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German Pages 278 [284] Year 1986
MEDIEN
IN FORSCHUNG + UNTERRICHT Serie A Herausgegeben von Dieter Baacke, Wolfgang Gast, Erich Straßner in Verbindung mit Wilfried Barner, Hermann Bausinger, Hermann K. Ehmer, Helmut Kreuzer, Gerhard Maletzke Band 18
Werner Holly/Peter Kühn/Ulrich Piischel
Politische Fernsehdiskussionen Zur medienspezifischen Inszenierung von Propaganda als Diskussion
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1986
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Holly, Werner: Politische Fernsehdiskussionen : zur medienspezifischen Inszenierung von Propaganda als Diskussion / Werner Holly ; Ulrich Püschel. - Tübingen : Niemeyer, 1986. (Medien in Forschung + Unterricht : Ser. A ; Bd. 18) NE: Medien in Forschung + Unterricht / A, Kühn, Peter:; Püschel, Ulrich: ISBN 3-484-34018-5
ISSN 0174-4399
© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1986 Alle Rechte vorbehalten. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus photomechanisch zu vervielfältigen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck G m b H , Darmstadt.
INHÄLT
VORWORT
IX
TEIL I:
VORAUSSETZUNGEN UND METHODE
1
1.
FERNSEHDISKUSSIONEN - DISKUSSIONEN IM FERNSEHEN?
1
2. 2.1. 2.2.
ZUM BEGRIFF DER 'DISKUSSION' 4 Zum Gebrauch des Ausdrucks Diskussion ^ Zur Geschichte und Relevanz der Diskussionsideologie 10 Idealisierende und skeptische Diskussionskonzepte in den Wissenschaften 18
2.3. 3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4.
INSTITUTIONELLE UND MEDIALE BEDINGUNGEN VON FERNSEHDISKUSSIONEN Der Inszenierungscharakter Parteien im Fernsehen Das journalistische Interesse Täuschung des Zuschauers?
23 23 24 28 32
4. 4.1. 4.2.
MATERIAL UND METHODE Material Zur Methode der Interpretation
35 35 41
TEIL II: EXEMPLARISCHE TEXTANALYSEN
49
5. 5.1.
49
5.2. 5.3. 5.3.1. 5.3.1.1. 5.3.1.2. 5.3.2. 5.3.2.1. 5.3.2.2. 5.3.2.3.
MUSTER DER FORMALEN GESPRÄCHSORGANISATION Gesprächsanalyse und Gespräche in Institutionen Zur Charakterisierung der Redebeiträge Die Organisation des Sprecherwechsels Ausgewogenheit herstellen: Proporz wahren und Provokation abarbeiten Kriterien des Sprecherwechsels in Fernsehdiskussionen Proporz contra Provokation im "ZDF-Hearing" Ausgewogenheit durch Proporz im Gruppeninterview Die Struktur des "Orupoeninterviews" Die "Bonner Runde": Mehr Gruppeninterview als Diskussion Angriff und Verteidigung in der "Vorrunde"
49 52 59 60 60 68 76 76 78 89
VI 6.
TEXTSORTENKONSTITUTIVE MUSTER
94
6.1. 6.2. 6.2.1.
Was sind textsortenkonstitutive Muster? Typische Diskussionsmuster und ihr Ablauf Thesen und Widerlegungsversuche als zentrale Muster; Argumentationen Weitere typische Muster: Zusammenfassungen, Themenstellungen, Diskussionsimpulse Ablaufschema Persuasive Muster Typische Muster in politischen Fernsehdiskussionen Politiker-Muster: Werben und legitimieren Journalisten-Muster: Kritische Fragen und Stichwortfragen; Diskussionsansätze Moderatoren-Muster: Gesprächsführung, auflockern, Ausgewogenheit herstellen
94 96
6.2.2. 6.2.3. 6.3. 6.4. 6.4.1. 6.4.2. 6.4.3. 7.
MUSTER DER THEMENBEHANDLUNG
7.1.
Zu den Begriffen 'Thema 1 , 'Themenformulierung ' und 1 Themaentfaltung' Was ist ein Thema? Wie formuliert man ein Thema? Wie entfaltet man ein Thema? Themenbehandlung in Diskussionen: Gängiges Verständnis und Kritik Die Themenbehandlung in Fernsehdiskussionen durch den Moderator Ins Thema einführen Themen freigeben und Themenimpulse geben Themen abschließen und begrenzen Die Themenbehandlung in Fernsehdiskussionen durch die Politiker Themenbehandlung im Dienste der parteipolitischen Imagearbeit Springende Themenbehandlung Thematisch provozieren Thematisch neutralisieren Thematisch präsent sein Die Themenbehandlung in Fernsehdiskussionen durch die Journalisten: Thematisch konfrontieren und thematisch zuarbeiten
7.1.1. 7.1.2. 7.1.3. 7.2. 7.3. 7.3.1. 7.3.2. 7.3.3. 7.4. 7.4.1. 7.4.2. 7.4.3. 7.4.4. 7.4.5. 7.5.
96 100 101 102 105 105 120 130 137 137 137 140 141 144 146 146 148 150 154 154 162 165 166 169
170
8.
VISUELLES
177
8.1. 8.2. 8.2.1. 8.2.2. 8.3. 8.4.
Das Die Die Die Die Die
178 182 183 188 189 194
9.
ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
räumliche Arrangement Bildgestaltung Einstellungen Funktionen der Einstellungen visuelle Inszenierung Körpersprache
199
VII 10.
ANHANG
205
10.1. 10.2.
Transkription des "ZDF-Hearing" Transkription der "Bonner Runde"
2o7 221
11.
LITERATUR
25 7
12.
STICHWORTREGISTER
268
VORWORT
Den Anstoß zu dieser Einzelfalluntersuchung gab ein medienwissenschaftliches Kolloquium, das im Sommersemester 1983 unter Leitung von Prof. Ursula MantellOomen an der Universität Trier stattgefunden hat. Obwohl das Thema interdisziplinär anzugehen wäre, haben wir uns als Sprachwissenschaftler mit eingegrenzter Perspektive daran gemacht, den Ansatz einer handlungstheoretisch orientierten Gesprächsanalyse sprachkritisch für die Untersuchung zweier Sendungen zu nutzen. Es handelt sich um eine Gemeinschaftsarbeit. Wir verzichten bewußt darauf, unsere jeweiligen Anteile gesondert auszuweisen, auch deshalb, weil wir der widersprüchlichen Tendenz entgegenarbeiten wollen, einerseits Teamarbeit zu fordern, andererseits Teamarbeiter zu bestrafen, indem man ihnen jeweils unterstellt, keinen originalen Anteil an einer gemeinsamen Arbeit zu tragen. Unser Dank gilt Dr. J.ohannes Gross und Horst Keller, die uns einen Besuch im Studio Bonn des ZDF ermöglicht haben. Für Anregungen, Kritik und Hinweise danken wir Prof. Peter von Polenz, für den unerläßlichen Umgang mit der Technik Paul Berghäuser und seinen Mitarbeitern. Bei der Transkription war uns Andrea Laub behilflich, vor allem aber Marlene Faber, die auch Korrektur gelesen hat. Die Druckvorlage hat Hannelore Elenz erstellt, die Zeichnungen stammen von Stefan Philipps.
Trier, im Januar
1986
W.H.,P.K.,U.P.
TEIL I: VORAUSSETZUNGEN UND METHODE 1. FERNSEHDISKUSSIONEN - DISKUSSIONEN IM FERNSEHEN?
"Beim ersten Hinsehen scheint es, als sei eine Fernsehdiskussion nicht mehr als eine Diskussion im Fernsehen, so, wie Kamingespräche eben am Kamin stattfinden: Fernsehen als Ortsangabe." Mit dieser Auffassung, die Norbert Schneider in einem Aufsatz zur "Fernsehdiskussion" (1979) schließlich widerlegt, werden wir uns etwas gründlicher befassen. Wir werden nicht nur begründen, warum sie falsch ist, sondern wir werden auch zeigen, was "Fernsehdiskussionen" dann eigentlich sind, wenn sie keine Diskussionen sind. Die politische Fernsehdiskussion - und darum wird es uns gehen - ist nach unserer Meinung nämlich eine höchst interessante, neue Mediengesorächssorte, die es im Laufe ihrer kurzen Geschichte bereits zu einem erstaunlichen Grad an Ritualisierung, oder besser: an "Geregeltheit" gebracht hat und an der sich deshalb eine Reihe von medien- und gesprächsanalytisch reizvollen Fragen abhandeln läßt. Da ist zunächst die für uns zentrale Frage nach dem Diskussionscharakter. Erstaunlich ist zwar nicht der Befund, daß in solchen "Diskussionen" in Wirklichkeit gar nicht diskutiert wird, was jeder halbwegs wache Zuschauer wahrscheinlich merkt. Erstaunlich ist aber, mit welcher Hartnäckigkeit von den Protagonisten solcher Sendungen am vorgeblichen Diskussionscharakter dieser Gespräche festgehalten wird. Wir vertreten deshalb - auf der Spur einiger Überlegungen von Murray Edelman und Walther Dieckmann - die These, daß der Begriff der Diskussion und damit zusammenhängende politische Konzepte von solchem ideologischen Wert sind, daß er für das Bild bestimmter über das einflußreiche Medium Fernsehen laufender Gespräche unverzichtbar erscheint. Überhaupt scheinen die Begriffe "Diskussion" und "Information" oberflächlich betrachtet harmlose, aber dennoch eminent politische Hochwertwörter zu sein, die einen inflationären Gebrauch erleben. Wie, trotz aller realistischen Einschätzung durch Politikwissenschaftler, Parlamentsdebatten von den Politikern immer noch zumindest z.T. als "Debatten" präsentiert werden, wie Propagandabroschüren allemal "Informationsschriften" heißen, so nennt man diese Fernsehgespräche eben "Fernsehdiskussionen", weil die Inszenierung als Diskussion anderen Zielen, die in solchen Sendungen verfolgt werden, eine hervorragende Tarnung verschafft. Es handelt sich allerdings um eine Tarnung, die jederzeit durchschaut werden kann, wenn man nur einmal vom gewohnten Blick auf "des
2
Kaisers neue Kleider" abläßt. Wenn wir im folgenden ebenfalls am Etikett "Fernsehdiskussion" festhalten, dann nur zur besseren Identifizierung, nicht etwa, weil wir dieses Etikett wörtlich nehmen. Wir sind also nicht überrascht zu sehen, daß Politiker in solchen Sendungen tun, was sie immer tun, wenn sie in der öffentlichkeit sprechen: Werben (für sich und gegen den Gegner) und legitimieren (ihre Maßnahmen und darüber hinaus das Ganze). Was uns aber interessiert, ist, w i e diese relativ neue Form politischer Propaganda aussieht. Mit welchen Mitteln die Inszenierung als Diskussion im Medium Fernsehen den Politikern gelingt und welchen Beitrag dazu Institution und Medium, Journalisten und Moderatoren zu leisten haben. Es geht dabei, das sei vorweg geklärt, nicht um Medienkritik oder gar Politikerschelte. Man kann durchaus der Auffassung sein, das alles müsse vielleicht so sein, und doch meinen, es sei interessant zu wissen, wie es geht. Als Sprachwissenschaftler, die Beschreibungen geben, wähnen wir uns zwar nicht in einem wertfreien Vakuum, unser Ziel ist aber die Frage nach dem "Wie", nicht die Frage, ob dies alles so richtig ist. Unser Hauptaugenmerk liegt auf den sprachlichen Handlungen, auch wenn wir sehen, daß diese nicht aus dem Gesamtkontext herauszulösen sind und wir gerade dieTRolle des Visuellen nicht unterschätzen. Wir gehen nach einigen Überlegungen zum Begriff der Diskussion (Kap. 2), nach einer Skizze des institutionellen und medialen Rahmens von Fernsehdiskussionen (Kap. 3) und nach einigen Bemerkungen zu Material und Methode (Kap. 4) im eigentlichen Untersuchungsteil dieser Arbeit der Frage nach: Was tun die Akteure in diesen Sendungen eigentlich sprachlich und wie tragen ihre Handlungen dazu bei, diese neu entstandene medienspezifische Textsorte als "Diskussion" zu inszenieren? Wir tun dies anhand dreier wichtiger Handlungsbereiche in Gesprächen: auf dem Feld des Sprecherwechsels (Kap. 5), der thematischen Steuerung (Kap. 7) und anhand derjenigen Handlungsmuster, die Gesprächssorten überhaupt erst ausmachen, die also textsortenkonstitutiv sind wie Zeugenaussagen oder Urteilssprüche in Gerichtsprozessen oder Ja-Worte in Eheschließungen (Kap. 6). Schließlich gehen wir auch noch auf Nicht-Sprachliches ein (Kap. 8) , weil wir meinen, daß eine Analyse von Fernsehsendungen auch mit linguistischen Fragestellungen - ohne die Einbeziehung des Visuellen absurd wäre; deshalb soll, was immer schon implizit in unsere Analyse eingeht, an dieser Stelle ein wenig expliziert werden. Es interessiert uns vor allem, wie Elemente aus eigentlichen Diskussionen - wir sind uns dessen bewußt, daß es sich hierbei um einen Idealtypus handelt - in diese politischen Fernseh(propaganda)gespräche gewissermassen "implementiert" werden, so daß eine medienspezifische Mischung entsteht aus: Diskussion, Interview, politischer Werbung, wobei das Endprodukt eindeutig eine
3
Form der politischen Werbung darstellt und - zumindest die Diskussionselemente - sich gänzlich in ihrem Charakter verändert haben. Es handelt sich aber keineswegs um eine monolithische starre neue Fernsehform, sondern um eine höchst bewegliche Struktur, die in vielerlei Varianten auftritt und mit der die Fernsehmacher gerade in letzter Zeit wieder kräftig experimentieren. Wir haben uns mit zwei dieser Varianten beschäftigt, allerdings auch nur mit dem Ziel, typische Elemente herauszuarbeiten, die in verschiedenen Sendungen in verschiedenerlei Mischungen vorkommen können. So wenig wir die behandelten Sendungen vollständig beschreiben, so wenig sind die Ergebnisse auf diese beiden Sendungen beschränkt. Interessant erscheint uns die Analyse dieser neuen Medien-Gesprächssorte schließlich auch deshalb, weil man an ihr die rasche Veränderung von institutionell verankerten Kommunikationsformen unter bestimmten historischpolitischen und technischen Bedingungen, die nicht erst mühsam rekonstruiert werden müssen, modellhaft beschreiben kann: ähnlich etwa wie Gerichtsprozesse oder Arztvisiten noch nach tradierten Mustern ablaufen, wobei die Handlungen in ihnen inzwischen doch einen anderen Wert erhalten haben. Wir alle haben Idealtypen von Gesprächsformen im Hinterkopf, die aus anderen Phasen der gesellschaftlichen Entwicklung überliefert sind, und haben doch zu wenig Abstand, das "Neue" an neuen Gesprächsformen, bzw. das "Bekannte" daran in neuer Form ohne weiteres zu sehen. Wie diesen Fragen mit Mitteln der linguistischen Gesprächsanalyse beizukommen ist, wollen wir in dieser Arbeit erproben.
2. ZUM BEGRIFF DER 'DISKUSSION'
'Diskussion' ist in unserer politischen Sprachkultur ein Schlüsselbegriff. Diskutieren gilt in demokratischen Systemen für viele politische Bereiche als das entscheidungsbildende Verfahren par excellence. Aber auch in alltäglichen Situationen erscheinen uns Diskussionen als unverzichtbar für die partnerschaftliche Lösung verschiedenster Aufgaben und Konflikte. Walther Dieckmann hat sich in zwei wichtigen Aufsätzen (1981a und b) kritisch mit der Rolle auseinandergesetzt, die 'Diskussion' als Gesprächsverfahren im parlamentarischen System und dann auch in der Schulerziehung spielt. Für unsere Fragestellung sind zunächst zwei seiner Überlegungen interessant. Erstens macht er deutlich, daß man einen weiten, alltagssprachlichen, sehr unscharfen Gebrauch des Ausdrucks Diskussion von einem engeren, idealtypischen, wenn nicht sogar normativen Diskussionsbegriff unterscheiden muß (1981b, 171f.), den man zweitens nur vor dem ideologisch-historischen Hintergrund verstehen kann (1981a, 198ff.). Deshalb wollen wir im folgenden zuerst alltagssprachliche Verwendungen des Ausdrucks Diskussion erörtern, und zwar auch mit Hilfe von Bedeutungserklärungen aus gängigen Wörterbüchern (2.1.) . Dann soll ein Blick auf die ideologische Ausprägung des Diskussionsbegriffs die politischen und geistesgeschichtlichen Zusammenhänge andeuten (2.2.). Schließlich werden idealisierende mit eher skeptischen Konzepten in der Wissenschaft konfrontiert (2.3.), um zu zwei höchst problematischen Aspekten von 'Diskussion' zu kommen: das eine ist der Faktor 'Zeit' und das andere etwas, was man den 'persönlichen Faktor' nennen könnte. 2.1. Zum Gebrauch des Ausdrucks Diskussion Geht man davon aus, was alles Diskussion genannt werden kann, kommt man nach Dieckmann (1981b, 171) auf eine sehr allgemeine Charakterisierung: "es genügt offenbar, daß mehrere Personen irgendwo zusammensitzen und in mehr oder weniger geregelter Form über ein bestimmtes Thema sprechen." Aber selbst diese wenigen Bestimmungsmerkmale scheinen den Gebrauch noch zu stark einzugrenzen, bedenkt man Äußerungen wie: Wir haben über dies und jenes diskutiert, wo nicht einmal mehr die Fixierung auf ein bestimmtes Thema für die Verwendung von diskutieren vorausgesetzt wird. Und weiter: man kann nicht nur die Gesprächssorte
5 selbst, als interaktive Sprachhandlungsabfolge, meinen, sondern darüber hinaus auch die soziale Situation insgesamt, im Sinn von 'Diskussionsveranstaltung' (Der Raum ist für die Diskussion zu klein) . Daneben gibt es noch andere Gebräuche: 1. Diskussion als monologische, wissenschaftliche Textsorte, die ein Autor schriftlich oder mündlich verfaßt, ohne daß es überhaupt zu einem Gespräch kommt (Seine Diskussion der bisherigen Literatur ist recht ausführlich) . 2. Diskussion als ein komplexer Vorgang, besonders in der Öffentlichkeit, der sich aus vielen, zeitlich versetzten Meinungsäußerungen zu einem Thema zusammenstellt (Die Diskussion über ein Tempolimit ist noch nicht abgeschlossen). Einiges von diesem breiten Bedeutungsspektrum findet sich in den Erklärungen großer einsprachiger deutscher Wörterbücher zu Diskussion und diskutieren, die hier zusammengestellt sind: Bedeutungserklärungen zu
Diskussion
(1) lebhafte Erörterung, Meinungsaustausch (WAHRIG-DW) (2) Meinungsaustausch, (WDG)
Auseinandersetzung
(3) la
unter der Führung eines Diskussionsleiters stattfindendes, in bestimmter Form ablaufendes Gespräch, Aussprache, Austausch von Meinungen mehrerer Personen über ein bestimmtes Thema lb Auseinandersetzung zwischen einzelnen Personen über bestimmte, sie angehende Fragen 2 in der Öffentlichkeit (in der Presse, im Fernsehen, in der Bevölkerung o.ä.) stattfindende Erörterung von bestimmten, die Allgemeinheit oder bestimmte Gruppen betreffenden Fragen (DUDEN-GWB)
(4) 1 lebhafte (informelle) Erörterung, Meinungsaustausch 1.1 Veranstaltung, bei der unter der Führung eines Diskussionsleiters ein festgelegtes Thema diskutiert wird
2
in der Öffentlichkeit, bes. in den Massenmedien ausgetra-
gener Meinungsaustausch, Debatte über bestimmte Themen von allgemeinem Interesse 3 Meinungsverschiedenheit, Auseinandersetzung (BROCKHAUS-WAHRIG)
Bedeutungserklärungen
zu
diskutieren
(1) lebhaft erörtern, Meinungen austauschen (WAHRIG-DW)
(über)
(2) etw. mit jmdm. in wechselseitiger Aussprache erörtern, besprechen, debattieren (WDG) (3) la
in einem Gespräch, einer Diskussion (la) Ansichten, Mei-
6 nungen austauschen um etw. eine Diskussion (lb) führen, eine Auseinandersetzung haben 2 reden, verhandeln, um zu einer Einigung, Übereinstimmung in einer bestimmten Sache zu kommen 3 in einer Diskussion (la), Debatte (a) eingehend erörtern (DUDEN-GW)
1b
(4) 1 lebhaft ein Thema erörtern, Meinungen darüber austauschen 1.1 beraten, verhandeln, prüfen, ob ein V(orschlag) akzeptabel ist 1.2 mit jmdm. eine Meinungsverschiedenheit haben, sich streiten (BROCKHAUS-WAHRIG)
Abgesehen davon, daß die verschiedenen Erläuterungen unterschiedlich ausführlich und nicht immer einleuchtend sind (warum 'lebhaft'?), daß sie allesamt unvollständig sind (es fehlt z.B. bei allen die monologische Variante in der Wissenschaft), gewinnen wir doch zusätzliche Gesichtspunkte aus der Gegenüberstellung der Bedeutungserklärungen von Diskussion und diskutieren. Bei letzteren werden nämlich immerhin ansatzweise Ziele von Diskussionen thematisiert: 'Einigung, Übereinstimmung' bzw. die Prüfung, 'ob ein Vorschlag akzeptabel ist'. Auch Dieckmann (1981b, 164) weist darauf hin, daß Diskussionen ohne das Ziel der Klärung von Sachverhalten oder der Entscheidung von Problemen etwas anderes sind (Meinungsaustausch) als die entscheidungsrelevanten Verfahren z.B. in politischen Bereichen. Demnach müssen zunächst also diese beiden Typen von Diskussionsgesprächen unterschieden werden: Meinungsaustausch vs. Entscheidungsfindung; dabei macht es noch einmal einen Unterschied, ob die Entscheidung durch Konsensbildung oder durch Kampfabstimmung herbeigeführt wird. Dazu kommt die alltagssprachliche Verwendung in der Bedeutung 'Meinungsverschiedenheit', 'Auseinandersetzung' wo es weniger um den themenbezogenen Austausch von Meinungen zum Kennenlernen verschiedener Aspekte eines Problems geht, die u.U. als Grundlage einer möglichst fundierten Entscheidung dienen können, sondern nur um das Kontroverse bei der Konfliktaustragung, um Aussprache oder Streit also. Eine letzte Variante betrifft schließlich den Aspekt der Einigung so vorrangig, daß weniger der Austausch von Argumenten gemeint wird als vielmehr der Ausgleich von Interessen. In erster Linie werden also nicht Wahrheitsansprüche geklärt, sondern es wird ausgelotet, was man bei anderen durchsetzen kann; gemeint sind also 'Verhandlungen' , die dennoch beschönigend Diskussion genannt werden. Als Bezeichnungen für interaktive Problemverarbeitungsverfahren lassen sich also vier verschiedene Bedeutungsvarianten des Ausdrucks Diskussion unterscheiden, die in der folgenden Übersicht dargestellt sind, als symmetrische Untermuster von 'Besprechen' neben anderen
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asymmetrischen Verfahren wie 'Beratung', 'Anordnung1 usw. [1] (s.S. 3). Die vier Varianten sind zunächst nach Zielen unterschieden: Klärung der Gültigkeit von Meinungen, Vorbereitung von Entscheidungen, Aufarbeitung/Verhinderung von Konflikten, Ausgleich von Interessen; dazu werden sie durch Austragungsmodi wie 'rational', 'argumentativ', 'informativ', 'taktisch' grob charakterisiert. Natürlich hat dieser Uberblick die Schwächen eines jeden Versuchs, alltagssprachliche Gebräuche von Ausdrücken irgendwie zu systematisieren. Die Ubergänge sind fließend, mehrere Varianten können bei einem Gebrauch gleichzeitig gemeint sein oder aber man bezieht sich auf ein Ereignis, das nacheinander erst mehr dem einen, dann mehr dem anderen Typ entspricht. Man könnte darüber streiten, ob es sinnvoll ist, die Verwendung von Typ 3 und Typ 4 überhaupt zuzulassen, wo man doch sehen kann, daß - häufig nicht nur aus Schluderei, sondern aus Verschleierungsmotiven - die Verwendung eines deutlicheren Ausdrucks (z.B. Streit, Verhandlung) vermieden wird. Allerdings begibt man sich damit auf das Feld der Normung und hört auf zu beschreiben, wie der Ausdruck tatsächlich verwendet wird. In der Übersicht (s.S. 8) werden auch einige bedeutungsähnliche, sinnverwandte Ausdrücke angeführt, die aber z.T. auch wieder in verschiedenen Varianten vorkommen: Erörterung,
Meinungsaustausch, Rundgespräch, Debatte, Streitgespräch, Disput (ation), Diskurs, Beratung, Verhandlung, Aussprache, Auseinandersetzung, Meinungsverschiedenheit, Kontroverse .
Zu den vier Varianten für interaktive Sprachhandlungsabfolgen kommen nun noch die oben erwähnten drei Gebräuche für anderes als Gesprächssorten, so daß sich eine Liste von sieben Bedeutungstypen von Diskussion ergibt (wobei bei den ersten drei noch Untertypen nach den Kategorien 1 formell'/'informell' bzw. 'einvernehmlich'/'ini Streit' dazu kommen): Diskussion: Bedeutungsvarianten - (Substantiv für interaktionale
Sprachhandlungsabfolge)
1 Gesprächssorte, in der möglichst rational, argumentativ, aber auch persuasiv zum Zweck der Meinungsbildung über ein Thema (oder mehrere) gesprochen wird; a) informell in Alltagsgesprächen; b ) formell, in mehr oder weniger festgelegter Form, evtl. mit einem Diskussionsleiter, z.T. auch (besonders in Rundfunk und Fernsehen) nach bestimmten institutionellen Spielregeln 2 Gesprächssorte, in der argumentativ, aber vor allem persuasiv zur Vorbereitung von a) Entscheidungen, b ) Beschlüssen über
1 Natürlich sind auch Verhandlungen nicht immer völlig symmetrisch. Zumindest müssen die Parteien aber alle gewisse Machtpositionen haben, sonst gibt es nichts mehr zu verhandeln.
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Tabelle 6: Punktemachen durch Angreifen und Verteidigen weite Strecke außer Kraft gesetzt; stattdessen finden sich diskussionsartige Passagen (vgl. Kap. 6.2.1.) , die nach dem Prinzip von These und Widerlegung (Gegenthese) gestaltet sind. Diese "Diskussions"beiträge stehen im Dienst des Provokationsprinzips, des Wechselspiels von
91
Angriff und Verteidigung, denn es geht hier nicht darum, eine strittige Frage zu klären, sondern die Lage des Grafen Lambsdorff und der Bundesregierung je nach Standpunkt entweder negativ oder möglichst unverfänglich darzustellen. Aber auch die Stellen, an denen nach dem FrageAntwort-Schema vorgegangen wird, lassen sich den Zielen von Angriff und Verteidigung mühelos zuordnen. Es zeigt sich an dieser "Vorrunde", daß kritische Interviewfragen nicht unbedingt darauf zielen müssen, den Politikern interessante und brisante Äußerungen zu entlocken. Schwartz war sich sicherlich im Klaren darüber, daß er von Stoltenberg keine "news" in der "Angelegenheit Lambsdorff" erfahren würde. Sein Interesse an der Behandlung dieses Themas muß also in anderer Richtung gesucht werden. So kann er sich beispielsweise auf diese Art als kritischer Journalist profilieren; zudem hat er die Chance als Bonner Korrespondent der "regierungskritischen" Frankfurter Rundschau, die Regierung negativ darzustellen. Da dies offensichtlich auch unter Ausnutzung des FrageAntwort-Schemas geht, bleibt noch zu fragen, warum dieses nur ganz am Anfang der "Vorrunde" und an ihrem Ende befolgt wird, während der Mittelteil zur "Diskussion" zu neigen scheint. Wir wollen deshalb diese "Vorrunde" noch etwas genauer beschreiben. Nach der Begrüßung der Zuschauer, der Setzung des thematischen Rahmens und der Vorstellung der Teilnehmer (Nr. 1, BR 1, 1) erteilt Gross das Wort an Schwartz mit der Bemerkung: vielleicht herr Schwartz eröffnen sie das gespräch auch gleich (BR 1, 23f.). Diese Moderatorwahl scheint aus dem Augenblick heraus geboren zu sein. In Wirklichkeit aber beruht sie auf einer Vorabsprache. Denn Gross hat darauf bestanden, das Thema Lambsdorff gleich zu Beginn der Sendung abzuhandeln gemäß dem Prinzip, daß das, was am Ende gesagt wird, beim Zuschauer haften bleibt, und was umgekehrt am Anfang gesagt wird, eher wieder in Vergessenheit gerät. Diese Plazierung lag übrigens auch im Interesse von Schwartz, da so das Thema am Ende nicht "vergessen" oder wegen Zeitmangels nur rudimentär behandelt werden konnte. Daß sich Schwartz als Interviewer nun an Stoltenberg wendet (Nr. 2; BR 1, 25), hängt natürlich mit dem Thema zusammen, da Schwartz ja das Regierungsmitglied und nicht den DGB-Vorsitzenden Breit mit dem "Fall Lambsdorff" konfrontieren möchte. Was auf den ersten Blick also als Folge des Proporzes erscheinen könnte - der als höherrangig betrachtete Gesprächsteilnehmer wird zuerst gefragt - resultiert aus der Einbeziehung einer tagesaktuellen Frage. Auffällig ist in diesem Zusammenhang noch zweierlei: Nachdem Gross ausdrücklich auf die einigermaßen "protokollarische" Vorstellung von Frau Krause-Brewer verwiesen hatte, wäre es nur konsequent gewesen, ihr auch zuerst das Fragerecht zu geben. Wichtiger ist aber, daß Gross zum zweiten an dieser Stelle auf einleitende Bemerkungen zum thematischen Rahmen verzichtet und den Politikern keine Einleitungsstatements ermöglicht. Eine thematische Orientierung
92 der Zuschauer findet hier also nicht statt, sondern wird erst nachgeholt, wenn das "eigentliche" Gespräch beginnt (ab BR 4 , 42). Wie nicht anders zu erwarten, versucht Stoltenberg den "Schwarzen Peter", den ihm Schwartz zugeschoben hat, möglichst schnell wieder loszuwerden (Nr. 3; BR 1, 47), was er auf ziemlich elegante Weise macht. Er wirft nämlich die Frage auf, ob ein Beschäftigter im öffentlichen Dienst generell vom Dienst suspendiert werden muß im Falle einer Anklageerhebung. Diese Frage gibt er nun an Breit weiter {im übrigen herr Breit sie wissen das besser als iah; BR 2, 23f.), womit er nicht nur vom Wort kommt, sondern Breit auch noch als sachkompetenten Kronzeugen für seine Zwecke einspannen will. Tatsächlich bestätigt der von Stoltenberg ans Wort gebrachte Breit diese Vermutung (Nr. 4; BR 2, 33), dann aber führt er weitere Differenzierungen ein und kommt zu dem Schluß, gerade Personen in höchsten Ämtern müßten in Rücktrittsfragen besonders sensibel sein. Stoltenbergs Ablenkungsmanöver hat sich also als Bumerang erwiesen. Hier mischt sich nun Krause-Brewer ein (Nr. 5; BR 3, 7), deren Rederecht noch von Gross bestätigt wird. Zweifellos steht ihr das nach dem Journalistenproporz auch zu. Überraschenderweise fällt sie jedoch völlig aus der Journalistenrolle, da sie weder an Stoltenberg noch an Breit eine Frage stellt. Stattdessen macht sie eine Art Diskussionsbeitrag, in dem sie daran erinnert, daß in früheren Fällen ranghohe Personen trotz Anklage in ihren Ämtern geblieben seien. Letztlich ergreift hier Krause-Brewer nach dem Alltagsprinzip das Wort (das sie sich außerdem vordergründig nach dem Journalistenproporz von Gross bestätigen läßt). Sie verfolgt dabei das Ziel, die von Breit - trotz aller Zurückhaltung - vorgebrachte Provokation zu neutralisieren, wobei sie stellvertretend für Stoltenberg handelt. Wenn überhaupt jemand in dieser "Gesprächsrunde", dann ist Stoltenberg der Adressat von Breits Provokation. Krause-Brewer verhindert also die direkte Konfrontation der beiden Politiker, indem sie die Aufgabe übernimmt, den Angriff abzuwehren. Außerdem kann sie dies mit Mitteln versuchen (Verweis auf frühere Beispiele), die Stoltenberg so direkt wohl kaum hätte verwenden können. Da hier der eigentliche Kontrahent von Stoltenberg tatsächlich nicht Breit, sondern Schwartz ist, macht dieser konsequenterweise den nächsten Gesprächsschritt (Nr. 6; BR 3, 18), in dem er durch eine "Gegenthese" erneut offensiv wird. Der Schlagabtausch wird fortgesetzt mit einer erneuten Äußerung von KrauseBrewer (Nr. 7; BR 3, 27), an die sich ein unterstützender Beitrag von Gross anschließt (Nr. 8; BR 3, 33). Auch der Moderator beteiligt sich also an diesen diskussionsartigen Angriffs- und Verteidigungsspielchen. Außerdem stößt Stoltenberg noch einmal nach (Nr. 9; BR 3, 42), um abwiegelnd und ausgleichend die "offizielle" Version darzulegen. Zugleich spricht er auch eine Art Schlußwort, da er mit einigem Recht davon ausgehen kann, daß die "Vor-
93 runde" endlich beendet werden soll. Nicht zuletzt die Äußerung gut von Gross (BR 3, 53) kann diese Vermutung stützen. An dieser Stelle wechselt jedoch Schwartz sofort die Taktik und kehrt in die Journalistenrolle zurück (Nr. 10; BR 3, 54). Seinen Angriff auf Stoltenberg kleidet er wieder in eine Frage, zu der er sich das Recht durch Selbstwahl nach dem Alltagsprinzip nimmt. Natürlich kann der Minister sein Recht auf Antwort wiederum zu Verteidigungszwecken nutzen. Außerdem hat Schwartz durch seine Frage auch den Journalistenproporz wieder in Kraft gesetzt, nach dem auch Krause-Brewer noch eine Interviewfrage stellt (Nr. 12; BR 4, 20), die nicht unbedingt provokativ gemeint sein muß, aber - wie die knappe Antwort Stoltenbergs zeigt - für den Antwortenden vielleicht doch unangenehm ist. Erst jetzt gelingt es Gross, die "Vorrunde" abzuschließen und endgültig zum eigentlichen Themenbereich der Sendung überzuleiten.
6. TEXTSORTENKONSTITUTIVE MUSTER
Nach den Mustern der formalen Gesprächsorganisation wollen wir nun Muster betrachten, die inhaltliche Funktionen haben. Wir wollen fragen, was die Beteiligten in Fernsehdiskussionen "eigentlich" oder "im wesentlichen" sprachlich tun, und sprechen dabei von 'textsortenkonstitutiven' Mustern. Was diese Muster ausmacht, soll zunächst generell geklärt werden, dann spezieller für Diskussionen, schließlich - anhand unseres Materials - für Fernsehdiskussionen. Dabei werden wir zu unterscheiden haben, ob es Politiker, Journalisten oder Moderatoren sind, die sprachlich handeln, denn je nach Rolle unterscheiden sich natürlich die Beiträge der Beteiligten. 6.1. Was sind textsortenkonstitutive Muster? Es wäre merkwürdig, wenn ein Parlamentsredner plötzlich beginnen würde, die Vorteile von Coca-Cola zu preisen, oder wenn in einem Kochrezept ein politisches Argument auftauchen würde. Obwohl prinzipiell natürlich vieles möglich ist, so haben wir doch einigermaßen klar umrissene Vorstellungen davon, was an sprachlichen Handlungsmustern in einer bestimmten, uns vertrauten Textsorte bzw. Kommunikationssorte [1] vorkommen sollte und was nicht, d.h. kommunikative Situationen sind zu einem gewissen Grad konventionell geregelt. Wenn die Teilnehmer an einer kommunikativen Situation übereinstimmende Vorstellungen davon haben, in welchem "Rahmen" (Goffman 1977) diese Situation steht oder - anders ausgedrückt - als was diese Situation eigentlich gelten soll, dann liegen meist auch bestimmte Erwartungen darüber vor, welche einzelnen Handlungsmuster im Vollzug dieser Situation fällig oder erlaubt sind. Das heißt nicht unbedingt, daß Benennungen solcher Kommunikationssorten (wie z.B. 'Parlamentsdebatte1, 'Kochrezept1, 'Werbeanzeige', 'politische Diskussion', 'Rundfunknachrichten', 'Liebesgeflüster') explizit auftauchen müssen. Die konventionellen Regeln für solche Muster sind auch unterschiedlich fest umrissen und verbindlich. Aber nicht alle sprachlichen Handlungsmuster, die in einer bestimmten Textsorte typisch sind, sind auch konstitutiv für diese Textsorte. Es gibt Muster, die allgemeine Aufgaben beim Kommunizieren betreffen und in ver1 Beide Begriffe werden hier gleichbedeutend gebraucht.
95 schiedensten Textsorten vorkommen, wenn auch in verschiedener Ausprägung; das sind Muster für Kontakt/Beziehung und Organisation/Gliederung/Verständnissicherung (s. Kap. 4.2.). Solche Muster sind textsortentypisch verschieden, aber nicht textsortenkonstitutiv. BEGRÜßUNGEN im Parlament fallen anders aus als BEGRÜßUNGEN bei Bunten Abenden oder an Stammtischen, obwohl es jeweils BEGRÜßUNGEN bleiben, trotz aller stilistischen Unterschiede. Im folgenden soll es aber um solche Muster gehen, die gewissermaßen die Essenz bestimmter Kommunikations-/Textsorten ausmachen und die Textsorten erst zu dem machen, was sie sind, die also auch die funktionellen Unterschiede bestimmter Textsorten betreffen. Deshalb hat man von "Textillokutionen" (Sandig 1978, 99) oder "wesentlichen Texthandlungen" (von Polenz 1980, 136, 142; 1985, 198f., 333) gesprochen, letzteres vermutlich in Analogie zu demjenigen Merkmal oder derjenigen Bedingung, die bei einzelnen Illokutionen unverwechselbar typisch ist und die deshalb bei Searle (1969, 63) auch "wesentliche Bedingung" (essential rule) qenannt wurde. Steger (1975) spricht von "konstitutiven Sprechintentionen" (zit. nach Schanjc 1981 , 46). Da wir meinen, daß es nicht nur Intentionen, sondern komplette Handlungsmuster sind, die bestimmte Textsorten konstituieren, werden wir im folgenden von 'textsortenkonstitutiven Mustern' sprechen. Zu bestimmten Textsorten gehören also bestimmte Muster. So hat z.B. Sandig (1978) für 'Horoskope' als "Textillokution" oder textsortenkonstitutiv VORAUSSAGEN von "Situationsarten, Handlungsarten und Handlungsdispositionen ..., die den Adressaten betreffen" (99) angesetzt. Komplexere Textsorten erfordern Komplexe von Handlungsmustern, die manchmal in einer bestimmten Abfolge vorkommen, manchmal aber Strukturen aufweisen, die nicht eine bestimmte Reihenfolge vorsehen müssen. Parlamentsdebatten bestehen im Prinzip aus der Abfolge von ANTRAG DEBATTE - BESCHLUßFASSUNG in einer Sequenz, die nicht verändert werden kann (s. Holly 1982, 25ff.). Warenwerbungsanzeigen dagegen enthalten die Elemente KÄUFERWERBUNG und WARENANGEBOT (s. v.Polenz 1985, 199) in beliebiger Anordnung. Auslassungen (z.B. der DEBATTE im Parlament oder der KÄUFERWERBUNG bei Anzeigen) sind natürlich möglich; es sollten aber irgendwie "defektive" Fälle unterschieden werden von bloß nicht-expliziter oder nicht-sprachlicher Realisierung der scheinbar weggelassenen Muster. Im Rahmen der Gesprächsforschung hat man zunächst sequentielle Paare von Sprechakten beschrieben (adjacency pairs), dann längere Sequenzen (z.B. Ehlich/Rehbein 1972), die z.T. institutionell geregelten Ablaufschemas folgen. Schließlich hat man in Texten von regelrechten Illokutions-Hierarchien gesprochen [2]. Daneben sind weitere 2 Einen kurzen Uberblick zur Illokutionshierarchisierung bei Gülich/Meyer-Hermann (1983), die besonders den An-
96 ablauforientierte Schemas entwickelt worden, wie z.B. die von Labov/Waletzky (1967) erarbeitete Struktur von alltäglichen 'Erzählungen' mit ORIENTIERUNG, KOMPLIKATION, AUFKLÄRUNG, EVALUATION und CODA (s. auch z.B. v. Dijk 1976; Ehlich 1980). Ob sich für alle Textsorten solche strikten Hierarchien und Sequenzierungen aufstellen lassen, erscheint allerdings zweifelhaft. 6.2. Typische Diskussionsmuster und ihr Ablauf 6.2.1. THESEN und WIDERLEGUNGSVERSUCHE als zentrale Muster; ARGUMENTATIONEN Fragt man sich, welche Handlungsmuster für den Idealtypus von 'Diskussion' konstitutiv sind, wird man wohl von einem Kern-Paar ausgehen können, das nach dem wissenschaftlichen, aus der mittelalterlichen Scholastik stammenden Vorbild der 'Disputation' aus STREITFRAGE/THESE und WIDERLEGUNG/ANTITHESE besteht. Diese Kernstruktur beschreibt Schooenhauer in seinem Aufsatz "Zur Logik und Dialektik" (1947, 28): Will ich [...] den Umriß des Wesentlichen jeder Disputation mittheilen, da er das abstrakte Grundgerüst, gleichsam das Skelett, der Kontroverse überhaupt liefert, also für eine Osteologie derselben gelten kann und wegen seiner Uebersehbarkeit und Klarheit wohl verdient hier zu stehn. Er lautet: In jeder Disputation, sie werde nun öffentlich wie in akademischen Hörsälen und vor Gerichtshöfen, oder in der bloßen Unterhaltung geführt, ist der wesentliche Hergang folgender: Eine T h e s e ist angestellt und soll widerlegt werden: hierzu gibt es zwei M o d i und zwei W e g e .
Im folgenden werden dann die zwei Modi und zwei Wege der WIDERLEGUNGSVERSUCHE ausgeführt: 1) Die Modi sind: ad rem und ad hominem, oder ex concessis. Nur durch den ersteren stoßen wir die absolute, oder objektive Wahrheit der These um, indem wir darthun, daß sie mit der Beschaffenheit der in Rede stehenden Sache nicht übereinstimmt. Durch den andern hingegen stoßen wir bloß ihre relative Wahrheit um, indem wir nachweisen, daß sie anderen Behauptungen, oder Zugeständnissen des Vertheidigers der These widerspricht, oder,
satz des Lunder Projektes "Fachsprachliche Kommunikation" kritisch würdigen. Verschiedene Beiträge in Rosengren (1981) und (1983) beschäftigen sich ausführlich mit der Problematik. Es ist allerdings erstaunlich, mit welcher Hartnäckigkeit in diesem Zusammenhang das überlegene Konzept der 'indem'-Relation bei Heringer (1974) übersehen wird, das auf die Handlungstheorie von Goldman (1970) zurückgeht.
97 indem wir die Argumente desselben als unhaltbar nachweisen; wobei denn die objektive Wahrheit der Sache selbst eigentlich unentschieden bleibt. 2) Die zwei Wege nun ferner sind der d i r e k t e , und der i n d i r e k t e . Der erstere greift die These bei ihren G r ü n d e n , der andere bei ihren F o l g e n an. Jener beweist, daß sie nicht wahr sei; dieser, daß sie nicht wahr seyn könne.
Folgt man diesem Konzept, besteht das Ausgangsstück einer Diskussion aus einem dialogischen Paar von A: THESE AUFSTELLEN B: WIDERLEGUNGSVERSUCH
[3],
wobei B - wie Schopenhauer oben ausführt - nach zwei mal zwei Typen gemacht sein kann. Nun wird es kaum eine vollständige Diskussion aus nur zwei Gesprächsbeiträgen geben, die selbst nur aus einfachen Äußerungen bestehen, so daß weitere Muster als dazugehörig angenommen werden müssen. Es wird wohl in der Regel so sein, daß A und B in weitere Schritte expandiert werden und daß mehrere Runden von AB-Sequenzen aufeinander folgen, wobei die A-und B-Schritte variiert werden. Dennoch handelt es sich bei allen A- und B-Schritten grundsätzlich um BEHAUPTUNGEN; denn sowohl THESE als auch WIDERLEGUNGSVERSUCH als auch ihre Expansion sind letztlich "repräsentative" Sprechakte (Searle), also Arten von BEHAUPTUNGEN. Natürlich können diese BEHAUPTUNGEN auch durch andere Muster realisiert werden, z.B. durch eine AUFFORDERUNG (Beweis das mal!). Wenn aber diese AUFFORDERUNG nicht auch den Wert einer BEHAUPTUNG hat, der sie untergeordnet ist (d.h. die AUFFORDERUNG heißt soviel wie: 'Ich behaupte, daß das Gegenteil wahr ist'), dann kann das Gespräch - zumindest in dieser Phase - keine Diskussion sein. Dieser Primat von BEHAUPTUNGEN, d.h. von strittigen Assertionen mit Wahrheitsanspruch, ist sehr wichtig, wenn man ein Kriterium dafür haben will, ob ein Gespräch eine Diskussion ist oder nicht. Andere Schritte dürfen also vorkommen, aber nur auf BEHAUPTUNGEN bezogen und auf diese hin funktionalisiert. Höchstens können in Hilfsfunktion andere assertive Schritte wie FESTSTELLUNGEN (unstrittige Assertionen) oder ANNAHMEN (hypothetische Assertionen) vorkommen. Als Expansionen von A werden Muster auftauchen, die die Gültigkeit der Ausgangsthese BEGRÜNDEN; dies kann 3 Die Formulierung Widerlegungsversuoh wird benutzt, weil es sich bei widerlegen um ein sogenanntes ' perlokutives Verb' handelt, bei dessen Gebrauch man impliziert, daß die fragliche Sprachhandlung tatsächlich Erfolg hat. Man beschreibt mit diesem Verb also eigentlich keine Handlung, sondern das Erreichen des Ziels einer Handlung; dazu Holly (1979a).
98 präventiv geschehen oder nach einem B-Schritt als RECHTFERTIGUNG. Als Begründungen können Ketten oder ganze argumentative Schemas auftauchen, nach Mustern, wie sie etwa von Toulmin und anderen zur Analyse von Argumentationen beschrieben worden sind [4], Ebenso werden die B-Schritte, die WIDERLEGUNGSVERSUCHE, natürlich argumentativ untermauert, so daß auch hier komplexere Strukturren mit Begründungsrelationen entstehen. In der linearen Abwicklung ergibt sich so ein argumentativer Dialog als variationsreiche Abfolge von A- und B-Schritten, wobei auch Einschränkungen der AusgangsTHESE oder der WIDERLEGUNG, also MODIFIZIEREN, RELATIVIEREN, etwas EINRÄUMEN vorkommen können. Diese konzessiven Muster werden aber häufig nur im Rahmen größerer Argumentationszusammenhänge verwendet, um andere BEGRÜNDUNGEN zu VERSTÄRKEN ('zwar/aber'-Strukturen). Als Beispiel für die Anfangsphase einer alltäglichen Diskussion kann folgender Ausschnitt aus einem Gespräch zwischen Studenten über die Ehe betrachtet werden [5]: A
B
(1) ja & denn und das ist nämlich ein für uns ein wirkliches problem & die ehe ist & wie man so sagen kann doch oder meiner meinem wissen nach eine christliche einrichtung ( 1 ) nein die ehe ist eine oder nicht gesellschaftliche einrichtung ja (2) nicht christlich hat sie nicht & hat sie nicht & ne tiefe Wurzel (2) & das Christentum oder vor auch im Christentum allen dingen die bibel nimmt Stellung zu der ehe und sie nimmt Stellung zu & den Problemen der ehe aber die ehe selbst ist meiner ansieht ja nach also das natürlichste aber und das ursprünglichste einer gesellschaft denn aus der ehe ist
4 S. dazu Toulmin (1958) und z.B. Öhlschläger (1979), Göttert (1978). 5 Aus: Texte gesprochener deutscher Standardsprache I (1971, 221f.). Die Transkription ist zur besseren Lesbarkeit geändert; "8," bedeutet eine Pausenfüllung (äh, Räuspern u. dergl.).
99
Diese Abfolge von zwei A- und zwei B-Schritten der Kontrahenten zeigt die typische Ausgangssituation einer längeren Diskussion. THESE und GEGENTHESE (als eine Form von WIDERLEGUNGSVERSUCH) werden in der ersten Runde einfach konfrontiert, in der zweiten Runde werden modifizierende bzw. konzessive Schritte gemacht, ohne daß schon BEGRÜNDUNGEN oder gar ausführliche ARGUMENTATIONEN vorgebracht werden. Dies folgt erst im nächsten Schritt; hier wird die AusgangsTHESE verteidigt, indem die GEGENTHESE angegriffen wird: A das o nein das möaht ich noch möchte würdest du das wirklich sagen das ursprünglichste das natürlichste B ja A s kann doch genccu so gut sein erst mal man spricht davon daß die männer polygam veranlagt sind genauso die frauen und es gibt & man müßte jetzt wirklich & Untersuchungen anstellen über die verschiedenen rassen in n verschiedenen erdteilen ob da überhaupt die ehe & als das ursprünglichste und natürlichste der weit & die ehe geführt wird das möcht ich unheimlich bezweifeln denn denk denk denk doch an die moharrmedaner die hatten alle mehrere frauen
Unser Beispiel führt uns auch zur Unterscheidung verschiedener Typen von Diskussion. Es handelt sich hier gewissermaßen schon um eine Variante der strengsten Form von Diskussion, die wir aus dem Vorbild der wissenschaftlichen Disputation kennen. Dort geht es nur um die THESE und ihre Negation in einer WIDERLEGUNG; diesen strengen A-B-Typ könnte man Pro / C o n t r a - D e b a t t e nennen. Es gibt in unserem Beispiel stattdessen zwei konkurrierende, aber gleichrangige Meinungen zum Thema Ehe ('christliche Einrichtung' vs. 'gesellschaftliche Einrichtung'). So kann sich bei mehreren Teilnehmern statt einer A-B-Struktur am Anfang auch ein Meinungsbild in einer Runde ergeben, wobei verschiedene A-Schritte als alternative Thesen "zur Diskussion gestellt" werden; diesen Typ könnte man auch M e i n u n g s a u s t a u s c h nennen. Während in strikten Pro/Contra-Debatten am Ende die THESE als BESTÄTIGT oder WIDERLEGT gelten soll, laufen Meinungsaustausch-Diskussionen nicht zielgerichtet ab; die Ergebnisse sind nicht so klar zu formulieren; sehr häufig enden solche Diskussionen ohne deutlich formulierbaren Konsens oder ohne Entscheidung. Uberhaupt muß man wohl nach zwei Kriterien unterscheiden: Neben dem bereits erwähnten Kriterium 'Ausgangssituation' spielt auch das angestrebte 'Ziel',.das durch die Rahmenbedingungen gesetzt wird, eine Rolle. Es macht einen Unterschied, ob Diskussionen in Entscheidungssituationen eingebettet sind, wie etwa parlamentarische Debatten, die im Rahmen von ANTRAG und BESCHLUß stehen, oder ob es nur um die Herstellung von Konsens über die Wahrheit gewisser Aussagen geht, ohne daß diese unmittelbar entscheidungsrelevant sind, oder ob es sogar nur um die Beleuchtung verschiedener Aspekte eines Themas geht, wo-
100 bei gar nicht Einmütigkeit, sondern gerade Vielfalt und Offenheit zur Weiterführung eines Denkprozesses angestrebt werden. 6.2.2. Weitere typische Muster: ZUSAMMENFASSUNGEN, THEMENSTELLUNGEN , DISKUSSIONSIMPULSE Entsprechend den verschiedenen Typen von Diskussionen werden sich auch die Schlußphasen unterscheiden. Je nach Ziel der Diskussion können ZUSAMMENFASSUNGEN von Ergebnissen als Entscheidungsfragen, als Urteile über den Wahrheitswert der Ausgangsfrage oder als Meinungsspektrum formuliert werden. Vergleichbare Varianten finden sich auch am Anfang vor der eigentlichen THESE bzw. den AUSGANGSTHESEN; dort wird als THEMENSTELLUNG (s. Kap. 7) ein mehr oder weniger strikt formulierter Passus stehen, je nachdem ob es um konkrete Entscheidungen, präzise strittige Thesen oder nur um einen allgemeineren Themenbereich geht, innerhalb dessen verschiedene Ansichten vorgebracht werden können. Außerdem findet sich vor den eigentlichen THESEN und nach der THEMENSTELLUNG häufig ein DISKUSSIONSIMPULS, der die Diskussion in Gang bringen soll. Auch zwischendurch werden sich zur Gliederung und Strukturierung immer wieder ZUSAMMENFASSUNGEN, ZWISCHENERGEBNISSE und SUBTHEMENIMPULSE finden. - Die hier erwähnten Muster sind zwar typisch für Diskussionen, betreffen aber nicht unmittelbar den textsortenkonstitutiven Bereich, sondern lösen organisatorische Aufgaben, was noch einmal an zwei Beispielen demonstriert werden soll. Eine typisch vage THEMENSTELLUNG liefert unser "Bonner-Runde"-Text, wo der Moderator Gross nach der BEGRÜßUNG und vor der VORSTELLUNG der Teilnehmer das THEMA NENNT: Gro guten• abend verehrte Zuschauerinnen [ 1 ] und zusohauer - iah begrüße sie herz lieh zu unserer dishussion die heu te abend dem thema gelten soll der Staat genauer gesagt der sozial Staat in der bewährung — über die ses thema wollen sieh heute abend unterhalten und iah danke ihnen für dieses - wollen diese bereit sahaft - ihnen zuvörderst herr ...
(BR 1, 1 -10)
Dies kann in Wirklichkeit nur als INFORMATION an die Zuschauer verstanden werden, nicht als eigentliche THEMENSTELLUNG an die Diskussionsteilnehmer, mit denen ja schon abgesprochen ist, worüber geredet werden soll (s. Kap. 4.1 .) . Einen typischen DISKUSSIONSIMPULS gibt dagegen der Moderator von Hagen zu Beginn der "Diskussions"phase im ZDF-Hearing:
101 äh iah darf nur vorab meinen eindruak hier mal kurz resümieren was das spekulative über mögliehe koalitionen tolerie rungen - partner und dergleichen naah der wähl angeht iah habe den eindruak ein flirt von einer partei zur anderen vor dem wähltag findet niaht statt es wird der wahlkampf hier von allen parteien - gegen die anderen jeweils geführt und niaht - im bliak auf - den möglichen part ner sahon äh - darf iah sie aber bit ten - äh wenns wenns ihnen reoht ist - äh die themen selber zu bestimmen - sonst äh hätte iah auch gerne noch anregungen
(ZH 1, 8-24)
In formelleren Situationen werden diese mehr den organisatorischen bzw. thematischen Rahmen betreffenden Schritte, zusammen mit der rein organisatorischen Regelung des Sprecherwechsels, von einem Diskussionsleiter bzw. Moderator vollzogen, wie das unsere Beispiele auch zeigen. 6.2.3. AblaufSchema Die konstitutiven Muster der Textsorte 'Diskussion' und ihre typischen organisatorischen Begleitmuster lassen sich dann in folgendem Schema zusammenfassend darstellen:
[ZUSAMMENFASSUNGEN/ZWISCHENERGEBNISSE/SUBTHEMENIMPULSE] t
j ARGUMENTATIONEN/THE — SENMODIFIKATIONEN ERGEBNISFORMULIERUNG/ZUSAMMENFASSUNG
102
Die Kernmuster THESE- WIDERLEGUNGSVEPSUCH (beim Typ 1 Pro/Contra'-Diskussion) bzw. alternative THESEN (beim Typ Meinungsaustausch) und ihre Expansionen (kontroverse ARGUMENTATIONEN bzw. THESENMODIFIKATIONEN) werden eingerahmt von THEMENSTELLUNG und DISKUSSIONSIMPULS am Anfang und ZUSAMMENFASSUNG bzw. ERGEBNISFORMULIERUNG am Ende. Zwischen die argumentativen Schritte können noch ZUSAMMENFASSUNGEN, ZWISCHENERGEBNISFORMULIERUNGEN, aber auch SUBTHEMENIMPULSE eingeschoben werden. Diese immer noch sehr idealisierte Darstellung des Ablaufs muß nun so verstanden werden, daß sich in tatsächlichen Gesprächen manchmal längere Passagen [6] finden, in denen die einzelnen Muster ausführlich entfaltet werden, manchmal werden dagegen mehrere Diskussionsmuster in wenigen Gesprächsbeiträgen zusammengefaßt. Einzelne Gesprächsbeiträge sind also nicht immer identisch mit einzelnen Diskussionsmustern; die 1:1-Entsprechung von Gesprächsbeitrag und Diskussionsmuster dürfte eher die Ausnahme sein, besonders in weniger formellen Alltagsdiskussionen. 6.3. Persuasive Muster Bisher sieht unser Bild vom Ablauf einer Diskussion immer noch so aus, als ob von emotionslos argumentierenden Logikern diskutiert werde, nicht von Menschen, die mit allen Mitteln der Überredung und Überzeugung, also p e r s u a s i v vorgehen. Aber normalerweise beschränken sich Diskutanten nicht darauf, ihre THESEN und ARGUMENTATIONEN einfach irgendwie vorzutragen, sondern sie versuchen zugleich, durch günstige Darstellung der eigenen und geschickte Attacke der gegnerischen Position die eigene THESE zusätzlich zu untermauern. Persuasive Unterstützung gehört also - wenn auch nicht konstitutiv - zu Diskussionen. Es ließe sich zwar durchaus ein emotionsfreies Modell von Diskussion konstruieren, als bloßes Abspulen von THESEN und BEGRÜNDUNGEN. In der Wirklichkeit von Gesprächen würde es dennoch künstlich und langweilig wirken, wie die Schlußschemas in Logikbüchern. Diskussio-
6 Ludwig/Menzel (1976, 16) unterscheiden entsprechende "Phasen" in Diskussionen: "5.1. die Wahl eines Themas zu Beginn (wenn ein solches nicht schon vorgegeben ist), 5.2. die Äußerung verschiedener Meinungen zu diesem Thema, der eigentliche Meinungsaustausch, 5.3. der argumentative Dialog, d.h. die Infragestellung und Begründung der einzelnen Meinungsäußerungen und 5.4. schließlich der Versuch, die Ergebnisse (Einsichten, Schlußfolgerungen, Einigungen usw.) zusammenzutragen und so die Diskussion abzuschließen."
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nen leben von der Farbigkeit der Überredungsversuche, von der persuasiven Fähigkeit der Diskutanten. Natürlich sind persuasive Muster auch in anderen Textsorten mit argumentativen Elementen zu finden, besonders da, wo WERBUNG eine Rolle spielt, also etwa in Reklametexten, aber auch in Gerichtsplädoyers, Predigten, und dergl. Da gehört die Persuasion zur Argumentation wie das Salz zur Suppe. Obwohl Diskussionen - dem Ideal nach eher sachlich und rational ablaufen sollen, sind gerade dort die Argumentationen meist stark persuasiv unterstützt. Das entscheidende Kriterium dafür, daß dennoch argumentiert und nicht nur polemisiert wird, scheint erstens zu sein, ob dabei unerlaubte Mittel, Tricks, Täuschungen verwendet werden und zweitens ob man Persuasives nur in Hilfsfunktion verwendet, d.h. auf die Darstellung der THESE oder auf ihren WIDERLEGUNGSVERSUCH hin funktionalisiert. Dazu gehört auch, daß man von seiner Argumentation nach wie vor überzeugt ist und nicht nur um jeden Preis für seine THESE WIRBT, gleichgültig ob die ARGUMENTE des Gegners stichhaltig erscheinen oder nicht. Fragt man, wie persuasive Muster aussehen, dann kann man feststellen: Zunächst dient Persuasion nur der Vorbereitung und Absicherung des Diskussionskerns durch Verbesserung des Verständnisses und der Beziehung. Persuasive Muster können deshalb einmal organisatorische Mittel benutzen, die einfach der Verständnissicherung dienen. Sie können darüber hinaus auf dem Feld der Beziehungsgestaltung eingesetzt werden und so dazu beitragen, daß die Wirkung der Argumente auf diese Weise gesteigert wird, z.B. durch SELBSTLOB oder ADRESSATENSCHMEICHELEI, aber auch durch PSEUDOBESCHEIDENHEIT oder GEGNERABWERTUNG. Sie sind also entweder organisatorisch oder imageorientiert angelegt. Entsprechend könnte man die traditionelle Unterscheidung verschiedener Methoden beim praktischen Argumentieren neu fassen [7]: beim ÜBERZEUGEN, das eher sachbezogen sein soll, verstärkt man die Argumente überwiegend mit organisatorischen Mitteln der Verständnissicherung; beim ÜBERREDEN, das sich mehr an die Person richtet, verwendet man vor allem Muster der Imagearbeit. Tatsächlich wird aber in der Regel beides miteinander verknüpft, und eine Abgrenzung ist bei der üblichen Polyfunktionalität sprachlicher Muster normalerweise nicht möglich. Zur persuasiven Stützung einer Argumentation gehören einfache Muster wie STRUKTURIEREN, die Klarheit und Ubersichtlichkeit bewirken sollen, wie BEWERTEN, die den
7 Zur Unterscheidung von 'überreden' und 'überzeugen' s. Dieckmann (1969, 27, Anm. 25), der keine inhaltliche Abgrenzung vornimmt, die negative Konnotation von 'überreden' aber ablehnt. Ähnlich Kopperschmidt (1973, 191f., Anm. 12).
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Wahrheitsanspruch verdeutlichen, wie VERSTÄRKUNG, die die Wirkung der Argumentation erhöhen sollen. Dazu gehören aber auch komplexere Muster, die Taktiken und Strategien enthalten, wie sie aus der klassischen Rhetorik und Dialektik bekannt sind: CAPTATIO BENEVOLENTIAE, ADVOCATUS DIABOLI SPIELEN, Thesen VERALLGEMEINERN, HYPOTHETISCHE FOLGERUNGEN ziehen, etwas AD ABSURDUM FÜHREN, RETOURKUTSCHEN usw. [8] Häufig sind die persuasiven Muster mithilfe feinster stilistischer Mittel realisiert, z.B. durch unauffällige Mittel des sprachlichen Ausdrucks oder durch die unmerkliche Verknüpfung von anderen Mustern. Zur Veranschaulichung können wir uns noch einmal die Anfangspassage der "Ehediskussion" vornehmen: ja 3
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