordnung für München allerdings zunächst unterblieb, war zudem das Instrument geschaffen, die kommunale Bauhoheit weitgehend zu untergraben10. Fiehler war in seiner Führerhörigkeit keineswegs darauf aus, Hitlers Pläne für München irgendwie zu durchkreuzen, im Gegenteil: eilfertig breitete er seinen Mitarbeitern jedesmal sofort aus, was nach den zuletzt geäußerten „Wünschen des Führers" nun zu geschehen habe11. Aber der Münchner Oberbürgermeister wollte für den Moment gerüstet sein, in dem die Kompetenzenfrage für die bauliche Neugestaltung Münchens endgültig geklärt würde, und er wollte versuchen, für die Stadtverwaltung dann so viel zu retten, wie zu retten war. Mit Hilfe entsprechender Strukturen sollte abgesichert werden, daß die Stadt auch weiterhin an ihrer architektonischen Zukunft mitwirken könnte. Am 22. Januar 1938 richtete er eine Sonderbaubehörde „Ausbau der Hauptstadt der Bewegung" ein, in der „die mit dem Ausbau der Hauptstadt der Bewegung in Beziehung stehenden städtischen Bauaufgaben zusammenfassend, einheitlich und möglichst förderlich außerhalb des regelmäßigen Dienstbetriebes bearbeitet" werden sollten12. Die Leitung übernahm Stadtbaurat Alker, der in den Augen Fiehlers ja ein Wunschkandidat Hitlers für die Betreuung von Bauaufgaben in München war. Diese Konstellation währte dennoch nur ein halbes Jahr; die Gründe dafür müssen ausführlicher erläutert werden. Das

Wohnungssofortprogramm 1938-1942 ersten umfassenden Veröffentlichung zu den Ausbauplänen

Zum Zeitpunkt der für München schien die Kooperation zwischen dem Reichskanzler und dem Münchner Stadtbaurat und seiner Sonderbaubehörde noch gut zu funktionieren. Die Planungsar8 9

Vgl. Rasp, Stadt für tausend Jahre, S. 48, und StadtAM, Personalakt Hermann Alker 10998. Vgl. Schäche, Architektur und Städtebau, S. 138. Wie Schäche hervorhebt, konnte trotz der in-

stitutionellen Machtkonzentration beim Generalbauinspektor die Stadtverwaltung auf einer Art unabhängigen Nebenschiene doch noch etliche Bauprojekte planen und auch realisieren (S. 139-146). Hier gibt es eine Parallele zu München, wo die Stadt, wie im weiteren zu zeigen

sein wird, im Bereich der Alltagsarchitektur also vornehmlich im Wohnungsbau auch noch Durchführungskompetenzen behielt. Die Berliner brachen mit Verwaltungsbauten aber sogar in den Neugestaltungsbereich des Generalbauinspektors ein, während in München die Tabugrenzen strikt eingehalten wurden. RGB1. 1937/1, S. 1054f. Typisch dafür Fiehlers Vortrag in der Referentenbesprechung vom 1.3.1937, in dem gehäuft Wendungen auftreten wie „der Führer sagt", „der Führer stellt sich vor", „er hat wiederholt ausgesprochen", „der Führer wünscht", StadtAM, Hochbauamt 897/3, Bl. 1-24. Briefentwurf Tempels über „Organisatorische Maßnahmen der Stadtverwaltung zum Ausbau der Hauptstadt der Bewegung" vom 28.4.1938, StadtAM, Hochbauamt 897/2, Bl. 104-107. -

-

10 11

12

380

IV. Die Wohnungsfrage im

Krieg

beiten hatten inzwischen ein fortgeschrittenes Stadium erreicht, Modelle waren bereits gefertigt, und Alker hatte ein Exposé über den Ausbau Münchens verfaßt. Hitler kam zur Besichtigung und Prüfung am 28. April f 938 in Alkers Atelier, besprach noch einiDetails und überarbeitete den Entwurf des Stadtbaurats, bis er in seinen Augen verge war13. Befehl des Führers" erschienen die Ausbaupläne am „Auf öffentlichungsreif 1. Mai 1938 in der Münchner Presse, so daß manches umlaufende Gerücht sich jetzt bestätigte oder im anderen Fall auch als falsch erwies. Für viele dürfte die Veröffentlichung die schlimmsten Erwartungen noch übertroffen haben, weil die geplanten Veränderungen der Stadt zu einem guten Teil ein völlig anderes Gesicht gegeben hätten. Insofern mochte der Kommentator des „Völkischen Beobachters" das Schockerlebnis schon zutreffend beschreiben, wenn er schrieb: „Gewissermaßen verschlug es uns den Atem, wir waren mit großen Erwartungen hierher gekommen in das Atelier des Beauftragten für den Ausbau der Stadt München, Professor Alker, aber nun waren wir fassungslos, uns war ein wenig schwindlig. Denn immer wieder müssen wir uns gewöhnen auf allen Gebieten ist es doch so -, den unerhört weitausgreifenden Planungen und Plänen des Führers zu folgen."14 Tatsächlich waren diese gewöhnungsbedürftigen und auch nur ansatzweise bekanntgemachten Vorhaben so umfassend und betrafen so viele Bereiche, von der U-Bahn-Planung angefangen bis zum Bau eines Opernhauses, daß ihre Beschreibung und Analyse hier keinen Platz finden kann. Der Themenkomplex ist in den Publikationen von Rasp und Bärnreuther, die sich speziell mit den Münchner NS-Planungen beschäftigt haben, eingehend geschildert worden15. In diesem Abschnitt soll es dagegen nur um den Ausschnitt aus dem Gesamtkonzept gehen, der das Thema der Untersuchung unmittelbar berührt: das wohnungspolitische Programm. Es sei kurz daran erinnert, daß Gauleiter Adolf Wagner bereits im Januar 1937 eine Denkschrift über „Die städtebauliche Entwicklung Münchens" vorgelegt hatte, die wichtige Elemente der Umgestaltungspläne benannte, aber auch die Wohnungsnot offen thematisierte. Dabei ging es Wagner insbesondere darum, die Expansion Münchens in die Umgebung, vor allem nach Westen, zu begründen. Er war ein Verfechter ausgedehnter Eingemeindungspläne und wollte mit einem großangelegten Wohntrabanten die Anbindung zwischen München und der einzuverleibenden Stadt Pasing herstellen, so daß die einzelnen Siedlungsmassen zu einer einzigen verschmelzen würden16. Die bei Wagner angelegte enge Verbindung der Wohnungsfrage (die, wie er mahnte, noch grundsätzlicher Lösung bedürfe) mit den Gestaltungsvorhaben für die repräsentativen Räume der Stadt blieb zumindest auf der Ebene der Absichtserklärungen erhalten. Auch der am 1. Mai 1938 veröffentlichte Neugestaltungsplan, in den Wagners Denkschrift eingeflossen war, ging von der Integration eines großen Wohnungsbauprogramms in die städtebaulichen Maßnahmen aus. Es sollte in vier Sektoren geteilt sein: -

Wenig später als die Sonderbaubehörde richtete die Stadt auch eine „Forschungsstätte für die Baugeschichte der Hauptstadt der Bewegung" ein, mit deren Hilfe es ermöglicht werden sollte,

13

14 15 16

den vorhandenen Akten- und Planbestand besser für die aktuellen Planungen zu aktivieren. Protokoll von Fiehlers persönlichem Referenten Umhau über Hitlers Besuch im Atelier des Stadtbaurats am 28.4.1938, ebenda, Bl. 131f. Kommentar zum Artikel „Der Plan für den Ausbau Münchens", VB vom 1.5.1938. Rasp, Stadt für tausend Jahre, und Bärnreuther, Revision der Moderne. Zur Denkschrift oben, S. 192; eine Abschrift befindet sich in: StadtAM, Hochbauamt 897/2, Bl. 52-75, bes. 62-67.

1.

Gesamtstadtplanung und Wohnungsbau

381

1. den Volkswohnungsbau als „Gemeindepflicht im Sinne der DGO"17 unter Zuhilfenahme von Reichsdarlehen mit 12000 Wohneinheiten bis 1945 -, 2. den Ersatzwohnungsbau, den vor allem die privaten Bauträger, unterstützt durch das Baulückenprogramm, mit mindestens 3 000 Wohnungen jährlich realisieren sollten, 3. den Bau von im ganzen 12 000 mittleren und größeren Wohnungen an städtebaulich wichtigen Punkten, vor allem den Ausfallstraßen (hier finden sich Wagners Gedanken von der Trabantensiedlung wieder), und 4. die Deckung des Wohnungsbedarfs für die zuziehende Belegschaft der Reichsbahn, für die Mitarbeiter der Partei und ihrer Gliederungen18. Für das städtische Wohnungsdezernat waren diese grundsätzlichen Festlegungen Anlaß, das sogenannte Wohnungssofortprogramm für die Jahre 1938 bis 1942, dessen Bauzeit also nur noch auf fünf statt ursprünglich acht Jahre kalkuliert wurde, aufzustellen. Dieses Programm wurde in der folgenden Zeit immer wieder in die Diskussion um den Ausbau Münchens eingespeist19. Harbers ging es dabei erstens darum, auch an der Reichsspitze das Bewußtsein dafür zu wecken, daß die Wohnungsbaumaßnahmen „unerläßliche Voraussetzungen" aller weiteren städtebaulichen Aufgaben seien und deswegen auch zeitliche Priorität vor diesen Aufgaben genießen müßten20. Zweitens hob er die Wichtigkeit des Wohnungsprogramms im Rahmen der Neugestaltungspläne so hervor, um die Ressourcen an Baumaterialien und Arbeitskräften zu sichern, deren Verknappung sich 1938 bereits deutlich bemerkbar machte. Und drittens wollte er eine Festlegung dahingehend erreichen, daß allen für die Umgestaltung notwendigen Abrißmaßnahmen eine rechtzeitige Bereitstellung von Ersatzwohnungsraum vorangehen -

-

-

würde21. An diesen drei Basisforderungen hielt Harbers mit der ihm eigenen Beharrlichkeit fest. Als Giesler gerade sein Amt angetreten hatte und erste Besprechungen zwischen dem Generalbaurat und der Stadt stattfanden, wurde ihm von Seiten des Wohnungsdezernates nicht nur umgehend das Wohnungssofortprogramm für 1938 bis 1942 unterbreitet, sondern auch die gleichzeitige Bitte, „damit einverstanden zu sein, daß die Lösung der Wohnungsfrage als erster und vordringlichster Abschnitt der Neugestaltung der Hauptstadt der Bewegung durchgeführt und bei der Aufteilung von Arbeitskräften und Material mit entsprechend berücksichtigt wird"22. Das konkrete Programm sah nach dem Entwurf des Wohnungsreferates inzwischen so aus:

Explizit war der Wohnungsbau in der DGO nicht erwähnt, Bezug genommen wurde hier offensichtlich auf § 2, der den Gemeinden grundsätzlich die Zuständigkeit für „alle öffentlichen Aufgaben" in ihrem Gebiet zuwies, sofern diese nicht ausdrücklich anderen Stellen übertragen waren. (Fiehler), Deutsche Gemeindeordnung, S. 19. Der Plan für den Ausbau Münchens, in: VB vom 1.5.1938. Zumindest ihren Äußerungen nach hatten auch führende Vertreter der Partei zu diesem Zeitpunkt die dringende Notwendigkeit eines intensiven Wohnungsbauprogrammes eingesehen. Neben Gauleiter Wagner klagte auch der Stellvertreter des Führers über „den bereits eingetretenen Wohnungsnotstand" in München. Harbers behauptete, daß diese Äußerung „die direkte für die des Veranlassung" Aufstellung Wohnungssofortprogrammes gewesen sei. Harbers an den Präsidenten des Landesarbeitsamtes Bayern, 17.8.1938, StadtAM, BRW 78/2, Bund 125, Akt „Am Harthof, I. Bauteil". Vgl. Fiehler (nach Vorlage des Dezernats 7/1) an Reichsminister Lammers, 11.10.1938, BArch, R 43/11, 1180, Bl. 2f. Auch diese beiden Gesichtspunkte im Schreiben an Lammers, ebenda. Dezernat 7, Niederschrift über das Wohnungs- und Siedlungswesen anläßlich der Besprechung

IV. Die Wohnungsfrage im

382

Krieg

Tab. 29: Das Münchner Wohnungssofortprogramm für die Jahre 1938-1942

Teilprogramme Volkswhgen. Ersatzwhgen. Stufe 1 Stufe 2

sonst.

Ausführung in den Jahren 1938

1939

1940

1941

1942

gesamt

3 000

3 000

3 000

2000

1000

12000

1000 500

4 000 1000

1000

5 000 3 000 2 000

4 000 3 000 3 000

4 000 2 000 2000

18 000 9 500 8 000

9 000

13 000

12 000

9 000

47 500

Whgs.bau -

4 500

gesamt

Quelle:

Die

Finanzierung des Wohnungsneubaues

in München mit öffentlichen Mitteln 1918-

1938, S. 13, StadtAM, WAR 1. Unter städtische

Verantwortung sollten dabei der Volkswohnungsbau also die Er-

richtung günstiger Kleinwohnungen mit Monatsmieten bis zu 40 RM und unter Zuhilfenahme der Reichsdarlehen und der Ersatzwohnungsbau in zwei Teilstufen fallen: die erste sollte den Bau von Mittelwohnungen mit durchschnittlichen Monatsmieten um 50 RM „in den großen rationell erschließbaren Baulücken am Rand der Stadt" umfassen, die zweite die Erstellung größerer Wohnungen vor allem an den Ausfallstraßen und sonstigen städtebaulich wichtigen Lagen23. Als ein solch neuralgischer Punkt galt die Forstenrieder Straße, die „unter bewußter städtebaulicher Ausgestaltung als repräsentative Eingangspforte nach München" fungieren sollte und für die vor allem das Ersatzwohnungsbauprogramm nach Stufe II ins Auge gefaßt wurde24. Der Anfang war hier mit der unter der Planung und Leitung von Franz Ruf, Sep Ruf und Hans Holzbauer entstandenen Oberland-Siedlung gemacht, deren 367 Eigenheime im Krieg noch durch eine Randbebauung entlang der Forstenrieder Straße ergänzt wurden25. Schließlich blieben im Wohnungssofortprogramm noch die „übrigen Umbaubeteiligten", die als Bauherren für 8 000 Wohnungen auftreten sollten, wobei „insbesondere die auf Veranlassung dieser Bauträger nach München ziehenden Familien" aufgenommen werden sollten. Gedacht war wohl vor allem an die Beschäftigten der Partei, von Rüstungsbe-

-

trieben und der Reichsbahn26. Konnte die Stadtverwaltung noch vermelden, daß das Wohnungskontingent des Anlaufjahres 1938 mit 4 500 Wohnungen sich trotz Schwierigkeiten „programmgemäß in Abwicklung" befände27, begannen schon vor Kriegsbeginn die Schwierigkeiten mit dem Westwallbau, der Arbeitskräfte und Baumaterialien regelrecht zu verschlingen schien. In der ersten Hälfte des Jahres 1939 wurden dennoch auf die Vorgabe von 9 000 Woh-

23 24 25

26 27

mit dem Generalbaurat der Hauptstadt der Bewegung am 25. Januar 1939, gez. Troll, StadtAM, Hochbauamt 897/5, Bl. 199-203, hier 200 (Hervorhebung im Original). Diese Gliederung des Wohnungssofortprogramms nach ebenda, Bl. 200-202. Ebenda, Bl. 201. Die Randbebauung sollte „mit den parallel und rechtwinklig zur Straße gestellten Wohnblöcken den Stadtzugang an der Olympiastraße monumental gestalten". Nerdinger (Hrsg.), Bauen im Nationalsozialismus, S. 281f. Vgl. auch den ausgefüllten „Siedlungspolitischen Fragebogen" zur Oberland-Siedlung, in: StadtAM, PR 83/6, 354. Niederschrift über das Wohnungs- und Siedlungswesen (wie Anm. 22), Bl. 200. Die Finanzierung des Wohnungsneubaues in München mit öffentlichen Mitteln 1918-1938 (Abschrift), S. 14, StadtAM, WAR 1.

1.

Gesamtstadtplanung und Wohnungsbau

383

Angriff genommen, von denen dann 2 740, die erst bis zum Kellergeschoß gediehen waren, nach Kriegsbeginn eingestellt werden mußten28. Seither entfernte sich die Durchführung des großen Wohnungsbauprogramms immer mehr von seinen ursprünglichen Zielen: Ein Gesamtergebnis von etwa 3 500 fertiggestellten Neubauwohnungen für die Zeit vom Kriegsausbruch am 1. September 1939 bis zum 31. Oktober 1940 mochte „in Anbetracht der Kriegsverhältnisse außerordentlich benungen hin 5 600 in

achtenswert" sein, hatte aber freilich mit den in Tabelle 29 skizzierten Planzahlen nicht mehr viel zu tun29. Dieser kurze Ausblick auf die Realisierung oder vielmehr Nichtrealisierung des Wohnungssofortprogramms führte weg aus dem Jahr 1938, in dem zunächst immer noch die Frage offen war, auf welcher institutionellen Basis die Neugestaltung Münchens in Angriff genommen werden sollte. Nachdem die Reichshauptstadt vorangeschritten war, schien für alle Beteiligten klar zu sein, daß auch in der „Hauptstadt der Bewegung" auf die Dauer nur eine mit höheren Kompetenzen ausgestattete Instanz alle Fäden der Stadtplanung bei sich vereinigen würde, während eine dezentrale Lösung mit einer Verteilung der Aufgaben etwa auf die Sonderbaubehörde und die Oberste Baubehörde im Innenministerium auszuscheiden schien. Nachdem Hitler über lange Zeit aber keinen Schritt zu einer solch monokratischen Lösung unternahm, tat sich für die politische Szene Münchens hier ein Vakuum auf, das gleichsam eine Sogwirkung ausübte und zu vielen Spekulationen Anlaß gab. Während nach Ansicht Adolf Wagners „außer der Stadt München selbst" alle übrigen Beteiligten Bedenken gegen die Erhebung Alkers zum Bauinspektor hegten, weil er „eine an die städtischen Interessen gebundene Persönlichkeit" sei, hatte der Gauleiter und Innenminister seine eigene überzeugende Variante bereits gefunden: „Der Führer überträgt die Befugnisse aus dem Städtebaugesetz für München mir, damit dem Bayer. Staatsministerium des Innern und der zu diesem gehörenden Obersten Baubehörde. Dadurch ist von vornherein eine rangmäßig allen örtlich Beteiligten übergeordnete, mit allen Befugnissen ausgestattete, Stelle betreut."30 Aus der Sicht Wagners dürfte sich diese Lösung noch deutlicher aufgedrängt haben, als die Stadt sich von ihrem Stadtbaurat trennen mußte. Der Anlaß war ähnlich wie beim Kulturamtsfall von eher untergeordneter Bedeutung, die Absicht genauso evident: Hier sollte ein Freiraum geschaffen werden, um eine gänzlich neue Lösung herbeizuführen, die dann zwar noch einmal ein halbes Jahr auf sich warten ließ, aber vermutlich nur, weil die Personalfrage Hitler Schwierigkeiten bereitete. Alker mußte in der Folge einer Veröffentlichung im „Völkischen Beobachter", die wesentlich auf einem Interview mit ihm beruhte, seinen Posten am 27. Juni 1938 verlassen. Einen angeblich „groben Vertrauensbruch" hatte er begangen, weil er sich zu eindeutig zum Problem der U-Bahn-Querung der Isar geäußert hatte, die der „Führer" selbst sich zur Entscheidung vorbehalten hatte31. Daß es Hitler mehr um den Zugriff auf die Stadtpla28

Fiehler (nach Vorlage des Dezernats 7/1) an Lammers, 10.1.1940, BArch, R 43/11,1172, Bl. 4446.

29

30

31

Die Stadtverwaltung der Hauptstadt der Bewegung im Kriegsjahr 1940, in: Wirtschafts- und Verwaltungsblatt der Hauptstadt der Bewegung 15 (Dez. 1940/Jan. 1941), S. 49-62, hier 53. Der Bayerische Staatsminister des Innern an Staatssekretär Kleinmann im Reichsverkehrsmini-

sterium, 23.5.1938, BArch, R 43/11, 1180, Bl. 54-58, hier 55f.

Vgl. StadtAM, Personalakt Hermann Alker 10998, bes. Auszug aus der nichtöffentlichen Ratsherrensitzung vom 28.6.1938 mit dem Vortrag Fiehlers (Bl. 169).

384

IV. Die Wohnungsfrage im

Krieg

nung als um den Fehler Alkers ging, wird deutlich aus einer Besprechung mit Fiehler im August f 938, bei der er hervorhob, daß der entlassene Stadtbaurat nicht in seiner wirt-

schaftlichen Existenz gefährdet werden solle und weiter als Architekt für die Stadt arbeiten dürfe. Gleichzeitig stellte Hitler schon klar, daß er die Stadtplanung künftig stärker aus dem Kompetenzenbereich der Stadtverwaltung herauszulösen gedachte. „Der neue Mann wird nicht zum Stadtbaurat ernannt werden, jedoch soll die Hauptstadt der Bewegung den nötigen Apparat zur Verfügung stellen und auch die Bezahlung des Mannes übernehmen."32 Obwohl Hitler in dieser Besprechung auch äußerte, daß der Titel Generalbauinspektor Albert Speer vorbehalten bleibe, liefen seine weiteren Sondierungen letztlich doch auf das Berliner Modell hinaus. Die von Adolf Wagner gehegten Wünsche zu einer Konzentration beim Innenministerium fanden keine Berücksichtigung, und auch die Stadt mußte sich damit zufriedengeben, daß ihr Stadtbaurat künftig hinter einer mächtigeren Instanz zurückstehen sollte33. Karl Meitinger übte als Nachfolger Alkers das Amt über längere Zeit vertretungsweise aus und wurde erst im Frühjahr 1940 rückwirkend zum 1. November 1939 zum Stadtbaurat ernannt34. Die Berufung verzögerte sich so lange, weil der Generalbaurat in seinem ersten Amtsjahr Gelegenheit haben wollte, sich ein Bild von Meitinger zu machen. Von seinem Plazet hingen jetzt auch alle weiteren Entscheidungen über die Stadtplanung in der „Hauptstadt der Bewegung" ab.

Generalbaurat und Ersatzwohnungsbau

Ernennung des Architekten Hermann Giesler35 im Dezember 1938 machte einem lange schwebenden Zustand ein Ende. In einem Erlaß über die „Neugestaltung der Hauptstadt der Bewegung" vom 21. Dezember 1938 stattete Hitler den neuen Generalbaurat mit umfassenden Kompetenzen aus, die bis in den Wortlaut hinein analog zu Speers Handlungsvollmachten in Berlin lauteten. Bei beiden war die unmittelbare und damit auch einzig übergeordnete Instanz der Reichskanzler selbst, beide sollten einen Gesamtbauplan aufstellen und konnten sich darüber hinaus beliebig Einflußzonen im Stadtbild definieren, in denen jede Maßnahme ihrer Zustimmung bedurfte. Sowohl dem Generalbauinspektor als auch dem Generalbaurat hatten die Reichs-, Landes- und städDie

Vormerkung Umhaus über den „Besuch des Herrn Oberbürgermeisters beim Führer am 4. August 1938", StadtAM, Hochbauamt 897/5, Bl. 66f. Demnach standen zu diesem Zeitpunkt für den neuen Posten noch Hermann Giesler und Waldemar Brinkmann zur Wahl. Das bedeutete letztlich allerdings auch, daß die neue „führerunmittelbare" Instanz und der dazugehörige Apparat nicht zu Lasten des städtischen, sondern des Reichshaushalts gingen, vgl. R 43/11, 1020a. BArch, StadtAM, Personalakt Karl Meitinger

12004.

Giesler war zuvor schon mit den Entwürfen für einige NS-Prestigeobjekte beauftragt worden z.B. die Errichtung der Ordensburg Sonthofen. Seine Ernennung wurde offenbar von einigen Münchner Stadtpolitikern als durchaus positives Gegengewicht zum Berliner Einfluß gesehen. Sogar Gauleiter Wagner war schon im Frühsommer 1938 an den Architekten herangetreten, was nicht mit seinen gleichzeitigen Ambitionen für die Aufwertung des Innenministeriums zusammenzupassen scheint. Eventuell stellte sich der Innenminister aber vor, Giesler, der ja Architekt und nicht Politiker war, in seine Behörde einbinden zu können. Vgl. Rasp, Stadt für tausend Jahre, S. 109, und Giesler, Ein anderer Hitler, S. 109-115.

-

1.

Gesamtstadtplanung und Wohnungsbau

385

tischen Behörden Verwaltungshilfe zu leisten und mußten sich im Falle von Meinungsverschiedenheiten bei Bauvorhaben seiner Anordnung unterstellen36. Als Giesler bestallt war, gewann die Frage an Aktualität, ob endlich die lang erwartete Ausführungsverordnung zum Neugestaltungsgesetz für München ergehen würde, so daß dieses Instrument auch hier einsetzbar wäre. Hitler zögerte die Angelegenheit jetzt nicht mehr lange hinaus; am 15. März 1939 wurde die „Verordnung über die Neugestaltung der Hauptstadt der Bewegung" erlassen37. Damit war das Gesetz vom Oktober 1937, das den vom „Führer" angeordneten städtebaulichen Maßnahmen absoluten Vorrang einräumte und dafür explizit Enteignungen für rechtens erklärte, von einem abstrakten Rechtsinstitut in den Rang einer konkreten Handlungsvollmacht in München und zwar für den Generalbaurat gerückt38. Er als „beauftragte Stelle" konnte „Bereiche" definieren, wo das Neugestaltungsgesetz zur Anwendung kommen sollte, und die Bestimmung eines solchen Bereichs galt zugleich als „Feststellung der Zulässigkeit der Enteignung". Für die Durchführung des entsprechenden Verfahrens war dann allerdings die Gemeinde zuständig39. Bereichserklärungen wurden in zügiger Folge im Frühjahr und Sommer 1939 ausgesprochen40. Weitere folgten nach, so daß es bis 1942 über 50 wurden, die nicht nur Freiraum für die neue Prachtstraße und die geplanten Repräsentationsbauten schaffen sollten, sondern auch für Siedlungs-, Industrie- und Bahnanlagen. Die Bereichserklärungen setzten die umfassenden Kompetenzen des Generalbaurats in quasi greifbare Einflußzonen um, die als schwarze Flecken auf dem Stadtplan der kommunalen Verwaltung deutlich vor Augen führten, wo überall sie bereits ihre Bau- und Planungshoheit eingebüßt hatte. Für das Wohnungsreferat stand allerdings weniger die Problematik der Kompetenzen im Vordergrund als vielmehr die Frage, wie der Wohnraum, der in den „Bereichen" geopfert werden sollte, adäquat und wichtiger noch rechtzeitig ersetzt werden könne. -

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Der Erlaß über den Generalbaurat vom 21.12.1938 ist z.B. abgedruckt in: ZWB 36 (1938), S. 366; der Erlaß über den Generalbauinspektor vom 30.1.1937, der als Vorbild diente, etwa bei Schäche, Architektur und Städtebau in Berlin, S. 575. Wenn man den Wortlaut beider Erlasse vergleicht, kann der Bemerkung von Dülffer, Thies und Henke, es sei „unrichtig, daß er [Giesler, U.H.] Speers Rang erhalten hat", nicht gefolgt werden; für München bekleidete Giesler zweifellos eine Stellung analog zu der Speers in Berlin. Vgl. Dülffer/Thies/Henke, Hitlers Städte, S. 22, Anm. 60. RGB1.1939/1, S. 492-495. Gesetz über die Neugestaltung deutscher Städte vom 4.10.1937, RGB1. 1937/1, S. 1054f., bes. §2, Abs. 1: „Soweit es zur Durchführung der städtebaulichen Maßnahmen erforderlich ist, kann das Grundeigentum nach Maßgabe der nachstehenden Vorschriften entzogen oder beschränkt werden." Vgl. §§ 1 und 2 der VO vom 15.3.1939, RGB1. 1939/1, S. 492f., und § 9 des Gesetzes vom 4.10.1937, RGB1. 1937/1, S. 1055. Die erste Bereichserklärung, die den Bau der Neuen Oper ermöglichen sollte (zwischen Mars-, Hopfen-, Arnulf- und Spatenstraße), erging schon am 7.3.1939, also bevor Giesler durch die VO vom 15.3.1939 offiziell zur „beauftragten Stelle" im Sinne des Neugestaltungsgesetzes gemacht wurde. Seit seiner Ernennung im Dezember 1938 konnte aber wohl kein Zweifel mehr bestehen, daß ihm diese Befugnisse zustanden. Für die Bereichserklärungen vgl. StadtAM, Hochbauamt 897/7, Bl. 34-39, und BayHStA, OBB 12719; vgl. auch Rasp, Stadt für tausend

Jahre, S.

113.

IV. Die Wohnungsfrage im Krieg

386

Schon seit Hitler am 30. Januar 1937 vor dem Reichstag den planmäßigen Ausbau der Städte Berlin, München, Nürnberg und Hamburg verkündet hatte41 und im Herbst des gleichen Jahres mit dem Neugestaltungsgesetz die gesetzestechnische Grundlage dafür geschaffen hatte, mußte der Wohnungsreferent mit erheblichen Konsequenzen für den Wohnsektor rechnen. Unabhängig davon, ob die Zahl von ca. 17 000 Wohnungen, die der Umgestaltung Münchens zum Opfer fallen sollten, realistisch war oder nicht, fest stand für Harbers, daß die ohnehin schon beängstigende Wohnungsnot sich noch einmal erheblich verschärfen würde42. Andererseits witterte er in dem besonderen Status, den die „Führerstädte" genossen, auch besondere Durchsetzungschancen für außerordentliche Baumaßnahmen. Wenn es gelang, den Ersatzwohnungsbau zu einer Teilfunktion der vom „Führer" gewünschten Umgestaltung werden zu lassen, dann mußte es auch gelingen, die notwendigen Hilfen, Genehmigungen und Ressourcen zu seiner Durchführung zu erlangen. In diesem Sinne betonte Harbers immer wieder bei den beteiligten Reichsstellen, daß alle „Führerwünsche" für den Ausbau der „Hauptstadt der Bewegung" nur termingerecht erfüllt werden könnten, wenn das begleitende Wohnungsbauprogramm zunächst Priorität genösse und alle überhaupt mögliche Unterstützung erhielte43. Interessant ist, daß die Absichten des Wohnungsreferates beim neu ernannten Generalbaurat zunächst sehr ernst genommen und diese Anliegen an der Reichsspitze unterstützt wurden. Das war keineswegs selbstverständlich, denn auf anderen Gebieten gestaltete sich die Zusammenarbeit mit der Dienststelle des Generalbaurats, die ja ohne Zutun der Stadt eingerichtet worden war und einen deutlich höheren Rang in der Hierarchie der Verantwortlichen für das Bauwesen genoß als sie, von Anfang an konfliktträchtig. So fühlten sich die Stadtverantwortlichen zu Recht bei allen die Repräsentationsbauten und die Planungen für die „Große Achse" betreffenden Entscheidungsfragen völlig ausgeschaltet. Wenn dann der Form halber oder weil eine Finanzierungsbeteiligung gewünscht wurde, der Generalbaurat sich doch einmal an die Stadt wandte, reagierten die Ratsherren verärgert und verweigerten die bedingungslose Kooperation. „Wir werden ja doch nicht gefragt", äußerte beispielsweise Ratsherr Fritz Beck in der Sitzung vom 8. August 1939, und andere verlangten, daß der Generalbaurat sich erst einmal persönlich bei der Stadt einführen möge, bevor er Forderungen stelle: „Wir haben ihn überhaupt noch nicht gesehen. Wir kennen ihn noch gar nicht."44 Der Generalbaurat seinerseits betrachtete die Stadtverwaltung offensichtlich nicht als gleichberechtigten Ansprechpartner. Die Auffassungen, die von städtischen Dienststellen und Gremien an ihn herangetragen wurden, wollte er bei seiner Beurteilung einer Angelegenheit allenfalls „berücksichtigen". Daß er sich selbst allein entscheidungsbefugt sah bei al-

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Der Kernsatz des hier nur knapp angesprochenen Vorhabens lautete:

„Als äußeres Zeugnis für diese große Epoche der Wiederauferstehung unseres Volkes aber soll nunmehr der planmäßige Ausbau einiger großer Städte des Reiches treten." Domains, Hitler. Reden und Proklamationen, Bd. 1, S. 674. Vgl. Niederschrift über das Wohnungs- und Siedlungswesen (wie Anm. 22), BI. 199. Vgl. das auf einer Vorlage Harbers' beruhende Schreiben Fiehlers an Lammers, 11.10.1938, BArch, R 43/11,1180, Bl. 2f. Sitzung der Ratsherren vom 8.8.1939, StadtAM, RP 712/1. Vgl. auch Rasp, Stadt für tausend

Jahre, S.

113.

1.

Gesamtstadtplanung und Wohnungsbau

387

len Neugestaltungsfragen ohnehin, aber auch was das Stadtbild generell betraf -, daran ließ er keinen Zweifel und machte es durch seinen anmaßenden Ton den Stadtvertretern zudem nicht leicht, diese Vorrangstellung zu akzeptieren45. Sie mußten sich trotzdem fügen, denn der Generalbaurat hatte die Weihe des speziellen Führerauftrags und das Vertrauen Hitlers, mit dem er in einem kontinuierlichen Dialog über die Neugestaltung Münchens stand. Die „Führerunmittelbarkeit", die Gieslers Auftrag und seine Tätigkeit prägte, hatte überragendes Gewicht. Die Stadt hätte beispielweise, obwohl ihr die Verfügungsgewalt über den Sonderhaushalt zustand, in den die Mittel für den Ausbau eingestellt wurden, de facto dem Generalbaurat die Gelder für eine von ihm beabsichtigte Maßnahme nicht verweigern können46. Da von den wirklich entscheidenden Planungen in der Dienststelle des Generalbaurats aber praktisch nichts realisiert wurde, kam es auch nicht zu einem offenen Ausbruch des schwelenden Konflikts mit der Stadt, der gleichsam im Status „leicht entflammbar" blieb. Nach den vorliegenden Quellen scheint es, als sei das Verhältnis zwischen Wohnungsdezernat und Generalbaurat von derlei Spannungen relativ unberührt geblieben. Beide Seiten fanden im Jahr 1939 zu einem recht einvernehmlichen modus vivendi. Von seiten des Wohnungsdezernats wurde dem Generalbaurat offensichtlich hoch angerechnet, daß er sich „sofort nach Amtsantritt auf das intensivste persönlich und über seine Mitarbeiter mit dem Wohnungsproblem nach jeder Richtung befaßt" hat47. Er sagte der Stadt seine Unterstützung für die Durchführung des Wohnungssofortprogramms und insbesondere des Ersatzwohnungsbaues zu, und es sollte sich in der Folgezeit zeigen, daß man diese Unterstützung bitter nötig hatte. Auf der anderen Seite machte der sonst so ambitionierte Harbers keinen Versuch, seine Wohnungsprojekte dem neuen Amtsinhaber vorzuenthalten und sie an ihm vorbeizusteuern. Die Erfahrungen, die man seit 1938 mit der Zuteilung von Arbeitskräften und Baustoffen gemacht hatte, genügten ihm offenbar, um die eigene Schwäche beim Kampf um die von der Rüstungswirtschaft beanspruchten Ressourcen zu erkennen. Der Generalbaurat galt bei seinem Amtsantritt dem Wohnungsdezernenten daher zunächst als Verbündeter und nicht als Gegner. Zwar klagte auch Harbers in der Folgezeit bisweilen darüber, daß angesichts der ausgreifenden städtebaulichen Planungen Gieslers die Stadt und ihre Aufgaben im Wohnungsbau allzusehr an den Rand gedrängt würden48. Insgesamt arrangierte er sich aber mit der Dienststelle des Generalbaurats49, die für sich die großangelegten Planungen zur Schaf -

45

Giesler an Fiehler, 11.2.1941, StadtAM, Hochbauamt 897/4, Bl. 88f. Es ging hier um einen bereits länger andauernden Streit um die künstlerische Beurteilung von Bauten und Plastiken für München, die die Stadt für ihre ja teilweise auch auf expliziten Wunsch Hitlers nach der Kulturamtsaffäre berufenen Kunstbeiräte beanspruchte, während der Generalbaurat diesen Aspekt als Teil seiner umfassenden Gestaltungskompetenz für München betrachtete. Vgl. Vormerkung des Stadtkämmerers vom 13.3.1939 (Abschrift), StadtAM, Hochbauamt -

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46

897/5, Bl. 220-222.

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Vormerkung des Dezernats 7, Troll, betr. „Amtsverkehr der Dezernate mit dem Generalbaurat", 13.3.1939, StadtAM, Hochbauamt 897/4, Bl. 146f., auch für das Folgende. Dazu Bärnreuther, Revision der Moderne, S. 136f., die insgesamt sehr viel stärker die konfliktuelle Seite im Verhältnis Generalbaurat Wohnungsdezernat betont. Zeichen dieses Arrangements war auch die Schaffung einer Zentralstelle zur Koordination der —

Wohnungsbaumaßnahmen, die zwischen Stadt und Generalbaurat vereinbart wurde. Als Leiter

der Stelle wurde der städtische Oberinspektor Baumgartner eingesetzt, der aber unter der Führung des Generalbaurats agieren sollte, dessen Vollmachten auch Harbers für unentbehrlich

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IV. Die Wohnungsfrage im

Krieg

fung neuer Trabantensiedlungen wie der „Südstadt" beanspruchte, während die aktuellen Maßnahmen zur Wohnraumbeschaffung im Aufgabenbereich der Stadt belassen wurden50. An der Schnittstelle zwischen den Konzepten für die Wohnstädte der Zukunft und der von den Tagesbedürfnissen geleiteten Wohnungspolitik lag der Ersatzwohnungsbau, in dem daher die Kooperation zwischen Generalbaurat und Wohnungsreferat besonders gefordert war. Unter Ersatzwohnungsbau verstand das Reichsarbeitsministerium ausschließlich den „Ersatz für solche Wohnhausbauten [...], die infolge von städtebaulichen Maßnahmen im Sinne des Gesetzes über die Neugestaltung deutscher Städte [...] beseitigt werden"51. Für solche Vorhaben gewährte der Reichsarbeitsminister Reichsbürgschaften zur Sicherung von Darlehen analog zum Verfahren im Kleinwohnungsbau -, um die Erstellung der Wohnungen zu beschleunigen und zu erleichtern52. Den Münchnern war das allerdings nicht genug, sie wollten gern weitere Vergünstigungen etwa in Form der Grundsteuerbefreiung erlangen, die wie im Arbeiterwohnstättenbau nicht zu Lasten der Stadt gehen, sondern durch eine Reichsbeihilfe gedeckt werden sollte. Es war der Generalbaurat, der in diesem Sinn beim Reichsarbeitsminister vorstellig wurde: Er verwies auf die nach wie vor hohen Neubaukosten in München, die auch den Ersatzwohnungsbau teurer machten, als es sich die „Abrißmieter", die normalerweise in einer günstigen Altwohnung gelebt hatten, leisten konnten. Giesler forderte daher Grundsteuerbefreiungen wie generell ein weitgehendes Entgegenkommen des Reichs in der Frage des Ersatzwohnungsbaus, in dessen Definition er auch den „Mehrbedarf von Wohnungen durch Zuzug von Arbeitskräften und Beamten der Bauleitungen u.a." einschloß. Seine Begründung dieser Forderung war ebenso einfach wie nachdrücklich: Es sei „von ausschlaggebender Bedeutung [...], den Ersatzwohnungsbau, soweit wie nur irgend möglich, zu fördern und zu verbilligen, um jede Mißstimmung gegen die gewaltigen Vorhaben anlässlich der Neugestaltung deutscher Städte zu verhindern und dem Willen des Führers zu entsprechen, daß die Neugestaltung unter möglichster Vermeidung von Härten vor sich gehen soll"53. In der Frage der Finanzierung des Ersatzwohnungsbaus bildeten Stadt und Generalbaurat somit eine Interessengemeinschaft, die allerdings nur teilweise erfolgreich war. Zu einer Grundsteuerbefreiung für diese Baukategorie kam es nicht. Dagegen durfte die Stadt einen Anteil von 50 Millionen RM aus einem Gesamtdarlehen von 250 Millionen RM, das der Reichsfinanzminister zur Finanzierung des Ausbaus der „Hauptstadt der Bewegung" zur Verfügung gestellt hatte, für die Erstellung von Ersatzwohnungs-

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hielt, vgl. Niederschrift über die Besprechung am 4.7.1939, S. 7f., StadtAM, Nachlaß Hanffstengel, Ordner 1. Vgl. Bärnreuther, Revision der Moderne, S. 137, und die Jahresberichte Hans von Hanffstengels, der beim Generalbaurat mit der Verkehrs- und Siedlungsplanung beauftragt war, abgedruckt bei: Rasp, Stadt für tausend Jahre, Anhang, hier bes. S. 209-216. Der Reichsarbeitsminister, gez. Schmidt, in einem Runderlaß vom 4.8.1938 zu den Reichsbürgschaftsbestimmungen für die Neugestaltung deutscher Städte, BArch, R 41, 917, Bl. 37. Vgl. Reichsbürgschaftsbestimmungen für die Neugestaltung deutscher Städte, 4.8.1938, eben-

da, Bl. 38. Generalbaurat Giesler an den Reichsarbeitsminister, 10.8.1939, BArch, R43/II, 1180, Bl. 17-25, bes. 25.

1.

389

Gesamtstadtplanung und Wohnungsbau

verwenden54; dabei blieb sie selbst jedoch Schuldnerin gegenüber dem Reich und reichte die Darlehen nur zu den gleichen Bedingungen weiter55. Die Stadt konnte immerhin erreichen, daß die Einschaltung von gemeinnützigen Wohnungsunternehmen in den Ersatzwohnungsbau auch dort zugelassen wurde, wo es sich nicht um die Errichtung von Kleinwohnungen bis 75 qm handelte. Die Gemeinnützigkeitsverordnung von 1930 schrieb diese Größenbeschränkung an sich bindend vor; sie konnte aber „unter Würdigung der hier vorliegenden besonderen Verhältnisse" in der „Hauptstadt der Bewegung" bis zu einer Grenze von 150 qm überschritten werden allerdings nur, wenn es sich um Maßnahmen handelte, die aus Anlaß der Neugestaltung notwendig wurden56. Kein Erfolg war dagegen den Bemühungen beschieden, eine grundsätzliche Bindung der durch Grundstücksverkäufe oder Enteignungsentschädigungen freiwerdenden Kapitalien für den Ersatzwohnungsbau zu erlangen. Fiehler und Harbers wiesen zwar schon seit der Verkündung der Neugestaltungsabsichten für die „Führerstädte" Anfang 1937 auf diese ihrer Meinung nach unabdingbare Forderung hin, und es mag unter anderem ihren Vorlagen zu verdanken gewesen sein, daß im Neugestaltungsgesetz vom Oktober des Jahres zunächst eine solche Option integriert wurde57: Nach § 7 des Gesetzes konnten die zuständigen Reichsminister bestimmen, daß die genannten Gelder für den Ersatzwohnungsbau zu verwenden waren58. Statt einer klaren Entscheidung stand hier also der Verweis auf eine entsprechende Durchführungsverordnung, an der, wie sich bald zeigte, die Reichsressorts kein Interesse hatten. Als Fiehler für die „Hauptstadt der Bewegung" 1939 drängte, ihm dieses gesetzliche Instrument im Hinblick auf die bevorstehenden Abbruche an der Prinzregentenstraße zur Verfügung zu

räum

-

54

Vgl. Ratsherrensitzung vom 20.12.1938. Die Besprechungen mit den Reichsstellen und dem Bayer. Innenministerium über die Verwendung des Reichsdarlehens von 250 Millionen RM hatten ergeben, daß 50 Millionen RM für den Ersatzwohnungsbau eingesetzt werden konnten. Protokollauszug in: StadtAM, Hochbauamt 897/4, Bl. 1-18, bes. 7. Abdruck der Darlehenszu-

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Vgl. die „Übersicht über die Einnahme- und Ausgabemittel des Sonderhaushaltsplans 1940 und ihre Inanspruchnahme für die einzelnen Neugestaltungszwecke nach dem Stand 31. März 1942"

sage des Reichsfinanzministers vom 15.11.1938 in:

ebenda, 897/5, Bl. 154f.

des Stadtkämmerers Pfeiffer, StadtAM, Hochbauamt 897/5, Bl. 346. Demnach waren von den 50 Millionen RM für den Ersatzwohnungsbau bereits 24 Millionen für bestimmte Projekte bewilligt und somit zweckgebunden vor allem für die Errichtung von Barackenlagern zur Unterbringung von Arbeitskräften, für einzelne Wohnungsbaudarlehen, für Grunderwerbungen und Vermessungsarbeiten sowie für die Errichtung von Musterhäusern an der Äußeren Prinzregentenstraße im Vorgriff auf die vom Generalbaurat geplante „Südstadt". Die Bewilligung bedeutete allerdings im Einzelfall nicht, daß das Geld auch schon tatsächlich ausgegeben wurde, kriegsbedingt kamen viele Vorhaben nicht zustande. RAM, gez. Ebel, an das Bayer. Wirtschaftsministerium, Abt. für Arbeit und Fürsorge, 21.4.1939 (Abschrift), BArch, NS 25, 140, BL 83. Durch das neue Wohngemeinnützigkeitsgesetz vom 29.2.1940 änderten sich die Größenbindungen ohnehin auf 100 qm im Geschoßbau bis zu erlaubten 150 qm für Einfamilienhäuser mit Einliegerwohnungen. Enskat, Gemeinnützige Wohnungsunternehmen, in: WWS, Bd. 1, S. 513-526b, hier 526a. Vgl. Protokoll der Referentenbesprechung vom 1.3.1937, bei der Fiehler bekanntgab, daß ein Entwurf an Speer gehen solle mit dem Zweck, „die Leute, denen Wohnhäuser abgekauft werden, unter Druck, vielleicht sogar unter Zwang zu veranlassen, das Geld, das sie bar bezahlt be-

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kommen, wieder in Wohnungsbauten anzulegen". Harbers bemerkte hierzu, daß der Entwurf schon vorbereitet sei. StadtAM, Hochbauamt 897/3, Bl. 1-24, hier 17. RGB1. 1937/1, S. 1054.

390

IV. Die Wohnungsfrage im Krieg

stellen, konnte er lediglich eine Wiederaufnahme der Frage erreichen59. Ein halbes Jahr später lautete der endgültige Bescheid, daß eine solche Bindung „nicht für nötig, ja so-

gar für unzweckmäßig" angesehen würde. Wieder stand die Sorge im Vordergrund, sich den Hausbesitz gewogen zu halten, auf dessen Investitionsfreudigkeit man rechnete und der durch solche Festlegungen nicht schon in den Verkaufsverhandlungen abge-

schreckt werden sollte60. Anders als von Seiten des Reichsarbeitsministeriums ging man in der „Hauptstadt der Bewegung" nicht so behutsam mit der privaten Bauwirtschaft um. Nachdem der Ersatzwohnungsbau ja durch die Hypothekendarlehen aus dem 50-Millionen-Kontingent und außerdem mit Hilfe von Baulückenvergünstigungen gefördert wurde, beschlossen Stadt und Generalbaurat gemeinsame „Richtlinien", die den Bauherrn bei der Wohnungsvergebung daran erinnern sollten, daß er mit Inanspruchnahme der Förderung auch gewisse Bindungen eingegangen war. Seine Bewerber sollte er grundsätzlich nur aus den von der Stadt als förderungswürdig bezeichneten Wohnungssuchenden auswählen, wobei für ihn als Träger eines Ersatzwohnungsbauvorhabens vor allem die Abrißmieter Priorität genießen mußten61. De facto ließ sich aber eine Kongruenz zwischen Abbruchmaßnahmen und Neubautätigkeit kaum herstellen. Erhebungen des Wohnungsreferates nach einem Jahr Kriegswohnungsbau zeigten zwar, daß auf die 1 029 Mieter, die im Zuge der Umgestaltung bereits ihre Wohnung hatten opfern müssen, 1 591 Ersatzwohnungen kamen, die seit dem 1. Januar 1939 bezugsfertig geworden waren. Trotzdem hatten die Abrißmieter, soweit sie nicht von der Reichsbahn als Trägerin der Umbaumaßnahmen in neue Wohnungen vermittelt worden waren, zu großen Teilen auf dem freien und Volkswohnungs-Markt Unterschlupf gefunden. 234 von ihnen gelangten im Zuge der sich seit 1939 durchsetzenden rücksichtlosen „Entmietung" jüdischer Bewohner zu einer Wohnung; über diese zynische Strategie zum Ausgleich fehlender Bauleistungen wird im nächsten Kapitel Eingehenderes zu berichten sein. Nur 68 aber wurden tatsächlich in neuerstellten Ersatzwohnungen untergebracht, was manchmal an zu hohen Mietpreisen und häufig am NichtZusammentreffen von Kündigungsterminen der alten und Fertigstellungsterminen der neuen Wohnungen lag62. Die 50 Millionen RM für den Ersatzwohnungsbau, aus denen auch alle Nebenleistungen, wie Grundstückserschließungen, Straßenherstellung, Lagererrichtung für die Bauarbeiter, Aufbereitung von Grünflächen, sogar notwendiger Schulhausbau, bestritten werden sollten, hätten unter ,normalen' Bedingungen wohl keineswegs ausgereicht. Schon im Dezember 1938 hatte Harbers den Bedarf an öffentlichen Mitteln für die Wohnungen seines Sofortprogrammes auf 136 Millionen RM geschätzt, davon 97 Millionen für den Ersatzwohnungsbau63. Unter den seit 1939 herrschenden Bedingungen 59

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Vgl.

Fiehler an Lammers, 27.3.1939, BArch, R43/II, 1176a, Bl. 129, und Fiehler an RAM, 22.4.1939, StadtAM, Hochbauamt 897/5, Bl. 234-237. RAM Seldte an den Chef der Reichskanzlei Lammers, 30.9.1939, BArch, R 43/11, 1176a,

Bl. 141. Richtlinien vom 24.3.1939, StadtAM, Wohnungsamt 76. In den weiteren Vergebungskriterien orientierten sich diese Richtlinien an denen für die Vergebung von freien Kleinwohnungen, die die Stadt bereits 1936 mit den Hausbesitzern ausgehandelt hatte, vgl. oben, S. 347f. Statistik des Stadt. Wohnungsnachweises vom 17.9.1940 und Beratungssache für die VFBBeiräte vom 26.9.1940, StadtAM, Wohnungsamt 77. Harbers an Tempel betr. „Ausbau der Hauptstadt der Bewegung", 3.12.1938, StadtAM, Hochbauamt 898, Bl. 79-82.

1.

Gesamtstadtplanung und Wohnungsbau

391

aber nicht mehr fehlendes Kapital der eigentliche Begrenzungsfaktor für Bauvorhaben. Deren Durchführungschancen bemaßen sich jetzt vor allem nach dem Kriterium „Kriegswichtigkeit"64. Vor diesem Hintergrund war der Generalbaurat nicht nur die übergeordnete Planungsinstanz, sondern die Genehmigungsbehörde, die über Wohl und Wehe aller Wohnungsbaumaßnahmen entschied. Der Generalbaurat erhielt den Rang eines „Gebietsbeauftragten" des Generalbevollmächtigten für die Regelung der Bauwirtschaft (GB Bau), Fritz Todt, und war damit auch befugt, Ausnahmebewilligungen vom grundsätzlich geltenden Neubauverbot für alle nicht kriegswichtigen Bauvorhaben zu erteilen65. Giesler entschied außerdem, ob eine Baumaßnahme als „Ersatzwohnungsbau" anzuerkennen war und damit entsprechend beliehen werden konnte. Um das Zusammenspiel zwischen Wohnungsdezernat und Generalbaurat in praxi zu zeigen, soll im folgenden der Bau einer größeren Anlage herausgegriffen werden. Sie wurde ausgewählt, weil es seit 1940 nur noch wenige Wohnungsbauvorhaben von vergleichbarer Größe gab und noch weniger, die sich greifbar in den städtischen Akten niedergeschlagen haben. Wenn dabei von einem „Zusammenspiel" die Rede ist, so soll natürlich nicht geleugnet werden, daß diese Kooperation für das Wohnungsdezernat durch die oben erwähnten Anordnungen eine erzwungene war. Trotzdem scheint es immer wieder so, als habe Harbers in Giesler doch einen Verbündeten gesehen, der seine Position gegenüber den Reichsstellen, aber auch den umgebenden Bürokratien, mit denen man es alltäglich in der Kriegswirtschaft zu tun hatte, stärkte. In der Anlage „Am Harthof" sollte die GWG ihr erstmals in Berg am Laim erprobtes und an der Milbertshofener Straße fortgesetztes Volkswohnungskonzept erneut umsetzen. Wieder zeigte sich, daß die nördlichen Stadtteile Münchens prädestiniert waren, um solche Wohnsiedlungen für Arbeiter und Niedriglohnempfänger zu integrieren. Das lag nicht nur am hier günstigeren und weniger attraktiven Grund und an den Verbilligungen, die sich bei einer Zusammenlegung der Kleinsiedlungen und Volkswohnungsanlagen für die Straßenherstellung, Omnibusanbindung und den Schulhausbau ergaben. Überdies hatten die militärischen und SS-Stützpunkte in diesem Raum, vor allem aber die Rüstungsgroßbetriebe mittlerweile einen solchen Unterbringungsbedarf entwickelt, daß neue Anlagen dringend gebraucht wurden, um den Arbeitern dieser Werke Wohnraum zu verschaffen66. In der „Siedlungsstadt im Norden", wie das Projekt am Harthof auch genannt wurde, sollte vergleichbar der Anlage in Berg am Laim wieder ein Mischkonzept von Geschoßwohnungs- und Flachbau zum Tragen kommen. war

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Nach

Anordnung Todts vom

15.11.1939 durften

nur

noch als

„kriegswichtig"

erklärte Bau-

vorhaben, „die seitens der vom Herrn Ministerpräsidenten Generalfeldmarschall Göring hierzu

65

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ausdrücklich ermächtigten Dienststellen der Wehrmacht oder durch den Generalbevollmächtigten für die Regelung der Bauwirtschaft als solche anerkannt worden sind", begonnen werden. So die Erläuterungen des RAM, in: ZWB 38 (1940), S. 64. Zu den Bausperren und Neubauverboten vgl. auch Recker, Staatliche Wohnungsbaupolitik, S. 120. Diese Ausnahmebewilligungen waren seit der 9. Anordnung des GB Bau vom 16.2.1940 möglich und konnten durch seine Gebietsbeauftragten erteilt werden. Abdruck der Anordnung und der Benennung Gieslers als Gebietsbeauftragten für den Wehrkreis VII in: ZWB 38 (1940),

S. 64f. Die Sogkraft der Rüstungsindustrie entfaltete sich dabei schon lange vor Kriegsbeginn, so daß die Unterbringung der Werksangehörigen bereits 1937 ein akutes Problem darstellte, vgl. z.B. Bayer. Wirtschaftsministerium, Abt. für Arbeit und Fürsorge, Dauser, an den RAM, 9.4.1938, StadtAM, BRW 78/2, Bund 125, Akt Am Harthof, Allgemeine Vorverhandlungen.

IV. Die Wohnungsfrage im

392

Krieg

Wie bei den anderen Trägern des Volkswohnungsbaus stellte sich aber heraus, daß der Einfamilienhausgedanke im rationalisierten Kriegswohnungsbau nicht mehr zu ver-

wirklichen war und deshalb schließlich fallengelassen werden mußte. Bereits im ersten, 1939 begonnenen Bauteil mit 134 Fünf-Familien-Häusern und 670 Wohnungen münzten Stadt und GWG den grundsätzlichen Erbauungszweck der Anlage auch in blankes Kapital um. An erster Stelle beteiligte sich die BMW-Flugmotorenbau G.m.b.H. mit einem größeren Darlehen von 125 000 RM und erwarb sich dafür das Recht, 250 Wohnungen für ihre Belegschaftsangehörigen zu reservieren. Die Bayerischen Leichtmetallwerke und die in unmittelbarer Nähe stationierte SS-Standarte „Deutschland" wandten das gleiche Modell, allerdings in kleinerem Rahmen, an: Sie nach der Rechnung: 500 RM für eine Wohsteuerten je 20 000 RM bei und durften nung auch nur je 40 Wohneinheiten beanspruchen67. Durch diese Arrangements war etwa die Hälfte der Wohnungen 330 bereits fest für einen rüstungswichtigen Zweck gebunden und lieferte damit den willkommenen Nachweis, daß der Nachschub für die Baudurchführung weiterhin gewährleistet werden müsse. Im März 1940, als die Wohnbauten im Rohbau standen, forderte die GWG 142 Fremdarbeiter zur Fertigstellung -

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Die Stadt schaltete den Generalbaurat ein, um mit Hilfe von dessen dem Gesuch beim Arbeitsamt München besonderen Nachdruck zu verleihen68. Da die Wohnanlage der GWG insbesondere für die BMW-Werke einen so wichtigen Stellenwert erlangte, konnte die Gesellschaft nicht nur den ersten Bauabschnitt 1940 fertigstellen, sondern den dritten und vierten Bauteil im gleichen Jahr noch beginnen. Die in der zweiten Ausbaustufe vorgesehenen Kleinhäuser mit Gartenanteilen wurden dagegen wie schon erwähnt aus dem Programm genommen, weil unter den Kriegsbedingungen der Zeit- und Ressourcenaufwand hierfür als unverhältnismäßig zum Wohnraumertrag angesehen wurde69. Für die 465 Wohnungen des dritten und vierten Bauteils schloß die GWG aber wiederum einen Vertrag mit den BMW-Werken über die Zweckbindung von 250 Wohnungen, für die das Unternehmen diesmal 600 RM pro Wohneinheit beisteuerte, insgesamt also 150000 RM70. Damit sah die Gesellschaft es als gerechtfertigt an, mit dem Vorhaben in die kriegswichtigen Bauten der Stufe 1 des GB Bau eingereiht zu werden71. Schon die zweite Rangstufe (von vier) erschien nicht mehr als ausreichend, weil hier die Arbeitskräfte bei dringenderem Bedarf abgezogen werden konnten und die Materialzuteilungen langsamer eintrafen. Der Generalbaurat verweigerte sich diesem Antrag zwar nicht, gab zunächst aber nur das Kontingent von 250 BMW-Wohnungen als kriegswichtig frei, während die restlichen 215 Wohnungen

der Arbeiten

an.

Dringlichkeitserklärung

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Vormerkung

des Dezernats 7

Harthof, I. Bauteil.

vom

20.5.1942, StadtAM, BRW 78/2, Bund 125, Akt Am

Vgl. den von der GWG am 26.3.1940 ausgefüllten „Meldebogen für Wohnungsbauvorhaben, die fortgeführt werden sollen" und Dezernat 7 an den Generalbaurat, 3.4.1940, ebenda. Vgl. Walter, Sozialer Wohnungsbau, S. 90. Auszug aus der vorläufigen Schlußabrechnung und Finanzierung für 465 Volkswohnungen, Harthof 3. und 4. 4. Bauteil.

Bauteil, 8.4.1943, StadtAM, BRW 78/2, Bund 124, Akt Am Harthof, 3. und

GWG an den Generalbaurat, 17.1.1940, und gleichen Tags an den OB der Hauptstadt der Bewegung, ebenda. Zu den Dringlichkeitsstufen der Kriegswichtigkeit s. auch Recker, Staatliche Wohnungsbaupolitik, S. 120.

1.

Gesamtstadtplanung und Wohnungsbau

393

einmal hintangestellt werden mußten72. Wieder zeigte sich, wie wichtig der direkte Konnex mit der Rüstungswirtschaft geworden war. Im Sommer 1940 allerdings erhielt die GWG unter der Voraussetzung, „daß vorzüglich Kriegsgefangene zum Einsatz erst

kommen", auch die Erlaubnis zur Ausführung der restlichen 215 Wohnungen73. Sie rangierten in der Kategorie „Ersatzwohnungsbau", weil nach dem Willen des General-

baurats hier „Abrißmieter" untergebracht werden sollten74. Das Bauprojekt war damit als Neugestaltungsmaßnahme der „Hauptstadt der Bewegung" im Rahmen des Kriegsprogramms anerkannt und aufgrund entsprechender Weisungen des Gebietsbeauftragten auch vor dem Abzug von Arbeitskräften durch das Arbeitsamt München gefeit75. Unter diesem Schutzschild gelang es, bis ins Jahr 1942 die 465 Wohnungen fertigzustellen, die mit BMW-Arbeitern, „Abrißmietern", später aber auch Fliegergeschädigten belegt wurden76. Faßt man noch einmal die Faktoren zusammen, die es ermöglichten, dieses Wohnbauprojekt dem fortschreitenden Krieg, der freilich in München bis 1942 noch kaum als Bombenkrieg manifest wurde, abzutrotzen, so sind als wesentliche Rahmenbedingungen die Kooperation mit der Rüstungsindustrie und die Genehmigungen des Generalbaurats zu nennen. Auf der Ebene der Durchführung waren es freilich zu einem hohen Anteil die kriegsgefangenen Zwangsarbeiter, die der GWG zu diesem Ergebnis verhalfen77. Eine Übersicht vom 17. März 1941 listet 143 beschäftigte Kriegsgefangene auf, eine Zahl, die nur um wenig von den 187 deutschen Arbeitern übertroffen wurde78. Die Ausländer waren in einem Barackenlager an der Baustelle am Harthof untergebracht. Während diese Unterbringung in Baracken das übliche Bild in der Beschäftigung von Kriegsgefangenen und Fremdarbeitern war, wurden auf Veranlassung des Rüstungskommandos im Jahr 1941/42 vorübergehend 1200 italienische Rüstungsarbeiter der BMW-Werke in 100 Wohnungen aus dem BMW-Kontingent am Harthof zusammengepfercht anders kann man es kaum nennen79. Bei einer durchschnittlichen Wohnungsgröße von 41 qm in der Anlage, die nur durch Ausnützung der Keller- und Dachge-

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Baumgartner von der Baugruppe Giesler des Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt an die GWG, 24.5.1940, StadtAM, BRW 78/2, Bund 124, Akt Am Harthof, 3. und 4. Bauteil. Weshalb die Genehmigung zum Bau der 250 BMW-Wohnungen aus dieser Abteilung kam, die ebenfalls zum umfangreichen Arbeitsfeld Gieslers in München gehörte (vgl. Bärnreuther, Revision der Moderne, S. 250), und nicht aus der Abteilung, die die Befugnisse des „Gebietsbeauftragten" wahrnahm, ist nicht klar.

Der Generalbaurat als Gebietsbeauftragter an die GWG, 5.11.1940, StadtAM, BRW 78/2, Bund 124, Akt Am Harthof, 3. und 4. Bauteil. Nach Mitteilung des Dezernats 7 an die GWG, 20.2.1941, waren nach dem Willen des Generalbaurats von den 215 Wohnungen 100 an „Abrißmieter" und 115 an sog. Elendsfälle, also bisher notdürftig untergebrachte Familien, zu vergeben, ebenda. Der Generalbaurat, gez. Gimple, an das Referat 7, 17.5.1941, ebenda. Vgl. Mieterlisten, die jeweils von der GWG dem Wohnungsreferat zur Genehmigung vorgelegt wurden, ebenda. Zur Bedeutung der Zwangsarbeiter für die Münchner Kriegswirtschaft jetzt grundlegend Heusler, Ausländereinsatz. „Zusammenstellung über Arbeitskräfte" der GWG vom 17.3.1941, StadtAM, BRW 78/2, Bund 124, Akt Am Harthof, 3. und 4. Bauteil. Vgl. zu den eingesetzten Kriegsgefangenen auch Walter, Sozialer Wohnungsbau, S. 97f. GWG an das Dezernat 2, Liegenschaftsamt, 10.3.1942, GWG-Archiv, Am Harthof 0504. Die Verwendung von reichsgeförderten Volkswohnungen als Massenunterkünfte für Arbeiter

394

IV. Die Wohnungsfrage im

Krieg

schoßräume etwas erweitert werden konnte, ist vorstellbar, daß von „Wohnen" unter diesen Umständen nicht mehr gesprochen werden konnte. Die GWG, die sich vor allem um die „außerordentliche Abnützung der neuen Wohnungen"80 besorgt zeigte, erhielt schließlich Schützenhilfe vom Reichsluftfahrtministerium, das BMW zur Räumung aufforderte. Es sei „bei der derzeitigen grossen Wohnungsknappheit" nicht zu verantworten, „fertige Wohnungen als Massenquartiere mit ausländischen Arbeitern zu bele-

gen"81.

In diesem Satz drückt sich bereits aus, wie im Verteilungskampf um den zu knappen Wohnraum auch nationalsozialistische Auslesekriterien eine immer größere Rolle spielten. Regulärer Wohnraum wurde zu einem Gut, das nur noch „Volksgenossen" vorbehalten sein sollte, während denen, die aus dieser Definition herausfielen, in Lagern, Anstalten und Massenunterkünften das Recht auf menschenwürdiges Wohnen genommen wurde. Besonders perfide Strategien einer rassistisch bestimmten Wohnungspolitik wurden in bezug auf die jüdische Bevölkerung entwickelt. Für sie bildeten der Entzug der Wohnberechtigung und die damit erzwungene „Ghettoisierung" bereits eine der letzten Stufen auf der Skala fortschreitender Entrechtung in Wirtschaft und Gesellschaft. Aus den „Judenhäusern" und „Judensiedlungen" führte der Weg in die Vernich-

tungslager.

kriegswichtiger Betriebe war grundsätzlich durch Erlaß des RAM vom 12.12.1939 zugelassen

worden, vgl. ZWB 38 (1940), S. 29. So die GWG bereits gegen die

Verwendung als Massenquartier protestierend am 7.4.1941 an die BMW-Flugmotorenbau, GWG-Archiv, Am Harthof 0504. Reichsminister der Luftfahrt an BMW, 20.7.1942 (Abschrift), ebenda. Die Räumung wurde im Herbst 1942 ausgeführt.

2. Judenverfolgung und

„Wohnraumarisierung"

Die im folgenden für München dargestellten Zusammenhänge zwischen der Judenverfolgung und der städtischen Wohnungspolitik bezeichnen keinen lokalen Einzelfall, wie insbesondere die Pionierstudie von Gerhard Botz über „Wohnungspolitik und Judendeportation in Wien" gezeigt hat1. Wien wies hinsichtlich der spezifischen politischen Bedingungen in der „Ostmark", vor allem aber hinsichtlich des sehr viel höheren jüdischen Bevölkerungsanteils durchaus andere Ausgangsbedingungen als die „Hauptstadt der Bewegung" auf. Entsprechend machte sich die Vertreibung der Juden aus ihren Wohnungen in viel deutlicherem Ausmaß auf dem Wohnungsmarkt bemerkbar2. Parallelen sind hingegen auf der intentionalen Ebene erkennbar: In beiden Städten sollten die „Arisierungen" für die Versäumnisse der Sozialpolitik aufkommen und dem eklatanten Wohnungsmangel abhelfen3. Nicht nur für die „Hauptstadt der Bewegung", sondern aufgrund neuerer Forschungen auch für eine Reihe weiterer Städte läßt sich damit bestätigen, daß, wie Recker 1978 vermutete, die von Botz beobachteten politischen Kalküle und Strategien im Altreich ebenfalls zur Anwendung kamen4. Die Geschichte der Diskriminierung und Verfolgung der Münchner Juden im „Dritten Reich" ist an dieser Stelle nicht zu berichten5. Hier geht es lediglich um einen Aspekt in diesem Geschehen, den Entzug der Wohnrechte, der allerdings für den einzelnen am Ende eines langen Deprivationsprozesses nochmals einen markanten Einschnitt bedeutete, weil ihm dadurch auch das letzte Refugium genommen wurde. Der Beginn dieser Form der Entrechtung auf breiter Front ist ziemlich genau auf die Wende 1938/39 zu datieren, als die jüdische Gemeinde in München aufgrund von Verfolgung und Flucht bereits erheblich zusammengeschmolzen war. Hatte die Volkszählung von 1933 9005 „Glaubensjuden" in München registriert, wurden im Mai 1938 nur noch 6 392 „Rassejuden" gezählt. Ihre Zahl nahm nach der „Reichskristallnacht" weiter rapide ab6. Obwohl auch in die Wohnungspolitik und -gesetzgebung antisemitische Diskriminierungsparagraphen schon vor diesem Zeitpunkt Eingang fanden7, bildete in diesem

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Botz, Wohnungspolitik und Judendeportation. Vor allem die „wilden Arisierungen" vor und neben den amtlichen Maßnahmen nahmen in Wien mit mehreren zehntausend Fällen ein ganz erhebliches Ausmaß an, ebenda, S. 60f. Vgl. ebenda, bes. Kapitel 12: NS-Sozialpolitik und Judenverfolgung. Recker, Rezension zu Botz, Wohnungspolitik und Judendeportation, in: Die alte Stadt 5 (1978), S. 198f. Vgl. als neuere Studien zur Thematik Kwiet, Von der Ghettoisierung; Buchholz, Die hannoverschen Judenhäuser; Kornemann, Gesetze, Gesetze bes. S. 684-703; Führer, Mit Juden unter einem Dach?; Schwarz, Von den Wohnstiften zu den „Judenhäusern"; mit dem Schwerpunkt auf Vermögensenteignung Scheiger, „Ich bitte um baldige Arisierung der Wohnung ...". Frühzeitig wurde auf die wohnungspolitische Ausnützung der Deportationen bereits bei Adler, Der verwaltete Mensch, bes. S. 606-611, hingewiesen. Grundlegend Hanke, Geschichte der Juden; außerdem Selig, Richard Seligmann; Cahnmann, Juden in München; Bokovoy/Meining (Hrsg.), Versagte Heimat; Spuren jüdischen Lebens; Haerendel, Rathaus unterm Hakenkreuz, S. 384-389. Hanke, Geschichte der Juden, S. 162-183. Vgl. z.B. Reichsfinanzminister Schwerin von Krosigk an den Reichskommissar bei der Deutschen Bau- und Grundstücks-Aktiengesellschaft betr. „Vermietung von Wohnungen des Westvermögens an Juden", 15.9.1936 (Abschrift), BArch, R 43/11, 1172, Bl. 4. Vgl. weitere Beispiele vor allem aus dem gemeinnützigen Wohnungswesen bei: Führer, Mit Juden unter einem Dach?. ...,

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396

IV. Die Wohnungsfrage im Krieg

Sektor der Pogrom eine offensichtliche Zäsur8, in deren Folge sich Inhalt und Auswirkungen der gesetzlichen Maßnahmen ganz wesentlich verschärften. Auffällig ist allerdings, daß Hitler zunächst die Ausschaltung jüdischer Beteiligung am gewerblichen Leben in den Vordergrund schob und ihre beschleunigte Durchführung verlangte, während im Wohnsektor eine gleichsam schleichende Gangart angeordnet wurde: „a) Der Mieterschutz für Juden ist generell nicht aufzuheben. Dagegen ist es erwünscht, in Einzelfällen nach Möglichkeit so zu verfahren, daß Juden in einem Haus zusammengelegt werden, soweit die Mietverhältnisse dies gestatten, b) Aus diesem Grunde ist die Arisierung des Hausbesitzes an das Ende der Gesamtarisierung zu stellen, d.h. es soll vorläufig nur dort der Hausbesitz arisiert werden, wo in Einzelfällen zwingende Gründe dafür vorliegen. Vordringlich ist die Arisierung der Betriebe und Geschäfte, des landwirtschaftlichen Grundbesitzes, der Forsten u.a."9 Die „Hauptstadt der Bewegung", die sich bis zur „Reichskristallnacht" bereits den Ruf erworben hatte, in der Initiierung und Durchsetzung antisemitischer Maßnahmen stets vornan zu sein10, war auch in der Wohnraumfrage eher wieder Treibende als Getriebene. Schon wenige Tage nach dem Pogrom äußerte Bürgermeister Fiehler sein Interesse an einer räumlichen Konzentration der jüdischen Bevölkerung Münchens, die die Unterbringungskapazitäten für die übrige Bevölkerung entscheidend erweitern sollte11. Seither wurde die Wohnungsnot zu einem immer wieder gebrauchten Argument in der Vertreibung der Juden aus Wohnraum in München. Dabei müssen zwei Motivationsstränge unterschieden werden, die bei den einzelnen Handlungsträgern aber auch ineinander verwoben sein konnten, was ihre Distinktion nicht erleichtert. Stand das Interesse an der Wohnungsfrage im Vordergrund wie es bei Guido Harbers der Fall gewesen ist -, geriet die Judenverfolgung zum willkommenen Mittel, um der Stadt disponiblen Wohnraum zu verschaffen. Das soll den Wohnungsreferenten freilich nicht exkulpieren, ganz im Gegenteil verdeutlicht es die moralische Insuffizienz einer Persönlichkeit, die einen zutiefst unmenschlichen Verdrängungs-, Verfolgungs- und letztlich auch Vernichtungsprozeß akzeptierte, um eine Scheinlösung für ein Problem zu präsentieren, in dem die Politik so offenkundig versagte. Im anderen Fall rangierte tatsächlich der Antisemitismus vorn, die Absicht, die jüdische Bevölkerung zu separieren und zu ghettoisieren. Dann wurde die bedrängte Wohnsituation lediglich instrumentalisiert, um der „Ausschaltung" der Juden weiteren Anschub zu geben. Obwohl Karl Fiehler sicher von einem genuinen Antisemitismus getrieben wurde, dürften gerade bei ihm beide Motive eine Rolle gespielt haben. Wenn die „Hauptstadt der Bewegung" von sich sagen konnte, sie habe nicht nur innerhalb kürzester Zeit ihre Bevölkerung davon „befreit", den Wohnalltag mit Juden teilen zu müssen, sondern auch etlichen wohlgelitte-

8 9

10 "

Vgl. Barkai, Vom Boykott zur „Entjudung", S.

146-152. Diese und andere Entscheidungen Hitlers in der „Judenfrage" gab Göring am 28.12.1938 an die Reichsminister weiter mit der Weisung, sie nunmehr „als einzige Richtlinie für das Verfahren" zu beachten. Abschrift in: BArch, R 41, 715, Bl. 40f. (Hervorhebung in der Vorlage). Vgl. Hanke, Geschichte der Juden, bes. S. 139. Ebenda, S. 279. Bei Ophir/Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern, S. 54, wird angegeben, daß bereits im Februar 1938 die städtischen Behörden vorgeschlagen hätten, das Wohnungsproblem in München durch Zusammenlegung der Juden auf begrenzten Wohnraum zu lösen. Da die Dokumentation auf Einzelnachweise verzichtet, kann diese Angabe nicht überprüft werden, der Verfasserin ist ein so früher Beleg nicht bekannt.

2. Judenverfolgung und

„Wohnraumarisierung"

397

„Volksgenossen" zu einer angemessenen Wohnung verholfen, so war das in den Augen ihres Oberbürgermeisters ein glänzender Erfolg. Diese Verknüpfung wurde von Fiehler insbesondere vor dem Hintergrund einer wachsenden Zahl sogenannter „Abrißmieter" vorgenommen, die ihre bisherige Wohnung dem Umbau zur „Hauptstadt der Bewegung" opfern mußten. Den vorliegenden Quellen nach bot der geplante Abriß mehrerer Wohnblocks an der Südseite der Prinzregentenstraße, wo gegenüber dem Haus der Deutschen Kunst nun auch ein Haus der nen

Deutschen Architektur entstehen sollte, erstmals den Anlaß zu diesem kruden Gedankengang. Als Hitler in einer Besprechung mit Gauleiter Wagner und Oberbürgermeister Fiehler am 13. Dezember 1938 die Beseitigung von vier Blocks mit über 300 Wohneinheiten bei gleichzeitiger Ersatzunterbringung der betroffenen Mieter forderte, reagierten die Münchner prompt mit dem Angebot, die „im Gefolge des 9. November" freiwerdenden, bisher von Juden belegten Wohnungen dafür in Anspruch zu nehmen. Wagner wollte zwar Erhebungen über den fraglichen Wohnraum anstellen lassen, sich bei seinem weiteren Vorgehen aber frei von bürokratischen Hemmungen bewegen, während Fiehler auf die Notwendigkeit hinwies, eine entsprechende „gesetzliche Handhabe" zu bekommen, um als kommunale Verwaltung auch tatsächlich über die geräumten Wohnungen verfügen zu können12. Das galt der Stadt zu diesem Zeitpunkt als vordringliches Problem, wie aus mehreren Zeugnissen hervorgeht. So bildete in den Augen des Leiters des Städtischen Wohnungsnachweises ein Ärgernis an der Judenverfolgung offenbar nur der Umstand, daß er keinen Rechtstitel hatte, „freiwerdende Wohnungen zu Gunsten von Wohnungsuchenden, insbesondere von Abbruchmietern, zu beschlagnahmen, und daß er daher die zahlreichen durch Judenabzug vermietbar werdenden Wohnungen in Häusern arischer Eigentümer keineswegs erfassen kann". Auch die „unerfreuliche Tatsache" beschäftigte ihn, „daß die Geheime Staatspolizei fortlaufend auswanderungslustige jüdische Familien melde, ohne daß jedoch bisher eine Handhabe zur Erfassung dieser mit Sicherheit freiwerdenden Wohnungen besteht"13. Gleichzeitig versuchte die Stadt auch, die besseren Druckmittel, über die die Parteiorganisation verfügte, für ihre Zwecke zu mobilisieren und damit bis an die Basis durchzudringen. So geschah es offensichtlich in Absprache mit der Stadt, daß der Münchner Kreisleiter seine Ortsgruppenleiter anwies: „Sollte ein Jude, der auswandert oder seinen Wohnsitz an einen anderen Ort verlegt, seine Wohnung kündigen, so ist der Hausbesitzer aufzufordern, diese Wohnung sofort dem Stadt. Wohnungsnachweis [...] anzumelden [...] Dabei ist der Hausbesitzer aufzufordern, seine Wohnung nicht vorher und ohne Genehmigung des Stadt. Wohnungsamtes wieder zu vermieten."14 12

13 14

Aus der Vormerkung des persönlichen Referenten Fiehlers, Umhau, „über den Vortrag beim Führer am 13. Dezember 1938 im Innenministerium" geht dieser Gegensatz zwischen dem Maßnahmencharakter des von Wagner gewünschten Vorgehens und der normenstaatlichen Legitimierung, die Fiehler wichtig war, sehr deutlich hervor. StadtAM, Hochbauamt 897/5, Bl. 178-186, bes. 179f. Vormerkung des Stadt. Wohnungsnachweises, Beling, 3.1.1939, S. 2f, StadtAM, BuR 305/8b. Rundschreiben der Kreisleitung München der NSDAP, Ziehnert, an die Ortsgruppenleiter betr. „Judenaktion", 1.12.1938. Mit den obigen Anweisungen wurde auch die Aufgabe gestellt, Namens- und Adressenlisten der jeweils im Bereich der Ortsgruppe ansässigen jüdischen Mieter zu erstellen. Ausdrücklich wurde aber darauf hingewiesen, daß es bisher kein Gesetz gebe, „das außergewöhnliche Kündigungen gegen die Juden zuläßt". StaatsAM, NSDAP 36.

398

IV. Die Wohnungsfrage im

Krieg

Das Rundschreiben warnte ausgesprochen vor ungesetzlichen Kündigungen jüdischer Mieter, denn noch waren die Bestimmungen des Mieterschutzgesetzes für Juden nicht außer Kraft gesetzt worden. Vor allem seit der „Reichskristallnacht" gaben aber die Gerichte entgegen der Rechtslage dem zunehmenden politischen Druck zur Genehmigung von Kündigungen jüdischer Mieter nach15. Solchen Druck übten dabei nicht nur die oberen Parteistellen aus, auch an der Basis radikalisierte sich die Praxis der Judenverfolgung auf dem Wohnungssektor. Hausbesitzer, „arische" Interessenten oder Parteimitglieder, die sich durch die Entwicklung der „Judenpolitik" gerechtfertigt sahen, bedrängten jüdische Mieter massiv, ihre Wohnungen zu verlassen. Wir wissen fast nichts über solche „wilden Arisierungen" in München16; nur einen Überlieferungssplitter stellt etwa der Brief eines Hausverwalters dar, der dem Städtischen Wohnungsnachweis seinen Wunsch zur Vermittlung einer „Judenwohnung" abschlägig beschied, weil die Praxis längst entschieden hatte: „Nun hat aber durch die Verschärfung der Judenfrage ein solcher Ansturm auf fragliche Wohnung eingesetzt (z.T. in solch diktatorischer Weise), daß Frl. D. [die Hausbesitzerin] die Wohnung im Falle des Freiwerdens bereits einer Familie zugesichert hat, deren Qualität von Hausbewohnern glänzend begutachtet wurde."17 Am 8. Februar 1939 erhielt Fiehler schließlich die erwünschte „gesetzliche Handhabe" in Form einer Verordnung des Reichsarbeitsministers, die eine solche eigenmächtige Wohnungsvergabe künftig ausschließen sollte. Die Regelung galt exklusiv in den beiden Neugestaltungsstädten München und Berlin und stellte damit auch auf legislativer Ebene den Zusammenhang zwischen den Wohnraumverlusten, die die Ausbauprojekte forderten, und den im Zuge der Verfolgung freiwerdenden „Judenwohnungen" her. In beiden Städten waren letztere im Falle ihres Freiwerdens fortan unverzüglich zu melden und durften nur noch mit entsprechender behördlicher Genehmigung weitervermietet werden18. Das räumte in München der Stadtverwaltung erhebliche Steuerungsmöglichkeiten in ihrem Sinne ein, von denen sie auch intensiv Gebrauch machte, wie unten darzustellen sein wird. Interessant ist, daß einen Monat später die Stadt Wien ähnliche „Privilegien" erhielt, als der Reichskommissar dem Bürgermeister weitgehende Vollmachten zur Verfügung über „Judenwohnungen" zugestand19. Für das ganze Reich erging schließlich am 30. April 1939 das „Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden", das jüdischen Mietern die Mieterschutzrechte nahm, sofern sie in 15

Führer, Mit Juden unter einem Dach?, S. 57. Führer übersieht allerdings, daß der von ihm zitierte Beschluß des

Landgerichts Berlin vom 7.11.1938 durch das Berufungsgericht verworfen

wurde, das selbst noch nach der „Reichskristallnacht"

16 17

18

19

an

einer

am

Gesetz orientierten Praxis

Vgl. die Entscheidung der Berufungskammer vom 9.2.1939 in: Das Grundeigentum 58 (1939), S. 257-259. Die Zeitschrift riet daraufhin ihren Lesern, „Klagen gegen jüdische Mieter vorerst noch zurückzustellen, bis eine anderweitige gesetzliche Regelung erfolgt ist" (S. 259). zu Vgl. dagegen Wien Botz, Wohnungspolitik und Judendeportation, S. 57-61. festhielt.

M.P.

an den städt. Wohnungsnachweis, 2.1.1939 (Abschrift), StadtAM, BuR 305/8b. Verordnung über die Neugestaltung der Reichshauptstadt Berlin und der Hauptstadt der Bewegung München vom 8.2.1939, in: RGB1. 1939/1, S. 159. In einer Verordnung vom 25.4.1941 wurde die Bindung freiwerdender „Judenwohnungen" an die von der Neugestaltung freigesetzten Abrißmieter noch expliziter hergestellt, RGB1. 1941/1, S. 219f. Vgl. auch Die Unterbringung von „Abriß-Mietern" in verfügbaren Räumen jüdischer Mieter, in: Das Grundeigentum 58 (1939), S. 137f. Mit Verfügung vom 10.3.1939, vgl. Botz, Wohnungspolitik und Judendeportation, S. 63f.

2. Judenverfolgung und

„Wohnraumarisierung"

399

nicht-jüdischer Vermieter wohnten, und sie ungeschützt der „Entmietung" preisgab20. Die angesichts der Verschärfungen der „Judengesetzgebung" im Jahr 1938 von vielen schon lang erwartete Entrechtung der jüdischen Bevölkerung auf dem Wohnsektor war damit in die Tat umgesetzt worden. Was längst begonnen hatte, die Herausdrängung aus dem regulären Wohnraum und die Separierung, konnte nun beschleunigt seinen Lauf nehmen21. Das „Entmietungsgesetz" von 1939 galt zwar nur für „Judenwohnungen" in nicht-jüdischem Besitz; mit einer Verordnung vom 10. SeptemHäusern

ber 1940 wurde es aber bezeichnenderweise wiederum nur in Berlin, München und Wien auch auf Mietverhältnisse mit jüdischen Vermietern ausgedehnt, um damit weiteren Wohnraum zu „arisieren"22. Um den jüdischen Hausbesitz „kümmerte" sich in München seit dem 22. November 1938 die privatrechtlich organisierte, jedoch vom Gauleiter gegründete und politisch gesteuerte „Vermögensverwertung München GmbH". Sehr zum Ärger ihrer Funktionäre wurde ihr Aktivismus gelegentlich von oben ausgebremst, besonders als nach der „Reichskristallnacht" die Bestrebungen dahin gingen, die Arisierungspraxis zu zentralisieren und legalistisch zu untermauern23. Die „Vermögensverwertung" galt schließlich auch der Partei als unangemessen und wurde in eine neue Rechtsform überführt. Unter der Bezeichnung „Treuhänder gemäß Beschluß des Regierungspräsidenten von Oberbayern vom 28.1.1939" trat jetzt eine Dienststelle unter staatlicher Aufsicht ins Leben. Dieser formelle Status war für ihre praktische Tätigkeit nicht so entscheidend wie die Tatsache, daß der Treuhänder in Personalunion als „Beauftragter des Gauleiters von München-Oberbayern" fungierte, so daß der antisemitische Aktivismus der Münchner Parteileitung sich hier direkt in einer rigiden Arisierungspraxis umsetzen konnte24. Auf der Basis der gesetzlichen Handhaben und der neustrukturierten „Arisierungsstelle" etablierte sich gemäß den schon im Dezember 1938 im Gespräch mit Hitler angedeuteten Linien eine, wenn auch nicht strenge Arbeitsteilung zwischen Gauleitung und Stadtverwaltung in der Abwicklung der Wohnungen jüdischer Mieter25. Während -

-

-

-

20 21

22

23

RGBl. 1939/1, S. 864f. Zur Absicht der Isolierung der Juden durch das Gesetz verbreitete Bormann: „Das Gesetz soll die Möglichkeit bieten, die auf Grund des Mieterschutzes noch bestehenden Hausgemeinschaften von Deutschen mit Juden zu lösen und eine gerechtere Verteilung der Wohnräume vorzunehmen, da die Juden im Verhältnis zu ihrer Bevölkerungszahl übermässig viel Wohnraum innehaben." Rundschreiben vom 8.7.1939, Abdruck in: StadtAM, Wohnungsamt 75. Verordnung zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden vom 10.9.1940, RGBl. 1940/1, S. 1235. Hier wurde auch die Möglichkeit vorgesehen, eine Erweiterung auf den jüdischen Hausbesitz in anderen Neugestaltungsstädten vorzunehmen. So beklagte sich Matthäus Dötsch, der vor dessen Umstrukturierung 1938 den Hauptverband

gemeinnütziger Wohnungsunternehmen geleitet und jetzt als Mitglied der Gauleitung die Ver-

24

25

antwortung für die Vermögensverwertungs-GmbH übernommen hatte, daß man das Arisierungstempo nicht weiter halten könne. Es seien seit dem 15.12.1938 alle Anwesenserwerbungen aus jüdischem Besitz abgestoppt worden, die GmbH verwalte aber noch längst nicht alle jüdischen Anwesen in München. Wiedergabe in der Vormerkung Belings vom 3.1.1939, S. 1, StadtAM, BuR 305/8b. Zu den gesetzlichen Regelungen für den Zugriff auf jüdischen Grundund Hausbesitz vgl. Kornemann, Gesetze, Gesetze S. 689-693. Zur „Arisierungsstelle" vgl. Hanke, Geschichte der Juden, S. 227f., 237f., außerdem den Akt StaatsAM, NSDAP 37. Zu dieser Arbeitsteilung vgl. den Faszikel „Juden" im Akt StadtAM, BuR 305/8b. ...,

400

IV. Die Wohnungsfrage im

Krieg

die unter direkter Aufsicht des Gauleiters agierende „Arisierungsstelle" die eigentliche „Entmietung" übernahm, die jüdischen Bewohner in Asylen oder sogenannten „Judenhäusern" zusammenlegte, richtete die Stadt ihr Interesse vornehmlich auf die freiwerdenden Wohnungen26. Verbindendes Glied war der Städtische Wohnungsnachweis, der die in Frage kommenden Nachmieter benannte, aber auch auf den Räumungsvorgang gelegentlich in etwas abmildernder Weise Einfluß nahm27. Die Bilanz dieser Kooperation war in den Augen des Wohnungsreferenten, den das Schicksal der vertriebenen jüdischen Bewohner offensichtlich kaltließ, durchaus befriedigend: „Die gestellte Aufgabe wurde im Verlaufe von 2 Jahren so durchgreifend gelöst, daß es am 29.4.41 nur mehr 45 Judenwohnungen in Anwesen arischer Eigentümer gab, während 264 Wohnungen (meist in Häusern jüdischer Eigentümer) zusätzlich mit Juden belegt waren." Die freigemachten Wohnungen waren insbesondere an „Abrissmieter, Rückwanderer und führende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens vermittelt" worden28. Die hier aufgemachte Bilanz von etwa 300 Wohnungen, in denen noch Juden lebten, bedeutete eine Reduktion auf ein Sechstel der 1 800 „Judenwohnungen", die die „Arisierungsstelle" zu Beginn ihrer Tätigkeit 1939 noch gezählt hatte29. Damit «gibt sich eine Differenz von rund 1 500 Wohnungen als Verfügungsmasse für die Stadt, was weicgehend mit den von Hanke auf der Basis anderer Quellen ermittelten Ergebnissen übereinstimmt. Diesen Angaben zufolge wurden bis zum Herbst 1941 1100 „Judenwohnungen in arischem -

-

Die Praxis, einige schon bisher jüdisch bewohnte Häuser als „Judenhäuser" zu erklären und dort die Juden auf wenig Raum zusammenzudrängen, etablierte sich allenthalben in den Städten auf Basis des Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden, § 4: „Ein Jude hat in Wohnräumen, die er als Eigentümer oder auf Grund eines Nutzungsrechts innehat oder die er von einem Juden gemietet hat, auf Verlangen der Gemeindebehörde Juden als Mieter oder Untermieter aufzunehmen." (RGB1. 1939/1, S. 864) Die auf diese Weise ermöglichte Separierung und die damit verbundenen Kontrollen erleichterten es nach Kwiet „später den Behörden, die zusammengelegten' Juden zur Deportation aufzurufen; den eingeschlossenen Juden erschwerten sie es, sich dem Zugriff der Verfolger durch die Flucht in die Illegalität (in ,arische' Wohnverhältnisse) zu entziehen". (Von der Ghettoisierung, S. 633; dort auch Beispiele aus verschiedenen Städten über die Zusammenlegungen, S. 633-636) Als Fallstudie über Hannover Buchholz, Die hannoverschen Judenhäuser; außerdem zu Hamburg Schwarz, Von den Wohnstiften zu den „Judenhäusern", und zu Stuttgart Müller, Stuttgart zur Zeit des Nationalsozialismus, bes. S. 400f. Hanke, Geschichte der Juden, S. 280f. Eine entgegengesetzte Tendenz ließ sich in Wien feststellen, wo die städtische Wohnungsverwaltung sogar auf einen ganz besonders scharfen Kurs

drängte, vgl. Botz, Wohnungspolitik und Judendeportation, S. 63. Harbers an das Hauptamt für Kommunalpolitik, 12.5.1941, BArch, NS 25, 1178, Bl. 129. Offensichtlich war es aber nicht möglich, alle Wohnungen sofort weiterzuvermitteln, denn die

nachfolgende Tab. 30 zeigt, daß seit dem Mai 1941 noch mehr als 300 „Judenwohnungen" zur Vermietung kamen. Diese Zahl gab der neue Leiter der „Arisierungsstelle", Gotthold Dziewas, in einer Besprechung im Innenministerium an, an der auch der Generalbaurat, Vertreter der Stadt und einige andere teilnahmen. Vormerkung des Amtsdirektors Hölzl vom 9.3.1939, StadtAM, Hochbauamt 897/5, Bl. 225f. Es ging wieder um das geplante Haus der Deutschen Architektur, das im übrigen im „Dritten Reich" nicht zur Erstellung kam. Auch die hier so vieldiskutierten Abbruche wurden letztlich gar nicht durchgeführt, obwohl etliche der bisherigen Mieter schon gekündigt waren. Vgl. Harbers an Tempel, 8.8.1939, und Vormerkung des Stadtbauamtes vom 2.9.1939, wonach die Durchführung der Abbrucharbeiten „vorläufig sistiert" wurde. StadtAM, Hochbauamt 897/5, Bl. 275f.

2. Judenverfolgung und

401

„Wohnraumarisierung"

Hausbesitz" und 350 „Judenwohnungen" in jüdischem Besitz an neue Bezieher vermietet30. Mit dem Aufbau von ghettoähnlichen Unterkünften 1941, die als Sammelstellen für die Deportationen dienten, wurden auch die letzten Privatwohnungen in München, in denen man die jüdische Bevölkerung zusammengedrängt hatte, „arisiert". Es ist möglich, konkretere Aussagen über diesen Weitervergabeprozeß zu machen, weil für einen Teil der von der Stadt zur Vermietung genehmigten Wohnungen Listen im Stadtarchiv erhalten sind, die sowohl die Lage und den Mietpreis der jeweiligen Wohnung wie auch ihren künftigen Bewohner bezeichnen. In der folgenden Tabelle wurde versucht, die Weitervermietung, nach Wohnungskategorien gegliedert, in eine Übersicht zu bringen. Dabei wurden die Neumieter nach recht groben Kategorien, die angesichts der knappen Angaben notwendig einige Unscharfen enthalten, zusammengefaßt. Tab. 30: Die zwischen dem 1. Mai 1941 und dem 30. mieteter" jüdischer Bewohner in München Neumieter

bis 40 RM

Wohnungsfürsorge Politisch Protegierte Abrißmieter/Ersatzwhg.

Monatlicher Mietpreis bis 90 RM bis 140 RM über 140 RM

12 1 2 1 2

62 11 30 2 4 6

18

115

Künstlerbetr.

Umwandlung Sonstige gesamt

April 1942 vergebenen Wohnungen „entgesamt

9 12

3 32 25 12 5 5

88 76 94 35 19 25

122

82

337

11 32 37

21

Quelle: StadtAM, Wohnungsamt 58. Wohnungsfürsorge: Fälle, für die die Wohnung genehmigt wurde mit der Bemerkung „Wohnungspolizeifall", „Elendsfall", „TBC-krank", „kinderreich", „Mietberechtigungskarte" u.a.

Politisch Protegierte: Fälle, bei denen die Wohnungszuteilung durch eine Partei- oder Staatsbehörde (Gestapo, Gauleitung, Parteikanzlei, Innenministerium, Oberfinanzpräsident etc.) oder durch eine sonstige Stelle von öffentlichem Rang (Generalbaurat, Städtische Verwaltung) unterstützt wurde bzw. der Begünstigte per se in den Kreis derjenigen gehörte, die im „Dritten Reich" besonderen Rang genossen (Blutordensträger, alter Kämpfer). Abrißmieter/Ersatzwohnungen: Fälle, in denen die Wohnung als Ersatz für eine abgebrochene bzw. anderweitig verwendete gestellt wurde oder der Neumieter seinerseits eine Ersatzwohnung anbieten konnte. Künstlerbetreuung: Wohnungsvermittlung an Persönlichkeiten des Münchner Kulturbetriebes, z.B. Mitglieder der Staatsoper, der Staatsoperette, der Kammerspiele etc. Umwandlung: Die fragliche Wohnung wurde für die Partei, für den „Lebensborn e.V.", für die DAF oder gemäß dem Reichsleistungsgesetz für Bürozwecke freigegeben. Sonstiges: Alle anderen angegebenen Begründungen für die Wohnungsvergebung, z.B. „schwer vermietbar", „Eigenbedarf des Hausbesitzers", „Hausmeisterwohnung", „Rückwanderer" (wurden wegen geringer Anzahl nicht eigens ausgewiesen), oder Fälle, die nicht genau einzuordnen sind.

Gegenüber den hier angegebenen 337 Fällen wurden in den Listen sogar 353 Wohgezählt, von denen aber 16 nicht neu vergeben wurden, weil ihre jüdischen Inwohner in sogenannten „privilegierten Mischehen" lebten, weil der Bewohner als Ernungen

Hanke, Geschichte der Juden, S. 280.

IV. Die Wohnungsfrage im

402

Krieg

finder einen besonderen Status genoß, der ihn zumindest zu diesem Zeitpunkt noch schützte, oder weil sie versehentlich als „Judenwohnungen" geführt worden waren31. Auffällig ist, daß man es mit einem gehobenen Wohnstandard zu tun hatte, bei dem wirklich günstige Kleinwohnungen nur in verschwindend geringer Anzahl vertreten waren, eine bereits höhere Preisklasse (90 bis 140 RM) die stärkste Einzelgruppe ausmachte und insgesamt die oberen Kategorien (ab 90 RM aufwärts) gegenüber den unteren Kategorien (unterhalb 90 RM) deutlich überwogen. An der Spitze was aus der Tabelle nicht hervorgeht handelte es sich um 8-10-Raum-Wohnungen mit Mietpreisen zum Teil über 200 RM, die sich nur noch wenige Personen aus Partei, Staat und Kulturleben leisten konnten oder die für Bürozwecke umgewandelt wurden. Die im Dezember 1938 anvisierte Zweckbindung der freiwerdenden Wohnungen für Abrißmieter aus Neugestaltungsgründen geht aus der Tabelle nicht in der Eindeutigkeit hervor, wie anzunehmen gewesen wäre. Zwar stellt die Kategorie „Abrißmieter/Ersatzwohnungen" die größte Einzelgruppe dar, aber hier spielen auch eine ganze Reihe anderer Abbruche, zum Beispiel zur Ausdehnung eines rüstungswichtigen Betriebes, eine Rolle. Während die Abbruchmieter im günstigeren Segment vor allem mit den Wohnungsfürsorgefällen konkurrieren mußten, traten bei den höheren Preislagen die aus politischen Gründen oder im Rahmen des Künstlerprogramms Protegierten hinzu. Hier wird es sich aber nicht um einen wirklichen Konkurrenzkampf gehandelt haben, weil für viele Abrißmieter solche hohen Mieten ohnehin nicht in Frage kamen. Schon 1940 wurde in einer Besprechung zwischen Vertretern von Stadt und Generalbaurat festgestellt: „Judenwohnungen kommen als Ersatzwohnungen für Abbruchmieter kaum noch in Betracht. Es handelt sich nur mehr um verhältnismässig wenige Groß Wohnungen mit meist sehr hohen monatlichen Mieten. Sie sind mehr ein Ventil für die Unterbringung von Wohnungsbewerbern oder Dienststellen, welche meist aus einem öffentlichen Interesse heraus unterzubringen sind."32 Daß die Künstler der bekannten Münchner Bühnen in der Wohnungsvergabe solche Aufmerksamkeit genossen, entsprach der Politik des „Dritten Reiches", gerade im Krieg aus propagandistischen Gründen und wegen des Effekts der Ablenkung von den Alltagsnöten ein möglichst blühendes Kulturleben zu erhalten33. Über die Protektion, die Partei- und Staatsangestellten zuteil wurde, ist wenig zu sagen; wenn es sich allerdings um politisch weniger zentrale Dienststellen wie das Oberfierlaubte sich die Stadt schon, auch hier genaue Kontingente handelte, nanzpräsidium und die festzulegen Wohnungen keineswegs feilzubieten34. Auch die für mehrere -

-

31

32

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34

Nach § 7 des Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden waren Mischehen von den Vorschriften auszunehmen, bei denen die Frau Jüdin war und/oder Kinder vorhanden waren, nicht jedoch kinderlose Ehen, bei denen der Mann jüdisch war. RGB1. 1939/1, S. 864. Dezernat 7/12, Niederschrift über die Besprechung im Büro des Generalbaurats vom 26.8. 1940, S. 5, StadtAM, Wohnungsamt 77. Aus einem in den Akten der Parteikanzlei erhaltenen Schriftwechsel geht hervor, daß der Generalintendant der Bayerischen Staatsoper, Clemens Krauss, im Frühjahr 1942 weitere Woh-

nungen für sein Ensemble forderte, von der Stadt aber abschlägig beschieden wurde, weil man kaum noch „Judenwohnungen" zu vergeben hatte, BArch, NS 6, 269, Bl. 153-160. Vgl. Städt. Wohnungsnachweis, Beling, an den Oberfinanzpräsidenten in München, 15.12. 1941. Die Behörde dürfe nach einer Entscheidung des Oberbürgermeisters für fünf „Judenwohnungen" ab 80 RM Miete und weitere fünf ab 130 RM Miete Reichsbeamte als Bewerber

benennen, StadtAM, Wohnungsamt 77.

2. Judenverfolgung und

403

„Wohnraumarisierung"

Wohneinheiten vorgenommenen Umwandlungen etwa zugunsten des Lebensborn oder der DAF, die einige Wohnungen in der Goethestraße in Klinikräume umbauen ließ, bedurften jeweils der Genehmigung der Stadt. Freilich konnte diese Zustimmung, wenn die Partei die Sache dringend machte, auch nicht verweigert werden35. Als Ergebnis der statistischen Auswertung kann festgehalten werden, daß die zumeist großbürgerlichen Wohnungen der verdrängten jüdischen Bevölkerung weder ihrer Zahl noch ihrer Größe und Ausstattung nach geeignet waren, dem Wohnungsproblem in München in signifikanter Weise abzuhelfen. Lediglich in einigen als politisch relevant eingestuften Fällen bot dieser Wohnraum eine Ausweichlösung, während er sozialpolitisch kaum von Bedeutung war. Die Erwartungen der „Arisierer" wurden in dieser Beziehung enttäuscht. Diejenigen unter ihnen allerdings, denen der materielle Gehalt der Wohnungsfrage ohnehin allenfalls als Vorwand gedient hatte und denen es vor allem um eins ging: der jüdischen Bevölkerung ihr Wohnrecht in der Gesellschaft abzusprechen, sie zu separieren und damit verstärkt dem Zugriff des Verfolgungsapparates auszusetzen, konnten alle ihre Hoffnungen erfüllt sehen. Der Entzug der Wohnung war nicht nur in der Chronologie der Verfolgung einer der letzten Schritte vor der Deportation, sondern dürfte auch subjektiv vielfach als vorläufiger Tiefpunkt der Deprivationserfahrungen empfunden worden sein. Während der Wohnungsverlust den Juden die letzte Möglichkeit nahm, dem Zugriff von Partei und Staat auszuweichen, sich „in die relative Geborgenheit ihrer häuslichen Umgebung zurückziehen [zu] können, um den öffentlichen Diffamierungen und Diskriminierungen zu entgehen"36, drehten die Täter wie so oft den Spieß um und deuteten in grenzenlosem Zynismus den Entmietungsvorgang, als ob seine Opfer ihn gewollt hätten und jetzt davon profitierten. In Wien, wo sich aufgrund des Verdrängungsprozesses Halbghettos in der Leopoldstadt und einigen anderen Stadtteilen bildeten, wurde die räumliche Konzentrierung den Juden als typische „Charaktereigenschaft" ausgelegt37. In München, wo vor dem planmäßigen Aufbau von ghettomäßigen Wohnanlagen vielfach Krankenhäuser, Sanatorien und Asyle die „Entmieteten" aufnahmen, wurden die Juden jetzt auch noch der unangemessenen Inanspruchnahme von Dienstleistungen bezichtigt: Ein Berichterstatter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP empörte sich, daß in einer ihm bekannten privaten Heilstätte Juden sich „bedienen" ließen, „denn aus der mir zugegangenen Mitteilung entstand deutlich der Eindruck, daß eine Reihe von Juden sich in diesem Sanatorium eingemietet hatte, um in dieser Zeit angenehm zu wohnen [und] verpflegt [zu werden] und dem Dienstbotenmangel zu entgehen"38. Die Zusammenlegung der jüdischen Bevölkerung in wenigen Wohnungen, Stiften und Pflegestätten39 war noch nicht der letzte Schritt, bevor sie den Weg in die Vernichtung antreten mußte. 1941/42 wurden, wie dargestellt, auch die letzten „Judenwoh-

nungen"

35 36 37 38

39

an

„Volksgenossen" weitervermietet,

die

jüdischen Bewohner

Vgl. oben, S. 192. Kwiet, Von der Ghettoisierung, S. 646. Botz, Wohnungspolitik und Judendeportation, S. 76. Tätigkeitsbericht des Rassenpolitischen Amts der NSDAP,

Gau

unterdessen

München-Oberbayern,

29.6.1940, in: Broszat u.a. (Hrsg.), Bayern in der NS-Zeit, Bd. 1, S. 482.

Auch im Anstalts- und Stiftungswesen wurden die jüdischen Bewohner auf wenige Einrichtungen zusammengedrängt, wie Angela Schwarz am Beispiel der Hamburger Wohnstifte zeigt. Schwarz, Von den Wohnstiften zu den „Judenhäusern".

IV. Die Wohnungsfrage im Krieg

404

ghettoisiert. Dafür dienten zwei Unterbringungsstätten: zum einen die sogenannte „Heimanlage" für Juden in Berg am Laim im Kloster der Barmherzigen Schwestern, die 275 Personen bot, und die Milbertshofen", die als Ba1941 1100 und auf maximal Menschen erst rackenlager aufgebaut ausgelegt wurde40. Die Einrichtung des Lagers wurde im März 1941 zunächst noch mit Kriegserfordernis-

Platz für

etwa

„Judensiedlung

begründet. Die Baracken sollten nach dem Willen von Gauleiter Wagner von einem bayerischen Alpen nach München gebracht und dort wiederaufgebaut werden, um die „in München wohnenden Juden, die im Falle eines Luftangriffes auf München ihre Wohnungen für Obdachlose zu räumen haben", aufzunehmen41. Daß die Juden mit dieser Maßnahme an das letzte Glied der Kette plaziert wurden und im Zweifelsfall auch ihre noch verbliebenen Wohnungen für Fliegergeschädigte freimachen sollten, stand in Kontinuität zum bereits länger andauernden Vorgehen in der „Entmietung", bei dem jüdische Familien schonungslos geräumt wurden, während man sich um „arische" Abrißmieter und ihr Schicksal große Sorge machte und jede Härte vermeiden wollte42. Von einer Luftkriegsmaßnahme war allerdings schon bald nicht mehr die Rede, während der „Arisierungsbeauftragte" jetzt versuchte, der Stadt die Ghettoisierung sen

Ort in den

schmackhaft zu machen, um ihr die Kosten aufbürden zu können: „Ein grosser Teil der

Juden, die bis zum Heutigen in den verschiedenen Stadtbezirken wohnten, verschwinden also mehr oder weniger aus dem Stadtbild und m.E. ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die Stadt München daran grosses

Interesse hat, die Beschleunigung des Barackenaufbaus durch finanzielle Beteiligung zu ermöglichen."43 Die Stadt ließ sich dazu überreden, die Kosten für die Barackenaufstellung an der Knorrstraße 148 aus ihrem Wohnungsfürsorgefonds vorzustrecken, nachdem klargestellt worden war, daß die hieran zu beteiligenden jüdischen Arbeiter keine Entlohnung erhalten sollten44. Ohnehin stellte sich nach einem halben Jahr heraus, daß alle Bedenken über die Finanzierung überflüssig gewesen waren. Die Juden hatten unter Anleitung einer Baufirma nämlich nicht nur unbezahlt ihr eigenes Ghetto aufbauen müssen. Jetzt wurden ihnen „freiwillige" Spenden und „Miet-Entschädigungen" abverlangt, mit Hilfe derer es der Gauleitung ein leichtes war, der Stadt die vorgestreckten Gelder zurückzuerstatten45. Die 40

41

42

43

44 45

Daß die Stadt München ihre Anlagen natürlich als „vorbildlich" und „richtungweisend" interpretierte, versteht sich; Kwiet, Von der Ghettoisierung, S. 635. Sowohl die „Judensiedlung" als auch die „Heimanlage", die in das Kapitel Verfolgungsgeschichte der Juden in München gehören, werden hier nur knapp behandelt. Neben den im folgenden genannten Quellen zu Milbertshofen v.a. Hanke, Geschichte der Juden, bes. S. 282-285, und zu Berg am Laim Behrend-Rosenfeld, Ich stand nicht allein. Vortrag Meitingers in der Sitzung der VFB-Beiräte vom 25.3.1941, Protokoll in: StadtAM, Wohnungsamt 58, Bl. 2f. Es finden sich immer wieder Hinweise wie bei einer Besprechung über die Abrisse für das Haus der Deutschen Architektur, daß „der Führer angeordnet habe, daß unter gar keinen Umständen eine Härte bei der Entmietung der Anwesensblöcke vorkommen dürfe". Vormerkung Hölzls vom 9.3.1939, StadtAM, Hochbauamt 897/5, Bl. 225. Hauptsturmführer Wegner, der die Leitung der Arisierungsstelle übernommen hatte, nachdem Dziewas im „Westfeldzug" gefallen war, an das Stadtbauamt, 23.4.1941, StadtAM, Wohnungsamt 58, Bl. 4. Dort auch zu den weiteren Finanzierungsfragen, die die Stadt beschäftigten.

Vormerkung des Dezernats 7/6 vom 27.5.1941, ebenda, Bl. 16. Die „freiwilligen" Spenden setzte selbst der Revisor der Gauleitung in seinem „Bericht über die Prüfung der Rechnungslegung" vom 16.12.1942, S. 30, in Anführungsstriche. StaatsAM, NSDAP 38.

2. Judenverfolgung und

„Wohnraumarisierung"

405

„Judensiedlung" entwickelte sich trotzdem noch zu einem einträglichen Geschäft für die Partei. Zum 30. September 1942 errechnete ein Revisionsbericht einen Überschuß von rund 670 000 RM, den man aus dem Lager herausgewirtschaftet hatte. Neben den erheblichen Summen, die von jüdischen Privatleuten aufgebracht werden mußten, erhielt die Gauleitung 300 000 RM von BMW für die Baracken, als sie die „Judensiedlung" im August 1942 auflöste46. Wie sah es um das Schicksal der jüdischen Bewohner aus?

Milbertshofen war für sie zur letzten Station in München geworden. Als seit November 1941 die Deportationszüge nach Theresienstadt und in die Vernichtungslager im Osten rollten, entwickelte sich die „Judensiedlung" zur Sammelstelle für den Transport in den Tod. Es ist möglich, daß auch in München die bedrängte Wohnlage Anlaß gab, die Deportationen beschleunigt voranzutreiben. Für andere Orte konnte dieser Zusammenhang nachgewiesen werden, vor allem allerdings vor dem Hintergrund der Verschärfung der Unterbringungsfrage im Bombenkrieg47. In München trat diese Situation erst seit 1943 ein, zu einem Zeitpunkt, als die Judendeportationen bereits abgeschlossen waren. In seiner Funktion als „Auffang-, Kontroll- und Durchgangslager" zur Koordination der Deportationen aus München und Umgebung war Milbertshofen zeitweise stark überbelegt und beherbergte über 1 300 Personen48. Um so gespenstischer ist es, wie schnell diese Menschen von der Todesmaschinerie des Nationalsozialismus verschluckt wurden. Im August 1942 waren noch 16 Insassen zurückgeblieben, die man nach Berg am Laim verbrachte. In der „Heimanlage", die bei scheinbarer Selbstverwaltung fest im Würgegriff der „Arisierungsstelle" war, erhielt man den Betrieb ebenfalls nur noch bis zum März 1943 aufrecht49. Die Deportationen, nicht selten auch Selbstmorde, ließen hier die Bewohnerzahlen gleichfalls rapide zusammenschmelzen. Wenig später befand selbst die „Arisierungsstelle", daß sie angesichts der minimalen Zahl von verbliebenen Juden in München überflüssig sei, und stellte ihre Tätigkeit ein50.

46 47

48

Ebenda, S. 30f.

Witte, Zwei Entscheidungen in der „Endlösung der Judenfrage", bes. S. 43-46. Hanke, Geschichte der Juden, S. 290, auch Ophir/Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden, S. 55f.

49

50

Hanke, Geschichte der Juden, S. 294; Behrend-Rosenfeld, Ich stand nicht allein, passim. Im Juni 1943, vgl. Hanke, Geschichte der Juden, S. 296.

3. Der

„Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau" und

die Organisation der Münchner Wohnungspolitik im Krieg Im Hinblick auf die Organisation und Durchsetzung kommunaler Interessen im

„Drit-

Reich" kann man für die Zeit des Zweiten Weltkrieges zweierlei konstatieren: Zum einen verstärkten sich die Tendenzen zur Beschneidung der kommunalen Selbstverwaltungsrechte zugunsten einer jetzt noch stärkeren Zentralisierung bei den staatlichen Instanzen. Schon zu Beginn des Krieges wurde etwa das durch die Deutsche Gemeindeordnung ohnehin ausgedehnte Aufsichts- zu einem Weisungsrecht umfunktioniert1. Zum anderen aber nahm das geht aus Besprechungsprotokollen, internen Denkschriften und sogar veröffentlichten Artikeln eindeutig hervor die Bereitschaft der Gemeindevertreter in beträchtlichem Maße zu, sich gegen die immer einschneidendere Beschränkung ihrer Rechte zu solidarisieren und ihrer Kritik auch Ausdruck zu verleihen. Während die Vertreter der kommunalpolitischen Seite wohl ein gewisses Verständnis für die Indienstnahme der Gemeinden im Rahmen der Kriegsaufgaben des Staates aufbrachten, fehlte ihnen indes jegliche Toleranz für die sich mehrenden „eigenmächtige^] Eingriffe verwaltungsfremder Stellen" in ihre Kompetenzbereiche2. Ein besonders offener Ton wurde in den Kriegsgremien des Deutschen Gemeindetags (DGT) gepflegt, in denen die Oberbürgermeister unter sich waren. Einige von ihnen gingen scharf mit der Reichsspitze ins Gericht, jedoch war auch hier wieder die Tendenz erkennbar, den „Führer" selbst von den Vorwürfen auszunehmen, die man gegen seine Umgebung um so heftiger vorbrachte. Karl Fiehler als Vorsitzender des DGT konstatierte zwar gemeinsam mit seinen Kollegen „eine Reihe von Mängeln in der Verwaltung" und wehrte sich im Namen der Gemeinden dagegen, „von allen möglichen Aussensteilen Weisungen usw. entgegen[z«]nehmen; denn dann weiss überhaupt niemand mehr, wie gearbeitet werden soll, was recht ist und was nicht"3. Der ihm eigene vorsichtige Ton und seine Strategie der Konfliktvermeidung waren aber einigen Bürgermeistern schon längst zu wenig; sie wollten sich ihre Rechte nicht völlig abkaufen lassen, sondern forderten vom DGT, „die Arbeit für die Selbstverwaltung etwas intensiver, massiver und energischer zu gestalten". Der heftige Aufruf des Kölner Oberbürgermeisters Schmidt ging so weit, die Ablösung der „Leisetreter" in der Leitungsebene des DGT zu fordern, um den Kampf für die Wiedereinsetzung der Gemeinden in ihre Rechte offensiver fuhren zu ten

-

-

1

2

Vgl. Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, bes. S. 317 und passim. Nach dem Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Vereinfachung der Verwaltung vom 28.8.1939 wurden

den obersten Reichsbehörden die ihrer Aufsicht unterstehenden Körperschaften des öffentlichen Rechts unterstellt. „Die bisher mit Aufsichtsbefugnissen ausgestatteten nachgeordneten Behörden erhalten Weisungsbefugnis gegenüber den bisher von ihnen beaufsichtigten Dienststellen." Abschnitt V, Satz 1, RGBl. 1939/1, S. 1535-1537. Heinz Jobst, Gegenwartsfragen nationalsozialistischer Kommunalpolitik, in: NS-Gemeinde 11 (1943), S. 177-182, hier 179. Vgl. ebenda auch die Bereitschaft, die Notwendigkeiten der Kriegsverwaltung zu akzeptieren: „Zumal in Kriegszeiten ist es unvermeidlich, daß die staatlichen Auftragsangelegenheiten gegenüber den Selbstverwaltungsaufgaben eine starkes Übergewicht erhalten."

3

Fiehler in der Sitzung des Ausschusses für Verwaltungsvereinfachung des Oberbürgermeistergremiums des DGT, 14.12.1940, S. 2f, LA Berlin, Rep. 142/7, 0-1-13-7, Akte 1.

3. Der

407

„Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau"

können4. Freilich kam es nicht zu einer solchen Gemeindetagsrevolution, und die Appelle der kommunalpolitischen Vertreter ob leise oder laut vorgebracht verhallten weitgehend ungehört. Der Krieg förderte unterdessen den Machtzugewinn der mit außerordentlichen Kompetenzen und häufig mit einem unmittelbaren „Führerauftrag" versehenen Sondergewalten, wie im folgenden für den Komplex der Wohnungspolitik exemplifiziert werden soll. -

-

Die Planungen für den

Wohnungsbau nach dem Krieg Offenbar mitverursacht durch die raschen militärischen Erfolge im „Westfeldzug", kamen Mitte 1940 auf mehreren Ebenen Überlegungen zur Planung des Wohnungsbaus nach dem Krieg in Gang5. Noch bevor Frankreich besiegt worden war, forderte der Reichsarbeitsminister in einem umfangreichen Erlaß über das „Wohnungsbauprogramm nach dem Kriege" die für das Wohnungs- und Siedlungswesen verantwortlichen Behördenleiter auf, schon jetzt Vorbereitungen für die Nachkriegszeit zu treffen. Er visierte sowohl ein Sofortprogramm an, das quasi als „erste Hilfe" nach Kriegsende greifen und vor allem die stillgelegten Bauvorhaben wiederbeleben sollte, wie auch ein umfassendes Wohnungsbauprogramm, das auf der Basis eingehender statistischer Erhebungen im Anschluß an das Sofortprogramm einzuleiten wäre6. Flankiert wurde diese Initiative von Julius Brecht, dem Reichsverbandsleiter des gemeinnützigen Wohnungswesens, der die Heimstätten und Wohnungsunternehmen als die gegebenen Partner des Ministeriums für solche Programme begriff und seinerseits einige Überlegungen zur „Vorbereitung des Wohnungsbaues nach dem Kriege" beisteuerte7. Das Thema lag ohne Zweifel in der Luft, ob in Denkschriften der DAF oder Besprechungen der Oberbürgermeister; es kursierten zahlreiche Pläne und konkurrierende Modelle8. Am 15. September 1940 griff Hitler mit dem energischen Instrument eines Führererlasses in die schwebenden Diskussionen ein, in dessen Folge ein Ausschuß unter dem Vorsitz Robert Leys konstituiert wurde, der die Grundlinien des Nachkriegswohnungsbaues skizzieren sollte9. Beteiligt wurden außerdem der Stellvertreter des Führers, der Reichsarbeits- und der Reichsfinanzminister, der Generalbevollmächtigte für die Bauwirtschaft, der Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt und mit einem deutlichen -

4

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8

9

Schmidt in der Sitzung des Oberbürgermeistergremiums des DGT, 27.9.1940, ebenda, Akte 2. Neben Schmidt trat vor allem der Nürnberger Oberbürgermeister Willi Liebel stets mit äußerster Entschlossenheit auf, er genoß bei Hitler eine privilegierte Stellung. Vgl. dazu Zelnhefer, Von Weimar ins Dritte Reich, S. 28. Vgl. Recker, Reichskommissar, S. 334f. Abdruck des Erlasses vom 13.6.1940 in: ZWB 38 (1940), S. 173-175. Schon am 30.5.1940 hatte Brecht „Richtlinien zur Vorplanung von Wohnungsbauvorhaben nach dem Kriege" für die ihm unterstellten Wohnungsunternehmen verfügt, die zusammen mit dem Erlaß des RAM abgedruckt wurden: ZWB 38 (1940), S. 175-179. Vgl. außerdem ders., Vorbereitung des Wohnungsbaues nach dem Kriege, in: Die Wohnung 15 (1940), S. 103-106. Vgl. Harlander/Fehl (Hrsg.), Hitlers Sozialer Wohnungsbau, S. 98f., und Dokumente 1-5, S. 110-130. Außerdem Niederschrift über die Sitzung des Oberbürgermeistergremiums des DGT am 4.4.1940 mit Vortrag von Harbers und ausführlicher Besprechung über den Wohnungsbau (S. 3-80), LA Berlin, Rep. 142/7, 0-1-13-7, Akte 1. Ausführlich zu den Beratungen und inhaltlich kontroversen Punkten im Ausschuß Harlander, Heimstätte und Wohnmaschine, S. 194-206.

408

IV. Die Wohnungsfrage im

Krieg

Bedeutungsgefälle zu den übrigen der Leiter des Hauptamtes für Kommunalpolitik. Die Hinzuziehung Fiehlers bedeutete eine Konzession an die Gemeinden, die als ausführende Stellen im Wohnungswesen noch immer eine wesentliche Rolle spielten10. Der Münchner Oberbürgermeister nutzte dann auch die Gelegenheit, um in einer Denkschrift die Ausschußmitglieder mit der Sicht eines Gemeindevertreters auf die Wohnungsnot zu konfrontieren. Eine Lösung suchte er allerdings nicht innerhalb der bisherigen Verwaltungszuständigkeiten, sondern schlug „die Zusammenfassung aller mit dem Wohnungsbau zusammenhängenden Zuständigkeiten der Reichsverwaltung in der -

Hand eines mit ausreichenden Vollmachten ausgestatteten Reichskommissars für Wohnungsbau" vor11. Während Fiehler auf dieser Stelle eigentlich Fritz Todt sehen wollte, fügte er sich dann im Ausschuß der Beauftragung Leys mit einem Kommissariat für den Wohnungsbau der Nachkriegszeit und stimmte dem entsprechenden Erlaß Hitlers vom 15. November 1940 zu12. Sowohl Fiehlers Denkschrift wie auch sein Verhalten im Ausschuß sind wohl aus seinem Wunsch zu erklären, keinesfalls seine stets prekäre Stellung in der Reichspolitik zu unterminieren. Unter seinesgleichen, das heißt gegenüber seinen Bürgermeisterkollegen, äußerte er sich aber bald wieder sehr kritisch über die Tendenz zur Einsetzung von Sonderbehörden und Aushöhlung der Regelverwaltung13. Dabei spielten offenbar auch die ersten Erfahrungen mit dem neuen Reichskommissar eine Rolle. „Von Anfang an ließ Ley keinen Zweifel daran, daß er und zwar er allein sich für das gesamte Feld des Wohnungsbaus einschließlich des Siedlungs- und Städtebaus zuständig fühlte, und begann dementsprechend zu handeln."14 Letztlich wurden damit 10

11

12

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14

Zum Führererlaß vom 15.9.1940, zur Konstituierung und Besetzung des Ausschusses, in dem ein Teil der hochkarätigen Mitglieder sich freilich vertreten ließ, und zur Hinzuziehung Fiehlers vgl. Niederschrift über die 7. Sitzung des Oberbürgermeistergremiums des DGT, 27.9. 1940, bes. S. 2-12 und 70-84, ebenda, Akte 2. Aus der Literatur Recker, Reichskommissar, S. 335, Smelser, Robert Ley, S. 274, und Harlander, Heimstätte und Wohnmaschine, S. 196f. Denkschrift vom 18.10.1940, BArch, R 43/11, 1007b, Bl. 76-126, hier 115 (Hervorhebung im Original). Nach Ansicht von Recker hat Fiehler die Schaffung eines Reichskommissariats „in die Debatte geworfen", was freilich nur in dem Sinne stimmt, daß der Münchner Oberbürgermeister hier eine Idee aufgriff, die bereits im Umlauf war (Recker, Reichskommissar, S. 335). So waren nach einer Aufzeichnung des bayerischen Ministerpräsidenten Siebert schon am 31.7.1940 die Vertreter des gemeinnützigen Wohnungswesens, Brecht und Wallner, bei ihm, um ihn für die Übernahme eines Reichskommissaramtes zur organisatorischen Betreuung des Wohnungsbaus nach dem Krieg zu gewinnen. Bereits Anfang 1939 hatte Wallner in ähnlicher Weise bei Siebert, für den offenbar auch Hitler zeitweise die Übernahme einer Position an der Spitze des Wohnungs- und Siedlungswesens erwogen hatte, sondiert. Allerdings wurde Siebert bei der Besetzung des Ausschusses im September 1940, der richtungweisend gleich unter den Vorsitz von Ley gestellt wurde, nicht berücksichtigt. Vgl. Vormerkungen vom 18./19.1.1939 der bayerischen Regierung, BayHStA, MF 68115, und Vormerkungen Sieberts vom 6.8.1940 und 23.9.1940, BayHStA, MF 68118. Vgl. Fiehler an Ley, 29.10.1940 (Abschrift), BArch, R 43/11, 1007b, Bl. 72-75; außerdem „Stellungnahme der dem Ausschuss angehörenden und von dem Vorsitzer hinzugezogenen Mitglieder" zum Führererlaß vom 15.11.1940, nach der lediglich Franz Seldte gegen die Beauftragung Leys gestimmt hatte, BArch, R 43/11, 1007a, Bl. 153f. Vgl. Fiehler in der Sitzung des Ausschusses für Verwaltungsvereinfachung des Oberbürgermeistergremiums des DGT, 14.12.1940: „Ich bin fest überzeugt, dass, wenn nicht eine weitere Dezentralisation erfolgt, wir letzten Endes eines Tages ein Heer von hundert Reichskommissaren haben werden und kein einziges Ministerium noch wirklich arbeiten wird." (Niederschrift, S. 9 und passim, LA Berlin, Rep. 142/7, 0-1-13-7, Akte 1). Harlander, Heimstätte und Wohnmaschine, S. 208.

3. Der

aber

„Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau"

409

Kompetenzen nicht nur dem Reichsarbeitsministerium als konkurrierender Zen-

trale, sondern auch den Gemeinden als dezentralen Ausführungsorganen weggenommen.

Der Führererlaß vom 15. November 194015 galt explizit der Vorbereitung des Wohnungsbaues nach dem Krieg und bestellte zu diesem Zweck einen „Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau", nämlich Robert Ley. Trotz des eigentlich begrenzten Auftrags, nämlich zum einen auf die Nachkriegszeit, zum anderen auf den „sozialen Wohnungsbau", war für alle Beteiligten nach kurzer Zeit deutlich, daß für Ley ein weiter definitorischer Spielraum geblieben war, den er mit großer Energie auszufüllen begann. Die daraus resultierenden, vor allem für den Reichsarbeitsminister bis an die Grenze des Erträglichen gehenden Konflikte sind für diese Studie insofern von Bedeutung, als es sich nicht um bloße Machtkämpfe in einem abgezirkelten, von der Durchführungsebene scharf getrennten Ring handelte, sondern sie in zum Teil konkurrierender Instanzenbildung und Anweisungspraxis sehr deutlich auf das Wohnungs- und Siedlungswesen vor Ort durchschlugen16. Schon im Führererlaß war die Beauftragung der Gauleiter mit der Funktion von Gauwohnungskommissaren vorgesehen worden,

die für „die gebietliche Lenkung des Wohnungsbaues" zuständig waren und sich für diese Aufgabe der staatlichen Verwaltungsstellen bedienen sollten17. Es ist wahrscheinlich, daß die Einrichtung der Gauwohnungskommissare auf Fiehlers Denkschrift zurückgeht, der eine solche „Mittelinstanz" vorgeschlagen hatte18. Nicht überall war aber diese Vermischung von Parteiherrschaft mit staatlichem Ausführungsauftrag, die im übrigen vom Stellvertreter des Führers deutlich kritisiert wurde19, so leicht zu bewerkstelligen wie in Bayern, wo Gauleiter Wagner in seiner Funktion als Innenminister ohnehin über den notwendigen Behördenapparat verfügte. Die Neugestaltungsbeauftragten in den „Führerstädten" sollten in ihren Zuständigkeiten eigentlich „unberührt" bleiben20, was angesichts der de facto notwendigen Identität von den im Führererlaß gemeinten Wohnungsbauaufgaben und den in die Neugestaltungspläne aufgenommenen Wohnungsbauprogrammen auch nur eine theoretische Forderung sein konnte. Infolge der hier nur angedeuteten inhaltlich unzulänglichen Abgrenzungen und Definitionen im Führererlaß wurde auf allen Ebenen von der Reichsspitze bis zu den Gemeinden eine Auseinandersetzung um verbindliche Interpretationen und berechtigte Ansprüche ausgetragen. Für den Reichsarbeitsminister drehte es sich vor allem darum, Ley nur auf ein Segment des Wohnungswesens zurückzudrängen, eben den „sozialen Wohnungsbau", der freilich eine Konkretisierung als politisch-rechtlicher Begriff, wie sie in der Wohnungsbau-Gesetzgebung der Bundesrepublik vorgenommen wurde, 15

16

17

18 19

Der Erlaß vom 15.11.1940 ist abgedruckt bei Harlander/Fehl, Hitlers Sozialer Wohnungsbau, S. 13lf. Die bei Harlander/Fehl abgedruckten Quellen werden im folgenden nach dieser Dokumentation zitiert. Die Auseinandersetzungen auf der Führungsebene werden hier nur knapp behandelt. Mehr dazu bei Recker, Reichskommissar, und Harlander, Heimstätte und Wohnmaschine, S. 206-213. Erlaß vom 15.11.1940, Abschnitt XI, Harlander/Fehl, Hitlers Sozialer Wohnungsbau, S. 132. Denkschrift vom 18.10.1940, BArch, R 43/11,1007b, Bl. 117-119. Recker, Reichskommissar, S. 336. Die Parteikanzlei blieb später angesichts des Expansionsdranges von Ley der Linie treu, daß Partei und DAF keine staatlichen Aufgaben im Wohnungsbau an sich ziehen sollten, und versuchte, entsprechend gegenzusteuern. Vgl. unten, S. 419.

20

Erlaß vom 15.11.1940, Abschnitt XI, Harlander/Fehl, Hitlers Sozialer Wohnungsbau, S.

132.

410

IV. Die Wohnungsfrage im Krieg

noch nicht erfahren hatte21. So mußte es offenbleiben, ob tatsächlich, wie es das Reichsarbeitsministerium wollte, nur der Wohnungsbau „für diejenigen Kreise, welche aus eigener Kraft eine bevölkerungspolitisch und sozialpolitisch zu fordernde wohnliche Versorgung nicht zu erlangen vermögen"22, gemeint war oder ob dem Reichskommissar zuzustimmen war, der sich für den „neuen, deutschen Wohnungsbau" als solchen zuständig sah, und zwar mit dem besonderen Auftrag, ihn „in seiner Gesamtheit [zu] typisieren, [zu] normieren und den Bauvorgang [zu] mechanisieren"23. Der „soziale Wohnungsbau" in Leys Konzept war eben gerade kein „Volkswohnungsbau" mehr, er sollte nicht in einem minimalisierten und nur auf die Bedürfnisse der Minderbemittelten zugeschnittenen Bauprogramm umgesetzt werden, sondern beanspruchte Allgemeinverbindlichkeit und benutzte als Legitimation den Volksgemeinschaftsgedanken24. Der Streit um den „sozialen Wohnungsbau" wurde freilich nicht auf der rechtlich-definitorischen Ebene entschieden, sondern im Rahmen einer erbitterten politischen Auseinandersetzung, bei der es um Personalkapazitäten, Anweisungsbefugnisse und den gegenseitigen Vorwurf der Kompetenzanmaßung ging25. Zwischenzeitliche Versuche, auch unter Einschaltung von „neutralen" Stellen wie der Reichskanzlei, Kompromißformeln zu finden, stellten sich als weitgehend hoffnungslose Unterfangen heraus. So konnten sich Arbeitsministerium und Reichskommissariat in Vereinbarungen vom August 1941 zwar auf Zuständigkeitsabgrenzungen in einigen Einzelfragen einigen; die eigentliche Schlüsselfrage aber, wessen Aufgabengebiet der „Wohnungsbau im allgemeinen" sei, blieb ungeklärt und wurde „angesichts der durch den Krieg bedingten Inanspruchnahme des Führers" erst einmal vertagt26. 21

22

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24

25

Vgl. Schulz, Wohnungspolitik und soziale Sicherung nach 1945, S. 492-497. Zur Definition des „sozialen Wohnungsbaus" in den vierziger Jahren Harlander/Fehl, Hitlers Sozialer Wohnungsbau, S. 107, Anm. 6, und ebenda, S. 178-186, den Artikel von Hans Wagner, Die Neuordnung des Deutschen Wohnungsbaues, vom März 1941: „Sozialer Wohnungsbau ist derjenige Wohnungsbau, der Wohnungen nach durchschnittlichen Bedürfnissen in Serie für die breite Masse herstellt" (S. 183). Diese Definition war freilich, wie im folgenden zu zeigen sein wird, schon ganz auf die Auffassungen Leys zugeschnitten, bei dem Wagner Geschäftsführer war.

Definition des RAM im Aktenvermerk von Ministerialrat Lehmann, 29.8.1941, BArch, R 41, 699, Bl. 16-18, hier 16. Der Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau an Reichsminister Seldte, 5.4.1941 (Abschrift), BArch, R 43/11, 1009, Bl. 70f. Vgl. Harlander/Fehl, Hitlers Sozialer Wohnungsbau, S. 22f., und weiter das Vortragsmanuskript „Der Wohnungsbau als soziale Aufgabe" (Sommer 1941) von Leys Geschäftsführer Hans Wagner in: BArch, R 43/11, 1009, Bl. 104-129, bes. 129: „Es gibt keinen .sozialen Sektor' des Wohnungsbaues. Die Lehre des Nationalsozialismus ist die Lehre vom Volksganzen, von der

Volksgemeinschaft." (Hervorhebung im Original) Ein gewichtiger Streitpunkt betraf die Hauptabteilung IV (Wohnungs- und Siedlungswesen)

des Ministeriums, die sich Ley kurzerhand unterstellt hatte. Seldte konnte hier aber einen Etappensieg erringen und erreichte, daß in einem Führererlaß vom 4.2.1941 klargestellt wurde, daß

26

die Abteilung dem Reichskommissar nur zur Erfüllung seiner Aufgaben zur Verfügung stünde und nur hinsichtlich des sozialen Wohnungsbaus an seine Weisungen gebunden sei, ansonsten aber der RAM weiterhin oberster Dienstherr bliebe. Vgl. Dienstanweisung Nr. 5 des Reichskommissars für den sozialen Wohnungsbau, 25.1.1941 (Abschrift), BArch, R 41, 699, Bl. 2f, und Seldte an Ley, 1.4.1941 (Abschrift), BArch, R 43/11, 1009, Bl. 56-58. Vgl. auch Recker, Reichskommissar, S. 339. Aktenvermerk von Ministerialrat Lehmann über die „Zuständigkeitsabgrenzung", 29.8.1941. Demnach fielen „alle Maßnahmen zur Errichtung von Wohnungs- und Siedlungsbauten" nach dem Führererlaß vom 15.11.1940 in die Zuständigkeit des Reichskommissars, wobei ja gerade

3. Der

„Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau"

411

Vorbereitungen des Führererlasses vom 15. November neue Vorgehensweise Hitlers in der Wohum die sich durchaus nicht die strittige Kompetenzenfrage drehten. nur laut, nungsfrage Die Wohnungspolitiker in der bayerischen Regierung äußerten sich etwa frühzeitig gegen die Konzentration auf den rationalisierten Mietwohnungsbau, von der sie richtig erkannten, daß sie die Oberhand gewinnen würde. Sie warfen den Verantwortlichen für die neue Linie zu Recht vor, die vom Nationalsozialismus selbst aufgestellten Prinzipien der Bevorzugung von Kleinsiedlung und Eigenheim in einer Kehrtwende plötzlich zu verwerfen und damit auch die Bevölkerung vor den Kopf zu stoßen. „Es würde nicht nur von den Betroffenen, sondern darüber hinaus auch allgemein vom nationalsozialistischen Standpunkt aus nicht verstanden werden, weshalb nun ausgerechnet am Ende des siegreichen Krieges die nationalsozialistischen Ideen von der Wichtigkeit, die Arbeiter mit dem Heimatboden durch Eigenbesitz zu verbinden, die Zusammenballung weiterer Volksmassen in den Großstädten möglichst hintanzuhalten und die Volksgenossen in den Landratsbezirken durch Besserung der Wohnungsverhältnisse festzuhalten, aufgegeben werden sollen." Am Ende könne „der Führer", der diese Ideen doch „zu Grundsätzen der Staatspolitik" erhoben habe, mit seinem neuen Wohnungsbauprogramm „bloßgestellt" werden, so die Befürchtungen von Ministerialrat Friedrich Schon

zum

Zeitpunkt

der

1940 wurden etliche Bedenken gegen diese

-

-

Gruber27. Und sein Vorgesetzter, Staatssekretär Hans Dauser, machte sich vor allem über die geplante Erhebung der Vier-Raum-Wohnung zur Norm Gedanken, weil er hierin eine zu hoch gesteckte Festlegung für ein unmittelbar nach dem Krieg in Gang zu setzendes soziales Sofortprogramm sah28. Wenig von den Wünschen der bayerischen Politiker schlug sich im Inhalt des Führererlasses und noch weniger in seiner Ausgestaltung seitens des Reichskommissars für den sozialen Wohnungsbau nieder. Zwar kam es für die Durchführungsebene des Programmes nicht, wie Gruber bereits befürchtet hatte, zu einer völligen Fixierung auf das Reich und von ihm beauftragte Wohnungsgesellschaften, sondern blieben die Gemeinden grundsätzlich als Ausführende und Verwaltende integriert29. Auch die Formen der Kleinsiedlung und des Eigenheims wurden noch erwähnt, wenngleich die Geschoßwohnung an erster Stelle stand30. Aber die Planungsarbeit, die im Stabe Leys stattfand, konzentrierte sich schließlich ganz auf den normierten und rationalisierten Mietwohnungsbau, für den der Führererlaß die Grundlinien vorgab. 80 Prozent aller Wohnungen sollten tatsächlich vier Räume haben, nur je zehn Prozent durften einen Raum mehr bzw. einen Raum weniger haben. Abweichungen waren nur für ganz besondere Ausnahmefälle vorgesehen, Einheitsgrundrisse sollten die Physiognomie künftiger Wohnbauten bestimmen, die Normierung einzelner Teile wie Türen und Fenster war zur Verbilligung und Beschleunigung des Bauprozesses gedacht31. Hier sollte auch der

27

28 29

30 31

fraglich war, welche das sein sollten. Außerdem gehörte das gemeinnützige Wohnungswesen zu seinen Kompetenzen, während die städtebauliche und Baupolizei-Gesetzgebung, die des Wohnungsbestandes und das Kleingartenwesen in der Hand des Ministeriums Betreuung verbleiben sollten. BArch, R 41, 699, Bl. 16-18. Gruber an Fiehler (als Ausschußmitglied), 9.10.1940, BArch, R 43/11, 1007a, Bl. 7-9, hier 8. Dauser an Hitler, 15.11.1940, ebenda, 1007b, Bl. 57-60. Dazu konnte Fiehler im Ausschuß beitragen, vgl. Harlander, Heimstätte und Wohnmaschine, S. 203f. Vgl. Abschnitt III und VII des Erlasses, Harlander/Fehl, Hitlers Sozialer Wohnungsbau, S. 131. Vgl. Abschnitt VII und VIII des Erlasses, ebenda, S. 131f.

IV. Die Wohnungsfrage im

412

Krieg

Einsatz der öffentlichen Hand für die Finanzierung einsetzen: Nicht eine großzügige Subventionierung einzelner Bauprojekte wurde ins Auge gefaßt, sondern eine generell greifende Senkung der Herstellungskosten durch „Rationalisierung auf der einen Seite und schärfste Preiskontrollen auf der anderen"32. Wie die zitierten Einwände gegen das Programm verdeutlicht haben dürften, wurde es zeitgenössisch als große Wende, sogar als Abkehr von nationalsozialistischen Prinzipien empfunden, die viele noch in unbedingter Bevorzugung der Bodenverbundenheit und des Siedlungsgedankens wähnten. Tatsächlich setzte sich aber im Wohnungsbauprogramm für die Nachkriegszeit eine schon vorher immanente Linie nationalsozialistischer Wohnungspolitik durch. Die Uniformierung und Normierung hatte auch auf Siedlungsideologen vom Typ Gottfried Feders schon einen gewissen Reiz ausgeübt. Auch die gebauten Kleinsiedlungen der dreißiger Jahre hatten ja keinen individualisierenden Architekturstil verkörpert, sondern waren mit den Mitteln vereinheitlichter Grundrisse und simplifizierter Baugestaltung realisiert worden33. Neu war allerdings und das löste wohl das Erschrecken von Leuten wie Gruber aus -, daß jetzt ein offenes Bekenntnis zum modernen Massenwohnungsbau abgelegt wurde. Lange Zeilen und vier bis fünf Geschosse waren kein Tabu mehr, Hochbauten traten an die Stelle von Flachbauten, öffentliche Grünflächen statt parzellierter Kleingärten sollten für Durchgrünung sorgen. In der Produktion lag nicht mehr die Betonung auf handwerklichen Elementen und heimischem Baugewerbe, sondern auf Verbilligung, Normierung und Mechanisierung34. Die Dichotomie von Heimatstil und Rationalisierung um das von Harlander/Fehl konzeptualisierte Gegensatzpaar zu gebrauchen löste sich auf zugunsten einer eindeutigen Bevorzugung der Rationalisierung35. Auf der Durchführungsebene konnte man diesen Trend unter den Aufrüstungsbedingungen schon zuvor beobachten. Verkörperte die Münchner Volkswohnungsanlage Berg am Laim mit Kleinstreihenhäuschen und Parzellengärten noch eine echte Mischform, war im späteren Volkswohnungsbau in München die Entscheidung schon zugunsten vereinheitlichter Zeilen -

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von

Fünf-Familien-Häusern gefallen.

Leys Mitarbeiterstäbe rationalisierten und planten, entwarfen Einheitsgrundrisse und Fertigbauteile, normierten und typisierten. Mit der Wohnungsproduktion im indu-

striellen Maßstab sollte endlich die schon so lange schwelende und nicht mehr zu leugnende Wohnungskrise behoben werden36. Enthusiasmus, ja Begeisterung beherrschte die Rationalisierer, weil „der Führer" nun endlich darangegangen war, den „Wohnungs-

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Als

spezifische Form der Subvention sollten allerdings noch Kinderbeihilfen gewährt werden, Wagner, Neuordnung (wie Anm. 21), S. 185. Vgl. Fehl, Typisierter Wohnungsbau, S. 77. Vgl. ebenda, S. 78f. Fehl weist darauf hin, daß die Abkehr von heimisch-handwerklichen Bauformen auch den großangelegten Einsatz von Zwangsarbeit durch ungelernte Kräfte ermöglichte. Ausführlich zu dem Gegensatz von Heimatschützern und Rationalisierern Harlander/Fehl, Hitlers Sozialer Wohnungsbau, S. 35-44. Bei Kriegsbeginn wurde der Wohnungsfehlbedarf im Altreich auf 1,5 Millionen Wohnungen beziffert, bis 1944 gingen die Schätzungen angesichts der Zerstörungen auf 3,5 Millionen hoch. Vgl. Denkschrift des Leiters der Hauptabteilung IV im RAM, Knoll, von 1939, BArch, R41, 715, Bl. 23-28, hier 24, und Denkschrift von Konstanty Gutschow von 1944 betr. Wohnungsbau nach dem Kriege (Abschrift, S. 1), StadtAM, Nachlaß Hanffstengel, Ordner 1.

3. Der

„Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau"

413

bedürfnisse[n] des deutschen Menschen" in ihrem Sinne Rechnung zu tragen37. Hitlers

Zugeständnis lag darin, sich von der Siedlungsideologie und Betonung der Schollenverbundenheit zu lösen, sie als nationalsozialistische Ideale preiszugeben, um ein Bekenntnis zum Industriezeitalter abzulegen: Mit industriellen Methoden sollte für die Bedürfnisse einer urbanen Massengesellschaft gebaut werden38. Erste „Erprobungstypen" für die Grundrißgestaltung und „Reichsbauformen" für normierte Wohnelemente wurden im Krieg noch entwickelt, mehrere tausend Wohneinheiten in Anlagen und Großsiedlungen mit Experimentcharakter erstellt39. Jenseits des Reißbrettes schlug sich das neue

serielle Bauen außerdem in der seit 1943 einsetzenden Behelfsheimaktion nieder, die im letzten Abschnitt eingehender zu behandeln ist. Am Beispiel der Einsprüche aus dem bayerischen Ministerium wurde bereits deutlich gemacht, daß die Einsetzung der Vier-Raum-Wohnung als Norm keineswegs überall auf Gegenliebe stieß. Viele hielten diesen relativ großzügigen Maßstab nicht weniger als 74 qm sollte die Zukunftswohnung laut Führererlaß umfassen für einen „Propagandabluff"40, denn war nicht bis zuletzt im Kleinsiedlungs- und Volkswohnungsbau versucht worden, Familien auf 30 bis 40 qm unterzubringen? Während Ley für die Erprobung von Grundrißtypen und Reichsbauformen vor allem auf die hauseigene gemeinnützige Gesellschaft „Neue Heimat" zurückgriff41, blieben in München die im Volkswohnungsbau bereits bewährten Gesellschaften den hier geltenden Maßstäben verhaftet und setzten, wie die GWG am Harthof oder die Gewofag in Neuhausen, weiter auf die Erstellung billiger Kleinwohnungen42. Häufig waren freilich die Projekte schon vor Kriegsbeginn geplant oder auch begonnen worden, dann den Bausperren zum Opfer gefallen, und wurden seit 1940 als „kriegswichtige" Bauten weitergeführt, ohne daß die neugesetzten Normen irgendwelchen Einfluß auf ihre Ausgestaltung nah-

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men43.

Während die Weiterführung begonnener Bauvorhaben im wesentlichen „nur" von den Weichenstellungen des Generalbevollmächtigten für die Regelung der Bauwirtschaft (GB Bau) bzw. seines Gebietsbeauftragten abhängig blieb, komplizierten sich die Dinge im Bereich der Planung neuer Wohnungsbauprojekte. Nicht so sehr die Prototy-

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Wagner, Neuordnung (wie Anm. 21), S. 178. Besonders eindrücklich seine rhetorischen Fragen: „Wir wollen es offen bekennen: Wie oft haben wir uns seit 1933 die Frage vorgelegt, Hans

faßt der Führer den Wohnungsbau nicht an, warum gibt er auf einem so wichtigen Gebiet der Sozialpolitik nicht den Befehl zur Neuordnung, den Befehl zum Losschlagen? Bewegt ihn diese Frage nicht, oder unterläßt es seine Umgebung, ihm die Nöte des Volkes auf diesem Gebiete vorzutragen? Heute wissen wir genau, es waren törichte Fragen, die wir hier und da gestellt haben." Vgl. genauer zu den Methoden und Zielen des „sozialen Wohnungsbaus" Fehl, Typisierter Wohnungsbau, S. 78f. Vgl. Harlander, Heimstätte und Wohnmaschine, S. 221-227; Harlander/Fehl, Hitlers Sozialer Wohnungsbau, S. 26f., und den Artikel von Jacob, Erprobungstypen (erschienen 1941 in „Der soziale Wohnungsbau in Deutschland"), ebenda, S. 198-208. Diesen Ausdruck benutzte Markwart Lesch im Geschäftsbericht der GWG für 1944 (S. 4), der freilich erst nach Kriegsende angefertigt wurde. StadtAM, WAR 1094. Harlander/Fehl, Hitlers Sozialer Wohnungsbau, S. lOOf. Anders als München war Hamburg ein Experimentierfeld für den Ley'schen Typenbau, vgl. Pahl-Weber, Wohnungs- und Siedlungsbau in Hamburg, S. 95f. Vgl. etwa Gewofag, Geschäftsbericht für 1940, bes. S. 4f. warum

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IV. Die Wohnungsfrage im

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Krieg

pen von „Installationszellen" und die Reißbrettentwürfe von Vier-Raum-Wohnungen, die der Planungsstab Leys unermüdlich produzierte, und auch nicht die Grundsatzdiskussionen, ob die „Führerwohnung" von morgen mit Dusche oder Badewanne ausgestattet sein sollte, mußten die kommunale Wohnungspolitik irritieren als vielmehr der behördliche Unterbau, der sich im Gefolge der Ernennung Leys zum Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau zu formieren begann. Das Amt des Gauwohnungskommissars, ausgeübt vom Gauleiter, der sich einer staatlichen Lenkungs- und Steuerungsbehörde in München des Innenministeriums bediente, wurde schon erwähnt. Am 30. August 1941 riefen Reichsinnenministerium und Reichskommissar gemeinsam eine weitere Einrichtung ins Leben die Wohnungsund Siedlungsämter -, die dem staatlichen Ausführungsapparat des Gauwohnungskommissars eingegliedert wurden44. Hier lag die Rechtsgrundlage für das beim bayerischen Innenministerium eingerichtete Wohnungs- und Siedlungsamt unter Leitung von Regierungsdirektor Mang, mit dem die Münchner Stadtverwaltung später in der Behelfsheimfrage anscheinend recht gut kooperierte. Zudem erhielt für München das Wohnungs- und Siedlungsamt ohnehin nur beschränkte Zuständigkeiten, weil die Kompetenzen des Generalbaurats von der neuen Institution unberührt bleiben sollten45. Die im folgenden geschilderte Empörung über den Entzug der gemeindlichen Planungshoheit entbehrte in der „Hauptstadt der Bewegung" also der Grundlage, weil die Stadt dieses Recht längst an den Generalbaurat hatte abtreten müssen und die neue Institution an dieser Konstellation nichts änderte. Trotzdem empfand Fiehler aus der Sicht der Kommunalpolitik die Verordnung vom August 1941 als einen Affront, als einen erneuten Anschlag auf die „Einheit" der Verwaltung oder deutlicher gesagt auf ihre Selbstverwaltungskompetenzen, da das Wohnungs- und Siedlungsamt „Aufgaben, die an sich den Städten gesetzlich zustehen oder auf Grund der bisherigen Praxis von -

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den Städten wahrgenommen wurden, einfach an sich ziehen kann und dabei jeder Rechtsweg und jeder Verwaltungsrechtsweg ausgeschlossen ist"46. Tatsächlich oblag es den neuen Institutionen, nicht nur „allgemeine Lenkungsgrundsätze" für den sozialen Wohnungsbau zu formulieren, womit sich die Gemeinden noch hätten abfinden können, sondern sie hatten auch das Recht, falls sie das im Interesse einer beschleunigten Durchführung des sozialen Wohnungsbaus für nötig hielten, die Befugnisse von nachgeordneten Behörden an sich zu ziehen; außerdem konnten sie die städtebaulichen Pläne der Gemeinden gegebenenfalls selbst aufstellen und auch gleich die baupolizeiliche

Verordnung über die Einrichtung und den Aufgabenbereich von Wohnungs- und Siedlungsämtern vom 30.8.1941, abgedruckt in: Harlander/Fehl, Hitlers Sozialer Wohnungsbau, S. 390392. Der Reichskommissar für den sozialen

Wohnungsbau an den Gauleiter des Gaues MünchenOberbayern Gauwohnungskommissar -, 4.4.1941 (Abschrift), BArch, NS 25, 1180, Bl. 65f.. Auch hier ist wieder auffällig, daß für Giesler eine analoge Regelung zu der für Speer in Berlin geschaffen wurde. Vgl. auch Werner-Meier, Die Wohnungs- und Siedlungsämter, in: Der soziale Wohnungsbau in Deutschland 1 (1941), S. 828f. Fiehler in der 9. Sitzung des Oberbürgermeister-Gremiums, Städtegruppe A, 3.10.1941, S. 94 -

der Niederschrift, LA Berlin, Rep. 142/7, 0-1-13-7, Akte 4. Die Gemeindevertreter fühlten sich durch diese Verordnung zu Recht auch vom Reichsinnenministerium, das ja ihre oberste Aufsichtsbehörde darstellte, hintergangen. Fiehler formulierte einen entsprechenden Protest, in dem er auch auf die fehlende Hinzuziehung des DGT hinwies, an den Reichsinnenminister am 22.9.1941 (Abschrift), BArch, NS 25, 1180, Bl. 5-7.

3. Der

„Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau"

415

Prüfung übernehmen. Damit war zweifelsohne „eine ureigenste Selbstverwaltungsaufgabe der Gemeinden, nämlich die eigene städtebauliche Planung, in Gefahr"47. Gerade in diesem Punkt erhielten die Gemeinden aber Rückendeckung von Reichsarbeitsminister Seldte, für den die ganze Verordnung, zu der man ihn praktisch nicht gehört hatte, einen heftigen Affront und zudem eine bedeutsame Intervention in den ihm zugesicherten Kompetenzbereich der städtebaulichen und Baupolizei-Gesetzgebung darstellte48. Zwar war sein Einfluß nicht mehr groß genug, um eine vollständige Rücknahme zu erreichen, aber aufgrund seines Einspruchs wurde immerhin am 16. April 1942 eine Ergänzungsverordnung erlassen, die die strittigen Bestimmungen über die städtebauliche Planung sistierte49. Zu diesem Zeitpunkt war schon recht deutlich, daß Seldte im Konflikt mit Ley die Verliererrolle spielen würde. Zur Schaffung klarer Verhältnisse entschloß sich Hitler ein halbes Jahr später, als er für Ley durch Führererlaß vom 23. Oktober 1942 auch die letzten Barrieren gegenüber einer unumschränkten Führungsrolle im Wohnungswesen beseitigte. Aus dem „Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau" wurde der „Reichswohnungskommissar" als Leiter einer obersten Reichsbehörde50. Alle Zuständigkeiten des Arbeitsministeriums auf dem Gebiet des Wohnungs- und Siedlungswesens gingen auf den Reichskommissar über, dazu das Personal und die Haushaltsmittel51. Ley konnte sich definitiv am Ziel seiner Wünsche im Wohnungswesen betrachten,

dennoch blieben seine neuen Kompetenzen nicht viel mehr als leere Hülsen, die angesichts des Einbruchs jeglichen normalen Wohnungs- und Siedlungsbaus im dritten Kriegsjahr nicht mehr inhaltlich gefüllt werden konnten. Tilman Harlander und Gerhard Fehl ist recht zu geben, daß der Führererlaß insofern für Ley zu spät kam; Entwürfe für die „totale" Siedlungsplanung konnte er zwar noch vorlegen, aber aktuell mußte er sich mit wesentlich bescheideneren Zielen begnügen52. Seit 1943 wurden alle Wohnungsneubaufragen auf einen Punkt fokussiert: die Schaffung einer ausreichenden Zahl von Behelfsunterkünften für die vom Luftkrieg betroffene Bevölkerung. Das Behelfsheimprogramm als Notstrategie Unter den Einwirkungen des

Luftkrieges in München53 veränderten sich die Dimensioder Wohnungsversorgung. Luftschutz und Evakuierung, Unterbringung von Fliegergeschädigten, Bewirtschaftung des vorhandenen Wohnraums und behelfsmäßige Quartierbeschaffung kennzeichneten das neue Profil der städtischen Wohnungspolitik. nen

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Abteilungsdirigent Schmeling

vom DGT in der 9. Sitzung des OB-Gremiums, 3.10.1941, S. 95f. der Niederschrift, LA Berlin, Rep. 142/7, 0-1-13-7, Akte 4. Vgl. die §§ 4-6 der VO. vom 30.8.1941, in: Harlander/Fehl, Hitlers Sozialer Wohnungsbau, S. 391f. Vgl. zum Kampf des RAM gegen die Verordnung Recker, Reichskommissar, S. 342-345, sowie BArch, R 41, 699, und R 43/11, 1033b. Ergänzungsverordnung vom 16.4.1942, RGBl. 1942/1, S. 178. Nach Smelser, Robert Ley, „ein spektakulärer Sieg" für den DAF-Leiter: „Endlich besaß er

Exekutivbefugnisse." (S. 276)

Abdruck des Führererlasses bei Harlander/Fehl, Hitlers Sozialer Wohnungsbau, S. 403f, vgl. weiter Harlander, Heimstätte und Wohnmaschine, S. 216-221. Ebenda, S. 44-58, bes. 47. Vgl. vor allem Bauer, Fliegeralarm; Berthold/Matern, München im Bombenkrieg; Permooser, Luftkrieg in München; Richardi, Bomber über München; Erker, Stadt im Krieg.

416

IV. Die Wohnungsfrage im

Krieg

Dabei mußte die Stadt allerdings wieder gravierende Einschränkungen ihrer Selbstverwaltungskompetenzen hinnehmen. Hatte man sich bisher wenigstens auf der Durchführungsebene einen Spielraum sichern können, besetzten Parteistellen jetzt zunehmend auch die praktische Arbeit vor Ort. Als Beispiel kann die Quartiervermittlung

durch die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) und die Ortsgruppen genannt werden, die den Fliegergeschädigten am städtischen Wohnungsreferat vorbei neue Unterkünfte organisierten54. Von den vielen Facetten, die das Wohnungs- und Unterbringungswesen im Krieg ausmachten, soll im folgenden nur eine herausgegriffen werden: der Behelfsheimbau als der letzte Versuch, über Bauproduktion Ersatzwohnraum zu schaffen. Als Notprodukte intendiert und konzipiert, waren die Behelfsheime zwar einerseits nur auf eine kurze Lebensdauer improvisierte Unterkünfte, konnten aber nach den hier angewandten Maßstäben der Typisierung und Standardisierung auch schon als Versuchsballons für den geplanten „sozialen Wohnungsbau" der Nachkriegszeit gelten55.

„Der totale Krieg zwingt uns auch auf dem Gebiete der Wohnraumversorgung der Bevölkerung zu harten Entschlüssen."56 Mit diesem Satz leitete Ley seinen Erlaß vom 15. März 1943 ein, der jeglichen regulären Wohnungsneubau untersagte und an seine Stelle das organisierte Provisorium setzte. Letzteres konnte so aussehen, daß begonnene Bauten schnellstmöglich in einen beziehbaren Zustand versetzt wurden und jede irgendwie verzichtbare Ausstattungsarbeit wie Einbau von Waschbecken oder Bade-

öfen zunächst unterblieb. Weiter wurde die Wohnraumgewinnung in nicht benutzten Dachgeschossen oder anderen Ausweichräumen forciert, wobei hier ausgesprochen die „primitivste Form des Aus- oder Umbaues" als Prinzip galt57. Als letzte Maßnahme, bei der man freilich noch am meisten hoffen konnte, auch eine größere Zahl vom Menschen versorgen zu können, wurde die Schaffung von Behelfsunterkünften angeordnet. Zunächst setzte der Reichskommissar auf den von Ernst Neufert entwickelten „Kriegseinheitstyp"58, nach dessen Muster einige tausend zweigeschossige Barackenbauten erstellt wurden, um schon ein halbes Jahr später von noch primitiveren Varianten abgelöst zu werden. Hatte es bei Neufert noch Zwei-Raum-Wohnungen mit 30 qm und Dreimit 42 45 bis Raum-Wohnungen qm gegeben, wurden die Höchstmaße der neuen Behelfsheime jetzt auf 20 bis 22 qm festgelegt, unterteilt in einen Wohn- und einen Schlafraum. Die neuen Entwicklungen lagen bei Hans Spiegel, dessen „Reichseinheitstyp" sowohl für die serienmäßige Herstellung von montagefertigen Bauteilen für Behelfsheime gelten sollte wie auch für die in Handarbeit zu erstellenden Ziegel-, Lehm- oder Fachwerkbauten59. Erlaubt war angesichts der Ressourcenknappheit jedwedes Material „es -

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Erker, Stadt im Krieg,

S. 458, und Harbers' Beschwerde über das Verhalten einiger Ortsgruppenleiter an Kreisleiter Lederer, 30.9.1944, StadtAM, Wohnungsamt 52. Vgl. Harlander, Heimstätte und Wohnmaschine, S. 261-272. Erlaß über die Wohnraumversorgung der Bevölkerung im Kriege vom 15.3.1943, abgedruckt in: Harlander/Fehl, Hitlers Sozialer Wohnungsbau, S. 409-412. Ebenda, S. 410. Hans Spiegel, Gestaltung und Ausführung des Behelfsheimes (erschienen im Januar 1944 in „Der Wohnungsbau in Deutschland"), in: ebenda, S. 323-333, bes. 323; Harlander, Heimstätte und Wohnmaschine, S. 263f. Spiegel, Gestaltung und Ausführung (wie Anm. 58), bes. S. 329-333; Harlander, Heimstätte und Wohnmaschine, S. 267f.

3. Der

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„Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau"

muß aus Dreck, Mist usw. gebaut werden"60 -, genau vorgeschrieben waren aber Grundriß und Form der neuen Lauben. Das war überaus bezeichnend für das Bedürfnis, sich von „wilder Siedlung" abzugrenzen und der Disziplinlosigkeit vorzubeugen. Durch Typisierung und Normierung selbst in diesem ultimativen Notprogramm konnte das Regime weiter den Eindruck erwecken, die Situation zu beherrschen. Es ist außerdem kennzeichnend für den bis zuletzt nicht nachlassenden Inszenierungswillen der Nationalsozialisten, daß sie auch den Notbehelf, der kaum einen menschenwürdigen Wohnstandard sichern konnte, mit einem appellativen Titel belegten. Das „Deutsche Wohnungshilfswerk" (DWH) sollte offensichtlich Assoziationen an das Winterhilfswerk wecken und wurde als Initiative des „Führers" gepriesen, wovon man sich offenbar immer noch eine gewisse Wirkung versprach61. Das neue Programm gab noch einmal den Rationalisierungsenthusiasten im Wohnungswesen Raum, die sich nun mit der möglichst materialsparenden und dennoch einheitlichen Produktion von Wohnlauben beschäftigen konnten. Während der Volksmund dafür bald den passenden Begriff von den „Ley'schen Hundehütten" fand, versuchten sich die Vertreter der „totalen" Wohnungspolitik bis zuletzt in Umwertungen und Neudefinitionen, die von der verzweifelten Unterbringungssituation und der Unmöglichkeit, mit dem täglich zunehmenden Ausmaß an Zerstörungen fertig zu werden, ablenken sollten. „Wir machen den Großstädter durch das Behelfsheim selbständiger und widerstandsfähiger gegen die Feindeinwirkungen und stärker für Krieg und Sieg. So mag in dem Luftterror ein Teil jener Kraft wirksam werden, die stets das Böse will und stets das Gute schafft."62 Das Behelfsheimprogramm sollte von seiner Anlage her nicht in erster Linie Behördenaufgabe sein, sondern appellierte an alle „Volksgenossen", vor allem aber auch an die Betriebe, die sich die Unterbringung ihrer „Gefolgschaft" zur Aufgabe machen sollten63. Gleichzeitig wurden jedoch ein Netz von Vorschriften und ein bürokratischer Apparat aufgebaut, die den zunächst animierten Geist der Selbsthilfe sogleich wieder zu ersticken drohten. In München wurde als Anlaufstelle für Bewerber im Herbst 1943 eine städtische „Betreuungsstelle für Behelfsheime" eingerichtet, deren Leitung von Markwart Lesch, dem Geschäftsführer der GWG, übernommen wurde, weil die Gesellschaft im „totalen Krieg" ja keinen regulären Bauaufgaben mehr nachgehen konnte64. In der Betreuungsstelle konnte man ein Gesuch um Errichtung eines Behelfsheimes einreichen unter der Voraussetzung, daß man seine Wohnung durch Luftangriff verloren hatte, daß man seine Wohnung anderen Luftkriegsbetroffenen überlassen und selber in das Behelfsheim übersiedeln wollte oder daß man das Behelfsheim für andere Luft-

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Ley bei der Tagung der Gauwohnungskommissare in Hamburg am 27728.1.1944, Protokoll in StadtAM, Nachlaß Hanffstengel, Ordner 1. Dort sagte er weiter auch: „Dieses Rathaus zu bauen

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ist leichter als ein Behelfsheim

haben, auf das Behelfsheim."

aus

nichts. Konzentrieren Sie Ihren Geist,

wenn

Sie welchen

Abgedruckt ist der Führererlaß über die Errichtung des Deutschen Wohnungshilfswerkes vom 9.9.1943 bei: Harlander/Fehl, Hitlers Sozialer Wohnungsbau, S. 417f. Vgl. auch Robert Ley, Das Deutsche Wohnungshilfswerk, ebenda, S. 320-322. Zur Entstehung des Erlasses: BArch, R 43/11, 1033, und Recker, Nationalsozialistische Sozialpolitik, S. 257f. Spiegel, Gestaltung und Ausführung (wie Anm. 58), S. 324. Vgl. Ansprache des Reichswohnungskommissars Ley auf der Gauleitertagung am 23724.2. 1944 in München, BArch, R 43/11, 1033a, Bl. 81 f., hier 82. Geschäftsbericht der GWG für 1943, S. 16, StadtAM, WAR 1094.

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IV. Die Wohnungsfrage im

Krieg

kriegsopfer zur Verfügung stellte. Nur der Wille zur Tat genügte aber nicht, der Bewerber mußte im Detail nachweisen, wie und wo er sich die Baustoffe zu besorgen gedachte, welches Potential an Arbeitskräften ihm zur Verfügung stand das Baugewerbe war selbstverständlich für „kriegswichtige" Aufgaben im Einsatz und durfte unter gar keinen Umständen in Anspruch genommen werden -, in welcher Weise er für den Luftschutz zu sorgen gedachte und wie die Finanzierung aussehen sollte, zu der das Reich pauschal 1 700 RM pro Behelfsheim beisteuerte65. An erster Stelle aber stand die Frage nach dem vorgesehenen Baugrundstück, und die in München erhaltenen Akten über Behelfsheimvorhaben zeigen immer wieder, daß hier tatsächlich eines der Kernprobleme lag. Das ausersehene Terrain durfte nicht im enger bebauten Stadtgebiet liegen wegen der andauernden Luftgefährdung, andererseits konnte es nicht jedes beliebige Stück Land außerhalb der Stadt sein, weil ein Mindestmaß an Erschließung vor allem Zufahrtsmöglichkeiten, Trinkwasserversorgung, bebaubarer Untergrund auch für den Behelfsheimbau gewährleistet sein mußte. Außerdem war im Rahmen des DWH ein Minimum von 200 qm Garten für jedes Behelfsheim vorgeschrieben worden, „gewissermaßen das grüne Zimmer", das für die bedrängten Wohnverhältnisse einen Ausgleich bieten sollte66. Besonders für Einzelbewerber um Behelfsheime war es äußerst schwierig, für all diese Anforderungen so zufriedenstellende Antworten parat zu haben, daß sie schließlich die erforderliche Baukarte, die den Anspruch auf die Reichsprämie bestätigte, erhielten. Auch die Karte war allerdings keine Garantie dafür, das notwendige Material zu bekommen: Wenn man Glück hatte, gab es die Serienbauteile für den Grundaufbau; zusätzliche Baustoffe für das Fundament und besonders schwierig die Dachdeckung brauchte man aber allemal. Die Schwierigkeiten der Luftkriegsgeschädig-

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ten, auf diese Weise zu einem neuen Heim zu kommen, dokumentiert ein Fall, in dem die Beschwerdeführer selbst den unter unwürdigen Bedingungen lebenden Zwangsarbeitern ihre Baracken nicht mehr gönnten: Für die Ausländer sei Material da, für ihre Ausgebombten könne die Stadt nicht sorgen67. Tatsächlich waren die Möglichkeiten der Stadt, über Ressourcen zu verfügen, aber sehr begrenzt. Generell konnte nur verteilt werden, was die Rüstungsproduktion und die Kontingentierungen des GB Bau erlaubten; als Intermediäre waren in München der Gauwohnungskommissar und sein Wohnungs- und Siedlungsamt eingeschaltet, die über die Verwendung der Materialzuteilungen entschieden. Der Gauwohnungskommissar ließ sogar eine eigene Behelfsheimkonstruktion entwickeln, die sich vom Reichseinheitstyp leicht unterschied und als „oberbayerischer Typ" in seinem Gau verwendet werden durfte68. Von seiner Behörde aus und dem ihr angegliederten Gauheim-

Vgl. zu diesen Bedingungen „Merkblatt für die Errichtung von Behelfsheimen in München und Umgebung durch Einzelpersonen", hrsg. vom Gauwohnungskommissar. Wohnungs- und

Siedlungsamt, 30.10.1943, StadtAM, BRB 83/2, 176. Ley, Das Deutsche Wohnungshilfswerk (wie Anm. 61), hier S. 321. H. und L.K. an den OB der Hauptstadt der Bewegung, 14.9.1944, StadtAM, BRB 83/2,177. Auch angesichts des „totalen Krieges" wurde hier nicht etwa eine schnelle Lösung improvisiert, sondern verwendeten die zuständigen Stellen viel Zeit auf die Begutachtung, Genehmigung bzw. Ablehnung eines solchen Prototyps. Das wird besonders deutlich in dem „Bericht über die Entwicklung des DWH-Behelfsheimes im Auftrag des Generalbaurats für die Hauptstadt der Bewegung" von Dipl.-Ing. Kleffner, 3.2.1944, dessen Plattenbauentwicklung beim Gauwohnungs- und Reichskommissar letztlich keine Zustimmung fand, während der maßgebliche Gauvon war.

typ ein Entwurf

Norkauer

StadtAM, Nachlaß Hanffstengel, Ordner 1.

3. Der

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„Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau"

auch die Betriebe in der Behelfsheimfrage betreut. Die Gauwalter holten Erkundigungen bei den Ortschaften in der Umgebung Münchens nach geeigneten Grundstücken ein, sie besprachen Bau- und Typenpläne mit den Betriebsverantwortlichen, verhalfen ihnen wenn möglich zu Material kurzum profilierten sich als unentbehrliche Helfer im Notstand und befestigten dadurch ihre ausgehöhlte Legitimationsbasis neu69. Die Einschaltung des örtlichen Heimstättenamtes war keine Münchner Besonderheit, sondern geschah analog zur reichsweiten Reaktivierung des Reichsheimstättenamtes nach einer Anordnung Leys vom Dezember 194370. Mit der Behelfsheimaktion schien endlich ein adäquates Betätigungsfeld für die Heimstättenorganisation der DAF gefunden worden zu sein, der spätestens seit 1937, als es ihr nicht gelang, eine Schlüsselposition im Kleinsiedlungswesen für sich zu reklamieren, eine überzeugende Existenzberechtigung fehlte. Die Durchführung des DWH wurde zu ihrer besonderen Kriegsaufgäbe erklärt71. Allerdings wurden mit der Einbeziehung der Heimstättenämter in den Behelfsheimbau die Fäden zwischen staatlichen Instanzen und dem Parteisektor noch verwirrender geknüpft, wie das Münchner Beispiel zeigt. Das von Regierungsdirektor Mang geleitete Wohnungs- und Siedlungsamt war einerseits Teil der allgemeinen inneren Verwaltung, erhielt aber in seiner Eigenschaft als geschäftsführende Behörde des Gauwohnungskommissars72 fachlich seine Weisungen aus dem Geschäftsbereich des Reichswohnungskommissars. Nicht genug, hatte Mang ehrenamtlich die Leitung des DAFzugehörigen Gauheimstättenamtes inne und übertrug diesem Aufgaben im Behelfsheimbau, so daß er dreifach mit der allgemeinen staatlichen Verwaltung, dem Reichswohnungskommissariat und der DAF vernetzt war. Die Einschaltung des Reichsheimstättenamtes bzw. seiner nachgeordneten Gauheimstättenämter wurde von der Parteikanzlei als „verwaltungsmässiges Chaos" gegeißelt und als erneuter Versuch Leys betrachtet, eine Mischung von Partei- und Staatsaufgaben im Wohnungsbau mit dem Ziele einer Machtausweitung der DAF herbeizuführen73. Vor dem Hintergrund langwährender Auseinandersetzungen mit Ley ging es Bormann freilich nicht darum, die staatliche Verwaltung grundsätzlich vor dem Parteizugriff zu bewahren, sondern dieses Recht seiner Dienststelle vorzubehalten und es dem langjährigen Konkurrenten Ley zu verwehren74. Bormann warf Ley vor, „eine völlige Verwirrung der Zuständigkeiten [zu] schaffen und dadurch den Erfolg des ,Deutschen Wohnungshilfswerks' stärkstens [zu] gefährden"75. Formal mußte der Reichswohnungskommissar auf diese Interventionen stättenamt der DAF wurden

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Vgl. die verschiedenen Vorgänge in StaatsAM, NSDAP 777. Auch Erker konstatiert für die verschiedenen Parteistellen und „Wasserträger" des Regimes, daß sie es verstanden, „auf dem Gebiet der Kriegsopferbetreuung und der Wohnraumlenkung als Partner in der Not die Krisenerfahrung als negativen Loyalisierungsmechanismus zu nutzen" (Stadt im Krieg, S. 456).

Harlander, Heimstätte und Wohnmaschine, S. 273.

Vgl. die Materialien in BArch, 40.02, 96, bes. „Reichsheimstättenamt. Aufgaben, Organisation und derzeitige Besetzung", Bl. 137f. Es sei daran erinnert, daß Gauwohnungskommissare die Gauleiter waren, die als Parteihoheitsträger damit im Krieg eine weitere staatliche Aufgabe an sich gezogen hatten, wie es freilich von noch stärkerer Bedeutung auch im Bereich der Reichsverteidigung der Fall war, vgl. Hüttenberger, Gauleiter, bes. S. 152-158. Vorlage Gölz, Parteikanzlei, 30.12.1943, BArch, NS 6, 581, Bl. 66-69, bes. 68. Vgl. Diehl-Thiele, Partei und Staat, S. 201-216, und Longerich, Hitlers Stellvertreter, passim. Bormann -

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Ley, 18.1.1944, BArch, R 43/11, 1033a, Bl. 37-42, bes. 42.

IV. Die Wohnungsfrage im

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Krieg

hin zwar zurückstecken und der Tätigkeit der DAF-Ämter engere Grenzen ziehen, de facto förderte er aber weiterhin die Ansprüche des Reichsheimstättenamtes und seiner Gauämter im DWH76. Harbers wäre nicht er selbst gewesen, wenn er in der Behelfsheimfrage das Feld ganz staatlichen Stellen oder der DAF überlassen hätte. Mit einiger Verzögerung begann er allerdings erst im Frühjahr 1944 ein eigenes Programm für die Stadt zu entwickeln, das einerseits für besonders Bedürftige aus der Bevölkerung gedacht war, die als Einzelbewerber die Voraussetzungen nicht erfüllten, und andererseits als Fürsorgemaßnahme für die städtische „Gefolgschaft"77. Die Baudurchführung übernahm teilweise die GWG, die damit nicht nur mit der von Markwart Lesch geleiteten Betreuungsstelle beratend und vermittelnd im Behelfsheimbau tätig war, sondern auch als aktiver Bauträger: in Waldperlach an der Salzmannstraße errichtete sie 175 Serienbehelfsheime nach dem Reichseinheitstyp t002 nichts anderes als kleine Holzhütten mit Pultdach78. Der Erfolg der städtischen Aktion belief sich bis zum 31. Oktober 1944 auf die noch nicht abgeschlossene Erstellung von 1237 Behelfsheimen, davon 157 für die städtische Belegschaft. Die GWG hatte bis dahin außerdem 564 montagefertige Behelfsheime an Einzelbewerber ausgeliefert79. Die Zahlen zum städtischen Programm zeigen den sehr begrenzten Erfolgsradius des DWH in München, der auch durch eine Statistik der Parteigaue bestätigt wird80. Allerdings belegt die Statistik auch, daß eine Stadt wie Hamburg, in der bis Ende Juni 1944 rund 15 000 Behelfsheime errichtet worden waren, eine ganz deutliche Ausnahme bildete. Zudem waren die „Ley-Lauben" angesichts des Zerstörungsgrades der Stadt auch hier keine adäquate Antwort auf die neuen Dimensionen der Obdachlosigkeit81. Was die Behelfsheimaktionen einzelner Industriebetriebe angeht, fehlen für München sowohl die quantitativen wie auch die qualitativen Daten. Angesichts der Schwierigkeiten der Gelände- und Materialbeschaffung und mehr noch der Bereitstellung von Arbeitskräften dürften auch sie nur ein begrenztes Ausmaß erreicht haben. In einigen Fällen stellte die Bauhilfe der DAF zusätzliche Kräfte aus den Reihen der bei ihr beschäftigten Zwangsarbeiter zur Verfügung82. Durch Einsatz zwangsverpflichteter Arbeitskräfte wie -

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82

Vorlage Gölz, Parteikanzlei, 8.2.1944, BArch, NS 6, 581, Bl. 241-245. Vgl. vor allem Harlander,

Heimstätte und Wohnmaschine, S. 276f., während Recker nicht ganz zutreffend von einem Scheitern Leys hinsichtlich der Einschaltung der Heimstättenorganisation spricht; dies., Nationalsozialistische Sozialpolitik, S. 263-265. Niederschrift über die Besprechung im Dezernat 7 am 18.2.1944 zur Behelfsheimaktion, StadtAM, BRB 83/2,176. Harbers hatte in der Folgezeit Schwierigkeiten, die Ratsherren für das Behelfsheimprogramm zu gewinnen, vgl. die Sitzungen der VFB-Beiräte vom 20.4.1944 und der Ratsherren vom 4.5.1944, StadtAM, RP 717/1,2. Geschäftsbericht der GWG für 1944, S. 6, StadtAM, WAR 1094. Vgl. Anlage 2 (Stand: 31.10.1944) zur Vormerkung von Harbers für Fiehler, 23.11.1944, StadtAM, BRB 83/2, 176. Statistik des Deutschen Wohnungshilfswerks, am 10.8.1944 von Ley an Bormann gesandt, BArch, NS 6, 299, Bl. 57-59. Danach lag der Gau München-Oberbayern nach der Zahl der fertiggestellten Behelfsheime deutlich im unteren Spektrum, nach der Zahl der begonnenen Notwohnungen etwas besser. Vgl. ebenda. Zur Behelfsheimaktion in Hamburg auch Recker, Nationalsozialistische Sozialpolitik, S. 261f. Vgl. die Berichte über die Arbeiten der Bauhilfe im Behelfsheimbau in Deutschland, Stand 30.6.1944 und 30.9.1944, BArch, NS 6, 433, mit Zahlen über den Einsatz von „Ostarbeitern" im Gau München-Oberbayern (BI. 114, 205).

3. Der

„Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau"

421

überhaupt den behördlichen Rückhalt hatten die Betriebe immerhin mehr Chancen als Einzelbewerber, eine Behelfsheimaktion erfolgreich zu Ende zu bringen83. Und genau das lag in der Absicht der Aktion: Die „Gefolgschaften" der rüstungswichtigen Unternehmen mußten möglichst in der Nähe ihres Arbeitsplatzes untergebracht werden; dieses Kriterium zählte auch weit mehr als die individuelle Sicherheit vor der Luftkriegsgefahr84. War in diesem Sektor der Behelfsheimbau also eine wichtige Ausweichstrategie, blieb für die Masse nur eins: heraus aus der Stadt. Evakuierungen in größerem und organisiertem Ausmaß wurden in München seit der zweiten Jahreshälfte 1943 durchgeführt, davor hatten freilich schon viele auf eigene Faust Unterschlupf bei Bekannten oder Freunden gesucht, die im Hinblick auf Bombenangriffe in weniger exponierten Lagen lebten85. Rund 400 000 Menschen, schätzte man nach Kriegsende, dürften in organisierter oder privater Evakuierung München verlassen haben; 81 500 Wohnungen wurden durch die Bombeneinwirkungen zerstört. Vor diesem Hintergrund wird die Begrenztheit der Behelfsheimaktion noch deutlicher86. Robert Ley blieb trotzdem uneingeschränkt enthusiastisch für seine Aktion: „Die Behelfsheimaktion ist eine Waffe in diesem Kriege, um der Wohnraumblockade, die uns die Gegner zugedacht haben, wirksam entgegentreten zu können. Soviel Wohnungen sie uns zerstören, soviel Herdstellen wollen wir, wenn auch in primitivster Form, wiederschaffen, damit jeder Volks-

-

genosse wieder sein Heim in einfachster Form zurückerhält."87

Nachdem Ley von der Aufgabe des Behelfsheimbaus zunehmend absorbiert wurde, konnte Albert Speer auf dem Gebiet der Planung Terrain gutmachen. Einen Monat nach der Verkündung des DWH erhielt auch Speer besondere Ermächtigungen durch den Führererlaß über die Vorbereitung des Wiederaufbaues bombengeschädigter Städte vom 11. Oktober 194388. Mit seinem „Arbeitsstab Wiederaufbauplanung zerstörter Städte", in dem als Prominenteste die Architekten Rudolf Wolters und Konstanty Gutschow wirkten, besetzte er jetzt weitgehend das Feld der Nachkriegsplanungen. Ein neuer Maßstab etablierte sich in der Planungsarbeit. Wo früher Kategorien wie „Führerstadt" oder „Gauhauptstadt" galten, bildete jetzt der Zerstörungsgrad die Grundlage für die Einstufung auf der Rangskala der Wiederaufbauplaner. Unter diesen neuen Maßstäben hatte München, wo sich der Luftkrieg erst zu einem späten Zeitpunkt stark intensivierte, nur eine nachgeordnete Bedeutung. Auf der Liste der 43 am meisten zer-

größere Behelfsheimsiedlung wurde 1944 von der rüstungswichtigen Firma Steinheil SöhOptische Werke, in Vaterstetten errichtet, die rund 100 Holzhäuser mit Pultdach umfaßte. Die notwendigen landwirtschaftlichen Grundstücke wurden vom Landrat von Ebersberg nach dem Reichsleistungsgesetz beschlagnahmt, Firma Steinheil an Gauobmann Wettschurek, Eine ne,

16.3.1944, StaatsAM, NSDAP 777. Bei der Tagung der Gauwohnungskommissare in Hamburg am 27728.1.1944 erklärte der Vertreter aus Berlin zu der bevorstehenden Errichtung großer Behelfsheimanlagen: „Sie sollen nicht mehr als Vi Std. von der Fabrik entfernt liegen. Die Sicherheit der Arbeiter steht an zweiter Stelle, wichtig ist die Erreichbarkeit der Werke nach Luftangriffen." Protokoll vom 4.2. 1944, S. 2, StadtAM, Nachlaß Hanffstengel, Ordner 1.

Vgl. Klee, Luftkriegsevakuierung. Klee, Luftkriegsevakuierung, S. 183, und Chronik der Stadt München 1945-1948, S. 43. Ansprache Leys (wie Anm. 63), Bl. 82.

Zum Erlaß und zu den Wiederaufbauplanungen die Dokumentation von Durth/Gutschow, Träume in Trümmern, Bd. 1, S. 55f., und Harlander, Heimstätte und Wohnmaschine, S. 277281.

IV. Die Wohnungsfrage im

422

Krieg

störten Städte, die nach dem Stand vom 1. Mai 1944 in die Wiederaufbauplanungen ein-

bezogen werden sollten, rangierte es auf dem letzten Platz. „Nur" sieben Prozent des Wohnungsbestandes hatten bis dato schwere oder totale Schäden erlitten, 20 000 zerstörte Wohnungen zählte die Bilanz89. Das war wenig im Vergleich zu Köln, Hamburg

oder Berlin. Während die Stadt aber seit der zweiten Jahreshälfte 1944 in bisher nicht gekannter Intensität nächtlichen und jetzt auch täglichen Bombenangriffen ausgesetzt war, wurden die Planspiele fortgeführt. Der Zynismus, der darin lag, aus Luftkriegserfahrungen „Auflockerungsforderungen" für die künftige Stadtanlage zu beziehen oder Schadensbilanzen in neue städtebauliche Richtwerte umzusetzen, scheint die meisten Mitarbeiter Speers nicht sehr beschäftigt zu haben90. Ihre Welt löste sich nach und nach ab von der sozialen Realität in den zerbombten Städten. Auch Hermann Giesler setzte weiterhin auf den engen Kontakt zu Adolf Hitler, besprach mit ihm im Führerhauptquartier die Gestaltung der „Großen Achse" und den Verlauf der Untergrundbahn91. Aufgrund seiner Idiosynkrasie gegen alles, was von Speer kam, scheint Giesler an der Arbeit des Wiederaufbaustabes wenig teilgenommen zu haben, obwohl er dort als „Berater" fungierte. Er ließ sich durch seinen Mitarbeiter Hans von Hanffstengel vertreten, der mit Gutschow, Wolters und anderen über die Gestalt der künftigen Städte sprach92. Dabei war ein zentrales Thema, wie man sich zum Ley'schen Behelfsheimbau stellen sollte. Die Mitglieder des Arbeitsstabes lehnten ihn unter der Meinungsführerschaft Konstanty Gutschows fast einhellig ab93; lediglich Rudolf Wolters setzte auf die Massenproduktion von Behelfsunterkünften. Seine Entwürfe von Großbaracken für jeweils 22 Menschen, die zu ganzen Notstädten mit eigenen Versorgungseinrichtungen zusammengefaßt werden sollten, übertrafen noch die Rationalisierungsbemühungen der Mitarbeiter Leys. Wolters' Credo lautete auf „äußerste Typisierung, primitivste Ausstattung, höchste Kollektivierung, schnellste Montage"94. Gutschow fürchtete um den Verstetigungseffekt solcher Notbehelfe. Würden alle Ressourcen im Behelfsheimbau gebunden, könnte nach dem Krieg die eigentliche Wiederaufbauarbeit erst mit Verspätung einsetzen, und die häßlichen Provisorien blieben für geraume Zeit bestimmend in der deutschen Stadtlandschaft. Sein Gegenkonzept zielte auf den Wiederaufbau der zerstörten Bausubstanz. Noch während des Krieges müßte die Fliegerschadensbeseitigung im Vor89 90

91 92

93

Abdruck der Liste in: Durth/Gutschow, Träume in Trümmern, Bd. 1, S. 66. Vgl. Arbeitsstab Wiederaufbauplanung zerstörter Städte, „Niederschrift über die 2. Tagung des engeren Arbeitsstabes in Wriezen vom 19.-21.8.1944", 25.8.1944, bes. S. 33, StadtAM, Nachlaß Hanffstengel, Ordner 2, und Durth, Deutsche Architekten, S. 254. Giesler, Ein anderer Hitler, S. 282-290. Neben den Aufzeichnungen im StadtAM, Nachlaß Hanffstengel, vgl. den bei Rasp, Stadt für

tausend Jahre, S. 220f., abgedruckten Jahresbericht Hanffstengels für 1944. Schon in seinem Rundschreiben vom 20.4.1944, als Gutschow die Berater des Arbeitsstabes aufforderte, sich über die geeignete Richtung künftiger Bautätigkeit zu äußern, machte er deutlich, daß er vom Behelfsheimbau nicht viel hielt (S. 2f). Die meisten Angefragten befürworteten dann auch allenfalls den Behelfsheimbau in kleinem Maßstab und traten eher für die vorübergehende Doppelbelegung von Wohnungen und ähnliche Provisorien im regulären Wohnungsbau ein. Vgl. den Faszikel „Wohnungsbau nach dem Kriege", in: StadtAM, Nachlaß Hanffstengel,

Ordner 2. 94

Wolters, Gedanken 7.8.1944, ebenda.

zur

behelfsmässigen Unterbringung

Obdachloser nach dem Kriege,

3. Der

„Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau"

423

dergrund stehen, um nach dem Krieg alle Kapazitäten auf die Wiederherstellung beschädigter Wohngebäude zu konzentrieren. Auf der Basis der alten Fundamente könnte so Neues geschaffen werden, das von Bestand sei: „Jeder Stein von heute soll ein Grundstein für die endgültige Bebauung sein, also gleichzeitig eine Dauerlösung."95 Im Kriegsalltag vor Ort hatten solche Modelldiskussionen keinen Platz, hier wurden alle Lösungen, die irgendwie geeignet schienen, der größten Not abzuhelfen, nebeneinander praktiziert. Ob teilzerstörte Wohnungen provisorisch instand gesetzt wurden, der Geschädigte in ein Notquartier eingewiesen wurde oder sich tatsächlich ein Behelfsheim besorgen konnte hier zahlte nicht die Richtungsentscheidung, sondern nur

das akut Machbare. In München können wir klar beobachten, daß die Partei, deren Rückhalt in der Bevölkerung seit der Niederlage von Stalingrad mehr und mehr zurückging, sich in der Notversorgung der Luftkriegsgeschädigten eine letzte Legitimationsbasis verschaffte. Die Ortsgruppen versuchten, den Bombengeschädigten in ihrem Bereich nach einem Luftangriff bis zum nächsten Abend eine Unterkunft zu verschaffen, sie betreuten Sammelunterkünfte und kümmerten sich um Dachpappe und Fensterglas zur Bewohnbarmachung der nicht ganz zerstörten Wohnungen96. Während die NSDAP sich an der Basis als Helferin in der Not präsentierte, lagen ihre örtlichen Repräsentanten weiter im Dauerstreit mit der Stadt. Kompetenzen und Aufgaben, die der Stadt per Gesetz für die Betreuung der Luftkriegsopfer zugeschrieben waren, wurden häufig in gleicher Form im Parteiapparat abgebildet, so daß der Dualismus von Partei und Gemeinde in der Kriegsverwaltung mehr als je zuvor Nahrung fand. Guido Harbers zum Beispiel als Zuständiger für die Sofortmaßnahmen im zivilen Sektor war den Angriffen des seit 1942 amtierenden Gauleiters Paul Giesler ausgesetzt, der als Reichsverteidigungskommissar eine Oberaufsicht über alle Luftschutz- und Sofortmaßnahmen wahrnehmen konnte. An der Basis bemühten sich dagegen die NSV und die Ortsgruppen darum, ihre höhere Effektivität gegenüber der Quartiervermittlung durch die städtische Verwaltung zu beweisen. Es ist aber interessant, daß gerade in der Unterbringungsfrage wenig vor Kriegsende Stadtverwaltung und Partei zu einer kooperativen Lösung fanden, die mit der gegensatzgeprägten Konstellation brach. Der Oberbürgermeister traf mit den vier neuen Kreisleitern, unter denen der frühere NSDAP-Kreis München zu Beginn des Jahres 1945 aufgeteilt worden war, eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit von städtischen und Parteidienststellen bei der Erfassung und Zuweisung von Unterkünften. Der Wohnungsnachweis wurde aufgelöst, an seine Stelle ein städtisches Zentral-Quartieramt gesetzt, das die Befugnisse der Stadt zur Beschlagnahme von Quartieren aufgrund des Reichsleistungsgesetzes wahrnahm97. Dem zentralen Amt wurden aber entsprechend der Kreisgliederung vier weitere Quartierämter untergeordnet, bei denen die eigentliche Durchführung lag. Sie beschäftigten Familienpflegerinnen für die Erkundung von freiem Wohnraum, denen die Ortsgruppen als Zuträger zur Hand gehen sollten: -

Arbeitsstab Wiederaufbauplanung, Niederschrift (wie Anm. 90), S. 49. Vgl. z.B. Ortsgruppenleiter München-Siegestor an Stadtdirektor Troll, 8.1.1945, StadtAM,

Wohnungsamt 52. Vgl. weiter Erker, Stadt im Krieg, S. 458. Dezernat 6, Ortner und Hascher, betr. „Errichtung von städt. Quartierämtern, hier: vorläufige Geschäftsanweisung", 24.2.1945, ebenda. Zum Reichsleistungsgesetz von 1939 vgl. Klee, LuftS. und

kriegsevakuierung,

22-25,

Führer, Mieter, S. 344-346.

424

IV. Die Wohnungsfrage im

Krieg

„Sie [die Pflegerinnen] stützen sich bei ihrer Tätigkeit vor allem auf die Kenntnis der Block- und Zellenleiter der Partei, welche alle ihnen bekannt werdenden beschlagnahmefähigen Räume, Zu- und Abgänge zu solchen, Zuzug und Wegzug von Untermietern und eingewiesenen Obdachlosen und sonstige Tatsachen von Belang der Familienpflegerin bekanntgeben." Die eigentliche Beschlagnahme des so erkundeten Wohnraums war dann wieder Sache des Quartieramtes98. Es ist bemerkenswert, in welcher Weise „das feinmaschige Netz"99 der politischen und sozialen Kontrolle, das die Partei über die Jahre in den Wohnvierteln ausgebreitet hatte, hier zwei Monate vor Kriegsende noch einmal instrumentalisiert wurde. Der Wohnungsnachweis hatte zwar den Rechtstitel, nicht aber genügend Handlungsmöglichkeiten vor Ort besessen, um Wohnraum zu beschlagnahmen, er hatte ausgedient. Mit der neuen Zuständigkeitsaufteilung zwischen Quartierämtern und Ortsgruppen konnten die über viele Jahre aufgebauten Stellungen der Partei in der Gesellschaft genutzt werden, um die Handlungsfähigkeit der Verwaltung zu verbessern. Im Angesicht der Katastrophe wurde sogar das alte Rivalitätsdenken hintangestellt. Bewähren mußte sich die neue Konstellation freilich nicht mehr.

98

99

Entwurf der Richtlinien für die Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltung und Parteidienststellen bei der Erfassung und Zuweisung von Unterkünften für obdachlose Luftkriegsbetroffene (undatiert), StadtAM, Wohnungsamt 52. Saldern, Häuserleben, S. 231.

Zusammenfassung Abschließend sollen wichtige Ergebnisse der Arbeit in fünf Punkten zusammengefaßt werden. An erster Stelle stehen Überlegungen zur Periodisierung nach den Phasen und Zäsuren, die sich in der Wohnungsbaupolitik der nationalsozialistischen Stadt ausmachen lassen. Im zweiten Abschnitt sollen die wichtigsten Inhalte, materiellen Ergebnisse und Defizite dieser Politik skizziert werden. In personalisierter Perspektive wird drittens ihr Hauptexponent, der Münchner Wohnungsreferent Guido Harbers, charakterisiert, während der vierte Abschnitt unter der Überschrift ,Konflikt und Kooperation' das Wechselverhältnis der Münchner Stadtverwaltung zu anderen Instanzen zu analysieren sucht. Zuletzt soll die rassenideologische Komponente als ein Grundzug nationalsozialistischen Wohnungs- und Siedlungswesens noch einmal hervorgehoben werden. 1. Die bisher in der Literatur anzutreffenden Periodisierungsvorschläge orientieren sich zumeist an den wichtigen politischen Richtungsänderungen im Nationalsozialismus, die auf den Wohnungsbau zurückschlugen. Das war zum einen der Übergang zur Vierjahresplanwirtschaft und damit zum forcierten Arbeiterwohnstättenbau (1936), der Kriegsbeginn und die danach einsetzende Konzentration auf Nachkriegsplanungen (1939/40) und schließlich die Wende zum „totalen Krieg" und das Ende jeder regulären Bautätigkeit (1943)1. Für München legen die Ergebnisse der Arbeit eine etwas abweichende Gliederung nahe. So bildet bereits das Jahr 1935 den ersten erkennbaren Einschnitt nach 1933, weil unter der Führung von Harbers die Stadt den Weg zu einer aktiveren und stärker an den lokalen Bedürfnissen orientierten Förderung des Wohnungswesens einschlug. Hatte man sich seit der „Machtergreifung" noch auf die Fortführung des Kleinsiedlungswesens konzentriert für das in umfangreicherem Maße Reichsmittel bereitgestellt wurden -, ging es jetzt zunächst einmal darum festzustellen, welcher Wohnungstypus tatsächlich in München nachgefragt wurde. In der von der Stadt im Frühjahr 1935 durchgeführten Wohnungsbedarfserhebung ist vielleicht sogar ein Seitenhieb gegen das Reich zu erkennen, denn erfolglos hatten Harbers und viele seiner Kollegen bei der nationalsozialistischen Regierung darauf gedrängt, die Reichswohnungszählung von 1927 zu wiederholen, um eine gesicherte sozialstatistische Basis für weitere Maßnahmen zu haben. Das Bedarfsprofil, das in München ermittelt wurde, war in seinen Grundzügen völlig eindeutig und bewies, daß die billige Kleinwohnung bis zu drei Räumen angesichts der Reallohnverhältnisse immer noch das begehrteste Objekt am Markt war. Die -

Versäumnisse der Wohnungspolitik im Hinblick auf die Kleinwohnungsfrage versuchte die nationalsozialistische Stadtverwaltung ganz dem Schuldkonto ihrer Vorgänger zuzuschreiben. Daß aber zwei Jahre seit der „Machtergreifung" verstrichen waren, in

1

Als jüngstes Beispiel einer solchen Periodisierung vgl. Harlander, Heimstätte und Wohnmaschibes. S. 12. Aus der älteren Literatur ähnlich Teut, Architektur im Dritten Reich, bes. S. 252, Peltz-Dreckmann, Nationalsozialistischer Siedlungsbau, Mattausch, Siedlungsbau und Stadtne,

neugründungen.

426

Zusammenfassung

denen es nicht gelungen war, die NS-Konjunktur in eine entsprechende Wohnungsproduktion umzusetzen, mußte sie sich zumindest insgeheim eingestehen. Der Handlungsbedarf war jedenfalls auch ohne Reichswohnungszählung hinlänglich offengelegt. Noch immer mußte man sich freilich bescheiden: Was als „Kleinwohnungsbauprogramm 1935" von Harbers verkündet, zunächst wie eine wohnungspolitische Offensive hätte anmuten können, waren im Grunde die Bauaktivitäten einer Gesellschaft, der Gewofag, die ihre Siedlungen aus den zwanziger Jahren fortsetzte. Das vom Reich im gleichen Jahr ins Leben gerufene Volkswohnungsprogramm gab dann die Möglichkeit, auch mit Reichszuschüssen dem Mangel an günstigen Kleinwohnungen weiter entgegenzuarbeiten. Nachdem die GWG die „Pionierarbeit" geleistet hatte, nahmen weitere Gesellschaften am Volkswohnungsbau in München teil, der 1938 gleichsam sein „Durchbruchsjahr" erlebte2, um dann schnell von der Kriegswirtschaft überholt zu werden. Damit ist auch die zweite Zäsur bereits benannt, die für München auf das Jahr 1938 angesetzt werden kann. Ihre Begründung liegt allerdings der für 1935 fast diametral entgegen. War es im ersten Fall gerade die städtische Initiative, die eine Richtungsänderung signalisierte, war es nun die massiv einsetzende Verdrängung der Stadt aus der Bau- und Planungspolitik, die eine neue Phase einleitete. Die Stadt bemühte sich zwar, mit der Entwicklung des Wohnungssofortprogrammes für 1938 bis 1942 weiter in der Konzeptualisierung der Wohnungspolitik präsent zu bleiben, de facto wurde aus diesem akuten Krisenpaket aber nach Kriegsbeginn nur ein zusätzliches Element in den ausgedehnten Planspielen für die „Hauptstadt der Bewegung". Die Neugestaltungsplanung hatte Hitler im Dezember 1938 in die Hände des Architekten Hermann Giesler gelegt, der zum „Generalbaurat" für München avancierte. Mit seiner Beauftragung wurde in München bereits eine Abkehr von den kleinräumigen, bodenverbundenen Konzepten nationalsozialistischer Wohnungs- und Siedlungspolitik eingeleitet, für die auf Reichsebene seit 1940 der Wohnungskommissar Robert Ley sorgte. Mag an Gieslers Planungen, die im Bereich des Wohnungsbaus etwa die Errichtung von Trabantensiedlungen mit Tausenden von Wohneinheiten umfaßten, manches „modern" erscheinen, gelten dennoch gravierende Vorbehalte für die Anwendung dieses Begriffs. Gewiß nahm die Stadtplanung des Generalbaurats bestimmte Elemente voraus, die später im sozialen Wohnungsbau oder im Ausbau der Infrastruktur wiederkehren sollten. Eine „moderne" Wohnungspolitik hätte aber auch die Voraussetzungen für eine Verwirklichung dieser Programme schaffen müssen, sie hätte die aktuellen und künftigen Bedürfnisse der Bevölkerung berücksichtigen und entsprechend agieren müssen3. Gerade das gelang der nationalsozialistischen Wohnungspolitik aufgrund der Priorität des Rüstungs- und Kriegsprogramms zu keinem Zeitpunkt, und erst recht nicht in der Amtszeit Gieslers. Ebenfalls 2 3

Vgl. Die Finanzierung des Wohnungsneubaues in München mit öffentlichen Mitteln 1918-1938

(undatierte Abschrift), S. 12, StadtAM, Wiederaufbaureferat 1.

Was schon für die Teilfunktion der Wohnungspolitik gilt, macht erst recht skeptisch, wenn man das gesamte nationalsozialistische System in den Blick nimmt. Michael Prinz lehnt dessen Etikettierung als „modern" gerade deswegen ab, weil es niemals in der Lage gewesen wäre, mit seiner von Versklavung und Ausrottung ganzer Völker gekennzeichneten Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik den Anforderungen einer modernen Gesellschaft zu genügen, deren Fortbestehen auch nur in den wesentlichen Strukturen zu gewährleisten. Prinz, Nachwort, in: ders./Zitelmann, Nationalsozialismus und Modernisierung, S. 335-361, bes. 357.

427

Zusammenfassung

schon seit 1938 wurde die Dynamik des Militärischen nämlich so stark, daß die zivile Bauproduktion akute Einschnitte erfuhr. Die Bausperren und Kontingentierungen behinderten zunächst vor allem die private Bauwirtschaft, aber auch die öffentliche Wohnungsbaupolitik mußte sich bald dem Kriterium der „Kriegswichtigkeit" unterordnen. Von der Verwirklichung eines „sozialen Wohnungsbauprogramms" für die Masse der Bevölkerung konnte keine Rede mehr sein. Die dritte Zäsur im Jahr 1943 ist auch für München zu übernehmen. Alle reguläre Bautätigkeit wurde eingestellt, Wohnraum nur noch als Notprodukt im Rahmen der Behelfsheimaktion erstellt. Damit war die Geschichte des Wohnungsbaus im nationalsozialistischen München de facto beendet; an Stelle der Produktionsfrage gewann wieder die Frage der Verteilung und Zuweisung von Wohnraum die Oberhand: Evakuierungen, Einquartierungen und Beschlagnahmungen wurden in dieser Arbeit nicht diskutiert, rangierten aber weit vor allen baulichen Behelfen. 2. Hinsichtlich der inhaltlichen Ausrichtung der nationalsozialistischen Wohnungsbaupolitik im allgemeinen ist vor allem für die erste Phase eine starke Orientierung am Reichskleinsiedlungsprogramm zu konstatieren. Damit ist eine wichtige Achse der Kontinuität benannt, die die Zäsur von 1933 übergreift. Gerade vor dem Hintergrund der Spezifika, die das Kleinsiedlungsprogramm kennzeichneten die Abkehr von großstädtischen Mietsiedlungen, die Hinwendung zu einem atomisierten Modell des Kleinstbesitzes in quasi-ländlicher Umgebung -, liegt es allerdings nahe, den Zeitabschnitt der Weltwirtschaftskrise als einen eigenen Zusammenhang zu begreifen. Zumindest in unserem Kontext scheint die Krisenepoche eher vom Bruch mit den Prinzipien des Weimarer Sozialstaats gekennzeichnet zu sein als von ihrer Fortsetzung. Es entstanden neue wirtschafts- und gesellschaftspolitische Modelle für den Wohnungsbau, an die die Nationalsozialisten dann anknüpften. Das galt etwa hinsichtlich der Orientierung der Wohnungsbauförderung auf ländliche Regionen, der Bevorzugung des Flachbaus, des Rückzugs von öffentlichen Subventionen und anderer Faktoren, die hier genannt wurden. Freilich betrifft das alles viel stärker die materielle Seite der Wohnungspolitik als ihre rassenideologisch-bevölkerungspolitische Komponente. Auf diesem Gebiet waren es erst die Nationalsozialisten, die radikal neue Akzente setzten4; darauf wird unter Punkt 5 zurückzukommen sein. Mit Franz Seldte hatte die Wohnungsbaupolitik im „Dritten Reich" grundsätzlich nur einen „schwachen Minister". Er hatte keinesfalls den Einfluß und vermutlich auch nicht den energischen Willen, die Rückstellung seines Ressorts hinter die von Hitler als vorrangig betrachteten Ziele der Rüstung und Arbeitsbeschaffung zu verhindern. So mußte das Reichsarbeitsministerium hinnehmen, daß auch nach dem Ende der Weltwirtschaftskrise die öffentliche Wohnungsbauförderung nicht wiederbelebt wurde. Während das schon bei einigen Beamten im Ministerium deutlichen Widerspruch er-

regte, wollten sich die Verantwortlichen auf regionaler und lokaler Ebene erst recht nicht ohne weiteres diesem Kurs der Reichspolitik beugen. Das zeigte sich etwa an der Initiative des bayerischen Ministerpräsidenten, der sein „Siebert-Programm" bewußt

4

Freilich

gibt

es

auch eine Kontinuitätslinie der

Rassenhygiene,

die in die Zeit

vor

1933

zu-

rückreicht, dennoch war in der Weimarer Republik die praktische Wohnungspolitik vorwiegend von einer fürsorgerischen Sozialhygiene gekennzeichnet. Vgl. Rodenstein/Böhm-Ott, Gesunde

Wohnungen, S. 482-494.

428

Zusammenfassung

als Gegenakzent zum Rückzug des Reiches aus der Finanzierung begriff. Auch aus der Münchner Politik läßt sich die Tendenz erkennen, an einer öffentlichen Subventionierung des Wohnungswesens festzuhalten. Die Bezuschussung aus eigenen Haushaltsmitteln lag deutlich über dem, was vergleichbare Städte aufbrachten. Von diesen Geldern

flössen aber erhebliche Teile in die Zinszuschüsse für die Wohnungsbauprogramme der Weimarer Ära. Die Haushaltsmittel, die für sozialen Wohnungsbau im nationalsozialistischen München aufgebracht wurden, waren daher zu einem großen Teil für die Be-

standserhaltung gebunden. Gravierender jedoch war, daß dem städtischen Haushalt die früheren

Überweisungen aus dem Hauszinssteueraufkommen fehlten und damit der

Spielraum für eine aktive Baupolitik eng begrenzt war. Wenn die Stadt überhaupt initiativ werden wollte und daß sie das wollte, dafür sorgte schon ihr Wohnungsreferent -, dann mußten sich ihre Projekte vor allem im Rahmen der Reichs- bzw. Landesprogramme bewegen: Der Reichskleinsiedlungsbau mit der Variation der „Frontkämpfersiedlung", die ebenfalls in dieser Schiene subventioniert wurde, und der Volkswohnungsbau zeigen das deutlich. Bei den von der Stadt selbst formulierten und finanzierten Aktionen wie dem Baulückenprogramm von 1934 und dem Kleinwohnungsbauprogramm von 1935 waren nur niedrige Zuschüsse möglich, die den Haushalt nicht zu sehr belasteten. Auch innerhalb der genannten Reichsprogramme erreichte man aber keineswegs mehr den Subventionsgrad der zwanziger Jahre, denn die Mittel wurden, wie erwähnt, äußerst sparsam vergeben. Bei den von der Stadt selbst verantworteten baupolitischen Strategien lassen sich auch Tendenzen erkennen, die aus dem allgemeinen Trend herausfallen. Das gilt etwa für das Baulückenprogramm und dessen „urbane" Qualität. Wurde mit den Randsiedlungen die großstädtische Lebensform ja in gewissem Sinn negiert und durch ein länd-

lich geprägtes Konzept ersetzt, zielte die Baulückenaktion auf den innerstädtischen Raum und orientierte sich an der dort gewachsenen mehrgeschossigen Bebauung. Damit wurde hier schon in den Jahren 1934/35 der großstädtische Kontext deutlicher akzeptiert, als das in der noch vom Siedlungsgedanken beherrschten Reichspolitik der Fall war. Trotzdem war die Initiative nicht so sehr „Programm" als vielmehr eine pragmatische Lösung, um mit geringem Mitteleinsatz städtisches Engagement für die Wohnungsfrage zu demonstrieren. Das zeigte insbesondere die Ausweitung der Baulückenaktion in ihrer späteren Phase zu einem fast beliebig einsetzbaren Förderinstrument. Als wohl originellstes Bauprojekt der nationalsozialistischen Stadt ragt die Mustersiedlung Ramersdorf heraus. Das Konzept einer Mittelstandssiedlung paßte in das Sozialprofil Münchens, in das Siedlungsprogramm der Nationalsozialisten aber viel weniger. Obwohl Harbers in dem begleitenden Ausstellungsprogramm versuchte, in Ramersdorf ein Paradigma für nationalsozialistisches Bauen zu etablieren, machten die Rezeption beim Publikum und in der Politik ebenso wie das Scheitern des Finanzierungsplans deutlich, daß ein solch aufwendiges, auf die individuellen Bedürfnisse zielendes Konzept keine Zukunft haben würde. Zu sehr wich die „Mustersiedlung" von den „kollektivistischen" Tendenzen im nationalsozialistischen Siedlungswesen ab, die auf den Bau einheitlicher Billighäuschen setzten. 3. Ramersdorf liefert das Stichwort für den dritten Punkt dieser Überlegungen, war es doch vor allem der Münchner Wohnungsreferent Guido Harbers, der das Projekt entwickelte, forcierte und zur Durchführung brachte. Harbers, das hat bereits Ursula

Zusammenfassung

429

Henn nachdrücklich unterstrichen5, war unbestritten ein engagierter Architekt, der „die Wohnungsfrage" ganz zu seiner eigenen Angelegenheit machte. Daneben steht sein Be-

kenntnis zum Nationalsozialismus, schon 1930 wurde er NSDAP-Mitglied. Alle aus den Quellen zu gewinnenden Indizien legen es nahe, auch den Anschluß an die Nationalsozialisten als vor allem fachlich motivierten Schritt zu interpretieren. Harbers versprach sich offensichtlich von der Hitler-Bewegung die Berücksichtigung wohnpolitischer Forderungen, insbesondere hinsichtlich des Eigenheimbaus. Eine ähnliche Motivation läßt sich aufgrund jüngerer Untersuchungen über das Verhältnis von Technikideologie und Nationalsozialismus für eine größere Strömung von Vertretern der technischen Berufe ebenfalls diagnostizieren: „Die Techniktheoretiker und Ingenieure erwarteten sich [...] vom Nationalsozialismus politische, vielleicht auch weltanschauliche Rahmenbedingungen, in denen sich ihre Ziele besser und effizienter verwirklichen ließen."6 Gegen den ihrer Ansicht nach herrschenden Primat der Ökonomie setzten diese Vertreter den Primat der Technik. Ingenieure und Techniker seien zur geistigen Führung, zur Erziehung des Volkes berufen. Dafür würden sie sich ihrerseits ganz in den Dienst der „Volksgemeinschaft" stellen. Analogien zu Harbers' Wünschen, sein Sachgebiet im Rahmen der Münchner Stadtverwaltung aufgewertet zu sehen, sind hier unschwer zu ziehen. Als „technischer Bürgermeister" wollte er seinem Ressort mehr Geltung verschaffen. Er war vonVisionen erfüllt, die über persönliche Karrierewünsche hinaus die weitreichende generelle Verbesserung der Wohnverhältnisse zum Inhalt hatten. Leitbild war das Einfamilienwohnen in eigenem Haus; er war allerdings zu nüchtern, um sich den Siedlungsillusionen eines Gottfried Feder hinzugeben. Seine Konzepte waren pragmatisch, hatten etwa die Verwirklichung „bedürfnisgerechter" und den umgebenden Verhältnissen angepaßter Grundrisse zum Ziel. Harbers kann aufgrund dieses geistigen Profils als ein Vertreter der rational-technisch denkenden Strömung im Nationalsozialismus charakterisiert werden, der sich die Forschung in den letzten Jahren mit verstärkter Aufmerksamkeit zugewandt hat7. Dabei ist der eigentlich überraschende Befund, wie gut sich Rationalität und nationalsozialistische Ideologie in Einklang bringen ließen bis hin zu der mörderischen Verbindung, die eine „effektiv" arbeitende Verwaltung in den besetzten Gebieten mit völkischem Rassenwahn einging8. Solchen radikalen Exponenten ist Harbers freilich nicht zuzuordnen. Bei ihm erstreckte sich die Mischung professioneller Rationalitätskriterien mit rassenideologischen Kategorien nur auf das städtische Wohnungswesen. Hier allerdings befand er rassistisch oder eugenisch motivierte „Säuberungsaktionen" durchaus für richtig, unterstützte die bevölkerungspolitischen Ziele der nationalsozialistischen Siedlung. Er hatte keine Skrupel, die Vertreibung der Juden aus ihren Wohnungen zugunsten einer Versorgung von „Volksgenossen" zu nutzen. Und er trat auch dafür ein, Gegner seiner Politik auszuschalten, zu bestrafen, die Gewalt des Regimes spüren zu -

-

5 6 7

8

Henn, Mustersiedlung.

Adolf, Technikdiskurs und Technikideologie, S. 431, und weiter auch für das Folgende. Hier seien Monographien vernachlässigt und nur einige Sammelbände zu dieser Frage genannt, in denen jeweils auf Spezialliteratur verwiesen wird: Prinz/Zitelmann, Nationalsozialismus und Modernisierung; Meinel/Voswinckel, Medizin, Naturwissenschaft, Technik und Nationalsozialismus; Renneberg/Walker, Science, Technology and National Socialism. Dazu Longerichs Besprechung von Ulrich Herberts Best-Biographie, bes. S. 9.

Zusammenfassung

430

lassen. Bei all diesen Beispielen bleibt aber die vorwiegend wohnungspolitische und insofern fachlich-rationale Motivation auffällig. Das wird um so deutlicher, wenn man hinzunimmt, daß Harbers umgekehrt auch nicht anstand, nationalsozialistische Politik und Ideologie zu kritisieren, wenn er sie für seiner Sache schädlich und damit für irrational hielt. Ob es allzu ausgedehntes Repräsentationsbauen oder Vernachlässigung der Wohnungsnot war: Er war nie so sehr den ideologischen Zielen der Partei verhaftet, daß er aus dieser Kritik ein Hehl gemacht hätte. 4. In Karl Fiehler fand Harbers einen Vorgesetzten, der durchaus bereit war, die wohnungspolitischen Anliegen Münchens mitzuvertreten und ihnen im Rahmen der von ihm geleiteten Organisationen entsprechenden Rang einzuräumen. Allerdings war Fiehlers Gewicht innerhalb der Partei nicht größer als das Seldtes innerhalb der Staatsverwaltung, so daß dem „schwachen Minister" auch nur ein „schwacher Reichsleiter" korrespondierte. Weiter als Fiehler aufgrund seiner nachgiebigen und kompromißbereiten Art vermutlich gehen wollte, ließ er sich von Harbers in der Frage der Wiedereinführung zwangswirtschaftlicher Maßnahmen ziehen, in der München zunächst eine deutliche politische Niederlage einstecken mußte. Auch wenn sich darin zeigt, daß gemeindliche Belange im Zweifelsfall hinter „höheren" politischen Interessen zurückstehen mußten, blieb den Münchnern über das Hauptamt für Kommunalpolitik immerhin die Möglichkeit, am Entscheidungsprozeß teilzuhaben, wenn die Wohnungspolitik der Städte berührt war. So waren sie in die Gespräche einbezogen, als 1938/39 im Zuge von wirtschaftspolitischen Kursänderungen doch Vorbereitungen für die Aufnahme von zwangswirtschaftlichen Maßnahmen im Wohnungswesen getroffen wurden. Zwischen den Polen von Konflikt und Kooperation bewegten sich auch die Beziehungen der Münchner Stadtverwaltung zu den vor Ort tätigen Stellen der Partei- oder Staatshierarchie. Während die Gauleitung wohl meist als Konkurrent im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit des „Führers" wahrgenommen wurde, war das Verhältnis zum Generalbaurat nicht durchweg von der eifersüchtigen Ablehnung geprägt, die diese der Stadtverwaltung quasi „vor die Nase gesetzte" Behörde an sich hervorrufen mußte. Das Wohnungsreferat jedenfalls war zur Kooperation bereit, nachdem offensichtlich wurde, daß eine größere wohnpolitische Offensive nur über den Weg der vom Generalbaurat Giesler geleiteten Gesamtstadtplanung zu erreichen war. Als der fortschreitende Krieg jedoch ein großes Wohnungsbauprogramm immer mehr in den Bereich der Utopie rückte, mußte sich die Stadt damit begnügen, über den Generalbaurat wenigstens noch ein Minimum an Baufertigstellungen zu erreichen, die dann auch meist einer Zweckbindung zugunsten der Rüstungsindustrie unterlagen. „Normaler" Wohnraum wurde zu einem kostbaren Gut, das nach rassenideologisch geprägten Verwertungsmaximen

vergeben wurde. 5. Die

nationalsozialistische

Rassenideologie durchzieht das Münchner Wohnungs-

im „Dritten Reich" somit von seinen Anfängen im Siedlungsprogramm bis zu seinem Ende im Bombenkrieg. Zunächst ging es vor allem darum, die Siedlungen durch Auswahl- und Säuberungsinstrumente im Sinne der nationalsozialistischen Bevölkewesen

rungspolitik nutzbar zu machen. Schon bei der Anwendung rasse- und „erbgesundheits"-politischer Kriterien in dieser Absicht fallen schockierende Einzelfälle ins Auge: die Kündigung eines Siedlers etwa, der als Opfer der „Erbgesundheitspolitik" sterilisiert wurde. Gleichzeitig ist aber für München immer noch ein deutliches Maß an Pragmatismus in der Umsetzung nationalsozialistischer Siedlungsbestimmungen zu konsta-

Zusammenfassung

431

rieren. Wenn Siedler sich nicht offen widersetzten, wenn sie leidlich dem Bild des deutschen „Volksgenossen" entsprachen, vermied man die Kündigung. Die Disziplinierung der Siedler ließ sich auch so durchsetzen. Dafür sorgte die Partei mit ihren Horchposten oder der Deutsche Siedlerbund mit seinen Kontrollen. Andere Maßstäbe galten im Umgang mit der jüdischen Wohnbevölkerung. Vor allem seit dem Pogrom von 1938 gab es hier auch in München keinen Toleranzspielraum, sondern wurden alle Instrumente rücksichtslos ausgenützt, um die jüdischen Bewohner aus ihren Wohnungen zu verdrängen. Die „Hauptstadt der Bewegung" rühmte sich in den kommunalpolitischen Interessenvertretungen ihrer „durchgreifend^«]" Arbeit auf diesem Gebiet. Harbers als Referent des Hauptamtes für Kommunalpolitik sah in der „Arisierung" des Wohnraums nicht mehr als eine effektive Form der Wohnungspolitik, die es als beispielhaft hervorzuheben galt9. Seit dem Frühjahr 1943 betrachtete sich die Stadt als „judenfrei", die Deportationen hatten dem jüdischen Leben in München ein Ende gesetzt. In anderen Städten wurde die „Entmietung" der Juden auch als Ausweichstrategie im Bombenkrieg genutzt, um Wohnraum für fliegergeschädigte „Volksgenossen" zu gewinnen. Das war in München nicht der Fall, weil hier der Luftkrieg sich erst zu einem Zeitpunkt stark intensivierte, als die jüdische Bevölkerung bereits in die Vernichtungslager deportiert worden war. Vor dem Hintergrund des Bombenkrieges zeigten alle Versuche von Partei und Verwaltung, noch innerhalb der Stadt das Wohnungswesen, etwa über Quartiervermittlungen oder den Behelfsheimbau, zu organisieren, keinen Erfolg. Die Bevölkerung mußte zu großen Teilen München verlassen. In der zerstörten und entleerten Stadt wurde der einstige „Ehrentitel" zur Ironie: die „Hauptstadt der Bewegung" war nur noch eine hohle Maske.

9

Harbers

an

das

Hauptamt für Kommunalpolitik, 12.5.1941, BA Koblenz, NS 25, 1178, Bl.

129.

Tabellenverzeichnis Tab. 1:

Belegung von Kleinwohnungen (bis zu 2 heizbaren Zimmern) in ausge-

wählten Städten 1875, 1890, 1905 Tab. 2: Baukostenzuschüsse und Darlehen des Reiches für den Wohnungsbau

.

103

1918-1920 (in Mark). 110 110 113

Tab. 3: Reinzugang an Wohnungen 1919-1931 Tab. 4: Baugenossenschaften in Deutschland 1918-1928. Tab. 5: Wohnungsbau und Bauherren in Deutschland in der Hauszinssteuerära Tab. 6: Investitionen im Wohnungsbau 1924-1931 (in Millionen Reichsmark) Tab. 7: Investitionen im Wohnungsbau 1933-1939 (in Millionen Reichsmark) Tab. 8: Wohnungszugang und -abgang 1933-1938. Tab. 9: Die mit öffentlichen Mitteln geförderten Neubauwohnungen nach der Größe in den Mittel- und Großstädten des Deutschen Reiches 1926-1930 und 1933-1937 Tab. 10: Die mit staatlichen Baudarlehen (-Zuschüssen) geförderten Wohnungen in Bayern 1919-1929. Tab. 11 : Neubau- und Eheschließungsziffern in München im Vergleich .

.

..

..

.

1910-1926

.

114 116 126 129

132 153 169

Tab. 12: Die mit öffentlichen Mitteln finanzierten Wohnungen in München 1924-1927

.

Tab. 13: Öffentliche Wohnungsbauförderung in München 1928-1932. Tab. 14: Wohnungszugang nach Wohnungsgrößen in München 1933-1938. Tab. 15: Wohnungszugang nach Wohnungsgrößen in München 1925-1930. Tab. 16: Baukostenindex in München im Jahresdurchschnitt 1928-1938 Tab. 17: Wanderungsbewegungen und Eheschließungen in München 1932-1938 Tab. 18: Wohnungszugang und -abgang in München 1933-1938. Tab. 19: Wohnungsfehlbedarf in München 1933-1938 Tab. 20: Die Siedler in Freimann und Neuherberge nach der Stellung im Beruf .

.

.

1939

.

179 182 187 187 188 189 190 193

250

Tab. 21: Die Bewohner der Mustersiedlung Ramersdorf nach der Stellung im Beruf . 262 Tab. 22: Öffentliche Wohnungsbauförderung in München 1933-1941 282 Tab. 23: Zins- und Tilgungszuschüsse für die Sonderbauprogrammbauten der Jahre 1926-1930 im nationalsozialistischen München. 284 Tab. 24: Einnahmen und Zuschußbedarf des Haushaltspostens „Wohnungs.

Tab. 25:

fürsorge" 1933-1944. Sozialprofil der Haushaltungen in der Volkswohnungsanlage Berg am Laim, erster Bauabschnitt

Tab. 26: Tab. 27: Tab. 28:

.

Verteilung der Mitteldeckung bei der Volkswohnungsanlage Berg am Laim. Übernahme von Mietschulden durch die Stadt. Einfachwohnungen der Stadt München.

285 323

328 365 368

434

Tabellenverzeichnis

Tab. 29: Das Münchner Wohnungssofortprogramm für die Jahre 1938-1942 Tab. 30: Die zwischen dem 1. Mai 1941 und dem 30. April 1942 vergebenen Wohnungen „entmieteter" jüdischer Bewohner in München

....

.

382 401

Abkürzungsverzeichnis AfS

Archiv für Sozialgeschichte

BMW BSW BVP

Bayerische Motoren Werke

CEH

Central European History

DAF DDP DGO DGT DWH

Deutsche Arbeitsfront Deutsche Demokratische Partei Deutsche Gemeindeordnung Deutscher Gemeindetag Deutsches Wohnungshilfswerk

FAD

Freiwilliger Arbeitsdienst

Gagfah

Gemeinnützige Aktiengesellschaft für Angestellten-Heimstätten Generalbevollmächtigter für die Regelung der Bauwirtschaft Gemeinnützige Wohnungsfürsorge AG

GB Bau

Gewofag

Bauen, Siedeln, Wohnen

Bayerische Volkspartei

GG GWG GWU

Geschichte und Gesellschaft Gemeinnützige Wohnstätten- und Siedlungsgesellschaft m.b.H. Geschichte in Wissenschaft und Unterricht

HdW

Handwörterbuch des Wohnungswesens

Heimag

Gemeinnützige Heimstätten-Aktiengesellschaft

JMH

The Journal of Modern History

KSB

Kleinsiedlungsbestimmungen

MGZ MNN MSPD

Münchener Gemeindezeitung (Sitzungsberichte) Münchner Neueste Nachrichten Sozialdemokratische Partei Deutschlands („Mehrheitssozialdemokra-

tie") NPL NSDAP

Neue Politische Literatur Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NS-Gemeinde Die nationalsozialistische Gemeinde NSKOV Nationalsozialistische Kriegsopferversorgung e.V. NSV Nationalsozialistische Volkswohlfahrt

Abkürzungsverzeichnis

436

OB

Oberbürgermeister

RABÍ. RAM RGBl.

Reichsarbeitsblatt Reichsarbeitsminister/Reichsarbeitsministerium

RM

Reichsmark

SA SS

Sturmabteilung

Reichsgesetzblatt

SZ

Schutzstaffel Süddeutsche Zeitung

USP/USPD

Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands

VB

Völkischer Beobachter (Münchener Ausgabe) Beiräte für Verwaltungs-, Finanz- und Baufragen Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte

VFB-Beiräte VfZ VO VSWG WN

Verordnung Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes

WWS

Wörterbuch der Wohnungs- und Siedlungswirtschaft

ZfG

Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zeitschrift für Wohnungswesen in Bayern

ZWB

Quellen und Literatur 1. Ungedruckte

Quellen

Amtsgericht München Registratur S, Spruchkammerakten Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHStA)

Ministerium des Äußeren Staatskanzlei (MA) Ministerium für Finanzen (MF) Ministerium der Justiz (MJu) Ministerium für Wirtschaft und Verkehr (MWi) Oberste Baubehörde im Ministerium des Innern (OBB) -

Reichsstatthalter Epp

Berlin Document Center (BDC) [Bundesarchiv Außenstelle Ordner 211 -Ämter Ordner 258 Präsidialkanzlei Research Reichsstatthalter in Bayern

Zehlendorf]

-

Bestand Siedlergenossenschaft Freimann [München, Gondershauser Straße] Protokollbücher des Aufsichtsrates, der Generalversammlung, des Vorstands Verschiedene Unterlagen Bundesarchiv Koblenz, Berlin-Lichterfelde (BArch) Deutsche Akademie für Wohnungswesen (40.02) Hauptamt für Kommunalpolitik (NS 25) Nachlaß Johannes Krohn (N 1430), Bd. 12 Parteikanzlei (NS 6) Reichsarbeitsministerium (R 41) Reichskanzlei (R 43)

GWG-Archiv [München, Sonnenstraße] Bauakten: Am Harthof, Berg am Laim, Milbertshofen Landesarchiv Berlin (LA Berlin) Deutscher Gemeindetag (Rep. 142/7) Staatsarchiv München (StaatsAM) NSDAP

Polizeidirektion München (Pol.Dir. Mchn.) Stadtarchiv München (StadtAM)

Baureferat-Bauverwaltung (BRB) 83/2

Baureferat-Wohnungswesen (BRW) 78/1, 78/2 Bayerischer Städtetag Bürgermeister und Rat (BuR) Gewerbeamt Hochbauamt

Kämmerei Nachträge

Nachlaß Hanffstengel Personalakten Personalamt

Quellen und Literatur

438

Planungsreferat (PR) 83/6 Ratssitzungsprotokolle (RP) [Für nichtöffentliche Sitzungen wurden die im Stadtarchiv auf Mikrofilm

vor-

liegenden, unpaginierten Ratssitzungsprotokolle herangezogen, die öffentlichen Sitzungen sind nach dem Protokollabdruck in der Münchener Gemeinde-Zeitung zitiert.] Sozialamt Stadtchronik Wiederaufbaureferat (WAR)

Wohnungsamt Zeitungsausschnittsammlung (ZA) 2. Gedruckte

Quellen und zeitgenössische Publikationen

Zeitschriften und Zeitungen Bauen, Siedeln, Wohnen 13 (1933) 20 (1940) Der Baumeister 26 (1928) 33 (1935) Deutsches Wohnungsarchiv 11 (1936), 12 (1937) Der Gemeindetag 27 (1933) 36 (1942) Das Grundeigentum 58 (1939) Münchener Gemeinde-Zeitung (MGZ) 59 (1930) -

-

-

69

(1940)

Münchener Wirtschafts- und Verwaltungsblatt 9 (1933/34) 15 (1940/41) Die nationalsozialistische Gemeinde (NS-Gemeinde) 1 (1933) 11 (1943) Reichsarbeitsblatt (RABÍ.) 1933 1943 (Teil II, ab 1940 Teil V) Siedlung und Wirtschaft 15 (1933) 22 (1940) Statistisches Jahrbuch deutscher Gemeinden 23 (1928) 34 (1939) Verordnungsblatt der Reichsleitung der NSDAP Völkischer Beobachter (Münchener Ausgabe) Die Wohnung 7 (1932) 16 (1941) Zeitschrift für Wohnungswesen in Bayern 29 (1931) 38 (1940) -

-

-

-

-

-

-

-

Quelleneditionen, zeitgenössische Druckschriften und Literatur Auf den Nachweis

zeitgenössischer Artikel in Fachzeitschriften und Sammelbänden wird, außer bei besonders wichtigen Beiträgen, verzichtet. Bellinger, Hermann, Die Neugestaltung der Kleinsiedlung. Ein Rückblick auf die Entwicklung der

Kleinsiedlung und eine Einführung in die neuen „Bestimmungen über die Förderung der Kleinsiedlung" vom 21. April 1936 unter Beigabe der dazu ergangenen Ergänzungsvorschriften (= Handbücherei des Wohnungs- und Siedlungswesens, H. 14b), Eberswalde u.a. 1936 Bericht über den Stand der Gemeindeangelegenheiten der Kgl. Haupt- und Residenzstadt München für das Jahr 1901 Bericht über die Tätigkeit des Münchener Wohnungsamtes vom 1. April 1918 bis 1. April 1919. Erstattet von dem Direktor des städtischen Wohnungsamtes, München 1919 Bericht über den Stand der Wohnungsfrage in München am 1. Januar 1919. Erstattet in der Sitzung der Wohnungskommission am 3. Februar 1919 von dem Direktor des städtischen Wohnungsamtes

Bericht über die Massnahmen der Stadtgemeinde München zur Bekämpfung der Wohnungsnot und über die Tätigkeit des Münchener Wohnungsamtes vom 1. April 1919 bis 1. April 1920. Erstattet von dem Direktor des städtischen Wohnungsamtes, München 1920 Bericht über die Massnahmen der Stadtgemeinde München auf dem Gebiete des Wohnungswesens, insbesondere zur Bekämpfung der Wohnungsnot, und über die Tätigkeit des Münchener Wohnungsamtes vom 1. April 1920 bis 1. April 1921. Erstattet von dem Direktor des Münchener Wohnungsamtes, München 1922 Bibliographie des kommunalen Schrifttums von 1936 und 1937. Bearb. im Kommunalwissenschaftlichen Institut an der Universität Berlin von Leo Hilberath, Stuttgart u.a. 1938

Quellen und Literatur

439

Bibliographie des kommunalen Schrifttums der Jahre 1938, 1939 und 1940. Bearb. im Kommunalwissenschaftlichen Institut an der Universität Berlin von Elisabeth Burghard, Stuttgart u.a. 1942 Blechschmidt, Otto, Reichsbürgschaften für den Kleinwohnungsbau (= Handbücherei des Wohnungs- und Siedlungswesens, H. 5), Eberswalde u.a. 21937 Brentano, Lujo, Wohnungs-Zustände u. Wohnungs-Reform in München. Ein Vortrag, München 1904

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-

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Rechnungsjahre 1935 bis 1946, o.O. o.J.

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hrsg. von

Personenregister * sind alle Seitenangaben gekennzeichnet, bei denen der Name lediglich in den Fußnoten scheint. Nicht aufgenommen wurden reine Institutionenbezeichnungen, z.B. „Stab Heß".

Mit

Adam, Franz 70 Alker, Hermann 379f., 383f.

Eisner, Kurt

Amann, Max 30, 33, 36, 52-55, 57 Auer, Erhard 46

Ertl, Sebastian

Baier, Hans 68 Bauer, Josef 68, 72, 88, 94

Baumgartner 387* Beblo, Fritz 70, 74, 181, 204, 208, 254*, 301, 309*, 378

Beck, Fritz 56,386

Beling, Oskar 337, 341*, 350f.*, 354*, 360f., 397, 399*

Berchtold, Josef 56 Biechteler, Gustav 157,301 Blössner, August 309*

Bormann, Martin 124*, 236, 399*, 419 Borscht, Wilhelm von 164, 166* Borst, Bernhard 177f., 288*, 289f. Brauer, Max 36 Brauns, Heinrich 124 Brecht, Julius 158, 160*, 407, 408* Brentano, Lujo 163, 164*, 165 Brinkmann, Waldemar 384*

Brüning, Heinrich 197, 217, 220 Buckeley, August 35, 36*, 52 Busching, Paul 157,170, 174*, 176, 309, 310* Damaschke, Adolf 105 Darre, Richard Walther 217 Dauser, Hans 33, 124*, 155*, 158, 160f., 338, 411

Deininger, Franziska

74

Dichtl, Adolf 35 Dietrich, Hermann 199*, 200 Döhlemann, Friedrich 301 Dötsch, Matthäus 158, 399*

Doppier, Joseph

363 *

Dresler, Adolf 55 Durst, Karl 149* Dziewas, Gotthold 400*, 404*

Ebel, Martin

345*

Ebeling, Siegfried 253*, 264* Eichinger, Sepp 228*

er-

23

Epp, Franz Xaver Ritter von 30-33, 36*, 48, 69, 83, 88*

336*

Erzberger, Matthias

26

Esser, Hermann 30, 32f., 40*, 47f., 52f., 55, 74, 160,161», 259*

Feder, Gottfried 48, 50,120*, 122*, 125, 139143,145f., 160,218,233,258,275,412, 429 Fiederl, Konrad 37*, 333 Fiehler, Gerhard 346* Fiehler, Karl 11 -13,15,22f., 34-39,40f.*, 42f., 45-55, 58*, 59-67, 69, 71-73, 76f., 80f., 84*, 87-98, 145, 148, 185, 191f., 194, 203, 216*, 217f., 229,238,242,252,254*, 267,279,286, 290*, 291-294, 295*, 296, 302, 303*, 306*, 309, 312,317f., 342, 345, 347, 349,355,358*, 364, 378*, 379, 383*, 384, 389f., 396-398, 402*, 406, 408f., 411», 414, 430

Fischer, Karl J. 217 Fischer, Theodor 73, 166,176-178

Flüggen, Hans 70,87

Forsthoff, Ernst 26,84 Frank, Hans 30, 32f. Frick, Wilhelm 30

Friedrich II., der Große 197

Fuchs, Joseph

52

Gall, Leonhard 55,87 Gasteiger, Michael 202, 206*, 309, 333

Gerber, Otto 360f.* Gerlich, Fritz 31 Giesler, Hermann 13f., 18, 21, 90, 191*, 257*,

377, 381, 384-393, 400*, 414, 422, 426, 430 Giesler, Paul 57, 62, 77, 89, 423 Gleixner, Sebastian 56, 31 lf. Goebbels, Joseph 29*, 87*, 255, 314 Gölz, Willy 419f. Goerdeler, Carl 11, 80f, 133* Göring, Hermann 83, 148, 355, 391*, 396* Graf, Ulrich 52f., 56 Grimm, Hans 294f.*, 297f.

Grimminger, Jakob 53, 59 Groß,Josef 41,302*

Personenregister

456

Gruber, Friedrich 223*,411f. Gut, Albert 167,332,334 Gutschow, Konstanty 412*, 421f. Gutzmer, Willy 156*

Häring, Ludwig Halt, Karl von

41 301

Harbers, Guido 12f., 15, 17, 22, 41*, 44, 55, 61f., 68-79, 88, 93*, 94f., 98*, 124*, 145f.,

180*, 184-187, 189*, 191, 194, 204*, 209, 216, 218f., 224*, 226, 228-230, 235, 237*, 238f., 241, 244f., 247, 251-257, 258*, 259265, 267, 269, 277, 279-281, 284, 286-289, 290*, 293*, 294-297, 298*, 299*, 300-306, 307*, 308-312, 315, 316f.*, 318-320, 321*, 325*, 331, 334, 336, 337*, 340-342, 343*, 345-349, 350*, 351, 355, 358, 360*, 363*, 366*, 370*, 371, 375, 381, 386f., 389-391, 396, 400, 416*, 423,425f., 428-431 Hassinger, Adolf 90*

Heilmann, Georg 342* Held, Heinrich 28-31 Helmreich, Karl 37, 39, 66f., 179*, 241, 254f. Heß, Rudolf 80, 86, 92, 97, 146*, 228, 245, 270*, 381*, 407, 409 31

Hilble, Friedrich 68, 75*, 88*. 365f.*, 367 Himmler, Heinrich 29-31

Hindenburg, Paul von

139

Hitler, Adolf 11, 13f., 17*, 18-20, 23f., 27-29,

33, 36*, 39, 43, 45-47, 50, 53, 55-58, 66, 70, 72, 76f., 86f., 90-92, 119f., 122, 130, 139f., 142, 191, 193-195, 243, 255-257, 266f., 286, 319*, 326, 329*, 335f., 344, 363, 375, 377380, 383-388, 396f., 399, 404*, 406-408, 410413, 415, 417, 422, 426f., 429, 430

Höfler, Ludwig

41

Hörburger, Gerhard

69

Hoffmann, Heinrich 53, 55 Holzbauer, Hans 382 Howard, Ebenezer 141*, 198 Huber, Victor Aimé 112 Humar, Josef 309,346

Jansohn,

Hermann

59, 61, 68, 70, 205*, 254,

374*

Jeserich, Kurt 49, 84, 96f. Jobst, Heinz 15*, 89, 91, 358*, 406* Kahr, Gustav von 24, 46 Kapp, Wolfgang 24

Kellner, Max

Kerrl, Hanns

Killy, Leo

41

136* 194*

Knoll, Ernst 122,149,235*, 412*

Köglmaier, Max

55f.

Köttgen, Arnold 26, 84*

Hanffstengel, Hans von 388*, 422 Hanfstaengl, Ernst 58

Heydrich, Reinhard

Kleffner 418* Klein, Richard 55,87,378 Klopfer, Gerhard 15*, 91

Konrad, Adolf 67*, 254*, 286*, 289f.*, 317* Krauss, Clemens 402* Krohn, Johannes 124, 233 Küfner, Hans 39, 42*, 64f., 201*, 254*, 333

Lammers, Hans Heinrich 194, 195*

14, 77, 87f., 149,

Landmann, Ludwig 178 Le Corbusier, eigentl. Jeanneret-Gris, Charles Edouard 252

Lehmann, Otto 410* Leitenstorfer, Hermann

73

Leitmeyer, Karl 67*, 88* Lesch, Markwart

312f., 315, 316f.*, 321*, 337*, 413*, 417 Ley, Robert 20, 89, 92, 121, 144, 192, 329*, 357*, 377, 407-417, 419, 421f., 426 Liebel, Willi 50*, 149* Liebermann, Ferdinand 55, 87 Linmaier, Josef 334*, 336*, 337, 351

Lipinski, Richard 130 Lippert, Julius 119*

Löhner, Otto 343 Ludowici, Johann Wilhelm 76,121*, 143-145, 238*, 258 Lutz, Joseph

41

Mang, Johann 414, 419 Marius, Gaius 274 Marx, Heinrich 322*

May, Ernst 178 Mayr, Matthias 39, 167*, 179* Meitinger, Karl 70, 88*, 181, 204, 209, 21 lf., 219,301,384,404*

Melzer, Alfred 85 Merkl, Adolf 302f. Meyr, Erwin 52 Mies van der Rohe, Ludwig

252

Moll, Leonhard 180,290,301,304*

Morgenroth, Wilhelm 167,182* Müller, Christian 301 Müller, Ernst 189*, 193* Müller, Kurt 94, 97 Neufert, Ernst 416 Neumaier, Josef 41 *, 55, 62, 311

Nippold, Otto

Norkauer, Fritz

76 418*

Personenregister Ortner, Karl 41*, 59, 88*, 362*, 364*, 366f.*, 371*

Oud, Jacobus Johannes

Papen, Franz von

252*

27

Patutschnik, Helmuth 97 Pfahler, Karl 62 Pfeiffer, Andreas 41*, 66, 94, 257, 281, 389* Pfeil, Adalbert 124* Poerschke, Stephan 200, 237 Preis, Karl Sebastian 24f., 68, 71, 172*, 179f., 182, 183*, 186, 200-205, 206*, 214*, 215f., 232,239, 248*, 255, 288, 300-302, 305f., 310, 333

Seldte, Franz 124, 129*, 133*, 134, 149, 192,

222, 229, 230*, 231, 314, 343-345, 355, 388, 390*, 398,407,408*, 409,410*, 415,427,430 Seyfried, Franz 346*, 348 Sieber, Josef 228*, 231,262,269f. Siebert, Ludwig 30, 31*, 32f., 89, 154f., 159, 160*, 223-225, 247*, 273, 280, 284, 292*, 295, 305, 308,408*, 427

Singer, Karl

163

Sommer, Walther 81*, 86*, 91* Speer, Albert 18, 378f., 384, 385*, 389*, 407, 414*,421f.

Spiegel, Hans

416

Stang, Georg

41*

Steyrer, Fritz Stöhr, Adolf

312* 301

Stam, Mart 252*

Stein, Karl Reichsfreiherr vom und zum 83, 85 Steinhauser, Paul 144

Reichinger, Franz 57, 61*, 62f., 77

Reinhard, Max 59, 70, 87, 94, 258f, 301 Reinhardt, Fritz 128,279

Rettig, Hermann 314*, 356*

Stöhr, Karl 180,290, 293, 304*, 373 Strasser, Gregor 92*, 122* Streicher, Julius 52 Strölin, Karl 334 Stuckrad, Ernst von 144, 146

Röhm, Ernst 29-31, 142*, 257*

Rosa, Rudolf 301

Rosenberg, Alfred 72,217 Ruf, Franz

382 382 Ruf,Sep Rusch, Max 157*, 199*

Taut, Bruno 178,224*, 327f.

Karl 36, 43*, 49, 65f., 68, 72, 266, 312*, 337*, 343*, 347*, 379* Thelemann, Wilhelm von 301 Todt, Fritz 89,192*, 391,407f. Troll, Anton 301,312,326*, 367*, 382*, 387* Troost, Paul Ludwig 18,55,301

Tempel,

Sarnecki, Thérèse 201* Schacht, Hjalmar 141f. Schäffer, Fritz 28 Schaetz, Ludwig 375f.*

Scharnagl

25,27, 33-36, 50*, 52, 77,178, 208*, 210*, 309

Schein, Hans 301 Schels, Ferdinand 301, 312 Schemm, Hans 31-33 Schiedermaier, Otto 41,311 Schiefer, Gustav 309* Schirmer, Carl 151, 167 Schloimann, Paul 88, 366*

Uebelhör, Thérèse 37* Umhau, Helmut 384*, 397* Vilsmaier, Richard 67, 88* Vorhoelzer, Robert 73 Völckers, Otto 253* Wagner, Adolf 29-34, 37-40, 49, 53*, 56, 80, 83, 87f.*, 89,192, 374, 375*, 380f, 383f., 397, 399f., 404 Wagner, Hans 410* Wagner, Heinrich von 163 Wagner, Josef 355-357 Wagner, Martin 178,224

Schmeling, Claus-Wedig 342*, 415*

Schmid, Eduard 23f, 25* Schmid, Hans 210 Schmidt, Friedrich 255f.*, 262 Schmidt, Karl 25,68 Schmidt, Karl Georg 406, 407* Schön, Waldemar 94, 97, 229 Scholler, Otto 70 Schottenheim, Otto 220* Schubert, Ernst 65, 71

Schultze-Naumburg, Paul

Waldmann, J. 223* Wallner, Otto 158, 160*, 408* Weber, Christian 38f, 42, 43*, 48f, 52f., 5763, 66f.*, 71, 75, 91, 156, 241*, 254*, 256-

72

Schwabe, Hermann 102 Schwarz, Franz Xaver 53-55, 57, 59, 192, 301 Schwerin von Krosigk, 389*, 395*, 407

457

Ludwig

Graf

388,

258, 266, 293, 329, 374f.

Wegner, Hans 404* Weidemann, Johannes 81,83* Weiß, Karl 201f. Werre, Carl Theodor

223*

458

Westermayer, Adolf 41 Wilhelm, Prinz von Preußen (später Wilhelm I.) 112

Personenregister

Wimmer, Thomas 35, 41, 78, 199-202, 210, 333*

Wolfrum, Paul 39 Wolters, Rudolf 421f.

Zankl, Max 54, 56,316,369, 377* Zeiss, Ludwig 321*, 334, 341, 346*, 372* Zeitler, Ralf 96

Ziegler, Adolf

87*

Ziehnert, Walter 191,397 Zöberlein, Hans 69f., 87, 254*, 301